Paulinische Raum-Politik im Philipperbrief [1 ed.] 9783666500008, 9783525500002


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Paulinische Raum-Politik im Philipperbrief [1 ed.]
 9783666500008, 9783525500002

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Christian Blumenthal

Paulinische Raum-Politik im Philipperbrief

Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments Herausgegeben von Ismo Dunderberg, Jan Christian Gertz, Jennifer Knust, Hermut Löhr, Susanne Luther, Joachim Schaper

Band 286

Christian Blumenthal

Paulinische Raum-Politik im Philipperbrief

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2023 Vandenhoeck & Ruprecht, Robert-Bosch-Breite 10, D-37079 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, V&R unipress und Wageningen Academic. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagsgestaltung: SchwabScantechnik, Göttingen Satz: textformart, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2197-0939 ISBN 978-3-666-50000-8

Meinen Eltern und meiner Familie

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Kapitel 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1.1 Impressionen aus der Forschung: Raum im Philipperbrief . . . . . . . 13 1.2 Impulse aus der kulturwissenschaftlichen Raumwende . . . . . . . . . 19 1.2.1 Die Wiederentdeckung des Raumes in den Kulturwissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 1.2.2 Impulse für meine theologische Fragestellung . . . . . . . . . . . 25 1.3 Profilierung meines raum-politischen Lektüreansatzes . . . . . . . . . 27 1.4 Ansatz und Fragestellung der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Kapitel 2. Grundlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 2.1 Literaturtheoretische Grundlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 2.1.1 Ein argumentierender, mahnender und erzählender Brief . . . . 37 2.1.2 Narratologische Adaptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 2.2 Eckdaten des räumlichen Alltagswissens der Kommunikationspartner 53 2.2.1 Kosmos und Oikumene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 2.2.2 Der Kolonieraum Philippi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 2.2.3 Himmel, Erde und Unterwelt und die Zuordnung kosmischer Makroräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 2.2.3.1 Das Drei-Stockwerke-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . 66 2.2.3.2 Weltbilder im Umbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 2.2.4 Bündelungen und Praxistest an der Kosmosaussage in 2,15 . . . 79 Kapitel 3. Eine raumsensible Lektüre des Philipperbriefes . . . . . . . . . . . . . . . . 85 3.1 Raum im Briefeingang: Präskript und briefliche Danksagung (1,1–11) 86 3.1.1 Raum und Raumakteure am Briefbeginn: Neu-Philippi „in Christus“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 3.1.2 Die Handlungshoheit des Parusiekyrios als Thema der brieflichen Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 3.1.3 Erste Ansätze einer (nicht nur) literarischen Bearbeitung der räumlichen Distanz zwischen Paulus und seiner Gemeinde in der brieflichen Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97

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Inhalt

3.2 Raumpolitik im Briefkorpus (1,12–4,20) . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 3.2.1 Die Korpuseröffnung (1,12–26) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 3.2.1.1 Raumeroberungen (1,12–14) . . . . . . . . . . . . . . . . 103 3.2.1.2 Ersehnte Raumwechsel (1,21–24) . . . . . . . . . . . . . . 108 3.2.2 Korpusmitte 1 (1,27–2,18): Raumpolitik im Herrschaftsraum des Kyrios . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 3.2.2.1 Aktives Bürgersein „in Christus“ (1,27–1,30) . . . . . . . 118 3.2.2.2 Mitweltverortungen und Profilbildung im Licht der Gründungserzählung (2,1–11) . . . . . . . . . . . . . 122 3.2.2.3 Lichter im Kosmos (2,12–18) . . . . . . . . . . . . . . . . 140 3.2.3 Korpusmitte 2 (2,19–30): Personale Bindeglieder . . . . . . . . . 146 3.2.4 Korpusmitte 3 (3,1): Der Aufruf zur Freude ἐν κυρίῳ und dessen Fortschreibung in 4,1–3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 3.2.5 Korpusmitte 4 (3,2–21): Das „Wir“ erstmals wieder im Blick . . 158 3.2.6 Korpusmitte 5 (4,1–9): Gemeindlicher Praxistext mit Außenwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 3.2.7 Korpusabschluss (4,10–20): Weit mehr als eine Empfangsbestätigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 3.2.8 Paulus und die Philipper: Die Raumfrage als theologische und sozialgeschichtliche Schnittstelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 3.3 Der Briefschluss (4,21–23): Der Einzelne im Blick . . . . . . . . . . . . 195 Kapitel 4.  Macht, Abhängigkeit und Eigenstand „in Christus“ Ambiguitätssensible Reflexionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Kapitel 5.  Paulinische Raumpolitik im Philipperbrief Eine Ergebnisbündelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 A. Quellentexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 B. Hilfsmittel – Wörterbücher, Grammatiken, Konkordanzen, Lexika . . 228 C. Kommentare zum Philipperbrief . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 D. Monographien, Aufsätze, Artikel, Bibelkommentare (außer Phil) . . . 230 Stellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251

Vorwort

Im Zuge meines Forschungsprojektes zu „Raum“ im Neuen Testament ist die vorliegende Untersuchung zu Raum als theologischem Topos im Philipperbrief entstanden. Ich möchte an dieser Stelle allen sehr herzlich danken, die verschiedene Kapitel dieser Untersuchung im Entstehungsprozess kritisch gelesen haben. Ein besonderer Dank geht dabei an Dr. Doris Bachmann-Medick (Gießen), Prof. Dr. Reimund Bieringer (Leuven), Dr. Jörg Fündling (Aachen) und Prof. Dr. Stefan Schreiber (Augsburg). Ihre Rückmeldungen haben mich sehr bereichert und mir wertvolle Anstöße für die Weiterarbeit gegeben. Sehr herzlich danke ich den Herausgeberinnen und Herausgebern der „Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments“ für die Aufnahme der Untersuchung in diese Reihe. Der Dank für die reibungslose verlegerische Betreuung gebührt PD Dr. Izaak de Hulster und Christoph Spill; Celine Semenic und Renate Rehkopf danke ich für die umsichtige und unkomplizierte Begleitung der Drucklegung. Last but not least nenne ich Britta Fernandes, Hannah Judith, Benedikt Lüttge­ nau und Daniel Wowra. Sie haben die Mühen des Korrekturlesens auf sich genommen. Dafür sage ich ihnen: Besten Dank. Herrn Wowra danke ich zudem für die Erstellung des Registers. Widmen darf ich diese Untersuchung meiner Familie, insbesondere meinen Eltern: Meiner Mutter hier auf Erden, meinem Vater dort im Himmel. Während meiner Arbeit an Kapitel 3 dieser Studie erkrankte er und starb nach kurzer schwerer Krankheit im Januar 2020. Ich hoffe zutiefst, dass sich an ihm erfüllt hat, was Paulus für sich in Phil 1,23 ersehnt: Ein Leben mit Christus ohne Ende. Heimbach / Bonn, im November 2022

Christian Blumenthal

Kapitel 1. Einleitung

Im Präskript des Philipperbriefes charakterisiert Paulus seine Adressaten als οἱ ἅγιοι ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ τοῖς οὖσιν ἐν Φιλίπποις σὺν ἐπισκόποις καὶ διακόνοις.1 Diese Adressatenangabe weist neben der für Paulus singulären Erwähnung von Aufsehern und Dienern noch ein weiteres Alleinstellungsmerkmal auf: Dieses besteht in der Abfolge der beiden Verortungen „in Christus“ und „in Philippi“. Während der Apostel seine Adressaten in seinen übrigen Briefen zunächst durch die Nennung des jeweiligen Städte- oder Landschaftsnamens lokalisiert, geht er im Philipperbrief anders vor. Dort verortet er seine Gemeinde zuerst ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ und rekurriert erst danach auf ihr Leben ἐν Φιλίπποις.2 Diese Abfolge der beiden „Ortsangaben“ signalisiert, dass die Verortung ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ der Einbindung ἐν Φιλίπποις vor- und übergeordnet sein soll. Die neue Existenz „in Christus“ soll für Paulus in der römischen Kolonie Philippi eine sozial wahrnehmbare Gestalt gewinnen und das Leben der Gemeindemitglieder vor Ort entscheidend bestimmen. Das Ringen um Verortungen und die Konzeptionalisierung von Raum spielen im Philipperbrief weit über das briefliche Präskript hinaus eine prominente und profilbestimmende Rolle. So ist das Raumthema etwa auch in jenen Abschnitten von herausragender Bedeutung, welche nicht erst in der aktuellen Paulusforschung zu den am meisten diskutierten Passagen dieses Briefes gehören: (1) Der Philipperhymnus,3 den ich in seiner vorliegenden Form als paulinischen Text auswerte,4 zeichnet die Ab- und Aufwärtsbewegung des Christus „in 1 Siehe als Überblick über die Struktur der paulinischen Präskripte und die zugehörigen Diskussionen z. B. Doering, Letters, 406–415. 2 Diese Reihenfolge unterscheidet Phil 1,1 von der ebenfalls mit zwei ἐν-Präpositionalphrasen gebildeten adscriptio in 1Kor 1,2 (τῇ οὔσῃ ἐν Κορίνθῳ – ἡγιασμένοις ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ). 3 In dieser Studie behalte ich die verbreitete, aber nicht unumstrittene Bezeichnung „Hymnus“ für 2,6–11 bei, ohne damit eine Entscheidung über die Gattung oder den Sitz im Leben dieses Textes zu treffen; kritisch zu dieser Bezeichnung positioniert sich Brucker, Christushymnen. Er schlägt ebd. 319 die Bezeichnung Epainos oder laus Christi vor (siehe noch derselbe, Songs, besonders 7). Fein abwägende Überlegungen zur Gattungsdiskussion hat Vollenweider, Hymnus, 208–231 vorgetragen; siehe als kritische Anfrage an seine Rede vom hymnischen Christuslob (ebd. 225–227) nur Standhartinger, Eintracht, 152 Anm. 15; allgemein zu den Anfängen christlicher Hymnodie Löhr, Beginnings, 170–172. 4 Holloway 115 sieht den Hymnus sogar „composed bei Paul himself specifically for the present letter“ (eine formale Bemerkung: Phil-Kommentare werden in meiner Studie nur mit Verfassername und Seitenzahl aufgeführt). Dabei übersieht Holloway keineswegs die auffällige Sprachverwendung: „To be sure, the language of the myth at several points exceeds Paul’s normal

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Einleitung

Gottes- und Sklavengestalt“ nach. Beide Bewegungsrichtungen sind am Wendepunkt in 2,9 kausal miteinander verknüpft (διὸ καὶ ὁ θεὸς αὐτὸν ὑπερύψωσεν). Ferner durchschreitet der Hymnus in 2,10 den gesamten Kosmos mit seinen drei Makroräumen Himmel, Erde und Unterwelt und profiliert damit die vertikale Raumachse. (2) Diese Raumachse bestimmt ganz wesentlich die Politeuma-Aussage in 3,20, welche das Politeuma explizit ἐν οὐρανοῖς verortet. Nimmt man noch die unmittelbar anschließende Parusieankündigung in 3,21 hinzu, lässt sich unabhängig vom genauen Verständnis des hochstrittigen Politeuma-Begriffes Folgendes unschwer erkennen: Nach den Abstiegs- und Aufstiegsaussagen im Philipperhymnus schaut Paulus in 3,20–21 erneut auf eine Bewegung zwischen Himmels- und Erdenraum und lenkt die Aufmerksamkeit seiner Adressaten in 3,20 gezielt auf den Himmelsraum. Die briefliche adscriptio, der Hymnus und die Politeuma-Aussage dokumentieren exemplarisch, dass Paulus die Themen Raum und Raumzuordnungen an entscheidenden theologischen Schaltstellen des Philipperbriefes ausdrücklich aufwirft. Er expliziert sowohl das Christusereignis als auch die Eingangscharakterisierung seiner Adressaten wesentlich in räumlichen Kategorien. Deshalb können diese zentralen Aussagen paulinischer Christologie und Ekklesiologie im Philipperbrief ohne detaillierte Beschäftigung mit ihren räumlichen Dimensionen kaum angemessen verstanden werden. Diese Beobachtung ruft die grundlegende und Einzelstellen übergreifende Frage nach der Konzeptionalisierung von Raum im Philipperbrief auf den Plan. Diese Frage lässt sich weiter präzisieren, wenn man die paulinische Grundüberzeugung vom definitiven und unumkehrbaren Anbruch der Endzeit im Christusereignis berücksichtigt. Auf dieser Spur geht es bei der Frage nach Raum um die räumliche Komponente jener Vorstellung von endzeitlicher Wirklichkeit, deren zeitliche Facette Paulus wesentlich vom „christologischen Perfektum“ bestimmt sieht. In Abschnitt 1.1 gebe ich einen Einblick in aktuelle Forschungsbeiträge zu Raum im Philipperbrief. Aus der kulturwissenschaftlichen Raumwende mit ihrer politischen Stoßrichtung gewinne ich im Folgeabschnitt 1.2 Impulse für meine Beschäftigung mit dem Philipperbrief. Die Profilierung der politischen Komponente meines raumthematischen Lektüreansatzes steht in Abschnitt 1.3 an. Darauf aufbauend formuliere ich in Abschnitt 1.4 die Fragestellung und den Ansatz meiner Studie. vocabulary, but that is also the case with other panegyric texts in Paul, such as 1 Corinthians 13“ (ebd. Anm. 11). Das von ihm gewählte Beispiel 1Kor 13 wird allerdings nur diejenigen überzeugen, welche dieses Korintherbriefkapitel nicht auch für vorpaulinisch halten (vgl. die Hinweise bei Merklein / Gielen, 1Kor 3, 150–151 mit einem Plädoyer für die paulinische Urheberschaft von 1Kor 13); auf die Herkunftsfrage des Philipperhymnus komme ich in Abschnitt 3.2.2.2 zurück.

Impressionen aus der Forschung: Raum im Philipperbrief

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1.1 Impressionen aus der Forschung: Raum im Philipperbrief Die Beschäftigung mit Raum und Raumzuordnungen im Philipperbrief ist noch ein junges Forschungsfeld. Aus diesem Feld stelle ich die beiden sehr instruktiven Beiträge von Laura S. Nasrallah aus dem Jahr 2012 und von Michael J. Thate aus dem Jahr 2014 vor. Nasrallah fragt unter dem Titel „Spatial Perspectives. Space and Archaeology in Roman Philippi“ nach sozialen und kulturellen Prägungen des Lebensraums Philippi. Sie beschreibt die römische Kolonie Philippi als „contact zone“ mit „racial, ethnic, and imperial conflicts and negotiations“. Philippi sei „contact zone“ der Thraker, Griechen, Makedonier und Römer gewesen, aber auch von Römern gegen Römer.5 Die sozialen und politischen Auswirkungen der Doppelschlacht bei Philippi 42 v. Chr. und der Schlacht bei Actium 31 v. Chr., aus welchen schließlich Octavian als Sieger über Antonius hervorging („Romans against Romans“6), hätten den Lebensraum erheblich geprägt.7 Die römische Kolonie Philippi „affirms monarchy and authority even for the generation after the triumvirate, and after the imperium of Augustus“. Sie lebe auch noch zur Zeit des Paulus „in legend and memory as a site that could confirm a man’s power to become emperor“8. Bei der Anwendung dieser Beobachtungen auf die Auslegung des Philipperbriefes kommt Nasrallah ansatzweise auf Aspekte literarischer Raumerzeugung zu sprechen.9 (Antike) Schriftsteller konstruierten „the space of the world through words and invited their readers and hearers into a spatial imaginary“. Die Nennung bestimmter Städte, Provinzen oder Regionen, aber auch etwa der Verweis auf Himmel und Erde, erwecke bei den Rezipienten „a spatial realm“. Diese literarisch erzeugte räumliche Wirklichkeit stehe in gewisser Beziehung „with material place“, lade diesen realweltlich-materiellen Ort zugleich aber auch neu auf.10 Als ein konkretes Beispiel dieser literarischen Raumerzeugung nennt Nasrallah die Politeuma-Aussage in 3,20. Die Vorstellung einer „citizenship in the heavens“ sei 5 Alle Zitate dieses Abschnittes bei Nasrallah, Spatial Perspectives, 60. In Philippi seien zudem „in close proximity“ eine Vielzahl unterschiedlicher Götter „of multiple ‚ethnic‘ origins“ verehrt worden. 6 Nasrallah, Spatial Perspectives, 60. Sie spricht ebd. 62 mit Blick auf diese Schlachten von Philippi als „contested space between Romans“. 7 Vgl. Nasrallah, Spatial Perspectives, 61–64. Die Nachfolgegenerationen der Kriegsveteranen könnten zum paulinischen Adressatenkreis gehört haben (so ebd. 61: „may have been“); zu möglichen Konflikten unter den Kriegsveteranen in Philippi: ebd. 64. 8 Die beiden letzten Zitate bei Nasrallah, Spatial Perspectives, 63. 9 Im Philipperbrief sind laut Nasrallah, Spatial Perspectives, 64 „the effects of Roman Empire […] concretely in view“. 10 Alle Zitate: Nasrallah, Spatial Perspectives, 64 („supersedes and reframes“).

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Einleitung

nicht als rein abstrakte oder hypothetische Idee aufzufassen, sondern gründe in „the real places of politeia and polis current at the time“11. Bei ihrem kursorischen Durchgang durch den Philipperbrief registriert Nasrallah, dass der Brief auf eine Fokussierung „on Paul’s space and place“ dränge. Sie konzentriert sich in ihren Überlegungen auf die Leiblichkeit des Apostels und dessen realweltliche Verortung. Der Briefschreiber beanspruche etwa durch die Charakterisierung seiner Adressaten als συγκοινωνοί eine Gemeinschaft und Nähe über die räumliche Distanz hinweg („a proximity, a fellowship, even he is distant“). Dieser Anspruch auf eine enge Vertrautheit („intimacy“) sei in 1,7 „reinforced by the metaphor of having people ‚in heart‘“. Der Einsatz dieser Metapher erwecke den Eindruck einer irgendwie gearteten Verschmelzung der Körper im Raum.12 Dadurch, dass Paulus bei der literarischen Verarbeitung seiner leiblich-räumlichen Trennung von den Philippern wiederholt auf seine Gefangenschaft, auf seine „political bonds“ als konkreten Trennungsgrund verweise, rufe er „the issue of empire“ wach. Er versuche, sich und seine Gemeinde in diesem weltlichen Herrschaftsraum zu platzieren.13 Nasrallah beobachtet „a broader trend in Philippians to map vertically people’s relations to each other“ in einem sozialen Raster von Über- und Unterordnung.14 Aufgrund ihrer Alltagserfahrung könne sich die Adressatengemeinde einerseits an die horizontale Raumebene in Gestalt des „empire and its spatial expansion to Philippi“ erinnern und andererseits an die vertikale Ausdehnung des Römischen Reiches „in terms of divinization of the imperial family“. Zudem wüssten die Briefempfänger um „the complex ranking of slaves even within the oikia Kaisaros“. Ein Sklavenkörper „was open to penetration, available, an instrumentum or organon for another’s use“15. 11 Alle vorangehenden Zitate: Nasrallah, Spatial Perspectives, 64 (Kursivdruck im Original). 12 Alle Zitate: Nasrallah, Spatial Perspectives, 66 (Kursivdruck im Original); siehe ebd.: „Somehow, bodies merge in space.“ 13 Alle Zitate: Nasrallah, Spatial Perspectives, 67. Einen Beitrag zur Raum-Verwandlung leisteten laut Nasrallah auch Timotheus und Epaphroditus. Diese erschienen in ihrer Präsentation im Philipperbrief als „traveling lines“, welche einerseits die Distanz zwischen den beiden Fixpunkten des brieflichen Kommunikationsgeschehens (Apostel „in Gefangenschaft“ ↔ Adressatengemeinde in Philippi) nachzeichnen. Andererseits zeigten diese Linien aber auch „Paul’s relation to this community“ und seine Möglichkeiten eines anhaltenden Kontaktes „across space“ (ebd. 67). Darüber hinaus werde der Raum der „ekklēsiai in Christ“ am Ende des Philipperbriefes „through the flow of ancient capital“ kartographiert (4,10–20) und etwa ein Ranking verschiedener paulinischer Gemeinden aufgestellt (4,15–16) (ebd. 67 [Kursivdruck im Original]). Die Briefempfänger könnten ihre Gaben an Paulus als „a payment in a patron-client relationship“ begreifen, in welchem sie „patrons of Paul’s missionary endeavors“ seien. Paulus „reframes space and transforms these gifts into offerings“ (ebd. 68). 14 Nach Nasrallah, Spatial Perspectives, 69. 15 Alle Zitate dieses Abschnittes bei Nasrallah, Spatial Perspectives, 69 (Kursivdruck im Original).

Impressionen aus der Forschung: Raum im Philipperbrief

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Im Horizont dieses Erfahrungswissens habe die Aussage über den Christus in Gottes- und Sklavengestalt den Briefadressaten als „a queer thing“ erscheinen müssen: „To make this body into something before which others kneel and fall and to which others ascribe superiority was to transgress the normal order and hierarchical space of thing“16. Insgesamt plädiert Nasrallah entschieden für eine konsequente Beachtung der „spatial elements in Paul’s letters“17. Sie sensibilisiert für eine gezielte Wahrnehmung der realweltlichen räumlichen Verstehensvoraussetzungen sowie der „spatial imaginaries“ der brieflichen Kommunikationspartner. Diese Bildwelten sieht sie eng verknüpft mit „significant theological and politcal debates“18. Während sie unter dem Betrachtungswinkel „place“ realweltliche räumliche Konstellationen der Kommunikationspartner einholt, stellt sie unter dem Blickpunkt „space“ erste Überlegungen zur literarischen Verarbeitung dieser konkreten realweltlichen (Raum-)Vorgaben im Philipperbrief an, ohne aber systematisch nach der dortigen Konzeptionalisierung von Raum zu fragen. Dem zuletzt genannten Aspekt weiß sich Micheal J. Thate bereits nach Auskunft seines Untertitels: „Paul, Φρόνησις, and Participation. The Shape of Space and the Reconfiguration of Place in Paul’s Letter to the Philippians“19 stärker verpflichtet.20 Er sucht dem inhaltlichen Zusammenspiel der beiden Zuschreibungen in der brieflichen adscriptio auf die Spur zu kommen.21 Seine Beschäftigung mit Raum geht einher mit „a (re)reading of φρόνησις in Paul’s letter to the Philippians as Paul’s civic direction within a reconceived spatiality“22. Er geht davon aus, dass in der räumlichen Vorstellungswelt des Paulus φρόνησις „acts as a spatial rea­son­ ing of difference“23. Dies bedeute für die Zuordnung der beiden Verortungen in 16 Die Zitate dieses Abschnittes bei Nasrallah, Spatial Perspectives, 69. 17 Nasrallah, Spatial Perspectives, 65. Ihre Aussage: „place matters“ durchzieht ihren gesamten Beitrag (eine Ausweitung auf sämtliche Paulusbriefe nimmt sie am Aufsatzende vor: ebd. 70). 18 Nasrallah, Spatial Perspectives, 69. 19 Einen beträchtlichen Teil seines umfangreichen Aufsatzes nutzt Thate, Paul, 283–303, um verschiedene Vorgängerarbeiten (z. B. Oakes, Re-Mapping) vorzustellen und ein Raumverständnis zu gewinnen. 20 Für Thate, Paul, 301 ist Raum (space) „both a socializing force and a product of social­ izing forces“ (ebd. 300 [Kursivdruck im Original]). Als drittes Element bezieht er noch „the seductive forces“ ein, „which lead astray and make disappear (se-ducere)“ (ebd. 301 [Kursivdruck im Original]). Mit diesem trialektischen Raumbegriff werde sowohl „the modes of production“ Rechnung getragen „as well as the modes of disappearance“ (ebd. [Kursivdruck im Original]). Er denkt in Richtung eines Verschwindens oder Beiseitewischens im Sinne von: „Painting over pages, effacing monuments, production coins with truncated storylines“ (ebd.). Innerhalb dieses Raumverständnisses bestimmt Thate den Ort (place) als „the particular and peculiar of space“, d. h.: „place emerges as a particular form of space“ (ebd. 301). 21 Nach Thate, Paul, 282. 22 Thate, Paul, 282–283. 23 Thate, Paul, 312 (Kursivdruck im Original).

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Einleitung

1,1, dass „the rationality Paul describes for τοῖς ἁγίοις ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ is different than the rationality for τοῖς οὖσιν ἐν Φιλίπποις“24. Die Verortung „in Christus“ impliziere eine Loslösung („delink“) von „the body politic of Philippi“ und damit von jener Kolonialisierungsgeschichte, welche die Identität der Philipper laut Thate im ersten nachchristlichen Jahrhundert wesentlich prägte: „My reading strategy is to see the imagined community and a being that is ἐν Χριστῷ differentiate itself form ‚the colonial matrix‘ of a being that empire historicizes ἐν Φιλίπποις.“25 Mit der zweifachen Verortung der Adressaten in der brieflichen adscriptio verfolge Paulus ein klares Ziel: Er möchte das Leben ἐν Φιλίπποις mit einem neuen Inhalt und Profil füllen. Dazu platziere er seine Adressaten ἐν Χριστῷ, d. h. „­within an alternative social body“26. Eine solche Existenz(zuschreibung) produziere nicht nur „new spatial perspectives and orientations“, sondern sei „also the place of a new sociality – a place where being is transformed socially, economically, and politically by the spatiality of Christ, and from the perspective of his body“27. Diese soziale Körperschaft habe ihre identitätsstiftende Gründungserzählung im Philipperhymnus „outside of the bounded nutshells of colonial conscriptions“28. Für seine Adressaten etabliere Paulus in der überaus stark römisch geprägten Kolonie Philippi einen neuen Lebensraum mit eigenen Entfaltungs- und Gestaltungsmöglichkeiten („living space“). Der so konzipierte Raum fordere aufgrund seiner konkreten Platzierung in Philippi und seines Anspruchs auf realweltliche Erfahrbarkeit29 „the conceived spaces of power and the perceived spaces of the banality of the everyday“ heraus.30 Durch den Rekurs auf die identitätsstiftende Handlung des Kyrios Christus, d. h. seine selbst gewählte Erniedrigung und die sich darin zeigende (Neu-)Justierung der Vorstellungen von Macht und Ohnmacht als radikalem Gegenentwurf zu überkommenen innerweltlichen Vorstellungen, erhalte nicht nur eine Existenz „in Philippi“ einen vollkommen veränderten Charakter. Durch die von Paulus mit seinem Brief intendierte Überschreibung31 der rö 24 Thate, Paul, 312 (Kursivdruck im Original). 25 Die Zitate dieses Abschnittes bei Thate, Paul, 316. 26 Thate, Paul, 318. 27 Thate, Paul, 304 (Kursivdruck im Original). 28 Thate, Paul, 318. 29 Siehe zu diesem Moment z. B. Thate, Paul, 286: Paulus sei „a kind of τοπολογός; not only placing the identity / being of the assemblies in Christ (as has often been pointed out), but placing Christic being in Philippi“. Das Leben ἐν Χριστῷ finde „not merely in some figurative spirit“ statt, „but in a body – not just any body, of course (cf. 3:3), but the body of Christ“ (ebd. 304). Dabei setze die Leib-Christi-Metaphorik „the spatio-temporal perspective of the assemblies over other spatio-temporal perspectives“ (ebd. [Kursivdruck jeweils im Original]). 30 Thate, Paul, 318; siehe zur Aufladung alltäglicher Handlungen mit neuen Sinnzuschreibungen ebd. 313–314. 31 Siehe zu dieser Vorstellung des Überschreibens z. B. Thate, Paul, 308: „The polity of τοῦ εὐαγγελίου τοῦ Χριστοῦ (1:27) paints a ‚cruciform common life‘ as the communal imaginary over the bureaucratic pages of Roman rule“.

Impressionen aus der Forschung: Raum im Philipperbrief

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misch-kolonialen Prägung Philippis entstehe sogar „a new Φίλιπποι“32. Entgegen der bisherigen Ausrichtung dieser Kolonie auf Rom als Zentrum des Imperium Romanum sei die räumliche Anlage „Neu-Philippis“ infolge der Grundhandlung des Kyrios (Selbst-Erniedrigung) wesentlich auf die Ränder ausgerichtet: „To be ἐν Χριστῷ is to be in a place of marginality“33. Diese Peripherie sei „the ‚site of radical possibility, a space of resistance‘“. Von daher gehe es nicht darum, diese Rand-Ständigkeit als solche abzulegen: „To be placed in the margins offers to those oppressed ‚the possibility of radical perspective from which to see and create, to imagine alternatives, new worlds‘“34. Als Schlusspunkt seiner Ausführungen charakterisiert Thate Jesus als „king of infinite space“35. Damit holt er noch einmal jenes universale Moment ein, welches seine Lektüre des Philipperbriefes über weite Strecken begleitet hat. Im Philipperbrief lasse sich „a subtle spatial movement“ von der partikularen, lokalen Ausrichtung der Adressangabe in 1,1 „to the more general and again to its local reverberations in 4:21–23“36 beobachten. Das Alternieren zwischen lokaler Fokussierung und universaler Weitung solle bei den einzelnen Ortsgemeinden folgende Vorstellung aufrufen: Die neue Räumlichkeit ἐν Χριστῷ gewinne zwar ihren konkreten irdischen Ort im Lokalen bzw. genauer: an verschiedenen Plätzen auf Erden, impliziere aber aufgrund ihrer Universalität zugleich auch immer eine den Einzelort übergreifende Ausrichtung der Ortsgemeinde.37 Dabei beschreibt Thate diese Sensibilisierung für einen „global sense of the local“ als „the translation of the city of God into cities of God“38 (= die einzelnen realweltlichen Orte der einen neuen Räumlichkeit ἐν Χριστῷ). Aufs Ganze gesehen gibt Thate vor allem wichtige Impulse, um das Zusammenspiel der beiden Verortungen der Briefempfänger in der adscriptio besser verstehen zu können. Paulus habe den Anspruch, die den Lebensraum Philippi bisher prägende koloniale Matrix für seine Adressaten durch deren Verortung ἐν Χριστῷ grundlegend zu überschreiben („seducere“). Die neue Existenz ἐν Χριστῷ habe für Paulus eine leibhafte und damit raumgreifende Gestalt und fasse an konkreten Orten wie etwa Philippi realweltlich Fuß. Diese örtlichen Konkretisierungen der Räumlichkeit ἐν Χριστῷ wiesen immer über sich selbst hinaus auf die Raum-

32 Thate, Paul, 318 (Kursivdruck im Original). 33 Thate, Paul, 318. 34 Beide Zitate: Thate, Paul, 317 jeweils unter Aufnahme von bell hooks (sic), Yearning. Race, Gender and Cultural Politics, Boston 1990, 149–150. 35 Thate, Paul, 318. 36 Thate, Paul, 303. 37 Siehe bei Thate, Paul, 303 und 316. 38 Beide Zitate dieses Satzes bei Thate, Paul, 316. Hinter diesen Überlegungen zum Zusammenspiel zwischen lokaler und globaler Ebene bei Paulus steht Thates Verständnis des Ortes (place) als „the particular and peculiar of space“ (ebd. 301).

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Wirklichkeit ἐν Χριστῷ, welche den Einzelort übergriffen und zur gleichen Zeit auch an anderen Orten wie etwa in Rom oder Thessaloniki Gestalt gewännen. Macht man an dieser Stelle einen Schnitt und überschaut die Beiträge von Thate und Nasrallah, ist festzuhalten: Beide Beiträge haben das noch junge Feld der Erforschung der Raumthematik im Philipperbrief grundständig ausgebaut. Dabei votieren beide nachdrücklich dafür, auf diesem Forschungsfeld nicht in abstrakten Räumen zu denken, sondern die realweltlichen Gegebenheiten in Philippi in sämtliche Überlegungen einzubeziehen. Gleichzeitig wird deutlich, dass beide Beiträge erst anfängliche Tiefenbohrungen und exegetische Stichproben liefern. Nasrallah und Thate untersuchen nicht detailliert, wie Paulus die Thematisierung und Konzeptionalisierung von Raum nach dem markant räumlich konnotierten Aufschlag in 1,1 im Briefverlauf vorantreibt. Obschon Nasrallah auf die vertikale Ausrichtung der Raumkonzeption im Philipperhymnus schaut, findet keine systematische Beschäftigung mit der Frage statt, wie Paulus auf dieser vertikalen Raumachse Himmels- und Erdenraum als die maßgeblichen Makroräume einander zuordnet. Die Aufnahme dieser Frage ist insofern allerdings von erheblicher Bedeutung, als Paulus sich im Philipperbrief wiederholt auf den Himmel als den gegenwärtigen Aufenthaltsort des erhöhten Kyrios bezieht. Wenn Paulus das Politeuma im Himmel verortet und den Himmelsraum ausdrücklich als Ausgangsort der Parusie ausweist, setzt er diesen jenseitigen Raum in eine direkte Relation zu seiner irdischen Gegenwart und Zukunft. Angesichts dieser brieflichen Vorgaben versprechen Überlegungen zur Zuordnung von Himmels- und Erdenraum weitergehende Einsichten in die räumliche Dimension der paulinischen Vorstellung von Gegenwart (ekklesiologischsoteriologische Facette) und Zukunft (eschatologische Komponente). Darüber hinaus bleibt bei Nasrallah und Thate die Rolle der Briefempfänger in doppelter Weise unterbestimmt. Es wird weder systematisch nach deren Funktion bei der literarischen Raumerzeugung gefragt noch nach deren Verantwortung, durch konkrete Handlungsweisen zu realweltlichen Erfahrbarkeit der von Paulus präsentierten neuen Raumwirklichkeit ἐν Χριστῷ beizutragen. Entscheidende Hilfestellungen, um die sich hier abzeichnenden theologischen Fragen präzise entfalten zu können, kommen aus der kulturwissenschaftlichen Raumwende. Diese Wende konfrontiert mit einem sozialkonstruktivistischen Raumverständnis und sensibilisiert nachhaltig für eine gezielte Wahrnehmung der politischen Dimension von Raum.

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1.2 Impulse aus der kulturwissenschaftlichen Raumwende 1.2.1 Die Wiederentdeckung des Raumes in den Kulturwissenschaften Der spatial turn ist eine jener zahlreichen Theoriewenden, die seit den frühen 70er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts von unterschiedlichen Einzeldisziplinen ausgehend die Kultur- und Sozialwissenschaften durchziehen.39 Während für die Kulturwissenschaftlerin Doris Bachmann-Medick ein Arbeiten mit unterschiedlichsten, oft sehr diffusen Raumbegriffen zum spatial turn gehört,40 stößt diese Begriffsunschärfe besonders im Bereich der deutschsprachigen Sozialgeographie auf deutliche Kritik.41 Um dieser Unschärfe zu begegnen und eine genauere Begriffsfüllung zu ‚erzwingen‘, rät der Sozialgeograph Gerhard Hard zu einem experimentellen Verzicht auf den Raum-Begriff. Dann wäre jeder gefordert, „wenigstens implizit zu sagen, was er eigentlich meint, wenn er gerne Raum, Räumlichkeit, räumlich oder auch nur spatial turn sagen würde“42. Der Raumbegriff solle ohnehin „nicht mehr als Beobachtungs-, Gegenstands- oder theoretischer Begriff, schon gar nicht als Bezeichnung einer Wirklichkeit(sstruktur)“ gebraucht werden, „sondern als Reflexionsbegriff “43. Folgt man einer solchen Reduktion bei der Verwendung des Raumbegriffs, macht die Proklamation einer Raumwende für den systematischen Theologen Matthias D. Wüthrich „kaum mehr Sinn“44. In der Überschrift zum ersten Kapitel seiner Studie zum Raum Gottes spricht er distanzierend-anfragend vom „sog[enannten]“ spatial turn, gesteht aber am Ende seiner (nach eigenem Bekunden) im „Defizienzmodus“45 erfolgten Beschreibung der Unterbestimmtheiten beim gegenwärtigen Rekurs auf diese Theoriewende zu, dass „es zur eigentümlichen Dynamik“ solcher Theoriewenden gehöre, „ein eigenes, innovatives Vokabular 39 Nach Bachmann-Medick, Turns, 58 lässt sich der bereits in den frühen 70er Jahren vollzogene interpretative turn als „impulsgebende Neuorientierung“ in den Kulturwissenschaften verstehen, während der linguistic turn als „mächtiges Vorzeichen“ (ebd. 33) vor den Einzelwenden begriffen werden kann. 40 Nahezu wörtlich: Bachmann-Medick, Turns, 292. 41 Einen Eindruck von dieser Kritik vermitteln einige Beiträge im Sammelband: „Spatial Turn – Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften“, Bielefeld 22009: siehe dort die Überlegungen von G. Hard, Spatial Turn, 263–315, M. Redepenning, Überraschung, 317–340, R. Lippuner, Raumbilder, 341–363 oder B. Werlen, Körper, 365–392. 42 Hard, Spatial Turn, 264 (Kursivdruck im Original). 43 Hard, Spatial Turn, 289 Anm. 54 (Kursivdruck im Original). Günzel, Einleitung, 12–13 problematisiert eher eine inflationäre wissenschaftliche Verwendung des Raumbegriffs und Raumthemas. Natürlich sei „alles irgendwie ‚räumlich‘ oder irgendwo ‚im Raum‘“ (ebd. 12–13 [Kursivdruck im Original]), aber dies bedeutet im Umkehrschluss nicht, „dass jede Beschreibung deshalb auch schon eine raumwissenschaftliche sei“ (ebd. 13). 44 Wüthrich, Raum, 40. 45 Wüthrich, Raum, 47; siehe die entsprechende Bestandsaufnahme ebd. 37–47.

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einzuführen, Begriffe zu prägen, die eine Nähe zu Jargonbegriffen haben können, sowie neue Metaphern auszubilden, die analytisch erst noch eingeholt werden müssen“46. Ferner räumt er die Möglichkeit ein, die von ihm benannten Unterbestimmtheiten wie etwa die genaue Absteckung des Feldes des spatial turn oder dessen wissenschaftlichen Geltungsanspruch „als Teil des explorativen und unabgeschlossenen turn-Charakters“47 zu begreifen. Trotz aller kritischen Anfragen, insbesondere vonseiten der deutschsprachigen Sozialgeographie, kann für Wüthrich der Raumbegriff „noch immer fremdreferenziell gebraucht und so als analytische, erklärkräftige Kategorie für soziale Beziehungen und Objektkonstellationen eingesetzt werden“48. Auch Bachmann-Medick lässt es nicht bei der eingangs notierten Feststellung einer großen Unterschiedlichkeit der verwendeten Raumbegriffe bewenden, sondern fragt nach einer verbindenden Grundidee. Diesbezüglich stuft sie Henri Lefebvres Raumverständnis insofern als „zentral“49 ein, als sie in dessen charakteristischer Ausrichtung auf den Aspekt gesellschaftlicher Raum-Produktion50 einen gemeinsamen Nenner zahlreicher im spatial turn eingesetzter Raumbegriffe sieht. Für diese Theoriewende sei Raum nicht als bloßer Container, als neutrale Kulisse oder indifferenter Behälter interessant51, sondern als soziales Konstrukt.52 Ein notwendiger Seitenblick: Das Weiterleben der Containerraumvorstellung Die kulturwissenschaftliche Raumwende hat massive Vorbehalte gegen die Vorstellung von Raum als fester, vorgängiger, wahrnehmungsunabhängig existierende Größe geltend gemacht. Für dieses entschiedene Plädoyer gegen eine Containerraumvorstellung scheint die Überzeugung verantwortlich zu sein, dass eine solche Raumvorstellung das 46 Wüthrich, Raum, 47 47 Wüthrich, Raum, 47 (Kursivdruck im Original). 48 Wüthrich, Raum, 88. Er votiert ebd. 44 für die Verwendung des Raum-Begriffs in einem „möglichst weiten Sinne“, sodass selbst die sozialgeographische Kritik an der räumlichen Theoriewende „noch den Diskursen zuzurechnen sind, die man unter dem Label spatial turn zusammenfasst“. 49 Bachmann-Medick, Turns, 292; Hallet / Neumann, Raum, 14 nennen ­L efebvres Studie: Die Produktion des Raums den „zentralen Referenzpunkt der neumarxistischen Sozial­ geographie“. 50 Für Lefebvre, Production, 410–411 ist Raum nicht nur Kulisse gesellschaftlicher Handlungen, sondern deren Gegenstand: „Space is becoming the principal stake of goal-directed actions and struggles“. Raum werde gegenwärtig „more than the theatre, the desinterested stage or setting“ wahrgenommen. 51 Bereits 1972 hat Lotman, Problem, 329 darauf hingewiesen, dass in literarischen Texten „der Ort der Handlung(en) mehr ist als eine Beschreibung der Landschaft oder des dekorativen Hintergrunds“. 52 Nach Bachmann-Medick, Turns, 293. In der räumlichen Theoriewende sei Raum als „gesellschaftlicher Produktionsprozess der Wahrnehmung, Nutzung und Aneignung“ entscheidend, „eng verknüpft mit der symbolischen Ebene der Raumrepräsentation (etwa durch Codes, Zeichen, Karten)“ (ebd.).

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Moment des Unveränderbaren von (politischen) Herrschaftsräumen suggeriere und so den politischen Zielen dieser Wende diametral entgegenstehe. Trotz dieser massiven Kritik kann die Containerraumvorstellung weiterhin als (die) Alltagsvorstellung von Raum gelten. Sie spielt auch bei der wissenschaftlichen Beschäftigung mit literarischem Raum weiterhin eine prominente Rolle, etwa in Katrin Dennerleins Studie zur Narratologie des Raumes. Dennerlein sieht in dem von Antje Schlottmann präsentierten, gegenwärtig traditionellen Raumverständnis mit seinen Merkmalen von Objektivität,53 Kategorie-Haftigkeit,54 Diskretheit,55 Diskontinuität,56 endlicher Extensität57 und Stabilität58 ein anschlussfähiges Konzept. Mit der Absicht, eine Alltagsvorstellung von Raum zu gewinnen, greift Dennerlein aus dem Kreis dieser sechs Merkmale vor allem die Gesichtspunkte der Objekthaftigkeit und der endlichen Extensität auf.59 Sie gelangt zu der Annahme, dass Raum in der Alltagsvorstellung als „ein wahrnehmungsunabhängig existierender Container mit Unterscheidung von innen und außen“60 aufgefasst werde. Jeder Raum sei „potentiell wieder in einem größeren Raum enthalten“61 und setze sich aus diskreten Einzelräumen zusammen.62 Am Ende ihrer Beschäftigung mit Alltagsvorstellungen von Raum und deren evolutionspsychologischen Grundlagen gelangt sie zu folgender Definition: Im Alltag werde alles das als Raum bezeichnet, „was als Container gefasst werden kann. Handelt es sich um konkrete Räume, so werden sie so kommuniziert, als ob sie der Wahrnehmung vorgängig wären. Ein eingezäuntes Waldstück, ein Nationalstaat oder ein Ghetto mögen zwar an sich das Ergebnis sozialer Konstruktionen sein, im Alltag wird auf diese aber als Räume mit einer festen Innen-Außen-Unterscheidung referiert.“63 53 Schlottmann, RaumSprache, 43: „Der Raum erhält eine beobachterunabhängige Seinsweise. ‚Er‘ wird als Gegenstand behandelt, dessen Existenzart es ‚richtig‘ zu bestimmen gilt. ‚Raum‘ ist ein oppositioneller Begriff zum ‚Gesellschaftlichen‘.“ 54 Schlottmann, RaumSprache, 43: „Der Raum ist – neben der Zeit – eine grundlegende Kategorie der Einordnung bzw. Zuordnung. Jegliches hat seine Zeit und seinen Ort. Auf dieser Basis werden Ungleichheiten kategoriell erfaßt.“ 55 Schlottmann, RaumSprache, 43: „Raum ist etwas, das sich abgrenzen und in Einheiten zerlegen läßt, die sich nicht überschneiden und in ihrer Summe eine endliche Ganzheit ergeben. Die räumliche (territoriale) Welt ist die Summe ihrer diskret begrenzten Raumausschnitte.“ 56 Schlottmann, RaumSprache, 43: „In einer räumlichen Dimension sind die diskreten Einheiten diskontinuierlich im Sinne einer Unterschiedlichkeit (‚distinkt‘).“ 57 Schlottmann, RaumSprache, 43: „Raum und seine Einheiten haben ein Innen und ein Außen, werden als dreidimensional begrenzte Einheiten mit einer endlichen flächenhaften (planimetrischen) Ausdehnung aufgefaßt.“ 58 Schlottmann, RaumSprache, 43: „Raum ist – als Dimension neben der Zeit – in seiner Konnotation selbst zeitlos. Gegebenheiten sind durch ihre ‚Verortung‘ fixiert und erhalten in der räumlichen Repräsentation einen statischen Charakter.“ 59 Bei anderen Punkten wie etwa der Kontrastierung von Raum und Gesellschaft unter dem Aspekt der Objektivität / Objekthaftigkeit deutet Dennerlein, Narratologie, 59 Modifikationen an. Auf das Merkmal der Stabilität würde sie nach eigenem Bekunden verzichten. Denn auch im Alltag würden Räume „als veränderbar durch Bebauung, landschaftliche Umgestaltung, Naturgewalten etc. konzipiert“ (ebd.). 60 Dennerlein, Narratologie, 60. 61 Dennerlein, Narratologie, 60. 62 So Dennerlein, Narratologie, 60. 63 Dennerlein, Narratologie, 66.

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Auch Bachmann-Medick votiert dafür, die Containerraumvorstellung als Alltagsvorstellung von Raum anzuerkennen, „ohne freilich hinter die Errungenschaften der postmodernen Neukonzeptionalisierung zurückzufallen“64. Denkt man auf der Spur dieser Errungenschaften weiter und betrachtet mit Wolfgang Hallet und Birgit Neumann den Raum als „Signatur sozialer und symbolischer Praktiken“, erweist er sich als „kulturell produziert und kulturell produktiv“. Bei der Übertragung dieser Grundannahme auf den Bereich der kulturellen Medien wie Film, Musik, Literatur oder Kartographie gelangen die beiden zu der Einsicht, dass alle literarischen Raumzuordnungen sowohl eine „repräsentierende“ als auch eine „performative Dimension“ aufweisen. Denn einerseits vermitteln erzählte Räume einen Einblick in kulturell vorherrschende Raumzuordnungen und prägen aufgrund der kulturpoietischen Kraft der Literatur andererseits die Realität von Machtverhältnissen mit oder aber unterlaufen diese.65 Das von Hallet und Neumann thematisierte Wechselverhältnis von Raum und Macht bildet weit über den literaturwissenschaftlichen Bereich hinaus einen zentralen Fluchtpunkt des spatial turn. Dies hängt nicht unwesentlich mit (imperialismus-)kritischen Einflüssen vonseiten des postcolonial turn zusammen. Anders als beim spatial turn, dessen Initialzündung von der Geographie ausging, ist das Epizentrum der postkolonialen Theoriewende in der Literaturwissenschaft zu finden. Es sind literarische Texte und deren wissenschaftliche Aufarbeitung, die eine neue Selbstrepräsentation der zuvor marginalisierten oder kolonialisierten Staaten der Welt maßgeblich vorangebracht und vorgängige kanonisch-europäisch-westliche Fixierungen aufgesprengt haben:66 „Heute“ – so schreibt Edward Said im Jahre 1994 – „haben Schriftsteller und Gelehrte aus der einstmals kolonialisierten Welt ihre verschiedenen Geschichten den großen kanonischen Texten des europäischen Zentrums auferlegt und ihnen ihre lokalen Geographien einbeschrieben.“67

Eng verzahnt mit einer maßgeblichen Ausrichtung im postcolonial turn zielt auch der spatial turn auf eine Durchkreuzung der Zentrum-Peripherie-Hierarchie und will gegen eine „Hegemonie des Imperialismus eine Politik der lokalen kulturellen Praxis und der Handlungsermächtigung in Gang setzen“68. An die Stelle einer bipolar-antithetisch ausgerichteten Wahrnehmung69 soll die auf tatsächliche Nutzung konkreter Handlungsspielräume ausgerichtete Beachtung sowohl des

64 Bachmann-Medick, Turns, 306 (ebd. auch das Zitat). 65 Nahezu wörtlich Hallet / Neumann, Raum, 16 (ebd. auch die Zitate des Abschnittes). 66 Ausführlich: Bachmann-Medick, Turns, 209–212. 67 Said, Kultur, 95. 68 Bachmann-Medick, Turns, 291. 69 Lefebvre, Production, 39 übt fundamentale Kritik an einer solchen Wahrnehmungsform: „Relations with two elements boil down to oppositions, contrasts or antagonism.“

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Nebeneinanders und der Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Lebenssphären70 als auch der Asymmetrie der Machtverhältnisse treten. In diesem Horizont entwickelt der US-amerikanische Städteplaner Edward Soja mit dem Thirdspace ein forschungsgeschichtlich hochbedeutsames Konzept von entgrenztem Raum, einem „real-and-imagined place“71. Dieser sei wesentlich vom Moment der Gleichzeitigkeit bestimmt. Er sei „gleichzeitig materiell und symbolisch, real und konstruiert, in konkreten raumbezogenen Praktiken verortet und in sprachlichen und ästhetischen Bildern repräsentiert“72. Für Soja ist Thirdspace „a limitless composition of lifeworlds that are radically open and openly radicalizable“73. Mit dieser Betonung radikaler Offenheit der Lebenswelten stellt Soja die Vorstellung von deren vermeintlicher Einheitlichkeit mitsamt der Hierarchisierung kultureller Ordnungen infrage und erinnert an die (inter-) kulturelle Vielschichtigkeit, die zu konkreten (Lebens-)Räumen gehöre.74 Als konkretes Beispiel einer solchen Synchronie der Lebenswelten führt er Los Angeles an und proklamiert im Klappentext seiner auf diese Stadt fokussierten Thirdspace-Studie im Jahre 1996 den spatial turn: „Contemporary critical studies have experienced a significant spatial turn. In what may be seen as one of the most important intellectual and political developments in the late twentieth century, scholars have begun to interpret space and the spatiality of human life with the same critical insight and emphasis that has traditionally been given to time and history on the one hand, and to social relations and society on the other.“75 70 Siehe nur Sojas programmatische Zielsetzung: „It is to encourage you to think differently about the meanings and significance of space and those related concepts that compose and comprise the inherent spatiality of human life“ (Thirdspace, 1 [Kursivdruck im Original]). 71 Soja, Thirdspace, 6. Nach Hallet / Neumann, Raum, 16 stellen imagined places für Soja ein „Paradigma für alle jene symbolischen Verfahren [dar], mit denen Bedeutungen auf materielle Räume projiziert werden“. 72 Vgl. Soja, Thirdspace – Erweiterung, 281 (vgl. auch Bachmann-Medick, Turns, 299). Saal, Ort, 102 erläutert Sojas Konzept folgendermaßen: Thirdspace sei ein Raum, der „durch außergewöhnliche Offenheit und kritischen Austausch geprägt ist und in dem die Gleichzeitigkeit und Verwobenheit geographischer, historischer und sozialer Aspekte ins Bewusstsein rückt“. Ferner weist Saal darauf hin, dass Homi Bhaba den Thirdspace „mit einer etwas anderen Ausrichtung“ (ebd.) verstehe und ihn vor allem als einen „Äußerungs- und Verhandlungsraum [auffasse], in dem Bedeutungen konstruiert und produziert werden“ (in Bhabas eigenen Worten: „hybridity to me is the ‚third space‘ which enables other positions to emerge“ [in: Rutherford, Interview, 211]). Trotz dieser unterschiedlichen Akzentuierungen werden Saal zufolge in beiden Konzeptionen des Thirdspace Konstellationen im Sinne von Orten „erst durch Äußerungen geschaffen“. Damit seien Orte „kommunikative und kulturelle Verdichtungen in einem sich grundsätzlich durch Bewegungs- und Verflechtungsbeziehungen auszeichnenden Raum“ (ebd.). 73 Soja, Thirdspace, 70. Es gilt für Soja, dass in diesem Thirdspace „alle Schichten der Gesellschaft und Geographie, alle Zeitperioden und Orte unmittelbar präsent sind und doch zugleich repräsentiert werden – ein strategischer Raum von Macht und Dominanz, aber auch von Selbstermächtigung und Widerstand“ (Übersetzung: Bachmann-Medick, Dritter Raum, 29). 74 Vgl. Hallet / Neumann, Raum, 16.  75 Soja, Thirdspace (ohne Seite).

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Als ungemein pragmatische, politische und handlungsorientierte Theoriewende76 sucht der spatial turn ein kritisches Raumverständnis zu profilieren, welches maßgeblich von der Annahme der Veränderbarkeit des Raumes als sozial-­hybridem Produkt geprägt ist. In diese Dynamik hinein haben für Karl Schlögel die Ereignisse des 11. September 2001 den materiellen Aspekt und die verbleibende Verortung hybrider Räume in Erinnerung gerufen. Diese Ereignisse wirkten den Tendenzen zur Enträumlichung und Entmaterialisierung entgegen und führten vor Augen, dass alles nicht nur Zeichen, Symbol oder Text ist, sondern „eben auch Materie und Stoff “77, und als solche in höchstem Maße verletzbar. Die Ereignisse des 11. September haben „nicht nur die Türme des World Trade Centers zum Einsturz gebracht. Für einen Augenblick wenigstens hat er den Raum sichtbar werden lassen, in dessen Zentrum die Türme stehen. Es war nur eine historische Sekunde, aber sie genügte. Es wurden Türme getroffen, nicht nur Symbole.“78

Die Rückbesinnung auf Materialität und Stofflichkeit kann als entscheidender Impuls für die gegenwärtig anstehende inhaltliche Weiterentwicklung der kulturwissenschaftlichen Theoriewenden insgesamt dienen. Da man sich nach Bachmann-Medicks Einschätzung aus dem Jahr 2014 „gegenwärtig wohl nicht mehr in der Hochphase eines Wende-Enthusiasmus“ befindet, sei es an der Zeit, die zurückliegenden Theoriewenden kritisch weiter zu entfalten und damit auf eine Wende der Kulturwissenschaften insgesamt vorzubereiten.79 Ein entscheidendes Moment sieht sie diesbezüglich im Wiedergewinnen eines stärkeren Wirklichkeitsbezuges und regt zu einer „neuen Aufmerksamkeit auf die Übersetzbarkeit des Kulturellen ins Materielle, ins Ökonomische, ins Soziale und Politische“80 an.

76 Die politischen Entwicklungen der 1990er und frühen 2000er Jahre verstärkten die Dynamik dieser ohnehin stark politisch angetriebenen Theoriewende wesentlich (mit BachmannMedick, Turns, 288). Für Bachmann-Medick, Turns, 288 macht Vernetzung „als Eigenschaft von Globalisierung“ die Beachtung der „Raumperspektive unvermeidlich“. Wesentlich reduzierter bestimmt Schlögel, Im Raume, 68 die Zielsetzung des spatial turn. Ihm zufolge heißt spatial turn „lediglich gesteigerte Aufmerksamkeit für die räumliche Seite der geschichtlichen Welt – nicht mehr, aber auch nicht weniger“. 77 Schlögel, Im Raume, 42. 78 Schlögel, Im Raume, 31. Die Ereignisse erinnern daran, „dass Körper zermalmt und Häuser zerstört werden, nicht nur Symbole; wir nehmen zur Kenntnis, dass es Ozeane gibt und dass es nicht gleichgültig ist, ob ein Land von Ozeanen umgeben ist oder nicht; wir merken, dass es selbst im global space Stränge und Knoten gibt, die nicht nur virtuell sind, sondern wirklich durchtrennt und beschädigt werden können“ (ebd.). 79 Vgl. Bachmann-Medick, Turns, 421–423 (das Zitat ebd. 421). 80 Bachmann-Medick, Turns, 423.

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1.2.2 Impulse für meine theologische Fragestellung Aus den Beobachtungen in Abschnitt 1.2.1 lassen sich Impulse für die Ausformulierung meiner theologischen Fragestellung ableiten: (1) Der spatial turn ist hochgradig politisch aufgeladen und fordert dazu auf, sich mit der politischen Dimension von Raum und Raumzuordnungen gezielt auseinanderzusetzen. Diese Forderung ist für eine Beschäftigung mit dem Raumkonzept im Philipperbrief erheblich, da sie konsequent auf den grundlegenden lebensweltlichen Bezug dieses Paulusbriefes verweist. Paulus entfaltet seine Theologie nicht in einem luftleeren, theoretischen Raum, sondern in stetiger Auseinandersetzung mit den lebensweltlichen Gegebenheiten seiner Adressaten in der römischen Kolonie Philippi. (2) Das im spatial turn stark gemachte Moment der Raumkonstruktion81 ruft die Frage nach maßgeblichen Akteuren auf den Plan. Auf einer ersten, literarischen Ebene ist nach der Funktion der Adressaten bei der literarischen Erzeugung von Raum zu fragen. Darüber hinaus ist auf einer realweltlich-materiellen Ebene zu erheben, wer für Paulus bei der Grundlegung und Ausgestaltung bestimmter (Handlungs-)Räume aktiv beteiligt ist. Mit Blick auf den neuen Heilsraum „in Christus“ ist einerseits der göttliche Handlungsanteil zu erheben und nach dem (Heils-)Raum konstituierenden Handeln Gottes und Jesu zu fragen; andererseits ist zu klären, welche Zuständigkeiten Paulus sich und den Menschen „in Christus“ bei der irdischen Etablierung dieses Heilsraumes zuschreibt. (3) Für Paulus sind Himmels- und Erdenraum insofern voneinander getrennte Makroräume, als Menschen nicht einfach zwischen diesen beiden Großräumen hin- und herwechseln können wie beispielsweise aus dem Innern eines Hauses ins Freie. Umgekehrt aber sind in seiner Vorstellung beide Räume nicht so radikal voneinander getrennt, dass ein Raumwechsel gänzlich unmöglich wäre. Während Paulus für die Menschen seiner Gemeinde die Hoffnung hegt, dass ihnen post-

81 Dass man bereits in der Antike die konstruktive Dimension des Raumes etwa hinsichtlich der Gestaltung des politischen Handlungs- und Lebensraumes im Blick hatte, zeige ich in Abschnitt 2.2. Exemplarisch sei hier nur auf Platos Perspektive verwiesen. Seine Ausführungen zum Landschaftsraum von Athen und Atlantis im Timaios und Kritias sind laut Morgan, Plato, 433 „politically significant“. Denn es gehe ihm an den entsprechenden Stellen nicht lediglich um die Beschreibung eines physischen Gebildes. Vielmehr präsentiere Plato, wie die Landschaft „changed over generations as the result of human and divine intervention and natural forces“; mehr zur umfangreichen Beschreibung Atlantis’ in Kritias 113c–118e und deren literarischen Funktion bei Morgan ebd. 434–436; siehe darüber hinaus noch Aspers Überblick über drei verschiedene Modelle räumlicher Konzeptionalisierung von politischer Macht bei Homer, Aischylos und Kallimachos. Dabei sucht Asper zu zeigen, wie sich diese literarischen Konzeptionalisierungen als „symbolic representations of certain political programs“ verstehen lassen (Imagining, 63–74 [das Zitat ebd. 72]).

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mortal bzw. bei der Parusie Jesu ein solcher Wechsel in Richtung des himmlischen Heilsraumes einmalig möglich sein wird, gesteht er Jesus ein wiederholtes Überschreiten der Raumgrenze zu. Nach den mit Inkarnation und Erhöhung bereits vollzogenen Raumwechseln erwartet Paulus die Wiederkehr Jesu aus den Himmeln (3,21). Bereits diese Eckdaten deuten darauf hin, dass Paulus in seiner Zuordnung von Himmels- und Erdenraum Facetten sowohl der Raumtrennung als auch der Raumgrenzenüberwindung engstens miteinander verzahnt hat. Um diese statischen und dynamischen Elemente auch in ihrer gegenseitigen Zuordnung analytisch gleichermaßen erfassen zu können, griffe es zu kurz, meiner Untersuchung ein einzelnes Raumkonzept zugrunde zu legen.82 Die Vorgaben des Paulus und die Anstöße aus dem spatial turn raten dazu, bei der Erfassung von Raum im Philipperbrief sowohl auf die Containerraumvorstellung mit ihrer Fokussierung der statischen Dimension als auch auf die Vorstellung von Raum als sozialem Konstrukt mit ihrer ausgeprägten dynamischen und politischen Dimension zurückzugreifen. (4) Dieser mulitperspektivische Zugang verhindert, dem antiken Paulustext einseitig anachronistisch ein postmodernes, sozialkonstruktivistisches Raumverständnis überzustülpen. Der Rückgriff auf ein solches Raumverständnis erweist sich vielmehr beschreibungssprachlich als ein sehr brauchbares Mittel, die dynamischen Aspekte der paulinischen Zuordnungen unterschiedlicher Einzelräume wie Himmel und Erde detailliert erheben zu können. Zudem konfrontiert dieses Raumverständnis grundlegend mit der Frage nach den entscheidenden Handlungsträgern bei der Erzeugung von Raum. (5) Die analytische Arbeit mit der Container-Alltagsraumvorstellung wird besonders im Bereich der Rückfrage nach der paulinischen Verarbeitung der makrokosmischen räumlichen Gegebenheiten mit ihrer Trennung von Himmels- und Erdenraum hilfreich sein. (6) In der paulinischen Konzeption des neuen Heilsraums „in Christus“ ist ein überaus personales Moment (ἐν Χριστῷ) wesentlich mit dem Gedanken der Raumgrenzenüberwindung verknüpft. Dieser Heilsraum lässt sich unter Verarbeitung der Impulse aus der Thirdspace-Debatte als zugleich materiell und auch symbolisch beschreiben, als wirklich und auch konstruiert sowie als in konkreten Handlungen und auch in Bildern repräsentiert. In diesem Raum rücken die Gleichzeitigkeit und Verwobenheit geographischer, historischer, sozialer und personaler Aspekte ins Bewusstsein.

82 Mit einer Ausrichtung auf ein einzelnes Konzept könnte eine Vorentscheidung zugunsten einer stärkeren Beachtung der statischen bzw. dynamischen Facetten im paulinischen Entwurf getroffen sein.

Profilierung meines raum-politischen Lektüreansatzes 

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(7) Die Anstöße von Edward Soja, Karl Schlögel83 oder spezieller für den literarischen Bereich von Michail Bachtin („Chronotopos“84) sensibilisieren dafür, dass meine Fokussierung auf die Analyse der paulinischen Vorstellung von Raum und Raumzuordnungen im Philipperbrief nicht zu einem völligen Ausblenden der zeitlichen Komponente führen darf. Vielmehr sind beispielsweise bei der Auslegung der Politeuma-Aussage in 3,20 oder der Aussage über die Nähe des Kyrios in 4,5 (ὁ κύριος ἐγγύς85) zeitliche und räumliche Dimension als interdependente Größen zu berücksichtigen.86

1.3 Profilierung meines raum-politischen Lektüreansatzes In meiner theologischen Untersuchung zum Raum im Philipperbrief greife ich den politischen Impuls der kulturwissenschaftlichen Raumwende grundständig auf und lege ein besonderes Ausgenmerk auf die politische Dimension der Raumkonzeption in diesem Paulusbrief. Dieses Ansinnen verlangt eine Definition des Politikbegriffs, da es wesentlich von der Begriffsfassung abhängt, inwieweit der Philipperbrief überhaupt politisch gelesen werden kann.87 Veranschlagt man ein Verständnis von Politik, welches speziell vom Verhältnis der Christusgemeinde zum staatlichen Herrschaftssystem her denkt, enthält der Philipperbrief für Samuel Vollenweider keine politische Theologie. Methodisch sei eine größere Zurückhaltung geboten, nicht bei jedem politischen Schlagwort „unter der Hand eine virtuelle Antithese zu postulieren“. Anders schätzt er die

83 Schlögel, Raume, 69 richtet seinen Blick gezielt auf die „Einheit von Raum und Zeit“ und die „Verschmelzung der raum-zeitlichen Dimension“ aus. 84 In der Gattung Roman stehen Zeit und Raum für Bachtin, Formen, 7 in einem „untrennbare[n] Zusammenhang“. Denn die „Merkmale der Zeit offenbaren sich im Raum, und der Raum wird von der Zeit mit Sinn erfüllt und dimensioniert.“ 85 Bauer, Wörterbuch, 431–432 s.v. ἐγγύς unterscheidet räumliche und zeitliche Bedeutung von ἐγγύς und ordnet die Aussage in Phil 4,5 der Kategorie „Zeit“ zu (mit Verweis auf die Parusie; so etwa rezipiert bei Reumann 613). Die bei Bauer zugrunde liegende scharfe Abgrenzung zwischen zeitlicher und räumlicher Verständnisebene bestimmt beispielsweise auch Fees ­Herangehensweise an Phil 4,5. Das Adverb ἐγγύς habe „either ‚spatial‘ or ‚temporal‘ connotations, depending on the context“ (Phil 407 Anm. 32). Dabei erwiesen sich Aussagen wie 4,5 als „totally ambiguous“ (ebd.). Auch Focant 187 stellt seine Beschäftigung mit der ἐγγύς-Aussage unter die auf Abgrenzung abhebende Leitfrage: „Faut-il comprendre ἐγγύς dans un sens temporel ou spatial?“, erwägt ebd. aber abschließend, dass eine einseitige Entscheidung womöglich nicht notwendig sei („Il n’est peut-être pas nécessaire de choisir“). Noch deutlich entschlossener votiert Bockmuehl 246 für eine Verknüpfung beider Ebenen und sieht räumliche und zeitliche Dimensionen gleichermaßen berührt. 86 Für Böhme, Kulturwissenschaft, 191 ist es „immer verkehrt, Raum und Zeit gegeneinander auszuspielen, die in jedem kulturellen Element miteinander verflochten sind“. 87 Mit Vollenweider, Politische Theologie, 458.

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Situation ein, wenn man einen weiten Begriff von politischer Theologie zugrunde legt. Ein solcher Begriff hat „das breite Spektrum von Willensbildung, von Entscheidungen und Handlungen sozialer Kollektive“ im Blick. Unter dieser Perspektive gewinne die Tatsache an Bedeutung, dass Paulus seine ekklesiologischen Überlegungen „vielfach im Kontext der politischen Sprache und der sozialen wie politischen Ideale seiner Zeit artikuliert“. Dabei kämen als entscheidender Bezugspunkt der paulinischen Ausführungen die mikropolitischen Strukturen der Stadt infrage.88 Auch John Barclay arbeitet bei seiner kritischen Auseinandersetzung mit politischen Lektüreansätzen der Paulusbriefe mit einem weitgefassten Politikbegriff: „I here use the term ‚politics‘ in a broad sense to denote the sphere of social relations and the exercise of social power, and these in relation both to the church as a community and to society as a whole, though I shall argue that Paul’s integrated perception of reality fuses the political with the personal (and the cosmic) from an angle of vision quite different from ours, and is suggestive, but underdeveloped, in relation to many dimensions of ‚politics‘ in the modern Western sense.“89

Im Licht dieser Begriffsfassung skizziert er den Forschungsstand zu Paul and Empire90 und gelangt nach einer ausführlichen Auseinandersetzung mit den forschungsgeschichtlich einflussreichen Arbeiten von Nicholas Thomas Wright91 zu 88 Die voranstehenden Ausführungen mitsamt den Zitaten: Vollenweider, Politische Theologie, 468; ihm zufolge biete der Phil „nur wenige für die damalige Leserschaft erkennbare Signale, dass er ein Gegenprogramm zum römischen Herrschaftssystem entwirft“ (ebd.). 89 Barclay, Empire, 363 Anm. 2. 90 Barclay, Empire, 364–367; siehe weiter noch Frey, Philipperbrief, 25–28 und ergänzend unter der Perspektive „Verborgener Subtext“ Heilig, Hidden Criticism, 54–67. Nach Krauter, Studien, 28–29 steht diese Forschungsrichtung in „scharfem Kontrast nicht nur zur in der deutschsprachigen Forschung noch immer vorherrschenden reformatorisch geprägten Paulusdeutung, sondern auch zur die englischsprachige Forschung dominierenden New Perspective on Paul“. 91 Neben den Arbeiten von Wright inspirierten vor allem die drei von Horsley herausgegebenen Sammelbände „Paul and Empire“ (1997), „Paul and Politics“ (2000) und „Paul and the Roman Imperial Order“ (2004) diese Forschungsrichtung ganz wesentlich. Darüber hinaus seien aus dem weiten Feld einer anti-imperialen Paulusbrieflektüre, welche teilweise vom postcolonial turn beeinflusst ist, exemplarisch noch folgende Arbeiten genannt: Tellbe, Paul (2001) (ebd. 276: „With regard to its terminology, Philippians is one of Paul’s most political letters“ [zustimmend etwa Vollenweider, Politische Theologie, 458 Anm. 5]), Popkes, Anti-imperiale Deutung (2002), Crossan / R eed, In Search of Paul (2005), Standhar­ tinger, Theologie (2006), Hardin, Galatians and the Imperial Cult (2008), Kim, Christ (2008), Marchal, Politics (2008) oder Kahl, Galatians (2010); speziell zum Phil z. B. Nasrallah, Spatial Perspectives (2012) (ausführlich schon Abschnitt 1.1), Standhartinger, Welt (2013) oder Ebel, πολίτευμα, besonders 157–158 und 166–168 (2015). Kritische Anfragen an anti-imperiale Lektüreansätze finden sich z. B. bei Bryan, Render (2005) oder Omerzu, Politiker (2007); ausführlich hat jüngst Heilig, Hidden Criticism (2015) die Ansätze einer kritischen Würdigung unterzogen, welche mit der Annahme eines verborgenen Subtexts operieren (so etwa Standhartinger in ihrem Aufsatz: Welt [2013] oder in ihrem Philipperbriefkommentar [2021]).

Profilierung meines raum-politischen Lektüreansatzes 

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einer „paradoxical conclusion“: Die paulinische Theologie sei „political precisely in rendering the Roman empire theologically insignificant“92. Das von Paulus verkündete Evangelium erweise sich als subversiv zu sämtlichen römischen Machtansprüchen „by reducing Rome’s agency and historical significance to just one more entity in a much greater drama“93. Der Apostel „reframes reality including political reality, mapping the world in ways that reduce the claims of the imperial cult and of the Roman empire to comparative insignificance.“94 Im Detail beobachtet Barclay für den Philipperbrief: „If the Philippians are to ‚conduct themselves socio-politically‘ (πολιτεύεσθαι, Phil 1.27), this is certainly mapped in contrast to an alternative, but there is nothing to indicate that the alternative is ‚Rome‘. The antithesis of the church is ‚the world‘ with its ‚crocked and perverse generation‘ (Phil 2.15); it contains ‚adversaries‘ (1.28) but there is no textual clue to encourage a construal of these enemies as specifically or even primarly ‚Roman‘. And if, as Paul asserts ‚our πολίτευμα is in heaven‘, this statement is placed as antithesis not to a civic πολίτευμα (in Philippi or Rome), but to the conceptual and psychological commitment to ‚earthly things‘ (οἱ τὰ ἐπίγεια φρονοῦντες, Phil 3.19–20).“95

Aus den Anstößen von Vollenweider und Barclay leite ich folgende Eckdaten für meinen Interpretationsansatz ab: Eine raumpolitische Lektüre des Philipperbriefes, welche wesentlich auf die paulinische Auseinandersetzung mit dem Römischen Reich und dessen Institutionen abhebt, läuft Gefahr, „Paul’s remapping of the cosmos“96 völlig zu verkürzen. Der Apostel setzt aufgrund seiner Christologie deutlich grundlegender und umfassender an. Für ihn ist die Herrschaft des erhöhten Kyrios „destined to operate in every sphere of existence (Phil 2.11)“, sodass das Evangelium inklusive der Überzeugung von der Rechtfertigung der Menschen durch den Glauben an Christus (3,9) in sämtliche Sphären vorstoßen muss. Das Evangelium „penetrates every dimension of life, including what we label ‚political‘, but it declines to separate the political from the personal, the state-power of Sin from interpersonal-power of Sin.“97

92 Barclay, Empire, 387 (beide voranstehenden Zitate); seine Auseinandersetzung mit Wright ebd. 368–387. 93 Barclay, Empire, 386. 94 Barclay, Empire, 386; siehe auch derselbe, Roman Religion and the Emperor, 345–362, besonders 361–362. Ebd. 362 stellt er das völlige Neue und Revolutionäre des Christlichen heraus: „This new ideology did not just challenge Caesar’s divine claims, it offered a radical alternative to the structures of Roman religion and thus of Roman civilisation as a whole.“ 95 Barclay, Empire, 379. 96 Barclay, Empire, 387; weiter ebd.: „This Pauline cartography includes the ‚political‘, but so fuses and enmeshes it with other realities within a broader frame of analysis that it refuses to interpret Rome (or any other empire) on its own terms.“ 97 Alle Zitate dieses Abschnittes: Barclay, Empire, 387.

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Einleitung

Dem so weitreichenden Anspruch des Apostels trage ich dadurch Rechnung, dass ich meiner Analyse einen weiten Politikbegriff zugrunde lege. So verstehe ich unter der politisch-theologischen Dimension des Philipperbriefes die theologische Auseinandersetzung des Apostels mit Willensbildungen, Entscheidungen und Handlungen der sozialen Kollektive in der römischen Kolonie Philippi.98 Paulus präsentiert vom Christusereignis her einen Alternativentwurf zu dortigen Lebensentwürfen und setzt alles daran, dass dieser Entwurf eine sozial fassbare Gestalt gewinnt.99 Damit wird dieser Entwurf im weitesten Sinne auch politisch bedeutsam.100 Mit Peter Müller nehme ich an, dass „die von Paulus gegründeten Gemeinden von außen beobachtet und auf ihr innergemeindliches Ethos befragt“ wurden. Der Apostel wird „zwar nicht zum Politiker“, aber für ihn gilt doch: Dadurch dass er „seinen Glauben ‚im Kontext der politischen Sprache und der sozialen wie politischen Ideale seiner Zeit artikuliert‘, nimmt er faktisch zu den politischen und gesellschaftlichen Diskursen seiner Zeit Stellung und versteht die christlichen Gemeinden als Raum, in dem Gegenerfahrungen zu den herrschenden Verhältnissen möglich werden sollen.“101

Wenn es darum geht, das Verhältnis des paulinischen Gesellschaftsentwurfs zu vorherrschenden Gesellschafts- und Wertvorstellungen in der römischen Kolonie Philippi zu bestimmen, denke ich mit Vollenweider an ein Überbietungsmodell und ein Ringen um die bessere Alternative.102 Ein solches Denkmodell trägt der „Komplexität des Verhältnisses des Apostels und seiner Gemeinden zu den politischen Strukturen hinreichend Rechnung“. Mit diesem Modell ist zugleich keine Vorentscheidung darüber getroffen, ob es zwischen Philippi mit seinen vielschichtigen thrakischen, griechischen, und römischen Prägungen und der dortigen 98 In die voranstehende Aussage ist Vollenweiders Definition von politischer Theologie im Philipperbrief teilweise wörtlich eingearbeitet (siehe schon am Beginn dieses Abschnittes; ebd. auch der Zitatnachweis); siehe beispielhaft etwa seine Beobachtungen zu den herrschaftskritischen Implikationen des Philipperhymnus: derselbe, Raub, 279–283. Die politischen Implikationen dieses Hymnus führt Vollenweider nicht auf eine Auseinandersetzung mit den römischen Kaisern eng, sondern veranschlagt umfassender eine Kritik an hellenistischen Herrscheridealen. 99 Ein Seitenblick auf den Philemonbrief als überaus anschauliches Zeugnis der praktischen Theologie des Apostels: Siehe nur Ebner, Phlm, 171 unter dem Stichwort: „Be-wahrheitung des christlichen Glaubens“. Paulus habe im Phlm „alle Phantasie und Energie eingesetzt, um den christlichen Glaubenstraum für einen getauften Sklaven Wirklichkeit werden zu lassen“ (vgl. weiter ebd. 171–172 zum paulinischen Ausloten von tatsächlichen Gestaltungsspielräumen). 100 Beachtet man bei einer Lektüre der Paulusbriefe deren „own dynamics“ (Barclay, Empire, 383), zeigt sich, dass Paulus’ „theology concerns the subversive and redemptive power of divine grace in Christ, which creates and empowers new communities of social (and therefore broadly political) significance.“ 101 Müller, Phlm, 152 (sämtliche Zitate). 102 Vgl. Vollenweider, Politische Theologie, 469. Ebd. weiter: „Die christlichen Ekklesien verwirklichen das, was eine Polis eigentlich sein sollte – Homonoia, Isonomia, Eleutheria, usw.“

Profilierung meines raum-politischen Lektüreansatzes 

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christlichen Gemeinde „zu einem Wettstreit um das Bessere kommt, oder ob ihr gegensätzlicher Status unausweichlich in eine Kollision mündet“103. Für Vollenweider lässt sich im Philipperbrief „beides beobachten“104. Das Ansinnen des Apostels, zumindest die bessere Alternative anzubieten, greift aber noch weiter. Es berührt auch den „innerchristlichen“ Bereich, möglicherweise weitgehend prophylaktisch. Unabhängig davon, wie man sich in der Frage nach den Gegnern des Paulus im Detail positioniert,105 lässt der Apostel etwa in 3,2–21 doch keinen Zweifel an seiner Grundüberzeugung aufkommen: Sein theologischer Entwurf inklusive seiner „Rechtfertigungslehre“ verarbeite die Vorgaben Jesu umfassend und wegweisend und sei von daher (potentiellen) anderen (juden-)christlichen Deutungsangeboten absolut überlegen.106 Dieser Anspruch ist selbst unter der Annahme noch zu erkennen, Paulus inszeniere die Gegnerbilder etwa in 3,2–21 zur Identitätsvergewisserung der „Wir-Gruppe“. Denn selbst unter der Annahme, dass der Apostel die Kulisse eines bedrängenden Außen (nur) inszeniert, bleibt doch sein Anspruch ungebrochen:107 Sein Lebens- und Gemeinschaftsentwurf „in Christus“ überzeuge unter möglichen extremen Herausforderungen und Anfragen, halte diesen Extremsituationen stand und werde sich durchsetzen. 103 Den gesamten Gedanken nach Vollenweider, Politische Theologie, 469. Er fokussiert die Wettstreitaussage aber nicht ausschließlich auf Philippi, sondern spricht allgemein von „den Städten und den Ekklesien“. 104 Vollenweider, Politische Theologie, 469. 105 Eine instruktive Momentaufnahme maßgeblicher Eckpunkte der vielschichtigen Diskussionen um die Gegner im Philipperbrief gibt Standhartinger 255–258: Es fehle „allen (Re-)Konstruktionen einer oder mehrerer konkreter Oppositionsgruppe(n) in Philippi an eindeutiger Überzeugungskraft“ (ebd. 258). Zugleich nähmen die Stimmen zu, „die ganz auf eine Gegnerhypothese verzichten“. Auf dieser Spur könnten etwa die Gegneraussagen in 3,2.18 dazu dienen, „Konfliktlösungsstrategien bei inhaltlich unterschiedlich schwer gelagerten Differenzen“ zu vermitteln. 106 Selbst unter der Annahme, dass Paulus in 3,2–21 tatsächlich (potentielle) Gegner im Blick hat, ist strittig, ob es sich um (juden-)christliche Missionare handelt und diese möglicherweise den Gegnern in den galatischen Gemeinden (zumindest hinsichtlich des inhaltlichen Standpunktes) nahe stehen: Für die Annahme, „die anvisierten Gegner mit judenchristlichen Missionaren zu identifizieren“, spricht sich etwa Vollenweider, Kreuzfeuer, 652 aus; deutlich zurückhaltender Standhartinger 219 zu 3,2: Der hinter der Invektive „Zerschneidung“ stehende Konflikt könne „inhaltlich die Themen Zugehörigkeit zum Judentum, bestimmte Praktiken wie Verzicht auf Tischgemeinschaft mit nicht-jüdischen Menschen, Kaschrut, Schabbat­ beachtung, eine bestimmte Haltung zur Tora und / oder zu den Gesetzen oder eine spezifische Erlösungslehre beinhalten oder eben auch nichts von alledem“ (Kursivdruck: C. B.). 107 Nach Schmeller, Narrenreden, 189 kann man an Phil 3 lernen, „dass Paulus ein Gegnerszenario entwerfen kann, dem nicht unbedingt eine aktuelle Gegnerschaft entsprechen muss“; für Becker, Polemik, 268 (Hervorhebung: C. B.) ist der dreimalige Aufruf βλέπετε in 3,2 als Aufforderung „an die Gemeinde in Philippi zu lesen, andere – reale oder fiktive – Gruppen als Gegner zu enttarnen und mit Distanz zu betrachten, um sich von ihnen abgrenzen zu können, so wie Paulus dies tut“ (weiter noch ebd. 275–276).

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Einleitung

Sämtliche Deutungsangebote, Gesellschaftsvorstellungen und Werteordnungen in Philippi, welche Paulus mit seinem Ansatz zu überbieten sucht,108 haben unter raumthematischem Betrachtungswinkel eine Grundgemeinsamkeit. Vertreter dieser Entwürfe sind in den Augen des Apostels in Philippi vor Ort (oder werden vor Ort sein) und haben mit dieser Präsenz ihm gegenüber einen erheblichen Standortvorteil. Sie sind in der Lage, vor Ort mit der Gemeinde zu interagieren und diese im direkten zwischenmenschlichen Kontakt von ihren jeweiligen Wertvorstellungen und theologischen Ansätzen zu überzeugen. Paulus hingegen kann aufgrund seiner Gefangenschaft nicht in der Gemeinde leibhaft präsent sein und muss sogar bei einem ungünstigen Prozessausgang damit rechnen, überhaupt nicht mehr nach Philippi reisen zu können. So ist er darauf angewiesen, sein Identitätsmanagementprojekt mittels brieflicher Kommunikation zu betreiben. Er möchte die Gemeinde ihrer eigenen noch jungen Geschichte und Identität „in Christus“ vergewissern und sie gegen sämtliche übergriffige Einflussnahmen von außen stabilisieren. Dabei denkt er an Beeinflussungen sowohl aus der nichtchristlichen als auch aus der innerchristlichen Mitwelt und setzt so umfassend an, dass er auf gegenwärtige Situationen genauso schaut wie auf potentielle künftige Szenarien. Mit dieser umfassenden Perspektive trägt der Apostel seiner aktuellen Gefangenschaftssituation Rechnung. Er kann nicht sicher sein, den Gerichtsprozess unbeschadet zu überstehen. Diese Unwägbarkeiten veranlassen ihn, die Gemeinde umfänglich auf ein breites Spektrum von gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen vorzubereiten; zusätzlich sind es möglicherweise Paulus’ eigene Erfahrungen etwa mit den Gemeinden in Galatien, welche ihn in seinem Vorhaben einer umfänglichen Vorbereitung der Gemeinde bestärken. Anders ausgedrückt: Eine Kommunikation via Brief bildet für den Apostel die zentrale Möglichkeit, seinen Standortnachteil gegenüber möglichen Konkurrenzanbietern in Philippi auszugleichen. Er setzt sich sowohl mit nicht-christlichen Wert- und Herrschaftsvorstellungen als auch mit (potentiellen) konkurrierenden (juden-)christlichen Deutungsangeboten auseinander. Bei dieser kritisch-konstruktiven Auseinandersetzung übernimmt Paulus etwa in 2,3–4 oder 4,5 Handlungsvorstellungen seiner Mitwelt und profiliert diese Vorstellung im Licht seiner Deutung des Christusereignisses. So erweisen sich die dortigen Aufrufe zu Eintracht und Milde als gleichermaßen anschlussfähig und gruppenspezifisch. Diese Polyfunktionalität ist aus strategischen Gründen bedeutsam. Durch ihre Anschlussfähigkeit schlagen diese Aufrufe die Brücke in die Mitwelt der christlichen Gemeinde und erleichtern so den (künftigen) Gemeindemitgliedern, an die Gemeinde „in Christus“ anzuknüpfen und diese Anknüpfung zu verstetigen.

108 Seien diese Vorstellungen nun tatsächlich in Philippi repräsentiert oder auch nur zukünftig vorgestellt oder aber von Paulus eigens inszeniert.

Profilierung meines raum-politischen Lektüreansatzes 

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Das paulinische Bemühen um Inkulturation und Integration hat aber auch eine markante Grenze: So kreativ sich der Apostel mit Wertevorstellungen und Handlungsorientierungen seiner Mitwelt auseinandersetzt, diese in seinem Ansatz kon­ struktiv verarbeitet und seinen Ansatz anschlussfähig und attraktiv macht, so wenig kompromissbereit ist er gegenüber Deutungsangeboten seiner (potentiellen) (juden-)christlichen Gegenspieler. Für Paulus steht außer Frage, dass er den Philippern die legitime, authentische und lebenspraktische Deutung des Christusereignisses bietet und sie in ihm zudem ein nachahmbares Vorbild haben.109 Insgesamt zielt die weite und grundständige Auseinandersetzung mit konkurrierenden Sinnangeboten darauf, seinen eigenen Alternativentwurf einer neuen Gesellschaft „in Christus“ entscheidend zu profilieren und zudem das Wir-Gefühl über die räumliche Distanz hinweg nachhaltig zu festigen, auch angesichts des unwägbaren Ausgangs des bevorstehenden Gerichtsprozesses. Schließlich steht im Hintergrund meiner theologisch-politischen Lektüre des Philipperbriefes auch ein theologisch-aktualisierender Aspekt. Stefan Alkier hat diesen Aspekt in der Diskussion um die politische Dimension der Johannesoffenbarung ins Feld geführt. Deren Lektüre als „Kampfschrift gegen Rom“110 verstelle „den Blick für die theologisch und kosmologisch differenzierte Machtkritik dieses faszinierenden Textes. Arbeitete sie sich nur am Imperium Romanum ab, so hätten wir auch keine theologische Veranlassung, so viel Zeit und Arbeit in ihre Interpretation zu investieren, denn das Imperium Romanum ist Vergangenheit. Wenn das Problem, mit dem dieser Text sich abmühte, längst erledigt wäre, wäre die Johannesapokalypse zwar noch philologisch und auch als historische Quelle interessant, sie hätte aber keine theologischen Impulse für die Gegenwart und die Gestaltung der Zukunft zu geben“111. Sie ist aber dadurch durchaus imstande, aktuelle Gestaltungsimpulse zu geben, dass sie „viel weiter“ ausholt und „so zu grundlegenden theologischen und kosmologischen Einsichten in die Problematik von Machtsphären“112 gelangt. Dies lässt sich auf den Philipperbrief übertragen.113 Paulus holt weit aus und setzt sich im Licht seiner Deutung des Christusereignisses theologisch mit antigöttlichen Herrschafts- und Wertvorstellungen auseinander. Aufgrund dieses weiten Ansatzes gelangt der Brief zu grundsätzlichen theologischen Einsichten in die Problematik von Machtsphären. Da diesen Einsichten streckenweise überaus 109 Ausführlicher: Blumenthal, Inkulturationsbestrebungen (in Erarbeitung). 110 Mit diesem Diktum fasst Alkier, Stadt, 91 und 105 die politische Lektüre der Offb durch Manuel Vogel zusammen. Für Vogel, Buch, 87 fordert die Naherwartung der Offb „ihre Auslegung auf die reichsrömischen Verhältnisse der Jahrzehnte nach Nero“. Dabei gelte Rom für den Verfasser der Offb als „Babylon in Potenz“ und als „Tyrus in unerträglichem Ausmaß“ (ebd.). 111 Alkier, Stadt, 105–106. 112 Alkier, Stadt, 106. 113 Kritisch zu einer solchen Einstufung der Paulusbriefe allgemein etwa Vogel, Buch, 88–89 mit besonderem Verweis auf Röm 13,1–7.

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Einleitung

ambige und teilweise paradoxe Momente innewohnen, bildet eine ambiguitätssensible kritische Würdigung zum Umgang mit Macht- und Herrschaftsstrukturen den Schlusspunkt meiner Raumstudie.

1.4 Ansatz und Fragestellung der Arbeit Meine Studie ist von Impulsen aus dem spatial turn inspiriert und untersucht Raum als theologischen Topos im Philipperbrief. Unter dieser Prämisse frage ich, wie Paulus einzelne Räume in diesem Brief konzipiert, zuordnet und diese Zuordnung im Textverlauf fortschreibt. Von besonderem Interesse ist die Frage, wie er den Raum seiner eigenen Gefangenschaft mit dem (Lebens-)Raum seiner Adressaten in der Kolonie Philippi und dem Himmelsraum als dem gegenwärtigen Aufenthaltsort des universalen Weltenherrn verbindet (2,9–11). Welche Vorstellungen von Macht und Ohnmacht scheinen hinter zentralen Raumzuordnungen im Philipperbrief durch? Was sind Alltagsvorstellungen von Raum und kosmischen Raumzuordnungen, auf denen Paulus aufbauen kann? Die Tatsache, dass Paulus bei der Zuordnung von Himmels- und Erdenraum sowohl den Aspekt der Trennung dieser kosmischen Makroräume zur Geltung bringt114 als auch in den Bahnen der Raumgrenzenüberwindung denkt, ruft die Frage nach literarisch inszenierten Raumzuordnungen im Horizont der Auseinandersetzung mit den realweltlichen Gegebenheiten und räumlichen Trennungen auf den Plan.115 Von daher muss die Frage die Untersuchung durchgehend begleiten, wie Paulus die ihm und seinen Adressaten von außen vorgegebenen realweltlichen räumlichen Rahmenbedingungen im Licht des Christusereignisses zu deuten sucht und neue Formen von Raum(zuordnungen), Raumwahrnehmungen und Vorstellungen von Raumhoheit und Macht aufzubauen sucht. Bedenkt man darüber hinaus, dass Paulus im Philipperbrief weder literarisch inszenierte Raumzuordnungen noch Überlegungen zur Verteilung von Macht und Ohnmacht um ihrer selbst willen oder im Zuge theoretisch-theologischer Reflexionen vornimmt, stehen folgende Aufgaben an: Unter pragmatisch-paränetischer Perspektive ist zu erheben, inwieweit diese literarisch entwickelte neue Sicht auf Raumzuordnungen und Machtverteilungen für den Briefschreiber durch konkrete Handlungen (zumindest ansatzweise) in ein real erfahrbares Geschehen 114 Damit trägt Paulus der alltäglichen Erfahrung Rechnung, dass man trotz der für das antike Weltbild charakteristischen Vorstellung einer Durchlässigkeit der Grenze zwischen Himmels- und Erdenraum als Mensch zu Lebzeiten nicht in der Weise zwischen dem Himmels- und Erdenraum hin- und herwechseln kann wie etwa zwischen dem Innern eines Hauses und dem Freien. 115 Die räumliche Trennung zwischen Paulus, der Gemeinde und dem erhöhten Christus ist einerseits Folge der nachösterlichen Erhöhung Christi in den Himmelsraum und andererseits Resultat der Gefangenschaft des Paulus.

Ansatz und Fragestellung der Arbeit

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überführt ist bzw. werden soll. Ferner ist zu klären, was diese neue Sicht zur Stabilisierung der Gemeinde und zu deren Abgrenzung sowohl gegenüber der paganen Mehrheitsgesellschaft als auch gegenüber konkurrierenden (juden-)christlichen Deutungsangeboten beiträgt; letztere erscheinen Paulus besonders problematisch, bergen sie doch das erhebliche Gefährdungspotential, seine Gemeinde in Philippi in ihrer theologischen Ausrichtung zu verändern und von ihm als ihrem Gründer abrücken zu lassen. Die Frage nach paulinischer Rauminszenierung (literarisch-kognitive Ebene) und Raumproduktion (pragmatische Ebene) zur Verarbeitung gegenwärtiger Trennungserfahrungen lässt sich noch weiter entfalten: Wie trägt die literarische Rauminszenierung im Philipperbrief dazu bei, dass die Gemeinde in Philippi trotz der leiblichen Abwesenheit sowohl des Kyrios als auch des Apostels und trotz des potentiellen Auftretens von Gegnern fest mit Jesus als ihrem Kyrios und mit ­Paulus als ihrem Gründer verbunden bleibt? Im Zuge der Beschäftigung mit diesem Fragenkomplex werden Beobachtungen zur paulinischen Konzeption des Heilsraums ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ als entgrenztem, zugleich aber auch lokal realisiertem, sowohl wirklichem als auch imaginärem Raum eine hochbedeutsame Rolle spielen und den Bogen zurück zur bereits oben gestreiften Frage nach raumproduzierenden Handlungen schlagen lassen. Ist durch die überaus personal gefasste Raumkonzeption klar (= ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ), dass für Paulus der maßgebliche Handlungsanteil zur Etablierung (Vergangenheit) und Aufrechterhaltung (Gegenwart und Zukunft) dieses Raums bei Christus liegt, ist nicht zuletzt wegen der zahlreichen an die philippische Gemeinde gerichteten Handlungsaufforderungen116 dennoch folgender Frage nachzugehen: Inwieweit lässt der Briefschreiber Ansätze einer Verknüpfung der raumkonstituierenden Heilshandlungen Jesu mit den von seinen Briefadressaten eingeforderten Handlungen im Hinblick auf die Aufrechterhaltung dieses Heilsraums ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ auf Erden und dessen realweltlicher Erfahrbarkeit erkennen? Geht man der Frage nach möglichen Vorstellungen einer Gott-menschlichen Interaktion bei der irdischen Aufrechterhaltung und Erfahrbar-Machung dieses Heilsraumes „in Christus“ im Philipperbrief nach, betritt man unweigerlich die soteriologische und ekklesiologische Ebene. Die Beschäftigung mit diesem Fragenkomplex erfolgt in drei Schritten. Zunächst stelle ich Überlegungen zu Raum als mentalem Modell an und nähere mich dem räumlichen Alltagswissen der brieflichen Kommunikationspartner an (Kapitel 2). Das Herzstück meiner Arbeit bildet eine raumthematische Lektüre des Philipperbriefes (Kapitel 3). Diese Analyse führt am Brieftext entlang und sucht 116 In diesem Zusammenhang ist der Appell in 2,5 von besonderer Bedeutung (ϕρονεῖτε), da Paulus an dieser Stelle das eingeforderte Verhalten der Gemeindemitglieder mit dem Verhalten „in Christus“ in Beziehung setzt (ὃ καὶ ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ) und unmittelbar anschließend im Philipperhymnus ausführlich vom grundlegenden (Heils-)Handeln Jesu erzählt.

36

Einleitung

zu zeigen, wie Raum im Textverlauf schrittweise als kognitives Modell entsteht. Eine konsequente Orientierung am Textverlauf vermittelt zudem einen tragfähigen Eindruck, wie und in welchen Sachzusammenhängen sich Paulus etwa mit seiner räumlichen Trennung von der Gemeinde in Philippi auseinandersetzt. Er bearbeitet diese Herausforderung mit immer wieder neuen Akzentuierungen und lässt diese Bearbeitung den gesamten Brief wie eine Grundmelodie durchziehen. Darüber hinaus führt eine Lektüre entlang des Brieftextes vor Augen, wie Paulus bestimmte Raum-Themen (z. B. die Verortung „in Christus“) in seiner Argumentation wiederholt aufgreift, sie aus unterschiedlichen Blickwinkeln ausleuchtet und im Briefverlauf weiterentwickelt. Die raumthematische Lektüre berührt den Bereich der paulinischen Kon­ struktion von Abhängigkeits- und Gehorsamsstrukturen im neuen Heilsraum „in Christus“ (z. B. 1,1 oder 2,7–8.12). Damit entwickelt sich aus der raumthematischen Lektüre die Rückfrage, wie der Apostel mit Macht- und Abhängigkeitsstrukturen umgeht. Diese Umgangsweise leuchte ich ambiguitätssensibel aus und betrachte den paulinischen Ansatz als Entwurf eines Sklaventums Christi (Kapitel 4). Eine Ergebnisbündelung rundet meine Untersuchung ab (Kapitel 5).

Kapitel 2.  Grundlegungen

2.1 Literaturtheoretische Grundlegungen 2.1.1 Ein argumentierender, mahnender und erzählender Brief Beim Schreiben des Paulus an die Gemeinde in Philippi handelt es sich unter formkritischer Perspektive eindeutig um einen Brief. Dieser Brief bildet den einzigen heute noch erhaltenen Bestandteil eines sowohl realen als auch situations­ bezogenen Kommunikationsgeschehens1 aus der Mitte des ersten nachchristlichen Jahrhunderts. Am Textbeginn und -ende weist das Schreiben mit dem brieflichen Präskript in 1,1–2, der brieflichen Danksagung in 1,3–11, dem Grußauftrag in 4,21a, der Grußausrichtung in 4,21b–22 und dem Eschatokoll in 4,23 zentrale, formkonstituierende Merkmale auf.2 Unter Berücksichtigung dieser Rahmendaten gliedere ich den Philipperbrief auf den beiden obersten Ebenen folgendermaßen: Briefeingang (1,1–11)

Präskript (1,1–2) Briefliche Danksagung (1,3–11)

Briefkorpus (1,12–4,20) Korpuseröffnung (1,12–26) Korpusmitte (1,27–4,9) Korpusabschluss (4,10–20)3 Briefschluss (4,21–23)

Grußauftrag (4,21a) Grußausrichtung (4,21b–22) Eschatokoll (4,23)

Auf einer dritten Gliederungsebene unterteile ich die umfangreiche Korpusmitte in fünf Abschnitte:4 1 Von solchen Briefen unterscheidet etwa Klauck, Briefliteratur, 95 den literarischen Brief (siehe seine Bestandsaufnahme ebd. 96–120); siehe ebd. 71–73 seine Überlegungen zu den Grenzen solcher Klassifikationen. 2 Siehe ausführlich zu den brieflichen Formelementen Schnider / Stenger, Studien; speziell zur persönlichen Adressierung des Philipperbriefes ebd. 15 und 18.  3 Anders Klauck, Briefliteratur, 240–241: „Den indirekten Dank für die Gaben in 4,10–20 wird man als Pendant zum Proömium dem Briefschluß zurechnen, der ansonsten durch das Postskript mit Grüßen und Gnadenwunsch in 4,21–23 etwas schwach besetzt wäre.“ 4 Ich begründe die Abgrenzung, wenn notwendig, im Verlauf der Einzelanalysen in Kapitel 3. 

38 Korpusmitte 1,27–4,20

Grundlegungen

Korpusmitte 1 (1,27–2,18) Korpusmitte 2 (2,19–2,30) Korpusmitte 3 (3,1) Korpusmitte 4 (3,2–21) Korpusmitte 5 (4,1–9)

So eindeutig sich die Grundform des Schreibens als Brief bestimmen lässt, so wenig eindeutig lässt sich der Philipperbrief einem bestimmten antiken Brieftyp5 zuordnen.6 Im Textverlauf stößt man auf Anklänge sowohl an den Freundschaftsbrief (z. B. in 1,3–11) als auch an den Beratungsbrief (z. B. in 3,12–16) oder den Dankbrief (z. B. in 4,10–20). Die Forschung hat das Schreiben als familiären,7 tröstenden8 oder administrativen9 Brief eingestuft; ferner sprach sie unter besonderer Berücksichtigung seines paränetischen Charakters von einem „hortatory letter of friendship“10. Ein ähnlich vielgestaltiges Bild ergibt sich, wenn man nach dem Textmodus des Philipperbriefes fragt. Dieser lässt sich über weite Strecken als freundschaftlich-erbauend beschreiben, aber auch als wohlmeinend-mahnend. Das Schreiben weist für Hermut Löhr einen „thematisch mehr andeutende[n] als argumentativ ausführende[n] Charakter“11 auf. Allein von daher stellt sich die Arbeit an einem überzeugenden Gliederungsvorschlag als sehr herausfordernd dar12 und führt regelmäßig zur Frage nach der Einheitlichkeit des Schreibens.13

5 Eine Aufzählung antiker Brieftypen bietet Pseudo-Demetrios. In seinem wohl im dritten nachchristlichen Jahrhundert endredigierten Werk Τύποι Ἐπιστολικοί ist nach Ansicht von Malherbe, Theorists, 4 deutlich älteres Material verarbeitet: Als Zeitspanne der wahrscheinlich zahlreichen Revisionsstufen nennt er ebd. ein Zeitfenster zwischen dem zweiten vorchristlichen bis hin zum dritten nachchristlichen Jahrhundert. Er erwägt ebd. die Möglichkeit, dieses Werk sei „originated in pre-Christian times“ (so z. B. auch Thraede, Grundzüge, 26). Den Text (nach Weicherts Edition) mit englischer Übersetzung bietet Malherbe ebd. 30–41, die Auflistung der 21 von Pseudo-Demetrios unterschiedenen Brieftypen ebd. 32–41. 6 Auch beispielsweise Klauck, Briefliteratur, 241 oder Rosell Nebreda, Identity, 252 sehen im Phil keinen der antiken Brieftypen „in idealtypischer Weise“ umgesetzt (so etwa auch Fitzgerald, Philippians, 142); einen Überblick über die Diskussion geben Standhartinger, ‚Join in imitating me‘, 425–426 oder Focant 45–49. 7 Siehe nur Alexander, Letter-Forms, 95. 8 Siehe z. B. Holloway, Consolation, 2.  9 Etwa Klauck, Briefliteratur, 241. 10 Vgl. nur Stowers, Friends, 107 oder Fee 12. Rosell Nebreda, Identity, 253 nennt Phil „[a] friendly letter“ (ausführlicher ebd. 253–257). 11 Löhr, Philipperbrief, 203. 12 Mit Bockmuehl 20 („very difficult“). 13 Siehe den Forschungsüberblick bei Standhartinger, ‚Join in imitating me‘, 418–426; vgl. zur Diskussion um Briefkompilationen in antiken Briefsammlungen nur Trobisch, Entstehung, Klauck, Compilation oder Schmeller, Cicerobriefe.

