Predigten: Sammlung 2 Das christliche Kirchenjahr in seinen Lehren 9783111444932, 9783111078434


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German Pages 393 [396] Year 1838

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Vorrede
Inhalt
I. Der große Inhalt der Wahrheit: Gott ist die Liebe
II. Worauf der Jünger Jesu den Glauben an seinen göttlichen Herrn zu gründen hat?
III. Christus der gute Hirt
IV. Wie der Herr in der Kraft Wunder zu thun als der Heiland der Welt sich darstellt
V. Welchen Einfluss die Lehre, daß der Vater dem Sohne alles Gericht übertragen hat, auf unser Leben haben wird
VI. Von der Liebe zu Jesu Person
VII. Daß das Weggehen des Herrn von der Erde gut war, weil er den strafenden und lehrenden Geist gesendet hat
VIII. Des Evangeliums Herrlichkeit
IX. Die Verheißungen, welche an den Gläubigen Zesu Christi erfüllt werden sollen
X. Daß der höchste von Gott uns verheißene Segen uns nur durch den Glauben an Jesum Christum zu Theil werden könne
XI. Die christliche Ansicht von der Feier des Tages des Herrn
XII. Wozu jeder Tag des Herrn in einer trüben Zeit uns auffordert
XIII. Wie dem Christen die Verwaltung der irdischen Güter das Mittel zur Erlangung der ewigen sein soll
XIV. Wie das Gebet im Namen Zesu immerdar bei Gott Erhörung finde
XV. Wie werden mir im häuslichen Leben das Reich Gottes bauen?
XVI. Was sollen wir für den gewöhlichen Umgang mit den Menschen von unserm Erlöser lernen?
XVII. Wie der Christ den dunkeln Zeiten des Lebens entgegen gehen soll
XVIII. Was der Christ in des Lebens trüben Zeiten festhalten soll
XIX. Wie christliche Freiheit sich unterscheide von unchristlicher Willkühr
XX. Ob wir dem Herrn gleiche Veranlassung geben über uns zu klagen oder unsrer sich zu freuen, wie der Vater des todtkranken Sohnes
XXI. Wer des Herrn Jünger sein will muss ihm ganz angehören
XXII. Daß christliche Liebe höher sei als die höchsten Gaben, wodurch wir sonst auf menschliche Gemüther würken können
XXIII. Was Christus unser Herr von der Liebe zu Gott und zu dem Nächsten uns lehrt
XXIV. Christus als Prediger des Gebotes: du sollst nicht tödten!
XXV. Wie Christus der Herr die Pharisäer anklagt und sich gegen sie vertheidigt
XXVI. Daß wir Menschensatzungen niemals höhern Werth geben sollen als Gottes Geboten
XXVII. Daß es der Herr von den Früchten, welche wir bringen abhängig macht, ob das Reich Gottes uns bleiben solle
XXVIII. Die Kraft der Erlösung, welche frei macht von der Furcht des Todes
XXIX. Das Weltgericht des Menschensohns
XXX. Das Unvergängliche neben dem Vergänglichen
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Predigten: Sammlung 2 Das christliche Kirchenjahr in seinen Lehren
 9783111444932, 9783111078434

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Predigten von

/. A. Pisch-N. Lkchilblakoau« an bet St. Nikolai» tmb Klosterkirche unb Königlichem Professor am Eabettencorp« in Berlin.

Iwcite Sammlung.

Das christliche Kirchenjahr in seinen kehren.

Berlin, gebruckt unb verlegt bet

1838.

Reimer.

Seinem verehrten Freunde, dem Stadtrach und Ritter des rochen Adlerordens, Herrn

u g u st Holtmann

in Liebe und Hochachtung

SfcVenn ich, mein geliebter Freund, diesen Predigten Ihren Namen vorsehe, so möge es Ihnen ein Zeichen der Hochachtung und Liebe sein, welche ich seit langer Zeit für Sie fühle und welche in den lebten Jahren unsrer näheren Verbindung in manchen schmerzlichen und heiligen Stunden mir um so höher und inniger gewor­ den ist.

Viele der Vorträge, welche ich Ihnen darbiete,

werden Sie selbst gehört haben, und dann ist was Sie Gutes darin finden möchten zum Theil auch Ihr Werk. Denn ein christlicher Prediger kann neben dem was der Geist Gottes unmittelbar in ihm würken muss nichts Erhebenderes für sich wünschen als es vor christlichen Gemeinegliedern anszusprechen, von denen er weiß, daß sie das Wort mit Freuden aufnehmen frommen Herzen bewahren.

und in einem

So hat denn auch Ihr

Anblick mich oft an heiliger Statte erhoben und mich gestärkt mit Freudigkeit meinen Mund anfzuthnn. Als ich den ersten Gedanken an die Herausgabe dieser Predigten fasste, wollte ich Ihrem Namen noch einen andern, auch Ihnen theuern, hinzufügen, den Namen des innig geliebten Freundes meiner Jugend,

meines unvergesslichen Neuendorff, aber der Herr hat ihn uns früher Hinweggenomnien und in das Land sei­ ner Sehnsucht zu andern lieben Verklärten geführt. Ihm sollte besonders die XXII. Predigt geweiht sein, welche ich ans seinen Wunsch, von seiner Kanzel, durch ihn erhoben, gehalten habe und wozu er mir die schönen Textesworte gegeben hatte, welche ganz das Wesen sei­ nes liebenden Gemüthes aussprechen. Nun kann ich sie nur wie eine verspätete Blume auf sein Grab legen; doch in der gewissen Ueberzeugung, daß Liebe stärker ist als der Tod und nimmer aufhöret. Sonst werden Sic, wenn auch nicht ausfallend doch in manchen leiseren Zügen, in diesen Predigten an einen andern theuren Entschlafenen erinnert werden, zu dessen Füßen wir beide gesessen haben, und dessen Bild meinen Vorträgen oft vorgeschwebt hat. Möchten Sie dieselbe Liebe zu Christo, welche bei ihm uns erbaut hat, auch in meinen Reden nicht vermissen. Daß ich unter diesen Predigten, welche mit weni­ gen Ausnahmen vor meiner theuern Nikolai- und Klostergemcine gehalten und bis auf VI. XI. und XXV11I.

noch ungedruckt sind, mehrere mit schwereren Texten aus­ gewählt habe, ist zum Theil darum geschehen, weil sie bei den Hörern manchen Anklang gefunden hatten und in der Art ihrer Auffasiung und Erklärung belehrend erschienen sind.

Daß ich aber überhaupt über solche

Texte geredet habe, hat zunächst seinen Grund darin, daß der sonntägliche Abschnitt oder die frei gewählte Reihe meiner Vorträge sie ungezwungen darbot und ich gewiss war, daß es keinem auch dunkleren Worte des neuen Testaments in seinem größeren Zusammenhange an Erbaulichkeit mangeln könne, schwere und falsch zu deutende Stellen der Schrift zu erläutern mir aber vor­ züglich Pflicht des Geistlichen zu sein schien.

Daneben

wird es jedoch auch nicht an vielbekannten und darum oft eben so schwer zu behandelnden Stellen fehlen. So möge denn diese zweite Sammlung die un­ längst erschienene erste: „das christliche Kirchenjahr in seinen Festen" für die zweite festlose Hälfte des Kir­ chenjahrs als Behandlung von Lehrtexten ergänzen und der Herr der Kirche Gnade verleihen, daß das mangelhafte Wort für sein Reich segensvoll würfen möge.

Ob eine dritte Sammlung der, wie Sie wissen, jetzt von mir behandelten Vortrage über das Leben des Jo­ hannes, des geliebten Jüngers des Herrn, dieser folgen werde, kann ich noch nicht bestimmen. Sie aber. Theuerster, nehmen Sie freundlich und liebevoll auf was, so gering es sein mag, meine treue Liebe und Verehrung Ihnen darbeut.

Berlin, den 14tcn Marz 1838.

F. A. Pischon.

Inhalt Seite I.

Der große Inhalt der Wahrheit:

Gott ist die Liebe.

Ueber

1. Joh. 4, 16—21............................................................................................1 II.

Worauf der Jünger Jesu den Glauben an seinen göttlichen Herrn zu gründen hat. Ueber Joh. 14, 7 — 11.

III. Christus der gute Hirt. Ueber Joh. 10, 12—16.

.

.

15

.

.

27

VI. Wie der Herr in der Kraft Wunder zu thun als der Heiland der Wett sich darstellt. Ueber Marc. 7, 31—37. V.

.

Gericht, übertragen hat, auf unser Leben haben wird. VI.

.

39

Welchen Einfluß die Lehre, daß der Vater dem Sohne alles Ueber

Joh. 5, 22 — 24.....................................................................................

51

Von der Liebe zu Jesu Person.

64

Ueber Joh. 21, 15—19.

.

VII. Daß das Weggehen des Herrn von der Erde gut war, weil er den strafenden und lehrenden Geist gesendet hat.

Ueber Joh.

16, 5 — 15.......................................................................................................... 78 VIII. Des Evangeliums Herrlichkeit.

Ueber 2. Kor. 3, 4—11.

.

93

IX. Die Verheißungen, welche an den Gläubigen Jesu Christi er­ füllt werden sollen. X.

Ueber Matth. 16, 18. 19.

.

.

103

Daß der höchste von Gott uns verheißene Segen uns nur durch den

Glauben an Jesum Christum zu Theil werden könne.

Ueber Gal. 3, 15—22..................................................................................116 XI. Die christliche Ansicht von der Feier des Tages de- Herrn. Ueber Luc. 14, 1 — 6.

127

XII. Wozu jeder Tag des Herrn in einer trüben Zeit uns auffordert. Ueber Luc. 14, 1 — 6.

(Zur Zeit der Cholera gehalten.)

.

140

XIII. Wie dem Christen die Verwaltung der irdischen Güter das Mittel zur Erlangung der ewigen sein soll.

Ueber Luc. 16,

1—9.................................................................................................................. 153 XIV. Wie das Gebet im Namen Jesu immerdar bei Gott Erhörung finde.

Ueber Joh. 16, 23—31.

Pischon Pred. II.

.

X

Sci:c XV. Wie werden wir im häuslichen Leben das Reich Gottes bauen? Ueber Zoh. 2, 1 — 11............................................................................ITT XVI. Was sollen wir für den gewöhnlichen Umgang mit den Men­ schen von unserm Erlöser lernen?

Ueber Matth. 8, 1 —13.

191

XVI1. Wie der Christ den dunkeln Beiten des Lebens entgegen gehen soll.

Ueber Zoh. 15, 26 — 16, 4..................................................

201

XVIII. Was der Christ in des Lebens trüben Tagen festhalten soll. Ueber 1. Petr. 5, 6—11..................................................................... 213 XIX. Wie christliche Freiheit sich unterscheide von unchristlicher Willkühr.

Ueber Gal. 5, 13...................................................................... 224

XX. Ob wir dem Herrn gleiche Veranlassung geben über uns zu klagen oder unsrer sich zu freuen wie der Vater des todtkran­ ken Sohnes.

Ueber Zoh. 4, 47 — 54..............................................

237

XXI. Wer des Herrn Zünger sein will muss ihm ganz angehören. Ueber Matth. 6, 24 —A4.....................................................................249 XXII. Daß christliche Liebe höher sei als die höchsten Gaben, wodurch wir sonst auf menschliche Gemüther würken können.

Ueber

1. Kor. 12, 31 — 13, 3.................................................................... 263 XXIII. Was Christus unser Herr von der Liebe zu Gott und zu dem Nächsten uns lehrt.

Ueber Matth. 22, 34 — 46.

XXIV. Christus als Prediger des Gebotes:

.

.

277

du sollst nicht tobten!

Ueber Matth. 5, 20 — 26.....................................................................

289

XXV. Wie Christus der Herr die Pharisäer anklagt und sich gegen sie vertheidigt.

Ueber Lue. 7, 29 — 35.

.

.

.

.

303

XXVI. Daß wir Menschensatzungcn niemals höhcrn Werth geben sollen als Gottes Geboten.

Ueber Matth. 15, 1—9.

...

316

XXVII. Daß es der Herr von den Früchten, welche wir bringen, ab­ hängig macht, ob das Reich Gottes uns bleiben solle.

Ueber

Matth. 21, 33—46...............................................................................

332

XXVIII. Die Kraft der Erlösung, welche frei macht von der Furcht des Todes, Abendmahlspredigt üb. Hebt. 2, 15. Bur Cholera­ zeit gehalten............................................................................................. 343 XXIX. Das Weltgericht des Menschensohns. Ueber Matth. 25, 31—45.

358

XXX. Das Unvergängliche neben dem Vergänglichen. Am letzten Tage des Zahres über Luc. 21, 33...................................................

372

I. Der große Inhalt der Wahrheit: Gott ist die Liebe. Ueber 1. Joh. 4, 16 — 21.

Di« Gnade uns««» Herrn u. s. f.

Text.

Epist. I. Joh. 4, 16—21.

Gott ist die Liebe: und wer in der Liebe bleibet, der bleibet in Gott und Gott in ihm. — Daran ist die Liebe völlig bei uns, auf daß wir eine Freudig­ keit haben am Tage des Gerichts: denn gleich wie Er ist, so sind auch wir in dieser Welt. —

Furcht

ist nicht in der Liebe, sondern die völlige Liebe trei­ bet die Furcht aus: denn die Furcht hat Pein. Wer sich aber fürchtet, der ist nicht völlig in der Liebe. — Lastet uns ihn lieben, denn Er hat uns erst geliebt. — So jemand spricht, ich liebe Gott und hasset seinen Bruder: der ist ein Lügner.

Denn wer seinen Bru­

der nicht liebet, den er siehet, wie kann er Gott liePischon Pred. 11.

A

2

beit, den er nicht siehet? — Hub dieS Gebot haben wir von ihni, daß wer Gott liebet, daß der auch sei­ nen Bruder liebe. ^)ndem wir, m. A., mit dem heutigen Tage des^Herrn den zweiten Theil unsers christlichen Kirchenjahrs beginnen, welcher vor allen der Betrachtung der göttlichen Lehre unsers Herm und Seligmachers geweiht ist, kommt uns dieses Wort des Apostels, der an der Brust Jesu gelegen, als ein rechtes Wort der Erhe­ bung und des Heils entgegen, weist uns hin auf alle Schätze der Gnade, welche uns in Christo dargereicht werden und steckt uns ein hohes Ziel vor, welchem wir als Jünger unsers Herrn sollen entgegen wandeln. Denn in dem Einen Worte: Gott ist die Liebe! fasst der Apostel ein unendliches Maaß von Trost und Herrlichkeit zusammen, ja dies Eine Wort, wenn es in rechtem Glauben ausgenommen und in treuer Liebe festgehalten wird, es kann und wird das ganze irdische Leben mit all seinen Man­ geln, mit all seinem tausendfachen Elende uns verkehren in Herr­ lichkeit. Gott ist die Liebe! das ist, auf die rechte Weise aufgefasst, die Summe aller Erkenntniss christlicher Lehre, das die höchste und seligste Erfahrung aller christlichen Gemüther, das der tiefste Grund zu allem christlichen Handeln und deS Glau­ bens schönste und segensvollste Verklärung. — So lasst uns denn dies Wort von so reicher Bedeutung näher erwägen und in gläu­ biger Andacht betrachten den großen Inhalt der Wahrheit: Gott ist die Liebe. Lasset uns demnach: I. dies Wort in seiner ganzen Wahrheit recht ver­ stehen lernen; und wenn wir es wahrhaft er­ kennen II. sehen, wie eS dann auf unser Leben wirken wird.

3

I. Gott ist die Liebe, das wollen wir in seiner ganzen Wahrheit auffassen und werden es recht verstehen lernen, wenn wir erwägen, daß das Anschaun der Herrlichkeit Gottes erst in der Vereinigung mit diesem Worte Trost gewähren kann,

daß Gott sich uns auch

wahrhaft

als die Liebe offenbart hat und daß wir diese erhe­ bende Ueberzeugung immer noch in unS

gewinnen

können. — Wohl schauen wir deS Allmächtigen Herrlichkeit überall, wo­ hin unser Fuß uns trägt, wohin unsre Gedanken sich wenden. In den frühen Tagen der Vergangenheit erkennen wir sein un­ endliches Walten in der Schöpfung der Welt, in dem Gange der menschlichen Begebenheiten, im Steigen und Fallen der Völ­ ker,

im Hervortreten

und Untergehen

ganzer Geschlechter der

Menschen eben so wohl wie in den Zeiten, in welchen wir selbst auf Erden wandeln und im Allgemeinen und Einzelnen Zeugen seiner unendlichen Kraft geworden sind.

Wir schauen seine All­

macht in den Werken seiner Schöpfung, wir sinken vor ihm in den Staub,

wenn er die Thronen der Erde zerbricht und wenn

er mit gewaltiger Hand die Unterdrückten aus der Niedrigkeit hervorhebt, und beten ihn an in Furcht und Zittern vor seiner Herrlichkeit. hebt.

Aber das ist nicht der Trost, welcher die Seele er­

Der Gott, welcher so mächtig waltet, dessen Ehre die

Himmel erzählen, den die Veste verkündigt'), wenn er nur ist der Allmächtige, aber all seine Macht und Herrlich­ keit mir nur Schrecken einflößt und Entsetzen: ist meine Hülfe dann nicht in der Noth; der Gott, welcher das Leben der Men­ schen lenkt und regiert, welcher baut und zerstört, vor dem kein Ansehen der Person gilt: er ist darum noch nicht mein Retter, denn muss ich nicht zagen, ob ich auch nicht vergehen werde vor

r); Ps. 1 und 2. A 2

4

seinem Schelten, ob er nicht all meine Hoffnungen zerstören, all meine Freuden auf immer vernichten wird? — Aber der all­ mächtige Gott ist die Liebe, ruft der Apostel, und wie herr­ lich erscheint mir nun sein Walten. Ist er die Liebe, so steht er in seiner Macht mir nimmer feindlich gegenüber, so wird der Vater ja sein Geschöpf nicht verstoßen; ist er die Liebe, so mag er mich nun auch leiten die dunkle Bahn, ich beuge mich still vor ihm und nehme aus seiner Hand auch den bittern Kelch, denn ich bin gewiss, der Gott der Liebe wird auch in der Trüb­ sal mich nimmermehr verlassen noch versäumen. — Oder es wird uns der Herr in seiner Allgegenwart und Allwissenheit verkün­ det. Wohin, fragt sein heiliger Seher, soll ich gehen vor seinem Geist, wo soll ich hinfliehen vor seinem An­ gesicht!*) Führe ich hinauf in die Höhe, bettete ich mir in die Tiefen des Abgrunds, könnte ich auf den Flügeln der Mor­ genröthe eilen zu den fernsten Weiten der Erde und des Him­ mels: so würde er mir doch nahe sein. Und ob noch tief in der Seele mein Gedanke verborgen ist: er erforschet Alles und ken­ net Alles, und kein Wort ist auf meiner Zunge, daß es der Herr nicht wisse. — Aber, wenn er nun der strenge zornige Gott ist, wenn nun vor seinem Grimm keine Höhe und Tiefe mich verbergen, wenn seinen Strafen keine fernste Weite mich entziehen kann, wenn er all meine Gedanken, die geheimsten Re­ gungen meines Herzens weiß und mein Murren gegen ihn, meine stille Klage gegen seine Wege ihm nicht verborgen ist und er all meine Gebrechen kennt: o, was ist denn dann meine Hülfe und mein Trost? Nichts kann mich ihm entreißen, nichts vor ihm mich schützen, ihm bin ich überall unterworfen und muss zit­ ternd erschrecken vor seiner allwissenden Allgegenwart. — Aber Gott ist die Liebe! welchen Frieden und welche Seligkeit giebt dieser Gedanke in die bekümmerte Seele. Wohin ich nun gehen *) Ps. 139, 7. 8. und 1. 2.

o

mag auf Erden, wohin Menschengewalt und Mmschenbosheit mich verdrängen möchte, da ist der liebend« Vater. Nimmer bin ich allein und verlassen er steht mir ewig zur Seite, wo ich zu ihm flehe, da steigt mein Gebet zu seinem Thron, da höret er mein Schreien und seine Hülfe ist nah. Wie Menschen mich verkennen und verstoßen, der Herr liest in meinem Innern und kennt der Seele Unschuld und jedes stille Seufzen, er weiß alle Dinge, er weiß auch, daß ich ihn lieb habe und die treue Liebe des Vaters deckt auch die verborgene Schuld. — Und wird unS der Heilige und Gerechte in seiner ganzen Reinheit und Hoheit vor Augen gestellt, der Gott, welchem kein gottloses We­ sen gefallt, vor dessen Angesicht kein Böses bestehen kann *), der Gott, welcher ans Licht bringt jede verborgene Schuld des HerzenS, der das strenge Wort gesprochen: ver­ flucht ist jedermann, der nicht bleibet in alle dem was geschrieben stehet im Buche des Gesetzes! *') er kann in dieser seiner Herrlichkeit dem schwachen sündigen Men­ schen kein Tröster und Helfer sein. Wer kann merken, wie oft er fehle! rufen auch wir aus, und führt uns nun der strenge Gott vor sein Gericht, liegen vor seinem Richterstuhl aufgedeckt auch alle geheimen Sünden des Herzens, alles im Innersten des Gemüthes verborgene Böse, erscheinen dann selbst die Quellen der besseren oft von Menschen gepriesenen Thaten in ihrem tief­ sten Grunde nur trübe und sündig, o, müssen wir nicht zagen und seufzen: Herr, Herr, wer will bestehen vor deinem Ange­ sicht? muss des Herrn Reinheit und Gerechtigkeit dem Sünder nicht schrecklich sein? Aber Gott ist die Liebe! ruft der Apo­ stel uns zu und nun wissen wir, des himmlischen Vaters Milde wird auch die Sündigen nicht verwerfen, die Sünde wird er strafen aber deS Sünders verschonen, er hat keinen Gefallen am Tode des Gottlosen, sondern daß sich der Gottlose ') Ps. 5, 5.

*♦) Gal. 3, 10.

6 bekehre von seinem Wesen und lebe'), und nun fleht zu ihm auch das in Sündenschuld bekümmerte Herz, welches sonst keinen Trost finden kann, nun beugt sich still die Seele un. ter des Richters Strafen; denn er ist ja die ewige Liebe, welche durch das Gericht führen wird zum Leben. — Also verklärt sich uns zum bleibenden Troste jede Herrlichkeit des ewigen Gottes, wenn wir ihn erkennen als die Liebe. Wollen wir aber diesen Trost, daß Gott die Liebe ist, in seiner ganzen Größe auffassen;

so müssen wir davon uns

überzeugen, daß er sich auch uns also offenbart hat. Freilich wohl

hat

der Herr

seine Liebe über das ganze Ge­

schlecht der Menschen ausgegossen durch Alles, was er von An­ fang der Schöpfung diesem Geschlecht gethan hat.

Freilich hat

er uns seine Liebe bewiesen von den ersten Regungen des irdi­ schen Lebens in uns und seine Güte und Treue ist alle Mor­ gen über uns neu.

Wohl haben wir seine väterliche Huld er­

kannt in tausend erneuten Beweisen seiner gnädigen Führung, seine Liebe genossen am guten wie am bösen Tage, und immer­ dar sprechen müssen:

er hat Alles wohl gemacht!

Doch wenn

wir hineingehen in die Stunden der Angst und Sorge: ist uns denn immer diese Liebe als eine gewisse und unzweifelhafte er­ schienen? haben wir denn das große Geschenk des Lebens selbst als einen unendlichen Beweis göttlicher Huld angenommen und hat keiner unter uns an dem dunkeln Tage mit Hiob gewehklagt:

der Tag müsse verloren sein, an dem ich gebo­

ren bin"); hat niemand mit Elias geseufzt: es ist genug, so nimm wünscht :

nun Herr meine Seele! "*)

ich wollte

mit Jonas

ge­

lieber todt sein, denn leben? s)

Haben wir stets die Regierung unsrer Schicksale freudig ange­ nommen von dem Gott der Liebe und gegen Einen Schmerz

*) Hesek. 33, 11. t) 2°n. 4, 8.

♦«) Hiob 3, 3.

"») 1. Äln. 19, 4.

7

immer die vielen Güter deS Glücks und der Gnade gehabten, die unS neben dem irdischen Verlust geblieben waren, immer erge­ bungsvoll, denn es kam ja Alles vom Gott der Liede, gespro­ chen: der Herr hatS gegeben und genommen, sein Name sei gelobt!') und erkennend die treue Fürsorge un­ sers Gottes ausgerufen: der Herr hat Alles wohl gemacht? O, wenn wir daS nicht erkannt haben, so hat uns nur das höhere Licht gefehlt, in welchem wir die Gnade GotteS schauen sollen. Darum, wenn der Apostel in unsern Textesworten spricht: las­ set un§ ihn lieben, denn er hat uns erst geliebt; so redet er nicht von allen äußern, noch so herrlichen Geschenken Gottes, sondern vor den Worten unsrer Epistel spricht er: daran ist erschienen die Liebe Gottes gegen unS, daß Gott seinen eingebornen Sohn gesandt hat in di« Welt, daß wir durch ihn leben sollen!") Des eingebornen Soh­ nes Sendung, das ist des Vaters rechte, das seine höchste, daS die einzige Liebe, welche alles andere waS er unS gethan hat und täglich thut erst aufs herrlichste erklärt! Das ist die unend­ liche Liebe, welche die Väter des alten Bundes nicht ahnen konn­ ten, wovon kein Gedanke in der Heiden Brust kam, welche Freu­ den auch die Güter der Erde ihnen gewähren mochten. Darum spricht Johannes auch: er hat uns erst geliebt, und er redet ja zu denen, an welche er sein Wort richtet, als zu Gläubigen Jesu Christi, als zur Gemeine, die geglaubt hatte und erkannt, daß Christus sei der Sohn deS lebendigen Gottes, welche fühlte, er sei der Quell alles Heils und aller Seligkeit, in welchem deS Vaters ewige Liebe sich verklärt hat. Das lasst uns denn festhalten als auch Erwählete Jesu Christi, alS solche, welche auch in sich fühlen die Segnungen seiner Erscheinung. Alles andere, selbst die höchste Herrlichkeit der Welt, ist nichts, ist nur vergängliches und gebrechliches Wesen, eS wird nur etwas durch die Liebe •J Hiob 1, 21.

“) 1. 2°h. 4, 9.

8

Gottes in Christo. Was ist daS Geschenk deS irdischen Lebens, wenn nicht daran sich anknüpft das ewige Leben, daS Christus unS öffnet? was ist der Wandel auf der Erde, wenn sie uns nicht gilt als der Vorhof des Himmels, wo Christus uns die Stätte bereitet? was sind die Freuden der Zeitlichkeit, wenn sie uns nicht zur hohem Freude über den erheben, welcher uns zur Erlösung gemacht ist? was sind alle Geschenke göttlicher Gnade, wenn sie nicht in uns würfen die Vereinigung der Seele mit dem, welcher uns errettet hat aus der Macht der Finsterniss? Aber mit Christo giebt es kein Dunkel mehr. Weil durch ihn Alles zu unsrer Seligkeit dienen muss, weil, je mehr eben daS irdische Leben uns unterdrückt und ängstigt, der durch ihn befreite Geist seine Fittiche entfaltet dem Vergänglichen sich zu entschwingen, je mehr wir den Trost der Welt verlieren, sein ewiger Trost in unserm Herzen steht: so tragen wir ein unbetrüglich, unver­ werflich, sicheres Zeugniss in uns, daß Gott die Liebe ist, denn er hat uns in seinem Sohne geliebt. Doch freilich so große Wahrheit wird uns nicht heut zum erstenmale verkündet. Der Mund des Heilands hat es ja laut in alle Zeiten gerufen: also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingebornen Sohn gab, auf daß alle die an ihn glauben nicht verloren werden!*) und den­ noch kommen Stunden, wo das Vertrauen auf Gottes Vaterliebe auch in denen, welche sich Christen nennen, wankend zu werden ansängt. Wird uns aber also Trost und Freudigkeit ge­ raubt, und ist es, als ob der Ewige sein Angesicht von uns ge­ wendet hätte, wir können das verlorne Heil immer wieder ge­ winnen, wenn wir der Mahnung des Apostels folgen und bleiben in der Liebe. Das ist es, meine Geliebten, was uns allein von dem wahren Frieden und der rechten Seligkeit schei­ det, daß wir einmal überhaupt nicht in Gott bleiben und daß ') 2»h. 3, 16.

9

wir seiner gedenkend nicht bleiben in seiner Liebe. Wenn des LebenS Noth und des Lebens Sünde uns ergreift, vergessen wir unsers Gottes; hangen nur an dem irdischen Verlust oder geben uns nur hin dem sündigen Trachten und das füllt unsre ganze Seele aus. Dürstet unS so nur nach dem irdischen Wasser, wie soll in uns ein Quell des Wassers entspringen, der in daS ewige Leben fließt? — Oder gedenken wir auch Gottes, aber nur alS dessen, welcher uns betrübt und uns Schmerzen bereitet, oder nur als des strengen Richters, den wir fliehen müssen, wie kann wahrer Trost in die Seele kommen? — Aber in seiner Liebe bleiben, diesen heiligen Glauben unentreißbar fest halten in unsrer Brust, auch wo wir nicht sehen glauben: er ist die ewige Liebe! das must jeden Keim der Angst und Verzweiflung in und zer­ stören, das muss uns vor der Sünde erschrecken lassen und fie verabscheuen, das muss das Heil des seligen Friedens uns wie­ dergeben, den wir verloren hatten. Ja, bleiben in dieser festen Ueberzeugung seiner Liebe, durch nichts uns tauschen und abzie­ hen lassen von dem einen Worte des Trostes und der Seligkeit, daß des Vaters Liebe daran erschienen ist, daß er den Sohn dahin gegeben: das wollen wir immerdar! Was und auch treffen mag, bleiben wollen wir in diesem Glauben, bei jedem Zweifel und jeder Trostlosigkeit uns zurufen: Gott hat seinen Sohn auch für dich gegeben! dann bleiben wir in Gott, dann blei­ bet Gott in uns und nichts wird uns von seiner Liebe scheiden. II.

Erkennen wir nun in diesem Sinne die heilige Wahrheit: Gott ist die Liebe! so lasset uns noch zweitens sehen, wie dies auf unser Leben würfen wird. Das Erste aber, wozu solche Erkenntniss alle Kräfte deS Menschen aufregen, sein ganzes Wesen hinlreiben muss, ist, den Gott, der die Liebe ist, wieder zu lieben: lasset uns ihn lieben, denn er hat und erst geliebt! Kann es denn auch

10 ander- fein, als daß so große unendliche Liebe Gegenliebe eräu­ gen must?

Wenn wir neben einem Menschen einhergegangen

sind mit kaltem Sinne, aber er bleibt sich immer gleich in treuer Liebe und Diensterweisung, und wenn wir seine Freundlichkeit verachten und zurückweisen, er dennoch immer neue Beweise seiner Theilnahme uns giebt: werden wir nicht dadurch gerührt und zerbricht nicht die harte Rinde deS Herzens von solcher Liebe? Sollte es denn anders sein gegen den Gott, der, wie sehr wir uns auch gegen ihn verstocken, wie oft wir undankbar dastehen gegen alle seine Milde und Treue, dennoch in derselben Huld bei uns ausharrt und neben allen Beweisen höherer Gnade auch den Sohn für unS dahin gegeben hat? Sollte da nicht das här­ teste Herz weich werden und in sich gehen und mit dem Apo­ stel rufen: lasst uns ihn lieben, denn er hat uns erst geliebt?— Und wie können wir ihn lieben, als wenn wir uns auch dem Geiste öffnen, welchen er uns gegeben hat, wenn nun seine hei­ ligen Wahrheiten in unsere Seele eindringen, und wir zu dem, welcher sich uns bei seiner Erhabenheit durch seine Liebe verherr­ licht hat, ein festes unwandelbares Vertrauen fassen. 3a, daS ist Liebe zu Gott, wenn wir von seiner Allmacht stets AlleS getrost erwarten und gewiss sind, daß auch kein Haar von un­ serm Haupte fallen kann ohne seinen heiligen und guten Wil­ len; wenn es nun ein Trost und Segen ist vor seinem allsehen­ den Auge zu wandeln und wir nimmer seine Gegenwart scheuen, sondcm eingedenk seiner himmlischen Nähe als solche uns fühlen, auf welchen sein Blick mit Wohlgefallen ruhen kann; das ist Liebe zu Gott, wenn wir den Heiligen und Gerechten nicht fürch­ ten, sondern immerdar bereit sind stehen zu können vor seinem Richterstuhle. —

So spricht auch der Apostel: die völlige

Lieb< treibt die Furcht aus, und wer sich fürchtet, der ist nicht völlig in der Liebe! Nun soll aber unsere Liebe zu Gott immer völliger und inniger werden, und so verschwindet denn, weil auch die Liebe in dem hohem VerhältmsS zu Gott Alles

11

glaubet, Alles hoffet und Alles duldet, schon jede Furcht im Leben. Die Liebe ist des Glauben- schönste Verklä­ rung, und wenn durch sie wir immer fester an dem himmlischen Vater hangen, immer mehr mit ihm Eins werden, was sollten wir denn fürchten, wovor sollte uns graum? Die Liebe führt unS hoffend zum Vater, er werde Alles zum Heil wenden, er werde uns überall erlösen und aushelfen zu seinem Reiche, waS könnte uns da erschrecken? Die Liebe läßt AlleS dulden, was die Hand des Herrn uns auflegt und lehrt uns sein Kreuz auf uns nehmen, weil er sein Kind erhöhet zu seiner Zeit. — Wie aber so alle Furcht im Leben verschwindet, so auch alle Furcht im Tode, wie der Apostel spricht: daran ist die Liebe völlig bei unS auf daß wir eine Freudigkeit haben am Tage deS Gerichts. Denn wie die Liebe schon unser Leben im­ mer mehr reinigt von bösen Werken, wie sie das Innere des Herzens immer mehr entsühnt und uns treibt zu leben mit und in unserm Gott; so spricht sie unS auch trostreich zu: wer viel liebt, dem wird viel vergeben! so getrösten wir unS, daß durch sie auch am Tage des Gerichts werde bedeckt werden die Menge unsrer Sünden. — Und diese Freudigkeit würkt in und die Liebe um so mehr, weil, wenn wir den Vater lieben, der uns zuerst geliebt hat, wir auch bekennen, daß Jesus Gottes Sohn ist. Und wie der Sohn eben die Liebe deS Vaters uns verklärt und unS zu ihm zieht, so ist er auch unser Fürsprecher beim Vater, denn derselbige ist die Versöhnung für unsre Sünde und für die Sünde der ganzen Welt. Ist es aber Christus, der uns zur Rechten Gottes vertritt, wer will uns denn verdammen, wer an ihn glaubet, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurch ge­ drungen ') und so können wir mit Freudigkeit treten vor den Richterstuhl deS Herrn. *)

Sol;. 6, 34.

12 Zweitens aber würkt die Ueberzeugung von der Wahrheit, daß Gott die Liebe ist, in uns auch die Liebe zu den Brü­ dern. Wie kräftig und eindringlich spricht das der Apostel aus, indem er uns zuruft:

so jemand spricht, ich liebe Gott

und hasset seinen Bruder, der ist ein Lügner.

Denn

daS muss freilich die Frucht unsrer Liebe zu Gott sein, daß wir ihm ähnlich werden und wie unser Tert sagt, gleich wie er ist, also sind auch wir in dieser Welt. Ist aber Gott die Liebe, erbarmt sich sein Vatrrherz über alle, fragt er nicht nach dem, was wir ihm zuvor gegeben hatten, sondern theilt seine höheren Güter aus auch den Undankbaren und Bösen und leitet die Sünder selbst zur Buße; wie könnten wir als die Liebeleeren ihm unähnlich sein wollen.

Und messen wir menschliche Liebe

schon danach unter einander ab, ob auch von uns der Wille des­ sen, den wir lieben, treulich vollbracht und willig ausgeübt werde, kann ein andrer Maaßstab gelegt werden an unsre Liebe zu Gott, als daß wir auch seine Gebote halten? Das aber ist das höchste, das neue Gebot, daß wir die Brüder lieben sollen wie Christus die Welt geliebt hat. — Und können wir nun dem Unendlichen und Unsichtbaren nichts darreichen als in den Stunden der Er­ hebung vor seinem Angesicht das liebende Herz selbst, das sein Eigenthum ist, wie sollen wir anders im Leben seine Gebote er­ füllen und dadurch unsre Liebe zu ihm beweisen als daß wir die, welche unter allen sichtbaren Gegenständen uns am nächsten stehen, daß wir die Brüder und Schwestern, welche der Nater aus Liebe geschaffen, der Sohn aus Liebe erlöset hat, in unser Herz aufnehmen. — Und wollen wir uns entschuldigen mit den Sünden der Menschen, mit dem Unrecht, das sie uns thun und dadurch den Mangel unsrer Liebe verbergen, der Apostel ruft je­ dem zu: wer seinen Bruder nicht liebt, den er siehet, wie kann er Gott lieben, den er nicht siehet! Schließt nun der Apostel unsern Tert

mit den Worten,

„dies Gebot haben wir, daß wer Gott liebt, daß der

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auch seinen Bruder liebe," und hören wir ihn bald nach unserm Lette sagen: „Gottes Gebote sind nicht schwer,"*) so erkennen wir, wie aus der Liebe Gottes unS auch die Kraft und der Sinn kommen wird die Brüder zu lieben. — Denn wen wir innig lieben, in dessen engste Gemeinschaft gehen wir ein, dessen Leben und innerstes Wesen nehmen wir in uns auf und werden so in sein Bild gestaltet, daß seine Neigungen und Wünsche auch die unsrigen sind, jede- Gebot von ihm unS ge­ geben uns leicht wird, ja kein Gebot mehr bleibt, weil seine Voll­ bringung daS ganz natürliche Thun sein muss, wohin der eigne Wille uns treibt. So wird es denn auch sein, wenn wir Gott lieben, wahrhaft und innig lieben. Da sein Thun nur Liebe ist gegen die Menschen und er seine Sonne scheinen lässt über Gute und Böse, über Gerechte und Ungerechte, wird dieses auch das unsrige werden, denn seine Gedanken sind dann auch unsre Ge­ danken, sein Wille ist auch unser Wille geworden. — Dann kann uns die Stimme der Selbstsucht und der kalten Lieblosig­ keit nicht mehr höher gelten als Gottes Stimme, dann werden wir erkennen, daß Gott die Brüder und Schwestem recht eigent­ lich an unser Herz gelegt hat, damit sie dort Trost, Hülfe, freundliche Milde finden sollen und werden die unchristliche Strenge fliehen, mit welcher wir sonst gern als Vertreter Gottes auftreten wollen gegen die Fehler und Irrthümer der Menschen. Das Antlitz seiner Gnade leuchtet der ganzen Welt, sein Evan­ gelium wird gepredigt aller Creatur, darum werden wir, wenn wir ihn lieben, überall in unserm Hauswesen, im Staate und in der Kirche des Herrn seine Milde und Gnade herrschend wer­ den lassen, nicht klagen, wie viel Geduld wir üben müssten, son­ dern sie freudig und gern üben und gedenken der unendlichen Langmuth, welche der Herr mit uns hat. — Dahin aber wird vor allen unsre Liebe gehen, daß wir auch die Brüder zu dem ') 1. 2oh. 5, 3.

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Vater und Sohne führen, damit wir alle eins fein in Einer Liebe, Gott in uns und wir in ihm. Dann «erden wir auch keinen der Irrenden und Fehlenden verstoßen, denn ein jeder muss ge­ zogen werden, daß er ein Glied werde des Reiches Jesu Christi, und wenn wir irgend einen, welchen der Herr uns anvertraut hat, verloren gehen ließen durch unsre Schuld; so müsste uns die Freudigkeit am Tage des Gerichts fehlen und wir wären nicht gleich wie Er ist in dieser Welt. So wird dieses Gebot Gottes unS nicht schwer werden, und dann der Herr auch zu uns sprechen können: was ihr gethan habt diesen mei­ nen geringsten Brüdern das habt ihr mir gethan! Also, m. G., lasst die Erkenntniss der großen Heilöwahrheit: Gott ist die Liebe! auf unsre Seelen würken. Wenn wir das Walten Gottes nicht verstehen und den Weg, den er uns leitet, durch Trübsal gehen sehen, wir wollen zu unsrer Seele sprechen: Gott ist die Liebe! wenn wir verlassen weinen im stillen Gemach, wir wollen uns trösten: Gott ist die Liebe! wenn die Schuld unsers Herzens uns anklagt, wir wollen an dem Worte der Gnade uns halten: Gott ist die Liebe! wenn wir das ewige Heil in Christo empfinden im freudigen Gemüth, wir wollen dankend sprechen: Gott ist die Liebe! wenn es uns schwer wird neben manchem harten verkehrten Herzen in rechter Sanftmuth und Demuth zu wandeln, wir wollen um fest zu blei­ ben in treuer ausdauernder Geduld mit dem Worte uns stärken: Gott ist die Liebe! daß wir uns immerdar fühlen mögen aus Gott geboren und unser Glaube der Sieg sei, welcher die Welt überwindet. Amen.

II. Worauf der Jünger Jesu den Glauben an seinen göttlichen Herrn zu gründen hat? Ueber Joh. 14, 7—n.

Die Gnade unser- Herrn u. s. w.

Text.

Joh. 14, 7 — 11.

Wenn ihr mich kennetet, so kennetet ihr auch meinen Vater.

Und von nun an kennet ihr ihn und habt

ihn gesehen. —

Spricht zu

ihm Philippus: Herr,

zeige uns den Vater, so genüget uns. spricht zu ihm:



Jesus

So lange bin ich bei euch und du

kennest mich nicht?

Philippe, wer mich stehet, der

siehet den Vater: wie sprichst du dcnu, zeige uns den Vater? — Glaubest du nicht, daß ich im Vater und der Vater in mir ist?

Die Worte, die ich zu

euch rede, die rede ich nicht von mir selbst.

Der

Vater aber, der in mir wohnt, derselbige thut die Werke. — Glaubet mir, daß ich in» Vater und der

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Vater in mir ist: wo nicht, so glaubet mir doch mit der Werke willen. SSBenn wir, m. A., diese heiligen Worte hören, so empfinden wir mit dem Erlöser den Schmerz, welchen des JüngerS Rede in seiner Seele erregte; aber wir bedauern auch zugleich den Jünger, welcher so lange beim Herrn war und nun, da des Herrn Verkündigung, er wolle hinweggehen von den Seinen mit tiefer Wehmuth ihn erfüllte, in traurigem Zweifel und in dem wankenden Glauben, wozu das Leiden ihn führt, etwas anderes zu schauen fordert als den Herrn selbst, der in der Kraft Got­ tes, in des eingebornen Sohnes Herrlichkeit vor ihm stand. — Aber ist der Herr auch lange neben uns gegangen, ist er bei uns gewesen mit seiner milden Gnade und es kommt uns die Stunde der Widerwärtigkeit, es ergreift uns das unerwartete Geschick, finden wir denn in ihm, wie wir ihn ausgefasst ha­ ben in unserm Gemüth, unsre volle Gnüge? oder seufzen wir nicht auch: könnte ich nur des ewigen Vaters volle Gnade und Kraft schauen? — Doch der Herr weist seinen Jünger nicht hart von sich; sondern er lässt sich in seiner Milde auch noch im Scheiden zu ihm herab, gründet den Glauben des Jüngers an ihn fest und ruft ihm zu: wer mich siehet, der siehet den Vater! Und dasselbe spricht er auch noch zu uns, wenn wir als die Zweifelnden und Ungläubigen dastehen, darum lasst uns, um nimmer in solche Zweifel zu versinken, an des Herrn Worten be­ trachten : worauf der Jünger Jesu den Glauben an sei­ nen göttlichen Herrn zu gründen hat? Dabei lasset uns nach des Textes Worten schauen I. auf das innere Wesen Jesu Christi, II. auf seine Werke.

17

I. Es ist daS Erhabenste und Herrlichste was Menschen, waS Christrn betrachten können zu schauen auf das innere Wesen ihreS Heiland-, aber zugleich das, waS, wenn sie «S wahrhaft er­ kennen, sie auch unwiderstehlich zu>y wahrhaften lebendigen Glau­ ben an ihn führen muss, neben welchem kein Zweifel und Zagen mehr stattfinden, durch den vollkommener Friede und unerschüt­ terliches Verttauen auf den Herrn in jedem gläubigen Gemüthe muss gegründet und befestigt werden. Dieses sein inneres We­ sen legt der göttliche Erlöser unS dar, wenn er zu PhilippuS spricht: wer mich siehet, der siehet den Vater, glau­ best du nicht, daß ich im Vater und der Vater in mir ist? — Gr im Vater und der Vater in ihm, welch einfache, ungeschmückte Worte sind das und welch ein himmlischer Sinn, welch eine unendliche Fülle der Herrlichkeit ist in diesen einfachen Worten niedergelegt! Sie sind das Zcugniss, das der Gottes­ sohn über sich selbst abgelegt hat vom Anfange seiner irdischen Laufbahn an bis zu seinem Ende. Denn, als in seines Lehr­ amtes ersten Tagen Philippus ihn gefunden hatte, welchen er als den Messias anerkannte, und nun Nathanael, die Seele ohne Falsch, ihm zuführte, da sprach der Herr zu ihnen: wahrlich, wahrlich ich sage euch, von nun an «erdet ihr den Himmel offen sehen und die Engel GotteS hinauf und herabfahren auf des Menschen Sohn *), und das war ja dasselbe was er Philipp»- jitzt, da er in sein letztes Lei­ den gehen soll, wieder sagt: ich im Vater und der Vater in mir.

Wie er aber im Vater war in seinem innersten Wesen das ist uns ein unerforschtes und ungeschautes Geheimniss, denn wie vermag der Sohn des Staubes zu erforschen die Liefen der Gottheit und wie mag der irdische Mund aussprechen was über ') 3°h. 1, 51. Pischon Prcd. 11.

B

18 Menschen Sinn und Begriff so hoch erhaben ist; aber was äu­ ßerlich davon erscheinen kann, das ist uns klar geworden in der Herrlichkeit seines Wandels. —

Wenn bf vom Vater ausge­

gangene Erlöser hinabsteigt aus Himmelshöhen in das Thal der Erde, wenn er für die,

welche ihm nichts gegeben hatten und

aus ihrer Armuth nichts geben konnten, die Mühen des schweren irdischen Berufs übernimmt, wenn er für die, welche als seine und GotteS Feinde sich zeigen um ein Band heiliger Gemein­ schaft zwischen dem sündigen Geschlecht und dem ewigen Vater zu knüpfen, den dunkeln Weg nach Golgatha wandelt und im Tode der Sünder das Werk der Versöhnung vollbringt,

den

Grundstein des ewigen Heils für alle menschlichen Brüder legt, auch für die, welche als seine Feinde als Gegner seines großen himmlischen Werkes dastehen:

das ist die unaussprechliche gött­

liche Liebe, welche ihn als den darstellt, welcher im Vater ist: denn Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe blei­ bet, der bleibet in Gott.

Und wenn es kein anderes Zeichen

göttlicher Nähe geben kann, als die unverhoffte Beseligung des Innern, als die von Menschen nicht stammende, sondern auS einem ewigen, unerschöpflichen Brunnen strömende Gnade, von welcher der unwürdige Mensch also ergriffen wird, daß ein unaussprechli­ cher Friede sein ganzes Wesm erfüllt und jede Last ihm abgenom­ men, jede Kraft ihm zuertheilt ist: von wessen Gemeinschaft allein ist solche Gnade ausgegangen, als von der Gemeinschaft mit Christo dem Erlöser, als von dem Reinen und Heiligen, in welchem kein Streit war und keine Sünde, als von ihm, dem Abglanz der Herrlichkeit des Vaters, mit welchem er eins war. — Und wenn «r spricht:

ich bin der Weg und die Wahrheit und das

Leben'), m. A., denket euch einen unter den Söhnen der Erde, stattet ihn aus mit allen hohen Gütern, welche der himmlische Vater in so reichem Maaße seinen Kindern darbietet, denket ihn

*) 2oh. 14, 6.

19 euch ausgerüstet mit tbm so durchdringender Kraft deS Geistes als milder Gesinnung des Gemüthes, schafft euch ein Bild mensch­ licher Seelenhoheit, der tiefsten und auSgebreitetsten Kenntnifs wie der reinsten HrrzenSgüte, und fragt euch: ob ein solcher unter euch (rettn und sprechen dürste: ich bin der Weg und die Wahr­ heit und da» Leben! ohne daß sich eurer ein schmerzliches Gefühl bemeistern, eure Hochachtung in Missbilligung sich verkehren, euer offnes Herz sich schließen würde, feindlich und kalt berührt durch den Hochmuth und die unbegreifliche Ueberschätzung menschlicher Vorzüge, welche ihr in solcher Rede erkennen würdet. Wenn aber der Herr also seinen Mund öffnet und wir uns von ihm nicht zurückgestoßen fühlen, wir ihn nicht anklagen des Stolzes; sondem nur ein um so innigeres Vertrauen auf ihn uns ganz erfüllt und immer sehnsüchtiger zu ihm zieht: das ist das Zeugniss: er ist im Vater, er wohnt in der Fülle der Gottheit, welche ist die lauterste unumstößliche Wahrheit und das ewige Leben.— So konnte auch nur die Welt erlöset werden. Es musste einer auf Erden leben, der die heilige Vermittlung zwischen Gott und Menschen übernehmen konnte, welcher in Gott war und dennoch unser Bruder und von welchem hinaufstiegen die Engel Gottes, die himmlischen Kräfte der Liebe, Gnade und Wahrheit und die Gemeinschaft knüpften zwischen der Sterblichen gefallenem Ge­ schlecht und dem ewigen Vater. So musste die Welt erlöset werden, weil solche Herrlichkeit auch überall die Spuren ihres Wesens zurücklassen und überströmen muffte in der Menschen sündiges Geschlecht. Und das ist es, was der Herr meint, wenn er spricht: der Vater ist in mir.

