Platon: Band 2 Die platonischen Schriften, 1. Periode 9783110823509, 9783110001389


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German Pages 358 [364] Year 1964

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Table of contents :
Erste Periode: Aufstieg
Gruppe A. Der Protagoras und die Hauptgruppe der aporetischen Definitionsdialoge: Arete Philia Kalon
1. Protagoras
2. Laches
3. Thrasymachos (Staat Buch I)
4. Charmides
5. Euthyphron
6. Lysis
7. Der Große Hippias
Gruppe B. Umkreis kleiner Frühdialoge: Philosoph Sophist Dichter
8. Hipparch
9. Ion
10. Der Kleine Hippias
11. Theages
Gruppe C. Selbstdarstellung und Verkleidungen des Philosophen
12. Apologie
13. Kriton
14. Euthydem
15. Kratylos
16. Menexenos
Gruppe D. „Der Logos kommt zum Stehen“
17. Der Große Alkibiades
18. Gorgias
19. Menon
Anmerkungen
Indices
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Platon: Band 2 Die platonischen Schriften, 1. Periode
 9783110823509, 9783110001389

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PAUL F R I E D L Ä N D E R , PLATON

PAUL F R I E D L Ä N D E R

PLATON BAND II DIE PLATONISCHEN S C H R I F T E N ERSTE PERIODE Dritte verbesserte Auflage

WALTER DE GRUYTER & CO. vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung / J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung / Georg Reimer / Karl J. Trübner / Veit & Comp.

Berlin 1964

Verlagsarchiv

©

Archiv-Nummer 42 12 64 2 Copyright 1964 by Walter de Gruyter & Co. vormals G. J. Göschensche Verlagshandlung, J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer, Karl J. Trübner, Veit & Comp. — Printed in Germany — Alle Rechte des Nachdrucks, einschließlich des Rechtes der Herstellung von Photokopien und Mikrofilmen, vorbehalten.

INHALT Seite Eiste Periode: Aufstieg Gruppe A. Der Protagoras und die Hauptgruppe der aporetischen Definitionsdialoge: Arete Philia Kalon 1. Protagoras

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2. Laches

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3. Thrasymachos (Staat Buch I)

45

4. Charmides

61

6. Euthyphron

75

6. Lysis

85

7. Der Große Hippias

97

Gruppe B. Umkreis kleiner Frühdialoge: Philosoph Sophist Dichter 8. Hipparch

108

9. Ion

117

10. Der Kleine Hippias

125

11. Theages

135

Gruppe C. Selbstdarstellung und Verkleidungen des Philosophen 12. Apologie

143

13. Kriton

169

14. Euthydem

165

16. Kratylos

182

1 . Menexenos

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Gruppe D. „Der Logos kommt zum Stehen" 17. Der Große AlMbiadee

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18. Gorgias

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19. Menon

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Anmerkungen

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Indices

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ERSTE P E R I O D E : AUFSTIEG GRUPPE A DER PROTAGORAS UND DIE HAUPTGRUPPE DER A P O R E T I S C H E N DEFINITIONSDIALOGE: ARETE · P H I L I A · KALON

1. PROTAGORAS Sokrates tritt zu einer Gruppe von Menschen, die schattenhaft Rahmenbleiben. Ein namenloser Jemand führt für sie das Wort. Nur ge- geepräch sellschaftlich und sinnlich ist die Art, wie er an Sokrates' Neigung für Alkibiades rührt. Sokrates hält sich scherzend in demselben Bereich. Oberflächlich ist auch die Neugier, aus der jener Jemand nach Sokrates' Begegnung mit Protagoras fragt. Denn wäre eine ernste Teilnahme da, so würde man von der Ankunft des berühmten Mannes am dritten Tage doch wohl schon wissen, da der junge lerneifrige Hippokrates am Abend vorher davon gehört hat, Sokrates noch früher davon wußte (310 B). Also eine erste Annäherung an das, was später den Gegenstand bilden wird, gibt das Rahmengespräch. Aber Wesentlicheres klingt auch schon hinein. Die paradoxe Wertung, daß Alkibiades hinter Protagoras zurückstehe, der Schöne hinter dem — Schöneren, weil nämlich das Weise schön ist, diese Ironie weist auf eine echte Stufung. Nicht Alkibiades ist der Niedrigere. Aber die leidenschaftlich geliebte Schönheit ist Stufe unterhalb und hinauf zu der noch leidenschaftlicher geliebten „Weisheit". So verbirgt sich auch hinter dem Liebesgerede Tieferes. Erziehung wird weiterhin das Thema sein, und zwar der Gegensatz zwischen sophistischer und sokratischer Erziehung. Nun ist dieser Gegensatz nach Platon vor allem dadurch bedingt, daß Sokrates und nur er liebend erzieht. So spielerisch das Liebesmotiv hier zu Beginn gefaßt ist, es wird nur an dieser Stelle des Dialoges ausdrücklich. Aber wenn Sokrates dabei dem Alkibiades nachrühmt, er sei ihm ,,zu Hilfe gekommen" (309 B), so wird weit hineingewiesen in das Hauptgespräch. Es sind, solange man nur auf die Gedankenentwicklung sieht, Zwischenspiele, Friedländer, Platon

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Erste Periode. Gruppe A

sobald man das philosophische Drama als Ganzes fa t, h chst wichtige Punkte, an denen das Gespr ch zu zerfallen droht und durch das Eingreifen des Alkibiades vor dem Zerfall gerettet wird (336 B. 348 B). In der bunten Schar ist ein geheimes Einverst ndnis zwischen Sokrates und diesem Sch ler, das sich u ert als gemeinsamer Wille zum philosophischen Dialog. Worauf dieses Einverst ndnis beruht, das deutet sich hier im Rahmengespr ch an, wenn man durch das Gesellschaftliche und Sinnliche des Liebesgeredes hindurchb ckt in die tieferen Schichten. VorIm Vorgespr ch, mit dem der Bericht des Sokrates beginnt, wird 310A—314C ^e ^eu8^er zum leidenschaftlichen Eifer: der junge Hippokrates weckt den Sokrates in der Nacht, weil er durch Protagoras „weise" werden will; das freundliche Eingehen des Sokrates auf Scherze und W nsche wird zu berlegener F hrung, die den unklar Schw rmenden bald einzugestehen zwingt, da er nicht wei , um was es sich eigentlich handle (313 C 2). Dabei kl rt sich der Gegenstand, und es zeigt sich, da ewig Wichtiges auf dem Spiel steht. Schon im Rahmengespr ch war mit dem Namen Protagoras das „Wissen" (309 C) aufgetaucht. Jetzt sondert sich ein zwiefaches Lernen: der Fachunterricht, der, beim Arzt oder Bildhauer, auf die Aus bung einer „Kunst" gerichtet ist (επί τέχνη), und der auf „Erziehung, Bildung" abzielende Unterricht (έττΐ τταιδεί?), bei dem der Z gling zu etwas anderem als der Lehrer bestimmt ist. Der Sophist will offenbar das Zweite, H here. Aber was ist der Sophist ? Damit erhebt sich die Frage, die noch den sp ten Dialog Sophistes beherrscht, und bei der immer die Frage nach dem Philosophen im Hintergrunde steht. Der Sophist tr gt das Wissen im Namen. Aber Wissen ist nichts, wenn man nicht angeben kann, „worin" jemand wissend ist. Wir kommen auch nicht voran, als Hippokrates das Wissen des Sophisten auf die Kunst des Redens einzuschr nken sucht. Denn wieder fragt Sokrates: Reden — „wor ber" ? Und diese Frage nach dem Worin oder Wor ber findet keine Antwort. Sollte der Sophistik ein solcher Gegenstand (τί) fehlen ? Nur im Bilde wird noch etwas deutlicher, um welch ein gef hrliches Wesen (κίνδυνο? 313Α2. 314A2) es sich handelt. H ndler oder Kr mer mit geistiger Nahrung ist der Sophist — auch dies begegnet noch im Sp twerk (Soph. 223 Cff.), und der bei Platon immer wiederholte Makel, da der Sophist Geld nimmt, weist in die gleiche Richtung. Man mu ein Seelenarzt (περί την

1. Protagoras

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313 2) sein, um über den Wert jener Ware Bescheid zu wissen, zumal man sie nicht, wie doch die Leibesnahrung, sachkundig prüfen lassen kann vor dem Genuß. Hippokrates merkt nicht, daß der Seelenarzt am Werke ist, merkt auch nichts, als Sokrates ihn auffordert sich nun mit ihm zusammen zu den weisen Männern auf den Weg zu machen, die „älter", also doch gewiß erfahrener sind als „wir jungen Leute". Dem Leser aber erscheint hier im Vollzuge jene sokratische Erziehung, die wir immer als Gegenspiel der sophistischen sehen müssen. Der Hauptdialog wird den kämpfenden Sokrates zeigen, hier im voraus steht der erziehende, nachdem das Rahmengespräch auf den liebenden hingedeutet hatte. W7ie Raum und Zeit nicht nur den Vorgang auf das lebendigste verdeutlichen, sondern wie sie symbolhaft das geistige Geschehen begleiten, ist in anderem Zusammenhang aufgewiesen worden1). Man erinnere sich an die Enge des Schlafraums, in dem der eine sitzt, der andere liegt, und dann an den freieren Hof, auf dem die beiden im Gespräch hin- und hergehen, an das Dunkel der Nacht, an das werdende Licht, und wie es zugleich geistig zu tagen beginnt. Von hier bis dorthin, wo die Unterredung mit Protagoras anfängt, Zwischenführt ein erzählendes Zwischenstück. Sie gehen zum Hause des Ql . stück * Qlß Kallias und haben ein Gespräch, über dessen Inhalt wir nichts erfahren. Aber sie bleiben vor der Türe stehen, bis der Logos zu seinem Ende gekommen ist. Sokratisches Gespräch darf nicht „unvollendet" ( ) bleiben, während der Sophist abbricht, wo es ihm beüebt. Dieser Gegensatz wird nachher im Kampfgespräch mit Protagoras lebendig und tritt auch etwa im Gorgias hervor, da Kallikles nicht weiter antworten will und Sokrates ihn mahnt, den Logos nicht „unvollendet" im Stich zu lassen (505 D)2). Im Protagoras spricht sich eigentümlich schillernd sogleich die Gegnerschaft aus, als der Pförtner die beiden nicht einlassen will, weil er die Sophisten nicht leiden mag. Mit der Erklärung „Wir sind keine Sophisten" erwirbt sich Sokrates von dem unwilligen Eunuchen den Zugang und sondert sich für den Leser von denen, mit denen er nicht verwechselt werden will. Als sie dann eingetreten sind, bekommen wir vor der Aktion die Akteure zu Gesicht. Die scherzende Form des Betrachtens wird der Totenschau der Odyssee entnommen („Danach sah ich ..."