Literaturtheoretische Grundlegungen

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Der Philipperbrief – Im Zweifel für die Einheitlichkeit In der seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts anhaltenden Diskussion um die Einheitlichkeit des Philipperbriefes sind nach Ansicht von Michael Theobald die zentralen Argumente ausgetauscht.14 Sämtliche literarkritischen Operationen am Philipperbrief bis hin zu den weit reichenden Teilungshypothesen gehen zumeist von der Beobachtung eines „Stimmungsumschwung[s]“15 zwischen dem Aufruf zur Freude in 3,1a und der mit 3,1b/2 anhebenden Mahnung aus.16 Macht dieser „abrupte Wechsel im Ton“17 die Bestimmung des Beginns eines eventuell eigenständigen (polemischen) Briefes auch leicht und nahezu eindeutig möglich,18 bereitet die Abgrenzung seines Endes doch ganz erhebliche Schwierigkeiten. Als Endpunkte dieses teilweise als Kampfbrief19 titulierten Schreibens werden entweder 3,21,20 (seltener) 4,1 oder aber 4,2–3 genannt; andere Forscher wie Joachim Gnilka oder Michael Theobald rechnen nicht zuletzt wegen der Wiederholung von τὸ λοιπόν in 4,8 auch noch die beiden Verse 4,8–9 diesem Brief zu, nicht aber 4,2–3.21 Die Ausscheidung eines solchen eigenständigen Briefes führe dazu, dass der (verbleibende) Gefangenschaftsbrief „eine viel glattere Gedankenfolge“ (Gnilka)22 zeige und „einen unter epistolographischen wie rhetorischen Gesichtspunkten plausiblen und in sich abgerundeten Aufbau zu erkennen“ (Theobald)23 gebe.24 Über die Ausscheidung eines polemischen Briefes 3,1b/2ff hinaus ist zudem immer wieder erwogen worden, 4,10–20 oder 4,10–20(21–23) als ursprünglich selbständigen 14 Nach Theobald, Philipperbrief, 370. Auch brieftextunabhängige Indizien wie die Notiz im Polykarpbrief vermögen kaum die Beweislast zu tragen (siehe nur Bauer / Paulsen, PolPhil, 116); vgl. darüber hinaus noch die kritische Auseinandersetzung mit Sellews Verweis auf den apokryphen Laodizenerbrief bei Bockmuehl 22. 15 Schnelle, Einleitung, 158. 16 Als ein weiteres Argument zugunsten der Annahme einer Teilung wird mit großer Regelmäßigkeit das Fehlen von Hinweisen auf die Gefangenschaftssituation in 3,2–21 genannt (siehe nur Reumann 3; mit verändertem Akzent z. B. Gnilka 9 [mit Anm. 48]; überaus kritisch zu diesem Argument insgesamt Schnelle, Einleitung, 158); einen umfassenderen, ausgewogenkritischen Überblick über die Argumente zugunsten der Uneinheitlichkeit bzw. Einheitlichkeit des Schreibens bietet Theobald, Philipperbrief, 370–372 bzw. 372–375. 17 Theobald, Philipperbrief, 370. 18 Als Briefbeginn werden entweder 3,1b (z. B.  Theobald, Philipperbrief, 375) oder 3,2 (z. B. Reumann 3) genannt; siehe weiter noch Brucker, Christushymnen, 282 mit den Anm. 10–12. 19 Etwa bei Gnilka 9.  20 So z. B. Reumann 3 (ebd. seine Erwägung: „perhaps parts of 4:1–9“). 21 So z. B. Gnilka 9 oder Theobald, Philipperbrief, 375. 22 Gnilka 8. Ihm zufolge wird durch das Ausscheiden eines polemischen Briefes auch der Nachweis „durchgängiger bestimmter Motive“ im verbleibenden Gefangenschaftsbrief möglich (ebd.; eine Aufstellung solcher Motive: ebd. 8–10). 23 Theobald, Philipperbrief, 376. 24 Auch beispielsweise für Standhartinger, ‚Join in imitating me‘, 426 spricht das in der Forschung zu beobachtende „disagreement regarding the function of the chapter (sc. Kap. 3 [Einfügung C. B.]) in the outline of the entire letter“ für die Ausscheidung dieses Kapitels als eigenständiges Brieffragment. Sie betrachtet dieses Brieffragment (3,2–21 und 4,8–9) als „a sapiential testament written and smuggled out of prison by Paul in a situation of gravest mortal danger“ (ebd. 431–432).

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Dankbrief zu betrachten.25 Folgt man der Annahme, dass Paulus diesen (kurzen) Brief unmittelbar nach Erhalt der in 4,16–17 benannten Gaben abgefasst habe, hätte man in 4,10–20 das wohl älteste (erhaltene) paulinische Schreiben innerhalb seiner Philipperkorrespondenz vor sich.26 Obschon Michael Theobald selbst die Annahme einer Teilung des Philipperbriefes befürwortet und ein eigenständiges Brieffragment 3,1–4,1; 4,8–9 abgrenzt, spricht er sich gegen die Hypothese eines eigenen Dankesschreibens in 4,10– 20 aus. Gegen eine solche Annahme spräche sowohl die Tatsache, dass auch in 4,10–20 ein Gefängnisaufenthalt vorausgesetzt werde, als auch die Beobachtung, dass in 4,14 „exakt die Terminologie der brieferöffnenden ‚Danksagung‘“ aufgenommen werde.27 Die nicht unbeträchtlichen Unterschiede zwischen den vorgeschlagenen Teilungshypothesen lassen darauf schließen, dass vermeintliche Zäsuren im Brieftext selbst vielleicht jenseits des „severe“ bzw. „striking break“ (Bockmuehl)28 am Beginn des dritten Kapitels kaum mit hinreichender Klarheit angezeigt sind. Auch inhaltlich-thematische Abgrenzungen möglicher Einzelschreiben erweisen sich in hohem Maße als interpretationsabhängig und vermögen etwa aufgrund des Aufweises übergreifender Stichwortvernetzungen29 nicht restlos zu überzeugen. Ohnehin ist die Stoßkraft des Kohärenzargumentes („viel glattere Gedankenfolge“) wesentlich von dessen Anwendbarkeit auf die gesamte paulinische Philipperbriefkorrespondenz abhängig.30 Inwieweit es aber auf 25 Siehe mit ausführlicher Herleitung etwa bei Bormann, Philippi, 108–118. 26 So z. B. bei Reumann 3. Er datiert diesen Dankbrief auf „A. D. 54“, während er den in der Gefangenschaft verfassten umfangreichsten Brief auf „late 55 or early 55“ datiert; der Brief 3,2–21 sei „A. D. 55“ entstanden (siehe weiter noch ebd. 16–17). 27 Vgl. Theobald, Philipperbrief, 375–376 (das Zitat ebd. 375). 28 Beide Zitate: Bockmuehl 21.  29 Siehe nur die Rede von den „Teilhabern“/„Genossen“ und der „gemeinsamen Anteilnahme“ (συγ-κοινωνεῖν) in 1,7 und 4,14, die Verwendung von Vertretern aus dem Wortfeld πολιτεύομαι in 1,27 und 3,20 oder den Einsatz von Vertretern aus dem Wortfeld μορφόω (inklusive einzelner Komposita) in 2,6.7, 3,10 sowie 3,21 (zum letztgenannten Aspekt: Brucker, Christushymnen, 288–289). 30 Hinzu kommt noch ein weiterer Aspekt, welchen beispielsweise schon Brucker, Christushymnen, 281–282 oder Witetschek, Enthüllungen, 196 ins Feld geführt haben: Die vorgeschlagenen Teilungshypothesen vermögen mit Blick auf die Ebene der Redaktion der Einzelbriefe kaum zu erhellen, warum ein Redaktor die ursprünglich eigenständigen Briefe, wenn er sie schon nicht parataktisch aneinanderreiht (so vielleicht der Redaktor des 2Kor), unter Inkaufnahme so deutlicher ‚Spannungen‘ wie zu Beginn des dritten Kapitels genau in dieser Weise miteinander verzahnt hat (für Ascough, Associations, 115 hat ein vermeintlicher Redaktor „not very neatly“ gearbeitet; zur Situation in 2Kor: Schmeller, 2Kor 1, 35–36; 38–39). Sehr vage bleibt Theobald, Philipperbrief, 377 in Anlehnung an Schmithals und Gnilka: „Dass in der Redaktion der Aufruf zur Freude (3,1a; 4,4) jetzt den Kampfbrief umgibt, war vielleicht so gewollt“. Auch z. B.  Standhartingers stellt Überlegungen zum Modus der Zusammenstellung der drei Brieffragmente an (‚Join in imitating me‘, 432–434). Allerdings geht sie nicht mehr eigens auf die Frage nach den Spannungen am Beginn des dritten Kapitels auf der Ebene des zusammengestellten Briefes ein. Vielmehr zielen ihre Beobachtungen auf den Aufweis, dass die (Selbst-)Darstellung des Paulus erst in der Briefzusammenstellung „to the depiction of a reli­ gious hero“ werde, „whose exceptional personality and exhortations could lead onto the path to salvation“ (ebd. 435); im ursprünglich eigenständigen testamentarischen Brief (= 3,2–21; 4,8–9) gelte: Paulus „rejects the image of a religious hero whose religious achievment should be the pride of, and example to his followers“ (ebd. 432).

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dieser Gesamtebene zu überzeugen vermag, ist untrennbar mit der Einschätzung der inhaltlich-thematischen Geschlossenheit des eigens abgegrenzten gegnerpolemischen Briefs 3,1ff verknüpft. Und genau an diesem Punkt gehen die Forschungsmeinungen erneut deutlich auseinander: Während etwa Ralph Brucker (Einheitlichkeit des Gesamtbriefes) oder Michael Theobald (Zweiteilung des Gesamtbriefes) von Kapitel 3 als einem in sich „wohlstrukturierten und abgerundeten Stück“31 sprechen – dies würde dann ja auch für den eigenständigen gegnerpolemischen Brief gelten –, weist es für Markus Bockmuehl (Einheitlichkeit des Gesamtbriefes) doch „a number of real or potential tensions“ beispielsweise im Bereich der eschatologischen Konzeptionen auf (3,14 bzw. 20–21).32 Schließt man sich Bockmuehls Einschätzung an, scheint ein eventueller gegnerpolemischer Brief jene thematisch-stilistische Kohärenz vermissen zu lassen, welche man durch sein Ausscheiden für den ‚Gefangenschaftsbrief ‘ zu gewinnen sucht. Trotz dieser exemplarisch vorgeführten kritischen Anfrage an das Kohärenzargument halten sich die Argumente pro bzw. contra eine Teilung des Philipperbriefes aufs Ganze gesehen nahezu die Waage,33 sodass eine Entscheidung nur mit größter Zurückhaltung getroffen werden kann. Für mich sind es vor allem die Unsicherheiten bei der Abgrenzung einzelner Briefe und die Möglichkeiten, Spannungen oder Umschwünge im Tonfall und Textaufbau auch ansatzweise anders zu erklären,34 welche die

31 Theobald, Philipperbrief, 376; vgl. Brucker, Christushymnen, 297 mit weiterer Literatur. 32 Vgl. Bockmuehl 23. 33 In diese Richtung z. B. auch Focant 33. Nach dem Durchgang durch Argumente beider Seiten betont er vor allem die Schwierigkeit, dass Zünglein an der Waage zu finden: „Sur base des arguments échangés, beaucoup soulignent malgré tout la difficulté de faire pencher la balance définitivement d’un côte ou de l’autre.“ Als ein solches Zünglein zugunsten der Annahme der Einheitlichkeit nennt er ebd. die textliche Überlieferungssituation. Die Handschriftentradition „n’atteste aucune autre version de lettre de Paul aux Philippiens que la forme canoniquement adoptée.“ 34 Der Stimmungsumschwung wird teilweise mit Diktierpausen und dem Eintreffen neuer Nachrichten erklärt; andere Auslegungen denken an heute kaum noch einholbare Unwägbarkeiten der paulinischen Gefangenschaftssituation. Für Vollenweider, Dienst, 381 sind selbst solche „Verlegenheitsauskünfte […] im Einzelfall das kleinere Übel im Vergleich mit redaktionellen Manipulationen in der sehr frühen Überlieferungsgeschichte“. Darüber hinaus werden semantische oder literarische Beobachtungen ins Gespräch gebracht wie ein Verständnis von βλέπετε als „schaut an“ anstelle von „hütet euch“ (vgl. zum Letztgenannten schon Kilpatrick, ΒΛΕΠΕΤΕ, 146–148 oder Watson, Analysis, 82); siehe zu einer rhetorischen Erklärung nur Reed, Analysis, 229–265. Nochmals anders setzt Holloway, Verum, 238 an: „[T]he literary critical problem of Phil 3,1:2 disappears in the face of a correct genre analysis.“ Er betrachtet den Philipperbrief als Trostliteratur (vgl. ebd. 241) und wehrt sich folglich gegen jegliche Trivialisierung des Freudenaufrufs in 3,1 (vgl. ebd. 238). Freude sei „in fact ‚a matter of the utmost importance‘“ (ebd. 245) in diesem Paulusbrief. Bei seiner Auseinandersetzung mit literarkritischen Operationen rund um 3,1–2 merkt er an, dass der Freudenaufruf in 3,1 mit dem Appell zum Feststehen im Herrn in 4,1 korrespondiere (vgl. ebd. 237–238). Holloway geht sogar so weit, beide Aufrufe für austauschbar zu halten und erwägt unter literarkritischer Perspektive: „[T]he perceived shift in tone between 3:1 and 3:2 immediately disappears, since the imperatives στήκετε ἐν κυρίῳ and βλέπετε τοὺς κύνας can easily be read together: ‚Finally, my brothers, stand fast in the Lord … [and] Beware of

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Waage leicht zugunsten der Annahme der literarischen Integrität des Philipperbriefes ausschlagen lassen.

So überzeugend es ist, den Textmodus des Philipperbriefes grundlegend als parä­ netisch und ansatzweise argumentierend zu beschreiben, darf darüber Folgendes nicht aus dem Blick geraten: Im Brief finden sich wiederholt kurze erzählende Passagen.35 Dazu gehört neben den Ausführungen über Epaphroditus in 2,25–27 oder dem autobiographischen Abschnitt in 4,15–16 vor allem der Philipperhymnus. Dieser Einschätzung liegt der Erzählbegriff des Hamburger Slawisten Wolf Schmid zugrunde. Ihm zufolge können Texte als erzählend eingestuft werden, wenn in ihnen zumindest eine Zustandsveränderung36 von einer Vermittlungsinstanz präsentiert wird.37 Im Philipperhymnus und den beiden anderen benannten Passagen tritt der Briefschreiber als Vermittlungsinstanz in Erscheinung und the dogs, etc.‘“ (ebd. 238). Es gilt also seiner Ansicht nach: „[I]f χαίρετε ἐν κυρίῳ means roughly the same thing as στήκετε ἐν κυρίῳ, then the literary critical problem of 3:1–2 disappears“ (ebd.). 35 Aktuell hat sich Heilig, Paulus überaus umfänglich zur Frage geäußert, inwieweit man den Apostel als Erzähler einstufen kann (siehe ebd. z. B. 522–525; siehe zur Frage auch schon den von Longenecker herausgegebenen Sammelband: Narrative Dynamics in Paul mit seiner Fokussierung auf Röm und Gal). Gezielt richtet Heilig ein Augenmerk auf die pragmatische Dimension des Erzählens (ausführlich in Kapitel 8 seiner Studie). Nach einer exemplarischen Beschäftigung mit Gal 3,23–25 weist er ebd. 1001 darauf hin, „dass die Intention des Erzählers nicht primär darin besteht, dass die Leser eine bestimmte Ereignisfolge glauben, sondern, dass sie eine bestimmte Bewertung einzelner Handlungsabschnitte übernehmen sollen. Untersucht man die globale Textstruktur ganzer Schriften, zeigt sich außerdem, dass manche Erzählungen bei Paulus überhaupt nicht dem ‚Intentionstyp Glauben‘ zuzuordnen sind – sie zielen vielmehr auf eine Veränderung des Wollens und regen damit zu einem Handeln an (vgl. etwa Gal 1,13– 2,21 vor dem Hintergrund von Gal 4,12)“. Im Horizont von Heiligs Beobachtungen stellt sich etwa für den Philipperhymnus die Frage nach den Funktionen dieser Erzählung im Briefganzen. Textintern regt Paulus durch die Art und Weise, wie er in 2,5 mehrdeutig zum Hymnus überleitet, selbst zur Beschäftigung mit dieser Frage an (mehr in Abschnitt 3.2.2.2). 36 Nach Schmid, Elemente, 4 müssen drei Bedingungen erfüllt sein, damit von einer Zustandsveränderung gesprochen werden kann: (1) Zunächst einmal muss eine temporale Struktur vorhanden sein, welche zumindest einen Anfangs- und einen Endzustand umfasst. (2) Darüber hinaus müssen diese beiden Zustände vergleichbar sein, d. h. sie müssen im Sinne von Identität und Differenz etwas gemeinsam haben. (3) Und schließlich müssen sich die beiden Zustände und die zwischen ihnen liegende Veränderung auf das gleiche Subjekt und Setting beziehen. 37 Schmid, Elemente, 3 vermittelt zwischen einem strukturalistischen, an der temporalen Struktur orientierten Entwurf (Veränderung / Geschehen) und einer traditionellen, ganz auf den Erzähler zugeschnittenen Konzeption (weitergebende Instanz / Mittelbarkeit). Dazu unterscheidet er zwischen narrativ im weiteren und narrativ im engeren Sinn (narrativ im engeren Sinn  =  erzählend): „Narrativ im weiteren Sinne sollen entsprechend der strukturalistischen Konzeption Repräsentationen genannt werden, die die Veränderung eines Zustands oder einer Situation darstellen. Narrativ im engeren Sinne verbindet die Merkmale der strukturalistischen und der klassischen Definition: Die Zustandsveränderung wird von einer Vermittlungsinstanz präsentiert“ (ebd. 3); zur Gleichsetzung: narrativ im engeren Sinn = erzählend siehe ebd. 9.

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präsentiert Zustandsveränderungen wie die Erhöhung Jesu (2,9) oder sein eigenes Aufbrechen zur Evangeliumsverkündigung (4,15). Unter strategischem Betrachtungswinkel erweist sich das Erzählen als polyfunktional. Es dient Paulus etwa dazu, sowohl seine Handlungsanweisungen zu illustrieren und zu begründen (z. B. 2,1–5.6–11) als auch die aktuelle Kommunikationssituation mit der Trennung der Kommunikationspartner zu bearbeiten (z. B. 2,25–27; 4,15–16). Dabei kann er auf das Potential zur Ausbildung einer gemeinschaftlichen Identität setzen, welches dem Erzählen in besonderer Weise innewohnt. Mit dem Ziel, eine raumübergreifende Erzählgemeinschaft zu stabilisieren und der Erfahrung der gegenwärtigen räumlichen Trennung konstruktiv zu begegnen, erzählt er beispielsweise in 4,15–16 von den gemeinsamen Erfahrungen rund um die finanzielle Unterstützung. Außerdem baut er Epaphroditus durch die eindringliche Erzählung von dessen Lebensgefahr als Person auf, die durch ihr Hin- und Herreisen als personales Bindeglied zwischen den räumlich getrennten brieflichen Kommunikationspartnern begriffen werden soll.38 Zentral für den Auf- und Ausbau der raumübergreifenden Erzählgemeinschaft zwischen Paulus und den Philippern ist der Philipperhymnus in 2,6–11. Diese Gründungserzählung der neuen Gemeinschaft „in Christus“ dreht sich wesentlich um Jesu selbstgewählte Kenosis und seine Erhöhung durch Gott. Die Zustandsveränderungen der Selbsterniedrigung bis zum Tod am Kreuz und der Erhöhung stellen die Initialereignisse39 der noch jungen christlichen Heilsgeschichte dar und bilden im Philipperbrief den maßgeblichen Fluchtpunkt für jegliche Näherbestimmung des „in Christus“.

38 Epaphroditus wird von Paulus als Identifikationsfigur gezeichnet, welche die aktuelle Raumtrennung zwischen Paulus und seiner Gemeinde überbrücken kann: Er ist Paulus’ Bruder, Mitarbeiter und Mitstreiter und zugleich Abgesandter der philippischen Gemeinde. 39 Schmid, Elemente, 11 unterscheidet zwischen Zustandsveränderung und Ereignis: Aus einer Menge an Zustandsveränderungen lasse sich eine bestimmte Gruppe ausgrenzen (ebd. 12–13). Unter Rückgriff auf Goethes Definition des Novelleninhaltes als eine ‚ereignete unerhörte Begebenheit‘ können die Mitglieder dieser Gruppe als Ereignisse bezeichnet werden (ebd. 11). Damit eine Zustandsveränderung in diese Gruppe eingeordnet werden kann, muss sie die beiden Grundbedingungen der Faktizität und Resultativität erfüllen (ebd. 12) und zusätzlich noch folgende fünf gradationsfähige Merkmale aufweisen: (1) das Merkmal der Relevanz, (2) das Merkmal der Imprädiktabilität, (3) das Merkmal der Konsekutivität, (4) das Merkmal der Irreversibilität und (5) das Merkmal der Non-Iterativität (ebd. 13–18). Wenn ich den so profilierten Ereignisbegriff hier wähle, um auch die Selbsterniedrigung Jesu zu beschreiben, hebt dies darauf ab, die Einmaligkeit und Einzigartigkeit dieses Vorgangs zu betonen. Damit ist umgekehrt nicht in Abrede gestellt, dass der Präsentation des Tuns Jesu im Hymnus nicht auch eine paradigmatische Funktion zukommt: Mehr zu Polyfunktionalität des Hymnus in 3.2.2.2.

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2.1.2 Narratologische Adaptionen Die Germanistin Katrin Dennerlein hat eine wichtige Studie zur Konzeption, literarischen Erzeugung, Erfassung und Beschreibung von Raum in Erzählungen vorgelegt.40 Damit dieses sehr brauchbare narratologische Konzept für den Philipperbrief insgesamt und nicht nur für dessen erzählende Passagen einsetzbar wird, muss es an einzelnen Punkten modifiziert werden. Dennerlein beschäftigt sich ausführlich mit der Frage der literarischen Raumerzeugung. Dabei nennt sie als einschlägige Mittel auf einer ersten, lexikalischen Ebene den Einsatz von Toponymika wie Asien oder Berlin, Eigennamen wie Blaues Schloss oder Boeing 747, Gattungsbezeichnungen wie Speisezimmer oder Problemviertel, Deiktika wie hier oder da oder andere Konkreta wie Osten und Westen.41 Dass Raum jenseits des Rückgriffs auf solche raumreferentiellen Ausdrücke auch noch anderweitig erzeugt werden kann, veranschaulicht sie an einem Beispiel aus Wolfgang Koeppens Erzählung Tauben im Gras. In dieser Erzählung ist zu lesen: „Frau Behrend hatte es sich gemütlich gemacht. Ein Scheit prasselte im Ofen.“ Obwohl in diesen beiden Sätzen keines der oben genannten lexikalischen Mittel zur Raumerzeugung zum Einsatz gekommen sei,42 impliziere die Erzählung an dieser Stelle durch die Erwähnung des Ofens sehr wohl eine räumliche Situation. Dabei lege die Nennung des Ofens für den Erzähladressaten auf dem Hintergrund seines alltäglichen Weltwissens den Schluss nahe, dass sich Frau ­Behrend in einem Zimmer bzw. in einer Wohnung mit einem Ofen aufhalte. Dieser von der Erzählung geforderte Schlussprozess43 falle in den Kompetenzbereich des Erzähladressaten (Modell-Lesers44), der eine Alltagsvorstellung von Raum mitbringe und diese im Zuge der Textrezeption aktiviere. Unter Einbeziehung dieser Vorstellung obliege es ihm, die in der jeweiligen Erzählung zur Verfügung gestellten Informationen – dies gilt gleichermaßen für 40 Für Dennerlein wird Raum als „ein wahrnehmungsunabhängig existierender Container mit Unterscheidung von innen und außen“ vorgestellt (Narratologie, 60; siehe schon Abschnitt 1.2.1 der vorliegenden Studie). Diese Alltagsvorstellung modifiziert sie zur Gewinnung eines Raumbegriffs für ihre Narratologie des Raumes dahingehend, dass sie den Fokus ihrer Untersuchung auf jene konkreten Räume der erzählten Welt einstellt, welche „konkrete Umgebungen von Figuren sein können“ (ebd. 68–69). 41 So Dennerlein, Narratologie, 77; die Beispiele sind ihrer Tabelle 2 (ebd. 209) entnommen. 42 Der Text spricht nicht explizit von einem Zimmer. Nach Dennerlein, Narratologie, 83 reicht auch die Namensnennung (Frau Behrend) nicht aus, eine bekannte räumliche Situation wachzurufen. Diese Figur werde an dieser Stelle der Erzählung erstmalig genannt. 43 Nach Dennerlein, Narratologie, 83 setzt der Text „offenbar voraus, dass man diesen Schluss zieht und nicht etwa annimmt, Frau Behrend würde mit ihrem Ofen in der Luft schweben.“ 44 Siehe zum Begriff „Modell-Leser“: Dennerlein, Narratologie, 238 s.v. Modell-Leser.

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Textstellen mit und ohne Einsatz raumreferentieller Eindrücke – durch Schlussprozesse zu ergänzen und auf diesem Weg die räumlichen Gegebenheiten der erzählten Welt zu rekonstruieren. Folglich liege der Raum der erzählten Welt „nicht in Form eines festen Codes vor“, sondern entstehe als mentales Modell „aus dem Zusammenspiel zwischen textuellen Informationen, Alltagswissen und Schlussprozessen“45. Wiewohl Dennerlein ihre Annahme von Raum als mentalem Modell aus der Beschäftigung mit Erzählungen gewinnt, muss der Geltungsbereich dieser Annahme keineswegs auf narrative Texte beschränkt werden.46 Modifiziert man ihre Annahme nämlich hinsichtlich des Gegenstandsbereiches dahingehend, dass man nicht spezifisch vom Raum der erzählten Welt her denkt, sondern allgemeiner vom Raum der in einem Text gezeigten oder präsentierten Welt,47 lässt sich Dennerleins Grundannahme auch auf nicht-narrative Texte anwenden. Meine These lautet: Im paränetisch-argumentierenden Philipperbrief liegt die von Paulus gezeigte Welt in Form eines mentalen Modells der Briefempfänger vor. In der Rolle von Dennerleins Modell-Leser sind die Briefempfänger vom Philipperbrieftext unbedingt gefordert, unter aktiver Einbeziehung ihrer Alltagsvorstellung vom konkreten (kosmischen) Raum und Raumzuordnungen die textuellen Informationen zu verarbeiten und so die räumlichen Gegebenheiten der von Paulus gezeigten Welt in ihren gegenseitigen Zuordnungen zu re-konstruieren. Dabei gehe ich davon aus, dass Paulus seiner Adressatengemeinde in Philippi eine Alltagsvorstellung von Raum zugeschrieben hat,48 insbesondere von den kosmischen Makroräumen wie Himmel und Erde und deren gegenseitiger Zuordnung.49 45 Dennerlein, Narratologie, 83. Ihrer Ansicht nach ist ein solcher Schlussprozess auch dann erforderlich, wenn man in einer Erzählung auf raumreferentielle Ausdrücke stößt: Raumreferentielle Ausdrücke wie dort oder da bezeichneten nämlich „nicht per se Raum […], sondern nur dann, wenn sie tatsächlich zur Bezeichnung räumlicher Gegebenheiten der erzählten Welt dienen“ (ebd.). 46 Vgl. zum Folgenden schon Blumenthal, Raum-Politik, 53–55. 47 Die erzählte Welt umfasst für Dennerlein „die Handlung sowie Gesamtheit der Figuren, Objekte und räumlichen Gegebenheiten eines Erzähltextes“ (Narratologie, 241 s.v. Welt, erzählte). Auf dieser Spur haftet dem Begriff Welt über seine kosmisch-räumliche Komponente hinaus ein umfangreiches Spektrum deutlich weitergehender Einzelaspekte an. In Fortschreibung dieser Vorgaben gehe ich davon aus, dass zur gezeigten Welt im Philipperbrief neben der räumlichen Dimension auch die im Text gezeigten Handlungen, die dort gegebenen Handlungsanweisungen sowie die dort vertretenen bzw. kritisierten Wertvorstellungen gehören. Darüber hinaus sollen in Erweiterung von Dennerleins Verständnis unter dem Begriff der gezeigten Welt auch alle im Text selbst produzierten Gegen-Welten subsumiert werden. 48 Diese Annahme basiert auf der Beobachtung, dass Paulus im Philipperbrief Räume wie Himmel und Erde ohne weitere Erklärungen beispielsweise zu deren gegenseitiger Zuordnung nennen kann (z. B. 2,10 oder 3,20). Entsprechende Vorstellungen haben seine Adressaten während ihres Rezeptionsvorgangs zu ergänzen. 49 Der Gemeinde in Philippi schreibe ich die Kenntnis aller einschlägigen Codes und aller notwendigen Kompetenzen zu, um die Operationen erfolgreich durchzuführen, welche der paulinische Brieftext fordert.

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Aufgrund der essentiellen symbolischen Aufladung antiker Weltbilder darf P ­ aulus davon ausgehen, dass sich die Briefempfänger bei diesem kognitiven Rekon­ struktionsvorgang den jeweiligen (kosmischen) Raum nicht als neutrale Kulisse etwa des Christusgeschehens vor Augen geführt haben werden. Vielmehr werden sie „Raum“ unter Aktivierung ihres Weltwissens mit (symbolischen) wertenden Assoziierungen und Attribuierungen hochgradig aufgeladen haben. Über diesen Weg entstand ihr mentales Modell des Raums und der Raumzuordnungen im Philipperbrief. Betrachtet man die stark rezeptions- und adressatenorientiere Annahme, dass Raum im Philipperbrief als mentales Modell der Briefadressaten vorliegt, als ein Gleichungssystem, hat man aus heutiger Perspektive eine Gleichung mit einer Bekannten, einer Unbekannten und einem Annäherungswert vor sich: Textuelle Information Bekannte Größe (Philipperbrief)

+ Alltagswissen Annäherungswert

= Mentales Modell des Raums der gezeigten Welt Unbekannte Größe

Jeglicher Versuch, die Schlussprozesse der paulinischen Gemeinde heute nachzuvollziehen, steht vor einem grundlegenden Problem. Es fehlen sämtliche Angaben zur sozialen, ökonomischen und ethnischen Zusammensetzung der Gemeinde in Philippi, zum Bildungsstand der Gemeindemitglieder sowie zu deren Reaktion auf den Paulusbrief.50 Die einzige heute unmittelbar zugängliche Größe aus dem oben aufgeführten Gleichungssystem ist die textuelle Information selbst, welche aber wiederum gänzlich von der Perspektive des Paulus bestimmt ist. Dieser völligen Verwiesenheit auf den Brieftext samt dessen (einseitiger) Perspektivierung trage ich methodisch dadurch Rechnung, dass ich Dennerleins rezeptions- und adressatenorientierten Zugang zum literarischen Raum um eine Textproduktionsperspektive ergänze. Durch diese Perspektivweitung wird es möglich, konsequent vom Text als dem einzig erhaltenen Zeugnis der Kommunikation zwischen Paulus und seiner Gemeinde ausgehen zu können, ohne durch diesen Zugriff die Grundannahme zu relativieren, dass der Raum der im Brief präsentierten Welt als mentales Mo-

50 Siehe zur Diskussion um die Zusammensetzung der philippischen Paulusgemeinde nur Oakes, Authorities, 223–227 (ausführlicher schon derselbe, Philippians) oder Pilhofer, Philippi 1, 240–245. Letzterem zufolge gehörten der Gemeinde zu Paulus’ Zeit keine Thraker an (nach ebd. 240–241), und auch römische bzw. lateinische Namen sind „eindeutig unterrepräsentiert“ (ebd. 243). Vielmehr setzte sich die Gemeinde „vornehmlich aus Griechinnen und Griechen“ (ebd. 244) zusammen, wobei die Mitglieder der Gemeinde nach Standhartinger, Polis, 149, „at least in the time of Paul, in the lower strata of the city’s society“ einzuordnen sind (so etwa auch Oakes, Authorities, 233–234).

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dell eines Modell-Lesers vorliegt. Konkret orientiere ich mich bei der Analyse der Raumkonzeption der präsentierten Welt bei Paulus an folgender textfokussierter Fragerichtung: Welche Vorstellungen von Raum- und Raumzuordnungen will der Apostel bei seinem Adressaten – theoretisch gesprochen: als dessen mentales Raummodell – erzeugen, und welche Alltagsvorstellungen von Raum kann er voraussetzen? Dass der Philipperbrief seinen Rezipienten tatsächlich Schluss- und Zuschreibungsprozesse zur Rekonstruktion von Raum und Raumzuordnungen abverlangt, zeigt sich exemplarisch an den Aussagen über die paulinische Gefangenschaft in 1,7.14, die Erhöhung Christi in 2,9 oder den Kosmos in 2,15: (1) Im Philipperbrief spricht Paulus wiederholt von seinen Fesseln (τοῖς δεσμοῖς μου). Es sei ἐν ὅλῳ τῷ πραιτωρίῳ bekannt geworden, dass er diese Fesseln um Christi willen trage (1,13). Damit deutet Paulus nicht nur eine womöglich tatsächliche forensische Fesselung an,51 sondern erwartet vonseiten seiner Briefempfänger auch einen räumlichen Schlussprozess. Diese können aus der Verknüpfung der textuellen Information „meine Fesseln“ mit ihrem Weltwissen den Schluss ziehen, dass sich Paulus gegenwärtig in Gefangenschaft (= „in Fesseln“) befindet.52 Die Briefempfänger haben sich Paulus als Menschen vorzustellen, der in seiner realweltlichen, räumlichen Verfügungsgewalt, insbesondere auch hinsichtlich der Realisierungsmöglichkeit seiner Besuchspläne in Philippi, durch staatliche Intervention aktuell erheblich eingeschränkt ist. Darüber hinaus lässt sein Verweis auf τὸ πραιτώριον entweder an seine Bewachung durch Mitglieder der Prätorianergarde denken oder an einen (erzwungenen) Aufenthalt in einer Gefängniszelle innerhalb eines Prätoriums.53

51 So z. B. Fee 92 („most likely Paul was literally chained to his guards“); siehe zum realhistorischen Hintergrund der Fesselung von Gefangenen etwa Rapske, Book, 25–28 und 206–209 sowie Standhartinger, Welt, 147–148. 52 Nach Reumann 152 Anm. 33 ist „unclear“, ob „any chains on Paul were attached to prison walls (as at Philippi, Acts 16:24,26) or to a guard (Eph 6:13–17)“. Obschon in der Antike eine Fesselung im forensischen Bereich „not always necessarily“ (Rapske, Book, 26) mit einer Einkerkerung verbunden war, scheint die Philipperbriefforschung doch weitgehend, teilweise eher stillschweigend, davon auszugehen, dass Paulus bei der Abfassung des Philipperbriefes in einem Gefängnis inhaftiert gewesen sei, ohne genauere Überlegungen zum Haftraum anzustellen (für viele stehen Fee 37, Bockmuehl 32.64 oder Focant 34; ausführlicher und detaillierter zur Gefängnissituation: Standhartinger, Welt, 146–155). 53 Einen Überblick über die diskutierten Bezugsmöglichkeiten von πραιτώριον gibt Löhr, Philipperbrief, 206 (Amtssitz eines kaiserlichen Provinzstatthalters, kaiserliche oder militärische Gebäude auf dem Palatin oder die Kaserne der Prätorianergarde). Mit Blick auf das Syntagma ἐν ὅλῳ τῷ πραιτωρίῳ macht Standhartinger, Polis, 145–146 noch auf einen sprachlichen Befund aufmerksam: Bei den 209 im Thesaurus Linguae Graecae verzeichneten Belegen von ἐν ὅλῳ „none links it to a group of people“ (ebd. 146 mit Anm. 24). Stattdessen finde sich ὅλος in Verbindung „with corpora, for example, the body, a house, writings, life, and other temporal expressions“ (ebd. 146).

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Grundlegungen

πραιτώριον in der Debatte um den Abfassungsort des Philipperbriefes Eine Entscheidung in der πραιτώριον-Frage ist kompliziert, da die Debatte um diesen Begriff in 1,13 eng mit der Diskussion um den Entstehungsort des Philipperbriefes und dessen Datierung verknüpft ist.1 So interpretiert beispielsweise Markus Bockmuehl πραιτώριον als „palace guard“2 und votiert auch deswegen vorsichtig für Rom als Entstehungsort des Philipperbriefes sowie für dessen Spätdatierung („probably after 62“3). Für Hermut Löhr ist die paulinische Angabe ἐν ὅλῳ τῷ πραιτωρίῳ für die Bestimmung von Abfassungsort und -zeit dieses Paulusbriefes „so wichtig wie umstritten“. Er bezieht die paulinische Rede vom πραιτώριον auf ein Gebäude, wobei die Referenz „auf den Amtssitz eines kaiserlichen Provinzstatthalters am nächsten“ liege. Dies könne auf die paulinische Haft in Cäsarea und somit auf eine Spätdatierung des Schreibens verweisen. Verorte man hingegen die Entstehung des Schreibens in Rom, lässt der Begriff πραιτώριον laut Löhr „an kaiserliche oder militärische Gebäude auf dem Palatin oder an die Kaserne der Prätorianergarde“ denken. Sowohl die Verortung des Schreibens in Rom als auch in Cäsarea brächten aber das Problem mit, dass „die angenommene geographische Distanz zwischen Verfasser und Adressaten sich nicht leicht mit dem im Text erkennbaren Austausch vereinbaren“ ließe. Hinsichtlich der Ephesushypothese ist für Löhr das Fehlen von literarischen oder inschriftlichen Belegen für eine Bezeichnung der dortigen Residenz des Statthalters als πραιτώριον kein Argument gegen Ephesus als Abfassungsort des Philipperbriefes: Aufgrund einer vermuteten Stationierung von Prätorianern ebenda4 könnte „man sich analog zu Rom eine Kaserne dieser Elitegruppe oder ein anderes militärisches Amtsgebäude dieser Bezeichnung vorstellen“5. Schwierig sei diese Verortung vielmehr, weil Auskünfte der Apg zu einer ephesinischen Haft des Paulus fehlen.6 1 Laut Bockmuehl 75 ist eine Entscheidung in der πραιτώριον-Frage „of significance for the question of where Paul wrote Philippians“; Focant 78 subsumiert: Die Vertreter der Cäsarea- oder Ephesushypothese „interpretent le mot πραιτώριον comme désignant la résidence du gouverneur de la province“, während der Begriff für die Verfechter der Romhypothese „désigne plutôt le corps de ceux qui forment la garde prétorienne“. 2 Bockmuehl 75; siehe schon ebd. 28: „Indeed we shall see that the syntax of 1.13 seems to demand a reference to people, i. e. the Praetorian Guard at Rome, rather than to a governor’s building in the province“ (Kursivdruck im Original). 3 Bockmuehl 32; zum Entstehungsort erklärt er ebd.: „the case for Rome remains the least problematic“. 4 So Löhr, Philipperbrief, 206 mit Verweis auf Reumann 172. Die Anwesenheit von Mitgliedern der Prätorianergarde in Ephesus sieht Dibelius 64 inschriftlich bezeugt. Die beigebrachten Belege lehnen Bockmuehl 28 oder Fee 34–35 mit Anm. 86 aber als nicht stichhaltig ab. Auf den angeführten lateinischen Inschriften gehe es um „a former member of the guard who is now on police duty on a road outside of Ephesus“ (Fee ebd. Anm. 86). 5 Nach Löhr, Philipperbrief, 206 (dort auch sämtliche Zitate des Abschnittes); Flexsenhar, Echoes, 241 weist auf die nicht eindeutige Referenz von πραιτώριον hin: „Thus, in a cityspace a praetorium could have been isomorphic with a basilica, or the former, as a Roman administrative space was fused with the latter“ (Kursivdruck im Original). Auf dieser Spur bezeichne „the hellenized Latin loanword Paul uses in 1:13 […] a more distinctly Roman toponym in Paul’s Greek city. For the Philippian audience Paul’s Latin must have had a familiar ring“ (ebd. 243). 6 Nach Löhr, Philipperbrief, 206–207.

Literaturtheoretische Grundlegungen

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Aber nicht nur das Nomen πραιτώριον in 1,13, ist zu mehrdeutig, um die Beweislast für eine bestimmte Verortung des Schreibens zu tragen, auch Paulus’ Verweis auf „diejenigen aus dem Haus des Kaisers“ in 4,22 schafft in der Verortungs- und Datierungsfrage kaum mehr Klarheit. Damit sind vermutlich Freigelassene und Sklaven jener sehr umfangreichen kaiserlichen Familie gemeint, zu welcher „alle kaiserlichen Bediensteten vom höchsten Beamten bis zum letzten Sklaven“ gerechnet wurden; und Mitglieder dieser Familie gab es nicht nur in Rom, „sondern auch in allen Provinzen des Reiches, vor allem in deren Metropolen“7. Insgesamt scheinen gegenwärtig Rom und vielleicht noch etwas stärker Ephesus8 die Favoritenrolle in der Verortungsdebatte einzunehmen, wohingegen Cäsarea merklich an Zuspruch verloren hat.9 Samuel Vollenweider lotet den Reiz der beiden favorisierten Verortungsmöglichkeiten für die Textauslegung aus und gelangt zu der Annahme, dass der Philipperbrief bei Veranschlagung der Ephesushypothese „in naher zeitlicher – und damit auch ein gutes Stück weit in thematischer – Nachbarschaft“ sowohl zu 2Kor als auch zu Phlm und Gal gelesen werden könne. Dabei käme die zuletzt genannte Kontextualisierung „vor allem dem Verständnis von Kapitel 3 zugute“. Die Vorzüge der Romhypothese bestünden hingegen darin, dass durch diese Verortung die „Wahrnehmung eines spezifischen Profils von Romanitas und, damit verbunden, einer impliziten politischen Theologie […] markant verstärkt“ würde.10 Ich stelle nicht in Abrede, dass die jeweilige Verortung attraktive Perspektiven für die Auslegung eröffnet. Da aber belastbare textuelle Verortungsindizien fehlen, folge ich Vollenweiders Mahnung, das „Haus nicht auf diesem abschüssigen Boden zu bauen“11. Unabhängig davon, wie man sich in der Frage nach dem Entstehungsort entscheidet,12 kann aus der aktuell unentscheidbaren Diskussion ein basaler Aspekt für den Ansatz der hiesigen Studie festgehalten werden: Beide Kommunikationspartner teilen die zentrale Alltagserfahrung, in einer stark römisch geprägten Mitwelt zu leben. Philippi als „Rome en miniature“13 ist die Lebenswelt der jungen Christengemeinde. Paulus kennt diese Kolonie aus seinem dortigen Gründungsbesuch und erlebt die Macht römischer Behörden zur Zeit der Briefabfassung als Gefangener am eigenen Leib. Stellt man dies in Rechnung, ist dem Apostel eine Beschäftigung mit der Romanitas inklusive einer (impliziten) politischen Theologie zuzutrauen, und zwar ganz unabhängig davon, ob er sich bei der Briefabfassung in Rom selbst aufhält. Paulus reflektiert im Philipperbrief seine (auch römisch geprägten) Mitwelterfahrungen im Licht seiner Christusdeutung 7 Beide Zitate des Abschnittes: Gnilka 182. 8 Siehe nur Theobald, Philipperbrief, 379–380 (für den Gefangenschaftsbrief), ­Müller, Brief, 157–158 oder Schreiber, Chronologie, 160; überaus kritisch zu dieser Verortung: z. B. Fee 35 Anm. 86 („not a single piece of historical evidence in favor of this view“ [Kursivdruck im Original]). 9 Für Cäsarea sprechen sich z. B. Lohmeyer 3 oder Hawthorne / Martin 44 aus; eine Korinthhypothese (vgl. Dockx, Lieu) blieb „sans succès“ (Focant 37). 10 Nach Vollenweider, Dienst, 382 (dort auch sämtliche Zitate). 11 Vollenweider, Dienst, 383. 12 Ich tendiere gegenwärtig Richtung Ephesus. Diese Tendenz berücksichtigt vor allem die Schilderung der paulinischen Reisepläne im Horizont der geographischen Verhältnisse (vgl. z. B. Frey, Philipperbrief, 8). 13 Dies betrifft vor allem das „offizielle Philippi“ (ausführlich in Abschnitt 2.2.2).

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Grundlegungen

und stößt von dort aus zu grundlegenden theologischen Einsichten in die Problematik von Machtsphären vor.14

Eine Entscheidung in der πραιτώριον-Frage ist mit den aktuell zur Verfügung stehenden Quellen also kaum mit Sicherheit möglich.15 Das Bild zur Abfassungssituation des Philipperbriefes wird noch undeutlicher, wenn man nach den Haftumständen des Paulus fragt16 bzw. zu erheben sucht, wie die Gemeinde diese Umstände aus den Briefinformationen rekonstruiert hat: Inwieweit hat die philippische Adressatengemeinde aus den Hinweisen des Paulus, er könne auch im Gefängnis Besucher oder Gaben empfangen und Boten aussenden (2,19.25 oder 4,18), auf weniger extreme Haftumstände geschlossen?17 Oder haben sie in ihrem mentalen Raummodell eine Gefängniszelle mit den üblichen, äußerst lebensfeindlichen Haftbedingungen rekonstruiert?18 Diese Undeutlichkeit lässt sich nicht mehr auflösen. Man kann lediglich begründet vermuten, dass die Gemeinde bei ihrer mentalen Raumrekonstruktion den paulinischen Aufenthaltsort mit Assoziationen von Schande und Unehre aufgeladen hat:19

14 Mehr zu den ausgeprägten Macht- und Abhängigkeitskonstruktionen im paulinischen Entwurf in Kapitel 4 meiner Studie. 15 Die Situation kann sich für die ursprünglichen Briefempfänger ganz anders dargestellt haben, wenn sie um den Ort der paulinischen Inhaftierung gewusst haben und von daher eine eindeutige Zuordnung haben treffen können. 16 Der Frage, inwieweit sich die Gefängnissituation auf die paulinische Formulierungsweise im Philipperbrief ausgewirkt haben kann, geht Standhartinger, Welt, 160–167 ausführlich nach. 17 So z. B. Bockmuehl 64. Er steht ebd. aber Vorstößen kritisch gegenüber, sich die paulinische Haft als eine Art „Hausarrest“ vorzustellen (in diese Richtung geht z. B. Witherington, Friendship, 31–32). 18 Siehe zu den Lebensbedingungen in antiken Gefängnissen etwa Rapske, Book, 196–202 und 209–223 (z. B. Ernährung, Kleidung, Hygiene oder Mortalität). Auf seine Haftbedingungen kommt Paulus nach Ansicht von Standhartinger, Welt, 143 in 1Thess 2,2; 1Kor 4,9–13; 2Kor 6,4–5; 11,23–27 und 12,10 selbst zu sprechen (überaus zurückhaltend zur Deutung von 1Thess 2,2 als ‚Gefängnisaussage‘ etwa Hoppe, 1Thess, 136). Diese Schilderungen seien wiederum mit der Darstellung der paulinischen Haftbedingungen in der Apg „kaum […] vereinbar“ (ebd.). Die Apg minimiere die Auswirkungen der Gefängnisaufenthalte auf den Apostel „systematisch“ (ebd. 142) und habe damit „gleichwohl die Auslegung des Philipperbriefes geprägt“ (ebd. 143). Diesen Tendenzen hält Standhartinger ebd. 165–166 entgegen: Der Philipperbrief zeige in 1,1–3,1; 4,1–7 (20–23) „die Wirklichkeit antiker Gefängnishaft mit Fesselung, Hunger, Folter und todesbedrohlichen Verhältnissen und den Gefahren willkürlicher Gerichtsverfahren“. 19 Der zuletzt genannte Aspekt holt den Vorgang der symbolischen Aufladung des Raumes ein: „Prisons were naturally places to which strong associations of dishonour or shame attached in the ancient world“ (Rapske, Book, 288). Als Exekutionsorte seien sie „closely associated with death“ (ebd. 220); ebd. 288–291 mehr zum Zusammenhang von Gefängnis, Fesseln und Schande; siehe darüber hinaus zu „Suicide and Shame“ im Gefängnisalltag: Wansink, Chained, 58–61.

Literaturtheoretische Grundlegungen

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Textinformation:

Schlussfolgerung

Paulus spricht wiederholt von seinen Fesseln (τοῖς δεσμοῖς μου).

Paulus befindet sich (gefesselt) in einer Gefängniszelle, in einem Raum der Schande, und kann aufgrund seiner Inhaftierung durch die römischen Behörden nicht frei über seinen Aufenthaltsraum verfügen.20

Weltwissen der Briefadressaten: Fesseln implizieren Haft und höchstwahrscheinlich eine Gefängniszellensituation. Ein solcher Raum ist ein Raum der Schande.

(2) Der Hymnus spricht in 2,9 von der Erhöhung Christi und beschreibt diesen Vorgang mit ὑπερύψωσεν als eine vertikale Aufwärtsbewegung.21 Ohne dass der Text ausdrücklich von Räumen spricht, impliziert diese Aufwärtsbewegung doch einen Raumwechsel und fordert die Adressaten zu einer kognitiven Raumrekonstruktion auf. Verknüpfen sie die Textinformationen (μέχρι θανάτου δὲ σταυροῦ und ὑπερύψωσεν) mit ihrem Vorwissen über Jesu Tod und Auferstehung,22 können sie zu einer „räumlichen“ Schlussfolgerung gelangen: Christus, der zuvor auf Erden auf Golgota am Kreuz starb, wechselte durch Gottes Handlungsinitiative in den Himmelsraum hinüber. (3) Mit der Präpositionalphrase ἐν κόσμῳ steckt Paulus in 2,15 jenen Bereich ab, in welchem seine Briefadressaten wie Lichter leuchten sollen: φαίνεσθε ὡς φωστῆρες ἐν κόσμῳ. Damit schreibt er die Verortung der Philipper inmitten der verkehrten, verdrehten und verdorbenen Zeitgenossen fort (μέσον γενεᾶς σκολιᾶς καὶ διεστραμμένης).23 Die Abfolge der Begriffe γενεά und κόσμος lässt 20 Nach Rosell Nebreda, Identity, 214 Anm. 161 ist die „idea of imprisonment as a shame­ ful state […] present in the letter“; seiner Ansicht nach galt eine Inhaftierung vor dem eigentlichen Prozess im antiken Mittelmeerraum als „a sure sign of culpability of the prisoner.“ 21 Das Verb ὑψόω „deckt das Wortfeld aufheben, erheben, erhöhen in wörtl. und metaphorischem Gebrauch ab“ (Frenschkowski, Art. ὑψόω, 983 [im Original: Kursivdruck]). Die Hinzufügung von ὑπέρ verstärkt das bereits dem Simplex zukommende Moment einer vertikalen Aufwärtsbewegung noch vehement („wirklich als Steigerung“ [Bertram, Art. ὑψόω, 607]): ὑπὲρ-ὑψόω als „zur höchsten Höhe erheben“ (Bauer, Wörterbuch, 1678 s.v. ὑπερυψόω; so auch Frenschkowski ebd. 985). So bringt beispielsweise Ps 97,9LXX durch ὑπερυψόω in passivischer Verwendung mit zusätzlicher Steigerung durch σφόδρα die höchste bzw. allerhöchste Erhöhung im Hinblick auf die Verortung Gottes zur Sprache, und dies im Horizont der unmittelbar vorausgehenden ausdrücklichen Thematisierung einer räumlich-kosmischen Komponente (V.9a): „ 9a Denn du bist der Herr, der Höchste über der ganzen Erde (ὁ ὕψιστος ἐπὶ πᾶσαν τὴν γῆν), 9b zur allerhöchsten Höhe erhoben (σφόδρα ὑπερυψώθης) bist du über alle Götter.“ 22 Hier ist etwa an Paulus’ Erstverkündigung während seines Gründungsaufenthaltes zu denken. 23 Syntaktisch gesehen ist der Relativsatz ἐν οἷς φαίνεσθε ὡς φωστῆρες ἐν κόσμῳ von der Verortung der Gemeindemitglieder μέσον γενεᾶς σκολιᾶς καὶ διεστραμμένης abhängig. Diese Verortung nimmt das ἐν οἷς am Beginn des Relativsatzes wieder auf.

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Grundlegungen

beim Kosmosbegriff zunächst an die Bedeutungsfacette „Menschheit“24 denken. Auf dieser Spur kommt es zu einer merklichen personellen Ausweitung vom „verwirrten Geschlecht“ hin zur gesamten Menschheit. Ferner trägt der Kosmosbegriff räumliche Implikationen und fordert die Adressaten auf, den Welten- bzw. Erdenraum25 als Raum für die Umsetzung ihres Auftrags φαίνεσθε ὡς φωστῆρες kognitiv zu rekonstruieren. Die Tatsache, dass Paulus den Kosmosbegriff mit seinem facettenreichen Bedeutungsspektrum zwischen Ordnung, Weltenraum und Menschheit nicht näher erläutert,26 deutet auf Folgendes hin: Er schreibt seinen Adressaten ein Alltagsverständnis dieses Begriffs zu und erwartet, dass sie dieses Verständnis in die kognitive Raumrekonstruktion einbringen. Ganz vergleichbar stellt sich die Situation auch in 2,9 dar. Die Erhöhungsaussage benennt weder die kosmischen Makroräume noch beschreibt sie deren Zuordnung zueinander. Vielmehr fordert sie die Adressaten heraus, ihre einschlägigen Alltagsvorstellung zu aktivieren, mit den textuellen Informationen zu verknüpfen und daraus die notwendigen „räumlichen“ Schlussfolgerungen zu ziehen. Von daher setzt jegliche Beschäftigung mit Raum im Philipperbrief voraus, sich Rechenschaft über maßgebliche Eckdaten der Alltagsvorstellung von (kosmischem) Raum und Raumzuordnungen bei den brieflichen Kommunikationspartnern zu geben.27 Als Frage aus der Perspektive des Briefschreibers formuliert: Welche Alltagsvorstellungen von (kosmischem) Raum und Raumzuordnungen hat Paulus und welche Alltagsvorstellung kann er bei seiner Adressatengemeinde in Philippi voraussetzen?

24 Siehe Bauer, Wörterbuch, 907 s.v. κόσμος 6. 25 Siehe Bauer, Wörterbuch, 907 s.v. κόσμος 3 bzw. 5. 26 In Adams’ Untersuchung zur kosmologischen Sprache bei Paulus spielt 2,15 kaum eine Rolle. Diese Hintanstellung resultiert aus der doch zumindest anfragbaren Einschätzung, dass diese Kosmosaussage „neither theologically nor socio-rhetorically significant enough to the argument of the epistle“ sei (Constructing, 37). 27 Es geht also um die räumliche Facette des Weltbildes der brieflichen Kommunikationspartner und deren (Alltags-)Vorstellungen hinsichtlich der Zuordnung der kosmischen Makroräume. Dabei liegt der singularischen Rede von deren Weltbild die Überzeugung zugrunde, dass sich jenseits individueller Ausprägungen ein kollektiver Grundbestand ausmachen lässt. Die Annahme eines solchen gemeinsamen Bestandes ist nicht nur für das Gelingen der brieflichen Kommunikation erforderlich, sondern legt sich schon aufgrund der Tatsache nahe, dass die römische Kolonie Philippi mit ihrem griechisch-hellenistischen Hintergrund das gemeinsame kulturelle, religiöse und politische Lebensumfeld der Gemeindemitglieder bildet; zudem hat sich Paulus selbst dort mehrere Monate zur Erstverkündigung aufgehalten und kennt das Leben in Philippi durch eigenes Erleben.

Eckdaten des räumlichen Alltagswissens der Kommunikationspartner

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2.2 Eckdaten des räumlichen Alltagswissens der Kommunikationspartner Die Annäherung an das räumliche Alltagswissen der Kommunikationspartner geht vom Kosmosbegriff aus, den Paulus in 2,15 selbst vorgibt. Von diesem Startpunkt aus erhebe ich im Folgenden abwechselnd allgemeine Daten und spezielle Daten zu Philippi. So schaut Abschnitt 2.2.1 auf den Kosmos, den bewohnten Erdenraum und das politische Moment von Raumgestaltung. Abschnitt 2.2.2 stellt den Betrachtungswinkel auf den (Lebens-)Raum Philippi ein. Abschnitt 2.2.3 weitet erneut die Perspektive und legt das Hauptaugenmerk auf gängige Vorstellungen zur Zuordnung der kosmischen Makroräume. Abschnitt 2.2.4 bündelt die gesammelten Daten unter besonderer Berücksichtigung der Situation der philippischen Paulusgemeinde.

2.2.1 Kosmos und Oikumene Der Kosmosbegriff bezeichnet „zunächst eine Qualität“ und konnotiert den Gedanken „eines Ordnungsgefüges“28. Er kann auf eine geordnete Gesamtheit von Einzelteilen abheben, ist „metonymischer Ausdruck für Schmuck“ oder meint die „Rechtsordnung einer Stadt“ oder eine Kampfordnung. Ferner bedeutet κόσμος Welt, Weltsystem oder Weltordnung.29 Der Begriff „geht erst allmählich über in die Bezeichnung der Welt als räumlicher Größe“30, wobei sich Spuren dieser Entwicklung etwa bei Plato finden: In Gorg. 507e erörtert Plato, warum es möglich sei, das All (τὸ ὅλον) als Kosmos zu bezeichnen: „Die Weisen aber sagen, lieber Kallikles, den Himmel und die Erde, die Götter und die Menschen hielten Gemeinschaft, Freundschaft, Ordnungsliebe (κοσμιότητα), Besonnenheit und Gerechtigkeit zusammen; und das All nennt man deshalb Weltordnung (καὶ τὸ ὅλον τοῦτο διὰ ταῦτα κόσμον καλοῦσιν), lieber Freund, nicht Unordnung (οὐκ ἀκοσμίαν) und auch nicht Zügellosigkeit (οὐδὲ ἀκολασίαν)“ (Übersetzung: ­Friedrich Schleiermacher).

28 Wolter, Art. κόσμος, 1891. 29 Die Zitate: Wolter, Art. κόσμος, 1892; siehe zum Bedeutungsspektrum von κόσμος ebd. 1891–1893 sowie Sasse, Art. κόσμος, 868–879 und Adams, Constructing, 42–44 und 80; Adams stellt ebd. 64–75 Überlegungen zur (herrschafts-)legitimierenden Dimension des Kosmosbegriffs an (z. B. „unity“; „harmony“; „beauty“). 30 Wolter, Art. κόσμος, 1891. Ob ein räumlicher Kosmosbegriff bereits in der milesischen Philosophie auftaucht, hängt davon ab, ob man ein Anaximenesfragment als echt einstuft. Diels / Kranz 13 B 2 = R 3: „wie unsere Seele Luft ist und uns dadurch zusammenhält, so umspannt Odem und Luft die ganze Welt (ὅλον τὸν κόσμον)“; siehe Sasse, Art. κόσμος, 869–870.

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Grundlegungen

Seine Sicht auf das Weltall fasst Plato in den Schlussworten des Timaios unter synonymer Verwendung von Kosmos und dem hier als Weltraum oder Weltall zu verstehenden οὐρανός zusammen und konstatiert zum Abschluss seiner Überlegungen περὶ τοῦ παντός: „Mit sterblichen und unsterblichen Lebewesen ausgestattet und erfüllt, ist dieser Kosmos ein sichtbares Lebewesen geworden (ὅδε ὁ κόσμος οὕτω ζῷον ὁρατὸν τὰ ὁρατὰ περιέχον), das Sichtbare umfassend, Abbild dessen, was nur mit der Vernunft erkannt werden kann, ein sinnlich wahrnehmbarer Gott (εἰκὼν τοῦ νοητοῦ θεὸς αἰσθητός), der größte und beste, schönste und vollkommenste, eben diese eine und eingeborene Welt (εἷς οὐρανὸς ὅδε μονογενὴς ὤν)“ (Übersetzung: Hermann Sasse31).

Die pseudo-­aristotelische Schrift „Über die Welt“ bietet später eine Kosmosdefinition, welche auf die vertikale Zuordnung der Einzelräume schaut:32 „Welt (κόσμος) ist also ein Gefüge (σύστημα) aus Himmel und Erde und den Naturen, die in ihnen umfasst werden. Man benennt aber Welt auch noch auf andere Weise als die Aufstellung und Anordnung des Alls (ἡ τῶν ὅλων τάξις τε καὶ διακόσμησις), die von Gott (kommt) und durch Gott bewahrt wird. Deren Mitte (ταύτης δὲ τὸ μὲν μέσον) nimmt, unbeweglich und ruhend, die lebenspendende Erde als Herd und Mutter für Lebewesen vielfältiger Art ein. Was über ihr (τὸ δ᾽ὕπερθεν αὐτῆς) und ganz und allseitig abgeschlossen ist bis zum Höchsten (τὸ ἀνωτάτω), also die Wohnstätte der Götter, wird Himmel (οὐρανός) genannt.“ (Übersetzung: Kai Brodersen).

Im hellenistischen Judentum bedeutet κόσμος auf der Spur des allgemeinen Sprachgebrauchs Welt und Menschheit. Der Begriff umschreibt nach Michael Wolter „v. a. die Gesamtheit der Lebenswelt des Menschen, die diesem zur Verwaltung übergeben ist (Weish 9,3) und über den politische Mächte herrschen können (Sib 3,75–77; 4,65; TestAbrA 10,3: in ihm geschieht Gutes und Schlechtes; s. auch 2Makk 3,12; Weish 17,20f; grBar 7,2)“. Zudem könne Kosmos „die ganze Menschheit kennzeichnen“ (z. B. Weish 10,1; TestAbrA 11,9 oder grEsr 3,6). Beide Bedeutungsfacetten überschnitten sich an Stellen wie 4Makk 8,23 oder 16,18, an denen κόσμος und βίος „miteinander parallelisiert werden“33. 31 Sasse, Art. κόσμος, 871. Er beobachtet ebd., dass die Bedeutung von κόσμος „geradezu in Himmel“ übergehen konnte und verweist etwa auf Isokrates: „die ganze unter dem Himmel (ὑπὸ τῷ κόσμῳ) liegende Erde (τῆς γῆς ἀπάσης)“ (Or. 4.179 (= Panegyrikos); Plato dokumentiert in Tim. 28b terminologische Unsicherheiten: „das ganze Himmelsgebäude nun oder Weltall (ὁ δὴ πᾶς οὐρανὸς ἢ κόσμος) oder welchen anderen Namen es sich am ehesten gefallen lassen könnte, uns soll jeder recht sein“; siehe zu Aristoteles und zur Weiterentwicklung des Kosmosbegriffs in hellenistisch-römischer Zeit beispielsweise Adams, Constructing, 49–58. 32 Die Datierung dieser Aristoteles zugeschriebenen Schrift ist unsicher: „Unbestreitbar sind als terminus post quem nur das Wirken des Aristoteles und als terminus ante quem das Wirken des Apuleius“ (Brodersen, Einführung, 9–10). 33 Der gesamte Abschnitt nach Wolter, Art. κόσμος, 1894 (dort auch die Belegstellen und Zitate). Die Aufnahme von κόσμος in die jüdische Literatur erfolgte „nicht im Kontext kosmologischer Systembildung, sondern in Anknüpfung an den allg. Sprachgebrauch“ (ebd. noch der Hinweis: ausgenommen Philo und andere in Alexandrien entstandene Schriften); siehe zu Philos Kosmosbegriff nur Adams, Constructing, 58–64.

Eckdaten des räumlichen Alltagswissens der Kommunikationspartner

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Schließlich kann der Kosmosbegriff auch den gesamten Erdkreis bezeichnen und rückt damit spürbar in die Nähe von οἰκουμένη.34 Von dieser Nähe zeugen etwa die Charakterisierung Neros als ὁ τοῦ παντὸς κόσμου κύριος35 oder die Aussage über das Friedenswirken des Augustus in Philo, LegGai. 39: „Und nun Dein Urgroßvater, der beste aller Kaiser, die jemals lebten, der als erster Augustus, der Erhabene, genannt wurde um seiner edlen Gesinnung und seines Ranges willen, der den Frieden überall über Land und Meer bis an die Grenzen der Welt ausbreitete (διὰ γῆς καὶ θαλάττης ἄχρι τῶν τοῦ κόσμου περάτων)“ (Übersetzung: Friedrich Wilhelm Kohnke).

Der Begriff Oikumene meint nach Tassilo Schmitt „die bewohnte Erdzone“ in Abgrenzung zur unbewohnten.36 Dabei sei diese Zone „nicht nur geogr., sondern zunächst sozialer Raum, der durch die zumindest grundsätzlich vorausgesetzte Möglichkeit der Bewohner konstituiert ist, untereinander in Verbindung zu treten“37. Auf dieser Spur denkt auch James S. Romm. Er definiert οἰκουμένη als „a region made coherent by the intercommunication of its inhabitants, such that, within the radius of this region, no tribe or race is completely cut off from the people beyond it“38. Antike Erörterungen zur bewohnten Erdzone beschäftigen sich vornehmlich mit Fragen zu deren Ausdehnung und Gestalt sowie zu deren Grenzziehung und Binnendifferenzierung. Einen zeitgenössischen Überblick über entsprechende Spekulationen gibt Strabo in den ersten beiden Büchern39 seiner wohl um die Zeitenwende veröffentlichten Schrift Geographica.40 Er selbst vertritt die Vorstellung, 34 Vgl. zu dieser Nähe z. B. auch Sasse, Art. κόσμος, 879 („κόσμος als ‚Welt‘ im Sinne von Erde, Oekumene, Menschheit“) oder Wolter, Art. κόσμος, 1893 (κόσμος „als Gesamtheit der von den Menschen bewohnten Welt“). 35 Text nach Sasse, Art. κόσμος, 879. 36 Schmitt, Art. Oikumene, 1138 (so z. B. auch Lasserre, Art. Oikumene, 254–255); siehe nur Herodot, Hist. 4.110: „Dort verließen die Amazonen ihre Fahrzeuge und wanderten in bewohntes Gebiet (ὁδοιπόρεον ἐς τὴν οἰκεομένην).“ 37 Schmitt, Art. Oikumene, 1138. Diese Annahme gewinnt er ebd. aus der Beobachtung, dass der οἰκουμένη-Begriff bereits im ältesten erhaltenen Zeugnis bei Xenophanes mit dem Kollektivsubjekt „wir“ (ὑφ᾽ ἡμῶν) verbunden und auf „eine sonst nicht weiter spezifizierte ‚Menschheit‘“ bezogen ist: ἀποτομὴν τῆς γῆς οὐκ οἰκουμένην ὑφ᾽ ἡμῶν (Testimonia [Fragment] 41). Diese Aussage rührt nach Ansicht von Lasserre, Art. Oikumene, 255 „wahrscheinlich von den ersten ion. Geographen (Anaximandros?) her“. 38 Romm, Edges, 37. 39 Strabo setzt sich kritisch mit Eratosthenes’ Erdbeschreibung auseinander (siehe vor allem 1.2–4; 2.1), verteidigt dessen Ansichten gegenüber denjenigen des Hipparchus (1.3; 2.1) und beschäftigt sich sowohl mit Xanthus und Hipparchus (1.3) als auch mit den Positionen zur Einteilung der Erde in fünf bzw. sechs Klimazonen bei Poseidonios (2.2) und Polybius (2.3); siehe zur Eratosthenes- und Poseidoniosrezeption bei Strabo nur Engels, Kulturgeographie, 91–97. 40 Eine Übersicht über die verhandelten Themen in den insgesamt 17 Büchern der Geographica gibt z. B. Clarke, Geography, 195 (ausführlich zu Strabos Raumvorstellung ebd. 197–244); Überlegungen zur Datierung der einzelnen Bände finden sich etwa bei Lasserre, Art. Strabon, 382–384. Er datiert die Stoffsammlung ebd. 382 hauptsächlich auf die Zeit zwischen

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dass die bewohnte Erdzone eine runde, vom Ozean umschlossene Landmasse ist41 und beruft sich dabei auf Homer42; auch bei Plinius dem Älteren (23/24–79 n.Chr) begegnet man dieser Vorstellung der Erde, allerdings mit einer präzisierenden Einschränkung. Er spricht von „unserem Teil der Erde“ (pars nostra terrarum)43 und beschäftigt sich zudem mit Einwänden gegen die Vorstellung einer Kreisstruktur der Erde. Dabei sucht er das Argument der doppelten Länge der Erde in Relation zu ihrer Breite durch Überlegungen zu Randgebieten im Norden und Süden zu entkräften. Diese seien zwar aufgrund der dortigen klimatischen Verhältnisse nicht bewohnbar, gäben der Landmasse aber ihre runde Form.44 Unabhängig von der jeweiligen Einschätzung bezüglich der Form45, Einteilung46 und Anzahl der bewohnten Erde(n)47 wurde die vorfindbare Einteilung der be20 und 7 v. Chr. Eine Erstausgabe sei ca. 7 v. Chr. erfolgt, eine zweite womöglich an Strabos Lebensende (er starb laut Lasserre ebd. „frühestens nach 23“ n. Chr.); ausführlicher zu Strabos Biographie, seiner Selbstpräsentation und dem historischen Hintergrund: Clarke, Search, 92–110 und Pothecary, Expression 235–246. 41 Siehe nur Geogr. 1.1.8: „Dass nun die bewohnte Erde eine Insel sei (ὅτι δὲ ἡ οἰκουμένη νῆσος ἐστιν), ist zuerst der Anschauung und Erfahrung zu entnehmen.“ Eine solche Vorstellung vertrat bereits Hekataios (geb. um 560/550 v. Chr.): Siehe zu dessen Vorstellung von der bewohnten Erde als einer kreisförmigen, von einem Ozean umgebenen Landmasse nur Bunbury, History 1, 144–146; Wiesehöfer, Art, Hectaeus, 111–112 oder West, Art. Hecateus, 649). Strabo spricht von Hekataios beispielsweise in 1.1.1 oder 1.1.11. 42 Wiederholt rekurriert er auf Homer (Geogr. 1.1.2–7) und referiert ebd. 1.1.3 dessen Position: „Und zwar stellt er sie (sc. die gesamte bewohnte Erde [σύμπασαν τὴν οἰκουμένην γῆν]), wie sie auch ist (ὥσπερ ἔστιν), als vom Ozean umspült dar (τῷ ὠκεανῷ περίκλυστον)“; siehe zur Raumthematik bei Homer de Jong, Homer, 21–38 und generell zu fiktionalen (Darstellungs-) Elemente in antiker Geographie: Romm, Edges, 172–214. 43 Nat. Hist. 2.241. Er konstatiert unmittelbar zuvor in Nat. Hist. 2.241, dass er sich nach dem Abschluss seiner Erklärung der Natur nun anschicke, „die Leser über den ganzen Erdkreis (per totum orbem) gleichsam an der Hand zu führen“. Als Einstieg dient ihm dabei die Betrachtung des ‚von uns bewohnten Teils der Erde‘ (pars nostra terrarum), der „auf dem ihn umfließenden Ozean gleichsam schwimmt (ambienti Oceano velut innatans).“ 44 Nat. Hist. 2.245: „Die Breite der Erde aber von Süden nach Norden wird von Isidoros, etwa zur Hälfte kleiner, mit 5462 Meilen berechnet, woraus deutlich wird, wie viel auf der einen Seite die Hitze, auf der anderen Seite die Kälte uns entzogen hat; denn ich glaube nicht, dass an Land etwas fehlt, oder die Erde habe nicht die Gestalt einer Kugel (neque enim deesse terris arbitror aut non esse globi formam), sondern ich nehme an, dass an beiden Enden unbewohnbares und noch nicht entdecktes Gebiet liegt (sed inhabitabilia utrimque inconperta esse).“ 45 Herodot weist die Annahme einer Kreisstruktur der bewohnten Erde harsch zurück (vgl. zur Stoßrichtung dieser Kritik Priestley, Herodotus, 113–114). Er referiert in Hist. 4.36: „Ich muss lachen, wenn ich sehe, wie viele Menschen schon Erdkarten gezeichnet haben, und wie doch keiner die Gestalt der Erde sinnvoll zu erklären wusste. Sie zeichnen den Ozeanfluss rund um die Erde und diese selbst rund, wie abgezirkelt (ἐοῦσαν κυκλοτερέα ὡς ἀπὸ τόρνου). Asien machen sie ebenso groß wie Europa (καὶ τὴν Ἀσίην τῇ Εὐρώπῃ ποιεῦνται ἴσην).“ 46 Etwa im Hinblick auf die Zahl der Kontinente und die Grenzziehung; siehe nur bei Shahar, Josephus Geographicus, 9–10 und 54–64 (speziell zu Herodot) und als Überblick: Zimmermann, Art. Erdteile, 119–122 (zur antiken Diskussion um die Abgrenzung der Erdteile ebd. 121–122). 47 Nach Schmitt, Art. Oikumene, 1139 entstand die Vorstellung, dass es mehrere Oikumenen gebe, „[s]pätestens nach der Feststellung der Kugelgestalt der Erde […] und insbesondere

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wohnten Welt als Folge eines umfassenden göttlichen Ordnungshandelns begriffen. Dahinter standen vor allem Vorstellungen von der gottgewirkten Ordnung des Chaos.48 Bereits Homer verwies darauf, dass die gesamte Welt wegen der Söhne des Kronos dreigeteilt wurde;49 Hesiod schildert in Theog. 881–885 den Antritt der neuen Göttergeneration als Herren der Welt unter dem Königtum des Zeus. Obschon Hesiod den dortigen Lobpreis der Zeusherrschaft auf den kurzen Hinweis beschränkt, dieser habe die Vorrechte und Ehren verteilt (ὃ δὲ τοῖσιν ἐὺ διεδάσσατο τιμάς),50 reicht dieser Hinweis aus, um das zentrale Verdienst seiner Herrschaft anklingen zu lassen: An die Stelle des vorgängigen Chaos51 und der Mühsal des brutalen Kampfes (πόνος) setzte Zeus eine verbindliche Ordnung.52 Diese erscheint aufgrund ihrer Genese allerdings auch „immer irgendwie gefährdet“53. Viele Jahrhunderte nach Homer und Hesiod dokumentieren beispielsweise Vergil oder Aelius Aristides, dass Vorstellungen einer gottgewirkten Raumeinteilung weiterhin lebendig sind.54 So steht Jupiter in Vergil, Aen. 1.279 als Instanz vor Augen, welche den trojanischen Nachfahren das Gebiet der zu gründenden Stadt Rom zuweist und ihnen ein imperium sine fine verheißt; Aelius Aristides spricht im zweiten nachchristlichen Jahrhundert von Zeus als dem Erschaffer des Alls (Ζεὺς τὰ πάντα ἐποίησε καὶ Διός ἐστιν ἔργα ὅσα ἐστὶ πάντα). Dieser habe die vier Regionen der Erde Göttern zugewiesen, damit es keinen gottlosen Raum gebe (τοῖς μέν γε θεοῖς τὰς τέτταρας ἀπέδωκε χώρας ὅπως μηδαμοῦ μηδὲν κενὸν εἴη θεῶν). Die Götter dieser vier Einzelräume agierten wie Hyparchen und Satrapen (οἷον ὕπαρχοί τινες καὶ σατράπαι).55 Vorstellungen einer gottgesetzten Welteinteilung und Gebietszuweisung implizieren Unveränderbarkeit und Unverfügbarkeit. Sie erklären nicht nur, „wieso die nach der Berechnung ihrer in Relation zum Bekannten riesigen Größe“; mehr bei Lasserre, Art. Oikumene, 255. 48 Nach Herodot, Hist. 2.52 vertraten bereits die Pelasger die Ansicht, dass die Götter im Wesentlichen eine ordnende Funktion ausübten: „Sie kannten eben diese (sc. die einzelnen Götter) noch nicht. Sie nannten sie aber Götter danach, dass sie allen Dingen Ordnung verliehen und jegliches richtig verteilten (ὅτι κόσμῳ θέντες τὰ πάντα πρήγματα καὶ πάσας νομὰς εἶχον).“ 49 Il. 15.187–193 „Denn drei Brüder sind wir von Kronos, die Rhea geboren, Zeus und ich und als dritter der Herr der Unteren, Hades. Dreifach ist alles geteilt, und jeder erhielt seine Würde. Ich erlangte, für immer das graue Meer zu bewohnen, als wir losten, und Hades erlangte die Schattenbehausung, Zeus erlangte den weiten Himmel in Äther und Wolken. Aber die Erde ist allen gemein und der hohe Olympos.“ 50 Theog. 885. 51 Theog. 116: ἤτοι μὲν πρώτιστα Χάος γένετ᾽. 52 Vgl. auch Marg, Erläuterungen, 284 (in: Hesiod, Sämtliche Gedichte). 53 Graf, Religion, 480. 54 Siehe zur zentralen Bedeutung von Homer und Hesiod für die griechische Religion nur die kurzen Hinweise bei Graf, Religion, 480 mit Verweis auf Herodot, Hist. 2.53. 55 Siehe Εἰς Δία 5.24–30.

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Welt so ist, wie sie ist“, sondern legitimieren diese Weltordnung zugleich.56 Diese Implikationen mit ihrer ungemein konservierenden und statischen Dimension werden aber immer wieder ausbalanciert. Dazu nutzen etwa Dionysios und Vergil die Vorstellung einer Gott-menschlichen Interaktion bei der Raumaufteilung: (1) Dionysios schreibt in Ant. Rom. 2.74.1–5 Numa, dem legendarischen zweiten König Roms, zu, ein Gesetz zur Festlegung der Grenzen sowohl von privaten als auch von öffentlichen Grundstücken erlassen zu haben. Ein jeder sollte den räumlichen Umfang seines Gutes bestimmen und die Grenzen durch das Aufstellen von Steinen markieren. Diese Steine sollten Jupiter als dem Beschützer der Grenzen geheiligt werden (ἱεροὺς ἀπέδειξεν ὁρίου Διὸς τοὺς λίθους). Entsprechend galt: „Wer einen dieser Grenzsteine wegnahm oder verrückte, der war nach seinen Gesetzen beim Grenzgott verwünscht, sodass ihn ein jeder ungestraft als einen Entheiligten der Gottheit umbringen durfte.“57 (2) Jupiter hat sich nach Vergil, Aen. 1.278 entschieden, Romulus und seinem Stamm weder in Zeit noch Raum Grenzen zu setzen und ihnen eine grenzenlose Herrschaft zu geben (his ego nec metas rerum nec tempore pono: imperium sine fine dedi). Vor diesem Hintergrund zeichnet Vergil Caesar in Aen. 1.287 als Person, die „das Reich bis zum Weltenmeer, seinen Ruhm bis zu den Sternen ausdehnt“ (imperium Oceano, famam qui terminet astris). Aen. 6.792 präsentiert dessen Adoptivsohn Octavianus als Sohn eines Gottes (divus genus), der von neuem für Latium Goldene Zeiten stiften und das Reich ausdehnen wird (proferet ­imperium)58. Beide Beispiele lassen die Überzeugung durchscheinen, dass irdische Machthaber wie Numa59, Caesar oder Augustus im Zusammenwirken mit den Göttern 56 Nach Graf, Religion, 480 (dort auch das obenstehende Zitat) gilt für die von Zeus gegebene Weltordnung, dass sie „vom Menschen nicht leichthin verändert werden“ kann (die Verallgemeinerung dieser Aussage oben im Haupttext stammt von mir). 57 Ant. Rom. 2.74.3–4: εἰ δέ τις ἀφανίσειεν ἢ μεταθείη τοὺς ὅρους, ἱερὸν ἐνομοθέτησεν εἶναι τοῦ θεοῦ ἵνα τῷ βουλομένῳ κτείνειν αὐτὸν ὡς ἱερόσυλον ἥ τε ἀσφάλεια καὶ τὸ καθαρῷ μιάσματος εἶναι προσῇ. Der Aachener Historiker Jörg Fündling wies mich noch auf Folgendes hin: „Hier gehen wir aus der gemeinantiken Idee, dass jede Grenze eine sakrale Komponente hat (temenos ist der abgegrenzte heilige Bezirk und das Landlos eines Kolonisten), näher an die römische heran, dass Grenzen auch gezogen werden können, die das Heilige vom Profanen trennen können.“ Klassischer Fall sei das Pomerium als sakrale Stadtgrenze Roms, deren Erweiterung kaiserzeitlich eng mit dem imperium proferre assoziiert sei. Der Innenraum (domi) werde regelmäßig entsühnt, während draußen (militiae) prinzipiell Kriegszustand herrsche. 58 Aen. 6.791–795: hic vir, hic es, tibi quem promitti saepius audis, Augustus Caesar, divi genus, aurea condet saecula qui rursus Latio regnata per arva Saturno quondam, super et Garamantas et Indos proferet imperium. („Der hier, der ist der Held, der dir, so hörst du es oft, verheißen wird, Augustus Caesar, Sohn eines Gottes: Goldene Zeiten wird er von neuem für Latium stiften in dem Land, wo Saturnus einst König war, über Garamanten und Inder hinaus wird er das Reich ausdehnen“). 59 Hinzu kommen noch die Menschen, die auf Geheiß des Königs Numa raumstrukturierend handeln und ihre Grundstücke abstecken.

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raumstrukturierend und raumexpandierend handeln.60 Damit steht (Herrschafts-) Raum als politische, konstruktivistische und dynamische Größe vor Augen, ohne dass durch diese Dynamisierung die weiter oben beobachtete Legitimationsstruktur ausgehebelt wäre: Einer Raumgestaltung durch irdische Machthaber kommt höchste Legitimation zu, sobald sie in Gott-menschlicher Kooperation geschieht. Der Oikumenebegriff wurde im dritten und zweiten vorchristlichen Jahrhundert im Zuge der zunehmenden Durchsetzung der römischen Herrschaft immens politisch aufgeladen.61 Bereits Polybius bezeichnete die Römer als die Herrscher über die Oikumene62 und stellte ihnen damit die Terminologie „für einen wesentlichen Aspekt ihres Selbstverständnisses zur Verfügung“63: Sie begriffen sich als die maßgebliche Ordnungsmacht auf dem gesamten Erdkreis (orbis terrarum). Ihr Imperium war grundsätzlich unbegrenzt (imperium sine fine) und reichte stets über die durch Verwaltung erfassten Strukturen hinaus. Selbst wenn sich dieses Imperium real als begrenzt präsentierte, wurde der Anspruch auf Hinausversetzung über die Grenzen der verwaltungstechnisch strukturierten Welt konsequent aufrechterhalten.64 Dieser Anspruch wurde noch zusätzlich durch die Überzeugung legitimiert, dass sich „im Kaisertum ein universaler göttlicher Ordnungswille, unabhängig von seiner je aktuellen Durchsetzung, manifestiere“65. 60 Konkret gehören zum raumstrukturierenden Handeln römischer Machthaber z. B. militärische Expansionen, Koloniegründungen oder verwaltungstechnische Strukturierungen (siehe zur verwaltungstechnischen Erschließung des Imperiums durch Vermessung, Grenzziehung und Verkehrswege Kolb, Erfassung, 109–118). 61 Der Oikumene-Begriff wird laut Balz, Art. οἰκουμένη, 1231 in der römischen Zeit „(bes. seit Sulla) […] vor allem unter dem Einfluß des stoischen Kosmopolitismus und des östlichen Imperialismus […] immer mehr zu einem hyperbolischen Begriff für die zentral geleitete und geordnete Welt des röm. Imperiums, den orbis terrae (terrarum), dessen Beherrschung Rom zusteht“ (siehe zur Begriffsentwicklung auch Michel, Art. οἰκουμένη, 159 Anm. 1). Die politische Aufladung des Oikumene-Begriffs zeigt sich beispielhaft in der Charakterisierung Kaiser Neros als σωτὴρ καὶ εὐεργέτης τῆς οἰκουμένης (OGIS 668.5); andernorts heißt er ἀγαθὸς δαίμων τῆς οἰκουμένης (P.Oxy 1021.5ff). Josephus, Bell. 633 nennt den römischen Kaiser den Lenker und Vorsteher des Erdkreises: ὁ τῆς οἰκουμένης προστάτης (vgl. zu Josephus’ Oikumenebegriff: Shahar, Josephus Geographicus, 256–267). 62 Hist. 1.1.5: ἅπαντα τὰ κατὰ τὴν οἰκουμένην οὐχ ὅλοις πεντήκοντα καὶ τρισὶν ἔτεσιν ὑπὸ μίαν ἀρχὴν ἔπεσε τὴν Ῥωμαίων (siehe zur literarischen Verknüpfung von Raum- und Machtthematik bei Polybius: Rood, Polybius, 194–197). 63 Schmitt, Art. Oikumene, 1139; vgl. zur Gleichsetzung von imperium und orbis terrarum nur Kienast, Augustus, 334 oder Kolb, Erfassung, 108 („annähernd Synonyme“); siehe speziell zu Augustus’ Herrschaftsverständnis Mehl, Imperium, 431–464. 64 Der Anspruch, dass die Herrschaft über die gesamte Erde den Römern zusteht, bringt Vergil, Aen. 6.851–853 zum Ausdruck: Tu regere imperio populus, Romane, memento (hae tibi erunt artes), pacique imponere morem, pracere subiectis et debellare superbos („Du, Römer, sollst, dessen sei dir bewusst, Völker unter deiner Hoheit lenken [dies werden die dir verliehenen Gaben sein] und Regeln verordnen dem Frieden: Schonung für den unterlegenen, aber Kampf bis zum Ende gegen den widersetzlichen Feind“). 65 Schmitt, Art. Oikumene, 1139. Jörg Fündling machte mich noch auf folgende Entwicklung aufmerksam: „Das räumliche Wachstum verlagerte sich in stark symbolische Gesten: Ein

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2.2.2 Der Kolonieraum Philippi Zur Zeit des Paulus erleben die Einwohner Philippis den römischen Herrschaftsund Raumgestaltungsanspruch in ihrem Alltag. Ihr Lebensraum ist eine römische Kolonie. Außerdem liegt die epochale Doppelschlacht noch keine 100 Jahre zurück, in welcher Antonius und Octavianus gemeinsam die Anhänger der Republik unter Führung von Brutus und Longinus besiegten. Für Octavianus war dieser Sieg im Jahr 42 v. Chr. eine entscheidende Etappe auf seinem Weg zur Alleinherrschaft über das Imperium Romanum. Der Weg dorthin war endgültig frei, nachdem er seinen vormaligen Verbündeten Antonius in der Schlacht bei Actium 31 v. Chr. vernichtend geschlagen hatte. Octavianus᾽ Kampf zunächst mit und später gegen Antonius hat die Lokalgeschichte Philippis entscheidend geprägt: Hatte Antonius dort bereits nach der Doppelschlacht eine Kolonie unter dem Namen Colonia Victoria Philippensis gegründet, kam es nach 31 v. Chr. zu deren Neugründung durch Octavianus. Kurz nach ihrer Neugründung erhielt die Kolonie den Namen Colonia Iulia Augusta Philippensis.66 Diese Bezeichnung weist sie als „Produkt des Wirkens der gens Julia in ihrem herausragenden Vertreter Augustus“67 aus und verbindet Philippi untrennbar mit der Aufstiegsgeschichte des Octavianus zum römischen Kaiser. Die Absicht, die Verbindung zwischen Koloniegründer und Kolonie zu vergegenwärtigen, hat auch in Weiheinschriften Spuren hinterlassen. So dankt L. Tatinius Cnosus auf einer Weihinschrift auf dem Forum der Quies Augusta.68 Dieser Dank spielt auf die Hoffnung an, dass der göttliche Augustus imstande ist, Ruhe und Erhalt staatlicher Ordnung zu gewähren. Eine Weihinschrift auf dem zwischen dem Forum und der Basilika (B) gelegenen Marcellum verbindet Augustus militärisch unerfahrener Kaiser demonstrierte durch einen Feldzug (zunehmend mit minimalen oder gar keinen Landgewinnen) seine Qualitäten; hinterher behauptete man nur noch die permanente kaiserliche Sieghaftigkeit, aber sie blieb zentral für die Herrschaftsideologie bis in die Spätantike. Es fällt auf, wie stark auf Aeternitas als Inbegriff Roms umgeschaltet wird.“ Als Beispiele für eine solche militärische Profilierung nannte Fündling den „Britannienfeldzug unter Claudius ab 43 n. Chr. (Claudius hat vor seiner Ausrufung 41 keine Ämter mit militärischer Komponente bekleidet) oder die – nicht an Sachargumente gebundene – Vorverlegung der römischen Befestigungen in Britannien auf den Antoninuswall in den Jahren ab 139 (auch Antoninus Pius hatte eine durchweg zivile Karriere hinter sich, ehe er 138 Kaiser wurde).“ 66 Ausführlich zu den historischen und (sozial-)politischen Umständen der Koloniegründung: Bormann, Philippi, 11–29. Chryssanthaki-Nagle, History, 117 nennt 30 v. Chr. als Jahr der Neugründung der Kolonie und datiert deren Namenswechsel „after 27 BCE“. 67 Bormann, Philippi, 62. 68 Siehe Pilhofer, Philippi 2, 260 (Nr. 203/L314): Quieti Aug(ustae). Er schließt sich ebd. (in der hier benutzten zweiten Auflage) dem Vorschlag von Bormann, Philippi, 53 an, die Abbreviatur AUG auf Quies zu beziehen und das Syntagma folgendermaßen zu übersetzen: ‚Der augusteischen Ruhe und Ordnung‘ (anders noch Pilhofer in der ersten Auflage).

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mit Merkur und zeigt Augustus in seiner Schutzfunktion für den wirtschaftlichen Handel.69 Der Anspruch der Koloniegründer auf Raumgestaltung geht in Philippi weit über den rituellen Gründungsakt hinaus. Die beiden zentralen raumgestalterischen Vorgänge einer solchen rituellen Gründung benennt Vergil für die Stadt Segesta als Kolonie Trojas: „Unterdessen bezeichnet Aeneas mit dem Pflug den Umriss der Stadt (urbem designat aratro) und ermittelt durch Los die Wohnstätten (sortiturque domos); ‚dies soll Ilium, dieser Platz Troja sein‘ ordnet er an.“ (Aen. 5.755–757). Die Durchführung dieser beiden rituellen Vorgänge halten zwei Münzreihen für die Gründung der ersten Kolonie Philippi unter Antonius fest.70

Die tatsächliche und konkrete Raumgestaltung zeigt sich nachhaltig und folgenreich in einer erheblichen Beschickung des Gebietes mit italischen Bauern und Kriegsveteranen u. a. aus der Doppelschlacht und der Schlacht bei Actium. Diese beiden Gruppen machen neben Griechen und Thrakern einen bedeutenden Teil der Bevölkerung Philippis aus71. Die Gebietszuweisungen, die mit dieser Beschickung einhergehen, gehen auf Kosten der wichtigsten vormaligen Landbesitzer und strukturieren den sozialen Raum in Philippi massiv um. Es steht zu vermuten, dass vor allem die griechische Führungsschicht betroffen war, besonders wenn sie die Republikaner vor 42 v. Chr. bzw. Antonius und Kleopatra vor 31 v. Chr. unterstützt hat. Darüber hinaus sorgen die Anwesenheit und der beständige Zuzug von Veteranen für ein spürbar militärisches Flair in Philippi.72 Deren Ansiedlung zeugt im „normalen“ Alltagsleben der Kolonie vom Bestreben Roms, die eigene Herrschaft

69 Nach Bormann, Philippi, 51. Die Inschrift bei Pilhofer, Philippi 2, 316 (Nr. 250/L374): Mercurio Aug(usto) sacr(um) („Dem Mercurius Augustus geweiht“). 70 Siehe zu diesen Münzen z. B. Chryssanthaki-Nagle, History, 115–117 (Abbildungen ebd. 116) oder Bormann, Philippi, 31–32. Für Harrison, Excavating, 8 transportieren u. a. diese Münzen mit ihrer Symbolik und Bildsprache die Botschaft, dass „Rome not only rules Philippi but that Philippi as a colony replicates Rome en miniature in Macedonia.“ 71 Philhofer, Philippi 1, 75–76 schätzt die Bevölkerung im ersten und zweiten nachchristlichen Jahrhundert auf circa 5000 bis 10.000 Personen; siehe zu den einzelnen Bevölkerungsgruppen ebd. 88–92, zu maßgeblichen politischen Führungskräften ebd. 92; mehr zur hybriden Dimension der Identität nicht-römischer Bewohner der Kolonie Philippi bei Tsalampouni, Non-Romans (der Untersuchungsschwerpunkt liegt auf der thrakischen Bevölkerung). 72 Für Bormann, Philippi, 28 weisen zahlreiche Inschriften auf die „Bedeutung des militärischen Elementes in der Bevölkerung Philippis“ hin. Kremydi-Sicilianou, ‚Belonging‘ to Rome, 100 hält fest, „that the city was not only a military colony in the first place, but continued to provide soldiers for the Roman army during the empire“ (siehe zum letztgenannten Aspekt auch Gill, Macedonia, 413). Für Philippi und Stobie deutet der numismatische Befund laut Kremydi-Sicilianou darauf hin, „that these cities were keen on proclaiming their military profile as an aspect of their civic identity“ (ebd. 100).

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vor Ort zu sichern, da die Veteranen für römische Interessen (und für die des sie ansiedelnden Feldherrn oder Kaisers) weiterhin mobilisierbar sind.73 Eine Ehreninschrift aus der Flavierzeit deutet darauf hin, dass es einen anhaltenden Zuzug von Veteranen gegeben hat. Diese Inschrift nennt einen Lucius Tationius aus der Bürgerabteilung Vol(tinia) als Ehrempfänger, einen Hauptmann der vierten stadtrömischen Kohorte der Wache (c[enturioni] cohor[tis] IV vigil[um]). Als Absender des Grußes firmieren veterani qui sub eo in vigilib(us) militaver(unt) et honesta missione missi sunt („Die Veteranen, die unter ihm in der Wachkohorte [?] gedient haben und ehrenvoll entlassen worden sind“).74 Die Ansiedlung einer prätorianischen Kohorte in Philippi bezeugen Münzen, deren Datierung allerdings strittig ist.75 Auf der Vorderseite tragen diese Münzen die Aufschrift COHOR(s) PRAE(toria), auf der Rückseite ist zu lesen VIC(toria) AVG(usta) und auf dem Abschnitt PHIL(ippensium).

Kolonien sind ohnehin Instrumente der Herrschaftssicherung. Dies dokumentiert sich für Philippi exemplarisch in den mannigfaltigen Loyalitätsbekundungen der städtischen Elite gegenüber Rom. Die Kolonie erweist sich zur Zeit der Entstehung der paulinischen Christusgemeinde in ihrem öffentlichen Leben als „little Rome“76. Sowohl die Verwaltungsstruktur als auch die öffentlichen Bauten, Inschriften und kulturellen Einrichtungen77 sind lateinisch-römisch geprägt.78 Wei-

73 Ich verdanke diesen Hinweis Jörg Fündling; siehe zu den massiven Herausforderungen bei der Veteranenversorgung Bormann, Philippi, 12–19. 74 Text und Anmerkungen bei Pilhofer, Philippi 2, 258–259 (Nr. 202/L313); er datiert die Inschrift „vor 96“ (ebd. 257). 75 Während Collart, Philippes, 232–233 die Münzen noch in octavianische Zeit datiert – folglich würden diese Münzen die Anwesenheit der Prätorianer in dieser Zeit belegen –, votieren andere für deren Prägung in claudisch-neroischer Zeit (z. B.  Roman Provincial Coinage, 308 Nr. 1651). Für die Mitte des ersten nachchristlichen Jahrhunderts spricht sich auch Χάϊδω Κουκούλη in seinem Bericht zur Ausgrabung dieser Münzen in der Nähe des Dorfes Ποταμοί aus (referiert und übernommen bei Pilhofer, Philippi 1, 84 Anm. 23); noch später setzt KremydiSicilianou, Victoria, 70 und 74–79 diesen Münztyp an. Sie favorisiert die Zeit von Vespasians Aufstieg, welche zugleich „the centennial anniversary of the founding of the colony of Philippi by Augustus“ (ebd. 79) gewesen sei. Die Münzen erinnerten an dieses Gründungsjubiläum (einen instruktiven Abriss über diese Position gibt Chryssanthaki-Nagle, History, 120–121). 76 Reumann 3. Kremydi-Sicilianou, ‚Belonging‘ to Rome, 100 nennt Philippi „the most ‚Romanized‘ city in Macedonia“. Schon Collart prägte das Diktum von Philippi als „Rome en miniature“ (so jetzt etwa auch Focant 40); vgl. zum konkreten Alltagserleben dieser römischen Prägung nur Oakes, Authorities, 233–234, z. B. 233: „But at Philippi, every time you walked into the forum, you saw Rome and its power.“ 77 Man denke nur an lateinischsprachige Aufführungen im Theater: Eine aus dem ersten nachchristlichen Jahrhundert stammende Sarkophaginschrift des Schauspielers T. Uttiedius Venerianus bezeugt die Anwesenheit lateinischsprachiger Schauspieler in Philippi (Nr. 476/L092 [Text und Übersetzung bei Pilhofer, Philippi 2, 552; Anmerkungen ebd. 552–555]). 78 Die Tatsache  – so Jörg Fündling mir gegenüber  –, dass Latein im Inschrifteninventar überrepräsentiert ist, ist Folge der sozialen Umwälzungen bei der Koloniegründung. Ein zuge-

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tere Spuren der Loyalitätsbekundungen finden sich auf Münzen.79 Als Beispiel kann eine unter Kaiser Claudius (41–54 n. Chr.) geprägte Münze dienen. Sie zeigt auf der Vorderseite das Bild dieses Kaisers umrahmt von einigen seiner Titel und Ämterbezeichnungen; auf der Münzrückseite findet sich unterhalb der umlaufenden Aufschrift: COL(onia) AVG(ustae) IVL(ia) PHILIP(ensis) eine Doppelstatue auf einer gemeinsamen Statuenbasis mit der Aufschrift DIVVS AVG(ustus).80 Der Blick auf den DIVVS AVG(ustus) lädt dazu ein, sich dem religiösen Leben in Philippi insgesamt zuzuwenden.81 Dort trifft man neben der Verehrung etwa thrakischer Götter auch auf Elemente römischer Kulte inklusive des Kaiserkultes.82 Eine Verehrung des divus Augustus erinnert die Bewohner Philippis an dessen raumgestalterisches Handeln. Dieses Handeln führte zu Enteignungen und Umsiedlungen und ist in seinen Langzeitwirkungen in paulinischer Zeit weithin spürbar. Die Einstellung der Einwohner Philippis gegenüber diesem Herrschaftshandeln war vermutlich uneinheitlich und stand in unmittelbarem Zusammenhang mit den je eigenen Erfahrungen. Eine kultische Erinnerung an Augustus und seine machtvolle Raumgestaltung wird bei den Profiteuren eine positive Aufnahme gefunden haben. Sie sind daran erinnert, dass sie ihr Wohlergehen (auch) den Eingriffen des Octavianus zu verdanken haben. Die Unterdrückungs- und Ohnmachtserfahrung der ‚Verlierer‘ (z. B. Enteignete, Zwangsumgesiedelte) wird im öffentlichen Alltag überschrieben und durch die normierte offizielle Lesart ersetzt; hinterher bleibt ihnen nur die Dankbarkeit, noch am Leben zu sein.83 zogener Decurio der Kolonie wird öfter geehrt und setzt öfter Inschriften als der deklassierte, nur noch mäßig reiche griechische Erbe reicher Bürger des vorkolonialen Philippi, auf dessen Land nun die Römer sitzen; aus dem Alltagsleben sind hingegen weder Griechisch noch Thrakisch verschwunden. 79 Für Hecking, Elitesoldaten, 27 hat keine andere Stadt, nicht einmal die Provinzhauptstadt Thessaloniki, „derart einseitig kaiserlich-militärische Motive geprägt wie Philippi“; siehe zu Philippi als Münzprägeort die Hinweise bei Chryssanthaki-Nagle, History, 119. 80 Siehe die Abbildung dieser Münze z. B. bei Chryssanthaki-Nagle, History, 119 (Figur 5.14a–b) und ihren Hinweis zur Aufschrift (auch im Hinblick auf die Datierung dieses Münztyps): „Under the reign of Claudius, the coins of Philippi struck after 42 CE added a new element to the image of the statuary group: on the central base where the statues are standing is the inscription DIVUS AUG“ (ebd. 118–119). Chryssanthaki-Nagle überblickt ebd. 115–123 aktuelle numismatische Diskussionen zu Philippi in römischer Zeit und weist ebd. 121 auf das „monotone Bildprogramm“ der dortigen Münzen hin: „The monetary iconography of the double asses, asses and semisses from Augustus to Commodus is generally characterized by a monotonous reproduction of the same iconographic types: statuary group of Augustus, Victoria, and vexilla.“ 81 Bockmuehl 6–8 bietet eine umsichtige Beurteilung der religiösen Mitwelt der philippischen Paulusgemeinde (siehe vor allem ebd. 7); siehe jetzt auch Harrison, Excavating, 18–22. 82 Während die Annahme, dass der Kaiserkult im ersten nachchristlichen Jahrhundert in Philippi praktiziert wurde, weitgehend unstrittig ist, gehen die Einschätzungen bezüglich seiner Bedeutung auseinander: Siehe die unterschiedlichen Einschätzungen bei Bormann, Philippi, 63–64 sowie Tellbe, Sociological Factors, 108–109 einerseits und (wesentlich zurückhaltender) Pilhofer, Philippi 1, 93 andererseits. 83 Beispiele für umgedeutete Geschichte hat sozialhistorisch Spawforth, Greece.

