Predigten: Sammlung 1 Das christliche Kirchenjahr in seinen Festen 9783111444925, 9783111078427


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German Pages 404 Year 1837

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Table of contents :
Dank
Inhalt
I. Daß der Einzug des Herrn in Jerusalem eine würdige Betrachtung sei zur Feier des beginnenden Kirchenjahre
II. Die Antwort des Herrn, welche er den zweifelnden Johannisjüngern ertheilt
III. Richtet dem Herrn den Weg
IV. Die hohen Gnadengüter, welche die Geburt unsers Herrn uns gebracht hat
V. Wodurch die Gnade des Herrn in seiner Erscheinung auf Erden seinen Gläubigen sich erwiesen hat
VI. Wie soll des Heilandes Geburt in jedem Hause und jedem Herzen gefeiert werden?
VII. Daß das Fest der Weihnachten das Unterpfand des unvergänglichen Friedens sei, den uns Christus hinterlassen hat
VIII. Daß das gute Theil, welches Maria erwählt hat, der einzige Wunsch für uns am Anfange eines neuen Jahres sein soll
IX. Daß wir mit dem rechten Vertrauen auf den allmächtigen Gott getrost in die sorgenvolle Zukunft hineingehen können
X. Die Versuchung des Herrn, ein Bild seiner Leiden
XI. Die Gesinnung der wahren Jünger des Herrn beim Gedächtniß seiner Leiden
XII. Wie wir Christi Tod in der Feier seines heiligen Abendmahls verkündigen sollen
XIII. Was sich in uns vereinen muß, wenn wir würdig das Abendmahl unsers Herrn feiern wollen?
XIV. Wie der Erlöser durch seinen Tod am Kreuz als den sich dargestellt hat, dessen die Welt bedurfte
XV. Wie der Tod des Herrn für seine Gläubigen der Quell der tiefsten Schmerzen und der reinsten Seligkeit sein soll
XVI. Wovon hat uns der Herr durch seine Auferstehung erlöst?
XVII. Wie des Herrn Auferstehung seine Gläubigen aus Trauer und Zagen zu starker Glaubenskraft erheben soll
XVIII. Wie sollen auch wir Zeugen sein von der Auferweckung Jesu Christi von den Todten durch die Herrlichkeit des Vaters?
XIX. Welches sind die Regungen des neuen Lebens Jesu Christi in den Herzen seiner Gläubigen?
XX. Die Gläubigen des Herrn überwinden die Welt
XXI. Das Betrübende und Trostreiche in dem Worte des Apostels: thut Buße und bekehret euch
XXII. Der Trost, welchen des Herrn Himmelfahrt seinen Gläubigen darreicht
XXIII. Daß des Erlösers Versprechen der Sendung seines Geistes noch immer in Erfüllung gehe
XXIV. Die Bewahrung der Herrlichkeit Christi durch die Ausgießung seines Geistes
XXV. Der Geist des Herrn, der Geist der Liebe und der Wahrheit
XXVI. Der Geist des Herrn ist nicht von der Welt, sondern aus Gott
XXVII. Die geistige Wiedergeburt der Eingang in das Reich Gottes und in die tiefere Erkenntniss seines dreieinigen Wesens
XXVIII. Wofür wir dem dreieinigen Wesen Gottes Ehre und Preis zu bringen haben in Ewigkeit
XXIX. Wie der Dank, welchen wir dem Herrn für alle seine Gnadenwohlthaten darzubringen haben, beschaffen sein mü
XXX. Die Gewissheit des Christen, mit denen wieder verbunden zu werden, mit welchen wir hier in Christo vereint gewesen sind
XXXI. Daß der Glaube an Christum Trost gewährt an den Gräbern unsrer Geliebten
XXXII Von dem Danke, wozu die Feier des heutigen Tages uns als Gläubige Jesu Christi verpflichtet
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Predigten: Sammlung 1 Das christliche Kirchenjahr in seinen Festen
 9783111444925, 9783111078427

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Predigten von

/ A. Pischon, ArchiidiakonuS an der St. Nikolai- und Klosterkirche in Berlin und Königlichem Professor am Eadrttencorp-.

Erste Sammlung. Das christliche Kirchenjahr in seinen Festen.

Berlin, gedruckt und »erlegt bet ®. Reimer.

1837

Seiner geliebten Gattinn, Frau

Carotine Pischon geb. Deibel, am

Tage unsrer silbernen Hochzeit und

seinem theuren Bruder, Herrn

Carl Heinr. Ludwig Ilifchon, Prediger in Burg,

feinem

(Geburtstage,

den 12ten

August 1837,

m hcrzltcher Liebt geweiht

vom Verfasser.

tönmc ich Euch, meine Geliebten, Dir, theures Weib, welche mir nun fünf und zwanzig Jahre die treue Gefährtinn gewesen ist. Dir, theurer Bruder, welcher von Kindheit an mein innigster Freund war, an diesem schönen Doppclfeste weihen, was mehr aus der innersten Tiefe meines Herzens hervorgegangen wäre als diese Sammlung geistlicher Vortrage und darum nehmt sie nun mit allen ihren Mangeln als Festgeschenk gütig auf. Mögen diese Blatter Euch und allen, welche sie lesen werden, vorzüglich auch denen, welche manche schöne Erinnerung an vergangene heilige Stunden daran knüpfen können, zum reichsten Segen gereichen und es auch dieser Verkündigung des göttlichen Wortes gelin­ gen, die Seelen mit frommer Ergebung in den Willen des himmlischen Vaters und mit inniger Liebe zu dem Herrn zu erfüllen, welcher uns den Vater verklärt hat. Was das Aeußre dieser Vortrage betrifft, so er­ scheinen sie (XXI, XXIV. und XXXII ausgenommen, die schon für kleinere Kreise gedruckt worden sind) hier zuerst öffentlich und sind (außer XXIV und XXXI)

ümmttlid) vor meiner theuern Gemeine in der Sk. 9tU lolaikirche und Klosterkirche lehwergangenen zuerst

und größstencheils in den

Jahren gehalten worden.

diesen Kreis

der

Festpredigten

Ich habe

des

christliche»

Kirchenjahrs ausgemahlt, um etwas Ganzes

und ver-

h«'ltnissmaßig weniger Bearbeitetes zu geben und werde, so Gott will, dieser Sammlung bald eine zweite über freie Lehrtexte,

vornehmlich über schwerere Stellen des

neuen Testamentes, hinzufügen. Die Gnade des Herrn, welcher uns diesen sestlilicheu Tag geschenkt hak, sten ,

und mit mir für

sei mit Euch, meine Theuer­ alle

kommenden

frohen und

schweren der Tage Wallfahrt.

)n treuer Liebe

der Eunge Friedrich August Pt schon.

Inhalt Seite i.

II.

III. IV.

der Ginzug des Herrn in Jerusalem eine würdige Betrachtung fei zur Feier de- beginnenden Kirchenjahr-. Am ersten Adventssonntage über Matth. 21, 1—9. .

1

Die Antwort de- Herrn, welche er den zweifelnden Johanni-jüngern ertheilt Am dritten AdvcntSsonnt. üb. Matth. 11, 2-6.................................................................................................... 13 Richtet dem Herrn den Weg. Am vierten Advenntssonnt. über Joh. 1, 19-28.............................................................................. 26 Die hohen Gnadengüter, welche die Geburt unser- Herrn unS gebracht hat. Am Weihnacht-tage, üb. Joh. 1, 14 •

40

V.

Wodurch die Gnade de- Herrn in seiner Erscheinung auf Erden seinen Gläubigen sich erwiesen hat. Am Weihnacht-, feste, üb. 2 Kor. 8, 9............................................................................ 50

VI.

Wie soll de- Heilande- Geburt in jedem Hause und jedem Herzen gefeiert werden? Am zweiten Weihnacht-tage, üb Luc 2, 15—20.........................................................................................63 Daß da- Fest der Weihnachten da- Unterpfand de- unver­ gänglichen Frieden- fei, den uns CdristuS hinterlassen hat. Am zweiten Weihnachtstage und letzten Sonntage de- Jah­ re-, über Joh 14, 27. .... 76

VII.

VIII.

Daß da- gute Theil, welche- Maria erwäblt hat, der ein­ zige Wunsch für un- am Anfange eines neuen Jahre- fein soll. Am Neujahr-tage, über Lue. 10, 38—42. .

91

IX. Da- wir mit dem rechten Vertrauen auf den allmächtigen Gott getrost in die sorgenvolle Zukunft hioeingehn können. Am Neujahr-tage 1831, über Hiob 38, 11. . . •

103

X.

Am .

118

XI.

Die Gesinnung der wahren Jünger de- Herrn beim Gedächt­ nis- feiner Leiden. Am Palmfonnt. des der ersten Abend­ mahl-feier der Eingesegneten, über Matth. 26, 21. 22. .

132

XII.

Wir wir Christi Tod in der Feier seine- heiligen Abend­ mahl- verkündigen sollen. Am Palmfonnt. bei der ersten Abendmahl-feier der Eingesegneten, üb. 1 Kor. 11, 27. •

143

XIII.

Wa- sich in vn- vereinigen muss, wenn wir würdig daAbendmahl unsers Herrn feiern wollen. Dorbereitungspredigt am Gründonnerstage, über Edr. 9, 23. . . .

156

MV.

Wie der Erlöser durch feinen Tod am Kreuz alS den sich dargestellt hat, dessen die SBilt bedurfte. Am Charfreilage, über Joh. 1, 29............................................................................ 166

XV.

Die Versuchung de- Herrn ein Bild seiner Leidm. Sonnt. Jnvocavit, üb. Matth. 4, 1—11. . .

Wie der Tod des Herrn für seine Gläubigen der Quell der tiefsten Schmerzen und der reinsten Seligkeit fein soll. Am Charfreilage, über Joh. 19, 30. . . >

177

1111

XVI. Wovon VN- der Herr durch feine Auferstehung erlist! hat? Am Osterfeste, über Hebr. 2, 14. 15. .

Sette 189

XVII. Wie des Herrn Auferstehung feine Gläubigen aus Trauer und Zagen zu starker Glaudenekraft erheben soll. Am Ostersonntage, über Joh. 20, 11—18. «...

199

XVIII. Wie sollen auch wir Zeugen fein von der Auferweckung Jesu Christi von den Todten durch die Herrlichkeit des Va­ ters. Am Osterfeste, über Apostelgefch. 2, 32. . .

209

XIX. Welches sind die Regungen deS neuen Lebens Jesu Christi in den Herzen seiner Gläubigen. Am Ostermontage, über Luc. 24, 13-35.................................................................................... 219 XX. Die Gläubigen de« Herrn überwinden die Welt. Am Sonnt, nach Ostern, über 1 Joh. 5, 3—4...................................... 230 XXI. Das Betrübende und Trostreiche in dem Worte de- Apo­ stel«: thut Buße und bekehret euch! Am Buß-und Bet­ rage, über Apostelgefch. 3, 19. 20. . . . .

243

XXII. Der Trost, welchen des Herrn Himmelfahrt feinen Gläu­ bigen darreicht. Am Himmelfahrtstage, üb. Ephes. 4, 8—10.

255

XXIII. Daß des Erlösers Versprechen der Sendung seines Gei­ stes noch immer in Erfüllung gehe. Am Psingstfonnt. üb. 2oh. 14, 23-31...................................................................................

265

XXIV. Die Bewahrung der Herrlichkeit Christi durch die Aus­ gießung feines Geistes. Am Pfingsttage, über Apostelge­ schichte 2, 36......................................................................................

279

XXV.

Der Geist des Herrn, der Geist der Liebe und der Wahr­ heit Am Pfingstmontage, über Joh. 3, 16 -21-, . .

XXVI. Der Geist des Herrn ist nicht von der Welt, sondern aus Gott. Am Pfingstmontage, üb. 1 Kor. 2, 10—24. .

292 304

XXVII. Die geistige Wiedergeburt der Eingang in das Reich Got­ tes und in die tiefere Erkenntniss feines dreieinigen Wesens. Am Trinitatisfeste,über Joh. 3, 1—15.................................................. 316 XXVIII. Wofür wir dem dreieinigen Wesen Gottes Ehre und Preis zu bringen haben in Ewigkeit. Am Trinitatisfeste, über Röm. 11, 33—36........................................................................

329

XXIX. Wie der Dank, welchen wir den Herrn für alle feine Gnadenwohlthaten darzubringen haben, beschaffen sein müsse. Am Erndteseste, über 1 Kor. 1, 4—9...........................................342 XXX. Die Gewissheit des Christen, mit denen wieder verbun­ den zu werden, mit welchen wir hier in Christo vereint ge­ wesen sind. Am Feste für die Verstorbenen, über Joh. 10, 27. 28. . . .................................................................

354

XXXI. Daß der Glaube an Christum Trost gewährt an den Gräbern unsrer Geliebten. Am Feste für die Verstorbenen 1634, über Joh. 11, 25. 26.............................................................

367

XXXII. Von dem Danke, wozu die Feier der heutigen Tages uns als Gläubige Jesu Christi verpflichtet. Am Choleradank­ feste, über Psalm 50, 23....................................................................

382

I.

Daß der Einzug des Herrn in Jerusalem eine würdige Betrachtung sei zur Feier des beginnenden Kirchenjahres. Am ersten Adventssonntage. Ueb. Matth. 21, 1 — 9. Gebet. Preis und Dank sei dir, du Herr und Heiland, der du bist Je­ sus Christus gestern und heute und derselbe in Ewigkeit und uns heut wiederkommst zum neuen Jahre deiner Kirche, deine Heerde zu weiden auf den Auen deine- göttlichen Worte-. Verleihe du unmildiglich, daß wir nun in rechter Treue deiner Gnade uns hinge­ ben und es immer tiefer erkennen, wie alles Fleisch ist wie Gras und alle Herrlichkeit de- Menschen wie de- Grases Blume, aber dein Wort bleibet in Ewigkeit. Amen.

Text.

Matth. 21, 1 — 9.

Da sie nun nahe bei Jerusalem kamen gen Bethphage an den Oelberg, sandte Jesus seiner Jünger zween und sprach zu ihnen: Gehet hin in den Flecken, der vor euch liegt und bald werdet ihr eine Eselinn finden angebunden und ein Füllen bei ihr; löset sie Pischon Pred. A

2 auf und führet sie zu mir: Und so euch jemand etwas sagen wird

so sprechet: Der Herr bedarf ihr sobald

wird er sie euch lassen. —

Das geschah aber Alles,

auf daß erfüllt würde das gesagt ist durch den Pro­ pheten, der da spricht: — Saget der Tochter Zion: siehe, dein König kommt zu dir sanftmüthig und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen der lastbaren Eselinn. — Die Jünger gingen hin und thaten wie ihnen Jesus besohlen hatte: —

Und brachten die Ese­

linn und das Füllen und legten ihre Kleider drauf und sehten ihn drauf, — Aber viel Volks breitete die Kleider auf den Weg: die andern hieben Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg. — Das Volk aber, das

vorging und nachfolgte schrie

und

sprach: Hosianna dem Sohne David, gelobt sei der da kommtim Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe! 50?. A. und in Christo Geliebten! zu dir!

Siehe, dein König kommt

Das ist das Wort des Heils, was heut beim Be­

ginn eines Jahres der Kirche, bei dem erneuten Hinschauen auf da- nahende Fest der Geburt unsers Herrn jeder Gemeine der Christen zugerufen wird.

Dein König kommt zu dir! damit du

ihm würdig die Bahn bereitest.

Dieser Gedanke ist es auch,

weshalb man die vorgelesenen Worte in der Kirche des Herrn so hoch geachtet hat, daß sie zu zwrienmalen zu evangelischen Tex­ ten verordnet worden sind, nehmlich für den letzten Sonntag vor der Todesfeier des Herrn und für den heutigen Adventötag als den ersten in dem neu beginnenden Kirchenjahr.

Wie nun daS

Evangelium in jene Zeit gehört, lehrt uns die Erzählung in un. ferm Texte selbst, denn es ist ja der letzte Einzug des Heilandes in die Hauptstadt seines Volkes, wo sie ihm in Begeistrung über

3 die längst ersehnte Ankunft deS großen Wunderthäter- den Weg mit Palmen bestreuen, über welchen er aber doch zum nahen Kreuzestod« wandeln muß.

Für den heutigen Tag aber, wo

wir nicht sowohl auf die Bahn der Schmerzen schauen wollen, welche unser Herr gewandelt ist, sondern auf die Gnade, in wel­ cher er uns erscheint und wo wir dem Tage der Freude entge­ gen gehen, an dem der Engel Ruf uns wieder ertönt: Euch ist heute der Heiland geboren! — heut könnten wir fragen, warum jene Erzählung

den

frommen

Grunde gelegt werden soll?

christlichen Betrachtungen zum Die Antwort aber ist die: Das

Kommen des Gottessohnes ist es, des Königes seiner Gemeine, welcher und in das neue Jahr seiner Kirche begleiten will, was wir feiern sollen.

Weil wir aber bei seiner Ankunft nie verges­

sen dürfen, in welcher Treue er die Seinen bis an's Ende ge­ liebt hat, so werden wir darum auch uns sagen können: „daß der Einzug des Herrn in Jerusalem vor den Tagen seiner Leiden eine würdige Betrachtung ist den Anfang des kirchlichen Jahres vor dem Feste seiner Geburt zu feiern. Das lasset uns denn in frommer Andacht erwägen, indem wir I. aus den Heiland, II. auf uns selbst schauen.

I. Wenn der Herr in unsers Evangelii Worten seinen Einzug in Jerusalem hält, wenn er in äußerer Pracht einherzieht über die Gewänder, welche sie vor ihm ausgebreitet haben, über die Palmen, welche ihm gestreut sind, und der Jubelruf dem verhritzenen, lange erwarteten Sohne Davids ertönt: dann kennen wir vohl die trügerischen Stimmen, welche heut das Hosianna ru­ fen, aber bald vom Winde des Augenblicks bewegt in frevelndem LZankelmuth sich von dem Herrn lossagen, wissen, wie die hinestreuten Gewänder ihm den rauhen Weg zum Tode nicht ebA 2

4

neu, wie die Palmen nur ein Zeichen sein können für den Sieger, welcher noch erst die Qualen deS Todes überwinden soll; dann wissen wir: der Herr zieht ein in Jerusalem, um verwor­ fen zu werden, zu leiden und am Kreuze zu sterben. So scheint er uns jedoch nicht zu kommen in den Tagen seiner Geburt, so empfangen wir ihn doch nicht, wenn ein neues Jahr seiner Kirche uns seine unvergängliche Herrlichkeit, seine ewig dauernde Macht zuruft! Doch wie auch der Engel Stimmen in der heiligen Nacht das: Ehre sei Gott in der Höhe! dem himmlischen Kinde sangen, wie auch ein überirdischer Glanz seine Krippe umstrahlt, wie gläubige Herzen herbeigerufen vor ihm in Demuth sich beu­ gen und ferne Weisen den neugebornen König anbeten; derselbe Greis, welcher das Kindlein in seinen Armen hält und dankend ruft: Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren, denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen *)! er muß doch auch zu Maria sprechen: dieser ist gesetzt zu einem Fall und Auf­ erstehen vieler, zu einem Zeichen, dem widersprochen wird und es wird ein Schwerdt durch deine Seele gehen, daß vieler Herzen Gedanken offenbar werden! — So ist der Hinblick auf das Leiden unsers Herrn den Tagen seiner Geburt nicht fremd, ja so­ bald er eintritt in das irdische Land hebt auch sein Leiden an und wie er bei seiner Geburt schon ausgestoßen ist aus der Men­ schen Wohnungen; so muß er bald aus dem Lande seiner Vater fliehen und sein späteres Wort wird schon frühe erfüllt: Die Füchse haben Gruben und die Vögel haben Nester, aber deS Menschen Sohn hat nicht wo er sein Haupt hinlege")? Darum sollen wir in inniger Dankbarkeit für solch Leiden um unsertwil­ len ihn aufnehmen und ihm Bahn machen, daß wie er seiner Kirche auf Erden kommt, er auch einziehen könne in unser aller Herzen. — Doch kommt er denn jetzt noch immer in diesen Tagen, wo wir seiner Geburt feiernd gedenken, auf dieselbe Weise, ') Luc. % 29.

") Cut. 9, 58.

5 wie unser Evangelium ihn uns zeigt, um zu leiden und verwor­ fen zu werden?

O, wohl ist der Heiland der Welt über irdi­

sches Leiden hoch hinauf gehoben in die Herrlichkeit, wohl kann die Qual der Welt den nicht mehr anrühren, der zur Rechten des Vaters erhöhet ist und irdische Gewalt kann dem nicht mehr schaden, dem alle Gewalt gegeben ist im Himmel und auf Er­ den.

Aber es ist bei seiner Verkündigung unter den Menschen

noch immer, wie in jenen frühen Zeiten.

Der Herr in seiner

Liebe wird noch immer in jedem neuen Jahre von so vielen ver­ worfen und es kehren sich so viele Verirrte und Verlaßne in Unglauben von ihm hinweg, welche doch bei ihm allein Trost finden könnten in ihrer Noth.

Auch in diesen Tagen ist sein

Kommen, wie bei jenem Einzuge in Jerusalem, ein Kommen um verworfen zu werden; verworfen von vielen unter dem Volke, was sich das Seine nennt und seinen Namen trägt und daß er es weiß wie damals,

aber seine Hand dennoch nicht von uns

abzieht, daß ob er schon immer wieder zu manchem Beklagenswerthen sagen niuß: wie oft habe ich dich versammeln wollen, wie eine Henne ihre Küchlein sammelt unter ihre Flügel, aber ihr habt nicht gewollt *>! er doch immer wieder kommt in sei­ nem Geist und Wort: das ist die immer neue Bewahrung der Liebe, die sich in den Tod dahingegeben, um zu suchen und se­ lig zu machen was verloren war. Wie aber der Herr in unsers Evangclii Worten kommt um zu leiden und verworfen zu werden: so kommt er auch als der König des Heils, aus den die Bekümmerten warten und bringt denen, die ihn suchen und lieben selbst in den trübesten Stunden des Lebens Hülse und Trost, und darum erschallt des Propheten Stimme so freudig: siehe, dein König kommt zu dir!

Welche

Gewalten der Erde gegen sein Königreich sich setzen mögen, da, wo sie ihn als den Verachteten und Verstoßenen gekreuzigt haben,

•)

Matth. 23, 37.

6 geht er auch als der Sieger und Ueberwinder hinaus zu dem Reiche, das unvergänglich ist. — gelii Worten freudig

Wie er nun in unsers Evan-

bewillkommt wird und sie ihm das Ho­

sianna, dem Sohne Davids! entgegenrufen: so müssen auch wir, wenn wir auf des göttlichen Kindes Geburt hinschauen, es im­ mer freudig begrüßen als den König, dessen Reichs kein Ende sein wird.

„Gott wird

ihm

den Stuhl seines Vaters Da­

vid geben und er wird ein König sein über das Haus Jakob ewiglich *)!" spricht schon der Engel zu Maria von dem Kinde, dessen Mutter sie werden soll.

„Wo ist der neugeborne

Kö­

nig der Juden?" fragen die Weisen in Herodes Herrscherpallast, als sie das Kindlein suchen, das nur in der Krippe lag und so erhebt noch immer der Gedanke seine Geburt über jede mensch­ liche: daß er der

ewige König voll Liebe und voll Macht ist,

daß er auf Erden ein Reich errichtet hat, durch welches wir die Bürgschaft erlangt haben des Himmels Erben zu werden, wenn alle Herrlichkeit

dieser Welt in Trümmer zerfallen ist und alle

Kronen irdischer Hoheit in den Staub gesunken sind.

Darum

darf am Tage seiner Geburt der Unglückliche, welchen der Erde Last und Schmerz danieder beugt, noch immer freudig jauchzen: Dein König kommt wieder zu dir in seiner Kraft und Hoheit und du darfst ja nicht weinen, es ist auch dir heute Jesus Chri­ stus dein König geboren.

Am Wuhnachlstage schaut der reuige

Sünder noch immer dankend hinauf zu dem Fürsten,

der an

Niedrigkeit ihm gleich geworden ist um den Trost der Erlösung in die befleckten Seelen zu bringen, fühlt, daß er auch jetzt mit seiner Hülfe ihm nahe ist und öffnet ihm des Herzens Thür, daß der König der Ehren einziehen möge.

Kommt

also

der

Herr in diesem Jahre seiner Kirche allen seinen Gläubigen wie­ der als der helfende, beglückende und segnende König; so kommt er auch dir aufs neue, du theure Gemeine, dir in dem neuen

) tut. 1, 32. 33.

Jahre ein Helfer, ein Retter, ein Heiland zu fein. Wie er in unserm Evangelio nach Jerusalem einzieht als der liebende JW» nig, der auch unter der Kreuzigung Schmerzen für die Verstockten zu seinem Vater um Vergebung fleht, den Hülflosen Trost ertheilt, dem reuigen Sünder Himmelsseligkeit verheißt: so wird er auch in diesem Jahr in deiner Mitte walten. Wo ein Trauern­ der und Hülsloser, welchem wie Maria, als das Schwerdt durch ihre Seele ging, die letzte Stütze genommen ist, gläubig zu die­ sem König sich naht, da wird er ihm den Helfer ersehen, wird ihm das Verlorne ersetzen durch den Reichthum seiner Gnade und ihm den Johannes senden, welcher sich seiner liebreich an­ nimmt. Wo eine reuige Seele inne werden wird int Glück oder Elend dieser Welt, daß nur bei ihm Frieden zu finden ist, und im Glauben zu diesem König fleht: Herr, gedenke mein in dei­ nem Reiche! da wird der Herr auch ihr des Paradiese- Thür öffnen und sie zu sich ziehen. Wo ein Verstockter unter unS wandelte und gegen des Herrn ewige Liebe kalt und hart sich zeigte; der versöhnende König wird auch für ihn flehen: Vater, vergieb ihm, er weiß nicht was er thut! ob nicht durch solche Gnade der harte Sinn erweicht und für das Heil gewonnen werde. Und wie er endlich als der Held aus Juda's Stamm die Erlösung der Welt vollbracht und sein Reich den Schaaren der Gläubigen geöffnet hat: so wird er auch unter uns in die­ sem Jahre seine Gemeine sammeln und mehren und junge See­ len als neue Glieder seinem Reiche hinzuführen, daß sie ganz die Seligkeit empfinden mögen, welche in dem freudigen Zuruf liegt: siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter, ein Helfer! II.

Haben wir nun also den Herrn betrachtet in seinem Kom­ men, so lasset uns nun auch zweitens die Worte des Evangeliums auf uns selbst anwenden und sehen, wie des Herm Einzug in Jerusalem am Anfange unsers kirchlichen JahreS beim

8 Erwarten des Festes der Geburt Jesu Christi eine segensreiche Betrachtung sein wird. Wenn wir aber in den Motten unsers Textes den Blick von dem Herrn hinwegwenden; so wird er sich zuerst auf die Menge richten, welche den Göttlichen empfängt und mit dieser sind wir alle noch immer zu vergleichen, wenn der Herr auch uns in diesen Tagen kommt als der König der Ehren.

Unter

dieser Menge aber wird keiner genannt, welcher stumm und untheilnehmend den Herrn begleitet hätte, denn die Feinde seines Namens stehen fern und erst nachher, nachdem der Jubel verhallt ist, suchen sie in Haß und Entrüstung aufzutreten gegen den Sohn Davids.

Aber unter der Menge, welche ihm voran­

geht und nachfolgt, in welcher alle sich thätig beweisen ihn zu ehren, indem sie ihre Kleider ihm ausbreiten, den Weg bestreuen und das Hosianna rufen, müssen wir das Volk, welches in den allgemeinen Jubel einstimmt und die kleinere Zahl der treuen Jünger des Herrn unterscheiden. Auch die Menge ahnt es, daß mit des Herrn Kommen ein Tag des Heils für sie angebrochen ist, jauchzt ihm entgegen, sich des Augenblicks und der allgemeinen Erregung freuend, und ruft frohlockend: Das ist der Jesus, der Prophet von Nazareth, das ist der Sohn Davids, Hosianna in der Höhe! —

Aber sie ha­

ben es nicht alle aus gläubigem Herzen gesprochen, bei vielen hat der folgende Tag schon mit seinen Freuden und Sorgen die Ahnung des Heils verdrängt, viele haben sich aus immer von ihm hinweggewendet, verloren in das Treiben des Lebens und viele haben Kreuzige! über den Herrn gerufen und den ewigen König mit der Dornenkrone verhöhnt. —

Ach, in. A., wenn wir nun

diesen ähnlich wären cm Anfange dieses Jahres, wenn wir nun auch nur auf solche Weise den Herrn in seinem nahenden Feste empfingen! —

Es ist ja ein großes Heil, ihm nahe zu sein,

sich sagen zu können: Dein König kommt zu dir in der milden Kindesgestalt, und wenn wir nun am Feste der Weihnachten die

9 allgemeine Freude sehen, welche sich über Kinder und Erwach­ sene verbreitet, o erkennen wir da nicht: es ist eine freudige, gnadenreiche Zeit, in welcher wir leben und jauchzen dem göttli­ chen Kinde entgegen!

Aber wie viele thun es nicht auS gläu­

bigem Herzen, wie vielen ist nur die äußre Freude deS Augen­ blicks das Höchste und sie erkennen den Heiland der Welt nicht, welcher ihnen die ewigen Schätze bringt.

Sie sind alle solche,

welche nicht draußen stehen außerhalb der Gemeine des Herm, sie gesellen sich alle den Jüngern des Erlösers zu und nennen sich nach seinem Namen.

Was aber weihen sie dem Herrn,

welcher zu ihnen kommt?

Selbst die Freude an seinem Feste,

sie gehört nur ihnen selbst und nicht dem Herrn.

Sie ziehen

das Heilige in den Kreis des Irdischen hinb, das Fest des Herm ist ihnen auch nichts anders, wie jeder äußre Freudentag, und wenn die festliche Stunde vorüber ist, oft noch ehe sie vorüber ist, erwachen schon die Leidenschaften im Innern und wovon wir beim ersten Anschein so viel erwarteten, das zerrinnt in nichts, wie das Triumphgeschrei der unbeständigen Menge.

Und rufen

sie nicht mehr: Kreuzige ihn! und können sie den Herrn nicht mehr zum Tode führen: wenn sie im irdischen Schmerze seiner gnadenreichen Hülfe vergessen und fern

von

ihm verzweifeln,

wenn sie für schnöden irdischen Gewinn in sündlicher Lust die Un­ schuld des Gewissens dahingehen, wenn sie der Sünde Knechte werden, o verwerfen sie dann nicht dennoch den Herrn?

Keine

Zeit der Gnaden ist ihnen in seinem Jahre angebrochen, kein Reich der Herrlichkeit ihnen geöffnet, weil sie selbst nicht ihr Herz dem König der Ehren geweiht haben, welcher zu ihnen kam. — O daß wir solche nicht werden mögen, daß stets der Glanz die­ ser weihnächtlichen Zeit in uns wiederstrahlen möge, das lasset uns heut lernen aus unsers Evangelii Worten! Neben jener Menge aber sehen wir auch des Herrn treue Jünger thätig ihm den Weg zu bereiten.

Sie gehen hin nach

des Herrn Befehl seinen Einzug auf das feierlichste zu schmücken;

10

sie bringen die Eselinn und das Füllen, legen ihre Kleider dar. auf und setzen ihn drauf. Dann aber nach der treuen Thätig­ keit loben und preisen sie ihn, stimmen ein in das Jauchzen des Volks und rufen: gelobt sei, der da kommt, ein König im Na­ men des Herrn! Es ist ihnen ein Tag des Heils erschienen, ein Tag, den sie oft sich ersehnt, auf den sie so lange gehofft hatten, denn sie hören wie alles Volk den als König anerkennt, vor welchem sie sich langst gebeugt haben, als vor dem König in Israel! Und dennoch muß in ihnen ein Schmerz sein, eine dunkle trübe Ahnung; denn Thomas hatte ja gesprochen, als der Herr nach Jerusalem hinaufzog: „lasset uns mit ihm ziehen, daß wir mit ihm sterben *)!" und des Erlösers Wort: „es wird Alles vollendet werden, das geschrieben ist von des Menschen Sohn, und sie werden ihn geißeln und tobten *’)!" wie wenig sie auch seine Rede faßten, es mußte ihnen sagen, daß noch man­ cher Streit zu kämpfen fei, ehe das Heil errungen werden könne. — Aber durch die Freude kann der Schmerz nicht hindurchdringen. Sie sagen sich, daß der Herr, welcher jetzt vor allem Volk ein König heißt, als der wahre König des Himmels alle Feinde überwin­ den werde, welche seiner Herrschaft Widerstand leisten wollen. — Und anders stehen auch des Herrn Gläubige bei seiner Geburt zu Bethlehem nicht da. Innig und glaubend können sie wohl das Wunder der Gnade nicht fassen, daß er nun gekommen ist, der Längstverhcißne, daß die Zeit, in welcher sie leben, die Gna­ denzeit ist, deren im Geiste die Vater sich gefreut haben, und Maria bewegt in dem Mutterherzen Alles, was von dem Kind­ lein gesagt wird; aber sie muß auch das Schmerzenswort Si­ meons mit bewegen und mit banger Muttersorge schauen auf den, welcher das Schwerdt neben dem Frieden bringt; aber sie kämpft den Kummer nieder und ist in der Gewißheit selig, daß der, den sie geboren, ein König ist über das Haus Jakob ewiglich. *) 2°h. 11, 16.

'■) 5ut. 18, 31.

11 Solchen Gemüthern, m. A., lasset uns ähnlich sein in bieser Zeit der Gnaden, bei diesem Anfange eines Jahres der Ver­ kündigung unsers Herrn.

Zuerst wollen auch wir vor allem ihm

durch unsre Thätigkeit die Bahn bereiten. jeder Kraft in uns,

Zu jedem Besitz, zu

wodurch unser Herr verherrlicht werden

könnte, wollen wir sprechen: der Herr bedarf ihrer! jede Gabe, jedes Geschenk ihm als seine treuen Unterthanen zu seinem Dienst hingeben, um dadurch seinen Ruhm unter den Menschenkindem zu verbreiten und drnn laut und freudig seinen Namen preisen als den, in welchem aller Knie sich beugen sollen im Himmel und auf Erden. —

Wie wir uns dann aber in diesen Tagen

beseeligt fühlen mögen, durch das was uns der Herr aus der Fülle seiner Gnade gegeben und welche Zukunft vor uns liegen mag, sei es auch die schönste und heiligste, in welche wir hinein­ blicken können, irgend ein Schmerz wird doch immer unsre Brust durchzucken, irgend eine bange Ahnung wird sich auch durch die Freudenstimmung hindurchziehen, mögen wir auf uns selbst schauen oder auf die Theuren des Herzens neben uns.

Welche äußern

Schickungen, welche Tage der Leiden, die der wechselnde Lauf des

Lebens uns

bringt,

welches vor uns liegt,

können

uns

nicht

in jedem Jahre,

treffen und den lauten Jubel

stummen stillen Schmerz umwandeln.

in den

Und in jedem Jahre der

Verkündigung deS Herrn, tmb er uns nicht immer wieder gesetzt zum Fall und Auferstehen, und wie viele stehen nicht aus durch ihre Schuld, wie viele werden durch den Strom der Begierden hinweggerissen von dem Herrn, an welchem sie sich halten soll­ ten.

Und

sind wir Aeltcrn,

ob auch

die

erfreulichsten und

schönsten Hoffnungen uns beleben, wie oft geht auch durch unsre Seele rin Schwerdt und mit welchen bangen Gefühlen müssen wir uns in die künftige Zeit versetzen, wenn wir nicht läugnen können, daß die Gegenwart

uns in der Unsrigen Herzen die

Keime des späteren Verderbens zeigt. solche Ahnungen uns ergreifen,

Aber, m. A., auch wo

laßt sie uns niederkämpfen in

12 dieser Zeit der Gnaden und ihnen keinen Raun» gestatten in un­

fern

Seelen, lasset uns nur auf den Herrn schauen und sollten

wir auch in eine trübe Zukunft hineingehen, von ihm lernen sie würdig zu bekämpfen; laßt uns an dem Glauben fest halten, daß aus des Herrn Geburt unvergängliches Heil kommen muffe, sei es auch durch Kampf und Schmerz; laßt uns unsre Kind­ lein auf den Erlöser weisen, welcher auch sie heiligen und erlö­ sen wird, daß Alt und Jung Hosianna rufe und wie die Er­ wachsenen mit Simeon preisen, daß sie den Heiland sehen, wel­ chen der Vater bereitet hat allen Völkern, auch wiederum das Wort des Psalmisten erfüllt werde: aus dem Munde der Un­ mündigen und Säuglinge hast du dir ein Lob zugerichtet '). So lasset uns denn feinem Feste entgegengehen mit Freu­ den und gewiß fein, daß ob »vir auch schon mit ihm leiden müß­ ten, wir doch mit ihm »verden zur Herrlichkeit erhöhet werden. Amen.

')

Ps- 6, 3.

II.

Die Antwort des Herrn, welche er den zwei­ felnden Johannisjüngern ertheilt. Am dritten Adventssonntage. Ueb. Matth. 11, 2—6. Die Gnade unsers Herrn u. f. f.

Text. Matth. 11, 2 —6. Da aber Johannes im Gefängniß die Worte Christi hörete, sandte er seiner Jünger zween, — Und ließ ihm sagen: Bist dn der da kommen soll, oder sollen wir eines andern warten? — Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Gehet hin und saget Johanni wie­ der, was ihr sehet mtb höret. — Die Blinden sehen und die Lahmen gehen, die Aussätzigen werden rein und die Tauben hören, die Todten stehen auf und den Armen wird das Evangelium gepredigt.— Und selig ist, der sich nicht an mir ärgert. Qfs ist, m. G., in der Kirche Jesu Christi über den Verkün­ diger des Herrn, auf welchen die Worte unser- Textes hinwei-

14 fen, gestritten worden, ob er, welcher doch einst so freudig be­ kannt hatte: „ich taufe mit Wasser, aber er ist mitten unter euch getreten, den ihr nicht kennet, deß ich nicht werth bin, daß ich seine Schuhriemen auflöse"') am Ende seiner Laufbahn in diesem Glauben wankend geworden sei; ob der, welcher begeistert gespro­ chen: „wer die Braut hat der ist der Bräutigam, der Freund aber des Bräutigams stehet und höret ihm zu und freuet sich hoch über des Bräutigams Stimme.

Dieselbige meine Freude

ist nun erfüllet!" ") als am Ende seiner Tage für alle seine Treue des Kerkers Wände ihn umgaben und das Richtschwerdt des Tyrannen ihm drohte, jene freudige Gewißheit in Zagen und Zweifeln verwandelt und darum seine Jünger zum Herrn gesandt habe, ihm diese Zweifel zu nehmen und ihm Trost und Beruhigung zu geben.

Wie wenig nun schon solches Schwan­

ken dem Manne ähnlich sieht, der unter Verachtung alles Irdi­ schen seine eigne Bahn ging und sich nur als die Stimme des Predigers in der Wüsten achtete um dem Herrn den Weg zu bereiten, so kann ja wohl des Herrn Ausspruch selbst ihn uns höher darstellen.

.Denn sollte der Heiland, als Johannes Boten

zurückgegangen waren, zum Volke von Johannes gesagt haben: seid ihr zu ihm hinausgegangen in die Wüste um ein Rohr zu sehen, das der Wind hin uud her wehet, wenn er nun würklich als ein so schwankendes vom Winde der äußern Schicksale be­ wegtes Rohr sich dargestellt hätte; sollte er von ihm sagen: ich sage euch, er ist mehr als ein Prophet, denn dieser ists von dem geschrieben stehet, siehe, ich sende meinen Engel vor dir hin!" wenn er ihn eben als den erfunden hätte, welcher am Ende sei­ ner Laufbahn zweifelte, ob sein ganzes Werk nicht ein Irrthum gewesen sei und man erst noch in ferner Zukunft auf den warten müsse, welchem er hätte die Bahn bereiten wollen?

Nein, ge­

wiß nicht Johannes, sondern nur seine Jünger, welche ein ande­ res Auftreten des Herrn erwarteten, singen an zu zweifeln, ob 2oh. 1, 26. 27.

") 2oh. 3, 29.

15

in Jesu Christo der rechte Heiland der Welt erschienen sei und wie der Herr selbst in den ersten Tagen seines Auftretens ju zween Jüngem Johannis gesagt hatte: kommt und sehet! so sendet auch jetzt Johannes die Zweifelnden zu ihm, daß sie selbst schauen und glauben mögen. Der Herr aber macht in unserEvangelii Worten sie nun selbst zu seinen Boten an Johanneund sie müssen ihm verkündigen, was sein Trost für die dunkeln Stunden sein soll, welchen er entgegengeht, daß er nicht vergeb­ lich gepredigt, daß er dem Engel des Bundes *), dessen die Welt begehrte, den Weg bereitet habe. Gehen wir nun in dem neuen Jahr der Kirche Jesu Christi dem erfreulichen Feste, seiner Geburt entgegen, wie manche Zwei­ fel könnten sich da auch in uns wie in Johannis Jüngern re. gen, ob alles Heil, aller Friede, olle Seligkeit uns in Christo gegeben wäre und ob sein heiliges Fest uns solchen Segen wie­ der bringen werde, daß auch wir mit jenen sprechen möchten: bist du der da kommen soll oder sollen wir eines andern war­ ten? Darum um gleichen Trost zu vernehmen wie jene und auch andre dadurch erfreuen zu können lasset unö, und es wird eine würdige Vorbereitung zu dem heiligen Feste sein, da- sich uns nahet, betrachten: die Antwort des Herrn, welche er den zweifelnden Johan­ nisjüngern ertheilt, und dabei erwägen: I. wie er sich selbst in dieser Antwort als den Heiland der Welt darstellt und II. was er von seinen Jüngern fordert, damit sie seineHeils theilhaftig werden können? I.

Johannis Jünger konnten die Herrlichkeit dessen, der da kommen sollte, nur nach den Weissagungen des alten BundeMaleach. 3, 1.

16 abmessen, vor allen nach

der Propheten begeisterten Reden von

dem Zustande des Heils,

welcher nach langem Jammer, nach

Elend und Vernichtung des Volkes Gottes den Erwählten kommen sollte, nach dm tröstlichen

erhebenden Darstellungen von

dem Lichte, das Frieden und Freudigkeit den in Finsterniß wan­ delnden Geschlechtern bringen werde und von der neuen Schöpfung, welche durch den Geist des Herrn Todten erstehen sollte.

auS dem Erstorbenen und

Darum antwortet ihnen auch der Herr

in unserm Text mit prophetischen Worten,

daß sie vor ihren

Augen erfüllt sehen, wovon die heiligen Männer Gottes geweissagt haben und mit dem Glauben zurückkehren, sie dürfen keines Andern warten. —

So sollen aber auch wir den Herrn in die­

sen Worten als den Heiland der Welt erkennen, auf welchen Herz und Sinn gerichtet sein, neben welchem keiner einen an­ dern suchen soll. Es zeigt sich uns aber der Herr in seiner Antwort den Jün­ gern Johannis zuerst als der Arzt, welcher die Krankhei­ ten der Seele heilt. —

Das ist Jesaias schöne Schilderung

von dem Zustande des Heils, welches der Messias, der Gesalbte Gottes, bringen soll: „der Blinden Augen werden ausgethan, der Lauben Ohren geöffnet werden, die Lahmen werden hüpfen wie ein Hirsch und der Stummen Zunge wird Lob sagen *).

Aber

vergebens hatte er selbst, vergebens so viele Fromme nach ihm auf die Zeit geharrt, welche seinem Worte Erfüllung bringen sollte.

Zweimal war Jerusalems Tempel

gefallen, sein Volk

zerstreut und zurückgeführt worden und neue Lasten lagen auf demselben, aber der Gläubigen Seufzen und Hoffen war uner­ hört geblieben.

Erst jetzt war die gnadenreiche Zeit gekommen;

als Johannes Jünger den Herrn fragten, da war erfüllt waS der Prophet im heiligen Gesichte geschaut hatte.

Und es sind

nicht Fremde, welche es ihnen verkünden, es ist nicht der oft

') 3tf. SS, 6. 6.

17

unwahre Alles vergrößernde Ruf, welcher zu ihnen spricht, wie auch Johannes im Gefängniß die Werke Christi gehöret hatte, sondern sie selbst sind Zeugen der großen Erfüllung. Denn, wie Lucas sagt, „zu derselbigen Stunde machte er viele gesund von „Seuchen und Plagen und bösen Geistern und vielen Blinden schenkte er das Gesicht." *) Aber das alles ist für uns freilich dahin. Diese äußern Wunder des Herrn kann unser Sinn nicht mehr vernehmen und der Blinden Augen, welche der Herr geöff­ net, sind längst wieder erloschen, das Ohr der Lauben, die sein Wort hörten, längst wieder verschlossen und die von ihm belebten Glieder erstarrt, aber Heil uns! der Herr hat noch Höheres und Größeres gemeint als die äußere Erfüllung der Worte deS Pro­ pheten. WaS er gebracht hat, das ist die Heilung der sündlichen Gebrechen. Der treue Arzt heilt diesen Aussatz, welcher die See­ len furchtbarer ergreift als die ansteckende Seuche, er öffnet das blinde Auge, das den Weg zum ewigen Heile nicht sehen kann dem Lichte der Wahrheit, er läßt die Zunge, welche nur das Sündliche gepriesen hat, welche beredt war in Verführung der Unschuld, aber stumm zum Lobe Gottes, stumm im Warnen, Trösten, Ermahnen, laut von seiner Liebe und Herrlichkeit zeu­ gen und die Füße, welche auf dem Wege zum Himmel strau­ chelten, gestärkt werden ihm nachzufolgen seine Bahn. — Das m. G. thut er noch immer an uns und wer hätte denn in den Krankheiten seiner Seelen den treuen Arzt nicht erkannt, wer wäre nicht von ihm erquickt und geheilt worden in den Schmer­ zen, für welche auf Erden keine Hülfe zu finden war. In die­ ser Kraft und Milde kommt er uns aber auch in dem neu beginnenden Jahr, kommt er uns wieder in seinem Feste, und will die schweren Gebrechen heilen, welche uns quälen, wie sollten wir denn einen finden ihm gleich, wie Rettung und Hülfe nehmen können, wo er nicht ist, danim ihn wollen wir ') Luc. 7, 2t. Pischon Pred.

B

18 aufnehmen, mit ihm uns innig vereinen, wir wollen keines am dern warten. Eine

andre Weissagung desselben Sehers, welcher auf den

Arzt der Seelen hingewiesen, läßt uns in dem kommenden Mes­ sias den Tröster und Friedenbringer aller Armen und Unglücklichen erkennen.

So laßt er den längst ersehnten hold­

selig von sich sprechen: „Der Geist des Herrn ist über mir, da„rum hat mich der Herr gesalbet.

Er hat mich gesandt den

„Elenden zu predigen, die zerbrochnen Herzen zu verbinden, zu „predigen ein gnädiges Jahr des Herrn, zu trösten alle Trauri„gen, daß ihnm Schmuck für Asche und Freudenöhl für Lrau„rigkeit gegeben werde." *) Heil

der

Sünder

erschienen

Und als die Zeit erfüllet und daS war

auf Erden,

als der Herr

nun seine Herrlichkeit offenbarte und den Kreis der Seinen sich sammeln wollte, zu wem ist er gegangen?

Selbst in Armuth

geboren und früh von den Menschen verstoßen ist er zu den Ar­ men und von der Welt Verachteten gekommen, hat er die Hüt­ ten der Geringen und Niedrigen, der Verzagten und Unglücklichen besucht und da das Licht seiner Liebe angezündet und durch das­ selbe den glimmenden schon verlöschenden Docht ihrer Hoffnun­ gen neu entflammt.

Zu denen, die zu seinen Füßen weinten, hat

er tröstend gesprochen: gehe hin in Frieden! auS den Kreism der Niedern hat er seine Jünger sich gesammelt und sie durch den Glauben an ihn erhoben über alle Mächtigen der Welt, ja er hat erfüllt jede Weissagung des Propheten und den Armen daS Evangelium, die frohe Gnadenbotschaft, gepredigt, daß sie durch ihn reich werden sollten an himmlischen Gütern.

DaS haben

Johannes Jünger geschaut, das konnten sie freudig ihrem Mei­ ster verkünden; von dem er gezeuget, es war derselbe, von wel­ chem Moses im Gesetz und die Propheten geschrieben haben, und JesaiaS Wort hatte sich bewährt: den Armen, den Unglücklichen

') Sef. 64, 1. 2. 3.

19

und Traurigen wurde das Evangelium verkündet. — Aber nicht allein in den Tagen, als der Herr auf Erden wandelte, ist er aller Armen und Unglücklichen Helfer gewesen, er ist es noch im­ mer in seinem Reiche. In seiner Gemeine, in seinen heiligen Tempeln ist kein Unterschied zwischen Hohen und Niedern, Ar­ men und Reichen, Beglückten und Hülfsbedürfkigen. Allen, welche in LeibeS- und Seelennoth ihm sich hingeben, ist er mit ferner Hülfe gegenwärtig, und die zerschlagenen Herzens sind nimmt er am liebsten auf. Er hat für alle den bittern Kelch der Leiden und der Schmerzen getrunken, und ist der treue Hohepriester worden, welcher Mitleid haben kann mit unsrer Schwachheit, zu dessen Stuhl wir hinzutreten dürfen mit Freudigkeit um Barm­ herzigkeit zu empfahen und Gnade zu finden aus die Zeit wenn uns Hülfe noth thut *). Aus seinem Evangelium fließt noch Allen Erquickung von seinem Angesicht und vergessen sind in sei­ ner Nähe Niedrigkeit und Erdenschmerz. — Ist er aber gesandt ein gnädiges Jahr des Herrn zu predigen, o seht, m. G., dawird uns ja wieder verkündet, es ist sein Jahr, das wir ange­ fangen haben, ein gnädiges Jahr jedem, der ihn sucht, durch ihn werden wir in den kommenden Tagen bei aller Armuth reich sein, durch ihn werden unsre Wunden heilen, durch ibn wird und Freudenöhl gegeben werden für Traurigkeit. Wo können wir auf dem weitem Erdenrund einen solchen finden, der gleiche Güter uns bieten könnte? Nein, er ist der, welcher kommen sollte und gekommen ist, wir wollen keines Andern warten! Wenn aber der Herr den Jüngern Johannis zuruft: die Todten stehen auf! so stellt er sich noch dar als den großen Wunderthäter, welcher eine neue Schöpfung hervor­ bringt und das Todte zum Leben sammelt.— So sah Ezechiel **) einst im Geiste ein weites Gefilde voll verdorr eter Gebeine, und er weissagte, wie ihm besohlen war, und daS *) H'br. 4, IS. 16.

") «zech. 37.

B 2

20 Gefilde rauschte, die Gebeine kamen zusammen, des Geistes 2Bt; hen hauchte sie an und der Herr sprach:

ich will Eure Gräber

austhun und meinen Geist in euch geben, daß ihr wieder leben sollt! —

Es war eine sehnsüchtige Hoffnung des Propheten,

daß es also kommen sollte, denn Israel war todt, gleich einem Gefilde voll verdorreter Gebeine, und es verging manches Jahr­ hundert, seitdem der Prophet geweissagt hatte, aber das Gefilde rauschte nicht und des Geistes Wehen hauchte die Gebeine nicht an.

Aber erfüllt war des Sehers Wort als Johannis Boten

kamen, da hörten sie des Herrn Stimme: die Todten stehen aus! des Herren, welcher nicht allein den Sohn der Wittwe auserwecket hatte und andern Gräbern gebot, ihre Todten wieder zu geben; sondern welcher eine

neue

geistige

Schöpfung hervor­

brachte, zu einem Dasein rief, dem kein Tod schaden kann und durch seines Geistes Wehen die in Sünden erstarrten Gebeine anhauchte, daß sie himmlisches ewiges Leben gewannen.

Welch

eine höhere herrlichere Schöpfung ist so in die Welt gekommen, seitdem auch der Sohn lebendig macht, welche er will, seitdem das Feuer

des Lebens,

welches

er

entzündet

hat,

hell

und

leuchtend brennt, und durch keine Stürme der Trübsale verlöschen, durch

keine Gewalt des Unglaubens

erstickt werden

kann. —

Und jene freilich, welche er leiblich vom Tode erweckt hat, sind wieder in die irdische Gruft zurückgesunken, aber das Leben, wel­ ches sein Geist ihnen einhauchte, ist nicht vergangen und alle, welchen er der Schöpfer eines höheren Lebens geworden ist, sind ihm auch in den Grüften unverloren.

Bor ihm stehen die Tod­

ten auf und er sammelt sie durch seinen Geist, ein großes un­ übersehbares Volk, welches ihn anbetet als den Herrn, welcher Leben und unvergängliches Wesen an das Licht gebracht hat, und der ewige König ist in dem Reiche seiner Gläubigen. — So kommt er uns wieder in dem neuen Jahr seiner Kirche, wie er sich seit Johannis Tagen seinen Gläubigen gezeigt hat.

Wer

ihn nun als seinen Herrn fest im Herzen hält, den kann noch

21 immer, ob auch das Grab sich öffnet und der Todesengel ihm naht, niemand aus seiner Hand reißen und wer in ihm aufer­ steht von dem Tode, den Welt und Sünde über uns bringen, den sammelt er zu dem Reiche, in welchem kein Tod mehr herr­ schen kann. —

Wo sollten wir nun einen finden, welcher an

Gewalt und Herrlichkeit ihm gleich wäre, er ist der Fürst des Lebens, der da kommen sollte, der gekommen ist und ewig bei uns bleibt: wir wollen keines andern warten!

II. Er kam aber in sein Eigenthum und die Seinen nahmen ihn nicht auf, was fordert er also von uns, damit wir seines Heils theilhaftig werden können?