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Erste Periode. Gruppe A

„Den Tantalos sah ich ..."). Das geht nur wie ein leichter Wind übers Wasser. Aber daß Sokrates wie Odysseus am Hadeseingang steht, er der einzige wahrhaft Lebendige, während die anderen „Schatten" sind — es wäre seltsam, wenn sich dieser Gedanke bei uns einstellte, ohne von Platon gemeint zu sein3). Drei Gruppen sind gesondert: Protagoras geht in der vorderen Halle mit Gefährten und Schülern auf und ab, Hippias sitzt in der rückwärtigen Halle und doziert ex cathedra „anscheinend" über Natur und Himmelsvorgänge, Prodikos liegt in einem dunklen Zimmer, der kränkliche Mann, und nur als ein undeutliches Summen vernimmt man seine Rede. Wieviel davon biographisch ist, muß dahingestellt bleiben. Wir sehen typische Grundhaltungen (etwa wie auf einem Bilde Maries), die zugleich stufenweise sich von der sokratischen Art des Zwiegesprächs entfernen und ins Trübe, Stagnierende hinabgleiten. Man denke daran, daß Sokrates aufstand und im Hofe, also im Freien, herumging, als das prüfende Gespräch mit Hippokrates begann. Die Freude an dem reichen Bilde darf uns nicht hindern, nach der Bedeutung des Einzelnen, insbesondere der begleitenden Personen, zu fragen. Neben Protagoras geht Kallias der Hausherr. Er repräsentiert jene geschäftige Allgeöffnetheit, die auch von den „Gefährten" des Rahmengespräches repräsentiert wird, mit der Abstufung wieder, daß sie rein aufnehmend sind, während Kallias mittut. Aber selbst diese unterste Schicht nur gesellschaftlichen Interesses ist notwendig, damit zunächst einmal äußerlich das Gespräch zu Stande komme. Als es nachher auseinanderzubrechen droht, ist es Kallias, der es wiederherzustellen sucht, indem er die rechte Hand und den Rock des Sokrates faßt (335 CD). Es bedarf freilich stärkerer Mittel, um dem Logos zu helfen, und seiner ganzen Art nach muß Kallias, als der Konflikt ausbricht, mehr auf Seiten des Protagoras sein (336B). Die Halbbrüder des Kallias reihen sich an, die Periklessöhne. Sie sind ja immer und auch hier durch ihr Dasein eine Stütze der These, daß „Arete nicht lehrbar" sei (319 E). Auf dem einen Flügel geht Charmides, der Vertreter der edelsten athenischen Jugend, die nach der Arete sucht. Bei seinem Namen denkt jeder an den Dialog über die Sophrosyne, und vielleicht hatte Platon ihn damals schon geplant oder auch geschrieben, um in ihm ein Teilproblem der gegenwärtigen Schrift zu entwickeln. Auf dem anderen Flügel marschiert Antimoiros,

1. Protagoras

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der einzige Nichtathener, der denn auch nicht um der Erziehung, sondern um der Berufsausbildung willen (επί τέχνη) bei Protagoras studiert. Da taucht der Gegensatz des Vorgespr ches wieder auf, der sp ter noch wichtig werden wird als Gegensatz von technischem Wissen (Εντεχνο? σοφία) und politischer Arete (319C. 321 D). Da man bei Protagoras angeblich beides lernen kann, unterscheidet ihn von sokratischer, unersch tterlich auf ein Ziel gerichteter Art. Hinter ihm ist dann noch eine Reihe Namenloser, die er — ein anderer Orpheus — nach sich zieht mit dem „Zauber seiner Stimme" (κατά την φωνήν κεκηλημένοι). Ganz hnlich behauptet Sokrates nachher (328 D) von der Epideixis des Mannes „bezaubert" zu sein. Es ist ein gef hrlicher Zauber und fern von jener echten Anziehung und Erziehung, wie sie der Logos und nicht die Stimme, wie sie Sokrates und nicht Protagoras wirkt. Um Hippias und Prodikos sind Personen versammelt, die wir vor allem aus dem Symposion kennen. Es ist nicht zu sagen, ob sie hier etwas Besonderes „bedeuten". Aber man darf vielleicht, ber alle Verschiedenheit von Art und Rang hinweg, an Balzacs Comddie Humaine denken, wo auch in dem einen Band dieselben Menschen im Hintergrunde auftauchen, denen in einem ndern die Hauptrolle zugeteilt ist. Auch Sokrates hat sein Gefolge. Alkibiades und Kritias kommen hinter ihm drein, zuf llig, aber dieser Zufall ist vom Dichter geordnet. Die beiden samt Charmides sind ja sp ter politisch von der gr ten Bedeutung. Da „Sokrates der Sophist" darum hingerichtet worden sei, „weil er den Kritias erzogen habe", war noch Jahrzehnte sp ter popul re Meinung (Aischines 1173), und wie scharf nach Sokrates' Tode der literarische Kampf um sein Verh ltnis zu dem Staatsverderber Alkibiades gef hrt wurde, ist bekannt4). Dies also h rt jeder verstehende Leser zu den Namen hinzu und wei damit: Nicht um Schulphilosophie handelt es sich f r Sokrates, sondern die Frage nach der Arete nimmt zuletzt die Richtung auf den Staat, worin ja Sokrates (316 C 1) mit Protagoras (319 A 1) zusammentrifft, so wenig sie sich wiederum ber den tieferen Sinn dieser These einigen w rden. Auf Alkibiades sind wir durch das Vorgespr ch gespannt. Er wird dem gef hrdeten Logos zu Hilfe kommen. So sehr er den Kampf als einen Kr ftestreit sieht, so ist er doch angestrahlt von Sokrates, ohne dessen Tiefe freilich und darum die Ironie des Meisters ins ironielos Deut-

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Erste Periode. Gruppe A

liehe übersetzend (336 D). Es ist ein eigentümlicher Gegensatz zwischen denen, die dem Sokrates folgen, und den Schülern der Sophisten. Sokrates' Gefolgschaft ist weniger zweckhaft, ist äußerlich gesehen zufällig. Aber im Wesen ist es umgekehrt. Er lehre nicht, sagt Sokrates in der Apologie (19 D), nämlich nicht im Sinne der Sophisten. Aber Hippokrates holt sich bei ihm Rat und Alkibiades tritt für ihn ein. Haupt- Das Hauptgespräch gliedert sich am klarsten, wenn man es als gespracn emen "Wechsel sophistischer und dialektischer Stücke sieht. I. Erstes sophistisches Stück. Den jungen Hippokrates stellt 316 A—317 E Sokrates dem Protagoras vor und lockt alsbald aus diesem eine Epideixis heraus. Diese Form des Redens meldet sich hier um so eindringlicher, als in den ersten Höflichkeitsworten des Protagoras das „Gespräch" ( 316 B 3) aufgetaucht war, und als Sokratee ihm erwidernd anheimgestellt hatte, auf welche Weise dieses „Gespräch" zu führen sei ( 316 C 3) — wie wenn diese Weise des Redens außer Frage stünde. Um so mehr soll der Leser aufmeiken, da Protagoras jetzt mit etwas einsetzt, das alles andere als ein Gespräch ist, mit einer recht langen Einzelrede nämlich, an deren Schluß er noch dazu eine Fortsetzung dieser „Rede" (317C5) in Aussicht stellt. Dem Inhalt nach ist seine Epideixis ein Preis auf seine Kunst, die er an die erlauchtesten Namen anknüpft, um sich dann doch vor allen herauszuheben als den einzigen, der trotz der damit verbundenen Gefahr frei seinen Anspruch gesteht: „Ich bekenne Weisheitslehrer zu sein und die Menschen zu erziehen" (317 B 4). Ein gefahrvoller Beruf — ganz dasselbe (nur mit wie viel größerem Recht!) konnte Sokrates von sich sagen, und er würde sich doch nicht rühmen (317 B), daß er viele Jahre gegen jene Gefahren mit Erfolg Vorsorge getroffen habe. Erzieher zu sein — fast mit denselben Worten (nur in wie anderem Tone!) könnte Sokrates den Anspruch erheben, wenn er ihn nicht in dem Sinne, den die Menschen dieses Kreises dem Worte „Erziehung" geben, vielmehr von sich ablehnen müßte. Hier liegt die Spannung, die zum Zusammenstoß führt. Aber ehe es dazu kommt, schlägt Sokrates vor, auch den Prodikos und den Hippias hinzuzuziehen. Er tut es, um der Eitelkeit des Protagoras zu schmeicheln (317 D). Aber in der Tiefe liegt noch etwas Anderes. Sokrates ist der Eine gegenüber den Vielen. Erst dadurch, daß er unter sie tritt, werden alle diese verschiedenen Männer zu „So-

