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German Pages 505 [512] Year 1860
Praktische Theologie
Dr. Carl
Immanuel Nitzsch.
Erster Band. Einleitung und erstes Such. Allgemeine Theorie des kirchlichen Lebens.
Zweite, dnrchgeseheue Auflage.
Bonn, bei Adolph Marons.
1859.
inner GvnngetiMen PnstornlconferenL
vom 14. April 1847
dankbar gewidmet.
Vorrede zur er ft en Auflage.
Denen, welche seit manchem Jahr die Herausgabe meiner praktischen Theologie am dringendsten verlangten, vermag ich mit Veröffentlichung dieses ersten Theils Wohl noch kein unmittelbares Genüge zu thun; denn sie erwarte ten wohl am meisten eine noch entwickeltere Homiletik, Ka techetik, Liturgik, als ihnen meine Vorlesung gewährt. Hier aber erscheint fürs erste eine ideelle und historische Begrün dung der Theorie aller einzelnen kirchlichen Amtsthätigkeiten, also etwas, welches unter dem Titel praktischer Theologie fast gar nicht oder nur als Bestandtheil der Einleitung er wartet wurde, und auch in der Vorlesung früherhin nur im geringsten Umfange vorzukommen pflegte. Mögen indessen die Freunde meiner Arbeiten vertrauen, daß ich ihnen mit so ausführlicher Vorbereitung der einzelnen Theorieen nichts Ueberflüssiges biete. Ich wenigstens habe mich je länger je mehr überzeugt, daß das Leben der Zweige getrennt von diesem Stamme und dieser Wurzel zumal in unserer Zeit nicht recht gepflegt werden könne. Es wurde mir nach und nach zu einem nnabweislichen Erforderniß, bevor ich die Kunstlehren entwickelte, nrbildliche und geschicht liche Begriffe vom kirchlichen Leben im Ganzen aufzustellen. Doch was die Einleitung bei Gelegenheit der methodischen Frage in dieser Hinsicht ausgeführt, darf ich nicht wiederholen wollen.
VI
Vorrede zur ersten Auflage.
Einen gewissen Bemf, ein so schwieriges Werk zu unternehmen, als die praktische Theologie für unsere kirch liche Zeit ist, sprechen mir eigenthümliche Lebensführungen, Erfahrung und langjährige Studien zu. Ich trat sehr früh in das geistliche, fast gleichzeitig in das akademische Lehramt ein; mich leitete die Hand eines im Kirchenregiment viel erfahrenen und tiefdenkenden Mannes, meines Vaters, Carl Ludwig. Meine ersten Amtsjahre sielen in einen Zeitraum, 1812. 1813, der einem Seelsorger großen Reichthum an Erfahmngen und Erprobungen bot. Ein Iahrzehend hindurch habe ich als Diakon und dann als Superintendent unter lu therischer sächsischer Kirchenverfassung mein Amt verwaltet. Innerhalb dieses Zeitraums, 1816 — 20, wurde mir der unschätzbare Segen zu Theil, eine Prosessnr an dem so eben gestifteten Prediger-Scminarium zu Wittenberg bekleiden zu dürfen. Theils hatte ich die Aufgabe, Demosthenische und Chrysostomische Rede zu analysiren, theils eine Vorlesung über die Geschichte des kirchlichen Leb cns zu halten. Letztere nöthigte mich mehrere Jahre ganz auf das Studium der Quellen zu verwenden, und mir nament lich die Anschauungen von der Entstehung katholischer Formen und deren gesteigerter Entwickelung, und vom vielgestaltigen Kampfe zwischen Gesetzlichkeit und Evangelismus zu erwer ben, welche der gegenwärtigen Ausführung (vornehmlich §§. 29. 30. 58.) zum Grunde liegen. Darauf, 1822, in ein ganz anderes, überwiegend vom reformirten Principe getra genes Gebiet, in die Evangelische Kirche des Rheinlandcs, versetzt, nahm ich nach mit) nach au allen Arten des Lehr amtes und auf allen Stufen am dortigen Kirchenregimente,
Vorrede zur ersten Auflage.
vn
Presbyterium, Universitätspredigtamt und Pfarr-Bicariat, Kreissynode, Provinzialsynode und (Konsistorium, mitwirkend Theil, und hatte demnach reiche Gelegenheit, die Eigenthüm lichkeit des reformirtcn Kirchenwesens mit der lutherischen im Leben und Erfahren zu vergleichen und die dort entwe der ungebahnte oder ausgcführte Union von einem Moment zum andem zu begleiten. So wie ich mit Dr. Sack einer durch Statut unirtcn Facultät zugehörte, habe ich auch üt Gemeinschaft mit ihm den liturgischen Bestand der von An fang her unirten Gemeine begründet. Die wichtigsten Syn odalfragen betrafen zwei Decennien lang die Agende und die Verfassung. An beiden habe ich als Referent der Pro vinzialsynode und als Schriftsteller mich vielfach betheiligt. Durch jene veranlaßt hatte ich die Liturgik im Jahr 1828 zur Hälfte bereits für dm Druck ausgearbeitet, als eilt plötzlicher Antrieb mich nöthigte, das „System der christli chen Lehre" zu entwerfen; ohne daß ich die Muße gewinnen konnte, die angcfangene liturgische Arbeit zu vollenden, fuhr ich doch fort, sowohl als Theilnehmer an der Herausgabe der Theologischen Studien und Kritiken, später der Mo natsschrift für die Evangelische Kirche von Rheinland und Westphalen, wie als Docent die praktische. Theologie zu bearbeiten. Den Beweis dafür, daß ich mit den Mitarbeitem au der Sache unter den Zeitgenossen gern in Gemein schaft trat, glaube ich durch mein Programm von 1831: Observationes ad theologiam praclicam felicius excolendam, bereits gegeben zu haben; der Verlauf meines
wissenschaftlichen und amtlichen Lebens ließ indessen wohl nicht erwarten, daß die trefflichen Leistungen von Köster,
Hüffell, Harms und Marheineke mich der Mühe eines selbst ständigen Verfahrens überheben würden. Die Gründe dessel ben sind überdieß in der Einleitung unter den Puncten: Geschichte, Methode und Eintheilung, ausführlich entwickelt worden. Möglichst vielen Fleiß habe ich auf die Geschichte dieser Wissenschaft in ihrer lebendigen Verbindung mit der Geschichte des kirchlichen, amtlichen Geistes verwandt; um vollständige litterarische Notizen war es mir nicht zu thun. So viele gute Beiträge für die Geschichte der einzelnen praktischen Wissenschaften auch vorhanden sind, so fehlte doch im Grunde sogar noch die erste Anbahnung einer Universal geschichte praktischer Theologie. Mehr als eine solche Anbah nung wollte und konnte ich ans diese Veranlassung nicht leisten. Was das System anlangt, so glaube ich durch Unter scheidung des urbildlicheu, geschichtlichen und künstlerischen Begriffs, durch Kenntlichmachung der auf einander folgenden, einander ausschließenden tlnd ergänzenden Gestaltungen des kirchlichen Lebens, durch Charakteristik der Einheit und der Unterschiede des Evangelismus, und der in der Union auf zuhebenden Gegensätze, künftig aber durch eine so noch nicht einmal angestrebte theoretische Bearbeitung der Kirchenord nung , endlich dadurch förderlich zu werden, daß ich einen größer» Reichthum von concreten Bestimmungen und Ver hältnissen verarbeite, als von Seiten meiner Vorgänger ge schehen ist, welche oft zu sehr auf den Umfang einer einzelnen deutschen Landeskirche oder auf das Lutherische in Deutsch land sich beschränkten. Schleiermacher hat die Theorie des Kirchenregiments mit der praktischen Theologie orga-
»lisch vereinigt. Davon bin ich ausgegangen, schreite aber nun weiter bis dahin fort, daß ich den wesentlichen Stoff des positiven Kirchenrechts, soweit er sich durch dm theologi schen Begriff erklären und fortbilden läßt, mit aufnehme. Ich habe zu diesem Verfahren, sowie zur ganzen An bahnung der Erneuung des Evangelischen Kirchenthums, es sei in Wissmschaft oder im Leben, wie gering, gefahrvoll und angefochten auch noch diese Dinge erscheinen mögen, die freudigste Zuversicht. Das wird sie mir eher mehren als verkümmern, daß wir, die wir also gesinnt sind, den Progressiven auf halbem Wege stillstehend, den Conservativen wie Neuerer erscheinen. Beide Vorwürfe vereinigt bilden den Vorwurf der äußersten Nichtigkeit und Verkehrtheit, und diesen werden wir ohne Antwort aushalten. Besteht aber unsere Halbheit eben in der Ganzheit, die in der geschicht lichen Gesinnung liegt, welche wie die Geschichte selbst eine Regel nur anflöst, um eine höhere zu vollziehen, und im Ordnen des Kirchliche»: beide Factoren, das Persönliche und das Gemeinsame, beständig im Auge behält, so mögen die Idealisten uns in ihren Werken darthun, daß sic z»t erhal te»» und zr» bauen, die Realisten, daß sie, wozu sie sich doch laut bekennen, fortzuschreiten vermögen, u»»d damit werden sie uns beide besser als dlrrch leidenschaftliche Schreibereien beschämen, werden uns überführen und gänzlich gewinnen, darüber auch unter einander sich verständige»» ur»d wird Ein Friede sein. Bis dahin halten wir an unserem Wege. Berlin, den 12. Mai 1847. Der Verfasser.
Nachschrift bei zweiter Auflage. Berlin, 12. Octobcr 1859.
Während ich der Ausarbeitung der praktischen Theolo gie in Hinsicht der Schluß - Abtheilung noch obliege, ist es Erforderniß geworden, den ersten Band derselben: All gemeine Theor ie des kirchlichen Lebens wieder aufzulegen. Ich darf hierin einen Beweis dafür erkennen, daß der von mir dem Werke in Bezug auf Umfang und Begrenzung der vorausgesetzten evangelischen Bekenntniß-Ein heit gegebene und §. 10. bezeichnete Standpunct die Theil nahme , die von Seiten des theologischen Publicums ihm werden konnte, nicht bedeutend gehindert hat. Die Erwei terung des Blickes auf das große kirchliche Ganze und die Beschränkung desselben auf das protestantische, namentlich das deutsche, hat offenbar nicht geschadet. Es ist tröstlich, daß mindestens innerhalb der Theologie und der Litteratur, zumal der deutschen, die Gemeinschaft der Kirchen-Parteien unver wehrt besteht. An und für sich bedarf jede Partei, wenn sie nicht ihre eigenen Gründe verläugnen soll, daß ihr eilt evangelisches Urbild, und zwar das zeitige, zur Verwirklichung vorgehalten werde, cs gelte das wissenschaftliche Bewußtsein oder die Thätigkeiten des kirchlichen Lebens. Die feurigsten und kunstreichsten Vertreter der Prärogative des Sonderbekenntnisses sprechen sich heut zu Tage dahin aus, Nicht daß wir schon vollkommen wären, nicht daß wir das eine und andere nicht von der Schwester-Partei zu ler-
nett hätten, wir wollen es aber in unserer Art und aus unseren eigenthünllichen Bildungsprincipien hervorbringen und Erstreben. Wohlan, geschieht dieses so, daß der sonderliche Grundsatz, z. B. der lutherische, nicht dennoch wieder aus den fehlerhaften Neigungen einzelner Zeitalter der lutherischm Kirche geschöpft, daß nicht, was todt ist, zum Scheinleben erweckt, daß die Geschichte in ihrer Ganzheit zu Rathe ge zogen, die Mannigfaltigkeit im lutherischen Elemente selbst anerkannt und nicht die evangelische Freiheit bcnt Regressus auf katholisches geopfert wird, so, daß gemeinsamen reforma torischen Gedanken Raum bleibt, namentlich die großen un verwirklichten Ansprüche Luthers an die Zukunft nicht von Haus aus abgewiesen und verleugnet werden, so wird jeder Freund evangelischer Union Mitfreude daran haben und Glück wünschen können. Mit Uebertreibung und mit Ungerechtig keit sinnt mir ein Beurtheiler meines VortragS über Lavater in der Rudelbachschen Zeitschrift blindes Borurtheil gegen Fortschritte und Entwickelung auf dem Gebiete des Lutherthums an. Schon was ich im vorliegenden Werke über den jetzigen Zeitpunct und die Unterschiede der kirchlichen Lebensbildung gesagt habe, nmß mich gegen eine solche Anklage schützen, als ob ich ungeprüft das Lutherische von wahrer Entwickelung verachten und das Gute nicht behalten wollte. Was mich von den Gegnern scheidet, ist nur dieß, daß ich einmal keine Entwickelung, sondern nur Verirrung und Verwirrung in den Versuchen zu fluden vermag, welche Luthern zu Ehren ihn in das Unlutherische, das hin ter ihm liegt, corrigiren, wie es in Hinsicht des Kirchenund Amtsbegriffs so reichlich geschehen ist, etwa auch die in
xn
Nachschrift bei zweiter Auflage.
Luthers Lehre vorliegende Bestimmung des Verhältnisses zwi schen Sacrament und Heilsordnung gänzlich entstellen, wäh rend ich in neueren Schriften zur Erklärung der Concordien formel nlancherlei Fördernisse der Dogmatik spüre. Oder nur das behaupte ich, daß die ganz entschiedenen Fortbildungen und Erneuungen deutscher Theologie, selbst daun wenn nam hafte Anhänger des Sonderbekenntnisses die Träger dersel ben sind, oder wenn die Facultüten und Landeskirchen, voll denen sie ausgehen, sich lutherisch neunen, ein sonderconfessionales Angesicht gar nicht an sich tragen, vielmehr zu Leben und Erfolg mittels der evangelischen Einheit der deutschen Theologie gelangt sind. Darüber, daß die von demRationalismus, überhaupt dem einseitigen Jntellectualismus sich ab wendende Theologie des 19; Jahrhunderts, von der wir Alle herkonnncn, fürs erste nicht den Sonderweg eingeschlagen, ist man fast eirwerstanden. Man vergegenwärtige sich alle die Namen, welche seit der Neustiftung von Heidelberg, seit der Stiftung von Berlin, Breslau, Bonn anbahnerrd gewirkt haben, es sind reformirte nnd sind lutherische Theologen, die einander Schüler werden. Ehe die Union als Vollziehung der Kirchengemeinschaft um das Jahr 1817 in größeren und kleinererr Landeskirchen zu Staude kam, bestand sie schon als theologische in viel größerem Umfange, und der ausschließ liche Confessionalismus hat in keinem Gebiete des theolo gischen Studiums den neuen Aufschwung wesentlich gehin dert oder gefördert. Die Wirkung der Principienlehre Schleier machers hat mit der Confession nichts zu schaffen; Neander hat der Kirchenhistorie ihre Neuheit gegeben, nicht Guericke. Wir haben uns zu der Zeit mit neuer Freudigkeit in die
Nachschrift bei zweiter Auflage.
XIII
reformatorischen Bekenntnisse vertieft, und sowohl der Aus
gangspunct dafür, als die Frucht davon ist bei weitem über die Stärkung
wiegend
lischen
Einheit
der drei Principien der evange
gewesen, in
welchen schon des Augs
burgischen Bekenntnisses W es en — s. Vorrede zum Urkun denbuche der Ev. Union —enthalten war. lutherische Gegensatz ist zwar erkannt,
Der calvinisch-
ja auch theologisch
verhandelt worden, allein nicht mehr wie ein Verhältniß von
wahr und falsch, sondem wie Gegensatz, oder auch wie wahr und falsch in dem Dissensus, unbeschadet des viel stärkern
evangelischen Consensus.
Hatte doch
von jeher theologische
sehr stößige Spaltung innerhalb eines jeden Sonderbekennt
nisses stattgefunden, ohne bis zur Zerreißung des confessio-
nellen Bandes zu wirken.
Die absolute Ubiquität und die
relative Annahme und Nicht-Armahme der Concordienformel, Annahme und sensus.
Ablehnung der Formel schweizerischen Con
Die Gemeinschaft der pfälzischen Reformation mit
melanchthonschem Lutherthum mußte daran mahnen, daß das
Bekenntniß
habe,
auf
Seiten der Theologie eine Geschichte
und daß deren verschiedene Richtung um so weniger
die religiöse Gemeine afftcire,
je mehr diese zu sittlichem
Leben komme. Erst derjenigen confessionellen Leidenschaft, die theils an incorrecter Methode der Unionsbestrebung oder an
der Ausbeutung der Union für den Rationalismus sich ent
zündete, ist es Vorbehalten gewesm, um desto trennender auf schon bestehende Einheiten protestantischer Kirchengemeinschast zu wirkm, über den Lehrgegensatz der beiden Bekenntnisse bis
dahin irre zu reden, daß die Eigenthümlichkeit des reformirten in Spiritualismus, Subjectivismus, vornehmlich
in ant im y ster i sch eni Christenthum bestehen soll. Der gleichen Urtheile sind verspätete. Jetzt ist die Kenntniß von den Thatsachen und die Einsicht in die Quellen so weit vor bereitet , daß man wohl weiß, das sei ein Verdienst der ganzen Reformation, starken Protest wider dieGeisterei, die sich gleichzeitig regte, und mit Erfolg eingelegt zu haben. Man darf hinzufiigcn, die schweizerische Reformation hat frither und mit größerer Energie gegen jenes Uebel gekämpft. Die Ergreifung solcher Stichworte ist gefährlich. Sie sind im vorliegenden Fall ohngefähr ebenso gültig, wie wenn ehedem Dr. Krause iu Königsberg in der Lehre der Con cordienformel über die Gnaden-Wahl Rationalismus fand. Ein rechter Spiritualismus wird schon die geschicht liche gottmenschlichc Wirksamkeit des Erlösers durch eine selbst ständige Wirksamkeit des h. Geistes zurückdrängen, und das Verbum externum ebenso wie die Sacramente überhaupt beeinträchtigen, oder doch die Sacramente nur ein verbum visibile, endlich nur gesellschaftlichen Ritus bleiben lassen. Derselbe kann nicht die Auferstehung des Leibes, nicht ein mal die leibliche Auferstehung und Himmelfahrt des Herm unbezweifelt, viel weniger die räumliche Einschränkung des Christus, der zur Rechten Gottes sitzt, gelten lassen. Wel ches von jenen Momenten des Spiritualismus hat wohl Calvins Lehre reälisirt? Es würde nicht eben schwer hal ten , den ganzen Vorwurf aus die Ankläger zu retorquiren. Denn vor der Hand und aufs erste kommt es doch darauf an, daß das Wesen des sich verallgegenwärtigenden Leibes Christi an sich nicht durch ubiquetische Vergöttlichung vernichtigt werde, und wenn die reformirte Einschränkung des himmli-
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Nachschrift bei zweiter Auslage. schm Christus in den Himmel, wie Dr. Weiße sagt,
den
zu viel thut,
geschichtlichen menschlichen Christus zu retten
so ist, wie derselbe Gelehrte behauptet, die lutherische Ein seitigkeit
nur
in Gefahr,
einen idealen Christus übrig zu
lassen.
Mit dem Vorwurf des Subjectivismus ist es nicht
besser.
Den Schluß, du kannst Christum nur durch den
Glauben genießen, also macht dein Glaube das Sacrament, kann
nur
eine
ebmso wie:
wildgewordene
Logik machen.
wäre
Es
Nur durch den Glauben wirst du gerecht ge
schätzt, also wirkt dein Glaube die Gerechtigkeit. virt sich aber das Object gar nicht,
Subjecti-
was Christi ist oder
Christus ist, gar nicht durch den h. Geist, so nützt es mir
nicht, oder ich kann nicht verstehen,
wie der Empfang als
solcher mir nützm oder schaden soll. Doch ist hier kein Raum, weiter auszuführen,
wie beide Sacranientslehren in
dem,
wo sie über die einfache Mystik des Apostels 1 Cor. 10, 16 hinausgehen,
einseitig
werdm,
wie jedoch beide trotz deni
Dissens einen Consensus behaupten, der für die Genieinschaft der Sacramentsfeier ausrcicht.
Was die lutherische Confes-
sion von der Nießmig der Ungläubigen außerdem,
sich zum Gericht essen,
sagt, ist in ihrer
daß sie
eigenen Mitte
noch niemals weder klar und erbaulich vorgetragen, noch ein
erklärt wordm,
hellig
worden.
nachdem Erklärungsversuche gemacht
Es bleibt bloße Folge-Ziehung.
Ich habe dieser meiner Ueberzeugung nach nichts von
dem zurückzunehmen, was im letzten Hauptstück über die evan gelische
und
Einheit und Bereinigung
diese Ausfühmng
nicht abhalten
oder jene
ausgeführt
worden ist;
Ueberzmgung hat
mich
können, bei den besonderen Abhandlungen
XVI
Nachschrift bei zweiter Auflage.
(Band II. u. III.) über kirchliche Rede, den Unterricht, die Feier, die Seelsorge, den zweifachen confessionellen Be stand, soweit er wirklich und rechtlich ein geschichtlich zwie facher ist und bleibt, ins Auge zu fassen, und jedem nach Vermögen gerecht und nutzbar zu werdeu; so gewiß es mir auch bleibt, im Ganzen kann, was die deutsche Kirche be trifft, auch nur ein mrverwandter Blick auf das gemein evangelische uns in Theorie und Praxis fördem. Ich mag auf irgend welchem Puncte des kirchlichen Lebens mir denken, daß eine noch iu sich abgeschlossene Gemeinschaft lu therischen oder reformirten Bekenntnisses in Allem Ernst ihrer Mängel und Erkenntnisse sich entledigen, und doch so viel wie möglich sie selber bleiben wollte, immer wird sie, im Blick auf Geschichte, auf Gegenwart und auf apostolisches Urbild, keine anderen Erfolge als solche erlangen, welche mit ten in der Confession etwas von Union vollziehen. Bald ist es diese bald jene Aneignung des andern, bald eine Be reicherung durch Zulassung des bisher ausgeschlossenen, wodurch mindestens veranlassungsweise ein Fortschritt in Verfassung, in Liturgie, im Gesänge, in der Beichte oder Disciplin für beide Seiten erzielt wird. Dennoch müßte ich, wenn schon dergleichen Fortschreiten tut evangelischen Kirchenthum vor der Hand nicht weiter in Aussicht stände, auf meinem Wege ver harren, um denen theologische Pflicht zu halten, welche zeither anerkannt und bewußtvoll auf den Gmnd der evange lischen Einheit gebaut habe». Mich, ich bekenne es von Neuem, erhebt mtd tröstet der Hinblick auf die westliche Preußische Landeskirche, auf die Badische, auf die Pfälzische; sie stehen in einem alten unb neuen Rechte werdender evan-
xvn
Nachschrift bei zweiter Auflage.
gelischer Vereinigung und haben das Zeugniß eines einsichts vollen und segeusreicheil Gebrauchs desselben für sich.
Daß
sie gleicherweise von der Linken wie von der Rechten angefeiydet und unterbrochen, oder verlassen und verrathen Wochen, be
Nicht weniger erhebt
stätigt ihre Sache in nuiiieit Augen.
niich die über »iciite Tage hinausgehende evangelische Zukunft,
wo kein irrendes confessionelles Interesse dem jetzigen Verlaufe mehr in den Weg treten wich, ein Verlauf, der auf evangelische
kirchliche Liederbücher wahrhaft berechtigter Auswahl mrd Re daction, auf UeberwindlMg des Mistigen Geschmackes für Mo-
dernes und Altes, auf organisirte
und reiche Entwickelung
der liturgischen biblischen Vorlesung,
auf eine Verfassuug
der Gemeine und der Gemeinde-Verbände, welche nicht mehr durch jede Staatsveränderung miterschüttert werden kqnv, auf
ächt evangelische Disciplin, eine solche, wie sie alle Refor-
matoren gedacht haben, und ditf eine endliche Erfüllung der im 16. Jahrhundert schon angeregten Erfordernisse in so
vielen Angelegmheiten hingeht.
Gewiß entnehmen wir aus
der Geschichte, daß nur eine Epoche der Noth und der Kmft eine solche Emeuung
aus dem Ganzen erwirken kann, aber
das geschichtliche Gesetz der Epochen und Perioden ist die Vorbereitmlg der einen durch die andern. Daß
gerade in unserm Tagen sich der evangelischen
liturgischen Entwicklung der Grundsatz: kenntniß
muß
das lutherische Be-
im Cultus, zumal im Abendmahls-Ritus
mehr als jemals voll ausgeprägt werdm — entgegentritt, daß die schon lange mit Schuld belastete Rede,
wir haben
keine Leute dazu, wie gut es auch wäre und Noth, Collegien von Aeltesten zu besitzen, N t tz s ch . prakt. Theologie.
oder gar die unverständige und
I. Bd. 2te Aufl.
*
XVIII
Nachschrift bei zweiter Auflage.
unchristliche Warnung vor Demokratie einer überall sich auf dringenden Erstrebung geordneter Aeußerungsrechte den Er. folg abzuschneiden droht; daß der Pastoralismus von neuem
die Amtsordnung in die Heilsordnung hinüber
zu spielen
wagen darf, daß der Begriff der reinen Lehre gar nicht mehr in dem
mächtigen
Sinn der Reformation,
sondern
nach
Maßgabe eines ewigen Bekenntnißabschlusses gehandhabt wer
den will, und daß die damit umgehen,
Confessio« fortzubilden und zu ergänzen,
im Vorgeben,
die
ihr ins Angesicht
schlagen und den articulus principalis wo möglich vom Throne zu stoßen versuchen — dergleichen Erscheinungen kündigen
allerdings nichts als Verfall und Verderben an.
Doch ver
trauen wir, der Aufenthalt, den sie verschulden, wird dadurch, daß die Besonnenen sich desto mehr besinnen und ermannen,
und alle fromme evangelische Herzen sich solcher neuernden
Lust am Alten mehr und mehr verschließen, zu Gewinn und
Förderung gereichen. Dazu
nicht enffchließen können,
habe ich mich
Haupteintheilung des Werkes
fen;
auch nicht
Vorrede
eines
zu verändem oder umzuwer
auf die Rüge derselbm,
welche in der
schätzbaren Lehrbuchs für Prakt. Theol. von
Professor Dr. Moll in
Dieser
die
Theolog nimmt
Halle
sich
ausgesprochen findet.
den Titel der Ausführungen
ersten Bandes: Allgemeine
Theorie
des
des kirchli
chen Lebens, in Anspruch. Darin stimmt mir, nicht allein
vermuthlich,
sondem mit der
That Herr Dr. Moll bei,
daß wenn die im" vorigen Zeitalter dieser Wissenschaft mehr oder minder
in
Einzelheiten
auseinanderfallende
praktische
Theologie organisirt werden soll, von der Einheit des kirch-
lichen Lebens Ausgang zu nehmen ist. Wenn er nun diese gmndlegende Betrachtung Physiologie zu nennen für gut achtet, so kann ich freilich dem mich gar nicht anschließen. Mit der Physis hat das kirchliche Leben am allerwenigsten zu schaffen, wenn auch mit dem Ethos sehr viel. Vielleicht wäre der Name Phänomenologie zulässiger. Was mich betrifft, so habe ich in der Einleitung eine dreifache Be handlungsart unterschieden, die empirische (z. B. Deyling), die technische (Schleiermacher) und die begriffliche (Marheineke). Da ich die nur verhältnißmäßige Berechtigung einer jeden erkannte, gedachte ich eine Zeitlang, diese drei Me thoden in einer trilogischen vereinigt dadurch zu verwirklichen, daß der ideelle, der geschichtliche und der künstleri sche Begriff vom kirchlichen Leben entwickelt würde. Ge wissermaßen ist dasselbe von mir geschehen. Denn meine zweite Haupt-Ausfühmng bezeichnet sich als die Darstellung des jetzigen Zeitpunctes, welcher freilich nur durch Erkenntniß der principiellen Unterschiede des kirchlichen Ausübens erst selbst verstanden und zugleich von der ersten Abhandlung (von dem urbildlichen kirchl. Leben) kritisirt und fortgebildet werden kann. Allein die Kunstlehre, so als das dritte angesehen, oder der unmittelbar leitende Gedanke der kirchlichen Functionen als die Vollendung der Wissen schaft von der kirchlichen Praxis, hatte doch nothwendig diese und keine anderen Voraussetzungen als 1) die Idee, 2) die bisherige Verwirklichung derselben. Deshalb zog ich endlich die Dichotomie: 1. Buch. Allgemeine Theorie des kirchlichen Lebens, und 2. das kirchliche Verfahren oder die Kunstlehren vor. Daß auch die praktische Theologie theore-
XX
Nachschrift bei zweiter Auflage.
tisch fei, und daß die Praxis als Einheit und GaUzes be trachtet werden müsse, wird schwerlich zu beanstanden feilt. Nur scheint etwa der Abschnitt: der heutige Zustand und die Unterschiede am kirchlichen Leben ■— etwas geschicht liches , nicht etwas theoretisches zu feilt? dagegen bemerke ich, daß es wesentlich zur Theorie der Praxis gehört, nach Maßgabe des Urbildes der christlichen Kirche zu erkennen, was evangelisches oder gesetzliches fei, und wie katholisches oder protestantisches zu dem einen oder anderen sich verhalte. In jeder folgenden Sonder - Disciplin wiederholt sich dann Idee und kritische Geschichte, es sei der Rede, des Un terrichts oder der Kirchenördnung, in der Besondemng. Ganze Stücke umzuarbeiten habe ich bei der Durch sicht mich nicht veranlaßt gesunden. Die Berichtigungen oder Zusätze, welche statt gesunden, sind von der Erheblichkeit nicht, daß ich sie auszuweisen hätte.
v. Nitzsch.
Inhalt.
Einleitung.
I. Begriff d er praktischen Theologie.
§. 1.
Encyclopädische Bestimmung. S. 1. — §. 2. Der Gegenstand. S. 12.
— §. 3. Das Subject der kirchlichen Thätigkeit. S. 14. — §. 4. Der
natürliche Klerus. S. 16. — §. 5. Der positive Klerus. Das Amt. S. 18. — §. 6. Die Einheit der Aemter. S. 20. — §. 7. Amtliche Befähi gung , geistliche und wissenschaftliche. S. 25. — §. 8. Nothwendigkeit
und Selbstständigkeit der praktischen Theologie. S. 28. — §. 9. Die
Aufgabe. S. 30. — §. 10. Der bekenntnißmäßige und der volksthümliche Standpunct. S. 32. Geschichte der praktischen Theologie.
II.
1. Substan
zielle Erscheinung oder biblische Begründung.
Im A. und N. Testament. S. 37. nungen.
§.11.
