Schauspieler und Theaterbetrieb: Studien zur Sozialgeschichte des Schauspielerstandes im deutschsprachigen Raum 1700–1900 9783111635422, 9783484660052


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German Pages 229 [232] Year 1990

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Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Teil I: Der Betrieb
Teil II: Der Weg zur Bühne
Teil III: Mobilität
Literaturverzeichnis
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Schauspieler und Theaterbetrieb: Studien zur Sozialgeschichte des Schauspielerstandes im deutschsprachigen Raum 1700–1900
 9783111635422, 9783484660052

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Studien zur Geschichte und Theorie der dramatischen Künste

Herausgegeben von Hans-Peter Bayerdörfer, Dieter Borchmeyer und Andreas Höfele Band 5

Peter Schmitt

Schauspieler und Theaterbetrieb Studien zur Sozialgeschichte des Schauspielerstandes im deutschsprachigen Raum 1700-1900

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1990

Zum Gedenken an M.

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Schmitt, Peter : Schauspieler und Theaterbetrieb : Studien zur Sozialgeschichte des Schauspielerstandes im deutschsprachigen Raum 1700 - 1900 / Peter Schmitt. - Tübingen : Niemeyer, 1990 (Theatron ; Bd. 5) NE: GT ISBN 3-484-66005-8

ISSN 0934-6252

© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1990 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Druck: Weihert-Druck, Darmstadt

Inhaltsverzeichnis

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Vorwort

Teil I: D e r Betrieb 1. Theaterbetriebliche Organisationsformen von 1700 bis 1900 Die Wandertruppen 6 Das Privilegiensystem 13 Johann Friedrich Schönemanns Aufstieg - Ein Beispiel für den Kampf um Privilegien im 18. Jahrhundert 15 Der Spielort der Wandertruppen 19 Die Hoftheater 21 Städtische und private Theaterunternehmen 33 Die Staatstheaterfrage 37

4

2. Der Schauspieler, statistisch betrachtet Lebenszeit 44 Debutalter 45 Lebensarbeitszeit 46 Pensionsalter und Pensionszeit 47 Heiratsalter 48

42

3. Die Entwicklung des Schauspielerengagements Engagementsverhältnisse Reisender Gesellschaften 49 Bühnenengagementsvertrag 54

49 Der

4. Die soziale Absicherung des Schauspielerstandes Alters- und Hinterbliebenenversorgung 63 Lokale Pensionsanstalten 64 Gnadenpensionen 72 Zentrale Pensionsanstalten 73

57

5. Krankheit und Tod Schauspielerkrankheiten 84 Tod und Begräbnis 88

84

Teil II: D e r W e g zur B ü h n e 1. Berufswahl Studenten - Akademiker - Beamte 102

92

2. Schauspielerausbildung Theaterphilantropin-Konzepte des 18. Jahrhunderts 126 Die Theatralpflanzschulen der Hoftheater 131 Stuttgart 131 Mannheim 132 Das Mannheimer Finanzierungsmodell 143 Karlsruhe 147 Regensburg 153 Staatliche Theaterbildungsanstalten 159

111

3. Die Theaterakademie

171

V

Teil III: Mobilität Mobilität 186 Wanderwege Reisender Gesellschaften 189 Schauspielerfluktuation 190 Gastspielwesen und Virtuosentum 194 Der Begriff 196 Entstehung und Entwicklung und Verbreitung 198 Die Gastspieltätigkeit des Jahres 1846 200 Das Repertoire 203 Die Darsteller 205 Ablehnung und Zustimmung 207

Literaturverzeichnis

VI

Vorwort

Konrad Ekhof, von Johann Friedrich Löwen hartnäckig um immer detailliertere Auskünfte über die Geschichte des Theaters und des Schauspielerstandes befragt, schrieb diesem im März 1766 sichtlich gereizt: Aber warum fragen Sie mich nach solchen Leuten? Sind Sie willens, alle solche Markt und Flecken beziehenden Prinzipale zu nennen und zu beschreiben? Hilf Himmel, mit welcher Sündflut von Namen würden Sie uns überschwemmen, und wer will Sie Ihnen alle kenntlich machen, und welch ein Wolkenbruch würde bei der sorgfältigsten Nachforschung zu nennen übrig bleibenH Leider war Löwen nicht hartnäckig genug und beschränkte sich in seiner GESCHICHTE DES DEUTSCHEN THEATERS 2 auf jene bedeutenden Prinzipale und Schauspieler, die seines Erachtens eine zentrale Rolle in der Entwicklung und Beförderung des deutschen Theaters einnahmen und die den Versuch wagten, aus vagabundierenden Komödiantenbanden einen sittlich gefestigten und gesellschaftlich anerkannten Stand zu bildea Viele Theaterhistoriker von Eduard Devrient und Max Martersteig bis hin zu Heinz Kindermann folgten ihm Die vorliegende Arbeit widmet sich dem Leben und Arbeiten jener Darsteller und Darstellerinnen, die namenlos blieben und dem Fortschrittsgedanken der Theaterhistoriographen zum Opfer fielen Beschrieben werden sollen ihr Berufsweg und dessen Wandel im 18. und 19. Jahrhundert, ihre Motive, die sie zur Wahl einer gesellschaftlich wenig geachteten Tätigkeit gefuhrt haben, die Situation ihrer Ausbildung und die Versuche, diese zu verbessern und staatlich zu institutionalisieren, ihr Eintritt ins Berufsleben und die vielfältigen Wege, die dorthin geführt haben, ihr Kampf um soziale Absicherung bei Krankheit und im Alter sowie die ihrem Stand eigentümliche Mobilität von der Wandertruppenzeit bis hin zum Gastspielwesen des ausgehenden 18. und gesamten 19. Jahrhunderts. 1 Konrad Ekhof: An Hrn. Sekret. Löwen nach Schwerin, den 7. März 1766 - in: Conrad Ekhof: ein Schauspieler des achtzehnten Jahrhunderts / im Auftrag der Deutschen Akademie der Künste eingeleitet und herausgegeben von Hugo Fetting. - Berlin: Henschel, 1954. - S. 110-119. - S. 118. 2 Johann Friedrich Löwen: Geschichte des deutschen Theaters (1766) - in: Johann Friedrich Löwens Geschichte des deutschen Theaters (1766) und Flugschriften über das Hamburger Nationaltheater / im Neudruck mit Einleitung und Erläuterungen hg. von Heinrich Stümcke. - Berlin: FrensdorfT, o.J.

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Will man sich nicht in den vielen Spuren verlieren, die die erdrückende Menge des vorhandenen Materials eröffnen, bietet sich dem Theaterhistoriker für eine Beantwortung dieser Fragen eine Arbeitsweise an, die in der theaterwissenschaftlichen Forschung bisher nur rudimentär entwickelt wurde und die der Herrmannschen Forderung nach einer Rekonstruktion der theatralen Einzelleistung entgegensteht. Nicht der einzelne, bedeutende Schauspieler kann im Zentrum der Betrachtung stehen, sondern die Masse der Durchschnittsdarsteller, deren Lebensweise, Tätigkeit und Mobilität in vielen Fällen quantitativ erfaßbar und statistisch auswertbar ist. 3 Um eine gewisse Repräsentativität der Aussagen zu gewährleisten, wurden umfangreiche Datenbasen und -banken erstellt und zueinander in Beziehung gesetzt. Dies gilt vor allem für das viel gescholtene, aber bisher selten untersuchte Gastspielwesen des 19. Jahrhunderts. Hier wurden sowohl die einzelnen Gastspiele an den Bühnen Berlins, Wiens, Darmstadts und anderer Städte über längere Zeiträume hinweg erfaßt - großteils unter Verwendung der Rollenangaben, der gespielten Stücke, der Anzahl der Auftritte etc. -, als auch sämtliche Gastspiele eines bestimmten Jahres analysiert.4 Angesichts fehlender, unzureichender oder fehlerhafter Sekundärliteratur, wurde in der vorliegenden Arbeit großteils auf die - oftmals schwer auffindbaren - Quellen zurückgegriffen. Auf eine kritische Auseinandersetzung mit der Theaterhistoriographie wurde in der Regel verzichtet, da sich bereits die Ansätze grundlegend unterscheiden. Konsequenterweise hätte dies eine eigene umfangreiche Studie über die Geschichte der Theatergeschichtsschreibung erfordert, in der zu klären gewesen wäre, wie sich aus der Verquickung von pädagogischem Reformgeist, standespolitischer Haltung, Fortschrittsideologie und ekklektizistischer Sammelwut ein Wissenschaftszweig entwickelte, dem die Theatertradition in ihrer Vielschichtigkeit und inneren Widersprüchlichkeit zunehmend zum "Störfaktor schlüssiger Theoriebildung" s geriet Die Folgen zei-

3 Daß man hierbei mit Georges Duby auch von einer, aus der Angst des Historikers geborenen, "Zuflucht" zur Datenverarbeitung und Quantifizierung sprechen kann, muß zweifelsohne zugestanden werden. (Georges Duby, Gey Lardreau: Geschichte und Geschichtswissenschaft: Dialoge / Georges Duby; Guy Lardreau. Aus d. Franz. v. Wolfram Bayer. - Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1982. S.42.) 4 Die Daten stehen dem wissenschaftlichen Nutzer im »Zentrum für Historische Sozialforschung« der Universität Köln zur Verfügung. 5 Günther Mahal: Auktoriales Theater - die Bühne als Kanzel: Autoritäts-Akzeptierung des Zuschauers als Folge dramatischer Persuationsstrategie / Günther Mahal. - Tübingen: Narr, 1982. - S.10. Mahal bezieht sich hier auf die Entwicklung der Dramentheorie: "Die letzten hundert Jahre deutscher Dramentheorie sind weithin gekennzeichnet von einer Normenbildung, die von der Theatergeschichte absehen zu können meint. Daraus resultiert, bis hin zu neue-

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gen sich an Heinz Kindermanns "Theatergeschichte Europas", die sich über weite Strecken als Aneinanderreihung ausgewählter theaterhistorischer Einzelereignisse lesen läßt. Wäre es kein vermessenes Plagiat, hätte man auch diesem Vorwort den Titel "Geschichte eines Buches, das kein Ende findet" geben können. Es entstanden, nach langwierigen, aber auch spannenden Vorarbeiten, zeitlich, geographisch und thematisch begrenzte Studien zur historischen Entwicklung des Schauspielerstandes, in denen leider nur ein Bruchteil des angesammelten Materials ausgewertet werden konnte. Die vorliegende Arbeit ist damit auch ein Dokument über Anspruch und Wirklichkeit universitären Forschens in einem theaterwissenschaftlichen Institut unserer Zeit.

sten Versuchen, ihre Extremität, die gleichwohl als »Normalität« ausgegeben wird, als Systemzentrum dramatischer Entitäten, von dem aus »a-normale« Formen filiert werden und auf das sie dennoch stets bezogen bleiben."(ibid. S.9f.) Eine analoge Übertragung auf die Geschichte der Theaterhistoriographie ist m.E. ohne signifikante Abstriche zulässig.

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1.1 Theaterbetriebliche Organisationsformen von 1700 bis 1900

Die quantitativ dominierende Organisationsform des deutschsprachigen Berufstheaters der Neuzeit ist bis weit in die zweite Hälfte des 19. Jahrhundert hinein die Reisende Gesellschaft Sie ist - als Wandertruppe - zugleich die erste und bis ins letzte Viertel des 18. Jahrhunderts einzige namhafte Form des deutschsprachigen Theaterbetriebs. Finanziell dominierend sind dagegen - vor allem im 19. Jahrhundert - die höfischen und größeren städtischen Theater. Weitaus zahlreicher sind in diesem Bereich der stehenden Theater allerdings die kleineren Stadttheater und Privatunternehmen, deren Betrieb sich jedoch noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts nicht wesentlich von denjenigen der Reisenden Gesellschaften unterscheidet, denn - wie Roderich Benedix statistisch nachgewiesen hat 1 - diese Theater wurden in der Mehrzahl der Fälle nur halbjährlich bespielt und die Ensembles liefen in der Regel anschließend auseinander, um anderweitig Engagement zufinden,da die Prinzipale nicht willens waren, das in der Wintersaison Verdiente während der Sommerflaute wieder zuzusetzen. Weiter unten angeführte eigene statistische Berechnungen werden diesen Befund auch für die zweite Jahrhunderthälfte erhärten. Man kann deshalb bei diesen Theatern nur unter Vorbehalt von stehenden Unternehmen sprechen, da auf Dauer angelegte lokale Einrichtungen von ständig wechselnden Gesellschaften bzw. Direktoren für einen begrenzten Zeitraum gepachtet wurden. Zu berücksichtigen ist weiterhin, daß unsere heutige Trennung von Theaterund Schaustellergewerbe hinsichtlich der Betriebsform und der damit verbundenen Auflagen bis weit ins 19. Jahrhundert hinein keine verwaltungsrechtliche und -technische Relevanz besaß: Berufsfechter, Seiltänzer, Kunstreiter, Puppenspieler, Tierführer und -darsteller, Zirkusunternehmungen, starke Männer 1 Roderich Benedix: Über die Lage der Schauspielkunst und die Mittel, den erkannten Übelständen abzuhelfen. - Es handelt sich um eine (nicht gedruckte) Denkschrift, die Benedix im Rahmen der Diskussion um ein Theatergesetz 1848 an das preußische Kultusministerium gesandt hatte. - Wilhelm Klein hat die Denkschrift ausführlich analysiert. Von dort stammt auch die obige Angabe: Wilhelm Klein: Der Preußische Staat und das Theater im Jahre 1848: e. Beitrag zur Geschichte der Nationaltheateridee / von Wilhelm Klein. - Berlin: Selbstverlag der Gesellschaft für Theatergeschichte, 1924. (Schriften der Gesellschaft für Theatergeschichte;33) - S.96.

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und Frauen, sowie Artisten jeglicher Couleur wurden der großen Gruppe der Fahrenden Leute zugeordnet und unterlagen - soweit sie erwerbsmäßig tätig waren - den vielfaltigen und historisch unterschiedlichen Bedingungen des Wandergewerbes und den entsprechenden gewerbepolizeilichen Bestimmungea Ausgeschlossen wurden für die vorliegende Untersuchung die zahlreichen Formen des Gesellschafts- oder Liebhabertheaters in jenen Fällen, in denen die Mitwirkenden in ihrer überwiegenden Zahl normalerweise einer anderen Tätigkeit nachgingen. Dies gilt für die Handwerkerspiele ebenso wie für die Schultheater, die geistlichen Spiele des Mittelalters und ihre Neuauflagen in Oberammergau und Wahl, das Jesuitentheater und das bürgerliche Liebhabertheater des 18. und 19. Jahrhunderts. Der gewerbliche Aspekt durfte bei diesen Ausgrenzungen allerdings keine Rolle spielen, da etwa die höfischen wie auch die von Korporationen des öffentlichen Rechts betriebenen Theater im gesamten Untersuchungszeitraum nicht als Gewerbebetriebe betrachtet wurden und auch die Schauspieler in ihrer Gesamtheit von den - immer wieder modifizierten - Bestimmungen der Gewerbeordnungen ausdrücklich ausgenommen wurden, sofern sie nicht als Schauspielunternehmer auftraten. Hierin unterschieden sich letztere fundamental von den Arbeitern der Handwerks-, Fabrik- und Bergwerksbetriebe. 2

2 Auf diese, für uns heute schwer verständlichen, juristischen Einordnungen wird in dieser Arbeit noch an mehreren Stellen ausführlicher eingegangen, da sie auch die rechtliche Grundlage für die soziale Misere der meisten Schauspieler bildeten. 5

Die Wandertruppen Als gegen Ende des 16. Jahrhunderts englische und italienische Truppen in den deutschsprachigen Raum kamen und vor allem erstere nicht nur an Höfen, sondern auch überall dort spielten, wo sie Publikum fanden, importierten sie Betriebsformen, die nur annähernd mit derjenigen des zünftischen Handwerksbetriebs vergleichbar waren und in der Gruppe der Fahrenden, zu denen vor allem auch die - aus den englischen hervorgegangenen - deutschsprachigen Schauspielergesellschaftenî von Anfang an gezählt wurden, keine Entsprechung fanden. Zwar gab es bei den Fahrenden Formen des Zusammenschlusses, die jedoch - nimmt man die 1416 in Mitteleuropa auftauchenden Zigeuner aus - entweder dem Schutz des Einzelnen, des Pilgers, des wandernden Handwerksgesellen, des fahrenden Studenten dienten, oder kriminelle Ziele im Auge hatten, wie die ab dem ausgehenden Mittelalter und besonders wieder in der Zeit des dreißigjährigen Krieges zu findenden marodierenden Soldaten- und Räuberbanden, die zu einer gesamteuropäischen Plage der Seßhaften wie der Reisenden wurden. Zu verstehen ist die Situation der Wandertruppen vom 16. bis zum 18. Jahrhundert und noch darüber hinaus aus der Angst jener Seßhaften, die bereits "in zwei Umherziehenden ... eine Gruppe gefährlicher Vagabunden"4 sah. Traten die Fahrenden, wie dies bei den wandernden Schauspielergesellschaften zwangsläufig der Fall war, in noch größerer Zahl auf, "verstärkte sich die Ablehnung, und man machte zwischen friedlichen und gefahrlichen Vagabunden genauso wenig einen Unterschied, wie zwischen den verschiedenen Arten von 3

Während die italienischen Gesellschaften in der Regel an Höfen spielten, nur selten in Städten auftraten und auch keine deutschsprachigen Schauspieler aufnahmen, stellten sich die englischen Truppen schon bald auf die deutsche Sprache ein. Heinz Kindermann geht davon aus, daß sich bereits um 1600 "die englischen Schauspieler allmählich zur Gänze ... der deutschen Sprache" bedienen. (Heinz Kindermann: Theatergeschichte Europas: III. Band: das Theater der Barockzeit / Heinz Kindermann. - 2. verbesserte u. ergänzte Aufl. - Salzburg: Müller, 1967. - S.369.) Erklärbar ist dies m.E. durch die Theatersituation in England, die sich mit dem Erstarken des Puritanismus in der nachelisabethanischen Zeit drastisch verschlechterte und letztendlich, nach mehrmaligen Anläufen, 1642 zur völligen Schließung der Theaterbetriebe führte. Zuvor war jedoch noch eine Vielzahl neuer Truppen entstanden, die in England kein Auskommen fanden. Die englischen Gesellschaften blieben zudem weitaus länger in Deutschland, als die italienischen, (s. ibid. S.371.) Eigenständige deutsche Wandertruppen, die sich hauptsächlich aus Studenten rekrutierten, sind mit großer Wahrscheinlichkeit erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts entstanden. Der Entstehungsprozeß ist ausführlich bei Kindermann beschrieben, (ibid. S.391ff.)

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B. Geremec, zit.n. Robert Muchembled: Kultur des Volks - Kultur der Eliten: die Geschichte einer erfolgreichen Verdrängung / Robert Muchembled. - 2. Aufl. - Stuttgart: Klett-Cotta, 1984. - S.123.

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Bettlern."5 Daß dies nicht immer so war, zeigt Jacques Le Goffs Beschreibung mittelalterlicher Mobilität, derzufolge man sich die mittelalterliche Gesellschaft doch nicht als eine seßhafte, unbewegliche Gesellschaft vorstellen (darf), die an ihrem von Wäldern umschlossenen Stückchen Erde hängt. Im Gegenteil, die Menschen des Mittelalters sind von einer ungewöhnlichen, geradezu verwirrenden Beweglichkeit. Die Erklärung dafür ist nicht schwer zu finden. Besitz als materielle oder psychologische Wirklichkeit ist im Mittelalter nahezu unbekannt. Vom Bauern bis zum Herrn hat jeder einzelne, jede Familie, nur mehr oder minder beschränkte Rechte auf widerruflichen Besitz, auf Nießbrauch.6 Der Umbruch erfolgte im 14. Jahrhundert. Von 1348 bis 1350 überschwemmt die erste Pestwelle ganz Europa, bereits zehn Jahre später folgt die zweite, 1374 die dritte und der "Schwarze Tod" bleibt, wenn auch häufig lokal begrenzt, bis ins 18. Jahrhundert eine ständige Bedrohung: 1543 ist sie in London, Ende des 16. Jahrhunderts in Süddeutschland, 1609 in Braunschweig, 1630 in Mailand, 1649 in Sevilla, 1656 in Neapel, 1665 wieder in London und 1720 in Marseille, um nur einige Stationen zu nennen. ? Die Folgen der Epedemien waren in der Regel brachliegende Felder und ein Mangel an Arbeitskräften, der in allen europäischen Ländern zunehmend durch Zwangsarbeit der Vagabunden ausgeglichen werden sollte. Arbeitsunwilligen, jetzt Müßiggänger genannt, verweigerte 5 Michel Mollat: Die Armen in Mittelalter / Michel Mollat. - München: Beck, 1984. - S.226. Entscheidend war allerdings der Unterschied zwischen Vagabund und Bettler: "Der Bettler wurde toleriert, der Vagabund aber gehaßt. ... in einer Gesellschaft, in der die Bindungen zwischen Menschen noch eine tragende Funktion besaßen, war derjenige vollständig isoliert und damit ausgeschlossen, der von niemandem anerkannt wurde, der keine Bindung an einen andern nachweisen konnte."(ibid.) Das entscheidende Kriterium für die Ablehnung des Vagabunden war daher nicht seine Armut, sondern die Tatsache, daß er ein Fremder, Unbekannter war. Da es im ausgehenden Mittelalter jedoch zunehmend vagabundierende Bettler gab, schützte man die seßhaften Bettler, indem man ihnen ein Zeichen gab, das - so die Nürnberger Bettelordnung von 1370 nur der erhielt, der seine Bedürftigkeit durch Zeugen nachweisen konnte. Dadurch war der Bettler "anerkannt". Fremde Bettler vertrieb man dagegen aus der Stadt, (s. Franz Irsigler u. Arnold Lassotta: Bettler und Gaukler, Dirnen und Henker: Randgruppen und Außenseiter in Köln 1300-1600 / Franz Irsigler, Arnold Lassotta. - Köln: Greven, 1984. - S.25.) 6 Jacques Le Goff: Kultur des europäischen Mittelalters / von Jacques Le Goff. München;Zürich: Droemer Knaur, 1970. - S.218. Le Goff verweist zudem darauf, "daß der Geist der christlichen Religion selbst" die Menschen "auf die Straße treibt. Lehrt doch die Kirche, daß der Mensch auf dieser Erde, in diesem Jammertal, nur ein Pilger ist."(ibid. S.219.) 7 Die Angaben stammen aus: Jean Delumeau: Angst im Abendland: die Geschichte kollektiver Ängste im Europa des 14. bis 18. Jahrhunderts / Jean Delumeau. - Band 1 - Reinbek: Rowohlt, 1985. - S.165-181.

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man Almosen und den Zutritt zu den Hospizen, was sich noch harmlos ausnahm gegenüber den sich verschärfenden Gesetzen gegen das Vagabundieren vom 15. bis zum 17. Jahrhundert, die - vor allem in England - den Vaganten für vogelfrei erklärten und zu "Feldzüge(n) gegen die Landstreicher"« führten, in denen viele ihr Leben lassen mußten.9 Ab dem 17. Jahrhundert richtete man Arbeits- und Armenhäuser ein, um die Fahrenden zu disziplinieren. Gerade das Beispiel Englands zeigt auch, daß es nicht immer Seuchen waren, die Kampagnen gegen Vagabunden provozierten. Bauemvertreibungen aufgrund von Einhegungen Ό, Hungersnöte, Kriege und religiöse Auseinandersetzungen hatten

häufig denselben Effekt. Entscheidend für die soziale Lage und Beurteilung der Wandertruppen war die neue Einstellung gegenüber den Vagabunden: "Instinktiv und systematisch mißtraute man dem Fremden, Unbekannten, Arbeitslosen, Kriminellen oder wenigstens potentiellen Gesetzesbrecher, der möglicherweise irgendeine Krankheit einschleppte." n Zu welchen Formen der Abschottung dieses Mißtrauen fuhren konnte, zeigt der von Delumeau an den Anfang seines Buches gestellte Bericht Montaignes über die Sicherungsmaßnahmen an den Augsburger Stadttoren. Der Fahrende des Mittelalters war so zum Außenseiter geworden: "denn die Normalen", so Le Goff, "sind jetzt die Seßhaften".! 2

8 ibid. S.271. 9 Die Entwicklung in Deutschland verlief zeitversetzt und war insgesamt etwas humaner: "Zwar läßt sich die Existenz einer »Blutgesetzgebung« auch für den europäischen Kontinent belegen, nicht aber ein den gesetzlichen Strafandrohungen entsprechender konsequenter Strafvollzug. ... Zwar sind überall Strafen für Zuwiderhandlungen gegen die Ordnungen vorgesehen, neben Stadtverweisung und Freiheitsstrafen aber schlimmstenfalls Leibesstrafen (Prügel), nicht aber Verstümmelungen oder gar Tod. Eine Brutalisierung der Bestrafung von Bettlern und Landstreichern tritt in Deutschland erst im Laufe des 17. und des 18. Jahrhunderts ein." (Christoph Sachße, Florian Tennstedt: Geschichte der Armenfürsorge in Deutschland vom Spätmittelalter bis zum Ersten Weltkrieg / Christoph Sachße u. Florian Tennstedt. - Stuttgart;Berlin;Köln;Mainz: Kohlhammer, (1980). - S.39.) An der Grundtatsache der Disziplinierung von Vaganten ändert dies jedoch nichts. Die verschärfte Bestrafung in England erklärt sich aus den Folgen der Einhegungen. 10 Den Zusammenhang zwischen den Einhegungen und der Entstehung berufsmäßiger Schauspielkunst in England hat Robert Weimann in: Drama und Wirklichkeit in der Shakespearezeit / Robert Weimann. - Berlin: Henschel, 1958. deutlich herausgearbeitet. 11 Michel Mollat: Die Armen im Mittelalter, a.a.O., S.226. 12 Jacques Le Goff: Kultur des europäischen Mittelalters, a.a.O., S.219.

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Dies schuf neue Ängste: die Ängste der Fahrenden. 13 Ihr - zumindest de facto - rechtloser Zustand führte zur Organisation im Bandenwesen, das die Compagnies beschäftigungsloser Soldaten des 14. Jahrhunderts ablöste** und das der "unsteten Lage und Lebensweise der Fahrenden am besten angepaßt"15 war. Es bot einerseits einen gewissen Schutz vor Verfolgung und Übergriffen, war andererseits in seiner Struktur aber so offen, daß es die Mobilität des einzelnen weiterhin garantierte. Beide Bezeichnungen, Compagnie und Bande, finden sich dann auch in den Beschreibungen der deutschsprachigen Wandertruppen wieder. Bei den Schauspielern der Wandertruppen kam jedoch noch - im Gegensatz zu anderen Schutzgemeinschaften - der merkantile Charakter ihrer Tätigkeit hinzu, dessen spezifische Eigenschaften einen Wandergewerbebetrieb schufen, der die einzelnen über die Schutzbedürftigkeit hinaus noch enger aneinander band. Harald Zielske hat in einer eindrucksvollen Studie über das Verhältnis der deutschen Höfe zu den Wandertruppen im 17. und frühen 18. Jahrhundert diese innere Struktur des reisenden Schauspielunternehmens untersucht, um zu klären, warum es in diesem Zeitraum nie zu einer längerfristigen "Bindung der Wandertruppen an das absolutistische Hofleben gekommen ist" 16. Er fand zwei entscheidende "betriebsstrukturelle Merkmale": das Ensembleprinzip und das Repertoireprinzip, i? Unter dem Ensembleprinzip ist zu verstehen, daß der Berufsschauspieler andere Berufsschauspieler braucht, um seine darstellerische Tätigkeit auszuführen, vorausgesetzt es handelt sich um die Aufführung von Dramen. Dadurch 13 Es ist überraschend, daß Delumeau und viele andere, die sich mit der Situation der Fahrenden beschäftigen, in der Regel nur von der Angst der Seßhaften sprechen. Ist dies angesichts des Untertitels seiner Arbeit in den Kapiteln über die Hexenverfolgung möglicherweise noch gerechtfertigt, so kann man m.E. den Fahrenden die Merkmale eines Kollektivs nicht verweigern. 14 Michel Mollat: Die Armen im Mittelalter, a.a.O., S.225. 15 Frantisek Graus: Die Randständigen, in: Unterwegssein im Spätmittelalter / hg. v. Peter Moraw. - Berlin: Duncker & Humblot, 1985. ( - Zeitschrift f. Hist. Forschung; Beiheft 1) - S.93-104. - S.98. 16 Harald Zielske: Die deutschen Höfe und das Wandertruppenwesen im 17. und frühen 18. Jahrhundert - Fragen ihres Verhältnisses / Harald Zielske, in: Europäische Hofkultur im 16. und 17. Jahrhundert: Vorträge und Referate gehalten anläßlich des Kongresses des Wolfenbütteler Arbeitskreises für Renaissanceforschung und des Internationalen Arbeitskreises für Barockliteratur in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel vom 4. bis. 8. September 1979 / hg. v. August Buck, Georg KaufTmann, Blake Lee Spahr u. Conrad Wiedemann. - III: Referate der Sektionen 6 bis 10. - Hamburg: Hauswedell & Co., 1981. - S.521-532. ( Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung; 10) 17 ibid. S.522.

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entsteht, so Zielske, "eine Gemeinschaft, eine Spielgemeinschaft, ein fest gefugter sozialer Sachverhalt"^, der, so ist zu folgern, die einzelnen Mitglieder wie eine Klammer zusammenzwingt: Das aufeinander Angewiesensein wird ... lebensentscheidend. Denn wie soll man seiner eigenen Existenz, seines Lebensunterhaltes sicher sein, wenn man nicht sicher weiß, ob die anderen Mitglieder der Spielgemeinschaft nicht auch ihre persönlichen Leistungen erbringen, damit die theatralische Gesamtleistung zustande kommt und an das Publikum als den interessierten Abnehmer weitergegeben, d.h. verkauft werden kann? Jeder in einer Berufsschauspielertruppe ist auf jeden angewiesen, der Zusammenhalt ist äußerst eng und fest. 19

Dieses Ensembleprinzip hat jedoch einen rein sozialen Charakter, d.h. es ist nicht mit dem künstlerischen Ensembleprinzip des ausgehenden 19. Jahrhunderts zu verwechseln, das auf die in sich stimmige Totalität des Gesamtkunstwerks »Aufführung« hin ausgerichtet ist. Die soziale Schutzgemeinschaft hatte sich dann auch vom betriebsstrukturellen Merkmal zum genossenschaftlichen gewandelt. Der innerbetriebliche Zusammenhalt der Darsteller zerfiel dagegen. "Collegialität", schrieb der Schauspieler Carl Sontag in seinen Lebenserinnerungen, "herrschte am Burgtheater keineswegs. Nur gruppenweise verkehrten die Mitglieder mit einander."20 Und daß das Burgtheater hier keine Ausnahme war, zeigt sein Hinweis: die "Collegialität, die am Schweriner Hoftheater herrschte, habe (er) weder vorher noch nachher gefunden"^ ι Das Repertoireprinzip folgt aus dem Ensembleprinzip: Das Mitglied einer Wandertruppe kann nur dann seine Existenz innerhalb dieser Gruppe sichern, wenn es über eine größere Anzahl von einsetzbaren Rollen verfügt: Es läßt sich der Schauspielerberuf auch als eine Art Handelsgewerbe ansehen. Das Repertoire an spielbaren Dramen ist gewissermaßen das Warenangebot, und je größer dieses Warenangebot, desto sicherer und größer der Umsatz, desto kontinuierlicher auch die Berufsausübung, desto beständiger auch die dadurch erreichte Existenzsicherung.22

Das Repertoireprinzip bestand bei den Wandertruppen deshalb nicht nur im Vorhandensein einer Vielzahl von einsetzbaren Rollen. Es mußte sich zudem um »verkaufbare« Rollen bzw. Stücke handeln, d.h. sie mußten am Publikumsinteresse orientiert sein. Das Scheitern auch bedeutender Gesellschaften erklärt sich aus diesem Zusammenhang. 18 ibid. S.523. 19 ibid. 20 Carl Sontag: Vom Nachtwächter zum türkischen Kaiser: Bühnen-Erlebnisse aus dem Tagebuche eines Uninteressanten / von Carl Sontag. - 3. Aufl. - 2. Bde. Hannover: Helwing, 1876. - S.93. 21 ibid. S.126. 22 Harald Zielske: Die deutschen Höfe und das Wandertruppenwesen im 17. und frühen 18. Jahrhundert a.a.O., S.524.

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Es soll hier nicht weiter untersucht werden, ob die von Zielske gewählte Begrifilichkeit der Lösung des Problems forder- oder eher hinderlich ist Die Fakten treffen zweifelsohne zu und gelten auch noch für die Schauspieler des 19. Jahrhunderts, sei es in den Reisenden Gesellschaften oder in den stehenden Theaterbetrieben inklusive der Hoftheater, die sich in ihrer Struktur wesentlich von denen des 17. Jahrhunderts unterscheiden. Und Zielskes Argumenten widerspricht auch nicht die von vielen Prinzipalen und Theaterunternehmern beklagte Schauspielerfluktuation: solange der Schauspieler immer wieder ein neues Ensemble fand, geriet er nicht in Not. Tatsächliche Not herrschte dagegen oft in jenen Truppen, in denen »auf Teilung« gespielt wurde. Dieses ursprünglich aus England kommende Prinzip, das eine Aufteilung der Tageseinnahmen nach einem bestimmten Schlüssel vorsah, fand zunehmend in jenen kleinen Gesellschaften Anwendung, in denen der Prinzipal nicht oder nicht mehr in der Lage war, die Zahlung fester Gagen zu garantieren. Und wenn derartige Truppen auseinanderbrachen und die Schauspieler auf das »Kollekten-machen« angewiesen waren, wurde die Situation existenzbedrohend, da es bis weit in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein keine soziale Absicherung für Schauspieler gab. Das dritte Strukturprinzip der Wandertruppe könnte man als »Prinzipalprinzip« bezeichnen. Es besaß, wie aus dem eben Gesagten hervorgeht, zwei Ausprägungen. Spielte die Truppe »auf Teilung«, oblagen dem Prinzipal lediglich die Verwaltung der Anteile und das Management des Wanderbetriebs. Waren die Schauspieler dagegen »auf Gage« bei ihm beschäftigt, trat er als alleinverantwortlicher Unternehmer auf. Daß diese innerbetriebliche Differenzierung der deutschen Wandertruppen allerdings nach außen hin wenig Relevanz hatte, erklärt sich aus zwei Umständen. Zum einen war der Unternehmer-Prinzipal immer auch künstlerisches Mitglied der Truppe und dadurch in der Regel Mitreisender. Das im elisabethanischen England entstandene System des Ankaufs von Schauspieler-Anteilen durch Nichtmitglieder der Gesellschaft, wie es etwa Philip Henslowe ausgiebig praktizierte, konnte im deutschen Wandertruppengewerbe nicht Fuß fassen, obwohl die theoretische Möglichkeit bis zu den gewerbepolizeilichen Verordnungen des 19. Jahrhunderts, die eine Übertragung der Konzession für unzulässig erklärtet 3, bestanden hätte. Ausschlaggebend waren finanzielle Gründe: 23 ALR Teil 2, Titel VIII, § 60 d Ziffer 1 lautet: "Der Wandergewerbeschein darf einem anderen nicht zur Benutzung überlassen werden." Und in § 60 c Ziffer 1 ist festgelegt: "Der Inhaber eines Wandergewerbescheins ist verpflichtet, diesen während der Ausübung des Gewerbebetriebs bei sich zu führen, auf Erfordern der zuständigen Behörden oder Beamten vorzuzeigen und, sofern er hierzu nicht imstande ist, auf deren Geheiß den Betrieb bis zur Herbeischaffung des Wandergewerbescheins einzustellen." Der Inhaber des Wandergewerbescheins war dadurch gezwungen, bei der Truppe zu bleiben.

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die meisten Wandertruppen konnten sich nur deshalb über Wasser halten und bescheidene Gewinne erzielen, weil sie aus erweiterten Familienunternehmungen bestanden, in denen alle verfügbaren Mitglieder auch als Darsteller tätig werden mußten, um zusätzliche Gagen zu sparen. Ein Blick in die von den Theateijournalen veröffentlichten Personallisten macht dies deutlich. Zum anderen benötigten die Truppen im 19. Jahrhundert einen Wandergewerbeschein. Die preußische Gewerbeordnung sah hier Regelungen vor, sowohl für den freien Zusammenschluß mehrerer Personen, als auch für Reisende Gesellschaften, bei denen der Prinzipal gleichzeitig als Unternehmer auftrat. So legt § 60 d der Gewerbeordnung in den Absätzen III und IV fest: Wenn mehrere Personen die im § 55 Ziffer 4 bezeichneten Gewerbe24 in Gemeinschaft miteinander zu betreiben beabsichtigen, so kann auf ihren Antrag ein gemeinsamer Wandergewerbeschein für die Gesellschaft als solche ausgestellt werden, in welchem jedes einzelne Mitglied aufzuführen ist. Werden für die einzelnen Mitglieder besondere Wandergewerbescheine ausgestellt, so kann in die letzteren ein Vermerk aufgenommen werden, nach welchem dem Inhaber der Gewerbebetrieb nur im Verbände einer bestimmten Gesellschaft, oder einer Gesellschaft überhaupt, gestattet sein soll. Umherziehenden Schauspielergesellschaften wird der Wandergewerbeschein nur dann ertheilt, wenn der Unternehmer die im § 32 vorgeschriebene Erlaubniss besitzt. In dem Wandergewerbeschein für den Unternehmer einer Schauspielergesellschaft ist ausdrücklich zu vermerken, dass der Gewerbetreibende als Unternehmer auftreten will. 25

Der Konzessions-Paragraph 32 der Gewerbeordnung verlangt jedoch ausdrücklich den SchauspielMW/erneftmer, so daß die in § 60 d Ziffer III genannten Regelungen eher fur Schausteller und umherziehende Musikantentruppen Anwendung gefunden haben dürften. Für das tägliche Leben und Arbeiten der meisten kleinen Wandertruppen waren diese gesetzlichen Regelungen belanglos: sie kümmerten sich weder um den jährlich zu beantragenden Gewerbeschein, noch um eine Konzession. Indirekt unterstützt wurden sie dabei häufig von den Lokalbehörden, die angesichts der zu erwartenden Steuereinnahmen und anderer Abgaben oft die Frage nach dem Gewerbeschein vergaßen. 26 24 "Musikaufführungen, Schaustellungen, theatralische Vorstellungen oder sonstige Lustbarkeiten, ohne daß ein höheres Interesse der Kunst oder der Wissenschaft dabei obwaltet". (G.O. § 55, Ziffer 4; zit. n.: ALR Teil 2, Titel VIII, § 55 in der Fassung v. 1869.) Auf die Problematik des "höheren Interesses" wird weiter unten noch eingegangen. Die meisten Wandertruppen verzichteten auf ein Erlangen dieses Nachweises. 25 ALR Teil 2, Titel VIII, § 60 d (entspricht G.O. v. 1869) 26 So schreibt Wilhelm Klein über die Situation in den Jahren nach 1810: "Aus allen Teilen der Monarchie gingen im Ministeriun lebhafte Klagen ein über wilde, zügellose Schauspielerbanden, die ohne Konzession im Lande umherstreiften,

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Das Privilegiensystem Angesichts der Haltung den Fahrenden gegenüber ist es nicht verwunderlich, daß bereits die englischen und dann auch die deutschen Wandertruppenprinzipale ihr Gewerbe nicht frei ausüben konnten, sondern um die Erteilung eines Privilegs oder einer Konzession nachsuchen mußten. De jure läßt sich hierbei eine Entwicklung vom Privilegiensystem zum Konzessionswesen aufzeigen, de facto blieb jedoch das Privilegiensystem bis zur preußischen Gewerbeordnung von 1869, wenn auch in unterschiedlichen Modifikationen, bestehen Obwohl das Privilegiensystem nicht reichseinheitlich geordnet war, bestand ein Privilegium in der Regel doch immer aus einem amtlichen, vom jeweiligen Landesherrn unterzeichneten Dokument, mit dem sich der Prinzipal gegenüber den örtlichen Behörden als Betreiber eines Schauspielunternehmens legitimieren konnte. Diese Legitimation hatte mehrere Seiten: Zum einen befreite sie von einer Verfolgung auf der Basis der Erlasse und Verordnungen gegen das Vagabundieren, die auch in die Gesetzeswerke des 19. Jahrhunderts aufgenommen wurden. So legt bereits das Allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten (ALR) von 1794 fest: Müßiggänger, Bettler, unvergeleitete Juden, Zigeuner, und andre unbekannte oder verdächtige Personen, welche sich durch obrigkeitliche Pässe und glaubwürdige Zeugnisse nicht ausweisen können, muß er (der Dorfschulze P.Sch.) im Dorfe nicht dulden, sondern dieselben als Landstreicher sofort in Verhaft nehmen, und an die Behörde abliefern.27

Zudem mußte der Dorfschulze "dafiir haften, daß fremdes Gesinde, oder andre Leute, von den Dorfeinwohnern ohne Kundschaft nicht aufgenommen werd e n " ^ Eine Entscheidung lag in beiden Fällen nicht im Ermessen des Schulzen, er hatte die Anwendung der Gesetze durchzufuhren. Zum andern bot das Privilegium die Möglichkeit des Auftretens und den Schutz vor Konkurrenz, da man bei der Gewährung von Privilegien darauf achtete, daß jeweils nur eine Truppe in einem bestimmten, festgesetzten Bereich spielen durfte und nicht-privilegierte Gesellschaften, die es trotz der Reskripte gegen nicht-privilegiertes Spielen im 18. Jahrhundert noch häufig gab, auf Antrag des Privilegieninhabers aus dem Spielbereich verwiesen werden mußten. Diese Monopolstellung war immer wieder Ziel heftiger Kritik, da das Publikum die minderwertige Vorstellungen gaben und gegen geringes Eintrittsgeld dadurch die wenigen wirklich ernsten Gesellschaften sehr schädigten." (Wilhelm Klein: Der Preußische Staat und das Theater im Jahre 1848, a.a.O., S.38f.) Eine daraufhin erlassene Zirkularverfügung vom 21. September 1820 mit der Absicht, die Gesellschaften auf je eine pro Provinz zu reduzieren, fand jedoch bereits bei den Oberpräsidenten der Provinzen keine Gegenliebe, (s.ibid. S.39f.) 27 ALR Teil 2, Titel VII, § 61. 28 ALR Teil 2, Titel VII, § 65.

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häufig über längere Zeiträume hinweg nur dieselbe Truppe zu sehen bekam. So klagt ein unbekannter Verfasser 1778 in den GEDANKEN EINES WELTBÜRGERS ÜBER DAS SCHAUSPIEL-MONOPOLIUM: Gleichwie meist alle Monopolia einem Staate mehr schädlich als nützlich sind, so ist's das Schauspiel-Monopolium dem guten Geschmack und dem Fortgang der theatralischen Kunst. Unter Schauspiel-Monopolium versteht man hier das ausschließliche Recht, welches dem Direkteur einer Gesellschaft Schauspieler auf ein ganzes Land, eine Provinz, oder nur eine Stadt gegeben, und vermöge welches alles andern Gesellschaften das Recht in diesem Lande, dieser Provinz oder Stadt zu spielen untersagt wird. Ein solches Privilegium über die Freyeste und bey allen Völkern geachtetste Kunst, ja was sag' ich, über das Vergnügen des Publikums, über Talente und Genie, kann den gänzlichen Verfall eines Theaters nach sich ziehen.29

Und der Autor des Artikels zieht einen Vergleich zum kaufmännischen Bereich: "Der Kaufmann, der Ausschließungsweise das Recht hat, mit einer Waare zu handeln, kann sie so schlecht bearbeiten lassen als er will; er wird sie doch los werden, da die Leute gezwungen sind, sie von ihm zu kaufen."30 Ist dieses Beispiel auch unglücklich gewählt, da niemand gezwungen wird, ins Theater zu gehen, offenbart sich hier doch ein am freien Markt orientiertes Denken, das dem Theater aus Gründen der Qualitätssteigerung Gewerbefreiheit zukommen lassen will, wenngleich der Verfasser selbst in seinen Vorschlägen nicht so weit geht. Ihm würde es zur Belebung der Konkurrenz genügen, wenn an einem Ort zwei Gesellschaften zugelassen würden, oder wenn man "die Einrichtung (träfe), daß die besten Schauspieler von einer Gesellschaft zur andern reisen, und Gastrollen spielen" 31 - ein Gedanke, den die Verteidiger des Gastspielwesens im 19. Jahrhundert regelmäßig ins Feld führten. Der Nachteil des Privilegiensystems bestand für die Wandertruppen in dessen Rechtsstatus: es war nicht Ausfluß eines rechtsverbindlichen Vertrags zwischen Landesherr und Prinzipal, sondern Bewilligung, Ablehnung, Einschrän29 Theater-Kalender auf das Jahr 1778 / hg.v. Heinrich August Ottokar Reichard. Gotha: Ettinger, 1778. - S.70-75. - S.70. 30 ibid. S.71f. 31 ibid. S.73. Der Vorschlag hinsichtlich des Gastspielwesens ist zu diesem Zeitpunkt nicht überraschend, da das Theater-Journal für Deutschland auf das Jahr 1777 ausführlich über die erste Gastspieltournee der neuzeitlichen Theatergeschichte berichtet und - wie auch der Verfasser dieses Artikels - durch den Austausch von Schauspielern eine Qualitätssteigerung der gesamten Schauspielkunst erwartet hatte, (s. Theater-Journal für Deutschland 1777, S.196ff.) Auch im Theater-Kalender auf das Jahr 1777 / hg. v. Heinrich August Ottokar Reichard. - Gotha: Ettinger, 1777. finden sich auf S.34 vergleichbare Gedanken. Anlaß sind dort allerdings kontraktbezogene Bedenken, da man bereits 1777 mit großem Scharfblick voraussah, daß eine Ausdehnung des Gastspielwesens zu einem steilen Anstieg von Kontraktbrüchen führen würde.

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kung, Abänderung und Widerruf lagen im freien Ermessen und Belieben der Staatsgewalt, sofern im Privilegium selbst nicht anderweitiges bestimmt war. 32 Gegen ein zugesagtes, aber nicht erteiltes Privileg konnte der Betroffene keine Rechtsmittel einlegen. Gleiches galt für landesherrliche Eingriffe nach Erteilung des Privilegs. Daneben bestand jedoch eine moralische Verpflichtung zur Einhaltung gegebener Zusagen, die zwar nicht einklagbar war, in der Regel allerdings eingehalten wurde. Ins freie Ermessen der Staatsgewalt fielen auch die mit der Privilegerteilung verbundenen qualitativen und finanziellen Auflagen. Dies betraf die Höhe der Akzise, die Ausstattung der Truppe, die Anzahl der Mitglieder, den Spielplan und die Armenabgabe.

Johann Friedrich Schönemanns Aufstieg Ein Beispiel für den Kampf um Privilegien im 18. Jahrhundert Wie das Privilegiensystem in der theatralen Praxis funktionierte, soll das Beispiel der Schönemannschen Truppe zeigen. Johann Friedrich Schönemann gehörte zu den herausragenden Prinzipalen seiner Zeit und sein Ruf gründete sich nicht zuletzt auf seinen außerordentlichen Geschäftssinn, mit dem er es verstand, mißliebige Konkurrenten aus dem Feld zu schlagen. Er schuf damit die organisatorische und ökonomische Basis fur eine Gesellschaft, der die bedeutendsten Schauspieler der Zeit angehörten, denen er durch sein geschäftstüchtiges Wirken nicht nur gesicherte und regelmäßig ausbezahlte Gagen bieten konnte, sondern vor allem auch das Publikum der bedeutendsten Theaterstädte Deutschlands. Daß er sein Theaterunternehmen dann dennoch in den Bankrott führte und als Rüstmeister am Schweriner Hof endete, verdankte er einer untheatralen Leidenschaft: er hatte sich im Pferdehandel verspekuliert. Mit dem Regierungsantritt Friedrich II. hatten sich in Berlin die Chancen des deutschen Schauspiels, die in dieser Stadt auch zuvor nicht hoch standen, drastisch verschlechtert. Der König bevorzugte, trotz leerer Kassen, teure französische und italienische Truppen, denen er 1742 ein Opernhaus errichten ließ, das allerdings bereits im August 1743 einem Brand zum Opfer fiel. Von Friedrich Wilhelm I. hatte Friedrich II. den als »starken Mann« bekannten Johann Carl von Eckenberg übernommen und dessen Generalprivileg für Preußen, das mit dem Tod Friedrich Wilhelms erloschen war, erneuert. Ein weiteres Privileg hatte die Gesellschaft Johann Peter Hilferdings erhalten, die zumindest in geho-

32 So konnte der Landesherr sein Widerrufsrecht durch die Festlegung einer bestimmten Zeitdauer, in der das Privilegium gelten sollte, einschränken. Widerrief er dann dennoch vor Ablauf der festgesetzten Frist, konnte der Betroffene einen Anspruch auf Entschädigung geltend machen.

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beneren Publikumskreisen Mißfallen erregte. 3 3 Eckenberg war zudem hoch verschuldet, was zu immer neuen Petitionen an den Berliner Magistrat führte. Es war, wie auch andere Kämpfe um Privilegien zeigen, eine der typischen Ausgangspositionen: fehlender Publikumszulauf und Zahlungsverzug gegenüber der zuständigen Landesbehörde. In diese Konstellation drang dann ein Prinzipal ein, der einen guten Ruf genoß und der höhere Abgabenzahlungen in Aussicht stellte, wenn ihm ein Privileg erteilt würde. Hier war es Schönemann, der mit seiner Truppe am Schweriner Hof spielte und nach einer besseren Einnahmequelle suchte. So schrieb er im Juli 1742 an den preußischen König: Allerdurchlauchtigster, Großmächtigster König, Allergnädigster König und Herr. Ich erkühne mich, E. Königl. Majst. mit der tiefsten Unterthänigkeit um die Erlaubniß zu bitten, mich einige Zeit mit denen regelmässigen Schau-Spielen, welche unter meiner Aufsicht aufgeführet werden, in Deroselben ResidenzStadt Berlin zeigen zu dürfen. Da ich so glücklich bin, in E. Königl. Majest. gesegnetem Lande gebohren zu seyn, und mich folglich unter der glücklichen Zahl von E. Königl. Majest. gehorsamsten Unterthanen zu befinden; So hoffe ich um so viel mehr eine allergnädigste Erhörung meiner demüthigsten Bitte zu erhalten. Nachdem die starke Feuersbrunst zu Crossen mich veranlaßt hat, nach Berlin zu gehen, so habe ich den Vorzug genossen, in dieser berühmten Stadt erzogen zu werden. Meine Neigung zu den schönen Wissenschaften trieb mich an, seit einigen Jahren die eifrigste Mühe anzuwenden, eine deutsche Schaubühne zu Stande zu bringen, welche der französischen in allen Stücken ähnlich wäre. Vor allen Dingen suche ich dabey durch meine und meiner Gesellschaft Aufführung das Vorurtheil aus dem Wege zu räumen, nach welchem man sich bisher in Deutschland von den Comedianten sehr schlechte Begriffe gemacht hat. Nichts würde mir angenehmer seyn, als wenn ich in meinem Vaterlande erfahren könnte, ob meine redliche Bemühung den Beyfall der Vernünftigen verdient. Ich ersterbe mit der tiefsten Ehrfurcht E. Königl. Majestät meines allergnädigsten Königs und Herrn allerunterthänigster Knecht Berlin, den 7. Julius 1742

Johann Friedrich Schönemann 34

Es soll hier nicht untersucht werden, inwieweit Schönemanns persönliche Angaben zutreffen, da man hinsichtlich seiner Jugend- und Studienjahre großteils auf Vermutungen angewiesen ist. Entscheidend ist vielmehr, mit welcher Raf33 H a n s Devrient, dessen Buch über Schönemann die meisten Unterlagen für diesen Abschnitt bietet, zitiert die »Haude- und Spenersche Zeitung« von 1742: "Der Abscheu war gerecht, welchen man bisher für der Schaubühne und für den sogenannten Comödianten gehabt hat. Wie wäre es möglich, daß ein vernünftiger Mann sich entschließen könnte, einen Ort mehr als einmal zu besuchen, w o lauter Thorheit und Niederträchtigkeit herrscht, und wo man öfters in zehn Minuten zwanzig Zoten höret?" (zit. in: Eduard Devrient: Johann Friedrich Schönemann und seine Schauspielergesellschaft: e. Beitrag zur Theatergeschichte des 18. Jahrhunderts / von Hans Devrient. - Hamburg;Leipzig: Voß, 1895. -S.64.) 34 zit. in ibid. S.64.

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finesse diese Eingabe verfaßt ist. Den Rahmen bildet das Motiv des verlorenen Sohns: als Landeskind aufgewachsen und in Berlin erzogen, will er jetzt in sein "Vaterland" zurückkehren und den "Beyfall der Vernünftigen" verdienen, eine Wendung, die sich nicht nur an den aufgeklärten Regenten, sondern gleichzeitig auch gegen die Vernunftlosen unter den Berliner Theatermachern und -Zuschauern wendet. Und während seiner Abwesenheit hat er das getan, was der König an den französischen Gesellschaften bewundert: er hat "regelmässige" Stücke einstudiert, um mit "eifrigste(r) Mühe" eine deutschsprachige Theaterform zu entwickeln, die "der französischen in allen Stücken" - ein mehrdeutiger Ausdruck - "ähnlich" sein sollte. Und er verweist - wohl in Kenntnis der Lebensweise Eckenbergs und Hilferdings - auf den sittlich einwandfreien Charakter seiner Schauspieler, der - auch dies ein Reizwort der Aufklärer - ein "Vorurtheil" beseitigen könnte, unter dem die deutschsprachigen Wandertruppen zu leiden haben. Und während diese Eingabe an den König den Charakter einer devoten Bittschrift trägt, bietet er dem Magistrat, um dessen finanzielle Situation er weiß, von vorneherein zwanzig Prozent mehr, als Eckenberg zu zahlen hat. Der König stimmt zu, trägt aber gleichzeitig dem Magistrat auf, nach einen Lösung zu suchen, wie Eckenbergs Generalprivileg widerrufen werden könnte, denn "es muß nur einer d(as) Privilegium bekommen, überall in dem Königl. Lande zu spielen".35 Und so erhält Schönemann bereits zwei Wochen nach Eingang seines Gesuchs die Erlaubnis, "sich mit denen regelmäßigen theatralischen Schau-Spielen, so unter seiner Aufsicht aufgeführet werden, in Unsern hiesigen Residentzien (marg: auf einige Zeit) zu z e i g e a " 3 6 Die Randbemerkung erklärt sich aus der noch ungeklärten Situation, in die Friedrich Π. Eckenberg gebracht hat. Eckenberg selbst war zu dieser Zeit in Frankfurt/O. und kam erst im September 1742, nachdem er von Schönemanns Privileg gehört hatte, nach Berlin z u r ü c k . 3 7 Er setzte sich sofort zur Wehr, drang jedoch nicht durch, da der Magistrat - auch dies findet sich in vergleichbaren Fällen - das heikle PrivilegienProblem auf die Seite schob und zu einem sichereren Mittel griff. In einem Promemoria an den König schlug er vor, ob nicht bewandten Umständen nach des von Eckenbergs Bude abgebrochen, und die Materialien davon so lange, bis die Cämmerey des Rückstandes halber von ihm befriediget, in gerichtliche Gewahrsam gebracht: Dahingegen aber dem

35 Anmerkung Friedrich II., zit. in ibid. S.65. 36 zit. in ibid. S.65. 37 Johannes Bolte: Der "starke Mann" J.C. Eckenberg: e. Beitrag zur Geschichte des Berliner Schauspiels / von Johannes Bolte, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte / hg. v. Reinhold Koser. - Band 2 Leipzig: Duncker & Humblot, 1889. - S.Zl 1-227. - S.217.

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Schönemann eine neue Bude, zu Haltung der Theatralischen Schauspiele auf dem Rathhause aufzuschlagen permittiret seyn solle?38

Man nahm Eckenberg also die Produktionsmittel, ließ ihm aber sein Privileg.39 Eckenberg versuchte mehrmals, dagegen anzugehen, hatte jedoch keinen Erfolg. Schönemanns nächster Schritt war, das Privileg für ganz Preußen zu erhalten. Die Gründe hierfür waren lt. Schönemann publikums- und einnahmeschwache Zeiten, sowie der Bau eines eigenen Theaters, für den ihm jedoch die nötigen Mittel fehlten. Ob dem tatsächlich so war, soll hier nicht weiter verfolgt werden. Interessanter ist vielmehr Schönemanns Vorgehensweise. Er bat in einer Eingabe vom August 1743, "wenn mit denen Schauspielen in Berlin nichts zu verdienen ist, auch in Ε: K: Maj: andern Ländern, insonderheit aber auf der Breslauer Meßen meine regelmäßige Schauspiele aufführen" zu dürfen.40 Schönemann hatte hier, wie Hans Devrient bemerkt, "Friedrichs schwachen Punkt mit kluger Voraussicht getroffen. Die Breslauer Messe der Leipziger Messe gegenüber zu heben, war des Königs fortwährendes Streben, seit Sachsen ihm feindlich gegenübergetreten und Schlesien erobert war."41 Friedrich II. erteilte Schönemann das preußische Privileg. Letzterer hatte hierfür zehn Reichstaler zu zahlen. Aber auch in Breslau saß bereits ein Privilegieninhaber Franz Joseph Schuch, der das Privileg für Schlesien besaß und der - im Gegensatz zu Eckenberg - ein gleichwertiger Gegner war. Doch auch hier fand sich eine Lösung: Schönemann und Schuch einigten sich im November 1743 vertraglich, daß vorbehaltlich der Genehmigung des Königs - Schönemann bis Ostern 1744 in Breslau, und damit in der Zeit der Messe, spielen sollte, während Schuch in diesem Zeitraum in Berlin auftreten könne. Und da auch der Fall eintreten konnte, daß einer von beiden kein genügendes Auskommen findet, wurden einzelne Städte vertraglich als Ausweichmöglichkeiten bestimmt.4^ Der Vorteil dieser Regelung für Schönemann war eindeutig: er hatte das Privileg bekommen und

38 zit. in: Hans Devrient: Johann Friedrich Schönemann und seine Schauspielergesellschaft, a.a.O., S.65, Anm.99. 39 In einer Resolution Friedrich II. heißt es dazu: "Und da Wir Allerhöchst Selbst diese Erlaubnüß dem Schoenemann und zwar ohne Nachtheil des dem von Eckenberg ertheilten Privilegii agdgst accordiret haben; So ist dieser letztere um so weniger befugt, dawider sich zu moviren, alß ihm solches durchgehende conserviret, die dem Schönemann accordirte Freyheit zu spielen und sich sehen zu laßen, nur auf einige Zeit ist." (zit. in ibid. S.65f, Anm.99.) 40 zit. in ibid. S.80, Anm.125. 41 ibid. S.81 42 Der Vertrag ist abgedruckt in ibid. S.314. Er enthält auch detaillierte Vereinbarungen hinsichtlich der zu leistenden Abgaben und vor allem auch hinsichtlich der Verbindlichkeiten, die dem einen Vertragspartner durch den anderen entstehen könnten.

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konnte es zudem einnahmeträchtig verwerten. Er blieb dann auch - vertragswidrig - bis Ende Juni 1744 in Breslau. Zu einer Wiederauflage des Vertrags kam es allerdings nicht, da, so Devrient, "jeder von der Behörde fortwährend aufgefordert wurde, Abgaben für sich oder den andern zu zahlen, und keiner je etwas rechtzeitig oder ordnungsgemäß zahlte".4^ Dennoch einigte sich Schönemann letztendlich mit Schuch, da ihm der Breslauer Rat 1745 Schuchs Privilegium versprach, wenn er dessen Schulden übernähme.44 Schönemanns Beispiel zeigt, wie schwer es mitunter war, mit den vielschichtigen Formen des Privilegiensystems umzugehen und wie geschickte Prinzipale hierbei ihren Vorteil finden konnten. Mit der zunehmenden Bildung großer Staaten und Staatenverbände, die straff zentralistisch und nach vereinheitlichten Rechtsgrundsätzen organisiert waren, veränderte sich auch das Privilegiensystem, wenngleich die Schaffung allgemeinverbindlicher gesetzlicher Regelungen neue Probleme hervorbrachten.

Der Spielort der Wandertruppen Reisen, fremd und unbeachtet am fremden Orte anlangen, sein Zelt aufschlagen, spielen, die Leute entzücken und mitten im allgemeinen Freudenrausche aufbrechen und weiterziehen: das war mein Ideal, das wollt' ich vom Schauspielerleben.45

Karl von Holtei, der diese Worte Ende der dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts in seinen Lebenserinnerungen schrieb, war kein Wanderschauspieler. Und seine romantischen Vorstellungen hatten nichts mit der harten Alltagswirklichkeit der Wandertruppen zu tun, deren Entbehrungen bereits so zahlreich beschrieben wurden, daß an dieser Stelle darauf verzichtet werden kann. Gleiches gilt von den Beschreibungen der Marktplatzbühnen und den gedeckten Hinterhöfen, in denen selbst die bedeutendsten Truppen auftraten. Von Interesse soll hier vielmehr sein, wo, zu welcher Jahreszeit, wie lange und unter welchen Bedingungen jene Truppen auftraten, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts immer noch das Hauptkontingent der deutschen Theaterensembles bildeten, während sie von der Theatergeschichtsschreibung schon vergessen waren. Statistisch gesehen gab es in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts laut Adolf Oppenheim und Ernst Gettke hunderte solcher Orte in Deutschland mit Stadthallen oder Sälen in Schützenhäusern und großen Gasthöfen, die, als Gemeindesaal und Räumlichkeit für vielerlei Formen des geselligen Lebens häufig 43 ibid. S.105. 44 s. ibid. S. 106. 45 Karl von Holtei: Vierzig Jahre Lorbeerkranz und Wanderstab: Lebenserinnerungen des Schauspielers und Poeten Karl von Holtei. - Berlin: Deutsche BuchGemeinschaft, o.J. - S.l 17.

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benutzt, auch als Theater Verwendung finden konnten.4^ In der Regel jedoch nie für längere Zeit, denn obwohl es sich um Städte von Neutitschein mit 1200 bis hin zu Gladbach mit 38.000 und Dux mit 74.000 Einwohnern handelte, fanden sich doch nicht genügend Zuschauer, um einer Reisenden Gesellschaft länger als acht Wochen einigermaßen zufriedenstellende Einnahmen versprechen zu können. Der statistische Durchschnitt lag bei sieben Wochen, die meisten Truppen blieben jedoch kürzer, wie die Erfahrungswerte zeigen, die Oppenheim und Gettke zusammengetragen haben.47 Die Spitzenwerte finden sich bei vier und sechs Wochen. Für eine Verweildauer von mehr als sieben Wochen schienen nur einundzwanzig Orte geeignet. In nahezu ebenso vielen konnte man nur vierzehn Tage lang mit guten Einnahmen rechnen. Die mit Abstand bevorzugten Jahreszeiten waren Herbst und Winter, d.h. die bei den stehenden Theatern übliche Spielzeit während des Winterhalbjahres traf, wenn auch für die einzelne Truppe auf wenige Wochen begrenzt, auch hier zu. Die Säle selbst faßten 200 bis 2000 Zuschauer. Hohe Platzkapazitäten waren allerdings selten: zwei Drittel aller Säle konnten weniger als 400 Personen aufnehmen, die durchschnittliche Platzkapazität lag bei 250 bis 400 Sitzplätzen. Die Mietgebühren betrugen im Durchschnitt acht Mark, ein Betrag, der auch mit Abstand am häufigsten genannt wird und zwischen zwei und fünf Pro-

46 Deutsches Theater-Lexikon: e. Enzcyklopädie alles Wissenswerthen der Schauspielkunst und Bühnentechnik / hg. v. Adolf Oppenheim und Ernst Gettke. Leipzig: Reißner, 1889. Es wurden für die vorliegende Analyse nur jene 809 Orte aufgenommen, die lt. Oppenheim/Gettke theatergeeignet waren. 47 Bei der Untersuchung der Verweildauer wurde davon ausgegangen, daß die Hinweise von Oppenheim und Gettke Erfahrungswerte darstellen, d.h. daß etwa die Angabe: "Gelsenkirchen, Stadt in Westph. 14800 Einw. Stadttheater zur Centraihalle, faßt 500 Personen. Miethe 25 Mk. pro Abend. Höchste Einnahme 300 Mk. Im Winter ist daselbst für 6 bis 8 Wochen, namentlich mit Gesangsstücken, d.h. Operetten, ein gutes Resultat zu erzielen. Konzerte gut besucht. Lebenspreise billig."(S.300, Spalte 2) statistisch verwertbar ist. Zweifelsohne wäre eine Erhebung anhand möglicherweise noch vorhandener städtischer Rechnungsbücher genauer, der Aufwand stände jedoch in keinem sinnvollen Verhältnis zum Ergebnis. Aus diesem Grund wird für diese Arbeit unterstellt, daß die Angaben von Oppenheim und Gettke zutreffen, daß etwaige Fehler durch die Analyse von 391 bzw. - unter Einbeziehung der stehenden Theater von insgesamt 671 Datensätzen vernachlässigbar sind und daß die Reisenden Gesellschaften die angegebenen Zeiträume auch wahrnahmen. Oppenheim und Gettke selbst schreiben im Vorwort: "Endlich dient das Werk auch in ausführlichster Weise dem Theater-Geschäftsverkehr durch Angabe aller deutschen Kunststätten und ihrer geschäftlichen wie künstlerischen Bedeutung.'(S.l) Es folgen ausführliche Schilderungen über die aufgenommenen Daten und wie sie auf akribische Art und Weise zustande gekommen sind.

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zent der maximalen Kasseneinnahme ausmacht. Hinzu kamen die Kosten für Beleuchtung, Feuerwehr und die obligatorische Armenabgabe von - in der Regel - drei Prozent der Bruttoeinnahme. Auch die Stadtkapelle stand meist zur Verfugung, wobei hier häufig auf ein Entgeld verzichtet wurde. Die höchste Tageseinnahme lag im Schnitt zwischen 200 und 350 Mark. Man kann jedoch davon ausgehen, daß sie meist nicht einmal annähernd erreicht wurde. Die Eintrittspreise waren bei einem Durchschnittswert von 60 Pfennig niedrig, wenngleich der fehlende Publikumszuspruch möglicherweise an diesen Preisen scheiterte. Vor allem Industrie- und Bergwerksstandorte mit einem hohen Arbeiteranteil in der Gesamtbevölkerung boten nur geringe Einnahmen. Bezeichnend ist Oppenheim/Gettkes Hinweis auf die Situation in Gladbach, einer Stadt mit 38000 Einwohnern und einer Arbeiterschaft, die nur sonntags das Theater besucht, und auch dann nur, "wenn sie nicht durch billige Dilettantenvorstellungen in andere Lokale gelockt wird".48

Die Hoftheater Wie bereits eingangs geschildert, bildeten die Hoftheater die finanziell dominante Theaterbetriebsform bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. Bis weit ins 18. Jahrhundert hinein noch von französischen oder italienischen Gesellschaften bespielt, blieben sie lange der Unterhaltung einer Hofgesellschaft vorbehalten, die sich anderen Gesellschaftsschichten gegenüber verschloß und in ihrer Orientierung an französischen Vorbildern dem deutschsprachigen Theater nur vereinzelt Möglichkeiten der Integration bot Zwar gab es bereits im 17. Jahrhundert eine Reihe von Regenten, die auch englische oder deutsche Wandertruppen an ihre Höfe zogen, wie Herzog Julius von Braunschweig, Landgraf Moritz von Kassel oder Christian Ludwig von Mecklenburg-Schwerin, um nur einige zu nennen. Die Regel war jedoch auch hier das zeitlich fixierte Engagement einer ganzen Theatergesellschaft und nicht der Aufbau eines eigenständigen deutschen Hoftheaterensembles. Und wurden dennoch Versuche gemacht, einzelne Schauspieler als Hofbediente in den Hofstaat zu integrieren, wie z.B. in der Mitte des 17. Jahrhunderts in Innsbruck, scheiterten diese in der Regel schon nach kurzer Zeit. 4 ' So zeigt sich bis zur Errichtung der ersten deutschsprachigen Hoftheater mit einer eigenständigen, von derjenigen der Wandertruppe unterschiedenen, Organisationsform ein starkes Interesse vieler Höfe auch an den Auflührungen deutscher Gesellschaftea Daß dieses Interesse im Zeitraum vom ausgehenden 16. bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts linear stieg, wird häufig angenom48 Deutsches Theater-Lexikon, a.a.O., S.323. 49 s. Harald Zielske: Die deutschen Höfe und das Wandertruppenwesen im 17. und frühen 18. Jahrhundert, a.a.O., S.529-531.

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men. Ein quantitativer Nachweis wurde bisher allerdings nicht erbracht und kann wohl angesichts der dürftigen Materiallage auch nicht erbracht werden. Die im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts neugegründeten deutschen Hoftheater übernehmen von den Wandertruppen, von denen sie ihr künstlerisches Personal beziehen, einige entscheidende betriebsstrukturelle Elemente: das Repertoireprinzip und Teile des Ensembleprinzips. Nicht übernommen wird dagegen das Unternehmerprinzip, wie es in der Rolle des Prinzipals zum Ausdruck kommt, wenngleich bei jenen frühen deutschen Hoftheatern das Subventionswesen des 19. Jahrhunderts und das Bewußtsein über die damit verbundenen Möglichkeiten nur rudimentär entwickelt ist. Dies zeigt sich beim Gothaer Hoftheater, das - am 2. Oktober 1775 gegründet - in die Theatergeschichte als erstes deutsches Hoftheater eingegangen ist. Bereits seit Juni 1774 hatte die Seylersche Gesellschaft in Gotha gespielt, unterbrochen von Fahrten in andere Städte. So befand sie sich auch 1775 vom 18. April bis zum 26. Mai und dann wieder vom 5. Juli bis zum 7. August in Leipzig und anschließend vom 16. August bis zum 20. September in Altenburg. Seyler wollte danach den Kontrakt mit Gotha nicht wieder erneuern, sondern das ihm angebotene kursächsische Privileg annehmen, das ihm höhere Einnahmen versprach. Von Seyler aus betrachtet war diese Entscheidung zweifelsohne richtig, da er sein Unternehmen nach kaufmännischen Gesichtspunkten, d.h. gewinnorientiert führte, um die eigenen Einnahmen zu erhöhen. Die Gagen hätte er auch bei Auftritten in Gotha finanzieren können. Seine für Wandertruppen adäquate Vorgehensweise führte jedoch zur Spaltung des Ensembles: einige Mitglieder, unter ihnen Ekhof, Boeck und Susanne Mecour, wollten lieber in Gotha bleiben, zwar mit weniger Gehalt, dafür aber in gesicherter Position. Und da auch der Hof nicht auf das Theater verachten wollte, entschloß sich der Herzog, auf Anregung Heinrich August Ottokar Reichards ein eignes Hoftheater zu gründen. Reichard, von Beruf Jurist, in Gotha Bibliothekar und im Jahr der Hoftheatergründung zum Rat ernannt, hatte eine Denkschrift ZUR ERRICHTUNG EINES IN GOTHA STEHENDEN DEUTSCHEN THEATERSSO ausgearbeitet, in der auch die maximale Ensemblegröße und eine detaillierte Gagenregelung fixiert wurden. Die Frage der Leitung des Theaters konnte man angesichts des Desinteresses Seylers problemlos lösen: Ekhof wurde zum künstlerischen und Reichard zum ökonomischen Direktor bestellt. Beide unterstanden - wie an Hoftheatern üblich - dem Oberhofmarschall, der wiederum

50 Pro Memoria Zur Einrichtung eines in Gotha stehenden deutschen Theaters, nebst denen Punckten, welche so wohl in Ansehung der bereits angenommenen Schauspieler, als auch künftigen Anstalten Serenissimi gnädigste Approbation erfordern, in: Richard Hodermann: Geschichte des Gothaischen Hoftheaters 1775-1779 / nach den Quellen von Richard Hodermann. - Hamburg;Leipzig: Voß, 1894. -S.l9-23.