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Schaut man auf die Verteilung verschiedener Kulte über das Gebiet der Kolonie, lässt sich ein Zentrum-Peripherie-Unterschied ausmachen. Die römischen Kulte finden sich stark in „the urban center of the colony“84, beispielsweise im Forum oder Theater, wohingegen man im suburbanen Bereich „a greater variety of gods and a more complex cultural identity“85 begegnet. Diese Tendenz verstärkt sich noch in Richtung der Grenzen der Kolonie und deren unmittelbaren Umgebung. Die dortige Landschaft zeigt „a variety of cults, recalling in certain aspects, the periphery of the town“86. Thrakische oder griechisch-thrakische Kulte spielen dort „a more important role than Greek, foreign or Roman cults“87. Es versteht sich von selbst, dass die Kulte trotz ihrer unterscheidbaren lokalen Verdichtungen nicht hermetisch voneinander abgegrenzt oder beschränkt auf die jeweiligen lokalen Schwerpunkte praktiziert wurden. Cédric Brélaz weist auf eine gewisse Durchlässigkeit (zumindest in der Theorie) hin: „Virtually every deity could, in theory, be worshipped anywhere in the city of Philippi and in its territory, except, perhaps, those of the imperial cult since these rituals were performed in the course of the political life of the community in the public square through priests who were officers of the colony.“88 Aus dem Kreis einheimischer Gottheiten kann der thrakische Reiter als die „thrakische Gottheit par excellence“89 gelten. Seine Verehrung hat in Philippi lange Tradition90. Sie wurde nach der Neugründung der Kolonie Philippi durch die Aufstellung eines eigenen Altares staatlicherseits befördert91 und ist auch in 84 Rizakis, Reconstructing, 42. Dieses Zentrum „was the public space par excellence of the new community and was organized ex novo by the colonial authorities“ (Kursivdruck im Original); mehr ebd. 42–47 (siehe zum Forum und Theater als „sacred spaces“ im Stadtzentrum ebd. 42–43). 85 Rizakis, Reconstructing, 47. 86 Rizakis, Reconstructing, 51. 87 Rizakis, Reconstructing, 51. 88 Brélaz, Thracian, 77. Auf Spuren thrakischer Kulte im Stadtzentrum macht er ebd. 74 aufmerksam und verweist ebd. 74–75 auf die Verehrung römischer Gottheiten (besonders Jupiter Optimus Maximus) außerhalb des Stadtzentrums und im näheren Umland der Kolonie. 89 Pilhofer, Philippi 1, 94; Rizakis, Reconstructing, 51 nennt den Kult des Heros equitans, d. h. des thrakischen Reiters „[t]he most widespread of the local cults, particulary in the country­ side“ (= an der Peripherie der Kolonie). 90 Nach Pilhofer, Philippi 1, 97 hat die Gottheit des thrakischen Reiters in vielen Gegenden lokale Namen (ebd. 93–94) und kommt in Philippi vor allem in der Gestalt des Heros Aulonitis vor (vgl. ebd. 95); siehe zum thrakischen Reiter nur Oppermann, Reitergötter, 510–536 und die Dokumentation der Zeugnisse seiner Verehrung in dem mehrbändigen, in Leiden erscheinenden Corpus Cultus Equitis Thracii (CCET). 91 In der Zusammensetzung der Anhängerschaft dieses Gottes spiegelt sich die Vielschichtigkeit der Bevölkerung Philippis wider: Nach Auskunft des epigraphischen Materials  – so ­Pilhofer, Philippi 1, 98 – wurde der Heros Aulonitis „sowohl von Thrakern als auch von Griechen und Römern“ verehrt; mehr zur sozialen und religiösen Herkunft der Anhängerschaften unterschiedlicher Kulte in Philippi bei Brélaz, Thracian, 77–85.

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paulinischer Zeit „und weit darüber hinaus“92 lebendig. Dabei erhofften die Verehrer des thrakischen Reiters „seine Hilfe nicht nur in dieser Welt, sondern auch nach dem Tod. Sein Kult hatte eine starke eschatologische Komponente.“93 Eine ausgeprägte Jenseitserwartung gehörte auch zur vielleicht ältesten in Philippi verehrten Gottheit, zum Gott Dionysos.94 Dies dokumentiert eine allerdings erst aus dem dritten nachchristlichen Jahrhundert stammende Grabinschrift für ein verstorbenes Kind.95 Dort ist von dessen postmortaler Existenz „in Ruhe verklärt, auf der elysischen Au“ (et reparatus item vivis in Elysiis) die Rede. Nach der auf der Grabinschrift artikulierten Hoffnung wird das verstorbene Kind in ewiger Form weiterleben (a[l]terna vivere forma)96 und – folgt man Dölgers Lesung am Inschriftenende – die glückseligen Gefilde durcheilen (arva beata colas).97 Raumstrukturell betrachtet kommt in dieser Inschrift das Elysium als Ort postmortaler Freuden in den Blick.98 Das Wissen um diesen Ort und das Hoffen auf ein dortiges Weiterleben vermag die Hinterbliebenen im Diesseits zu trösten, während ein tatsächlicher Zutritt erst post mortem möglich ist. 92 Pilhofer, Philippi (BiKi), 15; siehe zur Entwicklung des Heiligtums dieser Gottheit auf dem Berg Pangaion bis hinein ins sechste nachchristliche Jahrhundert: Koukouli-Chryssan­ thaki / Malamidou, Sanctuary, 148–156. 93 Pilhofer, Philippi (BiKi), 15. Eine nur noch fragmentarisch erhaltene Weiheinschrift aus dem 3. Jahrhundert v. Chr. schreibt dem Heros Aulonitis explizit die Erhörung von Gebeten zu: „Dem Heros (Ἥρωνι), der erhört (ἐπηκόῳ)… der Sohn … der Sohn“ (Datierung, Text und Übersetzung: derselbe, Philippi 2, 771–772 [Nr. 618/G565]; nach eigenen Angaben ebd. 771 handelt es sich um eine versuchsweise Lesung). 94 Nach Rizakis, Reconstructing, 54 war der Kult des Heros Aulonitis „closely linked in Thrace with that of Dionysos“. Dass der Gott Dionysos darüber hinaus zusammen mit Ares und Artemis von den Thrakern verehrte wurde, weiß schon Herodot, Hist. 5.7. Er kommt ebd. 5.4 auf Sonderbräuche des thrakischen Volksstamms der Trausi zu sprechen. Dieser Volksstamm ist nach Danoff, Art. Trausi, 931 im südwestlichen Grenzgebiet im Rhodopegebirge nördlich der Krestonen angesiedelt. Was Herodot von der Umgangsweise dieses Volksstamms mit Neugeborenen und Verstorbenen erzählt (5.4), lässt auf eine radikale Gegenüberstellung zwischen einem negativ erfahrenen Diesseits und der Hoffnung auf ein friedvolles Jenseits in diesem Volksstamm schließen: „Um den Neugeborenen sitzen die Verwandten und klagen, wie viele Leiden er in seinem Leben werde ertragen müssen; dabei zählen sie alle menschlichen Plagen auf. Den Verstorbenen aber begraben sie unter Scherz und Freuden und zählen dabei auf, wie vielen Übeln er entronnen ist und jetzt in aller Seligkeit (ἐν πάσῃ εὐδαιμονίῃ) lebt.“ 95 Bromios ist nach Dölger, Dionysoskult, 110 „ein geläufiger Name für Dionysos“. 96 Siehe zur Lesung „a[l]terna“ die Hinweise bei Pilhofer, Philippi 2, 518 (zur Stelle): „CIL, Bücheler: a[e]terna vivere for[ma]. Perdrizet: aeterna“ (weitere Hinweise ebd. 520). 97 Siehe Dölger, Dionysoskult, 107: dum modo (pro meritis arva beata colas). Er übersetzt ebd. 108: „Wenn du nur, wie du’s verdienst, im Gefilde der Seligen wohnst“ (die Inschrift bricht nach dum modo ab [siehe Pilhofer, Philippi 2, 518]). 98 Siehe zur heilvollen Jenseitserwartung im Dionysoskult Bruhl, Liber Pater, 313: „La vie de l’outre-tombe apparaissait à beaucoup d’entre eux sous la forme d’un banquet et d’une orgie sans fin“ (dabei stellten sich die Anhänger das paradiesische Jenseits „sous une forme très matérielle“ vor); zu den negativen Kehrseiten Nilsson, Mysteries, 122 („the belief in the punishments and horrors of the Underworld were integral elements of the Bacchic mysteries“) und Pilhofer, Philippi 1, 106.

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2.2.3 Himmel, Erde und Unterwelt und die Zuordnung kosmischer Makroräume Die punktuelle Beobachtung zu einer möglichen Zuordnung von irdischem Lebensraum und jenseitigem Heilsraum am Ende von Abschnitt 2.2.2 ruft die Frage nach (Alltags-)Vorstellungen von Zuordnungen der kosmischen Makroräume auf den Plan. Dass Paulus in seinem Philipperbrief entsprechende Vorstellungen voraussetzt, geht aus dem Philipperhymnus in 2,10–11a hervor. Ohne weitere Ausführungen oder Konkretisierungen durchschreitet der Hymnus die drei kosmischen Makroräume von oben nach unten und rekurriert auf Himmel, Erde und Unterwelt.

2.2.3.1 Das Drei-Stockwerke-Modell Unter räumlicher Perspektive gehen zahlreiche altorientalische Kosmologien von einer vertikalen Dreiteilung des Kosmos aus. Dies gilt trotz aller Varianz in der ikonographischen bzw. literarischen Umsetzung,99 allen Weiterentwicklungen und Neugewichtungen im Laufe der Zeit sowie allen situativen Zuschnitten.100 Das oberste Stockwerk des Kosmos bildet der Himmelsraum,101 in welchem die Gottheit(en) ihren Platz hat (haben). Darunter liegt der Erdenraum als Raum der Lebenden,102 unter welchem die Unterwelt als Totenreich angesiedelt ist. Auf griechischem Boden unterscheidet Homer im achten vorchristlichen Jahrhundert Himmel, Erde und Meer als die zentralen Bereiche der sichtbaren Welt.103 Diesbezüglich heißt es in der Schildbeschreibung im 18. Buch der Ilias: „Auf ihm (sc. dem zu schmiedenden Schild für Achilleus) schuf er (sc. Hephaistos) die Erde und auf ihm das Meer und den Himmel und die Sonne, die unermüdliche und auch den Vollmond, auf ihm all die Gestirne, mit denen der Himmel umkränzt ist (483–485) … Auf ihn setzt’ er die große Kraft des Okeanos-Stromes rings um den äußeren Rand des fest gefertigten Schildes (607–608)“ (Übersetzung: Roland Hampe). An den „strudelnden Tiefen“ dieses Weltenstromes lokalisiert Hesiod im siebten Jahrhundert v. Chr. die Inseln der Seligen (Op. 171: ἐν μακάρων νήσοισι παρ’ Ὠκεανὸν βαθυδίνην) und lässt damit das mythologische Moment seiner Kosmoskonzeption 99 Siehe die Sammlung ikonographischer Darstellungen etwa bei Keel, Welt, 13–48. 100 Hier ist z. B. für den alttestamentlich-jüdischen Bereich an den Bedeutungsgewinn des Himmelsraums in exilisch-nachexilischer Zeit zu denken (mehr unten im Haupttext). 101 Nach Schoenborn, Art. οὐρανός, 1329 vereinigt das Wort οὐρανός „physische und metaphysische Komponenten“ und bezeichnet alles, „was im lokalen wie im übertr. Sinne oberhalb der Erde und über dem Menschen sich befindet: ‚das Firmament, das Himmelsgewölbe, das Umfassende, das Göttliche‘.“ 102 Siehe für den alttestamentlichen Bereich nur Jes 38,11; 53,8 (mehr bei Ottoson, Art. ‫ארץ‬, 430). 103 Vgl. zum gesamten Petit-Abschnitt: Schwindt, Weltbilder, 11–12.

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durchblicken, während seine Weltbeschreibung in Theog. 720–725 einen „fast rational-metrischen Eindruck“ vermittelt:104 „So tief drunten unter der Erde, wie der Himmel weit ist von der Erde. So weit ist es nämlich von der Erde bis zum dunstigen Tartaros; neun Nächte nämlich und auch Tage fiele ein eherner Amboss vom Himmel herab, am zehnten aber käme er zur Erde; neun Nächte und Tage fiele ein eherner Amboss von der Erde herab, am zehnten aber käme er zum Tartaros“105 (Übersetzung: Walter Marg).

Die wesentlich auf „dem Primat der menschlichen Wahrnehmung“106 beruhende altorientalische Stockwerke-Konzeption bestimmt grundlegend die Vorstellungen von der räumlichen Gestalt des Universums in den alttestamentlichen Schriften.107 Dabei lässt die Verteilung der Himmelbelege über die einzelnen Schriften die Annahme zu, dass der Himmel in älterer Zeit in Israels theologischer Reflexion „offenbar nur eine geringe Rolle“ spielte, während er mit dem Dtn und der Literatur der Exilszeit „zu einem wichtigen Gegenstand des theologischen Interesses“ wurde und mit dem Buch Daniel sogar „in den Mittelpunkt“ dieses Denkens vorstieß.108 Dieser Bedeutungsgewinn resultiert u. a. aus der theologischen Verarbeitung der Erfahrung des babylonischen Exils und der Zerstörung des ersten Tempels.109 Man sah sich vor der immensen Herausforderung, die lange Zeit prägende Vor-

104 Der Hesiod-Gedanke nach Schwindt, Weltbilder, 11 (dort auch das Zitat). 105 Homer, Il. 8.16 geht von einem gleichen Abstand zwischen Tartaros als tiefstem Abgrund und Hades einerseits und Erde und Himmel andererseits aus: „So weit (sc. der Tartaros) unter dem Hades, wie über der Erde der Himmel.“ 106 Janowski, Logik, 4; Gese, Frage, 212 spricht vom Weltbild des Altertums als „dem Weltbild der menschlichen Wahrnehmung“. Dieses der Wahrnehmung entsprechende Weltbild sei für die Welterfassung des Menschen (auch heute) „nicht einfach ersetzbar, nicht überholbar“; vielmehr könne es „durch außersinnliche, indirekte Erkenntnisse der messenden Naturwissenschaften nur ergänzt werden.“ 107 Siehe als Bibliographie zum biblischen Weltbild und seinen altorientalischen Kontexten Ego / Janowski, Bibliographie, 543–558 oder Koch, Art. Welt, 13–16. Nach Bartelmus, Art. ‫שמים‬, 211 unterscheiden sich die kosmologischen Vorstellungen im Alten Israel „wenig“ von denjenigen der Umweltkulturen. Er gibt aber zu bedenken, dass in den alttestamentlichen Schriften mit Ausnahme der priesterschriftlichen Urgeschichte und Ijob 38–39 „an keiner Stelle“ (šāmajim, 94) der Versuch einer systematischen Präsentation unternommen wurde. Von daher ist bei der wissenschaftlichen Rekonstruktion des alttestamentlichen Weltbildes bzw. der alttestamentlichen Weltbilder differenziert anzusetzen und genauer nach den einzelnen Ausprägungen zu fragen, d. h. nach den jeweiligen Konkretionen des Stockwerke-Grundtyps (vgl. die Hinweise bei Oeming, Art. Welt, 569–570 und die Leitkategorien zur Analyse biblischer Weltbilder bei Janowski, Weltbild, 18–21). 108 Nach Bartelmus, šāmajim, 91 (ebd. auch die Zitate); siehe auch Koch, Wohnstatt, 4–5. 109 Einflüsse aus der mesopotamischen Tradition kommen noch hinzu (vgl. Koch, Art. Welt, 10–11: ‚weltbildhafte Verschiebungen‘). Konkret ist hier etwa an den vermutlichen Einfluss der kosmischen Vorstellung in KAR 307 auf Ez 1,26; 10,1 zu denken (siehe z. B. Hartenstein, Wolkendunkel, 136–152 oder Koch, Wohnstatt, 188).

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stellung von der Gegenwart Gottes in seiner Stadt und in seinem Tempel (z. B. 1Kön 8,12–13110; Ps 46; 48; 93)111 mit deren Zerstörung zusammenzudenken und einem Verdacht auf eine mögliche göttliche Ohnmacht konstruktiv zu begegnen112. Es kam zur Ausprägung von Kabod- bzw. deuteronomistischer NamenTheologie,113 durch welche die Idee einer vermittelten Präsenz Gottes in seinem irdischen Haus zunehmend an Gewicht gewinnt. Gott ist dort (nur114) in Form seiner Herrlichkeit bzw. seines Namens gegenwärtig. Das Buch Deuteronomium greift die Vorstellung einer vermittelten irdischen Präsenz Gottes wiederholt auf (z. B. Dtn 12,5.11.21), macht aber auch den Gedanken stark, dass Gott im Himmel wohnt und von dorther seine Stimme vernehmbar ist (Dtn 4,36; 26,15).115 Verfolgt man die bei weitem nicht linear verlaufende Entwicklung der Himmelsthematik bis hinein in die Schriften des Frühjudentums116, stößt man etwa in 1Makk auf die Tendenz, „Himmel“ als Synonym für Gott zu gebrauchen. Spätestens an diesem Punkt verlangt folgende Differenzierung Beachtung:

110 Mit 1Kön 8,14 beginnt das deuteronomistische Tempelweihegebet (Vv.14–66), welches mehrere Bearbeitungsstufen erkennen lässt (siehe zur Annahme einer komplexen Schichtung nur die bei Janowski, Mitte, 130 Anm. 48 verzeichnete Literatur). 111 Siehe zur Entwicklung der Jerusalemer Tempeltheologie unter dezidiert k­ osmologischem Betrachtungswinkel bzw. unter der Frage nach der Bedeutung des Himmelsraumes nur ­Hartenstein, Wolkendunkel, 125–168; ebd. 127–136 zur älteren (vorexilischen) Theologie. 112 Siehe nur Pohlmann, Religion, 41 oder Rudnig, Gegenwart, 274. 113 Ausführlich neben Pohlmann, Religion, 45–48 vor allem Mettinger, Dethronement (zur Kabod-Theologie in P und Ez ebd. 80–115) und Keller, Untersuchungen; siehe ferner Hartensteins Ausblick auf die nachexilische Entwicklung der Vorstellung von JHWHs Wohnort: Unzugänglichkeit, 224–250. 114 Die Wertung („nur“) nach Bietenhard, Art. Himmel / Hölle, 958 (siehe z. B. 1Kön 8,29 im Gegensatz zu 1Kön 8,12–13). 115 Zu Modifikationen der deuteronomischen Theologie vom Wohnen-Lassen des Gottesnamens durch den spätdeuteronomistischen Redaktor siehe Janowski, Mitte, 130–132. 116 Zum nichtlinearen Moment siehe nur Rudnig, Gegenwart, 283–286 oder Schmid, Himmelsgott, 147–148; vgl. zu Himmelskonzeptionen der Exilszeit Koch, Wohnstatt, 87–189 (Deuterojesaja  – Ez  – Priesterschrift); siehe zu Entwicklungen der Himmelsvorstellungen in exilisch-nachexilischer bzw. frühjüdischer Zeit Jooß, Raum, 153–162 bzw. 162–170 oder Schmid, Himmelsgott 111–148. In persischer Zeit wird die Bezeichnung Gott des Himmels (‫„ )אלהי השמים‬zum offiziellen Titel JHWHs“ (Bietenhard, Art. Himmel / Hölle, 958): Siehe z. B. Ps 136,6; Jona 1,9; Esra 1,2 2Chr 36,23, Neh 1,4–5 oder Dan 2,18–19; mehr bei Beyerle, God, 24–36, Schmid, Himmelsgott, 124–126 oder Niehr, Art. God of Heaven, 370–372. Er wertet ebd. 371 das Auftauchen dieser Gottesbezeichnung auch in „intra-Jewish communication“ als „decisive argument against the alleged Persian provenience“ dieser Bezeichnung. Erwägungen zu Gründen für eine zunehmende Beschäftigung mit dem Himmelsraum ungefähr ab dem dritten Jahrhundert v. Chr. stellt beispielsweise Ego, Denkbilder, 184–187 an. Zudem gibt sie ebd. 181 zu bedenken, dass Himmelsbilder als „Denkbilder“ fungieren, mit deren Hilfe letztendlich auch Aussagen über Gottes Wesen und Wirken gemacht werden können“.

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(a) Vorstellungen, dass der Himmel Wohnsitz Gottes ist und dessen Machtsphäre bildet, deuten auf die Annahme einer Unvergänglichkeit des Himmels hin;117 diese Annahme scheint auch hinter der Verwendung von Himmel als Synonym für Gott durch. (b) Andernorts spielt man auf die Vergänglichkeit des Himmels an (Ijob 14,12) oder hofft auf einen neuen Himmel und eine neue Erde (Jes 65,17 oder 66,22). Insgesamt zeichnen sich die altorientalischen und damit auch die alttestamentlichen Vorstellungen von der Zuordnung der kosmischen Makroräume durch eine Dimension aus, auf welche Othmar Keel aufmerksam gemacht hat: Die empirische Welt kann in diesen Weltbildern nicht auf das beschränkt werden, was unmittelbar vor Augen liegt. Vielmehr trage die konkret wahrnehmbare Welt immer auch eine symbolische Bedeutung: „Es findet eine ständige Osmose zwischen Tatsächlichem und Symbolischem statt. Diese Offenheit der alltäglichen, irdischen Welt auf die Sphären göttlich-intensiven Lebens und bodenloser, vernichtender Verlorenheit hin ist wohl der Hauptunterschied zu unserer Vorstellung der Welt als eines praktisch geschlossenen mechanischen Systems. Der Hauptfehler der landläufigen Darstellungen des ao (= altorientalischen) Weltbildes ist ihre schlackenlose Profanität und ihre Transparenz- und Leblosigkeit. Die Welt ist nach biblischer und ao (= altorientalischer) Vorstellung auf das Über- und Unterirdische hin offen und durchsichtig. Sie ist keine tote Bühne.“118

2.2.3.2 Weltbilder im Umbruch Ab der Mitte des ersten vorchristlichen Jahrtausends befanden sich die antiken Weltbilder in einem erheblichen Umbruch.119 Dafür war das Aufkommen von Kugel-Modellen verantwortlich.120 Dennoch hatte das ältere Stockwerke-Mo 117 Nach Bartelmus, šāmajim, 108; siehe zum Himmel als Wohnsitz der Gottheit ebd. 97–103; zum Aspekt der Weltüberlegenheit der himmlischen Residenz Gottes und der Abhängigkeit der Stabilität der Erde von dieser: Hartenstein, Wolkendunkel, 166. Darüber hinaus kann die Beobachtung der Festigkeit und Beständigkeit des Himmels und (daraus abgeleitet) die Annahme seiner Ewigkeit auch als Vergleichsgröße zur Bestätigung der absoluten Beständigkeit der Tora gebraucht werden: Siehe nur Ps 119,89: „Ewig (‫)לעולם‬, JWHH, besteht dein Wort wie die Himmel (‫)בשמים‬.“ 118 Keel, Welt, 47. Nach Schmid, Himmelsgott, 112 wäre die Annahme einer eigenständigen Kosmologie im antiken Denken ohne Symbolisierungsfunktion „ohnehin ein Anachronismus“: Die kosmologischen Interessen „sind mit lebensweltlichen Perspektiven verknüpft und treten insofern immer auch in ‚symbolischer‘ Form“ (ebd.) auf; andernorts wird zur Einholung dieser Wechselwirkung zwischen Tatsächlichem und Symbolischem von der „Besetzung des Raumes mit mythischen Konnotationen“ (Pongratz-Leisten, Ina Šulmi, 15) oder der „Mythologisierung des Raumes“ (Niehr, Himmel, 56) gesprochen. 119 Meine Ausführungen in diesem Abschnitt 2.2.3.2 orientieren sich teilweise sehr eng an Schwindt, Weltbilder, 10–33, ohne dass dies in jedem Einzelfall ausgewiesen ist. 120 Das sphärische Kosmosmodell (Erdkugel in Himmelskugel) war seit hellenistischer Zeit „zumindest unter den Gebildeten allgemeiner Konsens“ (Schwindt, Weltbilder, 25).

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dell nicht ausgedient.121 Es behielt seine Bedeutung durch seinen hochgradigen Wahrnehmungsbezug, orientierte es sich doch an der basalen alltäglichen RaumWahrnehmung mit kulturübergreifenden symbolischen Zuschreibungen (z. B. Unterwelt der Toten). Exkurs – Ein Seitenblick auf Kugel-Modelle Nach doxographischer Überlieferung vertritt schon Anaximander (ca. 610–545 v. Chr.)122 die Idee einer Raumisotropie.123 Er scheint sich die Erde als zylindrischen Körper vorzustellen, der im Gleichgewicht frei schwebt.124 Aristoteles schreibt ihm die Überzeugung zu, dass die Erde „ruhe, weil sie sich im gleichen Abstand von allen Rändern befindet (διὰ τὴν ὁμοιότητα). Denn es komme dem, was sich in der Mitte und im gleichen Abstand von allen Rändern befindet (τὸ ἐπὶ τοῦ μέσου ἱδρυμένον καὶ ὁμοίως πρὸς τὰ ἔσχατα), nicht zu, sich mehr nach oben oder nach unten oder nach den Seiten hin zu bewegen; andererseits könne es sich unmöglich zugleich in entgegengesetzte Richtungen bewegen, so dass es notwendigerweise ruhe“ (Übersetzung: M. Laura Gemelli Marciano). Einen Einblick in Anaximanders Kosmoskonzeption bzw. in die ihm zugeschriebene Konzeption gewähren ferner Pseudo-Plutarch und Hippolytos: Pseudo-Plutarch, Stromata 2 Fragment 179: „Er sagt, die Erde habe die Form eines Zylinders (τῷ σχήματι τὴν γῆν κυλινδροειδῆ)“ (DK 12 A 10 = Reclam 22; zitiert nach Reclam). 121 Die Vertrautheit mit dem Stockwerke-Modell reicht nach Bietenhard, Himmel / Hölle, 968 bis in die Gegenwart hinein: Die Rede vom Himmel ‚oben‘ und der Erde ‚unten‘ ist „auch dem heutigen Menschen, und zwar auf allen Bildungsstufen vertraut […] Dies alles, obwohl jedermann seit der Schulzeit ‚weiß‘, daß weder die Sonne ‚am Himmel aufgeht‘, noch die Wolken ‚am Himmel‘ daherziehen. Man sieht daraus: Anschauungen aus einem alten, überwundenen Weltbild werden als bildhafte, poetische oder einfach allgemein verständliche Redeweise weiterverwendet.“ 122 Anders noch Thales: Er geht nach dem Referat seiner Position bei Aristoteles, Cael. 294a28 von der Schwimmfähigkeit der Erde aus und stellt sie sich auf dem Wasser liegend vor: „Andere (scil. sagen, die Erde) liege auf Wasser. Dies ist die älteste Theorie, welche uns überliefert ist. Man sagt, Thales aus Milet habe sie vertreten, der behauptete, die Erde ruhe, weil sie wie ein Stück Holz oder etwas anderes dieser Art schwimme (denn auch davon kann nichts seiner Natur nach auf Luft ruhen, wohl aber auf Wasser)“ (Diels / Kranz 11 A 14 = Reclam 11 [DK = Diels / Kranz, Die Fragmente der Vorsokratiker; Reclam = Die Vorsokratiker]). Seneca, Nat. Quaest. 3.14 erklärt: „Die Auffassung des Thales ist albern. Er behauptet nämlich, die Erdscheibe werde vom Wasser gestützt (terrarum orbem aqua sustineri) und fahre wie ein Schiff “ (zitiert nach Reclam 12 = DK 11 A 15). 123 Für Couprie, Heaven, 89–144 generierten Anaximanders kosmologische Ideen „a completely new world picture“ (ebd. 99). Anaximanders These einer frei schwebenden Erde in der Mitte des Kosmos sei „a complete revolution in the conception of the universe“ (ebd. 106); zurückhaltender Schwindt, Weltbilder, 13. Er stellt infrage, „ob die isotrope Kosmographie wirklich Anaximander zuzuschreiben ist“. Erst bei Parmenides und Anaxagoras betrete man hinsichtlich des Vorhandenseins des Symmetriearguments und der Annahme der Kugelgestalt des Himmels „sichereren Boden“ (ebd.). 124 Vgl. die Skizze der kosmologischen Position des Anaximander bei Zimmermann, Art. Erde, 115 oder Schwindt, Weltbilder, 13.

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Hippolytos, Haer. 1.6.3: „Die Erde sei schwebend (μετέωρον), von nichts überwältigt, beharrend infolge ihres gleichen Abstandes von allen (Himmelskreisen) (μένουσαν δὲ διὰ τὴν ὁμοίαν πάντων ἀπόστασιν). Ihre Gestalt sei rund, gewölbt (γυρὸν στρογγύλον), einem steinernen Säulensegment ähnlich“ (DK 12 A 11 = Reclam 20; zitiert nach Reclam). Anaximenes erklärte die „scheinbare Unbewegtheit“ der Erde in der zweiten Hälfte des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts „[a]uf andere Weise“. Er hielt die Erde für eine Scheibe, „deren Ränder fast den umgebenden kugelförmigen Kosmos berühren: So könne die unter der E(rde) befindliche Luftschicht nicht entweichen, wodurch eine stabile Lage der E(rde) gewährleistet sei“125: Aristoteles, Cael. 294b13 referiert: „Anaximenes, Anaxagoras und Demokrit sagen, ihr Breit- und Flachsein sei die Ursache dafür, dass sie ruhe. Denn sie zerschneide nicht die unter ihr befindliche Luft, sondern decke sie wie mit einem Deckel zu, und dies täten offenbar die Körper, die flach seien; denn diese sind auch für die Winde schwer zu bewegen, weil sie Widerstand leisten. Sie sagen, die Erde verhalte sich auf dieselbe Weise wegen ihrer flachen Gestalt zu der unter ihr befindlichen Luft“ (DK 13 A 20; Übersetzung: M. Laura Gemelli Marciano). Pseudo-Plutarch, Stromata 3 Fragment 179 referiert: „Er sagt, nachdem sich die Luft verdichtet habe, sei zunächst die Erde entstanden, die ganz flach sei. Deshalb werde sie auch entsprechend auf der Luft getragen, und die Sonne, der Mond und die übrigen Gestirne hätten den Anfang ihrer Entstehung aus der Erde“ (DK 13 A 6 = Reclam 9; Übersetzung: M. Laura Gemelli Marciano). Die beiden „phantastisch“ anmutenden Kosmoskonstruktionen von Anaximander und Anaximenes stimmen in der zentralen Annahme überein, dass keine direkte Verknüpfung zwischen Erde und Himmel(sgewölbe) besteht.126 Damit unterscheiden sie sich radikal von den Stockwerke-Modellen und ebnen durch die Annahme einer frei im Mittelpunkt (ἐπὶ τοῦ μέσου) schwebenden Erde den Weg für die Verbreitung der Vorstellung einer kosmischen Raumisotropie. Ihren endgültigen Durchbruch erreicht diese Vorstellung mit den Entdeckungen der Kugelgestalt von Himmel und Erde, welche nicht zeitgleich erfolgten. Auf wen diese revolutionärsten Veränderungen des antiken Weltbildes tatsächlich zurückgehen,127 ist bereits in der Antike umstritten.128 Anaxagoras jedenfalls schreibt 125 Der gesamte Absatz nach Zimmermann, Art. Erde, 115 (dort auch die Zitate). 126 Nach Zimmermann, Art. Erde, 115 (ebd. auch das Zitat). 127 So qualifiziert Zimmermann, Art. Erde, 215 die Entdeckung der Kugelgestalt der Erde; Schwindt, Weltbilder, 10 vergleicht sie mit der kopernikanischen Wende (‚in ideengeschichtlicher Tragweite nicht hinter dieser zurückstehend‘) und bezieht explizit auch die Entdeckung der Kugelgestalt des Himmels mit ein, welche „von der Wissenschaft in ihrer Bedeutung meist unterschätzt“ (ebd.) werde. 128 Diogenes Laertius 8.48 weiß von der Zuschreibung dieser Entdeckung an Pythagoras: Er habe ‚als erster die Erde rund (στρογγύλην) genannt (πρῶτον ὀνομάσαι).‘ Auch hat Diogenes Laertius Kenntnis davon, dass Theophrast dies Parmenides zugeschrieben hat; siehe zur neuzeitlichen wissenschaftlichen Diskussion Schwindt, Weltbilder, 13–15 und Ebert, Mythos, 427–431.

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am Übergang vom sechsten zum fünften vorchristlichen Jahrhundert129 dem Himmel eine Kugelgestalt zu und reflektiert diese Himmelsvorstellung in ihren Auswirkungen etwa auf das Zustandekommen von Erdbeben.130 Ein Weltmodell, welches der Grundannahme einer ruhenden Erde widerspricht und zudem eine Kugelgestalt der Erde vorauszusetzen scheint, vertritt der Pythagoreer Philolaos von Kroton (470–ca. 390 v. Chr.).131 Er denkt an ein Zentralfeuer, um welches sämtliche Himmelskörper inklusive Sonne und Erde kreisen. Aëtios 2.7 (§ 6) umreißt seine Position folgendermaßen: „Philolaos setzt das Feuer in die Mitte (scil. des Weltalls) um das Zentrum herum, das er Herd des Alls, Haus des Zeus, Mutter der Götter, Altar, Zusammenhalt und Maß der Natur nennt. Ferner nimmt er noch ein anderes, äußerstes Feuer an, das das All umgibt. Von Natur aus sei aber das mittlere das erste, darum herum tanzten zehn göttliche Körper, nämlich der Himmel, die fünf Planeten, danach die Sonne, unter ihr der Mond, unter ihm die Erde, unter ihr die Gegenerde, unter ihnen allen das Feuer, welches den Platz des Herdes um die Mitte inne hat“ (DK 44 A 16; Übersetzung: M. Laura Gemelli Marciano)132. Inwieweit Plato (428/27–349/48 v. Chr.) die Lehre von der Kugelgestalt sowohl des Himmels als auch der Erde im wörtlichen und übertragenen Sinn vertritt,133 ist von der Auslegung von Phaid. 108d–110a abhängig. Die dortigen Erwägungen über die Gestalt der Erde (ἰδέα τῆς γῆς [108d]) und deren Gegenden (τοὺς τόπους αὐτῆς [108e])134 gehören zu den sokratischen Jenseitsspekulationen. Er trägt diese Spekulationen im Kontext seiner Überlegungen zur Weiterexistenz der Seele vor (107d–115a):135 „Zuerst also bin ich belehrt worden (πέπεισμαι),136 dass, wenn sie (sc. die Erde) rund inmitten des Himmels steht (ἐν μέσῳ τῷ οὐρανοῦ περιφερὴς οὖσα), sie weder Luft 129 Als Lebensdaten werden nach Couprie, Heaven, 175 genannt: 500–428 v. Chr. oder aber 533–462 v. Chr. (vgl. die Hinweise bei Diogenes Laertius 2.7 und 2.14–15 [= Reclam 2 und 13]); ebd. votiert er für das zuletzt genannte Datum mit Verweis auf die Überlieferung, Anaxagoras habe Anaximenes (gestorben 524 v. Chr.) gehört. 130 Mehr bei Schwindt, Weltbilder, 15. 131 Nach Schwindt, Weltbilder, 17 Anm. 66 geht es Philolaos „nicht [um] mathematische Naturerklärung“; vielmehr setze dieser Pythagoreer „mythisch-religiös“ an, wobei die Erde für ihn „Ort der Verbannung“ sei. 132 Anmerkungen zum Text bei Mansfeld / Runia, Aëtiana, 853. 133 Platos Verweis auf die Kugelgestalt der Erde sieht Zimmermann, Art. Erde, 115 als Indiz dafür, dass „in dieser Frage im 4. Jahrhundert v. Chr. keine ernsthafte Auseinandersetzung mehr stattfand. Aristoteles lieferte mit seiner Beobachtung des runden Erdschattens bei Mondfinsternissen den glänzenden Beweis“. 134 Nach Ansicht von Ebert, Mythos, 426 trägt Sokrates in 108d1–110a8 „naturwissenschaftliche Spekulationen über die Gestalt und die Regionen der Erde“ vor. Es handle sich „um eine neue Geographie“. 135 Siehe zur Einordnung nur Ebert, Mythos, 419–420. 136 Nach Schwindt, Weltbilder, 16 liegt der Akzent bei πέπεισμαι anders: Plato bringe damit in 108e und an den drei weiteren Belegstellen in 108c (Schleiermacher: „mir einer glaublich gemacht hat“), 108e („wie ich belehrt bin“) und 109a („habe ich angenommen“) zum Ausdruck, dass „er von der dargelegten Kosmographie überzeugt ist“ und „sich für dessen Wahrheit verbürgt“.

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brauche, um nicht zu fallen, noch irgendeinen anderen solchen Grund, sondern, um sie zu halten, sei hinreichend die durchgängige Einerleiheit des Himmels137 und das Gleichgewicht der Erde selbst (τὴν ὁμοιότητα τοῦ οὐρανοῦ ἑαυτῷ πάντῃ καὶ τῆς γῆς αὐτῆς τὴν ἰσορροπίαν). Denn ein im Gleichgewicht befindliches Ding, in die Mitte eines anderen solchen gesetzt, wird keinen Grund haben, sich irgendwohin mehr oder weniger zu neigen, und daher, auf gleiche Weise zu allem sich verhaltend, wird es ohne Neigung bleiben“ (108e–109a) (Übersetzung: Friedrich Schleiermacher). Nach der Unterscheidung zwischen der gegenwärtigen und der wahren Erde fährt Sokrates fort: „Man sagt also zuerst, o Freund, diese Erde sei so anzusehen, wenn sie jemand von oben herab betrachtete (εἴ τις ἄνωθεν θεῷτο), wie die zwölfteiligen ledernen Bälle (ὥσπερ αἱ δωδεκάσκυτοι σφαῖραι), in so bunte Farben geteilt, von denen unsere Farben hier gleichsam Proben sind, alle die, deren sich die Maler bedienen“ (110b–110c) (Übersetzung: Friedrich Schleiermacher). Eine Zusammenschau dieser beiden Aussagen lässt erkennen, dass Plato die Annahme einer Kugelgestalt der Erde (σφαῖρα [110b]) vertritt und davon überzeugt ist, dass diese Erdkugel ihren Platz inmitten der Himmelskugel hat (ἐν μέσῳ τῷ οὐρανοῦ [108e]). Dabei gäbe ein Überschreiten der Luftgrenze der empirischen Erde einen herausfordernden Blick (εἰ ἡ φύσις ἱκανὴ εἴη ἀνασχέσθαι θεωροῦσα [109e]) auf den wahren Himmel, das wahre Licht und die wahre Erde frei (ὁ ἀληθῶς οὐρανὸς καὶ τὸ ἀληθινὸν φῶς καὶ ἡ ὡς ἀληθῶς γῆ [109e–110a]).138 Im Vergleich mit der empirischen Erde zeichneten sich diese Räume durch einen qualitativen Mehrwert aus. So zeige die wahre Erde nicht nur wesentlich schönere und klarere Farben als das ‚Abbild‘, sondern in den dortigen Tempeln und Heiligtümern wohnten wahrhaft Götter (ἐν οἷς τῷ ὄντι οἰκητὰς θεοὺς εἶναι [111b]). Die hier exemplarisch sichtbare enge Verzahnung von naturwissenschaftlichen und mythischen Facetten bestimmt Platos kosmologische Raumbeschreibungen über weite Strecken.139 Dieses Ineinander hat handfeste Spuren in seiner Platzierung des Tartaros

137 Das Syntagma τὴν ὁμοιότητα τοῦ οὐρανοῦ ἑαυτῷ πάντῃ übersetzt Franz Dirlmeier als „die allseits mit sich gleiche Form des Alls“. 138 Für Schwindt, Weltbilder, 17 „muss offen bleiben, ob Platon die Erdkugel als eine rein ideelle oder reale Größe angesehen hat“ (Hervorhebung: C. B.). Zur Begründung verweist er ebd. darauf, dass Plato möglicherweise vom Pythagoreer Archytas von Tarent beeinflusst war (vgl. Cicero, Rep. 1.10[16]), dessen Überlegungen „der religiös motivierten Spekulation verpflichtet waren“ (Ebert, Mythos, 433 sieht eine Abhängigkeit von Phaid. 108c–110 von „einer Lehre der unteritalischen Pythagoreer aus dem Umkreis des Archytas“ als sicher an: „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“). Anders Couprie, Heaven, 210–211: Plato stelle sich die reale Erde als eine unebene Kugelgestalt vergleichbar der Form eines zwölfflächigen Lederballs vor (vgl. ebd. 210; siehe die Illustrationen ebd. 206–207). Grundlage dieses Verständnisses ist Coupries Beobachtung, dass Phaidon 109b4–e8 „looks like an anticipation of the famous allegory of the cave“ (ebd. 210); siehe zur literarischen Realisierung des Raumthemas bei Platon an dieser Stelle: Morgan, Plato, 429–430. 139 Siehe zu Platos symbolischer(-mythischer) Kosmosbeschreibung im Er-Mythos (Pol. 614–621) und im Seelenwagenmythos (Phaidr. 246–257) Morgan, Plato, 430–432.

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hinterlassen.140 So greift er in Phaid. ungeachtet seiner kosmologischen Grundannahme: „Erdkugel in Himmelskugel“141 wiederholt auf die Raumzuordnung des Stockwerke-Modells zurück: „Einer nämlich von diesen Erdspalten ist auch sonst der größte und quer durch die ganze Erde gebohrt. Dieser ist nun, wie Homeros davon singt, ferne, wo tief sich öffnet der Abgrund unter der Erde (τῆλε μάλ᾿, ᾗχι βάθιστον ὑπὸ χθονός ἐστι βέρεθρον), derselbe, den andernwärts er und auch sonst viele andere Dichter den Tartaros genannt haben (Τάρταρον κεκλήκασιν)“ (111e–112a) (Übersetzung: Friedrich Schleiermacher). Einer der in den Tartaros fließenden Ströme heißt Acheron und mündet in den unterirdischen Acheruischen See (ὑπὸ γῆν ῥέων εἰς τὴ λίμνην ἀφικνεῖται τὴν Ἀχερουσιάδα [113a]), „wohin auch der meisten Verstorbenen Seelen (ψυχαί) gelangen, und, nachdem sie gewisse bestimmte Zeiten dort geblieben, einige länger, andere kürzer, dann wieder ausgesendet werden zu den Erzeugungen der Lebendigen“ (113a) (Übersetzung: Friedrich Schleiermacher). Auf die Aufzählung bestimmter Verhaltensweisen oder Vergehen zu Lebzeiten eines Menschen, welche nach dessen Tod zu einem endlosen Verbleib im Tartaros führen (113–114), wird denjenigen, „die aber ausgezeichnete Fortschritte in heiligem Leben gemacht zu haben erscheinen“, ein heilvoller Raumwechsel in Aussicht gestellt: Sie werden „von allen diesen Orten im Innern der Erde (τῶν τόπων τῶν ἐν τῇ γῇ) befreit und losgesprochen von allem Gefängnis, hinauf (ἄνω) in die reine Behausung gelangen und auf der Erde wohnhaft (ἐπὶ γῆς οἰκιζόμενοι)“ (114b–114c) (Übersetzung: Friedrich Schleiermacher). Dadurch dass Plato seinen Ausblick auf die Heils- bzw. Unheilsräume mit der Benennung der zum jeweiligen Zutritt führenden Handlungen verknüpft, präsentiert er das gegenwärtige, irdische Leben als jene entscheidende Zeitspanne, in welcher der Mensch den Grundstein für einen Zugang zum Heils- bzw. Unheilsraum legt. Von daher erscheint es nur folgerichtig, dass er seine gesamten Ausführungen über die Fortexistenz der Seele konsequent auf den Aufruf zulaufen lässt, „alles zu tun, um der Tugend und Vernunft im Leben (ἐν τῷ βίῳ) teilhaftig zu werden. Denn schön ist der Preis und die Hoffnung groß“ (114c7–8). Eine gravierende Folge der sphärischen Kosmoskonzeption ist das Entstehen der Vorstellung eines entgötterten Zwischenraums zwischen Erde und Himmel,142 dessen Füllung höchst unterschiedlich vorgenommen wird. Während dieser Raum etwa im Horizont von Platos und Aristoteles’ Pleromakosmologie von Luft (und Vögeln) besetzt 140 Zur Sphärenvorstellung des kosmischen Raums gehört auch die Annahme eines ‚unterirdischen Himmels‘. Diese Annahme hat laut Schwindt, Weltbilder, 20 „nur zögerlich zu einer topologischen Veränderung der Hadesvorstellungen geführt“. Die alte Unterweltsvorstellung sei ohnehin nicht ganz verschwunden: Es fänden sich nebeneinander „der unterirdische, irdische und himmlisch-sublunarische Hades“ (ebd. 20); mehr bei Nilsson, Geschichte, 228–230 oder Hoffmann, Toten, 37–57. 141 So die Charakterisierung des neuen Kosmosmodells bei Schwindt, Weltbilder, 19. 142 Nach Schwindt, Weltbilder, 21.

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vorgestellt wird143, kommt im Alltagsglauben vielerorts die Vorstellung dort wirkender magischer Kräfte auf. Unabhängig davon, welcher Vorstellung man folgt, ist unter räumlichem Betrachtungswinkel auf jeden Fall klar, dass im Kugel-Modell Himmel und Erde „auf Abstand“ voneinander gehen. Wusste man im Stockwerke-Modell den (Götter-)Himmel unmittelbar oberhalb des Erdenraums und konnte diesen sogar offen erleben, entsteht jetzt eine deutliche „Kluft“144 zwischen diesen beiden kosmischen Makroräumen. Durch diese Kluft verliert sich aber keineswegs das Interesse am Himmel. Im Gegenteil: In der Stoa gewinnt der Himmel innerhalb des Weltbildes eine „theologisch zentrale Stellung“145. Diese Zentralsetzung ergibt sich aus der schon bei Zenon (ca. 335–265 v. Chr.) belegten Annahme der Göttlichkeit der Luft und des Äthers (= πῦρ τεχνικόν).146 Der syrische Stoiker Poseidonios (135–51 v. Chr.) vertritt die Annahme eines aus Himmel und Erde und den zugehörigen Wesenheiten bestehenden Kosmossystems / Kosmosganzen (σύστημα ἐξ οὐρανοῦ καὶ γῆς καὶ τῶν ἐν τούτοις φύσεων).147 Der Himmel bilde den äußersten Umlauf / Weltkreis, in welchem alles Göttliche verweile / throne (ἡ ἐσχάτη περιφέρεια ἐν ᾗ πᾶν ἵδρυται τὸ θεῖον), und sei die „Kommandozentrale“148 des Kosmos (τὸ ἡγεμονικόν τοῦ κόσμου). Bündelt man die Beobachtungen, bleibt festzuhalten: Ein revolutionäres Moment der Entdeckung der Kugelgestalt von Himmel und Erde liegt unter raumkonzeptionellem 143 Plato, Tim. 39e10–40a2 sieht den Himmelsraum von den Göttern bevölkert, die Luft von den Vögeln, das Wasser von den Wassertieren und die Erde von den Menschen und Landtieren; siehe zur Kosmologie des Aristoteles schon Happ, Kosmologie, 155–187 und derselbe, Weltbild, 72–91, zu seiner Vorstellung von der Gestalt der Erde Couprie, Heaven, 213–220. 144 Schwindt, Weltbilder, 21. 145 Schwindt, Weltbilder, 27 (siehe zur Bedeutung der Stoa auf die Entwicklung der Kosmos- und Astralfrömmigkeit ebd. 26 und ausführlich derselbe, Weltbild des Epheserbriefes, 200–221). Dem Blick zum Himmel kann eine Erkenntnis generierende Funktion zugeschrieben werden: „Die Zeichen des Himmels sind Willensbekundungen und Zukunftsvoraussagen der Götter. Der Blick nach oben enthüllt dem Menschen seine Schicksalsbestimmung“ (ebd. 27). Anders Epikur (341–270 v. Chr.) und Lucretius (um 99–55 v. Chr.). Sie nutzen die Annahme der Gleichförmigkeit des Himmels „in religionskritischer Absicht als Ausdruck der Gleichgültigkeit der himmlischen Schicksalsmächte für unser irdisches Leben“ (Evers, Chaos, 39). Von daher „blieb der Aufblick zum Himmel zweideutig, schillernd zwischen Kongruenz und Inkongruenz von Betrachter und Betrachtetem und unsicher, ob der Blick des Menschen zu den Sternen der Blick hinauf zu seiner wahren Heimat und zu den für seine gottgleiche Vernunft bestimmten Gegenständen bedeutete oder ob er sich im Versuch einer Entschlüsselung der Himmelserscheinungen hoffnungslos überhob“ (ebd. 40). 146 Siehe SVF (= Stoicorum Veterum Fragmenta) 1.116: Ζήνων πύρινον εἶναι τὸν οὐρανόν (Aëtios, Placita 2.11.4) und SVF 1.154: hic idem (scil. Zeno) alio loco aethera deum dicit (Cicero, Nat. 1.36) sowie Zenoni et reliquis fere Stoicis aether videtur summus deus, mente praeditus, qua omnia regantur (Cicero, Acad. Pr. 2.126); vgl. zur Gleichsetzung von Äther und πῦρ τεχνικόν bei Zenon Schwindt, Weltbilder, 27.  147 Im Referat bei Diogenes Laertius 7.138; siehe ebd. noch als ergänzende Fortsetzung, in welcher der Fokus auf die Einwohner des Kosmossystems gerichtet ist: ἢ σύστημα ἐκ θεῶν καὶ ἀνθρώπων καὶ τῶν ἕνεκα τούτων γεγονότων. 148 Schwindt, Weltbilder, 28 (mehr zu Poseidonios ebd. 27–28). Traub, Art. οὐρανός, 499 spricht vom Himmel als „dem leitenden Prinzip“. Die Charakterisierung des Himmels als ἡγεμονικόν bei Diogenes Laertius 7.139 (SVF 2.644).

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Grundlegungen

Betrachtungswinkel in der Annahme einer Kluft zwischen diesen beiden kosmischen Makroräumen. Gelten sie im Stockwerke-Modell als unmittelbar verbunden, rücken sie im Kugel-Modell „auf Abstand“. Dadurch tat sich ein entgötterter Zwischenraum zwischen diesen beiden Räumen auf. Zugleich hat die Entdeckung der Kugelgestalt des Himmels der für alle archaischen Weltbilder grundlegenden Gleichsetzung von Erde und Welt „geradezu den Boden unter den Füßen“ weggezogen und die Erde als vormaligen Welt-Raum (Erde = Welt) zu „einem Teil des kosmischen Raumes“ gemacht.149



[Exkurs Ende]

Auf einer Metaebene sind Stockwerke- und Kugel-Modell miteinander verbunden, und zwar über ihre höchst divergierenden Raum- und Raumzuordnungsvorstellungen hinweg. Beiden Grundmodellen liegen jeweils komplexe Geflechte aus mythischen Vorstellungen, rationalen Überlegungen und empirischen Beobachtungen zugrunde. Modellübergreifend lässt sich ein gemeinsames Anliegen bei der Zuordnung von Himmels- und Erdenraum erkennen. Es wird versucht, den Himmel trotz seiner als größer wahrgenommenen Entfernung zur Erde als absolut relevanten Raum für das alltägliche Leben auf Erden im Bewusstsein zu halten. Dieses Bemühen zeigt sich beispielsweise im Schlussmythos von Platos Politeia. Dort scheint die Auffassung einer Übereinstimmung zwischen himmlischem und irdischem Geschehen durch, welche „zum Rückgrat der hellenistischen und kaiserzeitlichen Kosmosreligion“150 wird. Durch die Idee, dass himmlisches und irdisches Geschehen wechselseitig aufeinander verweisen und sich gegenseitig beeinflussen, bleiben beide Räume eng aufeinander bezogen.151 Vorstellungen einer engen Bezogenheit von Himmel und Erde finden sich auch in der Literatur des exilisch-nachexilischen Judentums. Dort begegnet man wiederholt dem Motiv vom Thronen Gottes im Himmel152 (z. B. Ps 33,13–19;153 149 Mit Schwindt, Weltbilder, 11 (ebd. auch die Zitate [Kursivdruck im Original]); vgl. auch Fehling, Materie, 12–13. 150 Schwindt, Weltbilder, 21. Er betrachtet Plato hier als „Rezipient[en] der auf die Sumerer und Babylonier zurückgehenden Auffassung, dass eine Übereinstimmung zwischen himmlischem und irdischem Sein und Geschehen bestehe“. Diese Auffassung sieht er etwa im Handbuch der Vorzeichenkunde belegt: „Himmel und Erde zusammen bringen Omina. Sie stehen je für sich, sind aber nicht getrennt. Himmel und Erde hängen zusammen. Ein Zeichen, das schlecht ist im Himmel (d. h. auf Schlechtes hindeutet), ist schlecht auf der Erde. Das (sc. Zeichen) schlecht ist auf der Erde, ist schlecht im Himmel“ (Übersetzung: Schwindt ebd. Anm. 76). 151 Man denke nur an Poseidonios’ Charakterisierung des Himmels als kosmische Schaltzentrale. 152 Siehe zum Bedeutungsspektrum von ‫„( ישב‬wohnen“; „thronen“) nur Görg, Art. ‫ישב‬, 1012–1031 (zur Nuance des [göttlichen] Thrones ebd. vor allem 1013–1014 und 1023–1032). 153 Wenn die Aussagen über das göttliche und menschliche Wohnen in Ps 33,14 jeweils mit ‫ ישב‬formuliert sind (Gott wohnt im Himmel – die Menschen wohnen auf Erden), ist damit laut Görg, Art. ‫ישב‬, 1026 angezeigt, dass sich das Wohnen (‫ )ישב‬auf Erden „unter dem Schutzdach des jšb JHWHs im Himmel“ vollzieht.

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Ps 102,13–23; Jes 40,12–31154). Der „verstärkte[] Rückgriff “155 auf dieses Motiv ist ein Indiz dafür, dass man von der Überzeugung einer unmittelbaren göttlichen Gegenwart im Tempel zunehmend abrückt. Bei der Motivverwendung ist zusätzlich zu dieser Verlagerung der Wohnstatt Gottes in den Himmel noch eine gegenläufige Bewegung auszumachen. Ruft die räumliche Verlagerung Assoziationen einer vergrößerten räumlichen Entfernung zwischen Gott und den Menschen in Israel wach,156 ist man zur gleichen Zeit sehr darum bemüht, den im (entfernten) Himmel thronenden Gott gezielt in seinem sorgenden Eingreifen etwa zugunsten der Armen und Notleidenden zu präsentieren.157 Die Zuschreibung konkreter Eingriffsmöglichkeiten lässt Gott trotz seiner räumlichen Entfernung eben nicht als den Unnahbaren erscheinen. Er steht als derjenige vor Augen, der von seinem Thron aktiv zugunsten der notleidenden Menschen eingreift. Damit überbrückt er aus seiner himmlischen Machtposition heraus die Distanz zwischen Himmelsund Erdenraum, zwischen ihm und den Menschen.158 Zudem bilden sich ab frühjüdischer Zeit unterschiedliche Vorstellungen einer möglichen Partizipation der Menschen an der himmlischen Welt heraus, welche den Eindruck einer strikten Trennung zwischen himmlischem und irdischem Wirklichkeitsbereich merklich relativieren.159 Galt der Himmelsraum ursprünglich als „exklusiver“ Raum Gottes und seines Hofstaates, rechnete man verstärkt mit (der Möglichkeit) einer massiven Ausweitung der dortigen Bevölkerung. Neben der Vorstellung einer Jenseitsfahrt160 entwickelt sich spätestens seit der 154 Textabgrenzung nach Berges, Jes 40–48, 124–125; anders Ego, Herr, 564 (Jes 40,18–26); zur Bedeutung der alttestamentlich singularischen Rede vom Thronen Gottes über dem „Rund der Erde“ (und nicht etwa im Himmel) in 40,22 siehe neben Görg, Art. ‫ישב‬, 1030 (der Heuschreckenvergleich betont die „absolute Distanz“ zur göttlichen Souveränität) auch Berges ebd. 149. 155 Ego, Herr, 557; siehe schon Metzger, Wohnstatt, 152. 156 Nach Metzger, Wohnstatt, 150 ist JHWH „in eine größere Jenseitigkeit und Unverfügbarkeit gerückt“ (vgl. auch Braulik, Weisheit, 182); siehe zu dieser Interpretation schon Janowski, Mitte, 132–133. Er sieht in der spätdeuteronomistischen Bearbeitungsschicht des Tempelweihegebetes (1Kön 8,59–60) den Aspekt „der uneingeschränkten, jederzeit und überall möglichen Nähe des Gebetes zu Gott und der direkten Rechtshilfe Jahwes für den Beter“ ausgedrückt (Kursivdruck im Original). 157 Ausführlich: Ego, Herr, 558–569; speziell zum Aspekt der Einwohnung Gottes bei den Armen ebd. 564–566. 158 Das Motiv des himmlischen Thronens erhält in diesem Kontext begründende Funktion; vgl. Ego, Herr, 569: „Gerade weil Gott allmächtig in der Höhe thront, kann er sich den Niedrigen und Armen zuwenden und diese erretten“ (siehe zum Gedanken noch Schmid, Himmelsgott, 147). 159 Vgl. z. B. Jooß, Raum, 167. 160 Einen Überblick über den jüdischen Bereich gibt z. B. Colpe, Art. Jenseitsfahrt, 441– 445; zum griechisch-römischen Bereich vgl. Habermehl, Art. Jenseitsfahrt, 415–431 (speziell zum Herrscher- bzw. Kaiserkult ebd. 424–431). Überlegungen zur terminologischen Unterscheidung zwischen Jenseitsreise und -fahrt, zwischen Himmels- und Jenseitsfahrt, und zwischen Himmelfahrt und Jenseitsreise bei Colpe, Art. Jenseitsreise, 491–494.

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Grundlegungen

Seleukiden- bzw. Makkabäerzeit die Hoffnung auf eine Auferstehung der Märtyrer, Gerechten oder sogar aller Verstorbenen.161 In den unterschiedlichen, teilweise miteinander verwobenen oder kombinierbaren Auferstehungsvorstellungen kommt der Himmelsraum sowohl als vorübergehender Aufenthaltsort im Zugehen auf das göttliche Endgericht in den Blick als auch als endgültiger Heilsort der im Gericht für würdig Befundenen. Ein anders akzentuierter Blick auf den Himmel steht hinter einer Ausprägung des im rabbinischen Judentum breit bezeugten Dependenzgedankens zwischen Irdischem und Himmlischem. Der Himmel interessiert in seinem Gegenwarts- und Diesseitsbezug.162 So kann zur Idee einer Kultgemeinschaft zwischen Menschen und Engeln die Vorstellung gehören,163 dass man bereits zu irdischen Lebzeiten Anteil an der zumeist höher bewerteten himmlischen Wirklichkeit erhält.164 Das 161 Erste Stimmen einer expliziten Thematisierung der Überschreitung der Todesgrenze werden nach Janowski, Sehnsucht, 35 bereits ab frühhellenistischer Zeit laut, „d. h. ab dem letzten Drittel des 4. Jh.s v. Chr.“ (z. B. Jes 25,8 oder Jes 26,19; ausführlicher unter besonderer Berücksichtigung von Ps 88 derselbe, Die Toten, 3–45, besonders 33–45); vgl. zu den Anfängen des Auferstehungsglauben im Judentum nur Chester, Resurrection, 64–70, Bieberstein, Todesschwelle, 423–444 und Zangenberg, Knochen, 673–680; siehe zur seltenen Thematisierung von Auferstehung in den nichtbiblischen Schriften des Qumranfundes: Lichtenberger, Auferstehung, 79–91. 162 Ohnehin handelt es sich bei den Motiven der himmlischen Stadt oder des himmlischen Tempels, die in unterschiedlichen Konkretionen des Dependenzgedankens eingesetzt werden, im rabbinischen Judentum „zunächst“ nicht um eschatologische Größen, sondern um „kosmologische“ (Ego, Himmel, 169); ausführlich ebd. 17–168 zu den unterschiedlichen rabbinischen Konkretionen der Vorstellung einer Entsprechung zwischen Himmlischem und Irdischem. Allein bei Beachtung der Vielgestaltigkeit der Ausprägungen dieses Vorstellungskomplexes ist nach Ego die Annahme einer „eindimensionalen Ableitung des gesamten Vorstellungsmaterials aus dem babylonischen Denken obsolet“ (ebd. 4). 163 Die Frage, inwieweit ein solcher Dependenzgedanke auch in den Sabbatliedern aus Qumran durchscheint, wird unterschiedlich beantwortet: Beispielsweise Schwemer, Gott, 76 und 117 votiert für die Annahme einer solchen Vorstellung in den Sabbatliedern. Die irdische Gemeinde nehme am himmlischen Gottesdienst teil und „‚erhebt‘ sich damit in den himm­ lischen Tempel“ (ebd. 76). Sie sieht an diesem Punkt eine „überraschende Verwandtschaft“ zur Hekhalot-Literatur (ebd. 76 Anm. 98). Anders schätzt etwa Ego, Denkbilder die Situation ein. Sie geht zur Verhältnisbestimmung von Himmlischem und Irdischem in den Sabbatliedern vom Ende des 2. Sabbatliedes aus (= 4Q401 Fragment 14i6–8). Dort sieht sie, obschon der irdische Gottesdienst „auch in eine[] gewisse[] Beziehung zum himmlischen Kult gestellt wird“ (ebd. 177), eine „deutliche Trennungslinie zwischen den Himmlischen und den Irdischen gezogen“ (ebd. 177–178); die besondere Würde der irdischen Gemeinde bestehe vielmehr darin, dass „sie über das Wissen um das himmlische Geschehen verfügt“ (ebd. 178). 164 Ansätze eines Einspruchs gegen die Annahme einer Superiorität der himmlischen Welt werden für Ego, Himmel, 141 in ShemR 33,4 laut: „Und nicht nur das, sondern alles, was unten ist, ist geliebter als das, (was) oben (ist).“ Deutlich widersprechen dieser Annahme jene Konkretionen des Dependenzgedankens, in welchen es (1) um die Rivalität zwischen Menschen und Engeln oder (2) um Gottes Leiden mit dem Geschick seines Volkes geht (ausführlich ebd. 125–142 bzw. 143–168).

Eckdaten des räumlichen Alltagswissens der Kommunikationspartner

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Gottesdienst feiernde Israel weiß sich nach Midrash Konen (BHM 2,39) „in der himmlischen Welt“165 bzw. spricht nach Ansicht von Hekhalot Rabbati 3,3 (BHM 3,85) oder Hekhalot Rabbati 8,4 (BHM 3,90) das Trishagion zur selben Zeit wie die Engel.166

2.2.4 Bündelungen und Praxistest an der Kosmosaussage in 2,15 Bündelt man die Beobachtungen aus den Abschnitten 2.2.1 bis 2.2.3, lassen sich folgende Eckdaten des räumlichen Alltagswissens der brieflichen Kommunikationspartner vermuten: (1) Auf der Spur des Stockwerke-Modells stellen sich Paulus und seine Adressaten den Kosmos vertikal dreigeteilt vor. Die antiken Weltbilder befanden sich zwar infolge der Verbreitung der Kugel-Modelle ab der Mitte des ersten vorchristlichen Jahrtausends im Umbruch, aber der hochgradige Wahrnehmungsbezug ließ das ältere Stockwerke-Modell fortbestehen. Es orientiert sich an der basalen Alltagswahrnehmung vom Welten-Raum und bietet geläufige, kulturübergreifende symbolische Zuschreibungen. Der Himmel gilt als Raum der Götter, die Erde als der Raum der (lebenden) Menschen und die Unterwelt als Raum der Toten. (2) Kulturübergreifend finden sich in antiken Weltbildern Vorstellungen einer Übereinstimmung zwischen himmlischem und irdischem Geschehen. Die Annahme eines gegenseitigen Verweischarakters und gegenseitiger Einflussmöglichkeiten bezieht die Wirklichkeiten in Himmel und Erde fest aufeinander. Man rechnet mit der Möglichkeit, dass die Gottheit vom Himmel aus in irdische Belange und Geschehensabläufe eingreifen kann. Dabei kann der Himmel als göttliche Kommandozentrale begriffen werden. (3) Verschiedene in Philippi praktizierte religiöse Kulte teilen die Hoffnung auf postmortal betretbare Heilsräume und ein postmortales Wohlergehen, beispielsweise in Gestalt des Elysiums oder der Insel der Seligen. Die Götter im Himmel galten als ansprechbar, ihnen wurden Gebetserhörungen zugeschrieben. Von daher darf auch bei den Briefempfängern in Philippi ein Alltagswissen um (erfolgreiche) Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Himmel und Erde vorausgesetzt werden. (4) Die Vorstellung einer bewohnten Erdzone mit den drei Kontinenten ­Afri­ka, Asien und Europa ist weit verbreitet. Die Grenzen dieser Oikumene liegen für 165 Ego, Himmel, 69. Deutsche Übersetzungen ebd. 64 und 66–68. 166 Kritik an dieser Vorstellung ist bereits innerhalb des rabbinischen Judentums geübt worden: Siehe neben Seder Rabba di-Breshit § 47 (BatM 1, S. 45: Übersetzung bei Ego, Himmel, 132) auch bHul 91b (Übersetzung ebd. 134): „Israel ist vor dem Heiligen, gepriesen sei Er, geliebter als die Dienstengel. Denn Israel singt zu jeder Stunde, die Dienstengel aber singen nur einmal am Tag.“

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Grundlegungen

Paulus und seine Adressaten allerdings entfernt, sodass sie wahrscheinlich nur eine vage Idee davon hatten. Ungleich näher liegt das Erleben politischer Raumgrenzen, welche etwa die Römer durch ihre Koloniegründung in Philippi gezogen haben. Dass der römische Herrschaftsanspruch über „fremdes“ Territorium wiederholt Anlass für (militärische) Auseinandersetzung war, darf den Koloniebewohnern als Erfahrungswissen zugeschrieben werden. Philippi grenzte im Norden und Osten direkt an Thrakien und lag damit in Reichweite der thra­kischen Aufstände in der ersten Hälfte des ersten nachchristlichen Jahrhunderts.167 (5) Paulus und seine Adressatengemeinde erleben, wie die römischen Kaiser zunehmend Divinität für sich und höchste Legitimation für ihr Handeln beanspruchen. Sie bringen ihre immense Machtfülle dadurch konkret zum Ausdruck, dass sie die „bewohnte Erdzone“ etwa durch die Errichtung von Provinzen und Kolonien strukturierten; dieses Strukturieren dient zugleich aber auch der Herrschaftssicherung. (6) Die Philipper erleben in ihrer Heimat hautnah, dass die römischen Machthaber ihren Raumgestaltungsanspruch auch auf Kosten und zum Nachteil der einheimischen Bevölkerung durchsetzen. Stadtbürgerliche Rechte und politische Mitgestaltungsmöglichkeiten haben nur diejenigen, die das römische Bürgerrecht besitzen.168 Ohnehin kam es im Zuge der Koloniegründung und -neugründung zu erheblichen sozialen Umwälzungen. Durch den stetigen Zuzug von Veteranen gewann Philippi zudem eine militärische Prägung. Die städtischen Eliten zeigen sich daran hoch interessiert, ihre Loyalität gegenüber Rom zu bekunden. Dadurch entwickelte sich Philippi in seinen öffentlichen Institutionen zu einem „Rome en miniature“.

167 Siehe nur Bormann, Philippi, 26: Im Jahr 25 n. Chr. brach ein Aufstand der Thraker „gegen die römische Aushebungspolitik“ aus; Rom musste „direkt militärisch interagieren“ und zwang die Thraker 26 n. Chr. „[m]it großem Einsatz und unter schwierigen Bedingungen […] zur Kapitulation“. Es kam 46 n. Chr. zu weiteren Aufständen, in deren Folge Claudius die Verhältnisse durch die Gründung der Provinz Thracia neu ordnete. 168 Siehe zum Bürgerrecht nur Ehrensperger, Heaven, 70–71. Die thrakischen und griechischen Teile der Bevölkerung waren ihrer Ansicht nach in der römischen Kolonie Philippi „second-class inhabitants of the city, with no opportunity to participate in civic public life and no opportunity to participate in the exercise of power in their own city“ (ebd. 69). Aufgrund der Tatsache, dass politische Mitbestimmung an den Besitz des römischen Bürgerrechts gebunden war, sei die thrakische und griechische Bevölkerung (weitgehend) „excluded from citizenship in their own city“ (ebd. 70). In dieser Situation einer gefühlten Nichtzugehörigkiet biete Paulus seiner Adressatengemeinde mit der Zusicherung eines Politeuma im Himmel „a place where they belonged“ (ebd. 75). Dieser Aspekt ist für Ehrensperger am Politeumabegriff in 3,20 von entscheidender Bedeutung (nach ebd. 74 Anm. 22). Im Unterschied dazu sieht Standhartinger, Polis, 144 in 3,20 keine Zusage von „citizen­ ship to those who might not hold it“; vielmehr verspreche Paulus „salvation from hostile environment of suffering and humiliation“ (mehr zur Politeuma-Aussage in Abschnitt 3.2.5 meiner Studie).

Eckdaten des räumlichen Alltagswissens der Kommunikationspartner

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(7) Die römischen Kaiser und deren Delegierte zeigen in ihrem raumstrukturierenden Handeln, dass Herrschaftsraum gestaltbar ist. Er muss erschlossen (teilweise sogar militärisch erobert), strukturiert und gegen andere Herrschaftsansprüche verteidigt werden. Auf dieser Spur erleben Paulus und die Philipper politischen Raum als soziales Produkt, bei dessen Etablierung starke asymmetrische Abhängigkeitsstrukturen entstehen: Während der militärisch Überlegene seinen Herrschaftsraum gestalten kann, hat sich der Unterlegene dieser Prägung zu fügen. Meine Rede von starken asymmetrischen Abhängigkeitsstrukturen orientiert sich eng an Vorschlägen von Christoph Antweiler sowie Julia Winnebeck u. a. aus dem Bonn Center for Dependency and Slavery Studies (BCDSS): Eine ungleichseitige Abhängigkeit basiert auf der Fähigkeit eines Akteurs A, Handlungen und Ressourcenzugänge anderer Akteure B – seien es Einzelpersonen, Gruppen oder Institutionen – effektiv zu kontrollieren. Dabei zeigt sich die Asymmetrie einer Abhängigkeit besonders darin, dass die abhängigen Akteure B ihre Situation weder durch eine sanktionsfreie Entfernung aus der Abhängigkeitsstruktur („Exit“) noch durch Protest gegen diese Struktur („Voice“) ändern können. Eine solche Abhängigkeit stufe ich als stark asymmetrisch ein, wenn die beteiligten Akteure A und B mit völlig divergierenden Macht- und Durchsetzungsmöglichkeiten ausgestattet (vorgestellt) sind. Darüber hianus spielen auch die zeitliche Dimension, der Intensitätsgrad der Über- und Unterordnung sowie die nachhaltigen Einwirkungsmöglichkeiten des Übergeordneten auf zentrale Lebensbereiche und Lebensvollzüge des Abhängigen eine entscheidende Rolle. Je ausgeprägter und einseitiger das hierarchische Gefälle zwischen über- und untergeordnetem Akteur ist, je weitgehender die Abhängigkeit die Lebensweise des abhängigen Akteurs bestimmt und je dauerhafter das Abhängigkeitsverhältnis vorgestellt ist, als umso stärker und existentieller lässt es sich einstufen; hinzu kommt noch die Frage, wie radikal sich der Bruch mit dem angestammten Lebensumfeld beim (erzwungenen) Eintritt in das Abhängigkeitsverhältnis darstellt.169

(8) Der Kaiser ist beispielsweise auf Statuen, Münzen oder in Inschriften im Alltagsleben einer römischen Kolonie mehr oder weniger bemerkt omnipräsent.170 Von daher darf den brieflichen Kommunikationspartnern eine basale (Alltags-) Vorstellung von unterschiedlichen Formen einer vermittelten Anwesenheit bzw. ständigen Nähe eines räumlich weit entfernten Herrschers zugeschrieben werden.

169 Siehe Winnebeck u. a., Dependency, besonders 2–3; 9–12; 27–28 sowie Antweiler, Dependence, besonders 2–3; 6–9. 170 Damit ist nicht darüber entschieden, inwieweit das Kaiserbild die Funktion hatte, „den Kaiser zu vertreten oder die Allgegenwärtigkeit des Herrschers auszudrücken“. Diese Funktionszuweisung lehnt Klauck, Umwelt, 65 ab (ebd. auch das voranstehende Zitat). Er erwägt ebd. unter Aufnahme von Pekáry, Kaiserbildnis, 154: Das Kaiserbild „diente vielmehr als ‚ein für alle sichtbar gemachtes Einheitssymbol des Vielvölkerstaates‘“. Es hätte die Aufgabe gehabt, die Loyalität der Menschen vor Ort dem Kaiser gegenüber zum Ausdruck zu bringen (nach ebd.).

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Grundlegungen

Sie erleben, wie Herrscher den Lebensraum ihrer „Untertanen“ trotz einer teilweise erheblichen räumlichen Entfernung konkret gestalten.171 Am Ende meiner Bündelung der Eckdaten des räumlichen Alltagswissens steht ein Praxistest an. Dieser schaut auf jene Kosmosaussage, von welcher meine Überlegungen in 2.2.1 ausgingen. Die Allerweltserfahrung eines andauernden Macht-, Ehr- und Vorrangstrebens im Kleinen (= in den unmittelbaren Lebensbezügen vor Ort) kann zusammen mit dem Erleben einer machtvollen militärischen Raumgestaltung durch die Römer zu folgendem Eindruck führen: Eigene Interessen um jeden Preis durchsetzen zu wollen, gehört zum menschlichen Zusammenleben im Welten-Raum unabänderlich dazu, begegnet es doch in Lebensbezügen auf allen Ebenen. In 2,15 tritt Paulus diesem (möglichen) Eindruck vehement entgegen, indem er den Kosmos als gestaltbaren Raum vor Augen stellt. Diese Dimension tritt offen zutage, wenn man den Prozess der kognitiven Raumrekonstruktion nachvollzieht172. Paulus stößt diesen Prozess mit der Aufforderung an, seine Adressaten mögen wie Lichter ἐν κόσμῳ leuchten. Aus dieser textuellen Vorgabe können sie den Rückschluss ziehen, dass Paulus den Kosmosraum als „dunklen“ und „finsteren“ Raum rekonstruiert wissen möchte.173 Diese Nuancierung deutet darauf hin, dass die Kosmosbezeichnung gezielt auf den Erdenraum unter dem Himmelsgewölbe abhebt,174 wiewohl κόσμος alltagssprachlich auch die gesamte, Himmel und Erde umfassende Welt bezeichnen kann. Berücksichtigen die Philipper bei ihrer kognitiven Raumrekonstruktion die Aufgabenzuschreibung, Licht zu sein, können sie zu folgender Auffassung gelangen: Der Kosmos ist nicht per se ein wider-göttlicher Raum. Seine dunkle Seite ist Resultat menschlichen Verhaltens (= der γενεᾶς σκολιᾶς καὶ διεστραμμένης). Die Adressaten treten dieser aktuellen Prägung des Kosmosraums als dunklem 171 Siehe zum Gedanken auch etwa Popkes, Aussage, 251 mit den Anm. 31 und 32. 172 Siehe zu 2,15 auch noch in Abschnitt 3.2.2.3. 173 Kulturübergreifend steht Licht metaphorisch betrachtet für „Leben, Glück und Heil“, während Dunkel an „Unglück und Unheil“ denken lässt (Hahn, Art.  Licht / Finsternis, 1315). Werden Begriffe wie Finsternis und Dunkelheit in der biblisch-alttestamentlichen Vorstellungswelt theologisch eingesetzt, eignet ihnen der Aspekt der Gottesferne: „Das Dunkel ist Ort der Gottfinsternis. Wo man sich durch Ungehorsam von Gott fernhält, bleibt es dunkel (Ps 107,10f)“ (ebd. 1308). Dabei lassen Dunkelheit und Finsternis an Ferne oder Abwesenheit von Recht und Ordnung denken (z. B. Ijob 10,22; Jes 59,9); auch im außerbiblischen Judentum steht die Finsternismotivik „für alle Verlorenheit“ (Hoppe, 1 Thess, 300): Hen(äth) 10,5; 102,7; Test XII Lev 19,1 oder 1QS 1,9–10. Paulus selbst verbindet in 2Kor 6,4 den Licht-Dunkel-Kontrast mit der Gegenüberstellung zwischen Gerechtigkeit und Gesetzlosigkeit (δικαιοσύνη – ἀνομία); weitere Belege für diese Gegensatzpaare bei Schmeller, 2 Kor, 374 Anm. 57 und Woyke, Götter, 303–305. 174 Die Zusatzfacette „Himmelsgewölbe“ (im Sinne des englischen „sky“) ist eigens zu veranschlagen, wenn man bei φωστῆρες die von der LXX mitgeprägte Bedeutung „Himmelsleuchten“ mithört (z. B. Gen 1,14.16; Weish 13,2; Sir 43,7; so z. B. O’Brien 295). Unter dieser Prämisse würde Paulus die philippische Christusgemeinde mit den Leuchten am Himmelsgewölbe vergleichen (Sternen), welche den Erdenraum von „oben“ erhellen; Adams, Constructing, 241 hingegen sieht den Kosmosbegriff in 2,15 „applied to the whole universe“.

Eckdaten des räumlichen Alltagswissens der Kommunikationspartner

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Raum nun dadurch entgegentreten, dass sie ihren Auftrag ausführen, Licht zu sein (φαίνεσθε). Für Peter T. O’Brien ist φαίνεσθε „best understood as an indicative rather than an imperative“175. Anstelle einer Gewichtung oder eines EntwederOder sehe ich beide Dimensionen berührt. Die Zuschreibung: „ihr seid Licht“ birgt zugleich den Aufruf: „Leuchtet!“, und zwar im Sinne von: „Setzt den gegenwärtigen Kurs, Licht zu sein, ungebrochen und konsequent fort“. Die Gemeinde ist raumgestalterisch tätig, sobald sie den negativen Einflüssen ihrer Zeitgenossen ihre positive Verhaltensweise gegenübersetzt. Damit leisten sie einen Beitrag, dass sich die Wirklichkeit im Kosmos sozial wahrnehmbar verändert. Spätestens an diesem Punkt ist deutlich, dass die kognitive Raumrekonstruktion im Horizont der Briefpragmatik maßgeblich auf Hinausversetzung angelegt ist. Der konkrete Lebensraum etwa in der römischen Kolonie Philippi soll im Licht des Christusereignisses gestaltet werden. Geht man noch einen Schritt weiter und gesteht der Gemeinde zu, dass sie etwa bei der paulinischen Erstverkündigung eine anfängliche Vertrautheit mit (früh-) jüdischen Schöpfungsvorstellungen gewonnen hat, begreift sie den Kosmos aus 2,15 als göttlichen Schöpfungsraum. Bei der Verhältnisbestimmung von Gott und Kosmos finden sich etwa in Weish 11,17; 2Makk 7,23 oder 4Makk 5,25 Aussagen, die Gott explizit als Schöpfer des Kosmos präsentieren (κτίσασα τὸν κόσμον bzw. ὁ τοῦ κόσμου κτίστης). Während solche Stellen Gott und Welt durch die hierarchisch-kausale Zuordnung von Schöpfer und Schöpfung eng und positiv aufeinander beziehen, kann der Kosmosbegriff andernorts eine Distanz zwischen beiden Größen markieren (siehe nur JosAs 15,12 oder grBar 10,3). Solche distanzierenden und pessimistischen Aussagen über die Welt dienen aber nicht dazu, ihre Einstufung „als gute Schöpfung Gottes“ zu widerlegen; sie sind vielmehr „Resultat von negativen Existenzerfahrungen“176.

Auf dieser Spur weiß sich die Gemeinde in die Verantwortung genommen und befähigt, durch ihr „Lichtsein“ die „helle“ und heilvolle Dimension der Schöpfung im Erdenraum (wieder) zur Geltung zu bringen. Auf diese Weise tragen die Gemeindemitglieder zu einem intakten Verhältnis zwischen Schöpfer und irdischem Schöpfungsraum bei, welches für Paulus durch die „verkehrte und verdrehte Generation“ gegenwärtig merklich belastet ist.

175 O’Brien 296 (so z. B. auch Reumann 392; Gegenstimmen verzeichnet er ebd.); siehe zum biblisch-frühjüdischen Hintergrund der paulinischen Lichtmetaphorik nur O’Brien ebd. 176 Nach Wolter, Art. κόσμος, 1894 (dort auch beide Zitate).

Kapitel 3. Eine raumsensible Lektüre des Philipperbriefes Die raumthematisch auswertbaren Aussagen des Philipperbriefes analysiere ich in der Reihenfolge ihrer Platzierung im Textverlauf. So wird erkennbar, wie Paulus (literarischen) Raum im Briefverlauf entstehen lässt und wie er sich mit bestimmten Herausforderungen wie seiner räumlichen Trennung von der Gemeinde wiederholt auseinandersetzt. Es wird sich zeigen, dass die Bearbeitung dieser Trennungserfahrung den Brief wie einen roten Faden durchzieht. Darüber hinaus vermittelt eine Orientierung am Briefverlauf einen tragfähigen Eindruck davon, wie Paulus in seiner Argumentation auf bestimmte Raum-Themen (z. B. die Verortung „in Christus“) regelmäßig zurückgreift, sie neu beleuchtet und weiterentwickelt. Da ich Raum im Horizont der Impulse aus dem spatial turn wesentlich als dynamische und sozial konstruierte Größe im Blick habe, lege ich ein Hauptaugenmerk der anstehenden Textarbeit auf Aspekte wie Raumkonstitution, Raumgestaltung und Raumerhaltung. Es ist zu erheben, wie Paulus die raumkonstituierenden Handlungen und die raumgestaltenden Handlungsträger auf göttlicher und menschlicher Seite immer wieder neu in den Blick nimmt und die Kooperation beider Seiten auslotet. Sämtliche Überlegungen zu einer Gott-menschlichen Kooperation stehen unter folgendem Vorzeichen: Jegliche Inverantwortungnahme der Menschen „in Christus“ für die Aufrechterhaltung und Ausbreitung des neuen Heilsraums setzt ein vorgängiges göttliche Heils- und Erwählungshandeln voraus. Für Paulus haben die Menschen „in Christus“ durch göttliches Heils- und Erwählungshandeln bereits gegenwärtig Anteil am Heil. Diese Heilsteilhabe ermöglicht und legitimiert in den Augen des Apostels seine Forderung an die Gemeinde in Philippi, die Herrschafts- und Werteordnung des neuen Heilsraums sozial wahrnehmbar zu praktizieren. Durch ihr Tun gibt die Gemeinde dem Raum eine konkrete lokale Gestalt und trägt zur Umgestaltung ihres aktuellen Lebensumfeldes effektiv bei.1 Diesem ständigen Ausbalancieren von göttlichen und menschlichen Handlungsanteilen gehe ich in meiner raumsensiblen Briefanalyse ausführlich nach, wodurch der Eindruck entstehen mag, die Analysen entfernten sich (zu) weit von der Raumthematik. Begreift man aber Raum gezielt als soziales Konstrukt, wird klar: Die Handlungsträger, ihre Verantwortungsbereiche und Interaktionen sind entscheidend dafür, dass Raum zustande kommt und aufrechterhalten wird. Deswegen verlangen sie umfassende Aufmerksamkeit. 1 Die Gemeinde hat teil an diesem Geschehen: Der maßgebliche Akteur dieses Umgestaltungsprozesses ist der erhöhte Kyrios selbst, dem Gott dazu die notwendige Kompetenz übertragen hat.

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Eine raumsensible Lektüre des Philipperbriefes

3.1 Raum im Briefeingang: Präskript und briefliche Danksagung (1,1–11) Meine Ausgangsthese zu Raum am Briefeingang lautet: Paulus stößt den Prozess der kognitiven Raumrekonstruktion durch die Verortung seiner Adressaten „in Christus Jesus“ und „in Philippi“ im Präskript sogleich an. Berücksichtigen die Philipper ihre Alltagserfahrung einer ausgeprägten römischen Prägung, nehmen sie eine erste assoziative Aufladung vor. (1) Der Brieftext lässt das genaue Verhältnis der beiden Verortungen „in Christus“ und „in Philippi“ unterbestimmt. Diese Vagheit ermöglicht es, den Heilsraum „in Christus“ mit unterschiedlichen Akzenten auf sich ergänzenden Ebenen gedanklich zu rekonstruieren. Der Raum lässt sich als ein Inselraum innerhalb des römischen Kolonieraums Philippi auffassen. Zugleich stellt sich Paulus diesen Heilsraum aber immer auch als entgrenzten Raum vor, welcher Himmel und Erde miteinander verbindet. (2) Paulus stellt sich den neuen Heilsraum „in Christus“ wesentlich als Herrschaftsraum mit dem Kyrios an der Spitze vor. Dieser Raum zeigt von daher in seiner Grundstruktur ein ausgeprägtes asymmetrisches Abhängigkeitsgefälle, was die grundsätzliche Frage provoziert: Wie verhält sich Paulus im Briefverlauf zu diesem Machtgefälle? (3) Präskript und Danksagung ergänzen sich unter raumthematischer Perspektive. Während Paulus den Heilsraum in 1,1–2 wesentlich synchron betrachtet und Momente einer konkurrierenden Gleichzeitigkeit der Verortungen sowohl „in Christus“ als auch in Philippi anklingen lässt, nimmt er in 1,3–11 eine diachrone Perspektive ein. Er schreibt dem Parusiekyrios die weichenstellende Aufgabe zu, den Bestand dieses Raumes durch die Zeiten hindurch zu sichern; zusätzlich finden sich in der Danksagung Spuren, dass Paulus auch die Briefempfänger für die Sicherung des Raumbestands in die Verantwortung nimmt. (4) Diese Inverantwortungnahme tariert der Apostel von Beginn an dadurch aus, dass er in immer neuen Anläufen das Zusammenspiel zwischen göttlichem und menschlichem Handeln für die Etablierung und konkrete Gestaltwerdung des Heilsraums „in Christus“ in Philippi auslotet. So gelangt er bereits in 1,3–11 zu einer komplexen und spannungsreichen Verhältnisbestimmung beider Handlungsanteile. Er nimmt einerseits die menschliche Verantwortung ernst, ohne dadurch die Gemeindemitglieder vollkommen zu überfordern; andererseits entgeht er durch die stetige Rückbindung dieser Inverantwortungnahme an das vorgängige göttliche Handeln der Gefahr, diesen Handlungsanteil in seiner grundlegenden Bedeutung für die Etablierung des neuen Heilsraums „in Christus“ infrage zu stellen. Das göttliche Heilshandeln bildet für Paulus das Fundament seiner Heilsraumvorstellung, auf welchem er die Menschen schrittweise in die raumgestaltende Verantwortung einbindet.

Raum im Briefeingang: Präskript und briefliche Danksagung (1,1–11) 

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(5) In der Danksagung beginnt Paulus damit, seine räumliche Trennung von der Adressatengemeinde (literarisch) zu bearbeiten. Damit sucht der Apostel, einem strategischen Standortnachteil konstruktiv zu begegnen. Dieser Nachteil besteht darin, dass er die Gemeinde in Philippi aufgrund seiner Gefangenschaft aktuell nicht persönlich aufsuchen kann, wohingegen (potentielle) Fremdmissionare vor Ort sind (sein können).

3.1.1 Raum und Raumakteure am Briefbeginn: Neu-Philippi „in Christus“ Im brieflichen Präskript ziehen unter raumfokussierter Perspektive die beiden Präpositionalphrasen ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ und ἐν Φιλίπποις das Interesse auf sich. Die ältere Forschung hat die paulinischen In-Christus-Aussagen und deren Derivate wie „im Herrn“ oder „in ihm“ häufig als Formel betrachtet und nach einer einheitlichen Bedeutung gefragt.2 Es wurden mystisch-partizipatorische, ekklesiale oder heilsgeschichtlich-historisierende Verständnismöglichkeiten diskutiert.3 Im Unterschied zu dieser Herangehensweise rechnet die jüngere Forschung stärker mit einer Wechselwirkung zwischen der einzelnen In-Christus-Aussage und dem unmittelbaren Briefkontext.4 Das direkte Umfeld der ersten In-Christus-Aussage im Philipperbrief bilden die Eingangscharakterisierung der Adressaten als πάντες οἱ ἅγιοι und der Relativsatz τοῖς οὖσιν ἐν Φιλίπποις. Dieses Umfeld lässt kausale und räumliche Bedeutungsnuancen der In-Christus-Aussage in den Vordergrund treten; zudem ruft es Aspekte von Zugehörigkeit wach. Für die zuletzt genannte Bedeutungsaufladung zeichnet vor allem die Wechselwirkung zwischen der In-Christus-Aussage und der Anrede der Briefempfänger als πάντες οἱ ἅγιοι verantwortlich.5 Der Gebrauch des Numerals πάντες lässt den 2 Wegweisend: Deissmann, Paulus, 111: „Wie die Lebensluft, die wir einatmen, ‚in‘ uns ist und uns erfüllt, und wir doch zugleich ‚in‘ dieser Luft leben und atmen, so ist es auch mit der Christ-Innigkeit des Apostels Paulus: Christus ist in ihm, er in Christus.“ 3 Siehe nur den Überblick bei Reumann 59–61. 4 Siehe nur Wolter, Paulus, 236. 5 Anders als in 1Kor 1,2; 2Kor 1,1; Gal 1,2b und 1Thess 1,1 spricht Paulus seine Adressaten in Phil 1,1 nicht als ἐκκλησία an. Von der philippischen Gemeinde als ἐκκλησία spricht Paulus in vermittelter Weise erst in 4,15; zuvor hat er in 3,6 im Hinblick auf seine vormalige Verfolgertätigkeit allgemein von der Kirche als ἐκκλησία gesprochen: Siehe zur Diskussion um das ‚Fehlen‘ der Ekklesiabezeichnung in Phil 1,1 nur die beiden aufeinander bezogenen Beiträge von Ehrensperger, No ἐκκλησία?, 63–78 und Standhartinger, Polis, 139–151. Vergleichbar zur Situation in der adscriptio des Philipperbriefes fehlt auch in der brieflichen Zuschrift des Römerbriefes in Röm 1,7 der ἐκκλησία-Begriff. Für Wolter, Röm 1, 40 deutet dieses Fehlen im Verbund mit den Beobachtungen, dass der Begriff im gesamten Röm nicht auftaucht und sich dort Spuren einzelner Hausgemeinden ausmachen lassen, darauf hin, dass es eine „übergeordnete stadtgemeindliche Organisationsebene“ bei den römischen Christen noch nicht gab.

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Eine raumsensible Lektüre des Philipperbriefes

Eindruck entstehen, „als wolle Paulus jedes einzelne Gemeindemitglied unmittelbar erreichen“6 und als Heilige(n) ansprechen. In alttestamentlich-jüdischer Tradition ist die Heiligkeit entscheidendes Charakteristikum des Volkes Israel und „aufs Engste mit seiner Erwählung zu Gottes Eigentumsvolk verbunden“. Die Heiligkeit wird „als Teilhabe an Gottes eigener Heiligkeit“ verstanden, sodass für das Gottesvolk gilt: Als heiliges Volk erlangt es Anteil „an einer Eigenschaft, die Gottes Gott-Sein ausmacht“7. Hört man die paulinische Zuschreibung πάντες οἱ ἅγιοι im Licht dieser Tradition, gibt der Apostel zu verstehen, dass die Gemeindemitglieder in Philippi durch göttliches Erwählungshandeln zum Gottesvolk gehören und Anteil an Gottes Heiligkeit haben. Die Erinnerung an diese Zugehörigkeit erscheint strategisch noch bedeutsamer, wenn es in 3,2 um ein (mögliches) Auftreten von judenchristlichen Fremdmissionaren geht. Um potentiellen Einflüssen solcher Missionare zu begegnen, macht der Apostel mit der wegweisenden ἅγιοι-Zuschreibung deutlich, dass es bei der philippischen Gemeinde keinerlei Erwählungs- oder Statusdefizit gegenüber Israel gibt, welches beseitigt werden müsste. Der Gedanke eines göttlichen Erwählungshandelns, der mit der Zuschreibung „Heilige“ verbunden ist, färbt die In-Christus-Aussage in 1,1 ein und lässt an Aspekte wie wirkende Ursache, Urheberschaft und Zugehörigkeit denken. Auf der Spur der wirkenden Ursache erscheint Jesus pointiert als Urheber, der die Briefempfänger in den Status der Heiligen versetzt hat. Als Heilige sind sie ihm und Gott zugeeignet und gehören einer neuen Sinnwelt an.8 Diese ist für Paulus grundlegend vom Christusereignis bestimmt9 und soll auf Erden schrittweise Raum greifen. Damit ist die Brücke zur Wahrnehmung der räumlichen Konnotation der InChristus-Aussage geschlagen. Diese Konnotation wird vor allem durch den anschließenden Relativsatz τοῖς οὖσιν ἐν Φιλίπποις wachgerufen10, in welchem die 6 Gnilka 31; vgl. z. B. auch 1,4.7.8.25; 2,17.26. 7 Nach Wolter, Röm 1, 97. Er kommentiert die Heilig-Charakterisierung in Röm 1,7 (dort auch die drei vorangehenden Zitate). 8 Vgl. z. B. Walter 32. Bei der Heilig-Zuschreibung gehe es „nicht so sehr um moralische Fleckenlosigkeit“, sondern „um die Ausschließlichkeit vollen Gebundenseins an Gott“. Von dieser könne nur die Rede sein, „weil Gott eine solche Beziehung ‚in Christus Jesus‘“ hergestellt habe. 9 Nach Wolter, Paulus, 238 ist diese Dimension bei der Beschäftigung mit den pauli­ nischen „In-Christus“-Aussagen „[g]enerell zu wenig berücksichtigt“ worden. Für Paulus handle es sich bei dieser neuen Sinnwelt „nicht lediglich um eine kognitive Konstruktion“; vielmehr sei „deren Wirklichkeitsgewissheit von derselben ontologischen Dignität […] wie die alltagsweltliche Wirklichkeitskonstruktion (‚im Fleisch‘).“ 10 Siehe zur Diskussion um die räumliche Dimension der paulinischen „in Christus“- bzw. „in Christus sein“-Aussagen nur Portenhauser, Identität, 222–223 Anm. 15; kritisch zu dieser Dimension etwa Wolter, Paulus, 244: „Wenn Paulus die Identität des Menschen als ein ‚InChristus‘-Sein bezeichnet, hat das griechische Wort ἐν nicht lokale, sondern modale Bedeutung“ (weiter noch ebd. 244–245 Anm. 79).

Raum im Briefeingang: Präskript und briefliche Danksagung (1,1–11) 

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Präposition ἐν dezidiert räumlich zu verstehen ist. Die räumliche Dimension des „in Christus“ wird greifbar, wenn man diesen Raum als sozial konstruierte Größe betrachtet.11 Der Kyrios Jesus richtet diesen Heilsraum auf, in welchem seine Wertmaßstäbe und Handlungsvorgaben gelten, und sorgt sich um die Menschen in diesem Raum. Aspekte von Fürsorge, Vertrauen und Hoffnung rechnet auch Teresa Morgan dem Bedeutungsspektrum von ἐν-Präpositionalphrasen mit Dativ zu (nicht auf Paulus beschränkt). Diese Phrasen trügen relativ verbreitet die Bedeutung „in der Hand von“ („in the hands of “)12 und berücksichtigten Aspekte von Abhängigkeit, bleibender Eigenständigkeit und Verantwortung. Sie bezeichneten „relationships of power and dependence which often also involved responsibility and even care, trust, and hope, but which do not take all power away from the subaltern partner“13.