„Niemand hat Gott je gesehen, sagt Jo­

hannes im Ansang seines Evangeliums, der eingeborne Sohn, der in des VaterS Schooß ist, der hat es uns verkündigt."') Diese Verkündigung eben ist es, welche der Herr meint, wenn

") Joh. 1. 18. B 2

20 tr sagt: glaubest du nicht,

daß der Later in mir ist,

wer mich siehet, der siehet den Later!

Wer hat sie ge-

sprechen die Worte des ewigen Lebens, von welchen kein nach Seligkeit dürstendes Herz sich wenden konnte und nimmermehr wird wenden können, wer konnte sie

bringen den in Irrthum

und Buchstabendienst versunkenen Menschen, wer so mächtig reden, daß alle Seelen bewegt und gewonnen wurden für die ewige Wahrheit, «ährend nirgend auf Erden Wahrheit zu finden war, als der allein, in dem der Vater wohnte und der zu Philippus spricht: die Worte, die ich zu euch rede, die rede ich nicht von mir selbst.

Das war nicht die Rede menschlicher

Weisheit, wie sie immer noch ausgesprochen und wenn sie »erloren würde aus der Tiefe menschlicher Vernunft wieder gefun­ den werden kann, das war die himmlische Lehre, die der Vater dem Sohne gegeben zum Zeugniss: er habe ihn gesandt. — Oder soll ich reden vom Wandel des Lammes Gottes? Anfang bis zum konnte,

daß er

herging,

daß

und

verstoßen

Daß er vom

Ende desselben die Sünden der Welt tragen in

er, von

himmlischer Demuth und Sanftmuth der Reine den

und

Menschen,

Heilige, immer

immer belohnt

ein­

verkannt mit

Un­

dank und Hass, nur im Wohlthun seine Freude fand und die Mühseligen und Beladenen in unermüdeter Liebe zu sich

lud;

daß er, sich selbst vergessend und aufopfernd, ohne Murren und Mattwerden nicht allein die schweren Lasten trug, selbst in der unwandelbaren Liebe

sondem sie

für die trug, welche sie auf

ihn häuften und für sie in den Tod ging um sagen zu können: es ist vollbracht das große Werk der Versöhnung und das Schuld­ buch der Welt zerrissen?

O, das Alles, nt. A., das Alles was

wir hier nur im flüchtigsten Umriss darstellen konntet«, wie hätte er es vollbringen können, wenn nicht der Vater in ihin gewesen wäre, wenn er nicht im tiefen Gefühl seines Wesens hätte sagen dürfen:

ich und der Vater sind eins. — Oder sollen wir

endlich hinweisen aus die Tage der Auferstehung des Herrn, welche

21

auch die zweifelnden Jünger ganz und unerschütterlich überzeug­ ten? Wie konnte aus dem Grabe des Erlösers, auS der Statte, welcher des Herren Leichnam übergeben war, um dort die Verwesung zu sehen, eine Herrlichkeit ausgehen, welche die Welt durchstrahlte und ewig durchstrahlen wird; wie konnte der Ge­ marterte und am Kreuze Erblasste des Grabes Riegel zerbrechen und todesfrei und siegreich und freudenbringend zu den zagenden Jüngern treten, wenn nicht in ihm war der Vater, welchen Phi­ lippus zu schauen begehrt, damit alle volle Gnüge einkehren möge in seine bekümmerte Brust. — So können auch wir unS durch jeden Zweifel hindurch kämpfen, und jeder muss sich uns lösen, der Sohn Gottes in seinem ewigen Wesen ist der Grund unsers Glaubens, und wir können freudig sprechen: ja, wer ihn sie­ het, den Heiland der Welt, der siehet hen Vater! II. Außer dem Hinweisen auf sein inneres göttliches Wesen führt aber der Herr in unsern Tertworten noch einen zweiten Grund an um den Glauben an ihn in den Herzen seiner Jün­ ger zu befestigen, indem er spricht: Glaubest du nicht, daß ich im Vater und der Vater in mir ist? wo nicht so glaubet mir doch um meiner Werke willen. Es lag vor den Jüngern so nahe die Stunde seines Ab­ schiedes, die Zeit, wo seine Gestalt nicht mehr von sterblichen Au­ gen geschaut wurde und keiner mit ihm wandeln konnte, zu dem er sagen durfte: wer mich siehet der siehet den Vater! Aber nicht in dem kleinen Kreise der Jünger allein, welche seine Herrlichkeit geschaut hatten, sollte der Glaube an ihn befestigt werden, von ihnen sollte er sich ja verbreiten in alle Welt über die, welche auch nicht den Heiland Gottes schauen konnten und doch durch den Glauben selig sein sollten, und darum spricht er: so glaubet mir doch um der Werke willen. Zwar, wir wissen, wie er in seinem Leben so oft den Glauben abweiset, welcher sich nur

21>

an feine außerordentlichen Thaten anknüpfen will, und wie er klagend spricht: wenn ihr nicht Zeichen und Wunder se­ het so glaubet ihr nicht

Aber einmal redet er auch hier

zu Zweiflern und Schwachen, welche er erst führen muss durch das Aeußere zum Innern, wie er auch denen so oft, welche erst durch seine Wunder glaubten, den Trost gegeben hat: Dein Glaube hat dir geholfen! dann aber bezieht er sich nicht bloß auf jene äußerlichen Zeichen, sonder» aus die ganze heilige Wirksamkeit seiner Erscheinung auf Erden und zeigt auch, wie wir aus den unserm Texte folgenden Worten sehen, auf die Zukunft hin und auf jedes heilige Werk, das er in seinen Jüngern und durch sie würken werde, welche noch die Werke seines Lebens, welche ihr Auge geschaut hatte, überstrahlen würden. Wenn aber zunächst Philippus auf die Tage sah, in wel­ chen er bei dem Herrn gewesen, musste nicht aus des Erlösers Werken, wenn die Traurigkeit der Welt nicht ganz seine Seele gefangen hielt und keinen lebendigen Trost einbringen ließ, der Glaube an den Herrn immer klarer ihm entgegen kommen? Der, welcher der Blinden Auge geöffnet hatte dem Lichte des Tages, der die Lahmen gehen geheißen und zu den Kranken gesprochen: stehe auf. nimm dein Bette und gehe heim! sollte er nicht mit mächtiger Hand die Seinen auch schützen können vor dem Leiden der Welt und ihnen verleihen waS sie sich nur erflehen konnten vom Vater, dessen Antlitz sie zu schauen begehrten? Der, welcher den Sturm bedrohte und zu den empörten Meeren sprach: hier sollen sich legen deine stolzen Wellen! musste er nicht den Sei­ nen den heiligen Glauben einflößen, so werde er auch die Stürme deS Lebens bedrohen können und die Wasser der Trübsale, welche brausen würden um seine Gläubigen zu vernichten? Der, wel­ cher den Todten rief: ich sage dir stehe auf und die Fülle deS Lebens in die ertödteten Glieder goß, daß ein neues Dasein be) J°h. 4, 48.

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gönn, die Fäden des Jnnem, welche der Tod zerrissen hatte, zu erneutem Würken sich wieder anknüpften und der Entschlafene genesen und verjüngt wieder dastand, sollte er nicht denen, dir seine Wunder schauten, den Glauben in die Seele geben: so werde seine Kraft Alles, waS in ihnen dem Tode verfallen sei und der Vernichtung geweiht, neu beleben und verklären und durch des Grabes Nacht hindurch sie führen zum höheren verherrlichten Da­ sein, in welchem kein Tod mehr herrscht? — Und können wir solche Wunder nicht mehr schauen, sind sie uns nicht überall Sinnbilder und tröstende Ansprachen, welche uns auch in diesen fernen Zeiten im Glauben an den befestigen müssen, welcher spricht: so glaubet mir doch um der Werke willen! Solche Ahnungen aber sind auch aufs herrlichste in Erfül­ lung gegangen nach den Lagen, in welchen der Herr auf Erden gewandelt ist und wir leben in dem Vollgenuss seines hohen er­ habnen Würkens, wir erblicken seinen göttlichen Einfluss überall, wohin wir schauen und müssen glauben um der himmlischen Werke willen. — Denn welches war die Zahl derer, welche zu dem Herrn sich sammelten in den Tagen seiner Leiden, auf wen konnte er denn die Gemeine bauen, welche auch der Hölle Pfor­ ten nicht sollten überwältigen können? o, es war nur eine kleine verachtete Heerde, nicht bemerkt unter der Menge ihres Volkes, eingeschränkt aus den Boden des jüdischen Landes und dort ver­ folgt und gedrängt von dm Obern und Niedern, eine Schmach und ein Spott der Menge und bald beraubt des Hirten, der sie führte. Giebt es, m. G-, ein größeres Wunder, kann rin irdi­ sches Werk genannt werdm herrlicher und erhabener als wenn nun die kleine Zahl, ohne äußere Macht und Gewalt einhrrgehend, den Kreis der Erde bekehrt hat zu ihrem Herrn, wenn nun vom Ausgang bis zum Niedergang der Name des Erlösers angebetet wird, wenn an der Stelle der zerfallenen Pracht des Tempels zu Jerusalelm, an der Stelle der tausend heidnischen Tempel und Altäre und gcweihetrn Haine nun nach Jahrtausrn

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den überall auch in den Landen, welche so fern sind von jenem Orte, wo der Herr gelebt, seine Tempel gegründet stehen; wenn aUch wir nach den» Worte des Apostels gekommen sind zu der Gemeine der Erstgebomen, die im Himmel angeschrieben sind, und immer weiter und weiter sich ausbreitet das Reich des Herm, daß, wie viele auch noch in Finsterniss wandeln, doch sichtdarlich der Tag herannaht, wo der ganze Erdkreis seinem Herm dienen wird? — Und wo war die Heerde als der Hirt geschlagen war, wo waren die neuen Glieder der Gemeine, welche sich sammeln sollten zu den Jüngern des Herrn? Zerstreut in alle Welt fin­ den wir sie, durch kein Band zusammengehalten, durch keine Macht vereinigt zu einem Reiche, ohne Ahnung eines gemeinsa­ men Heils, einer Verbindung, welche ihnen die Schatze des Him­ melreichs offnen sollte. Und nun, wie viel auch in sich selbst noch gespalten und durch menschliche Ansichten getrennt, — welche weichen werden, wenn der Herr in seinem himmlischen Reiche die Decke von unserm Angesicht hinwegnehmen wird, — aber dennoch vereint in dem einigen Glauben an Vater, Sohn und Geist, dennoch alle anbetend den göttlichen Erlöser als den Quell alles Heils, sehen wir seine Kirche als eine heilige, unzerstörbare Ge­ meinschaft unter dem Einen Hirten, welcher lebet und regieret in Ewigkeit. — Und aus der zagenden trostlosen Iüngerschaar sind die muthigen begeisterten Kämpfer für das himmlische Reich her­ vorgegangen, und wie oft die Macht der Welt gegen sie aus­ gestanden ist, wie oft die Heiligen, welche der Herr zu seinen Kämpfern sich auserwählt hatte, durch Kreuz und Trübsale haben gehen, gegen Wahn und Irrthum, gegen Werkheiligkeit und Unglauben streiten und für den Glauben an ihn ha­ ben bluten müssen: es steht des Herrn Kirche siegreich da und wird nimmernrehr innern und äußern Feinden unterliegen und sichtbar sehen wir es: dem Erlöser ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. O, nt. A., glaubet ihm um der Werke willen, daß ihr immer inniger und tiefer auch sein göttliches

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Wesen erkennet und nie ihn betrübet durch Zweifelsucht und Wanken. Aber nicht allein in der Regierung seiner Kirche auf Erdm, in dem großen allgemeinen Walten in seinem Reiche zeigt er unS seine Werke, sondern wie PauluS vom ewigen Later spricht: in ihm leben, weben und sind wir! *) so erkennen wir eS ja auch im Sohne, so übt er sein heiliges Werk in jedem einzelnen Gemüthe seiner Gläubigen. — Wenn eine Seele «inhergeht in der Irre und die Sehnsucht nach dem Unbekannten und Unver­ standenen rastlos sie umhettreibt, wenn sie vergebens nach man­ cherlei irdischen Schätzen greift und an einen gewährten Wunsch tausend andere sich knüpfen ohne die Leere des Busens durch ihre Erhörung auszufüllen und dann plötzlich der Trost uns kommt und im Worte des Herrn, im heiligen Gebet an seinem Altare der Friede gefunden wird, das zerrissene Gemüth Heilung fin­ det und der unstät umherschweifende Sinn nun fest gerichtet ist auf den Heiland, von welchem der Friede ausgeht: das ist ein Werk des Herrn, das unS mächtig zu ihm zieht und mit dem seligen Glauben an ihn erfüllt. — Wenn rings um uns her der Jammer des Lebens sich häufte und die falschen Freuden flohen, wenn die Gegenwatt schwer auf unserm Herzen lag und Tren­ nung und Tod ihr Grauen über uns verbreiteten, wenn nirgend, wohin wir in die dunkle gerne schauen mochten, ein Strahl der Hoffnung uns leuchtete und der Himmel uns wie ein rhemeS Gewölbe erschien, wodurch kein Gebet hinauf, kein Strahl der göttlichen Gnade hinunter dringen konnte, und wer kennt denn nicht so bange, trostlose Stunden? aber dann Christi Bild dem Lerzagenden sich zeigte, das Wort der Gnade zu ihm sprach: siehe, ich bin bei dir bis an der Welt Ende! wenn vor dem Gefühle seiner Nähe des Herzens Bangigkeit verschwinden, das Grab sich uns verklären musste, und statt trostloser Aussicht ') «postel-esch. 17,28.

das Gefühl der ewigen Seligkeit in die geängstete Seele ein­ kehrte: das war des Herrn schönes trostreiches Werk. — Und wenn gefallen auf dem irdischen Pfade, gewichen von der Bahn des Heils, die Schuld der Sünde im Innern tragend, der Mensch seine Straße zieht, wenn zurückgestoßen von den Brüdern, sich selbst schmerzlich anklagend, ohne Glauben an höhere göttliche Barmherzigkeit der Sünder von dunkler Nacht sich umgeben sieht, aber des Heilandes und Versöhners Wort in sein Elend ruft: „ich bin gekommen die Sünder zur Buße zu rufen, ich bin der treue Hirt, welcher das verlorne verirrte Schäflein sucht bis daß ers findet!" und nun der schwere Stein vom Herzen gewälzt ist, nun der Arme sich fest und innig an den Herrn seines Heils anschließt und sein Geist in ihm das Gefühl der gewissen Vergebung der Sünden würket: es ist die Macht des Herm, welche in uns thätig ist, sein großes himmli­ sches Werk ist des Sünders Bekehrung und rufet uns mächtig zu an ihn zu glauben um seiner herrlichen Werke willen. So, m. A, lasset uns wandeln als die Gläubigen Jesu Christi, so lasset unS keinen andern Meister suchen als ihn, der, göttlich in seinem Wesen, mächtig und herrlich ist in seinen Wer­ ken.

Ja, du theure Gemeine, suche und erwarte keinen andern

Trost als bei Christo selbst, es giebt keinen andern und du be­ darfst auch keines andern.

Lass ihn, den Meister, nicht mehr

über uns klagen: so lange bin ich bei euch und ihr ken­ net mich nicht! umfasse ihn im reinen heiligen Glauben und lass ihn nimmer: dann wird seine Gnade dir nicht fehlen und in ihm wirst du den Vater schauen, hier schon im Dunkel der Erde und einst in seinem höheren Lichte.

Amen.

111.

Christus der guteHirt. Ueber Joh. 10, 12—16. Die Gnade unser- Herrn und Heilande- u* s. f.

Text. Joh. 10, 12— ic.

Ich bin ein guter Hirte. Ein guter Hirte lasst sein Leben für die Schafe. Ein Miethling aber der nicht Hirte ist, deß die Schafe nicht eigen sind, sehet den Wolf kommen und verlässt die Schafe und der Wolf erhaschet und zerstrenet die Schafe. — Der Miethling aber fleucht, denn er ist ein Miethling und achtet der Schafe nicht. — Ich bin ein guter Hirte und erkenne die Meinen und bin bekannt den Mei­ nen; — Wie mich mein Vater kennt und ich kenne den Vater. Und ich lasse mein Leben für die Schafe. — Und ich habe noch andre Schafe, die sind nicht aus diesem Stalle. Und dieselbigen muss ich her­ führen und sie werden meine Stimme hören und wird Eine Heerde und Ein Hirte werden.

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V£-§ ist, m. G., eins der schönsten und trostreichsten Bilder, un­ ter welchem unser Herr und Heiland in den Worten unsers Textes sich darstellt, indem er sich den guten Hirten nennt. In diesem Bilde scheint uns alle Hoheit und Henlichkeit, aller strah­ lende Glanz des Himmels, welcher das bedrängte und schüchterne Gemüth vom Sohne Gottes zurückschrecken könnte, abgelegt zu sein und wir sehen ihn nur als den treuen sorgenden Führer der Seinen.

Mit inniger Liebe ruft er die ihm anvertraute Heerde

der gläubigen Seelen, welche die freundliche Stimme kennen, zu sich, leitet die Hülfs - und Heilsbedürftigen aus die Weide seines seligmachenden Wortes und tränket sie mit dem Wasser des ewi­ gen Lebens. — In keiner andern Stelle der heiligen Schrift aber ist die- Bild, obschon auch sonst der Herr Hirt und Bischof der Seelen und die von ihm entfremdete Menschheit die verirrten Schafe genannt werden, so genau und trostreich, so alle Milde und Treue des Herrn darstellend ausgeführt als in den vorgele­ senen Worten. Und wie darin der treue Hirt den falschen Mieth­ lingen, mit welchen er selbst zu kämpfen hatte, sich entgegenstellt, wendet er auch den Blick in die Zukunft und weit über die Zeit seiner irdischen Wallfahrt in die Tage hinein, in welchen wir wandeln, und weiter hinaus in eine unabsehliche Ferne, für welche er seiner Kirche das Heil einer allgemeinen Bereinigung weissagt. Dies Alles lasset uns denn zu trostreicher Betrachtung zusammcnsassen, indem wir betrachten wollen Christum als den guten Hirten, und zwar: I. als den die Heerde ausführenden und wei denden, II. als den sie schützenden und liebenden, III. als den sie heimführeriden und vereinigen­ den Hirten.

29 I. Der Herr, der gute Hirt führt seine Heerde aus und weidet sie. Das ist schon des irdischen Hirten Geschafft. Früh, noch ehe die Heerde erwacht ist, hat er Alles für sie bereitet, daß, wenn die Sonne aufgeht und auf ihrer Bahn leuchtet, auch der Hirt mit den Seinen ausziehn kann und noch ehe die Hitze des Mittags herannaht, sie zur Weide gelangen, welche er ihnen be­ stimmt hat. — So auch der Hirt der Kirche. Als alle die Seinen »och nicht zum Dasein in seinem höheren Leben erwacht waren, da stand er vor ihnen als der treue Freund, der ihnen die Wege des Heils zeigen wollte, da sammelte sich die Gemeine um ihn, welche keinen als den rechten Hirten und Führer anerkennen konnte, als ihn allein und er leitete sie hinaus auf die lichte Bahn, die er geöffnet. Und größer und herrlicher als ein Hirt dieser Erde, welcher des himmlischen Lichtes warten muss, daß es seine Strah­ len auf die dunkle Erde herabsende um die Stege zu erleuchten, welche er wandeln will, war der treue Hirt selbst das Licht der Welt, das in der Finsterniss leuchtete und das Grauen auf den Pfaden verscheuchte, welche die Seinen zu gehen hatten. Und so arbeitete er früh in treuer Sorgfalt, daß, ehe seiner Gemeine da Tag des Lebens heiß ward, sie schon die Weide gefunden hatte, auf der ihr Erquickung für die Schwüle des Erdenlebens kam. — So steht er auch noch immer, seitdem er äußerlich von dm Seinen hinweggegangen ist, im Geiste vor Allen da, die sei­ ner Gemeine angehören sollen. Früh, wenn ihr Lebensmorgen beginnt und die fesselnden Kräfte des geistigen Schlafes des Kin­ des Seele noch nicht frei gegeben haben, da zählt der Herr es schon zu seiner Heerde, da wird schon das prophetische Wort, das einst Jesaias von ihm geredet hat, erfüllt*): er wird die Lämmer in seine Arme sammeln und in seinem Bu­ sentragen. Erwachen dann die geistigen Kräfte, dann ist es *) Zes. 40, 11.

30

der Ruf des treuen Hirten lasset die Kindlein zu mir kommen! den die Kindlein vernehmen, und ehe ihr Lebenstag heiß wird, ehe der Kampf mit der Welt und der Sünde, mit dem Elende deS Lebens und der Verführung deS HerzenS »tv fangt, hat er sie schon zur Weide geleitet, wo sie sich erquicken und zu jedem Kampf stärken können. Gern leitet nun der irdische Hirt seine Heerde auf heitern Wegen zu den schönen Auen, zu den frischen Gewässern, wo sie sich sättigen und lagern kann; oft jedoch muss er sie auch durch wüste Gegenden zu steilen Felsen, zu schwindelnden Abgründen führen, aber auch da lässt er sie die nährenden und gewürzreichen Kräuter finden; da entspringen die kühlenden erquickenden Quel­ len und die Luft weht denen mild und stärkend, welche durch sandige Steppen und starre Klippen zur rechten Weide gelangt sind. — So thut es auch der treue Hirt seiner Gläubigen. Ost führt er die Seinen auf erfreulichen, reizenden Bahnen, wo der Mensch fröhlich ist und dankbar frohlockend den Ewigen preiset, welcher ihm so große Gnade gegeben hat, und wir werden es auch an unserm Lebensgange erkennen, daß er uns also geleitet hat. Auf jeder Lebensbahn, auf welche die Gläubigen Christi zurückschauen, werden sie schöne Fluren finden, durch welche sie gewandelt sind, wo noch Heiterkeit und stiller Frohsinn, wo Zu­ friedenheit, dankbares Annehmen der Gegenwart und hoffnungs­ reiches HinauSschauen in die Zukunft als die Glücklichen sie da­ stehen ließ, welche dem Herrn Lob und Dank darbrachten. Aber wenn er uns auch die steilen Pfade führt, wenn er den Weg des Lebens durch Wüsten und über Felsen uns leitet, wo wir müde werden und seufzen: o, lasst es uns nur glauben, der treue Hirt führt uns auch da zur rechten Weide, lasst auch die be­ schwerlichen und dunkeln Wege zum Lichte ausgehen, stellt uns wieder an neue Quellen göttlicher Gnade, von denen wir weit •) Marc. 10, 14.

31 hinaußschauen auf die Wunder seiner Herrlichkeit und an denen wir die Nahrung der Seele finden, deren wir bedürfen. Denn wie der Hirt sein« Schäflein auf grünen Auen wei­ det, so steht der Herr vor den Seinen sie nährend und sättigend mit seinem heiligen Worte, mit seiner tröstenhen reichen Himmels­ lehre.

Diese hat er auch seiner Kirche in allen Zeiten ihres irdi­

schen Bestehens aufbewahrt. Nicht jene allein, welche die Worte seines Mundes vemahmen und zu seinen Füßen saßen, nicht die allein, welch« bekannten, daß er sei Christus, des lebendigen Got­ tes Sohn, welche von ihm nicht weggehen wollten, weil sie sonst keinen kannten, der die Worte deS ewigen Lebens hatte, nicht diese allein haben sein heiliges Wort zur Stärkung ihrer Seele vernommen. Der treue Hirt führt seine Heerde noch jetzt auf dieselbe Weide. Ob auch in anderer Sprache, vernehmen wir doch dasselbe Wort, was jenen verkündigt wurde, wird noch heute dasselbe Evangelium gepredigt, waS damals die Trauern­ den und Zagenden erfreute und stärkte.

Denn waS auch seit je­

nen Tagen, wo unser Herr auf Erden wandelte, von der Herr­ lichkeit der Welt vergangen ist; des Herrn Wort bleibet in Ewig­ keit, ob auch Himmel und Erde vergehen.

Derselbe Tisch des

HeilS, welchen er den Seinigen gedeckt hat, dasselbe Mahl der Gnade, welches er ihnen angerichtet, als er das Brodt brach und den Kelch der Danksagung ihnen darbot: er bereitet es auch noch jetzt, die Mühseligen und Beladenen zu erquicken, er hat noch heute seinen Tisch gedeckt und die Seelen daran gespeiset und ge­ stärkt, daß wir ihn preisen müssen als den guten Hirten, welcher seine Heerde weidet auf grünen Auen und führet zum frischen Wasser.

II. Aber auch als den schützenden und liebenden Hirten haben wir Christum zu betrachten. So steht ein treuer Hirt ne­ ben der Heerde, welche von Gefahren bedroht wird. Hat er sie

32 auf die gute Weide geführt, so behält er sie auch unter seinem schützenden Auge und schaut umher, ob kein Uebel ihr sich nahe. Bor Sturm und Ungewitter, vor Regengüssen und brennenden Sonnenstrahlen sucht er sie zu schirmen, leitet sie unter schützende Bäume, zu sichem Höhlen, und wenn andre Gefahren herbei kommen, wenn räuberische Wölfe der Heerde sich nahen, dann flieht er nicht den Miethlingen gleich, sondern tritt dem Feinde kühn entgegen. Und wie er für alle kämpft und streitet und sein Leben daran wagt, die Heerde zu bewahren, so ist auch seine Sorgfalt auf jedes einzelne Glied der Heerde gerichtet, daß es kein Raub des Feindes werde, so sucht er nach dem Verirrten, pflegt das Kranke, verbindet und heilt das Verwundete, daß keinihm verloren gehe. — Seht, meine Geliebten, welch reiches, schö­ nes, tröstendes Bild haben wir in diesen Zügen mit der Dar­ stellung eines irdischen Hirten zugleich von dem Herrn des Heils entworfen, welcher sich in unserm Text den guten Hirten nennt und wie viel höher steht er noch da! — Ja, der irdische Hirt schützt und liebt seine Heerde und wagt sein Leben daran sie zu schirmen, aber sehen wir auf den letzten Zweck seiner Thätigkeit wie auf den ersten Grund derselben, so ist eö doch nur der irdi­ sche Vortheil, welchen er sucht, und wäre im Kampfe mit den Feinden der Heerde der Tod ihm gewiss und könnte er durch das Verderben der Heerde das eigne Leben erretten, er würde sie aufopfern und auch fliehen, wie sonst nur der Miethling thut! — Wie anders war das in dem Leben unsers Herrn! Als er seine Gemeine gesammelt und sie aus den Felsen deS Glaubens gegründet hatte, welchen der Hölle Pforten nicht über­ wältigen sollten, da sagte er sich, daß ehe sie herrlich und über­ windend dastehn könne, er erst selbst den Kampf mit der Hölle Pforten kämpfen, er erst sein Leben lassen, erst durch seinen Kreu­ zestod die schwachen Gemüther der Gläubigen in heiliger Liebe befestigen müsse.

Lange wusste er vorher, daß die Feinde seines

WürkenS ihn gefangen nehmen und tobten würden, aber er schaute

33 auf seine kleine Heerde und ging ohne Grauen in den bittem Kreuzestod, denn: wie er die Seinen geliebt hatte, die in der Welt waren, so liebte er sie bis ans Ende'). — Wenn darum in unsern vom Leben des Herrn fernen Zeiten seiner Gemeine bange werden will als habe der Herr ihrer ver­ gessen und seine Liebe von ihr gewendet; so sammelt sie sich um sein Kreuz, schaut zurück auf seinen Opfertod und erkennt in ihm beschämt und gerührt, daß die Liebe des Herrn, welcher den Tod besiegt hat, auch die Seinen in Ewigkeit nicht lassen wird. Und er hat sie auch nimmer verlassen, hat sie bis diesen Augen­ blick durch alle Gefahren, welche ihr drohten, hindurch geführt, und das zum Heile gewendet, was nach menschlichem Ansehen ihren Untergang hätte bereiten müssen.

So sind die Gewalten

der Erde, welche, als der Herr unsers Textes Wort« sprach, mit furchtbar drohender Macht gegen sie dastanden, vernichtet und untergegangen; Jerusalems Tempel ist versunken und von der Römer Macht, welche die Welt beherrschte, geben nur zerfallene Trümmer noch Zeugniss, aber die Kirche des Herrn steht fest in seiner Kraft und Herrlichkeit. — Und mächtig hat der treue Hirt seine Heerde gegen die reißenden Wölfe geschützt, welche von au­ ßen her nicht das irdische Gedeihen der Gläubigen zerstören, son­ dern der Gemeine Gottes Frieden und Seligkeit rauben, von der Weide des trostreichen göttlichen Wortes sie verscheuchen und auf den Pfaden des Irrthums und der sinnlichen Lüste sie wollten umkommen lassen.

Wenn aber Miethlinge, denen die Heerde

nicht am Herzen lag, treulos und sündlich ihres Herrn und der schuldigen Rechenschaft vergaßen und statt die Seinen, wie er ihnen befohlen, an den lebendigen Brunnen seines Wortes zu weiden, zu den schlammigen Sümpfen falscher Menschensatzungen sie führten und statt der himmlischen Speise der Seelen nur daS verderbliche Gift irdischer ungläubiger und abergläubischer Lehren

') 2-h. 13, 1. «pischon Pred. II.

E

34 darrrichen wollten: dann hat er wieder treue Diener gesendet, welche, ihm innig verbunden, den Miethlingen kühn entgegentra-. len und die irrenden Schafe zu dem rechten Hirten und auf die rechte Weide zurückführten, welche ihnen entzogen war, und also bis zu unsem Tagen seine treue Liebe zu der Gemeine kund ge­ than, für welche er sein Leben gelassen hat. Wie aber des treuen irdischen Hirten Geschäfft auch ist, nicht allein im Großen und Ganzen seiner Heerde sich anzunehmen, sondern wie er seine Sorgfalt auf jedes einzelne Glied derselben wendet, daß keins erkranke und umkomme, ja wie er oft der ganzen Heerde zu vergessen scheint um dem einzelnen verirrten und leidenden Schäflein zu Hülfe zu kommen, und sein Auge auch zu dem kleinsten Lamme der Heerde wendet und ihm die meiste Liebe beweiset, so thut es auch unser Herr. — Darum spricht er schön und tröstend in unserm Text: ich bin ein gu­ ter Hirte und erkenne die Meinen und bin bekannt den Meinen, wie mich mein Vater kennet und ich kenne den Vater. — Aber dem Vater ist nichts verborgen in dem Sohne und in heiliger, unzertrennlicher Gemeinschaft wan­ delte der Sohn mit dem Vater.

Kennt nun der Sohn auch

also die Seinen, nimmt er sich so jedes einzelnen verirrten, ver. achteten, erkrankten Gliedes seiner Heerde an, können wir alle, in welchem großen Elende wir uns fühlen mögen, doch sagen: der treue Hirt lasst dich nicht! er kennt deine Thränen und zählt sie, er liest in deinem bekümmerten Herzen und ist zu deiner Hülfe bereit, er lasst dich nimmer und hat sein Leben für dich gelassen! welch ein reicher unentreißbarer Trost ist uns dann ge­ geben. — Das, m. G-, lasset uns nur recht fest halten, wenn der Pfad, welchen er uns führt, so dunkel ist, daß wir keinen AuSweg zum Lichte sehen, auf ihn schauend wollen wir mit dem Sänger der Psalme getrost sprechen: und ob ich schon wan­ derte im finstern Thal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten

35

mich*). Und wenn die Angst des Gewissens unS drückt, wenn wir fern von dem treuen Hirten uns verirrt erkennen, lasset unS feines tröstenden Wortes gedenken, daß er die neun und neunzig Schafe auf der Weide lässt und nach dem verlornen sucht bi» daß ers finde und daß er es auf seine Achsel nimmt mit Freuden und eS wieder heim bringt zur Heerde auf die rechte Weide. — Immer tiefer und reiner lasset unS ihn erkennen und in feine Liebe unS versenken, daß alle Starken und alle Schwachen unter un» liebend ihm sich anschließen, daß seine Kraft und seine De­ muth, seine Macht und seine Liebe alle zu ihm ziehe, daß kein Auge nach den giftigen Blumen der Sünde und nach den Pfa­ den schaue, welche ins Verderben führen, daß kein Herz, welche» je seines Heilandes Milde erfahren hat, verzage, sondern in im­ mer tieferer Erkenntniss seines Wesens, in immer gläubigerem Auffassen seiner Gnade sich also bewährt und also gestärkt fühle, daß keine Macht der Welt und der Sünde, kein räuberischer Wolf der Lüste und Begierden es aus der Hand des schützenden und liebenden Hirten zu reißen vermöge. III.

Endlich aber stellt sich unS der Herr auch als der heim­ führende und Alles vereinende Hirt dar und auch das ist für uns trostreich und beseligend. — Wenn ein Hirt seine Heerde auf Auen und Tristen, durch Wüsten und Felsen umhergeführt hat und der Abend kommt und die Sonne sich senkt, dann wird die Heerde matt und sehnt sich nach Ruhe, und der Hirt sammelt sie und führt sie heim in die sichre Wohnung, wo sie vor Stür­ men und Gefahren geschützt ist, wo alle Schäslein unter seinem Schutz ruhen und schlafen können. — So ist es auch mit der Heerde, welche Christus, der gute Hirt, weidet. Wenn sie durch des Lebens Auen und schöne Fluren gegangen ist, in seinem hei*) Ps. 23, 4.

C 2

30 ligen Wott Nahrung und Trost grgen dir Stürme der Welt, gegm die Feinde der Seele gesunden hat, wenn sie der Hirt auch auf manche steile und dornige Bahn, durch manches finstre und traurige Thal hat führen müssen: dann werden die Glieder dieser Heerde auch müde, dann sinkt auch ihre Lebenssonne, oft de­ nen, die noch als Kindlrin wandeln, oft denen, welche auf lan­ ger Reise durch die irdischen Gefilde gezogen sind und es kommt den Ermüdeten der Abend.

Da führt der gute Hirt sie zu sei­

ner Ruhe ein und sie schlummern wie in seinem Arm und schla­ fen in der sichern Wohnung, wo kein Feind und keine Stürme sie mehr beunruhigen. — Doch höher und herrlicher als das ir­ dische Bild es zeigen hier vor uns.

kann steht Christus, der gute Hirt, auch

Denn der irdische Hirt kann seine Schäflein nur

zu demselben täglichen Werke aus ihrem Schlummer erwecken, nur zu denselben irdischen Tristen sie führen; aber der himmlische Hirt lässt die Seinen in des BaterS Reich zu einem hohem ewi­ gen Leben erwachen, wo ein andres seligeres Tagewerk ihrer war­ tet und sein Heil ungetrübt und unverkümmert ihr Erbtheil ist. Dorthin zu deS Bakers Hause, wo er ihnen die Wohnung berei­ tet hat, führt der treue Hirt die Seinen heim. Wie er aber die Seinen heimführt ist er auch noch der Hirt, welcher seine Heerde vereint und das spricht er in den Worten aus mit welchen unser Evangelium endet: ich habe noch an­ dere Schafe,

die sind nicht aus diesem Stalle und

dieselbigen muss ich herführen und sie werden meine Stimme hören und wird Ein Hirt und Eine Heerde werden. — Auch der irdische Hirt vereint am Abend die Heer­ de», welche auf verschiedenen Auen gegangen sind und führt sie zu den sichern Hürden, wie aber, fragen wir, geht das Wort un­ seres Herrn in unserm Texte in Erfüllung? — Zum Theil wohl ist sein Ausspruch schon in Erfüllung gegangen, ich habe noch andre Schafe

und

dieselbigen muss

ich herführen!

Denn von den Tagen an, wo er seinen Geist aus seine Apostel

37 auSgegossen hatte, sind durch sie die Schaaren der Heiden seiner Gemein« zugeführt worden, kein Jahrhundert ist vergangen, in wel­ chem nicht ganze Reiche zu der Gemeine des Herrn hinzugetreten wären, auch an diesen Statten, wo nur Götzentempel gegründet waren, hat der Herr in unsern Vätern solche gerufen zu seiner Kirche, welche nicht aus der Gemeinschaft deS Volkes waren, unter dem er zuerst seine Heerde sammelte, bis in die fernen da­ mals noch ungekannten Theile der Erde ist daS Reich Christi verbreitet, ist sein heiliges Buch gesendet worden und eine Mor­ gendämmerung des Evangelii bricht an bei Völkern, welche noch tief« Nacht des Heidenlhums bedeckt hatte.

Jedes Jahr sam­

melt auch unter uns neue Schaaren der Gläubigen zur Gemeine des Herrn und tausend Gelübde werden ihm an seinen Altären abgelegt.

So hat der Herr noch andre Schafe und führt sie

herzu. —

Aber gedenken wir des Wortes:

Heerde und Ein Hirt werden!

es

wird Eine

wie fern scheint noch der

Tag, wo dieses Wort deS Hirten erfüllt werden kann.

Wie viele

Millionen wandeln noch auf Erden ohne von Christi Evangelium gehört zu haben, viele Millionen, welche dem falschen Propheten folgen, viele, welche in der Dunkelheit des Heidenthums vor den todten Götzen ihrer Hände ihr Knie beugen! — Ein Hirt und Eine Heerde! Wie wenig ist das selbst bei denen erfüllt, welche Jünger Christi heißen!

Wie sind sie nicht zerfallen und haben

sich in verschiedn« Secten und Meinungen gespalten sich ankla­ gend und verfolgend, weil sie nicht auf dieselbe Weise und nach denselben Gebräuchen den Herrn

verehren.

Und mit Schmerz

sehen wir auch in unsern Tagen, wo die Getrennten, welche trotz deS gemeinsamen Lichts deS Evangeliums Jahrhunderte lang sich fern gestanden hatten,

nun verbunden sind und ein Tag deS

Jauchzens und Dankens ihnen angebrochen ist, wie wieder mensch­ liche Stimmen und Ansichten solche Vereinigung hindern, solch Band der Einheit zerreißen wollen. Zwar kann alles Große und Göttliche nur langsam reisen aus Erden, und doch führt eS der

38 ewige Vater, wenn auch auf weiten Wegen, herrlich zum Ziele, ob aber die Tage in dieser Zeitlichkeit je kommen werden, wo das ganze Geschlecht der Menschen nur Einen Hirten erkennt, nur alS Eine ihm geweihte Heerde sich vereint, ob sie kommen werden, wenn wir längst zu unsers Herrn Ruhe eingegangen sind und so seine Weissagung auch irdisch erfüllt wird: wir wissen es nicht! Aber Christi Wort ist doch ewig wahr! Bei ihm, in seinem ewi­ gen Reiche, da ist sein weissagendes Wort erfüllt, da werden auch wir die große Erfüllung schauen, wenn die Lage unsrer irdischen Wallfahrt verronnen sind.

Vor seinem Thron, da schwin­

den Irrthum und Schein, vor seiner Klarheit werden menschliche Ansichten und Meinungen, menschliche Weisheit und ererbte Vorurtheile vergehen, da wird die in der Welt so oft getrübte Liebe der Gläubigen rein und herrlich glänzen und die getrennten Gläu­ bigen vereinen, da, wenn der Herr sie alle am letzten Abend ein­ geführt hat zur Ruhe, wird nur Ein Hirt sein» der für unS am Kreuz gestorben ist, und nur Eine Heerde der Erlösten, welche ihm treu geblieben sind bis ans Ende.

Amen.

IV. Wie der Herr in der Kraft Wunder zu thun als der Heiland der Welt sich darstellt. Ueber Marc. 7, 31 — 37.

Die Gnade unser« Herrn u. s. w.

Tert.

Marc. 7, 31— 37.

Und da er wieder ausging von den Grenzen Tyri und Sidon, kam er an das galiläische Meer, mitten unter die Grenze der Zehnstädte. — Und sie brach­ ten zu ihm einen Tauben, der stumm war: und sie baten ihn, daß er die Hand auf ihn legete. — Und er nahm ihn von dem Volk besonders und legete ihm die Finger in die Ohren, spitzte und rührete seine Zunge. — Und sahe auf gen Himmel, seufzete und sprach zu ihm: Hephata, das ist, thue dich auf! — Und alsbald thaten sich seine Ohren auf und das Band seiner Zunge ward los und redete recht. —■ sind er verbot ihnen, sie solltens niemand sagen. Je mehr er es aber verbot, je mehr sie es ausbreiteten. —

40

Und verwunderten sich über die Maße und sprachen: Er hat Alles wohl gemacht, die Tauben macht er hö­ rend und die Sprachlosen redend. 593enn wir nur diese einzelne Erzählung von den Wundertha­ ten unsers Herrn übrig hätten, m. A., so würde er uns schon als eine große segensreiche Erscheinung dastehen, welche einzel­ nen Unglücklichen Trost und Heil gebracht hätte; nun aber ver­ schwindet diese einzelne Handlung seiner Liebe und Macht, welche das Evangelium uns erzählt, vor der Herrlichkeit des eingebornen Sohnes Gottes, die über sein ganzes Leben ausgebreitet ist. Aber weil die Kraft seiner Gottheit auch in dieser einzelnen Wun­ derthat sich kund gemacht hat, weil alles Große und Herrliche, was er gethan hat, alle Wunder seiner Hand im engsten Zusam­ menhange stehen mit dem großen Wunder der Erlösung, welche er dem Menschengeschlecht brachte; so muss das Einzelne, waS der Herr in seiner höheren Kraft vollbringt uns freudig ergrei­ fen und denen, welche um ihn herstehen und Zeugen seiner Tha­ ten sind, die trostreiche Gewissheit geben, dass dem, welcher vor ihren Augen solche sichtbaren Wunder thut, auch das höhere Wun­ der an den Seelen der Menschen gelingen werde, was das leib­ liche Auge nicht sehen kann. Darum jauchzt auch die Menge in unsers Evangelii Worten und je mehr seine Demuth verbietet zu reden, je mehr breiten sie das Wort seiner Verherrlichung aus und sprechen: Er hat Alles wohl gemacht! Und sollten wir es nicht laut ihnen nachrufen: ja. Alles hat er wohl gemacht Alles geführt zum ewigen Heil! denn was jene geahnet, das schauen wir in reicher segensvoller Erfüllung. — So lasst uns diese freudige Gewissheit anschließen an die Betrachtung unsers Tertes und erwägen: Wie der Herr in der Kraft Wunder zu thun als der Heiland der Welt sich darstellt.

41

Denn es erscheint unS I. diese Kraft als eine gewaltig und überall würkende, II. als die, mit welcher der Herr stets zur Hülse be­ reit ist, III. als die, durch welche er Heilung und Selig­ keit hervorbringt. I.

Wenn in unsers Evangelii Worten die Menge, vor deren Augen der Herr die Heilung des Taubstummen vollbringt, aus­ ruft: Er hat Alles wohl gemacht und wir uns doch sagen müssen, es ist nur ein einzelnes Gebrechen, was er geheilt hat; so muss in den Frohlockenden die Ahnung entstanden sein, daß dieselbe Kraft, welche die Heilung des Kranken vollbrachte, auch als eine gewaltig und überall würkende immer mehr und mehr den Jammer der Well zerstören und den ewigen Frieden allen Bekümmerten reichen werde, ja diese Ahnung ist schon in ihnen durch das Anschauen des Wunders zur Gewissheit gewor­ den und darum rufen sie: Er hat Alles wohlgemacht! — Gewaltig und überall würkt der Herr in dieser Kraft. — Auf sein Seufzen und sein Wort: thue dich auf! muss des Lau­ ben Ohr sich öffnen, das Band seiner Zunge sich lösen und der Mund des Stummen aussprechen die großen Thaten Gottes. Wo der Herr gebietet: Thue dich auf! da können die Machte der Krankheit nicht länger ihre Opfer gefangen halten, sondern frei müssen die an das Licht des Tages hervorgehen, welche so lange in ihren Banden gehalten wurden. Das ist sein gewaltig und mächti­ ges Würfen. Und also musste ja der Heiland der Welt erscheinen. Ganz andre gewaltigere Mächte als die der Krankheit des Kör­ pers hatten den Geist der Sterblichen umfangen und drückten ihn zu Boden. Nicht vereinzelt unter vielen, wie der Kranke in unserm Terte, gingen die im Innern Verwahrlosten und Kran«

42 len einher, denen der himmlische Arzt fehlte; ach! in jedem Staubgebornen war die Sünde und das innere Ohr taub gegen das Gesetz de- Herrn und die Zunge gebunden, welche den Ewigen loben und die Seligkeit verkünden sollte, wozu er seine Kinder geführt hatte. Aber in der Kraft, welche als eine innere von Gott stammende die äußern Krankheiten heilte, musste auch die größere sich andeuten, welche die Menschen von den Banden der Sünde erlöst und wie des Herrn Gegner an Lazarus Grabe spre­ chen: Konnte der, der dem Blinden die Augen ausgethan hat nicht verschaffen, daß auch dieser nicht stürbe! so mussten seine Gläubigen hoffend zu sich sprechen: der das erstorbene Gebein durch ein Wort mit neuem Leben beseelt, wird auch die Geistigtodten gewaltig zum Leben führen und ZU leS wohl machen. — Und des Heilands Wunderkraft war auch eine überall würkende, und die sich nicht auf einen Raum und ein Geschlecht einschränkte.

Er ging aus von den Grenzen

Tyri und Sidon und kam jenseit des Jordans an das galiläische Meer vom fernen Westen des Landes bis zum Osten.

Und an

Tyrus und Sidons Gränzen hatte er des flehenden cananäischen Weibes Tochter geheilt; hatte er auch unter der Heiden Geschlecht als der Helfer sich bewährt, der wie ein Licht von oben ihre Dunkelheit erleuchten sollte.

Und nun steht er wieder da unter

seinem Volke Krankheit heilend, Elend vertilgend, und zieht um> her und thut wohl Allen und macht gesund die vom Teufel überwältigt waren. — Da erkennt ihn das Volk als den Hei. land, welcher verkündigt war ein Licht zu erleuchten die Heiden und zum Preise seines Volks Israel. Und nachdem der Herr die liebliche Gegenwart und entzo­ gen, aber seine geistige Nähe seinen Gläubigen versichert hat durch das Wort bei seinem Scheiden: siehe, ich bin bei Euch alle Tage bis an der Welt Ende, nun tritt uns die Kraft der äußern Wunder, welche an seine Erscheinung geknüpft war, zu rück, und das Reich, welches er so fest und unerschütterlich ge-

43 gründet hat, bedarf auch ihrer nicht mehr.

Aber die Wunder­

kraft, welche er an den Menschenseelen übt, sie ist dieselbe ge­ waltige und überall würkende wie in den Tagen seine- irdischen Wandel-, ja wir können sagen: wir haben Größeres gesehen alS die leiblichen Wunder irdischer Heilung.

Ist er es nicht, der so

oft und so gewaltig den Sinn der Menschen umwandelt, aus dem verfolgenden Saulus das auserwählte Rüstzeug seiner Ver­ kündigung sich schafft; dem, der taub war gegen die Stimme des göttlichen Wortes, plötzlich den Sinn öffnet, daß er nun zum Heil seiner Seele versteht, was sonst ein unverstandner Ton ihm gewesen; daß der, dessen Mund früher stumm war beim Preisen seiner Herrlichkeit nun laut ihn anbetet als den Bringer des ewigen HeileS, als den Erlöser von aller Sündennoth? Und noch jetzt roürft er überall mit seinem Geiste.

Ln den Gränzen

Tyri und Sidon fern in den Städten der Heiden würkt er auch in unsern Tagen, daß sie umkehren vom rohen Götzendienst und seine Herrlichkeit schauen, daß immer weiter nach Osten und Westen die Erde voll wird seines Ruhmes.

Unter den verlornen Scha­

fen Israels saminelt er sich täglich neue Glieder seines Reiches und ihr taubes Ohr vernimmt seine Stimme, ihr stummer Mund preiset seine Gnade.

Daneben kehrt er immer ein zu dem er­

wählten Volke seiner Ehristenheit und, wo die Sünde seine Erlöseten betäubt und ihr Ohr vor seiner Rede verstopft: da lässt er gewaltig sein Wort wie rin zweischneidiges Schwerdt durch Mark und Bein, durch Seele und Geist dringen, daß das Ohr wieder hört und die Zunge ihn preiset. — O, wo wir also Zeu­ gen sind seiner Macht und Herrlichkeit, wo wir sie in ihrer gro­ ßen Würksamkeit erblicken in den fernen Gegenden der Erde oder an den Mitbrüdern um uns her oder an dem eignen Gewissen, da lasset uns jede andre Sorge und jedes andre Elend vergessen, da erkennen, daß was er giebt, allen Mangel aufhebt, jedes Lei­ den ertragen lässt und freudig rufen: Er hat Alles wohl ge­ macht!

44 II.

Erscheint uns also der Herr in seiner Wunderkraft als der Heiland der Welt, weil sie eine gewaltig und überall würkende ist; so erkennen wir ihn noch mehr also, wenn wir zweitens sehen: wie er mit dieser Kraft stets zu helfen bereit ist. — Hätte die Menge im Evangelio wohl die gewaltige Kraft des Herrn erkannt, die überall würken kann, hätten sie aber diese Wundermacht nur geschaut, wie sie Feuer vom Himmel herab­ gerufen über ihre Verächter, wie sie ihre Feinde in den Staub niedergeschlagen hätte und zürnend und zerstörend auf Erden ein* hergegangen wäre: o, sie würden geängstet durch seine Nähe vor dem Mächtigen und Erschrecklichen niedergesunken sein und wohl zittemd gesprochen haben: Herr rede! deine Knechte hören! aber als der Heiland der Welt wäre er ihnen nicht erschienen, froh­ lockt hätten sie nicht über sein Kommen und der bebende Mund hätte nicht rufen können: Er hat Alles wohl gemacht! — Aber nicht allein als der Mächtige, sondern auch als der zur Hülfe bereite, der freundliche, milde, tröstende Wunderthäter steht er vor ihnen. — Als sie vernehmen, daß er in ihre Gränzen ge­ kommen fei, da eilen sie zu ihm, dessen Ankunft sie lange moch­ ten ersehnt haben; da bringen sie ihm den Tauben, der stumm war, auf dem ganz besonders ihre Liebe und ihr Mitleid zu ru­ hen scheint; da bitten sie, der Herr möge die Hand auf ihn le­ gen, die heilende, segenertheilende Hand, und er stößt sie nicht von sich zurück, er weigert sich nicht den Bittenden, und so er­ kennen sie in ihm den Heiland, von welchem der Prophet geweissagt hatte: der Geist des Herrn hat mich gesalbt und gesandt zu verkünden das Evangelium den Ar­ men, zu heilen die zerstoßenen Herzen, zu predigen den Gefangenen, daß sic loS sein sollen und den Blinden das Gesicht!') — ) 3ts. 61, 2 ff.