2. Elementarische Erschei
§. 12. a. innerhalb der kirchlichen Gesetzgebung und Verord
nung. S. 41. — §. 13. b. innerhalb der bischöflichen Briefe und theo logischen Gutachten. S.44. 3. Ansätze zur Wissenschaft. — §.14.
a. nach dem GestchtSpuncte der Seelsorge und des Lehramtes. S. 46. — §. 15.
b. nach dem Gesichtspuncte des Spenders der Sacramente
und des Liturgen. S. 51.
durch
den
4. Herstellung der Hirtenamtslehre
evangelischen
Begriff
von Amt
und Kirche
und Ausbildung einer vollständigen P astor al th eol og i e. §. 16. Erneuerung des Wissens vom Wesen des Amtes. S. 56. — §. 17. Die elementarische Pastoraltheologie. S. 71. — §. 18. Systematisirte Pastoral. S. 75. — §. 19. Theilnahme der katholischen Theo
logie an dieser Entwickelung. S. 87.
5. Organisirung der prak-
XXII
Inhalt.
tischcn Theologie durch die Begriffe" der Theologie und der Kirche.
§. 20. Innerhalb der theologischen Encyclopädie. Schleier
macher und die folgenden. S. 96. — §. 21. Andere fortschreitende Ver suche, die Organisation zu vervollkommnen. S. 106. — §. 22.
Erstes
Beispiel eines methodisch ausgeführten Systems. Marheineke. S. 113.
III. logie.
Methode und Eintheilung der praktischen Theo
§. 23. Verhältnißmäßiger Unterschied. S. 117. — §. 24. Die
empirische Methode. S. 119. — §. 25. Die Methode des Begriffs, oder die logische. S. 120. — §.26. Die technische Methode. S. 121. — §.27.
Die Eintheilung. S. 122.
Erstes Buch. Das
kirchliche
Leben.
Erster Abschnitt.
Die Idee des kirchlichen Lebens oder der urbildliche Begriff. Erstes Hauptstück.
Die Begründung der Gemeine.
§. 28.
Religion und religiöse Gemeinschaft. S. 130. — §. 29. Christenthum und Kirche. S. 136. — §. 30. Die Grundbestandtheile des kirchlichen Lebens. S. 153. — §.31. Das gesellige Element. S. 166. — §. 32.
Die formlose Gemeinschaft und
die gestaltete Gemeine. S. 171.
—
§. 33. Die Gemeine und das Amt. S. 174. — §. 34. Die Einzelge
meine und der kirchliche Verband. S. 175. — §. 35. Der Kanon und die Gemeinde-Gewalt. S. 180. — §.36. Die Gemeine in der Gemeine.
S. 184. — §. 37. Separation und Union. S. 188. — §. 38. Tradi
tion und Reformation. S. 191. Zweites H au ptstück.
Die Thätigkeiten,
kirchliche Leben besteht.
aus welchen das
§. 39. Die Einheit. S. 194.
— §. 40.
Der Unterschied. S. 198. — §.41. Die Lehre. S. 203. — §. 42. Die
Feier. S. 208.
— §. 43. Eigenthümliche Seelenpflege. S. 215. —
§. 44. Die Zucht. S. 221. —
§. 45. Die Haushaltung. S. 233. —
§. 46. Die Regierung. S. 239. Drittes Haup tstück.
D as Verhältniß der christlichen Ge
meine zu den anderen Arten von menschlicher Gemein schaft, welche im Natur- und Culturleben g egründet sind.
xxm
Inhalt. 47. Grund des Verhältnisses;
Möglichkeit eines gegenseitigen Verhal
tens. S.» 253. — §. 48. Allgemeine Bestimmungen. S. 260.
Verhältniß zum Staate. S. 264. —
— §. 49.
§. 50. Verhältniß zu anderen Re
ligionsgemeinschaften. S. 272. — §. 51. Verhältniß zur Familie. S. 276.
— §. 52. Verhältniß zur Wissenschaft, deren Werkstätten und Organen.
S. 286.
—
§. 53. Der Widerstreit zwischen Kirche und Wissenschaft.
S. 293.
—
§. 54. Die Lösung desselben. S. 297. — §. 55. Verhält
niß zur Kunst. S. 303. — §. 56. Verhältniß zu den sogenannten mate
riellen Interessen; zur Arbeit, zu Spiel und Lustbarkeit. S. 328.
Zweiter Abschnitt. Das evangelische kirchliche Leben, und der jetzige Zeitpunct. Erstes Hauptstück.
Die Grundsätze des evangelischen kirch
lichen Lebens. §. 57. Einheit und Selbigkeit des christlichen Kirchen
wesens. S. 336. —
§. 58. Verschiedene Arten des christlichen Kirchen-
thums. Hauptunterschied: gesetzliches und evangelisches. S. 339. — §. 59.
Die protestantisch - katholischen Principien des evangelischen Kirchenthums. S. 365.
I. Die Protest antisch en Grundsätze der
Kirche.
§. 60. Protest gegen Hierarchie. S. 368.
evangelischen —
§. 61. Protest
wider die Paradose. S. 369. — §. 62. — §. 66. Protest gegen Hierur-
gie. S. 370. — §. 67. Protest gegen den Monachismus. S. 373. II.
Die katholischen Grundsätze der evangelischen
Kirche.
§. 68. Behauptung einer Einigen, allgemeinen christlichen Kirche,
welche seit den Aposteln allezeit war und sein wird. S. 375. — §. 69.
Die Behauptung einer aus
dem Grunde der h. Schrift stattfindenden
katholischen Entwickelung und Ueberlieferung der christlichen Lehre. S. 376.
— §. 70. Behauptung der unentbehrlichen Vermittelung der Heilslehre und der Gnade des h. Geistes durch das äußere Wort. S 377. —
§. 71.
Behauptung des dauernden und unveräußerlichen Gebrauches der
Saeramente, aber auch Zulassung der Taufe unmündiger Kinder. S. 378.
— §. 72. Behauptete Nothwendigkeit einer evangelischen Kirchen-Ordnung. S. 381.
— §. 73. Behauptete Christlichkeit und Göttlichkeit der häus
lichen und weltlichen Stände, der Ehe, Obrigkeit, Schule. S. 383.
Zweites Hauptstück.
Die bekenntnißmäßigen und die volks-
thümlichen Unterschiede des evangelischen Kirchenwesens
XXIV
Inhalt.
§. 74. Unterschiede im Allgemeinen. S. 385. — §. 75. — §. 78.
Lehrwesens. S. 409.
schied in Ansehung des
Unter
— §. 79. In Ansehung
des Cultus im Allgemeinen. S. 416. — §. 80. In Ansehung der einzel
nen Cultus-Elemente. S. 420. — §. 81. Unterschiede in Ansehung der sacramentlichen Handlungen. S. 425. —
§. 82. In Ansehung anderer
Cultus-Handlungen. S. 429. — §. 83. In Hinsicht der eigenthümlichen Seelsorge. S. 432.
— §. 84. In Ansehung der Sitte und Disciplin.
S. 432. — §. 85. In Ansehung der Haushaltung. S. 438. — §. 86. — §.87. In Ansehung deö Kirchenregimentes und der Verfassung. S. 439.
DrittesHauptstück.
sens.
Die Spuren der Verjüngung und fort evangelischen Kirchenwe
Entwickelung des
schreitenden
Nachweisung und Begründung
§. 88.
Allgemeinen. S. 446.
solcher Erscheinungen im
— §. 89. Erstes Moment. Vertiefung der Theo
logie in ihren Lebensgrund und Verinnigung der christlichen Gemeinschaft
auf diesem Grunde. S. 451. — §. 90. Zweites Moment.
christlicher Erkenntniß und evangelischen Gemeindelebens', des seelsorgerischen Amtes. Aeußere nnd innere Mission.
S. 460.
—
§.91.
Theile vermöge
Drittes Moment.
Entwickelung Vereinswesen.
Wiedervereinigung getrennter
theologischer und religiöser Vertiefung in den Grund
Christi zu gemeinsamem S. 471.
Ausbreitung
Fortschritte.
Die positive
evangelische Union.
Einleitung. Begriff, Geschichte, Methode und Einteilung der
praktischen Theologie.
I. Begriff. §. 1.
Encyklopädische Bestimmung.
Durch Theologie gelangt die Kirche zu einem wissenschaftli-
chen Selbstbewußtsein.
Sie verständigt sich über die Gründe und
Principien ihres Daseins, über ihr Zeitverhältniß und ihren Lehr
inhalt. Dieses wissenschaftliche Wissen ist nun zwar, unbeschadet seiner Selbstständigkeit, ein Wissen um des Handelns willen und hat in allen seinen Theilen die weitere Selbstbethätigung der Kirche im Auge, nur ist es noch kein Wissen vom kirchlichen Handeln selbst. Demnach vollendet sich die kirchliche Wissenschaft durch Theorie der kirchlichen Ausübung des Christen
thums und wird so zu einer praktischen Theologie.
1. Der erst durch Schleiermachers kurze Darstellung des theologischen Studiums befestigte Ausdruck und Begriff: praktische Theologie, ist zunächst nach zwei Seiten hin gegen Mißbrauch zu
verwahren. Einmal hat man darunter eine irgendwie geordnete Vorrathskümmer für-den Gebrauch des kirchlichen Lehrers, eine soge nannte praktische, wohl gar populäre Dogmatik, das andre Mal die Moral, auch die Ascetik verstanden. Im ersten Falle wird am Begriffe der Theologie das Moment der Wissenschaft verletzt, und
eine unwahre sich selbst widersprechende Vermittlung zwischen der und unmittelbaren Form der Darstellung des
wissenschaftlichen
Nitz sch, prakt. Theologie.
I. Bd. 2te Aufl.
J
2
Einleitung. I. Begriff. §. 1. Eucyclop. Bestimmung.
christlichen Lehrstoffs versucht; ein Versuch,
der an sich nur in
krankhaften Zuständen der Kirche und Theologie oder in bloß sub-
jectivcn Absichten, zeitlichen Bedürfnissen der Lehrsubjecte Erklärung
findet;
denn
wirklich vorzügliche und dem Lehramte ersprießliche
Entwicklungen des homiletischen oder katechetischcn Stoffes werden entweder auf Systematik ganz verzichten, oder im Gegentheil nur
Vorbildungen und Bereicherungen der homiletisch-katechetischen To-
pik hergeben, folglich nur einem Capitel des didaktischen Theiles
der praktischen Theologie zur Ausstattung dienen*).
Im andern
Falle (Lampe: theologia activa; Döderlein, Storr: theologiae pars theoretiea, practica) scheint angenommen zn Werden,
daß sich die Organisation des theologischen Wissens innerhalb der di d akti sch en Theologie vollenden solle, und die theoretische außer
der Dogmatik
keinen Inhalt habe.
Wäre dem so, dann würde
allerdings der lctztern keine andere praktische, als die Ethik entgegen stehen können, und der Wissenschaft, welche die christliche Hand
lungsweise zum Gegenstände hat,
käme jener Name um
so
eher zu, da die Zusammenstellung von %ar« und von credcnda und agenda eine hergebrachte ist.
Nun aber hat
sich dennoch der Name Ethik erhalten, und das schon deshalb, weil
das Praktische noch in einem andern Sinne Gegenstand des kirch lichen Wissens werden mußte.
haupt soll der Unterschied
In welchem aber?
Und wie über
von theoretisch und praktisch auf Theo
logie angewandt werden dürfen, wenn vom Unterschiede der Dog
matik und Ethik noch nicht oder nicht mehr die Rede ist? hat zum Begriffe der praktischen Theologie neuerdings
wägung
Man
durch Er
des Verhältnisses von Glauben und Wissen
gelan
gen wollen — Schweizer: Ueber den Begriff und die Eintheilung der praktischen Theologie. Leipzig 1836 — gleich als ob das
relative Uebergewicht des einen oder andern dem Subjecte der theo retischen oder praktischen Theologie eigen wäre.
Allein jenes Ver
hältniß führt eben nur dem Begriffe der Theologie entgegen, und das Uebergewicht des einen oder andern bezeichnet allenfalls den verschiedenen Standort des akademischen und des klerikalischen Theo-
*) In diesem Sinne ist innerhalb der Homiletik z. B. von Palmer, ehedem von Peter Miller, vonGaupp; innerhalb der Katechetik ebenfalls von Palmer, Hirfcher, Kraussold u. A. praktische Dogmatik d. h. Topik des Lehrstoffs ausgeführt worden.
Einleitung. I. Begriff. §. 1. Encyclop. Bestimmung. logen in dem Momente der Ausübung ihres Lehramtes,
3
den Un
terschied aber, der jetzt in Rede stehet, gehet es nicht im mindesten
an. Vgl. Sack: Theol. Sind. u. Krit. 1839. S. 571. Seitdem Schlei er macher darauf hingcwiesen hat,
die Theologie, zwar
noch im Praktischen theoretisch, sei schon im Theoretischen praktisch,
haben Viele, auch diejenigen, die seiner dialektischen Methode namens der speculativen Theologie entgcgentrctcn,
und eben deshalb eine
andere Organisation der Theologie anstreben, doch int Allgemeinen
mit ihm und unter einander in Uebereinstimmung, was nun das
Praktische insbesondere sei, befriedigend dargethan. Mar tz eineke: Prakt. Theol. Eint.
Pelt: Theol. Encyclop. S. 560.
Liebner: Die prakt. Theol. in Theol. Stud. u. Kr. 1843. 3. Und dennoch nur die letzteren befriedigend, theils weil sie die verschie
denen Richtungen,
in welchen das Christenthum Gegenstand der
Wissenschaft wird, genauer unterscheiden, theils weil sie das Be theologischen Wissenschaft weniger in das Allgemeine
sondre der
der Religionswissenschaft
zurückgehen
lassen.
Denn der
nannte Gelehrte hat sich bei dieser Gelegenheit zu
erstge
ausschließlich
mit der Vertheidigung des logisch - speculativen Standpunctes und
mit dem allgemeinen Verhältnisse von Wissm und Handeln, dem nächst mit der Kritik sogenannter äußerlichen und wissenschaftswi
drigen Bestimmungm Schleiermachers zu einseitig beschäftigt, als daß er hätte fraglichen
am Ende eine
treffende und runde Definition der
theologischen Wissenschaft
„Nach diesem Allen,"
zu Stande
heißt es §. 27,
bringen
können.
„ist nun der Begriff der
„praktischen Theologie dahin zu bestimmen:
daß sie die Wissm-
„schaft sei, welche den Zweck hat, mittelst des Begriffs aller „seiner Functionen den evangelischen Geistlichen in Stand zu „setzen, daß er eine seiner Bestimmung angemessene Wirksam-
„keit in seinem Amt auszuüben vermöge." senschaftlichen Werke schlechterdings
Müßten die wis
nach dem Werthe der aufge
stellten Erklärung ihres Begriffs gewürdigt werdm, so stände es
im vorliegenden Falle um eine in der That vortreffliche und ver
dienstvolle Leistung sehr übel.
Pelt spricht mit der Bemerkung,
daß diese Definition zu weit und zu eng gleicher Weise sei, noch nicht alles Verfehlte aus. Ist das überhaupt eine Wissenschaft, die
nur einen Zweck, aber keinen Gegenstand hat, und wenn sie denn
doch
einen Gegenstand bekommt, nämlich den Begriff aller Funk
tionen eines
evangelischen Geistlichen, alle die Dinge vorausgesetzt
4
Einleitung. I. Begriff. §. 1. Encyclop. Bestimmung.
wissen will, ohne deren gewußte Einheit und gewußten Zusammen hang der evangelische Geistliche gleich einem Deus ex machina hervortritt und einsam da steht? Die vorausgchcnde Einleitung hat sich unersprießlicher Weise an Bestimmungen Schleiermachers cbgemuhct, um dessen dialektische Methode zu bekämpfen, die doch, wenn cs von Wirkung und Bedeutung sein soll, im Gan zen und in ihrem Grunde bekämpft werden nmß, wozu nicht hier sondern nur in der encyclopädischcn Theologie hinreichende Veranlassuua gegeben sein kann. Gerade aber vermöge der meisterhaften Durchführung des dialektischen Verfahrens hat Schleiermacher auf jedem Gebiete, wo er gewaltet, unendlich mehr Seiten, Beziehun gen und Verhältnisse am gegebnen Gegenstände wahrgencnimen und den Theoretikern wie den Praktikern zu bedenken gegeben, als irgend ein spcculativcr Theolog bisher verarbeiten konnte oder ver arbeitet hat. Schlechterdings nur von dem Wissen ausgchcn, wel ches die Möglichkeit des Handelns sei, ist einseitiges Verfahren. Die Idee des Handelns hat mindestens eine verhältnißmäßige Selbstständigkeit. Die Einheit ist das Leben. Das Leben des Glaubens ist freilich ein wissendes, aber daß es vor dem Dasein der Wissenschaft nicht zum Handeln käme, ist nicht bewiesen. Sondern im Gegentheil ist ebenso durch die Natur der Sache wie durch die Geschichte bewiesen, daß das Interesse — ein von Schleier macher gebrauchtes, von Marheineke*) gewaltsam gemißdeutetes Wort — das Interesse des kirchlichen Handelns die wissenschaftlichen Kräfte und Thätigkeiten behufs seines besonnenen Vorschreitens in Anspruch nimmt. So unbillig cs wäre, das genießende Erkennen**), von welchem bei Marhcineke die Rede ist, ins Selbstsüchtige zu deuten, so thöricht ist cs, das religiöse oder kirchliche Interesse Schleier machers auf gemeine Nützlichkeit zu ziehen. Ist die Religion überhaupt nicht nur Idee, sondern auch Thatsache, und das Chri stenthum die vollendete Thatsächlichkeit der Religion, so muß sie auch Kirche werden, und nur aus diesem Grunde kann sich ein selbstständiges Dasein und ein wirklicher Organismus der Theo logie ergeben. Hat nun Schlcicrmacher den Weg zur Anerkennung des Positiven zwar angebahnt, aber nicht vollendet, und andrer seits den Rückweg des thatsächlichen in das zu erfüllende und be stimmende ideelle Wissen nicht genommen, so kann dieser Mangel *) S. 15.
**) S. 8.
Einleitung. I. Begriff. §. 1. Encyclop. Bestimmung. von Seiten
5
derer nicht verbessert werden, die überhaupt von der
Selbstständigkeit der Thatsache nichts wissen,
in der Einseitigkeit
des a priori beharren und statt eine principielle Theologie anzuer
kennen, die speculative als die erste, ja als die einzige setzen. Doch was derartige Einreden gegen die Stellung, die Schleiermacher der
Theologie gegeben, angehet, so sind sie längst vorgesehn und erle digt.
S. Sack: Vorlesung zum Gedächtnisse Schleiermachers: wie
sich in ihm das theologische und das kirchliche Interesse zu ein
ander verhalten.
2.
Theol. Stud. u. Krit. 1835. 4.
Wir haben schon
sonst behauptet,
die ganze Theologie
sei scientia ad praxin, und vollende sich doch nur als scientia
praxeos *). Aeltere Theologen und zwar scholastische**) wollten sich
sogar den Begriff einer theoretischen Theologie gar nicht gefallen lassen, weil, wie sie freilich irriger Weise vorgaben, dann'das tendcre ad
praxin, ein Gesetz der ganzen Theologie, theilweise wegfallen würde.
Was nun daran wahr sei, wird sich erkennen lassen, wir mögen vom Objecte oder
vom Subjecte der Theologie ausgehen.
Ist die christliche Religion als Gegenstand der Wissenschaft gesetzt,
so sind vier aus einander führende und in einander greifende wis senschaftliche Fragen unterscheidbar:
seinem Wesen nach?
wickelt? Denkart,
Was
ist das
Christenthum
Wie hat es sich in der Zeit bis hierher ent
Wie bestimmt es sich als Inhalt des Bewußtseins, als Welt- und Lebensansichten?
als
Und wie vermittelt es
sich endlich oder was ist es als Darstellung und Ausübung? Prin
cip, Historie, Doctrin, Ritus.
Schon die gewöhnlichen Eintheilun-
gen des Religionsbegriffs führen gerade auf diese Mannigfaltigkeit
von Fragen. Ist Christenthum Religion, Religion aber die Bestim mung der menschlichen Bestimmungen, weil Gottverehrung, Gott
gemeinschaft:
so folgt von selbst,
daß sie sich von anderen Denk
arten unterscheide, sich in Zeit und Raum ausbreite, sich als Denk-
*) Observv. ad theol. pract. felicius excolendam. Bonnae , 1831. p. 5. — Aliud est agentem et ministrantem in ecclesia idonea ad iudioandum praesentem statum faoultate — praemunire, aliud ipsos agendi modos tradere et ministrandi artes. Ueoereinstimmend Deyling, Institt. prud. pastor. 'Introd. p. 2. — non ratione Jinis, sic enim omnis theologia est practica — sed ratione öbiecti, quod sunt ia 7iqaxiat res muneris sacri etc. **) Ge. Neumanni Theol. aphoristica. Aphor. XLL
6
Einleitung. I. Begriff. §. 1. Encyclop. Bestimmung.
art des Menschen aussühre, und sich behufs der Mittheilung dar stelle. In jeder zwar von jenen Fragen ist die ganze Frage in ge wisser Beziehung enthalten, und jede gelangt mit zu den übrigen; be stehen sie alle, so ist die principielle durchaus die erste, und die volle Nothwendigkeit von allen liegt in der letzten. Kann ich wissenschaft lich eine Erscheinung nicht erkennen, ohne sie als Besondres im Allge meinen, und das Allgemeine in dieser Besonderung zu erkennen, so muß ich schlechterdings, um das Christenthum zu verstehen, es im Lichte der Idee und der Geschichte der Religion zu verstehen suchen; das setzt aber wieder voraus, daß ich die zufälligen Erscheinungen des Christenthums auf sein Wesen zurückgcführt habe. Diese Untersuchung ist noch keineswegs die systematische der Dogmatik oder Ethik, deren Voraussetzung sie freilich abgiebt, weshalb man sie auch bei man gelhafter Ausbildung der Theologie in Prolegomenen der Dogmatik ausführt, oder im bessern Falle mit Pelt, dem neuesten Encyclopädiker, als besondern, ersten Theil der systematischen auftreten läßt. Dieselbe Frage ist auch weder bloß speculativ, noch bloß hi storisch, sondern beides, eines im andern; aber die völlige Nöthigung zur principiellen oder fundamentalen Christenthnmswissenschaft geht immer zugleich von der Kirche und dem Glauben aus, durch den und in dem sie ist, oder vielmehr allein von diesen Ursachen. Denn die Kirche muß die Gründe ihrer ganzen Thätigkeit erkennen, der bekennende und lehrende Glaube muß sich von dem Argwohne, daß er dasselbe sei, was er bekämpft, nämlich Aberglauben oder Un glaube, befreien, und vor der sittlichen und wissenschaftlichen Idee rechtfertigen; die Kirche muß ihre eignen Erscheinungen kritisiren, und ebenso wie es geschehn ist, apologetische und polemische also principielle Theologie erzeugen, oder ihre anfänglich unmittelbaren Selbstvertheidigungen und Selbstberichtigungen zur Methode aus führen: dem rein theoretischen Standpuncte kommt als solchem der Dinge keines zu. Sein Anfang ist die Idee überhaupt; ob die reli giöse Vorstellung für ihn als ewiger Inhalt, ob Religion als Wirk lichkeit, als Persönlichkeit, als Offenbarung, als Kirche bestehen wird, ist auch dann noch zweifelhaft, wenn er schon eine Philosophie des Christenthums angestrebt oder hervorgebracht hat. Aus dem Zwecke des Wissens läßt sich allerdings die Absicht, das Christenthum ge schichtlich und begrifflich zu verstehen, ableiten; nur nicht der Zweck eines besonnenen und kräftigen christlich-kirchlichen Handelns. Denn dieser geht lediglich aus den Beweggründen des christlich-kirchlichen
Einleitung. I. Begriff. §. 1. Encyclop. Bestimmung. Sinnes mit Nothwendigkeit hervor.
7
Die Kirche die sich selbst be
thätigen will, muß sich über den Grund und Inhalt ihres Glau den Zeitpunct und die Methode ihres Thuns verstän
bens,
über
digen;
denn keine dieser Untersuchungen ist erläßlich, sobald das
wissenschaftliche Selbstbewußtsein der Kirche unerläßlich erscheint. Muß sie ihre Principien erkenllen und vertheidigen, um zu handeln,
so erkennt sie hiemit zugleich die Principien aller Theile ihrer Wis senschaft. Aus der Idee der Offenbarung entwickelt sich die Idee des
Kanons, also Grund und Ziel und Inhalt der evangelischen Theo logie ; der Träger der Offenbarungsthat ist Ehristus selbst, das Dog
ma der Dogmen, dessen Entwicklung eine systematische Wissenschaft fordert; derselbe Zeitpunct aber, in welchein die Kirche sich durch
Lehre anbilden und durch Sacrament zueignen,
als Gemeine be
gründen oder erhalten will, ist nicht zu verstehen außer seinem ge schichtlichen Zusammenhänge mit der Urerscheinung der Kirche, und
nicht zu würdigen, ohne daß theils ein wirklicher Kanon da, und die Idee der Kirche durch principielle Vergleichung dieser Art von reli
giöser Gemeinschaft mit andern Arten gewonnen sei.
Wir richten
uns im kirchlichen Handeln nach dem dogmatisch-ethischen, nach dem geschichtlichen, nach dem principiellen Begriffe von der Kirche; in dem wir in allen diesen Richtungen den Gegenstand erforschen, fallen
wir zwar überall den wissenschaftlichen Gesetzen anheim und müssen
Exegese in Einheit mit aller Philologie, Kirchengcschichte in Einheit mit der ganzen Religionö-
und Culturgcschichte,
Dogmatik und
Ethik in Einheit mit der allgeincincn Bernunftwissenschaft setzen: allein nicht nur bestimmen sich Umfang, Art und Zusammenhang
unsrer Untersuchungen nach den Motiven und Aufgaben deö kirch lichen Lebens, sondern wir erkennen auch in allen jenen Beziehun
gen kraft
der gläubigen Erfahrung
und der christlich - kirchlichen
Wichtigkeit ein solches Bcrhültniß zwischen der Idee und der That sache an, in welchem jene durch diese Bestimmungen empfängt, und darin besteht der positive Charakter und Standpunct der christlichen Theologie, welcher durch den praktischen sich vermittelt. Sowie nun
das Ganze derselben in allen Zweigen sich findet, da alle theo logischen Wissenschaften verhältnißmäßig apologetisch-polemisch, alle geschichtlich, alle systematisch sind, so sind sie auch sämmtlich prak
tisch und positiv,
obwohl theoretisch und rationell.
einen großen Unterschied macht,
Nur daß es
daß der eine Theil durch die Be
ziehung auf das Handeln, der andre durch das Handeln als Gegen-
Einleitung. I. Begriff. §. 1. Encyclop. Bestimmung.
8
stand praktisch ist. Gleichwie die Philosophie diejenigen Wissenschaf
ten vorzugsweise praktisch nennt, welche, obwohl Theorieen nämlich der öffentlichen Rede, des Unterichts, der Erziehung, der Staats
verwaltung, eine Methodik des Handelns enthalten, und das Han deln nicht so sehr nach sittlichem als nach künstlerischem Gesichts puncte zu betrachten haben: so die Theologie.
3.
Wir kommen
zu
demselben Resultate,
nämlich zu dem
allgemeinen und besondern Praktischen an der Theologie,
wir auf
eben diesen Namen und Begriff:
wenn
Theologie, also
Dieser Name drückt zu allen Zeiten
auf das Subject reflectiren.
ein höheres Wissen ans.
Zuerst ein höheres Wissen von der
Gottheit als Mythologie ist, und ein höheres Wissen von dem Objekt überhaupt als Physik ist.
Hier nun liegt das höhere im Gegen
ständlichen; Gott ist höheres als Götter, und ist mehr als Chaos,
Natur, Atom u. s. w.
Von dem höchsten Gegenstände weiß man
aber nur durch ihn und aus ihm; demnach sind die Ausleger z. B. des Ausspruchs des Gottes in Delphi, oder mit Ueberttagung aus
das jüdisch-christliche,
testamentische Gebiet, Moses und David
Theologen, sofern sie aus Offenbarung Gottes von Gott reden
und lehren.
Dieß ist der Sprachgebrauch des Alterthums, den die
Kirchenväter theilen.
Auf dem Gebiete des Christenthums aber
(als des höhern Wissens dem Mythus und der Philosophie des Heidenthums gegenüber, oder als des offenbarungsmäßigen Wis sens) ließ sich aufs Neue ein gemeines und höheres unterscheiden.
Zwar ist die wahre Wissenschaft gläubig, sagt Clemens von Ale xandrien, und
der Glaube wissenschaftlich — aber als Wissen ist
doch der Glaube nur unentwickelt, nur elemcntarisch, nur Möglich keit, und gegen die Gnosis gehalten eine geringere Stufe. Aller
dings ist diese Gnosis, die höhere Erkenntniß der göttlichen Dinge (ein Begriff,
durch welchen sich das ganze nächstvorchristliche und
ältestchristliche Alterthum über gion erhebt),
die empirische und positive Reli
wissenschaftliches Forschen, Speculation, aber
noch nicht im mittelalterlichen oder gar modernen Sinne. Sondern der Logos Gottes, der seine Gedanken durch seine theologischen Or
gane, die Propheten und Apostel, in den heiligen Urkunden nieder gelegt hat, regt durch dieselben vermöge der vielen Räthsel, Bilder,
Widersprüche, die in der Schrift enthalten sind,
die Leser und
Ausleger zur Forschung an und schließt den geeigneten und
empfänglichen unter ihnen den tiefern objectiven Inhalt auf.
Einleitung. I. Begriff. §. 1. Encyclop. Bestimmung.
9
Diese wahrhaftigen Gnostiker oder Theosophen sind es nämlich durch
Gottes Liebe und durch ascetische Reinigung und Entsinnlichung.
Der reine Begriff der Wissenschaft (der Theologie in diesem Sinne)
ist durch Gnosis nicht ausgcdrückt; weshalb auch der Standpunct
der Alexandriner der Phantasie läßt,
während
und Bilderei weiten Spielraum
allerdings diese Gottwisscnschaft des Logos ihren
Inhalt sammt der Mannigfaltigkeit ihrer Zwecke schon auseinander zu legen und einzutheilen weiß. dung
Ein Beispiel giebt die Unterschei
und Zusammenfassung der Wirkungen des Logos, als des
ab- und anziehenden, des in göttlicher Einheit von Strenge und Milde
erziehenden,
endlich
und
vollerleuchtenden und
aneigncndcn, Protreptik, Pädagogik, Gnostik, eine von Clemens er zielte Organisation der Theologie, die durch die treffliche Darstel
lung von Kling*) ihr volles Licht erhalten hat. Nun möchte
man aber sagen, gerade diese Theologie, die christliche alexandrini sche Gnosis, habe weder unmittelbar noch mittelbar eine Richtung
auf die Kirche und das kirchliche Handeln genommen, und in der That wird hier zunächst nur das höhere Wissen als ein Medium der höhern Lebensform oder
als eine Steigerung des gemeinen
Wissens angestrebt. Erst wenn sich, wie dieß durch den Verfasser der sogenannten Werke des Dionysius vom Areopag geschah, die Gnosis nach dem Vorbilde philonischer Auffassung des Judenthums und
neuplatonischer
Beachtung
der
morgenländischen und griechischen
Mysterien
zu einer Theorie der H i e r a r ch i c u n d L i t u r g i e
gestaltete,
kam etwas von idealer Kirchenlcitung und Amtsführung,
eine christliche Priestcrkuust zum Vorschein. Indessen setzte sich dieß nicht fort;
diese Schriften hatten eine ganz andre erst im Mittel
alter sich entwickelnde Bestimmung, sie behielten in den Augen der
abendländischen Leiter den Charakter des Fremdartigen, am wenig sten gaben sie ein bildendes Princip der praktischen Wissenschaften
seit ihrem Bekanntwerden ab. Und so scheint es an dem Gedanken einer kirchlichen Wissenschaft in ihrer praktischen Bedeutung den noch da, wo von Theologie die Rede ist, gänzlich zu fehlen.