Die unterschiedlichen, kontextuell stimulierten Bedeutungsfacetten der In-Christus-Aussage in 1,1 geben zusammengenommen einen gemeinsamen Fluchtpunkt zu erkennen. Dieser Punkt besteht in einer durchgängigen Erinnerung an die Handlungsträgerschaft Jesu Christi. Sein Heils- und Erwählungshandeln hat die Philipper zu Heiligen und Gott Zugeeigneten gemacht (ἐν im Sinne der wirkenden Ursache und Zugehörigkeit), sein Handeln konstituiert die neue Sinnwelt, räumlich gesprochen: den neuen Raum „in Christus“ (ἐν im räumlichen Sinne). Während Paulus die Konturen dieses neuen Raums erst im Laufe seines Briefes im Detail entfalten wird, weist bereits die Auftaktrede vom Sein „in Christus“ auf die personenkonzentrierte Anlage dieses Raums hin und ruft erste Assoziationen wach. Als Raum des erhöhten Christus ist es für die christuszugehörigen Menschen ein Raum des Heils und der heilvollen Begegnung mit ihrem Kyrios. Zugleich weist die Selbstvorstellung der Briefabsender als Sklaven auf die Strukturen radikaler Über- und Unterordnung „in Christus“ hin. Damit steht der Raum „in Christus“ gleichermaßen als Heils- und Herrschaftsraum vor Augen. Durchdenkt man die vorgetragenen Beobachtungen aus der Perspektive einer kognitiven Raumrekonstruktion, liegt offen auf der Hand, dass Paulus diesen Rekonstruktionsprozess mit den beiden ἐν-Präpositionalphrasen in 1,1 anstößt. Zudem baut er durch den Einsatz dieser beiden Präpositionalphrasen der Gefahr vor, dass sich die Briefempfänger den Heilsraum „in Christus“ als einen abstrakten 11 Die räumliche Facette der In-Christus-Aussage ist aber nicht naturalistisch zu verstehen, wie es etwa Deissmann, Formel, 81 vorschlägt: „Christus ist das Element, innerhalb dessen der Christ lebt“ (siehe zum naturalistischen Moment dieser Auslegung: derselbe, Paulus, 111). 12 Nach Morgan, Being, 17 („relatively common meaning“). Ein Verständnis von ἐν + Dativ im Sinne von „in der Hand von“ sei „a grammatically regular Greek phrase, widely used through time, including koinē and in the Septuagint“ (ebd. 22). Von daher sei es für die paulinische Adressatenschaft – „Jewish or gentile“ unschwer zu verstehen gewesen. 13 Morgan, Being, 22. Sie gibt ebd. 72–77 einen kursorischen Überblick über die „In-Christus“-Aussagen im Philipperbrief.

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Eine raumsensible Lektüre des Philipperbriefes

oder rein imaginären Raum vorstellen. Die ausdrückliche Nennung Philippis verweist sie auf ihren konkreten Lebensraum, innerhalb dessen der neue Raum „in Christus“ seine Ausprägung gewinnen soll. Ihre Alltagserfahrung veranlasst sie, den Raum „Philippi“ bei seiner kognitiven Rekonstruktion hochgradig assoziativ aufzuladen und ihm eine ungemein römische und militärische Prägung zuzuschreiben.14 Dieser Raum ist mit lebendigen („heißen“) Erinnerungen an verherrlichte Siege und schmachvolle Niederlagen assoziiert, liegt doch die Kolonie nahe am Ort jener Schlacht, welche für die Aufstiegsgeschichte des Octavianus von entscheidender Bedeutung war. Der Koloniename sichert die Verbindung des offiziellen Philippi mit Augustus, Münzen halten dessen Siege und dessen Göttlichkeit im Alltagsleben präsent. Diese Vergegenwärtigung spitzt die landläufige Erfahrung noch entscheidend zu, dass sich eigene Machtambitionen durch (militärische) Gewalt durchsetzen lassen. Mit Augustus und seinen Nachfolgern werden Kaiser als göttlich verehrt, welche ihre Machtinteressen militärisch auf Kosten anderer durchgesetzt haben. Bei ihrer kognitiven Raumrekonstruktion müssen die Briefadressaten den Raum „in Christus“ in Beziehung zu diesem assoziativ hoch aufgeladenen Kolonieraum Philippi setzen. Der Text selbst legt die Zuordnung beider Räume nicht eindeutig fest und deutet durch die gewählte Abfolge der beiden Präpositionalphrasen lediglich eine Priorisierung der Verortung „in Christus Jesus“ an. Durchdenkt man diese briefinterne Vorgabe weiter, gelangt man zu folgender Annahme: Paulus steckt mit der Verortung „in Philippi“ den Bezugsrahmen ab, innerhalb dessen der Raum „in Christus“ eine sozial fassbare Gestalt gewinnen soll. Auf dieser Spur lässt sich der Raum „in Christus“ in seiner konkreten Verwirklichung in der römischen Kolonie Philippi als Inselraum mit einer Innen-Außenunterscheidung gegenüber der nicht-christlichen Mehrheitsgesellschaft beschreiben. Die Gemeinde lebt gleichzeitig „in Christus“ und „in Philippi“, ohne dass die Christuszugehörigkeit sämtliche vorgängige Einbindungen komplett ablöst. Vielmehr deutet Paulus durch die Abfolge der beiden Präpositionalphrasen seine Vorstellung an, dass die einzelnen lebensweltlichen Einbindungen der „berufenen Heiligen“ hierarchisch zugeordnet sind. Über diesen Weg profiliert er das Sein „in Christus“ als die bessere Alternative, welche für die Gemeindemitglieder die gleichzeitige Verortung in andere Lebenskontexte der römischen Kolonie Philippi überbieten und zur bestimmenden Größe im Leben der einzelnen Gemeindemitglieder werden soll. Für Paulus ist der neue Heilsraum „in Christus“ aber nicht nur Inselraum, sondern immer auch entgrenzter Raum. Diese Dimension kommt dem Heilsraum schon allein dadurch zu, dass der erhöhte Kyrios diesen Raum vom Himmel aus konstituiert und dieser Raum (auch) auf Erden konkrete Gestalt gewinnen soll. 14 Paulus hat während seines Gemeindegründungsaufenthaltes diese Prägung des öffentlichen Lebens in Philippi selbst erlebt.

Raum im Briefeingang: Präskript und briefliche Danksagung (1,1–11) 

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Bedingt durch diese Grundstruktur zeigt der Raum „in Christus“ konzeptionell eine Dynamik, welche die Grenzen des (kosmischen) Einzelraums überwindet und Himmel und Erde fest miteinander verbindet. Diese Grenzüberwindung zeigt sich für Paulus aber auch im Erdenraum selbst. Der Raum „in Christus“ ist für den Apostel nicht exklusiv an einen einzigen Ort gebunden, sondern gewinnt überall dort Gestalt, wo Menschen Jesus Christus als ihren Kyrios anerkennen. Auf die Notwendigkeit, den Kyrios als Herrn anzuerkennen, weist der Apostel bereits im Präskript hin und legt damit seine Vorstellung von der basalen Organisationsstruktur des neuen Heilsraumes „in Christus“ offen. Entscheidende Signalworte finden sich in der Selbstvorstellung der Absender (δοῦλοι Ἰησοῦ Χριστοῦ), am Ende der Adressatenangabe (σὺν ἐπισκόποις καὶ διακόνοις) sowie im Segenswunsch (κύριος). Mit ἐπίσκοποι und διάκονοι rekurriert Paulus auf innergemeindliche Verantwortungsträger15 und gibt zu verstehen, dass es im Heilsraum „in Christus“ rechtmäßig hierarchische Strukturen und Leitungsaufgaben gibt (z. B. Aufseher16). Damit entspricht die Organisationsstruktur dieses neuen Raums im Grundzug weltlichen Gemeinschaftsstrukturen.17 Wenn Paulus bereits in der adscriptio den Gedanken anklingen lässt, dass Leitungs- und Führungs 15 Siehe nur Ascough, Associations, 131 (siehe ebd. 131–132 seine Überlegungen zu Möglichkeiten der Ableitung beider Bezeichnungen aus dem antiken Vereinswesen) oder Fee 67–69; siehe noch Bockmuehl 55: Die ἐπίσκοποι καὶ διάκονοι „exercise a ministry of supervision and care for the Christian polity at Philippi“ in der Abwesenheit des Paulus. Während etwa Frey, Philipperbrief, 21 von ἐπίσκοποι in Phil 1,1 zunächst ohne weitere Einschränkung als „Amtsbezeichnung“ spricht (ähnlich ebd. auch für διάκονοι) und erst anschließend etwas distanzierter danach fragt, welche „‚Ämter‘ oder Funktionen“ in Phil 1,1 im Blick seien (ebd. 22 spricht er dann von einer „habituell ausgeübten Funktion“ im Sinne eines „gemeindliche[n] ‚Amt[es]‘“), betont Fee 68 grundlegend die funktionale Dimension: Der Aufseherbegriff „first of all denotes a ‚function,‘ rather than an ‚office‘“; siehe z. B. auch Focant 58. Walter 32 gibt zu bedenken, dass es „sehr unwahrscheinlich“ sei, dass es „eine so weitgehende Organisation mit festen ‚Ämtern‘ schon zur Zeit des Paulus, wenige Jahre nach der Gemeindegründung“, gegeben habe. Bei allen Vorschlägen ist mit Frey, Philipperbrief, 21 im Blick zu halten, dass die Diskussion „natürlich stark von konfessionellen Interessen an der Legitimierung oder Delegitimierung der altkirchlichen Ämterordnung beeinflusst“ ist (mehr ebd. 21–22); ausführlicher: Söding, Geist, 194–200. 16 Siehe zum Begriff nur Ascough, Associations, 130–131. Nach Koch, Entwicklung, 176 zeigt die Pluralform an, dass diese ἐπίσκοποι „von dem später sich durchsetzenden einen ἐπίσκοπος zu unterscheiden sind [...]. Die vielfach postulierte paulinische Episkopenverfassung ist eine Fiktion“ (Kursivdruck im Original). Für Roloff, Kirche, 142 sind die ἐπίσκοποι „die Vorsitzenden der dortigen Hausgemeinden“; ἐπίσκοποι bezeichne demnach „ein örtliches Leitungsamt mit geistlicher Qualität“; zurückhaltender hinsichtlich des zuletzt genannten Gesichtspunktes etwa Walter 32. 17 Der Terminus ἐπίσκοπος ist nach Frey, Philipperbrief, 22–23 „v. a. im hellenistischen Bereich als relativ unspezifische Bezeichnung für Verwaltungs- und Vereinsbeamte belegt“ (Roloff, Kirche, 142 spricht von einer „völlig profane[n] Herkunft“ der Episkopenbezeichnung in 1,1). Dabei ließen sich in Philippi Vereine nachweisen, „die Bezeichnungen aus dem Bereich der Magisterverwaltung (wie aedilis, curator und procurator) übernommen haben“ (Frey ebd. 23 [Kursivdruck im Original]); siehe die Belege bei Pilhofer, Philippi 1, 144–146.

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strukturen zum Raum „in Christus“ gehören, rechtfertigt er mit dieser Andeutung auch seinen eigenen Anspruch: Er tritt der Gemeinde gegenüber als Autoritätsperson auf und erwartet, dass seine brieflichen Ausführungen, Mahnungen und Anweisungen befolgt werden.18 Ein hierarchisches Moment bestimmt aber nicht nur die soziale Struktur des Gemeinderaums „vor Ort“, sondern die Grundanlage des Heilsraums „in Christus“ insgesamt. Aus dem Zusammenspiel zwischen der Selbstvorstellung als Sklave Jesu Christi und der Verwendung der Kyriosbezeichnung geht hervor, dass sich der Apostel den Heilsraum „in Christus“ wesentlich als einen Herrschaftsraum mit dem Kyrios an der Spitze vorstellt. Dieser Herrschaftsraum gewinnt seine konkrete Ausprägung in den einzelnen Ortsgemeinden. Die Mitglieder dieser Ortsgemeinden sind gefordert, Eintracht untereinander zu halten und sich in gemeindlicher Einheit ganz an Jesus als ihrem Kyrios auszurichten. Weiß sich der einzelne zusammen mit seiner Gemeinde „vor Ort“ dem Kyrios Jesus unbedingt verpflichtet, stellt dieses Zugehörigkeitsgefühl zudem eine ortsübergreifende Verbindung her: Die Unterordnung unter die Autorität des erhöhten Kyrios verbindet die einzelnen Ortsgemeinden miteinander und mit ihrem Gründer Paulus. Überschaut man den raumthematischen Beitrag des brieflichen Präskriptes unter abhängigkeitskritischer Perspektive, ergibt sich eine Problemanzeige, mit welcher ich mich in Kapitel 4 ausführlich auseinandersetze: Dadurch dass der Apostel den neuen gemeinschaftsstiftenden und entgrenzten Heilsraum „in Christus“ grundständig als Herrschaftsraum profiliert, schreibt er in seinen Raumentwurf ein ausgeprägtes asymmetrisches Abhängigkeitsgefälle ein. Für ihn ist der Raum „in Christus“ keine herrschafts-, abhängigkeits- und hierarchiefreie Zone. Im Gegenteil: Der Apostel macht die Zugehörigkeit zu diesem Raum mitsamt der Anteilhabe am Heil wesentlich davon abhängig, die Herrschaft des erhöhten Kyrios anzuerkennen.

3.1.2 Die Handlungshoheit des Parusiekyrios als Thema der brieflichen Danksagung Unter dem Eindruck, dass Paulus seine Adressaten im Präskript als Heilige „in Christus Jesus“ charakterisiert hat, lassen sich der brieflichen Danksagung erste Angaben zu raumgestaltenden Akteuren und deren Kooperation entnehmen. Spuren tauchen auf, wie Paulus die Handlungsverantwortung für die Aufrecht 18 Zu zurückhaltend: Bormann, Philippi, 161. Es sei „verfehlt“, die Paulusbriefe „im Kontext einer autoritären Beziehung mit einseitigem Machtgefälle oder mit einem einseitigen Machtanspruch zu interpretieren“. Paulus werde von den von ihm gegründeten Gemeinden „als kompetenter Gesprächspartner in Fragen der Gemeindeorganisation und damit auch der Machtverteilung angesprochen“.

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erhaltung des Heilsraums „in Christus“ komplementär verteilt und sowohl Jesus als auch die Philipper in der Pflicht sieht. Diese Inverantwortungnahme ist in den beiden Parusieaussagen in 1,6.10 konkret greifbar. Diese Aussagen lassen an den erhöhten Jesus als denjenigen denken, der den Heilsraum durch sein raumübergreifendes Beziehungsangebot errichtet und als Parusiekyrios in der Lage ist, den Fortbestand dieses Raumes zu sichern; zum anderen sieht Paulus die Philipper als die Menschen ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ qualifiziert und gefordert, im Zusammenwirken mit Gott (ὁ ἐναρξάμενος … ἐπιτελέσει) ihre Christus-Zugehörigkeit bis zur Parusie aufrechtzuerhalten. Gelingt dies, dürfen sie begründet auf ihre endgültige Rettung am Tag Christi Jesu hoffen. Dazu im Einzelnen: Wenn Paulus die Philipper am Briefeingang „in Christus“ verortet, impliziert diese Zueignung an Jesus ein enormes Veränderungspotential. Bisherige Lebensraum-Einbindungen sollen dieser Zentralverortung untergeordnet werden. Deswegen sieht sich der Apostel in der brieflichen Danksagung gefordert, die Handlungshoheit des Kyrios unter diachroner Perspektive zu erweisen. Dazu denkt Paulus wesentlich von der Parusie her und erwähnt den Tag der Wiederkehr innerhalb weniger Verse gleich zweimal (1,6.10). Indem er auf diesen Tag als Tag Christi (Jesu) rekurriert, stellt er den erhöhten Herrn dezidiert als maßgeblichen Akteur an diesem Tag vor Augen.19 Der wiederholten Erinnerung an den Tag Jesu wohnt ein gegenläufiges Moment inne. Für Paulus ist einerseits klar, dass dieser Tag unerwartet kommen wird und das aktuelle Erscheinungsbild der Welt radikal verändern wird. Andererseits kann das Wissen darum, dass der Kyrios die Hoheit über das Geschehen an diesem Tag haben wird, die Gemeinde intern stabilisieren und in aller Unwägbarkeit Sicherheit vermitteln. Denn angesichts der zugeschriebenen Machtfülle können die Briefadressaten dem erhöhten Herrn begründet die Kompetenz zugestehen, den Fortbestand seines neuen Heils- und Herrschaftsraums auf Erden bis zu seiner Wiederkehr zu garantieren. Dadurch soll die geforderte Neugewichtung der Verortungen, welche aus der Zueignung an Jesus und Gott resultiert, nicht nur als Aufbruch in eine ungewisse Zukunft voller Unsicherheiten und Unwägbarkeiten erlebt werden. Die Adressaten sollen die geforderte Neugewichtung im Vertrauen darauf realisieren, dass der Parusiekyrios den neuen Heilsraum errichtet hat (Vergangenheit) und dessen Fortbestand dauerhaft wird sichern können (Gegenwart und Zukunft). Der Ausblick auf die erwartbare Stabilität des neuen Heilsraums balanciert die Tatsache aus, dass dieser neue Lebensraum für die Philipper noch keine lange Tradition vorweisen kann. Der Raum lebt wesentlich von der Hoffnung auf eine heilvolle Zukunft. Eine weitere Funktion dieses Stabilitätsaufweises zeigt sich, sobald man die ‚heißen‘ Erinnerungen an die militärischen Schlachten in unmittelbarer Nähe Philippis in Rechnung stellt. Zur Zeit der paulinischen Philipperbriefkorrespon 19 Χριστοῦ (Ἰησοῦ) als Genitivus subiectivus zu ἡμέρα.

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denz ist es noch keine 100 Jahre her, dass Menschen in Philippi konkurrierende Machtinteressen in einem Herrschaftsraum aus nächster Nähe erlebt haben. Diese Konkurrenz führte zu kriegerischen Konflikten und brachte große Verwerfungen sowie einschneidende und negative Folgen für einen Teil der Einwohner des Herrschaftsgebietes mit sich.20 Im Horizont dieser ‚heißen‘ Erinnerungen sucht Paulus mit den beiden Parusieaussagen zu zeigen, dass Unsicherheiten, welche aus den Machtkämpfen rivalisierender Herrschaftsaspiranten resultieren, für den Raum „in Christus“ nicht zu befürchten sind. Gott hat sich endgültig entschieden, Jesus als erhöhten Herrn einzusetzen und ihn mit umfassender Herrschaft auszustatten. Als Herr des Parusietages ist Jesus zugleich unangefochtener Kyrios seines Heils- und Herrschaftsraumes. Sein Raum besteht unter seiner Herrschaft auf Dauer, sodass die Adressaten „in Christus“ aus der Perspektive des Apostels nicht mit einem Loyalitätskonflikt rechnen müssen. Diese Vergegenwärtigung ist für Paulus dringlich, da er seine Gemeinde in ihrer Stabilität als noch junge Gemeinde sowohl von (potentiellen) (juden-)christlichen Fremdmissionaren als auch von paganen Deutungsangeboten existentiell herausgefordert sieht21 und etwaige Loyalitätskonflikte befürchten muss. Das Sicherheitsgefühl der hellenistisch-römischen Gesellschaft baut auf die Pax Romana.22 Paulus greift dieses Gefühl in 1Thess 5,3 mit den Schlagworten εἰρήνη und ἀσφάλεια kritisch ins Visier.23 Für Rudolf Hoppe erweist es sich aber doch als „zu vordergründig“, die Abweisung des Paulus „allein als expliziten Widerspruch gegen religiös-politische Ansprüche Roms und seines ideologischen Systems“ zu begreifen. Mit seinem prophetischen Votum gegen ein solches Sicherheitsdenken: τότε αἰφνίδιος αὐτοῖς ἐφίσταται ὄλεθρος gehe es Paulus im Hinblick auf die Gemeinde in Thessaloniki „weniger um einen direkten Widerspruch gegen die Politik Roms als vielmehr um die Festigung jener Abkehr von den εἴδωλα und ihrer Hinwendung zum ‚wahrhaftigen Gott‘“. Die Adressaten sollen mit ihrer Hinwendung und dem damit verbundenen Lebensmodell dem von der sie umgebenden Gesellschaft propagierten Sicherheitsgefühl effektiv widerstehen können.24 20 Trotz aller augusteischen Friedenspropaganda (siehe zum Goldenen Zeitalter nur Schreiber, Weihnachtspolitik, 25–62) dürfte diese Erfahrung aufgrund der Anwesenheit der Nachfolgegenerationen von Zwangsumgesiedelten und Kriegsveteranen in Philippi wohl zur Zeit des Paulus und seiner Gemeinde weiterhin präsent sein. 21 Für Bormann, Philippi, 224 verstand sich die philippische Gemeinde „als eine konkurrierende Alternative zur bisherigen offiziellen religiös-politischen Weltanschauung der Philipper“. Die Gemeinde sei in Konflikt geraten „mit der offiziellen, gesellschaftstragenden und herrschaftslegitimierenden religiös-politischen Ideologie des frühen Prinzipats in der Phase der julisch-claudischen Dynastie.“ 22 Belege für die römische Friedenspropaganda finden sich etwa bei Konradt, Gericht, 144– 146 (inklusive Anm. 667–679), vom Brocke, Thessaloniki, 170–178 oder Weima, Peace, 333–358. 23 Siehe für viele nur Schreiber, 1Thess, 272–274; im Unterschied dazu will Malherbe, Thess, 303–305 völlig vom politisch-gesellschaftlichen Kontext absehen (kritisch dazu schon Hoppe, 1Thess, 296 Anm. 332). 24 Die Gedanken zu 1Thess 5,3 nach Hoppe, 1Thess, 296 (ebd. auch die Zitate).

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Schaut man sich die beiden Parusieaussagen in 1,6.10 unter der Frage an, welche Verantwortung wem zugeschrieben wird, zeigen sich unterschiedliche Akzentuierungen, welche sich gegenseitig ergänzen. Noch ganz unter dem Eindruck des Danks, den Paulus für die anhaltende Gemeinschaft mit den Philippern εἰς τὸ εὐαγγέλιον an Gott gerichtet hat (εὐχαριστῶ τῷ θεῷ), kommt er in 1,6 auf das göttliche Vollendungshandeln und dessen Beitrag zur Rettung der Menschen zu sprechen. Paulus artikuliert seine Hoffnung (πεποιθὼς αὐτὸ τοῦτο), dass Gott das von ihm an den Philippern begonnene Erlösungswerk auch zu einem heilvollen Abschluss führen möge (ὁ ἐναρξάμενος ἐν ὑμῖν ἔργον ἀγαθὸν ἐπιτελέσει). Die syntaktische Struktur mit Gott als Subjekt von ἐναρξάμενος und ἐπιτελέσει rückt den göttlichen Handlungsanteil ins Zentrum. Von daher kommen dem Syntagma ἔργον ἀγαθόν Nuancen wie Heil oder göttliches Erlösungswerk zu.25 Hintergründig lässt dieses Syntagma aber auch an einen menschlichen Handlungsanteil denken: Die Menschen reagieren auf das umfassende göttliche Heilshandeln (= ἔργον ἀγαθόν) durch das Tun eigener guter Werke (= ἔργον ἀγαθόν).26 Wenn der Apostel den Zeitpunkt, bis zu welchem Gott sein heilvolles Vollendungshandeln an den Menschen ausgeführt haben wird, auf den Tag Christi Jesu datiert (ἄχρι ἡμέρας Χριστοῦ Ἰησοῦ), deutet er seine Vorstellung einer engen Interaktion zwischen Gott und Jesus in diesem Erlösungswerk an. Zugleich lässt er aber auch eine zeitlich-funktionale Nuancierung erkennen, da Paulus Gott hier vor allem als denjenigen vor Augen stellt, der den irdischen Lebensweg der philippischen Gemeinde führt und begleitet. Im Unterschied dazu kommt Jesus stärker als der endzeitliche Kyrios in den Blick. Er wird an „seinem Tag“ den (hoffentlich) erfolgreichen Abschluss jenes guten Erlösungswerks feststellen können, welches Gott in den Philippern grundgelegt hat und – hier kann die in der Rede vom ἔργον ἀγαθόν möglicherweise implizierte menschliche Ebene in Rechnung gestellt werden – in Interaktion mit den Menschen zur Vollendung geführt hat.

25 Bockmuehl 61 beispielsweise spricht vom „good work of redemption“ (im Original teilweise fettgedruckt). 26 Hinsichtlich der Frage, wer als „Täter“ des ἔργον ἀγαθόν zu veranschlagen ist, lassen sich mit Reumann 113–114 drei Deutungsrichtungen unterscheiden (ebd. auch die Nennung einzelner Vertreter): (1) ἔργον ἀγαθόν als Gottes Werk, (2) ἔργον ἀγαθόν als das Werk Gottes und der Philipper oder (3) ἔργον ἀγαθόν als das Werk der Philipper. Will man einen menschlichen Handlungsanteil hintergründig mithören, erscheint es mir doch als wesentlich verkürzt, allein auf die finanzielle Unterstützung des Paulus vonseiten der Philipper abzuheben. Vielmehr ist umfassender an deren gute Werke im zwischenmenschlichen Bereich zu denken, unter die freilich ihre finanziellen Gaben für Paulus subsumiert werden können; zur Bandbreite der diskutierten Vorschläge, welche menschlichen Handlungen in der paulinischen Rede vom ἔργον ἀγαθόν impliziert sein können, siehe die Übersicht bei Reumann 113–114.

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Als notwendige Ergänzung zur Ausleuchtung des göttlichen Handlungsanteils im Kontext der ersten Parusieaussage hebt Paulus bei der erneuten Thematisierung des Tages Christi in 1,9–11 den menschlichen Handlungsanteil eigens ins Wort. Der Apostel äußert zunächst den Wunsch, dass die Liebe seiner Adressaten mehr und mehr an Erkenntnis und aller Erfahrung (ἐν ἐπιγνώσει καὶ πάσῃ αἰσθήσει) reich werde. Als Ziel dieses erbetenen Reifungsprozesses nennt er die Fähigkeit zur Prüfung und Unterscheidung dessen, worauf es ankommt (εἰς τὸ δοκιμάζειν ὑμᾶς τὰ διαφέροντα27). Während am Beginn des Gebetswunsches die Handlungsträgerschaft für den Wachstumsprozess nicht explizit benannt wird (ἡ ἀγάπη ὑμῶν ἔτι μᾶλλον καὶ μᾶλλον περισσεύῃ),28 ändert sich die Situation in 1,10 spürbar. Das Syntagma τὸ δοκιμάζειν ὑμᾶς τὰ διαφέροντα weist die direkt angesprochenen Philipper (ὑμᾶς) als Handlungsträger der geforderten Prüfung aus. Sie sollen in der Lage sein, Wesentliches vom Unwesentlichen zu unterscheiden und sich durch die alltägliche Fokussierung auf das Wesentliche auf die endgerichtliche Beurteilung am Tag Christi vorzubereiten. Paulus zeigt sich überzeugt, dass sie zu einem sachgemäßen Vollzug dieses Unterscheidens durch das von Gott gewirkte Wachsen der Liebe ἐν ἐπιγνώσει καὶ πάσῃ αἰσθήσει befähigt sind. Nach dem Rekurs auf den von den Menschen zu erbringenden Handlungsanteil blendet Paulus in der Fortsetzung der Parusieaussage in 1,11 wieder auf den göttlichen Handlungsanteil über. Lag in 1,6 der Fokus auf Gott selbst, schaut Paulus jetzt auf Jesus Christus als den Geber der Frucht der Gerechtigkeit εἰς δόξαν καὶ ἔπαινον θεοῦ. Syntaktisch betrachtet macht der Apostel „Jesus“ allerdings nicht unmittelbar zum Subjekt von πληρόω, sondern weist ihn über die Präpositionalphrase διὰ Ἰησοῦ Χριστοῦ Jesus als Urheber des Erfülltseins der Philipper aus (πεπληρωμένοι … διὰ Ἰησοῦ Χριστοῦ). Durch diese zurückhaltende Form der Präsentation der Handlungsträgerschaft Jesu in Verbindung mit der zeitgleichen Bezugnahme auf seine (Gerichts-)Hoheit am Parusietag nimmt Paulus auf engstem Raum zwei Akzentuierungen vor. Einerseits stellt er die soteriologisch höchst relevante Macht- und Einflusssphäre Jesu vor Augen. Es geht um seinen Tag (εἰς ἡμέραν Χριστοῦ). Andererseits lässt er durch den zurückhaltenden Verweis auf dessen Ausführung der πληρόω-Handlung doch hinreichend Raum für eine grundlegende theozentrische Fundierung. Mit der unterschiedlichen Art und Weise, wie Paulus Gott und Jesus jeweils als Handlungsträger präsentiert, gibt er zu verstehen, dass Gott als Haupthandlungsträger über allem steht und die entscheidenden Weichen für die Erlösung der Philipper gestellt hat (ὁ ἐναρξάμενος … ἐπιτελέσει). Maßgeblich verstärkt wird diese theozentrische Fundierung noch durch den Hinweis am Ende der Danksagung, dass das durch Jesus ausgeführte Erfüllen der Philipper mit der Frucht der Ge 27 Siehe Bauer, Wörterbuch, 382 s.v. τὰ διαφέροντα. 28 Der Gebetscharakter (προσεύχομαι) lässt zumindest an einen göttlichen Handlungsanteil denken.

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rechtigkeit sein übergreifendes Ziel in der Verherrlichung Gottes hat (εἰς δόξαν καὶ ἔπαινον θεοῦ). Damit dient das Handeln Jesu in letzter Konsequenz dem Erweis der uneingeschränkten Macht- und Herrschaftsfülle Gottes (vgl. auch 2,10–11). Zieht man die Beobachtungen zusammen, bleibt Folgendes festzuhalten: Das in der brieflichen Danksagung nachgezeichnete Interagieren zwischen Gott, Jesus und der Gemeinde in Philippi kann im Licht der weichenstellenden Eingangsverortungen der Adressaten „in Christus“ und „in Philippi“ raumthematisch ausgewertet werden. Unter diesem Blickwinkel geht Paulus in der Danksagung anfänglich den Fragen nach, wie der Bestand des neuen Heilsraums gesichert und eine Zugehörigkeit zu ihm aufrechterhalten werden kann. Während Jesus als Parusiekyrios über die nötigen Möglichkeiten zu einer dauerhaften Bestandssicherung verfügt, soll die Gemeinde durch ihr Tun unter Gottes Hilfe den notwendigen Beitrag leisten, ihre Verortung „in Christus“ im Zugehen auf dessen Parusie in einen Dauerzustand zu überführen.

3.1.3 Erste Ansätze einer (nicht nur) literarischen Bearbeitung der räumlichen Distanz zwischen Paulus und seiner Gemeinde in der brieflichen Danksagung In der salutatio spricht Paulus von Gott als „unserem Vater“ (ἀπὸ θεοῦ πατρὸς ἡμῶν) und schließt sich durch den Gebrauch des Possessivpronomens der 1.Pers. Pl. ἡμῶν mit seinem Mitabsender Timotheus und mit seinen Adressaten zusammen. Paulus weiß sich mit den Mitgliedern der Familie Gottes raumübergreifend verbunden.29 Nach dem direkten Schulterschluss im Präskript wechselt er in der brieflichen Danksagung die Sprechrichtung anhaltend30 und setzt Pronominalformen der 1.Pers.Sg. („ich“) und 2.Pers.Pl. („ihr“) ein. Wenn der Apostel von „meinem Gott“, „meinen Fesseln“ und „eurer Gemeinschaft am Evangelium“ spricht, spiegelt sich im Gegenüber von „Ich“ und „Ihr“ auch die räumliche Trennung der Kommunikationspartner wider. Zugleich signalisiert Paulus mit dem Hinweis auf seine Gefangenschaft (τοῖς δεσμοῖς μου), dass er aktuell keine Verfügungsgewalt über 29 Für die Annahme, dass das Possessivpronomen ἡμῶν in 1,2 nicht allein auf die beiden Briefschreiber zu beziehen ist (ἡμῶν = Paulus und Timotheus), sondern auch die Adressaten einschließt (ἡμῶν = Paulus, Timotheus und die Philipper), spricht die Tatsache, dass die Rede von „Gott, unserem Vater“ nicht etwa Teil der superscriptio ist, sondern erst in der salutatio begegnet und damit auf die Nennung auch der Adressaten in 1,1b folgt. 30 Dieser Wechsel in der Sprechrichtung ist kein Alleinstellungsmerkmal des Philipperbriefes. Sie findet sich beispielsweise auch zwischen der brieflichen salutatio in 1Kor 1,3 („unser Vater“) und der anschließenden Danksagung in 1Kor 1,4–9 („mein Gott“ – „ihr“) (anders etwa in 2Kor). Allerdings wiederholt Paulus am Ende dieser Danksagung in 1Kor 1,9 den expliziten Schulterschluss mit seinen Adressaten, wenn er von Jesus als „unserem Herrn“ spricht.

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seinen physischen Aufenthaltsort hat. Er kann die räumliche Trennung von seiner Seite aus – etwa durch einen Aufbruch nach Philippi – nicht überwinden. Ohne seine bleibende Sehnsucht nach einem tatsächlichen räumlich-leiblichen Zusammensein mit der Gemeinde in Philippi auszublenden (siehe 1,8), setzt Paulus in der brieflichen Danksagung dazu an, seine unfreiwillige Trennung von der Gemeinde zu bearbeiten. Ein zentraler Baustein dieser Verarbeitung findet sich in 1,7. Dort spricht Paulus metaphorisch-räumlich davon, dass die Gemeinde einen Platz in seinem Herzen habe. Das Syntagma τὸ ἔχειν με ἐν τῇ καρδίᾳ ὑμᾶς ist mehrdeutig. Es kann sowohl im Sinne von „weil ich euch im Herzen habe“ verstanden werden als auch mit umgekehrter Subjekt-Objektverteilung: „weil ihr mich im Herzen habt“31. Betrachtet man das Syntagma als bewusst mehrdeutig formuliert, lässt sich diese Mehrdeutigkeit inhaltlich auswerten. Paulus bringt mit dieser mehrdeutigen Formulierung inhaltlich ein reziprokes Moment in seiner Beziehung zur Gemeinde zur Geltung. Er deutet auf eine anhaltende gegenseitige emotionale und geistig-geistliche Nähe zwischen sich und der Gemeinde hin, welche über die momentan nicht reduzierbare physisch-räumliche Entfernung hinweg besteht. Indem Paulus sich auf die mentale und emotionale Ebene begibt, wählt er einen Bereich, in welchem er trotz seiner Gefangenschaft agieren kann. Er ergreift mit seinem Schreiben die Gelegenheit, der Gemeinde in Philippi seine lebendige Erinnerung an sie mitzuteilen und bestenfalls deren eigene Erinnerung an ihren Gründer zu beleben (Gegenseitigkeit). Der Apostel weiß sich angesichts des (potentiellen) Auftretens von Fremdmissionaren vor Ort umso mehr zu dieser literarisch-mentalen Beziehungsarbeit gefordert. Seine Gegner haben ja den Vorteil, in Philippi direkt leiblich vor Ort zu sein. Bei seiner Beziehungsarbeit setzt Paulus in 1,3–11 betont dynamisch und handlungsorientiert an. Er lotet Möglichkeiten aus, wie die in der salutatio konstatierte familiäre Nähe im Beziehungsgeflecht zwischen ihm, der Gemeinde in Philippi, Gott und Jesus über die realweltlichen räumlichen Trennungen hinweg konkret erfahrbar werden kann. Stellt man in Rechnung, dass Paulus den Menschen „in Christus“ (= sich und der Gemeinde) eine eigene Verantwortung für das Aufrechterhalten dieses weitgespannten Beziehungsnetzes sowohl auf horizontaler als auch auf vertikaler Ebene zuschreibt, tritt die Zerbrechlichkeit dieses Netzes deutlich zutage. Es besteht die Gefahr, dass einzelne Beziehungsstränge innerhalb dieses Netzes durch menschliches Verhalten zerbrechen. Für Paulus ereignet sich das Leben im Heilsraum „in Christus“ gegenwärtig im Spannungsfeld von äußerst stabilen Facetten (Familienmetaphorik) und höchst zerbrechlichen Anteilen. Die Menschen „in Christus“ sind zu einer anhaltenden Beziehungsarbeit gefordert und dürfen dazu auf Gottes Unterstützung hoffen (1,6). Getragen von dieser Unterstützung kann der Mensch in den Augen des Apostels seinen unverzicht-

31 Mit Standhartinger 91.

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baren Anteil einbringen, den Beziehungsraum „in Christus“ vor Ort aufrecht zu erhalten und erfahrbar zu machen. Der handlungsorientierte Ansatz in 1,3–11 zeigt sich bereits im Dank für die Gemeinschaft der Philipper am Evangelium ἀπὸ τῆς πρώτης ἡμέρας ἄχρι τοῦ νῦν in 1,5. Indem Paulus bei diesem Dank ausdrücklich auf den Beginn der Christwerdung der philippischen Gemeinde schaut (ἀπὸ τῆς πρώτης ἡμέρας) und deren Mitgliedern eine dauerhafte und gemeinschaftsstiftende Bezugnahme auf das Evangelium attestiert (ἄχρι τοῦ νῦν), spielt er auf deren eigenen Handlungsbeitrag an. Wie der Apostel am Ort seiner Gefangenschaft, so beziehen sich die Gemeindemitglieder in Philippi εἰς τὸ εὐαγγέλιον und haben so Gemeinschaft untereinander und vermittelt über die Bezugsgröße des Evangeliums auch mit dem räumlich entfernten Apostel.32 Den Gemeinschaftsgedanken baut Paulus in 1,7 weiter aus. Er charakterisiert seine Adressaten als συνκοινωνοί μου τῆς χάριτος und stellt nach dem Evangelium die Gnade als eine weitere gemeinsame Bezugsgröße vor Augen.33 Die Tatsache, dass Paulus das Nomen χάρις nur durch den Artikel τῆς näher bestimmt,34 deutet einen briefinternen Rückbezug an. Die χάρις-Nennung in 1,7 verweist zurück auf den Gnadenwunsch in der brieflichen salutatio. Dort bezeichnet χάρις in der Kombination mit εἰρήνη jenes umfassende Heilsgut,35 welches Gott und Jesus gemeinsam in freier Entscheidung den Menschen „in Christus“ schenken.36 Diese 32 Eine „theo-ökonomische“ Lektüre der Gemeinschaftsaussage in 1,6 bieten Quigley /  Nasrallah, Cost, 215: Paulus beschreibe mit dem Koinonia-Begriff „a business relationship in the gospel, a venture in which both liability and potential rewards are shared. The Philippians have been participants and invested in this joint-venture of the gospel from the first day until now.“ 33 Das Possessivpronomen μου innerhalb des Syntagmas συνκοινωνούς μου τῆς χάριτος ist wie auch bei den unmittelbar benachbarten  – τοῖς δεσμοῖς μου (V.7) bzw. μάρτυς μου (V.8) – auf das vorangehende Wort zu beziehen: συνκοινωνούς μου (so z. B. auch O’Brien 70, Fee 74, Bockmuehl 63 oder Walter 33: „Teilhaber an der Gnade [Gottes]“); anders schon Lohmeyer 22 („Gefährten meiner Gnade“): Die „genaue Parallele“ (ebd. 25 Anm. 2.) in 4,14 (συνκοινωνήσαντές μου τῇ θλίψει) weise μου in 1,7 „dem Worte χάρις“ zu (siehe zur „schwierigen“ Grammatik von 4,14 nur Fee 439 Anm. 9). 34 Das Nomen χάρις verweist nach Wolter, Röm 1, 92 auf „eine Interaktion“. Die Tatsache, dass das antike Griechisch kein Adjektiv zu χάρις kenne, zeige an, dass dieser Begriff „nie ablösbar von einem konkreten Verhältnis und von einem bestimmten Handeln [sei], das als ‚Gabe‘ von χάρις gedeutet“ werde. 35 Einen Überblick über die Diskussion rund um die Herkunft von χάρις und εἰρήνη in den salutationes der Paulusbriefe bietet Doering, Letters, 408–412. Er rechnet „with a complex process of integration of North-West Semitic / Jewish models with individual Christian, pre-Pauline phrases and a binitarian accentuation, probably by Paul himself “ (ebd. 408; ausführlicher ebd. 412–415). 36 Dies gilt auch für die salutationes der anderen Paulusbriefe: Die χάρις lenkt „den Blick zurück auf das Handeln Gottes“ (Hoppe, 1Thess, 83) und meint dessen „heilmachende Zuneigung und Zuwendung“ (Schreiber, 1Thess, 82). Auch für Schmeller, 2Kor 1, 55 ist χάρις „sicher nicht nur eine Umformung des üblichen Grußes χαίρειν, sondern ein theologisch gefüllter Segenswunsch“ (so für den Phlm etwa Müller, Phlm, 91); in Röm 1,7 steht χάρις laut Wolter, Röm 1, 98 „als metonymische Bezeichnung für das Heilsgut, das Gott und der erhöhte Herr in gnädiger Weise zueignen“.

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Heilsgabe fußt auf der Initiative Gottes, die Menschen durch die Sendung seines Sohnes Jesus zu erlösen (siehe Röm 3,24; 5,2).37 Der briefinterne Rückverweis von 1,7 auf 1,2 macht das Syntagma συνκοινωνοί μου τῆς χάριτος zu einer Aussage über die Teilhaberschaft des Paulus und der Briefempfänger an der Gnade Gottes in Jesus Christus. Diese gottgeschenkte Gnade im Sinne des gesamten göttlichen Heils- und Erlösungshandeln verbindet die Gemeinde fest mit dem räumlich getrennten Apostel. Eine zusätzliche Einfärbung erhält die Gnadenaussage durch den Rekurs auf die Gefangenschaft (ἐν τοῖς δεσμοῖς μου)38. Die Gefangenschaft schränkt Paulus in seiner Bewegungsfreiheit erheblich ein und verhindert, dass er die Gemeinde in Philippi persönlich aufsuchen kann. Dennoch weiß er sich allein dadurch gegenseitig mit den Philippern verbunden (διὰ τὸ ἔχειν με ἐν τῇ καρδίᾳ ὑμᾶς = im Sinne von „sich gegenseitig im Herzen haben“), dass sie die gleiche göttliche Gnade empfangen haben wie auch er. Diese gegenseitige emotionale Präsenz stärkt für Paulus das Band der Gemeinschaft zwischen ihm und der Gemeinde und ermutigt ihn zur Evangeliumsverkündigung am Ort seiner Gefangenschaft (ἐν τῇ ἀπολογίᾳ καὶ βεβαιώσει τοῦ εὐαγγελίου). Von daher eignet der Gnadenaussage in 1,7 auch die Konnotation einer „Gnade der Gefangenschaft“. Der erzwungene Aufenthalt des Paulus im Prätorium eröffnet ihm den bislang unzugänglichen Raum für seine Evangeliumsverkündigung. Von daher schwingt in der Gnadenaussage auch die Assoziation an eine von Gott gegebene „günstige Gelegenheit“ mit. Zieht man diese Linie weiter aus, bringt die Gnadenaussage in 1,7 folgenden Grundgedanken ein: Das göttliche Heils- und Gnadenhandeln bewahrt nicht vor Gefangenschaft, irdischen Verfolgungen oder Bedrängnissen. Folglich deuten Bedrängniserfahrungen bis hin zu Gefangenschaft oder sogar Verfolgung weder auf eine Unwirksamkeit der göttlichen Gnade noch auf eine göttliche Handlungsohnmacht hin. Verknüpft man die Überlegungen zur gemeinschaftsstiftenden Funktion von Evangelium und Gnade mit den Eingangsbeobachtungen zur Sprechrichtung, ergibt sich folgendes Gesamtbild für 1,3–11: So stark Paulus in diesen Versen den 37 Vgl. Bockmuehl 55–56. 38 Diese Einfärbung rückt Fee 91 ins Zentrum seiner Auslegung von συνκοινωνοί μου τῆς χάριτος: Während zahlreiche Ausleger an „God’s saving grace“ oder an „Paul’s apostolic min­ istry“ dächten, spreche 1,29 für ein situationsspezifischeres Verständnis: „Paul very likely is referring to the ‚grace‘ of being ‚partners together in the defense and vindication of the gospel‘ even in the midst or present ‚chains‘“. Noch einen erheblichen Schritt weiter geht Lohmeyer 25–27: Er denkt bei συνκοινωνοί μου τῆς χάριτος an eine gemeinschaftliche Gnade zur Märtyrerexistenz und spricht ebd. 26 explizit vom „Leiden-Dürfen“. Den „Inhalt der Gnade“ bilde jenes „Geschick, das vorher mit ‚Fesseln und Verteidigung und Bekräftigung des Evangeliums‘ beschrieben ist“ (ebd. 25). Paulus und die Philipper seien dadurch in herausragender Weise miteinander verbunden, dass die Gemeinde wie Paulus „in Verfolgungen“ stehe: „Weil beide so die gleiche Gnade des Schicksals tragen, sind sie tiefer und näher verbunden als Pls. es sonst mit einer Gemeinde ist“ (kritisch etwa Walter 36; zur Diskussion siehe nur Reumann 119–120).

Raum im Briefeingang: Präskript und briefliche Danksagung (1,1–11) 

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Gemeinschaftsgedanken zur Bearbeitung der räumlichen Trennungserfahrung betont, so vollzieht er dennoch in diesen Versen an keiner Stelle explizit einen direkten Schulterschluss mit den Philippern beispielsweise durch die Rede von „unserer Gemeinschaft am Evangelium“ (anders noch 1,2: „unser Vater“). Wenn er stattdessen konsequent die Sprechrichtung: „Ich ↔ Ihr“ nutzt und zugleich das Evangelium und die Gnade Gottes als maßgebliche gemeinschaftsstiftende Größen ausweist, setzt er zwei komplementäre Akzente: Ohne die große, aktuell nicht minimierbare physisch-räumliche Distanz auszublenden39, stellt er von seiner Seite eine raumgrenzenüberwindende Gemeinschaft mit der Gemeinde in Philippi her, und zwar durch die Vergegenwärtigung der gemeinsamen Gnade und einer gemeinsamen Orientierung εἰς τὸ εὐαγγέλιον. Wenn er diesen vermittelten Weg des Schulterschlusses mit seiner Gemeinde über die Größen von Gnade und Evangelium wählt,40 erscheinen Gnade und Evangelium gezielt als nicht ortsgebundene Größen profiliert zu sein. Auch wenn ein Bote des Evangeliums oder ein Zeuge der Wirkmächtigkeit der göttlichen Gnade im Gefängnis sitzt und in seiner Bewegungsfreiheit erheblich eingeschränkt ist, sind weder die Gnade noch das Evangelium in ihren Wirkungen räumlich eingeschränkt oder können durch eine irdische Instanz aufgehalten werden. Für Paulus kommt der Gnade und dem Evangelium als nicht begrenzte und nicht begrenzbare Größen das Potential zu, realweltliche physische Raumbegrenzungen zu überwinden und eine einzelraumübergreifende Gemeinschaft zu stiften. Der Apostel sieht die Menschen „in Christus“ untereinander raumübergreifend dadurch fest miteinander verbunden, dass sie an ihren jeweiligen Orten alle dieselbe Gnade empfangen haben und sich ortsübergreifend gemeinsam auf das eine Evangelium beziehen.41 Die hintergründige Einspielung dieser entgrenzenden Dynamik flankiert die in 1,1 begonnene (literarische) Etablierung eines – postmodern gesprochen – entgrenzten Heilsraumes ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ. Dieser Raum ist für Paulus weder nur symbolisch oder nur vorgestellt, noch rein real, territorial oder physisch. Er ist beides zugleich. Paulus bleibt physisch der Gefangene, zeigt sich aber überzeugt, dass dies nicht seine einzige Verortung ist. Als Gefangener mit einem erheblich eingeschränktem Bewegungsradius gehört er durch die göttliche Berufung gleich 39 Diese Facette ist in der Wahl der Sprechrichtung eingefangen. 40 Anstelle eines direkten Schulterschlusses etwa durch die Rede von „unserer Gemeinschaft am Evangelium“ oder „unserer Gnade“ oder „der Gnade unseres Herrn.“ 41 Mit der Referenz auf den Gnadenempfang und den Einsatz für das Evangelium arbeitet Paulus seine Vorstellung bezüglich eines komplexen Zusammenspiels zwischen göttlicher und menschlicher Handlungsverantwortung weiter aus. Während die menschliche Ebene im Moment des aktiven Sich-Beziehens auf dieses Evangelium zur Geltung kommt, dient die Rede von den Mitgefährten im Empfang der göttlichen Gnade zur Erinnerung an die göttliche Grundlagenarbeit. Bei aller Handlungsverantwortung der Menschen „in Christus“, die Gemeinschaft am Evangelium aufrechtzuerhalten, legt Gott selbst die entscheidende Grundlage durch seine Gnadengabe.

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zeitig dem entgrenzten Raum ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ an. Diese Verortung kann zunächst als kognitive Zuschreibung betrachtet werden, mit der Paulus die physische Trennung von der Gemeinde in Philippi und seine räumlichen Einschränkungen als Gefangener gedanklich literarisch verarbeitet. Paulus bleibt aber bei seiner Konzeptionalisierung dieses entgrenzten Raumes ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ nicht auf der Vorstellungsebene stehen. Vom Beginn seines Briefes an zeigt er sich wesentlich daran interessiert, dass dieser neue Heilsraum mitsamt seiner Werteordnung irdisch Fuß fasst. Dieser Raum soll vor Ort in Philippi im Interagieren der Gemeinde eine sozial wahrnehmbare Wirklichkeit werden, wie er es am Ort der paulinischen Gefangenschaft in Ephesus bereits ist. Insgesamt setzt Paulus grundlegend raumpragmatisch an, oder noch zugespitzter formuliert: raumpolitisch. Er begreift seinen Gemeindeentwurf als lebenspraktische Umsetzung der Handlungsvorgaben Jesu und profiliert diesen Entwurf in kritischer Distanz gegenüber alltäglichen Wertevorstellungen wie Macht- und Vorrangstreben. Anders ausgedrückt: In seinem Entwurf interagiert der Apostel mit den alltäglichen Macht- und Wertevorstellungen mitsamt imperiumskritischer Spitzen, um der Gemeinde eine lebenspraktische Umsetzung des Lebens „in Christus“ vorschlagen zu können. Dieses Angebot hält er für überaus attraktiv und geeignet, im Wettstreit sowohl mit der nicht-christlichen Mehrheitsgesellschaft als auch mit (potentiellen) konkurrierenden (juden-)christlichen Deutungsangeboten als die bessere Alternative von der Christusgemeinde in Philippi akzeptiert zu werden. Setzt die Gemeinde den paulinischen Entwurf in die Tat um, hebt sie sich in den Augen ihres Gründers von der Mehrheitsgesellschaft in Philippi ab. Sie wird zum sozial erlebbaren Inselraum „in Christus“ inmitten der römischen Kolonie Philippi, ohne sich hermetisch von ihrem Umfeld abzuschotten. Eine werbende Außenwirkung ist für den Apostel von Bedeutung. Im Hinblick auf diese pragmatische Dimension scheut Paulus auch nicht davor zurück, sein Angebot mit soteriologischen Sanktionen zu belegen. Er sieht die Adressaten zur Realisierung seines Entwurfs unbedingt gefordert, wollen sie ihre Verortung im Heilsraum dauerhaft sichern und zuversichtlich der Parusie entgegengehen dürfen.

3.2 Raumpolitik im Briefkorpus (1,12–4,20) 3.2.1 Die Korpuseröffnung (1,12–26) Zwei raum-zeitliche Grundgedanken bestimmen die Korpuseröffnung in 1,12–26. Zunächst lotet Paulus in 1,12–14 die Auswirkungen seiner Gefangenschaft auf das irdische Raumgreifen der Evangeliumsverkündigung aus; anschließend verleiht er in 1,23 seiner Sehnsucht Ausdruck, von der Erde hin in die unmittelbare Christusnähe im Himmel zu wechseln.

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3.2.1.1 Raumeroberungen (1,12–14) Am Beginn der Korpuseröffnung erklärt Paulus, dass das ihm Widerfahrende (τὰ κατ᾽ ἐμέ) entgegen dem äußeren Anschein das Gedeihen des Evangeliums gerade nicht blockiert, sondern begünstigt (μᾶλλον εἰς προκοπὴν τοῦ εὐαγγελίου ἐλήλυθεν). Kontextbedingt wächst der Rede vom „Gedeihen des Evangeliums“ eine lokale Komponente zu. Es geht um die Idee, dass die Evangeliumsverkündigung an eigentlich unzugänglichen Orten Raum greift. Paulus zeigt sich überzeugt, dass ihm durch seine Gefangenschaft die Möglichkeit gegeben ist, seine Fesseln φανεροὺς ἐν Χριστῷ γενέσθαι ἐν ὅλῳ τῷ πραιτωρίῳ καὶ τοῖς λοιποῖς πᾶσιν. Der Bezugspunkt der Präpositionalphrase ἐν Χριστῷ ist strittig. Während ein Teil der Forschung τοὺς δεσμούς μου durch ἐν Χριστῷ näher bestimmt sieht und die Präpositionalphrase als Begründung der Inhaftierung begreift („Gefangener um Jesu willen“ bzw. „Gefangener aufgrund seiner Christuszugehörigkeit“42), widersprechen andere Forschungsmeinungen dieser Zuordnung. Dabei wird nicht selten auf die Satzstellung verwiesen: ἐν Χριστῷ habe seinen Platz erst nach φανερούς und nicht schon direkt nach τοὺς δεσμούς μου.43 Die Präpositionalphrase sei entweder speziell auf φανερούς zu beziehen oder aber auf den gesamten ὥστε-Satz. Sie diene dazu, den Raum des Offenbarwerdens anzuzeigen („im Raum der Christusnachfolger“) oder aber die Täterschaft des φανερούς.44 Würdigt man die Mittelstellung, die ἐν Χριστῷ im gesamten Satz einnimmt,45 gelangt man zu der Annahme, dass in dieser Präpositionalphrase gezielt unterschiedliche Fluchtlinien zusammenlaufen. Auf einer ersten Linie erscheint Chris 42 Siehe z. B. Hawthorne / Martin 43–44. Sie übersetzen ebd. 43: „I am a prisoner because I am a Christian“ und erklären ebd. 44: Paulus schreibe, „that his imprisonment is ἐν Χριστῷ“; vgl. auch Focant 74 („c’est pour Christ qu’il est emprisonné“) oder schon Walter 38–39 („daß ich meine Fesseln als Christ trage“ [ebd. 39]): Paulus mache deutlich, „daß hier einer um einer guten Sache willen einsitzt“ (ebd. 38); siehe zu weitergehenden Nuancierung dieser Deutungsspur etwa Fee 112–113 mit den Anm. 29–30. 43 Eine Deutung im Sinne von Gefangener um Jesu willen „limps on grounds of word order“ (Reumann 170). 44 So deutlich Gnilka 56–57 für die Zuordnung von ἐν Χριστῷ zu φανερούς votiert, so wenig eindeutig ist er bei der inhaltlichen Auslegung des ἐν Χριστῷ. Durch die Aufnahme des Prozesses und die Paulus damit gegebene Möglichkeit, „vor den Schranken des Gerichts“ (ebd. 57) aufzutreten, sei für den Apostel die Gefahr gebannt, „totgeschwiegen zu werden“. Die Beseitigung dieser Gefahr ist laut Gnilka „in Christus geschehen“. Durch den beigefügten vergleichenden Hinweis auf 2Kor 2,12 (ebd. Anm. 18) gehe ich davon aus, dass Gnilka den Aspekt der Urheberschaft bzw. Hilfeleistung im Sinne von „bewahrt vor dem Vergessen durch Jesu Hilfeleistung“ im Blick hat (nach Schmeller, 2Kor, 144 ist durch das ἐν κυρίῳ in 2Kor 2,12 der Urheber gesondert benannt“). Dabei scheint die Überzeugung im Hintergrund zu stehen, dass der erhöhte Herr durch die ihm gegebene umfassende Macht Paulus’ Weg führt und begleitet. 45 Direktes Objekt (τοὺς δεσμούς μου) + 1. Teil des Prädikates (φανερούς) → ἐν Χριστῷ ← 2. Teil des Prädikates (γενέσθαι) + adverbiale Bestimmung des Ortes (ἐν ὅλῳ τῷ πραιτωρίῳ καὶ τοῖς λοιποῖς πᾶσιν).

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tus bei einem kausalen Verständnis der Präposition ἐν insofern als Handlungsträger des φανερούς,46 als er durch seine Vollmacht und Geschichtshoheit dafür Sorge trägt, dass Paulus in seiner Gefangenschaft nicht in Vergessenheit gerät und ihm eine Evangeliumsverkündigung nahezu unmöglich wird. Durch Christus (ἐν = „mit Hilfe von“47) ist es Paulus möglich, vor der staatlichen Öffentlichkeit als dessen Zeuge in Erscheinung zu treten und so konstruktiv zur Förderung des Evangeliums beizutragen. Diese Linie ist aber unbedingt um eine zweite Dimension zu ergänzen: Denn die Gefangenschaft selbst (= τοὺς δεσμούς μου) ist aus paulinischer Perspektive die unmittelbare Folge seiner Zugehörigkeit zu Christus. Mit dem Rückgriff auf die Präposition ἐν benennt Paulus also nicht nur die Person, mit deren Hilfe das φανερούς geschieht, sondern führt zugleich auch den Grund und die Ursache seiner Inhaftierung an („wegen Christus“)48. Die Bündelung dieser beiden Dimensionen in einer Präpositionalphrase weist in die Richtung, die beiden Ebenen als innerlich eng miteinander verschränkt zu begreifen. Für Paulus griffe es zu kurz, die Christus-Zugehörigkeit eindimensional als Grund für seine Fesselung zu betrachten. Sicherlich schaut Paulus in 1,12–13 auf seine eigene Gefangenschaft. Wenn er aber in 1,12 nicht speziell von seiner Gefangenschaft spricht, sondern unspezifischer von seinen Widerfahrnissen (τὰ κατ᾽ έμἐ), deutet er eine situationsübergreifende Öffnung seiner Ausführungen an. Paulus will seine Situation auch als exemplarische Situation verstanden wissen. Von daher sind seine Ausführungen auch eine implizite Aufforderung an seine Adressaten, ihre je eigene Situation mit all ihren Herausforderungen auf die katalysatorische Wirkung für die Ausbreitung des Evangeliums zu befragen. Sie sollen verstehen, dass aktuelle Krisen- oder Konflikterfahrungen um des Evangeliums willen nicht auf eine inhaltliche Schwäche der Botschaft oder eine göttliche Ohnmacht hindeuten. Paulus will, dass die Gemeinde solche Erfahrungen als Beitrag für das Raumgreifen des Evangeliums an Orten begreift, die sonst kaum zugänglich wären. Die Menschen „in Christus“ dürfen aufgrund ihrer „gefährlichen“ Zugehörigkeit zu Christus darauf hoffen, dass Christus ihnen in Extremsituationen genauso helfen wird, wie er Paulus in dessen Gefangenschaft bereits geholfen hat: Christus trägt Sorge dafür, dass Paulus’ Fesselung im Prätorium „offenbar wird“ (φανεροὺς γενέσθαι mit Hilfe von Jesus Christus) und eröffnet ihm so die Möglichkeit zur Evangeliumsverkündigung an sonst unzugänglichen Orten. Christus bewahrt Paulus davor, in der Gefangenschaft mundtot zu werden. 46 φανεροὺς γενέσθαι ist hier etwa mit Gnilka 57 oder Reumann 170 nicht auf den Bereich religiöser Offenbarung engzuführen (so aber z. B. Lohmeyer 39–40). Vielmehr ist allgemeiner das Bekanntwerden eines zuvor nicht bekannten Sachverhaltes gemeint. 47 Bauer, Wörterbuch, 525 s.v. ἐν III.1.b („d. Mittel o. Werkzeug einführend“). 48 ἐν zur Angabe von „Grund und Ursache“ (Bauer, Wörterbuch, 526 s.v.  ἐν III.3: „auf Grund von, wegen“).

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Wertet man die mehrdimensionale Präpositionalphrase ἐν Χριστῷ in 1,13 im Licht der Eingangsverortung der Adressatengemeinde „in Christus Jesus“ aus, ergibt sich folgendes Bild: Paulus gibt zu verstehen, dass eine Verortung im neuen Heilsraum „in Christus“ nicht bedeutet, frei von irdischer Gefangenschaft oder Verfolgung leben zu können. Paulus selbst erlebt sich zur gleichen Zeit als δοῦλος im Heilsraum „in Christus“ und als Gefangener der staatlichen Institutionen aufgrund seiner Christuszugehörigkeit. Mit dem Verweis auf seine eigene Situation führt Paulus seinen Adressaten vor Augen, dass sämtliche aktuelle Bedrängniserfahrungen nicht der grundlegenden Zuschreibung einer bereits gegenwärtigen Existenz ἐν Χριστῷ widersprechen oder diese Verortung als unzutreffend erweisen. Im Gegenteil: Die Gemeinde soll ein Gespür dafür entwickeln, solche Bedrängniserfahrungen auf ihre ungeahnten Möglichkeiten für das Gedeihen des Evangeliums zu befragen. Dafür stellt der Apostel sich den Philippern als Beispiel vor Augen. Er hat die unerwartete Gelegenheit zum Christuszeugnis ἐν ὅλῳ τῷ πραιτωρίῳ καὶ τοῖς λοιποῖς πᾶσιν aktiv genutzt. Unabhängig davon, wie man den Bezugspunkt von ἐν ὅλῳ τῷ πραιτωρίῳ genau bestimmt, verkörpert das damit Bezeichnete einen Mosaikstein im römischen Staatsapparat (einen Amtssitz eines kaiserlichen Provinzstatthalters oder die Kaserne der Prätorianergarde).49 Sowohl die Prätorianergarde als auch regionale Verwaltungsgebäude versinnbildlichen den weltumspannenden Herrschaftsanspruch des Römischen Reiches sowie die Überzeugung, eigene Machtinteressen auch militärisch durchzusetzen. In diesem „römischen“ Setting lässt Paulus mit der Deutung seiner Gefangenschaft als Gefangenschaft aufgrund seiner Christuszugehörigkeit (ἐν Χριστῷ) Weltbilder aufeinanderprallen: Der Überzeugung, eigene Interessen um jeden Preis auch mit militärischer Gewalt auf Kosten anderer durchzusetzen, stellt Paulus seine bereitwillige Annahme einer Gefangenschaft um Christi willen gegenüber. Paulus belässt es aber nicht bei einer Kontrastierung unterschiedlicher Werte- und Machtvorstellungen. Er zeigt sich umso mehr bestrebt, angesichts der massiven Einschränkungen seines Bewegungsradius seine weiterhin bestehenden Handlungs- und Raumgestaltungsmöglichkeiten zu demonstrieren. Dieser Aufweis dient ihm dazu, Machtansprüche weltlicher Institutionen wie beispielsweise der für seine Inhaftierung verantwortlichen römischen Behörden zu relativieren. Für ihn bedeutet eine Orientierung an Christus keineswegs notwendigerweise Machtlosigkeit oder Ohnmacht. Indem er die beträchtliche Reichweite seines Zeugnisses betont (ἐν ὅλῳ τῷ πραιτωρίῳ καὶ τοῖς λοιποῖς πᾶσιν50), beansprucht er einen entscheidenden 49 Siehe zur Präpositionalphrase ἐν ὅλῳ τῷ πραιτωρίῳ schon Abschnitt 2.1.2. 50 Die Referenz auf die Übrigen hat für Flexsenhar, Echoes, 246 „not just aristocratic ­Roman officials or bureaucrats“ im Blick, sondern „a diverse group of people, some of whom had administrative or commercial connections quite similar to the Philippians’.“

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Punktsieg in der Auseinandersetzung um konträre Wertmaßstäbe und Weltbilder. Paulus lässt seine Überzeugung durchblicken, dass eine Umkehr der eigentlichen Machtverhältnisse durch ihn „vor Ort“ begonnen hat. Als Gefangener, d. h. als Machtloser nach alltäglichen Maßstäben bringt er ἐν Χριστῷ (= durch die Hilfe des erhöhten Herrn) seine ungebrochene Handlungsmacht dadurch zur Geltung, dass sein Christuszeugnis bis hinein in ureigene Räume römischer Verwaltung und Herrschaft vorstößt. Die Betrachtung der Außenwirkung ergänzt Paulus ab 1,14 um einen Blick auf die innergemeindliche Situation. Er sieht einen entscheidenden innergemeindlichen Erfolg seines Auftretens als Gefangener vor der römischen Gerichtsbarkeit darin, dass eine Mehrheit der Gemeindemitglieder51 am Ort seiner Gefangenschaft durch seine Inhaftierung ἐν κυρίῳ Zuversicht geschöpft hat (πεποιθότας τοῖς δεσμοῖς μου)52 und aus dieser Zuversicht heraus (erneut) mutig zur Christus­ verkündigung übergeht.53 Schaut man die paulinische Rede von „den meisten Gemeindemitgliedern“ im Horizont seiner wiederholten Betonung der Gesamtheit im Prätorium an (ὅλῳ, πᾶσιν), gewinnt man den Eindruck, Paulus differenziere zwischen Außen- und Innenwirkung. Dabei dient der Verweis auf den umfassenden Erfolg nach außen (= im Prätorium) dazu, die noch zweifelnden oder verängstigten Gemeindemitglieder im Innern zu ermutigen. Im Hintergrund scheint der Gedanke durch, dass selbst eine anhaltende „weltliche“ Gefährdung der Christuszeugen das Gedeihen des Evangeliums nicht zwangsläufig blockiert und die Christusverkündiger keinesfalls lähmen darf. 51 Im Syntagma τοὺς πλείονας τῶν ἀδελφῶν bedeutet πλείονας „d. Mehrzahl, d. meisten“ (Bauer, Wörterbuch, 1382 s.v.  πολύς. II. Komparativ 2a). Reumann 173 zufolge steht τοὺς πλείονας „[p]ossibly […] for the whole group, but not every last individual in it“ (Focant 74 spricht von „la majorité“); undifferenzierter etwa Fee 115 („the church as a whole“). Ferner wird diskutiert, wen Paulus bei seiner Rede von der Mehrheit τῶν ἀδελφῶν im Blick hat (die Gesamtgemeinde am Ort seiner Gefangenschaft oder aber spezielle Mitglieder in Leitungsfunktion): Siehe zur Diskussion nur Fee 115 Anm. 43 oder Reumann 173; für Standhartinger 104 ist 1,14 der „deutlichste[] Beleg für die Missionsarbeit aller Christinnen und Christen in den paulinischen Briefen“. 52 Das Perfekt (hier: πεποιθότας) von πείθω hat „präs. Bed.“ (Bauer, Wörterbuch, 1289 s.v. πείθω 2.a): „sich verlassen auf, vertrauen auf, seine Zuversicht setzen auf “ (ebd.) und wird mit dem „Dat. der Pers. od. Sache“ konstruiert (in 1,14: τοῖς δεσμοῖς μου): Die Mehrheit der Gemeinde setzt ihre Zuversicht auf die paulinischen Fesseln, d. h. deren Zuversicht gründet im Auftreten und Christuszeugnis des gefangenen Paulus im Prätorium. 53 περισσοτέρως τολμᾶν ἀφόβως τὸν λόγον [τοῦ θεοῦ] λαλεῖν („es immer mehr wagen, furchtlos das [Gottes-]Wort sagen“): ὁ λόγος bezeichnet das „von Gott her kommende Wort“ (Standhartinger 104 mit einem Votum für die Ursprünglichkeit der längeren Lesart τὸν λόγον τοῦ θεοῦ). Der absolute Gebrauch von λόγος als theologischem Begriff ist bei Paulus „uncommon“ (Bockmuehl 76), aber nicht singulär: Siehe nur 1Thess 1,6 oder Gal 6,6. Das Syntagma τὸν λόγον λαλεῖν wird im anschließenden Vers 15 als τὸν Χριστὸν κηρύσσουσιν dezidiert christologisch fortgeschrieben (in 1,17 dann τὸν Χριστὸν καταγγέλλουσιν).

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Wie schon in 1,13 vereinigt die mit ἐν gebildete christologische Präpositionalphrase (jetzt: ἐν κυρίῳ) auch in 1,14 mehrere Bedeutungsebenen in sich.54 Zum einen schreibt das ἐν κυρίῳ das vorgängige ἐν Χριστῷ fort und erinnert auf dieser Spur an Folgendes: Paulus betrachtet die Zuversicht, die unter den Gemeindemitgliedern am Ort der paulinischen Gefangenschaft (wohl Ephesus) aufkommt, als Wirkung eines Gott-menschlichen Interagierens. Wie der Apostel sein erfolgreiches Auftreten vor Gericht55 auf die Hilfeleistung Christi zurückgeführt hat (ἐν Χριστῷ), so deutet er nun auf diesen Jesus auch als Urheber der wachsenden innergemeindlichen Zuversicht (ἐν κυρίῳ = durch den Kyrios). Dass die Gemeinde Zuversicht gewinnt, bewirkt das Zeugnis des gefangenen Apostels, welches wiederum vom Kyrios ermöglicht und begleitet ist. Andererseits verweist Paulus mit ἐν κυρίῳ auch darauf, dass das Vertrauen auf den erhöhten Kyrios und seine Wirkmächtigkeit (ἐν κυρίῳ)56 bei den Menschen in seinem direkten Umfeld gewachsen ist. Sie erlebten, wie er trotz seiner Gefangenschaft an der Evangeliumsverkündigung festhielt und diese auf die Hilfestellung des Kyrios zurückführte. Die Gemeinde (in Ephesus) ist infolge dieser Erfahrung trotz anhaltender äußerer Gefährdung nun selbst zum erneuten Einsatz für das Evangelium ermutigt. Dabei unterstreicht Paulus mit der Verwendung der Kyriosbezeichnung den Gedanken der göttlichen Vollmacht Jesu: Er ist der eigentliche Herr, und als solcher unterstützt er vom Himmel aus vollmächtig und wirksam die einzelnen Ortsgemeinden etwa in Ephesus und in Philippi in ihren Bedrängnissen und Gefahren. Die Kurzerzählung57 vom Aufleben der Gemeinde in Ephesus dient Paulus als Paradigma für das andauernde effektive Handeln des erhöhten Herrn. Erneut will er so die Briefempfänger in Philippi motivieren, ihre eigenen Bedrängniserfah 54 Obschon die Bestimmung des (genauen) Bezugspunktes von ἐν κυρίῳ in 1,14 strittig ist, nimmt die Auslegung doch weitgehend einen einzigen Bezugspunkt an. Während etwa Walter 37 und 39 τοὺς πλείονας τῶν ἀδελφῶν liest (die Mehrheit der Brüder im Herrn), votieren Fee 116 mit Anm. 48 oder Hawthorne / Martin 44 für das folgende πεποιθότας (= auf den Herrn vertrauen). Vielleicht ist es aber der paulinischen Christologie und Ekklesiologie doch eher angemessen, solche Versuche einer einseitigen Zuweisung zugunsten der Annahme einer mehrdimensionalen Zuordnungsweise zu überwinden. Damit würde der paulinischen Grundannahme gebührend Rechnung getragen, der zufolge Christus der umfassende Bezugspunkt seiner Gemeinde ist: Die Mitglieder der Gemeinde sind aufgrund des göttlichen Berufungshandelns eine Familie im Herrn (= τοὺς πλείονας τῶν ἀδελφῶν ἐν κυρίῳ), und konstitutiv für diese Familie ist deren gemeinsames Vertrauen auf den Kyrios Jesus als den Herrn der Geschichte und Wegbegleiter seiner Gemeinde (πεποιθότας ἐν κυρίῳ). 55 Hier geht es um den menschlichen Handlungsbeitrag, der für Paulus natürlich immer schon durch das göttliche Heils- und Erwählungshandeln ermöglicht ist. 56 Vergleichbar ist etwa die Konstruktion in 3,3: οἱ … οὐκ ἐν σαρκὶ πεποιθότες („die … nicht auf Fleisch Vertrauenden“). 57 Die narrative Dimension besteht darin, dass Paulus als Vermittlungsinstanz folgende Zustandsveränderung präsentiert: Die Menschen fassen Mut und Zuversicht.

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rungen auf ein (ungeahntes) Potential für die Verkündigung des Evangeliums zu befragen und aus den Erzählungen vom anhaltenden göttlichen Wirken ἐν κυρίῳ Mut für ihren eigenen Einsatz „vor Ort“ zu schöpfen. Durchdenkt man die Beobachtung, dass Paulus in 1,12–14 aufzuzeigen sucht, dass das Evangelium durch seine Gefangenschaft auch an sonst unzugänglichen Orten Raum greifen kann, im Horizont der Alltagserfahrungen der Philipper mit römischen Expansionsbestrebungen58, tritt folgende Anfrage auf den Plan: Inwieweit unterscheidet sich die von Paulus mitbetriebene Expansion des Heilsraums „in Christus“ etwa vom römischen Expansionsstreben? Strukturell geht es Paulus wie etwa auch den römischen Machthabern darum, dass die jeweils favorisierte Herrschaftsordnung irdisch Raum greift. Während die Existenz römischer Behörden in der Kolonie Philippi vom Expansionsstreben der römischen Kaiser zeugt, generiert sich Paulus als Repräsentant der Herrschaft des erhöhten Kyrios auf Erden. Der eklatante Unterschied zwischen beiden Expansionsbewegungen besteht für den Apostel in der jeweiligen Werteordnung. Paulus vertritt eine Herrschaftsvorstellung, welche unter Hintanstellung eigener Interessen konsequent an eine „Karriere nach unten“ und an eine unbedingte Höherachtung des anderen denkt. Zudem gesteht Paulus allen Menschen „in Christus“ zu, auch eigene Heils- und Vitalinteressen verfolgen zu dürfen (2,4.12).59

3.2.1.2 Ersehnte Raumwechsel (1,21–24) Sehr persönlich stellt Paulus in 1,21–2460 Leben und Tod im Vergleich einander gegenüber61 und gewährt in der Situation seiner Haft und den Unwägbarkeiten seines Prozesses einen „eindrucksvollen Einblick in die Apostelseele“62. Raum 58 Die Gemeinde ist in einem von den Römern besetzten Lebensraum beheimatet, auch wenn nicht vorausgesetzt werden kann, dass sämtliche Mitglieder der philippischen Christusgemeinde die römische Besatzung als durchgängig negativ wahrgenommen haben. 59 Ausführlich Blumenthal, Beobachtungen, 116–119. 60 Der zweite Teil der Korpuseröffnung umfasst 1,18b–26 und lässt sich in drei Unterabschnitte gliedern: 1,18b–20; 1,21–24; 1,25–26 (so etwa auch Fee 127; 139; 151 oder Reumann 242; 247; 253); anders etwa Lohmeyer 49; 59 (1,18–21; 1,22–26) oder Walter 42 (1,21–26). 61 Die Rede von der vergleichenden Gegenüberstellung folgt Schreiber, Zwischenzustand, 347. Er äußert sich ebd. kritisch zu Vollenweiders Einstufung der Verse als Synkrisis (siehe: Waagschalen, 238–241): Obschon die Bestimmung als Synkrisis formal auf 1,21–24 zuträfe, könne sie die eigentliche Spitze von 1,21–26 nicht erfassen: „gerade nicht das ‚Bessere‘ soll zur Haltung werden“. 62 Gnilka 69. Das pointiert vorangestellte ἐμοί am Beginn von 1,21 unterstreicht die persönliche und emotionale Dimension der Ausführungen (laut Vollenweider, Waagschalen, 245 spricht Paulus „sehr persönlich“). Anders z. B. Fee 140: Paulus betone vor allem, dass er „wins in either case, whether released or executed“. Dies sei „surely Paul’s point, not some lesser concern about his deep emotion or about his desire to be released from present suffering“ (ebd. Anm. 7). Darüber hinaus wird für 1,21–26 immer wieder erwogen, ob Paulus Suizid in Betracht zieht: Siehe nur Droge, Mori lucrum, 263–286; Jaquette, Death, 177–192 oder Holloway 97:

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thematisch ist dieser kurze Abschnitt gleich unter drei Gesichtspunkten von Interesse: (1) In existentieller Ergriffenheit legt Paulus am Beispiel seiner eigenen Person seine Überzeugung offen, dass irdische Machthaber keinen durchgreifenden Einfluss auf das Leben der Menschen „in Christus“ haben. Die Hoheit über Leben im umfassenden Sinn liegt bei Christus, da er allein die Existenz des Menschen über den irdischen Tod hinaus sichern kann. Mit dieser Konzentration auf Christus spricht Paulus im Umkehrschluss sämtlichen irdischen Machthabern und Institutionen jegliche Einflussmöglichkeiten auf die postmortale Existenz ab und begrenzt so deren Machtbereich entscheidend. (2) Das argumentationsstrategische und tröstende Potential dieser Machtbegrenzung zeigt sich, wenn man auf die materiale Dimension des neuen Heilsraums schaut. Dieser Raum besteht für Paulus auf Erden aus Menschen in deren leiblicher Verfasstheit. Da in seinen Augen der Kyrios die alleinige Verfügungsgewalt über Leben im umfassenden Sinn hat, kann die Existenz des neuen Heilsraums und dessen Ausbreitung nicht mehr wirksam aufgehalten werden. Irdische Institutionen können zwar auf das physische Leben einwirken, wie es Paulus am eigenen Leib erlebt, weitergehende Kompetenzen haben sie für ihn aber nicht. (3) Eine postmortale Weiterexistenz impliziert einen Raumwechsel in Richtung Himmelsraum. Paulus denkt dabei hochgradig personenzentriert an ein Zusammensein mit Christus. Dieses Zusammensein setzt für ihn die bereits zu irdischen Lebzeiten mögliche Verortung „in Christus“ konsequent fort, und zwar unter den verbesserten Rahmenbedingungen einer unmittelbaren Begegnungsmöglichkeit „von Angesicht zu Angesicht“. Seine Aussage ἐμοὶ γὰρ τὸ ζῆν Χριστός stellt Paulus als Leitsatz über 1,21–24. Damit begründet er seine Indifferenz über Leben und Tod, die er unmittelbar zuvor zum Ausdruck gebracht hat: εἴτε διὰ ζωῆς εἴτε διὰ θανάτου.63 Während sich der Lebensbegriff in dieser Indifferenzaussage auf das irdisch-leibliche Weiterleben bezieht,64 fasst der Leitsatz in 1,21a diesen Begriff weiter. Paulus stellt Christus als Leben im umfassenden Sinne vor Augen und hofft von daher auf eine Fortsetzung des eigenen Lebens über den physischen Tod hinaus. Für dieses Verständnis der Lebensaussage in 1,21a spricht auch deren direkte Fortsetzung. Mit folgerndem καί schließt eine Charakterisierung des Sterbens als Gewinn an: καὶ τὸ ἀποθανεῖν κέρδος. Paulus kann vom Sterben als Gewinn sprechen, da sein christozentrischer Lebensbegriff aus 1,21a irdische und postmortale „Paul’s dilemma, then, is whether to choose death or life, which in the context may mean whether to commit suicide in prison“ (vgl. noch ebd. 98 Anm. 23); weitgehend ablehnend äußert sich z. B.  Croy, Gain, 530–531. 63 Einen kritischen Überblick über unterschiedliche Auslegungsstimmen zu 1,20 gibt Schreiber, Zwischenzustand, 338 Anm. 6. 64 Dafür spricht die Gegenüberstellung von Leben und Sterben mitsamt der Referenz auf den eigenen Leib (ἐν τῷ σώματί μου) in 1,20.

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Existenz gleichermaßen umfasst65 und Momente einer Kontinuität zwischen irdischer und postmortaler Existenz anklingen lässt. Für Paulus verbürgt Christus als das Leben diese Kontinuität durchgehend (vgl. 3,20–21). Aufs Ganze gesehen zielen die paulinischen Reflexionen über Tod und Leben darauf, das diesseitige Leben abzuwerten.66 Sie stehen ganz unter dem Eindruck der aktuellen Gefängnis- und Prozesssituation und signalisieren in diesem Horizont folgende Gewissheit des Apostels: Ein möglicher gewaltsamer Tod kann seine Existenz nicht auslöschen, sodass er aus seinem Gerichtsprozess keinesfalls als Verlierer herauskommen wird.67 Er kann sein Leben durch die lebensspendende Wirkmacht des erhöhten Herrn auf jeden Fall fortsetzen. Entweder wird er aus der Gefangenschaft entlassen und kann seine Christusverkündigung auf Erden „im Leib“ einstweilen fortsetzen (τὸ ζῆν Χριστός I) oder er stirbt und gewinnt damit durch die existenzerhaltende Kraft Jesu den Zugang zum jenseitigen unendlichen Leben (τὸ ζῆν Χριστός II).68 Mit der exemplarischen Betrachtung seines eigenen Ergehens und dem Aufweis der Grenzen jeglicher irdischen Machtentfaltung sucht Paulus seine Briefadressaten zu ermutigen, in ihrer leiblichen Verfasstheit unerschrocken für das Raumgreifen der Christusverkündigung und die Erfahrbarkeit des Heilsraums „in Christus“ einzutreten.69 Auf der Spur von 1,20 gilt aus paulinischer Perspektive: 65 Die Annahme unterschiedlich akzentuierter Lebensbegriffe in 1,20–21 lässt sich noch weiter absichern, wenn man dem Wechsel bei der Koordinationsweise von Lebens- und Sterbensaussage in diesen beiden Versen beachtet: An die Stelle der Kontrastierung von Leben und Sterben in 1,20 (εἴτε … εἴτε) tritt eine verbindend-folgernde Aussage in 1,21 (καί) (siehe etwa Lohmeyer 57 oder auch Schreiber, Zwischenzustand, 338–339 mit Anm. 9). Dadurch erscheint der Tod in 1,21 nicht mehr wie noch zuvor in 1,20 als Grenze bzw. Gegenbegriff zum (irdischen) Leben, sondern als Zäsur und Übergang zwischen irdischem und jenseitigem Leben. Diesen Aspekt bringt Paulus bei der erneuten Referenz auf seinen Tod in 1,23 dadurch vollends zur Geltung, dass er dort metaphorisch von seinem Sterben als Aufbruch spricht (εἰς τὸ ἀναλῦσαι); siehe Bauer, Wörterbuch, 113 s.v. ἀναλύω 2 („aufbrechen“, „scheiden […] euphemistisch f. sterben“). 66 1,21b zeigt Anleihen an die Sprachgestalt griechisch-römischer Sterbens- und Gewinnaussagen (siehe die umfangreiche Materialzusammenstellung z. B. bei Vollenweider, Waagschalen, 247–257). Für Schreiber, Zwischenzustand, 345 aber gilt: Die „hellenistischen Sprachparallelen“ können die „Sprachgestalt der paulinischen Aussage erhellen“. Paulus drücke sich „in der Sprache der hellenistischen Welt“ aus, während sich seine „inhaltliche Perspektive […] aus anderen Quellen“ speise (Kursivdruck im Original). 67 Diesen Gedanken macht etwa auch Fee 140 Anm. 7 stark. 68 Nach Ansicht von Vollenweider, Waagschalen, 256 besteht „der Gewinn des Sterbens für Paulus nicht einfach in der Erlösung vom Erdenleben, sondern in der vollendeten Christusgemeinschaft“ (Kursivdruck im Original). Hinter dieser Hoffnung stünden „diejenigen Psalmen, die angesichts des Todes zum Vertrauen auf die Gottesgemeinschaft einladen“ (ebd. Anm. 76 [Kursivdruck im Original]). Als Belege nennt er Ps 16,11; 73,23.28; 139,18. 69 Vgl. auch Vollenweider, Waagschalen, 245: Paulus ziehe seine Adressaten „gleichsam in sein individuelles Abwägen mit hinein“ und provoziere sie „als Mitteilhaber seines Leidens zu einer ähnlichen Einstellung“.

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So wie an seinem Leib soll auch an den Leibern der Gemeindemitglieder in Philippi Christus jederzeit sichtbar verherrlicht werden. Die Gemeinde soll in den Augen des Apostels mit ihm die Gewissheit teilen, dass es weltlichen Machthabern unmöglich ist, die Existenz der Christuszeugen auszulöschen und über diesem Weg das irdische Raumfassen der Christusverkündigung effektiv zu stoppen.70 Diese Unantastbarkeit verdankt sich für Paulus der Zugehörigkeit zu Christus, der Leben ist und der allein Leben in umfassender Weise gewähren kann. Im Horizont dieser Grundüberzeugung spricht er in 1,23 davon, dass er hinund hergerissen sei (συνέχομαι ἐκ τῶν δύο).71 Er stehe zwischen seiner Sehnsucht, bei Christus sein zu wollen, und der Notwendigkeit (ἀναγκαιότερον), wegen der Gemeinde „im Fleisch“ zu bleiben. Dieses Hin und Her spiegelt sich auch in den stetig wechselnden Fokussierungen von 1,21–24 wider: 1,21a 1,21b 1,22

1,23 1,24

Fokus Leben im Leitsatz Fokus Tod Fokus irdisches Weiterleben

ἐμοὶ γὰρ τὸ ζῆν Χριστός

Tod im irdischen Bereich als Gewinn Leben im irdischen Bereich als Möglichkeitsbedingung, weiterhin Frucht zu bringen Fokus Tod Tod im irdischen Bereich als Übergang und umfassendes Leben zum endlosen Leben σὺν Χριστῷ Fokus irdisches Leben im irdischen Bereich Weiterleben im Einsatz für die philippische Gemeinde

Das Aussprechen der Sehnsucht (ἐπιθυμία)72, bei Christus sein zu wollen, bildet einen zentralen Fluchtpunkt in diesem Hin und Her der Fokussierungen. Es spitzt die emotionale Dimension entscheidend zu (ἐπιθυμία) und benennt zudem höchst konkret und personalisiert das jenseitige Hoffnungsgut (σὺν Χριστῷ εἶναι). Für die Annahme, dass Paulus mit dem Syntagma σὺν Χριστῷ εἶναι seine Hoffnung auf ein postmortales Zusammensein mit dem erhöhten Herrn zur Sprache bringt,73 spricht der Kontext. Der Apostel hat unmittelbar zuvor von seinem eigenen Sterben gesprochen und dieses Sterben als Aufbruch eingestuft

70 Eine Auslegung von 1,21–24 unter rezipientenorientierter Perspektive bietet Schreiber, Zwischenzustand, 344–359. 71 Siehe Bauer, Wörterbuch, 1573 s.v. συνέχω 5 zu συνέχω als „v. schlimmen Zuständen bedrängen, anfechten, quälen“; speziell für 1,23: „von beiden Seiten werde ich bedrängt“ (ebd. 1574); nach Hawthorne / Martin 58 unterstreicht dieser Ausdruck „the magnitude of Paul’s dilemma“. 72 ἐπιθυμία hier im „guten Sinn“ (Bauer, Wörterbuch, 594 s.v. ἐπιθυμία 2). 73 Das Syntagma σὺν Χριστῷ εἶναι ist „in Verbindung mit verschiedenen anderen σύνAussagen“ bei Paulus zu betrachten (Gnilka 76 für viele). Die nächste Entsprechung findet sich

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(εἰς τὸ ἀναλῦσαι). Mit dieser „geprägte[n] Metapher“74 deutet er im Licht seiner Grundüberzeugung, dass Christus Leben ist und die Kontinuität menschlichen Lebens über den Tod hinaus gewährleisten kann, das menschliche Sterben als eine Durchgangsstation zum ersehnten endlosen Leben σὺν Χριστῷ. Folgt man diesem Verständnis der σὺν Χριστῷ-Aussage, impliziert die Erfüllung dieser Sehnsucht einen kosmischen Raumwechsel. Da Jesus sich bis zu seiner Parusie im Himmel aufhält, muss Paulus von der Erde in den Himmelsraum hinüberwechseln, um mit Christus sein zu können. Unabhängig von der genauen Verhältnisbestimmung der hier artikulierten Erwartung zu 1Thess 4,13–17 oder 1Kor 15,51–52.58 und der Klärung religionsgeschichtlicher und traditionskritischer Fragen darf doch von Folgendem ausgegangen werden:75 Paulus bringt in Phil 1,23 seine Hoffnung auf eine jenseitig-himmlische Begegnung mit dem erhöhten Jesus von Angesicht zu Angesicht sogleich nach dem eigenen Tod zur Sprache.76 Die Modalitäten dieses „Zwischenzustandes“77 spezifiziert Paulus jenseits der Benennung des wesentlichen Charakteristikums (= σὺν Χριστῷ εἶναι) nicht weiter und in 1Thess 4,17: σὺν κυρίῳ ἐσόμεθα, wobei auch Aussagen wie σὺν αὐτῷ ζήσωμεν in 1Thess 5,10 oder ἡμᾶς σὺν Ἰησοῦ ἐγερεῖ in 2Kor 4,14 zu berücksichtigen sind: Siehe zu σὺν Χριστῷ εἶναι nur O’Brien 133–137 oder Schreiber, Zwischenzustand, 341–344 und allgemein zu den paulinischen „Mit-Christus“-Aussagen z. B. Wolter, Paulus, 246–252. Forschungsgeschichtlich erfolgte die Beschäftigung mit Phil 1,23 nicht selten im Horizont der einzelschriftübergreifenden Frage nach (möglichen) Wandlungen innerhalb der paulinischen Jenseitsaussagen (1Thess 4,13–17 ↔ 1Kor 15 ↔ Phil 1,23). Einen Eindruck von der Diskussion bieten z. B.  Gnilka 81–88, Lohse, Paulus, 242, Böttrich, Hoffnung, 461–471, Löhr, Philipperbrief, 208 oder Frey, Philipperbrief, 24–25. Im Unterschied etwa zu Schnelle, Wandlungen, 45–48 (siehe auch derselbe, Paulus, 398–401) spricht sich beispielsweise Wolter, Paulus, 216 klar gegen die Annahme einer solchen Wandlung aus: Die Hoffnung auf eine unmittelbar nach dem eigenen Tod stattfindende Erhöhung in den Himmel und die Hoffnung auf eine allgemeine Auferstehung der Toten im Kontext der Parusie dürften „auf keinen Fall gegeneinander ausgespielt werden.“ 74 Standhartinger 118 (Aufbrechen steht für „aus dem Leben scheiden“ [einige Belege ebd.]). 75 Siehe zur Verhältnisbestimmung von 1Thess 4 zu 1Kor 15 nur Hoppe, 1Thess, 279–282. Seiner Ansicht nach lässt sich zwischen diesen beiden Stellen kein Wandlungsprozess in der paulinischen Eschatologie feststellen (vgl. ebd. 282). Vielmehr stehe hinter 1Kor 15 eine „komplexere Problemstellung“ (ebd.). Diese Verschiebung in der Problemlage könne man als „‚Entwicklung‘“ bezeichnen, „aber nicht im Hinblick auf die konstituierende Denkfigur“; zurückhaltend bezüglich der Annahme einer Wandlung äußert sich etwa auch Nicklas, Paulus, 96 Anm. 66. Siehe zur religionsgeschichtlichen Diskussion nur Gnilka 88–93 oder Schreiber, Zwischenzustand, 344–357. 76 Siehe nur Gnilka 78 („Sterbetag“) oder Wolter, Paulus, 216 („gleich nach seinem Tod in die unmittelbare Christusgemeinschaft einzutreten“). Das Sogleich nach dem Tod macht die Besonderheit von Phil 1,23 gegenüber 1Thess 4,13–17 oder 1Kor 15 aus. 77 So die Charakterisierung durch Schreiber, Zwischenzustand, 340 u. ö. (skeptisch gegenüber dieser Terminologie etwa Schnelle, Wandlungen, 46 Anm. 39 oder Hoffmann, Toten, 341–344). Wählt man eine solche Bezeichnung, ist grundlegend im Blick zu halten, dass sie einer retrospektiven, systematisierenden Betrachtungsweise entspringt. Paulus selbst deutet

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stellt auch keine Überlegungen zum Verhältnis zwischen individueller und kollektiver Eschatologie an. Dies scheint der Pragmatik geschuldet. Der Apostel zielt darauf, seine Adressaten in ihren je eigenen Bedrängniserfahrungen durch einen heilvollen eschatologischen Ausblick zu ermutigen. Er richtet den Blick auf einen für den einzelnen konkret greifbaren Gewinn (κέρδος) im Sinne einer postmortalen Fortexistenz in bleibender Christusgemeinschaft sogleich nach dem eigenen Tod. Diese Hoffnung soll das Bewusstsein stärken, dass irdische Machthaber die Existenz keines einzelnen Christuszugehörigen nach Ansicht des Apostels endgültig auslöschen können, und zwar aufgrund der grenzenlosen existenzsichernden Macht Christi (τὸ ζῆν Χριστός). Überspitzt lässt sich sagen: Für Paulus ist nicht nur das Evangelium von irdischen Machtsphären letztendlich unbesiegbar, sondern auch jeder einzelne Mensch in der Verkündigung des Evangeliums „in Christus“. Darüber hinaus entfaltet der Ausblick auf das individuelle Ergehen noch eine weitere Funktion, und zwar als Gegengewicht zur massiven Betonung der je eigenen Handlungsverantwortung zugunsten der Gesamtgemeinde. Dieses Gegengewicht balanciert die ausgeprägte Fokussierung auf die Bestandssicherung der Gesamtgemeinde und deren Einsatz für die Evangeliumsverkündigung aus und tritt dem Eindruck entgegen, Paulus werte die Gemeinde als Ganze und die Verkündigung des Evangeliums einseitig höher als das Wohlergehen des einzelnen Menschen. Anstatt die verschiedenen gemeindlichen und individuellen Interessen eindimensional über- und unterzuordnen, verbindet er sie kausal miteinander. Dabei erinnert der Blick auf das individuelle postmortale Ergehen an den bleibenden Gewinn (κέρδος), den der Einsatz zugunsten des Evangeliums und der Gemeinde für den Einzelnen hat.

Sucht man zu ergründen, wie Paulus in Phil 1 die gegenwärtige irdische und die zukünftige himmlische Existenz einander zuordnet, erweisen sich raumthematische Erwägungen als weiterführend. Ferner ist zwischen einer existentiellen grundlegenden und einer qualitativen Dimension zu unterscheiden. Für Paulus stellt die Verortung im neuen Heilsraum, das Sein ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ, welches bereits zu irdischen Lebzeiten möglich ist, die existentielle und grundlegende Veränderung für den Menschen dar.78 Das postmortale Zusammensein σὺν Χριστῷ setzt diese Christusbeziehung unter veränderten (verbesserten) Rahmenbedingungen fort. Dabei besteht die qualitative Verbesserung in der Erwartung einer größtmöglichen räumlichen Nähe zum Kyrios.79 Dieser qualitative Sprung markiert den Unterschied zwischen irdischer und himmlischer Existenz, da Paulus und die Philipper dem erhöhten Jesus aufgrund der Trennung von Himmels- und Erdenraum nur vermittelt begegnen können. Auf dieser Spur erweist sich das weder einen solchen Hintergrund seiner σὺν Χριστῷ εἶναι-Aussage an, noch weist der Brieftext Anzeichen auf, dass dieses Sein σὺν Χριστῷ einen vorläufigen Charakter hat. In 1,23 ist „durch nichts angedeutet […], daß das σὺν Χριστῷ εἶναι nach dem Tod ein Geringeres an Seligkeit bedeuten würde als die mit dem Weltende zu erlangende Christusgemeinschaft“ (Gnilka 78). 78 Die Verortung „in Christus“ im Diesseits ergibt sich aus einer Gott-menschlichen Interaktion, d. h. aus dem Zusammenwirken zwischen Berufung und Annahme des Rufes. 79 Gnilka 75 spricht von einer Intensivierung.

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Zusammensein, welches Paulus mit der Präpositionalphrase σὺν Χριστῷ in 1,23 zur Sprache bringt, als eine Intensivierung in Bereich räumlicher Nähe und Unmittelbarkeit gegenüber der grundlegenden Christusbeziehung, welche er mit ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ zu fassen sucht. Der Ausblick auf ein postmortales Zusammensein σὺν Χριστῷ rückt den Himmel als gegenwärtigen Aufenthaltsort des erhöhten Herrn ins Scheinwerferlicht. Der Himmel ist der Raum, in welchem es nach dem eigenen Tod – für Paulus möglicherweise in naher Zukunft – zu einer andauernden, unmittelbaren Christusbegegnung kommen wird; zugleich ist der Himmel der Raum, von welchem aus Jesus endzeitlich wiederkehren wird (3,21). Darüber hinaus hat der erhöhte Herr vom Himmel aus den neuen grenzenüberwindenden Heilsraum etabliert und sichert gegenwärtig dessen Fortbestand vom Himmel her. Paulus zeigt den Himmel gleichermaßen als Raum der künftigen Begegnung mit dem erhöhten Herrn und als Raum, von welchem dieser sein heilvolles Beziehungsangebot gegenwärtig unterbreitet. Der Ausblick auf eine künftige unmittelbare Christusnähe soll die Christuszeugen in Philippi gegenwärtig bestärken, der neuen Lebensordnung „in Christus“ ungeachtet aller Anfeindungen eine soziale Gestalt zu verleihen, und zwar durch ihr leibhaft verfasstes Interagieren. Diesen Prozess begleitet der erhöhte Herr aktuell vom Himmel her, indem er etwa den Bestand seines entgrenzten Heilsraums sichert und die Existenz jedes einzelnen Menschen „in Christus“ über den Tod hinaus erhalten wird. Machte die Sehnsuchtsaussage in 1,23 die vertikale Raumachse stark und spielte auf den Himmelsraum an, rufen die beiden letzten Verse der Korpuseröffnung ergänzend die horizontale Achse ins Bewusstsein. Paulus äußert in 1,25–26 den Wunsch, nach Philippi zu reisen und dort mit der Gemeinde leibhaft von Angesicht zu Angesicht zusammen zu sein (διὰ τῆς ἐμῆς παρουσίας πάλιν πρὸς ὑμᾶς). Reflektiert man den Rekurs sowohl auf die vertikale als auch die horizontale Raumachse am Ende der Korpuseröffnung im Licht der Grundsatzverortung „in Christus“, gewinnt man folgenden Eindruck: Für Paulus ist sein Verbleib auf Erden zugunsten der Gemeinde und sein Wunsch, die Gemeinde bald wiederzusehen, von der Hoffnung getragen, in Zukunft σὺν Χριστῷ im Himmel direkt zusammen zu sein. Dieser eschatologische Ausblick auf das künftige Jenseits ist dadurch entscheidend geerdet und an das gegenwärtige Diesseits zurückgebunden, dass die Menschen „in Christus“ für Paulus bereits gegenwärtig auf Erden im entgrenzten und entgrenzenden Heilsraum leben dürfen, welcher Himmel und Erde fest miteinander verbindet.

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3.2.2 Korpusmitte 1 (1,27–2,18): Raumpolitik im Herrschaftsraum des Kyrios Korpusmitte 1 umfasst 1,27–2,1880 und hat ihr christologisches Zentrum im Philipperhymnus, der über Leitworte fest mit den umgebenden Mahnungen verknüpft ist. So verbinden Vertreter des Wortfeldes „Selbstbescheidung“ und „Erniedrigung“ die Mahnungen in 2,3 mit der Christusaussage in 2,8 (ταπεινοφροσύνη und ταπεινόω); Gehorsam wird sowohl von Christus in 2,8 als auch von den Philippern in 2,12 ausgesagt. In der lebhaften und nach wie vor offenen Diskussion um die Herkunft des Hymnus liegen zentrale Argumente wie Wortwahl, Stil81 oder Theologie offen auf dem Tisch.82 Einzelne Argumente wirken umkehr- oder austauschbar. So kann der Verweis auf die Leitwortvernetzungen von 2,6–11 mit dem restlichen Brief als Indiz sowohl für die paulinische als auch die vorpaulinische Herkunft des Hymnus ins Feld geführt werden.83 (1) Um die letztgenannte Hypothese zu stärken, könnte man argumentieren: Paulus nutzt Leitwortvernetzungen besonders intensiv, um den ihm vorliegenden Hymnus fest mit seinen eigenen Gedanken zu verbinden. Die Leitwortvernetzungen würden den Philippern deutlich machen, dass sich „ihr“ (?) Text84 nahtlos in den paulinischen Gedankengang einfügt und die Argumentation des Paulus stützt. (2) Um die paulinische Herkunft des Hymnus zu erweisen, könnte man die Leitwortvernetzung auch anders interpretieren: Sie könnten als Beleg dienen, dass Schlüsselbegriffe des Hymnus Paulus eben ganz und gar nicht fremd sind. Sie durchziehen den Gesamtbrief, was ein Indiz für die paulinische Herkunft auch von 2,6–11 darstellt. Unterm Strich erscheint die Frage nach der Herkunft des Hymnus mit den zur Verfügung stehenden Quellen kaum endgültig entscheidbar. Meine Entscheidung, die Verse in der vorliegenden Gestalt als paulinischen Text zu betrachten, ist pragmatisch motiviert. Sicherlich wäre es für die Raumfrage unglaublich inspirierend, den Hymnus als Komposition der philippischen Gemeinde (?) auswerten zu können. Diese Perspektive ermöglichte die Frage, wie die nicht-paulinische Raumkonzeption von 2,6–11 mit der Raumkonzeption des Gesamtbriefes zusammenspielt. Es ließe sich am Text nachvollziehen, wie der Briefschreiber die Raumkonzeption seiner Adressaten (verdichtet im Hymnus) aufgreift, verarbeitet und gegebenenfalls weiterentwickelt. 80 Die hintere Abgrenzung von Korpusmitte 1 markiert der betonte Neueinsatz in 2,19: ἐλπίζω δὲ ἐν κυρίῳ Ἰησοῦ. 81 Löhr, Philipperbrief, 209 spricht von einer „stilistische[n] Durchformung des Textstücks mithilfe von Parallelismen, Chiasmen u. a.“. Es bleibe aber „unklar […], ob ein Metrum zu erkennen“ sei. 82 Zahlreiche Einzelstimmen bei Standhartinger 153–154. 83 Standhartinger 156 reduziert den Aspekt „Leitwortvernetzung“ ohnehin: Ihr zufolge ist „lediglich V.8 durch inhaltlich gewichtige Stichwortbeziehungen mit dem Kontext verbunden“. 84 Standhartinger 156 erwägt zur Herkunft des Hymnus (sie spricht vom Christuslied): „Man kann nicht ausschließen, dass es überhaupt in Philippi komponiert wurde“; zu denken sei aber auch „an den Stephanuskreis mit seiner Vision vom inthronisierten Christus“.