45 Doch wir könnten sagen: nicht immer aber erscheint uns der Herr als Wunderthäter so zur Hülfe geneigt wie in unsers Tex­ tes Worten; denn zu jenem Vater des todtkranken Sohnes spricht er: wenn ihr nichtZeichen undWunder sehet, so glau­ bet ihr nicht! und der bekümmerten Mutter an den Gränzen Lyri und Sidons, von wannen er kommt, hat er sich lange ge­ weigert zu hören auf die flehende Bitte: Herr, du Sohn Da­ vids, erbarme dich mein!

Wohl, m. A., muss er oft erst den

Glauben der Bittenden prüfen, muss sie selbst erst lassen gewiss werden, ob sie auch zu ihm kommen als zu dem Heiland der Welt und mehr suchen als eine vorübergehende äußere Hülfe; aber wenn sie dann im Glauben bleiben, wenn sie im Vertrauen nicht wanken, dann hält er auch die Hülfe, welche er keinem sei­ ner Gläubigen versagt, nicht zurück, und auch jene, welche er als sie flehten von sich zu weisen schien, sie sind nur von ihm ge­ gangen, seinen Namen lobend und sprechend: Er hat Alles wohl gemacht! Und in Darreichung seiner mächtigen Hülfe wendet der Herr sein Auge zum Himmel hinauf, seufzet im Mitgefühl der Leiden des Unglücklichen, und da er weiß, daß der Vater ihn allezeit höret, spricht er: Hephatha, das ist, thue dich auf! da zeigt er sich der hülfeflehenden Menge, welche den Armen zu ihm ge­ führt als der Mittler zwischen Gott und den Menschen, als der Vertreter der sündigen Welt, welcher bei Gott für sie bittet, alS der mitleidige Hohepriester, welcher die Sünden der Brüder ver­ söhnt, und da sein Gebet erhöret ist und die Herrlichkeit kund wird, womit ihn Gott gekrönt hat, da rufen sie aus: Er hat Alles wohl gemacht! die Tauben macht er hörend und die Sprachlosen redend.

Wie er aber in seiner irdi­

schen Wunderkraft also zur Hülfe bereit dagestanden und von oben den Segen erfleht und mitgetheilt hat; so, m. A., steht er in seinem geistigen Würken in dem großen Gebiete seines

40 Reiches aus Erden und im Himmel noch immer vor seinen Gläu­ bigen. — Wir dürfen nicht mehr sehnsüchtig auf ihn warten, ob er von fernen Gränzen in unsre Hütte kommen möchte; denn er ist überall bei uns in seiner geistigen Gegenwart.

Aber auch

überall zur Hülfe bereit. — Wer. m. A., es recht innig fühlt, nirgend auf der Welt, nur bei dem Herrn allein ist Hülfe für dich zu finden, und dann in rechter tiefer Sehnsucht flehend ihm sich naht, wer hat ihn je anders gefunden als immer bereit zur Hülfe?

Hat er sich uns jemals entzogen in den Stunden der

schweren Angst des Herzens? Hat er das Flehen der Gläubigen jemals verworfen und den Beistand versagt, den wir unter der Last unsrer Schmerzen bei ihm suchten? Hat er, wenn unsre Sünden uns schieden von unserm Gott, nicht auch uns sich ge­ zeigt als der milde Versöhner, welcher uns zum Vater geführt und die Kraft gegeben hat wiederum Gottes Kinder zu heißen? Ach, hat er nicht so oft auf unser brünstiges Gebet und unser treues Mitwürken auch denen das taube Ohr geöffnet, die neben uns standen und das Wort der Seligkeit nicht vernehmen wollten und sie geführt zur Gemeinschaft mit Gott? Und wenn er nicht immer das äußre Gebet erhört hat, weil es nicht aus dem Glauben kam und wir nur Irdisches begehrten; hat er, wenn wir nachher gereinigt von der irdischen Lust mit erneuter Sehnsucht zu ihm uns wendeten, uns dann von sich gewiesen? hat er und dann nicht mit seiner wunderbaren Kraft gcheilet vom Verderben und gestärkt durch seine Macht zu vergessen und zu ertragen das vor­ übergehende Leiden dieser Welt? — So wird er auch keinem in jeder Zukunft sich entziehen, der gläubig zu ihm fleht, so ist er stets zur Hülfe bereit und vertritt uns beim Vater, so wird er seiner Kirche mächtiger tröstender Beistand bleiben bis an das Ende der Tage, daß wir in den Freudenruf jener einstimmen können: er hat Alles wohl gemacht!

47 III. Sehen wir endlich noch auf die Würkung der Wunderkraft unsers Herrn, als welche heilt und beseligt, so erkennen wir ihn auch hierin als den Heiland der Welt. — Die, zu wel­ chen der Herr zuerst auf Erden gekommen war, welche eine dunkle noch unverstandene Sehnsucht auf den Messias hoffen ließ, welchen die Propheten verkündigt hatten, sie wussten noch selbst nicht, was er ihnen bringen werde. Nur Lage eines höheren Glückes, eines ungekannten Friedens mussten sie erwarten, und solche brachen ihnen an, wenn sie den Herrn schauten in der Kraft seiner Wunder. — Des Tauben Ohren thun sich auf, als der Herr seine Hand auf ihn gelegt und für ihn gebetet hat, daS Band seiner Zunge war los und er redete recht! So ist die Heilung vollbracht, welche sie erfleht hatten, so steht der, welcher in dem frühern Zustande auch unter den Menschen wie in öder, lautloser Wüste gewesen, welcher die freundliche tröstende Stimme der theilnehmenden Geliebten nicht hatte vernehmen und kein Wort der Liebe und des Dankes ihnen hatte aussprechen können, geheilt in ihrer Mitte und hört die Stimme der Seinen und spricht ihnen aus, was sein Inneres bewegt. Lasst uns das, m. A., nur recht lebendig uns vorstellen, und als solche unS denken, welche selbst an dem Geheilten innigen Antheil nehmen: würde nicht, wenn wir bei solcher Heilung zugegen wären, eine unnennbare Freude uns ergreifen, würde nicht in dem neuen Gefühl, wobei uns sein müsste als sei die Herrlichkeit Gottes uns auf Erden erschienen, von dem Geretteten der Blick sich rich­ ten auf den Retter neben ihm und das ganze Herz sich in Liebe zu ihm wenden, der als der Spender göttlicher Gaben neben uns stände? Ja, wenn wir dies uns denken, so verstehen wir die Wonne derer, welche die Heilung des Taubstummen sahen, und wie sie in der Erkenntniss, daß nun anbreche die Zeit des Heils und der Herrlichkeit, von welcher der Prophet gesagt: als­ dann werden der Blinden Augen aufgethan werden

48 und

der

Tauben

Ohren

werden

geöffnet

werden

und der Stummen Zunge wird Lob sagen!') zend

sprechen:

Er hat Alles

nen wir meinen,

wohl gemacht!

daß der Geheilte

sich nur

jauch­

Aber kön­

glücklich gefühlt

hätte in dem wiedererlangten Gebrauch seiner irdischen Glieder? Musste nicht die Stimme dessen, welche, das Ohr ihm geöff­ net, in sein inneres Wesen eindringen? musste dir Kraft, welche das Band seiner Zunge gelöst hatte, nicht auch in ihm die Bande brechen, welche die Sünde um ihn geschlagen hatte, musste, wenn er auf den Reinen und Heiligen schaute, der ihm Helfer und Arzt geworden war, er nicht zugleich den Arzt der Seele erken­ nen, der zum ewigen Leben führt? nen,

welche um ihn herstanden.

Uttb so war es auch bei de­ Sie hatten ja nichts Aeußer-

liches empfangen von des Herrn Hand, sie sahen nur des Kranken Heilung und wie vielfach konnten sie nicht vernommen ha­ ben, wie irdische Kunst ähnliche Gebrechen geheilt hätte.

Aber

das Wort des Herrn: thue dich auf! es war wie ein Ruf der Auferstehung zu den Gcistigtodten gedrungen, nicht die Bande der Zunge des Stummen allein hatten sich gelöst, auch die Bande, in welchen die Geister gefangen waren, durch das Wort des Herrn;

hatten brechen müssen

in ein neues heiliges Leben fühlen

sie sich versetzt, das Leben des Glaubens ist über sie gekommen, nun erst verstehen sie die prophetische Stimme:

„die Erlöse,

„ten werden kommen mit Jauchzen, ewige Freude „wird über ihrem Haupte sein:

Freude und Wonne

„werden sie ergreifen und Schmerz und Seufzen wird „weg müssen" und in diesem Gefühl der Seligkeit rufen sie: Er hat Alles wohl gemacht!

Wir aber, so weit wir des

Herm Jünger sind, stehen nicht ferner von seiner himmlischen Gnade, von dem Zustande der Seligkeit, welchen er bringt, als jene in den Zeiten seines irdischen Wandels. Die Kraft, in wel-

*) Jes. 35, 5. 6.

49 cher der Herr Wunder gethan, sie hat nicht aufgehört zu würken, sie hat sich nur weiter ausgebreitet, nicht auf Einzelne allein, auf ganze Völker und Geschlechter ist sie übergegangen und lasst auch uns in dem Heile und der Seligkeit, welche durch sie hervorgehen Christum den Heiland der Welt in seiner Herrlichkeit erkennen. — Wie oft, m. A., sind wir in den Kümmernissen und Bedrängnissen de» Lebens zu unserm Herm getreten und haben ihn um seine Hülfe gebeten und von ihm nur ganz AeußrrrS und Irdisches verlangt.

Aber ob seine Hand unS äußerlich gegeben hat waS

wir flehten, oder ob er es uns versagte: durch die Vereinigung mit ihm in brünstigem Gebete wurden wir schon zu ihm gezogen, da theilte sich uns schon eine Fülle seines Geistes mit, und wenn er unS Äeußeres gegeben, ja überschwenglich mehr im Irdischen unS zuertheilt hat als wir baten: wir fühlten wohl, die äußere Gabe ist eine vergängliche, irdische Gesundheit muss doch wie­ der hinschwinden, irdische neugeschenkte Güter werden doch ver­ alten; aber die Liebe und die Kraft des Gebers würkte in uns auch das himmlische Gut, richtete unsern Sinn von dem Ein­ zelnen und Vergänglichen auf die Quelle der Gnade, die uner­ schöpflich ist.

So erlangten wir statt der irdischen Erhörung oder

mit ihr feste Vereinigung mit Christo und Erkenntniss seines Heil», statt vorübergehender kurzer Hülfe Leben und Seligkeit.

Und

wo der Herr einem im Elend der Sünde Verlornen durch seine Gnade das taube Ohr geöffnet und die Zunge, welche nur im Dienste des Irdischen lag, gelüset hat, um seinen Namen zu preisen und zu zeugen von seiner Herrlichkeit, da hat der Herr in der Kraft seiner Wunder nicht den Einen allein geheilt und beseligt, da hat er in ihm und mit ihm so viele beglückt mit denen er vereint wandelt, auf die er würkt in dem neuen Christo geweihten Leben. Beispiele.

Und sie können uns ja nicht ferne liegen diese

Jede Stund« der Reue und Bekehrung, jede liebe­

volle Versöhnung mit den Brüdern, jeder Tag des Heils, wo die Kraft des Erlösers den Sünder zu sich zieht, den Ermatten-

Pischon Prcd. II.

®

50 den stärkt, dm Sterbenden im Anschauen der innern Seligkeit die letzten Augenblicke verklärt, zieht uns wieder zu unserm Hei­ land.

So hat sich auch seine Kirche, das große Zeichen seiner

Wunderkrast, ausgebreitet über die Welt, so ist sie zu uns ge­ kommen und hat über Jahrtausende hinweg ihre Segnungen zu un§ gebracht; so ruft ihr Bestehen und ihre Fortpflanzung uns ewig zu: Christus der Herr seiner Gemeine ist ihr Heiland, ihr Seligmacher.

Darum lastet auch uns auf ihn schauend im Ge­

fühl der Seligkeit, welche er ausspendet, jede Erdennoth ver­ gessen und freudig ausrufen: Amen.

Er hat Alles wohl gemacht!

V. Welchen Einfluss die Lehre, daß der Vater dem Sohne alles Gericht übertragen hat, auf unser Leben haben wird. Ueber Joh. 5, 22 — 24.

Die Gnade unser« Herr» u. s. f.

Text.

Joh. 5, 22—24.

Denn der Vater richtet niemand, sondern alles Ge­ richt hat er den» Sohn übergeben. — Auf daß sie alle den Sohn ehren, wie sie den Vater ehren.

Wer

den Sohn nicht ehret, der ehret den Vater nicht, der ihn gesandt hat. — Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort halt und glaubet dem, der mich ge­ sandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurch gedrungen.

^Oieft heiligen Worte, meine in Christo Geliebten, sind aus einer Rede unsers Herrn genommen, welche er zu seinen FeinD 2

■r>2 den, den Juden, sprach, als sie ihn todten wollten, weil er einen Unglücklichen, der acht und dreißig Jahre lang an schwerer Krank­ heit damieder gelegen, am Sabbath geheilt hatte.

Obschon diese

absichtlich den Herrn verwarfen, gaben sie sich dennoch für solche aus, welche Eiferer für den Baker im Himmel und treue Be­ wahrer und Vertheidiger seiner heiligen Gebote wären.

Darum

rief der Herr den Heuchlern, welche sich rühmten, daß ihr Lohn am Tage des Gerichts beim Vater groß fein müsse, da sie ihn Herr genannt und feine Gebote dem äußern Buchstaben nach be­ folgt hatten, in den Worten unsers Textes zu: der Vater rich­ tet Niemand, sondern alles Gericht hat er dem Sohn übergeben,- daß sie alle den Sohn ehren, wie sie den Vater ehren.

Wie er aber immer der Milde und Freundliche

ist, so fügt er dem warnenden Wort das tröstende hinzu: mein Wort hält hat das

ewige Leben und

wer

kommt

nicht in das Gericht; damit er auch die kalten Herzen ge­ wönne und aus dem Tode der Sünde zum Leben führe.

Wenn

wir aber den Sohn nicht verwerfen, wie nöthig wird eS doch auch für unS sein, uns vorzuhalten, daß Jesus Christus, wie er den himmlischen Vater auf Erden verklärt hat und ihm gehor­ sam biS zum Tode die Gemeine gesammelt, die niemand aus seiner Hand reißen kann, so auch des Vaters Richteramt üben und die Welt nach seinem Evangelio richten wird.

Diese Lehre

lasset uns ein Wort der Warnung sein, damit sie uns auch ein Wort des Trostes werde und darum nach Anleitung unsers Tex­ tes in frommer Andacht erwägen: Welchen Einfluss die Lehre, daß der Vater dem Sohne alles Gericht übertragen hat, auf un­ ser Leben haben wird; und zwar: I.

auf unsem Glauben,

II. auf unser Handeln, III. auf unser Hoffen.

63

I. Die Lehre in unserm Tert, daß der Vater im Himmel alles Gericht dem Sohne übergeben hat, muss, indem sie auf unser Leben einen reichen Einfluss übt, diesen zuerst zeigen in Bezie­ hung auf unsern Glauben. Denn wer über uns zu richten, wer «in Urtheil der Seligkeit oder der Verdammnis- über uns auszusprechen die Macht haben soll, der muss unser höchster Herr sein, vor dem müssen wir uns im Staude beugen. Und wenn wir je einem zugestehen mögen, daß ihm alles Gericht über uns solle übergeben sein, nicht allein über äußre Handlungen, son­ dern auch über die geheimsten Gedanken, über des Herzens in­ nerste Gefühle, über Leben und Sterben, über Leib und Seele, wem werden wir es zugestehen wollen, als allein ihm, der mit ewiger unendlicher Kraft Himmel und Erde und uns selbst ge­ schaffen hat, als dem Vater im Himmel? Aber die Worte un< sers Textes lehren uns: der Vater richtet niemand. — Schwer und unverständlich erscheinen uns diese Worte beim er­ sten Anblick. Der ewige Vater sollte nicht richten? Er, der von der Erde frühsten Zeiten sich den Menschen so herrlich und deut­ lich offenbart und keinem sich »»bezeugt gelassen hat, der drS Gewissens Stimme in uns gepflanzt, jedes Gefühl des Bestem und Heiligen in unsre Seele gelegt und uns so manches Pfund anvertraut hat, der sollte nicht richten über uns? — Aber nicht etwa, weil wir ihm nicht Rechenschaft zu geben brauchten, oder weil er die Macht nicht hatte zu richten, sondern weil, wie er den Sohn aus freier Gnade gegeben, er also auch das Richteramt an deS Sohnes Evangelium geknüpft hat, nur darum richtet er niemand. Und weil wir seine höchste und heiligste Offenbarung übersehen, weil wir, wie die Pharisäer in jenen Zeiten, den Sohn verstoßen könnten, der voller Gnade und Wahrheit unter uns gewandelt ist, darum richtet der Vater niemand. Welch einen Einfluss aber muss diese Lehre auf unsern Glauben haben? Die Feinde des Herrn, ob sie schon den Göttlichen verwarfen, meinten dennoch

Ö4

vor Gottes Gericht bestehen zu können, und so glauben auch jetzt noch Biele in unsern Zeiten vor Gottes Richterstuhl alle Schwach­ heiten ihrer Natur, alle tausend Mangel der Lage, in welche sie ohne ihre Schuld gesetzt sind, alle Irrthümer und Sünden ihrer Zeit, alle Macht der Verführung geltend zu machen, glauben bort auszahlen zu können alle einzelnen rechtlichen Handlungen, die sie vollbracht, alle Wohlthaten, welche sie vielleicht aus unlautern Gründen gespendet und jede scheinbare Tugend, in welche sie sich eingehüllt haben, und also vor dem, der sie geschaffen und ihr irdisches Schicksal geleitet hat, zu bestehen. Aber das Alles wird nun in des Gerichtes Wage zu leicht befunden, denn der Va­ ter richtet niemand, sondern alles Gericht hat er dem Sohn übergeben. Das ist der Sohn, welcher strafend zu den Verächtern seines Wortes gesprochen: Wenn ich nicht ge­ kommen wäre und hätte es euch gesagt, so hättet ihr keine Sünde, nun aber könnt ihr nichts vorwenden eure Sünde zu entschuldigen'). Er aber wird nun die Welt nach seinem Evangelio richten. Er wird nicht auf die Menge der Schwachheiten und Sünden sehen, die in unsre Natur und Lage verwebt sind, sondern auf die Fülle seiner Gnade, welche er den Menschen hülfreich dargereicht hat; er wird nicht nach der Verführung der Welt fragen, son­ dern ob wir, die Schwachen, durch seine Kraft mächtig gewor­ den sind; nicht fragen nach dem einzelnen Trefflichen, was wir gethan, sondern ob er der heilige Grund unsers ganzen Lebens gewesen ist und ob wir gewandelt sind ihn und seine Liebe und Gnade ewig in unserm Herzen? Anders aber konnte es auch nicht sein, wenn der Wandel des Herrn auf Erden, wenn das große Werk seiner himmlischen Liebe nicht zum Spott werden sollte. Denn was, würden die Verächter Christi sagen, was hat er denn der Erde gebracht? Ja, wenn wir die Herrlichkeit der ) 2«h. 15, 2-2.

alten Völker deS HeidenthumS ansehen, nach welcher sich jetzt noch Biele sehnen, wenn wir auf den Wandel der hohen Pa­ triarchen schauen, welch« ahne zu murren auch das einzige Kind dem himmlischen Vater opferten, wenn wir die Klagen über da» jämmerliche Wesen der Gegenwart hören und die Stimmen, welche nur die Vergangenheit rühmen und sagen: daß es immer schlechter werde in der Welt, dann könnten auch wir fragen: was hat denn der Heiland der Erde gebracht? wenn e» nicht wäre das stille Gottesreich, daS, dem sterblichen Auge verborgen im Innern würkt, nicht wäre der ewige Trost in den Herzen der Millionen, deren Thränen niemand zählt als die Engel Gottes, nicht wäre das unerschütterliche Vertrauen auf den, welcher die Welt überwunden hat und zur Rechten des Vaters thronend seine Kirche mächtig schützt und regiert, nicht wäre der nun unum­ stößliche Glaube, daß, weil er Richter ist, seine Gläubigen nicht inS Gericht kommen.

Denn glauben wir nicht anders an den

Erlöser als an den, welcher erschienen ist unsre menschlichen An­ gelegenheiten kärglich und ärmlich zu bessern, nur die niedrigsten Begierden und Lüste der Sterblichen in Zaum zu halten, warum hätte er denn deshalb den Himmel verlassen und in Knecht»gestalt wandeln und sterben müssen? und ist das nicht ein Ver­ spotten seiner ewigen Milde und Herrlichkeit und ein Verleugnen de» himmlischen Heilandes, dessen Jünger unS zu nennen dann Sünde ist? Aber wenn wir ihm in unsers Texte- Worten glau­ ben, wenn wir ihn als den aufnehmen, dem der Vater alles Ge­ richt übergeben hat, vor dessen Stuhl unser Werth nur nach sei­ nem Evangelio gewogen wird, wenn er in unsrer Seele als der steht, welcher sanftmüthig war und von Herzen demüthig, aber darum auch als der, welcher, wenn die Zeit der Gnade verflossen ist, seine Worsschaufel in seiner Hand hat, seine Tenne fegt und den Weizen in seine Scheuren sammelt, aber die Spreu mit ewi­ gem Feuer verbrennt: o welch ein andrer, heiliger Glaube an ihn ist das, alS der an einen hohen irdischen Lehrer der Men-

56 scheu!

Wer kann diesen Glauben bekennen, ohne ein Christ zu

sein, und wem, der seine Knie nicht vor seinem Herrn und Hei­ land beugt, müsste er nicht ein Aergerniss und eine Thorheit sein;

denn nach diesem Glauben steht in gleicher Majestät mit

dem Vater, der die Welt erschaffen hat, der Sohn da, der sie erlöset und richtet.

Erkennen wir diese Wahrheit, so wird es uns denn zwei­ tens auch deutlich werden:

welch einen Einfluss diese Lehre,

daß der Vater dem Sohn alles Gericht übergeben hat auf un­ ser Handeln haben muss. Zuerst aber diesen nach unsers Tex­ tes Worten: daß sie alle den Sohn ehren, wie sie den Vater ehren. — Doch ehren denn die den Vater, die gleich den Gegnern des Herrn, welche ihn zu todten suchten, deS Herrn Lehre von sich weisen und ihr Herz von seiner Liebe abwenden! Gewiss, Andächtige, wie auch das Göttliche ganz erstorben zu sein scheint in der menschlichen Brust, wie wir auch die Verblen­ deten in mancherlei Thorheiten, Lüsten und Sünden wandeln se­ hen, den Vater können sie doch nicht verleugnen, den ehren sie doch, und selbst die frevelnde Zunge verstummt vor seiner Macht und das trotzige Herz erbebt dis in den tiefsten Grund vor sei­ ner Majestät; aber gegen des Sohnes Liebe verstocken sie sich, seiner Milde widersteht ihr harter Sinn, und weil er in Men­ schengestalt erschienen ist, ziehen sie ihn zu sich in den Staub herab.

Aber wenn wir an ihn glauben, als an den, dem der

Vater alles Gericht übergeben hat, wenn wir es fühlen, wie er dieses Gericht nur zu unserm ewigen Heile übernommen hat, wie aber Alles vor seinem Richteistuhl

offenbar werden muss:

o,

welche heilige Ehrfurcht muss da unser Gemüth ergreifen und wie muss diese Ehrfurcht mit inniger Liebe zu ihm und dem Vater, welcher sich durch ihn in seiner Herrlichkeit offenbart hat, sich verbinden; wie müssen wir unsern Weg in Furcht und Freude

57 wandeln vor seinem Angesicht zu bestehen und jedes Wort deS ewigen SohneS heilig halten, wie ein Wort des ewigen Vaters. So wird auch der Lusspruch unser- LerteS uns verständlich wer­ den: wer den Sohn nicht ehret, der ehret den Vater nicht, der ihn gesandt hat. Denn jene Ehrsurcht der Sün­ der vor der Herrlichkeit Gottes, sie ist doch nur eine knechtische, welche der Vater nicht als ein reines Opfer annehmen und welche darum nichts vor ihm gelten kann.

Aber die reine heilige Ehr­

furcht, welche in stiller Demuth ihre Knie vor Gott beugt, welche ihm allein wohlgefällig sein und Wetth vor ihm haben kann: nur aus der Liebe kann sie hervorgehn und in des SohneS Sen­ dung hat sich des Vaters Liebe am höchsten verklärt.

Damm

nur, wer den Sohn ehrt, kann wahrhaft den Vater ehren, der ihn gesandt hat, und wer ihn nicht ehret, der erkennt seine höchste Liebe nicht und unehret ihn, da er den großen Gesandten seineGnadenreichs von sich stößt. — Wenn aber unser Handeln nur ein Ehren de- SohneS Gottes sein soll, wie kann eS sich neben dem innern Erfülltsein deS Herzens von ihm, neben der heiligen Gemeinschaft des Gebets zu dem Erlöser und dem Genusse seines Sakraments anders aussprechcn, als daß wir fein Wort hören und danach thun. Denn sein Wort hören, unser Ohr ihm nicht verschließen, daS heißt, eS auch treulich halten; dem glauben, der ihn gesandt hat, welcher als das ewige Wort deS Vaters unter uns wandelte, das heißt auch den Willen deS BaterS im Him­ mel thun, welchen sein Gesendeter verkündigt hat und sein Leben mit Werken der Liebe schmücken, welche der Sohn, wenn er rich­ tet, von uns fordem wird.

Aber sollen es äußere Werke sein,

zu denen die Lehre, daß der Vater dem Sohne alles Gericht übergeben hat, uns auffordert? Soll sie uns die alte Wrrkheiligkeit wieder lehren, in welche die Kirche Christi im Laufe der Zeit versunken war, wie jene Pharisäer und von welcher die Kraft GotteS in den herrlichen Helden der Kirchenverbesserung uns wie» der losgerissen hat? Nein, meine Geliebten, jene Werkheiligkeit soll

58

sie nicht lehren, denn wir wissen eS wohl, daß derMensch ge­ recht wird ohne deS Gesetzes Werke allein durch den Glauben'). Aber auch ohne die Liebe? auch ohne die Frucht deS Glaubens, welche des Christen Leben schmücken soll? O lasst unS sorgen, daß das göttliche Wort uns nicht zum todten Buchstaben werde, aus dem der Geist von oben, der es gegeben hat, entflohn ist. Lasst uns nicht hangen und kleben an dem Worte „Glauben," wie leider so oft geschieht. Es giebt ja keinen Glau­ ben ohne Thun. Denn der Herr spricht: an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen, nicht die werden in das Him­ melreich kommen, die zu mir sagen: Herr, Herr! son­ dern die den Willen thun meines Ljaters im Him­ mel"), und derselbe Apostel, der den Glauben so hoch und herr­ lich darstellt, er sagt dennoch: die Liebe ist daS Größste. Zu diesem Handeln in der Liebe, zu diesen beseligenden Werken deS Glaubens fordert uns aber krästiglich die Lehre auf, daß der Dater alles Gericht dem Sohn übergeben hat. Denn alö er von seinem Gerichte redet und im Geiste uns zu dem Lage hin­ führt, wo alle Geschlechter der Menschen vor ihm versammelt sein sollen und vor seinem Richterstuhl offenbar werden, da stellt er sich unS selbst als den König dar, der sagen wird zu denen, zu seiner Rechten: was ihr gethan habt den geringsten un­ ter meinen Brüdern, das habt ihr mir gethan, und die will er verstoßen zu seiner Linken, zu denen er sagen muss: was ihr nicht gethan habt einem dieser Geringsten, da- habt ihr mir auch nicht gethan'"). Welche Auffor­ derung ist nun daS auch für unser Handeln, welch eine Aufsorderung, in denen, mit welchen der Herr uns innig im Leben verbunden hat, als Gatten, Eltern, Kindern, Geschwistern und Freunden, den Erlöser selbst zu lieben, es stets'zu bedenken, daß jede Liebe und Selbstaufopferung, ihnen erwiesen, dem Herrn er*) »6m. 3, 28.

♦♦) Math 7, 21.

♦♦*) Math. 25, 40. 45.

wiesen, daß jede Härte und Lieblosigkeit, welche wir an ihnen begehen, an Christo dem Herrn begangen ist, den wir äußerlich nur in unfern Brüdern lieben können, um so unsem Wandel zu schmücken mit Früchten des Geistes zum ewigen Leben.

AuS

solchem Handeln wird dann kein Stolz und keine Werkheiligkeit hervorgehn, wir werden nicht auf unser Thun trotzen, sondern erkennen, wie die Gnade in und würksam sein muss und wir durch unsre Kraft nichts vermögen und nur als Reben an ihm, dem Weinstock, Frucht bringen können; aber mit Freudigkeit wer» den wir unsre Bahn gehen und nicht vor seinem Gericht er­ zittern. III. Dies aber, nt. G., führt unS endlich noch darauf drittens zu fragen: welch einen Einfluss die Lehre, dass der Vater dem Sohn alles Gericht übergeben hat, auf unser Hoffen haben wird. — Den Feinden des Herrn, welche seine Lehre nicht an­ nehmen und an sein Gericht nicht glauben, ist auch in den Wor­ ten unsers Textes kein Trost gegeben, sondern nur von dem, der sein Wort hält, spricht der Herr: er hat daS ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen.

Und daS ist die

Hoffnung der Gläubigen, welche keine leere und eitle sein kann, welche schon hier die Erfüllung der segensreichen Betheurung deS Herm in sich trägt, daß er von ihnen sagt: sie haben das ewige Leben.

Denn das Herz derer, die der Welt angehören und nur

auf das Vergängliche sehen, ist voll von nichtigen irdischen Wün­ schen, und wenn sie ihnen erfüllt werden, sehnen sie sich wieder nach eben so irdischen, bis nach allem falschen vergeblichen Rin­ gen und Trachten ihnen die Stunde des Todes schlägt. Oder ehe sie noch schlägt, sehnen sie sich in eine andre Welt hinüber, weil hier ihre Freuden ihnen genommen, weil hier ihre Hoffnungen ihnen nicht erfüllt sind und der Tag des Lebens ihnen zu heiß

60

wird, und meinen thöricht, daß, wenn sie den dunkeln Weg durch des GrabeS Nacht gegangen sind, sich ihnen bort ein neues Pa­ radies öffnen müsse, ohne zu bedenken, daß Sünde und Unglau­ ben sie aus jedem HimmelSgarten vertreiben müssten und daß himmlische Früchte nicht reifen können aus irdischem Saamen. So möchten sie daS Nichtige und Zeitliche, was sie hier gewollt und getrieben noch in eine andre Welt hinüber nehmen, zum sichem Zeugniss wider sie, daß sie das ewige Leben nicht in sich tragen. Aber von denen, die da glauben baß dem Sohne alles Gericht übergeben ist, spricht der Herr: Wahrlich, wahrlich ich sage euch, wer mein Wort hält, der hat das ewige Leben. Nicht erst erhalten soll er es, nicht erst an eine ferne Zeit soll sein Sehnen und seine Hoffnung hingewiesen sein, schon hier soll er die Erfüllung der Verheißung des Herrn in seinem Busen tragen. Auf ihn schaut darum der Gläubigen Blick, auf ihn, der einmal in der Welt erschienen ist und die ewige Erlösung gebracht hat; in die Tiefen des eignen Gemüths schauen sie, wo der Gedanke, daß der Sohn von jedem anvertrauten Pfunde einst Rechenschaft fordert, die Sünde verdrängt hat; wie auch des Le­ bens Ungewitter sie bedräuen und die Macht der Menschen sie verfolgt, sie fühlen in ihrer Brust, daß sie in dem Allen weit überwinden durch den Herrn, mit dem sie eins sind und tragen in dieser Zeitlichkeit schon das ewige Leben in sich.' Und wenn sie mit ihren Gedanken hinüber eilen in das Land der Zukunft, zu dem sie durch den Tod eingehen sollen, sie wissen es, daß nur irdische Fesseln in den Gräbern abfallen, aber daß die Gemein­ schaft mit dem Herrn in ihnen nicht untergehen kann, das ewige Leben, das sie schon hier durch den Glauben haben, giebt ihnen die Hoffnung, und nicht mehr die Hoffnung, sondern die unum­ stößliche Gewissheit, daß das Haupt seine Glieder nicht lassen wird und sie bei dem Herrn sein werden alle Zeit. Endlich aber, Andächtige, ist das der Einstuss der Lehre, daß der Later dem Sohn das Gericht übergeben hat, auf unser Hos-

6t feit, daß wir nun nicht in'S Gericht kommen, fonbem vom Tode zum Leben hindurchgedrungen sind. — Denn die den Sohn nicht ehren und seines Gerichtes spotten, nur eine Zeitlang währet ihr Hoffen und ihr getroster Sinn. Bald wechselt daZagen der Verzweiflung mit ihrem Trotze und wie schon hier jedeLeiden der Zeit, welches die Schrift auch Tod nennt, sie zu Boden beugt und aus ihnen wie eine Strafe des Göttlichen ruht, dm sie verleugnen; wie hier schon das Versagen ihrer Wünsche daS freudige Leben in ihrer Brust erstickt und sie mit Elend erfüllt: so tritt auch bald, wenn die letzte Stunde ihnen naht, an die Stelle erneuter irdischer Freuden für jene Welt die Angst vor dem Gericht, wo der Rath der Herzen offenbar werden soll und woran sie so lange gezweifelt das wird ihnen zur schreckenden Gewißheit, was sie so lange von sich entfernt gehalten, dem mö­ gen sie nun nicht länger entfliehen; in schreckender Gestalt tritt Christus vor das brechende Auge und sie sprechen: Fallet über uns, ihr Berge, und ihr Hügel decket und!*) — Aber die schon immer an den Sohn und an sein Gericht glauben, und darum nach seiner Leitung ihr Leben gebessert und sich von ihm die Kraft zur Heiligung erfleht haben, sie begleitet durch daLeben des Herrn Wort: sie kommen nicht in-Gericht und sind vom Tode zum Leben hindurch gedrungen! Wie vielfacher Schmerz und Tod dieser Zeitlichkeit sich ihnen schon hier genaht hat, sie haben es stets gefühlt, wie er ihnen nicht zum Gericht geworden ist, sondern sie durch ihn zum Leben gedrun­ gen sind. Wo die Welt sich verlassen und unglücklich fühlen würde, da sprechen sie getrost: der Herr ist mein Helfer, ich will mich nicht fürchten; wo ihrer Sünden Menge sie betrübt und beugt, da richten sie sich mit freudigem Muthe auf, weil sie wissen: der Sohn kam, um die Sünder zur Buße zu rufen, und verbinden sich immer fester mit ihm; wo Krankheit und Schmerz, ’) Luc. 33, 30.

fi‘J

Verfolgung und Qualen sie treffen, da nehmen sie ihr Kreuz auf sich, um der Jüngerschaft des Herrn würdig zu sein.

Was

aber ihre von Sorgen beschwerte Brust so freudig hebt, was ihnen auch das Leiden zum Besten dienen lässt, das kann, weil es von GotteS Geiste stammt, nun auch ewig nicht untergehen.

Und

weil es ihnen hier aus jedem Tode geholfen und sie an daS Licht eines neuen Lebens geführt hat, weil es sie hier aus jedem Ge­ richt errettet und statt des strafenden Richters nur den milden Versöhner hat sehen lassen: wird es sie auch aus dem letzten Tode erretten, werden sie auch vor dem letzten Gerichte nicht za­ gen, wo der Sohn nach dem Evangelio richten will, das schon hier immerdar ihres Herzens Freude und Trost gewesen ist. Darum, wenn die Stunde kommt, in welcher alle, die in den Gräbern sind, die Stimme des Sohnes Gottes hören *), wer­ den sie mit Freudigkeit auferstehen im Gefühl deS ewigen Le­ bens und in der Gemeinschaft der Heiligen, die früher und spä­ ter von der Erde zum Sohne gegangen sind und von denen keiner verloren ist, es selig empfinden, daß sie nicht in das Gericht kommen, sondern von jedem Tode zum Lebm hindurch­ gedrungen sind. Das, andächtige Christen, ist das Heil, welches aus der großen Lehre, daß der Vater alles Gericht dem Sohne übergeben hat, hervorgehen muss.

So möge sie denn durch den Geist von

oben in uns würken, so möge unser Glaube an Christum den ewigen Richter, fest stehen, so möge er unser Herz läutem, un­ sern Willen heiligen, uns Kraft geben des Glaubens Früchte zu bringen. Und so möge es dann auch sein, daß in allen Stun­ den deS Lebens, wo der Kampf sich uns naht, die ewige Hoff­ nung den Sieg verleihe und wir durch jeden Tod zum Leben dringen; so möge es, wenn die Stunde erscheint, wo der Herr ruft und das müde Auge sich zum Grabesschlummer schließen ) 2oh. 5, 38.

03

soll, auch uns also fein, daß unS alle Angst des Gerichts mi­ schwunden ist, und wir in unsrer Todesstunde, wie der heilige Zeuge, der zuerst sein Blut für das Evangelium vergoss, dm Himmel offen und den Herrn in seiner Herrlichkeit sehen, nicht alS den strengen, sondem als den milden Richter und im Gefühl des ewigen Lebens sterbend sprechen können: Herr Jesu, nimm meinen Geist aus! Amen.

VI.

Von der Liebe zu Jesu Person. Ueber Joh. 21, 15 —19. Die fflnabe unsers Herrn und Heilande« u. s. f.

Text. Evangl. Joh. 21, 15 —19.

Da sie mm das Mahl gehalten hatten, spricht Je­ sus zu Simon Petro: Simon Johanna, hast du mich lieber, denn mich diese haben? Er spricht zn ihm: Ja, Herr, du weißest, daß ich dich lieb habe. Spricht er zu ihm: Weide meine Lämmer. — Spricht er zum andern Mal zu ihm: Simon Johanna, hast du mich lieb? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißest, daß ich dich lieb habe. Spricht er zu ihm: Werde meine Schafe. — Spricht er zum dritten Mal zu ihm: Simon Johanna, haft du mich lieb? Petrus ward traurig, daß er zum dritten Mal zu ihm sagte: Hast du mich lieb? und sprach zu ihm: Herr, du weißest alle Dinge; du weißest, daß ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe. —

Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Da du jünger wä­ rest, gürtetest du dich selbst, und wandeltest, wo du hin wolltest; wenn du aber alt wirst, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein Anderer wird dich gür­ ten und führen, wo du nicht hin willst. — Das sagte er aber, zu deuten, mit welchem Tode er Gott preisen würde. Da er aber das gesagt, spricht er zu ihm: Folge mir nach. So oft wir, meine in Christo (Beliebten, diese heiligen Worte lesen und hören, üben sie gewiß eine ergreifende Kraft aus unser Gemüth aus.

Denn wer sollte nicht mit inniger Theilnahme

auf den Jünger Jesu schauen, welcher uns in seinem ganzen Le­ ben so lieb geworden ist und im Namen seiner Mitjünger das schöneBekenntniss des Glaubens ausgesprochen hat: Herr, wo­ hin sollen wir gehen, du hast Worte des ewigen Le­ bens, und wir haben geglaubt und erkannt, daß du bist Christus der Sohn des lebendigen Gottes!') Wer aber sollte nicht auch mit Schmerz auf seine Verleugnung des Meisters geschaut, wer nicht mit Theilnahme seiner bittern Reue­ thränen gedacht haben und seiner tiefen Leiden, als sein Herr im Grabe lag.

Wie getröstet fühlen wir uns daher durch die Er­

zählung unsers TerteS, wie getröstet für ihn und uns, welche in ihrer Schwachheit ihm so ähnlich sind, wenn wir aus des Erlö­ sers Munde das Wort vernehmen, welches alle Schulden aus­ söhnt und den gefallenen Jünger wieder in die ganze Fülle der Gemeinschaft mit seinem Herrn aufnimmt, das Wort der Gnade: Weide meine Schafe! — Doch wovon macht der Herr die­ ses Wort abhängig?

wie spricht er vorher zu dem gefallenen

Jünger und welchen Beweis der Reue und seiner Umkehr auf

•) 2«h. 6, 68. Pischon Prrd. II.

E

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dir Bahn des HrilS fordert er von ihm? „Simon Johanna: hast du mich lieb?" das ist die Prüfung, welche er ihm vor hält. Er sagt nicht zu ihm: bereuest du auch wahrhaft deine Schuld? er spricht nicht: willst du auch fortan treulich GotteS Gebote halten? er fragt nicht: liebst du auch Gott von ganzem Herzen und deinen Nächsten als dich selbst? nein! er fragt nur das Eine und dreimal dasselbe: hast du mich lieb? und als fein Jünger aus dem tiefsten Herzen antworten kann: du weißst, daß ich dich lieb habe! da nimmt er ihn auf in seine volle Gemeinschaft. So ist es denn die Liebe zu Jesu Person, welche von allen gefordert wird, die seiner Gemeinschaft angehören wollen, und da der Herr selbst sie so hoch gestellt hat, so lasset sie unS wohl erwägen und zum Gegenstand unsrer frommen Betrachtung in dieser Stunde der Andacht machen. Wir wol­ len reden: von der Liebe zu Jesu Person, und zuerst betrachten: I. waS die Liebe, welche der Herr von Petro for­ dert, umfasst? und dann sehen: II. wozu sie die Seinen führt und geschickt macht? I.

DaS Gefühl der Liebe ist in aller Menschen Brust auSgegoffrn, daS kündigt sich unS als der göttliche Funke an, welcher in uns gelegt ist, wie der Apostel sagt: wer in der Liebe bleibet, der bleibet in Gott und Gott in ihm. Dies ist es auch, welches unS zu Menschen zieht, welches uns erst sä. hig und geschickt macht theilnehmende Geschöpfe zu sein, Ge­ meinschaften zu gründen und zu erhalten, diesen Verbindungen Segen zu spenden und Frieden zu bringen. Es wird aber die­ ses hohe Gefühl zuerst auf die gelenkt, welche unsers Geschlechtes sind und unter den Menschen auf die, welche unS am nächsten

67 stehen.

Alle- was Freundliche-, Schöne-, Lieben-wertheS au-

diesen un- entgegenspn'cht, fordert un- auf sie zu lieben, dazu zieh» unS die Bande der Natur, die Gefühle der Dankbarkeit, die Erkenntniss höherer Größe und eigner Ohnmacht und De­ muth.

In der Mutter, die uns geboren, gesäugt und gepflegt,

in dem Vater, der treulich für uns sorgt und wacht, in den trauten Geschwistern und Gespielen, welche mit uns sich freuen und trauern: da kommen schon dem Kinde die Gegenstände rei­ ner heiliger Liebe entgegen, welche den Treuen kein Raum und keine Zeit zu entreißen vermag. — Finden wir dann auf dem weitern Lebenswege Menschen, welche durch Theilnahme an un­ serem Geschick unser Herz gewinnen, in denen wir einen Reich­ thum schöner Gaben und stiller Frömmigkeit erkennen, die auch uns zu beglücken und unser Leben zu verschönern vermögen, welche in freundlichem Austausch ihrer Kräfte, welche unter Freude und Leid in der Hingabe ihres Gemüthes an uns als ein höheres Geschenk unS erscheinen: so thut sich ein neuer Sinn heiliger Liebe unS auf und wir möchten mit ihnen unser Leben vereini­ gen, Alles mit ihnen theilen und sie nie verlassen. — Gehen wir endlich in das öffentliche Leben hinein und schauen die großen Menschen an, welche mit hohen Gaben ausgerüstet in treuem Ei­ fer und unermüdeter Aufopferung Unglaubliches vollbringen; öff. net sich unS der Mund weiser Lehrer, welche die Liefen unsers Wesens uns offenbaren und heilige Gefühle in uns pflanzen; se­ hen wir die Hirten und Führer der Völker und Zeiten, welche weit umher Frieden und Freude pflegen und spenden;

blicken

wir in die Vergangenheit und schauen die erhabnen Gestalten, welche in unerschütterlichem Heldenmuth, wie in demüthiger Rein­ heit und kindlicher Frömniigkeit Menschen und Reiche beglückt haben und in ihrem Glanze durch weite Jahrhunderte strahlen, weil sie Retter der Welt geworden sind, Trost in Hütten und Paläste gebracht haben und die Spuren ihrer Segnungen noch in dir fernste Zukunft verbreiten: dann steigt noch ein andereE 2

(iS Urbild der Liebe vor uns auf und wir schließen uns den einzel­ nen erhabnen Gestalten an, oder sammeln uns aus ihren beson­ deren Zügen ein hohes Vorbild, dem wir folgen und angehören wollen. — Aber in wem sammelt sich das Alles, was wir so in den Menschen lieben, zum erhabensten und vollkommensten Bilde als nur in dem Bilde Jesu Christi unsers Herrn.

Alle Innig­

keit deS fühlenden Gemüths, alle holde Freundlichkeit, alle auf­ opfernde Hingebung, alle Reinheit und Heiligkeit der Seele, alle Erhabenheit des Geiste-, aller die Welt bezwingende Heldenmuth, wie sie in einzelnen Gestalten unser Herz gewinnen können: sie finden sich allein vereint und himmlisch erhöht in diesem Bilde unsers Herrn; ja, alle Strahlen der Gottähnlichkeit, wie sie in einzelnen Menschen geleuchtet haben, sie sind gesammelt und zu überirdischem Glanze erhoben in des ewigen Mittlers heiliger Ge­ stalt.

In ihm, dem Ebenbilde des himmlischen Vaters, in ihm

lieben wir das von keinem Einzelnen erreichte Urbild alles Ho­ hen in der Menschennatur,

in ihm und durch

ihn allein die

Menschheit selbst, daß die Liebe zu ihm Alles umfasst, was Gro­ ßes und Liebenswerthes in den menschlichen Brüdern und Schwe­ stern zu finden ist; darum spricht der Herr: Simon Johanna, hast du mich lieb? Von der Erde aber, von den irdischen Gestalten, die uns umgeben, weist uns die Liebe zu dem hinauf, welcher die Men­ schen uns gegeben, welcher die Welt erschaffen und sie mit Herr» lichkeit uns geschmückt hat.

Des Frühlings Pracht, das Grün

der Wiesen, das Blau des Himmels, die wallenden Saaten, die rollenden Wogen, Erde und Himmel und Alles was darinnen ist, lobet den Herrn, es zieht uns zu ihm hinauf, wir fühlen von seiner Hoheit uns überwältigt, von seiner Macht uns erschüttert, aber auch von seiner Gnade erhoben, beugen unser Knie vor ihm, in dem wir leben, weben und sind, und beten seine Liebe und Herr­ lichkeit an.

Aber können wir das durch uns selbst? Tausende,

welche er mit den reichsten Gütern gesegnet hatte, haben, seine

69 Herrlichkeit »erkennend, sie in ein Bild gleich der Menschen und der Vögel und der vierfüßigen und kriechenden Thiere verwan­ delt, und haben geehrt und gedient dem Geschöpf mehr den« dem Schöpfer').

Tausende haben, wie reich auch des Ewigen

Gnade sich ihnen erzeigt hatte, nur knechtisch vor dem starken und eifrigen Gott sich gebeugt, der von Sinai gesprochen: ich will heimsuchen der Väter Sünden an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied, und haben deS liebenden Vaters vergessen.

Tausende haben gesetzt und setzen noch an

seine Stelle die Lüste und Begierden der eignen Brust und beten die falschen Götter an, und Tausende auch unter uns, welche die Segnungen seiner Liebe von Kindheit an erfahren haben, wollen sie nicht anerkennen und wünschen in finsterm Unmuth sich hinweg aus dem Reiche seiner Schöpfung. — Wer aber er­ hebt uns alle von dem Sichtbaren und Vergänglichen zum höHern Erkennen göttlicher Herrlichkeit, wer hat uns de» Vaters himmlische Liebe offenbart, wer in seinem Wesen und Wandel die ewige Erbarm ung uns kund gethan, die keinen möchte ver­ loren gehen lassen und zu dem Erbarmer mit heiligen Banden der Liebe uns zieht?

Das ist der Sohn, der Eingeborne, der

Mittler, in welchem Gott die Welt geliebt hat.

Nur durch ihn

und in ihm erkennen wir den Vater, nur er allein ist der Weg, der zu ihm uns führen kann, es giebt keine wahre Erkenntniss der Gnade des Vaters, keine wahre Liebe zu ihm als in Christo allein.

Wer Christum siehet und hat, der kann nicht mehr spre-

chen: zeige uns den Vater!

Wer ihn siehet, der siehet den Va­

ter, der schaut in ihm den Urquell aller göttlichen unvergäng­ lichen Liebe, welche von Noth und Elend der Sünde erlöset zum ewigen Leben.

Darum muß der Herr sprechen: Simon Jo­

hanna, hast du mich lieb? Wenn wir die Menschen innig lieben, wenn wir sie uns

) Ätm. 1, 23, 2o.

70 zum Führer wählen, wenn Gottes Werke uns entzücken und er­ heben, wenn wir vor seinen Fühmngen unS beugen und demü­ thig ihn anbetey, waS ist es überall waS hierin unser ganzes Wesen ergreift als die Ahnung deS Heiligen, das, wenn auch die Natur sich wandelt und die Menschen sterben und Jahrtau­ sende verfließen, nicht erlischt noch untergeht, sondem in derselben Wahrheit die Geister erfüllen wird, als da es zuerst in einem menschlichen Wesen sich offenbarte. — Früh schon kündigt dieses Gefühl sich uns an in des Gewissens Stimme und lasst daS Kind die Hand zurückziehen von der verbotnen Frucht, lasst unS auftreten als Richter unter unsern Gespielen, lässt unsre Wangen sich röthen und unsern Blick zur Erde niederschlagen, wenn wir es verletzt haben und

nun zur Rechenschaft gefordert werden.