Denn
weder der Begriff, den die scholastische oder die mystische des Mit
telalters von sich selber bewußter und ausdrücklicher Weise giebt,
noch der Standort der älteren lutherischen oder reformirten Thco-
*) Theol. Studien und Krit. 1841. 4. „Die BedeuNmg des alexandrin. Clemens für die Entstehung der Theologie."
10
Einleitung. I. Begriff. §. 1. Encyclop. Bestimmung.
logte zeigt das, was wir suchen, an. gesuchte Wissenschaft,
Zwar an die vom Glauben
an Stufen und Methoden des
christlichen
Erkennens denkt man und quält sich mit der Frage, ob Theologie Scienz oder Sapienz, ob sie rein oder theilweise praktisch, ob prak allein im ersten Falle ist der reine und
tisch und theoretisch sei:
selbstständige Begriff der Wissenschaft als einer denkthätigen Ber-
niittlung nicht zu Stand und Wesen gekommen;
im andern ist
das praktische nur darin gefunden, daß es sich um die Seligkeit, um Bekehrung, und die Liebe Gottes in aller Dogmatik und bei
allem Lehren und Hören handle, da hingegen der Zweck einer Theo rie ganz im Erkennen
beruhe.
sei auch die Dogmatik durch
In dieser Hinsicht, sagt man,
und durch praktisch,
und nicht nur
die Lehre von den agendis. In der ganzen Reihe von Joh. Ger
hard bis Wilh. Baier oder Franz Budde nicht zu Tage*).
komint etwas anderes
Trotz diesem beständigen Behaupten des Prak
tischen an der Theologie bleibt sie da rein intellectualistisch; so sehr,
daß auch
der Standpunct des systematischen und des homiletischen
Lehrers nicht nach G r u n d, Inhalt und Zweck, sondern nach dem modus tradendi unterschieden wird; es ist eben überall nur vom Lehren
die Rede, und gelangt man bei der Eintheilung des Gan
zen dann noch z. B. zu einer Theologia ecclesiastica, auch con-
sistorialis,
so ist diese Bestimmung neben den andern:
cateche-
tica, acroamatica, polemica etc. innerhalb des Begriffs noch gar nicht vorbereitet oder begründet.
Die Späteren, Budde, Mosheim,
ja schon Ealixt, kommen allerdings der Sache etwas näher, wenn
sie z. B. von der Wissenschaft reden, welche zum Lehramt ge schickt macht, wobei sie jedoch eben nur an explicare, confirmare, defendere salutaria dogmata denken. Noch Planck **)
verliert sich ganz wieder in das Ungenügende: Anweisung zum se ligen Leben, oder zur Belehrung über das Heil, gleich als ob es sich um den Zweck der Predigt oder gar nur um den Inhalt reli
giöser Erkenntniß, handelte. perius***)
Die reformirten Methodologen
H Y-
und Alstcdt f) spielen dagegen einigermaßen der
*) Besonders hervorzuheben ist die Erörterung des Begriffs: Theologie bei Calov: Isagoge ad theol. libri IL a. 1666. **) Grundriß der theol. Encycl. §. 8. ***) De theologo p. 14 und 561 sq. t) Methodus S. Theologiae: praecognita VI. Homo (= obiectum
Einleitung. I. Begriff. §. 1. Encyclop. Bestimmung.
11
Idee der kirchlichen Wissenschaft oder dem praktischen Momente
vor, welches Schleiermacher mit völliger Klarheit und Be stimmtheit der Theologie zugesprochen hat. Wenn wir aber von der bewußten wörtlichen Definition absehen, und auf die That, sowie auf die Titel und Anstalten in der Kirche sehen, so läßt sich nicht zweifeln, daß der schleicrmachersche Begriff von jeher gegolten hat und vollzogen worden ist. Richt nur sind seit dem vierten Jahrhundert diejenigen theologischen Disciplinen, welche ohne Erfor
derniß der Kirchcnleitung gar nicht denkbar waren, wie die Priester
lehre des Chrysostomus, die Pastoral Gregors d. Gr. u. dgl. also die im Praktischen theoretischen Disciplinen wirklich ausgetreten: sondern auch die andern, die wir vorzugweise theoretisch nennen, haben darin ihren Grund und Anfang genommen, daß z. B. des Augustinus Buch von der „christlichen Lehre" die Information des geistlichen Redners erst durch die Schriftgelehrsamkeit und Auslegungskunst vorzubereiten sich gedrungen fand, daß dem Gregor von Ryssa, der kirchlichen Bekehrungs- und UeberfUhrungspflicht wegen, die Dar stellung der christlichen Dogmen zur höhern Katechetik wurde, oder daß Origmes zu seiner Zeit und an seinem Orte einen methodi schen Bibelgebrauch in der Kirche möglich machen wollte. Den Hie ronymus finden wir aus dein berühmten Bilde eines venetianischen Meisters zwischen dem Ambrosius rind Augustin dargestellt, wie er mit dem Finger in das vom Papst vorgehaltene heilige Buch zeigt; er erscheint als theologischer Beistand des Kirchenregimentes, und heißt vor andern doctor ecclcsiae. Augustin stiftet, nachdem ihm Basilius und Gregor von Nazian; darin vorangegangen, biblisch wissenschaftliche Studien des Klerus. Er äußert in der oben ange zeigten Schrift, wie die Rhetorik als Waffe wider die Wahrheit gebraucht worden, sollte sic nun für dieselbe gebraucht werden. Was zu keiner Zeit des Mittelalters ganz außer Acht gelassen worden, wird endlich kraft eines lateraneusischen Decretes allge meingültige Beranstaltung, daß die bischöfliche oder doch erzbischöf
liche Pflanzschule des Klerus, einen Theologus habe, der in der
heiligen Schrift und in der Seelsorge unterweise. Zu der selben Zeit erhebt sich im Abendlande die Schule zu einer öffent lichen Macht und gehört zu den Factoren des Kirchenregiments.
aedificabile) partieulariter consideratus est Christianus in ecclesia docens. Hine prophetica et oeconomico-politica theologia.
Einleitung. I. Begriff. §. 2. Gegenstand.
12
Die Namen doctor,
licentiatus
täten bezeichnen bis hiehcr
ad biblia, theologische Facul-
dasselbe Verhältniß,
und wenn man
auch nur erwägen will, was Luther bei allen Gelegenheiten, wo er zur Erhaltung und Erneuerung der Schulanstalten treibt, als den hauptsächlichsten Beweggrund anführt,
daß sich das Evangelium
ohne Grammatik nicht halten lasse, so wird es sich von selbst ver
stehn, daß die Reformation nicht minder sondern mehr als die Vor
zeit auf ein praktisches Moment der Gottesgelahrtheit, nämlich auf das Erforderniß nicht nur eines Gelehrtseins aus Gott und durch
also eines höheren Wissens in dieser Bedeutung, vielmehr
Gott,
auch eines Hähern Wissens im natürlichen und menschlichen Sinne ausgieng, welches als ein wissenschaftliches und amtliches zur Er
haltung der Kirche wirke.
§. 2. Sowie
das
Der Gegenstand.
Reich Gottes
sich in Christus zur Kirche und
durch dieselbe vermittelt, vermittelt sich das christliche Leben zum
kirchlichen und durch dasselbe.
Die kirchliche Ausübung ist diejenige,
welche sich der christliche Glaube als Gemeinschaft in und
durch
an der Menschenwelt bethätigt, oder die christliche Gemeine
als
solche theils begründet, theils vervollkommnet wird, also ein Inbe
griff von Thätigkeiten, welche mtf Ueberlieferung und Verbreitung,
Zueignung und Anbildung des Christenthums gerichtet sind.
1.
Die kirchliche Praxis muß siä) von der Ausübung des
Christenthumes im Allgemeinen als Besonderes unterscheiden lassen.
Trennen zwar läßt sie sich von der sittlichen nicht.
Reich Gottes
und Kirche sind nur relativ verschieden; weshalb sie auch leicht in fehlerhafter Weise vereinerleiet werden. Das Reich Gottes ist Gott gemeinschaft der Menschen, göttliches Menschenleben durch Christus
vermittelt,
also auch Brüderschaft und Familie durch
göttliche
Kindschaft. Wird nun die Wahrheit des Reiches Gottes zur Wirk lichkeit, so wird sie es zunächst in demselben Sinne und Umfange, in
welchem cs nach dem ersten Momente des protestantischen Be
griffs
eine
einige und
allgemeine christliche Kirche,
nämlich die
Gemeinschaft der Heiligen, der Gläubigen giebt.
Diese
Gläubigen werden an allen Orten und zu allen Zeiten, wo sie
sind, nach dem Maaße des Glaubens und der Liebe das in ihnen
Einleitung. I. Begriff. §. 2. Gegenstand.
13
ist, in dem 'ganzen Zusammenhänge der menschheitlichen DaseinSVerhältnisse das Christenthum leben oder es im Leben auswir ken, demzufolge cs auch äußern, darstcllen, bekennen, lehren, kurz in jeder Weise ausüben, und dazu nicht allein,
auch wo sie sich
nicht persönlich berühren, durch Einen Geist getrieben und gestimmt
sein, sondern auch nach dem Umfange und der Mannigfaltigkeit persönlicher Berührung sich
vereinigen und einander veranlassen,
dergestalt/, daß sie im Zusammenhänge des christlich-sittlichen Han delns bereits schon kirchlich handeln.
2.
Indessen hat der evangelische Kirchenbegriff noch ein an
dres Moment an sich: äußere Kennzeichen, wesentliche Merk
male, Predigt und Sacrament; und dieses weiset nicht bloß auf die dem verwirklichten Reiche Gottes gleiche Kirche,
Mittel Gottes,
der Verwirklichung,
sondern auch auf
mithin auf das Werden des Reiches
auf das Sich selbst vermitteln desselben im Individuum
und in der Gemeine hin. Die Gemeine Christi, die im Werden ist,
erneuert sich selbst in denen noch, die mit dem Gnadengeiste getauft sind , kraft der ihr verliehenen Geist- und Gnadenmittel; sie besteht
nur-kraft der Wirkungen, durch welche sie entstanden ist; und das nicht nur, sie umfaßt auch schon infolge ihrer Selbstvermittlung in
Zeit und Raum eine nicht vollkommen unterscheidbare Menge der Berufenen,
Erweckten, Ungezogenen gleichsam in ihren Vorhöfen;
woraus sich der bestimmtere Begriff der Kirche und des kirchlichen
Lebens, und damit der Unterschied der Kirche vom Reiche Gottes ergicbt.
Vermöge dieses Unterschiedes ist und bleibt das kirchliche
Leben ein Moment des christlichen,
sowie die Kirche Product des
Verwirklichungsproeesses des göttlichen Reiches;
und doch wieder
wird das kirchliche Leben ein den Fortschritt und die Vervollkomm nung des christlichen und sittlichen bedingendes Leben.
Das Reich
Gottes hat in dieser Welt keine andre Pforte des Eingangs und
Zugangs als die Kirche selbst, in welcher es sich verwirklicht, und keinen andern Weg als die wesentliche Selbstbewegung und Selbstbe thätigung der christlichen Gemeine. Demnach ist die kirchliche Aus
übung eine Uebung im Christenthume und zum Christenthume, welche sich als eine besondere von der sittlichen unterscheidet; und hiedurch
befestigt sich zugleich der Unterschied der praktischen und der Moral-
Theologie.
2.
Ist nun die Einheit unsres Gegenstandes als kirchliche
Ausübung der christlichen Religion zu bezeichnen, so wird das darin
14
Einleitung. I. Begriff. §. 3. Subject.
enthaltene Mannigfaltige doch alles in Selbstbethätigung der Kir
che Christi innerhalb des endlichen Weltgcbietcs
bestehen, es sei
nun, daß sie sich selbst in Einheit und Unterschied des Aeußern und Innern und unter Wechselbeziehung zwischen der Gesammtheit und
den Einzelnen begründe,
oder
ans dem Grunde ihres Daseins
bewahre, reinige, vervollkommne; es sei, daß sie zu dem Zwecke sich
in
den Zustand des Empfangens vom Herrn versetze und in
dieser Richtung auf den Grund und Quell ihres Lebens sich bethä tige,
das empfangene theils in der Richtung auf sich selbst
oder
theils in der Richtung
eigne und anbildc,
auf die Welt überliefere,
mitthcilend an
oder aber den Umfang und die Art dieses sel
bigen Thuns von Neuem bestimme. Was unter diesen Kategorieen
nicht irgendwie begriffen wäre, könnte auch nicht Inhalt des kirch
lichen Lebens sein. Wirklich aber ist alles was Christus selbst als kirchliches Handeln seiner Jünger z. B. Matth. 18. vorgesehen hat, und
alles was die
erste Gemeine z. B. Apostelg. 2, 42.
thut,
oder all ihr Handeln, worauf die Berordnungen und Berichtigun gen und Anleitungen eines Paulus z. B. 1 Cor. 14. sich beziehen,
jede Handlung der versammelten Gemeine, jede Verkündigung des göttlichen Wortes, die missionarische wie die liturgische Predigt,
jede sacramentliche Zueignung,
jeder Act der
Seclenpflege oder
Sittenrüge, den das Amt leistet, jede Ausübung des gemeinsamen Gebetes in denselben enthalten. §. 3.
Das Subject der kirchlichen Thätigkeit.
Das Subject dieser kirchlichen Ausübung des Christenthums
ist der ersten Potenz nach weder der einzelne Christ als solcher noch der Kleriker, sondern eben die Kirche, oder die zuerst und im
Allgemeinen
nur von Christi Stiftung und Amt abhängige Ge
meine in der Selbigkcit und Allheit ihrer Mitglieder, es sei daß
sie in dem protensiven Existentwerden oder in extensiver Einheit ge dacht werde,
es sei daß sie versammlungsweise und allseitig oder
gegenseitig oder einseitig und durch Individuen handle.
Die Kirche des Gesetzes bringt das Verhältniß von Obrig
keit und Unterthan, von Kleriker und Laien mit auf die Welt. Die Kirche in der Kirche ist nach diesem Begriffe der Klerus, weshalb
15
Einleitung. I. Begriff. §. 3. Subjett.
auch die katholische Lehre zu Matth. 18, 17. bemerkt: ris exx^ata
d. h. den praepositis *). Die Kirche des Evangeliums denkt sich anders; die christliche Kirche ist zuerst und im allgemeinen ein sa-
cerdotium
1 Petr. 2, 9. ;
aequale
wie denn auch das Wort
Klerus**) ursprünglich dasselbe bedeutet wasEkklesia 1 Petr. 5, 3.
Diese Gemeine,
diese Kirche hat feinen Anfang
in Willkür und
Zufall, ist nicht eigenmächtig, denn sie ist durch Christus und sein
durch Christi Geist im Wort, sie ist als gläubige
Wort,
gesetzt,
aber hiemit empfängt und hegt sie auch in sich alle Potenzen ihrer
Selbstbewegung und Ausübung.
Sowie ein jeder Apostel, Bischof,
Theolog fürs erste Jünger des Herrn, Christianus, Gläubiger sein
muß, ehe er dieses Besondre sein kann, so ist in dem Gläubigen,
oder dem Christen als solchen der Missionar, der Prediger, Täufer,
der Liturg
der
u. s. w. nach der ersten Fähigkeit mit ge
setzt***). Unter Umständen treten die sogenannten Laien vollgültig als Lehrer, Hirten, als Spender des Sacraments in Function.
Doch dieß nicht nur,
cs läßt sich
keinem Puncte richtig
verstehen
auch das kirchliche Thun in
oder beginnen,
ohne daß es in
jedem Werkzeuge der Einsamkeit entsage. Der Christ nach dem bloß sittlichen Gesichtspuncte
Thuns
möglicher Weise
betrachtet, erreicht die Vollendung seines auch
außer der Gemeine und ohne sie.
Das kirchliche Mitglied als solches nie; also auch dann nicht, wann es als Werkzeug für viele Cinpfangende, wann es homiletisch, ka-
*) Catech. Rom. P. I. cap. X. qu. IX. Interdum etiam ecclesiae no mine eins praesides ac pastores significantur. Si te non audierit, inquit Christus, die ecclesiae, quo in loco praepositi eccle siae designantur. **) Mqd’ (Ls xaTaxvQitvovits tujv x q cov. Luther: als 'wolltet ihr über das Volk herrschen. Stier: über die Sprengel. Stolz: über
die Gemeinen (Gemeinde-Mitglieder).
setznng ist die richtigere.
Letztre Ueber-
Wie Plautus populi für Bürger, Einwoh
ner sagt, wie das N. T. SSvn für Ovixol, u/Io» für so ist auch hier der Plural der Allheit für Menschen aus der Gemeine, eigentlich für Menschen aus dem Laienstande genommen, wenn man
dem geschichtlich spätern Sprachgebrauche vorgreifen darf. ***) Ein Satz, den niemand vollständiger, anschaulicher und schriftmäßiger
ausgeführt hat als Luther: Sendschr. wie man Kirchendiener wäh-
len rc. Th. 10. (Walch) S. 1835.
Im Auszug bei Gessert, das
Ev. Predigtamt nach Luthers Anfichten S. 35—47.
Einleitung. I. Begriff. §. 4. Natürl. Klerus.
16
techetisch, liturgisch oder wie immer thätig wird.
Bald wird durch
den Einzelnen die frühere Kirche, bald die größere und allgemeinere
für die beschränktere, bald der Wille des Empfangms selbst, der Wille der kirchlichen Anerkennung thätig, fort- und vollwirkend. Mit einem Worte, der Begriff des amtlichen Thuns kann sich nur
durch den Begriff des kirchlichen Thuns begründen und aus ihm
entwickeln. §. 4.
Eine wirkliche ein Sich
selbst
Vorordnung,
Der natürliche Klerus.
lebendige Gemeine kommt aber niemals ohne
unterscheiden,
ohne vcrhültnißmäßige Nach- und
Vertretung und Gegenseitigkeit der Mitglieder zum
gemeinsamen Handeln.
Einmal deshalb nicht,
weil die Fähigkeit,
nämlich theils die Lebendigkeit des Gcmeinwillens, theils die beson dre Gabe für besondre Verrichtungen nicht in allen Einzelgliedern eine gleiche sein wird, dann deswegen, weil die Gemeine weder in
der Richtung ihres Wirkens
auf sich selbst, noch
in dem Wirken
nach Außen besondrer und besonders begabter Werkzeuge des
Gemeingcistes entbehren kann.
Demnach
giebt es ebenso vermöge
einer unmittelbaren Begabung und Lcbensmitthcilung aus der Quelle der Natur und Gnade, als vermöge eines unmittelbaren Lebensge
setzes des menschlichen Gemeinwesens einen der christlichen Gemeine eingebornen, natürlichen Klerus.
Atome und Einerleiheiten haben kein Gemeinleben, sich kein volles Leben.
ja schon für
Der Geist, der sie belebt und vereinigt, setzt
sie in den Unterschied der Macht und des Bedürfnisses, obgleich er ihnen allen Macht und Bedürfniß giebt. Die gleiche Liebe und das
Emleben Aller
besteht
nur
durch Ungleichheit und Abhängigkeit.
Ebenso die Bethätigung derselben. Nur durch Einheit in einem Hö
her«, in einem Haupte sind viele Glieder Ein Leib; die Verrichtun gen des Auges, Ohres, der Hand, des Fußes sind alle gleich noth
wendig, eine aber wie z. B. die des Auges (Luc. 11, 34. Ezech.
33, 2. 7.) eine vorgezogne, leitende, und doch je geringer die Glie der sind, desto fleißiger müssen sie bedacht werden; dadurch gleicht sich der Unterschied nicht allein der Art, sondern auch des Grades aus.
Röm. 12, 3. 4. 1 Cor. 12, 14—24.
Heranziehende und Herangezogene,
Es giebt in jeder Gemeine
obgleich sie alle Heilige heißen
Einleitung. I. Begriff. §. 4. Natürl. Klerus.
17
Ephes. 4,13. Je unwesentlicher ein Gemeinwesen für den Zweck der
Menschheit ist, wie irgend eine Gesellschaft, desto weniger Un gleichheit pflegt sie an sich zu haben; je wesentlicher, wie Familie
und Staat, desto mehr. Und doch auch, was jene anlangt, wächst
aus der Natur des Nereincs eine
Eintheilung und Abstufung der
Verrichtungen und Fähigkeiten hervor. Deshalb nun, weil zugegeben werden muß, die christliche Gemeine wachse nicht aus der Substanz
der Familie oder des Staates uiib Volkes hervor, sondern aus dem von Gott neu befruchteten mcnschhcitlichcn Stoffe und nehme ihre
Gestalt im Elemente der freien Geselligkeit an, kann noch nicht behauptet werden,
sie lasse desto weniger Organisation zu.
Es folgt bloß, daß die kirchlichen Einrichtungen und Verfassungen anders geartet sein werden,
nämlich daß in der Kirche sich das
Freie und Ethische des Verhältnisses nicht erst aus dem Grunde
und Boden der äußern N o t h w e n d i g k c i t entwickeln, vielmehr selbst
den tragenden Grund der ganzen Anordnung und Unterordnung ab
geben soll. Daher so vielfältiges Bitten und Beschwören, das Band des Friedens zu halten, Ephes. 4,3; die Eintracht uni Christi willen
zu Pflegen, Phil. 2, 1—4; sich allseitig einer dem andern zu fügen, 1 Petr. 5, 5, und gegen die Alten und die Lehrer Folgsamkeit zu beweisen, Hebr. 13,17. 1 Cor. 16, 17.
des Glaubens und
Maaß
aus, Röm. 12, 3,
Nicht nur theilt sich das
der Erkenntniß
des Heiles verschieden
christlichste Gemeine wird am
und die freieste,
ehesten die Aristokratie des Geistes *) gewähren lassen, zumal diese wiederum nur Dienerin des Ganzen,
Gehülfin, nicht Herrscherin
im eigenen Sinne sein will und soll, Luc. 22, 26. 1 Petr. 5, 3;
es
giebt auch vermöge des Verhältnisses der geistigen Naturanla-
gcn,
an
welche sich geistliche Talente knüpfen mögen,
durch die
Gnade und Gabe des Herrn eine Mannigfaltigkeit von Berufun
gen, Erwählungen, Begabungen, dem in
die von solcher Art ist, daß sie
der Gemeine gesetzten Bedürfnisse, sich zu bethätigen und
durch eigne Organe zu wirken, irgendwie entspricht. Vorzüglich gilt
dieses von den Gaben und Verrichtungen der Lehre und des Zeug nisses, Ephes. 4,11
aber auch verhältnißmäßig von den Talenten
der Regierung und Pflege, 1 Cor. 12, 28. Röm. 12, 6.
aber
ergiebt sich lebendiger
Hiemit
und unmittelbarer Weise ein Klerus
*) Constitt. Apost Ix «anl; fSt out äpioioi in Gegensatz der lkri tischen Priester.
Nihsch, prall. Theologie. I. 86. 2tc Ausl.
2
18
Einleitung. I. Begriff. §. 5. Posit. Klerus.
gewissermaßen ist die Verfassung schon da, ehe
im Klerus, und
sie wirklich vorhanden ist.
Solchen (wie Stephanas,
der Erst
ling Achaja's) ordnet euch willig unter, gebietet Paulus 1 Cor. 16, 15. und nennt weiter keinen Amtsnamen.
spiritualiter nati
gehören
so
sehr
Denn die derlei
zum Wesen der christlichen
Kirche, daß man nicht nur annehmen und nachweisen kann, daß die positive Klerisei aus ihnen hervorgegangcn ist,
sondern auch
daß sie zu allen Zeiten des geordneten Amtes auch außerhalb des selben und in allen Kirchen des ordentlichen Priesterthums oder Lehramtes den
entschiedensten Einfluß auf die Leitung der Angele
genheiten ausgeübt haben.
Sogar die römisch - katholische Kirche
unsrer Umgebung hat uns seither die sprechendsten Erscheinungm dieses Naturverhältnisses vor Augen gestellt.
§. 5.
Der positive Klerus.
Das Amt.
Da nun derselbe Dienst der Gaben, durch welchen die Ge meinen gestiftet werden, zu ihrer Erhaltung und zu ihrem Bestände gehört, und anderseits bei bloß zufälliger oder formloser klerikali-
scher Thätigkeit sind,
bald Störungen
des Gemeinwesens zu fürchten
bald Unterbrechungen der werkzeuglichen Thätigkeit,
so be
stimmt und ordnet sich jenes Natur-Verhältniß, indem die Kirche
ober Gemeine nicht allein die Dienste erkennt, welche ihr nöthig sind, sondern auch
die Begabten irgendwie anerkennt, bezeichnet,
verordnet und dazu beruft, wozu sie sich eignen.
Die Rechtmäßig
keit und Nothwendigkeit solcher Verordnung zum Amte oder solchen geordneten Amtes erkennt die protestantische Kirche mit der katholi schen gemeinschaftlich, obwohl unter verschiedenen Bedingungen an.
Das Object unsrer Wissenschaft, das kirchliche Thun, kann
wie jedes Thun nur in feinem Subjecte begriffen werden.
Das
letztere bestimmt sich so, daß es der ersten Potmz nach in der Ge meine gefunden wird; die Gemeine ist es, die sich selbst bethätigt;
der Gemeine aber ist ihre Selbstnnterscheidung eingeboren, es giebt
einen natürlichen Klerus, ohne welchen der positive für die Kirche des Evangeliums keine Wahrheit hätte. Und dennoch gehört zu dem
amtlichen, dienstlichen Thun der Kirche, von
dem wir reden, wie
sich schon aus den Umständen und Erscheinungen ihrer Urzeit er--
Einleitung. I. Begriff. §. 5. Posit. Klerus.
19
kennen läßt, nicht bloß die Gabe und Fertigkeit an sich, sondern theils,
daß ihre Bethätigung als eine wesentliche erkannt,
theils daß der Begabte, der in sich Berufene, wirklich berufen, that sächlich ausgcsondert und anerkannt werde,
legitima vocatio des Protestantismus,
worin das Wesen der
der Designation,
Voca-
tion und Ordination zum Amte liegt. Denn in diesen Actm voll
zieht sich
eine durch Reflexion vom Begriffe des kirchlichen Dien
stes auf die gegebene Person vermittelte Bcanitung.
Wir können
uns eine zu ihrer Selbstbethätigung gekommene und sich nach b l oßen Gesetzen der unmittelbar gegebenen Lebensord
nung bewegende Gemeine vorstellen; Missionar
ohne
sowie sie einen Apostel oder
gewähren lässet und seine göttliche Sendung annimmt,
sein Creditiv erst geprüft zu haben,
so lässet sie auch dieje
nigen gewähren, von denen Paulus sagt 1 Cor. 14, 26: „je einer
hat Psalmen, einer Lehre, einer Zungen, einer Offenbarung," ob gleich
sie nicht dazu ausgesondert oder ordinirt sind; oder ebenso
stellt ihr Zutrauen einen oder einige voran,
deren väterliche Vor
sorge am meisten gcmeindebildend gewirkt hat.
Dieser Proceß der
Unmittelbarkeit oder Natürlichkeit erfährt aber und bedarf allerdings seine ethisirende,
gleichsam kunstmüßige Bestimmung.
Er bedarf
sie, denn es muß sich endlich feststellen, nachdem dort Mangel hier
Ueberfluß
an Gaben und Begabten statt gefunden,
nach welchem
Rechte und Range die Gaben und Dienste sich einander unterord nen sollen, welche zufällig seien, welche nicht; und wenn es schon ein Sichaufwcrfen zum Lehren,
ein Usurpiren der Rede giebt, wovor
Jac. 3, 1 gewarnt wird, oder schon das Fundament von denen an
getastet wird, welche lehren, oder wenn Leidenschaften der Eifersucht
jene Verwirrung anrichten,
welche der Apostel 1 Cor. 12—14.
zu schlichten sucht, so kommt es darauf an, zu erproben, wer denn
gesandt, wer berufen sei,
und daß die Handauflegung nicht jedem
zu Theil, daß der Aclteste, daß der Helfer gewählt und eingesetzt werde. 1 Tim. 3, 1. 10. 5, 22. Ob diese Bestimmungen, Wahlen,
Einsetzungen von der Einzelgemeine oder vom Apostel oder Apostel schüler oder von beiden in Gemeinschaft ausgeführt werdm,
vorderhand noch gleich.
gilt
Genug, daß der Klerus sonach ein positi
ver geworden ist *).
*) Marheineke (Prakt. Theol.
S. 78.)
nennt
unangemessen, ohne sie richtig aufgefaßt zu haben.
diese Bezeichnung
Da er bloß auf
20
Einleitung. I. Begriff. §. 6. Einheit der Aemter. §. 6.
Die Einheit der Aemter.
Es sind vielerlei Aemter und Dienste, aber es ist Ein Herr,
dessen Dienst als kirchliches Amt in der Leitung der Gemeine
besteht. Nicht der Lehrer oder der Prediger, noch der Priester,
sondern der Hirte, Führer, Vorsteher giebt die Zusammen fassung der kirchlichen amtlichen Thätigkeiten her.
Jetzt vorausgesetzt,
was
künftig ausführlicher nachzuweisen
den lutherischen Kirchenbegriff lossteuert und sich den biblischen Bestand wenig vergegenwärtigt, so denkt er bei dem Worte „Klerus" an einen Stand und Standesverhältnisse, wovon hier noch nicht die Rede ist. Zur Leitung christlicher Synagogen gehören ursprünglicher Weise ver
schiedene Aemter, Stufen und Arten des Amtes, Presbyter und Diakonen, lehrende Aelteste oder bloß regierende. Wie soll man nun
die Einheit und den Inbegriff derselben bezeichnen? Klerus ist frei lich nach neutestamentlicher Sprache die Gemeine; hier die Gemeine in der Gemeine, nicht als hierarchischer oder politischer Stand, son dern als ihre Amtsführung, als die wirkende thätige Gemeine. Was aber das Natürliche und Positive betrifft, so denkt Marheine!e dort an das Vernünftige und Nothwendige, hier an das durch Ver
hältnisse zur Welt und zum Staate Bestimmte des Amtes.
vom Einen noch vom Andern 'ist die Rede.
