Politik und Verwaltung in deutschen Diktaturen: Eine vergleichende Analyse des Nationalsozialismus und des SED-Regimes (Interdisziplinäre Organisations- und Verwaltungsforschung) (German Edition) 3658391561, 9783658391560

Bastian Strobel beschäftigt sich in diesem Buch mit dem Verhältnis von Politik und Verwaltung im Nationalsozialismus und

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English Pages 348 [341] Year 2022

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Table of contents :
Danksagung
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Definition grundlegender Begriffe
1.2 Fallauswahl und Fallkonstellation
1.3 Aufbau der Studie
2 Verwaltungspolitisierung – eine systematische Durchsicht
2.1 Theoriegeschichte des Politisierungsbegriffs
2.2 Politisierung als Antwort auf ein Prinzipal-Agenten-Problem
2.3 Systematisierung der Politisierungsformen
2.3.1 Personalpolitische Politisierung
2.3.2 Verhaltensbezogene Politisierung – Funktionale Politisierung
2.3.3 Politisierung durch Veränderung von Strukturen – Strukturelle Politisierung
2.4 Kurzzusammenfassung der zu nutzenden Politisierungsformen
3 Methodisches Vorgehen
4 Politik und Verwaltung im Nationalsozialismus
4.1 Vorbedingungen: das politisch-administrative System des Deutschen Reiches
4.2 Struktureller Zustand des Systems am 01. September 1934
4.2.1 Allgemeine politische und strukturelle Entwicklungen seit 1933
4.2.2 Rechtliche Veränderungen der Beamtengesetzgebung und ihre Umsetzung seit 1933
4.2.3 Auswirkungen der Veränderungen auf das Verwaltungspersonal
4.2.4 Einordnung der Ergebnisse der ersten Phase des NS in die Politisierungsformen
4.3 Struktureller Zustand des Systems am 01. September 1939
4.3.1 Allgemeine politische und strukturelle Entwicklungen seit 1934
4.3.2 Rechtliche Veränderungen der Beamtengesetzgebung und ihre Umsetzung seit 1934
4.3.3 Auswirkungen der Veränderungen auf das Verwaltungspersonal
4.3.4 Einordnung der Ergebnisse der zweiten Phase des NS in die Politisierungsformen
4.4 Struktureller Zustand des Systems am 01. September 1944
4.4.1 Allgemeine politische und strukturelle Entwicklungen seit 1939
4.4.2 Rechtliche Veränderungen der Beamtengesetzgebung und ihre Umsetzung seit 1939
4.4.3 Auswirkungen der Veränderungen auf das Verwaltungspersonal
4.4.4 Einordnung der Ergebnisse der dritten Phase des NS in die Politisierungsformen
4.5 Einordnung des Nationalsozialismus in die Politisierungsformen
4.5.1 Personalpolitische Politisierung im Nationalsozialismus
4.5.2 Funktionale Politisierung im Nationalsozialismus
4.5.3 Strukturelle Politisierung im Nationalsozialismus
4.5.4 Zusammenfassung: Politisierung im Nationalsozialismus
5 Politik und Verwaltung im SED-Regime
5.1 Der organisatorische Aufbau der SED
5.2 Aufbau des SED-Regimes und Sowjetisierung – die „Äußere Staatsgründung“ 1945 – 1952
5.2.1 Allgemeine politische Entwicklungen
5.2.2 Aufbau und Veränderung der Verwaltungsgrundsätze
5.2.3 Auswirkungen auf das Verwaltungspersonal
5.2.4 Einordnung der Ergebnisse der ersten Phase des Regimes in die Politisierungsformen
5.3 Konsolidierung des Systems – die „Innere Staatsgründung“ 1952 – 1962
5.3.1 Allgemeine politische Entwicklungen
5.3.2 Veränderung der Verwaltungsgrundsätze und Reformen der Nomenklatur
5.3.3 Auswirkungen auf das Verwaltungspersonal
5.3.4 Einordnung der Ergebnisse der zweiten Phase des Regimes in die Politisierungsformen
5.4 Lockerungen und Bildungsexpansion – die „Sozialistische Revolution“ 1962 – 1971
5.4.1 Allgemeine politische Entwicklungen
5.4.2 Veränderung der Verwaltungs- und Besetzungsgrundlagen
5.4.3 Auswirkungen auf das Verwaltungspersonal
5.4.4 Einordnung der Ergebnisse der dritten Phase des Regimes in die Politisierungsformen
5.5 Stabilität, Stagnation und Überwachung – der „real existierende Sozialismus“ 1971 – 1989
5.5.1 Allgemeine politische Entwicklungen
5.5.2 Veränderung der Verwaltungs- und Besetzungsgrundlagen
5.5.3 Auswirkungen auf das Verwaltungspersonal
5.5.4 Einordnung der Ergebnisse der vierten Phase des Regimes in die Politisierungsformen
5.6 Einordnung des SED-Regimes in die Politisierungsformen
5.6.1 Personalpolitische Politisierung im SED-Regime
5.6.2 Funktionale Politisierung im SED-Regime
5.6.3 Strukturelle Politisierung im SED-Regime
5.6.4 Zusammenfassung: Politisierung im SED-Regime
6 Politik und Verwaltung im NS- und SED-Regime im Vergleich
6.1 Personalpolitische Politisierung im Vergleich
6.2 Funktionale Politisierung im Vergleich
6.3 Strukturelle Politisierung im Vergleich
6.4 Gründe für Unterschiede in der Nutzung der Politisierungsformen
7 Fazit
7.1 Methodischer Beitrag
7.2 Konzeptionell-theoretischer Beitrag zum Politisierungskonzept
7.3 Beitrag zur Erforschung des Nationalsozialismus und des SED-Regimes
Quellenverzeichnis
Datensätze
Akten des Bundesarchivs
Gesetzliche Grundlagen
Literaturverzeichnis
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Politik und Verwaltung in deutschen Diktaturen: Eine vergleichende Analyse des Nationalsozialismus und des SED-Regimes (Interdisziplinäre Organisations- und Verwaltungsforschung) (German Edition)
 3658391561, 9783658391560

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Interdisziplinäre Organisations- und Verwaltungsforschung

Bastian Strobel

Politik und Verwaltung in deutschen Diktaturen Eine vergleichende Analyse des Nationalsozialismus und des SEDRegimes

Interdisziplinäre Organisations- und Verwaltungsforschung Band 22 Reihe herausgegeben von Tanja Klenk, Fakultät für Sozialwissenschaften, Helmut Schmidt Universität, Hamburg, Hamburg, Deutschland Isabella Proeller, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Universität Potsdam, Potsdam, Brandenburg, Deutschland Sylvia Veit, Public Management, Universität Kassel, Kassel, Hessen, Deutschland

In der Schriftenreihe werden ausgewählte wissenschaftliche Arbeiten zur Erforschung des öffentlichen Sektors publiziert. Die Reihe verfolgt einen interdisziplinären Ansatz und veröffentlicht Beiträge u.a. aus den Verwaltungswissenschaften, der Politikwissenschaft, dem Public Management und der Verwaltungs- und Organisationssoziologie. Die Reihe umfasst empirische Studien zu öffentlichen Organisationen und zur öffentlichen Verwaltung. Ziel der Reihe ist es, den interdisziplinären Diskurs zu Fragen der Entwicklung des öffentlichen Sektors anzuregen. Die Reihe wurde gegründet von Thomas Edeling, Werner Jann und Dieter Wagner.

Bastian Strobel

Politik und Verwaltung in deutschen Diktaturen Eine vergleichende Analyse des Nationalsozialismus und des SED-Regimes

Bastian Strobel Düsseldorf, Deutschland Declaration that the book was handed in as dissertation at the University of Kassel. Declaration that it was handed in at the department „Fachbereich 05 Gesellchaftswissenschaften“ The date of the disputation: 01st of July 2022 Dieses Buch wurde als Dissertation an der Universität Kassel am Fachbereich 05 Gesellschaftswissenschaften eingereicht. Die Disputation fand am 01.07.2022 statt.

ISSN 2945-8331 ISSN 2945-834X (electronic) Interdisziplinäre Organisations- und Verwaltungsforschung ISBN 978-3-658-39156-0 ISBN 978-3-658-39157-7 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-39157-7 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2022 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Stefanie Probst Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Danksagung

Vor dem inhaltlichen Teil meiner Dissertation möchte ich zunächst allen danken, die mir die Vollendung dieser Dissertation ermöglicht haben. Zunächst danke ich Sylvia Veit für die Betreuung der Arbeit, für das regelmäßige und konstruktive Feedback und für die guten Ideen, wenn der Arbeitsprozess mal wieder ins Stocken geriet. Marian Döhler danke ich sehr für die Übernahme der Zweitbetreuung. Zudem danke ich den beiden weiteren Mitgliedern der Prüfungskommission Tanja Klenk und Wolfgang Schröder. Darüber hinaus möchte ich dem gesamten Team des Fachgebietes Public Management danken. Insbesondere gilt mein Dank Stefanie Vedder für die vielen guten Gespräche im gemeinsamen Büro und ihren hilfreichen Anregungen zu dieser Dissertation. Simon Scholz-Paulus, Anika Manschwetus und Nora Schierenbeck danke ich für die stets sehr gute Zusammenarbeit im Forschungsprojekt „Neue Eliten – Etabliertes Personal? (Dis-)Kontinuitäten deutscher Ministerien in Systemtransformationen“. Ohne sie wäre der in dieser Arbeit genutzte Datensatz für den Nationalsozialismus nie zustande gekommen. Ein großer Dank geht an Klemens Pieper für die mühevolle Arbeit des genauen Korrekturlesens. Zuletzt möchte ich mich bei meiner Familie, insbesondere meinen Eltern, meinen Freunden und ganz besonders meiner Freundin bedanken. Sie haben mich stets motiviert und unterstützt, wenn die Arbeit an der Dissertation mal wieder ins Stocken geriet.

V

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Definition grundlegender Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Fallauswahl und Fallkonstellation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Aufbau der Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2 Verwaltungspolitisierung – eine systematische Durchsicht . . . . . . . . . 2.1 Theoriegeschichte des Politisierungsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Politisierung als Antwort auf ein Prinzipal-Agenten-Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Systematisierung der Politisierungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Personalpolitische Politisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Verhaltensbezogene Politisierung – Funktionale Politisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Politisierung durch Veränderung von Strukturen – Strukturelle Politisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Kurzzusammenfassung der zu nutzenden Politisierungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3 Methodisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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4 Politik und Verwaltung im Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Vorbedingungen: das politisch-administrative System des Deutschen Reiches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Struktureller Zustand des Systems am 01. September 1934 . . . . . 4.2.1 Allgemeine politische und strukturelle Entwicklungen seit 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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15 18 18 25 28 30

40 46 46

VII

VIII

Inhaltsverzeichnis

4.2.2 Rechtliche Veränderungen der Beamtengesetzgebung und ihre Umsetzung seit 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Auswirkungen der Veränderungen auf das Verwaltungspersonal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4 Einordnung der Ergebnisse der ersten Phase des NS in die Politisierungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Struktureller Zustand des Systems am 01. September 1939 . . . . . 4.3.1 Allgemeine politische und strukturelle Entwicklungen seit 1934 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Rechtliche Veränderungen der Beamtengesetzgebung und ihre Umsetzung seit 1934 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.3 Auswirkungen der Veränderungen auf das Verwaltungspersonal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.4 Einordnung der Ergebnisse der zweiten Phase des NS in die Politisierungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Struktureller Zustand des Systems am 01. September 1944 . . . . . 4.4.1 Allgemeine politische und strukturelle Entwicklungen seit 1939 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2 Rechtliche Veränderungen der Beamtengesetzgebung und ihre Umsetzung seit 1939 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.3 Auswirkungen der Veränderungen auf das Verwaltungspersonal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.4 Einordnung der Ergebnisse der dritten Phase des NS in die Politisierungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Einordnung des Nationalsozialismus in die Politisierungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.1 Personalpolitische Politisierung im Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.2 Funktionale Politisierung im Nationalsozialismus . . . . . . . 4.5.3 Strukturelle Politisierung im Nationalsozialismus . . . . . . . 4.5.4 Zusammenfassung: Politisierung im Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Politik und Verwaltung im SED-Regime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Der organisatorische Aufbau der SED . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61 62 84 89 89

95 98 110 114 114

119 120 129 133 133 136 140 143 145 146

Inhaltsverzeichnis

5.2 Aufbau des SED-Regimes und Sowjetisierung – die „Äußere Staatsgründung“ 1945 – 1952 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Allgemeine politische Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Aufbau und Veränderung der Verwaltungsgrundsätze . . . . 5.2.3 Auswirkungen auf das Verwaltungspersonal . . . . . . . . . . . 5.2.4 Einordnung der Ergebnisse der ersten Phase des Regimes in die Politisierungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Konsolidierung des Systems – die „Innere Staatsgründung“ 1952 – 1962 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.1 Allgemeine politische Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.2 Veränderung der Verwaltungsgrundsätze und Reformen der Nomenklatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.3 Auswirkungen auf das Verwaltungspersonal . . . . . . . . . . . 5.3.4 Einordnung der Ergebnisse der zweiten Phase des Regimes in die Politisierungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Lockerungen und Bildungsexpansion – die „Sozialistische Revolution“ 1962 – 1971 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.1 Allgemeine politische Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.2 Veränderung der Verwaltungs- und Besetzungsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.3 Auswirkungen auf das Verwaltungspersonal . . . . . . . . . . . 5.4.4 Einordnung der Ergebnisse der dritten Phase des Regimes in die Politisierungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Stabilität, Stagnation und Überwachung – der „real existierende Sozialismus“ 1971 – 1989 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.1 Allgemeine politische Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.2 Veränderung der Verwaltungs- und Besetzungsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.3 Auswirkungen auf das Verwaltungspersonal . . . . . . . . . . . 5.5.4 Einordnung der Ergebnisse der vierten Phase des Regimes in die Politisierungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6 Einordnung des SED-Regimes in die Politisierungsformen . . . . . 5.6.1 Personalpolitische Politisierung im SED-Regime . . . . . . . 5.6.2 Funktionale Politisierung im SED-Regime . . . . . . . . . . . . . 5.6.3 Strukturelle Politisierung im SED-Regime . . . . . . . . . . . . . 5.6.4 Zusammenfassung: Politisierung im SED-Regime . . . . . .

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153 153 172 179 187 192 192 201 212 220 224 224 227 232 237 239 239 246 250 262 264 264 266 268 271

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Inhaltsverzeichnis

6 Politik und Verwaltung im NS- und SED-Regime im Vergleich . . . . 6.1 Personalpolitische Politisierung im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Funktionale Politisierung im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Strukturelle Politisierung im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Gründe für Unterschiede in der Nutzung der Politisierungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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7 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Methodischer Beitrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Konzeptionell-theoretischer Beitrag zum Politisierungskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Beitrag zur Erforschung des Nationalsozialismus und des SED-Regimes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

311

290

299 304

Abkürzungsverzeichnis

AL APO BBG BGR BPK BVP CDU DAF DBG DDP DDR DGO-NS DGO-SBZ DisO DKO DNVP DVP DWK DZV FDJ GBNVR GöO GöV

Abteilungsleiter Abteilungsparteiorganisation Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums (Berufsbeamtengesetz) Beschluss des Großdeutschen Reichstags vom 26. April 1942 Bezirksplankommission Bayerische Volkspartei Christlich Demokratische Union Deutsche Arbeitsfront Deutsches Beamtengesetz Deutsche Demokratische Partei Deutsche Demokratische Republik Deutsche Gemeindeordnung Demokratische Gemeindeordnung Disziplinarordnung Demokratische Kreisordnung Deutschnationale Volkspartei Deutsche Volkspartei Deutsche Wirtschaftskommission Deutsche Zentralverwaltung Freie Deutsche Jugend Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich (Ermächtigungsgesetz) Gesetz über die örtlichen Organe der Staatsmacht Gesetz über die örtlichen Volksvertretungen und ihrer Organe in der DDR

XI

XII

GPBSR GRO GRPVk GüM GVVS GzSESP HVA IM KGA KPD KPdSU KPKK KVP LDPD LPG MfS NÖS NPM NS NSDAP NSKK NSLK NSRB NSV NVA PGs PrGVF PrMDI PrVzBMV RAD RAM RBG RDB RDStO RJM RMEL

Abkürzungsverzeichnis

Gesetz über die Pflichten der Beamten zum Schutze der Republik Grundorganisation Gesetz über die Rechte und Pflichten der Volkskammer gegenüber den örtliche Volksvertretungen Gesetz über den Ministerrat der DDR Gesetz über die Vervollkommnung und Vereinfachung des Staatsapparates Gesetz zur Sicherung der Einheit von Staat und Partei Hauptverwaltung Aufklärung Inoffizieller Mitarbeiter Kampfgruppen der Arbeiterklasse Kommunistische Partei Deutschlands Kommunistische Partei der Sowjetunion Kreisparteikontrollkommission Kasernierte Volkspolizei Liberal-Demokratische Partei Deutschlands Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft Ministerium für Staatsseicherheit, Ministerium für Staatsseicherheit Neues Ökonomisches System New Public Management Nationalsozialismus Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nationalsozialistisches Kraftfahrkorps Nationalsozialistisches Luftfahrtkorps Nationalsozialistischer Rechtswahrerbund Nationalsozialistische Volkswohlfahrt Nationale Volksarmee Parteigenossen Preußisches Gemeindeverfassungsgesetz Preußisches Ministerium des Innern Preußische Verordnung zur Behebung von Mißständen in der gemeindlichen Verwaltung Reichsarbeitsdienst Reichsarbeitsministerium Reichsbeamtengesetz Reichsbund der deutschen Beamten Reichsdienststrafordnung Reichsjustizministerium Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft

Abkürzungsverzeichnis

RMF RMfdbO RMI RVM RWM SA SBZ SED SKK SMAD SPD SPK SS Stellv. StS StS StWK USPD UStS VDDR vgl. VKA VO VzSDV VzSVuS WRV z. B. ZKDS ZKK

XIII

Reichsministerium der Finanzen Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete Reichsministerium des Innern Reichsverkehrsministerium Reichswirtschaftsministerium Sturmabteilung Sowjetische Besatzungszone Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Sowjetische Kontrollkommission Sowjetische Militäradministration in Deutschland Sozialdemokratische Partei Deutschlands Staatliche Plankommission Schutzstaffel Stellvertretender Staatssekretär Staatssekretär Ständige Wirtschaftskommission Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands Unterstaatssekretär Verfassung der DDR vergleiche Volkskontrollausschuss Verordnung über die Pflichten, die Rechte und die Verantwortlichkeit der Mitarbeiter in den Staatsorganen Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des Deutschen Volkes Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat (Reichstagsbrandverordnung) Weimarer Reichsverfassung zum Beispiel Zentraler Kaderdatenspeicher des Ministerrats der DDR Zentrale Kontrollkommission

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 2.1 Abbildung 4.1 Abbildung 4.2 Abbildung 4.3 Abbildung 4.4 Abbildung 4.5 Abbildung 4.6 Abbildung 5.1 Abbildung 5.2 Abbildung 5.3 Abbildung 5.4 Abbildung 5.5 Abbildung 5.6 Abbildung 5.7

Überblick über die in der Arbeit zu nutzenden Politisierungsformen und deren Ausprägungen . . . . . . . . Führungsstruktur der NSDAP 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . Beobachtete Politisierungsformen der ersten Phase des NS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Organigramm des Reichskommissariats für das Saargebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beobachtete Politisierungsformen der zweiten Phase des NS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reichsverteidigungsbezirke (links) und Gaue (rechts) in Bayern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beobachtete Politisierungsformen der dritten Phase des NS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vereinfachter organisatorischer Aufbau der SED . . . . . . Beobachtete Politisierungsformen in der ersten Phase des SED-Regimes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vereinfachte Darstellung der kommunalen Leitungsstruktur nach GöO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auswahl und Vorbereitung für Leitungsfunktionen . . . . Vereinfachte Übersicht der Weisungs- und Kontrollberechtigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beobachtete Politisierungsformen in der zweiten Phase des SED-Regimes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beobachtete Politisierungsformen in der dritten Phase der DDR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31 49 85 104 112 118 131 152 190 199 207 214 222 238

XV

XVI

Abbildung 5.8 Abbildung 5.9

Abbildungsverzeichnis

Vereinfachte Darstellung der Nomenklaturrangfolge im Jahr 1986 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beobachtete Politisierungsformen in der vierten Phase des SED-Regimes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

250 263

Tabellenverzeichnis

Tabelle 3.1 Tabelle 3.2 Tabelle 4.1 Tabelle 4.2 Tabelle 4.3

Tabelle 4.4 Tabelle 4.5 Tabelle 4.6

Tabelle 4.7 Tabelle 4.8

Tabelle 4.9 Tabelle 4.10 Tabelle 4.11 Tabelle 4.12

Anzahl der Fälle im Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . Eintrittsjahr der Abteilungsleiter der DDR-Ministerien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Berufserfahrung in verschiedenen Sektoren in Jahren . . . . Regressionsmodelle: Führt NS-Politisierung 1934 zu einer höheren Verwaltungsposition? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis der Two-Step-Clusteranalyse „Politisierungsindex x Ressort“ für den Erhebungszeitpunkt 1934 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entlassung- und NSDAP-Mitgliedschaftsquote im Höheren Dienst der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mittelwerte des Politisierungsindex nach Ressorts und F-Wert der Varianzanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis der Two-Step-Clusteranalyse „Politisierungsindex x Ressort“ für den Erhebungszeitpunkte 1939 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Regressionsmodelle: Führt NS-Politisierung 1939 zu einer höheren Verwaltungsposition? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis der Two-Step-Clusteranalyse „Politisierungsindex x Ressort“ für den Erhebungszeitpunkt 1944 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Regressionsmodelle: Führt NS-Politisierung 1944 zu einer höheren Verwaltungsposition? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beobachtete Personalpolitische Politisierung im NS . . . . . Beobachtete Funktionale Politisierung im NS . . . . . . . . . . . Beobachtete Strukturelle Politisierung im NS . . . . . . . . . . .

35 36 64 68

70 71 99

101 102

123 124 134 137 141

XVII

XVIII

Tabellenverzeichnis

Tabelle 5.1 Tabelle 5.2 Tabelle 5.3 Tabelle 5.4 Tabelle 5.5 Tabelle 5.6 Tabelle 5.7 Tabelle 5.8 Tabelle 5.9 Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle

5.10 5.11 5.12 5.13 5.14 5.15

Tabelle 5.16 Tabelle 5.17 Tabelle 5.18

SED-Mitglieder im Zeitverlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verantwortlichkeit für die Parteischulen . . . . . . . . . . . . . . . Mitgliederzahlen der größten fünf Massenorganisationen 1989 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Staatsstrukturprinzipien der DDR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgaben der Bezirke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vereinfachte Darstellung der Nomenklatur des ZK der SED 1950 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Darstellung der Nomenklatur der SED ab 1957 . . . . . . . . . Qualifikationsanforderungen bei Neueinstellungen in den DDR-Ministerien 1954 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vereinfachte Darstellung der ZK-Nomenklatur ab 1960 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weiterbildungseinrichtungen für Kader . . . . . . . . . . . . . . . . Anforderungen an Leitungskader . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Protokollarische Rangfolge der DDR im Jahr 1980 . . . . . . Zusammensetzung der örtlichen Räte . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflichten der Staatsfunktionäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mittelwerte und Median des Politisierungsindex nach Ressorts und F-Wert der ANOVA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beobachtete Personalpolitische Politisierung im SED-Regime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beobachtete Funktionale Politisierung im SED-Regime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beobachtete Strukturelle Politisierung im SED-Regime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

147 149 153 161 167 177 202 204 209 229 230 243 244 246 255 265 267 269

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Einleitung

Darf man den Nationalsozialismus (NS) und das Regime der SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) vergleichen? Vor allem in den 1990er und frühen 2000er Jahren war diese Frage höchst umstritten. Es gab viele Stimmen, die einen Vergleich der beiden Systeme für unangemessen hielten, da dieser eine Verharmlosung der NS-Herrschaft durch Gleichsetzung der beiden Systeme darstellen könnte (Faulenbach 1993). Dieses Argument findet sich auch in anderen Bereichen und wurde berechtigterweise 2020 und 2021 genutzt, als sog. Querdenker und Corona-Leugner die Corona-Schutzmaßnahmen und deren Folgen regelmäßig mit Maßnahmen der NS-Diktatur verglichen. So wurden die Erweiterungen des Infektionsschutzgesetzes mit dem Ermächtigungsgesetz von 1933 und die Behandlung von Ungeimpften mit der Behandlung von Juden1 im NS verglichen (Wolf 2020). Während nun aber im einen Fall (Querdenker) das NSRegime tatsächlich verharmlost wird, ist dies im anderen Fall (Diktaturvergleich) nicht der Fall. Querdenker wollen sich mit den Vergleichen Opfergruppen des Nationalsozialismus gleichstellen und damit die Deutungshoheit in einer Debatte erlangen. Wissenschaftliche Vergleiche haben dagegen das Ziel, zwei Systeme ohne eine Wertung neutral nebeneinanderzustellen und auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede hin zu prüfen. Zentrales Problem in der Debatte über die Angemessenheit von Vergleichen mit dem NS-System ist die Tatsache, dass der Begriff „Vergleichen“ gleichzeitig „ein komparatives Verfahren als auch eine wertende Gleichsetzung bezeichnen“ (Schmiechen-Ackermann 2014) kann. Während wertende Gleichsetzungen inakzeptabel sind, ist ein wissenschaftlicher Vergleich bei Einhaltung methodischer Standards hingegen ein sinnvolles 1

In diesem Buch wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit das generische Maskulinum verwendet. Weibliche und anderweitige Geschlechteridentitäten werden dabei ausdrücklich mitgemeint, soweit es für die Aussage erforderlich ist.

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2022 B. Strobel, Politik und Verwaltung in deutschen Diktaturen, Interdisziplinäre Organisations- und Verwaltungsforschung 22, https://doi.org/10.1007/978-3-658-39157-7_1

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Einleitung

Verfahren um Erkenntnisse über die verglichenen Systeme zu gewinnen (Jesse 2005). Wichtig ist dabei, dass stets die Ergebnisoffenheit gewahrt ist. Wissenschaftliche Diktaturvergleiche müssen mit einer theoriegeleiteten Analyse und empirischen Quellen Phänomene in vergleichender Perspektive untersuchen um Ergebnisse zu generieren (Schmiechen-Ackermann 2014). Die dabei notwendige Fokussierung auf einen recht überschaubaren Teilbereich der jeweiligen Diktaturen führen dabei „zwangsläufig zu interpretativen Verkürzungen und empirisch nicht immer gedeckten Verallgemeinerungen“ (Schmiechen-Ackermann 2014). Dennoch hat ihre Nutzung einen zentralen Mehrwert, da sie präzises Kontextwissen für den spezifisch untersuchten Teilbereich generiert (Heydemann 2001). Für verschiedene Felder der NS- und SED-Diktatur wurden daher in den vergangenen 30 Jahren Vergleichsstudien durchgeführt, die jeweils Einzelaspekte der beiden Regime vergleichend analysierten. Dazu gehören beispielsweise Studien, welche die Justiz in den Blick nehmen (Heine 2000), Studien, die sich mit Erziehung beschäftigen (Siemens 2015) und solche, die NS-Verbrecher und die Staatssicherheit vergleichen (Leide 2007). In den allermeisten Fällen wurden die bisherigen Studien von Historikern durchgeführt. Verwaltungs- und Politikwissenschaftler haben sich, abgesehen von einzelnen Ausnahmen (z. B. Jesse 2005), auffallend zurückgehalten. Vorrangig in der Verwaltungswissenschaft fehlt eine Beschäftigung mit dem Thema vollständig. Einige Veröffentlichungen beschäftigen sich zwar mit der Verwaltung in einem der beiden Systeme (König und Bartsch 1991; Salheiser 2006; Strobel und Veit 2021). Einen systematischen Vergleich der Verwaltungen des NS- und des SED-Regimes gibt es aber bisher nicht. Diese Lücke soll mit dieser Studie gefüllt werden. Ziel der Studie ist es, das Verhältnis von Politik und Verwaltung im Nationalsozialismus und im SED-Regime zu analysieren und abschließend zu vergleichen. Die Forschungsfrage lautet daher: „Wie stellt sich das Verhältnis von Politik und Verwaltung in den beiden deutschen Diktaturen des 20. Jahrhunderts dar?“ Um dies beantworten zu können, wird im weiteren Verlauf der Studie das vielfach genutzte Politisierungskonzept zu Grunde gelegt. Dieses widmet sich dem Verhältnis, indem es verschiedene Einflussformen von Politik auf Verwaltung systematisiert. Es stellt sich daher die Unterfrage „Welche Rolle spielte Politisierung in den zu untersuchenden Systemen?“ Zusätzlich soll untersucht werden, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede sich zwischen den beiden Systemen zeigen und welche Gründe es dafür gibt. Relevant ist die angestrebte Studie aus mehreren Gründen: Wie im vorletzten Absatz gezeigt, sind die Verwaltungssysteme des NS- und SED-Regimes

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Einleitung

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innerhalb der Verwaltungswissenschaft nur unzureichend untersucht. Zudem bietet die Studie die Chance, aus einer systematischen Analyse der beiden Systeme Erkenntnisse für Prozesse der Politisierung in Demokratien abzuleiten. Insbesondere für Systeme, in welchen democratic backsliding, also das Zurückdrängen von demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien durch populistische Kräfte (Bauer und Becker 2020; Bauer et al. 2021a), vorherrscht, könnten die Ergebnisse des folgenden Vergleichs hilfreich sein. Erste Hinweise dafür finden sich bereits bei Strobel und Veit (2021), welche den Umbruch von der Weimarer Republik hin zum Nationalsozialismus bezugnehmend auf das Konzept des democratic bzw. bureaucratic backsliding betrachten. Die Erkenntnisse dieser Studie lassen sich eventuell auf weitere Staaten wie Polen, Ungarn oder die Türkei übertragen. Ein weiterer Grund für die wissenschaftliche Relevanz stellt die Tatsache dar, dass das theoretische Konzept der Politisierung bisher fast ausschließlich auf demokratische Systeme angewendet wurde. In diesen lassen sich politische und administrative Systeme, trotz der mittlerweile allgemein verneinten (siehe u. a. Aberbach et al. 1981; Peters 2008; Schwanke und Ebinger 2006) „politics-administration dichotomy“ (Wilson 1887), sowohl formal als auch aufgabenbezogen voneinander trennen. Die Vermischung beider Sphären beziehungsweise Übergriffe der einen auf die andere stellt einen Verstoß gegen diese Trennung dar und ist beziehungsweise war bei einigen Autoren negativ konnotiert (Kieser und Ebers 2019; Schluchter 2009). Grund hierfür ist meist der Rückgriff auf die Weberianische Vorstellung einer Trennung von Politik und Verwaltung (Weber 1919), welche in der Realität allerdings meist nicht besteht (Derlien 1996). Die Untersuchung von Politisierungsformen in politischen Systemen wie denen des NS oder des SED-Regimes, welche sich durch eine fast vollständige Durchbrechung der erwähnten Dichotomie auf der formalen Ebene auszeichnen, steht bisher noch aus. Die folgende Studie besitzt das Potenzial zur Erweiterung der verbreiteten Politisierungsdebatte sowohl in empirischer als auch in theoretisch-konzeptioneller Hinsicht. Aus empirischer Perspektive wird eine Forschungslücke geschlossen, da bisher nicht nur keine systematischen Auswertungen zum Verhältnis von Politik und Verwaltung in beiden Systemen vorliegen, sondern autokratische Systeme in dieser Forschungstradition weitgehend außen vor gelassen werden. Aus theoretisch-konzeptioneller Perspektive bietet das Projekt die Chance, das Politisierungskonzept für nicht-demokratische Systeme zu schärfen und weiterzuentwickeln. Die Studie kann der Ausgangspunkt für weitere Studien in anderen noch existierenden oder längst untergegangenen autokratischen Systemen sein. Zuletzt muss erwähnt werden, dass die Aufarbeitung der Rolle der Verwaltung im Nationalsozialismus seit der Beauftragung der ersten Unabhängigen Historikerkommission 2005 durch Außenminister Joschka Fischer

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1

Einleitung

eine große Rolle im gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Diskurs spielt. Zahlreiche weitere Ministerien und Behörden begannen danach, die Rolle ihrer Vorgänger im Nationalsozialismus in den Blick zu nehmen. Diese Forschung kann durch einen Blick auf das Verhältnis von Politik und Verwaltung im SED-Regime sinnvoll ergänzt werden. Zudem bietet die Studie die Chance die existierenden Studienergebnisse zum Nationalsozialismus zu verknüpfen und ein umfassenderes Bild zu zeichnen.

1.1

Definition grundlegender Begriffe

Bevor aber der Vergleich inhaltlich begonnen werden kann, müssen zunächst die für den folgenden Vergleich zentralen Begriffe definiert und abgegrenzt werden. Grund hierfür ist, dass sowohl im wissenschaftlichen Diskurs, als auch in der Umgangssprache zahlreiche unterschiedliche Begriffe synonym verwendet werden. Zunächst geht um den Begriff des NS-Regimes bzw. des Nationalsozialismus. Im weiteren Verlauf dieser Studie sollen die beiden Begriffe die Herrschaft der Nationalsozialistischen Arbeiterpartei (NSDAP) zwischen dem 30. Januar 1933, dem Tag der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler, und dem 08. Mai 1945, dem Tag der vollständigen Kapitulation Deutschlands, bezeichnen. Im gesellschaftlichen Diskurs und auch in der englischen Sprache wird häufig für diese Phase der Begriff „Drittes Reich“ verwendet. Auf diesen wird allerdings bewusst verzichtet, stellt der Begriff doch vor allem eine Selbstbezeichnung der Nationalsozialisten dar. Sie wurde von diesen bewusst propagandistisch eingesetzt, um eine angebliche Traditionslinie zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation (962 bis 1806) und dem Kaiserreich (1871 bis 1918) herzustellen (SchmitzBerning 2007, S. 159 f.). Gleichzeitig sollte damit die Weimarer Republik (1918 bis 1933), die formal immer noch die Bezeichnung Deutsches Reich führte, delegitimiert werden (ebd.). Analog dazu wird für die Zeit der Herrschaft der SED der Begriff SEDRegime genutzt. Dies hat primär den Grund, dass eine Verwendung des Begriffs DDR (Deutsche Demokratische Republik) zu kurz greifen würde. Der zu nutzende Begriff SED-Regime schließt die Zeit ab der Übernahme der Regierung durch die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) vom 05. Juni 1945 bis zum Rücktritt Erich Honeckers am 17. Oktober 1989 ein. Grund hierfür ist, dass die SED bereits in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) de facto die staatstragende Partei war (Gradl 1981; Großbölting und Thamer 2003). Gestützt von der SMAD dominierte sie schon in dieser Phase die ostdeutsche Politik und setzte in dieser Zeit ihren Alleinherrscheranspruch durch (Leissner

1.2 Fallauswahl und Fallkonstellation

5

1961). Dieser endete mit dem Rücktritt Honeckers und seinen treuesten Gefolgsleuten im Herbst 1989. Mit der Aufnahme demokratischer Kräfte in die Regierung endete die faktische Alleinherrschaft der SED, auch wenn diese noch bis zum März 1990 an der Regierung der DDR beteiligt war. Ein weiterer zentraler Begriff dieser Studie ist Politisierung. Dieser wird in zahlreichen Kontexten unterschiedlich verwendet. Darunter kann beispielsweise eine Übernahme gesellschaftlicher Aufgaben durch den Staat oder eine Verstaatlichung verschiedenster Lebensbereiche verstanden werden. Er wird aber auch für den zunehmenden Einfluss politischer Akteure, Mechanismen und Faktoren in eigentlich unpolitischen Bereichen benutzt. Dazu gehört auch die Verwaltung. Hier bezeichnet Politisierung meist einen Eingriff in die Neutralität der Verwaltung (Hojnacki 1996, S. 139). Dies soll im Zuge dieser Studie die Grundlage für die Verwendung des Begriffs sein. Im Folgenden soll unter Politisierung daher in erster Linie Verwaltungspolitisierung gemeint sein. Eine genauere Definition des Begriffs, seiner Begriffsgeschichte und Dimensionen erfolgt im Kapitel 2. Daher soll an dieser Stelle darauf verzichtet werden. Alle weiteren Begriffe, welche für die Studie bedeutsam sind, werden im Verlauf der Studie bei ihrer ersten Nutzung kurz erläutert. Es soll daher an dieser Stelle genügen, diese drei zentralen Begriffe erläutert zu haben. Im Folgenden wird nun etwas näher auf die Fallauswahl eingegangen.

1.2

Fallauswahl und Fallkonstellation

In der Studie sollen die Verwaltungssysteme des NS- und des SED-Regimes untersucht werden. Vor allem das Verhältnis von Politik und Verwaltung in beiden Systemen steht im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses. Nachdem oben schon erläutert wurde, dass ein Vergleich des Nationalsozialismus und des SEDRegimes legitim und sinnvoll ist, soll nun erläutert werden, warum es spannend ist, gerade diese beiden Systeme zu untersuchen. Für die Fallauswahl ausschlaggebend war, dass es sich bei beiden Systemen um zwei Diktaturen mit grundsätzlich ähnlichen Voraussetzungen handelt. Beide sind geprägt von einer Staatspartei, deren Dominanz bis in alle Teile des jeweiligen Regimes spürbar war. Des Weiteren existieren für beide Systeme bereits Einzelfallstudien, die sich mit Teilbereichen der Verwaltung im jeweiligen System beschäftigt haben. Die Ergebnisse dieser Studien sollen zusammengeführt und gegeneinander abgeglichen werden. Durch dieses Vorgehen sollen Erkenntnisse zum Verhältnis von Politik und Verwaltung in beiden Systemen gewonnen werden, ohne die Komplexität der Fälle zu stark zu reduzieren. Das so gewonnene Wissen kann zwar nicht

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1

Einleitung

ohne weiteres auf andere Diktaturen übertragen werden, es leistet aber einerseits einen sinnvollen Beitrag zur Politisierungsforschung und andererseits zur vergleichenden Diktaturforschung. Darüber hinaus spielten bei der Fallauswahl auch pragmatische Gründe eine Rolle. Dies waren zum einen die Quellengrundlage, welche durch einen vollständigen Zugang zu allen Akten des Bundesarchivs gegeben war, sowie die Sprachkenntnisse, um die Inhalte der bestehenden Fallstudien und der Akten zu verstehen. Wie stehen aber die beiden Systeme zueinander? Welche grundsätzlichen Gemeinsamkeiten und Unterschiede existieren zwischen den Diktaturen? Bei oberflächlicher Betrachtung scheinen die beiden Regime äußerst unterschiedlich zu sein. In ihrer ideologischen Ausrichtung und politischen Führung gibt es offensichtliche Differenzen. Das NS-Regime war in seiner Struktur auf den Führer Adolf Hitler ausgerichtet (Bracher 1983). Alle Teilaspekte des Systems waren formal ihm untergeordnet. Im SED-Regime existierte formal ein Kollegialprinzip. Nicht ein einzelner Mann, sondern kollegiale Organe sollten die Führung des Staates übernehmen. Dies spiegelt sich in der Struktur des Staatsrates als dem kollektiven Staatsoberhaupt und auch in den führenden Parteistrukturen, dem Politbüro und dem Zentralkomitee der SED (Amos 2005, S. 66). Auf dem Papier waren in diesen Gremien alle Mitglieder gleichgestellt. Geführt wurden die höchsten Gremien von Staat und Partei aber vom Generalsekretär des Zentralkomitees, dessen Tätigkeit keiner Kontrolle durch andere Akteure unterworfen war (Thieme 2015, S. 133; Wagner 1998, S. 69). Er konnte somit als Monokrat im System recht frei agieren. Eine absolutistische Stellung wie Hitler hatte der Sekretär aber nicht. Ideologisch war der Nationalsozialismus durch den „Kampf um das Überleben der Arierrasse“ geprägt. Der Kommunismus, die Juden und andere Minderheiten sahen die Nationalsozialisten als Bedrohung dieser „Rasse“ an (Becker 2014). Das SED-Regime fühlte sich hingegen durch den angeblichen „Imperialismus“ des Westens bedroht (ebd.). Während das NS-Regime auf die Bedrohung mit Expansion, Krieg und dem systematischen Töten seiner „Gegner“ antwortete, reagierte das SED-Regime mit einer Abschottung nach Außen und einer Überwachung nach Innen (Jesse 2005). Ein weiterer Unterschied zeigt sich in den Gründungsumständen. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 erfolgte im Rahmen der verfassungsmäßigen Vorgaben der Weimarer Reichsverfassung (Strenge 2002). Diese erlaubte es dem Reichspräsidenten Paul von Hindenburg jeden deutschen Staatsbürger zum Reichskanzler zu ernennen und mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Von konservativen Kräften überzeugt, ernannte Hindenburg Hitler zum Reichskanzler und ebnete der NSDAP damit den Weg zum Aufbau der Diktatur (Jasper 1994).

1.2 Fallauswahl und Fallkonstellation

7

Die Umstände unter denen die SED die Macht errang waren hingegen gänzlich andere. Nach dem verlorenen Krieg existierte kein deutscher Staat mehr. Die Alliierten hatten die Kontrolle übernommen. Auf Initiative der SMAD baute die SED über mehrere Jahre hinweg ihren Herrschaftsbereich aus, der letztlich in der Gründung der DDR mündete (Großbölting und Thamer 2003). Dieser langsame Aufbau der Herrschaft unterscheidet sich grundlegend von den zügigen Reformen, welche die Nationalsozialisten vornahmen. Die unterschiedlichen Wege werden in den beiden Fallstudien noch ausführlich beschrieben werden. Ein weiterer Punkt, in dem sich die Systeme unterscheiden, ist deren Zusammenbruch. Das Ende des SED-Regimes war eine Folge friedlicher Proteste, die letztlich zum Rücktritt der SED-Führung und langfristig zur Auflösung der DDR führte. Eine breite Unterstützung des Staates oder seiner tragenden Partei durch die Bevölkerung fehlte Ende der 1980er Jahre vollständig. Im Gegensatz dazu kämpften die Deutschen im Zweiten Weltkrieg mit nahezu blindem Gehorsam für das Regime und blieben ihm in weiten Teilen bis zum Untergang 1945 treu ergeben (Jesse 2005). All diese Unterschiede scheinen augenscheinlich relativ groß. Bei genauerer Ansicht lassen sich bei beiden Systemen aber auch einige Gemeinsamkeiten feststellen. Auch wenn, wie oben festgestellt, die Feindbilder der beiden Systeme recht unterschiedlich sind, bilden in beiden Fällen diese doch die Existenzberechtigung der Systeme. Sowohl die NSDAP als auch die SED gründeten ihr Staatsverständnis auf die Abgrenzung gegenüber ihren Feinden (Becker 2014). Nur dadurch konnte eine Integration nach innen gelingen. Wenn auch die Reaktionen auf die Feinde unterschiedlich waren (Expansion vs. Abschottung), so sind diese aber doch zentral für die jeweilige Staatlichkeit (Jesse 2005). Beide Regime setzten zur Erhaltung ihrer Herrschaft nicht nur auf Gewalt, sondern auch auf eine totale Durchdringung und Durchherrschung der gesamten Gesellschaft und ihrer Teilbereiche (Schmiechen-Ackermann 2014). Jeder noch so kleine Teil des Lebens wurde ideologisch aufgeladen und instrumentalisiert. Beide Parteien setzten in der Durchsetzung dieses Totalitarismus auf Überwachung, Propaganda und Gleichschaltung (Jesse 2005). Die Ausprägungen dieser Aspekte unterschieden sich zwar, die Grundmuster sind aber dieselben (ebd.). Die Dominanz der jeweiligen Staatspartei war in allen Lebensbereichen spürbar. Sowohl im Nationalsozialismus als auch im SED-Regime war alles vom Willen der Partei und ihrer Eliten abhängig. Es stellt sich daher die Frage, welches Verhältnis zwischen Politik und Verwaltung in solchen Systemen existiert. Wie regierten NSDAP und SED in das System hinein? Welche Maßnahmen nutzten sie, um die jeweilige Verwaltung zur Umsetzung der Parteibeschlüsse zu motivieren? Welche Politisierungsstrategien wurden angewandt? Gab es für die

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1

Einleitung

Verwaltungen Handlungsfreiheiten und wenn ja, in welchem Grad? Für all diese Fragen fehlt es bisher an einer Antwort. Der nachfolgende Vergleich der beiden Systeme soll diese liefern und Einblicke in zwei totalitäre Systeme gewähren, deren Staatsstruktur sich durch die Dominanz einer Staatspartei in weiten Teilen von demokratischen Systemen unterscheidet. Das Vorgehen der Studie wird im folgenden Abschnitt beschrieben.

1.3

Aufbau der Studie

Im ersten Kapitel wurde eine kurze Einführung in das Forschungsthema gegeben und die Relevanz des Themas dargestellt. Im darauf folgenden zweiten Kapitel wird sehr ausführlich auf die Definition, die Theoriegeschichte und die Systematisierung des Politisierungsbegriffs in der verwaltungswissenschaftlichen Forschung eingegangen. Es werden Gründe genannt, warum politische Akteure zur Politisierung der Verwaltung neigen und welche Maßnahmen sie dabei nutzen. Im Rahmen der Systematisierung der Teilbereiche des Politisierungskonzepts wird gleichzeitig der Forschungsstand präsentiert und mit Beispielen aus verschiedensten Ländern belegt. Das Ziel von Kapitel Zwei ist es, die teilweise synonym verwendeten Politisierungsbegriffe zu ordnen und daraus Kategorien zu entwickeln, anhand derer die Phänomene des Nationalsozialismus und des SED-Regimes abgeglichen werden können. Das dritte Kapitel enthält eine Beschreibung des methodischen Vorgehens in der Studie. Darin wird insbesondere dargestellt, welche Feldzugänge genutzt wurden, um die beiden Fallstudien durchzuführen. Im vierten Kapitel folgt dann die erste Fallstudie. Diese enthält eine ausführliche Beschreibung des Verhältnisses von Politik und Verwaltung im Nationalsozialismus. Dabei werden zunächst die Vorbedingungen im Kaiserreich und der Weimarer Republik beschrieben. Anschließend erfolgt die Analyse der Politisierung im NS. In drei Phasen (1933 bis 1934, 1934 bis 1939 und 1939 bis 1944) werden dabei der Umbau und die Entwicklung des vormals demokratischen Herrschaftssystems zu einer totalitären Diktatur dargestellt. In jeder Phase liegt der Fokus der Analyse auf den Veränderungen des politisch-administrativen Systems. Veränderungen, die nicht den formalen Aufbau des Staates, die Verwaltung oder das Zusammenspiel von Politik und Verwaltung betreffen, werden außenvorgelassen. Zum Ende einer jeden Phase werden die in der Phase beobachteten Ergebnisse in die in Kapitel 2 systematisierten Politisierungskategorien eingeordnet. Am Ende der Fallstudie folgt eine übergreifende Einordnung des Nationalsozialismus in die Politisierungskategorien.

1.3 Aufbau der Studie

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Im fünften Kapitel folgt die Fallstudie zu SED-Regime. In dieser wird ein analoges Vorgehen gewählt. Hauptunterschiede zur NS-Fallstudie sind, dass zunächst eine Beschreibung der Parteistrukturen der SED erfolgt und dass es sich nicht um drei, sondern vier Phasen (1945 bis 1952, 1952 bis 1961, 1961 bis 1971 und 1971 bis 1989) handelt. Dies ist zum einen im deutlich längeren Bestehen des Systems begründet und folgt andererseits einer in der Literatur üblichen Einteilung des Systems (Hauschild 1991, S. 54; vgl. Schwarzenbach 1976, S. 61). Genau wie in der NS-Fallstudie werden zum Ende einer jeden Phase die empirischen Ergebnisse in die Politisierungskategorien eingeordnet und zum Ende des Kapitels erfolgt eine Einordnung des Gesamtsystems. Das sechste Kapitel enthält den Vergleich der Ergebnisse, welche in den beiden Fallstudien gewonnen wurden. Dabei werden anhand der in Kapitel 2 definierten Überformen von Politisierung die beiden Systeme vergleichend gegenübergestellt und Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausgearbeitet. Zum Abschluss des Kapitels werden Begründungen für die gefundenen Unterschiede präsentiert. Im Fazit werden die zentralen Erkenntnisse der Studie knapp zusammengefasst. Die wesentlichen Ergebnisse der Fallstudien und des Vergleichs werden in komprimierter Form dargestellt und die Forschungsfrage beantwortet. Zudem wird dargestellt, worin der wissenschaftliche Mehrwert der Studie liegt. Abschließend erfolgt noch ein Ausblick auf weitere Forschungslücken im bearbeiteten Feld.

2

Verwaltungspolitisierung – eine systematische Durchsicht

Im folgenden Kapitel soll die theoretische Grundlage der Studie dargestellt werden. Dazu wird zunächst auf die Theoriegeschichte des Politisierungsbegriffs (Abschnitt 2.1) eingegangen. Im Anschluss wird gezeigt werden, inwiefern Politisierung eine Antwort auf das Prinzipal-Agenten-Dilemma (Abschnitt 2.2) zwischen Politik und Verwaltung sein kann. Danach werden die verschiedenen Politisierungsformen systematisch mit Anwendungsbeispielen dargestellt (Abschnitt 2.3). Abschließend folgt eine Zusammenfassung der zu verwendenden Politisierungskategorien in der folgenden Analyse des Nationalsozialismus und des SED-Regimes (Abschnitt 2.4).

2.1

Theoriegeschichte des Politisierungsbegriffs

Schon 1887 prägte der spätere US-Präsident Woodrow Wilson die Annahme einer Dichotomie von Verwaltung und Politik (Wilson 1887). In seinem Beitrag The Study of Administration schreibt er: „’Policy does nothing without the aid of administration’; but administration is not therefore politics.[…] this discrimination between administration and politics is now, happily, too obvious to need further discussion.” (Wilson 1887, 210 f. Hervorhebungen im Original.).

Für Wilson hat die Verwaltung die Aufgaben zu erfüllen, die ihnen die Politik und damit Politiker setzen. Dennoch sollten es Politiker vermeiden, sich in die inneren Angelegenheiten der Verwaltung einzumischen und stets die Trennung der beiden Bereiche aufrechterhalten, damit beide Seiten ihre jeweiligen Aufgaben effizient

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2022 B. Strobel, Politik und Verwaltung in deutschen Diktaturen, Interdisziplinäre Organisations- und Verwaltungsforschung 22, https://doi.org/10.1007/978-3-658-39157-7_2

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2 Verwaltungspolitisierung – eine systematische Durchsicht

erfüllen können: Die Politik formuliert die Gesetze, die Verwaltung führt sie aus (Wilson 1887, S. 212). Ähnlich wie Wilson sieht auch Max Weber das Verhältnis von Politik und Verwaltung. In seinem Vortrag Politik als Beruf (1919) und dem postum erschienenen Werk Wirtschaft und Gesellschaft (1921, 1922) beschreibt Weber die Notwendigkeit der Trennung von Politik und Verwaltung. Weber unterstreicht die Trennung der beiden Bereiche und begründet sie mit der unterschiedlichen Aufgabenstellungen mit der Politiker und Beamte konfrontiert sind. „Der Beamte als Politiker macht nur allzu oft durch technisch ‚schlechte‘ Führung eine in jenem Sinn ‚gute‘ Sache zur ‚schlechten‘. Denn die heutige Politik wird nun einmal in hervorragendem Maße in der Öffentlichkeit mit den Mitteln des gesprochenen oder geschriebenen Wortes geführt.“ (Weber 1980, S. 829. Hervorhebungen im Original).

Die für die Politik notwendigen Eigenschaften eines „Demagogen“ hätten Beamte nicht (Weber 1919). Ihnen fehle die Eloquenz und sie seien nicht in der Lage das Volk und die Öffentlichkeit von ihren Ideen zu überzeugen und eine Gefolgschaft für diese Ideen zu generieren: „Der echte Beamte […] soll seinem eigentlichen Beruf nach nicht Politik treiben, sondern: ‚verwalten‘, unparteiisch vor allem“ (Weber 1919, S. 8. Hervorhebungen im Original). Seine Aufgabe und Hauptkompetenz bestehe in der neutralen Ausführung von Gesetzen „ohne welche die Gefahr furchtbarer Korruption und gemeinen Banausentums als Schicksal über uns schweben und auch die rein technische Leistung des Staatsapparates bedroht würde, dessen Bedeutung […] stetig gestiegen ist und weiter steigen wird.“ (Weber 1980, S. 831).

Die Funktionalität eines modernen Staates leitet sich für Weber also aus der Trennung von Politik und Verwaltung ab. Da aber Teile der Verwaltung (wie die Ministerialverwaltung) notwendigerweise in politische Vorgänge eingebunden sind, würde eine Unterscheidung der Beamtenschaft in Fachbeamte einerseits und Politische Beamte andererseits benötigt (Weber 1980, S. 833). Politische Beamte zeichnen sich genauso wie Fachbeamte dadurch aus, dass sie über eine hohe fachliche Kompetenz verfügen und sich dem neutralen Gesetzesvollzug verpflichtet haben. Der Hauptunterschied liegt für Weber aber darin, dass Politische Beamte die Aufgabe haben die politische Ordnung im Land und damit die bestehenden Herrschaftsverhältnisse aufrechtzuerhalten. Bei Verletzung dieser Pflicht können sie jederzeit aus ihren Ämtern entfernt und in den Ruhestand versetzt werden, was die Handlungsfähigkeit der Politik gegenüber der Verwaltung stärken soll (Weber

2.1 Theoriegeschichte des Politisierungsbegriffs

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1919, 8 f., 1980, S. 833). Trotzdem besteht Weber darauf, dass beide Gruppen, sowohl die Fachbeamten als auch die Politischen Beamten, ihren Dienst neutral vollziehen. Er schreibt dazu: „‚Über den Parteien‘, das heißt in Wahrheit: außerhalb des Kampfes um eigene Macht, soll der Beamte stehen. Kampf um eigene Macht und die aus dieser Macht folgende Eigenverantwortung für seine Sache ist das Lebenselement des Politikers“ (Weber 1980, S. 837. Hervorhebungen im Original).

Lange Zeit prägte diese Weberianische Vorstellung die Verwaltungswissenschaft und es wurde häufig auf diese idealtypische Trennung einer neutralen Verwaltung auf der einen Seite und der Politik auf der anderen Seite verwiesen (Kieser und Ebers 2019; Schluchter 2009). Dennoch mussten zahlreiche Forscher feststellen, dass in der Realität diese scharfe Trennung nicht existiert (Aberbach et al. 1981, S. 5 ff.; Ellwein 1994, S. 113; Hojnacki 1996, S. 139). Vielmehr überlappen beide Bereiche und beeinflussen sich gegenseitig. Insbesondere bei der Besetzung von Leitungspositionen in der Verwaltung kann in vielen Ländern ein hoher Einfluss politischer Faktoren beobachtet werden, was den Weberianischen Vorstellungen widerspricht (Derlien 1996). Aufgrund dieser Wahrnehmung rückte der Begriff der Politisierung in den Fokus der Forschung (Auf dem Hövel 2003; vgl. Derlien 1996; Manow 2005; Manow und Wettengel 2006; Peters 2008, 2013; Peters und Pierre 2004; Schwanke und Ebinger 2006; Seibel 2018 u.v.m.). Dabei wird von einigen Forschern unter Politisierung „the substitution of political criteria for merit-based criteria in the selection, retention, promotion, rewards, and disciplining of members of the public service“ (Peters und Pierre 2004, S. 2) verstanden. Eine einheitliche Definition von Politisierung auf die sich alle verständigen könnten, existiert allerdings nicht. Stattdessen sind sich die meisten Forscher einig, dass es empirisch, abhängig vom untersuchten System, sehr viele unterschiedliche Erscheinungsformen von Politisierung gibt (Hojnacki 1996; Peters und Pierre 2004). Dennoch wird unter Politisierung häufig eine Verletzung der Neutralität der Verwaltung verstanden, wie auch immer diese Verletzung aussehen mag (Hojnacki 1996, S. 139). Die Definition von Politisierung hängt außerdem davon ab, was ein Forscher als angemessenes oder unangemessenes Verhalten der Politik bezüglich der Verwaltung erachtet (ebd.). Des Weiteren werden häufig verschiedene Punkte vermischt, wenn von Politisierung gesprochen wird. So kann darunter die Besetzung von Positionen nach Parteipräferenzen, die Kontakte von Beamten zu Lobbyverbänden oder allgemein eine Politiknähe der Verwaltung verstanden werden (Ebinger 2013, S. 108–110; Hojnacki 1996, 140 ff.; Peters

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2 Verwaltungspolitisierung – eine systematische Durchsicht

und Pierre 2004, S. 3–6; Rouban 2008, S. 310 u.v.m.). Art und Form von Politisierung unterscheiden sich zusätzlich in verschiedenen Ländern, abhängig vom politischen und administrativen System des jeweiligen Landes (Rouban 2008, S. 311). Jede Form von Politisierung hat dabei wahrnehmbare Auswirkungen auf das Funktionieren von Verwaltung. Es wird meist angenommen, dass die Performanz und Effizienz der Verwaltung durch Politisierung absinkt, da Beamte versuchen, ihr Verhalten an die Erwartungen der leitenden Politiker anzupassen, um ihre Aufstiegschancen zu wahren (Ebinger 2013, S. 109, 113). Diese politische Responsivität ist zwar bis zu einem gewissen Punkt funktional gewünscht, kann jedoch dazu führen, dass Beamte statt der fachlich besten Lösung für ein Problem, die politisch erwünschte Lösung wählen, um ihre Jobsicherheit bzw. ihre Aufstiegschancen nicht zu gefährden (Mulgan 2008). Es kann sich dabei das Dilemma ergeben, dass Beamte entweder den Wünschen der politischen Vorgesetzten entsprechen und dabei eventuell gegen ihre Werte und professionellen Standards oder sogar geltendes Recht verstoßen oder nicht reagieren und ihre Karriere riskieren. Ebinger (2013, S. 114) geht davon aus, dass in einem solchen Fall Beamte wohl eher den Wünschen ihrer Vorgesetzten entsprechen würden, was zu einer schlechten Verwaltungsführung führen würde. Es sollte aber festgehalten werden, dass sich diese beschriebenen Dilemmata ergeben können, aber nicht als Normalfall angenommen werden. Die Herausforderung für Beamte besteht also darin, gleichzeitig professionell zu agieren und als politisch responsive Beamte gute Politikberatung für die Politik anzubieten (Mulgan 2008). In vielen Ländern war die Antwort auf diese Herausforderung die Schaffung spezieller Gruppen von Beamten, bei denen ein gewisser Grad an Politisierung nicht nur erlaubt, sondern gewünscht ist. In Deutschland entwickelten sich daher schon im 19. Jahrhundert die Politischen Beamten wie Weber (1919) sie schon beschrieben hatte, also Beamte, für die politische Rekrutierungskriterien als legitim angesehen werden. Bis heute sind dies die Staatssekretäre und Abteilungsleiter in den Bundes- und teilweise auch in den Landesministerien sowie ausgewählte Behördenleiter auf Bundes- und Landesebene (vgl. Derlien 1996). Diese Politischen Beamten bilden die Spitze der deutschen Verwaltung und gehen auf eine preußische Entwicklung zurück. Der Grund für die Einführung war, dass für den König und den Ministerpräsidenten von Preußen eine Möglichkeit geschaffen werden sollte, die Spitzenbeamten auszutauschen, wenn das Vertrauen in die Arbeit dieser Personen nicht mehr gegeben war. Da dies aber dem Laufbahnrecht und der Vorstellung einer Lebenszeitanstellung zuwiderlief, wurde der Politische Beamte geschaffen. Für diesen galten dieselben Rekrutierungsvoraussetzungen wie für die Fachbeamten (Studienabschluss, Vorbereitungsdienst etc.),

2.2 Politisierung als Antwort auf ein Prinzipal-Agenten-Problem

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er konnte aber jederzeit in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden (Kordt 1938, S. 179). Eine neuere Entwicklung, welche in dieselbe Richtung geht, stellen die politischen Berater in Ländern mit Westminster-System (Großbritannien, Australien, Neuseeland etc.), sowie der Ausbau der Ministerbüros zu Leitungsbereichen in deutschen Bundesministerien dar (Ellwein 1994, S. 116; Hustedt 2018; Peters und Pierre 2004, 2 f.). Die Formen, sowie der Grad der Politisierung, aber auch die Antworten darauf unterscheiden sich in verschiedenen Ländern sehr stark voneinander, aufgrund der Individualität der zahlreichen Verwaltungssysteme (Gherghina und Kopecký 2016, S. 408). Näheres dazu wird in Abschnitt 2.3 noch ausführlicher dargestellt werden.

2.2

Politisierung als Antwort auf ein Prinzipal-Agenten-Problem

Nachdem die Theoriegeschichte des Politisierungsbegriffs dargestellt wurde, soll in diesem Abschnitt nun eine zentrale Frage beantwortet werden: Warum wird Politisierung in verschiedensten politischen Systemen überhaupt genutzt? Schon in seinem Werk Wirtschaft und Gesellschaft (1921, 1922) stellte Weber fest, dass sich die Rollen der Politiker (Fürsten) und Beamten immer weiter voneinander entfernt hatten: „der Fürst, der zunehmend in die Lage eines Dilettanten geriet, [versuchte] dem unvermeidlich wachsenden Gewicht der Fachschulung der Beamten sich zu entziehen und die oberste Leitung in der Hand zu behalten. Dieser latente Kampf zwischen dem Fachbeamtentum und der Selbstherrschaft bestand überall.“ (Weber 1980, S. 832. Hervorhebungen im Original)

Während der Politiker stets die Gesamtleitung im Blick haben und zu erreichende Ziele formulieren muss, entwickeln sich die Beamten zu Fachleuten auf ihrem Gebiet, die sich aufgrund ihres Wissensvorsprungs vom Politiker immer schlechter steuern lassen (Weber 1980). Beamte wissen im Gegensatz zum Politiker was juristisch möglich und de facto umsetzbar ist und stehen letztlich vor der Frage, ob sie sich an dem tatsächlich Möglichen oder dem politisch geforderten orientieren (Ebinger 2013). Dabei entsteht ein Prinzipal-Agenten-Problem. Dies tritt immer dann auf, wenn zwischen einem Auftraggeber (dem Prinzipal) und einem Auftragnehmer (dem Agenten) eine arbeitsteilige Delegationsbeziehung entsteht. Im politisch-administrativen System können Politiker die Gesetze nicht alleine formulieren, geschweige denn implementieren. Dafür benötigt die

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2 Verwaltungspolitisierung – eine systematische Durchsicht

Politik einen Verwaltungsapparat, der sie bei der Aufgabe unterstützt (Alvarez und Hall 2006, S. 492; Waterman und Meier 1998, S. 174 f.). Für die Erledigung des Auftrags erhalten die Beamten in vielen politischen Systemen eine Entlohnung und spezielle Beamtenrechte (z. B. Lebenszeitanstellung, eine private Krankenversicherung usw.), welche als Anreiz dienen sollen, die Verwaltungsführung korrekt auszuführen. Die Delegation der Verwaltung an Beamte kann dann problematisch werden, wenn sich der Prinzipal (der Politiker) nicht sicher sein kann, dass die Agenten (die Beamten) in seinem Sinne handeln (Aberbach und Rockman 2009, S. 52; Chan und Rosenbloom 1994, S. 561). Der Grund hierfür liegt darin, dass der Prinzipal nicht über vollständige Informationen zu den Motiven, Interessen, Handlungsmöglichkeiten und das konkrete Leistungsverhalten des Beamten verfügt (Waterman und Meier 1998, S. 175). Er muss ständig befürchten, dass die Beamten politische Anweisungen und Aufgabenstellungen umgehen (shirking) und deshalb anders handeln, als er es von ihnen erwartet (Ginsburg 2008, S. 3; Waterman und Meier 1998, S. 175). Dass dies im realen Verwaltungsalltag auch geschieht, können Veit et al. (2018) zeigen. Die Studie verdeutlicht, dass deutsche Spitzenbeamte besonders sensibel auf eventuelle Verletzungen von Verwaltungsnormen wie Fachlichkeit und Rechtmäßigkeit reagieren. Sehen sie diese durch eine politische Entscheidung verletzt, dann positionieren sich Beamte eher kritisch gegenüber dem Minister oder verweigern diesem die Unterstützung vollständig (Veit et al. 2018, S. 432). Die Frage, die sich deshalb stellt, ist: Wie können Politiker dafür sorgen, dass Beamte die an sie delegierten Aufgaben im Sinne der politischen Führung ausführen? Eine Antwort liegt in der Politisierung der Verwaltung. Besonders nach Regierungswechseln stellt sich für Politiker die Frage, ob die Verwaltung loyal zu ihnen stehen wird oder die alte Linie des Hauses weiterführt (Peters und Pierre 2004, S. 6 ff.; Veit et al. 2018, S. 422–427). Durch die Besetzung von leitenden Verwaltungspositionen mit loyalen Beamten kann das Risiko des shirking deutlich minimiert werden (Peters und Pierre 2004). Außerdem kann Politisierung dazu führen, dass Beamte sich der neuen Linie der politischen Führung anpassen, sei es durch die Identifikation mit den politischen Vorhaben der neuen Führung, dem Einbringen eigener Ideen in Gesetzesvorhaben oder dem Anpassen an politische Vorgaben (ebd.). Gerade in autoritären Regimen spielt Politisierung als Antwort auf das Prinzipal-Agenten-Problem eine große Rolle. In diesen Systemen ist es für das Regime besonders wichtig, dass die Beamten nicht ausscheren und eigene Interessen verfolgen, da dadurch die Macht der politischen Führung gefährdet sein könnte (Ginsburg 2008, S. 3 f.). Politische Eliten in autokratischen Systemen leiden häufig unter der „Paranoia“, dass andere Eliten im Staatsapparat sie stürzen

2.2 Politisierung als Antwort auf ein Prinzipal-Agenten-Problem

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wollen (Wintrobe 1998). Daher ist für sie die Hauptfrage, die sich bei der Besetzung von politischen und bürokratischen Positionen stellt, nicht zuerst die Frage nach der Kompetenz der Kandidaten, sondern nach deren Loyalität (ebd.). Dies sichert die Konformität im Staatsapparat und vermeidet eine Situation, die der politischen Führung gefährlich werden kann (Egorov und Sonin 2011, S. 904). Ein Beispiel für dieses Vorgehen ist Saddam Hussein. Dieser platzierte trotz der wachsenden Gefahr eines Angriffes der USA im Jahr 2003 weiterhin loyale, aber inkompetente Offiziere auf wichtige Positionen des Militärs, da er einen Putsch von innen mehr fürchtete als den Angriff von außen (ebd.). Ginsburg identifiziert daher drei Maßnahmen, welche die Tendenz des shirkings und damit ein Prinzipal-Agenten-Problem in Diktaturen verhindern können: 1. Ideologisierung und Internalisierung, 2. strikte Hierarchisierung und 3. Monitoring durch Dritte (Ginsburg 2008, S. 4). Vor allem die Internalisierung und Ideologisierung ist sehr stark mit Politisierung verbunden. Es geht hierbei um die Verinnerlichung der Ideologie der politischen Führung. Dies führt dazu, dass die Mitglieder des Verwaltungsapparats dieselben Ziele wie die Führung verfolgen und diese auch nach außen hin vertreten (Ginsburg 2008, S. 5 ff.). Vorrangig in kommunistischen Staaten spielte diese Form der Politisierung eine große Rolle (Meyer-Sahling 2008, S. 3). In der zweiten Form (Hierarchisierung) werden höhere Verwaltungsbeamte als Schnittstelle zwischen Politik und Verwaltung genutzt, um die Beamten auf Linie zu halten und nur jenen einen Aufstieg zu ermöglichen, die die politische Führung nach der Vorgabe der Partei beraten (Ginsburg 2008, S. 7 ff.). Das Monitoring durch Dritte führt in erster Linie dazu, dass die Kosten des Monitorings vom Prinzipal an eine andere loyale Institution abgegeben werden, die hoch politisiert ist und dadurch die Verwaltung unter Kontrolle behält (Ginsburg 2008, S. 10 f.). Ein Beispiel hierfür wären die sozialistischen oder kommunistischen Parteien in den ehemaligen Sowjetrepubliken. Leider zeigt sich aber, dass trotz dieses offensichtlichen Problems – der Sicherstellung politische Responsivität von Beamten in Autokratien – Politisierung in Autokratien kaum untersucht ist. Um in den späteren empirischen Abschnitten die Politisierung des NS- und SED-Systems untersuchen zu können, soll nun zunächst eine beispielgestützte Systematisierung der bisher durch die Forschung identifizierten Politisierungsformen durchgeführt werden.

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2.3

2 Verwaltungspolitisierung – eine systematische Durchsicht

Systematisierung der Politisierungsformen

Klassischerweise wird in der Literatur zu Politisierung zwischen zwei Forschungstraditionen unterschieden (Hustedt und Salomonsen 2014). Auf der einen Seite findet sich eine Tradition, die sich mit Formaler bzw. Personalpolitischer Politisierung beschäftigt und auf der anderen Seite eine, die das Verhalten von Beamten und Verwaltungspersonal in den Vordergrund stellt (ebd.). Neben diesen beiden Formen zeigt sich bei genauer Betrachtung der Forschung allerdings, dass daneben noch eine dritte Form existiert, welche sich mit der Politisierung von Strukturen beschäftigt (Lewis 2005, 2008). In den folgenden Kapiteln sollen diese drei Überformen nun strukturiert dargestellt und durch Beispiele für ihr Vorkommen in verschiedenen politischen Systemen verdeutlicht werden.

2.3.1

Personalpolitische Politisierung

Von vielen Forschern wird unter Politisierung vor allem die Personalpolitische Politisierung, also die empirisch messbare Politisierung des Rekrutierungsprozesses verstanden. Die parteipolitisch kontrollierte Besetzung von administrativen Schlüsselpositionen wird meist in diesem Kontext untersucht (Hustedt und Salomonsen 2014, S. 4; Kuhlmann und Wollmann 2013, S. 38). In den WestminsterSystemen konzentriert sich die Forschung dabei in erster Linie auf die politischen Berater (Maley 2018a, 2018b; Sausmann und Locke 2004). Diese wurden in Großbritannien in den 1970er Jahren etabliert und gehören nicht zur klassischen Verwaltung, weshalb für sie das Neutralitätsgebot nicht gilt; sie müssen aber für ihre Einstellung dieselben Kriterien (Hochschulbildung, Integrität, Ehrlichkeit usw.) wie die klassischen Beamten erfüllen (Cabinet Office 2016). Die Anstellung dieser Berater ist in Großbritannien an die Amtszeit des Ministers gebunden und jedem Minister steht es frei bis zu zwei Berater einzustellen (Cabinet Office 2018, S. 7), welche explizit politisch handeln dürfen und sollen (Sausmann und Locke 2004, S. 105). Die Berater sollen zum einen den Politikformulierungsprozess beeinflussen und gestalten und zum anderen das Ministerium nach außen positiv darstellen (Hustedt und Salomonsen 2014, S. 11; Sausmann und Locke 2004, S. 105). Während in Großbritannien die Zahl der Berater auf zwei pro Ministerium limitiert ist, gibt es in Australien, wo die Berater in den 1990er Jahren etabliert wurden, keine Begrenzung der Zahl. Bei 42 Ministern (20 „senior minister“, 10 „junior minister“ und 12 „assistant minister“) gab es im Februar 2017 426 politische Berater, was etwas mehr als zehn Beratern pro Minister entspricht (Maley 2018a, S. 17). Die australischen Minister können die Berater frei

2.3 Systematisierung der Politisierungsformen

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und ohne Einschränkung wählen. Ihre hohe Zahl resultiert laut Maley (2018a) aus der räumlichen Trennung von Beratern und Beamten. Ihre Büros haben die Minister und politischen Berater nämlich nicht in den Ministerien, sondern im Parlamentsgebäude. Da die Minister nicht auf die Beratungsleistung der Beamten des Ministeriums zurückgreifen können, benötigen sie eine höhere Anzahl an Beratern als die Minister in Großbritannien oder Neuseeland (Maley 2018a, S. 17). In Deutschland wird Politisierung seit den 1980er Jahren untersucht. Viele Studien konzentrieren sich dabei aber lediglich auf die bürokratische Elite des Bundes und der Länder, also die Politischen Beamten in den Bundes- und Landesministerien (Jann und Veit 2010; vgl. Mayntz und Derlien 1989; Manow 2005; Manow und Wettengel 2006; Schröter 2004; Schwanke und Ebinger 2006; Vedder und Veit 2017; Veit et al. 2018 u.v.m.; Veit und Scholz 2016). Unter Politisierung wird in diesen Studien zumeist Personalpolitische Politisierung verstanden, was meist als Einfluss der Regierungsparteien auf die Besetzung von Positionen innerhalb der Verwaltung verstanden wird (Mayntz und Derlien 1989, S. 386; Veit und Scholz 2016, S. 517). Während sich Mayntz und Derlien in älteren Studien häufig nur auf die Anzahl der Parteimitgliedschaften der Beamten und die Entlassungs- und Neubesetzungswellen nach Regierungswechseln konzentrieren (vgl. Derlien 1986, 1996; Derlien und Peters 1998; Mayntz und Derlien 1989), wird in neueren Studien auch die Einstellung der Beamten zur Personalpoliotischen Politisierung (vgl. Schwanke und Ebinger 2006; Veit et al. 2018) und der Einfluss von parteinahen Berufspositionen (Mitarbeit in Leitungsstäben, Stellung als Fraktionsreferent usw.) untersucht (Bach und Veit 2017; vgl. Veit und Scholz 2016). Besonders die Arbeit in diesen Positionen führt zum Aufbau von political craft (Goetz 1997), welche laut Bach und Veit (2017) für das Erreichen von Spitzenpositionen die entscheidende Rolle spielt. Viele Studien kommen zu dem Ergebnis, dass die Personalpolitische Politisierung in den letzten Jahrzehnten in Deutschland zugenommen hat. Während sie in der Frühphase der Bundesrepublik kaum eine Rolle spielte, da sich die Besetzungskommission rund um Hans Globke vor allem um fachliche Kenntnisse und eine konfessionelle Parität bemüht hatte, nimmt sie seit dem Regierungswechsel 1969 kontinuierlich zu (Jann und Veit 2010, S. 17; vgl. Mayntz und Derlien 1989, S. 400 f.; Schröter 2004, S. 76; Veit und Scholz 2016, S. 531). Auch in Osteuropa wurde bei der Untersuchung der Politisierung hauptsächlich die Rekrutierung von Beamten untersucht (vgl. Götz und Margetts 1999; Götz und Wollmann 2001 u.v.m.; Verheijen 1999). Besonderes Interesse weckte in dieser Region allerdings die Tatsache, dass nach dem Zusammenbruch des Ostblocks neue politische Regime mit neuen Verwaltungen entstanden waren. Forscher vermuteten, dass sich in diesen Systemen Politisierung anders zeigen

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2 Verwaltungspolitisierung – eine systematische Durchsicht

würde als in den westeuropäischen Demokratien (Meyer-Sahling 2008, S. 2; Meyer-Sahling und Veen 2012, S. 1 f.). Der Grund dafür liegt in der kommunistischen Vergangenheit der osteuropäischen Staaten. Die Politisierung der Verwaltung zeigte sich dort primär in der Besetzung der Verwaltungspositionen und fand über Nomenklatur-Listen statt, welche von der kommunistischen Partei des jeweiligen Landes aufgestellt wurden. Dadurch stand die Verwaltung unter der vollständigen Kontrolle der jeweiligen Staatspartei (Meyer-Sahling 2008, S. 3). Für eine strukturierte Betrachtung der Personalpolitischen Politisierung bietet sich eine Strukturierung von Meyer-Sahling (Meyer-Sahling 2008) an. Er unterscheidet vier Formen: 1. keine Politisierung, 2. gebundene Politisierung, 3. offene Politisierung und 4. Parteipolitisierung (Meyer-Sahling 2008, S. 4 ff.). Keine Politisierung meint hierbei die Existenz einer Weberianischen Verwaltung, welche ohne einen Austausch oder eine Rekrutierung von Beamten aufgrund politischer Kriterien auskommt (Meyer-Sahling 2008, S. 4 f.). Beispiele hierfür finden sich in der Verwaltung der Westminster-Systeme, in welchen es den Karrierebeamten verboten ist, sich politisch zu engagieren. Das Bild, das von den Beamten in diesen Systemen gezeichnet wird, ist, dass diese sich absichtlich von jedweder politischen Aktivität fernhalten und loyal der gewählten Regierung dienen (Hojnacki 1996, S. 152; Hustedt und Salomonsen 2014, S. 10 f.). Die schon oben dargestellte Einführung der politischen Berater schütze die Beamten der Westminster-Systeme vor einer Personalpolitischen Politisierung (Blick 2018; Wilkes 2014), sodass verschiedene Studien zu dem Schluss kamen, dass es keinen hohen Grad an Politisierung in den Zentralverwaltungen der WestminsterSysteme gebe (Mulgan 1998; Sausmann und Locke 2004; Weller 1989). Dieses Bild änderte sich mit der Einführung der Berater (Craft und Halligan 2017). Durch die Berufung von Beamten, die zuvor als politische Berater gearbeitet haben, verändert sich langfristig die Rolle der Spitzenbeamten und führt zu einer stärkeren Politisierung der Kernverwaltung in den Westminster-Systemen (ebd.). Unter der zweiten Form – gebundene Politisierung – versteht Meyer-Sahling, dass eine neu-gewählte Regierung die „geerbten“ Spitzenbeamten entlässt, aber statt Außenseitern oder Parteimitgliedern Beamte aus der zweiten Reihe des Ministeriums befördert. „The politicisation of the senior civil service is therefore ‘channelled’ or ‘bounded’ in that the political control over bureaucratic careers remains internal to the civil service.“ (Meyer-Sahling 2008, S. 5. Hervorhebungen im Original). Dies zeigt sich zumeist in Deutschland. Hier werden nach Regierungswechseln die Politischen Beamten häufig in den einstweiligen Ruhestand geschickt und durch erfahrene Beamte aus der zweiten oder dritten Reihe ersetzt (Mayntz und Derlien 1989). Beamte mit einem Parteibuch haben in diesem System allerdings die Möglichkeit schneller in Elitepositionen aufsteigen. Es besteht

2.3 Systematisierung der Politisierungsformen

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für sie aber auch ein höheres Risiko, bei einem erneuten Regierungswechsel in den einstweiligen Ruhestand versetzt zu werden (Derlien et al. 2011, S. 138; Fleischer 2016, S. 446). Auf dem Hövel (2003, S. 22 f.) kann zeigen, dass sich dies nicht nur für die Bundesebene, sondern auch für die Landesverwaltung in Hamburg nachweisen lässt. Manow (2005, S. 266) bestätigt diesen Befund auch für andere Bundesländer wie Bayern oder Nordrhein-Westfalen. Bei offener Politisierung ersetzt eine neue Regierung die Spitzenbeamten durch Quereinsteiger, die aus einem anderen Sektor in die Verwaltung wechseln. Dazu gehören der private Sektor, die Wissenschaft, NGOs, Lobbyverbände oder familiäre Verbindungen (Meyer-Sahling 2008, S. 6). Beispiele hierfür finden sich in den südeuropäischen Staaten Griechenland, Italien, Spanien und Portugal. Im Gegensatz zu westeuropäischen Staaten ist die Personalpolitische Politisierung in diesen Staaten nicht auf die obersten Verwaltungspositionen begrenzt, sondern hat sich in allen vier Ländern bis auf die untersten Ebenen ausgebreitet (Matas 1995, 4 f.; Sotiropoulos 2006, S. 9). Eine Besonderheit des Systems ist es, dass neben Parteianhängern vor allem Familienmitglieder und Freunde protegiert werden, was zu einem hohen Grad an Klientelismus geführt hat (Sotiropoulos 2006, S. 17). Wie Lapuente und Rothstein (2014) in einer Untersuchung der Spanischen Republik in den 1920er Jahren nachzeichnen, hat diese Form der Politisierung Tradition und war einer der Gründe für den Ausbruch des spanischen Bürgerkriegs in den 1930er Jahren. Allerdings existieren innerhalb und zwischen den Staaten Unterschiede im Grad der Politisierung (Gouglas 2018; Parrado Diez und Salvador 2004). Für die Verwaltungen in den autonomen spanischen Regionen kann Matas beispielsweise zeigen, dass die Politisierung in Katalonien höher ist als in anderen Regionalverwaltungen (Matas 1995). Bei der letzten Form, der Parteipolitisierung, ersetzt die neue Regierung die Spitzenbeamten durch Personen, die vorher im politischen Sektor für die Regierungspartei gearbeitet haben oder Mitglieder der Partei sind. Dazu gehören Abgeordnete, politische Berater, Mitarbeiter in der Parteizentrale oder Mitarbeiter von Abgeordneten (Meyer-Sahling 2008, S. 6). Dies gleicht dem Konzept der Ämterpatronage, welches im deutschen Kontext besonders von Weber (1919) und später von Eschenburg (1961) geprägt wurde. Weber geht in Politik als Beruf (1919) davon aus, dass sämtliche Formen des Parteienwettbewerbs eigentlich Wettbewerbe um Ämterpatronage sind. Es gehe hauptsächlich darum, wer es schaffe, seinen Anhängern lukrative Positionen zu besorgen (Weber 1919, S. 6). Dabei nutzt Weber den Begriff explizit wertneutral. Ämterpatronage ist für ihn nur die personalpolitische Verfügung über Ämter; egal ob dies rechtlich vorgesehen ist oder de facto geschieht (Weber 1919). Eschenburg versteht unter

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2 Verwaltungspolitisierung – eine systematische Durchsicht

Ämterpatronage die Bevorzugung von minderqualifizierten Bewerbern vor Qualifizierten aufgrund von Partei-, Verbands-, Familien- oder Konfessionsinteressen (Eschenburg 1961, S. 11) und konnotiert den Begriff explizit negativ (ebd.). Beispiele für diese Politisierungsform zeigen sich in verschiedenen Systemen. Eine besonders offene Form der Parteipolitisierung/Ämterpatronage existierte bis ins 20. Jahrhundert hinein in den USA. Dort hatte der Präsident die Möglichkeit fast alle Stellen der Zentralverwaltung nach seiner Wahl eigenständig zu besetzen (Lewis 2008, S. 13–15; Peters 2004, S. 125). Schon Weber stellte fest, dass dieses von Präsident Andrew Jackson (1829–1837) eingeführte spoil system ein vollständiges Patronagesystem sei, welches von reinen „Stellenjägerparteien“ dominiert wird: „In den Händen des Präsidenten liegen immerhin 300 000 - 400 000 Beamtenernennungen; […] Das […] spoil system war in Amerika technisch möglich, weil bei der Jugend der amerikanischen Kultur eine reine Dilettantenwirtschaft ertragen werden konnte. Denn 300 000 – 400 000 solcher Parteileute, die nichts für ihre Qualifikation anzuführen hatten als die Tatsache, daß sie ihrer Partei gute Dienste geleistet hatten, – dieser Zustand konnte selbstverständlich nicht bestehen ohne ungeheure Übelstände: Korruption und Vergeudung ohnegleichen, die nur ein Land mit noch unbegrenzten ökonomischen Chancen ertrug.“ (Weber 1919, S. 17 f. Hervorhebungen im Original)

Seit Ende des 19. Jahrhunderts war die Geschichte der US-Verwaltung eine Geschichte des Kampfes gegen die politische Dominanz bei der Auswahl der Beamten. Da viele in dieser Zeit die Gefahr der ungezügelten Patronage erkannten, wurde das spoil system nach und nach eingedämmt (Aberbach und Rockman 2009, S. 42 ff.; Lewis 2008, S. 15–20). Durch mehrere Gesetze wurden die meisten Stellen in der Verwaltung dauerhafte Beamtenstellen, welche durch leistungsabhängige Rekrutierungsverfahren besetzt wurden (Peters 2004, S. 125). Das führte allerdings dazu, dass weite Teile der Karrierebeamten aus dem Politikformulierungsprozess ausgeschlossen sind und neue Gesetzentwürfe häufig ohne die Beratung durch die jeweiligen Fachbehörden entstehen und allein von den politisch ernannten Beamten konzipiert werden (Hojnacki 1996, S. 153). Diese obersten 4.000 bis 5.000 (Peters 2004, S. 126), andere Autoren sprechen von ca. 3.500 (Lewis 2009, S. 68), Verwaltungspositionen sind bis heute Positionen, die vom Präsidenten persönlich besetzt werden können. Der Grund hierfür ist, dass es für einen Präsidenten wichtiger sei eine responsive Verwaltung unter sich zu haben, als eine die kompetent, aber illoyal, ist (Lewis 2009, S. 62). Außerdem liegt nach der Wahl zum Präsidenten ein immenser Druck der Partei auf dem Präsidenten, eigene Anhänger zu Positionen im Verwaltungsapparat

2.3 Systematisierung der Politisierungsformen

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zu verhelfen. Um sich die Loyalität der Partei für die vollen vier Jahre der Präsidentschaft zu sichern, müsse der Präsident den Patronageforderungen der Parteibzw. Kampagnenmitarbeiter nachkommen (Lewis 2009, S. 64 f.). Aus diesen Gründen ist eine politische Besetzung der obersten Verwaltungspositionen im amerikanischen System gewollt und führt laut Peters sogar zu einer Depolitisierung des Besetzungsprozesses: „It is clear, and generally accepted by the players within the system, that those several thousand positions at the top of government will be open to political appointment. In many ways the openness about having numerous political appointments depoliticizes politicization. That is, both major political parties accept the notion that incumbent leaders will have the opportunity to select their own people and be able to place them at the top of federal organizations.“ (Peters 2004, S. 126)

Die Offenheit, mit der diese Stellen politisch besetzt werden, führe dazu, dass die Stelleninhaber nicht mehr als Verwaltungsmitglieder, sondern als Intermediäre zwischen Politik und Verwaltung gesehen werden, deren Aufgabe es ist die politische Responsivität der Agenturen und Ministerien gegenüber der Zivilgesellschaft sicherzustellen. Deshalb sei eine politische Besetzung dieser Stellen legitim und somit, laut Peters, keine Politisierung im eigentlichen Sinne (Peters 2004, S. 126). Es handle sich dabei um „formale Politisierung“, also eine legale Stellenbesetzung aus politischen Gründen. Diese grenzt sich von den weiteren Politisierungsformen in diesem Kapitel ab, da sie meist als legitimes Mittel der Stellenbesetzung und nicht als politisch motivierte Verletzung der Neutralität bzw. Integrität der Verwaltung verstanden wird (Hustedt und Salomonsen 2014, S. 4). Für Peters zeigt sich Politisierung folglich erst in den Versuchen politische Kriterien und politisches Monitoring auch für Beamte, die nicht zu diesen 4.000 bis 5.000 Stellen gehören, einzuführen (Peters 2004, S. 127). Ein weiteres Beispiel für Parteipolitisierung zeigt sich in den osteuropäischen Staaten. Dort entwickelte sich nach der kommunistischen Ära eine Form der Parteipolitisierung nach dem „Winner-takes-it-all“-Prinzip (Meyer-Sahling 2008; Nahtigal und Haˇcek 2013; vgl. Verheijen 1999; Zubek 2005). Nach Regierungswechseln werden dort viele Beamte im Staatsapparat ersetzt. Fast alle neuen Beamten werden dabei innerhalb der Parteiapparate der Regierungspartei rekrutiert (Meyer-Sahling 2008, S. 23 f.). Ohne eine aktive Mitarbeit innerhalb des Parteiapparats ist es damit unmöglich, in leitende Verwaltungspositionen zu gelangen, was eine Übernahme kommunistischer Muster bezeugt:

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2 Verwaltungspolitisierung – eine systematische Durchsicht „This suggests that the adaptation of communist modes of governance to democratic conditions is relevant beyond the governance of the senior civil service in the ministerial bureaucracy [of East European states].“ (Meyer-Sahling 2008, 24).

Im Zeitverlauf lässt sich allerdings beobachten, dass diese Form der Politisierung zu einer hohen Fluktuation der Beamten und damit einer hohen Instabilität und mangelnder Effizienz der Verwaltungen führt (Nahtigal und Haˇcek 2013, S. 125). Versuche, dieses System zu reformieren, scheiterten in den meisten Staaten Osteuropas (Staroˇnová 2017). Ein Beispiel hierfür ist die Slowakei. Zu Beginn der 2000er Jahre verhandelten viele ehemalige Ostblockstaaten über einen EU-Beitritt. Im Zuge dessen waren die Staaten gezwungen Verwaltungsreformen zur Einführung einer meritokratischen Verwaltung durchzuführen (Frauenberger 2006; Staroˇnová 2017). In der Slowakei starteten diese Reformen 2001. Dort orientierten sich die Reformer am damals modernen New Public Management (NPM)-Ansatz und führten durch NPM-orientierte Maßnahmen eine neutrale zentrale Behörde zur Personalrekrutierung ein: das Civil Service Office. Diese Behörde sollte sämtliche Entscheidungen über die Besetzung von Positionen aufgrund von Leistungsprinzipien treffen (Staroˇnová 2017). Gleichzeitig wurde eine feste Laufbahn eingeführt, welche eine Lebenszeitverbeamtung und feste Beförderungszyklen vorsah (ebd.). Die Reform scheiterte allerdings bereits 2006, als zentrale Teile zurückgenommen wurden. Bis 2009 wurden alle Reformpunkte sowie das Civil Service Office abgeschafft. Der Grund hierfür war die erlernte (ehemals kommunistische) Verwaltungskultur: Die Minister nahmen es nicht hin, dass ihnen durch das Civil Service Office die Hoheit über Personalentscheidungen genommen wurde, weshalb zentrale Bereiche der Reform nie konsequent implementiert wurden (Staroˇnová 2017). Ähnliche Probleme können auch in anderen Staaten des ehemaligen Ostblocks wie Tschechien, Ungarn und Slowenien beobachtet werden (vgl. Frauenberger 2006; Meyer-Sahling 2008; Meyer-Sahling und Veen 2012; Nahtigal und Haˇcek 2013). Im dritten Beispiel China zeigt sich die Parteipolitisierung noch stärker als in den USA oder den osteuropäischen Staaten. Der Grund hierfür liegt am hohen Bindungsgrad der Verwaltung an die kommunistische Partei (Chan und Suizhou 2007; Rothstein 2015). Die chinesische Kader-Verwaltung, wie sie auch in anderen bereits untergegangenen kommunistischen Staaten vorherrschte (z. B.: DDR, Polen, Sowjetunion u.v.m.), zeichnet sich durch einen hohen Grad an Personalpolitischer Politisierung aus, die sich vor allem in der Besetzung von Verwaltungspositionen durch Parteikader zeigt (Qing-kui 1993, S. 1438). Grundsätzlich werden dort alle Verwaltungspositionen durch die Partei besetzt (ebd.). Seit den Reformen des Öffentlichen Dienstes 1993 und 2005 hat die Parteipolitisierung sogar noch zugenommen. Chan und Suizhou (2007, S. 395 f.) sprechen

2.3 Systematisierung der Politisierungsformen

25

sogar von einer Repolitisierung nach einer Phase in den 1990er Jahren, in der die chinesische Führung eher auf meritokratische Elemente gesetzt hatte, um ihre Verwaltung auf kommunistischem Kurs zu halten. Dies habe dazu geführt, dass die Kommunistische Partei wieder eine stärkere Kontrolle über die Verwaltung ausübte, was zu einer stärkeren Zentralisierung, Effizienz und Verantwortlichkeit der Verwaltung führte (Chan und Suizhou 2007). Die Beamten hätten es gelernt, schnell und flexibel auf plötzliche Veränderungen zu reagieren. Wo Weberianische Verwaltungen eher langsam und unbeweglich seien, könne die politisierte Kader-Verwaltung schnell auf neue Probleme antworten (Rothstein 2015, S. 543). Diese Deutung wäre von Eschenburg deutlich zurückgewiesen worden. Im Gegensatz zu Rothstein ging Eschenburg (1961) davon aus, dass Parteipolitisierung/Patronage zu mangelnder Effizienz und Kompetenz innerhalb der Verwaltung führe. Des Weiteren könne Patronage zu Korruption führen und sich demoralisierend auf Karrierebeamte auswirken, da Leistungen im Rekrutierungsund Beförderungsprozess keine Rolle spielten (Eschenburg 1961, S. 23). Ellwein schätzt die Gefahr, die davon ausgeht, allerdings geringer ein als Eschenburg, solange die Trennung von Politischen (bzw. politisierten) Beamten und Karrierebeamten eingehalten wird (Ellwein 1994, S. 119). Ähnlich sehen es weitere Autoren. Hustedt und Salomonsen (2014, S. 4) gehen sogar davon aus, dass eine juristisch geregelte Personalpolitische Politisierung – zumindest für die oberste Ebene der Verwaltung – ein legitimes Mittel im Rekrutierungsprozess darstellt. Die dadurch generierte höhere Loyalität in der Beamtenschaft könne dazu führen, dass die Performanz der Verwaltung erhöht wird, da die Hausleitung und die Verwaltung die gleichen Ziele verfolgen (ebd.). Die Personalpolitische Politisierung wäre in diesem Fall dann keine Gefahr, sondern eine Notwendigkeit (Auf dem Hövel 2003, S. 46 f.).

2.3.2

Verhaltensbezogene Politisierung – Funktionale Politisierung

Die zweite von Hustedt und Salomonsen (2014) identifizierte Hauptrichtung beschäftigt sich mit verhaltensbezogener Politisierung. Meist wird darunter Funktionale Politisierung verstanden (ebd.). Gemeint sind damit der politische Einfluss und die Gestaltungsmöglichkeiten von Beamten im Politikformulierungsprozess (Hustedt und Salomonsen 2014, S. 5; Kuhlmann und Wollmann 2013, S. 39). Hustedt und Salomonsen definieren Funktionale Politisierung als

26

2 Verwaltungspolitisierung – eine systematische Durchsicht „a mechanism by which the civil service performs [in a] politically responsive bureaucratic behaviour. […] Functional politicization strengthens the political responsiveness by anticipating and integrating politically relevant aspects in the bureaucracy’s day-to-day functions.“ (Hustedt und Salomonsen 2014, S. 5).

Ebinger at. al (2019) verstehen unter Funktionaler Politisierung „die Fähigkeit (…), in einem hochpolitisierten Umfeld vorausschauend und kenntnisreich Entscheidungen im Sinne des politischen Prinzipals zu treffen oder vorzubereiten“ (Ebinger et al. 2019, S. 416). Die erste Vorstellung von Funktionaler Politisierung entwickelten Putnam (1973) und später Aberbach et al. (1981), als sie Beamte nach ihren Einstellungen und ihrer Selbst-Wahrnehmung befragten. In Deutschland wurden diese Studien später von Mayntz und Derlien (1989) und danach in den Panel-Befragungen Politisch-Administrative Elite (PAE) (Ebinger und Jochheim 2009; Ebinger et al. 2021; vgl. Schwanke und Ebinger 2006), sowie 2017 von Veit, Fromm und Ebinger (2018) fortgeführt. Funktionale Politisierung stärkt die politische Verantwortlichkeit der Verwaltung, da die Beamten relevante Fragen der Gesellschaft aufnehmen und in ihrer täglichen Arbeit einbringen können (Hustedt und Salomonsen 2014, S. 5). Sie gilt daher als notwendig und legitim, solange die Loyalität der Beamten gegenüber dem Minister nicht zu einseitigen parteitaktisch motivierten Ratschlägen an die politische Führung führt (Mulgan 2008, S. 348). Dabei ist Funktionale Politisierung nicht nur „a matter for higher ranking civil servants“ (Poulsen und Koch 2018, S. 41), sondern trifft jede Person in der öffentlichen Verwaltung bis zu einem gewissen Grad. Der Grad selbst ist allerdings von der politischen Bedeutung des Tätigkeitsfeldes abhängig. Politische Entscheidungen werden nie nur nach fachlichen Kriterien gefällt, egal wie unabhängig die beauftragte Institution organisiert ist und handelt (Ebinger und Schmitt 2010, S. 87). Unterschieden wird bei der Funktionalen Politisierung grundsätzlich zwischen klassischen Bürokraten, also Beamten, die sich als Rechtsvollzieher verstehen, und „policy makern“, Beamten, die aus der Verwaltung heraus versuchen, aktiv Politik zu gestalten (Kuhlmann und Wollmann 2013, S. 40). Aberbach et al. (1981) unterscheiden vier verschiedene Images bzw. Modelle von funktional politisierten Bürokraten. Im ersten Modell Trennung sind Politik und Verwaltung strikt getrennt. Die Beamten agieren nicht politisch, sondern vollziehen die Entscheidungen der Politik neutral und professionell (Aberbach et al. 1981, S. 4 ff.). Im zweiten Modell Zusammenarbeit partizipieren sowohl Politiker als auch Beamte im Politikformulierungsprozess. Die Politiker bringen ihre Interessen und Werte ein, die Beamten die Fakten und ihr Dienstwissen. Beamte können in diesem Modell die uneingeschränkten politischen Interessenkonflikte zügeln und zu einem Ergebnis beitragen, das im Interesse aller ist (Aberbach et al. 1981, S. 6 f.).

2.3 Systematisierung der Politisierungsformen

27

Beamte sollten dabei politisch responsiv sein, ohne für ihre eigenen Interessen zu kämpfen (Aberbach et al. 1981, S. 8). Im dritten Modell Konkurrenz engagieren sich beide Gruppen sehr stark politisch. Die einzige Unterscheidung zwischen Politikern und Beamten findet sich in ihren Interessen. Während Politiker in diesem Modell viele, teilweise diffuse und unorganisierte Interessen vertreten, vertreten Beamte eher fokussierte Einzelinteressen von organisierten Klientelen (Aberbach et al. 1981, S. 9). Darunter fallen beispielsweise Unternehmen oder Non-Governmental Organisations, die ihre spezifischen Interessen in einem regelmäßigen Austausch der Verwaltung mitteilen (Aberbach et al. 1981, S. 10). Dies kann zu starken Konflikten innerhalb der Behörden führen, da die Beamten nicht mehr der politischen Führung des Hauses folgen, sondern eigene Interessen verfolgen (Aberbach et al. 1981, S. 9). Im letzten Modell beschreiben Aberbach et al. (1981, S. 16 ff.) ein Hybrid, in welchem Politiker und Beamte nicht mehr zu unterscheiden sind. In diesem Modell sind alle Beamten funktional politisiert. Sie agieren wie Politiker und versuchen ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Gleichzeitig sind die Politiker bürokratisiert und versuchen sich selbst in der Gesetzesformulierung. Dieses hybride Modell führt laut Aberbach et al. (1981) langfristig zu vollständigem Chaos innerhalb des politisch-administrativen Systems und einem starken Mangel an Performanz und Effizienz. Warum und wie politisieren sich Beamte aber funktional? In Australien zeigte sich, dass die Einführung der politischen Berater einen entscheidenden Einfluss hatte. Diese führte dazu, dass sich Beamte nun stärker politisieren, um im Politikformulierungsprozess weiterhin gehört zu werden (Maley 2018a, 2018b). Wo vorher eine Trennung existierte, tendiert die australische Ministerialverwaltung nun eher in die Richtung von Konkurrenz oder einem Hybrid (Maley 2018b). Um allerdings in Konkurrenz zu den politischen Beratern oder Politikern treten zu können, müssen sich Beamte neben ihrem fachlichen Dienstwissen politisches Wissen aneignen. Dazu eignet sich die Arbeit für eine Fraktion im Parlament oder ein parteipolitisches Engagement der Beamten. Von einer einfachen Parteimitgliedschaft über die Übernahme von Positionen innerhalb der Partei bis zu Kandidaturen bei Wahlen bieten sich hier einige Möglichkeiten. Diese nutzen die Beamten, um die eigenen politischen Vorstellungen im Arbeitsalltag der Behörde und im Politikformulierungsprozess durchzusetzen (Hojnacki 1996, S. 140) oder um die eigene Karriere zu beschleunigen (König 2008, S. 505). Diese Verstärkung der Funktionalen Politisierung wird daher in vielen Staaten (z. B. Großbritannien) durch das Verbot parteipolitischer Aktivitäten für Beamte verhindert (Hojnacki 1996, S. 152).

28

2.3.3

2 Verwaltungspolitisierung – eine systematische Durchsicht

Politisierung durch Veränderung von Strukturen – Strukturelle Politisierung

Neben den beiden bereits behandelten Überformen existiert eine dritte, meist kaum beachtete Variante: die Politisierung durch Veränderung von Strukturen oder auch Strukturelle Politisierung (Lewis 2008). Darunter wird vor allem die formale und strukturelle Veränderung von Organisationen und Behörden verstanden. Lewis (2005, 2008) unterteilt diese in drei Strategien. Die erste ist das Einfügen von Neuen/bzw. Zwischenebenen innerhalb von Behörden oder Institutionen bzw. zwischen diesen. Ein Beispiel ist das sogenannte layering also das Einfügen eines Deputy Assistant Secretary zwischen den stellvertretenden Ministern und den Abteilungsleitern, der die Abteilungen stärker koordiniert und kontrolliert. Andere Autoren nennen diese Form der Politisierung Administrative Politisierung (Shaw und Eichbaum 2020). Hierbei geht es nicht nur um das bloße Einfügen der neuen Zwischenpositionen, sondern auch um das Verhältnis dieser neuen loyalen Mitarbeiter zu den anderen Beamten in einer Behörde. Es stellt sich hier die Frage, wie diese politisierten Akteure den Rat der Beamten aus den Fachabteilungen politisieren können, um die eigene politische Agenda voranzubringen (Eichbaum und Shaw 2008, S. 343 f.; Hustedt und Salomonsen 2014, S. 5). Die Parteilinie und die Loyalität gegenüber der Partei spielen dabei eine zentrale Rolle für das Handeln dieser neuen Akteure (Shaw und Eichbaum 2020, S. 11). Shaw und Eichbaum definieren Administrative Politisierung deshalb „as an intervention that offends against the principles and conventions associated with a professional and impartial civil service.“ (Eichbaum und Shaw 2008, S. 343). Für das reale Vorgehen gibt es zwei beobachtete Formen: 1. Die neuen politisierten Mitarbeiter hindern die Beamten daran, ihre persönliche Meinung zu vertreten, indem sie den Zugang zur Behördenleitung limitieren (Prozedurale Administrative Politisierung bzw. Zugangslimitierung) (Blick 2018). 2. Der Rat der Fachbeamten kann von den politisierten Mitarbeitern parteipolitisch einseitig interpretiert werden, um die Behördenleitung zu beeinflussen (Substantive Administrative Politisierung bzw. Framing) (Hustedt und Salomonsen 2014, S. 5; Shaw und Eichbaum 2020, S. 5). Die politisierten Mitarbeiter stellen damit die parteipolitische Responsivität der Verwaltung sicher, da sie als Zwischenebene die Entscheidungen der Leitung in eine Richtung lenken können, die der eigenen Parteilinie entspricht (Hojnacki 1996, S. 140; Hustedt und Salomonsen 2014, S. 5 f.). Oftmals greifen die neuen Akteure dabei aktiv in die Arbeit der Fachabteilungen ein. Als Gatekeeper halten sie selbst dann unliebsame Ratschläge aus den Fachabteilungen ab, wenn die Leitung diese explizit einfordert (Shaw

2.3 Systematisierung der Politisierungsformen

29

und Eichbaum 2020, S. 10). Diese Form der Politisierung kann zu starken Konfliktlinien innerhalb einer Behörde führen und die Kommunikation zwischen den Fachabteilungen und der Hausleitung stark beeinträchtigen (ebd.). Die zweite Strategie von Lewis (2005, 2008) besteht in der Reorganisation der Behörde. Abteilungen von unliebsamen Beamten können dabei anderen Abteilungen, die mit loyalen Anhängern besetzt sind, untergeordnet werden. Alternativ kann eine neue Abteilung, die viele Kompetenzen der politisch störenden Abteilung übernimmt, gebildet werden. Die dritte Strategie ist die Auslagerung von Kompetenzen in neue Institutionen, verbunden mit dem Abbau von Personal in den etablierten Behörden/Institutionen (Lewis 2005, S. 500 f., 2008, S. 32–39). Dabei können die Aufgaben und Kompetenzen in neue Behörden, Parteiorganisationen oder private Organisationen transferiert werden. Ein Beispiel hierfür lieferte die Bush-Administration (2001–2008). Diese privatisierte durch die Schaffung neuer Behörden wie dem Department for Homeland Security bis zu 850.000 Verwaltungspositionen, die formal zwar im öffentlichen Dienst angesiedelt sind, jedoch von privaten Managern außerhalb der Verwaltung geführt werden (Peters 2004, S. 133). Diese Maßnahme öffnete die Tür für ein hohes Maß an Personalpolitischer Politisierung, da nun noch stärker Einfluss auf die Besetzung dieser Stellen genommen werden konnte, und verhinderte gleichzeitig das shirking innerhalb der etablierten Verwaltung. Ein weiteres Beispiel für diese Praxis zeigt sich in Argentinien. Dort ist die Verwaltung formal nach dem Weberianischen Ideal aufgebaut. Die Rekrutierung, Beförderung und Entlassung aus dem Dienst beruht, laut Gesetz, auf der Grundlage meritokratischer Faktoren (Elías 2017, S. 9). Allerdings existiert dort neben der Weberianisch organisierten Zentralverwaltung eine „parallele Bürokratie“, für welche die Weberianischen Regeln nicht gelten (Oszlak 1999). Diese ist teilprivatisiert und in ihr arbeiten die meisten Verwaltungsmitarbeiter Argentiniens (ebd.). In diesen Behörden haben Politiker die Möglichkeit, loyales Personal allein aufgrund parteitaktischer Überlegungen einzustellen (Elías 2017, S. 9). Der Grund für die Einrichtung dieser Parallelbürokratie ist das stete Misstrauen von Politikern gegenüber den Beamten, welches sich in der Junta-Diktatur (1976–1983) manifestierte und im demokratischen Argentinien nicht abgelegt wurde (Elías 2017, S. 17). Das Zurückgreifen auf die Parallelbürokratie zeigt sich dabei besonders in wohlfahrtsstaatlichen Politikfeldern. Dort wo Gelder an das Volk verteilt werden können, scheint es besonders häufig politisierte Behörden zu geben, welche dann Anhänger der regierenden Partei bei der Verteilung von Subventionen bevorzugen (Elías 2017, S. 10; Oliveros 2016, S. 388). Auf diese Weise versuchte vor allem die Kirchner-Dynastie (2003–2015) mit Hilfe der politisierten Verwaltung den eigenen Wahlerfolg zu sichern.

30

2 Verwaltungspolitisierung – eine systematische Durchsicht

Es ist allerdings auch möglich, dass keine dieser Formen genutzt wird. Analog zu den beiden anderen Überformen von Politisierung soll daher in Ergänzung der Aufteilung nach Lewis auch die Nichtnutzung von Struktureller Politisierung beachtet werden. Dazu wird eine neue Unterform, die Beibehaltung von Strukturen eingeführt. Diese könnte beispielsweise dann Anwendung finden, wenn eine Strukturelle Politisierung aufgrund von gesetzlichen Beschränkungen nicht umgesetzt werden kann oder den politisierenden Akteuren die Durchsetzungsmacht für strukturelle Veränderungen fehlt. Inwiefern diese Nichtnutzung in der Realität Anwendung fand, wird sich in den Fallstudien zeigen müssen.

2.4

Kurzzusammenfassung der zu nutzenden Politisierungsformen

In diesem Abschnitt werden nun die in der späteren Analyse zu nutzenden Politisierungskategorien noch einmal kurz zusammengefasst. Grundsätzlich sollen die drei dargestellten Überformen untersucht werden. Das bedeutet, dass die empirisch bedeutendsten Formen des Politisierungsbegriffs Personalpolitische Politisierung, Funktionale Politisierung und Strukturelle Politisierung als Untersuchungskategorien genutzt werden. Weitere Formen, wie die de facto Politisierung (Auf dem Hövel 2003) oder Unterformen der Patronage (Eschenburg 1961), werden bewusst nicht verwendet, da diese empirisch nur schwer nachweisbar sind und sich beobachtete Phänomene oftmals nicht korrekt diesen Politisierungsformen zuordnen lassen. Ob es sich beispielsweise bei beobachteten Formen der Parteipolitisierung um Herrschaftspatronage oder Versorgungspatronage (Eschenburg 1961) handelt, ist nur schwer zu differenzieren, wenn die Motive der handelnden Personen unbekannt sind. Da es sich bei den zu untersuchenden Fällen um politische Systeme aus der Vergangenheit handelt, können die Motive der damals handelnden Personen allerdings nur auf Basis der vorhandenen Quellen identifiziert werden, weshalb auf Eschenburgs Unterkategorien der Parteipolitisierung bzw. Ämterpatronage verzichtet wird. Stattdessen werden bereits bekannte und oben beschriebene Unterkategorien genutzt, welche in verschiedensten Studien genutzt wurden. Im Fall der Personalpolitischen Politisierung soll in der späteren Analyse die oben dargestellte Differenzierung von Meyer-Sahling (2008) verwendet werden. Dieser unterscheidet Personalpolitische Politisierung in vier Formen: 1. keine Politisierung, 2. gebundene Politisierung, 3. offene Politisierung und 4. Parteipolitisierung (Meyer-Sahling 2008, S. 4 ff.), welche alle bereits durch Fallbeispiele belegt werden konnten (siehe Abschnitt 2.3.1). Analog hierzu soll bei der Funktionalen Politisierung das Modell von Aberbach et al. (1981) angewendet werden.

2.4 Kurzzusammenfassung der zu nutzenden Politisierungsformen

31

Diese unterscheiden Funktionale Politisierung in Trennung, Zusammenarbeit, Konkurrenz und Hybrid (Aberbach et al. 1981). Für die letzte Kategorie der Strukturellen Politisierung wird die Aufteilung von Lewis genutzt, der drei Strategien identifizierte: 1. Einfügen von Neuen/Zwischenebenen, 2. Reorganisation und 3. Auslagerung von Kompetenzen (Lewis 2005, 2008). Hinzu kommt die für diese Arbeit neu eingeführte Form der Beibehaltung von Strukturen. Zum Abschluss der Arbeit wird die Funktionalität dieser Aufteilung im Fazit noch einmal reflektiert werden müssen. In Abbildung 2.1 sind alle in der Analyse zu nutzenden Kategorien noch einmal dargestellt. Diese Abbildung wird auch am Ende der einzelnen Abschnitte genutzt werden, um in einem System identifizierte Politisierungsformen übersichtlich kenntlich zu machen.

Personalpolitische Politisierung

Funktionale Politisierung

Strukturelle Politisierung

Keine Politisierung

Trennung

Beibehaltung von Strukturen

Gebundene Politisierung

Zusammenarbeit

Einfügen von Neuen / Zwischenebenen

Offene Politisierung

Konkurrenz

Reorganisation

Parteipolitisierung

Hybrid

Auslagerung von Kompetenzen

Abbildung 2.1 Überblick über die in der Arbeit zu nutzenden Politisierungsformen und deren Ausprägungen. (Quelle: eigene Darstellung)

Bevor in Kapitel 4 und 5 die Fallstudien zum Nationalsozialismus und dem SED-Regime folgen, werden im nachfolgenden Kapitel zunächst das methodische Vorgehen und die Arbeitshypothese präsentiert.

3

Methodisches Vorgehen

Die folgende Analyse der beiden Fallstudien (Nationalsozialismus und SEDRegime) basiert in erster Linie auf bereits publizierten Einzelfallstudien aus den Geschichtswissenschaften zu einzelnen Behörden und Organisationen im Nationalsozialismus und dem SED-Regime, sowie auf Überblickswerken, welche die Verwaltungsstrukturen der beiden Systeme erklären. Diese bilden den Kern der Fallstudien. Die Überblickswerke bilden dabei das Grundgerüst. Sie ermöglichen eine grundsätzliche Betrachtung des NS- und SED-Regime, indem sie die wichtigsten Merkmale der beiden Systeme prägnant abbilden. Für die Analyse des Verhältnisses von Politik und Verwaltung kann dies aber nur einen Ausgangspunkt darstellen, von dem aus mit Hilfe der existierenden Einzelfallstudien das genaue Verhältnis der beiden Bereiche herausgearbeitet werden kann. Die existierenden Studien haben dabei den Vorteil, dass sie eine Kommune, eine Region oder auch eine Behörde sehr detailliert beschreiben und die dazu existierenden Quellen (vor allem Archivalien aus Regionalarchiven) bereits aufgearbeitet haben. Die Verbindung dieser Studien zeichnet dann das größere Bild und ermöglicht es, vermeintliche Einzelfälle zu systematisieren. Neben diesen Publikationen wird außerdem auf Gesetzestexte, Organigramme, Interviews mit ehemaligen Spitzenfunktionären der DDR aus den 1990er Jahren und Archivmaterial aus dem Bundesarchiv zurückgegriffen, um das Verhältnis von Politik und Verwaltung in den Systemen zu untersuchen. Dabei werden alle Gesetze mit Bezug zur Staatsstruktur und zur Verwaltung des jeweiligen Systems in den Blick genommen und ihre Auswirkungen auf die Verwaltungsstruktur und Ergänzende Information Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, auf das über folgenden Link zugegriffen werden kann https://doi.org/10.1007/978-3-658-39157-7_3.