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vom Herzog seine Anweisungen empfing. Der Dienstweg war damit eindeutig festgelegt. Träger des Theaters war der Hof und neue Kontrakte, die jetzt mit einzelnen Schauspielern und nicht mehr mit ganzen Truppen vereinbart wurden, wurden unter Vorbehalt der Genehmigung des Herzogs abgeschlossen: ein auch im 19. Jahrhundert gebräuchliches Verfahren. Die Schauspieler selbst waren dem Status nach Hofbedienstete, wurden aber nicht zu theaterfremden Diensten herangezogen. Auswirkungen hatte dies allerdings auf den Rechtscharakter des Kontraktes, der aus einer interessanten Kombination von Wanderbühnenvertrag und Bestallungsdekret bestandsi: Mit dem Schauspieler wurde zunächst vertraglich ein Probejahr mit beiderseitigem Kündigungsrecht vereinbart. Bereits in diesem Vertragsdokument wurde jedoch, bei Nichtinanspruchnahme dieses Rechtstitels, die anschließende Bestallung vorgesehen, was den Vertrag de jure aufhob. Gewährt wurde diese Bestallung - vorbehaltlich anderweitiger Entscheidungen - auf Lebenszeit, was sowohl die Lebenszeit des Schauspielers, als auch die des Regenten meint. Eine Kündigungmöglichkeit für den Schauspieler wurde in Reichards Promemoria jedoch vorgesehen; die Kündigungszeit betrug ein halbes Jahr. 5 2 Bereits am Mannheimer Hoftheater findet sich dann die heute noch übliche Vertragsform mit der Klausel der stillschweigenden Prolongation. Obwohl auch das Repertoireprinzip von den Wandertruppen übernommen wird, da das Publikum der Hoftheater an einem vielfältigen Spielplan mit stets neuen Stücken interessiert ist, wird es doch leicht verändert und dem Hofleben angepaßt. Zum einen findet bereits eine äußerliche Veränderung des Repertoireablaufs statt: die Anzahl der Spieltage sowie der jeweilige Auffiihrungstag selbst orientieren sich nicht mehr am Zulauf des Publikums, sondern an der zeitlichen Ordnung des Hofes. Dies führt zu einer Egalisierung der Spiel- und der

51 Eine Engagementsofferte ist abgedruckt in: Günter Schulz: Die Entwicklung des Schauspielerengagements in Deutschland vom 17. bis zum 19. Jahrhundert / von Günter Schulz. - Diss. Berlin, 1956. - S.66f. Hier der entscheidende Auszug: "Von Eröffnung des Theaters ... engagieren Höchstdieselben Sie und Ihre Frau wöchentlich für 8 Tr. Gage.... Da sie aber Ihro Durchl. noch unbekannt sind, so ist dies Engagement vors erste nur auf ein Jahr zu verstehen; wenn Dieselben aber bis dahin von Ihrem Fleis und Eifer überzeugt sind, Sie Höchstderoselben Beyfall haben werden, ... so wird das Engagement alsdann verlängert und nach Bestallung seit ... auf Zeitlebens festgesetzt werden; wobey es sich von selbst versteht, daß auch Ihnen Ihrerseits nach diesem Probejahr die Freiheit bleibt, sich, wenn Sie wollen, zu verändern." 52 Pro Memoria Zur Einrichtung eines in Gotha stehenden deutschen Theaters, a.a.O., S.23.

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Auflührungstage. Eine Analyse des zunächst Seylerschen und dann Gothaschen Repertoires von Januar 1775 bis September 1779 zeigt diesen Übergang:5 3 Spieltag sonntags montags dienstags mittwochs donnerstags freitags samstags Spieltage p.a.

1775

1776

1777

1778

1779

4 45 10 48 8 43 8

1 43 3 48 3 45 6

48 2 48 2 44 5

49

35 1 37

-

-

47 3

35 1

48.17 1.38

166

149

149

150

109

150.02

.

1779*

. -

51

48.17 1.38 50.92 -

(* Da die Spielzeit durch die Schließung des Hoftheaters bereits am 24. September 1779 beendet war, sind die Werte ftir diese Spalte auf der Basis von 1778 hochgerechnet.)

Die Tabelle umfaßt die Aufführungen vom 2. Januar 1775 bis zum 24. September 1779. Das Hoftheater selbst wurde am 2. Oktober 1775 eröffnet. Zuvor hatte die Seylersche Truppe in Gotha bis zum 7. April, dann in Leipzig vom 18. April bis zum 26. Mai und vom 5. Juli bis zum 7. August und schließlich noch anläßlich des Altenburger Landtags in Altenburg vom 16. August bis zum 20. September gespielt Zwischen den beiden Leipziger Aufenthalten war Seyler wieder in Gotha. Man sieht bereits hieraus, daß die Mitglieder der Truppe im Jahr 1775 keinen Urlaub hatten, der bei den meisten Wandertruppen grundsätzlich als entbehrlicher Luxus galt. Betrachtet man nun die Anzahl der Spieltage in Leipzig und Altenburg, zeigt sich, daß beim ersten Leipziger Aufenthalt täglich, beim zweiten - statistisch gesehen - jeden zweiten Tag und in Altenburg ebenfalls jeden zweiten Tag Aufführungen stattfanden. Während dieser Leipziger Gastspiele fanden auch die Sonntags-, Donnerstags- und Samstagsauflührungen statt, d.h. Seyler ließ seine Gesellschaft immer dann auftreten, wenn er auf Einnahmen rechnen konnte. Da dieser unternehmerische Aspekt beim Gothaer Hoftheaterbetrieb wegfiel, sind die Werte für die Jahre 1776 bis 1778, sowie die hochgerechneten für 1779 leicht verstehbar Montag, Mittwoch und Freitag werden Hauptspieltage, die Sonntagsaufluhrungen entfallen mit einer Ausnahme - es war der vierte Adventssonntag 1776 - und auch an den restlichen Wochentagen wurde nur selten oder überhaupt nicht mehr gespielt, wobei sich über den Gesamtzeitraum hin53 Der Spielplan des Gothaer Hoftheaters ist abgedruckt in: Richard Hodermann: Geschichte des Gothaischen Hoftheaters 1775-1779 / nach den Quellen von Richard Hodermann. - Hamburg;Leipzig: Voß, 1894. - S.130-172.

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weg auch bei diesen kleinen Werten eine Tendenz zur Reduktion offenbart. Egalisiert werden auch, bedingt durch die Festlegung bestimmter Wochentage, die Spieltage pro Jahr. Zusätzlich wurden sie um sechzehn bzw. siebzehn Tage verringert, was einer Verminderung um ca. zehn Prozent entspricht, d.h. die Schauspieler hatten mehr Freizeit, als dies während des Wandertruppenlebens der Fall war, zumal nun auch das Reisen wegfiel. Reduziert wurde auch die Anzahl der Stücke, die pro Aufführung gespielt wurden. Bei insgesamt 723 Auflührungstagen wurden über den Gesamtzeitraum hinweg an 372 Tagen nur ein Stück, an 340 Tagen zwei Stücke, an 10 Tagen drei Stücke und an einem Tag vier Stücke gegeben. Auf die einzelnen Jahre bezogen ergibt sich: 1775

1776

1777

1778

1779

ein Stück pro Vorst. zwei Stücke pro Vorst. drei Stücke pro Vorst. vier Stücke pro Vorst.

49 110 6 1

58 89 2

63 84 2

115 35

87 22

-

-

-

-

-

-

Anzahl der Tage Anzahl der Stücke

166 291

149 242

149 237

150 185

109 131

Die Tabelle macht deutlich, daß von 1775 bis 1778 die Vorstellungen, bei denen mehr als ein Stück aufgeführt wurde, deutlich zurückgingen. Der hohe Anteil von Vorstellungen mit zwei und mehr Stücken im Jahr 1775 läßt sich wiederum mit den Seylerschen Gastspielen in Leipzig und Altenburg begründen: ein für sein Vergnügen zahlendes Publikum wollte augenscheinlich mehr geboten bekommen, als die Zuschauer im Gothaer Hoftheater. Selbst wenn man die Werte fur 1778 auf die langwährende Krankheit und den Tod Ekhofs am 16. Juni des Jahres zurückführen kann, setzt die Tendenz zu ein bis zwei Stücken pro AufFührungstag bereits 1776 ein. Insgesamt läßt sich deshalb feststellen, daß mit zunehmender Seßhaftigkeit der Gesellschaft auch die Anzahl der jährlich gespielten Stücke - bei gleichbleibender Vorstellungszahl - abnimmt. Man kann zudem annehmen, daß auch ohne Ekhofs Krankheit die Werte von 1778 nicht höher gelegen wären, als diejenigen des Voijahres. Zu fragen ist, ob diese Abnahme im Umfang des Repertoires mit einer qualitativen Veränderung des Spielplans verbunden war, etwa durch die verstärkte Aufnahme von Stücken, die eine längere Vorbereitungszeit und bzw. oder einen größeren Ausstattungsaufwand erforderten. In der Regel waren dies versifizierte Trauer- und Schauspiele und vor allem auch Werke aus dem Bereich des Musik-

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theaters. Betrachtet man die Häufigkeit der aufgeführten Gattungen, ergibt sich folgendes Bild:S4

Trauerspiel Drama Lustspiel Musiktheater Ballett

1775

1776

1777

1778

1779

18 22 121 76 40

11 10 157 60

16 2 143 71 1

16 3 127 38

9 6 88 26

-

-

-

N a c h prozentualer Häufigkeit aufgeschlüsselt ergibt dies: 1775

% Trauerspiel Drama Lustspiel Musiktheater Ballett

6,5 8,0 43,7 27,4 14,5

1776 %

1777 %

1778 %

1779 %

4,6 4,2 66,0 25,2

6,9 0,8 61,6 30,1 0,4

8,7 1,6 69,0 20,7

7,0 4,7 68,0 20,2

-

-

-

Am auffallendsten ist zunächst, daß die Ballette vom Herzog, der über die Zusammensetzung des Repertoires entschied55, abgeschafft wurden. In der Hoftheatergeschichte ist dies ein ungewöhnlicher Fall, da sich das Ballett als Element höfischer Festkultur in der Regel größter Beliebtheit erfreute. Dominante Formen sind das Lustspiel, das sich nach Seylers Abgang zahlenmäßig sogar noch steigert, und musiktheatralische Werke, meist Singspiele deutscher Komponisten nach französischen Vorbildern. Eine Vorrangstellung nehmen hierbei die am Gothaer Hof tätigen Komponisten und Autoren ein, wie Benda, Schweizer, Gotter und Reichard, der eine ganze Reihe von Gretrys Opern in eine deutsche Fassung brachte, u.a. ZEMIRE UND AZOR, das 54 Die Gattungsbezeichnungen wurden von Richard Hodermann: Geschichte des Gothaischen Hoftheaters, a.a.O. übernommen. Neben den genannten finden sich noch einige wenige andere, die wegen ihres seltenen Auftretens nicht in die Tabelle aufgenommen wurden. 55 So heißt es in einem umfangreichen Antwortschreiben auf eine Reihe von Fragen, die nahezu das gesamte Ensemble gestellt hatte, über die Auswahl der Stücke: "Einwendungen gegen das Stück selbst sind nie gültig. Die Wahl der Stücke hängt von Serenissimi höchst eigner Wilkühr ab." (zit. in Richard Hodermann: Geschichte des Gothaischen Hoftheaters, a.a.O., S.80.)

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meistgespielte Stück im Gothaer Repertoire. 5 6 Bei den Lustspieldichtern führt Goldoni weit vor allen anderen Autoren. Trauer- und Schauspiele nehmen, wie bei Wandertruppen und anderen stehenden Theatern auch, nur eine sehr untergeordnete Rolle ein, wobei sich unter der Rubrik »Drama« Stücke finden, die eigentlich dem Lustspielbereich zuzuordnen sind, wie etwa Merciers vielgespielter ESSIGMANN, der es auch in Gotha auf 10 Vorstellungen brachte. Lessings Stücke erlebten insgesamt 19 und Goethes Dramen 10 Aufführungen. So galt auch in Gotha die Feststellung des Schröder-Nachfolgers Friedrich Ludwig Schmidt: "Außer dem Dichternamen Schiller bewirkte bei uns noch derjenige von Goethe und Lessing unfehlbar ein leeres H a u s . " s 7 Insgesamt zeigt sich, daß auch das stehende Theater eines kleinen Hofes über ein umfangreiches Repertoire verfügen mußte. Hodermann zählt für einen Zeitraum von vier Jahren 176 verschiedene Stücke und 698 Nachspiele. Das bedeutet, daß die Gothaer Schauspieler pro Jahr über zweihundert Rollen einstudieren mußten, von denen sie wenige mehr als zehnmal zeigen konnten: Die Seßhaftigkeit erwies sich in diesem Bereich eindeutig als Nachteil. Im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert entsteht noch eine Reihe weiterer deutschsprachiger Hoftheater, die sich zunehmend auch mit dem Titel »Nationaltheater« schmücken, wie etwa in Wien, Mannheim, Innsbruck oder Berlin. Von der Organisationsform her blieben diese »k.k. Hof- und Nationaltheater« jedoch Hoftheater und sind von der Betriebsstruktur her nicht mit der Hamburger Entreprise zu vergleichen. Die Hoftheater selbst erlebten in und vor allem nach den napoleonischen Kriegen ihren größten Aufschwung. Politisch und ökonomisch erstarkt, setzten viele Landesherren ihren Ehrgeiz in den Bau und Unterhalt überdimensionierter Gebäude und Ensembles und favorisierten jene Gattung, die diesem Streben nach Macht- und Prachtentfaltung am nächsten kam: die Oper. Die einzelnen Hoftheatergründungen setzten hierbei zu unterschiedlichen Zeitpunkten ein, und die z. T. sehr lange Anlaufphase hing entscheidend vom Verhalten, dem persönlichen Engagement und der finanziellen Freigiebigkeit des jeweiligen Regenten ab, der in der Regel gerne zu kostspieligen Investitionen bereit war, wenngleich es einige Ausnahmen gab. Aber auch diese wollten ein Hoftheater in ihrer Residenz, wie das Beispiel des Kurfürsten Wilhelm I. für Kassel zeigt, der in den letzten Dezembertagen des Jahres 1813 einen Hoftheaterbetrieb ins Leben rief, der, mit einem völlig unzureichenden Zuschuß von 6000 T. ausgestat-

56 Die Oper erreichte 19 Aufführungen. 57 Friedrich Ludwig Schmidt: Denkwürdigkeiten des Schauspielers, Schauspieldichters und Schauspieldirektors Friedrich Ludwig Schmidt (1772-1841) / nach hinterlassenen Entwürfen zusammengestellt u. herausgegeben von Hermann Uhde. - Bd. 1-2. - Stuttgart: o.V., 1878. - Βφ II, S.365.

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tet, de facto als Privatunternehmen auf eigene Rechnung gefuhrt werden mußte. Daß sich überhaupt eine Gesellschaft fand, lag an der desolaten Situation, in die viele Theatertruppen in den Nachkriegs wirren gekommen waren, wie etwa die Nassau-Usingsche Truppe, die vom aufgelösten Herzoglich-Nassauischen Hoftheater kam und sich ohne Engagement in Wiesbaden aufhielt. 5 8 Die Verluste, die sich in einer Stadt von nur 22.000 Einwohner öfters einstellten, hatten die Unternehmer zu tragen, die wegen Zahlungsunfähigkeit häufig wechselten. Die Bezeichnung »Hoftheater« wurde hier, wie bei den Privatisierungsfällen in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts, dennoch gerne angenommen, da sie fur Werbezwecke dienlich war. Der Gründungsverlauf echter Hoftheater lief dagegen in nahezu allen Fällen nach dem gleichen Muster ab: eine Wandertruppe spielte für einige Zeit, teilweise sogar erfolgreich, in einer Residenzstadt, war aber nicht in der Lage, die Aufführung von Opern und aufwendigeren Sprechtheaterstücken zu finanzieren bzw. hatte sich, wenn sie es doch tat, so hoch verschuldet, daß der Konkurs bevorstand. Diesen Moment nutzte der Landesherr, um die Gesellschaft in eigene Dienste zu übernehmen. Dies gilt für die Klingemannsche Theater-AG in Braunschweig, die als »Nationaltheater« scheiterte, ebenso wie für die ständig mit dem Bankrott kämpfende Eberweinsche Schauspielergesellschaft in Coburg oder die Krebssche Gesellschaft in Darmstadt, die angesichts guter Einnahmen mit dem Bau eines Theaters begann, der nach seiner Fertigstellung schließlich von Ludwig I. samt Inventar und Ensemble vom hochverschuldeten Prinzipal übernommen wurde. Dieses Darmstädter Beispiel soll etwas genauer betrachtet werden. Darmstadt verfugt, im Gegensatz zu vielen anderen Residenzstädten, über eine bedeutende Barocktheatertradition59( die in den Jahren zwischen 1710/11 und 1722 unter Ernst Ludwig ihre eigentliche Glanzzeit erlebt hatte. Er ließ sein

58 s. hierzu: Reinhard Lebe: Ein deutsches Hoftheater in Romantik und Biedermeier: die Kasseler Bühne zur Zeit Feiges und Spohrs / Reinhard Lebe. - Kassel: Roth, 1964. - S.17. Landgraf Wilhelm IX., der nach dem Reichsdeputationshauptschluß Kurfürst geworden war und bereits zu dieser Zeit ein Hoftheater hätte unterhalten können, lehnte Ausgaben für kulturelle Einrichtungen grundsätzlich als Verschwendung ab. 1806 mußte er wegen anrückender französischer Truppen die Stadt fluchtartig verlassen und bereits 1807 errichtete Napoleons Bruder Jerome als König von Westfalen in Kassel ein Théâtre Royal ein. Als 1813 das Königreich Westfalen wieder zerfiel, kehrte Wilhelm I. zurück, "erinnerte sich gut der früheren Zustände unter seiner Herrschaft und ging daran, sie bis ins einzelne wiederherzustellen - wobei er auch die Wiedereinführung des Zopfes nicht vergaß".(ibid. S.15.) 59 Über das Barocktheater s.: Hermann Kaiser: Barocktheater in Darmstadt: Geschichte des Theaters einer deutschen Residenz im 17. und 18. Jahrhundert / Hermann Kaiser. - Darmstadt: Roether, 1951.

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Reithaus zur Oper ausbauen, veranstaltete aufwendige eingestellte Jagden 60 und ließ zur Verschönerung üppiger und prächtiger Feste französische Truppen an seinen Hof kommen. 1722 war die kleine Residenz so hoch verschuldet, daß die höfischen Festlichkeiten fur lange Zeit eingestellt und mit dem Abzahlen der Verbindlichkeiten begonnen werden mußte. Die letzte Tilgung erfolgte im Jahr 1 7 8 9 . 1 7 9 8 arrangierte sich Hessen-Darmstadt mit Napoleon und Reichsdeputationshauptschluß, Rheinbund und Wiener Kongreß ließen die bescheidene Landgrafschaft zu einem bedeutenden Großherzogtum des Deutschen Bundes werden. Beamtenzuzug und die damit verbundenen Behördenneubauten brachten der Residenzstadt, die jetzt Hauptstadt des Staates wurde, Wohlstand und zufriedene Bürger, zumal die in der hessischen Verfassung von 1820 verfugte Gewerbefreiheit an Darmstadt de facto vorbeiging und die Zünfte erst 1867 endgültig aufgehoben wurden. 61 60 Das eingestellte Jagen ähnelt in seiner Technik wie in seiner Theatralität den römischen venationes und wurde nicht nur im Rahmen barocker Hoffeste, sondern noch während des ganzen 18. und 19. Jahrhunderts hindurch bis 1914 betrieben. August Wilhelm Iffland schreibt 1779 an seinen Vater über eine derartige Jagd in Schwetzingen. Sein Bericht soll hier verkürzt wiedergegeben werden, da er den Aufwand zeigt, den man für solche Vergnügen betrieb: "Ich habe auch bei Schwetzingen neulich eine masquirte Jagd gesehen, die sehr prächtig war. Sie kostete 50.000 Gulden. Aus dem Heidelberger Thore hat der Officier die Zahl der Kutschen auf 1000 angegeben. Gerüste waren für 9000 Menschen gebauet. Stellen Sie sich die herrliche Chaußee mit Bäumen besezt, nach Schwetzingen vor, der ganze Weg eine Kette von Kutschen aus Speier, Heidelberg, Mainz, sogar Frankfurt und Hanau, aus Worms, Darmstadt und Mannheim. Der Plaz selbst war eine völlige Ebene, auf welcher man Berge auf Leinewand aufgespannt hatte, in der That ein ganz neuer Anblick für mich, Berge, Schlößer, Brücken, Teraßen in der Größe, in welcher man sie natürlich sieht, in freier Luft gemalt zu sehen.... Die Schweine, Füchse, Tachse und Hasen wurden oben aus einem Pförtgen aus den gemalten Bergen herausgelaßen und wenn sie sich in den Wegen, die von Brettern gemacht waren, häuften, fielen oft 50, 60 herunter, daß die erde krachte. Die meisten wurden von den Herren und Damen, Kurfürst und Kurfürstinn erschoßen, was nach 1 Uhr noch übrig war wurde gefangen." (A. W. Ifflands Briefe an seine Schwester Louise und andere Verwandte 1772-1814 / hg. v. Ludwig Geiger. - Berlin: Selbstverlag d. Gesellschaft f. Theatergeschichte, 1904. - S.39.) 61 Angaben aus: Eckhart Götz Franz: Die Residenz Darmstadt in den Jahren 18001850: Aspekte städtischen Lebens / Eckhart G. Franz, in: Darmstadt in der Zeit des Klassizismus und der Romantik / Red. Bernd Krimmel. - Darmstadt, 1978. - S.2-63. Die darmstädter Bevölkerung bestand 1820 zu knapp 44% aus Gewerbetreibenden, zu 31% aus Beamten und zu 25% aus sogenannten "Unselbständigen". (Ekkehard Wiest: Wirtschaft und Gesellschaft der Mollerzeit, in: ibid. S.64-75, S.65.) Dies erklärt auch Franz' Feststellung: "Man war im Grunde nicht revolutionär in der Residenz".(Eckhart Götz Franz: Die Residenz Darmstadt in den Jahren 1800-1850, a.a.O., S.51.) Die Staatsminister Carl 29

In dieser Situation übernahm Ludwig I. die von Krebs zum Theater ausgebaute Scheune, die sich nun »Großherzogliches Theater der Residenz« und kurze Zeit darauf »Großherzogliches Hof-Opern-Theater« nannte. Bereits sieben Jahre später ließ er ein neues Theater errichten, das, im November 1818 eröffnet, mit einem Fassungsvermögen von 1800 - 2000 Personen enorm überdimensioniert war. Darmstadt selbst hatte um diese Zeit eine Einwohnerzahl von etwa 18.900, die bis 1850 auf ca. 29.000 stieg, und damit die auch fur Hoftheater ungewöhnlich hohe Platzkapazität von 1:10. Es ist deshalb auch unwahrscheinlich, daß das Theater "ganz bewußt als Bürgertheater konzipiert" war, wie Eckhart Götz Frank meint. 62 Der griechisch-klassizistische Stil und die nur fur einen großen Musiktheaterbetrieb sinnvollen Bühnenausmaße lassen eher an eine sichtbare Demonstration großherzoglichen Machtwillens denken. Die Darmstädter Bürger jedenfalls freuten sich über den Neubau, da er Arbeitsplätze schuf und angesichts der zahlreichen Opernaufiührungen den Handwerkern immer wieder gute Einnahmen verschaffte.6 3 Hermann Knispel schätzte, daß durch diese Aufträge und durch die Angestellten des Theaters selbst "weit mehr als 100.000 Gulden jährlich in Umlauf gesetzt wurden".64 Als Zuschauer aber gingen sie selten ins Hoftheater und so mußte es nach Ludwigs Tod fast zehn Jahre lang aus finanziellen Gründen für den regulären Theaterbetrieb geschlossen werden. Lediglich Konzerte und Gastspiele fanden in jenem Zeitraum von 1831 bis 1840 noch statt. Die Zahl der Vorstellungstage pro Jahr glich deijenigen des Gothaer Hoftheaters: im Schnitt fanden zwischen 1811 und 1828 an 148 Tagen pro Jahr Aufführungen statt. Die Zahlen für die einzelnen Jahre schwankten zwischen 141 und 159, wenn man das Jahr 1816 ausnimmt, in dem das Theater wegen Bauarbeiten zehn Wochen geschlossen war.65

62

63 64

65

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Ludwig Wilhelm von Grolman und Carl Wilhelm Heinrich Freiherr du Bos du Thil orientierten sich vielmehr bis 1848 an den Prinzipien der Metternichschen Politik, wobei man im religiösen Bereich tolerant war. Der Hof selbst förderte die Freimaurerloge, an der auch Schauspieler teilnahmen. Eckhart Götz Frank: Darmstadts Geschichte: Fürstenresidenz und Bürgerstadt im Wandel der Jahrhunderte / Eckhart Götz Franz. - Darmstadt: Roether, 1980.-S.303. s. Hermann Knispel: Bunte Bilder aus dem Kunst- und Theaterleben / von Hermann Knispel. - Darmstadt: Herbert, 1900. - S.26f. Hermann Knispel: Das Großherzogliche Hoftheater zu Darmstadt von 18ΙΟΙ 890: mit einem geschichtlichen Rückblick auf die dramatische Kunst zu Darmstadt von 1567-1810 / im Auftrage der Großh. Hoftheater-Direction nach Urkunden bearbeitet von Hermann Knispel. - Darmstadt: Bernin, 1891. - S.31. Die Zahlen im einzelnen: 1811: 159 Tage; 1812: 156 Tage; 1813: 149 Tage; 1814: 148 Tage; 1815: 154 Tage; 1816: 128 Tage; 1817: 152 Tage; 1818: 142 Tage; 1819: 142 Tage; 1820: 147 Tage; 1821: 147 Tage; 1822: 146 Tage; 1823: 146 Tage; 1824: 150 Tage; 1825: 141 Tage; 1826: 143 Tage; 1827: 145 Tage;

Die Vorstellungszahlen und das Repertoire zeigen zudem eine Eigentümlichkeit des Hoftheaterbetriebs, die für die engagierten Schauspieler zum Verhängnis werden konnte: die Schließung des Theaters bei Krankheit des Regenten oder bei Landestrauer. In den Jahren 1828 bis 1830 traf dies das Darmstädter Theater besonders hart und erklärt auch die finanzielle Situation, in der sich der Theaterbetrieb 1831 befand, als er auf Veranlassung Ludwig II. eingestellt wurde: Bereits 1828 durfte während einer Erkrankung des Großherzogs vom 16. März bis zum 6. Juni keine Oper gegeben werden, was zu Einnahmeausfällen führte, wenngleich stattdessen Sprechtheaterstücke aufgeführt wurden. Im Jahr darauf starb die Großherzogin und 1830 schließlich Ludwig 1.66 Selbst als im Herbst 1830 das Theater wieder eröffnet wurde, konnten die Einnahmen den Ausfall der vorangegangenen Jahre nicht mehr mildern. Hermann Knispel nannte zusammenfassend alle Gründe für die Auflösung des Hoftheaters: Die hohen Gehalte, die üblich gewordene Prachtausstattung aller Vorstellungen in dem übermäßig großen Hause veranlaßte bedeutende Ausgaben, welche größtentheils aus Großherzoglicher Kasse bestritten wurden, denn die Tageseinnahme war verhältnißmäßig gering und das Abonnement nicht bedeutend. Wenn auch die Aufhebung der ehemaligen vielen Freiplätze, die Einrichtung der Sperrsitze und eine anziehendere Abwechselung im Repertoire die Einnahmen in der letzten Zeit (d.i. 1830/31 - P.Sch.) verbessert hatten, so reichten diese doch kaum für den dritten Theil der Ausgaben hin. Neue Einschränkungen konnten kaum gemacht werden, sie würden das Theater von seiner gerühmten Höhe in den Rang gewöhnlicher Privatunternehmungen herabgezogen haben; eine Anstalt der Art hätte der Würde des Hofes und den Anforderungen der Theaterfreunde nicht entsprochen.67

Diese "Würde des Hofes" war vor allen anderen das entscheidende Kriterium für den Betrieb eines Hoftheaterapparates, der in keiner Residenz ohne hohe Subventionen zu erhalten war. Im Gegensatz zu annähernd allen anderen stehenden Theatern und Reisenden Gesellschaften, die bis weit in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein ihren Etat durch Einnahmen decken mußten und zudem zahlreiche Abgaben zu entrichten hatten, boten die Subventionen die Basis für den immensen Aufwand der Hoftheater, der in keinem Verhältnis zu den Kasseneinnahmen stand und auch nicht stehen sollte, da ein einnahmeorientiert

1828: 147 Tage; 1829: 129 Tage. (Die Zahlen wurden anhand des von Knispel herausgegebenen Repertoireverzeichnisses errechnet.) 66 Großherzogin Louise starb am 24.10.1829. Das Theater blieb bis zum 27.11.1829 geschlossen. Ludwig I. starb am 6.4.1830. Das Theater wurde am 1.9.1830 wieder eröffnet. Die Daten entstammen dem Repertoireverzeichnis des Hoftheaters, das Hermann Knispel im Anhang seines Buches veröffentlicht hat. (ibid. S.293-531.) 67 ibid. S.79.

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geführtes Hoftheater in den meist bevölkerungsarmen Residenzstädten dem eigentlichen Zweck des Hoftheaters entgegengestanden hätte. Diese Subventionen garantierten zudem - wie u. E. heute bei den Staats·, Landes- und Stadttheatern - eine Repertoirepolitik, die auf den zahlenden Besucher keine Rücksicht zu nehmen braucht, sofern man nicht den Landesherren selbst als solchen bezeichnen will. Betrachtet man die Hoftheateretats im einzelnen, ergibt sich noch für die Mitte des 19. Jahrhunderts, daß sie ohne Subventionen seitens der landesherrlichen Civilliste nicht auskamen: Hoftheater

Dessau Coburg Weimar Kassel Schwerin Braunschweig Darmstadt Karlsruhe Stuttgart Hannover München Dresden Wien (Burg) Wien (Oper) Berlin

Etat (Taler) 40000 45885 60000 62000 80000 85000 85714 94857 102857 147000 176000 200000 220000 370667 400000

Einnahme (Taler) % 8000 13509 16000 20000 24000 30000 20000 37712 31430 60000 86857 120000 153335 222000 260000

20 29 27 32 30 35 23 40 31 41 49 60 70 60 65

Subvention (Taler) % 32000 32376 44000 42000 56000 55000 65711 57145 71427 87000 89143 80000 66665 148663 140000

80 71 73 68 70 65 77 60 69 59 51 40 30 40 35

Diese Etatliste 68 aller um die Mitte des 19. Jahrhunderts existierenden stehenden H o f t h e a t e r 6 9 offenbart zudem ein interessantes Phänomen: Je größer 68 Die Angaben stammen aus: Karl Theodor von Küstner: Taschen- und Handbuch für Theater-Statistik / von Karl Theodor von Küstner. - 2. vermehrte Aufl. Leipzig: Dürr, 1857. Die Zahlen der Ausgabe von 1855 unterscheiden sich hinsichtlich der niedrigeren Einnahmeposten von den hier verwendeten. Dies gilt vor allem für die größeren Hof- und Stadttheater. Küstner führt als Gründe an: "Erfahrene Beobachter wollen ihn (d.h. den Grund für die gestiegenen Kasseneinnahmen - P.Sch.) in Betreff der Einwohner (der Besuch der Fremden wird ... durch die Eisenbahnen herbeigeführt,) in einer Abspannung, die auf bewegte Zustände folgt, in einem Indifferentismus und in einer Blasirtheit, wie sie es nennen, der Neuzeit finden."(ibid. S.256.) Küstner will mit dieser Bemerkung darauf hinweisen, daß nicht etwa eine gestiegene Qualität der Aufführungen verantwortlich sein kann. Die zweite Auflage wurde für diese Untersuchung vor 32

die Residenzstadt und je größer der Gesamtetat ist, desto niedriger sind die Subventionen. Das Darmstädter Beispiel wird hier auch für die anderen Hoftheater bestätigt: kleine Höfe waren gezwungen, prozentual gesehen, ihre Theaterbetriebe mit einem weitaus höheren Zuschuß zu erhalten, als dies bei großen Hoftheatern der Fall war. Zusammenfassend läßt sich fur die Betriebsstruktur der stehenden deutschen Hoftheater feststellen: Zentrales Merkmal ist die Subventionierung, die je nach Größe des Theaters und der Residenzstadt - zwischen dreißig und achtzig Prozent des Gesamtetats ausmacht. Diese Subventionierung ermöglichte den Hoftheaterbetrieben die Finanzierung eines aulwendigen Personal- und Ausstattungswesens und eine weitgehende Freiheit bei der Gestaltung des Repertoires. Diese Freiheit und die damit verbundene finanzielle Basis wurden in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts zum Dreh- und Angelpunkt von Reformkonzepten, die die Umwandlung der Hof- in Staatstheater forderten. An eine Abschafiung der zugrundeliegenden Betriebsstruktur wurde dabei nur ausnahmsweise gedacht: der zentrale Punkt war vielmehr die Übertragung der Hoftheateretats von den landesherrlichen Civillisten in die Listen der Kultusministerien. Woran diese Umbuchung scheiterte, wird noch zu klären sein.

Städtische und private Theaterunternehmen Bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es nahezu keine Stadt, die sich den Luxus eines kommunal subventionierten Theaters leistete. Und auch in der Folgezeit dominieren jene »Stadttheaterbetriebe«, die von Pächtern als Privatunternehmen gefuhrt wurden. Die Leistungen der Kommunen beschränkten sich, wenn überhaupt, auf die mehr oder weniger unentgeltliche Überlassung der Räumlichkeiten, der Stadtkapelle und auf die Reduzierung oder den Erlaß der vielfältigen Abgaben. Bisweilen gab es auch Zuschüsse, die in ihrer Höhe jedoch nicht mit den Subventionen der Hoftheater zu vergleichen waren. Dieses Pachtsystem macht es auch schwierig, städtische und private Unternehmen voneinander zu unterscheiden, zumal die gewählte Organisationbe-

allem deshalb verwendet, weil sie mehr Theaterbetriebe erfaßt, als dies bei der ersten der Fall ist. Die von Küstner angegebenen Beträge wurden, soweit nicht bereits bei Küstner geschehen, in Taler umgewandelt. Groschenbeträge wurden gerundet. Gleiches gilt für Prozentwerte. 69 Insgesamt gab es in diesem Zeitraum 23 deutschsprachige Hoftheater. Wiesbaden und Mannheim wurden nicht in die Tabelle aufgenommen, da sie u. a. mit städtischem und staatlichem Zuschuß betrieben wurden und nur dem Namen nach Hoftheater waren.

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Zeichnung häufig nicht mit der tatsächlichen Organisationsform übereinstimmt. So ergibt eine Analyse von 255 erfaßten Theatern folgendes Bild:7o Bezeichnung des Theaters 1838 Stadttheater Hoftheater Kgl.-Städt.-Theater Vereinigte Theater Theater-Aktiengesellschaft Ständisches Theater Privattheater Sommertheater

23 21 1 1 3 1

Anzahl im Jahr: 1846 1861 61 38 11 7 7 5 10 1

68 27 5 44 6 4 11 15

Als tatsächliche Betriebsformen ergaben sich bei der gleichen Datenbasis: Betriebsform des Theaters 1838 Privatunternehmen,Pachtbetriebe Hoftheaterbetrieb Stadttheaterbetrieb Vereinstheater

31 17 71 -

Anzahl im Jahr: 1846 1861 78 30 11 1

75 25 59 21

Ein Vergleich der beiden Tabellen zeigt, daß bei den Stadt- und bei den Hoftheatern die nach außen hin getragene Bezeichnung und die tatsächliche Betriebsform erst in den sechziger Jahren annähernd übereinstimmen. Mit der Gründungswelle neuer Theater nach 1870/71 gehen Bezeichnung und Betriebsform wieder auseinander, wie eine weiter unten noch ausführlicher analysierte Erhebung von insgesamt 671 Theatern und Theatersälen der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts deutlich macht. Von 161 sogenannten Stadttheatern befinden sich dort tatsächlich nur 111 Betriebe in städtischem Besitz. Die restlichen 50 Theater sind Privateigentum. Betrachtet man die Betriebsform der Stadttheater - seien es städtisch geführte mit einem angestellten Direktor an der Spitze oder verpachtete -, so gelten 70 Die Reisenden Gesellschaften wurden in die beiden folgenden Tabellen nicht aufgenommen, da die absoluten Werte einen falschen Eindruck über die tatsächliche Anzahl vermitteln. 71 Die Bezeichnung "Stadttheaterbetrieb" bedeutet nicht, daß die jeweilige Stadt das Theater unter eigener Regie führte, sondern daß sich das Theatergebäude im Besitz der Kommune befand! 34

selbst in jenen wenigen Theatern, die direkte oder indirekte Subventionen beziehen, die Gesetze privater Unternehmensführung, d.h. der Theaterbetrieb mußte einnahmeorientiert gefuhrt werden. Sieht man von den Mischformen in Mannheim und Wiesbaden ab, bezogen von den 22 bei Küstner untersuchten Stadttheatern drei Betriebe Subventionen zwischen 914 und 4571 Talern. Ein Vergleich mit den oben angeführten Subventionen der Hoftheater läßt diese Beträge wie Almosen erscheinen. Dennoch gehörten diese drei Theater zu den privilegierten. Weitere 11 dieser 22 Theater hatten z.T. Pachtzahlungen zu leisten, die bereits Küstner für erdrückend hielt. Hinzu kamen, je nach Stadt und Zeitpunkt unterschiedlich, weitere Abgaben. Sie sollen kurz beleuchtet werden. Als 1810 in Preußen die Gewerbefreiheit und damit auch die Gewerbesteuer für alle Gewerbebetriebe eingeführt wurde, waren auch die Theaterunternehmen betroffen. Dies hatte zu erheblichen Einwänden geführt, die 1820 im »Gesetz wegen Entrichtung der Gewerbesteuer« berücksichtigt wurden. Stehende Theater wurden von den Zahlungen befreit und auch Wandertruppen mußten nichts zahlen, wenn sie ein »höheres Kunstinteresse« nachweisen konnten. Ansonsten betrug der Steuersatz bei Wandertruppen 12 Taler pro Person und bei größeren Truppen gab es eine Form des Mengenrabbats: der Direktor hatte 12 und die Mitglieder jeweils 4 Taler pro Person zu entrichten.72 Daß die meisten Theaterbetriebe dennoch besteuert wurden, lag daran, daß sie - bei meist sechsmonatiger Spielzeit mit anschließender Auflösung des Ensembles Schwierigkeiten hatten, den »stehenden« Charakter ihres Unternehmens nachzuweisen. Und da zudem nicht festgelegt war, was unter »höherem Kunstinteresse« zu verstehen sei, fiel die Entscheidung in der Regel nicht zugunsten des Antragstellers. Da die Regelung juristisch gesehen jedoch einwandfrei war, wurde sie auch durch die nachfolgenden Gewerbeordnungen nicht korrigiert. Zur Gewerbesteuer kam eine, in der Städteordnung von 1808 festgesetzte, Gebäudesteuer, der alle Privatgebäude unterworfen waren. Befreit waren nur öffentliche oder gemeinnützige Anstalten, worunter die Theaterbetriebe ausdrücklich nicht subsumiert wurden. 7 3 Eine weitere Steuer, die offiziell allerdings keine sein durfte, war die Armenabgabe. Sie wurde bereits in einem Edikt von 1701 unter Begründung des Verwendungszwecks eingeführt: Es muß auf alle mögliche Weise das Einkommen dieser fundi (gemeint sind die Armenhäuser - P.Sch.) vermehrt werden, weshalb ... 4. Comödianten, GlücksTöpffner, Gauckler, Linien-Tänzer und alle diejenigen, so wilde Thiere und andern frembde Sachen zu beschauen herum führen ... über denjenigen impost, welchen sie bereits bey der Accise erlegen, noch eben so viel zum Behueff und

72 Angaben bei Wilhelm Klein: Der Preußische Staat und das Theater im Jahre 1848, a.a.O., S.140f. 73 s. ibid. S. 146.

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Unterhalt der Armen beytragen sollen, weil solche Leute nicht allein dadurch einen großen Gewinst haben, sondern auch das Geld aus dem Lande führen.74

Auch das ALR gestattete den Kommunen, "den Luxus, die Ostentation, und die öffentlichen Belustigungen ihrer wohlhabenden Einwohner, mit gemäßigten Taxen zu belegen".7^ Nach 1810 war diese Kommunalsteuer rechtlich jedoch nicht mehr zulässig, da mit der Einführung der allgemeinen Gewerbesteuer dem Gewerbetreibenden alle anderen Abgaben erlassen wurdea Daß sie dennoch während des ganzen 19. Jahrhunderts gezahlt werden mußte, lag an einer juristischen Auslegung, der nicht widersprochen wurde: man verwandelte die Armenabgabe in eine Abgabe des Zuschauers. Die Höhe der Armensteuer war unterschiedlich: in den linksrheinischen Gebieten betrug sie zehn, in den rechtsrheinischen fünf und ansonsten zwischen zwei und drei Prozent der Bruttoeinnahme. Von jedem Pächter und Theaterunternehmer erforderten diese Steuern und die fehlenden Subventionen Überlegungen und Maßnahmen, die auf der einen Seite Ausgaben verringern und auf der anderen Seite Einnahmen erhöhen solltea Die Lösungsversuche waren von Ort zu Ort verschieden, da sie sich den jeweiligen Gegebenheiten anpassen mußten. So bot ein in größeren Städten meist zahlreicheres Publikum die Möglichkeit, an jedem Wochentag Vorstellungen anzusetzen, was etwa in Hamburg, Breslau und Magdeburg auch geschah. Zudem konnten bei außergewöhnlichen Vorstellungen die Abonnements aufgehoben und die Preise verdoppelt werden, wie es bei Gastspielen üblich war. So berichtet bereits Friedrich Ludwig Schröder über Ifflands Gastspiele im, von ständigen Finanzsorgen geplagten, Hamburger Stadttheater: Seit ihrer Entstehung 1753 bis 1792, darf sich die Ackermannsche und Schrödersche Unternehmung, welche seltne und berühmte Künstler, zuweilen die ersten Deutschlands, sie auch vereinigte, nicht anmaßen, in einem ganzen Jahr, welches doch wenigstens 200 bis 250 Vorstellungen aufbot, die Einnahme der Ifflandschen fünf und sechzig (Gastspiele - P.Sch.) erreicht zu haben.76

Derartige Gastspiele, die im Laufe des 19. Jahrhunderts zunahmen, waren selbst dann ein großer finanzieller Gewinn, wenn der Gast hohe Gagen verlangte. Sichtbare Einsparungsmöglichkeiten boten sich in der Regel nur im Personalbereich, sowohl was die Größe des Ensembles, als auch die Höhe der Gagen 74 zit. n. Gertrud Schubart-Fikentscher: Zur Stellung der Komödianten im 17. und 18. Jahrhundert, a.a.O., S.39, Anm.2. 75 ALR Teil 2, Titel XIX, § 27 76 Friedrich Ludwig Schröder am 30. September 1814. Ifiland war kurz zuvor gestorben. zit. n.: Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer: Friedrich Ludwig Schröder: Beitrag zur Kunde des Menschen und des Künstlers / Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer. - 2.Bde. - Hamburg: o.V., 1819. - Bd. 11,1 S.331

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betrifft. Betrachtet man die Ensemblegrößen, so ergibt sich etwa fiir das Jahr 1846 bei 123 ausgewerteten Theaterbetrieben mit insgesamt 3.438 Gagenempfángern - ohne Berücksichtigung von Chor und Statisterie - für die Hoftheater eine durchschnittliche Ensemblestärke von 20 Darstellern und 14 Darstellerinnen, für die Stadttheater eine durchschnittliche Ensemblestärke von 16 Darstellern und 11 Darstellerinnen, für kleinere Privatunternehmungen eine durchschnittliche Ensemblestärke von 14 Darstellern und 10 Darstellerinnen und fur die Wandertruppen eine durchschnittliche Ensemblestärke von 11 Darstellern und 8 Darstellerinnen. Und obwohl die Bandbreite in allen vier Gruppen verhältnismäßig groß ist, zeigen die Zahlen doch, daß die Stadttheaterbetriebe in ihrer Gesamtheit zum Mittel der Personaleinsparungen griffen. Gleiches gilt für die Höhe der Gagen. Küstner hat für 1857 eine Art Gagenspiegel erstellt, demzufolge bei kleineren Stadttheatern und Reisenden Gesellschaften zwischen 300 und 800 Taler pro Jahr gezahlt wurden, während sich an den Hoftheatern und den "vorzüglichen Stadt-Theatern" die Gagen, in drei Klassen eingeteilt, zwischen 500 und 1000,1000 und 2000 und in der höchsten Gruppe zwischen 2000 und 4000 Talern bewegten.77 Die meisten Schauspieler dürften sich in den unteren Gehaltsklassen gefunden haben. Insgesamt hatten die Personalkosten bei den von Küstner untersuchten Stadttheatern einen Anteil von durchschnittlich 70 Prozent am Gesamtetat, wobei das Minimum bei 55 und das Maximum bei 85 Prozent liegt Dieser Durchschnittswert ist allerdings nur bedingt aussagekräftig, da Küstners Auswahl zahlenmäßig sehr klein ist und nahezu ausschließlich aus den bedeutenderen Stadttheatern besteht.

Die Staatstheaterfrage Seit Mitte des 18. Jahrhunderts ist die Diskussion um das Theater und den Schauspielerstand von Vorstellungen, Denkmodellen und Handlungsanweisungen geprägt, die dem Theater innerhalb des gesellschaftlichen Lebens einen anderen Platz und eine neue Funktion zuweisen möchten, und die den Darsteller in ein Sozialgefüge einbinden wollen, das ihm die gesicherte materielle Existenz und die soziale Anerkennung der anderen Berufsgruppen verschaffen solL Beide Bereiche, der Funktionswandel des Theaters und die soziale Umwandlung des Schauspielerstandes, gehören in diesen Konzepten eng zusammen: ein Theater, das nicht nur unterhalten, sondern vor allem den Menschen auch bilden soll, braucht zunächst selbst gebildete Schauspieler, die vorbildhaft - auf der Bühne wie im Leben - zur Bildung der Nation beitragen könnea Die Theaterbildungsfrage war deshalb sowohl im 18. wie im 19. Jahrhundert ein ent-

77 Karl Theodor von Küstner: Taschen- und Handbuch für Theater-Statistik, a.a.O., S.254.

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scheidender Dreh- und Angelpunkt in der Auseinandersetzung um die Errichtung eines nationalen bzw. staatlichen Theaters. Auf die vielfältigen Konzepte zur Aus- und Weiterbildung des Schauspielers wird in einem gesonderten Kapitel noch eingegangen. Ebenso entscheidend wie die Theaterbildungsfrage war diejenige nach der Betriebsstruktur des einzelnen Theaters und nach der gesamtgesellschaftlichen Organisationsform eines nationalisierten oder verstaatlichten Theaterwesens. Hilde Haider-Pregler hat diesen Fragenkomplex für das 18. Jahrhundert in einer umfang- und materialreichen Habilitationsschrift über "Des sittlichen Bürgers Abendschule"7« umfassend aufgearbeitet, so daß es genügt, an dieser Stelle auf das Ergebnis hinzuweisen: Alle aufklärerisch gesinnten Theaterreformer des 18. Jahrhunderts sahen die Möglichkeit, die Praktizierung bürgerlicher Tugenden und Verhaltensweisen durch geeignete staatliche Maßnahmen zu befördern. Eine dieser Maßnahmen war die Bildung des Bürgers durch ein reformiertes Theaterwesen, das sich in der historisch konkreten Situation in dreierlei Organisationsformen manifestierte: Zum einen in "Unternehmungen, die zwar kein Reformkonzept verwirklichen, den bürgerlichen Idealen aber nicht widersprechen. Der szenischen Kunst wird nichts als Unterhaltungsfunktion zugeschrieben. Der Nutzen für den Staat liegt dabei vorrangig auf dem ökonomischen Sektor". Zudem können "derartige Vorstellungen innenpolitisch im Sinne der antiken circenses wirken". Zum anderen in der "reformierte(n) Schaubühne, die von einem Direktor (oder einem Kollegium) zwar als privatwirtschaftliches Unternehmen, jedoch als Sittenschule gefuhrt wird". Und zum Dritten im staatlich subventionierten "Nationaltheater".7 9 Nach den napoleonischen Besetzungen und den Befreiungskriegen schwanden jedoch die Hoffnungen auf ein staatlich finanziertes Theaterwesen, und die "reformierte Schaubühne" als privatwirtschaftliches Unternehmen war bereits bei ihrem ersten Versuch in Hamburg gescheitert. Weitere Bankrotte folgten, und es zeigt sich im gesamten 19. Jahrhundert, daß sich privatwirtschaftlich geführte Theaterbetriebe nur durch eine bedingungslose Hingabe an den Publikumsgeschmack, der mit eben diesem Theater hätte eigentlich verändert werden sollen, über Wasser halten und z.T. beachtliche Gewinne erzielen konnten. Der Staat selbst hatte durch seine Gewerbepolitik dazu massiv beigetragen, indem er die Theaterunternehmungen etwa in Preußen von 1810/11 an immer wieder dem Gewerberecht und der Gewerbepolizei zuordnete, was einerseits mit dem faktischen Zustand der meisten Theater in Einklang stand - es waren Gewerbebetriebe -, was andererseits den Staat jedoch aller Maßnahmen enthob, 78 Hilde Haider-Pregler: Des sittlichen Bürgers Abendschule: Bildungsanspruch und Bildungsauftrag des Berufstheater im 18. Jahrhundert / Hilde Haider-Pregler. - Wien;München: Jugend und Volk, 1980. 79 ibid. S.67.

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das private Theaterwesen aus öffentlichen Mitteln zu unterstützen und es zur öffentlichen kulturellen Einrichtung zu erheben. Das Interesse des Staates am Theaterwesen richtete sich so hauptsächlich auf den fiskalischen Aspekt, auf die polizeiliche Überwachung und auf die unterschiedlich geregelte und de facto ziemlich wahllose Erteilung von Konzessionen. Es war deshalb auch nur konsequent, wenn das Theaterwesen nicht dem Kultus-, sondern dem Innenministerium unterstellt war. Die innerbetrieblichen Verhältnisse der Theaterunternehmen blieben dagegen weitgehend unberührt von gesetzgeberischen Maßnahmen: ihre Regelung blieb den Vertragspartnern, den Theaterleitern und dem Theaterpersonal, überlassen. Eine andere Behandlung erfuhren, wie bereits mehrfach erwähnt, jene Theaterunternehmungen, bei denen die "den gewerbsmäßigen Betrieb charakterisierenden Kennzeichen"80 nicht vorhanden waren: die Liebhabertheater, die Hoftheater und allgemein die von Korporationen des öffentlichen Rechts getragenen Theaterunternehmen, wie z.B. die Stadttheater, die unter städtischer Leitung standen. Für die privatwirtschaftlich organisierten Theaterbetriebe erwies sich die Einführung der Gewerbefreiheit als verhängnisvoll, da trotz des - immer wieder modifizierten - Konzessionswesens der Markt von neugegründeten Theaterunternehmen überschwemmt wurde, die dem Druck der Konkurrenz und dem durch das Überangebot entstandenen Preisverfall nicht entgegenstehen konnten. Dies führte zu einer Reihe von Konkursen, denen wiederum viele Neugründungen folgten. Das Theaterwesen traf es hier härter als die Zünfte, die sich aufgrund ihrer lokalen Begrenzung nur allmählich auflösten und allen politischen Einfluß geltend machten, ehemalige Rechte wiederzuerhalten. Den mobilen Schauspielertruppen blieb nur das Ausweichen an einen Ort, der weniger Konkurrenzbetriebe aufwies. An diesem Zustand änderten auch die vielfältigen Maßnahmen seitens des Innenministeriums nur wenig, die alle darauf abzielten, die Konzessionserteilung zu beschränken. So wurde bereits 1811 die Erteilung des Gewerbescheins für Theaterunternehmer dem allgemeinen Polizeidepartement des Innenministeriums übertragen und den Oberpräsidenten der Provinzen lediglich eine Gutachterrolle zugesprochen. Zudem wurde festgelegt, die Spielerlaubnis lokal und zeitlich zu beschränken, und in einer Zirkularverfugung von 1820 wurde angeordnet, pro Provinz nur eine Gesellschaft zu konzessionieren. Die Oberpräsidenten der Provinzen, deren Gutachten letztendlich auch die Entscheidungen der Zentralbehörde bestimmten, führten diese Anordnung nur selten durch und schließlich wurde ihnen 1825 die Konzessionserteilung vollständig zugewiesen. In § 47 der Gewerbeordnung von 1845 ist dann geregelt: 80 Otto Opet: Deutsches Theaterrecht: unter Berücksichtigung der fremden Rechte / systematisch dargestellt von Otto Opet. - Berlin: Calvary & Co., 1897. - S.18.

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Schauspiel-Unternehmer bedürfen einer besondern Erlaubniß des Ober-Präsidenten der Provinz, in welcher sie ihre Vorstellungen geben wollen. Diese Erlaubniß darf ihnen nur nach vorgängigem Nachweise gehöriger Zuverlässigkeit und Bildung ertheilt, kann jedoch auch dann, wenn sie dieser Bedingung entsprechen, nach dem Ermessen des Ober-Präsidenten versagt werden. 81

Da es keine Kriterien gab, wann ein Antragsteller als gebildet zu gelten habe, wurde dieser Passus in der Gewerbeordnung von 1869 schließlich wieder fallen gelassen und durch den Nachweis der "Zuverlässigkeit, insbesondere in sittlicher, artistischer und finanzieller Hinsicht" ersetzt.82 Nicht erfaßt waren von diesem Paragraphen jene Reisenden Gesellschaften, die "Musikaufführungen, Schaustellungen, theatralische Vorstellungen oder sonstige Lustbarkeiten, ohne dass ein höheres Interesse der Kunst oder der Wissenschaft dabei obwaltet, darbieten" wollten. 8 3 Ihnen genügte ein Wandergewerbeschein, ausgestellt von der "höhere(n) Verwaltungsbehörde, in deren Bezirk das Gewerbe betrieben werden soll".84 Für stehende Theaterunternehmungen ohne höheres Kunstinteresse gab es dagegen bis 1883 keine gesetzliche Regelung, sodaß im Laufe des 19. Jahrhunderts die Singspielhallen zu einer ernsten Konkurrenz der konzessionierten Theaterbetriebe w u r d e n . 8 5 Angesichts dieser Zustände wurden in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts Stimmen laut, die eine grundsätzliche Reorganisation des Theaterwesens forderten, und am 14. Juli 1848 rief Adelbert von Ladenberg, Minister für geistliche, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten in Preußen, im Preußischen Staatsanzeiger dazu auf, Vorschläge für eine Reform des gesamten Kunstwesens, zu dem er auch die "Musik und Poesie in ihrer praktischen Betätigung" zählte, einzureichen. 8 6 Betrachtet man die zahlreichen Einsendungen, ergibt sich ein heterogenes Bild, in dem sich die Umbruchsituation der Zeit spiegelt. Die Bandbreite der Vorschläge reicht von der gesetzlichen Verankerung der völligen Gewerbefrei81 Die allgemeine Gewerbe-Ordnung vom 17. Januar 1845 / nebst den ergänzenden und erläuternden Ministerial-Rescripten hg. v. W.G.v.d.Heyde. - Magdeburg: Baensch, 1847. - S.34. 82 Gewerbeordnung von 1869, § 32. 83 ibid. §55. 84 ibid. §61. 85 s. Handwörterbuch der Staatswissenschaften / hg. v. J. Conrad u.a. - Bd.5 Jena:Fischer, 1893. - S.521, Spalte 2. 86 zit. n. Wilhelm Klein: Der Preußische Staat und das Theater im Jahre 1848: e. Beitrag zur Geschichte der Nationaltheateridee / von Wilhelm Klein. - Berlin: Selbstverlag der Gesellschaft für Theatergeschichte, 1924. - S.53. Wilhelm Klein hat die zahlreichen Einsendungen, die auf Ladenbergs Aufforderung hin eintrafen, in ihren Gemeinsamkeiten und Unterschieden analysiert.

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heit für Theaterunternehmungen und der Einfuhrung von Genossenschaftstheatern bis hin zur Verstaatlichung aller Theaterbetriebe unter der Generalintendanz des Kultusministeriums. Gemeinsam ist allen Konzepten nur der, teilweise indirekt formulierte, Vorwurf, daß sich der Staat bisher zu wenig um die Theaterangelegenheiten gekümmert habe und es ihm bis 1848 nicht gelungen sei, eindeutige Rechtsverhältnisse zu schaffen. Trotz vieler Vorschläge, die darauf abzielten, die Theater stabiler zu machen, etwa durch die Gründung von Städtebundtheatern und die Befreiung von Steuern und Abgaben inklusive der an die Kommunen zu zahlenden Pacht, die ohne größeren Aufwand hätten realisiert werden können, konzentrierte sich die Diskussion im Kultusministerium auf die Ressortverlegung der Theaterangelegenheiten und auf die Frage nach einer Verstaatlichung des Theaterwesens. Beide Bereiche hingen eng zusammen, da das Kultusministerium nur dann sinnvollerweise für die Theater zuständig werden konnte, wenn den Theaterunternehmungen der Charakter des Gewerbebetriebs genommen würde und wenn das Kultusministerium selbst die Vollmacht erhielte, als eine Art Generaldirektorium für die künstlerische und finanzielle Verwaltung der Theater, die Erteilung von Konzessionen, die Durchführung von Theatergesetzen und die Einrichtung und Überwachung der geplanten staatlichen Theaterschulen verantwortlich zu sein. Dieser Idee stand man im Innenministerium und im 1848 gebildeten Handelsministerium, das für das Konzessionswesen zuständig war, wohlwollend gegenüber. Offen war jedoch die Finanzierungsfrage, wenngleich allen Beteiligten bewußt war, auf welchem Weg sie gelöst werden mußte: durch die Überführung der Hoftheateretats aus der Zivilliste in die Staatskasse. Faktisch bedeutete dies eine Umwandlung der Hoflheater in Staatstheater unter Oberaufsicht des Kultusministeriums inklusive der staatlichen Kontrolle des Theateretats. Geplant war, dies im Rahmen eines umfassenderen Gesetzeswerkes über die Organisation der Kunstanstalten zu regeln, das seinen ersten Niederschlag im ENTWURF ZU EINEM GESETZ ÜBER DIE ORGANISATION DER KUNSTANGELEGENHEITEN87 vom 6. Januar 1849 fand Ladenbergs Sturz verhinderte die Durchführung des Gesetzgebungsverfahrens und sein Nachfolger war an einer Änderung des status quo nicht interessiert. Die Folgen sind bekannt: erst im November 1918 wurde das Theaterwesen dem Kultusministerium unterstellt und die Hoftheater in Staatstheater umgewandelt.

87 Der Entwurf ist abgedruckt in: ibid. S.189-191.

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1.2 Der Schauspieler, statistisch betrachtet Als die »Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger« im Jahr 1907/08 eine groß angelegte Umfrage unter den Mitgliedern der deutschsprachigen Theater startete, lagen kurze Zeit später erstmals in der deutschen Theatergeschichte repräsentative Angaben über die Lebens- und Arbeitsbedingungen der großen Masse deutscher Schauspieler vor, die in einer umfangreichen Dokumentation von Charlotte Engel Reimers aufgearbeitet wurden 1 Sieht man von den Ansätzen Theodor von Küstners ab, existieren für die Zeit vor 1900 bis heute keine derartigen statistischen Analysen Für die sogenannte »vorstatistische Zeit« mag dies angesichts des lückenhaften Materials verständlich sein. Die Theatergeschichte des 19. Jahrhunderts bietet jedoch ausreichendes und einigermaßen gesichertes Datenmaterial für sozialhistorische Untersuchungen. Wenig Erfolg zeitigt allerdings der Versuch, die Gesamtzahl aller deutschsprachigen Darsteller in einem bestimmten Zeitraum, etwa einem Jahr, zu bestimmen, da in den jeweiligen Verzeichnissen und Almanachen vor allem die Reisenden Gesellschaften nur höchst unzureichend erfaßt sind. Die Gründe hierfür sind in den stark begrenzten zeitgenössischen Recherchemöglichkeiten ebenso zu finden, wie in der Instabilität des Wandertruppenwesens, das sich zudem zu anderen Formen des reisenden Unterhaltungsgewerbes oft nur schwer bzw. überhaupt nicht abgrenzen läßt. So weist Heinrichs ALMANACH für das Jahr 1846 123 Theaterbetriebe mit insgesamt 3.438 Darstellern aus:2 Theaterform

Stadttheater 3 Hoftheater Wandertruppen Privattheater 4 Summe

1

Anzahl

Anzahl d. Darsteller gesamt männl. weibl.

66 28 14 15

1.792 940 261 445

1.070 558 155 259

722 382 106 186

123

3.438

2.042

1.396

Durchschnitt m./w. 16/11 20/14 11/ 8 17/12

Charlotte Engel Reimers: Die deutschen Bühnen und ihre Angehörigen: eine Untersuchung über ihre wirtschaftliche Lage / von Charlotte Engel Reimers. Leipzig: Duncker & Humblot, 1911. 2 Almanach für Freunde der Schauspielkunst auf das Jahr 1846 / hg. v. Ludwig Wolff u. August Heinrich. - Berlin: Sittenfeld, 1846. 3 Unter »Stadttheater« wurden all jene Betriebe subsummiert, die sich lt. Heinrich als solche bezeichnen und/oder bei denen eine Kommune in irgendeiner Form am Theaterbetrieb finanziell beteiligt war. 4 Hier sind - mit Ausnahme der Wandertruppen - all jene Betriebe erfaßt, die sich die Bezeichnung »Privattheater«, »Sommertheater«, »Tivoli-Theater« gegeben haben.

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Die geringe Anzahl an Reisenden Gesellschaften macht deutlich, daß sich Heinrichs Almanach vor allem auf die stehenden Theater konzentriert und dem Wandertruppenwesen nur wenig Beachtung schenkt, s Unzureichend berücksichtigt sind zudem die »Sommertheater«, die im R a h m e n von Gaststättenbetrieben die jeweiligen Umsätze steigern sollten. M a n kann deshalb annehmen, daß die tatsächliche Zahl der im Jahr 1 8 4 6 engagierten Darsteller wesentlich höher als die genannte gewesen sein muß. So nennt ζ. B. Louis Schneider fur das J a h r 1 8 5 4 ca. 6 . 0 0 0 Darsteller und 8 . 0 0 0 Choristen, Orchestermitglieder etc., w a s der Wahrheit sicher näher kommt. 6 F ü r die vorliegende Untersuchung wurden stichprobenartig die (zum Teil lückenhaften) Daten von 2 0 0 0 Darstellern ausgewertet, die zwischen 1 7 7 5 und 1 8 5 0 debütierten. Erfaßt wurden, soweit nachweisbar, das Geburts- und Sterbejahr, das J a h r des Debuts, das Jahr des Abgangs von der Bühne und das J a h r der ersten Eheschließung.? Daß die Stichprobe selbst nur bedingt repräsentativ

5

6

7

Fragwürdig erscheint auch hinsichtlich der Reisenden Gesellschaften die durchschnittliche Ensemblestärke von neunzehn Darstellerinnen und Darstellern. Wie bereits erwähnt, bestand der größte Teil der Wandertruppen aus erweiterten Familienbetrieben; lediglich die bedeutendsten Prinzipale konnten ein Ensemble von zwanzig und mehr Mitgliedern finanzieren, wie auch aus einer Aufstellung Herbert Frenzeis zu ersehen ist.(Herbert A. Frenzel: Geschichte des Theaters : Daten und Dokumente 1470-1890 / Herbert A. Frenzel. - 2. durchgesehene u. stark erweiterte Aufl. - München: dtv, 1979. - S.236f.) Heinrich Stümcke: Louis Schneider und die »Perseverantia« / Heinrich Stümcke., in: Erforschtes und Erlebtes aus dem alten Berlin: Festschrift zum 50jährigen Jubiläum des Vereins für die Geschichte Berlins / Verein für die Geschichte Berlins. - Berlin: Verlag des Vereins f. d. Geschichte Berlins, 1917 S.357-376 - S.360. Stümcke erwähnt in diesem Kontext die Existenz von 115 Theaterbetrieben, was zweifelsohne zu niedrig gegriffen ist.(ibid.) Wenig brauchbar sind in diesem Zusammenhang auch die Angaben Ludwig Eisenbergs im Vorwort seines biographischen Lexikons: "Ich traf vor allem meine Auswahl, denn es ging nicht an, alle die 10000 auf etwa 600 deutschen Theatern wirkenden Schauspieler in das Werk aufzunehmen."(Ludwig Eisenberg's Großes Biographisches Lexikon der Deutschen Bühne im X I X . Jahrhundert / Ludwig (Julius) Eisenberg. - Leipzig: List, 1903 - S.2 des unpaginierten Vorworts) Die genannten Zahlen sollen wohl lediglich auf eine große Datenmenge verweisen. Die Daten wurden nach dem Prinzip des Zufalls erfaßt. Als Quellen wurden hauptsächlich verwendet: Ludwig Eisenberg's Großes Biographisches Lexikon der Deutschen Bühne, a.a.O.; Gallerie von teutschen Schauspielern und Schauspielerinnen nebst Johann Friedrich Schinks Zusätzen und Berichtigungen / hg. v. Richard Maria Werner. - Berlin: Gesellschaft für Theatergeschichte, 1910 (Schriften der Gesellschaft für Theatergeschichte; 13); Ottomar G. Flüggen: Biographisches Bühnenlexikon der deutschen Theater : von Beginn der deutschen Schauspielkunst bis zur Gegenwart / zus.gestellt von O(ttomar) G. Flüggen. - l.Jg. - München: Bruckmann, 1892; Wilhelm Kosch: Deutsches Theater-

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ist, mußte hingenommen werden: die meisten Mitglieder der kleinen, oft nur für kurze Zeit und im lockeren Verband bestehenden, Wandertruppen werden wohl auch in Zukunft für die Theaterhistoriographen namenlos bleiben; was nicht bedeuten soll, daß ihr Wirken im Dunkel der Geschichte verschwand.

Lebenszeit Die folgende Aufstellung zeigt, daß Schauspieler ein vergleichsweise hohes Alter erreichen konnten; ein Umstand, der vor allem den Konstrukteuren von Pensionskassen zu schaffen machte, wie weiter unten noch zu sehen sein wird; 8

Sterbealter' Jahre 21 25 26 30 31 35 36 40 41 45 46 50 51 55

Darsteller % 1.5 2,0 3,2 4,7 6,7 6,7 10,2

Sterbealter Jahre 56 61 66 71 76 81 86

60 65 70 75 80 85 90

Darsteller % 10,0 11,3 13,4 12,3 11,4 5,2 1,6

Die Tabelle macht deutlich, daß von den untersuchten 2000 Darstellern über 50 Prozent ein Mindestalter von sechzig Jahren erreichten und über 25 lexikon: biographisches und bibliographisches Handbuch / Wilhelm Kosch. Wien: Kleinmayr, 1951 ff.; Paul S. Ulrich: Theater, Tanz und Musik im Deutschen Bühnenjahrbuch : e. Fundstellennachweis von biographischen Eintragungen, Abbildungen u. Aufsätzen aus dem Bereich Theater, Tanz u. Musik, die von 1836 bis 1984 im Deutschen Bühnenjahrbuch, seinen Vorgängern oder einigen anderen deutschen Theaterjahrbüchern erschienen sind / Paul S. Ulrich. 2 Bände - Berlin: Berlin Verlag, 1985. Weitere Daten, die z.T. auch der Korrektur dienten, fanden sich in zahlreichen Theaterchroniken und Almanachen (z.B. Nekrologe). 8 s . K a p . 1.4 9 Zu berücksichtigen ist bei dieser Tabelle, daß die zugrundeliegenden Daten großteils biographischen Lexika entnommen sind: die Aufnahme in ein derartiges Lexikon setzte in der Regel entweder eine längere Bühnenlaufbahn oder zumindest - vor allem bei den Frühverstorbenen - eine überdurchschnittliche Beliebtheit beim Publikum voraus. Bekanntestes Beispiel ist hier wohl Friedrich Ludwig Schröders Halbschwester Charlotte Ackermann, deren früher Tod - sie starb 1775 im Alter von 17 Jahren - in zeitgenössischen Journalen heftig bedauert wurde.

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Prozent immerhin älter als siebzig wurden. Festzustellen ist zudem, daß unterschiedliche Zeiträume unterschiedliche Altersstrukturen aufweisen. So zeigt sich, daß bei den Darstellern, die vor 1820 starben, 50 Prozent älter als siebenundvierzig Jahre, etwa 21 Prozent älter als 60 Jahre und 11 Prozent älter als siebzig Jahre wurden. Bei den zwischen 1820 und 1850 gestorbenen Schauspielern lag die Lebenserwartung höher 50 Prozent wurden siebenundfünfzig, 44 Prozent sechzig und 27 Prozent über siebzig Jahre alt. Bei den zwischen 1850 und 1870 Gestorbenen erreichte die Hälfte ein Alter von dreiundsechzig Jahren, knapp ein Drittel (32%) wurde mindestens 70 Jahre alt und ein weiteres Drittel wurde noch fünf bis zehn Jahre älter. Und bei den nach 1870 Gestorbenen wurden 50 Prozent mindestens einundsiebzig, 31 Prozent fünfimdsiebizg und knapp 14 Prozent achtzig Jahre und älter.