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Von solchen Überlegungen nehme ich aber Abstand, da sie sich weitgehend im Bereich nicht zu verifizierender oder kontrollierender Spekulationen bewegen. Der Hymnus gibt in seiner vorliegenden Fassung eine vermeintliche „Vorlage“ nicht (eindeutig) zu erkennen, was die zahlreichen unterschiedlichen Rekonstruktionsversuche eines vorpaulinischen Textes anschaulich demonstrieren.85 In seiner vorliegenden Form lässt der Hymnus keine sicheren Rückschlüsse auf das Zusammenwirken von Absender und Adressatenseite in der oben beschriebenen Weise zu. Man ist auf den Text verwiesen, den Paulus in seinem Brief präsentiert und der – selbst, wenn er nicht von ihm stammt – möglicherweise doch von ihm ergänzt wurde. In diesem Sinne ist die im Philipperbrief vorliegende Fassung die „paulinische Fassung“, d. h. die Fassung, die Paulus seiner Gemeinde vor Augen stellt.

Schaut man auf den Aufbau von Korpusmitte 1, lassen sich drei Einheiten voneinander abgrenzen: 1,27–30, 2,1–11 und 2,12–18.86 Während das Wortfeld φρονεῖν κτλ. in den beiden äußeren Einheiten nicht begegnet, taucht es in 2,2 und 2,5 auf und stärkt die Kohärenz von 2,1–11. Dabei schlägt der Imperativ φρονεῖτε die Brücke von den Mahnungen in 2,1–4 zum Hymnus. Auch unter raumthematischem Betrachtungswinkel erweist sich eine Dreiteilung von Korpusmitte 1 als angemessen. Die beiden äußeren Abschnitte schlagen mit der räumlichen Trennung der brieflichen Kommunikationspartner ein Thema an, was in 2,1–11 wiederum keine Rolle spielt. Darüber hinaus lassen sich die Mahnungen in der Mitteleinheit als Konkretisierung des Auftaktappells πολιτεύεσθε ἀξίως τοῦ εὐαγγελίου τοῦ Χριστοῦ begreifen:87 Eine dem Evangelium würdige Lebensführung gewinnt in gegenseitiger Höherachtung und der Ausrichtung am Wohl des anderen eine greifbare Gestalt. Im Zuge dieser Konkretisierung intensiviert Paulus die Mahnungen in 2,1–4 gegenüber 1,27–30 noch dadurch, dass er sie auf sein eigenes Ergehen bezieht. Die Adressaten sollen dem Apostel durch einen einmütigen Umgang miteinander ein Höchstmaß an Freude bereiten (πληρώσατέ μου τὴν χαρὰν ἵνα τὸ αὐτὸ φρονῆτε).88 Raumthematisch spielen folgende Aspekte in Korpusmitte 1 eine zentrale Rolle: (1) Vom Auftaktappell πολιτεύεσθε wächst den Mahnungen in 1,27–2,18 eine politische raumgestalterische Dimension zu. Dabei zielt die paulinische Raum 85 Vgl. nur die vorsichtigen Annäherungen bei Theobald, Philipperbrief, 381–382. 86 Ausführlich zum Aufbau von 1,27–2,18: Wojtkowiak, Christologie, 123–127. 87 Für viele: Reumann 329: „Numerous details in 2:1–4 reflect the overall theme of 1:27, Exercise your citizenship“ (Kursivdruck im Original; ausführlicher ebd. 329–331). Wojtkowiak, Christologie, 127 sieht die Mahnungen in 1,27–30 und 2,1–4(5) im Verhältnis von allgemeiner und konkreter Paraklese; Hawthorne / Martin 80–81 sprechen von einer engen Verbindung zwischen beiden Abschnitten („closely joined“) unter dem Zentralthema der Einheit der Gemeinde. 88 Nach Standhartinger 141. In der jüdischen und biblischen Tradition bewirke „häufig“ Gott eine solche umfassende Freude. Indem Paulus diese Aufgabe in 2,2 der Gemeinde zuschreibt, mache er sie „zu Gottes Mitarbeiterin“ (ebd.).

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politik darauf, dass die Gemeinde in Philippi ihre neue „Staatsbürgerschaft ‚in Christus‘“ uneingeschränkt priorisiert. Die Wertevorstellungen, welche sich aus dieser Zentraleinbindung ergeben, sollen die alltägliche Umgangsweise der Briefadressaten in Philippi untereinander und mit der nicht-christlichen Mehrheitsgesellschaft grundlegend prägen. (2) Die Mahnungen zu einer Niedrigkeitsgesinnung und einer Höherschätzung des anderen in 2,3 geben exemplarisch zu erkennen, wie Paulus raumkon­ stituierende Handlungen durch eine kritisch konstruktive Auseinandersetzung mit Handlungsorientierungen seiner Mitwelt gewinnt. Dabei fördert die kreative Übernahme von Mitweltvorstellungen die Integrationsmöglichkeiten der neuen Gemeinschaft „in Christus“ in das soziale Lebensumfeld in Philippi. (3) Paulus präsentiert den Philipperhymnus als theologisch-christologische Stiftungserzählung der neuen Gemeinde „in Christus“. Diese Erzählung vermag für ihn die distinkte Existenz und Ausbreitung der neuen Heilsgemeinde zu begründen und zu legitimieren; zudem ist der Hymnus für das Verständnis der dynamisch-kosmischen Raumzuordnungen im Philipperbrief schlichtweg grundlegend. Er entfaltet narrativ, was beispielsweise die Eingangsverortung „in Christus Jesus“ in 1,1 voraussetzt. (4) Die christozentrische Fundierung der Mahnungen in Korpusmitte 1 geht mit dem Aufweis einher, dass Jesus nach seiner Erhöhung nicht in einer völlig anderen Realität lebt. Der Hymnus zeigt Christus als raumübergreifenden Herrscher, der selbst wiederholt einen kosmischen Raumwechsel vollzogen hat (Himmel → Erde → Himmel). Nach seiner Inthronisation richtet sich der gesamte Kosmos auf ihn aus und anerkennt ihn als Kyrios zur Ehre Gottes des Vaters. Auf dieser Spur kann man ihm die Kompetenz zuschreiben, einen kosmischen Heilsraum zu etablieren (= ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ) und zur heilvollen Umgestaltung der Menschen „in Christus“ am Ende der Zeit wiederzukehren (vgl. 3,20–21). (5) Durch den Prozess der gesamtkosmischen Ausrichtung auf den erhöhten Kyrios, welcher bereits angelaufen, aber noch nicht abgeschlossen ist, nähern sich die Wirklichkeiten in Himmel, Erde und Unterwelt zunehmend einander an. Von daher haben himmlische und irdische Wirklichkeitserfahrung in den Augen des Apostels nachösterlich eine zentrale Schnittmenge. (6) Im Licht dieser Grundüberzeugung einer zunehmenden Wirklichkeitsangleichung sucht Paulus eine bleibende Erfahrungsschnittmenge zwischen dem erhöhten Kyrios und den Menschen „in Christus“ auszuweisen. In den Augen des Apostels weiß Jesus aus seiner Zeit auf Erden um die Begrenztheiten menschlicher Existenz. (7) Die Briefadressaten können den Prozess der Raumwirklichkeitsangleichung dadurch punktuell vorantreiben, dass sie die Herrschaft des erhöhten Herrn anerkennen und sich in ihrem Leben an seinen Handlungsvorgaben orientieren. Wenn sie den Hymnus etwa in ihren Gottesdiensten rezitieren, antizipieren sie

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zudem den heilvollen Endzustand einer gesamtkosmischen Anerkennung der Herrschaft des Kyrios. (8) Paulus zeigt den Kosmos (= Erdenraum) als einen Raum im Umbruch. Die dortige Wirklichkeit ist nicht dauerhaft auf „Dunkelheit“ festgelegt, sondern kann durch das Wirken der Menschen „in Christus“ tatsächlich verändert werden. Dabei geht der Apostel so weit, sein eigenes eschatologisches Ergehen mit dem „Licht“-Wirken der Gemeinde zu verzahnen. Mit dieser Verzahnung sensibilisiert er die Philipper für die Wahrnehmung, dass er trotz räumlicher Distanz auf sie verwiesen bleibt. So sucht er das Band zwischen der Gemeinde und sich weiter zu festigen. Dazu dient auch der nachdrückliche Aufruf zur Freude, mit welchem Paulus eine gemeinsame Grunderfahrung stiften möchte.

3.2.2.1 Aktives Bürgersein „in Christus“ (1,27–1,30) Der markante Auftaktappell89 πολιτεύεσθε verleiht den Anweisungen in Korpusmitte 1 eine eminent politische raumgestalterische Dimension.90 Das von πόλις abgeleitete Verb πολιτεύειν weckt Assoziationen an eine aktive Mitgliedschaft in einem Gemeinwesen mit den zugehörigen Rechten und Pflichten. Von daher ist πολιτεύεσθε als Aufruf zu verstehen, aktiv in den Angelegenheiten und Aufgaben einer Polis mitzuwirken.91 Der entscheidende Orientierungsmaßstab für das aktive Bürgersein in dieser neuen Polis ist nach Auskunft der Näherbestimmung von πολιτεύεσθε das Evangelium Christi: μόνον ἀξίως τοῦ εὐαγγελίου τοῦ Χριστοῦ πολιτεύεσθε.92 Unter der Annahme, dass diese Polis für den Apostel der 89 Paulus verwendet das Verb πολιτεύειν nur hier in 1,27. Es steht anstelle des sonst wiederholt eingesetzten περιπατεῖν, ohne dass beide Begriffe austauschbar oder identisch sind: Siehe für περιπατεῖν neben Phil 3,18 nur 1Thess 4,12; 2Kor 5,7; Röm 6,4; 13,13; speziell περιπατεῖν mit ἀξίως in 1Thess 2,12. 90 Einen Überblick über die Diskussion um das Verständnis von πολιτεύεσθε geben Reumann 262–263 oder Standhartinger 130–132. Hawthorne / Martin 69–70 etwa wollen angesichts der Adressatenschaft des Briefes einen römischen Hintergrund nicht (völlig) außer Acht lassen und äußern sich vorsichtig abwägend zu Vorstößen, die πολιτεύειν-Aussage wie Miller, Πολιτεύεσθε, 86 dezidiert auf einem hellenistisch-jüdischen Hintergrund zu hören und „the church as the new Israel“ zu betrachten (ablehnend zu Miller z. B. Silva 90 oder Fee 162 Anm. 26). Fee spricht sich ebd. auch gegen ein von Brewer, Meaning, 76–83 favorisiertes Verständnis der πολιτεύειν-Aussage im Sinne von „live as citizens of Rome“ aus. Er selbst will 1,27 konsequent von der Politeuma-Aussage in 3,20 her verstehen; siehe als unterschiedliche Einschätzungen, inwieweit sich die πολιτεύεσθε-Aussage in 1,27 und die Politeuma-Aussage in 3,20 gegenseitig beeinflussen, nur Wojtkowiak, Christologie, 210–211 und Standhartinger, ‚Join in imitating me‘, 422–423. 91 Nach Fee 161 Anm. 21. Im Unterschied zum Medium („to take an active part in the affairs of the polis“) meine das Aktiv von πολιτεύειν „live in the polis (city state) as a free citizen“ (ebd. [Kursivdruck jeweils im Original]). 92 Das Evangelium ist laut Pilhofer, Philippi 1, 137 „eine[] (aus hellenistischer wie römischer Sicht) völlig unerhörte[] Bezugsgröße“ zu ἀξίως. Dabei klinge in der ἀξίως-Formulierung paganer Sprachgebrauch an. Er nennt ebd. eine inschriftlich „sehr häufig bezeugte Kombination“,

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neue Heilsraum „in Christus“ ist,93 ist die Gemeinde mit 1,27 gefordert, sich in Orientierung am Evangelium „selbst zu regieren“94. Dieser Regierungsauftrag denkt nicht an ein gleichberechtigtes Nebeneinander unterschiedlicher Staatsbürgerschaften. Für Paulus können die Adressaten nicht gleichermaßen nach den „irdischen“ Wertmaßstäben in der römischen Kolonie Philippi leben und nach der Herrschafts- und Werteordnung der himmlischen Polis, welche der Apostel wesentlich vom Christusereignis her bestimmt sieht.95 Die unterschiedlichen Einbindungen bedürfen in seinen Augen vielmehr einer hierarchischen Zuordnung. Dabei zielt seine Raumpolitik nicht auf Weltflucht oder Jenseitsvertröstung, sondern auf die uneingeschränkte Priorisierung der neuen Staatsbürgerschaft „in Christus“ im Hier und Jetzt. Die Wertevorstellungen, welche sich aus dieser Zentraleinbindung ergeben, sollen die alltägliche Umgangsweise der Briefadressaten „in Philippi“ untereinander und mit der nicht-christlichen Mehrheitsgesellschaft von Grund auf prägen. An diese Außenwirkung erinnert das Verb πολιτεύειν mit seinen Konnotationen des Politisch-Öffentlichen.96 Die Aufforderung πολιτεύεσθε geht somit über den innergemeindlichen Bereich hinaus97 und hat auch die positiv-gewinnende Außenwirkung im Blick. Gesteht man der von Paulus eingeforderten Interaktionsweise „in Christus“ eine Außenwirkung zu, kann ich meine Beschreibung des neuen Heilsraums als Inselraum weiterentwickeln. Neben der kosmischen Raumgrenzenüberschreitung und seiner multilokalen Etablierung zeigt sich eine weitere entgrenzende Dimension dieses Inselraums in Philippi „vor Ort“. Die Außenwirkung des gemeindlichen Miteinanders lässt die nicht-christlichen Menschen in welche zu einem Verhalten ἀξίως τῆς (ἡμετέρας) πόλεως aufruft. Aus dem „Raum Philippi“ (ebd.), genauer: aus Gazoros, stamme die auf das dritte vorchristliche Jahrhundert zu datierende Inschrift ἀξίως τοῦ τε βασιλέως καὶ τῶν πολιτῶν (Text nach ebd. mit Anm. 8). 93 Es geht nicht um das Verhalten dem römischen Staat gegenüber: Dies nehmen zumindest auf einer ersten Ebene aber etwa Hawthorne / Martin 69 an („to live as a good citizen of an earthly state, fully discharging one’s duties and responsibilities to that state“); Standhartinger 131 gibt einen Überblick über unterschiedliche Vorschläge, „zu welcher Art bürgerschaftlichem Handeln Paulus in Bezug auf welche Polis aufruft“ (ebd.). 94 Standhartinger 131. Das Evangelium sei „Verfassung und Regierungsprogramm, das die Gemeinschaft repräsentiert und das ihr Bestand gibt“ (ebd. 132). 95 In diese Richtung denkt etwa Fee 161–162. 96 Diese Konnotationen prägen laut Bockmuehl 97 den Gebrauch von πολιτεύειν im hellenistischen Judentum (anders Gnilka 98, dem zufolge πολιτεύειν dort „politisch entfärbt“ ist). Siehe exemplarisch: Est 8,12p LXX: „Wir (sc. König Artaxerxes) aber finden, dass die Juden … keine Übeltäter sind, sondern als Bürger nach sehr gerechten Gesetzen leben (δικαιοτάτοις δὲ πολιτευομένους νόμοις).“ 2Makk 6,1: „Nach nicht langer Zeit aber entsandte der König den alten Athenaios, um die Juden zu zwingen, von den ererbten Gesetzen abzugehen und nicht mehr nach Gottes Gesetzen ihr Bürgerleben einzurichten (καὶ τοῖς τοῦ θεοῦ νόμοις μὴ πολιτεύεσθαι)“. 97 So z. B. auch Rosell Nebreda, Identity, 270 (allerdings mit Blick auf die Gegnerauseinandersetzung).

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Philippi im alltäglichen Umgang mit den Gemeindemitgliedern einen Eindruck von der sozialen Gestalt des Lebens „in Christus“ gewinnen. Diese Kontaktmöglichkeit kann dazu beitragen, dass sich weitere Menschen der Christusgemeinde anschließen. Durchdenkt man diese Dynamik im Horizont eines sozialkonstruktivistischen Raumverständnisses, gilt: Der Inselraum „in Christus“ breitet sich in der römischen Kolonie Philippi schrittweise dadurch weiter aus, dass neue Menschen zur Gemeinde dazukommen und zur sozialen Gestaltwerdung dieses Heilsraums beitragen. Dieses zunehmende Raumgreifen und stetige Entgrenzen führt wiederum dazu, dass der paulinische Sinnentwurf im Alltagsleben der Kolonie zunehmend präsent ist und von der Mehrheitsgesellschaft verstärkt als konkurrenzfähiges Sinnangebot wahrgenommen werden kann.98 Die Aufforderung aus 1,27, sich selbst in Orientierung am Evangelium zu regieren, lässt die gemeinantike Idee anklingen, dass gutes Regieren „die Eintracht nach innen und gegenüber äußeren Feinden“99 bewahrt. Ein solches auf Eintracht angelegtes gutes Regieren ist „die Bedingung der Möglichkeit des Bestands einer Gesellschaft“100. In der Mitwelt des Paulus ist die Annahme, dass eine Polis oder ein (König-)Reich durch innere Eintracht äußere Feinde besiegen kann, „eine seit den Perserkriegen wiederholte These“101. So erklärt etwa Xerxes gegenüber Demaratos bei Herodot, Hist. 7.101.2: „Sag mir also nun folgendes, ob sich die Griechen mir widersetzen werden, indem sie Gegenwehr leisten? Auch wenn nämlich alle Griechen und alle übrigen Menschen, die im Westen wohnen, sich zusammentun sollten, sind sie, wie ich meine, nicht stark genug meinem Angriff Gegenwehr zu leisten, wenn sie nicht einträchtig sind (μὴ ἐόντες ἄρθμιοι)“ (Übersetzung: Christine Ley-Hutton).102

Die Annahme, dass Eintracht den Bestand einer Gemeinschaft nach innen und außen sichert, steht hinter den gesamten Ausführungen in 1,27–30. Nachdrücklich ruft Paulus die Gemeinde zur Einheit im Glauben auf und kommt erstmals im Philipperbrief explizit auf nicht-christliche Gegner zu sprechen: στήκετε ἐν ἑνὶ πνεύματι, μιᾷ ψυχῇ συναθλοῦντες τῇ πίστει τοῦ εὐαγγελίου καὶ μὴ πτυρόμενοι ἐν μηδενὶ ὑπὸ τῶν ἀντικειμένων (1,27b–28a).103 Der Apostel sieht die Wirkmacht 98 Der Zuschreibung einer solchen missionarischen Funktion an die Gemeinde in Philippi steht Ascough, Society, 206–210 äußerst kritisch gegenüber. 99 Standhartinger 131. 100 Standhartinger 131; als Belege nennt sie Dio Cassius 53.5.4; Philo, Virt. 119 und 1Clem 21,1. 101 Standhartinger, Eintracht, 162. 102 Und Dion von Prusa, Or. 39.5 fragt: „Welches Gebäude, welche Landschaft, welche Menge an Menschen erschien als ein stärkeres Volk als eines, das die Eintracht untereinander pflegt (τῆς πρὸς αὑτὸν ὁμονοίας)?“ 103 Siehe zur Bestimmung der Gegnerfront an dieser Stelle nur Bockmuehl 100–101 (mit seiner Annahme einer paganen Gegnerschaft), Reumann 278–279 („Roman authorities and some of the populace in Philippi“), Rosell Nebreda, Identity, 269–270 (nicht gemeindeinterne Gegner) oder Vollenweider, Rivals, 295–296 („nowadays little doubt that these opponents have to be

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der Gemeinde durch einen tatsächlichen oder hypothetischen Kontakt mit nichtchristlichen Gegnern erheblich gefährdet. Geriete die Gemeinde durch deren Einwirkungen in Schrecken und ließe sich einschüchtern, wäre sie nicht mehr oder nur noch eingeschränkt zum Christuszeugnis und dessen sozialer Gestaltwerdung in der Lage. Dieser Gefahr soll die Briefadressaten durch innergemeindliche Geschlossenheit proaktiv (prophylaktisch) begegnen. Der enorme Stellenwert, den Paulus einem einträchtigen Verhalten für den gemeindlichen Fortbestand zuschreibt, zeigt sich auch daran, dass er die Auswirkungen einer solchen Geschlossenheit auf das Ergehen der Gegner durchbuchstabiert. Der Apostel gibt sich überzeugt, dass (potentielle) Gegner im unerschrockenen Eintrachtstreben der Gemeinde ein Anzeichen ihrer eigenen Verderbnis erkennen werden (ἔνδειξις ἀπωλειας). Im Zuge seiner intensiven Mahnungen zur Eintracht kommt Paulus in 1,27–30 wiederholt auf seine räumliche Trennung von der Gemeinde zu sprechen. Die Beschäftigung mit dieser Situation erscheint dem Apostel im Kontext der Gegner­ thematik umso vordringlicher, soll die räumliche Trennung nicht auch noch zu einer inhaltlichen Distanzierung der Gemeinde von ihm und seiner Christus­ deutung führen. Der Gemeindegründer muss ja damit rechnen, dass die (potentiellen) Gegner in Philippi direkten Einfluss „vor Ort“ auf die Gemeinde nehmen können und damit einen strategischen Vorteil ihm gegenüber haben. Um möglichen Distanzierungstendenzen zu begegnen, unterscheidet Paulus zwischen Sehen und Hören und betrachtet beides als gleichwertige Alternativen für eine tatsächliche Gemeinschaftserfahrung (εἴτε ἐλθὼν καὶ ἰδὼν ὑμᾶς εἴτε ἀπὼν ἀκούω). Während die Option „Sehen“ eine körperliche Präsenz in Philippi voraussetzt, funktioniert die Option „Hören“ auch über eine größere räumliche Distanz hinweg. Wiewohl Paulus die innere Geschlossenheit der Gemeinde aufgrund seiner Gefangenschaft nicht hautnah in Philippi erleben kann (= sehen), versichert er der Gemeinde seine Nähe in „Hörweite“ (ἀπὼν ἀκούω). Paulus generiert sich als Person, die trotz räumlicher Distanz genau um die innergemeindlichen Stimmungen und Herausforderungen weiß. Über die Versicherung einer solchen „Weg-Gemeinschaft“ möchte Paulus die Gemeinde fest an sich und seine Christusdeutung binden. Um die Weg-Gemeinschaft noch weiter zu festigen, erinnert Paulus seine Adressaten in 1,30 an eine gemeinsame Grunderfahrung in Vergangenheit und Gegenwart:104 Es ist die Zeit anhaltender Konflikte und Auseinandersetzungen sowohl für Paulus als auch für die Gemeinde in Philippi, ohne dass er die Herausforidentified with the representatives of the pagan environment of Philippi“). Dass Paulus in 1,28 gemeindeexterne pagane Gegner im Blick hat, sieht auch Hooker, Phantom, 377 Anm. 2: „In Philippi, the opposition was almost certainly pagan“; siehe den Überblick über verschiedene Forschungspositionen bei O’Brien 26–35 (zu 1,27–28 vor allem ebd. 34–35) und Nikki, Opponents, 15–20. 104 Die Situationen stehen im Hinblick auf ihre gleiche Beschaffenheit vor Augen (οἷον).

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derungen genauer spezifiziert. Er richtet den Blick zurück auf die vergangene Zeitspanne seines Philippiaufenthaltes und verlängert das Erlebte in die Gegenwart hinein (τὸν αὐτὸν ἀγῶνα ἔχοντες, οἷον εἴδετε ἐν ἐμοὶ καὶ νῦν ἀκούετε ἐν ἐμοί). Sein Umgang mit Konflikten und Herausforderungen war einst in „Sichtweite“ der Gemeinde und ist aktuell in deren „Hörweite“. Damit stellt er den Philippern seine Umgangsweise ungeachtet der gegenwärtigen Trennung als weiterhin „gültige“ und lebenspraktische Blaupause für ihr eigenes Krisenmanagement vor Augen; er sucht sie im Aufweis eines „gemeinsamen Kämpfens“ fest an sich zu binden.105

3.2.2.2 Mitweltverortungen und Profilbildung im Licht der Gründungserzählung (2,1–11) Die Beschäftigung mit 2,1–11 erfolgt in zwei Schritten. Ich schaue in einem ersten Schritt auf die Einforderung einer Niedrigkeitsgesinnung und den Aufruf zu gegenseitiger Höherschätzung in 2,3–4. Ich lote exemplarisch aus, wie Paulus sich mit Wertevorstellungen seiner Mitwelt konstruktiv auseinandersetzt, Aspekte aufgreift und seinen Handlungsanweisungen doch ein hinreichend eigenständiges Profil verleiht. Wenn ich im Zuge meiner raumsensiblen Lektüre des Philipperbriefes der Frage nach der paulinischen Umgangsweise mit Mitweltvorstellungen eigens nachgehe, ist dafür folgende Überzeugung maßgeblich: Betrachtet man den Heilsraum „in Christus“ als sozialen Interaktionsraum, dient die Profilierung einer bestimmten Handlungsweise wesentlich zur Profilbildung dieses Raums. Er soll zu einem distinkten Raum werden. Der zweite Schritt rückt den Hymnus ins Zentrum und spürt besonders der dynamischen, handlungsabhängigen Zuordnung der kosmischen Makroräume in 2,10–11 nach. Schritt 1 Die Eintrachtsparänese in 2,1–4 zielt darauf, den Bestand des neuen Heilsraums in seiner konkreten Gestalt vor Ort „in Philippi“ zu sichern. Ein zentraler Baustein in diesem Bestandssicherungsprojekt ist der Aufruf in 2,3b, unter Bewusstmachung der eigenen Niedrigkeit den anderen als höhergestellt zu betrachten (τῇ ταπεινοφροσύνῃ ἀλλήλους ἡγούμενοι ὑπερέχοντας ἑαυτῶν). Diesem Appell steht in 2,3a noch eine Absage an eine bestimmte Handlungsmotivation voran: Das Handeln darf nicht durch Prahlerei, Selbstsucht und Eigennutz möglicherweise in Form von Ämterkauf motiviert sein (μηδὲν κατ᾽ ἐριθείαν μηδὲ κατὰ

105 Paulus holt den Aspekt der Trennung durch den Wechsel vom Sehen (εἴδετε) zum Hören (ἀκούετε) ein. Ein (vermitteltes) Hören funktioniert auch über eine räumliche Distanz hinweg. Über diesen Wechsel in der Wahrnehmungsweise hinaus sieht Paulus die Kontinuität durch eine konsequente Ausrichtung auf seine Person gegeben: εἴδετε ἐν ἐμοί – ἀκούετε ἐν ἐμοί.

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κενοδοξίαν).106 Solche Handlungsmotivationen haben das Potential, die innere Zusammengehörigkeit und Stabilität sowie die konkrete Gestaltwerdung des neuen Heilsraums „in Christus“ in Philippi erheblich zu gefährden, da sie ganz an das eigene Vorwärtskommen auch auf Kosten anderer denken. Dass eine Haltung, welche nur auf den eigenen Aufstieg zielt, den Bestand einer Gemeinschaft erheblich gefährden kann, weiß beispielsweise auch Dion. Er nutzt in Or. 34.19 allerdings andere Begriffe, um eine solche Haltung zu benennen: „Nur wenn man von Übeln, die Unruhe und Verwirrung stiften, loskommt, von Neid (φθόνος), Habgier (πλεονεξία), Streitsucht (φιλονικία) und Egoismus (ὁ ζητεῖν ἕκαστον αὔξειν ἑαυτόν) und sich um das Vaterland und Gemeinwohl kümmert, kann es einmal feste Eintracht und eine gemeinsame Entscheidung geben“ (Übersetzung: Winfried Elliger).

Paulus verzahnt die Einforderung von Niedrigkeit fest mit dem Aufruf zu gegenseitiger Höherschätzung und lässt in dieser Verzahnung eine fein ausbalancierte Grundannahme bezüglich der Möglichkeiten eines gelungenen Zusammenlebens „in Christus“ durchblicken. Wenn jeder den anderen bedingungslos, d. h. unabhängig von dessen sozialem Ranking „in der Welt“, höher achtet, erfährt jeder eine unbedingte Höherachtung durch den anderen. Deswegen ist ein jeder zugleich aufgerufen, die von der Gemeinde entgegengebrachte Höherachtung nicht zum eigenen Vorteil auszunutzen. An diesem Punkt greift die Demutsforderung als notwendiges Gegengewicht und dokumentiert das paulinische Ringen, ein Gleichgewicht zwischen einer Höherachtung durch die anderen Gemeindemitglieder und der Beachtung der eigenen Niedrigkeit herzustellen.107 Mit Angela Standhartinger verstehe ich den Appell, die eigene Niedrigkeit wahrzunehmen, politisch. Es greift zu kurz, diesen Appell auf die Verwiesenheit des Menschen auf Gott engzuführen oder ihn individualethisch einzuhegen. Paulus profiliert die Niedrigkeitsgesinnung, die Demut, als basales Element „einer Sozialethik, die mit Hierarchiekritik auf Etablierung und Bewahrung einträchtiger und daher stabiler Gemeindestrukturen“ zielt.108 Unter dieser Perspektive leuchtet Standhartinger den Mitwelt-Horizont der Einforderung von Demut und gegenseitiger Höherschätzung aus. Paulus verknüpfe „in origineller Weise“ verschiedene Vorstellungen wie etwa die Idee, Höhergestellten im Wissen um die eigene Niedrigkeit zu begegnen (z. B. Spr 11,2; 18,12; Sir 11,1). Auch scheine in diesem Appell die nicht nur biblisch bezeugte Idee durch, dass Gott für die Niedrigen eintritt, die Niedrigen erhöht und die Hochmü 106 Die Bedeutung von ἐριθεία ist umstritten. Nach Bauer, Wörterbuch, 626 s.v. ἐριθεία kann die Bedeutung: Streitsucht „nicht ganz ausgeschlossen werden“, doch mache die Bedeutung: Selbstsucht und Eigennutz „in allen Fällen einen mindestens ebenso guten, viell. besseren Sinn“; siehe zu κενοδοξία ebd. 869: „d. eitle Prahlerei, d. nichtige Ruhmsucht“. 107 Für Feldmeier, Kyrios, 262 hat „ταπεινοφροσύνη hier nichts mit serviler Selbsterniedrigung zu tun“. Sie bezeichne „den Verzicht auf Selbstpotenzierung zugunsten des Mitmenschen.“ 108 Das Voranstehende nach Standhartinger 145 (dort auch das Zitat).

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tigen erniedrigt. Darüber hinaus spiele der Gedanke eine Rolle, dass „Führende auf die von ihnen Geführten angewiesen bleiben“109. Dieser Gedanke findet sich etwa bei Xenophon und im Aristeasbrief.110 So bemerkt Xenophon in der Lobrede auf den spartanischen König Agesilaos 11.11: „Als liebenswürdig wollte er sich nicht durch Scherze, sondern durch seine Lebensart erweisen, und der Stolz, den er besaß, war nicht mit Überheblichkeit, sondern mit Selbstbewusstsein verbunden. Daher verachtete er die Anmaßenden und war anspruchsloser als die Bescheidenen (τῶν γοῦν ὑπεραύχων καταφρονῶν τῶν μετρίων ταπεινότερος ἦν). Auch suchte er nämlich seine Ehre einerseits im schlichten Äußeren, andererseits in der glänzenden Ausrüstung des Heeres und darin, dass er selbst möglichst weniger Dinge bedurfte, den Freunden aber möglichst viel nutzen brachte“ (Übersetzung: Wolfgang Will). Vom Verhalten der Mächtigen Spartas berichtet Xenophon, Res. Lac. 8.2: „In Sparta unterwerfen sich auch die Mächtigsten in hohem Maß den Behörden, rühmen sich ihrer Unterwürfigkeit (ταπεινοὶ εἶναι μεγαλύνονται) und, dass sie, wenn sie gerufen werden, nicht im Schritt, sondern im Lauf Folge leisten, weil sie der Ansicht sind, dass, wenn sie darin vorgehen, bedingungslos zu gehorchen, auch die anderen folgen werden. So ist es auch geschehen“ (Übersetzung: Wolfgang Will).111 Im Aristeasbrief findet sich in Abschnitt 263 eine Antwort auf die Frage von König Ptolemaios II. Philadelphos, wie er Hochmut vermeiden könne: „Wenn er die Gleichheit bewahre und sich stets dessen erinnere, dass er als Mensch Menschen regiere. Und Gott vernichtet die Hochmütigen, die Milden aber und Demütigen (τοὺς δὲ ἐπιεικεῖς καὶ ταπεινούς) erhöht er. „Bei der Beurteilung, wie Mitwelteinflüsse und paulinische Profilierung im Aufruf zu Demut und Einheit zusammenspielen, mahnt Standhartinger zur Zurückhaltung. Die von ihr aufgezeigte Nähe von 1,27–2,4 zu Eintrachtsdiskursen der Mitwelt sollte „vor einer voreiligen Gegenüberstellung zur ‚agonistischen antiken Gesellschaft‘ und ihrem ‚Streben nach Statusgewinn‘ warnen“112, zumal etwa auch Dion und Aristides zu einen „zeitweiligen Status- und Rechtsverzicht im Hinblick auf das höhere Ziel der Eintracht“ aufriefen.113 109 Das Voranstehende nach Standhartinger 144–145 (die Zitate ebd.145). 110 Nach Standhartinger 145. Dieser Gedanke sei aber „selten mit dem Stichwort ταπεινός κτλ.“ (ebd.) formuliert. 111 Unmittelbar vor dieser Würdigung weißt Xenophon darauf hin, dass Mächtige anderer Städte eine solche Haltung (speziell: den Respekt vor Behörden) nicht einnehmen. Sie seien im Glauben, „eine solche Furcht sei eines Freien unwürdig.“ 112 Standhartinger, Eintracht, 165–166 unter Zitation von Guttenberger Ortwein, Status, 287. Für Standhartinger 145 erweist sich 1,27–2,4 ohnehin „durch viele sprachliche Anleihen als Reflexion und Applikation des antiken Eintrachtsdiskurses auf das Leben der Gemeinde“ (ausführlicher: dieselbe, Eintracht). 113 Standhartinger, Eintracht, 166. Als Belege nennt sie ebd. Anm. 96 u. a. Dion, Or. 40.20: „Deswegen nehmen vernünftige Menschen lieber eine Niederlage in unbedeutenden Dingen hin und beharren nicht kleinlich auf ihrem Recht, als dass sie sich um jede Kleinigkeit streiten, keinem in irgendeinem Punkt nachgeben und immer nur Leute haben, die gegen sie sind und sie anfeinden, die ihnen ihre Erfolge übel nehmen und sich ihnen nach Kräften in den Weg stellen.“

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Unabhängig davon, wie weit man Standhartinger bei ihrer Ausleuchtung des Mitwelt-Horizontes von 2,3 und bei ihrer Bestimmung des Zueinanders von paulinischer Profilierung und Mitwelteinfluss folgt, bleibt doch Folgendes festzuhalten: Paulus setzt sich konstruktiv und kritisch mit Wertevorstellung seiner Mitwelt auseinander. Er greift bestimmte Vorstellungen auf, ohne es zu verabsäumen, diese grundlegend von seiner Christusdeutung her zu kalibrieren. Wo Menschen die so kalibrierten Werte in die Tat umsetzen, gewinnt der neue Heilsraum „in Christus“ ein eigenständiges sozial greifbares Profil. Die paulinische Christusgemeinde wird abgrenzbar von anderen Sinnangeboten in Philippi. Paulus fordert von seinen Adressaten eine Niedrigkeitsgesinnung (Demut) als eine dauerhafte Grundhaltung, mit welcher sie einem jeden in der Gemeinde völlig unabhängig von dessen sozialem Status „in der Welt“ begegnen.114 Diese Zentralsetzung der Demut rückt eine Größe ins Zentrum, welche in der Mitwelt kaum als erstrebenswert betrachtet wird,115 wiewohl eine entsprechende Gesinnung gegenüber Göttern durchaus anerkannt wird.116 Von daher nennt Markus Bockmuehl die Konzentration auf die Demut „one of the paradoxes of early Christian ethics, which made little sense in the first century, and perhaps makes even less today.“117 So zutreffend diese Einschätzung auch ist, darf sie nicht überdecken, dass die paulinische Demutsforderung hintergründig sogar der gemeindeinternen Selbstvergewisserung gegenüber kritischen Anfragen der Mitwelt dient. Diese Dimension zeigt sich, wenn man die Forderung im Horizont der Vorstellung einer bleibenden Verwiesenheit der Herrschenden auf die Beherrschten hört: Durch eine demütige Haltung, welche Paulus aus seiner Deutung des Christusereignisses ableitet, bekunden die Menschen „in Christus“ keineswegs einen verachtenswerten sozialen Status; auch zeugt diese Haltung keineswegs von einer defizitären Ethik. Eine solche Haltung kann sich stattdessen als politisch überaus klug erweisen und von Höhergestellten und Vornehmen bewusst geübt werden (siehe nur Xenophon, Ag. 11.11).

114 Für Wojtkowiak, Christologie, 155 kann die Mitwelt der Demutsforderung insoweit etwas abgewinnen, als sie auf die Stabilisierung und das Wohl der Gemeinschaft abzielt. Er verweist auf die Höherschätzung des Gemeinschaftsinteresses gegenüber dem eigenen Interesse etwa bei Cicero, Fin. 3.64 im Referat der stoischen Position: „ex quo illud natura consequi, ut communem utilitatem nostrae anteponamus (daraus ergebe sich ganz natürlich, dass wir den Gemeinnutz dem Eigennutz vorziehen).“ 115 Vgl. nur die Belegsammlungen bei Reumann 309–310 oder Wojtkowiak, Christologie, 145–146. 116 Siehe z. B. Aischylos, PV. 320–321: „Du bist noch nicht gefügig (ταπεινός), weichst den Übeln nicht, willst zu vorhandnen andre noch aufladen dir“; Platon, Leg. 716a erklärt mit Blick auf die göttliche Gerechtigkeit: „Wer nun zum wahren Glück gelangen will, der schließt sich ihr an und folgt ihr gleichfalls nach, aber in Demut und Sittsamkeit (ταπεινὸς καὶ κεκο­σμημένος).“ 117 Bockmuehl 110; vgl. auch Holloway 113 Anm. 15.

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Je nach Einschätzung der innergemeindlichen Konfliktlinien in Philippi kann zusätzlich noch eine speziellere Ebene berührt sein. Ist die Einheit der Gemeinde in Philippi und damit der Bestand der lokalen Gestaltwerdung des neuen Heilsraums (auch) durch (potentielle) innergemeindliche Leitungskonflikte gefährdet, öffnet sich folgende Zusatzperspektive: Mit der Anspielung an die Vorstellung einer bleibenden Verwiesenheit der Führenden auf die Geführten erinnert der Apostel die gemeindlichen Verantwortungsträger und Leitungsinstanzen daran, dass sie unbedingt auf alle Menschen in der Gemeinde angewiesen sind. Als Menschen leiten sie Menschen im neuen Heilsraum.118 Eine ganz entscheidende Einfärbung erhält die Einforderung von Demut und gegenseitiger Höherachtung durch die Aufforderung in 2,4, auch auf das Wohl des anderen: μὴ τὰ ἑαυτῶν ἕκαστος σκοποῦντες ἀλλὰ καὶ τὰ ἑτέρων ἕκαστοι („nicht die eigenen Dinge beachte jeder Einzelne, sondern auch die Dinge der anderen, und zwar jeder und alle“). In dieser Aufforderung gewichtet Paulus zwischen Fremd- und Eigeninteressen und verpflichtet seine Adressaten wesentlich darauf, das eigene Handeln zentral am Wohl der anderen auszurichten („nicht die eigenen Dinge beachte jeder Einzelne“). Er räumt den Menschen „in Christus“ auf einer nachgeordneten Ebene aber durchaus die Möglichkeit ein, auch eigene Vital- und Heilsinteressen „in Christus“ verfolgen zu dürfen.119 Damit gibt er zu verstehen, dass Demut im neuen Heilsraum und die vorrangige Ausrichtung auf das Wohl des anderen keineswegs eine völlige Negation eigener Interessen bedeutet.120 Raumkonzeptionell betrachtet verleiht Paulus mit diesem Austarieren zwischen gemeindlichen und individuellen Interessen der Umgangsweise im neuen Heilsraum „in Christus“ ein markantes Gepräge und lässt so das eigenständige Profil dieses sozialen Interaktionsraumes umso deutlicher zutage treten. Darüber hinaus steigert das Zugeständnis, nachgeordnet auch eigene Heils­ interessen verfolgen zu dürfen, die Wahrscheinlichkeit erheblich, dass die Gemeinde ihr Zusammenleben tatsächlich in Eintracht und gegenseitiger Höherschätzung zu gestalten sucht. Damit zeichnet sich eine ekklesiologische und (individual-)­soteriologische Win-Win-Situation ab: Durch einen einträchtigen Umgang miteinander und ein Handeln, das sich wesentlich am Wohl des anderen orientiert, ohne eigene Interessen auszublenden, bekommt die neue Wirklichkeit „in Christus“ in der römischen Kolonie Philippi eine konkrete sozial wahrnehmbare Gestalt. Durch eben diese Verhaltensweise und den entsprechenden Um-

118 Auf dieser Spur muss man aber nicht so weit wie Standhartinger 139 gehen und 2,3–4 als Aussagen über eine „kollektive Gemeindeleitung ohne Hierarchisierungen“ verstehen. 119 Ausführlich Blumenthal, Beobachtungen, 109–114 (ebd. auch textkritische Erwä­ gungen). 120 Mehr in Kapitel 4.

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gang miteinander „erarbeitet“ sich der Mensch „in Christus“ zur gleichen Zeit sein eigenes endzeitliches Heil (τὴν ἑαυτῶν σωτηρίαν κατεργάζεσθε),121 wobei Paulus dieses Erarbeiten grundlegend an die Heilsinitiative Gottes zurückgebunden weiß. So sehr Paulus den Menschen „in Christus“ ekklesiologisch und auch soteriologisch mit dem Aufruf κατεργάζεσθε in 2,12 in die Verantwortung nimmt, lässt er doch keinen Zweifel daran aufkommen, dass die letzte Entscheidung über die Verteilung von Heil und Unheil allein auf Seiten Gottes liegt. Zudem stellt der Apostel in 2,13 unmissverständlich heraus, dass das menschliche Erarbeiten seiner Ansicht nach immer vom göttlichen Heils- und Erwählungshandeln ermöglicht und umfangen ist.

Zudem markiert das Zugeständnis zur Berücksichtigung auch eigener Interessen einen bleibenden Unterschied zwischen dem Handeln Jesu und dem Handeln der Menschen „in Christus“. Diese Markierung wahrt die Einzigkeit des Christusereignisses und macht die Erzählung von diesem einzigartigen Ereignis paradigmatisch nutzbar.122 Dabei setzt eine paradigmatische Nutzung zwei Grenzziehungen voraus: In entscheidendem Unterschied zu Jesus können sich die Briefempfänger „nicht eines wie auch immer gearteten Status der Gottgleichheit entäußern“123; darüber hinaus stellt die in 2,9–11 erzählte Inthronisation „mehr als die Erhöhung eines außerordentlich Gerechten“ dar.124 Paulus selbst sensibilisiert für eine gezielte Wahrnehmung der Polyfunktionalität von 2,6–11. Er formuliert den Relativsatz in 2,5b elliptisch (ὃ καὶ ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ) und gestaltet so die Überleitung zum Philipperhymnus intendiert mehrdeutig. Damit zeigt er an, dass der Hymnus für ihn gleichermaßen kosmischeschatologische „master story“125 und Beispielerzählung ist.126 Der Hymnus zeigt

121 Die Annahme, dass Paulus mit σωτηρία in 2,12 auf das endzeitliche Heil rekurriert, teilt die Mehrheit der Auslegerinnen und Ausleger. Siehe für viele nur Witherington 159 („personal salvation, in this case sanctification and final salvation“) oder Holloway 130 („Philippians’ final salvation“); anders etwa Hawthorne / Martin 140: σωτηρία sei in 2,12 in einem „noneschatological sense“ gebraucht. Es referiere auf die „idea of health or well-being“ (ablehnend zu dieser ‚Verwässerung‘ des Begriffs σωτηρία etwa Fee 235 mit Anm. 23). 122 Vgl. schon Blumenthal, Beobachtungen 122–123. 123 Standhartinger, Eintracht, 169. 124 Standhartinger, Eintracht, 169; vgl. auch die feinen Differenzierungen bei Becker, Ethik, 257–259. 125 Gorman, Cruciformity, 88. 126 Für Standhartinger, Eintracht, 170 präsentiert der Hymnus „kein exemplarisches, sondern ein kosmologisch-eschatologisches Geschehen“, welches „im Kontext paradigmatische Funktion“ erhalte; in ihrem Philipperbriefkommentar konzentriert sie sich auf den Gedanken des Nicht-Exemplarischen: „Der Hymnus schildert kein vorbildhaftes, paradigmatisches Handeln, sondern er vergegenwärtigt das Heilsereignis, das die Welt, die Zeit und Gemeinde grundlegend geprägt und verändert hat“ (ebd. 181).

128

Eine raumsensible Lektüre des Philipperbriefes

Jesus als Urbild und mutans mutandis auch als Vorbild127 und erweist sich auch unter raumthematischem Betrachtungswinkel als polyfunktional: Als Gründungserzählung grenzt der Hymnus den Herrschaftsraum Christi von anderen Herrschaftsräumen ab. Dabei bildet die Art und Weise, wie der Herrscher zu uneingeschränkter Macht gekommen ist, den markanten Unterschied: Christus hat sich willentlich, vollumfänglich und radikal selbst zurückgenommen bis hin zur letzten Konsequenz eines Todes am Kreuz. Gott hat ihn anschließend in höchste Höhen erhoben und als universalen Weltenherrn eingesetzt. Mit dieser ungewöhnlichen Aufstiegserzählung bietet der Hymnus der Gemeinde in Philippi ein Identitätsnarrativ an, welches sich grundlegend von vorherrschenden Erzählungen unterscheidet. Erinnern die alltäglichen und landläufigen Herrschaftsnarrative, wie sie sich zur Zeit des Paulus beispielsweise auf Münzen in Philippi finden, an geradlinige Aufstiegsgeschichten und eine Durchsetzung eigener Machtambitionen um jeden Preis, setzt die Gründungserzählung in 2,6–11 völlig gegenteilig an. Sie zeigt den sich selbst erniedrigenden Jesus „als Gegenbild zum Typ des sich selbst erhöhenden Herrschers“128, ohne dadurch den Anspruch auf universale Herrschaft aus dem Blick zu verlieren. Im Gegenteil: Jesus wird als derjenige vor Augen gestellt, der die herrschaftsanerkennende Verehrung des gesamten Kosmos entgegennimmt. Der Unterschied zu irdischen Herrschern wie dem Koloniegründer Octavianus besteht darin, dass Jesus diesen Aufstieg zu universaler Herrschaft nicht aktiv betrieben hat. Er sah stattdessen gänzlich von eigenen (Macht-)Interessen ab und wurde gerade als solcher von Gott „der höchsten Machtposition gewürdigt.“129 Als paradigmatische Erzählung verankert der Hymnus die von den Philippern geforderten raumgestalterischen Handlungen im Handlungsvorbild Jesu. Jesus ist der uneingeschränkte Machthaber seines Herrschaftsraumes und in seiner radikalen Selbstrücknahme zugleich Vorbild für das Handeln der Menschen in diesem Herrschaftsraum.130 Durch seine Vorbildfunktion versetzt der Kyrios die 127 Dass Christus als „Urbild auch Vorbild“ ist, gilt laut Vollenweider, Politische Theologie, 464 „offenkundig für die Haltung der Selbsthingabe“; ausführlicher zur Polyfunktionalität des Hymnus: Blumenthal, Beobachtungen, 122–123. Paulus selbst sensibilisiert für eine gezielte Wahrnehmung dieser Polyfunktionalität: Er formuliert den Relativsatz in 2,5b elliptisch, wodurch er die Überleitung zum Philipperhymnus intendiert mehrdeutig gestaltet. Morgan, Being, 77 erwägt eine Mehrdeutigkeit sogar speziell für die dortige „In-Christus“-Präpositionalphrase: Paulus gebrauche („may use“) dieses Syntagma in 2,5b „deliberately bivalently, invoking both the ethical and Christological possiblities of the ‚Christ hymn‘: the faithful are in Christ’s hands, and must live a certain way, because of the actions of God and Christ, and the actions of Christ in obedience of God are also a model of how to live in the hands of Christ.“ 128 Vollenweider, Raub, 283. 129 Vollenweider, Metamorphose, 305. 130 Die Präsentation der Handlungsweise Jesu in 2,6–8 ist weder mit einem Hinweis auf ein Eigeninteresse an Rettung und Erhöhung noch mit einem soteriologischen Moment ver-

Raumpolitik im Briefkorpus (1,12–4,20)

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Menschen in die Lage, ihren Beitrag zur lokalen Gestaltwerdung dieses Heils- und Herrschaftsraums in Philippi zu leisten. Schritt 2 Der Hymnus weitet die räumliche Perspektive ins Kosmisch-Universale und präsentiert das Christusereignis in einer ungemeinen Dynamik, in welcher Raum, Raumwechsel und Raumzuordnungen eine zentrale Rolle spielen. Diese Raumdynamik setzt in 2,6 mit der Textinformation an, dass Jesus vor seiner Selbsterniedrigung in Gottesgestalt existiert (ἐν μορφῇ θεοῦ ὑπάρχων) und die Gottgleichheit nicht als Raub betrachtet (οὐχ ἁρπαγμὸν ἡγήσατο τὸ εἶναι ἴσα θεῷ).131 Dieses Christusbild setzt raumkonzeptionell betrachtet ein himmlisches Setting voraus132 und impliziert eine räumliche Trennung zwischen dem Christus „in Gottesgestalt“ und der Erde mitsamt den dortigen Existenzbedingungen. Diese Distanz zwischen dem Christus „in Gottesgestalt im Himmel“ und den Menschen „in Menschengestalt auf Erden“ wird in 2,7–8 spürbar verringert. Jesus nimmt Sklavengestalt an, wechselt vom Himmelsraum auf die Erde und erfährt dort leibhaft die Begrenztheiten menschlicher Existenz bis hinein in die tiefste Schande eines unehrenhaften Todes am Kreuz. Diese Abstiegsbewegung impliziert eine personenzentrierte punktuelle Überwindung der Trennung zwischen Himmels- und Erdenraum: Jesus überwindet in seiner radikalen Selbsterniedrigung die Grenze zwischen himmlischer und irdischer Wirklichkeit.133 Er kennt eine Existenz in Gottes- und in Menschengestalt und gibt während seines Erdenlebens ein Beispiel für eine konsequente Umsetzung der neuen Werteordnung in Gestalt radikaler Selbsterniedrigung bis hin zum Kreuzestod. Unmittelbar nach Erreichen des Tiefpunktes schlägt die Bewegungsrichtung im Hymnus vollkommen um und führt aus der tiefsten Erniedrigung am Kreuz knüpft. Stattdessen steht der Aspekt größtmöglicher Radikalität dieser Handlungsweise im Zentrum. Jesus ist als Figur gezeichnet, die unter Absehung von jeglichem Eigeninteresse ganz im Gehorsam und im Vertrauen gegenüber Gott handelt und infolge dieser vollkommen uneigennützigen, radikalen Selbstrücknahme durch Gottes freie Entscheidung zum Weltenherrn eingesetzt wurde. 131 Ich betrachte die Gottgleichheitsaussage als intendiert mehrdeutig. Das strategische Potential dieser Mehrdeutigkeit habe ich andernorts ausgelotet und dort auch Blitzlichter aus aktuellen Diskussionen rund um die hymnuseröffnenden Christusaussagen zusammengestellt: Blumenthal, Mehrdeutigkeit, 181–185 (Forschungsblitzlichter) und 194–199 (zum argumentationsstrategischen Potential). 132 Vollenweider, Metamorphose, 302 etwa spricht vom „himmlischen Thronsaal“. 133 Der Philipperhymnus stellt Müller, Menschwerdung, 28 zufolge heraus, „daß Offenbarung und Erlösung gerade dort geschehen, wo der Gottessohn seine ursprüngliche Identität aufgibt und das annimmt, was dem Göttlichen fremd ist, menschliche Nichtigkeit.“ Von daher könne die christologische Konzeption des Philipperhymnus nicht als Parallele zu Joh 1,14 begriffen werden, da der menschgewordene Logos bei Johannes seine himmlische Doxa beibehalte (nahezu wörtlich ebd.).

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Eine raumsensible Lektüre des Philipperbriefes

in höchste Höhen: ὁ θεὸς αὐτὸν ὑπερύψωσεν. Das Kompositum ὑπερ-ύψωσεν („zur höchsten Höhe erheben“134) dient vor allem dazu, die göttliche Rettungstat in ihrer Größe und Unermesslichkeit vor Augen zu stellen. Gleichsam als Nebenwirkung dazu markiert es aber auch einen immensen Abstand zwischen dem in höchste Höhen erhöhten Jesus und den Menschen auf Erden in ihrer bleibenden Begrenztheit. Den Eindruck eines immensen, nicht nur räumlichen Abstandes zwischen Jesus und den Menschen verstärkt die Aussage über die Namensverleihung noch erheblich: Gott gibt Jesus den Namen τὸ ὑπὲρ πᾶν ὄνομα. Mit der Erhöhung und Namensverleihung sorgt Gott dafür, dass Jesus und er sich nachösterlich nahezu auf Augenhöhe in den höchsten Höhen des Himmelsraumes begegnen.135 Die Tendenz, den nachösterlichen Abstand zwischen Jesus im Himmel einerseits und den Menschen auf Erden andererseits auf eine Maximaldistanz anwachsen zu lassen, fangen die beiden letzten Verse des Hymnus narrativ ab. Dazu zeichnen sie eine erneute Ab- und Aufstiegsbewegung nach. Die Abstiegsbewegung in 2,10 durchschreitet den kosmischen Gesamtraum vom Himmel hinab bis in die Unterwelt. Das Hymnusende zieht wiederum den Blick ganz nach oben und führt hinauf zum erhöhten Kyrios und zu Gott selbst. Der erhöhte Jesus wird vom gesamten Kosmos als Kyrios anerkannt (πᾶσα γλῶσσα ἐξομολογήσηται136), und zwar zur Ehre Gottes des Vaters.137 134 Bauer, Wörterbuch, 1678 s.v.  ὑπερυψόω 1. In Ps 96,7LXX markiert das Kompositum ὑπερυψόω den immensen Abstand Gottes zu allen anderen Göttern und seine absolute Überlegenheit: „Denn du bist der Herr, der Höchste über die ganze Erde (ὁ ὕψιστος ἐπὶ πᾶσαν τὴν γῆν), maximal erhaben bist du über alle Götter (σφόδρα ὑπερυψώθης ὑπὲρ πάντας τοὺς θεούς).“ 135 Wenn ich von einer Positionierung „nahezu auf Augenhöhe“ spreche, suche ich damit jenen letzten Vorbehalt vor einer völligen Angleichung von Gott und Jesus einzuholen, welchen der Philipperyhmnus durch die Handlungsträgerschaft in 2,9 (Gott handelt) und die Zielangabe εἰς δόξαν θεοῦ πατρός andeutet: Da die Erhöhung und Machtübertragung an Jesus alleinige Entscheidung Gottes ist und die Christus geltende Huldigung ihr letztes Ziel in Gott selbst hat (εἰς δόξαν θεοῦ πατρός), gesteht der Hymnus Gott bei aller Tendenz zur Annäherung zwischen ihm und Jesus eine bleibende Überordnung zu. 136 Nach Bauer, Wörterbuch, 560 s.v. ἐξομολογέω 2b. Der Inhalt dieser Akklamation gibt der Philipperhymnus nach ὅτι an (= ὅτι-recitativum): κύριος Ἰησοῦς Χριστὸς εἰς δόξαν θεοῦ πατρός; siehe noch die Anmerkungen bei Reumann 358 zur Diskussion, inwieweit dieses universale Anerkennen bei den einzelnen Handlungsträgern ein Bewusstsein voraussetzt. 137 Die Präpositionalphrase εἰς δόξαν θεοῦ πατρός kann sowohl als Teil der Akklamation κύριος Ἰησοῦς Χριστός selbst oder als Fortsetzung von ἐξομολογήσηται begriffen werden (mehr bei Standhartinger 178). Das Bekenntnis, „dass ausgerechnet der Gekreuzigte zum Herrn erhöht wurde und den Gottesnamen erhielt“, mündet ins Gotteslob und setzt damit laut Standhartinger „Gott ins Recht“ (ebd.); Vollenweider, Name, 83 stuft 2,11 als „‚Leitfossil‘ des schon früh im 1. Jahrhundert n. Chr. sich herausbildenden ‚christologischen Monotheismus‘“ ein. Der Philipperhymnus versuche, „die unvergleichliche Würde Jesu und die Einzigkeit Gottes […] einander zuzuordnen“ (Kursivdruck im Original).

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Das wiederholte Nachzeichnen von Ab- und Aufwärtsbewegungen zwischen den kosmischen Makroräumen lässt den Eindruck fester, nichtelastischer Raumstrukturen entstehen.138 Der Hymnus verbindet Himmel, Erde und Unterwelt so untrennbar fest miteinander, dass ein Überschreiten der Raumgrenzen möglich erscheint. Dies gilt nicht nur für das einmalige Jesusereignis, sondern auch für das nachösterliche Anerkennen der Herrschaft des Kyrios. Dieses spielt sich in allen kosmischen Räumen gleichermaßen ab und lenkt den Blick in allen Räumen gemeinsam in Richtung des erhöhten Kyrios im Himmel. Mit dem narrativ geführten Aufweis nichtelastischer Raumstrukturen deutet der Hymnus die Überzeugung an, dass Jesus durch seine Erhöhung in höchste Höhen nicht völlig von der Erde und den Menschen entfernt ist: So wie Himmel und Erde raumstrukturell fest miteinander verbunden sind, bleibt auch der erhöhte Jesus mit den Menschen auf Erden fest verbunden. Seine Kompetenz zur Raumgrenzenüberschreitung ermöglicht es ihm, den neuen Heilsraum „in Christus“ als grenzüberschreitenden Raum zu stiften. Der Philipperhymnus verbindet den Aufweis einer untrennbar engen Verknüpfung der kosmischen Makroräume mit der Vorstellung einer Annäherung der Raumwirklichkeiten. Meine Thesen lauten: (1) Der Hymnus nimmt in 2,10 den gesamten Kosmos in seinen drei maßgeblichen Einzelräumen in den Blick und konstatiert ein raumübergreifendes Niederknien vor dem erhöhten Kyrios. Es entsteht der Eindruck, dass sich in der Anerkennung der Herrschaft des Kyrios die Wirklichkeiten in den drei kosmischen Makroräumen angleichen. Der Hymnus zeigt diesen gesamtkosmischen Prozess durch die Einsetzung Jesu in Macht irreversibel angestoßen und betrachtet diesen Prozess keineswegs eindimensional als abgeschlossen. (2) Der Erweis einer Raumannäherung im Sinne einer Wirklichkeitsangleichung dient der Bearbeitung der realen räumlichen Trennungserfahrung vom erhöhten Herrn. Den Philippern soll deutlich werden, dass der Unterschied zwischen himmlischer und irdischer Wirklichkeit immer weiter minimiert wird. Im gesamten Kosmos breitet sich die Anerkennung der Herrschaft des erhöhten Herrn zunehmend aus. Himmel, Erde und Unterwelt sind nicht mehr Räume mit völlig unterschiedlichen Wirklichkeiten. (3) Vergegenwärtigen sich die Philipper, dass das universale Anerkennen der Herrschaft des Kyrios eine raumgrenzenüberwindende und wirklichkeitsangleichende Funktion hat, erscheint Jesus nicht mehr als der völlig Jenseitige. Durch seine Erhöhung in höchste Höhen gehört Jesus Christus nachösterlich nicht einer völlig anderen, weil himmlischen Lebenswirklichkeit an. Himmel und Erde sind untrennbar dadurch verbunden, dass sie sich zunehmend auf den Kyrios ausrichten und seine Herrschaft schrittweise anerkannt wird. Die Philipper nimmt

138 Vgl. zum erzähltheoretischen Hintergrund nur Dennerlein, Narratologie, 189–192.

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Eine raumsensible Lektüre des Philipperbriefes

Paulus in die Verantwortung, diesen Prozess dadurch voranzubringen, dass sie den gekreuzigten Erhöhten als ihren Herrn anerkennen und diesem treu bleiben. Seinerseits ist der Kyrios als universaler Weltenherr unentwegt in der Lage, raumübergreifend zu agieren und in lebendiger Beziehung mit den Menschen „in Christus“ zu bleiben. Zur Begründung dieser Thesen setze ich bei den drei raumreferentiellen Adjektivkomposita ἐπουρανίων, ἐπιγείων und καταχθονίων in 2,10 an. Diese stellen die kosmischen Makroräume in ihrer Trennung und ihrer hierarchischen Anordnung auf der Linie der Stockwerke-Kosmosmodell vor Augen. Darüber hinaus implizieren sie den Gedanken, dass sich die Wirklichkeiten in diesen Makroräumen zunächst einmal grundlegend voneinander unterscheiden. Die folgenden exemplarisch ausgewählten Belegstellen bringen durch den adjektivischen oder substantivischen Gebrauch der Adjektivkomposita ἐπουράνιος und ἐπίγειος das Unterscheidende oder Entgegengesetzte zwischen himmlischer und irdischer Wirklichkeit zum Ausdruck:139 Joh 3,12 (Jesus im Gespräch mit Nikodemus140): „Wenn ich euch das Irdische (τὰ ἐπίγεια) gesagt habe und ihr nicht glaubt, wie werdet ihr, wenn ich euch das Himmlische (τὰ ἐπουράνια) sage, glauben?“ 1Kor 15,40: „Und es gibt himmlische Leiber (σώματα ἐπουράνια) und irdische Leiber (σώματα ἐπίγεια); jedoch anders ist die Erscheinung (Herrlichkeit) der himmlischen (ἡ τῶν ἐπουρανίων δόξα), anders die der irdischen (ἡ τῶν ἐπιγείων).“ 2Kor 5,1: „Denn wir wissen: Wenn unser irdisches Zelt (Schmeller: unsere irdische Zeltbehausung141 [ἡ ἐπίγειος ἡμῶν οἰκία τοῦ σκήνους]) abgebrochen wird, haben wir 139 Das Adjektiv καταχθόνιος ist von χθῶν gebildet („wer unter der Erde ist“) und hat sein Antonym in ἐπιχθόνιος („die Irdischen“; siehe nur Homer, Il. 1.265 und 272 [„Erdbewohner“] oder Od. 24.197). Dabei sieht der griechische Sprachgebrauch nach Sasse, Art. καταχθόνιος, 635 „in den καταχθόνιοι stets θεοί oder δαίμονες“. Dies dokumentieren neben der Rede vom ἐπικαλεσάμενος τούς τε οὐρανίους καὶ καταχθονίους θεούς bei Dionysios von Halikarnassos, Ant. Rom. 2.72.8 und der Erwähnung der θεοὶ καταχθόνιοι auf zahlreichen Grabinschriften (nach Sasse ebd. 635; dort auch Belege) die folgenden Belege: (1) Homer, Il. 9.455–457: „Niemals solle auf seinen Knien sitzen ein Söhnchen, das von mir gezeugt sei, den Fluch erfüllten die Götter, Zeus in der Unterwelt (Ζεύς τε καταχθόνιος) und die schreckliche Persephoneia.“ (2) Strabo, Geogr. 5.4.5 bei der Beschreibung des Sees Avernus an der kampanischen Küste: „Den See befuhren sie nur, nachdem sie vorher geopfert und die unterirdischen Götter versöhnt hatten (ἱλασάμενοι τοὺς καταχθονίους δαίμονας), indem Priester da waren, welche dergleichen Gebräuche verordneten, da sie den Ort in Pacht besaßen.“ (3) Strabo, Geogr. 6.2.11 bei der Beschreibung der liparischen Inseln: „Der Statthalter von Sizilien, Titus Flaminius, habe dem Senat den Vorfall gemeldet, dieser aber Abgeordnete hingesendet, um sowohl auf dem Inselchen als auf Lipara den Göttern der Unterwelt und des Meeres Sühnopfer darzubringen (ἐκθύσασθαι … τοῖς τε καταχθονίοις θεοῖς καὶ τοῖς θαλαττίοις). 140 Siehe zum Verständnis nur Theobald, Joh, 256–258. 141 Schmeller, 2Kor, 282.

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einen Bau, der von Gott (stammt), ein nicht mit Händen gemachtes, ewiges Haus in den Himmeln (ἐν τοῖς οὐρανοῖς).“ Phil 3,18–19: „Denn viele wandeln, welche oft ich euch sagte, jetzt aber auch weinend sage, als die Feinde des Kreuzes Christi, von denen das Ende Verderben, von denen der Gott der Bauch und die Herrlichkeit in ihrer Schande, die das Irdische Sinnenden (οἱ τὰ ἐπίγεια φρονοῦντες).“ Hebr 8,5a: „Diese (sc. die Priester auf Erden) versehen den Dienst an einem Abbild und Schatten der himmlischen Güter (ὑποδείγματι καὶ σκιᾷ τῶν ἐπουρανίων).“142 Jak 3,15: „Nicht ist dies die Weisheit, die von oben (ἄνωθεν) herabkonmt, sondern sie ist irdisch (ἐπίγειος), ungeistlich (ψυχική), dämonisch (δαιμονιώδης).“

Die raumreferentiellen Adjektivkomposita in 2,10 sind mit dem Subjektausdruck πᾶν γόνυ verbunden. Dadurch entsteht der Eindruck, dass der Hymnus die kosmischen Räume gezielt als belebte Räume vor Augen stellt. Löst man zudem die Mehrdeutigkeiten, welche die Genitivpluralformen ἐπουρανίων, ἐπιγείων und καταχθονίων im Bereich Genus zeigen, nicht einseitig auf,143 gelangt man zu folgender Annahme: Es geht um die gesamten Wirklichkeiten, Mächte und Bewohner im Himmel, auf der Erde und in der Unterwelt, und dies sowohl in deren gottdienenden als auch in deren (ehemals) gottfeindlichen Ausrichtungen.144 Mein Votum, die Raumaussage in 2,10 im beschriebenen Sinne als wirklich universal zu begreifen, gewinnt an Substanz, sobald man die Anspielung dieses Verses an Jes 45,23LXX berücksichtigt:145 142 Die Sprache in Hebr 8,5 setzt nach Backhaus, Hebr, 290 „die vertikale Sphärenscheidung voraus“, wie sie „zeitgenössisch vor allem im Mittelplatonismus“ anzutreffen sei. 143 Während ein Verständnis der drei Adjektiv-Komposita als Neutrum-Plural-Formen an himmlische, irdische und unterirdische Dinge denken lässt, sieht ein Verständnis als Maskulin-Plural-Formen den Blick auf Bewohner und Lebewesen gerichtet (für die letztgenannte Deutungsoption sprechen sich z. B. Fee 224–225 oder Focant 121 aus): Siehe zu den Deutungsoptionen nur Reumann 357 und als kurzen Forschungsüberblick Long / Giffin, Jesus Christ, 245–255. 144 Der Hymnus präzisiert nicht, inwieweit es sich bei diesen Wesen (nur) um göttliche oder (vormals) widergöttliche Mächte in den einzelnen kosmischen Sphären handelt. Im Jahre 1968 ist für Gnilka 128 noch „unbestritten“, dass „durchweg an Geistermächte zu denken ist“. Strittig sei nur, „ob diese Mächte als gottdienende oder gottfeindliche Mächte vorzustellen sind“. Er selbst entscheidet sich für die letztgenannte Variante; auf dieser Spur optiert für die Bereiche von Erde und Unterwelt etwa auch Walter 60–61 (die die Menschen „‚versklavenden‘ Mächte“; „die lebensverschlingenden Mächte wie Tod und Hölle“); jüngst machen sich Long / Giffin, Jesus Christ, 245–282, besonders 254–263 nachdrücklich dafür stark, in 2,10 eine „explicit reference to the gods“ (ebd. 279) zu sehen, und zwar zu den „Greco-Roman divinities“ (ebd. 282); gegen ein einseitig dämonologisches Verständnis von 2,10 votiert Hofius, Christushymnus, 20–40 sehr ausführlich. Die Trias in 2,10 umschließe „alle der Anbetung fähigen Wesen im gesamten Raum der Schöpfung Gottes“ (ebd. 53). 145 Die Annahme, dass Phil 2,10–11 an Jes 45,23LXX anspielt, stellt einen Forschungskonsens dar (siehe für viele nur Long / Giffin, Jesus Christ, 246 Anm. 32 oder Standhartinger 176).

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Eine raumsensible Lektüre des Philipperbriefes

Jes 45,22–25146

Jes 45,22–25LXX

22

Wendet euch mir zu und werdet errettet, alle Enden der Erde, denn ich bin Gott und keiner sonst!

Wendet euch zu mir, und ihr werdet gerettet werden, ihr vom Ende der Erde! Ich bin Gott, und es gibt keinen anderen.

23

Bei mir habe ich geschworen, ausgegangen ist aus meinem Mund Gerechtigkeit, ein Wort, das nicht zurückkehrt:

Bei mir selbst schwöre ich: Wahrlich, Gerechtigkeit wird aus meinem Mund kommen, meine Worte werden nicht rückgängig gemacht werden,

Ja, mir wird sich beugen jedes Knie (‫תכרע כל־ברך‬ [Imp.]),

ὅτι ἐμοὶ κάμψει (Ind. Futur) πᾶν γόνυ

Phil 2,10–11

22

23

ἵνα ἐν τῷ ὀνόματι Ἰησοῦ πᾶν γόνυ κάμψῃ (Konj. Aorist) 10

ἐπουρανίων καὶ ἐπιγείων καὶ καταχθονίων wird schwören jede Zunge (‫[ תשבע כל־לשון‬Imp.]).

καὶ ἐξομολογήσεται (Ind. Futur) πᾶσα γλῶσσα

24 Nur in JHWH (‫)אך ביהוה‬

24(?)

 – (so) sagt man über mich – sind Gerechtigkeit und Stärke. Zu ihm kommt man und sie werden beschämt, alle, die gegen ihn entbrennen.

Und sagen: Gerechtigkeit und Herrlichkeit werden zu ihm kommen und zuschanden werden alle, die sich absondern;

τῷ θεῷ.

11 καὶ πᾶσα γλῶσσα ἐξομολογήσηται (Konj. Aorist)

ὅτι κύριος Ἰησοῦς Χριστὸς εἰς δόξαν θεοῦ πατρός.

24

25 In JHWH bekommen Recht vom Herrn her wird gerechtund rühmen sich alle fertigt werden und in Gott Nachkommen Israels. zu Ehren kommen die ganze Nachkommenschaft der Söhne Israels.

Jes 45,23 bildet zusammen mit 45,22–25 die dritte und letzte Strophe der zweiten Hälfte der zentralen Großeinheit 44,24–45,25, in welcher es um JHWHs Triumph durch Kyrus und die Perser geht.147 Während es in der ersten Hälfte dieser Großeinheit um die „Präsentation und Aufgabenstellung des Kyrus und der persischen Weltmacht“ geht (44,24–45,13), schaut die zweite Hälfte auf „die Folgen dieser Geschichtssetzung im Hinblick auf die Völker und deren Verhältnis

146 Übersetzung: Berges, Jes, 367. 147 Themenangabe dieser Großeinheit nach Berges, Jes, 370.

Raumpolitik im Briefkorpus (1,12–4,20)

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zum Gottesvolk“ (45,14–25).148 Im Mittelpunkt der dritten Strophe steht der Gottesschwur in 45,23. Dem Schwur steht in 45,22 der heilvolle Gedanke voran, dass in der Zuwendung zum einzigen Gott (‫ )אני־אל ואין עוד‬alle Enden der Erde (‫ )כל־אפסי־ארץ‬Rettung finden. Die Rede von den Enden der Erde impliziert den Glauben „an die uneingeschränkte Allmacht Gottes“149; sie schaut auf „die größtmögliche Zuhörerschaft, die über den Radius der Völker hinausgeht, die unmittelbar oder mittelbar vom Siegeslauf des Kyrus betroffen sind“150. Diese beachtliche Ausweitung des Adressatenkreises auf alle Enden der Erde holt der Gottesschwur in 45,23 durch die wiederholte Verwendung der Totalitätsbezeichnung ‫ כל‬ein (LXX: πᾶς).151 Die bereits erfolgte Rettung Israels, welche JHWH durch Kyrus und die Perser gewirkt hat,152 soll alle Erdenbürger (‫ )כל‬zur Erkenntnis führen, dass JHWH der einzige rettende und gerechte Gott ist. Für Jesaja ist Gott mit der Rettung Israels den ersten entscheidenden Schritt gegangen, seinen Schwur aus 45,23 zu realisieren. Aufs Ganze gesehen steht das Geschehen in 45,22–25 betont in seiner universalen und weltumspannenden Dimension vor Augen. Diese Dimension baut der Philipperhymnus durch das Nachzeichnen der vertikalen Raumachse noch weiter in Richtung „kosmisch-universal“ aus, wohingegen Jesaja eher auf der horizontalen Ebene unterwegs ist („alle Enden der Erde“).153 Der Blick auf den Jesajaintertext unterstützt aber nicht nur die Annahme, dass das Anerkennen der Herrschaft des Kyrios Christus im Philipperhymnus universal vorzustellen ist. Der Intertext sensibilisiert zudem noch dafür, sich eine potentiell gewaltsame, übergriffige Dimension dieses Anerkennungsprozesses bewusst zu machen. Der Gottesschwur selbst verspricht „nicht ein ‚happy end‘ 148 Gliederung nach Berges, Jes, 416 (ebd. auch die beiden Zitate); siehe ebd. 72–73 zur Gliederung von Jes 40–48 in die vier Großeinheiten der Kapitel 41,1–42,12; 42,13–44,23; ­44,24–45,25 und 46,1–48,22 (40,1–11 und 40,12–31 bilden eine doppelte Ouvertüre). 149 Hamp, Art. ‫אפס‬, 390. 150 Berges, Jes, 435; ebd. zur „hymnische[n] Färbung“ des Syntagmas ‫כל־אפסי־ארץ‬: Mit der Ausweitung des Adressatenkreises in Richtung alle Enden der Erde solle „eine Ausdehnung des Gotteslobes einhergehen.“ 151 Eine zunehmende, „stufenweise“ (Berges, Jes, 416) Ausweitung des Adressatenkreises durchzieht die gesamte zweite Hälfte der dritten Großeinheit: Während zunächst in 45,14 die afrikanischen Völker „in Fesseln“ im Blick sind, schaut V.20 auf die Völker, die den Fesseln der Perser entronnen sind. Die letzte Erweiterungsstufe ist in V.22 mit der Bezugnahme auf die Enden der Erde erreicht. 152 Siehe zur Vorstellung von JHWHs Geschichtslenkung durch Kyrus und die Perser in Jes 44,24–45,25 nur Berges, Jes, 375–377; 395–396; 440–441: Der „Siegeszug der Perser (bedeutet) für das Gottesvolk Heil“ (ebd. 441; siehe zusammenfassend: derselbe, Jesaja. Der Prophet und sein Buch, 101–107). Markant wird Kyrus in 44,28 und 45,1 als Gesalbter JHWHs und Hirte präsentiert. 153 Siehe zum horizontalen Moment in der Rede von den Enden der Erde nur Sach 9,10 oder Ps 72,8.

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für alle Erdenbürger“154. Vielmehr erinnert er daran, dass jeder einzelne „vor die Entscheidung für oder gegen JHWH gestellt“155 ist. Darüber hinaus sind „das Beugen eines jeden Knies (‫ )תכרע כל־ברך‬und das Schwören einer jeden Zunge (‫ )תשבע כל־לשון‬nicht als harmonische Vision aufzufassen […], die ohne eine vorherige Verhaltensänderung auskäme“156. Die Erwartung, dass JHWH von allen Enden der Erde künftig als der einzige Retter-Gott anerkannt werden wird157, schließt in letzter Konsequenz Momente des Erzwingens oder der Beschämung ein: „Die Verheißung zielt darauf ab, dass alle JHWH einst als den einzigen Gott werden anerkennen müssen, was eine endgültige Scheidung zur Folge hat. Auf diejenigen, die sich auflehnen, wartet die Beschämung“158 (vgl. Jes 45,24). Auf dieser Linie erwägt Markus Bockmuehl für den Anerkennungsvorgang in Phil 2,10–11: Der Kontext sowohl des Jesajaintertextes als auch des Philipperbriefes „seems to allow that there may be some for whom this confession will be a ­matter of shame and an acknowledgement of defeat“159. Von daher trägt ἐξομολογέω in 2,11 nicht nur die Züge von Danksagung und Lobpreis.160 Während die Septuaginta die hebräischen Imperfekte ‫ תכרע‬und ‫ תשבע‬in Jes 45,23 mit den Futurformen κάμψει und ἐξομολογήσεται übersetzt und die futurische Bedeutung der hebräischen Formen einholt, begegnen im Philipperhymnus die Konjunktivaoriste κάμψῃ und ἐξομολογήσηται.161 Diese Zeitformen legen das Geschehen der universalen Anerkennung der Herrschaft des erhöhten Kyrios zeitlich nicht eindeutig fest. Sie lassen vielmehr komplexiv-konstative, futurische 154 Berges, Jes, 434. Mit seinem Schwur nimmt sich Gott selbst maximal in die Pflicht. Dies gibt er in 45,23a durch den Schwur „bei sich selbst“ (‫ )בי‬unmissverständlich zu verstehen. 155 Berges, Jes, 434. 156 Berges, Jes, 437 (siehe 1Kön 19,18); nach Kottsieper, Art. 981 ‫שבע‬, ist ‫„ שבע‬im Sinne einer Unterwerfung unter bzw. Bekehrung zu Gott“ zu begreifen. In Jes 45,23 sei das Schwören des Bekenntnisses, dass nur bei JHWH „Heil und Macht zu finden sei, […] mit einer Unterwerfungsgeste“ verknüpft. Bezüglich der Tatsache, dass in Jes 45,23LXX ‫ תשבע‬mit ἐξομολογήσεται übersetzt ist, beobachten Kooij / Wilk, Erläuterungen zu Jes 40–55, 2656: Auch in Jes 19,18 und 2Chr 15,14 „impliziert ‫ תשבע‬nif. ein Bekenntnis zu Gott.“ 157 Die Imperfekte ‫ תכרע‬und ‫ תשבע‬haben futurische Bedeutung. 158 Berges, Jes, 437; ausführlich zur Beschämung ebd. 439. Gegen sämtliche harmonisierende Tendenzen in der Forschung hält er ebd. nachdrücklich fest: Für alle, die gegen JHWH entbrennen (vgl. 45,24), „bleibt nur das sichere Ende in Beschämung und Schande“. 159 Bockmuehl 147; siehe weiter noch O’Brien 243–250. 160 Mit Bockmuehl 147. 161 Hofius, Christushymnus, 26 betont, dass durch die Aufnahme des Jesajatextes in einen ἵνα-Satz „nach den Regeln der griechischen Grammatik der Indikativ des Futurs durch den Konjunktiv des Aorists ersetzt werden [musste], – eben weil das Futur einen eigenen Konjunktiv nicht bildet, dieser vielmehr durch den Konjunktiv des Aorists vertreten wird“; zugleich gilt aber auch nach BDR § 369.2: „Bisweilen dringt der Ind.Fut. ein, gerade da, wo er nach klass. nicht statthaft ist, nach ἵνα und finalem μή“ (Hofius weist ebd. 26 selbst darauf hin). Dies gilt ganz vereinzelt auch für Paulus (Gal 2,4: καταδουλώσουσιν), zumeist als varia lectio (z. B. 1Kor 13,3 in K oder Ψ: καυθήσομαι).

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und dynamische Facetten anklingen.162 Sie überblicken das Geschehen als schon abgeschlossenen Vorgang, präsentieren es zugleich als laufenden Prozess und zeigen es zudem als noch ausstehendes Ereignis. Der Text selbst gibt keine Anhaltspunkte, diese drei deutlich unterschiedlichen Perspektivierungen zugunsten einer einzelnen Perspektivierung zu reduzieren oder ineinander aufzulösen. Stattdessen fordert die Offenheit der Formulierung in 2,10–11 zu folgender Annahme heraus: Die drei Zeitperspektiven stehen für Paulus gleichzeitig-spannungsvoll in Geltung. Dabei begreift der Apostel von seinem irdisch-geschichtlichen Standpunkt die Anerkennung der universalen Herrschaft des Kyrios als ein spannungsvolles Zugleich von perfektischem und futurischem Verständnis. Für die Annahme, dass κάμψῃ und ἐξομολογήσηται für Paulus und seine Adressaten futurische Implikationen haben, spricht die Lebenswirklichkeit der brieflichen Kommunikationspartner. Paulus und seine Adressaten erleben alltäglich, dass irdische Macht- und Wertesysteme weiterhin in Kraft sind. Sie erleben in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld, dass bei weitem (noch) nicht alle Menschen vor Christus die Knie beugen und dessen Herrschaft anerkennen. Von daher steckt 2,10–11 die endzeitliche Zielmarke ab, ohne auf diesen Aspekt beschränkt zu sein: „One day, that acknowledgment of Christ’s lordship will be offered by all creatures everywhere.“163 Wiewohl die universale, alltäglich wahrnehmbare Anerkennung der Herrschaft des Kyrios noch in der Zukunft liegt, berührt die Anerkennungsaussage in 2,10–11 in ihrer brieflichen Verortung ganz grundlegend auch eine hochbedeutsame Gegenwartsdimension.164 Diese Dimension zeigt sich auf einer ersten Ebene, wenn man von der Rezitation des Hymnus her denkt. Seine Rezitation vergegenwärtigt „Gottes Selbstoffenbarung in der Geschichte“165. Wer sich das Kyriosbekenntnis in 2,11 zu eigen macht, erkennt die Herrschaft des gekreuzigten und erhöhten Kyrios an und bekundet in der Akklamation κύριος Ἰησοῦς Χριστὸς εἰς δόξαν θεοῦ πατρός den kosmischen Herrschaftswechsel, den Gott herbeigeführt hat.166 Eine weitere Ebene der Gegenwartsdimension wird sichtbar, sobald man 2,10– 11 mit der Sklavencharakterisierung in 1,1 verknüpft167. Wenn Paulus sich zusam 162 Futurische Bedeutung haben ἵνα-Sätze mit Aoristkonjunktiv z. B. auch in 1Kor 5,5 („damit der Geist gerettet wird am Tag des Herrn“ [ἵνα … σωθῇ]) oder Röm 8,17 („damit wir auch mitverherrlicht werden“ [ἵνα καὶ συνδοξασθῶμεν]). 163 Bockmuehl 146. 164 Walter 61 beispielsweise scheint ausschließlich auf dieser futurischen Ebene für 2,11 zu denken. 165 Mit Standhartinger 181. Sie ergänzt unter Rückgriff auf Söding, Erniedrigung, 128 noch: „und die ‚pneumatische Herrschaft, die der auferweckte und erhöhte Gekreuzigte als Kyrios bereits gegenwärtig über die Gemeinde ausübt‘“. 166 Siehe zum Gedanken Standhartinger 181 (ebd. auch das Stichwort Herrschaftswechsel). 167 Zusätzlich zur Verwendung der Sklaven- und Herrenmetaphorik besteht eine wichtige Leitwortvernetzung zwischen brieflichem Präskript und Philipperhymnus in der Charakterisierung Gottes als Vater (sonst nur noch in 4,20).

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men mit Timotheus als δοῦλοι Ἰησοῦ Χριστοῦ vorstellt, vollzieht er beispielhaft die Anerkennung der Herrschaft des Kyrios. Die beiden ordnen sich dem erhöhten Gekreuzigten als dessen Sklaven unter und bleiben dieser Zuordnung treu. Damit bringen sie das in 2,10–11 skizzierte Anerkennungsgeschehen einen Schritt voran und geben den Philippern ein nachahmbares Beispiel.168 Paulus zeigt sich überzeugt: Der Prozess der Anerkennung der Herrschaft des Kyrios ist bereits punktuell angelaufen und dauert in der Zeit seiner brieflichen Kommunikation mit den Philippern weiterhin an. Ein essentieller Baustein in diesem Prozess ist für Paulus die konsequente Ausrichtung an der Handlungsvorgabe Christi. Die Menschen „in Christus“ tragen durch eine selbstgewählte Selbsterniedrigung entscheidend dazu bei, die Wirklichkeit „in Christus“ in ihrem alltäglichen Lebensumfeld erfahrbar zu machen.169 In den Augen des Apostels schreiben sie damit nachösterlich jenen Umgestaltungsprozess der irdischen Wirklichkeit fort, den Jesus während seines Erdenlebens initiiert hat. Es liegt an der Gemeinde als Ganzer und an jedem einzelnen Mitglied, die irdische Lebenswirklichkeit vor Ort in Philippi nachhaltig vom Christusereignis her zu verändern, und zwar in Ausrichtung am Handlungsvorbild Jesus (siehe 2,3–5). In der Christus-Mimesis der Gemeinde dokumentiert sich zudem alltagstauglich, dass sie die Herrschaft des universalen Kyrios anerkennt. Zieht man die Beobachtungen zusammen, bleibt Folgendes festzuhalten: Der Hymnus durchschreitet in 2,10 in absteigender Richtung die kosmischen Einzelräume vom Himmel über die Erde bis hinab in die Unterwelt. Dieses kosmische Durchschreiten lässt Aspekte sowohl von konträren Wirklichkeiten als auch von Universalität und Totalität anklingen. Der Hymnus bleibt aber nicht bei einer Gegenüberstellung unterschiedlicher (Lebens-)Wirklichkeiten stehen, sondern bekundet zugleich die Hoffnung auf eine Angleichung der Raumwirklichkeiten. Diese Angleichung geschieht dadurch, dass sich sämtliche Mächte und Bewohner im Himmel, auf der Erde und in der Unterwelt gemeinsam und raumübergreifend auf den gekreuzigten und erhöhten Kyrios als ihren einzigen Herrn ausrichten. Dass die universale Ausrichtung auf den Kyrios weder die Macht Gottes einschränkt noch zu einer Konkurrenzsituation zwischen Gott und Jesus führt, stellt der Hymnus sicher: Er zeigt Gott in 2,9 als denjenigen, der durch die Erhöhung des Gekreuzigten und die Namensverleihung an ihn den universalen Prozess der Herrschaftsanerkennung selbst irreversibel angestoßen hat. Zudem weist 2,11 den Ehrerweis gegenüber Gott als letztes Ziel des Bekenntnisses zur Herrschaft Jesu aus. Der Hymnus präsentiert den Anerkennungsvorgang in einer spannungsgeladenen Gleichzeitigkeit als bereits universal vollendeten und noch laufenden 168 Eine kritische Würdigung dieses Ansatzes nehme ich in Kapitel 4 vor. 169 Dazu sieht Paulus die Menschen „in Christus“ durch das göttliche Heils- und Berufungshandeln befähigt (z. B. 1,6; 2,13).

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Prozess. Wer 2,11 etwa im gemeindlichen Gottesdienst in Philippi als sein eigenes Bekenntnis spricht, erkennt die Herrschaft des Kyrios an und ordnet sich ihm unter. Darüber hinaus antizipiert eine Rezitation von 2,10–11 den eschatolo­ gischen Endzustand eines universalen Bekenntnisses zur Herrschaft des Kyrios. In diesem vorweggenommenen Endzustand richten sich die Mächte und Bewohner sämtlicher Räume vollkommen auf den Kyrios aus. Dadurch sind die vormals unterschiedlichen Wirklichkeiten im Himmel, auf der Erde und in der Unterwelt im Bereich der Herrschaftsanerkennung gänzlich angeglichen. Die Gemeinde antizipiert aber nicht nur den Endzustand in der Hymnus­ rezitation, sondern ist im Zugehen auf diese künftige Wirklichkeit zugleich gefordert, den bereits angelaufenen Prozess der Herrschaftsanerkennung aktiv voranzubringen.170 In ihrer Christus-Mimesis macht die Gemeinde ihr Bekenntnis zum Kyrios nach innen und außen sichtbar und dokumentiert zudem in ihrer alltäglichen Umgangsweise miteinander, „wie die im Hymnus besungene Wirklichkeit das Handeln von Welt, Gemeinde und Himmel schon jetzt bestimmt“171. Unbeschadet dieser Inverantwortungnahme der Gemeinde zeigt sich der Apostel aber davon überzeugt, dass das endgültige Herbeiführen des heilvollen Endzustandes einer gesamtkosmischen Unterordnung unter die Herrschaft des erhöhten Kyrios wesentlich bei Gott und ebendiesem Kyrios liegt und von keiner irdischen Instanz aufgehalten werden kann. Schließlich gilt es noch Folgendes zu bedenken: Paulus formuliert die Erwartung einer universalen Unterwerfung unter die Herrschaft des erhöhten Kyrios in einer Gefangenschafts- und Minderheitensituation. Mit der Inkarnation des Gottgleichen hat für ihn die Endzeit unabwendbar begonnen, wiewohl die konkreten Lebensumstände diese Endzeit nicht unmittelbar erlebbar machen. Im Licht dieser Differenzerfahrung zielt die Erwartung einer universalen Herrschaftsdurchsetzung des Kyrios immer auch auf die Motivation der Gemeindemitglieder, ungeachtet der widrigen Umstände an der neuen Gemeinschaft „in Christus“ festzuhalten. Aus der Perspektive des Paulus dürfen sie hoffen, dass sich der erhöhte Kyrios einst universal erlebbar durchsetzen wird. Löst man diese Erwartung aus der Situation, in welche Paulus sie hinein formuliert, erweist sie sich als hochgradig missbrauchsanfällig: Diese Hoffnung rechnet notfalls auch mit einer gewaltsamen Unterwerfung aller widergöttlichen Mächte unter die eine Macht des Kyrios.

170 Für Standhartinger 181 „ist die Gemeinde im Hier und Jetzt die Stellvertreterin und Mitwirkende Gottes in der und für die Welt“, und zwar „[e]ntsprechend dem für die Welt geöffneten Himmel, den der Hymnus besingt“. 171 Standhartinger 181.

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3.2.2.3 Lichter im Kosmos (2,12–18) Am Beginn des dritten Unterabschnittes thematisiert Paulus seine räumliche Trennung von der Gemeinde und attestiert in diesem Zusammenhang den Philippern einen anhaltenden Gehorsam: μὴ ὡς ἐν τῇ παρουσίᾳ μου μόνον ἀλλὰ νῦν πολλῷ μᾶλλον ἐν τῇ ἀπουσίᾳ μου.172 Bei dieser Zuschreibung hebt er auf ein gegenwärtig notwendiges „Noch mehr“ ab (πολλῷ μᾶλλον). Für ihn ist die Gemeinde aufgrund seiner erzwungenen Abwesenheit umso mehr zum Gehorsam gefordert und leistet diesen auch tatsächlich. Mit dieser erbauenden Gehorsamszuschreibung sucht der Apostel seine Trennung von der Gemeinde konstruktiv zu verarbeiten und seinen strategischen Nachteil gegenüber möglichen Konkurrenten „vor Ort“ zu kompensieren. Durch seine Gefangenschaft kann Paulus aktuell nichts zur Konsolidierung der Gemeinde vor Ort beisteuern. Er muss sich mit der positiven Feststellung eines gesteigerten Gehorsams aus der Ferne begnügen und hoffen, dass diese Bescheinigung die junge Christusgemeinde motiviert und sie fest an ihren Gründer bindet. Die Auseinandersetzung mit der räumlichen Trennung auf horizontaler Ebene überführt Paulus durch die Charakterisierung der Gemeindemitglieder als Gottes integre Kinder (τέκνα θεοῦ ἄμωμα) ins Vertikale. Diese Charakterisierung expliziert die beiden Attribute ἄμεμπτοι und ἀκέραιοι aus der vorausgehenden Zielangabe: ἵνα γένησθε ἄμεμπτοι καὶ ἀκέραιοι. Dennoch ist diese Charakterisierung nicht als indirekte Aufforderung zu begreifen, durch eine bestimmte Lebensführung den Status „integre Kinder Gottes“ zu erreichen. Für Paulus setzt die Statuszuschreibung „Kinder Gottes“ notwendigerweise das göttliche Berufungs- und Erwählungshandeln voraus. Da Gott die Philipper als seine Kinder erwählt hat, kann der Apostel sie auffordern, diesen Heilsstatus durch eine gottgefällige Lebensführung ohne Murren und Bedenken173 möglichst überzeugend, integer und untadelig (ἄμωμα) ansichtig zu machen.174 172 Reumann 385 gibt einen Überblick über unterschiedliche Zuordnungsmöglichkeiten der Parenthese. 173 Siehe zu unterschiedlichen Deutungsansätzen der paulinischen Rede vom Murren und den Bedenken in 2,14 Hawthorne / Martin 143–144; mögliche biblisch-intertextuelle Anspielungen von 2,14 erwägen Fee 243 mit Anm. 11 oder O’Brien 290–291. Laut Bockmuehl 155 besteht eine der Schwierigkeiten bei der Auslegung von 2,14 in der Entscheidung, „whether Paul refers to ‚active‘ grumbling at Philippi; and if so, whether the Philippians are bickering against God or amongst each other.“ Klar scheint ihm hingegen: Die paulinische Ausdrucksweise biete „an evocative allusion to the grumbling and bickering of Israel wandering in the desert“ (ebd.). 174 Die Philipperbriefforschung erkennt in der Rede von den τέκνα θεοῦ ἄμωμα μέσον γενεᾶς σκολιᾶς καὶ διεστραμμένης nicht selten eine Anspielung an Dtn 32,5LXX: ἡμάρτοσαν οὐκ αὐτῷ τέκνα μωμητά γενεὰ σκολιὰ καὶ διεστραμμένη. Diese Einschätzung findet sich z. B.  bei Bockmuehl 156–157, Schapdick, Heil, 186 („Ἄμωμα ist sicherlich in Absetzung von μωμητά gewählt“) oder Witherington 162 („clear allusion“); Holloway 133 formuliert zurückhaltender: „Paul’s allusion to Deut 32:5 is far from straightforward“.

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Mit der Kind-Gottes-Charakterisierung versichert Paulus seine Adressaten einer dauerhaften, familiären Gottesbeziehung, welche die Grenze zwischen Himmels- und Erdenraum überwindet. Dabei impliziert die Familienmetaphorik gleichermaßen Aspekte von Vertrauen, Gegenseitigkeit und hierarchischem Gefälle. Die Philipper sind Gott, ihrem Vater, untergeordnet und dürfen zugleich darauf vertrauen, dass Gott als ebendieser Vater um sie und ihr Ergehen weiß. Aufgrund seiner Treue und seiner Hoheit kann Gott von seiner Seite das Angebot familiärer Stabilität und Nähe garantieren. Diese Zusicherung bildet ein Kontergewicht zur kosmischen Dimension von 2,10–11 und erinnert daran, dass Gott unbeschadet dieser Dimension wie ein Vater an jedem einzelnen Kind und dessen Ergehen orientiert bleibt. Im Hinblick auf das Interesse am einzelnen Menschen unterscheiden sich für Paulus Gott und die römischen Kaiser ganz erheblich voneinander. Der Kaiser beansprucht, der Herrscher über die gesamte Oikumene zu sein, zu welcher die römische Kolonie Philippi gehört. Die Menschen in Philippi erleben faktisch die kaiserliche Herrschermacht durch die örtlichen Vertreter, wohingegen eine persönliche Beziehung zwischen dem Kaiser und dem einzelnen Menschen vor Ort in Philippi nicht existiert. Der Kaiser verlangt zwar Verehrung durch seine Untertanen, kennt diese Untertanen aber nicht persönlich. Im Unterschied dazu ist Gott in den Augen des Apostels trotz seiner schieren kosmischen Machtfülle am einzelnen Menschen vor Ort interessiert. Gott bleibt dem einzelnen zugewandt (Vater ↔ Kinder).

Den Interaktionsraum, in welchem die Philipper ihren Status als „integre Kinder Gottes“ ansichtig machen sollen, benennt Paulus im unmittelbaren Anschluss

Bereits im Hebräischen ist der Aussageinhalt von Dtn 32,5 schwer fassbar. Für Otto, Dtn, 2146 ist der masoretische Text „komplex“ formuliert, für Crawford ist der erste Versteil sogar „hopelessly corrupt“ (in: derselbe u. a., Editions, 355). Letzterer übersetzt diesen Vers folgendermaßen: „he has dealt corruptly with him, not his sons their blemish“ (ebd.; andere Deutungsvorschläge ebd. 356–357). Otto hingegen schlägt eine andere syntaktische Zuordnung vor. Für ihn ist „das Lexem mûmām ‚ihre Schande‘ in Dtn 32,5 Subjekt des Verbs šiḥiet ‚Abbruch tun / zerstören‘, wobei sich das Suffix von mûmām auf lô lo’ bānājw ‚sie sind nicht seine Kinder‘“ beziehe (Dtn, 2146 [Kursivdruck im Original]). Er übersetzt: „Das schändliche Tun derer, die nicht mehr Kinder sein wollen, hat ihn verletzt, ein pervertiertes und auf Abwege geratenes Geschlecht“ (ebd. 2143); ausführlicher zur hebräischen Syntax, zur Überlieferungsgeschichte und zur griechischen Übersetzung bei Otto ebd. 2146–2147. Der griechische Übersetzer hat sich laut Hertog, Erläuterungen, 593 mit „gehören nicht (mehr) zu ihm, Kinder“ (οὐκ αὐτῷ τέκνα) „gut aus der Affäre gezogen“. Mit Bockmuehl 157 halte ich die Annahme, dass Paulus über die Anklänge an Dtn 32 den Gedanken der Ersetzung Israels durch die neue Heilsgemeinschaft „in Christus“ einspielt (so z. B.  O’Brien 294: „Christians have replaced Israel as God’s children“), für weit hergeholt (einem Ersetzungsverständnis widersprechen z. B. auch Reumann 412 oder Pitta 179). Gegen dieses Ersetzungsverständnis spricht nicht zuletzt die Beobachtung, dass Dtn 32,5 selbst ein viel zu uneindeutiger Text ist und bei weitem nicht allein in diese Richtung verstanden werden muss (mehr bei Bockmuehl 157).