Und je mehr die Kräfte der Gnade und des Verderbens in unS sich ausbilden, desto lebendiger wird auch dieses Gefühl in uns, desto klarer erkennen wir sein Wesen und empfinden reine Selig­ keit, wenn es in un§ wohnt, wenn sein Gesetz unS kein drücken­ des und niederbeugendes ist, sondern all unser Wollen und Thun mit ihm übereinstimmt und fühlen uns unaussprechlich unglück­ lich, arm und verlassen, wenn daS Heilige aus dem Tempel un­ sers Herzens

verscheucht und die Sünde darin

eingezogen ist.

Wir können uns nicht ableugnen, daß, ob auch äußerlich noch so sehr bedrängt, wir doch zu jedem Streit unS stark und mäch­ tig fühlen, wenn wir die reinen Herzen sind; aber auch in aller Fülle äußerer Herrlichkeit durch die Sünde elend und jammervoll, so daß jedes Leiden und jeder Schmerz der Welt gering ist ge­ gen den Schmerz des Bewußtseins unsrer Schuld und aller Muth und alle Kraft in unS erschlafft und todt ist, wenn wir sie aus der befleckten Seele schöpfen sollen. immer mit dem Apostel rufen:

So müssen wir denn noch

ich elender Mensch, wer

wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes! *) —

•j Rdm. 7,

71

Aber zu wem können wir uns wenden? in wem schauen HeiligeWesen? wer unter denen, deren Fuß diese Erde betretm hat, hat sagen können: welcher unter euch kann mich einer Sünde zeihen? wer vertilgt durch seine Nahe die Sünden unsrer Brust: al» der Heiligt GotteS allein, der Versöhner, der für un- gestorben und für uns auferstanden ist. Er lässt aus die, welche mit ihm sich vereinigen, den heiligen Gotte-geist sich ergießen, welcher die See. len läutert, reinigt, heiligt in Freude und Schmerz, welcher straft aber auch tröstet, welcher anklagt aber auch vergiebt, beugt aber wieder erhebt und mit dem Frieden Gotteö das zagend« Herz be­ ruhigt und erquickt. Zu ihm, der diesen Tröster sendet, zu ihm können noch immer alle in Sünden Zagenden und Zweifelnden sich wenden, als zu dem alleinigen Helfer, wie vor ihm Petrugrweint und zu ihm sich wieder erhoben hat, darum spricht er, unser Hort und Erlöser: Simon Johanna, hast du mich lieb? So fasst die Liebe zu Jesu Person alle höhere Liebe zur Menschheit, zu Gott, zu allem Heiligen zusammen und eS giebt nichts Hohe- und Erhabene-, wa» nicht in Jesu geliebt würde; so füllt die Liebe zu ihm Alle- auS, wa- von Frieden und Seligkeit in einem Menschen gefunden und von ihm ersehnt werden kann. II. Ist aber daS Wesen dieser Liebe so herrlich, dann, da Liebe sich überall in Thaten beweisen muß, lasset unS auch fragen : wozu die Liebe zu Jesu Person die Seinen führt und geschickt macht? Daß PetruS in unser- TerteS Worten sprechen kann: ja Herr! du weißst, daß ich dich lieb habe! da- wandelt auch sein sündige» Wesen um, und daß er in tiefem Schmerz fühlen muss, dreimal wiederhole der Herr die prüfende Frage, weil er ihn dreimal verläugnet habe, da- macht ihn wohl be«

trübt; aber eö reinigt auch den von allein Stolz und Hochmuth, welcher sagen darf:

du weißst alle Dinge, du weißst,

daß ich dich lieb habe, und zeigt ihm, wie der Herr ihn wie­ der geschickt halt seine Lämmer, seine Heerde zu weiden. — Pe­

rms

hatte in den Tagen der Leiden Jesu Christi stolz gesprochen:

wenn sich auch alle an dir ärgerten, nimmermehr ärgern!

ich will mich

und er allein hatte ihn verläugnet.

Aber als nun der Auferstandene zu ihm spricht: hast du mich lieber als mich diese haben, da will er sich nicht mehr über seine Mitjünger erheben, sondern zur Liebe zu seinem Herrn be­ kehrt, ist er nur voll davon, diese durch sein ganzes Leben zu be­ weisen.

So bricht die Liebe zu Jesu in uns Stolz und Hoch­

muth, die gefährlichen Feinde in unsrer Brust, welche jedes hei­ lige Band mit Gott und Menschen zerreißen.

Und das ist nicht

allein Stolz, wenn wir verächtlich aus andere herabsehen und über sie und erheben, auch das ist Stolz, wenn wir unsre Kräfte nur für uns brauchen wollen, und sie nicht demüthig anwenden zum stillen, unermüdet treuen Dienst für die Gemeine des Herrn, auch das ist Hochmuth, nur thätig sein zu wollen, wo äußerer Lohn uns geboten wird, und nicht zufrieden zu sein mit dem Bewußtsein, daß unsre Arbeit in dem Herrn nie vergeblich sein kann. Weil auch solcher Stolz in Petrus überwunden ist, spricht sein Meister zu ihm: weide meine Lämmer! nimm dich derer an, die mit der ersten Milch des Evangelii genährt werden und noch schwach sind im Glauben, nimm auch der zarten Kindlein dich an in rechter Demuth, daß sie mir nicht verloren gehen; darum spricht er: weide meine Heerde! wie er einst gesagt: stärke meine Brüder! überhebe dich nicht über sie, sondern leite, führe meine Gläubigen, diene ihnen treu mit den dir anvertrau­ ten Gaben des ewigen Lebens, auch wo

kein Lohn dir winkt

und du ihn allein finden kannst in deiner Treue.

Doch nicht

zu Petrus allein, auch zu uns wird der Herr so sprechen, wenn wir ihm wahrhaft bekennen: ich liebe dich!

Diese Liebt zu Jesu,

73 da- Gefühl, wir Schwachen, Ohnmächtigen sind gewürdigt wor­ den, ihn lieben zu dürfen, der uns geliebt hat bis zum Lode, wird auch auS unsrer Brust jeden Stolz vertreiben und unS zu solchen machen, welche mit allen ihren Kräften sich ihm zum treuen Dienst hingeben.

Dann sind wir aber auch geschickt die

Lämmer des Herrn zu weiden, die zarten Kindlein zu führen auf die rechten Auen des Lebens.

Wohl hat er, welcher sie uns ge­

geben, unS mit ihnen manche Last und Sorge auferlegt, und wie viele unter uns mögen seufzen, wenn sie auf da- Häuflein der Kleinen schauen, das von ihnen Nahrung und Kleidung, von ihnen Rath, Hülfe und Führung erwartet; wie viele trauern, wenn sie in die dunkle Zukunft sorgend hinausblicken, wo sie nicht bei ihnen sein, sie nicht leiten, rathen, retten können. Aber die Liebe zu Jesu unterdrückt solch Sorgen, lasst uns nicht fragen, welche Mühe die Kleinen uns machen, was wir für sie aufopfern müssen; son­ dern würkt in christlichen Aeltern und Geschwistern, Lehrern und Erziehern, daß sie die zarte Heerde des Herrn als die, welche er selbst ihnen anvertraut hat, auch aus seiner Hand annehmen, sie unermüdet treulich führen, pflegen und weiden, schützen und tra­ gen ohne zu murren, und sie immer hinweisen auf den Hirten im Himmel, der gesagt hat: lasset die Kindlein zu mir kom­ men, denn solcher ist das Himmelreich. Die Liebe zu Jesu giebt uns auch Kraft für die ganze Ge­ meine unablässig thätig zu sein, zu deren Gliedern er unS gemacht hat, die Brüder und Schwestern im wahren Glauben zu stärken, ihnen Muth einzusprechen in jeder Trübsal, für sie zu sorgen und zu arbeiten in heiliger Demuth und Selbstauf­ opferung und nicht um äußeren Gewinns willen und alle, die mit uns arbeiten oder uns mit freundlichem Zuspruch zur Seite stehen, mit heiliger Liebe zu dem Erzhirten zu erfüllen, von dem die treuen Arbeiter die unverwelkliche Krone der Ehren empfan­ gen werden. Als Petrus noch vermessen cinherging, sprach er zu Ehristo:

74

warum kann ich dir diesmal nicht folgen? ich will mein Leben für dich lassen! — und nicht daS kleinste Leu den konnte er übemehmen, Angst und Furcht übermannten ihn bei der ersten Versuchung und er rief, seinen Herrn verläugnend: ich kenne deS Menschen nicht! Aber als er jetzt mit dem Auferstandenen wieder vereinigt in tiefer Bewegung gesprochen: du weißst alle Dinge, du weißst, daß ich dich lieb habe! da zweifelt der Herr nicht mehr, ob er auch für ihn ster­ ben könne, und wie er ihn tüchtig gefunden seine Heerde zu wei­ den, legt er ihm auch die Lasten seiner Gläubigen auf und spricht: eS wird ein andrer dich gürten und führen, führen, wo du nicht hinwillst! führen, wie Johannes er­ klärt, zu dem Tode, mit welchen» er Gott preisen sollte. — DaS ist die Kraft der Liebe zu Jesu. Sie vertreibt alle Furcht und allen Schmerz aus den Jüngern des Herrn, welch« getrost spre­ chen dürfen, du weißst, daß ich dich lieb habe! und macht sich muthig und stark, Schinach und Elend, Verfolgung und den Tod selbst zu dulden um seines Namens willen. — Es ist, meine Geliebten, ein weiter Weg, den wir Christo nachzuwandeln haben und wie mancher seufzt in Unmuth und Schmerzen: warum ist denn daS Leben so lang? mancher, welcher vor Menschen, ihrem Zorn und ihrer Verfolgung sich scheut und vor den Leiden der kommenden Tage erschrickt, verläugnet durch sein Thun und seine Worte, daß er ein Jünger Christi, daß Christus sein Herr und Meister ist. Aber gewiß, das thut niemand in solchen Stunden, wo er zu Jesu sagen kann: du weißst, daß ich dich lieb habe. Denn leben wir in seiner Liebe, lieben wir ihn ganz und wahr­ haft, lieben wir Alles was uns auf Erden werth und theuer ist in ihm und durch ihn, und sehen wir unsern Beruf als den an, welchen er uns angewiesen hat, uns aber immer als seine Jünger: denn kann auch kein Leiden der Gegenwart, kein Schmerz, welcher aus den vergangenen Tagen noch Wundm in unsrer Brust zurückgelassen hat, kein Dunkel der Zukunft unS schrecken.

75 Hätten wir für ihn und fein Reich, für da» Heilige, da» er uns eingepflanzt hat, zu dulden, müssten wir Wege gehen, vor denen da» schwache Menschenherz zurückbebte: wir würden sie dennoch freudig wandeln, denn unser Herr ist ja die Bahn un» brechend vorangegangen. Sind die Leiden, welche un» treffen, jene» dunkle Geschick der Erde, durch welches jeder Sterbliche gehen mus», auch dann werden wir auf den Herrn schauen, wie er sein Kreuz getragen hat, und von ihm, den wir lieben, wird auf uns die Kraft von oben überfließen. Zu ihm, welcher uns als die Seinen ausgesendet hat, werden wir beten und in ihm lebend daS Kreuz, daS ja auch aus des Vaters Hand kommt, welcher unS ihn ge» geben hat, nicht unmuthig von und werfen, noch verzweifelnd darunter erliegen, daß jedes unsrer Leiden und daS Ende deS Le» bens selbst nur Gott preise und wir erkennen, daß die Liebe zu Jesu Alles glaubt, Alles hoffet, Alles duldet. „Für dich habe ich gebeten, daß dein Glaube nicht aufhöre!" sprach der Heiland zu Petrus, alS er vor der Brrlaugnung noch auf seine Kraft trotzend mit ihm wandelte, und daß dieser Glaube an seinen Herrn nicht aufgehört hatte, das war nun sein Trost, das bewies seine Liebe zu ihm.

Ist aber

nun für den, welcher solchen Glauben und solche Liebe in sich bewahrt, nichts weiter zu hoffen, als daß er des Herm Heerde weiden soll und für ihn und mit ihm dulden,

biS er durch sei»

nen Tod Gott preist? AlS der Herr seinen Jünger wieder auf» genommen in seine Gemeinschaft, und ihm, der nun wieder al» ein Petrus, als ein Felsen der Gemeine dastand, zum Leiden und Tode für sein Reich geweiht hatte, da spricht er zu ihm: Folge mir nach! und wohin ging des Herm Weg?

Er war durch

Leiden und Tod hindurch gedrungen, er war wieder lebend bei den Seinen erschienen, sie zu trösten, zu lehren, sie durch da» Wort zu erheben: daß Christus solches Alles hatte lei­ den müssen um zu seiner Herrlichkeit einzugehn'),

*) Cut. 23, 26.

76

und zu dieser Herrlichkeit ging nun seine Bahn. Es sollte daS Wort des Apostels, nachdem der Herr treu gewesen war bis zum Tode am Kreuz, an ihm erfüllt werden, das Wort: darum hat ihn auch Gott erhöhet und den Namen gegeben, der über alle Namen ist!') Zu seiner Erhöhung sollte auch Petrus ihm folgen und ob des Jüngers Weg auch noch lang war und er im Dienste des Meisters arbeiten und sich mühen, er für sein Reich leiden und sterben musste, er ist ihm dennoch nachgewandelt, er ist zu seiner Herrlichkeit ihm nachgefolgt, um den höheren Lohn für seine Treue und Liebe zu empfangen. Zu dieser Herrlichkeit werden nun auch alle, welche durch die Liebe zu Jesu seine Heerde weiden und für ihn dulden, ihm nach, folgen. Wie Christus in den Tagen der Auferstehung noch mit den Seinigen wandelt und ihr Trost und ihre Stärke ist, so ist er auch bei uns allen, so lange wir als Glieder seiner Gemeine aus Erden wandeln. Aus der Liebe zu ihm, denn sie vertilgt die Sünde in uns, entspringen alle höheren seligen Freuden, wie die Leiden, welche wir mit ihm und für ihn tragen, ihre Bitter­ keit verlieren; aus dem Weiden seiner Heerde gehen uns die reim sten Segnungen hervor und die Freuden und Güter dieser Welt, werden uns zu himmlischen Gaben, welche seine Hand uns dar­ reicht; aber wir wissen, daS Alles nimmt ein Ende, es kommt ein Tag, wo Kampf und Freude auf gleiche Weise hinwegge­ nommen wird und auch über dieses Ziel hinaus müssen wir un­ serm Herrn folgen. Wenn denn alles Herrliche der Welt vergeht, wenn dann die Weissagungen aufhören und die Sprachen und die Erkenntnisse aufhören werden: die Liebe höret nimmer aus. Sie verbindet uns mit dem Herrn und den Gläubigen, welcbe vor uns zu ihm gegangen sind; die Liebe zu Jesu zieht uns ihm nach durch Tod und Grab in seine Herrlichkeit, und wir find dann durch des Todes Fluthen hindurch gedrungen, wie Petrus *) Phil. % 9.

77 nach den Worten, die unserm Lert vorangehen, durch de- Mee­ res Wogen den Weg zu seinem Herrn sich bahnte; wir landen dann bei Jesu in dem Hafen ewiger Ruhe und Freude und hal­ ten mit ihm das himmlische Mahl in des Vaters Reich, denn die Liebe zu ihm hat uns geschickt gemacht ihm zu folgen in seine Herrlichkeit. Das ist der Segen und die Fmcht der Liebe zu Jesu.

O

begnadigte Gemeine, so schaue heut, wo dir des Herrn Wort verkündigt wird, schaue hinauf zu deinem Hrrm!

Ach,

du hast

wohl auch gegen ihn gesündigt, du hast ihn auch verläugnet und durch Wort und That gesprochen: ich kenne sein nicht; aber er fragt dich wieder: hast du mich lieb? O möge aus unsrer aller Brust Stolz und Furcht und Sünde durch seine Liebe ent­ schwunden sein, möchten wir alle mit Herz und Mund zu ihm sprechen können: Herr du weißst alle Dinge, du weißst, daß ich dich lieb habe!

Amen.

VII.

Daß das Weggehen des Herrn von der Erde gut war, weil er den strafenden und leh­ renden Geist gesendet hat. Ueber Joh. 16, 5 — 15.

Heilige uns, o Vater, in deiner Wahrheit, denn drin Wort ist die Wahrheit! Lehre rS uns immer tiefer und gläubiger erkennen, daß Alles »aS du thust deinen Kindern müsse zum Besten dienen, auf daß wir Kraft gewinnen in Allem deinem Willen uns zu unterwer­ fen und uns selig zu fühlen weil wir glauben, auch wo wir nicht sehen. Amen.

Text. Joh. 16, 5 — 15.

Nun aber gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat, und niemand unter euch fraget mich, wo gehest du hin? — Sondern dieweil ich solches zu euch geredet habe, ist euer Herz voll Trauerns worden. — Aber Ich sage euch die Wahrheit: Es ist euch gut, daß Ich hingehe. Denn so ich nicht hingehe, so kommt der Tröster nicht zu euch. So ich aber hingehe, will ich ihn z,: euch senden. — Und wenn derselbig^

kommt der wird die Welt strafen

um die Sünde

und um die Gerechtigkeit und um das Gericht. — Um die Sünde, daß sie nicht glauben an mich. — Um die Gerechtigkeit aber, daß ich zum Vater gehe und ihr mich fort nicht sehet. — Um das Gericht, daß der Fürst dieser Welt gerichtet ist. — Ich habe euch noch viel zu sagen, aber ihr könnet- jetzt nicht tragen. — Wenn aber jener, der Geist der Wahr­ heit, kommen wird, der wird euch in alle Wahcheit leiten.

Denn er wird nicht von ihm selber reden:

sondern was er hören wird, das wird er reden; und was zukünftig ist, wird er euch verkündigen. — Derselbige wird euch verklären: denn von dem Meinen wird ers nehmen und euch verkündigen. — Alles was der Vater hat, das ist mein: darum hab ich gesagt, er wirds von dem Meinen nehmen und euch verkündigen.

J^teö Evangelium, meine Andächtigen und in Christo Gelieb­ ten, ist aus den letzten Reden unsers Herrn vor seinem Leiden genommen, in welchen er die um seinen Weggang trauernden Jünger tröstet und auf den Geist hinweiset, welcher, von ihm gesendet, sie nimmer verlaflen solle. Nun sind eS zum Theil schwere und verhüllte Worte, welche wir eben vernommen haben und welche in der Kirche des Herrn vielfach und abweichend ge­ deutet worden sind; doch werden wir uns leicht darüber vereini. gen, daß diese ganze Rede ihrem Hauptinhalt nach auf die SBorte zurückgeht: es ist euch gut daß ich hingehe, denn so ich nicht hingehe, kommt der Tröster nicht zu euch, so ich aber hingehe will ich ihn zu euch senden! und daß Alle-, waS auf diese Worte folgt, die Kraft und Herrlichkeit deS Gei­ stes darlegen soll, dessen Kommen segensreich und dauernd den

80 leiblichen Umgang mit ihrem Herrn den Jüngrm ersetzen und vergüten werde. — Sehen wir dann weiter auf die beim ersten Hören schwerverständlichen Worte, welche vom Geiste gesagt find, so wird auch das uns klar sein, daß der Herr ihm auf eine zwiefache Weise darstellt, nehmlich als den das Strafamt führenden und als den das Lehramt ausübenden, in alle Wahrheit leitenden Geist.

So werden wir denn den ganzen gro­

ßen Inhalt unsers Textes zusammenfassen, wenn wir daran be­ trachten : daß des Herrn Weggehen von der Erde gut war,

weil

er den strafenden

und

lehrenden

Geist gesendet hat. Lasset uns denn in dieser Rücksicht I.

das Strafamt,

II. das Lehramt des göttlichen Geistes betrachten.

I. Es ist euch gut, daß ich hingehe, spricht der Herr, denn wenn ich nicht hinginge käme der Tröster nicht zu euch, wenn ich aber hingehe, will ich ihn zu euch senden und derselbige wird die Welt strafen. — Wir könnten

fragen:

warum

musste

der Herr

von

ihnen gehen,

damit der Geist ihnen käme? warum konnten sie diese Kraft aus der Höhe nicht empfangen, so lange der Herr bei ihnen war? warum kam er nicht,

wenn Christus nicht

hinging? —

So

lange aber der Herr auf Erden wandelte, hingen seine Jünger an seiner irdischen Erscheinung und die Allgewalt derselben war so groß, daß sie an ihn, welcher ihnen der Quell alles Lebens war, so fest und innig sich anschlossen, daß sie ohne ihn nie ihre Straße wandeln konnten, nie eine Fülle des Heils in ihrer Brust tragen, ohne mit Christo vereinigt zu sein.

Wo sie ihn nicht

sehen, wo er nur in ihrer Nähe schläft, da haben sie keine Kraft in sich den Stürmen deS Lebens entgegen zu gehen, wie fromme

81

Kinder je liebender sie ihren Aeltern angehören um so weniger von ihnen sich trennen und aus der eignen Kraft in ihrem Jnnem handeln können, so auch ist es bei den Jüngern Jesu Christi. Also an die irdische Erscheinung ihres Herrn geknüpft vermochten sie aber auch nicht die ganze Fülle seiner Herrlichkeit zu erken­ nen, sondern diese konnte erst nach seiner Vollendung, wenn er über Erde und Grab erhaben, als das himmlische Haupt seiner Gemeine vor ihrem geistigen Blick stand, von ihnen ausgesafft und darum auch erst nach dieser Vollendung des Herrn der Geist, welcher in alle Wahrheit leitete, ihr Antheil werden, erst dann ihnen kommen, wenn sie an nichts Irdisches mehr gebunden, durch seine in ihnen würkende Kraft getrieben, in alle Welt ausgingen, von einander nach verschiedenen Gegenden der Erde zerstreut, aber wohin sie wandeln mochte», doch alle in der unmittelbaren geisti­ gen Nähe dessen, welcher die tröstliche Versicherung ihnen gege­ ben hatte: Siehe, ich bin bei Euch alle Tage bis an derWelt Ende.*) — Dieser Geist nun sollte ihnen des Herrn leibliche Erscheinung reichlich ersetzen, denn, sagt der Herr, er wird die Welt strafen um die Sünde und um die Gerechtig­ keit und um das Gericht. So lasset uns denn dies Straf­ amt des Geistes als ein solches betrachten, welches die Jünger überzeugen konnte, daß es gut sei, daß der Herr von ihnen ge­ gangen war. Der Geist wird die Welt strafen um die Sünde und der Herr erklärt: um die Sünde, daß sie nicht glauben an ,ni ch. — Dies Strafen ist aber kein äußerliches, sondern ein in­ neres, ein Strafen mit heiligen, erschütternden Worten, ein Stra­ fen mit Herzensangst der Reue und schmerzlicher Erkenntniss ei­ nes in nichtigen Freuden und leerem vergeblichen Hoffen und Ringen hingebrachten Lebens, ein Strafen, aus dessen Schmerzensstunden ein tiefes Ergriffensein von der Wahrheit und eine »1 Matth. 28, 20. Pischon Pred. u.

F

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Umwandlung des ganzen innern Menschen, also zunächst rin wahrhaftes Urberzeugtsein von der eignen Schuld hervorgehen musste. Und welches ist diese Schuld? Das ist die Sünde, sagt der Herr, daß sie nicht glauben an mich, daß sie mei­ ner Stimme nicht hören, meine Erscheinung aus Erden nicht als den Quell ihres Heils und ihrer Seligkeit ansehen, daß, wie oft ich sie habe zu mir versammeln wollen, sie sich von mir gewen­ det und meine Liebe verschmäht haben. — Aon dieser Sünde konnte auch der Geist nur wahrhaft überzeugen und sie strafen. Erst nach der Vollendung des Herrn in seiner ganzen Herrlich­ keit, nach seiner höheren Verklärung, in welcher er dem Irdischen nicht mehr unterworfen war, stand er da als der rechte Mittler, Erlöser und Versöhner der Welt. Wohl hatten sich auch währenb seiner irdischen Laufbahn manche zu ihm gesammelt und hatten in seinem Lichte froh sein, hatten seine Erscheinung zu zeitlichem Glück und vergänglicher Hoheit nützen wollen; doch als sie bei ihm nicht fanden was sie suchten, hatten sie sich von ihm gewendet und dann ihn vergessen. Aber als der Geist über die Apostel kam, als sie nun den Herrn, durch diesen Geist ge­ trieben, in seiner ganzen Herrlichkeit darstellten, alö die Erkennt­ niss, nur in dem Einen, welchen ihre Obersten gekreuzigt hatten, sei Leben und Seligkeit zu finden, der versammelten Menge durchs Herz ging, nun durch deS Geistes heiliges Strafamt die Thräne der Buße vom Auge der reuigen Sünder floss und sie sprachen: ihr Männer, lieben Brüder, was sollen wir thun?') und die ihr Wort gern annahmen, sich taufen ließen auf den Namen Jesu Christi: da fühlten die Apostel, es war ihnen gut, daß der Meister hingegangen war und nun über sie den Geist ausgegoffrn hatte, welcher die Welt strafte um die Sünde. Dasselbe aber würkt der Geist auch noch in unsern Zeiten. Eine andre Klarheit höherer Erkenntniss hat sich unter uns verbreitet, •) Apoftelgesch. % 37.

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alS in jenen ersten Lagen, aber wie oft, und eben weil wir alles Heil so nahe haben, «eil wir nichts aufopfern dürfen ffir die hohen Güter, wenden auch wir unS ab von Christo, dem Quell alles Heils und rühmen uns doch noch guter Werke und hoher Vorzüge. Wie wir aber unsre geistige Blöße verhüllen, waS wir vorwenden, wie uns rechtfertigen mögen, wenn der Geist unS kommt, er straft uns um die eine Grund, und Ursünde, daß wir nicht wahrhaft glauben an Jesum Christum, ihn nicht tief und ganz in unserm Herzen tragen und nicht- nimmt er an von Ent­ schuldigung biS wir im reuigen Gefühl, von der eignen schweren Sünde überzeugt, Erquickung begehren vom Angesichte deS Herrn. Ob wir dann die fein mögen, welche der strafende Geist zu fei­ nen Werkzeugen macht die fündige Welt zu bekehren, oder ob wir die sind, welche durch fein Strafen zur Erkenntniss geführt, durch die Traurigkeit der Buße zur seligen Gemeinschaft mit Christo gelangt sind; wir erkennen dann: solche Seligkeit ist mehr als Christum leiblich schauen; es ist unS gut, daß er hinging, denn durch den Geist ist er dennoch bei unS alle Tage bis an der Welt Ende. Der Geist wird die Welt aber auch strafen um die Ge­ rechtigkeit, und der Herr sagt in unserm Text, um die Ge­ rechtigkeit aber, daß ich zum Vater gehe und ihr mich hinfort nicht sehet. Was ist das aber für eine Gerechtig­ keit? — Indem Christus zum Vater ging, war sein irdischer Lauf geendet; aber durch Leiden, Tod und Auferstehung auch Alles voll­ bracht, was ihm der Later zu thun gegeben hatte. So war auch die Gerechtigkeit vor Gott für die sündige Welt errungen und der Herr, welchen die Seinen fortan nicht mehr auf Erden sahen, emporgehoben in die Herrlichkeit zur Rechten des VaterS. Nun ist er dort unser Mittler und Versöhner, nun können seine Erlöseten sich rühmen: wer will verdammen? Christus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auf. erwecket ist, welcher ist zur Rechten GotteS und verF 2

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tritt unS *). Nach dieser durch Christum erworbenen Gerech­ tigkeit, von welcher die Welt früher nichts wusste, können und sollen nun alle Sündigen ringen. Weil aber in der Menschen Thun und Treiben jene Gerechtigkeit nicht zu finden ist, weil di« Sünde sie abwendet von Christo, darum muss der Geist, welchen er sendet, die Welt strafen um die Gerechtigkeit. Denn so lange der Herr bei den Seinen auf Erden blieb und sie ihn noch unter der Noth des irdischen Lebens sahen, ja selbst, als er im Grabe lag, glauben konnten: der Vater habe ihn verlassen, kam auch die Gewissheit seiner Versöhnung, in welcher allein Gerech­ tigkeit bei Gott zu erlangen war, nicht in ihre Seele und blieb vor allen denen, welche fern von Christo wandelten und ihren Frie­ den in der Welt und den Gütern und Genüssen dieser Zeitlichkeit suchten, verborgen. Darum musste der Geist durch der Apostel Sendung die Welt strafend überzeugen, daß sie nur in Christi Gerechtigkeit Frieden finden könne und zu ihm die Verirrten lei­ ten. — Und immer suchen wir uns die falsche Gerechtigkeit der Werke, welche vor Gott nicht gilt und seinen Frieden nicht giebt. Durchglühet uns aber des Geistes Flamme, dann verzehrt sie in uns allen Stolz und alle Selbsttäuschung, dann erkennen wir, daß alle unsre falsche Gerechtigkeit nichts ist und beugen uns, durch sein Strafen überzeugt, vor Christo, der unsre Ge­ rechtigkeit ist, und erflehn von ihm Versöhnung und Frieden. Und das ist mehr als leiblich ihn schauen, darum ist es gut, daß der Herr hingegangen ist, um den Tröster den Gottesgeist uns zu senden. Und um das Gericht, wird der Geist die Welt strafen, weil der Fürst dieser Welt gerichtet ist. Der Fürst der Welt ist die dunkle Macht der Finsterniss, welche den Menschen von Christo losreißt, zur Sünde ihn hinzieht und seine eigne Ge­ rechtigkeit ihm vorspiegelt. Da erschien der Sohn Gottes, daß er ) ttim. 8, 34.

8.i di« Werke deS Teufels zerstöre.

So lange der Herr aber aus

Erden wandelte, wurde er selbst von dieser Macht der FinsternisS versucht und verfolgt und der Geist konnte noch nicht von sei­ nem völligen Siege zeugen.

Nun aber ist durch Christi Leiden,

Sterben und Auferstehen auch dieser Sieg erkämpft, das Reich der FinsternisS, vor dem die Menschen sich gebeugt und gezittert haben, ist gestürzt worden und der Fürst dieser Welt ausgestoßen. Nun ist, wie der Seher der Offenbarung spricht, das Heil und die Kraft und die Macht unsers Gottes, seines Christus worden; weil der Verkläger unsrer Brüder verworfen ist, der sie verklaget Tag und Nacht vor Gott'). — Von diesem Gerichte zeugt der Geist des Herrn, straft alle, welche in Furcht und Schrecken, welche in Lüsternheit und sinnlichen Begierden diesem Reiche der Finsterniss sich noch hingeben und überzeugt sie strafend, daß sie die Feinde ihrer eig­ nen Seligkeit sind, welche dem Gericht dessen, dem die Reiche der Welt gehören und welcher regieren wird von Ewigkeit zu Ewigkeit"), nicht entgehen können.

Wo aber

sein Strafen Eingang findet, wo die Werkzeuge, welche er sich erwählt hat, durch ihn mächtig, die Seelen erschüttern und ge. winnen, da kommt an die Stelle der Angst der Muth und die Kraft zum Siege, da sprechen die, welche die Herrlichkeit deS SohneS erkennen, welchen der Vater erhöhet hat, zum Versucher: hebe dich weg von mir Satan! und beugen ihr Knie nicht mehr vor dem Fürsten der Welt, sondern vor dem, welcher ihn gerichtet hat. — Wie die Apostel des Herrn diese Kraft und Herrlichkeit deS Geistes in ihrem hohen Amte so oft erfahren ha­ ben, so wird sic auch an uns selbst und an anderen neben uns sich offenbaren.

Auch wir vergessen noch des Gerichts, das der

Sohn halten wird, lassen uns in Furcht vor dem Unglück und Elend deS Lebens wie in dem ungestillten Verlangen nach den Genüssen *) Offrnb. Joh. 12. 10.

") Offrnb. Joh. 11, 15.

86 der Welt unter der Macht deS Versucher- gefangen nehmen, ihm alS sein« Knechte zu dienen.

O, daß wir sie au- unserm Leben

verwischen könnten, die anklagenden Stunden, wo wir, fern von dem Heil der Erlösung, vor dem Fürsten der Welt unS gebeugt, seinem Drohen und Schmeicheln uns nicht geweigert und ihm zum schnöden Dienst und verkauft haben! — Wenn aber der strafende Geist auch über uns sich ergoss, wenn er uns durch sein Strafen erschütterte und die Macht des Gottessohnes unschauen ließ, dann haben auch wir die schnöden Fesseln gebrochen, dann zum Herrn gefleht: verwirf uns nicht vor deinem Ange­ sicht! dann der Macht unsers Heilandes uns beugend, in sein Reich aufgenommen, dir tröstende Gewissheit erlangt, daß wir nicht in- Gericht kommen, sondem vom Tode zum Leben hin­ durchgedrungen sind.

Und daö ist mehr als des Henn leibliche

Gestalt schauen; darum ist es gut, daß er hingegangen ist und den Tröster unS gegeben hat, dessen Strafen in uns Leben und Seligkeit hervorbringt. Wenn wir also die geistigen Erschütterungen und die Seg­ nungen betrachtet haben, welche der Geist durch sein Strafamt in uns würkt, lasset uns auch sehen, daß de- Herrn Fortgang von der Erde gut war, weil er in dem Geiste auch den höher» Lehrer gesendet hat und noch erwägen

II. das Lehramt des Geistes.

Der Herr hat zurrst vom

Strafamt geredet, weil erst durch die tieferen Bewegungen und Erschütterungen des Gemüths der Mensch fähig wird in die hei­ ligen Lehren einzudringen, welche nach den Stunden des Kampsund der Buß« uns Beruhigung geben und in der Gemeinschaft mit Christo unS erhalten sollen.

Von dem Lehramt de- Geistes

heißt es aber in unserm Text: der Geist der Wahrheit wird euch in alle Wahrheit leiten. Wohl hatte der Herr seinen Jüngern daS Heilige offenbart,

87 aber

da

ihr geistiger Blick

durch

manchen

falschen Glauben,

manche ungeläukerte Ansicht noch verdunkelt war, spricht er selbst in unserm Stert: ich habe euch noch viel zu sagen, aber ihr könnt eS jetzt nicht tragen.

So war auch Viele- was

er ihnen sagte ein unverstandene- Wort, de- Ackers Oberflache gestreut, und Wurzel fasste.

ein Sam«, nur auf

welcher nicht in die Tiefe drang

Da muffte der Geist sie erst erschüttern und

den harten Boden ihres Herzen- aufreißen, damit sie die ganze Fülle der Rathschläge Gottes in Christo aufnehmen, die große gesammte Heilswahrheit fassen konnten, welche ihnen und allen, zu welchen sie gesendet waren, der unvergängliche Trost für alle Tage ihrer Wallfahrt werden sollte. Christi Wort an den Aposteln erfüllt;

So hat es sich auch nach denn durch den Geist er­

kannten sie Alles was ihnen früher unklar und unverständlich ge­ wesen war im hohem Lichte, nachdem der Meister hinweggegangen war.

Auch al- der Geist sie trieb die heiligen Schriften aufzu­

zeichnen, welche zu des Erlöser-Zeit noch nicht vorhanden waren: wie sind sie da in alle himmlische Wahrheit eingedrungen und selbst die großen Lehrer der Unwissenden und Verirrten geworden. Denn wer mag nun zählen alle Erkenntniss, allen Trost,

alle

Seligkeit, welche der Welt aus ihren segensreichen Büchern hervorgegangen ist,

daß wir bekennen müssen: eS war ihnen gut,

daß der Herr hingegangen war, da er ihnen den Geist, den himm­ lischen Lehrer, gesendet hatte. Und auch unter uns führt dieser Geist sein Lehramt herrlich weiter und sammelt fortwährend die Kirche der Gläubigen. Wenn wir in den jugendlichen Jahren von treuen Lehrern im Wort« des Heils unterrichtet wurden, wie wir auch mit inniger Liebe an ihnen mögen gehangen haben, wie viel selige Stunden uns im Unterrichte und am Altar deS Herrn mögen gekommen sein, Vieles ist doch nur unvollständig, mangelhaft, unbegriffen von uns aufgkfafft worden: oft lange nachdem die Lehrer von unS gegangen waren und schon ruhten von ihrer Arbeit, drang der

Geist GotteS erst ein in unsre Seelen, brachte dann jedes in unser Gedächtniss niedergelegte Wort zu höherer Erkenntniss und leitete uns in die volle Wahrheit, daß wir nun erst die Lehre der Hingeschiedenen in ihrer ganzen Herrlichkeit erkannten und darin uns selig fühlten. Sagt aber der Herr: er wird in alle Wahrheit leiten, denn von dem Meinen wird ers nehmen und Euch verkün­ digen, so erkennen wir: nur in dem, was in Christo war, ist alle Wahrheit zu finden, und daS war das, was dieser vom Wa­ ter genommen, denn er spricht: „alles was der Vater hat daS ist mein!" So wird der Geist nichts Neues verkündigen und von sich selber reden, sondern aus der Fülle deS gött­ lichen Wesens Jesu Christi, aus seinem Wandel, auS seinem Worte wird er Alles nehmen, denn Christus ist ja die Wahrheit. Aber fassen wir ihn nur irdisch und weltlich auf, in welche Wi­ dersprüche, Irrthümer und unverstandene Meinungen gerathen wir dann über ihn, und die Schrift, welche von ihm zeugt, ist uns ein verschlossenes Buch, das wir mit irdischem Auge anse­ hen und worüber wir uns erheben. Leitet uns aber der Geist in ihre Tiefen ein, dann erkennen wir darin allen Trost, alles Heil, alle Seligkeit, dann weht sein heiliger Athem daraus uns entgegen und nimmt unser ganzes Wesen in Ehrfurcht und An­ betung gefangen. In alle Wahrheit wird der Geist auch leiten, weil er ver­ kündigen wird was zukünftig ist. Denn die rechte Wahr­ heit wird uns nicht durch das Anschaun der Gegenwart und der irdischen Dinge um uns her kund. Woran aber hätte der feste unwandelbare Glaube der Apostel, welche in alle Welt hinausgesendet wurden wie Schafe mitten unter die Wölfe, sich stärken, wodurch ausdauern sollen in allen Nöthen dieser Zeitlichkeit, wenn nicht ihr Blick auf eine zukünftige Seligkeit wäre gerichtet worden. Diese aber konnten sie nicht schauen, so lange der. Herr noch bei ihnen war und die Hoheit seiner Erscheinung auf der

89

einen Seile vor jeder Gefahr fie schützte und bewahrte, auf der andern ihren Sinn nur dahin lenkte, durch ihn ein irdische- Reich in dieser Zeitlichkeit sich zu gründen. Als aber der Geist ihnen kam, nachdem des Heilands Gestalt von ihnen genommen war, da richtete er ihren Blick in die Zukunst über alles Irdische hin» aus; da, ob sie auch durch Trübsal und Leid gehen mussten, ver­ kündete er ihnen den höheren himmlischen Lohn für ihr Arbeiten und überzeugte sie von der tröstenden Wahrheit, daß die Kirche deS Herrn in Ewigkeit Siegerinn sein müsse, weil ihre Gläubigen in der Gewissheit buchen und sterben konnten: daß dieser Zeit Leiden nicht werth sind der Herrlichkeit, welche an ihnen soll geoffenbaret werden *); und so war es gut, daß der Herr hinging, ihnen den Geist zu senden, welcher ihnen verkündigte was zukünftig war. — Und das verkündet er noch allen Gläubigen. Wenn wir in Zweifel und Sorgen einhergehen, weil die Wahrheit des Gottessohnes von den Menschen so oft verhüllt wird; wenn wir zweifeln, ob die Gemeine Christi allen Stürmen von innen und außen Widerstand leisten werde: zeigt er auch uns ihren Sieg für alle Zukunft und lässt uns vertrauen auf die göttliche Stimme, welche gesprochen: auch die Pforten der Hölle sollen meine Gemeine nicht überwältigen. Erkennen wir, wie unser Geist in diesem irdischen Lause noch gedrückt und gebunden ist, daß er nicht zur ganzen Fülle der Wahrheit gelangen kann; seufzen wir unter dem Jammer der Welt, welcher unS den Kampf des Lebens so schwer macht: dann öffnet der Geist, von Christo gesendet, auch unserm Blicke die Zukunft jener Herrlich, keil und wir sprechen getröstet: es ist noch nicht erschienen was wir sein werden! wir wissen aber, wenn es er» scheinen wird, daß wir ihm gleich sein werden, denn wir werden ihn sehen wie er ist **). Aus diesem Allen geht aber auch hervor, warum der Herr ) Rim. 8, 18.

♦♦) l.Jvh. 3, a.

90

sagt: er wird mich verklären! Ost hatten die Jünger den Meister in Herrlichkeit geschaut und waren vor ihm niedergesun­ ken, aber die irdische Hülle deS Fleisches, welche er an sich ge­ nommen, die Leiben, die Misshandlungen, der Kreuzestod, welchen er erduldete, hatten ihnen diese Herrlichkeit wieder verdun­ kelt. Auf dem Berge der Verklärung hatte auch der geliebte Jünger, welcher die Worte unsers Textes uns ausbewahrt hat, ihn im leuchtenden Glanze erblickt, aber auch das war nur ein irdischer Glanz und bald war er wieder erloschen. Aber alS der Geist ihnen kam; als er zeugte von ihm, der erhoben war über alle Macht der Menschen und über alles Leiden der Welt, dem der Vater alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden; alS er in seine Wahrheit sie leitete, Alles von ihm nahm, zu ihm zurückfirhrte, seinen Wandel ihnen ausschloss, seine Worte in ihrer ganzen Herrlichkeit sie auffassen lehrte, sein ganze» Wesen alS den alleinigen Grund ihrer und aller Menschen Seligkeit zeigte: da war Christus der Herr ihnen verklärt in überirdischer Klar­ heit, daß sie seiner Gestalt nicht mehr bedurften. — So ist «S denn auch uns, wenn der Gottesgeist über uns sich ergießt. Mes­ sen wir als Kinder der Welt Christum nur mit irdischem Maaßstabe, wie wird da seine Herrlichkeit unS noch verdunkelt, wie sucht der Menschen Unglaube und unheiligeS Wesen ihn noch in den Staub herabzuziehen! welche falschen Zweifel, Zweifel und Lästerungen mischen sich da in ihre Reden über den Herrn. Wenn unS aber der Geist kommt: dann erkennen wir den Herrn in seiner himmlischen Hoheit. WaS er gewesen ist und vollbracht hat, waS nach seinem irdischen Wandel der Geist, welcher ihn verkündete, durch ihn gewürkt hat, die Ausbreitung der kleinen Heerde über die Welt, aller Glauben, alle Liebe, alle höher« Hoffnung in den zahllosen Schaaren seiner Gläubigen, das Alles verklärt unS ihn und stellt ihn unS in dem Glanze dar, vor wel­ chem auch wir unser Knie beugen und bekennen, daß Jesus rthvtfttiA h » r C-x »ir r f p i mir (5 fx r P ftintfpä h P A 9t ei Gott Er­ hörung finden? Zuerst aber weil das Gebet in Jesu Namen von dem Leußern sich hinwegwendet aus da- Innere und Geistige. weiß ja,

Denn der Jünger Jesu, der Gesendete seines Herrn, daß bei Christo nicht nach

dem

äußern Maaßstabe

menschlichen Glückes gemessen wird und nicht derjenige ihm ain nächsten steht, welcher in irdischer Herrlichkeit wandelt, oder der am fernsten, welchen das Kreuz des Lebens tief getroffen hat. Darum geht auch sein Gebet nicht da hinaus, daß er daö Kreuz

') 2. Äor, 12, 9.

175 de» Leben» von sich werfen, daß er irdisch« Verluste vergütet se­ hen, daß er Krrudrntage sich herbeischaffen, daß er Glanz, Hoheit und GlückSgüter oder irgend einen irdischen Wunsch, irgend eine vergängliche Sehnsucht seiner Brust dem Herm im innigsten Gebet vortragen wolle. Er weiß ja nicht, ob dadurch Christi Reich in ihm fester gegründet, ob dadurch seine Herrlichkeit mehr er­ kannt werde bei den Seinen, ja er hat allzuoft erfahren, wie thörichte Wünsche er in sich genährt hat, deren Erfüllung nur zum Verderben seiner Seele gewesen sein würde. Darum hat er da» Alle» seinem Herrn und Heiland überlaffen, und wenn er sich in solchem Verlangen dem Throne seine» Gottes naht, so kommt er nicht anders als mit der demüthigen Ergebung: nicht mein sondern dein Wille geschehe! was du thust, ist wohlgethan! Aber das ist seine Bitte, daß innere Stärkung ihm kommen möge unter den Bedrängungen der Welt; das ist sein heiliges Flehen, daß er Kraft gewinnen möge unter dem Kreuze, welches ihn drückt, unter den Versuchungen, welche ihn umstricken, al» eia Jünger seines Herrn dazustehen; daS ist seine Sehnsucht, der Welt zu beweisen, was die Kraft, von oben vermöge und wie kein Streit und kein Missgeschick den Frieden Gotte» aus seiner Kinder Herzen, den Trost des Evangelii aus deS Jünger» Ge­ müth zu verdrängen im Stande sei, damit durch ihn und sein Leben der Name seines Herrn nimmer verlästert werde. So wird seine Bitte zugleich die Sache seines Herrn und Christus selbst wird verherrlicht durch ihre Erstellung. Darum sendet der himm­ lische Vater seinem treuen Kinde Hülfe, darum wird er selbst de» Flehenden Licht in Finsterniss, sein Friede unter dem Streit de» Lebens, seine Seligkeit, wo die Welt nur den Becher der Trübsale darreicht, und wandelt seine Schmrrzensthräne in die Thräne des freudigen Danke». Jede» Gebet im Namen Jesu ist dann aber auch zugleich ein Gebet um den Geist deS Herrn, um Erneuerung sei­ ner Kraft, um sichtbarere» Erkennen, daß er in un» wohn« und

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wir in ihm. Dem, der im Namen Jesu Christi bittet, wohnt daS tiefe Gefühl bei, daß wir er ein Gesendeter seines Herm ist, so auch ein Mitglied der Gemeine, welche der Geist Gottes auf Erden sammelt, und daß darum sein ganzer Wandel und all sein Thun von dieses Geistes Kraft und Gnade durchdrungen sein muss, damit er als ein lebendiges Glied dieser Gememe dastehen möge. Wenn er nun mit seinem Flehen dem Throne Gottes sich naht und auch noch Vieles von den Mängeln des Irdischen auf seiner Seele liegt, wohl wird er auch das vor seinen Herrn bringen, denn das kindliche Gemüth schüttet alles, wovon es be­ drückt wird, vor seinem himmlischen Vater aus, ob er auch da helfen wolle und trösten. Aber auch in solchen Bitten fühlt er bald, wenn er im Namen Jesu flehen will, da ist das höchste, zu flehen um den Geist des Herrn, der ihn hier leiten und schmükken und dereinst zu der Gemeine führen soll, welche nicht mehr kämpft und nicht mehr fleht; sondern im Anschaun der Herrlich­ keit selig ist, welche das irdische Auge nicht sieht und das irdische Ohr nicht vemimmt. Auch wenn die Apostel in jenen ersten Tagen die Kraft der Wunder erflehten um den Namen des Herrn auszubreiten und seine Herrlichkeit kund zu thun aus Er­ den, es war doch nur ein Flehen, daß die Gemeine des Herrn erbaut werde durch den Geist. Nun aber, da des Herrn Wort und sein göttliches Leben überall bekannt, sein heiliges Buch uns nicht verschlossen ist, bedarf es nur die Wunder göttlicher Gnade an dem innern Menschen, und so flehen auch wir, wenn wir bitten in Jesu Namen, um den heiligen Geist, der von ihm aus­ geht. Ist aber das Flehen ein Flehen um diesen Geist des Herrn, dann kennen wir ja des Heilandes trostreiche Versicherung: so ihr die ihr arg seid könnet eurenKindern guteGaben geben, wie viel mehr wird der Vater im Himmel den heiligen Geist geben, denen, die ihn darum bitten'). *) Luc. 11, 13.

177 Kann also bet Herrn Gemeine nur wachsen durch die Kraft sei­ ne- Geiste- und hat er sie gegründet auf Erden, daß immer mehr zu ihr sich sammeln, daß immer herrlicher ihre Glieder da­ stehen und immer mehr für dieses Reich gewinnen sollen, damit die Erde voll werde des Herrn und jede Klage untergehe in den Preisgesang seiner Gnade: so kann kein Gebet um seines GeisteKraft dem innig Bittenden versagt werden, so wird der Steter ihm geben, waS er gebeten hat in des Sohnes Namen. Und noch Ein tröstliches Wort spricht unser Herr uns auin unserm Evangelio, woraus wir sehen, daß jedes Gebet in dem Namen deö Herrn Erhörung findet, wenn er so freundlich spricht: ich sage nicht, daß ich den Vater bitten will, denn er selbst der Vater hat euch lieb, darum daß ihr mich liebet. — Wenn nun unser Gebet im Namen des Sohnes ge­ schieht, kann es nur hervorgehen aus der Seele, welche den Sohn wahrhaft lieb hat und wo der Vater im Himmel solch Gebet schaut, da sieht er mit Wohlgefallen auf die Gläubigen Jesu Christi herab, es bricht ihm sein Vaterherz in Liebe und wie sollte er nun die fromme kindliche Bitte versagen können. Wer den Sohn aufgenommen hat im rechten Glauben, der hat ja auch den Vater und ist schon ein- mit ihm, und nun schließt sich ihm die Tiefe aller GotteSerbarmungen auf; nun kann es nichts mehr geben, waS den Gott liebenden und Gott geliebten Men­ schen von seiner Gemeinschaft trennen könnte; nun müssen alle Berge der Hindernisse sich aufheben und ins Meer werfen; nun kann der Tod nicht mehr schrecken und die Sünde nicht mehr verklagen; nun giebt es kein Dunkel und kein Sprüchwort mehr, hell und klar scheint die Sonne himmlischer Gnade, denn er selbst der Vater hat die Seinen lieb und wird ihnen um des Sohnes willen ihre Bitte nie versagen. Soll denn solches. Heil der Gebetserhörung unser Antheil werden, m. G., o, dann lasst auch uns alle unsre Gebete zu solchen heiligen und verklären, welche in Jesu Namen geschePischon Prrd. II. M

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hm. Erhebe dich, o Gemeine des Herrn, aus der Tieft deines Jammers, deiner Klagen, deiner Sünden zu der Höhe des Glau­ bens an Christum, zu der innigen Liebe zu deinem Gott! Wohl wandeln wir im Lande der Trübsale und manches Auge schaut in trüben Zeiten aus dem Erdendunkel nur durch Thränen hin­ auf zu den ewigen Sternen und weiß hienieden keinen Trost zu finden in seinem Schmerz. Aber, trauerndes Gemüth, suche den Trost auch nicht hier; wende dich hinauf zu deinem Herrn; trachte nach dem das droben ist, wo Christus ist, sitzend zur Rechten Got­ tes; stärke dich im heiligen Geiste, fühle dich als Jesu Jünger; wirf von dir den irdischen Schmerz und flehe im Namen Jesu Christi zum Vater, der dich liebt, und er der Gebete erhört, wird des Sohnes Wort erfüllen: bittet, so werdet ihr nehmen, daß eure Freude vollkommen sei; und der Sohn, der milde Hohepriester, welcher Mitleid haben kann mit deiner Schwach­ heit, wird zu dir sprechen: in der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost: Ich habe die Welt überwunden'). Amen. 1) Soh. iß, 33.