„Selig ist"

spricht er in unserm Evangelio „wer sich nicht an mir ärgert!" Also an ihm uns nicht ärgern, an ihm keinen Anstoß nehmen noch wanken im festen Glauben an die Herrlichkeit seiner Er­ scheinung, das wird die Seligkeit uns geben, von welcher die Propheten im Geiste geweissagt haben. Nun könnten wir an ihm einen Anstoß nehmen, wenn wir sehen, wie viele Gebrechen noch in dem Reiche des Herrn bei seiner irdischen Erscheinung sich finden. —

So hat­

ten (lud) Johannis Jünger an Vielem bei Christo Anstoß genommen und zweifelten deshalb, ob er der sei, welcher kommen sollte.

Sie

meinten, mit unendlicher Macht müsse der Messias auf Erden erscheinen, und wie ihr Meister ihnen verkündigt hatte, daß bei bes Herrn Taufe der Himmel über ihm aufgethan worden, der Geist Gottes auf ihn gekommen und die himmlische Stimme erschallt

sei:

„das

ist mein

lieber

Sohn,

an

welchem

ich

Wohlgefallen habe!"; so glaubten sie, nun müsse durch den also Geweihten auch plötzlich ein Reid) der Wahrheit entstehen, das die Reiche der Erde überwinden und in glänzender Herrlichkeit über die Welt sich ausbreiten werde.

Aber

der Herr ging in

stillem anspruchlosem Würken einher, dienend und nid;t herrschend,

verfolgt und verachtet, nicht siegend und glanzend, und so ärger­ ten sie sich an ihm und verkannten die Seligkeit, welche aus der Gemeinschaft mit dem Demüthigen und Verachteten Theil geworden wäre. —

ihnen zu

Nun ist in unsern Zeiten des Herrn

Reich herrlich gegründet, wie jene es nie geschaut haben; nun beugen sich Millionen vor ihm, den der Vater erhöhet hat und Alt und Jung jauchzen der heiligen Nacht entgegen, aus wel­ cher Frieden und Seligkeit Aber wenn

wir fragen:

den

Menschen

hervorgegangen ist.

ist durch die Geburt

des Gottessoh­

nes überall in der Welt, wenigstens überall da, wo sein Wort verkündigt wird, überall da, wo äußerlich seine Kirche sich ver­ breitet hat und die Menschen nach seinem Namen sich nennen, Friede und Seligkeit ( ist jede irdische Lust niedergekämpft und überwunden und hat die Liebe in Christo jeden Streit der Men­ schen geschlichtet? ist das Gefühl der Seligkeit in der Gemein­ schaft mit Christo so mächtig und siegend in der Brust seiner Jünger geworden, daß die Sünde in ihnen nicht mehr Wurzel fassen, die Verluste der Erde sie nicht mehr beugen können, son­ dern sie siegreich und triumphirend als die Heiligen Gottes auf Erden wandeln d —

So sollte es freilich nicht allein im In­

nern der Seelen, so sollte es auch überall im Leben der Christen äußerlich erscheinen; aber wenn es schon also in denen ist, welchen die Fülle der Liebe Christi sich wahrhaft offenbart hat: welche Gebrechen sind noch daneben vorhanden, welche Krankheiten der Seele, welche Seuchen der Sünden erschrecken uns noch auch da, wo des Herrn Lehre verkündigt wird und den Weg zum Heile uns weist; wie manches Auge ist noch blind und schaut seine Liebe nicht, wie manches Ohr taub und vernimmt nicht seine Tröstungen, daß uns Zweifel und Grauen ankommt, ob die Herrlichkeit Jesu Christi auch denen offenbart sei, welche durch ihr Leben den Namen ihres Herrn lästern.

Aber wenn er auch nur

still winkt an der Menschen Herzen, wenn er verborgen vor der rauschenden Menge die großen Thaten thut, welche den Verlornen

23 erretten, den geistig Todten zum ewigen Leben rufen; ach! lasset unS an ihm uns nicht argem, sondern still anbetend seine Wege verehren.

Seine Kraft ist dennoch ergreifend und heiligend, von

seiner Krippe an bis in alle Ewigkeit geht dennoch Segen und Gnade von ihm aus.

So lasst unS ihn nur aufnehmen in sei­

nem heiligen Fest als den Fürsten des Lebens, alS den Bringer des Friedens in festem unwandelbarem Glauben und wir werden die Wahrheit erkennen: selig ist, wer sich nicht an ihm ärgert. Wie wir aber einen Anstoß nehmen könnten an der Unvoll­ kommenheit seine- Reiches auf Erden, so auch an allen Lei­ den, an Armuth, Mangel, Niedrigkeit, welche uns, die doch Glieder seines Reiches sind, oft und dauernd treffen; denn im­ mer will der schwache Mensch seinen Glauben und seine Liebe zu Gott auch äußerlich belohnt sehen. —

So meinten auch Jo­

hannis Jünger, eS müsse durch den längst Erwarteten, der da kommen sollte, auch alle äußre Noth für diejenigen aufhören, welche sich ihm anschließen wollten, und ihr Lehrer lag hart ge­ fangen, er, welcher zuerst von Christus gezeugt, ihn anerkannt, auf ihn hingewiesen hatte, lag hülflos im Gefängniß und nichts geschah von dem großen Wunderthäter zu seiner Rettung.

Da

ärgerten sie sich an dem Herrn, aber sie bedachten nicht, welch höheres Licht Johannis dunkeln Kerker erleuchtete und wie selig der dem Ende seiner Laufbahn entgegen sehn konnte, welcher sein Hoffen so reich erfüllt sah. —

Aber auch wir wollen noch im­

mer des Herrn Herrlichkeit und Macht nach dem messen, waS er uns äußerlich giebt.

Kommt uns nun sein heiliges Fest,

dann, statt alles Irdischen zu vergessen und uns in ihm, welcher in einem neuen Jahre seiner Kirche uns wiederkehrt, uns be­ glückt und selig zu fühlen, rechnen wir uns nur unsre Erdennoth her.

Da drückt den einen, wie er glaubt, unverschuldete

Armuth, der andre geht in Niedrigkeit der Welt einher und kann das Biel nicht erreichen, welches er sich für sein Streben vorge­ setzt hatte; der eine muss schwer leiden durch die Sünde feinet

24

Mitmenschen, auf dem anbetn liegt Gottes gewaltige Hand und harte Krankheit, trübe Erfahrungen, gescheitette Hoffnungen, wie sie in einem menschlichen Leben nie fehlen können, rauben ihm Muth und Vertrauen, und so sprechen wir denn von den heili­ gen Tagen: welch ein trauriges Fest! murren gegen den Ewigen und ärgern uns an unserm Herrn. Aber kann denn ein Christ vergessen, welch Heil aus der Geburt des Herrn ihm hervorgeht, kann er vergessen der unendlichen Gnade seines Gottes, in wel­ cher ihm Friede und Freude in dem heiligen Geist durch Chri­ stum gegeben ist? Predigt es ihm nicht das wiederkehrende Fest, wie der Herr mit seinen Segnungen bei uns bleiben will alle Tage? Das laßt uns fühlen und nicht irre werden, nicht des Herrn Gnade abmessen wollen an den eitlen Dingen der Welt, welche uns fehlen, sondern seine höhere Kraft in unserm Innern fühlen; an ihm keinen Anstoß nehmen, sondern unser Geschick ihm still und gern überlassen: dann wird sein Fest uns ein hei­ liges sein, dann Licht, Gnade und Hoffnung uns bringen, dann werden auch wir selig sein, denn er, welcher arm geworden ist um unsertwillen, erhebt uns über Armuth und Niedrigkeit und macht uns reich an Gütern, welche keine Zeit und kein Wechsel der Dinge zu rauben vermag. Doch noch an Eins erinnert uns des Herrn Wort, und die­ ses laßt so viele Anstoß nehmen an Christus und verbittert ih­ nen die Tage der heiligen Freude, nehmlich, daß mit den dahinfliehenden Jahren auch das Leben der Menschen flieht und die Todten in ihren Gräbern schlafen.— Auch Johannis Zünger sahen das Leben ihres theuern Meisters bedroht, sahen den Tag sich nahen, wo er ein Opfer des Tyrannen werden sollte und der, welcher solche Macht hatte, daß er sagen konnte: die Todten stehen auf! wendet die Gefahr von ihm nicht ab, rettet Johannes nicht aus der Mörder Gewalt, das ist ihnen ein An­ stoß an dem Herrn, welcher aber nicht gekommen ist den irdi­ schen Tod zu vertreiben und hinwegzunehmen, sondern alle die

25 an ihn glauben zum ewigen Leben zu sammeln. —

Nun kann

ja sein Fest nie wiederkehren, ohne daß auch das Gefilde der Todten sich erweitert hätte und auch in des Festes Zeit, unter den weihnachtlichen Lobliedern, welche wir singen, werden die Opfer des Todes fallen.

Wollen wir aber, wenn der Herr über Le­

ben und Tod die von einander trennt,

welche er in Liebe ver­

bunden hatte, welch« mit uns seine Feste gefeiert haben, mit unS in ihrem Lichte fröhlich gewesen sind, wollen wir nun zagen, daß daS Schönste und Herrlichste, was uns diese Welt geben konnte, von uns genommen ist?

Er wird uns ja unter den Schrecken

des Todes wiedergeboren, er, welcher selbst das Leben ist und keinen verliert, welchen ihm der Vater gegeben hat.

Ohne ihn

müssten wir an den Gräbern sein wie die, welche keine Hoffnung haben, aber da er uns gekommen ist, wissen wir, daß auch alle, welche in ihm entschlafen, nicht verloren sind.

Darum wollen

wir uns an ihm nicht ärgern, sondern sein Fest soll die dunkeln Herzen mit seinem Gnadenschein erhellen, soll den Weg durch die Nacht des Grabes uns erleuchten, daß wir erkennen, wir werden in ihm Alles wiederfinden, was er uns gegeben und vor uns hinweggenommrn hat; denn sein Wort bleibt ewig wahr: in ihm stehen die Todten auf und selig ist, wer sich nicht an ihm ärgert! So lasset unS nach den Freuden und Sorgen

der Erde

nicht fragen, sondern nur unsers Herrn matten, ihn als der Welt Heiland in seinem Feste empfangen, dankbar die Freudenbotschaft vernehmen, welche allem Volk verkündigt wird, und wenn uns die letzte Stunde kommt, selig in ihm das Gefängniß dieser Welt verlassen und zu ihm eingehen in die ewige Freiheit.

Amen.

III.

Richtet dem Herrn den Weg. Am vierten Adventssonntage. Ueb. Joh, 1, 19 — 28. Di« Suade unser- Herrn u. f. w.

Text. Joh. 1, 19 — 28. Und dies ist das Zeugniß Johannis, da die Ju­ den sandten von Jerusalem Priester und Leviten, daß sie ihn fragten: wer bist Du? — Und er bekannte und leugnete nicht, und er bekannte: Ich bin nicht Christus. — Und sie fragten ihn: Was denn? Bist du Elias? Er sprach: Ich bins nicht. Bist du ein Prophet? Und er antwortete: Nein.— Da sprachen sie zu ihin: Was bist du denn, daß wir Antwort geben denen, die uns gesandt haben. Was sagst du von dir selbst? Er sprach: Ich bin eine Stimme eines Predigers in der Wüsten: Richtet den Weg des Herrn, wie der Prophet Esaias gesagt hat. — Und die gesandt waren, die waren von den Phari-

27 sdmi: —

Und fragten ihn, und sprachen zu ihm:

Warum taufest du denn,

so du nicht Christus bist,

noch Elias noch ein Prophet? — wortete ihnen und sprach:

Johannes ant­

Ich taufe mit Wasser,

aber er ist mitten unter euch getreten, den ihr nicht kennet.

Der ists, der nach mir kommen wird, wel­

cher vor mir gewesen ist, des ich nicht werth bin, daß zu

ich seine Schuhriemen auflöse. Bethabara jenseit

des

Dies geschah

Jordans, da

Johannes

taufete.

§0?. in I. Eh. Geliebten.

Als die freudenreiche Zeit heran­

brach, welcher die christliche Kirche in diesen Lagen gedenkt, als nach langen Jahren die Verheißungen GotteS in Erfüllung ge­ hen und das Wort Fleisch werden sollte: da wurde zuerst durch den Engel deS Herrn als ein Zeichen, daß bald die Gewährung der sehnsüchtigen Gebete aller Frommen kommen werde, die Ge­ burt dessen verkündet, welcher alS ein Vorgänger deS Herm in Geist und Kraft Elias einhergehen und die Herzen der Väter zu den Kindern bekehren sollte '). Und in unser- Texte» Worten ist er nun aufgetreten alS der, welcher dem Längstverheißenen vorangesendet ist, der Bote, welcher seinen Weg ihm bereitet. So ist er, wie er selbst zu den Abgesandten der Juden sagt, nicht Christus der Herr, aber seinen Weg richtend, nicht Elias, aber in seinem Feuereifer und seiner Kraft predigend, kein Pro­ phet aus den frühern Zeiten des alten Bundes, aber größer als ein Prophet, obschon er sich nur eine Stimme eines Prediger­ in der Wüsten nennt. —

Wollten wir aber sagen: so redet ja

dies Evangelium von einer andem Zeit als welche wir feiern und keine Verkündigung der Geburt Jesu Christi, keine Aufsor•) tut. 1. 17.

2$

derung btn Zeichen seiner ersten Erscheinung zu folgen, nach Bethlehem zu gehen und das Kindlein zu finden in Windeln ge­ wickelt und in einer Krippe liegend, kommt uns daraus entge­ gen: so lasset uns erkennen, für uns kann doch kein Unterschied mehr sein zwischen dem Kommen des Heilandes in den Tagen seiner Geburt und dem seines Auftretens als der Erlöser der Welt. Denn wir können sein Kommen in seinem heiligen Feste doch nur geistig auffassen und nur auf die Weise kommt es an, wie wir ihn aufnehmen und ihm Bahn brechen in die Herzen einzuziehen, wenn von der würdigen Feier seiner Geburt die Rede ist. Darum können wir uns auf diese Feier nur recht und ihm wohlgefällig vorbereiten, wenn wir auch Stimmen sind der Pre­ diger in der Wüsten und richten den Weg des Herrn. So las­ set uns denn, so nahe dem Feste seiner Geburt, um es fromm und heilig zu feiern, verstehen lernen den tiefen Inhalt des Ausspruches Johannis: Ich bin eine Stimme des Predigers in derWüsten, richtet den Weg des Herrn! und demnach betrachten: I. Wem soll der Weg bereitet werdend II. SB v sollen wir ihn bereiten? III. Wie soll er bereitet werden? I.

Wer ist er, dem der Weg bereitet werden joü? Das sagt uns Johannes, indem er ihn den Herrn nennt, der nach ihm kommen wird, der vor ihm gewesen ist, welcher nicht mit Was­ ser, sondern mit Feuer und mit dem heiligen Geist taufen werde, dessen Schuhriemen zu lösen er nicht werth sei. — Welch eine erhabne Schilderung ist das und auf wen unter dem Geschlechte der Sterblichen könnte sie angewendet werden? Auch Johannes hat sie auf keinen gewendet als auf ihn allein, von welchem der, welcher ihn zu taufen sandte, gesprochen hatte: über welchen bu

29

sehen wirst den Geist herabfahren und auf ihm bleiben, derselbige ists, der mit dem heiligen Geist tauft. Und er sahe eS und zeugete, daß dieser ist Gottes Sohn. De» Sohn GotteS ist also der Herr, welchem der Weg be­ reitet werden soll, der längst verheißene, ersehnte, welcher ein Reich Gottes auf Erden errichten und die abgefallenen Kin­ der des Höchsten dem Vater im Himmel zurückführen will. Das ist er, der längst vor Johannes gewesen und in dem ewigen Rathschluß ausersehen worden, der Menschen Gebrechen zu hei­ len und sie selig zu machen von ihren Sünden. So ist auch sein Reich ein ewiges und wie er es in seiner Kraft als der Herr und Regierer der geistigen Welt gegründet hat, so wird es auch der Vergänglichkeit trotzen und die Macht der Erde und die Pforten der Hölle werden es nicht überwältigen. Und dieses Reich gründet und verbreitet er immer weiter mit jedem kom­ menden Jahre, und sein heiliges Fest ladet alle dazu ein, welche in dem irdischen Treiben des vergänglichen Wesens von einer Sehnsucht nach dem, was ewig und unveränderlich bleibt, er­ griffen werden. Ihm also, dem Herren, welcher dieses ReicheKönig ist, soll der Weg bereitet werden, ihm sollen wir unser Gemüth nicht verschließen, daß auch wir seine Herrlichkeit schauen und durch ihn zum Vater geführt werden, ihm sollen wir auch alle hinzuführen, welche seiner Hülfe bedürftig unter der Herrschaft flüchtiger Freuden, im Genuß eitler Güter, Frieden und Gemeinschaft mit Gott nicht gesunden haben, daß auch sie ihm die Bahn bereiten, auf welcher er zu ihnen kommen und in ihnen Wohnung machen kann. Johannes bekannte und leugnete nicht, und er bekannte: ich bin nicht Christus, denn ich taufe mit Wasser. So konnte er nur einweihen zu einem andern höhern Beruf, nur durch ein äußeres Zeichen, von dem bald keine Spur mehr übrig war, die, welche zu ihm kamen, vorbereiten aus einen Lag höherer Weihe. Diese aber sollte der Herr bringen, dem er den Weg richtete;

30 denn rr wird, so hat uns Matthäus sein Wort aufbehalten,

er

wird mit dem heiligen Geist und mit Feuer taufen. Mit dem heiligen Geist taufen, daS ist eine Taufe des innern Men­ schen, eine Taufe, welche hineinbringt in die Tiefen des mensch­ lichen Wesens, welche nicht durch das Wehen des irdischen Win­ des hinweggenommen, nicht durch Frost und Hitze deS ErdenlebenS vertilgt werden kann.

Und Johannes hatte diese Macht

nur von ferne geahnet, aber als vom Tage der Pfingsten an der Geist von Christo gesendet die Jünger ergriff, als je weiter sie sein Wort trugen immer mehrere von dieser höheren Kraft erfüllt wurden und durch sie in den innersten Tiefen des Ge­ müthes umgewandelt und für ein heiliges himmlisches Reich ge­ weiht sich fühlten, da erkannten sie die Herrlichkeit dessen, wel­ cher mit dem heiligen Geist taufet. hannes.

„Und mit Feuer" sagr Jo­

Das ist das erwärmende belebende Feuer, daS in den

Seelen anzuzünden er gekommen war, das den Menschen für al­ les Göttliche und Heilige entflammt und in himmlischer Liebe zu dem Sohne Gottes sie entbrennen lässt; aber auch das stra­ fende verzehrende Feuer,

vor welchem das sündige Wesen nicht

bestehen kann, das Feuer, vor welchem

die vergehen müssen,

welche von ihm und seinen Gläubigen wie Spreu von dem Wei­ zen abfallen. Auch in dem neuen Jahr einer Kirche wird der Herr wiederum taufen mit seinem heiligen Geiste, denn die Jahrhunderte, welche zwischen des Geistes erster Taufe und unsern Tagen lie­ gen, sie haben seine Kraft nicht schwächen, seine ergreifende Ge­ walt nicht dämpfen können. taufe getauft

Viele werden durch diese Feuer­

neue Menschen werden,

viele, welche noch kalt

und gleichgültig einhergehen, deren Auge noch gehalten wird den Sohn Gottes zu erkennen, werden entzündet werden von einem Feuer der Liebe zu ihm, das auch in Leid und Tod nur heller und strahlender brennen wird; aber auch daS verzehrende Feuer feiner Strafen wird er senden müssen, um die Verstockten und Leichtsinnigen zu schrecken auf dem Pfade der Sünden, welchen sie

31

wandeln. — Diesem Herrn sollen wir den Weg richten, daß er alS König der Ehren einziehe zu den Seinen in seinem erfreu­ lichen Feste und die Sünder sich bekehren zu ihm, welcher den Kreis der Erde richtet mit Gerechtigkeit. Johannes aber sagt noch: ich bin nicht werth, daß ich seine Schuhriemen auslöse, wie er später von ihm spricht: er muß wachsen ich aber muß abnehmen. WaS ist eS denn, wamm er sich also vor ihm beugt, wamm er sich für unwürdig hält, nur sein niedrigster Diener zu sein? Das ist «S, daß er fühlt, nicht allein das hohe erhabene Wesen, waS belebt und entzündet, waS straft und vrmichtrt ist in ihm, sondern auch eine andre heilige, ergreifende, mit unwiderstehlicher Gewalt für sich gewinnende Kraft himmlischer Liebe. Diese lag nur dunkel und unverstan­ den vor ihm, denn er sollte dem Mächtigen wohl die Bahn be­ reiten, und dämm war er mehr als ein Prophet, aber zu der» Füßen deS Herrn selbst hatte er nicht gesessen, darum ist der Kleinste im Himmelreich größer alS er, in dem Lichte seiner un» endlichen Liebe hat er sich nicht gesonnt und wohl von dem Lamme GotteS geredet, das der Welt Sünde trägt, aber nicht an des Herm Kreuz gestanden und den Sieg seiner erlösenden und versöhnenden Liebe nicht geschaut. — Aber in dieser Liebe ist der Herr seine Bahn gewandelt, diese hat die Mühseligen und Beladenen an sich gezogen und erquickt, die zerbrochnen Herzen geheilt, den Sündigen Trost, Frieden und Seligkeit ge­ bracht. In dieser Liebe kommt er unS auch in seinem nahenden Feste entgegm, in dieser wird er auch im beginnenden Jahre sei­ ner Kirche alle segnen, welche bei ihm Hülfe suchen und sie nicht verstoßen, dieser Liebe werden unter den Thränen der Andacht und der Buße sich Vieler Herzen öffnen, um ihn nie wieder zu ver­ lieren. — Das ist der Herr, der milde, vergebungSvolle, alllie­ bende Erlöser, das Heil der sündigen Welt, welchem wir den Weg bereiten sollen.

32 II.

Fragen wir aber: wo soll diesem Herrn der Weg bereitet «erden? so nennt sich Johannes eine Stimme eines Predigers in der Wüsten. Sollen wir denn ihm nachgehen in die Wü­ sten Judäas, wo er lehrte; oder, können wir ihm dorthin nicht folgen, sollen wir uns aufsuchen die öden Wüsteneien unsers Landes, fern von den Wohnungen der Menschen, um durch das Auffallende unsrer Erscheinung die Hülfsbedürftigen zu uns zie­ hen? Nein, nicht in die äußre Wüste, wo jener gelehrt hat, brauchen wir zu gehen, aber wenn eine Wüste uns ist ein Ort der Dürre und des Mangels, ein Ort der Verwüstung und der traurigen Oede, wie viele Stätten werden sich uns darbieten, wo wir dem Herrn den Weg bereiten können. Die Wüste ist ein Ort der Stille und Einsamkeit. Hier wird der Glanz und die Pracht der Höfe nicht gesehen, hier schweigt das rauschende Getümmel des Lebens, hierhin verirrt sich nur selten der Fuß des Menschen und betritt die einsamen Pfade nur gezwungen oder um sich fern zu halten von dem Ge­ räusche der Zerstreuungen und Geschäffte. So war Johannes hinausgegangen, die Welt verachtend, dem großen Berufe sich zu weihen und auch Christus der Herr wurde vom Geiste dort­ hin geführet sich vorzubereiten in Kampf und Gebet auf das Werk, das der Vater ihm zu thun gegeben. — Darum, wo wir solche finden, welche von der Welt und ihrem Treiben sich zurückgezogen haben, welche fühlen, nicht im äußern Glanze, nicht in Rang und Hoheit, nicht in äußerlichem Reichthum und Genuß ist das rechte Heil zu finden und nach etwas Höherem sich sehnen, da wo die Lockungen der Welt fern sind und der Mensch stilleren Betrachtungen sich hingiebt, da in dieser Stille und Einsamkeit ist die Wüste, wo unsre Stimme als die der Prediger des Herrn laut ertönen und zur Buße rufen, zur Gnade dessen hinweisen soll, welcher in seinem Feste uns wie­ derkehrt.

33 Die Wüste ist aber auch ein Ort der Dürre und des Mangels, wo nicht Nahrung und Stärkung zu finden ist, nicht Obst und Korn, nicht Milch noch Wein, wo die Quelle verfiegt und der Grashalm erstirbt, wo die Sonne mit brennend heißen Strah­ len den Wanderer ermattet und der Gluthwind ihn erstickt. — So ist auch da deS Lebens Wüste, wo Noth und Mangel ein­ kehren, wo alle Quellen irdischer Hülse versiegen, wo die Hoff­ nung bei ihrem ersten Aufblühen schon erstirbt und Schmerz, Jammer, Krankheit und Tod den Menschen beugen und alle Kraft des Leben-, allen freudigen Muth ihm rauben. —

Ja,

da, meine geliebten Mitchristen, da thut es Noth den Quell des ewigen Lebens zu öffnen, daß der Ermattete und Gedrückte sich erquicke, wie in der Wüste am frischen Bach der Baum grünet und der Mensch Erquickung findet; da, wo wir solch eine Wüste finden bei uns selbst oder bei den Brüdern, da lasset uns Stim­ men in der Wüste sein und unS und andem predigen die gnä­ dige Hülfe unsers Gottes in Christo, uns und andre zu ihm führen, welcher den irdischen Mangel mit himmlischen ©fitem ausfüllt und die Hungrigen labet mit dem Brodte deS Lebens, die Durstigen tränkt mit dem Quell deS Wasser-, da- in daewige Leben fließt. Und es ist die Wüste der Ort der Vernichtung und der traurigen Oede.

Wo sonst herrliche Wohnungen, prächtige Tem­

pel, reiche Städte gegründet gewesen sind, wo Kunst und Wis­ senschaft geblüht, wo ein große- edles Volk gewaltet und aller Hoheit der Welt sich gefreut hat, aber nun Hunger und Krieg, Pest und Zerstörung eingebrochen sind, die Palläste zertrümmert, die Tempel und Altäre umgestürzt daliegen, das Volk wegge­ führt und vertilgt ist und nur einzelne Stämme unter Schutt und Graus noch zeugen von der alten Herrlichkeit, da ist die Wüste.

Aber ist e- nicht so auch in der Seele, welche mit al­

len Gnadengaben deö Herrn ausgerüstet war, welche in Erkennt­ niss seines Heiles sich selig gefühlt hat und ein Tempel des GeiPischva Pred,

C

34 stes GotteS zu sein schien, wenn sie ein Raub der Sünde wird? Ja. wo der Sünden Herr, wo die Pest der irdischen Lüste, wo der Feind Gottes und der Menschen alles Herrliche zerstören, die Altäre des Glaubens und der Liebe umstürzen, die reichen Schatze der himmlischen Hoffnung rauben: welche traurige Oede, welch ein Greuel der Verwüstung ist das!

Da aber ist der Ort, wo

der Prediger deS Herm seine Stimme erheben, wo er strafend und tröstend, zur Buße und zum Glauben führen, den Heiland verkünden, dem Messias die Bahn bereiten soll, welcher durch seinen Geist das Todte wieder beleben und Trost, Ruhe, Selig­ keit in das verödete Gemüth zurückführen kann. Doch eS gab in

jenem gesegneten Lande, wo Johannes

lehrte, auch noch andre Wüsten, auf welche die Biller nicht an­ zuwenden sind, von denen wir eben geredet haben, nehmlich solche, welche nicht öde und leer, sondern mit grünen Triften schön ge­ schmückt waren und weit und breit mit zahlreichen Heerden be­ deckt, nur nicht angebaut zu Wohnsitzen der Menschen.

Womit

wollten wir diese vergleichen als mit dem heranblühenden Ge­ schlecht unsrer Kindlein.

Da ist noch nicht jene Leere und Oede

deS Gemüths, nicht die der Sorgen und Schmerzen des Lebens, nicht die der verheerenden Sünden, sondern mancher schöne Keim ist in ihnen ausgegangen, manche einzelne Gabe der Liebe wird von ihnen dargereicht; aber das Schönste und Herrlichste, was daS Geschlecht der Menschen verbinden, erquicken, beseligen soll, der heilige Glaube, aus welchem sie für sich und andre Trost nehmen, die innig aufopfernde Liebe, wodurch sie Hülfe und Stütze ihrer Brüder werden und wohlthätig und segensreich auf einen großen Kreis der Mitmenschen würken könnten, ist noch fern von ihnen.

Sie sind die Wüste, welche noch für den Herm

angebaut werden muss, bei ihnen ist der Ort, wo ihm die Bahn zu bereiten ist, daß er mit aller Fülle seiner Gnade in die zar­ ten Herzen einziehe und

Wohnung

darin

mache.

O Väter,

Mütter, Erzieher, seid ihr die Stimmen der Prediger in dieser

35

Wüste, daß fie immer schöner und herrlicher sich baue für den, welcher in seinem nahenden Feste alS das himmlische Kindlein unS erscheint, daS auch unsre Kinder in seiner Liebe zu sich zie» hen und ihnen sein Himmelreich geben will. Wo aber diese Stimmen der Prediger des Herrn erschallen, in welches Herz sie hineintönen daß fie nur nicht solche Stimmen in der Wüste sein mögen, welche man nicht vernimmt, welche leer und ohne Würkung von den zurücktönenden Felsen verhallen, die nichts festhalten und keine Frucht bringen; daß wir nur alle, wo wir den Ruf hören, welcher zum Herrn uns ladet, nicht kommen, wie jene Pharisäer, welchen Johannes zurufen musste: „e- ist die Axt den Bäumen schon an die Wurzel gelegt, darum „welcher Baum nicht gute Frucht bringet, wird abgehauen und „ins Feuer geworfen sondern treulich den lehrenden Stim­ men folgen, unserm Herrn den Weg richten und seine Steige be­ reiten, daß auch zu uns der König der Ehren einziehe. 111.

Wie aber, das bleibt uns endlich noch zu erwägen übrig, wie soll dem Herm seine Bahn bereitet werden. Johanne- sagt in unserm Evangelio: richtet dem Herrn den Weg, wie der Pro­ phet Esaias gesagt hat. Esaias aber spricht "): alle Thale sollen erhöhet werden und alle Berge und Hügel sollen erniedri­ get werden, und was krumm ist soll richtig werden und was uneben ist, soll schlechter Weg werden. — Es stellt der Pro­ phet den Herrn dar, als einen mächtigen König, welcher in sein Land den Einzug hält um Besitz zu nehmen von seinem Eigen­ thum, mögen wir ihn unS denken als den, welcher siegreich seine Feinde überwunden, sein Land von ihrer Macht errettet hat und nun von denen empfangen wird, welche durch ihn befreit sind, ober dem als des Reiche- Erben der Vater einen Theil der Herrschaft *) Matth. 3, io.

**) Es. 40, 4. euc. 3, 5.

, aus wessen Munde fließt denn die Klage: die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester aber des Menschensohn hat nicht wo er sein Haupt hinlege *), und deS Menschensohn wird verspottet und geschmähet und verspeiet werden und sie werden ihn geißeln und tödten **), aus wessen Munde als auS dem Munde des göttlichen ewigen Königs, des­ sen Haupt sie mit Dornen krönen. ) tut. 9, 60.

So ist er arm geworden an

) tut. 18, 32. 33

56 Glanz und Herrlichkeit um unsertwillen.

Oder wäre ihm die

Freude in vollem Maaße zu Theil geworden bei seiner Erscheinung als der Helfer und Heiland

erkannt zu

werden?

Da

die Zeit erfüllet und er erschienen war, auf welchen die Väter ge­ hofft, als auf den Bringer der unvergänglichen Freude: jauchzt nun Jerusalem,

ertönt Judäa von Jubel, ergreift die Stunde

des Heils den Erdkreis in seliger Freude, daß Gott sein Volk heimgesucht hat und himmlisches Licht das Dunkel vertreibt? In Bethlehem ist es stille und man ahndet nicht die große Geburt, über die der Himmel Heerschaaren sich freuen und als die Wei­ sen des Morgenlandes nach Jerusalem kommen und von einem neugebornen Könige reden, da erschrickt Herodes und mit ihm das ganze Jerusalem und die übrige Welt erstickt in ihren sündliche-r Lüsten und in ihrem jammervollen Seufzen jede heilige Ahndung von einer unendlichen Freude, welche ein himmlischer König nach alter Weissagung bringen sollte.

Und von den künf­

tigen Zeiten des Lebens Jesu Christi sagt der Apostel: ob er wohl hätte mögen Freude haben duldete er Pas Kreuz und ach­ tete der Schande nicht! *) Und sollen wir endlich auf den Reichthum an Liebe schauen, den die Welt ihrem Erlöser entgegenbrachte, wo ist er zu finden? Keine Wohnung ist ihm bereitet, kein Raum für ihn in der Herberge, der aus treuer Liebe den Himmel verlassen um die verlorne Menschheit zu retten, den nehmen die Seinen nicht aus, als er in sein Eigenthum kommt und noch in Windeln gewickelt muss er fliehen in ein fremdes Land, um der Mordsucht des Tyrannen zu entrinnen, welcher seinem Leben nachstellt. — Und doch ist er in Krippe und Windeln noch weich gebettet und noch mancherlei Liebe ihm bereitet, da ruht er doch noch an Marias liebender Mutterbrust, da schaut doch noch Joseph mit treuer Sorge aus das

) Edr. 12, 3.

ihm anvertraute

Kindlein, da

kommen noch

57

fromme Hirten, denen der Engel Stimmen, noch fromme Wei­ sen, denen der Stern auS des Himmels Höhen die heilige Ge­ burt verkündet hat und beten voll Liede und Dank das Kindlein an; aber sie haben ihn einst härter gebettet an des Kreuzes Stamm, sie haben den Herrn des Weinberges aus seinem Eigenthume gestoßen, haben ihn gelobtet unter Hohn und Schmach: er hat andern geholfen und kann sich selber nicht helfen! und keine liebende Hand hat den Todesschweiß von seiner blutigen Stirn getrocknet. — So ist er arm geworden, ob er gleich reich ist. Und nun, fasse es nur recht, christliche Seele, an diesem Feste, das hat er Alles für dich gethan! Um euretwillen ist er arm geworden, spricht der Apostel, um euretwillen hat er ge­ duldet, da er in Freude und Seligkeit ewiglich wohnen konnte und ist aus himmlischer Liebe in die Welt gekommen um den Tod der Schmach aus der Hand der Menschen zu empfangen, welche hart und liebeleer ihn von sich stießen. 11.

An solche Gnade des Herm bei seiner Erscheinung in die­ ser Welt knüpft die zweite sich an in unsres TerteS Worten, wenn der Apostel spricht: Ihr wisset die Gnade unsers Herm, daß er arm ward um euretwillen, auf daß ihr durch seine Ar­ muth reich würdet, denn wir sind ja arm ohne ihn. Denn wären wir auch ausgestattet mit allen Gütern der Erde, mit allen Schätzen, welche uns die Welt darbietet, mit Geschenken reich begabt, wie sie die Hand der Hochbegüterten austheilen kann, wie sind wir doch jammervoll arm und bloß ohne innigen Glauben und Liebe, ohne seligen Frieden im Innern, ohne den himmlischen Schatz unvergänglicher Hoffnung, und wo war solcher Reichthum zu finden ehe Christus auf Er­ den erschien. — Wir wollen uns des Festes Freude nicht stören durch Beschreibung des Jammers der Vorzeit, wo von Gott

58 uub Menschen getrennt die armen Unglücklichen, die keinen Mitt­ ler mit Gott kannten, vergebens nach Trost sich sehnten und aus aller Weisheit der Welt und aus aller Erkenntniss des Buch­ stabens göttlicher Gebote die Liebe nicht erwarben, welche alles glaubt, alles hofft, alles duldet.

Aber derselbe Jammer ruht

noch immer auf uns, wenn der Heiland nicht in unsrer Seele geboren ist.

Und feiern wit Weihnachten ohne ihn, erhebt uns

nicht der Glaube an seine allmächtige Hülfe, an seine unendliche Liebe -um Vater hinauf, haben wir nicht vom göttlichen Kinde gelernt uns selbst zu vergessen und die menschlichen Brüder und Schwestern zu lieben, wie er uns geliebt hat, so ist auch neben dm reichsten Geschenken die größste Armuth

in uns und alle

Zeichen des heiligen Festes werden uns keinen Festtag bereiten, der beseligend, erhebend, in Liebe vereinigend, fortwirkte in un­ srer Seele. Herrn.

Und voll Sünde war die Welt ohne Christum den

Wo aber die Sünde herrscht, wo der Mensch einhrrgeht

in den Greueln des Heidenthums und unter dem Flucht des Ge­ setzes, wo der Frieden des Herzens fehlt, den Laster und Sin­ nenlust in uns vergiften, da o in. A. wohnt ja wohl die trau­ rigste Armuth, da sind wir ja, wie der Seher der Offenbarung sagt, elend und jämmerlich arm, blind und bloß.

Und so ist es

noch immer. Wo die Sünde mit ihrem verderblichen Wesen waltet, da wohnt der Friede Gottes nicht in der Brust; das muss jeder recht lebendig fühlm in diesen Tagen.

Wie reich auch die Ge-

schenke sein möchten, die er darzureichen oder zu empfangen hat, wie groß die äußere oder innere Freude um ihn her, wie hell die Kerzen ihm gestrahlt, mit denen er seine Gaben beleuchtet, ach, das dunkle Gemüth in ihm haben sie nicht erleuchten können und es hatte sich wohl lieber verbergen mögen vor den freudi­ gen und glücklichen Menschen.

Wer

nur

Weihnachten feiern

kann ohn« diesen höheren Frieden, wie arm ist der in der Fülle deS Reichthums und wie drückt dieser Mangel schwerer alS der Mangel an äußeren Gütern.

59 Ist aber Christus der Welt nicht geboren, dann ist sie end« .lich nur hingewiesen aus Zeitliches.

Kein höheres Glück kann­

ten die Menschen, ehe er auf Erden erschienen war, alS das ver­ gängliche Treiben und den Genuss der Güter, welche sie zurück­ lassen mussten in dieser Welt, ja wo in ihnen eine dunkle Ahn­ dung von einem künftigen Leben ausgegangen war, auch da war es ihnen nur das schwache Abbild der irdischen Freuden und Ge­ nüsse.

So waren sie arm an himmlischen Schätzen, arm an der

Hoffnung, welche auch deS TodeS Bitterkeit vertreiben kaun. — Und der ist noch immer arm an dieser Hoffnung, dem Christus nicht geboren ist.

Auch die schönsten Tage des Lebens, auch die

heitersten Freuden, auch die ersehntesten Augenblicke in den Krei­ sen der Freundschaft, wie vergänglich sind sie, wie flieh» die Stunden, welche wir so sehnsuchtsvoll herbeigewünscht haben und was bleibt von ihnen uns

übrig, wenn nicht in ihnen der

Herr uns nahe gewesen und an seine Gemeinschaft die Seele an­ geknüpft und durch ihn ihre Freuden geheiligt hat.

Lebt diese

Gemeinschaft und mit ihr die höhere Hoffnung, daß was mit ihm verbunden ist nicht verloren gehen kann, nicht in unserm Herzen; wie sind wir da nur arm und elend!

Und so wird

auch daS schönste Fest vorübergehn, weil es eine irdische Erschei­ nung ist, aber ist eS nichts andres, dann wird es uns arm zu­ rücklassen,

O, ihr Kinder, denen so viele Freude geworden ist

an dem heiligen Tage, ist euch Christus nicht in demselben gebo­ ren und geht ihr ohne die himmlische Hoffnung in ein neues Jahr eures Lebens hinein,

es werden auch die reichsten Ge­

schenke den Mangel der Seele nicht ausfüllen und euch in trau­ riger Armuth lassen. Aber nehmen wir das göttliche Kind auf in unsre Hütten und Herzen, dann spricht das Wort unsre- Textes zu uns: ihr wisset die Gnade des Herrn, daß er arm ward um euretwillen, auf daß ihr durch seine Armuth reich würdet.

Und welch ein

ganz andrer Glanz verbreitet sich nun über das heilige Fest. Der

tiO ewige Gottessohn ist unS nun geboren, der Herr der Herrlichkeit ist unser Bruder geworden und es ist unö durch ihn eine Gemeinschaft angeknüpft mit dem Vater. Der des eingebornen Sohnes nicht verschonet hat, wie sollte uns der mit ihm nicht Alles schenken. So sind wir durch den Glauben mit dem Vater verbunden und käme uns das heilige Fest in aller Trau­ rigkeit der Welt und wäre für uns kein Trost bei den Mächtig­ sten der Erde wie bei den treusten Freunden zu finden, o eben daß er uns kommt, daß in unserm Schmerz die Stunde erschei­ nen kann, wo die Himmelsbotschaft ertönt: Euch ist heut der Heiland geboren! das erheitert, beruhigt, erhebt unser Herz und der Neugeborne ruft uns zu: Ich bin dein Freund, ich heile deine Wunden! Ja, er ist unser Freund, er bietet uns seinen himmlischen Schah unvergänglicher Güter an, er umfasst uns in seiner ewigen Liebe. Wie reich sind wir nun durch solchen Freund, welcher uns auch mit den irdischen Brüdern und Schwe­ stern verbindet. Denn können wir von denen lassen, welche er erlöset hat, können wir uns von ihnen losreißen, da er was wir ihnen gethan anschn will, als sei es ihm selbst gethan worden? Fehlen uns aber an seinem Feste die Güter der Erde, können wir denen, mit welchen uns Gott verbunden hat an dem schönen Tage, kein Geschenk darbieten, wie wir es sonst vielleicht gekonnt in vergangnen äußerlich gesegneten Zeiten; die Liebe Christi, die in unS wohnet können wir doch zeigen und mittheilen, und wer sie kennt, dem gilt sie viel höher als die köstlichsten Schätze der Welt. Wird das göttliche Kind in unsern Herzen geboren, dann bringt es uns aber auch den Reichthum des göttlichen Frie­ dens. Gott hat ja die Welt geliebt und seinen Eingebornen gegeben, daß die Welt durch ihn selig werde. Aber Seligkeit kann nur da sein, wo die schwere Schuld der Sünde hinwegge­ nommen ist, wo wir gewiss der ewigen Vaterhuld des Allerhöch­ sten getrost zu ihm hinaufblicken und ihm mit vollem Vertraun

61

unS ergeben können, wo die Scheidewand gefallen ist, welche uns getrennt von unserm Gott. Und das ist unsre Freude an des Heilandes Geburt, daß er uns die Versöhnung mit Gott ge­ bracht hat, daß er Allen, die ihn annehmen, zuruft: Deine Sün­ den sind dir vergeben! und jede Angst und Bekümmerniss der Seele sich dem Gläubigen auflöst in stillen seligen Frieden: Ob wir wohl arm waren, denn wo ist Armuth als bei den von Gott und seinem Heile getrennten! sind wir nun durch des ewi­ gen Erlösers Armuth reich geworden. Tragen wir seinen Frie­ den in uns, welch ein Fest des Heils werden wir dann feiern und wie wird von uns dieser Friede des Herrn überströmen auf unser Haus und mit himmlischem Gute den irdischen Mangel ausfüllen. Endlich aber ist uns mit des Erlösers Geburt der Trost einer bessren Welt gekommen. Der Himmel hat seine Thore geöffnet und den Gottessohn gesendet, damit er ausginge dorthin zurückzurufen, die ohne ihn in Nacht und Schatten des Todes saßen und auf das kurze irdische Dasein beschränkt mitten unter den Denkmählern der Vergänglichkeit sich ohne Hoffnung fühl­ ten. Den Reichthum des ewigen Lebens hat uns das göttliche Kind gebracht, da es arm ward um unsertwillen nnd welch ein Reichthum dieser Welt lässt mit ihm sich vergleichen, der hinaus­ dauert über die Zeitlichkeit. — Wer in diesem Reichthume Weih­ nachten feiert, darf ja auch dann nicht trauern, wenn die Stel­ len derer leer sind, welche einst, welche vielleicht noch am letzten schönen Weihnachtsseste neben ihm standen und seine Freude theilten und erhöhten: sie werden Weihnachten mit ihm feiern in dem höheren Reiche des Herrn, wo keine Trennung mehr ist. — Nun dürft auch ihr nicht mehr trauern, ihr geliebten Kinder unter uns, wenn einst die Stätten derer leer sein wer­ den, die in diesem Feste mit milder Elternhand euch darreichen, was den kindlichen Sinn erfreut: es ist ja keiner verloren, der in der Gemeinschaft mit dem göttlichen Kinde an seinem Feste

62

sich mit den ©einigen gefreut hat und waS da kommet oder vergeht, der Reichthum des ewigen Lebens, den das Fest und versiegelt, er kann des Herrn Gläubigen nicht genommen wer­ den. Und so können wir, wie arm, verlassen und elend wir auch sein möchten, durch den Herrn, der um unsertwillen arm ge­ worben, und unvergänglichen Reichthums rühmen und dankend ausrufen: DaS hat er Alles und gethan, Sein' große Lieb zu zeigen an, Des freuet sich die Christenheit Und dankt ihm des in Ewigkeit! Amen.

VI.

Wie soll des Heilandes Geburt in jedem Hause und jedem Herzen gefeiert werden? Am zweikrn Weihnachtstagt. Ueb. Luc. 2, 15 — 20.

Shre sei (Sott In der Hdhe und gtitbro auf Qtbto unb bin Meuschm «in Wohlgefallen. Amen.

*9?. A. u. G. Es ist das Fest der Weihnachten, der heiligen geweihten Nacht, welches uns in diesem Heiligthume Gottes ver­ sammelt hat. Die Feier einer Nacht! Und doch ist die Nacht das Bild des Grauens, des Jammers, des Tode- und der Sünde. Wenn die heiterste und reizendste Natur in das Dunkel der Nacht sich hüllt, erscheint sie uns schauerlich, und was im Lichte der Sonne unS erfreut und entzückt, erfüllt uns jetzt mit banger Furcht. Wenn Schmerz und Sorgen uns umgeben und nirgend eine Aussicht aus unserm Elende sich zeigt, dann sagen wir, dass eine dunkle Nacht unsern Blick umhülle. Wenn das Leben mit allen seinen Segnungen dahin geflossen ist, wenn das brechende Auge sich nicht mehr der Herrlichkeit der Welt erfreuen kann, dann bricht die letzte dunkle Nacht, dir Nacht des Todes über

64 uns herein.

Und wie in der Finsterniss die wilden Thiere der

Wüste sich erheben und ausgehen nach ihrem Raub, so sucht der Sünder Nacht und Dunkelheit, seine finstern Werke zu ootlbriiv gen; denn wer Arges thut hasset das Licht und im sündigen Herzen wohnt die Finsterniss und die der Ausgang aus der Höhe nicht besucht hat, die sitzen in Nacht und Schatten des Todes. Aber wir, g. Chr.,

wir feiern die Nacht des Heils und der

Gnade, die Nacht, welche des Herrn Geburt geheiligt hat, die Nacht, in welcher der Heiland erschien als das Licht des ewigen Lebens.

So muss vor dem Heile dieser Nacht jedes Grauen

verschwinden, wer ihm vertraut, dem stillt sich jeder Schmerz, dem verklärt sich auch des Todes Bahn und der letzte Pfad wird erleuchtet durch ihr Licht, wer glaubensvoll dieser heiligen Nacht sich zuwendet, dessen Füße werden von des ewigen Verderbens Pfade auf den Weg des Friedens gerichtet.

Eine solche ist die

geweihete Nacht, welcher wir uns freuen und »in sie würdig zu feiern lasset unsre fromme Andacht uns anschließen an die Worte unsers Festevangeliums, das wir lesen

Text.

Luc. 2, 15 — 20.

Und da die Engel von ihnen gen Himmel filhren sprachen die Hirten unter einander: Lasset uns nun gehen gen Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die der Herr uns kund gethan hat.— Und sie kamen eilend und funden beide Mariam und Joseph, dazu das Kind in der Krippe liegend. — Da sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, welches zu ihnen von diesem Kinde gesagt war. Und alle vor die es kam wunderten sich der Rede, die ihnen die Hirten gesagt hatten. —

Maria aber

behielt alle diese Worte und bewegete sie in ihrem

65

Herzen. — Und die Hirten kehrten wieder um, preiseten und lobeten Gott um Alles, das sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war. Die hohe Huldigung des HimmelS, welche die unserm Evan­ gelium vorangehenden Worte erzählen, ist vorüber, der Lobge­ sang der himmlischen Heerschaaren ist verklungen, da verlassen die Hirten in der stillen Nacht ihren niedern Beruf, zu schauen die Erfüllung der großen Offenbarung, welcher auch sie in Sehn­ sucht und Glauben gewartet hatten.

So schließt in unsers Texte-

Worten ein nieders Gemach oder eine dunkle Höhle mit dem göttli­ chen Kinde wenige selige Menschen, die würdig waren des Hei­ lands Geburt zu feiern, in ihre Schatten ein und Alles, was unendliche Seligkeit geben kann und was sie aufgenommen hat in das gläubige Gemüth, ist in dem stillen Kreise zusammen vereint.

O seht m. G., so sollen auch wir das Fest der heiligen

Nacht begehen.

Der Engel Huldigung

vernehmen auch

wir

nicht mehr, aber wo wir uns sammeln mögen, in des Herrn Heiligthum, im lautern oder stillern Gemach, des Heilandes Fest zu feiern, da ist doch auch

uns der Zuruf erklungen: Euch ist

heute der Heiland geboren und zu jedem Herzen ist es gesagt: Fürchte dich nicht, ich verkündige dir große Freude! Darum lasset uns nun auch jenen ähnlich werden, welchen zuerst die frohe Bot­ schaft gesagt wurde und unsers Evangelii Worten folgend uns fragen: Wie soll des Heilandes Geburt in jedem Hause und in jedem Herzen gefeiert werden? Die Antwort aus unserm Text wird aber sein: I. so, daß wir den stillen Gottesfrieden

in unS

tragen sollen, II. daß wir behalten und bewegen im Herzen, waS von dem Kinde uns gesagt ist, HL daß wir das Wort von diesem Kinde ausbreiten und Gott dafür loben.

Pischon Prkd.

S

66 ».

Wie könnten wir den, welcher den ewigen Frieden vom Himmel gebracht hat anders feiern als indem wir selbst diesen stillen Gottesfrieden in uns tragen?— Und so finden wir eS in dem Kreise, auf welchen unser Evangelium uns schauen lässt. Wie einfach erzählen die heiligen Worte: sie fanden beide Mariam und Joseph, dazu das Kind in der Krippe liegend. Nichts weiter! Nichts von einer lauten jubelnden Freude, von einem jauchzenden Frohlocken, von einem äußern Festgepränge. Von Joseph, welcher von Gott gewürdigt wurde an dem göttlichen Kinde Vaterstelle zu vertreten, welcher von Gottes Boten hinge­ wiesen war auf den himmlischen Emanuel, hören wir nichts, als daß er bei dem Kindlein gefunden wurde; aber wie müssen ihn die Hirten gefunden haben, in welcher Demuth, daß er gewür­ digt war dem Längstersehnten so nahe zu stehen, in welchem stil­ len Frieden, daß der Sohn Gottes, dessen Namen er Jesus nen­ nen sollte, nun auch ihn mit seinem Volke selig machen werde von ihren Sünden. Auch von den Hirten hören wir nichts, als daß sie das göttliche Kind gefunden haben; aber wer das findet um es nie wieder zu verlieren, wer von diesem hinweggeht um das Wort, was von diesem Kinde gesagt ist, auszubreiten; wer durch das stille Anschaun des Heilandes in der Krippe zum lau­ ten Preis und Lobe Gottes bewegt wird: o wie muss dessen Seele erfüllt sein von dem Frieden Gottes, wie muss in dem verstummen jede Klage und verschwunden sein jede Nacht der Sünde und des Todes. Aber so können, so sollen auch wir, theure Christen, den Heiland in den Tagen feiner Geburt empfangen in unsern Häu­ sern und Herzen. Das wissen wir ja alle und erfahren es im­ mer mehr und mehr, je länger wir in diesem Lande der Män­ gel wandeln, der Gottesfriede, von welchem die Gläubigen in unserm Evangelium an des Heilandes Krippe erfüllt sind, er

67 wird fern vom Herrn nicht gefunden.

O lasst unS nicht trotzen

auf das irdische Glück, daS noch heut uns umgiebt, auch nicht auf das schönste und reinste, das auf ein irdisches Gut, daS auf geliebte Menschen gebaut ist; habt ihr es denn nie erfahren, wie bald

es verschwindet und ist es nicht sein Verlust, weshalb so

mancher schwere Seufzer in unsre Weihnachtsfreuden sich mischt? Lasst uns nicht trotzen aus unser Thun, aus unser Lieben, aus unsre Treue, o wie ist das doch Alles unrein und unvollkom­ men vor Gott und reicht nicht hin unsre Blößen zu decken und deö Herrn Gericht von uns abzuwenden.

Lasst uns nicht trotzen

auf das, was wir erduldet und durchkämpft haben, nicht trotzen auf vie Siege, welche wir errungen, ach, wir haben nur zu oft uns selbst gesucht und nicht die ewige Wahrheit, wir haben oft nur gelitten waS wir verschuldet und haben keinen Antheil an dem Siege, den Gott uns erkämpfen ließ.

Durch uns selbst

kommt der stille selige Gottessriede nicht in unsre Brust und wir fühlen das wohl oft, wenn wir in diesen Tagen uns nicht mehr so rein und innig freuen können wie die Kinder.

Aber fürchtet

Euch nicht, trauert nicht, zagt nicht: Euch ist der Heiland gebo­ ren, Christus der Herr!