1. Protagoras

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phisten". Er also ist es, durch den Platon diese Einheit der gegnerischen Front wirken läßt. Erstes dialektisches Stück. Kaum hat das Gespräch wieder n. begonnen — und zwar völlig so, als wäre die Epideixis gar nicht317^—320C gewesen (318 A, vgl. 316 BC) —, da stellt Sokrates die Entscheidungsfrage. Protagoras will erziehen, seine Schüler sollen „besser werden". Sokrates fragt: „Worin" ( ; els ; irepl ;)? Ganz ähnlich hatte er, als er den Hippokrates katechisierte, nach dem „Was" gefragt (311 B). Jetzt geschieht es in einer etwas fortgeschrittenen Situation, nachdem das „Besserwerden", also eine Beziehung auf das „Gute", schon erfaßt ist. Protagoras nimmt die Weisung an und hebt seine Lehre von der der anderen Sophisten ab. Er selbst lehre keine einzelne Kunst ( ), sondern „Wohlberatenheit" ( ) in Haus und Staat. Der Begriff der Eubulia in seiner politischen Bedeutung wird dem platonischen Sokrates im Alkibiades (125 E) wichtig, im Staat (428 B) gleicht er ihn mit der Sophia, die dem herrschenden Stand eignet. So scheint Protagoras recht Sokrates-nahe, wie man denn Platons gestufte Ordnung zerstört, wenn man an seinen Sophisten sozusagen kein gutes Haar lassen möchte. Sie stehen mit ihrem Erziehungswillen durchaus über jener gemeinen Ansicht, die etwa Meletos in der Apologie (24Cff.) und Anytos im Menon (92 E) vertreten: daß jeder (also niemand) erzieht oder daß jenes Besserwerden geschieht wie das Griechisch-lernen, also wie ein Naturprozeß6). Und in gewissem Sinne steht Protagoras mit seinem „politischen" Ziel dem Sokrates näher als die anderen Sophisten mit ihren technischen Belehrungen. Dann freilich ist es gerade Sokrates, an dessen Maß gemessen die Unterschiede zwischen den Sophisten sich verwischen und das, was ihm scheinbar am nächsten steht, sich als leer ausweist6). Das Erziehungsziel des Protagoras wird von Sokrates noch verdeutlicht: gemeint sei von jenem die „politische Kunst"; sein Wille gehe darauf, Männer zu „guten Bürgern" zu machen. Diese Klärung dessen, was der andere eigentlich meint, damit die Prüfung beginnen kann, das ist ja die Grundbewegung der frühen platonischen Dialoge und die Grundhaltung des Sokrates in ihnen. Hier stellt er sofort seinen Zweifel entgegen: er glaube nicht, daß die „Tugend lehrbar" sei, und diese Frage nach der „Lehrbarkeit der Tugend" wird damit zum Problem, an dem sich der Anspruch des

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Erste Periode. Gruppe A

Sophisten zu bewähren hat. Das ist nicht, wie es heut klingen mag, banales Thema eines Schulaufsatzes, sondern es ist eine — vielleicht die — Lebensfrage der Zeit7). Arete ist das leidenschaftlich erstrebte Gut des staatlichen Mannes. Hier ist einer, der es uns durch Lehre zu verschaffen sich anheischig macht. Aber kann man es lehren ? Ist Erziehung möglich·? Bildung zur Arete wohlgemerkt, nicht etwa fachlicher Unterricht, an dessen Möglichkeit kein Zweifel besteht, weil man ihn überall wirklich sieht. Sokrates ficht die Lehrbarkeit der Arete mit zwei Gründen an. Erstens: die Hellenen hören in der Ratsversammlung über technische Dinge die Fachleute, bei allgemeinen Regierungs- oder Verwaltungsfragen hingegen jedermann. Und derselbe, uns nun vertraute Gegensatz von Fachausbildung und Erziehung kehrt in dem zweiten Argument wieder: die großen Staatsmänner — Perikles ist das nächste Beispiel — lassen die Söhne wohl unterrichten, aber die eigene Arete geben sie ihnen nicht weiter. Von den beiden Argumenten stammt das zweite sicher8), und dann doch wohl auch das erste, aus der weitverbreiteten Erörterung dieser erregenden Frage. Platons Sokrates also macht sich hier — scheinbar oder wirklich — zum Sprachrohr jener Gesinnung, die die Möglichkeit des Erziehens bestreitet und ursprünglich gegen den Anspruch der berufsmäßigen Erzieher gerichtet ist. Daß er Platons letzten Ernst ausspräche, wird man nicht glauben, so sehr die gewöhnliche Auffassung von Ironie — als Tauschhandel von Ja und Nein — die Differenziertheit des Sachverhalts verkennt9). Für jetzt genügt es zu wissen, daß Sokrates gleichsam mit geläufigen Zügen das Schachspiel eröffnet. III. Zweites sophistisches Stück. Protagoras muß sich in seiner 320C—328 D Existenz angegriffen fühlen, und wir verkennen nicht, daß es sich unter der urbansten Hülle um Sein oder Nichtsein handelt. Er antwortet in der ihm angemessenen Form der Prunkrede und ist hier auf seiner Höhe, freilich auch in seinen Grenzen, indem er zuerst einen Mythos von der Erschaffung der Menschen erzählt, dann in langer Erörterung Argumente aneinander reiht und in alledem immer wieder den einen Solcrates anredet. Sokrates würde sich solcher Rede nicht bedienen, mit einem Mythos nicht beginnen. Wie wenig es sich dabei um „bloße Form" handelt, wird der Fortgang des Werkes zeigen, wenn der Gegensatz der Sprechformen nachher zum Bruch zwischen dem Rhetor und dem Dialektiker führt (334 E ff.).

1. Protagoras

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Was den Inhalt anlangt, so wurde über den Mythos früher ge- III l. sprechen10). Das Wichtigste ist, daß der Gegensatz des technischen 320C—323A Wissens ( ), welches Prometheus den Menschen bringt und an die einzelnen verteilt, und der politischen Kunst, die Zeus allen insgemein verleiht, nun in mythischer Steigerung wiederkehrt, wie er schon seit dem. Vorgespräch thematisch war. „Recht und Ehrfurcht" ( ) oder „politische Tugend" ist eine Gabe des höchsten Gottes und muß sich durch die Gesamtheit erstrecken, wenn Staaten bestehen sollen11). Auf den Mythos folgt die Reihe der Argumente. Hatte Sokrates als III2. Vertreter der volkstümlichen, antisophistischen Meinung gefolgert, daß es keine „Lehre" von dieser allverbreiteten „Tugend" gebe, so versucht Protagoras das Gegenteil zu beweisen aus dem Wesen der Strafe, die ja eine Erziehung zur Gerechtigkeit sei. Und hatte Sokrates auf die Erfahrung, daß die Söhne der großen Staatsmänner ihren Vätern nicht gleichen, wiederum ein Stück weit mit der Volksmeinung gehend, seinen Zweifel an der Lehrbarkeit gestützt, so widerlegt Protagoras dieses Argument aus der angeborenen Verschiedenheit der menschlichen Naturen. Das Ganze beschließt er mit einer Rüge an dem Hochmut ( ) des Sokrates, der da leugne, daß Erziehung möglich sei, mit einer Verbeugung vor der Menge, indem alle, jeder nach seiner Kraft, zu Erziehern befördert werden, und mit einer Anpreisung seiner selbst, indem er für sich als einen aus dieser Menge doch in ausgezeichnetem Grade solche Fähigkeit in Anspruch nimmt und das Ganze in die Honorarfrage ausklingen läßt. Daß hier Epideixis steht und nicht Gespräch, daß Mythos und Logos zur Wahl gestellt werden, daß dann der Mythos an den Eingang tritt, doch mehr verhüllend als klärend und jedenfalls nicht eindringend, das sind sogleich für den ersten Blick widersokratische Züge. Dennoch würde man unplatonisch sehen, wenn man dies nun in Bausch und Bogen verwerfen wollte. Der Mythos von der menschlichen Urgeschichte — er würde heute als „Kulturphilosophie" auftreten — macht einen Gegensatz lebendig, der, wie das Vorgespräch schon bewies, durchaus sokratisch ist: es gibt zwei getrennte Wege im System der Erziehung, die Erziehung zum guten Bürger ist etwas Anderes als der Unterricht in einer beruflichen Kunst. Daß die Tätigkeiten des Zimmermanns und des Landmanns grundsätzlich verschieden seien von der „Wohlberatenheit"

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Erste Periode. Gruppe A

des guten Bürgers, daß jene Berufsübung die Polis längst noch nicht „wohlberaten und weise" mache, wird ja noch im Staat (IV 428 BC) ausdrücklich gesagt. Aber freilich hat doch Platon wieder und wieder die politische Keimst mit den Gewerben zusammengestellt (z. B. Gorgias 490 B ff. Polit. 279 A ff.), um zu zeigen, daß jene zu der Sachkunde, die in diesen sich von selbst versteht, erst müsse emporgehoben werden. Dazu vermag Protagoras freilich nicht vorzudringen. Wenn er dann damit abschüeßt, daß alle staatliche Arete den Weg nehmen müsse durch die Gerechtigkeit und die Sophrosyne und daß diese Arete der Gesamtheit einwohnen müsse, damit Polis überhaupt möglich sei, so dürfen wir an das Werk vom Staat vorausdenken, um dort das Problem entfaltet und gelöst zu finden. Allerdings geht die politische Arete durch das Ganze und ist dadurch von technischem Einzelkönnen unterschieden. Aber die Annahme, daß jeder die ganze hätte, würde die Verschiedenheit der Menschennaturen übersehen. Erst darauf, daß jeder „Stand" gleichsam nach Handwerkerart „das Seinige tut" (das ist die „Gerechtigkeit") und daß sie dennoch konvergieren in dem Glauben an den Primat des Erkennens (das ist die Sophrosyne), — erst auf dieser heraklitischen Spannung ruht das Staatsgebäude. Noch sind wir im Frühwerk, und dazu spricht hier der Sophist. Trotzdem sind die ersten Ansätze nicht zu verkennen. III2 a. Auf den Mythos also folgt der Logos. Daß in dem eigentlichen Be323 A—324D weis für s fühlbar: da sind die beiden schönen Jungen die so ungleiche Freunde haben, den Hippothales, der es ganz lächerlich anfängt, den Ktesippos, der ihn spottend kritisiert und sich also