XV. Wie werden mir im häuslichen Leben das Reich Gottes bauen? Ueber Joh. 2, i —11.

DI« Gnade unser» Herrn und Heilande» u. s. f.

Tert. Joh. 2, i —11. Und am dritten Tage ward eine Hochzeit zu Eana in Galiläa; und die Mutter Jesu war da. — Jesus aber und seine Jünger wurden auch auf die Hochzeit geladen. — Und da es an Wein gebrach, spricht die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben nicht Wein. — Jesus spricht zu ihr: Weib, was habe ich mit dir zu schaffen!

Meine Stunde ist noch nicht kommen. —

Seine Mutter spricht zu den Dienern: Was er euch saget das thut. — Es waren aber allda sechs stei­ nerne Wafferkrüge gesetzt, nach der Weise der jüdi­ schen Reinigung; und gingen je in einen zwei oder drei Maaß. — Jejus spricht zu ihnen: Füllet die Wasserkn'lge mit Waffer.

Und sie stillest» sie bis M 2

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oben an. — Und er spricht zu ihnen: Schöpfet nun und bringets dem Speisemeister. Und sie brachten s. — Als aber der Speisemeister kostete den Wein, der Wasser gewesen war (und wußte nicht, von wannen er kam, die Diener aber wußten s, die das Wasser geschöpfet hatten), rufet der Speisemeister den Bräu­ tigam, — Und spricht zu ihm: Jedermann giebt zum ersten guten Wein, und wenn sie tnmfcit worden sind, alsdann den geringern; du haft den guten Wein bisher behalten. — Das ist das erste Zeichen, das Jesus that, geschehen zu Cana in Galiläa, und of­ fenbarte feine Herrlichkeit. Und seine Junger glaub­ ten an ihn. 28ir finden, meine in Christo Geliebten, den Herrn und Erlöser, wenn wir ihn durch fein heiliges Leben begleiten, am meisten da, wo er öffentlich vor der Welt auftritt und aus das Allgemeine wärst. Schon die suchenden Eltern finden ihn im Tempel zu Jerusalem mitten unter den Lehrern, und als Johannes ihn durch die Taufe zu seinem großen Werke eingeweiht hat, finden auch wir ihn vor allem Volke die Worte des Lebens verkündend. Bald sehen wir ihn im Tempel zu Jerusalem, wohin die Menge der Gläubigen an den großen Festen aus aller Welt zusammen strömte; bald aus den Straßen und in den Markten und Schu­ len, wo v zu seinem himmlischen Reiche ladet und die Wunder seiner Macht vollbringt; bald an den Usern des galiläischen Mee­ res, wo er aus dem Schiffe das Volk lehrt: denn es konnte das Licht der Welt nicht verborgen bleiben. Aber ob er auch öfter in Abgezogenheit von der Welt die Jünger, welche das Salz der Erde sein sollten, lehrt, straft, tröstet, mit ihnen betet: selten nur finden wir ihn im stillen häuslichen Kreise der Menschen, als

181 sollten auch die Freuden, welche unS nach Kränkung und Hohn der Welt trösten und beruhigen, dem Gottessohn«, welcher der Welt Sünde trug, nicht zu Theil werden.

Doch er verschmäht

auch diese Kreise nicht und zuweilen finden wir ihn auch dort und dann heiligt er das gewöhnliche Leben durch seine Gegen­ wart, zeigt bald wie Sorgen und Mühen um daS Vergäng­ liche vergeblich und nur Eine noth fei, da§ köstliche Theil, wel­ ches nicht von uns genommen werden kann; bald wie von den niedern irdischen Dingen und Geschäfften das Gemüth zum Himm­ lischen geführt werden kann. So finden wir ihn auch in den Worten unser» Textes, in­ dem er das erste Zeichen thut, nachdem er seinen großen Berus begonnen hat.

Wohl könnte es uns wundern, daß der Herr,

welcher vor den Worten unsers Textes zu Nathanael gesagt hatte: von nun an werdet ihr den Himmel offen sehen und die Engel Gottes hinaus und herabsahren von des Menschen Sohn! *)

bei den Aeußerlichkeiten deS Lebens, bei

den Getränken am festlichen Mahle anfangt, die Kraft Gottes in ihm zu beweisen.

Aber einmal ist es seine Art, stets zu zeigen,

wie auch das Gewöhnlichste, nach menschlicher Meinung am mei­ sten vom Himmlischen Entfernte mit dem Heiligen verbunden werden kann und müsse.

Zugleich aber will er unS hier vorbil­

den, wie die Verbreitung des Göttlichen von den vertraulichen Kreisen des Lebens ausgehen soll und wie auch da bei irdischem Mangel und irdischer Trübsal Gott in Christi Kraft allein unser wahrer Helfer sein könne.

In dieser Erkrnvtniss seine» Thuns

konnte auch Johannes hinzusetzen: er offenbarte seine Herrlichkeit und seine Jünger glaubten an ihn. — So lasst uns denn dieser Ausfassung folgend nach Anleitung der Worte unsers Textes fragen: Wie werden wir in unserm häuslichen Leben daS Reich Gottes erbauen können?

; Loh. 1, 51.

Es antwortet uns aber unser Evangelium dreierlei, nämlich I. Wenn wir überall auch den Herrn zu uns laden. II. Wenn wir in Geduld die Stunde abwar» ten, wo er helfen will. Hl. Wenn wir seinem Dienste uns hingeben und thun was er uns sagt. I.

Wollen wir auch in unserm häuslichen Leben das Reich Gottes erbauen und unsre Freuden und Schmerzen heiligen, so müssen wir zuerst den Herrn überall zu uns laden. ES mochte denen in den Worten unsers Textes, welche ihr hoch­ zeitliches Mahl zu feiern den Herrn und seine Jünger zu sich baten, auch noch nicht deutlich sein, wie er ihr Mahl erhöhen und wie sie von demselben in ihr ganzes künftiges Leben so reiche Frucht hineinnehmen würden. So scheint es auch uns vielleicht beim ersten Anblick, als ob wir uns dem Herrn wohl nahen müssten in seinem Heiligthum, als ob er in den ersteren Stun­ den, die wir der Betrachtung seines Wortes weihen, wohl der Gegenstand unsrer Andacht sein müsste, aber im häuslichen Leben, bei den irdischen Geschäfften, Freuden und Sorgen, da wäre nicht die Stelle, wohin wir ihn einladen könnten und wo sich mit sei­ ner Nähe das irdische Thun und der weltliche Genuss vereinigen ließe. Aber soll nicht unser ganzes Leben, soll nicht vor allem unser häusliches Beisammensein, sollen nicht die Geschäffte, welche den grüßten Theil unsrer Lebenszeit hinnehmen, in seiner Nähe geführt werden, ja sollen wir nicht eben das was uns so niedrig und fremd von ihm erscheint durch seine Gegenwart uns heili­ gen? Sollen wir nicht in den Stunden, wo wir uns ganz der Freude und dem Genuss hingeben Alles zu seiner Ehre thun, so wie die Augenblicke des Kummers und Elends durch ihn uns erhöhen und in Augenblicke des DankeS für seine Hülse verwan

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teln lassen? O, wie könnten wir ihm denn anders recht ange» hören und wie sein Reich auch da erbauen, wo rS zuerst Wur­ zel fassen muss auch in den Herzen derer, welche noch Kinder sind, die durch unser Beispiel zum Herrn gezogen werden müs­ sen. — Darum müssen wir ihn einladen an jedem Morgen und zu jeder Stunde und zu jedem Geschafft, daß wir unS immer denken und fühlen mögen in seiner Nähe und alS seine treuen Arbeiter und Jünger. — Aber wird er denn auch zu unserm LebenSmahle kommen, wird er denn unsre Einladung nicht verschmähen? Er kam da, mals, m. A., zu der Hochzeit in Cana, als er noch nicht die Worte gesprochen: Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen*), und als man seiner noch nicht begehrte als deS ewigen Helfer­ in aller Noth. — Darum, wenn wir unsre Hände und Herzen zu ihm erheben, wenn wir mit denen vereint, welche die Gefähr­ ten unsers Lebens geworden sind, in unserm häuslichen Kreise unsre Gebete zu ihm senden, er wird nicht zögern zu unS zu kommen. Und ob er schon äußerlich nicht mehr seinen Einzug hält, wie damals als er auf Erden wandelte, er ist dann doch bei uns alle Tage bis an der Welt Ende. — Wie er aber in die Wohnung jener einzog und ihr Mahl durch seine Gegenwart und sein göttliches Geschenk heiligte und ihrem Mangel, der selbst am Tage der Freude sichtbar wurde, abhalf; so wird er auch unS in den täglichen Geschäfften und Sorgen des Lebens nah« sein, und denken wir, daß er bei unS ist auch bei des Tage» schweren Geschäfften, daß er nicht verschmähet auch dahin zu kommen, wo zunächst nur an irdischen Erwerb und Gewinn ge­ dacht wird, wie muss auch das niedere Geschäfft sich unS zum hohen verwandeln, wenn wir nur treue Arbeiter vor ihm sind; wie müssen vor seiner Nähe die bösen Gedanken der Habsucht ) Matth. 16, 20.

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und deS Eigennutzes, die Sorgen und die Verzweiflung ver­ schwinden und sein Friede und seine Freude einkehren in unser Gemüth. — Vor allen aber, und dahin leiten uns ja die Worte unsers Textes ganz besonders, vor allen sollen wir ihn zu uns laden bei dem Ansangt neuer Lebensverhältnisse, vornehmlich aber bei dem Schließen unsrer Ehe. Wenn der Herr fern ist an dem hei­ ligen Tage, wo wir den Schwur der Treue dem Gatten able­ gen, wenn er bei der Wahl der Lebensgefährten nicht zugegen gewesen ist und wohl irdische und nichtige Rücksichten auf Schön­ heit und Geschicklichkeit, Reichthum und Ansehen vor der Welt unsre Wahl bestimmt haben, aber nicht Christus der Herr, da wird es über kurz oder lang umgekehrt uns ergehen, daß der Becher des Freudenwcins sich uns verwandeln wird in das Was­ ser der Trübsale und uns nur der traurige Trost bleiben: du hast dein Gutes genossen im frühen Leben! — Aber ergeben wir uns ihm bei dem Anknüpfen großer und neuer Verhältnisse des Lebens, ob auch die Zukunft noch so trüb unserm Blick erschei­ nen möge und wir auch am Tage der Freude unfern Mangel nicht verbergen könnten, er wird wol sorgen für Alles was uns gebrechen mag. II.

Aber wollen wir des Herrn Reich bauen in unsern Häu­ sern, dann müssen wir auch zweitens in Geduld der Stunde warten, wo er äußerlich helfen will. — O nur allzu leicht nimmt Kleinmuth und Ungeduld unsre Seelen ein. Wenn ein unerwartetes Mißgeschick uns trifft auf den We­ gen, welche wir freudig zu wandeln angefangen haben, wie leicht verlieren wir den freudigen Muth, wie bald brechen wir in drin­ gende Bitten um Hülfe, in Klagen, in Verwünschungen unsers Geschicks aus. — Hätten wir demnach auch den Herrn im from­ men Gebet zu unS geladen, wenden wir uns von ihm hinweg,

185

so bald er auf unser Wort nicht sogleich hört und dem irdischen Mangel abhilft: dann sind wir ja doch nur dem Acker auf dem Felsen gleich, der den Samen wol aufnahm und freudig aufge« hrn ließ, aber als die Sonne heiß schien ihm keine Nahrung und keinen Saft geben konnte, also daß er verdorrete. — So sind wir oft der Mutter des Herm in den Worten unsers Textes ähnlich, welche, sobald sie den Mangel beim Mahle bemerkte, so­ gleich den Herrn anlag um seine Hülfe, und indem sie so den Sinn der Ungeduld äußerte und in Ueberrilung den Herm bestim­ men wollte, wenn er helfen solle, von dem Göttlichen mit dm Worten zurückgewiesen werden musste: ich kann mit dir nicht gemeinsam handeln, meine Stunde ist noch nicht gekom­ men! — Bleibt nun die- die herrschende Gesinnung unserer Seele, wie kann dann sein Reich in unsern Häusern gedeihen. Des Herrn Wege, sie werden und können ja nicht unsre Wege sein, sein Handeln es wird ja nicht immer unsern Wünschen ent­ sprechen, und wenn auch wir mit stürmischen Bitten ihn bedrän­ gen, o werden wir es nicht oft genug hören und erfahren müs­ sen, daß seine Stunde noch nicht gekommen ist? — Ja, nt. A., und wenn nun diese seine Stunde bei der Hoch­ zeit in den Worten unsers Textes gar nicht gekommen wäre, wenn es nun nicht im Plane seines göttlichen Reiches gelegm hätte dies äußere Wunder vor den Augen der Srinigrn zu ver­ richten, wäre er denn weniger der göttliche Heiland gewesm und würde er nicht auf gleiche Weise wie bald nachher in seiner Vaterstadt Nazareth haben sagen können: es gab wol viele Wittwen in Israel zur Zeit der Theurung und doch wurde EliaS zu keiner gesandt als allein zu der in Sarepta der Sidonier?') Werden wir eS denn nicht oft genug erfahren müssen, daß er uns die Hoffnungen, auch die schönsten und heiligsten, nicht erfüllt, ja daß er die köstlichen *) «MC.

4, 25. 26.

186

Schätze, welche er uns früher gegeben hat, uns wieder mtreißt und all unser Sehnen und selbst unser Gebet sie nicht wiederbringm kann? Wollen wir uns aber dann von ihm wendm, an seiner Kraft und Gnade zweifeln und bleibt er nicht immer der­ selbe in seiner Gottheit, die wol besser wissen muss, waö zu un­ serm Frieden dient als wir in unsrer Kurzsichtigkeit und Un­ geduld? Darum, m A., lasset uns denn auch der Maria in den Worten unsers Evangeliums ähnlich bleiben. Denn als der Herr ihre ungeduldige Mahnung zurückgewiesen, da fühlt sie sich von dem Göttlichen nicht beleidigt und gekrankt, da fängt sie nicht an zu zweifeln an seinem hülfreichen Willen und an seiner göttlichen Macht; sondern erkennt es wohl, daß seine Stunde eine andre sein mag als die ihrige und ist nur besorgt Alles vorzube­ reiten, damit wenn seine Stunde kommt, er solche finden möge, welche ihm gehorchen und seine Gnadengeschenke nicht von sich stoßen. — O, wie sehr fehlt uns noch diese Aehnlichkeit mit Maria. Wenn aber wir auch zum Herrn um Hülfe gestehet haben und er sie uns nicht angedeihen lässt, ja wenn wir denken müssen er spricht nicht einmal zu uns: meine Stunde ist noch nicht gekommen! sondern wir sehen eS wohl, seine Stunde wird unserm Geber niemals kommen können, er wird nicht mehr Wunder thun wie damals und um die Wünsche unsrer Seele zu erfüllen, den Lauf der Natur ändem und dem Grabe seine Todten wieder ent­ reißen: o auch dann lasset und nicht verzagen. Denn neben dem Worte deSHerm: meine Stunde ist noch nicht kommen, giebt es noch anders für alle Bittenden, welches zugleich die Macht und Liebe dessen bewährt, dessen Wege und Gedanken nicht die unsrigen sein können, daS Wott: laß dir an meiner Gnade gnügen, denn meine Kraft ist in den Schwa­ chen mächtig'). — Wenn er nun so zu und spricht, auch bei •) 2. Kor. 12, 9.

187 dem Mangel und den Widerwärtigkeit« unser- hLu-lichen 8t« den-: dann lasset und zurückschauen auf Alles, was seine Gnade im Laufe der vergangenen Tage unS verliehen hat; dann lasset unS forschen, wie, wenn wir in Demuth und Ergebung uns ihm nahen, zwar nicht immer äußerlich aber immerdar im In­ nern der Seele seine Stunde gekommen ist für unS und Muth und Kraft auch unter den Lasten deS Lebens durch ihn auS» gegossen wird in die zagenden Gemüther. So werden wir Erge­ bung und Geduld auch diejenigen lehren, welche neben uns in Traurigkeit und Besorgnis- sind, und sie ermahnen mit uns sich vorzubereiten, daß keine Stunde der Zukunft, wo der Herr kom­ men möchte in seiner Herrlichkeit uns als die antreffe, welche nicht bereitet wären ihn aufzunehmen. III.

Wollen wir de- Herrn Reich bauen in unser» Häusem, so lasset uns endlich seinem Dienste uns hingeben und thun, waS er unS sagt. — Denn wenn wir auch in Geduld der Stunde deS Herrn warten, m. A., so darf, wenn sie unS als solche treffen soll, welche ihrer und seiner würdig sind, sie uns nicht in Unthätigkeit finden, oder alS solche, welche wohl thätig sind, aber nicht für ihn. Denn wohin wir blicken mögen, wo sei« Reich aus Erden sich herrlich gegründet hat unter ganzen Völkem oder in einzelnen Gläubigen, da haben seine Boten treulich und unermüdet in seinem Beruf arbeiten müssen, da konnten sie nicht wie träge Diener warten, daß oft der Herr seine Befehle noch wiederholen möge, sondern wo sie nur seine Stimme vemahmen, in seinem heiligen Worte und in ihrer eigenen Brust, da waren sie ihr gehorsam mit aller Anstrengung ihrer Kräfte. — Aber wir sehen wol auch eine Thätigkeit in unserm häuslichen Leben. Bon frühem Morgen bis zum späten Abend ist Alle- geschäfftig, alles strebend und arbeitend und vielleicht ist bei Vielen der Genuß nur gering, und dir Tage der Freude und Erholung sind ihnen nur

188 kärglich zugemessen. Aber sind sie auch alle thätig in seinem Beruf? ist bei ihrer Arbeit der Sinn nur darauf gerichtet sein heiliges Wort zu erfüllen oder sind ganz andre irdische Gedanken und Aus­ sichten, ganz andre Wünsche nach irdischem Reichthum und An­ sehn vor der Welt die Triebfedern so rastloser Anstrengung? Davon allein hängt es ab, ob wir des Herrn Reich bauen werden oder nicht vielmehr unser eignes und mit diesem das Reich der Sünde. — Wenn wir aber in unserm Evangelio sehen, daß der Herr den Dienern auch nichts anders befiehlt als was vielfach ihnen von Menschen mochte befohlen worden sein, die Wafferkrüge mit Wasser zu füllen, so soll uns das ein Zeichen sein nicht irre zu werden an unserm täglichen Beruf, als ob, wenn wir die ge­ wöhnlichen Arbeiten des Lebens vollbrächten, wir nun nicht thätig wären in des Herrn Dienst, sondern wahre Frömmigkeit sich nur vereinigen lasse mit dem Freisein von irdischen Geschäfften. Son­ dern nicht darauf kommt es an, ob er uns die niedern Arbeiten deS Lebens oder die, welche schon an und für sich den Geist erhe­ ben und zum Ewigen führen, angewiesen hat; nicht darauf, ob wir dienen müssen und arbeiten oder genießen können und ruhen; sondem nur daraus, ob wir ihn zuerst eingeladen haben, daß er uns gegenwärtig sei mit seiner Kraft und Gnade bei Allem waö wir vornehmen, und darauf, daß wir fühlen er hat auch uns den irdischen Beruf angewiesen und wir heiligen ihn uns da­ durch, daß wir treulich darin arbeiten nach seinem heiligen Be­ fehl und alles thun was er uns heißt. Dann werden wir unS fühlen als seine rechten Diener, wohin er uns auch möge gestellt haben und sein Reich wird unter unS wachsen und herrlich ge­ deihen und überall wird in unsern Häusern sich zeigen, daß des Herrn Gnade nicht fern sei. — Und die Wahrheit dieses Wortes zeigt sich auch in unserm Evangelio darin, daß nicht die Genießenden, sondern die Dienen­ den zuerst die Herrlichkeit des Herrn erkannten, daß die, welche das Wasser geschöpfet hatten wußten, woher der Wein gckominen

189 war. So wird es sich auch in unserm Leben zeigen. Geben wir unS nur dem Genusse hin, wonach die Seelen so begierig trachten, o wie leicht wird dann auch unser Blick abgezo­ gen von dem Worte und den Wundern des Herrn, und wie verborgen bleibt seine Herrlichkeit denen, welche nur die Herr­ lichkeit der Welt suchen. Erkennen wir aber unsern Beruf als den vom Herrn uns angewiesenen und alle Sorgen und Mühen desselben als die, welche er uns gegeben hat um unsre Treue und unsren Gehorsam gegen ihn zu prüfen: o, wie mannichsaltige Veranlassung werden wir dann haben seine Wunder zu schauen und wie oft wird sich dann auch uns das Wasser der Trübsale verwandeln in den Wein der reinen und heiligen Freude, welche der Herr gegeben hat. Ueberschauen wir endlich so das ganze Leben, daS in dieser Zeitlichkeit uns angewiesen ist, und vergleichen es unS mit einem Mahle, zu welchem wir den Herm eingeladen, seiner Hülfe gläu­ big geharret und Alles gethan haben was er uns sagte: dann wird sich auch uns das letzte Wort in der heiligen Erzählung unsers Evangeliums herrlich erfüllen. Nicht die Jugend und ihr Glanz, nicht der Genuss ihrer Freuden, welche als die köstlich­ sten gelten, wird das Höchste sein in unserm Leben, sondem die letzten Jahre, welche wir so oft scheuen. Dann, wenn wir ru­ hig auf den Wechsel des Irdischen schauen; wenn wir vergessen, daß noch irgend ein Mangel da ist, weil im Jnnrm der Reich­ thum wohnt und aus dem ergebungsvollen und freudigen Sinn allen kund wird: werden sie auch zu uns sprechen: du hast den guten Wein bisher behalten! So wird sich in den späten Lebenslagen uns immermehr die Herrlichkeit des Herrn offenbaren und der rechte Freudenwein der Erkenntniss seiner Gnade, er wird uns aufbehalten sein bis zu dem letzten Ziel, wo unser Le« benömahl sich endet. Amen.

XVI.

Was sollen wir für den gewöhlichen Umgang mit den Menschen von unserm Erlöser lernen? Ueber Matth. 8, Dt« Suade unser» Herrn u.

1 —13.

s. w.

Text. Evang. Matth.

8, i —13.

Da ft aber vom Berge herabging, folgte ihm viel Volks nach. — Und siehe, ein Aussätziger kam und betete ihn an und sprach: Herr, so du willst, kannst du mich wohl reinigen. — Und Jesus streckte seine Hand aus, rührete ihn an und sprach: Ich will's thun, sei gereinigt. Und alsbald ward er von sei­ nem Aussatz rein. — Und Jesus sprach zu ihm: siehe zu, sag's niemand; sondern gehe hin und zeige dich dem Priester und opfre die Gabe, die Moses be­ fohlen hat, zu einem Zeugniss über sie. — Da aber Jesus einging zu Capernaum, trat ein Hauptmann zu ihm, der bat ihn, — Und sprach: Herr, mein

192 Knecht liegt zu Hause und ist gichtbrüchig und hat große Qual. — Jesus sprach zu ihm: Ich will kom­ men und ihn gesund machen. — Der Hauptmann antwortete und sprach: Herr, ich bin nicht werth, daß du unter mein Dach gehest; sondern sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund. — Denn ich bin ein Mensch, dazu der Obrigkeit Unterthan, und habe unter mir Kriegsknechte: noch, wenn ich sage zu einem: Gehe hin, so geht er; und zum andern: kämm her, so kommt er;

und zu meinem Knechte: thue

das, so thut ers. — Da das Jesus hörte verwun­ derte er sich, und sprach zu denen, die ihm nachfol­ gen: Wahrlich ich sage euch, solchen Glauben habe ich in Israel nicht funden. —

Aber ich sage euch:

viele werden kommen vom Morgen und vom Abend, und mit Abraham und Isaak und Jacob im Him­ melreich sitzen. — Aber die Kinder des Reichs wer­ den ausgestoßen in die äußerste Finsterniss hinaus, da wird sein Heulen und Zähnklappen. — Und Je­ sus sprach zu dem Hauptmann: Gehe hin, dir ge­ schehe wie du geglaubet hast.

Und sein Knecht ward

gesund zu dersclbigcn Stunde. Er ist ein reiches, viel umfassendes Evangelium, da- wir so «den gehört haben, meine Andächtigen, in welchem manches große Beispiel in denen unS niedergelegt ist, welche zu Christo dem Herrn Hülfe flehend sich nahen; denn wir erkennen in ihnen die Herrlichkeit des demüthigen, vertrauensvollen und frommen Glau» bens und die reine Liebe zu den Brüdern.

Aber wie überall

baden wir auch hier das Meiste und Höchste von dem milden

192

Erlöser selbst zu tonnt, so viel auch für unser gewöhnliche- Le­ ben zu tonnt, und vor allem für den Umgang mit den Men­ schen; denn eben hier gedenken wir oft des Höchsten und Heilig­ sten nicht, ja meinen wohl, es liege zu fern von diesen, zu eng in da- weltliche Wesen verflochtenen Dingen, alS daß daS Bild de- Herm hineinreichen könne. Aber wie er bei uns ist alle Tage bis an der Welt Ende; so kann und muss uns sein Bild auch überall hingeleiten, und uns auf jeder Bahn vorleuchten, und so lasset unS fragen: » Was sollen wir für den gewöhnlichen Umgang mit den Menschen von unserm Erlöser lernen? Es ist aber ein dreifaches, was unser Evangelium aufzählt, nämlich: I. die Bereitwilligkeit des Herrn den Lei­ denden Hülfe zu bringen, II. das Anerkennen des Trefflichen, was er bei den Menschen findet, III. das freudige Hinausblicken in die Zu­ kunft zum Troste der Menschen. I.

DaS Verhalten deS Erlösers in dem gewöhnlichen Umgänge mit den Menschen zeigt sich unS in unsers Evangelii Worten als ein heiliges Vorbild auch für unser Leben in der Bereitwil­ ligkeit des Herrn den Leidenden Hülfe zu bringen. Wie der treue Erlöser auf Erden nicht in der Herrlichkeit wandelte, die sein war von Anbeginn, so scheute er auch nicht in die Kreise de- täglichen Lebens hineinzugehn, auch dahin, wo nicht unmit­ telbar da- himmlische Zeugniss vom Vater, welches der Sohn allein bringen konnte, der vom Himmel gekommen war, verkün­ digt wurde. Und so finden wir ihn im Evangelio. Es ist nicht jenes Drängen des Herzens das Wort des ewigen Lebens zu hören, waS die Hülfsbedürftigen zu ihm treibt; es ist nicht jener

193

Schmerz der Sünde, für welchen der himmlische Arzt gesucht wird, welcher uns allein heilen und das sündige Gemüth mit dem Vater versöhnen kann, nicht jene heilige Sehnsucht, aus dem Munde des milden Erlösers das Wort des Trostes zu verneh­ men: dein« Sünden sind dir vergeben, was die Leidenden in unsers Textes. Worten zu Jesu führt. Da kommt ein Kranker, den der Aussatz plagt, der ausgestoßen von der Gesellschaft der Menschen leidend einhergeht und nun Hülse verlangt; da naht sich mit bekümmertem Herzen ein Hauptmann, dessen Knecht todtkrank ist, und der vom Herrn für ihn Heilung begehrt. — Herr, so du willst kannst du mich wohl reinigen! ruft ihm der eine entgegen, und er versagt ihm seine Bitte nicht, er streckt seine Hand aus, rührt ihn an und spricht: ich will's thun, sei gereinigt! Der andre, im Gefühl der Herrlichkeit des Erlösers und seiner eignen Niedrigkeit, spricht: Herr, ich bin nicht werth, daß du unter mein Dach gehest, aber sprich nur ein Wort so wird mein Knecht ge­ sund! und der Herr wendet sich hülfreich zu ihm und spricht: Gehe hin, dir geschehe wie du geglaubt hast! So zeigt sich uns des Herrn Milde und Bereitwilligkeit den Leidenden zu helfen. Und, m. A., wir stehen ja in demselben Verhältnisse wie der Herr. Können wir uns nicht vergleichen mit dem, auf wel­ chem die Kraft der Allmacht ruhte und auf dessen Wort die Krankheit fliehen, der Sturm schweigen, das Grab seine Todten wiedergeben musste; so wird auch so Großes von uns nicht ver­ langt als von ihm. Aber in dem geringeren oder größeren Maaße, in welchem der Ewige uns seine Güter zuertheilt hat, sollen auch wir als die Hülfreichen und Theilnehmenden gegen die Leidenden dastehn. Mögen denn nicht oft die, welche sich Hülfe flehend auch uns nahen, oft lange gekämpft haben, ehe das flehende Wort um Beistand aus ihrem Munde geht? Soll es uns da an bereitwilligem Sinn fehlen ihnen zu helfen, und können Pischon Prrd. II. N

194

«ir Jünger des himmlischen Erlösers fein, wenn wir nicht auch dem Hungrigen unser Stobt brechen, den Nackenden kleiden und den in Kälte und Frost Erstarrenden warmen? Und wem der Herr des LebenS äußre Güter versagt hätte um also zur Hülfe bereitwillig sein zu können: naht sich uns denn kein Leidender andrer Art? Giebt es nicht einen furchtbareren Aussatz als den, welchen der Herr in unsers Textes Worten geheilt hat? Naht sich uns keiner, befleckt vom Aussatz der Sünde, dem wir durch unsern Herrn helfen könnten, und giebt es nicht eine schwerere Krankheit, als die deS gichtbrüchigen Knechtes, in welcher sich die Herzen im Jammer der Welt gebrochen fühlen? O, wir dür­ fen nicht lange suchen, sie kommen uns überall entgegen, die hülfsbedürftigen Seelen; wir dürfen nur umher blicken in den engsten Kreisen des Lebens, in welchen wir wandeln und wir werden den Jammer finden, welcher unsre Theilnahme mächtig aufruft. Und wenn der in Sünden Befleckte, wenn der unter de- Lebens Kummer Gebrochene sich uns naht, lasset uns nicht sagen: was hilft uns des Herrn Beispiel, wir haben ja nicht seine Kraft. O lasst uns nur seine Milde im Herzen tragen, lasst uns nur die Liebe bewahren und in dieser zum Leidenden hinzutreten, dann wird des Herrn Kraft in dem Schwachen mäch­ tig sein, und können wir nicht wie der Herr sprechen: ich wills thun, sei gereinigt! können wir nicht sagen: dir geschehe wie du willst! so können wir doch milden Trost in die Seele gießen, so können wir doch den Weg zu dem ewigen Hohen­ priester zeigen, welcher daS sündige Herz rein sprechen und das mit Sorgen beladene Gemüth zu dem Thron des Ewigen hin­ aufführen kann, zu dem Gott, bei welchem viel Erbarmung ist. II.

Wenn aber der Herr in unserm Evangelio ausruft: wahr­ lich ich sage euch, solchen Glauben habe ich in Israel nicht funden! dann wird er uns zweitens in dem Umgänge

196 mit unsern Brüdern auch darin ein Beispiel, laut daS Treff­ liche anzuerkennen, waS wir in unfern Brüdern finden. — Wenn wir auf den Hauptmann im Evangelio schauen und auf das Wort des Herrn von ihm, so müssen wir uns sagen: dieser gehörte nicht dem auserwählten Volk Gottes an, und daS be­ weist uns auch die Demuth in seinen Worten: Herr, ich bin nicht werth, daß du unter mein Dach gehest. Vom heidnischen Volke der Römer war er, denen angehörig, welche alS fremde Dränger Israel-, als befleckte Götzendiener, von dm Juden verachtet wurden, und verunreinigt fühlten sich IsraelKinder, wenn sie in der Heiden Gemächer eintraten. Und wmn der Herr einen solchen laut vor der Versammlung deS Volkerühmet, das von dem Berge her, wo er heilige Worte gesprochen, ihm nachsolgete; wenn er, welcher so oft getadelt wurde, daß er mit den Zöllnern aß und sie annahm, und diese gehörten doch dem jüdischen Volke an, nun auch den Heiden seine- Glaubenwegen preiset: was musste er fürchten, daß die Zahl seiner Feinde nun von ihm reden, wie sie ihn nun darzustellen suchen würden als den Freund und Beschützer der Ungläubigen, als den Gesellen der Heiden und Gottlosen! — Aber das AlleS achtet der Herr nicht! Nicht die Niedrigkeit des demüthig und innig Glauben­ den, nicht der Tadel der Welt und ihr bittrer Spott bewegt ihn anders zu handeln. Der demüthige Heide gilt ihm mehr alder stolze Pharisäer und der Mund der Wahrheit verkündet eS laut: solchen Glauben habe ich in Israel nicht ge­ funden! — Wie viel, m. A, können wir auch hier für unser gesell­ schaftliches Leben von unserm Herrn lernen; denn wie unähnlich sind wir ihm oft auch in dem, worin wir ihn hier als unser Vorbild sehen. — Denn allzu mächtig sind noch die Sünden in uns, wodurch wir verhindert werden das Treffliche an unfern Mitbrüdern, auch wenn wir es wahrhaft anerkennten, laut zu bekennen. Wie sind Neid und Mißgunst so oft in uns geschäffN 2

196

tig, statt das Gute in unfern Mitmenschen uns freudig preisen zu lassen, eS nicht allein zu verhüllen, sondern auch die Fehler ihres Lebens geflissentlich hervorzuheben und zu vergrößern und daS Ansehen zu untergraben, dessen sie sich bei ihren Genossen erfreuen. Ost, m. G , wenn wir auf die Reden und Handlun­ gen anderer und, lasst eS uns gestehen, auf unsre eignen Reden und Handlungen sehen, wodurch wir daS Gute in den Mitmen­ schen verleugnen und herabwürdigen, müssten wir, wenn wir der Wahrheit treu sein wollten, bekennen: es ist keine Spur heiliger Gemeinschaft mit Christo in uns. Niemand könnte in uns er­ kennen, daß wir Jünger des Heilandes sind, welcher das zer­ stoßene Rohr nicht zerbricht und den glimmenden Locht nicht verlischt. Aber auch, wenn wir von so grober Verletzung des göttlichen Gesetzes hinwegsehen, wie oft geschieht cs, wenn auch keine Feindschaft gegen den Mitbruder in unserm Herzen ist, daß wir ihn zu gering achten, um seinen Ruhm zu verkündigen, oder daß wir es nur thun um dadurch zu glanzen und als Gönner und Beschützer der Niedrigen gepriesen zu werden. Wenn aber auch die innere Ueberzeugung uns selbst laut zuruft, wie trefflich und herrlich, wie mild und liebevoll, wie voll Muth und heiligen Glaubens, voll frommer Kraft und ungetrübter Wahrheit man­ cher neben uns wandelt, aber wir stehn vor den Mächtigen und Großen der Welt, oder wenn nicht vor den Mächtigen doch vor solchen, deren Ansehn und Ausspruch wir scheuen, und wissen, daß diese längst ihr Urtheil über den gesprochen haben, welchen wir rühmen wollen: o, wie oft hält uns da Feigheit und Men­ schenfurcht und Angst irgend etwas von den irdischen Gütern, welche wir besitzen, zu verlieren, irgend eine Art des Unwillens oder der Strafe der Gewaltigeren auf uns zu ziehen, von sol­ chem Lobe zurück! wie oft verstummen wir dann, wo wir reden sollten und lassen lieber den Unschuldigen verdammen, als daß wir für ihn stritten! lassen lieber die Wahrheit unterdrücken, als

197

daß wir im Namen des Herrn auftreten sollten in der Kraft befim, welcher durch seinen Geist uns in den Mund legen würde, waS wir reden sollten! — O, meine Geliebten, wenn wir uns auf so sündigem Wege erblicken, wenn wir je auS Furcht vor Menschenkindern der Wahrheit nicht gehorchen, jemals um dem Spotte der Welt zu entgehn, die Unschuld verleugnen und in den Hohn einstimmen könnten, welchen die Bösen für die bereit haben, welche des Herren Wege wandeln: dann möge eS laut in unS rufen, wie fern bist du von deinem Erlöser! wie verleugnest du ihn durch dein Thun, und er hat gesagt: wer mich ver» leugnet vor den Menschen, den will auch ich verleug­ nen vor meinem himmlischen Vater!*) III. Endlich aber soll der Herr unser Beispiel werden im Um­ gänge mit unsern Brüdern, indem er uns voran geht in dem freudigen Hinausblicken in die Zukuust zum Troste der Menschen. Wie oft, m. A., muffte der Herr seufzen über da- ungläu­ bige und verkehrte Geschlecht um ihn her; wie kamen nur die Schaaren der Leidenden und Klagenden zu ihm, welche wieder nur irdische Hülfe suchten, und wie war das Volk zerstreut wie Schafe, die keinen Hirten hatten, und auch wie solche, die kei­ nen Hirten wollten, daß er klagen muffte: Jerusalem, Je­ rusalem, wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne ihre Küchlein und ihr habt nicht gewollt").

Solche trübe Erfahrungen würdm unsern

Muth und unser Vertrauen und jede freudige Hoffnung in unS aufs tiefste niederschlagen und an ein freudiges Schauen in die Zukunft uns verzweifeln lassen, aber der Herr findet nur Einen treu im Glauben, wie er in Israel Keinen gefunden, und er •) Matth. 10, 33

") Matth. 23, 37.

ruft freudig weissagend aus: ich sage euch, viele werden kommen vom Morgen und vom Abend und mit Abra­ ham, Isaak und Jacob im Himmelreich sitzen! und öffnet so dem Blicke die Aussicht in eine selige Zukunft! — Aber liegt denn in solch freudigem Hinausschaun ein Trost für die Menschen? Gewiss, m. A., wenn wir an die denken, an welche der Herr sich wendete mit diesen Worten, an die, welche ihm nachfolgten: war nicht unter ihnen die Zahl derer, die einst ge­ sendet werden mufften, das Evangelium zu predigen aller Welt? Welch eine dunkle Bahn lag da vor ihnen, welch eine Aussicht für sie, wenn sie einst getrennt vom Herrn hinausgehn sollten in die feindliche heidnische Welt! Da ist in ihren Seelen das Wort deS Herrn: viele werden kommen vom Morgen und vom Abend und mit Abraham, Isaak und Jakob im Himmelreich sitzen! der Trost gewesen, welcher sie ermuthigt hat, nicht abzulassen von ihrem Würken. So konnten sie unter allen Kämpfen und allen Verfolgungen gewiss sein, daß das Reich immer mehr aus Erden wachsen müsse, als dessen Gründer sie in alle Welt ausgegangen waren. Und sehen wir auf den, von welchem zunächst des Herrn Wort ausging. Wenn er in seiner Demuth sich so fern vom Herrn glaubte, daß er nicht werth sei ihn unter sein Dach aufzunehmen und doch von so starkem Glauben, daß er gewiss war, die allmächtige Kraft in Ehristo werde auch durch ein Wort den kranken Knecht heilen: welch rin himmlischer Trost muss das für ihn gewesen sein zu hören, daß der Herr ihn selbst aufnehmen wolle in sein Reich und ihm vergönnen zu sitzen an seinem ewigen Freudenmahle. Und welch ein Trost auch für uns, m. A.. wenn uns bange wer­ den will, als ob das Heilige immer mehr erstürbe in der Men­ schen Brust, als ob die kommenden Tage immer dunkler und sündiger würden. Dann können wir ja des Wortes unsers Her­ ren gedenken: viele werden kommen vom Morgen und vom Abend und im Himmelreich sitzen! Denn wie dies

199 große Wort in Erfüllung gegangen und die Nacht des Heiden thumS auch von den Fluren unsers Landes verschwunden ist, dessen Bewohner zur Zeit deS Herrn noch in Schatten des Todes saßen, so muss ja immermehr die himmlische Verheißung sich er­ füllen, so müssen auch die Heiden im Lichte deS Hcrm wandeln, bis Alles eine Heerde ist und ein Hitt. Solchen Trost sollen denn auch wir unsern Mitmenschen brin­ gen und mit demselben unsre Liebe zu ihnen beweisen. Wir wer­ den ihn oft genug kennen lernen, den tiefen Jammer, in welchen die Menschen versinken, welche keine höhere Hoffnung, keinen Trost heiliger Art für di« Zukunft in sich tragen; oft genug er­ fahren, wie verödet das Leben, wie verarmt an Heil und Frieden die Verhältnisse selbst mit denen sich unS gestalten werden, welche uns sonst einen unerschöpflichen Quell der Freude und des Mu­ thes in sich zu tragen schienen; aber nun nichts mehr von der Zukunft erwarten.

Darum lasst unS nimmer dem Trauernden

die schönen heiligen Hoffnungen rauben, welche die Tage seiner Trauer verklären können, und nicht mit trüben Ahndungen dl« ängstlichen Gemüther abschrecken von dem Glauben an eine bessere Zukunft.

Das Herz voll Liebe und voll Glauben, welches fest

hält an seinem Erlöser, muss die Hoffnung festhalten und ver­ breiten, daß des Herren Gnade Alles besser machen werde auf Erden, um immer mehr muthig« Streiter zu gewinnen, welche treulich kämpfen und die trostvolle Zukunft herbeiführen helfen. Nur vor falschen irdischen Hoffnungen, und auch das können wir von unserm Herrn lernen, wollen wir überall warnen, daß keiner, dem das Licht des Evangelii schon gestrahlt hat, in sündhafter Sicherheit in die äußerste Finsterniss hinausgestoßen werde, wie die Kinder des Reichs, welche den Herrn nicht aufnehmen, der in sein Eigenthum kam. Aber auf die himmlische Hoffnung wol­ len wir immerdar alle sorgenvollen und geängsteten Gemüther hinweisen. Noch sind nicht Alle vom Morgen und vom Abend zum

200

Herrn gekommen, brütn muss noch immerfort sein Wort in Er» füllung gehen und sein Reich sich mehren. Darum lasset unS auch hier das Vorbild unsers Herrn festhalten und danach vor den Menschen wandeln. Wo der Unglaube noch herrscht und falsche Lehre die Seelen gefangen halt, es muss daS Evangelium noch nach Morgen und Abend dringen und den Verirrten Himmelslicht und Himmelstrost ausspenden;• und wo noch unter un§ im Morgen und im Abend die Sündigen wandeln mögen, welche ihn nicht annehmen: der Herr wird sie rufen mit der Stimme des Wortes Gottes, das durchdringet, bis daß es schei­ det Seel' und Geist und Mark und Bein *), und viele, viele werden zu seinem Reich kommen! Und wo wir noch einen starken, demüthigen und vertrauungsvollen Glauben finden, da lasset uns freudig daran halten, heilige Hoffnungen daran an­ knüpfen und die Verzagten damit ermuntern; ja, lasset es unS tröstend allen Betrübten zurufen, daß aus jeder heiligen Regung in den Herzen der Einzelnen reiche Früchte reifen müssen für die Zeit und Ewigkeit. So wollen wir die Zagenden starken, so die Schläfrigen ermuntern, so Alle anfeuern, welche auf irgend einem Felde menschlicher Thätigkeit zu würken verordnet sind; das wol­ len wir uns in den Tempeln des Herrn zurufen, das freudig an seinem Altar erflehen, damit uns ermuntern, wenn die jungen Geschlechter dem Tisch des Herrn sich nahen und indem wir also Liebe üben und alle um unS her dem freudigen Glauben entge­ genführen, daß sich das Reich des Himmels immer herrlicher ver­ breiten müsse, uns selbst einst zu der siegenden Kirche dessen sam­ meln, welcher uns geliebt hat bis zum Tode und uns theuer er­ kauft, daß wir in dem Reiche leben möchten, wo er regieret in Ewigkeit. Amen. ') Hebe. 4, 12.

XVII.

Wie der Christ den dunkeln Zeiten des Lebens entgegen gehen soll. Ueber Joh. 15, 26 — 27. 16, l — 4. Dir Gnade unser« Herrn u. f. f.

Text. Joh. 15) 26 — 27. 16, l—4.

Wenn aber der Tröster kommen wird, welchen ich euch senden werde vom Vater, der Geist der Wahr­ heit, der vom Vater ausgeht, der wird zeugen von mir. — Und ihr werdet auch zeugen: denn ihr seid von Ansang bei mir gewesen. — Solches habe ich zu euch geredet, daß ihr euch nicht ärgert. — Sie werden euch in den Bann thun. Es kommt aber die Zeit, daß wer euch tödtet, wird meinen, er thue Gott einen Dienst daran. — Und solches werden sie euch darum thun, daß sie weder meinen Vater noch mich erkennen. — Aber solches habe ich zu euch geredet, auf daß wenn die Zeit kommen wird, daß ihr daran gedenket, daß ichs euch gesagt habe. Solches aber

202

habe ich euch von Anfang nicht gesagt, denn ich war bei euch. fassen wir, m. A. u. G-, den ganzen Inhalt dieser weissagen­ den Rede unsers Herrn zusammen; so sehen wir, daß er seinen Jüngern, welche nun bald ohne ihn ihren Lebenspfad wandeln sollen, ein Zwiefaches darlegt. Einmal nämlich weist er sie auf ein großes Heil hin, auf die Ertheilung einer Segnung, mit wel­ cher, da sie vom Vater ausging, ein höheres herrliches Leben in der Jünger Brust anfangen muffte. Dann aber halt er ihnen wieder ein dunkles trauriges Bild der Zukunft vor, sagt ihnen ein großes unaussprechliches Elend vorher, daß die Welt die Sei­ nen verfolgen, daß sie aus der Gemeinschaft der Menschen sie ausstoßen werde, und zwar ausstoßen als solche, welche als die Lästerer Gottes, dessen Frieden sie doch auf Erden bringen woll­ ten, würden angesehen werden, so daß selbst wer sie tödte meinen werde, er thue Gott einen Dienst daran. — Wie steht nun bei­ des in nothwendiger Verbindung? 'warum musste der Herr ne­ ben dem Hinweisen auf Erfüllung einer seligen Verheißung so­ gleich sie durch Enthüllen des tiefen Abgrundes der Leiden trü­ ben, welche sie treffen sollten? Unstreitig wohl, weil die Leiden kommen mussten und den Gläubigen des Herrn weder erspart werden konnten noch sollten, und er, der sie in seinen Dienst aus­ sendete, auch die Beschwerden und Lasten desselben ihnen nicht verhüllen wollte; aber zugleich auch, weil er in dem Geiste, den er zu senden versprach, ihnen den Trost und die Kraft zuführte, in welchen sic die Leiden überwinden und in solcher Ueberwin­ dung rechte Zeugen des Herrn sein konnten, bei dem sie von An­ fang an gewesen. Daran wollen denn auch wir aus unsers Hei­ landes Worten lernen: wie der Christ den dunkeln Zeiten des Lebens entgegen gehen soll? Wenn wir aber des Erlösers Warnung, daß er dies Wort redet,

203 damit sie sich an ihm nicht ärgern und stoßen sollen und die feste Verkündung vom Kommen des Geistes betrachten; so werden wir uns die Frage also beantworten:

der Christ soll

den dunkeln Zeiten entgegengehen: I.

al- der, welcher daS Leiden nicht als ein unerwartetes, sondern als ein ihm bestimm­ tes und zugemessenes annimmt, und

II.

als der, welcher in sich die Kraft fühlt es zu überwinden als ein treuer Zeuge sei­ nes himmlischen Meisters.

I. Nicht als rin unerwartetes soll dem Christen das Leiden erscheinen,

dem er entgegen gehen soll; nicht überraschen sollen

ihn die dunkeln Stunden als etwas Unerhörtes, was ihn auf keine Weise hatte treffen dürfen; sondern als ein ihm bestimm­ tes und zugemessenes Geschick soll er sie betrachten und also gefasst ihnen entgegengehen.

Das will der Herr sagen, wenn

er seinen Jüngern zuruft: solches habe ich zu euch geredet, daß ihr euch nicht ärgert; solches habe ich zu euch ge­ redet, daß wenn die Zeit kommt ihr daran gedenket, daß ich es euch gesagt habe. ja am meisten, was

Denn das Unerwartete ist eS

den Menschen zu Boden schlägt und ihn

all seines Muthes und seiner Kraft, des getrosten und ruhig er­ gebenen Sinnes beraubt.

Ist ja selbst oft die große unerwartete

ungehoffte Freude von der Art, daß sie die Kraft des Menschen, der sie nur aufzunehmen und zu empfangen hat, übersteigt, und er sich erst lange fassen muss, sie ertragen und ihrer sich freuen zu können.

Wie viel mehr aber muss das Leiden, das unerwar­

tete, für uns unmöglich geglaubte, wenn eS nun dennoch über uns kommt und uns plötzlich ergreift, der Kraft uns berauben, ihm handelnd entgegen

zu

treten und es muthig zu bekämpfen.