Wir sind vorbereitet auf sein Nahen

in diesem heiligen Feste, er ist und verkündigt und kommt uns wieder, ein Emanurl, welcher uns mit Gott vereint, ein JesuS, welcher uns selig macht von unsern Sünden. uns

Und kommt auch

seiner Feste Ruf unter manchen schweren Geschäfften des

Lebens, trifft er uns unter tiefen Schmerzen, welche die Welt und das eigne Herz uns bereiten, umgiebt uns des Festes Glanz, indem wir verlassen oder verstoßen sind von den Menschen: an des Heilandes Krippe weilt auch für uns der stille beseligende Gottessrieden. Und habt ihr ihn-chrnn alle, die ihr hier versammelt seid, diesen Gottesfrieden?

Ich frage euch alle, ihr Erlöseten Jesu

Christi, ist sein Friede euer Antheil geworden an seiner Krippe? Wo und wie euch der Engel Stimme gefunden hat, welche das Fest E 2

68 verkündet, habt

ihr euch auch losgerissen von dem Erdcnge-

schäfft, dem Erdenschmerz, der Erdenfreude, und seid im Geist zu Bethlehems Hütten gegangen und habt in stiller Andacht, in unaussprechlicher heiliger Freude euch gesagt: er ist auch dir ge­ boren?

Habt ihr euch erhoben gefühlt über den Glanz und die

Noth der Welt und das ganze Leben vergessen im Gefühl sol­ cher Freude?

O, wem in diesen schönen Tagen solcher Augen­

blick noch nicht gekommen wäre, ich wünsche ihn euch allen, euch Trauernden und Verzagten, euch Freudigen und Beglückten, euch, denen noch eine lange Wallfahrt in diesem Erdenthal« vorliegt und den Fernen, welchen auf dem Lager der Schmerzen bald das Auge sich schließen soll für des Lebens Freuden und Leiden, daß sie Alle Weihnachten feiern mögen int Gefühle des stillen Got­ tesfriedens, den der Herr den Seinen gebracht hat, und jeder laute und stumme Schmerz, jede Thräne der Angst und Sorge sich umwandle, jede Erdensreude sich läutere und heilige in die Freude, daß uns der Heiland geboren ist. II. Aber soll dieser Gottessriede, welcher in jedem Hause und Herzen wohnen soll, eine rechte Feier dieser heiligen Tage sein, dann muss er uns auch bleiben und nicht mit den Stunden des Festes dahin schwinden, darum lasset uns auch also des Herrn Geburt feiern, daß wir behalten und bewegen in un­ serm Herzen, was von dem göttlichen Kinde uns ge­ sagt ist. Denn was die Mutter des Heilandes, welcher der Engel verheißen hatte: er wird auf dem Stuhl seines Vaters David sitzen! in den Tagen seiner Geburt so freudig bewegte, neben der Krippe der Niedrigkeit, der himmlische Glanz, welcher sie um­ leuchtete, die frommen Huldigungen, welche Bethlehems Hirten und des Morgenlandes Weisen ehrfurchtsvoll dem Neugebornen darbrachten: rS ging bald vorüber.

Der Glanz erlosch und Fin-

60 sterniss umgab sie, die Huldigung verkehrte sich in Verfolgung und Simeon, als er Gott lobte, daß er nun in Frieden fahren konnte, weil er den Heiland gesehen, sprach das Wort der Schmer­ zen: es wird ein Schwerdt durch deine Seele gehen!

Aber waS

nun auch folgte, Flucht und Verbannung und Elend, aus Ma­ rias Herzen konnte das Gedächtniss an diese Zeit der Gnaden nicht

weichen und was sie

in den

folgenden Tagen

drücken

mochte, sie bewegte still im Herzen was von dem heiligen Kinde ihr gesagt war und baute auf solches Heil in aller Noth. Und stehn wir äußerlich nicht dem Heilande so nah wie Maria, und schauen wir nicht mit dem mütterlichen Sinn wie sie

aus den

Neugebornen, er wird

doch auch uns geboren,

ja er soll uns Allen angehören wie rin Theil unsrer selbst, auch wir sollen in ihm uns überschwänglich reich und selig fühlen, daß keine folgende Zeit, kein kommendes Missgeschick solche Se­ ligkeit aus unserm Herzen soll vertreiben können. —

Denn des

Festes äußerer Glanz, er schwindet bald dahin und in wenigen Stunden wird die Sonne dieses letzten feierlichen Tages sich sen­ ken, und wenn das Leben mit seinen Mühen und Sorgen sich nicht schon in des Festes Tage gemischt und sie getrübt hat, es wird uns also doch wiederkehren und die frohe Stunde wird in Missmuth sich wandeln und die Seele, welche des Herrn Nähe und Herrlichkeit empfunden hat, wie leicht öffnet sie sich wieder, wie sie so oft nur am Aeußern gehangen hat, den sündigen, dem Herrn nicht wohlgefälligen Empfindungen. Darum aber lasst es uns nicht vergessen, wir haben deS Herrn Fest nur würdig gefeiert, wenn wir behalten und bewe­ gen was von diesem Kinde uns gesagt ist. —

An dem Feste

der Liebe und Freude ist ja wohl manche getrennte Hand wieder in einander gelegt worden und wir haben in der freudigen Stunde früheres Unrecht vergessen und sind in neuer Gemeinschaft mit den Geliebten glücklich gewesen, denn wie sollte nicht jede Feind­ schaft schwinden vor dem, welcher in diesem Feste unser Bruder

70 geworden ist.

DaS aber lasst uns auch in unserm Herzen de«

halten, wenn wieder die dunkeln Stunden kommen, wo wir fern von der Liebe des Gottessohnes mit unsern Brüdern dastehen wollen, das lasst uns im Herzen behalten, wenn die Verfolgun­ gen des Lebens über uns hereinbrechen und uns reizen die Liebe zu verleugnen, die von Christo stammt.

-

In des Festes Ta­

gen haben wohl viele der irdischen Noth vergessen und sind freu­ dig gewandelt unter den Ihrigen über den Herrn, der unS gebo­ ren ist.

Das lasst uns festhalten, wenn das Schwerdt durch

unsre Seele geht und dann voll Glauben und Vertrauen unsern Blick und unser Gebet zu ihm richten, der das Kreuz erduldet hat um unsertwillen.

Und haben wir in der allgemeinen Freude

die Hoffnung aufgenommen: der Neugeborne wird auch dein Er­ löser sein und dein Freund! o lasst sie uns festhalten und da­ von nicht wanken in jedem Sündenelend, das uns beschweren mag, daß unsre Herzen und Häuser dem geweiht bleiben mögen dessen Fest wir feiern. Wird aber von Maria gesagt: sie habe nicht nur alle diese Worte behalten, sondern auch beweget in ihrem Herzen; so weist dies uns aus eine gleiche Feier unsers Festes hin. ermahnt uns zu der stillen Einkehr zu uns selbst.

DieS

Mancher ist

wohl freudig an des Herrn Fest, aber es ist nur die äußre Feier, was auch ihn sich herausreißen lässt aus seinem Zagen und Mur­ ren, aus seiner Unzufriedenheit und Sünde, während doch im Innern Christus uns muss geboren werden und von innen her­ aus sein himmlisches Licht uns leuchten.

Darum sollen die ein­

samem Stunden dieses Festes, wo wir uns zurückziehen von der lauten Freude und allein sind mit unserm Gott, dem Bewegen der göttlichen Liebe in unsern Herzen geheiligt sein.

Da lasset

uns fragen: was wir denn verdient haben von unserm Herm und was er uns Alles gegeben hat!

Da lasset uns die unend­

liche Liebe erwägen, welche von Anbeginn der Welt auch und umfangen und in der Fülle der Zeit durch des Sohnes Sendung

71

so hoch beseligt hat. Und wenn wir dann nur da» unaussprech­ liche Seufzen im Gebet dem Ewigen weihm könnm, wenn wir es fühlen, Christus hat uns geliebt mit unendlicher unverdienter Liebe und uns geleitet und getragen mit Barmherzigkeit, o dann lasst solchen Trost uns nimmer verloren gehen, dann möge er au» des Herzens Tiefe hervorgehend das ganze Leben durchstrahlen und erhellen, daß wir eS selbst suhlen und alle um unS her e» erkennen, wir haben wahrhaft gefeiert des Heilandes Geburt in unserm Herzen.

Ul. Wem aber deS Herrn Geburt also im Herzen steht, der geht auch hin das Wort von dem göttlichen Kinde auszubreiten und Gott dafür zu preisen und zu loben. — Die Hirten breiteten das Wort von diesem Kinde aus, es war ihnen eine so heilige freudenreiche Botschaft gewesen, daß, wie das Herz davon voll war, auch der Mund übergehen musste. Und sie kannten viele, welche im Elend der Sünde und im weltlichen Jammer einer solchen Kunde der Freude und de» Troste- bedurf­ ten, in deren dunkles Gemüth nun auch die himmlische Weih« nachtssonne leuchten sollte, wie sie in ihrem Glanze fröhlich gewesen waren. Wer aber aus ihrem Munde die Bosschast von dem göttlichen Kinde glaubend angenommen hat und einst nach lan« gem Harren gewürdigt worden ist von des Heiland- Lippen selbst das Wort des ewigen Lebens zu hören, o, dem wird auch die schwere Last, unter welcher er seufzte, vom Herzen gefallen sein, der wird auch eingestimmt haben in Lob und Dank der Hirten. Wenn wir nun aber auch nicht mehr nöthig haben daS Wort von diesem Kinde auszubreiten, alS von dem, welches lange ver­ geblich erwartet worden ist, wenn wir nicht zu de- Herrn Krippe hinzugehen als die ersten, denen die Freudenbotschaft verkündigt worden ist, es sind doch noch immer genug auch unter unS, welche nach de- KindleinS Ramm sich nennen und in Lust und

72 Sorgt der Welt einhergehen, als ob kein Heiland geboren wäre. Denen wollm wir die himmlische Botschaft immer wieder verkünden, ob vielleicht sie von ihrer vergänglichen Freude sich er­ heben möchten zu ihm, welcher die ewige Freude gebracht hat, oder aus ihrem nichtigen Sorgen sich emporringen zum Gefühl der Seligkeit, welche nicht abhängig ist von dem Wechsel des Erdenlebens. Aber nicht verkündigen bloss und ausbreiten sollen wir das Wort von diesem Kinde, sondern auch selbst Gott dafür loben und preisen.

Das wird in unserm Evangelium von den Hirten

gesagt, indem sie wieder umkehren.

Sie kehren nehmlich um zu

demselben niedern Beruf, in welchem der Engel des Herrn sie gesunden hat.

Der himmlische Glanz, welcher sie in der heiligen

Nacht umleuchtete, ist verschwunden und nichts ist anders gewor­ den in ihren äußern Verhältnissen; der neugeborne Heiland hat keinen irdischen Gewinn ihnen gebracht, keine Sorge um ihre und der ihrigen Erhaltung und Wohlsein von ihnen genommen, ja es möchten unter ihnen auch solche gewesen sein, denen er bald sich erwiesen hätte als der, welcher nicht den Frieden ge­ bracht hat, sondern das Schwerdt, es möchten unter ihnen solche gewesen sein, denen das theure eigne Kind bald durch Herodes Mörderschaaren erwürgt werden sollte. —

Aber da die Freuden­

botschaft ihnen unter so vielen Tausenden, ihnen vor allen Rei­ chen und Gewaltigen war verkündigt worden, mussten sie auch den Heiland erkannt haben als den Helfer aus aller Noth, und so sind sie lobend und dankend für ihn in das irdische Leben zu­ rückgegangen und derselbe niedre Beruf ist ihnen nun für alle kommende Zeiten geheiligt gewesen und das folgende unendlich schwere Unglück selbst ist ihnen der Bürge geworden, daß sie an dem Reiche des Heilandes, der ihnen in Bethlehem geboren war, Theil und Erbe haben sollten. So lasset auch uns in jedem Hause und jedem Herzen deS Heilandes Fest feiern mit Loben und Danken.

Auch uns wird

73 deS heiligen Festes Erscheinung nicht herausreißen auZ des 8t» den- trüben oder beschwerlichen Verhältnissen, uns nicht frei ma» chen von Sorgen und Geschafften, welche auf uns liegen, und haben wir uns für die Stunden der Festesfeier auch frei gemacht von der täglichen Arbeit, wir müssen dennoch in denselben irdi­ schen Wechsel, in dasselbe Treiben der Welt wieder zurückkehren und wissen nicht, welche schwere Last der Herr uns vielleicht bald auflegen wird.

Ist eS aber also, wie der Herr ja nicht gekom­

men ist unsre irdischen Angelegenheiten zu ordnen und sein Reich nicht von dieser Welt war; so lasst uns auch nicht die rechte Feier der Geburt unsers Herrn von dem abhängig machen, was unS äußerlich begegnet und nicht meinen, das sei ein trübes und trauriges .Fest, wo nicht das äußre Glück mit seinem Glanze diese Tage bestrahlt.

Freilich wohl werden wir schwachen und

irdischen Geschöpfe das schöne Fest fröhlicher begehen, wenn Got­ tes Segen über uns und den Unsrigen gewaltet, wenn er nach seiner Gnade uns und die unsern erhalten hat, von den Kleinen an, welche in diesen Tagen durch die irdischen Geschenke auf dar himmlische sollen gewiesen werden, bis zu dem Greise, welcher uns einst selbst zum Herrn geleitet hat, aber wenn auch hier nach deS Herrn Willen eine Lücke entstanden wäre, wenn ein Platz unbesetzt geblieben im erhellten Gemach: ist denn darum Christus weniger geboren?

Wenn Krankheit, Noth und Elend

uns kein Freudenmahl anrichten lassen an dem Feste des Herrn: ist darum der ewige Heiland weniger erschienen, ja müssen wir nicht dann eben im Gefühl der Nichtigkeit alleS Irdischen an den Unwandelbaren bleibt?

uns anschließen, welcher in Ewigkeit

derselbe

Lasset nur zuerst unsre Seele voll werden des Lobes

und Dankes gegen Gott den Allbarmherzigen, welcher den Sohn uns zum Heiland gegeben, lasset uns nur im Glauben auf den Neugebornen schauen, welcher den Trost der ganzen Welt ge­ bracht hat, dann wird auch die dunkle Hütte und das dunkle Herz voll werden seiner Herrlichkeit, dann wird auch der Ein-

74

samt ein heiliges Fest feiern, dann wird dem unter Mühe und Arbeit Gebeugten der irdische Berus sich verklären zu dem vom Herrn geheiligten und Sorgen und Seufzen wird nicht mehr ge. hört werden. Ja, ihr theuren Glieder dieser Gemeine, loben las­ set uns den Herrn und ihm danken für des Heilandes Geburt, und in solchem Preisen ersticken und vernichten alles vergebliche Sorgen und Seufzen, voll lasset uns sein der Herrlichkeit des Herrn und so getrost wandeln die Bahn, welche uns verordnet ist und was auf derselben der Herr und senden möge Alles er. höhen und verklären durch die Freude über deS Heilandes Gebutt, bis loben und preisen einst allein unser Tagwerk sein wird in der Hütte des Herrn und wir frei von jeder irdischen Noth einstimmen in den Lobgesang der himmlischen Heerschaaren: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen! Amen.

VII.

Daß das Fest der Weihnachten das Unter­ pfand des unvergänglichen FrkedenS sei, den uns Christus hinterlassen hat. Am zweiten Weihnachtstage und letzten Sonntage de- Jahr-. Ueber Joh. 14, 27.

Gebet. O Herr, der du un6 zum Heil und gum ewigen Leben ein Mensch geboren wurdest; der du in unsre Niedrigkeit kamst, den Verirrte» den Weg zur rechten Heimath zu zeigen, du, dessen Lob die himm­ lischen Hcerschaaren, dessen Gnade deine Gläubigen noch täglich preisen, werde du in deinem heiligen Feste auch in uns geboren, daß deine Nähe alle Schrecken des Lode- in uns vertreibe, und ob die irdischen Jahre schwinden und kommen wir doch nimmermehr deiner Hülfe entbehren, sondern die trostreiche Ueberzeugung in uns tra­ gen, daß du bei den deinen bleibest alle Lage bisan der Wett Ende. Lmen.

Text. Joh. 14, 27. Den Fuedcn lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch wie die Welt giebt. Eller Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.

«^Vohl wird, meine Andächtigen, in diesem Worte unsers Herrn uns ein unendlich hoher Trost eröffnet, und eine beseligende Ruhe ergießt sich aus denselbigen über uns, aber wir können es auch nicht verbergen, es ist doch zugleich etwas Trübes und Wehmü­ thiges in diesen Worten, was uns an die Zeit der Trauer erin­ nert, in welcher sie gesprochen sind, an jenen schmerzlich beweg­ ten Kreis der Jünger, die das Wort aus ihres Herren Munde gehört hatten: ich bin nur noch eine kleine Weile bei euch! — Aber in diesem heiligen Feste ist ja nichts als Licht und Glanz, es ruft uns in feiner schönen Feier, die bis in das ärmste und dunkelste Gemach bringt, die große Freude zu, die allem Volke widerfahren ist.

Sind denn nun unsre Herzen erschrocken in die­

sem heiligen Lichte des Festes,

und fürchten wir uns denn in

dem Glanze, welcher von der Krippe des göttlichen Kindes strahlt, vor irgend einer finsteren Macht, welche uns bedrängt und eine schwere, sorgenvolle Bahn für die Zukunst uns ahnen lässt? Wir wollen uns nicht verbergen, meine Andächtigen, es ist wohl das Fest der Freude und der Gnade, das jeden Schmerz versöhnen, jeden Verlust vergüten, jede Angst in uns zerstören sollte, aber wenn wir gedenken, dieser Tag des Festes ist zugleich der letzte Tag des Herrn in dem scheidenden Jahre, und heut haben wir zurückzublicken in eine trübe Vergangenheit, und unter des Feste» Herrlichkeit steigt wohl mancher Seufzer empor, wenn der Men­ schen Blick sich aus die kommenden Stunden lenkt: dann erken­ nen wir, es darf auch uns an diesem Tage des Heils daS Trost­ wort unsers Textes zugerufen werden, denn es soll uns ja doch zu dem führen, welcher auch durch dieses heilige Fest der rechte Bürge uns ist, daß sein himmlischer Frieden nicht untergehen soll in der Welt.

Und so lasst uns den Ausspruch unsers Tex­

tes anschließen an den Freudenruf des Festes: Friede auf Er­ den, und allen Kämpfenden, Trauernden und Zagenden tröstend zurufen:

77 daß daS Fest der Weihnachten das Unterpfand des

unvergänglichen

Friedens sei,

den unS

Christus hinterlassen hat. Lasst uns dabei zuerst fragen: I. worin dieser unvergängliche Friede des Herm bestehe, II. wie wir gewiss werden, daß er ihn uns hinter» lassen hat, und III. wozu diese Gewissheit uns führen solle.

I. Wenn der Herr in unsers Textes Worten uns zuruft: meinen Frieden gebe ich, wenn die himmlischen Heerschaaren bei der Verkündigung seiner Geburt frohlockend sprechen: Friede auf Erden, so fragen wir wohl alle, und wohl am meisten die, welche auch an dieses Festes Feier sich sagen müssen, daß ihr Friede noch so oft getrübt wird und ihnen verloren geht: wo­ rin denn des Herrn unvergänglicher Friede bestehe?

Ist sein

Friede nun derselbe, welchen der Engel Schaaren in ihrem Lob­ gesang preisen, welchen sie darstellen als den Segen der Geburt des göttlichen Kindes, dessen Ankunft sie den Hirten verkünden? Gewiss, meine Andächtigen, was damals angedeutet wurde, was der Gegenstand des Preises Gottes und des Wohlgefallens der Menschen sein sollte, das ist vollführt worden durch den Herrn, daS ist eS, was er scheidend zur Stärkung und Tröstung den Seinen hinterlassen will, wenn er spricht: meinen Frieden gebe ich euch; denn ein andrer Friede war ja noch nicht ihr Erbtheil geworden, und sie saßen noch in Angst und Traurigkeit der Welt. Aber wenn die Engel rufen: Friede auf Erden! so kann auch nicht gemeint sein ein äußerer irdischer Friede, ein Freisein von den mancherlei Kämpfen, welche Allen

die auf Erden wan­

deln, beschieden sind, ja denen der Herr selbst, welcher als der Bote und Fürst des Frieden- diese Welt betrat, nicht entgan-

78 gen ist.

Darum spricht er auch:

nicht gebt ich euch wie bU

Welt giebt. Denn wie das Geschlecht der Menschen von da an, wo ihm jener erste Aufenthalt in des Paradieses Auen verloren ging, in Hass und Zwietracht gegen einander dagestanden, wie Brüder gegen Brüder, und Völker gegen Völker blutig gekämpft, und mit Bruderblut die gemeinsame Erde gedüngt hatten; so war es nicht allein geschehen bis zu den Zeiten des Herrn, sondern sein Erscheinen aus Erden hat solchem Verderben nicht Einhalt ge­ than.

Und wie weit umher die Stürme des Krieges brausten,

so musste der Herr selbst verkündigen von der geweihten Stadt wo er lebte und lehrte, von dem heiligen Tempel, wo Simeon das neugeborne Kindlein in seine Arme nahm und rief: Herr, nun lassest du deinen Diener in Frieden fahren:

es werde die

Zeit kommen, wo Feindesschaaren sie belagern, wo auch daS Hei­ ligthum in Trümmer fallen und kein Stein auf dem andern bleiben werde. —

Oder ist der Friede nur von den Schaaren

gewichen, welche sich nicht vor dem Herrn des Heils beugten und hat doch segnend auf Allen geruht, welche den Namen Jesu Ehristi anbeteten,

und

hat sich um sie eine undurchdringliche

Schutzwehr gegen alle ihre Feinde gezogen, daß kein Arm gegen sie sich waffnen, keine Gewalt der Widersacher die Geweihten des Herrn, deren Erbtheil ein ewiger Friede war, berühren konnte? Ach nein, meine Geliebten, der Herr hat selbst in dieser Beziehung sagen müssen, daß er nicht gekommen sei Frieden zu brin­ gen auf Erden, sondern das Schwerdt.

Verkündigt hat er eS

den Seinen, daß ihre Bahn nur durch Verfolgung und bittre Schmerzen gehen werde, daß die Welt sie hassen und martern, daß wer sie tobte meinen werde, er thue Gott einen Dienst da­ ran.

Und unzählig ist die Menge derer, welche dem ersten Mär­

tyrer nachgefolgt sind, dessen Gedächtniss wohl auch die Kirche verbunden hat mit diesem Tage des Festes, unzählig die Menge der armen unschuldigen Opfer, welche ihr irdisches Leben dahin-

79

gegeben haben für den Fürsten de- Leben-, die in äußern» Wohl» sein und heiterm Frieden dahingingen, aber seitdem des Evange. liums Strahlen ihr Innere- erleuchtet hatten, seitdem sie froh und freudig den Glauben an den Gekreuzigten bekannten, statt des Wohlseins da- Kreuz auf sich nehmen, statt des Frieden­ den harten Streit kämpfen mussten, in welchem sie ihre Treue durch den Tod besiegelten. Aber wenn auch des Christenthums Feinde gegen seine Gläu» bigen kämpfend dastanden, sollten wir doch glauben in der Ge» meine des Herrn, welcher zunächst sein Friede versichett war, welche frohlockend der Engel Jubelgeschrei nachrief: da muss doch dieser Friede gewohnt haben, und wo die Nachfolger des Herrn sich sammelten, doch wohl Eintracht und innige Liebe gewesen sein. Als die Macht deS Christenthums die morschen Säulen des Götzendienstes gestürzt hatte, als Jerusalems Tempel gefallen war und falsche Eiferer für Moses Gesetz nicht mehr der kleinen Heerde des Herrn Schaden zufügen konnten, da sollte man glau» den, hätten Friede und Seligkeit in ihren Reihen gewaltet, und sie alle als Brüder, innig dankbar vor Gott vereint, der Welt das schöne Bild de- Friedens auf Erden geben müssen! Wohl hätte eS also sein sollen, wenn kein falscher Schein auch in dem Licht deS Glaubens Augen und Herzen verblendet hätte, wenn nicht so oft der todte Buchstabe statt deS lebendig machenden Geistes, nicht so oft der leere Gebrauch statt der heiligen Gesin­ nung denen für daS Höchste gegolten hätte, welche sich Christi Jünger nannten und in seinem Namen eiferten. O, ich will deS Festes schöne Stunden uns nicht trüben durch Darstellung der wutherfüllten Kämpfe, in denen Christen gegen Christen um bet Heiligsten willen einander gelobtet, nicht die Martern und die Todesquaalen schildern, mit denen sie einander verfolgten um ih­ rem Herrn zu dienen, aber allzuhell leuchten aus der Vergan­ genheit die Flammen der Scheiterhaufen herüber, die falscher Ei-

80 fcr aufgethürmt, und in die Tafeln btt Geschichte sind die Bäche des BluteS eingezeichnet, das Christen an Christen vergossen. Doch wer mag für feine Brüder stehn, wer so vieler Men» schen Gedanken auf einen Sinn lenken, aber

in der eignen

Brust aller Einzelnen, welche für Christum kämpften, in jedem Gliede der Gemeinde des Herrn, wenn sie sich aus dem Streit des Lebens herausgerettet hatten: da wird der Friede doch ge­ wohnt haben?

Nein, meine Geliebten, auch da wird er äußer­

lich nicht gesunden.

Wie die, welche nur den Namen Christi

tragen im Streite mit der Welt zerfallen sind, so kämpfen auch in der eignen Brust die Gedanken mit einander, und eben die Erkenntniss des Höheren sacht den Krieg im Innern an zwischen dem Gesetz in den Gliedern und dem Gesetz im Gemüthe, und haben jene traurig» Gestalten den Frieden in sich getragen, die in selbsterschaffnen Quaalen unter Geißelhieben und strengen Casteiungcn ihre Bahn gingen, die allen Freuden, welche des ewi­ gen Vaters Güte so mild und reich ihnen darbot, absagten, um, wie sie meinten, sich nicht durch Irdisches zu entweihen, welche die Kreise der Menschen verließen, um in Wüsteneien und Ein­ öden in falscher Gottesfurcht vor dem Bilde des Gekreuzigten ihr Leben zu vertrauern?

Haben sie nicht durch die äußre Buße

nur den Kampf im Innern verhüllen wollen und sind diesem Kampfe unterlegen? Wenn aber so nirgend, auch nicht in der Kirche des Herrn, der äußere Friede wohnt, was ist der Friede aus Erden, waS meint der Herr, wenn er spricht: meinen Frieden gebe ich euch?

O, er muss unendlich gross, und reich und herrlich sein,

wenn er solches Weh vergüten, wenn der Herr, welcher doch im Geiste allen den Jammer voraussah, der nach seiner Erscheinung auf Erden das Menschengeschlecht verwunden werde, doch weiss, daß sein Friede das Alles überschwenglich ersetzen werde, wenn wir so fern von den Tagen seiner Geburt auch jetzt noch dan­ kend und segnend sein Fest feiern, und einstimmen können in den

Sl Freudenruf: Friede auf Erden! —

Sein Friede aber war sein

Einsscin mit Gott und sein Hinzuführen der Menschen zu dieser Gemeinschaft.

Gott war in Christo und versöhnte die Welt mit

ihm selber, und hat unter uns aufgerichtet das Wort der Ver­ söhnung, bas ist die segensreiche Botschaft, die da zeugt von dem Frieden unsers Herrn.

Gott war in ihm und er in Gott!

der

Vater lasst mich nicht allein, denn ich thue was ihm gefällt. Das kann er rufen unter allen Verfolgungen seiner Feinde, das schafft in ihm die reine, heilige, unberührte Seligkeit, in welcher er leiden und sterben kann, aber freudig den Kelch trinken, den der Vater gegeben hat, und ihm im Scheiden die Seele em­ pfehlen.

Und diesen Frieden der Gottesgemeinschaft den Seinen

zu hinterlassen, dieses hohe selige Gefühl, auch wo die Sünde geherrscht hatte, welche der Reine ohne selbst von ihr berührt zu werden nur mitfühlte mit seinen Brüdern, in die mit dem Vater versöhnte Brust zu pflanzen: das war das Heil seiner Erscheinung. Daß er gekommen war unter den Schaaren, gegen welche die Welt feindlich kämpfte, unter der Menge derer selbst, welche, wiewohl sie seinen Namen trugen, doch nicht wussten wes Geistes Kinder sie waren, eine geweihete Gemeine sich zu bilden, welche diesen Himmelssrieden in sich aufnehmen und nun das Salz der Erde werden, nun unter Kampf und Verfolgung immer mehr Seelen für dieses Heil gewinnen sollte: das ist der Grund unsers Froh­ lockens, das der Gegenstand unsers heißen, innigen Dankes. — Neben diesem Frieden mit Gott, welcher die ganze Fülle der Se­ ligkeit in den Gläubigen schuf, umfasst sein Friede aber auch die Liebe, mit weicherer die Welt geliebt hat.

In dieser Liebe

hat er, wie er Alles versöhnte mit dem Vater, die Handschrift unsrer Sünden hinweggenommen, und die Gerechtigkeit erworben, welche vor Gott gilt, in dieser Liebe war er auch selbst versöhnt mit Allen, deren Bruder er geworden, streckte als der mitleidige Hohepriester seine Arme nach allen Verirrten aus, legte auch seine Feinde und Widersacher an das Herz seines Vaters und Pischon Prrd.

F

verband alle die Seinen untereinander in derselben heiligen Liebe. In diesem Frieden mit seinen Brüdern, in welchem er keinen Feind kannte, ist er den dunklen Pfad seiner Wallfahrt gewan­ delt, und der dunkle Pfad ist für uns eine Bahn des strahlen­ den Lichtes geworden, das alle Welt erleuchtet. Bon diesem Frieden konnte der Herr nur sagen: meinen Frieden gebe ich euch! von diesem konnten die Engel dankend singen: Friede auf Erden! denn er war nicht vorhanden in die­ ser Welt, ehe der Herr kam.

Wie die Heidengeschlechter in dunk­

ler Frömmigkeit sich auch mögen gebeugt haben vor den unbe­ kannten Göttern, wie Israels Volk in banger Ehrfurcht Iehovahs Altaren sich genaht, dieses Friedens Herrlichkeit, diese Ge­ meinschaft mit dem versöhnten liebenden Vater im Himmel, sie war noch in keines Menschen Herz gekommen ehe daS Wort Fleisch ward, das ist die Herrlichkeit des eingebornen Sohnes vom Vater voller Gnade und Wahrheit. —

Und zu wie gro­

ßen Vereinen der Menschen Geschlechter sich auch versammelten, wie Freunde mit Freunden neben einander mögen gestanden ha­ ben im Leben und im Tode: ein allgemeines Band heiliger Liebe, die auch den Feind umschließt, die im Sklaven ihren Bruder findet und ferne Völker vereint, einer Liebe, die über Erdenfreu­ den und Erdenschmcrzen den Menschen in eine Gemeinschaft der Seelen erhebt, die den Urquell ihres Wesens

hoch über dem

Vergänglichen in Gott suchte, die mit ihm durch einen himmli­ schen Mittler sich selig vereint fühlt und stark durch ihn, um für das Seelenheil andrer Alles zu dulden und zu tragen: o nur wie ein überirdischer unerreichbarer Gedanke, nur wie eine schöne, nie auf Erden in Erfüllung gehende Dichtung hatte sie vor den Weisen der Welt dagelegen, wenn vor des Herrn Erscheinung sie wäre geahnt worden. Das aber ist nun das Heil dieses Festes, daß Christus sol­ chen Frieden den Menschenkindern gebracht hat,

und daß dieses

Friedenbringers Geburt noch nicht auf Erden verklungen ist, daß

83 sich Millionen sehnend und glaubend heut ju ihm wenden, und nicht Weltliches und Irdische-, sondern nur sein ewiges Heil suchen, das ist uns das sichre Unterpfand, daß dieser Friede «in unvergänglicher sei.

11. Als einen solchen stellt ihn uns aber auch unser Herr dar, wenn er spricht: den Frieden lasse ich euch! und darum müs­ sen wir nun auch zweitens gewiss werden daß er ihn unS hinterlassen hat. Zwar wir könnten es uns wohl wieder erneuern jenes trübe Wild, von dessen Betrachtung wir kommen, wenn wir auch noch zu unsern Zeiten die äußere Gestalt der Welt und des Menschen­ lebens schauen.

Denn, wenn wir auch den Trost haben, daß vie­

les besser geworden ist auf Erden, daß vor dem Lichte des Herrn manches Dunkel

verschwunden,

manche Barbarei

ausgetilgt,

manche schönere Gestaltung des äußeren Lebens, wie der Gemeine Jesu Christi vor uns erschienen ist, den Frieden werden wir doch vergebens suchen.

Auch in dem scheidenden Jahre sind christliche

Fluren gedüngt worden mit dem Blute

von Tausenden,

der

Streit hat nicht ausgehört unter den ztiemnm der Menschen, ja Nicht in der Kirche des Herrn selbst, und der schöne Friede, welcher alle Glieder der Gemeine Jesu Christi vereinen sollte, Unglauben Und Aberglauben, Weltsinn und Scheinheiligkeit, Gleichgültigkeit lind Engherzigkeit, Ungerechtigkeit und liebloses Wesen haben ihn Hur allzuoft gestört und mit Waffen des falschen Eifers gekämpft,

co nur die Waffen der Liebe geführt werden sollten.

Und daß

der Friede in dem Leben ves Einzelnen durch Armuth und Elend urch Schmerz und Tod getrübt worden ist, daß manches Gemüth iesem Feste nicht in frommer Freudigkeit, sondern nur in schmerzcher Wehmuth entgegengeschaut hat: wie sollten wir uns das nicht sagen müssen an dem Ende eines Jahres, das so viele Op­ er hinweggenommen, so große, schmerzliche Lasten auferlegt hat. F 2

84

Aber der Herr spricht: den Frieden lasse ich euch! und hat er ihn seiner ersten Gemeine gelassen, hat der Apostel, welcher von seiner Geburt uns erzählt und der himmlischen Heerschaaren Lob­ gesang uns verkündet hat, keinen Widerspruch gefunden in dem Worte: Friede aus Erden, mit jener Zeit tieferen Elendes, welche er gesehen, o so muss des Herrn Wort auch uns noch gelten, und er muss sich fortgepflanzt haben mit dem Reiche des Herrn, dieser höhere Friede, daß, so weit auch wir noch Jünger unsers Erlösers sind, auch uns dies große Erblheil seines Friedens muss hinterlassen sein. Und also ist es geschehen in jenen Zeiten, welche die erste frühe Kirche des Herrn bedrängten. Ja, sie haben Stephanus zur heiligen Stadt hinausgestoßen und ihn gesteinigt, aber er hat die feindlichen Blicke der Mörder nicht geschaut, er hat die Schmer­ zen nicht gefühlt, die sein Leben endeten: in dem Frieden, den sein Herr ihm gelassen sah er den Himmel offen, und Jesum zur Rechten der Herrlichkeit Gottes, in dem Frieden seines Herrn betete er: Herr, behalte ihnen diese Sünde nicht! — Sie ha­ ken Tausende zu Scheiterhaufen und Richtplätzen gedrängt, aber der Friede ihrer Brust ließ sie dem guten Herrn treu bleiben, der auch des Todes Kampf ihnen leicht machte, daß Tausende sich ihnen auf die Bahn nachdrängten, vor welcher sie sonst erzittert wären, und jeder Aschenhaufen und jeder Richtplatz der Gläu­ bigen eine neue Pflanzstätte der Kirche Jesu Christi wurde. — Wohl haben sich in der Gemeinde des Herrn selbst die Ver­ führer seines Volks erhoben. Streit und Zwietracht entzündet, todte Gebräuche dargereicht statt Seligkeit und Erdengüter be­ gehrt statt des ewigen Heils. Aber wo der Herr auch also das Schwerdt gebracht hat, es haben sich die Kräfte seiner Gläu­ bigen nur im Kampfe erzeugt und gestählt, und aus jedem Streit, aus jeder Verfolgung, ja aus jedem Irrthum und jeder Sünde ist ein neues Heil hervorgegangen, und das Schwerdt hat doch nur wieder den Frieden gebracht, der die Welt über

wand.

Und wie oft hat in dem Streite die Liebe gesiegt, wie

oft hat des Heilandes Bild, daS doch keine noch so trübe Zeit auf Erden vertilgen konnte, die Kämpfenden und Hassenden et« weicht, daß sie einander versöhnt und selig ans Herz gesunken sind.

Wo im düsteren Wahn sich falsche Gläubige losgerissen

haben von ihren Brüdern, da haben auch Solche sich gefunden, welche in liebreicher treuer Hülfe keine Mühe und keine Gefahr, keine Banden und keine Schmerzen scheuten

um Segen

und

Frieden in Paläste und Hütten und Kerker zu bringen, alle ge­ trieben durch denselben Frieden, den Christus den Seinen ge­ lassen hatte. Daß er nun aber auch uns noch gelassen ist als derselbe Friede, den der Herr in sich trug, das erkennen wir auch in dem Zusammenhange der Worte unsers Textes.

Denn wie konnte

doch nur der scheidende Erlöser diesen göltlichen Frieden aus sei­ nem heiligen Wesen auf die schwachen, wankenden und trauern­ den Gemüther seiner Jünger übertragen, und wie war es mög­ lich, daß die Sündigen stark wurden in solcher Kraft? Er hatte sie aber vor unsers Textes Worten auf den Geist hingewiesen, den er senden wolle, wenn er von den Seinen ginge, auf den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen könne, der sie aber Alles lehren, und sie erinnern sollte alles des, waS er ihnen gesagt hatte.

Wie er nun selbst gesalbt war mit diesem

heiligen Geiste, und dieses Einssein mit ihm den Frieden ihm gab, welcher ihn mit Gott und Menschen verband, so knüpfte er nun auch das Lassen dieses Friedens an das Kommen des Geistes.

Dieser Geist ist ja nun aber ewig derselbe.

Er waltet

noch immer in unsern Tagen wie in den Zeiten der ersten Kirche in der Gläubigen Herzen, und sein Würken bleibt dasselbe bis an das Ende der Tage.

Je weniger nun die Menschen von

diesem Geiste erfüllt waren seit der Zeit des Erlösers, wenn sie auch äußerlich seiner Kirche angehörten, um so weniger kam ih­ nen auch der Friede des Herrn, denn da sie ihn nicht kannten

und aufnahmen, konnte er sie auch nicht an Alles erinnern was Christus gesagt hatte.

Je mehr wir uns aber von diesem Geiste

lehren lassen, je liebender und andächtiger wir uns in seine Leh­ ren hineinversenken, je lebendiger durch ihn des Herrn Bild vor uns steht, und wir uns in seine Gemeinschaft und zu seinen Füßen denken, ja lebend in ihm und durch ihn, um so mehr er­ füllt uns auch sein Friede, um so freudiger erkennen wir, was uns Gott in Christo gegeben hat,

um so brünstiger üben wir

auch die Liebe unsers Herrn gegen die Brüder aus, und suchen auch ihnen zu oiesein unvergänglichen Frieden zu helfen. Wo aber könnte der Geist auch mehr in uns würfen und uns inniger mit Christo vereinen, als in diesem heiligen Feste der Weihnachten.

Ja, wenn dieses uns wiederkehrt, auch wenn

es uns unter mancher irdischen Noth und Trübsal kommt, eS ist uns doch immer, als ständen wir ihm nun wieder näher, der unser Bruder geworden ist, als neigte sich Gott zu uns herab und der ganze Himmel thäte sich uns auf und es spräche laut zu uns: Ihr seid nun alle Gottes Kinder durch den Glauben an Christum

Jesum.

Wenn

dann

in dem

Gefühl innerer

Seligkeit wir uns ganz in die Hand unsers Herrn geben, nicht mehr klagen und seufzen über irdischen Jammer, zittern und

zagen

wegen

unsrer Schwachheit

nicht mehr

und Sündhaf­

tigkeit, sondern uns nur tröstend und bankend immer wieder sagen: der Heiland ist dir geboren! dann erkennen wir, wie unZ sein Friede geblieben ist, den die Welt nicht nehmen kann. — Und wenn wir sehn, wie in dem Feste der Freude auch in di« niedere Hütte, auch in die kindliche Brust die Freude bringt, wenn wir der Kindlein Stimme vernehmen, wie sie jauchzen und das Alles um eines Kindleins willen, wir aber uns sagen: du kennst ihn aber näher als sie, du hast in ihm ein höheres Ge» schenk als alle irdische Herrlichkeit,

welche sie fröhlich macht

wenn aus dem Gefühl der Dankbarkeit auch die Liebe kommt und wir erkennen wes Geistes Kinder wir sind, und Friede ma>

87 chm mit den Menschen, und nichts wollen alS Thränen trocknen, und Kummer stillen, höhere Freude verbreiten, zum ewigen Le. den leiten und es Alle empfinden lassen, daß der Engel Ruf: Friede auf Erden! auch unter uns wahr geworden: dann sehn wir an uns die Erfüllung

des Trostwortes

in unserm Text:

meinen Frieden lasse ich euch; dann erkennen wir, wie das Fest der Weihnachten das rechte Unterpfand ist, daß dieser Friede nie von uns genommen wird. III.

Ist nun so selige Gewissheit und gegeben und zeugt unS Alles vom Frieden, den der Herr gelassen: entspricht denn nun auch das ganze Leben diesem Frieden, oder bedürften wir in sol­ cher Seligkeit denn noch eines Trostes?

Wir bedürstcn ihn nicht,

wenn wir nicht noch immer die Zeichen der Gebrechlichkeit an uns trügen, wenn nicht noch immer das Leben uns erschreckte, weil noch die Sünde in uns wohnt, wenn nicht noch immer diese Seligkeit, dieser stille Gotlcvfriede uns entflöhe

und wir

in den alten schweren Kampf versänken, weil wenn des Herrn Gnade nicht immer sichtbarlich uns erscheint, wir unS von ihm getrennt glauben, darum müssen auch wir noch fragen: wozu die Gewissheit seines Friedens

an seinem Feste

unS füh­

ren solle? Euer Herz erschrecke nicht, und fürchte sich nicht! ruft der Herr seinen Jüngern in unserm Text zu, und das ist cS, was wir uns in diesen heiligen Stunden gesagt sein lassen wollen. Wo Schreck und Furcht, wo tiefes Weh der Gegenwart und banges Ahnen der Zukunft unS erfüllt, da ist der Friede schon verdrängt aus unsern Seelen, da verstrikken wir und immer in das Irdische, das und des ewigen Vaters Gnade nicht schauen lässt, da versenken wir uns nur in das selbstsüchtige dunkle Ge­ müth, das sich verschließt vor der Gnade beS Herrn.

Darum

sollen sich Ehristen schon immer gesagt sein lassen, daß sie nicht

erschrecken dürfen, was sich auch vor ihnen von tiefer Noth und großem Schmerz offenbare, daß sie sich nicht fürchten sollen, wie trübe die Aussicht in das Leben sei, weil nicht das betrübte, son­ dern nur das dankerfüllte Gemüth den Frieden Gottes recht auf­ nehmen kann.

Aber es giebt auch noch ganz besondre Zeiten

und Stunden, wo, wenn wir auch stark waren und Gottes Friede in uns allen Schmerz niedergekämpft hatte, uns wieder die Kraft gebricht und wir wieder vor unserm Elend und unsrer Nichtigkeit erschrecken.

Solche Zeiten sind einmal die, an welche

wir in unserm Tert erinnert werden, Zeiten eines großen Ab­ schnitts in unserm Leben, wie in dem Leben der Jünger, als nun die Zeit des Wandelns mit ihrem Herrn vorüber war und eine neue Laufbahn vor ihnen lag, aus welcher er sie nicht mehr sichtbar begleitete. dieser Stunde.

Eine solche liegt nun auch vor uns da in

Wir schauen zurück in ein Jahr unsers Lebens,

ach, in ein Jahr, das neben manchem Schmerz der Sünde, die wir in uns getragen, so manches Weh gebracht, so manche Freude verlöscht,

so manche

unheilbare Wunde geschlagen hat.

Wir

schauen hinaus in eine Zukunft, wo mancher äußerlich verlassen und traurig, getrennt von solchen, mit denen er lange freudig gewandelt war, seine Bahn gehn soll; da geschieht es leicht, daß der Mensch zusammenbricht, daß der Friede entfliehen will, und uns der Herr zurufen muss: fürchte sich nickt! —

Euer Herz erschrecke nicht, und

Aber solche Zeiten sind auch die Zeiten der

Freude und des allgemeinen Glücks.

Wohl wird das erschreckende

Herz auch getröstet durch das Glück der Mitmenschen, durch die Freude, die aus jedem Antlitz derer, die uns umgeben, uns ent­ gegenstrahlt, aber öfter noch zieht sich der Leidende zurück aus dem Kreise der Fröhlichen, und fühlt in der allgemeinen Wonne um so schmerzlicher, wie dunkel und traurig es in ihm ist, und warum er sich nicht freuen kann, wie er sonst sich gefreut mit den Fröhlichen. wir leben. —

Und solche Zeit ist auch das schöne Fest, in dem O gewiss, es ist Vielen also gewesen in diesen Ta.

gen.

Zu gewaltig hat die allgemeine Freude des Feste- in die

wunden Herzen gegriffen und den rrmngenen Muth gebrochen, zu dunkel ist auf dem hellen Grunde der Weihnachtsfreude der große Schmerz erschienen, wenn am heiligen Festabend eine Haupt­ stelle leer war und

keiner mehr warten konnte auf die sonst

Freuden gebende und empfangende Gestalt, welche sie einst aus­ füllte! —

Euer Herz erschrecke nicht, und fürchte sich nicht!

Er, der diese Worte geredet, er ist uns ja aufs neue geboren, er bleibt ja immer derselbe.

Wie das Irdische sich ändern, wie da-

Vergängliche sich wandeln mag, es ändert ja nichts an seinem heiligen Feste, seine Liebe bleibt ja ewig und nimmt am treu­ sten der Verlassenen sich an, sein Friede, den er gelassen, den er aufs neue uns giebt, er bleibt ja ewig derselbe und ist höher als aller Menschen Vemunft, als aller Menschen Schmerz. — Und ihr, denen keiner fehlte in den festlichen Reihen, ihr, die der Vater gnädig hindurchgeführt hat durch Gefahr und Schmerz, denen keine bange Ahnung sich erfüllt, denen auch das trübe Jahr in Frieden sich endet, o wie könnt ihr anders danken, als unverrückt festhalten an dem Frieden des Herrn, an der innigen seligen Vereinigung mit ihm, der uns neu geboren ist in seinem heiligen Feste. Ja, meine Geliebten, ist Jesus Christus gestern und heute und derselbe in alle Ewigkeit, so wollen auch wir in treuer Liebe die Seinen bleiben in dem neuerscheinenden, in allen kominenven Jahren unsrer irdischen Wallfahrt. —

Sie wird zerfallen, die

Pracht und Herrlichkeit der Welt, welche uns noch jetzt entzückt, ein Jahr nach dem andern wird immer mehr hinwegnehmen von dem was noch heut glänzend und strahlend vor uns liegt, nichtwir allein werden unser Haupt in den Staub legen

und einer

nach dem andern verschwinden von der irdischen Bahn. auch al­ len die uns folgen ist dieselbe Straße gewiesen, dasselbe Loos beschicden; aber wie der Menschen Geschlechter kommen und schei­ den werden, die Gemeinschaft mit Christo wird nicht untergehn

90

in seiner Kirche aus Erden. AU« ihre Glieder, die nach unS auf Erden wandeln, sie werden auch nach uns des Herren Feste feiem, ewig wird Christus geboren werden in der Gläubigen Herzen, ewig ihr Begleiter sein durch die kommenden Jahre, ewig sein Friede sie beseligen und erheben über Welt, Sünde und Tod, und solche Gewissheit soll uns Kraft geben zu erfül­ len sein tröstendes Wort: Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht! So gehet nur hin, ihr irdischen Tage des Heils, so fliehe, scheidendes Jahr, mit deinen Freuden und deinen bittren Schmer, zen, in uns soll der Friede des Herrn bleiben. Wie frohe, fromme Kinder wollen wir unsre Noth an seinem Feste vergessen, wie seine rechten Jünger wollen wir durch seinen Geist uns leiten lassen in alle Wahrheit und im Gefühl der Seligkeit, welche er unS gelassen hat, welche er uns erhalten wird, dankend und froh­ lockend sprechen: Ehre sei Gott in der Höhe, und Friede auf Erden, und den Menschen ein Wohlgefallen. Amen.

vm. Daß das gute Theil, welches Maria erwählt hat, der einzige Wunsch für uns am Anfange eines neuen Jahres sein soll. Am Neujahrstage.

Ueb. Luc. 10, 38 — 42.

Gebet. O Herr der Wett und der Seiten, du ewig Unveränderlicher (m treibenden Wechsel der Jahre, schaue du erbarm ung-voll auf unt herab und führe un- gnädig auch in diese- neue Jahr.

Gieb un-

deinen Segen, daß in dm kommenden Lagen unser Sehnm nach den ewigen Schätzen gerichtet sein möge, nach dem himmlischen Klei­ nod, da- un- vorhält die himmlische Berufung in Christo Jesu, welche- nie von un- genommen werden kann.

Text.

Amen.

Luc. 10, 38 — 42.

Es begab sich aber, da sie wandeltet«, ging er in einen Markt.

Da war ein Weib, mit Namen Mar­

tha, die nahm ihn auf in ihr Haue. —

Und sie

hatte eine Schwester, die hieß Maria: die sehte sich ju Jesu Füßen und hörete seiner Rede zu. —

Mar-

92 tha aber machte ihr viel zu schaffen, ihni zu dienen. Und sie trat hinzu und sprach:

Herr,

fragest du

nichts darnach, daß mich meine Schwester lasset al­ leine dienen? greife.—

Sage ihr doch, daß sie cs auch an­

Jesus aber antwortete und sprach zu ihr:

Martha, Martha, dn hast viel Sorge und Mühe; — Eines aber ist noth;

Maria hat das gute Theil

erwählet, das soll nicht von ihr genonnnen werden.

Tag, an welchem wir uns heut vor Gott versammelt haben, meine in Christo Geliebten, der erste Tag eines neu be­ ginnenden Jahres, er fängt uns mit Wünschen für das Wohl derer an, welche uns Gott aus unserm Lebenswege enrgegenge. führt hat und obwohl wir wissen, daß unser Wünschen nichts vermag, so vernehmen wir doch gern, was der Freunde Mund, der Mund der Geliebten uns ausspricht, ja je treuer und herz­ licher es zu uns gesagt wird, oder auch, nicht ausgesprochen, auS der liebenden Umarmung, dem feuchten Auge, dem innigen Druck der Hand sich uns kund giebt: eine desto schönere Vorahnung glücklicher Erfüllung scheint es uns zu sein.

Aber welch thö­

richte, eitle, zum Verderben führende Wünsche werden nicht auch an des Jahres Morgen ausgesprochen und wie fern sind nur all­ zuoft der Menschen Gedanken und Wege von den Wegen und Gedanken Gottes.

Aber sie sollen immer mit diesen geeinigt

werden und es kann uns kein Erdcnglück blühen, was nicht erst durch die Gemeinschaft mit Gott geheiligt und erhöht werden müsste.

Wo aber sollen wir das mehr empfinden als hier im

Hause des Herrn, wo wir vor seinem Angesicht alle unsre Em­ pfindungen und so auch heute unsre Wünsche heiligen sollen. — Fragen wir nun aber nach dem rechten Wunsch, nach dem ein­ zigen Gut, was wir uns und den unsern erflehen, wonach wir beim Ansang und am Ende der Jahre mit allen Kräften streben

93 sollen, so giebt die Erzählung unsers Textes uns Auskunft darüber.

„Eins ist noth!" spricht der Herr, „Maria hat das gute

Theil erwählet, das wird nicht von ihr genommen werden." Höheres nun als was der Herr selbst das gute Theil nennt, kann es denn doch nicht geben und so lasset uns bettachten: daß daS gute Theil, welches Maria

erwählt

hat, der einzige Wunsch für uns bei dem An­ fange eines neuen Jahres sein soll. Lasset uns demnach betrachten: I. Was wir unter diesem guten Theil zu verstehen haben? um dann II. uns sagen zu können: warum es unser einzi­ ger Wunsch am Anfange des neuenJahres sein soll?

I. Bei dem ersten Anblick hat die Erzählung unsers Textes mit dem heutigen Tage nichts gemein.

Wir sehen nicht, daß äußer­

lich ein größerer Lebensabschnitt bei den Schwestern in Bethanien anfange und von einem Wunsche für die Zukunft ist zunächst auch nicht die Rede.

Aber wenn wir bevenken, wie sie nie ver­

gessen konnten, daß der Herr in ihre Wohnung eingekehrt war und nun eine neue dauernde Bereinigung zwischen ihm und ih­ nen sich geknüpft hatte: dann müssen wir auch diesen Tag bei ihnen als einen bedeutenden Abschnitt ihres Lebens ansehen, be­ deutender als jeden andern ihres früheren oder späteren Wandels; achten wir auf das, was der Herr von Maria sprach und wie sich das in ihrem ganzen Leben bis ans Ende bewähren musste: dann erkennen wir, wie sie auch durch diese Einkehr des Herrn in das Haus der Schwester das Höchste erlangt hat, was der Gegenstand unsrer Wünsche bei einem Jahresabschnitt sein kann. Welches

ist aber

dieses Höchste? —

Sehen

wir

zuerst auf Martha, so könnte uns diese, obschon der Herr sie in unserm Text zu tadeln scheint, wohl auch als eine vom Hrrm

94 reich Gesegnete erscheinen und daS ist sie auch gewiss in vieler Hinsicht gewesen.