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an diese Zuschreibung: μέσον γενεᾶς σκολιᾶς καὶ διεστραμμένης.175 Er verortet diesen Interaktionsraum im folgenden Relativsatz im Erdenraum unter dem Himmelsgewölbe (= Kosmos176), ohne γενεᾶς und Kosmos zu identifizieren.177 Diese Nicht-Identifikation lässt den Eindruck entstehen, dass das Bild vom gottfernen Kosmos für Paulus eine Momentaufnahme darstellt. Dementsprechend ist der Erdenraum für Paulus nicht per se „dunkel“ und gottabgewandt. Der Apostel hält eine tatsächliche, schrittweise Veränderung der irdischen Realität für möglich. Diese Hoffnung auf Veränderbarkeit deutet er in 2,15 an, und zwar durch die Constructio ad sensum (γενεᾶς → οἷς)178 und die Aufgabenzuschreibung „(ihr) leuchtet“. Die Pluralform οἷς anstelle des zu erwartenden Singulars ἧ nimmt dieses Geschlecht in seinen vielen einzelnen Gliedern in den Blick (οἷς). Für Paulus sind nicht abstrakte Kollektiva für den aktuellen Zustand des Erdenraums als „finsterem Kosmos“ verantwortlich, sondern konkrete Menschen vor Ort in deren jeweiliger Handlungsverantwortung.179 Dass er die Wirklichkeit im Erdenraum für veränderbar hält und den Menschen dafür eine entsprechende Verantwortung zuschreibt, deutet er mit φαίνεσθε ὡς φωστῆρες an.180 Standhartinger weist nachdrücklich auf die politischen Implikationen dieses Aufrufs hin. Ihrer Ansicht nach „gleichen die Philipperinnen und Philipper den in den Himmel entrückten Staatslenkern“. Die Annahme illustriert sie mit Verweis etwa auf Chrysipp oder Cicero. Während die politische Philosophie den Sternenhimmel als „Vorbild einer guten, das heißt einträchtig geordneten Polis“ begreife, zeige sich Cicero in Rep. 6.13 überzeugt, dass die verdienten Lenker der civitas einen Platz unter den Sternen haben:181

175 Das „eher seltene μέσον“ steht laut Schapdick, Heil, 187 in 2,15 „anstatt des üblichen ἐν μέσῳ“. 176 Siehe schon Abschnitt 2.2.4. 177 Durch die Nichtidentifizierung von γενεᾶς und Kosmos (vgl. z. B. auch Schapdick, Heil, 187) entgeht man der immer wieder registrieren Schwierigkeit (z. B. O’Brien 296), die Ortsbestimmungen im Relativsatz ἐν οἷς und ἐν κόσμῳ als pleonastisch aufzufassen. 178 Siehe zur Constructio ad sensum BDR § 134.1 und § 296.1: Die Maskulinpluralform des Relativpronomens οἷς steht anstelle eines auf das Femininsingularkollektiv γενεᾶς abgestimmten ἧ. 179 Für Standhartinger 188 zielt Paulus mit seiner Rede vom verkehrten und verdrehten Geschlecht auf „die Umwelt in Philippi“ (so z. B. auch Reumann 412 oder Oakes, Philippians, 83). 180 Schapdick, Heil, 187 sieht im „Hintergrund“ der Lichtmetaphorik im Kosmos-Relativsatz Dan 12,3LXX: καὶ οἱ συνιέντες φανοῦσιν ὡς φωστῆρες τοῦ οὐρανοῦ (vgl. z. B. auch Fee 246–247 mit Anm. 26 oder Witherington 162: „allusion […] is possible“). Dabei diene dieses „Zitat“ (Schapdick ebd.) dem Apostel „nicht als Beschreibung eschatischer Vollendung (vgl. dagegen Weish 3,7; Mt 13,43), sondern zur Darstellung der aktuellen Wirkung der christlichen Philipper“ (ebd.). 181 Das Voranstehende inklusive Zitate: Standhartinger 188.

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Omnibus qui patriam conservaverint adiuverint auxerint, certum esse in caelo definitum locum, ubi beati aevo sempiterno fruantur („allen, die die Heimat bewahrt, ihr geholfen, sie gefördert haben, ist ein fester Platz im Himmel bestimmt, dort selig ein ewiges Leben zu genießen“) (Übersetzung Karl Büchner); Chrysipp betrachte den Staat als Kosmos und die Bürger als Sterne (κόσμον εἶναι πόλιν καὶ πολίτας τοὺς ἀστέρας).

Die metaphorische Zuschreibung φαίνεσθε („ihr leuchtet“), die zugleich Aufforderung ist („leuchtet!“), konkretisiert Paulus in 2,16a. Er fordert die Philipper auf, „mit missionarischer Strahlkraft“182 inmitten des verkehrten und verdrehten Geschlechts am Wort des Lebens festzuhalten (λόγον ζωῆς ἐπέχοντες).183 Dieses Festhalten am Evangelium184 hat im Tun der neuen Werteordnung eine eminent sichtbare Seite und ist somit im alltäglichen Miteinander konkret erfahrbar.185 Diese sichtbare Seite hat für Paulus auch einen werbenden Charakter: Die Art, wie die Gemeindemitglieder miteinander und mit Außenstehenden in den Alltagsbegegnungen in Philippi umgehen, kann bei Außenstehenden Interesse am neuen Leben „in Christus“ wecken. Gewinnt die Gemeinde neue Mitglieder, drängt sie in den Augen des Apostels die Finsternis im Kosmos effektiv zurück. Dabei zeigt Paulus die Mitwelt durch die Fokussierung auf jeden einzelnen innerhalb der „verkehrten und verdrehten Generation“ (γενεᾶς → οἷς) nicht eindimensional als statischen monolithischen Block. Er rechnet vielmehr mit höchst unterschiedlichen Begegnungen zwischen den Vertretern dieser Generation und den Mitgliedern der Christusgemeinde in Philippi. Während einzelne „aus dieser Generation“ die Gemeinde vom Evangelium Christi abzubringen suchen (z. B. 1,28), werden andere durch die integre Lebensführung der Gemeinde gegebenenfalls nachdenklich und zeigen sich vom neuen Leben „in Christus“ angesprochen.186 Darüber hinaus ist die Tatsache raumthematisch auswertbar, dass Paulus seine Forderung, am Wort des Lebens festzuhalten, in 2,16b mit seinem eigenen postmortalen Ergehen verzahnt. Er äußert seine Hoffnung, dass ihm bei der endge 182 Standhartinger 188. 183 Die Partizipialkonstruktion λόγον ζωῆς ἐπέχοντες bestimmt das Lichtsein (φαίνεσθε) zeitlich und modal näher: Das Lichtsein ἐν κόσμῳ vollzieht sich sowohl „während“ als auch „indem“ die Philipper am Wort des Lebens (= Evangelium) festhalten (mehr zu den Bezugsmöglichkeiten dieser Partizipialkonstruktion bei Standhartinger 189). 184 Die Annahme, dass Paulus mit der Rede vom Wort des Lebens auf das Evangelium rekurriert, teilt etwa auch Standhartinger 189 („vermutlich“). Für Bockmuehl 158 ist λόγος ζωῆς „clearly a reference to God’s word in the life-giving gospel, which the Philippians received from Paul“; einen Überblick über die Diskussion gibt Reumann 395. 185 Beachtet man diese Dimension der „Hinausversetzung“, sind die beiden für ἐπέχω in 2,16a diskutierten Bedeutungen innerlich miteinander verbunden („festhalten“ und „darbieten“): Im erlebbaren Festhalten am Wort des Lebens bieten die Gemeindemitglieder das Evangelium den Menschen in Philippi dar (oder sogar: an) (siehe zur Diskussion nur O’Brien 297 oder Standhartinger 189). 186 Siehe zum missionarischen Aspekt beispielsweise auch Schapdick, Heil, 187–188 mit Anm. 298.

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richtlichen Beurteilung am Tag der Parusie Jesu ein gottgefälliges und christuskonformes Verhalten der Philipper als Verdienst zugutekommen wird.187 Indem der Apostel das Verhalten der Philipper mit seinem eigenen Ergehen verknüpft, spielt er den Gedanken seiner raum- und zeitübergreifenden existentiellen Verwiesenheit auf die Gemeinde ein. Damit schreibt er seine bisherigen Ansätze zur literarischen Bearbeitung der Trennung von den Philippern entscheidend fort: Diese enge, raumübergreifende Verbindung zwischen der Gemeinde und ihrem Gründer berührt nicht nur die Gegenwart und irdische Zukunft, sondern auch das postmortale jenseitige Ergehen des Apostels auf ganz existentielle Weise. Unbeschadet der räumlichen Trennung wirkt sich das Handeln der Gemeinde konkret und grundlegend auf das Ergehen des Apostels aus, und diese Wirksamkeit übersteigt den Erdenraum. Stellt man in Rechnung, dass das Heraufführen dieses Endtages für Paulus allein in göttlicher Handlungshoheit liegt, gewinnt man folgenden Eindruck: In 2,14–16 tariert er göttliches und menschliches Handeln aus. Während die Adressaten in die Verantwortung genommen werden, ihre düstere Gegenwart im Zugehen auf eben diesen Tag durch eine anfängliche Umsetzung der neuen Werteordnung „in Christus“ schrittweise zu erhellen, ist es allein die Aufgabe Gottes, den Tag der endzeitlichen Wiederkehr Christi heraufzuführen. Damit schließt Gott den Prozess der Umgestaltung der kosmischen Wirklichkeit in Richtung einer universalen Anerkennung der Herrschermacht des Kyrios ab.

Das Bestreben des Apostels, die Gemeinde eng an sich zu binden, bestimmt auch das Ende von Korpusmitte 1. Er spitzt seine Ausführungen autobiographisch zu,188 indem er nach einem Ausblick auf die Parusie des Kyrios auf sein eigenes, möglicherweise baldiges Sterben schaut:189 ἀλλ᾽ εἰ καὶ σπένδομαι ἐπὶ τῇ θυσίᾳ καὶ λειτουργίᾳ τῆς πίστεως ὑμῶν. Inwieweit der Apostel der Gemeinde in 2,17 eine Mitwirkung zuschreibt, ist wesentlich vom Verständnis des Genitivs τῆς πίστεως ὑμῶν abhängig.190 Dieser Genitiv ist Teil der Präpositionalphrase ἐπὶ τῇ θυσίᾳ καὶ λειτουργίᾳ τῆς πίστεως ὑμῶν, welche eine

187 Hinter dieser Hoffnung steht die Überzeugung des Apostels, dass am Verhalten der Gemeinde ablesbar wird, dass er sich zu seinen irdischen Lebzeiten nicht vergeblich (εἰς κενόν) abgemüht hat. 188 Diese Steigerung zeigt das satzeinleitende ἀλλά in 2,17 an: Siehe zu dieser Bedeutung von ἀλλά Bauer, Wörterbuch, 75 s.v. ἀλλά 5: „rhetorisch steigernd: (nicht nur dies,) sondern vielmehr“ (im Original teilweise Fettdruck); einen Überblick über die Diskussion um die Bedeutung von ἀλλά an dieser Stelle gibt O’Brien 301–303. 189 Für 2,17 nimmt Schapdick, Heil, 191 „die in Phil 1,12–26 angesprochene Gefangenschaftssituation mit ihren Leiden bis hin zur Todesdrohung als Verständnisrahmen“ an. Anders Bockmuehl 161: In 2,17 sei etwas angedeutet, „that is not just happening in any case, as for the last thirty years of his life, but which is an imminent possibility“. 190 Ich beziehe die Präpositionalphrase ἐπὶ τῇ θυσίᾳ καὶ λειτουργίᾳ τῆς πίστεως ὑμῶν auf σπένδομαι (so z. B. auch Fee 240, Bockmuehl, 149, Schapdick, Heil, 191, Holloway 136 oder

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Aussage über einen zeitgleichen Vorgang zum vorbenannten Ausgießen (σπένδομαι) trifft:191 „Noch mehr: Wenn ich auch ausgegossen werde beim / während des (ἐπί) Opfer(s)- und Gottesdienst(es) eures Glaubens (Genitivus subiectivus) bzw. für euren Glauben (Genitivus obiectivus bzw. Genitivus respectus)“. (1) Versteht man den Genitiv τῆς πίστεως ὑμῶν als Genitivus subiectivus, hätte der Apostel gezielt die Aktivität der Gemeinde im Blick: Während sie seine Forderung ausführt und sich Gott und Jesus in ihrem Glauben ganz zugeordnet weiß („der Opferdienst kommend aus ihrem Glauben“),192 kann er im Vertrauen darauf sterben, dass ihm dieser Dienst der Gemeinde als Verdienst angerechnet wird. Hinter diesem Verständnis steht die Vorstellung einer ausgeprägten Interaktion zwischen Gemeinde und Apostel, welche auch raumgestalterisch auswertbar ist: Beide Seiten im Kommunikationsgeschehen agieren intensiv und auf das Engste abgestimmt. Dabei fundiert und ergänzt Paulus den Dienst der Gemeinde.193 (2) Versteht man τῆς πίστεως ὑμῶν als Genitivus obiectivus, verschiebt sich der Intensitätsgrad der Interaktion. Paulus legte sein Hauptaugenmerk auf sein eigenes Handeln für den Glauben bzw. für die Stärkung des Glaubens der philippischen Gemeinde. Als Paraphrase: „Wenn ich ausgegossen werde bei meinem Opferdienst für euren Glauben“194.

In seiner Extremsituation weiß sich Paulus umso mehr gefordert, eine gemeinsame Grunderfahrung zwischen sich und den Philippern über die gegenwärtige physische räumliche Trennung hinweg zu stiften. Paulus denkt dabei an die Freude, welche gerade auch in Verfolgung, Bedrängnis und Todesgefahr tragen soll: χαίρω καὶ συγχαίρω πᾶσιν ὑμῖν· τὸ δὲ αὐτὸ καὶ ὑμεῖς χαίρετε καὶ συγχαίρετέ μοι (2,17b–18). Mit den beiden σύν-Komposita weist er auf das gemeinschaftsstiftende Moment der Freude hin. Zudem sucht er das Gemeinschaftsgefühl zwischen sich und der Gemeinde noch dadurch zu intensivieren, dass er auf engstem Raum gleich zweimal in abwechselnder Fokussierung die Absender- und Adressatenseite ausleuchtet („ἐγώ“ – ὑμῖν; ὑμεῖς – μοι). Ein intensiver Aufruf zur Freude ist Paulus auch in seiner lebensgefährlichen Extremsituation möglich, hofft er doch nach seinem irdisch-physischen Tod zuversichtlich auf eine unmittelbare heilvolle Begegnung mit dem erhöhten Herrn (vgl. 1,23).

Pitta 121); andere votieren dafür, sie zum Nachfolgenden zu ziehen: So etwa Gnilka 154–155 oder Reumann 398–399 (ebd. 399: „The epi-phrase is in effect casual, ‚I rejoice because of your […] faith‘“). 191 Siehe Bauer, Wörterbuch, 583 s.v. ἐπί II.2. „v.d. Zeit“ mit explizitem Verweis auf Phil 2,17; diese Interpretation setzt allerdings ein Verständnis von θυσία im Sinne eines Opfervorgangs voraus (kritisch etwa O’Brien 307); siehe zum frühjüdischen und griechisch-römischen Hintergrund der Rede vom Ausgießen nur Reumann 397–398. 192 In diese Richtung z. B. Fee 255 mit Anm. 65, Reumann 401 oder Thompson 83. 193 Vgl. z. B. Holloway 136 („on top of the sacrifice and service of your faith“ [Kursivdruck im Original]) oder schon O’Brien 307 und 310. 194 So z. B. Schapdick, Heil, 191: „Seine aktuelle Lage wird als Opfer und Dienst am Glauben der Philipper interpretiert“.

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Wie etwa schon in 1,12–14 setzt Paulus auch in 2,17–18 alles an den Erweis, dass er trotz seiner Gefangenschaft nicht zu einer völligen Passivität verurteilt ist. Die Absicht, eine bleibende Nähe zwischen sich und der Gemeinde in Gestalt einer gemeinsamen Freude herzustellen, soll von seinem raumgestalterischen Anspruch zeugen. Der Apostel möchte seine innere Unabhängigkeit von sämtlichen irdischen Machtinstitutionen demonstieren. Seine Adressaten sollen verstehen, dass die römischen Prozessverantwortlichen ihm zwar im äußersten Fall sein diesseitiges Leben nehmen können. Aus seiner Perspektive ermöglichen sie ihm damit aber zugleich eine sofortige heilvolle Begegnung mit dem Kyrios im Jenseits. Folgt die Gemeinde dem Aufruf zur Freude, bezeugt sie die Wirkmächtigkeit des gefangenen Apostels und bestätigt die paulinische Sicht auf die Grenzen irdischer Machtausübung.

3.2.3 Korpusmitte 2 (2,19–30): Personale Bindeglieder Korpusmitte 2 zielt darauf, die Gemeinde zu trösten und die enge persönliche Verbundenheit über die räumliche Distanz konkret leibhaft zu sichern.195 Dazu etabliert Paulus Timotheus und Epaphroditus als personale Verbindungsglieder und arbeitet heraus, dass ihnen die nötige Reputation für diese Raumtrennungsüberbrückung zugesprochen werden kann.196 Dem Apostel ist klar: Timotheus und Epaphroditus können nur dann als authentische Repräsentanten der jeweils anderen, räumlich entfernten Seite im Kommunikationsgeschehen fungieren, wenn sie von Absender- und Adressatenseite gleichermaßen akzeptiert werden. Unter personalem Betrachtungswinkel ist dieser Briefabschnitt zweigeteilt. Während sich Paulus in 2,19–24 mit der geplanten Sendung des Timotheus beschäftigt, geht es in 2,25–30 um die Rückkehr des Epaphroditus nach Philippi. Die beiden Aussagen, in welchen Paulus seine Hoffnung auf die Aussendung des Timotheus bekundet (ἐλπίζω πέμψαι), rahmen den Timotheusabschnitt in 2,19 und 2,23. Dadurch dass Paulus die zweite Hoffnungsaussage in 2,24 in einen

195 Trost ist für Holloway, Alius Paulus, 542–556, besonders 555–556 das zentrale Ziel von 2,19–24. Über diese Funktionsbestimmung sucht er auch die Positionierung dieses Abschnittes im Textganzen zu erklären (vor allem ebd. 543 und 550–556). 196 Die Funktionsbestimmung von 2,19–30 ist in der Diskussion um die Integrität des Philipperbriefes nicht unerheblich. Paulus bearbeitet grundlegend die Trennungserfahrung, weist dazu personale Verbindungslinien aus und spricht von seinen eigenen Reiseabsichten. Diese Ausführungen bilden anders als die Ausbreitung von Reiseplänen in Röm 15,22–29 oder 1Kor 16,5–12 einen integralen Bestandteil des Briefkorpus; vergleichbar ist etwa die Zentralsetzung der Ausführungen über die persönliche Beziehung des Apostels zu seiner Gemeinde in 1Thess 2,17–3,10.

Raumpolitik im Briefkorpus (1,12–4,20)

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Ausblick auf eine baldige unmittelbare Begegnungsmöglichkeit mit ihm selbst überführt (καὶ αὐτός), verleiht er der Rahmung ein klimaktisches Moment. Ferner verklammert der Apostel die beiden Rahmenteile durch den wiederholten Einsatz der Präpositionalphrase ἐν κυρίῳ (Ἰησοῦ). Dabei erlauben die vielschichtigen kausalen und lokalen Implikationen dieser Phrase („durch den Kyrios“ – „im Kyrios“197) und die nicht eindeutige Zuordnung zu einem bestimmten Satzglied die Annahme, dass Paulus jeweils die gesamte Aussage in direkte Beziehung zum Handeln Christi stellt. Er sieht sowohl sein Hoffen und Vertrauen als auch den Gegenstand seiner Hoffnung, d. h. die Aussendung des Timotheus und die eigene Reise insgesamt durch den Kyrios veranlasst. Zusätzlich zu diesem kausalen Verständnis zeigen die beiden ἐν κυρίῳ-Aus­ sagen auch eine lokale Dimension und lassen an die Raumhoheit des erhöhten Kyrios denken. Paulus zeigt sich überzeugt, dass er und Timotheus nur mit der Gemeinde in Philippi zusammentreffen können, wenn der Kyrios den Weg seiner beiden Sklaven bahnt.198 Eine solche Handlungszuschreibung setzt die im Philipperhymnus aufgezeigte uneingeschränkte Raumhoheit des erhöhten Kyrios voraus und trägt dazu bei, den Philippern die paulinische Sicht auf die weltlichen Machtverhältnisse zu vermitteln. Kommt es zur Aussendung des Timotheus und zur Reise des Paulus, stellt der Kyrios in den Augen des Apostels seine uneingeschränkte Macht unter Beweis: Durch sein Handeln ermöglicht er die Überwindung jener räumlichen Trennung zwischen den brieflichen Kommunikationspartnern, welche die römischen Behörden durch die Inhaftierung des Apostels zu verantworten haben. Unbeschadet der Hoffnung, die Gemeinde bald selbst besuchen zu können, baut Paulus Timotheus als sein Alter Ego und seinen authentischen Repräsentanten auf. Dazu charakterisiert er ihn als Gleichgesinnten (ἰσόψυχον).199 Die gleiche Gesinnung besteht in der gemeinsamen Sorge um das Wohlergehen der philippischen Gemeinde (ὅστις γνησίως τὰ περὶ ὑμῶν μεριμνήσει). Paulus begreift diese Verhaltensweise als Konkretisierung der eingeforderten Ausrichtung auf die Sache

197 Siehe Bauer, Wörterbuch, 521–524 s.v. ἐν I (örtlich) und 525–526 s.v. ἐν III (kausal) „mit Hilfe von“. 198 In 2,22 aktualisiert Paulus die Selbstvorstellung als Sklave Christi Jesu aus 1,1: ἐδούλευσεν, und zwar Paulus zusammen mit Timotheus (σὺν ἐμοί). Im Licht von 2,7 ist klar, dass Paulus und Timotheus sich in ihrem Handeln ganz an Christus orientieren und damit selbst für die Gemeinde zum Vorbild werden können. Indem man ihr konkretes Beispiel nachahmt, ahmt man Christus selbst nach und erkennt diesen als Kyrios an. 199 Holloway, Alius Paulus, 556 spricht von Timotheus als „Paul’s replacement“ bzw. als „alius Paulus“ (Kursivdruck im Original); siehe ebd. 544–549 zur „common practice in GrecoRoman antiquity“ (ebd. 544), Trost „in some kind of replacement or surrogate“ zu finden; kritisch zu Holloways Lektüre von 2,19–24 z. B. Focant 135, insbesondere zu Holloways Zentralsetzung der Trostthematik im Philipperbrief.

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Eine raumsensible Lektüre des Philipperbriefes

Christi und das Wohl der Anderen200 und sieht Timotheus von daher umfassend als personales Bindeglied qualifiziert: Er ist sowohl nah an Paulus als auch nah an den Philippern orientiert. Wenn Paulus die Adressaten daran erinnert, dass sie um Timotheus und dessen Erprobtheit wissen (τὴν δὲ δοκιμὴν αὐτοῦ γινώσκετε201), gibt er zu verstehen, dass er ihnen nichts Neues über Timotheus schreibt und sie nicht von bislang Unbekanntem überzeugen möchte. Vielmehr soll die Erinnerung an dieses bestehende Wissen das Vertrauen in Timotheus zusätzlich verstärken:202 Er ist ihnen – so gibt Paulus zu verstehen – schon lange als erprobter Mitarbeiter des Evangeliums bekannt und genießt zudem das volle Vertrauen ihres Gemeindegründers. Das Ansinnen, feste personale Verbindungslinien zwischen den brieflichen Kommunikationspartnern auszuweisen, setzt sich im Epaphroditusabschnitt nahtlos fort.203 Nach dem vorgängigen Blick auf seinen eigenen Boten schaut Paulus nun auf Epaphroditus als Abgesandten der Philipper.204 Damit das Vertrauen, dass die Gemeinde in ihren Abgesandten gesetzt hat, auch bei dessen eventuell vorzeitiger Rückkehr erhalten bleibt,205 stellt Paulus klar: Er habe Epaphroditus’ Rückkehr nach Philippi als notwendig erachtet (ἀναγκαῖον δὲ ἡγησάμην).206 Zudem versäumt er es auch nicht, Epaphroditus auch als seinen eigenen Gesandten vor Augen zu stellen (z. B. 2,25.27).207 Die formale Anlage der Charakterisierungen des Auszusendenden als ὁ ἀδελ­ φὸς καὶ συνεργὸς καὶ συστρατιώτης μου und ὑμῶν δὲ ἀπόστολος καὶ λειτουργὸς τῆς χρείας μου gibt zu erkennen, wie sehr Paulus auch stilistisch-literarisch die

200 Mit τὰ ἑαυτῶν erinnert 2,21 an die Maxime aus 2,4. Im Zuge dieser Erinnerung präsentiert 2,21 die „Gegenseite“ nicht als τὰ ἑτέρων, sondern als τὰ Ἰησοῦ Χριστοῦ. Damit steht die Ausrichtung auf den Anderen (τὰ ἑτέρων) als Ausrichtung auf Christus selbst vor Augen. 201 Vorpaulinisch ist das Abstraktum δοκιμή „nur in einem Fragment aus dem Jubiläenbuch“ (Wolter, Röm 1, 325 Anm. 27) belegt und bedeutet bei Paulus „so viel wie ‚durch eine Prüfung festgestellte Bewährung‘“ (ebd.). 202 Siehe zu den Verständnismöglichkeiten der Vater-Kind-Metaphorik in 2,22 die Hinweise bei Standhartinger 198–199. 203 Siehe zum überaus positiven Grundton auch im Epaphroditusabschnitt nur Bockmuehl 169. Dabei deute „the genuine warmth of Paul’s words about Epaphroditus“ darauf hin, dass „they are more than simply perfunctory“. 204 Manchenorts wird erwogen, ob Epaphroditus zum Kreis der in 1,1 nachklappend genannten Aufseher und Diener in der philippischen Gemeinde gehört (siehe nur Hainz, Art. Ep­ aphroditus, 68: „eine der Führungspersönlichkeiten in der Gemeinde von Philippi“). 205 Durch seine Rückkehr kann er seinem Dienstauftrag im Namen der Gemeinde bei Paulus ja nicht mehr nachkommen. Dass Epaphroditus zurückkehrt – dies macht Paulus laut Holloway 142 unzweideutig klar –, ist „in no way Epaphroditus’s fault“. 206 Vgl. nur Gnilka 161 („eine Initiative des Apostels“); mögliche Gründe für die Rücksendung des Epaphroditus erwägen Hawthorne / Martin 161–162. 207 Becker, Ich, 319 spricht von der „Bedeutung des Wirkens des Epaphroditus für Paulus (2,25.27b) und für die Philipper (2,25–6.28–30)“ (Kursivdruck im Original).

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Nähe der brieflichen Kommunikationspartnern abzubilden sucht, die Epaphroditus personal vermitteln soll. So treffen in der Mitte der beiden Charakterisierungen durch einen Wechsel zwischen Nach- und Voranstellung die beiden Possessivpronomen μου und ὑμῶν unmittelbar aufeinander. Die Pronomen μου und ὑμῶν erinnern in ihrer direkten Abfolge an die durch den Boten zu vermittelnde Nähe der brieflichen Kommunikationspartner (… μου ὑμῶν …), ohne das Moment einer anhaltenden Trennung auszublenden.208 Im Epaphroditusabschnitt sieht Paulus sämtliches existentielles Mühen um eine Annäherung der getrennten Kommunikationspartner theozentrisch fundiert,209 nachdem er im Timotheusabschnitt christozentrisch unterwegs war (ἐν κυρίῳ Ἰησοῦ). Er weist Gott in 2,27 ausdrücklich als Subjekt der erbarmenden Zuwendung gegenüber dem erkrankten Epaphroditus aus (ὁ θεὸς ἠλέησεν αὐτόν) und buchstabiert dieses Gotteshandeln auch noch für sein eigenes Ergehen durch: Gottes Handeln stärkte auch Paulus (ἀλλὰ καὶ ἐμέ) in seiner Sorge um den kranken Boten. Kehrt der genesene Epaphroditus nun nach Philippi zurück, hat der Verweis auf das göttliche Erbarmen auch eine exemplarische Funktion. Epaphroditus kann als lebendiger Beweis der uneingeschränkten göttlichen Handlungsmacht angesehen werden. An seiner Genesung zeigt sich exemplarisch, zu was Gott stets in der Lage ist. Wertet man die Beobachtungen zu den theo- und christozentrischen Akzentuierungen textkompositorisch aus, gibt Korpusmitte 2 eine diptychonartige Anlage zu erkennen. Diese formale Anlage unterstützt die inhaltliche Argumentation ganz wesentlich. Paulus möchte die gegenwärtigen Aufenthaltsräume der brieflichen Kommunikationspartner (literarisch) fest verbinden und schreitet dazu den Weg zwischen dem Ort seiner Gefangenschaft und Philippi doppelt ab. So spannt er zwischen beiden Räumen mehrere literarische Verbindungslinien und lässt feste nichtelastische Raumstrukturen entstehen. Dabei zeigt er Timotheus und Epaphroditus komplementär in ihrer Bedeutung für sich und die Gemeinde:

208 „Ich ↔ Ihr“ anstelle eines „Wir“. 209 Am Abschnittsende hebt Paulus die existentielle Dimension dieser Mühen eigens ins Wort: Epaphroditus sei um des Werkes Jesu willen bis zur Todesgrenze gegangen (διὰ τὸ ἔργον Χριστοῦ μέχρι θανάτου ἤγγισεν παραβολευσάμενος τῇ ψυχῇ). Dabei ist das Syntagma τὸ ἔργον Χριστοῦ für Bockmuehl 174 „equivalent to the ‚service for the gospel‘“ und verweise in seinem Genitivattribut auf Christi Urheberschaft: „he began it and he will complete it“. Auf der Darstellungsebene nähert Paulus durch den wiederholten Einsatz des Syntagmas μέχρι θανάτου Epaphroditus’ Verhalten im selbstlosen Einsatz für die Gemeinde an das in 2,8 präsentierte Lebensvorbild Jesu an (siehe für viele nur O’Brien 342–343: „[t]he echo is deliberate“; oder Fee 282 Anm. 47). Damit kann Epaphroditus seiner Heimatgemeinde als Vorbild für eine gelungene Lebensführung nach der Vorgabe Jesu dienen; siehe zu Timotheus und Epaphroditus als Vorbilder der Gemeinde nur Becker, Ethik, 250–251.

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Eine raumsensible Lektüre des Philipperbriefes Raumkonzeptionelles Leitthema in 2,19–30: Paulus etabliert Timotheus und Epaphroditus als personale Verbindungsglieder zwischen den räumlich getrennten Kommunikationspartnern.

1. Bildhälfte „Timotheusabschnitt“ 2,19–24

2. Bildhälfte „Epaphroditusabschnitt“ 2,25–30

Timotheus ist Mitarbeiter des Paulus und dessen Gleichgesinnter (σὺν ἐμοί ἐδούλευσεν).

Facette a Die Herkunft der Boten.

Epaphroditus ist Abgesandter der philippischen Gemeinde und vertritt damit originär deren Anliegen bei Paulus.210

Ohne die zentrale Hinordnung des Timotheus auf Paulus zu relativieren, weist der Briefschreiber ihn aber auch in seiner existentiellen Hinordnung auf das Gegenüber aus: Er ist um die Sache der Philipper existentiell besorgt.

Facette b Die komplementäre Ausrichtung der Boten.

Ohne die zentrale Hinordnung des Epaphroditus auf die Gemeinde in Philippi zu relativieren, weist Paulus ihn auch als seinen engen Vertrauten aus: Er ist sein Bruder und Mitarbeiter.

Bei der Charakterisierung beider Boten leuchtet Paulus ergänzend zur jeweiligen Herkunft des Boten die jeweilige „Gegenseite“ gezielt aus und deutet damit an: Die beiden Boten ergänzen sich durch ihre unterschiedliche Herkunft und sind zugleich immer auch am Anliegen des anderen Kommunikationspartners existentiell interessiert. Damit können sie auf das absolute Vertrauen beider Seiten setzen und haben die notwendige Reputation, um als personale Verbindungslinien und Alter Ego der jeweiligen Herkunftsseite zu fungieren. Im Horizont dieses raumkonzeptionellen Grundanliegens buchstabiert Paulus auf den beiden Bildhälften zwei komplementäre Seiten eines zentralen theologischen Themas durch: 1. Bildhälfte

Thema

2. Bildhälfte

Christozentrischer Fokus: Der wiederholte Einsatz der Präpositionalphrase ἐν κυρίῳ (Ἰησοῦ) deutet auf die Raumhoheit Jesu hin. Die Aussendung des Timotheus ist ohne machtvolle Einflussnahme des Kyrios Jesus unmöglich.

Aufweis göttlicher Interaktion: Das Austarieren der Zuordnung von Gott und Jesus und deren absolute Handlungseinheit.

Theozentrischer Fokus: Gott erbarmt sich über Epaphroditus. Dadurch wird dieser gesund und Paulus getröstet. Epaphroditus ist der lebende Beweis der uneingeschränkten Handlungsmacht Gottes.

210 Vgl. z. B. Hainz, Art. Epaphroditus, 67.

Raumpolitik im Briefkorpus (1,12–4,20)

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3.2.4 Korpusmitte 3 (3,1): Der Aufruf zur Freude ἐν κυρίῳ und dessen Fortschreibung in 4,1–3 Der Aufruf zur Freude im Herrn in 3,1a ist multifunktional im Argumentationsgang des Briefes. Er erfüllt in den Augen von Paul A. Holloway eine doppelte Funktion:211 Der Appell verweise voraus auf den Imperativ in 4,1 und schaue durch seine Einleitung mit τὸ λοιπόν („lastly“) zugleich zurück. Er leite das sechste und letzte Trostargument des Briefes ein und führe die mit 1,12 anhebende Reihe zum Abschluss. Eine solche Multifunktionalität des Freudenaufrufes beobachtet auch Focant, ohne allerdings die Trostthematik zentral zu setzen. Er spricht von 3,1 als „une vraie transition“ und erkennt im Appell χαίρετε „une conclusion de ce qui précède (2,18.28)“. Zugleich funktioniere dieser Aufruf „plutôt comme un leitmotiv de la lettre“, welchem man in 4,4 erneut begegnen werde.212 Eine Einstufung von 3,1 als Übergang(svers)213 ist zwar geeignet, den vielschichtigen Bezügen des Freudenaufrufs hinreichend Rechnung zu tragen, greift aber zu kurz, um die herausragende Bedeutung dieses Appells im Argumentationsgang einzuholen und „the striking break“214 zwischen ihm und der anschließenden Gegnerwarnung angemessen zu würdigen.215 Die Besonderheit von 3,1a besteht darin, dass Paulus dort erstmals im Philipperbrief die zentrale Freudenthematik (z. B. 1,18; 2,17.18.28; 3,1; 4,4.10)216 direkt mit dem gleichfalls zentralen Gedanken „in Christus“ (z. B. 1,1.13.26; 2,5.19.24) verknüpft.217 211 Holloway 37 und 145–147. 212 Focant 148. 213 Auf dieser Spur liegt z. B. auch Walter 71. Er überschreibt seine Auslegung von 3,1 mit „Überleitung (zum Briefschluß 4,4–7?) und Zwischenbemerkung 3,1a+b“. 214 Bockmuehl 21. Die Qualifizierung dieses Übergangs in der Spannweite zwischen „an abrupt shift in mood and content“ (Reumann 9) und einem „Umschwung“, der „keineswegs so abrupt [komme], wie vielfach behauptet wird“ (Schnelle, Einleitung, 158), ist nicht selten von den literarkritischen Einschätzungen abhängig: Während Schnelle ebd. 157–159 für die Integrität des Schreibens votiert, nimmt Reumann 3 eine Dreiteilung des Briefes an. 215 Eine Eigenständigkeit von 3,1 nimmt etwa auch Bockmuehl 175–177 an, sieht aber den Aufruf einseitig zurückgerichtet. Folgleich stuft er ihn als „interim conclusion“ (ebd. 175) ein. 216 Laut Hawthorne / Martin 173 durchzieht die Freudenthematik das Schreiben „like a friendly refrain“. 217 Eine direkte Verknüpfung von Freuden- und „Im Herrn“-Thematik bereitet 2,29 vor. Paulus fordert die Gemeinde auf, Epaphroditus im Herrn mit aller Freude zu empfangen. Die beiden Präpositionalphrasen ἐν κυρίῳ und μετὰ πάσης χαρᾶς bestimmen die Aufforderung προσδέχεσθε näher (siehe zu den Zuordnungsmöglichkeiten der Präpositionalphrasen nur Reumann 431). Dabei färbt die Freudenthematik die „Im Herrn“-Aussage schon ein. Das Neue in 3,1a besteht darin, dass Freuden- und Kyriosthematik direkt miteinander verknüpft sind und die Freudenthematik im Fokus steht; in 2,29 steht noch der Empfangs- und Aufnahmegedanke im Zentrum (siehe zum zeitgeschichtlichen Hintergrund nur Standhar­ tinger 206–207).

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Eine raumsensible Lektüre des Philipperbriefes

Die herausgehobene Stellung des Freudenaufrufs, seine mehrdeutige Einleitung mit τὸ λοιπόν („außerdem“ – „endlich“218) und der auffällige Themenwechsel in Richtung 3,2 veranlasst mich, 3,1a als eigenständigen Kleinstabschnitt auf der obersten Untergliederungsebene der Korpusmitte zu betrachten.219 Dieser Kleinstabschnitt zeigt eine ausgeprägte Vernetzung sowohl mit dem Vorangehenden als auch mit dem Nachfolgenden. Mit 3,1b leitet Paulus vom Freudenaufruf zur scharfen Gegnerpolemik über. Dieser Überleitungsvers lässt sich aufgrund seiner offenen Formulierung dem Vorangehenden und dem Nachfolgenden gleichermaßen zuordnen.220 Als Fortführung des Freudenaufrufs konstatiert 3,1b, dass eine wiederholte Thematisierung der Freude (siehe nur 2,29) den Philipper Sicherheit zu vermitteln imstande ist, und zwar im Sinne einer Vergewisserung, dass ein solches Gefühl trotz widriger realweltlicher Lebensumstände aufgrund der neuen Existenz ἐν κυρίῳ angemessen ist; als Vorbereitung der folgenden Mahnungen signalisiert 3,1b, dass eine wiederholte Mahnung vor den Gegnern die nötige Kraft zur Grenzziehung und damit zum Erhalt innergemeindlicher Stabilität gibt. Die Offenheit der paulinischen Formulierung spricht gegen eine einseitige Festlegung221 und fordert zu einer Zusammenschau verschiedener Bezugsmöglichkeiten auf. Dabei gewinnt man den Eindruck, dass Paulus Freude und Gegnerauseinandersetzung als komplementäre Bausteine christlich-alltäglicher Existenz betrachtet. Freude ist für ihn die Grundstimmung der neuen Existenz „in Christus“, ohne dass diese Grundstimmung immun gegenüber gegenläufigen Erfahrungen machte. Die Freude ἐν κυρίῳ gilt es auch in möglichen Gegnerauseinandersetzungen und in den ohnehin herausfordernden Lebensumständen unbedingt zu bewahren. Dabei sichert die notwendige Grenzziehung gegenüber innergemeindlichen Widersachern den eigenen Status ἐν κυρίῳ und hält den sachlichen Grund für die Freude aufrecht, d. h. die Zugehörigkeit zu Christus (vgl. 4,1: στήκετε ἐν κυρίῳ).

Berücksichtigt man die Multifunktionalität des Freudenaufrufs in 3,1a und seine ausgeprägte briefinterne Vernetzung, lässt sich sein Beitrag zur Entfaltung der Raumthematik im Philipperbrief unter zwei Blickwinkeln einholen. Während Blickwinkel 1 „Raum“ unter der rückblickend-fortschreibenden Funktion von 3,1a betrachtet, schaut Blickwinkel 2 auf „Raum“ unter der vorausweisenden Funktion des Freudenaufrufs. Blickwinkel 1: Paulus verknüpft in 3,1a Freuden- und „Im Herrn“-Thematik. Damit führt er erstmals im Philipperbrief ausdrücklich den Sachgrund der Freude an und erdet seine bisherige Entfaltung der Freudenthematik entscheidend 218 Siehe Bauer, Wörterbuch, 974 s.v. λοιπός 3.b (τὸ) λοιπόν: „im übrigen, übrigens, außerdem, weiterhin endlich“. 219 Eine einseitige Zuordnung von 3,1a zu einer Phil 3 umfassenden Texteinheit nivelliert den gedanklichen Einschnitt zwischen dem Freudenaufruf und der Gegnerpolemik zu stark; vgl. auch Bockmuehl 176: „verse 1 cannot easily be incorporated into the following section“. 220 So etwa auch Brucker, Christushymnen, 281 Anm. 3. 221 Anders Gnilka 165: Der Versteil 3,1b „kann sich nur auf die 3,2ff einsetzende Warnung vor den Irrlehrern beziehen“ (so z. B. auch Fee 289).

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christologisch. Das große Bedeutungsspektrum der Präposition ἐν macht es auch hier wieder möglich, verschiedene, sich gegenseitig ergänzende Facetten in einer christologischen ἐν-Präpositionalphrase berührt zu sehen. Dabei ist auf einer dezidiert kausalen Verständnisebene daran zu denken, dass im Syntagma ἐν κυρίῳ der Kyrios sowohl als Grund und Ursache der von den Philippern eingeforderten Freude vorgestellt ist (ἐν = „auf Grund von; wegen“222 der Christusbeziehung) als auch als derjenige, der aufgrund seiner umfassenden kosmischen Handlungsmacht dauerhaft Hilfe zum Empfinden solcher Freude zu leisten imstande ist (ἐν = „mit Hilfe von“223). Führt die zuletzt genannte Facette bereits auf die lokale Ebene,224 so ist auf dieser Ebene zentral an die bereits in 1,1 grundgelegte Heilsraumvorstellung zu denken. Wie eng Paulus die lokale und kausale Ebene miteinander verwoben sieht, wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass sich seiner Ansicht nach dieser neue Heilsraum aus einem engen Handlungszusammenspiel zwischen dem erhöhten Kyrios und den Menschen in dessen Nachfolge konstituiert. Der Kyrios unterbreitet den von Gott berufenen Menschen ein Beziehungsangebot (ἐν = „zur Bez. e. engen persönl. Verhältnisses“225), und diese reagieren auf dieses Angebot.226 Ergibt sich aus dieser Interaktion eine lebendige Beziehung zwischen den Menschen auf Erden und dem erhöhten Herrn im Himmel, entsteht ein Himmels- und Erdenraum verbindendes Beziehungsgeflecht, welches für Paulus eine genuin räumliche Dimension hat. Eine Grunddimension dieses Raumes bildet das Moment der Freude, da die dort verorteten Menschen wie etwa Paulus und die Gemeinde in Philippi bereits gegenwärtig Anteil am endgültigen Heil haben. In der Gesamtanlage des Briefes hebt Paulus mit der Fortschreibung seiner Heilsraumvorstellung seine Bearbeitung der räumlichen Trennungserfahrung auf eine neue Stufe: Der Heilsraum steht als Ort berechtigter und andauernder Freude vor Augen. Lag das Hauptaugenmerk in 2,19–30 auf der Etablierung von 222 Bauer, Wörterbuch, 526 s.v. ἐν III. kausal 3. 223 Bauer, Wörterbuch, 525–526 s.v. ἐν III. kausal 1b. 224 Diese Facette schreibt dem Kyrios eine den Himmelsraum überschreitende aktuelle Interventionsmöglichkeit zu. 225 Bauer, Wörterbuch, 523 s.v. ἐν I. lokal 5 (zur Bez. e. engen Verbindung). 226 Den vielschichtigen Gedanken, dass die Menschen gegenwärtig „in der Hand Jesu“ sind und sich daraus eine gegenseitige Verantwortung ergibt, sieht z. B. auch Morgan, Being, 243– 244 in zahlreichen paulinischen „In Christus“-Aussagen berührt. Ihrer Ansicht nach haben die „In-Christus“-Aussagen bei Paulus vornehmlich instrumentale und ‚encheiristische‘ Bedeutung. Beide Bedeutungen seien „closely connected“ (ebd. 244), und zwar unter dem Betrachtungswinkel von gegenseitiger Verantwortung und Gott-menschlicher Interaktion: „It is because of what God has done through Christ that it has become possible for those who put their trust in God and Christ to be brought to right-standing with God and to live a new life in Christ’s hands. It is by living in Christ’s hands in the present time that the faithful are able to remain in right-standing with God until Christ’s return. It is insofar as they remain in Christ’s hands until his return that they can hope eventually to be saved.“

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Eine raumsensible Lektüre des Philipperbriefes

Timotheus und Epaphroditus als personalen Verbindungslinien zwischen den brieflichen Kommunikationspartnern auf horizontaler Ebene, ergänzt 3,1 die kosmische Dimension ein. Damit sind die Adressaten erneut daran erinnert, dass sie sich unter kosmischer Perspektive mit ihrem Gemeindegründer bereits in ein und demselben Raum aufhalten, ohne dass dadurch die horizontalen Verbindungen der brieflichen Kommunikationspartner durch Timotheus und Epaphroditus überflüssig würden. Blickwinkel 2: Unter diesem Blickwinkel zieht die Verzahnung von 3,1a mit der Aufforderung στήκετε ἐν κυρίῳ in 4,1 das Interesse auf sich.227 Die beiden sich gegenseitig ergänzenden Appelle χαίρετε ἐν κυρίῳ und στήκετε ἐν κυρίῳ liegen als Rahmen um Briefkorpusmitte 4228, wobei die Aufforderung in 4,1 die raumthematische Facette des Freudenaufrufs aus 3,1 gezielt fortschreibt. Dazu schaut 4,1 auf den menschlichen Beitrag, der für eine dauerhafte Verortung ἐν κυρίῳ notwendig ist. Diese Fokussierung macht (noch einmal) deutlich, dass der Heilsraum als sozialer Interaktionsraum in seiner Ausdehnung und lokalen Gestaltwerdung nicht einfach ein- für allemal statisch gegeben ist. Paulus stellt sich diesen Raum als dynamischen Raum vor und sieht von daher seine Adressaten zu einer andauernden Beziehungsarbeit gefordert.229 Dabei kann das Zusammenspiel von 3,1 mit 4,1 die Adressaten in besonderer Weise motivieren, die eingeforderte Beziehungsarbeit tatsächlich zu „leisten“: Der Heilsraum steht von 3,1 her als Raum bereits gegenwärtiger Freude vor Augen. Er ist in den Augen des Apostels ein absolut lebenswerter Raum und ein Gegen-Raum zu anderen irdischen Verortungen oder zumindest doch die bessere Alternative.230 Neben seiner rückwärtigen Anbindung an 3,1 dient der Aufruf zum Feststehen im Herrn in der Gesamtanlage des Briefes auch als Vorzeichen vor den hochsituativen Anmerkungen in 4,2–3 mit ihren raumthematischen Implikationen.231 227 Die Verzahnung geschieht neben der jeweiligen Verwendung einer Imperativform mit anschließender ἐν κυρίῳ-Aussage noch durch die wiederholte direkte Anrede der Adressaten als ἀδελφοί μου und die Wiederaufnahme der Freudenthematik in 4,1 (χαρὰ καὶ στέφανός μου). Beim Vergleich der direkten Anreden ist eine Steigerung und Intensivierung in Richtung 4,1 festzustellen: Paulus spricht die Briefempfänger als ἀδελφοί μου ἀγαπητοὶ καὶ ἐπιπόθητοι an und charakterisiert sie als seine Freude und sein Ehrenkranz. 228 Vgl. zur gegenseitigen Ergänzung beider Aufrufe nur Holloway, Verum, 238. Für ihn sagen sie sogar „roughly the same thing“. 229 Paulus spricht in 4,1 von seiner Sehnsucht nach einer Begegnung mit der Gemeinde in Philippi und erinnert damit hintergründig an die bestehende räumliche Distanz. Zur gleichen Zeit vergegenwärtigt er mit der Anrede der Gemeindemitglieder als ἀδελφοί μου ἀγαπητοὶ καὶ ἐπιπόθητοι, dass er sich ihnen über die aktuell nicht überbrückbare Distanz fest und intensiv verbunden weiß. 230 Die Bewertung des neuen Heilsraums als (bessere) Alternative oder Gegen-Raum ist vom Standpunkt des Betrachters abhängig: Für Paulus erscheint dieser Raum angesichts der Gefängnissituation als Gegen-Raum. 231 So konkret Paulus diese Ausführungen für seine Gemeinde damals angelegt hat, so viele kaum mit Sicherheit lösbare Fragen wirft diese Konkretisierung heute auf, insbesondere im Hin-

Raumpolitik im Briefkorpus (1,12–4,20)

155

Während ich den Freudenaufruf in 3,1a als eigenständigen Kleinstabschnitt auf der zweithöchsten Gliederungsebene betrachte, siedle ich die Verse 4,1–3 auf der dritthöchsten Gliederungsebene an und stufe sie als Scharnierverse ein. Strukturell vergleichbar mit der Übergangsnotiz in 3,1b dienen sie der Überleitung zwischen zwei Hauptabschnitten der Briefkorpusmitte:232 Oberste Gliederungsebene

Zweithöchste Gliederungsebene

Dritthöchste Gliederungsebene

Korpusmitte 3 (3,1a) „Freude im Kyrios“ Briefkorpusmitte 1,27–4,9

3,1b als Scharniervers

Korpusmitte 4 (3,2–21) „Irrlehrer“

4,1–3 als Scharnierverse

Korpusmitte 5 (4,4–9) „Schlussparänese“

Exemplarisch macht Paulus in 4,2–3 deutlich, wie sich das Feststehen ἐν κυρίῳ im Alltag der philippischen Gemeinde angesichts bestehender Konflikte zeigen soll.233 Die von ihm namentlich genannten Personen Evodia und Syntyche234, vermutblick auf die Identifizierung der genannten Personen oder aber die Benennung des Streitpunktes (siehe als Überblick über verschiedene Erwägungen bzw. Spekulationen Reumann 625–630; siehe zudem noch die hier nächstfolgende Anmerkung); auch die Frage, zwischen welchen Person der Konflikt eigentlich verläuft, wird nicht einheitlich behandelt. So ist immer wieder erwogen worden, Paulus rufe Evodia und Syntyche nicht zur Einheit untereinander, sondern zur Einheit mit ihm auf; kritisch zu dieser Annahme etwa auch Holloway 182 Anm. 5; ebd. nennt er auch exemplarische Vertreter. 232 Während 3,1b den Aufruf in 3,1a mit 3,2–21 verzahnt, verbinden die Scharnierverse 4,1–3 den Abschnitt 3,2–21 mit 4,4–9; eine Überleitungsfunktion schreiben etwa auch Hawthorne / Martin 239 dem Vers 4,1 zu („transitional verse“). 233 Die Benennung eines Vermittlers deutet darauf hin, dass Paulus den Konflikt als schwerwiegend einstuft: ναὶ ἐρωτῶ καὶ σέ, γνήσιε σύζυγε, συλλαμβάνου αὐταῖς (siehe zur Diskussion um die Bedeutung von σύζυγε nur O’Brien 480–481 oder Hawthorne / Martin 241–242). 234 Die namentliche Nennung der beiden Frauen zielt nicht auf deren öffentliche Bloßstellung oder Diskreditierung (vgl. für viele Focant 181). Dies macht Paulus schon allein dadurch deutlich, dass er in 4,3 an ihren gemeinsamen Kampf für das Evangelium und damit an deren „prominent role in his mission“ (Holloway 182) erinnert. Auf dieser Spur dachte bereits der syrische Bibelausleger Bišr ibn al-Sirrī im neunten nachchristlichen Jahrhundert in Damaskus. In der Kommentarnotiz zu 4,2 charakterisiert er Evodia und Syntyche als fromme Frauen (‫)ﺍﻣﺮﺃﺗﺎﻥ ﻭﺭﻋﺘﺎﻥ‬, welche sich in einem Konflikt über Leitungs­kompetenzen befinden (‫„[ ﻛﺎﻧﺘﺎ ﺗﺘﻨﺎﺯﻋﺎﻥ ﻓﻲ ﺍﻟﺮﻳﺎﺳﺔ‬die beiden war streitend über die Leitung / ​ Führung“]). Wenn Paulus beide Frauen in seinem Brief namentlich nenne und ermahne, dient dies laut Bišr nicht, um deren Autorität zu untergraben. Vielmehr bekunde der Apostel mit deren ausdrücklicher Namensnennung seinen Respekt vor ihnen (ausführlich: Blumenthal, Studien, 442–443).

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Eine raumsensible Lektüre des Philipperbriefes

lich prägende Gestalten des Gemeindelebens,235 sollen einmütig im Herrn sein (παρακαλῶ τὸ αὐτὸ φρονεῖν ἐν κυρίῳ)236. Dieser Appell wendet die allgemeingültigen und situationsunabhängig formulierten Mahnungen aus 2,1–4 auf einen realen Einzelfall an und lässt folgende Situationseinschätzung des Briefschreibers erkennen: Für Paulus steht die soziale Wahrnehmbarkeit des Heilsraums „in Christus“ in Philippi akut auf dem Spiel. Die Zwistigkeiten zwischen diesen beiden prominenten Gemeindemitgliedern können die Einheit und den Fortbestand der philippischen Gemeinde als lokale Gestaltwerdung des neuen Heilsraums existentiell gefährden. Folglich dient ihre wiederzuerlangende Einmütigkeit wesentlich der Sicherung und Stabilisierung dieses Raums. Folgen sie der paulinischen Anweisung, machen sie die neue Wirklichkeit in Jesu Heils- und Herrschaftsraum (= ἐν κυρίῳ) vor Ort konkret sichtbar und erfahrbar, und zwar durch ihre Rückbesinnung darauf, eines Sinnes im Kyrios zu sein und sich an dessen Lebensvorbild auszurichten. Darüber hinaus gäben Evodia und Syntyche mit einem Handeln gemäß der Vorgabe des Apostels in ihrer exponierten Stellung ein nachahmenswertes und greifbares Beispiel für ein gelebtes Zurückstellen eigener Interessen zugunsten einer gemeinsamen Ausrichtung auf den Kyrios. Die Erinnerung an das Destabilisierungspotential, welches jegliche innergemeindliche Zwietracht für die soziale Gestaltwerdung des neuen Heilsraums „in Christus“ mit sich bringt, fängt Paulus am Ende von 4,3 mit einer soteriologischeschatologischen Heilsaussage ab. Dabei überschreitet er gedanklich die Grenze zwischen Erden- und Himmelsraum und schaut auf das Buch des Lebens. In diesem weiß er die Namen seiner sämtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – und dazu gehören auch die beiden Kontrahentinnen237 – verzeichnet (ὧν τὰ ὀνόματα ἐν βίβλῳ ζωῆς)238. Die bei Paulus einmalige Referenz auf das Buch des Lebens lässt sowohl an die jüdische(-apokalyptische) Überzeugung einer Eintragung der Erwählten, Getreuen oder Gerechten in das (himmlische) Lebensbuch denken239 235 Mit Giesen, Art. Evodia, 73. Für Bockmuehl 238 sind Evodia und Syntyche „leading and presumably influential women in the Philippian church, quite possible with responsibilities for sensitive aspects of the church’s work“; siehe als knappen Diskussionsüberblick zu beiden Frauen: Standhartinger 270–272. 236 Mehr etwa bei Allen, Philippians, 533–538. 237 Die hier mit O’Brien 482 vertretene Annahme, „to regard ὧν as a generic use of the masculine, thus including Euodia, Syntyche, and Clement along with the other coworkers“, teilen etwa auch Bockmuehl 241, Hawthorne / Martin 243–244 oder Fee 396 (ebd. Anm. 57 nennt er andere Positionen und deren Vertreter). 238 Eine exakte Parallele zur artikellosen Bildung des Syntagmas βίβλῳ ζωῆς lässt sich laut Reumann 611 nicht nachweisen. Karrer, Offb, 345 will im Hinblick auf ἐκ τῆς βίβλου τῆς ζωῆς in Offb 3,5 „genauer [von] der Schriftrolle des Lebens“ sprechen (anders Gradl, Buch, 379–380 und besonders 383: Lebensbuch). 239 Siehe schon Ex 32,32. Dort ist nach Dohmen, Ex, 325 allerdings „nicht näher präzisiert, um welche Art eines ‚himmlischen Buches‘ es sich hier handelt – ein Schicksalsbuch, eine

Raumpolitik im Briefkorpus (1,12–4,20)

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als auch an die dahinter stehende allgemeinantike Idee der Bürgerlisten.240 Zumindest über die letztgenannte Spur ist die paulinische Rede vom Lebensbuch der Adressatengemeinde unmittelbar zugänglich und weitet im brieflichen Argumentationsgang den Blick über den krisenhaften Ist-Zustand auf Erden hinaus. Dabei vertröstet Paulus nicht auf eine ungewisse und vage Zukunft im Jenseits, sondern visiert den gegenwärtigen Ist-Zustand im Himmel an: Im Himmel weiß er seine sämtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ἐν βίβλῳ ζωῆς verzeichnet. Die Vergegenwärtigung dieser Heilshoffnung soll den „Weg wieder frei für die Freude“241 machen, zu welcher Paulus ab 4,4 erneut nachdrücklich aufruft. Zudem dient die Bezugnahme auf das Lebensbuch als Ansporn (nicht nur) an die speziell Angesprochenen. Sie sollen durch ihre Handlungsweise daran mitwirken, dass der gegenwärtige Status, im Buch des Lebens verzeichnet zu sein, in einen Dauerzustand überführt wird.242 Nimmt man diese paränetische Dimension des Lebensbuch-Motivs wahr, gewinnt man den Eindruck, Paulus balanciere im Zusammenspiel von 4,1 und 4,3 die Zuordnung von menschlicher Handlungsverantwortung und göttlichem Tun komplementär aus. Während der Aufruf zum Feststehen im Herrn die menschliche Handlungsverantwortung fokussiert und an den Gedanken der Hilfeleistung durch den Kyrios hintergründig anspielt (ἐν = „mit Hilfe von“), kehrt die Lebensbuch-Motivik die Schwerpunktsetzung um. Wie die allgemeinantike Idee

himmlische Buchführung menschlicher Taten, ein Buch des Lebens o.ä.“: „Jetzt aber, wenn du ihre Schuld vergibst – und wenn nicht, tilge mich doch aus deinem Buch, das du geschrieben hast“ (Übersetzung: Dohmen ebd. 318). Siehe weiter Ps 69,29: „Sie sollen ausgelöscht werden, aus dem Buch des Lebens, und zusammen mit den Gerechten sollen sie nicht eingeschrieben werden / bleiben“ (Übersetzung: Zenger, Ps 69, 261). Laut Zenger ebd. 278 ist für Ps 69,29 allerdings „schwer zu entscheiden“, ob hier die Vorstellung eines himmlischen Buches oder aber von Bürgerregistern im Hintergrund steht. Der eschatologische Umbruch der Lebensbuchvorstellung dokumentiert sich nach Karrer, Offb, 346 in Dan 12,1b: „Dein Volk wird in jener Zeit gerettet, jeder, der im Buch verzeichnet ist“; vgl. weiter beispielsweise Hen(äth) 47,3 („die Bücher der Lebenden wurden vor ihm geöffnet“) oder Jub 30,20 („Und er [sc. Levi] ist aufgeschrieben als Freund und Gerechter auf den Tafeln des Himmels“). 240 Nach Schapdick, Heil, 247 dürfte Paulus in „Analogie zur städtischen Liste römischer Bürger in Philippi […] auf eine gleichartige Bürgerliste der Glaubenden anspielen, die im Himmel geführt wird“; siehe schon Fee 396–397 Anm. 59 oder Hawthorne / Martin 243. 241 Gnilka 168. 242 Dass das Lebensbuch-Motiv hintergründig auch an menschliche Handlungsverantwortung erinnert, deutet z. B. auch Balz, Art. βιβλίον, 523 an: Der Gedanke einer Aufnahme ins Lebensbuch sei im NT „nicht prädestinatianisch“ gefasst. Vielmehr erwiesen die Gläubigen „an ihrem eigenen Leben […], daß sie im Lebensbuch stehen“. Eine andere Akzentsetzung will ­Lohmeyer 166 erkennen: Das Bild vom Lebensbuch weiß „von einer Entscheidung zu sprechen, die während der irdischen Laufbahn schon zeitlos gültig getroffen ist“. Dadurch trete der Gedanke einer endgerichtlichen Beurteilung „überhaupt bei Seite“ (ebd.).

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Eine raumsensible Lektüre des Philipperbriefes

der Bürgerlisten lässt auch diese Motivik an eine übergeordnete Instanz denken, welche für die Eintragung bzw. Löschung der Namen in das Lebensbuch verantwortlich zeichnet. Für Paulus handelt es sich dabei um Gott selbst. Somit erinnert die Lebensbuch-Motivik an das göttliche Heilshandeln. Gott trägt dafür Sorge, dass die Mitarbeiter des Apostels im Buch des Lebens gegenwärtig verzeichnet sind. Im Hintergrund klingt zudem die Überzeugung an, dass Gott den dort Verzeichneten einst tatsächlich Zutritt zum himmlischen Heilsraum gewähren kann. Führen sich die Adressaten zudem noch vor Augen, dass Gott nicht nur in der Lage ist, Namen in dieses Buch aufzunehmen, sondern auch zu löschen, spielt das Lebensbuch-Motiv auch auf den Gedanken der menschlichen Verantwortung an. Die Philipper sind gefordert, an der Aufrechterhaltung des gegenwärtigen, von Gott gegebenen Heilsstatus mitzuwirken.

3.2.5 Korpusmitte 4 (3,2–21): Das „Wir“ erstmals wieder im Blick In 3,2–21 setzt Paulus erneut eminent autobiographisch an.243 Meine Beschäftigung mit diesen Versen fragt nach der raumgestalterischen Funktion der zahlreichen Sprechrichtungswechsel und der Profilierung des Apostels als Orientierungsmaßstab für die Gemeinde. Darüber hinaus zieht natürlich die Politeuma-Aussage in 3,20 das Interesse auf sich: (1) Die Sprechrichtungswechsel in 3,2–21 sind als Signale für die Textgliederung ernst zu nehmen und zeugen zugleich von der Absicht des Paulus, die realweltlichen räumlichen Gegebenheiten literarisch neu zu gewichten. Die herausragende Weiterentwicklung gegenüber den bisherigen Ansätzen zur Bearbeitung der räumlichen Trennung von den Philippern besteht darin, dass Paulus in 3,3 erstmals nach der brieflichen salutatio wieder eine Personalform der 1.Pers.Pl. („wir“) einsetzt. Auf diesem Weg schließt er sich mit den Philippern unmittelbar zusammen, und dies im brieflichen Kontext der Bezugnahme auf (potentielle) Gegner und deren räumlichen „Heim“-Vorteil. Während (potentielle) Fremdmissionare in Philippi vor Ort sein können und so der Gemeinde räumlich ganz 243 Die „nüchterne[] Geschäftssprache“ in Phil 3 erklärt sich für Standhartinger, Idealbiografie, 162 aus den traditionsgeschichtlichen Bezügen dieses Briefabschnittes (z. B. Sir 51,13– 30 und 11QPsa [5] 21,11–22,11). Hinter 3,4–14 stehe die „Idealbiografie des weisen Königs und Weisheitslehrers“ (ebd. 159). Der Apostel modelliere seine Biographie „als Idealbiografie eines Schülers der himmlischen Weisheit“ und schlüpfe „in die Rolle des für sie werbenden Weisheitslehrers“ (ebd.). Diese Idealbiographie fungiert meiner Ansicht nach im Gedankengang des Briefes gleichermaßen als exemplarische Konkretion von 2,1–11 sowie als (weisheitliche) Werberede (anders Standhartinger ebd.: Es handle sich um „eine literarische Imitation, allerdings nicht von Phil 2,6–11, sondern einer weisheitlichen Werberede“).

Raumpolitik im Briefkorpus (1,12–4,20)

159

nah sind, ist der Apostel aufgrund seiner Gefangenschaft an einer Reise nach Philippi gehindert und muss so ein Wir-Gefühl über die räumliche Distanz hinweg aufbauen. (2) Für Paulus ist Raum gestaltbar. Sein Austarieren der unterschiedlichen Handlungsverantwortlichkeiten entwickelt er in Phil 3 entscheidend fort. Er präsentiert sich selbst explizit als Vorbild der Gemeinde. In der Dreiecksbeziehung zwischen sich, der Gemeinde in Philippi und den (potentiellen) Gegnern vor Ort sucht Paulus sich auf jeden Fall als der verlässlichere und glaubwürdigere Partner zu präsentieren. Eine Orientierung an ihm verspricht endzeitliches Heil und gemeindliche Stabilität. (3) In 3,20 steht das himmlische Politeuma (Gemeinwesen) als Urbild vor Augen. Es soll die irdischen Bürgerschaften „in Christus“ prägen und ist für die Philipper gleichermaßen Hoffnungsgut und Orientierungsgröße. Richtet sich die Gemeinde bei ihrem „politischen Handeln“ vor Ort (πολιτεύεσθε) an diesem himmlischen Urbild aus, trägt sie dazu bei, das himmlische Gemeinwesen irdisch angeldhaft erlebbar zu machen. Wie eng Paulus Paränese, Gegnerpolemik und autobiographische Ausführungen in 3,2–21 miteinander verknüpft hat, spiegelt sich in der Vielzahl unterschiedlicher Gliederungsvorschläge wider. Hier eine exemplarische Auswahl:244 Bockmuehl 1997

Harnisch 1999

Becker 2011

Holloway 2017

Standhartinger 2021

Diener Christi und Feinde des Kreuzes

Phil 3 als brieflich-forensische Apologie

Autobiographie und Polemik in Phil 3

Phil 3 als sechstes Trostargument

Phil 3 als Fragment eines Abschiedsbriefs und weisheitliches Testament

3,1 Einleitungssatz 3,2–4a „Die Hunde“

3,2–4a Exordium

3,2–4a Gegnerpolemik

3,2–3 Erster Vergleich: Vertrauen ins Fleisch vs. Vertrauen in Christus

3,2–4a Aufruf zur Aufmerksamkeit und Selbstvergewisserung

244 Die Gliederungen, Themenangaben und Lektürefokussierungen sind zu entnehmen: Bockmuehl 46; Harnisch, Selbstempfehlung, 137 (zum Verständnis von Phil 3 als brieflich realisierte forensische Apologie ebd. 135–136), Becker, Polemik, 277–280, Holloway 146 und Standhartingers Kommentar (und ergänzend: ‚Join in imitating me‘, 429 und Idealbiografie, 159–170). Weitere Gliederungsentwürfe für Phil 3 unter rhetorischem Blickwinkel verzeichnet Focant 143. Er selbst schlägt eine Dreiteilung vor (ebd. 146.167.172): 3,1–11 („L’option radicale de Paul“), 3,12–16 („Entièrement tendus vers le Christ“) und 3,17–4,1 („Vrais et faux modèles en lien avec la force constitutive céleste“).

160

Eine raumsensible Lektüre des Philipperbriefes

Bockmuehl 1997

Harnisch 1999

Becker 2011

Holloway 2017

Standhartinger 2021

3,4b–6 Paulus’ Vergangenheit

3,4b–7 Narratio in Form einer simulierten Selbstanpreisung

3,4b–16 Autobio­ graphische Rede

3,4–11 Zweiter Vergleich: Paulus’ religiöse Verdienste vor und nach seiner Christusvision

3,4b–14 Weisheitliche Bildungs­ biographie

3,7–14 Paulus’ Christus­ erfahrung

3,8–11.12–14 Argumentatio245

3,12–16 Selbstkorrektur

3,15–17 Einladungsruf (Paränese) 

3,15–21 Paulus’ Beispiel

3,15–16 Auftakt der Peroratio

3,17–21 Paränetischer Text mit Gegnerpolemik in 3,18–19

3,17–21 Aufruf zur Nachahmung des Paulus

3,18–21246 Zweiter Teil der Peroratio 4,1–3 Persönlicher Aufruf an zwei Leiterinnen

3,18–21 Apokalyptische Zukunftsansage247 4,1 Abschlusssatz

Die nicht unerheblichen Abweichungen zwischen den vorliegenden Gliederungsentwürfen deuten auf die Komplexität der paulinischen Gedankenführung hin. Von daher verzahne ich meine raumthematische Analyse von Phil 3 mit Überlegungen zur Textgliederung und zur Gedankenführung. Diese Überlegungen helfen, die Entfaltung der Raumthematik in diesem Briefkapitel präzise nachvollziehen zu können und basieren auf Beobachtungen zum wiederholten Sprechrichtungswechsel in 3,2–21. Dieses Vorgehen berücksichtigt, dass Autobiographie, Gegnerpolemik und Paränese als drei Grundbausteine von Phil 3 den Einsatz bestimmter Personalformen mit sich bringen. Während Paulus die persönlichautobiographischen Abschnitte in der 1.Pers.Sg. fasst, taucht in den direkten Mahnungen die 2.Pers.Pl. auf; über die Gegner spricht er in der 3.Pers.

245 In 3,8–11 argumentatio in Form der angemessenen Selbstempfehlung, in 3,12–14 argumentatio in Form der refutatio. 246 Harnisch, Selbstempfehlung, 150 betrachtet 3,17 „[m]it Vorbehalt“ als eine nachpaulinisch eingefügte „Glosse“. 247 Siehe zur apokalyptischen Prägung von 3,18–21: Standhartinger, Apocalyptic Thought, 233–245.

Raumpolitik im Briefkorpus (1,12–4,20)

161

Unter raumthematischem Gesichtspunkt rückt die Frage ins Zentrum, was der Einsatz der unterschiedlichen Pronomina in ihrem Zusammenspiel in Phil 3 zur Bearbeitung der momentanen Trennungserfahrung austrägt. Meine These lautet: Durch den erstmaligen Gebrauch der 1.Pers.Pl. nach dem brieflichen Präskript vollzieht Paulus in zugespitzter Form den direkten Schulterschluss mit den Philippern (3,3 u. ö.).248 Damit hebt er seine literarische Bearbeitung der räumlichen Trennung von der Gemeinde auf eine neue Ebene, hat er doch zuvor in Phil 1–2 die „Ich ↔ Ihr“-Sprechrichtung durchgehend beibehalten und damit das (räumliche) Gegenüber zwischen Absender und Adressaten verstärkt abgebildet. Vers Personalform

Bezugspunkt

2

2.Pers.Pl. „ihr“ und 3.Pers.Pl. „sie“

zu den Brief­ empfängern über die Gegner

3

1.Pers.Pl. „wir“

4a 4b 4c

1.Pers.Sg. „ich“ 3.Pers.Sg. τις ἄλλος 1.Pers.Sg. „ich“ 5–14 1.Pers.Sg. „ich“ 5–11 1.Pers.Sg. „ich“

Inhalt

Gegnerpolemik in Form einer warnenden Mahnung der Briefadressaten zur Gegnerbeobachtung. Diese werden als Hunde, schlimme Arbeiter und die Zerschneidung charakterisiert. alle Grenzziehung: Die Christusgläubigen Christusgläubigen249 als die Beschneidung. Paulus Paulus als Beschnittener auch „im Fleisch“. Gegner ↔ Paulus Im direkten Vergleich ἐν σαρκί mit den Gegnern weiß Paulus sich absolut überlegen: ἐγὼ μᾶλλον (V.4c). Paulus Paulus Entfaltung des ἐγὼ μᾶλλον in den Vv.5–6; in den Vv.7–8 bewertet Paulus seine Vergangenheit und sein damaliges Handeln von seiner Christusbegegnung her (d. h. vom Damaskuserlebnis) und fokussiert sich in den Vv.9–11 ganz auf die alles überragende Erkenntnis Jesu. Es bleibt die hoffnungsvollbangende, letztendlich ganz christozentrisch angelegte Frage in V.11: εἴ πως καταντήσω εἰς τὴν ἐξανάστασιν τὴν ἐκ νεκρῶν.

248 Dieses Phänomen beobachtet beispielsweise auch Fee 298. Er relativiert dessen Bedeutung aber vorschnell mit Verweis auf „Paul’s regular habit“: Der Apostel wechsle etwa auch in 1Thess 1,9–10 oder Röm 8,15 „in the middle of an argument […] from the second or third person to the inclusive first person plural“, und zwar „whenever the point shifts to some soteriological reality that includes him as well as his readers“. Anders als bei diesen Beispielen gehen meine Beobachtungen von der Makroebene aus: Der Gebrauch der 1.Pers.Pl. in Phil 3 erscheint auswertbar, da Paulus nach dem brieflichen Präskript bis 3,3, d. h. über einen beträchtlichen Teil des gesamten Briefes auf sie verzichtet hat (anders z. B. in 1Kor 1: Dort kehrt das „Wir“ bereits in 1,9 wieder). 249 So z. B. auch Bockmuehl 191, O’Brien 358–359 (mit Auflistung anderer Vorschläge), Fee 298 (wir = „both Jews and Gentiles together who have put our trust in Christ“) oder ­Focant 151. Für Becker, Polemik, 275 nimmt Paulus durch die Verwendung der 1.Pers.Pl. „eine Inklusion der Absender in die Gruppe der Adressaten vor“.

162

Eine raumsensible Lektüre des Philipperbriefes

Vers Personalform

Bezugspunkt

Inhalt

12

1.Pers.Sg. „ich“ 1.Pers.Sg. (Passiv) mit ausdrücklicher Nennung des Urhebers

Paulus ↔ Christus

„Noch nicht am Ziel“250: Paulus präsentiert sich als Unvollendeter: Er selbst sucht das Lebensziel im Sinne der vollendeten Christusgemeinschaft zu ergreifen, da er sich von Christus ergriffen weiß: Erstmals in Phil 3 wird Jesus hier explizit als Subjekt präsentiert (ἐφ᾽ ᾧ καὶ κατελήμφθην ὑπὸ Χριστοῦ).

13

2.Pers.Pl. „Brüder“ 1.Pers.Sg. „ich“

Briefempfänger

Direkte Anrede der Adressaten als ἀδελφοί mit anschließender Rückkehr zur Ich-Rede.

14

1.Pers.Sg. „ich“

15a

1.Pers.Pl. „wir“

15b

2.Pers.Sg. „ihr“ Briefempfänger ↔ 3.Pers.Sg. „Gott“ Gott

Gott wird es euch offenbaren.

16

1.Pers.Pl. „wir“

Paulus

Wir müssen das Erreichte festhalten und demgemäß leben.

17a

2.Pers.Pl. „ihr“

Briefempfänger

„Unterwegs zum Ziel“254: Ahmt gemeinsam Paulus nach und mit Paulus zusammen Christus.

Paulus spricht über sein Nachjagen. Paulus

Verweis auf alle (ὅσοι)251 Mündigen / Vollkommenen (τέλειοι) unter Einbeziehung der eigenen Person252 und Aufruf: Lasst uns so (τοῦτο)253 gesinnt sein.

250 So überschreibt Gnilka 197 den Abschnitt 3,12–16. 251 Nach Bauer, Wörterbuch, 1187 s.v. ὅσος 2 (auch „ohne πάντες hat ὅσοι die Bed. alle, welche“). Durch den Rückgriff auf ὅσοι erscheint die Aussage in 3,15a „open ended: it does not assert that every believer at Philippi is ‚mature‘, but it leaves the way open for the ‚conscientious judgment of every reader‘ whether he or she fits the description“ (O’Brien 436–437 mit Zitat von Meyer 173). 252 Holloway 176 sieht Paulus in 3,15 insgesamt einbezogen, Gnilka 201 hingegen „erst in der Aufmunterung: ‚Das laßt uns bedenken!‘“. Von daher betrachtet letztgenannter die Rede von den Vollkommenen in 3,15a auch als „ironisch“, während Holloway 176 τέλειοι „not as sarcasm but as an attempt at point“ begreifen möchte. Auch für Bockmuehl 225 sind die Anhaltspunkte für eine ironische Lektüre von 3,15 „weak“, nicht zuletzt angesichts der Tatsache, dass Paulus hier „inclusive and not polemical“ rede; grundlegend verwundert gegenüber Erwägungen eines ironischen Verständnisses äußert sich Focant 172 („[c]urieusement“). 253 Nach Gnilka 200 bezieht sich τοῦτο rückblickend-zusammenfassend auf „die gesamten Ausführungen VV 8–14“, besonders auf „VV 12–14“. Holloway 175 Anm. 175 übersetzt „[to] think this way“ im Sinne von „[to] think in the preciding manner“. Dabei sei in 3,15–16 jenes „mind-set“ (ebd. 175) im Blick, „that Paul exemplifies in his autobiographical remarks in 3:2–11 and especially in 3:12–14“. 254 So überschreibt Gnilka 202 den Abschnitt 3,17–21.

Raumpolitik im Briefkorpus (1,12–4,20)

163

Vers Personalform

Bezugspunkt

Inhalt

17b

1.Pers.Pl. „wir“

Paulus und gegebenenfalls seine Mitarbeiter255

Nehmt uns als Vorbild.

18a

3.Pers.Pl. „sie“

Gegner

Die Gegner als Feinde des Kreuzes …

18b

1.Pers.Sg. „ich“

Paulus

Einschub: Paulus’ wiederholte Rede von den Gegnern.

19

3.Pers.Pl. „sie“

Gegner

… und die Feinde des Kreuzes als rein irdisch gesinnte Menschen.

20a

1.Pers.Pl. „wir“

Paulus und die Adressaten

Die gemeinsame Bürgerschaft / das Gemeinwesen in den Himmeln.

Christus Christusgläubigen Christus

Vom Himmel aus wird Christus als Kyrios und σωτήρ zur endgültigen Umgestaltung unseres irdischen Leibes erwartet.

20b– 3.Pers.Sg. „er“ 21 1.Pers.Pl. „wir“ 3.Pers.Sg. „er“

Die voranstehende Übersicht gibt unschwer zu erkennen, dass die Personalformen am Beginn und am Ende von 3,2–21 häufig wechseln. Im Unterschied dazu hält sich im Mittelteil von 3,4 (ἐγὼ μᾶλλον) bis einschließlich 3,14 die Ich-Sprechrichtung nahezu ungebrochen durch. Das Ende dieses autobiographischen Abschnitts markiert Paulus durch den Wechsel zur 1.Pers.Pl. in 3,15. Auf inhaltlicher Ebene geht mit diesem Übergang vom „Ich“ zum „Wir“ eine Verschiebung im Betrachtungswinkel einher. Mit 3,15 beginnt Paulus, Schlussfolgerungen aus seinen autobiographischen Ausführungen für sein Verhältnis zur Gemeinde zu ziehen. Dabei schaut er zunächst im „Wir“ auf die gemeinsame Gesinnung256 der Mündigen / Vollkommenen (=  τέλειοι257): ὅσοι οὖν τέλειοι, τοῦτο φρονῶμεν. Wenn sich die Philipper gemeinsam mit ihm auf Christus und das endgültige Heil (= τοῦτο) 255 Hier bezieht sich das Pronomen der 1.Pers.Pl. anders als an den übrigen Einsatzstellen in Phil 3 nicht auf Paulus, seine Mitarbeiter und die Gemeinde insgesamt, sondern auf Paulus und möglicherweise auf „the apostolic team“ (Bockmuehl 229). Nach Fee 365 Anm. 14 ist dieses ἡμᾶς „a rare ‚editorial we‘ in this letter“, welches nach 2,20–22 „very likely includes Timothy“; anders Hawthorne / Martin 219. Sie tendieren zur Annahme, dass mit ἡμᾶς eigentlich ἐμέ gemeint sei. 256 Bockmuehl 226 übersetzt φρονῶμεν mit „adopt this stance“; siehe zu φρόνησις im Philipperbrief als „a spatial reasoning“ im konkreten Lebensraum der römischen Kolonie Philippi: Thate, Paul, 317–318. 257 Die Spannung zwischen den beiden Vollkommenheitsaussagen in 3,12 und 3,15 ist in der Forschung hinreichend registriert worden. Zu deren Lösung nimmt z. B. Schapdick, Heil, 226 eine Bedeutungsverschiebung an und möchte τέλειος in 3,15 im Sinne „geistiger Reife“ verstehen, „und zwar i. S. voller Konzentration darauf, dem göttlichen Ruf aktiv zu entsprechen“ (in 3,12 gehe es hingegen um „die eschatische Vollendung“ [ebd. 217]); ebd. 227 widerspricht Schapdick nachdrücklich der Annahme, Paulus nehme Gegnerterminologie auf (siehe zur Forschungsdiskussion ebd. 217–218 mit den Anm. 452–453 und 226–227 mit den Anm. 501–508).

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ausrichten, trägt diese gemeinsame Ausrichtung für Paulus wesentlich dazu bei, eine gemeinsame Erfahrung über die realweltliche räumliche Distanz hinweg aufzubauen und zu erhalten. Sollte es unterhalb dieser zentralen Ausrichtung auf einer nachgeordneten Ebene abweichende Meinungen geben,258 d. h. die Gemeinde in Philippi oder einzelne Gemeindemitglieder etwas anders denken,259 so können mögliche Inkonsistenzen (= τοῦτο in 3,15c260) durch göttliches Offenbarungshandeln ausgeräumt werden.261 Die ausdrückliche Nennung Gottes als Handlungsträger deutet ein Moment des allein aus menschlicher Kraft Unerreichbaren an. Diese Andeutung hat unter strategischem Blickwinkel ein erhebliches Entlastungspotential: Eine Beseitigung möglicher Abweichungen auf nachgeordneter Ebene (= τι) liegt allein in Gottes Hand. Damit ist folgendem Szenario vorgebaut bzw. folgendes Szenario bearbeitet: Sollten bei einzelnen Gemeindemitgliedern diese Inkonsistenzen bestehen bleiben, ist dies nicht als Versagen des Apostels oder anderer Gemeindemitglieder zu werten. Hier kann nur Gott selbst Abhilfe schaffen.

Damit dieses gemeinsame Ausrichten gelingen kann, verweist der Apostel die Philipper auf sich als Vorbild. Über diesen Weg will er die Gemeinde über die Eine Bedeutungsverschiebung zwischen beiden Vollkommenheitsaussagen nimmt etwa auch Poplutz, Athlet, 370–371 an. Sie versteht 3,15a „eigentlich nicht im Sinne eines fälschlicherweise angenommenen Vollendetseins […], sondern im Sinne der ungeteilten Konzentration, des Ganzseins in der Entsprechung des Rufes“ (Kursivdruck im Original). Standhartinger, Idealbiografie, 169 hingegen sieht in dieser „unübersehbare[n]“ Spannung zwischen den beiden Vollkommenheitsaussagen in 3,12 und 3,15 „weisheitliches Selbstbewusstsein“ reflektiert; ausführlicher zu den Verständnismöglichkeiten von τέλειοι in 3,15: O’Brien 433–437. 258 Siehe zur Ebenenunterscheidung in 3,15 nur O’Brien 437–438. Für Bockmuehl 226 ist die Offenbarungsaussage in 3,15c nicht zuletzt wegen ihres Satzanschlusses mit καί („and [kai], not ‚but‘“) „evidently concerned not with a fundamental departure from the Christ-like pattern […], but with a difference in a particular matter“; anders etwa Hawthorne / Martin 212–213: Sie verstehen καί in 3,15b als „an adversative conjunction“. Die Philipper „actually did have a somewhat different attitude about perfection from the attitude Paul demanded of those who claimed to be ‚perfect‘“ (ebd. [Kursivdruck im Original]). 259 In 3,15b (εἴ τι ἑτέρως φρονεῖτε) bezieht sich das τι nicht auf das τοῦτο in 3,15a. Es referiert auf eine mögliche Abweichung der Philipper gegenüber Paulus auf einer nachgeordneten Ebene. Pitta 252 spricht von „fronte a questioni secondarie“; anders etwa Harnisch, Selbstempfehlung, 149: „Wenn sie wirklich ‚etwas‘ (τι) anders beurteilen, haben sie sich de facto für eine von der paulinischen grundsätzlich abweichende Sicht entschieden“. 260 Mit O’Brien 438. 261 Nach Bockmuehl 226 zeugt der „eirenic tone“ in 3,15, dass Paulus „is not seriously worried about this difference of opinion“; auch für Fee 358–359 geht es in 3,15c nicht um die Beseitigung einer möglichen innergemeindlichen Opposition gegen Paulus, vielmehr möchte er 3,15 „within the setting of friendship“ (ebd.) 358 verstehen (vgl. auf dieser Spur etwa auch Pitta 252). Standhartinger 245 interpretiert folgendermaßen: „Gott wird möglicherweise eine andere Meinung als die seinige (= des Paulus [Einfügung C. B.]) offenbaren, wenn dies dem Denken und Meinen der Gemeinde entspricht“.

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räumliche Distanz hinweg fest an sich binden, und zwar unter soteriologischer und ekklesiologischer Perspektive: συμμιμηταί μου γίνεσθε, ἀδελφοί, καὶ σκοπεῖτε τοὺς οὕτως περιπατοῦντας καθὼς ἔχετε τύπον ἡμᾶς. Der erste Teil dieses Aufrufs lässt sich folgendermaßen paraphrasieren: „Ahmt als Gemeinde gemeinsam mich nach und mit mir zusammen Christus.“ Diese Paraphrase holt jene zwei Dimensionen von συμμιμηταί μου γίνεσθε ein, welche in dieser „grundlegende[n] Kurzformel paulinischer Ethik“262 untrennbar miteinander verschränkt sind. Er ruft die Gemeinde dazu auf, ihn nachzuahmen.263 Da sich Paulus als Sklave Christi Jesu ganz seinem Kyrios und dessen Handlungsvorbild verpflichtet weiß, impliziert eine Aufforderung zur Nachahmung des Paulus unweigerlich den Gedanken der Christusnachahmung.264 Damit ist die zweite Dimension im Spiel:265 Ahmt mit Paulus zusammen Christus nach266. Durch eine „kreative Aneignung“267 der ganz an Christus ausgerichteten Lebens- und Handlungsvorgabe des Paulus und derjenigen, welche sich bereits an ‚uns‘ als Vorbild orientieren (καθὼς ἔχετε τύπον ἡμᾶς),268 kann die Gemeinde in 262 Becker, Ethik, 259: Paulus generiere „Theologie und Ethik als Mimesis“. 263 Anders Standhartinger, Idealbiografie, 174. Ihr scheint es „ausgeschlossen, dass Paulus sich selbst als Objekt der Nachahmung empfiehlt“. Dies sei „ziemlich einzigartig in der gesamten antiken Literatur“; als einzige ihr bekannte Ausnahme nennt sie 4Makk 9,23. Dort ruft der älteste der sieben Brüder seine Geschwister zur Nachfolge ins Martyrium auf: μιμήσασθέ με ἀδελφοί. 264 Vgl. z. B. Fee 365. 265 Diese favorisiert einseitig etwa Wick, Imitatio, 311.325–326. 266 Diese Facettenverschränkung und Gleichzeitigkeit (= in der Nachahmung des Apostels zugleich mit Paulus zusammen Christus nachahmen) sieht etwa auch Merklein, 1Kor 1, 328. Für ihn schließt der Aufruf in 3,17 „sowohl die Nachahmung des Apostels als auch die gemeinsame Nachahmung Christi“ ein. In nuce enthält eine solche Facettenverschränkung bereits das συν-Kompositum συμμιμηταί. Es deutet sowohl auf die Gemeinschaft der Gemeindemitglieder untereinander in einer gemeinsamen Nachahmung des Paulus hin als auch auf die Gemeinschaft mit dem räumlich weit entfernten Paulus in der gemeinsamen Nachahmung Jesu; einen Überblick über die diskutierten Verständnismöglichkeiten von συμμιμηταί μου γίνεσθε geben etwa Fee 364–365 mit Anm. 10, Reumann 566–567 oder Wick, Imitatio, 309–310. 267 Standhartinger, Idealbiografie, 175. Sie weist ebd. Anm. 108 unter Einbeziehung von 1Thess 1,6–8 darauf hin, dass μιμητής γίνεσθαι „nicht ‚kopieren‘“ bedeutet. Es meine in der antiken Ethik vielmehr „sich den Tugenden herausragender Vorfahren und Heroen anzuverwandeln“ (ebd. 174); siehe zum kreativen Aneignen schon Bormann, Reflexionen, 314–315: „Mimesis meint bei Paulus in hellenistischer Tradition die imaginativ-emphatische Neuinszenierung, die selbst Wirkungen hat.“ Eine solche Mimesis ist für Bormann wesentlich auf das Alltagsleben konzentriert und hat zudem eine politische Dimension: „Die Mimesis richtet sich nicht wie das Drama auf das Ideal menschlicher Existenz, sondern auf ihre Realität und schließt alles Anstößige und Abstoßende mit ein, im Falle Christi ist das der von Paulus immer wieder betonte Kreuzestod als schändlicher Sklaventod. Der Apostel selbst lebt und fordert die Christusinszenierung als einen authentischen und autonomen Lebensvollzug, der sich ebenfalls jenseits der gesellschaftlichen Elite vollzieht“ (Ich, 232). 268 Vgl. zur Diskussion, wen Paulus bei τοὺς οὕτως περιπατοῦντας καθὼς ἔχετε τύπον ἡμᾶς im Blick hat, nur Fee 365–366 mit Anm. 16.

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Philippi das bereits Erreichte bewahren,269 die Reihen schließen,270 ihre Eintracht festigen271 und ihre Beziehung zu Paulus substantiell ausbauen (συμ-μιμηταί). Richtet sich die Gemeinde gemeinsam nachahmend (συμ-μιμηταί) auf Paulus aus,272 der sich zusammen mit der Gemeinde ganz auf den Kyrios Christus ausrichtet (1,1; 3,7–14), bleibt die Gemeinde zusammen mit dem Apostel auf dem eingeschlagenen Weg zum endzeitlichen Heil. Durch diese gemeinschaftsstiftende und gemeinschaftsfestigende Orientierung kann sie effektiv der Gefahr entgehen, dass einzelne Gemeindemitglieder begünstigt durch die räumliche Nähe zur Gegnerseite hinüberwechseln. Diese „Überläufer“ würden dem Verderben anheimfallen, dass Paulus den Gegner ankündigt (individual-soteriologische Perspektive), und zur gleichen Zeit die junge Gemeinde auch in deren Beziehung zu ihrem Gemeindegründer destabilisieren (ekklesiologische Perspektive). Sein Ansinnen, von der Gemeinde über die räumliche Distanz hinweg als maßgebliches Vorbild und entscheidende Orientierungsgröße betrachtet zu werden, gibt Paulus bereits in 3,2–4 zu erkennen.273 Dort dient ihm der schnelle Wechsel der Personalformen dazu, sich im „Wir“ mit der Gemeinde direkt zusammenzuschließen und sie zugleich von den (potentiellen) Gegnern vor Ort zu distanzieren.274 Den Auftakt macht er mit der intensiven Ansprache an die Adressaten in 3,2 (βλέπετε), mit welcher er zur Vorsicht vor (möglichen) Gegnern auf 269 Die bleibende Verantwortung der Gemeinde und des Apostels hingegen besteht nach Auskunft von 3,16 wesentlich darin, das bereits Erreichte zu bewahren (πλὴν εἰς ὃ ἐφθάσαμεν, τῷ αὐτῷ στοιχεῖν). In der Verbindung mit εἴς τι bedeutet φθάνω „zu etw. gelangen, etw. erreichen“ (Bauer, Wörterbuch, 1708 s.v. φθάνω 2) und impliziert den Gedanken der (hier: vorläufigen) Zielerreichung (negativ im Sinne der Nicht-Zielerreichung in Röm 9,31). Ohne den Eindruck zu erwecken, dass mit diesem gegenwärtigen ‚Zwischenziel‘ (das in 3,8–15 Beschriebene = ὅ) schon alles erreicht ist, ruft Paulus zunächst einmal zur Absicherung dieses Status auf: „wozu wir gelangt sind, daran laßt uns (auch) halten“ (Bauer, Wörterbuch, 1535 s.v. στοιχέω). 270 In 3,16: στοιχεῖν = „zu einer Reihe gehören“ (Delling, Art. στοιχέω κτλ., 666), und zwar im Sinne einer über die räumliche Distanz hinweg geschlossenen Reihe zwischen Paulus und den Briefempfängern gegenüber den in Philippi anwesenden Gegnern als weiterer Beitrag zum Ausbalancieren zwischen der räumlichen Trennung der brieflichen Kommunikationspartner und der räumlichen Nähe der Gegner zur Gemeinde; siehe zu politischen Implikationen von στοιχέω Standhartinger 246 („‚sich dem Beschluss der Volksversammlung anschließen‘, ‚sich der Mehrheitsmeinung anschließen‘“) und zu den textkritischen Varianten von 3,16 nur Pitta 252 Anm. 234. 271 Oder sogar ihre Eintracht wiederherstellen (siehe 4,2–3). 272 Diese „mimetische Orientierung an Paulus dient […] der ethischen Gestaltung des Lebenswandels der in Philippi in Christus Jesus versammelten ‚Heiligen‘“ (Becker, Ethik, 250); zurückgebunden ist diese mimetische Ethik „an die epistolographisch vermittelte und rhetorisch gestaltete conformatio der paulinischen Person“ (Kursivdruck im Original). 273 Becker, Polemik, 272–276 beschreibt das „literarisch sorgfältig gestaltete[] Textsegment“ in 3,2–4a detailliert textlinguistisch (das Zitat ebd. 275). 274 In Phil 3 schaut Paulus laut Vollenweider, Rivals, 300 auf „internal destroyers of the community and betrayers of the gospel“. Für ihn stellen solche Gegner „the worst type of possible adversary“ dar.

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ruft.275 Über diese spricht er als τοὺς κύνας276, τοὺς κακοὺς ἐργάτας277 und τὴν κατατομήν278. Diese eröffnende Aufforderung holt die aktuelle räumliche Konstellation zwischen den brieflichen Kommunikationspartnern und den Gegnern ein. Paulus deutet mit der Verwendung der 2.Pers.Pl. auf seine räumliche Trennung von den Adressaten hin und zeigt durch den Inhalt seiner Aufforderung (= schaut hin!) zugleich an, dass sich seine Adressaten und seine Gegner gemeinsam in „Sichtweite“ in Philippi aufhalten (werden). Für Paulus birgt diese räumliche Konstellation die virulente Gefahr, dass die räumliche Nähe zwischen seinen Adressaten und seinen Gegnern auch zu einer geistig-geistlichen Nähe und einem theologischen Schulterschluss führt. Infolgedessen wäre Paulus nicht nur räumlich, sondern gerade auch theologisch von seiner philippischen Gemeinde getrennt. In dieser angespannten Lage erfährt Paulus sich durch seine Gefangenschaft im Bereich Raumhoheit extrem eingeschränkt. Seine Inhaftierung hindert ihn daran, nach Philippi zu reisen und jene räumliche Nähe zur Gemeinde herzustellen, die zwischen den Adressaten und Gegnern besteht. Diese Ohnmachtserfahrung spiegelt sich im massiven Einsatz von Gegnerpolemik in 3,2–4 wider. Für die Beziehung zwischen ihm und der philippischen Gemeinde steht durch die (mög­ liche) Einflussnahme (juden-)christlicher Missionare alles auf dem Spiel. Die Handlungsmöglichkeiten, die Paulus noch verbleiben, nutzt er in 3,3 sogleich aus. Er steckt im direkten Schulterschluss mit den Adressaten („Wir“) eine deutliche Grenze „vor Ort“ ab: Wir als die wirkliche Beschneidung (ἡμεῖς γάρ ἐσμεν ἡ περιτομή) teilen trotz räumlicher Trennung den gleichen theologischen Standpunkt und sind uns dadurch ganz nah, wohingegen die realräumlich nahen Gegner, d. h. die „internal destroyers of the community“279 als die „Zerschnittenen“ (κατατομή) theologisch weit entfernt stehen.280 Um den strukturellen Nachteil der realweltlichen räumlichen Distanz zu minimieren, präsentiert sich Paulus in dieser ‚Dreiecksbeziehung‘ für die Gemeinde 275 Becker, Polemik, 275 identifiziert in 3,2–3 drei Gegenüberstellungen: die Hunde – die im Geist Gottes Dienenden; die schlecht Arbeitenden – die sich in Christus Jesus Rühmenden; die Zerschneidung – die nicht auf das Fleisch Vertrauenden. 276 Siehe zur Hundemetaphorik z. B. Standhartinger 219, Schreiber, Cavete, 170–192 oder Nanos, Reversal, 448–482. 277 Siehe zur Diskussion um diese Charakterisierung nur die Übersicht bei Reumann 461–462; Abwägungen bezüglich einer möglichen Nähe zu 2Kor 11,23 finden sich etwa bei Pitta 214–215 (mehr zur Selbstcharakterisierung des Paulus in Abgrenzung zu seinen Rivalen in Korinth bei Schmeller, 2Kor 2, 250–255); siehe zum Vergleich zwischen 2Kor 11,21b–33 und Phil 3,2–11 Schmeller, Narrenreden, besonders 190–191 und 201–205. 278 Für Vollenweider, Rivals, 299 geht aus 3,2c klar hervor („clear evidence“), dass es sich bei den Gegnern in Phil 3 um „Judeo-Christian missionaries“ handelt; kritisch: Standhartinger (siehe schon Abschnitt 1.3 meiner Studie). 279 Vollenweider, Rivals, 300. 280 Paulus kontrastiert „der fleischlichen Beschneidung eine geistliche“ (Schmeller, Narrenrede, 201 [Kursivdruck im Original]).

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in Philippi als der auf jeden Fall verlässlichere und glaubwürdigere Partner. Dies arbeitet er in der Überbietungsaussage in 3,4 gezielt heraus, welche zu den autobiographischen Ausführungen überleitet.281 Durch die Abfolge von Ich-, Gegnerund erneuter Ich-Aussage „zingelt“ Paulus die (möglichen) Gegner rhetorisch ein und rekurriert auf diese nur noch anonym verallgemeinernd als τις ἄλλος. Allein schon diese formale Gestaltung von 3,4 zeigt an, was Paulus am Ende dieses Verses ausdrücklich ins Wort hebt: ἐγὼ μᾶλλον. Damit beansprucht der Apostel in einem (möglichen) Wettkampf um die bessere jüdische Herkunft und die konsequentere jüdische Lebensführung den entscheidenden Punktsieg gegenüber den judenchristlichen Kontrahenten für sich. Mit dem Ziel, sich als die bessere Alternative zu präsentieren, hat Paulus in 3,4 noch ganz auf die menschliche Handlungsebene abgehoben. Als notwendige Ergänzung dazu leuchtet er im autobiographischen Teil in immer neuen Anläufen göttliche und menschliche Handlungsanteile für seinen eigenen Heilsempfang aus und führt dieses Austarieren in 3,14 räumlich „in die Höhe“. In diesem Vers rückt der göttliche Handlungsanteil in den Fokus: Der Siegespreis, welcher in der Berufung nach oben besteht,282 sei wesentlich Geschenk Gottes durch Jesus Christus (τὸ βραβεῖον τῆς ἄνω κλήσεως τοῦ θεοῦ ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ). Die Näherbestimmung der Berufung als ‚Berufung nach oben‘ (ἄνω) unterstreicht den Gedanken des dem Menschen Unverfügbaren noch zusätzlich und verweist auf den Himmelsraum, in welchem sich Jesus gegenwärtig aufhält. Die Spur „nach oben“ verstärkt der Apostel am Abschnittsende noch ganz entscheidend, indem er eine völlig unterschiedliche Raumorientierung zwischen „uns“283 und den Gegnern konstatiert. Er charakterisiert seine (potentiellen) Gegner als rein irdisch gesinnte Menschen (οἱ τὰ ἐπίγεια φρονοῦντες) und reißt unmittelbar anschließend den Blick zu den Himmeln hinauf: ἡμῶν γὰρ τὸ πολί­ τευμα ἐν οὐρανοῖς ὑπάρχει.284 Situationsbedingt lässt die Wahl der Pluralform οὐρανοί an den Himmel als weiten, mehrstöckigen Raum denken.285 Der Apostel 281 Während Reumann 468 3,4a als „transition to autobiography“ betrachtet, weite ich diese Funktionszuschreibung aufgrund des in 3,4 mehrfach vollzogenen Personalformenwechsels auf den gesamten Vers aus. 282 Nach Bauer, Wörterbuch, 153 s.v. ἄνω 2 und 292 s.v. βραβεῖον (jeweils speziell zu Phil 3,14). 283 Vgl. etwa auch Pitta 263. Der Einsatz der 1.Pers.Pl. gegenüber der 3.Pers.Pl. in 3,18–19 „stabilisce la differenza“. 284 Siehe zur Bedeutung von γάρ in 3,20 Bockmuehl 233 oder Pitta 263 mit Anm. 284. 285 In 2Kor 12,2 macht sich Paulus die „im frühen Judentum verbreitet[e]“ Vorstellung einer Mehrzahl von Himmelsräumen (Schmeller, 2Kor 2, 287; weiterführende Literatur ebd. in Anm. 338) ausdrücklich zu eigen: ἁρπαγέντα τὸν τοιοῦτον ἕως τρίτου οὐρανοῦ. Unmittelbar anschließend spricht der Apostel in 12,4 von seiner Entrückung ins Paradies (die Annahme, dass Paulus in 12,2–4 von sich selbst spricht, wird laut Schmeller ebd. 282 heute weitgehend geteilt): Siehe zu den verschiedenen Zuordnungsmöglichkeiten dieser beiden Lokalisierungen: „dritter Himmel“ – „Paradies“ nur Schmeller ebd. 287–288. In Paulus’ dortiger Raumkonzeption sei der dritte Himmel „der höchste Himmel und der Ort des Paradieses“ (ebd. 288).