Weder
Das Natürliche ist der
immanente Beruf, der in der Weise der Unmittelbarkeit wirkt, das
Positive ist derselbe Beruf,
aber der durch die Reflexion und Reso
lution hindurchgegangene, der erkannte und anerkannte Beruf; Gegen sätze und Bestimmungen, welche mit äußern Verhältnissen der Kirche nicht das.mindeste zu schaffen haben, sondern ganz und gar ihrem immanenten Entwicklungsgänge angehören. Der Amtsbegriff kann ohne sie nicht realisirt werden. Daß die Idealität der Gemeine das erste, und ihre Selbstunterscheidung das zweite sei, hat M. richtig erkannt und daraus den Bdgriff des Amtes mit Rücksicht auf Stif tung und Erhaltung entwickelt; daß aber das Amt nicht bloß ver möge seiner objectiven Nothwendigkeit, sondern auch durch subjective Anerkennung u. s. w. positiv werde, ist ihm entgangen. Wäre un ser positiver Klerus ein der Kirche fremdes, weil politisch vermitteltes, so müßte am Ende vom Amte, ja von der Gemeine, dasselbe
gesagt werden.
Die Worte Ekklesia und Liturgia (letzteres der eigent
lichste und vollste Ausdruck des AmtSbegriffs)
sind aus dem athe-
niensischen Staatswesen, vermittelt durch die alexandrinische Ueber-
setzung des A. T. hergekommen.
Einleitung. I. Begriff. §. 6. Einheit der Aemter.
21
sein wird, daß die kirchlichen, näher die amtlichen Thätigkeiten Un
terschied und in jeder Art wieder Mannigfaltiges
an sich haben,
und dennoch ihnen selbst vermöge der Einheit der Kirche Einheit zu kommt: so darf diese doch am allerwenigsten im Begriffe des prie
sterlichen Wirkens gesucht werde».
Das Priesterliche, als das
wesentliche oder als das umfassende für den Amtsbegriff der Kirche gedacht, setzt einen Widerspruch.
Denn
cs entspricht lediglich den
vorchristlichen, gesetzlichen Religionsgemeinschaften, über welche der Standort der Kirchesich erhebt. Die gottgesctzlichc(theokratische) Kirche
besteht nicht ohne Personen, die dazu geboren oder sacramentlich be fähigt worden sind, daß durch ihr Magistcrium oder Ministeriuni, durch ihre Aussprüche oder Verrichtungen das ganze Volk und jedes
Volksglied in
der Gemeinschaft des Herrn gegründet und auf dem
Wege des Heiles dirigirt werde. Anders als durch dieses Priesterthum, welches sich keineswegs aus dem allgemeinen entwickelt, sondern als
ein specifisches die Wirksamkeit des Sacraments und aller Gnaden mittel bedingt, giebt es nach den Voraussetzungen des religiösen Ge-
setzthums für niemanden Antheil an der Erlösung und der Gemein
schaft Gottes.
Die bisherige Ableitung des Anltsbegriffs würde
daher nichtig und verkehrt erscheinen müssen, wenn wir nicht statt
der gottgesetzlichen priesterlichen
das Evangelium,
die sich
Religionsgenieinschaft
die Kirche,
im Elemente der Erkenntniß und des
Glaubens, obgleich nach dem Wort, doch von Innen heraus bethäti
gende, vcrgleichuugswcise ethisch bewegende und didaktisch bestim mende Gemeine im Auge hätten. Die priesterliche Thätigkeit in der evangelischen Kirche als besondre gedacht, wird kein selbstständiges
Amt hervorbringen.
Eine absonderliche liturgische Gabe, darinnen
sie beruhm könnte, giebt es nicht. Es müßte das Zungenreden sein, welche eine vorübergehende war, und jedenfalls für eine zufällige an
gesehen werden muß. Das Lehr- und Hirten-Amt ist ein eingesetz tes und immanentes;
die Sacrament- Spendung nicht,
denn diese
ist unter Umständen jedem Gläubigen gestattet, und nur boni ordinis causa amtlich bestimmt. Diejenige Würde aber, die dem stän digen Liturgus zukommt, welcher die Gebete der Gemeine ausspricht und die
der Gesammtkirche eigenthümlichen
Einzelgemeinen oder
Weihen und Segen
Einzelgliedern ertheilt, ist offenbar von dem
Lehr- und Hirtenamte geliehen.
Desto wesentlicher nun scheint
in ihrer Selbstbethätigung die Kirche eines Dienstes am Worte zu bedürfen, und nicht nur ist es im Laufe des vorigen Iahrhun-
Einleitung. I. Begriff. §. 6. Einheit der Aemter.
22
dertS immer mehr Sitte geworden, das kirchliche Amt von dieser Seite zu bezeichnen: der christliche Volks lehr er, der Predi ger — sondern auch neuerdings wird mit Köster*) von Marheineke**) gegen Schleiermacher geurtheilt,
das Lehren
sei das den Geistlichen unterscheidende. Den Geistlichen?
Ist denn die Gemeine weltlich?
Es
war ja vom Amte,
vom
Dienste die Rede, und die Frage ist, ob alles amtliche Thun in
der Kirche das Lehren sei.
Lehrt der Liturg,
der Seelsorger,
der Ordner? „Das Lehren drückt wenigstens das gegenseitige"
— (also den Unterschied in den sich die Gemeine theilt und der die Amtsthätigkeit hervorbringt) „bestimmter aus," bemerkt Marheineke.
Nämlich bestimmter als das Leiten, womit Schleierma
cher das Allgemeine jener Thätigkeit bezeichnet. Gleich als ob der Gegensatz der Lehrer und Hörer ein Mehr von Gegenseitigkeit ent
hielte, als der Gegensatz von Leitern und Geleiteten. „Das Leiten,
sagt man, könne auch von den Mitgliedern der Gemeinde übernom men werden."
Aber sind denn etwa die Prediger nicht Mitglie
der der Gemeine?
Oder werden denn leitende Mitglieder der
Gemeine nicht wirklich ihre Amtsinhaber sein?
bemerkt,
„der Gegensatz
Bald darauf wird
von Wirksainkeit und Empfänglichkeit sei
ein relativer und fließender, einen wirklichen Unterschied mache die
Macht des Bewußtseins in dem Triebe der Mittheilung,
der hö
here Grad der Intelligenz und Pietät." Gleich als ob dieser Unter schied nicht ebenso fließend wäre, da er vielmehr nur das Element
und die Region
bezeichnet,
worin die Leitung
stattfindet; denn "christliche Intelligenz und
und
wodurch
sie
Pietät ist den Gelei
teten nicht abzusprechen, weil sie sich leiten lassen, nicht einmal ein
verhältnißmäßiger Trieb der Mittheilung.
Dergleichen Einwürfe
waren für die Schleiermachersche Bestimmung nur von Seiten des
einseitigen oder unentwickelten Lutherischen Amtsbegriffs zu besorgen. Und sogar die Lutherische Bezeichnung des wesentlichen Amtes ist,
da sie nur zufällig vom Priest ernamen ausgegangen war, nicht beim Prediger, sondern beim Pastor stehen geblieben, und damit
stimmt nicht nur überein, daß Christus und die Apostel kein All gemeineres von erforderlichen Einwirkungen auf die Gemeine setzen
als das hirtenamtliche, Ioh. 21, 15. 1 Petr. 5, 2. Apostelg. 20,28 *) Lehrbuch der Pastoralwissenschaft S. 159.
**) Prakt. Theol. S. 74.
Einleitung. I. Begriff. §. 6. Einheit der Aemter. und
daß
der ursprüngliche
Führer, Leiter,
13, 7. 11.
und einzige,
Vorsteher,
23
umfassende Amtsname:
Aufseherist — vgl. Hebr.
1 Thess. 5,12. mit den bekannten ©teilen der Hirten
briefe des Paulus — sondern es sen Namen und Begriffen
besteht auch eben nur mit die
die Möglichkeit, das
der Functionen auszudrücken,
gleichartige aller
welche wesentliche Erfordernisse für
die Gemeine sind, und entweder eine und dieselbe Amtsperson oder
verschiedene z. B. lehrende und nicht lehrende Aelteste 1 Tim. 5,17. Bischof und Diakon u. s. w. in Thätigkeit setzen. dem,
Muß man in
was wir das Positivwerden des Klerus genannt haben, im
Bezeichnetsein (/jiQOTovi'a), im Erkanntsein und Gesetztsein, es sei mehr
von der Gesammt- oder mehr durch die Einzelgemeine be
wirkt worden, das v ollendende Moment des Amtsbegriffs
erkennen, so ist offenbar, daß das Leit- und Ausseher-Amt das erste
gewesen ist und sein mußte, für welches eine Person zu bezeichnen und anzuerkennen war. Ein gemeinsames Handeln fordert vor allen
andern Dingen den Vorstand,
den Leiter;
alle mögen weissagen,
viele nach einander Psalmen singen oder beten, was der Geist eingiebt, aber der Archisynagog muß das Wort ertheilm, oder auch
schon richten, was gesagt worden, Ordnung machen und halten; von ihm muß die Thätigkeit aus- nnd auf ihn zurückgehen.
Allerdings
wird er nun — der christliche Archisynagog oder Bischof — nicht allein an Jahren, sondern an Einsicht und Frömmigkeit der reifere, ältere sein, gleichsam der sachverständigste überhaupt; in ihm werden
irgendwie die Gaben und Aemter alle latitiren.
Verwaltung und
Aufsehen sind allumfassend.
Das Lehren aber und Beten,
das Unterrichten
specielle Ermahnen wird erst
nach
und
und
nach im vollen Sinne amtlich werden.
Am
meisten ziehen das Lehren nnd Leiten einander an — denn diese
christliche Gemeinschaft kann überall nur geistig und demnach durch Lehre sich leiten oder leiten lassen, es kommt auf Seelenleitung an; diese ist Zweck nnd Mittel zugleich.
das Aufsichts-
Das früheste eigentliche Amt,
oder Vorsteheramt muß demnach
der Lehrfunction
Amtlichkeit mittheilen oder dieselbe mit in sich aufnehmen. Weshalb
ein Bischof
soll lehrhaftig sein
1 Tim. 2, 3.
Ja
es kann
nicht fehlen, daß der amtliche Führer je länger je mehr im geeig
netesten Lehrer und Schriftausleger gesucht wird; lange die Macht des evangelischen Princips
wenigstens so
noch nicht ganz der
priesterlichen, gesetzlichen Richtung weicht, oder von der Zeit an
24
Einleitung. I. Begriff. §. 6. Einheit der Aemter.
wieder, da die Kirche sich durch Verkündigung des Wortes regelte« rirt und auf den Grund der heiligen Urkunde zurückgeht. Die Lehreleitet am Ende alles; sie ist gewissermaßen das Magisterium in allem Ministerium, die Weisung in'aller Regierung. Angenom men aber, daß die Lehrgabe doch in ihrer Art wieder beschränkt sei,
und obgleich die pädagogische, nicht minder die liturgische, doch die Rcgierungsgabe (r.vße$viivird, ein größeres als die Suspension aller Lehr-Disciplin
und Verfassung.
§. 54 Lösung des Widerstreits zw. Kirche u. Wissenschaft. 1.
Die Lösung
des Widerstreites, welche tut Allgemeinen
ebenso
sich durch die Geschichte des Verhältnisses selbst
zogen hat,
als
er sich erneuerte,
kann
oft voll
nicht in Losreißung der
Wissenschaft und ihren Anstalten bestehen.
Kirche von der
299
hieße das Feuer auf dein Heerde auslöschen,
Es
damit man Brand
Eine selbstgemachte und zugemessene Wissenschaft
unglück verhüte.
ist ebenso nichtig als eine i&flo&nrlay.n'a;
und was hat die quä
kerische Proskription der Theologie zu Gunsten des
sticus der Kirche int Ganzen nützen können?
propheta ru-
Was die Kirche in
ihrem endlichen und fehlerhaften Element noch an sich hat, ist dem Heiden- und Judenthumc des natürlichen Menschen gleich; cs ist immer Passivität mit Fanatismus. Was in den Gliedern ist, muß
irgendwie ausbrechen; nimmt cS nicht Anlaß am Gebot und an
der Verheißung der Wissenschaft,
so
am wissenschaftslosen Gebot
und Geheiß der Welt und des Fleisches.
Es sollen Spaltungen
unter euch sein, schreibt der Apostel, ich glaube es auch, denn sie
müssen feilt,
damit sich das
gute bewähre.
Da das Vitiöse
überall erst sich entwickeln muß, bis es als solches erkannt werde, so erfolgt die Bewährung des Guten an ihm nicht gleichmäßig,
sondern stoßweise.
Demnach hat die Kirche keine Macht, noch eine
Pflicht die Möglichkeit ihrer Erschütterung und Prüfung durch die
Schule abzuschneiden, wohl aber die Macht und Pflicht, in ihrer Weise sich gegen schlechte Wissenschaft vorzusehcu,
und deren Er-
zeugniß, die unchristliche Lehre, von sich auszuscheidcn. 2.
In der ersteren Hinsicht vorzüglich hat sic also denselben
Feind, welchen die Schule zu bekämpfen, sophistische und compila-
torischc Weisheit in Ansehung der Form.
Wissenschaftliche Gründ
lichkeit läßt sich aber nicht bloß durch Darreichung der materiellen
Mittel, noch durch bloße Disciplin, vielmehr nur durch vernünf
tige Freilassung zur selbstständigen Entwickelung des Talentes und der Gesinnung fördern.
Unterwirft
nun das Kirchenregiment in
dieser gedoppelten Rücksicht, der sittlichen und wissenschaftlichen, die geistliche und natürliche Gabe der Prüfung,
so kann sie nur vom
Acker literarischer und didaktischer Lehrfreiheit ernten und niuß die zufälligen Auswüchse derselben dulden, obgleich überwachen.
Nicht
nur innerhalb der ihr verwandten Schulen, sondern auch inmitten der kirchlichen Lchramtsthätigkcit.
Sonst wäre der diakritische
Proceß, der dem Apostel zufolge, ehe es irgend zu disciplinarischem Verfahren kommt,
aus dem Grunde des kirchlichen Lebens
300
I. Buch. Kirchl. Leben. I. Idee. 3. Verhältniß nach Außen,
hcrvorgehet, I Cor. 14,29. 12,10. noch möglich.
Reactionen kann
Lehrkanons
1 Thcss. 5,21,
weder nöthig
Ohne Vertrauen auf den Gemeingeist und dessen eine bloße Handhabung des
(§. 35)
nicht znm Guten dienen.
kirchlich
verfaßten
Dieser Kanon ist
vielmehr selbst nach dem Grundverhältnisse von Tradition und Re
formation (§. 38) zu beurtheilen und geltend zu machen.
Denn
obwohl er in seinem substanziellen Principe und Grunde nicht rc-
formabcl heißen kann, 1 Cor. 3,11. 1 Joh. 4,1.2, so hat er doch Entwickclungsfähigkeit, und diese fortschreitende Entwicklung richtig
verstanden, besteht ebenso oft in Vertiefung itnb Vereinfachung, als in Erweiterung oder Anspannung der Erkcnntnißsormcl.
Auch das
Kirchenregiment, auch die Kirche selbst genießt ihrer Lehrfreiheit, ob
gleich sic durch absolute Neuerung sich vcrläugnet und aufhebt.
3.
Wie mm immer noch weiter die
Freiheit durch die ver
fassungsmäßige Verthcilung der in dieser Hinsicht ordnenden Auctorität, durch Herstellung des Gleichgewichtes eiliger theologischer Bewegung und minder beweglicher Standpuncte und durch mög
lichst vollständige Gemeinsamkeit der Berathung nnd Bcschlußnahme, sowie durch verständige Behandlung aller Conflicte in Schutz ge nommen
werden mag:
Freiheit doch sein,
so
eine
geordnete,
eine bestimmte muß die
daß jede Verwendung des Lehramtes zur
offenbaren Entgründung der christlich-kirchliche» Lehre als Usurpa
tion und Anarchie anzusche» und darnach zu behandeln sein wird.
Das Recht der subjectivcn Ueberzeugung, die sittliche Würdigkeit der betreffenden Person, die gleiche Denkart oder Richtung vieler ändern hierin nichts.
anders,
Zwar Inquisition kommt, wenn sie etwas
als Erprobung der Amtsfähigkeit oder als Aufforderung
zum amtlichen Bekenntnisse ist, wenn sie Ueberzeugungen als solche richten will, der Kirche nicht zu.
Die Häresis als lehramtliches
Factum aber ist sie zu entkräften verpflichtet.
worin diese besteht.
Es fragt sich nur,
Denn daß wer wider das bestehende Kirchen
regiment eine Meinung hartnäckig vertheidige, Häretiker sei, kann aus der ursprünglichen Bedeutung des Wortes allenfalls abgeleitet
werden,
nur ist dieß nicht der apostolische, noch der altkirchliche
Begriff der Sache.
Häresis ist eine politische, philosophische, reli
giöse Secte, Partei; cs wird zuweilen nur im Sinne der Bezeich nung der factischcn klntcrschicdc,
einer Besonderheit gesagt,
meistens rügend von Stiftungen
welche der Allgemeinheit einen Abbruch
thut und als ein wählerisches, menschlich selbstgemachtes Ding er-
§. 54. Lösung des Widerstreits zw. Kirche u. Wissenschaft. scheint.
301
Das N. T. braucht das Wort in jeder dieser Bedeutun
gen; sofern eS unter demselben aber eine widrige Erscheinung un ter den Christen versteht,
ist nicht von
einem Widerspruch gegen
die Kirche als Subject, sondern entweder von der Schuld des Se
paratismus, 1 Cor. 11, oder von einer Berläugnnng des Objec tes, von einem Abfall vom Sachgrunde die Rede. Tit. 3,10. vergl. V. 9. 2 Tim. 2,16—22 *). 1 Tim. 1,7. 6, 3. 1 Joh. 4,1. 2 Joh. 9. Nur daß dabei immer der Abfall von der Glaubens
3 Joh. 10.
und Sittenlchre., von dem Lehr- und Lebcnsfundamente zugleich
angenommen wird; denn das ganze Alterthum vermuthet und sieht
in dem, der vom Dogma und Ritus abfällt, Jmpietät und ruch lose Gesinnung überhaupt,
so daß auch dcncu,
welche nur
die
Lehre oder deren recipirte Formel verläugnen, wie den Häretikern des 4. 5. Jahrhunderts,
der volle Argwohn
und eine Art von
officieller Berläumdung in das Exil iiachgchct. Die Lehre und der
Lehrer werden mit Einem vom Reiche Gottes ausgeschlossen, mit
Einem Fluch
belegt;
die Strafbarkeit der Lehre zieht die Straf
barkeit der Gesinnung und der Person nach sich, weil die Neigung der Kirche zur gesetzlichen Auffasslmg des Christenthums das Berhältniß von intellectuellen und sittlichen Phänomenen,
logie und
Glauben,
von Theo
Wissenschaft und Leben im Dunkeln hält.
Wenn nun auch auf diesem Wege
dazu fortgeschritten wird, den
beharrlichen Widerspruch gegen die Kirche als Subject, oder gegen die Hierarchie mit dem Abfall vom Lehrgrundc zu verwechseln, so
ist doch der letztere Begriff im kirchlichen Alterthume der vorherr
schende, und derselbe muß, sofern er sich von den falschen Anhän gen, mit welchen ihn das aumaaßliche Glaubens- und Gewissensge
richt umgeben, befreiet hat, für den allein richtigen und wahren
gelten.
Daß die Kirche eine Lehre verwirft,
ist eine Thatsache,
welche zwar rechtliche, gesellschaftliche Wirkungen hat,
aber als
solche kein Gewissen und keinen Glauben bindet; sondern die Kirche ist verbunden
eine Verschiedenheit der Lehren zu dulden,
welche
*) Ob vtanSQixai buvhjfAiai, wirklich, wie die gewöhnliche Auslegung lautet, jugendliche Lüste bedeuten, kann gezweifelt werden, da mindestens yeioitQicr^os , zu jener Zeit weit öfter
neuerungssüchtiges als jugendliches Wesen anzeigt.
Ein Ti
motheus war wohl mehr vor dem einen als vor dem andern zu warnen.
I. Buch. Kirchl. Leben. I. Idee. 3. Verhältniß nach Außen.
302
ihren Grnnd in dem Evangelium haben und Nachweisen, und eine
Lehre, welche gegen diesen ancrtänntcrmaaßen angehet, von der Be rechtigung zum öffentlichen Vortrage anszuschließen. Die Logik die
ses Unterschiedes Härcsis und Allodoxie, Hetero- und Skoliodoxie bestehet, denn contrarietas und contradictio, Gegensatz und Wi
derspruch, sind von jeher mit Recht unterschieden worden. zwar behauptet worden,
oder keine, und daran ist dieses wahr, feinen Folgen
Es ist
alle christlichen Lehren seien fundamental
daß der Grund in allen
und jede nothwendige Folge, fällt
wiedererschcint,
sie der Verneinung anheim, den Grund verhältnißmäßig mit in
die Verneinung
ziehet.
So
Urtheil und der Schluß, aber
damit
das
Kategoricen
Bleibt nicht wirklich
umgcstoßcn?
dern ?
in den
ist auch der Begriff ideell schon das
dieser reell wieder der Begriff.
Bürgt
nicht wirklich
die
eine das prius des an
das
anerkannte Eingcborenheit und
ideell für
Uebernatürlichkeit Ehristi Jesu
Wird
bestimmte Sachverhältniß
alles andere?
Haben
nicht lvirkiich die Apostel Fundamente aufgcwiescn und den Aufbau der Lehre
davon unterschieden?
Allerdings die Kirche war mit
Nachweisung der Fundamente vor Artus anders daran, als nach ihm, vor Pelagius anders, als nach ihm, und was sie gegen die
Ebioniten oder die Gnostiker mit
vertreten hatte,
des Fundamentes hergeben:
Erkenntniß
Unrecht bemerkt,
mußte die früheste
nicht
daher Augustinus
auch Häretiker gründen sich auf Christus,
und es fragt sich also, wer er sei, welche Kräfte wir ihm zuschrei
ben ; und doch ist das nur noch nicht zertretene Saatkorn, der nur noch
nicht gemeingemachte Christus,
die Möglichkeit der ganzen
Wahrheit der Lehre und folglich alle Häresis unvollendet,
welche
mit dem geschichtlichen Christus den Glauben an das Heil,
in seinem Namen ist, festhält.
freilich
das
Der Anfang der Irrlehre kann
überall zur Erscheinung kommen, wo die Entwicklung des
Grundes bewußter Weise schon hingeführt hat, es sei an Stellen der regressiven Entwicklung, z. B. wenn keine Schöpfung der Welt,
keine Persönlichkeit Gottes anerkannt wird, oder wenn in der pro gressiven
keine Rechtfertigung u. s. w.,
Kritik oder
theologischen
Verneinung der
allein fürs erste ist
bisherigen kirchlichen Formel,
die der
Ausdrucksweise noch nicht einmal volle Heterodoxie
geschweige Häresc, und zum andern fragt es sich, ob der corrigirende Lehrer, indem er auf dem gegebenen Puncte einseitig daö eine Glied des dialektischen Gegensatzes
zum
einzigen Satze
der
303
§. 55. Verhältniß zur Ärmst. Wahrheit erhebt,
z. B. das
liberum
arbitrium
gnadenwidrig
lehrt, nun im Rccurse auf dcu Lchrgrund iu der absolut natura listischen Befangenheit verharrt und damit schließt auch den Grund
zu naturalisiren.
Kurz
es
giebt einen Unterschied der Glaubens
artikel und der Probleme; schon weil die Lehre eine Geschichte hat. Und weil weder dem Regimente der Kirche noch dein Dienste der
selben das Lehrgebäude als ein schlechthin abgeschlossenes erscheinen kann, cs wäre denn, daß sie sich absoluter Wisscrci oder absoluter
Glaubensgesetzlichkeit ergeben welche seiner Zeit Orthodoxie
hätten,
giebt
es
auch Heterodoxie
wird, und darnach muß sich das
Berfahren, um Lösung des fraglichen Streites anzustreben, richten. daß sich die erst beginnende Häresis, oder die Heterodoxie
Nicht,
als Abweichung vom kirchlich vorausgesetzten außer aller Animadversion befände.
Denn wer sich in der Function, die auf unmitel-
bare Erbauung gerichtet ist, auf der Kanzel und im Katechumenenjiirmer mit einer gegen den öffentlichen Lehrbegriff unmittelbar gerichteten Kritik und Polemik beschäftigt, kann vielleicht schon, weil er ein Bertrauen bricht, oder weil er die Gebietsgrenzen verschiedener
Lehrthätigkeiten leidenschaftlich übertritt, wegen unsittlicher, unkirch licher, ärgerlicher Handlungsweise in Anspruch genommen werden, da er aus Gründen der Schrift
muß aber auch im besten Falle,
und des Heilsglaubens selbst, um des Gewissens willen gegen ein geführte Lehre als Zeuge auftritt,
das Leiden eines Reformators
sammt dem Thun auf sich nehmen.
4.
Die schlechthin unterlassene Aufsicht, Lerständigung, Ber-
antwortung und Entscheidung in Ansehnung der Lehre zeigt keinen
normalen Zustand der Kirche au, es sei nun daß gar kein Bekennt
niß aufkomme
oder daß gar kein Conflict zwischen demselben und
der Theologie gedenkbar bleibe; entweder der Subjectivismus
sich
denn in allen diesen Fällen hat
des Gegenständlichen ganz ent
äußert, oder der Mechanismus des ganzen kirchlichen Wirkens ist
gesichert und vollendet.
§. 55.
Berhältniß zur Kunst.
Es ist mit dem andern Elemente der Cultur des Geistes,
mit
der Kunst, derselbe Fall wie mit der Wissenschaft,
mit der Ausübung der Religion,
daß sie
der christlichen insbesondere, in
einem ursprünglichen Anziehungs- und Abstoßungsverhältnissc, in
Unterschied und Einheit steht und jeder Conflict zwischen ihnen im
304
I. Buch. Kirchl. Leben. I. Idee. 3. Verhältniß nach Außen.
Lichte der Idee lösbar erscheinen, die Lösung aber für beiderseiti
ges Interesse gelten muß. Die Anziehung zwischen beiden geschieht durch die Sittlichkeit der Kunst
Religion,
und die ästhetische Bedeutung der
durch das Vollkommene und Erhabene der Gottgemein-
schaft des Menschen, und durch daö negativ und positiv künstleri sche Erfordcrniß der Darstellung des gemeinsamen Glaubenslcbcns.
Die Abstoßung rührt in allen ihren Momenten von dem besondern Zusammenhänge der Kunst mit der Naturreligion und den daraus sich erneuernden Folgen her.
Die Kirche läßt als Lehre und Feier
die Kunst der Rede und Poesie, des Tones und des Baues,
verhältnißmäßig auch andere bildende Künste zu; sie gereicht ihnen zur Wiedergeburt; die Künste erlangen einen kirchlichen Styl. In dem sie diesen festhält, der die Negativität des Heiligen an sich
hat,
Abbildung Gottes nicht zulüßt,
die schöne Mannigfaltigkeit
dem Gesetze der erhabenen Einfachheit unterwirft, die verjüngte Ge
schichtlichkeit dein abstrakt Idealen vorzicht, Illusion, Spiel, sinn liche Jndividualisirung
nicht zuläßt und Selbstgenügsamkeit
des
künstlerischen Interesses aufhebt, thut sic der Idee der Kunst selbst
mehr Genüge als Abbruch, berechtigt sich aber dadurch nicht, als
Sitte
der Kunstübung und dem künstlerischen Berufe deshalb
feindlich entgegenzutreten, weil sie ihr selbstständiges Gebiet in An spruch nehmen, nach ihrer eigenthümlichen Geschichte und ihren be
sondern Lebensgesetzen, z. B. int Zusammenhänge mit dein Volks spiele sich bewegen; denn in diesen Rücksichten hat sie sich nur der Theilnahme an Entweihung des
Heiligen,
an
Vergötterung
der
Creatur, an Heiligung des Lasters, überhaupt der unsittlichen also
auch kunstwidrigen Kunst zu entziehen, und die sittliche Kritik nur
mittelbar und im Zusammenhänge mit der allgemeinen Culturbe strebung zu üben.
1.
Die Religion ist Mutter, Pflegerin, Erzieherin der Kunst.
Das Ewige, das Wahre und Gute ist sofern es angeschauet wird das erhabene Schöne; jemehr die Frömmigkeit Kraft gewinnt, dcstomehr unterscheidet sie Geist und Natur, göttlichen und natürlichen
Geist, aber nur, um sie desto vollkommener in einander zu schauen.
In der ersteren Richtung
scheint sie durch Glauben und Denken
künstlerisch unfähig, oder überkünstlerisch werden zu müssen, denn
außer der innern oder äußern Erscheinbarkeit
des Seins giebt es
§. 55. Berhältniß zur Kunst.
keine Kunst.
305
Gott verbietet das Bild und Gleichniß von ihm; ein
Verbot, welches nach der Auslegung der Mystik über den äußern
Cultus in den innern hereinreicht und sogar die Begriffe, wie viel
mehr
die anthropomorphisirenden Vorstellungen betrifft.
Gerade
aber die Religion des bildlosen Gottesdienstes und die dadurch mit
gebotene Jntcllectualität der Anschauung Gottes hat die Kunst in
unendliche Bewegung gesetzt und ihr den reichsten Inhalt gegeben.
Denn der Erhabene ist dennoch der Allgegenwärtige, der Ueberbegrifsliche dennoch
wieder der lebendige und anschaubare Gott, so
daß unter den ethischen und logischen Verneinungen der einzelnen
Vorstellungen und Bilder das gläubige Gefühl desto inniger und sehnsüchtiger, desto freier und lebendiger das göttliche Verhältniß,
die
göttliche Form, die
göttliche Harmonie zu erschauen und in
die Natur und Geschichte hereinzuschauen
trachtet;
welches doch
die reinste Quelle und vollestc Bedingung der künstlerischen Dar stellung werden muß.
So ist die Religion an sich Künstlerin als
Natur - und Weltanschauung überhaupt;
und wenn sie auch auf
höherer Stufe als intensivere Andacht sich dem äußern, sinnlichen
Gebiete mehr entziehet und der fixirenden Synibolik mehr enthält, so wird sie sich in dem unmittelbaren geistigen Gebiete der Sprache
desto poetischer und schöpferischer erweisen, ohne sich den übrigen Darstellungsarten als Feier des gottgemeinschaftlichen Verhältnisses ganz oder für immer zu entziehen.