Am meisten aber wird uns das Leiden so treffen, das wir auf

204

keine Weise zu verdienen glauben, daS Leiden, welches da» In­ nerste unser- Wesens mit tiefem Schmerz erfüllt, weil dadurch die Menschen unS ganz verkennen und mißverstehen wie der Herr von den Jüngern sagt: wer euch tödtet wird meinen er thue Gott einen Dienst daran. Und hatten denn auch die Jünger deS Herrn so schweres Leiden verdient? hatten sie, die Alles für ihren Herm dahin gegeben hatten, die dann ausgingen in alle Welt mit Vergessen ihrer selbst das Evangelium zu pre­ digen den Armen, den nach Ruhe und Frieden sich Sehnenden, hätten sie nicht verlangen können zum Lohn ihrer Treue nur dankbare Seelen um sich versammelt zu sehen, nur den Segen deS Herm von aller Lippen auf sie herabflehen zu hören? Aber nein! Von Anfang an hatte ihr Herr ihnen zugerufen: wer mein Jünger fein will, der nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach') und bis zum Ende seiner Lauf­ bahn, bi» zu seinem Scheiden am Tage der Himmelfahrt hat er sie wohl hingewiesen auf die Kraft de» tröstenden Geistes, der ihnm den Frieden bringen sollte; aber sie abgewendet von jedem Gedankm an irdische Lust und weltliche Hoheit. So sollen auch wir von der Welt nicht das rechte Glück erwarten und nicht fal­ schen Hoffnungen einer auf Erden zu erlangenden Seligkeit uns hingeben. Sondern wohl sollen wir jede gute Gabe, welche der Vater im Himmel uns zu geben sich vorbehalten hat, mit Dank und Liebe empfangen; aber auf jedes kommende Leiden auch schauen als auf daS, wa» uns alS Jüngem unsers Herrn nicht erspatt werden kann, was uns eben gesendet werden muss, um in demselben am herrlichsten zeugen zu können von ihm, mit wel­ chem wir aufs innigste verbunden sind. So konnten auch die Jünger deS Herm nichts anders als große, schwere Leiden erwarten, weil sie von ihrer Lauf­ bahn unabwendlich waren und eben in ihnen die Herr') Match. 18.

205 lichkeit ihres Berufs sich zeigen musste.

Denn es

muffte ja doch deS Herrn Evangelium sich Bahn brechen in die Welt.

Wie er gesagt hatte: ich bin gekommen ein Feuer anzuzünden und was wollte ich lieber, denn eS brennete schon, aber ich muss mich zuvor taufen lassen mit einer Taufe und wie ist mir so bange! so konnte «S auch nur den Jüngern deS Herrn sein. Daß Feuer was ihr Herr angezündet, was da reinigen, erleuchten, erwärmen, mit himmlischer Gluth alle befleckten, dunkeln, kalten, erstarreten See­ len entzünden sollte, sie mussten eS ja weiter verbreiten auf Er­ den, und ehe es brennen konnte, mufften auch fie sich taufen las, sen mit der Taufe der Leiden und in den schweren Kampf mit der Welt hineingehen, welcher die Finsterniss lieber war als die­ ses Licht. Ja viele unter ihnen mussten selbst durch das Schwerdt fallen, welches sie gleich ihrem Herrn in die Welt brachten, ehe der Erdkreis zu Gott bekehrt werden konnte; mussten fallen durch die Hand derer, welche im Lichte falscher Weisheit und in todtem Aberglauben einhergingen, und den, welchen sie verkündigten, nicht erkannten als den wahren Gott, so daß sie meinen konnten »der Jesu Jünger tobte, thue Gott, den sie unter falschen Bildern ohne Erkenntniss seiner Wahrheit verehrten, einen Dienst daran. Auf solche Zeit der Leiden bereitet sie darum der Herr vor, so sollen sie immer gewaffnet sein auf ihre Erscheinung und sie als die nothwendige Bedingung ihres großen Berufs ansehen, daß sie sich nimmer verlieren in die Ueppigkeiten der Welt, sondem es festhalten, daß wir nur durch Trübsal ins Reich Gottes eingehen. Leben wir nun aber in ganz andern Zeiten und sind wir als Jünger des Herrn nicht zunächst darauf angewiesen unter äußre Feinde des Christenthums hinzugehen um daß Wort deS Herrn zu verbreiten; verbreiten müssen wir es doch auf alle Weise und weil wir auch da zu kämpfen haben werden mit der Lust und dem Widerstande der Welt, sollen auch wir immerdar

200 gefasst sein auf die Leiden, die vor uns liegen, damit sie unS nim­ mer treffen mögen als die ungerüsteten, welche meinen, sie müss­ ten nie berührt werden durch den Jammer der Welt.

Auch unS

ruft der Herr zu: siehe, ich habe es euch zuvor gesagt, auf daß wenn die Zeit kommt, daß es geschieht, ihr nicht einen Anstoß nehmt. — Nun scheint freilich die Art der Leiden, welche uns am meisten trifft, und welche nothwendig Mit der Schwach­ heit und Hinfälligkeit unsrer Natur und mit der Vergänglichkeit aller irdischen Dinge zusammenhängt, weniger in Gemeinschaft zu stehen mit dem Leiden um Christi willen.

Aber wenn wir

doch, wie wir sollen, unser ganzes Leben Christo weihen und kei­ nen Unterschied mehr zwischen dem was uns und was ihm an­ gehört, machen; sondern Alles was wir sind und haben ihm hin­ geben, Alles was wir empfangen als aus seiner Hand uns ge­ geben ansehen: dann wird uns auch das irdische Leiden selbst als ein solches erscheinen, was, wenn es nicht die offenbare Folge unsrer Sünde selbst wäre und die nothwendige Frucht des bösen Samens, den wir ausgestreut, — uns von Christo gesendet ist. — Denn, wenn wir hätten meinen können, daß dem Frommen nur heitre glückliche Stunden bereitet waren, sollen wir eben nicht irre werden an unserm Herrn, sondern gefasst sein auf jede trübe Schickung, und wenn sie uns kommt gedenken, daß er es uns zuvor gesagt hat.

Dann werden uns aber noch immer dieselben

Leiden treffen um Christi willen wie die Apostel, wenn auch nicht auf eben die Weise und in demselben Maaße, Christi

findet noch immer

denn das Reich

denselben Widerstand in der Welt.

Wollen wir nun auch sein heiliges Feuer anzünden in der Men­ schen Herzen, wie oft stoßen sie uns da auch zurück, wie erndten wir so oft Undank zum Lohne, wie sehen wir unser treues Ar­ beiten an den Herzen der Unsern oft ohne Frucht, wie stehen die Theuren und Liebsten oft gegen uns auf, weil wir nur die Wahr­ heit und das Recht wollen, zu dessen Verkündern uns Christus gesetzt hat, wie müssen wir leiden, wenn selbst m der Kirche des

207 Herrn Spaltungen entstehen

und die Ungerechtigkeit

nimmt, weil die Liebe in den Herzen erkaltet ist!

überhand Das Alle­

sind Leiden, die uns treffen müssen, weil sie nothwendig verbun­ den sind mit unsrer menschlichen Natur und mit dem Leben in Christo,

welches wir nur in

der vergänglichen und sündlichen

Welt führen. #uf alle solche Leiden also sollen wir gerüstet sein, denn sie werden uns allen gewiss kommen, wie trübe und schwer, bis zu welchem Grade der Prüfung und der Noth, das wissen wir freilich nicht; aber immer so, daß uns bange werden und wir zweifeln könnten

an unsers Heilandes Liebe und Macht;

darum sagt er es allen den Seinen vorher, daß das Leiden sie nicht überrasche, daß sie nie ohne Trost und Hülfe sprechen möch­ ten: das ist zu hart! das hat dein Jünger nicht verdient! Aber wie das Leiven der Jünger Jesu nothwendig ist durch ihr Leben in dieser Welt, so ist es nothwendig, um die Herr­ lichkeit ihres Berufes zu

erkennen, und darum spricht

der Herr: ihr werdet zeugen von mir, denn ihr seid von Anfang bei mir gewesen!

Denn schon, wenn wir auf

unser persönliches Aerhältniss zu Jesu Christo sehen, gilt es als ein allgemein angenommener Grundsatz, daß der wahre Freund nur erkannt werde in der Noth und daß es keine rechte Freund­ schaft gebe als die durch Leiden geprüfte.

So muss es denn

auch so gelten zwischen uns und unserm Herrn.

Ob wir ihm

wahrhaft angehören, daß kann sich nur recht zeigen und bewäh­ ren, wenn wir um seinetwillen leiden, und als Petrus sich ihm aufs neue anschloss und sich auf die Fülle der Liebe zu ihm in seinem Herzen berief, als sein Heiland ihn wieder aufnahm und seine Heerde zu weiden ihm übergab: da sprach er auch, es wird ein anderer dich gürten und führen wo du nicht hin willst, um zu deuten mit welchem Tode er Gott preisen werde. — Und wie sollte sich anders die Herrlichkeit Jesu Christi in seinen Jüngern vor der Welt bewähren, als in der Stunde ihrer Leiden? Wenn aber da, wo das Irdische uns genommen wird, wo unsre Freu-

208 dm sinken, wo unsre Liebe mit Spott und Hohn vergvltm, un­ ser treues Arbeiten mit Schmach und Undank belohnt wird, unser Muth nicht sinkt und wir den Aposteln des Herrn ähnlich sind, welche freudig hinweggingen von des hohen Rathes Angesicht, der sie gegeißelt hatte, weil sie würdig gewesen waren um Christi NamenS willen Schmach zu leiden: dann müssen auch die kalten Herzen ergriffen werden von solcher Hoheit.

Wenn wir unter

allem Jammer und allem Verluste der Welt, in Schmerz und Krankheit, in Mangel und Armuth, unter den Trümmern unsrer irdischen Wohlfahrt und an den Grabeshügeln der Geliebten auS unserm Schmerz uns aufrichten und getröstet sprechen: dein Wille geschehe; dann schauen auch die von Gott Gewendeten in uns eine höhere Kraft und ahnen die Herrlichkeit des Gottessohnes, welche über uns ausgegossen ist. Und noch immer bedarf es eines solchen Zeugnisses für unsern Herrn, daß wie es in den Jüngern beweisen sollte, von Anfang an wären sie bei ihm gewesen, auch von uns darlegen soll, wie wir im frommen Wandel mit ihm, in inniger Vereinigung mit ihm allen Frieden gefunden haben. Immer stehen noch genug um uns, die solches Zeugnisses bedür­ fen um von ihrem eitlen vergänglichen Wandel abgeführt zu wer­ den.

Darum lasst uns gewiss sein, wenn ein Leiden uns gesen­

det wird, es kommt uns nicht von ungefähr, es ist uns bestimmt und zugemessen von unserm Herrn, darum gesendet,

daß seine

Herrlichkeit in uns sich verkläre und durch uns offenbar werde, gesendet, daß wir zeugen sollen: er lebt in uns und wir in ihm.

II. Wenn wir nun aber als Jünger unsers Herrn also den Lei­ den entgegen gehen als die, welche uns zugemessen sind, und de­ ren Erscheinung uns nicht überrascht, sondem gefasst findet mit ihnen zu kämpfen, dann sollen wir uns auch noch zweitens be­ weisen als die, welche als Zeugen ihres Meisters in sich die Kraft fühlen daö Leiden zu überwinden.

209 Denn ohne diese Kraft würde auch die Erkenntniss, daß daS schwere Geschick unS von unserm Herrn gesendet wäre, uns noch nicht zu seinen Zeugen machen, sondem wir würden nur um so trüber und trauriger an die Lage denken, wann das Leiden kom­ men werde, und, wenn es nun längst erwartet einträfe, unter sei­ ner Last unS beugend nur unser trübe- LooS beseufzen daS nicht anders konnte gewendet werden. Darum aber hat ja der Herr den Seinen nicht die trüben Zeiten verkündet, sondem daß sie ihnen mit dem Muthe seiner rechten Jünger entgegentreten soll­ ten. Aber woher sollten sie die Kraft nehmen? Sollte sie aus­ gehen von ihnen selbst, sollten sie, nur bauend auf ihre Weisheit, ihren Muth, ihren Verstand, oder auch zurückschauend auf so gro­ ßen Segen, auf so vielfaches Heil, als ihnen schon in ihrer Pilgerschast durch die Hand des himmlischen Vaters zu Theil ge­ worden war, das Leiden der Gegenwart überwinden? Wir wis­ sen, wie schwach der Mensch ist, wie wenig tröstend und helfend in zagenden Herzen solche Gedanken sind, wie der Wandrer, wel­ cher auf steilem gefährlichem Pfade neben Abgründen wandelt, nicht Muth gewinnt, weil er einst auf sichern blumigen Bahnen rinhergegangen ist; wir wissen, wie des Herrn Jünger selbst, als nach dieser Rede des Erlösers die Stunde der Leiden ih­ nen kam, in welcher sie ihn am Kreuz sterben sahen, wiewohl eS ihnen vorhergesagt war, den Schmerz nicht fassen, den Frie­ den nicht erlangen konnten, der sie in ihrem Elende getröstet hätte. So sollen auch wir am Tage der Leiden und des Elendes nicht auf unsren Verstand, aus unsre Weisheit, auf unsre Erfah­ rung schauen wollen, das Alles wird doch bleibenden Trost, über­ windende Kraft uns nicht geben.

Menschliche und irdische Hülfe

wird aber, wenn sie unS von Gott gesendet würde, immer nur in wenigen äußeren Fällen helfen, wird kein schweres Leiden der Seele von uns nehmen, wird bei Schmach und Todesnoth nur unzureichenden Trost gewähren können. Pischon Pred. II.

O

210

D« Herr aber, ehr er in unserm Tret seinen Jüngern die Bahn der Leiden zeigt, welche sie zu wandeln haben, spricht zu­ rrst: wenn aber der Tröster kommen wird, welchen ich euch senden werde vom Vater, der Seist der Wahr­ heit, der wird zeugen von mir. Und welches wird das Arugniss fein, daS er den Gläubigen, zu denen er gesendet ist, bringen wird, wodurch werden auch diese von Christo zeugen kön­ nen? nur dadurch, daß von ihm die Kraft ausgehen soll, deren die Jünger bedürfen, daß sie von ihm aus seiner Fülle nehmen können, aus der Fülle dessen, welcher von Gott stammend und auSgrhrnd als der Tröster und als der Geist der Wahrheit sich ihnen beweisen soll. Wo also des Hrnn Jünger ein Leiden trifft, das sie ange­ sehen haben als das waS ihr Herr ihnen sendet, um in demsel­ ben von ihm zu zeugen, sollen sie in sich Kraft fühlen eS zu überwinden durch die Kraft des Geistes Gottes. Kein Ge«' danke der Größe der Noth, in welche sie gerathen, kein Anschauen der Tiefe deS Jammers, der vor ihnen liegt, keine Klage über die eigne Schwachheit, welche die Last nicht zu tragen weiß, die ihr aufgelegt ist, soll aufsteigen und laut werden in dem Jünger Jesu Christi, ohne daß er sogleich tröstend zu sich spreche: du hast ja den Geist, den Christus dir sendet vom Vater, du hast ja in ihm eine Hülse, welche nicht von der Erde stammt und die auch darum durch irdische Macht nicht abgewiesen, durch Er­ dennoth dir nicht entrissen werden kann. Halten wir uns denn an diesem Geiste GotteS und vereinigen uns im frommen brün­ stigen Gebete immer inniger und fester mit ihm: dann werden wir erkennen wie er von Christo zeugt und über uns die Kraft ausgießt, in welcher wir der Welt Leiden überwinden. Denn er ist es zunächst, der unS tröstet, er ist es, der die Wahrheit, die verborgene, im Leiden so oft verkannte uns kund thut. Denn trostlos und unvermögend die Uebel des Lebens zu tragen ist doch nur der, welcher an dem Augenblick und der äußern Erschein

211 nung haftend und durch sie geschreckt und erschüttert zu dem was ewig wahr und über allen Wechsel der Zeit dauernd ist, sich nicht zu erheben versteht, sondern in seinem Jammer sich verlierend nur diesen allein festhält und nicht erkennen will, daß auch der tiefste Schmerz sich mildern werde, daß auch er nur ein Mittel in der Hand des Ewigen zu einem hohem Zweck.

Lehrt uns

nun aber der Geist der Wahrheit uns erheben zu dem, waS da bleibt über allen Wechsel der Zeiten, zu der ewigen Vaterliede Gottes; zeigt er uns, wie daS rechte Unglück nur das ist, in Sünde und Irrthum zu wandeln und nicht zu erkennen, wie auch der dunkle Weg zum Leben führt; hebt er uns hinaus über den Au­ genblick der Schmerzen, in denen wir seufzen, daß wir unser gan­ zes Leben überschauen und erkennen lernen, wie denen die Gott lieben Alles zum Besten dienen muss und wie das Samenkorn des ewigen Heils kräftig gedeihet unter den Stürmen und Ungewit­ tern des Lebens: dann ist er unser Tröster, dann fühlen wir, wir haben die Kraft von ihm empfangen das Leiden zu besiegen. — Der Geist aber ist endlich auch der, welcher von Christi zeugt und ihn verklärt.

Denn Alles was Christus den Seinen ver­

kündet hat und was auch von uns gekannt bis dahin todt in uns geschlummert hat, das erweckt er in uns zum Leben. Jedes Wort der Bemhigung und höhern Belehrung, jede Erkenntniss göttlicher Gnade, welche durch ihn einst der Menschheit zu Theil geworden, erkennen wir durch den Geist auch für uns als einen höher» Trost; wir fühlen uns dann noch immer in Christi Gemeinschaft und sehen sein Wort erfüllt: ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende, und so haben wir die Kraft welche die Welt überwindet, denn wer ists der die Welt überwindet als der da glaubet daß Jesus Gottes Sohn ist'), wo­ von der Geist uns aufs neue Zeugniss giebt. Diese Kraft, durch den Geist des Herrn das Leiden zu über-

*) 1. 2oh. 5, 5.

212 winden, haben denn die Apostel deS Herm, nachdem er wegge­ gangen war von der Erde, für ihre irdische Laufbahn festgehal­ ten, in dieser sind sie der Erfüllung der Worte unsers Textes ge­ trost entgegengegangen. Sie haben sie in den Bann gethan, und die sie tödteten haben gemeint, sie thaten Gott einen Dienst daran, aber die treuen Boten haben unter solchem Jammer nicht gezagt noch gewankt, sondern des Herrn gedacht und durch seinen Geist übenvunden, und wie viele Jahrhunderte verflossen sind seit jenen Zeiten, sie stehen da als große herrliche Vorbilder und sagen uns, wie auch wir in der Kraft Christi jedem Leiden entgegengehen und eS überwinden sollen. So lasst unS ihnen ähnlich werden und nicht weichen von dem Worte des Herrn. Ja, sie werden auch unS nahen des Le­ bens Leiden und Kämpfe, es muss auch uns allen immer sein, alS ob der Herr die dunkle Weissagung über uns aussprache, die mehr oder minder in den künftigen Tagen in Erfüllung gehen wird. Aber lasst uns der trüben Zukunft auch also entgegengehen, daß sie uns nicht ungerüstet, nicht unvorbereitet ergreife, sondern unS finde bereit zu dulden und zu kämpfen, uns finde als die, welche in sich die Kraft haben das Leiden zu überwinden. Und geht diese Kraft vom Geiste Gottes aus, wohlan, er ist ja noch immer bei uns und kommt auf unser Gebet. Sein Fest kommt uns wieder, und sammeln wir uns am nächsten Tage des Herm in unsern Heiligthümern, so singen wir ihm unsre frohen Dankes­ psalmen.

So lasst uns ihm die Herzen reinigen und die Woh­

nung ihm bereiten, daß er sich in uns ergieße und wir durch ihn mächtig Leiden und Schmerz, Welt und Tod überwinden. Amen.

XVIII.

Was der Christ in des Lebens trüben Zeiten festhalten soll. Ueber 1. Petr. 5, 6 —li. Die (Suade unsers Herrn und Heilandes u. f. f.

Tert. Epist. 1. Petr. 5, 6 — ll.

So demüthiget euch mm unter die gewaltige Hand (Lottes, daß er euch erhöhe zu seiner Zeit. — Alle eure Sorge werfet auf ihn; denn er sorget für euch. — Seid nüchtern und wachet: denn euer Widersacher, der Teufel, gehet umher wie ein brüllender Statut und suchet, welchen er verschlinge. — Dem widerstehet veste im (Glauben und wistet, daß eben dieselbigcn Leiden über eure Brüder in der Welt gehen. — Der Gott aber aller Gnade, der uns berufen hat zu seiner ewi­ geil Herrlichkeit m Christo Jesu, derselbige wird euch, die ihr eine kleine Zeit leidet, vollbereitcn, starken, kräftigen, gründen. — Demselbigen sei Ehre und Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

ZVährend wir, nt. A. u. ©., in den heiligen Schriften der Apostel überall Aufmunterungen zur rechten wahren Freude fin­ den, so liegt es doch ganz in dem Wesen des Christenthums so­ wohl, als in den Zeiten der Noth und Verfolgung, in welcher die Apostel lebten, daß sie auch auf die Leiden und trüben Au­ genblicke des Lebens hinsehen, um für diese den Gläubigen ihres Herrn die Richtschnur anzugeben, welche sie als die Getrosten und Siegreichen durch alle Noth der Erde hindurch führen soll. Dahin gehen denn auch. die vorgelesenen Worte unsrer heutigen Epistel, welche so oft, seitdem der Apostel sie im Sinne seines Herrn geschrieben hat, Tausenden unter den Christen Trost und Kraft und himmlischen Frieden gegeben haben.

Wenn nun auch

und noch immer die schweren Lasten drücken, welche nicht fern sein können von den Gläubigen des Herrn,

wenn nun auch

wir wie jene einhergehen müssen unter des Lebens mancherlei schweren Versuchungen:

so möge auch unS des Apostels Wort

ein Wort der Lehre und des Trostes werden,

wenn wir be­

trachten : Was der Christ in des Lebens trüben Zeiten festhalten soll? und zwar I II.

welche frommen Ermahnungen, welchen reichen Trost. I.

Was der Apostel vor den Worten unsers Tertes alS eine allgemeine Ermahnung in Beziehung auf das Zusammenleben der Gemeinen, an welche er schreibet, aufgestellt hat, daß die Aeltesten wie die Jüngeren festhalten sollten an der Demuth, das giebt er uns auch alS besondre Voischrift für die trüben Zeiten des Lebens in Beziehung auf Gott, und daran schließt er die freudige Aufforderung, welche das knmmerschwere Herz erleichtern

215 und wieder ruhig schlagen lassen soll: alle eure Sorge wer­ fet aus ihn.

Demuth und kindliche- Vertrauen ist r» also,

wozu der Apostel alle die Seinen für die trüben Zeiten des Le. benö ermahnt. Indem er aber sagt: demüthigt euch unter di« ge­ waltige Hand Gottes, stellt er un- zugleich ein« Art deLeidenö aus, für welche er diese Demuth, dieses frommt Vertrauen empfiehlt.

Denn die gewaltige Hand GotteS, welche er meint,

eS kann nicht die sein, welche in der Kraft der Allmacht die Gläu­ bigen rettet und erhebt, daß sie siegreich dastehen, über ihre Feinde triumphirrnd; es kann nicht die sein, welche uns Bahn gebrochen hat für unser Leben, alle Hindernlffe hinweggeräumt und eine heitere leuchtende Aussicht für die Tage der Zukunft unS geöff­ net hat.

Sondern die gewaltige Hand, unter welcher wir uns

demüthigen sollen, das ist die Führung des Herrn, welche uns Trübsal und Züchtigung

zu sein scheint,

daS find die Wege,

welche auch gläubige Seelen nicht verstehen, sondern nur als die dunkeln

und unbekannten verehren.

Und diese gewaltige

Hand Gottes, wir werden sie immer empfinden müssen im All­ gemeinen wie im Einzelnen; auch kein Leben der Frommen wird davon frei sein und welche Laufbahn vor uns

liegen möchte,

von welchem ersehnten Ziele wir auch mit noch so freudigem Sinne weiter hinaus zu wandern gedächten in die Tage der Zu­ kunft:

des Herrn gewaltige Hand sie wird auch un- fühlbar

werden in tausendfachem Schmerz, in dem allgemeinen wie in dem der eignen Brust, im öffentlichen, ganze Völker drückenden Trübsal wie in dem stillen geheimen Leiden, das nur Gott kennt, in dem stillen Seufzer, den nur der Allwissende vernimmt. — Des Apostels Ermunterung für solche Zeit der Trübsale ist aber die: demüthiget euch!

Diese lasst unS denn festhalten,

da so oft der Mensch in seinem Leiden ihrer vergisst.

Denn

es erhebt sich das schwache Gebilde oft gegen seinen Schöpfer und will wie ein ungerathenes Kind rechten mit dem Vater im

216

Himmel, murrt gegen seine Wege und tadelt den ewigen Wil­ len, welcher mit seiner Lust nicht übereinstimmt. Aber dann eben erst wird der Unglückliche aus dem äußern in das innere wahre Verderben gestürzt, dann erst, wenn er frevelhaft das hei­ lige Band zerreißt, das ihn an seinen Gott knüpft, begräbt er sich unter die schwere Last, welche er nicht zu ertragen vermag. Aber wenn wir uns nach deS himmlischen Meisters Vorbilde demüthi­ gen unter Gottes gewaltige Hand, wenn wir und still und ge­ duldig bescheiden, was er thue sei immer wohlgethan, auch wo wir es nicht einsehen, wie er führt, so müsse es zum Heile ge­ reichen, wenn auch unser Auge durch die Dunkelheit, die unsern Pfad umschattet, nicht hindurch blicken kann: dann entkeimt auch solcher stillen frommen Demuth schon die Kraft, das zu vollbrin­ gen, waS der Apostel uns nachher ermunternd zuruft: alle eure Sorgen werfet auf ihn! Das erscheint uns als eine hülfteiche freundliche Mahnung, der ja wohl jeder gern folgen möchte, welche, weil sie uns ja von der Sorge befreit, um so freudiger von jedem Traurigen werde ergriffen und befolgt werden. Und doch wie schwer wird sie und so oft, wie fehlt es und an Kraft, wie ringen wir vergeblich, auf den Allmächtigen zu werfen was uns drückt und still und kindlich seinem Schutz zu vertrauen. Aber eS liegt nur an dem Mangel der Demuth und des frommen Glaubens! O unaus­ sprechlich und unergründlich ist es was das demüthig sich beu­ gende, das von frommem vertrauendem Glauben erfüllte Menschenherz zu tragen, zu überwinden vermag. Denn dem Demüthigen, der mit seinem Gott eins ist, dem still Vertrauenden, der da w«iß, daß sicher ruht wer unter dem Schuh des Höchsten ist, strahlt schon belohnend und kräftigend der heitre AuSgang des Leidens, die Zeit der Erhöhung, wo der dunkle Weg des Herrn auch ihm zum Lichte sich umwandeln wird, durch jede Nacht entgegen. So lasset uns, wie es die frommen Gemeinen unter den Verfolgungen der Welt gethan haben, lasset uns bei Allem waS der Herr uns Schweres

217

und Drückende- sendet in frommer Demuth ihm vertrauen und unsre Sorge werfen auf ihn, der für un- sorget. Neben dieser Art der Leiden, welche mehr da- Aeußerliche und Irdische de- Leben- umfassen, weiset der Apostel aber auch auf ein schweres innere- Leiden hin, was nur allzuleicht an jenes sich anschließt, aber auch da flch unS zeigt, wo nicht die gewaltige Hand Gottes, sondem nur seine milde Gnade auf unS zu ruhen scheint. Das ist das Leiden von dem er sagt: euer Widersacher, der Teufel, gehet umher wie ein brül. Unter Löwe und suchet, welchen er verschlinge; daLeiden der Versuchung zur Sünde, welchem alle Gläubige deHerrn ausgesetzt sind. — Wir wollen uns, m G., nicht darauf einlassen, wie es ja auch die Schrift nie thut, utts im Einzelnen die Gestalt und die Züge des Widersachers auszumalen, von dem der Apostel redet, und nicht in der Gestalt des hungrigen Raub» thieres geht er einher, sondern nur also begierig sein Opfer ins Verderben zu reißen wie jene-. Aber seine Gestalt nimmt alle Züge an und am meisten nicht die des gefahrvollen Raubthiereund der abschreckenden entsetzlichen Gestalt, sondem die der liebstm Herzensfreunde, der sorgfältig gehegten Neigungen, der sehnlichsten Wünsche, und also bethört er die Seele und zieht sie in sein Ver­ derben hinab. Und so kommt er an den heitern Tagen drö Lebens und verlockt den Menschen zu den Lüsten, die wider Gott streitm, so kommt er am Tage der Noth und flüstert den Betrübten die sündlichen Gedanken ein sich von ihren Leiden zu befreien, so reißt er die Seelen von dem Allerbarmer loS, damit sie um so sichrer ver­ loren gehen. — Da ruft der Apostel, um vor solcher Gefahr unS zu bewahren, das Wort der Ermahnung unS zu: seid nüchtern und wachet! Lasst uns nicht trunken werden vom Glücke der Welt, lasst uns nicht betäubt werden von den dunkeln Stunden der Schmerzen, daß btt' Versucher übet unS Macht gewinne, lasset das Auge deS Geistes, daS überall umherschauend die Seele bewahren soll vor ihren Feinden, nicht entschlummern, daß kein

218 Wächter da sei gegen den Feind GotteS und der Menschen; son­ dern lasset unS nüchtern sein in den Genüssen und in den Schmer» zen, daß wir ihnen nicht unterliegen und die Herrschaft über uns selbst nie verlieren mögen, lasset mit scharfem Auge um unS her und in das Innere der Seele uns schauen, daß wir unter jeder Gestalt erkennen mögen den Versucher und ihn von unS treiben wie unser Herr und sprechen: hebe dich weg von mir Sa­ tan, denn eS stehet geschrieben: du sollst Gott deinen Herren anbeten und ihm allein dienen. Neben dem Nüchternsein und Wachsamsein ruft uns aber auch der Apostel noch zu: dem widerstehet fest im Glauben! Wie sollen wir aber widerstehen im Glauben, wie soll eS nicht oft geschehen, daß wenn wir auch des Versuchers Gestalt erkennen, wir doch von ihm angezogen und bethört keine Kraft zum Wi­ derstände in uns finden, doch nur in seine Arme finken und sein Raub werden?

O wie manche Unschuld

grwarnt, nicht unbewusst,

ist also,

nicht

un-

eine Beute der Sünde geworden,

hat dem Versucher geglaubt und seinem schmeichelnden Worte und vergessen des Glaubens an ihren Erlöser, hat der lockenden Stimme im Busen gehorcht und

nicht der Stimme des guten

treuen Hirten, der, wie unser schönes Evangelium sagt, auch nach dem Einen verlomcn Schafe geht, um es zu finden. — Als in jener trüben Stunde im Leben unsers Heilandes er von seinem Todesringen zu seinen Jüngern zurückkehrte und sie schlafend fand; da sprach er zu ihnen: wachet und betet, daß ihr nicht in Anfechtung fallet, und das ist nun auch noch immer der erste Widerstand im Glauben, den wir anwenden sollen gegen den Ver­ sucher.

Die Waffen des Gebets sind ein starker Schutz, sie sind

der Harnisch Gottes, mit dem wir bestehen können gegen di« listi­ gen Anläufe des Versuchers.

Denn das Gebet erhebt zu Gott,

vereint uns mit ihm, macht seiner hülfreichen Kraft uns gewiss, schützt uns gegen das eigne schwache Herz und reinigt und läutert eS von jeder Gemeinschaft mit dem Bösen.

Das innige fromme

219 gläubige Gebet ist ein fester, mächtiger Widerstand im Glauben. Und wenden wir uns dann vom Gebet wieder jum Versucher zu­ rück, dann ist seine Schönheit verschwunden, dann sehen wir nicht mehr auf die schönen glänzenden Farben der ringelnden Schlange, fonbtm erkennen bad Gift, wodurch sie uns tödten will, und wen» den uns nun im Glauben an unsern Herrn, auf ihn gegründet und mit ihm verbunden zum Kampf, daß er weichen muss und nicht bestehen kann vor unS in seiner Bosheit und wir dem Herrn danken können, daß er uns den Sieg gegeben hat. Will aber der Kampf unS schwer dünken, so ruft und der Apostel noch zuletzt als ermuntemdes Wort zu: wisset, daß die­ selben Leiden über eure Brüder in derWelt gehen! — Das erscheint uns zuerst allerdings nicht als ein Trost.

Wenn

die, welche uns brüderlich verwandt dastehen, in Glück und Frie­ den neben und wandeln, so können wir eben daraus neue Kraft schöpfen, wenn aber auch auf ihnen dieselben Leiden liegen wie auf uns, dann muss ja eben, scheint es, das Mitgefühl mit ihrer Noth nur um so schwerer unS drücken. — Aber darin liegt doch, wenn auch kein Trost, doch ein Niederschlagen unsers MißmuthS und Murrens.

Wenn wir erkennen, nicht uns allein etwa hat

Gott so Schweres auferlegt, nicht wir allein haben mit dem äu­ ßern Uebel und mit dem Feinde alles Göttlichen zu kämpfen, sondern es ist ein großer gemeinsamer Kampf aller Frommen und sie alle sind mit uns auf gleiche Weise verbündet gegen denselben Widersacher. Und das ist ein wahrer Trost, wenn wir uns sagen, da Gott überall auch in dem Reiche Christi die Trübsal sendet, so muss daraus der Gedanke uns hervorgehen, sie muss doch zum Heil sein, so muss denn denen die Gott lieben auch das Böse und Traurige, auch der Kampf mit Fleisch und Sünde und jedem Widersacher Gottes zum Besten dienen.

Aber wenn

wir fest im Glauben sind, wird der Gedanke, daß unsre Brüder denselben Leiden unterliegen wie wir, uns auch Muth geben, um so treuer zu kämpfen und ein Vorbild derer zu werden, welche

220

in gleicher Noth auf uns schauen. Denn die Blicke der leiden­ den Brüder werden sich ja auch auf uns richten, und wie Vater und Mutter bei schwerem Leiden ja ihren Kindlein, wie Gatten einer dem andern den eignen Schmerz verbergen und ihn muthig bekämpfen, daß ihre Trostlosigkeit nicht dem andern das Bild seines Jammers um so schrecklicher ausmale, so soll jedes Leiden der »nbetn uns eine Ermunterung werden durch unsern muthigen Widerstand, durch unser frommes Beten, durch unser stilles ergebungsvolles Dulden ihnen ein Beispiel zu werden, gleich uns Welt und Sünde zu überwinden. II.

Nach solchen frommen Ermahnungen für die Zeiten der Lei­ den weist uns aber der Apostel noch zweitens auf den rei­ chen Trost hin, welchen wir in jeder Noth festhalten sollen. — Diesen Trost zeigt er unS, indem er uns auf den Gott allerGnade hinweist, der uns berufen hat zu seiner ewigen Herr­ lichkeit in Christo Jesu. — DaS ist der tröstende und erhebende Gegensatz gegen die gewaltige Hand Gottes, unter welche wir uns demüthigen sollten. Diese gewaltige Hand ist nur die Hand des GotteS aller Gnade. Er verstößt seine Kinder nicht, wenn seine Hand aus ihnen schwer zu liegen scheint, sondern auch darin ist nur seine Gnade sichtbar, denn diese erstreckt sich über Alles. Das lasst unS doch nie vergessen, wenn wir die Wege des Herrn nicht verstehen, wenn eS uns schwer wird sie zu wandeln, wenn wir, nachdem wir schmerzlich gesprochen haben: der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen, es nicht über uns gewin­ nen können auch hinzuzusetzen: sein Name sei gelobet! Es ist ja der Gott aller Gnade, der da giebt und der da nimmt, der un­ sern Weg in Dunkel verhüllt und in Licht ausgehen lasst, der Wunden schlägt und Wunden heilt. Wenn wir das festhalten auch in den trübsten dunkelsten Tagen des Lebens, es wird uns daraus ein unversiegbarer Quell des Trostes entspringen. — Weil aber

221

auch zu uns bot Kleingläubigen gesagt werden muss: wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, so glaubet ihr nicht! so weist auch der Apostel auf solcher Wunder hin, auf dar größeste dadie Welt kennt und in dessen Lichte wir noch immer fröhlich sein können. — Er hat uns berufen, spricht er, zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christo Jesu. Daß er den Heiland uns gegeben hat mit allen seinen Gütern, daß er aus des HeidenthumS Finsternissen auch uns berufen hat zu seinem wunderbaren Lichte, das ist ja der tägliche und ewige Beweis, daß er uns nimmermehr lassen kann, das ja der unentreißbare Trost, der unS bleibet in jedem Geschick. Von dem Sehnen und Aechzen der Creatur, welche gefangen war im Dienste des vergänglichen We­ sens und ängstlich harren muffte auf die Offenbarung der Kind­ schaft Gottes, hat er uns geführt zur herrlichen Freiheit der Kin­ der Gottes, zu dem Miterbe Jesu Christi, der unser Bruder ge­ worden ist, und so wir anders mit ihm leiden auch uns mit zur Herrlichkeit erheben wird, gegen welche dieser Zeit Leiden gering sind. — Und sehnet sich noch unter uns ein Herz und ängstet sich immerdar, sein Sehnen und Aengsten ist ja nur ein schwerer Traum, aus dem es erwachen und dann freudig mit unserm frommen Dichter rufen wird: Warum sollt' ich mich denn grämen hab ich doch Christum noch, wer will mir den nehmen? wer will mir den Himmel rauben de» mir schon Götter Sohn beigelegt im Glaube» !

So berufen durch den Gott aller Gnade zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christo, können wir aber, weil wir solche Hoffnung haben, nicht unterliegen in irgend einem Streit, denn, wenn wir auch eine kleine Zeit leiden, er wird uns vollbereiter^, stär­ ken, kräftigen, gründen! Wohl dünkt uns die Zeit der Leiden oft nicht klein und es dehnen sich uns die Augenblicke der Schmer-

222 zcn zu Stunden, die Stunden zu langen Tagen aus, «er aber die ewige Herrlichkeit in Christo im Auge hat, was kann die kurze Spanne der Lridenszeit ihm gelten gegen solches Heil. Und wie lang sie uns auch sein möchte diese Zeit, wenn wir nur des Apostels Trost bewahren, wenn wir nur uns suhlen als die, welche berufen sind in Christo, dann kürzt sich in der Vereinigung mit ihm auch der lange Schmerz immer mehr ab, und in ihm und durch ihn selbst geschieht es, waS der Apostel tröstend den Seinen zuruft: er wird euch vollbereiten, kräftigen, stärken, gründen. Ja vollbereiten wird er uns, d. h. er wird uns nach dem Leiden wieder in den vollen Besitz unsrer Freudigkeit und Gemeinschaft mit ihm setzen; wie wir je im festen innigen Glauben an dem Anfänger und Vollender des Glaubens gehangen haben, so wird er uns wieder darstellen, nachdem wir durch das Leiden geprüft sind. — Sind wir nun also vollbereitet, dann ist auch Stärke und Kraft uns gegeben; Stärke um Alles zu ertragen was er uns auflegt, nicht zu murren gegen seine Fügungen, nicht zu un­ terliegen unter seinen Lasten, sondern freudig jedes Kreuz auf uns zu nehmen, das er und darreicht; Kraft, um aus der innern Freu­ digkeit des Gemüths, welche die Last trägt, auch kämpfend hin­ aus zu gehen gegen jeden Feind Gottes, entgegen zu treten jedem Verführer, der sich uns naht und jeden Zweifel, jede wider Gott streitende Lust in uns selbst zu vernichten. Und so sind wir auch gegründet als die rechten Säulen seiner Gemeine, so sind wir denn solche, an welchen andre sich stützen und aufhelfen, auf welche andre dann weiter fortbauen können das Gebäude ihres Heils, sind solche, welche durch ihr Beispiel zagende, zweifelnde, verirrte Seelen erretten werden, daß Freude sein wird im Himmel über die Sünder, welche wir gewonnen haben dem Herrn, da wir ih­ nen geworden sind zum Grunde der Seligkeit. Stehen wir so vollbereitet, gestärkt, gekräftigt, gegründet da in der Gemeine des Herrn, in jedem weiteren und engeren Kreise des Lebens, in den Gott uns setzt, dann muss auch das Leiden

223

von UN- genommen fein, dann werden wir mit uns gleichgesinn­ ten Brüdem und Schwestern durch die Leiden der Zeit siegend und triumphirend einhergehen, da wo wir am meisten gezagt haben, wird die Gnade unser- Gottes am klarsten un- erschei­ nen, da wo unsre Wünsche vereitelt, unsre Hoffnungen gebrochen schienen, wird die höhere Hoffnung uns jeden Verlust vergüten, und so haltend an des Apostels frommen Ermahnungen, so erho­ ben durch den reichen Trost, auf den er weiset, können auch wir, freudig dankbar aus den Gott aller Gnade schauend, nur aus­ rufen: demselbigen sei Ehre und Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.

XIX Wie christliche Freiheit sich unterscheide von unchristlicher Willkühr. Ueber

Gal. 5,

13.

Dt« Gnad« unftrt Herrn u. s. w. Text.

Gal. 5, 13.

Ihr aber, lieben Brüder, seid zur Freiheit beru­ fen.

Allein sehet zu, daß ihr durch die Freiheit dem

Fleisch nicht Raum gebet. Es versetzen uns die Worte des Apostels in einen Streit, wel­ cher die Kirche des Herrn, so wie er in den ersten Zeiten dersel­ ben sich entzündete, durch alle Zeitalter bis auf uns bedrückt hat, und welchen auch wir alle als Jünger Christi immerdar treulich durchzukämpfen berufen sind.

Wohin die Boten des göttlichen

Herren kamen, da verkündigten sie die Freiheit, welche der Sohn GotteS auf Erden gebracht hatte, da brachen sie das Joch, wel­ ches Menschen auf Menschen gelegt in nichtigen und unerträg­ lichen Satzungen, jene Fesseln der Lehre des Judenthums, jenen Aberglauben der Heiden, und was durch Stand und Geschlecht

225 in Niedrigkeit und Verachtung gesunken war, daS erhöhten sie auS dem Staube als mit ihnen erlöset und Erben des ewigen Lebens; denn in Christo war nicht Jude noch Grieche, nicht Knecht noch Freier, nicht Mann noch Weib, sondern alle Gottes Kinder durch den Glauben an ihn'). — Aber gegen diese Freiheit erhob sich ein zwiefacher Kampf, von der einen Seite nehmlich ausgehend von den Freunden des Buch­ stabens und des todten Gesetzes, welche den durch Christus Frei­ gemachten wieder das alte Joch auflegen wollten und den Geist des Evangelii in Fesseln binden,

oder von der andern Seite

angeregt von denen, welche den Namen und Sinn der Freiheit in Christo nicht verstanden, und da sie sich frei wähnten von je­ dem Gesetz in die Knechtschaft der Sünde zurücksanken. — Die­ ser Kampf ist stets wiedergekehrt in der Kirche des Herrn, und wer könnte es leugnen, daß auch unsere Zeit mehr oder minder darin besangen ist, weshalb es noth thut um in demselben als des Herrn treue Nachfolger zu bestehen, uns über das Wort des Apostels in unserm Tcrt zu verständigen und daran zu betrachten: Wie christliche Freiheit sich unterscheide von unchristlicher Willkühr. Das lasst uns nach den beiden Gebieten, welchen der Christ an­ gehört und auf welche der Apostel in den Worten, aus welchen unser Text genommen ist, naher hindeutet, sorgfältiger betrachten, indem wir jenen Unterschied nachweisen: I.

in Beziehung auf Lehre und Glauben und

II. auf Handeln und Leben.

Der Unterschied christlicher Freiheit von unchristlicher Willkühr muss uns zuerst klar werden für Lehre und Glauben, indem uns der Apostel zuruft: Ihr, lieben Brüder, seid zur Frei-

') Sal. 3, 28. 26. Pischon Prrd. II.

P

226 heit berufen.

Das Wesen christlicher Freiheit aber ist in dem

Worte des Herren zusammengefasst: nur so der Sohn euch frei macht seid ihr recht frei!

In dem Busen eines jeden

denkenden Menschen liegt ein Gefühl der Abhängigkeit von et­ was Höherem, nur der Wahnsinn kann meinen, er selbst sei das Höchste und könne allein sich gebieten, und schon in diesem Wahne selbst läge er wieder in den Fesseln seiner Selbstsucht und seiner Sünde.

Eine Freiheit, welche nichts über sich zu erkennen hat,

keinen Herrscher, kein Gesetz, giebt es nicht, und in diesem Sinne sind wir alle Diener und Knechte. Darum ist nur da die höchste Freiheit, wo der mildeste Herr zu finden ist, der Herr, welcher seine Diener zu seinen Freunden macht, und jedes Band der Sclaverei löset für die, welche ihm angehören.

Nur ein heiliges

Band bleibt noch, welches mit ihm sie verbindet, und in der Ge­ wissheit dieser Vereinigung die. Bürgschaft tragt, daß kein Feind, kein Herrscher ihnen schaden kann, da sie sich dem ergeben ha­ ben, der da frei macht von jedem Dränger.

Wo aber ist dieser

Herr zu finden, in dem ewige Liebe und Milde und unendliche Macht sich vereinigen, wo der zu finden, welcher nur herrschen will um seinen Dienern den Frieden und die Seligkeit zu geben, welche sie ohne ihn vergebens suchen, die rechte wahre Freiheit, welche die Welt nicht kennt?

Es ist der Sohn des Höchsten,

der in himmlischer Liebe das Geschlecht der Menschen erlöset hat und in ewiger Macht und Herrlichkeit seine Kirche regiert. — Das also ist die christliche Freiheit in Lehre und Glauben, daß Menschenwahn und eigene irrende Vernunft die Gläubi­ gen deS Herrn nicht mehr zu Knechten machen kann, daß der Glaube auf ihn gegründet wird, welcher der Weg ist und die Wahrheit und das Leben, daß seine Erlösung und sein göttliches Wesen verkündigt wird nach seines Geistes heiliger Offenbarung allen, welche Frieden und Freiheit suchen, daß kein andrer Mei­ ster ihnen zu gebieten hat, von keinem andern ihr ewiger Trost abhängt und ihrer Seele Heil, als von dem, welcher seine Bo-

227

ten ausgesendet hat zu lehren und zu taufen auf seinen Namen. — So lange die Kirche Christi diesen Glauben und diese Lehre fest­ gehalten hat, so lange von ganzem Herzen an diesen ewigen Sohn des Allerhöchsten geglaubt wurde, den Gott von dem Tode auferweckt hat, so lange das freudige Bekenntniss deS Mundes von dem zeugen wird, welcher durch sein Leben und Sterben uns von der Sünde Macht erlöst hat und so der Herr geworden ist über alles was Kinder heißet, ja so lange sein heiliger Geist auch über uns weht und aus uns spricht und wir keinen andren Meister und Fürsprecher suchen, als Jesum Christum, so lange sind wir in Lehre und Glauben in christlicher Freiheit, frei ge­ macht von dem Buchstaben, der da tobtet. — Zwar kann der Herr von sich sprechen: ich bin nicht gekommen das Gesetz und die Propheten aufzulösen, sondern zu er­ füllen'), aber nur in dem höheren geistigen Sinn, zu welchem er alles Niedre erhob und es heiligte, hat er das Gesetz erfüllt; der Buchstabenglaube und alle die falschen Menschensatziingen mussten untergehn wo er erschien. Wem er durch seinen Geist die himmlische Freiheit gab, den konnten äußere Töne und Zei­ chen nicht länger gefangen nehmen; wessen Herz von seiner himm­ lischen Liebe entzündet im frommen Gebet sich aufschwang zu sei­ nem Thron, den konnten Worte und Formeln nicht fesseln, und wo das im Glauben selige und im Schmerz der Erde ergebungsvoll bei seinem Herrn Hülfe suchende Herz nicht wusste, wie es beten sollte, da vertrat eS der Geist mit unaussprechlichem Seufzen. Und wie dieser Herr aufgetreten war mit der Predigt des göttlichen Wortes und die Pharisäer strafte, welche an dem äußeren Buch­ staben des Gesetzes festhielten, aber die Barmherzigkeit und den Glauben dahinten ließen, und immer in arideren Worten, aber überall in göttlicher Kraft und gewaltig lehrte: so hat er auch die Seinen ausgesendet, sein heiliges Wort zu verkündigen in ♦) Matth. 5, 17.

P 2

228 dem Geist, der da reden werde durch sie, und an keinen Buch­ staben sich bindend spricht er: sorget nicht wie oder was ihr reden sollt,

es wird euch zu derselben Stunde

gegeben werden'). — So finden wir denn in dieser Verkün­ digung seiner heiligen Lehre überall den Buchstaben verschieden. In anderen Worten predigen Paulus und Johannes, Petrus und Jakobus, keine eingeprägten und festgesetzten Worte, aber überall denselben heiligen Glauben, überall Leben und Seligkeit denen bringend, die gläubig ihre Rede hören.

Und in dieser christlichen

Freiheit sind alle wahrhaften Prediger des göttlichen Wortes einhergegangen, in diesem Geiste ist der Erdkreis zu Gott bekehrt worden, in diesem hat das Volk aus aller Welt Zungen sich ge­ sammelt um im Geist und in der Wahrheit den Herrn anzu­ beten, der gesagt hat:

der Geist

ists,

der da lebendig

macht, das Fleisch ist kein nütze"), und der nur durch d,e lebendige Predigt der Wahrheit und nicht durch den todten Buchstaben die Herzen gesammelt hat zu

seiner heiligen Ge­

meine. — Zu dieser Freiheit, meine Andächtigen, die losgerissen von Menschenwahn und eigner Vernunft im Glauben zu Christo führt und ihm als dem einigen Hirten seiner Kirche folget, die frei vom Gesetz des Buchstabens und dem Zwange todter Ge­ bräuche den Herrn nach seinem Wort und Geist predigt, zu die­ ser sind auch wir berufen, und diese uns nimmer rauben lassen, das soll unser heiliger Vorsatz sein, das der gute Kampf, den wir zu kämpfen haben bis ans Ende. Wenn aber der Apostel uns zuruft: sehet zu, daß ihr durch die Freiheit dem Fleisch nicht Raum gebet, so will er dadurch vor unchristlicher Willkühr warnen, welche eben dann die christliche Freiheit, deren sie sich rühmt, zerstören würde.