Denn sie ist es, die den Herm in ihr HauS

aufgenommen hat und so hat sie ja seinen hohen Werth erkannt. Macht sie sich aber viel zu schaffen, so ist es doch nur um ihm zu dienen, Alles was sie thut, es geschieht für ihn und zu seiner Ehre und spricht sie zum Herrn: sage doch meiner Schwester, daß sie eS auch angreife! so wissen wir wohl auS der Kenntniss ähnlicher treuer sorgsamer Seelen, es wird ihr nicht so schwer, daß sie ernstlich Hülfe forderte; sondern sie will nur damit an­ deuten, daß sie eben darin glücklich ist, daß sie sich Sorge und Mühe machen und dem Herrrn dienen kann.

Und soll uns das

nicht als etwa- Hohes gelten! ja wäre es nicht auch ein schöner reicher Wunsch für uns,

dies

anfangende und alle folgenden

Jahre unsrer Wallfahrt zu führen Herrn?

im treuen Dienst

für den

Wenn wir auch das Leben betrachten, das doch den

Meisten oder Allen unter uns wieder beginnt, ist es nicht rin Leben wie Martha es führte voll äußerer Geschaffte? hat nicht jeder sein zugemessenes Theil davon von seinem Gott erhalten und müssen wir da nicht treue Haushalter sein?

in seinem Dienst

Können wir demnach wohl etwas Höheres und Schöne­

res wünschen und wollen als alle unsre Arbeit zu vollbringen für den Herrn? —

Oder, schauen wir auf Maria, die zu de-

Herrn Füßen sitzt, hat er uns in ihrem Beispiel, da er von ihr und nicht von Martha sagt, sie habe das gute Theil erwählt, etwa empfehlen wollen uns von den Geschäfften und Thätigkei­ ten des Lebens zu trennen, nur müßig nach den himmlischen Gütern zu trachten, oder, abgezogen von der Menschen Gemein­ schaft. wie so viele die göttliche Lehre niissverstanden haben, in Einöden und Wüsten, in stiller Betrachtung ein Leben einsamer Beschauung zu führen, fern von jeder irdischen Sorge den Leib zu geißeln und jede Lust deS Lebens in uns zu brechen, nur schmachtend nach Auflösung und Abscheiden von Welt?

der sündigen

Und wäre das das höchste zu ersehnende Gut?

95 Nein, m. G-, so «erden wir den Herrn nicht missverstehen und müssen uns sein Wort ganz anders deuten. —

Er will

nicht menschliche Thätigkeit verdammen, ohne welche kein gemein, sames Wohl auf Erden denkbar ist, er, der selbst gesagt hat: ich muss würken die Werke des, der mich gesandt bat, ehe denn die Nacht kommt, wo niemand würken kann; er will nicht die hei» ligen Bande auflösen, welche die Menschen unter einander in theilnehmender Liebe und Gemeinschaft vereinen. zu Martha: du hast viel Sorge und Mühe!

Aber er spricht Und daS ist die

falsche, die unnütze Sorge und Mühe, wo der Mensch in dem äußern Geschafft und unter demselben versinkt, ohne ein höhereZiel in sich zu tragen, nur für das Vergängliche sich abmüht und dieselbe Mühe für denselben Zweck immer wieder beginnt, ohne unter derselben durch den Gedanken höherer Gottesgemein, schüft gehoben und getragen zu werden und ohne das äußere und an sich eitle Geschäfft nur treu zu vollbringen, weil der Herr es uns übergeven hat und diese Treue von seinen Dienern sor» bett.

Aber Martha s Sorgen für den Herrn ist auch nur äußer­

lich für ihn, es beschränkt sie nur auf sich selbst und auf den Ruhm und das Lob, das sie sich zu erwerben meint und von ihm fordert, während sie sich selbst von ihm entfernt und ihm in der Stunde, wo er ewiges Heil in ihre Seele legen will, nur Dienste des äußerlichen Lebens darbietet. —

Jene Treue aber,

welche der Herr auch im Kleinsten fordert, woher kann sie kom­ men, wenn nicht aus der heiligen Richtung des Gemüths auf ein gewisses, ewiges, nie zu verrückendes Ziel der Gemeinschaft mit Christo.

Dieses aber muss in den heiligen Stunden der

Vereinigung mit ihm im Gemüth angeknüpft werden, daß es ausbaute und die Mühen und Sorgen des Lebens überwinde. Das hat Martha versäumt, darum muss ihre Sorge und Mühe sich häufen, das ließ Maria sich nicht rauben und darum hat sie den Segen solcher Gemeinschaft in ihr ganzes Wesen auf« genommen.

96 Und hatte sie nur gehört, nur leere Worte vernommen, dann hätte der Herr nicht von ihr gesagt: sie habe das Eine was noth thut: hatte sie die ihr obliegenden Pflichten vergessen und in träger Ruhe die Gemeinschaft mit denen zerreißen welche Gott ihrer Liebe

und Fürsorge

wollen,

empfohlen hatte, dann

hatte der Herr nicht gesagt: sie habe das gute Theil erwählet, das nicht von ihr genommen werden solle.

Aber die stille Ruhe,

in welcher sie zu Jesu Füßen saß und seiner Rede zuhöret«, sie ist das Bild des seligen Friedens, welcher sich aus seiner Ge­ meinschaft in ihre Seele senkte, in welchem sie alles Bergangenen vergessen konnte, in welchem sie alles Kommende getragen und überwunden hat und dieser selige Frieden in der Bereini­ gung mit Jesu, das ist das gute Theil, was nicht von ihr ge­ nommen werden konnte. ria's Leben bewahrt.

So hat es sich auch gewiss in Ma-

Es wird uns freilich in der heiligen Ge­

schichte nichts Näheres von dem gesagt, was sie im früheren Le­ ben gedrückt haben mag, haben.

doch scheint auch sie viel geduldet zu

Schon zwei Schwestern, in Einsamkeit lebend, denn auch

der Bruder ist fern, also wohl früh allein und verwaist, sind ein wehmüthiger Anblick in ihrer Hülslosigkeit und Maria ist unter ihnen wohl die jüngere, die am frühsten verlassene.

Wie vieles

mag sie da zu tragen und zu beweinen gehabt haben! aber ist Alles vergessen zu

ihres Erlösers Füßen.

Das

Was aber

dort von seligen Frieden in ihre Seele eingedrungen ist, das hat sie nicht verlassen, als auch des Herrn leibliche Gestalt von ihr ging.

So können wir wohl meinen, daß sie auch treu gewesen

sein wird in ihrem häuslichen Würken, da sie es in dem Herrn that und es ihr so nicht zur Mühe und Sorge wurde; aber auch in den Zeiten tiefer Trauer und Schmerzen, und sie kommen ihr bald, am Krankenlager und an der Gruft des einzigen geliebten Bruders war ihre Hoffnung und ihr Vertrauen nur auf Chri­ stum gerichtet, und als sie des Herrn äußre Gnadengaben emp­ fing, als der ihr im Tode Entrissene aus dem Grabe erweckt,

97 wieder lebend neben ihr stand: da war ihre Seele voll ßesten innigsten Dankes

und

de-

hei­

der Herr, dessen Füße sie salbte

und mit ihrem Haar trocknete, sprach von ihr: wahrlich, ich sage euch, wo dirs Evangelium gepredigt wird in der ganzen Welt, da wird man auch sagen zu ihrem Gedächtniss, was sie gethan hat! —

So ist dieser selige Friede in der Gemeinschaft mit

Jesu von ihr nicht genommen worden und dieser ist daS gute Theil, der einzige Wunsch, den wir auch für uns bei deS neuen Jahres Anfang haben sollen.

II. Warum aber soll er unser einziger Wunsch sein an dieses Jahres Morgen? —

Zuerst darum, weil er

alle andern Wünsche in sich fasst und heiligt. — Um­ fasst er denn aber würklich Alles?

Werden wir durch dieses

Wunsche-Erfüllung empfangen was wir vermissen und ersehnen? Werden wir dadurch reich, glücklich, gesund, kenntnissreich, talent­ voll? und daS sind doch Wünsche, welche für unS und die Unsrigen heut ausgesprochen werden.

Oder giebt er, was die Ver­

gangenheit uns entrissen hat, verlornes Glück, entflohnen Frieden, öffnet Gräber und verschließt sie vor uns und den Geliebten? Ach, ich höre

die Trauernden und Betrübten, die, welche an

dunkle Tage und Jahre zurückdenken, die, welche bang den kom­ menden Stunden entgegenschauen, ich höre sie sprechen: das kann er nicht!

Aber dennoch kann er es, er fasst alle höheren Wünsche

in sich, befriedigt und heiligt auch das trauernde und bange Gemüth! Wer diesen Wunsch im Herzen tragt, m. G., der setzt sich auch still wie Maria zu Jesu Füßen und opfert dem Herrn alle seine andern Wünsche. des Lebens,

Denn das ist der Grund aller

daß wir Alles wollen

Schmerzen

und bestimmen ohne den

Herrn und nicht still und geduldig seiner Liebe warten, sondern ihm vorschreiben was er uns geben soll und murren, wenn er versagt oder nimmt. Pischon Pred.

Wenn wir aber in den heiligen Stunden, G

98

wo bet

Herr mit feinem Wort und Geist zu uns kommt,

zu seinen Füßen setzen und feinen

seligen

UNS

Frieden in unser Ge-

müth aufnehmen: dann empfangen wir den Reichthum, den die Welt nicht hat, den Reichthum der himmlischen Güter und Ga­ ben, den sie nicht kennt, dann kommt das Himmelsglück über uns, der reiche Gewinnst, den kein Silber und Gold aufwiegt, der Schatz, der in reiner Tugend und christlicher Frömmigkeit als eine Gabe von oben sich auf unser Leben und das Leben unsrer Geliebten ergießt.

Und welche Ehren sind höher als die in des

Herrn Gemeinschaft selbst unter Leiden errungenen.

Ist je ein

Fürst der Welt mit so schöner Krone geschmückt gewesen als die Heiligen, welche Christo ihr Kreuz nachgetragen und in der Liebe für ihn auch das Leben gelassen haben? Gemeinschaft ist auch

die rechte

Der Friede in seiner

Gesundheit.

Sind

wir mit

Christo vereint, dann theilt sich auch dem siechen und gebrechli­ chen Körper der höhere Lebensathem, der rechte Himmelsbalsam mit, welcher alle Krankheit überwindet, und in seinem Frieden sammeln wir die Schatze der Weisheit von oben, welche uns nicht irren lässt vom Pfade zur Seligkeit. —

Dieser Friede aus

Jesu Gemeinschaft, seid nur getrost, ihr Traurigen, er giebt euch verlornes Glück höher und reiner wieder.

Statt falscher Freunde

giebt er den treuen himmlischen Freund, und die geliebten Tod­ ten zeigt er uns irdischen Kämpfen entnommen in des Herrn Gemeinschaft.

in

Er verlängert uns und den Unsrigen das Leben

der Zeitlichkeit, denn wir leben durch ihn in heiliger Liebe

und die Liebe ist doch nur das wahre Leben und er schließt uns alle Gräber als Stätten der Verwesung zu, denn in Christo ist nur Auferstehung und ewiges Heil.

Das, m. G., das ist das

hohe Gut, welches wir uns mit dem Frieden in Christo Jesu wünschen. Soll er aber unser einziger Wunsch sein, ist es denn nicht auch ein ferner und unerreichbarer? —

Wie viel thö­

richte, wie viel nicht zu erfüllende Wünsche vernehmen wir an

99 diesem Tage, von denen wir wissen, sie werden nie erhört, eS steht wenigstens nicht in unsrer Kraft, irgend etwas zu thun, sie erfüllt zu sehen und je höher und herrlicher sie sein möchten, desto ferner liegen sie unS.

Ist es denn nun mit einem so hohen

Kleinod, als wir unter dem Frieden der Seele mit Christo zu denken haben, nicht auch also und das Streben danach ein ganz vergebliches? —

Der Herr war in Martha's Haus gegangen,

seinen Frieden zu bringen, aber kommt er denn auch noch zu unS, solcher Segnung uns theilhaftig zu machen? —

Ja, m.

G., er kommt noch immer zu uns und daß wir uns heut in seinem heiligen Hause haben sammeln können, ist es uns nicht das Unterpfand, daß er auch in dem neuen Jahre in unsre Hüt­ ten und Herzen einkehren will, wenn wir uns nur nicht in die Sorgen und Geschaffte, in die Freuden und Lüste der Welt ver­ lieren!

Tausendfach aber kommt er zu uns in seinem Worte

und seiner göttlichen Kraft.

Jeder neue Morgen, jeder sinkende

Abend erinnert uns an ihn, jede- heilige Band, das uns ver­ bindet und beglückt, jedes Wort des Trostes, das wir aus dem Munde seiner Gläubigen vernehmen, jede Handlung der Liebe, die wir in ihrem Wandel schauen, jede Verkündigung seines Evangeliums, jedes Mittel seiner Gnade, daS uns dargeboten wird, es erinnert unS an ihn, es ruft uns zu:

Dein Herr ist

dir nahe! mache dir nicht Sorge und Mühe, Eins ist Noth! Setze dich zu Jesu Füßen und laß seinen Frieden in dein Ge­ müth einziehen! —

Wie der Herr sagt: Maria hat daS gute

Theil erwählet, seht, so stellt er es auch uns zur Wahl, mit ihm die freie Liebes - und Lebens- und Friedensgemeinschaft zu knüpfen.

Er drängt uns solche Himmelsgabe nicht auf, wenn

wir uns von ihm losreißen, sonst wäre es keine Wahl; aber er legt sie in treuer Liebe an unser Herz und wir müssen, wenn wir sie nicht annehmen, seine Klage hören: ich habe dich zu mir sammeln wollen, wie eine Henne ihre Küchlein sammelt unter ihre Flügel, aber du hast nicht gemollt!

So ist aber das hohe G 2

100 Gut seines Friedens kein unerreichbares, fonbem er giebt es Je­ dem, der sich ihm hingiebt und, der Welt und ihrer Güter und Schatze, ihrer Sorgen und Schmerzen vergessend, ihn dämm anruft, dämm mit Ernst anruft. Wie aber dies hohe Gut für uns ein erreichbares ist, so soll es auch nicht von uns genommen werden und dämm muss es unser einziger Wunsch sein.

Wir wissen ja wohl, alle

Wünsche, auch die schönsten und von uns am sehnlichsten erfleh­ ten, wenn sie uns erfüllt werden, sind sie doch nur für kurze Zeit erfüllt.

Alles was sie uns geben vernichtet einst gewiss das

irdische Aufhören der vergänglichen Güter;

aber auch ehe die

Menschen von uns oder wir von der Erde scheiden, wird man­ cher mit aller Anstrengung erlangte Schatz uns gleichgültig, wird manche mit innigem Bitten von oben erflehte Gemeinschaft von uns selbst wieder zerrissen, weil wir im Genuss und Besitz der­ selben nicht finden, was wir in ihr gehofft hatten und mit tie­ fem Schmerz erkennen, daß Irdisches und Vergängliches nicht die Seele ausfüllt. —

Aber dies Gut des seligen Friedens in

Christo ist seiner Natur nach ein unvergängliches.

Es kommen

in jedes auch noch so gesegnete Leben über lang oder kurz Tage der Leiden, zerstören und vernichten die schönsten Freuden und beweisen die Vergänglichkeit aller irdischen Dinge; aber der se­ lige Friede in Christo zeigt in solchen Zeiten erst recht seine seg­ nende helfende Kraft in uns, wir flüchten durch ihn aus dem Schmerz, der uns umfängt, zu unserm Herrn und er spricht uns tröstend zu: es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Barmherzigkeit soll nicht von dir weichen und der Bund meines Friedens soll nicht fallen, spricht der Herr dein Erbarmer! —

Wir wandeln unter den Sünden der Welt, sie

erschweren uns unser Loos in dieser Zeitlichkeit und rauben uns was die Freude unsers Lebens war; aber den Frieden in Jesu können auch sie nicht zerstören.

So hat es Maria erfahren, als

sie den Herrn in die Hände der Sünder überantwortet sah, als

101 cS ihr scheinen muffte, der Vater im Himmel selbst habe den geliebten Sohn verlassen und Sünde und Bosheit triumphire auf Erden. Aber der Friede in Jesu hat ihr Herz getröstet und sie hat ihn, der am Kreuze gestorben war, wieder geschaut, sieg­ reich auferstanden und zu des Vaters Herrlichkeit zurückkehrend. Und uns kann er nun nie mehr sterben, es giebt keine Macht der Welt und der Sünde, welche uns ihn entreißen könnte, so kann sie auch unfern Frieden in ihm nie zerstören. Denn wenn nun die Bosheit der Welt um unö her groß wird, schließen wir uns enger an unsern Herrn, und aus seiner Gemeinschaft kom­ men uns alle seligen, das Herz beruhigenden Tugenden. Wird uns die Last schwer gemacht, wir wandeln in um so treuerm unermüdetem Eifer, denn Christus macht uns stark; wenn Un­ dank und Bosheit uns wehe thun, wir tragen nach des Meisters Vorbild im Leiden eine unerschöpfliche Liebe und Milde in uns und wollten wir darin wanken, so kehrt sie auS seines Wortes Betrachtung, auS unserm innigen Gebete zu ihm, und das ist ja die stete Nahrung des Friedens, der von ihm stammt, wieder in unsre Seele ein, daß die Sünde der Menschen nur ein Grund wird, reiner vor Gott zu werden und die Verirrten durch frommes Bei­ spiel für unfern Herrn zu gewinnen. — Wenn aber so nicht das Leiden und nicht die Sünde der Welt unsern Frieden rauben kann, so werden wir auch im unwandelbaren Vertrauen auf un­ sern Gott gegründet bleiben, ob auch die Welt unterginge. Denn wo müssten wir mehr der Vergänglichkeit des Irdischen geden­ ken als bei dem Wechsel der Zeiten. Und wissen wir nicht, was die kommenden Tage uns bringen und müssen wir es uns heut alle zurufen: jedes neue Jahr führt dich der Gruft näher! in Jesu Frieden haben wir auch die Waffe, die den Tod überwin­ det. Mit ihm rufen wir dann in der letzten dunkeln Stunde: nach schwerem Gang, auf rauher Dahn nimmst du mich doch zu Ehren an, wo mich vor deinem Thron erfreut di« Krone her Gerechtigkeit.

102 Herr Jesu Christ, Herr Jesu Christ, ich warte drauf, du kommst und nimmst mich zu dir auf l

DaS, m. G., das ist der selige Friede in Jesu, das Alles umfassende, erreichbare und unvergängliche Gut, das Eine, waS Noth ist und unsrer Wünsche einziger Gegenstand sein soll. Dieses Gut des seligen Friedens in Jesu ich wünsche es an dieses Jahres Morgen der ganzen Christenheit, allen christ­ lichen Fürsten und Völkern, ich wünsche es dem theuren Herr­ scher unsers Volkes und seinem von Gott gesegneten Hause, ich wünsche es unserm Vaterlande und allen seinen hohen und niedern Dienern, ich wünsche es den Vätern unserer Stadt und allen ihren Einwohnern, ich wünsche es dir, du theure, geliebte Gemeine, euch Traurigen und Betrübten, euch Freudigen und Beglückten, ich wünsche es euch Eltern, die ihr auf die Reihen eurer Kindlein schaut und euch, wel­ che ihr der Ankunft eines Säuglings entgegenseht, ich wün­ sche es euch Gatten, die ihr lange schon eure gemeinsame Bahn wandelt und euch, die ihr in diesem Jahr die Gelübde der liebenden Treue aussprechen wollt, ich wünsche es euch Verwittweten und Verwaiseten, euch Greisen, euch Kindlein, die ihr am Rande des Grabes, am Anfange der Lebens­ bahn stehet, ich wünsche es euch Jünglingen und Jungfrauen, welche ihr schon deS Herrn Herrlichkeit bekannt habt, wünsche es euch, geliebten Kinder, welche ihr des Herrn Wort ver­ nehmt in des Unterrichts heiligen Stunden, vor allen euch, welche ihr in diesem Jahre mit eurem Heilande den Bund der ewigen Treue knüpfen wollt, ich wünsche es euch allen, ihr Geliebten meines Herzens, fern und nah, dem Kreise der Freunde, den Gliedern meines Hauses, ich wünsche es mir von meinem Herrn, daß ich sein heiliges Amt in Treue und Wahrheit führen und, wenn er ruft, getrost Rechenschaft ablegen könne von meinem Haushalten. Amen.

IX.

Daß wir mit dem rechten Vertrauen auf den allmächtigen Gott getrost in die sorgenvolle Zukunft hineingehen können. Am NeujahrStage 1831. Ueb. Hiob 38, 11.

® c b i t.

Sprich, Herr, bcn milden Segen 3u allen unsern Wegen, Den ©rostn last unb Kleinen Die Gnabensonne scheinen. Amen.

A. und in Christo Gel. Seit fünfzehn verflossenen Jah­ ren haben wir an diesem Tage, wenn wir auf die allgemeinen Verhältnisse der Welt schauten nur mit freudigem Herzen in ein beginnendes Jahr blicken können und ist auch feind angebrochen, von welchem wir nicht bekennen müssen, daß eö mancherlei Sorge und Kummer mit sich gebracht hat, keins, dessen erster Strahl nicht aus manches verweinte Auge gefallen sei und manchem verarmten Gemüth nur zu trostloser dunkler Bahn geleuchtet habe: in dem allgemeinen Frieden, «elchen Gott gab und er. hielt, in den großen reichen Gütern, womit er ganze Völker und

104 auch das mistige vor allen segnete, war doch für vielen einzel. nen Schmerz Ersatz zu finden. anders.

Heut aber, m. A., ist Vieles

Die Noth der Einzelnen hat nicht aushören können und

wir werden sie überall finden, ob wir in Hütten oder Palästen suchen, in der Brust, welche nur das Bettlergewand umhüllt, wie in der, welche Stem und Purpur schmücken, aber auch an­ dre allgemeine Besorgnisse kommen uns an der Schwelle deS neuen Jahres entgegen.

Der Friede, welcher durch so viele An­

strengungen, durch so viel theuer vergossenes Blut erkauft wor­ den ist, scheint untergehen zu wollen und eine trübe Zukunft sich vorzubereiten, wo in dem Unglück des ganzen Volks die Noth der Einzelnen immer mehr sich steigern und in den allgemeinen Klagen das Seufzen des einzeln Bedrängten verhallen müsste. Sollen wir nun mit traurigen Gedanken und in verzweiflungs­ vollem Sinne an des neuen Jahres Morgen vor Gott dastehen? Aber wir kommen vom Feste unsers Herrn, wir haben die trost­ reich« Geburt Jesu Christi gefeiert und dankbar erkannt, daß der Vater im Himmel den Sohn für uns gegeben hat, so wollen wir auch vertrauen, er werde mit ihm uns Alles schenken, er, den wir als den Allmächtigen und Unendlichen kennen, welcher Alles leitet und regiert und der Menschen Herzen lenket wie die Wasserbäche, werden auch in den kommenden Tagen sich an uns nicht

unbezeugt lassen.

In solchem Trost uns zu befestigen

lasset unsre erste Andacht in diesem beginnenden Jahre und an­ knüpfen an das Wort der Schrift, welches wir lesen

Text.

Hiob 38, 11.

Und sprach, Bis hieher soll du kommen und nicht weiter; hie sollen sich legen deine stolzen Wellen. In dem heiligen Buche, aus welchem die Worte unsers Tex­ tes genommen sind, sehen wir einen Mann in tiefem Jammer vor uns, dem niemand helfen kann, dessen Klagen und Murren

105 die leidigen Tröster unter den Menschen nicht zu stillen vermö» gen, wie sie ihn nicht dahin zu führen wissen sich still vor Gott zu beugen.

Da spricht der Herr selbst zu ihm in einem Wetter

und zeigt ihm seine Allmacht und seine Weisheit, daß Hiob vor der heiligen Rede sich demüthigt und spricht: „ich will meine Hand auf meinen Mund legen *); „ich schuldige mich selbst und thue Buße im Staube und in der Aschen" **) und dem Herrn ver­ trauend seine Wege wandelt, welcher ihn neuer Gnadenbezeugungen würdigt. —

So wollen auch wir uns beugen und lernen

daß wir mit rechtem Vertrauen auf den all­ mächtigen Gott

getrost

in

jede

sorgenvolle

Zukunft hineingehen können; denn I. der Herr ist es, welcher dem wilden Meere gebeut, daß seine Wogen sich legen müs­ sen und II. er ist es, welcher auch uns Kraft

giebt

nach seinem Bilde in den Tagen der Zukunft den Stürmen des Lebens zu gebieten.

I. Der Herr im Himmel ist es, welcher den Meereswo­ gen gebeut, daß sie sich legen müssen, das zeigt er uns über­ all in den äußerlichen Leitungen der Welt. —

Also geschah eö

in den ersten Tagen der Schöpfung, von welchen zunächst die Motte unsers Textes reden, als er die Erde gründete und die Morgensterne ihn lobten.

Wüste und leer war die Erde, Fin­

sternis» deckte die Tiefe, nur der schaffende Geist des Höchsten waltete über ihr.

Da sprach er: es werde Licht und es ward

Licht! und die Finsterniss entwich, die Wüstenei ward erleuchtet und der Nacht ihre Gränze gesetzt im Wechsel mit dem Tage. Aber die Wasser der Tiefe brauseten und bedeckten das Erdreich,

*) Hiob 39, 34.

”) Hiob 42, 6.

106 daß nicht» hatte gedeihen, keine Wohnsitze der Menschen hatten geschaffen werden können vor dem wogenden Meere, da brach der Herr ihm den Laus mit seinem Damm, setzte ihm Riegel und Thür und sprach: Bis hierher sollst du kommen und »licht wei­ ter, hier sollen sich legen deine stolzen Wellen! und die befreiet« Erde grünte und blühte, Tausende von Geschöpfen erfreuten sich auf ihr und der Mensch, das Ebenbild Gottes, herrschte über sie. So steht der Allmächtige in seiner Kraft noch immer in der äußeren Schöpfung vor uns da.

Es ergießen sich dieFlu-

then des Wassers von den Höhen der Berge in die Thäler hin­ ab, es brausen die Stürme und treiben des Meeres Wogen weit in das Land hinein, zerbrechen die Dämme, welche die Menschen ihnen entgegensetzen, zerstören Fluren und Hütten, bringen Tau­ sende in Jammer und Tvdesnoth und kein Menschenarm kann dagegen kämpfen, kein Menschenherz Hülfe bringen: da gebeut der Allmächtige den Wogen und den Stürmen und spricht: bis hierher und nicht weiter und Alles wird trocken und still und die geretteten Menschen senden Dankesgebete zum Himmel hin­ auf. —

Es bricht die Flamme plötzlich verheerend hervor und

zerstört Hütten und Paläste, der Sterblichen Wohnungen und die Heiligthümer, wo sie anbeten und vergeblich mühen die Men­ schen mit ihrer Kraft und Kunst sich ab, Rettung und Hülfe zu bringen; da spricht der Herr zum Feuer: bis hierher und nicht weiter! sendet seine Stürme ihm entgegen und erhält die Zagenden unversehrt, welche keiner Hoffnung mehr Raum geben wollten. —

Furchtbar zittert die Erde, Feuerberge speien ihre Flu­

chen weit umher, Städte versinken und Flammenbäche brausen, wer kann ihnen eine Gränze setzen, wer ihrer Macht einen Dan,m entgegen bauen?

Aber der Herr spricht: bis hierher und nicht

weiter! und die glühenden Wogen gehorchen, der Mensch ist ge­ tröstet und baut seine Hütten wieder auf die rauchenden Mas. sen. —

Aus dunkler geheimer Stätte erzeugt sich die Seuche

der Pest und ihr Flügel wehet über die Länder und ergreift mit

107

seinem Gifthaucht die Völker, hier flieht der Freund vor dem Freunde, dort bleibt den Geliebten, die Gott vereint hat, nur der einzige Trost übrig mit einander sterben zu können und die, welche mit kundiger Hand Hülfe bringen wollen, werden selbst des Grabes Raub. Aber der Ewige gebeut: bis hierher und nicht weiter! setzt der Seuche ihr Ziel und lässt Gesundheit und Freude wiederkehren, wo tausend frische Hügel von der Macht des Todes zeugen. Sehen wir aber von der äußern Natur hinweg, es giebt noch andre Wellen und andre Stürme, denen der Herr gebietet, die Wellen des Unglücks, die Stürme der Trübsale, die Flam­ men der Sünde sind es, welche auf gleiche Weise vor ihm sich legen müssen, wenn sein allmächtiges Wort ertönt. — Er ist der Helfer und Regierer in aller äußern Noth des Lebens. Es kommen die Stunden des Mangels, der bit­ tern Armuth, und Vater und Mutter seufzen und jammern und wissen nicht, wo sie für die Ihrigen Brodt hernehmen, wo sie Rath und Hülfe ihnen schaffen sollen. Sie sehen zurück auf Stunden der Entbehrung und schauen in eine dunkle Zukunft hinaus, aus welcher keine Hoffnung ihnen entgegen leuchtet. Aber der Allmächtige kennt ihren Kummer und ihr Seufzen, er spricht zum Elende: bis hierher und nicht weiter und hat den Freund in der Noth schon erweckt, welcher an des Armen Thür klopft und die Hülfe bringt, welche er nicht geahnt, wodurch Sorge und Traurigkeit in Danken und Frohlocken sich umwandelt. — Der treue Jünger Jesu Christi, welcher seines Herrn und Meisters Worte treu bewahrt, nach seinem Willen wandelt, Gott fürchtet und recht thut, aber die Welt nicht scheut, muss oft Verfolgung und Trübsal leiden, die Macht der Welt bricht über ihn herein, Gefängniss und Bande sind sein Lohn. Da spricht der Herr: bis hierher und nicht weiter! und sendet seinen Engel dem Ge­ fangenen, des Kerkers Wände erhellen sich und die Ketten fallen von des Gefesselten Händen, daß er Gott preisend in das Leben

108 und die Freiheit hinausgehen kann. --

Aus dem Lager der

Schmerzen seufzt der Kranke, Wochen und Monde und immer größer und dringender wird die Gefahr. Weib und Kinder trauern und sehen mit Bangigkeit in die Zukunft, kein neuer Morgen bringt Hülfe, nach schmerzlich durchwachter Nacht scheint nur die Krankheit noch gewaltiger zu steigen. Der Arzt tritt zum Kran­ ken. Alles hangt an seinen Lippen, hoffend und fürchtend, aber der Herr hat schon zur Krankheit gesprochen: bis hierher und nicht weiter!

des Arztes Wort verkündet Rettung und Gene­

sung und die Angst wandelt sich um in Freude. — Wohl hat auch mancher unter uns in dem abgewichenen Jahre ähnliche Erfahrungen der Allmacht seines himmlischen Vaters gemacht, wie sollten wir darum nicht hoffend in das neue Jahr treten und vertrauen, daß er Alles zum Besten kehren werde? Denn nicht allein, was die einzelnen Menschen bedrängt und quält ist seiner Macht und seiner Lenkung unterworfen. — Ost sind des Krieges Flammen unter den Völkern entbrannt. Mächtig und gewaltig sind Eroberer einhergezogen und haben die Heere der Gegner zerstreut und vernichtet, haben Länder un­ terjocht und Volk nach Volk gezwungen ihrem Sirgeswagrn zu folgen. Millionen haben geseufzt unter der Last, welche sie ih­ nen auflegten, keine Errettung von den Allgewaltigen schien möglich, jeder neue Kamps gründete ihre Herrschaft fester und dauernder und fügte ihren Reichen neue Strecken hinzu.

Aber

er, welcher den Kriegen steuert in aller Welt, Bogen zerbricht und Wagen mit Feuer verbrennt, er sprach zu ihren Plänen: bis hierher und nicht weiter! die Heere der Mächtigen zerstoben, ihre Herrschaft sank, ihr Thron siel in Trümmer und befreite Nationen, sieggekrönte Christen konnten dem Herm Lob singen, welcher sie von der Dränger Hand errettet hatte und bekennen: nicht unS, Herr, nicht uns, sondern deinem Namen gebührt die Ehre um deiner Gnade willen *). — ') Ps. 115, 1.

Schrecklicher noch alö der

109 äußere Krieg brechen Empörungen unter den Seifern aus. Was lange als heilig gegolten wird verlästert und mit Füßen zette­ ten und was selbst als ein lobenswertheS Streben gelten konnte verliert in der Gemeinschaft mit Rohheit und Zerstörungswuth sein Gutes.

Ungezügelt herrschen bald die Begierden der Einzel­

nen, welche unter dem Sckein Freiheit und Frieden zu bringen Tyrannen werden und Bürgerblut in ©trimm vergießen.

Alle

Kraft zum Widerstände ist vergebens, ungehört aber nicht unge­ straft stehen die Sertheidiger der Unschuld auf, bis in da- Innere der Familienkreise senden die Gewalthaber ihre Späher, reißm den Vater von den Kindern, den Gatten von der Gattin und führen sie fort zu Gefängniß und Tod.

Wo ist ein Ende sol­

cher Verwirrung, solcher Noth und solches Jammer- zu finden? Da gebeut der Allmächtige: bis hierher und nicht weiter! und die Willkühr der Tyrannen muss brechen, den verblendeten Völ­ kern leuchtet wieder ein Strahl des höheren LichteS der Wahr­ heit und Ordnung, und Frieden kehren zurück an die Stelle der Zerrüttungen und der in Furcht und Warten der Dinge, die da kommen sollen, durchlebten Tage der Angst. So zeigt es sich in den äußerlichen Nöthen der Menschen bei Einzelnen und ganzen Völkern, o so ist eS noch, wo im Innern des Herzen die Sünde unmittelbar gegen Gott und sein heiliges Gesetz sich wendet. — los von seinem Herrn und Gott.

Es reißt der Mensch sich Was in Kindheit und Ju.

gend von heiligen Dingen seinem Gemüth ist eingeprägt worden, er sucht eS zu ersticken und zu vergessen, geht in eignem Stolz und Hochmuth einher, will nicht ein Tempel des heiligen Gei. stes sein, sondern baut sich selbst einen Thron auf in seinem Wahn. betet nur sich an und will in Lieblosigkeit Alles sich un­ terwerfen und seinen Zwecken allein opfern. —

Das sieht der

Allmächtige und lässt ihn eine Zeitlang dahin gehen in der ge­ fährlichen Blindheit, dann spricht er: bis hierher und nicht wei­ ter! sendet ihm Elend und Noth, welche er mit seinem Stolz

110

nicht überwinden kann, schlagt ihn an seinem eigenen Leibe mit Gebrechen, Schmerzen und Krankheit, bis der stolze Sinn zu» sammenbricht, der Hochmuth in Kleinmuth sich wandelt und mit Hiob spricht: ich schuldige mich und thue Buße im Staub und Aschen. Oder der sündige Mensch ist erwacht aus seinem Sündenschlafe und schmerzliche Reue fallt an seine Seele. Immer größer wird die Angst seines Herzens, die Bilder seiner sündigen Stundm treten vor sein Auge und ängsten ihn, sie halten ihm vor was er versäumt, was er Gott entristen hat, wie seine Sün­ den immer weiter und weiter gewürkt und Jammer und Bos­ heit wie ein fressendes Gift über andre verbreitet haben und er kann es nimmer gut machen und aussöhnen. Kein Trost, keine Hülfe ist für ihn da, kein Retter aus Erden, er muß untergehn in seinem Elende. Da gebietet der Herr auch diesen Wogen und es leuchtet ein Rettungsstrahl in das dunkle und trostlose Ge­ müth : „Gott ist die Liebe, und wenn uns unser Herz verdammt, ist er größer als unser Herz und vergiebt uns die Sünde und reinigt uns von der Untugend!" *) spricht der Trost des Evan­ geliums zum Zagenden und lässt ihn Frieden finden. — So hat der Herr auch in dem vergangenen Jahre an vielen Men­ schen sich bewiesen und ihren Sinn gebrochen und getröstet, wie sollten wir uns nicht vor ihm beugen uns ihm in Demuth und Vertrauen hingeben Wie aber an den Einzelnen zeiget der Herr auch seine Macht an ganzen Völkern und Geschlechtern, welche von ihm abfallen. Als das Geschlecht der Menschen sich von seinem Geiste nicht mehr strafen lassen wollte, als ihnen auch die Frist zur Buße ohne Frucht vorüberging und alles Lichten und Trach­ ten ihres Herzens böse war immerdar "), da sendete er trübe Wet­ terwolken, der Regen strömte vom Himmel, der Tiefe Brun­ nen thaten sich auf und das sündige Geschlecht ward von der ) 1 J«h. 4, 16. 3, 20. 1, 9.

") I Mos» 6, 5.

111 Erde vertilget, denn der Herr gebot ihren Sünden und ihrem Uebermuth: bis hierher und nicht weiter!— Will er aber sün­ dige Völker nicht also vernichten, dann ruft er wohl seinen Gei­ ßeln auf Erben und braucht die Sünder selbst zu Werkzeugen seiner strafenden Gerechtigkeit, daß der Hochmuth der Menschen untergehen und ihr Trotz auf Güter der Erde verstummen must, bis sie sich selbst schuldigen und Buß« thun. — Und wir wer­ den es nicht leugnen, m. G-, es hat sich also richtend der Herr vor unserm Blick an den Völkern der Erde gezeigt, daß wir er­ kennen mögen, nur auf ihn soll unsre Hoffnung und wahres Vertrauen sich richten. Doch wie er" straft, so hilft er auch seinem Menschenge­ schlechte, je größer die Noth, desto herrlicher verklärt sich auch seine Gnade. So einst, als kein Trost mehr auf Erden zu fin­ den war, als alle Gottesoffenbarungen vergeblich waren und die Welt in Selbstsucht und Lasterhaftigkeit unterzugehen schien: da jauchzten die himmlischen Heerschaaren und die Menschen beteten an, da trat der Sohn des Allerhöchsten in die Hütten der Jam­ mervollen und sprach: Friede sei mit euch! der Sünde Macht war gebrochen, der Fürst der Welt überwunden und Erlösung und Seligkeit dem verlornen Geschlecht errungen. — Und im­ mer noch tritt er mit seinem Wort des Friedens in die Kreise der Menschen, schlägt mit seiner göttlichen Macht die Sünde da­ nieder und sammelt sich seine Gemeine, Jesus Christus, gestern und heute und derselbige in Ewigkeit *). — Erhebend, segnend, tröstend hat er auch unter uns gestanden in dem abgeschiedenen Jahre, Muth und Kraft eingehaucht und durch seine Gemein­ schaft die Welt uns überwinden lassen, wie sollten wir ihm für die Zukunft nicht vertrauen, wie könnten wir zagen, da er zu Allem was uns schaden kann sprechen wird: bis hierher und nicht weiter, hier sollen sich legen deine stolzen Wellen! *) Hebe. 13, 8.

112 II. Der Herr, welcher dem wilden Meere gebeut, hat aber die Menschen geschaffen zu seinem Ebenbilde, darum ist er es auch, welcher den Menschen Kraft giebt, nach seinem Bilde den Stürmen des Lebens zu gebieten, daß wir auf seine Gnade vertrauend getrost auch in «ine trübe Zeit hineingehen können. Es hat der Allmächtige bei der ersten Schöpfung gespro­ chen: lasset uns Menschen machen, ein Bild das uns gleich sei, die da herrschen über die ganze Erde! und hat so ein Bild einer Herrschaft, den Menschen, ins Leben gerufen, freilich immer nur ein schwaches Abbild seiner Herrlichkeit, das nie sich selbst vertrauen und immer gedenken soll, all deine Kraft kommt von Gott; aber das dennoch mächtig sein kann in dem, welchem alle Gewalt gegeben ist im Himmel und auf Erden. So ist der Mensch mit großer Kraft ausgerüstet als Herr­ scher der äußern Natur. durch Kunst und Wissenschaft.

Er hat versucht ihr zu gebieten Das Ferne hat er sich nahe ge­

bracht und berechnet den Lauf der Sterne und die Ferne der Ko­ meten; dem feurigen Strahl vom Himmel zeigt er den Weg, welchen er gehen soll, ohne seinen Wohnungen zu schaden; dem Meere hat er Gränzen angewiesen und seinen Boden ihm abge­ wannen; dem Sturmwinde trotzet er und er muß ihm dienen; der wüthenden Krankheit tritt er entgegen,

kennt die heilsa­

men Säfte der Pflanzen, welchen sie weichen muss und sucht die Genesung bringenden Quellen auf. —

Diese Kräfte alle, wenn

sie nur dem Geber geweiht bleiben, als sein Gnadengeschenk an­ erkannt werden und der Mensch in Demuth vor seinem Schöp­ fer sich beugt, der Herr wird sie auch in dem beginnenden Jahre segnen und Elend und Noth abwehren dadurch, daß er den Men­ schen die Macht verleiht zu den Uebeln des Lebens zu sprechen: bis hierher und nicht weiter!

113

Auch hat der Herr ein heiliges Band um Menschen geschlungen, daß sie hülfreich einander zur Seite standen.— Ein Mannlein und ein Fräulein schuf er am Anfang der Tage, daß der Weg des Menschen nicht einsam sei ohne eine verwandte Seele, und so führt er noch immer die zusammen, welche er für einander bestimmt hat. Nun finden beide Geschlechter den Ge» hülfen, nun sollen beide sich eine Stütze sein in der Noth, der Gatte dem Gatten erscheinen als ein Bote von Gott, ihm zum Trost und Segen gesendet, daß jeder zum Schmerz in de- an» dem Brust sagen soll: bis hierher und nicht weiter! — So ist in den vergangenen Lagen reicher Trost gekommen auS dem heiligen Bunde der Ehe, so hat mancher, welchen die Welt be­ drängte, im stillen Kreise seines Hauses Kraft und Beruhigung gefunden und sein Kummer schwieg, wenn er dem Herrn dan­ ken konnte, daß er kein geliebtes Haupt ihm entrissen hatte. — Des Herrn Gnade und Segen wird euch, ihr Ehegatten, auch in das neue Jahr hinein begleiten. Er lässt euch noch länger bei einander, fühlt es nur recht lebendig, wie der Herr euch ge­ sendet hat dem Gatten deS Lebens Last zu erleichtern, seine Freude, seine Hülfe, sein Führer zur Seligkeit zu sein. Fleht euren Gott nur an um Kraft, Hülfe bringen zu können und tragt seine Liebe im Herzen, mit ihr Leid und Schmerz zu über­ winden. Und ihr, welche der Herr in diesem neuen Jahre an seinem Altar vereinigen wird, tretet in frommer Demuth in daneue Verhältnis ein, sehet es an als das, wa- nur im kindli­ chen Aufschauen auf Gott geführt werden kann, daß ihr die rech­ ten Gehülfen zur Seligkeit euch werden möget und Kraft in euch traget, zu des andern Kummer zu sprechen: bis hierher und nicht weiter! Das sind die Kräfte und Segnungen, welche schon in der ersten Schöpfung vom Vater im Himmel in den Menschen ge­ senkt wurden und sie haben sich fortgepflanzt und ausgebreitet über alle kommenden Geschlechter, aber höhere Kräfte, himmlische Seg» Pisch»n Pred. H

114 nungen jedem trüben Geschicke unverzagt entgegen zu gehn, find bei der zweiten Schöpfung, bei der neuen geistigen Ge­ burt, welche zu rechten Kindem Gottes uns macht, unser An­ theil geworden. Von da an, als Christus den Seinen den hei­ ligen Geist der Kraft sendete, welcher nun alle wahren Glieder seiner Gemeine sammelt, erleuchtet, heiliget und in rechtem Glau­ ben erhält, kann Furcht und Verzagen seine Gläubigen nicht be­ zwingen, sondern wenn ihnen bange ist fliehen sie zu ihm, in welchem sie weit überwinden. Luch heut an des Jahres Mor­ gen, meine Geliebten, wie dunkel auch die kommenden Tage vor uns liegen, wollen wir uns nicht fürchten, wir sind zu seinem Heiligthum gekommen, zu dem neuen Lauf uns zu stärken, und er giebt auf unser Gebet auch uns seine Kraft von oben, welche in aller äußem und innern Noth, welche zu erdulden uns be­ vorsteht, uns zu Herrschern machen wird. Wir wollen es uns nicht verbergen, daß manche äußre Noth im Einzelnen und im Allgemeinen in dem beginnenden Jahre uns treffen kann. — Nicht jedes Hauswesen ist in den vergangenen Tagen so gnädig beschirmt worden, daß jedes Glied desselben heut einstimmen kann in den Preis des Herrn. Mancher Todeswelle ist kein Ziel gesetzt worden, manches Leben ist hinweggerissen aus der Lebendigen Kreisen und nicht bloß daß des Lebenssatten und Müden; aber schauen wir auf ihn, der Le­ ben und unsterbliches Wesen hat an das Licht gebracht, wir wer­ den in seiner Gemeinschaft auch dem Schmerz über so theure Verluste gebieten und sprechen: bis hierher und nicht weiter! und Gott vertrauend wandeln in die kommende Zeit, denn ohne ihn fällt kein Sperling vom Dache und auch unsre Haare sind auf dem Haupte alle ge^ählet. — Neben Gefahren des TodeS aber, wie mancherlei Ungemach werden wir entgegen gehen, rin jeder in seinem Kreise? wie dunkel wird uns oft unser Pfad er­ scheinen, welche schon oft erfahrne, welche noch nie von uns empfundrne Schmerzen werden uns treffen und eben solche Prü-

115 fungen roetben rote stürmische Wogen unS umbrausen, welche wir am liebsten von unS entfernen möchten, welche rote eine all« zuschroere Last uns zu Bodm drücken. — Sind wir aber aus Gott geboren, m. G-, was sollten denn die Leiden der Wett uns schaden? Wir haben in unS die heilige Liebe zu Gott und Jesu Christo, und die ist ja mächtiger alS alles Leiden der Welt. An dieser wollen wir fest und unermüdet halten, von dieser nie weichen und sie wird unS die starke Schutzroehr fein, auf welche wir trauen können, sie wird uns Kraft geben zu jedem Leiden zu sprechen: bis hierher und nicht weiter! und fromm und Gott tu geben werden wir ihn auch unter Thränen preisen und ausru­ fen: er hat Alles wohl gemacht! Drohend aber erscheint uns vor allen die nächste Zukunft, wenn wir aus die größere Verbindung des Volkes sehen, zu welcher Gott unS vereinigt hat. Wir wissen nicht, wie bald des Krieges Wetter über uns hereinbrechen mit allen ihren Schrecknissen. Was wollen wir ihnen entgegensetzen als die in Christo Verbundenen, um auch unter ihren Schrecknissen nicht zu verzagen? Das ist der Geist der treuen Bruderliebe eines christlichen Volkes, welcher uns da vereinigen, trösten, stärken soll. Er hat ja in den letzten Zeiten mit Gottes Gnade unS gerettet aus großer Trübsal und Unterdrückung, wie sollten wir ihn nicht in uns bewahren und der Welt, wenn der Herr uns heimsucht, beweisen, wie wir siegen können mit Gott für Herr­ scher und Vaterland. — Und schon kommen von Osten und Westen herangewälzt die Wogen der Empörungen und selbst zu unsers deutschen Volkes Mitte sind sie gekommen um Völker aufzuregen gegen ihre Fürsten. Welches ist der Markstein wo­ ran sich diese stolzen Meereswellen brechen sollen, daß ihr Toben und Stürmen uns nicht schade? DaS ist die heilige Treue vor Gott und Menschen, welche unser Volk stets geübt hat gegen seine Herrscher, womit wir in den Zeiten deS Unglücks und der Unterjochung an dem geliebten Haupte unsers Volkes untrer» H 2

116 rückt gehalten. Ja, diesen Felsen der Treue wollen wir entge» gensetzen der wilden Brandung, welche nimmer den Völkern Heil bringend wohl zerstört, aber nicht aufbaut, als ein einiges christliches Volk wollen wir in treuer Liebe hangen an dem von Gott uns gegebenen und erhaltenen theuren Fürsten und feinem KönigShause und für ihn beten und arbeiten in jeder Zeit der Noth; den Herrn im Himmel fürchtm, treulich ihm dienen von ganzen Herzen und innig lieben und ehren den, welchen er zu unserm Haupt gesalbet hat, daß eS von uns nicht heißen müsse: werdet ihr aber übel handeln, so werdet ihr beide ihr und euer König verloren sein *). Wie aber im äußerlichen Leben werden auch im Innern unsrer Brust in dem neu beginnenden Jahre die Wellen und Wogen der Sünden und Leidenschaften mächtig brausen; aber lasst ihnen den Willen nicht. Emannt euch, ihr Kinder Gottes, ihr Erlösete Jesu Christi! werdet stark in der Kraft seines heili­ gen Geistes und sprechet des Schöpfers Bilde ähnlich zu den Fluthen, welche euer Seelenheil vertilgen wollen: bis hierher und nicht weiter! und sie werden sich legen müssen vor denen, die Christum lieb haben und seines Apostels Wort im Herzen tragen: ihr seid theuer erkauft, darum preiset Gott an eurem Leibe und in eurem Geiste, welche sind Gottes **)! Und endlich auch in der Gemeine der Gläubigen, in der Kirche deS Herrn selbst, von welcher heiligen Vereinigung jede Versuchung fern bleiben sollte, es werden sich die Wellen des Unglaubens, der Heuchelei, deS todten Aberglaubens, der mangelnden Liebe zu Gott und Jesu Christo auch in ihr erhe­ ben und sie unter uns zerstören wollen. Darum lasset uns wa­ chen und beten, daß der Feind GotteS und der Menschen nicht hineinbreche in die Gemeine des Herrn, sondern wir alS Glieder dieser Gemeine treulich für unsern Herm im Himmel kämpfen *) 1 Sam. 12, 2i».

**) 1 Äet. 6, 20.

117

und zu den Versuchungen sprechen mögen: diS hierher und nicht weiter! daß in der Gemeinschaft der Gläubigen mit ihrem Haupt und Heiland jede Kraft und jeder Friede auf unS komme, womit wir die Welt besiegen können. Darum getrost, m. G., der Herr ist unser Helfer, warum sollten wir vor der Zukunft erschrecken! Noch sind wir versam­ melt in seinem heiligen Hause und seine Tempel «erden nicht untergehen. Hier wollen wir uns sammeln und beten und rin­ gen in jeder Zeit der Noth, hier unserm Gott Alles empfehlen, AlleS fromm und ergebungsvoll in seine Hand legen und dann getrost in jede dunkle Zukunft hineingehen. Er, welcher den Sohn uns gegeben, welcher da- Pfand, den Geist, in unsre Her­ zen ausgegosscn hat, wird und nicht verlassen noch versäumen, aus ihn wollen wir hoffen, ihm allein vertrauen, er wird, wenn seine Kiuder bedroht werden, schützend zum Dräuer sprechen: bis hierher sollst du kommen und nicht weiter, hier sollen sich legen deine stolzen Wrllm! Amen.

X. Die Versuchung des Herrn, ein Bild seiner Leiden. Am Sonnt. Jnvocavit.

Ueb. Matth. 4, 1 — 11.

Gebr«. Herr, stärke un» dein Leiden zu bedenken Un« in da« Meer der Lieb« zu versenken, Die dich bewog von aller Schuld de« Bösen Un« zu erlösen. Amen. Es ist uns, m. A. und G., wiederum die Zeit deS kirchlichen Jah­ res angebrochen, welche der Betrachtung der Leiden unsers Herm und Erlösers geweiht ist.

Wenn es nun freilich in dem Hause

des Herrn und in seinem kirchlichen Jahre keine Zeit und kei­ nen

Gegenstand christlicher Betrachtung giebt,

die nicht unsre

ganze Seele ergreifen und mit stets neuem Danke und neuer Liebe zu dem Herzoge unsrer Seligkeit uns ziehen sollte; so giebt es doch, wie überhaupt im menschlichen Leben, wenn auch jeder Tag mit dem himmlischen Geber alles Guten uns vereinigen soll, auch in der Kirche des Herrn einzelne Tage und Zeiten, welche uns ganz besonders heilig und geweiht erscheinen und in dem gewöhnlichen

119 Gange der Belehrung und Andacht lebendiger uns ergreifen und zu demüthiger und inniger Erkenntniss der Liebe Jesu Christi führen müssen.

Unter allen solchen Seiten aber wird wiederum die der

Betrachtung der Leiden unsers Herrn alS eine der segensreichsten und geweihtesten uns erscheinen.

Wie daS Heil seiner Geburt

uns erfreut und tröstet, wie wir vor der Herrlichkeit des Auferstandrnrn und Erhöheten frohlockend und jauchzend stehen: unter dem Kreuze d«S Herrn müssen wir erst feiner Liebe gewiss wer­ den, der leidende und duldende Erlöser muss erst daS kalte und leichtsinnige, das zweifelnde und zagende Herz gewinnen und ihm zurufen: auch für dich habe ich geduldet, auch für dich bin ich gestorben! ehe wir seine Gnade ganz empfinden, seiner Henlichkeit uns ganz erfreuen können.

Darum nahen wir uns auch

gern in diesen Zeiten dem Altare deS Herrn, darum bereiten wir in diesen Tagen so gern die Seelen der jungen Christen zu der feierlichen Stunde vor, in welcher sie ihrem Herrn zugeführt wer­ den sollen, und erkennen die Betrachtung der Leiden Jesu Christi als die kräftigste Stärkung unsers Glaubens und unsrer Liebe zu ihm.

So möge sie denn das auch dir werden, du theure

Gemeine, so möge das Wort deiner Lehrer nicht ohne Frucht verhallen, so möge ihr Ruf: siehe, daS ist Gottes Lamm, wel­ ches der Welt Sünde tragt! auch deine Leichtsinnigen warnen und mahnen zur Einkehr in die eigne Brust, auch deine Schwa­ chen, Trauernden und Zagenden starken und mit Kraft und gött­ lichem Frieden erfüllen und auch also gesegnet sein diese gemein­ same Betrachtung.

Wir wollen sie anschließen an das Evange­

lium deS heutigen Tages. daS wir lesen

Text.