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2022 B. Strobel, Politik und Verwaltung in deutschen Diktaturen, Interdisziplinäre Organisations- und Verwaltungsforschung 22, https://doi.org/10.1007/978-3-658-39157-7_3

33

34

3

Methodisches Vorgehen

die tägliche Verwaltungsarbeit untersucht. Relevant sind dabei nicht nur Gesetze der jeweils höchsten Ebene, sondern auch Landesgesetzte oder kommunale Verordnungen (soweit bekannt), welche die Verwaltung betrafen. Die Nutzung des Archivmaterials gestaltete sich schwierig. Da eine gezielte Suche aufgrund des bestehenden Recherchesystems des Bundesarchivs nicht möglich ist, wurden relevante Akten nach dem Schneeballsystem identifiziert. Ausgangspunkt waren die Recherchen, welche für das Forschungsprojekt „Neue Eliten – Etabliertes Personal? (Dis-)Kontinuitäten deutscher Ministerien in Systemtransformationen“ der Universität Kassel durchgeführt wurden. Verweise in den dafür ermittelten Akten führten zu weiteren Informationen, welche mit den Ergebnissen der Literaturarbeit verbunden wurden. Hierbei muss einschränkend festgehalten werden, dass sicherlich nicht alle für die Arbeit relevanten Akten gesichtet werden konnten. Dazu wäre eine vollständige Sichtung des Archivbestands notwendig gewesen, was den Rahmen dieses Projektes bei weitem sprengen würde. Stattdessen wird unterstützend eine prosopographische Analyse der Verwaltungseliten der beiden Systeme durchgeführt. Diese beruht im Fall des Nationalsozialismus auf einem Datensatz, der im eben genannten Forschungsprojekt der Universität Kassel zwischen 2017 und 2020 erhoben wurde (vgl. Strobel et al. 2020). Zur Definition der Untersuchungsgesamtheit wurde der in der Elitenforschung weit verbreitete Positionsansatz (Hoffmann-Lange 2018) genutzt. Es wurden daher die Personen als Mitglieder der administrativen Elite definiert, welche innerhalb der hierarchischen Struktur der Ministerien zu bestimmten Zeitpunkten eine formale Leitungsposition innehatten. Folglich enthält der genutzte Datensatz alle Staatssekretäre, Unterstaatssekretäre und Abteilungsleiter, welche jeweils am 01. September der Jahre 1927, 1934, 1939 und 1944 in einem Reichsministerium beziehungsweise einer gleichgestellten Behörde gearbeitet haben. Für alle Elitemitglieder wurde jeweils der vollständige Lebenslauf erhoben. Hierbei wurden soziodemographische Merkmale, Informationen über die Bildungsbiographie, die berufliche Karriere unterteilt in Vor-, Elite- und Nachpositionen, Bezüge zu den verschiedenen politischen Systemen (formale und materielle), Parteiaktivitäten und Mandatsübernahmen berücksichtigt. Alle Informationen wurden bis zum Tod des Elitemitglieds codiert, das heißt numerisch anhand eines Codebuches übersetzt. Vorpositionen sind alle Positionen vor der Übernahme einer Eliteposition. Dabei handelte es sich um die Positionen Staatssekretär, Unterstaatssekretär und Abteilungsleiter. Nachpositionen sind alle hauptberuflichen Positionen nach Austritt aus einer Eliteposition. Die Datenerhebung basierte auf noch existierenden Personal- und Kaderakten, sowie Akten der NSDAP, der SED und der jeweils angeschlossenen Verbände

3

Methodisches Vorgehen

35

und Organisationen im Bundesarchiv, offiziellen Biographien (z. B. Handbücher der Bundesregierung), öffentlich zugänglichen Lebensläufen (z. B. Lebendiges Museum online, Munzinger online, private Webseiten etc.), Zeitungsarchiven (z. B. Frankfurter Allgemeine Zeitung, Spiegel, Süddeutsche Zeitung, usw.) und den Handbüchern der Bundesregierung, den Handbüchern für das Deutsche Reich und den von der CIA publizierten Directories of East German Officials. Durch einen Vergleich der verschiedenen Quellen wurden Angaben zu den Elitemitgliedern systematisch geprüft. Bei Einzelfällen, in denen sich die Angaben aus unterschiedlichen Quellen nicht deckten, wurde den Quellen eine hierarchische Rangfolge zugewiesen. Informationen aus dem Aktenbestand des Bundesarchives wurde der höchste Rang zugeschrieben. Danach folgten die weiteren Quellen. Insgesamt beinhaltet der Datensatz 321 Fälle, wobei 48 Fälle lediglich 1927 im Amt waren. Für die NS-Zeit sind 273 Fälle enthalten. Die Fallzahlen für die jeweiligen Erhebungszeitpunktefinden sich in der folgenden Tabelle 3.1: Tabelle 3.1 Anzahl der Fälle im Nationalsozialismus1 StS

UStS/Stellv. StS

AL

Gesamt

19272

14

3

52

69

1934

20

1

78

99

1939

30

5

105

140

1944

33

5

112

150

Quelle: Strobel et al. 2020. eigene Berechnung und Darstellung

Für die Verwaltungselite der DDR wird der elektronische Zentrale Kaderdatenspeicher des Ministerrats der DDR (ZKDS) herangezogen. In diesem wurden zwischen dem ersten Quartal 1973 und März 1990 sämtliche beruflichen Positionen, Parteimitgliedschaften und -aktivitäten, Mandate und Organisationsmitgliedschaften aller Kader als Ergänzung zu den physischen Kaderakten digital gesammelt (Remy 2003). Für 888 (Haupt-)Abteilungsleiter aller DDRMinisterien und zentralen Organe außer dem Ministerium des Innern, dem Ministerium für Staatssicherheit und dem Ministerium für Nationale Verteidigung zwischen 1973 und 1990 liegen die Daten vor. Ob damit alle ministerialen Abteilungsleiter dieser Zeit erfasst sind, konnte nicht ermittelt werden. Bei ca. 250 1

Mehrere Personen waren zu mehr als einem Erhebungszeitpunkt im Amt, weshalb sich die Fallzahlen nicht auf die Gesamtanzahl der Fälle von 321 addieren lassen. 2 Die Daten des Erhebungszeitpunktes 01. September 1927 dienen als Referenzpunkt, um Veränderungen nach der sog. Machtergreifung aufzeigen zu können.

36

3

Methodisches Vorgehen

durchgängig parallel existierenden Abteilungen in den vom ZKDS erfassten Ministerien könnte die Zahl der Abteilungsleiter zwischen 1973 und 1990 auch bei über 1.000 Personen liegen. Für die folgende Analyse wurde der Datensatz vollständig umcodiert und an die Struktur des NS-Datensatzes angepasst. Die Datenlage ist bezüglich der soziodemographischen Merkmale, der Ausbildung und der Mitgliedschaften in Massenorganisationen, bewaffneten Organen und Parteien als sehr gut zu bezeichnen. Ein zentrales Problem des ZKDS ist allerdings, dass die berufsbiographischen Daten nicht stetig weitergeführt bzw. aktualisiert wurden. Best und Hornbostel (2003) können zeigen, dass für 20 % der Abteilungsleiter der Ministerien die Berufsbiographie nicht erfasst ist (Best und Hornbostel 2003, S. 122). Während der Eintritt in die Abteilungsleiterposition durchgängig erfasst wurde (siehe Tabelle 3.2), ist der Austritt in nur wenigen Fällen (79 von 888) erfasst, sodass die Länge der Positionsbesetzung nicht bestimmt und eine Zuordnung zu festen Zeiträumen wie Legislaturperioden nicht durchgeführt werden konnte. Daher können die 888 Abteilungsleiter im Rahmen dieser Arbeit nur als Gesamtgruppe ausgewertet und keine zeitlichen Entwicklungen gezeigt werden. Tabelle 3.2 Eintrittsjahr der Abteilungsleiter der DDR-Ministerien

AL N

%

1949–1959

2

0,2

1960–1969

51

5,7

1970–1979

247

27,8

1980–1989

588

66,2

Gesamt

888

100,0

Quelle: ZKDS. eigene Berechnung und Darstellung

Zentral bei der Datenauswertung ist ein Politisierungsindex, welcher aus zahlreichen Bezugsvariablen zum Nationalsozialismus bzw. zur DDR besteht3 . Für den Nationalsozialismus wurden eine Mitgliedschaft in der NSDAP, ein Mandat im Reichstag oder einem Landtag parallel zur Arbeit im Ministerium, alle Mitgliedschaften in den angeschlossenen Verbänden und NS-Organisationen, eine berufliche Tätigkeit im Parteiapparat der NSDAP, sowie der höchste Dienstrang in SS (Schutzstaffel), SA (Sturmabteilung) und Waffen-SS aufgenommen. Leitungspositionen in den jeweiligen Organisationen wurden höher gewichtet als 3

Die Operationalisierungstabelle sowie die detaillierten Auswertungen finden sich im digitalen Anhang.

3

Methodisches Vorgehen

37

eine einfache freiwillige bzw. eine Zwangsmitgliedschaft. Außerdem wurden Äußerungen, Handlungen und die Ausübung von Gewalt für das jeweilige Regime berücksichtigt. Da im ZKDS ähnliche Informationen gespeichert wurden, konnte für das SED-Regime analog vorgegangen werden. Hier wurden eine Mitgliedschaft in der SED, ein Mandat in der Volkskammer oder einem Landtag/Bezirkstag parallel zur Arbeit im Ministerium, alle Mitgliedschaften in den angeschlossenen Verbänden und Massenorganisationen, eine berufliche Tätigkeit im Parteiapparat der SED, sowie der höchste Dienstrang im MfS (Ministerium für Staatssicherheit), der HVA (Hauptverwaltung Aufklärung), den KGA (Kampfgruppen der Arbeiterklasse) und eine Tätigkeit als IM (Inoffizieller Mitarbeiter) aufgenommen. Der Wertebereich des Index rangiert zwischen null und eins, wobei hohe Werte für eine hohe Politisierung stehen. Die Ergebnisse der Indexanalysen können die Beobachtungen der Einzelfallstudie unterstützen. Sie sind jedoch nicht repräsentativ für das Gesamtsystem, handelt es sich bei den untersuchten Personen doch nur um die Verwaltungseliten des jeweiligen Systems. Zu Vereinfachung der Analyse wurden beide Systeme in mehrere Phasen eingeteilt. Diese Unterteilung macht es möglich, sich mit den Entwicklungen innerhalb einer Phase detaillierter auseinanderzusetzen. Zunächst werden für jede Phase die politischen Entwicklungen, rechtliche Veränderungen und die Auswirkungen auf die Verwaltungsmitarbeiter dargestellt. Im Zuge dessen werden beobachtete Phänomene den in Kapitel 2 identifizierten Politisierungsformen zugeordnet und diese zum Abschluss einer jeden Phase systematisiert. Die eigentliche „Messung“ der Politisierungsformen erfolgt in diesen Abschnitten. Dazu werden die beobachteten Phänomene mit den identifizierten Grundformen abgeglichen. Phänomene, welche bereits beschriebenen Politisierungsformen gleichen beziehungsweise ähneln, werden diesen zugeordnet. Phänomene, welche im Rahmen der bisherigen Forschung noch nicht beobachtet wurden, werden erklärt und mit bereits erfassten Politisierungsformen in Verbindung gesetzt. Zum Schluss der jeweiligen Fallstudie erfolgt eine Einordnung des Gesamtsystems. Dieses Vorgehen ermöglicht eine zeitliche Differenzierung der Politisierungsnutzung im NSund SED-Regime, welche Rückschlüsse darauf zulässt, welche Politisierungsformen besonders nützlich zum Aufbau einer Diktatur beziehungsweise für deren Stabilisierung sind. Es ist zu erwarten, dass sich hier Unterschiede zwischen den Phasen ergeben. Durch die Nutzung der unterschiedlichen Zugänge und dem beschriebenen Vorgehen nach Phasen soll ein sehr detailliertes Bild des Zusammenwirkens von Politik und Verwaltung in den deutschen Diktaturen entstehen.

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Politik und Verwaltung im Nationalsozialismus

In der folgenden Fallstudie wird das Verhältnis von Politik und Verwaltung im Nationalsozialismus präsentiert. Dabei werden die Politisierungsstrategien der NSDAP und ihres Führungspersonals analysiert. Dazu wird auf die in Kapitel 2 identifizierten Politisierungsformen Bezug genommen. Zunächst soll die Entwicklung des politisch-administrativen Systems dargestellt werden. Hierzu wird zunächst kurz auf die Vorbedingungen im Kaiserreich und in der Weimarer Republik eingegangen und anschließend die Veränderung ab Januar 1933 auf den Ebenen Reich, Mittelebene (Land, Provinz, Gau) und Kommunen anhand von drei Erhebungsphasen (1933 bis 1934, 1934 bis 1939 und 1939 bis 1944) dargestellt. Diese orientieren sich an den empirischen Erhebungszeitpunkten aus dem in Kapitel 3 bereits genannten Projekt und wurden gewählt, da sie das vorläufige Ende des Systemumbaus nach dem Tod des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg (01. September 1934) (Strobel et al. 2021a), den vorläufigen innenpolitischen Höhepunkt der Macht und Kriegsbeginn (01. September 1939) (Strobel et al. 2021b) und den letzten Zeitpunkt, an dem die NS-Herrschaft auf deutschem Boden noch stabil funktionierte (01. September 1944) (Strobel et al. 2021c) markieren. Die Phasen können als Aufbauphase, Konsolidierungsphase und Endphase des Nationalsozialismus bezeichnet werden. In jedem Abschnitt erfolgt ein Rückbezug der empirischen Ergebnisse zu den Politisierungskategorien. Abschließend erfolgt eine Einordnung des Gesamtsystems in diese.

Ergänzende Information Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, auf das über folgenden Link zugegriffen werden kann https://doi.org/10.1007/978-3-658-39157-7_4.

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2022 B. Strobel, Politik und Verwaltung in deutschen Diktaturen, Interdisziplinäre Organisations- und Verwaltungsforschung 22, https://doi.org/10.1007/978-3-658-39157-7_4

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4.1

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Politik und Verwaltung im Nationalsozialismus

Vorbedingungen: das politisch-administrative System des Deutschen Reiches1

Die Weberianische Verwaltung des heutigen Deutschlands ist durch eine lange Traditionslinie geprägt. Im 18. Jahrhundert legte der Preußische König Friedrich Wilhelm I. (1713 bis 1740) die Grundlagen des deutschen Beamtentums, die bis heute gültig sind. Vor den Reformen Friedrich Wilhelms I. beruhte die preußische Staatsverwaltung auf den Ministerialen. Diese wurden häufig aus dem niederen Landadel rekrutiert und verrichteten ihre Tätigkeit zur Verbesserung der eigenen ökonomischen Situation: Für die Arbeit als Ministeriale erhielten die Adeligen ein Lehen des Königs, mit welchem sie die Möglichkeit bekamen ihren Lebensunterhalt zu bestreiten (Hattenhauer und Wiese 1993). Im Laufe der Zeit entwickelten sich die Ministerialen zu einer Elite mit hohem Grad an verwaltungstechnischem Fachwissen (Hattenhauer und Wiese 1993, S. 9). Friedrich Wilhelm I. wollte diese Expertise verstetigen und reformierte das System, indem er die sogenannten preußischen Tugenden wie Loyalität, Sorgfalt, Pünktlichkeit, Neutralität, Sparsamkeit und Unbestechlichkeit für diese Gruppe von Experten zur Pflicht machte (Caplan 1988; Koops 2008, p. 22 f.). So veränderte er nach und nach deren Hauptmotiv für die Arbeit als Ministeriale, das eigene ökonomische Interesse, hin zu einem Rollenbild, das bis heute in der Beamtenschaft vorherrscht. Die späteren Preußischen Könige verfestigten dieses neu geschaffene System im 18. und 19. Jahrhundert durch die Einführung von speziellen Beamtenpflichten und -rechten. So wurden standardisierte Zugangsvoraussetzungen (z. B. juristisches Studium), ein verpflichtender Vorbereitungsdienst (Referendariat), die Lebenszeitanstellung, die Pension und eine Krankenversicherung eingeführt (Caplan 1988; Gössel 2002; Koops 2008). Die Entwicklung dieses Systems inspirierte Woodrow Wilson (1887) und Max Weber (1919; 2013) zu ihren Vorstellungen der neutralen Verwaltung, welche bereits in Abschnitt 2.1 dargestellt wurden. Auf der politischen Ebene war das 19. Jahrhundert geprägt von der Transformation der Feudalstaaten hin zu modernen Nationalstaaten. In Deutschland wurde nach den Einigungskriegen 1871 das Deutsche Kaiserreich gegründet. Es vereinte die vormals souveränen 25 Einzelstaaten auf deutschem Boden erstmals 1

Teile dieses Kapitels wurden bereits in Strobel, Bastian; Veit, Sylvia (2021): Incomplete democratisation, system transformations, and the civil service: A case study on the Weimar Republic and the Nazi regime in Germany. In: Michael W. Bauer, Jon Pierre, Kutsal Yesilkagit, Stefan Becker und B. Guy Peters (Hg.): Democratic Backsliding and Public Administration. How Populists in Government Transform State Bureaucracies. Cambridge: Cambridge University Press. S. 22–46 veröffentlicht.

4.1 Vorbedingungen: das politisch-administrative System …

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in einem modernen Nationalstaat unter der Vorherrschaft Preußens. Die Einzelstaaten wurden zu Reichsländern umgewandelt, behielten jedoch einen hohen Grad an Autonomie. Die meisten Länder hatten eine eigene Verwaltung, eine eigene Polizei, eine eigene Bahn- und Postgesellschaft und manche Länder wie die Königreiche Bayern und Württemberg hatten bis 1919 ihre eigene Armee. Über allem stand jedoch der Preußische König als Deutscher Kaiser. Dieser hatte im Kriegsfall den Oberbefehl über alle Armeen, ernannte und entließ den Reichskanzler, repräsentierte Deutschland nach Außen und hatte das Recht den Reichstag und den Bundesrat aufzulösen. Außerdem war er formal für die Ernennung und Entlassung aller Reichsbeamten zuständig (vgl. Artikel 11 bis 18 der Verfassung von 18712 ). Für die Führung der Regierungsgeschäfte war der Reichskanzler verantwortlich. Er war formal der einzige Politiker in der Reichsregierung, da die Reichsämter (Vorläufer der heutigen Ministerien) von beamteten weisungsgebundenen Staatssekretären geführt wurden. Zwischen 1871 und 1918 bauten Otto von Bismarck und seine Nachfolger im Amt des Reichskanzlers die Reichsämter als Zentrale der Regierung stetig aus. Die Anzahl der beschäftigten Beamten in den Reichsämtern stieg in dieser Zeit um 75 % (Hattenhauer und Wiese 1993, S. 290). Das spiegelt sich auch auf den anderen Verwaltungsebenen: Waren 1914 noch 746.023 Beamte bei Reich, Ländern und Kommunen angestellt, so waren es 1920 schon 1.000.476 (Bracher et al. 1962, S. 480). Im Kaiserreich entwickelten die Beamten ihr Rollenbild als loyale Staatsdiener weiter, die treu zum Kaiser standen und sich selbst als Gegenpol zu den Parteien, den Abgeordneten im Reichstag und den Gewerkschaften sahen (Eggestein und Schirmer 1987, S. 25; Rebentisch 1989b). Nachdem das Deutsche Reich den Ersten Weltkrieg verloren hatte, endete die Monarchie. Am 09. November 1918 verließ Kaiser Wilhelm II. das Reich ins niederländische Exil und Philipp Scheidemann rief die Republik aus. Diese Weimarer Republik, benannt nach dem Tagungsort der Nationalversammlung, wurde von einem direkt gewählten Reichspräsidenten und Koalitionsregierungen unter Führung des Reichskanzlers regiert. Diese waren abhängig von einer parlamentarischen Mehrheit im Reichstag und vom Vertrauen des Reichspräsidenten. Zwischen 1918 und 1933 regierten 21 Kabinette die Republik, was zu einem hohen Grad an Instabilität führte. Der Hauptgrund für das regelmäßige Scheitern der Koalitionen war die stetige Polarisierung im Parteiensystem, die Kompromisslösungen fast unmöglich machte, und der hohe Grad an Fragmentierung des Parteiensystems und des Parlaments (Raithel 2008). In Hochzeiten der 2

Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. April 1871, In der Fassung vom 16. April 1871.

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Politik und Verwaltung im Nationalsozialismus

Republik waren 15 verschiedene Parteien im Reichstag vertreten. Um in diesem Parlament eine Koalition zu bilden, wurden häufig bis zu fünf Partner benötigt. Meist waren dies das Zentrum, die DDP (Deutsche Demokratische Partei) und die DVP (Deutsche Volkspartei), welche je nach Konstellation von der SPD (Sozialdemokratische Partei Deutschlands) und/oder der BVP (Bayerische Volkspartei) unterstützt bzw. ergänzt wurden. Der Bruch einer Koalition wurde häufig schon wegen kleinerer Streitigkeiten provoziert. Das Beharren auf Maximalforderungen und die Mentalität, einen Kompromiss als Niederlage aufzufassen, führte zu einem hohen Grad an Diskontinuität und zur Unzufriedenheit in der Bevölkerung der jungen Republik (Schneider 1989b, S. 31). Politisch und ökonomisch waren die 14 Jahre der Republik vor allem durch Krisenerlebnisse geprägt. In den ersten Jahren versuchten sowohl Rechts- als auch Linksextreme die Republik zu stürzen. Die bekanntesten Versuche sind der Kapp-Putsch 1920 und der Hitler-Ludendorff-Putsch 1923. Im Parteiensystem existierten am rechten (NSDAP, DNVP – Deutschnationale Volkspartei) und linken Rand (KPD – Kommunistische Partei Deutschlands, USPD – Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands) extremistische Parteien, deren Ziel es war, die republikanische Staatsform abzuschaffen. Ökonomische Krisen wie die Hyperinflation von 1923 und die Weltwirtschaftskrise ab 1929 führten zu massenhaften Entlassungen, Armut und Hunger innerhalb der Gesellschaft. Besonders betroffen waren hiervon die Beamten, da der Staat gezwungen war erhebliche Einsparungen vorzunehmen. Dies förderte die antidemokratische Haltung und das Misstrauen gegenüber den Parteien, das viele Beamte noch aus der Zeit der Monarchie in sich trugen. In diesem instabilen politischen System war die Verwaltung trotzdem der Stabilitätsanker (Middendorf 2015; Rebentisch 1989b). Die Grundlagen des Beamtentums der preußischen Ära wurden nach der Revolution 1918/1919 von den demokratischen Kräften übernommen. Die Grundlage für das Beamtenrecht bildete weiterhin das Reichsbeamtengesetz (RBG)3 von 1873 in der überarbeiteten Fassung von 1907. Es garantierte eine Lebenszeitverbeamtung (§ 2 RBG), eine Loyalität gegenüber dem Staat (§ 3 RBG), ein Einkommen nach festen Aufstiegs-Grundsätzen (§ 4 RBG) und forderte von den Beamten Sorgfalt und Gesetzestreue (§§ 10, 13 RBG) und Unbestechlichkeit (§ 15 RBG). Allerdings wurde in der Revolutionsphase 1918/1919 nicht nur auf die Gesetzgebung des Kaiserreichs, sondern auch auf fast alle Beamten der Monarchie zurückgegriffen (Caplan 1988; Gössel 2002; Hattenhauer und Wiese 1993). Es wurden zwar einzelne Spitzenbeamte nach der Gründung der Republik ausgetauscht, sie wurden 3

Reichsbeamtengesetz vom 31. März 1873, In der Fassung vom 18. Mai 1907.

4.1 Vorbedingungen: das politisch-administrative System …

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jedoch durch Beamte aus dem Apparat ersetzt, die über eine lange Verwaltungserfahrung im Kaiserreich verfügten. Die meisten schworen lediglich einen neuen Amtseid und arbeiteten weiter wie zuvor (Röhling 2017, S. 108). Eine Ausnahme bildete lediglich das Auswärtige Amt, in dessen Geschäftsbereich eine umfassende „Parlamentarisierung“ vorgenommen wurde (Lüdicke 2014, S. 37). So wurden in allen Botschaften und in der Zentrale alle Mitarbeiter in den Politischen Abteilungen und alle Abteilungsleiter der übrigen Abteilungen ausgewechselt, sodass Mitte 1919 nur noch die Hälfte der 1914 tätigen Beamten im Auswärtigen Amt arbeitete (Lüdicke 2014, S. 37 f.). Im Gegensatz zur restlichen deutschen Verwaltung wurden einige dieser freien Stellen mit Quereinsteigern besetzt (ebd.) Angesichts der antidemokratischen Einstellung (siehe oben) (Eggestein und Schirmer 1987, S. 25; Föllmer 2001; Gössel 2002), die bei vielen Beamten vorherrschte, überrascht auf den ersten Blick die hohe Kontinuität in und nach der Transformationsphase. Auf den zweiten Blick muss jedoch festgestellt werden, dass in dieser historischen Situation der Unsicherheit (Revolution, Kämpfe um die innere Verfasstheit des Staates usw.) die Verwaltungskompetenz der Beamten höher eingeschätzt wurde als die Loyalität gegenüber dem demokratischen System und seiner politischen Akteure. Außerdem führte die große Bereitschaft zur Zusammenarbeit auf Seiten der Beamten dazu, dass die Politik nach der kurzen Revolution schnell wieder zur Tagesordnung zurückkehren konnte (Eggestein und Schirmer 1987, S. 15; Schneider 1989b, S. 28). Den Politikern der neuen Republik war die Einstellung ihrer Beamten allerdings wohl bewusst. Schon in der Weimarer Reichsverfassung (WRV)4 von 1919 wurde die Loyalität der Beamten gegenüber der Verfassung festgeschrieben. 1922 verabschiedete der Reichstag das Gesetz über die Pflichten der Beamten zum Schutze der Republik (GPBSR)5 . Es sollte jeden Versuch der Wiedereinführung der Monarchie aus der Beamtenschaft heraus verhindern. Die Beamten wurden verpflichtet, im Dienst die republikanische demokratische Staatsform zu stützen (§ 10a GPBSR). Dies beinhaltete beispielsweise ein Verbot der Kritik an Regierung und Staatsform vor Untergebenen. Eine Sympathie mit demokratischen Parteien war hingegen explizit erlaubt, was von den rechts- und linksextremen Parteien als Angriff auf das Neutralitätsgebot der Beamten gewertet wurde (Mommsen 1966, S. 24).

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Weimarer Reichsverfassung vom 31. Juli 1919, In der Fassung vom 31. Juli 1919. Gesetz über die Pflichten der Beamten zum Schutze der Republik vom 21. Juli 1922, In der Fassung vom 21. Juli 1922.

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Politik und Verwaltung im Nationalsozialismus

Ein formales Verbot von Parteimitgliedschaften existierte nicht. Allerdings wurde das Neutralitätsgebot – insbesondere aus Artikel 130 der Weimarer Reichsverfassung abgeleitet, welcher die Pflicht des Dienstes am Gemeinwohl und Allgemeininteresse der Beamten formulierte – von vielen Beamten als de facto Verbot von Parteimitgliedschaften interpretiert (Gössel 2002, S. 96 ff.). Ebenso wurde ohne explizites Verbot erwartet, dass die Beamten kein Mandat in einem der Landtage oder im Reichstag hielten, um im beruflichen Alltag ihren Aufgaben neutral nachgehen zu können (Kordt 1938, S. 176). Die Weberianischen Verwaltungsgrundsätze einer neutralen, gesetzesorientierten und professionellen Verwaltung waren in Weimar tief implementiert. Bracher at al. (1962) beschreiben diese Entwicklung als Stärkung des schon vorhandenen „subalternen, retardierenden, vagen, im Wesentlichen politisch sterilen, neutralistisch gewandten Staatspositivismus, der seine lähmenden Ausstrahlungen in weite Bereiche des politischen und sozialen Lebens sandte“ (Bracher et al. 1962, S. 481).

Beschränkt wurde diese Entwicklung lediglich durch die Fortführung der Tradition politischer Beamter. Während auf den unteren Ebenen das Leistungsprinzip das entscheidende Rekrutierungskriterium für Beamte war (Kordt 1938, 178 f.), galt für Politische Beamte das Loyalitätsprinzip. Staatssekretäre und Abteilungsleiter in Ministerien, die Leiter der Reichsoberbehörden und ihre Stellvertreter, sowie alle Beamten, die sich mit dem Republikschutz befassten, konnten vom zuständigen Minister jederzeit in den einstweiligen Wartestand versetzt werden (§ 25 RBG). Neben der Nutzung dieses Instruments auf Reichsebene erlaubte die Weimarer Verfassung nun auch die Einführung Politischer Beamter auf der Länderebene. Insbesondere Preußen nutzte dieses Mittel extensiv: 1919 verfügte die Landesregierung, dass alle Staatssekretäre, Ministerialdirektoren, Ministerialdirigenten, alle Beamten der Pressestelle, alle Oberpräsidenten und Regierungspräsidenten, sowie deren Stellvertreter, alle Landräte und Leiter der Polizeibehörden und sämtliche Staatsanwälte zu Politischen Beamten wurden (Schunke 1973). Insbesondere Preußen nutzte dieses Instrument zur Demokratisierung der Beamtenschaft. Besonders überraschend ist diese umfangreiche Nutzung allerdings nicht, war das Instrument der Politischen Beamten doch eine preußische Erfindung des 19. Jahrhunderts (ebd.). Das Ziel war die „planvolle Mischung aller politischen Einstellungen“ (Bracher et al. 1962, S. 482 f.) innerhalb der Verwaltung. Alle Koalitionspartner achteten auf eine parteipolitisch paritätische Besetzung der politischen Beamten; so waren von 529 politischen Beamten in Preußen am 01. Oktober 1929 113 vom Zentrum, 105 von der SPD,

4.1 Vorbedingungen: das politisch-administrative System …

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95 von der DVP und 71 Beamte von der DDP ernannt worden (Bracher et al. 1962, S. 483). Nach dem Ende der letzten Koalition mit einer Parlamentsmehrheit bestehend aus Zentrum, SPD, DVP, BVP und DDP ernannte Paul von Hindenburg, seit 1924 Reichspräsident, am 28. März 1930 Heinrich Brüning zum Reichskanzler. Das Besondere an dieser Ernennung war, dass Brünings Regierung nicht mehr über eine Mehrheit im Reichstag verfügte, sondern mit Hilfe der Notstandsgesetzgebung nach Artikel 48 der Reichsverfassung regierte. Die Phase der sogenannten Präsidialkabinette begann. Brünings erstes Kabinett wurde von Zentrum, DVP, DDP, BVP und der DNVP getragen. Zum ersten Mal seit Staatsgründung waren mit der DNVP extreme Kräfte in die Regierung eingebunden. Die vier Präsidialkabinette (Brüning I und II, von Papen, von Schleicher) zwischen 1930 und 1933 waren noch stärker als die Koalitionen vorher auf den Reichspräsidenten angewiesen, da dieser sämtliche Gesetze mit einem Notstandserlass in Kraft setzen musste, um den Reichstag zu umgehen (Petzschmann 2014). Der Reichspräsident wurde so zur zentralen Figur der letzten Jahre der Republik. Von der Verwaltung wurde dies sehr begrüßt, knüpfte es doch an die monarchische Tradition an und versprach ihnen Stabilität und einen größeren Einfluss auf die Gesetzesformulierung und somit den lange ersehnten Beamtenstaat (vgl. Bracher et al. 1962, S. 485; Middendorf 2015, S. 340; Mommsen 1973, S. 151 f.; Rebentisch 1989b, S. 128; Sontheimer 1999, S. 70). Allerdings änderte sich diese Einstellung rasch zwischen 1930 und 1932. Wie schon in der Phase der Hyperinflation wurden die Beamten in der Weltwirtschaftskrise erneut von Lohnkürzungen und Entlassungswellen getroffen (Föllmer 2001, S. 63). Die sogenannten „Notopfer“ wie die „Reichshilfe der Personen des Öffentlichen Dienstes“ vom 26. Juli 1930 kürzten die Löhne um 18 bis 23 % (Mommsen 1973, S. 155). In der Folge setzten viele Beamte ihre Hoffnungen in die Nationalsozialisten, hatten diese doch behauptet, sie wollten das Beamtentum wieder aufwerten und der Verwaltung zu alter Stärke verhelfen (Föllmer 2001, S. 66 f.). Der autoritäre Führungsstil der Präsidialkabinette kombiniert mit der Sehnsucht der Beamten nach einem starken Staat – geleitet von einer starken und autonomen Verwaltung – führten innerhalb der Beamtenschaft zu einem hohen Grad der Unterstützung von Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933.

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Politik und Verwaltung im Nationalsozialismus

4.2

Struktureller Zustand des Systems am 01. September 1934

4.2.1

Allgemeine politische und strukturelle Entwicklungen seit 1933

4.2.1.1 Reichsebene Nach dem politischen Scheitern der Reichsregierung von Schleicher kam Präsident Hindenburg im Januar 1933 nicht mehr um die Einbindung der NSDAP in die Reichsregierung herum. Hatte er sich vorher noch stark dagegen gewehrt, ließ er sich im Januar 1933 von rechts-konservativen Kräften wie Franz von Papen, seinem Sohn Oskar von Hindenburg und dem Staatssekretär der Präsidialkanzlei Otto Meißner überzeugen, Adolf Hitler zum Reichskanzler zu ernennen (Strenge 2011). Im Kabinett Hitler stellte die NSDAP zunächst lediglich zwei Minister und den Reichskanzler. Obwohl die Partei mit Abstand die stärkste parlamentarische Kraft innerhalb der Koalition war, wurden lediglich Adolf Hitler selbst, Innenminister Wilhelm Frick und Hermann Göring als Reichsminister ohne Geschäftsbereich Mitglieder der Regierung, was damals als Entgegenkommen gegenüber dem Reichspräsidenten gewertet wurde (Strenge 2011). Mit der Neugründung des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda kam mit Joseph Goebbels am 13. März 1933 ein Nationalsozialist hinzu. Die anderen Ressorts wurden entweder von parteilosen Ministern oder Angehörigen der DNVP und des Stahlhelm geführt. Kurz nach Zustandekommen des Kabinetts bat Hitler den Reichspräsidenten um die Auflösung des erst im November 1932 gewählten Reichstages, welcher von Hindenburg zustimmte. Nach der Auflösung des Parlaments am 01. Februar 1933 hatte die neue Regierung die Möglichkeit bis zur Wahl im März sechs Wochen ohne eine organisierte Opposition zu regieren. Dies nutzte das Kabinett, um erste Veränderungen hin zu einem autokratischen Regime umzusetzen (Thamer 1992). Am 04. Februar 1933 erließ die Regierung mit Hilfe der Notstandsgesetzgebung (Art. 48 WRV) die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des Deutschen Volkes (VzSDV)6 . Sie schränkte die Presse- und Versammlungsfreiheit ein und nutzte insbesondere der NSDAP im Wahlkampf. Politische Versammlungen mussten nun 48 Stunden vorher angemeldet werden und konnten „im Einzelfall verboten werden, wenn nach den Umständen eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu besorgen 6

Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des Deutschen Volkes vom 04. Februar 1933, In der Fassung vom 04. Februar 1933.

4.2 Struktureller Zustand des Systems am 01. September 1934

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ist“ (§ 1, Abs. 2 VzSDV). Außerdem war die Polizei befugt Beobachter zu politischen Versammlungen zu schicken (§ 3 VzSDV) und der Reichsinnenminister konnte Veranstaltungen einzelner politischer Gruppen ohne Begründung im ganzen Reichsgebiet verbieten (§ 5 VzSDV). Einzelne Druckschriften, sowie ganze Zeitungen und Zeitschriften konnten für mindestens vier Wochen und maximal sechs Monate verboten werden (§ 7–13 VzSDV). Nach dem Brandanschlag auf den Reichstag in der Nacht vom 27. auf den 28. Februar 1933 erließ die Regierung am 28. Februar 1933 die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat (VzSVuS)7 , besser bekannt als Reichstagsbrandverordnung. In dieser nur sechs Paragraphen umfassenden Verordnung wurden die Grundrechte der Verfassung weitgehend außer Kraft gesetzt. „Es sind daher Beschränkungen der persönlichen Freiheit, des Rechts der freien Meinungsäußerung, einschließlich der Pressefreiheit, des Vereins- und Versammlungsrechts, Eingriffe in das Brief-, Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis, Anordnungen von Haussuchungen und von Beschlagnahmen sowie Beschränkungen des Eigentums auch außerhalb der sonst hierfür bestimmten gesetzlichen Grenzen zulässig.“ (§ 1 VzSVuS)

Außerdem erhielt die Reichsregierung die Befugnis in Reichsländern, die sich weigerten, Inhalte des § 1 umzusetzen, die Regierungsgeschäfte vorübergehend wahrzunehmen (§ 2 VzSVuS). Des Weiteren konnten alle, die sich weigerten, die Bestimmungen der Verordnung durchzusetzen, verhaftet werden (§ 4 VzSVuS) und in § 5 wurde die Todesstrafe für die Verbrechen Hochverrat, Vergiftung ohne Todesfolge, Brandstiftung, schwerer Aufruhr, schwerer Landfriedensbruch, Freiheitsberaubung und Sabotage von öffentlicher Infrastruktur eingeführt. Mit Hilfe der Verordnungen wurde die KPD de facto aufgelöst. Die meisten kommunistischen Funktionäre wurden festgenommen und die gewählten Abgeordneten hatten nicht mehr die Möglichkeit, ihre gewonnenen Sitze im Reichstag nach der Wahl am 05. März 1933 einzunehmen (Theurer 2019, pp. 151–159). Dies ermöglichte der NSDAP trotz eines Wahlergebnisses von „nur“ 43,9 % eine absolute Mehrheit im Reichstag. Mit dem Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich (GBNVR)8 , besser bekannt als Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933, wurde mit nur fünf 7

Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat vom 28. Februar 1933, In der Fassung vom 28. Februar 1933. 8 Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich vom 24. März 1933, In der Fassung vom 24. März 1933.

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Politik und Verwaltung im Nationalsozialismus

Artikeln die Gewaltenteilung abgeschafft und die Legislative vollständig der Reichsregierung übertragen (Artikel 1 GBNVR). Außerdem erlaubte Artikel 2, dass „von der Reichsregierung beschlossene Reichsgesetze […] von der Reichsverfassung abweichen [können], soweit sie nicht die Einrichtung des Reichstags und des Reichsrats als solche zum Gegenstand haben.“ (Artikel 2 GBNVR).

In der Reichsregierung führte die neue Machtfülle allerdings nicht sofort zu Veränderungen in der Struktur oder beim Personal. Die meisten DNVP-Minister blieben auch nach der Auflösung ihrer Partei im Sommer 1933 im Amt. Bis zum Tod Paul von Hindenburgs im August 1934 wurde lediglich Alfred Hugenberg, der bis dahin sowohl Wirtschaftsminister als auch Minister für Ernährung und Landwirtschaft war, abgelöst. Ernst Röhm, der als SA-Chef Reichsminister ohne Geschäftsbereich war, wurde im sogenannten Röhm-Putsch am 30. Juni 1934 getötet. Als neue Ministerien wurden 1933 das Reichsluftfahrtministerium unter Hermann Göring (NSDAP) und 1934 das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung unter Bernhard Rust (NSDAP) gegründet. Durch die Kompetenz, Reichsgesetze ohne die Mitwirkung des Reichstages zu erlassen, erhielten die einzelnen Fachministerien große Freiheiten. Das Reichsinnenministerium drängte stetig auf eine Reichsreform, um die Länder als Vetospieler auszuschalten, und versuchte sich selbst zum Beamtenministerium zu erheben (Fischer 1988, S. 104 f.). Das Propagandaministerium verstaatlichte nicht nur die Parteipropaganda, sondern die komplette Medienlandschaft. Künstler, Filmschaffende und Journalisten mussten Mitglieder in der Reichskulturoder Reichsschrifttumskammer werden. Die Gaupropagandaleiter der NSDAP wurden gleichzeitig zu den Chefs der neuen Reichspropagandaämter (Fischer 1988, S. 108). Das Ernährungs- und Landwirtschaftsministerium stellte sich unter Walther Darrés (NSDAP) Führung vollständig in den Dienst der „Blut und Boden“-Ideologie und versuchte die Landwirtschaft zu arisieren (Fischer 1988, S. 129). Das Justizministerium baute die Rechtslandschaft nachhaltig um. Es wurden neue Straftatbestände geschaffen, die Unabhängigkeit der Justiz wurde beseitigt und neue Sondergerichte (z. B.: SS-Gericht, Reichserbhof-Gericht usw.) entstanden (Fischer 1988, S. 130). Insgesamt wurde die Unabhängigkeit der Justiz weitgehend beseitigt. In den meisten Fällen war Hitler in diese Reformen und Gesetze nicht aktiv involviert. Aus Kabinetts- und Beratungsprotokollen des Jahres 1933 geht hervor, dass Hitler meist den Vorschlägen der Fachminister ohne weitere Prüfung zustimmte. Lediglich in Politikfeldern, die ihn persönlich sehr stark interessierten (z. B. Umbau der Städte, Rüstung etc.), nutzte er seine Richtlinienkompetenz (Hehl 2001, S. 11).

4.2 Struktureller Zustand des Systems am 01. September 1934

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Im Juli 1933 wurden von der nun diktatorisch regierenden NSDAP alle anderen Parteien verboten. Interessengruppen, Berufs- und Lobbyverbände und alle anderen Massenorganisationen wurden aufgelöst oder gleichgeschaltet. (Majer 1987, S. 202 f.). Statt diese Organisationen zu verstaatlichen wurden alle der NSDAP untergeordnet. Der Grund hierfür lag in der Tatsache begründet, dass die Partei die Hausmacht Adolf Hitlers darstellte (Majer 1987, S. 201). Ihre Mitglieder waren im Gegensatz zu den Beamten des Reiches schon vor 1934 auf ihn persönlich vereidigt und Hitler sicherte sich mit der auf ihn ausgerichteten Struktur der Partei seine eigene Führung (ebd.). So war nicht nur die Reichsführung, sondern auch die Gau- und Kreisleiter ihm persönlich unterstellt wie Abbildung 4.1 zeigt:

Der Führer Reichsleitung Reichsorganisationsleiter Reichsschatzmeister, Parteigericht, Reichspressechef Reichspropagandachef, Leiter des Reichsrechtsamts, Leiter des Reichsamts für Agrarpolitik, Leiter des Kolonialpolitischen Amtes, Leiter der Reichstagsfraktion, Leiter des Außenpolitischen Amtes, Beauftragter für die Überwachung des geistigen und weltanschaulichen Erziehung des NSDAP Staabschef der SA, Reichsführer SS, Korspführer des NSKK, Reichsjugendführer

Gauleitung Gauleiter mit korrespondierenden Dienststellen zur Reichsleitung

Ortsleitung Ortsgruppenleiter und kleiner Führungszirkel

Reichsorganisationsleitung Hauptorganisationsamt, Hauptpersonalamt, Ordensburgen, Hauptschulungsamt, NS-Frauenschaft, Hauptamt der Betriebszellenorganisation, Nationalsozialistischer Deutscher Studenten Bund, Nationalsozialistischer Dozenten Bund Hauptämter für Handwerk und Handel, Kolonialpolitik, Beamte, Erzieher, Kriegsopfer, Volksgesundheit, Technik, Volkswohlfahrt

Kreisleitung Kreisleiter mit korrespondierenden Dienststellen zur Reichsleitung

Zellenleiter Blockleiter

Abbildung 4.1 Führungsstruktur der NSDAP 1933. (Quelle: Majer 1987, S. 208 f., eigene Darstellung)

Die Reichsleitung unterteilte sich in Hauptämter, die dem Reichsorganisationsleiter Robert Ley unterstellt waren, selbständige Hauptämter (z. B. Reichspropagandaleitung, das Amt des Reichsschatzmeisters etc.) und Ämter (auch Spiegelressorts genannt), die Teil einer Schattenregierung waren (z. B. das Außenpolitische Amt der NSDAP oder das Amt für Wehrpolitik) (Fischer 1988, S. 29). 20 Männer trugen den Ehrentitel Reichsleiter. Daraus erfolgte aber nicht automatisch eine Weisungsbefugnis gegenüber anderen Personen in der Partei. Nur Reichsleiter, die die Führung eines Hauptamtes übertragen bekamen, hatten auch die Möglichkeit, aus diesem Amt heraus Einfluss zu nehmen. Mächtigster

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Politik und Verwaltung im Nationalsozialismus

Reichsleiter war zu Beginn Rudolf Heß. Als Stellvertreter des Führers war es seine Aufgabe, die Kommunikation innerhalb der Partei zu organisieren und die Struktur der Partei zu überwachen (Fischer 1988, S. 30), was ihm praktisch einen Einfluss auf alle Belange der Partei verschaffte. Am 01. Dezember 1933 wurde das Gesetz zur Sicherung der Einheit von Staat und Partei (GzSESP)9 erlassen. Es definierte die Partei zur „Trägerin des deutschen Staatsgedankens“ (§ 1, Abs. 1 GzSESP) und zu einer Körperschaft des öffentlichen Rechts (§ 1, Abs. 2 GzSESP) mit Verfassungsrang. Damit hatte sie Anspruch auf eine eigene Gerichtsbarkeit (§ 3, Abs. 2 GzSESP) sowie auf Rechtsund Amtshilfe aller staatlichen Behörden (§ 6 GzSESP). Außerdem wurden der Stellvertreter des Führers Rudolf Heß und der Chef des Stabes der SA Ernst Röhm zu Reichsministern ohne Geschäftsbereich (§ 2 GzSESP) ernannt. Die Partei wurde damit staatlich institutionalisiert und gleichzeitig vor dem Zugriff des Staates geschützt. Sie stand nun neben dem Staat. Die Rechts- und Finanzaufsicht oblag einzig Adolf Hitler als Führer der Partei (Majer 1987, S. 206). Das Gesetz bildete die Grundlage für die Bildung neuer hybrider Behörden, Ämter und Stellen, die nicht rein staatlich, aber auch keine reinen Parteibehörden waren. Die zentrale Koordinierungsarbeit von Partei und Reichsregierung kam Hitlers vier Kanzleien zu. Die Kanzlei des Führers der NSDAP, die Präsidialkanzlei, die Reichskanzlei und die Partei-Kanzlei (bis zur Flucht von Rudolf Heß 1941 Stab des Stellvertreters des Führers) bildeten den zentralen Führungsapparat für Hitlers monokratische Stellung im System. Sie implementierten das Führerprinzip der NSDAP im Staat, was vereinfacht besagte, dass das Wort des Führers (und der Parteiführer) über dem Gesetz stand. Es sollte die Autonomie Hitlers und aller Parteiführer auf Gau-, Kreis- und Ortsebene sichern (Gössel 2002; Gotto 2006). Die Kanzlei des Führers der NSDAP wurde auf dem Reichsparteitag 1933 gegründet. Die Leitung übernahm Philipp Bouhler. Er war mit seinen Mitarbeitern zuständig für sämtliche Eingaben und Gnadengesuche, hatte aber keinen allzu großen Einfluss auf die Tagespolitik (Fischer 1988, S. 25). Die Präsidialkanzlei übernahm Hitler nach dem Tod Hindenburgs im August 1934. Der Leiter der Präsidialkanzlei war seit 1920 der erfahrene Staatssekretär (später Minister) Otto Meißner. Durch die Personalunion von Reichspräsident und Reichskanzler wäre es denkbar gewesen die Präsidialkanzlei mit der Reichskanzlei zu vereinen. Hitler lehnte dies jedoch ab. Die Aufgabe der Präsidialkanzlei beschränkte sich daher bis 1945 lediglich auf repräsentative und protokollarische Aufgaben wie die

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Gesetz zur Sicherung der Einheit von Staat und Partei vom 01. Dezember 1933, In der Fassung vom 01. Dezember 1933.

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Vorbereitung von Staatsbesuchen, Beamtenernennungen und Ordensverleihungen (Fischer 1988, S. 27). Die Reichskanzlei war seit Gründung des Deutschen Reiches 1871 das Amt des Reichskanzlers. Leiter war seit dem 21. März 1933 Hans-Heinrich Lammers. Zuerst in der Position eines Staatssekretärs und später als Minister koordinierte Lammers das Kabinett, entschied, welcher Minister einen Termin bei Hitler bekam, und musste bei allen Gesetzentwürfen beteiligt werden. Der Grund für diese Machtfülle des Leiters der Reichskanzlei war, dass Hitler „das Kabinett [hasste], da er die Zurücksetzung im Kreise von Fachleuten fürchtete“ (Mommsen 1989, S. 69). Er zog es vor, mit einzelnen Ministern deren Pläne in kleiner Runde zu besprechen. Schon 1933 und 1934 setzte Hitler kaum noch Kabinettssitzungen an. Waren es von Januar bis Mai 1933 noch 47 Sitzungen, so reduzierte sich die Zahl der Sitzungen auf nur 42 von Juni 1933 bis Ende 1934 (Will 2004). Das Kabinett verlor damit erheblich an Einfluss. Die Führergesetzgebung sah vor, dass Hitler allgemeine Grundsätze der Politik vorgab und die detaillierte Ausgestaltung den jeweiligen Ressorts überließ (Hehl 2001, S. 11). Der Zugang zu Hitler, gesteuert durch Lammers, spielte die entscheidende Rolle für die Machtposition eines Ministers und seines Hauses. Die Aufgaben des Stabs des Stellvertreters des Führers/der Partei-Kanzlei bestanden ab 1933 vorrangig in der Erstellung von politischen Gutachten zu allen Beamten, Soldaten und Wirtschaftsführern. Insbesondere in Besetzungs- und Beförderungsverfahren sollte mit diesen Gutachten die „politische Zuverlässigkeit“ geprüft werden (Majer 1987, S. 221). Politische Zuverlässigkeit bedeutete, dass Beamte der neuen Führung nicht nur neutral gegenüberstanden und sich den Befehlen und Anweisungen fügten. Es bedeutete vielmehr, dass sie sich aktiv für den Nationalsozialismus einsetzen und diesen öffentlichkeitswirksam fördern mussten (Majer 1987, S. 222). Ohne die Zustimmung vom Stab des Stellvertreters des Führers bzw. seiner nachgeordneten Ämter wurde ein Bewerber abgelehnt (Fischer 1988, S. 31). Welche Rolle diese Gutachten allerdings im Alltag spielten und inwiefern diese das etablierte Leistungsprinzip aushebeln konnten, wird in späteren Abschnitten noch gezeigt werden. Ab Juli 1934 wurde der Stab über alle Gesetzesentwürfe informiert. Rudolf Heß hielt sich jedoch meist vom Tagesgeschäft des Stabs fern und überließ die Führung der Geschäfte seinem Sekretär Martin Bormann (Longerich 1992). Die Koordinierungsfunktion durch die Kanzleien kam allerdings an seine Grenzen, wenn Hitler sowohl Parteistellen und staatliche Behörden mit gleichen oder ähnlichen Kompetenzen für ein Politikfeld ausstattete und nicht klar ihre Wirkungsbereiche abgrenzte. Es entstand auf allen Ebenen ein System, das von Historikern (vgl. Bracher et al. 1962; Broszat 1984; Gössel 2002; Gotto 2006;

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Hildebrand 1983; Hüttenberger 1976) vielfach als Polykratie bezeichnet wird. Hüttenberger definierte dies als „einen Zustand von Herrschaft, der nicht auf einer allseits anerkannten Verfassung beruht, sondern sich entsprechend dem ‚Wildwuchs‘ der jeweiligen Kräfteverhältnisse entwickelt. Position und Eigenschaften der einzelnen Herrschaftsträger formieren sich dabei aus den Konstellationen ihrer Beziehungen zueinander während der unterschiedlichen Phasen des Geschichtsablaufes“ (Hüttenberger 1976, S. 421 f. Hervorhebungen im Original).

Zu keinem Zeitpunkt bildete sich ein „stabiles Machtgleichgewicht zwischen den Herrschaftsträgern […] [sondern es existierte] eine Vielzahl von weitgehend autonomen, miteinander konkurrierenden Herrschaftsträgern“ (Hüttenberger 1976, S. 436).

Auf der Reichsebene zeigte sich, dass vor allem die Hauptämter, die als Schattenkabinett dienten, mit den staatlichen Stellen und Ministerien konkurrierten. So versuchte das Außenpolitische Amt der NSDAP dem Auswärtigen Amt die Hoheit in der Außenpolitik zu nehmen und das Amt für Wehrpolitik, sowie die SA und SS versuchten sich daran Polizei und Reichswehr unter ihre Kontrolle zu bekommen (vgl. Bracher 1983; Bracher et al. 1962; Broszat 1984, 2007).

4.2.1.2 Mittelebene Diese eben beschriebene Polykratie zeigte sich besonders deutlich auf der Mittelebene des Reiches. Hier entwickelte sich im Laufe der Zeit nach 1933 eine fast undurchschaubare Struktur von Ämtern, Behörden und Parteistellen. Vor 1933 gliederte sich die Mittelebene in 18 Reichsländer. Preußen als größtes Land gliederte sich noch mal in 12 Provinzen, geführt durch die Oberregierungspräsidenten (kurz Oberpräsidenten), und 37 Regierungsbezirke geführt von Regierungspräsidenten. Alle anderen Länder unterteilten sich nur in Bezirke oder hatten keinen Unterbau (z. B. Hamburg). Mit dem sogenannten Preußenschlag Franz von Papens 1932 begann schon vor der Machtübernahme der NSDAP die Einsetzung von Reichskommissaren zur Kontrolle der Länder und ihrer Verwaltung. Diese waren nicht als dauerhafte Einrichtung, sondern als kurzfristige und flexible Lösung für eine Übergangszeit bestimmt (Bracher et al. 1962, S. 462). Da diese Kommissare nicht den beamtenrechtlichen Grundsätzen unterlagen, konnte die Normalverwaltung bei der Besetzung dieser Stellen umgangen werden (ebd.). Schon in dieser Phase im Juli 1932 versuchte die NSDAP aktiv Einfluss auf die Besetzung von Beamtenstellen in Preußen zu nehmen. So beauftragte Ernst von

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Heydebrandt und der Lasa, der persönliche Referent Rudolf Heß‘, am 22. Juli 1932 Hermann Göring damit, Kontakt zum Reichskommissar aufzunehmen: „Nachdem in Preussen ein Reichskommissar eingesetzt ist, der dem rechten Zentrum nahe steht […], liegt die Gefahr vor, dass diese Herren, die durch Entfernung marxistischer usw. höherer Beamter frei werdenden Stellen mit Angehörigen und Anhängern dieser Parteirichtungen fest besetzen und uns damit später vor fertige Tatsachen stellen. […] Nach Rücksprache mit Pg. Hess soll versucht werden, schon jetzt Einfluss auf die Stellenbesetzung zu nehmen. […] Demnächst werden unsere Forderungen dann bei dem preussischen Reichskommissar [durch Sie] zu vertreten sein.“ (Bundesarchiv NS 22/440)

Erfolgreich war die NSDAP mit dem Vorhaben allerdings nicht. Trotz intensiver interner Planungen und vorgefertigter Ernennungslisten fand Göring bei Franz von Papen kein Gehör, sodass die Besetzungen ohne Mitwirkung der NSDAP vonstattengingen (Bundesarchiv NS 22/440). Dennoch nützte von Papens Vorgehen im Preußenschlag der Partei. Es diente als Vorbild und Test für das, was im Frühjahr 1933 folgen sollte: Nach der sog. Machtergreifung nutzte Hitler das bewährte Instrument des Reichskommissars, um schnell die Kontrolle über die Länder zu erreichen. Hier kann bereits die Strukturelle Politisierung in Form von Reorganisation und dem Einfügen neuer Ebenen beobachtet werden. Bracher et al. (1962) unterscheiden drei Typen von Reichskommissaren: 1. „Kommissare zur besonderen Verfügung“; diese Kommissare wurden für alle kurzfristigen Aufgaben eingesetzt, in welchen die Verwaltung zu ineffizient oder unflexibel agierte (Bracher et al. 1962, S. 463 f.). 2. „Mandatskommissare“; diese wurden vom Reichskanzler oder den Reichsministerien eingesetzt und erfüllten eine einzelne Aufgabe, indem sie Kompetenzen verschiedener Behörden an sich zogen (ebd.). 3. „Exekutivkommissare“ der Reichsregierung; diese sogenannten „Diktatoren der Länder“ wurden von der Reichsregierung auf Grundlage der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat vom 28. Februar 1933 eingesetzt, um die Politik der 18 Reichsländer gleichzuschalten (ebd.) und „geordnete Verhältnisse“ herzustellen (Hehl 2001, S. 7). Die Einrichtung dieser Exekutivkommissare hielt allerdings nur für eine relativ kurze Zeit bis zur Einführung der Reichsstatthalter im April 1933. Dies bedeutete allerdings nicht das Ende des Kommissarswesens. Bis Kriegsende wurden in nahezu allen Bereichen immer wieder neue Sonderkommissare und -beauftragte eingesetzt, deren Durchsetzungsmacht sich hauptsächlich danach bestimmte wer sie einsetzte (Hachtmann 2007, S. 68).

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Die Einsetzung der Reichskommissare war vor allem eine Reaktion auf den Widerstand einzelner Landesregierungen. In Bayern weigerte sich die Landesregierung beispielsweise Anordnungen der Reichsregierung umzusetzen (Bundesarchiv PERS 101/49838). Das führte in Bayern beinahe zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Die SA und die SS versuchten die Macht in München gewaltsam an sich zu reißen und die Landesregierung zu stürzen. Die alarmierte Bayernwacht der BVP stand hingegen zum Schutz der Landesregierung bereit (ebd.). Gleichzeitig versuchte der Ministerpräsident die Reichswehr gegen SA und SS zu mobilisieren, was aber vom Reichswehrministerium verhindert wurde. Die Einsetzung Franz Ritter von Epps als Reichskommissar am 09. März 1933 verhinderte die drohenden Auseinandersetzungen und beendete den Widerstand der bayerischen Staatsregierung (ebd.). Mit dem Vorläufigen Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich10 vom 31. März 1933 wurden die Landtage aufgelöst und auf Grundlage des Ergebnisses der Reichstagswahl vom 05. März 1933 neu gebildet. Somit hatte die NSDAP nun in allen Ländern de facto die absolute Mehrheit, da die Abgeordneten der KPD nicht an den Sitzungen der Landtage teilnehmen durften. Im selben Zuge wurden alle Landesregierungen neu gebildet und nur eine Woche später am 07. April 1933 durch das Zweite Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich11 einem Reichsstatthalter unterstellt. Die Aufgabe der neuen Reichsstatthalter war die politische Beaufsichtigung der Länder. Sie sollten dafür sorgen, dass die Reichsgesetze von den Ländern implementiert und ausgeführt wurden (Hehl 2001, S. 8). Um diese Aufgabe zu erfüllen erhielten die Reichsstatthalter eine große Machtfülle: Sie waren gegenüber den Landesregierungen weisungsbefugt, konnten die Landesregierung ernennen und entlassen, den Landtag auflösen und Neuwahlen ansetzen. Außerdem fertigten sie die Landesgesetze aus und verkündeten diese. Des Weiteren lag die Ernennung von Landesbeamten sowie das Begnadigungsrecht in ihren Händen (Bracher et al. 1962, S. 464). Ausgewählt und ernannt wurden die Reichsstatthalter vom Reichskanzler. Hitler achtete bei der Auswahl der Reichsstatthalter darauf, nur Gauleiter oder andere hohe NSFunktionäre zu ernennen, da diese ihm persönlich verpflichtet waren (Bracher et al. 1962, S. 465). Die Exekutivkommissare waren nun überflüssig geworden und mit Ausnahme von Bayern und Preußen wurde auch keiner von ihnen zum Reichsstatthalter 10

Vorläufiges Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich vom 31. März 1933, In der Fassung vom 31. März 1933. 11 Zweites Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich vom 07. April 1933, In der Fassung vom 07. April 1933.

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ernannt. In Preußen war Hitler selbst Reichskommissar gewesen und übernahm auch das Amt des Reichsstatthalters. Da er dieses aber nicht ausübte, wurde Hermann Göring als neuer Preußischer Ministerpräsident zum „starken Mann in Preußen“ (Bracher et al. 1962, S. 466 f.). In Bayern wurde Reichskommissar Franz Ritter von Epp, ein pensionierter Generalleutnant der Reichswehr, zum Reichsstatthalter. Zusammen mit dem neuen Ministerpräsidenten Ludwig Siebert und dem Innenminister und Gauleiter Adolf Wagner diktierte von Epp die bayerische Politik (Bracher et al. 1962, S. 466 f.). Während also in Bayern und Preußen starke Einzelpersonen die Zügel in der Hand hielten, verfügten die Reichsstatthalter in den meisten anderen Ländern nicht über die notwendigen Kenntnisse und Kompetenzen, eine Landesregierung zu führen und zu überwachen (ebd.). Dies führte dazu, dass die meisten Landesregierungen ihren Einfluss auf die Landesgesetzgebung im Frühjahr 1933 trotz der Bestimmungen der Gleichschaltungsgesetze noch ausbauen konnten. Diese Entwicklung endete am 30. Januar 1934 mit dem Gesetz über den Neuaufbau des Reiches12 . Mit Zustimmung des Reichsrats wurden die Landtage endgültig aufgelöst und die Reichsstatthalter und Landesregierungen wurden der Reichsregierung direkt unterstellt. Am 14. Februar 1934 wurde der Reichsrat als Ländervertretung im Reich mit dem Gesetz über die Aufhebung des Reichsrates13 aufgelöst. Diese Form der Reorganisation änderte die Machtstrukturen in den Ländern grundlegend. Waren diese vorher in weiten Teilen autonom, unterstanden diese nun dem direkten Einfluss der NSDAP und waren nur noch reine Befehlsempfänger der Reichsregierung und Adolf Hitlers.

4.2.1.3 Kommunalebene Neben der Machtsicherung auf Reichs- und Mittelebenen, war die Gleichschaltung und der Umbau der Kommunalverwaltungen für die NSDAP zentral, um die Macht im gesamten Staat dauerhaft zu sichern, waren die Kommunen doch das „Bindeglied zwischen Volk und Staat“ (Jobst nach Gruner 2011, S. 201). Vor Probleme stellte die Partei aber, dass auf kommunaler Ebene zunächst die Heterogenität der Systeme in der Weimarer Republik noch stärker ausgeprägt war als auf der Mittelebene. Im ganzen Reich existierten ca. 45 verschiedene Kommunal- und Gemeindeordnungen. Alleine in Preußen gab es 15 verschiedene (Wilder et al. 2018, S. 67, 78). Eines der obersten Ziele der Kommunalpolitik der 12

Gesetz über den Neuaufbau des Reiches vom 30. Januar 1934, In der Fassung vom 30. Januar 1934. 13 Gesetz über die Aufhebung des Reichsrates vom 14. Februar 1934, In der Fassung vom 14. Februar 1934.

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NSDAP war es daher, durch Zentralisierung eine einheitliche Gemeindeordnung zu schaffen. Aus diesem Grund lief der Umbau auf der Kommunalebene in den meisten Städten und Gemeinden sehr ähnlich ab. Bis 1933 war der Erlass von Gemeindeordnungen Sache der Länder und jedes Land nutzte dieses Recht, um eigene Gemeindeordnungen und Gemeindereformen zu erlassen (Bracher et al. 1962, S. 612 – 619). In den meisten Gemeindeordnungen war festgelegt, dass die Städte und Gemeinden von einem Oberbürgermeister oder Bürgermeister geleitet werden. Diese wurden in manchen Regionen vom Volk oder vom Stadtrat gewählt, in anderen von der Aufsichtsbehörde ernannt. Unterstützt wurden die Bürgermeister je nach Gemeindeordnung vom Magistrat (z. B. Preußen), der Gemeindeleitung (z. B. Baden und Württemberg) oder berufsmäßigen Stadträten (z. B. Bayern) (ebd.). Das Parlament der Kommune konnte Stadtrat, Stadtverordnetenversammlung, Gemeinderat, Beigeordnetenversammlung oder andere Namen haben. Diese Heterogenität passte aber nach 1933 nicht mehr in die zentralistische Staatsvorstellung der Nationalsozialisten. Die erste Reform implementierte Preußen. Statt die einheitliche Reichsreform und die deutsche Gemeindeordnung abzuwarten, erließ Göring am 15. Dezember 1933 das Preußische Gemeindeverfassungsgesetz (PrGVF)14 und das Gesetz über die Haushalts- und Wirtschaftsführung der Gemeinden und Gemeindeverbände (Gemeindefinanzgesetz)15 , obwohl Hitler noch im Oktober 1933 allen Ländern verboten hatte, neue Kommunalordnungen zu erlassen (Wilder et al. 2018, S. 67 f.). Die Gesetze entstanden nicht auf Drängen der NSDAP, sondern auf Drängen der Preußischen Ministerialverwaltung und der kommunalen Aufsichtsbehörden. Sie vereinheitlichten die 15 preußischen Gemeindeordnungen und führten das Führerprinzip auf der Kommunalebene ein (Wilder et al. 2018, S. 68). Der Leiter der Gemeinde (Oberbürgermeister, Bürgermeister etc.) wurde zum Führer der Gemeinde mit umfassenden Rechten (§§ 4, 27 – 39 PrGVF). Die Stadtverordnetenversammlungen und Magistrate wurden aufgelöst und durch Gemeinderäte, besetzt durch Ratsherren und Beigeordnete ersetzt. Diese hatten keine Kontrollrechte mehr, sondern nur noch beratende Funktion. Einen vorgeschriebenen Sitzungsrhythmus gab es nicht mehr (§§ 40 – 48 PrGVF). Außerdem wurde die Selbstverwaltung der Kommunen de facto außer Kraft gesetzt, da sie nun den Aufsichtsbehörden auf der Mittelebene unterstanden (§§ 7 – 12, 58 – 68 PrGVF). 14

Preußisches Gemeindeverfassungsgesetz vom 15. Dezember 1933, In der Fassung vom 15. Dezember 1933. 15 Gesetz über die Haushalts- und Wirtschaftsführung der Gemeinden und Gemeindeverbände vom 15. Dezember 1933, In der Fassung vom 15. Dezember 1933.

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In zahlreichen Gemeinden war der erste Schritt des Umbaus der Stadtleitungen der Ausschluss der KPD-Abgeordneten aus den Kommunalparlamenten. Nach der Reichstagsbrandverordnung im Februar 1933 war diesen ihre Mandatsausübung auch auf der Kommunalebene untersagt. Bereits im März wurde den KPD-Abgeordneten in sehr vielen Städten das Mandat auch formal aberkannt (Klöckler 2012; vgl. Schönhagen 1991; Wilder et al. 2018). In Preußen wurden bereits am 04. Februar 1933 alle Kommunalparlamente aufgelöst. Dies erleichterte vor allem hier den nächsten Schritt; die Absetzung des Oberbürgermeisters bzw. des Bürgermeisters. In Kassel wurde beispielsweise bereits am 24. Februar 1933 der Oberbürgermeister abgesetzt und alle SPD-Stadträte verhaftet (Gruner 2011, S. 171). Von 252 (Ober-)Bürgermeistern aller deutschen Städte über 20.000 Einwohnern blieben langfristig nur 96 (38,1 %) im Amt (Matzerath 1970, S. 63–82). Ein Großteil davon fand sich in Preußen, wo zwischen 1933 und 1939 57 der 96 Stadtoberhäupter (59,4 %) im Amt blieben. (Wilder et al. 2018, S. 48). Beim Blick auf die Großstädte mit mehr als 200.000 Einwohnern, verschärft sich allerdings das Bild. Hier waren im Sommer 1933 nur noch vier der 28 Oberbürgermeister aus dem Januar im Amt (Gruner 2011, S. 172). In der Kleinstadt Fröndenberg an der Ruhr wurden sowohl der Amtsbürgermeister als auch sein Stellvertreter (beide Zentrumspolitiker) und acht von 16 Gemeindevorstehern der Ortsteile ersetzt (Klemp 1997, S. 202 f., 210). In Marburg wurde Oberbürgermeister Johannes Müller, von 1913 bis 1927 zuerst Beigeordneter und Bürgermeister und seit 1927 Oberbürgermeister der Stadt, am 28. März 1933 offiziell auf eigenen Wunsch zunächst beurlaubt und im April 1933 in den einstweiligen Ruhestand geschickt (Wilder et al. 2018, S. 48 ff.). Der Grund für seinen Antrag auf Beurlaubung war der massive Druck der NSDAPFraktion in der Stadtverordnetenversammlung, welche eine Zusammenarbeit mit dem Liberaldemokraten grundsätzlich ausschloss, da dieser in der Vergangenheit Veranstaltungen der NSDAP regelmäßig sabotiert oder verboten hatte (ebd.). Die Leitung der Stadt übernahm zunächst Bürgermeister Voß, der bereits seit 1922 in dieser Position war und auch bis 1945 blieb. Voß arbeitete wie die meisten Stellvertreter gut mit der NSDAP zusammen und wurde von der Ortsgruppe hoch geschätzt, obwohl er erst am 01. Mai 1933 als sogenannter „Märzgefallener“ in die Partei eintrat (Wilder et al. 2018, S. 51). Auch in anderen Städten zeigten sich ähnliche Beispiele: In Augsburg wurden der Oberbürgermeister, der Bürgermeister und der Personaldezernent durch Alte Kämpfer ersetzt (Gotto 2005, S. 30). Dabei handelte es sich um Parteimitglieder der NSDAP, welche bereits vor 1930 in die Partei eingetreten waren (Strobel und Veit 2021, S. 36). Allerdings hatten sowohl der neue OB Stöckle

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als auch Bürgermeister Mayr und Personaldezernent Kellner Verwaltungserfahrung: Stöckle war ausgebildeter Jurist und seit 1927 Bürgermeister der Stadt Lindenberg im Allgäu und Leiter des Gauamts für Kommunalpolitik. Mayr war seit 1917 in der Augsburger Stadtverwaltung und seit 1929 im Stadtrat tätig. Nebenbei war er seit 1928 Gauschatzmeister, Gaupropagandaleiter und Leiter der Beamtenabteilung des NSDAP-Gaus Schwaben. Im Frühjahr 1933 wurde er erst zum Personaldezernenten und Bürgermeister und im Dezember 1934 folgte er Stöckle als Oberbürgermeister (Gotto 2005, S. 31 f.). Personaldezernent Kellner war seit 1920 in der Reichsfinanzverwaltung und seit 1927 Mitglied im Kaufbeurener Stadtrat. Seit einer Versetzung nach Augsburg 1930 war er Kreisleiter des NSDAP-Kreises Augsburg Land und Stellvertretender Gauleiter (Gotto 2005, S. 32). In Münster wurden der Oberbürgermeister und fast alle hauptamtlichen Stadträte bis Mai 1933 ersetzt. Als einziger im Amt bleiben durfte der Dritte Bürgermeister der Stadt Arnold Fulda, welcher bereits seit 1919 hauptamtlicher Stadtrat in Münster war. Gründe für seinen Verbleib waren, dass er parteilos, evangelisch und ein gut ausgebildeter Verwaltungsjurist war. Das unterschied ihn von den übrigen hauptamtlichen Kommunalpolitikern der Stadt, die alle katholisch waren und dem Zentrum angehörten (Mecking 2005, S. 80). In Konstanz wurden vom NSDAP-Kreisleiter im März 1933 eigenmächtig vier Parteibeauftragte zur Überwachung der Stadtverwaltung eingesetzt. Diese kontrollierten die Stadtleitung und die Verwaltung ohne legale Grundlage und wurden erst nachträglich vom Reichskommissar für Baden legitimiert (Klöckler 2012, S. 105 f.). Die vier Beauftragten regierten de facto nun die Stadt und folglich wurden am 05. Mai 1933 der Oberbürgermeister und der Bürgermeister entlassen (Klöckler 2012, S. 108). Tübingen bildete eine Ausnahme im Vergleich zu den bereits beschriebenen Fällen. Hier bleib der Oberbürgermeister bis 1939 im Amt, da der NSDAPKreisleiter, ein 24-jähriger Antiquariatsgehilfe, sich nicht befähigt sah, die Leitung der Stadt zu übernehmen. Auch wurde kein weiteres Mitglied der Stadtleitung ausgetauscht (Schönhagen 1991, S. 128, 136). Stattdessen versuchte die NSDAP vor Ort, den Oberbürgermeister für sich zu gewinnen und gleichzeitig zu kontrollieren, um dadurch für die Umsetzung von NS-Politik zu sorgen. Dieses Muster ließ sich in Württemberg häufiger beobachten. Solange die Stadtleitung den Vorgaben der NSDAP-Fraktion bzw. der Ortsgruppe folgte, war es egal, ob der (Ober-)Bürgermeister PG (Parteigenosse) war oder nicht (Schönhagen 1991, S. 137). Grundsätzlich können beim Umbau der kommunalen Leitungen zwischen drei Mechanismen unterschieden werden:

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1. Die Verdrängung des alten Stadt-/Gemeindeoberhaupts und die Einsetzung eines neuen (NSDAP-)Stadt-/Gemeindeoberhaupts. 2. Das Einsetzen von Kommissaren oder Beauftragten zur Überwachung der Stadtleitung und 3. die Benennung eines PG bzw. Alten Kämpfers als Stellvertreter (Gruner 2011, S. 172). Gleichzeitig zum Austausch der (Ober-)Bürgermeister wurden im März 1933 die Kommunalparlamente umgebaut. Am 12. März 1933 fanden in Preußen Kommunalwahlen statt. In anderen Ländern wurde das Kommunalparlament nach dem Wahlergebnis der Reichstagswahl vom 05. März 1933 umgebildet (Gruner 2011, S. 172). Das Ergebnis war überall das Gleiche: Die NSDAP hatte, entweder alleine oder zusammen mit den Deutschnationalen der DNVP bzw. der Kampffront Schwarz-Weiß-Rot, eine Mehrheit im Kommunalparlament (Gotto 2005; vgl. Schönhagen 1991; Tüffers 2005). In den meisten Kommunalparlamenten wurden ab diesem Zeitpunkt alle wichtigen Positionen von PGs besetzt. Diese Maßnahme wurde bereits im Herbst 1932 vorbereitet. Am 28. September 1932 verdeutlichte der Leiter des Hauptamtes für Kommunalpolitik Karl Fiehler in einem Brief an die Reichsorganisationsleitung der NSDAP die Bedeutung der künftigen Umbesetzung der Kommunalparlamente: „Tatsache ist, daß gerade bei den Gemeinden sich am stärksten die Auswirkungen von Politik und Gesetzgebung zeigen. Die Masse der Bevölkerung sieht auch fast stets nur diese Auswirkungen und beobachtet daher die Tätigkeit der Gemeindevertreter im allgemeinen mit weit stärkerem Interesse als die Arbeit anderer Parteivertreter. Dazu kommt, daß wir in Deutschland rund 5500 Gemeinden haben. Das bedeutet, daß die Bewegung in absehbarer Zeit zehntausende von Bürgermeistern und Ortsvorstehern, 5500 Fraktionsführer und noch weit mehr sonstige Gemeindevertreter haben wird. […] [Dem] habe ich in meinen Vorschlägen für die Neufassung der Dienstvorschrift für die Kommunalpolitische Abteilung Rechnung getragen, insbesondere in Bezug auf die Schulung [der künftigen Gemeindevertreter]. […] Darüber hinaus wäre es aber wohl zweckmäßig, wenn […] in allen Parlamenten jeweils in der Kommunalpolitik praktisch tätige Parteigenossen (Abteilungsleiter oder Sachbearbeiter für Kommunalpolitik eingeschlossen) mitaufgestellt würden.“ (Bundesarchiv NS 22/440)

In Preußen trat außerdem am 22. März 1933 die Preußische Verordnung zur Behebung von Mißständen in der gemeindlichen Verwaltung (PrVzBMV)16 in Kraft. Sie

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Preußische Verordnung zur Behebung von Mißständen in der gemeindlichen Verwaltung vom 22. März 1933, In der Fassung vom 22. März 1933.

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regelte, dass Beamte, Angestellte oder Arbeiter, die bei der einer Kommunalverwaltung angestellt waren, nicht gleichzeitig Mitglieder des Magistrats oder der Stadtverordnetenversammlung sein durften. Ziel Görings, der die Verordnung als stellvertretender Reichskommissar erlassen hatte, war es, den demokratischen Parteien und den sogenannten Parteibuchbeamten zu schaden. Meist traf es jedoch nicht die Parteibuchbeamten, sondern die PGs, die aufgrund des Vorschlags von Fiehler (siehe oberes Zitat) in der Stadtverordnetenversammlung saßen und als Arbeiter oder Sachbearbeiter bei der Stadt angestellt waren. Göring setzte die Verordnung daher bereits am 28. März 1933 wieder aus (Wilder et al. 2018, S. 55 f.). Aufgrund der Auflösungen der Parteien und anderer Maßnahmen schrumpften die Kommunalparlamente in vielen deutschen Kommunen. In Marburg waren im Sommer 1933 nur noch 20 statt 34 Abgeordnete im Amt (Wilder et al. 2018, S. 56). In Tübingen existierten nach der Neubildung des Stadtrats im März 1933 nur noch 22 Abgeordnete. Die Verteilung sah folgendermaßen aus: NSDAP 13 Sitze, SPD 2 Sitze, Kampffront Schwarz-Weiß-Rot 3 Sitze, Zentrum 2 Sitze, Christlicher Volksdienst 1 Sitz (Schönhagen 1991, S. 130). Am 10. Mai 1933 traten die beiden SPD-Abgeordneten zurück, im Juni und Juli folgten die Stadträte der anderen Parteien (Schönhagen 1991, S. 133). In Konstanz wurde die Stadtverordnetenversammlung auf Anordnung des Reichskommissars am 05. März 1933 von 84 auf 29 Stadtverordnete reduziert und im Zuge dessen nach den Ergebnissen der Reichstagswahl umgebildet (Klöckler 2012, S. 128 f.). Bis zum Sommer 1933 wurden alle Stadtverordneten der demokratischen Parteien aus dem Parlament verdrängt oder in die NSDAP-Fraktion aufgenommen. Die Stadtverordnetenversammlung wurde damit zum Sprachrohr der Partei und innerparteiliche Konflikte zwischen den kommunalen Gliederungen der HJ, der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV), der Kreisleitung und den Ortsleitungen wurden nun im Stadtparlament ausgetragen (Klöckler 2012, S. 134 ff.). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die NSDAP die erste Phase des Systems bis 1934 nutzte, um auf allen Ebenen die politische Landschaft umzubauen. Parlamente wurden entmachtet, Vetospieler ausgeschaltet und die führende Rolle der Partei überall etabliert. Welche Auswirkungen hatte dieser Systemwechsel aber auf die Beamtengesetzgebung und die Beamtenschaft an sich? In den folgenden Abschnitten wird dieser Frage nachgegangen.

4.2 Struktureller Zustand des Systems am 01. September 1934

4.2.2

61

Rechtliche Veränderungen der Beamtengesetzgebung und ihre Umsetzung seit 1933

Die oben beschriebenen politischen und strukturellen Veränderungen hatten erheblich Auswirkungen auf die Beamtenschaft. Nicht nur die neuen Hausleitungen in den Reichsministerien, auch die Neugründungen und Kompetenzverschiebungen hin zu Parteistellen und Sonderbehörden trafen die etablierten Beamten. In der NSDAP existierte bereits seit den 1920er Jahren ein stetes Misstrauen gegenüber dem Beamtenapparat (Bracher et al. 1962). Dies führte dazu, dass bereits kurz nach der Machtübernahme erste Repressionen gegen die Beamten durchgeführt wurden. Auf die Funktionsfähigkeit der Verwaltung wurde dabei keine Rücksicht genommen (Hehl 2001, S. 7). Bereits im Februar und März 1933 wurden in der Reichsverwaltung alle Beamten und Angestellten entlassen bzw. in den einstweiligen Ruhestand geschickt, wenn sie Mitglieder oder bekennende Anhänger der demokratischen Parteien (insb. der KPD und der SPD) waren (Mommsen 1966, 1973; Thamer 1992, S. 239, 251 ff.). Am 07. April 1933 passierte dann das Gesetz zu Wiederherstellung des Berufsbeamtentums (BBG)17 , welches die schon zuvor begonnenen Maßnahmen scheinlegalisierte (das Gesetz war de facto verfassungswidrig), den Reichstag (Eggestein und Schirmer 1987, S. 19). Das BBG erlaubte der Reichsregierung die Entlassung von Mitgliedern demokratischer Parteien, Frauen und „politisch unzuverlässigen“ Beamten. Reichsinnenminister Fricks Grundidee hinter dem Gesetz war es, in kurzer Zeit effektiv in die Beamtenschaft einzugreifen und gleichzeitig die Beamtenrechte aufrecht zu erhalten. So sollte in nur wenigen Monaten ein homogenes Beamtentum geschaffen werden, auf das sich die Partei verlassen könne (Bracher et al. 1962, S. 497). Es kam dem Innenministerium darauf an, nicht sofort eine zu große Zahl an Beamten zu verlieren und damit die Effizienz der Verwaltung zu schwächen (Bracher et al. 1962, S. 498). Mit der dritten Durchführungsverordnung zum BBG am 03. Mai 193318 wurden alle Beamten gezwungen, Ariernachweise zu erbringen und ideologische Tests, die die Loyalität gegenüber der neuen Regierung abfragten, auszufüllen. Jedoch wurde die Durchführung der Ariernachweise in den Reichsministerien sehr unterschiedlich gehandhabt. Während Reichswirtschaftsministerium (RWM), Reichsernährungsministerium (RMEL) und Reichsjustizministerium (RJM) alle 17

Gesetz zu Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 07. April 1933, In der Fassung der Ersten Durchführungsverordnung vom 07. April 1933. 18 Gesetz zu Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 07. April 1933, In der Fassung der Dritten Durchführungsverordnung vom 03. Mai 1933.

62

4

Politik und Verwaltung im Nationalsozialismus

Angestellten und Beamten schriftlich befragten, wurden im Reichsverkehrsministerium (RVM), dem Reichsarbeitsministerium (RAM), dem Reichsfinanzministerium (RMFS. 5) und dem Reichsinnenministerium (RMI) nur in Einzelfällen Nachweise verlangt (Bracher et al. 1962, 00). Außerdem benötigten alle Angestellten des öffentlichen Dienstes einen Nachweis der politischen Zuverlässigkeit durch die NSDAP (Caplan 1988; Gössel 2002; Rebentisch 1989b). Federführend zuständig für die Erbringung der Gutachten der Reichsbeamten war das Hauptamt für Beamte beim Stellvertreter des Führers (später Parteikanzlei) in München. Es konsultierte zur Erstellung des Gutachtens den Gauleiter des Wohnorts des Beamten, den regionalen Leiter des Reichsbunds der deutschen Beamten (RDB) und das SD-Hauptamt (später Reichssicherheitshauptamt) (Fischer 1988, S. 31). Um an Informationen über die Beamten zu gelangen, nutzten die Stellen ihre Bezirks- und Kreisämter, die dann Kollegen, Nachbarn, Freunde und Bekannte befragten oder als Spitzel und Denunzianten anwarben (Majer 1987, S. 228). Aufgrund der Masse an Gutachten, die allein für die Reichsbeamten benötigt wurde, konnte allerdings nicht sichergestellt werden, dass die Auskünfte über die Beamten zuverlässig waren. Ziel war es, neben den notwendigen Gutachten eine systematische und ständige Überwachung des kompletten Beamtenapparats zu implementieren (Rebentisch 1989a, S. 542). Nach dem Tod von Hindenburgs im August 1934 mussten alle Beamten noch im August den Amtseid auf Adolf Hitler persönlich leisten (Bracher 1983; Koops 2008). Ziel war es, die Treuepflicht der Beamten Hitler gegenüber zu festigen. Mit dieser Maßnahme war die Phase des Systemumbaus formal abgeschlossen. Der Staat und seine Verwaltung waren nun vollständig dem Willen der NSDAP und ihres Führers unterworfen.

4.2.3

Auswirkungen der Veränderungen auf das Verwaltungspersonal

4.2.3.1 Reichsebene Doch welche Auswirkungen hatten die rechtlichen Veränderungen auf die Beamten? Die Maßnahmen des BBG schufen viele freie Stellen in der Reichsverwaltung. Auf allen Ebenen versuchte die NSDAP nun, die freigewordenen Positionen mit sogenannten Alten Kämpfern, langjährigen treuen Mitgliedern der Partei, zu besetzen, was als erstes Indiz für eine frühe Etablierung von Parteipolitisierung gesehen werden kann. Alte Kämpfer und andere Parteimitglieder erhielten einen leichteren Zugang zu den Beamtenlaufbahnen. Beispielsweise sollten ein Noten-Bonus beim Staatsexamen und schnellere Beförderungen zu

4.2 Struktureller Zustand des Systems am 01. September 1934

63

einem leichteren Zugang zu Positionen im höheren Dienst führen (Mommsen 1966, S. 70). Diese Form der Patronage scheiterte allerdings häufig an der fehlenden Qualifizierung der Parteimitglieder (Hehl 2001, S. 13). Das RMI unter Frick machte beispielsweise schon früh im Jahr 1933 klar, dass es eine Öffnung des höheren Dienstes und damit der Führungspositionen der Verwaltung für Unqualifizierte verhindern werde (ebd.) und wirkte so zunächst einer zügellosen Parteipolitisierung entgegen. Dies führte allerdings dazu, dass vor allem junge und gut ausgebildete PGs in die Verwaltung strömten (ebd.). Viele davon hatten ihr (vereinfachtes) Examen erst 1933 abgelegt und durchsetzten nun die Reichsverwaltung und insbesondere die Reichsministerien mit der NS-Ideologie. Vorrangig auf der Ebene der Unterabteilungen und Referate gerieten so die alten Beamten in den meisten Ministerien im Laufe der 1930er Jahre in die Minderheit (Rebentisch 1989a, S. 545). Genaue Zahlen existieren jedoch nicht. Der Prozess des Austauschs war eher schleichend als plötzlich und zog sich bis 1939 hin. In der ersten Phase bis August 1934 kam es in den Reichsministerien erst einmal nicht zu einem umfassenden Revirement, also einer umfassenden Umbesetzung von Positionen innerhalb der Verwaltung. Im Reichsarbeitsministerium (als Extrembeispiel) wurden bis 1935 von den leitenden Beamten lediglich Staatssekretär Andreas Grieser und der jüdische Abteilungsleiter Oscar Weigert durch Beamte aus der zweiten Reihe ersetzt. Hier zeigt sich schon, dass verschiedene Formen der Personalpolitischen Politisierung, in diesem Fall die Gebundene Politisierung, genutzt wurden. Auf der Ebene der Referatsleiter blieben zunächst aber alle Stellen wie in der Weimarer Republik besetzt (Schulz 2017, S. 63 – 66), was der Kategorie Keine Politisierung entspricht. Laut Rebentisch (1989a, S. 545) reichte allerdings schon ein neuer „NS-Beamter“ aus, um ganze Referate und Unterabteilungen zu bespitzeln und zu terrorisieren. Während es für die Unterabteilungen und Referate leider keine konkreten Zahlen gibt, können die Neubesetzungen bei den Staatssekretären, Unterstaatssekretären und Abteilungsleitern durch die Daten (Strobel et al. 2020) sehr gut nachvollzogen werden. Beim Blick auf die Neuernennungsquote der Verwaltungseliten (alle, die nach dem 31. Januar 1933 ernannt wurden) der Verwaltungseliten vom 01. September 1934, ist erkennbar, dass 60,6 % der 99 Verwaltungseliten nach der sogenannten Machtergreifung in ihre Position kamen. Bei den Staatssekretären lag der Wert mit 65,0 % noch etwas höher (siehe Tabelle 39 im Anhang) (Strobel et al. 2020. eigene Berechnungen). Beim Ressortvergleich zeigt sich, dass insbesondere in der Reichskanzlei, dem Reichsinnenministerium, dem Reichswirtschaftsministerium, dem Reichswehrministerium und dem Reichspostministerium die Austauschquote sehr hoch (> 65 %) war. Im Auswärtigen Amt

64

4

Politik und Verwaltung im Nationalsozialismus

lag sie hingegen nur bei 11,1 % und im Reichsverkehrsministerium und der Präsidialkanzlei sogar bei null Prozent (siehe Tabelle 40 im Anhang) (Strobel et al. 2020. eigene Berechnungen). Es zeigt sich bei einem Vergleich mit den Daten vom Erhebungszeitpunkt 01. September 1927 außerdem, dass die durchschnittliche Verwaltungserfahrung in Jahren vor der Ernennung in eine Eliteposition abgenommen hat. Hatten die Verwaltungseliten 1927 im Schnitt noch eine Verwaltungserfahrung von 13,0 Jahren, sind es 1934 nur noch 10,8 Jahre. Ein sehr deutlicher Unterschied zeigt sich bei den Staatssekretären. Hier lag die durchschnittliche Verwaltungserfahrung 1927 noch bei 13,2 Jahren (siehe Tabelle 4.1) (Strobel et al. 2020. eigene Berechnungen). 1934 sind es nur noch 7,0 Jahre, was dafür spricht, dass zahlreiche Seiteneinsteiger und junge Beamte ernannt wurden. Die Karrieremuster bestätigen dies. Hatten 1927 noch 81,3 % der Verwaltungseliten eine Verwaltungskarriere, so waren es 1934 nur noch 67,7 %. Gleichzeitig stieg der Anteil der Politikkarrieren von 0,0 auf 8,1 % und der Anteil der Seiteneinsteiger von 6,3 auf 17,2 % an (Strobel et al. 2020. eigene Berechnungen). Offene Politisierung und Parteipolitisierung spielten daher in dieser Gruppe eine zentrale Rolle. Grund dafür ist die Rolle der Staatssekretäre in den Ministerien. Sie besetzten Schlüsselpositionen und hatten dadurch die Möglichkeit, intensiv in die Politik des Hauses einzugreifen. Hier benötigte die NSDAP Positionsinhaber, auf die sie sich verlassen konnte. Tabelle 4.1 Berufserfahrung in verschiedenen Sektoren in Jahren StS

UStS

AL

Gesamtgruppe

1927 Verwaltungserfahrung

13,2

12,0

13,0

13,0

Politikerfahrung

1,4

0,0

0,5

0,7

Erfahrung außerhalb

2,8

0,0

5,2

4,6

N

14

3

52

69

Verwaltungserfahrung

7,0

15,3

11,7

10,8

Politikerfahrung

0,3

0,0

0,1

0,1

10,8

3,1

8,3

8,7

20

1

78

99

1934

Erfahrung außerhalb N

Quelle: Strobel et al. 2020. eigene Berechnung und Darstellung.

4.2 Struktureller Zustand des Systems am 01. September 1934

65

Den identifizierten Trend bestätigen weitere Werte der Auswertung. Die Berufserfahrung außerhalb der Sektoren Politik und Verwaltung und die Erfahrung im politischen Sektor liegen 1934 deutlich höher als 1927 (siehe Tabelle 4.1) (Strobel et al. 2020. eigene Berechnungen). 11,1 % der 1934er Elite haben in mindestens einer Vorposition hauptberuflich für die NSDAP gearbeitet. Das Durchschnittsalter sank von 51,2 Jahren 1927 auf 50,1 Jahre (Strobel et al. 2020. eigene Berechnungen). Der durchschnittliche Bildungsstand sank hingegen nur geringfügig von einem Mittelwert von 5,1 1927 auf 5,019 1934, was den Erfolg von Fricks Maßnahmen zur Verhinderung von Ungebildeten im Höheren Dienst bestätigt. Allerdings zeigt sich, dass der Juristenanteil signifikant sank. Waren 1927 noch 62,5 % der Elitemitglieder Juristen, waren es 1934 nur noch 48,5 %. Bei den Staatssekretären sank der Anteil noch stärker von 76,9 auf 60,0 % (Strobel et al. 2020. eigene Berechnungen). Wie hoch die Austauschquoten von Beamten in den nachgeordneten Reichsbehörden waren, ist nur zum Teil bekannt. Einzelne Autoren (z. B. Kuller 2013) betonen zwar, dass die Austauschquote vom jeweiligen Politikfeld abhängig war; genaue Zahlen existieren allerdings nur für die Finanzverwaltung. Während hier nur wenige Beamte ausgetauscht wurden – von reichsweit 73.000 (Stand Frühjahr 1933) Beamten der Finanzverwaltung wurden lediglich 1.732 (2.4 %) ersetzt – soll die Quote in ideologisch relevanten Feldern höher gewesen sein (Kuller 2013, S. 49 ff.). Der Grund für die geringe Quote innerhalb der Finanzverwaltung war, dass in diesem Feld Spezialisten benötigt wurden, auf welche die NSDAP angewiesen war (ebd.). Keine Politisierung war daher in der Finanzverwaltung das Mittel der Wahl. Eine sichere Aussage über diesen Bereich kann aber auf Basis der wenigen Daten nicht getroffen werden. Während sich die meisten Studien in der Vergangenheit – gefördert durch die Finanzierung der deutschen Bundesministerien – auf die Ministerialverwaltung konzentrierten, wurden die nachgeordneten Bereiche meist außer Acht gelassen. Trotz der fehlenden Studien ist aber davon auszugehen, dass die Austauschquoten und die personalpolitischen Maßnahmen in den Reichsministerien umfassender ausgefallen sind, als in den nachgeordneten Reichsbehörden. Der Grund hierfür liegt in der größeren Nähe der Ministerialverwaltung zu politischen Entscheidungsträgern. Während nachgeordnete Behörden Gesetze und Verordnungen lediglich vollzogen haben, war die Ministerialverwaltung an ihrer Entstehung maßgeblich beteiligt. Hier war eine höhere politische Responsivität von Nöten, was dazu führte, dass Gebundene, Offene und Parteipolitisierung mutmaßlich häufiger Anwendung fanden. 19

0 = kein Abschluss, 7 = Habilitation.

66

4

Politik und Verwaltung im Nationalsozialismus

Neben dem Austausch der Beamten lag ein weiterer Fokus auf der Eingliederung des weiterbeschäftigten Personals in die gleichgeschalteten NSOrganisationen und die NSDAP. Die klassischen Weberianischen Werte wie Neutralität, Unbestechlichkeit und Professionalität sollten durch eine strikte Loyalität gegenüber der neuen Führung ersetzt werden (Mommsen 1966). Diese wurde durch formale Organisationsmitgliedschaften der Beamten und ihrer Familien zum Ausdruck gebracht. Die Mitgliedschaft in der Partei und ihren Gliederungen galt als „erwünscht“, womit de facto obligatorisch gemeint war. Zwischen der sog. Machtergreifung und dem Aufnahmestopp am 01. Mai 1933 traten reichsweit ca. 700.000 Mitglieder der NSDAP neu bei. 81,4 % davon waren Beamte, vor allem aus dem mittleren Dienst (Röhling 2017, S. 122). Diese Funktionale Politisierung wurde auch durch Leiter von zivilen Behörden und Ministern gefördert. Sie unterstützten die Selbstgleichschaltung der weiterbeschäftigten Beamten. Außenminister Konstantin von Neurath riet seinen Beamten zum Parteibeitritt, um eine Deprofessionalisierung des Auswärtigen Dienstes zu verhindern: „Das zugrundeliegende Leitmotiv seiner Haltung war stets dasselbe: Die „Selbstgleichschaltung“ sollte eine Deprofessionalisierung des Dienstes verhindern, weil, so sein Kalkül, die Professionalität depolitisierend wirken würde. In diesem Sinne kam es ihm auf den Erhalt einer qualifizierten Beamtenschaft an, die, hervorgegangen aus formalisierten Qualifikationen und zusammengehalten durch berufsethische Normen, ein sachlich-verantwortliches Handeln gewährleisten sollte.“ (Lüdicke 2014, S. 46. Hervorhebungen im Original)

Spätestens 1934 zeigte sich allerdings, dass das Kalkül des Außenministers nicht aufging. Nach dem Tod des Reichspräsidenten wurde die Deprofessionalisierung des Auswärtigen Dienstes durch zahlreiche Quereinsteiger, gerade im Höheren Dienst (vgl. Kröger 2014), schnell vorangetrieben. Dieser sich im Auswärtigen Amt weiter verstärkende Trend führte letztlich zum Rücktritts Konstantin von Neuraths (Lüdicke 2014, S. 47). Für die Beamteneliten in den Reichsministerien zeigt sich, dass am 01. September 1934 bereits 45,6 % aller Elitemitglieder Parteigenossen (PGs) der NSDAP waren. Bei den Staatssekretären lag die Quote sogar bei 70,0 %. 70,7 % waren außerdem Mitglied in mindestens einer angeschlossenen NS-Organisation. Meistens handelte es sich dabei um die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt oder den Reichsbund der deutschen Beamten (RDB). In der NSV waren 1934 41,4 % der Elitemitglieder. Im RDB sogar 56,6 %. 11,1 % der 1934er Elite hatte eine Leitungsposition im RDB (Strobel et al. 2020. eigene Berechnungen).

4.2 Struktureller Zustand des Systems am 01. September 1934

67

Der Anteil der SA- und SS-Mitglieder ist ebenfalls beachtlich. 10,1 % waren Mitglieder der SA und 17,2 % Mitglieder der SS. Der durchschnittliche Politisierungsindex (Wertebereich 0 bis 1) liegt für die Gesamtgruppe bei 0,28, wobei die Staatssekretäre einen Wert von 0,41 aufweisen (Strobel et al. 2020. eigene Berechnungen). Die Motive für diese Funktionale Politisierung sind heute nicht mehr aufzuklären. Ob es sich um Beamte handelte, die ihre eigene politische Position im Ministerium stärken wollte oder ob das Hauptmotiv die Sicherung der eigenen Karriere bzw. ein schnellerer Aufstieg war, kann nicht abschließend beantwortet werden. Allerdings kann untersucht werden, ob eine höhere Politisierung Auswirkungen auf die Beförderung in höhere Positionen hatte oder ob andere Faktoren entscheidend für die Ernennung in eine höhere Position waren. Hierzu wurde mit Hilfe des Politisierungsindex eine binär-logistische Regression durchgeführt, wobei die Staatssekretäre und Unterstaatssekretäre zu einer Gruppe zusammengefasst wurden. Die Abteilungsleiter bilden die zweite Gruppe. Als Kontrollvariablen dienen die Verwaltungserfahrung, die Politikerfahrung, eine Promotion, ein Jurastudium, die Zugehörigkeit zur evangelischen Konfession und das Alter. Hierbei werden die klassischen Weberianischen Annahmen als Störkategorie codiert: Eine höhere Verwaltungserfahrung, eine niedrige Politikerfahrung, eine vorhandene Promotion, ein vorhandener Juraabschluss, die Mitgliedschaft in der evangelischen Kirche als klassisches Muster in der deutschen bzw. preußischen Verwaltung und ein hohes Alter sollten eher zu einer Ernennung zum Staatssekretär führen. Die Ergebnisse in Tabelle 4.2 zeigen, dass es 1934 einen signifikanten Zusammenhang zwischen der NS-Politisierung und der Erreichung von höheren Verwaltungspositionen gab. Je höher die Politisierung eines Beamten, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieser eine Position als Staatssekretär erreicht. Schon im ersten Modell liegt das Nagelkerke R2 bei 0,13, was darauf hinweist, dass die Politisierung auch ohne weitere Faktoren bereits einen relativ hohen Einfluss auf die Ernennungswahrscheinlichkeit hat (Strobel et al. 2020. eigene Berechnungen). Bei den Kontrollvariablen zeigt einzig der juristische Abschluss einen signifikanten Effekt. Bei allen weiteren Kontrollvariablen existiert kein signifikanter Zusammenhang mit der Höhe der Position. Selbst wenn die Signifikanz vernachlässigt wird – es handelt sich bei den Daten um eine Vollerhebung – zeigt sich, dass der Politisierungsindex mit weitem Abstand den größten Effekt hat. Selbst im letzten Modell mit sieben Kontrollvariablen liegt der Regressionskoeffizient des Index deutlich über den Koeffizienten der Kontrollvariablen. Interessant ist, dass höhere Verwaltungserfahrung 1934 nicht

R2 ,13

99

−2,47*** (0,51) ,13

99

−2,41*** (0,68)

−,07 (,54)

3,45** (1,27)

M2

,15

99

−2,52*** (0,69)

1,18 (1,10)

,01 (,55)

3,42** (1,28)

M3

,15

99

−2,61*** (,73)

,21 (,53)

1,11 (1,11)

−,02 (,56)

3,43** (1,28)

M4

,21

99

−2,99*** (,81)

,22

99

−2,95*** (,82)

−,36 (,57)

−,23 (,56)

,22

99

−3,81** (1,27)

1,17 (1,00)

1,62* (,71)

−,48 (,62)

1,43 (1,28)

−,64 (,66)

4,04** (1,48)

M7

1,50* (,70)

−,39 (,60)

−,38 (,60) 1,47* (,69)

1,59 (1,26)

−,44 (,65)

3,94** (1,39)

M6

1,50 (1,21)

−,49 (,64)

3,89** (1,40)

M5

Hinweise: Regressionskoeffizient mit Standardfehler in den Klammern; * (p < .05) ** (p < .01) *** (p < .001). Quelle: Strobel et al. 2020. eigene Berechnung und Darstellung.

Nagelkerkes

N

Konstante

Alter

Evangelisch

3,50** (1,22)

M1

4

Jura

Promotion

Politikerfahrung

Verwaltungserfahrung

Kontrollvariablen

Politisierungsindex

1934

Tabelle 4.2 Regressionsmodelle: Führt NS-Politisierung 1934 zu einer höheren Verwaltungsposition?

68 Politik und Verwaltung im Nationalsozialismus

4.2 Struktureller Zustand des Systems am 01. September 1934

69

dazu führt zum Staatssekretär oder Unterstaatssekretär ernannt zu werden. Stattdessen ist die Politikerfahrung in den Vorpositionen ein wichtiger Faktor (Strobel et al. 2020. eigene Berechnungen). Diese Ergebnisse werden auch durch persönliche Berichte von Beamten gestützt: Hans Ritter von Lex, bis 1933 Leiter der Bayernwacht und Reichstagsabgeordneter der BVP, wurde 1933 als Oberregierungsrat in die Sportabteilung des Reichsministeriums des Innern berufen. Dort war er hauptverantwortlich für die Durchführung der Olympischen Spiele 1936 und erwarb sich regelmäßig das Lob seiner Vorgesetzten. Trotz seiner vorbildlichen Arbeitsleistungen wurde er zwischen 1933 und 1945 nie befördert, da er sich weigerte, der NSDAP oder einer angeschlossenen Organisation beizutreten und als „früherer scharfer Gegner der NSDAP“ als nicht beförderungsfähig galt (Bundesarchiv PERS 101/49838). Zuletzt stellt sich die Frage, ob es einen Zusammenhang zwischen dem Ressort und dem Politisierungsgrad gibt. Es ist anzunehmen, dass in Ressorts wie dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda die Politisierung aufgrund der hoch politisierten Aufgaben höher liegt als beispielsweise im Reichspostministerium. Hierzu wurden einerseits die Mittelwerte des Politisierungsindex per einfaktorieller Varianzanalyse verglichen und andererseits einer Hierarchischen Clusteranalyse unterzogen, um herauszufinden, ob sich die Mittelwerte des Index zwischen den Ressorts unterscheiden und ob sich verschiedene Ressorts zu Politisierungsclustern zusammenfassen lassen. Es zeigt sich, dass es einen signifikanten Unterschied zwischen den Ressorts gibt (F-Wert 2,94 und höchstsignifikant; siehe Tabelle 65 im Anhang). Während der Mittelwert des Auswärtigen Amtes bei 0,07 liegt, zeigt sich im RMI ein Mittelwert von 0,51 und im Reichsforstamt sogar ein Mittelwert von 0,56. Die Hierarchische Clusteranalyse hat zwei Cluster für die Ressorts von 1934 ermittelt (siehe Tabelle 4.3). Dabei zeigt sich, dass im Cluster 1 vor allem Ressorts mit eher allgemeinen Aufgabenfeldern wie Auswärtige Angelegenheiten, Verkehr oder Finanzen vorhanden sind, während in den Ressorts des Clusters 2 eher politisch brisantere Fragen der NS-Ideologie wie Bildung, Propaganda, Ernährung und Landwirtschaft und Inneres bearbeitet werden. In diesen ideologisch salienteren liegt die Politisierung deutlich höher als in den eher technischen Feldern, was die oben getroffene Annahme bestätigt. In diesen Bereichen führte der Bedarf nach einer höheren politischen Responsivität zu einem höheren Politisierungsgrad. Nach diesen Analysen auf der Reichsebene werden im folgenden Abschnitt die Auswirkungen auf die Mittelebene betrachtet.

70

4

Politik und Verwaltung im Nationalsozialismus

Tabelle 4.3 Ergebnis der Two-Step-Clusteranalyse „Politisierungsindex x Ressort“ für den Erhebungszeitpunkt 1934 Cluster 1 „Niedriger Politisierungsgrad“

Nicht eindeutig zuordenbar

Cluster 2 „Hoher Politisierungsgrad“

Reichsjustizministerium Reichsarbeitsministerium Reichspostministerium Reichsluftfahrtministerium

Reichsministerium des Innern Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda Reichsforstamt

1934 Reichspräsidialkanzlei Reichskanzlei Auswärtiges Amt Reichsfinanzministerium Reichswirtschaftsministerium Reichswehrministerium Reichsverkehrsministerium

Quelle: Strobel et al. 2020. eigene Berechnung und Darstellung.

4.2.3.2 Mittelebene Auf der Landes- und Regionalebene existierten zwischen den Regionen deutliche Unterschiede in der Umsetzung des Verwaltungsumbaus und damit auch bei den genutzten Formen der Politisierung. Der Grund hierfür ist vor allem die heterogene Herrschafts- und Verwaltungsstruktur in den Regionen wo, wie oben schon kurz angerissen, Reichsstatthalter, Sonderkommissare, Landesbehörden, Provinzoder Bezirksverwaltungen, Regierungspräsidien und zahlreiche Parteistellen ihren Einfluss zu behaupten versuchten. Bei einem Blick auf die Quote der Entlassungen bis 1934 und die NSDAP-Mitgliedschaften Ende 1933 und Ende 1937 in Tabelle 4.4 zeigen sich beispielsweise deutliche Unterschiede zwischen Preußen und den anderen Ländern: Die Gründe für diese Unterschiede liegen zum einen im unterschiedlichen Vorgehen der politischen Führung in den Ländern. Zum anderen zeigte sich, dass die stärker demokratisierte Verwaltung aus der Zeit der Republik in Preußen (vgl. Abschnitt 4.1) einen stärkeren Austausch nach 1933 beförderte. Im folgenden Abschnitt wird auf Grund der unterschiedlichen Voraussetzungen und Strukturen in den Regionen auf die Entwicklungen in der Pfalz und dem Saargebiet, den preußischen Provinzen Brandenburg und Westfalen sowie die Länder Baden und Württemberg eingegangen. Hauptgrund für die Auswahl dieser Regionen war, dass für die Verwaltung dieser Regionen (im Gegensatz zu anderen) umfangreiche

4.2 Struktureller Zustand des Systems am 01. September 1934

71

Tabelle 4.4 Entlassung- und NSDAP-Mitgliedschaftsquote im Höheren Dienst der Länder Entlassungen:

Preußen

Restliche Länder

Höhere Beamte

22,2 %

10,6 %

Regierungspräsidenten

91,2 %

92,3 %

Regierungsvizepräsidenten

100 %

57,1 %

72 %

45,4 %

NSDAP-Mitgliedschaft 1933

48 %

11 %

NSDAP-Mitgliedschaft 1937

81 %

63 %

Landräte NSDAP-Mitgliedschaftsquote:

Quelle: Bracher, Sauer et al. 1962, S. 507 f. eigene Darstellung.

und detaillierte Einzelfallstudien vorliegen, mit Hilfe derer die Entwicklungen auf der Regionalebene nachvollzogen werden können. Die Pfalz seit 1933 Die Pfalz und das Saargebiet waren seit dem 01.05.1816 Teil des Königreichs Bayern. Nach der Unterzeichnung des Versailler Vertrags wurde das Saargebiet vom Reich abgetrennt und unter die Verwaltung des Völkerbunds gestellt. Die Pfalz blieb hingegen als Kreis (Bayern bestand insgesamt aus acht Kreisen) Teil des Freistaats Bayern. Zuständig für die Exekutive war als bayerische Mittelbehörde die Regierung der Pfalz in Speyer. Ihre Aufgaben waren staatsrechtliche Angelegenheiten, das Polizeiwesen, die Kommunalaufsicht, Kirchenund Religionsfragen, Erziehung und Bildung, Gesundheitswesen, Bauen sowie Landwirtschaft und Forsten (Heinz 1994). Geführt wurde die Regierung von einem Regierungspräsidenten und organisatorisch war die Regierung in die Kammer des Innern, geleitet vom leitenden Regierungsdirektor (gleichzeitig Stellv. Regierungspräsident), und die Kammer der Forsten geteilt (Fenske 1993, S. 119). Die Kompetenzen des Regierungspräsidenten umfassten Maßnahmen bei Störung der öffentlichen Ruhe, das Passwesen, die Erstattung von Berichten bei der Landesregierung und die Dienstaufsicht über die insgesamt 90 Beamten (25 % davon im Höheren Dienst) der Regierung (Fenske 1993, S. 120). Bereits am 12.03.1933 wurde der Regierung der Pfalz ein Sonderkommissar zugewiesen, der die Arbeit der Behörde überwachen sollte. Dieser Sonderkommissar war in Speyer der SA-Führer Fritz Schwitzgiebel, welcher in seiner ersten Anordnung verfügte, dass 560 SA-Männer ab sofort als Hilfspolizisten eingesetzt werden sollten. Schwitzgiebel agierte bis zum Erlass des Reichsstatthaltergesetzes im April 1933 recht willkürlich, weshalb Reichsstatthalter Ritter von Epp

72

4

Politik und Verwaltung im Nationalsozialismus

seine Kompetenzen auf die Hilfspolizei, die SA und die Führung der Parteiorgane begrenzte (Fenske 1993, S. 121). Ein zweiter wichtiger Akteur war der NSDAPGauleiter der Pfalz Josef Bürckel, der diese Position bereits seit 1926 ausfüllte und am 03.05.1933 zusätzlich Gauleiter für das noch unabhängige Saargebiet wurde. Bereits im Frühjahr 1933 versuchten der bayerische Reichsstatthalter Ritter von Epp und der bayerische Ministerpräsident Ludwig Siebert die bayerischen Gauleiter in die staatliche Verwaltung einzubinden, um zum einen Konkurrenzsituationen zwischen Staat und Verwaltung zu vermeiden und zum anderen diese an die bayerische Staatsregierung zu binden (Heinz 1994, S. 127). Bürckel und einige andere Gauleiter lehnten es jedoch ab, eine Position in der Verwaltung zu übernehmen (Fenske 1986, S. 156). Bei Bürckel hatte dies zwei Gründe: Zum einen traute er sich die Führung einer staatlichen Behörde nicht zu (Fenske 1986, S. 155) und zum anderen fühlte er sich als Mann der Partei einzig dem Führer verpflichtet. Eine Übernahme eines Staatsamtes hätte ihn jedoch zu Gehorsam gegenüber staatlichen Stellen wie der Landesregierung gezwungen (Heinz 1994, S. 126). Er setzte deshalb auf eine Einmischung von außen: Am 01.09.1933 erwirkte Bürckel die Versetzung des pfälzischen Regierungsdirektors in den Ruhestand, am 01.10.1933 folgte der Regierungspräsident (Fenske 1986, S. 157). Neuer Regierungspräsident wurde Franz Röder, ein NSDAP-Mann ohne Erfahrung in der Verwaltungsführung (Fenske 1993, S. 124). Bürckel war es wichtiger, in dieser Position einen loyalen Parteigenossen zu haben als einen kompetenten Fachmann. Dieses Beispiel verdeutlicht bereits, dass Parteipolitisierung auch auf der Mittelebenen eine entscheidende Rolle bei der Besetzung von Schlüsselpositionen spielte. Trotz der früheren Weigerung Bürckels und anderer Gauleiter wurden im April 1934 alle bayerischen Gauleiter dennoch zu Sonderbevollmächtigten der Staatsregierung bei den Regierungspräsidien (Fenske 1986, S. 156). Die Gauleiter stimmten dem nur zu, weil im zu leistenden Eid kein Gehorsam gegenüber der Staatsregierung formuliert war (Heinz 1994, S. 126). Dies gab Bürckel jedoch auch formal die Macht, sich in politische und personalpolitische Fragen der pfälzischen Regierung einzumischen und sich gleichzeitig aus dem mühseligen Verwaltungsalltag herauszuhalten (Fenske 1993, S. 124). Nur vier Tage nach seiner Ernennung zum Sonderbevollmächtigten im Mai 1934 ernannte er eigenmächtig seinen Freund und Kreistagspräsidenten Richard Imbt zum leitenden Regierungsdirektor, ohne darüber mit der Reichsregierung oder der Staatsregierung Rücksprache zu halten (Heinz 1994, S. 126 f.). Dies ging allerdings der bayerischen Landesregierung und Reichsinnenminister Frick zu weit, welche die Ernennung Imbts aus formalen Gründen – Imbt erfüllte nicht die Voraussetzung für den Höheren Dienst – sofort rückgängig machten (Fenske 1986, S. 158). Sie

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ernannten stattdessen Friedrich Wenner zum leitenden Regierungsdirektor (Heinz 1994, S. 127 ff.). Dieser war ein gelernter Verwaltungsjurist, kein Parteimitglied und aufgrund der Legitimation durch das RMI äußerst unabhängig von Bürckel. Bei dieser Ernennung zeigt sich erneut, dass Innenminister Frick gerne auf die Mittel der Gebundenen Politisierung bzw. Keine Politisierung zurückgriff, um die Funktionsfähigkeit der Verwaltung zu erhalten. Die Ernennung Wenners führte schließlich dazu, dass die Regierung der Pfalz ihre Arbeit relativ eigenständig vom Einfluss des Sonderbevollmächtigten und der Gauleitung erledigen konnte (Fenske 1993, S. 125). Für Bürckel war dies ein schwerer Rückschlag in seinem Machtstreben, sah er sich doch als einzig legitimer Führer der Pfalz. Um diesen Gesichtsverlust auszugleichen, konzentrierte Bürckel sein Machtstreben in der Folgezeit auf das Saargebiet, welches 1935 mit dem Reich wiedervereinigt wurde (Fenske 1986, S. 162). Wie wirkte sich das Ganze aber auf die Personalpolitik und die Einstellung der Beamten in der Pfalz aus? Bereits vor 1933 sympathisieren viele der pfälzischen Beamten mit der NSDAP. Vielen war das rigorose Vorgehen gegen die demokratischen Parteien im Frühjahr 1933 nur Recht, passte es schließlich in das konservative Weltbild der bayerischen Landesbeamten in der Pfalz (Fenske 1993, S. 132). Im Gegensatz zu anderen Regionen kam in der Pfalz das BBG relativ selten zur Anwendung. Der Grund hierfür lag zum einen in der konservativen bayerischen Beamtenpolitik in der Weimarer Zeit (Fenske 1986, S. 160): Statt, wie Preußen, auf eine Demokratisierung und Pluralisierung der Verwaltung zu setzen (Bracher et al. 1962, S. 483) wurde in Bayern stets auf die Trennung von Politik und Verwaltung geachtet. Zum anderen wurde auf ein größeres Revirement auch deshalb verzichtet, weil qualifizierter Ersatz, sowie finanzielle Ressourcen knapp waren (Fenske 1993, S. 133). Statt auf eine Personalpolitische Politisierung setzte die NSDAP in der Pfalz vielmehr auf die Ideologisierung der bestehenden Beamtenschaft. Im Juni 1933 erhielten alle PGs, analog zu den PGs in den Reichbehörden, eine positive Gewichtung ihrer Staatsexamensnote. Außerdem wurde nur noch befördert wer „jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat eintritt“. (Fenske 1993, S. 133). So schaffte es die NSDAP auch ohne größeres Revirement, die Verwaltung auf die Linie der Partei einzuschwören. Brandenburg seit 1933 Anders als in der Pfalz lief es in der preußischen Provinz Brandenburg. Dort begann die „Säuberung“ der Verwaltung recht früh. Nachdem im März 1933 die Position des Oberpräsidenten durch den Gauleiter von Brandenburg Wilhelm Kube und im April die Position des Landesdirektors durch den Leiter des Gauprovinzialamts Dietloff von Arnim besetzt wurden, begannen die beiden

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sofort unzuverlässige Beamte auszusortieren. Bereits im Laufe des April wurden auf Grundlage des BBG 12 Beamte in den Ruhestand versetzt und zwei Beamtenanwärterinnen entlassen (Scheffczyk 2008, S. 59 f.). Die Neubesetzung der Stellen wurde vom Preußischen Innenministerium (PrMDI) im Mai 1933 zunächst untersagt, um dann im Juni 1933 mit einem neuen Landesgesetz leitende Beamte – zunächst befristet für ein Jahr – einzustellen (Scheffczyk 2008, S. 62 ff.). In dieser Zeit sollten sich diese bewähren. Taten sie das nicht, endete ihr Dienstverhältnis nach Ablauf des einen Jahres. Zwischen April 1933 und März 1934 wurde das BBG intensiv in der Verwaltung der Provinzialregierung angewendet. Trotzdem wurden von 367 Beamten der Hauptverwaltungen nur 20 Beamte entlassen oder in den Ruhestand versetzt, was einer Quote von 5,45 % entspricht. Bei den anderen höheren Beamten in Brandenburg (z. B. Landesbauräte) wurden 29 entlassen oder in den Ruhestand versetzt. Insgesamt liegt die Quote für den Höheren Dienst bei 11,54 % in der gesamten Provinz (Scheffczyk 2008, S. 66 f.). In ganz Preußen lag die Quote im höheren Dienst mit 22,2 % (Bracher et al. 1962, S. 507 f.) bzw. 28 % (Mommsen 1966, S. 55 ff.) (die Quellen sind hier uneins) deutlich höher. Der Grund für die niedrigere Quote in der Provinz Brandenburg liegt in der Tatsache begründet, dass die brandenburgische Provinzialverwaltung in der Weimarer Republik im Gegensatz zu anderen Provinzen kaum demokratisiert, das heißt bewusst mit Parteiangehören durchsetzt wurde. Auch zeigte sich, dass die Nachfolger der entlassenen Beamten meist keine Alten Kämpfer, sondern Fachbeamte aus dem konservativen oder deutschnationalen Milieu waren (Scheffczyk 2008, S. 67 f.). Die Nutzung der Gebundenen Politisierung war auch in Brandenburg Folge der mangelnden Kompetenz der NSDAP-Mitglieder. Um die brandenburgischen Beamten dennoch auf die Parteilinie einzuschwören, wurden ab Januar 1934 verpflichtende monatliche ideologische Schulungsabende sowie Kameradschaftsabende eingeführt. Außerdem wurde in die Beamtenprüfungen das Fach „Wesen und Programm des Nationalsozialismus“ aufgenommen. Zur fachlichen Schulung im Dienst wurde die Zeitschrift „Staats- und Selbstverwaltung“ zur Pflichtlektüre (Scheffczyk 2008, S. 70 f.). Ab Mai 1934 wurde auch auf formale Mitgliedschaften in NS-Organisationen gedrungen. Zu einer Mitgliedschaft im NSV wurde allen Beamten geraten. Außerdem mussten alle Beamten und Angestellten der Provinzverwaltung unter 25 Jahren den Arbeitspass des Reichsarbeitsdienstes (RAD) erwerben (Scheffczyk 2008, S. 71). Alle Beamten, die gleichzeitig PGs waren, wurden der neuen Ortsgruppe der Gauleitung Kurmark zugewiesen, um sie dem Einfluss der lokalen Parteiinstitutionen zu entziehen und besser zu kontrollieren (Scheffczyk 2008, S. 71).