6. Lysis

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(gesellschaftlich gesehen) verst ndiger benimmt; aber ihnen beiden gegen ber steht Sokrates als der „echte Liebende" (γνήσιος εραστής), da er den Knaben wirklich ein St ck liebender Erziehung zu Teil werden l t. Wer da sagt, da dies „blo e dramatische Einkleidung" sei, die mit dem „Gedankengehalt" des Dialoges nichts zu tun habe, der macht einen Schnitt mitten durch das Lebendige. In der Tat ist es ja gar nicht richtig, da die Erotik nur auf die „H lle" des Gespr chs beschr nkt sei. In der Er rterung, ob Freundschaft wechselseitig sei oder nicht, hei t es zu Anfang, da die Liebenden von dem Gegenstand ihrer Neigung zuweilen nicht wiedergeliebt werden (οίον που ενίοτε δοκοϋσι καΐ l έρασταΐ πάσχειν iTpos τα τταιδικά 212 Β). Und ganz gegen Ende zeigt Sokrates, da der „echte Liebende" notwendig wiedergeliebt werden m sse von dem Gegenstand seiner Liebe (άναγκαΐον δρα τω γνησίω έραοτή καΐ μη προο-ποιήτω φιλεΐο-6αι OTTO των παιδικών 222 Α), — eine Stelle, die zumal dann, wenn man die Menschen hinter der allgemeinen Formel sieht, einen Gipfel des Gespr ches bezeichnet. Aber auch sonst sind die Worte „Freundschaft" und „Liebe" durchaus verbunden, wenn Sokrates zu Anfang sagt, da er auf den Erwerb von Freunden mit ganz leidenschaftlicher Liebe gerichtet sei (προς την των φίλων κτήσιν πάνυ ερωτικώς Ιχω 211 Ε), und gegen Ende „Liebe und Freundschaft und Begehren" (δ τε ipcos καΐ ή φιλία καΐ ή επιθυμία 221 Ε) als nahe verwandte, offenbar sich weithin deckende Gr en nebeneinanderstellt. Aber auch in der Gedankenbewegung ist die Ber hrung mit dem Symposion unverkennbar. Wenn im dritten Gespr ch des Lysis antithetisch die Freundschaft auf das Streben von Gleich zu Gleich (III1), dann von Ungleich zu Ungleich (III 2) zur ckgef hrt und dieses Streben jeweils als in der Natur angelegt erwiesen wird, das eine Mal mit dem Hinweis auf diejenigen „die ber die Natur und das All sprechen und schreiben" (214 B), wenn dann ganz zuletzt der Aspekt des Zugeh rigen-Verwandten auftaucht (III4 a), — so ist daran zu erinnern, da im Symposion der Naturforscher Eryximachos das liebende Zueinander des Gegens tzlichen sichtet (186 B ff.), Agathon die Liebe des Gleichen zum Gleichen (195 B), w hrend das Zugeh rige-Verwandte durch Aristophanes mythische Gestalt gewinnt (193 D). Und nun ist ein Teil der gro en Bewegung des Symposion darin enthalten, da Sokrates diesen Begriff aufnimmt und nicht etwa (wie es manchmal gesehen wird) verwirft,

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sondern zum Agathon hinauf steigert (205 E). Das Symposion setzt als ein Werk der Reife die Ebenen deutlich gegeneinander ab. Aber latent ist diese Bewegung vom „Zugehörigen" zum „Guten" im Lysis vorhanden, eben in der aporetischen Form des Frühwerks. Im Lysis wurde ferner gezeigt — nachdem die beiden Thesen, von der Freundschaft der Gleichen und der Ungleichen sich aufgelöst hatten —, wie der „weder Gute noch Schlechte" das Gute Hebt, wie darum weder die vollendeten Weisen, „mögen sie Götter oder Menschen sein", die Weisheit Heben noch auch die vollendeten Toren, sondern die in der Mitte stehen. So läßt im Symposion Diotima die Einseitigkeiten des Eryximachos und des Agathon hinter sich, und der Gedanke des „Weder — noch" wächst aus dem Lysis in ihre Rede hinein mit wörtlichem Anklang (Lys. 218 A. Symp. 204 A). Nur freilich ist es in ihrem Munde kein Gedanke mehr. Sondern mit gesteigerter dichterisch-mythischer Kraft hat das spätere Werk jenen Ort zwischen Gut und Schlecht, Weise und Töricht zu dem dämonischen Zwischenreich ausgestaltet, welches Eros den Weisheitsliebenden zum Herrscher hat und das Universum „mit sich selbst zusammenbindet"19). Ist also der Lysis eine erste Hinführung zum „höchsten Lieben", zum Guten, zum Schönen, so wird das Symposion den Eros, den Aufstieg, das Reich in mythischen Bildern gegenwärtig machen. Dort wird auch der notwendige Bezug von Liebe zum schönen Menschen und Liebe zur Idee in seine Tiefe verfolgt werden, der im Lysis lebendig gezeigt aber noch nicht zu voller Bewußtheit erhoben worden ist. So wiederholt das Symposion auf der Ebene der hohen Reife die Denkmotive des Lysis. Dieser hinwiederum gibt die Erotik des Symposion als lebendige Kraft und als Problemkreis in jener eigentümlichen — zuweilen peinigenden! — Verbindung von anmutiger Fülle und dialektisch zersetzender Aporetik, wie sie dem platonischen Frühwerk eigen ist. Damit ist gesagt, daß der „große Dämon" von vornherein zu der Rundheit des Kreises gehört, den Platon jeweils zu durchmessen hatte. Für ihn gab es kein Philosophieren ohne Freundschaft oder Liebe: das zeigt die Stellung des Lysis in jener Gruppe, zu der Loches Charmides Thrasymachos Euthyphron gehören.

7. DER GROSSE HIPPIAS Ob dieser Dialog ein echt platonisches Werk ist, darüber wird noch immer gestritten; die Urteile für und gegen mögen sich etwa die Waage halten1). Ein lebendiges Werk ist er auf jeden Fall, und kein Argument ist bisher vorgebracht Worden, das stark genug wäre, um ihn, dem Augenschein entgegen, in Platons späte Zeit oder gar in die nachplatonische zu verweisen. Die Sprachstatistik v. Arnims ordnet ihn freilich zwischen Symposion und Phaidon ein, während er nach seiner Form nicht zu diesen Werken der Höhe, vielmehr zur Gruppe der aporetischen Definitionsdialoge gehört. Wäre er also ein Nachzügler, oder wäre er eine Werkstattarbeit ? Oder wird künftige Sprachforschung ihn dort einordnen, wohin er nach seiner Bauform gehört und wohin wir ihn gestellt haben ? — Sokrates begegnet dem Hippias. Wie im Euthyphron und im Alkibiades greift keine andere Person ein; nur ein Herr Jemand spricht immer wieder durch den Mund des Sokrates, spricht sehr scharf und oft grob sich gegen Hippias und (scheinbar) auch gegen Sokrates wendend. Das Gegenüber des Philosophen und des Sophisten ist von höchster Prägnanz und von schärfster Gegensätzlichkeit in jedem einzelnen Zuge2). Der Sophist ist „schön" gleich nach den Anfangsworten und schön gekleidet und beschuht (291 A), so daß man merkt, wie Platon ihm mit den Worten „Wer Gewand und Schuhwerk trägt das ihm steht, der wird, auch wenn er lächerlich ist, schöner erscheinen" (294 A), etwas in den Mund gelegt hat, was den barfüßigen Sokrates treffen soll, sich aber sogleich gegen den Redenden kehrt. Hippias „hat keine Zeit", sogar selten Zeit nach Athen zu kommen; denn er ist vielgeschäftig in der großen Politik (281 A ff.). Mit seiner Kunst verdient er F r i e d l ä n d e r , Platon