Debutalter Als »Debüt« soll in diesem Zusammenhang das erstmalige Auftreten eines Darstellers im Rahmen einer berufsmäßig organisierten Aufführung verstanden werden, d.h. ein früheres Spielen, etwa bei einem Schul- oder Liebhabertheater, wurde nicht erfaßt. Unberücksichtigt blieb zudem, ob der Debutant bereits vertraglich an die jeweilige Bühne gebunden war, da vertragliche Bindungen innerhalb einer Wandertruppe in der Regel nicht mehr nachweisbar sind. Als Ergebnis zeigte sich, daß das durchschnittliche Debutalter zwischen dem sechzehnten und achtzehnten Lebensjahr anzusetzen ist. Unterteilt man den Gesamtzeitraum, ergeben sich nur minimale Abweichungen. Deutliche Unterschiede zeigen sich dagegen bei einer Aufschlüsselung der Debuts nach Darstellerinnen und Darstellern, nach Sparten und nach Schauspielerkindern bzw. theaterfremden Debütanten. So lag bei den weiblichen Darstellern das Debutalter beim fünfzehnten bis sechzehnten Lebensjahr, bei den männlichen Darstellern dagegen zwischen achtzehn und zweiundzwanzig Jahren. Bedingt durch die längere Ausbildung, ergaben sich auch Unterschiede bei einer Differenzierung der Sparten: die Debuts im Musiktheaterbereich liegen um ca. zwei Jahre später, als diejenigen nach denen des Sprechtheaters. Wie zu erwarten, ergeben sich auffallende Unterschiede bei den Debuts von Schauspielerkindern und den Söhnen bzw. Töchtern von Eltern, die einem anderen Berufszweig entstammten, wie die folgende Grafik - gemessen in Prozentwerten - deutlich zeigt:10

10 Als wenig brauchbar erweist sich in diesem Zusammenhang eine Aufsplittung nach weiblichen und männlichen Debütanten, da die einzelnen Zellwerte zu niedrig sind, um sinnvolle Aussagen zu machen. 45



Alter + Darstell erte inder

Theaterfremde Deb.

Lebensarbeitszeit In 10-Jahres-Gruppen zusammengefaßt ergibt sich für die Lebensarbeitszeit der Darsteller prozentual aufgeschlüsselt Lebensarbeitszeit

-10 11-20 21-30 31-40 41-50 51-60 61-

gesamt %

weiblich %

männlich %

.

4 12 17 23 25 17 3

8 20 23 14 23 9 3

6 13 28 28 22 3

101

100

100

Die Tabelle zeigt, daß die meisten Darsteller sehr lange berufstätig waren: ein Umstand, der sich in vielen Fällen sicher durch die unzureichende Pensionsregelung erklären läßt. Der überwiegende Teil der Schauspieler hatte keinen Anspruch auf eine gesicherte Altersversorgung. Der frühere Abgang von weiblichen

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Darstellern von der Bühne erklärt sich in vielen Fällen durch eine Verheiratung, die oft den Abschluß der Theaterkarriere bedeutete. Pensionsalter und Pensionszeit Die mangelhafte Versorgung alter Schauspieler gehört zu den traurigsten Kapiteln der Sozialgeschichte des Theaters. Wenn in diesem Zusammenhang deshalb von »Pensionsalter« oder »Pensionszeit« die Rede ist, so ist damit nicht gemeint, daß der jeweilige Darsteller tatsächlich irgendeine Form von Pension in Anspruch nehmen konnte. Erfaßt werden konnte deshalb lediglich deqenige Zeitraum, der dem Schauspieler nach dem Abgang von der Bühne bis zu seinem Tod noch zur Verfügung stand. Die folgende Tabelle zeigt zunächst, wie lange es in der Regel dauerte, bis ein Darsteller seinen Abschied nahm: Erreichtes Alter bei Abgang von der Bühne (Jahre)

Anzahl der Darsteller, die zu jenem Zeitpunkt von der Bühne abgegangen waren gesamt %

weiblich %

männlich %

-40 -50 -60 -70

19 34 62 91

40 58 82 98

5 17 48 87

-80

100

100

100

Nach einem langen Arbeitsleben verblieb dem Schauspieler meist nur noch kurze Zeit: über 60 Prozent der Darsteller starben nach ihrem Abgang von der Bühne innerhalb eines Zeitraums von nur zehn Jahren, wobei auffallend ist, daß 21 Prozent das Jahr ihrer Pensionierung nicht überlebten. Deutliche Unterschiede zeigt allerdings eine geschlechtsspezifische Differenzierung: Von den männlichen Darstellern starben innerhalb des erwähnten 10-Jahres-Zeitraums 72 Prozent, wobei 25 Prozent das Jahr der Pensionierung nicht überlebten. Bei den Darstellerinnen starben 42 Prozent innerhalb jener zehn Jahre, was sich mit dem häufig zu findenden frühzeitigen Abgang vom Theater, meist im Zusammenhang mit einer Verheiratung, erklären läßt.

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Heiratsalter Als durchschnittliches Heiratsalter ergeben die herangezogenen Werte ein Alter von sechsundzwanzig Jahren mit Spitzenwerten bei vierundzwanzig, sechsundzwanzig und - etwas geringer - bei siebenundzwanzig Jahrea Unterteilt man den Gesamtzeitraum in einzelne Abschnitte, ergibt sich bei denjenigen, die bis zum Jahr 1820 geheiratet haben, ein Durchschnittswert von knapp vierundzwanzig Jahren bei Spitzenwerten von zweiundzwanzig und siebenundzwanzig Jahrea Für den Zeitraum von 1821 bis 1850 ergibt sich der oben genannte Durchschnittswert bei höchst ungleicher Verteilung. Insgesamt läßt sich deshalb lediglich feststellen, daß sich das Heiratsalter von Darstellern nicht wesentlich von demjenigen anderer Zeitgenossen unterschied Deutlich ist auch das Ergebnis hinsichtlich der Wahl des Partners: wie zu erwarten waren im gesamten Untersuchungszeitraum ca. 90 Prozent der Ehepartner ebenfalls Darsteller. Dies galt vor allem auch bei Mehrfachverheiratungen.

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1.3 Die Entwicklung des Schauspielerengagements

Wie bereits erwähnt, importierten die englischen Wandertruppen eine Unternehmensform mit einer innerbetrieblichen Organisationsstruktur, wie sie sich im Kontext einer ökonomisch hochentwickelten Unterhaltungsindustrie an der bankside und in anderen Vergnügungsvierteln außerhalb der Londoner Stadtgrenze herausgebildet hatte. Wesentliches Merkmal war, daß Schauspieltruppen als Kapitalgesellschaften auf Anteilsbasis gegründet wurden, wobei die Anteilseigner in Höhe ihrer Einlage für etwaige Verbindlichkeiten hafteten, Gewinne machen konnten bzw. Verluste hinnehmen mußten. Die Anteilscheine selbst waren nicht vinkuliert und konnten je nach Belieben veräußert oder vererbt werden, was einerseits zu Spannungen innerhalb der Truppen führte, andererseits jedoch - verkörpert vor allem in Persönlichkeiten wie Philip Henslowe und Edward Alleyn durch geschickte Spekulation in allen Bereichen des Unterhaltungswesens auch die Theaterbetriebe am Leben erhielt und zu finanziell lukrativen Unternehmungen werden ließ, wenngleich die Anteilseigner selbst zu Opfern jener Spekulanten werden konnten, ι Entscheidend war jedoch, daß die Schauspieler zugleich als Unternehmer auftraten. Dieses Prinzip des sharing wurde von den sich langsam herausbildenden deutschsprachigen Wandertruppen rudimentär übernommen und den nationalen Verhältnissen angepaßt. Leider fehlen zur Rekonstruktion dieses Amalgamisierungsprozesses ausreichende Zeugnisse. Einiges läßt sich jedoch feststellen: So kann als gesichert gelten, daß die deutschsprachigen Schauspieler die Vorteile des sharing nicht verstanden und auch nicht verstehen konnten, da es in ihrer sozialen und ökonomischen Wirklichkeit nicht der Gewinnoptimierung, sondern höchstens der Verlustminimierung dienen konnte: der Rahmen einer kapitalkräftigen und -intensiven Vergnügungsindustrie auf der Basis eines gemeinsamen, überschaubaren und 1 Die zweifelsohne interessantesten Dokumente über das Geschäftsgebahren im elisabethanischen Unterhaltungsgewerbe enthalten die von Walter Greg 1907 herausgegebenen "Henslowe Papers". (Henslowe Papers: being Documents Supplementary to Henslowe's Diary / ed. by. Walter Wilson Greg. - London: Bullen, 1907. - Repr.:1973.) Mit welchen Risiken Anteilseigner zu rechnen hatten zeigt MS 1.106.

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einheitlichen Marktes mit entsprechendem Kapitaltransfer fehlte bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts ebenso, wie eine gesicherte juristische Basis, von der aus derartige Geschäfte hätten unternommen werden können. Gewinne, die nachweislich auch erzielt wurden, wurden deshalb nicht reinvestiert, sondern dem originären Produktionskreislauf entzogen und im besten Fall eingefroren, meist jedoch - und dies kann wörtlich genommen werden - aufgegessen oder in theaterfremde Bereiche abgezogen, wie der bereits erwähnte Pferdehandel Schönemanns zeigt. Auch Schauspieler, die zu etwas Geld gekommen waren, neigten bis zum ausgehenden 18. Jahrhundert weniger zu Neugründungen von Gesellschaften, sondern eher zum Kauf von Grund und Boden, den sie nicht landwirtschaftlich nutzten, sondern für den Eigenheimbau verwendeten, um sich durch Seßhaftigkeit ein Heimatrecht zu sichern. Nicht nur August Wilhelm Iffland, ansonsten stets hoch verschuldet, hatte z.B. in Mannheim zu dieser Form der Geldanlage gegriffen. Bereits das ALR in der Fassung von 1794 legt im elften Titel des ersten Teiles fest: § 704. Personen, welche bey den königlichen Singe- und Schauspielen, oder bey der Hofkapelle angestellt sind, können, so lange sie in diesen Diensten stehen, aufgenommener Darlehne wegen, gerichtlich nicht belangt werden. § 705. In so fern sie aber Grundstücke besitzen, und dieselben durch gerichtliche Eintragungen einem Gläubiger gehörig verpfändet haben, kann letzterer aus diesen Grundstücken seine Befriedigung suchen. 2

Da dies zudem die einzige Stelle innerhalb des ALR von 1794 ist, an der explizit auf Schauspieler eingegangen wird, kann man davon ausgehen, daß die preußischen Hofschauspieler häufiger die in § 704 indirekt angebotene Möglichkeit der Verschuldung ergriffen, um Grundstücke zu erwerben. Und da sie in der Regel auf Lebenszeit angestellt waren, traf sie § 705 nur dann, wenn sie mangels Bargeld eine Hypothek aufnahmen. Das »Auf-Teilung-Spielen« wurde so zum Rettungsanker jener Prinzipale, die - in einen heutigen Begriff gefaßt - Konkursverschleierung betrieben, bzw. jener Schauspieler, die angesichts des saisonalen Ungleichgewichts nur im Winter festes Engagement an einem stehenden Theater fanden und im Sommer - meist in kleinen Gruppen - auf eigene Rechnung spielten.3 2 ALR Teil I, Titel XI, § 704 u. § 705. Der folgende Paragraph legt dann noch fest, daß nach Entlassung des Hoftheatermitglieds oder nach dessen Tod ein Zugriff auf die noch vorhandenen Kapitalien zulässig ist. (s. §706.) 3 D a ß sich dieser Zustand auch im ausgehenden 19. Jahrhundert nicht geändert hatte, zeigen Olga Heydecker-Langers Lebenserinnerungen: "... im Winter gingen wir ins Engagement, und im Sommer spielten wir selbst Direktor", schrieb sie über ihre Kindheitserlebnisse der neunziger Jahre. (Olga Heydecker-Langer: Lebensreise im Komödiantenwagen: Erinnerungen einer Schauspielerin / Olga Heydecker-Langer. - München: Müller, 1928.) Bezeichnend ist der Widmungs-

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Da sowohl die ökonomischen als auch die rechtlichen Verhältnisse einer produktiven Verwendung des sharing-Prìnzips entgegenstanden, orientierten sich die deutschsprachigen Truppen am Zunft- und Prinzipalwesen. Letzteres, im Sinne Zielskes möglicherweise als ökonomischer Fortschritt begreifbar, sah den Prinzipal als pater familiae, der, begünstigt durch die gesellschaftliche Isolation und die außerständische Entwicklung des deutschen Theaterwesens, mit mehr oder weniger Geschick eine innerbetriebliche Hierarchie schuf, wie sie noch an Ifflands vielzitierten Begrüßungszeremoniellen erkennbar ist: Den allertragischsten Helden mußte der zweite Held zuerst grüßen, wogegen jener nur erwiderte. Die, welche Vertraute spielten, waren barhaupt, wenn der erste Held oder Tyrannenagent sich blicken ließ. An öffentlichen Orten hatten letztere ihre Plätze allein; die anderen wichen von selbst und durften sich nur nähern auf herablassende Ladung. Nur durch Dienstjahre konnte der Neuling das Recht erwerben, in Gegenwart älterer Mitglieder bedeckt zu erscheinen. Ein Wort über das Spiel älterer Glieder ward für ein Zeichen des Wahnsinns genommen, der Tadel eines gegebenen oder zu gebenden Stückes war ein Verbrechen, worauf die Absonderung erfolgte.*

Hier wurden unter Verwendung der Einteilung in Rollenfächer zünftische bzw. ständische Verhaltensweisen auf den Theaterbetrieb übertragen, die innerhalb des Einzelbetriebes - und auch darüber hinaus 5 - nicht nur eine artistische, sondern vor allem eine soziale Hierarchie schufen, die von allen Beteiligten anerkannt und verbissen verteidigt wurde: die Auseinandersetzung um die fachgemäße Besetzung zählte selbst dann noch zu den häufigsten Streitfällen in den Theaterbetrieben, als der Vereinsbühnen-Kontrakt das Rollenfach selbst schon lange nicht mehr festschrieb. Weiterhin waren die Reisenden Gesellschaften bis ins 19. Jahrhundert hinein nach dem Prinzip der Anciennität strukturiert: der ältere Schauspieler bzw. die ältere Schauspielerin erhielten die höhere Gage und saßen bei Tisch dem Prinzipal näher, was nicht nur für die Mahlzeiten, sondern etwa auch fur die Sitzordnung bei den Versammlungen der Schweriner Akademie unter Ekhof galt, wie noch zu sehen sein wird.

text: "Einige Szenen aus meiner Lebens-Komödie, niedergeschrieben zu Gedächtnis und Warnung für meine Söhne." 4 zit. n. Günther Schulz: Die Entwicklung des Schauspielerengagements in Deutschland vom 17. bis zum 19. Jahrhundert / von Günther Schulz. - Diss. Berlin, 1956. -S.159. 5 Da das Rollenfach zwangsläufig an eine bestimmte Art von Rollenrepertoire gebunden und dieses Rollenrepertoire bei Engagementswechsel entscheidende Grundlage für die künstlerische Einordnung des Darstellers in das neue Ensemble war, blieb der hierarchische Status des einzelnen Schauspielers auch überbetrieblich gewahrt.

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Beides zusammen, Rollenfach und Prinzip der Anciennität, erzeugten einerseits bei den Wandertruppen des 17. und 18. Jahrhunderts eine innerbetriebliche Stabilität, die die Frage nach Vertragsform und -inhalt überflüssig machten: vakante Fächer wurden per Handschlag-Vertrag geschlossen und die Auflösung des Vertrags geschah in der Regel durch einseitige Aufkündigung.^ Ein Kontraktbruch durch Flucht war in diesem Zeitraum selten, da den Vertragspartnern nur wenige Rechtsmittel zur Verfügung standen, um ein gekündigtes Engagement aufrechtzuerhaltea Daran änderte sich auch im 19. Jahrhundert wenig. Die häufig erwähnte Flucht war deshalb auch meist eine Flucht vor Gläubigern und betraf den Kontrakt lediglich dann, wenn der Prinzipal mangels Masse oder Zahlungsbereitschaft mit der Kasse verschwunden war. In welchem Umfang der Handschlag-Vertrag im 19. Jahrhundert durch einen schriftlich fixierten Kontrakt ersetzt wurde, läßt sich nicht mehr eruieren. Man kann annehmen, daß die Prinzipale Reisender Gesellschaften vor allem dann zum Mittel des Bühnenengagementsvertrag griffen, wenn sie sich für einen längeren Zeitraum, d.h. mehrere Wochen, an einen bestimmten Saaltheaterbetrieb durch einen Pachtvertrag gebunden hatten. Offen bleibt allerdings, ob sich der jeweilige Darsteller durch einen schriftlichen Kontrakt dem Wanderbetrieb mehr verpflichtet fühlte, als durch einen Handschlag-Vertrag. Andererseits widersprach vor allem das Prinzip der Anciennität und die daran orientierte Gagenbemessung in vielen Fällen dem tatsächlichen Marktwert eines Rollenfaches und dessen Trägers, wie auch die jeweiligen Rollenfächer selbst durch Quantitäts- und Qualitätsveränderungen der Repertoires - vor allem der stehenden Theater und größeren Wandertruppen - Einschränkungen erfuhren. Hinzu kam der Wunsch der Theaterleiter, jeden Darsteller so umfassend wie möglich einsetzen zu können, ohne auf vertraglich festgesetzte Rollenfacher Rücksicht nehmen zu müssen. Die Folgen daraus waren jedoch, wie das gesamte Organisationswesen der Theater selbst, nicht einheitlich. Bis ins letzte Viertel des 18. Jahrhunderts wurde bei den Wandertruppen das Prinzip der Anciennität unverändert beibehalten, wobei der Widerspruch zum Marktwert des jeweiligen Rollenfaches oft schon deswegen nur für Journalschreiber zum Problem wurde, weil Schauspieler wie Ekhof noch im hohen Alter im Fach des jugendlichen Liebhabers aufiratea Daß vergleichbares

6 Kündigungsfristen waren bei Handschlagverträgen, soweit sich dies überhaupt noch rekonstruieren läßt, aller Wahrscheinlichkeit nach nicht üblich. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts, einer Zeit, in der auch die ersten schriftlichen Verträge auftauchen, führen die Prinzipale eine Kündigungsfrist von sechs Wochen ein, die zunächst auch von den stehenden Theatern übernommen und zunehmend durch längere Zeiträume ersetzt werden, (s. Günther Schulz: Die Entwicklung des Schauspielerengagements, a.a.O., S.S2.)

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für Prinzipalsgattinnen galt, muß angesichts der zahlreich vorhandenen Klagen in Reichards Periodika an dieser Stelle nicht weiter ausgebreitet werden. Die Rollenfächer blieben im Verlauf des 19. Jahrhunderts bei den meisten Wandertruppen und den kleineren stehenden Theatern erhaltea Der Grund hierfür lag in den, durch hohe Schauspielerfluktuation bedingten, zahlreichen Vakanzen, die sich nur durch genaue Stellenbeschreibungen einigermaßen schnell - und vor allem auch preisgünstig - auffüllen ließea Eine andere Entwicklung nahm der Sprechtheaterbereich an den mittleren Bühnen und den Hoftheatern. Hierfür gab es artistische und ökonomische Gründe, die nur zum Teil in Beziehung zueinander standen. Die Stücke, die von den Truppen Ackermanns, Schönemanns, Kochs, Seylers und der meisten anderen Prinzipale aufgeführt wurden, legen bestimmte Rollenfächer eindeutig und einmalig fest. Diese Situation veränderte sich im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts durch einschneidende Veränderungen in der Repertoiregestaltung. Deutlich zeigt sich dies in der Aufnahme Shakespearescher Stücke: Als Schröder im September 1776 HAMLET erstmals in einer zumindest annähernd dem Original entsprechenden Fassung auf die deutschsprachige Bühne brachte und innerhalb der folgenden drei Jahre acht weitere Werke Shakespeares folgen ließ?, entstanden zwei, in diesem Zusammenhang entscheidende, Probleme. Zum einen mußten angesichts der Vielzahl von Rollen Mehrfachbesetzungen vorgenommen werden - ein Verfahren, das an stehenden Theatern sonst nur im Bereich der Statisterie üblich war. Die Gewähr eines Schauspielers, nur für ein bestimmtes Rollenfach eingesetzt zu werden, entfiel dadurch zwangsläufig. Zum anderen sahen sich die in der Hierarchie an der Spitze stehenden Darsteller, die Heldenspieler, vor eine noch weiterreichende Situation gestellt: mit den Figuren Hamlet und Fortinbras war ihr Fach zweimal in ein und demselben Stück vertreten - allerdings nicht in annähernd gleichwertiger Form. Für die Entwicklung des Rollenfachs hatte dies einschneidende Folgen, die sich auch ökonomisch bemerkbar machten: neben der Einteilung in Rollenfächer gab es eine Zweiteilung des Rollenfaches selbst in erste und zweite Partien, wobei man letztere hinsichtlich der Gagenhöhe im Vergleich zur ersten als Fünfzig-Prozent-Partie ansehen kann. Für die Darsteller des 19. Jahrhunderts bedeutete dies vor allem an jenen Theatern, die eine vertragliche Festlegung des Rollenfaches ablehnten, eine massive Verschärfung der Konkurrenzsituation: war im 17. und 18. Jahrhundert der Aufstieg etwa des jugendlichen

7 Genau genommen waren es neun weitere, da er die beiden Teüe von HEINRICH IV. zusammengezogen hatte. Zur Shakespearerezeption Schröders s. Ernst Leopold Stahl: Shakespeare und das deutsche Theater: Wanderung und Wandelung seines Werkes in dreiundeinhalb Jahrhunderten / Ernst Leopold Stahl. Mit Bilddokumenten zusammengestellt von Carl Nießen. - Stuttgart: Kohlhammer, 1947. - S.89-113.

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Helden meist mit dem Wechsel des überwundenen Konkurrenten ins Fach der Heldenväter oder dessen Abgang vom Theater verbunden, so standen im 19. Jahrhundert den Intendanten selbst innerhalb eines Faches mehrere Auswahlmöglichkeiten zur Verfugung. Für den betroffenen Schauspieler war die Konsequenz eindeutig: er mußte versuchen, durch eine Reihe von Maßnahmen, vom Gastspiel bis hin zum häufigen Engagementswechsel, seinen Marktwert in relativ kurzer Zeit so hoch und so lange zu steigern, bis ihm ein wenigstens einigermaßen solventer Theaterbetrieb ein Engagement auf Lebenszeit inklusive entsprechender Pensionsregelung anbot. Dieses Ziel war jedoch nur bei den wenigen Hof- und größeren Stadttheatern erreichbar die große Masse der Schauspieler blieb ausgeschlossen.

Der Bühnenengagementsvertrag Während bei den Wandertruppen des 19. Jahrhunderts - von den größeren Gesellschaften abgesehen - die einfachen Formen des Kontraktschlusses bestehen blieben, banden die stehenden Theaterbetriebe ihre Mitglieder ab dem letzten Viertel des 18. Jahrhunderts durch - im Laufe der Zeit immer detaillierter gestaltete - Engagementsverträge und Hausgesetze an ihre Bühne.» Der Engagementsvertrag selbst unterlag der völligen Vertragsfreiheit und erfuhr - im Gegensatz zum öffentlichen Theaterrecht' - bis zum In-Kraft-Treten des BGB im Jahr 1900 seitens des oder der Gesetzgeber nur unwesentliche Einschränkungen bzw. Auflagen. Seine Begründung findet dies in der fehlenden Einordnung schauspielerischer Tätigkeit unter das Gewerbe- oder Handelsrecht. So unterlag zwar der Theaterunternehmer den Bestimmungen der Gewerbeordnung: der Schauspieler wurde dagegen nicht als gewerblicher

8 Auf eine Darstellung der - insgesamt selten vorkommenden - Bestallungsdekrete von Einzelschauspielern an den Höfen des 16. und 17. Jahrhunderts soll hier angesichts der dürftigen Quellenlage verzichtet werden. 9 In der umfangreichen juristischen Literatur über das Theaterwesen findet sich gewöhnlich die Einteilung in ein öffentliches und ein privates Theaterrecht. So definiert der Begründer der theaterrechtlichen Forschung, Otto Opet: "Das öffentliche Theaterrecht enthält die Normen, denen der Theaterverkehr im allgemeinen Interesse unterworfen ist." Es zerfällt in das "Theatergewerbepolizeirecht" und das "Theatersicherheitspolizeirecht". "Das private Theaterrecht regelt die zwischen Privatpersonen aus den dem Theaterverkehr eigenthümlichen Thatbeständen entsprungenen Rechtsbeziehungen." Darunter fallt neben dem Bühnenengagementsvertrag der Theaterbesuchsvertrag, das Urheberrecht und das Agenturwesen, (s. Otto Opet: Deutsches Theaterrecht unter Berücksichtigung der fremden Rechte / systematisch dargestellt von Otto Opet. - Berlin: Calvary, 1897. - S.2f.) 54

Arbeiter angesehen, io Er konnte somit weder vor dem Gewerbegericht klagen, noch unterlag der Bühnenleiter dem Schauspieler gegenüber den versicherungspflichtigen Abgaben, was zur Folge hatte, daß die Schauspieler auch von den Leistungen der Sozialversicherung ausgeschlossen blieben. Begründet wurde dies mit dem künstlerischen Charakter schauspielerischer Tätigkeit. So kommentiert Fritz A. Von Beust, dessen Auffassung von den meisten Theaterrechtlern geteilt wurde: Die schauspielerische Arbeit wird allerdings dem Bühnenleiter als einem Geschäftsunternehmer geleistet; dass jedoch beim Theaterbetrieb im allgemeinen ein eigentliches »Erwerbsgeschäft« vorliege, will uns nicht einleuchten; die Erreichung künstlerischen Erfolgs ist doch bei Theatern im richtigen Sinne des Worts vor der Gewinnerzielung Zweck des Betriebes - mag auch die Existenz des Theaters durch den materiellen Gewinn bedingt und ohne denselben unmöglich sein, - mag auch der Bühnenleiter das Theater möglichst rentabel zu führen suchen. Die überwiegende Absicht, Gewinn zu erzielen, liegt bei den Hof- und Stadttheatern, bei vielen auf gesellschaftlicher Grundlage ruhenden Bühnen und auch wohl bei manchen Privattheatern sicher nicht vor. 11

Und auch wenn der Theaterbetrieb gemäß § 2 Handelsgesetzbuch (HGB) im Handelsregister eingetragen war - was de facto nur selten vorkam -, wurde der Schauspieler dennoch nicht als Handlungsgehilfe eingestuft, da er "nicht zur Leistung kaufmännischer Dienste angestellt" sei. 12 Die Folge war, daß sich der Bühnenengagementsvertrag auch im 19. Jahrhundert - wie bereits zuvor - nahezu unabhängig von anderen vertragsrechtlichen Formen entwickelte. Basis der Vertragsgestaltung war der sogenannte »Bühnenbrauch«, der sich von Theater zu Theater unterschiedlich herausgebildet hatte, wenngleich bestimmte Vertragsteile, formal betrachtet, in nahezu allen Kontrakten zu finden sind. Diese betreffen: die Residenzpflicht mit einer weitgehenden Präsenzpflicht die Dienstleistungspflicht (Lernpflicht) die Subordinationspflicht (Treuepflicht) die Diskretion bezogen auf interne Theaterverhältnisse und den Vertragsinhalt die Festlegung eines Entgelts in Form von Gage und Spielgeld und die Festlegung der Vertragsdauer. 10 Die Zivilrechtsprechung von Reichsgericht und Gewerbegericht war in diesem Punkt allerdings nicht einheitlich, (s. M. Stengleins Kommentar zu den Strafrechtlichen Nebengesetzen des Deutschen Reiches. - 4. Aufl. - Bd.3 - S.173.) 11 Fritz A. von Beust: Der Bühnenengagementsvertrag, a.a.O., S.17f. 12 Bruno Marwitz: Der Bühnenengagementsvertrag: e. Handbuch für juristen und Laien: unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bühnenschiedsgerichts / von Bruno Marwitz. - Berlin: Prager, 1902. - S.8. Marwitz bezieht sich hier auf § 59 HGB.

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Hinzu kommen - im letzten Viertel des 18. Jahrhundert vereinzelt und im 19. Jahrhundert fast immer - Theatergesetze oder Hausordnungen, die einen reibungslosen Ablauf des Theaterbetriebs gewährleisten sollen und für den Fall von Zuwiderhandlungen Strafgelder festsetzea Bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein waren sowohl die einzelnen Vertragsbestandteile, als auch die Theatergesetze uneinheitlich geregelt. Dies änderte sich zunehmend durch die Einfuhrung des sogenannten »Vereinsbühnenformulars« des »Deutschen Bühnenvereins«, das sich - im Gegensatz zum Formular der »Bühnengenossenschaft« - bis zum Ende des Jahrhunderts an den meisten stehenden Theatern des Reiches durchgesetzt hatte. Daneben existierten regionale Vertragsentwürfe fur Norddeutschland, Süddeutschland und Österreich, sowie ein Bühnenengagementsformular für Nichtvereinsbühnen.i3 Auf die jeweiligen vertragsrechtlichen Eigenheiten und Unterschiede soll hier nicht weiter eingegangen werden: sie sind in der umfangreichen theaterrechtlichen Literatur ausfuhrlich dokumentiert. Die Auswirkungen auf das Leben der betroffenen Schauspieler werden in den entsprechenden Kapiteln dieses Buches angesprochen.

13 Die Formulare sind - mit Ausnahme des Genossenschaftsformulars - abgedruckt in: Otto Opet: Deutsches Theaterrecht, a.a.O., S.467ff. Der Vertrag der Bühnengenossenschaft findet sich in: Bruno Marwitz: Der Bühnenengagementsvertrag, a.a.O., S.191ff.

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1.4 Die soziale Absicherung des Schauspielerstandes

Bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein gab es für die Masse der Schauspieler und Schauspielerinnen keine ausreichende soziale Absicherung bei Krankheit, Mutterschaft, Arbeitsunfällen, Invalidität, Arbeitslosigkeit, Alter und - im Todesfall - hinsichtlich des Unterhalts der Hinterbliebenen. Allerdings wurden zahlreiche und vielfältige Versuche unternommen, lokale, kommunale und staatliche Pensions-, Witwen- und Waisenkassen mit den unterschiedlichsten Trägerschaften einzurichten oder doch zumindest derartige Pläne ins Auge zu fassea Daß dies zeitweise auch für andere Berufsgruppen galt, ist bekannt Erschwerend kam jedoch fur Gagenempfänger hinzu, daß selbst die ζ. T. unzureichende Entwicklung von Sozialversicherung und -gesetzgebung an ihnen vorbeilief, ohne größere Einwirkungen zu hinterlassen. Das Subsidiaritätsprinzip kommunaler Unterstützungi, dessen Priorität man zumindest bis zur Reichsversicherungsordnung (RVO) von 1911 - wenn auch in unterschiedlichen Modifikationen - nahezu unumschränkt annehmen kann, traf den größten Teil der Theaterleute zudem besonders hart, da, betriebsbedingt, die bis ins 19. Jahrhundert hinein geforderte "Seßhaftigkeit sowie die Verbundenheit von Heimat und Familie"2, wie sie das Heimatrecht vorsah, als Basis gegenseitiger bzw. gemeinnütziger Hilfe in der Regel ebenso fehlten, wie die für die Zuständigkeit der Armenpflege geforderten gemeinnützigen Abgaben und die - von Land zu Land unterschiedlichen - kommunalen Auflagea So legt das ALR in der Fassung von 1794 ausdrücklich fest "In Ansehung andrer Einwohner hingegen, ist nur diejenige Stadt- oder Dorfgemeinde zur Ernährung eines Verarmten verpflichtet, bey welcher derselbe zu den gemeinen Lasten zuletzt beygetragen hat."3 Daran änderte auch die Ablösung des Heimatrechts durch das

1 An der Tatsache, daß vor allem die Kommunen zur Unterstützung Bedürftiger herangezogen wurden, änderte sich auch durch die staatliche Armenpflege des 19. Jahrhunderts, wie sie etwa im ALR festgeschrieben wurde, nichts, (s. ALR II, Titel XIX, bes. § 10, 12, 15.) 2 Horst Peters: Die Geschichte der Sozialversicherung / von Horst Peters. - Bad Godesberg: Asgard, 1959. - S.25. 3 ALR 2.Teil, XlX.Titel, §12. §10 unterscheidet hierbei zwischen "Einwohnern" und "Mitgliedern" von "Stadt- und Dorfgemeinden". Über letztere heißt es im folgenden Paragraphen: "In Ansehung der ausdrücklich aufgenommenen Mit-

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Unterstützungswohnsitzprinzip - 1842/43 in Preußen eingeführt, bis 1855 mehrfach novelliert und bis zur Reichsgründung auch in den anderen Ländern übernommen - wenig. 4 So bestimmt §4 des Aufnahme-Gesetzes von 1842 analog zum ALR: Denjenigen, welche weder hinreichendes Vermögen noch Kräfte besitzen, sich und ihren nicht arbeitsfähigen Angehörigen den notdürftigen Lebensunterhalt zu verschaffen, solchen auch nicht von einem zu ihrer Ernährung verpflichteten Verwandten zu erwarten haben, kann der Aufenthalt an einem andern Orte, als dem ihres bisherigen Aufenthalts, verweigert werden. 5

Und der darauffolgende Paragraph sichert die Kommunen noch weitergehend ab: Die Besorgnis künftiger Verarmung eines Neuanziehenden genügt nicht zu dessen Abweisung; offenbart sich aber binnen Jahresfrist nach dem Anzüge die Notwendigkeit einer öffentlichen Unterstützung, und weiset die Gemeinde nach, daß die Verarmung schon vor dem Anzüge vorhanden war, so kann der Ver-

glieder entsteht die Verbindlichkeit (zur armenpflegerischen Unterstützung P.Sch.), sobald die Aufnahme wirklich geschehen ist."(ibid. §11.) 4 Das bei Christoph Sachße/Florian Tennstedt: Geschichte der Armenfürsorge in Deutschland, a.a.O., S.195ff. ausführlich dargestellte Verhältnis von "Heimatrecht" und "Unterstützungswohnsitzprinzip" besitzt m.E. nur eine geringe theaterhistorische Relevanz, da die dem Unterstützungswohnsitzprinzip zugrundeliegende Freizügigkeit ursächlich an die Freisetzung von Arbeitskräften zur Förderung des Industrialisierungsprozesses gebunden ist. Vergleichbares gilt für das Verhältnis von Heimatrecht und Zunftwesen. Bereits in diesem nichttheatralen Zusammenhang lassen die Äußerungen von Sachße und Tennstedt den Schluß zu, daß die historische Wirklichkeit weitaus vielfältiger und flexibler war, als die Theorie: "Im einzelnen waren die Bestimmungen der provinziellen Reglements und Verordnungen vielfach abweichend, unklar und lükkenhaft, generell war in Preußen aber trotz des Heimatrechts das Recht auf persönliche Freiheit, Freiheit der Niederlassung und der Eheschließung zu Beginn des 19. Jahrhunderts faktisch schon weitgehend durchgesetzt - in den anderen deutschen Staaten zog man hingegen aus dem Grundsatz der Verpflichtung der Fürsorge für die Ortsarmen die Schlußfolgerung, daß die Gemeinde berechtigt sein müsse, sich gegen ein Anwachsen der Armenlast zu schützen, und So wurde das Heimatrecht systematisch ausgebaut als ein Mittel zur Beschränkung der Aufnahme Neuanziehender: Die traditionellen Beschränkungen der Ansässigmachung wurden verschärft, um den Zuzug Gemeindefremder einzudämmen, weil diese als ein gewichtiger Faktor der gestiegenen Armenlast angesehen wurden."(ibid. S.196.) Inwieweit Theaterleute von den Auswirkungen der Zuzugsbeschränkungen betroffen waren, läßt sich nicht mehr feststellen. 5 Gesetz über die Aufnahme neu anziehender Personen, in: GS 1843 Nr.2318, S.8. 58

armte an die Gemeinde seines früheren Aufenthaltsorts zurückgewiesen werden. 6

Seßhaftigkeit wie familiäre und korporative Verbundenheit hatten nicht nur die, schon im 13. Jahrhundert existierenden, Knappschaftskassen der Bergleute mit ihren umfassenden Leistungen bei Krankheit, Unfall, Invalidität und Tod ermöglicht, sondern auch die Fürsorgeleistungen der - auf dem Prinzip der Zwangsvereinigung basierenden - Zünfte und Gesellenbruderschaften, die bereits die Gewährung von Darlehen für in Not geratene Mitglieder kannten. Für den Schauspielerstand ergab sich deshalb nicht erst durch die Auflösung der Zünfte, sowie die zunehmende Industrialisierung und die damit verbundene Belastung der Armenpflege, der Ruf nach gesetzgeberischen Maßnahmen, wie er für Schauspieler allerdings verspätet und teilweise höchst unzureichend7 - in der Bismarckschen Sozialgesetzgebung und der RVO inklusive der darauffolgenden Novellierungen eingelöst wurde. Jede Initiative zur Alters- und Hinterbliebenenversorgung des Darstellers mußte vielmehr von Anfang an eine - in der Regel finanzielle - Absicherung im Auge haben, die ein Seßhaftwerden zumindest an der Grenze zur Armut und subsidiären Hilfebedürftigkeit gewährleistete. Für den Untersuchungszeitraum der vorliegenden Arbeit gilt, daß Schauspieler und Schauspielerinnen im Notfall auf Selbstversorgung, mitleidige Verwandte oder Bekannte und - soweit vorhanden - auf innerbetriebliche, genossenschaftliche oder mildtätige Fürsorgeeinrichtungen angewiesen waren. Häufig mußten mehrere dieser Möglichkeiten wahrgenommen werden, was sich auch nach Einfuhrung der RVO nicht änderte, wie die Versorgungsanstalten der Bühnengenossenschaft und die als Stiftungen eingerichteten Altenwohnheime deutlich zeigten. Bevor jene Modelle und Einrichtungen näher betrachtet werden können, die dem Darsteller und dessen Familie bei Verarmung, Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität und altersbedingter Arbeitsunfähigkeit eine - wenn auch häufig geringe - Unterstützung zukommen lassen wollten, ist zu klären, inwieweit die Mitglieder des Schauspielerstandes im Rahmen der historischen Entwicklung derartiger sozialer Sicherungsmaßnahmen bedurften: Es ist die Frage nach den Formen der Armut und damit auch diejenige nach der Lebenshaltung, die ein Schauspieler für sich in Anspruch nahm bzw. nehmen wollte. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen. 1876 schrieb der hannoveranische Hofschauspieler Carl Sontag in seinen Lebenserinnerungen, deren Inhalt ein Jahr später zu seiner Entlassung führen sollte: 6 ibid. 7 Dies gilt vor allem für die erst ab 1928 auch für Bühnenkünstler geltende Unfallversicherung, während Kranken- und Rentenversicherung, sowie die Regelungen der Hinterbliebenenversorgung bereits in der Fassung von 1911 die Darsteller einbezogen.

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Die >übliche< Pension, wie sie früher in Hannover bezahlt und nach 1866 beibehalten wurde, beträgt 400 Thlr.ü ... mit 400 Thlr. Pension kann man nicht einmal eines ruhigen Hungertodes sterben, da die Lebensmittel, welche man sich durch 400 Thlr. immer wieder verschaffen kann, den Pensionisten, wie ein geistreicher Beobachter einst sagte: >im Verhungern stören sowie durch außergewöhnliche E i n n a h m e n 8 9 . Die Beitragszahlungen - und damit die Höhe der Pensionen - waren in vier Klassen eingeteilt, unter denen die Mitglieder frei wählen konnten.90 Die Höhe der Pensionen lag zwischen 450 Mark in der untersten und 1800 in der höchsten Klasse. Eine Zusatzversicherung ermöglichte eine Erhöhung auf maximal 4.000 Mark p.a.9i 1874 wurde eine Witwen- und Waisen-, 1889 eine Sterbekasse angeschlossen. Letztere gewährte den Hinterbliebenen eines verstorbenen Mitgliedes einen einmaligen Betrag von 600 M a r k . 9 2 Betrachtet man die Situation der Alters- und Hinterbliebenenversorgung am Ende des 19. Jahrhunderts, zeigt sich eine ganze Reihe privatrechtlicher Einrichtungen, die als lokale oder zentrale Pensionsanstalten nebeneinander 84 s. Lore Peckhold: Louis Schneider, a.a.O., S.314. 85 Küstner berichtet bereits 1857 von einem jährlichen Verwaltungsaufwand von 3.000 Talern. (Karl Theodor von Küstner: Taschen- und Handbuch für TheaterStatistik, 2.Aufl.(1857), a.a.O., S.318.) 86 Bis 1890 war jedes Genossenschafts-Mitglied zwangsverpflichtet, in die Pensionsanstalt einzutreten. 87 s. Edelfried Koschmieder: Die Altersversorgung der deutschen Bühnenkünstler / Edelfried Koschmieder. - Diss. - Esslingen: Langguth, 1929. - S.21fT. 88 Zur Höhe der Umlagen s. ibid. S.22. 89 Die wohl wichtigste außergewöhnliche Einnahme bestand im »Perseverantia«Fond, der auf ca. 120.000 Mark angelaufen war. Weitere außergewöhnliche Einnahmen wurden durch l%ige Abzüge von Gastspielhonoraren, durch Benefizveranstaltungen etc. erzielt, (s.ibid. S.23.) 90 Zu den jeweiligen Beträgen s. ibid. 91 s. Max Hochdorf: Die Deutsche Bühnengenossenschaft: Fünfzig Jahre Geschichte / Max Hochdorf. - Potsdam: Kiepenheuer, 1921. - S.96. 92 ibid. S.100.

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bestanden. Der Großteil der am Theater Tätigen war in ihnen allerdings nicht organisiert. So zählte die Pensionsanstalt der »Bühnengenossenschaft« - einschließlich der Pensionäre • im Jahr 1872 5050, im Jahr 1882 3325, im Jahr 1885 3520, im Jahr 1890 3555 und im Jahr 1895 3765 Mitglieder.93 Etwa 15.000 hätten es sein können.

93 Edelfried Koschmieder: Die Altersversorgung der deutschen Bühnenmitglieder, a.a.O., S.25.

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1.5 Krankheit und Tod

Schauspielerkrankheiten Sieht man von den wenigen Hoftheaterträgern ab, die eine - gesinderechtlich motivierte - Fürsorgepflicht fiir ihre Hofbediensteten empfanden, gab es bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein keine soziale Absicherung fur den kranken Schauspieler. Da Krankheit jedoch - im Gegensatz zur Invalidität - als vorübergehende Erscheinung angesehen wurde, griffen die Wandertruppenprinzipale und die Leiter der stehenden Theater augenscheinlich nur selten zum Mittel der Kündigung, ι An dieser Situation änderte auch die - in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts übliche - kontraktliche Festlegung von Maßnahmen bei Krankheitsfällen wenig. So sah zwar der »Bühnenvereinskontrakt« vor, daß dem erkrankten Schauspieler in den ersten 14 Tagen der Krankheit die volle, und in den folgenden zwei Wochen die halbe Gage gezahlt werden sollte, bevor eine Kündigung zulässig war. In vielen Fällen wurde aber zugunsten des Schauspielers von dieser Regelung abgewichen. 2 Kritische Stimmen bemängelten deshalb auch eher den Willkürcharakter dieses Verfahrens: "Die strengen Bestimmungen stehen auf dem Papier, werden aber nicht ausgeführt. Aber der Schauspieler steht doch stets unter dem Druck, daß sie in Anwendung gebracht werden können, wenn er auf irgend eine Weise sich das Wohlwollen des Direktors verscherzt." 3 Wie bei anderen Berufsgruppen auch, gab es bestimmte Krankheiten und Grundleiden, mit denen Schauspieler berufsbedingt besonders zu kämpfen hatten. Hierzu zählen alle Formen von Erkältungskrankheiten von den erforenen Zehen, die zum Markenzeichen der Wandertruppenmitglieder wurden, bis hin zu den Hals- und Lungenkrankheiten der Musiktheaterdarsteller, die häufig schon frühzeitig einen Fachwechsel erzwangen. Hinzu kamen das bis heute noch nicht gelöste Problem des Alkoholismus und eine Reihe von Nervenleiden, die sich dem Symptomenkomplex der vegetativen Dystönie zuordnen lassen. Die einzige umfassende medizinische Abhandlung über Schauspielerkrankheiten, die im vorliegenden Untersuchungszeitraum verfaßt und in vielen Bereichen noch im zwanzigsten Jahrhundert als gültig angesehen wurde, 1 2 3

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s. Charlotte Engel Reimers: Die deutschen Bühnen und ihre Angehörigen, a.a.O., S.650f. ibid. ibid. S.651.

veröffentlichte der Mannheimer Medizinalrat Franz Anton M a y im Jahr 1 7 8 3 unter d e m Titel Ü B E R D I E HEILART D E R S C H A U S P I E L E R K R A N K H E I T E N . 4 M a y unterschied sich hierbei von all jenen Medizinern, die, wie etwa Georg Adelmann, über die »Krankheiten der Künstler und Handwerker« ausfuhrlich berichteten, die Schauspieler allerdings - der zeitgenössischen Begrifflichkeit folgend - nicht unter die Künstler subsumierten. 5 Wie ungewöhnlich eine derartige Beschäftigung einer hochgestellten Persönlichkeit des öffentlichen Lebens, wie May sie repräsentierte, mit Theaterleuten war, beweist denn auch eine "Anmerkung des Sezers":^ Vor hundert Jahren wäre vielleicht dieser Schutzbrief für Schauspieler unter die Schriften der schwärzesten Kezer herabgedonnert worden. Heil der Aufklärung! 7 M a y selbst hatte sich bereits im vierten Brief seiner »Vermischten Schriften« mit d e m Theater beschäftigt, welchem er Heilwirkung bei Verkrampfungen und Unterleibsbeschwerden zuschreibt. 8 So sind die durch den Darsteller des Hanswurst hervorgerufenen "Erschütterungen des Zwergfelles, der Bauchmuskeln, und des ganzen Luftkastens ... gar heilsam für jene, welche... für das Wohl des Staates und ihrer Mitbürger sehr wenig Schuhe zerreisen, und durch vieles Sizen

4 Franz Anton May: Über die Heilart der Schauspielerkrankheiten / vom Hofrath Mai in Manheim., in: Litteratur- und Theater-Zeitung für das Jahr 1783. - Berlin: Wever, 1783. - S.67-76 u. 81-90. Die Abhandlung wurde aufgenommen in: Franz May: Vermischte Schriften / von Franz May, der Weltweisheit und Arzneywissenschaft Docktor, Kurfürstlich Pfälzischer Hof-Medikus und ordentlicher öffentlicher Professor der Arzneykunde zu Heidelberg. - Mannheim: Hofu. akad. Buchhandlung, 1786. - S.310-338. (Im folgenden wird nach dieser Ausgabe zitiert.) Uber die Rezeption der Mayschen Schrift zu Beginn des 20. Jahrhunderts s. Gotthard Kuppel: Zum Gesundheitsverhalten von Schauspielern / von Gotthard Kuppel. - Köln: Dt. Ärzteverlag, 1986. - S.68f. 5 Adelmanns Abhandlung ist in dieser Hinsicht besonders peinlich, da er meint, in einer kurzen Anmerkung auch auf Sänger eingehen zu müssen: "Die Atlethen und Sänger, sagt Galenus, welche das ganze Jahr ihren Lüsten und ihrer Phantasie Zügel anlegen, haben kleine, zusammengeschrumpfte Zeugungsglieder, wie Greise ..." (Georg Adelmann: Über die Krankheiten der Künstler und Handwerker: nach den Tabellen des Instituts für kranke Gesellen der Künstler und Handwerker in Würzburg von den Jahren 1786 bis 1802 nebst einigen allgemeinen Bemerkungen / Georg Adelmann. - Würzburg: Stahel, 1803. - S.35.) 6 May war 1786 zum Professor an der Universität Heidelberg und drei Jahre später zum Leibarzt der Kurfürstin Elisabeth, der Gemahlin Karl Theodors, ernannt worden. 7 Franz May: Uber die Heilart der Schauspielerkrankheiten, in: Vermischte Schriften, a.a.O., S.338. 8 ibid. S.42-50. 85

und Nachdenken Verstopfungen im Unterleibe anpflanzen".' "Ein großer Arzt" ist deshalb für May jeder Schauspieler, "welcher die Fähigkeit hat, auch noch so kalte, noch so schwermüthige Zuschauer unvermerkt zum gedeihlichen Lachen" zu reizen, ι o Eine eher ungesunde Wirkung sieht May dagegen bei Trauerspielen, da sie "dem empfindsamen Bürger, besonders den reizbaren Schönen, warme Thränen abpfänden" und zu "unangenehmen Krämpfen" führen, n Und als Fallbeispiel führt er an: Von dem Eindrucke des Schicksales der Emilia Galotti habe ich bei einer schönen empfindsamen Seele einen 2 Tage anhaltenden Schluchser bemerket. Herr Leßing! Herr Leßing! wie mächtig wirket ihre Kunst auf das Herz und das Zwergfell schöner Seelen? 12

Sieht man von den unterschiedlichen diagnostischen Möglichkeiten ab, ähnelt Mays Abhandlung über Schauspielerkrankheiten heutigen arbeitsphysiologischen und -psychologischen Untersuchungen. Geschrieben ist sie für Schauspieler als Leitfaden einer Selbstdiagnose und -therapie.i3 Vorhergegangen waren Untersuchungen, die sich augenscheinlich hauptsächlich auf Gespräche mit Schauspielern und auf wiederholte Messungen der Herzfrequenz konzentrierten. Über Aufbau und Konzept seiner Messungen gibt May leider keine weiteren Nachrichten. Einige Briefe Ifflands lassen es jedoch als sicher erscheinen, daß May Pulsmessungen kurz nach Abgang des jeweiligen Schauspielers von der Bühne durchführte und auch sonst häufig hinter den Kulissen zu finden war. 14 Gegliedert ist Mays Abhandlung in Anamnese, Diagnose, Therapie-Diskussion und Therapievorschläge. Im Zentrum der Ursachenforschung steht ein Identifikationsmodell der "fuhlende(n) Vorstellung": So bald der Schauspieler die Mitleidenschaft der Nerven des Zuschauers fortreißt, so waren seine eigene Nervenfasern in dem Augenblicke der Oberra9 10 11 12 13

ibid. S.43. ibid. S.45. ibid. ibid. May: "Vielleicht kann unsere schriftliche Unterredung manchem braven Musensohne die Gesundheit erhalten, welche ihm zu seinem schwerem Berufe, zu unserem vergnügten Zeitvertreibe so unentbehrlich ist." (ibid. S.315.) Der Mannheimer Schauspieler August Wilhelm Iffland hat dies auch so begriffen: "Dies Geschenk (Mays Abhandlung - P.Sch.) ist um so viel bedeutender, da wir bisher gar keine solche Vorschrift hatten." (August Wilhelm Ifîland: Fragmente über Menschendarstellung auf den deutschen Bühnen / von August Wilhelm Iffland. - Gotha: Ettinger, 1785. - S.106.) 14 s. Ludwig Geiger (Hg.): A. W. Ifflands Briefe an seine Schwester Louise und andere Verwandte 1772-1814 / hg. v. Ludwig Geiger. - Berlin: Gesellschaft f. Theatergeschichte, 1904. - S. 101/102 und S.98-108 (Dokument Nr.42)

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schung in derselbigen Stimmung, welche von der abgemalten Leidenschaft unzertrennlich ist. Wie oft war ich ein ungetäuschter Zeuge, daß ... das Herz (des Schauspielers - P.Sch.) im Leibe zitterte, der Puls tobte, alle glieder des Leibes schwankten. 15

Anders dagegen die "kalte Vorstellung": Sie "läßt den Puls in ruhigen Schwingungen, sträubet niemals die Haare des Scheideis, macht die Oberfläche des Körpers niemals höckericht".1^ Beim Zuschauer erzeugt sie allerdings nur Langeweile, und da sie zudem den Schauspieler bei voller Gesundheit erhält, schließt May sie aus seinen weiteren Diagnoseüberlegungen aus. Für den empfindenden Schauspieler ergibt sich dagegen ein krankmachender Widerspruch zwischen der einerseits notwendigen, andererseits jedoch krankheitsfördernden Erregung der Nerven. 17 Verstärkt wird dies durch die "Anstrengung des Gedächtnisses", durch die "Gefahren des Schminkens" weiße Schminke wurde mit Quecksilber und Blei zubereitet -, durch "Verkältungen im Winter" und "Erhizungen im Sommer", sowie durch eine "leichte Erregbarkeit auch im Privatleben".!8 Symptomatologisch äußert sich dies in Tachykardien und Ataxien, sowie in den äußerlich gut sichtbaren eingesunkenen Augen, der blassen Farbe, den schlaffen Muskeln, dem schwachen Magen und den vielfaltigen Erschöpfungszuständen. 19 Zudem fuhren die Nervenüberspannungen dazu, daß die "meisten Schauspieler Schwermüthlinge sind" 20, eine Diagnose, die im Jahrhundert der Hypochondrie nicht fehlen darf. Ätiologisch erklärt May all diese Symptome mit einem modifizierten SäfteModell, an dem unter anderem sehr deutlich zu sehen ist, wie weit selbst bedeutendere Mediziner vom damaligen aktuellen Forschungsstand entfernt waren und wie schwer es noch im 18. Jahrhundert war, sich von den gedanklichen Grundlagen Galens zu lösen. Grundlage ist fur May eine "Blutmasse", die durch "heilsame Ausleerungen" zu "sanften Schwingungen des Herzens und der Pulsadern" fuhrt. Diese Ausleerungen werden gestört bis hin zur Unterbrechung, wenn durch eine Überspannung der Nerven "leichte krämpfichte Zusammenschnürungen" entstehen.2l Im Unterleib wirken diese "Zusammenschnürungen" zudem schwächend auf die Verdauungsorgane, was anfälliger gegen andere Krankheiten - hier vor allem die nahezu jeden Sommer in Mannheim grassierenden schweren Hitzefieber, aber auch die gefahrlichen Wechselfieber -

15 16 17 18 19 20 21

Franz May, Vermischte Schriften, a.a.O., S.313. ibid. S.313f. ibid. S.311. ibid. S. 312. ibid. S.323. ibid. S.317. ibid. S.316f.

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macht. 2 2 Hinzu kommen die in der Literatur häufig zu findenden Diätfehler der Schauspieler, vor allem übermäßiges Essen nach der Vorstellung. Alle Therapievorschläge, die im einzelnen hier nicht interessieren sollen, sind darauf ausgerichtet, die Verkrampfungen aufzuheben und damit die geforderten Ausleerungen zu ermöglichen. Neben pharmakologischen Maßnahmen Purgationsmitteln, Opium23 - schlägt er eine strenge Diät und - für die Zeit völlig ungewöhnlich - bezahlten Urlaub für Schauspieler vor. 24 Im Mannheimer Ensemble wirkte die Abhandlung Mays augenscheinlich so stark, daß sie zum Thema einer Ausschußsitzung gemacht wurde. Ifflands Anmerkungen dazu erschienen im Rahmen seiner FRAGMENTE als "Beytrag zu des Herrn Hofrath May Abhandlung über die Heilart der Schauspielerkrankheiten". Sie zeichnen sich vor allem durch die Einführung zweier neuer »Krankheiten« aus: Der Rollen- und der Eifersucht.25

Tod und Begräbnis Denn schnell und spurlos geht des Mimen Kunst, Die wunderbare, an dem Sinn vorüber, Wenn das Gebild des Meißels, der Gesang Des Dichters nach Jahrtausenden noch leben. Hier stirbt der Zauber mit dem Künstler ab, Und wie der Klang verhalltet in dem Ohr, Verrauscht des Augenblicks geschwinde Schöpfung, Und ihren Ruhm bewahrt kein dauernd Werk. Schwer ist die Kunst, vergänglich ist ihr Preis, Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze;26

Schillers Feststellung aus dem Prolog zu WALLENSTEINS LAGER trifft auf alle Schauspieler zu, mochten sie nun berühmt oder unbedeutend gewesen sein. 22 ibid. S.317. 23 D a s frei erhältliche und verhältnismäßig billige Opium ("Mohnsaft" diente der Behandlung hysterischer und nervöser Zustände. Wolfgang Schivelbusch schreibt dazu in seiner Geschichte der Genußmittel: "Zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist das Opium allgemein verbreitetes Beruhigungs- und Schmerzlinderungsmittel. Es spielt eine ähnliche Rolle wie heute das Aspirin. Es hat seinen festen Platz in der Hausapotheke." (Wolfgang Schivelbusch: Das Paradies, der Geschmack und die Vernunft: e. Geschichte der Genußmittel / Wolfgang Schivelbusch. - Frankfurt;Berlin;Wien: Ullstein, 1983. - S.217.) 24 Franz May: Vermischte Schriften, a.a.O., S.321. 25 August Wilhelm Iffland: Fragmente über Menschendarstellung, a.a.O., S.106114. 26 Friedrich Schiller: Prolog zu WALLENSTEINS LAGER, in: Friedrich Schiller: W e r k e / hg. v. Paul Stapf. - 2 Bände - Wiesbaden: Vollmer, o.J. - B d . l , S.555f.

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Ein Nachruf auf die Schauspielerin Johanna Lami (1791-1843) mag dies verdeutlichen: Gegen keinen Stand, gegen kein Individuum ist man so undankbar, als gegen den Schauspieler. Alle Trefflichkeit seiner Leistungen in dem Zeitraum der ausgebildeten K r a f t und Intelligenz ist vergessen, sobald die Hand des Greisenalters die Scheitel des Künstlers berührte, sein Auge trübte, seinen Rücken krümmte. Man gedenkt nicht mehr dessen, was er einst war, welchen Genuß er uns damals bereitete, man legt ihn gleichgültig bei Seite, wie das Kind sein Spielzeug, dessen Farben verblichen oder abgesplittert, und das eben deshalb im Laufe der Zeit seinen Reiz eingebüßt hat. 27

"Glücklich zu preisen" sei deshalb, so der Verfasser des Nekrologs, jener Schauspieler, "dessen Lebensziel mit der äußersten Schranke seiner Kunstentwicklung zusammenfállt."28 Auf dieses »Glück« mußten die meisten Darsteller verzichten: sie begnügten sich mit zunehmendem Alter mit kleineren Rollen, verließen schließlich die Bühne und starben oft in Armut und Vergessenheit. Hinzu kam, daß ihnen bis ins beginnende neunzehnte Jahrhundert hinein das Sterbesakrament verweigert werden konnte, sofern sie ihrem Beruf nicht abgeschworen hatten. Aber es ist eine vielfach gepflegte und auch heute noch zu lesende Legende, daß Schauspielern bis ins 19. Jahrhundert hinein "sogar die Beerdigung auf dem Friedhof verweigert" wurde.29 Vor allem die Theaterhistoriographen des ausgehenden neunzehnten und beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts benutzten diese Behauptung, um zu zeigen, wie sich der Schauspielerstand innerhalb dreier Jahrhunderte gewandelt und in die bürgerliche Gesellschaft integriert hatte. Man berief sich hierbei auf die von THeaterhistoriographen wie Eduard Devrient geschilderten Fälle, die sich jedoch im jeweiligen Original weitaus kritischer dokumentiert finden. So berichtet die GALLERIE VON TEUTSCHEN SCHAUSPIELERN UND SCHAUSPIELERINNEN, daß (im Jahr 1711) der Leiche des Schauspielers Joseph Scheller die Beerdigung auf dem Friedhof verweigert werden sollte. 30 Daß Scheller, dessen theaterhistorische Bedeutung

27 Almanach für Freunde der Schauspielkunst auf das Jahr 1843 / hg. v. Ludwig Wolff und August Heinrich, a.a.O., S.108f. 28 ibid. S.108. 29 Roswitha Körner: Schauspieler, in: Theaterlexikon : Begriffe und Epochen, Bühnen und Ensembles / hg. v. Manfred Brauneck u. Gérard Schneilin. - Hamburg: Rowohlt, 1986. - S.764. Der Literaturangabe zufolge bezieht sich Roswitha Körner hier auf G. Brückners Dissertation von 1930. 30 Gallerie von teutschen Schauspielern und Schauspielerinnen : nebst Johann Friedrich Schinks Zusätzen und Berichtigungen / hg. v. Richard Maria Werner. - Berlin: Gesellschaft f. Theatergeschichte, 1910 (Schriften d. Gesellschaft f. Theatergeschichte; 13) - S.124. In der GALLERIE wird noch der Vorname »Jakob« erwähnt.

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wohl in diesem Zusammenhang zu suchen ist, dann dennoch »ehrlich« beerdigt wurde, hatte schon Devrient tradiert. 31 Berühmter wurde die ungewöhnliche Beerdigung Caroline Neubers: Der Sage zufolge, die sich in Laubegast erhalten hat, ließ der Pfarrer das Kirchhofstor für das Begräbnis nicht öffnen, und der Sarg mußte über die Mauer geschafft - der Volksmund sagt - geworfen werden.32

Eduard Devrient kommentiert: Vielleicht hat die Leiche der Neuber nur wenig mehr Rücksichtslosigkeit erfahren, als in diesem furchtbaren Kriegsjahre zur Gewohnheit geworden war. Dresden, zum Teil eingeäschert, die Umgegend verwüstet, wurde jetzt, nach der entsetzlichen Schlacht bei Torgau, vom österreichischen Winterlager heimgesucht. Die Sterblichkeit war groß - die Begräbnisliste des Leubner Kirchenbuches nimmt kein Ende - die Leichen wurden schnell und größtenteils >in der Stille< beerdigt. Man hatte es verlernt, viel Umstände mit den Toten zu machen. - Demungeachtet scheint doch der Pastor Michael Heinrich von dem Vorwurfe priesterlicher Härte nicht rein. 3 3

Der Biograph der Neuberin, Friedrich Johann Freiherr von Reden-Esbeck, hat diese Aufassung unkommentiert übernommen. 34 Bereits die Tatsache, daß die GALLERIE VON TEUTSCHEN SCHAUSPIELERN UND SCHAUSPIELERINNEN oder Eduard Devrient einige wenige Fälle als ungewöhnlich herausstellen, legt die Vermutung nahe, daß es sich hier um Ausnahmen handelt und die Regel das »ehrliche« Begräbnis auf dem Friedhof und nicht ein Verscharren auf dem Schindanger gewesen sein dürfte. Das Quellenmaterial läßt m.E. bis heute auch keinen anderen Schluß zu. Berühmte Schauspieler wurden mit umfangreichen Trauerfeierlichkeiten zu Grabe getragen. So fand für Konrad Ekhof eine Trauerfeier auf der Bühne des Gothaer Hoftheaters statt, seine Bestattung wurde von einer Freimaurerloge, der er angehört hatte, finanziert und der Herzog stiftete schließlich noch eine Grabplatte mit Inschrift. 3 s

31 Eduard Devrient: Geschichte der deutschen Schauspielkunst, a.a.O., Bd.l, S.234. 32 ibid. S.311 33 ibid. S.311 34 Friedrich Johann Freiherr von Reden-Esbeck: Caroline Neuber und ihre Zeitgenossen : ein Beitrag zur deutschen Kultur- und Theatergeschichte / von Friedr. Joh. Freiherrn v. Reden-Esbeck. - Leipzig: Barth, 1881 (Reprint: Leipzig 1985). - S.343 35 Eduard Devrient: Geschichte der deutschen Schauspielkunst, a.a.O., Bd.l, S.423. O b die Inschrift »Hier ruht Eckhof« wirklich "lakonisch" gemeint war, wie Devrient vermutet, scheint zweifelhaft: sie läßt sich auch gegenteilig interpretieren.

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Wie ein bedeutender Schauspieler im Jahr 1843 begraben wurde, beschreibt Heinrichs ALMANACH in einem Nekrolog auf Carl Seydelmann: Am 21 sten März Vormittags wurde Seydelmann's Leiche zur Ruhestätte geleitet. Vor dem Trauerhause war's ein Anblick, als hätte sich die Einwohnerschaft einer ganzen Stadt versammelt; im Hause standen die Leidtragenden dicht gedrängt, und, wohin man blickte, überall Männer, die sich Ruf erworben, und nun einem Meister seiner Kunst den letzten äußern Zoll darbringen wollten ... Keine Kunst, keine Wissenschaft, die in Denen, welche den Sarg umstanden, und die zum Theil als Deputationen der Kunstanstalten erschienen, nicht ihren geschätzten Stellvertreter gefunden hätte; vollzählig (voran ihr ehemaliger und ihr jetziger Chef) seine Kunstgenossen, und der Ausdruck des schwer empfundenen Verlustes ringsum. Gegen 11 Uhr setzte sich der fast unübersehbare Zug, an der Spitze ein Musikchor, Choräle vortragend, in Bewegung ... auf dem ganzen Wege links und rechts von Menschenreihen umgeben, die an der Ruhestätte selbst und draußen sich in Schaaren drängten. Auf dem Gottesacker angelangt, wurde der einfache, nur mit Flor umwundene schwarze Sarg, auf dem ein Lorbeerkranz und Seydelmann's letzte Rolle ... befestigt waren, zur offenen Gruft getragen, wo ihn die K. Chorsänger mit dem Choral »Jesus meine Zuversicht« empfingen. ... Hierauf folgte die Einsegnung der Leiche nach dem katholischen Ritus ...36

Seydelmanns Beispiel zeigt allerdings auch, wie schnell ein Idol vergessen wurde: eine Spendenaktion für ein Grabdenkmal zu seinen Ehren erbrachte nicht annähernd die nötige Summe.37

36 Almanach für Freunde der Schauspielkunst auf das Jahr 1843, a.a.O., S.99f. 37 ibid. S.102f.

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ILI Berufswahl

Glaubt man den journalistisch tätigen Darstellern und Literaten des 18Jahrhunderts, so rekrutierten sich die Ensembles der Wandertruppen und der wenigen stehenden Theater aus entlaufenen Barbieren und Schneidern, die, zusammen mit potentiellen oder bereits praktizierenden Prostituierten, aus Faulheit und Sittenlosigkeit in Scharen dem Theater zuströmten. 1 7 8 1 / 2 beschrieb der Schauspieler Johann Friedel in einem mehrfach veröffentlichten Artikel den Berufsweg seiner Kollegen: Man durchgehe die Geschichte der meisten Schauspieler, und sie wird ungefähr in folgendes allgemeine Formular passen. N.N. Ein Schneider oder Friseur, oder sonst einer der ehrsamen Handwerksgenossen, war zu faul, weiter fort zu arbeiten, wurde Schauspieler, und zeigt in seinen Handlungen, wes Geistes Kind er sey? Lüderlichkeit, Faulheit, Verschwendung, Zttgellosigkeit, Hang zum ungebundenen freyen Leben - bey Frauenzimmern oft noch vorhergegangene Verführung, oder Begierde nach Gelegenheiten zu selber, sind fast immer die geheime Triebfeder, worinne so manches Muttersöhnchen, so manche bürgerliche Phryne in den Tempel der Thalia eilt, und unbesorgt um die Pflichten ihres Standes den mit so wenigem Talente, und Geschicklichkeit betretenen theatralischen Weg forttrabt. 1 U n d der erste große Hamlet-Darsteller und spätere Burgtheaterdirektor Franz Hieronymus Brockmann schreibt in dem undatierten, Fragment gebliebenen Entwurf BRIEFE ZUR BILDUNG EINES A N G E H E N D E N SCHAUSPIELERS: Leider trifft man auf den meisten Bühnen Deutschlands, und ich möchte wohl sagen: Europens noch Leute genug, die sich stolz den Namen Schauspieler geben, ohne irgend auch nur ein einziges Verdienst zu haben, das sie dazu berechtigen könnte. Haarkräuser denen ihr Kamm, Schneider denen ihr Biegeleisen zu schwer ward und die keinen anderen Beruf zur Schaubühne als Faulheit gegen ihre gelehrnte Profesion aufweisen können, liederliche aus der Schule und Lehre entlaufene Buben, die, wenn sie zur Montur zu schlecht sind, herzhaft den Cothurn anziehen Verworfene Weibsgeschöpfe, die das Theater theils als Freystatt, theils als einen Orth betrachten, wo sie täglich ihre geilen buhlerischen

1 Johann Friedel: Philantropin für Schauspieler, in: Theater-Journal auf das Jahr 1781, hg.v. Heinrich August Ottokar Reichard. - Gotha: Ettinger, S.151f 92

Reitze in manigfaltigsten Wendungen zur Schau auslegen und an den meistbietenden verkauften können. 2

Schon in Löwens GESCHICHTE DES DEUTSCHEN THEATERS ist, möglicherweise in Anlehnung an Lessings 81. Literaturbrief, zu lesen, die "meisten" zeitgenössischen Prinzipale seien "anfangs Schneider, Barbier, oder sonst ehrliche Leute" gewesen. 3 Bereits die Übereinstimmung in den Formulierungen läßt vermuten, daß Löwens Auffassung übernommen und literarisch verarbeitet wurde. Das überlieferte Material bestätigt dies: ehemalige Schneider sind unter den Schauspielern nur wenige nachzuweisen, wenngleich diese wenigen zu den berüchtigtsten Prinzipalen gehörten, wie z.B. Karl Friedrich Reibehand, der bereits in der GALLERIE VON TEUTSCHEN SCHAUSPIELERN UND SCHAUSPIELERINNEN im übertragenen Sinn als "Ahnherr einer zahlreichen Nachkommenschaft von elenden Gaukelspielern" bezeichnet wird und dessen Spielweise das Attribut "reibehandisch" in die Theatergeschichtsschreibung einbrachte. Daneben erwähnt die GALLERIE nur noch den Düsseldorfer Schneider und späteren Prinzipal Franz Graubner und auch unter den 676 bei Eisenberg aufgeführten Berufen späterer Schauspieler ist lediglich ein Schneider zu finden, der zudem seine Karriere als Theaterschneider begann. Ähnlich ist es bei den Barbieren, wenngleich hier die Nähe des Barbier- zum Chirurgenberuf zu beachten ist. So waren die Chirurgen bis weit ins 18. Jahrhundert hinein nicht nur fur das Aderlassen, Einrichten von Brüchen und Setzen von Blutegeln verantwortlich: sie schnitten auch Haare und scherten Bärte.4 Derartige Chirurgen und Zahnausreisser hatten oft Komödianten bei sich, die durch ihr Spiel das fehlende Anästhetikum ersetzen mußtea Dennoch bildeten Chirurgen, die ihren Beruf zugunsten der Schauspielertätigkeit aufgaben, eine verschwindende Minderheit. Brockmann war einer von ihnen. Was jedoch die Berufswahl der meisten Schauspieler bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts betrifft, läßt sich lapidar feststellen: sie hatten keine. Sie kamen als Kinder von Schauspielern ohne Umweg auf die Bühne und unterschieden sich hier in der durch geringe horizontale Mobilität gekennzeichneten vorbzw. frühindustriellen Zeit nicht wesentlich von anderen Berufsgruppen bzw. -ständen, die ihren Nachwuchs ebenfalls aus den eigenen Reihen rekrutierten. Hinzu kam, daß Schauspielerkindern - auch wenn sie wollten - eine Aufnahme 2 Franz Hieronymus Brockmann: Briefe zur Bildung eines angehenden Schauspielers, in: Maske und Kothurn: Vierteljahrsschrift für Theaterwissenschaft. - l.Jg. - Graz;Köln: Böhlau, 1955. - S.54-57. - S.55. 3 Johann Friedrich Löwen: Geschichte des deutschen Theaters, a.a.O., S.53. 4 Robert Baravalle: Franz Brockmanns Jugend / von Robert Baravalle. - in: Maske und Kothurn, a.a.O., S.47-53 - S.49.