Matth. 4.

t — 11.

Da ward Jesus vom Geist in die Wüste geführet, auf daß er vom Teufel versucht würde. — Und da er vierzig Tage und vierzig Nachte gefastet hatte

120 hungerte ihn. — und sprach:

Und der Versucher trat zu ihm

Bist du Gottes Sohn, so sprich, daß

diese Steine Brodt werden. — und sprach:

Und er antwortete

Es stehet geschrieben:

der Mensch lebt

nicht vom Brodt allem; sondern von einem jeglichen Wort, das durch den Mund Gottes gehet. — führete ihn der Teufel

Da

mit sich in die heilige Stadt

und stellte ihn auf die Zinne des Tempels. — Und sprach zu ihm: Bist du Gottes Sohn, so lass dich hinab, denn es steht geschrieben: Er wird seinen En­ geln über dir Befehl thun und sie werden dich auf den Handen tragen, auf daß du deinen Fuß nicht an einem Stein stoßest. — Wiederum

stehet

auch

Da sprach Jesus zu ihm: geschrieben:

deinen Herrn nicht versuchen. —

du

sollst Gott

Wiederum führte

ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herr­ lichkeit, — Und sprach zu ihm: dies Alles will ich dir geben so du niederfüllst und mich anbetest. — Da sprach Jesus zu ihm: hebe dich weg von mir Satan, denn es stehet geschrieben, du sollst anbeten Gott deinen Herrn und ihm allein dienen. —

Da

verließ ihn der Teufel und siehe, da traten die Engel zu ihm und dieneten ihm. Es stellt uns zwar, m. G., die vorgelesene Erzählung nicht in die letzte Zeit der Wallfahrt Jesu Christi, welche zunächst in diesen Betrachtungen uns beschäfftigen soll, nicht an das Kreuz des Herrn, zu welchem im Geiste zu treten der nahende Lag seines Todes uns auffordert; sondern sie führt und vielmehr zu.

121 rfi9.

Des andern Tages siehet Johannes Jesum zu sich fomnu’it lind spricht: Siche das ist Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt.

168 AIS einst Johannes der Täufer dies« heiligen Worte über den göttlichen Erlöser aussprach, dessen ganzes Würken noch ver. borgen dalag und welcher zu ihm kam um durch die Taufe zu seinem großen Berufe geweiht zu werden: da zeigte Johannes, daß er den Herrn erkannte

als den Erlöser, dessen die Welt

bedurfte, da stellte er sich selbst als den großen Propheten dar, welcher das erlösende Wesen des Gottessohnes in seiner ganzen Milde und Herrlichkeit vorhersah.

Und dasselbe Wort, was er

prophetisch vom Herrn gesprochen, wir müssen es auch heut wie. derholen, da wir unter dem Kreuze Jesu uns sammeln und auf sein ganzes vollendetes Würken Hinblicken können; auch wir köntun ihn nur

in stiller Dankbarkeit und heiliger Wehmuth an.

schaun, als das Lamm Gottes, welches der Welt Sünde tragt, aber auch dann zugleich es fühlen, wie er dadurch der geworden ist, in welchem alle

Gottesverheißungen erfüllt sind und der

hülfsbedürftigen Menschheit jeder Trost und jede höhere Hoffnung gegeben ist. —

So lasset uns dies zu unserm Heil näher erwä­

gen und betrachten: Wie der göttliche Erlöser durch seinen Kreu. zestod als den sich dargestellt hat, dessen die Welt bedurfte, indem er nämlich dadurch gezeigt hat: I.

seinen duldenden

Gehorsam gegen

den

Bäte r, II.

die unbefleckte Reinheit seines Wesens,

III. seine unendliche Liebe zum Geschlecht der Menschen.

I. Wie das ganze Leben des göttlichen Heilande» die Erfüllung jenes apostolischen AusspruchS: er war gehorsam bis zum Tode! enthält, so vor allen schauen wir diesen duldenden Gehörsam deS Sohnes Gottes gegen den himmlischen Ba-

169 ttt in seinem Tode am Kreuze. Das lag auch vor dem Se» herblick des Boten, den der Herr gesendet hatte, dem Göttlichen den Weg zu bereiten, darum ruft Johannes aus: siehe, das ist Gottes Lamm! -Wohl schwebt ihm dabei der Ausspruch des alten Propheten vom kommenden Messias vor: da er gestraft und gemartert ward that er seinen Mund nicht auf, wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird *)! aber in dem» welcher zu ihm kommt und nun das Himmelreich bringen wird allen bußfertigen Sündern, nun die vollkommne Erlösung fin­ den dem verirrten Geschlechte der Menschen, sieht er die Erfül­ lung jenes Ausspruchs und weiset alle, welche um ihn sich ge­ sammelt haben und aus ihn trauen wollen auf dieses Lamm Got­ tes hin. — Aber ganz konnte er noch nicht daS große Opfer, die Herrlichkeit dieses Gehorsams bis zum Tode erkennen, denn er hat den Herrn nicht nach Golgatha begleitet und an seinem Kreuze gestanden, er hat nicht geschaut die ganze Fülle der Macht Jesu Christi und daneben das stille Beugen vor dem Steter: ist's nicht möglich, daß dieser Kelch vorübergehe, ich trinke ihn denn, so geschehe dein Wille! — Aber wir nun, m. Gel., welchen bei der Feier des Todes Jesu Christi sein ganzes göttli­ ches »Leben vor Augen liegt, wir, welchen die Segnungen dieseLebens bis zu diesen femsten Zeiten kund geworden sind, wir schauen den duldenden Gehorsam des Gottessohnes, den jener nur ahnen konnte, im vollkommnen Lichte. Wir hören den Hei­ ligen sprechen: Niemand nimmt mein Leben von mir, sondem ich lasse es von mir selber "). Und wie die Macht der Sünde sich gegen ihn verbunden hatte, wie die Rotte der Bösen ihn umringte und sein Leben bedrohte, wir wissen wohl, daß sein Stert sie zerstreuen, sein Machtgebol sie stürzen und ihn herrlich und siegreich hinausführen konnte auS ihrer Gewalt. Doch nicht durch irdische Wunder, sondern durch daS göttliche drS tiefen Ge. horsams, nicht wider seinen Willen durch der Menschen Gewalt ’) 32.

271 Fleische-, durch jedes Wachsen an hohem Gütern, die Sehnsucht, des Herrn Wort zu halten, daß sie seine Freunde würden und mit ihm vereinigt waren, wie die Rebe mit dem Weinstock.

In

dieser Sehnsucht aber fühlen sie die Ohnmacht der eignen Kraft und suchen die Hülfe nicht drunten, sondem droben bei dem Herm und flehm ihn an um den Geist seiner Stärke. Dann wird die Leere in ihrer Brust durch das sehnsuchtsvolle Gebet geweiht zu einer heiligen Wohnung, zu einem Tempel de- Gei­ stes GotteS, und Vater und Sohn ziehen ein durch den Geist und machen Wohnung bei ihnen. So ist der Geist am Tage der Pfingsten auf die Apostel des Herrn gekommen, denn sie liebten Jesum und das ewige Wort des Vaters, der ihn gesandt hatte; so hörten sie sein Wehen und nahmen ihn auf und wur­ den voll des heiligen Geistes. —

Aber gleiche Liebe findet auch

gleichen Lohn; des Herm Verheißung blieb nicht auf den engen Kreis seiner Jünger eingeschränkt, uns allen, wenn wir ihn lie­ ben und seine Worte halten, kommt des Geistes Kraft.

Ja, wie

sollte es unter uns an solchen fehlen, die den Geist empfangen habm gleich wie jene am ersten Anfange?

Ist sie denn nicht

gewachsen in so vielen Herzen, die Liebe zu Jesu, auch in un­ sern Tagen, haben denn nicht auch unsre Augen, und unsre Herzen sich hinauf gehoben zu Gott und unsre Gebete tun sei­ nen Geist gefleht?

Und wenn er uns nicht im Rauschen deS

Sturmwindes gekommen ist, so ist er uns erschienen in der Stille deS Gotteshauses oder des einsamen Gemaches, wo wir ihn unter Seufzen erflehten; wenn er uns nicht gekommen ist am Tage des äußern' Festes, so ist er uns gekommen am Tage der bittern Schmerzen und wir fühlten sein Nahen als niemand tröstend bei uns stand; wenn er uns nicht plötzlich gekommen ist, wie die Flamme des Blitzes, so ist doch sein allbelebendeFeuer allmählig bei jedem neuen Erkennen göttlicher Gnade in alle Seelen eingedrungen, welche Christum lieben und sein Wort halten.

272

II. An den Zeichen seines Erscheinens aber überjeugen wir uns zweitens, daß das Versprechen der Sendung de» Geistes noch immer in Erfüllung geht.

Zwar, wer möchte es

ganz aussprechen das innere Wesen dieses Geiste-, denn er ist ja ewig, unendlich, unbegreiflich in seiner Fülle und Herrlichkeit für den Sohn des Staubes.

Aber der Heiland zählt unS selbst die

Zeichen seiner Erscheinung auf, daß wir prüfen können, ob er auch unS gesendet sei.

Er nennt ihn uns den Tröster, den

heiligen Geist, welchen der Vater senden wird in Jesu Na» men.

Eines Trösters bedürfen wir nur allzuoft in der irdischen

Noth und es kommen uns auf unsrer Wallfahrt auch oft solche entgegen, welche unsern Trübsinn hinwegscherzen, unsre Küm­ merniss uns verhüllen und die Aussicht, welche dunkel vor uns daliegt, zu erhellen und zu erheitern streben.

Und geben

wir unS nun ihnen hin, geht selbst der gefürchtete Tag heiter an uns vorüber und werden wir durch den fröhlichen Sinn de­ rer, welche uns umgeben, dahin geführt uns der Traurigkeit zu entschlagen und dem Lebensgenüsse die Trauerstunde zum Opfer zu bringen; ist das der Geist des Herrn gewesen, der Tröster, welcher uns gesendet worden?

Wenn wir, was uns tröstete,

nicht zugleich auch erkannt haben als den heiligen Geist, wel­ cher uns vom Vater in Jesu Namen gesendet ist, dann war eS auch nicht der Tröster von oben, dann sind wir nur, wie Irdi­ sches uns gebeugt hat, durch Irdisches erhoben worden und es wird uns wieder beugen und aufrichten nckch dem Wechsel der irdischen Dinge, wie der Wind ein Rohr hin und her weht. Der Trost des Geistes aber geht aus und hängt innig zusam­ men mit der Heiligung und das ist das Zeichen seiner Erschei­ nung, daß er von Gott ausgegangen ist.

Haben wir im Leiden

grmngen in Jesu Namen, in seinem Sinn und Geist, von Liebe zu ihm erfüllt, ihn um Kraft und Heiligung angefleht und wir

fühlen unS dann erhört, es kommt auS unserm Gebete ein rei­ cher Trost auf uns, welcher das Leiden uns in dem milderen Lichte erscheinen lasst, daß der Later es gesendet um uns immer mehr vom Irdischen zu entwöhnen und für seinen Himmel zu erziehen: dann fühlen wir in unS den Tröster, den heiligen Geist. Gehn wir hin in des Lebens Freuden, aber eS sind nicht die Genüsse der Sinne, welche uns gefangen halten, sondem wir fühlen es lebendig in unS, eS ist der Herr, welcher feine Natur mit aller Pracht und Schönheit geschmückt, er ist es, welcher unfern Tisch gedeckt und die trauten Gestalten der Freunde und Geliebten um uns versammelt hat, damit wir es recht erkennnen sollen, wie freundlich er ist und in unserm Danke gegen ihn eS geloben, daß wir durch den irdischen Genuss seiner Gaben uns der Segnungen seines himmlischen Reiches nicht unwerth machen, daß wir von der schönen Erde hinaufblicken wollen zu dem neuen Himmel und der neuen Erde, deren wir warten und in den ir­ dischen Kreisen der Geliebten die Gemeinschaft der Gläubigen mit Christo dem Herrn festhalten: dann m. G., dann ist uns ein deutliche- Zeichen erschienen, daß der Tröster, der heilige Geist, auch noch unter uns waltet und Wohnung in uns gemacht hat. Wenn wir in tiefem Schmerz über unsre Sündenschuld gezagt und gezweifelt haben, aber dann Kraft gewonnen in Jesu Na­ men zum Vater zu flehen, daß er unS nicht verstoßen wolle und es kommt statt der Angst und des Zagens eine selige Ruhe aus uns, daß es ist als hörten wir das Wort: deine Sünden sind dir vergeben, und Kraft gewinnen unserm Herrn treulich nach­ zufolgen: lasst uns nicht zweifeln, es ist der Tröster der heilige Geist, welcher sich in das bußfettige Gemüth ergossen hat. „Derselbige wird euch alles lehren und euch erinnern alles des, das ich euch gesagt habe." Das Irdische fassen wir immer als ein Einzelnes auf, die Erscheinungen des Lebens gehn uns flüchtig und vergänglich vorüber und ein verschiedner Geist spricht aus ihnen uns an. Wir selbst, nur dem Irdischen angehörend, Pischon P«d. S

274 erscheinen in wechselnder Gestalt, ein Spiel der Laune und die Zufalles, jedem vorüdergehenden Eindrücke hingegeben und durch ihn bestimmt, ohne innere Festigkeit und Klarheit. Geist Gottes lehrt uns alles.

Aber der

Durch ihn erst kommt ein innrer

Grund in unser Leben, wir haben nun das gefundm, woran wir Alles, auch das verschiedenste prüfen können, wir tragen durch sein

Lehren

und erinnern

eine unumstößliche Gewissheit der

himmlischen Wahrheit in uns und sind nicht mehr das schwache Rohr, sondern verstehn nun, wie Alles was uns begegnet zu unsrer Seligkeit dienen must.

Und kommen uns Stunden, wo

wir dennoch zweifelhaft wären, dann erinnert er uns Alles, was Christus unS gesagt hat, Alle-, was seine Boten, was die theu­ ren Lehrer unsrer Jugend, was geliebte Eltern, was fromme Freunde durch ihn getrieben uns einst verkündigt haben, dann treten die geliebten Gestalten, welche lange von unS geschieden sind, bittend und ermahnend vor unsre Seele, dann leuchtet uns aus den Stellen de- Wortes Gottes und der heiligen Gesänge, welche sie einst dem kindlichen Gedächtnisse eingeprägt, was wir damals noch nicht erkannten, die heilige ewig« Wahrheit so rein und klar entgegen, daß wir ihr nicht länger widerstehn können, sondern ergriffen von ihr der höhern Lehre willig folgen.

O,

m. A., sind solche heilige Stunden auch euch erschienen, glau­ bet nur: eS hat sie der Lehrer, der göttliche Geist, gebracht, wel­ cher noch immer vom Vater gesendet wird in des Sohnes Namen. Und spricht nun der Herr: den Frieden lasse ich euch, mei­ nen Frieden gebe ich euch, nicht gebe ich euch wie die Welt giebt; so erkennen wir auch hierin ein heiliges Zeichen des Erscheinen­ des Geistes. —

Was die Welt giebt und was ihr Lohn ist,

daS kennen wir Alle.

Zu denen, welche sich ganz und allein ih­

rem Dienste geweiht haben, spricht sie zur Zeit der Noth, wenn sie Hülse von ihr fordern: was gehet uns daS an, da siehe du

zu!

Die aber, welche durch sie die vergänglichen Schätze erlangt

haben und sich Anfangs glücklich wähnten in ihrem Besitze, sin-

den bald, daß auch sie veralten und keine dauernde Freude ge­ wahren, daß sie nicht schützen in dem Mißgeschick des Lebenund nicht beruhigen können, wenn die innere Stimme uns an­ klagt.

Mit äußeren Freuden auf eine Zeit lang uns überschüt­

ten, durch ihre Lust eine Zeit lang uns betäuben, in eine Ruhe unS einwiegen, auS der wir oft mit Schrecken erwachen: das kann die Welt; aber Frieden, stillen, seligen Frieden Gottes in die Brust geben, daS kann sie nicht. — Wenn aber dieser Frie­ den in unsre Seele kommt, wenn wir dahin gelangt sind, daß wir das Heil nicht in den Gütern der Erde suchen, sondern in Christo allein; wenn wir nicht abgeschieden von den Freuden des Lebens doch durch sie uns nimmer überheben, weil unsre Hoff­ nung nicht auf sie gebaut ist; wenn wir auch schwer getroffen von den Ungewittern des Lebens, in der ängstigenden Bangig­ keit, mit welcher schwere Verluste uns erfüllen, dennoch nie ver­ zagen, weil wir den Frieden Gottes in uns tragen und dieser Frieden das Herz nicht erschrecken und sich fürchten lässt, dann, m. A., dann ist der Geist GotteS uns erschienen, dann wissen wir: er hat sich über unS ergossen wie über des Herrn Apostel im ersten Anfange. III. Und daß noch also des Herrn Verheißung von des GeisteSendung in Erfüllung geht wird uns klar werden, wenn wir noch zuletzt fragen: wozu der Geist die treibt, welchen er gesendet wird? —

Er treibt aber die, in welchem er Wohnung

macht zu der rechten Freude und zu dem rechten Kampfe deS Glaubens und in beiden werden wir noch jetzt sein mächtiges Walten erkennen.

Denn daß der Herr den Jüngern zurufen

muss: „hättet ihr mich lieb, so würdet ihr euch freuen, daß ich gesagt habe, ich gehe zum Vater" hat seinen Grund nur darin, daß der Geist der Kraft ihnen noch nicht gekommen war und ihre Gedanken geläutert und gereinigt und ihre Seelen zu dem S 2

Ewigen getrieben hatte.

AIS sie aber von seinem heiligen Feuer

ergriffen wurden, da kannten sie auch die Traurigkeit der Welt nicht mehr, da hören wir sie nicht mehr klagm über den Fort­ gang des Herrn, da ist er in ihnen verklärt, in der Herrlichkeit, welche der Later ihm gegeben und der Geist treibt sie, den zu preisen, welcher sein heiliges Kind Jesum auferweckt und zu sei. net Rechten erhöhet hat. — So erkennen wir auch den liefen Grund dieser Freude, welche nicht von den Dingen dieser Welt abhängig ist.

Denn das war ja die Trauer der Apostel, daß

sie sich von Gott geschieden fühlten, daß sie meinten, der Later, welcher seinen ringebornen Sohn durch Kreuz und Tod von ih­ nen nehme, der sei nicht der liebende Later; aber als er ihnen den Geist gesendet, da gründete sich die Freude, welche niemand von ihnen nehmen konnte auf das Gefühl der innigen Gemeinschaft mit Gott.

So spricht der Apostel auch: welche der Geist Gottes

treibt, die sind Gottes Kinder! Diese Kindschaft überall anzuerken. nen und dadurch unsrer Gemeinschaft mit Gott als eines ewig un verlierbaren Eigenthums gewiss zu sein, das ist das Geschenk des Gei­ stes, wodurch er uns treibt zur rechten wahren Freude. Und ist nun auch uns solche Stunde erschienen, wo wir mitten in der Noth des Le­ bens dennoch die stille Freude des Herzens nicht verloren, sondern unverzagt zu ihm gefleht haben, dessen Wege uns dunkel waren und dessen Hand schwer auf uns lag: Abba, lieber Later! sind wir so weit gefördert, daß was uns auch kommen mag und was uns ent­ rissen werde von den uns anvertrauten Gaben, doch ewig wir uns nicht allein getröstet fühlen über jeden Verlust, sondern auch dem Herrn danken, selbst für das, was er nimmt und für dar Schmerzliche und die schwere Bürde, welche er auflegt: dann haben wir die Gewissheit, nicht allein in jenen Tagen der er­ sten Verkündigung Jesu Christi, sondern auch jetzt noch, auch in unsre Herzen ist der kindliche und freudige Geist des Herrn aus­ gegossen. Wo aber der Geist zur Freude treibt und auS der Freude uns der rechte Muth kommt, da fühlen wir unS auch

277 zugleich zum rechten Kampfe getrieben.

Denn wie der Herr

sagt: ich bin nicht gekommen Frieden zu bringen, sondem das Schwerdt; so must auch der Geist, welchen er sendet, die Gläu­ bigen auf dieselbe Bahn leiten, welche der Heiland uns voran­ gegangen ist. Er bringt aber dieses Schwerdt, wenn er in deEvangelii Worten sagt: es kommt der Fürst dieser Welt und hat nichts an mir! Er kam, der Fürst der Welt, der Empörer gegen Gott, und bedrohte durch seine Schaaren den Herrn der Herrlichkeit und führte ihn zum Tode; aber er konnte den Heiland der Menschen nicht gefangen halten und frohlockmd konn­ ten die Seinigen rufen: dazu ist erschienen der Sohn GotteS, daß er die Werke des Teufels zerstöre! —

Und wo sie sich nun

noch finden, diese Werke der Finstemist, da treibt der Geist, sie zu zerstören und giebt im Jnnem das unwidersprechliche Zeugniss, daß die Jünger des Herrn Macht haben die Welt zu über­ winden durch den, welcher den Fürsten der Welt gerichtet hat. Haben wir uns nun nicht gescheut das Wort seiner Wahrheit zu verkündigen, nicht etwa aus innerm Uebermuthe und falscher Ruhmsucht getrieben, sondern weil wir «S lebendig fühlten, wir konnten die Wahrheit des Herrn nicht verläugnen lassen, weil er uns als seine Kämpfer gesendet hat; haben wir in uns Muth und Kraft gefühlt, wie bedenklich auch äußerlich unsre Lage sein mochte, jedem Spötter des Heiligen entgegenzutreten; ist in der Stunde der Gefahr uns in den Mund gegeben worden daS Wort auszusprechen, wodurch die Seelen bewegt, wodurch auch die harten Herzen gerührt worden sind; haben wir es nicht gescheut auch den schwersten Kampf, den Kampf mit den liebsten Sün­ den des Busens zu kämpfen und sie zu ersticken, und ist so schwe­ rer Kamps uns gelungen, daß wir siegreich und rein als die Streiter und Sieger Gottes und unsres Heilandes aus demsel­ ben hervorgegangen sind: o, m. A., dann ist er uns ja grsendet, der Geist aus der Höhe, denn nur durch ihn konnten wir also zeugen, kämpfen, siegen.

278 Zu solcher Freude, zu solchem Kampfe wird der Geist des Herrn, dessen Fest wir feiern, auch in den kommenden Tagen uns treiben, durch ihn allein kann die Freudigkeit von oben in unsre Seele kommen, daß wir mit ihr in jede Noth und jeden Kamps ohne Bangigkeit hineingehn!

So lasst uns ihn uns er-

flehen in innigen brünstigen Gebeten, da er nicht fern ist von uns, damit die Welt auch an uns erkenne, daß wir den Vater lieben und also thun wie uns der Vater geboten hat. Amen.

XXIV. Die Bewahrung der Herrlichkeit Christi durch die Ausgießung seines Geistes.

Am

P f i n g st t a g e, gehalten

in der Kirche zu Gramzow.

Ueber Apostrlgesch. 2, 36.

Höchster Trister, komm hernieder! Beist de« Herrn, Sei nicht fern, Stärke Jesu Glieder. Amen. Text.

Apostelgesch. 2, 36.

So wisse nun das ganze Haus Israel

gewiss,

daß Gott diesen Jesum, den ihr gekreuzigt habt, zu einem Herrn und Christ gemacht hat.

Ä? A. und in Jesu Christo Geliebten!

Diese inhaltreichen

Worte sind aus der Rede des Apostels Petrus genommen, welche er am Lage der Pfingsten zu denen gesprochen, die das große Wunder der Ausgießung deS Geistes anstaunten oder, weil sie

280 es nicht begriffen und nach ihrem irdischen Sinn nicht fassen konnten, spottend von den begeistetten Jüngern gesagt hatten: sie sind voll süßen Weins! Aber so gewaltig redet der Geist des Herrn durch Petrus, daß, wie die Worte nach unserm Text sagen, es ihnen durchs Herz geht und sie zu Petrus und den andem Aposteln sprechen: ihr Männer, lieben Brüder, waS sollen wir thun? worauf die, welche ihr Wort gern annahmen, sich taufen ließen, daß an diesem Tage bei drei tausend Seelen zur Gemeine deS Herrn hinzugethan wurden.

Was ist nun aber der

Inhalt der Rede des Apostels, welche eine so große Würkung ausübte und so herrlich die seitdem über viele Millionen ausge­ breitete Kirche des Herrn gründete? „Jesus von Nazareth, der Mann von Gott, spricht Petrus, der durch die Hände der Un­ gerechten ist erwürget und von Gott auferweckt worden, der, nachdem er durch die Rechte Gottes erhöhet ist und empfangen hat die Verheißung des heiligen Geistes vom Vater, hat ausge­ gossen dies, das ihr sehet und höret!"

Die Bewährung der

unvergänglichen Herrlichkeit Jesu Christi durch die Ausgießung des Geistes ist also der ergreifende Inhalt seiner Predigt und diese, welche auch unsre Textesworte aussprechen, soll stets der Gegenstand unsrer Betrachtung und unsrer Dankbarkeit an dem heiligen Feste sein, das wir in diesen Tagen feiern. So lasset uns denn auch in dieser gottgeweihten Stunde betrachten: die Bewährung der Herrlichkeit Christi durch die Ausgießung seines Geistes. Demnach lasset uns I. fragen: war damals und ist noch jetzt eine solche Bewährung der Herrlichkeit Jesu Christi nöthig? und II. wie bewährt sich Christi Herrlichkeit durch die Aus­ gießung des Geistes?

I. DeS Herrn Apostel, m. G., hatten einst zu khm gesprochen: wohin sollen wir gehen, du hast Worte des ewigen Lebens und

281

wir habm geglaubt und erkannt, daß du bist Christus der Sohn des lebendigen Gottes! Aber am Kreuze des Herrn, unter den Verfolgungen, welche den Heiligen trafen, an seinem verschlosse­ nen Grabe war ihr Glaube wankmd geworden; da war der Sohn des lebendigen Gottes ihnen nur noch der Prophet, mäch­ tig vor Gott und allem Volk, aber die Hoffnung, daß er Israel erlösen sollte, hatte er mit in die Gruft genommen. So zagten sie bis er unter sie trat als der, welcher den Tod überwunden hatte, bis er die Mahle seiner Wunden, die Zeugen seines Kreuze-todeS ihnen zeigte und auch der Ungläubige ausrief: mein Herr und mein Gott! Doch alS er den Frieden auf ihr Haupt gelegt, hatte er auch gesprochen: wie mich der Vater gesmdet hat, so sende ich euch! und so den großen HeilSbemf ihnen an­ gewiesen, seine Kirche und Gemeine in aller Welt zu pflanzen; aber er selbst war von ihnen gegangen. Nicht mehr nach seiner äußem Gemeinschaft konnten sie sich sehnen, sein Lauf war gern» bet in des Vaters Herrlichkeit und auf immer hatte die Wolke die äußre Erscheinung des Scheidenden ihnen verhüllt. Ohne ihn, obschon sie wussten, das Grab habe ihn nicht behalten, ohne ihn sollten sie nun in den schweren Kampf mit der Welt gehen, von welcher er ihnen vorausgesagt hatte, sie werde seine Jünger verfolgen wie den Meister; es war kein irdischer Ort, wohin sie eilen konnten, ihn in ihrer Bedrängniss vom Schlummer zu wecken, wie damals im Sturme auf Galiläa's Meere; aber er hatte scheidend zu ihnen gesprochen: siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende! Also eine höhere geistige Ge­ meinschaft sollte mit dem Hinaufgegangenen sich knüpfen, ein innres unmittelbares Band, daS Raum und Zeit nicht zerreißen konnten, sie mit dem vereinen, der in Ewigkeit lebte, und diese Bewahrung seiner unvergänglichen Herrlichkeit muffte noch kom­ men, ohne sie hätten sie nimmer ihres Herrn Werk vollenden können: darum warteten sie seiner Verheißung. War aber also den Aposteln deS Herrn eine Bewährung

282 der Herrlichkeit Jesu Christi noch nöthig: wie viel mehr bedurf­ ten sie jene, zu welchen Petrus in unserm Texte sagt: dieser Jesus, den ihr gekreuzigt habt! wenn sie ihn anerkennen sollten als ihren Herrn und Christ! -

Es giebt ja keinen har­

tem Vorwurf als den in Petrus Worten, es giebt ja keine ver­ worfnere Sünde als die, den kreuzigen, der Liebe und Seligkeit ihnen zu bringen gekommen war. Denn wie weit die Männer, von welchen der Anfang des Capitels, woraus unser Text ge­ nommen ist, uns erzählt, wie weit zerstreut und von welchem Ende der Erde sie hinaufgezogen waren nach Jerusalem; sie ge­ hörten doch alle den Kindern Israels an, sie hatten doch alle der Propheten Schriften, welche den Heiland der Welt verkün­ deten, sie warteten alle auf den, der da kommen sollte, sein Volk zu befreien.

Und als er nun gekommen war in seiner geistigen

Himmelshoheit und nicht in irdischer Pracht: da hatten sie gerufen: kreuzige ihn! und den Fürsten des ewigen Lebens getöd. tet.

Jetzt aber waren schon viele Tage verflossen, seit sie die

Frevelthat vollbracht hatten, sie aber gingen noch frohen Sinnes einher als hätten sie nichts Uebels gethan, sie kamen noch in ih­ rer Verblendung zum Tempel Jerusalems als die Kinder deS ei­ nigen Gottes, ja sie meinten wohl selbst, sie hätten dem Vater im Himmel durch deS Sohnes Tod einen Dienst gethan.

Um

sie nun aus diesem entsetzlichen Irrthum zu reißen und zur Er­ kenntniss ihrer unaussprechlich großen Schuld zu führen, wie muffte sich ihnen da erst die ewige Herrlichkeit Jesu Christi be­ währen!

Aber sie sollten auch nicht allein ihre Sünde fühlen,

nicht allein den ganzen Jammer der Seele empfinden, welchen sie über sich gebracht hatten, nicht allein reumüthig ihre Schuld bekennen und in schmerzlicher Buße vor dem Herrn sich beugen; sondern sie sollten auch die allgewaltige Kraft dessen ersahrm, welchen sie ermordet halten und den ihr Auge nicht mehr aus Erden schauen konnte.

Nach Buße und Reue muffte das Heil

der Erlösung, nach der Erkenntniss ihres Elends der selige himm-

283 lisch« Friede, ohne den fit hätten verzagen müssen, auf sie Herabkommen und die unumstößliche Gewissheit, daß Göttin Christo mit ihnen versöhnt sei, ihr Trost werden. Solcher Offenbarung der Herrlichkeit Jesu Christi bedurften die mit Schuld Belade­ nen, solcher Mittheilung seines Heils mufften sie noch matten. Doch schauen wir nun, m. G.. auf unS, bedürfen wir auch noch gleicher Bewährung der dauemden Herrlichkeit unsers Herrn? — WaS haben wir für Aehnlichkeit und Gemeinschaft mit den Unglücklichen, welche Lheilnehmer am Tode deS Hei­ landes waren? Ist denn einer unter uns, welcher den Heim verkannt hätte so wie sie? Bon Kindheit an haben wir ihn ja verehrt in unsern Häusern und unsern Heiligthümern.

Ihm hat

deS Kindes Hand sich gefaltet, ihm haben des KindeS. Lippen Gebete gestammelt. Zu ihm sind wir hinzugegangen und seine Jünger geworden in den Tagen der Jugend. Seinen Namen tragen wir alle und in seinem Sakramente suchen wir ihn. Wir haben ihn nie gekreuzigt wie jene, denn er ist ja auch nie unter uns gewandelt uud wir haben sein fteundliches Angesicht voll Huld und Milde niemals geschaut; aber wenn wir auch solcher Gnade wären theilhaftig worden, herrscht nicht in unserm Lande Recht und Gerechtigkeit,

walten hier nicht weise Gesetze, daß

der Unschuldige nicht unterdrückt weroen und der falsche Anklä­ ger der verdienten Strafe nicht entgehen kann? wir den Fürsten des Lebens gekreuzigt! —

Nie, nie hätten

O, Herz voll Arg­

list, das du also sprichst, lüge dem Ewigen nicht! du kreuzigst deinen Herrn ja immer wieder durch deine Sünde! —

Du

wandelst ja in deinen Lüsten, in deinen schnöden Begierden, du hältst ja nicht einmal äußerlich den todtm Buchstaben deS gött­ lichen Gesetzes und willst dich rühmen deines Heilandes Jünger zu sein?

Wenn du von früher Kindheit an ihn kennst und dich

mit dem Namen eines Christen schmückest; aber du führst ein Leben wie die Heiden, welche von Gott nichts wissen: so kreu­ zigest du ja Christum deinen Herrn! —

Oder sagst du, ich bin

284 mit so grober Sünden nicht bewusst und wohl halte ich Gottes Gebote; so fragt dich: gelten auch nicht andre Freuden und an» dre Schmerzen dir mehr als die, welche dir in der innigen Ge» meinschast mit deinem Erlöser kommen?

Ach, wenn du weg­

gehst von seinem heiligen Altar, wo seine Liebe dein ganzes We­ sen beseligm und heiligen müsste, und des Lebens vergängliche Freuden nehmen doch wieder Besitz von dir; wenn sein Sakra­ ment auf dich hatte Gottes Frieden herabsenkrn und dich die fromme Ergebung in den Willen deS Allgütigen hätte lehren müssen, aber Schmerz und Verlust der Well und ein unerfüllter Wunsch deines Herzens beugen dich so tief, daß du aller Liebe und Gnade deines Erlösers vergissest: dann kreuzigest du ja dei­ nen Herrn! —

Und wenn du äußerlich ihn anerkennst als dei­

nen himmlischen König, aber du willst noch theilen zwischen der Welt und dem, der dich so theuer erkauft hat; wenn dir so reiche Gnade an jedem Tage von ihm geworden ist, aber du fängst deine Tage nicht mit ihm an, du kannst dein Auge zum Schlum­ mer schließen ohne sein zu gedenken und bist nicht sein treuer Knecht, seine Liebe ist nicht in dir, dein Leben ist fern von ihm: o, Armer, Verkehtter, dann kreuzigst du ja deinen Herrn! — Damm muss er sich auch uns bewähren wie jenen, zu welchen Petms redet und nicht nur als den, welcher einst auferstanden ist und dem wir äußerlich zugethan sind, sondern als die Kraft des ewigen Lebens in uns; damit wir aus dem Schlaf der Si­ cherheit, aus dem Traum der Sünden erwachen, und reuvoll zu seinen Füßen uns werfen, nur ihn wollen, nur ihn verlangen, die Welt verachten, seinen Frieden suchen und das höhere geistige Leben in unserm Innern beginnen, um im irdischen Wandel es zu erfahren, daß Jesus als der Herr und Christ bei sei unS alle Tage bis an der Welt Ende. Aber auch so wie die Apostel bedürfen wir der Verklärung der Herrlichkeit Jesu Christi.

Wir kommen wie sie von der Be­

trachtung seiner Leiden, seines TodeS, seiner Auferstehung und er

285 spricht auch zu unS: wie mich der Later gesandt hat, so smde ich euch!

Um unS aber als seine Gesendet« zu fühlen, brau«

chm wir nicht Alle Prediger seines Worte- zu sein und von hei« liger Stätte zu reden zu christlichen Gemeinen; aber unser gan» zes Leben soll eine Predigt von Christo und seiner Liebe sein, in jedem Kreise, in welchen er uns gesetzt, vor denen, mit welch« er unser Leben verbunden hat, an jedem Otte und zu jederzeit sollen wir seine Zeugen sein, ihm die Herzen gewinnen und sie über das Sichtbare erheben zu seiner Gemeinschaft.

Wie muss

darum nicht ein so hohes Werk zu vollbringen seine Kraft und Herrlichkeit uns zur Seite stehen! —

Wie zu des Her« Apo­

steln werden aber auch zu unS die Sündigen, nach höherer Hülfe Verlangenden sprechen: ihr gesendeten Jünger Jesu Christi, was sollen wir thun, daß wir selig werden?

Muss da, um ihnen

Antwort zu geben, um sie die Bahn zum ewigen Leben zu füh­ ren, nicht unser Gemüth von der Herrlichkeit des Gottessohnes erfüllt sein und anders innerlicher und geistiger erfüllt sein als der todte Buchstabe sagen und schwache Worte es verkündigen können?

Ja, lebendig und kräftig muss darum Christus in sei­

ner Herrlichkeit in uns leben, muss unS anhauchen mit seinem heiligen Athem und auch zu uns sprechen: nehmet hin dm hei­ ligen Geist! daß wir die rechten Verkünder seiner Gnade werden. Und solcher Herrlichkeit Bewährung ist die Feier diese- großen Festes der Kirche Jesu Christi, welches das ganze Haus Israel gewiss macht, daß dieser Jesus sei der Herr und der Christ. II. Wie aber verklärt sich nun allen die Herrlichkeit Jesu Christi in der Sendung des Geistes? das lasset unS den Worten unsers Textes folgend noch in frommer Andacht erwä­ gen. —

Allen offenbaret sie sich, wie deS Textes Worte sagen:

so wisse eS nun das ganze Haus JSrael gewiss!

Aber das

HauS JSrael sind nicht die, welche irdischer Abstammung nach

den jtinbem Jakobs angehören, das wahre Israel, das Israel rechten Stammes daS sind Alle, welche mit Gott gerungen ha­ ben im innigen Gebet, ihnen in Christo die Kraft feines Geistes zu schenken und dieses Haus Israel hat eS feit den Lagen des Herm bis zu unsern Zeiten erfahren und erfährt es noch täglich, daß Gott den Jesus, den die falschen Israeliten gekreuzigt hat­ ten, zu dem Henn und Christ seiner Gläubigen gemacht hat. Das haben zuerst des Herrn Apostel am Tage der Pfingsten erkannt.

Sie sollten in Jerusalem auf die Verheißung des Va­

ters warten und sich auf die große segensreiche Stunde vorberei­ ten. Da ward der Tag der Pfingsten erfüllet, — der Mund kann es nicht aussprechen und der Verstand nicht fassen, wie im Wehen des Sturmes, im Leuchten der Feuerflammen der Geist auf die Schaar der Apostel herabfiel: aber verklärt, himmlisch verklärt war ihnen die Herrlichkeit Christi.

Seine unvergäng­

liche Kraft war über sie ausgegoffen, seine ewige Gemeinschaft in ihrem Herzen angeknüpft; sie haben nicht mehr gezweifelt und nicht mehr gezagt, des Vaters letzte Verheißung war erfüllt, der Herr, welcher getödtet war und wieder lebendig worden, war ihr Herr, ihr Christ.

Er, dessen Wort sich ihnen bewährt hatte,

welcher, deS sind sie gewiss, auch droben seine Gemeine leitet und regieret, wie er als treuer Hoherpriester mit seinem Blute sie versöhnt hatte, er vertritt auch sie zur Rechten Gottes, er ist eS, mit dem sie getrost die Welt überwinden können und sie brau­ chen nun keiner andern Herrlichkeit Christi auf Erden zu war­ ten. —

Nun konnten sie den heiligen Beruf vollbringen, zu

welchem sie aus eigner Kraft zu schwach waren; sie konnten dem Herrn die Seelen der Gläubigen zuführen, und wenn sie in hö­ herer Kraft die Worte des Lebens vom Auferstandenen redeten, dann bewegte sich die Stätte und es siel der heilige Geist auf Alle, welche dem Worte zuhörten. So ist es auch denen geschehen, zu welchen Petrus daS Wort der Beschuldigung spricht: dieser Jesus, den ihr gekreuzigt

287 habt! —

Sie hatten wohl früher schon vernommen, daß ein

neuer Prophet in Israel aufgestanden war, mancher vielleicht unter ihnen hatte über die Wunderwerke Jesu von Nazareth ge« staunt, mancher, als er noch Irdisches von dem in Jemsalem einziehenden König erwattete, ihm Hosianna zugerufen, aber daAlles war bald von ihnen vergessen und sie hatten ihn gekreu» zigt. — Welch eine Verklärung der unvergänglichen Herrlich« keit Christi war ihnen da nöthig, ehe sie ihn alS ihren Herm und Christ annehmen konnten, und diese kam ihnen nun am Lage der Pfingsten alS Petrus redete. —

Sie kommen zu der

Versammlung der Apostel als die, welche den Herrn geschmäht, verspottet, verworfen haben, die ihn als Uebelthäter zum Lode vemtthellt, mit der Schmach, welche als Fluch Gottes galt, ihn beladen haben, keine Gemeinschaft konnte mehr sein zwischen ihm und ihnen.

Und wenn sie nun rin strafendes Wort von seinen

verachteten Jüngern vernehmen, wird nicht der Zorn in ihnen aufbrausen, werden sie die verhassten Gegner nicht ergreifen und zum Tode führen wie den, welchen jene verkündigen?

O große-,

nie in den Geschichten der Welt sonst offenbartes Wunder!

ES

kommt ein andrer Sinn in sie, ein andrer Geist siegt in ihren Seelen.

Schon als sie zuerst die Apostel schauen und die Lha«

trn Gottes auf ungewohnte Weise reden hören, werden viele von ihnen an sich selbst irre und sprechen: was soll daS werden? während noch andre spotten; als aber PetruS Rede wie ein Lhau des Himmels auf ihre Seelen fallt: sprechen fit: ihr Männer, lieben Brüder, was sollen wir thun? und als in den Worten heiliger Belehrung der Geist auch ihnen sich mittheilt: da beu­ gen sie sich vor dem, den sie gelobtet, als vor dem Fürsten des Lebens, vor ihrem Herrn im Himmel, da faltet vor ihm sich die Hand, die ihm gedroht und mit seinem Blute sich befleckt hat, da fleht der Mund, der ihm geflucht zu dem himmlischen Mitt­ ler und Erlöser, dem Gesalbten Gottes, dessen Blut sie versöhnt

288 mit dem Vater. —

DaS, m. G-, das ist deS Geiste- Kraft,

so bewährte er die höhere Herrlichkeit Jesu Christi. WaS aber Petrus nach den Worten unsers Textes sagt: tu« und eurer Kinder ist die Verheißung und Aller; die fern sind, welche Gott unser Herr herzurufen wird! — ist es denn auch uns gesagt, kommt auch uns noch der Geist und bewährt er unS noch die Herrlichkeit unsers Herm? —

Wir haben

wohl seiner nicht gewartet wie die Apostel, wir haben in unfern Versammlungen kein Brausen des Sturmwindes vernommen, kein Leuchten der Feuerflammen gesehen, wie jene am ersten Tage, aber immer kommt noch auf uns und die Unsrigen des Herm Geist und das feiern wir ja in diesem hohen erfteulichen Feste der Pfingsten.

Ja, heut stellen sich vor unser» Blick alle

heiligen Tage, wo er uns ist gegeben worden in der Gläubigen Versammlung wie in der einsamen Kammer, wenn daS Wort der Wahrheit in uns eindrang, wenn das fromme Gebet unS über die Erde erhob, wenn wir in seliger Freude oder in tiefem Schmerz den Herrn suchten; heut fühlen wir es, er kommt noch immer seinen Gläubigen, bald allmählich durch Lehre und Erzie­ hung das Herz gewinnend, bald plötzlich das noch trotzige Ge­ müth ergreifend und zu Gott richtend.

Aus welche Weise aber

auch der Geist des Herrn sich über uns ergossen hat, er hat unS dann immer zum Höheren hingewiesen, aber das Höchste, waS «r unS gelehrt, wovon er uns überzeugt hat, ist die Gewissheit, daß der Auferstandene und Erhöhete auch uns gemacht ist zum Herrn und Christ.

Er verklärt uns des Heilandes

Herrlichkeit, durch ihn erkennen wir, daß, wo wir ohne Jesum waren, wir in der Irre gegangen sind, mit des Geistes Kraft sammeln wir uns die einzelnen heiligen Züge alle, welche von dem Heilande unS eingeprägt sind, und stellen sie uns zusam­ men zu dem hohen Bilde unsers Herrn, in ihm, fühlen wir, in ihm ist die letzte Verheißung GotteS erfüllt, Gott hat und Je­ sum gemacht zu dem Christ, zu dem ewigen Hohenpriester, wel-

cher die Sünden tilgt, mit Gott uns vereint, uns als

himmli­

scher König regiert und führt und alle höhere Güter uns giebt, deren die Seele bedarf. So wird der Geist des Herrn fortwährend würfen für seine Kirche und zu ihr viele herzuführen, welche in des Heidenthums Nacht zerstreut fern von uns wandeln, zu ihr herzuführen die spätem Geschlechter, welche nach uns kommen und, wenn unsre Tempel zerfallen sind, dem Herrn andre gründen werden, dem Christ, welcher sie erlöst und für sie gebetet hat.

So hat er

auch in der Vergangenheit seine Kirche gegründet und über die ausgebreitet, welche fern waren von den Orten, wo der Hei­ land gewandelt ist, fern von den Tagen, wo er gelehrt hat.

So

ist durch des Geistes Kraft der Fuß seiner Boten auch in dieses Land gekommen.

Auf jenem Hügel haben sie dem Herrn Tem­

pel gebaut, deren Trümmer noch laut reden *), daß Jesus sei der Christ, und ob sie zerfallen sind in ihrer Pracht und ihr,

•) Der Ort Gramzow soll schon im Jahre 1168 dem Kloster Grobe oder Pudgala auf Usedom gehört haben, das zu Ehren der heiligen Jungfrau Maria um 1150 errichtet war (jetzt Dorf Pudgla).

Im

Jahre 1194 geschieht der Pfarrkirche zu Gramzow Erwähnung, welche nach Papst Cölestins Bestätigung dem Kloster Grobe gehört, und wahr­ scheinlich ist die jetzige Kirche nur aus den Trümmern dieser Kirche erneuert.

Daneben war aber auf dem Hügel am See das berühmte

Mönchs-Kloster zu Ehren der Jungfrau und des

heiligen Evangeli­

sten Johannis gestiftet worden, dessen 1224 zuerst Erwähnung geschieht. Als seine Pröpste werden 1233 Heid enreich und seit 1235 Jo­ hann genannt, welcher letztere 1245 sein Kloster (das, wie er sagt, einst in tiefer Einsamkeit gegründet worden, jetzt aber vielen Angrif­ fen der Gottlosen und Räuber ausgesetzt sei) der Schutzherrlichkeit der Markgrafen Johann I. und Otto III. von Brandenburg übergab, ob­ gleich sie erst 1250 diesen Theil der Uckermark von Pommern erhiel­ ten.

Das Kloster gehörte dem Orden der Prämonstratenser und

war vom Kloster Jerichow aus, vielleicht schon bald nach dessen Stiftung, welche vor 1145 fällt, gegründet worden. Pischon Pred.

T

Sein Vorsteher

m. G, im bescheidneren Schmucke de? Heiligthums ihm dient, auch mancher Irrthum, manche mißverstandene Weise der Anbe­ tung ist mit jener Herrlichkeit verschwunden; aber unvergänglich ist dieselbe große geistige Kirche geblieben, zu welcher der Geist des Herrn auch uns gesammelt hat. — Sein stetes Würken und Walten sprechen auch die Sinnbilder dieses Festes aus. Denn was sagen die Maien, die Blüthen und Blumen, womit ihr das Heiligthum geschmückt habt? Das sagen sic: wie der Hauch des Ewigen die Natur wieder belebt hat und Baum und Blume es zeugen, wie, ob auch die Stürme noch wehen und die Wolken noch drohen, sic nicht unterliegen wird, sondern tue reichen Früchte bringen: so wird auch der Geist, dessen Fest wir feiern, der Ehristum verklärt, den Sieg davon tragen über die Stürme der menschlichen Leidenschaften, über die Nacht des Un­ glaubens und der Sünden. Wo er mit himmlischem Feuer die Seelen erfüllt, da muss Christus in uns leben, da ist er der Herr und Christ, da können Klcininuth, Schmerz und Sünde nicht bleiben und ob Irdisches fallt und vergeht, der Geist zeugt: Christus bleibt gestern und heute und derselbe in Ewigkeit. Amen. O Geist des Herrn, du Geist nicht der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Zucht, komm in diesem deinem heiligen Feste auch aus uns herab. O wir sind arm und schwach, aber erfülle du uns mit deiner Kraft, daß wir stark sein mögen, Welt und Sünde zu überwinden. Wir sind kalt hieß Propst, weil di« Prämonstratenser ursprünglich nur einen Abt des Stammklosters Prömontrü bei Laon in Frankreich hatten, wo der Orden vom heiligen Norbert, welcher 1125 Erzbischof von Mag­ deburg wurde, 1121 gestiftet war. — Bei der Reformation ging das Kloster ein und wurde wie Chorin, Lehnin u. a. ein hnrfchaftlicheKammergut. 2m Anfang des löten Jahrhundert- verzehrte eine Feuer-brunst die schönen Gebäude nebst der Kirche de- Kloster- und nur eine einzelne Ruine zeugt noch von der alten Herrlichkeit.

291

und litbelctr und gedenken so oft nur an uns und unsre eitlen Wünsche; aber durchglühe du uns mit dem Feuer deiner Liebe, daß wir deine Früchte der Liebe bringen mögen dem Herrn, von welchem du zeugest. Wir gehen so oft in der Ine, auf der Bahn, welche zum Verderben führt, aber ziehe du unS zu dem treuen Hirten, welcher die Verlornen zu sich sammelt und die rechte Bahn sie leitet. Ach, mache unS zu deinen Tempeln, daß wir dich nie betrüben, Chri­ stum lieb haben und sein Wort halten, auf daß er mit dem Vater zu uns komme und Wohnung bei uns mache. Amen.

T 2

XXV. Der Geist des Herrn, der Geist der Liebe und der Wahrheit. Am Pfingstmontage.

Ueber Joh. 3, IG — 21.

Gebet.

Du Geist de- Herrn, dessen Fest wir feiernd begehen, fei du mit deiner Liebe und Wahrheit in unser aller Herzen, daß wir dem im­ mer nd$et kommen, auf dem du in der Fülle deiner Gottheit ruh­ test, als er auf Erden

wandelte.

Weihe uns zu deinen Tempeln

und vereinige unS immer inniger mit der wahren Gemeine 3efu Christi, daß wir als ihre rechten geweihten Glieder dem Haupte und Herrn nachwandeln, welcher dann auch uns nicht lassen, sondern unS zu sich ziehen wird, auf daß wir sein mögen, wo er ist.

Text.

Amen.

2oh. 3, 16 —'-'1.

Also hat Gott die Welt geliebet, daß er seinen cingcbornen Sohn gab,

auf daß alle

die

an ihn

glauben nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. —

Denn Gott hat seinen Sohn nicht

gesandt in die Welt, daß er die Welt richte, sondern

293 daß die Welt durch ihn selig werde. —

Wer an

ihn glaubet der wird nicht gerichtet: wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er glaubet nicht an den Namen de6 eingebornen Sohnes Gottes. — Das ist aber das Gericht, daß das Licht' in die Welt kommen ist und die Menschen liebten die Finsterniss mehr denn das Licht: denn ihre Werke waren böse. — Wer Arges thut der hastet das Licht und kommt nicht an das Licht, auf daß seine Werke nicht gestraft werden.

Wer aber die Wahrheit thut, der kommt

an das Licht, daß seine Werke offenbar werden, denn sie sind in Gott gethan. Es ist das Fest der Ausgießung des göttlichen Geistes über die ersten Jünger Jesu Christi, welches wir in diesen Tagen feiern, jenes Erfülltwerdens der ersten Boten unsers Herrn mit der verheißnen Kraft aus der Höhe, welche der Grund wurde, daß die Kirche Christi als ein Reich, das nicht von dieser Welt war, sich bauen und ihre Gläubigen über jeden Schmerz und Kampf der Erde erheben konnte.

Daß dieser Geist noch immer in der Kirche

des Herrn waltet, welche ohne ihn längst untergegangen wäre, soll der stete Dank, daß er in immer höherem Maaße sich aus die Gemeine des Herrn ergieße, das stete Flehen der Gläubigen an diesem Feste sein.

Wenn wir nun aber die großen heiligen

Worte betrachten, welche wir gehört, und welche einst die Väter der Kirche zum Evangelium dieses Tages gewählt haben; so scheinen sie von solcher Feier ganz fern zu liegen und sich nur auf die Sendung des Sohnes zu beziehen, den die Liebe des Vaters der Welt gegeben, daß sie selig werde, durch die ewige Wahrheit gewonnen sich losreiße von den Werken der Finsterniss und die Werke des Lichts

in der Gemeinschaft mit Gott voll-

294 bringe.

Aber wie der Geist von Christo zeugen und diesen ver-

klären soll; so muss er des Heilands Leben und Wahrheit im­ mer fester gründen in uns und nur, indem wir Kinder dieses Geistes sind, wird auch des SohneS Liebe und des Vaters Gnade uns erst klar werden und indem er uns dazu führt, werden wir rechte Jünger 'Christi sein.

So ist der Geist der alleinige und

ewige Stellvertreter Christi in dieser Welt, durch den wir zur Erkenntniss unsers Erlösers gelangen, und darum lasst ihn uns an seinem Feste zu unserm Segen betrachten als den Geist der Liebe und derWahrheit, durch den wir immer mehr mit Christo vereint wer­ den. Lasst ihn unS erkennen F.

als den Geist der Liebe und

II. als den Geist der Wahrheit.

I Es ist das Fest des Geistes der Liebe das wir feiern. Wenn wir, m. G , an andern heiligen Festen auf die heiligen Gegenstände ihrer Feier schauen, so erscheinen sie uns, weil sie äußer­ licher Natur sind, viel verständlicher.

Es knüpft sich dort Alles

an eine sichtbare Begebenheit. Daß uns der Heiland geboren ist, an dessen Krippe wir uns im Geiste versammeln, daß der Herr gestorben und auferstanden ist, zu dessen Grabe wir uns versetzen, selbst daß er aus der Mitte seiner Jünger hinaufgegangen ist in des Vaters Herrlichkeit, das Alles,

weil es uns auf Christum,

der unter uns ein Mensch gewandelt hat, hinweist, scheint uns klar.