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schweres Geld (281 B. 282 B ff. 284 B. 300 D), hält aber die scharfe Dialektik des Sokrates für Schnitzelkräuseln, das verglichen mit der im öffentlichen Leben siegreichen Rhetorik keinen Wert habe (304 AB), verfügt über ein umfassendes Wissen wie der mythische Palamedes (285 BC) und möchte sich vor jenem unerbittlich prüfenden Gespräch entweder auf seine vorbereiteten Reden (286 AB. 304 AB) oder auf einsames Meditieren (295 A. 297 E) zurückziehen. Fast alle diese Züge fügen sich der bekannten Sophistenart ein, und als Einheit von Sokrates zusammengefaßt erscheinen die Sophisten gleich zu Anfang (282 B) gegenüber den alten Weisen, die kein Geld genommen und keine Prunkreden gehalten hätten (282 C), und von denen gegen die geschichtliche Wirklichkeit so geredet wird, als hätten sich die meisten nicht um staatliche Angelegenheiten gekümmert (281 C). Auch das steht in ironischem Gegensatz gegen die Art des Hippias und seinesgleichen, die zu ihren Vielgeschäftigkeiten auch noch sogenannte politische Aufgaben übernehmen. An solchem „Fortschritt" (281 D) gemessen muß freilich die nur auf eins gerichtete Haltung jener Früheren, die doch weit mehr im Sinne Platons Staatsmänner gewesen sind, als geringwertig erscheinen3). Des Sophisten politische Sendung ist das erste, was ironisch an ihm gezeigt wird. Dazu kommt zweitens sein erzieherisches Wirken. Umherziehend hält er Vorträge — worüber ? Über alles: von Astronomie und Geometrie bis zur mythischen Urgeschichte (285 D). Wie Sokrates-fern dieses Treiben des Hippias ist, zeigt der Vortrag, den er in Athen demnächst zu halten gedenkt (286 Af.): in der mythischen Rolle als Nestor, der von Neoptolemos um Rat gefragt wird, reiht der Sophist Mahnungen aneinander, die seine jungen Zuhörer zu schönem Wirken anhalten sollen4). Die prüfende Dialektik des sokratischen Gespräches gibt die immanente Kritik: formal, denn in solchem Prunkvortrag kann keine sinnvolle Erziehung geleistet werden; material, denn es wird sich erweisen, daß Hippias von dem Wesen des Schönen, also auch des „schönen Wirkens", nichts weiß. Und ironisch kritisiert wird das Erziehungswerk des Sophisten gleich im Vorgespräch von dem Verhalten der Spartaner her, die ihm weder Geld bezahlen noch ihre Söhne anvertrauen. Das streitet, so behauptet Sokrates, mit ihrer vielberufenen Eunomia. Und so wird denn diese Gesetzesstrenge durch die Art, wie man gegen Hippias verfährt, als Vorurteil erwiesen

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— im Schein! „Ich gebe das zu", entgegnet Hippias (285 B); „denn du scheinst mir zu meinen Gunsten deinen Satz zu sagen, und keineswegs darf ich ihm entgegentreten." Worin deutlich liegt, da Schmeichelei das Urteil verf hrt hat. In Wahrheit wird vielmehr das neumodische Erziehungswesen von der berlieferungstreue jener geschlossenen Lebenseinheit desavouiert, die dann freilich dem Idealstaat gegen ber in den zweiten Rang zur cktreten wird. Hier aber wird sie — wenn auch mit un berh rbarer Ironie — den ndern staatlichen Gemeinschaften, vor allem Athen, gegen bergestellt, die den Erziehungsexperimenten der Sophisten ihre Tore weit ffnen. (Platon h tte nicht in Sparta leben m gen, und Sokrates starb als Erzieher Athens.) Der Dialog zwischen Sokrates und dem Sophisten wird ber die Sch nheit gehen. Aber wie in der Regel bei Platon r hrt schon der erste Teil vor dem Eintritt in die strenge Er rterung an die dort zu untersuchenden Probleme. Da „Hippias der Sch ne" das erste Wort des ganzen Dialoges ist, bemerkt man leicht. Man mu dazunehmen, da dieses Vorspiel mit dem Programm des demn chst zu erwartenden Sophistenvortrages endet, der von „sch nen Bestrebungen" (καλά επιτηδεύματα 286 AB) handelt und „sehr viele und sehr sch ne Satzungen anr t" (υποτιθέμενο? πάμπολλα νόμιμα και πάγκαλα). Der Stufenweg der Liebe, den Diotima im Symposion (210 C ff.) zeigen wird, beginnt beim sch nen Leibe und steigt hinauf zu dem was „in den Bestrebungen und den Gesetzen sch n" ist (το εν τοις έπιτηδεύμασι καΐ τοϊ$ νόμοι? καλόν), um von dort noch h here Stufen bis zur h chsten zu erreichen. Wird dieser Aufstieg nicht schon hier angedeutet, wenn auch wie im Schattenspiel und fast in der Karikatur ? Der Umkreis des Sch nen ist von fern gezeigt, die verzerrte Form, n 1. in der es sich darbietet, l t die Frage nach seinem wahren Wesen 286 C—287 E dringend werden. Sokrates stellt die Frage in der Weise, als h tte „Jemand" — der von nun an durch Sokrates hindurch immer vernehmbar bleiben wird als das ironische Spielmotiv dieses Dialoges — sie ihm gestellt: „Was ist das Sch ne?" oder wie er noch einmal sch rfend sagt: „Was ist das Sch ne selbst ?" Jenes Sch ne, von dem Sokrates vorbereitend klarmacht, da durch dieses Sch ne alle sch nen Dinge sch n sind, da es ein Seiendes ist, da es sich von etwas Sch nem unterscheidet. Der Sophist berh rt alle diese Sicherungen und gibt hintereinander drei Antworten, alle drei an7*

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scheinend gleich töricht: 1. Ein schönes Mädchen ist etwas Schönes (287 E). 2. Das Schöne ist das Gold (289 E). 3. Das Schönste ist für einen Mann, reich, gesund und von den Hellenen geehrt ins Alter zu kommen, und diese Wünschbarkeiten werden dann noch weiter ergänzt (291 D). Da ist zunächst deutlich, daß Hippias, statt ein Seiendes festzulegen, vielmehr das Schöne mit dem verwechselt, was ihm gefällt. Formaler Ausdruck dieses Sachverhalts ist die logische Verfehltheit seiner Definitionen. Aber wenn man die Verkehrtheiten kritisch prüft und sich — freilich mit Vorsicht — der Führung des Sokrates überläßt, so wird der Weg gewiesen, der darüber hinausführt. 2a. Die erste Antwort nennt ein Wesen, das, je nach dem womit man 287E—289Des vergleicht, bald schön, bald unschön ist. In seiner Kritik5) spricht Sokrates so deutlich, daß Hippias es nicht überhören kann: gefragt ist nach dem was immer schön ist, nach „dem Schönen selbst, durch welches alle ändern Gegenstände schön erscheinen, wenn jene Form ( ) hinzukommt" (289 D). Niemand kann verkennen, wohin mit dem Wort Eidos gezielt wird, und ebensowenig wie im Evihyphron ist es hier nach Platons Sinn, wenn man ,,Begriffsphilosophie" von „Ideenlehre" scheiden zu müssen glaubt und dann behauptet, daß Platon hier „noch" jene meine und „noch nicht" zu dieser fortgeschritten sei6). II 2b. Die zweite Antwort variiert nicht einfach die erste oder doch nur 289 D—291Dmsoweit) als „Gold" dem geldgierigen Hippias ein immer unveränderlich Schönes ist. Sokrates hatte in seiner Kritik der ersten Antwort das, was der andere auffinden solle, als „Form" bezeichnet, die „hinzukommen" müsse. So wird er im Phaidon sprechen von der „Gegenwart oder Gemeinschaft jenes An-sich-Schönen oder wie man jenes Hinzutreten ( ) benennen mag" 7 (100 D) ). Hippias greift das „Hinzutreten, Hinzukommen" auf, indem er es zweimal wiederholt und in seiner Geldgier mißversteht als materielles „Einkommen"8). Die „Form" aber hat er so ganz überhört, daß seine Antwort „Gold" etwas nennt, das weit eher Stoff ist, also das Gegenteil von Form. Die Kritik des Herrn Jemand weist auf die Gold-Elfenbein-Athene des Phidias und macht an diesem Werk der großen Kunst klar: nicht irgendein Stoffliches sei an sich schön, sondern was einem jeden „angemessen ist", „ansteht" ( ),das mache ein jedes zum Schönen (290 D). Da ist die Verwechselung der Schönheit mit einem beliebigen Stück Ma-

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terie abgewehrt, freilich die Gefahr einer Verflüchtigung ins Subjektive dringend. So wird denn die Absolutheit des Gesuchten wenigstens negativ festgelegt: es sei von der Art, daß es niemals nirgends niemandem als das Gegenteil erscheint (291 D). Mit dem Begriff des „Angemessenen Passenden Anstehenden" ist in eine Richtung gewiesen, in die nachher Sokrates selber führen wird. Daß man sich von der grob handgreiflichen Weise des Sophisten ganz entfernen muß, spricht Sokrates hier ironisch dadurch aus, daß er eine Erörterung über so niedrige Dinge wie die „Angemessenheit" von Topf, Brei und Rührkelle, gemessen an dem schönen Schmuck und der Berühmtheit seines Opfers, für höchst „unangemessen" erklärt. Hippias' dritter Definitions versuch greift weiter und höher als die 2c. beiden ersten; er versucht die Lebenswünsche des bürgerlichen 291D—293C Daseins zum Schönen-an-sich hinaufzusteigern: mit dem Reichtum beginnend und mit dem prachtvollen Erbbegräbnis endend. Dem tritt der kritisierende Jemand entgegen. Selbst als Lebensform gebe es etwas Höheres und Schöneres: das heroische Leben der Göttersöhne und das Dasein der Götter selbst (292 E 8 ff.). Vor allem habe die Antwort des Hippias dieses vernachlässigt: das Schöne-selbst, die Schönheit die „hinzutreten" muß, damit ein Etwas schön werde, das Schöne das immer und für alle schön ist (292 C —E). So scheint die dritte Definition dem Herrn Jemand mit Recht von gleicher Art wie die beiden früheren, ja womöglich noch lächerlicher. Dennoch sind die drei Antworten des Hippias auch wieder voneinander verschieden, und bedeutungsvoll ist eben das, was sie unterscheidet. Vom schönen Mädchen zum schönen Leben — ist das nicht dieselbe Spannung, die sich im Vorspiel (I) darzubieten schien zwischen dem schönen Hippias und den schönen Bestrebungen ? Und taucht nicht aufs neue Diotimas Liebesweg vor uns auf ? Nunmehr dadurch schärfer erkennbar, daß durch den Mund des Sokrates der Herr Jemand hinführt auf das Eidos des Schönen, und daß die Schönheit beim Steine beginnend sich bis zum Gott erhebt (292 D 2), ja daß über der bürgerlichen Lebensform die heroische aufsteigt und über dieser die göttliche Existenz (293 A I ) ? Der Weg in das Zentral-Platonische hinein ist mit unverkennbarer Deutlichkeit gewiesen. Auf der dritten und in diesem Dialog höchsten Ebene des Gesprächs . gehen die Versuche, das Schöne abzugrenzen, nicht mehr von Hip- 293 D 3 0 3 D