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Im Verwaltungsalltag der Provinzialverwaltung änderte sich trotz dieser Veränderungen nicht sonderlich viel. Genau wie Bürckel in der Pfalz hielt sich Gauleiter und Oberpräsident Kube aus dem Alltagsgeschäft weitgehend heraus. Er begründete dies 1936 folgendermaßen: „Naturgemäß haben sich Führer der Bewegung […] auch davor bewahrt, im kleinsten Alltagskram unterzugehen. Und wenn wir im Anfang unserer Partei- und Gauarbeit einst gezeigt haben, daß wir keine Arbeit scheuen und daß wir jede Arbeit bewältigen, so haben wir in größter Verantwortung gezeigt, daß wir zu Adolf Hitlers Führerkorps gehören und den Gamaschendienst denen überlassen, die dafür bestimmt sind. […] Wer seinen Untergebenen zu oft hineinredet, ist kein Führer, sondern ein unfähiger Wirrkopf.“ (Kube 1936, S. 220)

Von Vorteil sollte es für die brandenburgische Verwaltung sein, dass sich die Provinz Brandenburg und der Gau Kurmark regional deckten. Kube konnte somit in seiner Personalunion von Oberpräsident und Gauleiter Eingriffe von außen weitgehend abwehren. Dass sich dies in anderen Regionen Preußens deutlich anders abspielte, zeigt sich im später folgenden Abschnitt zur Provinz Westfalen. Außerdem konnte die starke Stellung des verwaltungserfahrenen Landesdirektors (später Landeshauptmann) und Gauprovinzialamtsleiters von Arnim den Zugriff verschiedenster Parteistellen eine Zeit lang begrenzen (Scheffczyk 2008, S. 233 ff.). Von Arnim etablierte sich innerhalb der Partei als zentrale Anlaufstelle für alle Belange, welche die Provinz Brandenburg betrafen. Er achtete streng auf die Trennung der Zuständigkeiten von Staat und Partei, konnte jedoch auf lange Sicht nicht verhindern, dass die immer weiter ausufernde Parteiverwaltung durch Rekrutierung von Beamten Einfluss auf den Verwaltungsalltag nahm (Scheffczyk 2008, S. 237). Die funktional politisierten Beamten, welche parallel in der Partei arbeiteten, entwickelten eine zunehmende Konkurrenz zur Leitung der Behörde. Sie widersetzten sich, geschützt durch die Partei, immer wieder den Anweisungen von Arnims (ebd.) und betrieben so aktives shirking zu Gunsten der Parteiinteressen. Zusätzlich zu dieser internen Konkurrenzsituation wurde die Autonomie der Provinzialverwaltung aufgrund der voranschreitenden Zentralisierung immer geringer. Die strengere Aufsicht durch Landes- und Reichsbehörden machte die Provinzialverwaltung zu einer lediglich ausführenden Stelle, welche durch immer neue Gesetze, Verordnungen und Erlasse häufig überlastet wurde (Scheffczyk 2008, S. 238). Baden und Württemberg seit 1933 In den Reichsländern Baden und Württemberg zeigte sich recht schnell nach der sogenannten „Machtergreifung“ ein ähnliches Bild wie in der Pfalz. Es kam

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kaum zu personellen Umbesetzungen in den zentralen Verwaltungspositionen. Das BBG, welches in anderen Regionen und insbesondere auf der Reichsebene erheblichere Anwendung fand, wurde in Baden und Württemberg allerdings kaum genutzt. Der Grund hierfür liegt in einer Besonderheit der beiden Länder: In beiden wurden in der Weimarer Republik keine politischen Beamten eingeführt (Ruck 1993, S. 47). Dies führte dazu, dass in der Phase der Republik der Austausch von konservativen und demokratieablehnenden Beamten in den zentralen Positionen deutlich schwieriger war. Statt wie in anderen Ländern monarchistische Staatssekretäre und Abteilungsleiter in den Ruhestand schicken zu können, waren die Politiker in Baden und Württemberg zur Zusammenarbeit mit den bestehenden administrativen Eliten gezwungen (Ruck 1993, S. 47 f.). Dies führte dazu, dass sich in Baden und Württemberg, stärker noch als in anderen Ländern, ein Kodex der Neutralität gegenüber politischen Entscheidungen einstellte, der den Beamten auch nach dem Regimewechsel ihre Positionen sicherte (Ruck 1993, S. 48). Diese Neutralität wurde in Baden allerdings auch durch Beamtenerlasse ab 1929 konsequent durchgesetzt. Vor allem gegen NS-Beamte ging die Politik ab diesem Zeitpunkt rigoros vor. So war allen badischen Beamten bis 1933 eine Mitgliedschaft in der NSDAP und Beamten der Sicherheitsorgane sogar eine Unterstützung der Partei verboten (Rehberger 1966, S. 82 f.). Wer dem zuwider handelte, wurde aus dem Staatsdienst entfernt. Statt auf ein großes Revirement setzte die NSDAP nach 1933 auf die Werbung von neuen Parteimitgliedern in der Beamtenschaft (Rehberger 1966, S. 87) und ideologische Schulung der Beamtenschaft, durchgeführt durch die Gau- und Kreisämter für Beamte und Kommunalpolitik (Roser und Spear 1993, S. 72). Diese Ämter unterstanden in einer Form der doppelten Unterstellung fachlich einerseits den Amtsleitern der Hauptämter für Beamte und Kommunalpolitik im Stab des Stellvertreters des Führers (später Partei-Kanzlei) und disziplinarisch andererseits dem jeweiligen Gau- oder Kreisleiter (Roser und Spear 1993, S. 75). Die Hauptaufgabe der Gau- und Kreisämter bestand in der politischen Aufsicht gegenüber den Personalverantwortlichen in den korrespondierenden Verwaltungen. Sollten bei der Personalauswahl in der Landesverwaltung nationalsozialistische Grundsätze verletzt werden, sahen die Parteiämter sich selbst als eingriffsberechtigt (Roser und Spear 1993, S. 85). Es muss aber betont werden, dass es sich dabei lediglich um eine informelle Einflussnahme handelte. Die jeweilige Fachaufsicht über die Personalentscheidungen der Behörden hatten immer noch die Amtsleiter bzw. die Landesministerien. Die Effektivität der jeweiligen Maßnahmen der Parteiämter war somit eng an die Durchsetzungskraft des Gau- bzw. Kreisamtsleiters und die Widerstandskraft der Verwaltung gekoppelt (Roser und Spear 1993, S. 86). Letztlich gab es für die Gauamtsleiter in Baden und Württemberg nur

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eine Möglichkeit sich gegen die Ministerial- bzw. Provinzialverwaltung durchzusetzen: eine eigene leitende Position innerhalb der Verwaltung. Ideal war eine Personalunion aus Gauamtsleiter und Leiter der Beamtenabteilung in einem Landesinnenministerium. Solch eine Union existierte allerdings nur in Württemberg und Sachsen (Roser und Spear 1993, S. 91). Westfalen seit 1933 In der preußischen Provinz Westfalen zeigte sich bei der Umsetzung der Frühjahrsmaßnahmen 1933 ein gänzlich anderes Bild als in den bisher beschriebenen Fällen. Hier mischten sich von Beginn an zahlreiche Parteistellen der NSDAP in die Personalpolitik der Provinzverwaltung ein. Alle 1678 Beamten des Provinzialverbandes mussten sich bis zum Sommer 1933 einer schriftlichen Befragung stellen. Zu Entlassungen führte das allerdings in den wenigsten Fällen (Stelbrink 2004). Selbst ehemalige SPD-Mitglieder durften 1933 mangels qualifizierter Nachfolgern vorerst im Amt bleiben. Auch wurde die Position des Oberpräsidenten bis 1938 nicht durch einen Nationalsozialisten, sondern den Konservativen Ferdinand von Lüninck besetzt (Stelbrink 2004). Bis Juni 1933 war der neu eingesetzte Sonderkommissar und Landesdirektor (später Landeshauptmann) Karl Friedrich Kolbow, der de facto die Provinzverwaltung leitete (von Lünick diente lediglich der Repräsentation nach außen), der einzige Nationalsozialist in leitender Funktion (Teppe 1977, S. 37 – 41). Der Grund hierfür lag, wie in anderen Regionen auch, in der Tatsache begründet, dass es in den Reihen der NSDAP kaum geeignetes Personal gab, um die Fachbeamten zu ersetzen. Keine Politisierung wurde hier also im Frühjahr 1933 hauptsächlich mangels Alternativen genutzt. Statt also im Frühjahr und Frühsommer viele Beamte auszutauschen, setzten die beiden Gauleitungen in Westfalen (Westfalen-Nord und Westfalen-Süd) auf eine stärkere Kontrolle der (höheren) Beamten (Teppe 1977, S. 41). Hierfür wurde die Aufsicht über die Beamten an Parteistellen ausgelagert (ebd.), was ein Beispiel für die Auslagerung von Kompetenzen im Rahmen der Strukturellen Politisierung darstellt. Die erste Entlassungswelle begann im August 1933. Nun wurden auch alle sechs Regierungs- und drei Regierungsvizepräsidenten der Regierungspräsidien Arnsberg, Münster und Minden (Stelbrink 2004) sowie alle ehemaligen SPDMitglieder und -Anhänger aufgrund des BBG entlassen bzw. in den einstweiligen Ruhestand geschickt. Wurde kein im Gesetz aufgeführter Grund für eine Entlassung gefunden, attestierten die neuen NS-Vorgesetzten dem betreffenden Beamten „mangelnde Führereigenschaft“ (Teppe 1977, S. 42). Insgesamt wurden im höheren Dienst der Provinzverwaltung 1933 27 % der Beamten entlassen. Auf den unteren Ebenen gab es hingegen kaum Austausch. Die wenigen freien Stellen

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auf den unteren Ebenen wurden in Westfalen vornehmlich mit Alten Kämpfern besetzt (Teppe 1977, S. 44 f.). Allerdings kam die Behörde schnell an die Grenze der Aufnahmekapazität. Trotz der Regel vom 01.09.1933 50 % der freien Angestellten- und unteren Beamtenstellen mit Alten Kämpfern zu besetzen, führte dies nicht zu einer vollständigen Durchsetzung der Behörde mit diesen loyalen PGs. Bis zum September 1934 wurden lediglich 98 Alte Kämpfer eingestellt. Bei einer Gesamtmitarbeiterzahl (Beamte + Angestellte) von 3450 ein doch eher geringer Prozentsatz (Teppe 1977, S. 50 f.). Zwischen September 1934 und Dezember 1936 kamen nur noch 270 Alte Kämpfer dazu, obwohl von der Preußischen Staatsregierung im selben Zeitraum 880 Planstellen genehmigt wurden (Quote: 31 %) (Teppe 1977, S. 51). Die verordnete Parteipolitisierung kam, obwohl formalisiert, hier schnell an ihre Grenzen und führte den Landeshauptmann Kolbow in einen Zwiespalt: Zum einen sah er sich selbst als Vertreter der Partei in der Verwaltung und versuchte deren Wünsche umzusetzen. Zum anderen musste er aber anerkennen, dass die Parteiwünsche die Leistungsfähigkeit und Kapazitäten der Behörde überlasteten (Teppe 1977, S. 49). Im höheren Dienst ließ er daher die meisten Stellen unbesetzt und verteilte die Aufgaben auf die übrig gebliebenen Beamten (Teppe 1977, S. 48). Diese Form der Reorganisation führte allerdings dazu, dass die Verwaltung Westfalens aufgrund des Fachkräftemangels ineffizienter wurde (ebd.). Parallel zu diesen Entwicklungen setzten die Parteistellen bis zum Aufnahmestopp am 01. Mai 1933 darauf, möglichst viele Angehörige der Provinzverwaltung in die NSDAP aufzunehmen. Diese Maßnahme war im höheren Dienst äußerst erfolgreich. Nach Abschluss der BBG-Maßnahmen im Herbst 1933 waren 81 % der höheren Beamten Westfalens PGs (Teppe 1977, S. 45). Alte Kämpfer hatten im Prinzip keine Chance eine dieser Leitungspositionen zu erreichen. Der Grund hierfür waren vor allem mangelnde Fachkenntnisse und Ausbildung und die Bevorzugung jüngerer PGs. Teppe schreibt dazu: „für die Mehrheit der alten Kämpfer [wandelte] […] sich das Dritte Reich sehr bald von dem Gelobten Land in eine der vielen verratenen Revolutionen“ (Teppe 1977, S. 52). Letztlich war den Parteistellen in Westfalen klar, dass allein die Säuberungen und personellen Veränderungen in der Verwaltung nicht zu einer nationalsozialistischen Verwaltung führen würden. Daher führte die Führung ab dem Juli 1933 verstärkte Kontrollen, politische Schulungen und moralische Appelle ein. Das gesamte Personal war nun verpflichtet, sich regelmäßig weltanschaulichen Schulungen zu unterziehen. Um eine hohe Teilnahme zu gewährleisten, wurde die Schulungszeit zur Dienstzeit erklärt. Wer fehlte, musste eine schriftliche Begründung liefern und selbst für SS-, SA-Mitglieder und Alte Kämpfer galt

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keine Ausnahme (Teppe 1977, S. 69). Erfolgreich scheint die Maßnahme allerdings nicht gewesen zu sein. Viele Beamte erschienen regelmäßig nicht zu den Schulungen (Teppe 1977, S. 70). Eine Zusammenfassung der vier präsentierten Fälle zeigt, dass bis zum Sommer 1934 die Ersetzung des Personals auf der Mittelebene keine sonderlich hohe Rolle im Umbauprozess gespielt hat. Diese Aussage muss aber insoweit eingeschränkt werden, als dass diese nur für die betrachteten Fälle gültig ist. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass in einzelnen Regionen deutlich anders vorgegangen wurde. Hinweise dafür geben die deutlich höheren Austauschquoten in Preußen (22 – 28 % im höheren Dienst). Es kann aber aufgrund der präsentierten Beispiele davon ausgegangen werden, dass die NSDAP auf der Mittelebene stärker darauf setzte, zentrale Schlüsselpositionen zu besetzen und die Beamten zu einer Mitgliedschaft in der Partei oder einem angeschlossenen Verband zu drängen, als darauf, diese systematisch durch Parteimitglieder zu ersetzen. Personalpolitische Politisierung spielte daher nur eine untergeordnete Rolle.

4.2.3.3 Kommunalebene Auf der Kommunalebene war das zentrale Instrument zum Umbau der Verwaltung, wie auch auf anderen Ebenen, das BBG. In Berlin gab der neue Oberbürgermeister Lippert die Anweisung, Juden, Kommunisten und Sozialdemokraten aus der Kommunalverwaltung und den kommunalen Betrieben zu entlassen (Gruner 2011, S. 173). Meist wurden allerdings nur zwischen 1 und 5 % der Kommunalangestellten entlassen. Reichsweit lag der Schnitt bei ca. 2 % (Mecking und Wirsching 2005, S. 9). Ausreißer waren bei den Großstädten lediglich Leipzig (10 %), Hamburg (10 %) und Lübeck (15 %) (ebd.). In Marburg betrug der Anteil bei allen Bediensteten der Stadt 2,5 % und lag damit leicht über dem Reichsschnitt (Wilder et al. 2018, S. 65). In Münster wurden hingegen nur 0,9 % der Beamten mit Hilfe des BBG aus ihren Positionen entfernt. Dabei handelte es sich ausschließlich um Leitungs- und Schlüsselpositionen der Stadtverwaltung, die meist entsprechend der Strategie der Parteipolitisierung durch schlechter qualifizierte PGs und ein paar Alte Kämpfer besetzt wurden (Mecking 2005, S. 82 ff.). In Tübingen lag der Schnitt ebenfalls niedriger als im Reich. Der Grund hierfür lag in der Tatsache, dass zum einen die NSDAP Ortsgruppe in Tübingen noch sehr jung war und somit über noch weniger fähiges Personal verfügte als in anderen Städten. Zum anderen gab es in Tübingen keine sogenannten Parteibuchbeamten, sondern lediglich neutrale konservative Fachbeamte. Folglich wurde das BBG hier auf keinen einzigen Beamten angewendet (Schönhagen 1991, S. 134 f.). Stattdessen wurden nur Angestellte und Arbeiter entlassen

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und durch PGs und Alte Kämpfer ersetzt. Besonders hoch war die Zahl der patronierten PGs allerdings nicht, was die Ortsgruppe regelmäßig dazu veranlasste, sich zu beschweren (Schönhagen 1991, S. 135). In Augsburg blieb der Büroleiter des Oberbürgermeisters sogar von 1921 bis 1945 im Amt und überlebte, ähnlich wie Otto Meißner in der Reichspräsidialkanzlei, damit sechs verschiedene OBs (Gotto 2005, S. 38). Auch sonst wurde nur 1 % des Personals aufgrund des BBGs aus der Verwaltung entfernt. Ziel von OB Mayr und Personaldezernent Kellner war stattdessen die Augsburger Verwaltung in einer „Gewöhnungsphase“ in den Nationalsozialismus zu integrieren (Gotto 2005, S. 44). In Konstanz wandte die NSDAP eine abgewandelte Taktik an. Auch hier hatte die Partei zu wenig fähiges Personal, um ausscheidende Beamte zu ersetzen. Statt allerdings auf das Revirement und die Möglichkeiten des BBG zu verzichten, ersetzte die NSDAP die Beamten durch junge Verwaltungsjuristen, die gerade erst das Examen abgelegt hatten (Klöckler 2012, S. 105). Diese abgewandelte Form der Gebundenen Politisierung führt dazu, dass sich für die Jungakademiker die einmalige Möglichkeit ergab, schnell Karriere zu machen und rasch in hohe Verwaltungspositionen aufzusteigen (Mecking 2005, S. 82). Für die NSDAP war dies ebenso von Vorteil, waren die jungen Juristen schließlich noch nicht im Beamtenapparat sozialisiert und konnten nach ihren ideologischen Vorstellungen „geformt“ werden. Bei den Aufgaben der Kommunalverwaltungen änderte sich ebenfalls nicht allzu viel. Der Hauptunterschied, der sich im Arbeitsalltag zeigte, waren die zahlreichen Anfragen der Partei, welche die Verwaltung bewältigen musste (Schönhagen 1991, S. 193). Größtes Tätigkeitsfeld war auch nach 1933 die Abwicklung alltäglicher Aufgaben wie die Gemeindefinanzen, das Wohnungswesen und die Infrastruktur der Gemeinde. Zahlreiche Bereiche wurden organisatorisch umstrukturiert (Wilder et al. 2018, S. 95). Das Personal blieb aber bis 1945 im Großen und Ganzen dasselbe wie vor 1933. In Tübingen zeigte sich, dass dieses Personal sehr gut und reibungslos mit den Parteistellen zusammenarbeitete. Das lag aber vor allem daran, dass die Stadtleitung und die Verwaltung schlichtweg allen Forderungen der Parteistellen und Gliederungen zustimmten (Schönhagen 1991, S. 201 f.). Beispiele sind die Finanzierung von Volksempfängern für die Stadtbevölkerung, Steuersenkungen für NS-Gliederungen und Unternehmen, sowie Abos der Parteimedien. Der Tübinger Kommunalhaushalt wurde zunehmend zum Selbstbedienungsladen, was diesen stark strapazierte und zu Kürzungen im Schulund Personaletat führte (ebd.). Statt eines großen Revirements setzte die NSDAP auf eine Mischung aus ständigen Drohungen, politischen Schulungen und Kontrollen durch die Partei. In Konstanz wurden beispielsweise alle Stadtbeamten im Sommer 1933

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verpflichtet, den sogenannten „Deutschen Gruß“ im Dienst und auch im Privatbereich zu nutzen. Bei Nichtbefolgung drohte ein Disziplinarverfahren (Klöckler 2012, S. 132). Außerdem nutzte die neue Stadtführung die große Antipathie gegenüber den demokratischen Kräften aus, um die Bediensteten von der „nationalen Revolution“ zu überzeugen (Föllmer 2001, S. 66 f.). Fröndenbergs neuer Amtsbürgermeister Dr. Villaret formulierte es bei seinem Amtsantritt folgendermaßen: „Die national gesinnten Beamten brauchen nicht mehr, wie der große Führer so treffend gesagt und wie ich es selbst an mir erfahren habe, blutenden Herzens den Anordnungen von Männern zu folgen, deren Hauptverdienst es gewesen ist, sich an die Futterkrippe gesetzt zu haben.“ (Villaret zitiert nach Klemp 1997, S. 208)

Eine weitere Säule waren, wie auf Reichs- und Mittelebene auch, die politischen Beurteilungen der Beamten durch die NSDAP. Für die Kommunalverwaltungen wurden diese vom Kreis- oder Gauamt für Beamte erstellt. Ein zentrales Problem war allerdings die hohe Anzahl an Fehlern in den Beurteilungen. So kritisierte der Augsburger Oberbürgermeister Mayr, dass die mangelhaften Beurteilungen keine solide Grundlage für Personalentscheidungen liefern würden (Gotto 2005, S. 34 f.). Personaldezernent Keller sah dies ähnlich. Er begrüßte zwar grundsätzlich die Beurteilungen, maß ihnen aber keinen allzu hohen Stellenwert bei der Personalauswahl zu (ebd.). Grund für die Fehler war eine nicht geklärte Zuständigkeit zwischen den Ortsverbänden, der Kreisleitung und dem Gauamt für Beamte, weshalb sich die Stadtleitung in Augsburg letztlich entschied die Beurteilungen nur noch bei der Kreisleitung einzuholen. Dadurch wurde der Kreisleiter formal zum wichtigsten Parteiakteur in der Personalauswahl der Kommune (Gotto 2005, S. 35). Es mischten sich aber die Ortsgruppen, die Gauämter und der Gauleiter weiter ein. Vor allem in den Gauhauptstädten nutzen die Stadtleitungen ihre guten Verbindungen zur Gauleitung, um Wünsche der Kreisleitungen abzublocken (Gotto 2005, S. 36). In manchen Fällen versuchten die Stadtleitungen sogar den Spieß umzudrehen und die Kreisleitungen durch die eigenen Beamten zu infiltrieren. Ein prägnantes Beispiel liefert hier der Augsburger Personaldezernent Kellner, der seine Kreisleitung ausschließlich mit leitenden Beamten der Stadtverwaltung besetzte und gleichzeitig alle Parteiaktivitäten im Dienst verbot und somit die Parteieinflüsse auf die Verwaltung stark reduzieren konnte (Gotto 2005, S. 36 f., 46). Funktionale Politisierung wurde hier einmal umgedreht und die Konkurrenz zwischen Verwaltungs- und Parteizielen wurde nicht innerhalb der Verwaltung, sondern innerhalb der Partei ausgetragen.

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Eine weitere Komponente, welche die NSDAP nutzte, war eine Abwandlung des Leistungsprinzips. Wer sich sowohl fachlich kompetent als auch politisch zuverlässig zeigte, konnte sehr schnell Karriere machen (Mecking und Wirsching 2005, S. 12): „Nicht die Person des ‚zuverlässigen‘ Nationalsozialisten selbst durchdrang also auf breiter Front das vormals nicht-nationalsozialistische und demokratisch legitimierte kommunale Terrain, sondern es war ein gleichsam nationalsozialistischer ‚Habitus‘, geformt durch Weltanschauung und Handlungsmaxime, der die weitgehend übernommene Verwaltung, durchdrang.“ (Mecking und Wirsching 2005, S. 12. Hervorhebungen im Original)

Besonders eingängig formulierte der Augsburger Oberbürgermeister Mayr die neuen Grundsätze zu Beförderungen: „Beförderungen haben den Zweck, erworbene Verdienste anzuerkennen und gleichzeitig zu größeren künftigen Leistungen anzuspornen. […] Leistung und Gesinnung sind die Grundsätze, nach denen unsere Personalpolitik in der Verwaltung betrieben und an die künftig jede Beförderung geknüpft sein wird. […] Wer seine Pflicht erfüllt und sich mit seiner Person voll und ganz für den Wiederaufbau unserer Stadtgemeinde einsetzt, der kann die Gewißheit haben, daß auch sein dienstliches Verhältnis eine gerechte Würdigung erfahren wird.“ (Mayr zitiert nach Gotto 2005, S. 41)

Die angesprochene gerechte Würdigung erhielten die leistungsstarken PGs in der Augsburger Stadtverwaltung sowohl in Form von Beförderungen als auch in Form von Urlaubsgeld, Weihnachtsgeschenken für die eigenen Kinder und Mietentlastungen. Die neun Beamten der Augsburger Stadtverwaltung, die bis 1938 nicht der Partei beigetreten waren, waren von diesen Belohnungen auch bei guter Leistung ausgeschlossen (Gotto 2005, S. 47 f.). Wie bereits oben erwähnt, wurden die Leiter der Gemeinden zu den Führern der Kommunalverwaltung. Das Verhältnis Dienstherr zu Belegschaft wurde somit durch eine personalisierte Machtbeziehung von Führer und Gefolgschaft ersetzt (Gotto 2005, S. 23). Dabei war der politische Führer auf der Lokalebene aufgrund der deutlich kleineren Verwaltungen den einzelnen Bediensteten deutlich präsenter als auf der Mittel- oder der Reichsebene. Die klassischen Weberianischen Normen wie Hierarchie, Gehorsam, Treue und Pflichterfüllung unterstützten die Durchsetzung des Habitus (Mecking 2005, S. 85). Zur Umsetzung der Ideologie brauchte es daher auf der Kommunalebene fast keine ideologischen Extremisten, sondern nur einfache Verwaltungsbeamte: „Beamte setzten die ideologischen Vorgaben konkret im Behördenalltag um und machten sie verwaltungstechnisch erst anwendbar.“ (Mecking und Wirsching 2005, S. 14). Wenn Beamte ihre

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Pflicht gut erfüllten, dann war es auf der Kommunalebene auch nicht relevant, ob sie aus ideologischen Gründen eigentlich aus dem Dienst hätten entfernt werden müssen. Viele (Ober-)Bürgermeister (z. B. Mayr in Augsburg (Gotto 2005, S. 43)) waren hier pragmatisch und relativierten ideologische Vorgaben, wenn gute funktionalistische Begründungen vorlagen (Mecking und Wirsching 2005, S. 17). Anders als auf der Mittelebene und der Reichsebene war das Verhältnis zwischen den meisten Kommunalverwaltungen und den lokalen Parteistellen in dieser Phase häufig nicht von Konkurrenz um Kompetenzen geprägt. Stattdessen entwickelte sich meist ein symbiotisches und effizientes Verhältnis zwischen den Beamten und den lokalen Parteieliten, welches die Effizienz des Systems stärkte (Mecking und Wirsching 2005, S. 18). „Durch die Interaktion zwischen den Beamten und Angestellten einerseits und ihren Vorgesetzten andererseits bildete sich eine spezifische Organisationskultur heraus, die eine ausreichend breite Grundlage für einen tragfähigen Herrschaftskonsens abgab.“ (Gotto 2005, S. 24)

Letztlich arrangierte sich die große Mehrheit der Bediensteten mit dem System und arbeitete, egal ob aus Opportunismus oder aus Überzeugung, dem Führer entgegen (Gotto 2005, S. 49). Gemeint war damit, den Willen der Vorgesetzten bzw. den Willen Adolf Hitlers oder anderer NSDAP-Eliten zu antizipieren und in vorauseilendem Gehorsam danach zu handeln. Diese Selbstgleichschaltung lässt sich in vielen Kommunen beobachten (Mecking 2005, S. 83; Tüffers 2005, S. 75). Ein besonders prägnantes Beispiel für dieses Verhalten findet sich in der kleinen Gemeinde Erbshausen-Sulzwiesen (1933 ca. 500 Einwohner) im damaligen Landkreis Karlstadt in Bayern. Bereits am 01. September 1933 erließ diese Gemeinde ein umfängliches Betretungsverbot des vollständigen Gemeindegebiets für Juden (Bundesarchiv NS 25/282). Der Erlaß einer ortspolizeilichen Vorschrift über Ausschaltung jüdischer Händler und Hausierer aus dem Ortsbereich20 verbot Juden den Zugang zum Ort, um „den sittenverderbenden Einfluß und die Ausbeutung wenig intelligenter Bauern durch jüdische Händler und Hausierer zu unterbinden“ (§ 1). Wurde ein Jude dennoch in der Gemeinde angetroffen, musste er eine Strafe von 50 RM leisten (§ 2) und wurde in der Lokalzeitung als Volksverräter gebrandmarkt (§ 3). Dies galt auch für sogenannte „getaufte Juden“, also Christen

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Erlaß einer ortspolizeilichen Vorschrift über Ausschaltung jüdischer Händler und Hausierer aus dem Ortsbereich der Gemeinde Erbshausen-Sulzwiesen vom 01. September 1933, In der Fassung vom 01. September 1933.

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mit jüdischen Vorfahren (§ 3). An den Ortseingängen sollten große Hinweistafeln auf das Betretungsverbot hinweisen (§ 5). Angestoßen wurde das Verbot allerdings nicht von einer der Aufsichtsbehörden oder den lokalen NSDAP-Parteistellen, sondern vom einzigen kommunalen Verwaltungsbeamten und dem Gemeinderat. Alle sieben anwesenden Gemeinderäte stimmten der Verordnung zu (Bundesarchiv NS 25/282). Die NSDAPKreisleitung Karlstadt bezeichnete in einem Brief vom 06. September 1933 an die Gauleitung Unterfranken das Vorgehen als einen „hochinteressanten Versuch“ und fragte an „ob man dieses Vorgehen […] allgemein fördern darf“ (Bundesarchiv NS 25/282). Die Gauleitung hatte zunächst Angst vor außenpolitischen Verwerfungen, würde sie ein solches Vorgehen offiziell fördern, und würde die Förderung bekannt. Stattdessen einigte sie sich mit der Kreisleitung darauf, auch andere Gemeinden im Kreis mündlich zu solch einer Verordnung aufzufordern (Bundesarchiv NS 25/282). Die Akteure in der kleinen Gemeinde antizipierten schon recht früh den Willen der Partei und setzten ihn ohne Rücksprache mit Aufsichtsbehörden und Parteistellen wie der Kreis- und Gauleitung in lokales Recht um. Dieses Vorgehen förderte somit die Diskriminierung von Juden in der Region, welche von der NSDAP dort noch gar nicht so stark verfolgt wurden.

4.2.4

Einordnung der Ergebnisse der ersten Phase des NS in die Politisierungsformen

In der ersten Phase spielte vor allem die Personalpolitische Politisierung des Systems eine entscheidende Rolle. Es galt in der Umbauphase des Systems die Zusammensetzung des Verwaltungspersonals durch verschiedene Eingriffsformen so zu verändern, dass ein loyaler Verwaltungsapparat geschaffen wurde, der die ideologischen Vorgaben ohne Widerstände umsetzte. Die nachfolgende Abbildung 4.2 gibt einen Überblick über die genutzten Formen der Politisierung in der ersten Phase: Beim Blick auf die Personalpolitische Politisierung kann erkannt werden, dass die NSDAP alle vier Grundformen nach Meyer-Sahling (2008) angewendet hat. Die Gründe für die Nutzung aller Formen sind die Heterogenität der vorgefundenen Verwaltungsstrukturen auf den politischen Ebenen und die jeweiligen Voraussetzungen vor Ort. Während die NSDAP beispielsweise in Preußen eine hohe Zahl an Beamten durch PGs ersetzte, wurden in einzelnen Städten wie Tübingen, mangels qualifiziertem Ersatz, alle Beamten und sogar der Oberbürgermeister im Amt belassen. Die Anwendung des BBG unterschied sich erheblich

4.2 Struktureller Zustand des Systems am 01. September 1934

Personalpolitische Politisierung

Funktionale Politisierung

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Strukturelle Politisierung

Keine Politisierung

Trennung

Beibehaltung von Strukturen

Gebundene Politisierung

Zusammenarbeit

Einfügen von Neuen / Zwischenebenen

Offene Politisierung

Konkurrenz

Reorganisation

Parteipolitisierung

Hybrid

Auslagerung von Kompetenzen

Abbildung 4.2 Beobachtete Politisierungsformen der ersten Phase des NS. (Hinweis: Beobachtete Politisierungsformen sind grau dargestellt, Quelle: eigene Darstellung)

zwischen den verschiedenen Ebenen, Behörden und Regionen. Keine Politisierung fand primär dort statt, wo die NSDAP nicht über das fachlich qualifizierte Personal verfügte, um die Beamten in den Verwaltungen zu ersetzen. Beispiele hierfür finden sich vorrangig auf der Kommunalebene (z. B. Tübingen), aber auch auf der Mittelebene. Ein weiterer Grund für die Nicht-Anwendung des BBG war, dass eine Vielzahl von Beamten dem neuen System von Anfang an positiv gegenüber stand. Zum einen, weil sie nach der Zeit der Präsidialkabinette und deren Sparkurs sich von der NS-Bewegung eine Wiederaufwertung des Beamtentums erhofften (siehe Abschnitt 4.1). Zum anderen, weil die Politik es in der Weimarer Republik verpasst hatte, die Beamten zu demokratisieren (z. B. Baden und Württemberg) und diese sich mit ihren konservativen Werten einen Obrigkeitsstaat zurückwünschten (z. B. Pfalz). Die Nutzung von Gebundener Politisierung war eng verbunden mit dem Fachkräftemangel innerhalb der NSDAP. Störte die Partei sich an einem Positionsinhaber oder entließ diesen aufgrund seiner politischen Unzuverlässigkeit aus dem Amt, dann musste die Stelle neu besetzt werden. Wie schon zuvor

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4

Politik und Verwaltung im Nationalsozialismus

genannt, verfügte die Partei aber gar nicht über so viele fähige Leute, dass sie alle freien Stellen selbst besetzen konnte. Eine Besetzung mit Unqualifizierten (vor allem im höheren Dienst) versuchte das RMI unter Frick außerdem konsequent zu unterbinden. Da die Stellen aber besetzt werden mussten, beförderten die neuen Vorgesetzten meist Beamte aus der zweiten Reihe und sorgten über (falls nötig) verhaltensbeeinflussende Maßnahmen, welche gleich noch näher betrachtet werden, dafür, dass diese ihre Tätigkeit auf Linie der Partei ausübten. Dies zeigte sich auf allen Ebenen. Offene Politisierung fand hingegen hauptsächlich auf der nationalen Ebene statt. In den Reichsministerien setzten Minister bei der Besetzung von Schlüsselpositionen nicht nur auf Beamte aus der zweiten Reihe oder loyale PGs, sondern auch auf fachlich geeignete Quereinsteiger aus anderen Bereichen wie der Wissenschaft, der Privatwirtschaft oder aus Lobbyverbänden. Beispiele sind Theodor Vahlen, der Leiter des Wissenschaftsamts im Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, der zuvor Professor der Mathematik war, Friedrich Christiansen, der vor seiner Ernennung zum Abteilungsleiter im Reichsluftfahrtministerium für Dornier als Flugzeugkommandant arbeitete und Ulrich Scherpfing, der bis zu seiner Ernennung zum Abteilungsleiter im Reichsforstamt ein hoher Funktionär des Reichsjägerverbands war. Offene Politisierung musste allerdings nicht bedeuten, dass die ernannten Personen keine Verbindung zum Nationalsozialismus hatten. Im Fall Theodor Vahlens mischt sich diese Politisierungsform mit der Parteipolitisierung, war er doch neben seiner Wissenschaftskarriere in den frühen 1920er Jahren auch schon einmal für die NSDAP tätig gewesen. Parteipolitisierung bzw. Patronage zeigte sich im Systemumbau an allen Stellen. Je nach politischer Ebene und abhängig davon, in welcher Laufbahn Positionen besetzt werden mussten, nutzte die NSDAP die Strategie allerdings unterschiedlich häufig. Es ging stets darum, durch die Eingliederung von PGs und Alten Kämpfern die Verwaltung unter Kontrolle zu bringen. So ernannte die NSDAP vor allem in den Reichs- und Landesministerien sowie den jeweiligen Oberbehörden ausgesuchte Parteimitglieder für freie oder freigemachte Verwaltungspositionen. Beispiele finden sich hierfür bei den Staatssekretären und Abteilungsleitern der Reichsministerien zuhauf. Schon die Tatsache, dass 9,1 % der Verwaltungseliten 1934 zuvor hauptberuflich für die Partei tätig waren und 45,6 % – trotz des Aufnahmestopps am 01. Mai 1933 – Mitglied der NSDAP waren, spricht dafür. Daneben versuchte die Partei in niedrigeren Positionen das ökonomische Interesse der eigenen Anhänger zu befriedigen. Die Alten Kämpfer sollten für Ihren Kampf für die Bewegung entlohnt werden und von der Machtübernahme

4.2 Struktureller Zustand des Systems am 01. September 1934

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auch materiell profitieren. Dies sollte die Loyalität der Parteigenossen zur Partei sichern. Allerdings kam dies eher selten zur Anwendung. Das lag zum einen daran, dass in den unteren Laufbahnen kaum Beamte und Verwaltungsmitarbeiter entlassen wurden. Daher gab es gar nicht genügend freie Stellen, um die zahlreichen eher schlecht qualifizierten Parteimitglieder zu beschäftigen. Zum anderen sperrten sich viele Verwaltungsleiter gegen die Aufnahme unqualifizierter Alter Kämpfer in ihren Bereichen und wurden dabei sogar von den neuen Eliten unterstützt. Ein Beispiel ist Karl Friedrich Kolbow, der als Landesdirektor in Westfalen versuchte die Verwaltung abzuschirmen und ungeeignetes Personal nicht aufzunehmen (Teppe 1977). Bei Betrachtung der Funktionalen Politisierung in dieser Phase zeigen sich vorrangig die Formen der Trennung und der Zusammenarbeit. Die Trennung von Politik und Verwaltung offenbart sich an vielen Stellen und wurde sowohl von den Beamten als auch von den Politikern der NSDAP forciert. Hauptsächlich Leiter von Verwaltungen versuchten ihre Behörden vom Einfluss der Parteileitungen abzuschirmen. Interessant ist hierbei, dass auch neu ins Amt gekommene Leiter der NSDAP dieses Vorgehen recht rasch adaptierten. So begrenzte der Oberpräsident und NSDAP-Gauleiter Kube in Brandenburg die Einflussmöglichkeiten der Partei und eröffnete seinen Beamten des Oberpräsidiums einige Freiheiten (Scheffczyk 2008, S. 233 ff.). Ähnlich agierte Gauleiter Bürckel in der Pfalz, der zwar als Sonderbeauftragter formal über zahlreiche Kompetenzen zur Einmischung verfügte, sich aus dem Verwaltungsalltag der Bezirksverwaltung aber weitgehend heraushielt und so dafür sorgte, dass die Regierung der Pfalz recht ungestört von Parteieinflüssen agieren konnte (Fenske 1993, S. 124). Es zeigt sich, dass die Verwaltung und die neuen Führer meist gut zusammenarbeiteten. Die klassischen Weberianischen Verwaltungsnormen wie Hierarchie, Gehorsam, Treue und Pflichterfüllung, ergänzt durch ein abgewandeltes Leistungsprinzip, unterstützten die Zusammenarbeit (Mecking 2005, S. 85). Gründe hierfür liegen in der grundsätzlichen Unterstützung der nationalsozialistischen Agenda durch einen Großteil der Beamten. Hinzu kam, dass sich schon im Jahr 1933 ein neuer antizipativer Arbeitsstil in den Verwaltungen herausbildete, welcher von Zeitgenossen allgemein als „dem Führer entgegenarbeiten“ bezeichnet wurde. Beamte schalteten sich selbst gleich, indem sie den vermeintlichen Willen der Partei und ihrer Führer schon antizipierten, bevor diese sich dahingehend äußerten und ihre Handlungen in vorauseilendem Gehorsam anpassten. Unterstützt wurde dies durch die Tatsache, dass viele Beamte der NSDAP und ihren angeschlossenen Organisationen beitraten. Der Aufnahmestopp der NSDAP vom 01. Mai 1933 begrenzte diese Form der Funktionalen Politisierung aber relativ schnell. Dennoch traten in den ersten drei Monaten reichsweit ca. 570.000 Beamte, vornehmlich aus

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Politik und Verwaltung im Nationalsozialismus

dem mittleren Dienst, der NSDAP neu bei (Röhling 2017, S. 122). Über deren Aktivitäten in der Partei ist aber in dieser Phase nur sehr wenig bekannt. Eine Ausnahme bildet dabei lediglich der Fall der Kreisleitung Augsburg-Land unter Kreisleiter Kellner, welcher oben bereits kurz beschrieben wurde. Hier nutzten Beamte der Stadtverwaltung Augsburg Positionen innerhalb der Kreisleitung, um sich in ihrer Verwaltungsposition Einfluss und Karrierechancen zu sichern. Bei der Strukturellen Politisierung zeigt sich, dass alle drei Strategien, welche Lewis (2008) identifizierte, genutzt wurden. Das Einfügen von neuen Ebenen/bzw. Zwischenebenen zeigt sich sehr gut an den zahlreich ernannten Kommissaren und Sonderbeauftragten, welche überall eine Rolle spielten. Dies ging einher mit der Reorganisation der Verwaltungsstrukturen. Es wurde eine strenge Hierarchisierung eingeführt, in welcher die Mittelebene der Reichsebene und die Kommunalebene der Mittelebene unterstellt wurden. Die neuen Akteure und Ebenen limitierten den Zugang zu höheren Ebenen. Dies zeigt sich nicht nur für Beamte, sondern schon in dieser frühen Phase auch für einzelne Reichsminister, deren Zugang zu Hitler durch die Reichskanzlei und insbesondere durch Staatssekretär Lammers limitiert wurde. Die Parteibeauftragten, Sonderbevollmächtigten und Kommissare agierten häufig als Gatekeeper. Auf der Kommunalebene zeigt sich dies beispielsweise bei den neuen NSDAP-Bürgermeistern und Dezernenten, meist besetzt mit Alten Kämpfern oder PGs, welche gegenüber der Kommunalverwaltung als Gatekeeper gegenüber höheren Ebenen agierten. Die Auslagerung von Kompetenzen kann in der frühen Phase des Systems nur vereinzelt beobachtet werden. Ein Beispiel bildet die Übertragung der Aufsicht über die Beamten in Westfalen (Teppe 1977, S. 41). Diese externe Kontrolle und durch die Partei zeigt sich in anderer Form allerdings auch auf allen Ebenen. Vor allem die Ausstellung der Zeugnisse über die politische Zuverlässigkeit gab Parteiakteuren und den zuständigen Hauptämtern eine machtvolle Position gegenüber der Verwaltung. Kombiniert mit ständigen Drohungen und den einsetzenden ideologischen Schulungen erreichte die NSDAP auch in Verwaltungen, in denen kaum Personal ersetzt worden war, einen hohen Grad an Konformität. Die Beibehaltung von Strukturen wurde neben diesen Maßnahmen überall dort angewendet, wo politische Einflüsse nicht unbedingt notwendig waren bzw. wo Themen nicht politisch salient waren. Zu beobachten ist dies in zahlreichen Fachabteilungen bei Kommunen oder Mittelbehörden, welche ihre Arbeit genauso fortführten wie vor der Machtübernahme. Auch in der Reichsfinanzverwaltung kann dies gezeigt werden (Kuller 2013, S. 49 ff.). Es zeigt sich, dass zu Beginn der NS-Herrschaft eine Mischung aus verschiedenen Politisierungsformen beobachtet werden kann, welcher die Kontrolle der NSDAP über die Verwaltung nach der Machtübernahme schnell sicherte und die

4.3 Struktureller Zustand des Systems am 01. September 1939

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politische Responsivität der Beamten garantierte. Ob sich diese Mischung auch in der folgenden Phase zeigt, wird im nächsten Abschnitt betrachtet.

4.3

Struktureller Zustand des Systems am 01. September 1939

4.3.1

Allgemeine politische und strukturelle Entwicklungen seit 1934

4.3.1.1 Reichsebene Nach dem Tod Hindenburgs im August 1934 und der Vereinigung der Ämter des Reichspräsidenten und Reichskanzlers nahm Hitler stärkere Veränderungen in seinem Kabinett vor. So wurden bis Kriegsbeginn das Reichsministerium für die Kirchlichen Angelegenheiten, das Amt des Generalbauinspekteurs, die Reichsstelle für Raumordnung und das Reichsforstamt (alle mit dem Rang eines Reichsministeriums21 ) gegründet und das Reichswehrministerium erst in Reichskriegsministerium umbenannt und 1938 durch das Oberkommando der Wehrmacht abgelöst. Das Kabinett tagte zwischen 1934 und bis zu seiner letzten Zusammenkunft 1938 allerdings trotz der Erweiterung nur noch sporadisch. Letztlich entwickelte sich analog zum Führerprinzip in dieser Phase die sogenannte Führergesetzgebung. Sie sah vor, dass Hitler die Leitlinien der Politik und allgemeine Grundsätze vorgab, die Detailausgestaltung aber den Fachressorts überließ (Hehl 2001, S. 11). Dies führte dazu, dass die Verwaltung in einigen Feldern einen hohen Grad an Autonomie erhielt, in ideologisch salienten Feldern sich aber regelmäßig Parteieliten und Parteiämter in die Politikformulierung einmischten (ebd.). Auch Hitler selbst hielt sich nicht an die von ihm propagierte Führergesetzgebung. Interessierte ihn eine Reform oder ein Politikfeld persönlich, dann machte er sehr detaillierte Vorgaben (ebd.). Beispiele hierfür finden sich beim geplanten Umbau Berlins zur Reichshauptstadt Germania oder der Entwicklung neuer Waffensysteme. Gab es Streit zwischen den Ressorts, lag auch das letzte Wort immer bei Hitler persönlich. Da er aber dazu tendierte Aufgaben und Kompetenzen mehrfach zu vergeben, führte dies nur selten zu einer Klärung des Sachverhalts (Hehl 2001). Neben den neuen Ministerien ernannte Hitler zahlreiche Sonderbeauftragte, die in Personalunion sowohl staatliche als auch parteiliche Positionen in einem 21

Innenminister Frick stellte diesen Status in einem Schreiben vom 01. Februar 1941 nochmals gegenüber Reichsforstmeister Göring klar (Bundesarchiv R 43-II/1156).

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Politik und Verwaltung im Nationalsozialismus

oder mehreren Politikfeldern innehatten. Diese Personalunionen führten allerdings nicht zwangsläufig dazu, dass Konflikte zwischen Verwaltung und Partei gelöst wurden, sondern sorgten häufig für neue Konflikte (Hehl 2001, S. 12). Ein Beispiel hierfür ist die Person Konstantin Hierl. Dieser wurde 1931 Chef des Freiwilligen Arbeitsdienstes der NSDAP und koordinierte den Dienst, bis er 1935, gleichzeitig mit der Umwandlung des Freiwilligen Arbeitsdienstes in den verpflichtenden Reichsarbeitsdienst, zum Reichsarbeitsführer ernannt wurde. Zeitgleich ernannte Hitler Konstantin Hierl zum Abteilungsleiter für Arbeitsmarktpolitik im Reichsinnenministerium und zum Staatssekretär im Reichsarbeitsministerium (Bundesarchiv R 8034-III/195, R 4902/5959). Hierl war somit befugt zentrale Kompetenzen der beiden Ministerien im Feld der Arbeitsmarktpolitik auf den Reichsarbeitsdienst und damit eine Parteiorganisation zu übertragen (Bundesarchiv R 9361-I/ 46819). Diese Reorganisation des Politikfeldes, verbunden mit der Auslagerung von Kompetenzen in eine politisierte Organisation, führte jedoch nicht zur Klärung der Kompetenzverteilung zwischen Reichsarbeitsdienst, Innenministerium und Arbeitsministerium. Stattdessen entwickelte sich zwischen den Organisationen eine noch stärkere Konkurrenz und weitere Unklarheiten, da Hierl auf Druck seiner Untergebenen und Parteieliten (z. B. dem Leiter der Deutschen Arbeitsfront (DAF) Robert Ley) in den drei Stellen einige Kompetenzen, wie beispielsweise die Zuteilung zu Arbeitsmaßnahmen, doppelt oder sogar dreifach vergab (Bundesarchiv R 77/4115). Politische Reformen und massive Strukturumbauten führte die NSDAP unter Hitler auf der Reichsebene in dieser Phase nicht durch. Der Umbau des Systems auf Reichsebene war bereits in der ersten Phase erfolgreich, sodass schon bis zum Tod Hindenburgs alle Vetospieler ausgeschaltet waren.

4.3.1.2 Mittelebene Anders sah es hingegen auf der Mittelebene aus. Dort verkomplizierte die Zweite Verordnung über den Neuaufbau des Reichs22 vom 27. November 1934 die Beziehung zwischen der Reichsregierung und den Ländern erheblich. Reichsinnenminister Frick gelang es in dieser Verordnung, die Reichsstatthalter und die Oberpräsidenten dem RMI disziplinarisch zu unterstellen (Hehl 2001, S. 8). Während die Reichsstatthalter den Landesregierungen vorgesetzt waren, waren die Oberpräsidenten nachgeordnete Behörden der Länder. Beide Positionen wurden jedoch durch Gauleiter besetzt (John 2007, S. 37). Durch die Unterstellung der Oberpräsidenten unter das RMI erhielten diese die Kompetenz, als ständige 22

Zweite Verordnung über den Neuaufbau des Reichs vom 27. November 1934, In der Fassung vom 27. November 1934.

4.3 Struktureller Zustand des Systems am 01. September 1939

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Vertreter des Reichsinnenministers bei Gefahr im Verzug sämtliche Kompetenzen der Reichs- und Landesbehörden in ihrem Bereich an sich zu ziehen und Anordnungen im Namen des Reichsinnenministers zu erlassen. Sie erhielten somit größere Kompetenzen als die ihnen formal vorgesetzten Reichsstatthalter (Bracher et al. 1962, S. 606). Dieses Dilemma führte zu regelmäßigen Streitigkeiten zwischen den Oberpräsidenten-Gauleitern und den Reichsstatthalter-Gauleitern und wurde erst durch das zweite Reichsstatthaltergesetz23 vom 30. Januar 1935 gelöst. Es nahm den Reichsstatthaltern die Kompetenzen der Gesetzesverkündung, der Ministerentlassung, der Beamtenernennung und das Begnadigungsrecht und erlaubte den Ihnen stattdessen die Kombination ihres Amtes mit dem des Ministerpräsidenten, was allerdings selten angewandt wurde (Hehl 2001, S. 14). Reichsinnenminister Frick sah in diesem Gesetz allerdings erst den Anfang einer umfassenden Reichsreform, in welchem die Länder endgültig zur Mittelinstanz des Reiches werden sollten (Schaarschmidt 2007, S. 13). Frick, der stets darauf aus war, den NS-Staat in rechtsstaatliche Bahnen zu lenken, plante ab 1934 eine Reichsgaureform. Diese sah vor, die Gaue der NSDAP, die Länder und Bezirke zu vereinheitlichen und 16 Reichsgaue zu schaffen, um die stetigen Machtkämpfe der Regionalfürsten (Reichsstatthalter, Landesregierungen, Oberpräsidenten, Regierungspräsidenten und Gauleiter) zu beenden (Rebentisch 1989a, S. 537). Insbesondere die Zerschlagung der großen Flächenstaaten Preußen und Bayern war sein Ziel. Gleichzeitig arbeiten auch mehrere Funktionäre im Stab des Stellvertreters des Führers an einer Reichsreform. Letztlich scheitern aber alle Vorschläge an der Uneinigkeit zwischen RMI und Partei sowie vor allem am Unwillen Hitlers (Bracher et al. 1962, S. 608 – 611). Dieser scheute sich Gesetze in Kraft zu setzen, die seine zukünftigen Entscheidungen einschränken könnten (Rebentisch 1989a, S. 537). Sein oberstes Ziel war das Umsetzen politischer Ziele, egal in welcher Struktur. Dazu benötigte es aus seiner Sicht keine Reichsreform und auch keine klare Kompetenzabgrenzung zwischen Staat und Partei. Auf einem Reichsparteitag sagte er dazu: „Was staatlich gelöst werden kann, wird staatlich gelöst, was der Staat in seinem ganzen Wesen nach eben nicht zu lösen in der Lage ist, wird durch die Bewegung gelöst. […] Partei, Staat, Armee, Wirtschaft und Verwaltung […] [sind] alle nur Mittel zum Zweck.“ (Hitler zitiert nach Rebentisch 1989a, S. 538).

Die Folge war, dass nun alle Reichministerien begannen, eigene Behörden auf der Mittelebene mit jeweils unterschiedlichen Gebietszuschnitten anzusiedeln, was zu einer noch stärkeren Heterogenität auf der Mittelebene führte (Schaarschmidt 23

Reichsstatthaltergesetz vom 30. Januar 1935, In der Fassung vom 30. Januar 1935.

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Politik und Verwaltung im Nationalsozialismus

2007, S. 17). Während die Bahn, die Post, die Finanz- und die Arbeitsverwaltung seit jeher über eigene Mittelinstanzen verfügten, entwickelten der Reichsnährstand, das Heer, die Luftwaffe und die Berufs- und Wirtschaftsorganisationen eigene Verwaltungseinheiten auf der Mittelebene (Bracher et al. 1962, S. 612). Die regionale Einteilung basierte häufig auf gegebenen Strukturen aus republikanischen Zeiten wie den Landesarbeitsämtern oder Wehrkreisen, die sich jedoch nicht mit Gau- oder Landesgrenzen deckten (John 2007, S. 40 f.). Wilhelm Stuckart, der vormalige Staatssekretär im Reicherziehungsministerium und ab März 1935 Leiter der Abteilung I – Verfassung und Gesetzgebung im Reichsministerium des Innern stellte dazu fest: „das Unterlassen notwendiger Reformmaßnahmen wird die schon vorhandenen Schwierigkeiten immer mehr vergrößern. Die unvermeidliche Folge [ist] allgemeine Unzufriedenheit und vor allem Unsicherheit, die lähmend auf allem lastet und auch nicht dazu beiträgt, die Autorität des Reiches zu stärken.“ (Stuckart zitiert nach Bracher et al. 1962, S. 612)

Durch den Anschluss Österreichs und des Sudetenlandes ergaben sich weitere Schwierigkeiten. Während in Österreich die Bundesländer abgeschafft und durch Gaue ohne Unterbau ersetzt wurden, wurde das Sudetenland in Gaue und nachgeordnete Provinzen eingeteilt. Außerdem waren die Oberpräsidenten der sudetischen Provinzen nicht den Gauleitern oder dem Reichsstatthalter des Sudetenlandes, sondern wie die preußischen Oberpräsidenten, direkt dem RMI unterstellt (Rebentisch 1989a, S. 538). Eine einheitliche Reichsreform, die Frick in einem zweiten Anlauf immer noch verfolgte, war somit erneut schwieriger geworden. Mit Kriegsbeginn war auch dieser Versuch für eine Reichsreform endgültig gescheitert. Statt einer Vereinheitlichung entwickelte sich eine weitere undurchschaubare Ausdifferenzierung der Mittelebene (Hehl 2001, S. 14; Mommsen 1989, S. 74).

4.3.1.3 Kommunalebene Auf der Kommunalebene wurde die Strukturveränderung, anders als auf der Mittelebene, konsequent vorangetrieben. Die Vereinheitlichung der unzähligen Gemeindeordnungen aus der Republik war auch in der zweiten Phase immer noch das vorrangige kommunalpolitische Ziel der NSDAP. Das von Göring eigenmächtig erlassene Preußische Gemeindeverfassungsgesetz (siehe auch Abschnitt 4.2.1.3) diente dabei als Vorbild für die Deutsche Gemeindeordnung (DGO-NS)24 vom 03. Januar 1935. Doch trotz des gemeinsamen Ziels war 24

Deutsche Gemeindeordnung vom 03. Januar 1935, In der Fassung vom 03. Januar 1935.

4.3 Struktureller Zustand des Systems am 01. September 1939

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die DGO-NS zwischen dem RMI, den Ländern, den Kommunen und zahlreichen Funktionären der NSDAP hoch umkämpft (Schönhagen 1991). Das neue Gesetz ersetzte die einzelnen Gemeinde- und Landordnungen der Länder und legalisierte die bereits durchgeführte Abschaffung der demokratischen Mitwirkung der Bürger am Willensbildungsprozess. Der Bürgermeister (bzw. Oberbürgermeister in Städten) wurde je nach Größe der Gemeinde vom RMI (Städte und Stadtkreise mit mehr als 100.000 Einwohner), dem Reichsstatthalter (übrige Stadtkreise), dem Regierungspräsidenten (kleinere Städte) oder dem Landrat (alle Gemeinden im Landkreis) berufen (§§ 6, 37 – 41 DGO-NS). Eine Kommission unter der Leitung des Kreisleiters (Städte) oder des Ortsgruppenleiters (Gemeinden) der NSDAP schlug dem jeweils zuständigen Amt drei Bewerber vor (§ 40 DGO-NS). Das sorgte de facto für eine doppelte Unterstellung des Oberbürgermeisters unter die Fachaufsicht der Aufsichtsbehörden (den Landesinnenministerien und dem RMI) und die politische Unterstellung unter die örtlichen Parteistellen (Schönhagen 1991, S. 187). Auf dieser Mitwirkung der jeweiligen regionalen Parteileiter bestand vor allem Rudolf Heß. Ihm schwebte dabei eine Parteiaufsicht über die Kommunen vor (Bracher et al. 1962, S. 620), welche durch den Parteibeauftragten der NSDAP, meist besetzt durch den Kreis- oder Ortsleiter, ausgeführt werden sollte. Dazu erhielten die Parteibeauftragten zahlreiche Kontrollrechte, welche Ihnen die Aufsicht über die Kommunen und insbesondere die Kommunalverwaltungen ermöglichen sollte (ebd.). Die Amtszeit der Bürgermeister betrug in Kommunen mit mehr als 10.000 Einwohnern zwölf Jahre und war hauptamtlich besetzt. In kleineren Kommunen war der ehrenamtliche Bürgermeister für sechs Jahre bestellt (§ 44 DGO-NS). Das PrGVF und die DGO-NS verstetigten den bereits in der ersten Phase (siehe Abschnitt 4.2.1.3) beschriebenen Trend zur Verkleinerung der Kommunalparlamente. In Marburg gab es ab 1933 zunächst nur noch 16 Gemeinderäte und sechs ehrenamtliche Beigeordnete. Die Zahl der Gemeinderäte wurde durch die DGO-NS zwar formal auf 20 erhöht. Allerdings wurden die Mandate nie besetzt. Die Zahl der ehrenamtlichen Beigeordneten wurde auf drei reduziert (Wilder et al. 2018, S. 71, 82). Hervorzuheben ist, dass die Ratsherren nicht unbedingt Mitglieder der NSDAP sein mussten. Wichtiger waren die Netzwerke, welche die Berufenen in der Kommune hatten. Zentral waren „nationale Zuverlässigkeit, Eignung und Leumund“ und „Persönlichkeiten […], deren Wirkungskreis der Gemeinde ihre besondere Eigenart oder Bedeutung gibt oder das gemeindliche Leben wesentlich beeinflußt.“ (§ 51 DGO-NS).

Reichsweit waren trotzdem ca. 90 % der Ratsherren Mitglied der NSDAP.

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Politik und Verwaltung im Nationalsozialismus

Dass die Auswahl der neuen Gemeinderäte trotz dieser Regelung sehr zäh ablaufen konnte, zeigt das Beispiel Frankfurt am Main. Hier zog sich der Auswahlprozess, der nach Beschluss des PrGVF im Dezember 1933 innerhalb von drei Monaten abgeschlossen sein sollte, bis in den März 1935. Größtes Hindernis waren dabei die Meinungsverschiedenheiten zwischen Oberbürgermeister, Regierungspräsident und Gauleiter (Tüffers 2005, S. 56). Während dem Oberbürgermeister und dem Regierungspräsidenten, die sich sehr eng abstimmten und über ein großes Netzwerk an nützlichen Kontakten in der Stadt verfügten, die Parteiideologie bei der Besetzung nachrangig erschien, bestand der Gauleiter darauf, dass nur ideologisch gefestigte Männer zu Gemeinderäten ernannt wurden. Letztlich setzte sich dann auch der Gauleiter durch (Tüffers 2005, S. 56 f.). Eingesetzt wurde der Gemeinderat allerdings nie, da im Frühjahr 1935 die DGO-NS in Kraft trat und der Prozess von vorne beginnen musste (Tüffers 2005, S. 57). Nach Abschluss der Implementierung der Gemeindeordnung zeigt sich dann aber eine starke Kontinuität in den Leitungen der Kommunen. Die DGO-NS beendete die strukturellen Umbaumaßnahmen und verstetigte die NS-Herrschaft auf der Kommunalebene. Im wieder angeschlossenen Saargebiet dauerte die Umsetzung der Gemeindeordnung, anders als in den restlichen deutschen Kommunen, bis 1937. Besonders hart traf es dort die Bürgermeister. Bis 1937 wurden alle Bürgermeister entlassen oder pensioniert und alle Gemeinderäte, die vor 1935 nicht der Deutschen Front (dem Pendant der NSDAP im Saarland) angehört hatten, ebenfalls aus ihren Ämtern entfernt (Jacoby 1973, S. 171 f.). In Tübingen wurde aufgrund der DGO-NS der Bürgermeister durch den Fraktionsvorsitzenden der NSDAP Weinmann ersetzt, der weniger als Stellvertreter denn als Kontrolleur des Oberbürgermeisters und eigentlicher „Führer der Gemeinde“ in Erscheinung trat (Schönhagen 1991, S. 186). In fast allen Kommunalstudien zeigt sich, dass Mandatsträger im alten Reichsgebiet, die das Jahr 1935 im Amt überstanden hatten, bis 1945 im Amt blieben, sofern sie nicht aus Altersgründen in den Ruhestand geschickt wurden (Klöckler 2012, S. 146; Mecking 2005, S. 79; vgl. Schönhagen 1991; Wilder et al. 2018, S. 84). In Marburg schied lediglich der hauptamtliche Stadtbaurat Heinrich Hilmer 1939 nach Ende seiner 12-jährigen Amtszeit aus Altersgründen aus (Wilder et al. 2018, S. 85). Ein Großteil der kommunalen Aufgaben ging mit der DGO-NS auf staatliche Behörden oder Parteistellen über. Ziel dieser Reorganisation war die formale Beendigung der kommunalen Selbstverwaltung, welche faktisch bereits in der ersten Phase erreicht wurde, um die politische und ideologische Responsivität der Kommunalverwaltungen zu sichern. Das Reich (insbesondere das RMI) erhielt mit der Reform ein weitreichendes Eingriffsrecht in kommunale Angelegenheiten

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und die Fachaufsicht über die Kommunen (Rebentisch 1989a, S. 541). Die verbliebenen Aufgaben der Gemeinde erledigte der (Ober-)Bürgermeister zusammen mit den Gemeinderäten, wobei dem Bürgermeister gemäß dem „Führerprinzip“ eine herausgehobene Stellung zukam. Diesen „Lokaldiktatoren“ kamen sämtliche Letztentscheidungen zu. Sie waren weitgehend frei von gemeindlicher Kontrolle und waren nur der Aufsichtsbehörde und dem Beauftragten der NSDAP im Gemeinderat gegenüber verantwortlich (Bracher et al. 1962, S. 620 f.). Dieser garantierte den Einfluss der NSDAP auch in Kommunen, in denen kein NSDAP-Mitglied zum (Ober-)Bürgermeister ernannt worden war. Eine Personalunion zwischen Bürgermeister und Parteibeauftragten wurde zwar nicht explizit verboten, jedoch achteten das RMI und die NSDAP sehr genau darauf, dass beide Positionen getrennt besetzt wurden. Andernfalls wären die Parteibeauftragten staatlichen Stellen (RMI, Reichsstatthalter, Regierungspräsident, Landrat) unterstellt gewesen, was den Führungsanspruch der Partei unterminiert hätte (Bracher et al. 1962, S. 622).

4.3.2

Rechtliche Veränderungen der Beamtengesetzgebung und ihre Umsetzung seit 1934

Zusätzlich zu den strukturellen Veränderungen ergaben sich für die Beamten auch in der zweiten Phase Veränderungen in der Beamtengesetzgebung. Eine zunehmende Wichtigkeit bekamen in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre die politischen Beurteilungen. So mussten alle Neueinstellungen von Beamten in den Reichsministerien nun vom Stellvertreter des Führers bestätigt werden (Schulz 2017, S. 67). Die Personalpolitik der Ministerien war damit von einem externen Akteur abhängig, was die Freiheiten der Minister bei der Rekrutierung des eigenen Personals und das Grundprinzip der Bestenauswahl stark einschränkte. Außerdem erstellten ab 1935 die Kreis- und Gaupersonalämter reichsweit alle politischen Beurteilungen für Beamte. Die Gauämter für Beamte, die vorher zuständig waren, hatten in diesem Bereich keine Zuständigkeit mehr und konzentrierten sich stärker auf die politischen und ideologischen Schulungen der Beamten, welche deren bedingungslose Gefolgschaft sichern sollten (Roser und Spear 1993, S. 92 ff.). An nationalsozialistischen Feiertagen sorgten die Ämter dafür, dass alle Beamten ihre Verbundenheit mit dem System in öffentlichen Veranstaltungen und Aufmärschen bekundeten (Roser und Spear 1993, S. 96 f.). Wer nicht teilnahm, musste mit empfindlichen Disziplinarmaßnahmen wie Strafgeldern oder (vorübergehenden) Kürzungen der Bezüge rechnen (ebd.).

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Politik und Verwaltung im Nationalsozialismus

Neben den zuständigen NS-Ämtern wurden ab 1935 auch alle Behördenleiter bis hinunter zur Kommune per Führererlass verpflichtet, die Gesinnung ihrer Beamten und Angestellten in die Personalakten aufzunehmen. Dies sollte bei zukünftigen Besetzungs- und Beförderungsverfahren die Auswahl von politisch zuverlässigen Beamten erleichtern. Als positiv galten: – – – –

„politisches Taktgefühl“ „Bejahung des Nationalsozialismus“ „besonderes Ansehen in leitenden NS-Kreisen“ „Führereigenschaften“ wie „zielbewusstes und energisches Auftreten“ (Majer 1987, S. 231).

Negativ aufgenommen wurde – – – – –

ein „schlechtes Verhältnis zur Partei“ eine „bedenkliche Einstellung zum Kriegsstrafrecht“ die „Ablehnung der Todesstrafe“ „kein aktiver Einsatz für den Nationalsozialismus“ ein „weltanschaulich uneindeutiger“ (neutraler) Beamter (ebd.).

Einen juristisch grundlegenden Einschnitt bedeutete am 27. Januar 1937 der Erlass des Deutschen Beamtengesetzes (DBG)25 . Das DBG sollte ursprünglich bereits 1935 in Kraft gesetzt werden. Allerdings verzögerten der Stab des Stellvertreters des Führers und Hitler persönlich den finalen Beschluss um mehr als zwei Jahre (Majer 1987). Der Grund für dieses Vorgehen war ähnlich wie bei der oben beschriebenen Reichsreform. Sowohl die Parteioffiziellen als auch Hitler fürchteten, dass die Implementierung des Gesetzes das Führerprinzip potenziell gefährden könnte, da es die freie Entscheidungsgewalt des Reichskanzlers im Bereich des Beamtenrechts einschränke und somit mögliche zukünftige Entscheidungen Hitlers und der Parteieliten auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene erschwere (ebd.). Inhaltlich wurden im DBG die rechtlichen Konsequenzen bezüglich Entlassungen des BBG noch verschärft. Statt einer Versetzung in den Ruhestand war nun die Entlassung und Entziehung der Ruhestandsbezüge das normale Mittel, das gegen „politisch unzuverlässige“ Beamte angewandt wurde (§ 71 DBG). Auch wurde die Zuverlässigkeit nun strenger definiert. Als politisch 25

Deutsches Beamtengesetz vom 27. Januar 1937, In der Fassung vom 27. Januar 1937.

4.3 Struktureller Zustand des Systems am 01. September 1939

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unzuverlässig galten Beamte nun, wenn sich nur kleinste Hinweise auf eine „nicht nationalsozialistischen Gesinnung“ zeigten. So wurde beispielsweise ein Beamter 1937 entlassen, da er sich weigerte der NSV beizutreten und den deutschen Gruß oftmals „zu lässig“ ausführte (Majer 1987, S. 229). Im DBG wurde außerdem festgelegt, dass Beamte dienstliche Fortbildungen und ideologische Schulungen besuchen mussten (§ 107). Formell sollte diese Anordnung sicherstellen, dass Beamte den steigenden Anforderungen gewachsen waren. Faktisch war das Ziel allerdings eine weitere ideologische Gleichschaltung der Beamtenschaft. Die Zertifikate für erfolgreiche Schulungsteilnahmen sollten im Beförderungsprozess berücksichtigt werden. Besonders erfolgreich war die Praxis jedoch nicht, da viele Behörden die Anerkennung der Schulung verweigerten (Röhling 2017, S. 130). Des Weiteren wurden PGs in der Beamtenausbildung nun noch stärker bevorzugt als ohnehin schon. Am 16. Juli 1935 erteilte das RMI eine Weisungsbefugnis, wonach freie Stellen im unteren und mittleren Dienst bevorzugt mit PGs und Alten Kämpfern besetzt werden sollten. Am 01. November 1935 wurde außerdem vom RMI ein Erlass weitergegeben, wonach alle Beamtenanwärter, die nach dem 31. Dezember 1935 das 16. Lebensjahr vollendet hatten, Mitglied der HJ sein mussten, um in den Beamtendienst aufgenommen zu werden (Röhling 2017, S. 123). Zu diesen gewährten Vorzügen kamen später noch Vorteile in der Prüfungsvorbereitung. Am 30. Dezember 1937 ordnete Martin Bormann im Auftrag Hitlers folgende Verfügung an, welche vom RMI durchgesetzt wurde: „Ich habe Beobachtung gemacht, dass Beamtenanwärter, die nebenbei ehrenamtlich Dienst in der Bewegung tun, sich nicht in dem Ausmass wie andere Beamtenanwärter auf Prüfungen vorbereiten können. Um eine Benachteiligung der Politischen Leiter in ihrer Beamtenlaufbahn zu vermeiden, ist künftig allen PG-Beamtenanwärtern, die sich auf eine Prüfung vorbereiten wollen, von den Hoheitsträgern auf Antrag Befreiung vom Dienst bis zu 6 Monaten zu gewähren.“ (Bundesarchiv NS 6/227)

Kurz nach dieser Verfügung wurde im Frühjahr 1938 die NSDAP-Mitgliedschaft zur Voraussetzung für die Zulassung zur Laufbahnprüfung in allen Beamtengruppen (Röhling 2017, S. 125), was die Funktionale Politisierung der Beamten weiter förderte.

98

4

4.3.3

Politik und Verwaltung im Nationalsozialismus

Auswirkungen der Veränderungen auf das Verwaltungspersonal

4.3.3.1 Reichsebene Wie zeigen sich die dargestellten strukturellen und juristischen Veränderungen bei den Beamten? Für die Beamtenelite in den Reichsministerien kann beobachtet werden, dass die Politisierung im Vergleich zu 1934 weiter zugenommen hat. 1939 waren bereits 73,6 % der Verwaltungseliten Mitglieder der NSDAP. Bei den Staatssekretären und Unterstaatssekretären lag die Quote gar bei 100 % (Strobel et al. 2020. eigene Berechnungen). Diese hohe Quote liegt wohl primär an der exponierten Stellung der Verwaltungseliten. Für das Reichsarbeitsministerium kann Schulz zeigen, dass schon auf Ebene der Referatsleiter die Mitgliedschaftsquote deutlich geringer war (Schulz 2017, S. 67 f.). Vor allem der Leiter der Personalabteilung des RAM Hermann Rettig versuchte die Einstellungspraxis der Weimarer Republik, welche sich an der Bestenauswahl orientierte, beizubehalten (ebd.). Dies führte zu großem Unmut in der Partei, welchen Rudolf Heß in einem Brief vom 01. Februar 1938 an Hans-Heinrich Lammers deutlich äußerte: „Seit längerer Zeit sind für mich die Personalverhältnisse im Reichsarbeitsministerium eine Quelle ernster Besorgnis. Wie wenig befriedigend diese sind, geht allein schon daraus hervor, daß – wie ich unterrichtet worden bin – von den 38 im Ministerium tätigen Ministerialräten nur 5 der Partei angehören. [...] Das Reichsarbeitsministerium hat auch von der Möglichkeit einer Reinigung seines Beamtenkörpers von nicht-arischen und jüdisch-versippten Beamten im Rahmen des Berufsbeamtengesetzes nur in durchaus unbefriedigender Weise Gebrauch gemacht“ (Bundesarchiv R 43-II/1138b. zitiert nach Schulz 2017, S. 68)

Hermann Rettig wurde in der Folge zwar entlassen. Dennoch änderte sich an der Personalpolitik im RAM wenig. Wie auch auf der Mittel- und Kommunalebene zu beobachten, stellte sich die Hausleitung häufig hinter die eigenen Mitarbeiter und damit gegen die Forderungen der NSDAP (Schulz 2017, S. 69 f.). Beim Blick auf die Mitgliedschaften der Verwaltungseliten in den angeschlossenen Verbänden und Organisationen kann festgestellt werden, dass die Zahlen im Vergleich zu 1934 stagnierten. 69,3 % der Beamten waren Mitglied in mindestens einem Verband bzw. einer NS-Organisation. Allerdings stiegen der Anteil der SA-Mitglieder auf 17,9 und der Anteil der SS-Mitglieder auf 32,1 %. 12,1 % der Verwaltungseliten arbeiteten parallel zu ihrer Verwaltungsposition in einem Hauptamt der NSDAP. 17,1 % hatten in einer Vorposition bereits für die NSDAP gearbeitet. 17,9 % aller Verwaltungseliten hatten vor oder zum Erhebungszeitpunkt ein Landtags- oder Reichstagsmandat (Strobel et al. 2020. eigene Berechnungen).

4.3 Struktureller Zustand des Systems am 01. September 1939

99

Beim Politisierungsindex zeigt sich ein Anstieg gegenüber 1934 (siehe Tabelle 4.5). Liegt der Index für 1934 noch bei 0,28, so weist er 1939 einen Wert von 0,38 auf. Es zeigen sich wieder signifikante Ressortunterschiede (FWert 2,33 und hochsignifikant): Den niedrigsten Wert weisen nun die Reichsstelle für Raumordnung mit 0,17 und das Oberkommando der Wehrmacht mit 0,20 auf. Die höchsten Werte finden sich im RMI mit 0,58, der Reichskanzlei mit 0,53, dem Erziehungsministerium mit 0,50 und dem Propagandaministerium bzw. dem Reichsforstamt mit 0,49. Ein Vergleich der einzelnen Mittelwerte von 1934 und 1939 zeigt, dass in fast allen Altministerien (Ministerien, die schon vor 1933 existierten) eine nachholende Politisierung stattgefunden hat (Strobel et al. 2020. eigene Berechnungen). Tabelle 4.5 Mittelwerte des Politisierungsindex nach Ressorts und F-Wert der Varianzanalyse

Präsidialkanzlei

1934

1939

0,11

Unbekannt

Reichskanzlei

0,33

0,53

Auswärtiges Amt

0,07

0,38

Inneres

0,51

0,58

Justiz

0,28

0,33

Finanzen

0,17

0,30

Wirtschaft

0,21

0,38

Ernährung, Landwirtschaft

0,37

0,47

Arbeit

0,22

0,31

Wehrmacht

0,22

0,20

Wissenschaft, Erziehung

0,44

0,50

Verkehr

0,11

0,31

Post

0,30

0,31

Volksaufklärung, Propaganda

0,31

0,49

Luftfahrt

0,33

0,28

Reichsforstamt

0,56

0,49

Kirchliche Angelegenheiten

0,37

Generalbauinspekteur

0,22

Reichsstelle Raumordnung

0,17

F-Wert

2,94***

2,33**

Hinweis: * (p < .05) ** (p < .01) *** (p < .001). Quelle: Strobel et al. 2020. eigene Berechnung und Darstellung.

100

4

Politik und Verwaltung im Nationalsozialismus

Diese ist nicht etwa auf einen großen Austausch der Beamten, sondern vorrangig auf den Beitritt zu NS-Organisationen zurückzuführen. Die steigenden Mitgliedsquoten bei SA und SS spielen hier eine entscheidende Rolle, da diese in der Indexbildung höher gewichtet wurden als einfache NSDAP-Mitgliedschaften. Ausnahmen sind nur das OKW und das Reichsluftfahrtministerium, was allerdings nicht verwunderlich ist, waren diese doch militärisch geprägt und eine Mitgliedschaft in NS-Organisationen oder der NSDAP nach § 26 Abs. 1 Wehrgesetz26 nicht gestattet („Die Zugehörigkeit zur NSDAP oder zu einem der ihr angeschlossenen Verbände ruht für die Dauer des aktiven Wehrdienstes.“). Bei der Clusteranalyse zeigen sich wieder zwei Cluster (siehe Tabelle 4.6). Allerdings haben sich Verschiebungen zwischen den Gruppen im Vergleich zu 1934 ergeben. War beispielsweise 1934 das Auswärtige Amt noch im Cluster 1, so lässt es sich 1939 nicht mehr klar zuordnen. Die Hälfte des Personals fällt in Cluster 1, die andere Hälfte in Cluster 2 (Strobel et al. 2020. eigene Berechnungen). Erklärungen hierfür finden sich in der schon in Phase beschriebenen Personalpolitik des Außenministers Konstantin von Neurath, der ab 1934 aktiv die Selbstgleichschaltung der Beamten über Parteimitgliedschaften förderte (siehe Abschnitt 4.2.3.1). Besonders auffällig ist, dass alle Ministerien, die zwischen dem 01. September 1934 und dem 01. September 1939 neu gegründet wurden, in das Cluster 1 fallen. Der Grund hierfür könnte sein, dass es sich, abgesehen von den Kirchlichen Angelegenheiten, eher um technische Ressorts handelte, welche keine oder nur wenige ideologisch salienten Themen behandelten. Ein größerer Austausch ist für die Phase von 1934 bis 1939 in den Altministerien nicht mehr zu beobachten. Die Quote der Neuernennungen von Verwaltungseliten im Vergleich zu 1934 liegt zwar in der gesamten Gruppe immer noch bei 57,1 % (80 Personen) (Strobel et al. 2020. eigene Berechnungen). Allerdings entfällt die Hälfte dieser Neuernennungen auf die neu geschaffenen Ministerien. Die andere Hälfte entfällt, abgesehen von Einzelfällen, auf neue Abteilungen in den bereits existierenden Ministerien bzw. einen Ausbau der Ministerien. Die Verwaltungserfahrung in den Vorpositionen blieb stabil (1934 10,8 Jahre, 1939 10,1 Jahre) und die durchschnittliche Gesamtdauer der Elitemitgliedschaft stieg von 30,2 Monaten 1934 auf 52,8 Monate 1939, was ebenfalls für eine niedrige Austauschquote spricht (Strobel et al. 2020. eigene Berechnungen). Das Durchschnittsalter und der Bildungsgrad der Beamtenelite blieben gegenüber 1934 weitgehend stabil. Lag 1934 das Durchschnittsalter bei der ersten Ernennung in eine Eliteposition noch bei 46,5, so lag es 1939 nur noch bei 45,9 Jahren. Elitepositionen wurden in einem jüngeren Alter übernommen als noch 26

Wehrgesetz vom 21. Mai 1935, In der Fassung vom 17. August 1938.

4.3 Struktureller Zustand des Systems am 01. September 1939

101

Tabelle 4.6 Ergebnis der Two-Step-Clusteranalyse „Politisierungsindex x Ressort“ für den Erhebungszeitpunkte 1939 Cluster 1 „Niedriger Politisierungsgrad“

Nicht eindeutig zuordenbar

Cluster 2 „Hoher Politisierungsgrad“

Auswärtiges Amt Reichsjustizministerium Reichswirtschaftsministerium Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft Reichsverkehrsministerium

Reichskanzlei Reichsministerium des Innern Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda Reichsforstamt

1939 Reichspräsidialkanzlei Reichsfinanzministerium Reichsarbeitsministerium Oberkommando der Wehrmacht Reichspostministerium Reichsluftfahrtministerium Reichsministerium für Kirchliche Angelegenheiten Generalbauinspekteur Reichsstelle für Raumordnung

Quelle: Strobel et al. 2020. eigene Berechnung und Darstellung.

1927 oder 1934 (Strobel et al. 2020. eigene Berechnungen). Es zeigt sich somit auch empirisch die Aufnahme von jüngeren Beamten in die leitenden Positionen. Der Juristenanteil nahm bis 1939 weiter ab (1934 48,5 %, 1939 42,1 %) (Strobel et al. 2020. eigene Berechnungen). Eine Besonderheit zeigt sich bei den Staatssekretären. Dort ist ein enormer Abfall bezüglich des Bildungsgrades von durchschnittlich 4,9 1934 auf 4,6 1939 zu beobachten. Das ist bemerkenswert, da der Wert 5 für einen Universitätsabschluss steht (Strobel et al. 2020. eigene Berechnungen). Von den 30 Staatssekretären hatten elf keinen Studienabschluss. Dabei handelt es sich um Erich Raeder, Ernst Freiherr von Weizsäcker, Karl Hanke, Baldur von Schirach, Karl Frank, Fritz Reinhardt, Werner Willikens, Hans von Tschammer und Osten, Konstantin Hierl, Hermann Esser und Erhard Milch. Bei Milch, Raeder und Weizsäcker war der Grund die militärische Ausbildung, die alle drei durchlaufen hatten und aufgrund derer sie schon in den 1920er Jahren in die Ministerialverwaltung kamen. Bei den anderen handelte es sich um NS-Eliten, die vor allem ihrer Parteiposition den Aufstieg zum Staatssekretär verdankten. Karl Hanke war beispielsweise schon vor der Machtergreifung der persönliche Sekretär von Joseph Goebbels und wurde von diesem in das RMVP mitgenommen. Fritz Reinhardt wurde auf persönlichen Wunsch Hitlers zum Staatssekretär im RFM ernannt, Esser war seit Anfang der 1920er Jahre eng mit Hitler befreundet und Willikens wurde aufgrund seiner Arbeit als NSDAP-Obmann im Landwirtschaftsausschuss des Reichstages zwischen 1928 und 1933 zum Staatssekretär im

R2 ,18

140

−2,93*** (,55) ,19

140

−2,62*** (,65)

−,36 (,43)

4,03*** (1,15)

M2

,22

140

−2,71*** (,67)

1,56 (,89)

−,22 (,45)

3,84*** (1,16)

M3

,22

140

−2,61*** (,70)

−,33 (,47)

−,21 (,44)

,22

140

−2,67*** (,72)

,36 (,49)

1,58 (,90)

−,33 (,48)

3,83*** (1,17)

M5

1,53 (,90)

−,22 (,45)

3,81*** (1,16)

M4

,23

140

−2,64*** (,72)

−,17 (,48)

−,15 (,47)

,26

140

−3,72*** (,99)

1,20 (,63)

,32 (,50)

−,32 (,48)

1,90 (,95)

−,61 (,52)

4,76*** (1,33)

M7

,38 (,50)

−,30 (,48)

1,54 (,90)

−,29 (,49)

3,84*** (1,17)

M6

Hinweise: Regressionskoeffizient mit Standardfehler in den Klammern; * (p < .05) ** (p < .01) *** (p < .001) Quelle: Strobel et al. 2020. eigene Berechnung und Darstellung.

Nagelkerkes

N

Konstante

Alter

Evangelisch

4,30*** (1,11)

M1

4

Jura

Promotion

Politikerfahrung

Verwaltungserfahrung

Kontrollvariablen

Politisierungsindex

1939

Tabelle 4.7 Regressionsmodelle: Führt NS-Politisierung 1939 zu einer höheren Verwaltungsposition?

102 Politik und Verwaltung im Nationalsozialismus

4.3 Struktureller Zustand des Systems am 01. September 1939

103

RMEL. Hierl und von Schirach erhielten die Position zur effektiveren Ausführung ihrer Aufgaben als Reichsarbeits- bzw. Reichsjugendführer. Alle Beispiele zeugen von einer intensiven Parteipolitisierung bei Neuernennungen in Schlüsselpositionen. Es wurde erneut untersucht, ob eine hohe Politisierung (wie schon 1934) einen Einfluss auf die Ernennung in höhere Positionen hat. Hierfür wurde auch für den zweiten Stichtag eine binär-logistische Regression durchgeführt (siehe Tabelle 4.7). Es zeigen sich ähnliche Ergebnisse wie 1934. Der Politisierungsgrad hat einen signifikanten Einfluss auf die Ernennung in höhere Positionen. Auffällig ist allerdings, dass das Nagelkerke R2 deutlich höher liegt als 1934. Politisierung hat 1939 also einen deutlich stärkeren Einfluss auf die Ernennungswahrscheinlichkeit als noch 1934. Der starke Effekt des Jurastudiums, der 1934 noch zu beobachten war, ist 1939 verschwunden (Strobel et al. 2020. eigene Berechnungen). Ob sich diese Befunde auch auf der Mittelebene bestätigen lassen, wird der nächste Abschnitt zeigen.

4.3.3.2 Mittelebene Die Pfalz und das Saargebiet seit 1934 Vor der Wiedereingliederung des Saargebiets machten sich sowohl Bayern als auch Preußen Hoffnungen darauf, das Gebiet in ihr Territorium einzugliedern. Hitler entschied sich allerdings anders: Er ernannte den Gauleiter der Pfalz Josef Bürckel zum Reichsstatthalter für das Saargebiet und Sonderkommissar für den Wiederanschluss. Bürckel war im Saargebiet somit sowohl Leiter der Verwaltung als auch Führer der Partei (Heinz 1994, S. 133). Das Saargebiet wurde damit de facto zum Reichsland bzw. Reichsgau, auch wenn das RMI und die NSDAP diese Begriffe nach dem Scheitern der Reichsreform offiziell vermied (Jacoby 1973, S. 160 ff.). Alle übernommenen Saarbeamten wurden zunächst zu Reichsbeamten ernannt und die Zentralverwaltung des Saargebiets (Reichskommissariat) erhielt die Struktur, die in folgender Abbildung 4.3 dargestellt ist: Bürckel ernannte fast ausschließlich Männer seines Vertrauens und verlässliche Parteigenossen zu Abteilungsleitern. Nietmann war beispielsweise stellv. Landesführer der Deutschen Front (das Pendant der NSDAP im Saargebiet) und Wambsganß Leiter des pfälzischen NSDAP-Gauamts für Erzieher. Als Polizeipräsident setzte Bürckel den SS-Standartenführer und NSDAP-Fraktionsvorsitzenden im pfälzischen Kreistag Willy Schmelcher ein. Der einzige Abteilungsleiter, der aus der Völkerbundregierung übernommen wurde, war Max Obé (Jacoby 1973, S. 163 f.). Um die Beamtenschaft des Saarlands schnell an die neuen Verhältnisse zu gewöhnen, brachte Bürckel zahlreiche auswärtige höhere Beamte mit, die die

104

4

Politik und Verwaltung im Nationalsozialismus

Reichsstatthalter und Sonderkommissar für das Saargebiet Josef Bürckel

Regierungspräsident und Stellv. Reichsstatthalter Philipp Jung

Abteilung Ia

Abteilung Ib

Abteilung Ic

Abteilung II

Abteilung IIIa

Abteilung 1a

Personal, Landräte, Kassenwesen, Hoheitssachen, Gendarmerie

Gemeindeaufsicht, Bauten und Wirtschaft

Arbeit, Landwirtschaft, Gewerbeaufsicht, Veterinärwesen, Landesarbeitsamt

Provinzialanstalten, Landesfürsorgeverband

Schulwesen

Justiz, Oberversicherungsamt, Versorgungsgericht

Philipp Jung

Karl Barth

Heinrich Nietmann

Max Obé

Friedrich Wambsganß

Richard Binder

Abbildung 4.3 Organigramm des Reichskommissariats für das Saargebiet. (Quelle: Jacoby 1973, S. 163. eigene Darstellung)

NS-Ideologie in der Verwaltung durchsetzen sollten. Von 51 besetzten Beamtenstellen des höheren Dienstes besetzte Bürckel 21 durch linientreue Beamte aus anderen Regionen (vornehmlich Pfälzer) (Fenske 1986, S. 164). Sie hatten zwar nicht die Mehrheit der höheren Beamten, jedoch die Schlüsselpositionen inne (Jacoby 1973, S. 164 f.). Bei allen zeigt sich eine klare Parteipolitisierung im Rekrutierungsprozess, welche gleichzeitig mit einem ausgeprägten Klientelismus verbunden war. Für Bürckel und die pfälzischen NSDAP-Mitglieder bot das Saargebiet eine optimale Möglichkeit, ökonomisch zu profitieren. Die neue Macht Bürckels im Saargebiet bedeutete jedoch nicht, dass das Saargebiet nun ohne die Eingriffe Bayerns und Preußens auskam. Der Grund hierfür war, dass zahlreiche (Landes-)Behörden mit Zuständigkeit für das Saargebiet in preußischem oder bayerischen Territorium lagen: Beispiele sind das Landesfinanzamt Würzburg, das Oberverwaltungsgericht in Köln sowie das Hauptversorgungsamt und das Wasserschifffahrtsamt in Koblenz (Jacoby 1973, S. 162). Bürckel versuchte daher, für sich und sein Reichskommissariat eine höhere Autonomie herzustellen. Im März 1935 vereinigte er, mit dem Einverständnis Hitlers, den Saar-Gau der NSDAP mit dem Pfalz-Gau zum neuen Gau Pfalz-Saar (Fenske 1986, S. 153). Im Anschluss verfolgte er als Anhänger des Reichsgau-Modells das Ziel, auch die staatlichen Stellen zu vereinigen, was allerdings bis Kriegsbeginn vom RMI mit Verweis auf die noch vermeintlich ausstehende Reichsreform abgelehnt wurde (Fenske 1986, S. 166; Heinz 1994, S. 159).

4.3 Struktureller Zustand des Systems am 01. September 1939

105

Im Saargebiet entwickelte sich bezüglich der Beamten ein ähnliches Bild wie schon bis 1934 in der Pfalz: Schon vor dem Anschluss an das Reich stellten sich die Beamten des Saargebiets auf die Anpassung an die NS-Herrschaft ein. Insbesondere weil die NSDAP die berufliche Zukunft der Beamten nach dem Wiederanschluss im Unklaren ließ (Jacoby 1973, S. 165). Nach dem erfolgten Anschluss bot das Reichskommissariat allen Beamten, denen 1920 die französische Staatsbürgerschaft aufgezwungen wurde, an, weiterhin für die Regierung des Saargebiets tätig zu sein. Alle, die 1920 freiwillig Franzosen geworden waren, mussten den Beamtendienst verlassen (Jacoby 1973, S. 167). Von 479 sogenannten A- und B-Beamten der Völkerbundregierung wurden, bis auf elf, alle durch die NSDAP als politisch zuverlässig eingestuft und übernommen (Jacoby 1973, S. 167 f.). Im Februar 1935 überprüfte die deutsche Beamtenübernahmekommission 14.258 Saarbeamte und empfahl die Übernahme von 13.974 Beamten (Jacoby 1973, S. 169), was einer Übernahmequote von 98 % entspricht. Von den 284 Abgelehnten beantragten 62 freiwillig eine vorzeitige Pensionierung. 222 wurden ohne Bezüge entlassen, 135 davon in der inneren Verwaltung (ebd.). Obwohl eine Anwendung des BBG formal erlaubt war, kam es nur selten zum Einsatz (Jacoby 1973, S. 170). Allerdings gab es eine Besonderheit: Aufgrund der Beamtenabrede zwischen der Reichsregierung und der Regierungskommission des Völkerbundes wurden von den Saarbeamten keine Ariernachweise verlangt. Stattdessen wurde im Personalfragebogen dazu lediglich eine Frage gestellt, deren Antwort eher nachlässig von der NSDAP nachgeprüft wurde (Jacoby 1973, S. 171). Baden und Württemberg seit 1934 In Baden und Württemberg änderte sich nach den strukturellen Veränderungen in der ersten Phase kaum mehr etwas. Bezüglich der Verwaltung wurden die politischen Schulungen der Beamten zunehmend wichtiger. Anders als in anderen Regionen des Reichs dauerte es in Baden und Württemberg bis zur zweiten Hälfte der 1930er Jahre, bis die Schulungen einen Umfang erreichten, wie er in anderen Regionen des Reichs längst Standard war. Gründe hierfür waren vor allem fehlende Ressourcen und ein sehr schleppend vollzogener Aufbau der Schulungsstrukturen (Roser und Spear 1993, S. 98). Bei den Beamten stießen die Schulungen auf breite Ablehnung. Anders als beispielsweise in Westfalen oder Brandenburg verhinderten die Landesinnenministerien von Baden und Württemberg, dass die Schulungen zur Dienstzeit erklärt wurden. Stattdessen wurden nur abkömmliche Beamte geschult und es mussten Urlaubstage geopfert werden, was zu einer sehr geringen Zahl an Teilnehmern führte (Roser und Spear 1993,

106

4

Politik und Verwaltung im Nationalsozialismus

S. 100). Folglich wurden die Schulungen in beiden Ländern bis 1941 wieder abgeschafft. Westfalen seit 1934 In Westfalen legte die NSDAP großen Wert auf die externe Kontrolle der Provinzverwaltung durch die Gauleitungen. Vor allem bei der Erstellung der politischen Gutachten, welche für die Einstellungen und Beförderungen essenziell wurden, betätigten sich die beiden Gauleitungen Westfalen-Nord und Westfalen-Süd besonders intensiv. Am 30. März 1936 verfügte Landeshauptmann Kolbow, dass sich alle Kandidaten für eine Einstellung oder Beförderung einem schriftlichen und mündlichen Test unterziehen mussten, der von der jeweils zuständigen Gauleitung durchgeführt wurde (Teppe 1977, S. 70 f.). Inhalte des Tests waren ein Aufsatz über „Die Grundsätze des Nationalsozialismus über Rasse und Blut in der Gesetzgebung des Dritten Reichs“, mündliche Fragen zur „Notwendigkeit der Vernichtung der früheren Parteien“, zum „Sinn und Zweck des Gesetzes über die Verhütung erbkranken Nachwuchses“ und Fragen zu einem ausgewählten Textauszug aus Hitlers „Mein Kampf“ (ebd.). Am 25. Oktober 1938 schaffte Kolbow die Tests wieder ab. Es hatten schlicht zu wenige (insgesamt nur 36) Kandidaten teilgenommen und es hielt andere potenzielle Bewerber davon ab, sich zu bewerben. Danach war nur noch die Zusicherung „Mein Kampf“ zu lesen, notwendige Voraussetzung für eine Einstellung. (Teppe 1977, S. 71). Beförderungen waren nun allerdings nicht mehr an das Dienstalter, sondern an „Tüchtigkeit und Leistung“ geknüpft, was zu einem hohen Maß an Ämterpatronage führte (ebd.). Im Laufe der Zeit führte die Einstellungs- und Beamtenpolitik zu immer größeren Konflikten zwischen dem unterdessen zum Regierungspräsidenten ernannten Kolbow und dem stellvertretenden Gauleiter von Westfalen-Süd Emil Stürtz. Diesem missfiel die Amtsführung Kolbows und die mangelnde Einbindung von PGs in die Verwaltung: Kolbow hätte „sich in die Arbeit gestürzt und dabei vergessen, die Peitsche zu schwingen, wie die Gauleitung das erwartet hätte. Als Behördenleiter braucht man keine ausgesprochenen Fachleute, sondern Männer, die immer und immerwieder die Peitsche schwingen, und damit den ganzen Beamtenapparat in Druck und Furcht halten. [Kolbow solle sich] lieber nicht beliebt bei den alten Beamten machen, sondern dafür Sorgen [dass sie vor ihm] zitterten.“ (Stürtz zitiert nach Teppe 1977, S. 72)

Stürtz Wutausbruch gegenüber Kolbow, den dieser selbst protokollierte, spiegelt die NS-Verwaltungspolitik deutlich wider. Die Verwaltung war für Stürtz lediglich ein Mittel zur Machtgewinnung, welches intensiv durch Parteiführer genutzt

4.3 Struktureller Zustand des Systems am 01. September 1939

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werden sollte. Kolbow ging nach diesem Gespräch auf einen stärkeren Konfrontationskurs zur Gauleitung Westfalen-Süd. Er versetzte den neu eingestellten Landesverwaltungsdirektor, der von der NSDAP zu seiner Kontrolle eingesetzt worden war, kurzerhand auf eine einflusslose Position und achtete darauf, dass sich die Gauleitungen nicht mehr in den Verwaltungsalltag einmischten. Außerdem setzte er bei Einstellungen nun konsequent die eigenen Kandidaten (alle PGs) durch, indem er die Kandidaten der Gauleitungen systematisch diskreditierte (Teppe 1977, S. 73 f.). Mit diesem Verhalten machte Kolbow nun die NSDAP-Parteizentrale in München auf sich aufmerksam. Sowohl die Leiter der Kommunalpolitischen als auch der Staatspolitischen Abteilung und Martin Bormann selbst beschwerten sich über das Verhalten Kolbows und anderer Oberpräsidenten bzw. Regierungspräsidenten. Der Hauptamtsleiter der staatsrechtlichen Abteilung der NSDAP Sommer schrieb am 29. November 1937 dazu: „Meinen Parteidienststellen fällt immer wieder auf, daß von den Leitern der Provinzialbehörden fast ausschließlich fachliche Gesichtspunkte als maßgeblich behandelt werden. Daneben wird die Frage der politischen Zuverlässigkeit und politischen Bewährung nur insofern herangezogen, als festgestellt wird, ob nicht das politische Verhalten der Beamten ausdrücklich [einer Einstellung] entgegensteht.“ (Bundesarchiv R 43-II/452. S. 72)

Die Feststellung änderte allerdings nichts an der Besetzungspolitik Kolbows und anderer Regierungspräsidenten. Für die Mittelebene kann festgestellt werden, dass in der zweiten Phase viele Maßnahmen der NSDAP zur Politisierung der Verwaltung nicht sonderlich erfolgreich verliefen. Seien es die Schulungen, die auf eine geringe Teilnahmebereitschaft stießen oder die mangelnde Aufnahme Alter Kämpfer und loyaler PGs in die mittlere Verwaltungsebene bei den Ländern und Provinzen. Statt an einer einheitlichen verwaltungspolitischen Linie waren die Gauleiter als „Regionalfürsten“ viel mehr am Ausbau der eigenen Machtposition interessiert. Der Erreichung dieses Ziels ordneten sie alles unter und arrangierten sich dabei auch mit funktionierenden, aber nicht im höchsten Maße personalpolitisch politisierten Verwaltungen.

4.3.3.3 Kommunalebene Bei der Besetzung von Positionen mit Alten Kämpfern hielten sich viele Kommunen ab 1934 zunehmend zurück, merkten die Stadt-/Gemeindeleitungen doch schnell, dass die meisten in den neuen Positionen entweder mit ihren Aufgaben überfordert oder schlicht zu faul für die korrekte Ausübung waren (Gotto 2005,

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Politik und Verwaltung im Nationalsozialismus

S. 46). Für Konstanz belegen Zahlen von 1937, dass es nur wenige Alte Kämpfer in die Stadtverwaltung geschafft hatten. Von ca. 600 Bediensteten waren nur vier Beamte, 32 Angestellte und 46 Arbeiter Alte Kämpfer. Hinzu kamen ca. 30 weitere PGs, welche später der Partei beigetreten waren. Den ca. 110 PGs standen somit ca. 490 unparteiliche Beamte entgegen (Klöckler 2012, S. 159). Diese 22 % reichten aber, um in der Stadtverwaltung ein Klima der Angst zu schüren und die Selbstgleichschaltung voranzutreiben. Schon ein einzelner PG oder Alter Kämpfer konnte eine ganze Abteilung auf Linie bringen (Mecking 2005, S. 85). Noch schlechter für die Aufnahme von Alten Kämpfern als in Konstanz stand es in kleineren Gemeinden. In Orten wie Fröndenberg an der Ruhr gab es zum einen nur wenige kommunale Beamte bzw. Angestellte und zudem wurde häufig niemand aufgrund des BBG entlassen oder versetzt. Bis 1936 wurden in der Kleinstadt lediglich fünf Beamte aufgrund des Erreichens der Altersgrenze in den Ruhestand versetzt (Klemp 1997, S. 205). Deren Positionen wurden nicht, wie von der Partei gewünscht, durch ideologisch besonders gefestigte PGs ersetzt, sondern durch Fachbeamte (ebd.). Wie schon auf den anderen Ebenen setzte die NSDAP auch auf der Kommunalebene spätestens ab 1935 auf fachliche und ideologische Schulungen der Beamten, auf gemeinsame Ausflüge der PGs in den Verwaltungen und Betriebsappelle durch die Ämter für Beamte und für Kommunalpolitik der NSDAP (Gotto 2005, S. 48; Mecking 2005, S. 84). Besonders notwendig war dies im Zuge der DGO-NS 1935, deren Details vielen Bediensteten der Verwaltungen auch nach der Einführung noch größtenteils unbekannt waren (Klöckler 2012, S. 144). In manchen Kommunen dauerte die Einführung der Schulungen aber weit länger. Ein Beispiel ist Konstanz, wo erst am 17. Januar 1937 die erste ideologische Schulung stattfinden konnte. Teilnahmeverpflichtet waren alle Bürgermeister des Landkreises und die Leiter der Kommunalverwaltungen. Inhaltlich wurden vor allem die Rassenhygienegesetze und deren Umsetzung vorgestellt. Die Schulung führte im Raum Konstanz zu einer großen Euthanasiewelle, angestoßen von der nun angestachelten Verwaltung (Klöckler 2012, S. 145). Eine zentrale Rolle bei der Politisierung der Kommunalverwaltungen spielten ab 1937 das DBG und die Reichsdienststrafordnung (RDStO). Dienstvergehen wurden ab diesem Zeitpunkt schärfer geahndet als zuvor. Dies zeigt das Beispiel eines pensionierten Kommunalbeamten in Württemberg, der alle seine Bezüge verlor, weil seine Tochter Stoffe bei einem Juden gekauft hatte. Dies galt als staatsfeindliche Betätigung des Pensionärs, da er seine Tochter nicht vom Kauf abgehalten hatte (Mecking und Wirsching 2005, S. 11). In den Kommunalverwaltungen herrschte spätestens nach der Einführung des DBG die stetige Angst vor Denunzierungen, was die Beamten, Angestellten und Arbeiter disziplinierte. Die

4.3 Struktureller Zustand des Systems am 01. September 1939

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Furcht war hier höher als in den höheren Ebenen, da Kommunalbeamte gerade in kleinen Kommunen gemeindeweit bekannt waren. Fehltritte in der Öffentlichkeit konnten diesen so deutlich leichter angelastet werden. Dies führte dazu, dass die Beamten versuchten, ihre Aufgaben besonders ideologiekonform umzusetzen. Bei einigen ideologisch brisanten Themen waren die Kommunen allerdings meist auf sich alleine gestellt. Ein Beispiel ist das Thema „Arisierung“ der Wirtschaft. Zentrale Vorgaben der Reichsministerien fehlten lange Zeit. Bis 1938 wurde vom Reichwirtschaftsministerium gar das Trugbild einer freien Wirtschaftsbetätigung von Juden aufrechterhalten (Bajohr 2004, S. 47). Erst danach folgten zentrale Anweisungen. Vorher war die Arisierung eher von unten getrieben. Auf Druck der lokalen Wirtschaft und der NSDAP Ortsverbände und Gauwirtschaftsberater gingen Kommunalverwaltungen und Landratsämter meist eigenmächtig gegen jüdische Betriebe vor (Bajohr 2004, S. 48). Die Verwaltungen entwickelten Maßnahmen, die es jüdischen Geschäftsinhabern erschwerten, ihre Betriebe weiterzuführen und diese häufig zu einem Verkauf zu sehr schlechten Konditionen zwangen (ebd.). Sachpolitische Interessen (Wohnungsbau, Wirtschaftspolitik) vermischen sich hier mit ideologischen Grundsätzen der NSDAP. Häufig hatten Mitarbeiter der Kommunalverwaltungen zwar sachpolitische Gründe als Ziel der „Arisierung“ (Bajohr 2004, S. 50 f.). (Beispiel: Wenn mehr jüdische Grundstücke und Wohnungen frei werden, wirkt sich das signifikant auf die Wohnungspolitik aus.) Sie arbeiteten den Zielen des Führers und der Partei damit aber auch ständig (bewusst oder unbewusst) entgegen. „Die Funktionalisierung verschiedenster Interessen und die drastische Ausweitung institutioneller Kompetenzen [durch die Kommunalverwaltungen], die für die ‚Arisierung‘ und Konfiszierung jüdischen Eigentums typisch waren, machen deutlich, daß die Verfolgung der Juden keineswegs allein auf Befehl und Gehorsam, diktatorisch ausgeübtem Zwang und dem routinierten Nachvollzug bürokratischer Abläufe beruhte.“ (Bajohr 2004, S. 53. Hervorhebungen im Original)

Ein weiteres Beispiel ist die schon oben kurz genannte Euthanasiewelle 1937 im Konstanzer Raum. Die Schulung, die im Januar 1937 durchgeführt wurde, führte in den Kommunalverwaltungen zu einem wahren Umsetzungseifer (Klöckler 2012, S. 145). Obwohl die Verwaltungen nicht von PGs durchdrungen waren, führten sie die Vorgaben der NSDAP zu diesem Thema meist überkorrekt aus. Die Angst vor Sanktionen bei Nichteinhaltung einerseits und die Möglichkeit zur schnellen Karriere durch Anpassung führte zu einer enormen Selbstgleichschaltung der Verwaltungen. In vorauseilendem Gehorsam gingen vor allem die Kommunalverwaltungen bei der Anwendung von Gesetzen und dem Erlassen

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Politik und Verwaltung im Nationalsozialismus

von Verordnungen oft weiter als von oben gewünscht (Klöckler 2012, S. 242 ff.). Dies radikalisierte die ideologisch getroffenen Entscheidungen noch und führte zu einer hohen Effizienzsteigerung bei Umsetzung der Verbrechen des Regimes.

4.3.4

Einordnung der Ergebnisse der zweiten Phase des NS in die Politisierungsformen

Zwischen 1934 und 1939 setzten sich die Trends, die sich schon bis September 1934 gezeigt hatten, weiter fort. Die Personalpolitische Politisierung blieb weiter äußerst wichtig. Allerdings ging es in der zweiten Phase des Systems nicht mehr primär um den Austausch der bestehenden Beamten (Ausnahme Saargebiet), sondern um die Besetzung neu geschaffener Positionen durch loyale Beamte. Daher spielten die Gebundene und die Offene Politisierung in dieser Phase auch keine allzu große Rolle mehr. In der zweiten Phase setzten die NSDAP bzw. die Verwaltungsleiter im Rahmen von Parteipolitisierung vielmehr auf junge gut ausgebildete PGs. Diese hatten beispielsweise ihr juristisches Staatsexamen nach 1933 gemacht und profitierten nun von den leichteren Zugängen zur Verwaltung. Es ergab sich dadurch eine Win-Win-Situation. Die jungen PGs profitierten von der Möglichkeit schnell Karriere machen zu können und die Partei hatte junges, noch formbares Personal, welches sich mit den Zielen der Partei identifizierte. Beispiele für diese Vorgehensweise finden sich in Kommunen wie Konstanz und Münster (Klöckler 2012, S. 105; Mecking 2005, S. 82), aber auch in den Reichsministerien. Ein prägnantes Beispiel hierfür ist Fritz Hippler: Der promovierte Jurist war bereits vor der Machtergreifung für die NSDAP aktiv, engagierte sich im Nationalsozialistischen Reichsstudentenbund und wurde im Alter von 30 Jahren im Januar 1939 Leiter der Filmabteilung des RMVP. Ein weiteres Beispiel ist Wilhelm Haegert, der bereits als Jugendlicher in den 1920er Jahren der NSDAP beitrat und schon im Alter von 26 Jahren nach seinem Ersten Staatsexamen die Leitung der Propagandaabteilung des RMVP übernahm. Beide Fälle zeigen, dass Parteipolitisierung in dieser Phase die entscheidende Rolle spielte. Dabei war es zentral für die Durchsetzung der Agenda, dass nicht nur einfache PGs in die Positionen kamen, sondern die neuen Beamten auch Fachkenntnisse mitbrachten. Entweder hatten die Partei bzw. die politischen Führer daher für neu zu besetzende Positionen schon einen bestimmten Kandidaten im Auge oder sie wählten aus einer Liste gleich gut geeigneter Kandidaten einen aus. Letzteres zeigte sich insbesondere auf der Kommunalebene. Bei der Besetzung von Bürgermeistern und Mitgliedern des Gemeinderats gab es häufiger nicht den einen Kandidaten, den die zuständige Parteileitung durchsetzen wollte,

4.3 Struktureller Zustand des Systems am 01. September 1939

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sondern es standen mehrere Kandidaten zur Auswahl. Grund hierfür war die Vorgabe der DGO-NS, nach welcher der Beauftragte der NSDAP drei Kandidaten vorschlagen musste (§ 41, 1 DGO-NS). Auf den unteren Ebenen spielte die Parteipolitisierung hingegen keine so große Rolle wie in den Schlüsselpositionen. Dort erkannten viele, dass patronierte PGs ohne Fachkenntnisse häufig mit ihren Aufgaben überfordert waren. Deshalb nützten auch die eingeführten Besetzungsquoten – die Hälfte der freien Stellen im einfachen und mittleren Dienst sollten beispielsweise in Westfalen durch Alte Kämpfer besetzt werden (Teppe 1977, S. 50 f.) – nicht sonderlich viel. Viele Behördenleiter setzten bei der Neubesetzung von Positionen eher auf qualifiziertes Personal als auf PGs, die fachlich nicht geeignet waren. Aufgrund der eingeschränkten Alternativen wurde in den bereits etablierten Behörden daher kaum noch Personal entlassen. Jede Fachkraft wurde zur Bewältigung der Aufgaben benötigt. Keine Politisierung war daher vielerorts ein gängiges Verfahren, um die Funktionsfähigkeit der Behörde durch die bestehenden Fachbeamten aufrecht zu erhalten. Es wäre nun leicht zu vermuten, dass der gestiegene Politisierungsindex in den Altministerien im Widerspruch zu dieser Aussage steht. Dies ist allerdings nur auf den ersten Blick der Fall. Entlassungen von Verwaltungseliten fanden in der zweiten Phase kaum statt. Der Anstieg des Index in den Altministerien wird stattdessen von zwei Faktoren beeinflusst: Zum einen war das NSDAP-Eintrittsverbot am 20. April 1937 gelockert worden, sodass zahlreiche Beamte, die in der Zwischenzeit schon Mitglieder der angeschlossenen NS-Organisationen waren, nun in die Partei eintreten konnten. Diese nachgeholte Politisierung der 1933 übernommenen Beamten führte dazu, dass es keinen Grund mehr gab, diese zu ersetzen. Zum anderen fand ein starker Ausbau der Ministerien statt, in dessen Zuge zahlreiche neue Abteilungen geschaffen wurden. Die Leitung dieser Abteilung übernahmen meist hoch qualifizierte und politisch äußerst zuverlässige PGs. Der Parteiführung missfiel es trotzdem, dass viele Alte Kämpfer auch Mitte der 1930er Jahre noch keinen Zugang in die Verwaltung hatten, wie verschiedene oben bereits genannte Zitate verdeutlichen (siehe Abschnitt 4.3.3.2). Beim Blick auf die Funktionale Politisierung zeigt sich, dass die Zusammenarbeit zwischen Politik und Verwaltung sehr gut funktionierte. Meist ergab sich aus unterschiedlichen Interessen der beiden Gruppen eine Zielkongruenz. Trotz unterschiedlicher Handlungsmotive und Ziele führten die Handlungen der Politiker und Beamten zum selben Ergebnis. Ein prägnantes Beispiel hierfür ist die bereits oben genannte Arisierungspolitik in den Kommunen. Während Politiker hier eher ideologische und antisemitische Interessen verfolgten, standen bei den Beamten vornehmlich ökonomische Interessen im Vordergrund. Politiker wollten ihre Kommunen von Juden säubern und Beamte die lokale Wirtschaft und

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Politik und Verwaltung im Nationalsozialismus

den Kommunalhaushalt stärken und den Wohnungsmangel bekämpfen (Bajohr 2004, S. 50 f.). Während die Verwaltungen also eher sachpolitische Interessen (Wohnungsbau, Wirtschaftspolitik) in den Vordergrund ihres Handelns stellten, agierten sie trotzdem im ideologischen Interesse der NSDAP. Die Zusammenarbeit von Politik und Verwaltung beschleunigte in diesem Feld die Erreichung des gemeinsamen Ziels: die Arisierung der Wirtschaft und Gesellschaft. Weitere Formen der Funktionalen Politisierung nach Aberbach et al. (1981) lassen sich aufgrund fehlender Quellen in dieser Phase nicht nachweisen. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass in einzelnen Behörden und Politikfeldern auch Formen der Trennung, Konkurrenz und des Hybrids vorgeherrscht haben. Dafür spricht, dass 1939 12,1 % der Verwaltungseliten in einem NS-Hauptamt beschäftigt waren. Deren Tätigkeiten in den Hauptämtern wirkten sich sicherlich auch auf deren Durchsetzungsmacht in den Ministerien aus.