Allerdings ist die Redekunst
weniger als die Poesie und Musik unmittelbar religiösen Ur sprungs , die Architektur mehr als die Scülptur und Malerei. Denn die Kunst im Allgemeinen ist auch für sich und tritt in ein
freies Verhältniß zur Wissenschaft nnd Religion, als ein selbstän diger Factor
Künstler; macht
des
gebildeten Lebens.
schon einmal der
Der Mensch ist geborener
Verstand
des Selbsterhaltungtriebes
ihn dazu; zwingt er die Natur ihm zu dienen, braucht er
ihre Lebensfunctionen zum Vehikel seiner Thätigkeit, oder gestaltet
ihr Holz, ihren Thon, ihr Erz nach seinem Willen und Brauch, so
wird
er zunächst nur Handwerker, aber auch schon mechanischer
Künstler; der erreichte reale Zweck grenzt schon an daS Geschmacks-
Interesse; das Werk sucht seine Zier. tung der
eigentlichen
Hierin liegt nur Andeu
Kunst; die arbeitende im Bunde mit der
Geselligkeit und ihrem Frieden schafft Raum und Mittet für die spielende und feiernde.
Denn des begabten Menschen Ruhe
kann der bloße Sinnenreiz nicht erfüllen; NI tz s 4 , pratt. Theologie.
I. Bd. 2te Ausl.
sondern er will sie als 20
306
I. Buch. Kirchl. Leben. I. Idee. 3. Verhältniß nach Außen,
wirkliche Freiheit von den Fesseln der Natur genießen;
und geht
seine selbstbewußte Thätigkeit über den Zweck des Reizes und des
Nutzens
hinaus ohne
ins Unbestimmte sich zu verlieren, so tritt
er durch Kontemplation und Andacht in ein neues Verhältniß zu den Erscheinungen.
durch
Die Idee der Natur und des Lebens ist es,
welche sie ihm Zeichen wird, durch welche sie ihm sich ver
jüngt zum Bilde seines Sinnes und zum Geschöpfe seines Ge
dankens, Geht
es sei
daß er rede und singe oder zeichne und gestalte.
hieraus eine innige Verwandtschaft von Wissenschaft und
so gleicher Weise die Erregbarkeit und Erfüllbar
Kunst hervor,
keit des künstlerischen Triebes durch die gefühlte Verehrung, durch Diese ist es nicht nur, welche bereits der arbeiten
die Religion.
den Kunst, theils durch die Scheu vor dem Leben und Willen in der Natur, Schranken setzt, theils durch Offenbarungen Mittel und Wege zeigt; dieselbe ist es, welche vor allen andern Gegenständen
der Erfahrung und des Bewußtseins den Menschen in Feier und
ideelles Handeln versetzt.
Das schlechthin hingenommenc Gemüth,
das tiefste Gefühl hat Vorstellungen, welche, wenn sie sich austau schen
und zu diesem Behufe bestimmen und vergegenwärtigen wol
len, mit den Veranlassungen der Kunst zusammenfallen. Die Reli
gion wenigstens erkennt ein Anderes, ein Inneres der Natur, will und gebietet eine Vorstellung dieses Andern, fordert daß das erste, natürliche sich dem andern zu Ehren verändere und gestalte. Daher
geschieht es, gabteste ,
daß die Religion das in Ansehung der Kunst unbe
überhaupt culturloseste Volk dennoch
Grade zum Künstler macht;
in
irgend
einem
sollte der Wilde sich noch so sehr
entstellen durch Bemalung und Verzierung, anders sich darstellen als die Natur ihn gemacht muß er doch, um wohlgefällig zu wer
den; sollte es auch eine Earicatur sein, was er schafft, wenigstens diese Kunstschöpsung nöthigt ihm der dunkle Trieb des Geistes ab;
sollte
es
auch
eine abscheuliche Verknüpfung von Gestalten sein,
wodurch die ungeheure Ahnung einer noch ganz leidenschaftlichen
(luftigen und nnlustigen) Frömmigkeit die Idee der Gottheit ver
gegenständlicht, Elemente des Erhabenen sind in dem Erschrecklichen doch enthalten.
Das in höherm Maaße begabte, das Volk tieferen
und beweglicheren Geistes,
hat zwei Wege von der religiösen An
regung aus zur positiv künstlerischen Darstellung zu gelangen; der
eine
nen.
führt mehr zu dem Erhabnen, der andere mehr zum Schö Beide vermitteln sich.
Da der asiatische Geist Betrachtung
§. 55. Verhältniß zur Kunst.
307
und Andacht, Religion und Wissenschaft von Anfang her ununterschiedner Pflegt, greift auch seine Naturverchruug der Wissenschaft vor, vertieft sich in das objektive Sein und Werden, beschäftigt sich mit den darin enthaltenen Widersprüchen, und ihrer Ausglei chung. Diese Richtung führt aus Darstellung des Allgemeinen und Ganzen, des Großen und Erhabenen; sie symbolisirt in Maa ßen und Zahlen das Ewige, schauet die göttlichen Eigenschaften und Verhältnisse, des Unglücks oder Glücks Principien in die Sterne, Thiere und Pflanzen herein, und da ihr das Menschliche gegen die Naturgeschichte zurücktritt, wenn cs auf Anschauung der
Idee ankommt, so bringt sie vorzugsweise wundervolle Bauten und räthselvollc Verzierungen derselben hervor; ihre geschichtliche, epische Darstellung bleibt maaßlos und abenteuerlich; nur tiefe schmerz liche Leidenschaft oder Wollust feiert im Gedichte und Gesänge. Das eigentliche Volk und Land der Kunst muß unter anderen Be dingungen stehen. Wo der Mensch sich selbst feiert, und die Göt
ter Menschengestalt haben, äußerlich und innerlich cs das mensch liche Wesen ist, dessen Eigenschaften itiib Bestimmungen der Cultus
idcalisirt, wird zwar die Bethätigung und Kraft der Religion am ersten ihre Grenzen.finden, aber Kunst, redende und bildende, zu
desto größerer Vollkommenheit gedeihen. Die Idee des Mmschen ist unstreitig die reichste Quelle der Idee der Schönheit und wird sich, von der Natur selbst in dieser Hinsicht am vollkomniensten aus gestattet,
der griechische Mensch zum vollkommneren Gegenstand
des sinnlichen und geistigen Wohlgefallens, so ist dieses der Anfang des Griechenthums überhaupt, die Einleitung zur ganzen mytholo
gischen Entwicklung, zum Dienst der Heroen und der olympischen
Götter, zur ganzen Feier der Subjektivität, welche in der Reli gion, Politik, Wissenschaft und Kunst der Griechen das Wesen ausinacht, insonderheit der Weg zum Eultus der Musen und Gra zien in allen Dingen. Die homerische Epopöe, die tragische und komische Darstellung der Idee des Menschenlebens, die Werke des Sophokles, Platon, Demosthenes, des Phidias und Praxiteles
sind nun in Aussicht gestellt. Die anthropologische Richtung be herrscht. da durchgängig die theologische; die Religion ist Element und Mittel der Verselbständigung des Staates, der Sittlichkeit, der Wissenschaft wie der Kunst. Erreicht diese in der Antike als Poesie und Beredtsamkeit, als Sculptur und Malerei eine formelle Voll endung, so überlebt sie in ihren Schöpfungen, die der Weltcultur
308
I. Buch. Kirchl. Leben. I. Idee. 3. Verhältniß nach Außen,
angehören, die Religion des Volkes, die Schönheit die Wahrheit gewissermaaßen, und erhält unter den sittlichen Mächten eine bleibende Stellung.
Schon die griechische Religion hat überwie
gend sittliche Wirksamkeit nur dadurch, daß sie so künstlerisch und
menschlich ist.
Sie deckt die Untiefen und Abgründe des Verder
bens und Todes mit dem Schleier der Schönheit zu, wie dieß Lenau so trefflich bezeichnet,
wissen Leichtsinns schuldig
und wenn sie sich damit eines ge
macht,
den
die Platoniker selbst im
Namen ihrer Väter eingestanden haken, oder eines noch unzeiti gen Triumphes — beides jedoch
Art gesühnt — so. läßt
hat die Tragödie schon in ihrer
sich doch nicht verkennen, das Erstreben
und Erreichen der reinen, idealen Formen ist eine Bändigung alles
dessen,
was als Ungeheuer im Menschen sich regt;
sagt, eine vorläufige Erlösung,
Geistes.
wie Göthe
ein Evangelium des natürlichen
Die Mythe vom Orpheus und Arion,
und die Bedeu
tung, welche Pythagoras der Musik gegeben, erläutern dieses.
Es
folgt schon aus dem, was wir vom Verhältniß des Heilszweckes zu der im Staate zusammengefaßten Cultur
im Allgemeinen ge
sagt, daß eben darum auch zwischen der im Christenthum verwirk lichten Religion und der Kunst an sich keine Abstoßung oder Gleich
gültigkeit, sondern Anziehung obwalten wird. Alle Stufen und Mo-
mente der menschlichen Versittlichung ziehen sich einander an. Die Unverträglichkeit kann nur dann cintreten,
wann die Antike ohne
alle Vermittlung der sogenannten Romantik, ihren nach der Natur
religion schmeckenden Inhalt mitten im Christenthums
oder in Bezug auf die Formschönhcit
hinter
ausbrcitet,
dem erhabenen und
tiefen Gegenstände christlicher Darstellung zu weit zurückbleibt, oder
endlich durch
zu große Mannigfaltigkeit die Grenzen der Einfalt
und Wahrheit zuweit überschreitet.
Jedesmal hat sich in die An
fänge eines großen Fortschrittes der Geistesbildung in der christ lich - europäischen Welt das erweckte
classische Studium gemischt,
aber die in ihrer unmittelbaren Wahrheit verjüngte Antike
hat
niemals den Fortschritt selbst und allein ausmachen können.
Es
giebt eine christliche Kunst; die Kunst ist aus der christlichen Welt
anschauung,
die auf dem Glauben an das Heil der Welt beruht,
und im A. T. keimt, in verjüngter Art hervorgegangen. Sie war mit dem Griechenthum gefallen; sie war ausgeartet und in den Dienst der Ueppigkeit und des Nutzens getreten;
die redende und
dichtende, nachdem ihr die gefallenen Staaten und Culte das frische
§. 55. Verhältniß zur Kunst.
309
Leben genommen, lebten als Schulübungen von kümmerlicher Nach
ahmung; des Götterbildes hatte schon der heidnische Philosoph ge spottet, wie vielmehr wich es vor dem prophetischen und psalmistischen Geiste der Christen!
Endlich zogen sich auch die Ueberliefe
rungen der Technik auf enge Grenzen und verborgene Winkel zu
rück ;
die Verwüstng begrub Bibliotheken und Museen.
Und doch
Weder das asiatische noch das
mußte die Kunst wieder aufstehen.
griechische konnte das Ende ihrer Geschichte sein.
Schon das alte
Testament bietet einen Schatz von Kunst der Rede, der Erzäh
lung und der Poesie dar, auf dessen Reichthum und Ursprüng lichkeit sich kaum die Reflexion zu richten angefangen, während er mittels der christlichen Bildung eines so großen Einflusses auf Lit
teratur und Leben sich von Anfang her bemächtigt hat.
decken
jetzt erst mehr
und mehr,
Wir ent
welche Fülle und Klarheit der
ganzen mosaischen, psalmistischen, prophetischen Symbolik einwoh net, nachdem wir mehr eingesehen, daß sie sich aus den Principien
der Naturrcligion gar nicht und nicht aus Accommodation zu dem
Heidenthume, läßt.
sondern aus positiver Verneinung desselben ableiten
Augustinus *) hat einen kleinen Anfang gemacht, die Beredt-
samkeit der Propheten nachzuweisen und zu bezeichnen.
Da schwel
len die Redefiguren, wenn man so sagen will, als vollkommene
Lebensblüthen aus ganz andern Stauden und Wurzeln hervor, als die gewöhnliche Rhetorik kennt.
Was die Psalmen anlangt, so
lassen die Vorreden Basilius des Großen und Luthers es eben nur
ahnen,
welche erste
oder welche neue Geburt der Lyrik in ihnen
enthalten sei.. Daß sie nur das Geschöpf des Jehova-Cultus, des
innigsten Lebensverkehrs mit dem Einigen unabbildbaren Gotte als dem Herrn seines Dieners oder schon als dem Vater seines Kin des sein konnte,
begreifen wir jetzt
ohne Schwierigkeit.
Idyll,
Epos und Apolog sind griechische Namen und Begriffe, aber flüs
sig gemacht und auf das Wesen der sich für das Auge der reinen
Anschauung offenbarenden Einfalt, Größe und Schönheit im Men schenleben zurückgeführt, nehmen sie in ihre Idee reichlichen und
wundervoll neuen Stoff aus der patriarchalischen Geschichte, aus dem Buche Ruth und- den salomonischen Werken auf. Die Schön heit kann dadurch nicht ärmer werden, daß ihr mehr vernünftiger
*) De doctrina chriatiana lib. IV.
310
I. Buch. Kirchl. Leben. I. Idee. 3. Verhältniß nach Außen.
Inhalt der Natur- und Menschenbctrachtung zuwächst.
Jene sinn
reiche Verständigkeit der Auffassung und Darstellung
der natürli
chen Gegenstände, welche die Griechen auszeichnet, findet sich nicht bei den Hebräern, und doch fängt bei diesen die freie, große, in
nige, tiefe Betrachtung der Natur erst an; sie kennen die schöpfe rische Allmacht und Weisheit Gottes, leben und weben in diesem
Gedanken und individualisiren ihn.
Mit der Idee der Pietät und
Humanität ist es ein Gleiches. Der hebräischen Darstellung ist die Masse der indischen Phantasieen fremd;
weder die sinnliche Man
nigfaltigkeit noch das Groteske und Ungeheure der asiatischen kann sich
ihr zueignen; erst das rabbinische Judcnthum fällt
Maaßlosigkeit zurück. und Segen
Aber dadurch,
in diese
daß sie unter dem Schutze
der erkannten Heiligkeit Gottes bildet, wird ihr das
erhabene Element nicht geschmälert.
Nun
tritt aber auf diesem
vom Heidenthume gereinigten Grunde Christus auf;
die Unter
schiede Gott und Natur, Gott und Welt, Gott und Mensch wer den in ihrer Heiligkeit bewahrt und befestigt, aber was ihre gegen
seitige Durchdringung hindern könnte, Siinde und Zorn, Tod und Verderben, werden durch Gnade und Wahrheit besiegt. die Welt gekreuzigt", darf der Glaube sagen, Mensch, obgleich der äußere verweset,
oerneitet."
„Mir ist
aber „der innere
wird von Tage zu Tage
Die Sünde ist getilgt, der Schmerz geheiligt zur Bc-
seligung, die Auferstehung hat begonnen,
die Natur wartet ihrer
Verklärung; im Lichte göttlichen Wohlgefallens und im Vorgefühle
der Seligkeit wandelt
der kindliche Mensch,
wandelt
des Herrn
Bruder, auf der -Erde schon Himmclsbürger, ihm nach.
Hierin ist
ein Weltall unerschöpflich neuer Motive und Stoffe künstlerischer Darstellung enthalten. Zunächst zwar gilt es den Inhalt des Glau bens zu leben, ihn sittlich durch den Wandel und das Marty
rium auszuwirken;
und zwischen dem dazu erbauenden Cultus der
christliche» Brüdergemeinen und den auf dem Boden der heidnischen
Religion und Geschichte erwachsenen Kunstformen kann es nur Ab stoß geben oder ebenso unkirchliche
als kunstwidrige Vermischung.
Erst auf frischem Bolksgrunde, wo sie Mutter aller Bildung wer den soll und kann,
wird die Kirche nach
Schooß und Pflege, und zwar so, Künste zufolge,
und nach
aller Künste
daß sie, der Bestimmung der
Eigenthümliches und Neues
hervorbringen, jede
Kunst aus den rohesten einfachsten Anfängen und Versuchen her aus, je nach dem Fortschritte ihrer Geschichte und ihres entwickel-
§. 55. Verhältniß zur Kunst.
311
ten Bewußtseins und nach Zuwachs per technischen und materiellen Mittel,
Deninach bauet sie dann
zur Meisterschaft hervorbildet.
ihr eigenes und des Reiches Gottes Bild, setzt der Geschichte des
Sieges Christi und der Märtyrer Denkmäler, tönet und singt ihre Andacht und Minne, zeichnet und malet die himmlische Sehnsucht,
angesichtlich die Buße,
und die Glorie der Heiligen.
Spielen
nun unter dem Schutze der erhabeueren und erhebenden Künste in den weiteren Cultuskreisen, welche die Religion umgeben, auch die
die Welt, vom über
sch önen, und um so gemüthlicher, weil
und außerweltlichen Theile der Menschen,
als dem Priesterthume,
sich getragen und vertreten wissend, eine gewisse Erlaubniß hat zu
so geschieht es wohl
seiner Zeit sich ihrer Weltlichkeit zu freuen:
auch, daß die Religion in Kunst aufgeht,
und diese, der Religion
in sinnliche Schwärmerei ausartet.
vergessen,
Ohnehin hat das
Christenthum der befriedigten und herrschenden Kirche sich in Aeu-
ßerlichkeit und Formliebe verirrt;
die Erlösung ist mehr gesetzlich
gefeiert, als gelehrt und innerlich angceignet worden;
und das
hat vielfach in einem recreirten Heidenthum bestanden.
Resultat
Die Kritik aber, welche sich auf diesen Zustand richtet, die Refor mation zerstört darum nicht das ursprüngliche Verhältniß der Kunst
zum Christenthume, weil sie die Mythen und Legenden von der heiligen Geschichte trennt und aus der Kirche und dem Cultus in
das Gebiet der Poesie oder der religiösen Subjectivität verweiset;
cs sind ja vornehmlich die Protestanten gewesen, welche mit freien Händen den Schatz der Romantik gehoben, vom Roste gereinigt,
kenntlich und genießbar gemacht haben.
stantismus
Nicht nur, daß der Prote
allen Künsten ihr Freiheitsgcbiet
gerettet,
keine der
Kunstquellen, die im Christenthume fließen, verschlossen, und viel
mehr den Künsten der Sprache, des Liedes, des Tones,
denjeni
welche der Darstellung des innern Lebens am nächsten vollcsten dienen, entweder einen verjüngten Styl oder einen
gen also, und
Reichthum der Productivität geschenkt hat,
nicht gekannt noch geahnct;
wie ihn die Vorzeit
sondern es liegt auch weit mehr in
dem Mangel seiner kirchlichen Ausbildung im Allgemeinen und sei
nem eingebornen Vorbehalt
lung ,
gegen unzeitige und unwahre Darstel
als in seinem Wesen,
daß er zu einem ihm angemessenen
Cultus noch nicht hinreichend gelangt ist.
2. haben,
Diejenige
kirchliche Function,
die
wir Feier genannt
ist in allen ihren Elementen künstlerisch,
und ist es nach
312
I. Buch. Kirchl. Leben. I. Idee. 3. Verhältniß nach Außen.
dem Maaße ihrer räumlichen Erweiterung und stätigen Ausübung mehr.
Sie ist es vermöge des
und
ohne
Denn ohne
diese
geistigen Jnstinctcs
Reflexion, wird cs aber auch durch Reflexion.
wird das Formwidrige, Unfeicrliche nicht beseitigt, noch die anord nende liturgische Thätigkeit in Stand gesetzt namens der Gemeine das angemessene Darstcllungsmittel zu finden.
Und schon
daraus
crgiebt sich, daß die nichtkirchlichc Kunst als Lehre und Schule auch für die Kirche von Bedeutung ist.
Nun sind
die
Grundbestand
theile des kirchlichen Lebens Gottes Wort und Glaube; jenes wird nicht nur mittels der vorgclescncn Urkunde,
mittels
sondern auch
der Predigt gehört und empfangen; dieser stellt sich nicht nur
Bekenntniß dar, sondern übt sich auch
durch Gebet,
im
laute Anbe-
tung der Gemeine aus; folglich ist Rede und Poesie, Ton und Gesang die nächste künstlerische Bethätigung der feiernden Kirche. Zwar die Andacht schweigt, die Stille ist feierlich, und die Stel lung schon und die Geberde redet.
Allein daß die
nur
Geberde
das begleitende, und stimmte Mimik oder absolut schweigende Feier ungenügend, sogar zweckverläugncnd sich erachten.
wäre,
an diesem Orte
läßt
Tritt nun die Darstellung des' Glaubens ins Gebiet
der Sprache ein, so tritt sie auch dadurch
bereits
in
das Gebiet
der Kunst; der Geist, Begriff, Gedanke findet entweder oder schafft sich die Zeichen und Laute, welche keine Natur- sondern Kunster
zeugnisse sind.
Die Form des Inhalts der Rede ist nichts gleich
gültiges, wenn der Endzweck der Erbauung ins Auge gefaßt wird.
Rein durch sich
zwar kann sie
selbst
nichts
erreichen;
will
die
Redeform etwas an sich selbst wirken, so ist sie in ihrem Verder
ben schon befangen.
Allein der formelle Mangel ist selbst
schon
mehrentheils Wirkung des fehlerhaften Gedankens oder unkräftigen Gefühles, wogegen sich ein sehr edler Inhalt zwar chung von eingewohnter
Form
—
das
Franz von Assisi, oder wie es von Harms durch
Eigenthümlichkeit und
durch Abwei
Zungenreden z. B.
des
gemeint worden —
Persönlichkeit des
Ausdruckes,
nur
nicht unmittelbar durch Bildungslosigkeit, mächtig erweisen wird, die Hörenden zu erbauen.
Die Aesthetik der Rede ist mit ihrer Logik
und Ethik innigst verwandt.
Zwar was inan das Kunstlose nennt
kann eben der Anfang höchster Kunstmäßigkcit sein, aber daß Wohl-
redenheit, negative Vollkounnenheit der Redcform was die Kirche zulasse,
das einzige
ist mißverständliche Behauptung.
sei,
Denn
Beredtsamkeit als Gabe und Fertigkeit den Vernunftzweck der Rede
§. 55. Verhältniß zur Kunst. zu erfüllen — und in den Zweck,
313
von der Wahrheit zu zeugen
und zu überzeugen, zum Guten zu bewegen, Freude an beiden und
Liebe dazu auszudrücken, muß doch der kirchliche aufzunehmen sein — ist der religiösen Gemeine so wenig Organen der Offenbarung,
als an unvergänglichen 90Qit|'tcrn
werden kann.
fremd,
Propheten
den
daß sie
an den
und Aposteln
und Vorbildern
selbst,
wahrgenommen
Die rhetorische Idee, wenn sie nur nicht mitGor-
gias, noch mit Jsokrates oder Acschiues,
sondern mit Demosthe
nes erfaßt und von den rein politischen Bedingungen frei gemacht
wird, ist sogar nur kirchlich d. h. vom Reiche Gottes aus haft zu realisircn.
wahr
Die Volksthünllichkeit näinlich der Rede, soge
nannte Popularität, ist nicht bloß Freiheit vom Schulmäßigen und wiedermn vom Gemeinen, sondern auch etwas Positives; denn die
eine Einheit aller Stände und Bil
christliche Volksversammlung,
dungsstufen, erfordert, wenn sie vor dem Herrn feiernd durch die Vorstellung seiner Offenbarung
gehalten
welcher in psychologischer Beziehung des Selbstbewußtseins,
wird,
eine Anrede, in
die Totalität der Functionen
folglich eine Einheit von
Gedanken
und
Bestimmungen sich darstellt, die von den erhabensten Gefühlen nicht losgerissen ist; Leben aber fürs Leben läßt sich anders als
durch das Medium der frischen durchsichtigen Sinnbildlichkcit nicht
aussprcchen, zumal religiöses Leben.
Eher möchte die Schule als
die Kirche sich der Beredtsamkeit zu enthalten haben; oder die Grade und Arten der Beredtsamkeit sind mindestens zu unterscheiden. Eine
andere ist die Beredtsamkeit der Schule, des Staates, der freien
Geselligkeit tut Allgemeinen; von diesen allen unterscheidet sich der
kirchliche Styl.
Darum schon,
weil er
sich auf
ein
Charisma
gründet, ferner, weil er sein Vorbild an der h. Schrift und
eine
eigenthümliche Geschichte hat, endlich weil er zwar alle Nationalität und Persönlichkeit
und nach Maaßgabe der Bildungsstufen und
des Umfanges der Versammlung, sowie nach Verhältniß der Fest lichkeit der Handlung jede Temperatur Mässet, aber doch immer geeignet bleiben muß, gemeinsames oder individuelles Glaubens
leben, Demuth also in der Erhabenheit auszudrücken und heiligen
Geist in der Menschlichkeit.
Das Heilige ist ein anderes als das
Edele; das Erhabene ein anderes
als das Schöne.
Dieß Gesetz
macht an die Predigt und an die Liturgie in allem ihrem Wort,
an Gebets- und
Bekenntnißsormular gleichen
Anspruch, obgleich
jene vorherrschende Persönlichkeit, diese überwiegend Gemeinschafts-
314
I. Buch. Kirchl. Leben. I. Idee. 3. Verhältniß nach Außen,
ton erheischt, mtb der Styl der Katechese sowohl als der cntwikkclten Erklärung des kirchlichen Sinnes (j. B. eines symbolischen Buches) von beiden abweicht, sofern er mit dem Tone theils der Volksschule, theils der Hochschule und der staatlichen Oeffentlichkeit eine gewisse Gemeinschaft eingeht. In allen diesen Beziehungen aber bleibt die Geschichte des kirchlichen Styles mit der Geschichte des weltlichen in Wechselwirkung. Dem Orte und der Zeit nach. Der asiatische eines Syrers, Ephrein, muß ein anderer sein als der des Basilius; ein National-Missionar aus einem Hindu- oder nordamerikanischen Stamme kann nicht wie ein Bonifacius, Theremin nicht wie Luther reden. Die ursprüngliche kirchliche Rede form war eine doppelte, der neutestamcntliche Prophctismus und ein ethisch-didaskalischer Ton. Der erste hatte sich für diejenige Feier, welche lins Justin und Tertullian beschrieben, in den andern aufgelöst. Als die Versaminlung sich erweitert imb die höheren Bildungsstufen der römischen und griechischen Welt in sich ausge nommen hatte, trat die Rede des klassischen Styles, schon lange in Schule und Litteratur ^urückgedrängt, noch einmal in die Oef fentlichkeit hervor, nämlich in die Kirche ein, und indem sie ihr verkümmertes Leben an den Ideen des christlichen Glaubens und den heiligen Thatsachen erfrischte, gab sie sich zugleich den Wir kungen dieser Rede-Quellen hin, so daß, wie zahlreich auch die Miß erscheinungen wurden, doch in Bezug auf das ausgehende dritte, das vierte Jahrhundert und des fünften erste Hälfte gesagt werden darf, die klassische Form und der christliche Geist hatten sich ein ander angezogen und durchdrungen. Begriffsmäßig gieng diese Entwicklung von der exegetischen Homilie des Origenes aus, und wurde erst nach und nach zum Zöyog, zum sermo; andere Rede weisen z. B. die des Makarius, waren nicht unmöglich geworden; die dispntatorische des Augustinus wich von den griechischen Mu stern, welchen sonst die Lateiner folgten, bedeutend ab: aber auch an den einander so sehr gleichenden rhetorischen Größen dieses Zcitraums, dem Basilius, den beiden Gregoren und dein Chrysostomus kann man Eigcnthinlilichkeit, diese Bedingung des wirklichen Styls, nicht verkennen; was an ihren Reden tadelnswcrth ist, hängt viel mehr dem gemeinsamen Elemente an, in welchem sic sich bewegen. Das haben sic jedenfalls dargcthan, daß der klassische Styl in der Idee der Rede einen Grund und seine Berechtigung hat, zurBerniittelung zwischen dem Christenthume und der allgemeinen Bildung
§. 55. Verhältniß zur Kunst.
315
zu dienen.
Es läßt sich
(z. B. von
einem Melanchthon, Erasmus, Thercmin vertreten)
gar
nicht läugncn,
die Rhetorik
daß
eine eigenthümliche Kraft besitzt auch gegen diejenigen Fehler, welche ebenso aus dem Gesinnungs- wie aus
dem Bildungsmangel ent
springen, Empfindclei, Blümelei, kurz was am Severian gefällt und doch mißfallen sollte,
Nieinals
Schwulst
u.
aber ist das in der Geschichte
— zn reagiren.
dcrgl.
der
kirchlichen
Rede der
eigentliche Neugeburts-Punct, daß die reinste der klassischen Schule abgewonnenc Form am meisten in einer honiilctischen Persönlichkeit, mit dem ächtesten christlichen Stoffe an Gedanken und Gefühlen in
Eins zusammcnkomme, sondern dieß, daß aus dem
dualität
mit dem
empfänglichsten
Volksrede hervorbilde.
ursprünglichen
in Uebereinstimmung
prophetischen Elemente sich
Zeitbewnßtsein
der Jndivi-
christliche
die
Dieser Rede Form ist niemals klassisch
und ist es in einem anderen Sinne im höchsten Grade. sich auch hierin das
allgemeine
Also, daß
zwischen Kirche und
Verhältniß
Kunst zu erkennen giebt. Denn die ch r i st l i ch e Redekunst in einem
Taut er, zumal in einem Luther,
ist viel größer als
alles,
was im glücklichsten Falle aus der Schulbildung eines Erasmus
hervorgehen könnte.
nicht in
wenn
Mindestens in gleichem Grade,
einem
noch
höherem wiederholt sich dieß in Ansehung der Dicht- und Ton kunst.