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pias aus, sondern von dem Jemand. Aber diese „Definitionen", die doch allesamt den gesuchten Begriff gleichsetzen mit einem anderen, wird man nur dann richtig verstehen, wenn man das, was auf der zweiten Ebene des Gespr ches gesichtet worden ist, ΙΠ 1. im Blick beh lt. Dar ber werden wir aufs deutlichste sofort bei 293 D294E ( j e r ersten Gleichsetzung belehrt, die bernommen wird aus dem fr her Er rterten: das Sch ne ist das Geziemende Anstehende Passende (το πρέπον). Wiederholt wird auch die methodische Bemerkung, das Gesuchte m sse derart sein, da es durch sein „Hinzutreten" die Einzeldinge sch n mache. Die Analyse zeigt — und die Kritik jener ersten Gleichsetzung wird von dorther bezogen —, da das Sein, nicht der Schein, des Sch nen bewirkt wird. Nun liegt im πρέπον beides, und da Hippias nicht zu scheiden versteht und als K nstler des Scheins auf das Scheinen den gr ten Wert legt, so f llt jene Gleichung. In Wahrheit ist sie f r das Wesen des Sch nen durchaus aufkl rend. Denn das griechische Wort πρέπει ν mit seinen Ableitungen (εύπρεπή$ πρεπώδη?) bezeichnet eine Ordnung, eine Wohlgeformtheit, und zwar auf allen Gebieten, sichtbaren wie unsichtbaren, und so ist die Gleichung denn auch ohne weiteres sowohl dem Platon (Alkibiades I 135 B) wie dem Aristoteles (Topik 102 a 6. 135 a 13) gel ufig9). Daraus folgt aber, da sie hier nicht st nde, wenn es nur auf die Ablehnung ank me, da vielmehr das πρέπον nicht eigentlich abgelehnt, sondern von dem Scheinhaften, welches in ihm angelegt ist, befreit werden mu , und gerade am Gegensatz kommt der Seinscharakter des Eidos um so sch rfer heraus. III2. Die zweite Definition setzt das Sch ne mit dem „Brauchbaren" 295A—297D (χρήσιμον) oder, wie dann abge ndert wird, mit dem „F rderlichen" (ώφέλιμον) gleich10). Zun chst: welchen Sinn hat diese Ab nderung ? Brauchbar zu etwas, so wird gesagt, das hei t: f hig kr ftig m chtig (δυνοπόν), etwas zu bewirken. Hier aber lauert eine Gefahr, wie sich sofort darin zeigt, da der Sophist sich auf dieses Wort st rzt: im politischen Leben m chtig zu sein, das sei in der Tat das Allersch nste. Man entsinnt sich, wie das staatliche Moment von Anfang an vorhanden war in der Karikatur des gesch ftigen Diplomaten, und wie Sokrates es nie aus dem Auge l t. Und hinter dem Entz cken des Sophisten sieht man das Grundproblem des Gorgias-Tiialoges sich in der Ferne abzeichnen. Im Gorgias wird sch rfer zugespitzt werden: F higkeit zum

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Schlechten, das sei überhaupt keine Fähigkeit sondern eine Schwäche. Hier heißt es schlichter: Fähigkeit oder Brauchbarkeit zu etwas könne auch Fähigkeit oder Brauchbarkeit zum Schlechten sein. Nie aber könne das, was zu etwas Schlechtem brauchbar sei, das gesuchte Schöne sein. Ein Brauchbares also, das zum Guten brauchbar ist, ein „Förderliches" sei das Schöne. Doch kaum steht die abgeänderte Begriffsbestimmung feet, da wird sie auch schon gestürzt. Denn auch der Schein muß vermieden werden, als sei mit solcher Definition etwas Endgültiges gewonnen. Lehrreich aber wird nicht nur ihr Aufbau sondern auch ihr Abbruch sein. Hier wird unterschieden zwischen dem, was bewirkt, und dem was bewirkt wird oder was geschieht oder was wird ( ). Kann das Schöne Bewirker des Guten, das Gute Sprößling des Schonen sein ? Damit scheint, da Verursachendes und Verursachtes, Vater und Sohn notwendig verschieden sind, das Schöne vom Guten getrennt zu werden. Diese Trennung aber, so wird von Sokrates mit Nachdruck gesagt (297 CD), ist ganz unannehmbar. So wird also die Einheit oder mindestens engste Zusammengehörigkeit des Schönen und des Guten eindringlich. Das Gute Sprößling ( ) des Schönen: so erscheint es hier für einen Augenblick. Wird man da nicht an die Mitte des Staates (VI 506 D ff.) und an den Anfang des Schöpfungsmythos im Timaios (29 D ff.) vorausdenken ? An den Staat, wo Sokrates die höchste Vollkommenheit — das „Gute" — sichtet, dann aber als unsagbar in seiner Ferne bleiben läßt, während wir nur von dem Sprößling (ixyovos) des Guten in unserer Werdewelt, der Sonne nämlich, zu hören bekommen. An den Timaios, wo der mythische Schöpfer, der vollkommenste, der beste, nichts anderes schaffen kann als das Schönste. Ein Vorklang also — manche werden sagen: ein Nachklang11) — jener Transzendenz in Staat und Timaios: das ist es was der Hippias an dieser Stelle zu bieten scheint. Und vielleicht soll man auch schon ahnen, daß wir dem Ziel ein wenig näher kämen, wenn wir das Schöne zum Sprößling des GutenVollkommenen machten anstatt das Gute zum Sprößling des Schönen — falls denn schon zwischen beiden geschieden werden soll! Vielleicht darf man in der Ferne auch den Philebos (64 E) auftauchen sehn, in dem sich „die Macht des Guten", nach der wir auf der Suche sind, „in das Wesen des Schönen flüchtet" ?

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Zugleich verlangt jenes Sophisma, die notwendige Verschiedenheit von Vater und Sohn, seine Aufl sung. Ursache und Verursachtes sind allerdings notwendig verschieden. Da aber „durch das Sch ne" alle sch nen Dinge sch n sind und „durch das Gro e" alle gro en Dinge gro (294 B), so sind Ursache und Verursachtes doch zugleich einander wieder hnlich — eine Dialektik, die in vollendeter Form der Dialog Parmenides durchf hrt. Danach kann das Sch ne in der Tat nicht Ursache des Guten, wohl aber eines Guten sein, welches nicht der Seinssph re sondern jener Werdewelt angeh rt, die der immer wiederholte Ausdruck des „Werdens" (297 AB) uns nahebringt. So gleicht einerseits das seiende Sch ne dem werdenden Guten wie Vorbild dem Abbild, und Sch n und Gut treten einander bis zur Identit t nahe. Andererseits ist das seiende Sch ne von dem werdenden Guten so grundverschieden wie Vorbild von Abbild, und damit tritt das ideenhaft Sch ne (und Gute) all dem gegen ber, was im Verh ltnis des Bewirkten zu ihm steht18). Wir tragen also von der zweiten Definition, ihrem Wandel und ihrem Abbruch, deutliche Blicke auf das gesuchte καλόν davon. Und abermals, wie schon auf der ersten und zweiten Ebene der Betrachtung, f llt der Blick auf das weite Gebiet des Sch nen, beginnend mit dem sch nen „Leibe" und endend bei den sch nen „Werken" und „Gesetzen" (τα επιτηδεύματα καΐ τους νόμους 295 D 5), wo denn noch genauer als bisher der Stufen weg Diotimas vorklingt. So tritt der staatliche Sinn, an den wir Heutigen am wenigsten denken, auch hier zuh chst in die Betrachtung ein, und des Hippias gef hrlich falsches Abirren ins Machtpolitische (296 A) verst rkt noch diese Wirkung. Als Ganzes aber geh rt das Sch ne, vorher dem Angemessenen (πρέττον) und jetzt dem F rderlichen (ώφέλιμον) gleichgesetzt, in die N he des „Guten", von dem es auf keine Weise getrennt werden kann. Die echt griechische Vorstellung von Ma und Angemessenheit (μετριότης καΐ συμμετρία), die im Philebos (64 E f.) f r das Wesen des Guten-Sch nen so wichtig ist, h lt auch hier alle diese verwandten Begriffe zusammen. III3. Die dritte und letzte sokratische Definition lautet so: sch n ist, 297E—303D was durch Auge und Ohr Lust erregt. Da ist in der Tat ein sehr wichtiges Gebiet des Sch nen gezeigt. Aber die sch nen „T tigkeiten" und „Gesetze" passen nicht hinein oder k nnten, so wird angedeutet (298 D), nur mit einiger Gewalt passend gemacht wer-