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in den Handwerkerstand durch die strengen Regeln der Zünfte verschlossen blieb. Daran änderten auch die zu Beginn des 19. Jahrhunderts eingeführten und immer wieder - regional unterschiedlich - modifizierten Gewerbeordnungen, deren Bandbreite von einer Auflockerung des Zunftwesens bis hin zur völligen Gewerbefreiheit reichte, nichts, wenn auch deren Auswirkungen auf die Handwerksbetriebe ähnliche Folgen hatten wie auf das Theaterwesen, da "zwar die Auflösung der gebundenen und privilegierten Gewerbeordnung gelang, aber nicht - oder nur unzureichend - die Integration des einzelnen in den neuen, durch Gesetzgebimg, Verwaltungsmaßnahmen und staatliche Unternehmertätigkeit präparierten Mechanismus der befohlenen freien Marktwirtschaft"^ Die Folgen einer Wirtschaftspolitik, die es versäumt hatte, Produktion und damit Absatz durch geeignete staatliche Maßnahmen zu steigern, waren ein Verfall des Handwerks und eine Pauperisierung der in diesem Bereich Tätigen: Mit der Zerschlagung des Zunftwesens wurde der Meisterbetrieb auf die Armut des Einmannbetriebs hinabgedrückt. Unfähig, der Konkurrenz maschineller Produkte aus England zu begegnen, außerstande, Steuern zu zahlen, und gezwungen, gemeinsam mit Frau und Kindern den Lebensunterhalt zu erarbeiten, sah diese - ebenfalls neu entstehende Klasse · in der Reformpolitik der Regierungen, vor allem in der von Preußen forcierten liberalen Zollpolitik, die Ursache für ihre Misere und setzte ihr ganzes Bemühen an die Wiedereinführung der alten Zunftverfassung und der Zölle. Der Ruf nach Restauration wurde lauté Und er wurde gehört In Württemberg wurde mit den Gewerbeordnungen von 1828 und 1836 die Gewerbefreiheit nur rudimentär eingeführt, indem zwar die Zahl der Zünfte reduziert, gleichzeitig aber staatliche Aufsichts- und EingrifFs-

5 Helmut Böhme: Prolegomena zu einer Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Deutschlands im 19. und 20. Jahrhundert / Helmut Böhme. - Frankfurt: Suhrkamp, 1968. - S.32. 6 ibid. S.35f. Wilhelm Abel zitiert in seiner Arbeit über den Pauperismus in Deutschland aus G.A. Webers Schrift "Was thut hauptsächlich noth, wenn der so hoch wichtige Gewerbsstand nicht noch tiefer sinken und ganz zugrunde gehen soll?" von (Leipzig) 1832: "Auf jedem Jahrmarkt sieht man lange Reihen von Schuhmacherständen, wo Produkte dieses Handwerks feilgeboten werden. Daß eine bedeutende Quantität solcher Waren auf jedem Jahrmarkt zu haben sei, kann nur als in Ordnung betrachtet werden; daß aber auf einem Jahrmarkt, wie z.B. in Zschopau, 500 - 600, in Chemnitz aber nicht unter 1000 Stände mit Produkten des Schuhmacherhandwerks gefunden werden, die zuweilen auf 1100 bis 1200 ansteigen,... ist wohl eine höchst überspannte Konkurrenz zu nennen; denn wie kann ein jeder aus dieser Menge Käufer finden?" (Wilhelm Abel: Der Pauperismus in Deutschland: eine Nachlese zu Literaturberichten, in: Wirtschaft, Geschichte und Wirtschaftsgeschichte. Festschrift zum 65. Geburtstag von Friedrich Lütge / hg. v. Wilhelm Abel u.a. - Stuttgart: Fischer, 1966. S.284-298. - S.292.) 94

möglichkeiten geschaffen wurden, um einen auswuchernden Markt unter Kontrolle zu halten. Ähnliches geschah mit den Gewerbeordnungen in Bayern, die, 1804 und 1825 erlassen, 1834 durch Proteste der Handwerker wieder eingeschränkt und 1852 durch die partielle Wiederherstellung berufsständischer Rechte auf ein Niveau gebracht wurden, das sich nicht wesentlich von der Situation in Baden, Hessen-Darmstadt, Bremen, Lübeck, Hamburg und Frankfurt unterschied, in denen es bis in die sechziger Jahre des Jahrhunderts - von geringfugigen Ansätzen abgesehen - keine Gewerbefreiheit gab. In Preußen selbst galten die Edikte vom Oktober 1810 und vom September 1811 nur für die ostelbischen Provinzen; eine einheitliche Gewerbeordnung wurde erst im Januar 1845 verwirklicht, die zwar nun für den gesamten preußischen Staat Gültigkeit besaß, inhaltlich jedoch einen Kompromiß zwischen der Hardenbergschen Reform und den Forderungen von Handwerk und Adel darstellte. Den Zünften wurde "die Fortdauer oder die Neugründung unter staatlicher Aufsicht gestattet" und die "Mitgliedschaft wurde wunschgemäß an den herkömmlichen Befähigungsnachweis gebunden".? Daß die Handwerker ihre sich verschlechternde Lage durch die Gewerbefreiheit verursacht sahen und nicht, was sicher eher zutraf, durch die Bevölkerungszunahme und die wirtschaftliche Stagnation«, soll hier nicht weiter interessieren. Entscheidend war vielmehr, daß die "Zeiterfahrung der Handwerker, die auch ihre Mentalität prägte," die "Bedrohung durch Wandel"' war ... man fürchtete das Aufbrechen der Zunft- und Kleinstadtwelt, den Einbruch der Konkurrenz durch den neuen Bevölkerungsüberschuß wie die Industrie, den Verlust von Sicherheit, die Möglichkeit der Proletarisierung - wie sie die Not der proletaroiden Allein- und Kleinmeister aber auch der Gesellen in der Krise der 40er Jahre so eindrücklich machte. 10

Dies mußte zwangsläufig nicht nur zur Abschottung gegen nicht-zünftische Eindringlinge führen, sondern vor allem auch zur verstärkten mentalen Restauration handwerks-ethischer Werte, die den unaufhaltsamen Verlust an politischökonomischer Macht kompensieren half. Die, wenn auch nicht mehr zeitgemäße, traditionell tief verwurzelte Ehrbarkeit führte zur Errichtung bzw. Wiedererrichtung von Standesschranken gegen jene, die man bereits im vergangenen Jahrhundert als ehrlos betrachtete: die Fremden, die Vagierenden, die Komödianten. Daß vor allem die Handwerksgesellen gleichzeitig zu begeisterten Theatergängern wurden, widersprach dem nicht: den Komödianten auf der Bühne 7 Hans Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte: von der Reformära bis zur industriellen und politischen »Deutschen Doppelrevolution« 1815-1845/49 / Hans-Ulrich Wehler. - München: Beck, 1987. - Bd.II, S.60. 8 Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800-1866, a.a.O., S.215. 9 ibid. S.217. 10 ibid.

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bewunderte und idolisierte man - es ist die Zeit der ersten großen Welle des Virtuosentums -, den Komödianten im gesellschaftlichen Umgang akzeptierte man mit Vorbehalten, den Komödianten als Standesmitglied aber wollte man auf keinen Fall hinnehmen. So waren 57 bis 58 Prozent der Darsteller Kinder von Schauspielern, wobei der tatsächliche Prozentsatz noch wesentlich höher gewesen sein dürfte, da die vielen kleinen Reisenden Gesellschaften des 18. und 19. Jahrhunderts , die nahezu ausschließlich aus dem jeweiligen Prinzipal und dessen Familie bestanden, ergänzt um einige Schauspieler für die Besetzung unverzichtbarer Rollenfächer, nur ungenügend erfaßt sind. Sie stellten jedoch das Hauptkontingent, n Anders sah die Situation hinsichtlich der Rekrutierung von Theatermitgliedern aus, deren Eltern nicht dem Schauspielerstand angehörten. Hier muß im einzelnen stark differenziert werden, da die Verbürgerlichung des Theaterwesens und die damit verbundene Rekrutierung von Schauspielnachwuchs aus bürgerlichen Kreisen mittlerweile als wenig hilfreicher Allgemeinplatz der Theaterhistoriographie gelten darf, da er die Frage nach dem, was unter Verbürgerlichung zu verstehen sei, lediglich an die Soziologen weiterreicht. Zieht man die äußerst unterschiedlichen Tätigkeitsbereiche der Eltern späterer Schauspieler in Berufsgruppen zusammen und differenziert kumulativ nach dem Geburtsalter der Darsteller, ergibt sich folgendes Bild: Geburtsjahr:

ges.

bis 1800

1801 -1819

1820 -1840

%

%

%

%

57,65 20,47 6,82

56,91 22,10 6,63 4,97

58,57

57,69 17,31

Beruf bzw. Herkunft der Eltern: Darsteller öffentl. Dienst Handwerker Kauñeute Adel Akademiker Landwirte

6,59 4,47 2,83 1,18

4,97 3,31 1,10

20,71 7,14 8,57 2,86 1,42 0,71

6,73 6,73 5,77 3,84 1,92

Sieht man von der Gruppe der im öffentlichen Dienst tätigen Väter von angehenden Schauspielern ab, zeigen sich - von einer Ausnahme abgesehen - keine signifikanten Veränderungen zwischen den einzelnen Spalten Und auch die 11 Datenbasis ist eine Stichprobe von 2000 Darstellern.

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Werte in Spalte III, die den Zeitraum der napoleonischen Besetzungen, der Freiheitskriege und der unruhigen Jahre bis zu den Karlsbader Beschlüssen um· faßt, weisen nur bei einigen Berufsgruppen markante Schwankungen auf. Auffallend ist zunächst, daß sich die Söhne und Töchter von Landwirten nur sehr selten für eine Theaterkarriere entschieden. In absoluten Zahlen betrachtet, sind es maximal zwei je Zeitraum: eine vernachlässigbare Größenordnung. Zum einen prädestinierte der geringe Bildungsstand, verbunden mit den meist fehlenden Lese- und Schreibfähigkeiten, ohnehin nicht zum Beruf des Schauspielers, und zum andern gab es wenig Gründe für einen Abstieg in den Komödiantenstand, da der deutschsprachige Raum in der vor- und frühindustriellen Zeit hauptsächlich durch den Agrarsektor geprägt wurde. Die Masse der Bevölkerung - im 18 Jahrhundert, regional unterschiedlich, zwei Drittel bis vier Fünftel lebte auf dem Land 12 und trotz des Prozesses der Verstädterung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sank die Zahl der Landbevölkerung nur allmählich: 1852 wohnten in Preußen noch 67,3% der Menschen in Orten unter 2000 Einwohnern, 1870 waren es im Deutschen Reich immerhin noch 63,9%. 13 Diese Zahlen zeigen, daß weder die sogenannte Bauernbefreiung, die Auswirkungen der Kontinentalsperre, die englischen Komzölle ab 1817 und die damit verbundene Überproduktionskrise, die Mißernten und Absatzeinbrüche der Jahre 1708/12, 1740, 1771/72, 1788/90, 1815/17 und 1845/47 noch die in den vierziger Jahren sich massiv verstärkende Industrialisierung zu Landfluchten von spürbarem Ausmaß führten. Über die Gründe ist hier nicht zu reden; Thomas Nipperdey hat sie in seiner umfang- und materialreichen Arbeit über die DEUTSCHE GESCHICHTE 1800-1866 ausführlich erörtert Hinzu kommt eine, der Mobilität der Theaterleute entgegenstehende Mentalität von Bauern und Landvolk. Sie "fühlen" sich, so Nipperdey, "nicht als Produzentenklasse, sondern als Stand mit eigenen Werten und Normen, sie fühlen sich im Gegensatz zu denen in der Stadt, seien die Bürger, Arbeiter, Gebildete, Beamte. Das ist ihr Eigensina Und sie sind viel weniger individualisiert und differenziert, weniger abstrakt und rational, weniger spezialisiert"14: alles Eigenschaften, die vom Schauspieler verlangt werdea Annähernd konstant und insgesamt nicht sehr groß blieb auch der Anteil angehender Schauspieler, deren Eltern dem Handwerksbereich entstammtea Die Gründe hierfür wurden bereits angedeutet Ebenso wie es Kindern von Schauspielern in der Regel verwehrt war, handwerkliche Berufe zu lernen oder sich gar eine Existenz als Handwerksmeister aufzubauen, galt es als zutiefst 12 Michael Erbe: Deutsche Geschichte 1713-1790: Dualismus und Aufgeklärter Absolutismus / Michael Erbe. · Stuttgart;Berlin;Köln;Mainz: Kohlhammer, 1985.- S.16. 13 Zahlenangaben bei Nipperdey, Deutsche Geschichte, a.a.O., S.112. 14 ibd. S.176.

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entehrend für die gesamte Handwerkerfamilie, wenn der Sohn oder die Tochter den Schauspielerberuf ergrifTea In der GESCHICHTE GOTTFRIED WALTHERS, 1786 vom Ulmer Prediger und Professor Johann Martin Miller als "ein Buch für Handwerker und Leute aus dem Mittelstand" veröffentlicht, kommt dies deutlich zu Ausdruck: Gottfrieds Sohn wird statt Magister Komödiant: das Schlimmste, was er werden konnte. 15 Diese Haltung des ausgehenden 18. Jahrhundert lebt bis ins 20. Jahrhundert weiter und bezieht bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts auch den Kaufmannsstand ein. Die Ablehnung beruht meist auf denselben Argumenten: die freizügig-libertinäre und unökonomisch-verschwendungssüchtige Lebensweise der Schauspieler verträgt sich nicht mit der sittlich-strengen, vorausschauend-kalkulierenden Ordnungsliebe des Bürgers. So zählt auch der rechtskonservative Wilhelm Heinrich Riehl die Schauspieler nicht zum Bürgertum, sondern zum harmlosen, ungefährlichen Proletariat: "Leute, welche mit der historischen Gesellschaft zerfallen und doch nicht mit ihr verfeindet sind, indem sie die geheime Schmach in ihrer Pariastellung wegspielen, weggaukeln, wegträumen, wegtrinken und den seßhallen Philister verachten" 16. Ahnlich argumentiert auch Knigge in seinem weitverbreiteten Ratgeben Künstler, besonders solche, die leicht und schnell Geld verdienen, und eben deswegen weder die Zeit noch das Geld richtig zu schätzen wissen, neigen zu einem, den sinnlichen Freuden gewidmeten Leben. Dazu kommt, daß der, welcher einmal die schönen Künste zu seinem einzigen Berufe gemacht hat, selten noch Geschmack an trockenen Geschäften findet, daß diese ihm nichtig und armselig erscheinen. ... Der verständige ordnungsliebende Mann zieht sie nicht an; sie nennen ihn einen Philister." 17

Und er warnt junge Menschen vor der Wahl des Schauspielerberufes mit dem bekannten platonischen Argument, der Darsteller müsse zwangsläufig zu dem werden, was er nachahme: "Die täglichen Abwechselungen der Rollen benehmen ihrem Charakter die Selbständigkeit", was dazu führe, daß die Schauspieler "auch im täglichen Leben Rollen zu spielen" beginnen ' 8. Gingen die Söhne und Töchter von Handwerkern und Kaufleuten dennoch zum Theater, erhielten sie selten die Zustimmung ihrer Eltern. Die Theatergeschichte ist voll von Fällen, in denen sie flohen und unter falschem Namen auftraten, wie Ludwig Devrient, der sich zunächst einer thüringischen Wan15 Die Geschichte Gottfried Walthers, eines Tischlers, und des Städtleins Erlenburg: e. Buch für Handwerker und Leute aus dem Mittelstand / hg. v. Johann Martin Miller. - Ulm, 1786. - S.455. 16 Wilhelm Heinrich Riehl: Die bürgerliche Gesellschaft / von W.H. Riehl. - Stuttgart: Cotta, 1861. -S.405. 17 Adolph Freiherr von Knigge: Über den Umgang mit Menschen / von Adolph Freiherrn von Knigge. - Leipzig: Bibliographisches Institut, 1887. - S.220. 18 ibid.S.224.

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dertruppe anschloß und sich den Künstlernamen "Herzberg" gab. Devrients und Ifflands Kindheit und Jugendzeit machen zudem deutlich, welche inneren Kämpfe sie durchstanden, bis sie sich zur Flucht und dem in der Regel damit verbundenen Bruch mit dem Elternhaus entschlossen. Der Anteil von Schauspielern aus adligen Kreisen und aus denen des freiberuflichen Akademikertums blieb über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg so gering, daß bei einer Analyse der Berufswahl der jeweilige Einzelfall betrachtet werden muß. Die Gründe für den niedrigen prozentualen Anteil liegen zweifelsohne in der traditionell ständischen Bindung des Adels, die das 19. Jahrhundert überdauerte. 19 Adelige, die dennoch den Schauspielerberuf ergriffen, änderten in der Regel ihren Namen, um ihre Verwandtschaft nicht in Mißkredit zu b r i n g e n . 20 So nannte sich, um nur einige der insgesamt wenigen zu nennen, Karl Franz von Akats "Grüner", Friedrich Julius von Kleist wählte seine beiden Vornamen als Künstlername, Johann Reinhold von Lenz nannte sich "Kühne", Marie von Marra hieß eigentlich "von Hack", Mathilde von Wolfram verkehrte ihren Adelsnamen zu "von Marlow" und Maximilian Scholz' Vater hatte bereits den bürgerlichen Namen angenommen, da er wegen eines Duells geflüchtet war und inkognito bleiben mußte. Grundsätzlich läßt sich auch feststellen, daß die Eltern meist dem niederen Adel angehörten, wie etwa der Vater des unter dem Pseudonym "Neubruck" auftretenden Carl Ritter von Zahlhaas, der zudem erst 1787 nobilitiert worden war. Mehrfach ist auch der Hinweis zu finden, Schauspieler entstammten verarmten Adelsfamilien. So etwa Heinrich Ludwig Schmelka oder Friedrich Wilhelm Wilhelmi, der eigentlich "von Panwitz" hieß, 1788 geboren wurde, an den napoleonischen Kriegen teil nahm und anschließend, ohne über ausreichende Mittel zum eigenen Unterhalt zu verfügen, den Theaterberuf der üblichen Zivilversorgung ehemaliger Kriegsteilnehmer im Form einer Anstellung als Subalternbeamter vorzog. Ausnahmen machte man augenscheinlich bei weiblichen Adelsabkömmlingen, wie z.B. Auguste von Burggraf oder Auguste von Faßmann, die beide in München die Protektion und Förderung des Hofes für ihre Theaterkarriere genossen. Bei männlichen Adeligen dagegen zeigte man in Adelskreisen wenig

19 s. Arno J. Mayer: Adelsmacht und Bürgertum: die Krise der europäischen Gesellschaft 1848-1914 / Arno J. Mayer. · München: dtv, 1988. Mayers Buch rief angesichts fehlender Differenzierungen Widerspruch hervor, dem an dieser Stelle nicht weiter nachgegangen werden kann. Seitens der Theatergeschichte läßt sich zumindest anmerken, daß das Standesbewußtsein des Adels zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch so gefestigt war, daß ein Ergreifen des Schauspielerberufs für Adlige nur äußerst selten zur Debatte stand. 20 Dies macht auch eine statistische Erfassung der tatsächlichen Anzahl von Schauspielern und Sängern mit adliger Abkunft mehr oder weniger unmöglich.

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Verständnis, wenn sie auf einen Künstlernamen verzichteten.21 Karl von Holtei, der 1819 in Breslau unter seinem wahren Namen debütierte, beschrieb die Folgen: Damals war es fast unerhört, das Wörtlein von auf dem Komödienzettel zu erblicken. Schreck und Abscheu verbreiteten sich sehr bald von Breslau durchs schlesische Land; wo nur ein Schatten von Verwandtschaft mit unsern Verwandtschaften entdeckt werden mochte, bebte man dem Tage entgegen, der die fast unglaubliche Kunde wahr machen würde. Aber nicht nur der Adel, auch die Kaufmannschaft, der Bürgerstand waren gegen mich und - spaßhaft genug -, wenngleich aus ganz verschiedenem Gesichtspunkt, doch angeregt durch den nämlichen Beweggrund. Jene verachteten mich, daß ich den schlesischen Adel auf dem Theater entweihen würde, diese haßten mich, weil ich so unglücklich war, von Adel zu sein. ... Weit entfernt davon bin ich, den Adel allein anzuklagen. Der reiche Breslauer Kaufmann benahm sich gegen den Bürger, den geringeren Beamten, den Künstler, den Gelehrten wahrlich nicht b e s s e r . 2 2

Holtei hatte sogar Drohbriefe bekommen, die ihn vom Auftreten abhalten sollten. Ca. 20% der Schauspieler kamen aus Elternhäusern, in denen der Beruf des Vaters einem Bereich zuzuordnen ist, den man im weitesten Sinne mit »öffentlicher Dienst« umschreiben könnte und der die Hofbediensteten des achtzehnten Jahrhunderts ebenso erfaßt wie die umfangreiche Gruppe der Be amten des neunzehnten. Um über die Gründe für diesen außergewöhnlich hohen Prozentsatz mehr Aufschluß zu erhalten, soll zur detaillierteren Untersuchung ein weiterer Komplex in die Betrachtung einbezogen werden; Die quantitativ erfaßte Tätigkeit von Schauspielern, die zuvor einen anderen Beruf ergriffen hatten bzw. ergreifen mußten. Zunächst ergibt sich ein überraschendes Bild Von den 676 Schauspielern, bei denen Eisenberg den erlernten bzw. abgebrochenen Berufs- oder Studienweg angibt, hatten, nach Berufsgruppen zusammen gefaßt, 30% eine kaufmännische Ausbildung, knapp 31% waren ehemalige Studenten, 9% Akademiker mit Studium an einer wissenschaftlichen, technischen oder künstlerischen Hochschule, 8% kamen aus dem Militärbereich, 10,6% aus Handwerksbetrieben, 9% waren als Hof-, Gemeinde- oder Staatsbeamte tätig und 2% entstammten dem Dienstleistungsbereich. Der Anteil an Arbeitern war mit 0,74% vernachlässigbar. Bader, Friseure und Schneider konnten insgesamt nur drei gezählt werden, was sich durch die bereits erwähnte problematische Materiallage erklären läßt.

21 Für die Zeit vor der Mitte des 19. Jahrhunderts ließ sich bei Eisenberg nur noch Ferdinand von Strantz finden, der 1848 unter vollem Namen als Sänger debütierte. 22 Karl von Holtei: Vierzig Jahre Lorbeerkranz und Wanderstab, a.a.O., S.129.

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Weiter aufgesplittet zeigen sich - in absoluten Zahlen - folgende Verteilungen^ erlernter bzw. abgebrochener Beruf: Studenten

Akademiker

Anzahl 172

stud. phil. stud, theol. stud. jur. stud. med.

24 17 48 27

Philologen Theologen Juristen Mediziner

11 4 14 4

50

Beamte

52

Handwerker

59

Kaufmann. Ausb.

davon:

167

Dienstleistg.

13

Militärwesen

45

Eine wünschenswerte Aufsplittung der Daten nach dem jeweiligen Jahr, in dem der erlernte Beruf oder das ausgeübte Studium abgebrochen wurden, konnte leider nicht durchgeführt werden, da weder Eisenberg noch andere Quellen ausreichendes Datenmaterial zur Verfügung stellea

23 Fehlende oder nicht genauer zuordenbare Berufsbezeichnungen wurden nicht aufgenommen.

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Studenten - Akademiker - Beamte Wie den oben zitierten Belegen zu entnehmen ist, wurde der hohe Prozentsatz von Studenten unter den Schauspielern häufig mit deren sozialem und sittlichem Verhalten erklärt, obwohl die Beweislage äußerst dürftig ist. So mag es die Brockmannschen Bummelstudenten ebenso gegeben haben wie Studenten vom Schlage des 1727 geborenen Döbbelin, der an der Universität in Halle "wegen Theilnemung an einem Tumulte flüchtig werden" mußte, wie die GALLERIE VON TEUTSCHEN SCHAUSPIELERN UND SCHAUSPIELERINNEN vermerkt. 24 Bereits dieselbe Quelle erwähnt jedoch häufiger die finanzielle Not, die zum Abbruch des Studiums bzw. der akademischen Tätigkeit zwang. Die Entwicklung im Öffentlichen Dienst, bei dem die überwiegende Mehrzahl der Studenten nach Abschluß ihres Studiums eine Anstellung suchten, unterstützt diese Auffassung. Denn es ist kein Zufall, daß sich gerade Studenten und Akademiker seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert verstärkt für eine Tätigkeit am Theater interessierten und dort - wie die Aufnahme in Eisenbergs Lexikon beweist - eine Stellung einnahmen, die hoch über derjenigen der Wanderschauspieler angesiedelt war, auch wenn sie ihre Karriere aus Mangel an geeigneten Ausbildungsstätten oft in Wandertruppen begonnen hatten. Die Gründe für eine derartige Berufswahl sind vielfältig und verweisen auf Zusammenhänge zwischen dem Beamtentum und einer größeren Gruppe innerhalb des Schauspielerstandes, die in der Theaterhistoriographie häufig mit dem Schauspielerstand gleichgesetzt wurde und wird. Diese Zusammenhänge sind politischer, sozialer, ökonomischer und mentaler Natur und ihr Nachweis würde eine der für diese Arbeit wichtigen Hypothesen stützen, die unterstellt, daß es den bedeutenden und einflußreichen Schauspielern von der Iffland-Zeit bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht um eine Verbürgerlichung, sondern um eine - wenn auch verkappte und den Gegebenheiten angepaßte - Aristokratisierung ihres Standes ging, wobei sich die Mitglieder der Sprechtheater zweifelsohne auch der Mittel des bürgerlichen Dramas und Theaters bedienten. Aus diesem Grund soll die Entwicklung der Beamtenschaft, die für diese Aristokratisierung eine entscheidende Rolle spielte, an dieser Stelle ausführlicher dargestellt werden, als dies das Thema dieses Kapitels nahelegt. Bedingt durch hohe Rüstungsausgaben auch in Friedenszeiten25; durch Kontributionslasten und durch die Folgekosten der Einquartierungen, sahen

24 Gallerie von Teutschen Schauspielern und Schauspielerinnen nebst Johann Friedrich Schinks Zusätzen und Berichtigungen / m. Einleitung u. anmerkungen hg. v. Richard Maria Werner. - Berlin: Verlag der Gesellschaft für Theatergeschichte, 1910 (Schriften der Gesellschaft für Theatergeschichte; 13) - S.37. 25 Bedingt durch den Neutralitätsverlust der Pufferstaaten 1740/63 und 1795/1805 wurden vor allem Preußen und Österreich gezwungen, einen Mili-

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sich die Landesherren bereits im 18. Jahrhundert und dann verstärkt in der napoleonischen Zeit veranlaßt, ihre Haushalte durch die Notwendigkeit erhöhter Steuereinnahmen einerseits und durch eine kontrollierte Ausgabepolitik andererseits verwaltungstechnisch neu zu organisieren und wirtschaftspolitische Maßnahmen in die Wege zu leiten, um die negativen Bilanzen zu konsolidieren oder doch zumindest die Negativbestände so zu saldieren, daß die Tendenzen zum - in absolutistischen Haushaltungen stets drohenden - Fallissement in einem erträglichen Maß gehalten werden konnten. Erreicht werden sollte dies nicht durch die in früheren Zeiten üblichen zusätzlichen Steuerbelastungen der Untertanen, sondern durch eine Freisetzung des Marktes von ständischen und zünftischen Schranken, was zwangsläufig die Beseitigung von Privilegien und Monopolen zur Folge haben mußte. Auf eine Mitwirkung des alteingesessenen Adels war bei diesen Reformbestrebungen ebensowenig zu hoffen, wie auf eine Zustimmung der Handerwerkervereinigungen die zäh, und letztendlich auch zumindest teilweise erfolgreich, ihre Vorrechte verteidigtea Bei den Rheinbundstaaten kamen zu diesen ökonomischen Reformen zwangsläufig noch Unitarisierungsbestrebungen hinzu, die die "neugewonnene Masse heterogener Bestandteile in einen einheitlichen Staats- und Untertanenverband"26 verwandeln sollte: "Aus bunt zusammengewürfelten, aus politischreligiös-ökonomisch-kulturell höchst heterogenen Herrschaftsgebieten wollten sie in möglichst kurzer Zeit einen zentralisierten, bürokratisierten, politisch homogenisierten Einheitsstaat herstellen, der mit der westeuropäischen Entwicklung Schritt halten konnte."27 Stützen konnten sich die Landesherren bei der Lösung all dieser Aufgaben auf jene Gruppe kameralistisch bzw. juristisch geschulter Beamter, die - frei bzw. befreit von überkommenen Standes- oder Korporationsbindungen - auch die fachliche Kompetenz besaßen, die Kernpunkte der nötigen Reformen durchzuführen28 ;

tärapparat aufzubauen, der auf einen feindlichen Angriff sofort reagieren konnte. Dazu war zwangsläufig eine Hochrüstung auch in Friedenszeiten nötig. 26 Horst-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte: vom Feudalismus des Alten Reiches bis zur Defensiven Modernisierung der Reformära 1700-1815 / Hans-Ulrich Wehler. - München: Beck, 1987. - Bd.I, S.370. 27 ibid. S.373. 28 Soweit nicht anders angeführt, stützen sich die folgenden Ausführungen auf: Bernd Wunder: Geschichte der Bürokratie in Deutschland / Bernd Wunder. Frankfurt: Suhrkamp, 1986. - ders.: Hof und Verwaltung im 17. Jahrhundert, in: Hof, Staat und Gesellschaft in der Literatur des 17. Jahrhunderts / hg. v. Elger Blüm u.a. - Amsterdam: Rodopi, 1982. - S.5-14. - Horst Kübler: Besoldung und Lebenshaltung der unmittelbaren preußischen Staatsbeamten im 19. Jahrhundert: eine verwaltungsgeschichtliche Analyse / Horst Kübler. - Nürnberg:

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- Die Vereinheitlichung der Verwaltungsstruktur von der Zentralverwaltung bis hin zur Lokalverwaltung unter Aufhebung der ihr entgegenstehenden Autonomien, Vor- und Sonderrechte lokaler, regionaler, ständischer wie zünftischer Einrichtungen. 29 - Die Zentralisierung des Justizwesens unter Abschaffung patrimonialer Gerichtsbarkeiten. - Die Einführung des hierarchischen Prinzips innerhalb der einzelnen Verwaltungsorgane und deren Verbindungen zueinander. - Die Neugliederung der Zentralverwaltung nach Sachbereichen und deren Koordination. Voraussetzung hierfür war jedoch eine Veränderung des Beamtenstatus' selbst. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts standen die Beamten in einem privatrechtlichen Dienstverhältnis zu ihrem jeweiligen Landesherrn und verwalteten in dessen Vertretung die "Nutzungsrechte aus bestimmten patrimonialen Gewalten" 30( etwa im Bereich des Domänenwesens. Rechtlich unterschied sich der Dienst- bzw. Arbeitsvertrag nicht von den Verträgen des üblichen Privat- oder Gesinderechts, was vor allem in der jederzeit möglichen Kündigung und in der für den Betroffenen - unzureichenden Pensionsregelung zum Ausdruck kam.3i

Nürnberger Forschungsvereinigung, 1976 (Nürnberger Forschungsberichte;6) Wilhelm Bleek: Von der Kameralausbildung zum Juristenprivileg: Studium, Prüfung und Ausbildung der höheren Beamten des allgemeinen Verwaltungsdienstes in Deutschland im 18. und 19. Jahrhundert / Wilhelm Bleek. - Berlin: Colloquium-Verlag, 1972 (Historische und pädagogische Studien;3) - Utz Haltern: Bürgerliche Gesellschaft: sozialtheoretische und sozialhistorische Aspekte / Utz Haltern. - Darmstadt: Wissenschaftl. Buchgesellschaft, 1985. - Arno J. Mayer: Adelsmacht und Bürgertum: die Krise der europäischen Gesellschaft 1848-1914. / Arno Mayer. - München: Beck, 1984. - Helmut Böhme: Prolegomena zu einer Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Deutschlands im 19. und 20. Jahrhundert / Helmut Böhme. - Frankfurt: Suhrkamp, 1968. sowie auf die entsprechenden Kapitel bei Nipperdey und Wehler. 29 Vor diesem Hintergrund scheint es mir auch nicht wesentlich zu sein, ob die jeweilige Einrichtung völlig abgeschafft oder nur umfunktioniert wurde. Dies gilt im Rahmen dieser Arbeit vor allem für den Gewerbebereich: ob die Zünfte völlig beseitigt oder in ihrer Funktion auf politisch einflußlose gesellige Vereine reduziert wurden, blieb hinsichtlich des Ziels vor allem ein taktisches Problem. Die Verstaatlichung auf kommunaler Ebene wurde de facto nie durchgeführt, da sie zu personal- und damit kostenintensiv gewesen wäre. (s. Preußische Städteordnung von 1808.) 30 Horst Kübler: Besoldung und Lebenshaltung der unmittelbaren preußischen Staatsbeamten im 19. Jahrhundert, a.a.O., S.2. 31 Wie noch ausführlicher dargestellt wird, blieb die Gewährung einer Pension im höfischen Bereich, und nur dort gab es sie bis ins 19. Jahrhundert hinein über104

Bereits im ALR von 1794 wurde dieses privatrechtliche Dienst- und Arbeitsverhältnis in ein öffentlich-rechtliches umgewandelt, die "Gleichberechtigung beider Partner bei der Ausgestaltung des Dienstvertrages wurde aufgehoben, sein Inhalt zu einer einseitig vom Staat zu regelnden Materie erklärt"32. Verbunden war diese, zunächst als Rückfall ins Privilegien-System erscheinende, Umgestaltung mit einer Anstellung auf Lebenszeit und der Einrichtung einer Alters- und Hinterbliebenenversorgung, die von Land zu Land in unterschiedlichen Modifikationen eingeführt, finanziert und progrediert wurden. 3 3 Entscheidend war, daß es den Landesherren - in unterschiedlichen Zeiträumen und verbunden mit einer Reihe von Rückschlägen - gelang, mit Hilfe ihrer Beamten ständische Vorrechte zu beseitigen oder zumindest zurückzudrängen. Für den Staatsdiener bedeutete dies, daß er "mit der ständischen Gesellschaft keine Gemeinschaft haben (sollte), da er nach fürstlichem Willen gegen die ständischen Eigenrechte ausgespielt wurde" H Gesamtgesellschaftlich betrachtet, wurde die Beamtenschaft dadurch isoliert, in "einen ausgesprochenen Gegenpol zu fast allen anderen Bevölkerungsgruppen" gebracht, gleichzeitig wurde sie aber zum entscheidenden Machtfaktor Die allumfassende persönliche Herrschaft des Monarchen wurde nicht durch die Selbstregierung einer - in Deutschland zu Ende des 18. Jahrhunderts noch nicht entfalteten - bürgerlichen Gesellschaft abgelöst, sondern durch die Suprematie der Beamtenschaft. In ihr verbanden sich Adelsabkömmlinge und bürgerliche Aufsteiger, Elite- und Reformbewußtsein, Weltbürgertum und Staatsethos, ökonomisches Leistungsprinzip und Bildungspathos. 35 haupt, ein Gnadenakt des jeweiligen Dienstherrn, dessen Gewährung nicht an das Erreichen eines bestimmten Pensionsalters, sondern an eine Dienstunfähigkeit gebunden war. Arbeitsrechtlich betrachtet, gab es -insoweit auf rechtliche Verbindlichkeiten überhaupt geachtet wurde - zudem noch die Möglichkeit, den Dienstvertrag entweder dem allgemeinen Privatrecht oder dem Gesinderecht zuzuordnen. Im ersten Fall erhielt der dienstunfähige Untertan keine Pension und im zweiten reduzierte man den Tätigkeitsbereich zunächst so lange, bis absolute Dienstunfähigkeit eintrat und gestattete dann eine Pension in Form von Unterhalt und Verpflegung, was wahrscheinlich auf die Grundvorstellung vom Ganzen Haus zurückzuführen ist. Pensionen in Form regelmäßiger Geldzuwendungen waren dagegen unüblich, wenngleich die finanzielle Altersversorgung von Schauspielern hier augenscheinlich eine Ausnahme darstellte. 32 Bernd Wunder, Geschichte der Bürokratie in Deutschland, a.a.O., S.29. 33 Horst Kübler geht in seiner Arbeit genauer auf die unterschiedliche Entwicklung der Pensions- und Hinterbliebenenversorgung und deren Finanzierung ein, wobei sich zeigt, daß vor allem die Hinterbliebenenversorgung erst 1882 für den Betroffenen befriedigend gelöst werden konnte. (Horst Kübler: Besoldung und Lebenshaltung der unmittelbaren preußischen Staatsbeamten im 19. Jahrhundert, a.a.O., S.30 u. S.79ÍT.) 34 ibid. S.7. 35 Wilhelm Bleek: Von der Kameralausbildung zum Juristenprivileg, a.a.O., S.81.

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Die Beamtenschaft selbst war sich dieser Sonderstellung bewußt und verwandelte die eigne Isolation in eine positiv verstandene Abgrenzung gegenüber den gehobenen, nichtadeligen Schichten, aus denen sie meistens kam: Der Aufstieg in den Staatsstand des Beamtentums war ... verbunden mit gesellschaftlicher Anpassung an die alte Herrschaftsschicht und politisch-sozialer Distanzierung von den bürgerlichen Familien außerhalb des Staatsdienstes. Die bürgerliche Mobilität hob nicht die alten Stände, die sich zu Klassen transformiert hatten, auf, sondern schuf eine Zwischenklasse. Diese orientierte sich an der alten Oberschicht, ohne in ihr aufgehen zu können. Gesellschaftliche und politische Uberzeugungen und Lebensgewohnheiten dieser oberen Mittelklasse feudalisierten sich, die Zeit des Studiums und der praktischen Vorbereitung spielte dabei eine wichtige Rolle. So ist die gesellschaftliche Aristokratisierung der Verwaltungsbeamtenschaft noch umfassender, als der Anteil des Adels in der Sozialstatistik vermuten läßt.36

Diese Entwicklung der Beamtenschaft37 machte es der oben erwähnten Gruppe von Schauspielern dann auch leicht, je nach politischer Lage, die eigenen Intentionen voranzutreiben und teilweise erfolgreich zu verwirklichen. Die auch für uns noch anonyme Masse der Schauspieler hatte daran allerdings keinen Anteil. Die im voraus einkalkulierbare finanzielle Absicherung und lebenslange Versorgung, verbunden mit dem Fehlen eines ständischen numerus clausus, machte den Beruf des Beamten vor allem für jene Akademiker attraktiv, die nicht von eigenem Vermögen leben konntea Zudem ermöglichten die an Fachkompetenz und Leistungsvermögen orientierten Aufnahmebedingungen in die Beamtenschaft einen einigermaßen gesicherten sozialen Aufstieg bis hin zur Nobilitierung für alle diejenigen, denen ein Aufstieg in der traditionalen Gesellschaftsordnung verwehrt blieb. Dies erklärt auch, warum die Attraktivität des Beamtenberufs selbst dann noch ungebrochen blieb, als - beginnend in den Zeiten des Vormärz - der Weg bis zur ersten Gehaltszahlung durch jahrelange finanzielle Nöte und Entbehrungen gekennzeichnet war, die im Bild des schwindsüchtigen Assessors ihren Ausdruck fanden. Voraussetzung für die Aufnahme in die höhere Beamtenschaft waren eine bestandene Eingangsprüfung, sowie ein abgeschlossenes Universitätsstudium, das in der Regel an einer juristischen Fakultät absolviert werden mußte, wenngleich es hier keine einheitliche Regelung für den deutschspachigen Raum gab. 3 8 An die Qualifikation der Subalternbeamten - Referendare, Sekretäre, 36 ibid. S.158. 37 s. Utz Haltern: Bürgerliche Gesellschaft, a.a.O., S.79. 38 Grundsätzlich dominierte im 19. Jahrhundert die justizjuristische Qualifikation, wenngleich es z.B. in Württemberg eine staatswissenschaftliche Sonderausbildung gab und in Bayern Jura und Staatswissenschaften paritätisch berücksichtigt wurden, (s.hierzu: Wilhelm Bleek: Von der Kameralausbildung zum Juri-

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Kanzlisten, Kalkulatoren etc. - wurden dagegen vor allem in der nachnapoleonischen Zeit geringere Ansprüche gestellt, da dieser Bereich der Zivilversorgung ausgedienter Offiziere offengehalten wurde. Die Trennung von höherem und Subalternbeamtentum führte nicht nur zu einer rechtlichen und ökonomischen, sondern auch zu einer gesellschaftlichen Differenzierung: "Die höheren Beamten waren die gebildeten, zur Gesellschaft gehörigen Staatsdiener, die Subalternen hingegen waren pflichttreue und ehrliche, aber schwerfällige Ausführungsorgane" 39 . D a die Grenze zwischen beiden Bereichen jedoch fließend war, konnte der Subalternbeamte durch entsprechende Repräsentation den Makel seiner Besoldungsgruppe vertuschen. Vergleichbar der Imagepflege des Schauspielers findet sich deshalb auch hier der Fall, daß ein Beamtenhaushalt a n Nahrung und Kleidung sparte, um sich einen Diener leisten zu können.40 Betrachtet man die Rekrutierung der Beamtenschaft, zeigt sich eine hohe intergenerationelle Mobilität, die bei Juristen zwischen vierzig und fünfzig Prozent lag. 4 1 Dies galt auch hinsichtlich des Platzes innerhalb der Beamtenhierarchie, den der Sohn eines Beamten erreichen konnte:

stenprivileg, a.a.O., S.284.) Das wohl eher pragmatisch orientierte Kameralstudium blieb, zumindest in Preußen, ein Relikt des 18. Jahrhunderts, von dem bereits Friedrich II. nicht viel zu halten schien, (ibid. S.78ff.) Auf die an sich interessanten Gründe für diesen universitären Strukturwandel muß im Rahmen dieser Arbeit nicht näher eingegangen werden, da sie für die Entwicklung des Schauspielerstandes nur sehr entfernt von Bedeutung sind. - Ein juristisches Studium für den Eintritt in das Referentariat wurde in Österreich bereits 1795/97 und in Preußen 1817/18 zur Auflage gemacht. In Bayern wurde das Kameralstudium 1830 ins Jurastudium integriert, während in Sachsen, Württemberg und Baden das Kameralstudium bis nach 1900 beibehalten wurde. Die meisten Staaten führten dagegen einheitlich zwischen 1803 und 1820 das Abitur, das zuvor als Eingangsprüfung für Unbemittelte diente, als obligatorisch ein. (s. hierzu: Bernd Wunder: Geschichte der Bürokratie in Deutschland, a.a.O., S.38-40.) 39 Wilhelm Bleek: Von der Kameralausbildung zum Juristenprivileg, a.a.O., S.47f. - Bleeks Hinweis auf das fehlende Bestreben der Subalternbeamten, "sich in die höheren Beamtenstellen emporzuarbeiten"(ibid.S.48.) erscheint nur dann sinnvoll, wenn man die fehlenden Chancen der Subalternbeamten, in den höheren Dienst aufzusteigen, berücksichtigt. Innerhalb der Gruppe der Subalternbeamten trifft dagegen eher Wunders Bemerkung zu, daß "während einer Karriere ... sowohl der Subalternbeamte als auch der Akademiker und Adelige sein Anfangsgehalt verzehnfachen" konnte. (Bernd Wunder: Geschichte der Bürokratie in Deutschland, a.a.O., S.51.) 40 Horst Kubier: Besoldung und Lebenshaltung der unmittelbaren preußischen Staatsbeamten im 19. Jahrhundert, a.a.O., S.109. 41 Bernd Wunder: Geschichte der Bürokratie in Deutschland, a.a.O., S.54.

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Vergleicht man die soziale Stellung des Vaters mit der Endstufe der Karriere des Sohnes, würde sich noch für das gesamte 19. Jahrhundert feststellen lassen, d a ß die meisten Spitzenpositionen weiterhin von den Vertretern der bisherigen Oberschicht eingenommen wurden. Aufsteiger blieben in der unteren Hälfte des durch die Ausbildung erschlossenen Berufsspektrums.42

Zu fragen bleibt, warum viele ihr Studium bzw. ihre Beamtenkarriere abbrachen und warum sich von denen ein großer Prozentsatz wiederum fur den Schauspielerberuf entschied Bis zur Einfuhrung der Gewerbefreiheit in ihren unterschiedlichsten Formen und damit auch bis zur Einfuhrung der freien Berufswahl waren die Ausbildungskapazitäten der Universitäten dem Bedarf angepaßt Bedingt durch die Schließung der Hälfte aller Universitäten im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert, war die Zahl der Studenten drastisch gesunken. Dies änderte sich ebenso drastisch mit der Freigabe des Zugangs zum Studium; die Gesamtstudentenzahl schnellte in die Höhe und damit auch diejenige der Jurastudenten, die - wie bereits oben erwähnt - bis zu einem Drittel des Gesamtkontingents stellte. Die Folgen hieraus unterschieden sich nicht von der Situation der Studenten in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts: einer begrenzten Zahl von Beamtenstellen stand eine weitaus höhere Zahl an Aspiranten gegenüber.^ Berufsziel der Jurastudenten konnte jedoch nur "der administrative oder judizielle Staatsdienst sein", zu dem in Preußen bis 1878 auch die Anwaltschaft gehörte. 44 Hinzu kam eine Art sozialer numerus clausus: die preußischen Geschäftsordnungs-Instruktionen von 1808 und 1817 verlangten vor Aufnahme eines Aspiranten in ein Referendariatsverhältnis, "daß er des Vermögens sey, sich bis zu seiner Anstellung auf Gehalt anständig zu erhalten"«. Diese Instruktionen wurden mehrmals verschärft, bis schließlich 1863 festgelegt wurde, daß sich der Bewerber über einen Zeitraum von zehn Jahren nach Abschluß des Studiums hinweg aus anderweitig vorhandenen Mitteln versorgen können muß.46 De facto bedeutete dies, daß eine große Zahl von Staatsbediensteten bis zu zehn Jahren unentgeltlich in den entsprechenden Behörden tätig waren: um 1840 waren es z.B. ca 2500 unbesoldete Juristen im Justizdienst.4? Selbst denjenigen Anwärtern, die sich aus Beamtenfamilien rekrutierten, war dies häufig 42 ibid. S.56. 43 Nach Bleek standen in den dreißiger und vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts ca. 8400 frischgebackenen Juristen ca. 6000 Stellen offen. (Wilhelm Bleek: Von der Kameralausbildung zum Juristenprivileg, a.a.O., S.141. 44 ibid. S.139. - Rechtsanwaltliche Tätigkeiten wurden in Preußen bis zur Rechtsanwaltsordnung von 1878 von "Justizkommissaren, Advokaten oder Prokuratoren" übernommen, (ibid.) 45 zit. in: ibid. S.124. 46 s. ibid. 47 ibid. S.147.

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nicht möglich, da bereits der Vater verhältnismäßig spät sein erstes Einkommen bezogen hatte und in der Regel nicht über angespartes Vermögen verfügte. "Dem glücklosen Bewerber um eine höhere Beamtenstelle", so Bleek, "blieb nur die Möglichkeit, sein Auskommen im Subalternbeamtentum zu suchen, wo sich der Akademiker neben ausgedienten Unteroffizieren wiederfand. Zur Befriedigung beruflicher Hoffnungen wird diese Möglichkeit kaum beigetragen haben."48 Ein Großteil scheint sich dennoch für diese Alternative entschlossen zu haben. Andere versuchten in einer Karriere als Schauspieler jenen ökonomischen und psychologischen Erfolg zu erreichen, der ihnen von staatlicher Seite verwehrt blieb. Das Theaterwesen bot hierfür - zumindest in der Sicht des Außenstehenden - alle Voraussetzungen, da der erfolgreiche, von vielen bewunderte und idolisierte Virtuose - und dieser war für einen karrierebewußten jungen Mann wohl eher Vorbild, als der mittelmäßige Chargenspieler - aus eigener Kraft eine Position erklommen hatte, die ihm den Verkehr in höchsten Kreisen ermöglichte, ohne den Makel der Herkunft spüren zu müssen. Weiterhin gewährten zumindest die Hoftheater und die größeren Stadttheater leistungsorientierte und nach oben offene Gagen, die in ihrer Höhe mit den Gehältern des größten Teils der Beamtenschaft vergleichbar waren, wie Brufords Aufstellung über die Weimarer Besoldungs- und Einkommensverhältnisse von 1820 zeigt.49 Gleiches gilt für die Mitte des 19. Jahrhunderts. Küstner zufolge betrugen die Gagen bei Hof- und "vorzüglichen" Stadttheatern in der oberen Gehaltsklasse 2000 bis 4000 T., in der mittleren Gehaltsklasse 1000 bis 2000 T. und in der unteren 500 bis 1000 T., während sie sich an kleineren Stadttheatern und bei Reisenden Gesellschaften auf 300 bis 800, "höchstens" aber auf 1000 T. beliefen.so Betrachtet man einzelne Beamtenbesoldungslisten, wie etwa diejenige der Breslauer Kammerbeamten um und nach 1800, so verdiente ein Vizepräsident 5496 T., ein Direktor zwischen 2446 und 2970 T., ein Kriegs- und Domänenrat 2600 T., ein Kanzleidirektor zwischen 1554 und 1949 T., ein Kammersekretär 700 bis 1100 T., ein Kanzlist 400 bis 700 T., ein Kalkulator 500 bis 1100 T. und ein Kopist zwischen 160 und 270 T.51 Von den Lehrern verdienten um diese Zeit 69% weniger als 60 T. und 12% mehr als 100 T. fixes Gehalt, das etwa ein 48 ibid. S.142. 49 Walter Horace Bruford: Kultur und Gesellschaft im klassischen Weimar: 17751806 / Walter Horace Bruford. - Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1966. Anhang I. 50 Küstner, Karl Theodor von: Taschen- und Handbuch für Theater-Statistik, a.a.O., 2. Aufl., S.254. 51 Horst Kübler: Besoldung und Lebenshaltung der unmittelbaren preußischen Staatsbeamten im 19. Jahrhundert, a.a.O., S.92. Auf diese Besoldungsliste greift auch Bernd Wunder zurück.(Bernd Wunder: Geschichte der Bürokratie in Deutschland, a.a.O., S.51f.)

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Drittel des tatsächlichen Einkommens ausmachte.*2 1830 verdiente in Baden ein Präsident einer Mittelbehörde 3000 T., ein Ministerialrat 1867 T., ein Amtmann 1200 T., ein Sekretär 800 T. und ein Kanzlist 534 T « In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts blieben die Gehälter der Höhe nach in etwa gleich, während sie in den sechziger Jahren in unterschiedlichen Gruppen mit unterschiedlichem Beginn steil a n s t i e g e n . 5 4 Dieser Vergleich von Gagen und Beamtengehältern zeigt einerseits, daß sich die Beträge nicht wesentlich unterschieden, und andererseits, daß in beiden Gruppen die Besoldungsbereiche sehr groß waren. Zudem waren - das geht aus den genannten Zahlen nicht hervor - die Beträge nicht gleichmäßig verteilt: sowohl bei den Beamten, als auch bei den Schauspielern fanden sich die meisten in den unteren Bereichen angesiedelt. Insgesamt läßt sich deshalb sagen: Angesichts der in ständischen Kreisen nach wie vor großen Vorurteile gegenüber dem Schauspielerstand, bot der Beruf des Schauspielers all jenen eine auch finanziell akzeptable Alternative, die sich bereits im Rahmen ihrer Sozialisation innerhalb des Elternhauses von traditionalen gesellschaftlichen Bindungen gelöst hatten und denen die Mittel fehlten, an der entstehenden Neuentwicklung im ökonomischen Bereich, etwa durch die Gründimg einer Handelsfirma, teilzunehmea Hinzu kam in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die mentale Ablehnung der Krämerseelen, auf die die Beamtenschaft gerne herabsah. Eine Tätigkeit als kaufmännischer Angestellter oder gar als Handwerker, die zudem noch eine Lehre voraussetzte, bedeutete einen sichtbaren sozialen Abstieg, der nicht einmal durch ein entsprechendes Einkommen ausgeglichen worden wäre, da selbst der Leiter einer Handelsniederlassung nur zwischen 700 und 1100 Talern verdiente, was annähernd dem Einkommen eines Kammersekretärs e n t s p r a c h . 5 5

52 Horst Kübler: Besoldung und Lebenshaltung der unmittelbaren preußischen Staatsbeamten im 19. Jahrhundert, a.a.O., S.101. 53 Angaben nach Bernd Wunder: Geschichte der Bürokratie in Deutschland, a.a.O., S.52. 54 Horst Kübler: Besoldung und Lebenshaltung der unmittelbaren preußischen Staatsbeamten im 19. Jahrhundert, a.a.O., S.132. Offen scheint noch, ob die preußischen Verwaltungsreformen von 1825 bis 1827, in denen auch die Beamtenbesoldungen neu geregelt wurden, nur gehaltregulierende, oder auch gehalterhöhende Auswirkungen hatten. Kübler verneint letzteres.(s.ibid.) 55 s. Horst Kübler: Besoldung und Lebenshaltung der unmittelbaren preußischen Staatsbeamten im 19. Jahrhundert, a.a.O., S.114. Die Einkommen von Handwerksgesellen lagen wesentlich unter 2oo Talern (ibid. S.99.) und der kaufmännische Angestellte konnte bestenfalls den Einkommensstand eines besseren Volksschullehrers erreichen (ibid. S.113.).

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II.2

Schauspielerausbildung

Bis zum Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts wurden angehende Schauspieler im deutschsprachigen Raum häufig von erfahreneren Schauspielern, in vielen Fällen jedoch überhaupt nicht auf ihren zukünftigen Beruf vorbereitet, ι Über Annahme oder Ablehnung bei einer Wandertruppe oder einem feststehenden Theater entschieden Proberollen, von denen weiter unten noch zu reden sein wird, und Eigenschaften, die nicht als berufspezifisch angesehen werden dürften: körperliche Gesundheit, gutes Aussehen, keine Sprachfehler und - zumindest ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts - die Fähigkeit, lesen zu können2, wenngleich noch 1780 in der Litteratur- und Theater-Zeitung zu lesen ist Einen großen Schaden leidet aber auch die Schauspielkunst, durch die unzählige Menge von kleinen schlechten Truppen, mit denen Deutschland überschwemmt ist; ein Zusammenlauf von Leuten, die oft nicht reden, nicht lesen, nicht schreiben können. 3 Bei vielen Wandertruppen und generell im Bereich des Musiktheaters kamen noch Singen und Tanzen hinzu. 1 Uber die Ausbildung von Schauspielern vor 1900 existiert bis heute nur ein umfang- und materialreicher Auszug aus Fritz Assmanns maschinenschriftlich vorliegender Dissertation: Deutschlands Theaterschulen im 18. und 19. Jahrhundert. - Greifswald, 1922. Die Dissertation selbst wurde bereits 1921 eingereicht. Peter Lackner, dem Assmanns Arbeit augenscheinlich nicht bekannt war, gibt im ersten Kapitel seiner Dissertation: Schauspielerausbildung an den öffentlichen Theaterschulen der Bundesrepublik Deutschland. - Frankfurt, Berlin, New York: Lang, 1985. auf den Seiten 4 bis 16 einen gedrängten, lückenhaften und nicht ganz fehlerfreien Uberblick über die Entwicklung der Schauspielerausbildung "von den Anfängen des deutschen Theaters bis 1900"(S.4). 2 So forderte Ernst Christoph Dreßler 1777: "Der Sänger muß lesen, schreiben, die Vocalen, die doppelten und einfachen Mitlauter gut aussprechen können. Wenn ich Lesen von ihm verlange, so verstehe ich nicht das Lesen, wie Kinder anfangen zu buchstabiren, und lesen lernen, und können; durch Lesen, verstehe ich hier, den Sinn der Worte, den ganzen Verstand der rede, verstehen, fühlen, empfinden; um den Vortrag, jeder Leidenschaft gemäß, natürlich werden zu lassen."(Ernst Christoph Dreßler: Theaterschule für die Deutschen, das Ernsthafte Singe-Schauspiel betreffend. - Hannover; Cassel: Schmidt,1777. - §5, Kap.V, S.91.) 3 Litteratur- und Theater-Zeitung. - Jg.3, T.2 - Berlin: Wever, 1780. - No.XVI v. 15. April 1780, S.243. 111

Vorteile hatten hierbei Kinder von Schauspielern, da sie in der Regel bereits ab frühester Jugend als Eleven unter Vertrag standen.4 Bei Wandertruppen war es zudem üblich, Kinder selbst auszubilden, um sie zur Nachahmung des traditionell überkommenen und für richtig befundenen eigenen Spielstils zu erziehen. Gefördert wurde diese Imitation von Vorbildern durch das enge Zusammenleben in der Truppe, das den Kindern und anderen jungen, unerfahreneren Schauspielern vielfältige Möglichkeiten der Beobachtung bot. Im Rahmen der Wandertruppenbewegung entsprach diese Form der Schauspielerausbildung deijenigen des vorindustriellen, zünftisch orientierten Handwerks, die an den einzelnen Betrieb gebunden und durch "praktische Teilnahme an der Arbeit und Tätigkeit im ganzen Haus" gekennzeichnet wars. So lernten Lehrling und Geselle nicht durch eine "quantitativ-rechenhafte" Zergliederung und Analyse des Arbeitsprozesses, sondern durch "sinnlich-anschauliche" Beobachtung^ ,wie das häufig erwähnte Beispiel aus dem Bereich des Schmiedehandwerks zeigt, bei dessen Meisterprüfung verlangt wurde, "in nur zwei Hitzen den vollständigen Hufbeschlag zu fertigen ... nachdem das

4 Unter "Eleven" versteht man Schauspielschüler, die bereits vertraglich an ein Theater gebunden sind und in - meist kleineren - Rollen auftreten, s. hierzu: Urs H. Mehlin: Die Fachsprache des Theaters: e. Untersuchung der Terminologie von Bühnentechnik, Schauspielkunst und Theaterorganisation. - Düsseldorf: Schwann, 1969. -S.371. 5 Leonhard Bauer/Herbert Matis: Geburt der Neuzeit: vom Feudalsystem zur Marktgesellschaft. - München: dtv, 1988. - S.51. Dies galt für die Erziehung im Bauernhaus ebenso wie für diejenige im Handelshaus, im Kloster oder bei Hof.(ibid. S.50.) Die "Institutionalisierung des Schulwesens", kann deshalb mit recht nur als "erster Einbruch in dieses System der Nachwuchsausbildung"(ibid.) bezeichnet werden, da sie - vor allem im dezentralisierten deutschsprachigen Raum - einen langwierigen Prozeß bildete. Für Kinder aus Wandertruppen war sie zudem irrelevant, da diese in der Regel nicht zum Schulbesuch verpflichtbar waren. 6 Herwig Blankertz: Die Geschichte der Pädagogik: Von der Aufklärung bis zur Gegenwart. - Wetzlar: Büchse der Pandora, 1982. schreibt auf Seite 44: "Im vorindustriellen Handwerk arbeitete der Mensch - idealisiert gesprochen - in Situationen, in denen er täglich a u f s neue qualitativ erfuhr, wie der spröde und tote Stoff unter seiner Hände Arbeit zum gelungenen Werkstück sich gestaltete und belebte, wie im Ertrag des manuellen Zugriffs das Geistige der Arbeit als unmittelbare, sinnlich-anschauliche Konkretisierung in Erscheinung trat. Diese Konkretisierung gestattete es, den Werkvollzug als ganzheitlich durch traditionell festgelegte, auf Beharrung angelegte Regeln bestimmt sein zu lassen. Und demzufolge war es dem handwerklichen Prinzip zuwider, durch eine Analyse aller Einzelstadien eines Werkprozesses die Bedingungen für den Erfolg der Arbeit rational durchsichtig zu machen, quantitativ-rechenhaft aufzufassen und zu dynamisieren."

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Pferd zweimal an der Werkstatt vorbeigeritten worden war."? Und so, wie diese Fertigkeit eine hochentwickelte Beobachtungsgabe und perfekte Kenntnisse im Umgang mit dem zu bearbeitenden Material verlangte, stand auch innerhalb der Truppen die Kunst des sinnlich-anschaulichen Erfassens und die Fähigkeit des detailgetreuen Nachahmens im Zentrum der Ausbildung. Dieser Gedanke des Lernens durch Beobachten fand in den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts auch Eingang in die Theateijournale. So fordert ein 1775 von Reichard veröffentlichter VORSCHLAG ZU EINER THEATERSCHULE, die Schauspieler sollten "dem Erfahrensten unter ihnen, das Recht, ihr Führer zu seyn" übertragen, damit dieser ihre "merklichsten und herfurstechendsten Fehler", "die er an ihnen entdecken würde", verbessere. 8 Der Verfasser des Artikels dachte dabei an "irgend einen alten Athleten von bewährten Verdiensten", "der die Bühne nicht mehr besteigen" könne.' Ähnliches steht in einem - ebenfalls bei Reichard - drei Jahre später erschienenen Artikel mit dem programmatischen Titel MUSTER BILDEN 10, wenngleich hier das Führer-Modell durch das demokratischere der Schweriner Akademie, das dem Verfasser möglicherweise bekannt war 11, ersetzt wurde: Die ersten Akteurs einer Truppe sollten wechselweise die Richter und Zuschauer eines von dem andern seyn; so würden sie sich auch wechselweise durch ihre Anmerkungen belehren können. Keinem entwischte ein Fehler, den nicht alsdenn ein Kamerad bemerkte, und freundschaftlich erinnerte. Die Anfänger würde ihre Gegenwart begeistern, ihr Lob aufmuntern und ihre Kritik bessern. Denn der beste Beobachter und der beste Richter den man dem Schauspieler setzen kann, ist - der Schauspieler. 12

Beide Vorschläge bleiben jedoch der Hierarchie des Hauses verpflichtet, wenngleich der Hinweis auf die wechselseitige Beurteilung genossenschaftliches Gedankengut einfließen läßt, dessen problematischen Charakter der Autor des Beitrags von 1775 allerdings bereits erkannte, denn es gebe "leider unter den Schauspielern welche, die... den Rath ihrer Mitbrüder für eine Beleidigung auf-

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ibid. Vorschlag zu einer Theaterschule, in: Theater-Kalender auf das Jahr 1775 / hg. v. Heinrich August Ottokar Reichard. - Gotha: Ettinger, (1775). - S.91-93. S.91. ibid. S.92 Muster bilden!, in: Theater-Kalender auf das Jahr 1778 / hg. v. Heinrich August Ottokar Reichard. - Gotha: Ettinger, (1778). - S. 10-11. Teile aus Ekhofs Nachlaß wurden im "Taschenbuch für die Schaubühne auf das Jahr 1779" unter dem Titel "Nachrichten von einer deutschen SchauspielerAkademie: aus den Tagebüchern dieser Akademie gezogen" auf den Seiten 22-36 veröffentlicht. Möglicherweise kannte der Verfasser diese Dokumente bereits vor ihrer Veröffentlichung. Theater-Kalender auf das Jahr 1778, a.a.O., S . l l .

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nehmen würden und keinen andern Maaßstab kennen, als sich selbst". In solchen Fällen sollte ein "Lehrmeister durch höhere Gewalt eingesetzt werden"! 3. Überraschend ist, daß dieser Gedanke der Ausbildung innerhalb einer in sich geschlossenen Truppe auch dann noch existierte bzw. reaktiviert wurde, als sich die meisten Reisenden Gesellschaften bereits aufgelöst hatten und die Forderung nach staatlich institutionalisierten Schauspielschulen - analog zur Entwicklung des allgemeinen Ausbildungswesens, wenn auch zeitlich etwas verzögert - massiv zur Verwirklichung drängte. Jetzt allerdings in Form eines Traumes, den Karl von Holtei 1845 in Heinrichs Almanach unter dem Titel FAHRENDE THEATERSCHULE, EIN TRAUM erzählte und der ihm so faszinierend erschien, daß er ihn auch in seine "Lebenserinnerungen" aufnahm. 14 Holtei wollte mit einer kleinen Truppe ein "Repertoir, aus höchstens zehn Vorstellungen bestehend", erarbeiten, bis "die Schüler mit meisterhafter Fertigkeit zu erscheinen imstande wären" 15. Dann sollte die Truppe auf Wanderschaft gehen, ihre Ausgaben durch öffentliche Vorstellungen bestreiten, sich vor allem ständig weiterbilden und das Repertoire vergrößern. Während jedoch die Schauspielerkinder, bedingt durch die Kontinuität der Beobachtungsmöglichkeiten auch unterschiedlicher Spielstile, mit der Zeit in das Ensemble hineinwuchsen, hatten milieufremde Anfänger erhebliche Schwierigkeiten mit einer Ausbildung, die ihnen in der Regel nur wenig Zeit zum Studium älterer Kollegen ließ. Ein beredtes Beispiel gibt Johann Christian Brandes, der im Alter von 21 Jahren nach einem ruhelosen Vagabundenleben, dessen Beschreibung große Teile seiner Autobiographie füllt 16, in Lübeck einige Auflührungen der Schönemannschen Gesellschaft gesehen und "einige kritische Schriften über das Schauspiel und die Bildung der Schauspieler" gelesen hatte und nun seinen "längst gehegten Wunsch, die bisherige einförmige und größtenteils müßige Lebensart mit einer anständigem und wirksamem zu vertauschen"!7 , verwirklichen wollte. Schönemann nahm Brandes wegen seiner "Gestalt" und seines "ziemlich gesunde(n) Urtheil(s) über die Kunst" mit geringer Gage auf und versprach Erhöhung bei entsprechenden Fortschritten.!8 Zur Ausbildung verwies 13 Theater-Kalender auf das Jahr 1775, a.a.O., S.9. 14 Karl von Holtei: Vierzig Jahre: Lorbeerkranz und Wanderstab / Lebenserinnerungen des Schauspielers und Poeten Karl von Holtei; neu hrsg. u. eingel. v. Hans Knudsen. - Berlin: Deutsche Buch-Gemeinschaft, o.J.. - S.392-396. (Es handelt sich hierbei um eine Auswahl aus der sechsbändigen zweiten Auflage von 1859/60.) 15 ibid. S.393. 16 Johann Christian Brandes: Meine Lebensgeschichte. - Bd. 1-3. - 2. Aufl. - Berlin: Maurer, 1802-1807. (Die erste Auflage erschien 1799-1800.) 17 ibid. Bd.I.S. 165. 18 ibid. S.166. Die Gage betrug "fünf Mark Lübisch".(ibid. S.167.) 114

Schönemann Brandes an die besten Schauspieler seiner Truppe - also Konrad Ekhof, Johann Ludwig Starke, Johann Bernhard Rainer u.a. -, die jedoch keine Lust zeigten, sich um den Anfänger zu kümmern. 19 Übrig blieben ein Theatermeister, der Brandes Deklamation im Stile Ekhofs, und der Ballettmeister Georg Ehrenfried Mierk, der ihm die Grundstellungen des französischen Stils beibrachte. Über das Ergebnis berichtet Brandes anläßlich seiner Darstellung des "ersten Römers" in Voltaires CASARS TOD: Voll lebhaften Zutrauens auf meine Kenntnisse betrat ich also die Bühne, und ohne zu bedenken, daß mein Römer nur Bedauern über Casars Ermordung äußert und nicht wie Oedipus seinen Vater ermordet und seine eigne Mutter geheirathet hat und darüber in Raserei geräth, begann ich, sowie das Stichwort mich zum Reden aufforderte, meine Rolle mit einer Art von Gebrülle im tiefsten Baßtone und mit den grimmigsten Gesichtern, nach des Theatermeisters, und mit allen Hebungen der Arme, Setzungen der Füße und malerischen Attitüden, nach des Balletmeisters Unterricht zu deklamieren und zu gestikuliren. Mein Mitrömer stand dagegen wie eine Bildsäule, ohne die geringste Bewegung, und quikte seine Rede in einem (Castratemene her. Dieser abscheuliche Kontrast erregte natürlicherweise das lauteste Gelächter. Der in seinem Blute sich noch wälzende Cäsar - Schönemann - schimpfte und fluchte ...20

Schönemann konnte nach dem Eklat nur mit Mühe von seiner Tochter und Ekhof abgehalten werden, Brandes wieder zu entlassen. Deutlich wird hier die problematische Ausbildungssituation von Schauspielanfangern, da sich beide Neulinge - in konträrer Weise - falsch bzw. unangepaßt verhalten hatten: der Darsteller des "Mitrömer", weil er weder das gestische Spiel, d.h. die "körperliche Beredsamkeit", noch eine der Rolle adäquate Deklamation beherrschte - wobei der Kastratenton möglicherweise auf einen jungen Mann im Stimmbruch verweist -, während Brandes sowohl in der Modulation des Tons als auch im Bereich des Gebärdenspiels den in der Schweriner Akademie diskutierten und fur richtig befundenen mechanischen Teil der Regeln Ludovico und Francesco Riccobonis einbrachte. Der Ballettmeister Georg Ehrenfried Mierk hatte unter anderem die Anweisung gegeben: ...bei einer solchen Bewegung der Hände müsse sich erst der obere Teil des Arms vom Körper lösen, bis zu einer gleichen Linie langsam erheben und dann in der Mitte sanft biegen; hierauf würde der untere Theil und endlich die Hand in Bewegung gesetzt, welche nun, mit leicht gesenkten Fingern, den Inhalt des

19 ibid. S.168. - So berichtet noch der Dresdner Hofschauspieler Carl Sontag, daß Anfänger ohne Proben spielten, da man die "ersten Mitglieder" des Theaters "nicht zu einer Scenenprobe zu bestellen" wagte. (Carl Sontag: Vom Nachtwächter zum türkischen Kaiser: Bühnen-Erlebnisse aus dem Tagebuch emes Uninteressanten. - Hannover: Helwing, 1875/76. - S.41.) 20 Johann Christian Brandes: Meine Lebensgeschichte, a.a.O., S.170f.