Schon die
Rede
verdeutlicht
veranschaulicht ihren
und
Sinn und läßt ihn fühlen durch den Ton und dessen Veränderun
gen; die vollestc Wahrheit und Würde des Tones
lehren,
niemand lernen;
auch aus
ungünstig
geht oft ohne alle Vermittelung der Schule feierlichere Ton hervor;
der
kann
niemand
organisirtcr Brust geistreichere
und
aber die Schule lehrt uns oft erst, was
man Kanzelton nennt, das falschfcicrliche, weil es losgcrissen von der logischen und ästhetischen Wahrheit an
will, als falsches begreifen und macht mation Raum und Bahn.
und für sich
einer
erbauen
freien ächten Decla-
Ebenfalls die Rede
schon
symbolisirt
den Gedanken und löst, was die sachliche Darstellung betrifft, kraft
der Gefühlslebcndigkcit allgemeinere Regeln aus, um höhere beson dere zu vollziehen, sie dichtet. nicht ins Bersmaaß,
Aber sie singt nicht, sie bindet sich
denn die Gedankenentwicklung
der Lebensentwicklung beherrscht sie.
als Modus
Sofern sich aber die Gedan
kenentwicklung aus dem vollfühlenden und schauenden Geiste theils erneuert, theils ergänzt, oder sofern sich die persönliche Bezeugung
316
I. Buch. Kirchl. Leben. I. Idee. 3. Verhältniß nach Außen,
mit des Gesammtbewußtseins Aeußerung und Feier wieder zusam menschließen muß, ergänzt sich die Rede durch Gesang und Poesie. Die Vermittelung giebt das • sprechbare Gebet des Liturgus her, welches mit der Gcdankenentwicklung noch näher zusammenhängt und des Metrums sowenig als des Gesanges bedarf. Eine re dende Gemeine aber geht schon deshalb, weil die Harmonie es fordert, in den Gesang über, gleichwie die gehobene Stimme des Liturgus zumal bei großen Räumen und Versammlungen gewissermaaßcn. Diese reelle Zweckmäßigkeit des Gesanges aber grenzt an die ideelle; die volle Ursache des Singens liegt in der Uebermacht des Gefühles und der poetischen Beschaffenheit des Inhaltes. Deshalb wird die feiernde Gemeinde natürlicher Weise zum Chore; und es giebt ein kirchlich Lied. Denn bereits die bekennende, sich des ihrigen erinnernde, gleichsam lehrende, predigende, ja sich katechisirende Gemeine, wie viel mehr die anrnfcnde, betende, lobende, dankende, klagende, bittende, hoffende Religion muß sich gesang reich und dichtend zeigen. In der That hat sich die Kirche auch in keincni Knnstelemcnt so productiv, so selbstständig und so frei gebig als in diesem der allgemeinen Bildung gegenüber erwiesen. Schon die auf die Verheißung des Geistes wartende Jüngergemeine wird bei Lobpreisungen getroffen, vielleicht noch bei solchen, die der jüdische Gebrauch hegte. Der Apostel aber spricht, 1 Cor. 14, 26, schwerlich von schon gebräuchlichen, sondern von neuen aus dem Geiste Christi geborenen Psalmen. Vergl. Col. 3, 16, Eph. 5, 19. Es giebt auch andere Zeugnisse von freien Psalmi stischen Production in den ersten Jahrhunderten. In der Folge nun finden wir beides, klassische Metra werden angewandt und werden mit Bewußtsein als unangemessene vermieden. Das letztere gilt von der Griechischen Kirche, welche fast nur kirchliche Trauer gesänge und nur im einfachsten Psalmistischen Style hervorbringt, wogegen die lateinische ihre allerersten Morgen- und Abend- und Loblieder im gemeinen, einfachsten, dem sogenannten politischen Vers maaße dichtet. Die klassischen, lyrischen Maaße kommen auch hier im Cultus vor, aber sic machen den eigenthümlichen Strophen und Reimen der Sequenz Platz, aus welchen dann die verschiedenen Nationen des Abendlandes ihre poetischen Bauformcn gebildet ha ben. 'Noch einmal beginnt die Geschichte des Kirchenliedes im geist lichen Volksliedc zur Zeit der Reformation; vom geistlichen Min neliede ist weltliche Poesie abgeflossen'; weltliche Gesangsweisen
317
§. 55. Verhältniß zur Kunst. haben sich mit
kirchlichem
gestellt. möglichst
Die eine Seite der
zwar durch
sich
der biblischen Psalmen 'gegen
verwahren
wollen
Deutung,
theils
der christlichen Poesie
desto mehr, theils durch Erklärung und
Uebersetzung, das unmittelbar christliche in die andere dagegen, unter Vorgang ihres
so
zwischen
aufgehoben und wieder her
Reformation hat
ausschließlichen Gebrauch
die Subjectivität
die Grenzen
Inhalt erfüllt;
beiden Elementen haben sich erweitert,
dieselben
und
durch
hcreingelegt;
Anfängers, den Psalter
reichlich reproducirt unb den Glauben
so in, Fülle dichterisch
gepredigt, daß sie, nunmehr zum kritischen Bewußtsein über bett
Werth ihres Liederschatzes gelangt, desto mehr wieder des objectiven Kirchenliedes Aussonderung von geistlicher Poesie, den Unter schied des kirchlich-klassischen von der Mcistersängerei und Vers
macherei wahrnehmen, wie vielmehr die Grenze zwischen weltlicher und kirchlicher Lyrik scsthalten kann.
zur Harmonie
nen reinen Ton bis
Und es ist mit der Ton
Soweit die Musik, also das vom einzel
kunst fast ein gleiches.
und auf
Harmonie zur malerischen Bewegung sich den
der
empfundenen
Vorstellung
diese von der Religionsübung
eine
dem
Grunde der Lautwer
entwickelnde
hat,
Geschichte
abgeflossen,
ist
und ob nun gleich die
Musik der Naturreligion unmittelbar der Leidenschaft, eben so sehr als dem edleren Gefühle, zur Laute diente, so sagte sich der christ
liche Cultus doch nicht von ihr, sondern von ihrem Heidenthume los.
Dieß ist Ursache, daß noch Männer des vierten und fünften
Jahrhunderts gegen den melodischen Gesang
eingenommen sind, indem sie höchstens den
planus,
oder gar
(cantus canonicus) harnwnischen,
cantus
nur die gehobene Pronuntiation des Psalm
sängers zulassen wollen.
Mit Recht bekämpft Augustinus diesen
Denn
Purismus, wiewohl seine Gründe nicht vollständig
sind.
es kommt nicht bloß darauf an,
durch Wohl
daß das Heilige
laut sich mildere, anziehend und labend werde, sondern vornehm lich darauf, daß allein die freie Bewegung, welche in der Me lodie sich darstellt, der Natur des frommen Gefühles,
reinen Affectes entspricht.
art eines Hieronymus
als
eines
Und doch hatte die abstoßende Denk
oder
der
Gebrauch
der
Alexandrinischen
Kirche, welche Augustin erwähnt, nicht von vorn herein Unrecht. auf dem Fundamente der vollkommensten Simplicität und Besonnenheit oder völligen Identität mit Wahrheit und Klarheit Nur
der Vorstellung konnte sich die Tonkunst der Kirche zu der ihr
I. Buch. Kirchl. Leben. I. Idee. 3. Verhältniß nach Außen,
318
eigenen Feier des schlechthin Erhabenen entwickeln nnd nur,
was
diesen Schutz des Heiligen und Erhabenen segnete und anerkannte,
nur ein solcher Schwerz, eine solche Freude, und ein solcher Uebergang des einen zum andern, nur eine der Bewegung,
ein solcher Stufengang
solche Mannigfaltigkeit
der Enipfindungen, kirch
liche Vocal - und Instrumentalmusik werden.
Darum hat die er
stere vor der letzteren (welche überall nur Präludium und Jnter-
ludium des Cultus sein kann und sich darauf beschränken soll zu stimmen, oder in einfachster Begleitung der Menschenstimme sich unterzuordncn)
vor
aus
demselben Grunde Glocke, Orgel, Posaune
andern Tonwerkzeugen den Vorzug
behauptet,
darum der
Choral vor dem Figuralgesang, das Unisono vor dem mchrstim-
migen Gesänge, das Recitativ und die Motette vor andern Arten des figurirten Gesanges, wiederum der Styl eines Bach, der Styl
der
lutherischen Glaubcnsbuße und Glaubcnsfreudigkeit,
vorreformatorischc Eomposition
und die
prägnanter biblischer Sätze
ober
Gebetsscufzer den Vorzug vor so vielem dienern wicdererlangt oder
wird ihn wicdercrlangcn.
Das Oratorium
aber und alles,
was
sich ihm nähert, hat, sofern es die Kunst als ganz sclbstgcnugsamen Zweck geltend macht, obgleich cs ohne religiösen Ursprung nicht denkbar ist, nnd durch seinen Inhalt mit dem Cultus zusammen
gehört ,
sein Zwischengebict in der Mitte von Cultus und weltli
cher Musik zu behaupten.
In der That können sich schon kirchliche Dicht- und Ton kunst nicht völlig entwickeln, wo nicht die Baukunst hinzu kommt.
Die Feier zwar fordert an sich nur einen Raum; und sie weihet ihn, wird nicht von ihm gewcihet;
sie fordert weiter einen geord
neten, anständigen Raum wofür die Kunst, wenn überhaupt, doch
nur in verneinender Weise mitzuwirken hat.
rungen
Werden die Forde
des Lichtes und der Laut- und Hörbarkeit gemacht,
so sind sie an sich natürliche, und
entsprechen vielmehr der Re
flexion auf dingliche Bedingungen als unmittelbar dem künstlerischen
Interesse,
welche
denn
sic treffen allerdings mit Rücksichten zusammen,
der Darstellung der Idee gcwidnict sind.
Je größer der
Begriff ist, in welchem die Motive eines gemeinsamen Handelns
liegen, desto mehr nimmt gern in der Mitte des letzter» das Dar
stellen und Bezeichnen seinen Platz ein, und die den mechanischen Künsten zunächst anheimgegebene Leistung des Erforderlichen schrei
tet bis zur Erfüllung ideeller Zwecke vor.
Daß die Gemeine zu-
319
§. 55. Verhältniß zur Kunst.
sammen gerufen werde, entspricht zunächst der natürlichen Wirk lichkeit, aber welche Wahrheit und heilige Dichtung liegt in dem
Glocken-Tone und muß die Glocke in der Thurm-Höhe hän
gen,
um
ihren natürlichen Zweck zu erreichen,
so kommt sofort
die ideelle Zweckmäßigkeit eines Baues hinzu, der im Thurme die
Erhabenheit der Richtung der kirchlichen Gemeine zur Anschauung
Treten wir aber fürs erste in den Raum der gottesdienst
bringt.
zurück.
lichen Handlung Sache,
Zweierlei
erfordert da die Natur der
daß in Bezug auf Predigt, Gebet und Sacrament Ein
richtung gemacht,
und daß — abgesehen von Anstand und Sitt
lichkeit — die Gemeine in Bezug auf jene Ausübung unterschied lich
aufgestellt sei.
Schon in dieser Hinsicht thut cs etwas, ob
der Gegensatz des Clerus und der Laien angespannter oder gerin ger, ob das Verhältniß von Sacrament und Predigt, von mysti scher
oder nur homiletischer Genieinschaft mehr oder minder ent
wickelt sei im Gedanken der Kirche; denn daher wird es abzuleiten
sein, daß man den Eommunion - Tisch feststellt oder nicht, daß der Ehor
sich über
oder nicht,
die Flächen-Linie des Schiffes bedeutend erhöhet
daß der Tisch sich in den Altar verwandelt u. s. w.
Nun sind wir aber schon in der Darstellung des Selbstbewußt
seins der Gemeine begriffen,
und bei den Wirkungen, die davon
für die Einrichtung des Locales rcsultiren.
Denn die Erhöhungen
des Grundes, auf dem die Sacramente gefeiert werden, die örtliche
Stellung der Tauf - Vorrichtung zur Vorrichtung dcr Eommunion, die Richtung der Gemeine auf Kanzel, Altar u. s. w., gehen von
dcr ideellen Anschauung aus, sind bestimmt eben dieselbe anzure gen, werden also selbst auch ein Moment der Erbauung, und ver
schon eine Eonstruction des ganzen Ge
anlassen
endlich
bäudes,
welche der religiöse» Idee zur Verwirklichung
an
Die volle Bedeutung
sich
gereicht.
nämlich dcr kirchlichen Baukunst ist die, daß
das Haus des Herrn zur Anschauung gebracht werde, die gött
liche Volksversammlung, die gegründete und wachsende Kirche Gottes, zur stätigcn Erscheinung kommen soll. Die bloß quantitativen Ver hältnisse
des Kirchenbaucs
zu
andern Gebäuden thun hier nicht
alles; nicht die Weite und Breite, nicht einmal die Höhe.
Denn
was ist weit und breit, was ist hoch gegen die Höhen und Brei ten, welche die Natur darbictet!
Parochialkirche,
Eine Stadtkirche, ja eine kleinere
die noch lange kein Dom ist, drückt das Wesen
der Religion und die Gemeinschaft mjt dein Herrn möglicher Weise
320
I. Buch. Kirchl. Leben. I. Idee. 3. Verhältniß nach Außen,
viel angemessener aus, als ein noch so unendlicher Bau, und wird daran durch die Nachbarschaft des königlichen Palastes oder großen Stände-Hauscs
u. s. w. wenig gehindert.
Baugeist hat die Unendlichkeit selbst,
des
Der asiatische
die räumliche und zeitliche,
das Universum des Daseins und eine möglichst reiche Mannigfal tigkeit des darin cnthaltmcn Inbegriffes von Kreisen und Stufen
darzusteUen gestrebt. Erd- und Himmelskunde im Bunde mit groß artiger Einbildung haben die Entwürfe und despotische Reiche die Hände dazu geliehen. Die griechische Gottheit pflegt ihrer Gemein schaft mit dem Menschen in dem schönsten oder prächtigsten Wohn
hause; denn sie selbst ist veredelte und gehobene Menschlichkeit und Fürstlichkeit. Die Säule thut dabei das meiste.
Der römische Bau
aber wölbt darüber und rundet das Ganze; der Particularismus der Staaten, Religionen und Sitten soll eine Herrschaft des
Allgemeinen
über sich anerkennen.
einzelne Elemente,
In dem Allen finden sich
welche sich der christliche religiöse Bau in der
Zeit seiner Entwickelung zngccignct hat; allein
dieser Entwicklung ist ein anderes
der deutsche Styl,
schon das Princip
und die Vollendung derselben,
stellt etwas ebenso besonderes dar,
als die
Kirche selbst ist, wenn sie mit den vorchristlichen Religionsgemein
schaften verglichen wird.
Vor der Epoche Constantins giebt es im
Grunde keinen kirchlichen Styl des Baues,
wenn auch schon eine
hergebrachte Einrichtung des kirchlichen Raumes.
Erst nachdem
sich die Idee des Römischen Reichs als Christokratie bestimmt und
mit der Idee der Kirche vereinigt hatte, in einer ersten Zeit des
Sieges und Friedens, wachte der Trieb auf,
große Denknmlc zu
Ehren Christi und prachtvolle Tempel seines Dienstes aufzurichten. Bis dahin hatten wohl die gottesdienstlichen Häuser der Christen ihre natürliche Achnlichkeit mit größeren Synagogen im Allgemei
nen erhalten. Die Synagoge nun überhaupt als überallhin Pflanz
bare Ausübung des gesetzlichen Cultus enthielt sich
des blutigen
Opfers und setzte Gebete an deren Stelle, hatte kein eigentliches Priesterthnm, sondern Leser,
Ausleger, Aelteste und Diener; die
Rolle des Gesetzes in eine Lade nicdergelegt und aus derselben hervorgehoben, gab dem Heiligthume seinen
Mittelpunct; damit
hatten sich die Werke, Verhältnisse und Aemter des Tempels zu Zion geändert.
Demungcachtet suchte sie alles Eigenthümliche der
Hütte des Zeugnisses, soweit es möglich war, wieder herzustellen.
Sie nannte sich
selbst wieder Heiligthum, uhp»,
und hatte gc-
§. 55. Verhältniß zur Kunst.
321
wissermaßen ihr Allerheiligstes, ebenfalls ihre Vorhöfe.
liche Versammlung nicht folgte, Personals,
konnte,
wenn sie auch
Die christ
dieser Veraulassuug
durch eine ihr eigenthümliche Abtheilung theils ihres theils ihrer Feier, wenn auch in Gefahr in das We
sen vorchristlicher Religionen zurückzufallen, zu einer ähnlichen Drei-
theiligkeit ihres Raumes gelangen, und die so häufig in Kirchen
verwandelten Gerichtshäuser oder die dem Kirchcnbau zum Muster
dienenden Basiliken stimmten damit zusammen.
Obgleich, wie das
alttestantentliche Volk, ein allgemeines Pricsterthulli und zwar das
wirkliche aus allen Völkern
ausgcwählte,
stellte die Kirche doch
bald wieder ein specifisches Priesterthum aus sich heraus, und un
terschied sich
andrerseits von halbgültigen Gliedern, Exspcctanten
und Suspendirten; Verhältnisse, welche sich im Chor, Schiff,
der Vorhalle räumlich darstellten.
und
Die Feier des Sacra-
mentes fiel dem erhöhetcn Platze, die Feier des Wortes, Gebetes und der Versammlung überhaupt dem Schiffe, die Feier der Buße
oder der Expectanz,
wenn man so sagen will, der Vorhalle zu.
Ob nun und wie weit sich die verzierende bildende Kunst an der
Auszeichnung der Raum-Theile im Geiste dieser Unterscheidung schon betheiligte, ist etwas Zufälliges.
beit
haben
Kreuz
sich
Malerei und erhabene Ar
zuerst der Seitenwände und Gänge bcinächtigt,
und Taube haben Baptisterium und
den sogenannten
Altar ausgezeichnet u. s. w. Das Wichtigste aber ist, daß sich die
Form des Kirchenbaues eben aus dem Begriffe der Kirche, näm lich der Gemeine des Glaubens, welcher der Herr besonders gegen
wärtig ist,
und aus der Beschaffenheit der Feier, nicht aus dem
Begriffe der göttlichen Wohnung oder eines dargestellten Univer
sums im Kleinen, entwickelt hat. Diese letztern beiden Bestimmun gen sind schon durch den mosaischen Gedanken gelvisscrniaßen auf
gehoben; denn die Hütte des Zeugnisses ist zwar Stätte der Offen barung Gottes aber zugleich Denkmal der absolutesten Unsichtbarkeit
und
Unnahbarkeit Jehova's; Gott ist seinem Volke gegenwärtig
nach
dem Grade der von ihm gesetzten Heiligungs-Stufen;
un
mittelbare Sinnlichkeit, Magie der Genieinschaft mit Gott giebt
es hier nicht, sondern reine Symbolik, welche in den Geist, in das ethische
und intellectuelle Verhältniß zu ihm den Menschen ver
weiset.
Der höchste prophetischer Ernst dieses Cultus drückt sich
im sinnbildlichen Acte des je und je zu wiederholenden Sühne-
Opfers aus. Verwandelt aber die Synagoge das Opfer in Gebet, Nitz sch, prat». r-eologte, I. Bd. 2tt Aufl.
21
I. Buch. Kirchl. Leben. I. Idee. 3. Verhältniß nach Außen,
322 und
geht ihr Dienst aus dem priesterlichen Elemente in das pro
phetische, didaktische über, so wird die Vorstellung von natürlicher
Gegenwart des Herrn vollends überwunden;
und cs ist nunmehr
das eingelcitet, daß mittels der Verkündigung des Evangeliums die wahrhaftige Gottgemeinschaft, das geistliche Priesterthuni, der
Glaube, der da gerecht, heilig und lebendig macht, sich des Men schen bemächtigt.
Jetzt ist eben das glaubende Herz des heiligen
Geistes Tempel, Gott hat seine Wohnung im Menschen, das Volk der Gläubigen selbst ist sein Haus.
Gegenwart Aufgabe
insbesondere
sein;
Der Gottheit Wohnung und
darzustellen,
kann nicht mehr die
aber es kann auch nicht mehr genügen durch Ein-
theilung und zweckmäßige Verzierung des Raumes die Eintheilung
deS Gemeinde-Personals und seiner Handlungen zu bezeichnen: viel
mehr die von jeder natürlichen und weltlichen durch ihre geistliche,
überirdische Richtung unterschiedene und über jede andere erha bene Gemeine, die irdische und doch überirdische Glaubensgemeinschaft will sich versinnbilden, und dann, unter dem Schutze dieser absoluten Einheit und Allgemeinheit der Kirche soll sich die Man nigfaltigkeit der besondern
Stufen und Verknüpfungen darstellen.
Darum muß die Höhe des Baues über die Breite, das Streben über die ruhende Masse siegen. Aber dieser Bestimmung entspricht nicht die Basilika,
sondern die Kuppel verhältnißmäßig, weiter
der mit dem Versammlungsbau organisch geeinigte Thurm, vor
nehmlich und vollkommen der Spitzbogen.
Vermöge des letz
im kleinern ja kleinsten
tem muß es dem Baumeister gelingen,
Verhältnisse des Raumes und der Größe überhaupt dennoch Kir chengebäude
aufzurichten, welche
den Character
der Größe und
Erhabenheit an sich tragen und die Frage, ob das eine christliche
Kirche sei, nicht mehr übrig lassen.
widrig
Um so mehr muß es für kunst
und wo sich einmal kirchliche Kunst bis in die Architectnr
erstrecken soll, für unkirchlich gelten, daß man die christlichen Ver sammlungshäuser, anstatt den Versuch,
sie im kleinen groß
zu
bauen, fortzusetzen, den Sprech- und Conccrtsälcn oder den Stadtund Gerichtshäusern verähnlicht.
Weder Säulenwerk
noch
sonst
prächtige Verzierung ist im Stande den Verlust des kirchlichen
Styles zu ersetzen.
Ist dieser nicht herznstellcn oder zu erhalten,
dann kommt die grundsätzliche Verzichtnng vieler Christen auf alles,
was
über den Realzweck hinausrcicht, auch in Hinsicht der kirch
lichen Architektur zur vollsten Berechttgung.
§. 55. Verhältniß zur Kunst.
323
Erst in Folge der letztern tritt auch die Malerei mögli
cher Weise in
die Kirche ein; denn ganz unmittelbaren Antheil
an der Feier hat sie nicht zu nehmen. von kirchlicher unterscheidet,
Wie christliche Poesie sich
so christliche Malerei von kirchlicher.
das mosaische Verbot der Abbildung der Gottheit nicht
Zwar ist
gegen Ehristus - Bilder zu
richten,
und die bildliche Darstellung
seines Lebens sowie der Geschichte und Personen, welche am mei sten auf Ihn hin oder zurückdeuten, muß an den Stätten, wo die
betrachtend
Andacht verweilt oder
einhcrgehet,
ebenso an ihrem
Orte sein wie das Recitativ in dcr Festfcier oder sonst eine Verge genwärtigung thatsächlicher Momente des Reiches Gottes. Wirklich
waren die Wände und Seitcngünge, die Baptisterien und Ehöre der Kirchen alter und mittlerer Zeit mehr und mehr heilige Bilder-Gallcrieen geworden, und wieviel lehrreicher und würdiger lei tete
die Betrachtung gemalter und
gezeichneter Geschichte als die
Illusion drastischer Vergegenwärtigung
und Aufführung
der Fest-
Ereignisse die gottesdienstliche Begehung ein! Nur ist dieses wahr, daß die Kunst, je weniger sie der wesentlichen Feier eingeboren ist
und jemehr sie Zuthat,
Außenwerk,
Einfassung der Andacht her-
giebt, nachdem sie zu einer Zeit hat helfen müssen rohe Unempfäng überwinden und angemessene Seelenstimmungen hervor
lichkeit zu
zurufen,
zu einer andern vermöge ihres wuchernden Lebens
zerstreuender und herabziehender wirken wird.
desto
Das Gesetz keuscher
und erhabener Einfalt muß für die Kirche des Wortes und Geistes noch entschiedener inne gehalten werden, wenn die Darstellung dem Sinne des'Gesichts gilt und in begrcnzteren Gcstalteir'bestimmtere
Vorstellungen darreicht.
Die allegorischen Darstellungen, Bilder
der Abstracte: Glaube, Hoffnung, Tugend — sind ohngefähr so
kirchlich wie das Lied „Religion von Gott gegeben :c.", d. h. ganz
unkirchlich, und von Seiten allgemeiner Kunsttheorie längst gerichtet
oder auf seltene Fälle verwiesen. 3.
Nun besteht aber Leben und Uebung der Kunst auf dem
Gebiete der Cultur, welches die Kirche theilt, ganz unabhängig von
religiöser Feier.
Es fragt sich,
wie sich die Kirche als Sitte
zum weltlichen Kunstleben zu stellen habe; theils als sittliche Lehre und Erziehung, theils als sittliche Ordnung, theils endlich wieder
als Feier.
Denn in letzterer Beziehung kann die Zumuthung an
die Kirche diese sein,
auch das Concert,
sie solle nicht nur das Oratorium, sondern
sofern es religiösen Inhalts oder doch keines
I. Buch. Kirchl. Leben. I. Idee. 3. Verhältniß nach Außen,
324
irreligiösen fei, wohl auch dramatische Darstellung aufnchmen, den kirchlichen Raum,
die kirchliche Zeit,
ja
das kirchliche Personal
dazu hergeben: in der ersteren aber entsteht die Frage, ob die Kirche alles,
waö unter der Kunst begriffen sein kann, gut zu heißen int
oder nicht alles,
Stande sei,
und ob sie genöthigt sei, diejenigen
von ihrer Gemeinschaft auszuschließcn, welche gewisse weltliche Kunst übungen zu
ihrem Lebcusbertife gewählt haben.
der kirchlichen
und weltlichen Kunst besteht.
Der Unterschied
Zwar das vorchrist
liche Alterthum kannte ihn insoweit nicht, als es die Religion von der Rationalität nicht trennte, nnd die Feier des gemeinsamen Na turlebens in das religiöse aufzunchmen im Stande war.
keinen profanen Kunststyl.
Das Christenthum aber
Es gab
widerstrebte
nicht nur der ausgeartetcn Kunstübung der klassischen Völker, son
dern muß sich
auch, seitdem es seine Kunst hervorgebracht hat
und eines Cultus theilhaftig geworden ist, was seine Feier an
langt, von der Antike soweit geschieden halten, als diese der Natur
religion verwandt ist; von der spielenden Kunst, eben weil sie nur spielt oder weil sie
der Schönheit vielmehr als der Erhabenheit,
vielinehr der menschlichen Freiheit und Kraft als der Religioit hul digt,
überhaupt von demjenigen geselligen Darstellen, welches der
Kunstform und dem Kunsttriebc als solchen gewidmet ist. Hieraus
ergiebt sich schon zum Theil die Antwort aus obige Fragen. Kirche kann dagegen nicht sein,
Die
das die gesellige Kunst sich an
religiösen Gegenständen übe und vervollkommne, und
nach Ver
hältniß der Zustände aus dem Privatleben in eine größere Oeffentlichkeit damit hervortrete, vorausgesetzt, daß sie nicht darauf An
spruch mache, sich an die Stelle des Cultus zu drangen, und daß
sie den religiösen Inhalt nicht gleichgültig mit fremdartigem, nach Identität der Zeit und des Ortes eines künstlerischen Actes, oder gar mit irreligiösem (der freilich auch nicht künstlerisch sein könnte)
zusammenwerfe. Nur daß sie, soviel an ihr ist, es weder gestatten noch fördern darf, daß die dramatische Kunst auf gleiche Weise wie sie sonst Geschichte darstellt, auch Geschichte der Offenbarung
und des Heiles darstelle, wohl gar die Apostel öder die Person des Erlösers selbst erscheinen und handelnd oder redend auftreten
lasse. Wir dürfen annehmen, der Sinn der Kunstfreunde selbst sei
zu
unserer Zeit hiemit einverstanden.
Sollte es hin und wieder
anders stehen, so würde inan sich etwa auf den Umstand berufen, daß vor Zeiten Kleriker, Ktosterleute,
Fromme überhaupt arglos
§. 55. Verhältniß zur Kunst.
325
zusahen oder mitwirkten, wenn man mit Narren- und Fastnachts
spielen
den kirchlichen Ernst eine Weile unterbrach,
sogar, wenn
die heiligen Geschichten und Legenden auf einem näheren Grenzge
biete des Cultus anfgeführt wurden.
und Spuren
in
Noch finden sich Reste davon
Allein diese Erschei
den protestantischen Sitten.
nungen sind nicht maaßgebend noch analog für unsere Frage.
Die
Kirche auf ein Mindestes von Lehre und Unterricht zurückgekom men, beinahe ganz dargcstelltcr, versinnlichter Geist geworden, be
dient sich des Spieles als der Schule für heilige Geschichte; und läßt sie
sogar
den Zaum der
Disciplin bis dahin nach,
das ganze Volksleben regierenden
daß unartige Scherze und Witze freien
Lauf haben, so lange die Stunde währt, gewiß, ihn daun wieder
desto kräftiger anzichen zu dürfen, läßt sie im Bewußtsein ihrer überfließenden Machtfülle zu den Füßen ihrer Erhabenheit die schö
nen Künste jugendlich spielen, so hegt sie auch noch keine Kritik des bewußten Unterschiedes von Geschichte und Mythe, von kirch
licher und weltlicher Kunst, und genießt weder den Segen davon noch hat sie den Schmerz davon zu erleiden. Die Kunst als selbst
ständiges Moment des Eulturlebcns ist dann überhaupt noch nicht vorhanden, Kirche
aber
gekommen,
sondern in das kirchliche clcmcntarisch verwoben. wieder zuni Bewußtsein
Die
ihres Grundes und Wesens
hat an der reichen Lehre eine Zucht und Kritik aller
Feier, sondert heilige Geschichte und Legende scharf von einander, Drama spielen.
und kann nun weder geistliches noch
weltliches
Andrerseits ist die emancipirte Kunst
als dramatische nicht mehr
im Stande Bestandtheile der Heilsgeschichtc aufzuführcn;
rer Freiheit
und Wahrhaftigkeit wegen nicht,
eben ih
es wäre denn, daß
der christliche Volksgeist selbst sie ganz verlassen und die Wissen
schaft ihr den Stoff des Evangeliums in reine Fabel zersetzt über geben hätte.
Warum
aber?
Diejenigen
heiligen Vorstellungen,
welche zugleich die schlechthin heiligenden sind, sollen und können
nicht in die freie Eigenthümlichkeit des Künstlers,
es sei des epi
schen oder dramatischen Dichters oder des Schauspielers, hingege
ben werden; geschieht es, so gereicht es der Kunst selbst zum Ver
derben und der Religion zur Verletzung. Nicht einmal der Schau
spieler ist bloß Werkzeug, bloß Nachahmer, er ist kein Sclav des Dichters; er nimmt den Geist und Gedanken der Rolle in sich auf, und dieser macht ihn zum freien reproductiven Organe, sonst wäre
seine Leistung kaum etwas sittliches und vernünftiges; viel weniger
326
I. Buch. Kirchl. Leben. I. Idee. 3. Verhältniß nach Außen,
giebt der Dichter
sich unbedingt an den historischen Gegenstand
Und dieß ist eben Ursache, daß das Christenthum sowenig
hin.
als die Ethik überhaupt dramatische Spiele verurtheilen oder Schau
spieler einer lügenhaften Verkehrung ihrer Persönlichkeit anklagen Wie aber soll ein christlicher Künstler den ungeheuren Wi
darf.
derspruch
begehen,
Christum
als
einen
Character aufzufassen,
die schlechthin religiöse, unsündliche gottmenschlichc Person
durch
sich und in sich behufs vollendeter Darstellung zu vereigenthümli-
chen? Wie es auch nur unternehmen können, einen Apostel, ja irgend einen Heiligen, von bei» als einem wirklichen Organe des heiligen Geistes die religiöse Gemeine sich abhängig weiß, in per
sönlicher lebendiger Handlung vorzustellen?