Personalpolitische Politisierung

Funktionale Politisierung

Strukturelle Politisierung

Keine Politisierung

Trennung

Beibehaltung von Strukturen

Gebundene Politisierung

Zusammenarbeit

Einfügen von Neuen / Zwischenebenen

Offene Politisierung

Konkurrenz

Reorganisation

Parteipolitisierung

Hybrid

Auslagerung von Kompetenzen

Abbildung 4.4 Beobachtete Politisierungsformen der zweiten Phase des NS. (Hinweis: Beobachtete Politisierungsformen sind grau dargestellt, Quelle: eigene Darstellung)

Im Fall der Strukturellen Politisierung lassen sich haupstächlich die Beibehaltung von Strukturen, die Reorganisation und die Auslagerung von Kompetenzen beobachten (siehe auch Abbildung 4.4). Eine Beibehaltung zeigt sich vor allem

4.3 Struktureller Zustand des Systems am 01. September 1939

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in der ablehnenden Haltung Hitlers gegenüber einer Reichsreform. Obwohl Frick regelmäßig darauf drängte, versandeten alle seine Versuche die Reichsreform zu implementieren. Auch in Bereichen, in denen eine Strukturelle Politisierung in der ersten Phase stattgefunden hatte, entschied man sich ebenfalls dafür, bereits etablierte Strukturen beizubehalten. Trotzdem fand Reorganisation weiterhin auf allen Ebenen statt. Die Gründe hierfür waren, dass zum einen in der ersten Phase noch nicht alle Bereiche entsprechend der Parteiwünsche umgestaltet wurden und zum anderen manche strukturellen Veränderungen der ersten Phase nicht die gewünschten Effekte zeigten. Beispiele finden sich in der Etablierung der DGO-NS verbunden mit dem Verschieben von Kompetenzen auf höhere staatliche Stellen und Parteistellen sowie der starken Stellung des Parteibeauftragten der NSDAP, aber auch im Saargebiet, wo eine neuartige hybride Verwaltungsorganisation aus staatlichen Stellen und Parteistellen (Reichsgausystem) nach dem Anschluss dazu führte, dass die Verwaltung sich schnell an die neuen Herrschaftsbedingungen anpasste. Daneben zeugt die Schaffung der zahlreichen neuen Abteilungen in den Altministerien davon, dass Kompetenzen innerhalb der Häuser verschoben wurden. Die Auslagerung von Kompetenzen zeigt sich überall da, wo staatliche Aufgaben Parteistellen oder hybriden Organisationen zwischen Staat und Partei übertragen wurden. Beispiele sind der Reichsarbeitsdienst, aber auch die Reichspropagandaämter oder die Einsetzung der SS und SA als Hilfspolizisten mit staatlichen Befugnissen. Das Einfügen von neuen Ebenen bzw. Zwischenebenen kann in dieser Phase nicht beobachtet werden. Dies liegt wohl aber nicht daran, dass es nicht vorkam, sondern vielmehr daran, dass die Quellenlage hier begrenzt ist. Es ist davon auszugehen, dass auch diese Form der Strukturellen Politisierung genutzt wurde. Gründe für diese Annahme sind, dass im Laufe der Jahre immer mehr Schlüsselpositionen durch loyale und politisch zuverlässige PGs besetzt waren und dass diese sicherlich einen erheblichen Einfluss auf den Verwaltungsalltag in den jeweiligen Behörden hatten. Wie schon in der ersten Phase zeigt sich, dass die externe Kontrolle durch Parteistellen weiterhin eine entscheidende Rolle spielte. Die Rolle der Verwaltungsaufsicht verlagerte sich in der Phase sogar stärker zur NSDAP hin, auch wenn dies nicht formal so festgehalten war. Im Alltag führte dies dazu, dass die zahlreichen Parteileitungen versuchten immer mehr staatliche Kompetenzen an sich zu ziehen und sich in die Angelegenheiten der komplementären Behörden einzumischen. Dies zeigt sich in Westfalen, wo die beiden Gauleitungen noch stärker als zuvor in die Erstellung externer Gutachten und Tätigkeitsberichte eingebunden waren (Teppe 1977, S. 70 f.). Eine negative Bewertung in diesen Berichten konnte einen erheblichen Einfluss auf die berufliche Zukunft der Beamten haben (ebd.). Mögliche Sanktionen reichten von der Kürzung der

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Politik und Verwaltung im Nationalsozialismus

Bezüge, über ein Beförderungsverbot bis hin zu einer Entlassung, wobei dies nur in Ausnahmefällen angewandt wurde (Teppe 1977, S. 71 f.). Zu diesen Berichten und Gutachten kam der Ausbau des Schulungssystems hinzu. Ideologische Unterweisungen der Verwaltungen furch die Partei fanden nun reichsweit statt. Diese sollten die Konformität der Beamten weiter fördern und ihnen die Grundzüge der NS-Ideologie vermitteln. Jedoch mangelte es in vielen Regionen an der Teilnahmebereitschaft, da die Schulungen oft außerhalb der Dienstzeit durchgeführt wurden und die Teilnahme meist nicht verpflichtend war. Im nun folgenden Abschnitt wird die weitere Entwicklung des Systems bis zum Zusammenbruch dargestellt. Anschließend erfolgt eine Zusammenfassung der im Nationalsozialismus beobachteten Politisierungsformen.

4.4

Struktureller Zustand des Systems am 01. September 1944

4.4.1

Allgemeine politische und strukturelle Entwicklungen seit 1939

4.4.1.1 Reichsebene Mit Beginn des Krieges am 01. September 1939 verlor die Reichsregierung endgültig an Bedeutung, da Hitler seine Zeit zunehmend außerhalb Berlins verbrachte (z. B. am Obersalzberg) und nur noch einzelne Minister empfing. Trotzdem wurden mit seiner Zustimmung ab 1939 noch vier neue Ministerien gegründet: das Generalgouvernement in Polen, das Reichsministerium für Bewaffnung und Munition (ab 1943 Rüstung und Kriegsproduktion), das Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete (RMfdbO) und der Deutsche Staatsminister für Böhmen und Mähren. Alle Gründungen stellten aber nur noch Reaktionen auf das Kriegsgeschehen dar. Zudem ernannte Hitler eine ganze Reihe von Sonderbeauftragten im Rang eines Staatssekretärs, welche ihm persönlich unterstellt waren27 . Aufgrund der schnellen Kriegserfolge und der dadurch neu entstandenen Aufgaben wurden neben den neuen Ministerien und Beauftragten zahlreiche neue hybride Sonderbehörden, vor allem in den besetzten Ostgebieten, gegründet, welche staatliche und parteiliche Strukturen vermischten. Diese regierten häufig an 27

Dies waren: der Reichsbauernführer, der Leiter der Organisation Todt, der Leiter des Reichsamts für Wirtschaftsausbau, der Reichsgesundheitsführer, der Reichswohnungskommissar, der Reichsjugendführer, der Reichsbevollmächtigte für den Vierjahresplan, der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz und der Reichsbevollmächtigte für den totalen Kriegseinsatz.

4.4 Struktureller Zustand des Systems am 01. September 1944

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den Reichsministerien vorbei (Hehl 2001, S. 16). Die hybriden und durch Personalunionen geschaffenen Stellen machten eine Unterscheidung von Staat und Partei zunehmend unmöglich (Mommsen 1989, S. 70), was durchaus in Hitlers Sinne war. Dieser erhoffte sich, der Ideologie des „survival of the fittest“ folgend, dass eine hohe Konkurrenz der vielen Behörden und Parteistellen zu kreativeren Lösungen und stärkerer Anstrengung jedes Einzelnen führte (Haffner 1978). Der Völkische Beobachter schrieb dazu am 12. Januar 1941: „Die Aufgabenteilung zwischen Partei und Staat und ihr Zusammenwirken zu einer Einheit haben sich in den vergangenen acht Jahren glänzend bewährt. Die Feuerprobe haben sie aber schließlich im gegenwärtigen uns aufgezwungenen Krieg bestanden. Nicht Material, Ausrüstung und Kampfmittel, sondern der Kampfgeist der gleichermaßen Truppe wie Führung beseelt, entscheidet letzten Endes die Schlachten und den Krieg, und diese geistige Führung […] vermittelte eben die NSDAP.“ (Bundesarchiv R 9361-II/258301)

Dass das vorherrschende System, anders als vom Völkischen Beobachter beschrieben, alles andere als eine Einheit war, nutzte dem monokratischen Führer Hitler. Denn nur durch die polykratischen Verhältnisse konnte Hitler als zentrale Person in diesem System fungieren (Rebentisch 1989b; Thamer 1992). Wie bereits in Abschnitt 4.2 angedeutet, bedeutete der Zugang zu ihm gleichzeitig einen Machtzuwachs einzelner Herrschaftsträger, welche diese gegen ihre Konkurrenten nutzen konnten. Dies führte zunehmend zu mangelnder Effizienz und Situationen in welchen Hitler immer letztentscheidend tätig werden konnte, was seine Position im System stärkte (Haffner 1978). Der Diktator opferte die Effizienz zugunsten seiner eigenen Machtsicherung (Thamer 1992). Insbesondere ab 1942 wurde der direkte Zugang zu Hitler immer wichtiger für die Legitimierung der eigenen Macht. Gemeinsam formierten Bormann, Keitel und Lammers im Winter 1942 einen „Dreier-Ausschuss“, welcher bestimmte, wer einen Termin bekam und unterschiedliche Interessen vorklären sollte, damit Hitler nur noch die Letztentscheidung treffen musste (Speer 1969, S. 265). Keitel sollte die Belange der Wehrmacht vorsortieren, Lammers die der Ministerien und Bormann die der Partei (ebd.). Allerdings verloren Keitel und Lammers schnell an Einfluss und Bormann wurde in dieser Phase zum neuen Gatekeeper Hitlers (Hehl 2001, S. 15; Majer 1987, S. 215; Mommsen 1989, S. 70). Lammers, der bis dahin den Zugang der Reichsminister zu Hitler und die Zusammenarbeit der Ministerien koordiniert hatte, verlor dadurch erheblich an Einfluss (Hehl 2001, S. 16). Die Gatekeeperfunktion von Bormann führte dazu, dass einzelne Minister wie Seldte oder Frick keinerlei Zugang zu Hitler mehr hatten (Schulz 2017, S. 76; Speer 1969, S. 266).

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Politik und Verwaltung im Nationalsozialismus

Trotzdem zeigte sich im Falle Seldtes, dass dieser im Feld der Arbeitsmarktpolitik trotzdem die bestimmende Figur blieb. Konkurrenten wie Robert Ley oder Konstantin Hierl konnten hier trotz der Zugehörigkeit zum engsten Beraterstabs Hitlers kaum eigene Initiativen umsetzen (Schulz 2017, S. 79 f.). Aufgrund der starken Rolle, die Bormann schon unter Heß spielte, war es logisch, dass Bormann nach Heß‘ spektakulärer Flucht nach Großbritannien zum Chef der umbenannten Partei-Kanzlei wurde. Bormann versuchte sehr schnell Kontrolle über die Partei und die Reichsregierung zu erlangen. So ließ er sich zum einen ein Weisungsrecht gegenüber den Gauleitern einräumen (Fischer 1988, S. 34), die bisher nur Hitler persönlich Folge leisten mussten, und ließ sich zum anderen von Hitler zum Reichsminister ohne Geschäftsbereich mit einem Mitwirkungsrecht an allen Gesetzen (Rebentisch 1989a) und am 12. April 1943 zum „Sekretär des Führers“ ernennen (Hehl 2001, S. 15; Majer 1987, S. 215; Mommsen 1989, S. 70). Albert Speer schrieb dazu in seinen Memoiren: „Nach meinen Besprechungen mit Hitler kam Bormann manchmal […] mit seinen Akten in unser Beratungszimmer. Mit einigen Sätzen trug er den Inhalt der ihm zugesandten Memoranden monoton und scheinbar sachlich vor, um dann selbst die Lösung vorzuschlagen. Meist nickte Hitler nur sein kurzes: ‚Einverstanden‘. Dieses Wort genügte Bormann zur Anfertigung oftmals langer Weisungen, und das selbst dann, wenn Hitler sich lediglich unverbindlich geäußert hatte. […] de facto führte Bormann die inneren Geschäfte des Reiches.“ (Speer 1969, S. 266. Hervorhebungen im Original)

Bei diesem Vorgehen bevorzugte Bormann stets die Lösungsvorschläge der Parteiführer und Leiter der Sonderbehörden und ignorierte die Vorschläge der Minister und Staatssekretäre (Speer 1969, S. 266 f.). Trotz der Strategie der Parteieliten gelang es den Reichsbehörden bis 1945 dennoch ein organisatorisches Übergewicht zu behalten, da der Parteiapparat häufig inneffizient und inkompetent war und besonders nach Kriegsbeginn über zu wenig Angestellte verfügte, um alle staatlichen Aufgaben vollständig zu übernehmen bzw. sich in diese Aufgaben einzumischen (Majer 1987, S. 211).

4.4.1.2 Mittelebene In den besetzten Gebieten entstand mit der Militär- und der ihr folgenden Kommissarsverwaltung eine neue Form der Regionalverwaltung. Dort hatte die im Reich immer noch gültige Weimarer Reichsverfassung keine Gültigkeit und das RMI keinen Einfluss. Das in Polen geschaffene Generalgouvernement war ein „führerunmittelbares koloniales Nebenland mit weitgehender Verwaltungsautonomie“ (Rebentisch 1989a, S. 539). Das Generalgouvernement, aber auch andere

4.4 Struktureller Zustand des Systems am 01. September 1944

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besetzte Gebiete, waren in die von Frick in der Reichsreform ursprünglich geplanten Reichsgaue unterteilt. Hier wurde ein Großteil der Staats- und Parteiämter vereinheitlicht (Hehl 2001, S. 15). Reichskommissare und die ihnen unterstellten Gebiets- und Stadtkommissare waren nur den Weisungen des Ostministers Rosenberg und des Führers verpflichtet. Wo es keine Weisungen gab, konnten die Kommissare völlig frei agieren (Majer 1986, S. 375 f.). Eine Verwaltungsführung nach Reichsgrundsätzen existierte in den Reichskommissariaten Ostland und Ukraine nicht. Hier bedienten sich die Kommissare häufig sogar der alten etablierten sowjetischen Verwaltungsstrukturen und herrschten wie Regionaldiktatoren (Majer 1986, S. 378). Zu neuen Konflikten und einer noch größeren Unübersichtlichkeit führte die Einführung der Reichsverteidigungskommissare, die ausschließlich durch Gauleiter besetzt wurden (Teppe 1986, S. 278). Sie waren in ihrem regionalen Bereich, der bis 1942 den Wehrkreisen entsprach, gegenüber allen staatlichen Ämtern und Parteibehörden weisungsbefugt und erhielten einen Großteil ihrer Kompetenzen von den Reichsstatthaltern und Oberpräsidenten (John 2007, S. 39). Das Hauptproblem für ihre neue Tätigkeit war jedoch, dass sich ihr Arbeitsbereich geographisch weder mit den eigenen Gauen noch den Provinzen, Regierungspräsidien und manchmal nicht mal mit Landkreisgrenzen deckte (Hehl 2001, S. 16). Dies provozierte naturgemäß Konflikte mit den regionalen Behörden und den Gauleitern, die keine Reichsverteidigungskommissare waren (Teppe 1986, S. 281). Ein Beispiel hierfür zeigt sich besonders prägnant in Bayern: In Abbildung 4.5 (es fehlt die Pfalz) lässt sich erkennen, dass neben den fünf Gauen nur zwei Wehrkreise und damit Reichsverteidigungsbezirke existierten. Der nördliche Verteidigungsbezirk Nürnberg umfasste allerdings auch Teile von Thüringen, des Sudetenlandes und Sachsen. In Bayern ergab sich die besondere Situation, dass der bayerische Innenminister und Gauleiter von München-Oberbayern Adolf Wagner zum Reichsverteidigungskommissar in beiden Bezirken ernannt wurde. Es konnte nun allerdings passieren, dass ein Gauleiter gleichzeitig Reichsverteidigungskommissar und Oberpräsident bzw. Regierungspräsident war, sich seine drei Einflussbereiche (Parteigau, Reichsverteidigungsbezirk und Provinz) nicht deckten und er als Reichsverteidigungskommissar in den Machtbereich anderer Gauleiter eingriff. In dem dargestellten Fall führte dies dazu, dass sich Wagner aufgrund seiner neuen Kompetenzen und trotz eines Verbots des RMI in die Angelegenheiten der Behörden in Thüringen, dem Sudetenland und Sachsen einmischte (Teppe 1986, S. 287). Dies führte bis zur Restrukturierung der Reichsverteidigungsbezirke im November 1942 (John 2007, S. 45) zu einer erheblichen Ineffizienz, da der einzig mögliche Schlichter Hitler (die Gauleiter waren nur Hitler persönlich verpflichtet) sich regelmäßig weigerte,

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Politik und Verwaltung im Nationalsozialismus

Abbildung 4.5 Reichsverteidigungsbezirke (links) und Gaue (rechts) in Bayern. (Quelle: Wikimedia)

klare Entscheidungen zu treffen, um seine Machtbasis nicht zu gefährden (Hehl 2001, S. 14). Er erhoffte sich vielmehr eine höhere Aktivität und Kreativität der einzelnen Führer als Folge der Konkurrenzsituation (Mommsen 1989, S. 71). Neben der Implementierung der Reichsverteidigungskommissare versuchte sich Innenminister Frick 1941/42 erneut an einer kleinen Reichsreform. Er wollte, um Personal einzusparen, zahlreiche kleinere preußische Regierungsbezirke zusammenlegen und die Zahl der Landkreise im gesamten Reich reduzieren. Dies wurde jedoch von Hitler, wie alle anderen Reformen zuvor, abgelehnt (Bundesarchiv R 3001/22732).

4.4.1.3 Kommunalebene In den Kommunen entstand im Krieg häufig ein Notbetrieb. Nicht nur zahlreiche Beamte und Angestellte, auch Mitglieder der Stadtleitungen wie die Oberbürgermeister von Tübingen und Marburg wurden zum Kriegsdienst eingezogen. Besonders in Tübingen führte diese Situation zu einer Lähmung der Stadtverwaltung. Der 1939 zum Oberbürgermeister ernannte ehemalige Bürgermeister Weinmann weigerte sich bis zu seiner Einberufung vehement einen Stellvertreter zu ernennen. Nach seiner Einberufung an die Front war die Stadt daher lange Zeit politisch führungslos (Schönhagen 1991, S. 319). In vielen Kommunen wurden auch zahlreiche Amtsleiter und Ratsherren einberufen, sodass Gemeinderatssitzungen, wenn sie denn überhaupt durchgeführt wurden, oft nur mit den wenigen

4.4 Struktureller Zustand des Systems am 01. September 1944

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alten oder kampfunfähigen Ratsherren stattfanden (Wilder et al. 2018, S. 98 f.). Von dieser Situation profitierten meist die (Stellvertretenden) Bürgermeister bzw. Ersten Beigeordneten, die neben der Leitung der Kommune nun auch die Leitung zahlreiche Kommunalämter übernahmen, ohne noch auf den Rat der Ratsherren Rücksicht nehmen zu müssen. Ihre Position verstärkte sich durch den Krieg vehement.

4.4.2

Rechtliche Veränderungen der Beamtengesetzgebung und ihre Umsetzung seit 1939

Während des Krieges traten in der Beamtengesetzgebung kaum noch Änderungen auf. Auftretende Anpassungen hatten eher den Charakter der Verschriftlichung bereits gelebter Praxis als tatsächlicher Neuerungen. Für Bewerber auf Angestelltenpositionen im Öffentlichen Dienst galt ab Herbst 1939 eine Mitgliedspflicht in der Partei. Außerdem wurde eine Mitgliedschaft im jeweiligen Berufsverband zur Pflicht (z. B. für Juristen im Nationalsozialistischen Rechtswahrerbund NSRB) (Majer 1987, S. 232). Die Maßnahmen führten dazu, dass ein sehr großer Anteil der Beamten und Angestellten im Öffentlichen Dienst PGs waren. Genaue Zahlen sind allerdings leider nicht bekannt (Majer 1987, S. 233). Für die bewaffneten Organe der Partei gibt es hingegen Zahlen. Hier zeigen sich eher niedrige Anteile: 7,2 % aller Beamten waren Mitglieder der SA, 1,1 % Mitglieder der SS, 1 % im NSKK (Nationalsozialistisches Kraftfahrkorps) und 1,6 % im NSLK (Nationalsozialistisches Luftfahrtkorps) (Majer 1987, S. 233). Die Kinder der Beamten wurden zu einem Großteil schon vor Einführung der Jugenddienstpflicht 1939 (der Mitgliedspflicht für alle Kinder ab 10 Jahren) Mitglieder der Hitlerjugend. Der letzte zentrale gesteuerte Schritt gegen die Beamten erfolgte durch den Beschluss des Großdeutschen Reichstags vom 26. April 1942. Das Parlament kam an diesem Tag zu seiner allerletzten Sitzung (und seiner ersten Sitzung seit September 1940) zusammen, um alle noch verbliebenen Beamtenrechte bis zum Ende des Krieges auszusetzen und so eine endgültige Umsetzung des Führerprinzips auf allen Ebenen und damit eine noch stärkere Kontrolle der Verwaltung zu garantieren (Mommsen 1966, S. 106 f.). Konkret wurde Hitler in dem nur einen Absatz umfassenden Beschluss ermächtigt „alles zu tun, was zur Erringung des Sieges dient oder dazu beiträgt. Der Führer muß daher – ohne an bestimmte Rechtsvorschriften gebunden zu sein – […] in der Lage sein, nötigenfalls jeden Deutschen […] mit allen ihm geeignet erscheinenden Mitteln zu Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten und bei der Verletzung dieser Pflichten

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Politik und Verwaltung im Nationalsozialismus

nach gewissenhafter Prüfung ohne Rücksicht auf sogenannte wohlerworbene Rechte mit der ihm gebührenden Sühne zu belegen, ihm im besonderen ohne Einleitung vorgeschriebener Verfahren aus seinem Amte, aus seinem Rang und seiner Stellung zu entfernen.“ (Beschluss des Großdeutschen Reichstags (BGR)28 vom 26. April 1942)

Das Ziel war eine effektivere Ausrichtung der Beamtenschaft auf das Hauptziel des Reiches: den Sieg im Zweiten Weltkrieg. Gegenüber der Öffentlichkeit getarnt als Sparmaßnahme in Zeiten des Krieges, sollte mit dem Beschluss eine endgültige Umsetzung des Führerprinzips auf allen Ebenen und damit eine noch stärkere Kontrolle der Verwaltung garantiert werden (Mommsen 1966, S. 106 f.). Hitler wurde in dem Beschluss formal dazu ermächtigt frei von jedweden Rechtsvorschriften Entscheidungen zu treffen, um seine Agenda durchzusetzen. Inwiefern dieser Beschluss einen Einfluss auf den Alltag hatte, ist schwer zu beurteilen. Es ist aber davon auszugehen, dass es sich eher um einen symbolischen Akt handelte (ebd.). Schließlich agierten Hitler und die NSDAP schon seit 1933 weitgehend unter Missachtung gültiger Rechtsvorschriften. Der Beschluss formalisierte daher letztlich nur den gelebten Status quo.

4.4.3

Auswirkungen der Veränderungen auf das Verwaltungspersonal

4.4.3.1 Reichsebene Der Krieg hatte vor allem auf die Reichsministerien und gleichgestellten Behörden sowie die Reichsoberbehörden einen maßgeblichen Einfluss. Alle Behörden wurden dazu angehalten ihre Verwaltungsvorgänge zu vereinfachen und Personal einzusparen, um Beamte für den Kriegseinsatz frei zu machen. Dafür veranlasste Innenminister Frick am 26. Januar 1942, dass alle Reichsbehörden „die Zahl der in Ihrem Hause beschäftigten Personen, getrennt nach Beamten, Angestellten und Arbeitern am 1.2.1942 […] [und] die seit Kriegsbeginn bis zum 1.2.1942 erfolgten Abgaben von Beamten, Angestellten und Arbeitern an andere Dienststellen einschl. Militärverwaltung, besetzte Ostgebiete usw., [sowie] die Zahl der bis zum 1.2.1942 zur Wehrmacht (ohne Militärverwaltung) eingezogenen Personen“ (Bundesarchiv R 3001/22732)

aufzulisten hatten. Das Ziel war es, das frei werdende Personal an die nachgeordneten Behörden abzugeben, damit diese dann ihr Personal für den Kriegseinsatz 28

Beschluss des Großdeutschen Reichstags vom 26. April 1942, In der Fassung vom 26. April 1942.

4.4 Struktureller Zustand des Systems am 01. September 1944

121

abstellen konnten. Auch in den Ministerien wurden folglich Verfügungen erlassen, um mit dem Personalmangel umzugehen. Im Reichsjustizministerium wurde durch Staatssekretär Roland Freisler eine Effizienzsteigerung angeordnet: „[Es] ist erneut zu versuchen den Arbeitsanfall zu vermindern. […] [Es] darf nichts unterlassen werden, was innerhalb des Ministeriums durch Verbesserung des Arbeitseinsatzes und der Arbeitsmethode zur Rationalisierung der Arbeit führt und dazu beiträgt, die dem Ministerium gestellten großen Aufgaben auch mit vermindertem Personal zu lösen.“ (Bundesarchiv R 3001/22732)

Schon zuvor veranlasste Frick, die Neuverteilung von Aufgaben zwischen Reichsebene, Mittelebene und Kommunalebene. Der Völkische Beobachter fasste den Beschluss am 12. Januar 1941 folgendermaßen zusammen: „Damit wird die Möglichkeit geschaffen, Aufgaben oberster Reichsbehörden in noch weit größerem Ausmaß als bisher auf die Mittel- und Unterstufe zu verlagern, um den Verwaltungsgang zu vereinfachen und zu beschleunigen.“ (Bundesarchiv R 9361II/258301)

Neben diesen Maßnahmen wurden zudem im höheren Dienst vermehrt Tarifangestellte eingestellt, um die Personalnot zu lindern. Gleichzeitig diente die Maßnahme der weiteren Gleichschaltung der Ministerien und Behörden. Angestellte waren leichter zu entlassen und deutlich abhängiger von ihren Vorgesetzten. Außerdem waren die Einstellungsvoraussetzungen niedriger, was es möglich machte, die freien Stellen mit den schlechter gebildeten PGs zu besetzen (Kröger 2014, S. 8 f.) und der NSDAP weitere Möglichkeiten der Parteipolitisierung eröffnete. Gleichzeitig nutzten widerständige Personalabteilungsleiter das Mittel, um Personen einzustellen, die von der NSDAP nie die Zustimmung zur Verbeamtung bekommen hätten. Beispiele hierfür finden sich vorrangig im Auswärtigen Amt (Kröger 2014, S. 10). Auf die Leitungsebene hatte dies allerdings keine starken Auswirkungen. Zwischen 1939 und 1944 wuchs die Gesamtzahl der Verwaltungseliten nochmals von 140 auf 150 Beamte. Die Zahlen zeigen, dass sich der Politisierungstrend der Vorperiode bei den Verwaltungseliten fortsetzte. Der Anteil der Parteimitglieder stieg auf 89,0 %, der Anteil der Inhaber eines Landtags- oder Reichstagsmandats auf 20,7 %. 14,0 % arbeiteten während der Eliteposition parallel für ein Hauptamt der NSDAP, 27.3 % waren SA- und 42,0 % SS-Mitglied (Strobel et al. 2020. eigene Berechnungen). Erwähnenswert ist, dass der Anteil der Mitglieder in NSOrganisationen zwischen 1939 und 1944 zurückging. Waren 1939 noch 69,3 % Mitglied in mindestens einer Organisation, so waren es 1944 nur noch 62,7 %

122

4

Politik und Verwaltung im Nationalsozialismus

(Strobel et al. 2020. eigene Berechnungen). Gründe für diesen Abfall könnten im Fachkräftemangel während des Krieges liegen. Es wurde nun auch auf Personal zurückgegriffen, welches vorher aufgrund fehlender Politisierungsmerkmale nicht eingestellt worden wäre. Zusätzlich wurden Beamte reaktiviert, die im Zuge des BBG 1933 vorzeitig pensioniert worden waren. Ein Beispiel, welches oben bereits genannt wurde, ist Hans Ritter von Lex, der trotz seiner bekannten antinationalsozialistischen Einstellung bis Kriegsende im RMI arbeitete (Bundesarchiv PERS 101/49838). Der durchschnittliche Politisierungsindex stieg nur noch geringfügig von 0,38 1939 auf 0,40 1944 an. Ein erneuter Ressortvergleich zeigt, dass in allen Ressorts der Index nun mindestens bei 0,22 lag (Strobel et al. 2020. eigene Berechnungen). Die höchsten Durchschnittswerte wiesen wieder die Reichskanzlei mit 0,64 und das RMI mit 0,54 auf. Darauf folgt nun das Justizministerium mit einem Wert von 0,53. Das ist, verglichen mit 1934 (0,28) und 1939 (0,33) ein deutlicher Anstieg. Dasselbe lässt sich im Wirtschaftsministerium und im Luftfahrtministerium beobachten, während im Propagandaministerium und im Erziehungsministerium die Werte im Vergleich zu 1939 sanken (Strobel et al. 2020. eigene Berechnungen). Bei Betrachtung der Clusterzuordnung in Tabelle 4.8 findet sich das Erziehungsministerium nun in der Gruppe der nicht zuordenbaren Ressorts und die Reichskanzlei im Cluster 2 wieder. Das Justizministerium wurde erstmals dem Cluster 2 zugeordnet. Ein eindeutiges Muster wie noch 1934 lässt sich aus der Zuordnung allerdings nicht mehr herauslesen. Es zeigt sich keine Unterteilung in ideologisch-saliente und nicht-saliente Ressorts (Strobel et al. 2020. eigene Berechnungen). Vielmehr war es wohl von der Kultur in den einzelnen Häusern und der jeweiligen Führung abhängig, in welchem Maß die Verwaltungseliten politisiert waren. Wie schon in der zweiten Phase zwischen 1934 und 1939 ist auch zwischen 1939 und 1944 ein größerer Austausch bzw. eine Welle von Neuernennungen nicht zu beobachten. Rund zwei Drittel der Neuernennungen entfallen auf die neuen Ministerien wie das Generalgouvernement, den Deutschen Staatsminister für Böhmen und Mähren oder das Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete. In den Altministerien zeigen sich nur im Justiz- und im Verkehrsministerium hohe Neuernennungsquoten. Das geht mit dem Befund einher, dass in beiden Ministerien die Politisierung zwischen 1939 und 1944 sprunghaft angestiegen ist (Strobel et al. 2020. eigene Berechnungen). Gleichzeitig sank das Durchschnittsalter bei der Ersternennung in eine Eliteposition weiter (1939: 45,9 und 1944: 44,6). Die neuen Positionen wurden fast ausschließlich mit jungen gut ausgebildeten und gleichzeitig ideologisch zuverlässigen Beamten besetzt (Strobel et al. 2020. eigene Berechnungen). Diese Form der Parteipolitisierung war schon in

4.4 Struktureller Zustand des Systems am 01. September 1944

123

Tabelle 4.8 Ergebnis der Two-Step-Clusteranalyse „Politisierungsindex x Ressort“ für den Erhebungszeitpunkt 1944 Cluster 1 „Niedriger Politisierungsgrad“

Nicht eindeutig zuordenbar

Cluster 2 „Hoher Politisierungsgrad“

Reichsfinanzministerium Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung Reichsministerium für Kirchliche Angelegenheiten

Reichskanzlei Auswärtiges Amt Reichsministerium des Innern Reichsjustizministerium Reichswirtschaftsministerium Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda Reichsluftfahrtministerium Reichsforstamt Generalbauinspekteur Reichsministerium für Bewaffnung und Munition Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete

1944 Reichspräsidialkanzlei Reichsarbeitsministerium Oberkommando der Wehrmacht Reichsverkehrsministerium Reichspostministerium Reichsstelle für Raumordnung Deutscher Staatsminister für Böhmen und Mähren Generalgouvernement in Polen

Quelle: Strobel et al. 2020. eigene Berechnung und Darstellung.

den beiden vorherigen Phasen sichtbar. Die Verwaltungserfahrung in den Vorpositionen sank leicht von 10,1 auf 9,5 Jahre, während die Politikerfahrung nur minimal anstieg und die Erfahrung in anderen Sektoren ebenfalls sank. Die durchschnittliche Gesamtdauer der Elitemitgliedschaft stieg auf 69,8 Monate und zeigt, dass die Elitemitglieder ihre Positionen nun sehr lange hielten und der Austausch von Personal kaum noch eine Rolle spielte (Strobel et al. 2020. eigene Berechnungen). Das Durchschnittsalter und der Bildungsgrad der Beamtenelite blieben gegenüber 1939 ebenfalls stabil. Bei den Staatssekretären stieg der Bildungsgrad wieder auf das Niveau von 1934. Der Juristenanteil nahm trotz eines höheren Bildungsgrades bei den Staatssekretären weiter auf nur noch 39,3 % ab (Strobel et al. 2020. eigene Berechnungen). Die erneut durchgeführte binär-logistische Regression zeigt, dass die Politisierung genau wie zuvor auch 1944 noch der dominierende Faktor bei der Ernennung in höhere Verwaltungspositionen war (siehe Tabelle 4.9). Allerdings liegt das Nagelkerke R2 etwas niedriger als 1939 und die berufliche Politikerfahrung in den Vorpositionen kam nun als signifikanter Faktor hinzu. Neben den formalen und materiellen Bezügen zum System scheint die Arbeit in der

R2 ,16

150

−2,88*** (,54) ,17

150

−2,48*** (,65)

−,43 (,42)

3,65*** (1,09)

M2

,22

150

−2,80*** (70)

1,56* (,67)

−,02 (,47)

3,44** (1,11)

M3

,22

150

−2,95*** (,74)

,31 (,42)

1,59* (,67)

−,03 (,48)

3,43** (1,14)

M4

,23

150

−3,04*** (,76)

,46 (,46)

,20 (,43)

1,62* (,67)

−,14 (,49)

3,46** (1,15)

M5

,24

150

3,18*** (,78)

,40 (,43)

,47 (,46)

,12 (,44)

1,57* (,68)

−,20 (,50)

3,55** (1,17)

M6

Hinweise: Regressionskoeffizient mit Standardfehler in den Klammern; * (p < .05) ** (p < .01) *** (p < .001) Quelle: Strobel et al. 2020. eigene Berechnung und Darstellung.

Nagelkerkes

N

Konstante

Alter

Evangelisch

4,03*** (1,04)

M1

,25

150

−3,66*** (,92)

,58 (,47)

,34 (,44)

,40 (,47)

,18 (,45)

1,69* (,69)

−,20 (,50)

3,96** (1,26)

M7

4

Jura

Promotion

Politikerfahrung

Verwaltungserfahrung

Kontrollvariablen

Politisierungsindex

1944

Tabelle 4.9 Regressionsmodelle: Führt NS-Politisierung 1944 zu einer höheren Verwaltungsposition?

124 Politik und Verwaltung im Nationalsozialismus

4.4 Struktureller Zustand des Systems am 01. September 1944

125

Partei oder einem Parlament ein wichtiger Faktor gewesen zu sein. Bei den anderen Kontrollvariablen zeigen sich keine großen Unterschiede zu 1939. Lediglich der Alterseffekt liegt deutlich niedriger als 1939 (Strobel et al. 2020. eigene Berechnungen).

4.4.3.2 Mittelebene Auf der Mittelebene liegen für die dritte Phase nur noch Informationen zur Pfalz, dem Saargebiet und Westfalen vor. Für die zuvor betrachteten Regionen Brandenburg, Baden und Württemberg gibt es keine Informationen mehr, was vermutlich an der schlechten Quellenlage für die Kriegszeit liegt. Die Pfalz und das Saargebiet seit 1939 In der Pfalz und dem Saargebiet war der schnelle Kriegserfolg an der Westfront entscheidend für durchgeführte Reorganisationen in den Verwaltungen. Nach der schnellen Kapitulation Frankreichs stimmte Frick dem Plan Bürckels zur Zusammenlegung der Behörden der Pfalz und des Saargebietes, den dieser schon deutlich früher vorgelegt hatte (siehe Abschnitt 4.3.3.2), schließlich zu (Fenske 1986, S. 128 f.). Die staatlichen Stellen der Pfalz und des Saargebiets wurden zunächst „provisorisch“ bis zum Endsieg vereinigt und nach Saarbrücken verlegt (ebd.). Bürckel wurde Sonderkommissar für beide Gebiete und somit formal auch Leiter der pfälzischen Verwaltung. Gleichzeitig betonte das RMI aber, dass die Durchgriffsrechte der bayerischen Staatsregierung in der Pfalz von den Maßnahmen unberührt bleiben sollten (Fenske 1993, S. 128 f.; Heinz 1994, S. 225). In der Folge wuchs Bürckels Macht rasant: Er wurde Leiter der Verwaltung in Lothringen und kurz darauf Reichsstatthalter der neuen Westmark mit einer „Superbehörde“ für die Verwaltung der Westmark, des Saargebiets und der Pfalz (Kettenacker 1986, S. 402). Mit dieser Superbehörde im Rücken gelang es Bürckel nun, sich dem Einfluss der Reichsministerien und der Bayerischen Staatsregierung endgültig zu entziehen. Durch einen Führererlass vom 18. Oktober 1940 wurde den Reichsministerien jegliche Weisungsbefugnis über die Reichsstatthalter der besetzten Gebiete entzogen (Kettenacker 1986, S. 406). Bürckel war nun ausschließlich Hitler unterstellt. In den Alltag der Behördenarbeit mischte er sich allerdings wie zuvor nicht ein, was den Beamten eine hohe Autonomie bei Entscheidungen sicherte (Fenske 1993, S. 129). Er sagte dazu schon bei seinem Amtsantritt als Sonderbevollmächtigter in der Pfalz 1934, seine Aufgabe sei es nicht zu „regieren [wie] im früher üblichen Sinne, sondern […] politisch zu führen“ (Bürckel zitiert nach Heinz 1994, S. 127). Die Aufgabe der Beamten „wird sein, mir für jede Entscheidung das nationalsozialistisch

126

4

Politik und Verwaltung im Nationalsozialismus

Grundsätzliche als Begründung anzuführen“ (ebd.). Dies führte allerdings dazu, dass die Beamten der Westmark, des Saargebietes und der Pfalz immer mehr gezwungen waren politisch zu denken und sich von ihrer eigentlichen Rolle als Umsetzer von politischen Entscheidungen wegzubewegen. Dies erforderte einen höheren Grad an Funktionaler Politisierung als zuvor und führte zu einer hybriden Verwaltungsführung, in welcher die politische Führung und die Verwaltung der „Superbehörde“ kaum voneinander zu unterscheiden waren. Westfalen seit 1939 Für die Provinz Westfalen und ihre Beamten war es bis in den Krieg hinein ein zentrales Problem, dass diese in zwei Gaue geteilt war und beide Gauleiter aufgrund anderer Funktionen (der Gauleiter von Westfalen-Süd Josef Wagner war beispielsweise gleichzeitig Gauleiter von Schlesien und Reichskommissar für die Preisbildung) regelmäßig abwesend waren (Kratzsch 1986, S. 175). Deshalb führten die stellvertretenden Gauleiter meist den Gau. Beide Gauleitungen verlangten Einfluss auf die Personalentscheidungen in der Provinzverwaltung und ihre Mitglieder sollten formal gleichermaßen berücksichtigt werden (Teppe 1977, S. 80). In der Realität fühlten sich jedoch beide Gauleiter ständig gegenüber dem jeweils anderen Gau benachteiligt, was zu der kuriosen Situation führte, dass beide Gaue lieber Unqualifizierte aus dem eigenen Gau für freie Stellen vorschlugen, als die Stelle einem qualifizierten PG aus dem anderen Gau zu überlassen (ebd.). Diese im polykratischen NS-System vermutlich nicht einmalige Form der Parteipolitisierung steigerte die Ineffizienz der westfälischen Verwaltung weiter. In beiden Gauleitungen waren außerdem mehrere Stellen gleichzeitig für die Erstellung der politischen Gutachten, das Aussuchen der Kandidaten und die Kontrolle der Verwaltung zuständig, was eine Koordination durch den Regierungspräsidenten Kolbow so gut wie unmöglich machte. Die Folge waren oft Chaos und monatelange Hängepartieen, bis ein Kompromiss gefunden wurde (Teppe 1977, S. 81). Auch für die Bevölkerung war die Situation undurchsichtig, da nicht öffentlich bekannt war, welche Stelle nun, über welche Zuständigkeit verfügte. Mehrfach vergebene Aufgaben führten daher häufig zu Leerlauf oder Doppelarbeit sowie Ineffizienz (Teppe 1977, S. 83). Das Dilemma löste sich in Westfalen erst während des Krieges, obwohl schon vor 1939 erste Versuche unternommen wurden, um das Chaos zu beenden: Am 04. November 1938 wurde der Gauleiter von Westfalen-Nord Alfred Meyer zum Oberpräsidenten der Provinz ernannt. Dieser verschob daraufhin die Zuständigkeit für Personalfragen der Verwaltung zur Gauleitung Westfalen-Nord. Dies löste das Problem allerdings nicht, da die Gauleitung Westfalen-Süd weiterhin auf der bestehenden Einmischungspraxis bestand. Das Dilemma löste sich

4.4 Struktureller Zustand des Systems am 01. September 1944

127

erst auf als Meyer neben seiner Doppelstellung Gauleiter/Oberpräsident im Mai 1940 zunächst zum Reichsverteidigungskommissar des Wehrkreises IV ernannt wurde (Teppe 1986, S. 286). Meyer nutzte seine Kompetenzen als Reichsverteidigungskommissar, um den Einfluss der Gauleitung Westfalen-Süd endgültig auszuschalten. Nach der Ernennung Meyers zum Staatssekretär im neu geschaffenen RMfdbO – unter Beibehaltung aller Positionen – im April 1941 fiel die Verwaltungsführung allerdings de facto wieder zurück an Kolbow, da Meyer in Berlin gebunden war (Teppe 1977, S. 85 – 88). Die Kompetenzverschiebungen hin zur Gauleitung Westfalen-Nord konnte Kolbow, der zwischenzeitlich auch zwei Wochen Abteilungsleiter im RMfdbO war, allerdings nicht mehr rückgängig machen. Es zeigt sich in den zwei Beispielen, dass auf der Mittelebene vor allem die Gauleiter ihre Macht konsolidierten. Während Bürckel in der Pfalz dabei aber eine unangefochtene Instanz war, kam es in Westfalen regelmäßig zu Streitigkeiten zwischen den beiden zuständigen Gauleitungen. Auch bei der Einmischung in die Verwaltungsarbeit unterschieden sich die Vorgehensweisen. Während Bürckel seinen Beamten weitgehend freie Hand ließ, solange sich diese an nationalsozialistische Grundsätze hielten, war die Verwaltungsarbeit in Westfalen ständig durch verschiedenste Parteigremien gestört. Inwiefern sich diese Ergebnisse auf andere Mittelbehörden und Regionen übertragen lassen, ist unklar. Gerade für diese Ebene existieren für die Zeit des Krieges kaum Studien. Während die Ministerialverwaltung auf Reichsebene in dieser Phase noch recht gut untersucht ist, gibt es auf der Mittelebene noch erheblichen Forschungsbedarf. Wie sich das Ganze auf der Kommunalebene darstellt, zeigt der nun folgende Abschnitt.

4.4.3.3 Kommunalebene Der Kommunalebene war bis 1939 weitgehend von Stabilität geprägt. Sowohl die Aufgaben als auch die personelle Zusammensetzung der Verwaltungen im Reich änderten sich kaum. Doch mit Beginn des Krieges änderten sich beide Parameter grundlegend. Auf die Kommunen kamen zahlreiche neue Aufgaben wie der Luftschutz, die Versorgung von Geflüchteten und die Versorgung der Bevölkerung zu (Mecking 2005, S. 90), während die Kommunalverwaltungen gleichzeitig einen Großteil des eigenen Personals zum Kriegsdienst abtreten mussten. Um die neuen Aufgabenfelder bedienen zu können, wurden daher alle anderen Aufgaben zurückgestellt (Schönhagen 1991, S. 320 f.). Der Kriegsverlauf sorgte dafür, dass die Kommunen immer mehr Personal abgeben mussten. Im Jahr 1944 waren beispielsweise 23,1 % aller Münsteraner Kommunalbediensteten an der Front (Mecking 2005, S. 91). Die Folge war eine Aufweichung der relativ strikten Vorgaben des deutschen Beamtenrechts und

128

4

Politik und Verwaltung im Nationalsozialismus

der Vorgaben des BBG: Pensionierungen wurden ausgesetzt und bereits pensionierte Beamte wieder in den Dienst zurückgeholt (auch wenn sie aus politischen Gründen pensioniert wurden), zahlreiche Hilfskräfte (in erster Linie Frauen) wurden eingestellt, die Wochenarbeitszeit wurde erhöht und sämtlicher Urlaub bis Kriegsende gestrichen (Mecking 2005, S. 91). Für Münster bedeutete dies, dass die Verwaltung Anfang des Jahres 1945 trotz eines Minimums an Einwohnern (1945 23.500; 1940 145.000) gleichzeitig einen Höchststand an Planstellen von ca. 3.200 hatte, wovon allerdings ein Großteil unbesetzt war (Mecking 2005, S. 93). Der Personalmangel im Krieg wurde mancherorts genutzt, um die letzten unliebsamen Beamten loszuwerden: So kam es gelegentlich vor, dass Beamte von den Gauleitungen oder den Stadtleitungen als „Freiwillige“ der Wehrmacht gemeldet und gegen benötigte Beamte, die an der Front dienten, eingetauscht wurden (Mecking 2005, S. 98). Neben dem Personalmangel führten vor allem unklare Kompetenzabgrenzungen zwischen Stadt-, Kreis- und Gaukriegsämtern und anwachsende Aufgaben zu einer zunehmenden Überlastung der Kommunalverwaltungen (Schönhagen 1991, S. 321 f.). In Württemberg erreichten die sog. „unechten“ Stadtkreise, also größere Städte, die zwar nicht kreisfrei waren, deren Fachaufsicht aber das Landesinnenministerium führte, erst 1944 die klare Kompetenztrennung zwischen den Stadtverwaltungen und den Landratsämtern. Zu einer Entlastung der Verwaltungen führte dies aber nicht mehr, da die Verordnung erst am 01. Januar 1945 in Kraft trat (Schönhagen 1991, S. 327 f.). Trotz der widrigen Umstände arbeiteten die meisten Verwaltungen bis Kriegsende und auch nach der Einnahme durch die Alliierten konstant weiter. Auch beim Personal tat sich zwischen 1939 und der alliierten Einnahme der Kommunen relativ wenig. Auf Beförderungen wurde meist verzichtet, um die Beamten an der Front nicht zu benachteiligen und die Haushalte der Kommunen zu schonen (Mecking 2005, S. 86). Die Beförderungen, die es trotzdem gab, waren meist parteitaktisch begründet und kamen häufig auf Druck der Gauleitungen zustande. Für Münster zeigt sich allerdings, dass der Oberbürgermeister, selbst ein Alter Kämpfer, sich dagegen zunehmend wehrte und sogar PGs, die keine Leistung brachten, entließ bzw. für den Frontdienst freigab, statt sie zu befördern (Mecking 2005, S. 86 f.). Nach der Einnahme der Kommunen durch die Alliierten setzten diese zunächst auf die eingespielten Kommunalverwaltungen. In Münster wurden beispielsweise erst am 04. Mai 1945 erste Mitglieder der Stadtverwaltung suspendiert obwohl die Stadt bereits am 02. April eingenommen worden war (Mecking 2005, S. 79).

4.4 Struktureller Zustand des Systems am 01. September 1944

4.4.4

129

Einordnung der Ergebnisse der dritten Phase des NS in die Politisierungsformen

Die letzte Phase des Nationalsozialismus war geprägt vom Zweiten Weltkrieg. Dieser eröffnete der NSDAP einige neue Möglichkeiten zur Personalpolitischen Politisierung der Verwaltung. Insbesondere die Abtretung des bestehenden Verwaltungspersonals an die Wehrmacht gab der Partei die Chance auch die letzten personalpolitisch nicht politisierten Bereiche der Verwaltung zu verändern. Der Fachkräftemangel ermöglichte es nun auch, Minderqualifizierte in den Höheren Dienst aufzunehmen (Kröger 2014). Hatte Frick dies vor Kriegsbeginn noch mit dem Verweis auf das Deutsche Beamtenrecht verhindert, so konnte das RMI (spätestens nach dem Beschluss des Großdeutschen Reichstags 1942 und der Absetzung Fricks 1943) diesen Widerstand im Krieg nicht mehr aufrechterhalten. Die vermehrte Einstellung von nicht qualifizierten Angestellten in Positionen des Höheren Dienstes erleichterte der NSDAP die Parteipolitisierung erheblich. Nun konnten auch PGs, welche die formalen Voraussetzungen für eine Anstellung im höheren Beamtenverhältnis nicht erfüllten, eingestellt werden. Einziges Einstellungskriterium bei der Auswahl der Kandidaten war eine Mitgliedschaft in der NSDAP und in den angeschlossenen Verbänden. Eine davon abgewandelte Form zeigte sich in Westfalen. Aufgrund der Konkurrenz der beiden Gauleitungen war hier das wichtigste Kriterium für eine Einstellung in der Provinzverwaltung nicht die Parteimitgliedschaft an sich, sondern die Herkunft aus einem der beiden westfälischen Gaue (Teppe 1977, 1986). Um im Konkurrenzkampf gegen die jeweils andere Gauleitung zu bestehen, versuchten die Gauleitungen so viele eigene Leute wie möglich ins Oberpräsidium zu schleusen. Dafür drängten diese auf die immer weitere Schaffung von neuen Verwaltungspositionen. So sorgte der Krieg letztlich dafür, dass Alte Kämpfer und PGs, welche in den 1930er Jahren noch nicht mit Positionen bedacht wurden, nun endlich auch ökonomisch vom System profitieren konnten. Die Öffnung der Verwaltung für Unqualifizierte galt für alle Laufbahnen und hatte für die Partei auch nicht intendierte Konsequenzen. Sie führte nämlich dazu, dass auch Personen, die von der NSDAP aufgrund politischer Unzuverlässigkeit nicht zum Beamtendienst zugelassen worden wären, nun eingestellt wurden (Kröger 2014). So kamen vorrangig in den Kommunen zahlreiche Beamte und weibliche Angestellte, die in den frühen 1930er Jahren aus politischen Gründen pensioniert oder entlassen wurden, wieder in die Behörden zurück (Mecking 2005). Einzelfälle wie das Beispiel des Hans Ritter von Lex, welcher trotz seiner bekannten antinationalsozialistischen Einstellung bis Kriegsende im RMI arbeitete, zeigten sich aber auch in höheren Ebenen (Bundesarchiv PERS 101/49838).

130

4

Politik und Verwaltung im Nationalsozialismus

Dies führte dazu, dass die Maßnahme auf der einen Seite die Parteipolitisierung vorantrieb und gleichzeitig andere Teile der Verwaltung entpolitisiert wurden. Dies galt allerdings nicht für Schlüsselpositionen. Diese wurden weiterhin nur mit fähigen PGs besetzt. Trotz des allgemein gültigen Beförderungsverbots im Krieg, drang die Partei außerdem auf die Beförderung einzelner Beamter. Die Gründe hierfür lagen zum einen in persönlichen Netzwerken, welche die Mitglieder nutzten, um sich lokal mehr Macht zu sichern und zum anderen in der Tatsache, dass durch die kriegsbedingte Abwesenheit zahlreicher Beamter nun die Möglichkeit existierte, in den Verwaltungen Fakten für die Zeit nach dem erhofften Endsieg zu schaffen (Mecking und Wirsching 2005). Von der Front zurückkehrende Beamte hätten sich dann ihren neuen Vorgesetzten unterordnen müssen, was die Durchsetzung der NS-Ideologie auf lange Zeit sichern sollte. Der Krieg führte nicht nur zur Öffnung der Verwaltung für Unqualifizierte. Auch auf der Ebene der Funktionalen Politisierung hatte dieser Auswirkungen. Bei Betrachtung der verschiedenen Dimensionen der Funktionalen Politisierung zeigt sich, dass sich vor allem auf der Kommunalebene Politiker und Beamte in ihrem Handeln kaum noch voneinander zu unterscheiden waren. Die zahlreichen neuen Aufgaben und Ad-hoc-Maßnahmen im Krieg führten dazu, dass sich Beamte immer häufiger auch in der Politikformulierung betätigen mussten (Mecking 2005), sei es durch das Verfassen von Erlassen oder in der Kommunikation gegenüber der Bevölkerung. Beamte waren somit gezwungen, in vielen Situationen politisch zu agieren. Es ist außerdem davon auszugehen, dass sich die Arbeitsweise des Entgegenarbeitens in dieser Phase noch verstärkte. Auch wenn es kaum Quellen über die alltägliche Verwaltungsarbeit in der Kriegszeit gibt, so kann angenommen werden, dass die von loyalem Personal durchsetzten Verwaltungen in vielen Bereichen Maßnahmen proaktiv anschoben. Beispiele hierfür zeigten sich ja schon in der zweiten Phase (z. B. Euthanasiewelle in Konstanz oder Enteignung von jüdischem Eigentum) (vgl. Abschnitt 4.3). Darüber hinaus zeigt sich, dass sich viele Beamte auch noch in der Kriegszeit in der Partei und den angeschlossenen Verbänden engagierten. So waren beispielsweise 14,0 % der Verwaltungseliten nebenberuflich in einem Hauptamt der NSDAP tätig. Außerdem engagierten sich 62,7 % in mindestens einer NSOrganisation und 42,0 % der Verwaltungseliten waren Mitglieder der SS. 26,7 % der Verwaltungseliten hatten sogar einen Generalsrang in der SS (Strobel et al. 2020. eigene Berechnungen). Auch wenn es sich dabei meist um Ehrenränge handelte, aus denen keine Befehlsgewalt abgeleitet wurde (Rebentisch 1985). Wie die Beamten in den jeweiligen Organisationen handelten, ist kaum belegt. So gibt es zwar Berichte über Einzelfälle. Diese lassen aber keine Generalisierung zu.

4.4 Struktureller Zustand des Systems am 01. September 1944

Personalpolitische Politisierung

Funktionale Politisierung

131

Strukturelle Politisierung

Keine Politisierung

Trennung

Beibehaltung von Strukturen

Gebundene Politisierung

Zusammenarbeit

Einfügen von Neuen / Zwischenebenen

Offene Politisierung

Konkurrenz

Reorganisation

Parteipolitisierung

Hybrid

Auslagerung von Kompetenzen

Abbildung 4.6 Beobachtete Politisierungsformen der dritten Phase des NS. (Hinweis: Beobachtete Politisierungsformen sind grau dargestellt, Quelle: eigene Darstellung)

Zum Abschluss noch ein Blick auf die Strukturelle Politisierung in der letzten Phase des Systems. Dort zeigt sich, dass die Beibehaltung von Strukturen in vielen Bereichen genutzt wurde (siehe auch Abbildung 4.6). Das lag zum einen am Krieg, der immer mehr Ressourcen band und zum anderen an der Tatsache, dass vorher politisierte Strukturen nun den gewünschten Effekt zeigten. Die Beibehaltung lässt sich dabei sehr gut in den besetzten Gebieten zeigen. In eroberten Regionen wie der Ukraine oder auch in Frankreich nutzten die Deutschen das bereits existierende Verwaltungswesen. Der wesentliche Unterschied im Vergleich zur Zeit vor der Besatzung war nur, dass in Schlüsselpositionen Deutsche eingesetzt wurden. Hier zeigt sich dann erneut das Einfügen von Zwischenebenen, welches weiterhin auch auf allen Verwaltungsebenen des Reiches eine zentrale Rolle spielte. Besonders gut zeigen lässt sich diese (allerdings) am Beispiel Martin Bormanns. Dieser agierte nach seiner Ernennung zum Leiter der Partei-Kanzlei deutlich strikter als sein Vorgänger Rudolf Heß. Bormann nahm zunächst Hans-Heinrich Lammers die Funktion des Gatekeepers. Hatte Lammers bis Anfang der 1940er Jahre noch den Zugang zu Hitler kontrolliert, übernahm

132

4

Politik und Verwaltung im Nationalsozialismus

dies nun der „Sekretär des Führers“ Bormann. Außerdem nutzte Bormann seine Position, um aktiv an allen Gesetzen und Erlassen mitzuwirken, bevor diese dem Diktator vorgestellt wurden. Bormann konnte so die Vorlagen nach eigenem Gutdünken framen, was ihm zusammen mit der Zugangskontrolle zu einer sehr großen Macht innerhalb des engsten Zirkels um Hitler verhalf (Lang 1980). De facto führte Bormann nun die Reichsregierung und koordinierte die zahlreichen Ministerien und Behörden der Reichs- und Mittelebene, während sich Hitler fast nur noch auf die Kriegsführung fokussierte (ebd.). Auf den anderen Ebenen zeigte sich dasselbe Phänomen. Gauleiter, Parteibeauftragte und einfache PGs agierten in der letzten Phase immer häufiger als Koordinatoren der regionalen oder lokalen Politik und verhielten sich wie Spinnen in dem Netz von Abhängigkeiten, welches sie geschaffen hatten. Daneben zeigt sich in der Kriegszeit primär die Auslagerung von Kompetenzen. Beispiele dafür gibt es dabei nicht nur in den Verwaltungen der besetzten Gebiete, welche meist hybride Gebilde aus Staats- und Parteistellen waren und stets Sonderkommissaren, Reichsstatthaltern oder einzelnen Ministern und damit dem direkten Befehl Hitlers unterstanden, sondern auch bei den Reichsverteidigungskommissaren und anderen Organisationen, welche in der Kriegsphase von staatlichen Stellen und der Partei gegründet wurden. Reorganisation spielte hingegen eher eine untergeordnete Rolle. Es wurden zwar immer wieder auch bestehende Behörden oder Ministerien umorganisiert, der wichtigste Faktor bei den strukturellen Veränderungen aber war die Etablierung neuer Organisationen. In der letzten Phase des Systems zeigt sich, dass die große Durchdringung der Verwaltungen mit PGs (sowohl alten, als auch nach 1937 eingetretenen PGs) dazu führte, dass die Verwaltungen in weiten Teilen im Sinne der NSDAP handelten. Auch ohne ein großes Revirement war es gelungen, die Beamten durch verschiedenste Maßnahmen gleichzuschalten.

4.5 Einordnung des Nationalsozialismus in die Politisierungsformen

4.5

133

Einordnung des Nationalsozialismus in die Politisierungsformen

Wie lassen sich die in der Fallstudie gefundenen Ergebnisse in die in Kapitel 2 erarbeiteten Politisierungsformen einordnen? Das nachfolgende Kapitel soll diesen Fragen nachgehen, bevor die Fallstudie zum SED-Regime folgt. Zunächst wird nun auf die Personalpolitische Politisierung eingegangen. Danach folgen Funktionale Politisierung und Strukturelle Politisierung.

4.5.1

Personalpolitische Politisierung im Nationalsozialismus

In den zwölf Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft lassen sich durchgehend Formen der Personalpolitischen Politisierung beobachten. Auch wenn die NSDAP nach der Machtübernahme im Januar 1933 auf ein vollständiges Revirement verzichtete, so zeigt sich dennoch, dass bis ins Frühjahr 1945 hinein die Personalpolitik eine entscheidende Rolle bei der Gleichschaltung der Verwaltung spielte. Die Ergebnisse der Fallstudie verdeutlichen, dass sich zwei Politisierungsformen lediglich in der ersten Phase des Systems beobachten lassen. Gebundene und Offene Politisierung spielten vor allem nach der Implementierung des BBG im Frühjahr 1933 eine entscheidende Rolle. Auch wenn kein vollständiger Personalaustausch stattfand, wurden durch die beschlossenen Maßnahmen trotzdem zahlreiche Verwaltungspositionen im ganzen Reich frei. Um diese zeitnah zu besetzen, fehlte der NSDAP das qualifizierte Personal. Das Ziel der Abschaffung und Ersetzung der staatlichen Verwaltung, welches noch vor der sogenannten Machtergreifung verfolgt wurde (Mommsen 1973), verwarf die Partei recht schnell. Im Laufe der ersten Monate der Herrschaft merkten die Nationalsozialisten, dass sie auf eine funktionierende Verwaltung angewiesen waren, wollten sie ihre Macht im Staat festigen und ihre Agenda durchsetzen (Strobel und Veit 2021). Daher schickten sich die neuen Machthaber an, freigewordene Positionen schnell wieder zu besetzen. Hierfür wurde häufig auf Beamte aus der zweiten Reihe („Prinzip des Zweiten Mannes“) zurückgegriffen (Beckmann 2003, S. 105) und Experten aus anderen Sektoren wie der Privatwirtschaft oder der Wissenschaft, die nicht zwangsläufig Mitglied der NSDAP sein mussten. Es genügte vielmehr, dass den ausgewählten Personen eine ausreichende politische Zuverlässigkeit zugetraut wurde. Mit der formalen Beendigung der Umbaumaßnahmen und der zunehmenden Qualifizierung von Parteimitgliedern der NSDAP verloren die beiden Besetzungsformen Gebundene und Offene Politisierung im Laufe der

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4

Politik und Verwaltung im Nationalsozialismus

1930er Jahre jedoch zunehmend an Relevanz, was auch die folgende Tabelle 4.10 zeigt: Tabelle 4.10 Beobachtete Personalpolitische Politisierung im NS

Phase 1

Phase 2

Phase 3

Keine Politisierung

X

X

X

Gebundene Politisierung

X

Offene Politisierung

X

Parteipolitisierung

X

X

X

Quelle: eigene Darstellung.

Ein Großteil der geerbten Beamten aus der Weimarer Zeit blieb auch über den Systemwechsel hinweg in ihren Positionen. In vielen Bereichen der Verwaltung waren die Ablösequoten sehr gering und selbst in Preußen, wo die höchsten Entlassungsquoten vorzufinden waren, blieben über alle Laufbahngruppen hinweg ca. 80 % der Beamten und Verwaltungsangestellten in ihren Positionen (Bracher, Sauer et al. 1962, S. 507 f.). Diese Schätzung beziehungsweise Hochrechnung von Bracher, Sauer et al. zeigt, dass die NSDAP in weiten Teilen auf einen Austausch der Beamten verzichtete, war sie doch auf sie angewiesen. Eine isolierte Betrachtung der Personalpolitischen Politisierung könnte nun zu dem Eindruck führen, dass in weiten Teilen der Reichsverwaltung Keine Politisierung stattgefunden hat. Statt auf einen Ersetzungsprozess setzten die Nationalsozialisten stattdessen vielmehr auf eine nachholende Politisierung des bestehenden Personals und erreichten dies durch die Nutzung einer umfassenden Kontrolle und Schulungen, worauf in einem späteren Abschnitt noch einmal eingegangen wird. Trotz dieser Befunde sollte die Bedeutung von Parteipolitisierung/Ämterpatronage nicht unterschätzt werden. Diese gab es durchgehend und auf allen Verwaltungsebenen. Vor allem bei der Besetzung von Schlüsselpositionen zeigt sich, dass die Partei hier fast ausschließlich auf loyale PGs setzte. Sei es im Höheren Dienst der Reichsministerien, wo Schlüsselpositionen schon im Frühjahr 1933 durch äußerst loyale PGs besetzt wurden oder in den Kommunen, in denen die NSDAP die eigenen Leute zu Leitern von Arbeitsgruppen, Kommunalunternehmen oder Bauhöfen ernannte. Die Nationalsozialisten agierten hier genauso, wie es aus Umbauprozessen in demokratischen Systemen schon bekannt ist (Meyer-Sahling 2008): Sie konzentrierten sich bei der Besetzung auf Schlüsselpositionen und waren dadurch in der Lage die Verwaltung für ihre ideologischen Ziele einzuspannen. Unterstützt wurde dies durch die traditionelle Gehorsamspflicht sowie die willkommene gefällige Haltung zahlreicher Beamter,

4.5 Einordnung des Nationalsozialismus in die Politisierungsformen

135

welche die antiparlamentarische Einstellung der NSDAP unterstützten (Weil 2003, S. 125) und sich nach der Phase der Demokratie vielerorts wieder einen Obrigkeitsstaat wünschten (Strobel und Veit 2021). Bei der Auswahl der Kandidaten ging die NSDAP durchaus planvoll vor. Es genügte bei der Besetzung von Schlüsselpositionen nicht, nur einfaches Mitglied der NSDAP zu sein. Hier waren häufig weitere Kompetenzen gefragt. Neben fachlichen Kriterien spielte in erster Linie die Leitungsfähigkeit eine entscheidende Rolle. Daher wurden in allen Personalakten neben den fachlichen Kriterien, der politischen Zuverlässigkeit und dem Ariernachweis auch Beurteilungen der Leitungsfähigkeit aufgenommen. Nur wenn diese Kriterien erfüllt waren, kam eine Person für eine Schlüsselposition in Frage (Teppe 1977). In den niedrigeren Positionen war die Partei hingegen nicht so streng. Auf der Ebene des einfachen Dienstes und bei den Angestellten- und Arbeiterstellen versuchte die NSDAP stets, Alte Kämpfer und PGs ohne Berücksichtigung ihrer Eignung einzuschleusen. Obwohl der Druck der Partei hier sehr hoch war, war dies allerdings nicht sonderlich erfolgreich. Die Gründe lagen häufig in der mangelhaften Ausbildung und der damit verbundenen fehlenden fachlichen Eignung, welche hauptsächlich von den Verwaltungen betont wurde. Hinzu kam, dass das RMI bis zur Absetzung des Innenministers Frick 1943 stets darauf beharrte, dass die althergebrachten Beamtengrundsätze einzuhalten sind. Das führte dazu, dass viele Alte Kämpfer nach der Machtübernahme nicht die erhoffte ökonomische Belohnung für ihre Parteiarbeit in den 1920er Jahren erhielten. Obwohl dies der Parteiführung von Beginn an bewusst war (Bundesarchiv R 43-II/452), konnte sie sich in diesem Punkt nicht vollständig durchsetzen. Die wenigen eingesetzten Alten Kämpfer wurden in den meisten Fällen recht schnell wieder entlassen, stellten sie sich doch häufig als ungeeignet für ihre Aufgaben heraus. In den 1930er Jahren spielte diese Form der Parteipolitisierung daher keine Rolle. Erst die faktische Abschaffung der Beamtenrechte 1942 und der kriegsbedingte Personalmangel in den Verwaltungen eröffneten dann eine Möglichkeit, besonders loyale PGs trotz fehlender Eignung in die Verwaltungen zu integrieren. Darüber, wie häufig dies in der Kriegszeit Anwendung fand, lässt sich keine Aussage treffen. Hierfür fehlen Quellen. Es ist allerdings zu vermuten, dass die Möglichkeit auch nach 1942 kaum genutzt wurde, waren doch die meisten arbeitsfähigen Männer zu diesem Zeitpunkt schon an der Front eingesetzt. Während der Herrschaft der NSDAP im Deutschen Reich nutzte die Partei alle Dimensionen der Personalpolitischen Politisierung. Allerdings nicht in dem Umfang wie es vielleicht vorher zu erwarten gewesen wäre. Statt eines vollständigen Austauschs des Personals setzten die NSDAP und ihre Führer vielmehr

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4

Politik und Verwaltung im Nationalsozialismus

auf einen Maßnahmenmix, welcher durch die im Folgenden aufzuarbeitenden Politisierungsformen ergänzt wurde.

4.5.2

Funktionale Politisierung im Nationalsozialismus

Eine dieser Formen war die Funktionale Politisierung, welche in verschiedenen Varianten im NS-System auftrat. Diese zeigt sich vor allem im sogenannten „Dem-Führer-Entgegenarbeiten“. Beamte waren hier nicht nur klassische Bürokraten, welche die ihnen gestellten Aufgaben ausführten, sondern agierten in vielen Fällen als „policy maker“ (Gotto 2007). Das Antizipieren des politischen Willens der Eliten war dabei weit verbreitet: „Das eigenmächtige Dem-Führer-Entgegenarbeiten bezog sich nicht nur auf Hitler, es galt oft auch anderen politischen Führern, wie den jeweiligen Gauleitern, den Leitern einzelner Kommissariate oder Ministern.“ (Reichardt und Seibel 2011, S. 11)

Egal ob in der Reichsverwaltung, den Mittelbehörden oder den Kommunen: Überall arbeiteten Beamte und Verwaltungsangestellte nach diesem Modus. Das Ziel dieser Selbstgleichschaltung war wohl häufig die Sicherung der eigenen Position. In einem System, in welchem die Entlassung aufgrund von politischer Unzuverlässigkeit an der Tagesordnung war, konnten Beamte so ihre Loyalität gegenüber der nationalsozialistischen Führung beweisen. Beim Versuch, den Nationalsozialismus in die vier Modelle von Aberbach et al. (1981) einzuordnen, zeigt sich, dass sich im Zeitverlauf die Nutzung der verschiedenen Modelle unterscheidet (siehe Tabelle 4.11). Während zu Beginn in erster Linie die NSDAP-Funktionäre auf eine Trennung von Politik und Verwaltung setzen, um die Partei aus dem Einflussbereich der Verwaltung herauszuhalten, entwickelte sich bald eine gute Zusammenarbeit zwischen den neuen Machthabern und der Verwaltung. Nun ist es so, dass sich Funktionale Politisierung formal nicht von oben verordnen lässt. Es ist ein Prozess der von unten, das heißt aus der Verwaltung heraus, erfolgt. Allerdings zeigt das Fallbeispiel, dass sich einzelne Maßnahmen positiv auf eine Funktionale Politisierung zu Gunsten der regierenden Partei auswirken können. Eine Trennung von Politik und Verwaltung kam dem erlernten Modus der Beamtenschaft entgegen. Schon im Kaiserreich und spätestens in der Weimarer Republik sahen die Beamten eine Vermischung von Politik und Verwaltung eher negativ (Bracher et al. 1962; Mommsen 1973) (siehe auch Abschnitt 4.1).

4.5 Einordnung des Nationalsozialismus in die Politisierungsformen Tabelle 4.11 Beobachtete Funktionale Politisierung im NS

Phase 1 Trennung

X

Zusammenarbeit

X

Konkurrenz

X

Hybrid

Phase 2

137

Phase 3

X X

Quelle: eigene Darstellung.

Eine andere Maßnahme war der Schutz vor Maßnahmen und Eingriffen der Parteistellen, den viele PGs als neue Verwaltungsleiter ihren Mitarbeitern zukommen ließen. Dieser motivierte die Beamten zu einem hohen Grad an Loyalität und förderte die Zusammenarbeit von Verwaltung und Politik im Nationalsozialismus. Dies ermöglichte es den Beamten, ihre eigene Position zu schützen, und nützte auch den NS-Eliten. Ohne notwendigen Druck oder allzu umfassende Kontrolle erhielt die neue Führung fachliche Unterstützung aus den Verwaltungen bei der Umsetzung der ideologischen Ziele. Die Zusammenarbeit ging so weit, dass einige Historiker der Meinung sind, die Effizienz der Vernichtungsstruktur des Holocausts wäre ohne die fachliche Unterstützung der staatlichen Verwaltung bei Konzeption und Umsetzung nicht möglich gewesen (Gottwaldt und Bartelsheim 2009; Kuller 2013; Mommsen 1966). Ein gutes Beispiel für diese Zusammenarbeit ist der Säuberungsprozess im Reichswirtschaftsministerium nach Einführung des BBG 1933. Alfred von Hugenberg beauftragte damit den Personalabteilungsleiter des Ministeriums, Fritz Freiherr von Massenbach. Er sollte die zu entlassenden politisch unzuverlässigen Beamten im Ministerium und den nachgeordneten Behörden benennen. Massenbach, ein erfahrener Verwaltungsjurist ohne Verbindung zur NSDAP, erfüllte seine Aufgabe äußerst gewissenhaft und nutzte seine neue Macht gleichzeitig zur Begleichung alter Rechnungen im Ministerium (Abelshauser et al. 2016). Aus der Zusammenarbeit entwickelte sich im Laufe der Zeit in vielen Verwaltungen eine hybride Form, in welcher die Handlungen von Politikern und Beamten kaum noch zu unterscheiden waren. Der Grund für diese Entwicklung liegt vor allem in dem immer weiter fortschreitenden Mangel an verbindlichen Vorgaben der Führungsriege. Statt klarer Weisungen und Kompetenzverteilung führte die immer weiter fortschreitende Polykratie dazu, dass in vielen Bereichen Unsicherheit über die eigenen Kompetenzen herrschte. Häufig war nicht klar, welche Behörde, Parteistelle oder Organisation für eine bestimmte Aufgabe zuständig war (Gotto 2006; Hüttenberger 1976). Um in diesem undurchsichtigen System die eigene Position und den damit verbundenen Einfluss zu erhalten,

138

4

Politik und Verwaltung im Nationalsozialismus

agierten daher viele Verwaltungen und ihre Beamten zunehmend politisch. Sie entwarfen Verordnungen und etablierten eigenständige Vorgaben. Gerade in der Politik gegenüber Opfergruppen, aber auch in den vielen kurzfristig notwendigen Maßnahmen im Krieg, zeigte sich dieses Phänomen. Viele politische Initiativen, die zur Radikalisierung der Maßnahmen gegenüber Opfergruppen des Nationalsozialismus führten, wurden aus der Verwaltung heraus angestoßen. Insbesondere bei der Anwendung der Wohlfahrtsstaatsmechanismen legten Kommunalverwaltungen in vorauseilendem Gehorsam den von oben verordneten „Sozialrassismus“ häufig deutlich restriktiver aus, als es in den Reichsgesetzen und Verordnungen ursprünglich vorgesehen war (siehe Abschnitt 4.3.3.3). Parallel dazu entwickelte sich in einigen Verwaltungen auch eine Konkurrenz zwischen Politik und Verwaltung. Verantwortlich war dafür meist die Polykratie, wie sie von zahlreichen Historikern beschrieben wurde. Diese prägte das System zunehmend und führte zu einem hohen Maß an Konkurrenz zwischen zahlreichen Organisationen (Verwaltungen, Parteistellen, Verbände etc.) (Gotto 2006; Hüttenberger 1976). Häufig stattete die NSDAP-Führung mehrere Organisationen mit ähnlichen Kompetenzen aus und erhoffte sich davon eine „kreativere“ Verwaltungsführung. Meist förderte sie aber nur die Zielkonkurrenz. Belegen lässt sich diese allerdings nur selten. Ein Feld, wo hingegen Konkurrenz beobachtet werden kann, ist die Beamtenpolitik. Hier verfolgten die Partei und die Verwaltung gänzlich unterschiedliche Ziele. Auch wenn die NSDAP ihre Forderung der 1920er Jahre abmilderte, die Verwaltung abzuschaffen, ergaben sich hier stets Konflikte. Dies war insbesondere dann zu sehen, wenn politische Einschränkungen der Beamtenrechte umgesetzt werden sollten (Mommsen 1966). Insbesondere nach Einführung des DBG 1937 sind häufiger shirking-Fälle zu belegt (Strobel und Veit 2021, S. 40). Dabei schützten Beamte ihre Kollegen, indem sie die Weitergabe von Akten und Informationen verzögerten oder Disziplinarverfahren verschleppten. Ein weiteres Beispiel zeigt sich im Auswärtigen Amt. Eine Gruppe von Beamten um Ernst von Weizsäcker, Erich Kordt und Eduard Brücklmeier versuchte im Sommer 1939 den Angriff auf Polen zu verhindern, indem sie ausländische Diplomaten kontaktierten und diese vor den Plänen der NS-Führung warnte (Conze et al. 2010). Unterstützt wurden diese Formen der Funktionalen Politisierung durch das parteipolitische Engagement der Beamten. Obwohl es hier an Quellen mangelt, kann davon ausgegangen werden, dass viele Beamte sich selbst durch Beitritt in die NSDAP oder die angeschlossenen Verbände politisierten. Alleine die große Anzahl an Beamten, die der NSDAP im Laufe der Zeit beitrat, lässt darauf schließen. Es kann angenommen werden, dass ein Großteil nicht nur als einfaches Mitglied der Partei wirkte. Viele engagierten sich wohl aktiv in der Bewegung.

4.5 Einordnung des Nationalsozialismus in die Politisierungsformen

139

Der Grund dafür ist folgender: Beamte, die sich innerhalb der Partei exponierten, intensiven Kontakt zu wichtigen Stellen hatten und sich selbst große Netzwerke innerhalb der NSDAP und ihren angeschlossenen Organisationen bildeten, bauten ihre Macht auch innerhalb der Verwaltung aus. Das folgende Zitat Gruners über Kommunalbeamte bestärkt dies: „Je vielfältiger vernetzt sich Kommunalbeamte zeigten, desto stärker gestalteten sich ihre Position und ihr Einfluss in der Innenpolitik, ob auf lokaler oder regionaler Ebene, denn sie verfügten über Informationen zu potenziellen Partnern und über Wissen, wie mit diesen kooperiert werden konnte.“ (Gruner 2011, S. 186)

Durch ein Engagement in der NSDAP konnte ein Beamter nicht nur seinen persönlichen Einfluss sichern; er sicherte auch seine ökonomische Position ab. Außerdem hatten gut vernetzte Beamte die Möglichkeit, sich über das geknüpfte Netzwerk im Zweiten Weltkrieg vom Kriegsdienst befreien zu lassen. Persönliche Kontakte zu führenden Mitgliedern der NSDAP ermöglichten häufiger eine Unabkömmlichstellung (in den Personalakten als UK-Stellung vermerkt) als ohne NS-Seilschaften. Beispiele hierfür finden sich sowohl bei den Verwaltungseliten als auch in nachgeordneten Bereichen. Zur Verdeutlichung soll hier nur ein besonders prägnantes Beispiel genannt werden: Der spätere Abteilungsleiter des Bundespostministeriums (1965 – 1971) Werner Wichmann war, wie seine Personalakte verdeutlicht, beispielsweise während des Krieges als Abteilungsleiter einer Oberpostdirektion aufgrund seiner guten Verbindungen in der NSDAP UK gestellt (Bundesarchiv R 4701/39834). Obwohl er nie an der Front war, erhielt er trotzdem das Kriegsverdienstkreuz 1. Klasse und den Ehrendienstrang Unteroffizier der Wehrmacht. Obwohl von der NSDAP Parteieintritte der Beamten grundsätzlich gewünscht waren, stellte sich jedoch bald eine nicht-intendierte Folge dieser Politik heraus. Die zunehmende Aufnahme von Beamten in die Partei führte nicht nur zu einer Politisierung der Beamten, sondern auch zu einer Bürokratisierung der Partei. Der immer weiter reichende Einfluss von Beamten innerhalb der Partei führte dazu, dass Parteileitungen zunehmend an Einfluss auf die Verwaltungen verloren. Erschwerend hinzu kam die Tatsache, dass sich leitende PGs in hohen Verwaltungspositionen (z. B. Oberpräsidenten, Regierungspräsidenten) recht schnell nach der „Machtergreifung“ auf die Seite der Verwaltung stellten und diese vor Einflüssen der Partei abschirmten (Gruner 2011, S. 188).

140

4.5.3

4

Politik und Verwaltung im Nationalsozialismus

Strukturelle Politisierung im Nationalsozialismus

Strukturelle Politisierung spielte auf allen Verwaltungsebenen des Nationalsozialismus eine große Rolle. Insbesondere das Einfügen von Neuen bzw. Zwischenebenen und die Reorganisation der Behörden wurden in allen Verwaltungsbereichen angewandt. Die Aufnahme von PGs in die teilweise neu geschaffenen Schlüsselpositionen führte dazu, dass diese ihre Positionen (wie von der NSDAP vorgesehen) nutzten, um die Verwaltung gleichzuschalten. Selbst wenn sie nicht die Leitung einer Behörde übernahmen, so hatten sie dennoch einflussreiche Zwischenpositionen inne, in denen sie als Gatekeeper wirken konnten. Daneben hatten nicht nur PGs in Schlüsselpositionen, sondern auch einfache PGs und Alte Kämpfer, die in Behörden oder einzelne Abteilungen eingeschleust wurden, sowie die zahlreichen Akteure in den Ämtern der NSDAP einen starken Einfluss auf das Verhalten der Beamten. Überall zeigt sich, dass schon ein einzelner PG eine ganze Verwaltungseinheit kontrollieren und das Verhalten der Beamten in dieser Organisationseinheit verändern konnte (Rebentisch 1989a, S. 545). So konnten missliebige Meinungen innerhalb der Verwaltung effektiv unterdrückt und die ideologische Agenda effizient durchgesetzt werden. Häufig kam es vor, dass in einer Verwaltung nicht nur eine Person eine Gatekeeperfunktion einnahm, sondern dass mehrere Personen mit unterschiedlichen Positionen diese besetzten. Besonders auf der Kommunalebene zeigt sich eine Vielzahl von Funktionären, die versuchten das Verwaltungshandeln aus ihrer Position heraus zu beeinflussen. Hierunter fallen die neuen Bürgermeister und Dezernenten, die NSDAP-Ratsherren, aber auch die Leiter von Kommunalunternehmen. Diese nutzten ihre Funktion, um aktiv politisch störende Meinungen innerhalb der Verwaltung zu unterdrücken (Tüffers 2005, S. 74). Überall wo mehrere dieser Gatekeeper agierten, führten deren Anweisungen und Handlungen allerdings nicht immer zu einer effizienten Umsetzung des Parteiwillens durch die Verwaltung. Das Ziel dieser Akteure war meist vorrangig die Mehrung des eigenen Einfluss – nicht nur gegenüber der Verwaltung, sondern auch gegenüber den eigenen Parteigenossen – und nicht die Umsetzung des Parteiwillens. Die daraus resultierenden Konflikte führten häufig zu Unklarheit und waren ein Grund für die polykratischen Verhältnisse, die Historiker dem Nationalsozialismus regelmäßig bescheinigten (Bracher et al. 1962; Gotto 2006; Hildebrand 1983; Mommsen 1966; Roser und Spear 1993 etc.). Dies führte somit nicht nur zur zunehmenden Gleichschaltung der Verwaltung, sondern auch zu einer abnehmenden Effizienz des Verwaltungssystems. Verbunden war das Ganze mit einer stetigen Reorganisation der Behörden und Verwaltungsstrukturen (siehe Tabelle 4.12). Mit dem Vorläufigen Gesetz zur

4.5 Einordnung des Nationalsozialismus in die Politisierungsformen

141

Tabelle 4.12 Beobachtete Strukturelle Politisierung im NS Phase 1

Phase 2

Beibehaltung von Strukturen

X

Einfügen von Zwischenebenen

X

Reorganisation

X

X

Auslagerung von Kompetenzen

X

X

Phase 3 X X X

Quelle: eigene Darstellung.

Gleichschaltung der Länder mit dem Reich, dem Zweiten Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich, dem Gesetz über den Neuaufbau des Reiches und dem Gesetz über die Aufhebung des Reichsrates wurde bis 1934 eine strenge Hierarchisierung der Verwaltungseinheiten eingeführt. Waren Länder, Provinzen, Kreise und Kommunen vorher in weiten Teilen autonom, unterstanden diese nun dem direkten Befehl der Reichsregierung und damit der NSDAP. Die Selbstverwaltung und der Föderalismus waren damit de facto abgeschafft. Somit konnten die Reichsregierung und insbesondere das RMI bis hinunter auf die Kommunalebene mitbestimmen und verbindliche Vorgaben machen, die von den Beamten dort erfüllt werden mussten. Zudem wurden auf Basis des Gesetzes zur Sicherung der Einheit von Staat und Partei bestehende Verwaltungseinheiten und Parteistrukturen zu neuen hybriden Behörden, bestehend aus staatlichen und parteilichen Strukturen, fusioniert. Außerdem wurden zahlreiche Ministerien und nachgeordnete Behörden erheblich ausdifferenziert und viele Kompetenzen in neue Abteilungen innerhalb der Verwaltung verschoben, die dann mit loyalen Parteimitgliedern besetzt werden konnten. Daneben zeigt sich, dass eine Vielzahl an Kompetenzen und Aufgaben der Verwaltung ausgelagert wurde. Dies geschah entweder zu neuen Behörden, welche entweder staatlich oder hybrid organisiert waren (d. h., aus staatlichen und parteilichen Strukturen bestanden), oder direkt zu verschiedensten Parteistellen. Ein Beispiel ist die Beamtenausbildung und die Kontrolle der Verwaltung, welche vor der Machtübernahme der jeweiligen Fachaufsicht (z. B. vorgesetzte Ministerien) unterlag. In den 1930er Jahren wurden damit aber nach und nach Ämter der NSDAP beauftragt. Externe Verwaltungskontrolle durch ideologische Schulungen und die ständige Überwachung mittels politischer Gutachten spielte eine entscheidende Rolle. Während der gesamten Regierungszeit der NSDAP versuchte die Partei, die Verwaltung noch engmaschiger zu überwachen. Dies zeigt sich an den politischen Gutachten. Waren diese als einmalige Maßnahme zur Überprüfung der politischen Zuverlässigkeit im Rahmen des BBG gedacht, so wurden diese

142

4

Politik und Verwaltung im Nationalsozialismus

bald zu einer Dauereinrichtung des NS-Staates. Die zuständigen Parteiämter – vor allem das Hauptamt für Beamte und seine äquivalenten Gauämter – sammelten dauerhaft Informationen über die Beamten, für die sie zuständig waren (Roser und Spear 1993). Dazu nutzten sie nicht nur Befragungen und Beurteilungen von Vorgesetzten, sie setzten auch Spitzel ein, um an umfassende Informationen über die beobachteten Beamten zu gelangen (ebd.). Waren die Parteistellen auf einen störenden oder widerständigen Beamten gestoßen, dann taten diese alles, um diesen aus seinem Amt entfernen zu lassen. Bis zur Aussetzung der Beamtenrechte 1942 war die NSDAP damit allerdings nur selten erfolgreich. Zum einen deckten sich die Beamten häufig gegenseitig, wenn bekannt wurde, dass Parteistellen gegen einen Kollegen vorgingen. Zum anderen schützten die Behördenleiter ihre Beamten, indem sie ihren Einfluss innerhalb der Partei nutzten, um Verfahren einstellen zu lassen (Mommsen 1966, p. 104 f.; 106). Zusätzlich setzte die NSDAP auf politische und ideologische Schulungen, um die Beamten gleichzuschalten und widerständige Meinungen innerhalb der Verwaltungen zu unterbinden. Das Ziel war es, eine ideologisch feste Verwaltung zu schaffen, die sich vollständig den Zielen des Nationalsozialismus unterordnete. Dazu wurden im Laufe der Zeit auf allen Ebenen (teils verpflichtende) Schulungen eingeführt. Ein langfristiger Erfolg war den Fortbildungen allerdings nicht bestimmt. Insbesondere die Weigerung vieler Behördenleiter, die Schulungen zur Dienstzeit zu erklären, führte, trotz einer im DBG 1937 eingeführten Schulungspflicht, zu niedrigen Teilnehmerzahlen. Außerdem bestand bei den meisten Beamten kein besonders hohes Interesse an einer ideologischen Schulung. Dies passte nicht zum gelernten Selbstverständnis der meisten Beamten, welche sich auch nach der Machtübernahme noch als neutrale Vollzieher des politischen Willens sahen (Bracher et al. 1962; Mommsen 1973). Langfristig wurden die Schulungen deshalb und aufgrund mangelnden Budgets bis 1941 reichsweit wieder abgeschafft (Roser und Spear 1993, S. 100). Nur in wenigen Einzelfällen hatten die Schulungen einen messbaren Effekt auf die Verwaltung (Klöckler 2012, S. 145). Beim Vergleich der beiden Maßnahmen kann festgehalten werden, dass die Kontrolle der Beamten durch Überwachung einen größeren Disziplinierungseffekt hatte als die Schulungen. Die Angst vor Konsequenzen eines widerständigen oder politisch unzuverlässigen Handelns führten, kombiniert mit den anderen Formen der Politisierung, dazu, dass die Verwaltungen recht umfassend gleichgeschaltet werden konnten. Trotz all dieser Maßnahmen und Veränderungen muss festgehalten werden, dass auch die Beibehaltung von Strukturen eine wesentliche Rolle im NS spielte. Weder wurden die preußischen Verwaltungsgrundsätze vollständig

4.5 Einordnung des Nationalsozialismus in die Politisierungsformen

143

abgeschafft bzw. reformiert, noch wurden in allen Bereichen der Verwaltung Reformen umgesetzt. Dies lag zum einen daran, dass Hitler und die NSDAP allen gesetzlich festgeschriebenen Reformen eher ablehnend gegenüber standen, beschränkte dies doch potenziell ihre Handlungsfähigkeit in der Zukunft. Zum anderen funktionierten einige Bereiche der Verwaltung aber auch ohne strukturelle Veränderungen. Beispiele sind die Reichsfinanzverwaltung oder auch sehr stark spezialisierte Fachabteilungen in zahlreichen Behörden, welche ihren Aufgaben effizient nachkamen. Ein struktureller Eingriff war hier nicht unbedingt notwendig.

4.5.4

Zusammenfassung: Politisierung im Nationalsozialismus

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass für die erfolgreiche Politisierung der Beamten im Nationalsozialismus eine Mischung von Politisierungsformen entscheidend war. Vom 31. Januar 1933 an setzte die NSDAP alles darauf, die Verwaltung und die Verwaltungsführung zu ihren Gunsten zu verändern. Dabei wich die NSDAP schnell von den Konzepten, die sie in der Weimarer Zeit entwickelt hatte, ab. Bestand beispielsweise vor der Machtergreifung noch die Überlegung, die Staatsverwaltung gänzlich abzuschaffen und durch die Parteiverwaltung zu ersetzen (Mommsen 1973), verwarf die Partei diesen Plan schon im Frühjahr 1933. Stattdessen bemühten sich die Nationalsozialisten, mithilfe der Reichstagsbrandverordnung und dem BBG eher chirurgisch in die Personalzusammensetzung der deutschen Verwaltung einzugreifen. Trotz eines fehlenden Revirements darf die Bedeutung der 1933 durchgeführten Maßnahmen allerdings nicht unterschätzt werden. Die Besetzung von Schlüsselpositionen war eine zentrale Säule der Machtsicherung innerhalb der Verwaltung. Gerade die Entfernung demokratisch eingestellter Beamter und die Abschaffung der ohnehin geringen Diversität in der deutschen Verwaltung, machten diese in vielen Fällen zu einem Werkzeug der NSDAP und ihrer Führungseliten. Aus den Reihen der verbliebenen Beamten gab es kaum Widerstand gegen die neuen Machthaber, sodass diese mit den verbliebenen Beamten fortan gut zusammenarbeiteten (Strobel und Veit 2021). Die Personalpolitische Politisierung wurde im Zeitverlauf in seinen verschiedenen Formen durchgängig weiter verwendet. Vor allem bei neu geschaffenen Positionen spielte dann die Parteipolitisierung eine entscheidende Rolle. Kombiniert wurde dies mit Strukturveränderungen und verschiedenen Formen der Verhaltensbeeinflussung. Dazu wurden aktive Maßnahmen wie Schulungen

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4

Politik und Verwaltung im Nationalsozialismus

und externe Kontrolle genutzt. Die NSDAP setzte aber auch darauf, dass sich die Beamten im Rahmen der Funktionalen Politisierung selbst gleichschalteten. Dass diese dazu bereit waren, zeigt sich darin, dass zahlreiche Beamte (ca. 570.000 (Röhling 2017, S. 122)) bis zum Aufnahmestopp am 01. Mai 1933 Mitglied der Partei wurden. Dieselben Beamten, die sich in der Weimarer Republik von Parteimitgliedschaften fernhielten, traten nun in großer Zahl der NSDAP bei, um einerseits ihre berufliche Position während der laufenden BBG-Maßnahmen zu sichern und andererseits ihren persönlichen Einfluss zu mehren. Schließlich bestand ja die Chance, eine der frei werdenden Positionen zu übernehmen. Dies relativiert auch etwas den Befund, der in Abschnitt 4.5.1 angemerkt wurde. Es gab Gebundene Politisierung im Nationalsozialismus. Es muss aber auch beachtet werden, dass die Beamten aus der zweiten Reihe, welche befördert wurden, häufig der NSDAP angehörten bzw. dieser kurz vor ihrer Beförderung beigetreten waren. So verbanden sich personalpolitische Maßnahmen und Funktionale Politisierung. Beim Versuch, die Maßnahmen der NSDAP und ihrer Eliten zeitlich einzuordnen, zeigt sich, dass personalpolitische Maßnahmen zuvorderst in der Umbauphase zu Beginn die größte Rolle gespielt haben. Im weiteren Verlauf führten die anderen Politisierungsformen bis 1945 zu einer nachholenden Politisierung der Verwaltung. Dies verdeutlichen nicht nur die hohen Mitgliedsquoten in der Partei und ihren angeschlossenen Verbänden, sondern auch die Handlungen der Beamten im Alltag. In vielen Bereichen sicherten sie durch ihr Handeln die Stabilität des Regimes (Mommsen 1966), welches auf politischer Ebene durch polykratische Verhältnisse in Form von Machtkämpfen, Kompetenzgerangel und unklare Zuständigkeiten geprägt war, welche Hitler als Monokrat des Systems gar nicht lösen wollte (Hehl 2001).

5

Politik und Verwaltung im SED-Regime

Nachdem in der vorigen Fallstudie das Verhältnis von Politik und Verwaltung im Nationalsozialismus aufgearbeitet wurde, folgt nun die zweite Fallstudie dieser Arbeit. In dieser wird die Entwicklung und Politisierung des Verwaltungssystems des SED-Regimes in der SBZ und der DDR beschrieben und in die erarbeiteten Politisierungsformen eingeordnet. Analog zur NS-Fallstudie wird auch diese Fallstudie in zeitliche Abschnitte unterteilt. Allerdings unterscheiden sich aufgrund der deutlich längeren Dauer des Systems die Länge und Anzahl der Phasen. Bei der Auswahl der Zeiträume wird auf eine in der Literatur übliche Einteilung des Systems zurückgegriffen (vgl. Schwarzenbach 1976, S. 61). Die erste Phase ist die Phase des Aufbaus und der sogenannten „Äußeren Staatsgründung“ zwischen 1945 und 1952/53. Je nach Autor endet diese mit der Abschaffung der Länder am 23. Juli 1952 oder dem Volksaufstand am 17. Juni 1953 (Schwarzenbach 1976). Für die folgende Fallstudie wurde die Abschaffung der Länder als Endpunkt gewählt, da sie das formale Ende der politischen und administrativen Umstrukturierung der SBZ/DDR hin zu einem sozialistischen Regime markiert. Mit der Auflösung der Länder waren sämtliche traditionellen Elemente des deutschen Staatswesens (z. B. kommunale Selbstverwaltung, Föderalismus, Beamtenwesen etc.) auf dem Gebiet der DDR abgeschafft und endgültig ein zentralistischer Einheitsstaat geschaffen (Neugebauer 1978, S. 103). Die auf der Potsdamer Konferenz 1945 vereinbarte Dezentralisierung war nicht mehr existent (Ruffmann und Altrichter 1983, S. 228).

Ergänzende Information Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, auf das über folgenden Link zugegriffen werden kann https://doi.org/10.1007/978-3-658-39157-7_5.

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2022 B. Strobel, Politik und Verwaltung in deutschen Diktaturen, Interdisziplinäre Organisations- und Verwaltungsforschung 22, https://doi.org/10.1007/978-3-658-39157-7_5

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5

Politik und Verwaltung im SED-Regime

Die darauf folgende zweite Phase wird häufig als „Innere Staatsgründung“ oder „Aufbau der sozialistischen Grundlagen“ (Hauschild 1991, S. 54) bezeichnet und dauerte bis 1961/62. In dieser Zeit konsolidierte sich die Herrschaft der SED. Mit dem Bau der Berliner Mauer 1961 und der Einführung des Neuen Ökonomischen Systems (NÖS) 1962 endete diese Phase (ebd.). Die dritte Phase ist gekennzeichnet durch innenpolitische Lockerungen bis 1971, die sogenannte „sozialistische Revolution“ (Schwarzenbach 1976). Den Bürgern wurden in dieser Zeit mehr Freiheiten zugestanden. Im Zusammenhang mit dem NÖS setzte die SED auf eine Bildungsexpansion, um den wirtschaftlichen Rückstand gegenüber der Bundesrepublik aufholen zu können. Diese Phase endete mit der Entmachtung Walter Ulbrichts 1971 (ebd.). Die vierte Phase, der sogenannte „real existierende Sozialismus“, deckt die Zeit Erich Honeckers als Generalsekretär der SED zwischen 1971 und 1989 ab. Geprägt war diese Phase von einem erneuten Ausbau des Überwachungsstaates und einer Rücknahme der zuvor gewährten Freiheiten (Hauschild 1991, S. 54). Politisch war das System in dieser Phase äußerst stabil. Es gab kaum noch Reformen oder Veränderungen. Stattdessen setzte die SED auf eine Politik zum Machterhalt (Hauschild 1991, S. 54; Malycha 2005, S. 116). Die fünfte und letzte Phase kennzeichnet den Zusammenbruch des SED-Regimes und das Ende der DDR zwischen dem Herbst 1989 und dem 03. Oktober 1990. Da diese Phase für die Politisierung durch die SED aufgrund des Machtverlusts der Partei allerdings keine Rolle mehr spielt, endet die Fallstudie mit dem Fall der Berliner Mauer und der Einsetzung der Regierung Modrow im November 1989. Bevor in dieser Arbeit genauer auf die einzelnen Phasen eingegangen wird, muss zunächst der organisatorische Aufbau der SED in Grundzügen beschrieben werden. Dies ist zentral für das Verständnis des gesamten Systems, da staatsund verwaltungspolitische Entwicklungen nur mit diesem Hintergrundwissen verstanden werden können.

5.1

Der organisatorische Aufbau der SED

Die SED war von Beginn an eine Massenpartei. Schon 1946 hatte sie 1,3 Millionen Mitglieder und konnte diese Zahl bis 1947 sogar auf 1,8 Millionen ausbauen (siehe auch Tabelle 5.1). Danach folgte ein Rückgang aufgrund von Säuberungswellen, auf welche in späteren Abschnitten noch eingegangen werden wird. Ab 1951 konnte sie ihre Mitgliederzahl allerdings wieder kontinuierlich ausbauen und hatte im September 1989 laut Mitgliederzählung 2,3 Millionen

5.1 Der organisatorische Aufbau der SED

147

Mitglieder, was zu diesem Zeitpunkt 19,0 % aller volljährigen Bürger der DDR entsprach. Die soziale Zusammensetzung im Dezember 1987 sah folgendermaßen aus: 37,6 % waren Produktionsarbeiter, 4,9 % LPG-Bauern, 22,3 % Angehörige der Intelligenz (Akademiker), 15 % Rentner, 7,4 % Angestellte und 12,8 % Sonstige Gruppen (Schroeder 1998, S. 391). In die Gruppe der Sonstigen fielen fast ausschließlich Hauptamtliche Mitarbeiter der SED in den 59.000 Grundorganisationen (GRO) in Betrieben, Staatsorganen und Wohngebieten. Bevor eine Person Mitglied der Partei oder eines Parteigremiums werden konnte, war sie zunächst Kandidat der Partei bzw. des Gremiums. In dieser Zeit (je nach Gremium ein bis zehn Jahre) mussten sich Anwärter bewähren und beweisen, dass sie sich dem Parteiauftrag unterordnen wollten und konnten (Glaeßner 1977, S. 90 f.). Tabelle 5.1 SED-Mitglieder im Zeitverlauf

April 1946

1,3 Millionen

September 1947

1,8 Millionen

Dezember 1950

1,6 Millionen

Dezember 1951

1,2 Millionen

Dezember 1969

1,7 Millionen

Juni 1971

1,9 Millionen

April 1981

2,2 Millionen

April 1986

2,3 Millionen

September 1989

2,3 Millionen

Quelle: Schroeder 1998, S. 391. eigene Darstellung

Das formal höchste Gremium der Partei war der alle vier Jahre stattfindende Parteitag. Faktisch hatte dieser aber nur eine akklamatorische Funktion (Neugebauer 1978, S. 34). Die wichtigste Aufgabe des Parteitags war die „Wahl“ des Zentralkomitees (ZK) anhand einer Liste des Politbüros (PB) (ebd.). Die 2.000 bis 2.500 Delegierten stimmten diesem Vorschlag zwischen 1946 und 1989 immer einstimmig zu (Schroeder 1998, S. 400 f.). Eigenständige Initiativen der Parteibasis spielten auf den Parteitagen keine Rolle. Die mächtigste Person in der Partei war der erste Sekretär (1953 bis 1976) bzw. Generalsekretär (1946 bis 1953, 1976 bis 1989) des ZK der SED. Dieser leitete das Politbüro, hatte seit 1960 den Vorsitz im Nationalen Verteidigungsrat inne und war im Regelfall (Ausnahme 1971 bis 1976) Vorsitzender des Staatsrates

148

5

Politik und Verwaltung im SED-Regime

(Neugebauer 1978, S. 131 ff., 142). Seine Tätigkeit wurde von niemandem kontrolliert. Er war de facto der Monokrat im kollektivistisch organisierten System (Thieme 2015, S. 133; Wagner 1998, S. 69). Walter Ulbricht und sein Nachfolger Erich Honecker hatten die alleinige Kompetenz zur Vorbereitung aller Fragen des PB und zur Letztentscheidung über Fragen des ZK (Schroeder 1998, S. 395). Das PB hatte in allen Bereichen der DDR die Kompetenzkompetenz und die Personalkompetenz (Thieme 2015). Formal wurde das PB auf Vorschlag des alten PB vom ZK alle vier bzw. später alle fünf Jahre „gewählt“ (Amos 2005, S. 66). Da aber das PB selbst den Wahlvorschlag erstellte, standen immer wieder die gleichen Personen zur Wahl (Schroeder 1999, S. 112). Ein Generationswechsel bzw. ein vollständiger Austausch der Parteiführung fand aufgrund dieser Selbstrekrutierung bis 1989 nicht statt (Thieme 2015, S. 112). Formal waren alle Mitglieder des PBs gleichgestellt. Informell existierte aber eine Rangfolge, die sich aus der persönlichen Nähe zum Generalsekretär ableitete (Amos 2005, S. 66). Alle wichtigen Positionen in Staat und Partei besetzten die Mitglieder des PB selbst in Personalunion. Darunter fielen die Positionen der ZK-Sekretäre sowie die Leitungen der wichtigsten Ministerien (Staatssicherheit, Inneres, Plankommission), des Staatsrats, der Volkskammer, des Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) und der Zentralen Parteikontrollkommission (ZPKK) (Schroeder 1998, S. 397; Thieme 2015, S. 134–139). Tagungen fanden einmal pro Woche statt. Alle zu treffenden Entscheidungen wurden vom Sekretariat des PB und des ZK unter Leitung des Generalsekretärs vorbereitet, sodass von den Mitgliedern nur noch zugestimmt werden musste (Neugebauer 1978, S. 62 f.). Echte Diskussionen fanden im PB und im ZK hingegen nicht statt. Besprochene Punkte waren die Außen-, Sicherheits- und Innenpolitik sowie Wirtschaftsfragen (Neugebauer 1978, S. 63). Das Sekretariat des ZK tagte ebenfalls wöchentlich. Es führte die Detailausgestaltung der PB-Beschlüsse durch und übergab diese an die nachgeordneten ZK-Abteilungen, welche sie an die Ministerien weiterreichten (Walther 1953, S. 23). Die Abteilungen des ZK verfügten über einen großen Mitarbeiterstab, der stetig anwuchs. Waren es 1950 noch 320 Mitarbeiter in 15 Abteilungen, so existierten 1953 schon 500 Mitarbeiter in 23 Abteilungen, 1963 700 Mitarbeiter in 25 Abteilungen (Amos 2005, S. 65, 71) und 1989 ca. 2.000 Mitarbeiter in über 40 Abteilungen (Schroeder 1998, S. 402), welche alle Ressorts des Ministerrates spiegelten und gegenüber den Abteilungen der Ministerien weisungsbefugt waren (Wagner 1999, S. 49). Der größte Bereich waren die Wirtschafts- und Industrieabteilungen, welche durchgehend etwa ein Drittel der Mitarbeiter beschäftigten (Amos 2005, S. 72).

5.1 Der organisatorische Aufbau der SED

149

Das ZK war in der Phase zwischen den Parteitagen formal das höchste Parteigremium (Neugebauer 1978, S. 36). Die Gründung des Politbüros, die sukzessive Vergrößerung des ZK bis 1989 und die Abnahme der Tagungen führten allerdings zu einem erheblichen Machtverlust des ZK (Amos 2005, S. 79). Tagte das Gremium zunächst vier Mal im Jahr, waren es in den 1970er und 1980er Jahren nur noch zwei Tagungen jährlich (Neugebauer 1978, S. 37; Schroeder 1998, S. 398). Protokollarisch waren alle ZK-Mitglieder den Ministern vorangestellt. ZK-Sekretäre waren gegenüber allen Ministern formal weisungsbefugt (Wagner 1999, S. 49). Aufgrund der steigenden Bedeutung des Politbüros und dem unregelmäßigen Tagungsrhythmus hatte das ZK allerdings schon in den 1960er Jahren nur noch eine akklamatorische Funktion (Amos 2005, S. 79). 1953 wurden zusätzlich zu PB-Sekretariat und ZK-Sekretariat noch die sogenannten Kommissionen des PB eingeführt (Neugebauer 1978, S. 64). Diese unterstanden einem Mitglied des PB und bestanden aus Partei-, Staats- und Wirtschaftsfunktionären sowie Leitern der Massenorganisationen (ebd.). Die Kommissionen waren den ZK-Abteilungen vorgesetzt und koordinierten meist die Arbeit mehrerer ZK-Abteilungen (Amos 2005, S. 72 f.; Neugebauer 1978, S. 65). Die Einführung der Kommissionen und deren regelmäßige Umbildung führten allerdings häufiger zu unklaren Zuständigkeiten innerhalb der Partei. Ein Beispiel dafür ist die Zuständigkeit für die Parteischulen, welche in folgender Tabelle 5.2 dargestellt ist. Tabelle 5.2 Verantwortlichkeit für die Parteischulen Jahr

ZK-Abteilung

Verantwortliches PB-Mitglied

1949

Parteischulung

Fred Oelßner

1950

Propaganda

Franz Dahlem

1951

Propaganda

Kurt Hager

1953

Leitende Organe der Partei

Karl Schirdewahn

1956

Wissenschaft, Propaganda und Leitende Organe

Kurt Hager

1957

Agitation

Albert Norden

1961

Propaganda

Horst Sindermann

Quelle: Amos 2005, S. 73. eigene Darstellung

150

5

Politik und Verwaltung im SED-Regime

Diese ständigen Rotationen – vor allem in der Frühphase des Systems – führten dazu, dass nachgeordneten Parteistellen häufig nicht klar war, an wen diese sich bei Fragen zu einem Themenkomplex wenden sollten (Neugebauer 1978, S. 64–70). Auf der Bezirksebene existierten 18 Bezirksleitungen, 15 in den Bezirken und Berlin und jeweils eine bei der Nationalen Volksarmee (NVA), den Grenztruppen der DDR und der Wismut, dem größten Unternehmen der DDR. Eine Bezirksleitung hatte ca. 100 Mitglieder und tagte vier Mal im Jahr (Henkel 1994). Sie wählte aus ihrer Mitte das Bezirkssekretariat, welches aus sechs Sekretären, dem Vorsitzenden der Bezirksparteikontrollkommissionen (BPKK), den 1. Sekretären der Kreisleitungen, dem 1. Vorsitzenden der Freien Deutschen Jugend (FDJ) im Bezirk, dem 1. Vorsitzenden des Bezirksrats, dem Vorsitzenden der Bezirksplankommission (BPK) und dem Vorsitzenden des Bezirks-FDGB bestand (Niemann 2007). Einem Bezirkssekretariat waren 180 bis 250 Hauptamtliche unterstellt, welche in ihren Abteilungen die Fachabteilungen des Rats des Bezirks spiegelten (ebd.). Unter Honecker waren alle 1. Sekretäre der Bezirke ZK-Mitglieder und im Schnitt sehr lange im Amt (14 Jahre) (Schroeder 1998, S. 395). Unterhalb der Bezirke existierten 265 Kreis- und Stadtleitungen. 242 davon waren nach dem Territorialprinzip organisiert, 23 existierten in zentralen Staatsorganen, Großbetrieben und Universitäten (Neugebauer 1978, S. 29). Beispiele sind das Ministerium für Staatssicherheit (MfS), das Ministerium des Innern (MdI), die Staatliche Plankommission (SPK), das Chemie-Kombinat Bitterfeld und die Humboldt-Universität Berlin. Jede Kreisleitung hatte 60 Mitglieder welche ein Sekretariat bestehend aus dem 1. Sekretär, dem 2. Sekretär, dem Sekretär für Agitation und Propaganda, dem Sekretär für Landwirtschaft, dem Vorsitzenden der Kreisparteikontrollkommission (KPKK), dem Vorsitzenden des Rats des Kreises, dem Vorsitzenden des Kreis-FDGB und dem 1. Sekretär der Kreis-FDJ wählten (Schroeder 1998, S. 392 f.). Dieses Sekretariat hatte ca. 30 bis 50 Hauptamtliche Mitarbeiter, welche, analog zu den Bezirkssekretariaten, die Fachabteilungen des Rats des Kreises spiegelten und anleiteten (ebd.). Zur besseren Zusammenarbeit bildeten die Kreis- und Bezirksleitungen gemeinsame Kommissionen, in denen nicht nur Parteifunktionäre, sondern auch Verwaltungsmitarbeiter staatlicher Stellen und Vertreter von Massenorganisationen vertreten waren (Schroeder 1998, S. 394). Die unterste Ebene bildeten die Ortsleitungen und die GRO. Diese bestand aus den kleinsten Parteieinheiten der SED, den Parteigruppen, welche in allen Verwaltungen, Betrieben, Universitäten, Schulen und Massenorganisationen existierten (Neugebauer 1978, S. 144–147). Die Parteigruppen hatten laut Parteistatut von 1963 die Aufgabe

5.1 Der organisatorische Aufbau der SED

151

„den Einfluß der Partei allseitig zu verstärken, ihre Politik unter den Parteilosen zu vertreten, die Partei- und Staatsdisziplin zu festigen, den Kampf gegen den Bürokratismus zu führen und die Befolgung der Partei- und Regierungsdirektiven zu kontrollieren.“ (Ziffer 69 Parteistatut der SED zitiert nach Schwarzenbach 1976, S. 31)

Unter Partei- und Staatsdisziplin verstand die SED dabei vor allem die Umsetzung sozialistischer Ziele oder wie Willy Stoph es formulierte: „Disziplin heißt, sich die gesellschaftlichen Interessen bewußt zu eigen zu machen und stets selbstlos für die hohen Ziele des Sozialismus zu kämpfen, der dem Wohl der Menschheit dient.“ (Stoph zitiert nach Neugebauer 1978, S. 150)

In den 4600 GROs mit mehr als 150 Mitgliedern existierten als Zwischenebene die 29.000 Abteilungsparteiorganisationen (APO), welche sich, zusammen mit den kleinen GROs noch mal in 97.000 Parteigruppen unterteilten (Schroeder 1998, S. 391). Diese stellten die Weiterleitung der Partei-Beschlüsse an jedes einzelne Mitglied sicher (Schwarzenbach 1976, S. 31). Hauptaufgabe der GRO war die Sicherung der Loyalität gegenüber der Partei, die über der Loyalität gegenüber allen anderen Bezugssystemen (z. B. Familien, Unternehmen, Staat) stand (Neugebauer 1978, S. 144–147). Die folgende Abbildung 5.1 zeigt den eben dargestellten Aufbau der SED noch einmal übersichtlich.