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vorzutragenden Textes andeuten müsse - dies nannte er eine Schlangenlinie oder auch wellenförmige Bewegung. 21

Bei Francesco Riccoboni ist hierüber zu lesen: Damit die Bewegung des Armes weich sei, m u ß man folgende Regel genau beobachten: Wenn man einen davon erheben will, so m u ß der obere Teil desselben, der Teil nähmlich von der Schulter an bis zu den Ellenbogen, sich zuerst vom Körper losmachen und die anderen beiden Teile, welche nur nach und nach und ohne Übereilung in stärkere Bewegung müßten gebracht werden, mit sich in die Höhe ziehen. Die Hand muß ganz zuletzt gebraucht werden. Sie m u ß gegen den Boden zu gekehrt sein ...22

Brandes hatte diese mechanischen Anweisungen mit den deklamatorischen des Theatermeisters verbunden - "voll Vertrauen auf die tiefen Kunstkenntnisse dieser Männer ohne W i d e r s p r u c h " 2 3 , wie er hinzufügt. Die Kenntnisse Mierks können sicher nicht verallgemeinert werden: Mierk gehörte zu den herausragenden Ballettmeistern der Zeit. Er studierte bei Schönemann Pantomimen ein und war nach Schönemanns Auflösung der Truppe einer der drei Prinzipale der neu gebildeten Gesellschaft geworden. So hat Hans Devrient recht, wenn er den verpatzten Auftritt der "Thorheit des jungen talentlosen B r a n d e s " 24 zuschreibt. Dennoch gesteht auch er zu, daß in der von ihm als "Jahre des Verfalls" der Schönemannschen Gesellschaft bezeichneten Zeiths, wenig Gewicht auf die Ausbildung junger Schauspieler gelegt wurde.26

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ibid. S. 169. Francesco Riccoboni: Die Schauspielkunst, a.a.O., S.59 Johann Christian Brandes: Meine Lebensgeschichte, a.a.O., Bd.I,S.169. Hans Devrient: Johann Friedrich Schönemann und seine Schauspielergesellschaft, a.a.O., S.277 25 ibid.S.250. - Devrient unterlegt der Entwicklungsgeschichte der Schönemannschen Truppe ein im 19. Jahrhundert weit verbreitetes und am literarischen Fortschritt des Theaters orientiertes Modell, demzufolge es einen steilen Aufstieg der Truppe weg von den Harlekinaden und Balletten hin zur Schweriner Akademie gibt, die er als Höhepunkt der Entwicklung begreift. Mit der Wiedereinführung jener Ballette und Harlekinaden a b 1755 - die zweifelsohne ökonomisch bedingt war - beginnt für Devrient dann der Ύ β ^ Ι Γ der Truppe. Aber er ahnt auch das theaterhistoriographische Problem dieser Vorgehensweise: "Man darf den Standpunkt der Schönemannschen Schaubühne nicht nach ihrem höchsten fast unerreichten Idealstandpunkt, dort in den Akademieforderungen, oder auch nicht nur nach seinem tiefsten Stand des Anfangs und des Verfalls beurteilen. Es ist ungerecht, ein wachsendes, aufblühendes u n d wieder absterbendes Leben mit einem Schlagwort abzuthun."(ibid. S.251) - Historische Tatsache ist, daß Schönemann nach dem Tode Christian Ludwigs wieder das Wanderleben aufnehmen und sich an den Repertoirewünschen des Publikums orientieren mußte. Die Aufführungszahlen und die Tatsache, daß er sich, trotz eines finanziell mißglückten Einstiegs in den ihm fremden Pferdehandel, nach

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Dieses Beispiel zeigt, daß eine zünftisch orientierte Schauspielerausbildung versagen mußte, wenn berufsfremde Anfänger in eine Gesellschaft kamen, die aus ökonomischen Gründen darauf angewiesen war, den Neuling ohne ausreichende Vorbereitung sofort in der theatralen Produktion einzusetzen. Entscheidend verschärft wurde diese Problematik schließlich jedoch durch die Auflösung der meisten Truppen im Laufe des 19. Jahrhunderts und die Einrichtung feststehender Theater, in denen der Sozialverband der Gesellschaften, der "Staat im Staate"27, aufgelöst wurde zugunsten von jederzeit - wenn auch häufig nur einseitig - kündbaren Dienst- bzw. Arbeitsverhältnissen. Dies hatte weitreichende Folgen für die Ausbildungssituation junger Schauspieler, die von den Theaterschulreformern des 19. Jahrhunderts deutlich gesehen wurden. So schrieb noch 1861 Graf Hippolyt von Bothmer in einer Studie über DEUTSCHE THEATERSCHULEN, DEREN WERTH UND NOTHWENDIGKEIT in einem nostalgisch gefärbten Rückblick: Damals, als die einzelnen Schauspielerprincipale Deutschland durchzogen, waren die Verhältnisse in gewisser Hinsicht für die Ausbildung junger Talente günstiger als jetzt. Jeder dieser berühmtem Bühnenvorstände bildete gleichsam eine eigene Schule, und die jüngern Mitglieder entwickelten sich unter der strengen Aufsicht und gewissenhaften Leitung ihrer Vorbilder. Was ist für den innern Zusammenhalt der Schauspielkunst was ist für die Erziehung der Mitglieder geschehen, seitdem an die Stelle dieser in sich geschlossenen Verbindungen die Hoftheater getreten sind? Kein allgemeines Streben, ausgehend von der Gemeinschaftlichkeit einer geregelten Ausbildung, verbindet die einzelnen Darsteller und unterwirft sie den heilsamen Schranken ästhetischer Regeln. ... Jeder Einzelne strebt nur für sich nach Geltung und Gewinn. 28

Selbst Schauspielerkinder wurden jetzt nur noch auf der Bühne geduldet, wenn geringe oder gar keine Ausbildungskosten entstanden, oder sich der Unterricht Aufgabe der Prinzipalschaft im Jahre 1757 in sein neues Heim nach Schwerin zurückziehen konnte, zeigen seinen realistischen Sinn für die Zuschauerbedürfnisse der Zeit. 26 "In den landläufigen Darstellungen pflegt man unter 'Schönemannischer Schule' überhaupt ein vom Ballettmeister angelerntes affektiertes Sichgefallen in schönen Körperbewegungen zu verstehen. Das gilt jedoch nur für diese letzten Jahre (ab 1755 - P.Sch.) des Verfalls der Kunst, und auch hier ... nur sehr bedingt." (Hans Devrient: Johann Friedrich Schönemann und seine Schauspielergesellschaft, a.a.O., S.250) 27 Heinrich Theodor Rötscher: Plan zur Errichtung einer Theaterschule für darstellende Künstler, in hohem Auftrage ausgearbeitet / von Heinrich Theodor Rötscher. - in: Jahrbücher für dramatische Kunst und Literatur / redigirt von H. Th. Rötscher. - Berlin; Frankfurt: Crowitzsch, 1848. - S.l-28. - S.l. 28 Graf Hippolyt von Bothmer: Deutsche Theaterschulen, deren Werth und Nothwendigkeit. - Braunschweig: Westermann, 1861. - S.4f.

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angehender Schauspieler gar als Gewinn bilanzieren ließ. Realisiert wurde dies bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein durch ein Aufrechnungsmodell, das auch Theateijuristen für legitim hielten; Die Zusicherung von 'Ausbildung' statt pekuniären Entgelts als Vergütung ist bei Eleven im Bühnenleben nicht unmoralisch, wenn nicht die spezielle Proportion von Leistung und Gegenleistung gegen die guten Sitten verstößt. 29

Ein Verstoß contra bonos mores wäre etwa gegeben, wenn ein Eleve sechs Mark pro Unterrichtsstunde bezahlen müßte, keine Gage erhielte und bei einer Vertragsverletzung 500 Mark Konventionalstrafe zu zahlen hätte. 50 So entwickelte sich bereits im ausgehenden 18. Jahrhundert der Brauch, daß Schauspieler ihre Kinder bei anderen Schauspielern und oft an anderen Theatern gegen Entgelt in die Lehre gaben: eine Tendenz, die durch die Trennung des Sprech- und Musiktheaterbereichs - und die damit verbundene Spezialisierung noch verstärkt wurde. Bis ins ausgehende 18. Jahrhundert war es üblich, daß die Mitglieder von Wandertruppen in allen Sparten auftraten, wenngleich die meisten Prinzipale in der Regel besondere Fähigkeiten einzelner Darsteller nutzten. So war etwa Friedrich Ludwig Schröder zunächst häufig als Tänzer eingesetzt wordea Im Musiktheaterbereich hatten sich die Truppen auf das ökonomisch wie stimmlich leicht zu realisierende deutsche Singspiel konzentriert, während die aufwendigeren Formen dem Kulturimport aus Italien und Frankreich überlassen blieben. Dies änderte sich mit der Integration deutscher Sänger und Sängerinnen in die Ensembles der Hof- und Stadttheater, die eine entsprechende gesangstechnische Ausbildung aufweisen mußten, um die anspruchsvollen Partien in den Werken der meistgespielten Komponisten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts - Bellini, Donizetti, Mozart und Rossini - bewältigen zu können. Eine Gesangsausbildung, z.T. im Ausland vervollständigt, wurde zur Regel. Weitaus weniger gravierend waren die Veränderungen im Bereich des Sprechtheaters, da die im theaterhistoriographischen Schrifttum häufig erwähnte Literarisierung des Theaters die Arbeitsweise der meisten Schauspieler nur sehr langsam beeinflußte. Die bis weit ins 19. Jahrhundert hinein auftretenden Klagen von Theaterkritikern und -leitern über die schlechten Memorierfähigkeiten der Schauspieler, die schließlich auch in den zahlreichen Theatergesetzen ihren Niederschlag fanden, geben hiervon ein beredtes Beispiel. Dennoch bildete sich auch hier ein Spezialistentum: wie der Sänger oder die Sängerin, die die Partien eines Don Juan und Belmonte oder einer Norma und Lucia singen konnten, wurden Schauspieler und Schauspielerinnen, die erfolgreich in den 29 Fritz A. von Beust: Der Bühnenengagementsvertrag. Nach deutschem und schweizerischem Recht unter Berücksichtigung des österreichischen Theatergesetzentwurfs und der französischen Judikatur. - Zürich; Leipzig: Rascher, 1911. - S.63. 30 ibid. Anm.6.

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insgesamt selten gespielten - Verstragödien der deutschen Klassiker auftraten, zu begeistert aufgenommenen Virtuosen. Eine weitere Unzulänglichkeit vor allem im Sprechtheaterbereich, die mittels kontrollierter Ausbildung behoben werden sollte, sahen die Anhänger der Aufklärung in der Diskrepanz von sittlich-moralischem Verhalten des Schauspielers und der gesellschaftlichen Funktion des Theaters. Sollte das Theater eine Sittenschule sein, mußte der Schauspieler vom Makel seiner Herkunft befreit werden. Wie dies durch administrative und pädagogische Eingriffe - die im Untersuchungszeitraum allerdings Utopie blieben - bewirkt werden sollte, wird weiter unten noch zu sehen sein. Betrachtet man dagegen die Wirklichkeit des Theateralltags vom letzten Drittel des 18. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts, zeigt sich ein interessantes Phänomen: mit dem zunehmenden Interesse aufklärerisch gesinnter Kreise, die publizistischen Möglichkeiten des Theaters fur eigene Zwecke zu nutzen und die Bühne zur Kanzel zu machen, stieg an den Theatern die Zahl berufsfremder Anfanger, deren Eltern sich, wie bereits im vorhergehenden Kapitel ausfuhrlicher dargestellt, aus eben jenen Kreisen rekrutierten. Diese Söhne und Töchter, die hinsichtlich ihrer Erziehung, ihrer damit verbundenen sittlich-moralischen Wertvorstellungen wie auch ihrer sozialen Gewohnheiten und Umgangsweisen nicht mit ehemaligen Vagabunden vom Schlage Brandes' zu vergleichen waren und sicher auch nicht verglichen werden wollten, waren häufig gezwungen, bei Wandertruppen in die Lehre zu gehen, was immer mit einem gravierenden sozialen Abstieg und oft auch mit einer - im Sinne des gebildeten Bürgertums verstandenen - sittlichen Verwahrlosung verbunden war. Der Journalist und Literat Adalbert Cohnfeld hatte dies 1844 in einer Eingabe an das preußische Innenministerium, in der er um Errichtung einer privaten Schauspielschule nachsuchte, deutlich formuliert: Nicht minder wird den Schauspielern ihre Laufbahn oft zum sittlichen Verderben, weil sie genötigt sind, ihre Schule bei jenen kleinen Wandertruppen zu machen, die, zum Teil moralisch verwahrlost, jedenfalls durch ihre ungünstigen ökonomischen Verhältnisse der sittlichen Verschlechterung der Mitglieder Vorschub leisten. Endlich aber hat die steigende Teilnahme für das Theater viele Söhne und Töchter aus anständigen, gebildeten und begüterten Familien bewogen, sich dem Theater zu widmen, und für diese ist es nun um so viel peinvoller, sich für den Anfang ihrer Laufbahn behufs der Erlangung der Routine bei den übel situierten Wandertruppen aufzuhalten. 31

Um dies zu verhindern, entwickelte sich in jenen Theaterorten, in denen weder Hoftheatralpflanzschulen noch Konservatorien noch andere institutionalisierte

31 zit. in: Assmann: Deutschlands Theaterschulen im 18. und 19. Jahrhundert, a.a.O., S.69

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Ausbildungsmöglichkeiten vorhanden waren - und dies war die Regel32 -, ein Markt für eine private, nicht-institutionalisierte Schauspielerausbildung, dessen Vorteile, neben den berufsfremden Anfängern, zunehmend auch die oben erwähnten Schauspielerkinder in Anspruch nahmen, soweit deren Eltern über die nötigen finanziellen Mittel verfügten. Je nach Sparte wurden die Schüler von literarisch gebildeten Schriftstellern und Gymnasialprofessoren, von ehemaligen oder noch aktiven Schauspielern und Sängern oder von Kirchenmusikern und Kantoren gegen (meist) geringes Entgelt unterrichtet. Die Qualität dieser Ausbildung dürfte je nach Lehrer sehr unterschiedlich gewesen sein: die im theaterhistoriographischen Schrifttum und in den Entwürfen für die Einrichtung von staatlichen Schauspielschulen häufig zu findende pauschale Ablehnung privater Schauspielerausbildung läßt sich, zumindest für das 19. Jahrhundert, nur von der heutigen Ausbildungssituation aus rechtfertigen. Anlaß und Weg dieser privaten Schauspieler- und Sängerausbildung blieben häufig dem Zufall überlassen, da dem ersten Ausbildungsschritt des berufsfremden Anfangers die Entdeckung tatsächlicher oder vermeintlicher Talente vorausgehen mußte. Die Lebenserinnerungen der Sängerin und Schauspielerin Agnese Schebest geben auch hier ein gutes Beispiel: Nachdem sie, wie bereits erwähnt, durch vielfältige Vermittlungen mit dem Dresdner Kammersänger und Gesangslehrer Johannes Miksch in Kontakt kam, unterzog dieser sie einer umfangreichen gesangstechnischen Prüfung, die eine gründliche und medizinisch fundierte anatomische Untersuchung der Stimmorgane einschloß. Er entdeckte auch stimmliche Probleme bei den "Registerübergänge(n) in der untern wie in der obern Oktave" 3 3, die er für korrigierbar hielt, und sagte eine kostenlose Gesangsausbildung zu. 34 Zudem vermittelte er über einen Freund, der wie32 Abgesehen von den weiter unten noch beschriebenen Hoftheatralpflanzschulen, gab es in Städten wie Berlin und Wien im 19. Jahrhundert Theaterbildungsanstalten des jeweiligen Hoftheaters, die de facto einer organisierten Privatausbildung glichen: Bestimmte Mitglieder des künstlerischen Personals wurden verpflichtet, Theaternachwuchs auszubilden. So meldete etwa Heinrichs THEATER-ALMANACH AUF DAS JAHR 1846 für die Kgl. Schauspiele Berlins unter der Rubrik "Vorstände der Theater-Bildungsschulen" den Musikdirektor Hahn als Gesangslehrer, die Schauspielerin Auguste Crelinger als "Lehrerin des Deklamations-Instituts", den Ballettmeister Hoguet als Ausbilder für Solotänzer usw. (S.4f.) 33 Agnese Schebest: Aus dem Leben einer Künstlerin, a.a.O., S.26 34 Da Miksch in der Regel pro Unterrichtsstunde einen Dukaten (ibid. S.15) nahm, kann man davon ausgehen, daß er auf das Honorar verzichtete, weil ihm seine Schwester von der finanziellen Situation der Familie Schebest erzählt hatte und er seiner Verwandten eine Gefälligkeit erweisen wollte bzw. mußte. Agnese Schebest berichtet über Mikschs Situation: "Miksch hatte ... noch viele arme Verwandte, die alle keine geringen Gaben von ihm empfingen und die, weil sie einmal gehört hatten, daß er einen Dukaten für die Stunde bekomme, nicht ganz

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derum eine arme Witwe kannte, seiner Schülerin in deren Wohnung eine Ubernachtungsmöglichkeit, fiir die, inklusive Verpflegung, monatlich 4 Thlr. zu bezahlen waren: ein Betrag, der augenscheinlich ohne größere Mühen aufgebracht werden konnte. Hinzu kam, daß Agnese Schebest für die gichtkranke Vermieterin Dienstbotenarbeit verrichtete. Die Ausbildung Agnese Schebests, die anfangs weder Noten lesen noch Klavier spielen konnte, dauerte zwei Jahre, in denen sie - zunächst "wöchentlich in 2 Stunden"35 - von Miksch unterrichtet und dann auch, zur Stärkung des Selbstvertrauens bei öffentlichen Auftritten, in den von Miksch geleiteten "Dresdener Singechor", der in Kirche und Oper Verwendung fand, eingegliedert wurde. Für diese Tätigkeit erhielt sie eine Gage von 8 Thlrn. und 8 Groschen monatlich, durch die sie ihre Mutter von den Mietzahlungen befreien konnte. Über die Ausbildung selbst läßt sich aus Agnese Schebests Aufzeichnungen ersehen, daß Miksch "neben der Tonbildung nicht nur die Anfangsgründe der Musik von a an auf das G r ü n d l i c h s t e " 36 lehrte, sondern vor allem auch auf den gestischen Charakter des jeweiligen musikalischen Ausdrucks sein Hauptaugenmerk richtete. Er entwickelte hierzu Übungen, die auch in der heutigen Schauspielerausbildung noch gebräuchlich sind, um die persönliche oder gesellschaftliche Haltung des Sängers zur und in der Rollenfigur dem Zuschauer deutlich zu machen. Diese Kenntnisse schöpfte Miksch zweifellos aus schauspielerischer Erfahrung und einer zumindest bis auf Schröder und Iffland zurückreichenden Sprechtheatertradition. 3 7 Möglicherweise kannte er auch Francesco

selten kamen, um bei seinem Mitleid anzuklopfen. Da sie keine kleine Summe von Einkünften zusammenbrachten, wenn sie berechneten, daß man recht leicht täglich 12 Stunden geben könne; und wenn er gar noch die Nächte dazu verwendete, mußte der Mann, der nebenher auch noch einen bedeutenden Gehalt hatte, mit Dukaten gar nicht wissen, wo hinaus."(ibid. S.15f.) 35 ibid. S.32. 36 ibid. 37 Problematisch erscheint in diesem Zusammenhang allerdings Agnese Schebests Hinweis: "Solche freilich, die in dem Wahne leben, der Künstler müsse erst durch Erlebnisse herangereift werden, um diesem schönen Worte (gemeint ist das Wort 'Liebe', an dem Miksch verschiedene Haltungen bei der stimmlichen Darstellung demonstrierte - P.Sch.) und der ganzen Skala von Leidenschaften und Seelenstimmungen den richtigen, vollen Ausdruck geben zu können; solche wissen wohl kaum, auf wie gar zu bescheidener Stufe ihre Begriffe von der Aufgabe des Künstlers, stehen. So lange nicht eine höhere Idee, durch edle Grundsätze geläutert, sein Schaffen und Walten durchdringt und belebt, so lange der alles verklärende Schimmer der Poesie seine Gebilde nicht vergeistigt, so lange könnte sein Auge leicht wohl nur trüber werden durch den Eindruck wirklicher Erlebnisse."(ibid. S.36.) Angesichts der klaren und deutlichen Beschreibung Mikschscher Arbeitsweise vor und nach diesem Zitat wirkt Agnese Schebests Einschub in mehrerer Hinsicht wie ein Fremdkörper.

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Riccobonis Schrift, DIE SCHAUSPIELKUNST, in der im Abschnitt über die "Einsicht" ähnliche Gedanken entwickelt werden.38 Entscheidende Bedeutung hatte allerdings, daß Miksch dieses Wissen auf den Umgang mit musikalischem Material übertrug. Verhältnismäßig spät übte er mit seiner Schülerin eine Opernpartie ein: diejenige des Benjamin in hella Oper JOSEPH UND SEINE BRÜDER, wobei er die Einstudierung des Stimmparts übernahm, während die ehemalige Weimarer und jetzt Dresdner Schauspielerin Friederike Margarete Werdy für die Ausbildung "im Vortrag des Dialogs und in der Repräsentat i o n ' ^ gewonnen wurde. Im Besitz dieser einzigen Rolle gelang es schließlich Agnese Schebest mit tatkräftiger Unterstützung Johannes Mikschs, der noch eine Reihe von Intrigen bereits engagierter Schauspieler zu überwinden hatte, mit einer Gage von 100 Thlr. ins Dresdner Ensemble aufgenommen zu werden. Bereits das Debut war so erfolgreich, daß auf königlichen Befehl die Gage verdoppelt wurde und Miksch den Auftrag erhielt, Agnese Schebest mit drei Wochenstunden weiterhin zu unterrichten, während Friederike Margarete Werdy ihr "den Dialog und die Darstellung"*«) aller folgenden Rollen "gratis" einstudierte. Zudem nahm sie Stunden in Italienisch, Tanzen, Reiten, Klavier- und Generalbaßspiel Letztere mußte sie selbst bezahlen.41 Agnese Schebests qualitativ hochstehende Gesangsausbildung war zweifelsohne auch bei berufsfremden Anfängern nicht der Regelfall, wenngleich die Eisenbergschen Kurzbiographien in jenen Fällen, in denen Angaben gemacht werden, oft eine formal vergleichbare musikalische oder gesangstechnische Ausbildung bei angehenden Sängern und Sängerinnen erwähnen. Bei Sprechtheaterschauspielern und -Schauspielerinnen war dagegen die - mehr oder weniger gelungene - Ausbildung durch andere Schauspieler erst nach Kontraktschluß üblich. Aber auch hier fand sich bisweilen ein bedeutenderer Schauspieler, wie etwa der von Anna Löhn-Siegel erwähnte Leipziger Schauspieler, Regisseur und Literat Heinrich Marr, der ihr während seiner Engagementszeit 1847/48 Unterricht gab. 42

38 Francesco Riccoboni: Die Schauspielkunst, a.a.O., S.70-73. 39 Agnese Schebest: Aus dem Leben einer Künstlerin, a.a.O., S.38. - Friederike Margarete Port betrat in Weimar unter Goethes Leitung erstmals die Bühne. Sie war zuerst mit dem Schauspieler Voß und, nach dessen Tod, mit dem Schauspieler Werdy verheiratet. 40 ibid. S.46 41 ibid. 42 Anna Löhn-Siegel: Aus der alten Coulissenwelt: mein Engagement am Leipziger und Magdeburger Stadttheater in den Jahren 1847 und 1848. - Leipzig: Friedrich, 1883. - S.42. Anna Löhn-Siegel schrieb in diesem Zusammenhang, daß Schauspielanfängerinnen wie Kellnerinnen behandelt wurden und gibt als Beispiel Heinrich M a r r , der ihr Schauspielunterricht in eindeutigen Absichten anbot: "... allein er (d.i. Marr - P.Sch.) schien an mir und meinem Wesen - größte

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Auf die Breite gesehen, lassen sich für den hier gesetzten Untersuchungszeitraum über Umfang und Art dieser Form der Schauspielerausbildung leider nur wenig genaue Angaben machen, da quantifizierbare Unterlagen fehlen. Zutreffen dürfte jedoch für die Mitte und die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts von Bothmers Hinweis, daß sich "fast in allen Städten Deutschlands ... einzelne Künstler und Künstlerinnen, gewöhnlich solche, die sich von der Bühne zurückgezogen haben, mit der Ausbildung junger Talente" befassten^, wenngleich seine Anmerkung, dies geschehe "ohne Einsicht in den Geist und die höhere Bedeutung der dramatischen Kunst"44, wohl eher der Beförderung seines Theaterschulplanes dienen soll und nur einen Teil der Wirklichkeit trifft. Bis 1834 war jegliche Form der Privatausbildung entweder konzessionsfrei oder durch Auflagen der jeweiligen Lokalbehörden geregelt. Mit der AKO vom 10. Juni 1834 wurden schließlich die Einrichtung und Überwachung von "Privaterziehungsanstalten" für den Geltungsbereich des ALR geregelt: §. 3. Wer eine Privaterziehungs- oder sogenannte Pensions-Anstalt errichten will, muß bei derjenigen Behörde, welcher die Aufsicht über das Schul- und Erziehungswesen des Ortes aufgetragen ist, seine Tüchtigkeit zu diesem Geschäfte nachweisen, und seinen Plan, sowohl in Ansehung der Erziehung, als des Unterrichts zur Genehmigung vorlegen.4S

Wer lediglich "Lehrstunden in den Häusern" gegen Entgelt gab, mußte bei der jeweiligen Schulbehörde seine "Tüchtigkeit" nachweisen und sich "mit einem Zeugnisse darüber versehen lassen"4^. Die Art des Befähigungsnachweises Hochachtung vor dem Künstler und Regisseur, entschiedene Abwehr einer Behandlung à la Kellnerin - immer weniger Geschmack zu finden, und von den Unterrichtsstunden war bald keine Rede mehr."(ibid.) Obwohl Anna Löhn-Siegels Aussagen über Marrs Verhalten Kolleginnen gegenüber nicht bestreitbar sind, kann Marrs nachlassendes Interesse an der Schauspielerausbildung auch damit zusammenhängen, daß er nach der Spielzeit 1847/48 vom Leipziger Stadttheater abging und sich so sein Engagement für die Leipziger Theaterverhältnisse in Grenzen gehalten haben dürften. Marr selbst gehörte zu jenen Schauspielern, die es meist nur wenige Jahre an ein und demselben Theater hielt. Zudem läßt sich Anna Löhn-Siegels Bemerkung über die Behandlung von Anfängerinnen auch schwer mit der Feststellung Gisela Schwanbecks in Ubereinstimmung bringen, Schauspieler und Schauspielerinnen seien - im Gegensatz zum sozialen Umgang zwischen Mann und Frau außerhalb des Theaters - kollegial und gleichberechtigt miteinander umgegangen. Gleiches berichtet Anna Lohn-Siegel selbst (Aus der alten Coulissenwelt, a.a.O., S.349.). Möglicherweise handelte es sich in Leipzig um eine Ausnahme: für eine Verallgemeinerung fehlen jedenfalls entsprechende Dokumente. 43 44 45 46

Hippolyt von Bothmer: Deutsche Theaterschulen, a.a.O, S.7. ibid. S.7f. ALR Teil 2; XII, §3. ibid. §8.

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selbst ist nicht weiter geregelt, d.h. die einzelne Behörde konnte von sich aus Entscheidungskriterien festlegea Ausgenommen von §3 ALR waren die Theatralpflanzschulen der Hoftheater und damit auch Schauspieler, die im Rahmen sogenannter "Theater-Bildungs-Anstalten" der Hoftheater - defacto oft auf privater Basis - Schauspiel- oder Gesangsunterricht erteilten. Eine ausschließlich staatliche Kontrolle des öffentlichen und privaten Schulwesens wurde erst 1872, also nach der Reichsgründung, gesetzlich festgeschrieben. 47 Man kann davon ausgehen, daß die meisten Schauspieler ihre Nebentätigkeit nicht meldeten, zumal derartige Tätigkeiten auch von der preußischen Gewerbeordnung ausdrücklich ausgeschlossen und damit den entsprechenden Kontrollen entzogen waren.48 Institutionalisierte private Theaterschulen treten, wie Peter Lackner anhand einschlägiger Almanache nachgewiesen h a t 4 9 , erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und dann vor allem nach der Reichsgründung an die Öffentlichkeit und werben um Schüler.so Daß von der Zahl der Anzeigen bzw. der Eintragungen in der 1893 erstmals im NEUER THEATER-ALMANACH er47 Gesetz vom 11. März 1872. 48 G.O. I; §6. - §35 GewO nimmt allerdings den Tanzunterricht davon aus und stellt ihn dem Turn- und Schwimmunterricht gleich. Die dahinterstehende Rechtsauffassung geht davon aus, daß die Vermittlung körperlicher Fähigkeiten unter die Verordnungen der GewO fällt, während die Vermittlung geistiger Fähigkeiten den entsprechenden Gesetzen über das Schul- und Erziehungswesen unterliegt. 49 Peter Lackner: Schauspielerausbildung an den öffentlichen Theaterschulen der Bundesrepublik Deutschland, a.a.O., S. 11-16. - Ungenau und z.T. nicht nachweisbar sind dagegen Lackners Aussagen über die jeweilige Organisationsform der Schauspielschule, da er zwischen Unterricht in Instituten und Unterricht "von Einzelpersonen auf privater Basis" unterscheidet (ibid. S.14; Hervorhebung von mir.), was unterstellt, die Institute - er bezieht sich hier auf die Hamburger Theaterschule Marie Stolte-Sterns - seien nicht auf privatrechtlicher Basis geführt worden. Diese Unterscheidung führt dann hinsichtlich der Anzeigen von sieben Berliner Theaterschulen im NEUER THEATER-ALMANACH von 1893 zu der Folgerung: "Alle scheinen Einzelunterricht bei sich zuhause zu erteilen, mit Ausnahme der schon erwähnten Rosa Braunschweig's Akademie für Schauspielkunst und Dr. Ad. Schwarz, Dramat. Lehrer an der Kgl. Hochschule a. D.".(ibid. S.15.) Die Anzeigen selbst verraten dagegen nichts, ob einzeln oder in Gruppen unterrichtet wurde. 50 So schreibt Gotthard Hübner 1876: "Im Allgemeinen darf behauptet werden, daß Derjenige, welcher eine Theaterschule errichtete, mit voller Liebe und Hingabe für die Sache eine pecuniar undankbare pädagogische Aufgabe übernahm. Doch - - leider ist auch dieses Gebiet der Thätigkeit neuerdings zu einem Objekt finanzieller Speculation geworden." (Gotthard Hübner: Der § 32 der ReichsGewerbe-Ordnung und die Theater-Schulfrage / von Gotthard Hübner. - Leipzig: Wölfert, 1876. - S.13.

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scheinenden Rubrik "Konservatorien, Musik-, Gesangs- und Theaterschulen" nicht auf die Anzahl der tatsächlich existierenden privaten Theaterschulen geschlossen werden kann, zeigt sich, zumindest indirekt, bereits in Lackners Untersuchung. s ι Neben diesen Formen der Ausbildung von Schauspielern und Sängern durch Schauspieler und Sänger gab es jedoch eine Reihe von Initiativen und Versuchen, eine geregelte Schauspielerausbildung einzuführen, wenngleich die meisten dieser Projekte nie über das Stadium der Planung hinauskamen oder wenn sie doch realisiert wurden - aus Mangel an Geld und Interesse nach kurzer Zeit wieder scheiterten. Die häufigste Ausbildungsform, quantitativ betrachtet, blieb jedoch bis ins 20. Jahrhundert die Ausbildung von Schauspielern durch Schauspieler, sei es indirekt: durch Beobachtung und Nachahmung, oder direkt: durch den Unterricht in einer - wie auch immer gearteten - privaten Schauspielschule. Alle anderen Ausbildungstheorien und -formen blieben in ihrer Zeit marginal, besitzen andererseits jedoch außerordentliche Bedeutung in der Entwicklungsgeschichte des Diskurses um eine institutionalisierte, staatlich geregelte Schauspielerausbildung, die schließlich im 20. Jahrhundert verwirklicht wurde.

Ausbildungskonzepte und -formen des 18. und 19. Jahrhunderts Obwohl eine Vielzahl von Argumenten für die Einführung einer geregelten und dem Schulwesen angeglichenen Schauspielerausbildung in nahezu allen Promemoriae, Skizzen und Plänen gleichlautend zu finden ist, lassen sich hinsichtlich des tatsächlichen, geplanten oder realisierten, Verwendungszwecks mehrere Organisationsformen unterscheiden: (1) Das Theaterphilantropin der Aufklärer (2) Die Theatralpflanzschule der Hoftheater (3) Die Theaterbildungsanstalt des 19. Jahrhunderts (4) Die Theaterakademie

52 s. besonders: Peter Lackner: Schauspielerausbildung in der Bundesrepublik Deutschland, a.a.O., S.15: "Ob diese Anzeigen für Unterricht in Berlin und anderswo alle damals existierenden Ausbildungsunternehmen dokumentieren, ist zweifelhaft. Sicherlich gab es andere, die nicht zu diesem Mittel der Bekanntmachung griffen, sondern die durch fachinterne Wege um Schüler werben konnten." Dies gilt m.E. auch für den Almanach von 1893: Lackner zählt 46 Eintragungen für 23 Städte, wobei die "sieben Berlin-Eintragungen für Dramatischen Unterricht ... hauptsächlich andere Personen als in den Anzeigen des gleichen Jahres" für Berlin betrefTen.(ibid.)

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Die Form der Theaterakademie bildet hierbei eine Ausnahme, da sie nur marginal der Aus-, sondern hauptsächlich der Weiterbildung und der Reflexion über die Tätigkeit des Schauspielers diente. Fließend sind zudem die Übergänge zu jenen Schauspieler-Vereinigungen, die ihren Zweck in der Verbesserung der sozialen Lage des Schauspielerstandes sahen.

Theaterphilantropin-Konzepte des 18. Jahrhunderts Im Rahmen der Auseinandersetzung bürgerlicher Literaten und Wissenschaftler um die Aus- und Weiterbildung von Schauspielern wurden Sinn und Zweck von Theaterschulen kontrovers beurteilt, wobei bei den Gegnern derartiger Einrichtungen die Frage, ob man Schauspielerkunst lehren könne, im Zentrum stand. Der Burgtheaterschauspieler Heinrich Anschütz hat die immer wieder vorgebrachten Argumente in einem Brief an einen jungen Mann, der Schauspieler werden wollte und nach einer geeigneten Ausbildungsmöglichkeit suchte, zusammengetragen: Lieber junger Mann, die Schauspielkunst lässt sich nicht lehren, sie lässt sich bei angeborenem Talent durch unermüdliche Beobachtung und Übung nur erlernen. ... Jeder, der sich zum Lehrer oder Professor der Declamations- oder Schauspielkunst aufwirft, betrügt sich und Andere um die Zeit und wenn er sich den Unterricht bezahlen lässt, nimmt er dem Schüler nur das Geld ab. Was ist die Folge eines solchen Unterrichts? Dass der Schüler ein halb Dutzend Rollen hersagen kann; dass er unwillkürlich die Äusserlichkeiten seines Vorbildes abmerkt, den Tonfall und gewisse Accentuirungen nachmacht. Den Geist des Lehrers saugt er nicht ein, sondern wie er sich räuspert und wie er spuckt, das heisst seine Manier oder Unmanier.52

Den Verfassern von Traktaten über und Plänen für Theaterschulen ging es jedoch selten um die Technik der Schauspielkunst. Ihr Augenmerk konzentrierte sich vielmehr auf die neuen, durch die Literarisierung des Theaters entstandenen Anforderungen und - hier lag der Schwerpunkt - auf das moralische Verhalten des Schauspielers im öffentlichen Leben. "Das Theater soll eine Sittenschule sein", forderte der Schauspieler Johann Friedel in einem PHILANTROPIN FÜR SCHAUSPIELER betitelten Aufsatz53) der 1782 erstmals in Reichards Theateijournal und zwei Jahre später in einer Sammlung der Schriften Friedeis

52 zit. n. Schauspielerbriefe aus zwei Jahrhunderten / ausgewählt von Manfred Barthel. - München: Funck, 1947. - S.214f. 53 Johann Friedel: Philantropin für Schauspieler, in: Theater-Journal auf das Jahr 1781, a.a.O., 17. Stück, S.16-27. - S.17. - Der zweite Teil des Philantropins ist veröffentlicht in: Theater-Journal auf das Jahr 1782, a.a.O., 18. Stück, S. 16-28.

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erschienst Dieser Sittenschule fehle jedoch, so Friedel, die moralische Integrität des Schauspielers. Diese zu schaffen, schlug Friedel die Einrichtung eines Philantropins vor, um durch "frühe Bildung des Schauspielers" zur "wahren Verbesserung der Sitten"5 5 dieses Standes beizutragen. Die Auswahl der Zöglinge sollte bereits in der Allgemeinschule durch Lehrer im Rahmen von Schulaufluhrungen erfolgen: dies garantiere Fähigkeiten in Lesen und Schreiben, eine sittlich wie religiös tadellose Grundhaltung und Kenntnisse in den Bereichen Moral, Geographie und Geschichte entsprechend der in den Schulbüchern vorgegebenen kindgerechten Verarbeitung. Und es garantiere vor allem auch eine öffentliche Kontrolle des Schauspielwesens, da - ohne daß Friedel explizit daraufhinweist - den Kindern von Schauspielern jede Chance einer theatralen Laufbahn genommen wäre: bedingt durch das ständige Wandern, konnten sie derartige Schulen in der Regel nicht besuchen. Bedenkt man, daß im Zeitraum zwischen 1775 und 1800 knapp 60% der Darsteller aus Schauspielerfamilien stammten, hätte eine konsequent durchgeführte Realisierung des Friedeischen Plans eine radikale Umwandlung der Sozialstruktur des Schauspielerstandes hervorgerufen: innerhalb von zwei bis drei Generationen wäre der Schauspielerberuf vollständig in den bürgerlichen Berufskanon integriert worden. Daß es hierzu nicht kam, lag an den nicht-gleichgerichteten Interessen der von Friedel und vielen anderen Reformern ins Auge gefassten Geldgeber: den jeweiligen Landesherren. Im Zentrum der Ausbildung zum Schauspieler steht bei Friedel die, durch Lektürekurse und Referate unterstützte, Vermittlung der deutschen Literaturund Theatergeschichte und einer, nicht weiter ausgeführten, aber augenscheinlich humoralpathologisch verstandenen, Affektenlehre. Für den theaterpraktischen Teil der Ausbildung, den er als "unterstützend" begrifft, sieht der Plan - etwas bunt gewürfelt und zusammenhanglos - Tanzkunst, Pantomime, verstanden als "höhere Tanzkunst" 5 7 , Mimik, Rhetorik und Kostümkunde vor. Wer den Schülern dies alles vermitteln sollte, bleibt für Friedel angesichts fehlender Persönlichkeiten ungeklärt. Eine Ausbildung durch Schauspieler bzw. Pensionäre lehnte er ab, da sie noch nicht für eine derart verantwortungsvolle Tätigkeit geeignet seien. Daß der Schauspieler-Literat Friedel, wie vor ihm schon Löwen in seiner GESCHICHTE DES DEUTSCHEN THEATERS, hier indirekt die eigene Person empfiehlt, kann angenommen werden. In einem, ebenfalls bei Reichard veröffentlichten Artikel mit dem Titel THEATERRE-

54 Johann Friedel: Philantropin für Schauspieler, in: Johann Friedeis gesammelte kleine gedruckte und ungedruckte Schriften / den Freunden der Wahrheit gewidmet. - Wien, 1784. - S. 147-173. 55 ibid. S.152. 56 ibid. S.160. 57 ibid. S. 161.

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C E N S I O N 5 8 schlug er dann auch vor, daß die Rezensenten sich der Aus- bzw. Weiterbildung von Schauspielern annehmen sollten. Hinsichtlich der institutionellen Realisierbarkeit verweist Friedel auf bereits vorhandene Einrichtungen zur Ausbildung von Schauspielern in Hildburghausen und Mannheimsvor allem aber auf die, auch von anderen häufig in die Debatte gebrachte, Pariser Theaterschule Dorats und Pervilles. Und er schlägt Philantropin-Versuche in Wien, Hamburg und Berlin vor, wobei er Wien die größte Chance einräumt. Unter weitgehender Verkennung der Funktion der Müllerschen Kindertruppe hofft er hier auf eine Finanzierung durch den Adel und appelliert an dessen staatsbürgerliches Gewissen: Ist die Wollust, dem Staate rechtschaffene Bürger genährt zu haben, nicht eben der großmüthigen Unterstützung werth, wie itzt das Vergnügen, Knaben und Mädchen selbst spielen zu suchen?60

An einer "Pflanzschule, worinn nicht der praktische Schauspieler blos, sondern auch der tugendhafte Mann und nützliche Bürger gezogen"61 werden sollte, war ein hauptsächlich sein sichtbares Vergnügen finanzierender Adel jedoch ebensowenig interessiert wie ein städtischer Magistrat. Und selbst dort, wo Landesherren Theatralpflanzschulen einrichteten, waren ökonomische Gründe ausschlaggebend, die für den Wiener Adel nicht in Frage kamen: er hätte bestenfalls zur Ausbildung von Schauspielern für das kaiserliche Hoftheater beigetragen, auf dessen Etat und Spielplangestaltung er keinen Einfluß hatte. In Wien selbst hatte Johann Heinrich Friedrich Müller für Joseph II. den Plan für eine Schauspielschule - in der Literatur als "Müllersches Philantropin" bekannt 62 - ausgearbeitet, der jedoch in dieser Form nur rudimentär realisiert wurde.6 3 wie Friedel fordert Müller literaturwissenschaftliche Kenntnisse, All-

58 Johann Friedel: Theaterrecension, in: Theater-Kalender auf das J a h r 1782, a.a.O., S.94ff. 59 In Hildburghausen unterrichtete ein Schauspieler namens Wolfram junge Schauspieler. Über die Mannheimer Theaterschule des Schauspielers Lorenz siehe weiter unten. 60 Johann Friedel: Philantropin für Schauspieler, in: Johann Friedeis gesammelte kleine gedruckte und ungedruckte Schriften, a.a.O., S.168. 61 Johann Friedel: Philantropin für Schauspieler, in: Theater-Journal auf das Jahr 1782, a.a.O., S.23. 62 s. Fritz Assmann: Deutschlands Theaterschulen, a.a.O., S.35-38. 63 Müller erhielt 1779 die Erlaubnis zur Einrichtung einer Theaterschule im Theater am Kärtnertor, die er auf "eigene Gefahr und Rechnung" zu betreiben hatte. (Assmann: Deutschlands Theaterschulen im 18. und 19. Jahrhundert, a.a.O., S.33.) Er unterrichtete dort seine eigenen und fremde Kinder und veranstaltete öffentliche Aufführungen, u.a. eigener Stücke. Eduard Devrient schrieb über dieses Unternehmen: "Dies Verfahren, dressierte Kinder zu öffentlichen Darstellungen zu bringen, lag freilich weitab von einer gesunden künstlerischen Erzie-

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gemeinbildung und Urteilskraft und entspricht mit seinen Personalforderungen ein Religionslehrer, zwei Wissenschaftler mit ebensovielen diese unterstützenden Lehrern, ein Tanzmeister und ein Schauspieler - den Friedeischen Vorstellungen. Auch die theaterpraktische Ausbildung kommt bei Müller nicht über Rhetorik, Mimik und die Einübung von Körperbewegungen "nach den Mustern der großen Welt und den Regeln der Tanzkunst"64 hinaus. Glaubt man Müller, wurde dieser Plan von Lessing, den er am 25. Oktober 1776 während seiner bereits erwähnten Reise in Wolfenbüttel traf, initiiert. Lessing, durch Flugschriften über den Zustand und die Schwächen des Wiener Theaters unterrichtet, schlug Müller vor Machen Sie Ihrem Kaiser Vorstellungen, ein Theater-Philantropin zu errichten, so wie der Kurfürst von der Pfalz gegenwärtig eine Singschule gestiftet hat, die viel Gutes verspricht. Jede Kunst muß eine Schule haben, in der frühesten Jugend durch gute Grundsätze vorbereitet und geleitet werden. Nur dadurch, durch eifriges Studium und mühsamen Schweiß erwirbt sich der darin gebildete Schauspieler das Recht auf die Achtung und Ehre seiner Zeitgenossen. 6 5

Wichtig erschien Lessing, daß "alle Empfindungen, Leidenschaften, Neigungen und Fähigkeiten... in ihrem ersten Keim geleitet werden, wo das weiche, unbefangene Herz noch jeder Biegung gehorcht", sowohl was die moralische als auch was die künstlerische Bildung betrifft66: ein allen Philantropinplänen und -versuchen zugrundeliegender Gedanke in der, für die deutsche Aufklärung typischen, utilitaristischen Wendung. Gleiches gilt für einen, von Müller wohl im Hinblick auf die Wiener Situation und seinen Auftraggeber mit aufgeführten, Hinweis Lessings, der einen Gedankengang der Wiener Kameralisten aufnimmt: Wäre der Endzweck des Schauspieles auch nur bloß das Vergnügen des Volks, so ist es schon aus diesem Grunde wichtig, dem Volke seine Unterhaltungen nicht durch Idioten und sittenlose Menschen vortragen zu lassen, für welche es außer den Stunden der Geisteserholung keine besondere Achtung haben kann.67

Zudem könne ein gutes Theater "ungemein viel bewirken": Es kann Liebe für den Landesvater und echten Patriotismus in die Herzen der Bürger pflanzen, der Regent kann es zum Vehikel der Gesetzgebung erheben

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hung, und die Anstalt, obwohl sie eine Zeitlang die Aufmerksamkeit auf sich zog, hatte so wenig Dauer und Nutzen, als jener verfehlte Versuch, der in Mannheim mit einer Theaterschule gemacht worden war."(Eduard Devrient: Geschichte der deutschen Schauspielkunst, a.a.O.,Bd.l, S.484 zit. n. ibid. S.36. Johann Heinrich Friedrich Müller: Theatererinnerungen eines alten Burgschauspielers / hg. v. Richard Daunicht. - Berlin: Henschel, 1958. - S.80. ibid. ibid.

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und sein Volk dadurch in eine Stimmung setzen, Verordnungen mit Dank und Beifall aufzunehmen ...68

Theaterhistorisch interessant ist, daß Lessing Müller, zweifelsohne aus verständlichen Gründen, nicht über seine gleichzeitigen Bemühungen unterrichtete, für das geplante Mannheimer Nationaltheater ebenfalls geeignete Kräfte zu finden, wobei er, im Gegensatz zu Müller, unter einem weitaus höheren Zeit- und Erfolgsdruck stand. So schrieb er einen Tag nach Müllers Besuch an seinen Bruder Karl: Jetzt muß ich in einer Theatersache an Dich schreiben, deren ich mich durch die jüngst in Mannheim erhaltene Connexion nicht wohl entziehen können. Man hat dort nun ein schönes neues Theater, aber noch keine Acteurs. ... Du bist unter diesen Leuten ja so bekannt: weißt Du gute Personen dazu? wenn sie auch schon die allerbesten nicht sind, wenn sie sich nur ein Wenig über das Mittelmäßige erheben. Ich will nicht, daß Du Döbbelinen seine Leute abspänstig machen sollst; aber es sind doch immer bei einer Truppe welche, die nicht gern bleiben wollen. Sie müßten indeß zu Anfange des künftigen Novembers in Mannheim sein können. Antworte mir mit erster rückgehender Post.69

Über diese, bis heute teilweise noch im Dunklen liegenden Tätigkeiten Lessings für die Errichtung eines Mannheimer Nationaltheaters und einer angegliederten Theaterschule soll in Zusammenhang mit der Mannheimer Hoftheatralpflanzschule ausführlicher berichtet werden, da Lessing selbst zwar scheiterte, mit diesem Scheitern jedoch in der Theaterhistoriographie auch ein Theaterschulplan Maler Müllers verschwand, in dem der einzigartige Versuch unternommen wurde, die Idee der Hamburger Entreprise nicht nur nach Mannheim zu übertragen, sondern vor allem auch diese Idee auf eine stabile Basis zu stellea Der Plan selbst wurde nie verwirklicht, aber er zeigt m.E., daß Maler Müller den Nationaltheatergedanken weitaus konsequenter und pragmatischer durchdacht und die Fehler, die in Hamburg zu einem frühzeitigen und unrühmlichen Ende führten, genau analysiert hatte.

68 ibid. S.81. 69 Lessings Briefe, a.a.O., Teil 1, Brief Nr. 401 vom 26. September 1776. Karl Lessing antwortete bereits am 1. Oktober aus Berlin und versprach, sich um die Angelegenheit zu kümmern. Er verwies hierbei vor allem auf die, von ihm allerdings falsch eingeschätzte, Auflösung der Seylerschen Gesellschaft in Gotha und wollte seinem Bruder - dessen Hintergedanken er erraten hatte - zudem jene Schauspieler nennen, die die Absicht hatten, Döbbelin zu verlassen. (Der Brief ist abgedruckt in: Lessings Briefe, a.a.O., Teil 2, Brief Nr. 467.)

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Die Theatralpflanzschulen der Hoftheater Mit dem politischen und ökonomischen Erstarken einiger Residenzen im letzten Drittel des 18. und dem ersten des 19. Jahrhunderts entstanden - wie bereits erwähnt - kulturelle Aktivitäten, in die auch der Bau und Unterhalt von Holiheatern integriert war. Angesichts eines reichhaltigen und vor allem personalintensiven Repertoires in den Bereichen "Chor", "Ballett" und "Statisterie" traten jedoch bald finanzielle Deckungslücken zutage, die zu Einsparungen zwangen. Um das Angebot weitgehend aufrechterhalten zu können, griffen einige Landesherren zu einem Rezept, das bereits bei der Rekrutierung von Soldaten Erfolg garantiert hatte: sie schufen geeignete Ausbildungsstätten - in diesem Fall Theatralpflanzschulen - und füllten sie mit den sie ökonomisch ohnehin belastenden Insassen von Waisen- und Erziehungshäusern. Die Theatralpflanzschulen von Stuttgart, Mannheim, Karlsruhe und Regensburg sollen im folgenden genauer betrachtet werden, wobei von Mannheim, Karlsruhe und Regensburg zudem Pläne vorhanden sind, die zeigen, wie derartige Projekte finanziert (Mannheim), realisiert (Karlsruhe) und für den theatertheoretischen Diskurs fruchtbar gemacht (Regensburg) wurdea

Stuttgart In Stuttgart war 1771 eine an die Militärpflanzschule angegliederte Tanzschule entstanden, die 1773 um eine "Ecole des demoiselles" erweitert wurde, "in der Religion, Geschichte, Geographie, fremde Sprachen und Musik gelehrt wurden und mit welcher auch ein Musikinstitut verbunden war"70. Opern, Schauspielauffuhrungen, Konzerte und Ballette wurden von 1774 an - von wenigen Ausnahmen abgesehen - nur noch von Schülern bestritten, was zu einer gewaltigen Kostenersparnis führte, da die Zöglinge keine Gage erhielten und so lange in der Pflanzschule verbleiben mußten, wie es dem Herzog gefiel.71 Und selbst wenn es ihnen gelungen war, eine Anstellung beim Hoftheater zu erlangen, erhielten sie - im Gegensatz zu den wenigen verbliebenen italienischen Künstlern und im Vergleich zu ihren Kollegen an anderen Höfen - Hungerlöhne.72 Nach Karl Eugens Tod (1793) wurde die Theatralpflanzschule geschlossen, 1811 jedoch wiedereröffnet und dem Waisenhaus zur Schaffung billigen Theaternachwuchses angegliedert. 1814 erhielt Ferdinand Eßlair die Leitung dieser "Akademie", in der fünfzig männliche und zwanzig weibliche Schüler von

70 Josef Sittard: Zur Geschichte der Musik und des Theaters am Württembergischen Hofe. / nach Originalquellen von Josef Sittard. - 2 Bde. - Stuttgart: Kohlhammer, 1890-91. - Bd.2, S.145. 71 s. ibid. S.147 u. S.149f. 72 s. ibid. S.l 50. und Beilage VIII, S.209f.

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Schauspielern und Sängern des Hoftheaters unterrichtet wurden. Allerdings, so Eßlair-Biograph Willy Meyer "Wegen des Zwiespaltes der Auffassung über den Sinn des Unterrichtes auf Grund der ziemlichen Talentlosigkeit der Schüler ... und nicht zuletzt durch die anderweitige starke Inanspruchnahme Esslairs war der Erfolg der Arbeit sehr gering."7 3 1818, zwei Jahre vor dem Wechsel Eßlairs an das Münchner Hoftheater, erfolgte die Auflösung, die jedoch nicht endgültig gewesen zu sein scheint, da Heinrich Theodor Rötscher zufolge 1848 eine dem Hoftheater angegliederte Schauspielschule unter Leitung von Heinrich Becks Tochter in Stuttgart existierte.74

Mannheim 1775 wurde in Mannheim mit dem Bau eines Theaters begonnen, das nach dem erklärten Willen des Hofes ein deutsches Nationaltheater werden sollte, auf dem deutsche Schauspieler deutsche Stücke von höherer Qualität auflühren s o l l t e n . 7 5 Entscheidenden Anteil an der Gründung und Entwicklung dieser Theaters hatten - abgesehen von Kurfürst Karl Theodor - der Finanzminister Franz Karl von Hompesch, der Verleger Schwan und Maler Müller. Wie ernsthaft man es mit der Gründung eines Nationaltheaters nahm, zeigen die Überlegungen, wen man für die Leitung dieses Instituts gewinnen könnte: man dachte an die Initiatoren und Mitwirkenden der Hamburger Entreprise: Ekhof, Lessing und - möglicherweise erst auf Lessings Anregung hin - an Abel Seyler, den Vorsitzenden des Hamburger Konsortiums, der Ackermanns Theater gepachtet und das Nationaltheater geleitet hatte. Da auch in Mannheim bekannt war, wie 73 Willy Meyer: Ferdinand Esslair. - Diss. München · Emmendingen: Dölter,1927. - S.40. Hinsichtlich der Richtlinien für die Unterrichtsstunden zitiert Meyer Eßlair: "1. Beschränkung auf Darstellung oder völliges Einstudieren von Schauspielen. Heranziehung der nur vorzüglich Talentierten. Aussprache nach dem besten Dialekt, richtige Deklamation, philosophisches Studium der Physiognomik, damit den Affekten und Leidenschaften ein richtiges Gepräge und ihrem Gange nach die gehörige Gradation gegeben werden kann. 2. Für den Elementarunterricht ein anderer Lehrer. 3. Alleinige Direktion dieser Angelegenheit."(zit. ibid.) 74 Die Angaben stammen von Fritz Assmann: Deutschlands Theaterschulen im 18. und 19. Jahrhundert, a.a.O., S.47-49 75 s. zu den Fakten: Friedrich Walter: Geschichte des Theaters und der Musik am kurpfälzischen Hofe / von Dr. Friedrich Walter. - Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1898. - (Forschungen zur Geschichte Mannheims und der Pfalz;l) - S.266ff. Walters Beurteilungen, vor allem diejenige, es sei "nur ein pfalzisches Nationaltheater (entstanden), auf das intrigante Kleinstaaterei und engbegrenztes Lokalinteresse in diesen ersten Jahren seines Bestehens den entscheidenden Einfluß ausübten, in dem die kleinen Geister regierten"(ibid. S.266f.), wird in dieser Arbeit allerdings nicht geteilt.

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dieses Unternehmen zugrunde ging, wußte man, worauf man sich einließ. M a n kann deshalb davon ausgehen, daß man sich zunächst ganz bewußt nicht für einen der erfolgreichen und zuverlässigen Prinzipale der Zeit entschied. Mit Ekhof war, wie ein Vorstoß Maler Müllers über Lenz zeigt, nicht mehr zu rechnen: er war im Herbst 1775 nach der Trennung von Seyler künstlerischer Direktor des Gothaer Hoftheaters geworden und dürfte wenig Interesse verspürt haben, diese Stellung wieder aufzugeben: "Mit Eckhof ist es nichts;", schrieb Lenz am 16. April 1776 von Weimar aus an Maler Müller, "er befindt sich allzuwohl in Gotha." 77 Maler Müller unternahm, soweit es sich rekonstruieren läßt, keine weiteren Versuche, Ekhof zu gewinnen, zumal ihm bekannt gewesen sein dürfte, daß Ekhof eine gesicherte Stellung finanziell lukrativen Angeboten vorzog. 7 « U m die Funktion und organisatorische Struktur des geplanten Nationaltheaters genauer festzulegen, war Maler Müller seitens des Kurfürsten um ein Gutachten gebeten worden, das sich in zwei Denkschriften niederschlug: G E D A N K E N Ü B E R ERRICHTUNG EINES D E U T S C H E N N A T I O N A L T E A TERS und G E D A N K E N Ü B E R ERRICHTUNG U N D E I N R I C H T U N G E I N E R TEATER S C H U L E . 7 ' Die beiden Texte sind in der Theaterhistorio76 Die vor allem im älteren theaterhistoriographischen Schrifttum zu findende Ablehnung Marchands, der nach Lessings Absage die Leitung des Mannheimer Theaters übernahm, entbehrt deshalb jeglicher Grundlage. Marchand war möglicherweise nicht die erste Wahl, besaß andererseits jedoch unternehmerische Fähigkeiten, die selbst seine Kritiker anerkannten, (s. ibid.s.265.) 77 abgedruckt in: Dreihundert Briefe aus zwei Jahrhunderten / hg. v. Karl von Holtei. - 2 Bde. - Hannover: Rümpler, 1872. - BD.I, Teil 2, S.132. Möglicherweise war auch an eine engere Zusammenarbeit mit Lenz gedacht, wie eine andere Stelle dieses Briefes vermuten läßt: "Wie stehts mit dem Nationaltheater? Das müßt ihr nun dort vor der Hand allein treiben; ich komme den ganzen Tag nicht vom Herrn weg."(ibid.) 78 Die Trennung von Seyler hatte dies deutlich gezeigt: Eine feste Anstellung der Seylerschen Truppe am Gothaer Hof hätte zu finanziellen Einbußen im Gagenund Zuschußbereich geführt. Seyler nahm deshalb das Angebot des Dresdner Hofes, ihm das kursächsische Privileg zu erteilen, wahr. Ein Teil der Truppe, unter ihnen Ekhof, zog die sozial abgesicherte Stellung des Hofschauspielers vor, worauf es zur Trennung der Gesellschaft kam.(s. hierzu: Conrad Ekhof: e. Schauspieler des achtzehnten Jahrhunderts / i. Auftrag d. Dt. Akad. d. Künste eingel. u. hrsg. v. Hugo Fetting. - Berlin: Henschel, 1954. - S.64.) 79 Beide Schriften fanden sich im "Berliner Material" und sind abgedruckt in: Bernhard Seuffert: Maler Müller / von Bernhard Seuffert; i. Anhang Mittheilungen aus Müllers Nachlaß. - Berlin: Weidmann, 1877. - S.563-568. Obwohl eine Datierung fehlt, kann man aufgrund inhaltlicher Zusammenhänge davon ausgehen, daß die beiden Texte zur gleichen Zeit entstanden sind. Der Lenzsche Brief mit der Absage Ekhofs läßt zudem den Schluß zu, daß die Entstehungszeit vor April 1776 liegen muß, da Müller zu diesem Zeitpunkt noch eine Anstellung 133

graphie - sofern sie überhaupt Beachtung fanden - immer unter Lessings Verdikt betrachtet worden: Mit einem deutschen Nationaltheater ist es lauter Wind, und wenigstens hat man in Mannheim nie einen andern Begriff damit verbunden, als daß ein deutsches Nationaltheater daselbst ein Theater sei, auf welchem lauter geborne Pfalzer agirten. An das, ohne welches wir gar keine Schauspieler hätten, ist gar nicht gedacht worden. Auch die Schauspieler selbst halten nur das für ein wahres Nationaltheater, das ihnen auf lebenslang reichlich Unterhalt verspricht. Stücke, die zu spielen sind, fliegen ihnen ja doch genug ins M a u l . 8 0 Vergessen wird hierbei, daß Lessing diesen Brief nach seinen enttäuschenden Mannheimer Erlebnissen geschrieben hatte, deren Anlaß zum größten Teil persönlicher Natur war und nicht mit dem Nationaltheater-Begriff in Verbindung zu bringen ist, soweit die vorhandenen Dokumente diesen Schluß zulassen.8i Karl Lessing zufolge hatte Lessing bei seinem Besuch in Mannheim im Januar 1777 dagegen augenscheinlich den - nicht genannten - Plan Müllers unterstützt: Lessing schlug dem Minister v. H. vor, die Seylersche Gesellschaft nicht so, wie sie war, ganz anzunehmen, sondern es so einzurichten, daß die besten Mitglieder derselben der Stamm würden, auf welchen man so viele der Pfalzischen jungen Zöglinge propfen könnte, als deren vorzügliches Talent zeigen w ü r d e n . 8 2 Und diesen Mitgliedern der Seylerschen Truppe "könnte man das Gehalt, das sie bey Seylem hätten, auf Lebenslang versichern, mit dem Versprechen einer diesem Gehalte gemäßen Pension".8 3 Müller hatte denselben Gedanken. Das Material, auf das sich Müller bei seinen Überlegungen stützen konnte, war eine Reihe von Schriften und Journalaufsätzen über Sinn und Zweck eines

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Ekhofs vorschlägt.(ibid. S.564.) Unterstützt wird dies auch durch Müllers Anregung, den Verleger Schwan mit dem Suchen geeigneter Schauspieler zu beauftragen.(ibid. S.567.) Diese Datierung spielt insofern ein Rolle, als in Karl Lessings Lessing-Biographie der Eindruck erweckt wird, die entscheidenden Gedanken über die Organisation des Nationaltheaters seien von Lessing gekommen. (Gotthold Ephraim Lessings Leben, nebst seinem noch übrigen litterarischen Nachlasse / hg. v. Karl G. Lessing. · Berlin: Voß, 1793. - Teil 1, S.382f.) Lessing selbst wurde von Schwan erst am 5. September 1776 von den Mannheimer Plänen informiert, wenngleich ihm das Interesse an seiner Mitwirkung bereits vorher bekannt war, wie ein Brief Eva Königs vom 31. August 1776 zeigt. (Lessing's Briefe / hg. u. m. Anmerkungen begleitet von Carl Chr. Redlich. - Zweiter Teil: Briefe an Lessing. - Berlin: Hempel, 1879 - Brief Nr. 456.; der Hinweis über den Besuch Schwans ergibt sich aus Lessings Brief an Eva König vom 6. September 1776, in: ibid., Erster Teil: Briefe von Lessing, a.a.O., Brief Nr. 391.) Brief an Karl Lessing vom 25. Mai 1777, in: ibid. Brief Nr.438. s. das entsprechende Kapitel weiter unten Gotthold Ephraim Lessings Leben, a.a.O., S.382f. ibid. S.383f.

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deutschen Nationaltheaters, sowie das in Hamburg gescheiterte Projekt. Die Umbenennung des Wiener Hofburgtheaters am 17. Februar wird in seinen Denkschriften nicht erwähnt. Seine Begeisterung, "daß die Pfalz diejenige ist, die den übrigen provinzen Deutschlands in einem so herrlichen Unternehmen vorangehn solT'84, deutet eher darauf hin, daß er bei Abfassung der Texte noch nichts vom Wiener k.k. Hof- und Nationaltheater wußte.8 5 Was die Hamburger Entreprise betrifft, mußte Müller wissen, daß sie hauptsächlich aus finanziellen Gründen gescheitert war. Für ein vom Hof getragenes Nationaltheater war dies nur dann zu erwarten, wenn der Landesherr als Träger des Theaters seine Zuschüsse strich. Damit war nicht zu rechnen, da Karl Theodor die Einrichtung eines Nationaltheaters ausdrücklich wünschte und: "Gütig und billig von Natur, sah er gar nicht darauf, ob es viel oder wenig koste." 8 6 Die ökonomische Basis des Nationaltheaters war damit gesichert, und es stellte sich lediglich die Frage nach dem Charakter eines Theaters, auf dem deutschsprachige Schauspieler deutschsprachige Stücke auffuhren sollten: es ist die Frage nach dem Verhältnis von pßlzischem und deutschem Nationaltheater. Daß es letztendlich vielleicht nur ein deutsches Hoftheater werden könnte, stand für Müller außerhalb der Debatte, da ein vom Hof getragenes deutschsprachiges Theater nur in Gotha, und auch dort erst seit Herbst 1775, bestand. An anderen Höfen spielten, wenn überhaupt, deutschsprachige Wandertruppen auf eigene Rechnung. Die Auseinandersetzung Hoftheater contra National- bzw. Staatstheater wurde deshalb auch erst im 19. Jahrhundert zu einem theater- und gesellschaftspolitischen Thema. In Kenntnis der nur schwer definierbaren Größe "Deutschland" griff Müller zum naheliegenden Gedanken, von der konkreten - und damit pfälzischen Umwelt auszugehen und den einzelnen Menschen sowohl als Pfälzer, wie auch als Deutschen zu begreifen: Original und nationell können wir nicht anders als durch genaue Copirung der Simplen, unverdorbenen Natur und genauere Kentniß unsrer eignen Sitten werden, jedes Land und Volk hat sein eigne Ideen inclination, abscheulichkeiten, gebrauche vor dem andern, welche der Dichter so wohl als autor in einem gewiJßen lichte beobachten und wieder zurückspiegeln soll - diß ist der Weg, den die Griechen, die Engländer gegangen, und den jede Nation bey Einrichtung einer originalen Schaubühne geben muß. Weder die Parißer noch Londner Teater

84 Maler Müller: Gedanken über Errichtung eines deutschen National Teaters, a.a.O., S.563. 85 Selbst wenn er davon gewußt hätte, hätte ihm dies für seinen Entwurf wenig geholfen, da noch keine Ergebnisse vorlagen. Johann Friedrich Müllers Reisen zeigen zudem, daß sich in Wien noch kein geeignetes Ensemble zusammengefunden hatte. Auch die Nationaldichter, die für das Wiener Unternehmen schreiben sollten, fehlten noch. 86 Gotthold Ephraim Lessings Leben, a.a.O., S.372.

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können uns derowegen bey dießem Unternehmen hienlängliche reglen geben, wir müßen dieselbe näher um uns und bey uns selbst suchen.87

Mittelfristig schlägt Müller deshalb auch vor, das Ensemble des pfälzisch-deutschen Nationaltheaters mit jungen Pfälzern zu besetzen, die von bedeutenden Schauspiellehrern, z.B. von Ekhof, ausgebildet wurden, denn: dieß wäre der einzige Weg, auf dem mann bis zum Besiz eines teutschen National Teaters vordringen könte, ganz allein die Bearbeithung unsrer eygnen Natur und ihrer Lauterkeit, das immerwährende anstrengen der Kräften in sich selbst würde unsren pfälzischen, jungen accteurs, endlich ein solche anfallende Eigenthümlichkeit geben, solche Vorzüge von Warheit, die um so viel glänzender dem fremden und Ausländern in die Augen schimmren müßten, um so viel weniger mann bißher gewohnt war, dießen theil der Kunst in Deutschland als ein Studium bearbeitet zu sehn - welch ein rühm für unser Vatterland, die Pfaltz, für uns edle Pfälzer, wenn wir herzaft und kühn zum rühme Deutschlands eine last über nähmen, die noch niemand vorher gewagt hat zu heben, nach einiger Jahre arbeit Ein Werk errichteten, das das Vergnügen unsrer Einwöner und das Erstaunen und Wunder der Fremden würde.88

Müllers Plan ist eindeutig: Da es die deutsche Nation im Sinne der bürgerlichen Aufklärer und damit auch ein deutsches Nationalbewußtsein nicht gibt, muß es von innen heraus über den Weg des - bereits vorhandenen - pfälzischen Nationalbewußtseins, dessen politische Basis die Pfalz bildet, erst geschaffen werden. Mit dieser pragmatischen und realitätsnahen Einsicht zog Müller aus dem Scheitern der Hamburger Entreprise die entscheidenden Lehren, ganz im Gegensatz zu Lessing, der sich mit der resignierenden Feststellung, daß ein Nationaltheater ohne Nation wohl nicht existenzfähig sei, von der aktiven Theaterarbeit ab- und theologischen Studien zuwandte. In der Öffentlichkeit wurde deshalb zunächst auch die Idee eines pfälzer Nationaltheaters publik gemacht, wie ein Artikel in Schubarts Teutscher Chronik zeigt: An unserem neuen Komödienhause arbeiten täglich 400 Menschen, und schwerlich wird Teutschland künftig ein schöneres aufzuweisen haben. In Schwetzungen üben sich Alt und Jung, dereinst auf unserm Theater zu spielen, das, wenn die Absicht unsers Kurfürsten erfüllt wird, mit der Zeit ganz originalpfälzisch werden soll. Das Orchester wird aus jungen Pfälzern bestehen, die sich hierdurch den Weg zu dem großen Orchester bahnen. Wer dort künftig unterzukommen denkt, muß in der teutschen Komödie mitspielen. Diese wird also eine Pflanzschule für jenes. 8 9

87 Maler Müller: Gedanken über Errichtung eines deutschen National Teaters, a.a.O., S.563f 88 ibid. S.565. 89 abgedruckt in: Friedrich Walter: Geschichte des Theaters und der Musik am kurpfälzischen Hofe, a.a.O., S.267.

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Da dies jedoch Zeit brauchte und der Kurfürst nicht so lange warten wollte, schlug Maler Müller vor, als Überbrückung fremde Schauspieler für die Hauptrollen der zu spielenden Stücke zu engagieren und die Nebenrollen nach und nach mit jungen Zöglingen einer zu errichtenden Theaterschule zu besetzen: "diß hätte um so viel mehr Nuzen, weilen der Lehrling sich so leichter aufs Theater gewöhnte und Hertz faßen könte, wenn mann ihn nach und nach in neben rollen oder leichten Hauptrollen auftretten ließ, und der Vortheil wäre um so viel größer, weil auf diese Weiße theorie und pra(k)tik Hand in Hand neben einander gehen könte, um gleich schnell den Anfänger zum Ziele zu führen." Grundlage einer "warhaft teutschen National Bühne" wäre damit eine "wohl eingerichtete Teater Schule"^ für die Müller einen Plan beilegte, der wohl eher als Skizze zu bezeichnen ist, angesichts seiner Entstehungszeit jedoch für sich in Anspruch nehmen kann, der erste nachweisbare seiner Art zu sein. Dalbergs Privatsekretär Ockhart hat ihn, wie weiter unten gezeigt wird, 1797 wieder aufgenommen und zu einem finanztechnisch interessanten Modell für eine Hoftheatralpflanzschule um- und ausgearbeitet. Inhaltlich besteht Müllers Entwurf, außer dem üblichen Hinweis auf die schlechte Stellung des Komödiantentums seiner Zeit, aus der Aneinanderreihung einiger "Nothwendige(n) Regien", aus denen Müllers Grundidee, die Zöglinge so bald als möglich mit der theatralen Praxis auf der Bühne zu konfrontieren, deutlich hervortritt.'ι Daß es daneben eine Reihe von Vorschlägen gibt, die - so Müllers Biograph Bernhard SeufTert - "mit theilweise komischer Naivetät sich fast nur um kleine Äußerlichkeiten drehen"92, läßt sich m.E. aus fehlenden Vorlagen erklären. Müller selbst wußte um das Provisorische seiner Denkschrift, wie deren letzter Absatz zeigt Diese und noch viele andre reglen, welche sich praktisch beßer anbringen laßen, in so ferne mann einmal das cameralische Sistem und den möglichen Belauf der Teater Caße, beßer beleuchtet, versprechen in rücksicht in auf- und Einrichtung einer National Bühne gewiß allen möglichen Nuzen und Fortgang.93

Weitaus entscheidender als ein detailliert ausgearbeiteter Organisationsplan war für ihn der Grundgedanke des Nationaltheaters: ... wenn wir so dießem gemachten plane folgen, acteurs ziehen nicht allein für jede rolle und Carracter, wir werden nicht allein eine reiche Teater Schule auf dieße Weiße anpflanzen, woraus wir wie aus einem garten bey jeglichem Falle

90 Maler Müller: Gedanken über Errichtung eines deutschen National Teaters, a.a.O., S.565. 91 Maler Müller: Gedanken über Errichtung und Einrichtung einer Teater Schule, a.a.O., S.568. 92 Bernhard SeufTert: Maler Müller, a.a.O., S.29. 93 Maler Müller: Gedanken über Errichtung und Einrichtung einer Teater Schule, a.a.O., S.568.