Wie soll das Publi
cum, der Zuschauer es auszuhalten im Stande sein, in diesem Falle eine Aufgabe, die deni ganzen ringenden,
glaubenden, betenden
Selbstbewußtsein und Leben zufüllt — nämlich
die Aufgabe, die
Religion zu verwirklichen im Leiden und Thun und ihrem Urbilde,
ihren Vorbildern sich nachzugestalten — einseitig der Kunst, der noch dazu
hier ganz unvermögenden abgetreten zu sehen?
nicht die Folgerung ziehen,
Du darfst
also sei cs auch unstatthaft, die hei
ligste Person oder die ihr nahe stehenden zeichnend oder malend darzustcllen;
denn das Bild, das in dieser Weise dir gegenständ
lich gewordene Ideal ist von deinem persönlichen Sein und Leben
sehr wohl zu trennen.
Du darfst nicht eiuwenden, das Drama
müsse dann auch vor jeder sittlich großen Person, in dem Maaße als sie eine noch herrschende Verehrung deni Publicum cinflöße, mit
seiner Darstellung zurückbeben, deres,
denn erstlich ist dieß doch ein an
und dann ließe sich vielmehr von diesem Bedenken auf ein
noch gewichtigeres schließen. Du darfst endlich nicht uns zumuthen,
demnach auch die redende Wiederholung und den recitativen Ge sang der Worte der biblischen Personen zu verwerfen; denn Vorlesen und Absingen ist kein volles Handeln, ist reine Ueberlieferung oder
doch überwiegend dieses; findet es nun auch nicht innerhalb des Cultus noch innerhalb des Privatlebens statt,
noch nicht profanirend,
so ist es dadurch
sondern fällt nur den Bedingungen des
Oratoriums anheim.
Wie sich aber die Kirche zur weltlichen Kunst in Bezug auf empfangende und auf wirkende Theilnahme an derselben zu stellen habe?
Sic hat sie sich nach Form und Inhalt freilich nicht un
mittelbar anzueignen, selbst in Ansehung der Künste nicht/ durch
§. 55. Verhältniß zur Kunst.
327
deren Vermittlung sie ihre Darstellung vollbringt, und von deren allgemeiner Theorie und Schule sie unterstützt wird. Aber eine jede Kunst, die es wirklich ist, und jedes gemeinsame Darstellen, welchem eine inenschliche Anlage, ein Talent zum Grunde liegt, haben sittliche Zulässigkeit und Bedeutung. Hiervon ist nicht ein mal der Tanz, vielwcniger das Schauspiel ausgenommen.
Die Kirche als Lehre und als specielle Seelsorge hat in dieser Hin sicht in Gemeinschaft mit der Sittenlehre zu verhüten, daß die der leiblichen Entwickelung dienstbare Kunst sich den Künsten des Gei stes gleichstclle, daß irgendwelche Kunstübung sich an die Stelle der Totalität der sittlichen Bestimmungen setze und zum Cultus,
zur daß der Form - Sinn die sittliche Bedeutung des Inhalts vergleichgültige, oder die Schein kunst zur Herrschaft gelange, welche dem wollüstigen Reize viel mehr als der Darstellung der Idee des Lebens gewidmet ist. Nur kann die entschiedene Warnung der Kirchenväter vor dem Schau spiel kein Maaß geben; zu der Zeit bestand dieses Spiel nur ans Religion hinaufschraube, am meisten dieß,
heidnischen Reizmitteln und verrichtete ohngefähr an der christlichen Jugend, was Bileam mit Erfolg an dem Volke Israel versucht hatte. Die Kirche hat überhaupt keine Macht, in unmittelbarer
Weise die Kunst, Wissenschaft und Litteratur in ihrer Selbstent
wickelung zu hemmen, um der darin enthaltenen Aussaat von Verder
ben zuvorzukommen. Sie soll sich eine solche weder wünschen noch anmaßen; sie soll weder der politischen Sittenzucht noch der Kunst kritik vorzugreifen begierig sein, zumal es eine sehr eitle Erziehungs weisheit ist, welche aus völligem Mißtrauen gegen die freie das Gift ausstoßendc Vernnnftkraft das Gift in das Blut zurücktreibt. Dagegen hat sie alles, was offenbar vom Reize zur Sünde lebt und von Unsittlichkeit oder Unglauben Profeß macht, es sei Hand lung, Rede oder Person, von ihrem Bekenntniß und Weihe-Ge Dieß fordert der Disciplin Noth und Recht. Welche Kunstübung aber kirchlich unehrlich sei, welche nicht, oder welche zum ausschließlichen Lebensberufe gemacht als Entsittlichung oder für Heidenthum gelten müsse, läßt sich nach Sätzen des kano nischen Rechts nicht zuvor entscheiden, denn die Sitten der Künste
biete zurückzuweisen.
bleiben skch nicht gleich.
I. Buch. Kirchl. Leben. I. Idee. 3. Verhältniß nach Außen.
328
Verhältniß zu den sogenannten materiellen
Z. 56.
Interessen: zur Arbeit, zu Spiel und Lustbarkeit.
Die Kirche als Feier und als Sitte
tritt in ein leident-
liches und wirkendes Verhältniß zur Gemeinschaft der Arbeit und des Vergnügens
(oder
der spielenden Feier).
Sie hat gegenüber
der Arbeit und dem Erwerbe, dem Spiele und der Lustbarkeit ein
Recht auf die Feier-Zeit und
auf die zu schonenden Räume
der Eultus-Handlungcn; soll dagegen den Geschäften und Vergnü gungen ihre Zeit und ihren Raum nicht nur gestatten,
sondern
auch, jcnachdcm es durch die 9iotl) augezcigt ist, freigebig, gewäh ren und sich in dieser Hinsicht evangelischer Freiheit rühmen. Was
aber ihren sittlichen Wirkungskreis anlangt, hat die Kirche den
Widerstand des bessern Volksgeistcs gegen das Wucherische, Gott am Erwerbe und Geschäfte,
lose, Unmenschliche
und
gegen das
Unzüchtige oder Gefährliche an Spiel und Lustbarkeit zu unterstützen und wo
er
fehlt hervorzurufen,
hingegen
diejenigen Spiele und
Vergnügungen zu begünstigen, welche indem sic die körperlichen und geistigen Fähigkeiten,
die Geschlechter und die Altersstufen in ein
richtiges Verhältniß bringen, zugleich den Familiensinn im Volks sinn,
den Volkssinn im Familiensinn
beleben,
und an religiöse
Dankgcfühlc, an volksthümlichc oder religionsgeschichtliche Gedächt
nisse sich anknüpfen lassen.
1.
Bon der Sittlichkeit und Christlichkeit der Bearbeitung
der Erde, der Gewerbe, des Handels, kurz aller der Thätigkeiten, welche der Erhaltung unb Vervollkommnung der irdischen Lebens
gemeinschaft gewidmet sind, darf hier nicht,
ebensowenig von der
Sittlichkeit des geselligen Genusses erst die Rede
Theologie ist vorausgesetzt.
sein.
Moral-
Auch kaum mehr von dem göttlichen
Rechte rind Grunde des Ruhetages und der Feste im Allgemeinen.
Die Entwicklung
des Begriffs der Kirche und ihrer wesentlichen
Functionen hat bereits dargcthan,
daß die Gemeine sich vor dem
Herrn versammele und feiere, wozu eine geordnete Zeit und ein
geordneter Raum,
eine gemeinsame Aussetzung des natürlich-welt
lichen Verkehrs gehört und erfordert wird, daß den physischen und
ethisch-psychologischen Bedingungen der religiösen Feier ein Genüge
geschehe.
Da ist nun der Widerstreit zwischen der Kirche und den
Interessen der Arbeit möglich, und wir haben in dem Falle, da es
§. 56. Verhältniß zu Arbeit und Spiel.
329
sich um die Zeit handelt, nicht nöthig den Staats- und Haus
dienst, die Hand- und Geistes-Arbeit zu unterscheide».
Es ist aber
gedenkbar, daß unter dein Titel der Noth und Nothwendigkeit die Arbeit jede geordnete Cultuszeit verschlinge, während das Vergnü gen, der Kunst- und Naturcultus unter dem Titel christlicher Frei
heit dieselben
arbeitslosen Tage und Stunden, welche die Kirche,
in Anspruch zu nehmen gedenkt.
Andrerseits könnte es geschehen,
daß die Kirche Feier auf Feier häufte
und dadurch, wenn nicht
das Vergnügen, doch die Arbeit unrechtmäßig verkürzte. Die Kirche
hat also zwei Rücksichten zu vereinigen, denn sic hat auf das Ent schiedenste eilte Cultuszeit zu behaupten und muß überzeugt sein, daß sie dieß zugleich tut allgemeinen Interesse der Humanität thut, und sie hat jede Duldung und Schonnng für stickige und für außer
ordentliche Erfordernisse an Arbeitszeit zu üben.
lung findet Schwierigkeiten.
Diese Vermitte
Denn, werden ganze Tage als Cul-
tuszcit anbcraumt, und die Versatnmlungszeit muß doch auf Stun den beschränkt werden, so ist dieß zwar dem Begriffe vollkommen
angemessen, weil die Feier im engern Sinne, wenn sic tiefer und nachhaltiger wirken soll,
Vorbereitung und Nachfeier, nach dem
Gesetze der Allmähligkcit und des Ueberganges, erfordert; die Unfähigkeit, theils der Sitte,
allein
theils des individuellen Sinnes
wirkliche Nach - oder Vorfeier zu Stande zu bringen zieht nach sich,
daß nun vielmehr Müßiggang
oder Lustbarkeit den übrigen
Raum einnehmen, und die letztere so nahe an den über
die Ge
meine gesprochenen Segen und an die Ausgänge der Kirche grenzt
oder so wild und ungcmesscn sich artet, daß der Feiertag so un feierlich wie möglich und aus dem Tage der Reinigung und Weihe
ein Tag der Entweihung wird.
Geschieht aber
wird geduldet, so hat die Wcrktagsarbeit
dergleichen
ein desto
und
scheinbareres
Recht diesen Raum und diese Zeit ebenfalls zu begehen. Geschieht es nicht, weil die Polizei oder weil die kirchliche Disciplin es ver
pönt ,
so geht entweder der Sturm des rohen Unwillens dagegen
an oder ein
entschädigt
für den innern Cultus noch tödtlichercr Zeitvertreib
im Verborgenen für die Eutbchrung des öffentlichen
Spieles und lauten Volksvergnügens.
Da das letztere auch der
Natur der Sache nach seinen Raum fordert, so fragt sich, soll cs
die Arbeitszeit verkürzen oder den Feiertag gefährden? Dazu kom men die über den Werktag hinausgehenden außerordentlichen Ar beitserfordernisse,
welche gar leicht sich zu ordentlichen entwickeln,
330
I. Buch. Kirchl. Leben. I. Idee. 3. Verhältniß nach Außen,
nebst
den Veranlassungen der Kirche außerordentlicher Weise oder
doch über den Sonntag hinaus zu feiern.
Denn der Nahrungs
stand niuß in letzterem Falle entweder den Mitgliedern des Haus
dienstes,
der Staat den Staatsdiener» Freiheit
geben, die von
ihrer Religionsgcmeine beschlossenen und angezeigten Feste zu be suchen, und also Verluste erleiden, oder den Schein gestörter Reli
gionsrechte auf sich laden.
Es hieße den Knoten zerhauen, wollte
man nach dem Vorschläge moderner Weltverbesserung den ganzen Unterschied des Werk- und Feiertags aufheben, d. h. es also ein
richten,
daß jeder Tag beides sei.
Denn man nimmt an,
jeder
Tag sei nach richtiger evangelischer Ansicht Tag des Herrn, und die Arbeit wie die Feier seiner Verehrung geweiht;
nen also könne der Cultus
gedacht werden, was die Tage angeht, also oder Abend
auch jeden Morgen
für die Freiwilligen und Gestimutten
öffnet, Gcbetsübung
im Allgemei
als ebenso permanent wie die Arbeit
und Auslegung der Schrift
die Kirche
ge
angeboten und
gehalten werden, wobei gewisse hochfcstliche Begehungen immer noch ihren Platz behaupten dürften.
In der That
christliche Gemeinwesen aufgelöst,
würde
hiemit das
denn der belebende Mittelpunct
desselben, die ordentliche Versammlung ziehet im Wegfall den Ver
fall des ganzen nach sich.
Es gäbe nun im Grunde nur Hausge
meine , und die außerhalb des Familienkreises lebenden Christen wären genöthigt entweder sich einander aufzusuchen, oder sich an
eine Familie anzuschließen, dafern sie ihrem Gemeingefühl Genüge thun wollten. Hätte dieses Gefühl Energie, so würde sich aus den Elementen der christlichen Geselligkeit (in Gemäßheit der im ersten Hauptstücke d. Abschn. entwickelten Beweggründe und Lebensgesetze)
die stätige Versammlung und mit ihr die Feier des Herrn-Tages reconstituiren.
Denn die offene Kirchthür,
die alltägliche Gebets
stunde, die dort einer zufälligen Anzahl von Erbauungsbedürftigen
wartende Geistlichkeit
könnte auf der einen Seite weder dem Fa
miliengottesdienste seine Haltung sichern,
noch
für die bei diesem
leer ausgehenden das Erforderniß jener Wiederherstellung erledigen, auf der andern aber, dafern die Einrichtung Dauer haben sollte,
sehr leicht den Werth des localen Kirchenbesuchs und lichen Zugangs zum Prediger des
christlichen Begriffs
des persön
als zum Priester über die Gebühr
erheben;
unangesehen, daß hochfestliche
christliche Begehungen, für welche etwa nun das kirchliche Local eingerichtet bliebe, nur auf der Basis des kirchlichen Jahres Mög-
§. 56. Verhältniß zu Arbeit und Spiel. lichkeit hätten;
331
das Kirchenjahr aber ruhet auf dem Grunde des
Sonntages. So läßt es sich schon von Außen her anschaulich ma
chen — und man könnte leicht vom Standorte des Arbeits-Inter esses aus zu gleichem Resultate der Verkehrtheit
des Vorschlages
gelangen — daß die Kirche das Sonntagsrecht, zumal den Kern
desselben, die ordentliche Versammlungszcit
und die sittliche Ver-
mtttlung ihrer Früchte an christlicher Erbauung nie und nirgends aufzugeben hat. Sic muß daher als Lehre und bei Verhandlungen
desselben kenntlich und
über den Gegenstand den göttlichen Grund gültig machen.
Derselbe beruht nicht in dein vergänglichen Cäre-
monialgesetze des alttestamentlichen Cultus, sondern , wie sich aus der h. Schrift ohne Mühe darthun läßt,
in einem Natur-,
Ver
nunft- und Sittcngesetze, dessen Substanz durch das Evangelium
nicht aufgelöst,
sowie alles,
sondern zur vollen Geltung
gebracht werden soll,
was im Decalogus begriffen ist.
Was auch immer
die Rede des Herrn oder der Brief an die Galater (4, 10), oder die h. Schrift überhaupt Kritisches über die jüdische und pharisäi
sche Sabbatsfeier ergehen lassen mag,
cs ist und bleibt Thatsache
des urapostolischcn Gemeinlebcns, daß das aufgehobene Sabbats
gesetz sofort im evangelischen Geiste hergestellt worden ist. stus
ist ein Herr über den Sabbat,
Chri
und durch ihn die Gemeine,
aber nicht allein um das Judenthum ihm abzustreifen, sondern
auch um ihn dem Mensch enthume zu erhalten, denn um der
Menschen willen ist der Sabbat. über ,
Verschiedene Ansichten dar
und in Ansehung der Feier verschiedene Sitten mögen den
noch auch in der Christenheit bestehen; Paulus fordert, Röm. 14,5,
Duldung derselben.
Aber daß ein erster Wochentag,
der zugleich
ein siebenter ist (oder wie der Brief des Barnabas ihn nennt, ein
achter, weil der jedesmal vergangene sich wieder mitzählt, um die
Folge der Wochen und das Fundament des Kirchenjahrs zu be
zeichnen) , kurz, daß ein ausgesonderter Ruhe- und Gemeinde-Tag sei, steht mit dem Christen- und Kirchenthume fest.
Erst auf die
ser Grundlage kann eine nach Verhältniß des Umfangs der Ge meine und nach Erforderniß der Theilung des Publikums verviel
fältigte Zusammenkunft am selbigen Tage oder eine weitere Ent
wickelung der Feier in die Werktage herein
stattfinden,
wiewohl
bei ausgebildeter Familienandächt dergleichen Bedürfniß in gerin gerem Grade
eintritt.
Und
weil der christliche Gottesdienst im
Elemente der Lehre und der Erkenntniß der Wahrheit sich begrün-
I. Buch. Kirchl. Leben. I. Idee. 3. Verhältniß nach Außen.
332
bet, so ist destomehr der schroffe Ucbcrgang von Arbeit zur kirch
lichen Feier und von dieser zu jener zu meiden, also auch vor und nach dem Hauptgottcsdicnstc möglichste Geschäftsruhc zu erzielen,
cs sei daß sie von der Obrigkeit erbeten oder den dem Cultus ver
wandten Haushcrrschaften als kirchliche Pflicht aufgelegt werden
Dahin, daß wer Ruhe genießt die Kirche besuche ist nur
müsse.
durch Lehre und Seelsorge oder durch Erweckung des kirchlichen
Sinnes,
nicht in disciplinarischer Weise,
dafür aber, daß jeder
jedem nach Vermögen die Ruhe lasse oder verschaffe,
allerdings
auch nach Umständen disciplinarisch zu wirken. Es giebt eine rohe und
unwahre Handhabung des
vor Gottesdienst.
Sprüchwortcs:
Herrndicnst
geht
Alle Laster, Geiz und Ueppigkeit, Ehrsucht und
Herrschsucht, jede Hoffahrt ersinnet Pflichten und Nothfälle,
Er
laubnisse und Rechte, welche den Arbeiter von der Feier ihm zu Gefallen oder zu Herzeleid abhaltcn. lind daß dergleichen zu wirk
lichem Aergerniß anwachscn kann, leuchtet ein.
Ist cs dagegen die
wirkliche Drangsal und Noth, oder die hülsrcichc Liebe, welche ab hält, so
hat die Kirche
mit ihnen in der Art gemeinschaftliche
Sache zu machen, daß sic eingedenk der Sprüche und Handlungen des Erlösers, Matth. 12, 11. Marc. 3,5. Luc. 14, 3. Joh. 5,17.
theils der allgemeineren Noth mit Veränderung,
7,23,
Vermeh
rung mtb Beschränkung der Vcrsammlungszciten, oder mit zeitwei liger Suspension ihrer Anordnungen zu Hülfe kommt, theils der
besondern und
individuellen
mit
Erweckung und Leistung
einer
Wohlthätigkeit, durch welche die Noth in dieser Beziehung gehoben und der Bedürftige kirchlich zu leben in Stand gesetzt werden kann.
2.
Es gilt aber allerdings
einen ebenso schwer zu lösenden
Knoten, ist von Spiel und Lustbarkeit und ihrer Berechtigung an der Fcicrzcit Theil zu haben die Rede.
Sofern nämlich das Werk-
tagslcbcn auch den Feierabend verkürzt
oder nach sich ziehet,
er schlechthin nur dem leiblichen,
sei,
daß
häuslichen Ausrnhen hingegeben
so daß da am allerwenigsten für die angestrengteren Classen
des Arbcitöstandcs Raum für gesellige Vergnügungen übrig bleibt,
drängt sich das Verlangen nach Spiel und Vergnügen
dem Feier-
Ta gc zu und nimmt vielleicht schon den Feierabend des dies pro-
festus in der Art in Beschlag,
daß der Ucbcrgang zum Cultus
in Bezug auf Seele und Leib Schaden nimmt,
vernichtet wird:
Oder, weil cs
weder eine
so er nicht völlig
häusliche
noch
eine
bürgerliche, ebenfalls keine kirchliche Zucht giebt, welche den Zwang
§. 56. Verhältniß zu Arbeit und Spiel.
zum Kirchenbesuche enthielte, ja
sogar
die
333
mittelbare Nvthigung
durch die Sitte schon erschlafft ist, so schwärmt vielleicht das Ver
vor
gnügen und Spiel schon um den Cultus herum und an ihm
Dafern aber die Orte und Stunden desselben durch Gesetz
über.
oder Sitte geschirmt werden, nimmt der freigelassene Theil des
Tages die Lustbarkeiten auf
sich, welche dann bis in die Nacht
herein fortgesetzt den Eindruck der kirchlichen Feier um so vollkom mener verwischen und die Frucht der Erbauung
Woche nm so grausamer abschneidcn,
für die
folgende
weil sie dem Bewußtsein
nicht nur Zerstreuung, sondern auch dem Gewissen Verunreinigung
und
den
Verhältnissen Verletzung zugezogcn haben.
Schon Jo
hannes Chrysostvmus hat dieses in der Rede gegen die Theater-
Läufer anschaulich genug gemacht.
4. Jahrhunderte die früher
Und was half es, daß sie im
des Sonntags unmittelbar nach dem
Gottesdienste gehaltenen kirchlichen Friedensgcrichte auf den Mon
tag verlegten, damit Leidenschaften der Rcchtsbegierdc dabei etwa
rege geworden die Kraft der gefeierten Bruderliebe nicht schwächen möchten,
wenn dagegen das byzantinische Publicum der chrysosto-
mischen Zeit nicht einmal
an
hohen
Festtagen den Schluß des
Cultus vor Verlangen nach dem Theater abzuwarten im Stande
war!
Die Heilung der Gemeine von solchem Uebel muß ja aller
dings vom Grunde der Wahrheit aus und sortschrittsmäßig ange strebt werden.
Die gründliche Cur kann aber nicht darin bestehen,
daß die kirchliche Lehre und Zucht der christlichen Moral Gewalt anthllt und in dieser Hinsicht entweder Tanz, Spiel, gesellige An
näherung
der Geschlechter, Concert u. bergt in Bausch und Bogen
für heidnische Sünde erklärt, oder daß sic, was an und für sich erlaubt sei, am Tage des Herrn gethan, schlechthin als Sabbats
schändung charaktcrisirt, wenn es nicht in unmittelbarer Fortsetzung und Entwicklung der gemeinsamen Andachts- imb religiösen Lehr übung bestehe.
Die eine wie die andere Ansicht ist irrig.
der Apostel die Thatsache von
nieder
um
Wenn
2 Mos. 32, 6 „das Volk setzte sich
zu essen und zu trinken,
und stand auf zu spielen",
I Cor. 10. 7, auf die Warnungstafel schreibt, so ist es nicht die
Tischgemeinschaft noch das Spiel, sondern die Abgötterei, welcher
beides gewidmet
wird,
wovor er warnt, und wenn die geistvolle
und treffende Polemik des Tertullianus gegen den Schauspielbesuch der Christen hin und wieder noch die jetzigen Zustände trifft,
so
laufen doch alle seine gewichtigen Argumente dahin ans, daß sie
334
I. Buch. Kirchl. Lebm. I. Idee. 3. Verhältniß nach Außen,
die Lüge, die Schamlosigkeit, die Grausamkeit des Spieles und sei nen Ursprung aus dem Natur-Dienste, nicht den Begriff des Spie
Ist Grund und Wesen eines Geschäfts
les an ihm selbst treffen.
Wucher und damit dasselbe allem Segen und Dienste abgewandt,
so ist cs an sich vcrurthcilt; daß cs in
gilt von einem Spiele ein
Vcrspielung der Unschuld
gleiches,
Bestand
und Sitte seinen
hat, so fehlen ihm alle die Elemente der Freude, der Freiheit und des Friedens, welche deni Spiele und dem Vergnügen als solchen
nicht entgehen; es kann weder vor dem Werktags- noch vor dem Sonntagsgewisscn, überhaupt vor keinem sittlichen Forum bestehen.
Daß aber ein Spiel, eine Art der, geselligen Erheiterung,
Tanz,
Gesang, Drama, Gymnastik, Veranlassung von Eitelkeit und Sünde
hebt sowenig als irgend ein Mißbrauch
werden kann und wird,
die Substanz des Gebrauchs, die Sittlichkeit dieser Ausübung der Geselligkeit auf.
hin
Diejenigen also, die in ihrem Irrthume bis da
vorschreiteu,
daß
Spazier- und Feldweg
sic
des Sonntags
sich
auch den erheiternden
und den Ihrigen verbieten, sind in
Wahrheit durch die christliche Lehre noch nicht einmal
berechtigt
ihnen im Namen derselben irgend ein an sich erlaubtes Spiel oder
Vergnügen, da jedes mit Zucht und Mäßigung, jedes unter Schutz und Einfluß dankbarer und liebreicher Gesinnung begangen werden kann, des Sonntags wegen zur Sünde zu machen.
Vielmehr ha
ben wir bei dieser Frage lediglich das Gebiet der Ascetik und Pä
dagogik zu betreten. Und da wird die letztere, wenn nun überhaupt diese Art von Geselligkeit in des Menschen und des Volkes Bestimmung mit enthalten ist, uns, wie kirchlich sie immer gesinnt
sein mag, zu bedenken geben, ob es bei Vertheilung der Arbeit und -Erholung an
weltliche und geistliche Feier
wohl weise sei,
die Volksvergnügung, die spielende und erheiternde Geselligkeit so
weit wie möglich von den Tagen und Stunden des Gottesdienstes wegzurücken, oder vielmehr unter den schützenden Einfluß derselben
zu stellen und deuigcmäß zu dulden, auch destomehr ans ihre Ver
edlung auszugehcn. Bei einfacheren Elementen der in der Gemeine vereinten Gesellschaft, auf dem Lande zunächst, müßte beides mög lich werden,
sowohl den Tag des Herrn mit abendlicher kirchlicher
Versammlung zu beschließen,
ungeachtet zugelassener Spiele und
Vergnügungen des Volkes, als auch die Spiele und Vergnügungm selbst an sittlichem Gehalte zu bereichern, ohne ihnen die Natürlichkeit zu nehilien; so daß Hirten- und Erziehungsamt ihnen näher treten
§. 56. Verhältniß zu Arbeit und Spiel.
335
dürften. Wenn überhaupt die Gebildeteren und Erfahreneren Gele genheit
suchten
und
fänden,
dem Arbeitsstande int Allgemeinen
näher zu treten itt der Zeit der Feier, und bett bedürftigeren oder empfänglicheren Gliedern Gabe der Gemüths-Bildung und der inne
ren Lebenscrheiterung oder nützlichen Unterricht darzubicten;
wenn
die Anknüpfungen, welche der natürliche Jahrcslauf, die vaterländi schen und die kirchengeschichtlichcn Gedächtnißtage hcrgebcn, die einen
mehr zur Feier des erweiterten Familienlebens, die zweiten zu gym nastischen und künstlerischen Spielen,
Uebungen
nach
Väter benutzt würden, sinnlichen
die dritten zu musikalischen
Anleitung der begabten Gemeinde - Freunde und
so
daß von selbst der Haug zu deut bloß
Genusse oder den Zufalls - und Gewinn - Spielen sich
minderte: dann würde sich auch der Tact harmonischer Unterschei
dung
und Vereinigung der kirchlichen und nicht kirchlichen Sonn
tagsfeier zwanglos
herausbilden und sittliches Gemeingut werden.
Anstöße zwischen den beiden Seiten fehlten von Anfang nicht, 1 Cor.
10,11. Ephes. 4, 18,19, und werden sich so lange erneuern, als
das Naturleben weder erstorben ist, noch wiedergeboren in seinem ganzen Umfange,
noch
die Kraft der Kirche absorbirt hat.
Die
Geschichte der Kirche und ihres Fortschrittes geht durch diese Wi
dersprüche hindurch, Die Wissenschaft
denen reine Unterschiede zum Grunde liegen.
aber hat das Verhältniß im Lichte der Idee
und der Geschichte anzuschaucn, damit sie die wirklichen Zustände der Gegenwart begreifen und anfassen lehre, sie nieinals zu trost los und nicht zu frühe normal finde.
Je reiner sich die Kirche
vom Reiche Gottes unterscheidet, je inniger sie sich mit ihm als
seinem Grunde und Zwecke vereinigt,
desto weniger ist sie dem
Staate, deni ganzen Cultur- und Naturleben gegenüber von tödt-
lichen Trennungen oder Mischungen bedroht.
Zweiter Abschnitt. Das Evangelische kirchliche Leben, und der jetzige Zeitpunct.
Erstes Hauptstück. Die Grundsätze des Evangelischen kirchlichen
Lebens.
§. 57.
Einheit und Selbigkeit des christlichen Kirchenwesens.
In ihrer Ausbreitung und Dauer hat die kirchliche Ausübung der Religion des Heiles sich verändert, sich entwickelt und berei
chert, entstellt und erneuet; allein so gewiß es zu allen Zeiten und
an allen Orten an Verwirklichung des Urbildes gefehlt, so gewiß ist diejenige Einheit und Selbigkeit ihr erhalten worden, welche ihren Unterschied von Heiden - und Judenthum, ihren Grund und Anfang in Christus dem Welt-Heilande und in der Mission der
Apostel,
eine Richtung auf Erbauung des inwendigen Menschen
und das Heil der Seelen, den Gebrauch ursprünglicher Gna den - und Erbauungsmittcl, die Elemente des christlichen Gottes dienstes, jede der kirchlichen Lcbensfunctioncn und amtlichen Thä tigkeiten und ein in dem allen gegründetes Verhältniß der Kirche zu dem Natur- und Culturlcbcn der Menschheit noch erkennen läßt. Dem Wesen des christlich-kirchlichen Lebens ist durch die Reformation desselben weder etwas hinzugethan noch etwas genom
men worden.
§. 57.
Wäre der urbildliche Begriff des
1.
337
Einheit und Selbigkeit des Kirchenwesens.
kirchlichen Lebens nur
die Abstraction von einem dagewesenen oder wieder erreichten Mo
mente der Geschichte,
so würden wir keinen Grund gehabt haben,
ihn von dem geschichtlichen zu scheiden.
Sogar die Kirche apostolischer
Zeit ist von der apostolischen Idee derselben noch verschieden.
Man
erwäge nur die Motive der Briefe an die Galater, Corinthier, Colosser, und der sogenannten katholischen, besonders
Geselligkeit
menschheitlichen
der apoka
Zwar der Prozeß des sich innerhalb der
lyptischen Sendschreiben.
Kirche
durch
vermittelnden
Reiches
Gottes kann in seiner einfachen, ursprünglichen Wahrheit nirgends vollkommener vor sich gegangen sein, als wo die Apostel wirkten
und stifteten, und die wesentlichsten Principien müssen daselbst sich
geoffenbaret haben.
kirchlicher Bildung
Weshalb
auch alle Kir
chenparteien apostolisch zu sein vorgeben oder es zu werden sich bestreben.