152

5

Politik und Verwaltung im SED-Regime

Parteitag Zentrale Parteikontrollkommission

Zentralkomitee

Zentrale Revisionskommission

Abteilungen Politbüro Sekretariat Bezirksdelegiertenkonferenz

Bezirksparteikontrollkommission

Bezirksleitung

Bezirksrevisionskommission

Sekretariat Kreisdelegiertenkonferenz

Kreisparteikontrollkommission

Kreisleitung

Kreisrevisionskommission

Sekretariat

Ortsdelegiertenkonferenz Ortsleitung Grundorganisation Kleine GRO

Große GRO

Mitgliederversammlung

Delegiertenkonferenz

Leitung der GRO

Leitung der GRO APO-Versammlung APO-Leitung

Parteigruppen Wahl Unterordnung Rechenschaftsbericht

Parteigruppen = formal höchste Parteigremien

Abbildung 5.1 Vereinfachter organisatorischer Aufbau der SED. (Quelle: Henkel 1994, S. 21)

5.2 Aufbau des SED-Regimes und Sowjetisierung …

153

Neben den Parteigremien existierten die Massenorganisationen in der DDR (FDGB, FDJ, Freundschaftskomitees etc.). Diese unterstanden der SED. Ihre Aufgabe war es, die Bevölkerung auf Parteilinie zu bringen und den Alltag und die Freizeit sozialistisch zu gestalten. Dazu boten alle Massenorganisationen kostenlose Freizeitangebote, die von der Bevölkerung stark in Anspruch genommen wurden (Schroeder 1998, S. 416 f.). Der Organisationsgrad war dabei sehr hoch (siehe Tabelle 5.3). Als Teil des Nationalrats der Nationalen Front erhielten die Massenorganisationen Mandate in der Volkskammer und allen nachgeordneten Volksvertretungen. Die Apparate der Massenorganisationen wurden vollständig von SED-Funktionären geleitet (Thieme 2015). Ein besonderer Fokus lag dabei auf der FDJ, da sie das Reservoir für die zukünftige Elite des Landes darstellte. Folglich übernahm die FDJ die sozialistische Erziehung der Jugend. Um studieren zu können, mussten Jugendliche folglich auch Mitglied der FDJ sein (Schroeder 1998, S. 418–420). Tabelle 5.3 Mitgliederzahlen der größten fünf Massenorganisationen 1989

Freier Deutscher Gewerkschaftsbund

9,6 Millionen

Freie Deutsche Jugend

2,3 Millionen

Demokratischer Frauenbund Deutschlands

1,4 Millionen

Kulturbund der DDR

280.000

Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe 640.000 Quelle: Schroeder 1998, S. 418

Zusätzlich zu den beschriebenen Gremien existierten im Zeitverlauf häufiger auch Ad-hoc-Gremien und Kommissionen, die für einzelne Politikfelder oder Probleme eingesetzt wurden. Da diese aber nicht dauerhaft existierten, wird an dieser Stelle auf eine genauere Beschreibung verzichtet. Im Folgenden werden stattdessen die Entwicklungen in der ersten Phase der SBZ/DDR beschrieben.

5.2

Aufbau des SED-Regimes und Sowjetisierung – die „Äußere Staatsgründung“ 1945 – 1952

5.2.1

Allgemeine politische Entwicklungen

5.2.1.1 Nationale Ebene Nach der bedingungslosen Kapitulation des Deutsches Reichs vom 08. Mai 1945 und der Festnahme der Reichsregierung Dönitz am 23. Mai 1945 existierte in

154

5

Politik und Verwaltung im SED-Regime

Deutschland keine nationale Regierungsebene mehr. Stattdessen übernahmen die Besatzungsmächte die Regierungsgewalt. Wie auf der Konferenz von Jalta im Februar 1945 beschlossen, wurden die westlichen Gebiete des Deutschen Reichs in vier Besatzungszonen aufgeteilt. Die östlichen, jenseits der Oder-Neiße-Linie, wurden dem wiedergegründeten Polen übertragen. Dies war ganz im Sinne Stalins, der bereits ab 1942 die Teilung Deutschlands plante, um seine eigene Einflusssphäre zu erweitern (Wettig 1999, S. 63). Die obersten Gremien in den Besatzungszonen waren nun die Militärregierungen der vier Besatzungsmächte und der Alliierte Kontrollrat als Koordinationsorgan, welcher von den vier Besatzungsmächten gebildet wurde. In der SBZ, welche die formal weiter bestehenden Reichsländer Sachsen, Thüringen, Mecklenburg und die Preußischen Provinzen Brandenburg und Anhalt umfasste, übernahm die Sowjetische Militäradministration die Kontrolle. Mit dem SMADBefehl Nr. 11 vom 09. Juni 1945 erhob sich die SMAD auch formal zur obersten Verwaltungseinheit in der SBZ. In den Kreisen und größeren Städten wurden sowjetische Militärkommandanturen eingerichtet (Schulze 1991c, S. 47). Obwohl die Siegermächte kurz zuvor in der Potsdamer-Konferenz vereinbart hatten, Deutschland in wirtschaftlicher, technischer und administrativer Hinsicht als Einheit zu behandeln (Reifeld 1987, S. 431), wurden bereits am 25. Juli 1945 auf Grundlage des SMAD-Befehls Nr. 172 ohne Einbeziehung des Alliierten Kontrollrats die Deutschen Zentralverwaltungen (DZV) gegründet (Wettig 1999, S. 67). In der SBZ entstanden elf Zentralverwaltungen für die Bereiche Verkehrswesen, Nachrichtenwesen, Brennstoffindustrie, Handel und Versorgung, Industrie, Landwirtschaft, Finanzen, Arbeit und Sozialfürsorge, Gesundheitswesen, Volksbildung und Justiz. Bis 1947 kamen noch fünf weitere DZVs für die Bereiche deutsche Umsiedler (bereits 1948 wieder aufgelöst), Statistik (später Statistisches Zentralamt), Sequestrierung und Beschlagnahmung, Innere Angelegenheiten und Interzonen- und Außenhandel dazu (ebd.). Die DZVs hatten zunächst keine Gesetzgebungs- oder Weisungskompetenz gegenüber unteren staatlichen Ebenen (Länder und Kommunen). Stattdessen nahmen sie eine beratende Funktion gegenüber der SMAD ein und waren an deren Befehle und Weisungen gebunden (Hauschild 1991, S. 39). Stalin plante, unter Betonung der Einheit Deutschlands die DZVs und deren Zuständigkeit auf ganz Deutschland auszuweiten, was allerdings am Veto der Westmächte scheiterte (Wettig 1999, S. 67). 1

SMAD-Befehl Nr. 1 „Die Organisierung der Verwaltung in der Sowjetzone“ vom 06. Juni 1945, In der Fassung vom 06. Juni 1945. 2 SMAD-Befehl Nr. 17 „Die Errichtung zentraler Verwaltungen in der Sowjetzone“ vom 25. Juli 1945, In der Fassung vom 25 Juli 1945.

5.2 Aufbau des SED-Regimes und Sowjetisierung …

155

Mit Gründung der Ständigen Wirtschaftskommission (StWK) am 04. Juni 1947 (1948 in Deutsche Wirtschaftskommission (DWK) umbenannt) entstand in der SBZ erstmals eine von Deutschen geführte Verwaltungsorganisation, welche gegenüber den Ländern und Kommunen weisungsbefugt war (Schroeder 1998, S. 59). Die Hauptaufgaben der StWK waren die Konzeption der Wirtschaftspläne und die Koordination der Plandurchführung auf den nachgeordneten Ebenen (Länder, Kommunen) (ebd.). Zusätzlich wurden mit der Deutschen Verwaltung des Innern die Kommunal- und Landespolizeien auf Zonenebene zentralisiert (Müller 1982, S. 56; Schneider 1983, S. 237). Am 20. April 1948 erhielten die DWK und die Verwaltung des Innern von der SMAD die Gesetzgebungskompetenz (Schulze 1991c, S. 48). Diese Schritte können als Reaktion auf den zunehmenden Konflikt zwischen der Sowjetunion und den Westalliierten gewertet werden. Setzte die SMAD in den Jahren 1945 und 1946 noch auf Dialog und Zusammenarbeit mit den Westmächten im Alliierten Kontrollrat, änderte sich dies in den Jahren 1947 und 1948. Die zunehmenden Spannungen im Kontext des beginnenden Kalten Krieges konnten auch nicht durch die Moskauer Außenministerkonferenz vom 10. März 1947 beigelegt werden (Reifeld 1987, S. 434 f.). Der vom amerikanischen Außenminister George C. Marshall vorgestellte Marshallplan, der den Wiederaufbau Europas vorsah, wurde von der Sowjetunion vollständig abgelehnt. Stalin hatte gehofft, dass sich die Westalliierten nach dem Krieg schnell zurückziehen würden und er Deutschland komplett in den entstehenden Ostblock eingliedern könne (Wettig 1999, S. 68 f.). Als sich abzeichnete, dass dieser Plan scheitern würde, schottete die SMAD die SBZ immer weiter ab und zog sich nach und nach aus den getroffenen Vereinbarungen mit den Westalliierten zurück (ebd.). Die Zusammenarbeit im Kontrollrat wurde von der Sowjetunion 1948 beendet. Stalin setzte auf eine vollständige Konfrontation mit dem Westen, um zu verhindern, dass sich seine Gefolgsstaaten in Osteuropa den Westmächten zuwandten (Wettig 1999, S. 69). Die folgende Berlin-Blockade war der letzte Versuch der Sowjetunion, eine Teilung Deutschlands zu verhindern und die Westmächte zu zwingen ihre Pläne der Staatsgründung in den Westzonen zu begraben. Letztlich führte die Blockade aber zum endgültigen Bruch mit dem Westen (Thamer 2003, S. 12), ohne das Stalin eines seiner Ziele erreichte. Statt des erhofften Auseinanderfallens der Westmächte führte seine Politik zu einem stärkeren Zusammenhalt und der Zementierung der Teilung (Wettig 1999, S. 72). Beim Aufbau des politisch-administrativen Systems setzten Stalin und die SMAD von Beginn an auf ein zügiges Tempo. Neben dem Wiederaufbau der

156

5

Politik und Verwaltung im SED-Regime

Verwaltungen (SMAD-Befehl Nr. 1) wurden daher im SMAD-Befehl Nr. 23 Parteien in der SBZ schon am 10. Juni 1945 wieder zugelassen. Zunächst setzte die SMAD formal auf ein Mehrparteiensystem: Es bildeten sich die Christlich Demokratische Union (CDU), die Liberal-Demokratische Partei Deutschlands (LDPD), die SPD und die KPD. Allerdings setzte die SMAD von Anfang an darauf, die KPD und in Teilen auch die SPD bei der Besetzung von Positionen zu bevorzugen (Wettig 1999, S. 65). Um diese Politik effektiver durchzusetzen, wurden SPD und KPD 1946 von der SMAD zum Zusammenschluss gezwungen. Die daraus hervorgegangene SED sollte der Besatzungsmacht als Mittel zur Durchsetzung ihrer gesellschaftlichen Revolution dienen. Das oberste Ziel der SED war daher die „soziale und politische Homogenisierung der Gesellschaft“ (Schroeder 1999, S. 109). Setzte die SMAD anfangs noch auf eine formelle Gleichbehandlung der Parteien, so stellte sich schnell heraus, dass die SED bevorzugt wurde. Ab 1947 verlagerten sich immer mehr Kompetenzen der SMAD auf die SED, welche sich durch die sukzessive Ausschaltung des SPD-Flügels in der Partei stalinisierte (Thamer 2003, S. 12). Zentrale Projekte der SED waren die Bodenreform, die Industriereform, die Gleichschaltung von Verwaltung und Justiz, die Einführung der zentralen Wirtschaftslenkung durch die StWK/DWK und die politische Ausrichtung der SBZ an den Vorgaben der Sowjetunion (Schroeder 1999, S. 103). Viele der Maßnahmen wurden, um sie durchsetzungsfähiger zu machen, von den sowjetischen Besatzern und der SED als politischer und gesellschaftlicher Bruch mit dem Nationalsozialismus dargestellt (Balla 1973, S. 111). So wurden die Boden- und Industriereform und die damit einhergehende Kollektivierung öffentlich als das Ende der faschistisch-kapitalistischen Herrschaft bezeichnet (Thamer 2003, S. 16; Wettig 1999, S. 66). SMAD und SED strebten in der SBZ offiziell eine „antifaschistisch-demokratische Revolution“ (Großbölting und Thamer 2003, S. 4) an, was nichts anderes als die Errichtung einer kommunistischen Diktatur meinte (Malycha 2005, S. 89). Franz Dahlem sagte dazu auf dem letzten Parteitag der KPD am 19.04.1946: „Unsere Partei hat seit der ersten Stunde ihres legalen Auftretens nach dem Zusammenbruch des Hitler-Regimes als ihre Überzeugung kundgetan, daß nunmehr nach dem Bankrott der großkapitalistischen Herrschaft in unserem Land die Arbeiterklasse das Schicksal Deutschlands in ihre Hände nehmen und daß sie den neuen Staat aufbauen und führen muß. Die Partei hat dementsprechend sofort ihre Tätigkeit als eine staatsaufbauende Partei begonnen.“ (Bundesarchiv NY 4072/60) 3

SMAD-Befehl Nr. 2 „Die Wiederherstellung der festen Ordnung“ vom 10. Juni 1945, In der Fassung vom 10. Juni 1945.

5.2 Aufbau des SED-Regimes und Sowjetisierung …

157

Dieser Staatsaufbau folgte ab 1947 dem Prinzip des „demokratischen Zentralismus“. Dieses von Lenin entwickelte Prinzip umfasste vier Elemente: „1. die Wählbarkeit aller Führungsgremien von unten nach oben, 2. Die Rechenschaftspflicht dieser Gremien gegenüber der Basis, 3. Die Parteidisziplin, d. h. die Unterordnung unter Mehrheitsentscheidungen – z.B. eines Parteitags – , 4. Die Verbindlichkeit der Beschlüsse führender Organe, d. h. etwa die Entscheidungsgewalt des ZK in der Zeit zwischen den Parteitagen.“ (Klug 1987, S. 37 f.)

Bereits 1920 wurde das Prinzip von der Kommunistischen Internationale als wegweißendes Prinzip für alle Kommunistischen Parteien beschlossen. Die SED erweiterte die Gültigkeit des Prinzips auf ihrem Parteitag vom 21. bis 22. Mai 1948 in Eisenach auf das Staatswesen und alle gesellschaftlichen Bereiche (Türke 1960, S. 31). Dieses Prinzip „soll gewährleisten, daß die Grundlage der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung von den zentralen staatlichen Planungs- und Leitungsinstitutionen entschieden werden und daß diese Entscheidungen für alle nachgeordneten Institutionen verbindlich sind. […] [Dies] spiegelt den Willen zur zentralen Entscheidung und Lenkung der Gesellschaft unter Führung der SED wider.“ (Glaeßner 1989, S. 153 f.)

Inhaltlich umfasste der Parteitagsbeschluss drei Punkte: 1. die Partei entschied über die Grundlagen der Politik. 2. Der Staatsaufbau, der Parteiaufbau und der Aufbau der Massenorganisationen waren zentralistisch geprägt. Föderative Elemente sollten, sofern sie existierten, abgebaut werden. 3. Eine Gewaltenteilung wurde abgelehnt (Glaeßner 1989, S. 153). Stattdessen existierten eine Gewalteneinheit und der Grundsatz der Einheit der Beschlussfassung und Beschlussdurchführung. Was übrig blieb, war eine Arbeitsteilung gelenkt durch die SED als Zentrum des Systems (König 1991, S. 27). Dies galt für alle staatlichen Verwaltungen, Parteien, Massenorganisationen sowohl als internes wie als externes Prinzip (Neugebauer 1978, S. 96). Die Entwicklung von Partikularinteressen und daraus folgende Debatten sollten verhindert werden (König 1991, S. 26). Um diese Rolle ausfüllen zu können, entwickelte die SED eine Parteireform, welche führende Parteimitglieder aufgrund der herben Niederlagen bei den Landtags-, Kreistags- und Kommunalwahlen 1946 als notwendig erachtete (Mitter 1999, S. 122). Die Partei veränderte sich zur „Partei neuen Typs“. In allen Betrieben und Verwaltungseinheiten wurden von nun an Parteigruppen installiert. Die Partei wurde außerdem nach einem strikt hierarchischen Prinzip ausgerichtet, wies nach einem funktionalistischen Prinzip jeder Aufgabe spezifische Funktionäre zu und schaltete das „oppositionelle“ Denken innerhalb der Partei aus

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5

Politik und Verwaltung im SED-Regime

(Malycha 2005, S. 93). Die SED manifestierte damit ihren universellen Machtanspruch. Im Selbstverständnis der Partei leitete diese alle Teile der Staats- und Gesellschaftsentwicklung an und führte diese zum Erfolg (Glaeßner 1977, S. 85). In der Organisationsrichtlinie der SED von 1948 heißt es: „Die führende Rolle der Partei bedingt […], daß alle Parteileitungen die Fähigkeit erwerben, den Staat, die Länder, Kreise und Gemeinden, die Betriebe, die Industrie, die Landwirtschaft, die Schule, das kulturelle Leben usw., das alles zu verwalten und zu führen.“ (Organisationsrichtlinie der SED vom Mai 1948 zitiert nach Schroeder 1998, S. 61)

Zur Erreichung dieses Ziels wurde die interne Struktur so umgebaut, dass sie alle staatlichen Strukturen spiegelte (Müller 1982, S. 58 f.). Außerdem wurde die SED stärker zentralisiert und glich sich durch Gründung des Politbüros mit einem eigenen Sekretariat der Struktur der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) an (Großbölting und Thamer 2003, S. 65). Der Staat und die Wirtschaft dienten als „Transmissionsriemen“ zur Umsetzung der Ziele (Glaeßner 1977, S. 87). Die Gesellschaft sollte dazu zunächst loyal gegenüber der Partei und dann gegenüber anderen Institutionen sein. Um das zu gewährleisten, setzte die SED auf umfassende Schulungen aller Bevölkerungsteile durch die GRO und die Betriebs-Parteigruppen (Schroeder 1998, S. 61–63). Sie setzte zudem auf eine zentrale Lenkung aller Gesellschaftsbereiche von oben (Großbölting und Thamer 2003, S. 4). Dazu nutzte die Partei ab 1948 die Zentrale Kontrollkommission (ZKK) der DWK und die neuen Landeskontrollkommissionen, welche die Aufgabe hatten, die Umsetzung sozialistischer Vorgaben in den Ländern, Kreisen und Kommunen zu kontrollieren (Türke 1960, S. 33 f.). Außerdem versuchte die SED die Gesellschaft der SBZ durch Willkür, Zwang, das Versprechen eines besseren Lebens und politische Bündnisse gleichzuschalten (Thamer 2003, S. 13). Regelmäßige Säuberungswellen sollten alle gesellschaftlichen Teilgruppen von Kritikern des Umbaus befreien (Großbölting und Thamer 2003, S. 63). Helmut Lehmann, Mitglied des Parteivorstands und des Politbüros, sagte dazu auf der 12. Tagung des Parteivorstandes (später umbenannt in ZK) der SED: „Dieser Staat muss unser sein […] aber Staat bleibt Staat, das heißt, er bleibt ein Unterdrückungsinstrument. Unser Staat hat die Aufgabe, alles niederzuhalten, was den Weg zum Sozialismus aufhalten will, und alles zu fördern, was ihm diesen Weg erleichtert. Dem hat sich auch die Form der Verwaltung anzupassen, auch wenn die Blockparteien dabei manchmal das Zittern bekommen. Ein Staatsfunktionär, der diese Aufgabe nicht erfüllt hat seinen Beruf verfehlt.“ (Helmut Lehmann zitiert nach Schroeder 1998, S. 64)

5.2 Aufbau des SED-Regimes und Sowjetisierung …

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Der „Staat […] diente ihr [der SED] als Instrument für den Aufbau des Sozialismus nach sowjetischem Muster und war demnach hauptsächliches Mittel zur Durchsetzung von Parteipolitik“ (Amos 2005, S. 65). Unterstützung für diesen von oben verordneten Sozialismus kam ausgerechnet von der HJ-Generation – den jungen Erwachsenen, die in einer Diktatur sozialisiert wurden und daher politische Partizipation und Selbstbestimmung gar nicht kannten – und den Flüchtlingen aus den Ostgebieten, die sich vom Sozialismus einen ökonomischen Aufstieg erhofften (Mestrup 2003b, S. 210; Thamer 2003, S. 15 f.). „Am Ende dieser ambivalenten Politik und des von ihr angestrebten Sozialexperimentes stand eine Parteidiktatur, die von dem Ziel bestimmt war alle ökonomischen, sozialen oder kulturellen Prozesse zu steuern, alle autonomen Prozesse außer Kraft zu setzen, die staatssozialistische Gesellschaft gleichsam still zu stellen, ohne dabei völlig auf die Maske von demokratischer Mobilisierung und Mitbestimmung zu verzichten.“ (Großbölting und Thamer 2003, S. 3)

Nachdem die Konfrontation mit den Westmächten zur Teilung Deutschlands und der Gründung der Bundesrepublik in den Westzonen geführt hatte, wurde auch in der SBZ eine Verfassung für einen neu zu gründenden Staat erlassen (Müller 1982, S. 57). Dazu wählten die 1898 Delegierten der Parteien und Massenorganisationen der SBZ auf der Tagung des Zweiten Deutschen Volkskongresses am 17. und 18. März 1948 die 400 Mitglieder des Deutschen Volksrats (Glaeßner 1989, S. 44). In diesem erarbeitete ein Unterausschuss, bestehend aus 23 Mitgliedern unter der Leitung Otto Grotewohls, den Verfassungsentwurf, welcher am 22. Oktober 1948 zunächst gebilligt und am 19. März 1949 vom Volksrat beschlossen wurde (Staritz 1985, S. 31 f.). Es gab in der Folge noch Versuche, sich mit dem Parlamentarischen Rat in Bonn auf eine gemeinsame Verfassung zu einigen. Als dies aber durch die Gründung der Bundesrepublik am 23. Mai 1949 scheiterte, konzentrierte sich vor allem die SED auf die Gründung eines ostdeutschen Teilstaates (Staritz 1985, S. 42). Folglich stimmte der Dritte Deutsche Volkskongress am 30. Mai 1949 dem Verfassungsentwurf zu und wählte den Zweiten Deutschen Volksrat, der sich am 07. Oktober 1949 als Provisorische Volkskammer konstituierte (Glaeßner 1989, S. 44). Zeitgleich trat die Verfassung der DDR in Kraft und die 17 Hauptverwaltungen der DWK wurden zur „Provisorischen Regierung der DDR“.

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Politik und Verwaltung im SED-Regime

In der beschlossenen Verfassung der DDR (VDDR) vom 07. Oktober 19494 wurden in Artikel 1 die Grundlagen der DDR festgehalten. Die Verfassung enthielt ein demokratisches Bundesstaatsprinzip (Artikel 1, Absatz 1 VDDR), ein Föderalprinzip (Artikel 1, Absatz 2 und 3 VDDR) und den Anspruch, die alleinig gültige Verfassung aller Deutschen zu sein (Artikel 1, Absatz 4 VDDR). Demokratische Mitbestimmungsrechte wurden in Artikel 3, die Bindung der Staatsorgane an die Verfassung in Artikel 4 und die Bindung an das Völkerrecht in Artikel 5 festgelegt. Die Artikel 6 bis 18 enthielten die Grundrechte der Bürger, welche in vielen Punkten ähnlich wie die Grundrechtsartikel des Grundgesetzes formuliert waren. Als Wirtschaftsordnung wurde eine soziale Planwirtschaft festgelegt, die „den Grundsätzen sozialer Gerechtigkeit entsprechen“ (Artikel 19, Absatz 1 VDDR) musste. Den Staatsaufbau regelte die Verfassung grundsätzlich demokratisch. Oberstes Organ des Staates war die Volkskammer (Artikel 50 VDDR). Sie sollte nach demokratischen Grundsätzen gewählt werden und die Regierung der DDR bestimmen (Artikel 51 bis 70 VDDR). Zudem wurden die Vertretung der Länder durch eine Länderkammer (Artikel 71 bis 80 VDDR), der Gesetzgebungsprozess (Artikel 81 bis 90 VDDR) und die Grundlagen der Regierung (Artikel 91 bis 108 VDDR) festgelegt. In den Artikeln 126 bis 139 wurden die Unabhängigkeit der Justiz und danach die kommunale Selbstverwaltung festgehalten (Artikel 139 bis 143 VDDR). Trotz der umfangreichen Regelungen in der Verfassung wurde nach dem Inkrafttreten der Staatsaufbau durch zahlreiche (teils verfassungswidrige) staatsorganisatorische Einzelgesetze konzipiert. Formal waren in der Verfassung der Föderalismus und das Subsidiaritätsprinzip festgeschrieben. Umgesetzt wurden diese Prinzipien allerdings von Beginn an nicht (Hauschild 1991, S. 54). Für den Alltag in der DDR hatte die Verfassung daher keine Bedeutung. Die Volkskammer hatte von Beginn an keine real-politischen Kompetenzen. Ein Verfassungsgericht, welches die Politik überprüfen konnte, gab es nicht (Schroeder 1998, S. 187). Stattdessen existierte das Prinzip der „sozialistischen Gesetzlichkeit“. Gesetze und die Verfassung waren jeweils nach Vorgaben der SED gültig und anzuwenden (König 1991, S. 36). Kam die SED zum Schluss, dass die Inhalte eines Gesetzes oder der Verfassung der Erreichung eines Ziels im Weg standen, dann wurden die jeweiligen Inhalte ignoriert oder uminterpretiert. Der Staatsaufbau und die Gesetzlichkeiten der DDR wurden somit nicht im Rahmen der Verfassung, sondern neben der dieser gestaltet (Hauschild 1991, S. 52).

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Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 07. Oktober 1949, In der Fassung vom 07. Oktober 1949.

5.2 Aufbau des SED-Regimes und Sowjetisierung …

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Das oberste Staatsprinzip der DDR war die „Einheit von Beschlussfassung, Durchführung und Kontrolle“ (Schwarzenbach 1976, S. 26). Darauf aufbauend wurden von der SED fünf Staatsstrukturprinzipien entwickelt, welche Tabelle 5.4 zu entnehmen sind. Tabelle 5.4 Staatsstrukturprinzipien der DDR Das Zweigprinzip besagte, dass die Struktur des Staatsapparats stets veränderlich und von gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Notwendigkeiten bestimmt ist. Dies sollte eine einheitliche zentrale Steuerung gewährleisten. Das Territorialprinzip bedeutete, dass der Staat in weitere Untereinheiten (Länder/Bezirke, Kreise, Kommunen) aufgegliedert war. Diese Einheiten waren in ihrem Bereich für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Gesamtentwicklung voll verantwortlich. Das Funktionalprinzip legte fest, dass Querschnittsaufgaben selbstständigen Institutionen übertragen wurden. Beispiele sind die Leitung und Planung der Volkswirtschaft (SPK), die Materialversorgung oder die Preisgestaltung (Amt für Preise). Das Linienprinzip besagte, dass jedes staatliche Organ in ein zentrales Anleitungs- und Kontrollsystem integriert und doppelt unterstellt war. Das bedeutete, dass jedes Organ sowohl der Kontrolle des nächsthöheren Fachorgans als auch der jeweils zuständigen Volksvertretung unterstellt war. Das Stabsprinzip legte fest, dass zur Vorbereitung von Entscheidungen Stäbe oder Kommissionen gebildet wurden, welche Vorschläge erarbeiteten, aber nicht über eine Entscheidungskompetenz verfügten. Da die Vorschläge der Stäbe meist ohne Änderung angenommen wurden, hatten diese dennoch einen hohen Einfluss. Quelle: Glaeßner 1989, S. 154. eigene Darstellung

Die Exekutive auf nationaler Ebene setzte sich aus den Ministerien, den selbstständigen Staatssekretariaten, den eigenständigen Ämtern und Kommissionen, welche alle Ministeriumsrang hatten, und ihren nachgeordneten Organen zusammen (Glaeßner 1989, S. 158). Die meisten Ministerien gingen aus den DZVs und der DWK hervor (Schulze 1991c, S. 49) und waren – bis auf wenige Ausnahmen – für Wirtschaftsfragen und Industriezweige zuständig (König 1991, S. 13). In ihrem Zuständigkeitsbereich hatten die Ressortleiter (Minister, Staatssekretäre und Amts-/Kommissionsleiter) allerdings nur einen geringen Grad an Autonomie. Die Ressorts hatten im Gegensatz zu den Parteien und Massenorganisationen (Schulze 1991c, S. 63) kein Gesetzesinitiativrecht und durften keine Entscheidung treffen, die zu Abweichungen vom Volkswirtschaftsplan führen könnte (Walther 1953, S. 21 f.).

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Politik und Verwaltung im SED-Regime

Der Aufbau der Ressorts war zunächst einheitlich gestaltet. Alle hatten einen Ressortleiter (meist ein Minister), mindestens einen ersten Stellvertreter im Rang eines Staatssekretärs sowie weitere Stellvertretende Minister. Darunter waren die Ressorts in (Haupt-)Abteilungen und Sektoren untergliedert (Schulze 1991b, S. 100 f.). Die wichtigsten drei Abteilungen waren in jedem Haus die stabsmäßig organisierten Abteilungen für Planung, Statistik und Materialversorgung sowie Kader und Investitionen, welche immer von einem SED-Mitglied geführt wurden (Walther 1953, S. 23). Bereits kurz nach der Gründung wurde diese Einheitlichkeit allerdings aufgegeben und, dem Strukturprinzip folgend, die Struktur der Ministerien an die jeweilige Aufgabe angepasst (Neugebauer 1978, S. 101). Die eigentliche Macht im neuen Staat hatte die SED (Mitter 1999, S. 123). Sie besetzte nicht nur alle wichtigen Positionen mit eigenen Personen in Personalunion, sondern gab auch die Leitlinien der Politik vor (Walther 1953, S. 8). Mächtigster Mann im Staat war Walther Ulbricht, welcher nun neben seiner Position als Generalsekretär der SED auch Vorsitzender des Politbüros und Stellvertretender Ministerpräsident war. Alle Innenminister der Länder und des Zentralstaats, alle Leiter von Kontrollkommissionen und die Führungspositionen der Staatssicherheit waren mit SED-Eliten besetzt (ebd.). Obwohl nach außen die SED den Anschein eines Willenskollektiv machte, welches stets einheitliche Ziele verfolgte, schwelten intern bis in die 1950er Jahre hinein die Machtkämpfe zwischen dem KPD- und SPD-Flügel. Geklärt war die Führungsrolle nach einer Säuberungswelle in den Jahren 1950 und 1951. Nachdem sich alle knapp 1,8 Millionen SED-Mitglieder einer Überprüfung der politischen Zuverlässigkeit stellen mussten, wurden ca. 150.000 – 200.000 Mitglieder ausgeschlossen. Darunter waren auch prominente Führungsfiguren wie Paul Merker, Lex Ende, Willi Kreikemeyer, Leo Bauer und Franz Dahlem (Schroeder 1998, S. 99). Im weiteren Verlauf traten bis Dezember 1951 noch weitere 400.000 Mitglieder (vor allem ehemalige SPD-Mitglieder) aus der Partei aus, sodass diese Ende 1951 nur noch 1,2 Millionen Mitglieder hatte (ebd.). Ob die Zahlen korrekt sind, ist nicht gesichert. Die Partei selbst zählte im selben Zeitraum lediglich 321.402 Austritte, Ausschlüsse und Streichungen von Mitgliedern (Malycha 2005, S. 95 f.). Für die Führung um Walter Ulbricht war die Säuberung eine Win-Win-Situation. Die missliebigen Mitglieder waren entfernt und die Disziplin Verbliebenen war deutlich erhöht (Schroeder 1998, S. 99–101).

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Die Verabschiedung eines Gesetzes lief zwischen 1949 und 1989 durchgehend mehr oder weniger gleich ab. Grundlage dafür waren die Richtlinien über die Fertigstellung von Vorlagen und wichtigen Materialien für die Regierung und Regierungsstellen zur Entscheidung durch die Zuständigen Organe des Parteivorstandes sowie über die Kontrolle der Durchführung dieser Entscheidungen vom 17. Oktober 1949. In diesen heißt es: „Gesetze und Verordnungen von Bedeutung, […] über die Regierungsbeschlüsse herbeigeführt werden sollen, weiterhin Vorschläge zum Erlaß von Gesetzen und Verordnungen müssen vor ihrer Verabschiedung durch die Volkskammer oder die Regierung dem Politbüro bzw. dem Sekretariat des Politbüros zur Beschlußfassung übermittelt werden. […] Vor der Durchführung aller wichtigen Verwaltungsmaßnahmen muß die Zustimmung der zuständigen SED-Abteilung beim Parteivorstand [später ZK] eingeholt werden.“ (Bundesarchiv DY 30/55729)

Dieses Grundprinzip wurde von allen Blockparteien, welche seit dem 02. Februar 1949 im Nationalrat der Nationalen Front unter Führung der SED zusammengeschlossen waren (Wettig 1999, S. 74), „freiwillig“ akzeptiert (Schroeder 1999, S. 106). Gesetzesinitiativen wurden üblicherweise in den ZK-Abteilungen der SED auf Vorschlag des Politbüros vorbereitet (Amos 2005, S. 78). Gelegentlich bildeten die ZK-Abteilungen dazu mit den Fachabteilungen der Ministerien gemeinsame Kommissionen (Neugebauer 1978, S. 125). Diese Vorschläge wurden dem Politbüro (und dem ZK) zur Zustimmung vorgelegt und nach dieser offiziell an die Ministerien weitergeleitet. Diese brachten den Gesetzentwurf in die Volkskammer ein, welche diesen üblicherweise einstimmig annahm. Das zuständige Ressort erließ daraufhin Durchführungsbestimmungen welche von allen untergeordneten Ebenen (Länder/Bezirke, Kreise, Kommunen) umgesetzt werden mussten (Walther 1953, S. 23). Formal waren die ZK-Abteilungen den Ministerien damit vorangestellt. In der Realität hing das Verhältnis von ZKAbteilung und Ministerium allerdings entscheidend von den handelnden Personen auf beiden Seiten ab. War ein Minister oder Staatssekretär selbst Mitglied des PB oder ZK, dann hatte die ZK-Abteilung auf dessen Ressort deutlich weniger Einfluss als auf andere Ressorts (Amos 2005, S. 78). Mit der Gründung der Staatlichen Plankommission 1950 änderte sich das Verfahren leicht, da diese die volle Kompetenz für die Volkswirtschaft und damit ein Weisungsrecht gegenüber allen Industrieministerien, aber auch dem Finanzministerium und den unteren Ebenen erhielt (Glaeßner 1977, S. 110). Alle Gesetzesvorlagen, die wirtschaftliche Gebiete betrafen, wurden nun vom ZK der SPK zugeleitet, welche dann nach Zustimmung der Volkskammer die

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Politik und Verwaltung im SED-Regime

Durchführungsbestimmungen erließ (Walther 1953, S. 23). Diese Durchführungsbestimmungen der SPK hatten Gesetzeskraft gegenüber allen anderen Industrieund Handelsministerien ohne eine Zustimmung der Volkskammer zu benötigen (Walther 1953, S. 10). Das einzige Amt mit Wirtschaftsaufgaben, demgegenüber die SPK kein Weisungsrecht hatte, war das Amt für Reparationen. Dieses unterstand allein der Sowjetischen Kontrollkommission (SKK). Die Aufgabe der SKK und ihrer Zweigstellen in den Ländern und später den Bezirken im Wirtschaftsbereich war die Kontrolle der Reparationspflichten und die Kontrolle des Volkswirtschaftsplans (Walther 1953, S. 35 f.). 1952 wurde diese Aufgabe der Zentralen Parteikontrollkommission und den Bezirksparteikontrollkommissionen der SED übergeben, welche der ZPKK unterstanden. Hinzu kam hier die Aufgabe der Überprüfung der „ideologischen Klarheit und Zuverlässigkeit“ aller SED-Funktionäre (Walther 1953, S. 36). Diese Überprüfung erfolgte unter Mitarbeit des Ministeriums für Staatssicherheit. Des Weiteren wurde die Kollektivierung der Wirtschaft 1952 weiter vorangetrieben. Mit der Enteignung der Bauern und der Kollektivierung ihrer Produktionsmittel (Ackerland, Maschinen, Vieh, Gebäude) in den landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) 1952 verloren zahlreiche Bauen ihre Eigenständigkeit. Ziel der Kollektivierung war eine Steigerung der Effizienz und des Ertrags, was in den meisten LPGs nicht gelang (Mitter 1999, S. 123). Wurden die Ziele von den Mitgliedsbauern der LPGs nicht erreicht, wurde schnell der Verdacht der Sabotage geäußert. Vor allem gegenüber Großbauern (alle Bauern mit mehr als 20 ha Land) äußerte die SED häufig diesen Vorwurf. Die daraufhin verhängten Strafen reichten von hohen Geld- bis hin zu Gefängnisstrafen. Bis Januar 1953 wurden 1250 Bauern verurteilt (Staritz 1985, S. 103). Ein ähnliches Vorgehen zeigte sich bei freien Handwerkern und Besitzern von Hotels und Restaurants. Hier wurden als Strafen auch Enteignungen genutzt, sodass bis ins Frühjahr 1953 440 Hotels und Pensionen und 1881 Gaststätten, Handwerkerbetriebe und Grundstücke in den Staatsbesitz übergingen (ebd.). Ein letztes entscheidendes nationales Ereignis der ersten Phase war 1952 die Gründung der NVA, ohne die dafür notwendigen finanziellen Mittel zu besitzen (Staritz 1985, S. 124). Die Regierung entschied sich daher für einen massiven Sparkurs, eine Ausweitung des Gewinndrucks auf die Wirtschaftsbetriebe der DDR und eine Erhöhung der Einkommens-, Handwerker- und Branntweinsteuer sowie der Preise zahlreicher Grundlebensmittel wie Butter oder Eier. Außerdem wurden Selbstständige aus der allgemeinen Krankenversicherung ausgeschlossen und mussten sich teuer selbst versichern. (Staritz 1985, S. 101 f.). Zusätzlich zu den eben beschriebenen Entwicklungen wurden auf der Länderebene zahlreiche

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strukturelle Veränderungen umgesetzt, welche im nächsten Abschnitt dargestellt werden.

5.2.1.2 Länderebene Bereits kurz nach Kriegsende reaktivierte die SMAD die im Nationalsozialismus nie aufgelösten Reichsländer Mecklenburg, Sachsen und Thüringen und erhob die ehemaligen preußischen Provinzen Brandenburg und Anhalt zu eigenständigen Ländern (Schneider 1983, S. 231). Zunächst waren die Länder weitgehend eigenständig. Es existierte zwar die SMAD als zentrale Entscheidungsstelle, aber das Fehlen einer Zentralregierung der SBZ ließ den Ländern ein gewisses Maß an Freiheiten. Dies änderte sich durch die Gründung der StWK/DWK. Nachdem diese von der SMAD immer mehr Kompetenzen erhalten hatte, wurde 1948 die Struktur aller Landesministerien der fünf Länder an die Struktur der DWK angepasst. Gleichzeitig wurden die Landesministerien unter die Aufsicht der DWK gestellt (Schneider 1983, S. 238). Die Länder waren dadurch nur noch Ausführungsorgane der zentralen Verwaltungen. Nach der Gründung der DDR wurden die Länder in der Länderkammer als Vertretungsorgan organisiert. Diese hatte das Recht Gesetzentwürfe in die Volkskammer einzubringen und hatte formal ein Vetorecht gegen alle Gesetz der Volkskammer (Artikel 78 VDDR), welches nie angewandt wurde. Außerdem verfügten die Länder schon seit 1948 in ihren Herrschaftsbereichen nicht mehr über eine eigene Gesetzgebungskompetenz, was ihre Stellung enorm schwächte (Hauschild 1991, S. 54 f.). 1952 wurden die Länder mit dem Gesetz über die weitere Demokratisierung des Aufbaus und der Arbeitsweise der staatlichen Organe in den Ländern der DDR5 vom 23. Juli 1952 de facto aufgelöst. An ihre Stelle traten die 14 Bezirke der DDR und die Stadt Berlin, welche als Hauptstadt den Bezirken gleichgestellt war. Die Bezirke wurden nach wirtschaftlichen Erfordernissen und nicht nach historischen Gegebenheiten eingeteilt (Schneider 1983, S. 240). Der offizielle Grund für das Gesetz war die Feststellung des ZK, dass die Länderverwaltungen in ihrer Struktur unfähig seien, eine Wirtschaftslenkung effizient durchzuführen (Hauschild 1991, S. 59). Eigentliches Ziel der Reorganisation war das Brechen der potenziellen Vetomacht der Länder und ihrer Verwaltungen. Dem Prinzip des „divide et impera“ folgend wurden die Länder in kleinere Verwaltungseinheiten aufgeteilt, was die Kontrolle von oben erleichterte (Neugebauer 1978, S. 103). Das Gesetz sicherte der SED endgültig die Führungsrolle im Staat, 5

Gesetz über die weitere Demokratisierung des Aufbaus und der Arbeitsweise der staatlichen Organe in den Ländern der DDR vom 23. Juli 1952, In der Fassung vom 23. Juli 1952.

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da es die Länder als potenzielle Vetospieler eliminierte. Formal wurden die Länder durch das Gesetz allerdings nicht aufgelöst, schließlich war ihre Existenz in der Verfassung festgelegt. Stattdessen gingen alle Aufgaben und sämtliches Personal auf die Bezirke über (Welsh 1999, S. 109) und die Landtagsabgeordneten wurden nach einem festen Schlüssel den neu gebildeten Bezirkstagen zugeordnet, wobei sich die SED in allen Bezirkstagen die Mehrheit sicherte (Hauschild 1991, S. 65). Es gab also für die auf dem Papier noch existierenden Länder keine Arbeitsgrundlage mehr (Hauschild 1991, S. 60). Analog zum neuen Verwaltungsaufbau wurden die Justiz, die Polizei und alle Parteigremien (aller Parteien) umstrukturiert, was für eine durchgehende Parallelität aller Teilsysteme der Gesellschaft sorgte (ebd.). Die Bezirke wurden zu politisch-territorialen Einheiten ohne eigenständige Kompetenzkompetenz. Stattdessen waren sie nur für die Umsetzung der Beschlüsse des Ministerrates und der Volkskammer zuständig. Formal war das höchste Organ auf Bezirksebene der Bezirkstag, welcher ausschließlich mit ehrenamtlichen Abgeordneten besetzt war. Dieser wählte aus seiner Mitte den Rat des Bezirks, bestehend aus einem Vorsitzenden, einem stellvertretenden Vorsitzenden und 12 bis 15 hauptamtlichen Räten des Bezirks (Glaeßner 1989, S. 162). Diesen unterstanden wiederum Fachabteilungen, welche nach Vorgaben der SED-Bezirksleitungen aus den Ministerien der Länder hervorgegangen waren (Hauschild 1991, S. 63 f.) und die Struktur der Ressorts des Ministerrats spiegelten. Zunächst existierten bei den Bezirken zehn Ständige Kommissionen und zwölf Fachabteilungen. Hinzu kam in jedem Bezirk eine Bezirksplankommission, welche gegenüber den Industrie- und Wirtschaftsabteilungen/-kommissionen ein Weisungsrecht besaß (Walther 1953, S. 24). Die Vorsitzenden der Bezirksräte wurden zwischen 1952 und 1989 in allen Bezirken von der SED gestellt. Hauptaufgabe der Bezirksverwaltungen war es für die Planerfüllung in ihrem Bereich zu sorgen. Tabelle 5.5 zeigt die daraus abgeleiteten Aufgabenbereiche:

5.2 Aufbau des SED-Regimes und Sowjetisierung … Tabelle 5.5 Aufgaben der Bezirke

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Planung, Bilanzierung und gesellschaftliches Arbeitsvermögen Preisbildung und Preiskontrolle Leitung und Planung der bezirksgeleiteten Industrie örtliche Versorgungswirtschaft und Sekundärrohstoffwirtschaft Handel und Versorgung auf Grundlage des Bezirksversorgungsplans Bauwesen, Städtebau und Architektur Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft Land-, Forst und Nahrungsmittelwirtschaft Verkehrswesen Energiewirtschaft Umweltschutz, Wasserwirtschaft und geologische Ressourcen Bildungswesen Kultur Jugendfragen Körperkultur, Sport und Erholungswesen Gesundheits- und Sozialwesen Ordnung und Sicherheit Quelle: Glaeßner 1989, S. 162 f., eigene Darstellung

Dabei waren sie sowohl der SPK, den Ministerien und gleichgestellten Ämtern und der SED-Bezirksleitung unterstellt (Walther 1953, S. 24) und den Organen der Kreise vorgesetzt. Trotz dieser eingeengten Stellung hatten sie bei der Umsetzung der Vorgaben durch die zentralen Organe einen gewissen Ermessensspielraum (Glaeßner 1989, S. 160). Glaeßner schreibt dazu: „Alle diese Aufgabenstellungen bewältigen die Räte der Bezirke (und in gleicher Weise die nachgeordneten Räte der Kreise, Städte, Stadtbezirke und Gemeinden) nicht als eigenverantwortliche Institutionen eines föderalen Systems, sondern als regionale und fachliche Zwischenglieder eines zentralistischen politischen Systems.“ (Glaeßner 1989, S. 163)

Zu diesem gehörte auch die Kommunalebene, welche ebenfalls von der SED wiederaufgebaut und später reorganisiert wurde.

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Politik und Verwaltung im SED-Regime

5.2.1.3 Kommunalebene Nach dem Ende des Krieges entwickelte sich der Wiederaufbau der Verwaltung auf der Kommunalebene in der SBZ erstaunlich schnell. Bereits direkt nach der Einnahme der Städte und Kommunen im Frühjahr 1945 wurden von der Roten Armee und später der SMAD Landräte, Bürgermeister und Stadt/Gemeindeverordnete eingesetzt, um das Alltagsleben zu organisieren und alte Positionsinhaber aus der NS-Herrschaft zu ersetzen (Schneider 1989a, S. 459). Meist geschah dies auf Vorschlag der sogenannten Antifa-Ausschüsse und Volkskomitees, welche Zusammenschlüsse von zurückgekehrten Sozialisten und lokalen Widerstandskämpfern waren (Schneider 1983, S. 229). Diese wurden allerdings bereits im Juni 1945 durch die KPD abgelöst. Vor allem unterschiedliche Zielstellungen waren dafür der Grund. Wollten die Antifa-Ausschüsse lokale Räteorganisationen durchsetzen, so war das Ziel der KPD, einen einheitlich organisierten Staat mit ebenso strukturierten lokalen Verwaltungseinheiten aufzubauen (Schneider 1989a, S. 466). Das war es, worauf sich die Partei im Exil in der Sowjetunion schon während des Krieges vorbereitet hatte (Mitter 1999, S. 121). Die KPD entwickelte bis 1945 einheitliche Richtlinien für die Besetzung und den Aufbau der Kommunalverwaltung, welche ab Juni 1945 angewandt wurden. In diesen heißt es: „Nach Ernennung eines Bürgermeisters durch den Ortskommandanten der Roten Armee wird eine Gemeindeverwaltung aus fünf bis sieben Antifaschisten geschaffen. Je nach Größe der Stadt werden Abteilungen gebildet: Ernährung, Wohnung, städtische Betriebe (Gas, Wasser, Elektrizität, Transport), Gewerbe/Handwerk/Handel, Gesundheitswesen und Fürsorger für Kinder/Invaliden und Schwerkriegsbeschädigte, Volksbildung (Kurse, Bibliotheken, Schulen, Film), Finanzen.“ (KPD-Richtlinie für die Kommunen zitiert nach Schneider 1989a, S. 459)

Grundlage der kommunalen Verwaltungstätigkeit waren zunächst noch die DGONS von 1935 (Sachsen, Thüringen, Mecklenburg) oder die Preußische Gemeindeordnung aus den 1920er Jahren (Brandenburg, Sachsen-Anhalt) (Türke 1960, S. 20). Auf der Potsdamer Konferenz vom 17. Juli 1945 bis 02. August 1945 einigten sich die USA, Großbritannien und die Sowjetunion auf drei Ziele für den Verwaltungsaufbau auf kommunaler Ebene: 1. alle Verwaltungen sollten zu Selbstverwaltungskörperschaften werden, 2. diese hatten das Recht sich selbst zu repräsentieren und 3. die Leiter der Behörden sollten durch Wahlen bestimmt werden (Schneider 1983, S. 228). Bis zum Jahresende 1945 gelang es in der SBZ, in allen Kommunen und Kreisen Gemeindeverordnetenversammlungen einzurichten und diese mit weitgehend Unbelasteten zu besetzen (Schneider 1983, S. 232).

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Ab dem Jahreswechsel 1945/1946 wurde in Brandenburg dann eine neue Gemeindeverfassung erarbeitet (Schulze 1991c, S. 47). Das noch im Entwurf als Demokratische Gemeindeverfassung bezeichnete Gesetz wurde zwischen dem 11. September und dem 05. Oktober 1946 als Demokratische Gemeindeordnung (DGO-SBZ)6 von den fünf Ländern der SBZ einheitlich angenommen (Türke 1960, S. 21). In dieser wurden die Rahmenbedingungen der Kommunen festgelegt. So wurde festgelegt, dass alle Personen mit festem Wohnsitz im Gemeindegebiet als Gemeindeangehörige zählen und verpflichtet werden konnten, ehrenamtlich Aufgaben in der Gemeinde zu übernehmen (§ 6 DGO-SBZ). Die kleineren Kommunen wurden Teile der Landkreise, die größeren Städte bildeten eigenständige Stadtkreise, welche den Landkreisen rechtlich gleichgestellt waren (§ 2 DGO-SBZ). Als Verwaltungsprinzip wurde die kommunale Selbstverwaltung in Wirtschafts-, Sozial- und Kulturfragen (§ 4, Abs. 1 DGOSBZ) festgelegt. Die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung durch Polizeiverordnungen (§ 4, Abs. 2 DGO-SBZ) und die Übernahme von hoheitlichen Aufgaben der Länder und der SMAD durch Weisung der jeweiligen Stelle gehörten zu den Aufgaben der Gemeinden (§ 5 DGO-SBZ). Als oberstes Gremium der Gemeinde wurde die Gemeindevertretung (Gemeindeverordneten/Stadtverordnetenversammlung) bestimmt, welche in geheimer Wahl nach Verhältniswahlrecht von allen volljährigen Bürgern gewählt wurde (§ 9 DGO-SBZ). Abgeordnete der Gemeindevertretungen waren nur ihrem Gewissen unterworfen (§ 15, Abs. 2 DGO-SBZ) und ehrenamtlich tätig (Sieveking 1987, S. 1166). Die Führung der Kommune übernahmen der (Ober-)Bürgermeister, sowie sein Stellvertreter und je nach Größe der Kommune zwei bis 14 ehren- oder hauptamtliche Gemeinderäte (§ 24 DGO-SBZ). Diese wurden von der Gemeindevertretung gewählt (§ 25 DGO-SBZ) und leiteten die 16 Dezernate. 1. Personalfragen und Verwaltung, 2. Ernährung, 3. Volksbildung, 4. Gesundheitswesen, 5. Kommunale Betriebe, 6. Wirtschaft, 7. Handel, 8. Post und Nachrichtenverbindungen, 9. Wohnungs- und Bauwesen, 10. Finanzen, 11. Soziale Fürsorge, 12. Arbeitsamt, 13. Planung, 14. Kirchliche Fragen, 15. Gerichtswesen und 16. Polizei (Schneider 1989a, S. 468). In kleineren Kommunen wurden mehrere Dezernate von einem (meist ehrenamtlichen) Gemeinderat geführt. Im Rahmen des Kollegialprinzips wurden Beschlüsse des Gemeinderats nach einfacher Mehrheit getroffen, wobei der Bürgermeister als Vorsitzender des Rates bei Stimmengleichheit entschied (§ 33 DGO-SBZ). Der Bürgermeister und alle Räte

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Demokratische Gemeindeordnung für das Land Sachsen vom 11. September 1946, In der Fassung vom 06. Februar 1947.

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waren vom Vertrauen der Gemeindevertretung abhängig. Die Gemeindevertretung hatte das Recht einzelne Räte oder den gesamten Rat von ihren Aufgaben zu entbinden (§ 37 DGO-SBZ). An Entscheidungen der Gemeindevertretung war der Gemeinderat gebunden. Die Demokratischen Kreisordnungen (DKO) wurden einige Wochen später von den Ländern beschlossen. Der Aufbau der Landkreise erfolgte analog zum Aufbau der Gemeinden. Oberstes Gremium war der Kreistag als Volksvertretung und geführt wurde der Landkreis vom Landrat und den vier bis acht ehren- und hauptamtlichen Kreisräten (Hauschild 1991, S. 42). Eine zentrale Änderung zum Deutschen Reich war der Fakt, dass die Landräte nun Politiker und keine Beamten mehr waren, aber trotzdem weiterhin die höchsten Vertreter der Exekutive im Landkreis darstellten (Schneider 1983, S. 234 f). Das kommunale Selbstverwaltungsprinzip, welches in den Gemeinde- und Kreisordnungen festgelegt wurde, konnte leicht ausgehebelt werden. Höhere Volksvertretungen hatten das Recht die Entscheidungen niedriger Ebenen jederzeit aufzuheben oder abzuändern (Türke 1960, S. 23). Somit existierte faktisch eine Hierarchie zwischen Landtag, Kreistag und Gemeindeverordnetenversammlung (Hauschild 1991, S. 43). In den Landtagen und Kreistagen wurden Kreis- bzw. Gemeindeausschüsse gegründet, welche sich ausschließlich mit den Entscheidungen der niedrigeren Ebene befassten (ebd.). Das führte dazu, dass die Kommunen und Kreise nur territoriale Einheiten eines von oben regierten Einheitsstaates ohne eigene Kompetenzkompetenz waren (Meder 1962, S. 121). Letztlich führten Kommunen und Kreise im Alltag hauptsächlich von oben delegierte Aufgaben aus, was die in der DGO-SBZ festgeschriebene kommunale Selbstverwaltung zu einer bedeutungsleeren Phrase machte (Türke 1960, S. 26) oder wie Walter Ulbricht es ausdrückte: „Wir haben im Lande keine Selbstverwaltung. Die kommunale Selbstverwaltung ist ein Teil unserer demokratischen Staatsverwaltung. Man soll keine Theorien aufstellen, als ob die kommunale Selbstverwaltung aus unserer Gesamtverwaltung herausgelöst und der Staatsverwaltung nebengeordnet sein.“ (Ulbricht zitiert nach Schneider 1989a, S. 491)

Nach der Gründung der StWK/DWK 1947 rückte die Anleitung der Gemeinden durch die zentrale Ebene in den Fokus der SED und der SMAD, welche Staat, Länder und Kommunen als einheitliche Körperschaft mit unterschiedlichem räumlichen und sachlichen Zuständigkeitsbereich betrachteten (Türke 1960, S. 29). Um die Einheitlichkeit der Beschlüsse zu kontrollieren, nutzte die SED auf Kreis- und Gemeindeebene vier Säulen. Die Erste Säule war die Schaffung von kommunalen Kontrollkommissionen. Diese unterstanden sowohl der nächsthöheren Kommission (z.B: Landeskontrollkommission) und dem Landrat bzw. Bürgermeister. Kontrollbeauftragte nahmen an allen Ratssitzungen beratend teil

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und hatten das Recht alle nachgeordneten Organe unangekündigt zu kontrollieren und einzelne Verwaltungsmitarbeiter zu suspendieren (Türke 1960, S. 34). In allen Kreisen und Gemeinden wurden ausschließlich lokale SED-Funktionäre zu Kontrollbeauftragten ernannt (ebd.). Die zweite Säule war die Gründung von sogenannten Volkskontrollausschüssen (VKA) auf Gemeindeebene, deren Aufgaben der Abbau von Bürokratismus, die Sicherung der Wirtschaftspläne und die Bekämpfung von Sabotage waren (ebd.). Um diese Aufgaben erfüllen zu können, erhielten die VKAs Kontrollrechte für die Gemeindeverwaltung und alle kommunalen Unternehmen und Betriebe. Der Bürgermeister war gegenüber dem VKA rechenschaftspflichtig. Bis 1949 wurden die VKAs durch den Gemeinde/Stadtrat ernannt. Ab 1949 übernahm dies die ZKK, da viele Räte die VKAs mit Personen besetzten, die es häufig nicht allzu genau nahmen (Türke 1960, S. 35). Die dritte Säule war die Integration von Instrukteursabteilungen in die Struktur der Räte. Diese kontrollierten die Verwaltung und den Rat von innen heraus und berichteten an den nächsthöheren Rat (z. B. auf Gemeindeebene an den Rat des Kreises) (Türke 1960, S. 36 f.). Die vierte und letzte Säule waren die Staatsanwaltschaften. Diese kontrollierten die Einhaltung der Gesetze in ihrem Zuständigkeitsbereich und wurden meist nach Beschwerden durch Bürger tätig (Sieveking 1987, S. 1170). Um die Kontrolle effektiv durchführen zu können, nahm der Kreisstaatsanwalt grundsätzlich an allen Sitzungen des Kreisrats teil. Kam die Staatsanwaltschaft zu dem Schluss, dass durch eine Verwaltung geltendes Recht gebrochen wurde, legte sie zunächst Beschwerde bei dieser Verwaltung ein. Reagierte die Verwaltung darauf nicht, wandte sich die Staatsanwaltschaft an das vorgesetzte Organ auf der höheren Ebene (Türke 1960, S. 38 f.). Die Staatsanwaltschaft wurde damit zu einem externen Signalgeber für Missstände in der Verwaltung eines Organs. Die formal immer noch geltende kommunale Selbstverwaltung endete mit der Gründung der DWK und dem ersten einheitlichen Volkswirtschaftsplan der SBZ 1948/1949. Der Plan galt ab diesem Zeitpunkt bis 1989 als oberstes Gesetz, welchem alles unterzuordnen war. Er hatte Zugriff auf alle Lebensbereiche und schränkte die Entscheidungsfreiheit der Kommunen erheblich ein (Türke 1960, S. 51). Die Gründung der SPK und der einheitliche Staatshaushalt der DDR 1950 beendeten dann endgültig die kommunale Selbstverwaltung und die Finanzhoheit der Kommunen (Hauschild 1991, S. 53). Im Rahmen des gemeinsamen Haushalts wurden den Ländern (später Bezirken) Haushaltsanteile zugewiesen. Diese teilten ihren Anteil wiederum auf die Kreise und Stadtkreise auf. Die Kreise hatten dann die Aufgabe ihren Anteil wiederum auf die Mitgliedsgemeinden des Kreises zu verteilen (Sieveking 1987, S. 1174).

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5

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Die Kommunen waren ab diesem Zeitpunkt nur noch Ausführungsorgane für Beschlüsse der höheren Ebenen und insbesondere der SPK. Diese machte den Kommunen und Kreisen allgemeine wirtschaftliche Vorgaben, für deren Erreichung diese detaillierte Pläne auszugestalten hatten, welche wiederum von der SPK genehmigt werden mussten (Türke 1960, S 52 ff.). Die wichtigsten Aufgaben der Kommunen im Rahmen der Planerfüllung waren der Aufbau und die Bereitstellung von Infrastruktur, Wohnraum, Kliniken und Ausbildungsstätten (ebd.). Die Kommunen und Kreise waren letztlich Dienstleister der Wirtschaft und orientierten sich vollständig an deren Bedarf. Das Gesetz über die weitere Demokratisierung des Aufbaus und der Arbeitsweise der staatlichen Organe in den Ländern der DDR von 1952 hatte auch Auswirkungen auf die Kommunalebene. Neben der Neustrukturierung der Mittelebene wurden auch die Landkreise neu eingeteilt. Analog zu den Bezirken wurden auch diese nach rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten gegliedert und ebenfalls zu „politisch-territorialen Einheiten“ des Staates (Hauschild 1991, S. 60). Die Anzahl der Kreise steigerte sich von 132 auf 217 (Schulze 1991c, S. 50). Trotz dieser Änderungen waren die DGO-SBZ und die DKO weiterhin in Kraft. Auf Kreisebene ignorierte die SED diese älteren Bestimmungen einfach. Der Aufbau der Landkreise wurde dem der Bezirke angepasst. Die Umstrukturierung hatte auch Auswirkungen auf die Planumsetzung. Die Kreise erhielten im Zuge des Gesetzes mehr Freiheiten bei der Ausgestaltung von Maßnahmen zur Zielerreichung (Türke 1960, S. 55). Im Gegenzug mussten die Kreise aber detaillierte Vorschläge zur Planübererfüllung erarbeiten, ohne dafür mehr Finanzmittel aus dem zentralen Haushalt zu erhalten (ebd.). Welchen Einfluss hatten all diese Veränderungen auf die Verwaltungsgesetzgebung?

5.2.2

Aufbau und Veränderung der Verwaltungsgrundsätze

Der Umbau der übernommenen Reichsverwaltung begann in der SBZ direkt nach der Besetzung durch die Rote Armee. Wie bereits in Abschnitt 4.4.3.3 kurz erwähnt, arbeiteten die Kommunalverwaltungen im Deutschen Reich bis zum Kriegsende und oft auch darüber hinaus weiter. Die Besatzer kamen somit in Städte und Gemeinden, in denen trotz der großen Zerstörungen häufig noch eine funktionierende Verwaltung existierte. Während die Westalliierten die Bürgermeister und Beamten noch eine gewisse Zeit im Amt hielten, reagierte die Rote Armee sehr schnell (Schneider 1983, S. 229). Die Antifa-Ausschüsse und Volkskomitees schlugen nicht nur neue Bürgermeister, Landräte und Gemeindevertreter vor, sie begannen auch direkt nach der Einnahme mit der Säuberung der

5.2 Aufbau des SED-Regimes und Sowjetisierung …

173

Verwaltung von Nationalsozialisten. Meist geschah dies ohne eine Anweisung der Roten Armee auf eigene Initiative (Schneider 1983, S. 230). Zur Koordinierung der Maßnahmen schickte die KPD ihre Exilanten im April und Mai 1945 aus Moskau in die SBZ. Unter Führung von Walter Ulbricht, Anton Ackermann und Gustav Sobottka bildeten sich drei Regionalgruppen, die in ihren Bereichen für alle Verwaltungsebenen Besetzungslisten erstellten, welche von der Roten Armee bzw. der SMAD meist unverändert angenommen wurden (Schneider 1989a, S. 459). Die Gruppe Ulbricht war dabei für Berlin und Brandenburg, die Gruppe Ackermann für Sachsen und Anhalt und die Gruppe Sobottka für Mecklenburg zuständig (Schneider 1983, S. 230 f.). Thüringen war zu dieser Zeit noch von den USA besetzt und wurde im Juni der Gruppe Ackermann zugewiesen (ebd.). Bis Juli 1945 hatte die SMAD mithilfe dieser Gruppen in allen Regionen Landes-, Provinz-, Kreis- und Kommunalverwaltungen wiederaufgebaut. Konzentrierten sich die SMAD und die KPD/SED zunächst auf die Besetzung von Positionen im Verwaltungsapparat, um über diesen Einfluss zu erhalten, so wurden rasch weitere Maßnahmen getroffen, um die Verwaltung für die eigenen Ziele nutzbar zu machen. Es wurde eine ganz neue Form der Verwaltungsführung etabliert, welche durch eine Veränderung der Werte und Normen der Verwaltungsmitarbeiter erreicht werden sollte. Auf keinen Fall sollte ein bürgerlicher Staat mit den klassischen Werten des Berufsbeamtentums errichtet werden (Schroeder 1999, S. 99). Beamte als machtvolle Vetospieler sollten verhindert werden (Leissner 1961, S. 262). Bereits am 17. September 1945 wurde daher mit dem SMAD-Befehl Nr. 66 das Beamtentum in der SBZ abgeschafft. Für die Verwaltungsmitarbeiter sollte es keine Privilegien oder Sonderstellungen geben (Schulze 1991e, S. 151 f.). Der spätere Ministerpräsident der DDR Otto Grotewohl formulierte es auf der 12. Tagung des Parteivorstands der SED 1948 folgendermaßen: Den Verwaltungsfunktionären müsse deutlich werden, dass sie „Luft wären, dass sie nichts sind, wenn sie nicht auf dem Boden der Partei stehen. Niemand hat die Möglichkeit, in diesen Verwaltungsapparat erfolgreich und nachhaltig zu arbeiten, wenn er sich nicht auf die Kraft der Partei, auf die Zustimmung seiner Partei stützen kann. […] Die Aufgabe unserer Partei ist es, dafür Sorge zu tragen, dass sich die Verbürgerlichung des sozialistischen Teils des Verwaltungsapparates nicht ein zweites Mal vollzieht, sondern, dass jeder Einzelne von uns, der in einem Verwaltungssessel sitzt, wissen muss, dass seine Aufgabe darin besteht, bei der Partei zu stehen, in der Partei zu stehen und für die Partei zu stehen.“ (Grotewohl zitiert nach Schroeder 1999, S. 99)

Der Aufbau des sozialistischen Staates und die Zerschlagung der bürgerlichen Verwaltung und ihrer Normen und Werte waren damit zwei Seiten der gleichen

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Medaille. Die SED sah den Staat und seine Verwaltungsorgane hauptsächlich als Mittel zur Durchsetzung des Sozialismus (Balla 1973, S. 111). Die Unterwerfung der Verwaltung unter den Willen der Partei und damit implizit der Arbeiterklasse war daher zentral (Schroeder 1999, S. 102). Die Loyalität gegenüber der Partei wurde zur obersten Maxime aller Funktionäre (Glaeßner 1977, S. 122). Die Staatsverwaltung war somit nur eine nachgeordnete Stelle der Partei (Modrow 1994, S. 108). Das zeigte sich auch in der Ersetzung klassischer Bezeichnungen wie „Behörde“ oder „Amt“ durch den Begriff „vollziehend-verfügendes Organ“ (Sieveking 1987, S. 1166). Darin kam die geplante Tätigkeit der staatlichen Verwaltung zum Ausdruck. Vorgaben der SED und Beschlüsse der Volksvertretungen sollten unmittelbar vollzogen und eigenständige Verfügungen (Genehmigungen, Verpflichtungen, Erlaubnisse, Auflagen etc.) erlassen werden, um die einheitliche Beschlussdurchführung zu sichern (Schulze 1991a, S. 72; Schwarzenbach 1976, S. 28). Um diese zu gewährleisten, waren alle Organe doppelt unterstellt. Zum einen dem fachlichen Organ auf der höheren Ebene (z. B. bei der Kommune eine Fachabteilung des Rats des Kreises) und zum anderen der für das Organ zuständigen Volksvertretung (z. B. der Gemeindeverordnetenversammlung) (König 1991, S. 29). Gerieten Anweisungen dieser zwei Stellen in Konflikt, war stets die Weisung der höheren Ebene ausschlaggebend (ebd.). Ein weiteres Charakteristikum der bürgerlichen Verwaltung stellt der hohe Grad an Fach- und Expertenwissen innerhalb der Verwaltung dar (Weber 1919). Die SED fürchtete sich vor diesem Fachwissen, hatte sie doch Angst, dass sich aus spezialisierten Verwaltungen heraus eine Machtposition bilden könnte, die die Durchsetzung des Parteiwillens blockierte (Leissner 1961, S. 262). Innerhalb der Partei wurde deshalb die Meinung vertreten, dass die bürokratische und fachliche Arbeitsweise einer bürgerlichen Verwaltung die SED nur an der Erreichung ihrer Ziele hindern würde (Glaeßner 1977, S. 123). Deshalb setzte sie bei der Berufung in Verwaltungspositionen statt auf fachliche Eignung vorrangig auf ideologische Zuverlässigkeit und damit auf Parteipolitisierung. Um die Zuverlässigkeit zu gewährleisten, baute die Partei ab 1948 ein umfangreiches Besetzungssystem, das sogenannte „Kadernomenklatursystem“ auf (Boyer 1999, S. 19; Wagner 1998, S. 28). Kader waren alle „Führungskräfte der Partei und des durch die Partei gesteuerten gesamten Staats- und Wirtschaftsapparates“ (Balla 1973, S. 110). Sie waren ein „Stamm von Menschen, die aufgrund ihrer politischen und fachlichen Kenntnisse und Fähigkeiten geeignet und beauftragt sind, andere Menschen bei der Verwirklichung der gestellten Aufgaben zu führen bzw. in einem Leitungskollektiv zu wirken.“ (Herber und Jung 1964 zitiert nach Schwarzenbach 1976, S. 46)

5.2 Aufbau des SED-Regimes und Sowjetisierung …

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Ihre Aufgabe war es, als loyale Diener der SED den Staat, die Wirtschaft und die Massenorganisationen zu führen und dort die Parteilinie umzusetzen (König 1991, S. 18). Formal waren sie den einfachen Werktätigen gegenüber gleichgestellt. Dennoch zeigte sich, dass die Kader neben einer einflussreichen Position weitreichende Privilegien wie Einkaufsmöglichkeiten in Intershops (wo Westware angeboten wurde), die Möglichkeit hatten, ins Ausland zu reisen, und eine bessere Altersversorgung erhielten (Schwarzenbach 1976, S. 50). Kader der ZKNomenklatur hatten im Alter beispielsweise Anspruch auf einen Platz in einem „Feierabend- und Pflegeheim für Veteranen der Nomenklatur des ZKs der SED und des Ministerrates der DDR“ (Wagner 1998, S. 115 f.). Der größte Vorteil der Kader war aber der frühere Zugang zu Informationen, da sich daraus Vorteile gegenüber anderen Bürgern und mehr Komfort im Alltag ergeben konnten (Mestrup 2003b, S. 205). Wusste ein Kader beispielsweise, dass ein Produkt zu Neige geht, dann hatte dieser die Möglichkeit sich noch rechtzeitig damit zu versorgen (Wagner 1998, S. 119). Die Kadertätigkeit wurde in die Kaderarbeit und die Kaderpolitik unterschieden. Kaderarbeit war die Weiterbildung und Erziehung sowie die Zuteilung bestehender Kader zu Positionen. Kaderpolitik bezeichnet die quantitative und qualitative Auswahl der Kader sowie deren Ausbildung (Glaeßner 1977, S. 238). Das zentrale Mittel der Kaderarbeit und Kaderpolitik war die Nomenklatur. Diese listete alle Positionen auf, die durch eine zuständige Stelle (z. B. das ZK der SED) besetzt werden durften. Der Beschluss des Ministerrats vom 20. August 1952 definierte den Begriff folgendermaßen: „Als Nomenklatur wird der Personenkreis bezeichnet, dessen Einstellung, Umgruppierung, Versetzung und Entlassung der vorherigen Einwilligung der übergeordneten Dienststellen (Nomenklaturstelle) bedarf.“ (Bundesarchiv DC 20-I 3/128).

Glaeßner erweiterte die Definition: „Sie ordnet Funktionsträger auf den verschiedenen Leitungsebenen verschiedener Apparate bestimmten Nomenklaturstufen zu und legt damit den Stellenwert dieser Funktion in der Leitungshierarchie fest. Zugleich wird mit dieser Zuordnung die Leitungsebene und die Institution bestimmt, die über die Besetzung dieser Position oder über die Abberufung bisheriger Positionsinhaber entscheidet.“ (Glaeßner 1977, S. 239)

Am 08. März 1949 erging der Beschluss des Politbüros zur Organisation der Arbeit auf dem Gebiete der Personalpolitik. Dieser legte den Grundstein für den Aufbau des Nomenklatursystems. In allen Parteileitungen wurden Personalpolitische Abteilungen geschaffen, welche der Weisung der Hauptabteilung Personal

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Politik und Verwaltung im SED-Regime

beim ZK der SED unterstanden. Gemeinsam waren diese Abteilungen verantwortlich für die Auswahl und Ausbildung von Funktionären in der SED, der staatlichen Verwaltung, der Wirtschaft und den Massenorganisationen (Wagner 1998, S. 31). Die regional zuständigen Parteileitungen hatten damit das Recht, für ihren Zuständigkeitsbereich eine eigene Personalpolitik zu betreiben. Bereits am 06. Oktober 1949 wurde die Personalpolitik der SED stärker zentralisiert. Die Hauptabteilung Personal wurde dem Sekretariat der Politbüros unterstellt und in Kaderabteilung umbenannt. Alle Kaderakten wurden zentral bei der Hauptabteilung geführt (Balla 1973, S. 123). Zu den Kadern gehörten ab diesem Zeitpunkt leitende Funktionäre der SED, der Staatsverwaltung, der Massenorganisationen, der Wirtschaftsunternehmen sowie alle Hochschulabsolventen und die Absolventen der Landesparteischulen (Wagner 1998, S. 31 f.). Insgesamt handelte es sich um ca. 10.000 Personen, die der Anleitung der Kaderabteilungen unterstanden (König 1991). Zeitgleich zur Zentralisierung erging am 06. Oktober 1949 ein Beschluss des Politbüros, wonach alle Kaderfragen in den Ministerien (mit Ausnahme des Außenministeriums, des Amts für Staatskontrolle und des Amts für Reparationen) von deren Kaderabteilung mit der Hauptabteilung Staatliche Verwaltung des ZK abgestimmt werden mussten, bevor der Besetzungsvorschlag dem PB vorgelegt werden konnte (Wagner 1998, S. 32). Die zentrale Verwaltung der staatlichen Kader übernahm ab 1949 das Ministerium des Innern. Es bestand zum Großteil aus den Mitarbeitern der Personalpolitischen Abteilung Arthur Piecks aus der DWK und bildete in allen Ministerien Abteilungen für Kader und Schulung, die nicht der jeweiligen Hausleitung (Minister, Staatssekretär), sondern dem Hauptabteilungsleiter Kader und Schulung im Ministerium des Innern unterstanden. Dieser war wiederum an Beschlüsse der Hauptabteilung Kader beim Politbüro gebunden (Schwarzenbach 1976, S. 49). Am 30. Januar 1950 erging der ZK-Beschluss über die erste zentrale Nomenklatur der DDR. Diese hatte drei Stufen und drei Ziffern (siehe auch Tabelle 5.6). Unter die erste Ziffer fielen die Parteifunktionäre, unter die zweite Ziffer die Staatsfunktionäre und unter die dritte Ziffer die Massenorganisationen. Auf der ersten Entscheidungsstufe entschied das Politbüro, auf der zweiten Stufe das Sekretariat des Politbüros und auf der dritten Stufe die Kaderabteilung des ZK über die Besetzung einer Position (Wagner 1998, S. 34). Parallel zur Führung durch die Partei wurden im Bereich der Verwaltung noch zusätzliche Nomenklaturlisten geführt. Das MdI listete in seiner Nomenklatur vom 20. April 1951 insgesamt 2533 Positionen auf, die durch das Präsidium des Ministerrats besetzt wurden. Darunter fielen unselbstständige Staatssekretäre, Abteilungsleiter, alle Angestellten der Kaderabteilungen, die persönlichen

5.2 Aufbau des SED-Regimes und Sowjetisierung …

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Tabelle 5.6 Vereinfachte Darstellung der Nomenklatur des ZK der SED 1950 Besetzung durch:

I Partei

II Staat

III Massenorganisationen

PB

ZK-Mitglieder Sekretäre des ZK Leiter zentraler Parteiinstitutionen

Präsidium des Ministerrats Vorsitzender der SPK

Leiter der Massenorganisationen

Sekretariat PB

Abteilungsleiter der ZK-Abteilungen Stellv. Abteilungsleiter Leitende MA zentraler Parteiinstitutionen

Minister Stellv. Minister Stellv. Vorsitzender der SPK Leiter und Stellv. Zentraler Staatsorgane

Stellv. Leiter

Kaderabteilung PB

Leiter der Kreis- und Betriebsschulen des Marxismus-Leninismus

(Haupt-) Abteilungsleiter und Sektorenleiter Ministerien

Abteilungsleiter

Quelle: Wagner 1998, S. 34. eigene Darstellung

Mitarbeiter der Minister und Staatssekretäre sowie weitere Positionen in nachgeordneten Behörden. Parallel dazu erstellten alle Ressorts für ihren Bereich ebenfalls Nomenklaturlisten, welche die Besetzung in nachgeordneten Organen regelte (Wagner 1998, S. 35 f.). Die Auflösung der Länder führte im Staatsapparat zu einer stärkeren Zentralisierung der Personalpolitik. Der Regierungsbeschluss über die Richtlinien für die Personalpolitik im Staatsapparat und in der volkseigenen Wirtschaft erweiterte die Nomenklatur des MdI um die Staatssekretäre, Hauptabteilungsleiter und Abteilungsleiter der Ministerien, die Mitarbeiter der Präsidialkanzlei sowie die Mitarbeiter der Sekretariate der Volkskammer. Alle Personalakten der Minister, Staatssekretäre Hauptabteilungsleiter, Hauptverwaltungsleiter, Abteilungsleiter, persönlichen Referenten, Leiter der Zentralen Verschlussabteilungen, der Mitarbeiter von Botschaften, Missionen und Handelsvertretungen sowie der Vorsitzenden und Sekretäre der Bezirksräte wurden zentral im MdI geführt (Wagner 1998, S. 37).

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Es zeigt sich, dass alle Positionen doppelt geführt wurden. Zum einen in der Nomenklatur der SED und zum anderen in der Nomenklatur des Ministerrats bzw. der nachgeordneten Organe (Glaeßner 1977, S. 243). Das hätte potenziell zu Konflikten im Berufungsprozess führen können, doch es zeigt sich, dass die Berufung in leitende Positionen im Rahmen der Nomenklatur bis 1989 immer gleich ablief. Am Beispiel der Berufung eines unselbstständigen Staatssekretärs ist dies sehr leicht zu verstehen. Der Fachminister legte dem Vorsitzenden des Ministerrates zunächst einen mit der für das Ministerium zuständigen ZK-Abteilung abgestimmten Vorschlag zur Besetzung der Position vor. Der Vorsitzende des Ministerrates reichte diesen in bis zu 35 Ausfertigungen beim ZK ein. Das Politbüro oder das Sekretariat des ZK bestätigten die Vorlage, welche damit wieder an den Ministerrat zurückging. In diesem wurde der Vorschlag ebenfalls „beraten“, was lediglich zustimmen meinte, und anschließend wurde der neue Staatssekretär vom Vorsitzenden des Ministerrats berufen (Schroeder 1999, S. 107 f.). Auf den nachgeordneten Ebenen lief das Prozedere analog ab. Statt dem Vorsitzenden des Ministerrates, der ZK-Abteilung und dem PB handelten hier der Vorsitzende des jeweiligen Rates, die regionale/lokale Parteileitung und die zuständige Abteilung bei der Parteileitung. Der letzte SED-Vorsitzende des Ministerrates Hand Modrow schrieb dazu nach der Wende: „Praktisch wurde keine einigermaßen einflussreiche Position in der DDR ohne Zustimmung des Politbüros oder des Sekretariats des ZK der SED besetzt. Damit sicherte die SED-Führung ihre Macht und ihren Einfluss in allen gesellschaftlichen Bereichen des Landes. Die Leitungen der anderen Parteien, der Massenorganisationen und vieler weiterer Strukturen wurden dadurch weitgehend entmündigt.“ (Modrow 1994, S. 63)

Dem Kadernomenklatursystem immanent waren zwei Prinzipien: 1. das Rotationsprinzip und 2. das Geheimhaltungsprinzip. Fast alle Kader wurden in einem festen Rhythmus versetzt. Dabei spielte es keine Rolle, ob ein Kader in einer Parteifunktion, einer staatlichen Position oder der Wirtschaft beschäftigt war. Ausnahmen waren die PB und ZK-Mitglieder. Die Rotation sollte die Bildung einer bürokratischen Verwaltung, geprägt durch Fachwissen verhindern und die Kader stärker an die Gesellschaft und die Partei binden (Balla 1973, S. 118). Außerdem sollten Wechsel aus der staatlichen Verwaltung in Wirtschaftsbetriebe oder die Partei und umgekehrt ein Bewusstsein dafür schaffen, wie Beschlüsse der Partei über die Verwaltung im Wirtschaftsleben umgesetzt wurden (Schwarzenbach 1976, S. 51). Das Geheimhaltungsprinzip sorgte dafür, dass die Nomenklatur geheim blieb. Nur die wenigsten Funktionäre kannten die

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vollständige Nomenklaturliste. Meist erhielten Kader nur einen Ausschnitt, der für den eigenen Arbeitsbereich relevant war (König 1991, S. 19). Die genauen Mechanismen und Strukturen des Nomenklatursystems waren der großen Mehrzahl der Kader nicht bekannt. Außerdem wussten sie nie, ob, und wenn ja, auf welcher Nomenklatur sie gelistet waren (Lorenz 1999, S. 87). Dies sollte die Bildung von Seilschaften und Unterstützernetzwerken verhindern und einer Fraktionsbildung vorbeugen (Balla 1973, S. 124 f.). Aus demselben Grund blieben sämtliche Organigramme aller staatlichen Behörden und Parteistellen bis zur Übernahme der Regierung Modrow im November 1989 geheim und wurden nach Organisationsveränderungen grundsätzlich vernichtet.

5.2.3

Auswirkungen auf das Verwaltungspersonal

5.2.3.1 Nationale Ebene Direkt nach Ende des Krieges und Gründung der DZVs gab es noch keine koordinierte Kaderpolitik. Bei der Besetzung der Positionen in den DZVs wurde vieles improvisiert. Die KPD konzentrierte sich dabei zunächst auf die Besetzung der zentralsten Schlüsselpositionen wie die Leitungen der DZVs (Boyer 1999, S. 15). Die KPD bzw. SED versprach sich von der Kontrolle dieser Positionen innerhalb der öffentlichen Verwaltung einen starken Einfluss (Schroeder 1998, S. 54 f.). Daher trieb sie bei der Besetzung dieser Positionen eine intensive Parteipolitisierung voran. Von den 14 Präsidenten der DZVs (Stand 1946) besetzte die KPD 6 Positionen und von den 30 Vizepräsidenten stellte sie 11. Die SPD erhielt 4 Präsidenten und ebenfalls 11 Vizepräsidenten, sodass nach dem Zusammenschluss der beiden Parteien die SED 10 von 14 Präsidenten und 22 von 30 Vizepräsidenten stellte (Schroeder 1998, S. 55). Außerdem stellte die SED alle Personalabteilungsleiter der DZVs, sodass sie einen erheblichen Einfluss auf die Personalpolitik erhielt. In der Deutschen Verwaltung des Innern wurden alle Leitungspositionen mit SED-Leuten besetzt (Schroeder 1998, S. 56). In den unteren Verwaltungsebenen setzte die SED aufgrund eines Fachkräftemangels zunächst auf verwaltungserfahrene Mitarbeiter aus dem bürgerlichen Lager (Keine Politisierung) und begnügte sich damit Informationen über deren politische Zuverlässigkeit sowie etwaige ehemalige Mitgliedschaften in der NSDAP zu sammeln. Aus diesen Listen entwickelte die SED zusammen mit den Personalabteilungen Entlassungslisten, welche der SMAD vorgelegt wurden (Boyer 1999, S. 15). Dennoch hatte dies

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„keineswegs eine rigorose Säuberung zur Folge […]. Es blieb im Interesse der Funktionsfähigkeit der Verwaltung bei temporärer Entfernung aus dem Dienst; Experten, die nominelle NSDAP-Mitglieder gewesen waren, wurden im Gespann mit ‚zuverlässigen Antifaschisten‘ weiterbeschäftigt.“ (Boyer 1999, S. 16 Hervorhebungen im Original)

Mit Gründung der StWK/DWK baute die SED ihre Bemühungen bei der Positionsbesetzung aus. Im leitenden Sekretariat der DWK wurden acht von zehn Positionen mit führenden SED-Mitgliedern besetzt (Schroeder 1998, S. 58). Darüber hinaus ernannte die SMAD am 24. März 1948 auf Vorschlag der SED Arthur Pieck, den Sohn des späteren Präsidenten der DDR, Wilhelm Pieck, zum Leiter der Personalabteilung der DWK. Dieser wurde damit allein verantwortlich für die Besetzung aller Hauptabteilungsleiter, Abteilungsleiter, Haupt- und Oberreferenten sowie Referenten (Wagner 1998, S. 30). Die Personalabteilung Piecks erhielt außerdem die Kompetenz, alle Mitarbeiter der DWK im Sinne der Partei zu schulen und begann 1948 mit dem Aufbau eines systematischen Schulungsplans (ebd.). Die Personalabteilung Piecks wurde damit zur Zwischenebene mit umfassenden Durchgriffsrechten. Zunächst hatte die Abteilung aber weiter das Problem des Fachkräftemangels (Boyer 1999, S. 16). Die DWK war daher zu Beginn von mangelnder Effizienz und fehlerhaften Ergebnissen geprägt (ebd.). Dies gereichte der SED allerdings zum Vorteil. War diese bisher gezwungen gewesen auch bürgerliche und liberale Mitarbeiter in den Verwaltungen zu beschäftigen, konnte sie nun mit Hinweis auf deren fachliche Unfähigkeit beginnen, die unteren Verwaltungsebenen umzubauen und mit eigenen politisch zuverlässigen Personen zu besetzen (Boyer 1999, S. 17). Es wurde somit die Strategie von Keine Politisierung hin zu Parteipolitisierung verändert. Der SMAD-Befehl Nr. 201 beauftragte die Personalpolitische Abteilung des ZK mit der Vorbereitung des Personalaustauschs (Boyer 1999, S. 17 f.). Die SED wollte diese Chance nutzen, um den Fehler von 1918/19, als die Politik nach der Revolution die Beamtenschaft im Amt belassen hatte, nicht zu wiederholen. Nach der Reorganisation der DWK im Februar 1948 stellte die SED nun 29 von 37 Mitgliedern der Wirtschaftskommission. Nur vier gehörten der CDU und nur drei der LDPD an. Ein Mitglied war parteilos (Boyer 1999, S. 18). Der Aufbau des Kadersystems ab 1948 führte zunächst nicht zur sofortigen Besetzung aller freien Stellen. Im ersten Halbjahr 1949 waren beispielsweise in der Hauptverwaltung Wirtschaft von 211 Planstellen nur 188 besetzt (Boyer 1999, S. 20). Außerdem war die Konkurrenz durch die Länder bei der Personalgewinnung so hoch, dass die DWK auch 1949 immer noch auf zahlreiche bürgerliche Mitarbeiter setzen musste (ebd.). Der Anteil der SED-Mitglieder an allen Verwaltungsmitarbeitern der DWK betrug Ende 1948 lediglich 47 % (Boyer 1999,

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S. 21). Der personalpolitische Politisierungsgrad war somit noch nicht so hoch wie von der Partei geplant. Die Gründung der DDR behob diese Probleme zunächst nicht. Bei den Hausleitungen und in Schlüsselpositionen war die SED zwar ziemlich erfolgreich – von 21 Ministern stellte sie 10 (Schulze 1991c, S. 49). Außerdem besetzte sie in allen Ministerien die Position des leitenden Staatssekretärs. Beim Blick auf die Gesamtheit der Verwaltungsmitarbeiter der Ministerien, muss festgestellt werden, dass immer noch zahlreiche Stellen unbesetzt oder mit bürgerlichen Mitarbeitern besetzt waren. In der SPK waren im April 1951 beispielsweise 195 von 618 Stellen unbesetzt (Boyer 1999, S. 21). Der Mangel an Wohnraum in Berlin und die eher schlechte Bezahlung taten ihr Übriges, dass die Ministerien auch weiterhin nicht in der Lage waren ihren Bedarf an Mitarbeitern zu decken. Viele Mitarbeiter der SPK galten außerdem als politisch unzuverlässig. Sie hatten zu häufig Westkontakte, waren ehemalige NSDAP-Mitglieder oder waren zu selten Parteimitglieder (Boyer 1999, S. 22). Dennoch waren viele Leiter von Verwaltungen angesichts der vielen unbesetzten Stellen häufig froh, überhaupt Mitarbeiter zu haben, und stellten so gut wie jeden Interessenten ein (Boyer 1999, S. 23 f.). Gleichzeitig setzte die SED auf einen Ausbau der Kaderreserve, um langfristig nur noch politisch Zuverlässige einzustellen. Für viele fachlich kompetente Bürger verhinderte dies ab 1950 eine Karriere in einem staatlichen Organ. Eine gezielte und ständige Überwachung führte dazu, dass ab diesem Zeitpunkt schon kleinste Fehler zu einem Ausschluss führten. Hans Modrow formulierte es folgendermaßen: „alle Personen, die für eine Nomenklaturfunktion vorgesehen waren, [wurden] vom Ministerium für Staatssicherheit einer sicherheitspolitischen Überprüfung unterzogen, die auch die Kaderabteilung des ZK nicht beeinflussen konnte. Aufgrund der oft überzogenen Sicherheitskriterien (z.B. Westverwandtschaft) kamen viele kompetente, befähigte Menschen nicht in leitende Funktionen. Sicherheitspolitische Aspekte, Parteizugehörigkeit und politische Schulung waren bei der Besetzung von Leitungspositionen nicht selten wichtiger als fachliche Kompetenz.“ (Modrow 1994, S. 64)

Die Parteigruppen innerhalb der Staatsverwaltung nahmen in dieser Aufbauphase eine besondere Stellung ein. Sie waren vor allem zur Überwachung der Verwaltungsmitarbeiter gedacht und meldeten Verstöße gegen die Parteidisziplin an vorgesetzte Parteistellen, die dann wiederum für eine Sanktion der jeweiligen Mitarbeiter sorgten (Schwarzenbach 1976, S. 31). Gleichzeitig waren die Parteigruppen für die ideologische Anleitung der Mitarbeiter, ob Parteimitglied oder nicht, zuständig. Die Aufgabe der Parteigruppen war es, dafür zu sorgen, dass alle staatlichen Funktionäre jederzeit im Sinne der SED handelten (Neugebauer 1978, S. 142 f.).

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Politik und Verwaltung im SED-Regime

Damit es erst gar nicht zu Verstößen gegen die Parteidisziplin und zur Sicherung der Parteibeschlüsse innerhalb der Verwaltung kam, setzte die SED drei Wege durch: 1. die unveränderte Übernahme und unmittelbare Umsetzung der Parteibeschlüsse durch die staatlichen Organe ohne, dass die SED noch extra darauf hinwirken musste. 2. die gemeinsame Erarbeitung von Beschlüssen durch die Fachressorts und die Abteilungen des ZK. Obwohl letztlich immer der Parteiapparat entschied, fühlten sich die Mitarbeiter der Ressorts trotzdem verpflichtet die Beschlüsse auszuführen, hatten sie diese doch selbst mit ausgearbeitet. 3. die Durchsetzung der Beschlüsse durch Parteifunktionäre innerhalb der staatlichen Organe, was nur angewendet wurde, wenn die ersten beiden Varianten nicht funktionierten. Die funktional politisierten Mitarbeiter übten so lange internen Druck aus, bis der Beschluss umgesetzt war (Neugebauer 1978, S. 125 f.). Diese Wege nutzte sie auch in den Ländern, Kreisen und Kommunen.

5.2.3.2 Länder-/Bezirksebene Auch auf der Landesebene achteten SMAD und SED konsequent darauf alle Schlüsselpositionen mit Getreuen zu besetzen (Parteipolitisierung). So wurden schon 1945 alle 1. Vizepräsidenten sowie alle Leiter der Abteilungen Inneres, Personal, Sicherheit und Schulung der Landesverwaltungen (Ministerien und alle nachgeordneten Behörden) mit Mitgliedern der KPD besetzt (Schroeder 1998, S. 55). Zahlen für Brandenburg aus dem Jahr 1946 zeigen, dass 125 von 220 Spitzenpositionen – gemeint sind hier Minister, Staatssekretäre, Abteilungsleiter der Ministerien und Leiter von nachgeordneten Behörden – mit SED-Leuten besetzt waren (Schroeder 1998, S. 57). Trotz der herben Niederlage bei den Landtagswahlen 1946, bei welchen die Parteien noch mit eigenständigen Listen antraten, konnte sich die SED in den Landesregierungen auch ohne Landtagsmehrheit behaupten, da die SMAD und nicht die Landtage über die Zusammensetzung der Landesregierungen bestimmte (Mitter 1999, S. 122). Folglich stellte die SED nach den Landtagswahlen vier Ministerpräsidenten (in Thüringen erhielt die LDPD die Position) und alle fünf Innenminister. Bei den Verwaltungsmitarbeitern der Länder wurde die Entnazifizierung mit dem Aufbau einer sozialistischen Verwaltung gekoppelt. So durfte nur eine Neueinstellung von Gegnern und Verfolgten des Nationalsozialismus und sogenannten nominellen Mitgliedern der NSDAP – also Personen, die zwar der Partei beigetreten waren, aber keine Funktion in dieser innehatten – erfolgen (Leissner 1961, S. 271). Für eine Einstellung von Personen aus der zweiten Gruppe war entscheidend, dass ihre Fachkenntnisse erforderlich waren und keine Person aus der ersten Gruppe die Position übernehmen konnte (ebd.). Bevorzugt wurden in den

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Landesverwaltungen aber alle, die als Opfer des Nationalsozialismus eingestuft wurden. Im Laufe der Zeit zeigte sich aber, dass die im Jahr 1945 eingestellten Personen ihren Aufgaben meist nicht gewachsen waren. Die zunächst eingestellten kaufmännischen Angestellten, Bauern und ehemaligen Soldaten wurden ab 1946 zunehmend durch ideologisch gefestigtere Personen (in erster Linie Mitglieder der SED) ersetzt (Leissner 1961, S. 273). Bis 1949 ging dieser Ersetzungsprozess bei den Landesverwaltungen aber sehr langsam voran. Dafür gab es zwei Gründe. Zum einen hatte die SED zu wenig fähige und ideologisch gefestigte Mitglieder, um alle Positionen zu besetzen und zum anderen versuchten die Leiter der Landesorgane ihre Mitarbeiter zu halten (ebd.). Ab 1949 setzte die SED daher auf konsequente Entlassungswellen, bei der zahlreiche Leiter von Landesorganen und fachlich kompetente, aber politisch unzuverlässige Verwaltungsmitarbeiter ihre Positionen verlassen mussten. Bis zur Abschaffung der Länder 1952 wurden im Halbjahrestakt Entlassungswellen durchgeführt. Die freien Positionen wurden durch notdürftig geschultes Personal (primär ehemalige Arbeiter und Bauern) besetzt, welches sich nur durch die eigene SED-Mitgliedschaft auszeichnete (ebd.). Die Abschaffung der Länder und die daraus resultierende Umgestaltung der Mittel- und Kreisebene führten zu einer hohen Zahl an neuen Verwaltungseinheiten und in der Folge zu einem erhöhten Personalbedarf in den Verwaltungen der beiden Ebenen. In nahezu allen Organen fehlte es an linientreuen und kompetenten Mitarbeitern (Welsh 1999, S. 109). Erschwerend kam hinzu, dass nur 60 % des Personals der ehemaligen Landesverwaltungen in die neuen Bezirksverwaltungen übernommen werden konnte. Dafür gab es zwei Gründe: 1. nutzte die Partei die Umstrukturierung zu einer erneuten Säuberungswelle beim Verwaltungspersonal. Politisch Unzuverlässige, vor allem Parteilose, wurden schlicht aussortiert. Mitglieder der Blockparteien durften hingegen bleiben (Hauschild 1991, S. 65). 2. zahlten die Wirtschaftsunternehmen bessere Löhne als die Verwaltungen, sodass ein hoher Anreiz zum Sektorwechsel gegeben war (Hauschild 1991, S. 64). Letztlich waren in den neu geschaffenen Bezirksorganen Ende des Jahres 1952 meist nur bis zu 50 % der Positionen besetzt (Welsh 1999).

5.2.3.3 Kommunalebene Auf der kommunalen Ebene kam den Antifa-Ausschüssen 1945 zunächst eine zentrale Rolle zu. Wie zügig diese arbeiteten, zeigte sich beispielsweise in Dresden. Am 08. Mai 1945 besetzte die lokale Antifa-Gruppe im Stadtteil Rochwitz die Parteizentrale der NSDAP und erreichte, dass ihr Vorsitzender Hans Neuhof einen Tag später vom Ortskommandanten zum Stadtteilbürgermeister

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Politik und Verwaltung im SED-Regime

ernannt wurde. Auch in den anderen 23 Stadtteilen Dresdens begannen AntifaAusschüsse direkt nach Kriegsende die Verwaltungen zu übernehmen (Schneider 1989a, S. 461). Dabei legten sie die personellen und institutionellen Grundlagen der neuen Stadtverwaltung. Ähnliches zeigte sich in Chemnitz. Dort setzte das Antifa-Komitee alle Beamten, Angestellten und Arbeiter, welche von den Nationalsozialisten zwischen 1933 und 1945 aus politischen Gründen entlassen wurden, wieder in ihre Positionen ein (Schneider 1989a, S. 462). „Beim Neuaufbau der Verwaltung galt das Hauptaugenmerk der Entnazifizierung und der Besetzung aller öffentlichen Ämter mit Antifaschisten. Neueinstellungen durch die sowjetische Besatzungsmacht erfolgten nach Absprache und in Übereinstimmung mit dem Antifa-Komitee.“ (Schneider 1989a, S. 462)

Recht schnell kollidierten die Interessen der lokalen Antifa-Ausschüsse mit den Vorstellungen der KPD. Diese störte sich an der Tatsache, dass die lokal organisierten Antifa-Gruppen eine Vielzahl unterschiedlicher Kommunalverwaltungen aufbaute. Das Ziel der KPD war schließlich ein einheitlicher sozialistischer Verwaltungsaufbau (Schneider 1989a, S. 465 f.). Daher kam es häufiger vor, dass von Antifa-Gruppen eingesetzte Personen nach einer Intervention der KPD nach kurzer Zeit wieder abgesetzt wurden. Das Ziel der KPD war es schließlich alle Schlüsselpositionen mit eigenen Genossen zu besetzen, die während des Krieges im Ausland waren (Schroeder 1998, S. 54). Das befriedigte zum einen deren ökonomisches Interesse und sicherte der KPD zum anderen die Loyalität der Verwaltungen. Insbesondere die Besetzung der kommunalen Personalämter stand zu Beginn im Vordergrund (Schneider 1989a, S. 460). Die KPD nutzte diese Abteilungen, um die Verwaltungen mit Absolventen antifaschistischer Schulungen, welche in den Kriegsgefangenenlagern eingerichtet wurden, und mit KPD-Mitgliedern zu besetzen (ebd.). Parteipolitisierung spielte somit auch auf dieser Ebene von Anfang an die zentrale Rolle. In den großen Städten gelang dies recht problemlos. Bereits im Sommer 1945 besetzten KPD-Funktionäre in fast allen Städten die Dezernate für Personalfragen, Volksbildung und Polizei, während das recht einflusslose Bürgermeisteramt meist bürgerlichen Demokraten und die Fachabteilungen erfahrenen Sozialdemokraten überlassen wurde (Schneider 1989a, S. 467). In Berlin schaffte es die KPD bereits bis zum 09. Mai 1945 in allen Stadtbezirken neue Bezirksbürgermeister ein- und die Verwaltung dort wiederzubesetzen. In der zentralen Stadtverwaltung übernahmen führende Kommunisten die Schlüsselpositionen. Karl Maron wurde Stellvertretender Oberbürgermeister und Personaldezernent, Otto Winzer wurde Stadtrat für Volksbildung und Arthur Pieck Abteilungsleiter für Personal und

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Verwaltung (ebd.). Bei der Auswahl kam es vorrangig auf politische Faktoren an. Walter Ulbricht formulierte es folgendermaßen: „1. Die Bezirksverwaltungen müssen politisch richtig zusammengestellt werden. Kommunisten als Bürgermeister können wir nicht gebrauchen, höchstens in Wedding und in Friedrichshain. Die Bürgermeister sollen in den Arbeiterbezirken in der Regel Sozialdemokraten sein. In den bürgerlichen Vierteln – Zehlendorf, Wilmersdorf, Charlottenburg usw. – müssen wir an die Spitze einen bürgerlichen Mann stellen, einen, der früher dem Zentrum, der Demokratischen oder Deutschen Volkspartei angehört hat. Am besten, wenn er ein Doktor ist; er muß aber gleichzeitig auch Antifaschist sein und ein Mann, mit dem wir gut zusammenarbeiten können. 2. Für den Stellvertretenden Bürgermeister, für Ernährung, für Wirtschaft und Soziales sowie für Verkehr nehmen wir am besten Sozialdemokraten, die verstehen was von Kommunalpolitik. Für Gesundheitswesen antifaschistisch eingestellte Ärzte, für Post und Verbindungswesen parteilose Spezialisten, die etwas davon verstehen. Jedenfalls müssen zahlenmäßig mindestens die Hälfte aller Funktionen mit Bürgerlichen oder Sozialdemokraten besetzt werden. 3. Der erste Stellvertretende Bürgermeister, der Dezernent für Personalfragen und der Dezernent für Volksbildung – das müssen unsere Leute sein. Dann müßt ihr noch einen ganz zuverlässigen Genossen in jedem Bezirk ausfindig machen, den wir für den Aufbau der Polizei brauchen.“ (Ulbricht zitiert nach Schneider 1989a, S. 467)

Obwohl Ulbricht die sichtbaren Positionen lieber mit Bürgerlichen oder Sozialdemokraten besetzen wollte, stellte die KPD Ende 1945 in den meisten Kommunen die Mehrheit der politischen Funktionsträger. In Mecklenburg waren 57,1 % der (Ober-)Bürgermeister und Landräte Mitglied der KPD, in Brandenburg waren es 55,9 %, in Sachsen 63,3 % und in Sachsen-Anhalt sogar 63,6 % (Meinicke 1983, S. 96), während es in Thüringen gerade einmal 47,1 % waren (Wahl 1976, S. 315). Auf der Mitarbeiterebene zeigt sich in Sachsen, dass von 71.037 Mitarbeitern 16,1 % Mitglieder der KPD, 15,8 % Mitglieder der SPD, 0,9 % Mitglieder der LDPD, 0,7 % Mitglieder der CDU und 66,5 % parteilos waren (Meinicke 1983, S. 96). Nach dem Zusammenschluss der KPD und der SPD zur SED stellte diese somit bereits über 30 % der Verwaltungsmitarbeiter in den sächsischen Kommunalverwaltungen und übte dadurch einen großen Einfluss auf die Verwaltungsführung aus. Die Kommunalwahlen im Herbst 1946, bei denen die SED in vielen ländlichen Gemeinden in die Minderheit geraten war, änderte daran nur wenig. Selbst in Kommunen, in denen die bürgerlichen Parteien eine Mehrheit in der Gemeindeverordnetenversammlung hatten, schaffte es die SED meistens, die Schlüsselpositionen in der Verwaltung mit ihren Mitgliedern zu besetzen (Schneider 1989a, S. 483). Um diese intensive Parteipolitisierung zu verstecken, überließ

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Politik und Verwaltung im SED-Regime

die Partei üblicherweise die Position des Bürgermeisters vorübergehend einem Mitglied der bürgerlichen Parteien (Schneider 1989a, S. 485). Es sollte damit das Bild eines demokratischen Systems gewahrt werden. Ab 1947 wurden die bürgerlichen Bürgermeister aber bereits aus ihren Positionen verdrängt und durch politisch sowie ideologisch geschulte Nachwuchskräfte der SED ersetzt (ebd.). Der SMAD-Befehl Nr. 183 vom 30. November 1948 sorgte auch in den Kommunen, in denen sich das bürgerliche Lager immer noch gehalten hatte, dafür, dass die SED die Macht endgültig übernehmen konnte (ebd.). Der Befehl wies den von der SED dominierten Massenorganisationen Mandate in den Volksvertretungen aller Ebenen zu und sicherte damit auch in den letzten Kommunen die Mehrheit der SED. Um die Kommunalverwaltungen von unerwünschten Mitarbeitern zu säubern, nutzte die SED ab 1948 eine Anordnung der DWK zur Einsparung von 20 % der Gemeindebudgets. Die daraus resultierenden Stellenstreichungen betrafen die Mitglieder der CDU, der LDPD und vor allem Parteilose, welche von der SED als politisch unzuverlässig eingestuft wurden (Schneider 1989a, S. 486). Zusätzlich sorgten die ab 1947 eingerichteten Parteigruppen innerhalb der Kommunalverwaltungen dafür, dass die SED die Kontrolle der Mitarbeiter an sich zog. Die von der SMAD eingerichteten Haus- und Straßenbeauftragten wurden ebenfalls von der SED gestellt. Sie zogen Bürger zu Arbeitseinsätzen heran, verteilten Lebensmittelkarten und Kohlerationen sowie den verfügbaren Wohnraum (ebd.). Außerdem führten diese in den meisten Kommunen die Entnazifizierung durch und hatten dadurch einen großen Einfluss innerhalb der Kommunen und der Kommunalverwaltung. All diese neu eingefügten Zwischenebenen sicherten die Umsetzung der SED-Ziele innerhalb der Verwaltung. Die zunächst bis 1948 stark ausgeprägte kommunale Selbstverwaltung wurde mit Gründung der DWK sehr stark abgeschwächt. Diese zunehmende Abschwächung und letztlich die Abschaffung des Selbstverwaltungsprinzips führten auf der Ebene der Kommunen und ihrer Mitarbeiter bis in die 1950er Jahre hinein zu enormem Frust (Türke 1960, S. 87–90). Da die Kommunalverwaltungen kaum noch Zuständigkeiten hatten, dem Willen der vorgesetzten Organe ausgeliefert waren und ein Erfahrungsaustausch zwischen den Kommunen aus Angst vor einem Aufstand verboten war, fehlte vielen Verwaltungsmitarbeitern und Politikern auf dieser Ebene zunehmend die Motivation, ihre Aufgaben gewissenhaft zu erfüllen (ebd.). Viele Verwaltungsmitarbeiter und Politiker flohen daher aus den Positionen in deutlich lukrativere Tätigkeiten in den Wirtschaftsbetrieben.

5.2 Aufbau des SED-Regimes und Sowjetisierung …

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Noch unbeliebter waren zu dieser Zeit nur noch die hauptamtlichen Parteipositionen. Während die Kader noch verhältnismäßig gern staatliche kommunale Positionen (z. B. die des Vorsitzenden des Rates des Kreises) übernahmen, wollten die wenigsten eine hauptamtliche Parteifunktion auf der Kommunalebene ausüben. Beispiele hierfür finden sich im Landkreis Schleiz (Thüringen). Hier wurde im Jahr 1950 vergeblich ein zweiter Sekretär der SED-Kreisleitung gesucht. Kein Genosse erklärte sich dazu bereit, die Position zu übernehmen. Alle drückten sich mit vorgeschobenen Krankheiten vor der Übernahme der Stelle. Gleichzeitig meldeten sich aber sechs Genossen für die freie Position des Landrats (Mestrup 2003b, S. 214 f.). Diese galt vielen zu diesem Zeitpunkt noch als einflussreicher, obwohl die Vormachtstellung der SED de facto schon überall durchgesetzt war. Wie sich diese Vormachtstellung aber in den verschiedenen Politisierungsformen widerspiegelt, wird zum Abschluss dieser ersten Phase nun betrachtet.

5.2.4

Einordnung der Ergebnisse der ersten Phase des Regimes in die Politisierungsformen

Der Fokus der SED lag nach der Etablierung der SBZ zunächst auf der Besetzung der Schlüsselpositionen und einem Aufbau des Kadersystems. Das vorrangige Ziel nach dem Krieg war die Beseitigung der bürgerlichen Verwaltung zugunsten einer sozialistischen Kaderverwaltung, welche dazu geeignet war, das Land in eine sozialistische Gesellschaft umzubauen. Bei der Besetzung von Verwaltungspositionen war für die Partei das höchste Kriterium daher die politische Zuverlässigkeit des Kaders (Schwarzenbach 1976, S. 82), wobei festgehalten werden muss, dass dies zunächst aufgrund eines Fachkräftemangels nur für Schlüsselpositionen galt. Hier war die Parteipolitisierung die dominante Form der personalpolitischen Maßnahmen. Sämtliche Schlüsselpositionen wurden ziemlich schnell mit loyalen SED-Mitgliedern besetzt. Dabei handelte es sich sowohl um die Leiter der Verwaltungen, aber auch um die Führungskräfte in den Personalabteilungen oder den Sicherheitsorganen, welche als zentrale Stellen der Verwaltung zur Umsetzung des eigenen Ziels identifiziert wurden. Es ging dabei darum, die Agenda der Partei – den Umbau zu einem sozialistischen Staat – in der Verwaltung durchzusetzen. Dazu benötigte die SED nicht nur politisch zuverlässiges, sondern auch ideologisch gefestigtes Personal, welches sich nicht nur gegenüber der Partei als loyal erwies, sondern auch wusste, wie sozialistische Grundsätze im Verwaltungsalltag umzusetzen waren. Es genügte daher für die Einnahme einer Schlüsselposition meist nicht, einfaches

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Politik und Verwaltung im SED-Regime

SED-Mitglied ohne weitere Kompetenzen zu sein. Die Leitungen der Personalabteilungen wurden beispielsweise stets mit einem bestimmten, äußerst loyalen und kompetenten Parteimitglied besetzt. Ein Beispiel hierfür ist Artur Pieck, der die Position zunächst in Berlin und später bei der DWK übernahm. Auch in anderen Bereichen ist dies zu beobachten, machte sich die Partei doch schon im Moskauer Exil genaue Gedanken darüber, welche Kader an welcher Stelle eingesetzt werden sollten. In nachgeordneten Verwaltungspositionen waren Fachkenntnisse eher von nachrangiger Bedeutung. Vor allem nach den Säuberungswellen ab 1948 war bei der Neubesetzung der Positionen formal zunächst relevant, ob ein Kandidat Mitglied der SED und politisch zuverlässig war. Allerdings wurde auch in diesen Positionen erwartet, dass die eingesetzten Kader die Positionen und Ziele der Partei verstanden hatten und diese auch in ihren Organen durchsetzen konnten. Trotz dieser vergleichsweise niedrigen Eintrittskriterien existierten aber nicht genug loyale Kräfte, um in der ersten Phase des Systems eine planmäßige und umfassende Kaderpolitik in allen Bereichen durchzusetzen. Daher war die SED gezwungen, neben der Parteipolitisierung auch die Offene Politisierung zu nutzen. Hier konzentrierte sie sich darauf, Anreize für die bürgerlichen Akademiker und für verwaltungserfahrene Personen zu schaffen, um diese in das System zu integrieren (Schwarzenbach 1976, S. 82). Dabei war es dann auch kein Problem, wenn die zu berufenden Personen keine politische Zuverlässigkeit nachweisen konnten. Es genügte vielmehr eine Zusicherung, dass sich diese Kräfte nicht gegen die Partei wenden würden (ebd.). Besonders erfolgreich war das allerdings nicht, da Positionen in der Wirtschaft aufgrund der besseren Bezahlung deutlich attraktiver waren. Dies war ein Grund, warum gerade in der ersten Phase zahlreiche Positionen auf allen Verwaltungsebenen unbesetzt blieben. Ein anderer war, dass im Laufe der Zeit das Verwaltungssystem immer weiter ausdifferenziert und zahlreiche neue Organe geschaffen wurden, ohne über die dafür benötigten Mitarbeiter zu verfügen. Da nicht einmal über genügend zuverlässiges Personal existierte, um alle freien Positionen zu besetzen, beließ die SED bis zum Einsetzen der Säuberungswellen ab 1948 zunächst auch die bürgerlichen Verwaltungsmitarbeiter aus der NS-Zeit in ihren Positionen. Außerdem setzte die SMAD bis 1947 darauf äußerlich den Schein einer pluralen Demokratie zu wahren (Schmeitzner und Wagner 2003, S. 79). Daher nahm diese nicht nur SED-Mitglieder in die Verwaltung auf, sondern beließ auch Mitglieder der CDU oder LDP und Parteilose in der Verwaltung. Sofern diese nur nominelle Mitglieder gewesen waren, war sogar eine ehemalige NSDAP-Mitgliedschaft kein eigenständiger Entlassungsgrund. Keine Politisierung spielte daher in der gesamten ersten Phase eine entscheidende Rolle.

5.2 Aufbau des SED-Regimes und Sowjetisierung …

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Erst nach und nach begannen SMAD und SED mit der Zuspitzung des Kalten Kriegs und der stärkeren Kontrolle der Gesellschaft die bürgerlichen und parteilosen Verwaltungsmitarbeiter zu entlassen oder zu ersetzen. Gebundene Politisierung, also das Besetzen von Leitungspositionen mit Verwaltungsmitarbeitern aus der zweiten Reihe spielte im Gegensatz zu den drei anderen Varianten keine Rolle. Der Grund hierfür war ebenfalls der ausgeprägte Fachkräftemangel. Wären Leitungspositionen aus der zweiten Reihe heraus besetzt worden, dann wären deren alte Positionen unbesetzt geblieben, da sich hierfür wiederum keine Nachfolger gefunden hätten. Daher wurden häufiger mehrere Abteilungen oder Bereiche einer zuverlässigen Führungskraft unterstellt und die nachgeordneten Mitarbeiter in ihren Positionen belassen (Schneider 1989a). Beispiele für dieses Vorgehen finden sich in erster Linie auf kommunaler Ebene, wo einzelne Dezernenten und Gemeinderäte häufig für mehr als einen Bereich verantwortlich waren. Die Analyse der verhaltensbezogenen Politisierung in der ersten Phase gestaltet sich äußerst schwierig. Der Grund hierfür ist ein Mangel an empirischen Studien zu den Verwaltungen der Sowjetzone und der DDR in dieser Phase. Es kann dennoch davon ausgegangen werden, dass ein gewisses Maß an Funktionaler Politisierung geherrscht haben muss. Insbesondere durch die Zusammenarbeit der Fachabteilungen in den Verwaltungen mit den ZK-Abteilungen bzw. auf den unteren Ebenen den Abteilungen der zuständigen Parteileitungen im Politikformulierungsprozess, brachten sich die Verwaltungsmitarbeiter politisch ein. Vor allem das Fachwissen der staatlichen Organe war hier für die Partei relevant, auch wenn diese letztlich die letzte Entscheidung in allen Bereichen traf. Ein Zügeln der politischen Interessen der SED durch die Verwaltungsmitarbeiter, wie von Aberbach et al. (1981) behauptet ist daher nicht zu beobachten. Deutlicher dominanter war in der ersten Phase die Trennung zwischen Verwaltung und Politik (siehe auch Abbildung 5.2). Politik wurde ausschließlich in der Partei und durch die Partei betrieben. Der Staat und seine Organe dienten der SED hauptsächlich als Transmissionsriemen zur Durchsetzung der Parteiziele. Im Selbstverständnis der SED gingen alle politischen Entscheidungen stets von der Partei aus. Die Verwaltung hatte diese nicht zu hinterfragen und exakt nach der politischen Vorgabe der Partei auszuführen. Die stetige Angst der SED vor der Verwaltung als Veto-Spieler sorgte dafür, dass die SED eine Funktionale Politisierung der Verwaltungsmitarbeiter in eine Richtung, die den eigenen Zielen entgegenlief, gar nicht erst zuließ. Stattdessen setzte sie in den meisten Fällen auf eine klare Trennung der Sphären unter Durchsetzung des Primats der Partei, welche von den Verwaltungsmitarbeitern akzeptiert wurde.