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den13). Und doch, sch n sind sie auch und erst recht, und so wird wiederum wie schon so oft in diesem Dialog der Stufenweg Diotimas sichtbar. Aber auch nach unten erkennt man eine Stufung. Gen sse sind hier, die sch n genannt werden. Daneben gibt es andere, nicht durch Auge und Ohr sondern durch Geschmack und Tastgef hl vermittelt, denen dieses Pr dikat nicht zukommt. So zeigt sich gleichsam eine tiefere Schicht des Lustvollen, die nicht in die Kegion des Sch nen hineinragt, und die Problematik des Ph ebos wird von fern sichtbar, wo als reine Gen sse die des Auges und des Ohres und mit Einschr nkung (als „weniger g ttlich") die des Geruchsinnes aufgef hrt werden (51 A ff.). Die Frage, ob diese Scheidung und Stufung nur auf menschlichem Vorurteil beruhe, taucht im Hippiaa auf, ohne beantwortet zu werden. Nur da die Meinung der Vielen eine objektive Norm niemals ersetzen k nne, wird deutlich. Alles in allem hat die Definition das Verdienst, eine neue Seite am Sch nen, das Lusterregende, aufzuweisen und die Stufenfolge von neuem in den Blick zu bringen. Aber auch darin ersch pft sich ihre Bedeutung nicht. Befriedigen kann die Definition nicht, weil sie aus einem System, auf das gerade sie hinzuweisen mit am meisten bestimmt ist, etwas zwar Wichtiges aber doch Bruchst ckhaftes herausbricht. Formal spricht sich das aus in den zwei Merkmalen („durch das Gesicht und durch das Geh r"), die sie addiert, weshalb sie denn in die Lage kommt, auf einen einzelnen Gegenstand, der nicht durch beide sondern nur durch ein Merkmal getroffen wird, nicht zu passen. Aristoteles in der Topik benutzt sie darum als Beispiel einer fehlerhaften Definition14), und Platon gibt eine ausf hrliche formale Kritik, die bald mit Strenge, bald mit Sophistik sich um die Begriffe „Beides" (αμφότερα), „Eins von beiden" (έτερον), „Jedes von beiden" (έκάτερον) bewegt und mit der Vernichtung der Definition endet (303 D). Das Positive darin ist offenbar dieses: die beiden Arten der Lust m ssen etwas von allen ndern Arten Unterschiedliches haben, auf das man blicken mu (είς δ αποβλέποντες), um gerade sie sch n nennen zu k nnen (299 DE) — wie im Euthyphron (6 E) die Idea aufgezeigt wurde, auf die man blicken m sse (ε!$ έκείνην αποβλέπων), um das Fromme fromm nennen zu k nnen —, und dieses „Gemeinsame" (κοινόv) ist es, welches bewirkt, da beide sch n sind (300 A). Die beiden Merkmale fordern, eben weil sie zwei sind, hinter sich ein Sein, welches ihnen beiden

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gleicherweise zukommt (τη ουσία τη έπ' αμφότερα επομένη 302 C). Mit ihnen sind also bruchst ckhafte und sekund re Bestimmungen statt des Wesens gegeben, welches erst jenseits von ihnen und vielleicht durch sie hindurch sichtbar werden k nnte. IV. Mit diesem Ausblick entl t uns der Dialog, als er mit einer k hnen 303D 304E "Wendung gleichsam in sich selbst zur ckkehrt. Was ist denn nun, fragt zum Schlu der Herr Jemand, dieses Sch ne, das hinter den beiden Lustarten als das Gemeinsame steht (το καλόν το έπ' άμφοτέραις ταΐ$ ήδοναΐζ 303 Ε) ? Und die Antwort ist, da sie die schadlosesten und besten Lustarten sind, woraus sich denn das Sch ne als „f rderliche Lust" offenbart. Damit sind wir zur zweiten Definition dieser sokratischen Ebene zur ckgekehrt und unterliegen dem schon ber diese gef llten Urteil. Der Kreislauf ist vielleicht auch hier (wie viel deutlicher und bewu ter im Euthyphrori) ein Zeichen, da zumal gegen ber dem Doxosophen, der die Sch nheit zu kennen und zu besitzen meint, mit dieser Weise des Definierens das Ziel niemals erreicht wird. Aber zugleich wird das F rderliche und das Lustvolle hier in engste Verbindung gesetzt und damit dem Sch nen Bein Platz nicht nur in der N he des einen oder des anderen, sondern in der N he von beiden angewiesen15). Ganz zum Schl sse stehen noch einmal die beiden Menschen einander gegen ber. Auf der einen Seite der Sophist, dem diese ganze Er rterung nur Schnitzelkr useln bedeutet, wie er denn kurz vorher (301 B) dem Sokrates vorwarf, da er und seinesgleichen mit ihrer Dialektik die Ganzheit der Dinge (τα όλα των πραγμάτων), die gro en und zusammenh ngenden k rperlichen Gegenst nde des Seins (μεγάλα καΐ διανεκή σώματα της ουσία?) nicht zu fassen verm gen und statt dessen jedwedes Seiende in ihren Logoi kurz und klein schneiden18). Ein Urteil, welches — gro spurig und einsichtslos — das Seiende oder das Sein mit dem K rperlich-Handgreiflichen verwechselt; eine Kritik sophistischen Haarspaltens, an der sogar irgendetwas Berechtigtes w re, wenn sie nicht eben von Hippias dem Sophisten k me. Der zieht sich schlie lich auf ein „Sch nes" zur ck: in jeder Situation des politischen Kampfes zu siegen und so sich und «eine Habe und die Seinen zu erhalten. Die widerplatonische Lebensform also des Tagespolitikers, zuletzt des „tyrannischen Mannes", wie sie am deutlichsten im Gorgias gezeigt wird, taucht hier wieder auf, nachdem sie schon fr her f r Augenblicke gesichtet worden war. Auf der anderen Seite

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steht der Jemand, der aus Sokrates spricht und sich immer deutlicher als Sokrates'eigentlichstes Selbst erweist. So wird im Großen Hippias am Schluß das „Ich als Existenz" sichtbar, wie es in den anderen aporetischen Definitionsdialogen, im Protagoras, im Laches, vor allem im Euihyphron, jeweils am Schluß alle Begriffskonstruktion durchdringt und überhöht, ja ihr erst den eigentlichen Sinn gibt. „Die Lustigkeit des Ganzen ist überschwenglich", so urteilte Schleiermacher über den Großen Hippias17). Aber man höre genau jenen Jemand sprechen: Unwissenheit über das Schöne sei ein Zustand, in dem das Leben keinen Gewinn vor dem Sterben bedeute; denn ohne Wissen über das „was das Schöne ist" gebe es kein Urteil über die Schönheit, will sagen über die Richtigkeit, irgend einer Aussage oder irgend eines Tuns. Also nicht um ein nur ästhetisches Problem handelt es sich, sondern zugleich um ein ethisches und ein politisches, zuletzt um ein „existentiales". Die Aktivität in einer Gerichtsverhandlung oder einer Ratssitzung war eben vorher (304 CD) von Hippias in die Debatte geworfen worden, und Sokrates nimmt mit Nachdruck diesen Hinweis auf. Dabei mußte wohl jeder athenische Leser daran denken, wie Sokrates im Jahre 406 als Ratsherr gegen die tobende Masse in den Arginusenprozeß eintrat, und seit dem Jahre 399 an den Prozeß des Sokrates selber. So tief wird der Ernst nach aller jener „Lustigkeit"! An ihrem Verhalten zur Majestät des Schönen-Guten scheiden sich Sophist und Philosoph, und den Weg dorthin zu finden erweist sich als die eigentliche, die lebensgefährliche Aufgabe des Philosophen. Der Lysis fragt: was ist die Liebe ? Der Große Hippias fragt: was ist die Schönheit ? Beide Dialoge enden als Werke der platonischen Frühzeit in der Aporie. Wie aber schon im Charmides (167 E 8) ganz gelegentlich — also für unbedingtes Zusammengehören um so beweisender — „das Schöne" Gegenstand des Eros ist, so vereint das Symposion die im Lysis und im Hippias noch getrennten Linien: Liebe ist Liebe zum Schönen18).

GRUPPE B U M K R E I S K L E I N E R FRÜHDIALOGE: P H I L O S O P H · SOPHIST · D I C H T E R

8. HIPPARCH Der kleine Dialog gilt nur wenigen heut für platonisch1). Indem wir diese Frage zunächst unerörtert lassen, begnügen wir uns auf Schleiermacher zu verweisen, der „nach vielseitiger und langer Überlegung" die Schrift ausstrich aus der Reihe der dem Platon zugehörigen und doch dazu bemerkt, „platonisch genug sei die Absicht, die ein verständiger Leser hineinlegen könne". Man wird sich schon von dort her aufgefordert sehen, den Dialog mit seinen Denk- und Formmotiven in der lebendigen Beziehung zu alledem zu sehen, was in der platonischen Schriftstellerei Verwandtes begegnet. Der Dialog geht zwischen Sokrates und einem Ungenannten. Das geschieht bei Platon sonst nur in einem Rahmengespräch. Ganz charakterlos2) bleibt der Unterredner dennoch nicht. Gleich zu Anfang (225 AB) schmückt er seine Rede mit solchem Wortgeklingel, daß man merkt: er geht bei den Rhetoren in die Schule; und Sokrates neckt ihn deswegen (225 C 6). Dem älteren Manne antwortet er, der junge (225 D 5 ff.), heftig und so „ins Geratewohl hinein, als ob ihm von jemandem Unrecht geschehen wäre" (225 B 10.227 C 10). Und so wenig ist seine scharfe Art zufällig oder gleichgültig, daß vielmehr sein Vorwurf, Sokrates „täusche" ihn (228 A 9), tief hineingreift sowohl in die Problematik wie in die künstlerische Form des Werkchens. Sokrates beginnt sofort mit der echt sokratischen Frage „Was ist... ?" Das Wörtchen „denn (eigentlich)" (yap) macht deutlich, daß vorher in einem unbestimmten Kreise, zu dem jener Jemand gehört hat, von der Gewinnsucht oder wohl eher von gewinnsüchtigen Menschen geredet worden ist, offenbar kritisch, abschätzig, wozu ja oft Gelegenheit war und ist. Nun wird die prüfende Stimme des Sokrates hörbar3).