Aber, wenn wir von des Geistes Ausgießung, auf welche

der Herr selbst alS auf etwas Innerliches, Wunderbares hinge­ wiesen, an diesem Feste hören, so ist es nicht das was an der großen Begebenheit selbst äußerlich erkannt werden konnte, son­ dern eben die innere göttliche, dem Auge nicht sichtbare Kraft des Geistes, auf welche wir feiernd zu schauen haben.

Sehen

29d

wir nun aus ihn als auf den Geist der Liebe, wie sollen wir sein Wesen klar erkennen und begreifen? Zuerst aber so, m. A., daß wir, da alles Geistige sich auch äußerlich kund thun muß, die Würkungen dieses Geistes selbst betrachten. Ist er es nun, der die Herzen der Menschen ergreift und bewegt, so müs­ sen wir ihn auch als Geist der Liebe erkennen, wo nur eine wahre Liebe sich auf Erden kund gethan hat. Und so ist es auch. Wir weilen mit Wohlgefallen bei solchen Erscheinungen in den» Leben und der Geschichte der Menschen, wo uns eine reine, große, heilige Liebe kund geworden ist. Wenn sich die Edeln, sich selbst vergessend für das Heil ihrer Brüder, für die Wohlfahrt ihres Volkes in Schmerz und Todesnoth gegeben, wenn sie, sich selbst für nichts achtend und den engsten Kreis der Ihrigen zurückstel. lcnd, ihr Leben für eine große edle Sache opfern und in reiner Liebe dem schrnerzlichen Tode freudig entgegengehn: was ist es, das uns da so an sie kettet, daß wir bewundernd auf sie schaun? was ist cs, was bis in die Tiefe der Seele uns rührt und er­ greift, wenn wir uns ihre Thaten als die Erweisung der Liebe vorhalten, die starker ist als der Tod? was anders, als das We­ hen des göttlichen Geistes in ihnen, der ihnen Muth gegeben sich über die engen irdischen Verhältnisse hinaus zur Ähnlichkeit der Gottheit zu erheben. Und wie so im Großen und Allgemei­ nen, so auch im Einzelnen und Besondern. Die zarte Liebe der Mutter, die aus ihr Kind schaut, nicht in eitlem irdischem Sinne, sondern indem sie sich als den Schutzengel des Kindes ansieht, in welchem sie den göttlichen Funken erkennt, den sie pflegen und nähren, zu einer heiligen Flamme anfachen soll, und die in die­ sem Sinne Alles vergisst was das Ihre ist, nur rein und mild, versöhnend und aufopfernd neben dem Äindlein steht und oft durch dunkle Nächte, durch lange trübe Jahre unermüdet es lei­ tet und trägt: fühlen wir nicht, daß in ihr der Geist des Herrn waltet und daß die Kraft der Liebe sie stärkt und erhält? Wenn Gatten durch Freude und Leid mit einander wandeln, nicht durch

sinnliche Bande irdischer Leidenschaft, sondern durch die reine 9teigung des Herzens vereint und immer fester verbunden sich füh­ len, wenn die Schönheit der Gestalt langst entschwunden und mancher schwere Lag und manche harte Prüfung ihnen gekom­ men ist,

aber auch unter den Schmerzen und Leiden jeder sich

selbst vergessen und nur an das geliebte Haupt gedacht und für dasselbe gesorgt hat, um nur von diesem jeden Strahl des Un­ glücks abzuwenden; wenn jeder verborgen das Auge getrocknet und den trüben Blick erheitert hat, um nur dem Gatten den Schmerz nicht zu zeigen, unter den« er litt, und beider Herzen auch in der Trübsal voll innigen Dankes waren, weil ihnen doch noch der treue

Gefährte geblieben war, um den sie gern noch

mehr leiden und dulden wollten: o spricht uns da nicht der Geist der Liebe entgegen, der über die Verbundnen ausgegossen ist! — Und wenn wir solche finden, die, nachdem ihre Liebe treu gewe­ sen

bis

zum Tode,

nun

auch dem Abgeschiednen noch unver­

brüchlich angehören, wenn, nachdem die äußere Erscheinung längst dahin geschwunden,

kindliche Herzen doch nimmer des Bakers

und der Mutter, Freunde des Freundes, Gatten des Gatten, El­ tern der Kinder vergessen und der Gedanke erneuter Gemeinschaft mit ihnen für sie ein Strahl des Lichts ist, der jedes Dunkel er­ hellt und auch das Grab solche Liebe nicht getrennt und zerstört hat: schauen wir da nicht wiederum den Geist der Liebe über die Seelen ausgegossen?

Ja, nt. A., je reiner,

je aufopfernder, je

heiliger in ihrem Zweck eine Liebe auf Erden gefunden wird, je mehr wallet der Geist Gottes in ihr, und je mehr sie uns er­ greift und unser ganzes Wesen durchströmt: desto mehr sind auch wir diesem Geiste der Liebe hingegeben. Aber was sind die Erscheinungeki der Liebe in den schwa­ chen Menschen, welche doch auch in ihrer schönsten Gestalt voll Mängel und Selbstsucht sich

finden werden,

wenn wir sie in

ihren innersten Tiefen ergründen, gegen die Liebe, die sich in Ehristo offenbart bot.

„Also hat Gott die Well geliebt, daß er

297 seinen eingebornen Sohn gab!" —

Der Welt, welche sich hin»

weggewendet von Gott, die all seine Gaben der Gnade wie ein ungrrathner Sohn fern von ihm zu irdischer Lust angewendet, die sein heiliges Gesetz nicht gehalten und seine Altäre entweiht hatte, den Feinden seiner Gnade und Herrlichkeit sandte er den Eingebornen und gab ihn für sie in den Tod; das war des Vaters unendliche Liebe, welche alle Verirrten, alle in den Kes­ seln falscher Gottesdienste Wandelnden an sich ziehen und gewin­ nen wollte.

Aber die unsichtbare und unergründete Liebe des

Vaters, sie ist in ihrer ganzen Herrlichkeit sichtbar geworden im Sohne, als dieser sich in das irdische Leben hingab, der Gerechte und Heiligt in die Gemeinschaft der Ungerechten, als er sich hin­ gab in den Tod der Pein, unbefleckt ein Opfer für die Sünder, aus daß alle, die au ihn glauben, nicht verloren werden, sondem das ewige Leben haben. Was sind, m. A., die reinsten Erschei­ nungen irdischer Liebe des Helden, der Mutter, de- Kindes, des Gatten, gegen diese Liebe des Herrn? Darum erkennen wir ihn als den, der gesalbt mit dem heiligen Geiste einherzog und das unglückliche Geschlecht der Menschen aus der Sünde Gewalt er­ rettete; darum zeigt der Geist immer auf ihn zurück, daß wir ihn in des Sohnes Erscheinung erkennen, welcher heilig, aufop­ fernd, erlösend, versöhnend gekommen war, nicht daß er die Welt richte, sondern daß sie durch ihn selig werde. Und als er zurückkehrte zum Vater und den Seinen den Geist sendete, der auf ihm geruht, damit sie Kinder dieses Gei­ ste- der Liebe würden, da hat auch dieser Geist immerdar von ihm gezeugt und durch das Hinweisen auf des Sohnes Liebe in den Gläubigen gewürkt.

Nun ergoss er sich über die Schaar

der treuen Zeugen Jesu Christi, die mit ihm und durch ihn die Welt überwanden. Nun fesselte sie nicht ein Band irdischer Liebe, sondern um der Menschen Seelen vom Verderben zu er­ retten, um den verirrten Geschlechtern ewiges Heil zu bringen, waren sie jetzt stark jedes Gut und jeden Genuss irdischer Liebe

296 hinzugeben und fern vom Vaterlande, geschieden von Freunden, Eltern, Gatten und Kindern, fremd in feindlichen Ländern unter Hassern und Verfolgern von keinem gestärkt, von keinem getröstet und beweint, ihr Leben freudig aufzuopfern, um sterbend vielleicht noch eine Seele zu gewinnen für den Herren, der in der Todesstunde vor ihren Augen stand und ihnen seinen Him­ mel öffnete. —

In solcher Liebe, die starker war als der

Tod, ist die Gemeine Jesu Christi gegründet durch den Geist, den er gesendet. Feirm wir nun aber dieses Geistes Fest, dann muss es un­ ser brünstiges Flehen sein, daß dieser Geist der Liebe auch in uns wohne und wir nicht den unendlichen Jammer auf uns Uv den, von dem der Herr in unserm Evangelium spricht, wenn er sagt: Wer nicht glaubet, der ist schon gerichtet, denn er glaubet nicht an den Namen des eingebornen Sohnes Gottes.

Denn

wenn sein Geist uns zu ihm treibt und wir an ihn glauben, dann müssen wir auch von seiner Liebe entzündet werden.

Ist

er nicht gekommen die Well zu richten, wie sollten denn wir das Gefühl der Liebe ausrotten wollen in unsrer Brust, wie sollten wir im Anschaun seiner Gnade nun strafen und richten und tielv los unter unsern Brüdern wandeln.

Aber fehlt uns mit seiner

Liebe auch der Glaube an ihn, ja dann sind wir gerichtet, weil wir unS von ihm gewendet, weil sein Heil uns nicht erfüllt, weil sein Trost, seine Kraft, sein himmlischer Segen, der die Seinen zu des Grabes Nacht gestärkt und erhöhet hat, nicht in uns wohnt.

Dann sind wir gerichtet, weil die Liebe uns fehlt,

die alles glaubet, alles hofft, alles duldet, alle Schätze und Gü­ ter der Welt werden dann die Leere in unsrer Brust nicht aus­ füllen und kein Erbtheil wird uns geblieben sein, welches die Vergänglichkeit überdauern könnte. —

Aber je mehr der Geist

der Liebe uns erfüllet und Christum in uns verklärt, desto mehr «erden wir auch Liebe üben, sie suchen und finden.

Und weil

uns das schwere Loos nicht beschieden ist in feindliche Ge-

299

genbat hinausgehn zu müssen, des Herrn Wort zu verkünden, weil er uns unsern Sterns angewiesen hat, unter den Geliebten zu würken: o so lasst uns zeigen, welches Geistes Kinder wir sind, lasset eS uns zeigen gegen die, zu denen schon die natür­ liche Liebe uns ziehen müsste, lasset uns in diesen Lagen des Heils mit allen denen vereint werden, mit welchen wir ein Band der Liebe zerrissen haben, lasset uns keinem die Gemeinschaft christlicher Bruderliebe versagen und dann durch deS heiligen Geistes Kraft jede irdische Liebe immer mehr reinigen, daß sie immer sanfter, versöhnender, duldender, heiliger, immer mehr der unendlichen Liebe des Herrn ähnlich werde, von welcher sein Geist Zeugniss giebt unserm Geist. II. Der Geist, dessen Fest wir heut begehen, wird aber auch von Christo dargestellt als der Geist der Wahrheit, der in alle Wahrheit leitet und auch so lasst ihn uns betrachten und erken­ nen, wie wir durch ihn immer mehr mit Christo vereint wer­ den. — Wollen wir ihn in dieser hohen Vollkommenheit er­ kennen. so lasst uns in die Tage der Vergangenheit schaun und sein erstes Walten wird uns klar werden in dem Siege der Wahrheit über den Irrthum, des LichtS über die Finsterniss. — Wenn da, wo Willkühr und Sünde herrschten, erleuchtete Gei­ ster aufgetreten sind, welche die Sünder aus der Dunkelheit her­ vorgezogen und die Werke der Finsterniss enthüllt haben zur Warnung der Verblendeten; wenn oft verkannt und lange zu­ rückgewiesen und verfolgt die Wahrheit sich Bahn gebrochen hat unter den Menschen und über den Irrthum gesiegt; wenn Recht und Gesetz die Leidenschaften und Sünden auf Erden beschrankt und gebändigt haben; wenn der Blick der Menschen, der nur an dem Vergänglichen hing, von edlen Weisen, welche sehn­ süchtig nach höherer Erkenntniss strebten, zu dem Unvergängli­ chen und Unwandelbaren erhoben worden ist: dann, m. G., se-

hm wir das Wehen dieses Geistes der Wahrheit, der von fern sich angekündigt hat in der Mmschen Brust. uns auch

in

jedem einzelnen

Und so wird er

Menschenleben kund.

Sobald

wir, die so oft die Finsterniss suchen und mehr lieben als das Licht, inne werden, daß unsre Werke böse sind; sobald, und die ersten Ersahmngen davon erstrecken sich weit zurück in die frü­ hen Kinderjahre des Lebens, sobald sich in uns die Stimme regt, welche uns zuruft: du handelst sündig und bleibest nicht in der Wahrheit! sobald wir es vor uns selbst nicht mehr verbergen können, was wir vor der Welt so gern verbergen, daß nur Lüge und Verstellung uns einen falschen Schimmer verleihen und es laut in uns spricht: kehre um von deinem verkehrten Wandel, daß deine Werke an das Licht kommen können ohne gestraft wer­ den zu müssen! — da überall erkennen wir, wie der Geist der Wahrheit sich in uns ankündigt und uns Bahn brechen will zu höherer Erkenntniss. Aber wo ist die Wahrheit zu finden? und müssen wir denn nicht auch wie Pilatus zweifelnd sprechen: was ist Wahrheit? Wo ist das feste, unumstößliche Wort, dem wir immerdar ge­ horchen, die Richtschnur ohne Fehl, nach der wir wandeln, wo der untrügliche Führer, der uns keinen Weg des Irrthums ge­ hen lässt, wenn wir ihm nur folgen?

O die Besten und Herr­

lichsten auf Erden, sie haben geirrt in der Wahrheit und was sie als das Unzweifelhafte, Unverwersliche erkannt, wie haben es spätere Zeiten als Falschheit und Irrthum dargestellt!

Wir fin­

den dies Kleinod nur bei ihm, der vor Pilatus stand, welcher ihn

nicht kannte, finden es nur bei ihm, der von sich sagen

konnte: ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.

Als

alle göttlichen Offenbarungen vergebens mitgetheilt waren, die Menschen die Finsterniss mehr liebten als das Licht und GotteS Wahrheit in Lügen verwandelt hatten, da kam er als das wahr­ haftige Licht, welches alle Welt erleuchtet, da verkündete er neben der Gnade die

ewige Wahrheit,

da enthüllte er die dunkle»

301 Werke der Pharisäer und Schriftgelehtten, da stellte er in sei­ nem reinen Wandel das ewige unvergängliche Zeugniss der Wahrheit dar und wer aus der Wahrheit war, der hörte seine Stimme.

Als er aber von der Welt geschieden war und seine

Jünger, welche sein Wort nicht verstanden und nicht fassen konn­ ten was er gesagt hatte, sich unfähig erkannten, sein Reich aus Erden zu bauen: da musste sein Geist kommen und von ihm zeugen, da musste der Geist der Wahrheit durch Christum in alle Wahrheit leiten und nicht von sich selber reden, sondern, wie der Herr vorhergesagt hatte: von dem Meinen wird ers nehmen und euch verkündigen! Und wie der Herr auf Erden das Reich der Wahrheit gegründet, so haben von diesem Tage der Pfingsten an, als sie getauft wurden mit des Geistes Feuertaufe, seine Jünger dies Reich weiter verbreitet auf Erden.

Nicht in Trug

und Finsterniss, nicht vor der Welt sich verbergend, als die daS Licht scheuten, sind sie einhergegangen; sondern klar und öffent­ lich haben sie die Wahrheit gepredigt auf den Dächern und sie der Welt offenbaret.

Vor Mächtigen und Geringen stehend, wie

ein Licht auf einen Leuchter gestellt Allen leuchtet die im Hause wohnen, so haben sie das Reich des Irrthums und der Lügen zerstört und die Tempel der falschen Götzen sind gesunken vor der Macht der Wahrheit, welche der Geist aus ihnen redete. Dieser verklärte ihnen Christum und gab in ihren Mund was sie reden sollten und daher konnten sie die Werke der FinsternisS an das Licht hervorziehen und die Verirrten zur Wahrheit leiten, daß ihre Werke offenbar wurden, denn sie waren in Gott ge­ than. — Wenn aber dennoch wieder in der Kirche des Herrn die Stützen der Wahrheit sanken, wenn falschen Götzen neue Tempel emporstiegen und an die Stelle des Herrn sich falsche Miethlinge seiner Heerde stellten: der Geist der Wahrheit hat auch solchen Trug immer wieder zerstört und sich neue Werk­ zeuge aufgefunden, welche das verfallne Heiligthum des Hrrm wiedcrbauten und die Verirrten zurückführten zu dem Motte

3012

der Wahrheit, zu betn Worte, das aus des Herrn Munde ge« gangen war. Und nun, m. A., feiern wir nach so langer Zeit, in so weiter Ferne von dem Orte und von dem Tage jener ersten Aus­ gießung das Fest des Geistes der Wahrheit; nun ist keiner so arm und verachtet unter uns, daß er nicht Antheil nehmen könnte an solchem Heil; nun erkennen unsre Kindlein schon in den frü­ hen Tagen ihrer Wallfahrt, was die Weisen der Vorzeit bis zum spätesten Greisenalter nicht erforscht hatten und von nun an ist das Wort des Herrn auch an uns erfüllt: viele Propheten und Könige wollten sehen, das ihr sehet und Habens nicht ge­ sehn und hören, daS ihr höret, und Habens nicht gehört! *) — Ist uns aber solches Heil durch den Geist der Wahrheit gewor­ den, so lasst uns auch auf dies Wort des Herrn merken: wer an den Sohn Gottes nicht glaubt, der ist schon gerichtet! denn glauben wir nicht an ihn, so wird auch seine Wahrheit uns feh­ len und wir werden in Irrthum und Lügen wandeln; unsre Werke werden das Licht scheuen, weil sie böse sind, und dann tragen wir das Gericht in unsrer Brust und können nicht freu­ dig

und getrost hinaufschaun zu

unserm Gott.

Aber lasst

uns Wohnung bereiten dem Geist der Wahrheit, der von Christo zeugt und ihm uns ganz hingeben, dann werden wir unsern Wandel auch an das Thun deS Gottessohnes halten und ihm nachstreben.

Dürfen wir ihn getrost in unser JnnerS schaun

lassen, dürfen wir es uns selbst sagen, daß er neben unserm ge­ heimsten Thun stehn könnte und billigend auf uns schaun werde, dürfen wir ihm keine innerste Falte unsers Herzens verbergen und können seine Hülfe getrost anflehen zu jedem Werke, dar wir beginnen: ja, dann können sie an das Licht kommen und offenbar werden, denn sie sind in Gott gethan; sie sind unter dem Beistände seines Geistes vollbracht. ) Luc. 10, 24.

Lasset uns den Irr-

303 thum und die Lüge vertilgen aus unsrer Brust.

Klar und rein

sei unser geistiges Auge, tief hinein zu schauen in der Seele ver­ borgne Tiefe und dort lasst uns dann keine Unwahrheit dulden, da hinein leuchten mit dem Lichte des Evangelii und so dem Geiste der Wahrheit Bahn brechen, daß er in unS wohne und immer mehr in uns den Herrn verklären könne, der der Weg ist und die Wahrheit und das Leben.

Amen.

O, Geist des Herrn, komm du herab zu deinen Kindern, mache du Wohnung in uns und erfülle uns mit deiner Liebe und lass uns deS Baters und des Sohnes Gnade immer herrlicher erkennen, daß wir durch sie getröstet auch die dun­ keln Pfade freudig wandeln.

Gründe du fest in uns die

Wahrheit des Gottessohns, daß wir seine Stimme immer kräftiger vernehmen und ihm immer treuer folgen, daß ob dein Fest auch wieder vorübergeht und

seine äußere Feier

schwindet, du doch in unserm Gedachtniss bleibest, wir dich in uns tragen, dich mit hinaus nehmen in das künftige Le­ ben und in dem tröstenden Glauben wandeln können, daß auch uns der Sohn Gottes nicht gekommen ist, damit er unS richte, sondern daß wir durch ihn selig werden.

Amen.

XXVI. Der Geist des Herrn ist nicht von der Welt, sondern aus Gott. Am Pfingstmontage.

Ueber 1 Kor. 2, 10 — 14.

Gebet. Komm, o komm du Geist de» fiebert, Wahrer Gott in Ewigkeit! Unser Flehn sei nicht vergebens, Komm, erfüll uns jederzeit: So wird Licht und heller Schein In dem dunkeln Herzen sein.

59?. A. und in Christo Geliebten. Feste, welche wir auch

Amen.

Alle großen und heiligen

in diesem Jahre der Kirche gefeiert ha­

ben, weisen uns allein aus die Vergangenheit zurück, so daß wir an ihnen nicht ganz dieselbe Freude

oder dieselben Schmerzen

empfinden können, wie die, welche unmittelbar an des Herm Krippe, an seinem Kreuz, an seinem geöffneten Grabe gestanden haben, denn der Heiland ist nur einmal auf Erden geboren, nur einmal für alle gestorben, nur einmal zum ewigen Heile seiner Gläubigen von

den Todten auferstanden.

Aber anders ist es

305 mit der Ausgießung seines Geistes über seine Jünger, welche wir an diesem heiligen Feste der Pfingsten feiern.

Denn wie der

Apostel in unsrer heutigen Festepistel von den Heiden sagt, wel» chen er zuerst das Evangelium predigte: sie haben den heiligen Geist empfangen gleich wie wir; so muss der Geist des Herrn noch immer kommen in seiner ersten herrlichen Kraft auf alle, welche gläubig das Wort der Wahrheit hören und ihm ihr Herz öffnen.

Darum brauchen auch wir in diesen Tagen nicht in die

Vergangenheit der ersten Kirche zu schauen, sondern sind wir zu dieser Kirche gezogen worden, so müssen auch unsre Seelen voll sein ganz derselben Freude, wie die Seelen der Apostel am ersten Anfang, ganz dieselbe Nähe des Geistes fühlend wie sie, weil er auch über uns sich ergossen und uns zu seiner Gemeine gesam­ melt hat.

Und dies eben ist das rechte Hochgefühl dieses Festes.

Aber, wenn wir solche sind, die mit jenen Johannesjüngern in Ephesus sagen müssen: wir haben auch nie gehöret, ob ein hei­ liger Geist sei! oder, weil dieser Geist wohl allen ist geprediget worden, doch bekennen: uns sind die Regungen desselben nicht gekommen, wir verstehn ihn nicht und kennen ihn nicht; welch ein Fest der Pfingsten feiern wir dann!

Darum lasst uns in

dieser heiligen Stunde nach dem Worte der Schrift das Wesen dieses Geistes naher betrachten und erwägen was Paulus den Korinthern zuruft.

Text,

1 Kor. 2, 10— 14.

Denn der Geist erforschet alle Dinge, auch die Tiefen der Gottheit.

Denn

welcher Mensch

weiß

was im Menschen ist, ohne der Geist des Menschen, der in ihm ist?

Also auch weiß niemand was in

Gott ist, ohne der Geist Gottes. —

Wir aber ha­

ben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott: daß wir wissen können, was Pischoa Pnd.

U

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uns von Gon gegeben ist. — Welches wir auch reden nicht mit Worten, welche menschliche Weisheit lehren kann, sondern mit Worten, die der heilige Geist lehrt, und richten geistliche Sachen geistlich. — Der natürliche Mensch aber vernimmt nichts vom Geist Gottes: es ist ihm eine Thorheit, und kann es nicht erkennen, denn es muss geistlich gerichtet sein. Diese heiligen inhaltschweren Worte, m. A., sind von einem Apostel ausgesprochen, welcher nicht Zeuge der ersten Ausgießung des Geistes war an jenem Tage der Pfingsten, den wir feiern, dem aber der Geist des Herrn kam, als er die Gemeine der Gläubigen verfolgen wollte und ihn zum auserwähltrn Rüstzeuge des Herrn umwandelte. Sie sind geschrieben zu denen, welche fern vom Erlöser zuerst aus deS Apostels Munde sein Wort ver­ nommen haben und den Geist empfangen, welchen der Welt Weisheit ihnen nicht hatte gedm können. So kann er, so wird er denn auch uns kommen können, wie fern wir auch von jenen ersten Tagen leben, ja so waltet er überall unter uns und kommt denen, welche den Later gläubig um ihn anflehen. Und daß solches Gebet in uns immer brünstiger werde, dazu lasset uns zur Feier dieses Tages betrachten: wie der Apostel das Wesen des Geistes uns darstellt, dessen Fest wir feiern. Er zeigt ihn unS aber I. als den Geist, der nicht von der Welt, sondern II. als den Geist, welcher aus Gott ist. I.

Ist der Geist, dessen Fest wir feiern, nicht ein Geist der Welt, dann erkennen wir ihn freilich gewiss nicht als den Geist

307 bei weHtlichen Sünde, welcher noch so oft in denen waltet und lebt, welche den Namen des Erlösers äußerlich tragen.

Wie viele,

theurc Mitchristen, leben noch unter uns hingegeben in tiefe La­ sterhaftigkeit und Verworfenheit, welchen die irdische Lust ihr Gott ist, die in Schwelgerei und unreinen Begierden ihre Freude su­ chen und in dem Taumel der Sünde sich wiegend des Gewis­ sens mahnende Stimme einschläfern.

Diese treibt auch ein Geist,

ein finsterer böser Geist, welcher sie in schimpflichen Ketten ge­ fangen hält und die Werke der Finsterniss thun lässt, welche das Licht scheuen.

Aber sie vernehmen nichts vom Geiste GotteS.

Zwar es fehlt auch ihnen nicht an solchen, welche freundlich er­ mahnend, innig bittend, ernstlich strafend im Namm Gottes zu ihnen treten um die Verirrten zum Wege des Heils zurückzufüh­ ren, sie zu dem himmlischen Erlöser zu leiten, welcher die Sün­ digen, die zu ihm sich wenden, annimmt als der treue Hirt. Aber wenn auch das Wort dir Verführten und Verführer einen Augenblick zu ergreifen scheint, wenn sie Worte der Reue aus­ sprechen und Besserung angeloben

und es

schweigt dann die

mahnende Sttmme, die Stunde der Lust naht wieder und die lockenden Gestalten der Versuchung stehen wieder vor ihren Blikken da: o dann, obschon sie sich selbst verachten müssen, stürzen sie sich auch wie vorher in die alten Sünden; jede Ermahnung und Bitte ist vergebens gewesen und umsonst die Vorstellung von dem Jammer, den sie sich selbst und den theuren Geliebten bereiten, ihnen nahe stehn ihren Trost

und all ihre Hoffnungen

in ihnen vernichtet sehen.

Bilder des Wahns

und all

Und das sind

nicht

und trüber Gedanken, sondern schmerzlich

wird die Wahrheit von denen empfunden, welchen freuden durch solche Sünder vergiftet werden!

ihre Lebens­

In diesen nun,

die also durch einen bösen Geist getrieben nur das sündige Ge­ setz in ihren Gliedern fühlen, was sie gefangen nimmt; aber noch nicht einmal zu dem innern Schmerz gelangt sind, in wel­ chem sie sich nach Errettung sehnen und sprechen:

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ich elender

308 Mensch, wer wird mich erlistn von dem Leibe dieses Todes! in diesen zeigt sich unS der natürliche Mensch, der nichts vom Geiste GotteS vernimmt, am verworfensten und jammervollsten, und ist ihm eine Thorheit und kann eS nicht erkennen.

Diese können

nicht Pfingsten feiern, denn sie werden nur vom Geiste der Welt getrieben und das ist der Geist nicht, welchen des Herrn Gläu» bige empfangen. Dieser Geist, den der Apostel uns darstellt, ist aber auch nicht der Geist weltlicher Weisheit. — Welch Streben und Ringen nach irdischer Kenntniss und weltlicher Weisheit ist nicht unter uns, wie müssen nicht alle Kräfte angestrengt werden, um darin immer weiter zu gelangen und darin ausgerüstet ein» hergehn zu können vor den Menschen. nicht tadeln und verwerfen.

Und das wollen wir

Auch das ist von Gott also geord­

net, auch das ist eine Gabe von oben dem Menschen gegeben zum gemeinen Nutzen, und die weltliche Weisheit soll ein Mit­ tel werden, die ewigen Wahrheiten immer weiter zu verbreiten, immer tiefer zu begründen.

Aber lasset uns solcher Kenntnis-

uns nicht überheben, lasset sie selbst uns nicht zu hoch stellen, daß nicht sündlicher Stolz und Hochmuth in uns sich befestige und die Regungen des Heiligen in uns ersticke.

Denn wie hoch

wir diese weltliche Weisheit auch erheben möchten, das Höchste was sie kann und vermag, ist doch nur, die leisen Spuren der Gottheit nachzuweisen, aber ihre Tiefen zu erforschen vermag sie nicht, und darum ist der Geist GotteS nicht ein Geist menschli­ cher Weisheit.

Ja, wenn sie den Geist des Menschen selbst zum

Gegenstand ihrer Forschungen macht, wie rathselhast, wir ohn­ mächtig, wie sündig wird sie ihn finden in seinen innersten Tie­ fen, daß sie auch da keinen Frieden uns bringt.

Darum hat

Gottes Geist keine Gemeinschaft mit diesem Geiste, und nicht menschliche Lehren der Vernunft können ihn unS bringen, nicht in vernünftigen Reden menschlicher Weisheit haben die Apostel von ihm gezeugt, den Weisen und Klugen ist er verborgen ge-

309 bliebe# und den Unmündigen offenbart.

Das hohe Verständnis-

irdischer Lehren giebt noch nicht die himmlische Kraft und waS kein Verstand der Weisen gesehen, das hat das fromme Gemüth, da- im stillen Gebet zu Gott sich hinaufschwang, geschaut und unverlierbar in sich bewahtt.

Darum, wer da wahnen kann,

daß menschliche Weisheit das Höchste sei, waS zu erstreben ist, wer meinen kann durch sich selbst Alles zu finden, was ihn be­ seligt, daS ist der natürliche Mensch, der noch nicht- vom Geiste Gottes vernimmt, denn der Gottesgeist ist kein Geist weltlicher Weisheit. Der Geist, dessen Fest wir feiern ist endlich auch kein Geist weltlicher Lebensweise.

Nicht

allein

denen ist er fern,

welche in groben Lüsten und Sünden einhergehn, nicht allein de­ nen, welchen die eigene menschliche Weisheit das Höchste ist, auch denen, welche fern von beiden ihre Straße ziehen, aber in dem gewöhnlichen Leben, welches sie führen, nur Alles auch welt­ lich richten.

Und wie unendlich groß ist die Zahl dieser, leibet!

auch unter uns.

O meine Geliebten, gehen nicht Lausende also

einher, nichts andres suchend, als des Lebens flüchtigen Gewinn und feine nichtigen und schaalen Genüsse?

Sie gehören nicht

zur Zahl der ganz Berlomen, vor denen sich jede menschliche Brust zuschließt, nein, sie gehören vielmehr zu denen, mit wel­ chen wir gemächlich wandeln können auf der Bahn des Leben-, welche auch äußerlich bemüht sind des Gesetzes Vorschriften treu­ lich zu erfüllen und in äußerlicher Ehrlichkeit und Rechtlichkeit einherzugehn, ja sie gehören zu solchen, welche und in vieler Rücksicht ein Vorbild von treuem unermüdlichem Fleiß und ge­ wissenhafter Pflichterfüllung werden können.

Aber fragen wir

nach dem Grund ihres inneren Lebens, prüfen wir die Liefe des Gemüthes, wie dunkel und leer finden wir eS da!

Alles ist nur

auf die flüchtige vergängliche Lust gewendet, alles auf den Er­ werb irdischer Glücksgüter.

DaS ist allein ihr Streben, sich und

den Ihrigen die Fülle der irdischen Habe zu verschaffen, das die

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schönste Hoffnung ihres Lebens, einst zu sich sagen zu können: liebe Seele, nun iss und trink und sei gutes Muthes, habe nun Ruhe *), denn du hast nun großen Vorrath der Lebensgüter ge­ sammelt, und es wird dir daran nicht fehlen bis zur spätesten Zeit. Aber nichts erblicken wir in ihnen vom Geiste des Herrn. Auch hier keine tiefe innige Gemeinschaft mit Oben, auch hier nur der natürliche Mensch, der nichts vom Geiste Gottes ver­ nimmt, eS ist ihm eine Thorheit und kann's nicht erkennen, denn es muss geistlich gerichtet sein II

Der Geist, den der Apostel uns darstellt und dessen Fest wir feiern, ist der Geist aus Gott. Von Gott stammend, zu Gott führend, bas Niedre und Irdische reinigend, heiligend, stär­ kend und mit Gott es verbindend, so musste der Geist erscheinen, welchen der Herr seinen Jüngern als den Tröster sandte, so muss er noch immer auf die Gläubigen kommen, um sie zu kräf­ tigen die Welt zu überwinden. ES ist ein Geist göttlicher Offenbarung. Er allein kann in dem kalten der Erde zugewendeten und an ihr hangen­ den Menschen die Erkenntniss des Göttlichen erregen und in seine Seele das Verständniss des sonst Unerforschlichen und Un­ begreiflichen ausgießen; denn der Geist erforscht alle Dinge, auch die Tiefen der Gottheit. Was ist aber die Tiefe der Gottheit? DaS ist zuerst die ewige unendliche Liebe, denn Gott ist die Liebe und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm. Deckt diese der Geist uns auf, lehrt er sie uns ganz er­ kennen; dann ist auch schon das geheimnissvolle Band zwischen uns und Gott geknüpft; dann fühlen wir uns schon nach oben gezogen und eine neue Geburt durch den Geist hat begonnen in unserm Innern. Aber wo hat diese Tiefe der Gottheit, diese ) Luc. 12, 19.

311 ewige und unwandelbare Lieb« herrlicher und verklärter sich of­ fenbart, alS in der Sendung des ewigen Sohnes.

Darum zeugt

nun auch der Geist von diesem und lasst uns in das große Ge heimniss seiner Erscheinung eindringen und lehrt uns in dieser unendlichen Liebe seinen Wandel auf Erden, sein Leiden, sein Ueberwinden verstehn.

Nun steht es klar vor Augen, hell wie

der Tag, daß die ewige Liebe des Vaters uns nicht kann sinken lassen, nun rufen wir mit dem Apostel aus: ist Gott für uns, wer mag wider uns sein? der auch seines eigenen Sohnes nicht hat verschont, sondern ihn für uns alle dahingegeben, wie sollte er uns mit ihm nicht Alles schenken? ')

Denn wie Johannes

spricht: niemand hat Gott je gesehen, der eingeborne Sohn, der in des Vaters Schooß war, hat es uns verkündigt **), so hat auch niemand des Vaters Liebe in ihrer ganzen Tiefe erkannt, durch den Sohn allein ist sie uns offenbar worden und der Geist, der höhere himmlische Lehrer, welcher uns erinnert an Al­ les, was der Sohn gesagt hat, verklärt sie uns immer mehr. Und dann geht uns auch das Verständniss dieser Liebe aus in Allem, waS wir äußerlich schauen, in Allem, waS uns gesendet wird.

Dann sieht der Mensch auch überall Gott in seinen Wer­

ken und betet ihn dort an als den Vater der Liebe und fühlt sich ihm in solcher Anbetung nahe und innig vereint; dann er­ kennt er auch in des Lebens trübem Geschick die ewige Liebe und weiss es, daß auch der Becher der Trübsale nur die bittere Arznei ist, welche der liebe Vater darreicht, der uns nichts Böses thun kann, und indem er eben in der Stunde der Noth mit seiner Hülfe uns recht nahe ist und sein Geist uns lehrt, fromm und ganz uns ihm hinzugeben, vermag kein Dunkel die Klarheit seiner ewigen Liebe uns zu verhüllen. Der Geist aus Gott, welcher uns in unserm Text darge­ stellt wird, ist auch ein Geist göttlicher Heiligung. *) Röm. 8, 3‘2.

") Joh. i, tfr.

Das

312 ist ja sein eigenthümliches Kennzeichen, woran er erkannt, wo­ durch er unterschieden und seine Erscheinung geprüft wird an de­ nen, welche ihn zu besitzen vorgeben. der Geist aus Gott.

Der heilige Geist ist

Und was ist heilig als allein das, was

fern von der Sünde, das Innere des Gemüths mit dem Urquell alles Reinen immer fester und unzerstörbarer vereint, was ist heilig als das, was nicht irdischer Art und Natur, an keine Zeit und keinen Raun» gebunden hinausdauert in die Ewigkeit, wenn alles sündige Wesen, das losgetrennt von dem Ewigen das Le­ ben nicht in sich tragen kann, in Nichts versinken muss.

Aber

wer kann dies Heilige uns bringen, als allein der Geist, wel­ cher auch die Tiefen der Gottheit erforscht.

Und was ist die

Tiefe der Gottheit? als die Heiligkeit ihres Wesens, denn heilig ist Gott der Herr, der Allmächtige, der da war, der da ist und der da kommt.

Weil wir ihn aber in dem Lichte, worin er

wohnt, nicht schauen können, ist sein ewiges Wort Fleisch gewor­ den und wir haben seine Herrlichkeit geschaut, als des eingebornen Sohnes vom Later voller Gnade und Wahrheit.

Und von

diesem zeugt, zu diesem treibt uns der Geist, daß wir ihn erken­ nen, in dessen Munde kein Betrug zu finden ist, daß wir nachwandeln seinen Fußlapfen und durch ihn geheiligt werden.

Und

da der Welt Weisheit ihn uns nicht kennen lehrt, da menschliche Wissenschaft nicht vom Himmel Zcugniss giebt, hat der Geist in seinem heiligen Buche zu und geredet

und ergreift durch das­

selbe auch di: sündigen Gemüther, auch die kalten, nur dem welt­ lichen Treiben zugewendeten Seelen.

Wenn dann dieser Geist

göttlicher Heiligung mit den Worten, welche

er allein lehren

kann, auch uns zum ewigen Quell alles Heils geführt hat, o dann, und das ist die rechte Bewährung seines Wesens, dann verleiht er uns auch Kraft, die Sünder zur Heiligung zu füh­ ren.

Ja, m. G., wenn es uns dann mit ihm durch Christum

gelingt, immer lebendiger,

immer brünstiger, immer begeisterter

zu den gefallenen und verirrten Brüdern zu reden, wenn dann

313 Stolz und Hochmuth, wenn Eitelkeit und Wollust nicht mehr bestehn können vor dem heiligen Worte der Wahrheit, wenn auf seine Beschwörung die bösen Geister fliehen müssen und die über» «undenen Herzen in Thränen der Reue und Buße in unsre Arme fallen und wir es lebendig fühlen, sie sind gerettet, wir haben sie von der Sünde losgerissen und für das heilige Reich des Sohnes gewonnen: dann erkennen wir den heiligen Geist aus Gott, welcher des Herrn Kirche sammelt und den Seinen Kraft giebt, sie immer mehr auf Erden zu pflanzen. Der Geist auö Gott, dessen Fest wir feiern, ist ein Geist göttlicher Kraft.

Wenn das Heilige uns offenbart ist in der

ewigen Liebe des Vaters, wenn der Schimmer weltlicher Weis» heit uns nicht mehr verblendet und wir durch den Geist gelehrt die himmlische Weisheit erkannt und die Regungen der Heili gung in unserm Innern empfunden haben, dann ist in uns die Sehnsucht nach Gott, nach der innigen Vereinigung mit dem Sohne gepflanzt worden; aber ehe diese Pflanze recht gedeiht und Frucht bringt, ehe sie stark wird jedem Wechsel und jedem Feinde zu widerstehen, bedarf es noch eines großen Segens von oben. Wir wissen es leider! alle auS trauriger Erfahrung, nicht die Lehre und selbst nicht das heiligste Beispiel erhalten unS hrtu in der Heiligung, und was als eine selige Erinnerung in unserm Herzen steht, wie oft ist es uns getrübt und verdunkelt worden durch die schwachen und sündigen Stunden, die ihm gefolgt sind. Darum muss der Geist, welchen der Herr seinen Jüngern ver­ sprach, welcher der Tröster sein sollte, der bei ihnen bliebe ewig­ lich, auch der sein, welcher sie immerdar in ihrer Ohnmacht auf» recht erhalten, in ihrem Straucheln sie unterstützen, von ihren Nennungen sie zurechtsühren und sie auf der rechten Bahn er» halten kann, so muss er, der aus Gott ist, sich uns zeigen als ein Geist göttlicher Kraft. Und hier erkennen wir ihn recht als den, welcher die Tiefen der Gottheit erforscht und das innere Wesen derselben unS offenbart.

Was ist aber der Gotcheit Tiefe?

>14 Das ist die Allmacht, die unendliche Herrlichkeit der Kraft btf: sen, welcher da spricht und es geschieht, welcher gebeut und es steht da!

Je tiefer wir diese Kraft, die Himmel und Erde, das

Sichtbare und Unsichtbare, das Körperliche und Geistige allmäch; tig umfasst, der nichts unmöglich ist, erkennen, je tiefer erkennen wir Gott selbst.

Und in wem hat sie sich nun aufs herrlichste

offenbart unter denen, welche auf Erden gewandelt sind,

als in

dem Eingebomen, welcher den Tod überwunden hat, dem der Steter das Gericht gegeben und der von sich selbst gesagt hat: mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel

und auf Erden *).

Von diesem zeugt der Geist der göttlichen Kraft, welcher von dem Haupte in die schwachen Glieder seiner Gemeine auf Erden ausgeht, daß sie nun selbst göttlichen Geschlechts werden und durch diese Kraft von oben sich als die Tempel Gottes fühlen, und als solche geschaut werden von denen, welche darauf mer ken.

Dann erkennen wir das Werk des Geistes aus Gott an

dieser herrlichen Fmcht.

Diese Gotteskraft im Ringen der Glau-

bigen mit der Welt, diese fromme stille Ergebung in die schwer; sten Leiden der Zeitlichreit, diese übermenschliche Geduld, welche Alles tragt, Alles, auch den bittersten Hohn, auch die schmäh­ lichste Verfolgung mit Liebe trägt, Alles mit Liebe lohnt, in jeder Versuchung rein und unbefleckt sich erhält, in jedem Elend unverzagt sich aufrichtet an ihrem Herrn und Gott, und freudig hinaufschaut in die Herrlichkeit, deren ferne Strahlen schon hier die gläubige Brust erleuchten: das Alles ist das Werk des Geistes auS Gott, des Geistes der göttlichen Kraft und Herrlichkeit. Und feiern wir nun,

m. G-, das Fest dieses Geistes nicht

als die, welche fern von ihm stehen, sondern als die, welche ihn selbst in sich tragen und von ihm ergriffen sind, dann werden sich auch an uns dieses Geistes Früchte zeigen, dann werden auch wir immer tiefer die ewige Liebe der Gottheit erkennen und von

') Matlh. 28, 18.

315 ihr ergriffen werden, dann wird immer mehr der heilige Geist un» läutem und reinigen und von uns die Heiligung sich denen mittheilen, welche neben uns wandeln; dann werden wir in der Kraft, welche der Geist aus Gott über die ©einigen ausgießt, nicht mehr zagen, als ob das Reich des Bösen herrschend wen den könnte auf Erden; sondem gewiss sein, daß keine Gewalt die Kirche zerstören kann, welche des Herrn Geist sammelt, und daß kein Leiden und keine Freude, in welcher wir überall des Herrn Nähe fühlen, unS aus der Gemeinschaft der Liebe Gottes reißen kann; dann werden auch wir mit Worten reden, welche der heilige Geist lehrt,

geistliche Sachen geistlich

richten und

durch den Geist wissen, was uns von Gott gegeben ist.

Amen.

XXVII.

Die geistige Wiedergeburt der Eingang in das Reich Gottes und in die tiefere Erkenntniss seines dreieinigen Wesens. Am Trinitatisfeste. Ueber Joh. 3, 1 — 15.

Gebet. Die Gnad« unser- Herrn und Heilande« Jesu Ehristi, dt« riebe Gotte- det himmlischen Later« und die trostreich« Gemeinschaft be­ helligen Geiste« sei mit tm« allen. Amen.

Text. Evang. Joh. 3, 1 — 15. Es war aber ein Mensch unter den Pharisäern mit Namen Nicodemus, ein Oberster unter den Ju­ den. Der kam zu Jesu bei der Nacht und sprach zu ihm: Meister, wir wissen, daß du bist ein Lehrer von Gott kommen; denn niemand kaun die Zeichen thun, die du thust, es sei denn Gon mit ihm. — Jesus antwortete und sprach ;u ihm: Wahrlich,

317

wahrlich ich sage dir: e6 fei denn, daß jemand von neuem geboren werde, kann er das Reich Gottes nicht sehen. — Nicodemus spricht zu ihm: Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er auch wiederum in seiner Mutter Leib ge­ hen und geboren werden? — Jesus antwortete: Wahrlich, wahrlich ich sage dir, es sei denn, daß jemand geboren werde aus dem Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen. — Was vom Fleisch geboren wird das ist Fleisch, und was vom Geist geboren wird das ist Geist. — Lass dichs nicht wundern, daß ich dir gesagt habe: ihr müsset von neuem geboren werden. — Der Wind blaset wo er will und du hörest sein Sausen wohl, aber du weißest nicht von wannen er kommt und wohin er fährt. Also ist ein jeglicher, der aus dem Geist geboren ist. — Nicodemus antwortete und sprach zu ihm: Wie mag solches zugehen? — Jesus antwortete und sprach zu ihm: Bist du ein Meister in Israel und weißest das nicht? — Wahr­ lich, wahrlich ich sage dir: wir reden, das wir wis­ sen, und zeugen, das wir gesehn haben und ihr nehmt unser Zeugniss nicht an. — Glaubet ihr nicht, wenn ich euch von irdischen Dingen sage, wie wür­ det ihr glauben, wenn ich euch von himmlischen Dingen sagen würde? — Und niemand fahrt gen Himmel, der vonr Himmel herniederkommen ist, näm­ lich des Menschen Sohn, der im Himmel ist. Und wie Moses in der Wüsten eine Schlange erhöhet

318 hat, also muss tvs Menschen Sohn erhöhet werden, auf daß alle,

die an ihn glauben,

nicht

verloren

werden, sondern das ewige Leben haben. Mit dem heutigen Tage, m. A. und Gel., endet die christliche Kirche die Erinnerungen an die Geschichte des Christen­ thums in seinen heiligen Festen und die Betrachtung des göttli­ chen Wortes in dem Hause des Herrn geht nun für den kom­ menden Theil des kirchlichen Jahres hinüber auf die heiligen Lehren, welche aus dem Munde des Herrn und seiner Apostel gegangen sind. —

Und weil nun in der und wieder entflossenen

Halste des kirchlichen Jahres in den verschiedenen festlichen Ta­ gen, welche wir begangen haben, des ewigen Vaters unendliche Gnade und des himmlischen Sohnes Liebe und des heiligen Gei­ stes dauernde Gemeinschaft uns ist verkündet und

von jedem

Gläubigen ist erkannt worden: so sollen wir nun dies Alles an dem heutigen Tage noch einmal zusammenfassen in der Erkennt­ niss der dreifachen Offenbarung des ewigen Gottes als Vater, Sohn und Geist und darum ist dieser Tag das Fest der Drei­ einigkeit genannt worden. —

Wie können wir aber in solch

tiefes Geheimniss eindringen, wie ganz empfinden die Herrlichkeit Gotte- und uns ihr zum treuen Dienst hingeben, als wenn wir wahrhaft dem Reiche göttlicher Gnade angehören; denn nur im Reiche Gottes ist die innige Gemeinschaft aller göttlichen Liebe und die Mittheilung aller göttlichen Offenbarung des Vaters, Sohnes und Geistes zu sinbcn.

Und fühlen wir nun, wie weit

dieses Alles über das Wesen und Treiben der Welt hinausgeht, und fragen: wie können wir das Alles verstehn und solcher ho­ hen Offenbarung theilhaftig werden? so spricht der Herr auch zu unS, wie zu Nicodemus, welcher auch noch fern stand von sei­ nem Reiche: ihr müsset von neuem geboren werden! lasset uns betrachten:

Darum

319 die geistige Wiedergeburt als den Eingang in das Reich Gottes und in die tiefere Erkennt» niss seines dreieinigen Wesens. Lasset uns demnach sehen I.

wodurch kommt uns die geistige Wiedergeburt?

II.

auf welche Weise kommt sie?

III. wozu führt sie?

I. Wahrlich, wahrlich ich sage dir, spricht der Herr, es sei denn, daß jemand von neuem geboren werde, sonst kann er das Reich Gottes nicht sehen.

Diese Nothwendigkeit müssen

wir alle anerkennen, wenn wir auf unser armeS und hülfsbe» dürftiges menschliches Wesen, aus die Unzulänglichkeit unsrer au» ßeren und inneren Kräfte und auf das nie gestillte und uner­ füllte Sehnen unsers innern Menschen schauen.

Das Unvoll»

kommne muss aufhören, der Zustand der Dunkelheit in unS muss ein Ende nehmen, ein höheres himmlisches Licht muss unS leuch» ten, neu müssen wir geboren werden um einzugehen in das Reich göttlicher Gnade.

Ader auf welche Weise kommt unS die

geistige Wiedergeburt?

Wie fern auch NicodemuS, als er

zum Herrn kommt, noch von dieser Wiedergeburt sein mag, eins erkennen wir doch in ihm, was auch in uns sein muss, wenn sie jemals uns zu Theil werden soll, das ist die heilige Sehn­ sucht danach.

Er ist ein Meister in Israel, ein Oberster unter

den Juden, der höchsten Offenbarungen Gottes, welche die Welt kannte, wodurch der Ewige sich sein Bolk hatte erziehen wollen, war er nicht unkundig, ein Schriftgelehrter selbst hatte er die Worte des alten Bundes durchforscht; aber ein tieferes Sehnen nach höherer Offenbarung war der alleinige Gewinn, den er da» von getragen.

Er fühlt wie mangelhaft seine Weisheit, wie ein»

geschränkt seine Erkenntniss ist, darum kommt er zum Herrn, welchen er nur als den Lehrer von Gott kommen erkannt hat,

3r->0 UM in stiller Einsamkeit bei ihm tiefere Belehrung zu suchen,

um in der irdischen Dunkelheit das himmlische Licht zu finden. Dieses tiefere Gefühl heiliger Sehnsucht hat ihn sicher geleitet zur Quelle seines Heils und das lasset darum auch uns leiten. Was wir, ein jeder in seinem Kreise, von höheren Vorzügen an uns tragen, wie wir ausgerüstet sein mögen mit verschiedenen Kräften und Gütern, lasset es uns nur immerdar recht lebendig erkennen, das ist doch nur alles unvollkommen und schwach, und wie wir auch eine Zeitlang in unserm Stolz und unsrer Selbst­ gefälligkeit einhergehn mögen: es liegt uns ein andres Ziel vor, welches wir durch uns nicht erlangen, ein andrer Friede als wel­ chen wir durch unser Thun und Treiben erringen können. In solcher Erkenntniss lasset uns denn zu unserm Herrn uns wen­ den, lasset auch in stiller Einsamkeit, in dunkler Nacht, wo das bunte Gewirr« des Lebens uns nicht zerstreut, wo wir nach Freude und Lust, nach Sorgen und Schmerzen uns still wieder sammeln können, Jesum suchen und von ihm lernen, wie die tiefe Sehnsucht nach oben, nach der seligen Gemeinschaft mit Gott zu stillen ist. Der himmlische Meister weiset uns aber den Weg, wie wir diese höhere geistige Wiedergeburt erlangen können, und spricht auf Nicodemus nicht verstandene Frage: wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist:

„Es sei denn, daß jemand

geboren werde aus dem Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen!" — Und was ist diese Geburt aus dem Wasser, welche der Herr meint? DaS ist nicht irdisches und niederes Wasser, ja nicht das äußere Wasser selbst, wo es unS am heiligsten erscheint, im Sakramente der Taufe, denn wie kann Wasser solche große Dinge thun?

Aber wohl weiset der

Herr hin auf den großen Propheten, welcher ihm den Weg be­ reitet hatte und welcher mehr als ein Prophet war, denn er hatte ihn selbst geschaut, den Herrn der Herrlichkeit, von welchem er geweissagt hatte; wohl zeigt der Herr hin aus die Stimme des

321 Prediger- in der Wüste, welcher gesprochen: ich taufe mit Was» ser zur Buße, der aber nach mir kommt ist stärker denn ich, der wird euch mit dem heiligen Geiste und mit Feuer taufen! — Er taufte mit Wasser zur Buße, er konnte von der Erde stam­ mend den heiligen Geist in seiner Schwachheit nicht geben; aber zur Buße ermahnen, durch das Wasser seiner Taufe die in hei­ liger Sehnsucht zu ihm kamen reinigen von den falschen und sündlichen Gedanken, sie vorbereiten auf die höhere Kraft Gottes, in ihnen selbst den Trieb erwecken immer empfänglicher und im­ mer würdiger für das Reich Gottes zu werden, in daS sie ein­ gehn sollten: das konnte er und das war eine Stufe hinauf zu der Herrlichkeit deS Herrn. —

WaS ist aber das Wasser, nt. X,

durch welches auch wir neu geboren werden müssen, wenn wir in das Reich Gottes eingehn sollen?