Diese Willkühr aber ist dadurch von der Freiheit unter­

schieden, daß sie an der Stelle des Herrn, entfernt von ihm und *•— *) Matth. 10, 19.

-) 2«h. 6, 63.

220 seinem Geiste, Glauben und Lehren erwählt, welche der Sinn­ lichkeit schmeicheln und den Menschen in Sachen de- Glaubens zum Herrn machen, oder dadurch, daß sie den Dienst des Buch­ stabens und der äußeren Gebrauche an die Stelle geistiger Ver­ ehrung setzt, um zufrieden mit dem Schein des Glaubens und der guten Werke dennoch losgerissen von Gott ihre eignen Wege gehn zu können. — WaS jene erste Seite betrifft, so finden wir sie überall, wo es als ein Recht verlangt wird, sich von allem Hohen und Gött­ lichen entfernen zu dürfen; wo der Heiland verworfen wird als der Sohn des Höchsten und unser alleiniger Erlöser.

Da überall

herrscht unchristliche Willkühr, auch wo der Grundsatz jener Sadducäer, welche nichts Ewiges glaubten, um nur dem Zeitlichen desto mehr angehören zu können, jener Heiden, welchen die Auf­ erstehung des Herrn eine Thorheit war, der Grundsatz: lasset uns essen und trinken, denn morgen sind wir tobt! nicht klar aus­ gesprochen wird; auch da, wo menschliche Weisheit sich selbst überhebend einen Glauben sich gebildet

oder einen Sterblichen

sich selbst gesetzt hat als einen hohen Meister, dem man überall folgen müsse. Apostel

Das ist unchristliche Willkühr, von welcher der

int Anfange

unsers Briefes eifernd

spricht:

so auch

wir, oder ein Engel vom Himmel euch würde Evan­ gelium predigen, anders denn das wir euch gepredigt haben: der sei verflucht!*) Solche Willkühr will im­ mer nur der Lust des Menschen schmeicheln, oder seinem Verstände.

seiner Sinnlichkeit

Der augenblickliche Genuss, der irdische

Vortheil, der sich aufblähende Stolz, vor allen das Fleisch in seiner Ueppigkeit und Sündenlust: das sind die Götter, vor wel­ chen sie sich beugt.

Sic zerstört den Glauben,

sie zerreißt daS

Band der Gemeine Christi, sie giebt die vom Herrn Erlöseten wiederum der Nacht und dem Schalten des TodeS hin, welche

») Gal. 1, 8.

230 dtr Aufgang aus der Höhe vertrieben hatte; und vor dieser uns zu hüten, als welche dem Fleisch Raum giebt, ist die Warnung des Apostels. Die andere Seite unchristlicher Willkühr ist aber die, welche Christi Lehre und Glauben an den Dienst des Buchstabens und der äußeren Gebräuche bannen will und in diesen das Heil sucht, was allein in Christo und seinem lebendigen Worte zu finden ist. Wie diese alle Freiheit des Christen tödtet, des Menschen Geist, den der Herr erlöset hat, in Fesseln schlagt, und dem Geiste Got­ tes den Eingang in die Seelen verschließt: das sehen wir zu­ nächst an denen, gegen welche der Herr selbst eifernd auftritt, und das Wehe über sie ausruft als über die Heuchler, die ihren Lohn dahin haben.

Solche wollten auch die Gemeinde des Herm,

an welche der Apostel schreibt, zu den alten Gesetzen des Buch­ stabens

und den Gebrauchen

des Judenthums verführen,

und

wussten sich selbst darauf zu stützen, daß kein ausorückliches Ge­ bot deS Herrn gegen sie spreche; aber der Apostel, das ganze Elend seiner Gemeinde voraussehend, wenn sie denselben Fesseln sich hingebe, euch,

ruft seinen Mitchristen

wo ihr

zu:

ich

Paulus sage

des Judenthums Zeichen annehmt ist

euch Christus kein nütze, ihr habt Christum verloren, die ihr durchs Gesetz gerecht werden wollt und seid von der Gnade gefallen').

Und auf gleiche Weise haben

alle Helden deS Glaubens eisern müssen gegen die todten Ge­ bräuche und den leeren Dienst der Formeln und des Buchstabens, welcher so oft in der christlichen Kirche die Oberhand gewonnen und die Seelen dein Herrn des Heils und der Erlösung durch sein Blut entfremdet hat.

Denn wie selbst der Versucher, zum

Herrn tretend, den Buchstaben der heiligen Schrift für sich miss, brauchen konnte, da er den Geist desselben nicht fassen wollte; so ist überall in der Kirche des Herrn, wo das Halten an dem

*) Mal. 5, 2. 4.

23 t Buchstaben und an äußeren Gebräuchen an die Stelle der Pre­ digt deö göttlichen Wortes gesetzt wurde, der Geist denen ent­ fremdet worden, die durch stumme Götzen und todte Gebete, durch Bilderdienst und äußere Opfer,die Seligkeit erlangen wollten, und immer hat der Versucher durch dasselbe Mittel,

daS der

Herr ihm zu Schanden machte, die Glieder seiner Gemeinde von dem Lichte des Lebens abzuführen gesucht zur Finsterniss.

Darum,

meine geliebten Christen, lasst u»S wachen und kämpfen, daß wir nimmer in seine Stricke fallen; sondern uns rein bewahren den Glauben an den Sohn, welcher uns recht frei macht.

II. Lasst uns nun aber auch den Unterschied christlicher Freiheit von unchristlicher Willkühr kennen lernen deS Lebens und Handelns.

Dorthin

aus dem Gebiete wendet der Apostel

die Worte unsers Tcrlcs, indem er hinzusetzt: sondern durch die Liebe diene einer dem andern. — Auch hier gilt für christliche Freiheit nur dasselbe Gesetz: nur soder Sohn euch frei macht,

seid ihr recht frei!') —

im Römerbriefe in jener bekannten

Es hat der Apostel

schönen Stelle den Kampf

des zwiefachen Gesetzes im Gemüth und in den Gliedern gcschilderr, des Gesetzes Gottes und der Sünden Gesetz und eS giebt kein drittes,

dem wir

Sünde lässt

uns al» Feinde Gottes und der Menschen dastehen

uns hingeben

können.

Das Gesetz der

und zwingt unS dem Drange des Herzens, das uns zu der ewi­ gen Liebe und Gnade und zu der Freundlichkeit der Menschen hinziehen will, zu widerstehn, zeugt un§, daß wir thu» müssen, was wir der innersten Ueberzeugung »ach nicht wollen können, und versetzt uns in den Zustand des Jammers, in welchem wir in tiefer Sclaverei uns fühlend das Wort deS Herrn verstehn: wer Sünde thut, der t|l der Sünde Knecht! H und mit

) 2°tz. S, 36.

•’) 2«h.

34.

232 drm Apostel rufen: ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes'), von der Fülle dieses Jammers.

Aber wir können Gott danken durch Jesum

Christum unsern Herrn, der uns frei gemacht hat von diesem Gesetze veS Todes, indem er uns für sich und die Brüder ge­ wonnen hat. — Ja, meine theuren Mitchristen, daS ist zuerst die Eigenthüm­ lichkeit christlicher Freiheit, daß sie uns in immer innigere Ge­ meinschaft mit dem Herren selbst führt, Willen eins sein lasst mit dem seinen.

und unsern

Haben wir es als seine

Erlöscten über uns gewonnen, uns ganz ihm hinzugeben, dann ist der Tag himmlischer Freiheit uns angebrochen. werden seine Freunde.

Seine Knechte

Sind wir aber seine Freunde,

und ist

sein Wille der unsre, dann kann kein niedres Band uns mehr gefangen halten, dann reißen alle Fesseln, welche uns zu dem Vergänglichen ziehen wollten, dann ist der eigne Wille gebrochen, der sich noch etwas wählen will ohne den Herrn; dann zieht sein Geist der Freiheit, der uns frei

macht von jeder Furcht

und jedem Tode, in unsre Seelen ein, und ruft uns ewig zu: ihr seid theuer erkauft, werdet nicht der Menschen Knechte! ")

Des Heilands Leben und Handeln steht nun vor

unserer Seele und nach seinem heiligen Vorbilde messen wir unser Thun ab. Aber in dieser Gemeinschaft mit ihm kommt ein hoher und himmlischer Friede auf uns herab, wir können nichts mehr wollen, als was sein Geist in uns würket und was uns in fei­ ner Gemeinschaft erhält, und das Alles zu thun ist uns erlaubt. Die heilige Verbindung mit ihm hat jedes Gesetz aufgehoben und zernichtet, nur was mit seinem Sinn und Geist eins ist, dazu zieht uns der Geist, das zu vollbringen trachten wir, und nichts stellt sich uns entgegen,

kein Gebot kann und darf uns hindern

wollen diesem Sehnen zu folgen.

*) ÜK6m. 7, 24.

So gehen wir in das Heilig-

") 1. Kor. 7, 23.

233

thum Gottes, nicht als die Gezwungenen, so erheben wir unsre Herzen zu ihm in dankbarer Freude, so nahen wir uns in lie­ bender Demuth des Herrn Tische, um hier Gnade um Gnade zu erlangen, und fühlen uns in der Freiheit der Kinder GotteS, zu welcher wir berufen sind durch den Herm, der uns er­ löset hat. — Wie wir in dieser Freiheit aber den Herrn liebend um­ fassen, so auch die menschlichen Brüder, mit denen er uns ver­ bunden hat. Auch in der Liebe zu den Brüdern waltet die christliche Freiheit unumschränkt. Hass und Zwietracht legen unS die furchtbaren Fesseln an, durch welche wir mitten in einer Welt von Brüdern wie die Einsamen und Verstoßenen dastehen; durch welche wir uns gebunden fühlen und nicht denen nahen können, die wir doch als die Unseren erkennen müssen. Auch von diesen Banden hat der Sohn Gottes uns frei gemacht durch die Liebe, wie der Apostel spricht: wer den andern liebet, der hat das Gesetz erfüllet, und so ein ander Gebot mehr ist, das wird in diesem Wort versasset, du sollst deinen Nächsten lieben als dich selbst*); wie der Heiland spricht: ein neu Gebot gebe ich euch, daß ihr euch unter ein­ ander liebet, wie ich euch geliebt habe"). Dieses Ge­ bot vom Herren ausgehend, nun kein Gebot mehr denen, die mit ihm Eins sind, sondern der natürliche Zug ihres Herzens, ohne den sie nicht zu leben vermöchten, hebt jede Knechtschaft aus. Die, welche sich als Brüder und Schwestern ansehen, als ein Volk der Erlöseten durch Jesum Christum, können einander nicht in Bande legen und sich selbst schwer und drückend wer­ den. Sie brauchen nicht mehr ängstlich Worte und Blicke abzu­ wägen , sondern des innersten Grundes ihrer Handlungen gewiss, gewiss der Liebe, welche dem Herren wohlgefällt, bedecken sie auch der Sünden Menge durch die Liebe. Sie machen keinen ') Rim. 13, 8. 9.

••) 3ch. 13, 34.

234 Unterschied, dem Herren gleich, der Alle aufnahm, welche zu ihm kamen,

fragen nicht mehr mit den Schriftgclehrten:

wer ist

mein Nächster? und wollen nicht die Liebe nach äußeren Ge­ setzen abmessen; sondern frei von dem nichtigen Vorurthcil, von den einseitigen Menschensahungen wandeln sie auch hierbei in der Freiheit, zu welcher sie Christus berufen hat. — Aber sehet zu, spricht der Apostel, daß ihr durch die Freiheit dem Fleische nicht Raum gebet, und so warnt er uns auch im Leben und Handeln vor der unchristlichcn Willkühr, welche rin neues Joch auf uns legen würde. — Denn, wenn die Freiheit der Kinder Gottes in unchristliche Will­ kühr übergeht, so sagt der Mensch sich los von seinem Herrn und will auch ihm nicht mehr angehören, an welchen alle Bande der Liebe, der Dankbarkeit, der tiefsten Demuth ihn ewig fesseln müssten.

Hat er aber diese Bande zerrissen, in denen er dennoch

frei war, weil er fühlte, nur Eins thue ihm Noth, und diesem Einen könne er ungestört mit aller Kraft, die ihm gegeben sei, nachtrachten: dann weiß er nicht mehr wem er folgen soll. Dann, wie der Glaube an Christum von ihm verworfen worden ist, wird auch christliches Handeln ihm fern bleiben; dann erwachen in ihm die tausendfachen Begierden und Lüste, welche wider die Seele streiten;

dann wechseln ab und drängen sich in seinem

Busen die ungemessnen Wünsche und immer tiefer muss er ver­ sinken in die Sclaverei seiner Sinne.

Der Friede, den die selige

Gemeinschaft mit dem Herrn über ihn ausgegossen, verschwindet, und wie der Gang des Lebens ihn führt, die Reize und Freuden der Welt, die sinnlichen Genüsse des Lebens nehmen ihn gefan­ gen, oder der Unmuth und die Sorgen der Zeitlichkeit werden ihm zur drückenden Last, daß das Dasein in dieser Welt selbst ihm als eine Plage erscheint.

Oder die Menschen ergreifen statt des

inneren Geistes nur die äußere Schale, sie bilden sich ein neues Buchsiabengcsetz, ein Judenthum in dem Reiche des Herrn, und wie sie dieses, oder den Menschen, der eS ihnen aufgestellt hat,

234 zum Herrn an Christi Statt setzen, wandeln fie auch in dem selbstgeschaffnen Joch nicht als die Freien, sondern als die Unfreien, sich selbst mühend und abquälend unter dem Buchstaben, oder durch denselben sich tröstend über die Lüste, denen sie sich hingeben, wie die heuchlerischen Pharisäer, welche von außen fromm schienen, aber inwendig voller Heuchelei und Untugend waren. Diese haben dem Fleische Raum gegeben, aber den Geist des Herrn aus dem Tempel verdrängt, den er sich geweiht hatte, und da sie frei sein wollten vom Gesetze des Herrn, sind sie ein Spiel ihrer Gedanken, Sclaven der Lust und des Schmerze-, Knechte der Sünde geworden, aus deren Fesseln der Herr die ©einigen erlöst hat. — Wenn wir dann endlich noch das Leben mit den Brü­ dern betrachten, o in welchen Fesseln sehen wir dort die wan­ deln, welche dem Fleische Raum gegeben haben.

Statt des Her­

ren Wille, der alle zur Seligkeit führt, ist nur die eigene Mei­ nung ihre Richtschnur, und nach dieser messen sie nun auch die Liebe ab, welche sie den Menschen ertheilen wollen.

Wer nicht

mit ihnen in gleichem Sinne wandelt, nicht mit ihnen auf den Buchstaben, den sie annehmen und in ihrem Wahn für heilig und wahr halten, schwört, oder mit ihnen Alles verwirft waS sie als falsch darstellen, den schelten sie in engherziger Lieblosigkeit Zöllner und Sünder.

Wie sollten dann auch alte heilige

Gewohnheiten und Einrichtungen ihnen etwas gelten! WaS ih­ rem Willen sich nicht beugt, was ihrer Lust entgegensteht, da­ werden sie vernichten.

Da ist keine Würde so hoch, kein Stand

so heilig, kein Thron so geweiht, sie werden das Alles in den Staub treten, herabwürdigen, entweihen, wenn nur ihr Wahnbild der Freiheit, welche doch nur Sklaverei der Sünde ist, zur Herr­ schaft gebracht werden kann.

So wird es sein in ihren öffent­

lichen, so in ihren freundschaftlichen Verbindungen. — Wohin daFleisch sie getrieben hat in ihrer Lehre, zum Unglauben oder zum knechtischen Aberglauben, weil die Liebe verschwunden ist, hat auch

236 Freiheit und Vertrauen in ihnen aufgehört.

Nun werden im Le­

ben mit den Brüdem Worte und Mienen abgewogen, und der knechtische Geist bildet sich ein trügerisches Gewebe von Fehlern der Brüder, welches ihn immer mehr in Hass und Streit ver­ strickt und den Frieden fern hält von seiner Brust.

So war eS

in der Gemeinde, an welche der Apostel schreibt.

Die Knecht­

schaft des GeisteS, in welche die Jrrlehrer die Erlöftten des Herrn versenken wollten, brachte auch die Zwietracht mit sich, in welcher sie einander verjehrten, denn das ist das Werk des Fleisches; des GeisteS Frucht aber ist Liebe, Freude und Friede. So, m. A., lasset denn auch uns im Glauben und Lieben an dem Geiste der Wahrheit festhalten, der die Gemeind« deS Herrn sammelt, erleuchtet und heiligt; lasset uns in jedem Verhältniss, worin uns Gott gesetzt hat, bestehen in der Freiheit da­ mit uns Christus befreiet hat, und uns nicht wiederum in der Knechtschaft Joch, das des Fleisches Gelüste uns auflegen, gefan­ gen werden.

Dazu diene uns jede Versammlung im Hause des

Herrn, jedes Lesen seines heiligen Buches, jedes Nahen zu seinem Tische, jede- fromme Gebet, das von der Erde zu ihm uns hin­ auferhebt, dazu jeder selige Augenblick, welcher uns fühlen lässt, daß der Sohn uns frei gemacht durch den kindlichen Geist, in welchem wir rufen: lieber Vater!

Amen.

XX. Ob wir dem Herrn gleiche Veranlassung geben über uns zu klagen oder unsrer sich zu freuen, wie der Vater des todtkranken Sohnes. Ueber Joh. 4, 47 — 54. Die Gnade unsers Herrn u. s. f. Tert.

Evang. Joh. 4, 47 — 54.

Und cs war ein Königischer, deß Sohn lag krank zu Capernanm. Dieser hörete, daß Jesns kam aus Jndaa in Galiläa und ging hin zu ihm und bat ihn, daß er hinab käme und hülfe seinem Sohne; denn er war todtkrank. — Und Jesus sprach zu ihm: Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder sehet so glau­ bet ihr nicht. — Der Königische sprach zu ihm: Herr komm hinab, ehe denn mein Kind stirbt. — Jesus spricht zu ihm: Gehe hin, dein Sohn lebet. Der Mensch glaubte dem Wort, das Jesus zu ihm sagte und ging hin. — Und indem er hinab ging begeg­ neten ihm seine Knechte, verkündigten ihm und spra-

238 chen: Dein Kind lebet. — Da forschete er von chnen die Stunde, in welcher es besser mit ihm geworden war.

Und sie sprachen zu ihm: Gestern um die sie­

bente Stunde verließ ihn das Fieber. — Da merkte der Vater, daß es um die Stunde wäre, in welcher Jesus zu ihm gesazct hatte: Dein Sohn lebet. Und er glaubte mit seinem ganzen Hause. — Das ist nun das andere Zeichen, das Jesus that, da er aus Judäa in Galiläa kam. ^nwillkührlich, m. A. u. G., erinnern wir uns bei den vor­ gelesenen Worten an jene ähnliche Erzählung aus dem Leben unsers Herrn, nach welcher aus derselben Stabt Capernaum ein römischer Hauptmann Christo

sich

nahte und zu ihm sprach:

Herr, mein Knecht liegt zu Hause und ist gichtbrü­ chig und hat große Quaal!

Dieser bat nicht den Herrn in

sein Haus zu kommen, sondern traute ihm die allmächtige Kraft zu, überall seinen Willen auszuführen: sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund! daß der Heiland ausrufen musste: solchen Glauben habe ich in Israel nicht fun­ den!

Vergleichen wir mit jenem den Mann in unserm Text,

welcher wahrscheinlich in dem Dienste eines der jüdischen Könige gewesen war oder noch war, und wegen des Ausspruches des Herm: wenn ihr nicht Zeichen und Wunder sehet! dem Volke der Juden zugezählt werden muss, und finden auch bei ihm diesen Glauben nicht, sondern nur erst den Sinn, welcher den Glauben nach dem Schauen abmessen will: dann verstehen wir recht die Klage des Herrn, daß die verkehrte Art den Gött­ lichen nicht erkannte, obwohl er ihnen so lange verkündigt war und in seinem göttlichen Wesen unter ihnen wandelte.

Wenn

über der milde Erlöser dennoch des flehenden Vaters Bitte er­ hört und aus dem himmlischen Wunder die segensreiche Folge

239 hervorgeht: er glaubte mit seinem ganzen Hause! dann sehen wir auch wieder nach der Klage des Herm die Freude, se­ hen wie aus dem Tode des Unglaubens das höhere Leben gebo­ ren wird — Ist aber uns nun noch Höheres offenbart alS den Kindern Israels, liegen noch ganz andre erhabnere Wunder deS Heilandes vor unserm Blicke: wie vielmehr wird dann der Herr über unsern Unglauben klagen, wie viel inniger werden wir dann in festem unwandelbar treuem Sinn an ihm uns halten müs­ sen! Darum lasset uns denn zu immer näherer Bereinigung mit ihm den Worten des Evangelii folgend die prüfende Frage uns vorlegen: Ob wir dem Herrn gleiche Veranlassung geben über uns zu klagen oder unsrer sich zu freuen, wie der Bater des todtkranken SohneS in un­ serm Texte? und I.

erwägen: ob wir gleicht Veranlassung zu klagen

II. gleiche Veranlassung sich unsrer zu freuen i h m darbieten?

l. Wenn wir auf den Vater des kranken Sohnes in unserm Evangelio sehen, so finden wir in seinem Verhalten einen zwie­ fachen Grund, weshalb der Herr über ihn das Wort der Klage ausrufen muss; indem er nur in der äußern Noth des Lebens dem Herrn sich naht und auch da nur äußre Zeichen und Wun» der von dem Herrn verlangt. — Wenn er hörte, daß JesuS auJudäa nach Galiläa kam und nun zu ihm ging, o so musste er den Herrn wohl kennen, welcher schon früher in Capernaum sei­ nen Wohnsitz genommen hatte; so muffte er gehört haben von seinen Thaten und seinen Reden, von dem heiligen Wandel und der himmlischen Lehre, welche ihm die Seelen gewonnen.

Oder

240 hätte er solches Vorbildes, solcher holdseligen Worte des ewigen Lebens nicht bedurft? Lebend unter dem kalten äußerlichen Ge­ schlechte, lebend in dem Dienste, vielleicht an den Höfen sündlieber Fürsten, wo Grausamkeit und Hinterlist, wo Schwelgerei und Wollust ihren Sitz aufgeschlagen hatten, wo das Wort der Wahrheit so oft unterging in Schmeichelei und Lüste: sollte er sich selbst nicht oft verstrickt haben in Unrecht und Sünde, sollte nimmer in ihm eine Sehnsucht nach etwas Höherem und Heili­ gerem, als das öde schale Leben ihm darbot, erwacht sein? und dennoch hatte er keine Gemeinschaft mit Christo gesucht, sondern war verharret in dem Unglauben seines Herzens.

Aber nun, als

sein Sohn krank ward, vielleicht das einzige Kind, woran seine Seele hing, als immer näher und furchtbarer die Todesstunde herankam und keine menschliche Hülse zu finden war, da in der höchsten größten Noth, in der schrecklichen Angst seines Herzens hört er, daß Jesus zurückgekommen sei aus Judäa, und eilt nun erst den zu suchen, welchen er so lange verschmäht hatte. — Ach! ist diese Darstellung nicht öfters ganz und gar auch aus uns an­ zuwenden, nur daß wir viel strafbarer erscheinen als der Vater des kranken Kindes

in unserm Evangelio? Denn wie anders

stehen wir noch neben Christo da als er.

Ist er uns denn fern

gewesen in den vergangenen Tagen und ist von ihm nicht Hö­ heres uns offenbart worden als jenem? Liegt nicht das heilige Wunder seines ganzen Lebens, seines liebevollen Todes, seiner segensreichen Auferstehung von Kindheit an vor unsern Blicken da?

Und wollen wir von ihm uns hinwegwenden, kommt er

uns nicht überall entgegen in Wort und Lehre, in christlicher Bildung und Gottesdienst, daß wir seinen Spuren nirgend aus­ weichen können?

Und haben

wir nur gehört wie jener,

kommt der große Wunderthäter?

jetzt

Ist uns nicht Höheres durch

ihn offenbart? Haben wir nicht die Wunder seiner Liebe erfah­ ren von Kindheit an? Ja sind uns nicht auch schon die heiligen Stunden erschienen, wo wir in Reue und Buße zu seinen Füßen

241

gelegen haben, wo er seinen Frieden den schmerzlich Bewegten dargereicht und sie in seiner Milde aus der Tiefe ihres Jammererhoben hat? Und doch geschieht es uns wie jenen? Wir gehen einher unter deS Lebens Freuden und Lüsten und vergessen sei­ ner; wir wandeln unter den tausend Geschenken seiner Gnade und nehmen sie dahin wie einen Raub ohne des himmlischen Ge­ bers zu gedenken, schreiben sie wohl gar uns selbst zu oder mur­ ren, wenn eins von ihnen uns fehlt. Ob seine Liebe auch immer zu «ns tritt, wir achten ihrer nicht und seine ewige Milde naht sich uns vergeblich; sein theures Lebenswort wird so oft tau­ ben Ohren gepredigt und bewegt die kalten Seelen nicht. Der offne Himmel, den er und erschließt, wird nicht geschaut und Auge und Sinn suchen einen andem Himmel in den Gütern die­ ser Welt. So muss erst das tiefe Elend und der unerwattete Jammer an das harte Herz anklopfen, und die Noth, welche auf Erden keine Abhülfe findet, zum Herrn beten lehren, den wir so lange vergessen und von uns gewiesen haben. — O, m. And., finden wir uns wieder in dieser traurigen Aehnlichkeit mit dem Vater des kranken Kindes in unserm Tert, so lasset noch heute uns wenden zum Herrn, ehe die Tage kommen, von wel­ chen wir sagen müssen: sie gefallen uns nicht. Als aber die Noth den Königischen zu Christo treibt, wakommt er denn nun zu suchen? Hat er es gefühlt, daß eS mit den Gütern dieser Welt nichts ist, und daß auch die schön­ sten und edelsten keine bleibende Hülfe uns gewähren? Will er sich starken am Worte der Wahrheit und den himmlischen Trost bei dem ewigen Weltheilande suchen, welcher über alle Mühen der Erde erhebt und in jedem irdischen Streit zu siegen Kraft giebt? Nein, nt. G-, er kommt nicht zu Christo wie zu dem Heilande der Sünder, er kommt zu ihm wie zu einem Wunder­ arzte, welcher durch irdische Worte irdische Krankheit hebt, und so bittet er ihn, daß er mit ihm hinabkäme um den todtkranken Sohn zu heilen. Da muss der Herr über der Menschen BlindPischon Pred. II. &

242 heit klagend ausrufen: wenn ihr nicht Zeichen und Wun­ der sehet, so glaubet ihr nichk! Darum sollen denn aber auch wir unsre Seelen prüfen, ob wir jenem nicht ähnlich sind?

Wir wollen uns nicht etwa so

entschuldigen, daß wir ja nicht einmal auf gleiche Weise vom Herrn hören könnten wie jener, daß uns in unserm Elende der Nus nicht mehr ertöne: Christus kommt! der große Wundcrthätcr nahet sich deiner Hütte! daß wir ihm also nicht entgegeneilen und mit unsern Bitten in ihn dringen könnten, bis er zu uns käme und uns hülfe oder durch das Wort seiner Allmacht hinwegnähme was uns drückte.

So, m. G., wollen wir uns nicht entschuldi­

gen. Denn wir wissen ja wohl, wenn er uns nicht mehr äußer­ lich kommt, so ist er doch in Ewigkeit uns nahe; können wir nicht mehr zu ihm eilen nach den Gegenden, wo sein Fuß wandelt, so hat er doch überall, wo Leidende nach ihm sich sehnen, seinen Thron aufgerichtet und hört ihr Gebet. — Aber, wenn nun des Lebens Noth zum Herrn uns treibt und wir es recht lebendig fühlen, für das Elend, das uns drückt, können wir auf Erden keine Hülfe finden: suchen wir denn da im ängstlich ringenden Gebet, — denn von denen, welche gar nicht des Herrn Hülfe suchen und nur in sündlichen Genüssen den Schmerz betäuben wollen oder ungläubiger LZerzweiflung zum Raube werden, wol­ len wir hier nicht reden — suchen wir aber dann im Gebet nur den Trost von oben? kommen wir zum Herren und sprechen: ich kann draußen keine Ruhe finden, darum wirst dein armes Kind sich in deine Arme, daß du mächtig sein mögest in dem Schwa­ chen? Oder ist es der Heiland nicht, welchen wir suchen, ist cs auch nur das kranke Kind, die irdische Nahrung, das Ansehen vor der Welt, oder welche besondere Noth uns drückt, die alle unsre Sinne gefangen nimmt?

Schreiben wir dem Herrn nur vor,

was er heilen, wie er helfen, welche Güter er uns erhalten oder zurückgeben solle? und fühlen wir seinen Frieden nicht in uns, wenn er nicht die Zeichen und Wunder thut, welche wir von ihur

243 verlangen? — O, «enn es also mit uns steht: muss er dann nicht die Klagen in unseres Textes Worten wiederholen, und wie schwer müssen sie auf uns liegen, wie undankbar müssen wir uns dann erkennen, über welche der Herr so oft den Reichthum seiner ewigen Gnade ausgegossen hat. II.

Lasst uns, m. G-, aber nun zu dem erfreulichen Theile in un­ sers Evangeliums Worten uns wenden und fragen: ob wir dem Herrn auch gleiche Veranlassung darbieten unsrer sich zu freuen, wie der Vater des kranken Kindes in unserm Tert?

Diesen hatte die Noth zuin Erlöser getrieben, aber sie

weckte auch in ihm den Glauben.

Als er auf das klagende und

vorwurfsvolle Wort Jesu Christi nichts zu erwidern wusste, aber doch sein ganzes Elend vor seinem Auge stand und jeder Augen­ blick des Aufschubs die Gefahr dringender und schrecklicher machte; als er da noch einmal bat: Herr, komm hinab, ehe denn mein Kind stirbt,

und der Herr dem Geängsteten zurief:

gehe hin, dein Sohn lebet! — da glaubte derMensch dem Wort, das Jesus zu ihm sagte, und ging hin. Er ging nicht in dein äußren Glauben allein, m. A., sondern was oft die Stunde des Elends, oft der heilige Augenblick gottbegeisterter Reve würkt, daß die Binde, welche so lange das Auge der Seele verhüllte, von uns fällt und wir nun erkennen, wo unser rechtes Heil zu finden ist; das that bei dem geängsteten Vater in un­ serm Texte das Wort der hülsreichen Gewährung:

dein Kind

lebet! — Er hätte ja noch zweifelnd dastehen können, denn seine Augen sahen nicht die Erfüllung der trostreichen Worte, fern von dem Sterbelager des Kindes hätte er meinen können, des Herrn Wort sei nur ein Wort der Abfertigung, des leidigen Trostes, wie es uns so oft gegeben wird um auf Augenblicke uns zu beruhi­ gen; aber nein! er glaubt dem Wort.

Er hat den Herm ge­

sehen, er weiß, dieser Mund kann nicht täuschen, seine Verhei-

Q 2

244 ßung kann nimmermehr trügen und so entkeimt aus der Freude seines Herzens der feste Glaube an den ewigen Gottessohn, roeU eher ihm herrlich belohnt wird, alS er zu seinem Hause zurück­ kehrt.

Als ein Haus der Trauer hatte er es verlassen, aber die

abgesendeten Boten kommen ihm freudig entgegen und sprechen: dein Kind lebet! So, m. A., so soll des Herrn Schmerz über uns auch durch unsern Glauben an ihn vergütet werden, und wir sollen uns prü­ fen, ob, wenn wir dem Vater in unserm Texte gleich gewesen sind an Zweifeln und irdischen Forderungen, wir ihm nun gleich sein werden an rechtem Vertrauen? — Oft ergeht auch an uns deS Herrn trostreiches Wort: deine Bitte ist erhöret! die Angst deines Herzens ist von dir genommen und dir soll gegeben wer­ den, was du gestehet hast! Gewiss, in jedem Leben der Gläubi­ gen werden sich solche Lagen finden, wo in der Stunde der ban­ gen Erwartung, der zweifelnden Angst das Wort der Erfüllung uns beseligt, wo wir den Weg, welchen wir mit Schmerzen ge­ wandelt waren, mit Freuden zurückeilen. Wenn dann jeder Zwei­ fel verschwand, wenn dann wir auch zu uns sprachen: warum hast du denn gezagt, du kleinmüthiges Herz? der Ewige ist ja stets bei dir auch in der Nacht des Lebens; wenn wir dann in innigen Gelübden dem Herrn und Gott, welchen wir wieder in seiner Liebe erkannt hatten, rechte Treue gelobten und als die, welche den Herrn des Heils aufs neue gefunden hatten, getröstet und ohne Zagen in die noch ungewisse Zukunft hingingen: o, dann hat der Herr auch unsrer sich gefreut und zu den irdischen Gaben seine himmlischen hinzugefügt. — Und wende ich mich an di« unter unö, welche am innigsten mit dem Vater in unserm Text mitfühlen können, weil der Herr auch ihnen Elternfreuden gegeben hat,

hat er

nicht auch zu uns einst gerufen:

dein

Kind lebet! Ja, als sie uns geboren wurden, die Geliebten unsers Herzens, als die bange Stunde der Schmerzen vorüber war und wir den ersten Laut des neuen Erdenbürgers vernäh-

245

men: da hat er zu uns gesprochen: dein Kind lebet! Und ha» den dann dankbare Thränen ihm unser Inneres kund gethan, haben wir dann jede Last und jede Noth, die unS auch auS sol. cher Stunde mit hervorgehen musste, vergessen, dann in vollem ungetheiltem Vertrauen dem Herm uns und die unsern empfoh» len und in stillem frommen Gebete die Neugeschenkten an unser Herz gedrückt: o, dann hat sich der Herr auch unsrer gefreut! Und wenn er zu dieser Gnade die zweite hinzugefügt, wenn er die Säuglinge durch der heiligen Taufe Bad in seinen ewigen Bund aufgenommen, wenn er sie aller Segnungen seiner erlösenden Liebe theilhaftig gemacht hat; o da hat er wieder zu uns gespro­ chen: dein Kind lebet! Haben wir da ihm geglaubt, sind wir in der Freude, daß die Kindlein nicht unser allein, daß sie deS Herrn sind und mit uns vereint durch das Band des Glauben- an ihn, unsre Bahn gegangen, und haben ihm fromm vertraut, er werde auch ferner sie leiten mit seiner Liebe und seinem Geiste, welche Zweifel auch hätten in den bewegten Seelen aufsteigen können: dann hat der Herr gleiche Freude empfunden auch über unS, wie über de» Vater in unserm Text. Und war der heilige Tag uns erschienen, wo die geliebten Kinder zu des Herrn Altar hinzutraten, wo wir von ihren Lippen den Schwur hörten, welcher ewig an Christum sie bindet, war jener Tag erschienen, wo sie mit uns zum Wahle des Herrn sich naheten: o, rief deS Erlösers Stimme unS nicht zu: deinKind lebet! und konnten wir anders als gerührt und gläu­ big dem danken, welcher sie auS dem Tode der Welt auf die Dahn des ewigen Lebens geführt hat? — Aber eS giebt trübere Stun­ den, wo das Wort des Herrn die zagenden Eltern trösten muss. Wenn er aus der rauhen Luft der Erde die zarten Blüthen hin­ weggenommen und sie in feinen himmlischen Garten verpflanzt hat, dann ruft er auch dein gequälten Vater, der jammernden Mutter zu: dein Kind lebet! es ist genesen von aller Krank­ heit, von jedem Schmerz und du findest es wieder, wo kein Tod mehr tobtet! Wenn dann auch unser Schmerz verstummt vor

246 dem Worte deS Herrn, trenn dann Vater und Mutter tröstend zu einander sprechen: des Herrn Wort kann nicht lügen, unser Kind lebet! und nicht zweiseln, wie weit sie auch noch zu gehen haben, ehe sie die Genesenen wieder finden, sondern im festen Vertrauen aus den Herrn die Bahn des Lebens durchwandeln: dann wird er mit Freuden aus sie schauen, deren Glaube der Sieg ist, welcher die Welt überwindet. - - Und wenn wir endlich nicht mehr werden im Erdenthal wandeln und unser Auge nicht mehr die Geliebten schauen kann, welche er uns gegeben, aber die Stunde des Scheidens uns schwer werden will, weil wir sie in dem Lande zurücklassen müssen, wo so oft Gefahren des Todes sie bedrohen; wenn wir dann nicht mehr schauen können, aber sei­ nem Worte trauen: dein Kind lebet; denn es ist ja mein und ich werde es nicht verlassen noch versäumen! und dadurch getröstet ohne Zagen den letzten Weg hingehen: dann wird der Herr sich unsrer freuen und unsern Glauben lohnen mit seinen ewigen Gütern. Aber daß des Herrn Freude an uns vollkommen werde, las­ set uns endlich auch noch darin dem Vater des kranken Kindes in unserm Terte gleich werden, daß wir durch die Wunder der ewigen Liebe immer fester werden im Glauben und auch die Unsrigen zum Herren führen.

Denn, als der Vater

zurückkehrt in sein Haus und nicht mehr das Haus der Schmer­ zen, sondern der Freude findet; als er den todtkranken, den ver­ loren geglaubten Sohn

als den genesenen,

ihm

neu wieder-

grschenkten in seine Arme schließt: welche Seligkeit muss da in seinem Herzen gewesen sein! ihn auch mit höherer Gewalt.

Aber die freudige Stunde ergreift Der Glaube, welcher in ihm sich

entzündet hat, als der Herr sprach: dein Kind lebet! er ist nun zu einer mächtigen Flamme geworden, welche sein ganzes Wesen durchglüht. Der Sohn, welcher ihm aus den Schmerzen des Todes neugeboren ist, er gehört ihm allein nicht mehr an, sondern dem, welcher das neue Leben ihm eingehaucht hat.

Nicht irdisch

allein, sondern auch himmlisch ist er ihm wiedergeboren, und um

247 ihn nimmer zu verlieren giebt er ihm Christo zurück und glaubt mit seinem ganzen Hause. — Zwar verschwindet er nun unserm Blick und die heilige Geschichte erzählt uns nichts mehr von ihm, aber es sind gewiss auch ihm und den Seinigen noch andre Stunden der Prüfung gekommen, und er hat nicht mehr zum Herrn eilen können und nicht das Wort irdischer Genesung vernommen, aber dann hat der Glaube an den, welcher ihn selbst zum Leben geführt hat, jeden Tod ihm überwinden helfen, denn: wer des Herrn Wort höret und an ihn glaubet, der ist vom Lode zum Leben hindurch gedrungen'). Wenn es nun, m. G., in des Lebens engern und weitem Kreisen

an den Wundern der Gnade unsers Herrn auch unS

nicht fehlt: vollendet denn auch bei uns die Stunde der Erfül» lung unsrer Wünsche das Werk des Glaubens? Führen wir, in­ dem wir von den mannigfachen Errettungen aus Gefahren, von den wunderbaren anfangs unverstandenen Wegen, welche der Ewige mit uns ging und die dennoch zum Heile leiteten, den Unsrigen erzählen, sie auch recht gläubig zum wahren Vertrauen auf ihn hin? Fallen wir nicht, nachdem die Stunde der Noth und der Errettung vorüber ist, von dem treuen Helfer ab; sondern tragen in dankbarer Erinnerung die Stunden seines Heils und seiner Hülfe, durch sie uns immer tröstend, immer mehr für daS Ewige gewinnend und dem Herrn zuführend!

Ja, dann hat der Herr

nicht Unwürdigen seine Gnade zugewendet und wird unS aner­ kennen als seine Jünger. — Und wenn in unsern Hausern im» mer erneute Zeichen und Wunder Gottes geschehen—und wollen wir darauf achten, welches Haus, m. A., wäre denn leer davon?— wenn wir nun auch die Theuren, von denen wir meinten sie wä­ ren uns schon entrissen, wieder in unsern Armen halten: schenken wir sie denn auch Gott wieder und dem ewigen Sohne? Erken­ nen wir es recht lebendig an, daß wenn wir sie wahrhaft lieben,

) 3«h. 11, 25,

248 wir ihnen neben dem irdischen neu geschenkten Leben auch das himmlische von unserm Erlöser bringen müssen, daß neben der Krankheit des Körpers, welche von unS und den Unsern so gnädig hinweggenommen wird, auch die Krankheit der Sünde gebrochen werden muss? Ja, wenn wir danach mit all unsern Kräften rin­ gen, um unser Haus immer mehr dem Herrn zu weihen, immer mehr innige Liebe zu Jesu, immer mehr wahrhaften unwandelba­ ren Glauben durch Wort und Beispiel in demselben zu pflanzen, daß auch uns und die Unfern kein Tod tobten kann: dann wird Freude über uns sein im Himmel bei dem Heiland, an welchen wir glauben! Also, m. G-, also lasst uns dem Vater in unserm Text nicht nachstehen, so lasst uns, vor denen nun so viele Jahrhunderte himmlischer Wunder in der Gemeine des Herrn liegen, den treuen Gläubigen des Gottessohnes ähnlich werden, an welche diese Zeit des Jahres vor allen uns erinnert; so lasset uns freudig vor der Welt den Glauben an ihn bekennen und ihn überall mittheilen den Geliebten, welche er uns gegeben hat, daß er uns stets er­ neute Zeichen seiner Liebe schon hier im Thale der Erden zu Theil werden lasse und dereinst uns und die Unsern als die Seinen bekennen möge vor seinem himmlischen Vater.

Amen.

XXI.

Wer des Herrn Jünger sein will muss ihm ganz angehören. Ueber Matth. 6, 24 — 34.

Die Suade unser« Herrn u. s. w.

Text. Evang. Matth. 6, 24 — 34. Niemand kann zween Herren dienen, entweder er wird einen hasten und den andern lieben; oder wird einem anhangen und den andern verachten. Ihr kön­ net nicht Gott dienen und dem Mammon. — Darum sage ich euch: Sorget nicht für euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht für euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr denn die Speise und der Leib mehr denn die Klei­ dung? — Sehet die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sanuneln nicht in die Scheunen und euer himmlischer Vater ernähret sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr denn sie? — Wer Ist unter euch, der seiner Lange Eine Elle z«»»

fetten möge,

ob er gleich darum

sorget!



Und

warum sorget ihr für die Kleidung? Schauet die Li­ lien aus dem Felde wie sie wachsen.

Sie arbeiten

nicht, auch spinnen sie nicht. — Ich sage euch, daß auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht beklei­ det gewesen ist als derselben Eins. — So denn Gott das Gras aus dem Felde also kleidet, das doch hellte stehet und morgen in den Ofen geworfen wird, sollte er das nicht viel mehr euch thun? O ihr Kleingläu­ bigen ! — Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen, was werden wir trinken, wo­ mit werden wir uns kleiden? — Nach solchem allen trachten die Heiden:

denn

euer himmlischer Vater

weiß, daß ihr des alles bedürfet. — Trachtet am er­ sten nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerech­ tigkeit, so wird euch solches Alles zufallen. — Darum sorget nicht für den andern Morgen, fcetut der mor­ gende Tag wird für das seine sorgen.

Es ist genug,

daß ein jeglicher Tag seine eigne Plage habe. SSBit sind es, m. 2t., in der Lehrweise unsers Herm gewohnt, daß er in die geheimsten Falten des menschlichen Herzens einzu­ dringen, das Unbekannte und Verborgene ans Licht zu bringen und einem jeden den Zustand seines Innern so klar darzustellen weiß, daß er selbst erkennen muss, welches die Wunde ist, die er zu heilen, welches die hindernde Bürde, die er abzuwerfen, wel­ ches der Mangel, den er auszufüllen, welches die Waffe, womit er zu kämpfen, welches das Ziel ist, welches er zu erringen hat. Und finden sich dann in uns noch Zweifel und Bedenklichkeiten, an welchen wir hasten und die wir dem Herrn entgegenstellen

251 wollen, dann hat er auch dafür schon gesorgt, sie durch das Wort seiner Weisheit zu widerlegen und niederzuschlagen. Will sich der alte Sinn in uns regen, der seinen heiligen Forderungen entge­ gentritt, will der alte Mensch in uns noch immer etwas für sich suchen und festhalten und nur scheinbar dem Herrn angehören: so weiß der Herr mit strengem Wort jede Entschuldigung ihm abzuschneiden und jedes Verdienst ihm zu rauben, das er auf sich selbst gründen und wodurch er noch etwas für sich gewin­ nen will. Wie er oft in einzelnen äußerlich streng scheinenden Worten dies ausgesprochen hat, wenn er sagt: wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt, sich selbst verleugnet und mir nachfolgt, der ist mein nicht werth, und wer nicht hasset Vater, Mutter, Weib, Kinder, Brüder, Schwe­ stern, auch dazu sein eigen Leben, der kann mein Jünger nicht sein!*) so sagt er dasselbe vornehmlich in Beziehung auf das irdische Sorgen in unsers Evangelii Wor­ ten; welche gegründet auf das Verbot: ihr sollt nicht sorgen! ihren Hauptinhalt und ihr rechtes Gewicht finden in der Erklä­ rung: niemand kann zween Herren dienen, und in dem Gebot: trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit! Lasset uns demnach das Wort des Herrn näher betrachten und in das Verständniss seiner Rede eingehen, indem wir uns darüber sorgfältiger zu belehren suchen, daß wer des Herrn Jünger sein will ihm ganz und gar angehören müsse. Dies wird uns in zwiefacher Hinsicht klar werden, indem wir unS I. davon überzeugen, daß wenn wir dem Herrn nicht ganz angehören, wir uns bald ganz von ihm trennen werden und II. daß um ihm wahrhaft anzugehören er auch unser ganzes Leben und Dasein ausfüllen muss. *) tue. 14, 26.

252

I. Wer des Herrn rechter Jünger sein will muss ihm ganz und gar angehören, das zeigt sich daraus aufs deutlichste, daß wenn wir ihm nicht ganz angehören wir nothwendig bald ganz und gar von ihm uns trennen werden wie er einst sagte: wer da nicht hat, dem wird auch noch genommen werden was er hat. — Zwar wenn wir den Anfang unsers Evangeliums verneh­ men, daß der Herr sagt: niemand kann zween Herren dienen, so erscheint unS das, weil wir oft ein ganz anderes Dienen im Sinne haben als der Herr meint, nicht also zu sein, und wir sehen wohl, wie wir unsern Mitmenschen oft vielfache Dienste leisten und der Herr selbst hat gesagt: er sei gekommen um zu dienen und sein Leben zu lassen für viele. Aber nicht von einzelnen Diensterweisungen, auch nicht von einem Dienste in dem Sinne des Wortes, daß der Herr unser Diener ge­ worden ist, d. h. unser Helfer zum Heil und zur Seligkeit, redet er in unsers Evangelii Worten, sondern von dem ganzen Hingeben unsrer geistigen und leiblichen Kräfte in seinen Dienst, wie auch ein Diener und Knecht der alten Zeit seinem leiblichen Herrn nicht bloß zu einzelnen Dienstleistungen angehörte, sondern mit seinem Gut und Besitz und Leben ein Eigenthum seines Herrn war und überall von ihm abhängig. — Und wie wäre nun nur äußerlich möglich, daß ein Mensch zween Herren auf gleiche Weise angehören könnte, ohne den einen über den andern zu vernach­ lässigen, wie wir schon bei des Lebens gewöhnlichen Dienstleistun­ gen sehen, daß wenn wir dem Einen mit recht lebendigem Eifer zu Hülfe und Unterstützung uns hingeben, dann ein andrer und sein Werk zurückstehen muss. Sind aber die, denen wir aus gleiche Weise mit aller Kraft dienen wollen in feindlichem 33«-hältniss gegen einander, und sind darum auch die Dienste, welche sie von uns ein jeder für sich fordern würden, von der Art, daß sie zu gegenseitiger Bekämpfung und Unterdrückung führen soll-

253 len, dann werden wir bald den Ausspruch deS Herrn in seiner vollen Wahrheit anerkennen: wenn wir beiden dienen wollen, so werden wir uns bald als die zeigen, welche den einen hassen und den andern lieben, dem einen anhangen und den andern verachten.

Ist aber der Dienst endlich ein solcher, daß auch das

ganze geistige Wesen des Menschen, auch der unsterbliche Theil seines Daseins zween Herren, die einander entgegenstehen, geweiht sein soll, ein Dienen, welches wir einem menschlichen Wesen üben Haupt nicht leisten können nach dem Verbot des Apostels: wer­ det nicht der Menschen Knechte! — da fühlen wir es alle unzweifelhaft: es ist nicht möglich dem einigen Gott und dem dienen, den er in seiner Herrlichkeit als seinen himmlischen Boten, als den Verkünder des Heils uns gegeben hat, und zu­ gleich dienen den irdischen weltlichen Lüsten und Sorgen, wie der Herr sagt: ihr könnet nicht Gott dienen und dem Mammon! Wenn nun aber dennoch auch solche, welche eine Sehnsucht nach dem Himmlischen in sich tragen, welche nicht frevelnd den Irrthümern und Sünden des Lebens angehörig ihre Bahn gehen und sprechen: nur der Sinnengenuss ist das einzige Heil, lasset uns essen und trinken denn morgen sind wir todt; sondern in den Tiefen des sehnsüchtigen Gemüths das Heil geahndet haben, was von Christo kommt; welche bekennen, seine Jünger werden zu wollen, aber dennoch ihr Leben theilen zwischen ihm und der Welt, dennoch nur einen Theil ihres Innern ihm weihen, nur ein Gebiet ihres Lebens ihm heiligen: was wird anders geschehen, als daß sie bald ganz und gar Knechte des Irdischen sein und von ihrem Erlöser ganz werden losgerissen werden. — Denn welch eine Theilung wollen wir nun machen zwischen dem was dem Herrn und dem was uns und der Welt angehören soll? Wollen wir abgränzen, wie wohl im traurigen Irrthum viele gethan haben, einen Theil der Zeit und diesen dem Erlöser wei­ hen, während ein anderer ihm nicht gehört.