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immer die stelle wieder besetzen können, die uns abgeht und mangelt - sondern wir werden auch, unterschieden von allen andern Bühnen, mit der Zeit ein eygnes neues Teater besitzen, ganz natur, ganz Wahrheit, und Deutschland und der denkende Kunstverständige wird staunen und mit allgemeinem beyfalle wird es die Welt nennen: teutsches National Teater.94 Für dieses Nationaltheater und seine Theaterschule dachte man, wie bereits mehrfach erwähnt, in Lessing einen kompetenten Leiter oder doch zumindest ständigen Berater zu finden. Dieser hielt jedoch, seine Briefe machen es deutlich, von Anfang an wenig von den Mannheimer Plänen, wenngleich ihm und vor allem Eva König sehr viel an der fianziellen Komponente des Angebots aus der Pfalz lag. 9 5 Bereits vor Schwans Besuch wußte er, daß man ihn für das Mannheimer Nationaltheater zu gewinnen trachtete und er versuchte als erstes eine Entscheidung auf Eva König abzuwälzen, die ihm postwendend schrieb, derartiges könne er wohl "nur in der Übereilung hingeschrieben" habende, und als schließlich Schwan gekommen war und ihm die Mitgliedschaft in der Mannheimer Akademie zu äußerst vorteilhaften Bedingungen anbot, schrieb er erleichtert an seine zukünftige Frau: "Von Aufsicht über oder von Arbeiten für das Theater ist gar nicht die Rede gewesen; und man denkt blos, wenn ich einmal nach Mannheim käme (was jährlich höchstens einmal geschehen sollte - P.Sch.), daß ich mich wohl von selbst würde reizen lassen, meinen guten Rath zu ihren neuen Theateranstalten zu geben. Und das versteht sich."?? Spätestens mit dem Auftrag, Schau94 ibid. 95 So schrieb Eva König am 31. August 1776, also noch vor Schwans Besuch bei Lessing über das Mannheimer Angebot, von dem sie durch einen Brief ihres Bruders aus Heidelberg erfahren hatte: "So viel ist gewiß, der Antrag ist sehr vortheilhaft; ohne was wir durch den Decern gewännen, bekämen Sie anderthalbmal so viel Besoldung, als Sie jetzt haben, und das in einem Lande, in welchem man für wenig Geld gut leben kann." (abgedruckt in: Lessings Briefe, a.a.O., Teil 2, Brief Nr. 456.) (Der erwähnte Decern diente der Erhaltung kirchlicher Einrichtungen.) 96 Eva Königs Brief vom 7. September 1776, in: Lessings Briefe, a.a.O., Teil 2, Brief Nr. 458. 97 Lessings Briefe, a.a.O., Teil 1, Brief Nr. 391 vom 6. September 1776. Daß man von Lessing hinsichtlich des Theaters deutlich mehr erwartete und Schwan möglicherweise ZU vorsichtig ans Werk ging, zeigt ein Artikel in Schubarts TEUTSCHER CHRONIK vom Oktober 1776: "Und damit man gleich einen festen, dauernden Plan entwerfen möchte, so hat man den Herrn Schwan, einen Mann, der für jede gute Sache Alles wagt, nach Braunschweig an den großen L e s s i η g gesandt, der ihm das Diplom als ordentliches Mitglied der kurpfälzischen Akademie der Wissenschaften überbringen und sich mit ihm wegen des neu zu errichtenden pfalzischen Nationaltheaters besprechen mußte. Man hofft in Mannheim nächstens einen Besuch von Herrn Lessing zu erhalten, und dann wird wahrscheinlicherweise der noch unvollendete Plan in Absicht der 138

spieler für das neue Theater zu suchen, wußte Lessing, dafl man mehr erwartete und als er im Januar nach Mannheim fuhr, schrieb er kurz vor der Abreise an seinen Bruder "Künftige Woche reise ich nach Mannheim, und ich wollte wohl wünschen, daß ich schon wieder hier wäre. Denn mich schaudert, wenn ich nur daran denke, daß ich mich wieder werde mit dem Theater bemengen müssen."98 Lessing tat es dennoch mit einem interessanten Konzept hinsichtlich der Leitung des geplanten Unternehmens, das in modifizierter Form unter Dalbergs Intendanz wieder aufgegriffen wurde. Lessing schlug eine Dreiteilung von Die "politisch-bürgerliche Aufsicht", so Karl Lessing, sollte ein "Kammerherr, den Se. Churfürstliche Durchlaucht dazu ernennen würde" übernehmen, die "ökonomische Verwaltung könnte Seylern aufgetragen werden", die "Aufsicht aber von Seiten der Kunst und Moral sollte der Churfürst der Deutschen Akademie anvertrauen".'' Die Akademie, der auch Lessing angehörte, hätte dreierlei Aufgaben wahrzunehmen: Zu dem Ende müßte sie erstens die neu herauskommenden Stücke lesen und prüfen, und diejenigen davon vorschlagen, die der Aufführung am würdigsten wären; zweytens über die Sprache der Schauspieler wachen, und durch ihre Erinnerungen so viel wie möglich verhindern, daß weder üble Aussprache, noch grammatische Fehler, sich in dem Publicum verbreiteten. ... Drittens, die Deutsche Gesellschaft müsse zu dieser Absicht einen Ausschuß von sechs oder sieben Gliedern ernennen, die von jeder Vorstellung dasjenige vor sie brächte, was einer allgemeinen Berathschlagung würdig wäre. 100

Einen Großteil dieser Aufgaben hat von 1781 bis 1789 der aus Dalberg, sowie einigen Regisseuren und Schauspielern bestehende Mannheimer Theaterausschuß wahrgenommen, wie die erhaltenen Protokolle zeigen, ι ο ι Die Idee, in einer Theaterschule junge Pfälzer heranzuziehen, die dereinst das gesamte Mannheimer Ensemble bilden sollten, dürfte dagegen von Maler Müller stammen, mit dem Lessing während seines Mannheimer Aufenthalts viel zusammen war und der ihm sicher von seinen Denkschriften berichtete. Es kann sicher ausgeschlossen werden, daß Lessing etwas als geistiges Eigentum ausgab, was schon lange zuvor in der TEUTSCHEN CHRONIK zu lesen war. Dagegen vermittelte er mit Großmanns Hilfe ein Engagement Seylers, das kurz vor Antritt allerdings zugunsten der Gesellschaft Marchands im April neuen Schaubühne seine wahre Gestalt erhalten."(abgedruckt in: Friedrich Walter: Geschichte des Theaters und der Musik am kurpfälzischen Hofe, .a.a.O., S.267.) 98 Lessings Briefe, a.a.O., Teü 1, Brief Nr. 418 vom 8. Januar 1777. 99 Karl Lessing: Lessings Leben, a.a.O., S.385f. 100 ibid. S.386. 101 Die Protokolle des Mannheimer Nationaltheaters unter Dalberg aus den Jahren 1781 bis 1789 / hg. v. Max Martersteig. - Mannheim: Bensheimer, 1890.

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1777 wieder annulliert wurde. Erst als Marchand im Oktober 1778 mit dem Hof nach München ging, konnte Seyler in Mannheim wieder Fuß fassen: zunächst als Prinzipal seiner Gesellschaft und ab dem 7. Oktober 1779 als Direktor des durch Dalberg und Iffland bekanntgewordenen Mannheimer Nationaltheaters. Lessing selbst zog sich nach, heute nicht mehr eindeutig rekonstruierbaren, Querelen und Intrigeni02 bereits nach seinem Mannheimer Besuch vom Januar 1777 zurück und drohte Finanzminister von Hompesch in einem Brief vom April dieses Jahres: Ich vergebe tausend gesprochene Worte, ehe ich ein gedrucktes vergebe. Auf die erste Silbe, die sich Jemand über meinen Antheil an dem Mannheimer Theater gedruckt und anders entfallen läBt, als es sich in der Wahrheit verhält, sage ich dem Publico Alles rein heraus. Denn darin belieben Ew. Excellenz doch wohl nur mit mir zu scherzen: daß ich demohngeachtet die Mannheimer Bühne nicht ganz ihrem Schicksale überlassen und von Zeit zu Zeit besuchen würde. 103 Eine Theaterschule wurde gegründet und wie es in dieser aussah, schildert Johann Heinrich Friedrich Müller, der sie im Dezember 1776 besucht hatte: Ich ging darauf in die Theatralpflanzschule ... Ein gewisser Lorenzo, der bei uns (am Wiener Burgtheater - P.Sch.) vor einigen Jahren die kleinsten Rollen spielte, seit dieser Zeit immer herumgewandert und fast bei allen deutschen Gesellschaften eine kurze Zeit gestanden ist, auch von der wahren Kunst nichts versteht, ist hier seit einem halben Jahre gegen 600 Gulden Besoldung Lehrer und Unterweiser der künftigen Mitglieder der Mannheimer Nationalbühne. Die Schule besteht aus acht Mädchen und vier Knaben zwischen vierzehn bis sechzehn Jahren. Diese jungen Leute sind schon alle in Balletten gebraucht und nun aus dem Tänzerchor durch den Intendanten Herrn Grafen von Portia gehoben worden, um sich der Schauspielkunst zu widmen. In ihren Unterrichtsstunden müssen sie lesen lernen. Jedes Kind hat eine Komödie, die es laut und nach vorgeschriebener Akzentuation des Lorenzo herablesen muß. Ich bemerkte, daß die meisten erst seit kurzer Zeit die Buchstaben kennengelernt hatten und in ihren Kinderjahren von ihren Eltern nicht zur Schule geschickt sein mußten. Lorenzo versicherte mich, daß alle gar nicht hätten lesen können, daß er ihnen erst die Buchstaben und das Buchstabieren hätte beibringen müssen. 104 Gottlieb Friedrich Lorenz, "ein Wanderkomödiant, der fast allen deutschen Gesellschaften einmal angehört hatte"!05, begann seine Lehrtätigkeit um die Mitte 102 s. hierzu: Karl Lessing: Lessings Leben, a.a.O., S.366-391. 103 Lessings Briefe, a.a.O., Teil 1, Brief Nr. 431. Der kursiv gedruckte Teil bezieht sich auf einen Brief von Hompeschs an Lessing vom 7. April 1777. (s.ibid. Teil 2, Brief Nr. 480.) 104 Johann Heinrich Friedrich Müller: Theatererinnerungen eines alten Burgschauspielers, a.a.O., S.127f. 105 Friedrich Walter: Geschichte des Theaters und der Musik am kurpfälzischen Hofe, a.a.O., S.269. 140

des Jahres 1 7 7 6 für ein Gehalt von 6 0 0 G u l d e a 106 i m Mai 1 7 7 7 wurde ihm von M a r c h a n d "gegen eine Besoldung von 1 5 0 Gulden die Weiterfuhrung der Theaterschule übertragen" und - zur Hebung des Niveaus - wurde das Angebot des Direktors Marchand, "dramatische Vorlesungen zu halten,... angenommen und bestimmt, daß sämtliche Eleven und Mitglieder dieselben besuchen sollten"!07. A u c h der zunächst gescheiterte und - nach Marchands Abgang mit dem H o f nach München - wieder verpflichtete Prinzipal Seyler hatte sich 1 7 7 8 verpflichtet, "der zu errichtenden Theaterschule für junge Mannheimer gute Subjekte bestmöglichst und thätigst vorzustehen"!08. Dieser Theaterschule wurde, A s s m a n n zufolge, eine "Singschule" angeschlossen!09. w i e lange diese kombinierte Ausbildungsstätte bestand, ist unklar. In den Jahren des Mannheimer Ausschusses jedenfalls, in denen zahlreiche Fragen der Schauspielkunst - u. a. auch diejenige der Ausbildung - diskutiert wurden ι io, kann von einer eigent106 ibid. 107 ibid. S.273. - Assmann bestätigt Walters Angaben unter Verweis auf ein kurfürstliches Reskript vom 6. Mai 1777. Aus diesem Reskript geht auch hervor, daß der Hof sämtliche Kosten des Instituts inklusive Verpflegung und Unterbringung der Schüler übernahm.(Fritz Assmann: Deutschlands Theaterschulen im 18. und 19. Jahrhundert, a.a.O., S.40f.) 108 zit. in Friedrich Walter: Geschichte des Theaters und der Musik am kurpfälzischen Hofe, a.a.O.,S.274. 109 Assmann schreibt hierzu: "Dieser Schauspielschule (Lorenzos - P.Sch.) wurde dann im Jahr darauf (d.i. 1778 - P.Sch.) auf Vorschlag des Kapellmeisters Georg Joseph Vogler eine Singschule angegliedert, in der Mädchen und Jünglinge besonders zur Tonkunst, dann zur Stimmbildung und zur wahren Singart angehalten wurden." (Fritz Assmann: Deutschlands Theaterschulen, a.a.O., S.41) Assmann bezieht sich hierbei allerdings auf ein nicht datiertes Dokument. Georg Joseph Vogler, bekannt als Lehrer Karl Maria von Webers und Giacomo Meyerbeers und als Verfasser musikwissenschaftlicher Schriften, hatte 1777 eine "Mannheimer Tonschule" gegründet, eine Art "Privatkonservatorium", in dem er Vorlesungen über "Tonwissenschaft und Tonsetzkunst" hielt und Musiker und Sänger ausbildete.(Friedrich Walter: Geschichte des Theaters und der Musik am kurpfälzischen Hofe, a.a.O., S.192.) Gleichzeitig gab Vogler von 1778 bis 1780 eine Monatsschrift unter dem Titel BETRACHTUNGEN D E R M A N N H E I M E R TONSCHULE heraus. Über engere Beziehungen zwischen Voglers "Tonschule" und der von ihm initiierten "Singschule" ließ sich leider nichts mehr ermitteln. 110 Das Ausschußmitglied Ludwig Rennschüb verweist im Dezember 1782 auf fehlende Ausbildungseinrichtungen für angehende Schauspieler: "An Vorschlägen zur Bildung des angehenden Schauspielers hat's nicht gefehlt; beim Nachdenken über andererseits erwähnte Aufgabe erinnerte ich mich mancher, und unter andern auch eines, den ich in der Berliner Litteratur- und Theaterzeitung gelesen zu haben glaubte; beim Nachsuchen fand ich solchen im 1780er Jahrgang dieser Zeitung in Nr. 16 pag. 241. Ich glaube mich mit Recht darauf beziehen zu dürfen."(Die Protokolle des Mannheimer Nationaltheaters, a.a.O., S.108.) Hätte

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lichen Theaterschule keine Rede sein: lediglich eine "Theater-Tanzschule" wurde auf Betreiben des Schauspielers und Tänzers George Frank 1783 eingerichtet, um einigen jungen Schauspielerinnen "in Gang, Stellung, Verbeugung und Anstand den genauesten Unterricht zu geben" und ihnen "einige kleine pantomimische Tanzschritte zu zeigen, welches nicht nur der Körperstellung mehrere Fertigkeit geben würde, sondern auch bei manchen Gelegenheiten zu Auszierung der Operette sehr dienlich wäre" n l . Franks Tanzschule, in der er zwei Jahre lang "wöchentlich vier Tage, an jedem zwei Stunden, öffentliche Tanz- und Lehrstunden" 112 geben wollte, existierte de facto nur von Juni 1783 bis Januar 1784.113 Angesichts der für die Monate August und September von Frank eingereichten und noch erhaltenen Stundennachweise fur drei Schauspielerinnen stellt sich allerdings die Frage, warum Dalberg dem Treiben überhaupt so lange zusah: Frank unterrichtete im August an zehn und im September an siebzehn Tagen jeweils zwei Stunden und obwohl Anwesenheitspflicht herrschtel 14, waren lediglich an sechs der siebenundzwanzig Tage alle drei Schülerinnen erschienen und im Schnitt hatte jede nur an der Hälfte des Unterrichts teilgenommen, wenngleich die einzelnen Beteiligungen sehr unterschiedlich ausfielen.

Lorenzos Theaterschule um diese Zeit noch bestanden, hätte Rennschüb sie m.E. erwähnt. 111 Das Schreiben Franks vom 17. April 1783 an den Mannheimer Ausschuß ist abgedruckt in: Die Protokolle des Mannheimer Nationaltheaters unter Dalberg aus den Jahren 1781 bis 1789 / hg. v. Max Martersteig. - Mannheim: Bensheimer, 1890. - S.165-167. 112 ibid. S.166 113 Die Datierung ergibt sich ebenfalls aus den Ausschuß-Protokollen. Frank reichte im Oktober 1783 einen Rechenschaftsbericht über die gehaltenen Unterrichtsstunden für die Monate August und September ein mit der Bemerkung: "Nach dero (d.i. Dalbergs - P.Sch.) Befehl überreiche ich hiermit das Verzeichnis des dritten und vierten Monats derer gegebenen Tanz- und Lehrstunden: an Mlles. Ziegler, Baumann und Boudet. ... Ich bitte ein Kurfürstliche Intendanz mir wissen zu lassen, ob dieselben bis dato mit meinem Fleiße zufrieden sein, und ob die Lehrstunden die drei vorstehenden Monate, bis zu künftigem Jänner 1784 fortdauern sollen?"(zit. in ibid. S.212.) Der Verlängerung wurde in einer Resolution vom 16. August 1783 zugestimmt.(ibid. S.191.) Von einer Existenz der Tanzschule nach Januar 1784 ist in den Protokollen nichts zu finden. Lediglich ein Hinweis Dalbergs vom April 1784 zeigt, daß sie im April 1784 nicht mehr bestand, (s. ibid. S.249: "Herr Frank, welcher hierinnen lange Tanz-Lektionen gegeben hat...") 114 Frank hatte bereits im Mai 1783 den Intendanten gebeten, kontraktmäßig u.a. festzusetzen, "daß eine Jede genau auf die festgesetzte Stunde sich ohne Nachlässigkeit einfinden muß".(ibid. S.182.)

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115 Für seine Tätigkeit erhielt Frank eine monatliche Gratifikation von 20 fl., deren Zahlung er vier Monate nach Dienstbeginn höflich anmahnte.116 Abgesehen von den wenig erfolgreichen Versuchen Lorenz' und Franks gab es in Mannheim in den siebziger Jahren mehrere Anstöße für eine Sängerausbildung für Kirchenchöre, die auch der Oper zugute kamen. So wurde etwa 1775 der Hofbassist Ludwig Fischer angewiesen, im - vom Jesuitenkolleg gegründeten und geleiteten - "Seminarium musicum" Sänger für die Hofkapelle auszubilden, die auch den Opernchor verstärken sollten 117: eine auch an anderen Höfen übliche Einrichtung, die angesichts des "opernhaft-theatralischen Stils" der Kirchenmusik nahelag. 118

Das Mannheimer Finanzierungsmodell Wie viele andere Residenzstädte auch hatte Mannheim mit dem Problem zu kämpfen, daß im deutschsprachigen Raum einer großen Zahl von Theatern kein entsprechendes Angebot qualifizierter Schauspieler gegenüberstand Dies hatte zu einer hohen Schauspielerfluktuation, instabilen Ensembles und - hier lag das Hauptproblem für die Hofkämmerer - zu überhöhten und unkalkulierbaren Gagenforderungen geführt. Privatwirtschaftlich geführte Theaterunternehmen konnten dieser Entwicklung mit Repertoirebegrenzungen und dem Engagement minder talentierter Schauspieler entgegenwirken. Den adligen Hoftheaterintendanten blieben derartige Möglichkeiten in der Regel verschlossen, da sie mit erheblichem Verlust an Ansehen und Einfluß verbunden waren. Sie griffen deshalb auf kameralistisch geschulte Beamte zurück, die nach geeigneten Finanzierungsmodellen unter Vermeidung von Etaterhöhungen suchen sollten.

115 ibid. S.212f. - Frank schrieb über seine Unterrichtsstunden: "Daß dieselben bis jetzt nicht fruchtlos gewesen, hat Mlle. Ziegler das letztemal im natterhaften Ehemann (ein vielgespieltes Lustspiel Bocks nach einer englischen Vorlage P.Sch.) bewiesen, wo sie Anstand mit Lebhaftigkeit verband und die Rolle des Frl. v. Rosenhain mit aller Vollkommenheit spielte. Daß ich mit Mlle. Baumann und Boudet nicht eben so weit gekommen bin, ist ersterer ihre Krankheit schuld, bei der zweiteren eine Unmöglichkeit, wie man leicht aus meinem Verzeichnis ersehen kann." Sie war in den beiden Monaten nur neun Mal zum Unterricht erschienen.(ibid. S.212) 116 ibid. - Der Betrag war Frank in einer Resolution vom 16. August 1783 nachträglich bewilligt worden, (s. ibid. S.191.) 117 Friedrich Walter: Geschichte des Theaters und der Musik am kurpfalzischen Hofe, a.a.O., S.197. 118 ibid. S.196.

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1797 hatte einer dieser Beamten, von Dalbergs Privatsekretär Ockhart 1 1 9 , ein derartiges Modell für das Mannheimer Hoftheater - möglicherweise unter Verwendung der Denkschriften von Maler Müller 120 - entwickelt, das eine Steigerung der schauspielerischen Qualität bei gleichzeitiger Senkung des Theateretats zum Ziel hatte. Ausgangspunkt für Ockhart war, daß Darsteller, die "im Auslande großen Ruf' genossen, nach Mannheim "mit ansehnlichem Vorschuß an Reise-Geldern und großem Gehalt... berufen worden" waren, dann aber "keinen Beyfall gefunden haben, weil ihr Spiel und besonders ihre Declamation" innerhalb des Mannheimer Ensembles wie ein Fremdkörper gewirkt und "kein harmonisches Ganze(s) ausgemacht" hatten 121. Ockhart griff deshalb zur naheliegenden Idee, den risikoreichen Ankauf fremder Darsteller mit all den daraus entstehenden unrentablen Folgekosten durch die Einrichtung einer Theatralpflanzschule und - hier lag das Geniale seines Planes - durch eine Engagementsverpflichtung der Schüler weit über die Ausbildungszeit hinaus zu ersetzen. Sein von Heinrich Beck redigierter und leicht modifizierter Plan 122 sah zunächst eine dreijährige Ausbildung an einer Theaterschule vor, wobei bereits frühzeitig auf eine Verwendungsmöglichkeit der Eleven auf der Bühne des Hoftheaters geachtet werden sollte.

119 Ockhart: Erster Versuch über die Verbesserungen, welche bey den hiesigen Churfürstlichen National Theater eingeführt werden könnten / von Herrn Ockhart., in: Fritz Assmann: Deutschlands Theaterschulen im 18. u. 19. Jahrhundert,a.a.O.,S.87-103. Über Ockharts Person ist leider nichts bekannt. Auch Knudsen erwähnt nur, daß er Privatsekretär Dalbergs war.(Hans Knudsen: Heinrich Beck, ein Schauspieler aus der Blütezeit des Mannheimer Theaters im 18. Jahrhundert / von Hans Knudsen. - Leipzig; Hamburg: Voß, 1912. S.36.) Ob Ockhart mit jenem kurfürstlich sächsischen Advokaten zu Wiehe in Thüringen namens Alexander Ockhardt identisch ist, von dem: Das gelehrte Deutschland oder Lexikon der jetzt lebenden teutschen Schriftsteller / angefangen von Georg Christoph Hamberger, fortgesetzt von Johann Georg Meusel. - Bd.5. - Lemgo: Meyer, 1797. - S.479. berichtet, ließ sich nicht mehr ermitteln. 120 Ob Ockhart Müllers Denkschriften wirklich bekannt waren, läßt sich zwar nicht schlüssig beweisen, die Übereinstimmungen in einigen Punkten sind jedoch auffallig. Gewußt haben mußte Ockhart von den in der Öffentlichkeit bekannten Nationaltheaterplänen Karl Theodors und der Rolle, die einer Theaterschule in diesen Plänen zukam. Das entscheidend Neue bei Ockhart ist, abgesehen von der detaillierten Ausarbeitung, der Verzicht auf den Nationaltheatergedanken zugunsten finanztechnischer Erwägungen, die wohl von Dalberg auch gefordert worden waren. 121 Ockhart: Erster Versuch, a.a.O., S.88. 122 Heinrich Becks Anmerkungen stammen vom 14. März 1797. Sie sind dem Text Ockharts angefügt bzw. in diesen hineingeschrieben.

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Im ersten Jahr wollte Ockhart die Schüler in Singen, Tanzen und Fechten unterrichten lassen. Zusätzlich sollten die Novizen bei Bedarf als Choristen und Statisten auftreten, was Beck mit einem Jahresgehalt von SO iL abgelten wollte. Im zweiten Jahr sollten die Schüler, bei gleichbleibendem Unterricht, bereits in kleineren Rollen bei einer Gage von 100 bis 150 fl auftreten und im dritten Jahr sollten sie schließlich nur noch auf der Bühne Verwendung finden, wobei Beck an ein "förmliches Gehalt als halb ausgebildetes Mitgl(ied)" dachte. 123 Ockhart hatte hier 150 bis 200fl.vorgeschlagen. Entscheidend war jedoch, daß sich nach Ockhaits Vorschlag jeder, der in die Theatralpflanzschule eintreten möchte, grundsätzlich fur weitere sechs Jahre nach Abschhiß der Ausbildung dem Mannheimer Theater fest verschreiben sollte bei einer Anfangsgage von 300 fL, die, alle zwei Jahre erhöht, schließlich 500 bis 600 a betragen hätte: ein Plan, den Beck für "vortrefflich durchdacht" 124 sah, wenngleich er die Gagenbegrenzung auf maximal 600 fL fur nicht durchführbar hielt, da sie den Fleiß hochtalentierter Schauspieler - er dachte dabei an seinen ehemaligen, ständig verschuldeten Kollegen Iffland - mindern würde. "Auf diese Weise hätte", so Ockhart, "die hiesige Bühne gleichsam ein kleines Seminarium von jungen Acteuren und Actricen und erhielte immer die BKithe der neu ausgebildeten Talente vom 18.ten bis zum 24.ten Jahre" 1 2S . Die gewaltigen Einsparungsmöglichkeiten in Ockharts und Becks Plan begreift man, wenn man Vergleichszahlen heranzieht: er ging davon aus, daß der Unterricht großteils von Schauspielern des Mannheimer Ensembles ohne zusätzliches Entgelt gehalten werden sollte. Als Direktor sollte ein Mitglied des Ausschusses, wahrscheinlich Beck, eingesetzt werden. Lediglich ein Fecht und ein Musikmeister hätten auf Stundenbasis engagiert werden müssen. Diese und die Kosten für den Einsatz der Schüler als Statisten und Choristen, hätten im ersten Jahr nach Abzug der Einsparungen bei Chor und Statisterie durch den Einsatz der Eleven ca. 500 bis 600 fl. betragen. Im zweiten Jahr wäre es bereits zu Gewinnen gekommen, da festengagierte Ensemblemitglieder für kleinere Rollen eine Mindestgage von 300 bis 400fl.erhielten, der durch den Einsatz von Schülern Gagen von 100 bis 150 fL gegenübergestanden hätten. Und was das dritte Jahr betrifft, so hatte Beck zweifelsohne recht, wenn er meinte, dies lasse sich "nicht bar berechnen": "Genie, Fleiß, Glück müssen den Grad des moralisch(en) und ökonomischen Vortheils bestimmen.... Eine durch dies Institut gehobene, mit großem Ruhm aufgeführte Oper trägt mehr ein, als dies ganze Institut kosten kann." 126

123 ibid. S.100. 124 ibid. 125 ibid. S.93. 126 Ockhart: Erster Versuch, a.a.O., S.101. 145

In die Theatralpflanzschule aufnehmen wollte Ockhart vorzüglich Landeskinder, wobei Kinder von Schauspielern an erster Stelle standen, gefolgt von Kindern "angesehener Eltern aus der Stadt; oder den Pfälzischen Landen" und Kindern von "niederer Herkunft, wenn ihre Sitten noch unverdorben sind", ebenfalls aus der R e s i d e n z . 127 Erst wenn dies nicht ausreichen sollte, kämen Ausländer in Frage. Beck selbst hatte bereits drei Anwärter in Aussicht, bei denen von zweien der Beruf des Vaters bekannt ist: es waren Hofbeamte.128 Die Verpflichtung von Schauspielerkindern hätte zudem einen weiteren Vorteil gebracht: die Eltern wären sicher von einem Kontraktbruch und möglicherweise von einem Engagementswechsel abgehalten worden. Leider ist nicht mehr bekannt, ob und, wenn ja, wie die Pläne Ockharts und Becks verwirklicht wurden. Sollte überhaupt eine Schauspielschule existiert haben, dann sicher nicht lange, denn Ifiland traf während seiner Mannheimer Gastspiele in den Jahren 1802 und 1804 auf "ein abschreckendes Bild jeder denkbaren Unordnung. Die Wenigsten wußten ihre Rollen; alles lief hin und her, und die Vorstellung des Abends, ob sie gelänge oder nicht, war dem Zufall überlassen." 129 Und er schlug von Man sollte eine Gattung Pflanzschule aus einer Mehrheit junger Leute errichten. Sie müßten Untericht empfangen, die Chöre in den Opern zu singen, die Volksscenen großer Stücke zu geben. Hie und da werden die Besseren zu Hülfsrollen gebraucht, die Besten allmählich angestellt, wenn sie Genie haben, und die nicht angestellt werden können, brechen sich selbst Bahn zu auswärtigen Engagement, indem sie noch dankbar sind für die Gelegenheit zur ersten Bretter-Routine, die sie bei einer großen Bühne empfangen könnten. 130

127 ibid. S.102. 128 Der eine Vater war "Secretair", der andere "Geheim-Secretair" von Beruf, (ibid. S.103.) 129 Iffland äußerte seine Kritik an den Mannheimer Verhältnissen derart deutlich, daß ihn Intendant von Venningen bat, Vorschläge "zur Hebung und Erhaltung der Mannheimer Bühne" zu machen, die Iffland schließlich am 20. April 180S einreichte. Diese Vorschläge sind abgedruckt in: Anton Pichler: Chronik des Großherzoglichen Hof- und National-Theaters in Mannheim: zur Feier seines hundertjährigen Bestehens am 7. October 1879. - Mannheim: Bensheimer,l 879.-S.339-347. Das Zitat findet sich auf S.343. Auch Heinrich Beck konnte sich nicht lange um die möglicherweise existierende Theatralpflanzschule gekümmert haben. Er wurde 1799 Direktor des Münchener Hoftheaters, scheiterte dort, kam 1801 nach Mannheim zurück und wurde bereits im März 1803 - wiederum aufgrund von Unstimmigkeiten - in den Ruhestand versetzt, den er nur noch zwei Monate genießen konnte, bevor er am 6. Mai dieses Jahres verstarb. 130 ibid. S.344.

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Ifïlands und Becks Einstellung zu den Möglichkeiten einer höfischen Theaterschule zeigen deutlich, daß auch Schauspieler, die innerhalb der Theaterhierarchie eine entsprechende Position erklommen hatten - Ifïland war Generaldirektor der Kgl. Theater Berlins, Heinrich Beck Regisseur und Ausschußmitglied in Mannheim - , das verwaltungstechnische bzw. ökonomische vor das künstlerische Denken stellten. Und so waren es schließlich die Landesherren selbst, die den Unsinn von Theatralpflanzschulen weit eher einsahen, wie das Karlsruher Beispiel zeigen wird.

Karlsruhe 1808 hatte Karlsruhe ein stehendes Theater erhalten, das nach einer zweijährigen Direktion des Schauspielers und Dramatikers Wilhelm Vogel vom Hof übernommen wurde. Der Schauspieler und Regisseur Peter Mittell erarbeitete für dieses Großherzogliche Hoftheater den Entwurf zu einer Theaterschule, der mit dem Modell Ockharts in großen Teilen übereinstimmt. Mitteils Plan, die siebenunddreißig Paragraphen umfassenden Statuten der Theaterschule und eine Art Hausordnung, "Regeln für die Zöglinge des Großherzogl. Hoftheaters" genannt, sind erhalten und von Fritz Assmann veröffentlicht worden. 131 Daraus lassen sich vielfältige Einsichten über gemeinsame und divergierende Vorstellungen der beteiligten Parteien hinsichtlich der Aufgabe und Funktionsweise einer höfischen Theatralpflanzschule gewinnen. Dies macht sich bereits bei der Einschätzung des Zwecks der Einrichtung deutlich bemerkbar, den Mitteil darin sah, "dem Großh. Hoftheater einst dramatische Künstler zu geben" 132, wenngleich ihm bewußt war, daß die Schüler als Eleven auch auf der Bühne Verwendung finden sollten. Mitteil hielt dies jedoch erst nach einem halben Jahr Unterricht für sinnvoll. Verbunden sein sollte diese Bühnentätigkeit mit einer von Jahr zu Jahr ansteigenden und regelmäßig ausbezahlten Gratifikation, die sich - wenn auch nicht von der Höhe des Betrags her gesehen - als Gage verstehen läßt. Und um zu verhindern, daß talentierte Schüler als Statisten verkommen, regte er zudem an, daß "jedem Eleven, sobald er das Alter und die gehörige Bildung hat... in einer nicht unbedeutenden Rolle aufzutreten gestattet" 133 werde. Über die entsprechende Eignung könne ein "Comité", auf dessen Zusammensetzung er nicht weiter eingeht, entscheiden. Weiterhin wollte er allen Absolventen, die die Abschlußprüfung mit Erfolg be131 Peter Mittells undatierter Entwurf ist abgedruckt in: Fritz Assmann: Deutschlands Theaterschulen im 18. und 19. Jahrhundert, a.a.O., S.106-110. »Statuten der Bildungs Anstalt des Großherzl. Hoftheaters Karlsruhe« in: ibid. S.l 13-122. »Regeln für die Zöglinge des Grossherzogl. Hoftheaters« in: ibid. S.l25-127. 132 ibid. S.106. 133 ibid. S.108.

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stehen, einen Rechtstitel auf Weiterbeschäftigung im Rahmen einer "verhältnismäßig zu bestimmende(n) G a g e " 134 sichern: eine arbeitnehmerfreundliche Verkehrung des Mannheimer Modells. Mittells Entwurf zeigt, daß fur ihn die Ausbildung und soziale Absicherung der angehenden Schauspieler im Zentrum der zu errichtenden Theatralpflanzschule stand, wobei ihm wie Ockhart - wenn auch aus anderen Gründen - daran lag, von ihm ausgebildete Eleven am Karlsruher Theater in gesicherter Position zu halten. Die Lehrinhalte selbst traten zunächst in den Hintergrund. Lediglich in einem kleinen Abschnitt seines Entwurfs bietet er die nahezu bei allen Theatralpflanzschulen übliche Fächerkombination, wobei, wie Assmann feststellt, Fechtunterricht in "wunderbarer Weise aus dem Unterrichtsplan wieder gestrichen" 135 wurde: Der Unterricht für die Eleven wird bestehen in: 1. Tanzen; 2. Gesang; 3. Musik - Klavierspielen; 4. französische und italienische Sprache; 5. reinen Aussprechen; 6. richtigen Deklamieren. 136

Pro Fach sollten in jeder Woche drei bis vier Stunden Unterricht erteilt werdea Teilweise andere Vorstellungen hatte der Hof, sowohl was den Zweck der Pflanzschule, als auch, was die Regelung der Gratifikationen betrifft. So hebt bereits der erste Paragraph der "Statuten der Bildungs Anstalt des GroßherzogL Hoftheaters Karlsruhe" auf die vielfältigen Zwecke des Instituts ab: Zu einer Bildungsanstalt, welche den Hauptzweck hat, dem großherzl. Hoftheater einst dramatische Künstler zu geben und nebenbey zur Belebung der Oper den Chor zu verstärken, kleine und Divertissements und Tänze aufzuführen und im Schauspiel, so nötig ist, mitzuwirken, sollen sechs Knaben und zehn Mädchen als Zöglinge aufgenommen w e r d e n . 137

Ein Großteil der Statuten und der Hausordnung beschäftigt sich dann auch mit Regelungen, die einen reibungslosen Ablauf der Vorstellungen gewährleisten sollen, etwa der Ein- und Durchführung eines Inspektorensystems, bei dem Eleven, als "Inspectoren" eingesetzt, ihre Mitschüler kontrollieren und eventuelle Verstöße gegen die Statuten oder die Hausordnung an die Lehrer der Theaterschule weiterleiten sollten. 138 Weitgehend kameralistisch orientierte Züge trägt das in den Statuten detailliert ausgearbeitete Finanzierungskonzept, das zum einen versucht, Kosten und Verbindlichkeiten zu dämpfen bzw. zu umgehen, und zum anderen - im Gegensatz zu Mittells, aber auch Ockharts Forderung nach festen Gratifikationen 134 ibid. 135 Fritz Assmann: Deutschlands Theaterschulen im 18. und 19. Jahrhundert, a.a.O., S.107. 136 ibid. 137 ibid. S.106. 138 s. die Paragraphen 28 bis 36 der Statuten in: ibid. S.120f

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eine leistungsorientierte Gratifikations-Regelung einzuführen. Diese sieht eine im Etat festgelegte Pro-Kopf-Summe von monatlich 2 iL vor, die jedoch nur zum Teil als feste Gratifikation ausgezahlt werden sollte. Der verbleibende Rest wurde dagegen nach Leistung vergeben, wobei die Lehrer und der Intendant der Theatralpflanzschule über die Verteilungsmodalitäten zu entscheiden hattea Zudem fanden alle drei Monate "öffentliche Prüfungen über allen Unterricht statt, wofür diejenigen, welche sich durch Fleiß und gute Aufführung in den letzten 3 Monathen besonders ausgezeichnet haben, kleine Belohnungen vertheilt" wurden. 139 Diese öffentlichen Prüfungen wurden als Benefizvorstellungen zugunsten der Theaterschule eingerichtet. Spielgeld für die Mitwirkung bei regulären Auflührungen wurde dagegen nicht gezahlt und damit eine der großen Unwägbarkeiten von Hoftheateretats beseitigt. Weiterhin verweigerte der Hof nachdrücklich jegliche Übernahmeverpflichtungen nach abgeschlossener Ausbildung und verwandelte Mittells Vorschlag in eine unverbindliche Absichtserklärung: Die Intendanz übernimmt durchaus keine Verbindlichkeit zu der wirklichen Anstellung der Eleven, wenn auch ihre Ausbildung vollendet ist, wenn jedoch ein Platz ofTen wird, so wird man aber besondere Rücksicht auf die talentvolleren nehmen. 140

Abgesichert hatte man sich auch bei der Annahme von Zöglingea Da man das Aufnahmealter zwischen das zehnte und zwölfte Lebensjahr legte, durften Knaben "nicht gleich als Zöglinge aufgenommen werden, weil bei Mutirung der Stimme sich alles frühere verlieren kann" 141. Eine "wirkliche Annahme" durfte erst "nach zurückgelegtem 14ten Jahre" erfolgen, wenngleich sie bereits im Alter von zehn Jahren zum Unterricht zugelassen werden konnten: ein deutlicher Hinweis auf den tatsächlichen Verwendungszweck der Schüler. 142 Aus Mittells Entwurf übernommen wurde dagegen der Vorschlag, talentierten Eleven die Möglichkeit zu geben, "in einer nicht unbedeutenden Rolle aufzutreten", wobei ein "Ausschuß des Hoftheaters" zuvor entscheiden sollte, "ob der Eleve sich vor dem Publikum zeigen dürfe oder nicht".i43 Und eine wörtliche Übereinstimmung zwischen Mittells Entwurf und den Statuten findet sich schließlich in Paragraph 22: Bey der Bildungs Anstalt ist es ein erforderliches Gesetz, daß die höchste Sittlichkeit, sowie der größte Anstand herrsche, wer gegen beydes, sey es in oder

139 §16 in: ibid. S.117. 140 §20 in: ibid. S.118. 141 §2 in: ibid. S.113. 142 ibid. 143 §19 in: ibid. S.118.

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außer dem Theater, fehlt, muß die Anstalt verlassen und darf nie wieder daran theil nehmen. 144

Bereits in seiner Formulierung wirkt dieser Paragraph innerhalb der zum Teil übertrieben detailgenauen Statuten wie ein Fremdkörper. Ob er je zur Anwendung kam, ließ sich leider nicht mehr ermitteln. Schon bald hatte man erkannt, daß eine vernünftige Schauspielerausbildung angesichts der problematischen ökonomischen Basis und den damit verbundenen Einschränkungen im Lehrbetrieb des Instituts nicht durchfuhrbar war. Selbst dem Großherzog Karl Friedrich war, zumindest was die Qualität der Ausbildung betraf, der desolate Zustand, in dem sich seine Theatralpflanzschule befand, aufgefallen. Bereits 1814 schrieb er in einem bei Assmann abgedruckten Brief: Eine Mitleid erregende Eigentümlichkeit unserer Bühne ist noch die sogenannte Elevenanstalt. Nie und nimmer kann dabei etwas Gutes herauskommen, denn es ist schlimmer als garnichts; ohne allen Beruf für die Bühne, ohne die unentbehrlichsten Vorkenntnisse, ein klägliches Produkt unbeholfener Nachbeterei, leben sie sich und jeder Rolle zum Verderben, Minerven zum Trotz. 145

Karl Friedrich scheint von da ab nahezu jegliches Interesse an dem Institut - und damit auch an einer verstärkten finanziellen Unterstützung - verloren zu habea Erst 1821 erklärte er sich bereit, den Lehrer Karl Mehrlich für Unterrichtsstunden in Geographie und Geschichte einzusetzen. Mehrlich wurde zudem seitens der Intendanz des Hoftheaters gebeten, ein sinnvolleres Gesamtkonzept vorzulegen. Mehrlichs Konzept beginnt mit einer behutsam formulierten Beschreibung des Ist-Zustandes: So gering auch noch die Anlage (einer Theaterbildungsanstalt - P.S.) gemacht ist und die äußere Beschränkung sich auch hier zuerst zeigt, indem noch keine ergiebigeren Quellen dafür haben aufgeschlossen werden können, so ahnde ich doch, daß, wofern diese auch im Keime schon höchst erfreuliche Anstalt noch lange unter der Aufsicht und Begünstigung Ew. Exzellenz ihr ferneres Gedeihn zu finden habe, sie als eine treffliche Schule der Schauspielkunst vor den Augen Deutschlands erscheinen werde. Bald, ich bin es überzeugt, wird sie die Aufmerksamkeit Sr. Hoheit, des Großherzogs, als höchsten Protectors, immer

144 ibid. S.119. - Bei Mitteil heißt es im letzten Absatz des Entwurfs: "Bei der Bildungsanstalt ist ein erforderliches Gesetz, daß die höchste Sittlichkeit sowie der größte Anstand herrsche. Wer daher gegen beides verstößt, sei's auf oder unter dem Theater, muß die Anstalt verlassen und darf, mit allem Verlust der angezogenen Gratifikationen, nicht wieder teil daran nehmen."(S. 110) 145 zit. in: Fritz Assmann: Deutschlands Theaterschulen im 18. und 19. Jahrhundert, a.a.O., S.63.

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mehr auf sich ziehen und das Publikum wird ein allgemeines Interesse daran nehmen. 146

Ausgehend von der Vorstellung, daß "die Anstalt eine Kunstschule sein solle und zwar eine Schule fur die Schauspielkunst"147, entwickelte Mehrlich ein Programm, das demjenigen Friedeis gleicht und ebenfalls den Bildungsgedanken in den Vordergrund stellt "Allseitigste Bildung"148 sollte den Schülern im Sinne enzyklopädischen Wissens vermittelt werden, worunter neben Geographie und Weltgeschichte Kenntnisse in Physik, Chemie, den Philologien, Psychologie und Ästhetik zählen. Und vor allem "soll der Schauspieler wissenschaftliche Einsicht in seine Kunst besitzen": 14 ' Meist ist es nur das angeborene Talent, das ihn hebt und die übrigen spielen wie sie sich geübt haben und geübt worden sind. Der Geist fehlt, der das Ganze beseelt und das Kunstwerk als ein organisches Gebilde in allen seinen Adern belebt. 1 50

Im Karlsruher Institut konnte dieses Programm jedoch nur rudimentär und unter großem persönlichen Einsatz Mehrlichs verwirklicht werden. Mehrlich sah deutlich, daß der Hof nicht bereit war, zusätzliches Lehrpersonal zu finanzieren. Er schlug deshalb vor, in den "ersten Häusern der Stadt"151 Spenden zu sammeln und Gelder aus den oben erwähnten Benefizvorstellungen fur die Besoldung neueinzustellender Lehrer abzuzweigen: ein Vorschlag, der die ohnehin spärlichen Gratifikationen fur die Schüler zusätzlich reduziert hätte. Über eine Realisierung von Mehrlichs Plan ist ebensowenig bekannt wie über den Fortgang des Instituts selbst. Gleiches gilt für Assmanns Vermutung, "daß mit dem Tode ihres geistigen Urhebers und Begründers Mitteil (1824) auch die Theaterschule eingegangen ist".15 2

146 Karl Mehrlichs Brief vom 6. August 1821 ist abgedruckt in: Fritz Assmann: Deutschlands Theaterschulen im 18. und 19. Jahrhundert, a.a.O., S. 130-142. S.130. 147 ibid. S.131. 148 ibid. S.132. 149 ibid. S.138. 150 ibid. 151 ibid. S.142. 152 Fritz Assmann: Deutschlands Theaterschulen im 18. und 19. Jahrhundert, a.a.O., S.59.

151

Regensburg 1805 wurde in dem erst im September 1804 von Fürst-Primas von Dalberg eröffneten Theater auf Betreiben des Grafen Renzel-Sternau eine Theaterschule eingerichtet, die bis 1809 bestand. Leiter dieser Schule war Benedict Josef Maria von Koller, dessen Reflexionen über die Möglichkeiten einer Schauspielerausbildung im Zentrum dieses Abschnitts stehen sollen. Über Kollers vita ist angesichts eines zeitgleich existierenden Namensvetters nur weniges und in sich widersprüchliches bekannt 1S3 Als gesichert kann gelten, daß Koller, der 1767 geboren und 1817 als württembergischer Legationsrat in Stuttgart gestorben ist, 1804 eine Sammlung von APHORISMEN F Ü R SCHAUSPIELER U N D FREUNDE DER DRAMATISCHEN K U N S T herausgegeben hatte, die 1920 von Ewald Silvester bei Hanfstaengl in München wiederveröffentlicht wurde. Und ebenso sicher ist, daß Koller auf die 1812 von der "Gesellschaft der Wissenschaften und schönen Künste zu Bordeaux" gestellte Frage "Wie kann das Theater zur Verbesserung des Geschmackes und der Sitten beytragen?" eine Schrift einreichte, die preisgekrönt wurde und fur die

153 s. hierzu: Ewald Silvesters Einleitung zu: Josef Benedict Maria von Koller: Aphorismen für Schauspieler und Freunde der dramatischen Kunst / gesammelt von J.Koller; hg.v. Ewald Silvester. - München: Hanfstaengl, 1920. (-Reprint der Originalausgabe von 1804.) - S.6ÍT. In der "Allgemeine Literatur-Zeitung vom Jahre 1817" erschien folgende Nachricht vom Tod Kollers: "Am 4. September starb der k.k. österreichische Legations-Secretair von Koller an einer Lähmung im Unterleibe, nach kaum zurückgelegtem fünfzigsten Lebensjahre. Der literarischen Welt war er vorzüglich durch mehrere dramatische Arbeiten, so wie durch seine 'Aphorismen für Schauspieler und Freunde der dramatischen Kunst'(Regensburg 1804), bekannt, und überhaupt durch seine Wirksamkeit für die Schauspielkunst, welche er auch durch die Bildung einer Schauspielerschule in Regensburg, wo er sich damals der besonderen Unterstützung des Fürsten Primas zu erfreuen hatte, beurkundete, er arbeitete zuletzt an einer Geschichte der deutschen dramatischen Dichtkunst, die wahrscheinlich zum größern Theile vollendet hinterblieben ist, und bey der anerkannten Genauigkeit und Beobachtungs- und Darstellungsgabe des Verstorbenen, mit welchen sich practische Einsicht ins Fach und ausgebreitete und gründliche gelehrte Kenntnisse verbanden, den Freunden der dramatischen Dichtkunst ein willkommenes Vermächtnis seyn dürfte. - Seine von der Gesellschaft der Wissenschaften und schönen Künste zu Bordeaux gekrönte Preisschrift: Wie kann das Theater zur Verbesserung des Geschmacks und der Sitten beytragen? mag, wie ihr in einem öffentlichen Blatte sehr bitter ist vorgeworfen worden, einige Einseitigkeit in den Ansichten verrathen, war aber der ihr gewordenen Anerkennung keinesweges unwerth. - Über die Trefflichkeit seines moralischen Charakters giebt es wohl nur eine Stimme." (Allgemeine Literatur-Zeitung vom Jahre 1817. December Nr.287-312. - Halle; Leipzig, 1817. - Nr.289, Spalte 648.) 152

er iL Wilhelm Hebenstreit eine Medaille im Wert von 300 Francs erhielt 154 Diese Preisschrift wurde von Oktober bis November 1816 im ersten Jahrgang der WIENER-MODEN-ZEITUNG UND ZEITSCHRIFT FÜR KUNST, SCHÖNE LITERATUR UND THEATER veröffentlicht Die Übereinstimmungen zwischen den APHORISMEN und der Preisschrift lassen keinen Zweifel darüber aufkommen, daß es sich bei beiden Veröffentlichungen um denselben Autor handelt Silvesters Hinweis, daß "1809 jedenfalls das letzte" Werk Kollers erschienen seiiss, muß deshalb auf schlechte Recherchen zurückgeführt werden. Gleiches gilt für Silvesters, Ursache und Wirkung verkehrende, Behauptung, "der Sammler dieser Aphorismen" sei "ein fein gebildeter und weltgewandter Mann gewesen, den Begabung und Neigung, vielleicht auch Erwerbsnotwendigkeit zum Leiter einer Theaterschule gemacht haben, und der auf Grund seiner praktischen Erfahrungen um so eher berufen war, dieses Buch", d.h. die APHORISMEN "zusammenzustellen". 156 Tatsache ist vielmehr, daß die Theaterschule erst nach Veröffentlichung der APHORISMEN eingerichtet wurde. Überraschend ist auch, daß Wilhelm Hebenstreit, dem Koller die Preisschrift zugesandt hatte und der die Veröffentlichung von 1816 vermittelte, nichts von Kollers Tätigkeit als Leiter der Regensburger Theaterschule bekannt war. Dies umso mehr, als Hebenstreit die Preisschrift 1843 im Rahmen seiner Arbeit über DAS SCHAUSPIELWESEN. DARGESTELLT AUF DEM STANDPUNKTE DER KUNST, DER GESETZGEBUNG UND DES BÜRGERTHUMS nochmals veröffentlichte, um nachzuweisen, daß der »Gesellschaft der Wissenschaften und Künste« von Bordeaux bei der Bewertung ein gewaltiger Fauxpas unterlaufen sei Kollers Preisschrift beschäftigt sich hauptsächlich mit der Funktion des Theaters innerhalb der Gesellschaft, wobei er sich, wie Hebenstreit dann unter anderem Vorzeichen auch, an antiken Vorbildern orientiert, die er mit zeitgenössischen Auffassungen kombiniert. Hebenstreits Feststellung, Kollers "Abhandlung (sei) aus einzelnen Stellen anderer Schriftsteller zusammenge-

154 Benedict Joseph Maria von Koller: Wie kann das Theater zur Verbesserung des Geschmackes und der Sitten beytragen? - in: Wiener-Moden-Zeitung und Zeitschrift für Kunst, schöne Literatur und Theater. - l.jg. - Wien: Strauß, 1816. Nr.58: Sonnabend, den 19. Oktober 1816: S.545-550; Nr.59:Mittwoch, den 23. Oktober 1816: S.553-5S8; Nr.60: Sonnabend, den 26. Oktober 1816: S.561566; Nr.61: Mittwoch, den 30. Oktober 1816: S.569-573; Nr.62: Sonnabend, den 2. November 1816: S.577-580. (Der Hinweis Hebenstreits findet sich auf Seite 545. Der Abdruck der Abhandlung erfolgte auf seine Veranlassung.) 155 Aphorismen für Schauspieler und Freunde der dramatischen Kunst, a.a.O., S.8. 156 ibid.

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setzt" und "mit mancherlei Sentenzen" von eigener Seite "verbrämt" 157 , trifft deshalb zweifelsohne zu. In weiten Teilen neu ist allerdings der in Kapitel 4 veröffentlichte Plan einer Theaterschule, der zwar Gedanken aus den APHORISMEN und aus den rhetorischen und poetischen Schriften Aristoteles' aufnimmt, in seiner Systematik dagegen auf keine bekannten Vorbilder verweist. Auch Hebenstreit beschränkt sich in diesem Zusammenhang auf die zynische Bemerkung: "Ich wünsche dem Schauspieler aller jener von ihm geforderten Kenntnisse und Fertigkeiten Glück, zweifle aber sehr, ob Jemand, der solche sich aneignen müßte, den Schauspielerstand erwählen w i r d . " 158 Man kann deshalb, wie Assmann dies ohne weitere Begründung tut, davon ausgehen, daß Kollers Plan einer Theaterschule die Regensburger Erfahrungen zur Grundlage hat, wenn er sie nicht gar - zumindest in einigen Punkten - dokumentiert. 159 Ausgangspunkt für Koller ist die Feststellung der philantropisch orientierten Theaterschulkonzepte, daß der Schauspieler nur dann ein sittliches Verhalten lehren könne, wenn er es zuvor selbst erlernt. Dazu muß er "nicht nur in physischer, sondern auch in geistiger Hinsicht alle diejenigen Eigenschaften in sich vereinigen, die ihn zur Ausübung seiner Kunst fähig machen" und vor allem "zugleich ein rechtlicher Mensch und Bürger" sein "und als solcher im Rufe" stehen. 160 Der Schauspielerstand soll dem des Predigers oder des öffentlich bestellten Lehrers entsprechen. 161 Um dies zu erreichen, schlägt Koller die Einrichtung einer Theaterschule "unter öffentlicher Autorität"!62 vor, deren Ausbildungkonzept aus einem in sich logischen und geschlossenen System besteht, das er selbst "Theatrik" nennt. Ausgangspunkt dieser Theatrik ist eine "Rechtfertigung des Schauspielerstandes"! 63 aus den Zwecken von Dicht- und Schauspielkunst, gemäß der dem literarisierten Theater analogen Definition: "Unter Theater verstehen wir diejenige öffentliche Anstalt, wornach auf einer Bühne dramatische Gedichte von mimischen Künstlern zum Vergnügen des Volkes aufgeführt w e r d e n " . 164 157 Wilhelm Hebenstreit: Das Schauspielwesen. Dargestellt auf dem Standpunkte der Kunst, der Gesetzgebung und des Bürgerthums / von Wilhelm Hebenstreit. - Wien: Beck, 1843.-S.233. 158 ibid. S.253. 159 "Kollers 'Teatrik' interessiert vornehmlich aus dem Grunde, weil hier zum ersten und wahrscheinlich einzigen Male die Theorie von der Praxis abstrahiert wurde." (Fritz Assmann: Deutsche Theaterschulen im 18. und 19. Jahrhundert, a.a.O., S.64.) 160 Joseph Benedict Maria von Koller: Wie kann das Theater zur Verbesserung des Geschmackes und der Sitten beytragen?, a.a.O., S.555. 161 ibid. 162 ibid. S.556. 163 ibid. 164 ibid. S.546

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Diese bei Johann Elias Schlegel oder bei Schiller abgeschriebene Begriffsbestimmung konkretisiert Koller an anderer Stelle, wobei die Regensburger Verhältnisse des Theaters im Neuhof durchschimmern: Wenn wir auch das Theater nicht als eine Schule der Sitten, des geselligen, feinern Umganges und der Sprache betrachten wollen: so können wir doch nicht in Abrede seyn, daß es eine öffentliche Anstalt des Vergnügens, der reinem und höhern Lebensfreuden ist, welche die Fürsten, an einer Tafel gleichsam, mit ihrem Volk genießen.165

Zum "Volk", das ins Theater geht, gehört fur Koller allerdings nicht der "ganz ungebildete Mensch", der sich "im Durchschnitte des Theaters entweder gar nicht, oder doch nur hier und da ein Mahl aus Neugierde oder sonstiger Veranlassung" ins Theater verirrt.166 Zum Volk zählen für ihn vielmehr die gebildeten und die weniger gebildeten Theatergänger, die er auch im Theater getrennt wissen will: für erstere sei das "Kunst ", für letztere das "Volkstheater" zuständig. 167 Und wie Schiller will auch Koller die Vergnügungen des Volkes einschränken: "nicht, was sein ekler Geschmack verlangt", soll gezeigt werden, sondern das, "was ihm bekommt, was schön und gut und heilsam ist": Wenn der Kranke genesen soll, so muß er sich den Regeln der Diätetik unterwerfen. Wenn der Geschmack, wenn die Sitten des Publikums vervollkommnet, verbessert werden sollen, so muß dieses Publikum nicht verlangen, daß man seinen oft seltsamen Lüsten und Gelüsten fröhne, vielmehr mit kindlichem Vertrauen einer weisen Leitung folgen, und niemahls vergessen, daß der Staat nimmermehr jedes einzelne Individuum befriedigen, sondern nur die ganze Masse im Auge behalten kann. 1 68

Ein Gedanke, der bereits von aufklärerischen Erziehern thematisiert wurde. Darauf nimmt Koller auch Bezug, wenn er dem Theaterpublikum "die Rolle der Sinnlichkeit" und der "Theateranstalt als öffentlicher Autorität... die Rolle der Vernunft" zuteilt: "Die erziehende Vernunft geht langsamen Schrittes, macht in ihren Forderungen im Anfange kleine Aufopferungen, gewinnt das Vertrauen ihres Zöglings, macht sich denselben allmählig zum Freunde, läßt ihn die Vortheile der Leitung nach und nach selber einsehen - und so gelangen beyde endlich zum Ziele."169 - Vorstellungen, die bereits in den APHORISMEN zu lesen waren. Ebenfalls den APHORISMEN war zu entnehmen, welche Eigenschaften ein Mensch mitbringen mußte, um Schauspieler zu werden:170 165 166 167 168 169 170

ibid. ibid. ibid. ibid. ibid. ibid.

S.545 S.549. S.550. S.554 S.562 S.556 (Aphorismen, S.76)

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5.§ Nothwendige Eigenschaften a) körperliche: 1. Ein gut gebauter Körper. 2. Ein ausdrucksfáhiges Gesicht. 3. Gesundheit Makrobiotik. 4. Ein reines Sprachorgan. b) geistige: 1. Dichtungskraft 2. Gedächtniß Mnemonik. 3. Reiner moralischer Sinn. Moral. 4. Glückliche Stimmung des Gemüths.

Neu ist der Hinweis auf Hufeland, der in den APHORISMEN nicht enthalten ist und damit möglicherweise auf eine Art »ganzheitliche« Ausbildung in Regensburg hindeutet, die alle Lebensbereiche der Zöglinge erfassen sollte. Zudem verweisen auch die Begriffe "Mnemonik" und "Moral" eher auf das Ausbildungsprogramm innerhalb der Theaterschule und nicht auf die in diesem Paragraphen der Theatrik thematisierten Voraussetzungen. Die Eigenschaften selbst finden sich, mehr oder weniger vollständig, in nahezu allen Theorieschriften über und Anleitungen zur Schauspielkunst. Auffallend ist lediglich die Forderung, der angehende Schauspieler müsse Dichtungskraft besitzen: eine Forderung, die auch bei Koller fur den Ausbildungsgang selbst keine Rolle spielt. Sie soll vielmehr im theatralen Betrieb gewährleisten, daß Schauspieler, die in der Regel "die Wirkung auf der Bühne am Besten zu berechnen" wissen, "bessere Stücke erzeugen". Zudem erspare dies dem Staat, "eine Menge durch Alterskrankheit oder sonstige Gebrechen unbrauchbare Glieder der Bühne zu versorgen, weil von mehrern derselben zu erwarten ist, daß sie durch Schriftstellerey in ihrem Fache sich ein Kapital werden erworben haben" 1 71 . Daß diese Vorstellung nur dort realisiert werden kann, wo die Pensionierung als Gnadenakt begriffen und verfugt wird, hat bereits Hebenstreit gesehen. Ansonsten erwachse dem Schauspieler ein Pensionsanspruch aus seiner Haupttätigkeit, der durch eine schriftstellernde Nebentätigkeit nicht verwirkt werden könne, ganz gleich, was dabei verdient wurde: "Wenn der Schauspieler schon ein Staatsgeschäft treibt, müssen ihm auch die daraus fließenden Vortheile verbleibea" 1? 2 An antiken und französischen Vorbildern orientiert ist Kollers Begriff der "Schauspielkunst", die er als "plastisch, weil der Schauspieler seinen eigenen Körper als schönes Kunstwerk im Räume ausstellen soll", als "mimisch, weil

171 ibid. S.558. 172 Wilhelm Hebenstreit: Das Schauspielwesen, a.a.O., S.254

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Handlungen durch Geberden ausgedrückt werden" und als "tonisch, weil sie Gedanken und Empfindungen durch Töne oder Worte ausdrückt", begreift. 173 Auf die Dreiteilung braucht an dieser Stelle nicht weiter eingegangen zu werden, da Koller den plastischen und den mimischen Teil für die Ausbildung zusammenfaßt, und so zur üblichen Zweiteilung in die Bereiche "Sprache" und "Geberde" bzw. "körperlicher Ausdruck" kommt. Zeitgemäß ist zudem, daß die Ausführungen über den "tonischen" Teil weitaus detaillierter und umfangreicher sind, als diejenigen über den plastisch-mimischen. Für letzteren fordert er 7.§ Um seinen Körper als plastisches und mimisches Kunstwerk auszustellen, sich wahr und schön zu geberden, muß der Schauspieler sich eigen machen: 1 .die Tanzkunst

a) die gemeine b) die höhere, d.i. die Geberdenkunst (Mimik). 1. oratorische Aktion. 2. Pantomimik oder lyrischer Theil

2. Die Fechtkunst 3. Die Reitkunst. 4. Das militärische Exerziz. 5. Die Kosmetik

a) die SchminkKunst. b) die Putz-

6. Die Zeichenkunst 7. Technik

a) der Künste b) der Handwerke. 174

Was die Fecht- und Reitkunst, sowie die militärischen Exerzitien betrifft, steht Koller in der Tradition höfischer Theatralpflanzschulen: die Schüler sollen nicht nur fur das Theater, sondern vor allem auch für das Leben bei Hofe selbst ausgebildet werden. Das auch in den Manierenbüchern geforderte und in den Ritterakademien geförderte Ideal der Körper- und damit Selbstbeherrschung, das durch die genannten Künste und Übungen erreicht werden sollte, wurde in der Folgezeit allerdings seines höfischen Charakters entkleidet und, nun verstanden als Körperkontrolle des Schauspielers auf der Bühne, in nahezu alle Theaterschulpläne aufgenommea Die Mittel, jene Körperkontrolle zu erreichen, blieben jedoch Fechten, Reiten und Exerzieren, die von Devrient und von Bothmer noch durch gymnastische Übungen ergänzt wurden. Auch Tanzunterricht

173 Joseph Benedict Maria von Koller: Wie kann das Theater zur Verbesserung des Geschmackes und der Sitten beytragen?, a.a.O., S.556. 174 ibid. S.557.

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wurde in allen detaillierter ausgearbeiteten Plänen des 18. und 19. Jahrhunderts für sinnvoll gehalten. Zweifelsohne wurden Kenntnisse in Tanzen, Fechten und Exerzieren auch auf der Bühne verlangt, wobei letzteres in der Regel auf die Statisterie beschränkt blieb. Auftritte zu Pferd waren dagegen bereits bei den Wandertruppen auf die Kunstreiter-Gesellschaften und im 19. Jahrhundert zusätzlich auf den Zirkus begrenzt, wobei die »Gloires militaires« des Cirque Olympique als bekannteste Verbindungen von Theater und Zirkus im deutschsprachigen Raum augenscheinlich keine Verbreitung fanden, während sie in Frankreich lange zu den beliebtesten Formen der Massenunterhaltung zählten. Und auch bei den Ritter- und Turnierspielen, die im Rahmen höfischer Festkultur ihre Blütezeit lange vor Koller, Wötzel und Devrient erlebten, saßen keine Schauspieler, sondern Adelige auf den Pferden. Bezeichnenderweise machten deshalb Auftritte zu Pferde im 19. Jahrhundert Furore und erzeugten zugleich bei der Theaterkritik Unverständnis: so begeisterte der Virtuose Wilhelm Kunst 1841 in Weimar die im Zuschauerraum anwesenden Studenten, als er in der Rolle des Karl Moor auf die Bühne ritt, handelte sich in der WIENER THEATER-ZEITUNG jedoch einen Verriß ein, dessen Schärfe Kunst zum Mittel der Gegendarstellung greifen ließ, ι 7 s Der in fast allen Theaterschulplänen zu findende Fechtunterricht unterschied sich bis weit ins 20. Jahrhundert hinein nicht von den Fechtstunden, wie sie auch Studenten erhielten. Eine spezielle Ausbildung in Bühnenfechten gab es nicht, wenngleich der Begriff selbst bekannt war. Betrachtet man deshalb Beschreibungen des Bühnenfechtens, zeigt sich, daß dieses in der Regel an den zeitgenössischen Fecht-Techniken orientiert war. Bis ins 19. Jahrhundert hinein war dies die spanische Schule, die von der italienischen abgelöst wurde. Für alle Formen dürfte jedoch gelten, was Oppenheim/Gettke über den theatralischen Charakter des Bühnenfechtens schreiben: Es gilt als erste Regel, den Bewegungen des Körpers, welche beim gewöhnlichen Fechten nur auf Nachdruck und Zweckmäßigkeit berechnet sind, auch Schönheit und Anmuth zu verleihen. Bei dem Stoßfechten, z.B. in der Fechtscene in HAMLET, sehe man auf leichte, graziöse Haltung, rasches, stets hörbares Ausfallen des Fußes mit korrespondirender Bewegung des zustoßenden rechten Armes. Zwischen den einzelnen Stößen muß man jedesmal Pausen machen oder die Gänge sehr kurz halten, so daß das Gefecht in den Augen des Zuschauers deutlicher und nachdrücklicher werde, als dies bei dem gewöhnlichen Contrafechten möglich ist. 176

Beim Fechten mit Hiebwaffen habe man zudem darauf zu achten, daß man den Körper des Partners weder anvisiere noch treffe. 175 Ulrich Berns: Das Virtuosengastspiel auf der deutschen Bühne, a.a.O., S.81. 176 Deutsches Theater-Lexikon, a.a.O., S.259, Spalte 1.

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In allen Theaterschulkonzepten des 18. und 19. Jahrhunderts ging es hinsichtlich des Fecht- und auch des Tanzunterrichts jedoch nie um die Vermittlung bühnenspezifischer Fertigkeiten. Fechten und Tanzen dienten vielmehr - wie auch das Exerzieren - als Vorschule zur Disziplinierung des Körpers und es verwundert deshalb auch nicht, wenn in einigen Entwürfen die Forderung nach gymnastischem Unterricht hinzukam. Der Verweis auf Aristoteles blieb äußerlich und verweist wohl eher auf die verlorengegangene Einheit von darzustellendem Inhalt und tänzerischem Ausdruck.

Staatliche Theaterbildungsanstalten In der Blütezeit der Hoftheater im 19. Jahrhundert mußte jeder, der einen Plan fur eine staatlich organisierte Theaterschule verwirklichen wollte, berücksichtigen, daß die Höfe zwar bereit waren, große Summen für ihr Vergnügen auszugeben, daß diese Summen aber für - über die höfischen Interessen hinausgehende - nationale Einrichtungen häufig nicht zur Verfügung standen bzw. gestellt wurden. So waren jene Konzepte von vorneherein zum Scheitern verurteilt, die im Humboldtschen Sinne in einer Theaterschule ein Bildungsinstitut, getrennt von der theatralen Produktionssphäre, sehen wollten, wie dies etwa Louis Schneider im Theaterlexikon von Blum/Herloßsohn/Marggraff formulierte: Eine A(cademie) d(er) S(chauspielkunst) darf nicht von irgend einer Bühne abhängig sein; weder in den Localen noch in der Leitung, noch in den Productionen kann sie zu Einem bestehenden Theater gehören, denn nur unabhängig vermag sie den Zweck zu verfolgen, den ihr Lehrplan, abgesehen von jeder augenblicklichen Praxis, bedingt. 1 7 7

Und weiter unten heißt es im selben Artikel, es "wäre sogar wünschenswerth, daß die Schüler während des ersten Cursus das Theater noch gar nicht besuchten"! 7 8. Waren auch nicht alle Theaterschulpläne auf eine derart rigide Trennung von schauspielerischer Bildung und theatraler Praxis hin ausgerichtet, so gingen doch alle an bürgerlichem Gedankengut orientierten Vorschläge - zumindest hinsichtlich einer Vorfinanzierung - von staatlichen Subventionen aus, mit denen Nachwuchs für ein staatlich subventioniertes Theater bereitgestellt werden sollte. Lediglich ein, in der Höhe am Universitätsbetrieb bemessenes, Schulgeld sollte in den Plänen von Devrient bis von Bothmer - je nach Anzahl der Schüler - zwischen fünfundzwanzig und fünfzig Prozent der laufenden Kosten decken. 179 Keiner dieser Pläne wurde realisiert und schon 1818 klagte Jo177 Allgemeines Theater-Lexicon, a.a.O., Bd.l, S.15. 178 ibid. S.16. 179 Eduard Devrient: Über Theaterschule, a.a.O., S.373-375 setzt 5000 Thlr. laufende Kosten p.a. an. Bei 20 Zöglingen und einem Schulgeld von 12 Louisdor

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hann Carl Wötzel in seinem VERSUCH EINER VÖLLIG ZWECKMÄSSIGEN THEATERSCHULE: Ich habe mich zwar erboten, eine solche Kunstakademie, wodurch z.B. Wien vollends das neue Athen werden würde, zweckdienlich einrichten zu helfen: allein mein Vorschlag ist bis jetzt ohne Erfolg, ohne Unterstützung und Begünstigung (fruchtlos) geblieben. ... Freilich bringt Schauspielkunst (wie Poesie) dem Staate keinen Groschen ein. Daher unterblieb bisher eine solche Stiftung aus Mangel an Erkenntniß ihrer großen Wichtigkeit und Nützlichkeit. 180

Dabei war Wötzel, was die staatliche Kontrolle über das Schauspielwesen betrifft, weit über die Forderungen der Kameralisten des 18. Jahrhunderts hinausgegangen. Zwar hatten auch Heinrich Gottlieb von Justi und Joseph von Sonnenfels für eine öffentliche Kontrolle des Schauspielwesens plädiert Sie sahen jedoch Zensurmaßnahmen im Sinne der aufgeklärten Bürger fur ausreichend wären 25% des Etats gedeckt. Und über den offenstehenden Rest meint Devrient: "Im Vergleich zu den Summen, welche auf Schulen für die bildenden Künste verwendet werden, wäre das Opfer für die dramatische auch nicht bedeutend."(ibid. S.374). Auch von Bothmer nimmt 1861 einen Jahresetat für laufende Kosten von 5000 Thlr. an. Bei 10 Louisdor Schulgeld und fünfzig bis sechzig Schülern pro Jahr würden ca. 50% der Ausgaben gedeckt. (Graf Hippolyt von Bothmer: Deutsche Theaterschulen, a.a.O., S.15f.) Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang die Veröffentlichung des Plans von Heinrich Theodor Rötscher, da sie die Korrekturen des Ministeriums für Kultus und Unterricht enthält. (Heinrich Theodor Rötscher: Plan zur Errichtung einer Theaterschule für darstellende Künstler, in: Jahrbücher für dramatische Kunst und Literatur / red. v. Heinrich Theodor Rötscher. - Jahrgang 1848 - Berlin; Frankfurt: Crowitzsch & Sohn, 1848. - S.l-28.) Rötscher ging ebenfalls von einem Jahresetat von 5000 Thlr. aus, den 20 Eleven mit einem Schulgeld von je 50 Thlr. mit 1000 Thlr. entlasten sollten, was einen Subventionsbetrag von 4000 Thlr. zur Folge hatte.(S.28) Zudem schlug er vor: "Bei einer sich entschieden ankündigenden Begabung und der Nachweisung der fehlenden Mittel, um das Honorar zu zahlen, dürfte dasselbe wohl, wie dies ja auch auf der Universität geschieht, gestundet werden, indem der Zögling einen Revers ausstellt, in welchem er sich verpflichtet, den Betrag zurückzuzahlen, sobald er einen Gehalt von 600 Thlr. bezieht. Diese Zurückzahlung würde dann auf drei Jahr zu vertheilen sein."(S.23) Die ministerielle Änderung, übrigens die einzige im gesamten Konzept, sah dagegen 30 Eleven vor, von denen zwanzig ein Studiengeld von 100 Thlr. und fünf weniger Bemittelte eines von 50 Thlr. pro Jahr zu zahlen hätten. Die restlichen fünf sollten - bei entsprechender Begabung und nachweislich fehlenden Mitteln - Freistellen erhalten. Mit dieser Änderung wäre eine Unkostendeckung von annähernd fünfzig Prozent erreicht worden. Rötschers Vorschlag, die Studiengebühren gegen einen entsprechenden Revers zu stunden, lehnte das Ministerium verständlicherweise ab, da eine Schuldeneintreibung angesichts der Mobilität von Schauspielern schwieriger gewesen wäre, als z.B. bei Studenten.(S.23;Anm.) 180 Wötzel: Versuch einer völlig zweckmäßigen Theaterschule, a.a.O., S.240f

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an.i8i Wötzel dagegen schlug ausdrücklich einen Theaterbetrieb mit einem Staatsbeamten an der Spitze vor, der ausschließlich in Form der Intendantenverfassung - also nicht im Rahmen einer kollegialen Leitung - das jeweilige Theater künstlerisch wie organisatorisch zu verwalten habe: ein eindeutiges Zugeständnis an den status quo. Reisende Gesellschaften sollten verboten, die stehenden Theater "landesherrlicher Zensur und polizeilicher A u f s i c h t " 182 unterstellt werden. Aufgenommen wurde von Wötzel dagegen der kameralistische Gedanke obrigkeitlicher Beeinflussung des Untertanen mit Hilfe des Theaters. Der Staat müsse, so Wötzel, alle Kräfte aufbieten, auch durch eine zweckmäßige Theaterpflanzschule die Schaubühne zu der möglichst höchsten Stufe von Vollkommenheit auf alle Art um so eher zu erheben, je mehr ein vollendet gut besetztes Theater das kräftigste Mittel ist, um hiedurch nicht etwa blos die Nationalsprache und Sitten zu reinigen, Geist und Herz aller Staatsbürger zu bilden und zu veredeln, wahre praktische Lebensweisheit und Menschenkenntniß, Tugend und Sittlichkeit am besten zu verbreiten, sondern auch sogar dauerhafte Liebe und Dankbarkeit gegen den Regenten und Staat selbst, mithin ächten Patriotismus in den Staatsbürgern am leichtesten und besten zu erwecken, folglich die Unterthanen selbst für alle gesetzlichen Anordnungen, für alles Wahre, Gute und Schöne, für alles Große und Erhabene empfänglich zu machen! 183

Weniger gefallen haben dürften dagegen seine Vorschläge zu staatlich garantierten Pensionen und Hinterbliebenenrenten, die auch nach 1815 an Hoftheatern meist in Form von Gnadenakten gewährt wurden. 184 An den, in der Regel privatwirtschaftlich geführten, Stadttheatern waren derartige Einrichtungen ohne entsprechende Pensionskassen allein aus ökonomischen Gründen nicht einmal denkbar. Auch Wötzels Vorstellungen über eine Theatralpflanzschule spiegeln die Widersprüche zwischen den aufklärerischen Reformideen der vornapoleonischen Zeit und der kulturpolitischen Situation der Restaurationsära. Bewußt fordert er unter Verweis auf Versuche in Mannheim, Berlin und Wien die Einrichtung eines Theaterphilantropins, um die Schüler durch frühzeitige Erziehung umfassend auf ihren zukünftigen Beruf vorzubereiten. Und unter besonderer Berücksichtigung einer weitgefächerten Allgemeinbildung forderte er, die "Hauptgegenstände dieser Bildungsanstalt müßten folgende seyn: a) Ein sittlich gutes, friedliches Betragen und unermüdeter Fleiß im Erlernen der nöthigen Sprach- und Vorkenntniße überhaupt, z.B. außer der rein teutschen Sprache auch noch die lateinische, französische, italienische und englische Sprache nebst allen andern Hülfs- oder Vorbereitungswissenschaften und zweckdien181s. Hilde Haider-Pregler: Des sittlichen Bürgers Abendschule, a.a.O., S. 182 ibid. S.215. 183 ibid. S.XXf. 184 ibid. S.214.