Durch die Taufe sind wir

einst schon dazu eingeweiht worden, aber der himmlische Segen dieser Taufe, wie wird er uns nicht so oft verdunkelt und ge­ raubt durch das spätere sündliche Leben, darum muss die neue Geburt durch Reue und Buße die befleckten Seelen wiederholentlich reinigen, darum müssen wir jeden Stolz und Hochmuth des innern Menschen ablegen, welcher noch pharisäisch und schein­ heilig sich brüsten will mit seiner Kenntniss und seinen Werken, und für uns und durch uns nichts sein wollen als gehorsame Kinder in des Baters Reich, welche immer empfänglicher und immer würdiger werden für die Gaben von oben, welche im Ge­ fühl eigner Sündhaftigkeit und Schwachheit sich selbst nicht mehr trauen, sondern Gnade um Gnade schöpfen wollen aus der Fülle göttlicher Liebe und Barmherzigkeit. — Wie unS das aber auch näher führt zur höheren geistigen Geburt, noch haben wir sie durch Reue und Buße allein nicht erlangt, wir sind nur erst aus dem Wasser getauft und geboren, und das wird uns versiegen ohne den Geist, die bloße Regung der Natur in uns, welche hinaufseufzt zum Höheren wird wieder vergehen und nach der Reinigung wird auch die Befleckung wiePischoa Prtd.

$

der kommen, wenn nicht der ganz ausgeht in unserm Herzen, welcher mit dem heiligen Geiste tauft, und wir geboren werden aus dem Geist. — Wie aber sollen wir das Geschenk des Himmels, diese Gabe, welche der Sohn gebracht hat, der in des Vaters Schoß war, wie sollen wir sie mit irdischen Worten be­ schreiben? Sic stammt nicht her von dieser Welt, sondern nur aus den himmlischen Höhen, sie ist keinem deutlich zu bezeichnen, der nicht selbst ihre höheren Regungen im Herzen empfunden hat, sie ist eine neue, dem natürlichen Menschen verborgene Gottes­ kraft, welche den Menschen erhebt, begeistert, himmlisch erfüllt, wie mit einem reinen heiligen Feuer ihn durchglüht; daß der alte sündige Mensch mit all seinen Lüsten und Begierden, mit all seinen sündlichcn Freuden und Sorgen untcrgehn muss vor solch reinigender Kraft und in uns geboren wird ein neuer Mensch, umgewandelt ist der Knecht der Sünde und der Natur zu einem Knechte und Freunde GvtleS. Er kann nur kommen in die buß­ fertige, reuerfüllte Seele, die «Statte muss ihm bereitet sein, aber er vollführt dann in dem zu Gott Gewendeten das große Werk der neuen Geburt, und der Mensch fühlt in dem neuen Sinne, der ihm gegeben ist: nun ist auch zu ihm der größere ewige Prophet getreten, welcher nicht mit Wasser, sondern mit dem heiligen Geist und mit Feuer tauft. II.

Und als der Herr dem Obersten der Pharisäer klar gemacht hat, wodurch die geistige Wiedergeburt den Menschen kommen, auf welchem Wege er eingehen könne in das Reich Gottes, da spricht Nicodemus von neuem in seinem Herzen: wie mag daS fein? daß der Herr ihm zuruft: lass dich nicht wundern, daß ich gesagt habe, ihr müsset von neuem geboren werden, und nun in dem irdischen Bilde des Windes zweitens uns zeigt: auf welche Weise uns diese geistige Wiedergeburt komme nach der irdischen Geburt.

323 Wie des Windes Wehen oft in der stillen unbewegten Luft mit plötzlich ergreifender Gewalt losbricht und als heftig vernichtender Sturmwind Berge zerreißt und Felsen zerbricht, ehe der Mensch sein Kommen geahnet hat: so kommt auch die Wieder­ geburt durch den Geist oft plötzlich und unerwartet und ergreift den Menschen mit unwiderstehlicher Gewalt, vernichtet allen ferneren Widerstand

und wandelt den, dem sein

Auge

geöffnet wurde also um, daß er den Abgrund seiner Sünden plötzlich erkennt, die Reue ihn ergreift und die Kraft von oben ihn nun zum Jünger des Herm weiht, daß er auch die Stunde seiner geistigen Geburt anzeigen kann.

So kam des Herrn Geist

am Tage der Pfingsten den Aposteln, welche vorbereitet auf ihn zwar seiner Ankunft harrten, aber den Augenblick seiner Erschei­ nung nicht kannten, daß sie voll wurden des heiligen Geistes und der Propheten Weissagung von seiner Ausgießung an sich erfüllt sahen.

So kommt er auch oft dem vom Herrn Gewi­

chenen, welcher lange in Sünden einhergegangen ist, aber ihre Nichtigkeit wohl geahnet hat; so wird Saulus, der Verfolger der Gemeine Jesu Christi, plötzlich zum Apostel des Evangeliums bekehrt, so schlägt oft ein

Wort Gottes, eine That Gottes,

ein mächtiges Klopfen des Herrn an die Thüre deS Herzens den Sünder zu Boden, lässt ihn in bitterer Reue und Buße vor seinem Erlöser sich demüthigen und im Gefühl der Begnadigung und Erquickung vom Herrn ausstehn. —

Und wie des Windes

Wehen oft nur als stilles sanftes Säuseln die linde Luft bewegt und wieder zu säuseln aufhört und dann in größeren und klei­ neren Zeiträumen

wiederkehrt und allmälig

immer

mehr und

mehr sich erhebt, bis das Säuseln zum Brausen und das linde Wehen zum Sturme heranwächst: so kommt auch oft die neue Wiedergeburt durch den Geist des Herrn.

Und haben wir nicht

also des Geistes Wehen

der betenden Mutter

vernommen

in

Stimme, in des VaterS rührender Belehrung, in des Lehrers treuem Warnen, hat sein Fittich uns nicht umrauschet, wenn daS

I 2

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fromm« Gebet des Dankes, das Flehen in Herzensangst, daS stille Seufzen unter den dauemden Lasten des Lebens aus der bewegten Brust hinaufstieg zum Throne des Allwissenden? hat er nicht wie Sturmesbraufen uns ergriffen in den heiligen Stunden der Andacht, als wir uns Christo nahten und seinen Segen empfingen, als wir an seinem Altar ihm unverbrüchliche Treue gelobten, bis wir nach vielen, vielen Stunden, in denen er im­ mer lebendiger und gewaltiger zu uns gesprochen, nun fühlten: er hat uns ganz erfüllt und Wohnung genommen in unsern Seelen und wir sind durch ihn zum neuen Leben geboren? Fragen wir aber: wie kommt er denn in seinem innern Wesen und wollen uns auf irdische Weise sein Erscheinen begreiflich machen» dann spricht der Herr: du hörest des Windes Sausen wohl, aber du weißst nicht von wannen er kommt und wohin er fährt, also ist ein jeglicher, der aus dem Geist gebo­ ren ist. Wer mag die geheime Stätte aufsuchen und ergründen, wer den Ort nachweisen, wo der Sturmwind sich erzeugt und wie er gewaltig wird in seiner Kraft und wiederum sich legt und schweigt, und das ist doch nur eine irdische Sache: so ist das Kommen deS Geistes uns unverständlich und unergründlikb, ein Himmelsgeschenk auS den Höhen, wohin des Menschen Geist nicht reichet, ein Himmelsgeschenk, dessen reiche, Trost und Se­ gen spendende Gaben wir empfangen und genießen, aber nicht wissen woher es kommt und wie wir es verdient haben. Und wie des Windes Wehen Alles erfasset und erfüllet, wie es den weiten Luftraum beweget und erfrischt, und die glühende Wange kühlt und die Blume erquickt, so kommt der Geist des Herrn bei der Menschen Wiedergeburt und erfüllt die ganze Gemeinde de- Herrn und das Wesen jedes Einzelnen, bringt Licht in jede dunkle Stunde tröstet in jedem Elende und besänftigt je­ den lauten und stillen Schmerz, daß in dem neuen Leben, wel­ ches er hervorbringt, die alten Wunden und der schwere Jammer der Vergangenheit vergessen sind. Und wie endlich des Winde-

325 Wehen auch die Felsen zerreißt und die Erde erschüttert und ihre Gestalt umwandelt, und wie er sie wiederum fruchtbar macht und ihr die segnenden und befruchtenden Ströme des Regens zuführt, daß die Natur herrlich dasteht nach seinem Stürmen: so ergreift mit mächtiger unwiderstehlicher Gewalt der Geist deS Herrn die Seele der Menschen, treibt sie fort zu reden vom Namen des Herrn und zerreißt die selsenharten Herzen, und strömt den Segen von oben in sie hinein und kräftigt sie unter allen Leiden, und öffnet ihnen eine nimmer versiegende Quelle himmlischen Friedens. Also, m. A., kommt noch immer die gei­ stige Wiedergeburt vom Herm. 111. Wozu aber führt nun diese geistige Wiedergeburt den Menschen und wie äußert sie sich bei den Wiedergebornen? das ist das Letzte waS der Herr dem Meister in Israel zeigt, welcher wohl fühlt, wie weit entfernt in aller seiner Weis­ heit er noch von der Erkenntniss des Heil- steht, dem auS deS Herrn Reden ein neuer Tag anbricht und eine Zeit der Gnade und des Glaubens vorgehalten wird, welche er früher nicht geahnet hatte. Was vom Geist geboren wird, das ist Geist, darum muss auS der geistigen Wiedergeburt des Menschen auch in dem Wiedergebornen die geistige Frucht sich zeigen, und diese erste Frucht ist die Demuth, welche sich still vor dem ewigen Vater beugt, und sein Zeugniss überall anerkennt. — Die Meister in JSrael gingen wohl in mancherlei Kenntnis und Wissenschaft einher und glaubten Alles zu besitzen, wenn sie sorgfältig nachge­ forscht hatten dem Buchstaben des Gesetzes; aber je mehr sie forschten, desto mehr wuchs der Stolz ihres Herzens, desto mehr meinten sie zu wissen und Alles ergründen zu können, und darum fragen sie dann: wie mag solches zugehn? weil sie daS Himmlische nicht zu fassen vermögen mit irdischem Sinn.

Al»

32(3

aber NicodemuS die neue Geburt ahnt, da schweigt et und beugt sich in stiller Demuth, und will den ewigen Baker nicht mehr meistem noch ihm vorschreiben in seinem allmächtigen Würken. Und stehen wir nun noch in der weltlichen Klugheit da, welche AlleS ergründen will und sich überall weise dünkt, dann müssen auch wir in unsrer Weisheit zu Thoren werden, welche den Rathschluß und die himmlische Gnade des ewigen Gottes ver­ kennen, und weil sie nur an äußeren Erscheinungen und an dem todten Buchstaben hangen, nicht die Tiefe des Reichthums bei» der der Weisheit und Erkenntniss Gottes verstehen. — Wenn wir aber durch den Geist neu geboren sind, dann beugen wir uns als Bürger in dem Reich Gottes demüthig vor dem, der überschwenglich und unbegreiflich an uns gethan hat; dann er­ kennen wir an, wie er in himmlischer Weisheit uns geleitet; dann zweifeln wir nicht mehr, wie es zugehn könne, daß wir in das Reich der Gnade eingehn, sondern, indem wir uns in der seligen Gemeinschaft mit ihm fühlen, tragen wir die Fülle seiner Gnade in uns, gehen still und freudig jeden Weg, den er unS führt, denn sie müssen alle in den Himmel ausgehen, halten fest an dem Zeugnifs des SohneS von der ewigen Liebe des Bakers, und wissen und schauen es nun. daß denen die ihn lieben alle Dinge zum Besten dienen. Aber sie erkennen auch die höchste Liebe des Sohnes.— Wie auch in Nicodemus ein Sehnen nach höherer Erkenntniss sich angefangen hatte, wie er auch in dem, *u welchem er eilte, einen Lehrer von Gott kommend erkannte, die höchste Liebe und die höchste Herrlichkeit des Göttlichen verstand er doch noch nicht. Da weiht der Herr ihn ein in der Himmel hohes Geheimniss, daß der ewige Sohn Gottes, der vom Himmel gekommen ist und allein den Menschen das Himmlische verkündigen konnte» ja der seinem ewigen Wesen nach immer dem Himmel angehörte, am Kreuz erhöht werden und den Tod der Sünder zur Erlösung der Welt sterben müsse. Das hat er aber erst in seiner ganzen

Wahrheit erkannt, als er einst den am Kreuze erblassen Leichnam deS Göttlichen ins Grab legte, das erst im rechten Lichte ge­ schaut als auch ihm der Geist auS der Höhe kam und er aus ihm neu geboren wurde. Von solcher Wahrheit zeugt in uns die neue Geburt im Geist. Nun erscheint uns der ewige Sohn Gottes als der himmlische Erlöser, welcher am Kreuze um un­ sertwillen erhöht worden ist; nun fühlen wir uns als die, welche er sich theuer erkauft hat und die nicht mehr der Welt und der Menschen Knechte sein können. Nun wissen wir, daß, wenn wir Gemeinschaft mit ihm haben, sein Blut auch uns rein macht von allen Sünden und der von seinen Geist Erfüllte nicht zu zagen braucht vor seinem Gericht. Nun erkennen wir, der neuen Schöpfung, welche er gebracht hat, gehören auch wir an und wie er ewig im Himmel ist, so ist auch unser Bürgerthum bei ihm. Und wie er spricht, daß alle, die an ihn glauben, nicht sollen verloren werden, fühlen wir in dem innigen Glauben an ihn uns auch mit seiner Gemeinde verbunden, seine Liebe in uns ergossen strömt über auf unsre christlichen Brüder und Schwestern und jeder neue Gedanke, jedes Wort in seinem Sinne der Liebe gesprochen, jede That in seinem Namen voll­ bracht, sie verklären uns des Erlösers Bild immer heiliger, und wir können es uns frohlockend zurufen: er hat auch dich erlöst, damit du nimmer verloren gehest! Die Frucht der Wiedergeburt ist aber endlich auch die Ge­ meinschaft in dem heiligen Geist, in dem wir wiederge­ boren sind. Niemand fähret gen Himmel, spricht der Herr, denn der vom Himmel kommen ist, niemand kann darum auch den Himmel in sich tragen, als der ihm angehört, so sprach er als er noch aus Erden wandelte und der heilige Geist noch nicht da war, denn Christus war noch nicht verklärt. Nun aber ist der vom Himinel Gesendete wieder hinaufgegangen in die Herr­ lichkeit und sendet seinen Gläubigen einen andern Boten von droben hernieder, den heiligen Geist, aus welchem er die Seinen

328

neu geboren weiten lässt. Der bringt dm Himmel herab auf dir Erde und ihm gehören die Wiedergebomen an. Und wenn et sie sich sammelt zu einer heiligen Gemeinde des Herrn, wel» eher uns erlöst hat, dann giebt et in ihnen daS ßeugnifS, daß sie dem ewigen Leben angehören. Bor diesem ewigen Leben verschwindet daS eigne und menschlicke dieser Welt, nun verläug« neu wir uns selbst und leben schon hier im Glauben diesem Geiste, nehmen unser Kreuz aus uns und erkennen, daß der Geiss unS hinaufführt zum Himmel, zu der Gemeinschaft dessen, der die Fesseln der Sünde zerbrochen und das Gefangniss gefangen geführt hat, und können in so himmlischer Hoffnung da- Le» den getrost verrinnen sehen, weil nicht Leben noch Tod solche Frucht des Geistes zerstören kann. Würkt nun die geistige Wiedergeburt in uns solche Fmcht, lässt sie uns demüthig, geduldig und vertrauend vor dem himm­ lischen Bater uns beugen; lässt sie uns des Sohnes Liebe und Erlösung schauen, und nach seinem Bilde daö ganze Leben den Miterlöseten des Herrn weihen; lässt sie uns in der Gemeinschaft des Geistes wandeln, durch ihn schon hier im Himmel und deS ewigen Lebens gewiss fein. Dann in. Gel., sind wir ja in das Reich Gottes eingegangen; dann, wenn des Vaters allmächtigeWalten uns überall im Glanze seiner Gnade erscheint; wenn die neue geistige Schöpfung durch den Wandel de- Sohnes auf Er­ den mit inniger Dankbarkeit uns erfüllt; wenn des Geistes hei­ liges Wehen auch unsre neue Geburt uns verkündet und sein Friede auf uns ruht: dann sind wir ja in die tiefere Erkenntnis» des dreieinigen Wesens der Gottheit eingedrungen und beten an schon hier selig im Glauben die Offenbarung deS Vaters und deS Sohnes und des heiligen Geistes! Amen.

XXVIII.

Wofür wir dem dreieinigen Wesen Gottes Ehre und Preis zu bringen haben in Ewigkeit. Am Sonntage Trinitatis. Ueber 9t6m. 11, 33 — 36. Dir Gnade unser« Herrn u. f. f.

Text. Röm. 11, 33 — 36. O welch eine Liefe des Reichthums, beide der Weisheit und der Erkennmiss Gottes! Wie gar unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege! — Denn wer hat des Herrn Sinn erkannt? Oder wer ist sein Rathgeber gewesen? — Oder wer hat ihm etwas zuvor gegeben, das ihm werde wieder vergolten? — Denn von ihm und durch ihn und (in) zu ihm sind alle Dinge. Amen. 293tnn, m. A. und G., diese schönen Worte de- Apostel-, wo­ mit er den ersten Theil seine- Brieses endet, zur Epistel de- heu»

330

tigen Tages, mit welchem wir die festliche Hülste unsers kirchlichen Jahres beschließen, gewählt worden sind; so finden wir freilich die Lehre, an welche das heutige Fest uns erinnern soll und worin der ganze Inhalt deS christlichen Glaubens zusammengefasst wird, nicht wörtlich darin dargestellt. Es spricht sich wohl das demüthige dank­ bare Gemüth in ihnen aus, daS die unbegreifliche Gnade Gottes ge­ gen das Geschlecht der Menschen nicht fassen, sondern nur vor dersel­ ben sich beugen und loben und preisen kann die Herrlichkeit dessen, welcher Alles erfüllet und Alles vollbringt; aber nicht des Sohnes, der unS erlöset, nicht des Geistes,;welcher uns heiligt, geschieht darin Erwähnung. Doch sehen wir auf den ganzen Abschnitt, welchen der Apostel mit diesen begeisterten Worten beschließt; wie er im neunten Capitel beginnt mit einer Betheurung in dem heiligen Geist; wie er Christum den nennt, der da Gott ist, gelobt in Ewigkeit; wie er von der Erwählung der Menschen zur Seligkeit handelt, welche nur durch den Glauben an Jesum Christum kommen kann; wie er darstellt, daß der Abfall der Juden von Christo die Heiden in das Reich Gottes geführt habe und einst auch jenes Bolk werde eingeführt werden zur großen geistigen Gemeine, welche auf Erden der Geist sammelt, von dessen Fe­ stesfeier wir kommen: dann überzeugen wir uns, wie auch die vorgelesenen Worte geeignet sind auf bas dreieinig göttliche We­ sen uns hinzuweisen an diesem heiligen Tage und uns dazu führen mit dem Apostel auszurufen: ihm sei Ehre in Ewigkeit! Darum aber lasset uns heut nicht in das tiefere Geheiinniss dieser Lehre eingehn; sondern den Worten der Epistel folgend in allgemeine­ rer Beziehung betrachten: wofür auch wir dem unendlichen dreieinigen Wesen GvtteS mit dem Apostel Ehre und Preis zu bringen haben in Ewigkeit? indem wir sehen

331

I.

aus den himmlischen Batet und Schöpfet, btt Alles erhalt und regiert, II. auf des Vaters eingebomen Sohn, der uns erlöset hat, Hl. auf den heiligen Geist, der uns geheiligt hat. I.

Wenn wir in frommer Demuth und kindlicher AnerkenntnisS um frer Schwachheit und Ohnmacht hinauffchauen zu dem himmli­ schen Vater und Schöpfer, der Alles geschaffen hat, Alles erhält durch sein allmächtiges Wort, Alles mit unendli­ cher Weisheit und Gnade regiert, dann wissen wir bald, wofür wir ihm Ehre und Preis bringen sollen; dann rufen wir in die Grüße feinet Gnade uns verlierend mit dem Apostel anbetend aus: o welch eine Tiefe des Reichthums, der Weisheit, der Erkenntniss Gottes! — Wie wir im Allgemeinen seine unendliche Gnade erkennen, wenn wir die Werke seiner allmächtigen Hand an­ schauen; wenn wir unsre Augen aufheben in die Höhe und die Heere der Sterne zählen, welche er alle mit Namen nennt; wenn wir den Blick auf den Kreis der Erde richten, auf welchen er uns gesetzt hat und Millionen Geschöpfe, die ihres Lebens sich freuen, und Wald und Meer und Baum und Saat und Blume und Feld uns zurufen „auch mich hat der Herr gemacht": o so must auch das undankbarste Herz ergriffen werden. Und wenn wir auf unser eignes Leben schauen, auf alle Führungen unsers Gottes, auf die tausend Freuden, welche er auf unsre Pfade gebreitet, auf die tausend Gefahren, welche er gnadenvoll abgewendet, auf das Heil, wozu er auch des Unglücks Tage gewandelt, aus die Hülfen und Anlässe zum Guten, auf alle Stimmen des Herrn, welche uns zur Buße lockten, auf alle himmlische Milde, auf alle unver­ diente Langmuth mit unsern Sünden, — ja auch das undank­ barste Herz muss sich überwunden fühlen und in Demuth und Reue, in tiefer Unterwerfung vor dem Unendlichen anbeten die

332 Tiefe des Reichthum- der Gnade GotteS. - -

Nein, m.

wir können sie nicht erkennen, mit können sie nicht ausdrnken diese unergründliche Liefe, es führen keine Fußtapfen zu diesem geheimnissvollen Grunde, wir können nur staunen und stammeln: was ist der Mensch, daß du sein gedenkst und des Menschen, kind, daß du dich sein annimmst! Oft sind dem kurzsichtigen Menschen des Herrn Wege un­ begreiflich. So wussten zu des Apostels Zeiten die Christen aus dem Judenthum nicht, warum nicht dem ganzen Geschlechte ihre- Wolke-, den Auserwählten GotteS, denen der Bund und das Gesetz und der Gottesdienst und die Verheißung gehörte, und von denen Christus selbst herstammte nach dem Fleisch, nicht zu Theil geworden sei der Eingang in das Reich ihres Herm. Aber wer hat des Herrn Sinn erkannt, wer hat in seinem Rathe gesessen? Er muss ja immer erst herniedersteigen von der Höhe seines Thrones und den Blöden seine Weisheit offenbaren. Und da erst, als der Erdkrkis voll wurde der Herrlichkeit deS Herrn, als die Heiden nun deS Geistes Gabe empfingen und bekehrt wurden zu dem lebendigen Gott, fingen auch jene an ihre Ge­ danken mit GotteS Gedanken zu einen.

Und wenn auch unS deS

Herrn Wege dunkel waren und noch dunkel sind; wenn wir oft in Unmuth klagen und jammern über das Loos, das er uns zuertheilt hat: ist es denn jemals etwas anders alS die erneute Darlegung unsers Elendes und Jammers, daß wir in seinem Rathe nicht sitzen können und daß kein Pfad von uns zu ihm hinaufführt? O,nur demüthig und kindlich müssen wir unS beugen, daß er in seiner Liebe und Herrlichkeit herniedersteige und unsre Augen öffne, damit wir auch unter den Leiden der Zeit und in dem Schmerze des Lebens selbst seine ewige Gnade erkennen und im Gefühl der Sünde, welche uns fern von seinen heiligen Wegen gehalten hat, flehen um seine fortwährende Daterhuld, um seine immer neue, unverdiente Langmuth und Treue! —

Denn

der Sterbliche freilich, er hat dem Unendlichen nichts gegeben,

333 dar ihm müsse wieder vergolten werden.

Und kt kann auch

nicht fragen, waS er empfangen habe au- der Hand des Henn seine- GotteS, die Antwort muss ewig sein: Alles, AlleS waS du hast und besitzst, dessen du dich erfreust, Alles waS zu reiner irdischer Wohlfahrt, Alles waS zu heiliger Himmelsseligkeit von einer Stufe zur andern bis zur Gemeinschaft höherer Wesen dich führen kann: eS ist ein unverdientes mildreicheS Geschenk seiner Gnade und dir bleibt nichts als dein Eigenthum, alS dein Mur» ren, dein Seufzen, deine Undankbarkeit und deine Sünde.

Müf»

fen wir es dann mit tiefer Beschämung gestehen, ja er führt mit immer gleicher Gnade in unerforschlicher Weisheit, sprechen wir mit einem frommen Liede dir Wege sind oft krumm und doch gerad, worauf du lässt dir Kinder zu dir gehen, da pflegt e« wuuderseltsam auszusehen j doch triumphirt zuletzt drin hoher Rath! —

waS können wir anders als Ehre und Preis bringen dem Vater, der da ist, und der da war und der da sein wird in Ewigkeit? Doch welchen Preis können wir ihm darbringen im Staube, welchen Dank ihm bieten, dem niemand zuvor etwas gegeben hat was ihm vergolten werden könnte, und der von Menschen­ händen nicht kann gepflegt werden als der niemandes bedarf? Nur den, nt. A., daß wir auf ihn ein unbegränztes, durch keinen heftigen Schmerz des Augenblicks, durch kein jahrelange- Leiden, durch kein Unglück und keine Ansagung unsrer liebsten Hoff­ nungen wankend zu machendes Vertrauen setzen; daß wir unter seinem Schirm und Schutz uns so wohl bewahrt, unter seiner Leitung, und ginge sie durch noch so vnschlungne und dunkle Pfad«, so wohl geführt, unter seiner Hülfe überall so mächtig unterstützt uns fühlen, daß wir eS an unserm Innern selbst le­ bendig erfahren:

denen, die ganz in Liebe und Vertrauen ihm

sich hingeben, der noch nie etwa- versehen hat in seinem Walten, müssen alle Dinge zum Besten dienen.

Ja, das soll

unser Dank sein, daß wir das thörige Aufstreben unsrer Selbst­ sucht, daß wir jedes Murren, jedes Tadeln seiner heiligen Wege in uns unterdrücken; daß wir nicht allein still, sondern auch freudig seine Lasten auf uns nehmen und in unS bewahren seinen Frieden, in welchem sich uns der Erde Jammerthal um­ wandelt zu seinem heiligen Tempel. — Und wie endlich kön­ nen wir anders preisen als daß auch wir seinem großen Vor­ bilde getreu in seiner Gnade und Liebe wandeln mit denen, welche er neben uns gestellt hat. Denn er lässt seine Sonne aufgehen über die Bösen und über die Guten und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte; aber wir wollen nur immer sorg­ fältig abmessen die Erweisungen uusrer Liebe nach dem, was die Brüder und Schwestern um uns verdient haben. Ohne unser Verdienst nehmen wir täglich die unzählichen Beweise der Milde des Vaters an und leben und gedeihen nur durch sie; aber wir geben vor, wir wollen strenge Gerechtigkeit üben gegen die Mitmenschen, und es ist nur der verstockte Mangel an rechter Liebe, nur des Herzens verhüllte Bosheit, das den Ruf seines Erlösers überhört: liebet eure Feinde und segnet die euch fluchen, auf daß ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel. Darum solche harte und selbstsüchtige Gesinnung muss sich umwandeln in Milde und Vergebung, in demüthige Aufopferung und reine Liebe: dann erst werden wir Preis und Ehre bringen dem Va­ ter und Schöpfer, der Alles so gnädig erhält, so weise regiert. II.

Gedenken wir aber des eingebornen Sohnes deS VaterS, der unS erlöset hat, um ihm Ehre und Preis zu bringen, wie kommt uns auch hier entgegen die unergründliche Tiefe des Reichthums der Weisheit und Erkenntniss, der Gnade und Liebe des lebendigen Gottes. Wer kann fassen das himmlische Geheimniss der Menschwerdung Gottes, wer kann ergründen die Tiefe der Liebe, daß das Wort Fleisch ward und unter uns

335 wohnete und wir seine Herrlichkeit schauten!

Als alle Offenba­

rungen Gottes in der Brust der Menschen sie nicht sein hohes Wesen erkennen, sondern sie immer tiefer hinabsinken ließen in den Schlamm der Laster und Verbrechen; als sein heiliges Ge» setz, auf Sinai gegeben, vergessen und umgangen und im Fest­ halten des todte» Buchstabens der lebendige Geist, der aus dem Munde der Propheten geredet hatte, unterdrückt wurde; als im­ mer mächtiger die Sünde, immer trüber die Zukunft, immer trostloser die Aussicht wurde und die wenigen Gottesfürchtigen auf Erden, verstoßen und verdrängt von der leichtsinnigen und gott­ losen Menge, nur seufzen konnten: ach Herr wie so lange! und kein Helfer mehr da war, keine Aussicht auf Rettung: da spra­ chen der Engel Stimmen: fürchtet euch nicht, ich verkünde euch große Freude, die allem Volk wiederfahren wird, denn euch ist heute der Heiland geboren! —

Das war ein Weg, den der

Herr wandelte, auf welchem noch kein Fuß gegangen war; daS war das unbegreifliche Gericht seiner Liebe, die unerforschliche Bahn seiner Gnade. —

Und nun geht der Heilige Gottes nicht

einher strafend und vernichtend, nun kommt er nicht in irdischer Königspracht und zeigt sich nicht auf den Höhen menschlicher Herr­ lichkeit.

Versucht wird er allenthalben gleich wie wir, aber in

immer gleicher Liebe und Milde nimmt er auf sich jede Bürde, geht er helfend und heilend, erlösend und versöhnend seine dor­ nenvolle Bahn und stirbt den Tod der Sünder an des KreuzeStamm, um Leben und Seligkeit zu erwerben den Elenden und Verlassenen, den in Leichtsinn und Lastern untergegangenen, in Sünde erstorbenen Geschlechtern der Menschen.

Müssen wir hier

nicht rufen: wer ist sein Rathgeber gewesen, wer hat des Herrn Sinn erkannt, wer hat ihn fassen können diesen Weg zur Se­ ligkeit, wer begreifen können diese Tiefe der Liebe und der Huld Jesu Ehristi? —

Und wenn der Ungläubige und Zweifler ver­

suchend fragt: wie hat Gott die Erde sich ausersehen um auf ihr zu wandeln? wie hat er unter allen tausend Welten seiner

336 allmächtigen Hand der Erde unbedeutmden Kreis erwählen, wir eingehen tonnen in die Gemeinschaft der Menschen, die doch in ihrer Niedrigkeit nur eine kleine Zahl sein können unter dm un« zählbaren höheren Geistern seiner Schöpfung; dann sprechm wir eben im festen Glauben dankend und ftohlockend: ja, was in keiner Menschen Herz gekommen ist, das hat er uns gnädig ge­ währt, das eben ist der unergründliche Reichthum seiner Gnade, daß er da- arme verlassene Geschlecht sich erwählt hat, ihnen zu zeigen seine Herrlichkeit und sie hinauszuführen aus der Nacht ihres Elendes zu seinem himmlischen Lichte.

Eben weil kein

Pfad hinaus ging auS dem Elend der Erde zur Herrlichkeit und Gemeinschaft mit Gott, darum stieg er selbst hernieder um in unsre Armuth den Reichthum seines Himmels zu bringen und aus Nacht und Schatten des Todes unsre Füße auf die Bahn deS Friedens zu leiten.

Nichts haben wir ihm gegeben, das unS

könnte wieder vergolten werden, es ist nur reine unverdiente Gnade, daß der Herr für uns gestorben und auserweckt ist und nun zur Rechten der Herrlichkeit uns vertritt; darum gebührt ihm Preis, Ruhm und Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit. Wie wir'ihm aber danken sollen, das geht uns aus den Wandel seiner Liebe aus Erden selbst hervor, indem wir zuerst auch seine ewige und unendliche Liebe wahrhaft anerkennen. Das thun wir aber nicht, wenn wir fortgehen in Leichtsinn und Verkehrtheit deS Sinnes, wenn wir auf uns allein schauend nur thun wollen was den Augen gefällt und den Herzen gelüstet, unbekümmert ob wir nicht hineingerathen in denselben Zustand deS Elends, in welchem die Welt war vor der Erscheinung des Harrn und also als solche dastehen, welche, nach des Apostels AuSspruch, Christum aufs neue kreuzigen wollen.

Das thun wir

nicht, wenn die Lasten des Lebens und die Sorge um das Zeit­ liche noch solche Gewalt über uns ausübt, daß wir des Herrn und seiner Gnade vergessen und seufzen wie die, die keine Hoff­ nung haben; wenn wir jedem Heil und jeder Gnade von oben

337

nur einen Eingang gewähren in unser Innres, wenn auch von außen die Sonne des Glücks unS scheint und abmessen wollen die innere Seligkeit der Erlöseten Jesu Christi nach dem, was die äußern Erscheinungen deS Lebens uns bringen oder nehmen. Würdig können wir den Herm nur preisen, wenn wir uns selbst vergessen und in den wechselnden Schicksalen des Lebens uns hinaufwenden zu dem, welcher unser himmlischer Führer gewor­ den ist; wenn wir in Freude und Leid sein göttliches Bild fest­ halten im Gemüth und durch das gläubige Schauen auf ihn des Lebens heitre Stunden uns heiligen durch den Frieden, wel­ chen die Gewissheit seines Wandels auf Erden in uns schafft, also Meister werden der Leiden und Schmerzen, daß kein Tod dieser Welt uns tobten, kein Kummer des Lebens dahin führen kann, daß wir verzagen sollten; sondern wir immerdar freudig sprechen: Christus ist hier, wer will verdammen! dann wird der Herr gepriesen durch die Kraft und den Frieden seiner Gläubi­ gen. — Und hat Gott, wie der Apostel kurz vor den Worten unsers Textes sagt, Alles beschlossen unter den Unglauben, auf daß er sich Aller erbarme, wie könnten wir dem, welcher diese Erbarmung der Welt gebracht hat, würdiger danken als wenn auch wir Herolde derselben werden unter den Menschenkindern. Die Gnade, welche wir empfangen haben, müssen wir, wenn wir dem Herrn würdig danken wollen, übertragen auf die Brüder neben uns, in der Milde unsers Erlösers sollen wir wandeln ne­ ben denen, welche er uns zugesellt hat und in dieser Milde, wel­ che das zerknückte Rohr nicht zerbricht und ein Arzt wird der kranken Seelen, lasset uns zur Gemeinschaft mit dem Herrn alle führen, welche noch einhergehen in irgend einer Art des Unglau­ bens, welche die Herrlichkeit der Erbarmungen Jesu Christi ih­ nen verhüllt, daß auch sie annehmen sein großes Verdienst und immer mehr gepriesen werde der Name deS Herrn, der in der Herrlichkeit des eingebornen Sohnes vom Vater unter uns ge­ wandelt voller Gnade und Wahrheit. Pischva P«d.

'])

338 III. Als aber Christus der Herr zurückging in die Herrlichkeit deS Vaters, hat

er den

heiligen Geist

herniedergesandt auf

seine Gläubigen,

regiert

und mehrt durch

ihn seine Gemeine

auf Erden und erzieht sie für sein Himmelreich, darum lasset unS noch betrachten: wofür wir Preis und Ehre zu bringen haben mit dem Apostel, wenn wir sehn auf den Geist Gottes, der uns geheiligt hat. — der Weisheit, wer kann

Wer kann sie erforschen die Tiefe entdecken und aufzeigen den geheimen

Weg, auf welchem der Geist Gottes einzieht in die. welche er sich erwählt zum Tempel, wer aufzeigen, wie plötzlich und allgewältig vor ihm sich Alles beugen muss in der ungläubigen ver. härteten Seele; wie er die Schwachen kräftigt, die Furchtsamen mit Muth erfüllt und die Mächtigen sich

unterthänig macht.

Wie der Herr im heutigen Evangelium spricht, „der Wind blä­ set, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl, aber du weißst nicht, von wannen

er kommt und wohin er fährt; also ist ein

jeglicher, der aus dem Geiste geboren wird":

so sehen wir seit

dem Fortgange des Herrn sein Kommen wie ein stilles Säu­ seln, das allmählig die Seelen gewinnt, wie einen Sturm, der Felsen zerreißt und also die Herzen sich beugt.

Doch wie das

Göttliche kommen kann in den Menschen und wie es in uns Kraft gewinnt und zu welchem Ziele es führen wird: das ist die Liefe des Reichthums göttlicher Weisheit, woran menschliches Maaß der Beurtheilung sich nicht legen lässt, das ist der spur­ lose Pfad, der unerforschliche, auf dem der Menschen Fußtapfen nicht wandeln, vor dem wir uns beugen müssen still anbetend deS Geistes Herrlichkeit. — kannt, wer ist

Und wer hat des Herrn Sinn er­

sein Rathgeber gewesen,

von Christo zeugend,

als nun

dieser Geist

zu Christo führend über die Völker der

Erde ausging ? Wie hat er der Menschen Meinungen zu Schanden gemacht und die Fesseln des falschen Wahnes zerbrochen und auS

339 allerlei Volk die Gemeine des Herrn sich erwählt, keinen Unter­ schied machend unter Juden und Griechen,

unter Gewaltigen

und Niedern, unter Mann und Weib, unter Alter und Jugend; sondern alle, die er sich zum Tempel erwählt, sammelnd zu einer heiligen christlichen Gemeine, aus allen

bauend das

geistliche

Haus, daS heilige Priesterthum, zu opfern geistliche Opfer, welche Gott angenehm sind durch Jesum Christum!

Und wie unbe­

greiflich ist, daß auch hier seine Tempel geweiht sind, daß hier in heiligen Hallen sein Name gepriesen wird, wo einst nur stan­ den der Götzen Tempel, wo zu des Erlösers Zeiten kein Ruf des JauchzenS erscholl, daß der Heiland geboren sei allem Volk; wie unbegreiflich, daß dort, wo des Herrn Fuss gewandelt, wo der Geist zuerst ausgegossen wurde über der Apostel Zahl, seine Al­ täre umgestoßen, seine Gläubigen vertrieben sind oder in Knecht­ schaft wandeln und einzelne Glaubensboten anfangen müssen neu zu pflanzen den Glauben des Herrn! —

Und wer kann noch

jetzt hinaufsteigen in des Ewigen Rath und den Geist hernieder­ ziehen?

Sein Gang ist noch immer ein unerforschlicher und ge­

heimer und auf tausend Wegen, welche dem sterblichen Auge ver­ borgen sind, führt er zur ewigen Wahrheit und bricht den stol­ zen Sinn, welcher gegen ihn sich vermaß und macht aus seinen Verfolgern sich auserwählte Rüstzeuge, welche leiden um seines Namens willen und wandelt Angst und Klagegeschrei in seligen Frieden und Dankesthränen.

Und wem er also in Milde und

Gnade und Kraft und Herrlichkeit erschienen ist unter uns, wem er gewesen ist das helle Licht in der Dunkelheit des Erdenlebens, wem er umgewandelt das sündige

Herz

und

den verkehrten

Sinn: wer von allen, die seine Gnade empfunden, hat ihm et­ was zuvor gegeben, das ihm wieder vergolten worden? tet uns nur still anbetend

bekennen:

es

O, las­

ist nur Gnade um

Gnade, welche wir empfangen haben; es hat nicht gelegen an unserm Wollen und Lausen, sondern an Gottes Erbarmen; da­ rum sollen Mund und Herz voll sein deö Dankes und Preisen-,

Y 2

340

weil Gott auch in unsre Herzen daS Pfand, den Geist, gege­ ben hat. Wie wir aber danken können dem Geiste des Herm, daS lehrt der Apostel, wenn er vor unserm Text zu dem aus dem Heidenthume bekehrten Gläubigen sagt: schaue die Güte Gottes an dir, sofem du an der Güte bleibest, sonst wirst du auch ab­ gehauen werden! *) Hat er durch seine Güte uns erwählt zu seinem Tempel, lasset uns dankbar solch« Güte anerkennen und ihm unsre Seelen öffnen, lasset uns nicht verderben den Tempel Gottes, worin sein heiliger Geist wohnt. Sondem wie ein Baum dem Besitzer, welcher ihn treulich gepflegt hat, dadurch danket, daß er ihm Schatten giebt, mit seinen Blüthen ihn erfteut und seine Früchte ihm darreicht: so lasset auch uns brin­ gen die Frucht des heiligen Geistes, allerlei Gütigkeit, Gerechtig­ keit und Wahrheit. — Und daß wir in ihm bleiben können, dazu hat er uns ja gegeben das heilige Gotteswort, welches laut von ihm zeuget, dazu lasst er uns ja verkündigen den Trost seines Evangeliums und durch seine Boten zu uns reden von dem Herm der Liebe, welcher ihn sendet. So lasset uns halten an seinem Wort und in der Gemeine der Gläubigen wie im ein­ samen Gemach, durch Gesang und Gebet ihn loben und prei­ sen, dessen Gnade so reich ist an den Menschenkindern. — Um ihm aber würdig zu danken, lasset uns auch selbst überall durch sein heiliges Wort und durch ein Beispiel, welches von Christo zeugt, die Seelen gewinnen und ihm zuführen; dann aber auch überall danach trachten, daß nicht Spaltungen sein, sondern der Frieden wohne in der Kirche, welche der Geist Gottes sich sam­ melt. Lasset uns nicht dastehen als die, welche meinen allein heilig zu sein; sondern alle, welche zu Christo dem Herrn durch den Geist sich wenden, annehmen als Brüder und Schwestern, wir sie auch abweichen möchten vom äußern Buchstaben; denn 1 «im. ll, K.

341 der Buchstabe tüdtet, aber der Geist macht lebendig und wir füh­ ren das Amt des neuen Testamentes,

nicht de- Buchstabens,

sondern des Geistes. Also, nt. A., wenn wir mit unbegränztrm Vertrauen uns hingeben dem himmlischen Vater, in frommer Liebe dem ewigen Sohne nachwandeln, uns immer mehr heiligen zu Tempeln deS heiligen Geistes, werden wir würdig das Fest dieses TageS stiem und frohlockend und dankend erkennen, daß Gott ist der Grund und das Mittel und das Ende von allem, was da ist, denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge, darum sei ihm Ehre in Ewigkeit.

Amen.

XXIX.

Wie der Dank, welchen wir dem Herrn für alle seine Gnadenwohlthaten darzubringen haben, beschaffen sein müsse. Am Erndteseste.

Ueber 1 Kor. 1, 4 — 9.

Gebet. Lobe den Herrn, meine Seele, und wa< in mir ist seinen heili» gen Namen! Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht was er dir Gutes gethan hat. Amen.

/Laufet Ausspruch des Dankes aus dem Munde des königlichen Sängers muss, wie er wohl immer in unsrer Seele stehen sollte, vor allen den Ausdruck unsrer Gefühle an einem Tage darlegen, wie der heutige ist. Denn es ist uns in der Reihe der Tage des Herrn, welche besonders seiner Lehre geweiht sind, daS Fest des Dankes gekommen, welchen wir ihm für die Erndte dieses Jahres darbringen sollen. Wenn nun der himmlische Vater das Gebet: unser täglich Stobt gieb uns heute! auch sonst an jedem Tage erhört und selbst allen bösen Menschen seine milde Hand

343 aufthut und sie seines Segens genießen lässt, wenn wir darum auch täglich bitten müssen, daß er eS uns wolle erkennen lassen, daß alle guten Gaben von ihm kommen: so müssen ja wohl vor allen an diesem festlichen Tage, wo wir deS reichen Segens, welchen der Herr unfern Fluren gegeben hat, gedenken, unsre Dankgebete zu ihm hinaufsteigen und wir die irdischen Güter, welche er verliehen, dadurch heiligen, daß wir sie als solche an» sehen, welche uns aus seiner Hand zugeflossen sind.

Zwar wir

haben unmittelbar weder gesäet noch geerndtet und darum mag auch denen unsrer Brüder und Schwestern, welche selbst die Früchte des Feldes geschnitten und gesammelt haben, der Dank zu Gott noch näher liegen, und es mögen ihnen die Stunden dieses festlichen Tages noch herrlicher und glänzender erscheinen; aber auch für uns sind doch die Scheunen gefüllt, drückende Theurung und Hungersnoth werden doch fern bleiben von um fern Gränzen, möglich gemacht ist es aufs neue der treuen Sorg­ falt, der emsigen Anstrengung die theuren Lieben zu ernähren, möglich gemacht der Liebe und dem Erbarmen die Unglücklichen und Elenden zu speisen und zu erhalten.

Darum sollen wir

auch für die mittelbaren Wohlthaten des Vaters innig danken und wie oft er im Geheim und unscheinbar seine Gaben dar­ reicht auch darin seine unvergängliche Gnade anerkennen.

DeK

Ehristen Dank aber muss sich immrr von der Erde zum Him­ mel erheben, Alles soll ihm zur Seligkeit dienen, Alles Ver­ gängliche zu dem Ewigen leiten, wie der Herr selbst vom äu­ ßern Brodk und vom irdischen Wasser in seinen Lehrreden an» fangend zu dem Brodt des Lebens übergeht, das er darreicht, zu dem lebendigen Wasser, daS in uns ein Brunn deS Wasserwird, der in daS ewige Leben quillt.

So lasst denn auch in

dieser Stunde des Dankes von der irdischen Erndte zur himm­ lischen Erndte ewiger Güter uns hinaus wenden und den Herrn um den Segen unsrer Betrachtung im frommen Gebet anflehen.

344

Text.

1 Kor. I, 4 — 9.

Ich danke meinem Gott allezeit

eurethalben für

die Gnade Gottes, die euch gegeben ist in Christo Jesu; — daß ihr seid durch ihn an allen Stücken reich gemacht, niss. —

an aller Lehre und in aller Erkennt­

Wie denn die Predigt von Christo in

euch kräftig worden ist: —

Also, das; ihr keinen

Mangel habt an irgend einer Gabe und wartet nur auf die Offenbarung unsers Herrn Jesu Christi. — Welcher auch wird euch fest behalten bis ans Ende, daß ihr mlsträstlch seid ans den Tag unsers Herrn Jesu Christi. —

Denn Gott ist treu, durch wel­

chen ihr berufen seid zur Gemeinschaft seines Soh, nes Jesu Christi, unsers Herrn. Vergleichen wir, m. A., diese Worte mit dem Gegenstände unsrer heutigen Feier; nicht berührt.

so ist er darin eigentlich und wörtlich

Denn nur von himmlischen Gütern des Heils

und der Erkenntniss der Gemeine zu Korinth redet der Apostel und den schönen heiligen Hoffnungen giebt er sich hin, daß solche nie in denen untergehen werden, welchen er das Wott des Herrn gepredigt hat.

Aber, indem der Apostel dem Herm seinen Dank

für Güter des Heils darbringt, welche wir täglich aus Gottes Hand empfangen, können wir auch auf dieselbe Weise für die irdischen Güter danken, welche er uns dargereicht hat und wie alles Irdische den Christen ein Mittel für das Himmlische wer. den soll und wir es stets mit dem Höheren verbinden müssen: so lasset auch uns den Dank für die Erndte des Feldes mit dem Dank für alle höheren Gaben Gottes in dieser Stunde vereint, gen und uns nach des Apostels Worten fragen:

345 wie der Dank, welchen wir dem Herrn für alle seine Gnadenwohlthaten darzubringen haben, beschaffen sein müsse? I.

Er soll aber nach des Apostels Vorbilde ein inni­ ger und stets dauernder sein,

II. Er soll unS auch für die Zukunft in rechtem Vertrauen auf Gott befestigen.

III. Er soll uns zu Christo leiten und der Rechen­ schaft, welche er von und fordern wird.

I. Wenn der Apostel seiner Gemeine zuruft: ich danke mei­ nem Gott allezeit eurethalben für die Gnade Gottes, die euch gegeben ist in Christo Jesu; so bezeichnet er uns seinen Dank als einen innigen und immerdar dauernden. —

DeS

Christen Blick soll zuerst auf das Innere gerichtet sein und nicht an der äußeren Erscheinung hangen bleiben.

Alle Güter,

welche uns von oben gegeben werden, sind darum als immer neue Ausflüsse göttlicher Gnade, als stets erneute Beweise himm-lischer Fürsorge anzuerkennen, daß dadurch der Dank in unS auch ein recht inniger und heiliger werde. —

Denn sehen wir

auf die Erndte dieses Jahres auf ganz äußerliche Weise, betrach­ ten wir sie als die ganz natürliche Folge der Arbeit des Land» manneS und vergleichen wir wohl gar den äußern Gewinn mit dem in andern mehr gesegneten Jahren: wie kalt, wie todt wird unser Dank gegen Gott sein, wenn wir überhaupt dann noch daran denken ihn zu preisen.

Fühlen wir es aber recht lebendig, wie

ohne deS Vaters Gnade kein Saamenkorn keimen, keine Pflanze grünen und blühen und Frucht bringen, keine Sonne scheinen, kein Regen und Thau das Erdreich beftuchten konnte; wie der Landmann nur ein schwaches Werkzeug in der Hand deS Ewi­ gen war; wie er durch seine Kraft drohende Gefahren von sei. nen Fluren nicht abzuwenden vermochte und wohl oft in dem

34.

IesuS spricht zu ihr: Ich bi» die Aufcrftchung und daS Leben.

Wer an mich glaubet, der wird

leben, ob er gleich stürbe. —

Und wer da lebet und

glaubet an mich, der wird nimmermehr sterben. Glau­ best du daS? Wir kennen sie Alle, in. G., die schöne Erzählung aus dem Leben unsers Herrn, sind.

woraus diese

heiligen Worte genommen

Lazarus, Marthas und Marias Bruder, der Freund des

Herrn, den er lieb gehabt, war gestorben, ehe der Heiland, zu dem die besorgten Schwestern Hülse suchend gesendet hatten, in Bethanien angekommen war.

Jetzt ist ihm Martha in tiefem

Schmerze entgegen gegangen und selbst das Wort des Herrn: dein Bruder soll auferstehn! erscheint ihr noch nicht als das rechte Wort des Trostes; denn sie entgegnet ihm: ich weiß wohl, daß er auserstehn wird am jüngsten Tage.

Da spricht der Heiland

zu ihr die Worte unsers Textes, um die Trauernde, Betrübte aus ihrem Kummer zu reißen und sie zu dem Troste zu führen, der an keine Zeit und keinen Ort gebunden das sriedenreiche Erbthcil seiner Gläubigen sein soll. —

Wenn wir nun an des

kirchlichen JahreS Ende Martha ähnlich aus unsern Wohnuiu *) Schleiermacher hatte auf seinem Sterbebette bestimmt,

der Verfasser

ali sein ältester Amtßgehülse solle an seinem Grabe sprechen und eben so traf den Verfasser die Reihe der Daeanzpredigten für den Verstor­ benen am Todtenfeste. Pischon Pred.

A a

370 gm hierher zum Herm gegangen sind, indem auch wir unsre und seine Freunde schmerzlich beweinen, stehn wir denn sonst in gleichem Verhältnisse mit Martha?

Zu ihr sprach

wohl der

Herr: ich bin die Auferstehung und das Leben, wie er es auch zu uns spricht; aber er zeigte auch sichtbarlich die göttliche Kraft, welche den Tod besiegt, er trat auch hin zu Lazarus Gruft und ließ den Stein hinwegnehmen, der sie deckte, und ries den Tod­ ten und dieser ging aus seiner Gruft hervor.

Aehnliches kann

keiner von uns hoffen und erwarten; auch unsre und seine Ge­ liebtesten, um die wir klagen, wird der Herr nicht erwecken, nicht die Last hinwegheben, welche sie begraben hält, nicht sie uns zu­ rückführen und wir haben nur den Trost: sie werden auferstehn am jüngsten Tage!

Aber, m. A., es ist nicht das äußere Wun­

der, wovon der Herr in unserm Texte redet und worauf er Martha Hinweisen will.

Denn auch Lazarus Auferstehung in ihrer

ganzen und wunderbaren Kraft,

sie war doch nichts anders als

eine vorübergehende Hülfe, wie auch uns so oft Todesgefah­ ren von geliebten Häuptern abgewendet worden sind,

ja wie

alle, welche wir noch besitzen, nur wie ein Geschenk des Herrn neben uns wandeln, wir wissen nicht auf wie lange Zeit! und auch für Lazarus musste darum die Stunde des Scheidens wiederkehren. Nein, auch für den Schmerz an den Gräbern, welche sich un­ serm Blick nicht offnen, will Christus in des Tertes Worten



t

Trost geben und von der äußeren Erscheinung hinweg zu einer ewigen Hoffnung führen.