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Personalpolitische Politisierung

Politik und Verwaltung im SED-Regime

Funktionale Politisierung

Strukturelle Politisierung

Keine Politisierung

Trennung

Beibehaltung von Strukturen

Gebundene Politisierung

Zusammenarbeit

Einfügen von Neuen / Zwischenebenen

Offene Politisierung

Konkurrenz

Reorganisation

Parteipolitisierung

Hybrid

Auslagerung von Kompetenzen

Abbildung 5.2 Beobachtete Politisierungsformen in der ersten Phase des SED-Regimes. (Hinweis: Beobachtete Politisierungsformen sind grau dargestellt) (Quelle: eigene Darstellung)

Die beschriebene Parteipolitisierung und der hohe Anteil der Parteimitglieder innerhalb der Verwaltung weisen aber darauf hin, dass Funktionale Politisierung existierte. Das Verhalten der Verwaltungsmitarbeiter innerhalb der Partei lässt sich mangels Quellen aber nur schematisch nachzeichnen. Insbesondere Einblicke in das Innenleben der Partei sind äußerst schwer aus der heutigen Sicht zu beurteilen, da zahlreiche Dokumente entweder vernichtet wurden oder noch nicht in den Archiven zugänglich sind. Trotzdem lassen sich aufgrund der bestehenden Literatur Grundlinien zeigen. Es ist unbestritten, dass das Primat der Partei von allen Genossen eine unbedingte Loyalität gegenüber der SED forderte. Die Loyalität gegenüber dem Staat und anderen Bezugssystemen wie der Familie kam erst danach (Glaeßner 1977, S. 122; Neugebauer 1978, S. 144–147). Daher war es nicht nur gewünscht, sondern auch obligatorisch, dass sich die Mitglieder der SED auch in der Partei engagierten. Sie sollten ehren- und hauptamtliche Positionen in ihren Grundorganisationen, der Parteileitung, in ihrem Organ und in den Massenorganisationen übernehmen. Viele taten dies. Doch es ist nicht klar,

5.2 Aufbau des SED-Regimes und Sowjetisierung …

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ob sie dies lediglich aus Karriereüberlegungen oder aus tatsächlicher ideologischer Überzeugung taten. Allerdings ist davon auszugehen, dass Kader, die sich stark in der Partei engagierten und damit ihre politische Zuverlässigkeit bewiesen, auch schneller in höhere Positionen innerhalb der Verwaltung aufsteigen konnten (Mestrup 2003b, S. 205; Wagner 1998, S. 119). Außerdem konnten sie sich durch ihr Engagement persönliche Vorteile sichern und durch den früheren Zugang zu Konsumwaren ihre ökonomischen Bedürfnisse stillen (ebd.). Strukturelle Politisierung zeigte sich in der ersten Phase vor allem, aber nicht nur durch das Einfügen von Zwischenebenen und die Reorganisation der Verwaltung auf der Mittel- und Kommunalebene. Im Gegensatz zur zentralstaatlichen Ebene existierten hier nach der Machtübernahme noch Strukturen und Mechanismen, die vor Kriegsende etabliert wurden. Zwischenebenen innerhalb der vollziehend-verfügenden Organe wie die Kader- und Kontrollabteilungen wurden stets mit SED-Leuten besetzt. Diese kontrollierten die Arbeit der Verwaltungsmitarbeiter und lenkten deren Tätigkeit, wenn überhaupt notwendig, in die von der SED gewünschten Bahnen. Eine Beibehaltung von Strukturen kam für SED langfristig nicht in Frage. Ihr Ziel war es, den Staat vollständig in eine sozialistische Republik umzuwandeln. Lediglich zu Beginn des Systems zeigt sich, dass Verwaltungselemente der Kommunen, Länder und Provinzen aus der Kriegszeit übernommen wurden. Allerdings wurden auch dort nach nur kurzer Zeit strukturelle Veränderungen vorgenommen. Zahlreiche Kompetenzen wie die Gesetzesformulierung wurden von den staatlichen Organen in die SED-Gremien ausgelagert. Politische Agenden wurden im Parteiapparat formuliert und sollten von der Verwaltung lediglich ausgeführt werden. Der Rat der Verwaltungsmitarbeiter der staatlichen Organe wurde gerade am Anfang meist nicht berücksichtigt. Die SED setzte wie bereits erwähnt eher auf eine Trennung von Politik und Verwaltung. Wichtiger war hingegen die Kontrolle der Durchsetzung von Parteibeschlüssen. Hierzu waren alle Parteimitglieder, die in der Verwaltung tätig waren, angehalten. Sie sollten in ihrem eigenen Bereich sicherstellen, dass Beschlüsse ohne Abweichungen umgesetzt wurden. Es wurde von den Kadern erwartet, nonkonformistisches Verhalten in ihren Organen auf keinen Fall zu dulden. Darin wurden sie durch neue Ebenen innerhalb der Verwaltungen wie die Kontrollkommissionen, Kontrollbeauftragte, Volkskontrollausschüsse, Instrukteursabteilungen und die Parteileitungen unterstützt. Diese Instanzen hatten weitreichende Kompetenzen (z. B. Suspendierung von Verwaltungsmitarbeitern, Kürzen von Gehältern etc.), um die Arbeit der Verwaltungsmitarbeiter zu überprüfen und für eine einheitliche Beschlussdurchführung zu sorgen (Sieveking 1987, S. 1170; Türke 1960, S. 29–39). Wie häufig diese Maßnahmen aber angewandt wurden, ist nicht

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Politik und Verwaltung im SED-Regime

bekannt. Aufgrund der Unterbesetzung sollte man zwar davon ausgehen, dass die SED alles daran setzte, die Mitarbeiter in den Organen zu halten. Allerdings führte die Partei ab 1948 auch regelmäßig Entlassungen von politisch unzuverlässigem Personal zulasten der Effizienz und Effektivität der Verwaltungsorgane durch. Um Entlassungen und einen Exodus aus den Verwaltungsorganen (Wollmann 1991) zu vermeiden, setzte die SED sehr stark auf ideologische und politische Schulungen der Verwaltungsmitarbeiter durch die Partei. Diese sollten neben der Kontrolle dafür sorgen, dass die Verwaltungsmitarbeiter sich dem Willen der SED unterordneten. Dazu entwickelten die Partei und ihre in die Verwaltungen abgeordneten Führungskräfte (z. B. Arthur Pieck) detaillierte Schulungspläne und Seminare, die alle Mitarbeiter auf allen Verwaltungsebenen durchlaufen mussten (Schwarzenbach 1976, S. 79; Wagner 1998, S. 30). Dies sollte nicht nur die ideologische Festigkeit der eigenen Parteimitglieder stärken, sondern insbesondere den bürgerlichen Kräften innerhalb der Verwaltung die Grundlagen und Ziele des Sozialismus näherbringen (Schwarzenbach 1976, S. 79 f.). Die SED erhoffte sich dadurch eine bessere Integration dieser Mitarbeiter in das neue System und wollte damit potenziellen Widerstand schon vor dem Entstehen brechen (Wagner 1998, S. 30). Zusammenfassend lässt sich für die Aufbauphase festhalten, dass die SED auf Personalpolitische und Strukturelle Politisierung setzte, welche sie mit Verwaltungskontrolle und ideologischen Schulungen der Kader unterstützte, um die Verwaltung zu einer sozialistischen Kaderverwaltung umzubauen. Funktionale Politisierung spielte aufgrund der formalen Trennung zwischen Politik und Verwaltung wohl eine untergeordnete Rolle, wobei dieser Befund mangels Quellenzugang als nicht gesichert gekennzeichnet werden muss. Im nächsten Kapitel wird nun gezeigt, wie sich das System in den 1950er Jahren weiterentwickelte.

5.3

Konsolidierung des Systems – die „Innere Staatsgründung“ 1952 – 1962

5.3.1

Allgemeine politische Entwicklungen

5.3.1.1 Nationale Ebene Die zum Ende von Abschnitt 5.2.1 beschriebenen Reformen, vor allem die massiven Steuer- und Preiserhöhungen sowie die Kollektivierung der Landwirtschaft und die Zwangsmaßnahmen gegen Kleinunternehmer, führten ab dem Ende des Jahres 1952 zu großer Unzufriedenheit in der Bevölkerung und letztlich zum

5.3 Konsolidierung des Systems – die „Innere Staatsgründung“ …

193

Volksaufstand vom 17. Juni 1953 (Mitter 1999, S. 125). Darüber hinaus führte ein neuer strikter Kurs der SED gegenüber den Kirchen zu noch mehr Unmut in der Bevölkerung (Staritz 1985, S. 107 f.). Auf den Aufstand waren die Sowjetarmee, die Polizei und die Staatssicherheit nicht vorbereitet. Trotz erster Auseinandersetzungen im Mai 1953 wurde die Lage in den Sicherheitsbehörden und auch der SED massiv unterschätzt (Mitter 1999, S. 126 f.). Ohne das Einschreiten des sowjetischen Militärs hätte die SED-Führung die Lage wohl nicht in den Griff bekommen (Diedrich und Kowalczuk 2005). Die Nachwirkungen des Aufstands waren in allen Bereichen der Partei und der Verwaltung zu spüren. Innerhalb der Partei geriet Walter Ulbricht erheblich unter Druck. Zeitweilig wurde er im Politbüro nur noch von Erich Honecker und Hermann Matern gestützt (Malycha 2005, S. 98). Da sich aber die sowjetische Führung an seine Seite stellte, konnte sich Ulbricht an der Macht halten (ebd.). Ulbricht holte mit seinen Getreuen danach zum Gegenschlag aus und reagierte mit einer erneuten innerparteilichen Säuberungswelle und der endgültigen Ausschaltung des SPD-Flügels in der Partei (Amos 2005, S. 68). Alle leitenden Funktionäre, die sich als „schwankend“, „unzuverlässig“ und „kapitulantenhaft“ erwiesen und für ein Zugehen auf die Demonstranten plädiert hatten, wurden aus dem Amt entfernt. Prominenteste Opfer waren der Justizminister Max Fechner, der Minister für Staatssicherheit Wilhelm Zaisser und der Chefredakteur des Neuen Deutschland Rudolf Herrnstadt. Von 81 Mitgliedern des ZK wurden 29 aussortiert. Außerdem wurden bis 1954 82 % aller Mitglieder der Bezirksleitungen und 53 % der 1. Sekretäre der Kreisleitungen ersetzt. Auf Ebene der GRO traf es 50 % der Funktionäre (Malycha 2005, S. 102). Die Folge des Aufstandes war ein deutlich höherer Grad an Eigenständigkeit für die DDR. Die Sowjetunion befand sich seit dem Tod Stalins am 05. März 1953 in einer Umbruchphase, welche zu Lockerungen bei den Vorgaben für die Satellitenstaaten führte (Mitter 1999, S. 120). Es verbreitete sich innerhalb der KPdSU die Einsicht, dass die Ostblock-Staaten eigenständigere Entscheidungen treffen müssten, um vor dem eigenen Volk als Souverän im eigenen Land zu gelten (ebd.). Die neue Eigenständigkeit nutzte die SED zum Auf- und Umbau des Sicherheitsapparates. Das MfS wurde vorübergehend zu einem Staatssekretariat innerhalb des MdI degradiert und in allen Teilbereichen der Gesellschaft begann man, ein weit gesponnenes Informationsnetzwerk aufzubauen. Es wurden Spitzel engagiert, welche die Bevölkerung ausspionierten und aus allen zugänglichen Quellen Informationen über die Meinungen der Bevölkerung sammelten (Mitter 1999, S. 128). Der einhellige Tenor in der Partei war, dass sich eine Situation wie im Juni 1953 nicht wiederholen dürfe. Als weitere Maßnahme wurde deshalb die Kasernierte Volkspolizei (KVP) gegründet, welche als militarisierter Arm

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Politik und Verwaltung im SED-Regime

der Volkspolizei bei Protesten oder gewalttätigen Auseinandersetzungen schnell eingreifen sollte (Mitter 1999, S. 129). Darüber hinaus wurde die Sowjetische Kontrollkommission aufgelöst und durch einen Sowjetischen Hochkommissar ersetzt, welcher am 25. März 1954 die vollständige Souveränität der DDR öffentlich erklärte. Die Sowjetunion wollte die Regierung der DDR gegenüber ihren Bürgern eigenständiger wirken lassen und setzte daher öffentlich auf eine Distanz zwischen der Führung der Sowjetunion und der DDR (Mitter 1999, S. 130 f.). Dieser Vorgang wird von Historikern als „Innere Staatsgründung“ bezeichnet (Hauschild 1991, S. 54; Mitter 1999, S. 130). Im Zuge der Entstalinisierung wurde in der Partei außerdem eine letzte Säuberungswelle durchgeführt, bei der bis 1961 weitere 183.469 Mitglieder ausgeschlossen wurden (Malycha 2005, S. 103). Dieses Mal traf es aber nicht die ehemaligen SPD-Mitglieder, sondern die stalinistischen Hardliner. Darunter waren Karl Schirdewan, Paul Wandel, Gerhart Ziller, Fred Oelßner und Ernst Wollweber (Amos 2005, S. 69). Margarete Wittkowski und Fritz Selbmann wurden degradiert. Der Vorwurf, der gegenüber dieser einflussreichen Gruppe innerhalb des ZK genutzt wurde, lautete Fraktionsbildung, was in einer kollektivistisch organisierten Partei dem Hochverrat gleichkam (Malycha 2005, S. 107). Mit dem Gesetz über die Vervollkommnung und Vereinfachung des Staatsapparates (GVVS)7 vom 11. Februar 1958 wurde die Struktur der Verwaltung in der DDR grundlegend reformiert. Alles Verwaltungshandeln wurde nun noch stärker als zuvor auf die Planung und Leitung der Volkswirtschaft ausgerichtet (Glaeßner 1977, S. 117). Für alle Verwaltungsorgane der DDR wurde nun auch per Gesetz der demokratische Zentralismus festgelegt (§ 2, Abs. 1 S. 1 GVVS). Entscheidungen der Staatsorgane sollten sich auf Grundsatzfragen konzentrieren und die Durchführung durch die Betriebe kontrollieren (§ 2, Abs. 1 S. 3 GVVS). Dazu wurde die Eigenverantwortung der leitenden Wirtschaftsfunktionäre erhöht (§ 2, Abs. 1 S. 5 GVVS) und die Wissenschaft verpflichtet ihre Forschung ganz auf praktisch nutzbare Ergebnisse für den Aufbau des Sozialismus auszurichten (§ 2, Abs. 1 S. 6 GVVS). Der komplette Staatsapparat sollte durch Einsparung von Finanzmitteln und Personal verschlankt werden, um Bürokratismus zu vermeiden (§ 2, Abs. 2 GVVS). Eine noch stärkere Stellung als zuvor erhielt die SPK. Diese hatte nun das Recht in jeden Bereich der Wirtschaftslenkung proaktiv einzugreifen. Das bedeutete für die SPK umfassende Eingriffsrechte, nicht

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Gesetz über die Vervollkommnung und Vereinfachung des Staatsapparates vom 11. Februar 1958, In der Fassung vom 11. Februar 1958.

5.3 Konsolidierung des Systems – die „Innere Staatsgründung“ …

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nur in die Arbeit der Wirtschaftsbetriebe, sondern auch in alle Verwaltungsorgane auf allen Ebenen (§ 3 GVVS). Dazu wurde die Leitung der SPK formal gestärkt. Von nun an war nicht nur der Leiter der SPK ein Minister, sondern auch der erste Stellvertreter. Das Gesetz erlaubte es sogar Abteilungsleiter der SPK zu Ministern und Mitglieder des Ministerrates ernennen (§ 4 GVVS). Darüber hinaus wurden alle Industrieministerien aufgelöst und bis 1965 als Abteilungen in die SPK bzw. ab 1961 den Volkswirtschaftsrat eingegliedert (§ 7 GVVS). Das Ministerium für Wiederaufbau wurde in ein Bauministerium umstrukturiert, welches im Rahmen des Bauwesens Durchgriffsrechte bis auf die Kommunalebene erhielt (§ 9 GVVS), um dem seit Jahren stockenden Wohnungsbau neuen Schwung zu geben. Analoge Regelungen wurden für das Landwirtschaftsministerium erlassen (§§ 8, 9 GVVS). Als neues Ressort wurde das Komitee für Arbeit und Löhne beim Ministerrat gegründet, welchem „die grundsätzlichen Fragen der Arbeitsproduktivität, der Arbeitskräfte, des Arbeitsschutzes, der Lohnpolitik und des Arbeitsrechts obliegt“ (§ 10, Abs. 1 GVVS). Von Beginn an kontrollierte der Parteiapparat die Arbeit im Staatsapparat. Die Kontrolle erfolgte dabei zum einen durch Parteiorganisationen in den Staatsorganen, aber auch durch die Abteilungen des ZK und den MfS (Neugebauer 1978, S. 147). Ab 1960 wurde diese innerhalb des Ministerrates stärker ausgebaut, da die SED mit der Umsetzung der Parteibeschlüsse durch den Ministerrat unzufrieden war. Willi Stoph wurde als Stellvertretender Vorsitzender des Ministerrates zum „Beauftragten der SED zur Koordinierung der Beschlüsse des ZK innerhalb des Ministerrates“ (Wagner 1998, S. 53). Nach dem Tod des Präsidenten der DDR (Wilhelm Pieck) am 07. September 1960 wurden auf Grundlage des Gesetzes über die Bildung des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik 8 vom 12. September 1960 die Aufgaben des Staatsoberhaupts auf den neugegründeten Staatsrat als Kollektivorgan übertragen. Das Gesetz änderte die Artikel 101 bis 108 der Verfassung der DDR9 . Darin wurde festgelegt, dass der Staatsrat von der Volkskammer für vier Jahre gewählt wurde (Art. 101 VDDR) und aus einem Vorsitzenden, sechs Stellvertretenden Vorsitzenden, 16 Mitgliedern und einem Sekretär bestand (Art. 102 VDDR). Der Staatsrat war der Volkskammer gegenüber rechenschaftspflichtig und hatte folgende Aufgaben:

8

Gesetzes über die Bildung des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik, In der Fassung vom 12. September 1960. 9 Verfassung der DDR, In der Fassung vom 12. September 1960.

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– – – – – – – – – – – –

5

Politik und Verwaltung im SED-Regime

die Verkündung von Gesetzen (Art. 104 VDDR), die Vereidigung der Mitglieder des Ministerrats (Art. 105 VDDR) die Ausschreibung von Wahlen zur Volkskammer (Art. 106 VDDR), die Ratifizierung internationaler Verträge (Art. 106 VDDR), die Ernennung und Abberufung von Botschaftern im Ausland (Art. 106 VDDR), die Akkreditierung von Diplomaten in der DDR (Art. 106 VDDR), die Fassung grundsätzlicher Beschlüsse zu Fragen der Verteidigung und Sicherheit des Landes (Art. 106 VDDR), die Bestätigung der grundsätzlichen Anordnungen des Nationalen Verteidigungsrates (Art. 106 VDDR), die Berufung der Mitglieder des Nationalen Verteidigungsrates (Art. 106 VDDR), die Festlegung der militärischen Dienstgrade, diplomatischen Ränge und anderer Ehrentitel (Art. 106 VDDR), die Verleihung von Orden, hohen Auszeichnungen und Ehrentitel (Art. 106 VDDR), die Ausübung des Begnadigungsrechts (Art. 106 VDDR).

Dominiert wurde das Gremium durch die SED, die stets den Vorsitzenden sowie die Hälfte der Stellvertreter und die Hälfte der Mitglieder stellte (Glaeßner 1989, S. 157). Der Staatsrat konnte seine Kompetenzen nutzen, um selbst aktiv und ohne vorherigen Parteibeschluss, Einfluss auf die Tagespolitik zu nehmen (ebd.). Diese starke Stellung brachte den Staatsrat potenziell in eine Konkurrenzsituation mit dem Politbüro. Aufgrund der Personalunion vieler Mitglieder beider Gremien stellte dies zunächst kein Problem dar (Neugebauer 1978, S. 133) und es war bis zum Sturz Ulbrichts 1971 für die Öffentlichkeit nie zu unterscheiden, ob eine Initiative vom Staatsrat oder vom Politbüro angestoßen wurde. Für den Ministerrat bedeutete die Gründung des Staatsrates allerdings eine spürbare Einschränkung, da in vielen Fragen der Staatsrat noch als zusätzliches Gremium involviert werden musste (Schulze 1991c, S. 53). Wirtschaftspolitisch hinkte die DDR in den 1950er Jahren der Bundesrepublik stark hinterher. Der neue Siebenjahresplan aus dem Jahr 1959 hatte folglich das Ziel, wirtschaftlich endlich zur BRD aufzuschließen und diese beim ProKopf-Verbrauch von Konsumgütern und Lebensmitteln zu überholen (Neugebauer 1978, S. 108). Um dieses Ziel zu erreichen, wurde die Kollektivierung der Landwirtschaft vorangetrieben. Größere landwirtschaftliche Betriebe, die trotz der 1952 begonnenen Reformen noch immer in Privatbesitz waren, wurden nun zwangsweise in LPGs eingliedert, sodass 1962 85,2 % der Ackerfläche von LPGs

5.3 Konsolidierung des Systems – die „Innere Staatsgründung“ …

197

bewirtschaftet wurde (Schulze 1991c, S. 51). Die eigentlich jährlich vorgesehenen Lohnerhöhungen wurden in allen Bereichen ausgesetzt (Neugebauer 1978, S. 110). Beides führte zu einem starken Anstieg des Flüchtlingsstroms in die Bundesrepublik und in der Folge zu einer Rezession in der DDR-Wirtschaft. Dies war neben verteidigungspolitischen Gründen ausschlaggebend für die territoriale Abschottung der DDR und den Bau der Berliner Mauer 1961, welcher das System und die Wirtschaft fortan stabilisierte (ebd.) (siehe auch Abschnitt 5.4)

5.3.1.2 Bezirksebene Auf der Bezirksebene gab es nach der Etablierung der Bezirke 1952 kaum politische Entwicklungen. Einzig das GVVS hatte eine gewisse Auswirkung auf die Bezirke. Hier wurden die Wirtschafts- und Industrieabteilungen der Räte des Bezirks in Wirtschaftsräten zusammengefasst, denen die Verantwortung für die Planung und Kontrolle der Volkswirtschaft in ihrem Bereich übertragen wurde (§ 12, Abs. 1 GVVS) und die der SPK unterstellt waren. Ihre Hauptaufgabe war die „Ausarbeitung der Entwürfe der Perspektivpläne und Jahrespläne zur Entwicklung der Volkswirtschaft […]. Sie haben die disziplinierte Durchführung der Pläne durch alle Wirtschaftsorgane des Bezirkes zu sichern. Sie tragen die Verantwortung für die Leitung der ihnen unterstellten Vereinigungen volkseigener Betriebe, Betriebe und Einrichtungen.“ (§ 12, Abs. 2 GVVS)

Der Vorsitzende des Wirtschaftsrates wurde automatisch zum Stellvertretenden Vorsitzenden des Rates des Bezirks und konnte nur durch die SPK und nicht durch den Bezirkstag abberufen werden (§ 12, Abs. 5 GVVS). Weitere Reformen und Umbildungen fanden in der zweiten Phase nicht statt.

5.3.1.3 Kommunalebene Auf der Kommunalebene standen in der zweiten Phase hingegen einige politische wie strukturelle Reformen an. Im Laufe der 1950er Jahre bemerkte die SED, dass die Neustrukturierung der Mittelebene und Kreise nicht zu den gewünschten wirtschaftspolitischen Ergebnissen geführt hatte. Die Kommunen blieben bei der Planerfüllung immer noch weit hinter den eigenen Ansprüchen zurück (Neugebauer 1978, S. 107). Gerade auf Ebene der Kreise und Kommunen funktionierten die 1952 durchgeführten Maßnahmen aufgrund von Personalmangel und fehlender Motivation der Mitarbeiter kaum (Türke 1960, S. 90). Folglich beschloss die SED auf der dritten Parteikonferenz vom 24. bis 30. März 1956, die nachgeordneten Ebenen nochmals zu reformieren. Otto Grotewohl, der Ministerpräsident der DDR, schlug vor, den Kreisen und Kommunen mehr Verantwortung für das

198

5

Politik und Verwaltung im SED-Regime

Bauwesen, die Volksbildung, die kulturelle Massenarbeit, den Sport, das Gesundheitsweisen und im Wohnungsbau zu übertragen (Türke 1960, S. 91). Zusätzlich stand der Vorschlag im Raum, die Kontrolle der Planerfüllung durch die SPK zu lockern und statt verbindlicher Gewinnerwartungen nur noch Zielvorschläge zu machen. In Zuge dessen sollten die Kommunen auch Kompetenzen für den eigenen Haushalt zurückerhalten und für die Ausgestaltung der Pläne in ihrem Bereich eigenverantwortlich werden (Neugebauer 1978, S. 107). Trotz der einstimmigen Annahme dieser Vorschläge führte die Reform nicht dazu, dass die Kommunen wirklich mehr Eigenständigkeit bekamen. Die zentralistische Grundstruktur blieb erhalten. Dies spiegelte sich auch in den Gesetzesreformen, die in der Folge erlassen wurden: 1. Das Gesetz über die örtlichen Organe der Staatsmacht (GöO)10 vom 17. November 1957 welches die DGO-SBZ und die DKO ablösten und 2. Das Gesetz über die Rechte und Pflichten der Volkskammer gegenüber den örtlichen Volksvertretungen (GRPVk)11 vom 17. November 1957. Das GöO vereinheitlichte die innere Struktur der Kommunen und passte diese an die Struktur der Bezirke und Kreise an, sodass auf allen Ebenen dieselben Fachabteilungen für dieselben Aufgabengebiete zuständig waren (Srocke 1975, S. 46). Die Kommunen verloren mit dem Gesetz auch formal ihre faktisch schon 1948 abgeschaffte Eigenständigkeit und wurden lediglich zu territorialen Verwaltungseinheiten des Staates (König 1991, S. 28). Die letzten (nur noch auf dem Papier) bestehenden Reste der kommunalen Selbstverwaltung waren damit abgeschafft (Schulze 1991c, S. 51), obwohl die Artikel der Verfassung dazu weiterhin gültig waren. Jedoch wurden deren Bestimmungen in diesem Fall weitestgehend ignoriert. Formal oberstes Gremium der Kommunen war wie bei den Kreisen und Bezirken auch die Volksvertretung. Ihre zentrale Aufgabe war die Kontrolle der Umsetzung und Einhaltung von Ministerratsbeschlüssen und Entscheidungen der höheren Volksvertretungen. Allgemeine Vorgaben höherer Ebenen wurden von den Volksvertretungen für den eigenen Zuständigkeitsbereich konkretisiert (§ 6, Abs. 1 GöO). Ein eigenes Initiativrecht hatten die Volksvertretungen nicht, da sie an die Beschlüsse der höheren Ebenen gebunden waren (Türke 1960, S. 105). Die Abgeordneten waren weiterhin ehrenamtlich tätig. Allerdings erhielten sie Privilegien wie das kostenlose Benutzen des öffentlichen Personennahverkehrs oder eine zusätzliche Unfallversicherung (Sieveking 1987, S. 1166 f.). Die Gemeinde10

Gesetz über die örtlichen Organe der Staatsmacht vom 18. Januar 1957, In der Fassung vom 26. Januar 1957. 11 Das Gesetz über die Rechte und Pflichten der Volkskammer gegenüber den örtlichen Volksvertretungen vom 19. Januar 1957, In der Fassung vom 20. September 1961.

5.3 Konsolidierung des Systems – die „Innere Staatsgründung“ …

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und Stadträte als Leitungen der Kommune waren weiterhin vom Vertrauen der jeweiligen Volksvertretung abhängig und konnten jederzeit von dieser abberufen werden (§ 30, Abs. 1 GöO). Formal neu waren die Unterstellung und die Rechenschaftspflicht des Vorsitzenden des Gemeinde- bzw. Stadtrats gegenüber dem Ministerrat und allen anderen höheren Räten (§ 28, Abs. 1 GöO). Dies implementierte auch auf der Kommunalebene die de facto bereits vorher existente doppelte Unterstellung. Kommunale Entscheidungsträger waren nun nicht mehr nur der lokalen Volksvertretung, sondern auch den Weisungen der höheren Räte unterstellt (Neckel 1992, S. 254). Die Aufsichtsrechte des Ministerrats, Bezirksrates oder Kreisrates wurden durch eine vertikale Unterstellung unter die Volksvertretungen und damit unter die lokalen SED-Vertreter abgesichert (Meder 1962, S. 122 f.; Neugebauer 1978, S. 105). Jedes Mitglied des Gemeinde- bzw. Stadtrats war (ähnlich einem Minister) für ein Politikfeld zuständig und gegenüber dem Verwaltungsleiter ihrer jeweiligen Fachabteilung weisungsberechtigt (§ 44, Abs. 1 GöO). Allerdings unterstanden die Fachabteilungen auch zusätzlich noch der Fachabteilung eines höheren Rates (z. B. der entsprechenden Fachabteilung des Bezirksrats) (§ 44, Abs. 2 GöO), was auch für die Verwaltung eine doppelte Unterstellung zur Folge hatte. Die Leiter der Fachabteilungen wurden vom Gemeinde- bzw. Stadtrat unter Zustimmung der Volksvertretung berufen (§ 48, Abs. 2 GöO) (Abbildung 5.3).

Höher gestellte Volksvertretung

Höher gestellter Rat

Leiter höher gestellter

(Volkskammer, Bezirks- oder

(Ministerrat, Bezirksrat oder

Fachabteilungen

Kreistag)

Kreisrat)

Kommunale Volksvertretung

Vorsitzender des Gemeinde- bzw. Stadtrats (Bürgermeister)

Sekretär des Rates

Mitglieder des Gemeinde- bzw.

Leiter der kommunalen

Stadtrats

Fachabteilungen

Leiter nachgeordneter Betriebe und Einrichtungen

Abbildung 5.3 Vereinfachte Darstellung der kommunalen Leitungsstruktur nach GöO. (Quelle: eigene Darstellung)

200

5

Politik und Verwaltung im SED-Regime

Obwohl die Räte formal Kollegialorgane waren, erhielt der Vorsitzenden eine herausgehobene Stellung. Er war gegenüber allen Leitern der Fachabteilungen weisungsbefugt (§ 39, Abs. 3 GöO) und war darüber hinaus für die Kaderpolitik des Rates verantwortlich (§ 39, Abs. 2 GöO). Außerdem hatte er das Recht nachgeordneten Ratsvorsitzenden (z. B. Vorsitzender des Kreisrats gegenüber Vorsitzendem des Gemeinderates) Weisungen zu erteilen (§ 39, Abs. 4 GöO). Die zentrale Figur in den Kreisen und Kommunen wurde der Sekretär des Rates. Dieser koordinierte und kontrollierte die Fachabteilungen, bereitete die Sitzungen der Volksvertretungen vor und sicherte die Einhaltung der SED-Linie innerhalb der Kommunalverwaltung (Türke 1960, S. 110). Die Struktur der Fachabteilungen und Kommissionen der Räte wurde einheitlich per Verordnung vom Ministerrat vorgegeben (§ 34 GöO). Diese wurde vom Staatssekretariat für die örtlichen Organe, welches gegenüber allen Räten weisungsberechtigt war, ausgearbeitet. Innerhalb der Fachabteilungen war der Leiter alleine für die Arbeit seiner Mitarbeiter verantwortlich. Seine Entscheidungen konnten nur vom Sekretär, dem Vorsitzenden des Rates oder dem Leiter der korrespondierenden Fachabteilung auf der höheren Ebene aufgehoben werden. (Türke 1960, S. 114 f.). Das der Abteilung zugeordnete Ratsmitglied hatte diese Kompetenz nicht. Weisungen der übergeordneten Fachorgane hatten allerdings Vorrang vor den Weisungen des Ratsvorsitzenden oder des Sekretärs (ebd.). Mit dem GRPVk sollte die Verbindung zwischen der Volkskammer und den örtlichen Volksvertretungen gestärkt werden. Die Volkskammer bildete dazu den „Ständigen Ausschuss für die örtlichen Volksvertretungen“, welcher die Aufgabe hatte, diese anzuleiten (§ 1, Abs. 1 GRPVk 1957) und die Aufsicht über die Wahlen zu den nachgeordneten Volksvertretungen ausübte (§ 3, Abs. 1 GRPVk 1957). Die Volkskammer hatte das Recht die Beschlüsse nachgeordneter Volksvertretungen aufzuheben, wenn diese gegen geltendes Recht verstießen (§ 3, Abs. 2, 3 GRPVk 1957). Außerdem trat der Ausschuss als Schlichter bei Konflikten zwischen nachgeordneten Volksvertretungen auf (§ 5 GRPVk 1957). Wollte beispielsweise ein Kreistag den Beschluss einer kommunalen Volksvertretung zurücknehmen, konnte diese Beschwerde beim Ständigen Ausschuss der Volkskammer einreichen. Dieser entschied dann den Streitfall (Srocke 1975, S. 46). Der Ausschuss erarbeitete die Geschäftsordnungen der nachgeordneten Volksvertretungen (§ 6 GRPVk 1957) und war auch ohne Zustimmung der gesamten Volkskammer beschlussfähig. Die Volkskammer konnte Beschlüsse nur im Nachhinein wieder aufheben (§ 9 GRPVk 1957). Besonders langlebig war das Gesetz allerdings nicht. Am 20. September 1961 wurden außer § 1 alle weiteren Paragrafen des Gesetzes aufgehoben und alle Aufgaben und Kompetenzen des Ständigen Ausschusses an den Staatsrat übertragen (§ 1 GRPVk 1961).

5.3 Konsolidierung des Systems – die „Innere Staatsgründung“ …

201

Parallel zu diesen Reformen wurde die Parteistruktur auf Kreis- und Ortsebene vereinfacht. Das Ziel war die stärkere Einbindung der „Massen“. Dazu wurden zahlreiche Kommissionen zu Themen wie Frauen, Jugend, Gewerkschaft oder Sport auf den kommunalen Ebenen geschaffen. In diesen sollten sich neben Parteimitgliedern auch einfache Bürger engagieren und dort Initiativen für die jeweiligen Bereiche mit entwickeln (Glaeßner 1977, S. 114 f.). Außerdem versuchte die SED verstärkt Bürger in die Partei aufzunehmen oder zur Übernahme eines ehrenamtlichen Mandats in einer kommunalen Volksvertretung zu überzeugen (Schulze 1991c, S. 46). Die Partei erhoffte sich davon eine stärkere Bindung der Bürger an den Staat und die Partei, was in Teilen auch funktionierte (ebd.).

5.3.2

Veränderung der Verwaltungsgrundsätze und Reformen der Nomenklatur

Nach dem Volksaufstand setzte die SED auch bei den Verwaltungsgrundsätzen auf Veränderungen. Insbesondere die Kontrolle der staatlichen Organe und ihrer Mitarbeiter wurde stark ausgebaut. Formen der Kontrolle waren 1. die Berichterstattung der staatlichen Leiter an die jeweils für das Organ zuständige Parteileitung (ZK, Bezirksleitung, Kreisleitung, Ortsleitung), 2. die Kontrolle der Tätigkeit und Arbeitsergebnisse durch eine übergeordnete, formal nicht zuständige Parteileitung. Ein Beispiel hierfür wäre die Kontrolle von Arbeitsergebnissen einer Fachabteilung einer Kommune durch eine Abteilung des ZK. 3. die Einführung einer stetigen schriftlichen Berichterstattung. Staatliche Funktionäre mussten nun wöchentliche Berichte über ihren Zuständigkeitsbereich verfassen und dem vorgesetzten Organ sowie der jeweils zuständigen Parteileitung zukommen lassen. 4. das Verfassen von speziellen Kontrollberichten zu Einzelthemen auf Verlangen einer Parteileitung (Neugebauer 1978, S. 151). Verletzte ein staatlicher Leiter die Berichtspflicht, führte dies meist zur Degradierung oder zur Entlassung aus der staatlichen Verwaltung (Neugebauer 1978, S. 152). Auch auf das Kadernomenklatursystem hatten der Volksaufstand und daraus folgende Umstrukturierungen einen starken Einfluss. Vor allem die Untätigkeit vieler staatlicher Funktionäre während des Aufstandes ließ das Politbüro erkennen, dass eine vollständig zentralisierte Nomenklatur nur schwer zu kontrollieren und disziplinieren war (Wagner 1998, S. 39). Daher wurden Bezirks-, Kreisund Ortsleitungen stärker einbezogen. Diese entwickelten für ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereich eigene Nomenklaturlisten, in welchen hauptsächlich das

202

5

Politik und Verwaltung im SED-Regime

nachgeordnete Personal der jeweiligen Räte aufgeführt war (ebd.). Die Dezentralisierung führte daher zu einer starken Ausweitung der Nomenklatur und des Parteieinflusses, sodass am 06. September 1955 schon 7.000 Positionen allein in der Nomenklatur des ZK/PB gelistet waren (Wagner 1998, S. 43). Die geplante Ausweitung bis auf die Lokalebene entstand durch die Richtlinien für die Leitung und Lenkung der Arbeit mit den Kadern durch die leitenden Parteiorgane vom 29. Mai 1957 des ZK der SED. Die Kaderakten wurden nun nicht mehr zentral bei der ZK-Abteilung Kader, sondern bei der jeweilig zuständigen Nomenklaturstelle geführt. Tabelle 5.7 zeigt die Nomenklatur nach der Dezentralisierung. Tabelle 5.7 Darstellung der Nomenklatur der SED ab 1957 Besetzung durch:

I Partei

II Staat

PB

ZK-Mitglieder Sekretäre des ZK 1. Sekretär der BL Leiter zentraler Parteiinstitutionen

Präsidium des Ministerrats Vorsitzender der SPK Abgeordnete der Volkskammer

Sekretariat PB

Abteilungsleiter der ZK-Abteilungen Stellv. Abteilungsleiter Leitende MA zentraler Parteiinstitutionen Sekretäre der BL 1. Sekretär der KL Leiter der Bezirksparteischule Parteiorganisatoren in VVB, Kombinaten und Großbetrieben

Minister Stellv. Minister Stellv. Vorsitzender der SPK Leiter und Stellv. zentraler Staatsorgane Botschafter Vorsitzender des Rates des Bezirks 1. Stellv. des Vorsitzenden des Rates des Bezirks Mitglieder des Rates des Bezirks Vorsitzender des Rates des Kreises

III Wirtschaft

Generaldirektoren der VVB Direktoren wichtiger Großbetriebe und Kombinate Leiter von Großbaustellen Vorsitzende der Bezirkswirtschaftsräte

(Fortsetzung)

5.3 Konsolidierung des Systems – die „Innere Staatsgründung“ …

203

Tabelle 5.7 (Fortsetzung) Besetzung durch:

I Partei

II Staat

III Wirtschaft

Kaderabteilung Sekretäre der KL PB Sekretäre von GRO aus wichtigen Bereichen Leiter der Kreis- und Betriebsschulen des Marxismus-Leninismus Hauptamtliche Mitarbeiter der BL

(Haupt-) Abteilungsleiter und Sektorenleiter Ministerien Leiter von Stabsorganen zentraler Staatsorgane Leiter von ökonomisch selbstständigen Einrichtungen (z. B. Banken) Abteilungsleiter der Räte der Bezirke 1. Stellv. des Vorsitzenden des Rates des Kreises

Fachdirektoren und Abteilungsleiter VVB Fachdirektoren wichtiger Großbetriebe und Kombinate Werkdirektoren und Stellv. Direktoren mittelgroßer Betriebe und Kombinate (1.000 – 5.000 Mitarbeiter) Leiter von Zweigbetrieben Hauptbuchhalter

Kaderabteilung Sekretäre der GRO BL Hauptamtliche Mitarbeiter der KL

Mitglieder der Räte des Kreises Kreis-/Stadtbaudirektoren Abteilungsleiter der Räte der Kreise Mitarbeiter des Rates des Bezirks

Werkdirektoren kleinerer Betriebe Fachdirektoren und Abteilungsleiter mittelgroßer Betriebe

Kaderabteilung Sekretäre der OL KL Hauptamtliche Mitarbeiter der GRO

Mitglieder des Fachdirektoren und Gemeinde- bzw. Stadtrats Abteilungsleiter Abteilungsleiter der kleinerer Betriebe Kommunen Mitarbeiter des Rates des Kreises

Kaderabteilung Ehrenamtliche OL Mitarbeiter der GRO

Mitarbeiter der Kommunen

Mitarbeiter kleinerer Betriebe

Quellen: Glaeßner 1977, S. 240, ergänzt durch Wagner 1998, S. 38–40. eigene Darstellung

Bei der staatlichen Nomenklatur fand parallel ebenfalls eine Dezentralisierung statt. Die Leiter der zentralstaatlichen Organe erhielten bei der Besetzung von Positionen eine größere Unabhängigkeit vom Präsidium des Ministerrates. Das Präsidium entschied (nach Vorschlag durch das Sekretariat des PB) nur noch über die Besetzung der Botschafter, der Handelsräte und Konsuln, sowie der Hauptverwaltungs- und Hauptabteilungsleiter, der persönlichen Referenten und der Leiter der Kaderabteilungen. Der Ministerrat entschied über die Besetzung der Staatssekretäre, der Stellvertretenden Minister und der Leiter der nachgeordneten

204

5

Politik und Verwaltung im SED-Regime

Organe (z. B. Vorsitzender des Rates des Bezirks). Der Ressortleiter (Minister, Staatssekretär, Amtsleiter) entschied nun alleine über die Besetzung aller Positionen unterhalb der Abteilungsleiter (Wagner 1998, S. 42 f.). In den Industrieministerien erhielten die Minister ab 1956 zusätzlich die Kompetenz auch die Hauptverwaltungs- und Hauptabteilungsleiter zu besetzen (Wagner 1998, S. 44). 1958 verschob sich durch das Gesetz über den Ministerrat der DDR (GüM)12 vom 08. Dezember 1958 die Zuständigkeit für die Nomenklatur vom MdI zunächst zum Ministerrat und am 18. Februar 1960 zum Präsidium des Ministerrats (§ 3, Abs. 2 Satz d GüM). Das MdI führte die Kaderakten aber trotz dieser formalen Änderungen weiterhin. Der Unterschied war nur, dass es ab 1958 dazu vom Ministerrat beauftragt werden musste (Wagner 1998, S. 51). Ab 1954 existierten für Neueinstellungen in den Ministerien einheitliche Qualifikationsstandards. Diese wurden vom Präsidium des Ministerrates beschlossen und von der Regierungskanzlei ausgearbeitet. Für jede Stelle bis zum Sachbearbeiter existierten nun die Vorgaben, welche Tabelle 5.8 entnommen werden können. Tabelle 5.8 Qualifikationsanforderungen bei Neueinstellungen in den DDR-Ministerien 1954 Position

Notwendige Qualifikation

Hauptabteilungsleiter

Universitäts- oder Hochschulstudium mit höherem akademischen Grad, höchste politische, fachliche und moralische Qualifikation, langjährige praktische Erfahrung in der Staats- und Wirtschaftsverwaltung oder in der politischen Arbeit, Entscheidungsfreude und Entscheidungsfähigkeit, Kenntnisse in der Anleitung von Mitarbeitern, Fachkenntnisse auf dem vorgesehenen Fachgebiet der Hauptabteilung

Abteilungsleiter

Universitäts- oder Hochschulstudium im vorgesehenen Fachgebiet, praktische Erfahrung in der Staats- und Wirtschaftsverwaltung oder in der politischen Arbeit, Entscheidungsfreude und Entscheidungsfähigkeit, Kenntnisse in der Anleitung von Mitarbeitern

Hauptreferent

Universitäts- oder Hochschulstudium im vorgesehenen Fachgebiet, Befähigung zur Anleitung der Mitarbeiter, Berufserfahrung in einem Wirtschaftsbetrieb oder der Verwaltung (Fortsetzung)

12

Gesetz über den Ministerrat der DDR vom 08. Dezember 1958, In der Fassung vom 19. Oktober 1962.

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Tabelle 5.8 (Fortsetzung) Position

Notwendige Qualifikation

Oberreferent

Universitäts- oder Hochschulstudium im vorgesehenen Fachgebiet, Befähigung zur selbständigen Arbeit nach Anleitung, Befähigung zur Ausarbeitung wissenschaftlicher Entwürfe im Fachgebiet, Berufserfahrung in einem Wirtschaftsbetrieb oder der Verwaltung

Referent

Universitäts-, Hochschul- oder Fachschulstudium im vorgesehenen Fachgebiet, Befähigung zur selbständigen Arbeit nach Anleitung, Berufserfahrung in einem Wirtschaftsbetrieb oder der Verwaltung, Kenntnisse der wichtigsten Gesetze und Verordnungen im Fachgebiet

Hauptsachbearbeiter

Fachschulstudium im vorgesehenen Fachgebiet, längerer Schulbesuch einer Verwaltungsschule oder Kurzlehrgang an der Deutschen Akademie für Staats- und Rechtswissenschaften, Praktische Kenntnisse im Arbeitsgebiet, Befähigung zur selbständigen Arbeit nach Anleitung, Kenntnisse der wichtigsten Gesetze und Verordnungen im Fachgebiet

Sachbearbeiter

Erfolgreicher Besuch einer Verwaltungsschule, Kenntnisse im Arbeitsgebiet, Berufserfahrung in einem Wirtschaftsbetrieb oder einer örtlichen Verwaltung, Kenntnisse der wichtigsten Gesetze und Verordnungen im Fachgebiet

Quelle: Bundesarchiv DC 20/342

1955 wurde damit begonnen, die tatsächlichen Verwaltungsmitarbeiter sprachlich von den anderen Angestellten abzugrenzen. Waren bis dahin alle, die ihr Gehalt vom Staat erhalten hatten, als Mitarbeiter des Staatsapparates bezeichnet worden, so wurde für die Mitarbeiter der Verwaltungen der Begriff Staatsfunktionär eingeführt. Dadurch wurden die Verwaltungsmitarbeiter von den weiteren Mitarbeitern wie beispielsweise Hausmeistern, Chauffeuren oder Musikern in staatlichen Orchestern unterschieden (Leissner 1961, S. 380). Gleichzeitig stellte die Disziplinarordnung vom 10. März 1955 (DisO)13 aber die formale Gleichheit aller Funktionäre gegenüber der Bevölkerung fest: „Die Mitarbeiter der staatlichen Verwaltungsorgane besitzen den anderen Werktätigen gegenüber keinerlei Vorrechte und sind jederzeit absetzbar.“ (§ 3, Abs. 2 Satz 3 DisO) Aus der begrifflichen Abgrenzung sollte sich keinesfalls ein besonderer Status der Staatsfunktionäre ableiten (Leissner 1961, S. 382). Allerdings wurde dies auch nicht

13

Disziplinarordnung vom 10. März 1955, In der Fassung vom 10. März 1955.

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befürchtet, wie folgendes Zitat zweier Dozenten der Deutschen Akademie für Verwaltungswissenschaft der DDR aus dem Jahr 1956 verdeutlicht: „Die Gefahr, daß die Schaffung einer besonderen Institution des Staatsdienstes für eine bestimmte Gruppe von Mitarbeitern zu einer Isolierung dieser Gruppe innerhalb der übrigen Mitarbeiter im Staatsapparat und gegenüber den Werktätigen führen könnte, besteht heute nicht mehr. Die Arbeiterklasse und ihre Partei haben im Staatsapparat eindeutig die Führung inne und der Bewußtseinsstand der Mitarbeiter in den staatlichen Organen ist trotz aller noch vorhandenen Mängel weit genug fortgeschritten, um zu verhindern, daß eine Barriere zu den übrigen Werktätigen errichtet wird.“ (Bönninger und Büchner-Uder 1956, S. 1015. Hervorhebungen im Original.)

Um die im Zitat genannten Mängel auszuräumen, erweiterten das GöO von 1957 und die Richtlinie über die Kadernomenklaturen bei den örtlichen Räten vom 01. Februar 1957 die Nomenklatur auch auf die lokale Ebene, um auch dort die Einstellung und Entwicklung ideologisch zuverlässiger Staatsfunktionäre zu sichern (Wagner 1999, S. 51). Parallel zu den höheren Ebenen wurden nun auch auf Bezirks-, Kreis- und Kommunalebenen durch die jeweiligen Räte noch weiterreichende Nomenklaturen erstellt, welche alle Positionen bis zu den Mitarbeitern von kommunalen Betrieben beinhalteten (Wagner 1998, S. 45). Gleichzeitig erkannte die SED aber, dass sie nicht genug Kader hatte, um alle Positionen zu besetzen. Deshalb musste sie bis Mitte der 1950er Jahre weiterhin auf Mitglieder der Blockparteien und Parteilose zurückgreifen (Glaeßner 1977, S. 94). Als Konsequenz entwickelte die SED einen Plan zum Aufbau einer ideologisch zuverlässigen und fachlich fähigen Kaderreserve durch alle Organe und Parteistellen: „Die ‚richtige‘ Auswahl von Mitarbeitern [und Nachwuchskräften] für verantwortliche Stellungen in der Partei, aber auch im Wirtschafts- und Staatsapparat und den Massenorganisationen wurde damit zur Kernfrage der politischen Leitung.“ (Glaeßner 1977, S. 92. Hervorhebungen im Original)

Die Kaderreserve sollte den Nachwuchs sicherstellen. Für jede Position, die in einer Nomenklaturliste (egal ob staatliche, parteiliche oder wirtschaftliche) geführt wurde, sollte die zuständige Nomenklaturstelle eine Person in der Hinterhand haben, welche die Position bei Bedarf sofort übernehmen könnte (Schwarzenbach 1976, S. 52). Die politische Auswahl der Kader wurde ab diesem Zeitpunkt durch „formalisierte Ausbildungswege, die Festlegung bestimmter Qualifikationen […], sowie die Ausdifferenzierung von Methoden der Kaderbedarfsplanung und der Kaderverwaltung“ (Glaeßner 1989, S. 145) standardisiert. Die Bildung der Kaderreserve funktionierte wie ein Trichter (siehe Abbildung 5.4).

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207

Leitungskader der Nomenklatur Einsatz nach Freiwerden einer entsprechenden ja

Funktion nein

Einsatz entsprechend der Kaderreservevereinbarung?

Übernahme einer nachgeordneten Funktion (ursprüngliches Ziel nicht

Kaderreserve

erreicht)

Gezielte Vorbereitung und Ausbildung eines festen Kaderkreises auf die Übernahme einer festgelegten Funktion Unmittelbare Vorbereitung auf die vorgesehene Leitungsfunktion

Bestätigung als Reservekader Vorläufiger Ausschluss aus ja

dem Bewerberkreis nein

als Reservekader geeignet?

Erfüllt noch nicht die Voraussetzungen, weitere

Kadernachwuchs

Vorbereitung nötig

Klar abgegrenzte Auslese der Kader mit abgeschlossener Hoch- und Fachschulbildung oder Qualifizierung mit diesem Ziel Planmäßige Ausbildung und zielgerichtete Erprobung in Bewährungssituationen Bestätigung als Nachwuchskader und individuelle Vereinbarung

ja Vorläufiger Ausschluss aus dem Bewerberkreis

nein

als Nachwuchskader geeignet?*

Kaderreservoir Mitarbeiter gesellschaftlicher und staatlicher Organe, Mitglieder der örtlichen Volksvertretungen, Neuerer, Rationalisatoren, Träger staatlicher Auszeichnungen, alle Hoch- und Fachschulabsolventen

Abbildung 5.4 Auswahl und Vorbereitung für Leitungsfunktionen. (Quelle: Glaeßner 1977, S. 246) (*Die Vorauswahl erfolgte anhand der Personalakte und anderer Informationen)

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Politik und Verwaltung im SED-Regime

Die erste Einstiegsstufe in eine Kaderlaufbahn war die Aufnahme in das Kaderreservoir. Dieses bildeten im Wesentlichen alle Mitarbeiter gesellschaftlicher und staatlicher Organe, die Mitglieder der örtlichen Volksvertretungen, die Neuerer und Rationalisatoren (Erfinder oder Forscher an Hochschulen und in Betrieben, welche Verbesserungsvorschläge für Arbeitsprozesse erarbeiteten), die Träger staatlicher Auszeichnungen und alle Studierenden der Universitäten, Hochschulen und Fachschulen (Glaeßner 1989, S. 148). Anhand der Personalakte wurde durch die jeweils zuständige Parteileitung in den Betrieben und Hochschulen eine Vorauswahl von Kandidaten getroffen, die in den Kadernachwuchs aufgenommen wurden (ebd.). Die Zugangsvoraussetzungen waren ein „demokratisches Staatsbewusstsein“, eine „demokratische Wachsamkeit“, ein einwandfreies moralisches Verhalten im Alltag, Arbeitsdisziplin und Verantwortungsbewusstsein. Fachliche Kenntnisse waren hingegen unbedeutend. Kandidaten mussten sich nur dazu bereit erklären, sich diese anzueignen (Glaeßner 1977, S. 124 f.). Wurde ein Kandidat in den Kadernachwuchs aufgenommen, musste dieser in der Regel der SED beitreten (Ausnahme: War der Kandidat bereits Mitglied einer Blockpartei, dann durfte er in dieser bleiben) und erhielt im Gegenzug zur Bewährung eine niedrige Leitungsposition in der FDJ und eine ideologische Ausbildung an einer der Partei(hoch)schulen (Thieme 2015, S. 158). Außerdem wurde mit jedem Kader eine individuelle Kadervereinbarung getroffen, in der die Ziele der Ausbildung und der künftige Karriereweg festgelegt wurden. Darin festgehalten waren der zukünftige Funktionsbereich (Staat, Wirtschaft, Partei), die geplante Vorbereitungszeit, der Zeitpunkt der Übernahme der geplanten Position und das Weiterbildungsprogramm (Glaeßner 1977, S. 248). Nach Absolvierung der Ausbildung wurde von der zuständigen Nomenklaturstelle die Eignung als Reservekader geprüft (Schwarzenbach 1976, S. 54 f.). Wurde das bejaht, erfolgte innerhalb von zwei bis drei Jahren die Vorbereitung auf die Übernahme der konkreten Nomenklaturposition, die bereits in der Kadervereinbarung festgelegt war (Glaeßner 1977, S. 248). Bewährte der Reservekader sich in dieser Phase, dann wurde er auf der vorgesehenen Position eingesetzt. Hatte dieser Defizite im Vorbereitungsdienst gezeigt, wurde dem Reservekader eine nachrangige Position zugeteilt (Schwarzenbach 1976, S. 54). Zentral für die Entscheidung, ob sich ein Kandidat bewährt hatte, war die Prüfung der politischen Zuverlässigkeit und ideologischen Festigkeit des Kandidaten (ebd.). Um dies zu gewährleisten, wurden die ideologischen Schulungen, welche von den Kaderabteilungen der staatlichen Organe und der SED durchgeführt wurden, sowohl bezüglich der Inhalte als auch der Anzahl der Schulungen sehr stark ausgebaut (Wagner 1998, S. 46 f.). Hinzu kam die Verpflichtung aller staatlichen Funktionäre, egal ob SED-Mitglied oder nicht, das bereits 1950 für SED-Mitglieder

5.3 Konsolidierung des Systems – die „Innere Staatsgründung“ …

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eingeführte „Parteilehrjahr“ zu absolvieren. Dieses sollte in monatlich stattfindenden Seminaren die Grundzüge des Marxismus-Leninismus und der Politik der SED und KPdSU vermitteln (Neugebauer 1978, S. 144 f.). Zusätzlich sollte ein Bewusstsein für die Bedeutung des eigenen Handelns innerhalb der Verwaltung und dessen Folgen für die Umsetzung der Parteibeschlüsse geschaffen werden (ebd.). Durch die Dezentralisierung der Nomenklatur innerhalb der SED stellte sich allerdings nicht der vom ZK und PB erwartete Erfolg ein. Insbesondere der Aufbau der Kaderreserve ging viel zu langsam vonstatten (Wagner 1999, S. 52). Als Folge daraus zentralisierte das ZK die Nomenklatur mit dem Beschluss über die Vorläufigen Richtlinien für die Arbeit mit der Kadernomenklatur des Zentralkomitees der SED 1960 wieder stärker. Alle zentralen Entscheidungen zur Nomenklatur (Positionen, Schulungsinhalte und Nachwuchsgewinnung) wurden nun wieder vom ZK bzw. PB getroffen. Die Nomenklatur wurde dreigeteilt in eine ZK-, Bezirks- und Kreisnomenklatur und für jede Ebene auf sechs Stufen erweitert. Alle Kaderakten aller Ebenen wurden wieder zentral bei der Hauptabteilung Kader des ZK geführt. Zusätzlich wurden aber Kopien der Akte der bei jeweils zuständigen Abteilung der SED auf den verschiedenen Ebenen geführt (Wagner 1998, S. 55). Tabelle 5.9 zeigt die Nomenklatur des ZK mit seinen sechs Stufen nach der Reform. Tabelle 5.9 Vereinfachte Darstellung der ZK-Nomenklatur ab 1960 I Partei Stufe 1: vom Parteitag gewählt

ZK-Mitglieder und Kandidaten Mitglieder der Zentralen Revisionskommission

Stufe 2: vom ZK gewählt

Generalsekretär des ZK PB-Mitglieder und Kandidaten Sekretäre des ZK

Stufe 3: vom ZK berufen

Zentrale Parteikontrollkommission

Stufe 4: durch PBBeschluss besetzt

1. Sekretär der BL Leiter zentraler Parteiinstitutionen

II Staat

III Wirtschaft

Präsidium des Ministerrats Vorsitzender der SPK Abgeordnete der Volkskammer (Fortsetzung)

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Politik und Verwaltung im SED-Regime

Tabelle 5.9 (Fortsetzung) I Partei

II Staat

III Wirtschaft

Stufe 5: durch SekretariatsBeschluss besetzt

Abteilungsleiter der ZK-Abteilungen Stellv. Abteilungsleiter Leitende MA zentraler Parteiinstitutionen Sekretäre der BL 1. Sekretär der KL Leiter der Bezirksparteischule Parteiorganisatoren in VVB, Kombinaten und Großbetrieben

Minister Stellv. Minister Stellv. Vorsitzender der SPK Leiter und Stellv. zentraler Staatsorgane Botschafter (Haupt-) Abteilungsleiter und Sektorenleiter Ministerien Leiter von Stabsorganen zentraler Staatsorgane Leiter von ökonomisch selbstständigen Einrichtungen (z. B. Banken) Vorsitzender des Rates des Bezirks 1. Stellv. des Vorsitzenden des Rates des Bezirks Mitglieder des Rates des Bezirks Abteilungsleiter der Räte der Bezirke Vorsitzender des Rates des Kreises 1. Stellv. des Vorsitzenden des Rates des Kreises

Generaldirektoren der VVB Direktoren wichtiger Großbetriebe und Kombinate Leiter von Großbaustellen Vorsitzende der Bezirkswirtschaftsräte Fachdirektoren und Abteilungsleiter VVB Fachdirektoren wichtiger Großbetriebe und Kombinate Werkdirektoren und Stellv. Direktoren mittelgroßer Betriebe und Kombinate (1.000 – 5.000 Mitarbeiter) Leiter von Zweigbetrieben

Stufe 6: durch Kaderkommission bestätigt

Sekretäre der KL Sekretäre von GRO aus wichtigen Bereichen Leiter der Kreis- und Betriebsschulen des MarxismusLeninismus Hauptamtliche Mitarbeiter der BL

Quelle: Wagner 1998, S. 55. eigene Darstellung

5.3 Konsolidierung des Systems – die „Innere Staatsgründung“ …

211

Insgesamt listete die Nomenklatur des ZK 1960 4.589 Positionen auf, was ca. 2.500 Positionen weniger als 1955 waren. Diese verteilten sich auf die sechs Stufen folgendermaßen: Stufe 1 und 2 180 Positionen, Stufe 3 14 Positionen, Stufe 4 542 Positionen, Stufe 5 2.845 Positionen und Stufe 6 1.008 Positionen (Wagner 1998, S. 56). Auf den Stufen 4 bis 6 bereitete die Hauptabteilung Kader alle Personalentscheidungen vor. 1.228 Positionen befanden sich innerhalb der Staatsverwaltung wobei die Oberbürgermeister der kreisfreien Städte und die Vorsitzenden der Räte der Kreise die niedrigste Position repräsentierten. 1961 wurden die Positionen auf Stufe 4 durch die Mitglieder des Staatsrates erweitert (Wagner 1998, S. 57). Diese Struktur war bis 1989 weitgehend unverändert in Kraft. Diese neue Nomenklatur machte der Ministerrat am 04. Mai 1961 zur Grundlage der eigenen Nomenklaturreform. Die Zuständigkeit ging dafür nun auch real auf das Sekretariat des Ministerrates über. Alle Positionen, die der Ministerrat in der eigenen Hauptnomenklatur aufnahm, existierten auch in der Nomenklatur des ZK, sodass das PB bzw. dessen Sekretariat weiterhin die Kaderentscheidungen traf und der Ministerrat diese nur bestätigte (Wagner 1998, S. 58 f.). Der Ministerrat war fortan für die Kaderarbeit im Staatsapparat und die SED für die gesamte Kaderarbeit im Staat verantwortlich, was die schwache Stellung des Ministerrates verdeutlicht (Wagner 1999, S. 53). Warum existierten dann trotzdem weiter zwei Nomenklaturen parallel? Dafür gab es zwei Gründe. 1. Nicht alle Stellen wurden von der SED direkt besetzt. Der Partei fehlten dafür schlichtweg die Verwaltungskapazitäten (Glaeßner 1989, S. 146). Daher hatte der Ministerrat neben seiner Hauptnomenklatur noch weitere Nomenklaturen für nachgeordnete Organe innerhalb der Ressorts. Da sich diese aus der Hauptnomenklatur ableiteten, war es notwendig, eine eigene Hauptnomenklatur zu erstellen (Wagner 1999, S. 49). 2. Die Personalordnung der Staatsverwaltung legte fest, dass alle Kaderakten/Personalakten bei der jeweils zuständigen Nomenklaturstelle geführt werden mussten. Wollte eine Stelle eigene Personalakten führen, dann musste sie auch eine eigene Nomenklatur implementieren (Wagner 1998, S. 59). Bei einem Stellenwechsel wurde die Kaderakte an die neue Nomenklaturstelle weitergegeben, da sich aus ihr ein sehr detailliertes Bild der betreffenden Person ergab. Inhalt der Akte waren ein „aktueller Teil“ und ein „chronologischer Teil“. Im aktuellen Teil der Kaderakte waren der Personalbogen, ein Lebenslauf, Nachweise über (Weiter-)Bildungsabschlüsse und der aktuelle Arbeitsvertrag enthalten. Der chronologische Teil enthielt in zeitlicher Reihenfolge Beurteilungen, Arbeitszeugnisse, alte Arbeitsverträge, alle Berufungs- und Abberufungsschreiben, alle Qualifizierungsnachweise, alle Anträge und Nachweise über erhaltene Auszeichnungen, eine Publikationsliste wissenschaftlicher Texte, ein polizeiliches

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Führungszeugnis, Unterlagen zur Gesundheit, Unterlage über Disziplinarmaßnahmen und Gerichtsurteile, alle Änderungen des Gehalts und etwaige Prämien und sonstige Dokumente, die nützliche Informationen über den Mitarbeiter enthielten. Hinzu kamen in der Aktenversion des ZK noch Dossiers und charakterliche Beurteilungen sowie Berichte des MfS (Wagner 1998, S. 110). Welche Auswirkungen hatten die Reformen der zweiten Phase auf die Staatsfunktionäre? Im nächsten Abschnitt wird dies näher betrachtet.

5.3.3

Auswirkungen auf das Verwaltungspersonal

5.3.3.1 Nationale Ebene Zentrales Thema der Personalpolitik der zweiten Phase war die Ausweitung der Nomenklatur. Diese führte in den 1950er Jahren stetig zu einer informellen Unterstellung der gesamten staatlichen Verwaltung unter die Funktionäre der SED (Wagner 1999, S. 49). Grundsätzlich hatten die Parteivorgaben immer Vorrang vor staatlichen Anweisungen. War schon in der ersten Phase des Systemaufbaus die Loyalität gegenüber der Partei wichtiger als die Loyalität gegenüber dem Staat, so verstärkte sich dies in der zweiten Phase zu einer tatsächlichen Unterstellung des Staates unter die Partei. Erich Honecker formulierte es nach der Wende in einem Interview folgendermaßen: „Ich übernahm dann die Abteilung Sicherheit im Zentralkomitee […]. Die Arbeit brachte mich in Kontakt mit dem damaligen Minister für nationale Verteidigung Generaloberst Willi Stoph, dem damaligen Minister für Staatssicherheit Erich Mielke, und dem damaligen Innenminister Karl Maron […]. Sie waren mir sozusagen unterstellt, denn das war mein Arbeitsbereich im ZK.“ (Erich Honecker nach Wagner 1998, S. 65)

Ähnliches beschrieb der ehemalige Botschafter der DDR in den USA Horst Grunert 1992: „Aufgrund des Dualismus unseres Systems hatte ja jeder leitende Mitarbeiter im Staatsapparat zwei Vorgesetzte: einen auf staatlicher Ebene und einen im Parteiapparat. Lange Zeit hindurch war ich bestrebt, die sich daraus ergebende Doppelarbeit und die Verschwendung von Zeit und Energie durch klare Absprachen über die Aufgabentrennung zu vermeiden, bis ich endlich merkte, daß dieser Dualismus nicht eine versehentliche Fehlkonstruktion war, […] sondern so gewollt – weil er es der Parteiführung erleichterte, ihre Macht abzusichern. Eine Abgrenzung gab es nur bei der Verteilung von Erfolg und Mißerfolg: Für den Erfolg war stets die Partei zuständig, und die Mißerfolge blieben am Staatsapparat hängen.“ (Grunert im Interview mit Zimmermann und Schütt 1992, S. 71)

5.3 Konsolidierung des Systems – die „Innere Staatsgründung“ …

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Dass die Form der Unterstellung und die Zusammenarbeit zwischen Partei- und Staatsfunktionären nicht nur von dem Unterstellungsverhältnis an sich, sondern auch von den handelnden Personen abhing, schilderte Hans Modrow: „Es gab daher sowohl offene Kommandiererei von leitenden Mitarbeitern des ZKApparates gegenüber Staatlichen und anderen Leitern als auch sehr kollegiale Zusammenarbeit. Im übrigen hatten es die leitenden ZK-Mitarbeiter gar nicht nötig, sich eines Kommandotons zu bedienen. Ihre Stellung sorgte dafür, daß das, was sie kollegial empfahlen, für viele Funktionäre den Charakter einer Anweisung besaß. Da ‚die Partei immer recht hatte‘, war es gewöhnlich so, daß Erfolge auf ihre ‚gute Politik‘ zurückgeführt, während Mißerfolge und Fehler dem Mangel an ‚straffer Leitung‘ durch den Staatsapparat zugeschrieben wurden. Manchmal hatte es den Eindruck, daß es die Hauptfunktion der staatlichen Leitungen war, für das geradezustehen, was schiefging, obwohl sie natürlich nichts anderes getan hatten, als die Weisungen der SED-Führung zu befolgen.“ (Modrow 1994, S. 53 f. Hervorhebungen im Original)

Meist waren das reale Machtgefüge zwischen den ZK-Abteilungen und den Ministerien und damit der Einfluss der Partei auf ein Politikfeld von den dort handelnden Personen abhängig. War ein Minister, Staatssekretär oder Amtsleiter Mitglied des ZK oder des PB dann war das Politikfeld meist dem Zugriff der zuständigen ZK-Abteilung entzogen und das Ressort konnte recht autonom agieren. War der Minister allerdings Mitglied einer Blockpartei oder nur einfaches Mitglied der SED, dann dominierte die ZK-Abteilung das Feld (Schwarzenbach 1976, S. 39). Eine zentrale Rolle spielte in diesen Unterstellungsverhältnissen das Weisungssystem. Jeder Leiter war gegenüber nachgeordneten Leitern weisungsberechtigt und dabei an die Beschlüsse der SED gebunden. Die Weisungen der staatlichen Funktionäre waren rechtlich verbindliche Entscheidungen für diejenigen, welche die Weisung erhalten hatten (Schulze 1991d, S. 139). Die Weisungen der Parteileitungen waren hingegen informell und hatten eigentlich keine Rechtsgültigkeit, wurden jedoch von den Empfängern der Weisung stets so aufgefasst (ebd.). Eine Vorgabe an die Form gab es staatlicherseits nicht. Sowohl mündliche als auch schriftliche Weisungen waren rechtsgültig (ebd.). Es musste lediglich beachtet werden, dass die Weisung an einen oder mehrere konkrete Adressaten gerichtet war, diese den Gesetzen und Verordnungen entsprach (Weisungen, die im Widerspruch zu geltenden Gesetzen und Verordnungen standen, konnten formal nicht erteilt werden) und dass die Weisung von den Adressaten erfüllbar war (Schulze 1991d, S. 140). Der Adressat konnte eine Weisung nur ablehnen wenn diese 1. von einem Nichtberechtigten erteilt wurde, 2. diese zu Straftaten aufforderte oder 3. den Adressaten potenziell in Gefahr bringen konnte (ebd.). In nachfolgender Abbildung 5.5 ist das Weisungssystem vereinfacht dargestellt. Weitere Weisungsbeziehungen (wie beispielsweise zwischen den Kreisleitungen

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5

Politik und Verwaltung im SED-Regime

und den Bürgermeistern) werden aus Gründen der Übersichtlichkeit nicht aufgeführt.

Politbüro, ZK

Abteilungen des ZK

Vorsitzender des Ministerrates

Mitglieder des Ministerrates Leiter anderer zentraler Staatsorgane

Leiter nachgeordneter Organe, Kombinate, Betriebe und Einrichtungen Leiter doppelt unterstellter Fachabteilungen des Rats des Bezirks

Vorsitzende der Räte der Bezirke

Bezirksleitungen

Abteilungen der Bezirksleitung

Mitglieder des Rats des Bezirks Leiter der Fachabteilungen des Bezirks

Leiter nachgeordneter Kombinate, Betriebe und Einrichtungen Leiter doppelt unterstellter Fachabteilungen des Rats des Kreises

Leiter nachgeordneter Organe, Kombinate, Betriebe und Einrichtungen Kreisleitung

Vorsitzende der Räte der Kreise

Mitglieder des Rats des Kreises

Abteilungen der Kreisleitung

Leiter der Fachabteilungen des Kreises

Leiter nachgeordneter Kombinate, Betriebe und Einrichtungen Leiter doppelt unterstellter Fachabteilungen des Gemeinderats

Leiter nachgeordneter Organe, Kombinate, Betriebe und Einrichtungen GRO / Ortsleitungen

Bürgermeister

Mitglieder des Gemeinderats

Legende: informell formell / verbindlich

Leiter der Fachabteilungen des Gemeinderats

Leiter nachgeordneter Betriebe und Einrichtungen

Leiter nachgeordneter Betriebe und Einrichtungen

Abbildung 5.5 Vereinfachte Übersicht der Weisungs- und Kontrollberechtigungen. (Quelle: Schulze 1991d, S. 145. eigene Darstellung)

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Die staatlichen Leiter hatten neben den Weisungen das Recht zur Kontrolle der Adressaten. Jeder staatliche Leiter und jedes Organ hatte in seinem Bereich die Durchführung der Gesetze und Verordnungen zu kontrollieren. Das Ziel war, die Planerfüllung zu optimieren und schnell auf etwaige Probleme reagieren zu können (Schulze 1991d, S. 42 f.). „Obwohl in der staatlichen Verwaltung ausreichende Formen und Methoden der Kontrolle bestanden, wurden ihre Ergebnisse von den übergeordneten Leitungen, vor allem der zentralen Partei- und Staatsführung immer weniger beachtet und zur Grundlage anstehender Veränderungen genommen.“ (Schulze 1991d, S. 144)

Neben den staatlichen Leitern kontrollierten die Parteiorgane stetig das staatliche Handeln. Die mangelnden Erfolge im Aufbau des Sozialismus und der Wirtschaft führte die SED in ihren Kontrollberichten, wie in den Zitaten erwähnt, stets auf die staatlichen Organe zurück. So auch 1955 als sich das ZK auf seiner 24. Tagung am 01. Juni 1955 mit dem Handeln der staatlichen Organe beschäftigte. Wie schon zuvor waren die Mitglieder unzufrieden mit der Arbeit des Staatsapparates und kritisierten, dass die Verwaltung zu langsam, unflexibel und den ihr gestellten Aufgaben nicht gewachsen wäre. Vor allem die ständige Nichtbeachtung von Partei-Weisungen und die Aufblähung der Verwaltung waren zentrale Kritikpunkte (Glaeßner 1977, S. 112). Keine Erwähnung fand die Tatsache, dass die Partei selbst, aufgrund der umfassenden Parteipolitisierung, nämlich der Berufung von Unqualifizierten aber politisch Zuverlässigen, für diese Situation verantwortlich war (ebd.). Als Konsequenz forderten zahlreiche Parteieliten eine stärkere Einbeziehung der Volksvertretungen auf allen Ebenen, den Abbau von Bürokratie, die genaue Festlegung der Aufgaben eines Organs und eine engere Verbindung von Staat, Wirtschaft und Partei (Glaeßner 1977, S. 113). Dazu sollten zukünftig alle Staatsfunktionäre einen Tag im Monat einen Arbeitseinsatz in einem der Betriebe, die ihrem Organ nachgeordnet waren, ableisten, um die Probleme der Betriebe direkt zu erfassen (Glaeßner 1977, S. 127). Konsequent umgesetzt wurden die Maßnahmen allerdings nicht, was Walter Ulbricht auf dem fünften Parteitag der SED 1958 erneut kritisierte: Warum arbeitet „der Stellvertreter des Vorsitzenden der Plankommission, der Abteilungsleiter für Hüttenwesen, nicht ein paar Wochen lang im Edelstahlwerk […], bis die Sache bis zu Ende entschieden ist und der Qualitätsstahl erzeugt wird, den wir brauchen? […] Soll der verantwortliche Genosse hingehen und die Sache selbst mit organisieren, dann wird es schon besser gehen!“ (Ulbricht 1958 zitiert nach Glaeßner 1977, S. 127)

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Politik und Verwaltung im SED-Regime

Letztlich blieb diese Maßnahme erfolglos. Auch der verpflichtende Arbeitseinsatz in der Produktion führte nicht zu einer Effizienzsteigerung in der Wirtschaftslenkung. Zu diesem Ergebnis kam auch eine erneute Evaluation des Politbüros im Jahr 1960: Die Funktionäre des Staatsapparats verfügten über zu wenig Fachkenntnisse, die Reformen der 1950er Jahre wären ungenügend umgesetzt, Entscheidungen im Staatsapparat wären ressortmäßig und unkoordiniert getroffen worden und die Einheit von Beschlussfassung und Beschlussdurchführung hätte nicht funktioniert (Glaeßner 1977, S. 120). Vier zentrale Maßnahmen sollten diese Defizite abstellen: 1. Um die Umsetzung der Parteibeschlüsse zu gewährleisten, sollten fortan nur noch „gemeinsame“ Beschlüsse des PB, des ZK und des Ministerrats getroffen werden. 2. Die Kontrolle der effizienten Umsetzung von Parteibeschlüssen lag von nun an in den Händen eines Stellvertretenden Vorsitzenden des Ministerrats (Willi Stoph). Dieser legte einzelne staatliche Leiter fest, welche gegenüber nachgeordneten Organen weisungsberechtigt waren. 3. Das komplizierte Berichtswesen sollte vereinfacht werden. Statt mit ständigen Berichten sollten sich die Staatsfunktionäre mit ihren eigentlichen Aufgaben beschäftigen. 4. Alle Verwaltungskader mussten monatliche Seminare der SED besuchen. Außerdem sollten monatliche Sitzungen des Ministerrats mit den Vorsitzenden der Bezirksräte stattfinden, um die politischen Entscheidungen direkt zu kommunizieren (Glaeßner 1977, S. 120 f.). Ein zentrales Problem dieser Phase war die hohe Fluktuation der Mitarbeiter. Nicht nur aufgrund der geplanten Rotation, sondern auch aufgrund des schlechten Arbeitsklimas in den staatlichen Organen verloren diese stetig Mitarbeiter an den Wirtschaftssektor. Die verbliebenen Mitarbeiter waren meist mit ihrer Aufgabe überfordert, was die Effizienz und Effektivität der Verwaltungsorgane hemmte (Schwarzenbach 1976, S. 119 f.). Die Organe reagierten darauf mit dem Ausbau fachlicher Weiterbildungen. Allerdings endete dieser Versuch bereits 1958, als wieder verstärkt auf politisch-ideologische Schulungen gesetzt wurde (ebd.). Bei der Besetzung der freien Positionen griff man zunehmend auf die im Aufbau befindliche Kaderreserve zurück. Dies führte dazu, dass jüngere Parteimitglieder schnell Karriere in der Verwaltung machen konnten. In der SPK lag bereits 1955 das Durchschnittsalter der Hauptabteilungsleiter bei 41 und das der Abteilungsleiter bei 38,5 Jahren (Boyer 1999, S. 27). Die jungen Mitarbeiter hatten für die SED den Vorteil, dass sie leichter zu beeinflussen waren als altgediente Staatsfunktionäre, die teilweise schon in der Weimarer Republik oder

5.3 Konsolidierung des Systems – die „Innere Staatsgründung“ …

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dem Nationalsozialismus innerhalb der Verwaltung gearbeitet hatten (Glaeßner 1977, S. 123). Der Nachteil für die jungen Kader war aber, dass sie eine Konkurrenz für die bestehenden Kader darstellten, da sie jünger, besser ausgebildet und ideologisch gefestigter waren (Boyer 1999, S. 27). Dies gefährdete langfristig die eigene Position vieler Staatsfunktionäre, weshalb diese nur selten dazu motiviert waren, die Mitglieder der Kaderreserve vernünftig einzuarbeiten (Glaeßner 1977, S. 131). Langfristig senkte das erneut die Effizienz des Staatsapparats. Trotz der Erkenntnis, das in erster Linie fehlende Fachkenntnisse verantwortlich für die mangelhafte Verwaltungsführung waren, setzte die SED weiterhin auf politische Zuverlässigkeit als wichtigstes Rekrutierungskriterium. Die durch die Nomenklatur zunehmende Parteipolitisierung war für die SED die einzig denkbare Lösung, um die Verwaltungsorgane auf die Durchsetzung des sogenannten Volkswillens zu verpflichten. Die Kaderordnung des Ministeriums für Bauwesen vom 14. Oktober 1961 bezeugt dies. Im Kern der Kaderordnung des Ministeriums stand die sozialistische Erziehung und Aufrechterhaltung der politischen Zuverlässigkeit der Kader. Es sollten Kader eingesetzt werden, „die eng mit der Arbeiterklasse und den Massen verbunden sind, über ein klares sozialistisches Bewußtsein und ein hohes Maß politischer und fachlicher Bildung verfügen“ (Bundesarchiv DH 1/20965). Außerdem sicherte die Kaderordnung des Ministeriums „die führende Rolle der Arbeiterklasse und ihrer Partei im Staats- und Wirtschaftsapparat“ und die „Beseitigung […] solcher Kräfte, bei denen die Gefahr besteht, dass sie […] das Eindringen der bürgerlichen Ideologie begünstigen“ (Bundesarchiv DH 1/20965). Die vollständige Verantwortlichkeit für die Auswahl der Kader im Ministerium und den nachgeordneten Betrieben lag formal beim Minister in Zusammenarbeit mit der zuständigen ZK-Abteilung. Der Minister besetzte die Positionen folglich mit den Personen, die vom ZK vorgeschlagen wurden. Andere Leiter im Ministerium hatten lediglich beratenden Charakter. Eine starke Stellung hatte die Kaderabteilung des Ministeriums. Diese traf für alle Abteilungen und nachgeordneten Betriebe eine Vorauswahl bei zu besetzenden Stellen und war für die ideologische Qualifizierung aller Mitarbeiter zuständig. Hierzu arbeiteten sie sehr eng mit der zuständigen ZK-Abteilung und der Kaderabteilung des ZK zusammen (Bundesarchiv DH 1/20965). Vorgaben des ZK bzw. der ZK-Abteilung für Bauwesen wurden von der Kaderabteilung des Ministeriums und dem Minister direkt und ohne Veränderungen umgesetzt.

5.3.3.2 Bezirksebene Auf der Bezirksebene zeigte sich bei der Auswahl von Mitarbeitern dasselbe Muster wie auf der nationalen Ebene. Politische Zuverlässigkeit war zentral für die Berufung in eine Position. Eine nachgeordnete Rolle spielten Fachkenntnisse. Dies bestätigt ein Bericht der Bezirksleitung Gera aus dem Jahr 1961:

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Politik und Verwaltung im SED-Regime

„Bei der Auswahl von Genossen […] achtet die Bezirksleitung besonders auf die politischen Eigenschaften. Sie wählt Genossen aus, die ein hohes marxistischleninistisches Wissen und Erfahrungen in der praktischen Leitungstätigkeit besitzen. Sie sollen der Partei treu ergeben und einsatzbereit sein sowie die Fähigkeit besitzen, mit den Menschen zu arbeiten und ihr Vertrauen zu gewinnen. Diese Genossen müssen in der Lage sein, die Aufgaben schöpferisch und mit Weitblick zu lösen. Sie sollen über gutes Allgemeinwissen und bestimmte fachliche Kenntnisse verfügen. […] Die Mitarbeiter werden durch bestimmte Fachvorträge weiterqualifiziert.“ (Bericht der Bezirksleitung Gera 1961 zitiert nach Mestrup 2003b, S. 234)

Eine stärkere Rolle nahm in den 1950er Jahren die Anleitung der Bezirksverwaltungen durch die Bezirksleitungen der SED ein. Wirtschaftspolitische Kompetenzen wurden in neue Arbeitsgruppen, geleitet durch einen Sekretär oder Abteilungsleiter der Bezirksleitung, und Arbeitskreise, welche die Entwicklung der Volkswirtschaft für einen speziellen Bereich kontrollierten und in diesen Bereichen den staatlichen Organen explizite Vorgaben machten, verschoben. In Gera existierten beispielsweise die Arbeitskreise „Wissenschaft/Technik“ und „Investitionen“ (Mestrup 2003b, S. 234). Neben diesen Arbeitsgruppen und Arbeitskreisen existierten außerdem neugegründete Parteistäbe, welche die Beschlussdurchführung des Politbüros und des ZKs auf der Bezirksebene kontrollierten (Mestrup 2003b, S. 235). Setzten die Organe des Rates des Bezirkes die Parteibeschlüsse nicht zügig genug um, intervenierte die Bezirksleitung zunächst beim Vorsitzenden des Rates des Bezirkes. Hatte dies keine Wirkung, dann wandte sich die Bezirksleitung an das fachlich vorgesetzte Ministerium und das ZK. Eine weitere Maßnahme zur Steigerung der Effizienz und Sicherung der Beschlussdurchführung war die Entwicklung von sogenannten Leistungsaufträgen. Diese gab die Bezirksleitung der SED an alle ihr unterstehenden Kreisleitungen aus. Sie legte darin die Planziele des Kreises für das Jahr fest. Es wurde erwartet, dass die Kreisleitungen dafür sorgten, dass die Ziele von den staatlichen Organen (Kreise und Kommunen) und Wirtschaftsbetrieben in ihrem Zuständigkeitsbereich überboten wurden (Mestrup 2003b, S. 235). Eine Besonderheit existierte im Bezirk Gera. Dort wurden auf einer Bestenkonferenz am Ende des Jahres die Räte der Kreise und SED-Kreisleitungen geehrt, welche die Zielvorgaben besonders hoch übertroffen hatten (Mestrup 2003b, S. 236). Durch diese öffentlichkeitswirksame Konkurrenz versuchten die Funktionäre der Bezirksleitung Gera die anderen Bezirke zu überholen und sich selbst höhere Aufmerksamkeit der zentralen Parteileitung zu sichern, um die eigenen Karrieren voranzutreiben (ebd.).

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5.3.3.3 Kommunalebene Auf der kommunalen Ebene zeigte das GöO, welches die Kommunen noch abhängiger von der zentralen Ebene gemacht hatte, recht schnell seine Wirkung. Der Spielraum der kommunalen Verwaltungsorgane bei den Kreisen und den Kommunen wurde immer kleiner (Neckel 1992, S. 257). Im Rahmen der zentralistischen Leitung und Planung wurden den örtlichen Organen immer mehr detaillierte Vorgaben gemacht, sodass diese letztlich ihrer Aufgabe, der Anpassung der Pläne an regionale Gegebenheiten, nicht nachkommen konnten (Bartsch 1991, S. 109 f.). Parallel zeigte sich, „daß mittels der doppelten Unterstellung in die Befugnisse nachgeordneter Räte und Fachorgane [immer häufiger] willkürlich und oft entsprechend der subjektiven Auffassung übergeordneter Leiter eingegriffen wurde. […] [Dies] sicherte gleichzeitig den Einfluß der SED auf alle wichtigen Fragen der staatlichen Arbeit und allen Leitungsebenen, da die Vorsitzenden der örtlichen Räte und jeweiligen Plankommission Mitglieder der […] Kreisleitungen und als solche an deren Beschlüsse gebunden waren.“ (Bartsch 1991, S. 111)

Die stärkere Abhängigkeit von den höheren Ebenen und der Partei zeigte sich auch in der Struktur der Fachabteilungen der Räte. Die organisationale Struktur wurde im Regelfall von den Fachministerien in Absprache mit der Hauptabteilung bzw. dem Staatssekretariat für örtliche Organe beim Ministerrat und dem ZK beschlossen. Die jeweils formal für die Organisation zuständigen Räte konnten den Fachabteilungen nur Stellen zuweisen, ihnen aber keine entziehen (Bartsch 1991, S. 122). So kam es vor, dass in manchen Kreisen und Kommunen Fachabteilungen trotz fehlender Aufgaben sehr stark aufgebläht waren und in anderen Fachabteilungen desselben Rates Mitarbeiter fehlten (ebd.). Die zentralistische Steuerung der kommunalen Fachabteilungen hemmte so die Effizienz der örtlichen Organe. In der alltäglichen Arbeit zeigte sich die abnehmende Eigenständigkeit der Staatsfunktionäre auf der kommunalen Ebene ebenfalls. Die Mitglieder der Räte und die Leiter der Fachabteilungen waren verpflichtet für jeden einzelnen Staatsfunktionär Aufgabenpläne zu entwickeln, in denen detaillierte Vorgaben zur Erledigung der alltäglichen Arbeit des Staatsfunktionärs gemacht wurden (Bartsch 1991, S. 128). Der Zeitraum der Aufgabenpläne variierte je nach Aufgabengebiet zwischen zwei Wochen und drei Monaten. In Bereichen, in denen es eher um Kontrolle ging (z. B. Rechnungsprüfung), gab es weiter vorausschauende Pläne. In wirtschaftsleitenden Bereichen gab es kürzere Pläne, um flexibel auf Veränderungen reagieren zu können (ebd.). Die einzelnen Staatsfunktionäre

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Politik und Verwaltung im SED-Regime

waren an diese Vorgaben gebunden und durften ohne Weisung ihrer Vorgesetzten nicht von den Plänen abweichen, auch wenn sich diese als unzweckmäßig herausstellten (ebd.). Die Reform und Ausweitung der Nomenklatur auf die Kommunalebene führte in den Kreisen und Gemeinden zur Bildung einer lokalen Elite, die sehr lange in ihren Positionen blieb. In den Kreisen gehörten zu dieser Elite der Erste Sekretär der Kreisleitung der SED, der Vorsitzende des Rates des Kreises, die Bürgermeister, die Kreisstaatsanwälte, die Leiter der lokalen Betriebe, der Kreisleiter der Volkspolizei, der Kreisleiter des MfS und weitere Mitglieder der Kreis- und Ortsleitungen der SED. Diese trafen alle Kaderentscheidungen der Kreisnomenklatur im kleinen Kreis und stützten sich dadurch gegenseitig (Wagner 1998, S. 60). Für die Staatsfunktionäre war ein guter Draht zu Mitgliedern dieser Elite entscheidend, wenn sie ihre Karriere vorantreiben wollten. Viele engagierten sich daher in den GRO und den Kreisorganen der Massenorganisationen.

5.3.4

Einordnung der Ergebnisse der zweiten Phase des Regimes in die Politisierungsformen

Die zweite Phase war für die SED immer noch vom Aufbau einer loyalen Verwaltung geprägt. Während in der ersten Phase der Fokus der SED vornehmlich auf der Besetzung der Schlüsselpositionen lag, versuchte die SED nun alle Positionen im Staatsapparat mit loyalem Personal, üblicherweise SED-Mitgliedern, zu besetzen. Parteipolitisierung war das vorherrschende personalpolitische Mittel. Dazu wurde die Nomenklatur bis auf die Kommunalebene ausgeweitet und sehr stark ausdifferenziert und das Schulungssystem ausgebaut. Durch den Aufbau der Kaderreserve sollte sich eine neue sozialistische Elite bilden, welche zukünftig die Führungsaufgaben in Partei, Staat und Wirtschaft übernehmen konnte. Allerdings fehlte es in dieser Phase noch an einem genügend großen Kaderreservoir, um eine ausreichende Anzahl an Kadern zu generieren (Schwarzenbach 1976, S. 119). Die politische Zuverlässigkeit war weiterhin das zentrale Kriterium bei der Besetzung von Positionen. Die ideologische Festigkeit und das Bewähren in Parteistrukturen entschieden, ob ein Kader für eine Position in Frage kam. Dort angekommen war es seine Aufgabe, die Parteilinie konsequent durchzusetzen und dafür zu sorgen, dass Parteibeschlüsse eins zu eins in ihren Organen umgesetzt wurden. Ein Kader musste in der Lage sein, seine sozialistischen Kenntnisse zu nutzen. Eine Besetzung ausschließlich zur ökonomischen Absicherung von Parteimitgliedern kam daher nicht in Frage.

5.3 Konsolidierung des Systems – die „Innere Staatsgründung“ …

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Während in der ersten Phase noch Bereiche der Verwaltung existierten, die aufgrund des Mangels an politisch Zuverlässigen personalpolitisch nicht politisiert waren, sorgte die Ausweitung des Kadersystems und der Nomenklatur im Verlauf der zweiten Phase dafür, dass die Parteipolitisierung die einzig verbliebene Ausprägung der Personalpolitischen Politisierung war (siehe auch Abbildung 5.6). Keine Politisierung spielte zwar am Anfang der Phase noch eine kleine Rolle, verlor aber bis Anfang der 1960er Jahre zunehmend an Bedeutung. Dasselbe galt für die Offene Politisierung. War diese im Aufbau des Systems noch ein Baustein gewesen, um die Funktionsfähigkeit der Verwaltung zu sichern, konzentrierte sich die SED in der zweiten Phase vollständig auf die Entwicklung von eigenem Personal. Gebundene Politisierung spielte wie schon in der ersten Phase auch in der zweiten keine Rolle. Statt nach einer Säuberungswelle Staatsfunktionäre aus der zweiten Reihe zu befördern, wurde weiterhin lieber auf Umverteilung von Aufgaben unter den verbliebenen Funktionären zurückgegriffen. Dies hatte den vorteilhaften Nebeneffekt, dass die Partei nur verhältnismäßig wenige eigene Kader benötigte, um die obersten Verwaltungspositionen zu besetzen, was die Kontrolle dieser Kader und ihrer Arbeit vereinfachte. Im Verlauf der 1950er Jahre erledigte sich das Problem des Fachkräftemangels bei den Staatsfunktionären allerdings nach und nach. Grund hierfür war das ausgeklügelte Ausbildungsprogramm der Reservekader. Für jeden Kader wurde ein Karriereplan mit festen Positionen ausgearbeitet, welche ihn auf die Übernahme einer bestimmten Nomenklaturfunktion vorbereiten sollte. Dem Zufall sollte bei der Personalauswahl nichts mehr überlassen werden. Die SED erkannte, dass spezielle Positionen auch eine darauf ausgerichtete Vorbereitung benötigten. Langfristig sollte dies dazu führen, dass die Verwaltung effizienter und effektiver arbeitete. Bei der Funktionalen Politisierung setzte die Partei weiterhin vorrangig auf eine Trennung von Politik und Verwaltung, welche von den Staatsfunktionären meist ohne Widerspruch akzeptiert wurde. Im Parteiapparat wurde entschieden, im Staatsapparat wurde die Entscheidung umgesetzt. Dennoch zeigen Maßnahmen, welche auf den Politbüro-Bericht von 1960 folgten, dass die Zusammenarbeit – zumindest formal – ausgebaut wurde. Die „gemeinsamen“ Beschlüsse des PB, des ZK und des Ministerrats sollten dafür sorgen, dass der Staatsapparat zur Umsetzung der Partei-Beschlüsse motiviert wurde. Die staatlichen Fachabteilungen wurden daher in die Beschlussfindung eingebunden. Dennoch entschied letztlich immer die Partei über eine konkrete Maßnahme, eine Verordnung oder einen Gesetzentwurf (Glaeßner 1977, S. 120 f.). Die Zusammenarbeit war daher immer noch von der SED dominiert und eine wirkliche Entscheidungskompetenz erhielt der Staatsapparat trotz dieser formalen Erweiterung nicht. Eine Funktionale Politisierung der Staatsfunktionäre im Arbeitsalltag war daher nur in einem sehr begrenzten Rahmen möglich.

222

5

Personalpolitische Politisierung

Politik und Verwaltung im SED-Regime

Funktionale Politisierung

Strukturelle Politisierung

Keine Politisierung

Trennung

Beibehaltung von Strukturen

Gebundene Politisierung

Zusammenarbeit

Einfügen von Neuen / Zwischenebenen

Offene Politisierung

Konkurrenz

Reorganisation

Parteipolitisierung

Hybrid

Auslagerung von Kompetenzen

Abbildung 5.6 Beobachtete Politisierungsformen in der zweiten Phase des SED-Regimes. (Hinweis: Beobachtete Politisierungsformen sind grau dargestellt) (Quelle: eigene Darstellung)

Stattdessen engagierten sich die Staatsfunktionäre stärker in der SED. Wie schon in der ersten Phase lässt sich das Verhalten der Staatsfunktionäre innerhalb der Partei mangels Quellen allerdings nicht im Detail analysieren. Es ist in weiten Teilen unklar, in welchem Maß sich Staatsfunktionäre in dieser Phase in der Partei engagiert haben. Allerdings ist davon auszugehen, dass die meisten Staatsfunktionäre, welche SED-Mitglieder waren, auch in irgendeiner Form in der Partei aktiv waren. Sonst wären sie in einer der Entlassungswellen der 1950er Jahre aus ihren Positionen entfernt worden oder mit Ausbau der Nomenklatur erst gar nicht in ihre Position im Staatsapparat gelangt. Außerdem bestanden mit dem weiteren Ausbau der Nomenklatur auch stärkere Anreize, sich innerhalb der Partei zu engagieren und Netzwerke zu bilden. Auch wenn dies formal verboten war (Balla 1973, S. 123 f.), da die Parteiführung Angst vor einer Fraktionsbildung hatte, lässt sich belegen, dass Positionen häufig auch aufgrund von Seilschaften und persönlichen Kontakten besetzt wurden (König 1991, S. 39).

5.3 Konsolidierung des Systems – die „Innere Staatsgründung“ …

223

Die Strukturelle Politisierung zeigt sich in der zweiten Phase in allen drei von Lewis identifizierten Strategien. Eine Beibehaltung von Strukturen kam für SED nach den Umbrüchen der frühen 1950er Jahre (Aufstand vom 17. Juni 1953. Tod Stalins etc.) und dem mangelnden wirtschaftlichen Erfolg der DDR kaum in Frage. Stattdessen setzte sie stetig auf strukturelle Reformen: Zwischenebenen mit Kontrollaufgaben wurden stetig in allen Verwaltungsorganen eingeführt. Beispiele sind die Sekretäre der Räte auf der Bezirks- und Kommunalebene, aber auch die Kaderabteilungen, welche über umfassende Eingriffsrechte im jeweiligen Organ verfügten. Die Positionen wurden dabei meist in Personalunion von führenden Parteifunktionären besetzt. Ein Beispiel ist Willi Stoph, welcher als Stellvertretender Vorsitzender des Ministerrats und Verteidigungsminister auch Beauftragter für die „Kontrolle der effizienten Umsetzung von Parteibeschlüssen“ im Ministerrat und Mitglied des Politbüros war. Diese neuen Ebenen sollten die Verwaltungskontrolle verstärken, um die Staatsfunktionäre zum Umsetzen der Parteibeschlüsse zu motivieren. In den staatlichen Organen erzeugte dies allerdings eine hohe Unsicherheit und ein schlechter werdendes Arbeitsklima (Schwarzenbach 1976, S. 120 f.). Kombiniert mit den ausufernden Berichten mündete dies letztlich in einer niedrigeren Effizienz zahlreicher Mitarbeiter (ebd.). Dies wiederum veranlasste die Parteileitungen in den Organen und die Leitungskader der SED dazu, weitere Kontrollebenen einzuführen. Reorganisation von staatlichen Organen war auf der Tagesordnung der DDR. Auf allen Ebenen reagierte die SED auf das Verfehlen wirtschaftspolitischer Ziele zunächst mit der Umstrukturierung des Staatsapparates. Die Parteiführung erhoffte sich dadurch eine effizientere Wirtschaftspolitik und eine straffer geführte Wirtschafts- und Industrieverwaltung durch die Staatsfunktionäre. Beispiele hierfür sind die Umstrukturierung der Kommunalverwaltungen im Zuge des GöO 1957 oder die ständige Umorganisation der Industrie- und Wirtschaftsministerien. Wurden diese in den 1950er Jahren durch zahlreiche Neugründungen zunächst ausdifferenziert, löste die Partei 1958 alle Industrieministerien wieder auf und integrierte sie in die SPK. 1961 gründete die SED dann den Volkswirtschaftsrat und transferierte die Kompetenzen für Industrie- und Wirtschaftspolitik vollständig in diesen. Zusätzlich wurden zahlreiche Kompetenzen aus den staatlichen Organen in neue Strukturen ausgelagert. Beispiele hierfür sind die Arbeitskommissionen auf regionaler und lokaler Ebene, in welchen Staatsfunktionäre zwar vertreten waren, die SED aber die Führung innehatte. Außerdem wurde die Aus- und Weiterbildung der Staatsfunktionäre in der zweiten Phase vollständig der Partei übertragen. Insbesondere das verpflichtende Parteilehrjahr für alle Staatsfunktionäre, aber auch die Einführung immer weiter ausdifferenzierter Fortbildungslehrgänge an den Partei(hoch)schulen führte zu einer immer stärkeren

224

5

Politik und Verwaltung im SED-Regime

Ausweitung des Schulungsprogramms (Wagner 1998, S. 46 f.). Fachliche Aspekte wurden in diesen Programmen stets hinten angestellt oder in einer sozialistischen Färbung vermittelt, sodass sich die SED sicher sein konnte, dass die Staatsfunktionäre in einer ideologisch korrekten Form indoktriniert wurden. Ziel des ganzen war es, bei den Staatsfunktionären ein Bewusstsein für die Bedeutung des eigenen Handelns und dessen Folgen für die Umsetzung der Parteibeschlüsse zu schaffen und so für deren unbedingte Loyalität zu sorgen (Neugebauer 1978, S. 144 f.). Drei Tendenzen zeigten sich in der zweiten Phase: 1. Die Rekrutierung junger SED-Mitglieder und der Aufbau der Kaderreserve sollte die Zusammensetzung der Verwaltung endgültig zugunsten der SED verändern. 2. Die Ausweitung der ideologischen Erziehung und der Verwaltungskontrolle sollte zu einer Effizienzsteigerung innerhalb der Verwaltungsorgane führen, wobei unter Effizienz ein strengeres Befolgen der Parteibeschlüsse gemeint war. 3. Staatliche Organe wurden stetig umstrukturiert, um die Einheit von Beschlussfassung und –durchführung zu gewährleisten (Glaeßner 1977, S. 127 f.) und den sozialistischen Fortschritt voranzutreiben. Zum gewünschten Erfolg (dem nachhaltigen wirtschaftlichen Aufschwung und dem Stopp der Abwanderungen aus der DDR) führte keiner dieser Maßnahmen, weshalb in der folgenden Phase ab 1962 ein vollständiger Kursschwenk eingeleitet wurde, welcher im nachfolgenden Abschnitt behandelt wird.

5.4

Lockerungen und Bildungsexpansion – die „Sozialistische Revolution“ 1962 – 1971

5.4.1

Allgemeine politische Entwicklungen

5.4.1.1 Nationale Ebene Die 1960er Jahre standen politisch unter dem Zeichen der Lockerungen und der Modernisierung der Gesellschaft. So wurden die Jugend- und Kulturpolitik liberalisiert und mehr Freiräume für Künstler geschaffen. Außerdem griff die SED nicht mehr so stark in Wissenschaftsdiskurse ein und erlaubte mehr Bürgern den Besuch von Hochschulen (Malycha 2005, S. 111). Des Weiteren wurde das Strafrecht abgemildert und Tatbestände wie Verleumdung, Kuppelei, Homosexualität unter Erwachsenen und Ehebruch gestrichen. Der Schließung der Außengrenze folgte somit eine Öffnung des Landes im Innern. Den Bürgern sollten die Vorzüge des Lebens in der DDR vermittelt werden, um ein Nationalbewusstsein als DDR-Bürger zu entwickeln (Neugebauer 1978, S. 108). Dass die SED ihrer Bevölkerung allerdings weiterhin misstraute, bezeugt die Tatsache, dass gleichzeitig die Überwachung der Bürger durch die Staatssicherheit intensiv ausgebaut

5.4 Lockerungen und Bildungsexpansion …

225

wurde. Führende SED-Funktionäre befürchteten nach dem Bau der Mauer ständig eine Wiederholung des Aufstandes von 1953 (Malycha 2005, S. 109). Verbunden mit den gesellschaftlichen Lockerungen war die Einführung des Neuen Ökonomischen Systems (NÖS), welches vom Vorsitzenden der SPK Erich Apel und dem ZK-Sekretär für Wirtschaftsfragen Günter Mittag entwickelt wurde. Dieses sollte die Wirtschaftsleitung und -produktion mit wissenschaftlichen Konzepten in Einklang bringen (Malycha 2005, S. 110; Neugebauer 1978, S. 112). Das Zusammenspiel von Wirtschaft und Wissenschaft wurde der Kern der neuen Wirtschaftspolitik. In der Folge wurde in allen Bereichen der Gesellschaft erstmals das Leistungsprinzip etabliert und parallel die berufliche Qualifizierung aller Gesellschaftsschichten ausgebaut (ebd.). Dazu schuf die politische Führung zahlreiche neue Schulen, Weiterbildungseinrichtungen, Akademien und Hochschulen. Im Rahmen eines neu geschaffenen Evaluationssystems kam die SED 1965 zu dem Ergebnis, dass die Abschaffung der Industrieministerien im Februar 1958 nicht zu der erhofften Effizienzsteigerung innerhalb der Volkswirtschaft geführt hatte. Stattdessen stagnierte die Wirtschaft, weshalb im Rahmen der Grundlinie des Ministerrats zur Durchführung der 2. Etappe des NÖS am 22. Dezember 1965 die Industrieministerien wiedergegründet und der zwischenzeitlich existierende Volkswirtschaftsrat aufgelöst wurde (Bundesarchiv DY 3023/427). Reorganisation stellte somit auch in der dritten Phase immer noch ein entscheidendes Mittel der Verwaltungssteuerung dar. Die Einführung des NÖS hatte aber nicht nur Auswirkungen auf Verwaltung und Wirtschaft, sondern wirkte sich auch auf den Parteiapparat aus. PB und ZK beschlossen, dass von 1963 an im PB, dem ZK, den Bezirks- und Kreisleitungen nur noch politische Grundsatzentscheidungen getroffen werden sollten. Die Detailausgestaltung dieser Grundsätze wurde an Fachorgane wie die Ministerien, die ZK-Abteilungen, die Massenorganisationen und die Wissenschaft delegiert. Sachkompetenz erhielt in vielen Bereichen den Vorzug vor ideologischer Festigkeit (Malycha 2005, S. 111 f.). Bei der Aufnahme neuer Funktionäre in die Führungsgremien der SED wurde folglich auch verstärkt auf Fachkompetenz statt auf ideologische Kriterien geachtet. Außerdem wurden die Führungsgremien quantitativ weiter ausgebaut. 1963 hatte das ZK 181 und das PB 23 Mitglieder. Es existierten 7 Sekretäre, 25 Abteilungen und 700 Mitarbeiter in diesen Abteilungen (Amos 2005, S. 65) Ein wichtiger Baustein der Reformen war die Weiterentwicklung der Verfassung. Wie schon in Abschnitt 5.2.1.1 erwähnt, spielte die Verfassung der DDR keine Rolle für den Alltag des Staates. Trotzdem störte es die SED, dass sie von Kritikern regelmäßig mit dem Vorwurf des Verfassungsbruchs konfrontiert

226

5

Politik und Verwaltung im SED-Regime

wurde (König 1991, S. 12). Folglich wurde 1968 in einer großen Inszenierung die neue Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik 14 entwickelt. In über 700.000 Veranstaltungen wurden die Neuerungen der Verfassung den Bürgern der DDR erklärt und mit ihnen „erörtert“, was lediglich bedeutete, dass vorher ausgewählte Bürger im Publikum ihre Zustimmung kundtun konnten. Inhaltlich war vor allem die Erweiterung des Grundrechtskatalogs bedeutsam. Nicht für den Alltag der DDR – die Bürger konnten sich auf diese Artikel nicht berufen (König 1991, S. 12) – aber als Signal nach außen spielte dieser Teil eine entscheidende Rolle. Außerdem wurde nun in Artikel 1 Abs. 1 die führende Rolle der Partei festgeschrieben, welche faktisch bereits seit 1947 existierte (Schwarzenbach 1976, S. 30). Die neue Verfassung sollte den politischen Alltag besser abbilden und statt der Einheit Deutschlands, welche in der ersten Verfassung noch betont wurde, stand nun das sozialistische Staatssystem im Zentrum der Verfassung (ebd.). Letztlich stimmten trotz der zahlreichen Aufklärungsveranstaltungen nur 94,5 % der Bürger der neuen Verfassung zu. Für die SED war dies ein Misserfolg, war sie von den Volkskammerwahlen doch Zustimmungsraten von 99 % gewohnt (Schroeder 1998, S. 187 f.). An der politischen Praxis, die Verfassung dauerhaft zu verletzen, änderte auch die neue Verfassung nichts. Im Text festgeschriebene Artikel, wie die zu den Wahlgrundsätzen (Artikel 54 DDR-Verfassung 1968), wurden sogar offen von führenden SED-Funktionären abgelehnt (Schroeder 1998, S. 189). Innerparteilich tat sich im Verlauf der 1960er Jahre ein Riss in der Parteiführung auf. Während Walter Ulbricht auf Reformen setzte, entwickelte sich Erich Honecker zur Führungsfigur der konservativen Reformgegner und zum Gegenspieler Ulbrichts im Politbüro (Malycha 2005, S. 113). Im Laufe der Zeit konnte Honecker die Mehrheit der einflussreichen Funktionäre von seinem Kurs überzeugen und zwang Ende der 1960er Jahre Ulbricht dazu, den Reformkurs zu beenden. Unterstützung bekam Honecker dafür von Leonid Breschnew, der in der Sowjetunion als Generalsekretär seit 1964 die Entstalinisierung und die Reformen Chruschtschows rückgängig machte (Malycha 2005, S. 114). Letztlich führte dies, auch in Zusammenhang mit den nicht funktionierenden Reformen – das NÖS und die Bildungsexpansion leiteten nicht das erhoffte Wirtschaftswachstum ein – zum Sturz Walter Ulbrichts im Politbüro am 03. Mai 1971. Es zeigte sich, dass das sozialistische Plansystem zu unflexibel für die Reformen und Modernisierungsansätze war, da viele Teile der SED nicht bereit dazu waren, den eigenen umfassenden Führungs- und Kontrollanspruch zurückzufahren. 14

Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 06. April 1968, In der Fassung vom 06. April 1968.

5.4 Lockerungen und Bildungsexpansion …

227

5.4.1.2 Bezirks- und Kommunalebene Auf der Bezirks- und Kommunalebene fand das NÖS ebenfalls Anwendung. Allerdings nicht in dem Maße wie es auf nationaler Ebene genutzt wurde. Nach den umfassenden Reformen der örtlichen Organe 1957 implementierte die SED in den 1960er Jahren nur eine zentrale Maßnahme auf den nachgeordneten Ebenen. Sie erkannte, dass es nicht zweckmäßig war, den Bezirken, Kreisen, Gemeinden und Städten den Austausch und die Zusammenarbeit zu verbieten. Bereits 1955 hatte die SED den Deutschen Städte- und Gemeindetag der DDR gegründet (Schneider 1989a, S. 493). Dort konnten sich die Vertreter der Kommunen über Maßnahmen zur Planerfüllung austauschen und unter der Anleitung der SED gemeinsam Strategien entwickeln, um die wirtschaftlichen Ziele des Volkswirtschaftsplans zu erreichen. Diese Zusammenarbeit wurde in den 1960er Jahren durch die Schaffung der Gemeindeverbände sehr stark erweitert. In den Gemeindeverbänden der DDR schlossen sich vor allem kleinere Kommunen zusammen, um gemeinsam Aufgaben zu erfüllen, denen sie alleine nicht gewachsen waren (Sieveking 1987, S. 1173). Unter Anleitung wissenschaftlicher Beiräte entwickelten diese Verbände gemeinsame Programme im Straßenbau und -erhalt sowie beim Aufbau der Wasser- und Abwassersysteme (ebd.). Um einen Gemeindeverband gründen zu können, brauchten die Gemeinden die Zustimmung des Rats des Bezirkes und eine Bestätigung des Kreistages (Bartsch 1991, S. 121). Eine Zustimmung der SED war hingegen nicht ausdrücklich vonnöten, sodass die nachgeordneten Organe zumindest teilweise freier vom Einfluss der Partei waren als zuvor.

5.4.2

Veränderung der Verwaltungs- und Besetzungsgrundlagen

Die gesellschaftlichen Reformen sorgten auch bei der Arbeit der Verwaltungen für Veränderungen. Setzte die SED in den 1950er Jahren noch auf strikte und starre Vorgaben, gab sie nun den Staatsorganen mehr Freiheiten bei der Umsetzung von Parteibeschlüssen. Der Grund hierfür war, dass die Überzentralisierung der 1950er Jahre nicht zu den erhofften Ergebnissen und zur Erfüllung der wirtschaftlichen Zielvorgaben geführt hatte (Neugebauer 1978, S. 109). Die Leitung der Volkswirtschaft durch die staatlichen Organe lief eher schleppend, weshalb eine grundlegende Reform durchgeführt wurde. Die Partei sollte nach dem Willen Ulbrichts nur noch Grundlagenbeschlüsse fassen und die Detailausgestaltung den zuständigen Staatsorganen überlassen (Neugebauer 1978, S. 117; Schwarzenbach 1976, S. 31). Die Rolle der Partei verschob sich dadurch stärker auf die Kontrolle der Ergebnisse. Das Ziel war es – vor allem bei den nachgeordneten Räten und

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5

Politik und Verwaltung im SED-Regime

ihren Fachabteilungen – zentrale Anweisungen mit örtlichen Initiativen zu kombinieren und so die Effektivität der Leitung und Planung der Volkswirtschaft zu steigern (Schwarzenbach 1976, S. 34 f.). Die Hoffnung der SED war dabei, mit der Maßnahme kreative und effiziente Vorschläge aus der Verwaltung zu fördern und so die Staatsfunktionäre zu mehr Eigenständigkeit zu motivieren. An den Besetzungsgrundsätzen änderte sich nach der Reform der Nomenklatur 1961 hingegen kaum etwas. Die Nomenklatur wurde zwar im Parteitagsrhythmus alle fünf Jahre überarbeitet und erweitert, die Grundstruktur blieb in den 1960er Jahren allerdings unverändert. Die regelmäßige Überarbeitung der Struktur erfolgte zunächst durch das ZK auf Vorschlag des PB. Nach Zustimmung des ZK entwickelte der Ministerrat danach die eigene Nomenklatur und integrierte etwaige Änderungen des ZK (Wagner 1998, S. 74). Die einzige wesentliche Veränderung der dritten Phase der DDR war die zusätzliche Einführung der sogenannten Kontrollnomenklatur. In dieser wurden alle Positionen nachgeordneter Nomenklaturen aufgeführt, welche das PB bzw. das ZK bei Bedarf kontrollieren durften (Wagner 1998, S. 76). Dies sollte einen Eingriff von oben möglich machen, wenn nachgeordnete Parteileitungen oder staatliche Organe ohne Beteiligung des PB oder ZK ungeeignete Kader ernannten. Im Alltag hatte dies allerdings kaum Auswirkungen, da sich die Ministerien, örtlichen Organe und untergeordneten Parteileitungen meist an die Besetzungsgrundsätze der SED hielten (ebd.). Bei der Kaderentwicklung formalisierte die Partei in dieser Phase die fachliche und ideologische Ausbildung. Entsprechend dem NÖS und der damit einhergehenden Bildungsexpansion wurde deutlich mehr Wert auf die fachlichen Qualifikationen der potenziellen Kader geachtet. Die Kader sollten „hochqualifizierte Persönlichkeiten [sein, die] in den technischen und ökonomischen Fragen ihres Gebietes beschlagen [sind]. Sie verstehen, den Marxismus-Leninismus anzuwenden und sind der Arbeiterklasse treu ergeben. Sie zeichnen sich besonders aus durch Verantwortungsfreude, Schöpfertum und Kühnheit, aber auch durch geschäftliche Sachlichkeit, nüchternes Kalkulieren und eiserne Arbeitsdisziplin. Und sie verstehen es, diese Eigenschaften auf das Arbeitskollektiv zu übertragen und es zu höchsten Leistungen zu führen.“ (Ulbricht 1964 zitiert nach Glaeßner 1977, S. 226)

Entscheidend für die Aufnahme in die Kaderreserve waren daher – neben der passenden politischen Einstellung und Zuverlässigkeit – vor allem die fachliche Qualifikation, der Leitungsstil und die charakterlichen Eigenschaften des Kandidaten (Glaeßner 1977, S. 225). Insbesondere die Führungskultur sollte ausgebaut werden. Dazu wurden Führungslehrgänge und Leitungsschulungen entwickelt, deren Ziele die Vereinigung von politischer Zuverlässigkeit und fachlicher Qualifikation waren (Glaeßner 1989, S. 151). In diesen Lehrgängen

5.4 Lockerungen und Bildungsexpansion …

229

wurden Erkenntnisse der Soziologie, der Psychologie und der sozialistischen Wirtschaftswissenschaften kombiniert, um aus den Teilnehmern sozialistische Leitungskader zu formen. Dafür wurden für jeden Sektor und jede Nomenklatur eigene Weiterbildungseinrichtungen auf- bzw. ausgebaut (siehe Tabelle 5.10). Der Besuch war streng an die jeweiligen Kadervereinbarungen und den geplanten Einsatz des Kaders geknüpft. Die Entscheidung, ob eine Weiterbildung begonnen werden durfte, lag bei der zuständigen Nomenklaturstelle (Glaeßner 1989, S. 150). Die neuen Leiter sollten alle Entscheidungen auf Basis wissenschaftlicher Fakten treffen und moderne Führungsmethoden anwenden, um die Beschlüsse der SED korrekt umzusetzen. Die Vermittlung der fachlichen Inhalte war in diesen Einrichtungen stets an den politisch-ideologischen Leitlinien orientiert. Das sozialistische Menschenbild wurde Grundlage der gesellschafts- und wirtschaftswissenschaftlichen Studiengänge (König 1991, S. 20). Tabelle 5.10 Weiterbildungseinrichtungen für Kader I Partei

II Staat

III Wirtschaft

ZK-Nomenklatur

Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED, Parteihochschule „Karl Marx“, Sonderschulen des ZK

Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft der DDR

Zentralinstitut für sozialistische Wirtschaftsführung beim ZK der SED

Bezirksnomenklatur

Bezirksparteischulen, Sonderschulen der Bezirksleitung

Fachschule für Staatswissenschaft „Edwin Hoernle“

Institute für sozialistische Wirtschaftsführung, Industriezweigakademien

Kreisnomenklatur

Kreis- und Betriebsschulen des MarxismusLeninismus

Betriebsakademien der Ministerien, der Räte der Bezirke, der Räte der Kreise

Kombinats- und Betriebsakademien

Quelle: Glaeßner 1989, S. 150. eigene Darstellung

Eine mehrjährige Berufserfahrung sowie ein Hoch- bzw. Fachschulabschluss und die Bereitschaft zur ständigen Weiterbildung waren unabdingbar (Glaeßner 1977, S. 233). Die Anforderungen, die an die Kader gestellt wurden, fasste der spätere Vorsitzende des Ministerrats Hans Modrow in seiner, zusammen mit Rainer Falke erstellten, Dissertation 1967 zusammen und sind in Tabelle 5.11 dargestellt.