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lichen Mitteln zur Schauspielkunst, damit die Zöglinge nicht nur gute Acteurs und Actricen werden könnten, sondern damit auch jedes von ihnen, welches entweder keine Lust, oder nicht hinlängliche Fähigkeiten zu diesem Fache hätte, dennoch ein anderes nützliches Fach wählen und ein brauchbares Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft werden könnte. b) Außer den oben angeführten ordentlichen Sprech- und Lesestunden müßten die Zöglinge zweckmäßige Anleitung erhalten, theils nach den Mustern der großen, gebildeten Welt, theils nach den Regeln der Tanz- und Fecht-, oder Exercirkunst (außer der Reitkunst,) sich schicklich, natürlich zwanglos, frei, richtig und auf eine angenehm empfehlende Art zu bewegen. c) Bei dem oben geschilderten declamatorisch mimischen Vortrage müßte man vorzüglich auf Natur und Wahrheit, auf Richtigkeit, Empfindung, Anmuth und harmonische Abwechselung des Ton- und Geberdenausdrucks sehen. d) Theils durch zweckmäßige Vorlesungen über diese schöne Kunst, theils durch tägliche gute Lecture und eigene Ausarbeitungen über dramatische Stücke, Künste und Charaktere müßte man das Urtheil der Zöglinge und ihren Geschmack an schönen Künsten, vorzüglich aber an dramatischen Stücken üben, fleißig schärfen und fest begründen, in Verbindung mit andern schönen und bildend darstellenden Künsten, z.B. der Dichtkunst, der Musik, des Gesangs, der Malerei u. d. gl. 185 Aufgenommen werden sollten in diese "menschenfreundlich wohlthätige Nationalstiftung ... arme oder verwaiste Kinder von hinlänglichen Fähigkeiten, welche sonst unentwickelt bleiben und leicht verrosten würden"! 86. Wötzels Plan stellt den einzigartigen Versuch dar, in einer Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs und der damit verbundenen Unsicherheit bürgerlichkultureller Orientierung, alle relevanten Theaterschulkonzeptionen des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts in ein einheitliches Modell zusammenzuzwingen. E s berücksichtigt die philantropischen Ideen der Aufklärer ebenso wie den humanistischen Bildungsgedanken des neuen Jahrhunderts. Aber es berücksichtigt auch mit seiner Einbeziehung von Tanz-, Fecht- und Exerzierunterricht die Erfordernisse höfischer Theatralpflanzschulen, ganz zu schweigen von dem - allerdings untauglichen und hier nicht näher exemplifizierten - Versuch eines nahezu subventionsfreien Konzepts zur Finanzierung der laufenden Kosten. 187 1 7 7 6 hätten Wötzels Vorstellungen in Wien möglicherweise noch Erfolg gehabt - 1 8 1 8 waren humanistisch gebildete und in höfischem Umgang geschulte In185 ibid. S.237f. 186 ibid. S.237. 187 Wötzel schlägt vor, Theaterschulen für dreißig bis sechzig Zöglinge am besten in größeren Haupt-, Residenz- und Universitätsstädten einzurichten, da hier durch das Vorhandensein von Fecht- und Reitlehrern geringere Unkosten anfallen würden.(ibid. S.235-237) Finanziert werden sollte die Schule durch öffentliche Aufführungen in der Advents- und Fastenzeit, sowie bei Abwesenheit des Regenten. Wötzel sieht hierin die Möglichkeit einer sich allmählich ergebenden 100%igen Kostendeckung, (ibid. S.237.)

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sassen von Waisenhäusern, die auf Hoftheaterbühnen in der Regel in Chor und Statisterie Verwendung fanden, ein Anachronismus. Gescheitert ist Wötzel nicht erst, wie er selbst glaubte, an der Finanzierungsfrage. Gescheitert ist er bereits bei dem Versuch, den Nationaltheatergedanken des 18. Jahrhunderts in radikalisierter Form wieder auferstehen zu lassen: allein sein Vorschlag, an deutschen Theatern nur deutsche Stücke, gespielt ausschließlich von deutschen Schauspielern, aufführen zu lassenl88, mußte angesichts des massiv von italienischen und französischen Opern und Schauspielen bestückten Hoftheaterrepertoires an der Wirklichkeit vorbeigehen. Interessant ist in diesem Zusammenhang der Zwiespalt, in dem sich aufklärerisch gesinnte Theaterreformer befanden, die auf der einen Seite dem Staat die Aufgabe zuteilten, fur das geistige Wohl und die sittliche Vervollkommnung seiner Bürger unter Zuhilfenahme des Theaters zu sorgen, die auf der anderen Seite jedoch Regenten gegenüberstanden, die eine Theaterform bevorzugten, die sie als überfeinert, dekadent, geschmäcklerisch und der Verschwendungssucht Vorschub leistend begriffen. Alle Pläne für Theaterphilantropine, Theaterakademien, Theatralpflanzschulen oder Theaterbildungsinstitute sind von diesem Widerspruch durchzogen, ohne daß er gelöst wurde. Und wurden sie an einigen Höfen realisiert, ergab sich der bereits geschilderte Kompromiß: die jeweiligen Regenten schmückten die Gründungserlasse, Satzungen und Statuten mit den Formulierungen der Reformkonzepte, verlangten in der Praxis jedoch billigen Nachschub für Statisterie, Chor und das Musiktheaterensemble. In den meisten Fällen landeten die Pläne jedoch im Schubladen, selbst dort, wo detailliert ausgearbeitete Finanzierungspläne eine Belastung der Hof- bzw. Staatsetats unwahrscheinlich machten oder gar Gewinne eingebracht hätten. Dennoch setzte in Preußen um 1840 eine Bewegung für die Gründung staatlicher Theaterschulen ein, die im Unterrichtsministerium und selbst beim Monarchen Gehör fand. Zweimal wäre auch beinahe die Einrichtung einer staatlichen Schauspielschule geglückt: Friedrich Wilhelm IV. "beschäftigte sich mit dem Plane zu einem Konservatorium, in dem die Schauspielkunst in Verbindung mit der Musik gepflegt werden sollte"189 und 1848/49 war der preußische Kultusminister von Ladenberg, wie bereits oben erwähnt, nur noch wenige Schritte vom Ziel der Theaterreformer entfernt. Die politische Entwicklung verhinderte die Realisation und auch Friedrich Wilhelms Akademieplan "ging den Weg aller Entwürfe dieser Periode" 190. Betrachtet man die ab 1840 entwickelten und ζ. T. publizierten Pläne für eine staatlich institutionalisierte und vom Ministerium für Kultus und Unter188 ibid. S.220f. 189 Eduard Devrient: Geschichte der deutschen Schauspielkunst, a.a.O., Bd.2, S.386 190 ibid. S.386

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rieht organisierte und kontrollierte Ausbildung angehender Schauspieler, finden sich hinsichtlich des Zwecks der Einrichtung von Theaterschulen, der formalen Gestaltung von Aufnahmebedingungen, Unterrichtsdauer und -aufbau, und der personellen wie sachlichen Ausstattung solcher Unterrichtsstätten nahezu keine Unterschiede. Lediglich Heinrich Theodor Rötschers P L A N Z U R E R R I C H TUNG EINER THEATERSCHULE FÜR DARSTELLENDE KÜNSTLER bietet, darüber hinausgehend, wissenschaftliche Begründungen der einzelnen Ausbildungsschritte, die er aus seiner Hauptschrift - D I E K U N S T D E R DRAM A T I S C H E N D A R S T E L L U N G - ableitete. Unter Verweis auf die Akademien für Bildende Künste sahen Eduard Devrient, Heinrich Theodor Rötscher und - in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts - G r a f Hippolyt von B o t h m e r ! ' ! und Gotthard Hübner, um nur einige-der bedeutendsten zu nennen, die Notwendigkeit, durch die Gründung von staatlichen Theaterschulen auch die Schauspielkunst in den Rang der anderen Künste zu erheben 19 2 t um dadurch den Schauspielerstand und damit schließlich auch

191 Bothmer, Hippolyt von: Deutsche Theaterschulen, deren Werth und N o t w e n digkeit / von Graf Hippolyt von Bothmer. - Braunschweig: Westermann, 1861. von Bothmers Schrift liest sich bis in die verwendete Terminologie hinein wie eine Kompilation der Arbeiten Devrients und Rötschers, ohne wesentlich neues zu bieten. Dies zeigt, daß sich die Situation der sechziger Jahre hinsichtlich der Schauspielerausbildung nicht von derjenigen der vierziger unterschied: an der Aktualität der Forderung nach staatlichen Theaterschulen hatte sich nichts geändert. Lediglich die von Rötscher konstruierten inhaltlichen Zusammenhänge der einzelnen Ausbildungsstufen und die Konzentration auf antike Muster waren für von Bothmer nur noch rudimentär nachvollziehbar, s. hierzu Kapitel... 192 Heinrich Theodor Rötscher: Plan zur Errichtung einer Theaterschule für darstellende Künstler, a.a.O., S.3. - Der Hinweis des Rötscher-Biographen Robert Klein, Devrient habe im Gegensatz zu Rötscher "eine Staatsschule nicht ...ins Auge gefaßt" (Robert Klein: Heinrich Theodor Rötschers Leben und Wirken: ein Beitrag zur Geschichte der literarischen Kritik / von Robert Klein. - Berlin: Gesellschaft für Theatergeschichte, 1919. - S.72.), ist in dieser pauschalen Form m.E. nicht verifizierbar. Richtig ist zweifellos, daß Rötscher einen Plan für eine staatliche Schauspielschule entwickelte, da er hierzu von Tieck aufgefordert wurde. Devrients Aufsatz war hier offener. In seiner, vom preußischen Kultusministerium in Auftrag gegebenen "Reformschrift": "Das Nationaltheater des Neuen Deutschlands", 1848 verfaßt und 1849 veröffentlicht, kam er jedoch nochmals auf seine Vorschläge von 1840 zurück und forderte: "Jeder Staat bilde eine allgemeine umfassende Kunstakademie, entsprechend der Universität, die das Gesamtstudium aller Wissenschaften umfaßt." (zit. nach: Eduard Devrient: Geschichte der deutschen Schauspielkunst, a.a.O., Bd.2, S.418; Anhang.) Und der Hinweis auf das Pariser Konservatorium, über das er ebenfalls 1840 berichtete (Briefe aus Paris, a.a.O., S. 175-181), legt nahe, daß er bereits 1840 an eine staatliche Einrichtung dachte, wenn auch sein Appell an 164

das Theater "in Übereinstimmung mit den geistigen Richtungen der Zeit zu setz e n " ^ . im Rahmen der herkömmlichen Ausbildung sei dies nicht möglich, denn: Wenn eine Theaterschule nicht auf umfassende, allseitige und systematisch geregelte Bildung ausgeht, wird sie niemals nützen können, thut sie das aber, so ist ihre Einrichtung und Erhaltung zu kostspielig, als daß sie aus gewöhnlichen Privatmitteln bestritten werden könnte; sie etwa gar zum Erwerbe benutzen wollen, wird immer mit grausamer Täuschung für Unternehmer und Schüler enden. 194

Rötscher und von Bothmer gingen auf die Gründe ein, warum die Schauspieler früherer Zeiten auf Theaterschulen verzichten konnten. Von Bothmers Auffassung vom Zusammenleben und -lernen innerhalb der jeweiligen Wandertruppe wurde bereits an anderer Stelle zitiert. Bereits Rötscher hatte einen vergleichbaren Gedanken geäußert: Der Quell der Schöpfungskraft, der den Schauspielern aus ihrer frühern Abgeschlossenheit zuströmte, indem sie gleichsam einen kleinen Staat im Staate bildeten, in welchem sich noch manche poetische Elemente der Gesellschaft ablagerten, dieser Quell ist versiegt. Was der Schauspieler in gesellschaftlicher Stellung gewonnen hat, ist mit einem Verlust poetischer Anregungen, welche ihm sein früheres Leben ohnstreitig darbot, erkauft worden. 195

Zudem hielt Rötscher die Kritik in früheren Zeiten für fähig, dem Schauspieler gegenüber ein Korrektiv zu bilden, während sie jetzt "zersplittert und aus ihrer früheren Gediegenheit größtentheils in eine oberflächliche Schönrednerei übergegangen (sei), vor welcher der Schauspieler auch keinen besondern Respekt" h a b e . 196 Und schließlich seien "durch die Erstarkung des in alle Räume dringenden kritischen und zersetzenden Denkens auch die dichterische Anschauung" und damit auch die "Begeisterung" und "die energisch wirkende Kraft des Augenblicks" beim Schauspieler "sehr gesunken". 197 Wenn auch alle drei Begründungen Rötschers einer historischen Überprüfung nicht standhalten, so trafen hinsichtlich der Theaterkritik und der Qualität der dramatischen Produktion die monierten Fakten in Rötschers eigener Zeit zweifelsohne zu. So hatte auch Heinrich Laube, wie viele vor und nach ihm, den

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"Deutschlands Fürsten"(ibid. S. 181.) den Gedanken an Hoftheaterschulen nahelegt. Eduard Devrient: Über Theaterschule, a.a.O., S.326 ibid. S.336f. Heinrich Theodor Rötscher: Plan zur Errichtung einer Theaterschule für darstellende Künstler, a.a.O., S.3. ibid. ibid. S.4

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Tiefstand der Theaterkritik analysiert 1 ^ und Rötschers Auffassung über die dramatische Produktion bestätigt, wenngleich er hier den Fehler nicht bei den Dramatikern, sondern in der Repertoirepolitik der meisten Theaterleiter sah. Den Zusammenhang von verlorener Genialität und bürgerlicher Integration hatte er dagegen schon zwei Jahre vor Rötschers Veröffentlichung in den B R I E F E ( n ) Ü B E R D A S D E U T S C H E T H E A T E R ad absurdum geführt: Es schmeckt wohl recht nach Geist, wenn man beweist, daß die Einordnung ins bürgerliche Leben und in Solidität nicht vorteilhaft sei für eine Künstlerschaft, welche vorzugsweise das Außerordentliche darstellen soll. Aber es schmeckt auch nur darnach. Eine andere Zeit hat auch ein andres Außerordentliches. Die liederliche Genialität von ehedem gilt heute kaum noch für Genialität, und ist gewiß nicht imstande, denjenigen Inhalt im Hintergrund zu tragen, welcher heute vorhanden sein muß, um den Glauben an Genialität zu erwecken. 199 Ähnlich argumentierte Eduard Devrient, der z.B. seinem Onkel zwar nicht die Genialität absprach, dafür aber deutlich auf "die Monotonie seiner Recitation" und "die Mängel seiner körperlichen Haltung" verwies, die durch eine theatrale Ausbildung hätte beseitigt werden können. 200 Devrient brachte noch ein weiteres Manko des Theaterbetriebs in die Debatte:

198 Heinrich Laube hatte den Zustand der Theaterkritik in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts in seinen politischen Zusammenhängen deutlich beschrieben: "Endlich haben die Literaten in Deutschland redlich das Ihrige beigesteuert zum Verderben des Theaters. In Deutschland erwirbt man sich die literarischen Sporen mit Kritik. ... Namentlich die Theaterkritik ist ein vogelfreies Gewerbe. Wer noch gar nichts kann oder überhaupt nichts weiter kann, schreibt Theaterrezensionen. ... Man bilde sich doch nicht ein, die vielen Zeitungsartikel über Theater entstünden aus Interesse an diesem Kunstinstitut! Niemand denkt geringschätziger von demselben, als der moderne publizistische Schriftsteller, welcher ebenfalls darüber spricht. Die staatliche und nationale Bedeutung ist die Brücke, welche er sich geschickt dahin erbaut hat, und welche er schnell vergessen würde, öffnete sich ihm zu und in Staat und Nation unmittelbare Wirkung und Stellung. (Heinrich Laube: Briefe über das deutsche Theater, in: Theaterkritiken und dramaturgische Aufsätze von Heinrich Laube / gesammelt, ausgewählt u. m. Einleitung u. Anmerkungen versehen von Alexander von Weilen. - Band 2 - Berlin: Selbstverlag der Gesellschaft für Theatergeschichte, 1906. - S.250-289. - S.264. - Die Originale erschienen in 5 Teilen von April 1846 bis Januar 1847 in einer Beilage der ALLGEMEINE(n) ZEITUNG. 199 ibid. S.266f. 200 Eduard Devrient: Über Theaterschule, a.a.O., S.331. - Dieser Auffassung hatte auch Rötscher an anderer Stelle unter Verweis auf Eduard Devrients Bemerkung zugestimmt: Heinrich Theodor Rötscher: Die Kunst der dramatischen Darstellung, a.a.O., Bd.l, S.89.

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Die Notwendigkeit, täglich Vorstellungen zu geben, an welchen fast alle Bühnen ersten Ranges kranken, die Neuigkeitssucht des Publikums und die durch alles dies erzeugte hastige Geschäftigkeit der Verwaltungen läßt die ehemalige Sorgfalt beim Einstudieren der Stücke, die Nachhülfe bei noch unreifen Talenten nicht mehr zu. 201 Dieses Argument überrascht, trifft jedoch, wie weiter unten noch zu zeigen sein wird, auf den größten Teil der Theaterbetriebe des 19. Jahrhunderts ohne Abstriche zu, wenngleich es mit der "ehemalige(n) Sorgfalt" auch nicht weit her w a r Goethe in Weimar, Klingemann in Braunschweig und Immermann in Düsseldorf waren und blieben auch in ihrer Zeit A u s n a h m e n . 202 Gemeinsam ist allen Theaterschulplänen auch die Auffassung, daß eine derartige Einrichtung keine Genies erzeugen, sondern lediglich "Anlagen wecken und a u s b i l d e n " 2 0 3 und künstlerische Bildung für weniger Begabte v e r m i t t e l n 2 0 4 könne: Argumente, auf die sich besonders Rötscher hinzuweisen genötigt sah, da in diesem Punkt bereits seine K U N S T D E R D R A M A T I S C H E N D A R S T E L L U N G in äußerst polemischer Art und Weise angegriffen worden w a r . 2 0 5 Wichtig erschien Rötscher zudem, daß die Ausbildung in einer Theater-

201 Eduard Devrient: Uber Theaterschule, a.a.O., S.335 202 Karl Leberecht Immermanns Bemühungen an der Düsseldorfer "Musterbühne" müssen in diesem Zusammenhang bereits historisch gesehen werden, da sie drei Jahre vor Veröffentlichung des Devrientschen Entwurfs mit einem Defizit von 16.000 Thlr. finanziell und damit auch organisatorisch nach nur zweieinhalb Jahren Betriebsdauer gescheitert war.(s. Eduard Devrient: Geschichte der deutschen Schauspielkunst, a.a.O., Bd.2, S.233f.) 203 Eduard Devrient: Über Theaterschule, a.a.O., S.328. · Heinrich Theodor Rötscher: Plan zur Errichtung einer Theaterschule für darstellende Künstler, a.a.O., S.4: "Die Schule kann das Talent und das Genie nicht erzeugen". 204 ibid. 205 Ohne Rötschers Namen zu nennen, hatte der ehemalige Schauspieler und spätere Wissenschaftler und Journalist August Lewald aus der KUNST DER DRAMATISCHEN DARSTELLUNG zitiert und angefügt: "Der Philosoph (d.h. Rötscher - P.Sch.) dachte daran selbst zu glänzen, daß aber seine Entwickelungen der eigentlichen Schauspielkunst aufhelfen, daß wir durch sie uns eines bessern Theaters erfreuen würden, kann ihm nur seine Eitelkeit eingegeben haben. Wäre anzunehmen, daß auf diesem Wege sich die Schauspieler bilden wollten, so zählten wir bloß unleidliche Menschen unter den Schauspielern, die deßhalb aber nicht im Geringsten besser spielten, als ihre gänzlich unwissenden Brüder. ... Nicht der Schauspieler kann erlernt werden, aber das, was der Schauspieler mehr als jeder Andere zu wissen braucht. Es ist dies ein Wissen, das ihm praktisch dienen kann, das ihm stets zur Hand ist, wenn er es braucht, ohne mit Auseinandersetzungen und Begriffsentwickelungen zu behelligen, vor denen die großen Schauspieler aller Zeiten als Ignoranten da stehen würden, obgleich sie doch große Schauspieler waren."(August Lewald: Entwurf zu einer praktischen Schauspielerschule / von August Lewald. - Wien: Wallis-

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schule dem einzelnen, individuellen Schauspieler den Sinn fur die Arbeit im Ensemble erschließen könne: Indem die Schule ihre Mitglieder unablässig gewöhnt durch die Bearbeitung aller besondern Elemente der Schauspielkunst, ihr inneres Verhältniß und die Bedeutung ihres Zusammenwirkens aufzufassen, ferner durch die praktischen Übungen den Geist der Einzelnen ununterbrochen auf die Hervorbringung eines abgerundeten Ganzen richtet, so bringt sie zuletzt diesen Geist in den Einzelnen so zur Herrschaft, daß ihnen die rohe Willkühr, das eitle Hervordrängen der Darsteller zuletzt unwürdig erscheint. Die Schule vermag, und hierin ruht ihre eigentliche Schwerkraft, den künftigen Darstellern einen solchen sittlichen Ernst einzuhauchen, daß derselbe gleichsam zu einer Macht der Gewohnheit wird.206

In die zu gründende Theaterschule sollten "junge Leute beider Geschlechter" aufgenommen werden, wobei "das erforderliche Alter bei Jünglingen ungefähr zwischen dem 16. und 20., bei Mädchen zwischen dem 14. und 18. Jahre festzustellen'^? wäre, ein Vorschlag, der in dieser Form auch in den anderen Entwürfen zu finden ist208 und jenen Zeitraum umfaßt, in dem junge Menschen nicht mehr unmündig, aber auch noch nicht volljährig sind. 209 Das höher angesetzte Alter für Männer berücksichtigt lediglich die Mutation. Gefordert werden weiterhin "körperliche Wohlgestalt und normale Sprachorgane", sowie eine "hinreichende Schulbildung".21^1 Über letztere gehen die Auffassungen allerdings etwas auseinander. Während Devrient und Hübner genaue Angaben zur Schulbildung machen - Devrient verlangt die "Befähigung zur einjährigen Dienstzeit", Hübner, "daß mindestens die Secunda eines Gymnasiums, einer höheren Realschule absolviert oder bereits eine andere Kunstschule unter guten wissenschaftlichen Verhältnissen besucht" wurde211 -, lehnt Rötscher dies zugunsten des Nachweises einer "formellen Bildung" ab. "Formelle Bildung" umhausser, 1846. - S.IXf.) Rötscher hatte hierauf mit einer ebenso scharfen Replik geantwortet... 206 Heinrich Theodor Rötscher: Plan zur Errichtung einer Theaterschule für darstellende Künstler, a.a.O., S.5. 207 Hippolyt von Bothmer: Deutsche Theaterschulen, a.a.O., S.12; §3. 208 Eduard Devrient setzt das Mindestalter auf 16 bzw. 14 Jahre fest (Über Theaterschule, a.a.O., S.345), Rötscher auf 16 bzw. 15 (Plan zur Errichtung einer Theaterschule für darstellende Künstler, a.a.O., S.24). Und Hübner reduziert das von Bothmer gewünschte Höchstalter unwesentlich auf 19 bzw. 17 Jahre (Der § 32 der Reichs-Gewerbe-Ordnung und die Theater-Schulfrage, a.a.O., S.15). 209 Das ALR legt in Teil 1, Titel I die Mündigkeit auf das 14. (§ 25) und die Volljährigkeit auf das 24. (§ 26) Lebensjahr fest. 210 Eduard Devrient: Über Theaterschule, a.a.O., S.345. Dasselbe bei Rötscher S.6, bei von Bothmer S.12 und bei Hübner S.15f. 211 Eduard Devrient: Über Theaterschule, a.a.O., S.345. - Gotthard Hübner: Der § 32 der Reichs-Gewerbe-Ordnung und die Theater-Schulfrage, a.a.O., S.16.

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faßt für ihn Grundlagen einer nicht näher spezifizierten Allgemeinbildung, sowie "Freiheit im mündlichen und schriftlichen Ausdruck".2i2 Da Devrient jedoch "wohlgeprüfte Anlagen zum Schauspielerstande"213 vorsieht und zudem eine Aufnahmeprüfung vorschlägt214, wäre der Unterschied zu Rötscher - eine Realisierung der Pläne vorausgesetzt - in der Praxis sicher nicht ins Gewicht gefallen. Auch in den BRIEFE(n) AUS PARIS hatte er, seine Eindrücke nach einem Besuch der Pariser Theaterschule verarbeitend, geschrieben: "Man wird" in einer deutschen Theaterschule "eine, wenn auch nur allgemein-wissenschaftliche Bildung, für unerläßlich erachten, um vor den gebildetsten Kreisen der Nation große Dichter lebendig interpretiren, und das Höchste leisten zu können, was von einem Menschen gefordert werden kann: - den Menschen in seiner vollständigen Entwicklung darzustellen."215 Die Ausbildung selbst sollte drei Jahre dauern, ausgehend von "Vorbereitungsstudien" bis hin zu "praktischen Übungen auf der kleinen Bühne des Institutes".216 Damit unterschied sie sich deutlich von den sechs- bis achtzehnmonatigen Unterrichtseinheiten der kommerziell geführten Theaterschulen. Nach Abschluß der drei Jahre sollte der Schauspieler engagementsberechtigt sein, wobei man die Berufsaussichten sehr günstig darstellte: In keinem andern Lebensberuf bietet sich dem Individuum so sicher die Aussicht auf einen baldigen Gehalt dar, als in dem des jungen Schauspielers. Denn jedenfalls werden größere Bühnen sich gern aus Mitgliedern des Instituts ergänzen, weil diese unabhängig von dem Maaße des besondern Talents, durch ihre vielseitige Übung und den gebildeten Sinn immer eine gewisse Bürgschaft für ein sicheres und künstlerisches Eingreifen in die Darstellungen gewähren. Dieses Verlangen der Direktionen, die Mitglieder aus den Zöglingen des Instituts zu

212 Heinrich Theodor Rötscher: Plan zur Errichtung einer Theaterschule für darstellende Künstler, a.a.O., S.6. 213 Eduard Devrient: Über Theaterschule, a.a.O., S.346. 214 ibid. - Die Prüfungsinhalte sind in Devrients Entwurf sehr global beschrieben: Nachahmungsvermögen, Darstellung von Affekten in Rede und Gebärde, Einbildungskraft etc. (s. ibid.). In den anderen Plänen ist keine förmliche Aufnahmeprüfung vorgesehen, was jedoch nicht ausschließt, daß die Eleven anhand der oben angegebenen Kriterien ausgewählt werden sollten. Zudem sehen alle Entwürfe die Möglichkeit des Rauswurfs bei Unfähigkeit oder unsittlichem Verhalten vor. 215 Eduard Devrient: Briefe aus Paris / von Eduard Devrient. - Berlin: Jonas, 1840. -S.179. 216 Eduard Devrient: Über Theaterschule, a.a.O., S.347. - Hübners Plan sah eine zweijährige Ausbildung vor, die durch eine gleich lange Weiterbildung in einer angeschlossenen Akademie für Regie und Theaterverwaltung bei entsprechenden Fähigkeiten ergänzt werden konnte. (Der § 32 der Reichs-Gewerbe-Ordnung und die Theater-Schulfrage, a.a.O., S.14.)

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ergänzen, wird sich aber mit den Resultaten, welche die Schule gewährt, immer steigern.217

Auch wenn Rötschers Einschätzung der Arbeitsmarktchancen angesichts der ca. zweitausend engagementslosen Schauspieler im Jahr 1848 an der Wirklichkeit vorbeigeht und wohl eher aus seinem Finanzierungsvorschlag für eine staatliche Theaterschule zu erklären ist, sahen diejenigen Theaterschulreformer, die mit ihren Plänen an die Öffentlichkeit traten, in ihrem Ausbildungskonzept die Möglichkeit, durch eine Steigerung der schauspielerischen Qualifikation die Chancen des einzelnen auf ein gut dotiertes Engagement zu erhöhen, um - im Verein mit anderen Maßnahmen - der Proletarisierung des Schauspielerstandes entgegenzuwirken. Als problematisch mußte sich hierbei jedoch - trotz strenger Auslese bei der Aufnahme und effizientem Unterricht -, die Trennung von Unterrichts· und Produktionssphäre erweisen: ein Punkt, der eingehender diskutiert und auch nach 1848 nicht gelöst wurde. So schrieb Louis Schneider über eine zu errichtende Theaterschule durch die »Perseverantia« an den Burgtheaterschauspieler und -regisseur Karl von La Roche: ... ich bin über das Prinzip noch nicht einig, nach welchem verfahren werden soll . ... Soll die Anstalt sich mit der wissenschaftlichen Ausbildung ZU/71 Schauspieler begnügen und die Praxis der Bühne erst mit dem Abgange aus der Anstalt beginnen lassen? ... Oder soll sie, wie in Petersburg, sofort mit der Praxis - also dem Comoedienspielen, - vorgehen und an diesem, wie bei dem Sezirtische einer Klinik gewissermaßen nebenbei und gelegentlichen Unterricht in der Theorie geben? Das wäre praktisch, greift unmittelbar in das Leben ein, würde eine Bühne, Probevorstellungen u.s.w. bedingen, auch wohl sofort Gewinnbringend sein können.218

Aus diesen Worten spricht die tiefe Verunsicherung, in die die Theaterschuldiskussion nach 1848/49 geraten war. Realisten wie Louis Schneider hatten die Hoffnung auf eine staatliche Förderung des Theaterwesens aufgegeben und vertrauten auf genossenschaftliche Einrichtungen, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dann auch tatsächlich das Theaterwesen kontrollierten. Die Einrichtung von Theaterschulen wurde damit aber auch abhängig von einer schwankenden finanziellen Basis, die letztendlich weder der Deutsche Bühnenverein noch die Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger zu garantieren bereit war.

217 Heinrich Theodor Rötscher: Plan zur Errichtung einer Theaterschule für darstellende Künstler, a.a.O., S.23. 218 Louis Schneider, Karl La Roche und die Perseverantia / den Teilnehmern am Festessen zur Hauptversammlung der Gesellschaft für Theatergeschichte am 26. April 1931 gewidmet von Hans Knudsen. - Berlin: Gesellschaft für Theatergeschichte (Privatdruck), 1931. - (ohne Seitenzählung).

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II. 3 Die Theaterakademie

Die erste und, glaubt man dem theaterhistoriographischen Schrifttum, zugleich bedeutendste Theaterakademie auf deutschsprachigem Boden gründete die Schönemannsche Gesellschaft im Mai 1753 in Schwerin1 Ihr Initiator war derSchauspieler Konrad Ekhof, dem es gelang, die Akademie als spiritus rector unter zum Teil großen Mühen bis zum Juni 1754 zu erhalten. Johann Friedrich Schönemann, bis Ende der dreißiger Jahre des 18. Jahrhunderts Mitglied der Neuberschen Truppe, hatte um 1740 eine eigene Gesellschaft begründet, die im Laufe der vierziger Jahre zu einer der angesehensten des norddeutschen Raumes avancierte und deren Mitglieder schließlich im August 1751 von Herzog Christian Ludwig II. von Mecklenburg-Schwerin "als Hof-Comödianten mit einem anständigen Gehalt unter gewissen Bedingungen in Dienst genommen" 2 worden waren. Zwar hätte auch Christian Ludwig zur Unterhaltung seiner, vom kulturellen Reichtum des Stuttgarter Hofes verwöhnten Schwiegertochter lieber eine italienische Oper eingerichtet, doch war er dazu aufgrund verpfändeter Domäneneinnahmen finanziell nicht in der Lage. 3

1 Uber die Schweriner Akademie gibt es eine Reihe theaterhistorischer Untersuchungen. Die Dokumente der Akademie wurden erstmals 1956 von Heinz Kindermann vollständig und im originalen Wortlaut veröffentlicht: Heinz Kindermann: Conrad Ekhofs Schauspieler-Akademie. - Wien: Rohrer, 1956. (österreichische Akademie der Wissenschaften - Philosophisch-historische Klasse: Sitzungsberichte, 230. Band, 2. Abhandlung) - Teilpublikationen finden sich bereits in Reichards Taschenbuch für die Schaubühne auf das Jahr 1779, in Hans Devrients Arbeit über Schönemann und in einer von Hugo Fetting 1954 herausgegebenen Auswahl Ekhofscher Dokumente. (Conrad Ekhof: ein Schauspieler des 18. Jahrhunderts / i. A. d. Dt. Akademie der Künste eingel. u. hrsg. v. Hugo Fetting. - Berlin: Henschel, 1954.) - Im Jahr der Kindermann sehen Veröffentlichung erschien: Gerhard Piens: Conrad Ekhof und die erste deutsche Schauspielerakademie. - Heidenau, 1956. 2 Mecklenburgische Nachrichten, zit. n. Hans Devrient: Johann Friedrich Schönemann und seine Schauspielergesellschaft, a.a.O., S.183. 3 s. Gerhard Piens: Conrad Ekhof und die erste deutsche Schauspielerakademie, a.a.O., S.14. - Piens setzt sich im ersten Kapitel seines Buches kritisch mit der Legendenbildung um das Engagement der Schönemannschen Truppe durch Herzog Christian Ludwig II. von Mecklenburg-Schwerin auseinander und weist nach, daß das Interesse des Hofes an deutscher Kunst wohl hauptsächlich ökonomische Gründe hatte. Sein Fazit: "Das Verdienst des Herzogs Christian

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Für die Schönemannsche Gesellschaft entstand durch diese Anstellung bei Hofe eine theaterhistorisch völlig neue und unbekannte Situation; Hatte der von Publikumszuspruch und Repertoireumfang bestimmte Zwang zum Wandern das Ensemble mehr oder weniger gewaltsam zusammengehalten, so begann jetzt ein Prozeß der Auflösung. Abgesehen von den viermonatigen Gastspielen außerhalb des Herzogtums, die sich Schönemann hatte zusichern lassen, spielte die Truppe acht Monate lang nur dreimal pro Woche. Zieht man die in jener Zeit nicht sehr umfangreiche Probenarbeit ab, blieb sehr viel Zeit, die die Mitglieder der Truppe auch als Freizeit begriffen. So verweigerte der Schauspieler Fabricius die Mitarbeit in der Akademie mit der Begründung: Ich halte alles genehm, was die Gesellschaft unter sich in Ihrer Versammlung ausmachen wird, und bin schuldig und verbunden, meine Rolle wie sichs gebühret zu spielen, und einem jeden nach meinem Vermögen zu dienen, auch wenn Proben gehalten werden sollen, und man es mir ansagt, will ich meiner Schuldigkeit nach erscheinen, aber zu andern Stunden habe ich keine Zeit ...4

Diese neu gewonnene Freizeit wollte Ekhof zur Auseinandersetzung mit dem Repertoire und der Produktionsweise der Truppe nutzen. Grundlage seines Akademie-Modells war ein am derPraxis des theatralen Alltags gewonnenes Konzept, das nicht die schauspielerische Technik, sondern die literarische Vorlage zum Ausgangspunkt nahm. Artikel 15 der Akademiesatzung legt die einzelnen Arbeitsschritte fest: Die Hauptsachen, die in den Sitzungen vorgenommen werden, sollen in folgenden bestehen: (a) In Vorlesungen derjenigen Schauspiele, die gespielt werden sollen, und soll wenigstens in Stück eher aufgeführet werden, bis es in der Sitzung abgelesen worden ... (b) In gründlichen und genauen Untersuchungen der Charactere und Rollen solcher Stücke; und in vernünftigen Überlegungen, wie sie gespielt werden können und müssen. (c) In unpartheyischen ... critischen Betrachtungen über die Stücke und ihrer Vorstellungen, die von einer Sitzung zur andern aufgeführet worden, und wie etwa untergeschlichene Fehler abgeschaffet oder verbessert werden können. (d) In vernünftigen Abhandlungen und Erläuterungen über die Schauspielkunst überhaupt, oder über abgesonderte Theile derselben ... (e) in bescheidenen Anmerkungen über unsere Pflichten im gemeinen Leben, insoweit sie mit der Aufnahme der Gesellschaft und unserer Theaterverrichtungen in Verbindung stehen. 5 Ludwig von Mecklenburg um die erste deutsche Theaterakademie besteht darin, daß eben er und nicht irgendein anderer deutscher Fürst 1751 die Schönemannsche Gesellschaft in seinen Dienst nahm."(S.17) 4 zit. n. Heinz Kindermann: Conrad Ekhofs Schauspieler-Akademie, a.a.O., S.9. 5 ibid. S.13f

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Überraschend ist zunächst jedoch, daß Ekhof hierzu die Form einer Akademie mit rigider Satzung wählte. Von den zweiundzwanzig Artikeln der "Verfassungen" regeln einundzwanzig den äußeren Ablauf der alle vierzehn Tage stattfindenden Versammlung. Lediglich Artikel 15 legt die inhaltliche Ausrichtung dieser Sitzungen fest. Allein zehn Artikel enthalten Strafgeldverordnungen, die in dieser Differenzierung vor allem in den Theatergesetzen des 19. Jahrhunderts zu finden sind. Für die Ausbildung junger Schauspieler war das Programm der Akademie weniger geeignet. So legt Artikel 18 der "Verfassungen" fest, daß ein Anfänger erst dann aufgenommen werden sollte, "wenn er durch eine gespielte Rolle Hofnung zu einem Schauspieler gegeben hat"6. Die Frage, wer aufgrund welcher Selektionskriterien über eine Aufnahme entscheidet, ist nicht weiter festgelegt und die Geschichte der Akademie zeigt, daß auch kein Anfänger aufgenommen wurde. Über die Bedeutung der Schweriner Akademie für die theaterhistorische Entwicklung ist in der theaterwissenschaftlichen Forschung viel aber selten konträr diskutiert worden. Und vor allem seit Heinz Kindermann die - vermutlich zutreffende - Hypothese aufstellte, Ekhof habe die Bezeichnung "Akademie" aus Jacob Friedrich Freiherra von Bielfelds 1752 veröffentlichtem PROGRES DES ALLEMANDS DANS LES SCIENCES, LES BELLES-LETTRES ET LES ARTS übernommen'', erfuhr die im zeitgenössischen Schrifttum selten erwähnte Akademie eine ans Irreale grenzende Aufwertung. So ist in einem Beitrag Kindermanns für die Österreichische Akademie der Wissenschaften von 1955 zu lesen: Akademie - das bedeutete schon seit Richelieu und erst recht seit Leibniz den hohen Rat der fähigsten wissenschaftlichen Köpfe, die gemeinsam über Grundfragen des wissenschaftlichen, ja des gesamten geistigen Lebens der Nation entscheiden sollten; Akademie - das bedeutete einen in sich geschlossenen Kreis der Wissenden, der in vielen Fragen als oberste Instanz angesehen wurde, der Aufgaben stellte und über Gut und Böse der Weiterentwicklung aller hohen Disziplinen zu entscheiden wagte. ... Der Akademiegedanke selbst wurde derart gerade im achtzehnten Jahrhundert als Königsgedanke des geistigen Lebens empfunden. ... Und nun wagt der gleiche Ekhof, der, wie jeder andere Angehörige der Schauspieler-Wandertruppen, nach kurzer Frist des Bleibens wieder seine Zelte abbrechen und weiterfahren mußte ... den gleichen Königsgedanken einer Akademie für die Schauspielkunst. 8

Ob Ekhof an eine wissenschaftliche Akademie im Kindermannschen Sinne gedacht hatte, bleibt angesichts der gewählten Organisationsform wie auch der in6 ibid. S.15 7 ibid. S.71 8 ibid. S.66f

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haltlichen Ausrichtung zumindest fraglich. So fehlt das übliche fürstliche Patronat, das vor allem die entsprechenden finanziellen Mittel für Veröffentlichungen und Gehälter garantierte ebenso wie die damit verbundenen Preisaufgaben und die Öffnimg der Akademie nach außen.' Obwohl entsprechende Zeugnisse fehlen, kann man sogar davon ausgehen, daß Christian Ludwig II. nichts von Ekhofs Akademie wußte; von einem Antrag an ihn, die Präsidentschaft zu übernehmen, ist jedenfalls nichts bekannt. "Präses" wurde vielmehr "durch die Mehrheit der Stimmen" der Prinzipal !0: ein für wissenschaftliche Akademien des Jahrhunderts ungewöhnlicher Ernennungsmodus. Dieses demokratische Grundprinzip, die Geschlossenheit der Gesellschaft, an der nur Mitglieder der Schönemannschen Truppe teilnehmen durften (Art.17) und die Bestimmung in Artikel 16, daß "von allem, was in den Sitzungen vorgenommen wird, niemals außer den Sitzungen gesprochen werden (soll), noch gegen jedweden anders, wer nicht selbst mit Theil daran nimmt, das geringste erwehnet, noch gegenwärtige Artikel, oder etwa abgehandelte Schriften gezeiget werden, bey Strafe von zwey Mark oder noch höher" 11, deuten eher auf 9 Rudolf Vierhaus schreibt über die Verwendung der Bezeichnung »Akademie«: "Im Laufe der Zeit haben unterschiedliche Gruppen und Organisationen den Namen Akademie geführt. Ganz eindeutig ist er nie gebraucht worden. Eine scharfe Absetzung von der Universität läßt sich nicht vornehmen, und schon gar nicht ist der Begriff Akademie für Einrichtungen der Forschung im Gegensatz zu solchen der Lehre reserviert gewesen. Ohnehin älter als die Zentrierung des Wissenschaftsbegriffs in der Forschung, ist der Akademiebegriff immer zur Benennung von Geminschaften von gelehrten Männern gebraucht worden, die sich etwas mitzuteilen hatten, was alle interessierte, worüber sie sich ein Urteil bilden konnten und was ihren eigenen Kenntnis- und Erkenntnisstand ebenso erweiterte, wie es die allgemeine Kenntnisentwicklung voranbrachte." (Der Akademiegedanke im 17. und 18. Jahrhundert / hg. v. Fritz Hartmann und Rudolf Vierhaus. - Bremen, Wolfenbüttel: Jacobi, 1977. - S.9. - Wolfenbütteler Forschungen; 3) - So ist es auch verständlich, daß die Statuten der Schweriner Akademie keine Gemeinsamkeiten mit denjenigen wissenschaftlicher Akademien im zeitgenössischen Deutschland aufweisen. 10 Heinz Kindermann: Conrad Ekhofs Schauspieler-Akademie, a.a.O., S.9. Auf diese Diskrepanz zum Berufungsmodus der wissenschaftlichen Akademien verweist auch Kindermann: "Die Schauspieler-Akademie unterscheidet sich damit grundlegend von der Struktur der Akademien der Wissenschaft, in die die Mitglieder auf Grund von Kommissionsvorschlägen berufen werden."(ibid. S.77) Kindermann zieht daraus allerdings keine Folgerungen. 11 zit. n. ibid. S.14. - Daß über den Inhalt der Sitzungen dann Stillschweigen bewahrt werden soll, wenn der Ruf der einzelnen Schauspieler betroffen ist, hat zweifelsohne nichts mit Freimaurerei, sondern lediglich mit einem leicht einsichtigen Schutzmechanismus zu tun. Dieser Schutzmechanismus erklärt jedoch nicht, warum die Satzungen der Akademie und die besprochenen Schriften Dritten nicht gezeigt werden durften. Hier erscheint die Vermutung wahrscheinli-

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freimaurerische Einflüsse. Gleiches gilt für die Sitzordnung "nach der Anciennität"l2, d.h. der Zeit der Mitgliedschaft in der Truppe(Art.4), und für die Einbeziehung von Symbolen wie Dolch und Maske, "welche vor dem Präside auf dem Tische liegen sollen".(Art.23)13 Im Wirkungskreis der Schönemannschen Truppe lag zudem das erste Zentrum der deutschen Freimaurerei, n 1737 war in Hamburg von England her die »Loge d'Hambourg - Société de Maçons libres de la ville de Hambourg«, die sich später »Absalom« nannte, gegründet worden. Ekhof selbst war Freimaurer und wahrscheinlich auch Verfasser eines der in der Mitte des Jahrhunderts beliebten Freimaurerstücke. 15 Sie standen auch bei Schönemann auf dem Programm, so 1747 ein Schauspiel mit dem Titel FREYMAURER, das mit der Bemerkung angekündigt wurde: Es wird in diesem Stücke eine bes(onders) dazu gehörige Auszierung des Theaters und der Aufzug der Freymaurer, wie solcher in London von dem Großmeister jährlich gehalten wird, zu sehen seyn.16

Die nur zum Teil vorhandenen Bezüge zur Form einer wissenschaftlichen Akademie, die freimaurerischen Anklänge und das aufklärerische Gedankengut sowohl was den wissenschaftlichen Anspruch, als auch was das Procedere der einzelnen Sitzungen betrifft, zeigen, daß es sich bei der Schweriner Akademie um eine jener vielen Formen von Sozietäten handelt, wie sie im 18. Jahrhundert in den gelehrten, gemeinnützigen, patriotischen, ökonomischen, literarischen und Lese-Gesellschaften zu finden sind und zu denen auch die Freimaurerlogen gezählt werden können. Die Grenzen sind hierbei fließend, wie etwa die 1781 in Wien gegründete Loge »Zur wahren Eintracht« beweist, die in der Freimaurerliteratur als "eine Art Ersatz für die lange angestrebte Deutsche Akademie der Wissenschaften und Künste" angesehen wird.17 Daß Ekhof die Bezeichnung eher, daß bewußt der Charakter der Geheimgesellschaft gewählt wurde. 12 Heinz Kindermann: Conrad Ekhofs Schauspieler-Akademie, a.a.O., S.II. - Obwohl bei den Freimaurern das Prinzip der Anciennität herrschte und die Mitglieder einzelne Grade zu durchlaufen hatten, galt der - auch in der Schweriner Akademie zu findende - Grundsatz der Gleichheit aller. Die Logen zählen deshalb auch zu jenen Sozietäten, bei denen zuerst die Standesschranken durchbrochen wurden, s. hierzu: Ulrich Im Hof: Das gesellige Jahrhundert: Gesellschaft und Gesellschaften im Zeitalter der Aufklärung. - München: Beck, 1982. S.164 u. S.187. 13 Heinz Kindermann: Conrad Ekhofs Schauspieler-Akademie, a.a.O., S.16. 14 s. hierzu: Rudolf Vierhaus: Aufklärung und Freimaurerei in Deutschland, a.a.O., S.116f. 15 Hans Devrient: Johann Friedrich Schönemann und seine Schauspielergesellschaft, a.a.O., S.35, Anm.65. 16 zit. ibid. 17 Helmut Reinalter: Die Freimaurerei zwischen Josephinismus und frühfran-

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»Akademie« wählte und nicht die im englischsprachigen Bereich übliche »Sozietät«, mag an der oben erwähnten Schrift Bielfelds liegen. Die Bezeichnung »Gesellschaft« war ihm jedenfalls aus naheliegenden Gründen verwehrt. All diesen Sozietäten gemeinsam ist, so Ulrich Im Hof in seiner Arbeit über DAS GESELLIGE JAHRHUNDERT: 1. Die Aktivitäten, Ziele und Gegenstände der Sozietäten stehen im Zusammenhang mit der Reform, der »Verbesserung« eines bisherigen, als unbefriedigend empfundenen Zustandes. Die Sozietäten treten in eine Lücke des bisherigen Systems. 2. Die Organisation der Sozietät beruht auf Freiwilligkeit, Mitsprache und Mitverantwortung der Mitglieder. 3. Die Sozietät entwickelt durch ihre Spielregeln ein neues gesellschaftliches Bewußtsein.18

Sieht man von Punkt 3 ab, der angesichts fehlenden Materials und der kurzen Dauer der Akademie von etwas mehr als einem Jahr nicht nachprüfbar ist, treffen Im Hofs Bestimmungen auch auf Ekhofs "Sozietät" zu. Unzufriedenheit herrschte in der Schönemannschen Truppe hinsichtlich des Repertoires, das im Rahmen der Akademiesitzungen überprüft wurde, indem man Stücke aus dem Programm nahm, andere zurücklegte, da sie nicht besetzt werden konnten, wieder andere in die Kategorie "Nachlernung" einordnete und so letztendlich zu jenen Stücken kam, die "gleich gespielt" werden konnten. 19 Und Unzufriedenheit herrschte mit der Art und Weise, wie die jeweiligen Stücke auf die Bühne kamen, sowohl was Bühnenbild, Requisite und Kostüme, als auch was die Schauspielkunst selbst betraf. Hier griff man auf die Schriften der beiden Riccoboni zurück und verglich sie kritisch mit der eigenen Praxis der Rollenfindung. Unzufriedenheit herrschte aber auch - vor allem bei Ekhof - über die Einhaltung der Akademie-Satzungen, was zur Frage zurückfuhrt, warum Ekhof ziszeischer Reaktion, in: Freimaurer und Geheimbünde im 18. Jahrhundert in Mitteleuropa / hg. v. Helmut Reinalter. - Frankfurt: Suhrkamp, 1986. - S.35-84. -S.41. 18 Ulrich Im Hof: Das gesellige Jahrhundert, a.a.O., S.185. 19 siehe die jeweiligen Sitzungsprotokolle der Akademie vom 30.6., 7.7., 12.7. und 17.11.1753, sowie vom 9.2. und 15.6.1754 in: Heinz Kindermann: Conrad Ekhofs Schauspieler-Akademie, a.a.O., S.22ff. - Uber den Umfang des gesichteten Repertoires schreibt Piens: "Das von Devrient nachgewiesene - nicht vollständige - Repertoire der Schönemannschen Truppe umfaßt bis zum Ende der Akademie 279 Stücke, ein weiteres wird in der Akademie vorbereitet und nach Ende der Akademie aufgeführt. 20 Vorspiele zu besonderen Gelegenheiten, also nur mit Tageswert, werden bei der 'Sichtung' natürlich nicht berücksichtigt. Von den verbleibenden 260 werden 215 in der Akademie untersucht, einige davon stehen mehrere Male im Verzeichnis. Das sind vier Fünftel der bekannten Stücke aus Schönemanns Repertoire." (Gerhard Piens: Conrad Ekhof und die erste deutsche Schauspielerakademie, a.a.O., S.37f.)

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gleichsam eine Gesellschaft innerhalb der Gesellschaft mit rigiden Statuten gründete. Angesichts der Tatsache, daß - von ein oder zwei Ausnahmen abgesehen - alle Schauspieler und Schauspielerinnen der Schönemannschen Truppe, und nur diese, auch Mitglieder der Akademie waren, hätte auch die Zusammenkunft in einem losen Zirkel genügt. Ekhof selbst gibt in einem Promemoria vom 30. Juni 1753, also knapp zwei Monate nach der Gründungsversammlung, folgende Erklärung: Ich habe Verfassungen aufgesetzt, nicht um mir den Namen eines Gesetzgebers zu erwerben, sondern weil es mir ohnmöglich schien, ohne dieselben der Unordnung vorzubeugen, und dieser Academie eine Dauer zu verschaffen.20

Und aus demselben Promemoria wird deutlich, daß in der kurzen Zeit der Existenz der Akademie bereits gegen eine Reihe von Regeln verstoßen wurde: Inhaber bestimmter Ämter nahmen ihre Pflichten nicht wahr, Bestrafungen wurden nicht durchgefiihrt, Beschuldigte weigerten sich, Strafgelder zu zahlen und das in den Sitzungen Besprochene wurde Fremden weitererzählt und z.T. lächerlich gemacht. 21 Zudem machte sich in der Folgezeit ein weitaus größeres Manko bemerkbar die Satzungen galten nur fur die Akademie, nicht jedoch fur die Schönemannsche Truppe. Unter Bezugnahme auf das oben zitierte Promemoria forderte Ekhof deshalb einen Monat später die Akademiemitglieder zu einer weitreichenden Entscheidung auf: Sie, meine Herren und Damen, werden also zu überlegen belieben, wie nothwendig es seyn wird, auf die Vollziehung und beständige Beobachtung derjenigen Sätze zu dringen, die wir in unsern Sitzungen für gut halten und bestimmen. In unsern Verfassungen ist dieses zwar nicht buchstäblich enthalten ...; allein die Verfassungen zielen auch eigentlich nur auf das Betragen jedes Mitgliedes in den Sitzungen selbst und in Ansehung derselben. Unsere Bemühungen und Betrachtungen in denselben aber sind die Früchte davon. Ist es also nicht billig, meine Herren und Damen? Ist es nicht nothwendig, frage ich, eine Strafe auf die Versäumung und Übertretung der in unseren Sitzungen beschlossenen und zu beschließenden Ausübungen zu setzen? 22

Ekhofs Vorschlag wurde "hierauf mit einhelliger Stimme sämmtlicher Mitglieder der Academie angenommen und b e w i l l i g e t " ^ Dies ist der erste und m.W. einzige Fall in der Geschichte der Wandertruppenbewegung, daß sich die Mitglieder einer Truppe ohne nennenswerte Mitwirkung des Prinzipals freiwillig Theatergesetze gegeben haben, wenngleich es sich noch nicht um feststehende Gesetze im Sinne des Gothaer Theaterreglements, sondern um mehrheitlich gebilligte und damit verbindliche Regeln und 20 21 22 23

zit. n. Heinz Kindermann: Conrad Ekhofs Schauspieler-Akademie, a.a.O., S.18. s. ibid. S.19f. zit. n. ibid. S.26f. ibid. S.27.

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Vorschriften handelte. Daß zwischen beiden jedoch "nur ein kleiner Schritt" ist, wie Günther Schulz meint 24 , zeigen vor allem Ekhofs zehn Verfassungszusätze vom 9. Februar 1754, bei deren Ankündigung er auf die Vereinbarung vom vorangegangenen Juli verweist, und die ausschließlich den Theaterbetrieb betreffen« Inwieweit Ekhof bewußt die Leitung der Truppe durch die "oligarchische Verwaltung der Akademie" ersetzen wollte, oder ob er gar, wie aus Äußerungen Hans Devrients und Kindermanns zumindest indirekt zu entnehmen ist, letztendlich selbst Prinzipal der Truppe werden wollte, bleibt ungeklärt.26 Einigermaßen gesichert scheint nur, daß Schönemann sich immer mehr von seiner Direktionstätigkeit zurückzog und bis zum Eintritt Johann Friedrich Löwens Ekhof bei vielen Entscheidungen freie Hand ließ. Ebensowenig kann eine Antwort auf die Frage gegeben werden, warum Ekhof seine Ämter innerhalb der Akademie am 15. Juni 1754 bzw. in der darauffolgenden, aller Wahrscheinlichkeit nach letzten Sitzung niederlegte. Während Kindermann unter Verweis auf die Dokumentenlage nicht weiter auf diesen Punkt eingeht, übernimmt Devrient Reichards Auflassung, Ekhof habe in einer (nicht erhaltenen) "Abschiedsrede" die Aufhebung der Akademie empfohlen mit dem Hinweis: "Ich war Mensch, als ich sie stiftete, und konnte alle die Hindernisse, die Widerspenstigkeiten, die elenden Spöttereyen nicht v o r h e r s e h e n . " 2 7 . Anders dagegen Gerhard Piens, der, wahrscheinlich in Gedanken an Hegels "Hüllen", die Akademie nicht als gescheitert sieht, da sie zumindest auf inhaltlicher Ebene ihr Ziel erreicht habe: Indem sie die Erfahrungen aus dreizehn Jahren Theaterleben der Schönemannschen Truppe zusammenfaßte, ordnete, verallgemeinerte, sie an den vorhandenen Theorien überprüfte und sich bewußt machte und das Erkannte an der 24 Günther Schulz: Die Entwicklung des Schauspielerengagements in Deutschland vom 17. bis zum 19. Jahrhundert, a.a.O., S.62. 25 s. Heinz Kindermann: Conrad Ekhofs Schauspieler-Akademie, a.a.O., S.35f. 26 Während Kindermann als Begründung für die Notwendigkeit strenger Theatergesetze schreibt: "Dazu kam, daß er (Ekhof - P.Sch.) selbst ja gar nicht der Prinzipal, sondern nur einer aus der Mitte des Ensembles war, also von der Truppe her über keine vollziehende Gewalt verfügte. Diese Gewalt sollte deshalb von den gemeinsam zu beschließenden Grundgesetzen ausgehen und den durch Wahl bestimmten Funktionären anvertraut sein."(ibid.S.76), verweist Hans Devrient direkt auf eine Prinzipalschaft Ekhofs:"Schönemann, der sich seine Unlust und seine Kraftabnahme mehr und mehr eingestand, war froh einen Arbeiter an seiner Statt gefunden zu haben und räumte Ekhof immer weitere Machtbefugnisse in der Leitung der Truppe ein. So hätte allmählich die Direktion aus den Händen des Prinzipals durch die oligarchische Verwaltung der Akademie wieder in eine Hand, in die Ekhofs übergehen können. Und das wäre auch das Notwendigste gewesen."(Hans Devrient: Johann Friedrich Schönemann und seine Schauspielergesellschaft, a.a.O., S.239.) 27 zit. n. ibid. S.238.

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Aufgabe des Theaters ihrer Zeit maß, schuf sie eine Theorie des realistischen Theaters. Sie schuf nach den Möglichkeiten ihrer Zeit Klarheit über das Verhältnis der Schauspielkunst zu den anderen Elementen des Theaters und über Ziel und Methode der realistischen Menschendarstellung. 28

Tatsache ist, daß viele Sozietäten nicht über die Anfänge hinauskamen und häufig die persönliche Initiative Einzelner über Erfolg und Dauer einer Gesellschaft entschied.29 Nach dem Beschluß der Schweriner Akademie im Juni 1754 wurde der Gedanke Ekhofs, über die eigene theatrale Arbeit gemeinsam zu reflektieren, um daraus Handlungsanweisungen für die Praxis zu gewinnen, in dieser Form wieder im Mannheimer Ausschuß aufgenommen, der sich jedoch ausschließlich der Repertoiregestaltung, der Klärung organisatorischer Probleme und - sofern Zeit blieb - der theatertheoretischen Reflexion in Form von Vorträgen, widmete. Zudem war der Kreis der beteiligten Schauspieler drastisch reduziert worden: die Meinung des gesamten Ensembles war im Hoftheaterbetrieb nicht mehr gefragt. Im 19. Jahrhundert wird die Ekhofsche Akademieform schließlich aus dem Organisationsbetrieb der stehenden Bühnen herausgenommen und in die Sphäre privater Zirkel oder Vereine verbannt. Anlaß dieser Gründungen ist die Vereinzelung und Isolation des Schauspielers innerhalb von Ensembles, denen das integrierende Element der Wandertruppen, das Aufeinander-angewiesensein innerhalb einer Notgemeinschaft, abhanden gekommen war. Der einzelne Schauspieler war jetzt zum Angestellten eines Betriebs geworden, der materielle Sicherstellung und innerbetriebliche Aufstiegsmöglichkeiten bot, die die Ensemblemitglieder zwangsläufig zu Konkurrenten werden ließen. Gemildert wurden diese Konkurrenzverhältnisse lediglich durch Theatergesetze und durch die Monopole auf bestimmte Rollenfächer, die jedoch, von den einen erwartungsvoll beobachtet und von den anderen bereits im Vorfeld argwöhnisch verteidigt, die Isolation des einzelnen letztendlich noch verstärkten. Diese Situation der Vereinzelung berührte vor allem jene Schauspieler schmerzhaft, die mit dem Verschwinden der sozialen Bindungen innerhalb eines Ensembles zugleich eine Verflachung des künstlerischen Zusammenspiels wahrnahmen, das ihnen persönlich wichtiger erschien, als der Genuß der Isolation im Starwesen. So schrieb Eduard Devrient, von 1819 bis 1844 Mitglied der Kgl. Theater Berlins, 1827 in einer Denkschrift ÜBER DIE NOTHWENDIGΚΕΓΓ DER ERRICHTUNG EINES VEREINS DRAMATISCHER KÜNSTLER FÜR DIE DRAMATISCHE KUNST: Im 18. Jahrhundert waren die Künstler einer jeden Bühne gleich einer Nomadenfamilie eng untereinander verbunden durch die Absonderung, in der sie als 28 Gerhard Piens: Conrad Ekhof und die erste deutsche Schauspielerakademie, a.a.O., S.112. 29 s. Ulrich Im Hof: Das gesellige Jahrhundert, a.a.O., S.204 u. S.214.

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eine gemiedene Kaste der bürgerlichen Gesellschaft lebten. Kein besonderer Antrieb, keine äußere Veranlassung war nötig, um sie zu einem festen Aneinanderschließen, zu jenem innigen Verständnis im Zusammenspiel zu bringen, welches an den besseren Schauspielgesellschaften jener Zeit gepriesen wird; sie waren innerlich und äußerlich dazu gezwungen. In einer folgenden Periode konnten als Mittel einer Vereinigung einzelne künstlerische Autoritäten gelten, welche etwaige gemeinsame Bestrebungen leiteten. Seit 20 Jahren hat sich das völlig geändert: die Förderung der Fürsten baute der Kunst würdige Tempel, die bürgerliche Gesellschaft nahm die Künstler auf in ihren Kreis: Aber gerade solche Wohltaten ließen das Band des gemeinsamen Kunstinteresses unter den Schauspielern erschlaffen und damit den Glanz ihrer Darstellungen erbleichen. ... D a s Band der N o t , das vor 60 Jahren die Künstler zu übereinstimmenden Bestrebungen verknüpft hatte, war nicht mehr wirksam, und doch kann ein dramatisches Kunstwerk nur durch inniges und übereinstimmendes Wirken aller überhaupt erst entstehen. 30

Nun lag für Devrient ein Zurück zum Vagabundieren, wie es sich etwa Karl von Holtei erträumte, fern, da mit ihm gleichzeitig die sozialen Errungenschaften des Schauspielerstandes aufgegeben würdea Sein Vorschlag ging vielmehr dahin, die innerhalb der Produktionssphäre fehlende Einheit des Ensembles durch die Gründung eines Schauspielervereins zu kompensieren, der, losgelöst von einem bestimmten Theaterbetrieb, jenen "Geist der Poesie und Wahrheit, welcher in allen verteilt lebendig ist", zu sammeln und zu stärken. 31 "Ein Verein ist nötig", so Devrient, "der aus dem Vergangenen durch Beurteilung Früchte zieht für eine gegenwärtige Wirksamkeit und der die Kräfte für eine zukünftige ausbildet". 32 Devrient ging es 1827 also nicht, wie dann in den vierziger Jahren, um eine Beseitigung der Ursachen jener Ensemblezerstörung im Rahmen einer grundsätzlichen Reform des Theaterwesens, sondern um die Schaffung einer außerbetrieblichen Einrichtung, deren Ergebnisse auf die Produktivität der einzelnen Ensembles zurückwirken sollte. 1827 fand er für sein Vorhaben keine weiteren Interessenten und so kam es erst im Dezember 1834 zur Gründung des "Vereins dramatischer Künstler", der sich fast genau drei Jahre später wegen Mitgliedermangel wieder aufhob. 3 3 Bereits zur Gründungsversammlung hatten sich nur drei Schauspieler eingefunden

30 zit.n. Paul Alfred Merbach: Der Berliner Schauspielerverein Eduard Devrients und Louis Schneiders aus den Jahren 1834 bis 1837., in: Erforschtes und Erlebtes aus dem alten Berlin: Festschrift zum SOjährigen Jubiläum des Vereins für die Geschichte Berlins. - Berlin: Verlag des Vereins für die Geschichte Berlins, 1917. - (Schriften des Vereins für die Geschichte Berlins;50) - S.211-231. S.214f. 31 ibid. S.215. 32 ibid. S.216. 33 Die Gründungsversammlung fand am 17.12.1834 und die Schlußsitzung am 19.12.1837 in Devrients Wohnung statt.

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- neben Devrient noch Friedrich Wilhelm Lemm und Louis Schneider -, von denen jeder gleich ein Amt übernehmen mußte. Mitte Februar 1835 war die Mitgliederzahl schließlich auf zwölf angewachsen, was wohl durch die Ernennung des Hoftheaterintendanten von Redern zum Ehrenmitglied zu erklären ist: eine Vereinsmitgliedschaft wurde jetzt auch für jene interessant, die bei den Kgl. Theatern Karriere machen wollten. Im Dezember 1835 fand schließlich im Konzertsaal des Kgl. Schauspielhauses "eine festliche Schlußsitzung des ersten Vereinsjahres" 34 statt, deren Verlauf Ursache für zahlreiche Austritte wurde. So reduzierte sich der Verein im Laufe des Jahres 1836 wieder auf drei Mitglieder, von denen des öfteren nur eines bei den wöchentlichen Sitzungen anwesend war. 3 5 Wie in der Schweriner Akademie auch, waren Fremde bei den Sitzungen nicht zugelassen und auch Schauspielerinnen hatten keine Chance, in den Verein aufgenommen zu werden: D a ß Frauen von dem Verein ausgeschlossen sein müssen, bedarf wohl keiner Frage: die Weiber können sich nur selten zu anhaltender geistiger Beschäftigung, zum strengen Prüfen und Urteilen gewöhnen, auch würde ihre Gegenwart bei den gewöhnlichen Sitzungen tausend Rücksichten nötig machen, die dem Vereine seine Bestimmung und K r a f t rauben müßten. In etwaigen Generalversammlungen wären sie als Ehrengäste zuzuziehen und über Tätigkeit und Fortschritte des Vereins zu unterrichten, da die Künstlerinnen ja gewöhnlich in Ausübung ihres Berufes viel Fleiß und Genauigkeit zeigen ... Fremde dürfen natürlich unter keinen Umständen bei den Sitzungen zugelassen werden, selbst fremde Schauspieler erst, wenn der Verein schon sicher und wirksam besteht, dann aber m u ß den Mitgliedern daran liegen, daß fremde Kenntnis und Erfahrung sich im Verein ausspreche, daß sein Beispiel an anderen Bühnen bekannt wird, und ähnliche Vereine müßten in ganz Deutschland veranlaßt werden.36

In den Sitzungen selbst wurden alle Themen angesprochen, die die Mitglieder interessierten und zu denen sie etwas beisteuern konnten. Man beurteilte zudem ihre Bühnenleistungen und löste mimische Aufgaben, wie sie heute noch an Schauspielschulen zufindensind.37 Großen Raum nahm die Beschäftigung mit der Aussprache von Konsonanten ein, wobei vor allem diejenige des "g" im Zen34 ibid. S.224. 35 So zitiert Mer bach aus den Sitzungsprotokollen: "Schneider versammelt sich allein; der Verein stellte allerhand Bemerkungen über menschliche Schwäche an, rauchte im Garten eine Zigarre und hob die Sitzung präzise 5 Uhr auf." (ibid. S.225.) 36 ibid. S.218. 37 Um ein Beispiel zu nennen: "Es empfängt jemand einen Brief, sagt dabei sowie beim Offnen und Lesen nichts als Ei (mehrmals). Der Gesichtsausdruck aber sowie die verschiedene Betonung der Silbe EI m u ß ohngefähr den Inhalt des Briefes und bestimmt die Wirkung desselben auf den Leser darstellen." (ibid. S.224.)