Diese hat er denn auch uns in des

Tertes Worten eröffnet, welche uns lehren: daß der

Glaube

an Christum Trost

gewährt

an den Gräbern unsrer Geliebten. Lasset uns demnach I.

dies« Wahrheit erkennen, welche uns der Herr in seinen Worten ausspricht und dann

II. den Trost derselben auf unser besonders VerhältnisS anwenden.

Wenn der Herr in unsers Textes Worten zur trauernden Martha redet, um sie zu trösten, welche über einen Abgeschiede­ nen weint; so baut er diesen Trost allein auf den Glauben an sich selbst, denn er spricht: ich bin die Auferstehung und das Le­ ben! — Denn wohl war vor seiner Erscheinung in der Welt die Erde nur ein weites Grab und der höhere Bewohner dersel­ ben, obschon auch den Ahndungen der Heiden gemäß göttlichen Geschlechts, obschon herrschend über das Reich der Natur, über alle lebenden Geschöpfe um ihn, doch nur allem Irdischen gleich und nicht allein äußerlich vergänglich wie die Blume des Feldes und alle Herrlichkeit der Welt, sondern auch, wenn des Todes Macht gebot, abgeschieden von jeder höheren geistigen Gemeinschaft mit denen, welche er hier zurückließ, wenn er ungern und zagend hin­ wegging aus dem schönen Lichte der irdischen Sonne. Und wo die Dichter der Heiden iu ihren Gesängen den Schleier zu heben versuchten, welcher ihnen das dunkle Reich der Schatten ver­ hüllte, sie wussten die trüben Gestalten nur darzustellen als seuf­ zend nach dem früheren schöneren Leben, aus dem sie gerissen waren. Kein höheres himmlisches Leben konnte diejenigen in einer künftigen Welt verbinden und erheben, welche fern von dem Göttlicken, welcher allein es geben kann, nicht schon hier es in der Brust getragen. — Und auch die, welche heiliger Offenbarungen des Höchsten gewürdigt worden waren, wie ist auch ihr Blick nur aus das Vergängliche gerichtet. In dem irdischen Leben, dessen Flüchtig­ keit sie doch alle erkannten, über dessen Unbeständigkeit und Ei­ telkeit ihre Propheten klagten, ach, da vor allen suchten sie auch den Lohn ihrer Treue vor Gott, dahin sind ihre Hoffnungen ge­ richtet, es werde Jehovas Gnade sich ihnen noch einmal zuwen­ den und wie schön wir uns auch im Lichte des Evangeliums manch trostreiches Wort deuten, wie es uns wie ein milder Zu­ spruch von oben erscheint, wenn der Psalmist ruft: die mit ThräAa 2

372

neu säen, werden mit Freuden erndten! *) er meint nicht di« Erndte einer höhern Welt, er seufzt nur nach der Befreiung aus dem Lande irdischer Knechtschaft und betet brünstig zu Gott: Herr, erhöre mich bald, mein Geist vergeht, verbirg dein Antlitz nicht vor mir, daß ich nicht gleich werde denen, die in die Grube fahren **). Aber auch da, wo der Glaube an ein Leben nach dem irdischen Tode mit immer festerer Gewissheit einem Theil des Volkes klar wurde, wie ohne höheres geistiges Band erscheint er uns auch da, ohne Trost für die an den Gräbern Trauernden, wie Martha spricht: ich weiß wohl, daß er auferstehn wird am jüngsten Tage! Aber als die Zeit erfüllet war und der Sohn vom Vater gesendet in die Welt kam, als der Engel Chöre sprachen: „Friede auf Erden!" — da sollte auch den an den Gräbern Trauernden Trost kommen und bas helle Licht des Evangeliums auch des Grabes Nacht erleuchten. Als der Herr in die weite Oede der todten Welt eintrat, da wurde er der belebende Hauch der See­ len, da erweckte leine Stimme die geistig Todten, da trat die neue höhere Geburt zu einem Dasein ein, welches unvergänglich nicht mehr abhängig sein kann von dem Wechsel einer irdischen Erscheinung. Es ist nicht eine einzelne Lehre, welche der Herr giebt, daß nach dem Tode noch ein Leben vorhanden sei, das de-s Menschen Sinnlichkeit sich wieder aus eine irdische Weile aus­ schmücken möchte nur mit noch höherer und dauernderer Pracht dieser Welt; sondern, indem er spricht: ich bin die Auferstehung und das Leben, erkennen wir, es ist mit ihm die ganze Gestalt des Irdischen und Vergänglichen erhöht und verklärt, es ist nicht mehr dasselbe niedere Leben da wo er gewandelt, es ist ein Glanz ewiger Herrlichkeit von ihm ausgegangen, vor dem jedes Zagen des Todes vergehen muss und seine Gemeine ist über Welt und Vergänglichkeit emporgenommen in sein unvergängliches ewiges ') Ps- 126, 5.

") Ps. 143, 7.

373

Reich. Und ob Martha ihn selbst noch nicht geschaut hat alS den, der auch äußerlich des Grabes Riegel zerbrochen hatte; ob sie auch noch nach wenigen Tagen an dem Grabe des Göttlichen weinen soll, ehe er, von Bethaniens Höhen über jeden Wechsel der Zeit. lichkeit sich erhebend, von ihr angebetet werden konnte als der Herr, der in Ewigkeit lebt; indem sie ihn schaut, indem sie sein Wort vernimmt, so muss sie auch unter dem tiefsten Kummer ahnen: wo er ist, da ist auch ewiges Leben, wohin er kommt, da ist nicht erst rin künftiges höheres Dasein zu erwarten, da ist das ewige Leben in ihm und durch ihn. — Darum redet er auch zu Martha nicht von einzelnen besondern Trostgründen, nicht von der Nichtigkeit alles Irdischen, von dem Kampfe, den der Abgeschiedne vollendet, von den Leiden, denen er entgangen und wie sie heißen die matten Tröstungen, wonach irdisch ge. sinnt« Seelen haschen; sondern auf ihn den Quell des Lebens, dem Besieger jedes Todes, weist er sie hin und spricht: ich bin die Auferstehung und das Leben! Oder wollten wir sagen: ja, er tragt wohl die Fülle der Gottheit in sich, er ist wohl der, welcher in Ewigkeit lebt, ihn konnte das Grab nicht halten und seine geistige Kraft bleibt ewig bei uns; aber die Geliebten sind uns doch entrissen, sie bringt keine Klage, sie bringt keine Thräne uns wieder! Was hat Martha getrieben zum Herrn zu senden, was bewegt sie ihm entgegen zu eilen, als daß sie wusste: der Herr hatte den Entschlafncn lieb gehabt. Aber das eben ist es ja, was ihn auch ihr ewig erhält, was sie ihn nie verlieren lasst. Darum spricht der Herr: wer an mich glaubet, der wird leben, ob er gleich stürbe. Klagen wir über die Entschlafenen als über die, welche uns verloren sind in ihrem Würken in der Welt: in dem Rei­ che des Herrn geht nichts verloren. Der Glaube an ihn hat in allen Entschlafenen taS ewige Leben entzündet, daS nun auch im Grabe nicht untergchn kann, wie es schon hier unter dem Tode dieser Well, unter dem Kampfe und Leiden und

374 Dulden der Zeitlichkeit sich bewährt und die Seelen um so treuer mit dem Herrn verbunden

hält,

daß der

Kampf selbst nur

höhere Seligkeit gewährt durch die Kraft, in welcher er geführt wird, und so können die Jünger des Herrn die selig preisen, welche erduldet haben *). —

Oder könnte der Glaube, der sie zum

Herrn gezogen, der das neue Leben der Liebe in ihm den See­ len offenbaret, der sie in heiliger Erkenntniss, demüthigem Hin­ geben in seinen Willen und frommer Dankbarkeit für so viel unendliche Gnade mit ihm vereinigte, nun mit all seiner Thätig­ keit dahin sein, nun, da die Bande gefallen sind, welche den glau­ benden Geist noch an daS Irdische fesselten?

Sollten die Ent­

schlafenen, da sie nicht mehr zu seufzen haben: „es ist noch nicht erschienen was wir sein werden;" sondern es ihnen nun erschienen ist und sie ihn schauen in seinem Lichte, nicht höher und freudi­ ger würkcn

können in der Gemeinde der Vollendeten, welcher

der Sieg gegeben ist! —

Oder ist das unser Kummer, daß nur

wir dahinten geblieben sind, zurückgelassen in der Welt, welche der Abgeschiedne uns verklärte?

Der Herr sagt: wer da lebt

und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben!

Leben wir

nun in dem Glauben an den Herrn dasselbe Leben, das kein Tod vernichten kann; sind wir im Glauben mit Christo verbun­ den zu der Gemeinschaft seiner Gläubigen, von der er sagt, es soll sie niemand aus seiner Hand reißen; erkennen wir neben dem irdischen, vergänglichen Leben, welches wir zwar nur aus kurze Zeit und äußerlich, doch auch im Aufträge und Dienste unsers Herrn, führen, das höhere Leben in ihm und damit die Gewissheit, daß kein Tod es zerstören kann: dann sind wir durch den höhcrn Dienst in dieser Vereinigung auch mit denen ver­ bunden, welche der Herr nur in eine andre Wirksamkeit für sein großes Reich geführt hat. in eine Würksamkeit, zu welcher er

) Jak. 6, ll

375 nur vorangegangen ist die Statte ju bereiten, wohin er aber alle die Seinen führen will, auf daß auch sie sein wo er ist. IL Ist nun das die Wahrheit, welche der Herr ausspricht und welche die Kraft in sich tragen soll die Klagen über die Entschlasnen zu stillen: so lasst uns versuchen an diesem Tage, wo die 33et> gänglichkrit alles Irdischen bei dem scheidenden Jahre der Kirche dks Herrn, bei dem Ueberschauen der Reihen derer, welche «inst durch ihn mit uns verbunden heut nicht mehr in unsrer Mitte wandeln, so fühlbar entgegentritt, lasst uns versuchen den Trost derselben auf unser Verhältniss anzuwenden. Sehr verschiedenattig, m. G., sind die traurigen Erinnerun­ gen, welche und heut erfüllen, auf ganz verschiedne Verluste sind unsre Klagen hingewendet. Der eine weint um ein geliebtes Kind, was kaum sein Auge dem Licht der Sonne erschlossen hatte, um es schon wieder in den Schlummer des Tode- zu senken, der andre um den altersschwachen Greis, der lebenssatt und müde sein Haupt geneigt, bis Alle, durch den Tod der Ein­ zelnen unter uns tief betrübt, in der gemeinsamen Empfindung des einen großen Schmerzes um den geliebten Lehrer sich vereinen, der heul zum ersten Male an diesem stillen Feste unS fehlt. Doch was wir beklagen, warum wir weinen mögen, der Herr spricht: ich bin die Auferstehung und das Leben! und dadurch soll einem jeden Einzelnen in seinem Schmerze Trost kommen. Ist eS also nur die Gemeinschaft mit Christo, ist eS nur der Glaube an ihn, welcher uns vollgültig über den Verlust der Geliebten trösten kann, wie steht es da zunächst mit den Kleinen, welche der Herr von uns abgerufen hat? Ueber sie ist vor al­ len in den abgeschicdnen Monden die Macht des TodeS gewal« tiglich gekommen, schnell und unerwartet hat er die zarten blü­ henden Gestalten ergriffen und lange Reihen frischer GrabeShü» gel auf unfern Gottesäckern ausgeführt, welche unS verkünden,

37 wie viele, die gepflegt und geleitet von treuer Elternhand, noch nicht in die schweren Kämpfe des Lebens eingegangen waren, dem irdischen Schauplatz schon wieder entrückt worden sind. — Können wir denn nun von diesen sagen: sie leben ewig, ob sie gleich starben, denn sie glaubten ja an den, der die Auferstehung ist und das Leben?

Biele sind

hingegangen, die haben seinen

Namen nicht gekannt, denen ist das Alter des Verstandes nicht gekommen, worin sie hätten von ihm Kunde bekommen können; viele sind hingegangen, die, wenn sie auch seinen Namen gehört und genannt haben, doch die Kraft des Glaubens, des neuen gött­ lichen Lebens in ihm noch nicht in sich getragen haben; viele, denen nur in einzelnen vorübergehenden Stunden eine leichte Ahndung von dem Sohne Gottes ausgegangen

war, die uns wieder um

terzugehn schien in der Lust des Lebens, in dem kindischen Spiele und Treiben ihrer jungen Jahre und selbst vielleicht im Kampfe des TodeS, wo wir an ihrem Lager nur nach Gemeinschaft mit unserm

Herrn rangen,

um dem Schmerz nicht zu unterliegen,

war ihr Gemüth nur mit den Kleinlichkeiten des Lebens beschäf­ tigt,

bis

Trost sein,

der

Geist entwich.

das;,

Solle»

wir um diese nicht ohne

weil sie nicht geglaubt, auch das ewige Leben

nicht ihr Antheil werden kann? Unsre Zweifel werden schon bunt) unser natürliches unterdrückt.

Gefühl

Je weniger zwar in ihrem noch so zarten Alter sie

Christum in sich zu tragen schienen, desto reiner und unschuldiger noch erschienen sie uns und

wie

die meisten

unter ihnen dem

Herrn hingegeben und geweiht waren durch der Taufe Bad und die noch jünger starben, doch zu gleicher Weihe geordnet waren, so wird er sie ja mit um so höherer Liebe umfassen, wie et ge­ sagt hat: das ist der Wille des Vaters, von Allem, das er mir gegeben hat '). sie nicht als um

) 2-h. 6, 39.

daß ich keinen verliere Und wie auch wir um

solche trauern, die uns schon viel dargereicht

377 und geholfen und unterstützt hätten in unserm irdischen Leben, sondern die noch ganz auf uns angewiesen waren, die vornehmlich der Mutter am meisten Sorge und Mühe gemacht, welche sie doch am innigsten an ihr Herz geschlossen und bei ihrem Scheiden den Verlust am schwersten gesuhlt hat: so wird der Herr, der die Seinen mit Vertrauen und Mutterliebe umfasst, auch die zarten Pflanzen pflegen, die er früh hinüber gesetzt auS den Stürmen des Lebens in die milde Luft des himmlischen Gartens, daß sie die Frucht des Glaubens an ihn bringen, der die Auferstehung ist und das Leben, und also nimmermehr sterben.

Ja wir sor­

gen ja wohl, wie wir die Kindlein in fremde Hände geben möch­ ten, um sie gereister und gebildeter und besser wieder zu erhalten: wie sollten wir sie nicht dem Lehrer übergeben, der die höheren Kräfte ihres Geistes reifen und zeitigen wird

und

ihnen sein

himmlisches Reich verheißen hat; und wie wir sie hinsenden in reinere Lüfte und zu den kräftigenden Quellen der Berge, daß sie dort genesen und frischer blühen sollen: wie sollten wir sie nicht mit Freuden dem übergeben, der sie unter dem Wehen sei­ nes Geistes wird wandeln lassen und sie leiten zu den Bächen des Wassers, das in das ewige Leben quillt! Wenden wir uns aber zu den Entschlafenen, mit denen wir in den verschiedenartigsten Verhältnissen des Lebens zusammen­ gestanden, denen wir nicht sowohl gegeben als von denen wir empfangen oder mit denen wir ausgetauscht haben die irdischen und die höheren Güter in der Gemeinschaft des Lebens und deS Gemüthes, ach, ihr Scheiden ist noch ein andrer tiefer in die Seele gehender Schmerz, weil es uns auch als ein geistig höherer Ver­ lust erscheint. —

Denn auch da, wo die, welche von uns ge­

gangen die Stützen und Träger unsers äußeren Lebens gewesen sind, auch da, wo mit dem Geliebten der Versorger und Helfer der Seinen in das Grab gesunken ist, können es doch an diesem Feste nicht die verlornen Güter des äußern Lebens sein,

um

welche wir klagen, sondern die Liebe und der Glauben in ihnen.

378

welche sie unS so innig verbunden hatten und die uns nun feh­ len, sind die Gegenstände unsrer Trauer. Daß wir den Bilck der Milde, mit welchem sie uns angeblickt nicht mehr schauen, daß wir das freundliche Wort ihres Trostes nicht mehr vernehmen, daß ihre Theilnahme, ihr Arbeiten, ihr Sorgen, das Verhüllen der eignen Leiden und Schmerzen um nur uns nicht zu bettü­ ben, daß dies Alles uns genommen ist: das ist unser Schmerz. Ja, daß sie nicht mehr neben uns stehn und ihr Vorbild uns über die Welt erhebt; daß dir heiligen Stunden uns fehlen, in welchen wir im innigen Austausch der Seelen uns mit ihnen verbanden, wo sie durch ihren Glauben uns Muth machten, wo sie uns erken­ nen ließen, wie all ihre Hoffnung aus den Herrn gebaut war, wo ihr Gebet für uns und sie uns stärkte und in der ttübsten Stunde uns erhob, wo unsre Herzen durch ihre Frömmigkeit auch mehr und mehr geheiligt und dem Herrn geweiht wurden, der ihres Lebens Trost war und in dem sie jetzt fromm und selig entschlafen sind: das ist unser tiefer und unaussprechlicher Schmerz! — Gewiss, m. G-, aber doch auch unser reicher und höch­ ster Trost! — Nicht allein, daß wir erkennen, je tiefer unser Schmerz ist, um so größer ist das Gnadengeschenk gewesen, welcl'es wir in ihnen besessen haben, daß wir uns sagen müssen, die Thränen um ihren Verlust sind selbst nichts anders als Zeugen von dem Reichthum, welchen wir durch die Güte deS Ewigen besessen haben; sondern tragen wir sie so in unserm Herzen, so fühlen wir auch, sie haben an den geglaubt, der da ist die Auferstehung und das Leben und sein höheres ewiges Dasein ist in sie übergegangen, darum leben sie ob sie gleich gestorbeil sind, leben in seinem ewigen Reiche, frei von den Schlakkcn des Irdischen und den Kämpfen der Erde, haben nun er­ duldet und sind selig zu preisen, weil sie gestorben sind in dem Herrn, in welchem sie leben. — Oder hatten wir sie nicht mehr? — Freilich nicht die äußerliche Gestalt, auch nicht die Gemeinschaft, von welcher wohl überspannte Gemüther alS von

379

einem bleibenden geisterhaften Verkehr reden mögen, aber haben wir sie wirklich nicht mehr in unserm Gemüthe, fühlen wir je< deS Band, welches uns mit ihnen verband, zerrissen, dann haben wir sie wohl nimmer besessen, und nimmer mit ihnen wahrhaft gelebt, denn wahres Leben giebt es nur in dem, welcher die Auferstehung ist und das Leben. Das Band des Glaubens aber, was uns mit ihnen und sie mit uns und Christo verbunden hat, das kann kein Tod zerreißen und wie wir die Geliebten auf Erden doch hatten und nicht um sie weinten, wenn auch unser Auge sie nicht sah, wenn auch Tage und Monde vergingen und sie uns fern waren, also, wenn auf des Geistes und Glaubens Schwingen wir uns zum Herrn erheben, in welchem sie leben, sind sie unS nahe und das ewige Leben, was aus ihrer Verbin­ dung mit Christo in Ausübung ihres innigen Glaubens und ih­ rer Liebe in Freude und Schmer; uns entgegenstrahlte, ist uns die Bürgschaft, daß sie leben ein seliges unvergängliches Leben, was die Spanne Zeit, in welcher sie uns vorangegangen sind, nicht ändern noch hinwegnehmen kann. Und wenn nun neben jedem einzelnen Verluste, den wir be­ klagen, uns Allen an diesem Tage und an dieser Statte das ge­ liebte Bild des entschlafnen Lehrers vor der Seele steht, es muss auch in dem Gefühle seines großen, seines unersetzlichen Verlustes das Wort des Herrn in unserm Texte unser Trost sein; denn auf ihn wird sich Alles, was wir uns eben gesagt haben nur in höherem Maße anwenden lassen. — Denn außer den wenigen, welche auch noch durch die Bande des Bluts und der Verwandt­ schaft mit ihm verbunden waren, sind wir Alle zu ihm gezogen worden durch seinen Glauben an den Herrn und wie eS uns vergönnt gewesen sein mag, seiner glänzenden und milden Er­ scheinung mehr oder weniger nahe zu stehn, dieser Glauben ist es gewesen, welcher ihm die Schaaren derer zugeführt hat, die ihn liebten und verehrten. Und nicht der Glanz seines Geistes, nicht die Klarheit und Tiefe seines Verstandes und feiner Wis>

3ti0 senschast, sondern die Lieb« zu seinem Herrn, welcher alle seine Gaben dienen mussten, hat ihm die Herzen gewonnen, welche jetzt um ihn trauern.

Denn wie die Erde ihm immer erschienen

ist als geheiligt durch den Wandel des Erlösers, so ist er der beredte Zeuge dieser Heiligung gewesen und hat Tausenden die Binde von den Augen des Geistes gerissen, welche ihnen diese Herrlichkeit verhüllte und hat sie auf den Flügeln des Glaubens getragen zum Anschaun der Seligkeit.

So sind die Seelen ihm

zugefallen und in jedem scheidenden Jahre der Kirche und durch jede begeisterte Rede seines Mundes hat er seinem Herrn neue Freunde gewonnen und ist also im treuen Dienste dessen, der ihn gesendet, unter uns gewandelt, bis er in der seligen Sterbe-, stunde mit seinem Erlöser vereint hinübergegangen ist aus dem Dienst und Streit zu seines Herrn Freude. —

So ist Venn

auch an ihm erfüllt worden, was er einst an diesem Tage so schön sagte:

„über kurz oder lang werden auch wir unter dieje­

nigen gehören, deren man im Stillen gedenkt, wenn dieser Tag „wiederkehrt.

Möchten wir doch dann der zärtlichen Liebe derer,

„unter denen und für welche wir leben, keinen Zweifel darüber „lassen, ob wir das ewige Leben schon gesunden und besessen ha„ben."

Solcher Zweifel über ihn ist nicht in unsrer Brust. —

Weil wir ihn aber in Besitz des ewigen Lebens wissen: so lasst uns auch nicht trauern wie die, die keine Hoffnung haben. Wie der Herr vom Lazarus sprach, als

er im Grabe lag:

unser

Freund schläft, so wollen auch wir von dem Theuren sagen: er ist nicht todt, sondern er schläft.

Denn todt ist nur, was erlo­

schen und untergegangen ist, aber er ist nicht untergegangen und das Band des Glaubens, das uns mit ihm verbindet, ist nicht zerrissen.

Immer mehr irdische Tage werden sich lagern zwi­

schen die Zeit seines Wandels hieniedcn und unsern Weg, immer mehr Geschlechter werden kommen, welche den unmittelbaren Ein­ fluß seines Lebens nicht mehr kennen, aber waS er gewürkt für die Gemeinschaft mit Christo, daS wird Frucht bringen und int

381

merbat bleiben, das wird auch nach drüben ihm folgen und den Lehrer leuchten lassen wie des Himmels Glanz, weil er geglaubt hat an den Herrn, der da sagt: wer da glaubet an mich der wird leben ob er gleich stürbe! Wird aber hinzugesetzt, wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben, was ist, da wir noch leben, unsre heilige und innige Pflicht als die, diesen Glauben nun auch in unS zu pflegen, welcher hier uns mit dem Abgeschiedenen vereint und dort mit ihm und allen Vollendeten die unvergängliche Ge­ meinschaft knüpft. Wie können wir anders als dem Herrn bun­ ten für das Heil, das er uns in unserm Lehrer gegeben hat, daß seine Lehtt, sein Vorbild, sein Ende uns dazu führe, daS waS ihm hinübergeholfen in die Klarheit des Herrn, auch uns schmücke, daß wir, wenn unser Stündlein kommt, wohlbereitet wie er dem Tode ins Angesicht sehn und in dem Glauben an Christum durch den Tod hindurchgedrungen ihn wiederfinden, bei dem, zu wel­ chem er uns so oft hingewiesen hat und den wir dann, wenn erschienen ist was wir sein werden, mit ihm schauen werden wie er ist. Amen.

XXXII Von dem Danke, wozu die Feier des heuti­ gen Tages uns als Gläubige Jesu Christi verpflichtet.

Am Dankfest für das Aufhören der Cholera in Berlin am 19tcn Februar 1832.

Ueber Pf. 30, 23.

Gebet. O Herr und Gott, du gnädiger und barmherziger, der du wohl betrübest aber dich wieder erbarmest nach deiner großen Güte, tu hast erhört daS Flehen deiner Kinder und nicht verschlossen dein Ohr vor den Gebeten deiner Gläubigen; sondern mit mächtiger Hand unS errettet von der Plage, welche auf uns gclegct war.

So nimm

an das heilige Opfer des Dankes, welcher aus unsern Herzen und von unsern Lippen strömt, mit väterlichem Wohlgefallen und laß die Ge­ trösteten wie die Zagenden unter uns immer mehr wachsen in dem Glauben, daß deine Gnade alle Morgen neu ist und daß denen, welche bleiben in deiner Liebe, aus der Saat der Thränen die Erndte der höhere» Freude» erwachsen muss.

Amen.

383 Text.

Ps. 50, 23.

Wer Dank opfert der preiset mich und das ist der Weg, daß ich ihm zeige das Heil Gottes.

haben wir,

m. 2s. und G-, in den Tagen der jüngsten

Vergangenheit an dieser

heiligen

Stätte uns versammelt tun

unsre Gebete vor den Thron des Allerhöchsten zu bringen und alle, denen es in ihren Hütten unter dem Kummer und Elend des Lebens zu bange geworden, alle, welche die höhere Hülfe suchten, welche keiner ihnen darreichen konnte, sind in das Haus des Herm gekommen um an seinem Wort sich zu stärken und aus der Erbauung mit der Gemeine der Gläubigen Trost und Erhebung zurückzubringen zu Wallfahrt.

den Mühen und Sorgen

ihrer

Vor allen aber, welche in dieser Zeit den Becher

der Trübsale getrunken haben, ist es also mit denen gewesen, welche durch die Noth der Krankheit, welche in unsern Mauern wüthete, erschreckt oder tiefbetrübt dastanden und viele unter ih­ nen, welchen das Gotteöwort die 2lngst verscheucht, den Muth gestärkt und das fromme kindliche Vertrauen auf Gott wieder­ gegeben, sie haben sich dankend hinzugewendet zu ihm, der unsre Hülfe ist in der Noth, aus dessen Fülle wir immer schöpfen können Gnade um Gnade.

So sind schon in den vergangenen

Tagen viele unter uns vorbereitet worden zu diesem Tage des Dankes.

Heut aber, nachdem der Herr unsre Plage hinwegge­

nommen und den Engel des Todes, welcher so schwere Opfer gefordert,

hat vorüberziehen lassen,

heut soll das innige heilige

Gefühl des Dankes unser Aller Brust erfüllen, daß die Gemein­ schaft mit ihm dadurch

in uns

den

unvergänglichen Frieden

würke, welchen keine Zukunft rauben kann. Wie wir aber diesen innigen Dank betrachten sollen darauf weist der fromme Sänger in den Worten unseres Textes uns

384

hin. AIS Assaph das heilige Lied gesungen, aus dem diese Worte genommen sind, da war der Sinn des Volkes, dem Gott sich in den Tagen vor der Erscheinung Jesu Christi aus Erden am deutlichsten offenbart hatte,»oft von dem himmlischen und Geistigen abgewendet und auch den Dank, welchen es seinem Gott für tausend Gnadenwohlthaten zu bringen hatte, wollte es nur in äußerlichen Opfern darreichen. Von solch irrigem Thun will der Psalmist sein Volk abführen, darum spricht er im Na­ men des Herm, der ihm den Mund geöffnet hatte: „meinest du, daß ich Ochsenfleisch essen wolle oder Bocksblut trinken? Opfre Gott Dank und bezahle dem Höchsten deine Gelübde. Rufe mich an in der Noth, so will ich dich erretten und du sollst mich preisen." — Nun wollen wir, die wir in reinerem Lichte des Evangeliums wandeln, nicht danken durch das Blut der Thiere, durch Brandopfer und Speisopfer, aber wie oft beweiset sich der Herr gnädig an uns und wir vergessen seiner; wie oft verklärt er sich herrlich an uns und unsre Dankesfeier ist irdisch und un­ rein und versenkt uns nur in die Lüste des Lebens. Daß es nnn heut nicht also sein möge, daß unser Dank ein reiner hei­ liger, über die Erde uns erhebender, mit Gott und vereinender sein möge; darum sind wir erschienen in diesem Heiligthume, dazu uns zu erheben soll der Zweck unsrer frommen Betrachtung sein, indem wir von unserm Tert geleitet, reden wollen: von dem Danke, wozu die Feier des heutigen Tages uns als Gläubige Jesu Christi ver­ pflichtet. Lasset uns um ihn zu erkennen und st eulich darzubringen fragen: I. wofür wir heut Gott zu danken haben? II. wie unser Dank beschaffen sein? III. wohin er uns führen soll? I Indem der Psalmist spricht: „wer Dank opfert, der preiset mich!" denkt er an sein früheres Wort zurück: „rufe mich an

38.0

in der Noth, so will ich dich erretten und du sollst mich prei­ sen," und so fragen wir, die der Herr errettet hat: wofür sol­ len wir Gott heut danken? Zwar, scheint sie uns nicht unnöthig, diese Frage? beant­ wortet sie nicht jeder in seinem Herzen und ruft uns nicht dies ganze Fest einer Dankesfeier die Antwort zu. Ja, wir Alle vereinen uns dahin, den Herrn zu preisen, daß geendet sind die Tage des Schreckens, daß wir nicht mehr zittern müssen, ob die, welche wir noch in blühender Gesundheit aus unfern Armen ließen, nicht in wenigen Stunden schon auf das Sterbelager gesunken sind, oder ob wir nicht selbst ohne Ahnung naher Ge­ fahr, mitten in der Fülle der Kraft aus dem unbesorgten Kreise der Unsern hinweggerissen, ein Raub des schmerzlichen Todes werden müssen, — daß wenn auch AehnlicheS durch Gottes Schickung jedem Sterblichen bestimmt sein könnte, doch dieses furchtbare Ergriffenwerden von der Gewalt des Todes, diese dich­ ten Schaaren seiner Erndten, dieses nicht allein tiefen Schmerz sondern auch Grauen und Entsetzen verbreitende Scheiden durch die Gnade des Höchsten, ja, durch ihn den Herrn, den mächti­ gen Helfer und Regierer hinweggenommen worden, da es mensch­ liche Kunst und Wissenschaft, menschlicher Wille und menschli­ ches Streben nicht vermochten. Deshalb, so rufen wir heut alle, deshalb steigen des heißen Dankes innige Gebete zum Him­ mel hinauf, deshalb fingen wir Loblieder dem Herrn unserm Erretter. — Und gewiss, m. G., auch deshalb, daß er auch noch wahrend ihres Wüthens die Kraft der Seuche gebrochen und bei ihrer gefürchteten E scheinung nur in seltenen Beispie­ len das schreckenvolle Bild hat zur Wirklichkeit werden lassen, unter welchem sie uns angekündigt wurde. Nicht will ich diese heilige Stunde des Dankes entweihen durch seine erneute Dar­ stellung , aber es ist Keinem verborgen geblieben, mit welch grauenerregenden Farben das immer näher heranschreitende Elend uns ist geschildert worden, welche erschreckende Gerüchte, welche Pischon Prkd. Bb

380 angstverbreitende Anstalten ihm vorangingen, daß selbst Schmerz und Tod gering schien gegen die allgemeine Noth, die tm Ge­ folge der Seuche hereinzubrechen drohte.

Das aber hat der Herr

gnädig von uns abgewendet und wie viel geringer ist das wirk­ lich entstandene Uebel gegen das Schreckbild desselben gewesen, wie viel geringer die Gefahr gegen die Angst, welche die er­ schreckten Gemüther erfüllte und entmuthigte.

Auch dafür müs­

sen unsre inbrünstigen Dankgebete hinauf sich erheben zum Va-> ter, auch dafür wollen wir bezahlen dem Höchsten unsre Gelübde. Aber würden wir denn, so werden sich viele fragen, wür­ den wir denn nicht noch dankbarer dastehen an diesem Tage, wenn es dem Herrn gefallen hatte der Krankheit Wüthen ganz von uns abzuwenden und wie sie ohne ihr Drohen zu erfüllen vor mancher Stadt vorübergezogen ist, auch unsre Mauern ge­ schützt worden waren, „daß der Tod nicht hereingefallen wäre," wie der Prophet sagt *), „zu unsern Fenstern und in unsre Pa­ läste gekommen, die Kinder zu würgen Jünglinge auf den Straßen?"

auf den Gaffen und die

Können wir denn also dafür

danken, daß der Herr solch Leiden uns gesendet, daß er uns auf­ erlegt hat so harte Prüfung? alten Testaments,

Wenn, m. A., die Frommen dcS

indeni sie auf die Trümmer ihres zerstörten

Glückes schauen, die Gnade des Herrn anerkennen und beugend vor seinen dunkeln Wegen, Jammer sieht,

auch wo

seine Huld und Treue

ihr

anbeten und

still sich

Auge nur fprechen:

„der Herr hat es gegeben, der Herr hat cs genommen,

der

Name des Herrn sei gelobet!" **) sollen denn wir, erfüllt von dem Glauben an Jesum Christum, gehoben durch den Anblick seines großen Vorbildes, getröstet durch den seligen Frieden, der von ihm ausgeht, hingewiesen auf die Fülle von Gnade, welche er allen seinen Gläubigen darbietet in allen Nöthen, weniger über und gewinnen, sollten wir nicht halten an deS Apostel-

) 3mm. 9, 51.

**) Hiob 1, 21.

387 Trostworten: „ daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Be­ sten dienen müssen" *) und darum, wie jene, die Gnade deS Herrn auch in den Schickungen anerkennen, wo sie dem irdischen Blick verborgen zu sein scheint?

Nein, m. G., er, der den Sohn ge­

geben zum ewigen Leben, er kann uns nichts senden, was nicht zum Heile gereichte, und wie aus seiner Wetterwolke wohl deS Blitzes Strahl herabfällt zerstörend und vernichtend; aber doch zugleich auch der Segen die Flur überströmt:

so muß auch da,

wo er der Seuche gebietet zu kommen, die Gnade in ihrem Ge­ folge sein und auch das Verderben segensvolles Heil mit sich führen.

So lasset uns auch wo wir nicht sehen dennoch glau­

ben an unsers himmlischen Vaters Güte und Treue und auch dafür ihm danken, daß er uns Leiden gegeben hat. Aber wir wollen auch nicht verkennen, daß aus der Trüb­ sal,

welche er gesendet hatte, manch reicher Segen uns hervor­

gegangen ist, aus welche Weise wir sie auch mögen angesehen haben.

Vielen nämlich ist die Zeit, welche uns nun vorüberge­

gangen ist, als ein Strafgericht des Allerhöchsten erschienen, um zu züchtigen die Sünden unsers Volkes.

Wir können, m. G.,

nicht Gottes verborgene Wege durchschauen; wir können nicht aufdecken seine geheimen Gerichte und aus dem niedem Thale der Erde nicht überblicken den großen Plan seiner Welttegierung, nach dem er Völker erhebt oder demüthigt, beglückt oder züchtigt und können, da auch seine Heiligen nur durch Trübsal in daNeich Gottes eingehen und unser Herr selbst gesagt

hat, daß

dem Menschen Unglück auferlegt wird nicht weil er gesündigt hat, sondern daß die Werke Gottes offenbar werden,

im Allge­

meinen nicht entscheiden: ob das Unglück, welches er sendet, sein Strafgericht, ob cs eine läuternde heiligende Prüfung für seine jUnCct sein soll. danken.

Aber für Beides müssen wir dem Herrn

Wem die Seuche gewesen ist ein

Slrasgericht Gottes

Mm. 8, 28Bb

388 in seiner eignen Brust und sie ist es jedem gewesen, den sie auS dem sichem Schlafe der Sünden aufgeschreckt des LodeS Einherschreiten ihm zum Entsetzen

hat, jedem, den zugerufen

hat:

„auch du muffH nun bald treten vor den Thron des ewigen Richters!"

wem sie so seine innre Nichtigkeit, sein Fernsein vom

ewigen Heil, sein sündliches Hangen an der Erde Schätzen kund gethan; wen sie durch ihr Drohen gewiesen hat zu entrinnen dem künftigen Zorn, reumülhig und demuthsvoll sich zu beugen vor seinem Gott und Frieden und Erquickung zu suchen bei sei­ nes Heilandes und Erlösers Milde, daß des Todes Ruf ihn nicht länger erschrecken und er in der Gewissheit seiner Sünden­ vergebung getrost der letzten Stunde denken konnte:

o, muss

der nicht heut aus seine Kniee fallen und Thränen des Dankes weinen, daß der Herr ihm aus dem Tode hat das Leben her­ vorgehen lassen und ihm in dem Jammer der Welt seine ewige Gnade gezeigt hat? Welchen aber die Schrecken der Krankheit kein Strafgericht Gottes gewesen sind, sondern die darin seine weise Weltregierung verehrt haben und wenn ihnen bange

wurde

und Angst und

Schaudern, Schmerz und Gram sie erfüllte, sich tröstend sagten: es sind Prüfungen Gottes zu deinem Heil! zweifeln, ob sie heut danken sollen.

sie werden nicht

Alle, die in der trüben Zeit

sich desto fester an ihrem Gott hielten, je mehr sie erkannten, daß nur er allein helfen konnte; die um so tiefer ihres Heilan­ des Bild sich eindrückten, je mehr sie fühlten, daß nur er die er­ schreckte Seele zu trösten vermochte; alle, die durch den Schmerz milder geworden in inniger Liebe dastanden neben denen, von welchen der Töd sie bald scheiden konnte, die erbarmender und mitleidsvoller der unglücklichen Brüder sich annahmen, in brün­ stigen Gebeten sich und die Ihrigen dem Herrn empfahlen und seinen immer neuen Trost empfingen: o können sie, werden sie heut anders in dem Heiligthume ihres Gottes erscheinen als lo­ bend und dankend, werden sie, zurückschauend auf das Heil, das

389 auch ihnen auS der Zeit der Angst hervorgegangen ist, heut an­ der- rufen können als die Frommen aller Zeiten: der Herr hat Alles, Alles wohlgemacht! Von denen aber, welche gleichgültig wie an den Strafen so an den Erbarmungen Gottes vorüber gegangen sind, und nur immer das Irdische gesucht haben; von ihnen, die gefühllos da­ gestanden unter den harten Prüfungen oben und

fort sündigten,

und

welche Rettung

Mahnungen und

Gnade

von von

Gott leichtsinnig und kalt empfingen und sortsündigten, von ih­ nen können wir freilich nicht erwarten, daß sie heut danken wer­ den, denn sie gehören auch nicht zum Hause des Herrn und ih, rer können

wir nicht

anders

vor Gott gedenken als indem

wir zu ihm flehen, er möge ihnen seine Gnade zur Besserung schenken. Doch eS stehen heut noch andre da in ihren Wohnungen wie in den Häusern des Herrn, welcher wir am Tage dieses Fe­ stes mit Wehmuth gedenken und welche zum innigen Dank auf­ zufordern uns fast der Muth zu fehlen scheint.

Das sind die

Tiefgebeugten, welche dem Herrn die Opfer der Schmerzen ge­ bracht haben, von denen er abgefordert hat die Geliebten, denen genommen sind theure Gatten, liebende Eltern, geliebte Kinder und Freunde.

Wie soll ihr Schmerz stimmen mit unserm Dank,

wie sollen ihre Klagen und Seufzer zu unsern Jubelgesängen sich mischen?

Ja, sie haben Schweres zu tragen und sich zu demüthi­

gen unter Gottes gewaltige Hand; aber ihr Schmerz ist doch derselbe, welcher immer die Jünger des Herrn verwundet hat. Und wenn sie nun zu ihm hinausschreien

in

ihrer Noth, so

spricht er: „ich will dich nicht verlassen noch versäumen!" wenn sie trauern um die Frommen, welche von ihnen gegangen sind, ihr Heiland tröstet sie: „sie sind mir gefolgt, sie werden nimmer­ mehr umkommen und niemand wird sie aus meiner Hand rei­ ßen!"

Und wenn sic am Lager ihrer Sterbenden Christo gleich

gefleht haben: „doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe!"

390 dann wird die stille Ergebung in ihres Vaters Willen ihnen schon gezeigt haben, wie er tröstend neben den Seinen steht, tmc er ihnen statt der geschiedenen andere

liebende Herzen

erweckt

hat, welche ihnen beistehen, wie er geworden ein Helfer der Wittwen, ein Vater der Waisen und wenn nun ihre Mitbrüdcr heut das Vorüberschreiten des Würgengels feiern, welcher ihre schönsten Freuden getüdtet hat, wird das auch ihnen ein Zeichen erneuter Gnade ihres Gottes sein und sie werden Kraft gewin­ nen mit den Dankenden und Jauchzenden

zu

sprechen: „der

Herr hats gegeben, der Herr hals genommen, sein Name sei ge­ lobet!" —

So, m. G., werden wir alle, die wir heut vor un­

serm Gott stehen, erkennen, wofür wir ihm zu danken haben. II.

Wenn nun aber der Psalmist in unserm Tert spricht: wer Dank opfert, der preiset Gott! so zeigt er uns zweitens: wie unser Dank beschaffen sein soll. Gottes.

Er soll nämlich sein ein Preis

Gott preisen wird aber ein zwiefaches in sich verei­

nigen, nämlich

das

gläubige Anerkennen

seiner Gnade

und Herrlichkeit und die innige Vereinigung mit ihm. Der Psalmist straft sein Volk, daß cs nur todte Opfer des Dankes seinem Gott darbringe, daß cs

wobl der Thiere Blut

ihmweihe, aber dann zufrieden mit dem Abtragen

solch äußerer

Schuld, doch des Herren Zucht hasse und wieder hingehe zu feinem sündlichen Thun und zeigt uns damit, wie solcher Dank kein

Preis des Herrn sei, sondern nur ein Festhalten an dem

von

ihm gewendeten Sinn.

Auch unter uns, m. G., fehlt es

nun nicht daran, daß nicht Feste des Dankes gefeiert würden und von den Lippen Geretteter und Beglückter Lobgesänge er­ tönten.

Aber sind das auch Prcisgesänge dem Herrn, sind eS

Jubellicder betn Gotte geweiht, welcher aus Noth und Gefahr gerettet und seiner zagenden Kinder sich

erbarmt hat!'

Sind

auch die, welche zu den Tempeln des Herrn kommen, dort ih-

391 ren Dank auszusprechen,

nicht oft solche,

welche nur äußere

Sitte und Gewohnheit oder der Schmuck deS Festes und nicht das brünstige dankbare Gemüth zum Hause Gottes führt?

So

wird auch dieser Tag der Freude feiernd und jauchzend began» gen werden unter uns, — und wir wollen der Menschen unschul­ dige Freuden nicht tadeln; sondern auch sie ansehen als ein Lob Gottes, welcher Freude bereitet allen seinen Geschöpfen; — aber steigt der Dank auch aus des Herzens Tiefen zu Gott empor, ist der Genuss irdischer Freuden auch nichts anderes

als

die

Aeußerung des wahrhaft dem Herrn dankenden Gemüths, daß jeder Ausbruch derselben gereinigt ist und gehalten wird durch das Ausschauen aus ihn und könnte der Gottessohn, welcher ver­ sucht ist allenthalben

gleich wie wir doch ohne Sünde, auch

hinzutreten zu unsern Freudenmahlen, wenn er noch unter uns wandelte, ohne zu zürnen über unsre Versammlungen?

Und

wenn wir ihn uns denken auch in dieser unsrer Mitte, und er ist ja unter uns alle Tage bis an der Welt Ende, o wird er in unserm Innern den rechten Dank lesen, der ihm gebührt, wird er uns finden als die, welche ihren Gott wahrhaft preisen, indem sie seiner Gnade und Herrlichkeit nimmer vergessen? Soll aber Assaphs Wort: wer Dank opfert, der preiset Gott! recht von uns erfüllt werden, dann muss auch unsres Dankes Lpser uns recht vereinigen mit wie sollten wir das Herrn.

anders vermögen als

unserm Gott und in Christo unserm

Als Assaph sang, da war der Tag der Gnade noch

nicht aus Erden erschienen, da war das Heil in unserm Erlöser noch nicht angebrochen, war das große Vorbild seiner Liebe noch nicht ausgegangen in die Welt und hatte noch nicht der Men­ schen Seelen erfüllen und treiben können ihm ähnlich zu werden. Das ist nun unter uns anders geworden und der Sinn unsers Heilandes hat wie eine himmlische Kraft die Glieder seiner Ge­ meinde durchdrungen und selbst in denen, welche unter uns von ihm noch fern zu stehen scheinen, würkt er ihnen selbst unbewusst

und sammelt sich andre zu seinen Werkzeugen, welche erkennen, daß er sie gewürdigt hat, die Herolde seiner Liebe durch Wort und That zu werden.

Darum bat sich auch unter uns in der

vrrhängnissvollen bedrängten Menschen Herzen.

Zeit Christi Liebe gezeigt in der

Was ohne seinen Geist nicht möglich gewe­

sen war auf Erden, was die Zeiten nicht kannten, die von ihm nichts wussten, das ist unter uns zum gewöhnlichen Thun ge­ worden.

Daß die Kranken Pfleger und Versorger gefunden ha­

ben, daß die brüderliche Liebe auch unter uns die Schrecken der Seuche überwunden hat und stärker gewesen ist als der Tod, daß sich fühlende Herzen mit eigner Verlaugnung, mit Daran­ setzung ihrer Zeit, ihrer Güter und ihres Lebens der Kranken angenommen haben, daß treue, liebende, väterliche Sorge gewen­ det worden ist aus die armen Verlassenen, daß die Thränen der Unglücklichen durch milde Hände sind getrocknet worden und den Zagenden und

Angsterfüllten das erhebende Wort des Trostes

ist zugesprochen worden, daß so nicht allein im Einzelnen, son­ dern im ganzen Volke, von den Höhen des Thrones herab bis zu den niedern Hütten, die helfende Liebe sich gezeigt hat, o, las­ set es uns nicht verkennen: das ist Christi Wort unter uns, das ist der äußre Abglanz seines in der Kirche waltenden Geistes, welchen der Herr uns gelassen hat, ob er auch

selbst hinwegge­

gangen ist aus dieser Welt und welcher immerdar sich thätig be­ weist in der Liebe. Wie wir aber diese segensreiche Frucht der Ausbreitung sei­ ner Kirche unter uns anerkennen, welche in der Zeit der Angst und Trauer unsre Stadl als eine christliche, unsre Mitbürger als getrieben von Christi Geist dargestellt hat und dafür Gotr danken und preisen; so soll auch jeder Einzelne unter uns nicht allein einstimmen in diesen Dank, sondern selbst das Wort Assaphs erfüllen: „wer Dank opfert, der preiset @ott;" selbst in­ nig vereint mit dem sich fühlen, in welchem er allein wahrhaft danken kann, mit Christo, seinem Erlöser.

Ja, das soll unser

393

höchster innigster Dank sein, daß wir uns alS Glieder der Ge» meine des Herm nicht allein befreit sehen von den Schrecknissen, welche jetzt gnädig von uns genommen sind, sondern erkennen, daß uns in der Gemeinschaft mit Christo nichts fehlen und nicht» schaden kann und wir alle freudig mit dem Apostel sprechen dür» fen: „ich bin gewiss, daß weder Tod noch Leben, noch Engel noch Fürstenthum, noch Gewalt, weder Gegenwärtiges noch Zu» künftiges, noch keine Creatur uns scheiden mag von der Lieb« Gottes, die in Christo Jesu ist, unserm Herrn." *) Wer diesen gewissen Glauben in sich trägt und in diesem heut kommt zu den Stätten des Herrn und zu seinen schönen Gottesdiensten, der hat dem Herrn des Dankes rechtes Opfer geweiht, der wird es sich selbst ohne Stolz und Selbstsucht, denn diese können in dem nicht wohnen, der seine Kraft in Christo sucht, sagen kön­ nen: dein Opfer des Dankes ist gewesen ein Preis deS Aller­ höchsten. III.

Doch, nt. G, der Tag, den wir feiern, er wird vergehen; die festlichen Stunden, die uns erheben, sie werden dahin schwin­ den, andre werden ihnen folgen, trübe und heitere, wie der Wech­ sel des Irdischen sie mit sich fühtt und das Gcdächtniss an diese Zeit, es wird hinter uns liegen wie ein dunkler Traum der Vergangenheit. Soll nun auch das Gefühl des DankeS also vergehen, soll keine schöne Frucht solcher Aussaat erblühen? Da» rum lasset uns noch fragen: wohin der Dank an dieseTages Feier uns führen soll? Der Sänger unser- Tex­ tes spricht zu uns: „und da ist der Weg, daß ich dir zeige daHeil Gottes!" So will er nicht allein zu einem wahren gott­ gefälligen Dank auffordern, sondern er stellt diesen Dank auch selbst al» den Anfang eines neuen Heils, einer unaussprechlichen ') »im. 8, 38. 39. Pischon Pred.

Ci

394 Seligkeit bar.

Denn das Heil Gottes, was kann es anders

sein als das stete Bleiben in Gottes Gemeinschaft, woraus dem Menschen in jedem Genusse des Irdischen eine Erhebung zum Himmlischen,

in jedem Leiden Trost,

in jedem Streite

Kraft, in jeder Nerwirrung menschlicher Schicksale das stille Er­ geben in Gottes Willen kommt und Alles ihm zu seiner Selig­ keit dienen muss.

Der Dank aber, in dem wir Gott preisen,

spricht Assaph, sei der Weg, wo uns gewiesen werde das Heil Gottes. Diese Wahrheit erkennen wir schon überall im Leben. Denn bei jedem reinen innigem Danke gegen Andre neigen wir uns in größerer Liebe ihnen zu und bei jedem wahren Danke gegen Gott erheben wir uns zu ihm, ja wir vergessen selbst Veräußern Gabe, die er uns gegeben hat, und indem sich unsre Seele mit ihm vereinigt, erkennt sie auch, daß das Geschenk seiner Gnade ihr ein Mittel geworden ist, zu einer Hähern Gabe des Heils zu gelangen, welche nicht dem äußern Sinne erkennbar ist; sondern nur dem Auge des Geistes sich öffnet.

Und wie es eine allge­

meine Erfahrung aller Gläubigen ist, daß, wenn sie Gott etwas darreichen und weihen wollen, sie immer Größeres von ihm zu­ rückempfangen, so wird sich das uns am klarsten zeigen bei from­ men Dankgebeten, die zu ihm hinaufsteigen und uns den seligen Frieden von ihm herabbringen, in welchem wir ihm nicht mehr Einzelnes übergeben und anheim stellen,

sondern das ganze Le­

ben und uns selbst ihm freudig weihen, da wir erkennen: unser Dank war der Weg, auf welchem uns gezeigt ist das Heil GottrS. So ist es aber auch in dem besondern Falle, in welchem wir uns heut befinden.

Denn heut am Ende einer angstvollen

uns vielfach bedrängenden Zeit hat der Herr uns gestellt auf ei­ nen Berg der Verklärung, wo seine Gnade in höherem Glanze unö umleuchtet und wir schauen zurück auf eine Wüste des Le­ bens, durch welche er uns geführt hat, auf öde Fluren, welch» wir durchwanderten.

Erkennen wir aber hier freudig an, wie er

395 uns erquickt hat, wenn wir im Elende schmachteten; wie er uns Führer gewesen ist aus dem sonst spurlosen Wege; wie er uns, höher und herrlicher noch als sein Volk, das er durch Meer und Einöden führte mit starker Hand, gespeiset hat mit HimmelSbr odt, welches uns Kraft gab, zu wandeln bis zu diesem Ziel; erkennen wir seinen allmächtigen Schutz, seine Hülfe, seine Ret­ tungen,

seine

Tröstungen; ist unsre Herzensangst geschwundeu

und wir liegen nun dankbar zu seinen Füßen: dann zeigt er uns auch noch größeres Heil als diese Rettungen und Tröstungen, dann weist er uns hin in

ein Land höheren Würkens, wo wir

in seinem Reiche wandelnd thätig sind in der Liebe und überall seine Altäre ausbauen welche

mit

in unsern Herzen und den Herzen derer,

uns wandeln,

himmlische Jerusalem,

bis der Weg zuletzt ausgeht in das

wohin er alle sammelt, die seine Kinder

geworden sind durch den Glauben an Jesum Christum. Aber zeigt er uns nur sein Heil auf diesem Wege des Dankes, der ihn preiset? sollen wir nur hineinschauen in dieses gelobte Land und es nicht besitzen?

O nein, m. G., wenn wir

heul nicht kalt und undankbar vor unserm Gott stehen: dann empfangen wir auch die Gnade des Herrn, dann durch des Dankes Empfindung fest an ihn gekettet, bleiben wir auch die Seinen.

Und ob wir schon von diesem Berge der Verklärung

wieder herabsteigen und wieder kämpfen müssen mit dem Unglau­ ben und der Sünde der Welt: wir behalten in uns den Abglanz göttlicher Herrlichkeit, das Bewusstsein der steten Gemeinschaft mit Gott und in dieser zieht uns das ganze Leben immer näher zu ihm und all unser Thun geschieht nur in seinem Dienst bis er durch Ströme und Wüsten, durch reiche Fluren und blühende Wohnplätze uns leitet zu seinem himmlischen Reiche. —

So

wird durch den rechten Dank an uns des Apostels Wort wahr werden: „alle Züchtigung, wenn sie da ist, dünkt sie unS nicht Freude sondern Traurigkeit zu sein, aber darnach wird sie geben eine friedsamr Frucht der Gerechtigkeit denen, dir dadurch geübt Cc 2

39t. sind". *; Diese schöne heilige Frucht, die Frömmigkeit «nsers HrrzenS vor Gott, der stille Gottesfriede, der in uns alle Ang und Traurigkeit oertilgt, das freudige Würken und Arbeitm für ihn bis ans Ende, sie soll uns erwachsen nach der Trübsal aus unserm Danke, so wird des Festes Feier uns nicht allein gelei» tet haben zum Heile Gottes, sondern auch in demselben uns erhalten. So danket denn, ihr Traurigen und Schwerbetrübten, dem Herrn, daß ihr durch ihn getröstet wieder aufrichten möget die lässigen Hände und die müden Kniee und sein Friede euch er­ hebe über den Schmerz der Gegenwart und der Zukunft; so danket dem Herrn, ihr menschenfreundlichen Herzen, daß euch Kraft gegeben wurde Gutes zu thun und Liebe zu üben in der bösen Zeit, daß aus dem Danke euch erwachse immer erneute Liebe und treueres Wandeln vor euerm Heilande; so danket ihm, ihr still und fromm ergebenen Seelen, die ihr nicht gezittert, sondem euch nur still gebeugt habt unter Gottes gewaltige Hand, daß immer fester sich knüpfe die Gemeinschaft mit ihm, immer mehr in euch sich kräftige die Heiligung, welche Christi Geist in euch würket. Danke dem Herrn, o theure Christengemeine, dan­ ket ihm alle, ihr Einwohner dieser Stadt, daß ihr in Demuth und Gehorsam, in rechtem Glauben und rechter Liebe wandeln und im Besitz des Heiles Gottes preisen möget für Alles was der Ba1er unsers Herrn Jesu Christi euch sendet, bis Loben und Danken auf Erden ein Ende nimmt und wir nicht mehr das niedre Thal durchwandeln im Glauben, sondern das verklärte Auge in jedem Dunkel des Lebens die Liebe des Ewigen schaut und wir ihn erkennen von Angesicht zu Angesicht und mit höheren Zungen seine großen Thaten und seine ewige Liebe rühmen und preisen werden in alle Ewigkeit. Amen. > Hebe. 12, 4.