Soll der Tag des

254 Herrn ihm heilig fein, wenigstens der Theil desselben, in welchem wir sein heiliges Haus besuchen und mit seiner Gemeine uns ver­ einigen; wollen wir Stunden des Gebets und der Betrachtung seines göttlichen Wortes an jedem Tage der Woche feststellen; wollen wir zu einer gewissen Zeit treulick herzukommen zum Tische des Herrn, und uns so als seine rechten und wahren Jünger zei­ gen, aber meinen, nun hätten wir ihm gegeben was sein ist, nun hätten wir die Schuld abgetragen, welche er uns auferlegt und außer den Gränzen dieses festgestellten Dienstes

brauchten wir

ihm nicht anzugehören: v welch ein verkehrtes und nichtiges Be­ ginnen ist das nicht allein, sondern wie müssen wir zugleich er­ kennen, wir gehören dann dem Herrn aus keine Weise an, auch da nicht, wenn die Stunde erschienen ist, welche wir seinem Dienste treulich weihen.

Denn wenn der Herr, welchem wir uns nahen,

nicht mit seinem Geiste also in uns wohnet, daß er selbst in uns die lebendige Kraft wird, welche uns leitet; wenn wir nicht sein heiliges Bild mit uns hinausnehmen in des Herzens Tiefen aus seinem Tempel in das irdische Leben; wenn das betende Gemüth nicht den Frieden Gottes, welchen es sich errungen, in sich be­ wahrt unter den Versuchungen der Well: was ist denn da unsre Vereinigung mit unserm Herrn anders gewesen als ein äußrer Schein, als ein todter Dienst der Lippen, als eine Heuchelei, wo­ mit wir uns selbst betrügen? Dann sind wir nur den Pharisäern gleich, den Wölfen in Schafskleidern, und haben es durch unser Leben bewiesen, wir können

nicht zween Herren dienen.

Gott

haben wir verachtet und des Herzens wahren Dienst ihm versagt, aber dem eignen

eiteln Wesen hangen wir an und sind seine

Knechte geworden. — Oder wenn wir nicht also im Leben abgränzen was dem Herrn und uns gehörte, sondern wohl gestehen, er muss der Herr sein überall und ihm müssen wir in allem angehören, aber den­ noch in den Zeiten der Versuchung und der Anfechtung uns ihm nicht ergeben und ihm stille halten, sondern dann in den welt-

lichen Dingen und in uns selbst dm Genuss und die Kraft, die Freude und die Abhülfe des Elendes und Mangels suchen: wir werden bald den Herrn, welchen wir von irgend einer Theilnahme an unserm Leben ausschließen, ganz und gar verlieren und selbst untergehen in dem Dienste der Eitelkeit.

Das zeigt unS der Herr,

wie er es eben so wohl an den Versuchungen zu Freuden und Ver­ gnügungen der Welt hätte darstellen können, an den irdischen Sor, ge». Wenn wir nun sagen wollen: ja dem Herrn müssen wir frei­ lich angehören, aber weil unS bei der Hinsicht auf die Bedürfnisse des Lebens bange wird, weil wir in den Stunden zagen, wo wir nicht Brodt haben um uns und die unsrigen zu versorgen, nicht Kleidung haben um uns zu bedecken — und wir können eben so gut hinzusehen, wo irgend eine äußre Noth uns überfällt, welcher wir nicht abhelfen, irgend ein schweres Leiden, dein wir nicht entgehen können; — so trennen wir uns doch von unserm Herrn, versenken uns in schweres Sorgen und Grämen, jammern und klagen wie die, welche keine Hoffnung haben: o, m. G-, wie sind wir denn da des Herrn Diener, wo ist denn da der Glaube, welcher dem Erlöser zum steten treuen Dienst sich hingegeben hat? Sind wir da nicht die Knechte der irdischen Noth geworden, als ob kein Vater im Himmel Leben und Odem uns gegeben hätte, keiner die Vögel des Himmels ernähre und die Blumen des Feldes kleide, und klagen, als ob kein Heiland und Seligmacher uns nähre mit dem ewigen Worte des Lebens und die dürstende Seele mit dem lebendigen Wasser tränke, das in uns ein Brunnen des Heils und der Gnade und des unversiegbaren Trostes wird? — Ja, m. A., so kommen wir dahin, immer mehr dem Irdi­ schen anzugehören und versinken ganz in das Thun und Treiben, in die Freuden und Sorgen der Welt, daß man es nicht mehr an uns erkennen kann, daß wir jemals haben Christi Jünger sein wollen.

Und ist das nicht unser eigenes Bild in so vielen

einzelnen Stunden unsers Lebens?

Wenn wir so fromm und

heilig, so innig und gläubig, so treu und wahr unserm Heilande

256

angehörig vor der Welt dastehen, daß man auf unS hinzeigen möchte, als auf rin schönes Vorbild christlicher Gesinnung, rechter gottgeweihter Liebe, recht eifrigen Trachtens nach dem, was dro­ ben ist; aber wir müssen uns nun daneben stellen in manchen Stunden des Lebens, wo wir unsers Herrn vergaßen, wo die Sinnenlust und der Reiz des Augenblicks, wo die aufbrausende Begierde und die feindliche ungezügelte Leidenschaft, wo der fin­ stere Gram und die verzehrende Sorge, ach, wo selbst die Ver­ blendung durch ein Niederbeugen vor der Sünde, durch eine Huldigung des Bösen ein größeres Heil zu erkaufen, jede Aehnlichkeit mit unserm Herrn uns geraubt hat: o können wir in der Erkenntniss der traurigen Wahrheit, wir haben ihn ganz verlo­ ren und vergessen, etwas anderes thun, als in tiefem Schmerze unsern Fall beweinen, weil auch wir ihn verleugnet haben? — Und sind sie in unserm Leben immer so einzeln diese traurigen Stunden, ist nicht oft, obschon wir de» Namen des Erlösers tra­ gen, unser ganzes Thun und Treiben, weil wir ihm nicht ganz angehören wollen, ein trauriger Beweis, daß er nicht in uns lebt? Ja, m. A., wo wir eS nicht leugnen können, daß das Hei­ lige uns selbst nur zu einem äußern Dienst wird, welcher nicht das ganze Leben, nicht unser innerstes Wesen ergreift; wo unser Thun und Leiden, unser Lieben und Hassen, unser Stolz und unsre Demuth das Gepräge des eigensüchtigen mit seinem Erlö­ ser nicht vereinigten Menschen trägt: da stehen wir ganz im Dienste des Mammons, des irdischen niedern Götzen, da müssen wir schaudernd erkennen, wir sind schon ganz geschieden von un­ serm Gott und Erlöser! II.

Müssen wir demnach also um des Herrn Jünger zu sein ihm ganz angehören, weil jeder andre nicht ihm geweihete Dienst unS ganz von ihm losreißt; so lasst uns auch diese Wahrheit noch daraus erkennen, daß, wenn wir dem Herrn ange-

257 hören, auch unser ganzes Leben und Dasein durch ihn sich ausfüllen wird. Und daS ist, was der Herr in unserm Text sagt: trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches Alles zufallen. Denn trachten am ersten nach dem Reiche Gottes soll nicht in sich schließen, daß nun neben dem Reiche Gottes und dem, was in diesem Reiche, daS der Erlöser auf Erden gebracht hat, als Recht und Gerechtigkeit gilt, noch sollte ein anderes Trachten statt finden; sondern am ersten heißt nur, so daß alles Andre, waS den Menschen noch an sich ziehen und ihn erfüllen könnte, über diesem einen heiligen Trachten vergessen werden und er ganz diesem Reiche angehören soll. Und das ist dasselbe was der Herr einst zu Nicodemus sagt, welcher in gutmüthigem Sinne aber in der für sich gebildeten Meinung zu ihm kommt, um Einzelnes vom Herrn zu hören und zu lernen: es sei denn, daß du von neuem geboren werdest aus Wasser und Geist, sonst kannst du das Reich Gottes nicht sehen*).

Es giebt

kein andres Trachten nach dem Reiche Gottes als dieses neue Geborenwerden. Der Geist deS Herrn muss die in unS herr­ schende lebendige Kraft sein, welche das ganze Leben regiert, eS muss kein andres Gesetz, kein andrer Wille in uns sein als das Gesetz und der Will« unsers Erlösers. Wenn wir in das irdische Leben hineingehen, dann müssen wir nicht fragen: was willst du nun thun, was nun erstreben und vollführen? sondern allein: waS will drin Herr mit dir, was sollst du thun nach seinem Willen, was fordert sein großes himmlisches Vorbild von dir? Dann erst werden wir den Herrn recht erkennen in seiner Herr­ lichkeit, dann wird sich unS erst fein Himmel eröffnen und die Kräfte Gottes werden auch auf unS herabsteigen.

Dann wird

sich uns die Erde erst darstellen alS das Land der Prüfung und Joh. 3, S. yifdjon Pred. II.

•)

R

258 Alles, was uns übertragen ist als der Berus, welcher von oben uns angewiesen ist, daß durch treues Erfüllen desselben wir in die himmlische Heimath gelangen sollen, wo der Herr den Sei­ nen geben wird die Krone des ewigen Lebens. — Bindet uns aber solch Band an unsern Erlöser, dann sagen wir uns auch: es bleibt nichts mehr übrig, kein Raum in un­ serm Herzen, kein Augenblick in unserm Leben, kein Geschafft in unserm Handeln, das nun nicht von der Gemeinschaft mit unserm Herm erfüllt wäre.

Nun kann es ja das irdische Sorgen, das

ängstliche Mühen und Grämen nicht mehr geben, wir fühlen uns als des Herrn Diener und seine Geschöpfe, wir wissen, daß uns Alles aus seiner Hand kommt und er es sendet zu unserm Heil; wir wissen, daß nun auch wir nicht geringer sein können als die Geschöpfe, welchen er ihre Speise giebt zu seiner Zeit, als des Feldes Blumen, welche er mit Pracht und Herrlichkeit kleidet. In des Lebens Noth sind wir sein, denn wodurch könnte sie denn vertrieben und von uns genommen werden als durch den Herrn, und ihm vertrauen wir uns willig an, um von ihm zu nehmen was er giebt und dem stille zu halten, was er sendet. — Nun können wir auch in dem Leben mit unsern Brüdern nicht mehr von dem Herrn uns losreißen und dem eignen Willen fol­ gen, können nicht mehr ein Spiel unsrer Leidenschaften und unsrer Lüste sein.

Kommt der Feind uns entgegen und es will des

Hasses Leidenschaft in uns entbrennen, dann fragen wir: was ist denn hier die Gerechtigkeit im Reiche Gottes? und wir ken­ nen die Antwort wohl: du sollst deinem Feinde vergeben was er an dir gesündigt und wo er von einem Fehl ist übereilet wor­ den, da hilf ihm wieder auf mit sanftmüthigem Geist!

Und so

kennen wir schon keine Feindschaft mehr und der Friede des Her­ zens ist geschlossen, denn die in des Herrn Reiche leben tragen seinen Frieden im Herzen und verbreiten ihn.

Und wie viel des

Elendes, das die Sünde der Menschen ihnen selbst gegenseitig bereitet, würde dann, wenn also alle sich durch seinen Geist re-

259 gieren ließe», aufhören auf Erden und die Erde zu einem Wohnsitz deS Kriedms umschaffen, und was wir für uns aufgeben müssten, o, wie reichlich würden wir es vergolten sehen und wie wenig könnten wir vermissen, da des Herrn Gnade jeden Man­ gel im Jnnem ausfüllte. Doch wir könnten sagen: so möchte es sein auf dem in­ nern geistigen Gebiete, aber alS irdische Menschen gehörten wir auch dem Aeußern an und müssten doch hingehen und ir­ disch schaffen und arbeiten, und nach deS Lebens äußern Gütem streben und sie zu erringen suchen, und das liege wohl zu fern von dem Erlöser, das sei ein Gebiet, welches mit dem Himmli­ schen nichts gemein haben und nur nach irdischen Rücksichten ge­ ordnet werden müsse.

Des Lebens Güter und der irdische Reich­

thum, welchen wir doch auch, um uns und die Unsrigen zu er­ halten, besitzen müssen, kann also durch das Heilige nicht errun­ gen werden? Soll hier ein andrer unser Führer sein, kann des Erlösers Vorbild und Wort und hierher nicht mehr leiten? Lasset uns nicht irre werden, weil wir hier nur mit niedern weltlichen Dingen und Geschafften zu thun haben.

Hat denn zu diesen

Geschafften nicht auch unser Gott uns verordnet,

sind nicht

auch der niedrigste Beruf, auch die mühvollste Arbeit dennoch solche, welche er unS anvertraut hat.

Ja, sind wir des Herrn

wahre Jünger, so können wir ihn nicht lassen und seiner nicht vergessen auch in den weltlichen Geschäfften, denn wir bedürfen auch dort seiner Kraft und seiner Unterstützung und niemand kann sie uns geben als er.

Er nimmt uns nicht das niedre

und irdische Werk ab, aber er steht dabei tief in unsrer Seele und wie anders nun werden wir in seiner Kraft und seiner Liebe, wie viel treuer und angemessen der Gerechtigkeit, welche in Got­ tes Reiche gilt, da- irdische Geschafft vollbringen, ja seine Kraft wird uns stärken und unS unsern Beruf heiligen, seine Kraft trocknet uns dann den Schweiß von der müden Stirn und in seinem Frieden schließen wir einst unser Auge und sind nach jeR 2

260

dem vollbrachten Tagewerk selig in ihm, weil er in und geblie­ ben ist und wir in uns das Zeugniss tragen, daß auch wir in dem irdischen Treiben von ihm nicht gewichen und seine treuen Diener geblieben sind. Dann, weil wir Alles von seiner Gnade erwarten, wird es uns nicht schwer sein Gebot zu erfüllen: ihr sollt nicht sorgen und sagen was werden wir essen und trinken, womit werden wir uns kleiden? — Und obschon das Trachten nach dem Reiche Gottes und seiner Gerechtigkeit uns niemals ein Mittel sein soll und kann, irdische Güter uns zu erwerben, es muss auch von diesen Gütern im Dienste unsers Herrn das uns zufallen, was er für uns bestimmt hat, und so hat der Ewige das feste Vertrauen seiner Kinder auch in den irdischen Dingen nicht unbelohnt gelassen. Das zeigt uns ja die ganze Geschichte der christlichen Kirche. Welche Werke der Liebe, der Geduld, der Wohlthätigkeit haben die nicht geübt, welche wahre Jünger des Erlösers waren und auch daS Irdische ihm heiligten, wie haben sie nicht die Hungrigen gespeiset und die Durstigen getränkt und die Nackenden bekleidet. O leset nur die Geschichten der Frommen, wie sie dastanden und nichts hatten als ein kleines Scherslein, aber den festen Glauben, daß Gott auch das äußre Werk segnen werde, welches mit from­ mem Sinn angefangen wird, und wie sie dann bittend umher­ gezogen sind von Ort zu Ort und das Scherflein heranwuchs zu einem großen Reichthum, und sie nun weite Hallen bauen konn­ ten, um Arme und Verlassene aufzunehmen, nun rufen konnten: kommet her, ihr armen Verwaiseten, ihr Vater- und Mutterlosen, und gehet ein in die Wohnung, welche euch bereitet ist. So haben sie Tausende aufgenommen, so haben sie die Kinder sün­ diger Väter erzogen, welche des Herrn vergaßen und nur in Sin­ nengenuss und irdischer Wollust ihre Freude suchten, nur dem Mammon dienen wollten und Gütern der Erde nachtrachteten, aber in Elend und Armuth die Ihrigen zurückließen; haben solche Kinder irdisch versorget und sie geführet zu dem Herrn der See-

2fii len, welchen ihre Väter im Uebermuth irdischen Reichthum- ver» leugnet hatten. So lasset denn auch un- alle Sorgen hinwegwerfen auf ihn, der für uns sorget, lasset von ihm die ganze Seele erfüllt sein und unS jeden Augenblick deS Leben- mit ihm verbunden fühlen, ihm allein lasset uns dienen und nicht dem Mammon, dann mag er auch das Schwerste uns auflegen und von unfordern, wir wissen,

daß denen, die ihn lieben, alle

Dinge zum Besten dienen müssen*).

») «6m. 8, 28.

Amen.

XXII

Daß christliche Liebe höher sei als die höchsten Gaben, wodurch wir sonst auf menschliche Gemüther würken können *). Ueber 1. Kor. 12, 31 — 13, Dir Gnade unsers Herrn u. s. s.

Matth. 23, 27-

321 Es ist ein einfache« Gottesgebot, daß Mann und Weib sich lieben sollen wie Christus und die Gemeine *), ein einfaches Gebot: ihr Kinder seid gehorsam euer« El­ tern in dem Herrn “), ein heiliges Gottesgebot: ihr Vä­ ter, reizet eure Kinder nicht zum Zorn, sondern zie­ het sie auf in der Zucht und Ermahnung zum Herrn! aber ist die treue und ungeheuchrlte Erfüllung derselben in unserm Hauswesen herrschend? Mann und Weib

Wir kennen ganz andere Gebote,

gegen

einander

dastehen

Schmeichelei, wie in Selbstsucht und Härte.

sollen

wie

in falscher

So entsteht wohl

zwischen denen, welche nur ein Leib sein sollen, Zank und Streit über Herrschen und Dienen, so regiert nicht die heilige Liebe Christi und der Gemeine, sondern die Selbstsucht, und oft wird wohl der Welt noch ein friedliches vielleicht liebevolles Bild des ehelichen Lebens gezeigt, aber da, wo im einsamen Gemach die Herzen am innigsten einander angehören und ihren Bund vor Gott immer herzlicher und fester gründen sollten, sind nur Vor­ würfe

und gegenseitige Beschuldigungen, beleidigende Wünsche

und tiefvenvundende Worte zu hören, wenn nicht noch offenbare Sünden niederer Begierden den Stand entweihen, den Gott der Herr zum Segen der Menschen eingesetzt hat. — So vergessen auch oft die Kinder den frommen, in Liebe sich aufopfernden Ge­ horsam gegen die Eltern, fragen nur nach ihrem thörichten Wün­ schen und Wollen und klügeln sich Entschuldigungen ihres sün­ digen Thuns aus dem ungehorsamen Herzen heraus um de» hei­ ligen Pflichten sich zu entziehen.

Ebenso reizen Eltern in Selbst­

sucht und Eigensinn die Kinder zum Zorn und verlangen ge­ gen Gottes Gebot Befolgung ihres eitel» und sündlichen Wil­ lens, nicht in der Zucht und Ermahnung zum Herrn, sondern nur in knechtischem Gehorsam gegen sie diejenigen auferziehend, welche von Gott ihnen anvertraut sind, daß sie für sein himin-

') Ephes. 5, 24. 25. Pischen Prcd. 11.

") Ephes. 6, 1 u. 4. I

lischeS Reich,

für fein ewiges Leben sie erziehen sollen. — So

geschieht es, daß wie die Pharisäer in unserm Text das harther­ zige und sündige Kind, das den darbenden Eltern keine Unter­ stützung reichen will, entschuldigen und schützen, indem sie es sa­ gen lassen:

wenn ichs opfere ist dirs viel nützer, auch

wir die Sünde in unsrer Brust schützen und entschuldigen und durch das verkehrte und gottlose Wort: „ daß der Zweck die Mittel heilige" tausend Borwände aufsinden die Uebertretung gött­ licher Gesetze zu rechtfertigen. — Ist aber dann unser Haus eine stille Gemeine Jesu Christi? sind wir dann alle Tempel Gottes, worin sein heiliger Geist wohnt,

und ist das Aeußre, was die

Welt von uns schaut, nur das reine würdige Bild des Fliedens in unsrer Brust, nur der schöne Abglanz der innern heiligen Gemeinschast mit ihm, der Mann und Weib geheiligt hat? O, wenn es so wäre, wie selig würden wir dann

schon

hier sein,

wie

würde jedes Leid und jede Prüfung dann gemeinsam in Muth und Frömmigkeit ertragen,

jeder Wunsch

vertrauungsvoll Gott

anheimgestellt, jede Zukunst getrost und freudig erwartet werden, weil Gottes Gebot unserm Herzen nicht schwer würde und unser Glaube der Sieg wäre, welcher die Welt überwindet! Treten wir nun in das gemeinsame gesellige Leben der Menschen hinaus, es kommt uns für dieses das einfache schöne Gottesgebot entgegen: Christus

uns untereinander zu lieben wie

die Welt geliebt hat, weil nur dann erkannns

werden kann, daß wir seine Jünger sind. — Ist das aber wohl der herrschende Grundsatz

bei unserm Zusammenleben mit den

Brüder»» und Schwestern?

O nein, wir stellen ganz andre Leh­

ren und Rücksichten auf.

Was werden die Leute sagen? sprechen

wir aus der einen Seite, aber nicht um dem Apostel zu folgen, welcher uns zuruft: meidet auch den bösen Schein! sondern nur um hinter gefälligem Aeußeren des Herzens Lieblosigkeit zu verbergen; oder wir würdigen uns fdfc|t herab zu Knechten frem­ der Meinungen und umgeben und mit einem Gewirre von tau-

323

ftnb Rücksichten, aus denen wir unS eben so wenig heraus reif» kein können, wie die Pharisäer auS ihren Aufsätzen. — Und mit jenem Gebote heiliger Liebe hängen andre einfache Gottesgebote zusammen: einer trage deS andern Last! so dein Bru­ der von einem Fehler übereilet würde, hilf ihm wie­ der zurecht mit sanftmüthigem Geist! vergebet einer dem andern, wie Gott euch vergeben hat in Christo*). Folgtm wir diesen Vorschriften, wäre das treue Vollbringen derselben unsre höchste Freude, wie würden wir auch dann in unsern Gebeten dem himmlischen Vater nicht mit unreinen Lippen, nicht mit den Herzm nahen, welche fern von ihm sind, sondern der Glaube, welcher in solcher Liebe, in solchem Tragen und Vergeben thätig wäre, er würde nicht ein vergeblicher Dienst vor Gott sein und in welchem Frieden, in welcher gottwohlgefälligen Gemeinschaft würden wir neben unserm Mitmenschen wandeln! — Aber sol­ chem Wandel treten nun die Satzungen der Menschen entgegen. Ihr Dünkel und Hochmuth, ihre falsche Selbstliebe und ihr un­ christlicher Stolz haben andre Gebote aufgestellt, welche die Got­ tesgebote aufheben. „Du bist dir selbst der Nächste!" rufen die Einen uns zu, daß wir nicht in heiliger Liebe Christo ähnlich unS selbst verläugnen sollen. „Güte ist Thorheit" ermahnen unS Andre, damit nicht die Gnade Jesu Christi in uns wohne und wir dem Irrenden aufhelfen in Sanftmuth und Freundlich­ keit, sondern gegen ihn uns erbittern und verstocken. „Du darfst dir nichts vergeben und dich nicht wegwerfen!" predigen die Dritten, damit wir nicht an das schöne Gleichniss des Herrn er­ innert würden, worin er uns zeigt, daß unsre Schuld gegen Gott gleich sei zehntausend Pfund gegen die hundert Groschen, welche der Mitbruder an uns verschuldet, damit wir kein gebeugtes Herz in Mitleid und Erbarmung trösten und den Erschrockenen freundlichen Zuspruch und Worte der Erhebung bringen möchte», •) «ol. 6, 1. 2. Ephes. 4, 32.

sondern alle Leidenschaften in

uns ungestört toben und ihre Gte;

wallthaten gegen die Miterlüseten Christi ausüben können.

So

wird denn das Leben verwirrt, statt der Liebe herrschen Hass, Neid und Verläumdung, jedes Gut des Lebens führt neue Sün­ den herbei, Streit über Rang, Geburt, Reichthum,

körperliche

und geistige Fähigkeiten trennen die, welche in inniger Gemein­ schaft sich verbinden sollten, um durch das ganze Leben die Gnade dessen vereint zu preisen, welcher neben den irdischen die Güter des ewigen Lebens ihnen geöffnet hat.

Ach, wenn des Herrn

einfaches Gebot der Liebe in uns wohnte, welch andres gemein­ sames Leben müssten wir führen, wie könnten da Zank, Streit und Zwietracht nimmer unter uns wohnen, wie würde Alles mild ausgeglichen, was die Einigkeit brüderlicher Gemeinschaft unter uns zerstören könnte und der Vater im Himmel mit Gnade auf seine versöhnten Kinder schauen. Sehen wir endlich auf die größste Gemeinschaft des äußern Lebens auf die Verbindungen der Staaten und das Band zwischen Fürsten und Völkern; so kommen auch hier die einfachen Gottes­ gebote aus den heiligen Schriften

uns entgegen.

„Fürchtet

Gott und ehret den König! Jedermann sei Unterthan der Obrigkeit, welche Gewalt über ihn hat"

rufen die

Apostel Jesu Ehristi den Völkern, „ihr Herren, was recht und gleich ist beweiset eurenKnechten und wisset, daß ihr einen Herrn im Himmel habt! rufen sie den Fürsten zu, und wie müsste in der treuen Befolgung solcher Gebote auf Frömmigkeit und Gottesfurcht ein heiliges Verhältnis sich bauen unter allen christlichen Völkern.

Aber die Menschensatzungen gelten

mehr als Gottesgebote. — Die Völker trachten nach Freiheit und predigen sie als das höchste und herrlichste Gut der Menschheit, ober es ist nicht die Freiheit,

damit uns Christus befreit

welche freilich das höchste Gut wäre,

hat,

es ist die Freiheit, welche

dem Fleische Raum giebt, die Freiheit, welche nur ist der Deckel der Bosheit.

Solche Freiheit stürzt die Throne der Fürsten und

32.5 die Altare Jesu Christi,

solche Freiheit erkennt

nur die falsche

Vernunft als ihre Gottheit an, besudelt alles Heilige und Ge' weihte, zerreißt jedes durch Gott geknüpfte Band, bringt ihrem Götzen blutige Opfer- wovor die Seele erbebet, und zeigt bald, welch andre schmähliche Fesseln der Sünde alle drücken müssen, welche durch menschliche Begierde frei geworden sind, welche aber nicht der Sohn Gottes frei gemacht hat. — Die Fürsten der Erde aber, welche Hirten der Völker sein sollen, von Gott gesetzt seine Heerde zu weiden, welche fühlen sollen, daß Christus der Herr die Banden unchristlicher Knechtschaft zerbrochen wissen will und Rechenschaft fordert von allen, welchen er Macht und Ge­ walt auf Erden gegeben hat, vergessen solch Gottesgebot, wollen die Krone nicht tragen, welche Gottes Gnade ihnen aufs Haupt gesetzt, als Gottes Diener; sondern nach ihrem Eigenwillen und Lüsten,

nach ihrer Herrsucht und ihrem Stolze wollen sie die

Völker niederdrücken und Gottes setzen.

ihr Gebot an

die Stelle der Gebote

Wie kann dann ein Volk bestehen, wie müssen

dann alle Stützen seines Wohles brechen und das Wort des al ten Testaments sich erfüllen: werdet ihr übel handeln, so werdet beide ihr und euer König verloren sein! *) Und also sind viele Staaten der Erde vertilgt worden durch die Schuld der Völker und der Herrscher, so ist auch das Reich Is­ raels und die Herrschaft der Pharisäer zerfallen, welche sich mehr dieneten als Gott und warnende Beispiele ähnlicher Art begleiten uns durch die Geschichte der Zeiten

hindurch bis zu den Tagen

unsres Gedächtnisses. — O nie, nie soll das von uns und un­ serm theuern Fürstenhause zu sagen sein. Gottes heiliges Gebot möge auch

Auf Christi Wort, aus

unser Staat sich bauen, daß

Volk und Fürst nicht vergeblich dem Herren diene, sondern ihm treulich von ganzem Herzen angehörend immer mehr erfahre, wie große Dinge er an seinen Gläubigen thut.

*) 1. Sam. 12, 25.

3'26

II. Die ernste Warnung, daß wir Menschensatzunge» nie hohem Werth geben sollen als GotteS Geboten, lasset uns aber noch zweitens auf

die Verhältnisse in

der

christlichen

Kirche anwenden. Wenn wir fragen, waS denn für die ganze Kirche Jesu Christi das eigentliche Gottesgebol ist, dem sie immerdar ge­ horchen, wodurch sie immer fester sich gründen, immer heiliger sich läutern soll zu einer wahren Gemeine des Herrn, welche herrlich, unbefleckt, heilig und unsträflich sei; so müssen wir auf die Worte Jesu Christi selbst zurückgehen, in denen er die Grün­ dung seiner Kirche verordnet hat.

Als er aber seine Apostel zu

dieser Gründung aussendete, da stellte er nicht ein einzelnes Ge­ bot auf, sondern sagte: gehet hin in alle Welt und lehret alle Völker und taufet sie im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes, und lehret sie halten Alles was ich euch befohlen habe.

Alles was er befohlen hat, das soll das

Gottcsgesetz für seine Gemeine sein, und folgte dem seine Kirche, dann könnte sie nimmer auf falschem Wege wandeln, dann hätte nimmer sein heiliges Wort verborgen sein, nimmer äußerliches Wesen und

eigne Werkheiligkeit die Kirche entweihen können,

welche nach seinem Namen sich nannte.

Aber wie zwischen das

Gesetz Gottes im alten Testament und das Handeln seines Volks die Aussätze der Pharisäer traten, so sind der Menschen Satzun­ gen zwischen Jesu Christi Gebot und die Befolgung desselben im Verein der christlichen Kirche getreten. Seinen geboten:

- Der Herr hat den

ihr wisset, daß die weltlichen Fürsten herrschen

und die Oberherrn haben Gewalt, so soll es nicht sein un­ ter euch!

Aber kaum, daß die Gemeine des Herrn vom Druck

der jüdischen und heidnischen Völker frei geworden, kaum, daß das Götzenthum

mit dem Schmuck seiner Tempel und Altäre

gefallen war: da haben sich die Lehrer der Gemeine erhoben zu Gewaltigen, da haben sie allen Prunk und Glanz jüdischer und'

heidnischer Gottesdienste in die Kirche des Herrn getragen,

sich

selbst gerühmt auf Christi Stuhl zu sitzen und nur zu sich und nicht zu dem Herrn der Kirche die Gläubigen geführt, auch den Pharisäern ähnlich die heiligsten Bande zerrissen und gelehrt: opfere es mir, so ist es nützer als ob du es Vater und Mutter gebest und alles Heil von den Aufsätzen ihrer Aeltcsten abhängig gemacht. — Der Herr hat gesagt: alle, die an mich glau­ ben, werden nicht verloren gehn, sondern das ewige Leben haben, die Apostel haben gelehrt: daß alle Sünder ohne Verdienst

gerecht

werden

aus

seiner Gnade durch

die Erlösung so durch Jesum Christum geschehen ist, ohne des Gesetzes Werke allein durch

den Glauben!

Aber die da Hirten der Gläubigen sein wollten sind hingegangen und haben anders gepredigt und die Vergebung der Sünden an irdisches Thun und Darbringen

vergänglicher Gaben geknüpft.

Sie haben eine äußerliche Werkheiligkeit gepredigt von Büßun­ gen und Kasteiungen des Fleisches, von Wallfahrten und leeren Gebeten,

Weihungen

Christi, und

und Dpfern

statt

des Verdienstes Jesu

alles Heil in das todte äußerliche Wesen gesetzt,

was doch Alles ohne wahre Besserung, ohne frommes Hingeben an den Erlöser, ohne Glauben und Liebe ausgeübt werden kann, haben wie die Pharisäer gesagt: opfere mir deine Gaben, das ist dir nutzer zur Seligkeit und so sich losgetrennt von dem Haupt der Gemeine und den Herrn der Herrlichkeit selbst verworfen. O, wo das geschehen ist, ertönt auch sein klagendes Wort: dies Volk nahet sich mit seinen Lippen, aber ihr Herz ist fern von mir,

vergeblich dienen sic mir!

Doch durch Gottes Gnade ist seiner Kirche ein neues Licht erschienen, daS heilige Wort Gottes ist hervorgezogen worden auö der Dunkelheit und hat mit seinen Strahlen die Nacht der Erde erleuchtet und unter harten Stürmen und Kämpfen ist unsre e v a n g c i l s ch e Kirche gegründet worden. Zurückgehend von der Menschen Aussätzen zu Christi Evangelium hat sie zunächst eines seiner

Gebote als unverletzlichen Grundsatz aufgestellt, das ist sein Wort: Einer ist euer Meister, Christus!

Keinen andern zu su­

chen „als Jesum Christ in rechtem Glauben und ihm aus aller Macht vertrauen" das war ein Losungswort ih­ rer Gründer und Helden, ein Wort ewigen Segens und Frie­ dens. — Aber auch dieses Gottcsgebot hat Menschengeboten wei­ chen müssen, und wie sie in den ersten Gemeinen des Herrn sprachen:

ich bin Paulisch, ich bin Apollisch, ich bin

Ke p hi sch *), und über Paulus, Apollo und Kephas Jesum Christum vergaßen, so haben Menschcnsatzungen auch unsre Kirche zerrissen und ihre Mitglieder um Luther und Calvin sich gestrit­ ten, statt durch beite, welche nur gepflanzt und begossen haben, zu dem geführt zu werden, welcher das Gedeihen gegeben hat, und fest iin Herzen zu behalten, daß kein anderer Grund zu legen ist, auf welchem ein Tempel GolteS aufgeführt werden soll, au­ ßer dem, der gelegt ist, Jesus Christ"). — Andre aber ha­ ben in ihrem menschlichen Wahn gemeint, sie bedürften über­ haupt keines Meistcro, sie wollten keinem andern folgen, welcher den Weg des Glaubens zeigte, aber auch Christo nicht und nur ihre eignen Helfer und Führer sein.

Sie haben Christi Wort

von seinem Leben und Wesen abgetrennt und eS also als einen Ausspruch menschlicher Vernunft betrachtet, aus ihrem Sinn hätte hervorgehen können.

welcher auch

wohl

So konnte Christi

Geist in ihnen nicht wohnen und die den Meister verachteten konnten seine Jünger nicht sein. Wenn sie sich aber nach Christi Namen nannten, wie wurde des Herrn Ausspruch für sie eine traurige Wahrheit: dies Volk ehret mich mit seinen Lip­ pen, aber ihr Herz ist fern von mir, vergeblich die­ nen sie mir! Wie aber

nur Ein Meister Christus

in unsrer evangeli­

schen Kirche anerkannt werden darf, war auch das ihr Glaubens-

) 1. Kor. 1, 12.

"1

l. Kor. 3, 11.

320 gesetz: daß wir ohne Verdienst gerechtfertigt werden allein durch den Glauben an Jesum Christum! Welche trostvolle Lehre für alle erschrockenen Gemüther, für alle, welche fühlen, sie können die Werke des Heils nicht bringen, welche vor Gott gelten müssten, denn sie sind Sünder; aber den Trost in sich tragen, daß der Glaube auch ihnen kommen werde durch Predigt und Gebet. — Aber zu diesem Worte des Heils haben sie Menschensatzungen hinzugebracht und nun über den Glauben selbst gestritten.

Da sie dm Vater preisen sollten mit ihrem

Leibe und Geiste, daß er die Welt in seinem Sohn so hoch ge­ liebt hat, haben sie gestritten ob er die Menschen zur Seligkeit bestimmt habe oder nicht, und in ihrem harten Sinn als die sich gezeigt, welche seine Seligkeit und seinen Frieden nicht kann­ ten. — Da sie den Sohn segnen sollten, welcher sein Mahl der Gedachtniss zum Trost seiner Gläubigen eingesetzt hat, haben sie sich entzweit über die äußerliche Art, wie er ihnen sich hingebe und das heilige Mahl der Liebe durch ihrrn Hass befleckt. — Aber neben den Eiferern für den Glauben, in welchem sie die Rechtfertigung vor Gott suchten, sind andre in ihrem fleischlichen Sinn aufgetreten und haben gemeint, überhaupt keiner Recht­ fertigung zu bedürfen, haben sich, wenn nicht ihrer äußerlichen Werke doch ihres guten Herzens gerühmt, das ihnen die Selig­ keit erwerben könne, und gemeint ohne Christum die Gnade bei Gott zu erlangen.

Oder endlich jenen Sadducäern gleich, allem

Göttlichen entfremdet, haben andre keiner göttlichen Gnade be­ gehrt und sich nur in die Lüste der Welt versenket und die Ge­ nüsse des Lebens und die Sinnlichkeiten des Fleisches als Se­ ligkeit gepriesen, sich zurufend: lasset uns essen und trin­ ken, denn morgen sind wir todt! — O, meine Geliebten, wo solche Menschcnsatzungen höher gelten als Gottes Gebot, wie muss da des Herrn Kirche zerfallen, wie müssen die, welche fern von des Herrn Geist dem sündigen Geist der Welt gehören,

Gott vergeblich dienen, dieweil sie lehren solche Lehren, die nichts denn Menschenmeinungen sind. Doch wir wollen nicht zagen, nt. G., es ist ja eine andre Zeit angebrochen.

Die getrennten Brüder unsrer Kirche haben

fick die Hand des Friedens geboten und nach dreihundertjährigcr Spaltung die Feste schöner Vereinigung gefeiert. äußre auch eine Vereinigung

Aber lasset die

im Geiste werden, lasset uns sein

eine Gemeine heilig, unsträflich,

herrlich, lasset einen jeden sich

selbst aufbauen zu einem geweihten Tempel des Geistes, Gott und unserm Heilande geweiht, dann wird das Wort des Evan­ geliums uns nicht trennen, sondern in Liebe vereinen und im­ mer mehr heiligen.

Und Eine Hoffnung ist da und wir sehen

ihrer Erfüllung entgegen.

Es ist ein großer Wendepunkt der

Zeiten, eine Läuterung der Menschenherzen durch manches Feuer der Prüfungen.

Was

nur Menschensatzungcn und Menschen-

Weisheit aufgebaut hat das muss fallen und vergehen und der eine Meister und der Glaube an ihn, er wird, er muss siegreich werden über Welt und Hölle.

Aber lasset uns nur sorglich uns

hüten, daß wir zu dem reinen wahren Glauben nickt wieder Menschensatzungen hinzubringen,

daß

nicht

die Heiligkeit der

Werke und Blicke, nicht Namen der Aeltesten und der Schulen von dem Meister uns trennen und nicht Frucht, die Liebe, uns fehle, auch Christus nicht

des Glaubens heilige

denn wo sie nicht ist, da wohnt

in unsrer Brust und wir dienen ihm ver­

geblich. Der Tempel der Pharisäer ist gefallen,

denn Menschen­

satzungen konnten ihn nicht erhalten, aber ein anderer Tempel ist herrlich und dauernd ausgebaut, ein geistiges Haus von den lebendigen Steinen der Gläubigen.

Dieser wird ewig

bleiben,

denn des Herrn Wort kann nicht vergehen, aber lasset und nur streben, daß auch wir zu den lebendigen Sleincn gehören, welche seinen Bau zusammenhalten.

Wenn aber wir alle, Lehrer mit

331 Glieder der Gemeine des Herrn, nur dem himmlischen Vater fol» gen, wenn wir alle gottgelehrte Priester sind und opfem geist­ liche Opfer, welche Gott angenehm sind durch Jesum Christum, dann wird kein hattes Wort seines Mundes uns gelten, dann wird sein Heil unser Erbtheil sein, dann werden wir, welche die falschen Menschensatzungen verwerfen, ihm nicht vergeblich dienen und den schönsten Lohn der treuen Gemeinschaft mit ihm em­ pfangen, wenn er uns aufnehmen wird in sein ewiges Reich. Amen.

XXVII.

Daß es der Herr von den Früchten, welche wir bringen abhängig macht, ob das Reich Gottes uns bleiben solle. Ueber Matth. 21, 33 — 4«. Die Gnade unsers Herrn und Heilandes u. f. f.

Text. Matth. 21, 33 — 4k.

Es war ein Hausvater, der pflanzte einen Wein­ berg, und führetc einen Zaun darum und grub eine Kelter darinnen und bauete einen Thurm und that ihn den Weingartnern aus und zog über Land. — Da nun herbei kam die Zeit der Früchte: sandte er seine Knechte zu den Weingartnern, daß sie seine Früchte empfingen. — Da nahmen die Weingartner seine Knechte, einen stäupten sie, den andern todteren sie, den dritten steinigten sic. — Abermals sandte er andere Knechte, mehr denn der ersten waren und sic thäten ihnen gleich also. — Darnach sandte er sei­ nen Sohn zu ihnen und sprach: Sie werden sich

333 vor meinem Sohne scheuen. — Da aber die Weingärtnet den Sohn sahen, sprachen sie unter einander: Das ist der Erbe; kommt, lasset uns ihn todten und sein Erbtheil an uns bringen. — Und sie nahmen ihn und stießen ihn zum Weinberge hinaus und tödteten ihn. — Wenn nun der Herr des Weinbergs kommen

wird,

was

wird er diesen Weingartnern

thun? — Sie sprachen zu ihm: Er wird die Büsewichte übel umbringen und seinen Weinberg andern Weingartnern austhun, die ihm die Früchte zu rech­ ter Zeit geben. — Jesus sprach zu ihnen: Habt ihr nie geleseir in der Schrift, der Stein, den die Bau­ leute verworfen haben, der ist zum Eckstein worden: Von den: Herren ist das geschehen und es ist wunderbarlich vor unsern Augen? — Darum sage ich euch: das Reich Gottes wird von euch genommen und den Heiden gegeben werden, die seine Früchte bringen.

ivVit, meine in Christo Geliebten, das Jahr der Kirche seinem Ende sich zuneigt, so finden wir uns auch durch die vorgelesenen Textesworte an das Ende des Lebens unsers Herrn versetzt.

Er

ist aus seiner letzten Reise nach Jerusalem gekommen, jubelnd hat ihn, den großen Wunderthäter, das Volk empfangen, Hosianna, dem Sohne Davids!

haben sie ihm als dem ersehnten König

entgegengerufen, Palmen zu seinen Füßen gestreut und aus seinen Weg ihre Gewänder ihm ausgebreitet.

Aber als der himmlische

Prophet ihren Tempel gereinigt, das Bethaus, welches sie zur Mördergrube gemacht hatten, da treten Hohepriester und Aelteste auf und fragen ihn: wer zu solchem Thun ihm die Macht ge-

334 geben hab«? und er weist sie in Gleichnissen darauf hin, daß er der rechte Herr des Tempels sei, sie aber nur die falschen Ver­ walter des göttlichen Reiches.

Das spricht er nun ganz beson­

ders in unsern Tertesworten aus und ruft ihnen in diesen das strengt Wort zu: das Reich Gottes wird von euch ge­ nommen und den Heiden gegeben werden, die seine Früchte bringen! — Wie aber jene in der Verwaltung des göttlichen Reiches, welches an Jerusalems Tempel geknüpft war, Gottes Haushalter sein sollten, so hat der Herr uns zu Verwal­ tern des Gottesreiches gesetzt, welches er auf Erden gepflanzt und durch fein Leiden, Sterben und Auferstehen fest gegründet hat: also muss sein warnendes und strafendes Wort auch uns treffen, wenn wir seine heiligen Schatze nicht würdig verwalten. Darum lasset uns tiefer in unsern Tert eingehen und unter Gottes Bei­ stände zu unserm Heil betrachten: daß es der Herr von den Früchten, welche wir bringen, abhängig macht, ob das Reich Gottes uns bleiben soll. Wir fragen demnach I.

was hat er uns gegeben, woher wir ihm reiche Frucht bringen können?

II. welche Frucht begehrt er von uns? III. wer fordert diese Frucht von uns ein? und IV. was drohet unS der Herr, wenn wir sie ihm versagen?

I. WaS der Herr

gegeben hat,

Frucht gebracht werden kann,

woher ihm

reiche

das nennt er in unsers

Textes Worten einen Weinberg und wendet daS zuerst auf das jüdische Volk und die Aeltesten desselben an, zu welchen er redet.

Denn alS der himmlische Hausvater die Kinder JSraelS

au- Argyptenland, dem Diensthause, geführt und durch Meer

335

und Wüsten mit schützender Hand sie geleitet hatte, gab et ihnen einen schönen Weinberg, ein fruchtbares, segensreiches Land, ei­ nen heitern und sichern Besitz und gründete daselbst ihre dauernde Herrschaft. Aber mit dem äußeren Reiche gab er ihnen auch einen Weinberg des göttlichen Worts, eine schöne herrliche Pflan­ zung beseligender Früchte und führete dämm «inen Zaun, gab sein heiliges Gesetz als eine feste Mauer, welche sie vor jedem Feinde schützen sollte. Und grub eine Kelter darin, gab ihnen alle Hülfsmittel der Gnade, wodurch sie des Glaubens Frucht sich erwerben konnten und baute ihnen deS Tempels Thurm wie eine hohe Warte, von wo aus die Hüter des Heiligthums, wo des Herrn Herrlichkeit thronte, treulich ausschauen und entdecken konnten, woher dem Volke Gottes Gefahr drohe. So herrlich ausgerüstet war Israels Volk, so reich ausgestattet der Weinberg, von welchem sie dem Herrn wohlgefällige Frucht bringen und in frommem Glauben und inniger Dankbarkeit ihm treulich ange­ hören sollten, auch in den spätern Zeiten, wo der Ewige nicht mehr so sichtbar segnend in das Geschick seines Volkes eingriff. Aber uns, m. G-, uns hat Gottes Hand unendlich mehr gegeben als jenen. O, welchen Weinberg der Kirche Jesu Christi hat er uns gepflanzet, mit welchen Reben einer höheren Frucht hat er ihn besetzt! Obgleich seit den ersten Zeiten, wo der Hei­ lige GotteS durch sein Blut den hohen Bau begründet und sei­ nes neuen Tempels Eckstein worden ist, seit jenen Zeiten, wo nach dem Herrn die Apostel in seinem Weinberge treulick und bis zum Tode gearbeitet haben, die Feinde des Kreuzes Christi unablässig bemüht gewesen sind, die feste Mauer des Glaubens, welche jene aufgeführt hatten, umzustürzen und den Weinberg zu verwüsten; sie hat doch allen Angriffen mächtigen Widerstand ge­ leistet. Und ob der erste Ort, wo der Weinberg gegründet war, wüste geworden ist: immer weiter und weiter ist das Land an­ gebaut und mit den Reben des Wortes besteckt worden. Welch herrliche Pflanzungen der Kirche sind auch in diesen fernen Grän-

zen angelegt! Auch hier ist der unangebaute Boden urbar ge­ macht, auch hier die Kelter gegraben worden, aus welcher der Trank des ewigen Lebens uns stießt, hier überall Häuser Gottes gebaut, welche als hohe Thürme zu dem Ewigen hinaufzeigen, der in

erbarmungsvoller Liebe den Sohn dahin gegeben hat,

welche dastehen als erhabene Warten, von denen die Wachter der Heiligthümer Hinausschauen sollen, ob der Kirche des Herrn nicht Gefahr drohe.

Sehet, das ist das hohe Gnadengut, wovon wir

die Früchte des Heils bringen sollen.

Und ob der Heiland in

unsern Zeiten, nachdem er längst von der Erde hinweggegangen ist, nicht mehr so unmittelbar in die Geschicke seiner Gemeine eingreift, was er einst zu den Seinen gesagt hat: ihr werdet größere Werke thun als ich gethan habe! das geht noch immer in dem äußern Anbau seiner Kirche in Erfüllung, und kein Jahr vergeht, in dessen Laufe nicht Tausende zu seinen Altären

hinzutreten und

bekennen,

Weinberge werden zu wollen. —

treue

Arbeiter in

seinem

Wie aber in seiner ganzen

Kirche und Gemeine hat er auch in jedem einzelnen Herzen sei­ nen Weinberg bestellt, tränkt die schmachtende Seele zur Verge­ bung ihrer Sünden aus seiner Kelter, führt sie auf des Glau­ bens Warte, erhöhet sie über das niedre Treiben des Lebens, we­ het sie an mit der reinen Luft seiner himmlischen Liebe, daß sie frei von irdischer Verblendung schauen könne, von wo ihr der Feind naht und, mit ihrem Herrn auf einen Berg der Verklä­ rung gestellt, des Elendes und der Grüfte vergessen kann, welche im Staube der Erde sie erschrecken.

DaS, in. G., das sind die

himmlischen Güter, welche uns anvertraut sind, und von denen wir unserm Herrn Frucht bringen sollen.

11. Welche Frucht aber, lasst uns zweitens fragen, be­ gehrt der Herr des Weinbergs von den Gärtnern, welchen er ihnen ausgethan hat?

337 Ein ähnliche- Gleichnis» hat einst JesaiaS gesprochen, aber er ruft im Namen JehovahS: waS sollte man doch mehr thun an meinem Weinberge, das ich nicht gethan habe an ihm? Warum hat er denn Heerlinge gebracht, da ich wartete, daß er Trauben brächte?*) Die Klage de- Herrn in unserm Texte ist im Grunde dieselbe, denn auch da hat der Herr deS Weinbergs nicht empfangen was er erwarten konnte und waS ihm gebührte. Welche Frucht aber begehrte er von den falschen WeingärMem, als daß sie selbst und die, deren Wächter sie waren, in rechter Liebe und Treue ihm angehören möchten und ihr ganzes Leben ein Preis seiner Gnade sein sollte? ES hatte Jrhovab sein Volk Israel geliebt und erzo­ gen, er hatte Ströme deS Segens über dasselbe regnen lassen, er hatte da- in Sinnenlust schlummernde durch schwere Gerichte erschreckt, daß es aufwachen, vor ihm in Reue und Buß« sich beugen und beweisen sollte, daß seine Gnadengabrn an ihm nicht vergeblich waren.

So sollten alle Glieder d«S Vol­

kes, so die Wachter seiner Zinnen und alle, für welche diese wachten, sich dem Henn darbringen als eine ihm geweihete Frucht, als die Trauben, auS denen ein Trank des HeilS hervorfließrn könnte; so sollten sie selbst seine Weinreben sein, welche alle an sie gewendete Liebe und Treue durch ihr freudi­ ges Wachsen vergelten sollten. Aber statt solcher Gabe brachten sie äußre Opfer, todte Gebete, Heerlinge statt der Trauben und waren nicht die Frucht, welche der Herr in seine Scheuren sam­ meln konnte. Waren nun jene, welche noch im Schatten des Gesetzes wan­ delten, dem himmlischen Vater also verpflichtet, waS soll er nun für Frucht fordern von seiner christlichen Kirche und Gemeine? Er hat sie durch seinen Sohn sich theuer erkauft, damit sie ihm ganz angehören, er hat durch die Liebe, welche in keines Menschen ’) 3