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trum der Diskussion stand, wie ein Brief des Vereins an Ludwig Tieck zeigt, den man um Rat bat, nachdem andere, zu diesem Problem eingeholte, Gutachten nicht befriedigten. 3 8 Nach außen hin hatte der Verein nahezu keine Publizität, wenn man von Spöttern wie Gutzkow absieht, der schrieb, man "behauptete, Gern und Rüthling, beides Naturalisten, naturfrische Komiker, deren Zusammenspiel das Publikum nicht aus dem Lachen kommen ließ, hätten sich in jenem Verein überstudiert und von ihrer naiven Unbefangenheit v e r l o r e n " . 3 9 Zweifelsohne steckt in dieser Äußerung insofern ein wahrer Kern, als auch Therese Devrient in ihren JUGENDERINNERUNGEN von der Abneigung vieler Vereinsmitglieder gegen Belehrungen über Schauspielkunst spricht.40 Auch Anna Löhn-Siegel berichtet in ihren Erinnerungen von Zusammenkünften des Oldenburger Ensembles, die, auf Anregung des Schauspielers und Regisseurs Emil Palleske, von Intendant Graf Bochholz und den Regisseuren des Theaters 1849 geplant und 1850 durchgeführt wurden. 41 Sie trugen "den Character eines gemüthlichern Theekränzchens und einer geselligen Leseprobe" und "wirkten überaus anregend und Bildung vermittelnd": "Man las Stücke mit vertheilten Rollen, deren Aufführung in Aussicht genommen war, daran schloß sich eine Debatte über die Dichtung selbst und über die Auffassung der einzelnen Partien, über Scenerie, Costüm und so w e i t e r . " 4 2 Bei diesen Versammlungen, die in den Wohnungen der Schauspieler stattfanden, waren auch die Regisseure und der Intendant anwesend, was "mäßigend" auf die Schauspieler gewirkt habe. 4 3 Zeitweilig nahm auch der Oldenburger Gymnasialprofessor Adolf Stahr, der sich als Verfasser historischer und dramaturgischer Abhandlungen einen Namen gemacht hatte, an dem Schauspieler-Kränzchen teil "und würzte die Debatte mit geistreichen Bemerkungen, ja er bemächtigte 38 Der Brief ist abgedruckt in ibid. S.220-222; Anm.2. 39 Karl Gutzkow: Rückblicke auf mein Leben. 1829-1849, in: Gutzkows Werke / hg. v. Peter Müller. - krit. durchgesehene u. erläuterte Ausgabe. - 4 Bände. Leipzig: Bibliographisches Institut, 1911. - Band 4, S.299. 40 Therese Devrient: Jugenderinnerungen / von Therese Devrient. - Stuttgart: Gussmann, 1905. Therese Devrient berichtet, anläßlich des Ausscheidens von Lemm nach der (oben erwähnten) Festsitzung seien "viele andere, die wohl nur auf eine günstige Gelegenheit gewartet, der lästigen Arbeit und Erziehung loszuwerden", mitgegangen. (S.384) 41 Anna Löhn-Siegel: Vom Oldenburger Hoftheater zum Dresdner: letzte Theatertagebuchblätter. - Oldenburg: Schulze, 1885. - S.247. - Bezeichnend ist, daß in: Chronik des alten Theaters in Oldenburg: (1833-1881): Festschrift zu der Eröffnung des neuerbauten Theaters am 8. October 1881 / von Freiherr R. von Dalwigk. - Oldenburg: Schulze, 1881. nichts von diesem "Schauspieler-Kränzchen" erwähnt wird. 42 Anna Löhn-Siegel: Vom Oldenburger Hoftheater zum Dresdner, a.a.O., S.247f. 43 ibid. S.252f.

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sich derselben ganz und gar, so daß schließlich ein Vortrag über den zu besprechenden Gegenstand daraus erwuchs".44 Interessant sind Anna Löhn-Siegels Erinnerungen, weil hier nicht, wie bei den Schweriner Protokollen, der Organisator der Vereinigung, sondern ein betroffener Schauspieler zu Wort kommt. Zudem lagen ihr nach eigener Aussage selbstverfaßte Tagebuchblätter als Rekonstruktionsgrundlage vor, deren skizzenhafter und spontan-direkter Charakter in ihrem erst 1885 veröffentlichten Buch noch unvermittelt zum Ausdruck kommt und zeigt, was sie an diesen Sitzungen am meisten beeindruckte. So etwa die, von Schauspielern nur selten akzeptierte, Entdeckung, daß es "keine kleinen Rollen giebt": eine Thema, das an anderer Stelle dieser Arbeit noch ausfuhrlich diskutiert werden w i r d . 4 5 Neben diesen, vor allem dem Theaterfrieden dienenden Themen, fand sie jedoch auch Antwort auf Fragen, die sich mit der häufig anzutreffenden Unfähigkeit des Schauspielers, ein ordentliches bürgerliches Leben fuhren zu können, beschäftigten, was man in den Sitzungen dahingehend zu erklären suchte, daß gerade das "starke, übersprudelnde Menschengefühl im Künstler" mit "seiner im bürgerlichen Leben oft tadelnswerthen Maßlosigkeit" Voraussetzung für eine "psychologische Vertiefung" in den darzustellenden Charakter sei, was dem "leidenschaftslose(n) Klügler" nur schwer gelinge. 4 ® Und schließlich spricht sie noch ein Problem an, das die gesamte Theatergeschichte zu durchziehen scheint: die Abneigung des Schauspielers gegenüber Intellektuellen, die ihnen Vorträge über Schauspielkunst halten. An dieser Abneigung war bereits Johann Friedrich Löwen gescheitert, der, ohne Ekhofs Akademie, von der er als Schwiegersohn Schönemanns und als Mitglied der Truppe zweifelsohne wußte, zu erwähnen, in seiner GESCHICHTE DES DEUTSCHEN THEATERS die Einführung einer Theaterakademie forderte 47 und als Direktor der Hamburger Entreprise schließlich "ordentliche Vorlesungen" über Schauspielkunst hielt 48 Diese Vorlesungen kamen nie über ihre ersten Anfänge hinaus: der "instinktive Widerwille der Künstler", so Löwens Biograph Ossip D. Potkoff, "gegen alle graue Theorie verschuldete die Teilnahmslosigkeit"49 - wie bereits zuvor in der Schweriner Akademie. Und Anna Löhn-Siegel 44 45 46 47

ibid. S.253. ibid. S.248. ibid. S.249. Johann Friedrich Löwen: Geschichte des deutschen Theaters (1766) und Flugschriften über das Hamburger Nationaltheater (1766 und 1767) / im Neudruck mit Einleitung und Erläuterungen hg. v. Heinrich Stümcke. - Berlin: Frensdorff, o.J. - S.69. 48 Johann Friedrich Löwen: Vorläufige Nachricht von der auf Ostern 1767 vorzunehmenden Veränderung des Hamburgischen Theaters, in: ibid. S.85-90. - S.87. 49 Ossip D. Potkoff: Johann Friedrich Löwen (1727-1771) mit näherer Berücksichtigung seiner dramaturgischen Tätigkeit. - Diss. - Heidelberg: Winter, 1904. -

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vermerkte angesichts der Vorträge Stahrs: Selbstverständlich wagte Niemand, Palleske und die Regisseure etwa ausgenommen, den Fluß seiner Rede zu unterbrechen oder ihm überzeugungstreu entgegenzutreten. Viele fürchteten eine Niederlage, wohl gar eine Blamage durch den gediegenen Gelehrten. Wenn nun ein Kunstausdruck, ein Fremdwort, falsch angewendet oder ausgesprochen würde?! ... Es war nicht zu leugnen, des Professors Gegenwart übte einen Druck auf die freie Entfaltung der Künstlerseelen, und der Zweck der Vereinigung wäre durch seine fortgesetzten Besuche verloren gegangen, er selbst mochte das Beklemmende, das seine kritische Atmosphäre ausströmte, empfunden haben und hatte gegen Palleske die Bemerkung gemacht, wie es doch eigenthümlich sei, daß Gelehrtenthum und Schauspielerthum sich nicht vertragen wollten.50

Stahr blieb daraufhin den Sitzungen fem. Neben diesen Schauspielervereinigungen gab es im 19. Jahrhundert auch Versuche einiger Dramaturgen und Theaterleiter, innerhalb des Theaterbetriebes Fortbildungsveranstaltungen für Schauspieler durchzuführen. Dies geschah jedoch nicht in Form von Gesprächen und Diskussionen im Ensemble, sondern durch Vorträge. So richtete August Klingemann 1816 in Braunschweig eine "Kunstschule für Schauspieler" ein, in denen die Schauspieler neben Fecht- und Tanzunterricht Vorlesungen Klingemanns hörten, die angeblich auch publiziert wurden. 51 Wie Ekhofs Akademiegründung in der Mitte des 18. Jahrhunderts hatten auch die Schauspielervereinigungen des 19. Jahrhunderts, die aus der Eigeninitiative von Schauspielern hervorgingen und eine Reflexion über ihre eigene Tätigkeit zur Verbesserung der theatralen Praxis zum Ziel hatten, das Schicksal, im zeitgenössischen Schrifttum mehr oder weniger verleugnet zu werden. Dagegen veröffentlichten die Theateqournale eine Reihe von Vorschlägen für Theaterschulen, unter denen sich auch ein Plan für eine Schauspieler-Akademie findet, der der Idee einer wissenschaftlichen Akademie, so wie sie auch Kindermann bei Ekhof sehen wollte, am nächsten kam.

S.126. 50 Anna Löhn-Siegel: Vom Oldenburger Hoftheater zum Dresdner, a.a.O., S.253f. 51 s. hierzu: Heinrich Kopp: Die Bühnenleitung Aug. Klingemanns in Braunschweig : m. e. Anhang: die Repertoire des Braunschweiger Nationaltheaters : e. Beitrag zur deutschen Theatergeschichte des 19. Jahrhunderts / von Heinrich Kopp. - Hamburg;Leipzig: Voß, 1901. - S.18. Hans Devrient, der Kopps Buch 1902 besprach, erwähnt ebenfalls, daß sich die "vergriffenen Vorlesungen fiir Schauspieler noch nicht wiedergefunden" hätten. (Euphorion. Zeitschr. f. Literaturgeschichte / hg. v. August Sauer. - Bd.9 - Leipzig;Wien: Fromme, 1902. S.778.) Eigene Nachforschungen konnten bisher nicht bestätigen, daß diese "Vorlesungen für Schauspieler" wirklich publiziert wurden.

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Dieser Plan stammt von Heinrich Zschocke, der sich als Dichter und Übersetzer einen Namen gemacht hatte, und wurde im THEATERKALENDER AUF DAS JAHR 1791 unter dem Titel APHORISMEN ÜBER RELATIVE SCHÖNHEIT; MORAL FÜR SCHAUSPIELER, AKADEMIE DES SCHAUSPIELS veröffentlicht "Unter dem Schutz eines Fürsten", so Zschocke, "vereine sich eine gelehrte Gesellschaft dramatischer Dichter und Dramaturgen", die "einige der berühmtesten Schauspieler zu Mitgliedern ihrer Akademie" ernennen sollte. Diese "gelehrte Gesellschaft" solle "einen Plan zur wissenschaftlichen Veredlung der Schauspielkunst" entwerfen, "welcher dem Fürsten zur Approbation vorgelegt werden könne" 5 2. Finanzieren wollte Zschocke diese Akademie durch einen Fond, d.h. durch landesherrliche Subvention,oder durch Aufführungen einer der Akademie angegliederten Schauspielschule, wobei die Schauspielschüler eine nach Leistung gestaffelte Gage erhalten sollten. 5 3 Wie diese Ausbildung aussehen könnte, wird nicht weiter erörtert. Entscheidend ist vielmehr ein weiterer Gedanke, der die Kontrollfiinktion dieser Akademie über das Schauspielwesen betrifft: die Akademie sollte vom Fürsten "die Oberintendanz über die im Staate vorhandenen kleinern Truppen" bekommen, "die nun nach Beschaffenheit der Sache entweder ausgemerzt, oder mit Bedingungen beibehalten würden", die die Akademie diktierte. Zudem hätte die Akademie die Spielgebiete der einzelnen Truppen einzuteilen und die jeweilige Aufenthaltsdauer zu bestimmen. 5 4 Zschocke forderte hier, wie alle aufklärerisch gesinnten Reformer einer Schauspielerausbildung, eine staatliche Kontrolle über das Theaterwesen. Sein Vorschlag unterscheidet sich von denjenigen kameralistisch orientierter Aufklärer allerdings in einem entscheidend Punkt: er wollte die Kontrolle über das Schauspielwesen einem von der jeweiligen Hofverwaltung unabhängigen Gremium von Fachleuten übertragen, das - ähnlich der Académie Française - nur indirekt administrativ beeinflußbar war. Die Einnahmen aus den Schulauffuhrungen hätten zudem jenen Fond überflüssig gemacht, der Theater und Theaterausbildungsstätte an den Hoftheateretat band: Akademie und Schule wären, mit Billigung des jeweiligen Regenten, privatwirtschaftlich gefuhrt und dem Zugriff adliger Hoftheaterintendanten entzogen worden.

52 Heinrich Zschocke: Aphorismen über relative Schönheit, Moral für Schauspieler, Akademie für Schauspielkunst, in: Theaterkalender auf das Jahr 1791 / hg. v. Heinrich August Ottokar Reichard. - Gotha: Ettinger, 1791. - S.52-62. - S.60. 53 ibid. S.61. 54 ibid.

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III. Mobilität

Auch wenn sich der Horazsche Thespiskarren nicht mehr nachweisen läßt und möglicherweise auf eine Fehldeutung zurückgeführt werden muß, ist die Geschichte der Berufsdarsteller von der Antike bis heute die Geschichte permanenter Mobilität; sei es das Wandern von Einzelpersonen oder das Wandern von Gruppen, die - je nach Standpunkt des Betrachters - als Vagabunden, vazierende Banden, Wandertruppen oder Reisende Gesellschaften bezeichnet, nicht nur im europäischen Raum zu finden sind, sondern auch überall dort, wo Menschen am Rande eines fest begrenzten und definierten Gesellschaftsverbandes von den Einkünften aus darstellerischen Tätigkeiten lebten bzw. leben mußten. So erwähnen bereits die ältesten indischen Texte berufsmäßige Tänzerinnen und Pantomimen als Mitglieder der "Kaste des fahrenden Volkes", worunter allgemein und in pejorativem Sinn Musikanten, Sänger, Gaukler und später zudem Schauspieler zu verstehen sindi, und auch in der japanischen Theatergeschichte finden sich Reisende Gesellschaften, wie die Sarugaku-Truppen, die etwa durch Seamis Vater Kanami berühmt wurden^. Die afrikanische Theatergeschichte kannte ebenfalls wandernde Schauspieler, wie die Kanama, die im 19. Jahrhundert auf den Marktplätzen Nordnigerias auftraten^. Da sich vagierende Darsteller, von welcher Profession sie auch sein mögen, in der Regel dem Zugriff des Historikers entziehen, existiert bis heute keine umfassende Untersuchung über die Wanderbewegungen von Schauspielern im eu-

1

2

3

Paul Thieme: Das indische Theater / von Paul Thieme. - in: Fernöstliches Theater / hg. v. Heinz Kindermann. - Stuttgart: Kröner, 1966. - S.21-120. - S.26 u.28ff. - Die zitierte Stelle findet sich auf Seite 26. Kanami (1333-1384) zog mit seiner Truppe nach Yamato und erhielt die "schauspielerische Betreuung des Schinto-Tempels Kasuga", was ihn jedoch nicht davon abhielt, "Gastspiele in anderen Provinzen" zu veranstalten. (Die Geheime Überlieferung des Nò : aufgezeichnet von Meister Seami / a. d. Japanischen übertragen u. erläutert von Oscar Beni. - Frankfurt: Insel, 1986. - S.9.) Seami (1363-1443) verbrachte die ersten elf Jahre seines Lebens bei der Truppe seines Vaters, wurde dann ebenfalls in Yamato seßhaft und verfaßte dort eine Reihe von Arbeiten über das Nö-Spiel. Über sein weiteres, abwechslungsreiches Leben siehe ibid. S . l l f f . Joachim Fiebach: Die Toten als die Macht der Lebenden: zur Theorie u. Geschichte von Theater in Afrika / Joachim Fiebach. - Wilhelmshaven; Locamo; Amsterdam: Heinrichshofen, 1986. - S.179.

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ropäischen bzw. im deutschsprachigen Raum. Die Gründe hierfür sind nicht nur materialbedingt, sondern dokumentieren auch das Selbstverständnis einer Theaterhistoriographie, die im theaterhistorischen Prozeß die Seßhaftigkeit des Darstellers zur zulässigen Norm erhoben hat und selbst das - leider nicht verleugbare - Wandertruppenwesen des 17. und 18. Jahrhunderts oft nur dort zur Kenntnis nimmt, wo es seine Bereitschaft zum Seßhaftwerden, zur Eingliederung in die bürgerliche Gesellschaft mit deren normierten Regeln und kodierten Verhaltensweisen unter Beweis stellt. Im europäischen Raum bildeten sich - abgesehen von den legendären Wandermimen* der Frühantike - Reisende Schauspielertruppen ab dem 4. Jahrhundert v. Chr., als die Schauspieleragone die Dichteragone verdrängten und die schauspielerischen Einzelleistungen, die sich nun durch die Möglichkeit der Wiederaufführung vergleichen ließen, im Zentrum des Theaterereignisses standen. Vor allem aber beginnt im 4. Jahrhundert eine Serie von Theatergründungen in der ganzen griechischsprachigen Welt verbunden mit einer technischen Modernisierung und Kapazitätserweiterung der bereits vorhandenen Theater. Beides, der Neubau von Theatern und das Verlangen nach hochqualifizierten Schauspielern, führte - vergleichbar der Situation in der Restaurationsära des 19. Jahrhunderts - zu einem Mangel an künstlerischem Personal, der durch die Gründung von Wandertruppen, "die sich überwiegend der Wiederaufführung der beliebtesten Stücke der Klassiker widmeten''^, behoben wurde.

4 Es soll in dieser Arbeit bewußt auf eine Darstellung der um den Begriff des »Mimus« kreisenden Diskussion verzichtet werden, da sie zur Klärung der vorliegenden Fragen nichts beiträgt und angesichts der dürftigen Materiallage wohl auch weiterhin nur zu obskuren theoretischen Konstrukten führen dürfte. Zutreffend ist allerdings, daß es schon vor dem 4. Jahrhundert v. Chr. in Griechenland Gaukler, Jongleure, Akrobaten etc. gegeben hat, die von Ort zu Ort zogen, um ihre Kunststücke zu zeigen, (s. Heinz Kindermann: Theatergeschichte Europas: Bd.I: Das Theater der Antike und des Mittelalters / Heinz Kindermann. - 2. verb. u. ergänzte Aufl. - Salzburg: Müller, 1966 - S.89.) 5 Horst-Dieter Blume: Einführung in das antike Theaterwesen / Horst-Dieter Blume. - 2., durchges. Aufl. - Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1984. - (Die Altertumswissenschaft) - S.80. Es bleibt allerdings offen, ob es tatsächlich generell zu einer Verknappung an Schauspielern führte, wie Blume S.80 meint, oder ob nicht der zunehmende Reichtum der Städte der Magna Graecia, der auch die Errichtung von Theatern ermöglichte, sein Pendant im Verlangen nach »Virtuosen« fand. Blumes Hinweis auf die pseudo-aristotelischen Problemata (30,10) und die Existenznöte der unbekannten Schauspieler (S.80.) spricht eher für das Vorhandensein zahlreicher Gesellschaften, die sich, vergleichbar den mittelmäßigen Wandertruppen der Neuzeit, in einem ständigen Auf und Ab bewegten. Fragwürdig erscheint auch Blumes Feststellung: "Weil aber die meisten Gemeinden finanziell nicht in der Lage waren, einen Laienchor einzustudieren, ist mit Bearbeitungen zu rechnen, die den Chor eliminier-

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Die große Zeit der Reisenden Gesellschaften begann jedoch erst mit den römischen Mimustruppen und den, meist einzeln umherziehenden, Pantomimen, die im ganzen römischen Weltreich zu finden waren und deren Bezeichnung und theatralische Eigenheiten - wenn auch in veränderter Form - das Imperium überdauerten und sich bis in die Neuzeit hielten. So schreibt Ludovico Riccoboni 1727 in seiner von Lessing übersetzten GESCHICHTE DER ITALIENISCHEN SCHAUBÜHNE: Die Circi, die Theater und Amphitheater, wovon noch einige Spuren auf uns gekommen sind, können uns nicht ohne Bewunderung an die Pracht und an den Geschmack der Römer denken lassen. ... Gleichwohl kann man mit Grunde vermuthen, daß von allen Schauspielen, welche bey den Römern bekannt waren, sich diejenigen, mitten unter der Barbarey der auf den Verfall des Reichs folgenden Jahrhunderte, am längesten werden erhalten haben, welche des Beystandes der schönen Wissenschaften am wenigsten bedurften. Und dieses waren die Spiele der Seiltänzer auf den öffentlichen Märkten, und die Bacchanalien, deren Andenken Italien noch bis jetzt zu der Zeit des Carnevale erneuert. 6

Ungeachtet der moralisierenden Einschätzung hat Riccoboni den Kern der Entwicklung getroffen: nicht die - bereits im kaiserlichen Rom nur noch marginal vorhandene - theatrale Großform des Dramas bzw. Schauspiels hatte sich über die Jahrhunderte hinweg erhalten, sondern all das, was sich unter der Sammelbezeichnung »spectacula« subsumieren läßt. Dies gilt für die Geschichte von den muñera, venationes und naumachiett bis hin zu den variationsreichen höfischen Spielen und den vielfältigen Formen der Hetztheater ebenso, wie für die Vorstellungen der von Marktplatz zu Marktplatz ziehenden Gaukler. 7 Im 16. Jahrhundert kommen noch die Wandertruppen hinzu, von deren Entwicklung bereits an anderer Stelle dieser Arbeit ausführlicher berichtet wurde.

ten."(ibid.) Richtig ist zweifelsohne, daß die Chöre zunehmend eliminiert wurden. Dies gilt jedoch auch für die großen Städte. 6 Ludovico Riccoboni: Des Herrn Ludewig Riccoboni Geschichte der italiänischen Schaubühne / Ludovico Riccoboni; in: G. E. Lessing: Beiträge zur Historie und Aufnahme des Theaters / G.E. Lessing. - Leipzig: o.V., 1750 - 11,139141. Riccobonis Einschätzung hinsichtlich der Amphitheater ist für seine Zeit nicht ungewöhnlich. 7 Im Gegensatz zu den Theaterhistorikern hat sich eine Reihe von Forschern aus anderen Wissenschaftsbereichen im letzten Jahrzehnt intensiver mit den Formen und der Entwicklungsgeschichte einzelner Varianten des Spektakels beschäftigt, wobei vor allem die Festkultur ins Zentrum der Untersuchung gestellt wurde.

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Wanderwege Reisender Gesellschaften Obwohl über die Wanderbewegungen der meisten Truppen des 18. und 19. Jahrhunderts nur wenig bekannt ist, lassen sich doch einige generelle Feststellungen machen. So waren die Gesellschaften aus ökonomischen Gründen darauf angewiesen, vor allem an jenen Orten zu spielen, die ausreichende Einnahmen versprachen. Dies war immer dann gegeben, wenn eine Stadt über eine große Anzahl potentieller Zuschauer verfugte und im Glücksfall zudem ein außergewöhnliches Ereignis eintrat, sei es eine Messe, eine Krönung, ein landesherrlicher Geburtstag, der Besuche hochstehender Gäste etc. In solchen Fällen kamen in der Regel viele Fremde in die Stadt, die den Prinzipalen meist mehr Gewinn einbrachten als die Einheimischen. Verständlich ist dagegen allerdings, daß sich nicht nur eine Truppe um ein lukratives Privileg bewarb, und so kristallisierte sich im Laufe des 18. Jahrhunderts zusehends eine räumlich-geographische Begrenzung der einzelnen Spielgebiete heraus, die erst wieder durch das Gastspielwesen von Einzelschauspielern durchbrochen wurde. Bestimmte Städte wurden zu Hauptspielorten, an die die Gesellschaften immer wieder zurückkehrten, so Schönemann nach Schwerin, Leipzig, Hamburg, Breslau und Braunschweig, die Neuberin nach Leipzig, Dresden und Hamburg oder Großmann nach Frankfurt, Mainz, Kassel, Hannover und Bremen. Daneben unternahmen diese Prinzipale jedoch immer wieder größere Reisen in den süd- und ostdeutschen Raum, teilweise über Grenzen hinweg, wie Ackermann in die Schweiz oder die Neuberin, nachdem sie in Hamburg abgewiesen wurde, nach Petersburg. Bevorzugt wurde allerdings die nördliche Hälfte Deutschlands, da sie die meisten Spielmöglichkeiten bot.8 Mit der zunehmenden Verdrängung der Wandertruppen im 19. Jahrhundert durch die Einrichtung stehender Theater, zogen die Gesellschaften dann in die ländlichen Gebiete des ostdeutschen Raums. 9 Ein entscheidender Vorteil in der räumlichen Begrenzung lag in der Reduzierung der Reisekosten und -zeiten. Gereist wurde in der Regel trotz der Unzulänglichkeiten und schlechten Straßen auf dem Landwege, was dem allgemeinen Gütertransport entsprach. Ό Die Reisekosten waren je nach Truppe unterschiedlich hoch und betrugen bis zu einem Drittel des Gesamtetats. 8 Herbert A. Frenzel hat die Spielgebiete einiger Wandertruppen in Landkarten eingetragen. (Herbert A. Frenzel: Geschichte des Theaters: Daten und Dokumente 1470-1890 / Herbert A. Frenzel. - 2. Aufl. - München: dtv, 1984. S.232f.) Sieht man von den Wanderzügen Schuchs ab, zeigen die Karten deutlich die regionalen Begrenzungen. 9 s. Lilian Schacherl: Der Komödianten-Karren kommt: von den Wandertheatern in Böhmen / Lilian Schacherl. - Kempten: Heimeran, 1967. - S.lOff. 10 s. Fernand Braudel: Sozialgeschichte des 15.-18. Jahrhunderts: Band II: Der Handel / Fernand Braudel. - München: Kindler, 1986 - S.382f.

189

Schauspielerfluktuation Über die Engagementsdauer einzelner Schauspieler bei den Wandertruppen des 18. und 19. Jahrhunderts lassen sich heute nur wenig gesicherte Aussagen machen, die zudem nur die Mitglieder der bedeutenderen unter den Reisenden Gesellschaften betreffen, da weder statistisches, noch anderes Material in ausreichendem Umfang überliefert ist Zwar finden sich in den jeweiligen Jahrgängen des Reichardschen Theater-Kalenders Angaben über die Zusammensetzung einzelner Truppen. Für eine sinnvolle Analyse sind sie jedoch zu unvollständig und fehlerhaft. Hans Georg Fellmann hat in einer Untersuchung über die Böhmsche Truppe, die vorwiegend in Köln, Aachen und Düsseldorf auftrat, den Versuch unternommen, ein Mitgliederverzeichnis der Jahre 1783 bis 1798 zu erstellen.11 Dieses Verzeichnis ist, wie Fellmann selbst eingesteht, angesichts der Reichardschen Angaben unvollständig. Dennoch ergibt sich ein interessantes Bild. Als Mitglieder von Oper und Schauspiel werden 73 Personen aufgeführt, wovon 29 bereits vor 1793 der Gesellschaft angehörten. Diese hohe Zahl ergibt sich aus den mitaufgefuhrten Darstellern von Kinder-, Figuranten- und N e b e n r o l l e n . 12 Die Familie des Prinzipals stellte insgesamt 6 Mitglieder und weiterhin weist Fellmanns Liste 16 Ehepaare, teilweise mit Kindern, die ebenfalls auftraten, aus. Weitere Schauspieler heirateten im Verlauf der sechzehn Jahre Kollegen bzw. Kolleginnen der Truppe. Betrachtet man die Häufigkeit, mit der die einzelnen Schauspieler innerhalb des Gesamtzeitraums erwähnt werden, zeigt sich, daß 36 Darsteller, also 50 Prozent, nur einmal zu finden sind. Unter Vernachlässigung von Reichards Ungenauigkeiten würde dies bedeuten, daß etwa die Hälfte der Mitglieder nur sehr kurze Zeit - ein bis zwei Jahre - der Gesellschaft angehörten. Diese hohe Mobilität war möglich, da sich die Truppe hinsichtlich der Spielorte nur wenig von einem Städtebundtheater des 19. oder 20. Jahrhunderts unterschied. Zudem gab es eine Reihe weiterer Gesellschaften, die in der Nähe und teilweise sogar in Köln, Aachen und Düsseldorf selbst spielten. 13 Eine ähnliche Mobilität von Schauspielern zeigen die stehenden Theater, wie die folgenden Erhebungen über die Kgl. Theater in Berlin, das Wiener Burgtheater und das Darmstädter Hoftheater demonstrieren. Ein Überblick über die Engagementsdauer bei den Königlichen Theater Berlins im Zeitraum von 1786 bis 1885 ergibt für die ersten zehn Jahre, wobei Spalte 1143 Schauspielerinnen,

11 Hans Georg Fellmann: Die Böhmsche Theatertruppe und ihre Zeit: e. Beitrag zur deutschen Theatergeschichte des 18. Jahrhunderts / von Hans Georg Fellmann. - Leipzig: Voß, 1928. (Theatergeschichtliche Forschungen; 38) - S.73-78. 12 So wurde ein Herr Bechstädt für "Stuhlsitzrollen" engagiert, (ibid. S.76.) 13 s. ibid. S. 17.

190

Spalte II 164 Schauspieler, Spalte III 94 Sängerinnen und Spalte IV108 Sänger erfaßt:i4 Anzahl der Jahre

I

II

III

IV

%

%

%

%

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

15.4 15.4 10.5 6.3 5.6 4.2 4.2 1.4 2.8 4.2

14.6 14.0 4.3 3.7 7.3 1.8 2.4 3.0 1.8 1.8

21.3 14.9 10.6 10.6 2.1 1.1 1.1 4.3 1.1 4.3

20.4 17.6 10.2 3.7 3.7 3.7 0.9 0.9 0.9 2.8

Summe

70,0

54,7

71,4

64,8

Die fehlenden Prozentwerte verteilen sich ohne besondere Auffälligkeiten auf Engagements bis zu 57 Jahren. Für das Hoftheater Darmstadt ergibt sich im Zeitraum von 1810 bis 1920 für 112 Schauspielerinnen, 131 Schauspieler, 138 Sängerinnen und 167 Sänger bei gleichbleibender Spaltenzuordnung: 15

14 Die jeweiligen Werte sind nach vollen Jahren abgerundet. Quelle: C. Schäffer; C. Hartmann: Die Königlichen Theater in Berlin: Statistischer Rückblick (17861885) / C. Schäffer; C. Hartmann. - Berlin: o.V.,1886. - S.257f. Die Jahreszahlen, für die sich nur Nullwerte ergeben haben, wurden aus der Tabelle eliminiert. 15 Quelle: Hermann Knispel: Das Großherzogliche Hoftheater zu Darmstadt, a.a.O., S.202-219.

191

I %

II %

III %

IV %

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

29.5 14.3 17.0 8.0 6.2 0.9 2.7 3.6 0.9 0.9

31.3 9.9 11.5 5.3 4.6 1.5 1.5 0.0 2.3 1.5

38.4 6.5 18.8 5.1 5.1 4.3 2.9 1.4 1.4 2.9

36.5 11.4 14.4 6.6 3.6 4.2 0.6 1.8 0.6 0.6

Summe

84,0

69,4

86,8

80,3

Anzahl der Jahre

Auch hier verteilen sich die fehlenden Prozentwerte gleichmäßig auf Engagements bis zu 5 4 Jahren. F ü r das Burgtheater ergibt sich bei einem Untersuchungszeitraum von 1 7 7 6 bis 1 9 1 3 , wobei Spalte I die Schauspielerinnen, Spalte II die Schauspieler und die folgenden beiden Spalten die dazugehörigen prozentualen Werte enthalten:^ Anzahl der Jahre

1 2 3 4 5 6 7 8 9 Fortsetzung:

I

II

III %

IV %

29 61 42 22 14 6 13 7 7

40 76 22 25 14 9 11 5 5

9.2 19.4 13.3 7.0 4.4 1.9 4.1 2.2 2.2

11.0 20.9 6.0 6.9 3.8 2.5 3.0 1.4 1.4

16 Insgesamt wurden 315 Schauspielerinnen und 364 Schauspieler erfaßt. Quelle: Otto Rub: Das Burgtheater: Statistischer Rückblick auf die Tätigkeit und die Personalverhältnisse während der Zeit vom 8. April 1776 bis 1. Januar 1913. Gelegentlich des 25jährigen Bestehens des neuen Hauses am 14. Oktober 1913 / zusammengestellt von Otto Rub. Mit e. Geleitwort v. Hugo Thimig. - Wien: Knepler, 1913. - S.223-230. Die Werte wurden nach vollen Jahren aufgerundet.

192

Anzahl der Jahre 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

I

II

III %

IV %

7 8 6 2 5 7 7 4 7 3 3

8 12 8 4 5 5 5 3 5 4 5

2.2 2.5 1.9 0.6 1.6 2.2 2.2 1.3 2.2 1,0 1.0

2.2 3.3 2.2 1.1 1.4 1.4 1.4 0.8 1.4 1.1 1.4

Vergleicht man die Tabellen unter Berücksichtigung der Rundungen, offenbart sich bei allen annähernd das gleiche Bild: die meisten Darsteller waren nur eine bis drei Spielzeiten, eine geringe Anzahl bis zu fünf und nur wenige länger engagiert. Dennoch ergeben sich auch deutliche Unterschiede. Während in Wien und Berlin etwas über die Hälfte aller Darsteller nach fünf Jahren aus dem Engagement gegangen war, waren es in Darmstadt nach dem gleichen Zeitraum fünfundsiebzig Prozent. Die 50-Prozent-Marke war in Darmstadt bereits nach durchschnittlich zweieinhalb Jahren erreicht. Eine Ausnahme bilden sowohl in Berlin, als auch in Darmstadt die Sprechtheaterschauspieler, deren Werte um ca. zehn Prozent unter denen der Schauspielerinnen liegen. Ähnliches gilt für das Burgtheater, wenngleich nicht in derselben Ausprägung. Im Vergleich zu den weiblichen Theatermitgliedern und den Sängern kann man deshalb davon ausgehen, daß ein Sprechtheaterschauspieler bessere Chancen auf ein längerfristiges Engagement hatte, sofern er - vor allem in Darmstadt - die ersten beiden Spielzeiten erfolgreich überstanden hatte. Zweifelsohne sagen die Zahlen nichts über die Gründe der Nichtverlängerung des jeweiligen Engagements aus. Diese wurden bereits im 19. Jahrhundert nur selten veröffentlicht, da das - auch heute noch geltende - Prinzip der »stillschweigenden Prolongation« die Möglichkeit einer Kündigung des Bühnenengagementsvertrags ohne Begründung vorsah. Wenn dieses Verfahren auch den Schauspieler vor Willkürakten seitens des Intendanten nicht verschonte, beeinflußte es dennoch nicht seinen Marktwert bei der Suche nach einer neuen Anstellung, wie es etwa einem Angestellten geschehen konnte, der Zeugnisse früherer Arbeitgeber vorlegen mußte. Deutlich wird jedoch, daß selbst die großen stehenden Theater dem Schauspieler keine Gewähr für einen gesicherten Arbeitsplatz boten, da man unterstellen kann, daß in diesen Theatern wohl eher seitens der Intendanz die Nichtver193

längerung ausgesprochen wurde. Im Gegensatz zu den meisten mittleren und kleinen Theatern, die sich häufig nach einer Spielzeit aufhoben, bot sich dem Schauspieler in Städten wie Berlin, Wien, Darmstadt oder auch Dresden und einigen anderen π zumindest eine relative Sicherheit, da immerhin die Chance bestand, zu jenen anderen fünfzig Prozent zu gehören, die teilweise sogar zu Hofschauspielern mit Anstellung auf Lebenszeit ernannt wurden. Für die Masse der Theatermitglieder blieb dies allerdings ein Traum.

Gastspielwesen und Virtuosentum Zu einer der merkwürdigsten und in ihrer Einschätzung zwiespältigsten Erscheinung im Theaterleben des 19. Jahrhunderts zählt das Gastspielwesen und das damit verbundene bzw. häufig begrifflich mit ihm identifizierte Virtuosentum. Beide, Gastspielwesen und Virtuosentum, haben innerhalb des theaterhistoriographischen wie -wissenschaftlichen Diskurses in Bezug auf Umfang, Inhalt und Wertung Definitionen und Zuordnungen erfahren, die der Faktizität des Gewesenen großteils diametral entgegenstehen. Während zeitgenössische Schauspieler und Autoren, die zweifelsohne vom Gastspielwesen profitierten, diesem positiv bis indifferent gegenüberstanden - sofern sie sich überhaupt äußerten -, waren es vor allem Eduard Devrient und dessen Epigonen, die das "Gastspiel zu einem reichen Quell des Verderbens für die Schauspielkunst" - so Devrient in seiner GESCHICHTE DER DEUTSCHEN SCHAUSPIELKUNST! 8 - werden ließen, wobei, so Hans Knudsen, "der Star mit Oberflächlichkeit, Stillosigkeit, Kunstmischmasch, wenn wohl hier und da mit schauspielerischem Kraftausdruck" die Bühnen und das Publikum beherrschte. 19 Selbst die m.W. einzige umfangreichere theaterwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Gastspielwesen, Ulrich Berns 1959 erschienene Dissertation DAS VIRTUOSENGASTSPIEL AUF DER DEUTSCHEN BÜHNE20, stellt zwar 17 Robert Prölss gibt eine Übersicht der Dresdner Engagementsverhältnisse von 1816 bis 1862, die den hier geschilderten entspricht. Er gibt auch Gründe für den Abgang des jeweiligen Schauspielers an, wenngleich aus dem Kürzel "enti." nicht auf eine Kündigung seitens der Intendanz geschlossen werden darf. Interessant sind derartige Hinweise deshalb nur dort, wo z.B. auf eine Pensionierung oder den Tod eines Theatermitgliedes verwiesen wird. (Robert Prölss: Geschichte des Hoftheaters zu Dresden: von seinen Anfangen bis zum Jahre 1862 / von Robert Prölss. - Dresden: Baensch, 1878. - S.647-660.) 18 Eduard Devrient: Geschichte der deutschen Schauspielkunst, a.a.O., Bd.II, S.196. 19 Hans Knudsen: Deutsche Theatergeschichte / Hans Knudsen. - Stuttgart: Kröner, 1959. -S.301. 20 Ulrich Berns: Das Virtuosengastspiel auf der deutschen Bühne / Ulrich Berns. Köln, Univ. 1959.

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einer überkommenen theaterhistorischen Theoriebildung statistisch gewonnenes Material gegenüber, verweigert hierbei aber jeden Hinweis auf die sich daraus ergebenden massiven Widersprüche. So definiert Berns bereits im ersten Kapitel das "eigentliche Gastspiel" in Abgrenzung zum Gesamtgastspiel Dingelstedtscher Prägung, zum Ensemblegastspiel der Meininger, zum Austauschgastspiel, zum Gastspiel von - bereits im 19. Jahrhundert zunehmend entstehenden - Städtebundtheatern und zum Abstecherbetrieb der heutigen Landesbühnen: Das eigentliche Gastspiel besitzt einen solistischen Charakter; von der Persönlichkeit eines prominenten Schauspielers getragen, umfaßt es in der Regel einen Zyklus von effektvollen Rollen. 21

Bereits ein kurzer Blick in die von Berns verwendeten Statistiken bzw. in die von ihm mühevoll erstellten Diagramme zeigt jedoch, daß es zum einen nicht so viele prominente Schauspieler gegeben haben kann, und daß vor allem zum andern der Zyklus von Rollendarbietungen nicht die Regel, sondern die Ausnahme war. 2 2 Der positive Ansatz Berns', die Verbreitung und Entwicklung des Gastspielwesens vom ausgehenden 18. bis ins letzte Drittel des 19. Jahrhunderts hinein quantitativ zu analysieren, soll im folgenden aufgenommen und weiterentwickelt werden. Er allein kann Auskunft geben, inwieweit die im zeitgenössischen Schrifttum, in Schauspielerbiographien, Theaterlexika und theaterhistoriographischen Werken aufgestellten Behauptungen verifizier- bzw. falsifizierbar sind und ob darüber hinaus zusätzliche Erkenntnisse gewonnen werden können.

21 ibid. S.10. 22 Die Ursache für Berns' Einschätzung dürfte beim Initiator und Betreuer der Dissertation, Carl Niessen, zu finden sein. Sowohl die nicht hinterfragte Begriffskontraktion im Titel der Arbeit, wie vor allem Berns' Vorwort machen dies deutlich: "Die vorliegende Untersuchung des Virtuosengastspiels mit seinen Auswirkungen auf das Ensemble geht auf eine Anregung von Herrn Professor Dr. Carl Niessen zurück, dem die Pflege des Ensemblegedankens auf dem deutschen Theater immer ein besonderes Anliegen war." (ibid. S.7.) Berns muß die Fragwürdigkeit einer Anwendung des Ensemblegedankens auf den - quantitativ interessanten - Zeitraum des Gastspielwesens erkannt haben: er widmet dann auch den "Einflüsse(n) auf das Ensemble" nur etwas mehr als eine Seite seines Buches.

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Der Begriff Sowohl im achtzehnten Jahrhundert wie auch im lexikalischen Schrifttum des neunzehnten wurde der Begriff des Gastspiels bzw. der Gastrolle von dem des Virtuosentums streng getrennt, wobei letzterer im theatralen Bereich kaum Interesse fand. Das ALLGEMEINE THEATER-LEXIKON von Blum / Herloß söhn /Marggraff erwähnt ihn überhaupt nicht und auch bei Oppenheim/Gettke wird lediglich in dreieinhalb Zeilen daraufhingewiesen, daß es sich bei "Virtuosität" um eine "ausgezeichnete, seltene, meist technische Kunstfertigkeit" handele.23 Beide widmen dagegen den "Gastrollen" bzw. den "Gastspiele(n)" ausführliche Darstellungen, wenngleich Oppenheim/Gettke hier bei Blum/Herloßsohn/Marggraff abschreiben, ohne auf die entsprechende Urheberschaft hinzuweisen. 24 Der so gewonnene Eindruck deckt sich auch mit dem Grimmschen Wörterbuch, in dem "Virtuosentum" definiert wird als die eigenschaft der beherrschung des techn. könnens, besonders in der musik, leicht mit der Vorstellung des äusserlichen, leeren verbunden;25

wobei unter dem Stichwort "Virtuose" darauf hingewiesen wird, daß sich die Grundbedeutung seit ihrer Übernahme aus dem Italienischen im ausgehenden 17. Jahrhundert verschlechtert habe. Stellte man ursprünglich den Virtuosen als "künstler von beruf und... leistung" noch dem "dilettanten" gegenüber, so werde "gerade in neuerer zeit der virtuos dem künstler gegenübergestellt, als der zwar technische in aller Vollkommenheit beherrschende, aber der auffassung und des genius ermangelnde". 26 Überraschend ist der Hinweis, daß "die Verschlechterung des sinnes ... über die Zwischenstufe des reisenden concertierenden sängers oder instrumentalisten" gehe, die "unter der bedingung der bezahlung" spielten.27 Auf die in Müllners dramatischen Werken gefundene Begründung soll hier nicht weiter eingegangen werden. Festzuhalten ist jedoch, daß der Begriff des Virtuosentums dem musikalischen Bereich zugeordnet wird. Die Übertragung des Begriffs in den Bereich des Sprechtheaters findet sich lediglich im theaterhistoriographischen Schrifttum: zunächst in Eduard Devrients GESCHICHTE DER DEUTSCHEN SCHAUSPIELKUNST, die, dem Ensemblegedanken 23 Adolf Oppenheim; Ernst Gettke: Deutsches Theater-Lexikon, a.a.O., S.829; Spalte 2. 24 Robert Blum; Karl Herloßsohn; Heinrich Marggraff: Allgemeines Theater-Lexikon, a.a.O., Bd.4, S.5-13. Adolf Oppenheim; Ernst Gettke: Deutsches TheaterLexikon, a.a.O., S.293f. 25 Jacob u. Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch / Jacob u. Wilhelm Grimm. Leipzig: o.V., 1854ff. - 12/2, S.374. 26 ibid. S.372. 27 ibid. S.373.

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verpflichtet, das Gastspielwesen in seiner zeitgenössischen Ausprägung radikal ablehnt, und schließlich aber auch bei jenen Theaterhistorikern, die sich um differenziertere Einschätzungen und Analysen bemühen, wie etwa in Max Martersteigs Arbeit über DAS DEUTSCHE THEATER IM 19. JAHRHUNDERTE Die Bezeichnungen »Gastspiel« bzw. zunächst »Gastrolle« wurden dagegen von Anfang an für jene Aufführungen verwandt, bei denen ein nicht zum Ensemble gehöriger Schauspieler auftrat. Ungeachtet der Motive fur derartige Gastspiele existierten zwei Formen bis ins 20. Jahrhundert nebeneinander das sicher ältere - Gastspiel auf Engagement und das Gastspiel von Schauspielern, die nur für einen begrenzten Zeitraum im Rahmen eines fremden Ensembles auftreten wollten bzw. durften. Diese letztgenannte Form des Gastspiels war dann auch diejenige, die in Öffentlichkeit und Theaterhistoriographie zum Thema eines lange anhaltenden und intensiv geführten Diskurses über Wert und Unwert des Gastspielwesens bzw. des Virtuosentums führte. Da sich die Bernssche Definition des Einzelgastspiels, wie gezeigt, als wenig brauchbar erwies und auch andere Begriffsbestimmungen aus dem theaterhistorischen und -lexikalischen Schrifttum entweder nicht vorhanden oder an die jeweilige Position des Autors gebunden sind, soll hier zur Abgrenzung des Untersuchungsfeldes der Gastspielbegriff des Bühnenengagementsvertrags (NV-Solo) zugrundegelegt werden. Dort heißt es in den für diese Arbeit wichtigen Abschnitten 2 und 4 des Paragraphen 20: 2. Gastspielverträge sind Verträge, die der Unternehmer zur Ergänzung seines ständigen Personals und zur Ausgestaltung seines Spielplans mit Bühnenkünstlern in der Weise abschließt, daß sie nicht als ständige Mitglieder angestellt, sondern nur zur Mitwirkung für eine bestimmte Anzahl von Aufführungen, aber für nicht mehr als zweiundsiebzig während der Spielzeit, verpflichtet werden.... 4. ... Verträge, die nur zur Umgehung der Anstellung von ständigen Mitgliedern geschlossen werden, gelten nicht als Gastspielverträge.29

Der entscheidende Vorzug dieser Definition besteht darin, daß auf einen häufig anzutreffenden Streitpunkt der theaterhistorischen und -wissenschaftlichen Diskussion - die künstlerische Qualifikation des Gastes - nicht eingegangen wird. Unbedeutend für die folgenden Analysen ist die Begrenzung der Gastspiele auf zweiundsiebzig - in der ersten Fassung des Normalvertrags Solo von 1924 auf sechzig - Aufführungen pro Spielzeit, da derart hohe Werte im vorliegenden Untersuchungszeitraum nicht auftauchen, sieht man von jenen Schauspielern

28 Martersteig war m.W. auch der erste Wissenschaftler, der die Bezeichnung "Gastspiel" und "Virtuose" zu "Gastspielvirtuose" verband. 29 Bühnen- und Musikrecht / hg. v. Deutscher Bühnenverein: Bundesverband deutscher Theater. - Darmstadt: Mykenae, 1986

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ab, die als »stehende Gäste« 30 für eine oder mehrere Spielzeiten engagiert wurden, wobei auch hier angesichts der insgesamt nicht sehr zahlreichen Aufführungstage die genannten Zahlengrenzen selten überschritten wurden. Als Beispiel mag die in Paris, Dresden und Berlin gefeierte Sängerin Pauline Marx gelten, die von 1852 bis 1856 am Hoftheater in Darmstadt auf Wunsch des Herzogs als Gast engagiert war. In der Spielzeit 1852/53 brachte sie es dennoch nur auf 40 Auftritte, was andererseits jedoch etwa ein Viertel der Gesamtvorstellungszahl ausmachte. Der Vorteil einer derartigen Gastspieltätigkeit lag zweifelsohne in der größeren Freiheit des Darstellers gegenüber der jeweiligen Direktion, sowohl was die Arbeitsbedingungen und die Rollenauswahl, wie auch den - hier allerdingsrisikoreicheren- finanziellen Bereich betraf. Verlor der Gast die Gunst des Hofes, konnte er keine weiteren Ansprüche auf Beschäftigung geltend machen.

Entstehung, Entwicklung und Verbreitung Da Ulrich Berns in seiner Dissertation umfassend auf die Geschichte des Gastspielwesens, auf die Einteilung in einzelne "Epochen" und auch auf zahlreiche berühmte Virtuosen eingeht, soll im folgenden nur ein kurzer Überblick gegeben werden. Einzelne Gastspiele lassen sich bereits für die Wandertruppenzeit nachweisen: so erwähnt etwa Devrient einen derartigen Auftritt von Theophilus Döbbelin für das Jahr 1767 in Hamburg. 31 Als erster Schauspieler, der in der deutschen Theatergeschichte eine ausgedehnte Gastspielreise unternahm, gilt jedoch Johann Michael Boeck, der vom 16. Mai bis zum 29. September des Jahres 1777 von Gotha aus nach Frankfurt, Mannheim, München, Wien, Leipzig, Berlin und Hamburg fuhr, um "in bestimmten Rollen" zu gastieren. 3 2 Die Reise war, abgesehen von Wien, wo man ihn kühl aufnahm, ein außerordentlicher Erfolg und wurde in Reichards Theater-Kalender ausführlich besprochen. Zum Durchbruch kam das Gastspielwesen allerdings erst mit Franz Hieronymus Brockmann, der noch im Dezember desselben Jahres das Berliner Publikum mit seiner Hamlet-Darstellung begeisterte. Von da an gehörte es zum festen Bestandteil des deutschen Theaterbetriebs während des gesamten 19. Jahrhun-

30 Obwohl bei Mehlin nicht erwähnt, waren die Bezeichnungen »stehender Gast« oder »ständiger Gast« im 19. Jahrhundert weithin gebräuchlich, s. Carl Sontag: Vom Nachtwächter zum türkischen Kaiser, a.a.O., Bd.2, S.122. 31 Eduard Devrient: Geschichte der Deutschen Schauspielkunst, a.a.O., Bd.I, S.462. 32 s. Hans E. Hirsch: Johann Michael Boeck, a.a.O., S.42.

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derts, wobei die Entwicklungen im Sprech- und im Musiktheaterbereich nicht kongruent gingen, wie das Beispiel der Königlichen Theater in Berlin zeigt: 33

1786-1799 1800-1809 1810-1819 1820-1829 1830-1839 1840-1849 1850-1859 1860-1869 1870-1879 1880-1886 Summe

Gastspiele

Oper

Schauspiel

Auff.

Oper Schausp.

115 79 191 248 179 217 210 251 250 148

38 23 67 91 98 119 131 186 152 106

77 56 124 157 81 98 79 65 98 42

262 285 757 1015 849 1189 848 1029 940 752

93 99 312 397 455 693 541 758 611 639

169 186 445 618 394 496 307 271 329 113

1888

1011

877

7926

4598

3328

Vergleichbares ergibt sich für das Hoftheater Weimar: Anzahl d. Gastspiele 1817-1819 1820-1829 1830-1839 1840-1849 1850-1859 1860-1869 1870-1879 1880-1886

8 27 52 46 68 95 93 71

So trifft Eduard Devrients Feststellung über einen Rückgang des Virtuosentums Anfang der siebziger Jahre höchstens auf den Bereich des Sprechtheaters zu, wenn er meint, das Virtuosentum sei: durch den Lauf der Dinge hinfällig geworden. Die hervorragenden Matadore sind durch den Tod vom Schauplatz gerufen, andere haben ihre Anziehungskraft abgenutzt, wieder andere sind in ihrer Nichtigkeit erkannt worden; viele der besten Talente unserer Tage tsreben nicht mehr nach isolierendem Virtuosenruhm, haben auch wohl ihre Fähigkeiten der Förderung und Leitung der Totaldarstellung gewidmet; womit die virtuose Richtung aufzuhören pflegt. Der herr33 Quelle: C. Schäffer; C. Hartmann: Die Königlichen Theater in Berlin : Statistischer Rückblick (1786-1885) / C. Schäffer; C. Hartmann. - Berlin: o.V., 1886

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sehende Glanz des Virtuosentums ist also gebrochen, die Schauspielkunst im großen und ganzen von einem verwirrendem Schwindel befreit. 34

Das Musiktheater war nach wie vor in jenem "verwirrenden Schwindel" befangen, und auch im Sprechtheaterbereich erlebte das Gastspielwesen in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts nochmals einen Aufschwung. Über die Verbreitung des Gastspielwesens soll eine Analyse des Jahres 1846 näheren Aufschluß geben.

Die Gastspieltätigkeit des Jahres 1846 Das Gastspielwesen des Jahres 1846 ist in mancherlei Hinsicht repräsentativ für die durchschnittliche Theaterentwicklung des dieser Arbeit zugrundeliegenden Gesamtzeitraums. So zeigen die Gastspieltätigkeiten an den synchron untersuchten Bühnen, daß sich in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts das Gastspielwesen an fast allen Theatern beruhigt und auf einem kontinuierlichen Niveau eingependelt hat: für die Kgl. Theater in Berlin gilt dies spätestens seit 1841, gleiches gilt für Wien und Weimar, und auch am Darmstädter Hoftheater finden sich seit 1840 keine gravierenden Änderungen mehr, wenngleich der 1838 einsetzende Gastspielboom im Laufe der vierziger Jahre abflaut und erst ab 1845 einen stabilen Wert erreicht hat. Zudem finden sich 1846 keine politischen oder sozialen Ereignisse, die nachweislich auf das Gastspielwesen eingegriffen haben könnten, wie etwa kurz darauf die Unruhen von 1848/49, die an fast allen Bühnen zu großen finanziellen Turbulenzen und Verlusten geführt haben. Ein entscheidender Punkt für die Wahl des Jahres 1846 war schließlich noch die Datenlage. So zeigt die zweite Jahrhunderthälfte zwar kontinuierlichere Entwicklungen. Andererseits entsteht jedoch durch die eskalierende Zahl von Gründungen im Bereich der Privattheater eine Datenvielfalt und -fülle, die im Rahmen der vorhandenen technischen Möglichkeiten nicht bewältigbar erschien. Man hätte auf die Auswahl repräsentativer Stichproben zurückgreifen müssen. Angesichts fehlender quantitativer Untersuchungen versprach ein Rückgriff auf nahezu alle vorhandenen Daten dagegen interessantere Ergebnisse. Dennoch wären zu deren Untermauerung vergleichende Untersuchungen anderer Zeiteinheiten äußerst wünschenswert Insgesamt wurden die Daten von 1971 Gastrollen ausgewertet-35 Zum besseren Verständnis wird jede dieser Dokumentationseinheiten im folgenden nicht ganz korrekt - als Auffuhrung bezeichnet, wobei zu bedenken ist, daß eine

34 Eduard Devrient: Geschichte der Deutschen Schauspielkunst, a.a.O., Bd.II., S.389. 35 Quelle: Almanach für Freunde der Schauspielkunst auf das Jahr 1846, a.a.O.

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Vorstellung mehrere Aufführungen umfassen konnte. So war es z.B. üblich, daß Gäste an manchen Abenden in einer Tragödie bzw. in einem Schauspiel und anschließend - um Vielseitigkeit demonstrieren zu können - in einer Posse oder einem Schwank auftraten. Eine Rekonstruktion der tatsächlichen Vorstellungszahl ist heute leider nicht mehr möglich, da fur die meisten Theater das nötige statistische Material nicht mehr vorhanden ist. Heinrichs Almanach weist für 1846 123 Theater nach, aufgeteilt in 48 Stadttheater, 12 Kgl. Städtische Theater, 6 Ständische Theater, 28 Hoftheater, 14 Reisende Gesellschaften, 10 Privattheater und 5 A k t i e n t h e a t e r . 3 6 wie bereits an anderer Stelle erwähnt, müssen sich hierbei Organisationsbezeichnung und tatsächliche Betriebsform nicht decken. 1846 fanden an 61 Theatern Gastspiele statt, zu denen 476 Darsteller aus 86 Theaterorten anreisten. Gruppiert man nach Stadt-, Hof- und Privattheatern, teilen sich die 1971 Gastspielaufführungen folgendermaßen auf: Theater Stadttheater Hoftheater Privattheater

Anzahl der Aufführungen 1191 551 229

Proz. Ant. 60,34 27,91 11,60

Auffallend ist, daß die Hoftheater mit knapp 28 % überproportional am Gesamtgastspielaufkommen beteiligt sind, wenngleich die Auffuhrungen an den einzelnen Theatern nicht gleichmäßig verteilt sind.37 Faßt man die Angaben Heinrichs zusammen, zeigt sich, daß 5 Gastorte 34,56 % der Aufführungen 10 Gastorte 52,29 % der Aufführungen 15 Gastorte 65,91 % der Auffuhrungen 20 Gastorte 76,03 % der Aufführungen 36 Die Angaben wurden den jeweiligen Eintragungen Heinrichs entnommen. 37 Hamburg(284), Frankfurt,M(121), Berlin(103), Königsberg(90), Pest(84) Prag(76), Stettin(76), Graz(72), Nürnberg(63), Wien(63), Hannover(61), Bre men(55), Dresden(52), Leipzig(51), München(51), Regensburg(50), Stutt gart(43), Karlsruhe(37), Mainz(36), Kasse(34), Preßburg(34), Breslau(33) Oedenburg-Baden(31), Braunschweig(25), Magdeburg(25), Aachen(23), Wei mar(22), Altona(20), 01denburg(19), Mannheim(17), Brünn(17), Heilbronn(16) Klagenfurt(16), Neustadt(15), Linz(14), Augsburg(12), Wiesbaden(ll), Reise witz(9), Göttingen,Münster(9), NeuStrelitz(9), Petersburg(8), Halle(8), Darm stadt(7), Troppau(6), 01mütz(6), Kiel(6), Glogau(5), Hildesheim(5), Chem nitz(5), Posen(4), Detmold(4), Danzig(4), Ballenstädt-Bernburg(4), Zürich(3) Riga(3), Schwerin(3), Karlsbad(3), Coburg-Gotha(2), Innsbruck(2), Hermann stadt-Arad(2), Laibach-Triest(2),

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bestrittea Das bedeutet: Knapp ein Drittel der Gastorte boten über drei Viertel aller Gastspielauffiihrungen des Jahres 1846. In der Gruppe der ersten zehn überwiegen dabei eindeutig die Stadttheater, während in den zweiten die Hoftheater dominieren. Erklären läßt sich dies mit der unterschiedlichen Bevölkerungsstärke der Städte bzw. Residenzen und der Besucherstärke der jeweiligen Gastspieltheater. Je größer die Städte sind, desto größer ist auch die Anzahl der Aufführungen. Über die Verbreitung des Gastspielwesens läßt sich bereits an dieser Stelle sagen, daß sie bisher überschätzt wurde. Sie konzentrierte sich zunächst nur auf die besucherstarken Stadttheater und die finanzkräftigen Residenzen. Aussagen über die Bewunderung und Idolisierung des jeweiligen Gastes lassen sich hierbei allerdings nicht treffen. Ein ähnliches Bild bietet sich bei der Analyse derjenigen Orte, in denen die Gäste fest engagiert waren: Es zeigt sich, daß auch hier zehn Orte ca. 57 % und zwanzig Orte ca. 73 % aller Gäste stellten.38 Differenziert man zusätzlich nach Organisationsformen, ergibt sich, daß zwei Drittel der Gastspielauffiihrungen von Hoftheaterschauspielern bestritten wurden, während die Hoftheater selbst nur ein Fünftel aller deutschsprachigen Bühnen stellten. Die Stadttheater stellten dagegen mit 27 % einen geringeren Anteil im Vergleich zu ihrem Verbreitungsgrad. Überraschende Ergebnisse zeigen sich bei einer Untersuchung der zurückgelegten Reisewege: 3 9

38 Aus Wien(391 Aufführungen), Berlin(206), Dresden(137), unbekannt(81), Hamburg(67), Prag(64), Köln(59), Braunschweig(58), Wiesbaden(55), München(46), Leipzig(43), Hannover(43), Karlsruhe(39), Mannheim(38), Stuttgart(35), Frankfurt,M(34), Mainz(30), Sondershausen(26), Italien(24), Coburg-Gotha(23), Neu-Strelitz(23), Schweden(23), Königsberg^ 1), Riga(20), Danzig(20), Darmstadt(18), Magdeburg(16), Breslau(15), Kassel(15), Meiningen(14), Bremen(14), Schwerin(14), Altona(14), Detmold(13), Kiel(12), Zürich(12), Petersburgin), Temesvar(ll), Pest(lO), Oldenburg(lO), Reval(lO), Düsseldorf^), Regensburg(8), Rostock(8), Stettin(8), Linz(7), Halle(7), Ofen(6), 01mütz(6), Weimar(6), Bern(6), Augsburg(5), Mailand(5), Elberfeld(4), Cremona(4), Klagenfurt(4), Lemberg(4), Bamberg(4), Würzburg(3), Bernburg(3), Troppau(3), Hamburg/Privatth.(3), Glogau(3), Basel(3), Graz(3), Aachen(3), Brünn(3), Dessau(2), Nürnberg(2), Preßburg(2), Salzburg(2), Posen(2), Freiburg(2), Triest(2), Stockholm(l), Straßburg(l), Amsterdam(l), Lübeck(l), London(l), Cöthen(l), Turin(l), Ulm(l), Kaschau(l), Agram(l), Frankfurt,0(l), Grätz(l), Oedenburg(l), 39 Basis der Erhebung sind 382 Darsteller mit bekanntem Engagementsort.

202

Wegstrecke in km

Anzahl der Darsteller

(Luftlinie)

101 201 301 401 501 601

- 100 -200 - 300 -400 - 500 -600 -700

84 80 107 86 37 77 34 46

701

Differenziert man nach der Anzahl der Gastspiele pro Reise, ergibt sich:40 Anzahl d. Gastspiele

1 2 3 >4

Maximum Minimum Mittelwert km km km

Std.abw.

041

199 176 205

805 736 914 765

79 151 268

260 362 444 522

km

179

Warum Darsteller derart lange gereist sind, um oftmals nur ein einziges Gastspiel zu geben, läßt sich aus den Tabellen nicht erschließen. Hier müßten die Einzelfälle untersucht werden.

Das Repertoire Insgesamt wurden 1846 im Rahmen von Gastspielen - soweit genannt - 452 verschiedene Stücke aufgeführt. Diese hohe Zahl spiegelt ein Grundproblem des Theaters im 18. und 19. Jahrhundert: eine - auch im Vergleich zur Gesamtbevölkerung - sehr kleine Zahl von Zuschauern ließ es nicht zu, daß Stücke über einen längeren Zeitraum hinweg auf den Spielplan gesetzt werden konnten. Eine Ausnahme bilden lediglich Opernproduktionen, die - wegen der hohen Produktions-

40 Die Werte der folgenden Tabelle sind auf ganze Kilometer gerundet. 41 In diesen Fällen fand das Gastspiel in jenem Ort statt, in dem der Darsteller an einem anderen Theater engagiert war.

203

kosten und dem generell begrenzten Repertoireumfang - häufiger gegeben wurden. Dies zeigt sich auch in der Gesamtstatistik der Stücke. In der Spitzengruppe liegen neben Webers FREISCHÜTZ und Lortzings ZAR UND ZIMMERMANN Rossinis BARBIER VON SEVILLA und Kreutzers NACHTLAGER VON GRANADA. Sprechtheaterstücke finden sich in dieser Gruppe dagegen nur wenige: Goethes FAUST, DIE RÄUBER und DON CARLOS von Schiller oder Charlotte Birch-Pfeiffers MARQUISE VON VILLETTE: Anzahl

Titel

41 36 36 35 33 29 28 27 27 27 25 25 23 20 19 19 18 18 17 17 16 16 16 15 15 15 13 13 13

Don Juan Norma Die Nachtwandlerin Lucrezia Borgia Die Tochter des Regiments Die Hugenotten Der Liebestrank Der Freischütz Beiisar Robert der Teufel Faust Figaros Hochzeit Zar und Zimmermann Die Räuber Alessandro Stradella Mutter und Sohn Der Barbier von Sevilla Capuletti e Montecchi Don Carlos Othello (Oper) Die Marquise von Villette Lucia di Lammermoor Die Zauberflöte Kabale und Liebe Die Puritaner Das Nachtlager von Granada Donna Diana Der Verschwender Der verwunschene Prinz

Generell läßt sich sagen, daß - abgesehen von der eindeutigen Bevorzugung vieler Opern - der Gastspielplan des Jahres 1846 aus einer Vielzahl von Stücken unterschiedlichster Gattungen besteht, wobei eindeutige Prioritäten angesichts der allgemein geringen Aufführungszahlen nicht auszumachen sind. Es ergibt 204

sich vielmehr das Bild einer - heute nicht mehr vorhandenen - theatralen Mannigfaltigkeit, die aus der Organisationsstruktur des Theaterwesens der Zeit zu erklären ist. Überraschend bleibt dennoch, daß sich auch die Virtuosen nicht über diese Vielfalt von Tagesproduktionen hinwegsetzten, obwohl vor allem im Sprechtheaterbereich schon damals jene Stücke, die sich von der Alltagsproduktion abhoben, meist als solche erkannt wurden. Auffallend ist allerdings auch, daß der Gastspielplan des Jahres 1846 jene Opern und Sprechtheaterstücke massiv bevorzugte, die in der Repertoiregeschichte bereits erfolgreich liefen, andererseits aber - verglichen mit heutigen Einteilungen - der zeitgenössischen Produktion den Vorzug einräumte. So sind im Bereich der Oper - abgesehen von Mozarts 1846 über ein halbes Jahrhundert alten Werken - die Opern Bellinis, Donizettis und Meyerbeers in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts erstaufgeführt worden. Auch im Sprechtheaterbereich finden sich - neben Stücken Goethes, Schillers, Ifllands, Kotzebues und Bretzners - meist Stücke neueren Datums.

Die Darsteller Wie weit die meisten Gastdarsteller von der Berühmtheit des idolisierten Virtuosen entfernt war, zeigt eine zusammenfassende Aufstellung über die Anzahl der Gastspiele und der gespielten Rollen: Anzahl d. Darsteller 360 69 28

Anzahl d. Gastspiele

1 2 3 4 5 6 7 9

Prozentual gesehen bedeutet dies, daß über drei Viertel aller Gäste nur an einem Theater gastiertea Vergleichbares ergibt sich für die Zahl der gespielten Rollen:

205

Anzahl d. Darsteller 186 60 58 50 22 19 13 10 34

Anzahl d. gespielten Rollen 1 2 3 4 5 6 7 bzw. 8 9 10 bis 56

Daraus läßt sich schließen, daß von den 360 Schauspielern, die 1 Gastspiel gaben, über 50 Prozent während dieses Gastspiels auch nur ein einziges Mal auftraten. Weiterhin zeigt sich, daß die Darsteller mit den meisten Gastspielen Franz Wallner, Theodor Döring, Wilhelmine Schröder-Devrient, Friedrich Fischer, Karoline Fischer-Achten, Hermann Hendrichs und Eduard Jerrmann auch aus den bekannten Theaterorten kamen: Wien und Berlin lagen mit jeweils vier Darstellern an der Spitze, gefolgt von Wiesbaden, Dresden, Braunschweig, Hamburg, München und Prag. Eine Ausnahme bildet lediglich Jenny Lind. Sie ist auch, im Vergleich zu den anderen bedeutenden Gästen, mit einem Alter von 26 Jahren die Jüngste, während die anderen genannten Darsteller 1846 zwischen 36 und 48 Jahre alt waren und auf eine längere erfolgreiche Bühnenlaufbahn zurückblicken konnten. Auffallend ist bei allen Darstellern das im Verhältnis zur Auffiihrungszahl vielfältige Rollenangebot: im statistischen Schnitt spielten sie jede Rolle nur zweimal. Absolut ergeben sich bei den Sängern und Sängerinnen im Durchschnitt zehn Rollen bei zwanzig Auffiihrungen und bei den Schauspielern und Schauspielerinnen einundzwanzig Rollen bei siebenunddreißig Auflührungen also doppelt so viel Diese hohe Anzahl von Rollen muß wahrscheinlich aus den Vorgaben der Gastbühnen erklärt werden: die Gäste boten ein gewisses Repertoire an und die jeweiligen Direktoren versuchten, dieses Angebot an die vorhandenen Möglichkeiten anzupassea Dies könnte auch die hohe Zahl im Sprechtheaterbereich begründen, denn während die Opern Mozarts, Donizettis und Bellinis die meisten Theater im regulären Programm hatten, war das Angebot an Sprechtheaterstücken weitaus größer als die jeweiligen Realisationsmöglichkeiten der einzelnen Bühnen.

206

Ablehnung und Zustimmung Sowohl radikalen Kritiker wie Eduard Devrient, als auch besonnenere Autoren, wie Gutzkow oder Martersteig, ging es zweifelsohne in ihren Äußerungen nicht um jene vielen Einzelgastspiele großteils unbekannter Darsteller, sondern um die wenigen berühmten Virtuosen, die angesichts ihres außerordentlich hohen Bekanntheitsgrades in der Bevölkerung die tatsächlichen Verhältnisse des Gastspielwesens, wie sie sich in den vorangegangenen Abschnitten offenbarten, verdeckten. So bemängelte Devrient, daß es die besten Talente zur Absonderung ihrer Interessen von denen der heimischen Bühne [drängte], zur Aufhebung harmonischen Zusammenspieles durch Übertreibung und Marnier, die ... schon ganz natürlich durch die häufige Wiederholung eines kleinen Kreises von Paraderollen entstanden, an denen unwillkürlich mit der Zeit die Vortragsweise geschärft und mit neuen Reizmitteln versehen wurde.42

Die Verteidiger des Gastspielwesens hielten dem entgegen, daß die Spannkraft der Schauspieler durch die Erwartungshaltung des Publikums und durch die ungewöhnliche Situation, innerhalb eines fremden Ensembles auftreten zu müssen, erhalten bliebe; und zudem mache das Ensemble des Gastortes bei guten Gästen sicher positive Erfahrungen, die in die weitere Theaterarbeit einfließen würden. So fällt bei den meisten Autoren des 19. Jahrhunderts das Urteil zugunsten des Virtuosentums aus, und Max Martersteig hat sicher den Kern der Sache getroffen, wenn es schreibt Das Eifern gegen das gastierende Virtuosentum setzte vor allem einen Bühnenzustand voraus, der eigentlich nirgends vorhanden war. ... Bei der allgemeinen Beschaffenheit der deutschen Bühnen und bei der vorhandenen Neigung des theaterliebenden Publikums mußte sich das Gastspielwesen vielmehr als eine Notwendigkeit entwickeln.43

Im Musiktheaterbereich hat sich dieser Zustand teilweise bis heute nicht geändert.

42 Eduard Devrient: Geschichte der Deutschen Schauspielkunst, a.a.O., Bd.II, S. 196. Hervorhebung von mir. 43 Max Martersteig: Das deutsche Theater im neunzehnten Jahrhundert, a.a.O., S.306. Martersteig vergißt allerdings nicht, die negativen Auswirkungen des Gastspielwesens auf den Theaterbetrieb zu schildern, wobei es hauptsächlich auf krasse Auswüchse verweist, (s. ibid. S.307f.)

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