Das
urbildliche aber greift über das vorbildliche hin
aus; das apostolische Kirchenthuin ist gerade dadurch ein vorbild liches,
daß es seine eigenen Erscheinungen seinem Geiste unterord
net und durch keine Formen und Festsetzungen der Zukunft vor
greift. Reiches
Daß die Kirche als vermittelnde geschichtliche Form des Gottes in ihrem Entstehen schon für alle Zeiten fertig
gewesen sei,
ist leere Erdichtung und ist Widerspruch.
Sie ist
weder als Ritus und Dogma noch als Sitte fertig, so lange ihre Geschichte gehet; denn darin besteht vielmehr,
wenn sie mit ande
ren Formen von religiösen Gemeinschaften verglichen
wird, ihre
Vollkommenheit, daß sie nach Maaßgabc des je und je
entwickel
ten geistlichen Lebens und kirchlichen Sinnes ihre angemessene Ge
staltung sucht und findet.
Ebenso unwahr ist cs, daß die Ge
schichte der kirchlichen Veränderung nichts
als die Geschichte der
Secten und Schismen sei,
die Einige und Allge
gleich
als ob
meine in jeder Beziehung unveränderlich bliebe,
oder
daß Abfall
und Spaltung niemals die Folge innerer und vorherrschender Ent
stellung und Erstarrung
gewesen.
Wir dürfen
vielmehr fragen:
welche Anschauung eines wirklichen und ganzen kirchlichen Zustan
des desselbigen Zeitalters, Landes
und Volkes oder Ortes bietet
uns nicht, je schärfer wir sie und
je unbefangener nach dem
Maaße des Begriffes fassen, Erscheinungen des Mangels, der Ein seitigkeit und der Krankheit dar?
Wo findet sich nicht während
die eine Function überspannt erscheinen muß, die Erschlaffung eines andern vor?
Wo hat das wuchernde liturgische Triebleben nicht
Nttzsch, prakt Theologie. I. Bd. 2te Aufl.
22
338 I. Buch. Kirchl. Leben. II. Jetziger Zeitpunct. 1. Grundsätze, der Lehrtätigkeit die Nahrung entzogen? Wo ist, wenn diese letzte
sich aus dem Quelle erfrischte, nicht die liturgische Entwickelung zurückgeblieben?
Wo haben wir die Disciplin vor Augen, welche
theils mit den übrigen Bethätigungen, theils mit den sittlichen Zu
ständen in voller Uebereinstimmung stände?
Wo
sehen
wir die
reinen Unterschiede und Vereinigungen zwischen Kirche und Staat,
Kirche und Wissenschaft, von welchen die Rede war, wirklich voll
zogen?
2.
Auf
der andern Seite läßt es sich erkennen, daß das
Christliche des religiösen Gemeinwesens, soweit und solange es sich namentlich fortgepflanzt, auch sachlich sich irgendwie erhalten oder hergestellt hat.
Die Geschichte weiß von keiner Zeit, da der
Fluß der Tradition irgend
eines kirchlichen Grundelementes
oder
einer der namhaftesten Functionen schlechthin im Sande versiegt wäre.
Denn
so fruchtbar
sich das gefallene oder veränderte Ge-
mein-Princip an Restauration des Juden- und Heidenthums erwie sen hat, auch die crassesten Erscheinungen dieser Art, z. B. in der
Abessinischen oder in den verkommensten romanischen Theilen der Kirche, lehren genauer angesehen, daß sic unvcrlorenen Zusammen
hang mit einer christlichen Voraussetzung behalten haben und sich mehr oder minder wie Aufgetragenes und Tünche zum noch
handenen freilich fast
unkenntlichen Grunde
verhalten.
vor
Christus
obgleich nur monophysitisch gedacht steht noch als erster der Mitt
ler im Hintergründe des Bewußtseins und Cultus; die Begriffe vom Glauben, von der Erlösung, von der Kirche selbst, wie sie nur als christliche da sein können,
haben
noch ein Leben
Laut; es giebt noch einen Bibelgebrauch;
und einen
wenn schon der Grieche
sie sich als Talisman anhängt und der Laie sie in der Mutter sprache nicht lesen darf, hat doch die Schrift beider Testamente in
der freilich unverstandenen Liturgie ihre gehcimnißvolle Auslegung. , Noch wird der apostolische Sonntag sich das Festjahr
errichtet.
begangen,
auf
dessen Basis
Mögen die Sacramente unter Cäre-
monieen vergraben sein, noch sind sie doch vorhanden.
Noch giebt
es eine gewisse Ueberlieferung
dürftigsten
der Lehre; durch die
Jahrhunderte läßt sich doch eine Geschichte der Homilie und Katechisation fortsctzcn.
Messe und Beichte, Bann und Hierarchie
erhalten sich ohnehin in den verkommenen Kirchen, so
ein Schatten ihres Lebens übrig bleibt.
lange noch
Und ohne jegliche Unter
weisung oder Erziehung könnten sie doch nicht gedacht werden.
Am
§. 58. Unterschied, gesetzliches und evangelisches. allerwenigsten hat auf dem
abendländischen Gebiete, wo
339
die Ge
schichte der Kirche, seit sie im Morgenlande gleichsam zum Still stehen gekommen, kräftig vorgeschritten ist, wie mannigfach man auch dort ein Zuviel hier ein Zuwenig
von Streben und
Kraft
äußerung wahrnehmen mag, irgend ein kirchliches Element schlecht
das christliche Gepräge völlig
hin ausleben,
verwischt, das Ge
dächtniß apostolischer Stiftungen ganz verlöscht werden tönnen.
3.
Und je mehr die Früchte der Reformation und der Contra-
Reformation auf Eines Landes und Einer Bolksthümlichkeit Boden wuchsen, desto weniger.
Es gilt jetzt gleichviel,
ob
diese beiden
Seiten sich einander noch für christlich und apostolisch anerkennen oder
ob die eine der andern oder jede der andern nachsagt, sie
nicht;
habe nur so viel Wahrheit und Leben als sie von der andern ge
liehen;
genug, sie stehen noch in einer Gemeinschaft der Grundbe
standtheile und der wesentlichen Verrichtungen des
kirchlichen Le
bens, welche sich nur von den apostolisch-biblischen Ursprüngen ab
leiten und nur aus der vereinten, allgemeinen Kirchengeschichte er klären läßt.
Für die an die Reformation
anknüpfenden aber von
ihr abfallenden Secten beschränkt sich dies Verhältniß fortschritt
weise auf ein mindestes; von dem Hauptstamme der Reformation
muß es gelten, und Melanchthon nach Luther hat es mit vollstem Bewußtsein in
der Apologie
der Augsburgischen Confession,
die
Schweizer verhältnißmäßig haben es ausgesprochen, daß er sich ge schichtlich begründet, vorbereitet, berechtigt achtete, daß es sich für
ihn um
die Erhaltung
des wahrhaft universellen Charakters des
Christenthums, um Abstellung von Mißbräuchen und Aufsätzen, zum Theil sehr neuen Ursprungs, handelte.
§. 58.
Verschiedene Arten
thumö.
des christlichen Kirchen-
Hauptunterschied:
gesetzliches und
evangelisches. Schon nach dem Maaße ihrer Ausbreitung über den volksthümlichen
und
menschheitlichen Boden und ebenfalls nach Ver
hältniß der Dauer ihres Lebens auf demselben gehen Veränderun
gen mit der Kirche unvermeidlicher Weise vor,
durch
welche
sie
sich von der apostolischen Art ihrer Erscheinung mehr und mehr
entfernt.
Aber die wirkliche Veränderung des religiösen Gemein
wesens der Christen seit dem dritten Jahrhunderte und die von da an geschichtlichen Hauptformen desselben
sind dadurch
noch
nicht
340 I. Buch. Kirchl. Leben. II. Jetziger Zeitpunct. 1. Grundsätze, erklärt.
Sondern ein Zufall und Fehler ihrer Entwickelung und
Erweiterung bringt die Kirche, nachdem sie im zweiten Jahrhun
derte bis auf den Grund gehende innere Erschütterungen erlitten und bestanden hat noch während ihres Leidens- und Siegeskampfes mit der römischen Staatsgewalt und dem heidnischen Volksgeiste, dazu, den Begriff, den sie von sich selber hegt, zu verändern; eine
Veränderung, welche jedesmal
alle ihre Lebenserschcinungen mit verändern muß. Der Katholicismus an und für sich würde nichts anders fein, als die Erhaltung und Vollziehung des apostolischen Principes der Kirche durch alle räumliche Ausbreitung und zeit liche Entwicklung hindurch. Nun aber nimmt die Kirche mehr und mehr für ihre Ordnung und ordnende Thätigkeit den Gedanken
einer ökumenischen Theokratie in Anspruch und bestätigt alle dar aus fließenden Folgerungen; und indem sie auf den Standort des
Gesetzes zurückgehet, faßt sie ihr einiges und allgemeines We sen zugleich in denjenigen Erscheinungsformen auf, welche an sich veränderliche sind.
Nachdem aber die in diesem Sinne katholisirte
und nicht mehr apostolische Kirche in den Staatsfrieden sich ein gesetzt sieht, ist sie als Reichs- oder Staatskirche weit entfernt, die theokratischen Begriffe und Einrichtungen wieder in das apostolische Wesen aufzulösen, sondern die gesetzliche Richtung findet an den politischen Verhältnissen und den Zuständen der christianisirten oder zu bekehrenden Völker nur neue Veranlassung, sich zu tiefe« fügen und zu steigern, bis sie im Papstthume oder der christ lichen göttlichen Welt-Monarchie ihre Spitze erreicht. Unterdessen
hat sich während des ganzen Verlaufes der Herrschaft der gesetz lichen Ansicht die bis in das 16tc Jahrhundert mehr oder minder unterdrückte oft schwärmerisch ausartende, im Ganzen vom ge schichtlichen und geistigen Urgründe ausgehende evangelische
Reaction zu keiner Zeit ganz unbezeugt gelassen, bis sie am Ende des bezeichneten Zeitraumes eine partielle Reformation der abend ländischen Kirche zu Stand und Wesen brachte. Zücht die Prädicate apostolisch, katholisch, römisch, protestantisch, sondern der be
griffliche Gegensatz von Gesetz und Evangelium und die dar aus hergeleiteten Unterschiedspuncte führen zur inneren Erkenntniß der Hauptformen des christlichen Kirchenwesens, und zwar in der
Art, daß man, was die Entwicklung der gesetzlichen Principien an langt, das alte katholische, das kanonische und das rö
mische oder p ä p st l i ch e wieder besonders unterscheiden darf.
341
§. 58. Unterschied, gesetzliches und evangelisches. 1.
sind an sich genommen
Evangelisch und katholisch
Eigenschaften, welche mit dem Wesen des Christenthums
Kirche zusammenfallen.
und der
Der Begriff der evangelischen Kirche, wel
chen wir suchen, ist deshalb historisch zu bestimmen, und der Name kann als ein besonderes nur gelten, jenachdem die Kirche, die als christliche auch
hat es
evangelisch ist, einmal verhältnißmäßig aufgehört
zu sein und wieder angefangen cs zu werden.
Denn in
Bezug auf alle Momente ihres urbildlichen Begriffes ist sie im
Werden.
2.
Das apostolische, als das begründende und principielle itn-
vergänglich, konnte als eine erste, elementarische Erscheinungsort der
Kirche vorübcrgehcn mit den apostolischen Zeiten, und mußte es. Allerdings haben die unter dem Einflüsse des Paillus, Petrus, Jo
bauenden
hannes und ihrer nächsten Gehülfen gestifteten und sich
christlichen Synagogen ihre Geschichte bis zu den innern Störun
gen, von welchen sie schon zur Zeit der sich
schließenden
mentlichen Litteratur
zumal in
ergriffen waren und
neutesta-
der ersten
Hälfte des zweiten Jahrhunderts immer
heftiger heimgesucht wur
den, bestanden und bis dahin fortgesetzt,
wo
die
ältesten christli
chen Apologeten und Theologen ihre Zustände gelegentlich beleuch ten.
Sie haben sich vervielfältigt, aber sich mehr auf ihre näch
sten älteren Schwestern, als auf den ohnehin verödeten jerusalemischen Mittelpunct bezogen;
sie haben sich von jüdischer Sitte und
Form mehr und mehr gesondert, und gegen das heidnische Element mit gleicher Entschiedenheit verwahrt;
der Apostellehre die Anfänge und judäischen und
mindestens
hegten sie
mit
Grundsätze einer solchen anti-
antihellenischen Entwicklung in Vollständigkeit;
sie
haben die unmittelbaren Anordnungen der Apostel heilig gehalten, aber der Gemeingeist vielmehr
mentlichen
Gesetzen
als die Vorstellung
Gottes ist
Ordnungen gewesen. jener Träger erlahmte.
der Träger
und
von neutesta-
Erhalter dieser
Die Ordnungen sind gefallen, je
nachdem
Eine geraume Zeit hindurch waren die
geistlichen Gaben und Kräfte mehr auf die Erhaltung der Erwähl
ten bis zur Zukunft des Herrn, als auf Ausbreitung der Gemeine und auf Entwicklung ihrer Ordnungen gerichtet, mehr bedacht, mit
tels des persönlichen Lebensverkehrs überhaupt die Mission fortzu
setzen, als den Gebrauch der Gnadenmittel zu schmücken und ' zu organisiren.
Die den Gemeinen
angeborene Verfassung:
Aeltestc
und Diener, Wittwen, Diakonissinnen, die Entwicklung der Cultus-
342 I. Buch. Kirchl. Leben. II. Jetziger Zeitpunct. I. Grundsätze. Elemmte: Lobgesang, Schriftvorlcsung, Lehre, Bittgebet — modi-
ficirte, steigerte, beschränkte sich nach dem Gewichte der Persönlich den örtlichen Umständen.
keiten und nach
flössen aus der Inspiration oder
Lehre, Gesang, Gebet
aus dem durch Kunst nicht ver
mittelten Glaubens- und Lebens-Sinne.
Eingefaßt in die einfach
sten Formeln bewegte sich die freie prophetische
Rede.
oder didaskalische
Am wenigsten war wohl die Verwaltung der Katechese amt
lich geordnet, desto mehr die Zulassung zur Communion, welche, nachdem
die Feier
der Abendessen oder Liebesmähler
verdächtigt
und verboten worden, in die Hauptversammlung sich rettete.
Denn
als die empfindlichste zeigte sich die Gemeine auf der sittlichen Seite.
Was irgend als Abgötterei ausgesaßt werden mußte, verursachte einen Bruch, welchen man in der Regel weder von der einen noch von der andern Seite zu heilen versuchte.
Und doch drang durch
die Thür der evangelischen Lehrfreiheit und des Glaubens an die Gerechtigkeit, die dem Glauben zu Theil wird, das äußerste zwie
fache Unchristenthum, Auflösung der historischen Dogmen und Verläugnung der sittlichen Gebote, in die Gemeinen ein. 2 Petr. 2. Offenbar. Ioh. 2, 14.
werden,
Br. Iudä,
Dadurch konnte nicht geholfen
daß sich das Gemeindewesen von neuem der paulinischcn
Richtung entgegen in ebionitischer Weise judaisirte,
daß es die bedrohete historische Grundlage
dadurch nicht,
entweder
durch eine leidenschaftliche Eutwicklung bis zum
aufgab oder
Chiliasmus
be
hauptete ; dadurch nicht, daß es diesen Chiliasmus mit neuen Offen
barungen' zu begründen und durch unnatürliche Entsagungen
Entsinnlichungen zu bewahrheiten
strebte.
Vielmehr
mußte
und der
MontanismuS gleicherweise wie der Judaismus, und wie dieser jede auf dem Grunde der Naturverehrung erwachsene Gnosis über wunden werden.
Die
ganze Zeit aber drängte zu einer Wieder
geburt, zu einer Befreiung des inwendigen Menschen hin, und die angeregtesten Theile der im römischen Reiche
vereinigten Cultur-
völker konnten je länger je weniger verkennen, daß die Möglichkeit einer allgemeinen Befriedigung nur in den christlichen enthalten sei.
Die vereinte
Mysterien
plebejische und proconsularische Ver
folgung der christlichen Synagoge hinderte daher nicht, daß sie mehr
und mehr sich mit Neulingen von den verschiedensten Gesinnungen und Ansprüchen füllte.
Wie sollte sich nun christliche Lehre, Sitte
und Gemeinschaft vor Zersetzung und Auflösung retten, wenn sie sich nicht einerseits fest anhielt an den apostolischen
Grund und
§. 58. Unterschied, gesetzliches und evangelisches.
343
Kanon, andererseits zu maaßgebenden Begriffen und Gestaltungen des Einen und Gemeinsamen consolidirte?
Dieß ist geschehen und
ist des Katholicismus Grund und Ursache, Wesen und Nothwen Er ist aus der Kirche geboren;
digkeit.
von Außen auf den Tod
verfolgt und innerlich von den extremsten Gegensätzen bedroht hat
die Kirche die Macht ihres Selbsterhaltungstriebes dadurch bewiesen, daß sie sich nach gegebenen Analogieen und ohne ihre Eigenthüm
lichkeit zu verläugnen leiblich organisirtc, ihr Darstellungselement entwickelte, sich verfaßte, ordnete, gliederte und die verwundbarsten
Stellen ihres Lebens durch die entschiedensten Festsetzungen sicherte. Diese Veränderung ist
Und wer
durch
will sagen,
die Natur der Umstände angezeigt.
daß der apostolische oder
Geist darinnen untergehe,
der evangelische
wenn ihm eben sein Gehege gesichert,
wenn er in reichlicheren Formularen und Riten ausgedrückt wird? Daß es schon nicht mehr die Kirche des Evangeliums sei, welche sich in ihrem Personal, dem leitenden und geleiteten, dem mündi
gen und exspectirenden entschiedener sacramentlichen
Feier
abthcile,. den Ton
der Rede
den Zugang zur homiletischen und
und des Cultus steigere,
unterscheide,
den
zur
Zugang
zur
Kirche
überhaupt unter Bedingungen der Prüfung und Censur stelle? Da
durch, daß sich die ordnende Thätigkeit
anspannt,
die
Ordnung
mannichfaltiger ausbauct, die Gemeine eine erziehende und erzo gene wird, die Unterordnung der Aemter und die Macht des Auf
sich das Ganze in Ansehung des
sichts-Amtes zunimmt, entstellt
substanziellen Geistes noch keineswegs.
Diejenigen, welche dies al
les von vornherein als unchristlich vorstellen, verletzen das Princip evangelischer Freiheit nicht weniger als die, welche eine dergleichen Erscheinungsform der Kirche zum unumgänglichen Gnadenmittel er heben.
Ein, freier Geist kann darum doch ein objectiver,
ein dar
gestellter auch ein solcher fein, in dem sich der Sinn der Gemeine mit Freiheit wiederfindet.
Katholicismus
So wenig die mit den Anfängen des
zusammenfallende
Theologie
das
aufhob, wenn sie ihm begrifflichen Ausdruck schuf,
einfachen
apostolischen Kanon
Evangelium
wenn sie den
des Bekenntnisses zu Jesus
dem
Christus, zu Vater, Sohn und Geist, in der Weise eines Justin, Irenäus, Tertullian weiter entwickelte, wenn sie nach der Weise des
alexandrinischen Clemens mittels vereinter Dialektik und Exegese
das Schiff der
christlichen Glaubens- und Sittenlehre durch die
Klippen der gnostischen Frivolität oder Naturwidrigkeit hindurch-
344 I. Buch. Kirchl. Leben. II. Jetziger Zeitpunct. 1. Grundsätze,
führte, so wenig war es an sich antievangelisch, was die liturgische und Synoden
und politische Kunst der Bischöfe
an Gestaltungen
der Feier, an Bestimmungen der Zucht und Sitte, an Befestigun
gen des Gemeindeverbandes hervorbrachte.
Fast sämmtliche älteste
Katholikcr sprechen die Klage aus, die Kirche habe an Körper zugenommen;
an Geist ab-
die geisterfüllteren Glieder, unter ihnen
die größten christlichen Persönlichkeiten, waren desto mehr berufen, standen dem Märtyrthum be
Ansehen zu haben und zu nehmen,
sonders nahe und machten eine innerliche Hierarchie in der äußer Wir bekennen aber, daß dieses alles auf zwei Ge
lichen geltend.
fahren hinweiset, die der Katholicismus schon des
dritten Jahr
hunderts zu bestehen hatte, jedoch nicht bestanden hat; jeder spätere noch viel weniger.
Denn fürs Erste konnte das symbolisirende
Bestreben, die Neigung darzustellen und zu formeln, die Mystifi-
cation des Cultus, die Absonderung
des Clerus und die monokra
tische Tendenz der Berfassung zu weit greifen,
jenes sich in den
Mitteln versehen und diese der Herrschsucht und Trägheit Vor schub thun.
Zum Andern aber lag es nur zu
nahe, wenn
darauf ankam die der apostolischen Zeit fremden und
nach
es und
nach in die Haupt- und Muttergemeinen cingeführten von da wei ter verbreiteten katholischen Begriffe, Formen, Sitten zu
autorisi-
ren und gegen den Einspruch der Vorliebe für das einfachere Alte zu behaupten,
daß man eine falsche Beweisart wagte,
frommer Betrügerei einschlug,
den Weg
oder doch überhaupt vom evangeli
schen Principe ab- und auf das gesetzliche
hinlenkte.
Es^. han
delt sich am meisten um die Feier, die Verfassung und die Disci
plin.
Die altkatholische Feier des Wortes hat
das
eigenthüm
liche, daß sie den großen Reichthum der Bibel vor der zuhörenden
Gemeine in allerlei Weise entfaltet.
Die Vorlesungen ordnen sich,
die Borträge werden Auslegungen,
die Psalmen
Frühstunden gesungen,
und die Lob-
werden in den
und Bittgebete,
das
ganze
Formular erfüllt sich mit Bildern und Vorstellungen der h. Schrift; innerhalb
des mystischen Cultus
erst treten außerbiblische verba
solemnia (aygarpa) immer mehr in ein förmliches Recht ein.
Und dies ist keine der geringsten Gaben alter Liturgie.
Wenn je
die Freiheit des Wortes unapostolische Elemente in Gesang und Gebet ausgenommen hatte, so stiftete die davor schützende katholische Reaction eine biblische Substanz,
Jahrhunderte
gottesdienstlicher
deren Schätze noch die spätesten Erbauung
genießen
konnten
und
§. 58. Unterschied, gesetzliches und evangelisches. als Entschädigung für ausgeartete Predigt genossen haben.
345 Es ist
auch ganz in der Ordnung, daß jetzt das Gebet des Herrn (ora
tio dominica) ein ständiges Gebetswort des mystischen Cultus
abgiebt. Allein der Grundsatz jenes Zeitalters — den Jamblichus *) vertritt und Epiktet **) gerügt hat — die Götter haben die Worte und Laute geoffenbaret, durch welche sie angerufen sein wollen, giebt, auch nach Tertullians und Cyprians Urtheilen, dem „Unser Bater:c." eine Bedeutung, welche sich nun von da an mehr und mehr der ganzen Liturgie in ihrer Borschriftlichkeit an zueignen sucht; und weder dies ist evangelisch oder apostolisch noch
die bald nachher aufkommende Vermuthung, oder schon pseudepigraphische Erdichtung, daß die Apostel, daß Jacobus, Petrus, Marcus diese oder jene Liturgie aufgesetzt und dem bischöflichen Nachfolger anvertraut haben. Wer darf es ferner unnatürlich oder an sich unevangelisch nennen, daß diese Liturgien vermöge des wirk lichen typologischen Zusammenhanges zwischen beiden Testamen ten — da die Apostel, um von der jüdischen Synagoge abzu
sehen, darin vorapgegangen waren — den Gottesdienst der einzel
nen Gemeine mit den Vorstellungen von Opfer und Priesterthum auszustatten und aus die mosaischen Einrichtungen vielfach zurück zuführen kein Bedenken hatten: wenn aber alsbald das Priester thum der Gläubigen vergessen und das Priesterthum der Ordinirten allein geltend wurde, wenn überhaupt sich die Behauptung Geltung verschaffte, die Kirche unterscheide sich vom A. T. nur als eine nicht mehr nationale, sondern ökumenische Herrschaft Gottes, die
Stufe des Bischofes sei die erneuerte des Hohenpriesters, die presbyterielle entspreche den Priestern, der Diakonatsgrad den Leviten; wenn die sogenannten canones Apostolorum
ohne weiteres im ausgetauschten Sprachgebrauche sich ausdrückten und jedes Verfassungs- und Cultus-Element durch Nachweisung im Gesetze sich
rechtfertigte, dann war der apostolische Standort verlassen. Und damit an dem Rückfalle nichts fehlen sollte, bequemte sich die Kirche
ebenfalls zu gar mannigfaltigen Analogieen der Formel, des Ri tus, der Sprache, welche den ihr verfeindeten Mysterien der Natur religion entlehnt waren. Ueber diesem Verhältnisse herrscht sowie
*) De myst. Aeg. Sect III. Gale p. 115. **) Arrian. III. 21. p. 441.
346
I. Buch. Kirchl. Leben. II. Jetziger Zeitpunct. 1. Grundsätze,
über dem ganzen Gange der Entwicklung des synagogischen Chri
stenthums zum KatholocisniuS seit de Mitte des zweiten Jahrhun derts große Dunkelheit; totr können aber von unserer an einem an
dern Orte *) dargclegtcn Auffassung desselben, ungeachtet des vorgekomiiienen Einspruchs, nicht weichen. Wenn die sich abstoßendsten Gemeinschaften sich in einer
fein müssen, so ist
gegebenen Zeit
das auch in
doch die ähnlichsten
diesem Falle kein Widerspruch.
Wer das römische, corinthischc, alexandrinische Volksleben der da
maligen Zeit nach den unzweifelhaftesten Merkmalen, die uns gege ben sind, bettachtet, dem kann es nicht entgehen, daß während die
Civil-Religionen erstarken, das
Heidenthum der
eingewandcrten
ausländischen Mysterien noch lebte und blühte: die geheimen und doch zugleich öffentlichen Dienste der Ceres, Isis, des Mithras.
So
ausgeartet diese sacra waren, für Ur-Religionen, für Aushülfen aus
dem Schlamme der Materie, für Reinigungen von dem, was sich sonst nicht sühnen ließ,
für Zugänge zu den Hähern
Stufen der Erkenntniß galten sie dennoch.
und höchsten
Genoß nun das Christen
thum dieselbe Toleranz schon hin und wieder, welche sich jene sacra erzwungen, so war cs ja auch von einem dem römischen Reiche
unterworfenen Mnttcrlandc eingewandert, brachte daher seine Ge schichte nnd wesentliche Symbolik mit, vereinigte gleicherweise hö
here
Lehren
vom
Leben in Gottes
Thatsachen und Sacramenten,
von Schuld des Todes rein.
Gemeinschaft
mit
positiven
und wusch den sündigen Menschen
Es darf nicht erst erinnert werden,
daß das Christenthum schon in seinen Vorhöfen und schon seinen Neulingen deutlichere und wahrere Belehrung über die Räthsel des Lebens
ertheilte als die höchsten Grade der Mysterien hergeben
konnten; es leuchtet von selbst ein,
Gaukeleien verabscheute,
daß es die Zaubereien und
welche dort den Jnitianden lockten und
täuschten, nnd der ethischen Wahrheit seiner Entsündigungen so ge
wiß war als der Geschichten der Erlösung, welche es verkündigte: aber daß
cs die dantals einzige politische Existcnzart mit diesen
religiösen Orden theilte,
und in vielen wesentlich
ähnlichen Er
scheinungsformen auftrat, kann man nicht in Abrede stellen.
Ist
es denn so zufällig, daß von Origencs an die Kirchensprache mit den Vorstellungen TeXirai,
und bergt ganz als mit
*) Protestantische Theses (am Schlüsse der Beantwortung der Möhler'schen Symbolik) No. 83. 84.
347
§. 58. Unterschied, gesetzliches und evangelisches.
ihrem Eigenthume umgehet?
Eine Analogie des Schwankens zwi
schen dem Aufschub der Taufe und deren frühester Zueignung kommt
schon unter den Römern und
Griechen, sofern
nahme in die heidnischen Mysterien handelt, vor.
es sich um Auf
Der Novizen-
Stand ist beiden Instituten gemein; hier vornehmlich läßt sich die
Aehnlichkeit zwischen ihnen bis in die Einzelheiten verfolgen, es sei, daß man auf die Classen, auf die Grade des Unterrichtes, auf die
asketischen Vorbereitungen, auf die Exorcismen, auf die Fasten und Reinigungen, welchen die Initianden unterworfen waren, oder auf
die Masse symbolischer Handlungen der Zueignung, auf die Sal
bung und Einkleidung achte, die den Taufact umgaben. sen Punct und was den Moment anlangt,
lassen werden, zu
Was die
wo die profani ent
aber die religiös! (Eingeweihten), das Sacrament
begehen, sich
als solche erkennen und als reine Gemeine con-
stituiren, giebt es nicht so nahen Anschluß an Typen des alttestamentlichen Cultus, als an die Elcusinicn und Isis - Feierlichkeiten. Innerhalb der Communionfeier selbst ist die christliche Eucharistie
in solenne Formen eingefaßt,
welche noch
von Basilius *) mit
denselben Worten, nQÖXoyoi, iiuloyoi, Präfation, bezeichnet wer
den, die beim heidnischen Festopfer die gewöhnlichen waren.
Bon
denselben Epilogen hat schon Justin**) Erwähnung gethan, näm lich da, wo er die Mithrasfeier. (Genuß des gesegneten Brodteö
und
Wassers)
mit dem Abendmahl des Herrn vergleicht, dessen
dämonische Nachahmung
sie sei.
Allerdings
wurde der Darstel
lungsstoff so treu als möglich aus dem A. T. herübergcnommen. Und ist es nun schon mit den Gebräuchen,
welche der hebräischen
Cäremonie mit dem Heidenthume gemein sind, so geartet, daß zwi schen beiden dennoch die innerste Ungleichheit besteht, weil die mo saische durch und durch ethische Bedeutung behauptet, wie vielmehr
muß eine geistige Entfremdung zwischen den Mysterien des Chri
stenthums und den anderen mindestens in der katholischen Urzeit
ungeachtet solcher Beziehungen bestanden haben! Ganzen die hierurgische und
Nur, daß sie im
die hierarchische Richtung förderten,
läßt sich nicht leugnen. Die Kirche kam wirklich in den Fall, zwar
eine höhere, dritte***), aber doch eine gesetzliche, d. h. eine
*) De spir. s. c. 27. **) Apol. mai. ***) S. ein apokr. Fragment. Grabe Spicil. PP. L p. 65.
348
I. Buch. Kirchl. Leben. II. Jetziger Zeitpunct. 1. Grundsätze,
und sogar sein zu wollen. „Wenn sogar die Götzendiener," so schließen die apostolischen Constitutionen *), „in ihrer Nachahmung des Heiligthums ohne die Dazwischenkunft ihres After-Priesters (pieQtv