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präsentiert den Himmelsraum als vollkommenes Gegenbild zu seiner aktuellen Raumerfahrung. Während die Gefangenschaft seinen körperlich-physischen Bewegungsradius auf ein Minimum reduziert, stehen die Himmel als Raum einer fast unendlichen Weite vor Augen. In diesem weiten Gegen-Raum, so deutet es die Präsensform ὑπάρχει an, ist „unser“ Gemeinwesen und „unsere“ Bürgerschaft gegründet (Patrick Sänger)286 oder beheimatet (Angela Standhartinger)287. So sehr Paulus über den Verweis auf die völlig unterschiedlichen Raumorientierungen eine scharfe Grenze zwischen „uns“ und seinen (potentiellen) Gegnern zieht und seiner Enge in Gefangenschaft den Himmel als weiten Gegen-Raum gegenüberstellt, geht die Funktion der Politeuma-Aussage erheblich über diese kontrastive Dimension hinaus. Einen ersten Anstoß, diese Aussage in ihrer raumthematischen Polyfunktionalität wahrzunehmen, gibt Paulus in der folgenden Parusieaussage in 3,21 selbst. Diese Aussage schreibt den Philipperhymnus fort,288 der als letztes Raum-Bild das Bild eines gegenwärtig laufenden kosmischen An 286 Förster in Förster / Sänger, Heimat, 165, scheint es „zu oberflächlich“, ὑπάρχει auf eine Kopula im Sinne von „sein“ zu reduzieren. Er paraphrasiert: „‚Unsere nach eigenen Regeln lebende Gemeinschaft ist im Himmel / in den Himmeln gegründet‘. Oder, um das Leben nach den eigenen Regeln in der selbst gewählten Gemeinschaft etwas weniger kompliziert zum Ausdruck zu bringen: ‚Unser Gemeinwesen (vielleicht mit der Konnotation ‚Verfassung‘) hat seinen Ursprung im Himmel‘ – dabei wird selbstverständlich impliziert, dass in einer derartigen christlichen Gemeinde das Leben bestimmten Spielregeln folgt“. 287 Standhartinger 250. Einen knappen Überblick über unterschiedliche deutsche Übersetzungen von πολίτευμα gibt sie ebd. 259 (sie selbst übersetzt mit „politisch aktive Bürgerschaft“); Bauer, Wörterbuch, 1376 s.v.  πολίτευμα übersetzt „unser Gemeinwesen, Staat (od. Staatsverband)“; Liddell / S cott, Lexicon, 1434 s.v. πολιτεία -ευμα III schlagen für 3,20 die Bedeutung „citizen rights, citizenship“ vor; Literatur zum Bedeutungsspektrum von πολίτευμα nennt etwa Ebel, πολίτευμα, 159 Anm. 18. Sie votiert ebd. im Haupttext – „gewissermaßen aus lokalen Gründen“ – für ein Verständnis von πολίτευμα in 3,20 als „Bürgerrecht“. Nach Ebels Einschätzung entwirft Paulus mit dem himmlischen Politeuma „ein Gegenprogramm zu bestehenden irdischen Institutionen wie dem städtischen Bürgerrecht und der civitas Romana (ebd. 167 [Kursivdruck im Original]); siehe zur Attraktivität dieses Deutungsangebotes für Angehörige der Mittel- und Unterschicht ebd. 167–168. Für Ebel ebd. 160 geben die lokalen Verhältnisse in Philippi aber „wenig […] Anlass, in den Ausführungen des Paulus eine Anspielung auf ein jüdisches πολίτευμα im Sinne eines juristischen Sonderstatus der Angehörigen dieser Religionsgemeinschaft zu vermuten“; siehe zu einem jüdischen Politeuma die Hinweise bei Arzt-Grabner, Stellung, 128–149. Er definiert ein Politeuma ebd. 138 als „eine Organisation von Fremden in einem fremden Land, die dort die Autorität erhalten, in dieser Organisationsform ihre Rechtsfälle nach eigenem traditionellem Recht abzuhandeln“. Folglich stelle ein jüdisches Politeuma „also ein Art Sondergerichtsbarkeit dar für private Streitfälle, in die Juden verwickelt waren.“ 288 Für die Annahme, dass der Philipperhymnus und die Ausführungen in 3,18–21 briefintern eng aufeinander abgestimmt sind, sprechen zahlreiche Leitwortvernetzungen (siehe nur die Übersichten bei Garland, Composition, 158 oder Brucker, Christushymnen, 288 mit Anm. 48); ablehnend Standhartinger, ‚Join in imitating me‘, 423. Sie begründet diese Ablehnung mit Verweis darauf, dass die Beschreibungen Jesu 2,6–8 und 3,20–21 „almost contradictory“ seien.

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erkennungsprozesses einprägt. Diesem Bild fügt 3,20–21 das Folgebild der Parusie an, welches eine Bewegung vom himmlischen Politeuma auf die Erde impliziert (ἐξ οὗ καὶ σωτῆρα ἀπεκδεχόμεθα κύριον Ἰησοῦν Χριστόν). Durch diesen angedeuteten Weg stehen der Himmel mitsamt der dortigen Bürgerschaft und die Erde als gegenwärtiger Lebensraum des Paulus und der Philipper in ihrer Verbindung und Vernetzung vor Augen. Diese räumliche Verbindungsspur macht Angela Standhartinger in ihrer Auslegung stark und schaut auf die Gegenwart des Paulus und seiner Gemeinde. Das Syntagma πολίτευμα ἐν οὐρανοῖς hebe auf der Spur des Philo und der stoischen Philosophie den Gedanken hervor, „dass die optimale politische Ordnung ein himmlisch-transzendentes Urbild hat, das die irdischen Bürgerschaften prägen und leiten sollte“289. Das Wort πολίτευμα beschreibt „die Aktivität des politisch entscheidungsmächtigen Teils der Bürgerschaft, das regierende Handeln, aber auch die Verfassung“290. Die letztgenannte Bedeutungsspur findet sich anfänglich bei Aristoteles und tritt bei Polybius deutlich hervor.291 Nach Ansicht von Patrick Sänger begegnen in hellenistisch-römischer Zeit die drei Grundbedeutungen von πολίτευμα, nämlich politische Handlung, Bürgerschaft sowie Staat und Gemeinwesen „nebeneinander“, wobei „Staat“/„Gemeinwesen“ die eigentlich bestimmende geworden sei.292 In der jüdischen Literatur beobachtet er „eine von der hellenistischen Bedeutung des Wortes πολίτευμα ausgehende Übertragung der Begrifflichkeit auf Gemeinwesen, die keine griechischen Polis-Staaten bzw. derart konstituiert waren“293. Vielmehr habe es sich bei dem etwa in 2Makk 12,7 oder von Josephus294 oder Philo als πολίτευμα Bezeichneten um nicht- jüdische, jüdi-

289 Standhartinger 261. 290 Standhartinger 259. Nach Strathmann, Art. πόλις, 519 bezeichnet πολίτευμα ursprünglich einzelne politische Handlungen oder Tätigkeiten, und zwar als Ergebnis des πολιτεύεσθαι. Sänger in: Förster / Sänger, Heimat, 159 sieht „eine politische Handlung, Tätigkeit oder Institution“ als Ursprungsbedeutung von πολίτευμα. 291 Siehe nur Polybius, Hist. 1.13.12: „die Staaten (τὰ πολιτεύματα) selbst waren zu jenen Zeiten in den Sitten noch unverdorben“; 1.35.5.3: „den augenscheinlich daniederliegenden Staat (προφανῶς πεπτωκὸς ἄρδην πολίτευμα)“; 28.9.5.3: sowohl ganzen Staaten (κοινῇ τοῖς πολιτεύμασι) als auch einzelnen Königen und Staatsmännern (τοῖς πολιτευομένοις)“ oder 38.12.11: „Zugleich gab er (sc. Kritolaos [Anm. C. B.]) zu verstehen, seine Pläne seien nicht aufs Geratewohl angelegt, sondern der eine und andere Fürst und Freistaat daran beteiligt (ἀλλὰ καὶ τῶν βασιλέων τινὰς καὶ τῶν πολιτευμάτων ἔνια κοινωνεῖν αὐτῷ τῆς προθέσεως)“. 292 Der gesamte Satz nach Sänger in: Förster / Sänger, Heimat, 159–160 (das Zitat ebd. 160). Im Einflussbereich der Ptolemäer lassen sich laut Standhartinger 259 in hellenistischer Zeit „auf Ethnien bezogene verfasste πολιτεύματα nachweisen, nämlich πολιτεύματα der Boiotier, der Idumäer, der Kilikier, der Phrygier, der Lykier, der Kreter sowie der Judäer, Letztere in der Militärkolonie in Herakleopolis im 2. Jahrhundert v. Chr., in Berenike und in Leontopolis im 1. Jahrhundert v. Chr.“ 293 Sänger in: Förster / Sänger, Heimat, 162. 294 Ant. 1.13 oder Contra Apionem 2.258 (ἀλλ᾽ εἶναι καθαρὸν τὸ πολίτευμα τῶν ἐμμενόντων τοῖς νόμοις προυνόησεν).

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sche oder aber idealisierte Gemeinschaften gehandelt. Dadurch sei es zu einer Loslösung des Politeumabegriffs „von seiner Bindung an die Verfassung und Bürgerschaft einer griechischen Polis“295 gekommen. Der Begriff stehe seither „auch für Gemeinschaften, für deren politische Einheit ideelle oder religiöse Gesetzmäßigkeiten konstituierend wirken“296. Spuren der Vorstellung eines himmlischen Politeuma erkennt Angela Standhartinger bei Philo. Dieser spreche in „Aufnahme stoischer politischer Philosophie“297 (z. B. Cicero, Fin. 3.64 oder Seneca, De Otio 4.1)298 „vom Bürgersein ‚in der größten und vornehmsten aktiven politischen Bürgerschaft des Weltalls‘ (ἐν τῷ μεγίστῳ καὶ ἀρίστῳ πολιτεύματι τοῦδε τοῦ κόσμου, Philo Jos. 69; opif. 143)“299. Philo gebe zu erkennen, „dass jüdische Philosophie und Weisheitstheologie nicht nur die stoische Idee der Welt als politisch geordneter Stadt und ihr himmlisches Urbild diskutierten, sondern einen eigenen Beitrag dazu liefern wollten“300.

Unter Aufnahme der Gedankenanstöße von Angela Standhartinger möchte ich die Gegenwartsdimension von 3,20 noch weiter ausarbeiten. Meine These: Das himmlische Politeuma soll als Urbild die Bürgerschaften „in Christus“ vor Ort prägen. Es ist zugleich Hoffnungs- und Orientierungsgröße. Die Gemeinde vor Ort steht in der Verantwortung, sich bei ihrem „politischen Handeln“ auf Erden (πολιτεύεσθε) an diesem himmlischen Urbild auszurichten. Nimmt die Gemeinde diese Verantwortung umfangen vom göttlichen Heilshandeln wahr (2,13), wird das himmlische Gemeinwesen irdisch angeldhaft erlebbar. Diese punktuelle irdische Verwirklichung bleibt aufgrund ihrer potentiellen Zerbrechlichkeit etwa durch innergemeindliche Streitigkeiten oder Zwiespalt durchgehend auf das himmlische Urbild zurückverwiesen und muss sich immer wieder aufs Neue an diesem ausrichten. Zur Begründung der These: Im Horizont der Vorstellung, dass der Prozess der Wirklichkeitsangleichung in den kosmischen Makroräumen in der gemeinsamen

295 Sänger in: Förster / Sänger, Heimat, 162. 296 Sänger in: Förster / Sänger, Heimat, 163. 297 Standhartinger 260 (sie nennt ebd. 261 die oben aufgeführten Belege aus Cicero und Seneca). 298 Cicero: „Nach der Meinung der Stoiker wird unsere Welt durch göttliches Walten regiert (mundum autem censent regi numine deorum); sie sei gewissermaßen gemeinsame Stadt und gemeinsamer Staat der Menschen und Götter (quasi communem urbem et civitatem hominum et deorum), und jeder einzelne von uns sei ein Stück dieser Welt (eius mundi partem).“ Seneca unterscheidet zwei Gemeinwesen und schreibt zum ersten Gemeinwesen: „Das eine ist groß und wahrhaft allgemein, in dem Götter und Menschen ihren Platz haben (qua dii atque homines continentur) und in dem wir nicht dieses oder jenes Eckchen beachten müssen, sondern die Grenzen unseres Staatsgebiets am Umlauf der Sonne messen (sed terminos civitatis nostrae cum sole metimur).“ 299 Standhartinger 260. 300 Standhartinger 261.

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Eine raumsensible Lektüre des Philipperbriefes

Ausrichtung auf den erhöhten Kyrios läuft (2,10–11), zeigt die Raumzuordnung in 3,18–21 eine dynamische Komponente. In scharfer Abgrenzung von der rein irdischen Raumorientierung der (potentiellen) Gegner sieht Paulus für die Menschen „in Christus“ himmlische und irdische Wirklichkeit, irdisches Leben und himmlisches Gemeinwesen bereits gegenwärtig untrennbar miteinander verwoben. Die Lokalisierung des Gemeinwesens in den Himmeln erinnert daran, dass die neue Bürgerschaft in der himmlischen Wirklichkeit Gottes, in seiner Herrschafts- und Werteordnung, gründet. In Anbetracht der dynamischen Grundanlage der paulinischen Raumvorstellung erscheint das Politeuma bereits gegenwärtig nicht mehr allein auf den Himmelsraum beschränkt zu sein. Die Menschen im grenzüberschreitenden Raum „in Christus“ haben aktuell schon angeldhaft Anteil an diesem im Himmel gründenden Gemeinwesen. Dessen heilvolle Wirklichkeit ist durch Jesus in die irdische Realität eingebrochen und hat dort tatsächlich Raum zu fassen begonnen. Im Briefganzen spielt die Politeuma-Aussage zudem hintergründig auch auf den menschlichen Beitrag für die irdische Gestaltwerdung dieser neuen Bürgerschaft an, deren Urbild das Gemeinwesen in den Himmeln ist. Der PoliteumaBegriff lenkt nämlich den Blick zurück auf die zentrale Aufforderung aus 1,27: μόνον ἀξίως τοῦ εὐαγγελίου τοῦ Χριστοῦ πολιτεύεσθε.301 Paulus schreibt dieser Inverantwortungnahme, welche die Paränese im Philipperbrief grundständig prägt, in 3,20 einen neuen Gedanken ein. Die irdische Gestaltwerdung, an welcher die Menschen „in Christus“ mitwirken, ist konsequent und durchgängig an das himmlische Urbild zurückzubinden. Das himmlische Gemeinwesen ist Hoffnungs- und Orientierungsgut und damit gleichermaßen Heilsgut, Motivation und Korrektiv. Die Notwendigkeit für eine solche Rückbindung oder Rückversicherung ergibt sich aus den realen Erfahrungen und Herausforderungen der neuen Gemeinschaft „in Christus“ in Philippi. Neben überaus positiven Erfahrungen wie der erfolgreichen Umsetzung des Gehorsams (2,12) gehören zum Erfahrungsspektrum der Gemeinde aber auch Konflikte unter Gemeindemitgliedern sowie mögliche gemeindliche Destabilisierungen; zudem ist die Gemeinde von ihrem Gründer räumlich abgeschnitten. Die raumübergreifende, gemeinsame Ausrichtung auf das himmlische Gemeinwesen („wir“) ermutigt die Gemeinde, sich diesen aktuellen Konflikten zu stellen und in stetiger Rückversicherung am Politeuma in den Himmeln diese Konflikte zu bearbeiten und das neue Leben „in Christus“ ungeachtet aller inner- und außergemeindlichen Herausforderungen zu 301 Nach Ansicht von Ebel, πολίτευμα 163 macht das briefinterne Zusammenspiel zwischen 1,27 und 3,20 Folgendes deutlich: Paulus folgert aus der Verortung des Politeuma im Himmel „jedoch nicht, dass die ‚Himmelsbürger‘ ihr irdisches Dasein in Passivität und reinem Abwarten verbringen sollen“; Standhartinger, ‚Join in imitating me‘, 423 stellt die Annahme einer Querverbindung zwischen 1,27 und 3,20 infrage: „πολιτεύεσθαι and πολίτευμα have different connotations in Philippians“.

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realisieren. Die himmlische Verortung macht klar, dass das Urbild dieser neuen Bürgerschaften dem Zugriff sämtlicher irdischer Machthaber völlig entzogen ist und einzig und allein unter der Verfügungsgewalt Gottes und des (Parusie-) Kyrios steht. Der Ausblick auf die Parusie stellt eine erneute Raumgrenzenüberwindung durch den Kyrios in Aussicht, in welche Paulus sich zusammen mit seinen Adressaten einbezogen wissen möchte. Diese Hoffnung deutet er in der Verwandlungsaussage in 3,21 an (μετασχηματίσει): Der erhöhte Kyrios möge als σωτήρ „unseren Leib der Niedrigkeit“ (τὸ σῶμα τῆς ταπεινώσεως ἡμῶν)302 seinem verherrlichten Leib gleichgestalten (σύμφορον τῷ σώματι τῆς δόξης αὐτοῦ).303 Diese sich spätestens bei der Parusie vollziehende Gleichgestaltung mit dem Kyrios-Leib bildet die Grundlage dafür, dass die Menschen endgültig in eine nicht endende Heilsgemeinschaft mit Christus eintreten können. Der auf Erden angeldhafte und vorläufige Zustand „in Christus“ wird spätestens durch das Heilshandeln des Parusiekyrios in einen Dauerzustand „mit Christus“ überführt (vgl. 1,23). Der Apostel unterstreicht seine Überzeugung, dass der erhöhte Kyrios dazu die notwendige Kompetenz und Vollmacht hat (ὑποτάξει αὐτῷ τὰ πάντα). In dieser Machtzuschreibung schwingt angesichts der politischen Obertöne des σωτήρ-Begriffs304 auch der Gedanke einer absoluten Überordnung über sämtliche irdische Machthaber mit, welche aktuell noch massiv auf die Menschen „in Christus“ einwirken können (z. B. Inhaftierung des Apostels). Dabei ist die Vorstellung des Retters, der aus dem himmlischen Politeuma kommt, „mehr als eine direkte Replik auf den Kaiser in Rom“305. Es steht die Überzeugung im Hintergrund, dass die Aufgabe des σωτήρ „in der Restitution im Hinblick auf die Gesamtheit der politischen Bürgerschaft besteht“306. 302 In der Hoffnungsaussage in 3,21 nimmt Paulus den Schulterschluss mit seinen Adressaten („uns“) auf jener realweltlich-leiblichen Ebene vor, auf welcher sie momentan mit allen Beschwernissen und Herausforderungen gemeinsam stehen, und zwar auf der Ebene des irdischen Lebens in Niedrigkeit. Während etwa Gnilka 207 an die „hinfällige, auf den Tod zustrebende leiblich-irdische Existenz des Menschen“ denkt, akzentuiert Standhartinger 263 situativkonkreter: „Die Wirklichkeit antiker Gefängnisse und der Hinweis auf das gemeindliche Leiden für Christus […] lassen eine sehr viel konkretere Vorstellung von den leiblichen Schmerzen und Leiden gewinnen, die hier im Blick sein müssen“ (siehe auch Tamez 100). 303 Die Hoffnung auf eine postmortale Existenz in einem Herrlichkeitsleib reflektiert ­Oakes, Heroization, 274 auf dem Hintergrund der in Philippi lebendigen Erwartung einer Heroisierung von Verstorbenen: „Representation of the deceased in heroized bodily form, including that of the Thracian Rider hero / deity, was sufficiently common around Philippi for heroization to provide a likely model for the Philippian Christians’ understanding of the bodily transformation of 3:21“. Ein Unterschied bestünde darin, dass Paulus in 3,21 „an event at the eschaton“ beschreibe „rather than at death“; ausführlich zu Mitweltvorstellungen bezüglich der Heroisierung von Verstorbenen und deren epigraphischer Darstellung ebd. 255–272. 304 Siehe nur Standhartinger 262. 305 Standhartinger 262. 306 Standhartinger 262.

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Eine raumsensible Lektüre des Philipperbriefes

Im Vergleich mit 1,6.10 und 2,10–11 setzt die Thematisierung der unbegrenzten Herrschermacht Jesu in 3,20–21 spürbar christozentrischer an und benennt das Gotteslob nicht ausdrücklich als letztes Ziel der Herrschaftsausübung Jesu. Diese christozentrische Fokussierung lässt sich als Reflex auf die unmittelbar zuvor skizzierte „Gegnerposition“ begreifen. Wenn Paulus seine (potentiellen) Gegner in 3,18 als Feinde des Kreuzes Christi zeichnet (τοὺς ἐχθροὺς τοῦ σταυροῦ τοῦ Χριστοῦ), lässt er sie genau jenes Ereignis in Abrede stellen, welches der Philipperhymnus durch den kausalen Anschluss in 2,9 als eine Voraussetzung für die kosmische Raumhoheit Jesu ausweist (διὸ καὶ ὁ θεὸς αὐτὸν ὑπερύψωσεν): Auch weil Jesus gehorsam war bis zum Tod am Kreuz, hat Gott ihn mit universaler Raumhoheit ausgestattet; und diese Raumhoheit ermöglicht es Jesus, seinen neuen Heilsraum zu konstituieren und aufrecht zu erhalten. Macht man an dieser Stelle einen Schnitt und schaut auf die Ausführungen zu Phil 3 zurück, legt es sich angesichts des gewählten Ausgangspunktes nahe, die Beobachtungen in einem Gliederungsentwurf zu bündeln. Dieser berücksichtigt in besonderem Maße raumthematische Komponenten und führt ferner die bislang noch losen Fäden zur Textgliederung zusammen: 3,2–4

3,5–14

Einleitung und erste Grenzziehung

Autobio­ graphisches

3,2

Auftaktmahnung zum Hinschauen auf die Gegner mit dem Ziel der Grenzziehung zwischen den Adressaten und den Gegnern, die anders als Paulus gleichzeitig in Philippi sind („Ihr“ ↔ „Sie“ in Philippi).

3,3

Erster direkter Schulterschluss des Briefschreibers mit den Adressaten („Wir“) zur Überbrückung der räumlichen Trennung zwischen Paulus und den Adressaten in Abgrenzung zu den in Philippi anwesenden Gegnern („Wir“ ↔ „Sie“).

3,4

Überleitung zu den autobiographischen Ausführungen mit der Überbietungsaussage (ἐγὼ μᾶλλον) als Vorzeichen vor den Ausführungen in 3,5–6.

3,5–6

Paulus’ Rückblick auf seine jüdische Herkunft, seine pharisäische Vergangenheit und sein Engagement gegen die Ekklesia.

3,7–11

Neubewertung der gesamten Lebensausrichtung im Horizont des Christusereignisses mit einem fragenden eschatologischen Ausblick.

3,12–14 Noch nicht am Ziel.

Raumpolitik im Briefkorpus (1,12–4,20)

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3,15–16 Zweiter direkter Schulterschluss mit den Adressaten mit Verweis auf die gemeinsame Geisteshaltung („Wir“) und die Notwendigkeit, gemeinsam am Erreichten unbedingt festzuhalten. Mit diesem Schulterschluss bereitet Paulus die zentrale Aufforderung zur Mimesis vor. 3,17 Aufforderung zur Nachahmung Christi („Ihr“) als gemeinsame Ausrichtung des Paulus und der Adressaten über die räumliche Trennung hinweg (impliziert: „Wir“). 3,18–21 Zweite Grenz3,18–19 Erneute Bezugnahme auf die Gegner und klare ziehung und (+ 20) Unterscheidung zwischen den je räumlichen eschatologischer Orientierungen: Die rein irdisch gesinnten Gegner – die die Grenzen des Erdenraums Ausblick überschreitenden Menschen ἐν κυρίῳ. 3,20–21 Dritter direkter Schulterschluss („Wir“) in der Ausrichtung auf das im Himmel gründende und durch Christus in die Welt eingebrochene Gemeinwesen und auf die Hoffnung auf endzeitliche, postmortale andauernde Gemeinschaft mit dem erhöhten Kyrios in Abgrenzung zu den Gegnern, denen endzeitliches Verderben droht. 3,15–17 Einladung zur Nachahmung

3.2.6 Korpusmitte 5 (4,1–9): Gemeindlicher Praxistext mit Außenwirkung Der raumthematische Beitrag von Korpusmitte 4,1–9 lässt sich folgendermaßen umreißen: In diesem Briefabschnitt äußert Paulus seinen Wunsch, dass die Werteordnung im neuen Heilsraum „in Christus“ durch das Wirken der Gemeinde für alle Menschen erfahrbar werde. Mit dem Rekurs auf eine universale Außenwirkung setzt er seine Anstöße etwa aus 1,27–30 oder 2,15 fort. Er beritt zudem eine neue Ebene, wenn er die in der Gemeinde praktizierte Herrschertugend der Milde und Nachsicht zentral setzt. Diese Zentralsetzung stellt die hoheitliche und herrschaftliche Dimension der neuen Existenz „in Christus“ vor Augen, ohne die aktuellen Bedrängniserfahrungen auszublenden. Nicht von ungefähr fängt er seinen Wunsch auf Handeln der Gemeinde in universaler Breitenwirkung christologisch ab. Er stellt den Kyrios in seiner raum-zeitlichen Nähe vor Augen. Dies erinnert gleichermaßen an die Parusie und an die bereits gegenwärtige Nähe und Erfahrbarkeit des Kyrios. Die Verheißung der Nähe des Kyrios hat das Potential, die Gemeinde trotz (potentieller) (Gegner-)Anfragen zu ermutigen, unerschrocken den Heilsraum „in Christus“ sozial erfahrbar zu machen. In diesem raumgestalterischen Handeln agiert die Gemeinde in enger Abstimmung und Verzahnung mit Gott und Jesus (Gott-menschliche Interaktion).

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Eine raumsensible Lektüre des Philipperbriefes

Nach der konzentrierten Auseinandersetzung mit Gemeindeinterna in 4,2–3 weitet Paulus den Blickwinkel massiv aus307 und buchstabiert das von der Gemeinde eingeforderte Verhalten in seiner Außenwirkung durch.308 Dabei steckt der Apostel den Verbreitungsradius in 4,5a nicht geringer ab als auf πᾶσιν ἀνθρώποις: Allen Menschen soll die Milde und Nachsicht der Gemeinde in Philippi bekannt werden (τὸ ἐπιεικὲς ὑμῶν)309. Dieser Wunsch verschränkt Zuschreibung und Mahnung überaus eng miteinander. Paulus schreibt der Gemeinde zu, mit Milde zu agieren. Diese Zuschreibung birgt zugleich die Aufforderung, die geübte Praxis fortzusetzen. So kann die Milde als Verdichtung der Verhaltensweise „in Christus“ von allen erfahren werden. Nicht nur in der biblischen Tradition gilt Milde (τὸ ἐπιεικές) als „Ausdruck von Würde und Hoheit“310. Ein hierarchisches Gefälle ist insbesondere dann unübersehbar, wenn Milde von Gott oder irdischen Herrschern geübt wird. In der römischen Mitwelt ist etwa an die clementia Caesaris als Herrschertugend zu denken.311 Plinius, Nat. Hist. 7.26.93 konstatiert Caesars Milde: „An Caesar mag eine besondere Eigentümlichkeit außer dem schon oben Gesagten die hervorragende Milde (clementiae insigne) gewesen sein, in der er alle so weit übertraf, dass er es bereuen musste (qua usque ad paenitentiam omnes superavit)“ (Übersetzung: Roderich König).312 Augustus, Res Gestae 34 erklärt: „Für dieses mein Verdienst wurde ich auf Senats­ beschluss Augustus genannt, die Türpfosten meines Hauses wurden öffentlich mit Lor-

307 Die Aussagen in 4,4–9 gehören eng zusammen und lassen sich in die zwei Reihen 4,4–7 und 4,8–9 unterteilen (mit Fee 400); ihre rhetorisch-strategische Funktion besteht darin, „to sum up and bring to a point the main message of Paul’s letter“ (Bockmuehl 245). 308 Die Tendenz zur Universalisierung hat auch Spuren im Aufruf zur Freude in 4,4 hinterlassen, welcher gegenüber 3,1 um πάντοτε erweitert ist. Durch diese zeitliche Universalisierung wird die Aufforderung zur Freude für Holloway 183 zu „a general maxim“ (eine vergleichbare Universalisierungstendenz beobachtet er ebd. Anm. 12 auch in 1Thess 5,16–22); siehe zudem noch die adverbiale Näherbestimmung ἐν παντί in der Gebetsmahnung in 4,6 (zu den Bezugsmöglichketen siehe nur Holloway 183 Anm. 17 mit einem Votum für ein temporales Verständnis: „immer“). 309 Einen Überblick über zahlreiche Verständnisvorschläge des als Nomen fungierenden Adjektivs ἐπιεικής in 4,5 bietet Reumann 611–613. 310 Popkes, Aussage, 250. 311 Für die Adressaten des Philipperbriefes vermutet Reumann 613: „They would have known the clementia Caesaris“ (Kursivdruck im Original). 312 Vgl. auch Plutarch, Caesar 57: „… und wenn die Römer der Clementia (τῆς Ἐπιεικείας) einen Tempel geweiht haben, um ihrer Dankbarkeit für seine Milde (sc. Caesar) (ἐπὶ τῇ πρᾳότητι) Ausdruck zu geben, so war dieser Beschluss, wie es scheint recht wohl begründet“; ein strategisches Moment einer solchen Haltung deutet Caesar bei Cicero, Ep. ad Att. 9.7 selbst an (allerdings ohne explizite Erwähnung der clementia): „Haec nova ratio vincendi, ut misericordia et liberalitate nos muniamus (mit Barmherzigkeit und Großmut wollen wir uns sichern; das sei unsere neue Art zu siegen)“; unmittelbar zuvor hat er seine Absicht zu größter Milde (lenissimum) im Umgang mit den Corfiniern und Pompeius bekundet.

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beer geschmückt, der Bürgerkranz über meinem Tor angebracht sowie ein goldener Schild in der Curia Iulia aufgehängt, den mir Senat und Volk von Rom widmeten ob meiner Tüchtigkeit, Milde, Gerechtigkeit und Pflichttreue (virtutis clementiaeque iustitiae et pietatis – ἀρετὴν καὶ ἐπείκειαν καὶ δικαιοσύνην καὶ εὐσέβειαν), wie die auf diesem Schild angebrachte Inschrift bezeugt“ (Übersetzung: Ekkehard Weber).313 Im jüdischen Bereich sprechen von der Milde Gottes beispielsweise 1Kön 12,22: „Aus Güte (ἐπιεικέως) hat euch der Herr zu seinem Volk erwählt.“ 2Makk 2,22: „Der Herr war ihnen mit seiner ganzen Milde gnädig (μετὰ πάσης ἐπιεικείας ἵλεω).“ Weish 12,18: „Du aber, der über Kraft gebietet, richtest mit Milde (ἐν ἐπιεικείᾳ κρίνεις).“ Aussagen über die Milde irdischer Könige finden sich etwa in 3Makk 7,6: „Wir (sc. König Ptolemaios Philopator) aber drohten ihnen ganz heftig wegen dieser Vorfälle und schenkten ihnen gemäß der Milde (κατὰ ἐπιείκειαν), die wir gegen alle Menschen hegen, mit Mühe das Leben.“ Josephus, Ant. 15.14: „Als nun Hyrkanus in das Land der Parther geführt worden war, behandelte ihn der Partherkönig Phraates, der von seiner vornehmen Abstammung gehört hatte, mit großer Milde (ἐπιεικέστερον).“

Vor dieser Mitwelt-Folie weist der paulinische Wunsch in 4,5a auf die Würdestellung der Menschen „in Christus“ hin. Diese neue Würde sollen sie durch Milde und Nachsicht – verstanden als Herrscherprivilegien – vor allen Menschen zur Anschauung bringen. Paulus möchte die Gemeinde dazu führen, dass sie eingedenk ihrer Würdestellung nachsichtig und mild auf mögliche Bedrängniserfahrungen reagiert.314 Eine nachsichtige Reaktion ist in den Augen des Apostels nicht Ausdruck von Schwäche und Unterlegenheit, sondern Verkörperung einer neuen Hoheit „in Christus“315. Der Wunsch, die geduldig-standhafte und herrschaftliche Milde der Philipper möge allen Menschen bekannt werden, erfährt mit ὁ κύριος ἐγγύς in 4,5b eine christologische Fortschreibung. Ohne mit dieser Kyriosaussage den vorgängigen Wunsch ausdrücklich zu begründen,316 lässt der Apostel doch seine Überzeugung anklingen, dass gerade die raum-zeitliche Nähe des erhöhten Kyrios die hoheitliche Milde trotz möglicher Anfeindungen für die Gemeinde lebbar macht.317 Der 313 Siehe ferner noch Seneca, De Clem. 314 ἐπιεικές zeigt mit Giesen, Art. ἐπιεικής, 66 auch den Sinn einer „demütigen geduldigen Standfestigkeit“ (mit Verweis auf Weish 2,19). Die Facette „Standfestigkeit“ machen etwa auch O’Brien 487 oder Reumann 611 („patient steadfastness“) stark. 315 Für Bockmuehl 245 ist ἐπιεικές „a quality of godliness that derives from the character of the Lord himself.“ 316 Abwägungen zu den Bezugsmöglichkeiten z. B. bei Popkes, Aussage, 251–252. 317 Die in der (älteren) Auslegung wiederholt aufgeworfene Frage, ob ἐγγύς eher zeitlich zu verstehen ist und auf die nahe endzeitliche Wiederkehr Christi rekurriert oder aber doch

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Eine raumsensible Lektüre des Philipperbriefes

Apostel schaut mit der Aussage ὁ κύριος ἐγγύς auf die Parusie Jesu voraus und erinnert zur gleichen Zeit daran, dass der Kyrios trotz seines gegenwärtigen Aufenthalts im Himmel nicht unerreichbar weit von der Gemeinde entfernt ist. Er ist für Gemeinde, die ihren Platz ohnehin ja „in Christus“ hat, erreichbar318 und jederzeit in der Lage, die räumliche Distanz zu überbrücken. Bei seiner Parusie wird er sich seinen Weg aus dem Himmel heraus bahnen und alle noch bestehenden räumlichen Trennungen endgültig aufheben (vgl. 3,20b–21). Die präsentische Dimension dieser Christusaussage, d. h. die Idee einer bereits gegenwärtigen wirkmächtigen Nähe des erhöhten Kyrios gewinnt für die Gemeinde in Philippi erheblich an Überzeugungskraft, sobald sie diese Idee mit einer politischen Alltagserfahrung korreliert. Konkret geht es um die Erfahrung, dass der römische Kaiser in Philippi zwar nicht selbst leiblich „vor Ort“ ist, seine Macht dort aber sehr wohl spürbar zur Geltung bringen kann. Von daher ist der Gemeinde klar: Spürbarer Einfluss setzt nicht notwendigerweise eine leibliche Gegenwart voraus. Dieses landläufige Erfahrungswissen steigert die Überzeugungskraft der paulinischen Kyriosaussage erheblich, erweist sie sich doch von der Alltagserfahrung gedeckt. Damit kann die Kyriosaussage ihr Motivationspotential voll entfalten und die Menschen „in Christus“ vor Ort in der römischen Kolonie Philippi stärken, ihre Güte vor aller Welt bekannt werden zu lassen. Die Alltagserfahrung katalysiert aber nicht nur die Überzeugungskraft der Kyriosaussage, sondern wird durch diese Aussage zur gleichen Zeit völlig umgeprägt. Paulus stellt der Gemeinde die „jederzeit aktualisierbare Nähe des wahren Kyrios“319 vor Augen, welche für den Apostel sämtliche konkurrierende Präsenzansprüche irdischer Machthaber inklusive des römischen Kaisers in den Schatten stellt. So sehr Paulus davon überzeugt ist, dass die Nähe des Kyrios für die Menschen „in Christus“ bereits gegenwärtig erfahrbar ist, so deutlich weiß er aber auch zwischen unterschiedlichen Intensitätsgraden der Begegnung mit dem erhöhten Herrn zu unterscheiden. Bei der endzeitlichen Wiederkunft kommt es gegenüber dem Jetzt-Zustand zu einem qualitativen Mehr, da es zu einer unmittelbaren personalen Begegnung mit dem Kyrios Jesus Christus kommt.320 Aus dieser Begegnung kann sich für die Menschen „in Christus“ ein endloses Zusammensein eher die gegenwärtig helfende räumliche Nähe des Kyrios im Blick hat, erweist sich als künstliche Trennung. Für Paulus gehören diese beiden Dimensionen unbedingt zusammen: O’Brien 488–489 nennt zeitliche und räumliche Auslegung gleichermaßen „theologically correct“ (ebd. 489). Deswegen sei es „unnecessary“, zwischen ihnen zu wählen (so etwa auch Focant 187); nach Ansicht von Hawthorne / Martin 245 hat Paulus das Wort ἐγγύς „with all ist ambiguity precisely“ gewählt, um zeitliche und räumliche Facetten gemeinsam anklingen zu lassen; einseitig temporal denkt in jüngerer Zeit etwa Pitta 282–283. 318 So auch Popkes, Aussage, 251. 319 Popkes, Aussage, 251. 320 Für diejenigen, welche vor der Parusie sterben, hofft Paulus auf eine Begegnung mit dem Kyrios im unmittelbaren Anschluss an den Tod (siehe 1,23).

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σὺν Χριστῷ ergeben.321 Dieses himmlische Zusammensein betrachtet der Apostel als Intensivierung und Verendgültigung der bereits gegenwärtig bestehenden Christuserfahrung auf Erden. Die Vergegenwärtigung der raum-zeitlichen Nähe des Kyrios strahlt auf die unmittelbar folgende Aufforderung in 4,6 aus. Es entsteht der Eindruck, diese Aufforderung buchstabiere den Gedanken der Nähe für die Beziehung zwischen der Gemeinde und Gott selbst durch: „Sorgt euch um nichts (μηδὲν μεριμνᾶτε) und lasst eure Bitten durchweg (ἐν παντί) betend und flehend mit Dank vor Gott kundwerden (γνωριζέσθω πρὸς τὸν θεόν).“322 Für die Gemeinde im entgrenzten Heilsraum „in Christus“ ist auch Gott selbst in greifbarer Hör- und Reichweite. Dementsprechend darf sie zuversichtlich umso mehr darauf vertrauen, dass Gott ihre Bitten tatsächlich (er-)hört und ihren Weg gemeinsam mit dem Kyrios Jesus vom Himmel aus begleitet.323 Die Hoffnung auf eine raumgrenzenüberwindende göttliche Wegbegleitung illustrieren die Verse 4,7–9 am Beispiel „Frieden“ und balancieren die Gott-menschlichen Handlungsverantwortlichkeiten genau aus. Den Aufschlag macht die Friedensaussage in 4,7, welche den Frieden Gottes nahezu personifiziert vorstellt. Damit ist daran erinnert, dass Friede „not merely something external to God“ ist. Friede ist vielmehr „something which he both ‚has‘ and ‚is‘ in himself “324. Paulus schreibt diesem Frieden die Aufgabe zu, die Gemeinde „in Christus Jesus“ ganzheitlich325 zu behüten (φρουρήσει)326. In dieser Aufgabenzuschreibung schwingt ein politischer Unterton mit: „Paul pictures God’s peace as a garrison keeping guard over the Philippians’ hearts and minds, protecting them from all assaults“327.

321 Bei aller Betonung der Kontinuität zwischen gegenwärtiger Anteilhabe und künftiger Vollendung darf nicht übersehen werden, dass für Paulus selbst aus einem konsequenten Leben „in Christus“ kein Anspruch auf endgültige Heilszuwendung erwächst. Es bleibt ein göttlicher Entscheidungsvorbehalt. 322 Siehe zu den unterschiedlichen Bedeutungsfacetten von προσευχή und δέησις sowie von μετὰ εὐχαριστίας nur Popkes, Aussage, 252 und (mit Erwägungen, solche semantischen Differenzen im aktuellen Kontext nicht überzubewerten) Bockmuehl 247. 323 Die Gemeinde soll darum, wissen, „daß der Christ ständig Audienz bei Gott suchen darf “ (Popkes, Aussage, 252). 324 Bockmuehl 247 (beide voranstehende Zitate); vgl. auch Focant 187 (bei seiner Auslegung von 4,9): „Dieu ne se contente pas de souhaiter la paix; il en est lui-même l’auteur, la source, l’origine et le fondement“. 325 Herz und Gedanken beschreiben „als Hendiadyoin die Gesamtheit des Menschen“ (Standhartinger 275; ebd. 275–276 zur varia lectio „eure Körper“ für „eure Gedanken“). 326 Das Verb φρουρέω „beschreibt die Aufgabe von Wächtern und Wachmannschaften“ (Standhartinger 275). 327 O’Brien 498. Er nennt φρουρήσει ebd. „a vivid military term used of a detachment of soldiers who stand guard over a city and protect it from attack“. Ferner: „Since the city of Philippi was guarded by a Roman garrison at the time, the metaphor would have been easily understood and appreciated by the readers“; vgl. noch Bockmuehl 248.

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Eine raumsensible Lektüre des Philipperbriefes

Über die Friedens- und Wachmannschaftsmetaphorik sucht der Apostel den Frieden Gottes als die bessere Alternative gegenüber der Pax Romana und deren (staatlichen) Wächtern zu präsentieren.328 Der Friede Gottes umfasst Himmel und Erde und beschützt den einzelnen Menschen unversehrt in seiner Ganzheit; auf der Spur des hebräischen Schalom ist an das umfassende Heilswirken JHWHs zu denken.329 Meine Annahme, dass der Apostel dieses göttliche Heilswirken330 in 4,7 als freie Reaktion auf ein menschliches Handeln präsentiert,331 fußt wesentlich auf Beobachtungen zur syntaktischen Koordination von 4,4–6 zu 4,7. Schreibt man der Konjunktion καί am Beginn von 4,7 eine schlussfolgernde Bedeutung zu,332 zieht Paulus mit der dortigen Aussage über das göttliche Schutzhandeln die Konsequenz aus der vorgängigen Betonung der menschlichen Handlungsverantwortung. Agieren die Menschen ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ gemäß den dortigen Wertvorstellungen und lassen sich nicht von irdisch-alltäglichen Sorgen beeinträchtigen (vgl. 4,4–6), dann (καί) unterstützt und sichert Gott diese Handlungsweise durch seinen Schutz ab.333 Die Zuordnungsweise von menschlichem und göttlichem Handeln aus 4,4–7 kehrt in den beiden Folgeversen nochmals wieder. Paulus dupliziert in 4,8–9 die Vv.4–7 insofern, als er seine Adressaten in 4,8–9a zunächst zum Handeln auffordert (ταῦτα λογίζεσθε und ταῦτα πράσσετε) und anschließend in 4,9b die göttliche Reaktion schildert. Diese ist wie schon in 4,7 durch schlussfolgerndes καί eingeleitet. Beim direkten Vergleich dieser beiden parallel angelegten Kurz-

328 Siehe zur politischen Dimension der Friedensaussage in 4,7 als Kontrast zur Pax Romana nur Popkes, Aussage, 253. 329 Angelehnt an Hoppe, 1Thess, 333. Dieser Friede umschließt für Walter 94 irdisches und himmlisches Heil. 330 Bockmuehl 247 stellt zutreffend heraus: „Peace is always the gift of God rather than humanly devised or achieved“. 331 Die Zuordnungsweise in 4,7 ist nicht der Modus der paulinischen Zuordnung von göttlichem und menschlichem Handeln. Sie ist ein Mosaikstein im Ringen des Apostels, beide Seite in immer neuen Anläufen auszubalancieren; die Vorgängigkeit des göttlichen Heilshandelns hat er etwa in 1,3.6 oder 2,13 herausgestellt. 332 Der Konjunktion καί in 4,7 ein eigenes Gewicht zuzuschreiben, legt sich aufgrund der Tatsache nahe, dass in 4,4–7 Verbindungspartikel weitgehend fehlen; zur schlussfolgernden Bedeutung von καί siehe Bauer, Wörterbuch, 796 s.v. καί 2f („zur Einführung d. Folge, die sich aus dem Vorhergehenden ergibt“); so z. B. auch Bockmuehl 247. 333 Die Wahl der Futurform φρουρήσει verstärkt den Eindruck, dass Paulus in Korpusmitte 5 stark vom vorgängigen menschlichen Handeln her denkt: Sobald die Gemeinde in der vom Apostel geforderten Weise agiert, ist der Gott des Friedens mit ihnen. Auf dieser Spur kann die Futurformulierung auf eine bereits bestehende Gegenwart verweisen: Den Schluss, inwiefern der Gott des Friedens bereits gegenwärtig mit ihnen ist, müssen die Philipper selbst ziehen. Paulus hat sie in 2,12 auf ihrem aktuellen Weg bestärkt und ihnen anhaltenden Gehorsam als Christusmimesis attestiert.

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abschnitte 4,4–7 und 4,8–9 ist zudem eine klimaktische Anlage zu erkennen.334 Gegenüber 4,4–6 kommt es in 4,8–9a zu einer noch weitergehenden Generalisierung der Handlungsaufforderungen. Für Markus Bockmuehl macht Paulus damit Folgendes deutlich: Die Anweisungen für das Leben „in Christus“ können „at least in part be formulated in openly accessible terms“. Anders als in der vergleichbar strukturierten Aussage in 2,1 bringe der Apostel in 4,8 nichts spezifisch Christliches ein. Er biete vielmehr „a cross-cultural Christian exhortation in the language of Philippi“. Das Leben „in Christus“ stehe nicht „aloof from an accessible vision of beauty, truth and goodness“335. Bei der Konkretisierung der neuen Gesellschaftsordnung ermutige Paulus seine Adressaten in 4,8–9, „in terms of the highest standards of culture and morality known to their society“336 zu denken. Bündelt man die vorgetragenen Beobachtungen, bleibt unter raumthematischer Perspektive Folgendes festzuhalten: In Fortschreibung seiner Bemühungen etwa aus 2,3 demonstriert Paulus in Korpusmitte 5, dass die Handlungen, welche den neuen Heilsraum „in Christus“ konstituieren, auch anschlussfähig an zeitgenössische Tugendvorstellungen sind. Der Apostel balanciert diese Anschlussfähigkeit dadurch aus, dass er über die ἐν κυρίῳ-Aussagen an das Christusereignis (in seiner Deutung) als das entscheidende Vorzeichen erinnert. Dieses Vorzeichen sorgt für die Eigenständigkeit des neuen Heilsraums und seine Unterscheidbarkeit von der Mitwelt. Der gleichzeitige Aufweis von Anschlussfähigkeit und Neujustierung „in Christus“ verdeutlicht, dass die briefliche adscriptio mit den Verortungen „in Christus“ und „in Philippi“ nicht zwei völlig getrennte Welten voneinander abgrenzt. Paulus denkt an eine Überbietung der Mitwelt: Die auch im nicht-christlichen Philippi bedeutsamen Tugenden wie Rechtschaffenheit (ἀληθής) oder „Wertschätzung innerhalb der staatlichen Öffentlichkeit“337 (προσφιλής) sind vom Christusereignis her zu leben und folglich unter der Prämisse eines Absehens von Statusbewahrung oder Statusverbesserung (vgl. 2,6) zu realisieren.338 334 Die klimaktische Anlage der Mahnungen in 4,4–9 zeigt sich auch daran, dass die hochgradig personal zugespitzte Gottesaussage in 4,9b den theozentrischen Fluchtpunkt der gesamten Ausführungen in Korpusmitte 5 bildet. Durch die Umkehr von Nomen rectum und Nomen regens ist an die Stelle der Rede vom εἰρήνη τοῦ θεοῦ aus 4,7 die Gottesbezeichnung ὁ θεὸς τῆς εἰρήνης getreten (siehe Test XII Dan 5,2). Gott ist jetzt anders als noch in 4,7 als Person auf der Textoberfläche unmittelbar präsent. Die personale Anwesenheit dieses ganz am Schalom orientierten Gottes spricht Paulus seinen Adressaten als sichere Konsequenz ihres tugendsamen Agierens zu (καί … ἔσται) und lässt damit diesen Briefabschnitt und die gesamte Korpusmitte enden. 335 Die Zitate dieses Abschnitts: Bockmuehl 250 (Kursivdruck im Original). 336 Bockmuehl 254. 337 Standhartinger 278. 338 Nach Popkes, Aussage, 256 macht Paulus in 4,4–7 deutlich, „wie man sich in und gegenüber einer problematischen Umgebung christlich überzeugend verhält, indem man sie nämlich

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Dabei agieren die Gemeindemitglieder unbeschadet ihrer bleibenden Hinordnung auf den Kyrios Christus insofern als Herrschende, als sie ihren Mitmenschen sowohl gemeindeintern als auch gemeindeextern (= πᾶσιν ἀνθρώποις) mit „kaiserlichen Tugenden“ wie Milde, Güte und einer „noble[n] großzügige[n] Gesinnung“ begegnen.339

3.2.7 Korpusabschluss (4,10–20): Weit mehr als eine Empfangsbestätigung Im Abschlussabschnitt des Briefkorpus quittiert Paulus den Empfang der Gabe der Philipper, welche ihm von Epaphroditus überbracht wurde (4,18).340 Raumthematisch sind folgende Gesichtspunkte von Belang: (1) Der Abschnitt 4,10–20 ist klimaktisch angelegt. Diese Grundanlage kommt dadurch zustande, dass Paulus nach der Auftaktverortung ἐν κυρίῳ mit ihrer Implikation von Raumgrenzenüberwindung durch die „Ich ↔ Ihr“-Sprechrichtung über weite Strecken die Raumtrennung abbildet. Von daher fällt der enge Schulterschluss mit der Gemeinde in der Doxologie in 4,20 umso stärker ins Gewicht. Er erweist sich als markanter Fluchtpunkt der Konzeptionalisierung von Raum und Raumzuordnungen im Briefkorpusabschluss und prägt kurz vor dem Briefende das Bild der grenzenüberwindenden Familie Gottes ein. (2) Der Verweis auf die gemeindliche Gabe und ihre Überbringung aktiviert das Erfahrungswissen, dass sich Gemeinschaft auch über räumliche Distanzen hinweg herstellen und leben lässt.341 Sind schon Menschen wie der Apostel und die Gemeinde zu einem Gemeinschaftsleben mit der Überbrückung räumlicher

ethisch überbietet und ihre Werte (sofern sie akzeptabel sind, s. 4.8) positiv verwendet, um so in den gesellschaftlichen, politischen und ideologischen Auseinandersetzungen bestehen zu können“; Walter 94 spricht (vielleicht etwas lapidar) davon, dass die Gemeinde „angenehm auffallen“ soll. 339 Beide Zitate: Popkes, Aussage, 250. Er nennt ebd. als „vorzügliche Verhaltensweise“ im antiken Herrscherideal (1) mit Bezug auf Macht: Friedensstiftung und Milde, (2) mit Bezug auf Besitz: Freigebigkeit und (3) mit Bezug auf die Bildung: Weisheit. 340 Schon 1876 spricht Holsten, Brief, 164 vom „danklose[n] Dank für die angenommene Liebesgabe der Philipper“; siehe zu einer solchen Einstufung von 4,10–20 Reumann 677 und 685–686; anders z. B.  Theobald, Philipperbrief, 369. Er spricht von einem „warmherzigen Dank“ (im Original: teilweise Kursivdruck). Das Fehlen eines expliziten Danks an die Philipper, die paulinische Selbstcharakterisierung als autark (4,11), seine Rede von der Gemeinschaft auf Geben und Nehmen (ἐκοινώνησεν εἰς λόγον δόσεως καὶ λήμψεως) und die Einbeziehung Gottes (ab 4,18) provozieren Fragen nach dem Verhältnis zwischen Apostel und Gemeinde: Siehe den Fragenkatalog bei Schliesser, Paulus, 40–42. 341 In 4,16 klingt ein duratives Moment an: Paulus verweist auf die wiederholte Unterstützung der Gemeinde (καὶ ἅπαξ καὶ δίς).

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Distanzen in der Lage, darf Gott mit seiner umfassenden Raumhoheit die Stiftung und Erhaltung eines solchen Gemeinschaftslebens umso mehr zugetraut werden. Zugleich lässt der Rekurs auf die gemeindliche Gabe und auf Epaphroditus als Bindeglied zwischen den brieflichen Kommunikationspartnern daran denken, dass das Gemeinschaftserleben in der Familie Gottes für Paulus keine abstrakte, rein kognitive Größe ist. (3) Die Fürsorge der Menschen „in Christus“ füreinander macht die familiäre Gemeinschaft sozial erlebbar und lässt die Gesellschaftsordnung ἐν κυρίῳ punktuell Fuß fassen. In dieser Gestaltwerdung dokumentiert sich, dass der von Gott und Jesus initiierte Herrschaftswechsel tatsächlich schrittweise vorankommt und irdisch Raum greift. Meine Entfaltung dieser Thesen setzt bei einer briefkompositionellen Beobachtung an. Paulus bindet 4,10–20 über die persönliche Auftaktnotiz zu seiner Freude „im Herrn“ (ἐχάρην δὲ ἐν κυρίῳ μεγάλως) an die Aufrufe in 3,1 und 4,4 zurück. Ferner lässt die Auftaktnotiz den Eindruck entstehen, Paulus setze in 4,10–20 exemplarisch die von der Gemeinde eingeforderte Verhaltensweise einer unablässigen Freude ἐν κυρίῳ um (4,4).342 Nach der Auftakterinnerung an die gemeinsame Existenz im entgrenzten und entgrenzenden Heilsraum „im Herrn“343 wechselt Paulus den Blickwinkel und schaut in einem unentwegten Hin und Her zwischen den Personalformen der 1.Pers.Sg. und 2.Pers.Pl. in 4,10b–19 abwechselnd auf die Verfasser- und Adressatenseite.344 In diesem Ausleuchten der unterschiedlichen Perspektiven hebt er in 4,14 die gemeinschaftsstiftende Dimension der Gabe eigens ins Wort345 und charakterisiert die Adressaten als συγκοινωνήσαντές μου τῆ θλίψει.346 Für Paulus gewinnt die Anteilnahme der Gemeinde an seiner Bedrängnis in der Gabe eine materiell greifbare Komponente. Die Gabe lässt durch ihren Raumwechsel von 342 Auch etwa Pitta 292 sieht 4,10 durch den Einsatz von ἐν κυρίῳ mit 4,4 verknüpft ­(„collega il v. 10 al v. 4“). 343 Reumann 647 zieht eine „ecclesiological significance“ von ἐν κυρίῳ in 4,10 in Betracht; abwägend bleibt O’Brien 516. Für O’Brien zeigt Paulus mit ἐν κυρίῳ in 4,10 an „that the Lord is either the object of their rejoicing or the ground and the one in whom their joy thrives“. Den zuletzt genannten Aspekt erklärt er ebd. 350 bei der Auslegung von 3,1 folgendermaßen: „that is, you are able to rejoice because of your union with him and you do so as those who are in Christ Jesus the Lord“. 344 Dieses Alternieren wird auf inhaltlicher Ebene noch durch „a nervous alternation back and forth“ (Hawthorne / Martin 259) komplettiert, und zwar „between Paul’s apprecation“ einerseits und „his insistence on his own independence and self-sufficiency“ andererseits. 345 Mit 4,14 hebt innerhalb von 4,10–20 ein neuer Gedanke an; siehe den Überblick über unterschiedliche Gliederungsvorschläge bei Reumann 691–693 („no agreed structure for ­4:10–20, but interesting proposals abound“). 346 In der Diskussion um die Bezugsmöglichkeiten von μου schlägt Reumann 659 in seiner Übersetzung einen Bezug sowohl auf das vorangehende συγκοινωνήσαντες als auch auf das folgende τῆ θλίψει vor: „you did well in sharing together with me in my affliction“.

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Philippi zu Paulus die tatsächliche räumliche Distanz zwischen beiden Kommunikationspartnern in den Hintergrund treten. Absender und Empfänger teilen ungeachtet ihrer räumlichen Trennung gegenwärtig die paulinische Bedrängniserfahrung (μου τῆ θλίψει). Epaphroditus als Überbringer der Gabe steht wie schon in 2,25–30 als personales Bindeglied vor Augen. Er hat durch die Übergabe der gemeindlichen Gabe an den Apostel beide Kommunikationspartner (auch) auf materieller Ebene fest miteinander verknüpft.347 In Zuge dieser Distanzbearbeitung verweist Paulus auch auf das exklusive Moment seiner Beziehung zur Gemeinde in Philippi. Bei den Philippern handle es sich um die einzige Ekklesia (οὐδεμία μοι ἐκκλησία ἐκοινώνησεν … εἰ μὴ ὑμεῖς μόνοι),348 mit welcher er bereits bei seinem Aufbruch aus Mazedonien auf Geben und Nehmen verbunden war und die ihn wiederholt bei seiner Missionstätigkeit in Thessaloniki unterstützte (4,16).349 Nachdrücklich werben Jennifer Quigley and Laura Nasrallah dafür, „that the financial language of the Letter to the Philippians must be taken seriously as an indicator of human-divine as well as human-human relations“. Ihrer Ansicht nach ist „the language of need / lack and abundance / plenty […] part of a larger theo-economic world in which both gods and humans participate“. Mit diesem theo-ökonomischen Lektüreansatz suchen sie der Gefahr zu begegnen, den Topos von Fülle und Überfluss „as a mysterious effect of a movement“ zu begreifen, „that rejects the material and tends toward the transcendent and spiritual, not caring about food or money as it awaits ‚the day of Christ Jesus‘.“350

Sehr aufmerksam scheint Paulus zu registrieren, dass die wiederholte materielle Unterstützung durch die Gemeinde zu einer ausgeprägten einseitigen Abhängigkeit führen kann. Dem sucht er durch die Einbeziehung Gottes in 4,18 entgegenzusteuern. Damit macht er zum Ende von 4,10–20 die vertikale Raumachse stark, 347 Nach Schliesser, Paulus, 38 bedient sich Paulus in 4,15–18 „der Sprache des Marktes und des Bankwesens“. Ebner, Leidenslisten, 333 betrachtet εἰς λόγον in 4,15 als einen „Kontoführungsterminus“; Dibelius 96 nennt das Syntagma einen „kaufmännische[n] Ausdruck“ und stuft ἀπέχω in 4,18 als „das Quittungswort der Antike“ ein (ebd. 97; mehr z. B. bei Fee 450–451 mit Anm. 7; für Walter 99 ist Paulus’ Verwendung von ἀπέχω „wohl ein wenig scherzhaft-ironisch“). 348 Hat Paulus bei der brieflichen Zuschrift in 1,1 noch auf den Einsatz der Ekklesiabezeichnung zur Charakterisierung der philippischen Gemeinde verzichtet, trägt er diese Zuschreibung in 4,15 nach. 349 Paulus deutet in 4,15–16 seine Reiseroute an: Philippi → Thessaloniki. Diese Route nennt er auch in 1Thess 2,2 (siehe zu den dort erwähnten Leiden und Entehrungen in Philippi z. B. Hoppe, 1Thess, 135–136). Dazu passt auch die Darstellung der Apg (Überlegungen zu Tradition und lukanischer Komposition: Weiser, Apg 2, 421–431 und 443–447). In Apg 16,11–40 erzählt Lukas von der Gemeindegründung durch Paulus in Philippi und lässt seinen Paulus über Amphipolis und Apollonia nach Thessaloniki kommen (17,1–9). 350 Quigley / Nasrallah, Cost, 228; siehe ebd. 221–227 zum Überfluss-Topos in Inschriften aus Philippi.

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nachdem sich seine vorgängigen Ausführungen in diesen Versen vornehmlich auf horizontaler Ebene bewegten. In der ‚Handelsbeziehung‘ zwischen der Gemeinde und ihrem Gründer ist Gott für den Apostel der entscheidende dritte Akteur: θυσίαν δεκτήν, εὐάρεστον τῷ θεῷ. Martin Ebner erkennt in 4,18 eine chiastische Struktur351, durch welche die drei Instanzen (1) Paulus, (2) die Gemeinde mitsamt Epaphroditus und (3) Gott in ihrer jeweiligen Rolle in dieser ‚Handlungsbeziehung‘ präsentiert und unverwechselbar zugeordnet werden: 18a Paulus empfängt alles.

18c … und zwar die Gabe, die die Gemeinde gegeben hat.

Empfänger A

B’ Geber

Geber B

18b Epaphroditus hat die Gabe überbracht …

A’ 18d Empfänger Diese Gabe ist ein Opfer, welches Gott empfängt.

Der Clou der Zuordnung der Akteure besteht darin, dass Paulus sowohl sich als auch Gott als Empfänger der gemeindlichen Gabe zeichnet. Damit signalisiert er, dass die Empfängerrolle keineswegs zu einer einseitigen, unterordnenden Abhängigkeit führen muss. Im Hintergrund steht der Gedanke: Gott selbst empfängt zwar die Gabe der Gemeinde, gerät dadurch aber mitnichten in eine Abhängigkeit von den Philippern. Eine solche bleibende Unabhängigkeit und Vorordnung beansprucht Paulus auch für sich als Empfangenden. Die theozentrische Fundierung des Briefkorpusabschlusses, die mit 4,18 anhebt, erreicht in 4,19–20 ihren Höhepunkt. Außerdem schlägt die „Ich ↔ Ihr“Sprechrichtung in Vers 20 um. Diesen Umschlag bereitet die markante Zuspitzung dieser Sprechrichtung in 4,19 vor. Am Beginn dieses Verses spricht Paulus von Gott, dem das Opfer der Philipper wohlgefällig ist, zunächst pointiert als „meinem Gott“. Damit präsentiert der Apostel Gott vorläufig nicht in der Weise als Verbindungsglied zwischen Gemeinde und Apostel, dass er beide Kommunikationspartner gleichermaßen auf diesen einen Gott bezieht („unser Gott“). Vielmehr ordnet er sich diesem Gott allein eng zu („mein Gott“) und schaut erst nach dieser exklusiven Hinordnung auf die Handlungen dieses Gottes für die Philipper: ὁ δὲ θεός μου πληρώσει πᾶσαν χρείαν ὑμῶν κατὰ τὸ πλοῦτος αὐτοῦ ἐν δόξῃ ἐν Χριστῷ

351 Vgl. EBNER, Leidenslisten, 334 mit Anm. 22. Ich orientiere meine schematische Darstellung, die gleich oben im Haupttext folgt, an EBNERs Auflistung der Interaktionspartner und ihrer Relationen.

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Ἰησοῦ. Paulus integriert die Gemeinde in seine exklusive Gottesbeziehung über einen Umweg. Er spricht ihnen zu, Gott werde ihnen als Reaktion auf ihre Sorge für den Apostel auch in ihren eigenen Bedrängnissen helfen. Mit der abgestuften Einbeziehung deutet Paulus hintergründig auf eine hierarchische Zuordnung zwischen ihm, der Gemeinde und Gott hin. Er zeigt sich als Bindeglied zwischen „meinem Gott“ und der Gemeinde und erinnert die Gemeinde so erneut an seine bleibende Vorordnung (auch als Gabenempfänger). Die abschließende Präpositionalphrase ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ lässt den Gedanken anklingen,352 dass die göttliche Unterstützung, die der Gemeinde zugesprochen ist, bereits gegenwärtig anhebt.353 Wie Paulus hat auch die Gemeinde ihren Ort schon jetzt „in Christus“354 und erfährt aktuell Gemeinschaft mit dem Apostel und ihrem erhöhten Kyrios (= ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ).355 Durch diese nachklappende Verortung bindet der Apostel die Aussicht auf eine göttliche Hilfeleistung indirekt an den Verbleib der Menschen im neuen Heilsraum und damit an sich selbst als Gemeindegründer zurück. Denn dieser Verbleib ist in seinen Augen maßgeblich davon abhängig, ob sich die Gemeindemitglieder (weiterhin) an seiner Deutung des Christusereignisses ausrichten. Nach dem noch sehr zurückhaltenden Zusammenschluss mit der Gemeinde in 4,19 baut Paulus diese Dimension in 4,20 entscheidend aus, indem er mit ἡμῶν zum ersten und einzigen Mal innerhalb des gesamten Abschnittes ein Pronomen der 1.Pers.Pl. nutzt. Unter Einsatz dieses Pronomens schließt er sich in der Doxologie eng und fest mit der Gemeinde vor „unserem Gott und Vater“ zusammen 352 Mit der erneuten Verwendung einer christozentrischen ἐν-Präpositionalphrase knüpft Paulus an die Auftaktverortung dieses Abschnittes in 4,10 an und bereitet mit dem Rekurs auf die gemeinsame Verortung ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ den Schulterschluss in 4,20 vor. 353 Siehe zum Moment der bereits gegenwärtigen Unterstützung z. B.  auch O’Brien 549 („in the process of being fulfilled here and now“) oder Holloway 189 („show them favor even now“). 354 Den Gedanken, dass die kosmischen Makroräume verbunden sind, sieht auch Fee 454 in der Präpositionalphrase ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ in 4,19 berührt. 355 Der Verortung ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ geht in 4,19 die Präpositionalphrase ἐν δόξῃ unmittelbar voraus. Für Gnilka 180 ist die δόξα hier das von Paulus in Aussicht gestellte „Geschenk“ Gottes: Gott werde den Philippern „an seiner Doxa Anteil geben in Christus Jesus, und zwar jetzt sowohl wie einst“. Von daher sei δόξα hier „als das Leben gekennzeichnet, das durch Christus Jesus erschlossen ist“. Einen anderen Akzent sehen z. B. Bockmuehl 267 (mit ἐν δόξῃ sei angezeigt, dass die Reichtümer „derive from his heavenly presence and power“) oder Reumann 716 („gloriously“). Für letzteren verweist die ἐν δόξῃ-Phrase auf die eschatologische Natur der neuen Gemeinschaft ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ, „climaxing in parousia and judgment“; nochmal anders etwa Pitta 307. Er versteht ἐν δόξῃ wesentlich christologisch und davon abgeleitet ekklesiologisch: „In pratica la ricchezza di Dio si manifesterà in modo glorioso o abbondante in Cristo e per coloro che, come i filippesi, sono in lui“ (ähnlich schon Hawthorne / Martin 274); siehe als Überblick über die Forschungsdiskussion rund um den Bezugspunkt von ἐν δόξῃ und dessen Verständnismöglichkeiten: O’Brien 548–549 oder Reumann 672–673.

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(τῷ θεῷ καὶ πατρὶ ἡμῶν)356 und vergegenwärtigt jene familiäre Gemeinschaft, welche sowohl horizontale als auch vertikale Raumgrenzen zu überwinden imstande ist. Diese Doxologie fungiert gleichermaßen als Hoffnungszusage und Aufforderung. Paulus erlebt sich hoffnungsvoll gemeinsam mit seinen Philippern in der Familie Gottes verbunden und fordert diese zur gleichen Zeit auf, ihr „Amen“ zu sprechen.357 Kommen sie dieser Aufforderung nach, bestätigen sie die Einbindung in die entgrenzende Gottesfamilie, die Paulus ihnen zugesprochen hat, und geben dieser Familie „vor Ort“ im Lebensraum Philippi ein konkretes Angesicht.

3.2.8 Paulus und die Philipper: Die Raumfrage als theologische und sozialgeschichtliche Schnittstelle Paulus lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass seine Gemeinschaft mit den Philippern zwar in der freiwilligen Gabe der Gemeinde einen konkreten Ausdruck erhalten hat, aber keineswegs auf diese materielle Ebene reduziert ist. Diese Situationseinschätzung spielt in der Forschungsdiskussion eine Rolle, die das Verhältnis zwischen Apostel und Gemeinde sozialgeschichtlich zu beschreiben sucht. Eine eingehende Vorstellung und kritische Würdigung geläufiger Beschreibungsparadigmen hat Benjamin Schliesser vorgelegt.358

356 Eine Übersicht über unterschiedliche Verständnismöglichkeiten des Syntagmas τῷ θεῷ καὶ πατρὶ ἡμῶν bei Reumann 674; briefintern schreibt Paulus mit der Verwendung der VaterMetaphorik die Linie aus 1,2 und 2,11 fort (siehe zudem noch die Rede von den Kindern Gottes in 2,15). 357 Zum Abschluss der Doxologie mit Amen merkt Reumann 718 an: „Apostle and church, separated by the miles, speak together, of God“. Pitta 308 grenzt sich von einem (zu stark angehauchten) paränetischen Verständnis der Doxologie ab: „l’ asserzione di Fil 4,20 […] sottolinea la comune figliolanza e la paternità di Dio che in Cristo si è resa accessibile per i credenti“. 358 Siehe Schliesser, Paulus, 33–119. Ich beziehe mich im Folgenden wiederholt auf ihn und verweise vor allem bei der kritischen Würdigung der einzelnen Paradigmen auf seine ausgewogenen Beurteilungen; zusätzlich berücksichtige ich Bockmuehls Einschätzungen (siehe in seinem Kommentar: 34–38). Bei der Arbeit mit den Paradigmen ist mit Schliesser, Paulus, 109 unbedingt Folgendes im Hinterkopf zu halten (vgl. schon die Andeutungen bei Bormann, Philippi, 175): Die Paradigmen sind zwar weder „klar“ definierbar noch „scharf voneinander“ abgrenzbar. Dennoch erweist sich die Unterscheidung als „sinnvoll, weil die einzelnen Phänomene je eigene Spezifika aufweisen und sich auf bestimmte antike Texte und dokumentarische Quellen berufen können“. Im Einzelnen weist etwa Briones, Policy, 30 auf die „perplexing difficulty in determining the convergence or divergence of patronage and benefaction“ hin; siehe zur Diskussion um die Abgrenzbarkeit von Benefizial- und Patronatswesen nur Joubert, Paul (und derselbe, Form, 17–25) mit der Veranschlagung einer klaren Trennung und als Kritik daran Crook, Reconceptualising, 59–66.

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(1) Societas Die sozialgeschichtliche Philipperbriefforschung rekurriert wiederholt auf das Modell einer antiken societas.359 Um eine solche societas geht es beispielsweise in Cicero, Quinct.360 Sie entstand „durch Abschluß eines Konsensualvertrages (consensus) zw[ischen] zwei, manchmal auch drei oder mehr Gesellschaftern (socii), die zu Geld- oder Sacheinlagen, aber auch zu Dienstleistungen für die s[ocietas] verpflichtet waren.“ Die societas verfolgte den Zweck, „Gewinne zu erwirtschaften, die unter den socii geteilt wurden (ebenso wie entstehende Verluste). Die Pflichten der s[ocietas] waren im Ges.-Vertrag genau festgelegt. Dies bedeutet keineswegs, daß alle socii dieselben Pflichten hatten, und dementsprechend erhielten die socii auch nicht zwingend denselben Anteil an den Gewinnen.“361 Eine societas verfügte über „keine vom Willen ihrer Teilhaber unabhängige Existenz“362 und konnte von Menschen „aus allen Bevölkerungsschichten“363 gebildet werden. Der Anwendung dieses Modells auf den Philipperbrief steht beispielsweise Benjamin Schliesser kritisch gegenüber. Er sieht zwar „terminologische und gewisse sachliche Überschneidungen“ zwischen einer societas und der Beziehung zwischen Paulus und den Philippern. Dennoch blieben Vertreter dieses Deutungsmodells „den Nachweis schuldig, dass eine auf ökonomische Kooperation hin angelegte Partnerschaft auch in den nichtmateriellen Bereich übertragen werden kann“364.

359 Siehe nur Sampley, Societas Christi und derselbe, Pauline Partnership sowie Ogereau, Koinonia. 360 Cicero spricht als Anwalt und verteidigt P. Quinctius, „der mit Sex. Naevius […] eine s(ocietas) gründete; ihr Zweck war die Bewirtschaftung von Ländereien in der Prov. Gallia Narbonensis (s. earum rerum, quae in Gallia comparabantur; Cic. Quinct. 12)“ (Andreau, Art. Societas); mehr zum Sachverhalt und Bezugspunkt dieser Cicero-Rede bei Platschek, Studien, 24. 361 Die beiden voranstehenden Zitate: Andreau, Art. Societas (Kursivdruck im Original). 362 Fleckner, Kapitalvereinigungen, 342. 363 Schliesser, Paulus, 46. 364 Die voranstehenden Zitate: Schliesser, Paulus, 118 (siehe zu dieser Kritik schon Bockmuehl 36). Seiner Ansicht nach wurde nämlich die für die Philipperbriefexegese bedeutende Form einer societas unius rei bzw. unius negationis „von einem genau bestimmten ‚Geschäftszweck‘ (z. B.  Geld-, Warengeschäfte oder Sklavenhandel) zusammengehalten und konnte auf Wunsch eines oder mehrerer socii nach Beendigung des Geschäfts oder im Todesfall aufgelöst werden“ (ebd. 46); siehe ebd. Anm. 61 seine Unterscheidung von drei Formen von societas (mehr zu dieser Unterscheidung bei Fleckner, Kapitalvereinigungen, 126–127; vgl. ferner Ogereau, Koinonia, 24 und 337–338 mit einer Unterscheidung von vier Formen).

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(2) Das antike Vereinswesen Das Vereinsparadigma berührt vergleichbar mit dem societas-Modell eine „(quasi) institutionelle[] Ebene“365. Vereine sind in hellenistisch-römischer Zeit „allgegenwärtig“366. Richard S. Ascough definiert sie als „groups ‚of men and / or women organized on the basis of freely chosen membership for common purpose‘“367. Für ihn ist die Gemeinde in Philippi „like a religious voluntary association“368. Nicht nur die Bezeichnungen der Leitungsfunktion als ἐπίσκοπος und διάκονος in 1,1 „can be found among the leadership titles used in voluntary associations“, auch die internen Konflikte der Paulusgemeinde seien jenen Auseinandersetzungen vergleichbar, denen man in antiken Vereinen begegne.369 Im Finanzbereich finde man beim Vergleich mit den Vereinsstrukturen „both similarities with the associations and direct contrasts“370. Im Hinblick auf die Anwendbarkeit des Vereinsparadigmas benennt Schliesser drei Fragenkreise. Neben der „immer noch virulente[n]“ Rückfrage nach „der strukturellen Vergleichbarkeit von frühchristlichen Gemeinden und griechischrömischen Vereinen“ sei die „Rolle des Gemeindegründers Paulus“ genauer zu bedenken; auch müsse die „formative Kraft der neuartigen christlichen Botschaft“ gebührend(er) gewichtet werden.371 Im Horizont des letztgenannten Aspektes scheint ihm eine verstärkte Beachtung der „differentia specifica der christlichen Gemeinden“ gegenüber antiken Vereinen geboten und folglich eine größere Zurückhaltung bei Aussagen wie ‚Die Gemeinde richte ihr Gemeindeleben an der Struktur und Praxis der Vereine aus‘ oder ‚Paulus schlüpfe in die Rolle eines Vereinsgründers‘.372

365 Schliesser, Paulus, 34. In Vereinen sind laut Ebner, Stadt, 190 „Sozialformen und Ordnungsmuster von Haus und Stadt kombiniert“. 366 Schliesser, Paulus, 34. 367 Ascough, Associations, 3 (weiter ebd. in Anm. 9). 368 Ascough, Associations, 160–161; siehe ebd. 161 noch die Abgrenzung gegenüber den „professional associations“. 369 Nach Ascough, Associations, 161 (ebd. auch das Zitat). 370 Ascough, Associations, 161 (mehr ebd. 149–157). 371 Die ersten beiden Zitate: Schliesser, Paulus, 103; die beiden folgenden ebd. 104; kritisch zu Ascough auch z. B. Stenschke, Rezension von Ascough, z. B. 302 (dort bezogen auf Ascoughs Auswertung der Bezeichnungen ἐπίσκοπος und διάκονος in 1,1). 372 Der letzte Satz nach Schliesser, Paulus, 107 (dort auch das Zitat [Kursivdruck im Original]). Er spielt auf Überlegungen von Kloppenborg / Ascough, Associations, 13 („it is inevitable that Christ-groups came into contact with numerous associations and formed their polity and practices by imitating and adapting the practices they observed“) und Hanges, Paul, 17 an.

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(3) Die Freundschaftsbeziehung Der Philipperbrief kann „als Ausdruck einer freundschaftlichen Beziehung“373 gelesen werden,374 wobei die Qualifizierung „freundschaftlich“ mit Inhalt gefüllt werden muss. Während die Auslegung wiederholt in Richtung einer Freundschaft unter gleichrangigen Personen denkt,375 setzt beispielsweise Joseph A. Marchal einen spürbar anderen Akzent. Er beleuchtet von seinem feministisch-befreiungstheologischen Ansatz her stärker die hierarchische Dimension einer Freundschaft: „To the extent, then, that friendship terms, images and institutions become inter­ twined and linked with this system that only worked, when it was exploiting (rather than providing for) the majority in Roman society, ‚friendship‘ would carry some very unfriendly (in modern terms) associations for most people unter Roman rule, including quite possibly Paul’s audience at Philippi“376. Einer wiederum anders akzentuierten Spielart des Freundschaftsmodells begegnet man bei Martin Ebner. Er bezieht sich auf Ciceros Diktum ratio acceptorum et datorum (Lael. 58) und stuft Freundschaft „für den einfachen Mann“ als „eine Art ‚Darlehensgeschäft‘“ ein.377 Bei diesem Geschäft wolle „jeder […] auf seine Kosten kommen“ und unterwerfe sich „dafür den Gesetzen des Kreditgeschäftes“378. In 4,10–20 versuche Paulus, das Freundschaftsverständnis seiner Adressaten durch einen doppelten Rollenwechsel zu verändern, und zwar durch die Einnahme der Rolle eines Vermittlers / Bankbeamten (4,17.19) und eines Priesters (4,18). Durch diesen wiederholten Wechsel intendiere Paulus die Überführung der wechselseitigen, horizontalen Freundschaftskoinonia zwischen sich und der Gemeinde in eine dreidimensionale Gemeinschaft mit Gott. Dabei trete der 373 Gerber, Paulus, 28. Peterlin, Letter, 215 sieht in der Philipperbriefauslegung die Tendenz, „to play down the role of the readership’s negative attitude toward Paul“ (er bezieht sich z. B. auf Marshall, Enmity, 157–164). Literatur, in welcher der Phil als Freundschaftsbrief eingestuft wird, nennt z. B. Reumann 678–679 Anm. 12. Er selbst steht einer solchen Einstufung ebd. 685 ablehnend gegenüber und konstatiert: „A topos, not a Gattung is involved“ (Kursivdruck im Original); siehe ebd. 684 seine Hinweise auf die Situation bei den Kirchenvätern (ein Beleg für eine Einstufung des Phil als Freundschaftsbrief bei den Kirchenvätern „has not been adduced“) (ausführlicher derselbe, Philippians, Especially Chapter 4, 100–105 oder Briones, Policy, 125–126). 374 Vgl. nur Malherbe, Self-Sufficiency, 338 („deft use of the language of friendship“) oder Stowers, Friends, 106–107 („massive, almost overwhelming number of connections with ancient, especially Greek, friendship motifs“). Erklärungsansätze, warum die Begriffe φιλία und φίλος in Philipperbrief fehlen, finden sich etwa bei Reumann 684 oder (im Blick auf sämtliche Paulusbriefe) bei Marshall, Enmity, 133–136. 375 Fitzgerald, Philippians, 157 beispielsweise will im Phil das paulinische Bemühen erkennen, „to elevate the Philippians’ understanding of friendship and place it on a higher plan“, d. h. auf die Ebene einer Tugendfreundschaft. 376 Marchal, Friends, 90. Er denkt etwa ebd. 96–97 an Paulus’ Inszenierung als Modell. 377 Auch z. B. Holloway 188 sieht in εἰς λόγον δόσεως καὶ λήμψεως in 4,15 „Paul’s attempt to render in Greek the Latin expression ratio dati et accepti, which will have been familiar to the Philippians as members of a Roman colonia“ (Kursivdruck im Original). 378 Alle Zitate: Ebner, Leidenslisten, 348.

Raumpolitik im Briefkorpus (1,12–4,20)

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„Intermediator Paulus […] zurück“ und reiche „die Gemeinde an Gott als direktem Partner weiter“379. Gegenüber Vorstößen, welche Gott in die „Freundschaftsbeziehung“ zwischen Paulus und der Gemeinde einbeziehen wollen, zeigt sich Schliesser doch sehr zurückhaltend. Er fragt, inwieweit man „Freundschaft“ noch als Beschreibungsparadigma einsetzen könne, wenn Denkfiguren bemüht würden (‚Koinonia mit Gott‘ o.ä.), welche „in der antiken Freundschaftskonzeption schlechterdings nicht vorgesehen“ seien.380 (4) Das Patronat Bei einem Patron handelt es sich laut Martin Ebner um eine wohlhabende Person, die „eine Gruppe von sozial niedriger gestellten Freien / Freigelassenen um sich schart und sie gegen Ehrbezeigung finanziell unterstützt.“381 Richard Saller führt zusätzlich zu dieser asymmetrischen Dimension noch drei weitere Merkmale zur Beschreibung eines Patronatsverhältnisses ins Feld. Ein solches Verhältnis setze einen reziproken Austausch von Gütern und Dienstleistungen sowie eine persönliche Beziehung zwischen den interagierenden Partnern voraus und basiere auf einer freiwilligen Vereinbarung.382 Diese Aspekte bündelt Benjamin Schliesser in einer Kurzdefinition und beschreibt das Patronatsverhältnis „als eine freiwillige Austauschbeziehung zwischen Männern ungleichen Ranges oder Standes.“383 In der Philipperbriefexegese veranschlagt beispielsweise Lukas Bormann das Patronatswesen als „angemessenen Verstehenshorizont für die Austauschbeziehung zwischen Paulus und den Philippern“384. Im Phil spiegele sich „die Legitimation und Interpretation eines konkreten sozialen Vorgangs und sein realer Vollzug (Sendung und Empfang einer Geldspende)“385. Das Verhältnis der Gemeinde zum Apostel entspreche „strukturell der Klientelbeziehung“. Dabei vertrete der Apostel „in der Rolle des Patrons […] die gemeinsame Sache (das Evangelium) nach außen“386. 379 Alle Zitate: Ebner, Leidenslisten, 363. Ebner spricht ebd. auch von der „Abkoppelung der freundschaftlichen Beziehung zwischen der Gemeinde und ihm“ (sc. dem Apostel). 380 Schliesser, Paulus, 76 (siehe seine ausführliche kritische Würdigung ebd. 69–76); auch nach Ansicht von Öhler, Gründer, 147 ist das „positiv gestimmte Verhältnis zwischen Paulus und den ‚Heiligen‘ in Philippi […] mit der Kategorie ‚Freundschaft‘ nicht ausreichend beschrieben“. 381 Ebner, Stadt, 386. 382 Siehe Saller, Patronage, 1; den Gedanken der Freiwilligkeit ergänzt er in seinem Beitrag: Status, 838. 383 Schliesser, Paulus, 89. 384 Bormann, Philippi, 206 mit 207–210. Er baut ebd. 200–205 seine Beobachtungen vor allem auf Dionysios von Halikarnassos, Ant. Rom. 2.9–11 auf. 385 Bormann, Philippi, 203. 386 Alle Zitate: Bormann, Philippi, 214; siehe ebd. 213–214 zum Prozess als der „klassische[n] Situation des Zusammenwirkens von Patron und Klientel“; auch z. B. für Öhler, Gründer, 147 lässt sich das Verhältnis des Apostels zur Gemeinde als „Patronat bestimmen“.

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Eine raumsensible Lektüre des Philipperbriefes

In jüngerer Zeit denkt auch David E. Briones in den Bahnen des Patronatswesens, allerdings in einem spezifischen „Vermittler“-Zuschnitt („brokerage“387). Dieses soziale Beziehungsmodell „involves three participants, a source (patron), a mediator (broker) and a recipient (client) in reciprocal exchange of goods“388. Im Philipperbrief sei Paulus der Klient, Gott der Patron und die Gemeinde der Mediator, wobei der Klient allein Gott als dem Patron zum Dank verpflichtet sei.389 Wiewohl die Beziehung zwischen Paulus und den Philippern Ähnlichkeiten zum Patronatswesen aufweist wie die Solidarität zwischen Patron und Klient, beobachtet Schliesser dennoch eine „Diskrepanz zwischen den vorausgesetzten Rollenmodellen und dem tatsächlichen Verhalten des Paulus und der Philipper­ gemeinde“390. Er gewinnt den Eindruck einer „Einseitigkeit, mit der die paulinischen Aussagen in das zugrunde gelegte Modell eingelesen werden.“391 Methodisch bleibt zudem zu fragen, ob Paulus und seine Gemeinde ihre Beziehung tatsächlich nach dem sozialen Interaktionsmodell des Patronats gestaltet haben oder aber ob diese Beziehung so beurteilt werden konnte.392 (5) Das Benefizialwesen Lukas Bormann definiert ein beneficium unter Bezugnahme auf Seneca als „jede Wohltat, die der Geber aus innerer Freiheit leistet und die einzig auf das Wohl des Empfängers gerichtet ist“393. Nach Ansicht von Benjamin Schliesser berücksichtigt diese Definition die reziproke Dimension noch nicht hinreichend. Es gelte zu bedenken, „dass dem Erweis einer Wohltat eine bindende Kraft innewohnt und der Empfänger zu einer Gegenleistung (officium) verpflichtet wird“394. Auf diese Reziprozität hebe Seneca, Benef. 1.1.13 ab: qui beneficium non reddit, magis peccat; qui non dat, citius („wer eine Wohltat nicht vergilt, verfehlt sich mehr; wer sie nicht erweist, schneller“). Es gehöre „zum Wesen antiker sozialer Austauschbeziehungen“, dass sich der Geber „in einer Machtposition“ gegenüber dem Beschenkten befindet. Der Beschenkte stehe „ab sofort in der Schuld des Wohltäters“395. 387 Briones, Thanks, 51 (im Original: Kursivdruck); mehr zu diesem Modell ebd. 52–53. 388 Briones, Thanks, 51. 389 Vgl. Briones, Thanks, 51 und 62–63; zum reziproken Moment im Verhältnis zwischen Gemeinde und Apostel, d. h. zwischen Mediator und Klient ebd. 61. 390 Schliesser, Paulus, 93; anders z. B. Fee 6: Paulus „studiously avoids any indication of a ‚patron-client‘ (or ‚patron-protégé‘) relationship“ im Philipperbrief, wohingegen eine solche Zuordnung in anderen Paulusbriefen „frequently“ begegne. 391 Schliesser, Paulus, 93. Bockmuehl 37 spricht von „[t]he inadequate explanatory power“ dieses Deutungsparadigmas. 392 Nach Bockmuehl, Rezension von Bormann, 238. 393 Bormann, Philippi, 175–176; siehe schon ebd. 171–172 mit Anm. 36 und Bezug auf ­Seneca, De beneficiis 3.18.1. Dort grenzt Seneca officium, ministerium und beneficium voneinander ab: „beneficium esse, quod alienus det“. 394 Schliesser, Paulus, 77 (Kursivdruck im Original). 395 Schliesser, Paulus, 80.

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Auf dem Hintergrund dieses sozialen Beziehungsmodells sucht etwa Gerald Peterman den Philipperbrief zu verstehen. Dabei diene die theologische Deutung der Gabe dazu, das Abhängigkeitsgefälle zwischen Geber und Empfänger zu reduzieren. Paulus signalisiere, dass er durch die Annahme der gemeindlichen Gabe nicht in eine unterordnende Abhängigkeit zur Gemeinde gerate.396 Beide Seiten seien vielmehr „elevated to the place of partners in the gospel“397. Schliesser steht dem Rückgriff auf das Benefizial-Modell äußerst kritisch gegen­ über. Senecas Traktat und der Philipperbrief stünden „in ihren Prämissen und Anliegen weit voneinander entfernt“398. Während für Seneca „ein göttliches Eingreifen in das Gegenseitigkeitsethos, das dem Geber der Gabe zu seinem Recht verhilft, höchstens als Ausnahme vorstellbar“ sei, betrachte Paulus diese „‚Dreiseitigkeit‘ hingegen [als] konstitutiv“399. (6) Das Schnittstellenpotential der Raumfrage Bündelt man die knappen Skizzen, bleibt festzuhalten: Die in der Forschung bemühten Deutungsmodelle helfen entscheidend weiter, bestimmte Facetten der sozialen Interaktionsweise zwischen Paulus und den Philippern zu erhellen.400 Allerdings liefert kein Paradigma bei ausschließlicher Anwendung einen völlig überzeugenden Erklärungsansatz.401. Darüber hinaus ist die Tendenz zu beobachten, dass immer speziellere soziale Interaktionsformen der Antike bemüht werden. Diese Tendenz birgt die Gefahr, das Maß selbstverständlicher Kontextualisierungen weit zu übersteigen.402 396 Nach Peterman, Gift, 159. In kritischer Auseinandersetzung mit gängigen Konventionen suche Paulus den Aspekt der Annahme der Gabe mit dem Moment bleibender Unabhängigkeit zu kombinieren (vgl. ebd. 134–138). 397 Peterman, Gift, 159. 398 Schliesser, Paulus, 85; mehr zu Unterschieden zwischen Paulus’ und Senecas Weltanschauung bei Blanton, Rhetoric, 396–414. 399 Schliesser, Paulus, 85; vgl. auch Bormann, Philippi, 180. Bei Seneca sei eine „Identifikation eines beneficium unter Menschen, noch dazu, wenn es sich um etwas rein Nützliches wie Geld handelt, mit einem kultischen Opfer oder einer religiösen Leistung […] an keiner Stelle zu finden“ (ebd. [Kursivdruck im Original]). 400 Genaueres bei Bockmuehl 37. 401 Auch beispielsweise Öhler, Gründer, 150 weist bei der Anwendung des Vereins- und Patronatsparadigma auf „spezifische Variationen“ bei Paulus hin. Diese seien „vor allem“ durch „räumliche Trennung, Leiden und Gefangenschaft sowie die prekäre ökonomische Situation des Apostels“ bedingt; hinzu käme noch die „Orientierung an dem Gekreuzigten“. Diese Ausrichtung rücke „auch die Rolle des realen Gründers Paulus in ein anderes, seine Bedeutung relativierendes Licht“ (ebd. 150–151). 402 Vgl. schon die vorsichtige Kritik bei Vollenweider, Dienst, 389. Ohne explizite Nennung eines einzelnen Forschungsansatzes spricht er davon, dass man in neueren Arbeiten „äusserst spezifische und teilweise nur entlegen dokumentierte Sozial- und Rechtsmuster“ bemüht, welche „die paulinische Argumentation hintergründig steuern sollen“. Diese „Bezugsfelder gehen aber weit über solche sehr allgemeinen und eigentlich selbstverständlichen Kontextualisierungen hinaus“.

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Eine raumsensible Lektüre des Philipperbriefes

Dieser Gefahr gilt es zu begegnen, indem man den „Negativ“-Befund als Ansporn betrachtet: Der Befund, dass sich die Beziehung zwischen Apostel und Gemeinde nicht durch ein einzelnes Paradigma völlig befriedigend beschreiben lässt, fordert heraus, nach dem kreativen Potential des paulinischen Ansatzes zu fragen. Dabei ist die spezifisch theologische Formierung seiner Beziehungsgestaltung zu den Philippern hinreichend zu würdigen.403 Damit die (verstärkte) Berücksichtigung der theologischen Formierung nicht dazu führt, theologische und sozialgeschichtliche Dimensionen einseitig zu hierarchisieren oder gegeneinander auszuspielen, schlage ich vor, die Raumfrage als Schnittstelle einzubauen. Diese Frage hat insbesondere in einer raumpolitischen Ausrichtung das Potential, theologische und sozialgeschichtliche Perspektivierungen organisch und konstruktiv aufeinander zu beziehen.404 Eine raumpolitische Betrachtung hält ganz basal durchgängig in Erinnerung, dass Paulus seine Gemeinde ἐν κυρίῳ nicht in einem luftleeren, unbesetzten Raum etabliert oder als abstrakte Größe konzipiert.405 Dabei ist ein sozialkonstruktivistisches Raumverständnis in besonderer Weise geeignet, die Dynamik jenes Rezeptions- und Formierungsvorgangs einzuholen, an dessen Ende der paulinische Gemeindeentwurf für die Philipper steht. Der Apostel formiert seine ChristusGemeinde als soziale Größe im vielschichtig geprägten Lebensraum „Philippi“ und konstruiert seine Beziehung zur Gemeinde in kritisch-kreativer Verarbeitung landläufiger sozialer Beziehungsformen.406 Als maßgebliches Kriterium für die Auswahl einzelner Elemente aus diesen Beziehungsformen scheint ihm folgende Leitfrage gedient zu haben: Welche Elemente bekannter Sozialformen der Mitwelt helfen Paulus (Rezeption), der Gemeinde „im Herrn“ und seiner Beziehung zu den Philippern eine soziale Gestalt zu geben, und zwar eine Gestalt, wie sie seine Deutung des Christusereignisses und seine Vorstellung von der Rechtfertigung durch den Glauben an Christus verlangt?407 403 Für Schliesser, Paulus, 115 besteht die theologische Dimension der sozialgeschichtlichen Fragestellung darin, „das neuartige Gedankengut als die treibende Kraft hinter der selektiven Aneignung und den inkommensurablen ‚Überständen‘ kenntlich zu machen und ihre schöpferische Wirkung auf die Formatierung sozialer Beziehungen nachzuvollziehen.“ Der Apostel sei in der Lage gewesen, „Topoi, Themen, Motive und Vorstellungen antiker Sozialkonventionen zu adaptieren, sie adressatenorientiert zu kontextualisieren und eigenständig umzuformen durch einen Fokus auf zentrale christologische und ethische Fragen“ (ebd. 119). 404 Siehe zu diesem Potential schon Blumenthal, Schnittstelle, 477–479 mit einem Matthäus-Lukas-Praxistest (ebd. 485–495). 405 Vgl. nur Kloppenborg / Ascough, Associations, 13: Die frühesten Christus-Gemeinden „did not originate or flourish in a cultural vacuum“. 406 Bei aller Einbettung „in ein komplexes kulturelles ‚Ökosystem‘“ (Schliesser, Paulus, 115) weisen die paulinischen Gemeinden doch ein „eklatantes ‚Mehr‘“ auf. Dieses Mehr entsteht „durch Sprünge und Brüche“ und führt zu einer unvorhersehbaren und nachträglich nicht ableitbaren „‚Neukonfiguration‘ der vorhandenen Paradigmen“. 407 Siehe zum Gedanken des Neuartigen schon Bockmuehl 38 („a new and distinctive social phenomenon“). Das Spezifikum besteht seiner Ansicht nach in Folgendem: „a Jewish

Der Briefschluss (4,21–23): Der Einzelne im Blick

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3.3 Der Briefschluss (4,21–23): Der Einzelne im Blick Der kurze Briefschluss ist dreigeteilt.408 Auf den Grußauftrag in 4,21a409 folgen die Grußausrichtung in 4,21b–22 sowie das Eschatokoll in 4,23.410 Gipfelte der Briefkorpusabschluss noch in der theozentrischen Vateraussage, so setzt der Briefschluss ganz christozentrisch an.411 Dabei begegnet im Grußauftrag letztmalig im Philipperbrief die Präpositionalphrase ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ, und zwar wie im Präskript in Verbindung mit der Heilig-Charakterisierung. Paulus verbindet über diesen Weg Briefbeginn und Briefschluss fest miteinander412 und sorgt durch die jeweils gewählte Näherbestimmung noch für sich ergänzende Fokussierungen. Während die adscriptio mit πάντες οἱ ἅγιοι ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ das gemeindliche kollektive Moment akzentuiert („alle Heiligen“ als Gruppe), hebt 4,21 mit πάντα ἅγιον ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ auf die individuelle Dimension innerhalb dieser neuen Heilsgemeinschaft ab („jeder einzelne Heilige“413).