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Der Bau des Dialoges ist einfach. Es wird dialektisch und scheinbar ergebnislos ber einen Begriff verhandelt, und in der Mitte steht ein Exkurs ohne ersichtliche Verbindung mit dem brigen: ein Geschichtsbild von der segensreichen Herrschaft des Peisistratossohnes Hipparch. Man wird die hnlichkeit mit dem Gro en Alkibiades nicht verkennen, der in die Mitte das Bild eines idealischen Perserreiches stellt, anscheinend ebenso unverbunden mit dem, was vorausgeht und nachfolgt. Die Deutung ist denn auch in beiden St cken hnlich fehlgegangen, indem sie jene in ironischen Lichtern schillernden Bilder grimmig ernst nahm, und statt nach ihrem Sinn f r das Ganze zu fragen, Proben sophistischer Gelehrsamkeit zu vernehmen glaubte4). Der Begriff, ber den verhandelt wird, ist die „Liebe zum Gewinn, Gewinnsucht" (το φιλοκερδές). Mag der Dialog unter die fr hen platonischen geh ren, oder mag er aus dem Kreise Platons stammen, oder erst recht wenn er eine sp tere Nachahmung sein sollte, sein Verst ndnis wird gewinnen durch eine Umschau ber den Begriff des „Gewinnliebenden" oder, was dasselbe ist, des „Geldliebenden" (φιλοχρήματος φιλοκερδής). Der Gewinntrieb, im griechischen Volke so sehr wie in irgendeinem angelegt, wird fr hzeitig als Gefahr erkannt. Vor „argem Gewinn" warnt Hesiod, den die Habgier des Bruders zum fr hesten ethischen Mahner gemacht hat; Solon, ein anderer Dichter von Mahnliedern, r gt die B rger, die „dem Gelde gehorchend durch ihre Torheit die Stadt verderben wollen", und die da „reich sind ungerechten Werken gehorchend". Dem Begriff des ,,Geldliebenden" haftet von je der Nebensinn eines Zuviel oder einer blen Erwerbsweise an, und Aristoteles kommt wiederholt auf die logische oder semasiologische Eigent mlichkeit zu sprechen, die auch in unsern Dialog hineinspielt, da im buchst blichen Sinn des Wortes alle Menschen „geldliebend" und „ehrliebend" sind (έπεί φιλοϋσί γε πάντες ως είπεϊν), im gew hnlichen Gebrauch aber das berma unausgesprochen mit gemeint wird6). Den „Geldliebenden" und den „Ehrliebenden" hat man oft, sei es als hnliche Menschentypen, sei es zum Gegensatz nebeneinandergestellt6). F r Platons stufenden Geist tritt der „Weisheitsliebende" hinzu und ordnet sich den beiden ndern Typen ber, die als „K rperliebende" (φιλοσώματοι) zusammengefa t und entwertet werden7). So im Phaidon (68 C. 82 C). Und noch deutlicher wird die Stufenfolge im Staat, wo sie sich mit der

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Stufung der Seelenteile, der St nde und der Verfassungsformen verbunden zeigt. Der Abstieg der Staatsverfassungen im Vlllten und IXten Buch ruht ja darauf, da die Vernunft oder pers nlich gesprochen der Weisheitliebende die Herrschaft nicht bewahren kann. Der Verfall tritt ein, in der Timokratie herrscht die mutvolle Seelenform oder die Liebe zu Sieg und Ehre (φιλονικίαι καΐ φιλο-ημίαι 548 C ff.) und noch tiefer, in der Oligarchie, die begehrliche Seelenform oder die ,,Geld- und Erwerb-Liebenden" (φιλοχρημοτπσταΐ καΐ φιλοχρήματοι 551 Α). Und zum Schlu als Sokrates die Gl cksrechnung auflegt, weist er jedem Seelenteil die ihm eigent mliche „Lust" zu: er l t den untersten auf den „Gewinn" zielen, mithin „geldliebend und gewinnliebend" (φιλοχρήματον Kccl φιλοκερδές) sein, den mittleren „siegliebend und ehrliebend", den h chsten „weisheitliebend" (580 D ff.). Und jede dieser Menschenformen, die sich so darstellt, hat nur Sinn f r die ihr eigent mliche Lust, so da der Gewinnliebende die Freude an Ehre und Weisheit f r wertlos h lt, der Ehrliebende die Lust am Gewinn f r gemein und die am Lernen f r „Rauch und Geschw tz"; der Philosoph hingegen wei , da die ndern Freuden wohl f r jene unentbehrlich sind, doch entbehrlich f r ihn selbst. Nach diesem berblick wenden wir uns zum Hipparch. Wir sind im t glichen Leben fortw hrend in Ber hrung mit „Liebe zum Gewinn". Aber da jetzt Sokrates den jungen Menschen fragt, was es denn mit diesem Wesen auf sich habe, stellen sich Schwierigkeiten heraus, deren man nicht Herr wird. Sokrates fragt zuerst und zwar mit Nachdruck: was denn die Liebe zum Gewinn sei, und erst dann — als ob die zweite Frage sich aus der Antwort auf die erste erg be —: wer die Gewinnliebenden seien. Der Gefragte berh rt die erste Frage, so nachdr cklich sie gestellt ist, und greift sofort die pers nliche Seite der Sache an. „Kein Mensch ist gewinnliebend" ist das Ergebnis des ersten Abschnitts (225 A — 226 D), „alle Menschen sind gewinnliebend" das des zweiten (226 D — 227 C). Kommt es allein auf zersetzende Dialektik an, oder soll in Wahrheit ganz etwas anderes aufgezeigt werden ? Nur genaue Betrachtung der Wege, auf denen es zu diesen antithetischen Ergebnissen kommt, kann die Frage beantworten. I. Der Nachweis, da niemand gewinnliebend sei, beginnt mit der Be225A—226D griffsbestimmung des „Gewinnliebenden" als eines Menschen, der Gewinn zu ziehen f r wert halte aus dem, was nichts wert sei (ot

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δν κερδαίνειν άξιώσιν άττό των μηδενός αξίων). Diese gew hnliche Ansicht zeigt vor dem Blick des Sokrates sofort ihren inneren Widerspruch, und seine erste Gegenfrage wirft das zentrale Problem auf: Handelt ein solcher als Erkennender, Wissender ? Oder ist er unwissend und mithin t richt ? Sokrates meint hier wie immer in solchem Falle radikales „Wissen" und radikale „Torheit" — die mit zweckm igem Handeln im praktischen Felde sehr wohl vereinbar ist —, w hrend der Unterredner Wissen und Torheit nur in diesem vereinzelten und praktischen Sinne zu nehmen wei . Ein Widerspruch, den Sokrates nicht aufkl rt, sondern ironisch als Ferment wirken l t. Und in der Erwiderung des ndern kommt dieser Gegensatz noch deutlicher heraus, indem er die Gewinns chtigen als Schurken bezeichnet, die zwar ihrer Leidenschaft unterliegen, aber sehr wohl wissen was sie tun8). Er ahnt nicht, wie sehr er verbindet, was im sokratischen Sinne unvereinbar ist. Das aber versucht Sokrates ihm nachzuweisen an den Beispielen des Landmanns und anderer Berufskundiger, die, jeder auf seinem Gebiet, wissen, da sie aus dem nicht Angemessenen nicht gewinnen k nnen. Da sittlich-staatliches Handeln des Menschen nicht vergleichbar sei mit solchem gesicherten Berufswissen, w re ein Einwand, auf den Sokrates hier wie immer erwidern w rde: um das sittlich-staatliche Handeln des Menschen sei es eben so lange bel bestellt, ehe es nicht jene Sicherheit des Berufswissens erreiche. Wurde der erste Gespr chsgang induktiv gef hrt, so ist der zweite 2. deduktiv: beide Beweissysteme sind absichtsvoll kombiniert. Im 226D—227C zweiten nimmt Sokrates sich das Wort „gewinnliebend" noch sch rfer vor. Die Liebe steckt darin und der Gewinn. „Gewinn" steht im Gegensatz zum „Verlust", zur „Einbu e" (ζημία) 9 ). Das eine wird als „gut", das andere als „schlecht" bezeichnet, die notwendige Beziehung des Liebens zum Guten, des Hassens zum Schlechten wird deutlich. Und darauf kommt es offenbar an. In dem paradoxen Ergebnis „alle Menschen sind gewinnliebend" ist das Wort scheinbar seiner Pr gnanz beraubt, in Wahrheit ist in ihm der Begriff des Gewinnes ber seinen gemeinen Sinn weit hinausgehoben. Damit ist klar, da nicht aufl sende Dialektik das Ziel der beiden ersten Beweisg nge war, sondern da durch diese Dialektik entwickelt werden soll im ersten Gang „dasWissen", im zweiten „das Gute", also die entscheidenden Begriffe des so-

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kratisch-platonischen Philosophierens. Der zweite Beweisgang insbesondere enthält mit dem Nachdruck, der auf das „Lieben" und seinen Gegenstand gelegt wird, die Problematik des Lysis und des Symposion eingefaltet1 °). 3. Der Partner hat ganz recht, trotz der dialektischen Künste des 227C—228 A gyrates den gewöhnlichen Begriff und Sinn des „Gewinnsüchtigen" festzuhalten. Und er tut das, da Sokrates auf seine letzte Argumentation zurückkommt, indem er den Unterschied macht zwischen schlechtem Gewinn, der die Menschen schädige, und gutem Gewinn. Damit ist er ganz auf richtigem Wege. Wird doch im