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5

Politik und Verwaltung im SED-Regime

Tabelle 5.11 Anforderungen an Leitungskader Politisch-ideologische Haltung – politisches Wissen (Kenntnisse des Marxismus-Leninismus, der Partei- und Regierungsbeschlüsse) – ideologische Festigkeit (Verbundenheit mit der SED und dem Staat) – politische Aktivität – politisches Auftreten (Erklärung der Politik der Partei und der Regierung gegenüber den Mitarbeitern und Einnehmen der Parteihaltung) – Überzeugungsfähigkeit gegenüber Mitarbeitern Führungsfähigkeiten – Beurteilung der Lage und Entscheidungsfreude (auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse) – Aufgabenplanung – Rationaler Einsatz der Arbeitsmittel und Arbeitskräfte nach deren Qualifikation – Kontrolle der Mitarbeiter und Arbeitsergebnisse – Förderung von Initiativen zur Effizienzsteigerung – Menschenkenntnis – Einnehmen einer Vorbildfunktion – pädagogische Fähigkeiten – Durchsetzungskraft und hohes Maß an Autorität – Moderationsfähigkeiten Sozialverhalten – Verbundenheit mit dem Kollektiv des Organs/Betriebs – Kontaktfreude – Fähigkeit zur Kritik und Selbstkritik – angemessenes Verhalten gegenüber Vorgesetzten, Gleichgestellten und Mitarbeitern – sicheres und selbstbewusstes Auftreten – angemessene Umgangsformen Leistungskriterien – hohe Kreativität – hohe Entscheidungsfreude – hohe Leistungsbereitschaft – zügige und genaue Arbeitsweise – hohe Belastbarkeit – ständige Verfügbarkeit Charaktereigenschaften – Pflichtbewusstsein – Aufrichtigkeit – Kritikfestigkeit – gefestigter Charakter – vorbildlicher Lebenswandel – Vertrauenswürdigkeit Quelle: Falke und Modrow 1967, S. 62. eigene Darstellung

5.4 Lockerungen und Bildungsexpansion …

231

Diese von Modrow und Falke definierten Anforderungen fanden am 19. Februar 1969 Eingang in die Verordnung über die Pflichten, die Rechte und die Verantwortlichkeit der Mitarbeiter in den Staatsorganen15 (Verwaltungsordnung VO). In dieser Verordnung wurden die Rechten und Pflichten der Staatsfunktionäre erstmals festgelegt. In der Präambel der VO wurde die Arbeitsgrundlage der Staatsfunktionäre beschrieben: „Die Mitarbeiter in den Staatsorganen als Beauftragte der Arbeiter-und-BauernMacht haben in enger Verbindung mit den Werktätigen die Erfüllung der wachsenden Aufgaben des sozialistischen Staates mit vorbildlichem persönlichem Einsatz und auf hohem wissenschaftlichem Niveau zu gewährleisten.“ (Präambel VO)

Grundlage für die alltägliche Arbeit aller Staatsfunktionäre waren die Beschlüsse der SED, die Verfassung und die Gesetze und Beschlüsse der Volkskammer und des Staatsrates, sowie die Verordnungen des Ministerrates und der örtlichen Volksvertretungen und Räte (§ 2, Abs. 2 VO). All diese Beschlüsse sollten gründlich umgesetzt und den Bürgern regelmäßig erläutert werden (§ 2, Abs. 3 und 4 VO). Staatsdisziplin sollte gewahrt und die Ressourcen des Staates sparsam eingesetzt werden (§ 4 VO). Alle dienstlichen Angelegenheiten unterlagen der Schweigepflicht. Nur mit direkten Kollegen durfte über dienstliche Angelegenheiten gesprochen werden (§ 7 VO). Eine zentrale Regelung der VO war die Verpflichtung zu Weiterbildungen und zur Aneignung marxistisch-leninistischer Kenntnisse und Organisationsmethoden (§ 8, Abs. 1 VO). Die Leiter der Organe hatten eine besondere Verantwortung. Sie waren persönlich für die Ergebnisse ihrer Abteilung und die Arbeit ihrer Mitarbeiter verantwortlich (§§ 9, 10 VO) und mussten die „Verwirklichung der Politik von Partei und Staatsführung“ (§ 9, Abs. 1 VO) umsetzen. Außerdem fiel die Kaderarbeit und damit für die Planung und Umsetzung der Kaderprogramme in ihren Arbeitsbereich. Sie hatten „auf Grundlage langfristiger Kaderprogramme den für die Lösung der perspektivischen Aufgaben, für die Stabilität und Kontinuität der staatlichen Leitung notwendigen Vorlauf in der Heranbildung, Erziehung und Qualifizierung der Kader zu sichern.“ (§ 13, Abs. 1 VO)

Die Motivation der Mitarbeiter sollte durch regelmäßige Würdigung ihrer Arbeit in Form von Auszeichnungen hochgehalten werden (§ 14 VO). Neben Orden

15

Verordnung über die Pflichten, die Rechte und die Verantwortlichkeit der Mitarbeiter in den Staatsorganen vom 19. Februar 1969, In der Fassung vom 26. März 1969.

232

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Politik und Verwaltung im SED-Regime

handelte es sich dabei primär um schriftliche Belobigungen, Geld- oder Sachzuwendungen, Fernreisen ins Ausland oder eine bevorzugte Zulassung zu begehrten Weiterbildungsprogrammen (§ 15, Abs. 2 VO). Bei Pflichtverletzungen wurden stets Disziplinarverfahren eingeleitet, welche vom jeweiligen Leiter des Organs durchgeführt wurden (§§ 17 – 25 VO). Eine Ausnahme hiervon galt für die Mitglieder des Ministerrates und die Vorsitzenden der Räte der Bezirke, welche nicht den Disziplinarmaßnahmen unterlagen, sondern welche bei Fehlverhalten von der SED sanktioniert wurden (§ 26, Abs. 2 VO). Wie gezeigt waren die 1960er Jahre geprägt von Reformen. Vor allem im Verwaltungsbereich zeigten sich einige Neuerungen. Doch wie wirkten sich die Reformen auf die Staatsfunktionäre aus?

5.4.3

Auswirkungen auf das Verwaltungspersonal

5.4.3.1 Nationale Ebene Auf der nationalen Ebene setzte die SED in Folge der Lockerungen noch stärker als zuvor auf Personalunionen. Diese hatte die Partei in vielen Bereichen bis auf die Sektorenleiterebene hinab durchgesetzt. Der Aufstieg als Staatsfunktionär war in dieser Phase stets mit der Übernahme einer adäquaten Parteifunktion in der SED verbunden (Schwarzenbach 1976, S. 32). So wurden Abteilungsleiter der Ministerien beispielsweise in Kommissionen der SED kooptiert oder Mitglied der Parteileitung des Ministeriums. Minister und Staatssekretäre wurden meist ins ZK aufgenommen. Sektorenleiter erhielten häufig eine ehrenamtliche Funktion in der GRO oder einer APO (ebd.). Diese Personalunionen waren ein Grund dafür, dass die SED trotz der formal verstärkten Lockerungen und Freiheiten der Verwaltungstätigkeit weiterhin einen sehr hohen Einfluss auf die tägliche Arbeit der staatlichen Organe hatte. Ein zweiter Grund findet sich in den staatlichen Organen selbst: Der Aufstieg in der Verwaltung hing auch in der dritten Phase trotz Einführung des NÖS und dem formalen Setzen auf fachliche Qualifikationen weniger mit fachlicher Kompetenz als mit politischer Zuverlässigkeit zusammen (Schwarzenbach 1976, S. 35). Folglich zeigte sich, dass die fähigsten Verwaltungsfachleute meist in den niedrigeren Positionen eingesetzt wurden (ebd.). Aufgrund des Misstrauens gegenüber Fachleuten gaben höhere Ebenen und Parteistellen (trotz der formalen Vorgabe) kaum Verantwortung nach unten ab (ebd.). Gleichzeitig wollten viele Mitarbeiter der unteren Ebenen aus Angst vor Sanktionen bei Fehlern keine Verantwortung übernehmen. Daher hatten die Reformen letztlich keinen Einfluss

5.4 Lockerungen und Bildungsexpansion …

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auf die tägliche Verwaltungsarbeit und verfehlten das intendierte Ziel (ebd.), kreativere Ideen zur Wirtschaftslenkung aus den Organen heraus zu generieren. Zur Bildung und Ausweitung der Kaderreserve entwickelten die Ministerien nach Vorgabe der SED eigene Kaderentwicklungspläne. Im Ministerium für Schwermaschinen- und Anlagenbau wurde am 20. Mai 1966 der erste Kaderentwicklungsplan beschlossen (Bundesarchiv DG 8/25). Zur Nomenklatur des Ministeriums gehörten alle Abteilungs- und Sektorenleiter, der Leiter des Ministerbüros und die Direktoren und Leiter der Betriebe, die dem Ministerium nachgeordnet waren. Verantwortlich für die Besetzung dieser Positionen war allein der Minister (ebd.). Des Weiteren existierten Nomenklaturen für die nachgeordneten Betriebe, in denen die Fachdirektoren und die Werkdirektoren der Kombinate aufgeführt waren. Außerdem konnten die Generaldirektoren die Nomenklatur in ihren Kombinaten auch beliebig erweitern (ebd.). In den Abteilungen des Ministeriums entwickelte der Abteilungsleiter die Nomenklatur und war auch für die Besetzung der Positionen verantwortlich (ebd.). Die SED überwachte die Pläne, griff aber nur ein, wenn sie Verstöße gegen die eigenen Nomenklaturvorgaben feststellte, was praktisch nie der Fall war. Vier Grundsätze bestimmten die Nomenklaturkaderordnung des Ministeriums und seiner nachgeordneten Betriebe: „1. Die Sicherung der führenden Rolle der Arbeiterklasse und ihrer Partei sowie die Wahrung der Prinzipien der Blockpolitik bei der Besetzung der Nomenklaturfunktionen. 2. Die zweckmäßige Auswahl und Verteilung der politisch, technisch und ökonomisch qualifizierten Kader nach ihren Erfahrungen, Fähigkeiten und Kenntnissen auf der Grundlage wissenschaftlich exakt bestimmter Anforderungen entsprechend den Gesamtinteressen der Volkswirtschaft und der volkswirtschaftlichen Schwerpunkte. 3. Die Aus- und Weiterbildung von Frauen und jungen Fachleuten für Nomenklaturfunktionen auf wissenschaftlicher Grundlage im Rahmen der perspektivischen Kaderarbeit. 4. Die Stärkung der Verantwortung der Leiter der Abteilungen des Ministeriums, der Generaldirektoren und Werkdirektoren sowie aller Leiter, für deren Bereiche die Auswahl, die Entwicklung und der Einsatz von Nomenklaturfunktionären vorgesehen ist, sowohl für die Arbeit mit diesen Kader selbst, als auch für die exakte Ausarbeitung der Anforderungen als Grundlage für die Qualifikationsmerkmale und die Bildung der Kaderreserve.“ (Bundesarchiv DG 8/25 Blatt 118 f.)

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Politik und Verwaltung im SED-Regime

Es zeigt sich in diesen Grundsätzen, dass die Vorrangstellung der Partei weiterhin als erstes genannt wurde. Allerdings sind danach die Effekte des NÖS zu erkennen. Vor allem die Verlagerung der Verantwortlichkeit nach unten (Punkt 4) bezeugt, dass die SED in den 1960ern versuchte, die Kaderpolitik und Kaderarbeit auszudifferenzieren und wissenschaftlich fundiert voranzutreiben, um qualifizierte Kader zu generieren. Zur Überwachung dieser Grundsätze wurde in der Kaderordnung der Leiter der Kaderabteilung des Ministeriums bestimmt. Dieser prüfte die Einhaltung der Grundsätze und berichtete bei Verstößen sowohl an den Minister als auch an die zuständige ZK-Abteilung. Außerdem musste der Abteilungsleiter bei jeder Besetzung eine Stellungnahme abgeben, die gemeinsam mit der ZK-Abteilung erstellt wurde (Bundesarchiv DG 8/25). Somit war der Einfluss der Partei weiterhin gewahrt. Ein Vergleich dieser Kaderordnung mit der des Bauministeriums von 1961 (siehe Abschnitt 5.3.3.1) zeigt, dass die Betonung der politischen Zuverlässigkeit stark zurückgefahren wurde. Während 1961 die Betonung noch sehr auf der führenden Rolle der Partei lag, fand 1966 auch das Blockprinzip Einzug in die Kaderordnung. Außerdem wurde formal viel stärker als 1961 die wissenschaftliche Auswahl der Kader betont und die Verantwortlichkeit für die Auswahl stärker verteilt. Zudem wurde die Vorrangstellung der Kaderabteilung der Staatsorgane in den 1960er Jahren beschnitten. Hatte diese 1961 noch sämtliche Kaderentscheidungen vorbereitet, so war sie 1966 lediglich für die nachträgliche Kontrolle zuständig. Wie sich diese Kaderordnung aber auf den Alltag im Ministerium auswirkte, ist nicht bekannt. Hierzu fehlen Quellen, da aufgrund der Geheimhaltung der Nomenklatur- und Kaderordnungen fast alle Dokumente welche darüber Auskunft geben könnten (z. B. Berichte, Kaderakten, Organigramme, Personallisten) vernichtet wurden.

5.4.3.2 Bezirks- und Kommunalebene Wie gestaltete sich im Rahmen des NÖS die Zusammenarbeit mit den nachgeordneten Staatlichen Organen und den jeweils zuständigen Parteigremien? Dazu verfasste Klaus Sorgenicht, der Leiter der ZK-Abteilung für Staats- und Rechtsfragen 1964 in der SED-Parteizeitung „Neuer Weg“ einen detaillierten Bericht mit dem Titel „Cottbusser Erfahrungen über die Anleitung der Staatsorgane durch die Partei“. In diesem wurde die Zusammenarbeit zwischen SED-Bezirksleitung und dem Rat des Bezirkes beschrieben. Der Artikel ist leider im Original nicht mehr erhalten, es existieren aber Zusammenfassungen des Inhalts von Glaeßner (1977) und Neugebauer (1978), sodass die Mechanismen der Zusammenarbeit gut nachgezeichnet werden können.

5.4 Lockerungen und Bildungsexpansion …

235

Der Bezirk Cottbus war in den 1960er Jahren von der SPK als Standort für den Aufbau der Energiewirtschaft und der chemischen Industrie ausgewählt worden. Insbesondere die Kohleförderung sollte aufgrund des steigenden Energiebedarfs der DDR in den Braunkohlerevieren der Lausitz stark ausgebaut werden. So entstand in der Region das größte Energiekombinat der DDR, das VEB Gaskombinat Schwarze Pumpe. Daraus ergab sich für die zuständigen Fachabteilungen des Rats des Bezirks die Aufgabe, die Rahmenbedingungen hierfür zu schaffen. So sollten die regionale Infrastruktur (vor allem Straßen und Wohnungsbau) verbessert werden, Arbeiter aus anderen Bezirken angeworben und die Schulausbildung im Bezirk auf Energiefragen und Chemie spezialisiert werden (Neugebauer 1978, S. 185). Das Ziel war es, dass im Jahr 1970 alle Lehrstellen des neuen Energiekombinats und der Betriebe der chemischen Industrie durch Schulabgänger des Bezirks gedeckt würden (Neugebauer 1978, S. 186). Um die Aufgaben erfüllen zu können, erhielten die Leiter der Fachabteilungen und die nachgeordneten Sektorenleiter des Rats des Bezirks fachliche Schulungen durch die Bezirksparteileitung. Zentrale Themen waren Planung und Finanzierung von Investitionen, die Analytik im Staatsapparat, die Organisation der Durchführungskontrolle, Methoden der komplexen koordinierten Leitung und die Anwendung von moderner Technik und Informationssystemen (Neugebauer 1978, S. 186). Außerdem wurden die Anforderungen an die Kadernomenklatur der Bezirksleitung und des Rats des Bezirks dahingehend verändert, dass nun explizit nach fachlich geeigneten Kadern mit einem technischen oder naturwissenschaftlichen Studium gesucht wurde, um die Fachkompetenz der Fachabteilungen des Bezirksrats zu stärken (Glaeßner 1977, S. 244; Neugebauer 1978, S. 187 f.). In allen Tätigkeiten wurden die Verwaltungsmitarbeiter von der SEDBezirksleitung angeleitet. So erhielt beispielsweise das Bezirksbauamt von der Abteilung für Infrastruktur der Bezirksleitung explizite Anweisungen dazu, an welchen Standorten Betriebsstätten, Wohnungen und Schulen geplant werden sollen. Dazu entwickelte die SED-Abteilung umfassende Gebietsentwicklungspläne (Neugebauer 1978, S. 186). Die Mitglieder des Bezirksrates und Bezirkstages wurden im Rahmen des Projekts stärker kontrolliert als zuvor und mussten sich zweimal (Bezirksräte) bzw. einmal (Abgeordnete des Bezirkstages) pro Jahr einer Überprüfung durch die Bezirksleitung stellen (Glaeßner 1977, S. 244). Außerdem wurden die Räte des Bezirkes und die Vorsitzenden der Kreisräte zu allen Sitzungen der Bezirksleitung eingeladen, um Informationen und neue Vorgaben zu erhalten (Neugebauer 1978, S. 188). Die SED erhoffte sich, dass die staatlichen Funktionäre, die nicht ohnehin Mitglied des Gremiums waren, durch dieses Privileg besonders motiviert wären, die Beschlüsse der Partei genauestens umzusetzen. Die Bildung von gemeinsamen Kommissionen sollte dies auch auf Ebene der Mitarbeiter gewährleisten (ebd.). Die Zügel hielt trotz der Einbindung der staatlichen

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5

Politik und Verwaltung im SED-Regime

Organe somit weiterhin die SED in der Hand. Auf die interne Struktur der neu gegründeten Kombinate hatte der Rat des Bezirks beispielsweise keinen Einfluss. Diese wurde vor allem den SED-Kreisleitungen unter Mitarbeit der Fachabteilungen der Kreisräte übertragen (Neugebauer 1978, S. 187), wobei festgehalten werden muss, dass die Fachabteilungen der Kreisräte stets den Vorschlägen der SED-Kreisleitung zustimmten. Auf der Kommunalebene zeigten die Lockerungen des Zentralismus der 1960er Jahre und die Verlagerung von Verantwortlichkeiten nach unten vereinzelt stärkere Effekte als auf der Bezirksebene und führten teilweise zu kuriosen Entscheidungen der lokalen SED-Eliten und staatlichen Organe. Ein prägnantes Beispiel findet sich im Kreis Pößneck im Bezirk Gera. Dort störten sich 1969 die Mitglieder der SED-Kreisleitung am Erscheinungsbild vieler Jugendlicher. Insbesondere die langen Haare der männlichen Jugendlichen sahen sie als Zeichen westlicher Dekadenz (Mestrup 2003b, S. 274). Die Kreisleitung, insbesondere der Erste Sekretär Kurt Schlupeck und der Zweite Sekretär Siegfried Raab, forderte von den Kommunen im Kreis Maßnahmen „um radikal mit dem Gesockse Schluß zu machen“ (Raab zitiert nach Mestrup 2003b, S. 275). Ohne einen offiziellen Beschluss des Rates des Kreises oder der Kreisleitung der SED erließen zahlreiche Kommunen im Kreis daraufhin Weisungen mit folgenden Punkten an alle Betriebe und Einrichtungen übermittelt: 1. Jugendliche, deren Aussehen (z. B. lange Haare bei Männern) nicht der sozialistischen Gesellschaftsordnung entsprach, wurde der Einkauf in sämtlichen Geschäften untersagt. 2. Gaststätten durften diese Jugendlichen nicht bedienen. Bei Zuwiderhandlung drohten 300 Mark Bußgeld. 3. Tanzveranstaltungen duften von diesen Jugendlichen nicht besucht werden. Kapellen und Bands, bei denen Jugendliche, deren Aussehen nicht der sozialistischen Gesellschaftsordnung entsprach, mitspielten, erhielten ein Auftrittsverbot. 4. In Betrieben, Schulen und anderen Einrichtung galt für unsozialistische Jugendliche ein Betretungsverbot. (Weisung des Rats der Stadt Neustadt an der Orla vom 21. Oktober 1969, Mestrup 2003b, S. 277) Einzelne Verwaltungsmitarbeiter weiteten diese Regeln eigenmächtig auf weitere Gruppen von Jugendlichen aus. So galten in manchen Kommunen diese Regeln nicht nur für Männer mit langen Haaren, sondern auch für junge Frauen, die Miniröcke trugen (ebd.). Die Maßnahmen führten in den folgenden Tagen zu starken Protesten in der Bevölkerung des Kreises. Viele Bürger solidarisierten sich mit den Jugendlichen und nach kurzer Zeit schalteten sich

5.4 Lockerungen und Bildungsexpansion …

237

die SED-Bezirksleitung und dann auch das Politbüro ein. Diese beeilten sich die Beschlüsse rückgängig zu machen (Mestrup 2003b, S. 281). Nachdem in mehreren Kreisen zu unterschiedlichsten Themen solche eigenmächtigen Entscheidungen ohne Absprache mit dem PB, dem ZK oder einer Bezirksleitung getroffen wurden, verschärfte die SED die gelockerten Kontrollmaßnahmen wieder und baute die zentralistischen Anleitungen der eigenen nachgeordneten Parteileitungen wieder aus. Die Freiheit bei der Interpretation der Beschlüsse des Politbüros oder des ZKs und ihrer Durchführung auf kommunaler Ebene wurde eingeschränkt (Mestrup 2003b, S. 283). Der Erste und der Zweite Sekretär der Kreisleitung Pößneck wurden in der Folge von ihren Ämtern enthoben und erhielten eine Strenge Rüge. Auch die verantwortlichen Staatsfunktionäre der Kommunen wurden entlassen (Mestrup 2003b, S. 284). Während die beiden Parteifunktionäre aber nach ein paar Jahren wieder rehabilitiert wurden, war die Karriere der Staatsfunktionäre beendet. Keiner der entlassenen Staatsfunktionäre erhielt noch mal eine Position im Staatsapparat (ebd.).

5.4.4

Einordnung der Ergebnisse der dritten Phase des Regimes in die Politisierungsformen

Die dritte Phase war gesellschafts- und verwaltungspolitisch von Lockerungen und einem verstärkten Einbeziehen wissenschaftlicher Erkenntnisse geprägt. Diese kamen aber an eine Grenze, wenn die Macht der SED durch Modernisierungen bedroht werden könnte. Daher erfolgten Reformen meist nur in technischen Fragen (Schwarzenbach 1976, S. 161 f.). In allen anderen Bereichen blieb die SED die Herrin der Lage. Bei der Besetzung von Nomenklaturpositionen wuchs in dieser Phase die Bedeutung der fachlichen Qualifikation. Außerdem gewannen Führungskräfte und deren Ausbildung an Bedeutung. Das zeigt sich schon darin, dass 70 % der ZK-Mitglieder, die gleichzeitig eine staatliche Position innehatten, zum Ende der dritten Phase 1971 über einen Hoch- oder Fachschulabschluss verfügten (Schwarzenbach 1976, S. 163). Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Kader in dieser Phase politisch weiterhin höchst zuverlässig waren. Die SED hatte nun genug verlässliche Kader und eine breite Kaderreserve, sodass die Partei es sich leisten konnte, fachlichen Qualifikationen mehr Raum zu geben, ohne dabei die eigene Vormachtstellung zu gefährden (ebd). Die fachliche Qualifikation ergänzte damit die ohnehin vorhandene politische Zuverlässigkeit der Kader. „Der ideale Staatsfunktionär […] ist ideologisch gefestigt, politisch gebildet und fachlich qualifiziert“ (Schwarzenbach 1976, S. 163) und orientierte sich vollständig an der vorgegebenen Parteilinie. Parteipolitisierung war schon wie zuvor

238

5

Politik und Verwaltung im SED-Regime

der einzig verbliebene Besetzungsmechanismus für Staatsfunktionäre. Die SED bestimmte letztlich, wer in die Verwaltungspositionen kam und wer nicht. Daran änderte auch die Einbeziehung der staatlichen Leiter in der dritten Phase nichts. Weitere Personalpolitische Politisierungsmaßnahmen spielten keine Rolle (siehe auch Abbildung 5.7).

Personalpolitische Politisierung

Funktionale Politisierung

Strukturelle Politisierung

Keine Politisierung

Trennung

Beibehaltung von Strukturen

Gebundene Politisierung

Zusammenarbeit

Einfügen von Neuen / Zwischenebenen

Offene Politisierung

Konkurrenz

Reorganisation

Parteipolitisierung

Hybrid

Auslagerung von Kompetenzen

Abbildung 5.7 Beobachtete Politisierungsformen in der dritten Phase der DDR. (Hinweis: Beobachtete Politisierungsformen sind grau dargestellt) (Quelle: eigene Darstellung)

Bei der Funktionalen Politisierung führten die Lockerungen hingegen zu einer beobachtbaren Zunahme. Während in den ersten beiden Phasen die Trennung von Politik und Verwaltung dominierte, war die dritte Phase aufgrund der NÖS-Vorgaben von stärkerer Zusammenarbeit geprägt. Die Abteilungen der Parteileitungen banden die staatlichen Organe stärker in die Entscheidungsfindung ein und weiteten deren Verantwortlichkeiten in einzelnen Bereichen aus. Die Partei erwartete sich davon sogar eine aktivere Beteiligung der Staatsfunktionäre im Politikformulierungsprozess. Die Verlagerung der Entscheidungen nach unten und die Zunahme von Personalunionen (der Aufstieg im Staatsapparat ging mit dem Aufstieg im Parteiapparat einher) (siehe auch Abschnitt 5.4.3.1) führten

5.5 Stabilität, Stagnation und Überwachung …

239

dazu, dass sich in dieser Phase auch vereinzelt die hybride Form der Funktionalen Politisierung beobachten lässt. Die hochgradig formalisierte Verbindung von Staatsamt und Parteiamt durch Personalunionen führte dazu, dass das Handeln von Staatsfunktionären in der dritten Phase immer politischer wurde. Es konnte letztlich nicht unterschieden werden, ob ein staatlicher Leiter eine Entscheidung als Vertreter des Staatsorgans oder als Vertreter der SED traf. Dies konnte dann schon mal dazu führen, dass einzelne Verwaltungen über das Ziel hinausschossen und Vorgaben des Politbüros bei der Detailausgestaltung falsch interpretierten. Wie im Beispiel Pößneck gezeigt, wurden diese dann stets von der Parteiführung wieder eingefangen. Die Personalunionen führten aber auch dazu, dass die Verwaltungskontrolle durch die Parteileitungen in den Organen in den 1960er Jahren in gewissem Maß abgebaut wurde. Da alle Leiter nun auch leitende Parteifunktionen innehatten, konnte die SED davon ausgehen, dass Parteibeschlüsse konsequent umgesetzt wurden. Eine stärkere Strukturelle Politisierung als sowieso schon etabliert war daher nicht mehr nötig. Daher setzte die SED meist auf die Beibehaltung der bereits etablierten Strukturen. Lediglich bei der Wiedergründung der Industriemechanismen lässt sich die Strategie der Reorganisation noch einmal beobachten. Die Gründe dafür sind ähnlich wie schon bei deren Auflösung 1958 gelagert. Die SED erhoffte sich von der Umstrukturierung endlich ein Erreichen der vorgegebenen wirtschaftlichen Ziele. Diese Hoffnung zerstörte sich aber schon gegen Ende der 1960er Jahre. Folglich wurden einige Entwicklungen Anfang der 1970er wieder zurückgedreht, was im folgenden Abschnitt gezeigt werden wird.

5.5

Stabilität, Stagnation und Überwachung – der „real existierende Sozialismus“ 1971 – 1989

5.5.1

Allgemeine politische Entwicklungen

5.5.1.1 Nationale Ebene Politisch stabilisierte sich die Lage nach dem Sturz Ulbrichts unter dem neuen Generalsekretär Erich Honecker. Honecker machte es sich zur Aufgabe, die Reformen der 1960er Jahre rückgängig zu machen. Kompetenzen des Staatsrats, der bis zu seinem Tod 1973 weiter von Walter Ulbricht geführt wurde, wurden dem Politbüro übertragen. Die starke Stellung des Staatsrats und die zunehmende Konkurrenzsituation zwischen Staatsrat und Politbüro wurden so zugunsten des

240

5

Politik und Verwaltung im SED-Regime

Politbüros unter Honecker gelöst (Neugebauer 1978, S. 141 f.). Der Ministerrat erhielt mit dem Gesetz über den Ministerrat der DDR16 vom 16. Oktober 1972 einige seiner, an den Staatsrats abgetretenen, Kompetenzen zurück (z. B. die Kompetenz für eigene Erlasse). Er hatte den Auftrag die einheitliche Staatsführung zu garantieren und gegenüber der Volkskammer darüber Rechenschaft abzulegen (Schulze 1991c, S. 53 f.). Bei der Anzahl und der Zusammensetzung der Ressorts änderte sich in der Ära Honecker kaum etwas. Zu Beginn seiner Zeit als Generalsekretär im Mai 1971 existierten 44 Ressorts und im Oktober 1989 45 (eigene Daten). Die einzige zentrale Veränderung war, dass einzelne selbstständige Staatssekretariate und Komitees in Ministerien umgewandelt wurden. Daraus leiteten sich aber keine weiterreichenden Kompetenzen ab, da die neuen Ministerien schon vorher den anderen Ministerien gleichgestellt waren. Dem Politbüro gehörten von den 45 Ministern, Selbstständigen Staatssekretären und Amtsleitern am 17. Juni 1986 sieben Personen an. Im ZK waren 27 der 45 Mitglieder des Ministerrates vertreten. Insgesamt waren 41 der 45 Mitglieder des Ministerrats Mitglied der SED. Lediglich vier Stellvertreter des Vorsitzenden waren Mitglieder der Blockparteien (Schulze 1991b, S. 95). Anderen staatlichen Organen sowie den nachgeordneten Parteistellen wurden in den 1960er Jahren gewährte Entscheidungskompetenzen wieder entzogen und die Abhängigkeit von der Parteiführung wieder ausgebaut (Neugebauer 1978, S. 119). Honecker und seine Gefolgsleute formulierten intern von nun an den persönlichen Machterhalt als Maxime ihrer Politik (ebd.). Eine Folge war die Novellierung des oben schon erwähnten Gesetzes über den Ministerrat der DDR, welches die Wirtschaftspolitik wieder stärker auf der nationalen Ebene zentralisierte (§§ 1 – 4 GüM) und den Ministerrat zum zentralen staatlichen Organ beförderte (Neugebauer 1978, S. 121). Als Ergänzung erging im März 1973 die Verordnung über die Aufgaben, Rechte und Pflichten der VEB, Kombinate und VVB, welche die großen Wirtschaftsbetriebe direkt den fachlich zuständigen Industrieministerien unterstellte und den ohnehin geringen Einfluss der Bezirke und Kreise auf die Großbetriebe vollständig ausschaltete (Neugebauer 1978, S. 121). In der neuen Verfassung von 1974 wurden diese strukturellen Veränderungen aufgenommen, um die Verfassung an die politische Realität anzupassen. An grundlegenden Reformen versuchte sich die SED bis 1989 allerdings nicht mehr, sondern stabilisierte das System durch ausufernde Überwachung und Kontrolle – es waren ca. 750.000 Menschen in den Sicherheits- und Kontrollorganen tätig (Schroeder 1999, S. 112) – und dem expansiven Ausbau des Sozialstaats 16

Gesetz über den Ministerrat der DDR vom 16. Oktober1972, In der Fassung vom 16. Oktober 1972.

5.5 Stabilität, Stagnation und Überwachung …

241

(Malycha 2005, S. 115 f.). Langfristig führten diese Politik und fehlende Innovationen zum Niedergang der Wirtschaft und in der Folge auch zum Niedergang der DDR. Dem Regime fehlte in den 1980er Jahren das Geld, um die ausufernden Sozialstaatsprogramme zu finanzieren (ebd.). An der Führung des Staates durch die Partei änderte sich unter Honecker nichts Grundsätzliches. Die SED verfügte weiterhin vollständig über den Staatsapparat. Das Politbüro unter der pseudo-monarchistischen Führung Honecker war die eigentliche Regierung der DDR (Wagner 1998, S. 69). Im Vergleich zu Ulbricht baute Honecker die zentrale Ausrichtung von Partei und Staat auf sich selbst sogar noch aus (Neugebauer 1978, S. 119). Er entwickelte sich zum Monokraten eines formal kollektivistisch organisierten Systems. Durch das Recht, alle Entscheidungen des ZK und des PB vorzubereiten, degradierte Honecker die Mitglieder des Politbüros – das ZK hatte schon unter Ulbricht kaum noch aktive politische Bedeutung gehabt – zu einem reinen Zustimmungsorgan (Thieme 2015, S. 133). Honecker entschied damit faktisch allein über zentrale politische Fragen und die Besetzungsvorschläge für das PB, das ZK, den Staatsrat und den Ministerrat (ebd.). Die Mitglieder des PB nahmen dies letztlich hin, war ihr Ziel in dieser Phase doch eher, ihre Pfründe zu sichern. „Jeder war darauf bedacht, Alleinherrscher [in seinem Bereich] […] zu bleiben, und mischte sich dafür in die Angelegenheiten der anderen nicht ein.“ (Brunner 1995 zitiert nach Thieme 2015, S. 133). In ihrem Feld waren die Mitglieder des Politbüros damit weitgehend unabhängig. Sie brauchten lediglich die Zustimmung Honeckers und konnten dann sehr frei agieren. Innerhalb der Partei setzte Honecker auf Stabilität. Nach dem Sturz Ulbrichts blieb das Politbüro in seiner Zusammensetzung unverändert. Der eigentlich fällige Generationswechsel fand in den 1970er und 80er Jahren in den Führungsgremien der SED kaum statt. Stattdessen blieben die meisten Mitglieder des ZK und PB durchgehend bis 1989 im Amt. Die einzigen Neuaufnahmen fanden statt, wenn Mitglieder der Gremien verstarben (Thieme 2015, S. 111 f.). Statt die Parteistrukturen veränderten Erfordernissen anzupassen, baute das Politbüro innerhalb der bestehenden Strukturen die Anzahl der Hauptamtlichen Mitarbeiter der SED bis 1989 extrem aus, um eine ständige Kontrolle der staatlichen Verwaltung, der Bürger und der Volkswirtschaft gewährleisten zu können (Thieme 2015, S. 130). Dieser Ausbau des Parteiapparats führte zu einer noch stärkeren Belastung der Staatskasse, durch welche sich die SED zum Großteil finanzierte. 1980 und 1985 führte die SED erstmals seit den 1950er Jahren wieder groß angelegt Überprüfungen der Loyalität aller SED-Mitglieder durch. Bei kleinsten Verstößen gegen die Parteilinie wurden Delinquenten sehr hart bestraft. So konnte bereits der geringste Fehler (z. B. das Schauen von Westfernsehen) zum sofortigen Karriereende führen (Thieme 2015, S. 131). Um die Mitglieder wieder stärker

242

5

Politik und Verwaltung im SED-Regime

an die Führung zu binden, wurde das ständige Verfassen von Tätigkeitsberichten an die nächsthöhere Parteiebene erneut zur Pflicht eines jeden SED-Mitglieds. Aus Angst vor Sanktionen beschönigten die meisten SED-Mitglieder in diesen Berichten allerdings ihre Tätigkeiten und die Arbeitssituation, was zu einer massiven Fehleinschätzung der politischen und wirtschaftlichen Lage in der DDR durch die Führungsgremien der SED führte (ebd.). „Dem Heer an willfährigen Funktionären […] war jeder Wille zum Widerspruch und Nonkonformismus verloren gegangen […]. Stattdessen stützten gerade die Kader im Ideologie- und Agitationsbereich den Herrschaftsapparat, indem sie unentwegt die Fortschritte des ‚entwickelten Sozialismus‘ priesen.“ (Thieme 2015, S. 158. Hervorhebungen im Original)

Die Volksvertretungen waren in der vierten Phase weiterhin bedeutungslose Akklamationsorgane. Das zeigt sich auch in der geringen Anzahl der Sitzungen. In den 1980er Jahren tagte die Volkskammer nur noch drei Mal jährlich, wobei die Tagungen recht kurz waren. Eine Diskussion der Gesetzentwürfe fand nicht statt. Diese wurden nur durch die Regierung vorgestellt und von der Volkskammer einstimmig beschlossen (Wagner 1998, S. 70). Das häufigste Wort der Tagungsprotokolle ist daher auch das Wort „Beifall“ (ebd.). So ist es auch nicht verwunderlich, dass die Volkskammer eine ihrer Hauptaufgaben, die Wahl der Regierung, nicht wahrnahm. Es wurde dem Vorschlag des Politbüros weiterhin ohne Prüfung zugestimmt, was dazu führte, dass alle Ministerien von loyalen SED-Mitgliedern geführt wurden (Thieme 2015, S. 138). Der Staatsrat, dessen Vorsitz Honecker 1976 von Willi Stoph übernommen hatte, tagte unter Honeckers Führung noch seltener als die Volkskammer. In den meisten Jahren seiner Herrschaft war nur eine Sitzung pro Jahr angesetzt, auf der Honecker die Mitglieder über die Grundzüge der Parteilinie informierte (Wagner 1998, S. 71). Ab 1974 hatte der Staatsrat keine exekutive Funktion mehr und diente lediglich der Repräsentation der DDR nach außen. Dies übernahm der Vorsitzende des Staatsrats meist alleine (Thieme 2015, S. 139). Trotz dieses Umstands galt eine Berufung in den Staatsrat bis zu seiner Abschaffung am 05. April 1990 als Auszeichnung für die geleistete Arbeit für Partei und Staat (ebd.). Die geschilderten Verhältnisse bildeten sich auch in der protokollarischen Rangfolge der DDR ab: „Kompetenzen und Stellung des Kaders ergeben sich primär aus seiner Funktion in den verschiedenen Apparaten und dem Stellenwert des jeweiligen Apparates in der Hierarchie des Herrschaftssystems.“ (Glaeßner 1989, S. 145). Diese Hierarchie sah dabei in der gesamten Zeit der SED-Herrschaft einen Vorrang der Partei vor. Wurde nach außen weiterhin der Schein der Demokratie gewahrt, verdeutlichte die 1980 vom MdI erarbeitete protokollarische Rangfolge (siehe Tabelle 5.12) der DDR die realen Machtverhältnisse.

5.5 Stabilität, Stagnation und Überwachung …

243

Tabelle 5.12 Protokollarische Rangfolge der DDR im Jahr 1980 1. der Generalsekretär des ZK der SED und Vorsitzende des Staatsrates 2. der Vorsitzende des Ministerrates 3. die Mitglieder und Kandidaten des Politbüros, Sekretäre des ZK 4. der Präsident der Volkskammer 5. der Präsident des Nationalrates der Nationalen Front 6. die Stellvertretenden Vorsitzenden des Staatsrates 7. die Stellvertretenden Vorsitzenden des Ministerrates 8. die Vorsitzenden der Blockparteien 9. die Mitglieder und Kandidaten des ZK 10. die Minister 11. der Präsident des Obersten Gerichts 12. der Generalstaatsanwalt 13. die Mitglieder des Präsidiums der Volkskammer 14. die Mitglieder des Staatsrates 15. die 1. Sekretäre der Bezirksleitungen der SED

16. die Vorsitzenden der Räte der Bezirke 17. die Vizepräsidenten des Nationalrates der Nationalen Front 18. die Vorsitzenden der Massenorganisationen 19. die Stellvertretenden Vorsitzenden der Blockparteien 20. die Staatssekretäre mit eigenem Geschäftsbereich 21. die Generäle der bewaffneten Organe 22. die Leiter der zentralen staatlichen Ämter und Verwaltungen 23. die Staatssekretäre 24. die Stellvertretenden Minister 25. die Vorsitzenden der Freundschaftsgesellschaften 26. die Sekretäre der Bezirksleitungen der SED 27. die Stellvertretenden Vorsitzenden der Räte der Bezirke

Quelle: Bundesarchiv DH 1/36284

Der Aufstieg in der protokollarischen Rangfolge war dabei für einen Parteifunktionär leichter als für einen Staatsfunktionär. Mitglieder des Staatsrats, Minister, Staatssekretäre oder Mitglieder der Bezirksräte hatten es deutlich schwerer als Parteifunktionäre (beispielsweise aus den Abteilungen des ZK oder Mitglieder der Bezirksleitungen der SED) in das ZK oder sogar das Politbüro aufzusteigen (Schneider 1994, S. 122). Hatte ein Kader den Aufstieg aber geschafft, verbanden sich damit ein hohes Prestige und Macht, die dieser für die eigenen Ziele nutzen konnte. Bei Betrachtung der Dauer der Mitgliedschaft im ZK zeigt sich aber, dass Staatsfunktionäre deutlich kürzer im ZK Mitglied blieben als die Parteifunktionäre (Schneider 1994, S. 124), bei denen eine ZK-Mitgliedschaft auch schon mal 40 Jahre andauern konnte.

5.5.1.2 Bezirks- und Kommunalebene Auf der Ebene der örtlichen Organe wirkte sich die Rücknahme der Reformpolitik sehr stark aus. Passend zur stärkeren Zentralisierung wurde am 12. Juli 1973 das

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Politik und Verwaltung im SED-Regime

Gesetz über die örtlichen Volksvertretungen und ihrer Organe in der DDR17 (GöV) erlassen, welches das GVVS von 1952 und das GöO von 1957 ablöste. Inhaltlich wurden die Ebenen Staat, Bezirke, Kreise und Kommunen stärker voneinander getrennt und das Entscheidungssystem in allen nachgeordneten Organen vereinheitlicht. Die Struktur aller Räte und zugehöriger Fachabteilungen auf Bezirks-, Kreis- und Kommunalebene wurde angeglichen, sodass alle Räte eine einheitliche Zusammensetzung hatten, welche in Tabelle 5.13 zu finden ist. Tabelle 5.13 Zusammensetzung der örtlichen Räte Vorsitzender des Rates 1. Stellvertreter des Vorsitzenden Stellvertreter des Vorsitzenden für Inneres Stellvertreter des Vorsitzenden und Vorsitzender der Plankommission, Stellvertreter des Vorsitzenden für Handel und Versorgung Mitglied des Rates für bezirks-/kreis-/ortsgeleitete Industrie Mitglied des Rates für Örtliche Versorgungswirtschaft Mitglied des Rates für Haushalt und Finanzen Mitglied des Rates für Land-, Forst- und Nahrungsmittelwirtschaft Mitglied des Rates für die Lebensmittelindustrie und örtliche Versorgungswirtschaft Mitglied des Rates für Wohnungswirtschaft Mitglied des Rates für Verkehrswesen Mitglied des Rates für Energiewirtschaft Mitglied des Rates für Umweltschutz und Wasserwirtschaft Mitglied des Rates für Kultur Mitglied des Rates für Jugendfragen, Körperkultur und Sport Bezirks-/Kreis-/Ortsbaudirektor Bezirks-/Kreisschulrat Bezirks-/Kreisarzt Sekretär des Rates Quelle: Bartsch 1991, S. 124–127, 132 f., eigene Darstellung

Manchen Ratsmitgliedern unterstanden in diesem System mehrere Fachabteilungen mit eigenen Leitern. Ein Beispiel ist das Ratsmitglied für Land-, 17

Gesetz über die örtlichen Volksvertretungen und ihrer Organe in der DDR vom 12. Juli 1973, In der Fassung vom 12. Juli 1973.

5.5 Stabilität, Stagnation und Überwachung …

245

Forst- und Nahrungsmittelwirtschaft, dem die Abteilungen Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Nahrungsgüterwirtschaft unterstanden. Üblicherweise leitete das Ratsmitglied eine der Abteilungen selbst (Bartsch 1991, S. 126). In Bereichen, in denen nur eine Fachabteilung existierte, waren die Ratsmitglieder immer auch Leiter der Fachabteilungen. Dies galt beispielsweise für den Schulrat, der die Abteilung für Volksbildung leitete oder den Bezirks-/Kreisarzt, der der Gesundheitsabteilung vorstand (ebd.). Trotz der Vereinheitlichung der Strukturen und Fachabteilungen verursachte das Gesetz letztlich „keine signifikanten Organisationsveränderungen, verstärkte aber die zentrale Entscheidungskompetenz und bewirkte, daß durch ein aufeinander abgestimmtes Ensemble von Aufgaben und Entscheidungsfeldern eine relativ eindeutige Struktur des gesamten Staats- und Wirtschaftsapparates geschaffen wurde, die dazu dienen sollte, die zentral entschiedenen Maßnahmen möglichst reibungslos durchzusetzen und dem Leitungsprozeß wissenschaftlichen Charakter zu verleihen.“ (Neugebauer 1978, S. 121)

Dasselbe gilt für die Novelle des Gesetzes18 vom 04. Juli 1985. Diese änderte letztlich nur Kleinigkeiten wie die Zusammensetzung der Volksvertretungen und die Verteilung der Mandate auf die Massenorganisationen. Grundlegend neue Aufgaben ergaben sich aus dem Gesetz für die nachgeordneten Organe aber nicht (Schulze 1991c, S. 54). Das Hauptziel der Regional- und Kommunalpolitik war ab den 1970er Jahren die formale Einbeziehung der Bürger in die Leitung und Planung des Staates und der Wirtschaft. Zur Erreichung des Ziels wurden zahlreiche Mitwirkungsmöglichkeiten geschaffen. So waren 1981 ca. 200.000 Bürger als Abgeordnete in den Volksvertretungen tätig. 510.000 Bürger waren ehrenamtliche Mitarbeiter oder Mitglieder von Ständigen Kommissionen der Volksvertretungen, 51.000 Bürger waren ehrenamtlich für die Arbeiter- und Bauerninspektion tätig, 49.700 arbeiteten als Schöffen und 54.290 Bürger waren Mitglieder gesellschaftlicher Gerichte, welche die Aufgabe hatten, Streitfälle zwischen gleichrangigen Organen zu schlichten (Sieveking 1987, S. 1167). Diese Tätigkeiten sollten die Verbundenheit mit dem Staat und der Partei fördern und die Arbeitsdisziplin sowie die Arbeitsmoral steigern (ebd.). Einen wirklichen Einfluss auf den Willensbildungsprozess hatten die Bürger trotz dieser Maßnahmen allerdings weiterhin nicht. Dies war weiterhin der SED-Führung vorbehalten.

18

Gesetz über die örtlichen Volksvertretungen in der DDR vom 04. Juli 1985, In der Fassung vom 04. Juli 1985.

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5.5.2

5

Politik und Verwaltung im SED-Regime

Veränderung der Verwaltungs- und Besetzungsgrundlagen

Mit der Rücknahme der Reformen Ulbrichts durch Honecker veränderten sich auch die Anforderungen an Kader. Die politische Zuverlässigkeit der Kader und die ideologische Ausbildung rückten wieder stärker in den Vordergrund (König 1991, S. 19). Fachkenntnisse allein genügten aus Sicht der SED-Führung nicht bei der Leitung der Volkswirtschaft. Die Partei erkannte, dass trotz der Reformen der 1960er Jahre und der Einführung der Verwaltungsordnung 1969 immer noch konkrete Anforderungskriterien für staatliche Kader fehlten (Glaeßner 1977, S. 237). Es folgte daher der letzte Schritt in der Weiterentwicklung des Nomenklatursystems: Der Beschluss des ZK Über die Arbeit mit den Kadern vom 07. Juni 1977. In diesem wurden die Anforderungen und Pflichten der Staatsfunktionäre und die Auswahl der Kader sowie der Aufbau der Kaderreserve mit dem Aufstellen sogenannter Kaderprogramme stärker formalisiert. Die neu formulierten Pflichten sind Tabelle 5.14 zu entnehmen. Tabelle 5.14 Pflichten der Staatsfunktionäre Treuepflicht gegenüber der Politik der SED Pflicht zur exakten Umsetzung der SED-Beschlüsse Pflicht zur politisch-ideologischen Erziehung der Gesellschaft Pflicht zur gewissenhaften Arbeit Pflicht zur Sparsamkeit Rechenschaftspflicht gegenüber der zuständigen Volksvertretung Pflicht zur sozialistischen Gemeinschaftsarbeit Einspruchspflicht gegen Weisungen, die nicht den sozialistischen Vorgaben entsprachen Pflicht zur Wachsamkeit und Verschwiegenheit Widerstandspflicht gegen Bürokratismus und Selbstzufriedenheit Pflicht zur Einhaltung der sozialistischen Moral Pflicht zur fachlichen und ideologischen Weiterbildung Quelle: Schwarzenbach 1976, S. 43., eigene Darstellung

5.5 Stabilität, Stagnation und Überwachung …

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Leiter des Kadersystems hatten darüber hinaus die Verantwortung für die Umsetzung der Parteibeschlüsse im eigenen Zuständigkeitsbereich, die Pflicht neueste wissenschaftliche Erkenntnisse in der Alltagsarbeit zu integrieren, Beschlüsse vorzubereiten, durchzuführen und zu kontrollieren, alle grundlegenden Fragen des eigenen Verantwortungsbereichs regelmäßig mit der zuständigen SED-Parteileitung, den Massenorganisationen und den vorgesetzten Organen abzusprechen und die Kaderarbeit und den Aufbau der Kaderreserve im eigenen Bereich zu sichern (Schwarzenbach 1976, S. 43 f.). Für die Sicherstellung des letzten Punkts erhielten alle Nomenklaturstellen die Aufgabe, klare Karrierewege für die Qualifikation der Kader vorzugeben und diese von der übergeordneten Parteileitung genehmigen zu lassen (Thieme 2015, S. 112). Die Kaderprogramme orientierten sich im Gegensatz zur Nomenklatur nicht am Parteitagsrhythmus, sondern an den fünfjährigen Volkswirtschaftsplänen. In den Programmen waren folgende Punkte geregelt: „1. Kaderpolitische Schwerpunkte für die Auswahl, Entwicklung und Erziehung der Kader, d.h. politische und klassenmäßige Zusammensetzung, Qualifikationsstruktur und Leistungsvermögen, altersmäßige Zusammensetzung und Belastbarkeit 2. marxistisch-leninistische und fachliche Aus- und Weiterbildung 3. Maßnahmen zur Auswahl, Vorbereitung und Arbeit mit der Kaderreserve.“ (Bundesarchiv DC 20/8969) Zentral war hier in erster Linie der dritte Punkt. Fähige Kader sollten zwei bis drei Jahre vor ihrem geplanten Einsatz in einer Nomenklatur in die Kaderreserve aufgenommen werden, um dort auf die Übernahme ihrer neuen Funktion vorbereitet zu werden. Um dies für alle Behörden fünf Jahre im Voraus planen zu können, war ein hohes Maß an Informationen und Handlungsfreiheit bei den Besetzungsprozessen notwendig (Wagner 1998, S. 103). Die Zusammensetzung der zukünftigen Nomenklaturkader sollte dadurch gezielt geplant werden. Ziele waren beispielsweise eine Erhöhung des Frauenanteils, eine Verjüngung der Kader und weiterhin ein hoher Grad an politischer Zuverlässigkeit sowie eine „angemessene“ Vertretung aller Parteien und Massenorganisationen innerhalb der Nomenklaturkader (Wagner 1998, S. 103–105). Unter angemessen wurden dabei die Dominanz der SED-Mitglieder und die Aufnahme einzelner Mitglieder der Blockparteien, um den Schein der Pluralität zu wahren, verstanden. Nach diesen Kriterien suchte die Partei geeignete Personen aus, die in der Kaderreserve dann auf ihre zukünftige Position vorbereitet werden sollten (ebd.).

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5

Politik und Verwaltung im SED-Regime

Im Zuge des Wachstums der zahlreichen Nomenklaturen und der Kaderreserve kam die Leistungsfähigkeit der Kaderabteilungen an ihre Grenzen. Diese hatten mehrere hunderttausend Kaderakten zu verwalten und sollten daraus passende Kader für bestimmte Positionen auswählen. Zu Beginn der 1970er Jahre zeigte sich, dass dieses System nicht funktionierte (Hornbostel 1999, S. 183). Daher musste eine moderne Lösung entwickelt werden, um die Auswahl der Kader systematischer angehen zu können. Der Ministerrat beschloss deshalb im Juli 1972 als Ergänzung zu den Kaderakten den Aufbau eines digitalen Zentralen Kaderdatenspeichers (Best und Hornbostel 2003, S. 116; Gebauer et al. 2004, S. 197 f.). In diesem sollten über alle Kader detaillierte Informationen gesammelt werden, um zügiger als bisher die Kaderauswahl treffen zu können. Neben den soziodemographischen Merkmalen, der Ausbildung, Berufsbiographie und der Parteizugehörigkeit wurden auch übernommene Mandate, Mitgliedschaften in Massenorganisationen und Auszeichnungen erfasst (Hornbostel 1999, S. 185). Es wurden entsprechend der verschiedenen Nomenklaturen zahlreiche komplementäre Kaderdatenspeicher (ca. 70) bei den Nomenklaturstellen aufgebaut. Der Grund hierfür war die zu geringe Rechenleistung der damaligen Computer, welche einen zentralen Datenspeicher in den 1970er Jahren noch unmöglich machte (Remy 2003, S. 81). Ab dem ersten Quartal 1973 wurden die Daten gesammelt, welche ab 1979 zum ZKDS vereinigt wurden (Best und Hornbostel 2003, S. 117). Bis März 1990 wurden insgesamt 698.566 Personen (Remy 2003, S. 76) im ZKDS des Ministerrats erfasst. Es handelte sich um die Nomenklaturkader des Ministerrates, die Leiter und Mitarbeiter der zentralen und nachgeordneten Staatsorgane, die leitenden Kader der zentralgeleiteten und bezirksgeleiteten Kombinate und Betriebe, alle Mitarbeiter des Außenhandels und alle Absolventen von Instituten und Hochschulen (Hornbostel 1999, S. 185). Nicht erfasst wurden die Mitarbeiter des Ministeriums des Innern, des Ministeriums für Staatssicherheit und des Ministeriums für Nationale Verteidigung (Remy 2003, S. 79 f.). In den 1980er Jahren wurde der Kreis der zu erfassenden Personen immer weiter ausgedehnt, sodass nicht nur Kader, sondern auch einfache Mitarbeiter wie Sekretärinnen oder Chauffeure erfasst wurden (Remy 2003, S. 83). Für die SED bot der Datenspeicher politisch-ideologische Kontroll- und Planungsmöglichkeit (Best und Hornbostel 2003, S. 121). Inwieweit der ZKDS für die zukünftige Kaderplanung genutzt wurde, ist allerdings unklar. Es scheint so, dass die meisten staatlichen Organe die Daten nicht für die Kaderplanung, sondern lediglich für die Planung von Jubiläen und Geburtstagen ihrer Mitarbeiter nutzten (Gebauer et al. 2004, S. 202; Remy 2003, S. 100). In vielen Organen wurde das Potenzial digitaler Daten zu dieser Zeit noch nicht erkannt.

5.5 Stabilität, Stagnation und Überwachung …

249

Im Auswahlprozess wurde, wie bereits kurz genannt, die politische Zuverlässigkeit wieder zum wichtigsten Kriterium der Kaderauswahl (Thieme 2015, S. 130). 1977 erkannte die SED, dass sie alle Möglichkeiten der ideologischen Schulungen verstärkt nutzen müsse, um die Parteigenossen und Kader für ihre Arbeit zu rüsten. In einem Beschluss des Politbüros vom 18. Mai 1977 wurden als zu verstärkende Maßnahmen das bereits früher eingeführte Parteilehrjahr und das Engagement von „Agitatoren, Propagandisten, Lektoren, Referenten und anderen Kader“ (Bundesarchiv DC 9–701) identifiziert. Die häufiger auftretenden Krisen führten dazu, dass die SED stärker auf eine Burgenmentalität setzte. Parteieliten „verschanzten“ sich in ihren Positionen und verteidigten diese mithilfe persönlicher Kontakte und Seilschaften gegen einen Einfluss von außen. An eine grundlegende Verwaltungsreform wagte sich in den 1980er Jahren niemand mehr heran. Zwar existierten innerhalb der SED viele Ideen von der Reorganisation der Ministerien, über einen neuen territorialen Zuschnitt der örtlichen Organe bis hin zur Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit. Umgesetzt wurde keine der Reformen (König 1991, S. 39). Zentral für SED war auch in der Kaderpolitik die Aufrechterhaltung des Status quo. Es ging darum „die Verwaltung auch weiterhin zu nutzen als brauchbares Instrument, um die Alleinherrschaft der SED zu verwirklichen und die immer verfehltere zentralistische Staatspolitik von oben bis unten durchzusetzen.“ (Schulze 1991c, S. 55)

Folglich behielt sich die SED auch weiterhin die Führung im Nomenklatursystem vor. Alles ging von der Nomenklatur des ZK aus und verzweigte sich danach in den nachgeordneten Bereichen. Der Vorrang der Partei zeigt sich in den dicker gekennzeichneten Pfeilen der nachfolgenden Abbildung 5.8. Zwar existierte ein Einfluss der staatlichen Behörden auf die eigenen Nomenklaturen. Die Letztentscheidung behielt sich in allen Fällen aber die Partei vor. Trotz der stärkeren Konzentration auf politische Loyalität im Auswahlprozess und der zentralen Rolle der SED zeigt sich aber, dass die meisten der ca. 400.000 Kader der Staatsverwaltung und der Wirtschaft (Wagner 1998, S. 100 f.) – im Unterschied zu den Mitgliedern der Führungsgremien der SED – über ein recht hohes Bildungsniveau verfügten. Während die Mitglieder des PB, des ZK und der Bezirksleitungen meist nur eine Berufsausbildung abgeschlossen hatten, besuchte die große Mehrheit der Kader eine Hochschule (Thieme 2015, S. 155). Beim Blick auf die Kader der 1980er Jahre, kann festgestellt werden, dass diese eher alt, männlich, hoch qualifiziert und gegenüber der SED und ihrer Führung stets loyal waren (Thieme 2015, S. 156). Zahlen der ZK-Kader von 1986 belegen

250

5

Politik und Verwaltung im SED-Regime

Generalsekretär, Politbüro, Zentralkomitee Nationaler Verteidigungsrat Parteien, Gesellschaftliche Organisationen Verbände

Tiefergehende Strukturen in Vernetzung zu zuständigen SED-Leitungen

Sicherheitsbereich MfNV, MdI, MfS, ZV, GST

Volkskammer, Staatsrats

Bezirkstage

Kreistage

Bezirksleitungen der SED

Kreisleitungen der SED

Ministerrat Ministerien, Zentrale Organe Räte der Bezirke

jeweilige regionale Strukturen Räte der Kreise

Nachgeordnete Organe, Kombinate etc.

Jeweilige lokale Strukturen

Abbildung 5.8 Vereinfachte Darstellung der Nomenklaturrangfolge im Jahr 1986. (Quelle: Wagner 1999, S. 47)

dies: in dieser Gruppe lag der Altersschnitt bei 51 Jahren, 83,9 % hatten eine Hochschulausbildung, 80,4 % waren seit mehr als 20 Jahren Mitglied der SED und nur 11,9 % waren weiblich (Wagner 1998, S. 95 f.).

5.5.3

Auswirkungen auf das Verwaltungspersonal

5.5.3.1 Nationale Ebene In den 1970er und 80er Jahren zeigte sich, dass die Partei in fachlichen Fragen immer abhängiger vom Staatsapparat wurde. Die wieder zunehmende Fokussierung auf politische Zuverlässigkeit bei der Kaderauswahl (insbesondere bei den Parteikadern) führte dazu, dass in den Fachabteilungen des ZK kaum noch fachliche Kompetenz vorhanden war (König 1991, S. 32). Die Partei setzte daher noch stärker als zuvor auf konsultative Formate, um von den Fachkenntnissen der staatlichen Funktionäre zu profitieren (ebd.). Für diese war das eine sehr gute Möglichkeit zur Einflussnahme auf den Politikformulierungsprozess. Obwohl die staatlichen Organe formal kein Initiativrecht hatten, konnten sie ihren Informationsvorsprung häufig nutzen, um die Inhalte von Gesetzen weitgehend zu bestimmen (ebd.). Diese Funktionale Politisierung war der SED scheinbar nicht wirklich bewusst, hielt die Partei die staatliche Verwaltung doch seit jeher für unfähig und schob ihr regelmäßig die Schuld für Fehler und mangelnde Zielerreichung zu (Neckel 1992, S. 259). Die Überraschung über die Leistungsfähigkeit

5.5 Stabilität, Stagnation und Überwachung …

251

der staatlichen Organe zeigt sich in einem Zitat des letzten SED-Vorsitzenden des Ministerrats Hans Modrow: „Nach der Wende im Herbst 1989, als die ‚führende Rolle der SED‘ aus der Verfassung der DDR gestrichen worden war und die Regierung ihre Verantwortung unbeeinflußt von der Parteiführung wahrnahm, zeigte sich, daß der Staatsapparat nicht nur über Kompetenz, sondern auch über eine große Zahl verantwortungsbewusster, entscheidungsfähiger Mitarbeiter verfügte; die unter kompliziertesten Bedingungen die Funktion der staatlichen Leitung aufrechtzuerhalten und im positiven Sinne zu verändern vermochten.“ (Modrow 1994, S. 54. Hervorhebungen im Original)

Aufgrund des Mangels an Fachkenntnis wurde aber die Kontrolle der Staatsfunktionäre durch die Partei massiv erweitert. So schilderte Arno Donda, der langjährige Leiter der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik, 1992 den Einfluss der SED folgendermaßen: „Von seiten der Parteiführung übte auf meine Arbeit in zunehmendem Maße […] der Wirtschaftssekretär, Dr. Günter Mittag, einen sehr starken Einfluss aus. Alles, was für die Publikation vorgesehen war, mußte ich ihm vorlegen. Auch ins Berichtswesen hat sich Mittag eingemischt. Bei allem, was an Informationen und Analysen weitergegeben werden sollte […] von ihm wurde das Verteilersystem bestätigt; die wichtigsten Dinge gab allein er frei. Ich hatte wenig Kontakt zu Dr. Mittag; das Telefon und sein großer Mitarbeiterstab bestimmten die Kommunikation. […] Es wurde knapp angewiesen, abgelehnt, bestätigt. Unablässige Kontrolle war wohl Mittags Haupttätigkeit. […] Staatlicherseits […] unterblieb jegliche bevormundende Kontrolle“ (Donda im Interview mit Zimmermann und Schütt 1992, S. 29)

In die Alltagsarbeit mischte sich die SED also massiv ein. Im Interview schildert Donda die Tatsache, dass die Staatliche Statistik zwar immer die korrekten Zahlen erhob, diese jedoch von den ZK-Abteilungen vor der Veröffentlichung zu den eigenen Gunsten manipuliert wurden. Nicht einmal dem Ministerrat durften die wahren statistischen Kennziffern mitgeteilt werden (Zimmermann und Schütt 1992, S. 31). Da Donda jedoch darauf pochte korrekte Statistiken zu veröffentlichen, erhielten er und seine Mitarbeiter ab Mitte der 1970er Jahre ein Auftrittsverbot durch das ZK der SED. Außerdem wurde die eigene Zeitschrift der Zentralverwaltung für Statistik eingestellt, um zu verhindern, dass statistische Erkenntnisse am ZK vorbei veröffentlicht wurden (Zimmermann und Schütt 1992, S. 31 f.). In anderen Ressorts scheint dies analog gewesen zu sein, wie der ehemalige Minister für Kultur Hans-Joachim Hoffmann erzählte:

252

5

Politik und Verwaltung im SED-Regime

„Der Staatsapparat agierte noch zu Beginn der 70er Jahre relativ selbständig, im Rahmen der gegebenen Koordinaten natürlich. Aber als die Schwierigkeiten begannen, übernahm der Parteiapparat, auf allen Gebieten übrigens, die unmittelbare Leitung. Die Abteilungsleiter des ZK der SED traten offen als Überminister auf, außer bei der Volksbildung selbstverständlich. Aber wenn die Ergebnisse dadurch auch nicht besser wurden, waren natürlich wieder die Minister schuld. Diese Demagogie und Schizophrenie bestimmte die tägliche Praxis.“ (Hoffmann im Interview mit Zimmermann und Schütt 1992, S. 118)

Inwieweit die ZK-Abteilungen in die Ministerien hineinregierten, hing allerdings davon ab, ob die Abteilungen ein eigenes Aufgabenfeld hatten oder nur die Arbeit des eigentlich zuständigen Ministeriums kontrollierten. Günter Sieber, Leiter der ZK-Abteilung Außenpolitik, schilderte dies im Interview mit Zimmermann und Schütt folgendermaßen: „Begünstigend dafür, daß ich anderen vielleicht weniger mit Machtgehabe auf die Nerven ging, war wohl, daß unsere Abteilung im ZK einen eigenen Arbeitsgegenstand aufwies, nämlich die Beziehungen zu anderen Parteien. Die Abteilung Maschinenbau, nur als Beispiel, besaß keinen eigenen Arbeitsgegenstand, die regierte fast zwangsläufig immer in das zuständige Ministerium hinein. Außerdem war Außenminister Oskar Fischer ein sehr kooperativer Mensch mit Sinn für das Machbare. Wir haben immer einen Weg gefunden, Reibungsverluste klein zu halten. Gutes persönliches Verstehen war schon wichtig, um Spielräume maximal nutzen zu können.“ (Sieber im Interview mit Zimmermann und Schütt 1992, S. 227)

Wie bereits in früheren Phasen war auch in der vierten Phase der DDR die persönliche Konstellation der handelnden Akteure entscheidend für die Zusammenarbeit und die Beziehung von Partei- und Staatsapparat. Daher ergibt sich ein sehr heterogenes Bild, wenn die Einflüsse der Partei auf die Alltagsarbeit der staatlichen Organe analysiert werden soll. Bei den Besetzungen von Positionen im Staatsapparat fuhr die Partei unter Honecker sukzessive die Reformen der 1960er Jahre zurück. Politische Zuverlässigkeit wurde wieder zum wichtigsten Kriterium. Vereinfacht gesagt: Wer in der DDR Karriere machen wollte musste der SED beitreten und sich dort bewähren. Parteipolitisierung war das dominante Besetzungsverfahren. Wie weit der Einfluss der SED im Staatsapparat reichte, zeigt schon die Zahl der SED-Mitglieder in staatlichen Positionen. Ende des Jahres 1988 waren 502.245 Mitglieder und Kandidaten der SED im Staatsapparat beschäftigt, was 21 % aller SED-Mitglieder und ca. 90 % der Staatsfunktionäre entsprach (Schulze 1991c, S. 58). Außerdem waren alle Offiziere der NVA, der Polizei und des MfS Mitglieder der Partei (Schroeder 1998, S. 405).

5.5 Stabilität, Stagnation und Überwachung …

253

In den Ministerien und zentralen Organen der DDR arbeiteten im Oktober 1989 24.845 Staatsfunktionäre. Es handelt sich dabei um alle Mitarbeiter, die einer Nomenklatur angehörten, sei es der des Ministerrats oder einer Nomenklatur der Ressorts. Die Soldaten der NVA, die Polizisten, die Mitarbeiter der Staatssicherheit, die nicht direkt im Ministerium arbeiteten, sowie die Lehrer und Hochschuldozenten zählen nicht zu dieser Gruppe (Schulze 1991e, S. 147). 51,6 % dieser Verwaltungskader hatten einen Arbeiter- und 4,1 % einen bäuerlichen Hintergrund. 41,4 % waren in ihrer ersten beruflichen Position in der Produktion tätig (Schulze 1991e, S. 169). 67,3 % verfügten über einen Hochschulabschluss und 23,7 % über einen Fachschulabschluss. Die Position, welche die Mitarbeiter im Oktober 1989 innehatten, übten 33,2 % bereits mehr als zehn Jahre, 26,1 % fünf bis zehn Jahre, 28,8 % zwei bis fünf Jahre und nur 11,8 % weniger als zwei Jahre aus (Schulze 1991e, S. 170). Bei Betrachtung der altersmäßigen Zusammensetzung kann festgestellt werden, dass der Großteil der Beschäftigten mittleren Alters war. 43,8 % waren zwischen 40 und 55 Jahre alt. Die zweitgrößte Gruppe stellten die 25 bis 40-Jährigen mit 30,9 % gefolgt von den 55 bis 60-Jährigen mit 14,5 und den über 60-Jährigen mit 10,1 %. Die ganz jungen Mitarbeiter unter 25 Jahren spielten nur eine sehr geringe Rolle (0,8 %) (ebd.). Für die die 888 Abteilungsleiter der Ministerien zeigt sich ein Durchschnittsalter von 44,6 Jahren bei Antritt der Position (ZKDS. eigene Berechnungen). 8,6 % verfügten über einen Fachschulabschluss, 90,5 % sogar über einen Hochschulabschluss. Lediglich 0,9 % der Abteilungsleiter hatten nur einen Schulabschluss (ZKDS. eigene Berechnungen). Bei den studierten Fächern zeigt sich eine klare Dominanz von wirtschaftswissenschaftlichen Studiengängen (37,6 % aller Studienfächer), was nicht verwundert, war doch die Lenkung der Wirtschaft die Hauptaufgabe der Ministerien. Danach folgen technische Studiengänge (13,8 %) und verwaltungs- bzw. staatswissenschaftliche Studienprogramme (11,3 %) (ZKDS. eigene Berechnungen). Beachtlich ist, dass nur 75,8 % aller Abteilungsleiter eine Parteihochschule bzw. eine Parteischule besucht haben (ZKDS. eigene Berechnungen), obwohl der Besuch für alle Kader vorgeschrieben war. Der berufliche Werdegang der ministeriellen Abteilungsleiter erfolgte meist außerhalb der Verwaltung. 45,0 % arbeiteten vor ihrer Zeit als Abteilungsleiter hauptamtlich für die SED (ZKDS. eigene Berechnungen). Allerdings waren sie nicht besonders lange in dieser Position, was die durchschnittliche Berufserfahrung von lediglich 9,6 Monaten im Sektor Politik andeutet. In der Verwaltung und der Wirtschaft arbeiteten die Abteilungsleiter deutlich länger (7,9 Jahre bzw. 6,2 Jahre) (ZKDS. eigene Berechnungen).

254

5

Politik und Verwaltung im SED-Regime

Politisch zeigt sich ein sehr eindeutiges und erwartbares Bild. 94,8 % der Abteilungsleiter waren SED-Mitglieder. Die verbleibenden 5,2 % gehörten den Blockparteien an, welche seit den 1960er Jahren berechtigt waren, eigene Mitglieder in die Kaderreserve zu schicken. Parteilos war keiner der Abteilungsleiter (ZKDS. eigene Berechnungen). 2,3 % hatten vor oder während ihrer Zeit als Abteilungsleiter ein Mandat in der Volkskammer oder einem Bezirkstag inne. 95,4 % waren Mitglied in mindestens zwei Massenorganisationen. 64,2 % waren in mindestens drei Massenorganisationen. Lediglich 4,6 % gehörten keiner der von der SED dominierten Organisationen an (ZKDS. eigene Berechnungen). Die meisten Mitgliedschaften finden sich in den Freundschaftskomitees (z. B. Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft) (94,4 %), dem FDGB (94,8 %) und der FDJ (47,5 %). Im Sicherheitsbereich waren 3,0 % der Abteilungsleiter Mitglied der Zivilverteidigung, 44,5 % waren in den Kampfgruppen der Arbeiterklasse aktiv und 32,9 % waren (ehemalige) Soldaten der NVA (ZKDS. eigene Berechnungen). Der durchschnittliche Politisierungsindex der Abteilungsleiter liegt bei einem Wert von 0,42. Beim Ressortvergleich zeigt sich, dass der Durchschnittswert im Bereich von 0,31 und 0,67 schwankt (siehe Tabelle 5.15) (ZKDS. eigene Berechnungen). Besonders niedrig ist der Wert im Ministerium für Glas- und Keramikindustrie (0,31), dem Gesundheitsministerium, dem Staatssekretariat für Körperkultur und Sport (jeweils 0,33) sowie dem Ministerium für Umweltschutz und Wasserwirtschaft (0,35) und dem Justizministerium (0,36). Hohe Werte finden sich im Ministerium für Erzbergbau, Metallurgie und Kaliwirtschaft (0.67) und dem Amt für Jugendfragen und der Arbeiter-und-Bauern-Inspektion (jeweils 0,56) (ZKDS. eigene Berechnungen). Bei der durchgeführten Clusteranalyse zeigte sich keine klare Abgrenzungstendenz zwischen den drei vom Programm identifizierten Clustern. Sowohl im Cluster 1 mit niedrigem Politisierungsgrad als auch im Cluster 2 mit mittlerem Politisierungsgrad zeigt sich eine hohe Durchmischung verschiedenster Ressorts. Es lässt sich nicht beobachten, dass beispielsweise die Industrieministerien systematisch weniger politisiert wären als die Bildungsressorts oder die Kernministerien (Auswärtiges, Inneres, Justiz, Finanzen). Im Cluster 3 mit dem hohen Politisierungsgrad findet sich lediglich das Ministerium für Erzbergbau, Metallurgie und Kaliwirtschaft, welches einen extremen Ausreißer darstellt. Der Grund hierfür liegt in der Tatsache begründet, dass für dieses Ministerium nur ein einzelner Abteilungsleiter im ZKDS erfasst wurde und dieser neben zahlreichen Mitgliedschaften in Massenorganisationen und bestehender Berufserfahrung in der SED auch Mitglied einer Kreisleitung der SED war, weshalb sein Politisierungswert sehr hoch ausfällt (ZKDS. eigene Berechnungen).

5.5 Stabilität, Stagnation und Überwachung …

255

Tabelle 5.15 Mittelwerte und Median des Politisierungsindex nach Ressorts und F-Wert der ANOVA Mittelwert

Median

Apparat des Ministerrats

0,41

0,33

Auswärtige Angelegenheiten

0,46

0,50

Justiz

0,36

0,33

Staatliche Plankommission

0,49

0,50

Finanzen

0,48

0,50

Gesundheitswesen

0,33

0,33

Wissenschaft und Technik

0,48

0,50

Hoch- und Fachschulwesen

0,47

0,50

Volksbildung

0,41

0,33

Kultur

fehlende Angaben

fehlende Angaben

Land-, Forst und Nahrungsgüterwirtschaft

0,48

0,50

Verkehrswesen

0,39

0,33

Post und Fernmeldewesen

0,40

0,33

Bauwesen

0,44

0,33

Umweltschutz und Wasserwirtschaft

0,35

0,33

Kohle und Energie

0,43

0,50

Erzbergbau, Metallurgie und Kaliwirtschaft

0,67

0,67

Chemische Industrie

0,40

0,33

Elektrotechnik und Elektronik

0,42

0,33

Schwermaschinen- und Anlagenbau

0,41

0,33

Werkzeug- und Verarbeitungsmaschinenbau

0,49

0,50

Leichtindustrie

0,48

0,50

Allgemeinen Maschinen-, Landmaschinen- und Fahrzeugbau

0,42

0,33

Bezirksgeleitete Industrie und Lebensmittelindustrie

0,47

0,50

Glas- und Keramikindustrie

0,31

0,33

Geologie

0,45

0,50

Handel und Versorgung

0,47

0,50

Außenhandel

0,45

0,50

Materialwirtschaft

0,50

0,50 (Fortsetzung)

256

5

Politik und Verwaltung im SED-Regime

Tabelle 5.15 (Fortsetzung) Mittelwert

Median

Arbeit und Löhne

0,44

0,33

Körperkultur und Sport

0,33

0,33

Amt für Preise

0,42

0,33

Amt für Jugendfragen

0,56

0,50

Arbeiter- und Bauerninspektion

0,56

0,50

Staatsbank der DDR

0,49

0,50

F-Wert

17,44***

Hinweis: * (p < .05) ** (p < .01) *** (p < .001) Quelle: ZKDS. eigene Berechnung und Darstellung.

Zuletzt wurde noch eine lineare Regression durchgeführt, in welcher Einflussfaktoren auf die Höhe des Politisierungsindex untersucht wurden. Es zeigt sich allerdings, dass weder der Bildungsgrad der Abteilungsleiter, noch das Eliteneinstiegsalter oder ein wirtschaftswissenschaftliches Studium hohe Einflussfaktoren sind. Bei den letzten beiden Faktoren zeigen sich zwar signifikante Regressionskoeffizienten. Allerdings sind diese so gering, dass sie vernachlässigt werden können. Das R2 liegt ebenfalls im vernachlässigbaren Bereich (0,01 bzw. 0,02) (ZKDS. eigene Berechnungen). Es zeigt sich also, dass es keine systematischen Gründe für Höhenunterschiede beim Politisierungsindex gibt. Vielmehr hängt es von den einzelnen Personen und deren persönlichen Lebensentscheidungen ab. Insgesamt zeigt sich aber, dass bei lediglich 34 Personen (3,8 %) der Index bei 0,0 liegt, was für eine hohe Grundpolitisierung der gesamten Gruppe spricht.

5.5.3.2 Bezirks- und Kommunalebene Die nachgeordneten Organe hatten in den 1970er und 80er Jahren kaum noch Kompetenzen zum eigenständigen Handeln. Besonders hart traf es die Kommunen. Mehr als 80 % der Haushaltsmittel waren zweckgebunden, zentrale Aufgaben wie die Wasserversorgung, der Personennahverkehr, die Wohnungsverwaltung, der öffentliche Gesundheitsdienst oder die Straßenreinigung waren alle in Trägerschaft der Kreise oder Bezirke (Bartsch 1991, S. 112). Die Kommunen waren dadurch extrem von den höheren Ebenen abhängig. Eigenständige Entscheidungen trafen die Gemeinde- bzw. Stadträte, ihre Fachabteilungen und deren Mitarbeiter so gut wie keine (Ahn 2010, S. 181). Ihre tägliche Arbeit wurde vollständig von zentralen Vorgaben der Regierung, der Bezirke und Kreise sowie der

5.5 Stabilität, Stagnation und Überwachung …

257

SED bestimmt. Gleichzeitig mussten die Kommunen immer mehr Tätigkeitsberichte an die höheren Räte und die jeweils zuständige Volksvertretung verfassen, was ca. 80 % der Arbeitszeit aller kommunalen Staatsfunktionäre in Anspruch nahm (Bartsch 1991, S. 124). Für die alltägliche Arbeitsweise der Verwaltungen der örtlichen Organe machte die SED sehr detaillierte Vorgaben und regierte in zahlreiche Kompetenzen der staatlichen Organe hinein. In vielen Bezirks-, Kreis- und Ortsleitungen der SED setzte sich in der Ära Honecker das „Kommandieren und Administrieren“ als gewähltes Mittel der Leitung durch. Die SED-Bezirksleitung Gera beschrieb die Situation 1989 wie folgt: „Bis vor kurzem war es üblich, daß bestimmte Aufgaben für die Genossen im Staatsapparat bis ins Detail durch das Büro der Bezirksleitung beschlossen wurden. [...] Diese Methode ist falsch [...] Das Kommandieren der Genossen im Staatsapparat sah zum Beispiel so aus, daß Mitarbeiter des Parteiapparates Abteilungsleitern des Rates des Bezirkes bestimmte Aufträge erteilten, ohne daß der Ratsvorsitzende oder der zuständige Stellvertreter in Kenntnis gesetzt wurden. Das zeigte sich auch bei Brigadeeinsätzen, wo über Mitarbeiter verfügt wurde, ohne die Verantwortlichen des Rates des Bezirkes zu befragen. Außerdem gab es Tendenzen, über die Abteilungsparteiorganisationen prinzipielle Fragen, für die der Rat des Bezirkes verantwortlich ist, zu behandeln und durchzusetzen.“ (Bericht der SED-Bezirksleitung Gera 1989 zitiert nach Mestrup 2003b, S. 228)

Ähnliches wurde bei einer Überprüfung der Arbeit der Kreisleitung Lübben festgestellt: „Sie [die Kreisleitung] darf sich zu keiner Stunde die Funktion des ‚Dirigenten‘ aus der Hand nehmen lassen. Sobald die Kreisleitung, um bei diesem Bild zu bleiben, versucht, einzelne Mitglieder des Orchesters’ zu ersetzen, entstehen Fehler im Zusammenwirken aller Organe, bleiben bestimmte Seiten der sozialistischen Umgestaltung zurück. [...] Indessen kommandierten Mitarbeiter des Rates des Kreises in vielen Fällen die Bürgermeister und LPG-Vorstände, überhäuften sie zum Teil mit Papier oder verfügten Planänderungen vom Schreibtisch aus. Das ergab sich nicht zuletzt aus dem Arbeitsstil der Kreisleitung, die oftmals selbst Abteilungen des Rates des Kreises anwies, in ihre Arbeit eingriff und dabei die gewählten staatlichen Organe überging. All das stärkte selbstverständlich die Eigeninitiative der Volksvertretungen nicht, hemmte ihre Entwicklung und schränkte die sozialistische Demokratie ein.“ (Bericht der SED-Bezirksleitung Cottbus 1989 zitiert nach Mestrup 2003b, S. 228. Hervorhebungen im Original)

Die örtlichen Verwaltungsorgane waren nach einer Phase der Lockerungen in den 1960er Jahren nun wieder fest an die Vorgaben der SED gebunden und

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5

Politik und Verwaltung im SED-Regime

somit reine Transmissionsriemen des Parteiwillens. Vieles hing dabei von den Ersten Sekretären der jeweiligen Parteileitungen ab. Trotz der formal vorgeschriebenen Kollektivität entwickelte sich in den 1970er und 1980er Jahren parallel zu den Entwicklungen im Politbüro auch auf den nachgeordneten Parteiebenen eine immer stärkere Zentralisierung auf die Person des Ersten Sekretärs (Zimmermann und Schütt 1992, S. 49). Der 1. Sekretär des Bezirks Karl-Marx-Stadt Siegfried Lorenz formulierte seine Stellung folgendermaßen: „Zwar ‚unterstanden‘ mir weder die staatlichen Organe noch die Wirtschaft oder die gesellschaftlichen Organisationen im Bezirk. Sie alle hatten ihre direkten Vorgesetzten oder übergeordneten Leitungen in Berlin. Doch es ist unbestreitbar, auf alles im Territorium nahm die Partei, nahm ich persönlich Einfluß. […] Auch wenn ich mich zu keiner Zeit für machtbesessen hielt, so ändert das sicher nichts daran, daß ich die Politik der SED voll mitgetragen habe und für alles, was im damaligen Bezirk Karl-Marx-Stadt stattfand, politisch voll verantwortlich bin.“ (Lorenz im Interview mit Zimmermann und Schütt 1992, S. 151 f. Hervorhebungen im Original)

In den thüringischen Bezirken Erfurt, Gera und Suhl agierten die Ersten Sekretäre der Bezirksleitungen zunehmend autoritär. Im Bezirk Erfurt „regierte“ ab 1980 Gerhard Müller. Dieser machte die Leiter der Kreisleitungen und die Vorsitzenden der Räte des Bezirks und der Kreise stets persönlich für Versäumnisse ihrer Mitarbeiter und für sämtliches Fehlverhalten in ihrem Zuständigkeitsbereich verantwortlich (Mestrup 2003b, S. 254). So wurde beispielsweise der Erste Sekretär der Kreisleitung Weimar 1987 sanktioniert, weil Studenten der Musikhochschule Weimar das Deutschlandlied pfiffen (ebd.). Ähnlich erging es den Leitern der staatlichen Organe bei den kleinsten Verstößen. Noch rigoroser ging Hans Albrecht, der Erste Sekretär des Bezirks Suhl vor. Dieser entfernte alle Kader, die es wagten, Widerspruch zu leisten, aus ihren Positionen (Mestrup 2003b, S. 255). Gegenüber nachgeordneten Funktionären und vor allem staatlichen Leitern demonstrierte Albrecht regelmäßig seine herausgehobene Stellung. So zitierte er diese Leiter häufig zu sich, um ihnen ihr Fehlverhalten vorzuhalten. Dies führte zu einem Klima der Angst, welches noch dadurch gefördert wurde, dass Albrecht seine Frau zur Leiterin der Kaderabteilung des Rates des Bezirks machte. So wurde er stets über die Vorgänge im Organ informiert und konnte zügig Maßnahmen ergreifen (Mestrup 2003b, S. 255–258). Diese fast absolutistische Stellung im Bezirk führte dazu, dass nachgeordnete Leiter von staatlichen Organen und Parteileitungen kaum noch Einfluss hatten. Albrecht entschied vieles bis ins Detail und machte bei einem Fehlschlag seiner Pläne die nachgeordneten Leiter verantwortlich (Mestrup 2003b, S. 258).

5.5 Stabilität, Stagnation und Überwachung …

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Eingriffe von oben in diese Praxis gab es nicht, agierte doch Honecker auf der zentralstaatlichen Ebene genauso (vgl. 5.5.3.1). Dass es auch anders ging, zeigte Werner Eberlein, welcher ab 1983 1. Bezirkssekretär im Bezirk Magdeburg war. Seine Devise war es, dem Staatsapparat und der Bezirksverwaltung notwendige Handlungsfreiheiten zu geben und betroffene Gruppen bei Reformen einzubeziehen (Zimmermann und Schütt 1992, S. 49 f.). So befragte er die Bauern des Bezirks und die Fachabteilung für Landwirtschaft des Rats des Bezirks, als es darum ging den Landwirtschaftsplan anzupassen oder die Räte der Kreise, als zwei Kreise zu einem vereinigt werden sollten (Zimmermann und Schütt 1992, S. 50 f.). Sein Vorgehen beschrieb er 1992 folgendermaßen: „Ich habe mich bemüht, so zu leben und zu arbeiten, daß ich die Würde anderer nicht verletzte. Ich wollte kein Administrator sein, sondern mit meiner Haltung und politischen Position Vorbild zeigen, und ich habe versucht anderen – etwas dem Vorsitzenden des Rates des Bezirkes – die gebührende Verantwortung zu überlassen, und sie nicht zu beschneiden. Widerspruch war gefragt, dazu forderte ich geradezu aus; freilich stieß das nicht immer auf Verständnis. Das Wort des 1. Sekretärs wurde oftmals, gegen meine Absicht, aus alter Tradition und einer Gewohnheit, die wir gefördert haben, zum Endurteil erhoben.“ (Eberlein im Interview mit Zimmermann und Schütt 1992, S. 55)

Nach diesen Schilderungen soll noch ein Blick auf die Staatsfunktionäre in den örtlichen Organen geworfen werden. Dort arbeiteten im Oktober 1989 100.786 Staatsfunktionäre, die kein Mitglied der Räte waren. Die Mitarbeiter örtlicher Einrichtungen wie Schulen oder Kombinate sowie das technische Personal wie Hausmeister oder Sekretärinnen gehörten ebenfalls nicht zu dieser Gruppe (Schulze 1991e, S. 150). 85 % der Staatsfunktionäre der örtlichen Organe waren SED-Mitglied (Lorenz 1999, S. 88). Der Arbeiter und Bauern-Hintergrund war bei den Mitarbeitern der örtlichen Organe deutlich höher als bei den Ministerien. 66,2 % hatten einen Arbeiter-, 9,6 % einen bäuerlichen Hintergrund. 51,6 % waren in ihrer ersten beruflichen Position in der Produktion tätig (Schulze 1991e, S. 170). Bei den Bildungsabschlüssen zeigen sich deutliche Unterschiede zu den Ministerien und zentralen Organen. Lediglich 14,8 % der Verwaltungsmitarbeiter der örtlichen Organe verfügen über einen Hochschulabschluss. 24.4 % hatten einen Fachschulabschluss. Alle übrigen hatten als höchsten Bildungsabschluss eine betriebliche Ausbildung (ebd.). Der SED allerdings war selbst dieser niedrige fachliche Qualifikationsstand der Staatsfunktionäre im Verhältnis zu deren ideologischer Zuverlässigkeit zu hoch. Anfang der 1970er Jahre gab es in der Partei zahlreiche Beschwerden

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5

Politik und Verwaltung im SED-Regime

darüber, dass die örtlichen Kader lieber an fachlichen als an politischen Weiterbildungen teilnahmen und sich „manche Kader nur einseitig auf ihr Fachgebiet orientieren“ (Assmann und Liebe 1972 zitiert nach Lorenz 1999, S. 90). Um dies zu korrigieren verpflichtete die SED ihre Mitglieder in den örtlichen Organen und öffentlichen Einrichtungen, mindestens ein Jahr lang die Kreis- oder die Bezirksparteischule zu besuchen (Lorenz 1999, S. 89), um eine Isolierung und Abkopplung der Verwaltungsmitarbeiter von den Werktätigen und eine Cliquenbildung aus der „Eigendynamik des Fachlichen“ (König 1992, 550) heraus zu verhindern. Daher wurden dort ausschließlich ideologische Inhalte vermittelt. Den eigenen fachlichen Hintergrund sollten Kader negieren und sich ganz dem Willen der Partei unterordnen. Wer sich dort bewährte, konnte schnell Karriere machen und wurde von der Partei für Positionen verwendet, für die der jeweilige Kader fachlich eigentlich nicht qualifiziert war (Lorenz 1999, S. 89). Ein ehemaliger VEB-Direktor äußerte sich 1996 dazu folgendermaßen: „Alle wurden in einen Topf geworfen, dann umgerührt. Fachliche Qualifizierung zählte in der Parteischule nicht mehr. Es kam vor, daß man als Lehrer rein ging und als Parteisekretär wieder raus kam.“ (Ehemaliger VEB-Direktor im Interview mit Lorenz 1999, S. 90)

Auf den Arbeitsalltag der örtlichen Organe hatte dies einen erheblichen Einfluss. Viele Leiter und Mitarbeiter der Abteilungen der Räte wiesen sehr große Lücken bei der Rechtskenntnis und Rechtsanwendung auf (Schulze 1991e, S. 147). Laut einer Studie der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaften der DDR waren bei allen örtlichen Räten im Mai 1987 nur 731 juristisch ausgebildete Staatsfunktionäre in den Verwaltungen tätig, wovon 274 bei den Bezirken, 383 bei den Kreisen, 23 bei den Stadtkreisen und 51 bei den Gemeinden arbeiteten (Schulze 1991e, S. 148). Das entspricht insgesamt nur einem Anteil von 0,7 % aller Staatsfunktionäre. Jeder Bezirk hatte im Schnitt 18,3 juristisch ausgebildete Staatsfunktionäre, jeder Kreis noch zwei und bei den Stadtkreisen und Gemeinden hatten nur die wenigsten mindestens einen juristisch ausgebildeten Staatsfunktionär (ebd.). Im Alltag stellte das allerdings kein sonderliches Problem dar, da die meisten Rechtsvorschriften häufig ignoriert wurden und Entscheidungen nicht auf Basis rechtlicher Vorgaben, sondern auf Basis von politischen Gründen getroffen wurden (Lorenz 1997, S. 48). Trotzdem kann in den 1980er Jahren eine zunehmende Verfachlichung der örtlichen Staatsfunktionäre beobachtet werden. Es zeigt sich, dass die fachliche Qualifikation, sofern die politische Zuverlässigkeit gegeben war, das entscheidende Kriterium für eine Besetzung war, auch wenn die SED das formal nicht

5.5 Stabilität, Stagnation und Überwachung …

261

förderte (Lorenz 1997, S. 46). In einer Fallstudie zu einer sächsischen Kommune kann Lorenz zeigen, dass alle Stadträte und der Bürgermeister dort über einen passenden Hoch- oder Fachschulabschluss für ihren Bereich verfügten (Lorenz 1997, S. 47). Das zeigt sich auch in zwei Interviews, die Lorenz (1999) mit zwei ehemaligen Stadträtinnen geführt hat: „Da saßen alle Stadträte zusammen, und der Bürgermeister sagte dann: ‚Leute es bahnt sich an, diese Planstelle neu besetzen zu müssen. Habt ihr irgend jemanden im Auge? Wen könnten wir da nehmen?‘ […] Dann wurden erst mal ein paar Leute ins engere Feld geführt- Es haben ja nicht alle gleich ‚Ja‘ gesagt. […] Das ist kein Parteiprozeß gewesen. Das war ein reiner Verwaltungsprozeß, einen geeigneten Kader zu finden, der in erster Linie fachlich versiert ist. Das hätt kein Schuldirektor akzeptiert, wenn ein Stadtrat für Kultur und Volksbildung von ‚Tuten und Blasen‘ aus der Volksbildung keine Ahnung hat!“ (Stadträtin I im Interview mit Lorenz 1999, S. 91. Hervorhebungen im Original) „Es waren eigentlich keine Leute, wo nur die Politik eine Rolle spielte, sondern man hat sie zielgerichtet auf die Kandidatenliste gesetzt mit der Absicht: ‚und die werden Stadtrat‘. Man brauchte ja auch keine Sorge haben, daß das Konzept nicht aufging wegen unserer 100%igen Wahl. Z.B. als die Stadträtin für Gesundheit gewählt wurde, da ist natürlich das Krankenhaus gefragt worden, die zentrale Krippenvereinigung usw. Das hat dann der Mandatsträger – in dem Fall der FDGB – in Zusammenarbeit mit der vorbereitenden Stelle der Wahl übernommen. Aber da hatte man schon Vorstellungen, weil man die Leute kannte und sagte: wer ist den gesellschaftlich aktiv und fachlich versiert.“ (Stadträtin II im Interview mit Lorenz 1999, S. 91 f. Hervorhebungen im Original)

Neben dem formal vorgegeben Weg der Kaderrekrutierung, welcher sich auf politische Zuverlässigkeit stützen sollte, existierte also ein informeller Rekrutierungsweg, bei dem fachliche Qualifikationen demnach sehr wohl eine entscheidende Rolle spielten (Lorenz 1997, S. 47). Allerdings gilt dies nicht überall. Bei der Besetzung von Staatsfunktionären in niedrigen Positionen setzte die SED in den 1980er Jahren hingegen häufig auf fachfremdes Personal. Es wurden beispielsweise Kellner, Verkäufer oder Schulabgänger eingestellt, die neben ihrer Berufsausübung eine fachliche Qualifikation nachholen mussten (Lorenz 1997, S. 47). Häufig wurden im Fernstudium oder einer Fernlehre kaufmännische oder staatswissenschaftliche Abschlüsse nachgeholt. In diesen wurden zu zwei Dritteln fachliche und rechtsspezifische Inhalte vermittelt, die die Funktionäre im Alltag brauchten (Lorenz 1997, S. 48). Diese Erkenntnisse relativieren auch die Ergebnisse von Schulze (1991), der die Qualifikation der Mitarbeiter lediglich an den Hoch- und Fachschulabschlüssen, nicht aber an den, in der Weiterbildung, erworbenen Fachkenntnisse bewertete. Die örtlichen Verwaltungsmitarbeiter der DDR verfügten in den 1970er und 1980er

262

5

Politik und Verwaltung im SED-Regime

Jahren, anders als vielfach behauptet, über ein relativ hohes Maß an fachlichen Qualifikationen (Lorenz 1999, S. 93).

5.5.4

Einordnung der Ergebnisse der vierten Phase des Regimes in die Politisierungsformen

In der letzten Phase verstetigte sich das Herrschaftssystem der SED, welches sich in den 25 Jahren zuvor unter Ulbricht etabliert hatte. Honecker setzte während seiner gesamten Amtszeit bis 1989 keine systemveränderten Maßnahmen durch. Er drehte stattdessen an ein paar Stellschrauben und setzte wieder verstärkt auf politische Zuverlässigkeit, ließ das System aber im Wesentlichen wie es war (Schwarzenbach 1976, S. 186 f.). Bei der Nomenklatur rückten Fachkenntnisse daher auch wieder in den Hintergrund. Politische Kriterien spielten formal wieder die entscheidende Rolle bei der Besetzung von Positionen im Staatsapparat. Wie auch in den Phasen zuvor zeigt sich, dass Parteipolitisierung die entscheidende Besetzungsstrategie war. Auf der lokalen Ebene wurde in niedrigen Positionen zwar auch auf Quereinsteiger gesetzt. Allerdings waren dies im Regelfall loyale Mitglieder der SED, sodass dies nicht als Offene Politisierung gewertet werden kann. Keine oder Gebundene Politisierung spielten wie zuvor schon keine Rolle (siehe auch Abbildung 5.9). Aufgrund der erneut zunehmenden Fokussierung auf politische Zuverlässigkeit bei der Kaderauswahl war in den Fachabteilungen des ZK kaum noch fachliche Kompetenz vorhanden. Immer häufiger wurde im Politikformulierungsprozess der fachliche Rat der Ministerien und örtlichen Organe benötigt (König 1991, S. 32). Diese wussten diese Möglichkeit zur Funktionalen Politisierung zu nutzen und versuchten vermehrt ihre eigenen Interessen in den Politikformulierungsprozess einzubringen. Aus der formalen Trennung von Politik und Verwaltung entstand so zunehmend eine Konkurrenz der beiden Sektoren, bei dem die staatlichen Stellen ihren Informationsvorsprung häufig nutzen, um die Inhalte von Gesetzen und Verordnungen weitgehend zu bestimmen (ebd.) und die Interessen der Partei auszuhebeln. Dies war neu, da in den vorherigen Phasen im Prozess die Zusammenarbeit zwischen Verwaltung und Partei stets dominierte. Diese existierte zwar auch weiterhin, bevorteilte aber zunehmend die fachlich kompetenten Staatsfunktionäre. Die neue Konstellation machte die staatlichen Organe allerdings nicht unabhängig von der Partei. Im Gegenteil: Unter Honecker wurde die staatliche Verwaltung durch stetige Kontrollen wieder stärker an die Partei gebunden (Schwarzenbach 1976, S. 191). Vor allem die Parteileitungen in den Organen,

5.5 Stabilität, Stagnation und Überwachung …

Personalpolitische Politisierung

Funktionale Politisierung

263

Strukturelle Politisierung

Keine Politisierung

Trennung

Beibehaltung von Strukturen

Gebundene Politisierung

Zusammenarbeit

Einfügen von Neuen / Zwischenebenen

Offene Politisierung

Konkurrenz

Reorganisation

Parteipolitisierung

Hybrid

Auslagerung von Kompetenzen

Abbildung 5.9 Beobachtete Politisierungsformen in der vierten Phase des SED-Regimes. (Hinweis: Beobachtete Politisierungsformen sind grau dargestellt) (Quelle: eigene Darstellung)

aber auch die Parteileitungen von außerhalb versuchten zunehmend in die Organe hineinzuregieren. Auf die Staatsfunktionäre, die in Personalunion auch eine Parteifunktion innehatten, wurde besonderer Druck ausgeübt. Sowohl die staatlichen Leiter, die der staatlichen Position vorgesetzt waren, als auch die vorgesetzte Parteileitung versuchten die Staatsfunktionäre zu beeinflussen. Strukturelle Politisierung fand in der letzten Phase praktisch nicht mehr statt. Nach Jahrzehnten der Herrschaft hatte sich die SED so weit in den Staatsstrukturen etabliert, dass eine weitere Schaffung neuer Ebenen, eine Reorganisation oder die Auslagerung von Kompetenzen nicht mehr notwendig waren, um die Verwaltung für die eigenen Ziele einzuspannen. Beibehaltung der Strukturen war das vorherrschende Mittel der Wahl. Stattdessen kann für die letzte Phase vor der Wende festgehalten werden, dass die Verwaltung einerseits wieder stärker an die Partei gebunden war und Parteipolitisierung die alleinige Rolle im Besetzungsprozess spielte, andererseits aber Möglichkeiten der Funktionalen Politisierung bestanden, um von Verwaltungsseite Einfluss auf den Politikformulierungsprozess

264

5

Politik und Verwaltung im SED-Regime

auszuüben. Daraus lässt sich aber keine Dominanz der Verwaltung gegenüber der SED ableiten. Die zentrale Machtinstanz in der DDR war weiterhin die Partei.

5.6

Einordnung des SED-Regimes in die Politisierungsformen

Die gefundenen Ergebnisse werden im nachfolgenden Kapitel in den theoretischen Rahmen eingeordnet. Hierbei werden zunächst die Personalpolitische Politisierung, danach die Funktionale Politisierung und abschließend die Strukturelle Politisierung betrachtet.

5.6.1

Personalpolitische Politisierung im SED-Regime

Das Verwaltungssystem der DDR war geprägt durch eine Dominanz der SED. Insbesondere im Personalbereich etablierte die Partei ein umfassendes Ausbildungs- und Besetzungssystem: die Kadernomenklatur. Durch sie steuerte die Partei nicht nur die Besetzung von leitenden Positionen, sondern von allen Verwaltungspositionen bis hinunter zur Ortsebene. Stockte der Aufbau dieses Systems zu Beginn des Systems, entwickelte sich in den 1950er und 1960er Jahren ein sehr stark ausdifferenzierter Mechanismus, um die Besetzung von Verwaltungspositionen zu mit loyalen SED-Mitgliedern sicherzustellen. Beim Versuch diesen Mechanismus in die vier Formen der Personalpolitischen Politisierung nach Meyer-Sahling (2008) einzuordnen, zeigt sich, dass die Parteipolitisierung bzw. die Ämterpatronage ab Mitte der 1950er Jahre dominierte. Nur in der Aufbauphase des Systems nach dem Krieg zeigen sich, aufgrund des Fachkräftemangels, auch andere Formen wie Keine oder Offene Politisierung. Hier griff die SED auf verwaltungserfahrene Personen zurück, die sie entweder nach dem Krieg vorübergehend in ihren Verwaltungspositionen beließ oder warb aktiv Bürgerliche und Akademiker an, um die freien Stellen innerhalb der Verwaltungen zu besetzen und das Funktionieren der Staatsverwaltung zu sichern (siehe Abschnitt 5.1). Gebunde Politisierung spielte hingegen im gesamten Zeitverlauf keine Rolle (siehe Tabelle 5.16). Eine Nachbesetzung von freien Stellen aus der zweiten Reihe hätte nur zu einer Verlagerung des Fachkräftemangels geführt und wurde von der SED daher nicht genutzt.

5.6 Einordnung des SED-Regimes in die Politisierungsformen

265

Tabelle 5.16 Beobachtete Personalpolitische Politisierung im SED-Regime Phase 1 Keine Politisierung

Phase 2

Phase 3

Phase 4

X

X

X

X

Gebundene Politisierung Offene Politisierung

X

Parteipolitisierung

X

Quelle: eigene Darstellung

Parteipolitisierung wurde von der Partei hingegen im Laufe ihrer Regierungszeit institutionalisiert. Bereits im Moskauer Exil während des Zweiten Weltkrieges bereitete die Partei die Machtübernahme sehr gut vor. Die Parteieliten orientierten sich dabei vor allem an der KPdSU und übernahmen deren Rekrutierungsverfahren weitgehend. Die Etablierung der Kadernomenklatur schuf dann auch Ostdeutschland ein System, mit welchem die SED nach und nach sämtliche Positionen im Staatsapparat, der Wirtschaft und der Partei mit loyalen Parteimitgliedern besetzen konnte. Mit dem Ausbau des Systems wurden feste Rekrutierungswege nicht nur für altgediente Parteimitglieder, sondern auch für den Parteinachwuchs geschaffen. Im Rahmen der umfassenden Kaderausbildung wurden diese Nachwuchskader stets auf die Übernahme konkreter Positionen vorbereitet. Für jede Position der Nomenklatur wurde in der Kaderreserve ein potenzieller Nachfolger ausgebildet, der bei Bedarf die Position sofort übernehmen konnte. Dies sorgte neben einem gut gefüllten Rekrutierungspool für Nachwuchskräfte auch für die Konformität der bestehenden Kader, mussten diese doch bei Verstößen gegen die Parteivorgaben befürchten, durch jüngere Kader ersetzt zu werden. Die Mitglieder der Kaderreserve mussten ihre Loyalität zur Partei in einem, in der Kadervereinbarung, festgelegten Karriereweg zwar erst noch beweisen, konnten von der Partei aber besser geformt und indoktriniert werden als die altgedienten Staatsfunktionäre und Parteikader. So stellte die SED sicher, dass alle Positionen des Systems nach und nach mit loyalen Gefolgsleuten, besetzt waren, welche die Parteiagenda widerstandslos umsetzten. Wichtigstes Kriterium, um Kader zu werden, war die Politische Zuverlässigkeit. Sie dominierte das Kadernomenklatursystem und war der wichtigste Rekrutierungsgrund für Staatsfunktionäre. Nur politisch Zuverlässige hatten die Möglichkeit, im Staatsapparat Fuß zu fassen. Nur in einer kurzen Phase der 1960er Jahre gewann die fachliche Qualifikation einen höheren Stellenwert im Rekrutierungsverfahren. Allerdings war auch in dieser Phase die politische Zuverlässigkeit nicht so weit in den Hintergrund gerückt, dass man von einer Besetzung nach dem Leistungsprinzip, wie

266

5

Politik und Verwaltung im SED-Regime

es in Weberianischen Verwaltungssystemen existiert, sprechen konnte. Vielmehr war das zentrale Thema der Kaderpolitik in allen Phasen des SED-Regimes das Austarieren von politischer Zuverlässigkeit und fachlicher Qualifikation (Hornbostel 1999, S. 179), wobei politische Zuverlässigkeit stets höher gewichtet wurde.

5.6.2

Funktionale Politisierung im SED-Regime

Die Analyse der Funktionalen Politisierung stellt sich SED-Regime als äußerst schwierig dar. Der Grund hierfür liegt, wie schon oben kurz erwähnt, in der fehlenden Zugänglichkeit von Informationen. Während die Partei mit der Staatssicherheit zwar zahlreiche Informationen über seine Bürger gesammelt hat, führte die Geheimhaltungspolitik der SED in der Verwaltung dazu, dass Akten regelmäßig vernichtet wurden, wenn sie für den Dienstgebrauch nicht mehr relevant waren. Beispiele hierfür sind Organigramme, Geschäftsverteilungspläne, Verwaltungsanweisungen, Gesprächsprotokolle oder auch Vorgangsakten, welche nicht in dem Maß überliefert sind, wie es für diese Analyse wünschenswert gewesen wäre. Dadurch fehlt es heute an Einblicken in die alltägliche Verwaltungstätigkeit der Staatsfunktionäre, um die Frage nach Form und Ausmaß Funktionaler Politisierung umfassend beantworten zu können. In diesem Abschnitt soll auf Basis der vorhandenen Informationen trotzdem ein Versuch gewagt werden. Bei der Analyse der Nutzung Funktionaler Politisierung nach Aberbach et al. (1981), zeigt sich, dass vor allem die Trennung von Politik und Verwaltung in der DDR vorherrschte (siehe Tabelle 5.17). Der Grund hierfür ist, dass anders als in westlichen Demokratien, Politik und Verwaltung nicht im selben System (z. B. einem Ministerium) angeordnet waren, sondern in zwei Sphären getrennt existierten. In den Parteigremien wurden die politischen Entscheidungen getroffen und die staatlichen Organe waren zur Implementierung und Durchführung dieser Entscheidungen verpflichtet. Die Verwaltungen und ihre Mitarbeiter hatten daher keine autonomen Entscheidungsbefugnisse oder Initiativrechte. Sie waren in allen Bereichen von den Vorgaben der SED abhängig. Ihre zentrale Aufgabe war die Durchführung der Parteibeschlüsse und gelegentlich die Beratung der zuständigen Parteigremien im Rahmen von Kommissionen: „Die Kaderverwaltung wird letztlich […] nicht durch formalisierte, überschaubare – ‚technische‘ – Rechtsregeln, sondern durch Anweisungen des dynamischen systemorientierten Parteiwillens mit universalem Anspruch gesteuert.“ (Balla 1973, S. 114. Hervorhebungen im Original)

5.6 Einordnung des SED-Regimes in die Politisierungsformen

267

Tabelle 5.17 Beobachtete Funktionale Politisierung im SED-Regime Phase 1

Phase 2

Phase 3

Phase 4

Trennung

X

X

X

X

Zusammenarbeit

X

X

X

X

Konkurrenz Hybrid

X X

Quelle: eigene Darstellung

Es zeigt sich jedoch auch, dass im Verlauf der Zeit die staatlichen Organe durch die konsultativen Formate zunehmend an Einfluss gewinnen konnten. Da in den Parteigremien und ihren zugehörigen Abteilungen zunehmend Fachwissen fehlte, involvierten diese die Experten aus den Ministerien und nachgeordneten örtlichen Organen immer häufiger in den Politikformulierungsprozess. Hier arbeiteten Partei- und Staatsfunktionäre meist gut zusammen. Es ergab sich für Staatsfunktionäre aber die Möglichkeit, Gesetze und Verordnungen mit eigenen Elementen anzureichern und so das Primat der Partei im Politikformulierungsprozess etwas einzuschränken (König 1991, S. 32). Wie oft das im Alltag aber wirklich existierte, ist unklar. Hierzu fehlen Quellen und es ist anzunehmen, dass die große Mehrheit der Staatsfunktionäre selten bis nie davon Gebrauch machte, waren sie doch selbst Mitglieder der SED und ihre Karriere von der Partei abhängig. Der Einfluss, den Staatsfunktionäre im Rahmen dieses „konsultativen Autoritarismus“ (König 1991, S. 28) hatten, sollte nicht überschätzt werden. Das Einzige, was Staatsfunktionären wirklich eine nachhaltige Machtposition und Einfluss verschaffen konnte, war eine hohe Position im Parteiapparat. Diese konnte genutzt werden, um Netzwerke zu knüpfen, welche die eigene Karriere beschleunigte. Trotz des formalen Verbots der Fraktionsbildung innerhalb der Partei war diese geprägt durch „Hausmachtpolitik“ und „Cliquenwirtschaft“ (König 1991, S. 23). „Gute Aufstiegschancen haben vor allem Kader, die sich den Anforderungen anpassen, sich durch Akzeptierung von gehorsam und Opferbereitschaft als Grundprinzipien der Kaderverwaltung langfristig auf die Faktoren ‚Ungleichheit‘ und ‚Unberechenbarkeit‘ einstellen und auf diese Weise allmählich in Positionen gelangen, in denen Nachteile in Vorteile umgewandelt werden können.“ (Balla 1973, S. 121. Hervorhebungen im Original)

268

5

Politik und Verwaltung im SED-Regime

Solche Vorteile waren beispielsweise eine Bevorzugung bei der Lebensmittelversorgung, die Erlaubnis Westware zu kaufen oder in den Urlaub im befreundeten Ausland zu reisen. Es gab also neben der eigenen Karriereförderung durchaus weitere Anreize, sich in der SED zu engagieren. Außerdem war mit dem Aufstieg im Staatsapparat ab den 1960er Jahren automatisch ein formaler Aufstieg in der Partei verbunden. Dies führte dann dazu, dass viele Staatsfunktionäre dazu gezwungen waren, die neue Parteiposition auch auszufüllen. Genaue Zahlen und Informationen bezüglich dieses Engagements innerhalb der Partei gibt es allerdings auch nicht. Werden die Abteilungsleiter der Ministerien als Referenz herangezogen, dann scheint der Aufstieg von Staatsfunktionären in der Partei meist auf die GRO beschränkt zu haben. Von den 888 Abteilungsleitern des ZKDS war lediglich einer Mitglied im ZK. 11 waren Mitglieder und einer Kandidat einer Bezirksleitung und 76 Mitglied bzw. Kandidat in einer Kreisleitung. Erst auf der Ebene der Grundorganisationen zeigt sich ein sehr hoher Organisationsgrad. Hier finden sich 388 Mitglieder und 251 Kandidaten der Leitungen von Grundorganisationen, was immerhin 72,0 % aller Abteilungsleiter entspricht (ZKDS. eigene Berechnungen).

5.6.3

Strukturelle Politisierung im SED-Regime

Die Strukturelle Politisierung erfolgte von Beginn an genauso systematisch wie der Aufbau des Besetzungssystems. Statt auf eine Beibehaltung von etablierten Strukturen und deren Nutzung setzte die SED bis in die dritte Phase hinein auf strukturelle Veränderungen. Ein Verzicht auf strukturelle Politisierungsstrategien kann erst in der dritten und vierten Phase beobachtet werden (siehe Tabelle 5.18). Der Grund hierfür ist die Tatsache, dass bereits in den ersten beiden Phasen so zahlreiche Reformen umgesetzt wurden, dass die in dieser Zeit geschaffene Verwaltungsstruktur aus Sicht der SED keiner Änderung mehr bedurfte. Wie im Bereich des Wirtschaftssystems setzte die Partei in der vierten Phase auf Kontinuität und Stabilität. Reformen konnten diese nur behindern. Anders ging die Partei zu Beginn vor. Bereits 1945/46 konnte die KPD/SED durch die Besetzung von Schlüsselpositionen nach dem Krieg sehr schnell Zwischenpositionen erreichen, in denen sie als Vetospieler innerhalb der staatlichen Verwaltung agierte. Dazu musste sie nicht mal neue Ebenen einfügen. Diese existierten bereits in Form der Personalabteilungen. Während die Partei die Positionen der Bürgermeister oder Verwaltungsleiter in der Anfangsphase meist den weiteren Parteien überließ, besetzte sie die eigentlich einflussreichen Positionen innerhalb der Verwaltung (siehe Abschnitt 5.2). Zusätzlich etablierte sie in allen

5.6 Einordnung des SED-Regimes in die Politisierungsformen

269

staatlichen Organen SED-Parteileitungen. Diese hatten die Aufgabe, die Arbeit von Staatsfunktionären zu kontrollieren und zu lenken. Wie schon oben erwähnt, war dies in den meisten Fällen aber gar nicht notwendig. Spätestens nach den Säuberungswellen zu Beginn der 1950er Jahre stand der SED ein willfähriger Verwaltungsapparat zur Verfügung, der alle ihm von der Partei gestellten Aufgaben und Anforderungen widerstandslos erfüllte. Tabelle 5.18 Beobachtete Strukturelle Politisierung im SED-Regime Phase 1

Phase 2

Beibehaltung von Strukturen Einfügen von Zwischenebenen

X

Reorganisation

X

X

Auslagerung von Kompetenzen

X

X

Phase 3

Phase 4

X

X

X X

Quelle: eigene Darstellung

Geschaffen wurde dieser Apparat auch durch zahlreiche Reorganisationen. Gerade die 1940er und 1950er Jahre waren davon geprägt. Gründe finden sich zum einen im Umbau des föderalen Systems zur zentralistischen Diktatur, zum anderen auch in dem regelmäßigen Nicht-Erreichen der wirtschaftspolitischen Ziele. So wurden diese meist genutzt, um demokratische Elemente, Selbstverwaltungsrechte und Vetospieler zu eliminieren. Beispiele finden sich hierfür bereits bei der Gründung der Ständigen Wirtschaftskommission und deren Ausbau zu Lasten der Länder und Kommunen ab 1947, der Abschaffung der Länder 1952 oder auch der Abschaffung und Wiedergründung der Industrieministerien 1958 bzw. 1965. Reorganisation, vorgeblich zur Steigerung der Effizienz der Verwaltung, wurde immer dann genutzt, wenn die SED die Verwirklichung der eigenen Ziele bedroht sah. So passt es dann auch ins Bild, dass für Fehler stets der Staatsapparat, nie jedoch die Partei verantwortlich war. Die Auslagerung von Kompetenzen zeigt sich maßgeblich in zwei Formen. Die erste war die Auslagerung des vollständigen Politikformulierungsprozesses in die Strukturen der Partei. War es in den 1945 und 1946 wiedergegründeten Verwaltungen der Länder und Kommunen zunächst noch so, dass diese selbst über regionale bzw. kommunale Verordnungen entscheiden konnten, wurde diese Kompetenz nach und nach in die SED-Gremien und -Abteilungen verlagert. Dort wurden alle wesentlichen politischen Entscheidungen getroffen. Dies ging sogar so weit, dass sich das Politbüro zeitweise mit Detailfragen wie dem Mangel

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Politik und Verwaltung im SED-Regime

von Sportschuhen im Bezirk Leipzig beschäftigte und viel dringendere außenpolitische Fragen auf die nächste Sitzung vertagte (Schroeder 1998, S. 398). Keine Entscheidung sollte dem Staatsapparat oder der Wirtschaft selbst überlassen werden. Diese waren dazu verpflichtet, die SED-Vorgaben genauestens auszuführen. Um dies zu gewährleisten, setzte die Partei auf umfassende Kontrollmaßnahmen und ein stark ausdifferenziertes Schulungs- und Indoktrinierungssystem. Dies bildet die zweite Form der Auslagerung ab. Waren zu Beginn Fachaufsicht und Ausbildung der Verwaltung noch den höheren Verwaltungseinheiten vorbehalten, zog die SED die Kompetenzen dazu immer weiter an sich. Zur Kontrolle der Staatsorgane nutzte die Partei dabei zahlreiche Mittel. Es agierten Kontrollkommissionen, Kontrollbeauftragte, Volkskontrollausschüsse, Instrukteursabteilungen und die Parteileitungen in den Organen mit weitreichenden Kompetenzen (z. B. Suspendierung von Verwaltungsmitarbeitern) als Überprüfungsinstanzen der Verwaltungstätigkeit. Außerdem wurde das MfS und dessen umfassendes Spitzelsystem genutzt, um die Mitarbeiter der staatlichen Organe jederzeit zu überwachen. Nichts sollte der Partei verborgen bleiben, um im Ernstfall schnell reagieren zu können. Zusätzlich waren alle staatlichen Organe noch dem höheren Fachorgan (z. B. Ministerium oder Abteilung des Bezirksrats) und der zuständigen Volksvertretung (z. B. Bezirkstag oder Gemeindeverordnetenversammlung), welche von der SED dominiert wurde, unterstellt. Des Weiteren baute die Partei ein intensives Berichtswesen auf, welches zusätzlich sicherstellen sollte, dass die SED jederzeit über alle Vorgänge im Staatsapparat informiert war. Dieses immer weiter ausufernde Berichtswesen nahm in vielen Fällen bis zu 80 % der Arbeitszeit von Staatsfunktionären in Anspruch (Bartsch 1991, S. 124), weshalb sie meist nicht in der Lage waren, ihre eigentlichen Aufgaben zu erfüllen. Als besonders effektiv stellte sich das Berichtswesen allerdings nicht heraus, da zahlreiche Funktionäre aus Angst vor Sanktionen, die tatsächliche Lage beschönigten. Die Parteigremien erhielten somit ein deutlich verzerrtes Bild der Wirklichkeit, was ein zentrales Element auf dem Weg zum Untergang des Regimes war (Thieme 2015, S. 158). Neben der Kontrolle war der Ausbau der ideologischen Schulungen der Staatsfunktionäre in Partei(hoch)schulen, Parteifachschulen und Weiterbildungseinrichtungen zentral. Nicht nur im Rahmen der Kaderprogramme wurde immer stärker auf dieses Instrument gesetzt, auch bei den schon bestehenden Staatsfunktionären wurden regelmäßige sozialistische Schulungen zur Pflicht. Mindestens ein Jahr lang mussten alle Funktionäre eine Parteihochschule oder eine Bezirksbzw. Kreisparteischule besuchen (Lorenz 1999, S. 89). Dies sollte eine Isolierung und Elitenbildung innerhalb der staatlichen Verwaltung durch eine Kopplung an

5.6 Einordnung des SED-Regimes in die Politisierungsformen

271

die „Partei der Arbeiterklasse“ verhindern (König 1992, 550) und die Loyalität gegenüber der SED sicherstellen. Gelehrt wurden dort die Geschichte der Arbeiterbewegung, die Grundlagen des Sozialismus und die Notwendigkeit der führenden Rolle der Partei (ebd.). Fachliche Inhalte wurden hingegen bewusst ausgeblendet (Lorenz 1999, S. 89). Im Laufe der Jahrzehnte entwickelte sich das Schulungssystem stets weiter und wurde an die Nomenklaturzugehörigkeit der jeweiligen Funktionäre angepasst. Besuchten beispielsweise Mitglieder der ZK-Nomenklatur die Akademie für Gesellschaftswissenschaften, um dort zu studieren, gingen Mitglieder der Kreisnomenklatur auf eine der zahlreichen Betriebsschulen des Marxismus-Leninismus. So erreichte die Partei, dass alle Staatsfunktionäre im Laufe ihrer Karriere regelmäßig mit ideologischen Inhalten des Sozialismus konfrontiert wurden, um diese zu verinnerlichen.

5.6.4

Zusammenfassung: Politisierung im SED-Regime

Werden abschließend alle Politisierungsmaßnahmen der SED als Einheit betrachtet, dann zeigt sich, dass die Partei zwischen 1945 und 1989 ein umfassendes Politisierungssystem aufgebaut hat. Zahlreiche Maßnahmen der Partei gingen Hand in Hand und die intensive Planung der Prozesse führte dazu, dass die Verwaltung bis auf die Kommunalebene im Zeitverlauf vollständig politisiert werden konnte. Das Prinzip des Demokratischen Zentralismus führte, kombiniert mit dem Kadernomenklatursystem, auf allen Verwaltungsebenen dazu, dass die Ziele der SED umgesetzt wurden. Besonders dominant war dabei die Parteipolitisierung, welche sich spätestens ab den 1950er Jahren vollständig im Rekrutierungsprozess durchgesetzt hatte. Weitere personalpolitische Politisierungsformen spielten ab der zweiten Phase der SED-Herrschaft praktisch keine Rolle mehr. Diese Parteipolitisierung wurde durch die intensive Veränderung von Strukturen unterstützt. Gaben SMAD und SED nach dem Zweiten Weltkrieg gegenüber den Westalliierten noch vor, sie strebten ein demokratisches und föderalistisches System an, führten die strukturellen Veränderungen nach und nach zu einem zentralistischen politischadministrativen System. In diesem war die Verwaltung nur ein Mittel zum Zweck und sollte die Parteiagenda widerstandslos umsetzen. Dies gelang durch die gezeigten personalpolitische Maßnahmen sowie das umfangreiche Ausbildungs-, Schulungs- und Kontrollsystem. Die SED schuf eine abhängige Verwaltung, die dem Zugriff der Partei und ihrer Funktionäre vollständig zur Verfügung stand.

6

Politik und Verwaltung im NS- und SED-Regime im Vergleich

„Sowohl die NSDAP als auch die SED verfolgten während ihrer Herrschaft das Ziel, den jeweiligen Staat, seine Strukturen und Verwaltung zu dominieren und zu instrumentalisieren.“ (Weil 2003, S. 138). Doch wie gestalteten die beiden Parteien die Durchsetzung ihres Herrschaftsanspruchs? Wie agierten die Eliten der jeweiligen Partei, um die Verwaltung für die eigenen Ziele zu instrumentalisieren? Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede zeigen sich hinsichtlich der genutzten Politisierungsstrategien? Dies soll im nun folgenden Abschnitt genauer betrachtet werden, indem die Ergebnisse der beiden vorangegangenen Fallstudien nochmals vergleichend gegenüber gestellt werden. Bevor der eigentliche Vergleich der Ergebnisse folgt, soll aber zunächst knapp das Vorgehen präsentiert werden. Da es sich bei dieser Studie sowohl um einen Regimevergleich, einen historischen Vergleich und um einen theorieorientierten Paarvergleich (Patzelt 2005) handelt, gibt es verschiedene Möglichkeiten für das Vorgehen in diesem Kapitel. Gewählt wurde der Vergleich der beiden Systeme entlang der in Kapitel 2 erarbeiteten Politisierungsformen. Im Gegensatz zu einem historischen Vergleich, bei dem die jeweiligen Phasen einzeln gegenübergestellt werden könnten, hat dieses Vorgehen den Vorteil, dass anhand der Politisierungsformen die beiden Systeme zwar detailliert, aber ohne Redundanzen verglichen werden können. Dabei werden lediglich die Kernergebnisse gegenübergestellt, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Verhältnis von Politik und Verwaltung in den Systemen zu identifizieren. Außerdem kann so auch weiteren Problemen aus dem Weg gegangen werden: 1. in den analysierten Fällen gibt es eine Ergänzende Information Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, auf das über folgenden Link zugegriffen werden kann https://doi.org/10.1007/978-3-658-39157-7_6.

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2022 B. Strobel, Politik und Verwaltung in deutschen Diktaturen, Interdisziplinäre Organisations- und Verwaltungsforschung 22, https://doi.org/10.1007/978-3-658-39157-7_6

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Politik und Verwaltung im NS- und SED-Regime im Vergleich

unterschiedlich große Zahl an Phasen. Während die vergleichsweise kurze Herrschaft des Nationalsozialismus lediglich in drei Phasen unterteilt werden kann, lässt sich das SED-Regime in vier Phasen aufteilen. 2. Die ersten beiden Phasen scheinen inhaltlich auch trotz unterschiedlich langer Dauer noch kohärent zu sein (Schmeitzner und Wagner 2003, S. 79) und waren jeweils von der Machtübernahme und dem inneren Systemaufbau geprägt. Mit Beginn der dritten Phase ergeben sich allerdings sehr unterschiedliche Verhältnisse in den beiden Regimen. Im NS war diese Phase vor allem vom Krieg geprägt. Im SED-Regime stand sie im Zeichen von Reformen der 1960er Jahre. Diese sehr unterschiedlichen Entwicklungen der beiden Regime sprechen neben der grundsätzlichen Verschiedenheit des historischen Kontexts (Heydemann und Schmiechen-Ackermann 2003) für das theoriegeleitete Vorgehen. Des Weiteren muss beachtet werden, dass die Dauer der Phasen doch höchst unterschiedlich ist. Während sich das SED-Regime nach sieben Jahren des Aufbaus immer noch in der ersten Phase befand, war das NS-System zu diesem Zeitpunkt schon mitten in der Endphase und dem Zweiten Weltkrieg. In drei Abschnitten zu Personalpolitischer Politisierung, Funktionaler Politisierung und Struktureller Politisierung werden daher im Folgenden die Haupterkenntnisse der beiden Fallstudien gegenübergestellt, bevor abschließend noch eine Diskussion und ein Fazit folgen können.

6.1

Personalpolitische Politisierung im Vergleich

In seinem 2008 erschienen Aufsatz „The changing colours of the post-communist state: The politicisation oft he senior civil service in Hungary“ teilt Meyer-Sahling die Personalpolitische Politisierung in vier Formen ein: Keine Politisierung, Gebundene Politisierung, Offene Politisierung und Parteipolitisierung (MeyerSahling 2008). Im folgenden Abschnitt wird nun genauer gezeigt werden, wie sich deren Nutzung im NS- und SED-Regime unterschied bzw. glich. Der bloße Vergleich des Vorkommens der Formen zeigt, dass die NSDAP fast durchgängig alle Formen der Personalpolitischen Politisierung nutzte, während die SED fast ausschließlich auf die Parteipolitisierung zurückgegriffen hat. Im Folgenden soll die Nutzung aller Formen nochmal vergleichend gegenüber gestellt werden. Keine Politisierung: Die NSDAP nutzte diese Form der Nicht-Politisierung durchgehend bis zum Ende ihrer Herrschaft. An vielen Stellen beließ die Partei auch nach der Machtübernahme 1933 die geerbten Beamten aus der Weimarer Zeit in ihren Positionen. Ein zentraler Grund für dieses Vorgehen war die Etablierung des BBG 1933 statt einer vollständigen Verwaltungsreform. Dies sicherte

6.1 Personalpolitische Politisierung im Vergleich

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das Fortbestehen der beamtenrechtlichen Laufbahnvorgaben, statt der Abschaffung des Beamtentums. Die konservativen Kräfte im Kabinett Hitler und auch der Reichspräsident von Hindenburg wirkten hier mäßigend auf die NSDAP ein (Gössel 2002). Vor allem Wilhelm Frick und das ihm unterstehende Reichsinnenministerium hatten kein Interesse daran, die funktionierende deutsche Verwaltung abzuschaffen oder gar in ihrer Effizienz und Effektivität zu schwächen. Daher verhinderte es eine Transformation des Systems, ein Aufweichen der Vorgaben und damit auch eine Öffnung der Verwaltung für Unqualifizierte (Bracher et al. 1962, S. 498). Dies limitierte den Zugang der meist schlecht ausgebildeten NSDAP-Mitglieder und sicherte den verbliebenen Beamten ihre Position. Das Problem der häufig mangelhaften Ausbildung konnte im Zeitverlauf nur in einem geringen Maß durch junge gut ausgebildete PGs ausgeglichen werden. Die Etablierung der 40 Nationalpolitischen Erziehungsanstalten (NAPOLA) und der zwölf Adolf-Hitler-Schulen führte nicht dazu, ein sonderlich großes Führerreservoir aufzubauen, aus welchem die NSDAP genügend neue leitende Beamte rekrutieren konnte, um langfristig die Verwaltung vollständig mit eigenen PGs besetzen zu können. Ähnlich stellte sich die Situation für die SED zu Beginn ihrer Herrschaft in den 1940er Jahren dar. Auch hier waren es äußere Umstände, welche die Partei zwangen Keine Politisierung zu nutzen. Zum einen sollte der Schein einer pluralen Demokratie nach außen gewahrt werden (Schmeitzner und Wagner 2003, S. 79) und zum anderen mangelte es in der Frühphase in allen Verwaltungseinheiten an qualifiziertem Personal. Noch 1949 waren beispielsweise in der DWK, je nach Abteilung, 10 bis 20 % der Stellen unbesetzt (Boyer 1999, S. 20). Um die Funktionsfähigkeit der Verwaltung zu garantieren, setzte die SED hauptsächlich in den unteren Verwaltungsebenen daher zunächst auf verwaltungserfahrene Mitarbeiter aus dem bürgerlichen Lager und begnügte sich damit, Informationen über deren politische Zuverlässigkeit zu sammeln (Boyer 1999, S. 15). Zudem wurden diese Mitarbeiter nur gemeinsam mit zuverlässigen Antifaschisten eingesetzt, sodass deren Verhalten kontrolliert und die Umsetzung der Parteibeschlüsse gesichert werden konnte (ebd.). Mit dem zunehmenden Aufbau des Kadernomenklatursystems in der zweiten Phase endete diese Form der Nicht-Politisierung im SED-Regime. Gebundene Politisierung spielte im SED-Regime nie eine große Rolle. Das liegt vor allem am Fachkräftemangel in der ersten Phase. Es ergab aus Sicht der Partei keinen Sinn, führende Verwaltungsmitarbeiter durch Personal aus der zweiten oder dritten Reihe zu ersetzen. Hätte man dies getan, dann wären zu viele nachgeordnete Positionen unbesetzt geblieben. Stattdessen setzte die

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Politik und Verwaltung im NS- und SED-Regime im Vergleich

Partei bei Entlassungen eher auf eine Bündelung der Aufgaben bei einem Funktionär (Schneider 1989a). Daher waren Personalunionen an der Tagesordnung. Gebundene Politisierung diente nach dem Aufbau der Nomenklatur vielmehr als Drohung für die eingesetzten Staatsfunktionäre. In der Kaderreserve stand ab der dritten Phase der 1960er Jahre für jede Nomenklaturposition ein potenzieller Nachfolger bereit. Dies übte Druck auf die Inhaber der Positionen aus und konnte dafür sorgen, deren Konformität zu sichern. Im Nationalsozialismus hingegen, spielte Gebundene Politisierung in erster Linie bei Leitungspositionen eine entscheidende Rolle, da für diese, wie bereits erwähnt, hohe Einstiegshürden existierten (z. B. Studienabschluss, Verwaltungserfahrung, Führungsqualitäten). Die Positionen wurden daher häufig mit Beamten aus der zweiten oder dritten Reihe besetzt. Belege hierfür finden sich in der Beamtenelite vom 01. September 1934. 70,0 %, der nach der Machtergreifung ernannten Elitemitglieder, haben in ihrer direkten Vorposition vor der Ernennung im Höheren Dienst (mindestens als Referent) bei einem Reichsministerium, Landesministerium oder einer nachgeordneten Behörde gearbeitet. 1939 liegt diese Zahl für alle nach 1934 ernannten sogar bei 80,0 % und 1944 für alle nach 1939 ernannten Elitemitglieder bei 64,3 % (Strobel et al. 2020. eigene Auswertungen). Die Werte zeigen, dass Gebundene Politisierung in dieser Gruppe durchgehend eine entscheidende Rolle spielte. Allerdings dürfen die Zahlen nicht überinterpretiert werden. Schließlich war zu diesen Zeitpunkten die Gleichschaltung des Systems schon so weit vorangeschritten, dass die Mehrheit der Beamten aus der zweiten oder dritten Reihe zum jeweiligen Erhebungszeitpunkt schon Mitglied der NSDAP war (1934 69,0 %, 1939, 78,5 %, 1944 86,7 %) (Strobel et al. 2020. eigene Auswertungen). Gebundene Politisierung war also häufig mit einer Parteimitgliedschaft und damit einem Mindestmaß an politischer Loyalität verbunden. Ähnlich gestaltete sich das Bild bei der Nutzung der Offenen Politisierung. Diese fand vorrangig auf der nationalen Ebene Anwendung. In den Reichsministerien wurde bei der Besetzung von Schlüsselpositionen neben Beamten aus der zweiten Reihe auch auf fachlich geeignete Quereinsteiger zurückgegriffen. Beispiele wie Theodor Vahlen, Friedrich Christiansen und Ulrich Scherpfing wurden bereits in Abschnitt 4.2.4 genannt. Offene Politisierung bedeutete in diesen Fällen nicht, dass die ernannten Personen keine Verbindung zum Nationalsozialismus hatten. Zum Erhebungszeitpunkt 1934 waren 50,0 % der Quereinsteiger – in diesem Fall handelt es sich um alle Personen, die in der letzten Vorposition vor der Elitemitgliedschaft außerhalb der Politik oder der Verwaltung gearbeitet haben – Mitglied der NSDAP. 1939 waren es 70,0 % und 1944 77,8 % (Strobel et al.

6.1 Personalpolitische Politisierung im Vergleich

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2020. eigene Auswertungen). Die Aufnahme von fachlich qualifizierten Quereinsteigern war damit, ebenso wie die Gebundene Politisierung, an die politische Zuverlässigkeit der einzusetzenden Personen gebunden. Im SED-Regime spielte Offene Politisierung nur eine untergeordnete Rolle. Einzig in der ersten Phase lassen sich Ansätze dieser Politisierungsform überhaupt beobachten. Hier war der Mangel an geeigneten Kandidaten und die große Anzahl an offenen Stellen der Grund, warum die SED neben eigenen Leuten auch Fachleute aus verschiedenen Bereichen für die Verwaltung anwarb. Die Partei konzentrierte sich darauf, Anreize für die bürgerlichen Akademiker und für verwaltungserfahrene Personen zu schaffen, um diese in das System zu integrieren (Schwarzenbach 1976, S. 82). Zunächst war es auch bei diesen Personen kein Problem, wenn sie keine politische Zuverlässigkeit nachweisen konnten. Es genügte vielmehr eine Zusicherung, sich nicht gegen die Partei zu wenden und den Dienst neutral und fachlich korrekt zu vollziehen (ebd.). Besonders erfolgreich war die Maßnahme allerdings nicht, da Positionen in der Wirtschaft aufgrund der besseren Bezahlung und dem geringeren Ausmaß an Kontrolle deutlich attraktiver waren als Positionen im Staatsapparat. Die SED intensivierte in der Folge ihre Bemühungen um Fachkräfte nicht mehr und setzte ab der zweiten Phase in den 1950er Jahren zunehmend auf politische Zuverlässigkeit als einzigem Rekrutierungskriterium. Dadurch war eine Anwerbung potenziell politisch unzuverlässiger Fachleute unmöglich geworden. Einen potenziellen Effizienzverlust des Staatsapparates durch diese Rekrutierungspraktik nahm die SED billigend in Kauf. Parallel zu dieser Entwicklung verstetigte sich seit Einführung der Nomenklatur die Parteipolitisierung im SED-Regime. Kaderpolitik und Kaderausbildung wurden zum Kern der Verwaltungssteuerung der Partei. Verbunden war damit ein umfassendes Ausbildungssystem, welches ab den späten 1950er Jahren genügend Kader generierte, um sämtliche Positionen in Partei, Verwaltung und Wirtschaft mit loyalen und sozialistisch ausgebildeten Parteimitgliedern besetzen zu können. Dabei ging die Partei äußerst planvoll vor und befolgte strikt die detailliert ausgearbeiteten Nomenklaturen, welche nach und nach auf alle Ebenen und staatlichen Organe ausgeweitet wurden. Jede Verwaltungsposition in der DDR war ab einem gewissen Zeitpunkt in einen festen Besetzungsprozess eingegliedert. Die Unterstellung dieses gesamten Systems unter die Führung der SED führte dazu, dass die Partei die vollständige Kontrolle über die Rekrutierung und Besetzung aller Staats-, Wirtschafts- und Parteipositionen hatte und mithilfe des ausgeklügelten Ausbildungssystems für jede Position den (aus Parteisicht) perfekten Kandidaten vorschlagen konnte. Sie war daher im Zeitverlauf gar nicht mehr

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Politik und Verwaltung im NS- und SED-Regime im Vergleich

auf andere Besetzungsformen als die Parteipolitisierung angewiesen. Eine willkürliche Besetzung mit einfachen unausgebildeten SED-Mitgliedern kam nicht in Frage. Ähnlich wie in anderen autokratischen Systemen (Egorov und Sonin 2011, S. 904), spielten fachliche Qualifikationen trotzdem selbst in der Phase des NÖS der 1960er Jahre, in der diese ausgebaut werden sollten, immer nur eine nachgeordnete Rolle. Politische Zuverlässigkeit und ideologische Festigkeit waren stets die wichtigsten Kriterien für die Kaderauswahlprozesse der SED (Hornbostel 1999, S. 179). Der Hauptgrund dafür war im SED-Regime derselbe wie in vielen anderen Autokratien: die Angst vor shirking und Sabotage durch die Verwaltung (Egorov und Sonin 2011, S. 904 f.). Diese personalpolitische Grundidee wollte auch die NSDAP verfolgen. Auch sie hatte das Ziel, Parteipolitisierung als grundsätzliches Rekrutierungsverfahren zu nutzen. Die Verwaltung sollte kontrolliert werden, indem die Gegner der politischen Agenda entfernt und durch eigenes Personal ersetzt wurden. Dabei setzte die Partei zunächst auf die Besetzung der Schlüsselpositionen mit eigenen Getreuen. So besetzte sie auf allen Ebenen zunächst die Leitungen der Polizeien, die Personalreferenten und -dezernenten sowie die relevanten Positionen im Bildungsbereich und der Propaganda mit loyalen PGs (Beckmann 2003). Allerdings zeigen schon die oberen Ausführungen, dass die NSDAP über eine Besetzung der Schlüsselpositionen meist nicht hinauskam. Obwohl PGs und Alte Kämpfer systematisch bevorzugt wurden (z. B. Einführung leichterer Examen und bessere Gewichtung der Noten, siehe dazu auch Abschnitt 4.2.2) und die Parteieliten stets auf die Aufnahme von PGs in den Öffentlichen Dienst pochten (siehe u. a. Abschnitt 4.3.3.2), gelang es der NSDAP nicht, die Verwaltung mit zahlreichen Alten Kämpfern zu infiltrieren. Lediglich bei neuen Abteilungen und Behörden ergab sich die Möglichkeit zu einem höheren Maß von Parteipolitisierung. Allerdings führte die oft mangelhafte Ausbildung dazu, dass weiterhin kaum PGs geschweige denn Alte Kämpfer aufgenommen wurden. Das lag vorrangig auch daran, dass das Beamtenrecht nicht in dem Maße reformiert wurde, wie es sich manche Parteieliten gerne gewünscht hätten. Aus diesen „Fehlern“ lernte die SED, indem sie das Verwaltungssystem vollständig umbaute. Dies geschah zwar stets mit dem Hinweis auf die Zustände in der Weimarer Republik, in welcher die fehlende Demokratisierung der Beamten aus Sicht der SED, zu einer zu starken Vetospielerposition geführt hatte (Leissner 1961, S. 262). Es ist aber anzunehmen, dass die SED bei der Konzeption ihres Rekrutierungssystems neben dem sowjetischen Vorbild, auch die Probleme der Verwaltungskontrolle im NS-Regime vor Augen hatte. Dort war die NSDAP aufgrund des Weiterbestehens der Beamtenrechte gezwungen gewesen, auf weitere

6.2 Funktionale Politisierung im Vergleich

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politisierende Maßnahmen zurückzugreifen, welche in den folgenden Abschnitten in den Fokus rücken werden.

6.2

Funktionale Politisierung im Vergleich

Neben den beschriebenen personalpolitischen Maßnahmen setzten sowohl die SED als auch die NSDAP auf eine Politisierung des Verhaltens der Beamten bzw. Staatsfunktionäre. Hierzu entwickelten beide Parteien Maßnahmen, um die politische Responsivität der Verwaltungsexperten zu sichern und diese funktional zu politisieren. In diesem Abschnitt sollen daher die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen NS- und SED-Herrschaft anhand der von Aberbach et al. (1981) entwickelten Unterscheidung Trennung, Zusammenarbeit, Konkurrenz und Hybrid gezeigt werden. Außerdem werden weitere integrative Maßnahmen der Parteien verglichen, welche diese nutzten, um die Funktionale Politisierung der Beamten/Staatsfunktionäre zu fördern. Die SED setzte im Verhältnis von Politik und Verwaltung vornehmlich auf die Trennung der beiden Bereiche. Politik sollte ausschließlich in der Partei und durch die Partei formuliert werden. Der Staat und seine Organe waren lediglich mit der Umsetzung der Parteibeschlüsse betraut. Die Staatsfunktionäre hatten daher keine autonomen Entscheidungsbefugnisse oder Initiativrechte. Sie sollten die Beschlüsse der Partei nicht hinterfragen, sondern exakt umsetzen, was von den Staatsfunktionären in aller Regel ohne Widerspruch akzeptiert wurde (Balla 1973, S. 114). Eine Politisierung der Staatsfunktionäre, welche den eigenen Zielen zuwiderlief, ließ die Partei nicht zu. Ähnlich wie die SED, setzte auch die NSDAP auf die Trennung von Politik und Verwaltung. Allerdings wurde diese auch von den Beamten unterstützt, konnten diese so ihren eingeübten Verwaltungsstil, den sie auch schon der Weimarer Republik nutzten (Bracher et al. 1962; Mommsen 1973) (siehe Abschnitt 4.1), fortführen. Beamte waren ihrem Selbstverständnis nach neutrale Vollzieher politischer Entscheidungen. Diese Form der Verwaltungsführung sollte die Verwaltung von einer Beeinflussung durch die NSDAP schützen. Zahlreiche Verwaltungsleiter, auch die, die mit NS-Hintergrund ins Amt gekommen waren, forcierten daher eine formale Trennung der Sphären Politik und Verwaltung (Fenske 1993, S. 124; Scheffczyk 2008, S. 233 ff.). Umgekehrt sollte aber auch die Partei vor einem zu starken Einfluss durch die Verwaltung geschützt werden. Führende NSDAPEliten befürchteten von einer zu starken politischen Einbindung der Beamten eine Hemmung ihrer politischen Agenda (Hüttenberger 1976). Beide Parteien setzten damit zunächst auf den gleichen Modus. Sowohl in der SED als auch

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Politik und Verwaltung im NS- und SED-Regime im Vergleich

der NSDAP existierte ein hoher Grad an Misstrauen gegenüber der Verwaltung. Beide Parteien fürchteten, dass eine Beteiligung der Verwaltung am Politikformulierungsprozess die Umsetzung der eigenen Ziele gefährden könnte. Während die SED dabei aber stets eine Gefährdung aufgrund der vorgeblichen Unfähigkeit der Verwaltung betonte (Boyer 1999), fürchtete die NSDAP den hohen Grad an Fachwissen in der Verwaltung. Im Zeitverlauf entwickelte sich im Nationalsozialismus trotzdem oder vielleicht auch deswegen eine gute Zusammenarbeit zwischen NSDAP und Verwaltung. Diese wurde zum einen durch die eingeübten Verwaltungsnormen wie Hierarchie, Gehorsam, Treue und Pflichterfüllung, und zum anderen durch die grundsätzliche Unterstützung der NS-Agenda innerhalb der Beamtenschaft gefördert (Mecking 2005, S. 85). Zusätzlich motivierte der Schutz vor Eingriffen der NSDAP, den viele PGs als neue Verwaltungsleiter ihren Mitarbeitern zukommen ließen, die Beamten zu einem hohen Grad an Loyalität und förderte die Zusammenarbeit. Dies nützte beiden Seiten. Beamte mussten keine Angst davor haben, ihre Position zu verlieren, und die NSDAP erhielt die fachliche Unterstützung, die sie zur Umsetzung ihrer ideologischen Ziele benötigte. Beamte lieferten dabei ihre Expertise und die Partei die ideologischen Vorgaben. Dabei ergab sich zwischen Partei und Verwaltung häufig eine Zielkongruenz, sodass beide sehr gut zusammenarbeiteten. Die Verwaltung ermöglichte damit der NSDAP ihre Herrschaft, stabilisierte das System und machte die Umsetzung der NS-Ideologie und damit auch den Holocaust erst möglich (Gottwaldt und Bartelsheim 2009; Kuller 2013; Mommsen 1966). Im SED-System entwickelte sich Zusammenarbeit erst nach und nach. Die Partei realisierte erst nach dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953 und der dabei gezeigten Untätigkeit und Hilflosigkeit des Staatsapparates, dass es nützlich sein könnte, den Staatsapparat in den Politikformulierungsprozess einzubinden. Die Hoffnung, die damit verbunden war, bestand darin, dass Gesetze und Verordnungen, die gemeinsam mit Staatsfunktionären erarbeitet wurden, von diesen auch effizienter umgesetzt würden. Dazu wurden konsultative Formate wie die „gemeinsamen“ Beschlüsse des Politbüros, des ZK und des Ministerrats etabliert. In diesen Runden band die SED die staatlichen Fachabteilungen formal in die Beschlussfindung ein. Dennoch behielt sich die Partei stets das Letztentscheidungsrecht vor (Glaeßner 1977, S. 120 f.). Im Gegensatz zum NS-System hatte der Staatsapparat weiterhin keine wirkliche Entscheidungskompetenz. Die SED erhoffte sich vielmehr, dass sie vom Fachwissen des Staatsapparates profitieren konnte, ohne diesem zu viel Mitbestimmungsrecht zu geben. Eine Ausnahme bildet hier die dritte Phase des Systems in den 1960er Jahren. In dieser Zeit

6.2 Funktionale Politisierung im Vergleich

281

erhielten die Verwaltungen eine höhere Autonomie und damit auch einen gewissen Einfluss in den, gemeinsam mit der SED, gebildeten Gremien. Die Partei erhoffte sich davon eine aktivere Beteiligung der Staatsfunktionäre, die jedoch meist nicht im erhofften Maße ausfiel (König 1991). In Einzelfällen konnten die Staatsfunktionäre jedoch ihren Wissensvorsprung nutzen, um eigene Interessen in diesen Gremien durchzusetzen. Dies zeigt sich primär in der letzten Phase des Regimes unter Erich Honecker. Grund hierfür war die immer stärker zunehmende Fokussierung der Partei auf politische Zuverlässigkeit. Insbesondere bei der Auswahl der Parteifunktionäre spielten Fachwissen und Expertise gar keine Rolle mehr. In der Folge war eine fachliche Kompetenz innerhalb des Parteiapparates in zahlreichen Politikfeldern nicht mehr vorhanden (König 1991, S. 32). Daher ergab sich für die Staatsfunktionäre die Möglichkeit, eigene Interessen in den Politikformulierungsprozess einzubringen. So entstand zunehmend eine gewisse Konkurrenz zwischen Partei und Verwaltung, in der die Staatsfunktionäre von ihrem Informationsvorsprung profitieren konnten, um Gesetzesinhalte und Verordnungen zu beeinflussen (ebd.) und die Interessen der Partei bis zu einem gewissen Grad auszuhebeln. Es stellt sich jedoch die Frage, inwiefern dies zu einer anderen Gesetzgebung führte. Schließlich waren fast alle Staatsfunktionäre ebenfalls Funktionäre der Partei und deren Zielen verpflichtet. Daher kann angenommen werden, dass die Zielkonkurrenz, meist nicht besonders groß war. Im NS ist die Politisierungsform der Konkurrenz eher schlecht zu untersuchen. Genau wie im SED-System mangelt es an Quellen, die Motive, Ziele und Handlungen der Beamten beschreiben. Aber anders als im SED-Regime hätte sich eine Konkurrenz auf vielen Ebenen ergeben können. Verantwortlich hierfür ist die polykratische Verwaltungsstruktur des Nationalsozialismus. In einem System, in dem jede Verwaltungsorganisation gegen andere Behörden, Parteistellen und Verbände um Kompetenzen und Aufgabenfelder streitet (Gotto 2006; Hüttenberger 1976), ergibt sich ein hohes Maß an potenzieller Konkurrenz. Während im SEDRegime der Staatsapparat kaum über eigene Verordnungskompetenzen verfügte, stattete die NSDAP-Führung (insbesondere Hitler) häufig mehrere Organisationen damit aus. Beispiele, wie die Arbeitsmarktpolitik oder die Einflusssphären von Organisationen auf der Mittelebene, wurden bereits in der Fallstudie beschrieben. Ein Feld, für das sich eine Konkurrenz zwischen Verwaltung und Politik belegen lässt, ist die Beamtenpolitik. Hier unterschieden sich die Ziele der NSDAP und der Verwaltung erheblich, rüttelten die Vorhaben der Partei doch an den ureigensten Grundüberzeugungen der Beamten und an den Grundfesten des deutschen Verwaltungssystems. Zudem bedrohte es die Position der Beamten, sodass diese schon aus Selbstschutz andere Interessen in diesem Feld verfolgten als die

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Politik und Verwaltung im NS- und SED-Regime im Vergleich

Partei (Mommsen 1966). Insbesondere nach Einführung des DBG 1937 sind häufiger shirking-Fälle, also Fälle, in denen die Beamten die Anweisungen der Partei missachteten, zu beobachten (Strobel und Veit 2021, S. 40). Dabei schützten Beamte ihre Kollegen, indem sie die Weitergabe von Akten und Informationen verzögerten und Disziplinarverfahren verschleppten. Die potenzielle Konkurrenz konnte nach und nach zu einem Hybrid führen. Gerade in der Endphase waren Politiker und Beamte und deren Handeln kaum noch voneinander zu unterscheiden. Dies lag in erster Linie am Fortschreiten der Polykratie im System, die dazu führte, dass überall ein Kampf um Kompetenzen und unklare Zuständigkeiten entstand (Gotto 2006; Hüttenberger 1976). Fehlende Abgrenzungen führten an vielen Stellen zu einer Unklarheit darüber, wer für eine Entscheidung in einem Politikfeld zuständig war. Meist wussten nicht mal zuständige Behörden, welche anderen Behörden, Parteistellen oder Verbände in ihrem Politikfeld einzubeziehen waren (ebd.). Um den eigenen Einfluss gegenüber anderen Institutionen zu sichern, agierten viele Beamte daher zunehmend politisch und entwarfen eigenmächtig Verordnungen und Vorgaben für den eigenen Einflussbereich (Mommsen 1966). Verbunden war dies mit der Arbeitsweise des „dem Führer entgegenarbeiten“, durch welche Beamte in vielen Fällen als „policy maker“ agierten (Gotto 2007). Dabei antizipierten Beamte den vermeintlichen Willen der NSDAP-Führer und agierten in vorauseilendem Gehorsam selbstständig. Vor allem auf der Kommunalebene, auf der die Verwaltungen in ihrem Handeln grundsätzlich freier waren, agierten spätestens im Krieg Beamte äußerst politisch (Mecking 2005). Im SED-Regime kann die hybride Politisierungsform erst in späteren Phasen beobachtet werden. Allerdings war hier nicht das zunehmende Fehlen von Strukturen verantwortlich, sondern die Verbindung von staatlichen und parteilichen Positionen. Aufgrund des Nomenklatursystems war mit dem Aufstieg im Staatsapparat stets auch ein Aufstieg im Parteiapparat verbunden. Es war von der Partei gewünscht, dass sich die Staatsfunktionäre auch in der SED engagierten. Sie sollten zur Sicherung ihrer politischen Responsivität ehren- und hauptamtliche Positionen in ihren Grundorganisationen, der Parteileitung in ihrem Organ und in den Massenorganisationen übernehmen. Dadurch wurde es aber für Außenstehende zunehmend schwerer, zu unterscheiden, ob ein Staatsfunktionär eine Entscheidung als Vertreter des Staatsorgans oder als Vertreter der SED getroffen hatte. Gerade wenn Staatsfunktionäre Kandidaten oder Mitglieder hoher Parteigremien waren, agierten diese stets auch immer als Politiker, auch wenn die SED die formale Trennung von Partei- und Staatsapparat inklusive dem Primat der Partei stets aufrechterhielt (Glaeßner 1977; Neugebauer 1978).

6.2 Funktionale Politisierung im Vergleich

283

Bis zu einem gewissen Maße war die Integration der Beamten in die Parteistrukturen der NSDAP von dieser ebenso gewünscht, wie es bei der SED der Fall war. Allerdings war mit dem Aufstieg in der Verwaltung kein automatischer Aufstieg in der Partei verbunden. Vielmehr beäugten Alte Kämpfer und langgediente PGs dort die Neuaufgenommenen eher skeptisch. Reichsfinanzminister Schwerin von Krosigk bezeichnete beispielsweise den Leiter seiner Personalabteilung Otto Maaß, der erst auf Druck der Partei überhaupt in diese eingetreten war, als „einen der unfähigsten Nationalsozialisten“ (Bundesarchiv R 9361-I/2155). In manchen Fällen verhinderte die Partei auch Parteieintritte. Insbesondere dann, wenn die Partei an der politischen Zuverlässigkeit zweifelte. Beispiele hierfür sind der langjährige Abteilungsleiter der Rechtsabteilung des Auswärtigen Amts, Erich Albrecht, der trotz drei Anträgen auf Parteimitgliedschaft abgelehnt wurde (Bundesarchiv R 9361-II/4689) und der Leiter des Erziehungsamts des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Helmut Bojunga, welchen die Partei ebenfalls nie aufnahm (Bundesarchiv R 3001/52270, R 9361-II/97610). Trotzdem traten bereits von Januar 1933 bis zum Aufnahmestopp im Mai 1933 reichsweit ca. 570.000 Beamte der NSDAP bei (Röhling 2017, S. 122). Dort und in den angeschlossenen Verbänden wurden die Beamten indoktriniert und ideologisch von der Partei geschult, um deren politische Responsivität gegenüber dem Parteiwillen zu sichern und die Parteiagenda widerstandslos umsetzen zu können. Nach Ende des Aufnahmestopps 1939 wurde die Integration der Beamten in die Partei weiter forciert. So wurde für alle Beamtenanwärter eine Mitgliedschaft in der HJ und/oder der Partei zur Pflicht (Röhling 2017, S. 123). Außerdem wurden alle Beamten dazu gedrängt, angeschlossenen Verbänden wie der NSV beizutreten. Ein solches Engagement sicherte die Konformität der Beamten, nütze diesen aber auch. Beamte, die innerhalb der NSDAP und ihren angeschlossenen Verbänden Netzwerke bildeten, verstärkten ihren Einfluss innerhalb der Verwaltung und sicherten die eigene berufliche Position ab. Schließlich konnten sie so ihre Loyalität und Zuverlässigkeit beweisen. Allerdings erreichte die NSDAP nie den gleichen Organisationsgrad innerhalb der Verwaltung wie die SED. Selbst zu Hochzeiten waren immer noch signifikante Anteile der Beamten nicht Mitglied der NSDAP. Während lediglich 79,5 % aller Beamteneliten Mitglied der NSDAP waren(höchster Wert 1944: 89,0 %) (Strobel et al. 2020. eigene Berechnungen), waren in der DDR hingegen 94,8 % der Verwaltungseliten Mitglieder der SED. Die verbliebenen 5,2 % waren Mitglieder der Blockparteien, welche von der SED dominiert wurden (ZKDS. eigene Berechnungen). Dafür sprechen auch die signifikant unterschiedlichen Mittelwerte (t = –4,029***) beim Politisierungsindex. Während der Wert

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6

Politik und Verwaltung im NS- und SED-Regime im Vergleich

für die gesamte NS-Elite bei 0,37 liegt, weisen die Verwaltungseliten des SEDRegimes einen Wert von 0,42 auf. Vergleicht man damit nur den Wert der Endphase des NS (0,40) dann existiert kein signifikanter Unterschied mehr (Strobel et al. 2020, ZKDS. eigene Berechnungen). Der dennoch höhere Wert im SED-System ist aber nicht nur auf die SED-Mitgliedschaften zurückzuführen, sondern hängt auch mit einer häufigeren Mitgliedschaft in den angeschlossenen Verbänden zusammen. Im NS-System waren nur 61,5 % aller Verwaltungseliten Mitglied in mindestens einem angeschlossenen Verband (Strobel et al. 2020. eigene Berechnungen). In der Verwaltungselite des SED-Systems liegt dieser Wert bei 95,4 % (ZKDS. eigene Berechnungen). Die durchschnittliche Anzahl der Verbandsmitgliedschaften liegt im SED-System ebenfalls signifikant höher (t = 49,264***): die Beamten des NS-Systems waren in durchschnittlich 1,73 Verbänden. Die Verwaltungseliten des SED-Systems in durchschnittlich 3,00 (Strobel et al. 2020, ZKDS. eigene Berechnungen). Während die NSDAP es mit einer stets weniger funktional politisierten Beamtenschaft zu tun hatte, hatte die SED durch die Partei- und Verbandsmitgliedschaften einen direkten Einfluss auf alle Staatsfunktionäre. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich in beiden Systemen alle Formen der Funktionalen Politisierung zeigen. Ihre Nutzung durch die Parteien und die Verwaltungen unterscheidet sich auch nicht so stark voneinander wie es zunächst hätte vermutet werden können. Voranging bei der Trennung von Politik und Verwaltung und der Zusammenarbeit herrschen zwischen NSDAP und SED ähnliche Motive für deren Nutzung vor. Beide Parteien fürchteten, dass die Verwaltung ihre politischen Ziele aufhalten oder verlangsamen könnte und versuchten daher zunächst die Trennung von Politik und Verwaltung. Jedoch erkannten beide im weiteren Verlauf auch, dass sie von der Fachexpertise der Verwaltungen profitieren könnten und wirkten anschließend auf Formen der Zusammenarbeit hin, wobei sich diese dann in der Ausgestaltung unterschieden. Im SED-System entwickelten sich aus dieser Zusammenarbeit eine gewisse Konkurrenz und ein Hybrid, bei welchem die Partei jedoch immer die Oberhand behielt. Im NS hingegen führte die zunehmende Polykratie dazu, dass sich für Beamte immer mehr Möglichkeiten im Politikformulierungsprozess bildeten. Die Partei verlor darüber zwar nie die vollständige Kontrolle. Dennoch konnte sie einen gewissen Wildwuchs nicht verhindern (Bracher et al. 1983). Thamer formuliert den Unterschied zwischen den beiden Systemen folgendermaßen:

6.3 Strukturelle Politisierung im Vergleich

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„Für eine Orientierung […] der Verwaltungsorgane an einem unabhängigen Staatsethos und einer eigenen Rationalität gab es [im SED-Regime] keinen Raum, während die Polykratie des nationalsozialistischen Herrschaftssystems solche alternativen Bezugspunkte noch erlaubte.“ (Thamer 2003, S. 20)

Erwähnt werden muss zum Schluss des Abschnitts noch, dass der begrenzte Quellenzugang zur Untersuchung der Funktionalen Politisierung in beiden Systemen ein zentrales Problem darstellt. Sowohl für den Nationalsozialismus als auch das SED-Regime fehlen Vorgangsakten oder Verwaltungsprotokolle, welche die zugrunde liegenden Motive der Beamten verdeutlichen. Daher muss betont werden, dass die Befunde dieses Abschnitts vor allem auf Einzelfällen und einer vergleichsweise kleinen Datenbasis beruhen und eventuell nicht generalisierbar sind. Anders sieht dies im folgenden Abschnitt aus. Hier konnten anhand von Gesetzen und Reformen die organisationalen Veränderungen gut nachgezeichnet werden.

6.3

Strukturelle Politisierung im Vergleich

Organisationale Veränderungen der bestehenden Staats- und Verwaltungsstrukturen kennzeichneten beide in dieser Studie untersuchten Regime. Beide wendeten dazu alle drei von Lewis (2005, 2008) identifizierten Strategien der Strukturellen Politisierung und auch die für diese Studie eingeführte Unterform der Beibehaltung von Strukturen an. Doch worin glichen und worin unterschieden sich die beiden Regime? Dies soll anhand der Strategien Beibehaltung von Strukturen, Einfügen von Zwischenebenen, Reorganisation und Auslagerung von Kompetenzen in diesem Abschnitt gezeigt werden. Zu Beginn der NS-Herrschaft 1933 nutzte die Partei intensiv das Einfügen von Zwischenebenen. Indem überall im Reich Sonderkommissare und Beauftragte eingeführt wurden, entstanden bei allen Verwaltungseinheiten Zwischenebenen. Die Kommissare hatten die Möglichkeit als Zwischen- bzw. Oberinstanz in alle Verwaltungsbereiche einzugreifen. Sie agierten von Beginn an als Gatekeeper und limitierten den Einfluss von Beamten. Die Besetzung von immer mehr Schlüsselpositionen durch loyale und politisch zuverlässige PGs im Laufe der 1930er Jahre verstärkte diesen Effekt. Diese neuen Beamten konnten ganze Referate, Abteilungen und Behörden zur Konformität zwingen, indem sie den Einfluss widerständiger bzw. neutraler Beamter begrenzten (Rebentisch 1989a). Beispiele hierfür finden sich auf allen Ebenen. Genannt wurden in der Fallstudie bereits Hans-Heinrich Lammers und Martin Bormann als Koordinatoren

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6

Politik und Verwaltung im NS- und SED-Regime im Vergleich

der Reichsregierung, aber auch Gauleiter, Parteibeauftragte bei den Kommunen oder Ratsmitglieder der NSDAP (Tüffers 2005, S. 74). Schon einige wenige Parteimitglieder der NSDAP konnten so ganze Verwaltungen und deren Verhalten verändern (Rebentisch 1989a, S. 545). Dies förderte die effiziente und effektive Umsetzung der NS-Ideologie. Im Laufe der Herrschaft konnte diese Effizienz allerdings abnehmen, wenn in einzelnen Verwaltungen mehrere Zwischenebenen mit gleichen oder ähnlichen Kompetenzen geschaffen wurden bzw. Parteiführer sich diese Zwischenebenen selbst einrichteten. Die Positionsinhaber blockierten sich dann häufig gegenseitig und lähmten die Verwaltungen in ihrem Handeln, da es den neuen Positionsinhabern nicht um die Verwaltungsführung an sich, sondern die Mehrung des eigenen Einflusses ging (Mommsen 1966). Ähnlich wie die NSDAP, setzte auch die KPD/SED zu Beginn ihrer Herrschaft auf das Einfügen von Zwischenebenen. Allerdings unterschieden sich Art und Form. Während die NSDAP aufgrund ihrer Kompetenzen als Regierungspartei nach Einführung der Reichstagsbrandverordnung und des Ermächtigungsgesetzes nach eigenem Gutdünken Verwaltungen verändern konnte, war die SED in den 1940er Jahren stets von der Zustimmung der SMAD abhängig. Da diese ihr Ziel, den Aufbau eines kommunistischen Staates in der Sowjetzone zu Beginn verschleiern wollte, musste sich die SED darauf beschränken, bereits existierende Zwischenebenen zu besetzen anstatt neue einzufügen. Diese Ebenen fand sie in Form der Personalabteilungen. Während die Partei die Positionen der Bürgermeister oder Verwaltungsleiter zunächst zur Wahrung des Scheins der CDU oder LDPD überließ, übernahm sie selbst die eigentlich einflussreichen Positionen innerhalb der Verwaltungen. Nach und nach etablierte die Partei aber auch eigene Zwischenebenen in Form der SED-Parteileitungen und der Sekretäre der Räte, welche stets von der SED besetzt wurden. In jedem Organ wurden diese etabliert und mit Kontrollkompetenzen ausgestattet, welche es erlaubten die Verwaltung effektiv zu lenken. Auch wenn hier formale Ähnlichkeiten zu den Parteibeauftragten der NSDAP (ab 1935 eingeführt) erkennbar sind (Türke 1960, S. 110), ging die SED doch viel weiter und etablierte nicht nur einzelne Vetospieler, sondern ganze Parteiorganisationen innerhalb der Verwaltung. Die neuen Ebenen verstärkten die Verwaltungskontrolle, erzeugten aber auch ein hohes Maß an Unsicherheit und ein schlechter werdendes Arbeitsklima (Schwarzenbach 1976, S. 120 f.), was die Effizienz der Verwaltungsorgane schmälerte. Im Endeffekt hatte die Einführung von Zwischenebenen in beiden Systemen also Vor- und Nachteile für die Parteien. Sie konnte dazu führen, dass Parteiinteressen und -beschlüsse effektiver umgesetzt wurden und gleichzeitig die Effizienz der Verwaltungen senken. Im Zuge der zunehmenden Machtübernahme durch die SED setzte diese daher auf die Reorganisation der Verwaltungen. Mit dem stetigen Hinweis auf

6.3 Strukturelle Politisierung im Vergleich

287

die mangelnde Effizienz der Verwaltungsorgane (primär in der Wirtschaftslenkung), wurden regelmäßig Veränderungen des Staatsapparates begründet. Bereits mit Gründung der StWK/DWK wurden dieser umfassende Kontroll- und Durchsetzungskompetenzen (vor allem im Bereich der Wirtschaftspolitik) von den Ländern, Kreisen und Kommunen zugeschlagen. Spätestens ab 1948 verfolgte die SED einen starken Zentralisierungskurs. Föderative Elemente sollten nach und nach zugunsten des Zentralstaats abgeschafft werden. Obwohl noch in der Verfassung von 1949 verankert, wurden in den 1950er Jahren die Länder und das Selbstverwaltungsrecht der Kommunen abgeschafft. Mit der Schaffung der Bezirke etablierte die Führung eine Mittelebene, die nicht mehr eigenständig tätig werden konnte, sondern lediglich Vorgaben des Ministerrats und damit der SED umsetzen musste. Verwaltungsorgane waren so einer eigenständigen Verwaltungsführung beraubt. Nach und nach konnten mit dieser Politik demokratische und Selbstverwaltungselemente abgeschafft werden, was der SED ihre Durchsetzungsmacht sicherte. Nachdem dieses Ziel Ende der 1950er Jahre gesichert war, fanden Reorganisationen nur noch selten (z. B. Wiedergründung der Industrieministerien 1965) statt und spielten langfristig keine Rolle mehr. Auch im NS-System zeigt sich Reorganisation in erster Linie zu Beginn der Herrschaft. Die neue Reichsregierung unter Hitler nutzte 1933/1934 sämtliche ihr möglichen Maßnahmen, um die föderalistischen Elemente innerhalb des Staates und die kommunale Selbstverwaltung abzuschaffen. Dazu benötigte die NSDAP gerade einmal eineinhalb Jahre. Zu Gute kam der Regierung dabei, dass Reichspräsident von Hindenburg ebenfalls kein Anhänger von Gewaltenteilung oder föderativen Staatselementen war. Geprägt durch seine monarchistische Haltung stimmte der Präsident allen Gesetzen zum Umbau des Reiches zu und trug somit dazu bei, den föderalistischen Staatsaufbau zu beschneiden (Pyta 2004). Die zumindest formal starke Zentralisierung führte dann dazu, dass die Reichsregierung potenziell in alle Verwaltungen eingreifen konnte. Trotz dieser Regelungen wurde die Zentralisierung im NS-Regime nie konsequent beendet. Aufgrund der nie umgesetzten Reichsreform blieb das nationalsozialistische Deutschland ein verwaltungstechnischer Flickenteppich, der durch immer neue Behörden, hybride Organisationen, Abteilungen von bestehenden Verwaltungseinheiten und einflussreiche Verbände zunehmend unübersichtlicher wurde. Eine vollständige Zentralisierung unter Führung der Staatspartei, wurde anders als im SED-Regime, nie erreicht. Stattdessen führte eine zunehmende Polykratie dazu, dass alle Akteure in Staat und Partei zunehmend autonom und ohne Rücksicht auf andere Akteure handelten. Dies wäre im SED-Regime undenkbar gewesen.

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6

Politik und Verwaltung im NS- und SED-Regime im Vergleich

Die Polykratie wurde durch eine Auslagerung von Kompetenzen gefördert. Staatliche Kompetenzen wurden in diesem Prozess zu neuen Behörden (staatlich oder hybrid) oder direkt zu verschiedensten Parteistellen verschoben. Diese erhielten so die Möglichkeiten, in verschiedenen Politikfeldern in die Wirkungsbereiche der staatlichen Verwaltung einzugreifen. Beispiele finden sich bei der Etablierung der Reichsverteidigungskommissare, der Reichsstatthalter oder auch bei der (zumindest teilweisen) Auslagerung der Beamtenaufsicht in die Parteiverwaltung. Insbesondere das Hauptamt für Beamte und seine nachgeordneten Stellen in den Gauen und Kreisen hatten hier entscheidende Aufgaben. Zum einen waren sie für die Erstellung der politischen Gutachten zuständig und zum anderen führten sie politische und ideologische Schulungen durch, die von den Beamten allerdings eher schlecht angenommen wurden. Die Gutachten und die Überprüfung der politischen Zuverlässigkeit wurden zur Hauptaufgabe der Hauptämter und blieben bis zum Ende des Regimes deren Hauptaufgabe (Roser und Spear 1993). Der Politikformulierungsprozess blieb hingegen größtenteils in der Hand der Verwaltungen. Anders als im SED-Regime hatten die Parteiämter nur einen sehr geringen Einfluss auf die Formulierung von Gesetzen und Verordnungen. Die sogenannte Führergesetzgebung führte sogar dazu, dass viele Ministerien eine größere Freiheit in der Gesetzesformulierung als noch in der Weimarer Republik bekamen. Da Hitler nur grundlegende Vorgaben machte, hatten die Beamten hier einen hohen Einfluss auf die detaillierte Ausgestaltung. Den meisten Vorschlägen der Ministerien stimmte Hitler ohne weitere Detailprüfung zu (Hehl 2001, S. 11). Er und die NSDAP verließen sich darauf, dass die eingeschleusten PGs in den Verwaltungen die Gesetze und Verordnungen in eine Richtung lenkten, die der ideologischen Linie der Partei entsprach. Im SED-Regime wurde der Politikformulierungsprozess hingegen vollständig in die Parteiverwaltung ausgelagert. Die leitenden Gremien (Politbüro, ZK) und deren Abteilungen hatten die alleinige Kompetenz bei der Formulierung von Gesetzen und Verordnungen. Alle wesentlichen Entscheidungen, waren sie noch so unbedeutend, wurden von Parteigremien getroffen. Keine Entscheidung sollte dem Staatsapparat überlassen werden. Stattdessen waren Ministerien, Bezirks-, Kreis-, und Gemeinderäte sowie deren Fachabteilungen zur vollständigen Umsetzung der Parteibeschlüsse gezwungen. Um dies zu gewährleisten, setzte die SED, ähnlich wie NSDAP, auf eine strenge Kontrolle der Verwaltungen. Allerdings ging die SED deutlich weiter, indem sie nicht nur die Verwaltungsaufsicht in den Parteiapparat auslagerte, sondern auch die vollständige Verantwortung für die Aus- und Weiterbildung übernahm. Die Verwaltungsaufsicht und -kontrolle wurde

6.3 Strukturelle Politisierung im Vergleich

289

dabei von verschiedensten Parteiinstanzen durchgesetzt. Beispiele sind die Kontrollkommissionen, Kontrollbeauftragte, Volkskontrollausschüsse, Instrukteursabteilungen und die SED-Parteileitungen in den Verwaltungsorganen. Zusätzlich wurden Erkenntnisse der Staatssicherheit und ein umfassendes Berichtswesen genutzt. Anders als im NS-System, wo Schulungen der NSDAP eher schlecht besucht waren, sorgte die SED außerdem dafür, dass ihre ideologischen Ausund Weiterbildungen von den Staatsfunktionären an Partei(hoch)schulen und Parteifachschulen besucht wurden. So wurde der mindestens ein Jahr dauernde Besuch einer Bildungsstätte der SED zur Pflicht (Lorenz 1999, S. 89). Dies sollte nicht nur die ideologische Festigkeit der Staatsfunktionäre stärken, sondern ihnen die Grundlagen und Ziele des Sozialismus näherbringen (Schwarzenbach 1976, S. 79 f.). Die SED erhoffte sich durch die Auslagerung der Kaderaus- und -weiterbildung in den Parteiapparat eine bessere Integration der Staatsfunktionäre in das System. Eine genaue Umsetzung der Parteibeschlüsse sollte damit sichergestellt und potenzieller Widerstand verhindert werden (Wagner 1998, S. 30). Neben diesen Strategien lässt sich in beiden Systemen aber auch beobachten, dass in gewissen Zeiträumen auf eine strukturelle Kontinuität gesetzt wurde. Für den NS zeigt sich nicht nur in der grundsätzlichen Beibehaltung der traditionellen deutschen Verwaltungsstruktur, dass Kontinuität eine wichtige Rolle spielte. Gründe dafür sind zum einen die konservativen Kräfte (von Papen, von Hindenburg, Frick), welche (anfangs noch) an der Regierung beteiligt waren und andererseits die Beamten selbst, welche schon in der Weimarer Zeit starken Veränderungen der Verwaltungstraditionen und –strukturen skeptisch bis feindlich gegenüber standen (Middendorf 2015, S. 340; Rebentisch 1989b, S. 128; Sontheimer 1999, S. 70). Besonders in eher unpolitischen Fachabteilungen oder Behörden verzichteten die NSDAP und ihre Führung daher auf eine zu starke Strukturelle Politisierung. Die Reichsfinanzverwaltung und die ihr zugehörigen Finanzämter erledigten ihre Arbeit beispielsweise auch ohne eine strukturelle Veränderung im Sinne der NSDAP (Friedensberger et al. 2002). Im SED-System setzt die Phase der Kontinuität und Beibehaltung von Strukturen hingegen erst ein, nachdem das Staatssystem einmal komplett umgebaut wurde. Bis in die dritte Phase der 1960er Jahre hinein war die Verwaltung wie oben beschreiben von stetigen Umbrüchen geprägt. Die Gründe hierfür waren zum einen ideologische Überzeugungen, zum anderen Reaktionen auf Krisen bzw. (wirtschafts-) politische Umstände. Die Unzufriedenheit der SED mit der Planerfüllung war ein Hauptgrund für stetige organisatorische Umbaumaßnahmen. Beispiele hierfür finden sich an vielen Stellen und wurden bereits oben genannt.

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6

Politik und Verwaltung im NS- und SED-Regime im Vergleich

Beim Vergleich der Nutzung der Strukturellen Politisierung in den beiden Systemen kann beobachtet werden, dass beide Parteien alle von Lewis (2005, 2008) identifizierten Strategien nutzten. Dies passt auch zum Befund, den Ginsburg (2008) für andere autokratische Systeme identifiziert hat. Er kommt zu dem Befund, dass 1. Ideologisierung und Internalisierung, 2. strikte Hierarchisierung und 3. Monitoring durch Dritte (Ginsburg 2008, S. 4) elementar für die Durchsetzung der Parteiinteressen sind. Ideologisierung und Internalisierung sind in den vorliegenden Systemen durch Schulungen und die Integration in die jeweilige Partei bzw. ihre angeschlossenen Verbände gewährleistet. Eine Hierarchisierung zeigt sich in beiden Systemen, auch wenn diese im SED-Regime deutlich konsequenter umgesetzt wurde als im NS. Das Monitorring durch Dritte fand ebenfalls in beiden Systemen statt. Die Verwaltungskontrolle wurde zum Teil (NS) oder vollständig (SED-Regime) in die Hand der jeweiligen Partei gegeben. Diese hatten so einige Eingriffsmöglichkeiten, um die Responsivität der Beamten/Staatsfunktionäre zu sichern. Diese Maßnahme entlastete auch die jeweiligen Prinzipalen in den Verwaltungen, da die Partei als hochpolitisierter externer Akteur dazu beitragen konnte, die Konformität der Verwaltungsmitarbeiter zu sichern (Ginsburg 2008, S. 10). Es zeigt sich jedoch, dass die SED bei allen strukturellen Maßnahmen umfassender vorging als die NSDAP. Allerdings benötigte sie viele Jahre für diese Maßnahmen. Während die NSDAP ihren Staatsumbau formal nach dem Tod des Reichspräsidenten im August 1934 abgeschlossen hatte, brauchte die SED bis zur Einführung des GöO 1957 ca. 12 Jahre. Welche Gründe gibt es für diese Unterschiede?

6.4

Gründe für Unterschiede in der Nutzung der Politisierungsformen

In den vorangegangenen Abschnitten wurden sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede in der Nutzung der Politisierungsformen festgestellt. Doch warum unterschied sich die Nutzung in manchen Bereichen und glich sich in anderen? Beide Parteien „einte das Streben nach einer Veränderung bestehender Herrschaftsverhältnisse, um diktatorische Vollmachten zur erlangen“ (Schmeitzner und Wagner 2003, S. 79). Der Anspruch beider Parteien war es dabei, einen totalitären Herrschaftsanspruch umzusetzen (Schmiechen-Ackermann 2003, S. 176). Beide standen daher aber vor einem Prinzipal-Agenten-Dilemma und mussten befürchten, dass die jeweils vorgefundene Verwaltung ihnen gegenüber nicht loyal war und sie bei dem Streben nach Macht nicht unterstützte. Es ist daher

6.4 Gründe für Unterschiede in der Nutzung der Politisierungsformen

291

nicht verwunderlich, dass beide auf ähnliche personalpolitische Maßnahmen, eine starke Integration der Beamten bzw. Staatsfunktionäre in die jeweilige Partei und eine Umstrukturierung des Staates setzten. Ähnliches lässt sich auch in anderen (ehemaligen) autokratischen Systemen wie China, Portugal oder Kambodscha beobachten (Chan und Suizhou 2007; Egorov und Sonin 2011; Qing-kui 1993; Rothstein 2015). Die grundsätzliche Reaktion auf das Prinzipal-Agenten-Problem scheint in vielen autokratischen Systemen ähnlich zu sein. Doch warum unterschied sich die Nutzung der Formen und Verfahren dann zwischen den beiden hier untersuchten Parteien bzw. Systemen? Zunächst muss festgehalten werden, dass die Ausgangsvoraussetzungen für beide Parteien zu Beginn ihrer Herrschaft recht unterschiedlich waren. Die NSDAP war im Januar 1933 kaum darauf vorbereitet, die Macht in der Weimarer Republik zu übernehmen (Bracher 1983). Für sie kam die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler größtenteils sehr überraschend, rechneten in der Partei doch die wenigsten damit, vom konservativen Reichspräsidenten mit der Regierungsbildung beauftragt zu werden (ebd.). Die Partei hatte daher auch keinen ausgereiften Plan für die zukünftige Ausgestaltung der deutschen Verwaltung. Sie hatte zwar in Einzelfällen schon personalpolitische Pläne für die Zeit nach der Machtergreifung parat (vgl. den Brief von Ernst von Heydebrandt und der Lasa an Hermann Göring vom 22. Juli 1932 in Abschnitt 4.2.1.2), aber grundsätzlich mangelte es an einem umfassenden Konzept, wie die Partei die Verwaltung nach einer Machtübernahme dem Parteiwillen unterwerfen wollte (Schmeitzner und Wagner 2003, S. 68). Die Idee einer Abschaffung der Verwaltung zu Gunsten der NSDAP-Parteiämter, wie sie noch 1932 propagiert wurde, war nicht mehr als eine substanzlose Illusion (Mommsen 1973) und musste bereits im Frühjahr 1933 von der Partei begraben werden. Schon in den ersten Monaten der Herrschaft realisierten die Führungseliten der Partei, dass sie auf die bestehende Verwaltung angewiesen waren und die Parteiverwaltung weder die quantitativen noch die qualitativen Kapazitäten hatte, um die Verwaltungsaufgaben vollständig zu übernehmen. Für die KPD stellte sich die Situation 1945 hingegen anders dar. Bereits im Moskauer Exil erarbeitete die Partei ab dem Zeitpunkt der nahenden Niederlage des Deutschen Reichs 1944 einen umfassenden Plan zur Zerschlagung und zum Neuaufbau der deutschen Verwaltung und Staatsstruktur (Schmeitzner und Wagner 2003, S. 68 f.), welchen sie nach der Rückkehr nach Deutschland mit Hilfe der SMAD nach und nach systematisch umsetzte. Trotzdem zeigt sich, dass es der NSDAP deutlich schneller als der KPD/SED gelang, die politischen Gegner innerhalb der Verwaltung auszuschalten und den Staat vollständig zu einer totalitären Diktatur umzubauen. Bereits im August 1934 war die Systemtransformation in weiten Teilen abgeschlossen. Gründe hierfür

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Politik und Verwaltung im NS- und SED-Regime im Vergleich

waren die schnellen Staats- und Verwaltungsreformen (Strukturelle Politisierung) und das eingeübte Selbstverständnis der deutschen Beamten, sich nicht gegen die politische Führung zu stellen, sondern dieser neutral zu dienen (Mommsen 1966). Die NSDAP hatte so einen vollständigen Zugriff auf die Verwaltung auf allen Ebenen, ohne ein umfassendes Revirement durchzusetzen. Die SED brauchte für denselben Durchdringungsgrad fast fünf Jahre, baute den Staat dafür aber weit umfassender und nachhaltiger um als die NSDAP. Hier zeigt sich, dass der Anspruch der beiden Parteien beim Verwaltungsumbau ein anderer war. Während die SED von vornherein plante, die noch existierende Verwaltung vollständig in eine kommunistische Kaderverwaltung zu transformieren, begnügte sich die NSDAP mit vergleichsweise kleinen Eingriffen. Statt – wie in den 1920er Jahren teilweise noch geplant – alle Beamten zu entlassen, setzte die Partei darauf, mithilfe der Reichstagsbrandverordnung und des BBG lediglich die widerständigsten Beamten aus der Verwaltung zu entfernen (Beckmann 2003, S. 109; Schmeitzner und Wagner 2003, S. 82). Folglich waren die Entlassungsquoten (mit Ausnahme der Beamtenelite) auch ziemlich gering (siehe Abschnitt 4.2). Die SED hingegen unterwarf die Verwaltungen nach und nach vollständig dem 1949 eingeführten Kadernomenklatursystem und erreichte damit die volle Kontrolle über die Verwaltung und dass sie alleine über die Besetzung von Positionen im Staatsapparat entschied. Gründe für diese unterschiedlichen Herangehensweisen finden sich in den jeweiligen Zielen der Parteien. Die Mehrheit der NSDAP-Eliten wollte ihre Herrschaft zunächst festigen und formal legale Wege nutzen, um dies zu erreichen. Die gesellschaftliche Umgestaltung sollte zu Beginn ebenfalls nicht allzu stark ausfallen (Kershaw 1986, S. 72 f.). Gegner dieses Vorgehens, (z. B. Ernst Röhm) die eine stärkere Ideologisierung der Bevölkerung und eine Ausweitung der politischen Säuberungen auf konservative Kreise forderten, wurden ausgeschaltet (Jesse 2005, S. 46). Die langfristige Umgestaltung sollte erst nach dem gewonnen Krieg erfolgen, welcher aus Sicht der Partei unvermeidlich war. Der Vorbereitung dieses Krieges war die gesamte Innen- und Außenpolitik der Jahre 1933 bis 1939 untergeordnet (Sywottek 1976, S. 9–13). Um die dafür notwendigen Ziele zu erreichen, benötigte die NSDAP eine effiziente und effektive Verwaltung. Die SED hingegen strebte nicht nach einem Krieg oder kurzfristigen Erfolgen. Ihr Ziel war stattdessen eine langfristig angelegte vollständige Umgestaltung der Gesellschaft hin zu einer sozialistischen, im besten Fall kommunistischen Gesellschaft (Jesse 2005, S. 46 f.). In dieser sollten sich die marxistischen Versprechen von Gleichheit und Klassenlosigkeit für alle erfüllen. Für diesen Weg gab es im Nachkriegsdeutschland allerdings nur wenige Unterstützer. 1933 war die Haltung der meisten Beamten gegenüber der NSDAP und

6.4 Gründe für Unterschiede in der Nutzung der Politisierungsformen

293

ihrem propagierten Programm recht positiv gestimmt. Viele teilten die antidemokratische Grundhaltung der Nationalsozialisten und mussten nicht erst von den Transformationsmaßnahmen überzeugt werden (Strobel und Veit 2021; Weil 2003). Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Stimmung hingegen eine ganz andere. Die KPD/SED und ihre Maßnahmen trafen auf eine hohe Skepsis innerhalb der Verwaltung. In den meisten Ämtern der Kommunal- und Landesverwaltung waren 1945 noch Verwaltungsexperten aus der NS-Zeit oder wiedereingesetzte ehemalige Fachbeamte aus der Weimarer Zeit aktiv. Diese waren in ihrer Grundhaltung aber alles andere als kommunistisch oder sozialistisch eingestellt (Schmeitzner und Wagner 2003, S. 83), sondern fühlten sich selbst eher dem bürgerlichen Lager zugehörig. Der KPD stand die Verwaltung daher eher ablehnend gegenüber, was sich schon daran zeigt, dass innerhalb der Verwaltung die Funktionäre der KPD/SED oftmals als „Russenknechte“ (Beckmann 2003, S. 107) bezeichnet wurden. Die Verwaltungsmitarbeiter sahen in der KPD in erster Linie die Umsetzer einer sowjetischen Agenda und somit eine Bedrohung für ihre eigene Position. Die Idee einer sozialistischen Kaderverwaltung ohne Beamtenschaft und Vorrechte für Beamte traf daher auf großen Widerstand (ebd.). Dies machte letztlich den vollständigen Austausch der Verwaltungsmitarbeiter durch die KPD/SED notwendig. Allerdings benötigten solche umfassenden Maßnahmen Zeit und Planung und waren aufgrund des Mangels an geeigneten eigenen Kräften nicht so schnell wie gewünscht umsetzbar. Hinzu kam, dass die SED nicht so offen eine Diktatur anstreben konnte, wie die NSDAP 1933. Diese konnte ihren Weg in die Diktatur als Lösung der wirtschaftlichen und politischen Krise verkaufen (Schmeitzner und Wagner 2003, S. 79 ff.). Die SMAD und damit auch die SED mussten hingegen bis 1947, den äußerlichen Schein einer pluralistischen Demokratie wahren (Schmeitzner und Wagner 2003, S. 79). Neben den Diktatur-Erfahrungen aus der gerade erst beendeten NS-Zeit, waren hierfür auch die Konstellation unter den Alliierten und die sowjetische Strategie verantwortlich. Diese hoffte noch darauf, ganz Deutschland zu einem sozialistischen Staat umwandeln zu können. Daher wurden zu Beginn nicht nur SED-Mitglieder in die Staatsführung und die Verwaltung aufgenommen, sondern auch Mitglieder der CDU und der LDPD. Diese mussten nach dem Scheitern der Strategie 1947 erst wieder aus den politischen Positionen und der Verwaltung entfernt werden, was einige Zeit in Anspruch nahm. Im vergleichbaren Zeitrahmen hatte die NSDAP den Staat schon vollständig umstrukturiert und sich selbst untergeordnet. Während die NSDAP mangels eines umfassenden Plans für eine Verwaltungsreform in dieser Phase größtenteils improvisierte, ging die SED durchgängig nach dem noch in Moskau ausgearbeiteten Konzept vor. Dieses sah eine vollständige

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Politik und Verwaltung im NS- und SED-Regime im Vergleich

Durchdringung des Staatsapparates mit eigenem Personal vor. Dieses Personal existierte in weiten Teilen aber noch nicht und musste erst einmal ausgebildet werden, bevor die SED es in die Verwaltung aufnehmen konnte. Das dauerte länger als von der Partei erhofft und war letztlich erst mit der vollständigen Entwicklung des Kadernomenklatursystems und der dazugehörigen Kaderreserve zu Beginn der 1960er Jahre abgeschlossen. Bei der Säuberung der Verwaltung setzte NSDAP auf eine Steuerung von unten. Sie nutzte dazu ihre weitreichende Organisation auf allen Ebenen, sodass dort die jeweils zugehörigen Parteileitungen und NS-Organisationen eigenständig tätig wurden (Schmeitzner und Wagner 2003, S. 80). Oft auch ohne die Zustimmung der Parteiführung in München oder Berlin. Das ermöglichte der Partei einen hohen Grad an Flexibilität. Gegner in den Verwaltungen konnten zügig identifiziert und aus ihren Ämtern entfernt werden (Schmeitzner und Wagner 2003, S. 81). Die KPD/SED setzte hingegen auf ein planvolles Vorgehen von oben. Die anfänglichen Wildwüchse der Antifa-Ausschüsse wurden schnell beendet, indem noch im Mai 1945 die Maßnahmen in die Verantwortung der KPD-Initiativgruppen unter Führung von Walter Ulbricht, Anton Ackermann und Gustav Sobottka übergeben wurden. Auf eigene lokale Parteigruppen konnte die KPD dabei nicht setzen, war ihr Organisationsgrad nach dem Krieg doch bei Weitem nicht so gut wie der der NSDAP 1933 (Schmeitzner und Wagner 2003, S. 80). Folglich überließ die NSDAP die Machtergreifung auf lokaler und regionaler Ebene weitgehend ihren Parteigruppen, während die KPD auf eine starke Unterstützung durch die SMAD baute. Zuletzt muss der Faktor Zeit noch einmal näher beleuchtet werden. Es darf an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass sich die beiden Systeme zeitlich höchst unterschiedlich entwickelten. Während das NS-System nur 12 Jahre andauerte, herrschte die SED ab 1945 fast 45 Jahre lang über die Sowjetzone und die DDR. Alleine die erste Phase des SED-Systems dauerte sieben Jahre und damit mehr als halb so lange wie das gesamte NS-System, welches von der NSDAP selbst ursprünglich auf 1.000 Jahre angelegt war. Das schränkt die Vergleichbarkeit der beiden Systeme natürlich ein. Niemand kann sagen, wie sich das NS-System bei einem Sieg des Deutschen Reiches im Zweiten Weltkrieg entwickelt hätte. Viele Umgestaltungsmaßnahmen der NSDAP waren für die Zeit nach dem „sogenannten“ Endsieg geplant. Sei es der Umbau der Städte (Dülffer et al. 1978) oder auch der nachhaltige Aufbau einer nationalsozialistischen Gesellschaft (Kershaw 1986). Hätte das System länger angedauert, hätten sich ähnliche Ausbildungsstrukturen für den Verwaltungsnachwuchs wie im SED-Regime entwickeln können. Ein Hinweis dafür ist, dass die NSDAP bei der Besetzung von Verwaltungspositionen von Beginn an auf junge, noch nicht im Verwaltungsapparat

6.4 Gründe für Unterschiede in der Nutzung der Politisierungsformen

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sozialisierte und gut ausgebildete Beamte setzte (Klöckler 2012, S. 105; Mecking 2005, S. 82). Auch die 40 NAPOLAs und die 12 Adolf-Hitler-Schulen, welche langfristig für ein Führerreservoir sorgen sollten, unterstützen diese Vermutung. Die Zeit, dieses Führerreservoir aufzubauen hatte die NSDAP jedoch nicht, war doch alles darauf ausgelegt, schnell den „notwendigen“ Krieg zu führen (Kershaw 1986, 123–126). Im SED-System hingegen hatte die Führung Zeit ihre im Moskauer-Exil gefassten Pläne in die Tat umzusetzen. Zwar ging die Umsetzung der SED stets viel zu langsam von statten. Dennoch erreichte die Partei ihr Ziel einer vollständigen Staats- und Verwaltungstransformation. Die deutsche Verwaltungstradition wurde von der SED bis in die zweite Phase hinein vollständig beseitigt. Zwischenschritte waren auf diesem Weg die Schaffung der DWK, die Gründung der DDR, die Abschaffung der Länder und die Abschaffung des Selbstverwaltungsprinzips der Kommunen und deren Unterordnung nachgeordnete Staatsorgane. Dies stabilisierte gemeinsam mit dem umfassenden Überwachungssystem der Staatssicherheit das politische System bis in die 1980er Jahre hinein und sorgte dafür, dass die SED deutlich umfassender regieren konnte als noch die NSDAP. Dies verdeutlicht auch, warum die SED ab Mitte der dritten Phase und damit nach über 20 Jahren Herrschaft kaum noch auf andere Maßnahmen als Parteipolitisierung angewiesen war. Die NSDAP war hingegen bis zum Ende ihrer Herrschaft vom einen Maßnahmenmix abhängig und konnte aufgrund des Krieges meist auch nur noch reagieren statt zu agieren. Trotz dieser Unterschiede zeigt sich aber, dass in beiden Systemen alle in Kapitel 2 identifizierten Politisierungsformen in unterschiedlichem Ausmaß genutzt wurden. Allerdings in teilweise anderen Formen als sie in demokratischen Systemen bisher genutzt bzw. beobachtet wurden.

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Fazit

Die vorliegende Studie untersucht das Verhältnis von Politik und Verwaltung in den zwei deutschen Diktaturen des 20. Jahrhunderts. Die zentrale Fragestellung der Studie war, wie sich das Verhältnis von Politik und Verwaltung in Diktaturen darstellt. Außerdem sollte untersucht werden, welche Rolle Verwaltungspolitisierung in diesen Systemen spielt. Zur Untersuchung dieser Fragestellungen wurden zunächst die bestehenden Forschungen im Bereich der Verwaltungspolitisierung dargestellt und strukturiert. Im Anschluss folgten die beiden Fallstudien zum Nationalsozialismus und dem SED-Regime, in welchen das Verhältnis von Politik und Verwaltung anhand verschiedenster Quellen beschrieben wurde. In beiden Studien wurden die empirischen Befunde zum Ende eines jeden Teilkapitels in die zuvor strukturierten Politisierungsformen eingeordnet. Anschließend erfolgte ein Vergleich der beiden Systeme anhand der drei Überformen von Politisierung: Personalpolitische Politisierung, Funktionale Politisierung und Strukturelle Politisierung. Welche Erkenntnisse und Beiträge liefert die durchgeführte Studie nun für den wissenschaftlichen Diskurs? Dies wird in drei kurzen Abschnitten nun nochmals ausgeführt. Zunächst wird dabei auf den methodischen Beitrag, danach auch den konzeptionell-theoretischen Beitrag und abschließend auf den inhaltlichen Beitrag zu den Untersuchungsgegenständen NS und SED-Regime eingegangen.

7.1

Methodischer Beitrag

Die Studie beruht methodisch auf der Kombination der Ergebnisse von Überblickswerken und Einzelfallstudien der historischen Wissenschaften mit der Analyse von Gesetzestexten, qualitativen Interviews von ehemaligen Spitzenfunktionären der DDR aus den 1990er Jahren, Quellen aus dem Bundesarchiv © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2022 B. Strobel, Politik und Verwaltung in deutschen Diktaturen, Interdisziplinäre Organisations- und Verwaltungsforschung 22, https://doi.org/10.1007/978-3-658-39157-7_7

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298

7

Fazit

und einer prosopographischen Analyse von quantitativen Daten zu Verwaltungseliten des Nationalsozialismus und des SED-Regimes. Diese Kombination von unterschiedlichsten Quellen ist etwas genuin Neues für die untersuchten Systeme. Während in den historischen Wissenschaften entweder Überblickswerke über den Nationalsozialismus und das SED-Regime oder sehr detaillierte Einzelfallstudien zu einem Themenbereich der jeweiligen Regime existieren, gibt es bisher keine Studie, die versucht hat, die Verwaltungssysteme der beiden Regime mit Hilfe eines Mixed-Methods-Ansatz zu untersuchen. Vor allem die Nutzung quantitativer Daten war bisher nicht üblich. Für den Nationalsozialismus existierten bisher keine Daten von solchem Umfang und Qualität, wie sie durch das Forschungsprojekt „Neue Eliten – Etabliertes Personal? (Dis-) Kontinuitäten deutscher Ministerien in Systemtransformationen“ der Universität Kassel erhoben wurden. Der Zentrale Kaderdatenspeicher des Ministerrats und der SED wurde hingegen schon für einige Studien durch Sozialwissenschaftler ausgewertet (Gebauer et al. 2004; Salheiser 2005, 2007). Allerdings beschäftigten sich diese Studien nicht mit der Verwaltungselite, sondern mit ökonomischen Eliten oder dem akademischem Personal der DDR. Ein wichtiger Unterschied zwischen den Datensätzen ist, dass der ZKDS nicht erhoben, sondern von der SED und vom Ministerrat als Verwaltungsregister genutzt und entsprechend gepflegt wurde. Hier wurden leider einige Bereiche der Daten nicht durchgehend befüllt, sodass dieser Datensatz bei der Qualität gegenüber dem NS-Datensatz stark abfällt. Die Daten des ZKDS konnten daher auch nur für die letzte Phase des SED-Regimes verwendet werden. Dass die Kombination der verschiedenen Quellen in dieser Studie fruchtbar war, zeigt sich an vielen Stellen. Einige Befunde der Überblickswerke und Einzelfallstudien der historischen Wissenschaften konnten zumindest für die oberste Verwaltungsebene durch die Datenanalyse bestätigt werden. So zeigte sich beispielsweise, dass junge stark politisierte Beamte im Nationalsozialismus bevorzugt wurden (Klöckler 2012, S. 105; Mecking 2005, S. 82), konnte durch die Datenanalyse bestätigt werden. Die niedrige Austauschquote von Beamten im Nationalsozialismus, welche für die Mittelebene schon 1962 durch Bracher, Sauer et al. (1962, S. 507 f.) gezeigt werden konnte, lies sich hingegen nicht bestätigen. Hier zeigt sich im Gegenteil, dass 60,6 % der Verwaltungseliten, welche am 01.09.1934 im Amt waren, erst nach dem 31.01.1933 ernannt wurden (Strobel et al. 2020. eigene Berechnungen). Gewinnbringend für diese Studie war außerdem die Entwicklung des Politisierungsindex. In diesem konnten verschiedene Bezüge zum NS-System und zum SED-System zusammengeführt werden. So wurden Parteimitgliedschaften, Mitgliedschaften in angeschlossenen Verbänden, eine berufliche Tätigkeit

7.2 Konzeptionell-theoretischer Beitrag zum Politisierungskonzept

299

im jeweiligen Parteiapparat, Mandate in Volksvertretungen und der höchste Dienstrang in Kampfverbänden bzw. im Sicherheitsbereich (SS, SA, MfS, HVA, KGA) aufgenommen. Leitungspositionen in den jeweiligen Organisationen wurden höher gewichtet als eine einfache freiwillige bzw. eine Zwangsmitgliedschaft. Außerdem wurden soweit bekannt Äußerungen, Handlungen und die Ausübung von Gewalt für das jeweilige Regime berücksichtigt. Die Entwicklung des Index machte weitere Analysen wie Clusteranalysen und Regressionen erst möglich. Anhand dessen konnte beispielsweise gezeigt werden, dass eine höhere Politisierung im NS-System auch zu einer höheren Verwaltungsposition führte. Außerdem konnten Ressortunterschiede festgestellt werden und für den NS bestätigt werden, dass in politisch salienten Bereichen die Politisierung des Personals höher war als in eher technischen Feldern. Für das SED-System zeigte sich dies allerdings nicht. Dort unterschied sich die Politisierung zwar auch zwischen den Ressorts, allerdings zeigte sich dort kein durchgängiges Muster. Die Entwicklung des Politisierungsindex machte außerdem einen rudimentären Vergleich der beiden Systeme möglich. Die Nutzung dieses Index (mit jeweils angepassten Einflussvariablen) in anderen politischen Systemen könnte die Vergleichbarkeit von Politisierung zwischen unterschiedlichen Systemen erhöhen. Diese Beispiele zeigen, dass eine Kombination von Archivmaterial, bestehenden Studienergebnissen und quantitativen Daten für die Analyse historischer Fälle sehr nützlich zur Erforschung komplexer Fragestellungen ist. Vor allem die historische Wissenschaft könnte von der Integration empirischer Daten und einem Mixed-Methods-Ansatz profitieren und diese als Ausgangspunkt für weitere Forschungen nutzen. Die politikwissenschaftliche Verwaltungswissenschaft könnte hingegen davon profitieren, wenn sie zukünftig neben den (häufig quantitativ) erhoben Daten auch weitere Quellen in den Blick nimmt und so einen breiteren Blick auf den eigenen Forschungsgegenstand gewinnt.

7.2

Konzeptionell-theoretischer Beitrag zum Politisierungskonzept

Welchen Beitrag leistet die Studie für die Politisierungsforschung und das bereits existierende Politisierungskonzept? Zunächst einmal hat die detaillierte Analyse der beiden autokratischen Systeme gezeigt, dass Politisierung auch in Diktaturen eine entscheidende Rolle spielt. Dies ist auf den ersten Blick nicht überraschend und in weiten Teilen so erwartbar. Schließlich stehen vor allem in Autokratien die führenden Eliten vor einem Prinzipal-Agenten-Dilemma. Sie können sich nie sicher sein, ob die Verwaltungsmitarbeiter (die Agenten) in ihrem Sinne handeln

300

7

Fazit

(Aberbach und Rockman 2009, S. 52; Chan und Rosenbloom 1994, S. 561), da sie nur über unvollständige Informationen bezüglich der Motive, Interessen, Handlungsmöglichkeiten und dem Leistungsverhalten der Verwaltungsmitarbeiter verfügen (Waterman und Meier 1998, S. 175). Autokraten müssen ständig befürchten, dass die Agenten versuchen politische Anweisungen und Aufgabenstellungen zu umgehen (shirking) und deshalb anders handeln, als von ihnen erwartet (Ginsburg 2008, S. 3; Waterman und Meier 1998, S. 175). Zur Sicherstellung der politischen Responsivität der Verwaltung sind Autokraten daher auf Politisierung angewiesen. Studien, die dies empirisch untersuchen, sind allerdings selten. Es mangelt gerade aufgrund des scheinbar offensichtlichen Vorhandenseins von Politisierung an Interesse, diese Fälle näher zu betrachten. Die zentrale Aufgabe dieser Studie war es daher auch nicht, die bloße Existenz von Politisierung in Autokratien zu belegen, sondern deren Vorkommen und Ausgestaltung näher in den Blick zu nehmen. Während in den meisten bisherigen Studien zu demokratischen Systemen entweder Personalpolitische Politisierung, Funktionale Politisierung oder Strukturelle Politisierung singulär in den Blick genommen wurden, wurden in dieser Studie alle drei Politisierungsformen betrachtet und über alle Verwaltungsebenen hinweg untersucht. Dieses Vorgehen führt zwangsläufig dazu, dass die Verhältnisse in den beiden Systemen sehr detailliert beschrieben werden müssen. Gleichzeitig können aber nicht alle empirischen Beispiele aufgeführt werden, da dies den Rahmen der Studie sprengen würde. Die durchgeführte Studie kann zeigen, dass sowohl im NS- als auch im SED-Regime erst eine Mischung der verschiedenen Politisierungsformen dazu führte, eine politisch responsive und politisierte Verwaltung zu schaffen. Dabei nutzten beide Parteien alle identifizierten Unterformen, um die Kapazitäten der Verwaltung für die eigenen Ziele nutzen zu können. In demokratischen Systemen kann beobachtet werden, dass nach Regierungswechseln die regierenden Parteien zahlreiche Positionen mit eigenen Leuten neu besetzten (Aberbach und Rockman 2009; Derlien 1996; Lewis 2005). Aufgrund dieser Erkenntnisse lag die Vermutung nahe, dass Parteien, die nach einem autokratischen System streben, ebenso handeln und dabei deutlich weiter gehen als demokratische Parteien: statt nur auf Schlüsselpositionen zu setzen, wäre es zu erwarten gewesen, dass diese Parteien alle Verwaltungspositionen mit eigenen Leuten besetzen wollen. Während im SED-Regime nach und nach genauso vorgegangen wurde, ging die NSDAP einen anderen Weg. Gründe für diese Unterschiede sind unterschiedliche Kontexte, in denen die beiden Parteien ihre Macht etablierten. Das NS-System war zwar von der NSDAP-Propaganda auf 1.000 Jahre hin ausgerichtet, fundamentale Veränderungen sollten aber erst nach dem sogenannten „Endsieg“ umgesetzt werden

7.2 Konzeptionell-theoretischer Beitrag zum Politisierungskonzept

301

(Kershaw 1986, S. 72 f.). Zunächst war die ganze Politik auf den „unvermeidlichen“ Krieg und dessen Vorbereitung konzentriert (Sywottek 1976, S. 9–13). Um diese Vorbereitungen umzusetzen, benötigte die Partei eine funktionierende Verwaltung, weshalb sie darauf setzte, die von der Weimarer Republik geerbten Beamten größtenteils zu übernehmen. Diese waren in der breiten Masse sowieso nicht von dem demokratischen Staatssystem überzeugt und sehnten sich nach einer autokratischen Herrschaft (Strobel und Veit 2021). Daher fügten sie sich schnell ins neue System ein. Es bestand also keine Notwendigkeit, die Beamten komplett zu ersetzen. Im SED-Regime hingegen hatte es die Partei nach dem Krieg mit einem Verwaltungsapparat zu tun, der zum einen nur rudimentär noch existierte und ihr zum anderen grundsätzlich misstrauisch gegenüberstand (Beckmann 2003, S. 103). Die meisten, die in der Verwaltung tätig waren, sahen sich eher als bürgerlich denn sozialistisch an. Zudem war die vollständige sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft das Ziel der SED (Jesse 2005, S. 46 f.). Dazu gehörte auch die Etablierung einer sozialistischen Kaderverwaltung, über welche die Einheitspartei die vollständige Hoheit haben sollte. Dies benötigte zwar Zeit, war am Ende aber erfolgreich. Begünstigt wurde es durch die Tatsache, dass die Partei mit Hilfe der SMAD nach dem Krieg ein vollständig neues Verwaltungssystem aufbauen konnte. Was sich in beiden Systemen zeigt, ist der hohe Grad an Verwaltungskontrolle und die externe Ideologisierung der Verwaltungen durch die Partei. Dies ist zwar im Rahmen der Politisierungsforschung nichts genuin Neues, in Form und Ausmaß unterscheidet es sich aber erheblich von dem bisher Beobachteten. In den USA hatte beispielsweise die Reagan-Administration (1981–1989) ideologische Loyalitäts-Tests eingeführt, um die Verwaltung auf ihrer politischen Linie zu halten (Lewis 2008, S. 47–49; Peters 2004, S. 131). George W. Bush (2001–2009) erweiterte diesen Test während seiner Zeit als Präsident und führte für jeden leitenden Beamten einen Score ein, der Auskunft über dessen Performanz und Loyalität geben sollte (Lewis 2007). NSDAP und SED gingen hier deutlich weiter. Während die NSDAP für alle Beamten politische Gutachten erstellte, Spitzel anwarb und eine externe Verwaltungskontrolle durch die Partei einführte, intensivierte die SED diese Maßnahmen noch. Sie unterwarf die Verwaltung vollständig dem Willen der Partei und kontrollierte diese umfassend mit Hilfe von Parteigruppen in der Verwaltung, Volkskontrollausschüssen, Parteikontrollkommissionen und der Staatssicherheit. Ebenfalls neu und im Rahmen der bisherigen Politisierungsstudien eher schlecht beschrieben, ist die starke Integration der Beamten und Staatsfunktionäre in die jeweilige Staatspartei. Während in manchen Demokratien sogar ein Parteimitgliedschaftsverbot für Beamte gilt (z. B. Großbritannien) (Hojnacki 1996,

302

7

Fazit

S. 152), forcierten SED und NSDAP die Aufnahme und Einbindung der Verwaltungsakteure in ihre parteieigenen Strukturen. Während sich in Demokratien die Einbindung von Beamten meist auf die zeitlich begrenzte Arbeit in Parlamentsfraktionen (z. B. Deutschland) oder als politische Berater (z. B. Großbritannien, Australien) beschränkt, banden NSDAP und SED die Beamten bzw. Staatsfunktionäre auch aktiv in Parteigremien und angeschlossene Verbände ein. Im SED-Regime ging ein Aufstieg im Staatsapparat mit einem automatischen Aufstieg in der Partei einher. Im Nationalsozialismus wurden leitende Beamte mit SA- oder SS-Ehrenrängen versehen oder in lokale Parteileitungen eingebunden (vgl. den Fall Kreisleitung Augsburg-Land). Spannende Parallelen weisen diese Befunde mit dem Konzept des democratic backsliding (Bauer und Becker 2020; Bauer et al. 2021b), also dem Zurückdrängen von demokratischen Strukturen zu Gunsten von autokratischen Elementen, auf. Die von Bauer et al. (2021a) in diesem Kontext identifizierten Strategien sidelining, ignoring und using the bureaucracy decken sich hier teilweise mit bereits früher erarbeiteten Politisierungsstrategien und lassen sich durch die Erkenntnisse dieser Studie möglicherweise ergänzen. Sidelining findet beispielsweise dann statt, wenn der Politikformulierungsprozess aus der Verwaltung herausgelöst und von anderen Akteuren oder Organisationen übernommen wird. Die Verwaltung wird dabei auf die Implementierungsfunktion reduziert (Bauer et al. 2021a). Dies deckt sich inhaltlich in Teilen mit der Idee von Struktureller Politisierung und insbesondere dem Auslagern von Kompetenzen. Im SED-System lässt sich dies sehr gut beobachten. Dort fand die Politikformulierung vollständig im Parteiapparat statt. Unter ignoring verstehen Bauer et al (2021a), dass sich politische Akteure lediglich auf saliente Felder (z. B. Einwanderung) konzentrieren und andere Politikfelder unbeachtet lassen. In diesen unbeachteten Politikfeldern weitet sich der Einfluss der Verwaltung auf den Politikformulierungsprozess dadurch erheblich aus, während er in den politisch salienten Feldern sehr stark reduziert wird. Dies zeigt sich primär im NS-System, in dem sich die Partei und der Diktator persönlich vorrangig in Politikfeldern einmischten, die sie interessierten (Hehl 2001, S. 11). Beispiele sind die Judenpolitik, die Aufrüstung oder der Ausbau der Städte. Eher technische Felder wie das Finanzwesen blieben weitgehend unberührt. Die für den Erhebungszeitpunkt 1934 durchgeführte Clusteranalyse zeigt auch, dass sich der Grad der Politisierung zwischen politisch salienten Ministerien und nicht salienten signifikant unterscheidet (t-Wert = –27,44***). Ressorts mit eher allgemeinen Aufgabenfeldern wie Auswärtige Angelegenheiten, Verkehr oder Finanzen weisen beim Politisierungsindex einen Mittelwert von 0,10 auf. Ressorts mit politisch brisanteren Themen wie Bildung, Propaganda, Ernährung und Landwirtschaft oder Inneres haben einen Wert

7.2 Konzeptionell-theoretischer Beitrag zum Politisierungskonzept

303

von 0,50 (Strobel et al. 2020. eigene Berechnung). In diesen Feldern ist es zu erwarten, dass Verwaltungsmitarbeiter zunehmend funktional politisiert werden und damit auch zunehmend politisch agieren. Es kann ein Hybrid entstehen, in dem Politiker und Beamte kaum noch voneinander zu unterscheiden sind. Die dritte Strategie using stellt den Fall dar, dass die Kapazitäten der vorgefundenen Verwaltung von den politischen Akteuren genutzt werden, um eigene politische Vorstellungen durchzusetzen (Bauer et al. 2021a). Hier kann sich eine Zusammenarbeit zwischen Politikern und Beamten entwickeln. Diese Strategie zeigt sich im NS in den eher technischen Politikfeldern wie dem Postwesen oder dem Verkehr. Hier setzte die NSDAP weitestgehend darauf, die existierende Verwaltung mitsamt ihrer Kapazitäten zu nutzen, um das Politikfeld zu gestalten (Strobel und Veit 2021, S. 31). Diese Beispiele zeigen, dass die von Bauer et al (2021a) identifizierten Strategien stets mit Politisierung verbunden sind. Eine stärkere Integration der beiden Ansätze bei der Erforschung von Systemen, in denen democratic backsliding stattfindet, oder Autokratien kann sicherlich neue Erkenntnisse liefern. Insgesamt soll an dieser Stelle festgehalten werden, dass das Politisierungskonzept trotz jahrzehntelanger Untersuchung und Anwendung stets noch weiter entwickelt werden sollte. Die Integration von weiteren verwandten Theorien und Strategien sowie bisher vernachlässigten Aspekten, wie die Integration in (Staats-)Parteien, die externe Verwaltungskontrolle und die Ideologisierung von Verwaltungsmitarbeitern, erscheint an dieser Stelle ebenfalls sinnvoll. Dies könnte eine entscheidende Rolle bei der Auswertung aktueller Fälle, in denen Parteien und Einzelakteure mithilfe der Verwaltung demokratische Elemente in ihren Staaten abbauen, spielen. Beispiele hierfür sind Ungarn, Polen und Brasilien aber auch die USA unter der Trump-Administration (2017–2021). Es wäre interessant zu wissen, welche Rolle in diesem backsliding-Prozess Strategien von autokratischen Parteien zur Verwaltungspolitisierung – insbesondere die Eingliederung in die Parteien und die Kontrolle durch diese – spielen. Die Politisierungsforschung muss außerdem Autokratien besser in den Blick nehmen. So spannend die Untersuchung von Politisierung in Demokratien aufgrund ihrer vermeintlichen Unangemessenheit in diesen Systemen (Hojnacki 1996; Peters und Pierre 2004) auch ist, so notwendig ist es, sich dem Thema Politisierung auf breiterer Basis anzunehmen. Politisierung ist gerade für autokratische Systeme noch zu wenig untersucht und sollte deswegen stärker fokussiert werden. Beispiele für zu untersuchende Systeme sind neben China, für das es bereits erste Untersuchungen gibt (Qing-kui 1993; Rothstein 2015), auch Russland und die Türkei. Des Weiteren wäre es äußerst interessant, sich Politisierung in Systemen anzuschauen, in denen nicht Parteien, sondern absolutistische

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7

Fazit

Monarchen (z. B. Saudi-Arabien, Katar, Eswatini), Religionsführer (z. B. Iran) oder Militärs die zentrale Rolle spielen (z. B. Pakistan, Ägypten, Myanmar) oder spielten (z. B. Spanien, Griechenland). Unterscheidet sich in diesen Systemen die Politisierungsnutzung von den hier untersuchten Diktaturen des NS und des SED-Regimes?

7.3

Beitrag zur Erforschung des Nationalsozialismus und des SED-Regimes

Die Erforschung der Verwaltungssysteme des Nationalsozialismus und des SED-Regimes haben mittlerweile eine lange Tradition. Bereits während der NSHerrschaft machten es sich im Ausland lebende deutsche Politikwissenschaftler zur Aufgabe, das Staats- und Verwaltungssystem des NS zu analysieren. Das bekannteste Beispiel aus dieser Zeit ist wohl das Buch „Der Doppelstaat“ von Ernst Fraenkel, was dieser zur Jahreswende 1940/41 im US-Exil veröffentlichte. Das Werk, wurde allerdings in Deutschland bis zur Veröffentlichung auf Deutsch im Jahr 1974 kaum rezipiert. Hier dominierten ab den 1960er Jahren Beiträge von Historikern. Zuvorderst sind hier die Arbeiten von Karl Dietrich Bracher, Wolfgang Sauer und Gerhard Schulz (Bracher et al. 1962) und die Arbeiten von Broszat (1984, 2007) zu nennen. Diese boten bereits einen guten Überblick über das Herrschaftssystem und etablierten den heute noch typisch verwendeten Begriff der Polykratie als Systembeschreibung. In der weiteren Folge ging der Fokus von gesamtheitlichen Betrachtungen auf die Bearbeitung von Einzelfällen über. Für die Verwaltungsforschung bedeutete das, dass einzelne Behörden stärker in den Blick gerieten und detailliert untersucht wurden. Die sicherlich bekannteste Studie hierzu ist „Das Amt und die Vergangenheit“ von Conze et al. (2010), welche sich mit der Rolle des Auswärtigen Amts in der NS-Zeit beschäftigt. Beispiele für die staatliche Mittelebene sind Untersuchungen zur Pfalz (Fenske 1986, 1993) oder Brandenburg (Scheffczyk 2008). Auf der Kommunalebene existieren Studien zur Stadt Münster (Mecking 2005), zur Stadtverwaltung Konstanz (Klöckler 2012) oder auch für Augsburg (Gotto 2005). Die Forschung zum SED-Regime begann schon während der Regierungszeit der SED. Finanziert durch das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen erschienen beispielsweise bereits 1953 die „Bonner Berichte aus Mittel- und Ostdeutschland“ mit dem Thema „Verwaltung, Lenkung und Planung der Wirtschaft in der Sowjetischen Besatzungszone“ von Otto Walther (Walther 1953). In diesem Buch beschrieb Walther das Staats- und Verwaltungssystem des SED-Regimes erstmals umfassend. Aufgrund der Perspektive des Autors und der Finanziers

7.3 Beitrag zur Erforschung des Nationalsozialismus …

305

(Bundesregierung) ist allerdings davon auszugehen, dass auch propagandistische Elemente in dieser Publikation eine Rolle gespielt haben. Erste ernstzunehmende Studien zum Staats- und Verwaltungssystem des SED-Regimes erschienen dann erst in den 1970er, 1980er und 1990er Jahren. Beispiele sind Studien zur SED und ihrem Staatsverständnis (Müller 1982; Schroeder 1998, 1999) und zur Kaderpolitik (Balla 1973; Boyer 1999; Glaeßner 1977; Wagner 1998, 1999). Studien zur Mittel- und Kommunalebene (Mestrup 2003a, 2003b; Niemann 2007; Welsh 1999) folgten später. All diesen Studien zu beiden Systemen ist eines gemein: Sie zeichnen entweder ein recht grobes Bild des jeweiligen Systems oder sie beschäftigen sich sehr detailliert mit einem Teilbereich. Weiterhin fehlen allen bisherigen Studien fehlen eine umfassende Betrachtung des Verhältnisses von Politik und Verwaltung im jeweiligen System und eine Kontextualisierung durch einen Vergleich mit anderen Systemen. Beides versucht diese Studie zu liefern. Sie baut auf den bereits publizierten Ergebnissen auf, versucht diese zu strukturieren und setzt diese durch den Vergleich der beiden Regime in einen gemeinsamen Kontext. So konnten Maßnahmen zur Verwaltungspolitisierung der beiden Regime systematisch für alle Ebenen aufgearbeitet und verglichen werden. Dass der Vergleich zulässig ist, wurde bereits in der Einleitung geklärt. Die Ergebnisse des Vergleichs zeigen, dass trotz unterschiedlicher Voraussetzungen sowohl die NSDAP als auch die SED ähnliche Maßnahmen eingesetzt haben, um die Verwaltung zu kontrollieren und gleichzuschalten. Beide nutzten gerade zu Beginn des jeweiligen Systems eine Mischung von Maßnahmen, um ihre jeweiligen Ziele zu erreichen. Es zeigt sich aber, dass die SED deutlich planvoller vorgegangen ist als die NSDAP. Die Pläne welche die KPD schon im Moskauer Exil zur Verwaltungstransformation erarbeitet hat, wurden – langfristig gesehen – konsequent umgesetzt. Die NSDAP agierte hingegen deutlich agiler. Sie reagierte auf vorgefundene Strukturen und nutzte situationsangepasst verschiedene Strategien. Ein Grund hierfür war sicherlich das polykratische Machtgefüge. Im Gegensatz zur SED gab es in der NSDAP keine klar festgelegten Herrschaftsstrukturen. Hitler stand zwar als Monokrat an der Spitze des Systems (Hildebrand 1983; Hüttenberger 1976), er etablierte aber keine klare und strikte Hierarchie sowie Kompetenzverteilung. So ergaben sich Machtkämpfe auf allen Ebenen, welche in manchen Fällen zu einer Politisierung und in anderen zu einer Depolitisierung der jeweils betroffenen Beamten führte. Spannend ist hierbei der Fakt, dass in einigen Fällen aufgrund der Polykratie eine Bürokratisierung der NS-Eliten stattgefunden hat. Beispiele sind der Landesdirektor der Provinz Brandenburg Dietloff von Arnim und der Landeshauptmann der Provinz Westfalen Karl Friedrich Kolbow. Beide stellten sich, obwohl sie als NSDAP-Vertreter in ihre Positionen gekommen

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7

Fazit

waren, im Zeitverlauf häufig auf die Seite der Verwaltung und schützten diese vor zu starken Eingriffen der Partei (Scheffczyk 2008, S. 237; Teppe 1977, S. 73 f.). Vornehmlich geschah dies zwar zur Sicherung des eigenen Einflusses, es führte aber auch dazu, dass beide ihrem Verhalten zunehmend klassische Verwaltungsargumentationen zu Grunde legten. Im SED-System gab für solche Vorgehensweisen keine Spielräume. Die Partei hatte spätestens ab Ende der zweiten Phase die vollständige Kontrolle über ihre Parteigenossen und die Staatsfunktionäre. Entscheidungen wurden stets von oben her getroffen. Alleingänge von regionalen oder lokalen Parteivertretern wurden nicht geduldet. Ein Beispiel aus dem Jahr 1969, welches oben bereits genannt wurde, ist das eigenmächtige Vorgehen der SED-Kreisleitung Pößneck gegen Jugendliche, die nicht dem sozialistischen Erscheinungsbild entsprachen (Jungen mit langen Haaren, Mädchen mit Mini-Röcken etc.) (Mestrup 2003b, S. 274). Die SED-Führung beendete die Diskriminierung der Jugendlichen nach wenigen Tagen und enthob alle Beteiligten von ihren Positionen (Mestrup 2003b, S. 283 f.). Schon dieses kleine Beispiel verdeutlicht, dass die Partei die Zügel in keinem Bereich aus der Hand gab. Der NSDAP mangelte es hierzu an Führung und stringenter Hierarchie. Den wesentlichen Beitrag dieser Studie zur NS- und SED-Forschung stellen die umfassende Strukturierung der Systeme in den Fallstudien und deren Gegenüberstellung dar. Erst dadurch können Gemeinsamkeiten und Unterschiede (und somit auch Besonderheiten eines Systems) festgestellt werden. Dem Thema des Regimevergleichs zwischen den NS- und SED-Diktatur sollte man sich in Zukunft weiterhin widmen. Diese Studie kann nur ein Startpunkt und keine abschließende Analyse der vergleichenden Betrachtung des Verhältnisses von Politik und Verwaltung in beiden Systemen sein. Von diesem Punkt aus sollten weitere Untersuchung unternommen werden, um das hier gezeichnete Bild des Verhältnisses von Politik und Verwaltung in NS- und SED-Regime zu vervollkommnen. Insbesondere für die Mittel- und Kommunalebene fehlt es für viele Regionen noch an Informationen. Zudem mangelt es weiterhin an belastbaren empirischen Daten für Verwaltung des SED-Regimes. Hier könnte die 2021 begonnene Zusammenlegung des Stasi-Unterlagen-Archivs mit dem Bundesarchiv dazu führen, dass deutlich mehr Quellen für die Wissenschaft verfügbar gemacht werden. Das Bild des SED-Regimes könnte damit nach und nach vervollständigt werden. Die Aufarbeitung der Rolle der Verwaltung in beiden Systemen wird die Forschung auch in den nächsten Jahren beschäftigen. Hierfür sorgen zum einen Förderprogramme (z. B. des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und der Staatsministerin für Kultur und Medien im Bundeskanzleramt) und zum anderen das stetige Interesse der Wissenschaftsgemeinschaft an den beiden deutschen Diktaturen.

Quellenverzeichnis

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Akten des Bundesarchivs DC 9/701 DC 20/342 DC 20-I 3/128 DC 20/8969 DG 8/25 DH 1/20965 DH 1/36284 DY 30/55729 DY 3023/427 NS 6/227 NS 22/440 NS 25/282 NY 4072/60 PERS 101/49838 R 43-II/452 R 43-II/1156 R 43-II/1138b R 77/4115

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2022 B. Strobel, Politik und Verwaltung in deutschen Diktaturen, Interdisziplinäre Organisations- und Verwaltungsforschung 22, https://doi.org/10.1007/978-3-658-39157-7

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Quellenverzeichnis

R 3001/22732 R 3001/52270 R 4701/39834 R 4902/5959 R 8034-III/195 R 9361-I/2155 R 9361-I/ 46819 R 9361-II/ 4689 R 9361-II/97610 R 9361-II/258301

Gesetzliche Grundlagen1 Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. April 1871, In der Fassung vom 16. April 1871. Reichsbeamtengesetz vom 31. März 1873, In der Fassung vom 18. Mai 1907. Weimarer Reichsverfassung vom 31. Juli 1919, In der Fassung vom 31. Juli 1919. Gesetz über die Pflichten der Beamten zum Schutze der Republik vom 21. Juli 1922, In der Fassung vom 21. Juli 1922. Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des Deutschen Volkes vom 04. Februar 1933, In der Fassung vom 04. Februar 1933. Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat vom 28. Februar 1933, In der Fassung vom 28. Februar 1933. Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich vom 24. März 1933, In der Fassung vom 24. März 1933. Gesetz zur Sicherung der Einheit von Staat und Partei vom 01. Dezember 1933, In der Fassung vom 01. Dezember 1933. Vorläufiges Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich vom 31. März 1933, In der Fassung vom 31. März 1933. Zweites Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich vom 07. April 1933, In der Fassung vom 07. April 1933. Gesetz über den Neuaufbau des Reiches vom 30. Januar 1934, In der Fassung vom 30. Januar 1934. Gesetz über die Aufhebung des Reichsrates vom 14. Februar 1934, In der Fassung vom 14. Februar 1934. Preußisches Gemeindeverfassungsgesetz vom 15. Dezember 1933, In der Fassung vom 15. Dezember 1933. Gesetz über die Haushalts- und Wirtschaftsführung der Gemeinden und Gemeindeverbände vom 15. Dezember 1933, In der Fassung vom 15. Dezember 1933. Preußische Verordnung zur Behebung von Mißständen in der gemeindlichen Verwaltung vom 22. März 1933, In der Fassung vom 22. März 1933. Gesetz zu Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 07. April 1933, In der Fassung der Ersten Durchführungsverordnung vom 07. April 1933. 1

in Reihenfolge der erstmaligen Verwendung im Text.

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