Apostle teaching Gentiles about faith in a Jewish Messiah, with the vision of a church composed equally of Jews and Gentiles“ (ebd. 37–38). 408 Fee 456–457 erwägt mögliche Gründe für diese Kürze („notably brief “). Reumann 736 mit den Anm. 8 und 9 bietet einen kurzen Abriss der Diskussion, zu welchem der Philipperbriefe bei Zugrundelegung einer Teilungshypothese dieser Briefschluss ursprünglich gehörte. Er stellt ebd. 736–737 Überlegungen an, warum bestimmte, in anderen Paulusbriefabschlüssen vorkommende Formelemente fehlen (z. B. „heiliger Kuss“). 409 Hinweise zur Frage, wen Paulus mit ἀσπάσασθε in Philippi zum Gruß auffordert, bei Fee 457 Anm. 6 oder Reumann 737. 410 Siehe zu diesen drei grundlegenden Formelementen in den paulinischen Briefschlüssen Schnider / Stenger, Studien, 108–109; ausführlich zum Grußteil mit seinen Elementen von Grußauftrag und Grußausrichtung ebd. 119–131, zum christologischen Schlussgruß im Eschatokoll ebd. 131–135. Fee 461–462 erinnert an die theologische Aufladung selbst jener Bestandteile des Briefschlusses, die den brieflichen Konventionen folgen: „[I]n Paul’s hand conventions are never merely conventional“ (ebd. 462). 411 Eine christozentrische Fokussierung prägt auch die Briefschlüsse in 1Kor 16,19–24, Gal 6,18, 1Thess 5,26–28 und Phlm 23–25; anders 2Kor 13,13 mit seiner „triadische[n] Aussage“ (Schmeller, 2Kor 2, 405); siehe zur Situation im Röm nur Wolter, Röm 2, 484–502 (besonders 490–494; siehe zum sekundären Charakter von 16,25–27 ebd. 505). 412 Die Annahme, dass ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ auf πάντα ἅγιον zu beziehen ist (so z. B. auch Hawthorne / Martin 280 oder O’Brien 553 Anm. 9), setze ich nicht exklusiv: ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ kann gleichzeitig auf ἀσπάσασθε bezogen werden (auch Bockmuehl 268 sieht, „that there is no need to choose“); siehe zum Zusammenspiel beider Zuordnungsmöglichkeiten die Hinweise bei Reumann 737: Auf der Präpositionalphrase ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ liege „an overarching emphasis“; diese Phrase „brings together recipients, apostolic commission to greet them on Paul’s behalf, and the churchly sphere for this warm embrace that reminds them of Paul’s fervent wish to be there himself.“ 413 In adjektivischer Verwendungsweise hebt πᾶς mit einem Nomen im Singular ohne Artikel „die einzelnen Exemplare der durch das Nomen bez. Klasse“ hervor (Bauer, Wörterbuch, 1274 s.v. πᾶς κτλ. 1aα; siehe ebd. allerdings noch die allgemeine Einschränkung: „in der

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Eine raumsensible Lektüre des Philipperbriefes

Die stärkere Gewichtung der individuellen Dimension am Briefende bildet ein Kontergewicht zu jenen Eckpfeilern der Raumkonzeption, welche Paulus auf Entgrenzung und Universalisierung anlegt. Der Apostel stellt klar, dass bei allen räumlichen Entgrenzungen das einzelne Gemeindemitglied nicht aus dem Blick gerät und womöglich in der Gemeinde ‚untergeht‘. Der Gruß – so der Auftrag des Apostels – möge jeden einzelnen Heiligen (persönlich) erreichen. Die Heilig-Charakterisierung kehrt in der Grußausrichtung noch einmal wieder, referiert diesmal aber anders als in 1,1 und 4,21 auf Menschen im räumlichen Nahumfeld des Paulus (πάντες οἱ ἅγιοι).414 Die Vergegenwärtigung, dass auf beiden Seiten des brieflichen Kommunikationsgeschehens gleichermaßen „Heilige“ stehen, schafft eine gegenseitige Nähe über die räumliche Distanz hinweg; zudem erinnert diese Vergegenwärtigung daran, dass die neue Heilsgemeinschaft „in Christus“ bereits an unterschiedlichen Orten im Römischen Reich eine konkrete personale Gestalt gewonnen hat und Raum zu greifen beginnt. Seine Hoffnung, dass dieser Ausbreitungs- und Gestaltwerdungsprozess auch in scheinbar unzugängliche Räume vordringen möge, deutet Paulus in 4,22b an. Er spricht von denen „aus dem kaiserlichen Haus“ (οἱ ἐκ τῆς Καίσαρος οἰκίας)415 und spielt damit folgenden Gedanken ein: Repräsentanten aus dem Kreis der Heiligen „in Christus“ finden sich inmitten offizieller staatlicher Einrichtungen, sei es nun der weitläufige kaiserliche Haushalt (Mehrheitsmeinung)416 oder aber ein Gefängnis (Angela Standhartinger). Die Philipperbriefforschung hat das Syntagma οἱ ἐκ τῆς Καίσαρος οἰκίας unter Einbeziehung antiker Vergleichstexte und Inschriften ausführlich auf seine Referenz hin

Bed. von dem Pl. ‚alle‘ kaum zu unterscheiden“). Für Fee 457 ist der Singular ἅγιον „deliberate, functioning in  a kind of ‚distributive‘ way“ (ausführlicher ebd. mit Anm. 7). Der Gruß gelte nicht der Gemeinde „lumped together as a whole, but to each member of the community individually“ (ebd. 457); so z. B. auch Bockmuehl 268, Hawthorne / Martin 280 oder O’Brien 553. Während die Fokussierung auf jeden einzelnen für O’Brien „the surprising omission of personal names in these final verses“ erklärbar macht, spiegelt sich in dieser Fokussierung für Hawthorne / Martin die paulinische Sorge um die Einheit der Gemeinde wider: „None is to be treated differently from any other“. 414 Die unmittelbar zuvor in 4,21b genannten Brüder, die bei Paulus sind (οἱ σὺν ἐμοὶ ἀδελφοί), sind für Holloway 190 Mitglieder von Paulus’ „missionary team present in Rome“ (er verortet ebd. 23 die paulinische Gefangenschaft in Rom). Die Gruppe der Heiligen, auf welche der Apostel in 4,22 rekurriert, umfasse darüber hinaus „the members of the various Roman assemblies“ (ebd. 190); ähnlich schon Hawthorne / Martin 281 oder O’Brien 553–554; eine Übersicht über weitere Deutungsvorschläge bei Reumann 728–729. 415 Paulus leitet das Kaiserhaussyntagma mit μάλιστα δέ ein: „besonders aber“ (Bauer, Wörterbuch, 992 s.v. μάλιστα 1). 416 Vorsichtig denkt auch Holloway 191 in diese Richtung („further evidence of the progress of the gospel“); vgl. auch die Abwägungen bei Hawthorne / Martin 281 („the gospel was beginning to penetrate even these loftier circles“) oder (zu weitgehend) Witherington 283 („the gospel had reached even into the halls of power“).

Der Briefschluss (4,21–23): Der Einzelne im Blick

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untersucht. Auf den Spuren von Joseph Barber Lightfoot setzte sich weitgehend die Annahme durch, dass dieses Syntagma „dans une sens large“417 zu verstehen sei. Es referiere auf den weitläufigen kaiserlichen Haushalt, wahrscheinlich auf das kaiserliche Dienstpersonal (Sklaven und Freigelassene), nicht aber auf leibliche Verwandten aus der kaiserlichen Familie oder die höchsten Offiziellen.418 Dieser weit verbreiteten Annahme widerspricht gegenwärtig Angela Standhartinger und verweist auf das Fehlen eindeutiger zeitgenössischer Belege. Wo etwa Plutarch oder Philo vom οἰκία Καίσαρος sprechen, sei „entweder das kaiserliche Wohnhaus (Plutarch, Caes. 63.9; Cic. 28.2; 47.6) oder aber die kaiserliche Familie (Philo, Flacc. 35)“ gemeint. Im ersten nachchristlichen Jahrhundert gebe es „keinen Beleg für den Gebrauch von οἱ ἐκ τῆς Καίσαρος οἰκίας“ im Sinne von „kaiserlichen Sklaven und Freigelassenen“419. Stattdessen könnte dieses Syntagma in 4,22 „andeutend diejenigen meinen, die sich in einem Caesar gehörenden Haus befinden, also z. B. Mitgefangene des Paulus“420. In einem neueren Beitrag resümiert sie: οἱ ἐκ τῆς Καίσαρος οἰκίας sei „more likely a code word for ‚fellow prisoners‘ than […] a terminus technicus for slaves, freedmen, and freedwomen of the household of Caesar“421.

Die ausführliche Beschäftigung mit der Referenz des Kaiserhaus-Syntagmas hat die Frage nach dessen strategischer Funktion weitgehend in den Hintergrund treten lassen.422 Nimmt man diese Frage unter raumpolitischer Perspektive auf, stößt man auf folgende Spur: Das Kaiserhaus-Syntagma dient dazu, die eine Seite einer abschließenden Kontrastierung zwischen unterschiedlichen Herrschaftsund Machtansprüchen einzubringen. Diese Funktionszuschreibung geht von der Beobachtung aus, dass Paulus im unmittelbaren Anschluss an das Kaiserhaus-Syntagma auf den Kyrios Jesus zu sprechen kommt. Dadurch folgen Kaiser- und Kyriosbezeichnung direkt auf­ einander, was den Eindruck einer subtilen Gegenüberstellung zwischen dem römischen Kaiser und dem erhöhten Kyrios entstehen lässt. Schaut man sich genauer an, wie Paulus diese Kontrastierung am Briefschluss literarisch ausgestaltet, zeichnet sich deren Zielsetzung sogleich deutlich ab: P ­ aulus

417 Focant 200. 418 Für viele: Gnilka 182, Bockmuehl 269, Hawthorne / Martin 281, O’Brien 554 (siehe auch Bauer, Wörterbuch 1131 s.v. οἰκία 3) oder vorsichtiger: Löhr, Philipperbrief, 206 und Theobald, Philipperbrief, 379; ausführlich Lightfoot 171–178. 419 Die Zitate der voranstehenden Sätze: Standhartinger, Welt, 160 Anm. 95 (Kursivdruck im Original). 420 Standhartinger, Welt, 161 Anm. 95. 421 Beide Zitate: Standhartinger, Letter, 129 (Kursivdruck im Original); siehe ihre ausführliche Begründung ebd. 129–130 in Anm. 90. 422 Diese Beschäftigung erfolgt(e) zumeist im Horizont der Debatte um den Ort der paulinischen Gefangenschaft. Allerdings hilft das Syntagma οἱ ἐκ τῆς Καίσαρος οἰκίας aufgrund seiner Unschärfe bei dieser Ortsbestimmung kaum weiter (so z. B. Lohmeyer 191 Anm. 1, Löhr, Philipperbrief, 206 oder Theobald, Philipperbrief, 379; anders etwa Witherington 287 oder Holloway 23).

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Eine raumsensible Lektüre des Philipperbriefes

zeigt den Kyrios in seiner absoluten Überordnung über den römischen Kaiser und sämtliche irdische Mächtige. Dazu bezieht er sich in 4,21–23 abwechselnd auf Jesus und den Kaiser und „umzingelt“ mit der wiederholten Nennung Jesu in 4,21 und 4,23 die einmalige Erwähnung des Kaisers in 4,22. In dieser literarischen „Einhegung“ spiegelt sich die Hoffnung des Apostels wider, dass Gott den entscheidenden Herrschaftswechsel vollzogen und Jesus als universalen Weltenherrn eingesetzt hat (2,9). Zugleich blendet Paulus durch die Erwähnung des kaiserlichen Hauses die Tatsache nicht aus, dass auch nach diesem Herrschaftswechsel die irdischen Machthaber weiterhin „im Amt“ sind. Die Menschen „in Christus“ leben in den Augen des Apostels in einer spannungsvollen Gleichzeitigkeit,423 in welcher der gesamte Kosmos die Herrschaft des Kyrios bereits vollumfänglich anerkennt und dieser Anerkennungsprozess zur gleichen Zeit doch noch ein laufender, teilweise sehr unscheinbarer und langsamer Prozess ist (2,10–11). Dieser Prozess lässt sich „vor Ort“ im jeweiligen konkreten Lebensraum dadurch voranbringen, dass die Menschen „in Christus“ die Herrschaft des Kyrios anerkennen und durch ihre soziale Interaktionsweise seiner Werteordnung eine soziale Gestalt geben. Paulus ist überzeugt: Schreitet dieser Anerkennungsprozess weiter voran, relativieren sich für die Menschen „in Christus“ zur gleichen Zeit die Herrschaftsansprüche der Mächtigen auf Erden. Dennoch: Paulus sieht sehr deutlich, dass das „Noch nicht“ im Alltagserleben der Menschen „in Christus“ noch eine ganz erhebliche Rolle spielt, da sie die Macht des erhöhten Kyrios bei weitem noch nicht dauerhaft unmittelbar erleben können. In diese fragile Umbruchssituation hinein wünscht der Apostel seinen Adressaten, dass die Gnade des Weltenherrn „mit ihrem Geist“ sei (μετὰ τοῦ πνεύματος ὑμῶν). Die Bezugnahme auf „euren Geist“ lässt schlussendlich noch einmal den Gedanken der heilvollen Überlegenheit Jesu anklingen. In seinem Heils- und Gnadenhandeln kann der erhöhte Herr nach Ansicht des Apostels auf das Innere des Menschen einwirken (μετὰ τοῦ πνεύματος ὑμῶν), wohingegen der Zugriff irdischer Machthaber auf den Körper des Menschen „beschränkt“ sei. Dieser Zugriff könne zwar massiv sein und den Menschen etwa in seiner Bewegungsfreiheit völlig einschränken, aber er sei nicht in der Lage, die menschliche Existenz völlig auszulöschen (z. B. 1,21–24; 2,8–9). So sehr die Erinnerung an die Einwirkungsmöglichkeiten des Kyrios auf das Innere des Menschen dazu geeignet ist, dessen absolute Überlegenheit zu demonstrieren, birgt sie unterdessen doch auch eine erhebliche Gefahr: Es kann der Eindruck entstehen, der Mensch sei durch den Kyrios fremdbestimmt. Um dem mög-

423 Diese spannungsgeladene Gleichzeitigkeit betrachte ich in einer noch unveröffentlichten Studie unter dem Arbeitstitel Ambiguitäten, Abhängigkeiten und Agency im Philipperbrief unter ambiguitätssensibler Perspektive.

Der Briefschluss (4,21–23): Der Einzelne im Blick

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lichen Eindruck einer solchen „feindlichen Übernahme“ zu begegnen, formuliert Paulus die „Geist“-Präpositionalphrase mehrdeutig.424 Das Nomen πνεῦμα rekurriert auf den menschlichen Geist und steht als pars pro toto für den ganzen Menschen („Ich“). Dabei zeigt die Singularform distributive Konnotation („je eurem Geist“)425 und schreibt so die Linie aus 4,21 fort („jeder einzelne Heilige“): Unbeschadet aller räumlichen Entgrenzung und räumlichen Distanzen ist das einzelne Gemeindemitglied fest im Blick. Zugleich verweist das Nomen πνεῦμα aber auf den Heiligen Geist, genauer: auf den Heiligen Geist als das göttliche πνεῦμα im Menschen.426 Sieht man beide Dimensionen im Schlusswunsch gleichermaßen berücksichtigt, deutet dieser Wunsch die Überzeugung an, dass der Kyrios, der göttliche Geist und der einzelne Mensch gemeinsam zum Wohl des Menschen wirken.427 Im Licht des Gesamtbriefes zeigt die Anspielung an das Gott-menschliche Zusammenwirken „im Geist“ zudem noch eine ekklesiologische Komponente:428 Der Mensch ist durch das göttliche πνεῦμα in ihm befähigt, die so fragile Einheit

424 Die Vorschläge zum Verständnis von πνεῦμα an dieser Stelle sind so mannigfaltig, dass Reumann 732 nach einer Zusammenstellung verschiedener Optionen nur der Ausruf bleibt: „Many different senses!“ Seinen Überblick leitet er ebd. 731 mit der Feststellung ein: „Not the holy spirit but‚ ‚a part of the human personality‘“. Für Walter 101 bezeichnet τὸ πνεῦμα ὑμῶν „den ganzen Menschen nach seiner (wie wir sagen würden) ‚seelischen‘ Seite“; Horn, Angeld, 375 sieht „eindeutig […] das anthropologische Verständnis bezeugt“ (so z. B. auch O’Brien 555, Focant 200 oder Pitta 312). Im Unterschied dazu setzt z. B. Holloway 191 dezidiert christozentrisch an: „the grace of Christ is present realistically in his spirit and is actively transforming Christ-believers“ (siehe ebd. Anm. 11: „The ‚grace of the Lord Jesus Christ‘ is presumably ‚the spirit of Jesus Christ‘ possessing and transforming the believer)“. Bei der Auslegung der gleichlautenden Formulierung im Gnadenwunsch in Phlm 25 erkennt Ebner, Phlm, 130 im πνεῦμα den „göttliche[n] Geist“, jenen „schöpferische[n] Geist Gottes, der Jesus aus den Toten erweckt, ihn zu seinem Mandatar erhöht“ hat. 425 In diese Richtung denken etwa Bockmuehl 271, Hawthorne / Martin 282 („May the grace of the Lord Jesus Christ be with you each one“), O’Brien 555 oder Focant 200 (siehe BDR § 140 zum distributiven Singular). 426 Siehe nur Röm 5,5, 1Kor 2,12, Gal 4,6 oder 1Thess 4,8. Nach Wolter, Röm 1, 326 (Auslegung von Röm 5,5) gibt es für Paulus „keinen Christen, dem Gott nicht den heiligen Geist gegeben hätte“. 427 Eine Verknüpfung beider Dimensionen deutet auch Bauer, Wörterbuch, 1356–1357 s.v. πνεῦμα 3b „als Quellpunkt u. Sitz v. Einsicht, Gefühl u. Willen“ an: „Auch bei Pls findet sich dieser Sprachgebr. Ihn läßt seine Überzeugung […], daß der Christ im Ggs. zu allen übrigen Menschen das (göttl.) πνεῦμα besitzt, dieses Wort auch gern wählen, um das innere Sein des Gläubigen überhaupt zu bezeichnen“ (vgl. auch die Ansätze bei Jewett, Terms, 184; kritisch z. B. Fee 461 Anm. 23). 428 Entscheidend ist das Zusammenspiel von 4,23 mit der Geist-Gemeinschaftsaussage in 2,1: τις κοινωνία πνεύματος; siehe zur Mehrdeutigkeit der Rede vom Geist in 2,1 Bockmuehl 106–107 und zur paulinischen Vorstellung vom Geist als gemeinschaftsbildender Kraft im Philipperbrief nur Horn, Angeld, 416 (ausführlich ebd. 412–418).

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Eine raumsensible Lektüre des Philipperbriefes

der Gemeinde in Philippi als κοινωνία πνεύματος zu wahren.429 Folgt man diesen Implikationen des Briefschlusses, prägt er als Abschlussbild das Hoffnungsbild einer einträchtigen Gemeinde ein, welche über Raumgrenzen hinweg unter der Herrschaft des erhöhten Kyrios fest miteinander verbunden ist.

429 Für Gnilka 183 wird der Gnadenwunsch „nochmals zu einer latenten Mahnung zur Einheit und Einmütigkeit, daß sie sich darauf besinnen, ein Geist zu sein“; vgl. noch Bock­muehl 271: Die Implikation des Syntagmas μετὰ τοῦ πνεύματος ὑμῶν sei, „that God’s grace is to be with their individual human spirits as united in the fellowship of Christ“.

Kapitel 4.  Macht, Abhängigkeit und Eigenstand „in Christus“ Ambiguitätssensible Reflexionen

Bei der raumthematischen Lektüre des Philipperbriefes ist wiederholt ein zentrales Problemfeld im paulinischen Entwurf identifiziert worden: Der Apostel kon­ struiert und etabliert starke asymmetrische Abhängigkeitsstrukturen „in Christus“.1 Diese Strukturen treten etwa in der Selbstvorstellung des Apostels als Sklave Christi Jesu in 1,1 und in der Gehorsamsthematik in 2,8.12 verdichtet zutage2 und sollen im Folgenden ambiguitätssensibel ausgeleuchtet werden. Das Alleinstellungsmerkmal der Sklavenselbstvorstellung am Beginn des Philipperbriefes zeigt sich beim Vergleich mit den Absenderangaben der übrigen authentischen Paulusbriefe. Anders als in Röm 1,1 steht die Sklavencharakterisierung in Phil 1,1 ohne weitere Attribute. In Röm 1,1 folgt auf die Charakterisierung als δοῦλος Χριστοῦ Ἰησοῦ noch die Selbstbezeichnung als κλητὸς ἀπόστολος und der Hinweis auf die Aussonderung zur Evangeliumsverkündigung: ἀφωρισμένος εἰς εὐαγγέλιον θεοῦ. Mit der Apostelcharakterisierung – so Dieter Zeller – macht Paulus klar, dass seine gesamten Ausführungen „durch seine apostolische Autorität gedeckt“ sind. Obschon Paulus anders als in Gal 1,1 die Rechtmäßigkeit seines Apostolats in Röm 1,1 nicht verteidigen müsse, stelle er sie dennoch der römischen Gemeinde gegenüber „eindrucksvoll“ heraus.3 Während sich die drei intitulationes in Röm 1,1 mit ihren unterschiedlichen Konnotationen gegenseitig ergänzen und zusammengenommen eine vielschichtige Verhältnisbestimmung von Abhängigkeitsbekundung und Autoritätsbeanspruchung zeigen, konzentriert Paulus seine Selbstvorstellung im Philipperbrief auf das δοῦλος-Attribut. Darüber hinaus greift er die Sklaventhematik an höchst prominenter Stelle wieder auf und beschreibt die Menschwerdung Christi im Philipperhymnus als μορφὴν δούλου λαβών. Der Sklaventopos macht die Inkarnationsaussage in 2,7 und die briefliche Selbstvorstellung des Apostels in 1,1 zu „gegenseitigen Intertexten“4. Allein wegen dieses markanten Zusammenspiels wäre es verkürzt, die paulinische Selbstvorstellung als Sklave eindimensional auf der Linie alttestament 1 Siehe zu meiner Rede von starken asymmetrischen Abhängigkeitsstrukturen schon Abschnitt 2.2.4. 2 Hinzu kommt noch die Erwartung einer universalen Huldigung des erhöhten Kyrios in 2,10–11. 3 Siehe Zeller, Röm, 34 (dort auch die voranstehenden Zitate). 4 Becker, Paulus, 215.

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licher Gottesknechte zu interpretieren5 oder in ihr einseitig einen Ehrentitel zu sehen.6 Für Paulus ist der Sklavenbegriff „keine verblasste Metapher“7. Sklavesein heißt für den Apostel, „in einem auch leidvoll erlebten Besitzverhältnis zu stehen“8. Als Sklaven Christi sind Paulus und Timotheus „Christi Eigentum und zu schwerer Arbeit am Evangelium verpflichtet (Phil 2,22; vgl. Röm 12,11; 14,18)“9. Die beiden erleben „gleichzeitig Machtlosigkeit, körperliche und seelische Misshandlungen und eine Christusnähe“10. Bei meiner ambiguitätssensiblen Betrachtung führe ich den Ambiguitätsbegriff nicht auf die etymologische Bedeutung Zweideutigkeit eng. Ich nutze ihn vielmehr als Oberbegriff, der auch Aspekte von Unbestimmtheit, Mehrdeutigkeit und Doppelbödigkeit umfasst.11 Eine engere Begriffsfassung im Sinne einer „antagonistisch-gleichzeitige[n] Zweiwertigkeit“12 lasse ich mit Ulrich Berges dann gelten, „wenn Mehrdeutigkeiten so zu Polaritäten verschärft sind, dass der Fokus nicht mehr auf dem Oszillieren zwischen den Extremen liegt, sondern diese selbst in den Mittelpunkt rücken“13. Meine These lautet: Der Sklavenbegriff im Philipperbrief zeigt eine ambige Grundstruktur. In diesem Begriff verschärft Paulus so gegensätzliche Aspekte wie radikale Unterordnung und starke asymmetrische Abhängigkeit einerseits und vertrauensvolle Zugehörigkeit und bleibende Selbstbestimmung andererseits zu Polaritäten. Erst in dieser nicht reduzierbaren Gleichzeitigkeit von zugespitzten Gegensätzlichkeiten (Ambiguität im engeren Sinne) wird der Sklavenbegriff für Paulus zu einem zentralen Baustein in seinem Sinnentwurf für die philippische 5 Dies sieht beispielsweise auch Bockmuehl 50 so. Zwar sei δοῦλος (im Sinne von ‚servant‘) „a traditional Old Testament and Septuagintal term for the righteous believer’s relationship to God“, aber „in a Gentile Hellenistic context the same Greek term would carry the potentially more objectionable meaning of ‚slave‘“. 6 Sehr vorsichtig Holloway 64: „the servile connotations of ‚slave‘ should not be dis­ counted“. 7 Standhartinger 75; siehe über den Philipperbrief hinaus z. B. noch de Wet, God, 13: „So did the early Christians understand slavery to God only in a metaphorical sense? My prelim­ inary answer is: probably not.“ 8 Standhartinger 75. Dass die Alltagserfahrung mit Sklaverei (auch auf Seiten der Adressaten) bei einer Auseinandersetzung mit dem Sklaventopos im Philipperbrief nicht übergangen werden darf, sieht z. B. auch Ascough, Associations, 123 mit Anm. 59. 9 Standhartinger 75. 10 Standhartinger 75. 11 Vgl. z. B. Krieger, Kulturen, 15 Anm. 13. 12 Berndt / Kammer, Amphibolie, 10: „Strukturale Ambiguität ist der Name, den wir […] einer antagonistisch-gleichzeitige Zweiwertigkeit generierenden Matrix geben“. Diese engere Fassung des Ambiguitätsbegriffs erlaube „präzisere und schärfere analytische Zugriffe auf Strukturen, die Effekte und Artikulationen simultaner und zugleich widerstrebender Zweiwertigkeit hervorbringen, als der bloße, wenn auch nicht unbegründete Verdacht, dass ‚irgendwie‘ fast alles in unseren (post)modernen Zeiten als zwei-, mehr- oder vieldeutig, also als ambivalent zu beschreiben wäre“. 13 Berges, Seiten, 33.

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Christusgemeinde. In diesem Sinnentwurf deutet er die Inkarnation grundlegend als selbstbestimmte Selbsterniedrigung des in Gottesgestalt seienden Christus, den er der Gemeinde gleichermaßen als Ur- und Vorbild vor Augen stellt. Diese These lässt sich noch weiter profilieren, wenn man Norbert Lohfinks provokantes Diktum vom Gottes Sklaventum christologisch modifiziert und auf die Situation im Philipperbrief anwendet: Paulus zeichnet die Sozialstruktur des neuen Heilsraums „in Christus“ in der römischen Kolonie Philippi substantiell als Sklaventum Christi14 und stellt Christus gleichermaßen als Sklaven und universalen Kyrios mit einer gottgeschenkten immensen Herrschaftsmacht vor Augen. Das Diktum vom Gottes Sklaventum hat Norbert Lohfink für die Exodustheologie geprägt. Am Ende seines Wörterbucheintrags zum Lemma ‫ חפשׁי‬weist er auf die theologische Bedeutung von Sklaventum und Sklavenbefreiung in Israel hin. Bereits in Dtn 6,20–25 diene „die Befreiung aus der ägyptischen Sklaverei zur Legitimation des Gehorsams gegenüber dem Gesetz JHWHs.“ Die gleiche Vorstellung sei „[n]och reflexer“ in Lev 25 entfaltet, allerdings ohne Rückgriff auf den Begriff ‫חפשׁי‬. Diesen Ausfall begründet Lohfink mit Verweis darauf, dass der Israelit, welcher „sich um seiner Schulden willen verkauft, gar nicht zum wirklichen Sklaven gemacht werden darf “. Nach Lev 25,40 müsse ein solcher Israelit als ‫( שׂכיר‬Lohnarbeiter, Tagelöhner) und als ‫תושׁב‬ (Halbbürger15) behandelt werden, da „ja alle Israeliten Sklaven JHWHs“ seien. Dies wiederum seien die Israeliten eben dadurch geworden, „daß JHWH sie der ägyptischen Sklaverei einrissen hat“ (Lev 25,42; 25,55)16. Das paradox anmutende Moment dieser Exodus-Theologie, welches sich aus dem Zusammenspiel zwischen der Befreiung aus der Sklaverei und dem Eintritt in ein neues Abhängigkeitsverhältnis abzeichnet, bringt Lohfink abschließend auf den Punkt: „So führt die Exodus-Theologie einerseits dazu, daß menschliche Sklaverei abgebaut wird, andererseits wird aber nicht etwa eine Theologie der ‚Freiheit‘, sondern eine Theologie des Gottessklaventums erreicht.“17

Meine These zum Christi Sklaventum im Philipperbrief beruht auf folgenden Grundannahmen: (1) Paulus setzt mehrdeutige Aussagen im Philipperbrief nicht allein in einem politisch potentiell gefährlichen Sachbereich ein. Mehrdeutige Aussagen dienen ihm vielmehr als wichtiges Mittel seiner theologischen und ethischen Argumentation (z. B. 2,5–6). (2) Die wiederholten Hinweise auf die Gefangenschaft des Briefschreibers (z. B. 1,7.13) machen die Adressaten darauf aufmerksam, dass Paulus aufgrund seiner Haftumstände möglicherweise „zwischen den Zeilen“ sprechen muss. Sie sind 14 Für de Wet, God, 8 war Sklaverei „an indispensible conceptual and intellectual tool for nascent Christianity“. Er sieht davon ab, den Sklaventopos allein auf einer metaphorischen Ebene zu verstehen. 15 Im Sinne von „Beisaß, der sich irgendwo aufhält, ohne das Bürgerrecht zu haben“ (­Gesenius, Handwörterbuch, 874 s.v. ‫)תושׁב‬ 16 Die Ausführungen dieses Abschnittes bis zu diesem Punkt: Lohfink, Art. ‫חפשׁי‬, 127. 17 Lohfink, Art. ‫חפשׁי‬, 127–128.

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somit hinreichend sensibilisiert, einen strategischen Einsatz von literarischen Mehrdeutigkeiten im Brieftext gezielt wahrzunehmen. (3) Der Terminus Christi Sklaventum ist ein beschreibungssprachlicher Begriff. Er knüpft an die quellensprachliche Selbstvorstellung des Apostels in 1,1 an und weitet diese auf die Gesamtgemeinde aus. Obwohl sich diese Ausweitung im Philipperbrief selbst nicht findet18, hat sie einen entscheidenden Ankerpunkt im Brieftext. Der Apostel bezieht seine Adressaten über die Gehorsamsthematik in seinen Entwurf eines Christi Sklaventums mit ein. Im Licht des Philipperhymnus attestiert er ihnen einen anhaltenden Gehorsam (2,12). Die Gemeinde folgt in den Augen des Apostels dem Handlungsvorbild Jesu, der selbstbestimmt Sklavengestalt angenommen und Gehorsam bis in die äußerste Konsequenz gelebt hat (2,8). Die Tatsache, dass Paulus weder in 2,8 noch in 2,12 den Adressaten des Gehorsams ausdrücklich nennt, eröffnet die Möglichkeit, in zwei sich ergänzende Richtungen zu denken: Die kausale Verknüpfung beider Hymnushälften lässt für 2,8 – und davon abgeleitet auch für 2,12 – an einen Gehorsam gegenüber Gott denken. Der konsequente Gehorsam gegenüber Gott und seinem Willen führt trotz der damit möglicherweise einhergehenden radikalen Gefährdung der eigenen Existenz (γενόμενος ὑπήκοος μέχρι θανάτου) zur definitiven Rettung und zum endgültigen Lebenserhalt.19 Darüber hinaus berühren die beiden Gehorsamsaussagen auch noch eine basalere Ebene, und zwar die Ebene der Begrenztheiten menschlicher Existenz. Diese Begrenztheiten zeigen sich für Joachim Gnilka „am eindrucksvollsten“20 im Tod. Von daher besteht die Erniedrigung Christi in seinem gehorsamen Eingehen auf die „Verfaßtheit der irdisch-kontingenten Existenz“ mit all ihren Begrenztheiten und Nichtigkeiten.21 Der Gehorsam der Gemeinde manifestiert sich in einer aktiven Akzeptanz der Begrenztheiten menschlicher Existenz hinsichtlich der Herausforderungen eines unerschrockenen Christuszeugnis. Ohnehin erweckt die Abfolge der beiden Aussagen über die Annahme von Sklavengestalt in 2,7b und über das Werden in Menschengleichheit oder -ähnlichkeit in 2,7c den Eindruck, dass der Hymnus das Mensch-Sein wesentlich vom Sklave-Sein bestimmt sieht.22 Menschliches Leben steht als ein Leben in Unterordnungs-, Gehorsams- und Abhängigkeitsstrukturen vor Augen. 18 Diese „Nicht-Ausweitung“ auf die Gesamtgemeinde ist wahrscheinlich der autoritätsgenerierenden Funktion geschuldet, welche Paulus mit seiner Selbstvorstellung als Sklave Christi verbindet. 19 Ausführlicher: Blumenthal, Beobachtungen, 120–122. Für die Menschen „in Christus“ ist zu ergänzen: Gehorsam gegenüber Gott, seinem Sohn und dessen Evangelium. 20 Gnilka 123. 21 Gnilka 123. 22 Der Hymnus stellt laut Feldmeier, Kyrios, 266 die Menschwerdung des in Gottesgestalt seienden Christus als einen „Akt göttlicher Selbstentäußerung“ vor Augen, „und zwar mit allen Konsequenzen des Eingehens in die als δουλεία verstandene conditio humana (vgl. Gal 4,3.7; Rom 8,15), deren äußerster Ausdruck ihre Todverfallenheit ist, die der Menschgewordene in Gestalt des Kreuzestodes gleichsam als worst case erleidet“ (Kursivdruck im Original).

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Kehrt man zurück auf die quellensprachliche Ebene, kann eine Annäherung an die Ambiguität im paulinischen Sklavenbegriff über eine kommunikationstheoretische Beobachtung erfolgen. Diese Beobachtung nimmt literarische Ambiguitäten als ein dynamisches und komplexes Phänomen wahr. Mehrdeutigkeiten sind zwar „potenziell in (sprachlichen) Zeichen vorhanden“, werden „aber nur unter bestimmten Bedingungen funktional“23. Die Aktivierung von Mehrdeutigkeiten, d. h. deren Aus- und Auflösung geschieht im Diskurs zwischen Sender- und Empfängerinstanz. Von daher ist zu fragen, „whether the ambiguity occurs in the production or the reception process and whether it is deliberate or non deliberate.“24 Unter diesem Betrachtungswinkel steht Paulus als Textproduzent vor Augen, der die Ambiguität in seinem Sklavenbegriff intendiert auslöst. Dazu nimmt er die Alltagserfahrung und die Alltagssemantik dieses Begriffs mit seinen vielschichtigen Facetten von starken asymmetrischen Abhängigkeiten, spannungsvoller Zugehörigkeit und potentieller Willkürerfahrung auf und erweitert die Semantik um Aspekte von Selbstbestimmung und Autorität. Sklaverei ist in der antiken Mittelmeerwelt des Paulus und seiner Gemeinde in Philippi ein ungemein vielgestaltiges Phänomen. Die soziale Lebenswirklichkeit von Sklavinnen und Sklaven wich in Abhängigkeit vom jeweiligen Einsatzgebiet und „Verwendungszweck“ erheblich voneinander ab. Peter Müller etwa beobachtet: „Sklaven, die bei ihren Herren höchst angesehen waren und deren Geschäfte führten, gehörten ebenso zum Sklavenstand wie Bergwerkssklaven, die unter erbärmlichen Umständen zu harter körperlicher Arbeit gezwungen wurden“25. Ein die Gutsgeschäfte seines Herrn führender Sklave konnte sich einem „rechtlich freien, wirtschaftlich aber teilweise extrem abhängigen Kleinbauern (colonus), der auf demselben Gut eine Parzelle gepachtet hatte, sozial weit überlegen fühlen“26. Eine solche Statusinkonsistenz zeigte sich möglicherweise bei (einzelnen) Sklaven (oder Freigelassenen) des Kaisers noch deutlicher: „Servi Caesaris und liberti Augusti konnten Karrieren in den kaiserlichen Verwaltungen machen, durch welche sie mehr Einfluss und Reichtum gewinnen konnten als mancher Senator. Sie waren hoch qualifizierte, gut ausgebildete Fachleute, die den freien Verwaltungsbeamten überlegen waren.“27 Die Frage nach dem tatsächlichen Einfluss dieser Sklaven und deren Karrieremöglichkeiten ist nach Sabine Müller aber „[a] subject of constant academic de­ 23 Wörtlich der ausführlichen Beschreibung des Tübinger Graduiertenkollegs 1808 ent­ nommen: https://uni-tuebingen.de/forschung/forschungsschwerpunkte/graduiertenkollegs/grk1808-ambiguitaet-produktion-und-rezeption/forschung/forschungsprogramm/ (Zugriffsdatum 12. März 2021). 24 Winkler, Ambiguity, 2–3. Die drei voranstehenden Sätze insgesamt nach Winkler ebd. 1–3 und der Beschreibung des Tübinger Graduiertenkollegs. 25 Müller, Phlm, 54. 26 Müller, Phlm, 56; aufgrund dieser Vielgestaltigkeit seien bei der (wissenschaftlichen) Beschäftigung mit antiker Sklaverei „[r]echtliche Unfreiheit und Diskriminierung […] als Grundelemente der antiken Sklaverei so miteinander zu verbinden, dass dadurch ihre verschiedenen Sonderformen nicht ausgeschlossen werden“ (ebd. 58). 27 Hermann-Otto, Art. Sklaven, 97 (Kursivdruck im Original).

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bate“28. Die Mitglieder der Familia Caesaris bildeten ihrer Ansicht nach „an elite in the hierarchy of slaves and freedmen of imperial society“29. Wenn Michael Flexsenhar die erhebliche Diversität der Mitglieder dieser Gruppe betont, ergibt sich für die Situation der kaiserlichen Sklaven (und Freigelassenen) ein ähnlich vielgestaltiges Bild wie bei sämtlichen Formen antiker Sklaverei:30 „In the light of recent studies on Roman slavery, it is now clear that the emperor’s slaves really were slaves. Imperial freedmen really were former slaves. They experienced violent domination, natal alienation, and dishonour – three elements that, combined, are now standard in the definition of Roman slavery.“31 Die Vielgestaltigkeit von „Sklaverei“ manifestiert sich in einem höchst divergierenden, teilweise in sich widersprüchlichen Alltagserleben: Sklavinnen und Sklaven erfuhren sich als „Privateigentum“32 ihres Herrn (oder ihrer Herrin), der „volle Verfügungsgewalt über sein Besitzstück (ἀνδράποδον)“33 hatte. Von daher galt: „Ob es einem Sklaven gut oder schlecht ging, ob er gesundheitsschädliche Arbeiten verrichten musste, keine Aussicht auf Freilassung hatte bzw. ‚als altes Gerümpel ausrangiert‘ wurde (Plut. Cato maior 5), hing ganz von seinem Herrn ab.“34 Es kann sich auch eine vertrauensvolle, persönliche Beziehung zwischen Sklavin /  Sklave und Herrin / Herr ergeben.35 Seneca merkt in seinem Brief an Lucilius an 28 Müller, Art. Familia Caesaris (ohne Seitenzahl); siehe die unterschiedlichen Einschätzungen etwa von Weaver, Familia Caesaris oder Winterling, Aula Caesaris. 29 Müller, Art. Familia Caesaris (ohne Seite). 30 Flexsenhar, Christians, 11–20, besonders ebd. 14: „The experience of imperial slavery was diverse just as other forms of slavery were. […] Certain individual imperial slaves and freedmen, to the utter indignation of elite Roman authors, were so filthy rich and so influential over and above their legal status that they might affect the imperial power structures themselves“. Aufs Ganze gesehen sei die Gruppe der kaiserlichen Sklaven und Freigelassenen aber „more like other groups of slaves and freedmen in the Roman world“ (ebd. 16); vgl. zur Diversität dieser Gruppe auch Standhartinger, Greetings, 474–475. 31 Flexsenhar, Christians, 13. 32 Ebner, Phlm, 91. 33 Ebner, Phlm, 91; vgl. auch Müller, Phlm, 149: „Das Verhältnis zwischen Herrn und Sklaven wird in den antiken Gesellschaften in erster Linie als privatrechtliches Eigentumsverhältnis verstanden“; dies gilt auch für das Judentum (vgl. nur Ex 21,20–21). Bellen stellt seine Untersuchung unter die Überschrift: „Vom halben zum ganzen Menschen“. Die Antike habe Sklaven als halbe Menschen betrachtet, was sich im Alltag etwa an Folgendem zeigte: Bei einem Delikt an einem Sklaven beispielsweise reduzierte sich der Anspruch auf Schadensersatz um 50 % (Belege ebd. 13–14). 34 Hermann-Otto, Art. Sklaven, 96. 35 So z. B.  auch Müller, Phlm, 58. Er spricht von einer „soziale[n] Verwurzelung von Sklaven in einer Hausgemeinschaft“. Aufgrund dessen hole eine Beschreibung von Sklaverei als sozialer Tod „einen für viele Sklaven wesentlichen Aspekt“ ein, „aber nicht die antike Sklaverei in ihrer Gesamtheit“. Vor einer übertriebenen Romantisierung warnt Bond, Maintaining, 176 nachdrücklich (Kontext ist der Umgang mit der Vitalis-Inschrift aus dem 2./3. nachchristlichen Jahrhundert, deren Text und englische Übersetzung sie ebd. 174–175 bietet): „A rather romantic view of the Vitalis inscription is often taken within New Testament studies that cite it, focusing on Vitalis as an enslaved man who was obviously a beloved but adopted son, and even imagining that he was manumitted. This can come dangerously close to playing into the narrative that condones slavery within the Roman Empire as in institution that could create loving relationships between master and slave.“

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(Ep. 47.1): „Gerne höre ich von denen, die zu mir kommen, dass du mit deinen Sklaven freundschaftlich lebst (familiariter te cum servis tuis vivere). Das geziemt auch deiner Klugheit und deiner Erziehung. (Die Leute sagen:) Sie sind Sklaven. Nein, Menschen (homines). Sie sind Sklaven. Nein, Hausgenossen (contubernales). Sie sind Sklaven. Nein, niedrige Freunde (humiles amici). Sie sind Sklaven. Nein, Mitsklaven, wenn du nämlich bedenkst, dass dem Schicksal beiden gegenüber gleich großes möglich ist“ (Übersetzung Gerhard Fink). Momente menschlicher Nähe zwischen Sklavin / Sklave und Herrin / Herr klingen auch in Alltagspapyri an.36 So spricht eine Frau namens Thermuthion in einer Petition an den zuständigen Strategen von ihren Emotionen angesichts der Verletzungen, welche ihre Sklavin durch einen Unfall erlitten hat: „… ich kann den Schmerz über das Sklavenmädchen nicht ertragen, weil sie zum einen in Lebensgefahr ist und weil ich mich zum anderen in großer Traurigkeit um ihr Leben befinde“. Zuvor hat sie bereits bekundet: „Ich liebte und pflegte mein hausgeborenes Sklavenmädchen, dessen Namen Peina ist, wie ein Töchterlein“. Dabei verhehlt Thermuthion nicht die Zielsetzung, welche sie mit ihrer Sklavin verbindet: „in der Hoffnung, dass sie mich, wenn sie volljährig ist, im Alter pflegen wird“ (P.Oxy L 3555 aus dem 2.–3. Jahrhundert auf den Zeilen 4–8 und 34–38).37 Dennoch bleibt festzuhalten: Unabhängig vom sozialen Status der einzelnen Sklavin /  des einzelnen Sklaven und den jeweiligen konkreten Lebensbedingungen ist Sklaverei als soziale Institution „ein strukturelles Gewaltverhältnis“ (Hans-Joachim Gehrke).38 Eine Sklavin / ein Sklave ist vollkommen von der Gunst oder Willkür seiner Herrin / seines Herrn abhängig.39 Die einem einfachen freien römischen Bürger zur Verfügungen stehenden Rechte (z. B. Berufungsmöglichkeiten gegen Magistratsentscheidungen; Vertretung durch den Volkstribun; Schutz vor körperlicher Züchtigung) konnte ein Sklave nicht in Anspruch nehmen.40 Da Sklaven im römischen Recht nicht als Person galten, hatten sie auch keine Rechtsfähigkeit, sondern wurden rechtlich von ihrem Herrn vertreten. Ferner war Sklaven „politische Mitbestimmung ebenso verwehrt […] wie der Zugang zu politischen Ämtern und Militärdienst. Dies gilt aber auch für alle, die kein Bürgerrecht besitzen (z. B. Fremde), und für alle Frauen“41. 36 Darauf wies mich Christina M. Kreinecker (Leuven) hin und nannte mir auch das folgende Beispiel. Dafür danke ich ihr herzlich. 37 Es bleibt letztendlich natürlich unentscheidbar, inwieweit der Verweis auf die eigene höchste Betroffenheit als rhetorischer Effekt zu betrachten ist. In aller Vorsicht darf unter argumentationsstrategischer Perspektive aber dennoch Folgendes vermutet werden: Dass Thermuthion „menschliche Nähe“ als gewichtiges Argument in ihrer Petition anführt, deutet auf ein fundamentum in re für eine solche Beziehungskonstellation hin. Würde ihre Behauptung einer (emotionalen) menschlichen Nähe zwischen ihr (als Herrin) und ihrer Sklavin sämtlichen Alltagserfahrungen zuwiderlaufen, würde ihr Argument den Strategen kaum überzeugen und ins Leere laufen. 38 Gehrke, Art. Sklaverei. III. Griechenland (ohne Seitenzahl; der Artikel ist im hiesigen Literaturverzeichnis unter: Neumann u. a., Art. Sklaverei zu finden). Gehrke trifft seine Aussage für die Situation im antiken Griechenland: Ich übernehme sie für die (Mit-)Welt des Paulus. 39 Für de Wet, God, 1 war Sklaverei „a principal social institution in the ancient Mediterranean. In its most basic sense, enslavement occurs when a subject is seized, often violently, thereby falling under the absolute dominion of another and often becoming the human property of another. The slave is expected to follow every command of the master.“ 40 Eng angelehnt an: Kreinecker, Freiheit, 99–100. 41 Kreinecker, Freiheit, 100.

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Speziell im Bereich der Autoritätsgenerierung in 1,1 knüpft Paulus an alttestamentliche Vorgaben und Septuaginta-Sprachgebrauch an (vgl. nur für Abraham Ps 104,42LXX, für Josua Jos 24,30 und für David 2Kön 19,34).42 Er präsentiert sich über die Sklavenselbstvorstellung als Mittler zwischen dem erhöhten Kyrios und den Menschen „in Christus“. Auf dieser Spur gehört zum semantischen Profil des Sklavenbegriffs „nicht nur das Merkmal der Unterwerfung und Abhängigkeit, sondern auch, dass ein Sklave nicht anderes tut als das, was sein Herr ihm aufträgt, und dass er nichts anderes ist als das Werkzeug seines Herrn“. Dabei führt Paulus durch die explizite Nennung dieses Herrn (δοῦλος Χριστοῦ Ἰησοῦ) bereits am Briefbeginn die Autorität desjenigen ins Feld, welchem er sich mit Timotheus und der Gemeinde in Philippi unbedingt zugehörig weiß.43 Als Sklaven Christi Jesu treten die Briefschreiber der Gemeinde gegenüber als Autoritätsgestalten auf und lassen den Anspruch anklingen, den „Christus in Sklavengestalt“ nachzuahmen und als Sklaven des universalen Weltenherrn zu agieren.44 Mit der Integration der Komponenten von Autorität und Selbstbestimmung zielt Paulus keineswegs darauf, Abhängigkeits- und Unterordnungsfacetten in seinem Sklavenbegriff zu relativieren oder gar zu überschreiben; auch lässt sich nicht erkennen, dass der Apostel Selbstbestimmung mit Abhängigkeit (dialektisch) zu versöhnen sucht. Im Gegenteil: In seinem Sklavenbegriff spitzt er die beiden Aspekte zu einer Polarität zu. Die beiden Pole sind in ihrer spannungsvollen Gleichzeitigkeit gleichberechtigt und verleihen dem paulinischen Sklavenbegriff sein spezifisches Profil. Im Philipperhymnus verwebt Paulus die Profilierung seines Sklavenbegriffs mit seiner Deutung des Christusereignisses. Während die Sklaven- und Gehorsamssemantik in 2,6–8 den Gedanken stark macht, dass sich Jesus durch seine Inkarnation in ein radikales Abhängigkeits- und Unterordnungsverhältnis begeben hat, akzentuiert dessen zeitgleiche Präsentation als Handlungsträger seine anhaltende Selbstbestimmtheit. Der Christus „in Gottesgestalt“ entleerte sich selbst (ἑαυτὸν ἐκένωσεν) und erniedrigte sich selbst (ἐταπείνωσεν ἑαυτόν) bis hinein in die äußerste Schande eines unehrenhaften Todes am Kreuz. Da der Hymnus die Zu 42 Für die Annahme, dass Paulus in seinem Sklavenbegriff verschiedene Facetten aus unterscheidbaren Traditionen miteinander verknüpft, sprechen auch traditionsgeschichtliche Erwägungen. Nach Becker, Paulus, 211 hat man „mit einer synthetisierenden Adaption verschiedener Motivbereiche zu rechnen, die sozialhistorisch (griechisch-römische und frühjüdische Welt) und traditionsgeschichtlich (vor allem Septuaginta-Rezeption) determiniert sind“ (Kursivdruck im Original). 43 Die voranstehenden Sätze nach Wolter, Röm 1, 79–80 (ebd. 80 auch die Zitate). W ­ olter trifft diese Aussagen für die Sklavenselbstvorstellung in Röm 1,1; ich übertrage sie oben im Haupttext auf die Situation in Phil 1,1. 44 Wenn Paulus zur Autoritätsgenerierung die Sklavenbezeichnung verwendet und von der Annahme einer Sklavengestalt durch Christus spricht, gibt er den Menschen mit Leitungsfunktion in der Gemeinde in Philippi nachdrücklich folgendes Signal: Innergemeindliche Autorität und Leitung gewinnt in einer konsequenten Nachahmung der Abstiegsbewegung Jesu ihre Gestalt und nicht in einer Vor- oder Überordnung, die auf den eigenen Vorteil zielt.

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ordnung der beiden Aussagereihen über die Selbstentleerung in 2,7 und die Selbsterniedrigung in 2,8 nicht eindeutig festlegt, bleibt die Zuordnung deutungsoffen. Klar scheint, dass diese beiden Aussagereihen das eine Geschehen der Inkarnation aus verschiedenen sprachlichen Perspektiven beleuchten. Dabei zeigt die abschließende Aussage über den Gehorsam eine deutlich durative Prägung und umfasst die Zeitspanne von der Annahme der Sklavengestalt bis hin zum Tod am Kreuz. Die vage Formulierung von 2,7–8 lässt im Hinblick auf das Handlungssubjekt zwei Interpretationsmöglichkeiten zu, welche sich gegenseitig ergänzen: (1) Betrachtet man die beiden Reihen als deckungsgleich im Bereich „Handlungssubjekt“, gilt: Der Christus „in Gottesgestalt“ hat sich selbst entleert, Sklavengestalt angenommen und gelangte damit in Menschengleichheit. Diesen Vorgang beschreibt 2,8 als Selbsterniedrigung und Gehorsamswerdung des in „Gottesgestalt“ Seienden. (2) Schreibt man der Abfolge der Aussagen in 2,7–8 auch eine nuancierende Funktion zu, wird im Hinblick auf das Handlungssubjekt folgende Annahme möglich: Das selbstbestimmte Handeln, welches in Option (1) wesentlich mit dem Christus in „Gottesgestalt“ als Subjekt verbunden ist, reicht in seine Existenz in Sklavengestalt hinein. Es gilt: Der Christus „in Gottesgestalt“ hat sich selbst entleert, Sklavengestalt angenommen und ist damit in Menschengleichheit gelangt. Als Christus in Gottes- und Sklavengestalt hat er sich selbst erniedrigt und hat Gehorsam aktiv praktiziert. Dabei präsentiert der Hymnus den Gehorsam zur gleichen Zeit sowohl als erreichten Zustand („er war gehorsam“) als auch als prozesshaftes Geschehen („er wurde gehorsam“). Der Christus in Gottes- und Sklavengestalt ist gehorsam und holt diesen Zustand durch aktives Handeln immer wieder neu ein bis hin zum Tod am Kreuz. Angesichts der polaren Fassung des Sklavenbegriffs im Philipperbrief griffe es zu kurz, den Eintritt in die Jesusnachfolge bei Paulus eindimensional als Eintritt in ein (weiteres) Abhängigkeits- und Gehorsamsverhältnis zu verstehen. Der Schritt hinein „in Christus“ konstituiert in den Augen des Apostels sicherlich ein starkes Abhängigkeits- und Gehorsamsverhältnis mit einem ausgeprägten Macht- und Herrschaftsgefälle zwischen dem Menschen „in Christus“ und dem universalen Weltenherrn. Unbenommen erweist sich diese zentrale Komponente des paulinischen Gemeindeentwurfs als höchst problematisch und hochgradig missbrauchsanfällig. Die Konstruktion und die Kontrolle dieser Abhängigkeitsstrukturen liegen ganz in der Hand einer einzelnen Person, nämlich beim Briefschreiber und Gemeindegründer Paulus. Seine Schlüsselstellung tritt vollends zutage, wenn man die Interpretationsbedürftigkeit des Christusereignisses in Rechnung stellt. In seinem Brief legt Paulus den Philippern seine Deutung dieses Ereignisses vor und leitet aus dieser Deutung seine Konstruktion von Abhängigkeits- und Machtstrukturen ab; zur gleichen Zeit legitimiert er diese Konstruktion und seine Handlungsaufforderungen mit Verweis auf eben dieses Christusereignis (eigentlich: auf seine Ereignisdeutung).

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Diese strukturelle Problematik scheint Paulus bereits selbst gesehen zu haben. Darauf deutet zumindest sein Versuch hin, Mechanismen zum Schutz vor Willkür und missbräuchlicher Machtausübung in diesen Abhängigkeitsstrukturen zu verankern. Als einen zentralen Schutzmechanismus betrachte ich sein Zugeständnis an sämtliche Menschen „in Christus“, auch eigene Heilsinteressen verfolgen zu dürfen (vgl. 2,4.12). Zieht man diese Spur weiter aus, wird deutlich: Für Paulus führt der Eintritt hinein „in Christus“ zu einem Leben in einem spannungsvollen Zugleich von radikaler Unterordnung, gegenseitiger Höherschätzung und Möglichkeiten eigener Interessensverwirklichung. Das Zugeständnis, eigene Heilsinteressen verwirklichen zu dürfen, zeigt sich neben dem Aufruf aus 2,4, auch auf das Wohl der anderen zu achten,45 in der Näherbestimmung von σωτηρία in 2,12. Die Tatsache, dass Paulus dieses Nomen nicht etwa durch das Possessivpronomen ὑμῶν näherbestimmt („euer Heil“), sondern durch das Reflexivpronomen ἑαυτῶν (ἡ ἑαυτῶν σωτηρία), hat die Forschung weitgehend registriert und eine Auseinandersetzung darüber ausgelöst, ob der Apostel damit eher einen individuellen oder aber einen gemeindlichen Akzent zu setzen beabsichtige.46 Schaut man auf die vorgängigen ἑαυτῶν-Aussagen in 2,3.4.7.8 und das dortige Wechselspiel zwischen kollektiver und individueller Fokussierung, gewinnt man folgenden Eindruck: Die ersten beiden ἑαυτῶν-Aussagen aus 2,3.4 rufen im Syntagma ἡ ἑαυτῶν σωτηρία in 2,12 eine gemeindliche Dimension wach und lassen an „euer Heil im Sinne des Heils der Gemeinde“ denken. Daneben eignet dem Reflexivum bei seiner Verwendung in 2,12 zudem eine positiv konnotierte, individuell-personale Note, und zwar von seinem Einsatz in den individuell gefassten ἑαυτῶν-Aussagen im Hymnus. Diese Facette gewinnt in 2,12 im Gedanken Gestalt, sich für die Erlangung des je eigenen endgültigen Heils einzusetzen. Diese Implikation, welche der Einsatz von ἑαυτῶν anstelle des eher eindimensionalen ὑμῶν auslöst, fügt sich passgenau in den übergreifenden Aufruf zu innergemeindlicher Eintracht und zu einem konsequenten altruistischen Handeln ein. Denn diese übergreifende Handlungsorientierung bindet die Ausrichtung auf das je eigene Heil vom Ansatz her immer an das Wohlergehen des anderen zurück.47 Fragt man nach dem pragmatischen Potential der Ambiguität im paulinischen Sklavenbegriff, verdienen drei Aspekte Beachtung,48 welche den Bogen zum kom 45 Siehe in Abschnitt 3.2.2.2. 46 Siehe zum folgenden Abschnitt schon: Blumenthal, Beobachtungen, 114–116. 47 Auch Silva 121 sieht die ekklesiologische und (individual-)soteriologische Dimension berührt: „In the particular context of Phil. 2, the outworkings of the believer’s personal salvation take the form of corporate obligations within the Christian community: the duty of seeking the good of others“ (Kursivdruck im Original). 48 Eine weitere Dimension zeigt sich bei einer genderthematischen Betrachtung. Meine diesbezügliche These lautet: In der polaren Begriffsfassung läuft hintergründig eine Auseinan-

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munikationstheoretischen Ausgangspunkt zurückschlagen lassen. Diesmal rückt die Rezipientenseite in den Fokus: (1) Der paulinische Sklavenbegriff nimmt in seinem Pol „asymmetrische Abhängigkeit“ und „radikaler Gehorsam“ die vielschichtige Alltagserfahrung mit Sklaverei auf und ist der Gemeinde von daher unmittelbar zugänglich (Anschlussfähigkeit). Aufgrund ihrer alltäglichen Vertrautheit mit der Sozialform Sklaverei sind die Gemeindemitglieder aber auch in der Lage, das Innovationspotential des paulinischen Entwurfs intuitiv zu erfassen (Neujustierung): Mit dem Gegenpol „Selbstbestimmung“ macht Paulus deutlich, dass der einzelne Menschen durch seine Einbindung in ein Abhängigkeits- und Gehorsamsverhältnis nicht notwendigerweise zum fremdbestimmten Objekt degradiert wird; auch lebt der Mensch durch diese Einbindung nicht „automatisch“ in (potentiellen) Willkürstrukturen ohne Recht auf eigene Interessen. Über das Zusammenspiel von Anschlussfähigkeit und Neujustierung entgeht Paulus der Gefahr, dass sein gemeindlicher Lebensentwurf als welt- und alltagsfremde Utopie begriffen wird. Er orientiert seinen Entwurf an landläufigen Macht-, Hierarchie- und Abhängigkeitsstrukturen, zeigt sich aber gleichermaßen bestrebt, Willkür einen Riegel vorzuschieben. (2) Der ambipolare Sklavenbegriff ist im Philipperbrief ein hochfunktionaler gemeindlicher Integrationsbegriff, welcher entscheidend zur (Wieder-)Herstellung und Festigung von Eintracht und Zusammenhalt in der Gemeinde beitragen kann. Diese Leistungsfähigkeit wächst dem Begriff dadurch zu, dass er aufgrund seiner Polarität zwischen selbstbestimmtem Handeln und völliger Abhängigkeit ein weites Spektrum rechtlicher Lebenswirklichkeiten in sich vereinigt und untrennbar aufeinander bezieht. Der ambige Sklavenbegriff adressiert in der Gemeinde in Philippi gleichermaßen rechtlich Freie und abhängige Sklaven, deren soziale Alltagserfahrungen unter Umständen gar nicht weit auseinander lagen. Diese weite Adressierung kann auf Rezipientenseite Ambivalenzerfahrungen provozieren.49 Unabhängig vom weltlichen Rechtsstatus und der sozialen Stellung sind die Adressaten gefordert, sich „in Christus“ gleichermaßen als radikal abhängig-gehorsam und selbstbestimmt zu begreifen. Jedes einzelne Gemeindemitglied ist „in Christus“ sowohl zum Gehorsam verpflichtet als auch zur Selbstdersetzung mit dem gesellschaftlich hochrelevanten und omnipräsenten Thema „Männlichkeit“ ab. Dabei vereint der paulinische Sklavenbegriff im Philipperbrief Momente sowohl der Infragestellung als auch der Festigung von „Männlichkeit“ in sich (ausführlich: Blumenthal, Sklave). 49 Mit dem Begriff Ambivalenz rekurriere ich auf den Spuren von Eugen Bleuler und Ulrich Berges auf ein Erleben, das von Konflikten und Widersprüchlichkeiten geprägt ist. Damit ist die Subjektseite und deren affektive und intellektuelle Situationsbewertung im Fokus: Berges, Seiten, 33 grenzt unter Einbeziehung von Bleuler Ambiguitäts- und Ambivalenzbegriff so ab, dass „Ersterer die Objekt-, Zweiterer die Subjektseite betrifft“. Bleuler, Ambivalenz, 105 spricht von einer „doppelte[n] Wertung, die naturgemäß meist eine gegensätzliche ist. Die Wertung kann eine affektive oder eine intellektuelle sein, d. h. eine Idee kann mit positiven oder mit negativen Gefühlen betont, oder sie kann positiv oder negativ gedacht werden“.

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bestimmtheit ermächtigt. Lassen sich die Adressaten auf diese Herausforderung zur Perspektivübernahme ein,50 teilen sie eine gemeinsame Grunderfahrung „in Christus“, und zwar über ihre rechtlichen Statusunterschiede und ihre sozialen Ungleichheiten in der Welt hinaus. Der ambige Sklavenbegriff weist die einzelnen Gemeindemitglieder in ihren unterschiedlichen rechtlichen Stellungen konsequent sowohl auf den eigenen Rechtstatus als auch auf den jeweiligen Gegenpol. Der weltliche Sklave bleibt in der Gemeinde zum Gehorsam verpflichtet und soll sich doch ebenso tatsächlich selbstbestimmt erleben,51 der rechtlich Freie verliert seinen Status „in Christus“ nicht und soll sich doch gleichzeitig auch in radikale Unterordnungs- und Gehorsamsstrukturen einfügen. Kommt es zu einer gegenseitigen Perspektivübernahme, entsteht ein gemeinsamer Erfahrungsraum, in welchem diese Gegen-Perspektiven in ihrer spannungsvollen Widersprüchlichkeit gleichzeitig und gleichermaßen bestehen und untrennbar aufeinander bezogen sind. Strategisch dient die Schaffung eines solchen gemeinsamen Erfahrungsraums ganz wesentlich dem paulinischen Zentralanliegen, die Eintracht und Einheit der Gemeinde zu festigen bzw. wiederherzustellen (2,1–4).52 (3) Mit seiner anspruchsvollen Begriffsfassung begegnet Paulus möglichen von außen kommenden Ambivalenzerfahrungen im Alltag der jungen Christusgemeinde in der römischen Kolonie Philippi. Solche Erfahrungen können aus der zeitgleichen Einbindung der einzelnen Gemeindemitglieder in unterschiedliche Lebenskontexte wie Christusgemeinde, Haus oder Verein ergeben. Die Gemeinde darf sich einerseits in ihrem neuen Heilsraum „in Christus“ wissen und die Wirklichkeit dieses neuen Lebensraumes in einer (zu erstrebenden) gemeinschaftlichen Eintracht tatsächlich erfahren; andererseits bleiben einzelne Gemeindemitglieder in ihren alltäglichen Einbindungen und asymmetrischen Unterordnungen ohne Selbstbestimmungsmöglichkeiten ‚gefangen‘. Einerseits verkündet Paulus den Kyrios als universalen Weltenherrn, andererseits erleben die Philipper in ihrem Alltag weiterhin die Auswirkungen der Politik des kaiserlichen ‚Weltenherrn‘ in Rom und seiner örtlichen Repräsentanten. 50 Eine „abgeschwächte“ Herausforderung dieser Art erleben jene Sklaven in ihrem Alltag, die selbst Sklaven besitzen. Sie erleben als abhängige Sklaven die Forderung nach unbedingtem Gehorsam und können diese Haltung von ihren Sklaven einfordern (Bezugsverhältnis 1: Herr → Sklave 1 & Bezugsverhältnis 2: Sklave 1 als Herr → Sklave 2). Die besondere Herausforderung „in Christus“ besteht darin, dass Selbstbestimmtheit und Gehorsam im Hinblick auf den einen Herrn (= Jesus Christus) gelten und nicht in zwei unterschiedlichen Bezugsverhältnissen zu leben sind. 51 Paulus geht es nicht darum, ein Leben in Gehorsams- und Abhängigkeitsstrukturen als „frei“ umzudeuten; Abhängigkeit bleibt bei ihm Abhängigkeit. Die Komponente „Selbstbestimmung“ ergänzt den Pol „Abhängigkeit“ um den Gegenpol. Beide Pole bestehen für Paulus gleichermaßen und gleichzeitig in einem spannungsvollen Zusammenspiel. 52 Eine weitere intendierte Ambiguität zur Sicherung der gemeindlichen Eintracht findet sich in der Gottgleichheitsaussage in 2,6: Mehr bei Blumenthal, Gottgleichheitsaussage, 196–199.

Kapitel 5.  Paulinische Raumpolitik im Philipperbrief Eine Ergebnisbündelung

Die vorliegende Untersuchung widmet sich „Raum“ als theologischem Topos im Philipperbrief. Zentrale Einsichten darf ich abschließend in 14 Punkten bündeln: (1) Der von Paulus im Philipperbrief gezeigte Welten-Raum liegt in Form eines mentalen Modells der Briefempfänger vor. Die Adressaten sind gefordert, die textuellen Informationen mit ihren Alltagsvorstellungen von (kosmischem) Raum und Raumzuordnungen zu verknüpfen und so die räumlichen Gegebenheiten der gezeigten Welt zu re-konstruieren. Angesichts der symbolischen Aufladung der Weltbilder seiner Zeit durfte Paulus davon ausgehen, dass sich die Briefempfänger bei diesem kognitiven Rekonstruktionsvorgang den jeweiligen (kosmischen) Raum nicht als neutrale Kulisse etwa des Christusgeschehens vor Augen führen. Sie laden „Raum“ vielmehr mit (symbolischen) wertenden Assoziierungen und Attribuierungen hochgradig auf. (2) Meiner raum-politischen Lektüre des Philipperbriefes lege ich einen weiten Politikbegriff zugrunde. Diese Begriffsfassung erinnert daran, dass sich Paulus mit dem Philipperbrief nicht exklusiv am Römischen Reich und dessen Repräsentanten abarbeitet. Sein Anspruch ist viel weitreichender und umfassender, als es eine eng geführte imperiumskritische Lektüre zutage fördern könnte. Der Brief zeugt durchweg von der Hoffnung des Apostels, der Heilsraum „in Christus“ möge eine konkrete und sozial fassbare Gestalt „vor Ort“ gewinnen. Der Anspruch auf Hinausversetzung und realweltliche Gestaltwerdung verlangt von Paulus, sich mit den Herrschafts- und Wertevorstellungen seiner Mitwelt auseinanderzusetzen. Diese Auseinandersetzung führt er kritisch-konstruktiv im Licht der Gründungserzählung der neuen Gemeinde „in Christus“ (2,6–11). Er rezipiert Handlungsmaximen und Wertevorstellungen seiner Mitwelt, wenn sie ihm geeignet erscheinen, zur Gestaltwerdung der neuen Existenz „in Christus“ beizutragen. Spuren einer solchen konstruktiven Verarbeitung finden sich beispielsweise in 2,3–4 und 4,5. Die dortigen Aufrufe zu Eintracht und Milde erweisen sich gleichermaßen als anschlussfähig und gruppenspezifisch, wobei diese Polyfunktionalität aus strategischen Gründen hochbedeutsam ist. Durch ihre Anschlussfähigkeit schlagen die Mahnungen die Brücke in die Mitwelt der christlichen Gemeinde und erleichtern so den (künftigen) Gemeindemitgliedern, an die Gemeinde „in Christus“ anzuknüpfen und diese Anknüpfung zu verstetigen. Nach Ansicht des Apostels soll die Teilidentität „berufene Heilige in Christus“ zur dominanten und maßgeblichen Identität der einzelnen Gemeindemitglieder

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werden, ohne dass damit notwendigerweise alle anderen Teilidentitäten wegfallen (z. B. in Haus, Verein oder öffentlichem Leben). Die Gemeindemitglieder bleiben auch nach ihrer Christwerdung in zahlreiche soziale Bezüge eingebunden und sollen als Licht in der Welt leuchten. Den Brückenschlag in die Mitwelt verknüpft Paulus untrennbar eng mit der Absicht, der Gemeinschaft „in Christus“ ein spezifisches Profil zu verleihen. Als Dreh- und Angelpunkt dieser Profilierung kann der Aufruf zu einem Handeln gelten, welches um die eigene Niedrigkeit weiß und sich zentral am Wohlergehen des Mitmenschen ausrichtet. Weder Statusbewahrung noch Statusverbesserung ist die vom Christusereignis her „in Christus“ geforderte Haltung, sondern einzig und allein jene Demutsgesinnung, welche den anderen bedingungslos höher schätzt. Dabei gesteht Paulus den Menschen „in Christus“ die Möglichkeit zu, auf einer nachgeordneten Ebene auch eigene Heilsinteressen verfolgen zu dürfen (2,4.12). (3) Mit seinem Sinn- und Gemeindeentwurf tritt Paulus in Konkurrenz zu anderen Deutungsangeboten in Philippi und sucht ihn als die bessere Alternative zu positionieren. Dabei berührt der Anspruch auf die bessere Alternative natürlich auch den „innerchristlichen“ Bereich, möglicherweise weitgehend prophylaktisch. Im gesamten Philipperbrief scheint die Grundüberzeugung des Apostels durch, dass seine Deutung des Christusereignisses inklusive „Rechtfertigungslehre“ (3,9) die Vorgaben Jesu umfassend, wegweisend und authentisch verarbeitet. Er stuft seinen Entwurf (potentiellen) anderen (juden-)christlichen Deutungsangeboten gegenüber als absolut überlegen ein. Dieser Anspruch ist selbst unter der Annahme noch zu erkennen, Paulus inszeniere die Gegnerbilder etwa in 3,2–21 zur Identitätsvergewisserung der „Wir-Gruppe“. Seiner Ansicht nach stabilisiert allein die Ausrichtung an seiner Christusdeutung die Gemeinde (ekklesiologische Ebene) und verheißt endzeitliches Heil (soteriologische Ebene). Unter räumlichem Betrachtungswinkel haben zahlreiche konkurrierende Deutungsangebote aus paulinischer Sicht einen erheblichen Standortvorteil, da Vertreter dieser Angebote in Philippi vor Ort sind (oder sein werden). Von daher können sie mit den Mitgliedern der paulinischen Adressatengemeinde in einen direkten persönlichen Kontakt treten und sie „von Angesicht zu Angesicht“ von ihren (religiösen) Deutungsangeboten zu überzeugen suchen. Paulus hingegen kann aufgrund seiner Gefangenschaft nicht in der Gemeinde leibhaft präsent sein und muss sogar bei einem ungünstigen Prozessausgang damit rechnen, überhaupt nicht mehr nach Philippi reisen zu können. So ist er darauf angewiesen, sein „Identitätsmanagementprojekt“ mittels brieflicher Kommunikation zu betreiben. Er möchte die Gemeinde ihrer eigenen noch jungen Geschichte und Identität als Paulus-Gemeinde „in Christus“ vergewissern und sie gegen sämtliche übergriffige Einflussnahmen stabilisieren, ganz gleich, ob diese aus der nicht-christlichen Mitwelt oder von (juden-)christlichen Missionaren kämen. (4) Paulus setzt in einem Sinnentwurf an die Gemeinde in Philippi dezidiert räumlich an und rekurriert vom Briefbeginn an auf die Vorstellung eines Heils-

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raums „in Christus“. Dieser Raum ist wesentlich personal konzipiert und entsteht aus dem Zusammenspiel zwischen der Herrschaftsausübung des Kyrios und der Herrschaftsanerkennung durch die Menschen. Ohne die grundlegende Bedeutung dieses Zusammenwirkens für die Gestaltwerdung des Heilsraums zu relativieren, lässt Paulus doch keinen Zweifel daran aufkommen, dass der erhöhte Kyrios der entscheidende Handlungsträger für die Errichtung, dauerhafte Aufrechterhaltung und stetige Ausbreitung dieses Raumes ist. Beim Versuch, sich diesem Heilsraum beschreibungssprachlich zu nähern, hilft eine Kombination aus der Alltagsvorstellung von Raum (= Containerraumvorstellung) und Impulsen aus dem spatial turn entscheidend weiter. Auf der Spur der Containerraumvorstellung lässt sich der Raum „in Christus“ als ein Inselraum innerhalb der römischen Kolonie Philippi mit einer Innen-Außenunterscheidung gegenüber der nicht-christlichen Mehrheitsgesellschaft beschreiben. Die Gemeinde lebt in einer Synchronie der Lebenswelten und ist gleichzeitig „in Christus“ und „in Philippi“. Dabei soll die Verortung „in Christus“ zur bestimmenden Größe im Leben der einzelnen Gemeindemitglieder werden. Für Paulus ist der neue Heilsraum „in Christus“ aber nicht nur Inselraum, sondern immer auch entgrenzter Raum. Diese Dimension kommt dem Heilsraum schon allein dadurch zu, dass der erhöhte Kyrios diesen Raum vom Himmel aus konstituiert und dieser Raum (auch) auf Erden konkrete Gestalt gewinnen soll. Bedingt durch diese Grundstruktur zeigt der Raum „in Christus“ konzeptionell eine Dynamik, welche die Grenzen des (kosmischen) Einzelraums überwindet und Himmel und Erde fest miteinander verbindet. Diese Grenzüberwindung zeigt sich für Paulus aber auch im Erdenraum selbst: Der Raum „in Christus“ ist für den Apostel nicht exklusiv an einen einzigen Ort gebunden, sondern gewinnt überall dort Gestalt, wo Menschen Jesus Christus als ihren Kyrios anerkennen. (5) Die spannungsvolle Gleichzeitigkeit von sozialer Gestaltwerdung „vor Ort“ mit Innen-Außen-Unterscheidung und entgrenzender Dynamik lässt sich unter Aufnahme von Impulsen zum third space von Edward Soja folgendermaßen einholen: Für Paulus ist der Heilsraum „in Christus“ ein entgrenzter Raum, zugleich aber auch lokal realisiert und abgrenzbar. Dieser Raum ist wirklich und imaginär, gleichermaßen symbolisch und materiell, konstruiert und real. Er ist in konkreten raumbezogenen Praktiken verortet und in sprachlichen Bildern repräsentiert. Im Philipperbrief trägt dieses komplexe Raumkonzept maßgeblich dazu bei, die (räumliche) Gegenwartserfahrung der brieflichen Kommunikationspartner effektiv zu bearbeiten. Einerseits ist Paulus überzeugt, dass die endzeitliche Heilszeit definitiv angebrochen ist und Menschen in der Jesusnachfolge ihren Platz „in Christus“ haben, andererseits weiß er den Kyrios Jesus in höchste Himmel erhöht. Dieser herausfordernden Situation begegnet das Konzept eines entgrenzten Heilsraums „in Christus“ mit abgrenzbarer lokaler Gestaltwerdung, indem es die innerweltliche Trennung der Kommunikationspartner untereinander ernstnimmt und die gegenwärtige Jenseitigkeit des himmlischen Kyrios berücksichtigt. Dabei

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zielt das Raum-Konzept darauf, in dieses Distanzerleben hinein eine Erfahrung tatsächlicher personaler Nähe über einen erheblichen räumlichen Abstand hinweg zu stiften. Für die Menschen „in Christus“ soll vor Ort im alltäglichen Miteinander der Anbruch der Heilszeit konkret erfahrbar werden, wiewohl die „normale Weltgeschichte“ scheinbar unbeeindruckt vom himmlischen Herrschaftswechsel weitergeht. (6) Paulus verknüpft seinen zeitlichen Spannungsbogen von „Schon jetzt“ und „Noch nicht“ mit der Vorstellung, dass sich der Heils- und Herrschaftsraum „in Christus“ zunehmend auf Erden ausbreitet. Diese dynamische Komponente verbindet die beiden Eckpfeiler von „Schon jetzt“ und „Noch nicht“ miteinander. Für Paulus steht fest, dass der gesamte Kosmos die Herrschaft des Kyrios anerkennt. Nahezu paradox denkt er diesen universalen Anerkennungsprozess als bereits erfolgreich abgeschossenen Vorgang und zugleich als ein noch laufendes Geschehen, welches teilweise eher langsam und unscheinbar vonstattengeht. Seine Hoffnung auf eine (möglicherweise auch gewaltsame) Unterwerfung des gesamten Kosmos unter die Macht des erhöhten Herrn formuliert Paulus aus einer Gefangenschafts- und Minderheitensituation heraus, in welcher die kosmische Komponente dieses Anerkennungsprozesses kaum unmittelbar erlebbar ist. Im Licht dieser Differenzerfahrung zielt die Antizipation einer universalen Herrschaftsdurchsetzung des Kyrios in der Rezitation des Hymnus auf die Motivation der Gemeindemitglieder. Diese mögen ungeachtet aktuell widriger Umstände treu an der neuen Gemeinschaft „in Christus“ festhalten und in Eintracht miteinander leben. Damit bringen sie diesen Anerkennungsprozess vor Ort in der Tat einen Schritt voran. (7) Die Überzeugung des Apostels, dass die Heilszeit mit dem Christusereignis irreversibel angebrochen ist und auf Erden aktuell erfahren werden kann (bzw. soll), zeigt sich verdichtet in seiner Verhältnisbestimmung von Himmel und Erde, von diesseitiger Gegenwart und jenseitiger Zukunft. Eindrucksvoll bringt er seine diesbezüglichen Vorstellungen etwa in 1,21–24 zur Sprache. Paulus zeigt sich überzeugt, dass die bereits zu irdischen Lebzeiten mögliche Verortung im neuen Heilsraum die existentielle und grundlegende Veränderung für den Menschen bildet. Dabei konstituiert sich diese Christusbeziehung über die kosmischen Raumgrenzen hinweg zwischen dem Menschen auf Erden und dem erhöhten Kyrios im Himmel. Diese Christusbeziehung erfährt durch das postmortale Zusammensein σὺν Χριστῷ eine Intensivierung, welche aus der dann gegebenen größtmöglichen räumlichen Nähe und Unmittelbarkeit zum Kyrios erwächst. Dieser qualitative Sprung markiert den Unterschied zwischen irdischer und himmlischer Existenz, da Paulus und die Philipper dem erhöhten Jesus aufgrund der Trennung von Himmels- und Erdenraum aktuell nur vermittelt begegnen können. Die Ausrichtung auf den Himmel als Raum eines postmortalen Zusammenseins mit Christus verzahnt der Philipperbrief eng mit einem Blick auf den Himmel als dem gegenwärtigen Aufenthaltsraum des erhöhten Herrn. Der Himmel

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ist gegenwärtiges und zukünftiges Jenseits, dessen heilvolle Wirklichkeit durch den entgrenzten Heilsraum „in Christus“ in die diesseitige Gegenwart auf Erden einbricht. (8) Die Annahme eines entgrenzten Heilsraums mit trennungsbearbeitender Funktion bildet einen maßgeblichen Hintergrund für das Verständnis der Politeuma-Aussage in 3,20. Die dynamische Grundanlage der Raumkonzeption im Philipperbrief erweckt den Eindruck, das Politeuma sei bereits gegenwärtig nicht mehr allein auf den Himmelsraum beschränkt. Es soll als Urbild die Bürgerschaften „in Christus“ vor Ort prägen und ist gleichermaßen Hoffnungs- und Orientierungsgröße. Die Menschen im grenzüberschreitenden Raum „in Christus“ haben aktuell schon angeldhaft Anteil an diesem im Himmel gründenden Gemeinwesen. Dessen heilvolle Wirklichkeit ist durch Jesus in die irdische Realität eingebrochen und hat dort tatsächlich Raum zu fassen begonnen. Diesen Prozess der irdischen Gestaltwerdung können die Menschen „in Christus“ vor Ort in Philippi fortschreiben, indem sie sich bei ihrem „politischen Handeln“ (πολιτεύεσθε) an diesem himmlischen Urbild ausrichten. Diese punktuelle irdische Gestaltwerdung erweist sich als potentiell zerbrechlich, besteht doch immer die virulente Gefahr, dass es zu innergemeindlichen Streitigkeiten oder Zwiespalt kommt. Von daher bleibt die irdische Gestaltwerdung durchgehend auf das himmlische Urbild zurückverwiesen und muss sich immer wieder aufs Neue an diesem ausrichten. In dieser Gefährdungslage unterstreicht der Verweis auf den himmlischen Ursprungsort dieses Gemeinwesen, dass es von seiner Herkunft her unverletzlich und uneinnehmbar ist. Es hat seinen Ursprung im göttlichen Herrschaftsbereich und kann deswegen von keiner irdischen Institution gefährdet oder gar gänzlich zerstört werden. Mit diesem „Sicherheitsaufweis“ begegnet Paulus möglichen gemeindlichen Destabilisierungsgefahren, kommen sie nun von außen oder aber von innen. (9) Die Absicht des Paulus, robuste und translokale Größen zur Bewältigung der gegenwärtigen räumlichen Trennungserfahrung zu etablieren, dokumentiert sich auch in der Art und Weise, wie er sich in seinem Brief mit der Gemeinde zusammenschließt. So geht er beispielsweise in 1,3–11 nicht den Weg eines direkten Schulterschlusses mit seinen Adressaten („wir“). Er wählt stattdessen einen vermittelten Bogenschlag über die nicht ortsgebundenen Größen von Gnade und Evangelium. Durchdenkt man diesen Bogenschlag im Horizont der Entstehungsumstände des Philipperbriefes, liegt die strategische Bedeutung offen auf der Hand: Auch wenn ein Bote des Evangeliums oder ein Zeuge der Wirkmächtigkeit der göttlichen Gnade wie Paulus im Gefängnis sitzt und in seiner Bewegungsfreiheit erheblich eingeschränkt ist, sind weder die Gnade noch das Evangelium in ihren Wirkungen räumlich eingeschränkt. Sie lassen sich durch keine irdische Instanz einhegen. Damit stehen diese beiden Größen in ihrem raumgestalterischen Poten-

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tial vor Augen. Sie sind geeignet, realweltliche, physische Raumbegrenzungen zu überwinden und eine einzelraumübergreifende Gemeinschaft zu stiften. Dies geschieht dadurch, dass die „berufenen Heiligen“ an ihrem jeweiligen Ort alle dieselbe Gnade empfangen haben und sich ortsübergreifend gemeinsam auf das eine Evangelium beziehen, welches sie untereinander und mit dem erhöhten Kyrios im Himmel verbindet. (10) Ein konkretes Beispiel für die „Eroberung“ neuer Territorien für die Christusbotschaft gibt Paulus am Beginn der Korpuseröffnung in 1,12–14. Als Gefangener lebt der Apostel in einer Situation vermeintlicher Schwäche und Ohnmacht. Aus dieser Position heraus will er seinen Adressaten die Idee nahebringen, dass seine Gefangenschaft keineswegs auf eine eingeschränkte Wirkmächtigkeit der Christusbotschaft oder eine Übermacht irdischer Machthaber hindeutet. Auch erlebt sich Paulus durch seine Gefangenschaft nicht zur Passivität verurteilt. Die Gemeinde soll ein Gespür dafür entwickeln, Bedrängniserfahrungen auf die Möglichkeiten für das Gedeihen des Evangeliums zu befragen. Dafür stellt der Apostel sich den Philippern als Beispiel vor Augen. Er nutzt aktiv die unerwartete Gelegenheit zum Christuszeugnis ἐν ὅλῳ τῷ πραιτωρίῳ καὶ τοῖς λοιποῖς πᾶσιν. Unabhängig davon, worauf πραιτώριον nun genau verweist – auf den Amtssitz eines kaiserlichen Provinzstatthalters oder die Kaserne der Prätorianergarde –, verkörpert das damit Bezeichnete ein Element im römischen Staatsapparat. Sowohl die Prätorianergarde als auch regionale Verwaltungsgebäude verkörpern den weltumspannenden Herrschaftsanspruch des Römischen Reiches sowie die Überzeugung, Machtinteressen auch militärisch durchzusetzen. In diesem „römischen“ Setting lässt Paulus mit der Deutung seiner Gefangenschaft als Gefangenschaft infolge seiner Christuszugehörigkeit (ἐν Χριστῷ) Weltbilder aufeinanderprallen: Dem Grundsatz, eigene Interessen um jeden Preis auch mit militärischer Gewalt auf Kosten anderer durchzusetzen, stellt der Apostel seine bereitwillige Annahme einer Gefangenschaft um Christi willen gegenüber. Im Zuge dieser Kontrastierung zeigt er sich bestrebt, angesichts der massiven Einschränkungen seines Bewegungsradius seine weiterhin bestehenden Handlungs- und Raumgestaltungsmöglichkeiten zu demonstrieren. Dieser Aufweis dient dazu, den Eindruck einer vermeintlichen Überlegenheit weltlicher Institutionen zu relativieren. Eine Orientierung an Christus und seiner Grundhaltung bedeutet für Paulus keineswegs Machtlosigkeit oder Ohnmacht, auch wenn es durch seine Inhaftierung vordergründig so erscheinen mag. (11) Im Licht der Alltagserfahrungen der Philipper mit römischen Expansionsbestrebungen provozieren die Bemühungen des Apostels, seine Gefangenschaft als Möglichkeitsbedingung für die Eroberung neuer Territorien zu deuten, folgende Anfrage: Wodurch unterscheiden sich die unterschiedlichen Expansionsbemühungen? Paulus geht es genauso wie den römischen Machthabern darum, die jeweils favorisierte Herrschafts- und Werteordnung irdisch Raum greifen zu lassen. Wäh-

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rend die Existenz römischer Behörden in der Kolonie Philippi vom Expansionsstreben der römischen Kaiser und Feldherrn zeugt, generiert sich Paulus als Repräsentant der Herrschaft des erhöhten Weltenherrn auf Erden. Der eklatante Unterschied zwischen beiden Expansionsbewegungen besteht für den Apostel in der jeweiligen Werteordnung. Paulus vertritt eine Herrschaftsvorstellung, welche unter Hintanstellung eigener Interessen konsequent an eine unbedingte Höherschätzung des anderen denkt. Ferner verfolgt Paulus seine Expansionsbemühungen anders als die römischen Machthaber aus einer Position der (militärischen) Schwäche, Mittellosigkeit und Ohnmacht. (12) Der auf Expansion angelegte Heilsraum „in Christus“ ist in den Augen des Apostels keine hierarchiefreie Zone. Er konzipiert diesen Raum wesentlich als Herrschaftsraum mit starken asymmetrischen Abhängigkeitsstrukturen. Die Zugehörigkeit zu diesem Raum mitsamt der Anteilhabe am Heil ist wesentlich von der Anerkennung der Herrschaft des erhöhten Kyrios abhängig. Schaut man sich die Abhängigkeitsstrukturen unter ambiguitätssensibler Perspektive an, zeigt sich, dass Paulus vom Philipperhymnus her eine Form von selbstbestimmter Abhängigkeit zu denken sucht. Dieses Abhängigkeitsverständnis legt er auch seinem Gemeindeentwurf im Philipperbrief zugrunde, den ich beschreibungssprachlich als Christi Sklaventum zu fassen suche. Dieser Terminus macht auf erhebliche strukturelle Herausforderungen im paulinischen Entwurf aufmerksam. Das Denken in extremen Abhängigkeits- und Gehorsamsstrukturen macht den Entwurf hochgradig missbrauchsanfällig, liegen doch die Konstruktion und die Kontrolle dieser Strukturen ganz in Händen des Gemeindegründers; sie werden durch seine Deutung des Christusereignisses legitimiert. Diese strukturelle Herausforderung scheint Paulus bereits selbst gesehen zu haben. Darauf deutet zumindest sein Versuch hin, Mechanismen zum Schutz vor Willkür und missbräuchlicher Machtausübung in diesen Abhängigkeitsstrukturen zu verankern. Als einen zentralen Schutzmechanismus betrachte ich sein Zugeständnis an sämtliche Menschen „in Christus“, auch eigene Heilsinteressen verfolgen zu dürfen (2,4.12). Damit gibt Paulus zu verstehen, dass er über die Konstruktion von Abhängigkeits- und Gehorsamsstrukturen den einzelnen Menschen in dessen Suche nach endgültigem Heil nicht aus dem Blick verliert. (13) Das strategische Potential der Ambiguität im paulinischen Sklavenbegriff besteht in der (Wiederherstellung und) Festigung der innergemeindlichen Eintracht. Die Ambiguität holt jedes einzelne Gemeindemitglied bei seinem eigenen gesellschaftlich-rechtlichen Status „in der Welt“ ab und bezieht die rechtlichen Statusunterschiede aus der Welt „in der Gemeinde“ konstruktiv-spannungsvoll aufeinander. Die geforderte gegenseitige Perspektivübernahme soll eine grundlegende Gemeinschaftserfahrung „in Christus“ generieren: Jedes einzelne Gemeindemitglied ist „in Christus“ sowohl zum absoluten Gehorsam verpflichtet als auch zu einem selbstbestimmten Handeln sowie zur Verfolgung eigener Interessen ermächtigt.

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Diese wechselseitige Vergegenwärtigung soll die Erfahrungswirklichkeiten von weltlichen Sklaven und Freien in der Gemeinde angleichen, und zwar weit über die möglicherweise soziale und ökonomische Nähe „in der Welt“ hinaus. Die gegenseitige Annäherung im Sinne eines „Sowohl … als auch“ kann in den Augen des Apostels das Verständnis der einzelnen Gemeindemitglieder für die Situation des jeweils anderen stärken und so den innergemeindlichen Zusammenhalt erheblich festigen. (14) Die Vorstellung einer dynamischen, prozesshaften Dimension bei der irdischen Ausbreitung des neuen Heilsraums hat handfeste Spuren in der Ekklesiologie und Soteriologie des Philipperbriefes hinterlassen. Paulus bindet die „berufenen Heiligen“ mit einem eigenen Verantwortungsbereich aktiv in diesen Ausbreitungsprozess ein. Ihr Handeln macht die neue Wirklichkeit „in Christus“ sowohl innergemeindlich als auch nach außen sozial wahrnehmbar. In der brieflichen Danksagung beginnt Paulus damit, die raumgestalterischen Verantwortlichkeiten der unterschiedlichen Akteure in immer neuen Anläufen auszutarieren. Er gelangt zu einer komplexen, spannungsreichen Verhältnisbestimmung beider Handlungsanteile. Einerseits nimmt er die menschliche Verantwortung ernst, ohne dadurch die Gemeindemitglieder vollkommen zu überfordern; andererseits entgeht er durch die stetige Rückbindung dieser Inverantwortungnahme an das vorgängige göttliche Handeln der Gefahr, den göttlichen Handlungsanteil in seiner grundlegenden Bedeutung für die Etablierung des neuen Heilsraums „in Christus“ infrage zu stellen. Es ist der von Gott erhöhte Jesus, der durch sein Beziehungsangebot den entgrenzten Heilsraum konstituiert und für dessen dauerhaften Bestand sorgt. Paulus weiß die Adressaten bereits gegenwärtig ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ verortet und zur gleichen Zeit unbedingt gefordert, im Zusammenwirken mit Gottes Heilshandeln (z. B. 1,6: ὁ ἐναρξάμενος … ἐπιτελέσει) diesen heilvollen Status bis zur Parusie aufrechtzuerhalten. Gelingt diese Statusbewahrung, dürfen sie begründet auf ihre endgültige Rettung am Tag Christi Jesu hoffen (1,10–11). Bei aller grundsätzlichen menschlichen Inverantwortungnahme lässt Paulus doch keinen Zweifel daran aufkommen, dass das endgültige Heraufführen einer gesamtkosmischen Unterordnung unter die Herrschaft des erhöhten Kyrios wesentlich bei Gott und ebendiesem Kyrios liegt. Die maßgebliche Profilierung der raumgestaltenden Handlungen erfolgt weichenstellend über den Hymnus, dem auch eine paradigmatische Funktion zukommt. In 2,7–8 steht Jesus in seiner selbstbestimmten radikalen Selbstrücknahme als Vorbild für das menschliche Handeln vor Augen. Mit dieser Handlungsweise Jesu ist die Grunddimension für die Kalibrierung auch des menschlichen Handelns „in Christus“ eingebracht: Das Streben nach einem eigenen Aufstieg und Vorwärtskommen ist zugunsten einer „Karriere nach unten“ aufzugeben, ohne dass der Mensch seine eigenen (Heils-)Interessen dadurch gänzlich aufgeben müsste (2,4.12). Diese Grunddimension buchstabiert Paulus im unmittelbaren Umfeld des Hymnus in Richtung einer unbedingten Höherachtung des anderen

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und eines dauerhaften Gehorsams durch (2,3–4.12) und betrachtet diese Handlungsweisen durch seine Deutung des Christusereignisses legitimiert. Für Paulus ist der erhöhte Kyrios nicht nur der uneingeschränkte Herrscher des entgrenzten Heilsraums, sondern auch derjenige, der durch seine Vorbildfunktion die Menschen in die Lage versetzt, einen angemessenen Beitrag zur lokalen Gestaltwerdung dieses Heils- und Herrschaftsraums in Philippi leisten zu können. Am Ende bleibt festzuhalten: Jegliche Inverantwortungnahme der Menschen „in Christus“ für die Aufrechterhaltung und Ausbreitung des neuen Heilsraums setzt ein vorgängiges göttliches Heils- und Erwählungshandeln voraus. Für Paulus haben die Menschen „in Christus“ durch göttliches Heils- und Erwählungshandeln bereits gegenwärtig Anteil am Heil. Diese Heilsteilhabe ermöglicht und legitimiert in den Augen des Apostels seine Forderung an die Gemeinde in Philippi, die Herrschafts- und Werteordnung des neuen Heilsraums sozial wahrnehmbar zu praktizieren. Durch ihr Tun gibt die Gemeinde dem Raum eine konkrete lokale und soziale Gestalt und wirkt damit an der Umgestaltung ihres aktuellen Lebensumfeldes in der römischen Kolonie effektiv mit.

Quellen- und Literaturverzeichnis Zeitschriften, Serien und Lexika sind nach dem Internationalen Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete (IATG), zusammengestellt von S. M.  Schwertner, Berlin / Boston 3 2014 abgekürzt. Als weitere Abkürzungen sind im Literaturverzeichnis verwendet: EC (Early Christianity), HEL (Handbuch Erzählliteratur), MLA (Mensch und Landschaft in der Antike), Nar (Narratologia. Contributions to Narrative Theory), PLNT (Personenlexikon zum Neuen Testament) und WiBiLex (Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet). Artikel aus den Jahrbüchern der biblischen Theologie werden wie Aufsätze bibliographiert. Neben den Quellentexten (A) und den allgemeinen Hilfsmitteln (B) sind im Literaturverzeichnis die Kommentare zum Philipperbrief (C) gesondert aufgeführt; sie werden mit Nachnamen des Verfassers und Seitenzahl zitiert. Kommentare zu anderen biblischen Büchern werden mit Nachnamen des Verfassers, Abkürzung des biblischen Buches (ggf. mit Bandzahl) und Seitenzahl angeführt. Abschnitt D verzeichnet bei mehrbändigen Werken nur den benutzten Band / die benutzten Bände.

A. Quellentexte 1. Bibelausgaben Biblia Sacra iuxta Vulgatam versionem, hg.v. R. Weber, Stuttgart 31983. Biblia Hebraica Stuttgartensia, hg.v. K. Elliger / W. Rudolph, Stuttgart 21983. Novum Testamentum Graece post Eberhard et Erwin Nestle, hg.v.  K.  Aland u. a., Stuttgart 27 1993/282013. Septuaginta. Id est Vetus Testamentum Graece iuxta LXX interpretes, hg.v. A. Rahlfs, Stuttgart 1979. Septuaginta. Vetus Testamentum graecum auctoritate Societatis  /  Academiae Scientiarum Gottingensis editum, Göttingen 1931ff. Septuaginta Deutsch. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung, hg.v. W. Kraus / ​ M. Karrer, Stuttgart 2009. The Greek New Testament, hg.v. K. Aland u. a., Stuttgart 41998.

2. Jüdische Quellen Altjüdisches Schrifttum außerhalb der Bibel, hg.v. P. Riessler, Heidelberg 1928. Die Apokryphen und Pseudepigraphien des Alten Testamentes, hg.v. E. Kautzsch, 2 Bände, Tübingen 1900 (Nachdruck: Darmstadt 41975). Fragmenta Pseudepigraphorum quae supersunt graeca una cum historicum et auctorum Judaeorum hellenistarum fragmentis (PVTG 3), hg.v. A.-M. Denis, Leiden 1970, 45–246. Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit, hg.v. W. G. Kümmel, 5 Bände, Gütersloh 1973 ff. The Old Testament Pseudepigrapha, hg.v. J. H. Charlesworth, 2 Bände, New York u. a. 1983/1985. ApcAbr

Die Apokalypse Abrahams (JSHRZ 5/5), hg.v. B. Philonenko-Sayar / ​M. Philonenko, Gütersloh 1982. ApcBar(syr) Die syrische Baruch-Apokalypse (JSHRZ 5/2), hg.v. A. F.J. Klijn, Gütersloh 1976, 103–191.

224 Arist Bar grEsr Hen(äth) JosAs Jub Jdt 1Makk 2Makk 3Makk 4Makk PsSal Sib Sir TestAbr TestXII Tob Weish

Quellen- und Literaturverzeichnis Aristeasbrief (JSHRZ 2/1), hg.v. N. Meisner, Gütersloh 1973, 35–87. siehe unter Bibelausgaben: Septuaginta. Das Buch Baruch (JSHRZ 3/2), A. H.J. Gunneweg, Gütersloh 21980, 165–181. Die griechische Esra-Apokalypse (JSHRZ 5/2), hg.v. U. B. Müller, Gütersloh 1976, 85–102. Apocalypsis Henochi graece (PVTG 3), hg.v. M. Black, Leiden 1970, 1–44. Das Äthiopische Henochbuch (JSHRZ 5/6), hg.v. S. Uhlig, Gütersloh 1984. Joseph und Aseneth (JSHRZ 2/4), hg.v. C. Burchard, Gütersloh 1983. Das Buch der Jubiläen (JSHRZ 2/3), hg.v. K. Berger, Gütersloh 1981. siehe unter Bibelausgaben: Septuaginta.Das Buch Judit (JSHRZ 1/6), hg.v. E. Zenger, Gütersloh 1981. siehe unter Bibelausgaben: Septuaginta.1. Makkabäerbuch (JSHRZ 1/4), hg.v. K.D. Schunck, Gütersloh 1980. siehe unter Bibelausgaben: Septuaginta.2. Makkabäerbuch (JSHRZ 1/3), hg. v. C. Habicht, Gütersloh 1979. siehe unter Bibelausgaben: Septuaginta.3. Makkabäerbuch (JSHRZ 1/9), hg. v. T. Knöppler, Gütersloh 2017. siehe unter Bibelausgaben: Septuaginta.4. Makkabäerbuch (JSHRZ 3/6), hg.v. ­H.-J. Klauck, Gütersloh 1989. Die Psalmen Salomos (TU 13/2), hg.v. O. von Gebhardt, Leipzig 1895. Die Psalmen Salomos (JSHRZ 4/2), hg.v. S. Holm-Nielsen, Gütersloh 1977. Sibyllinische Weissagungen. Griechisch-deutsch, auf der Grundlage der Ausgabe von Alfred Kurfeß (Sammlung Tusculum), neu übersetzt und hg.v. J.-D. Gauger, Darmstadt 1998. Sibyllinen (JSHRZ 5/8), hg.v. H. Merkel, Gütersloh 1998. siehe unter Bibelausgaben: Septuaginta. Jesus Sirach (JSHRZ 3/5), hg.v. G. Sauer, Gütersloh 1981. Le Testament grec d’Abraham. Introduction, édition critique des deux recensions grecques, traduction (TSAJ 11), hg.v. F. Schmidt, Tübingen 1986, 46–109. Testament Abrahams (JSHRZ 3/2), hg.v. E. Janssen, Gütersloh 21980, 193–256. Testamentum XII Patriarcharum. Edited according to Cambrigde University Library Ms Ff 1,24 fol. 203a–262b. With short notes (PVTG 1), hg.v. M. de Jonge, Leiden 1964. The Testament of the Twelve Patriarchs. A Critical Edition of the Greek Text (PVTG 1/2), hg.v. M. de Jonge, Leiden 1978. Die Testamente der zwölf Patriarchen (JSHRZ 3/1), hg.v. J. Becker, Gütersloh 1974. siehe unter Bibelausgaben: Septuaginta. Buch Tobit (JSHRZ 2/6), hg.v. B. Ego, Gütersloh 1999. siehe unter Bibelausgaben: Septuaginta. Weisheit Salomos (JSHRZ 3/4), hg.v. D. Georgi, Gütersloh 1980.

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Quellentexte

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Quellentexte

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Kommentare zum Philipperbrief

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Stellenregister Biblische Bücher Altes Testament Genesis (Gen) 1,14.16

82 Anm. 174

Exodus (Ex) 21,20–21 32,32

206 Anm. 33 156 Anm. 239

Levitikus (Lev) 25,40.42.55 203 Deuteronomium (Dtn) 4,36 68 6,20–25 203 12,5.11.21 68 26,15 68 32 141 Anm. 174 32,5 140–141 Anm. 174 Josua (Jos) 24,30 208 1. Buch der Könige (1Kön) 8,12–13 68 8,14(–66) 68 Anm. 110 8,29 68 Anm. 114 8,59–60 77 Anm. 156 12,22 177 19,18 136 Anm. 156 2. Buch der Könige (2Kön) 19,34 208 2. Buch der Chronik (2Chr) 15,14 136 Anm. 156 36,23 68 Anm. 116 Esra 1,2

68 Anm. 116

Nehemia (Neh) 1,4–5

68 Anm. 116

EsterLXX (EstLXX) 8,12

119 Anm. 96

2. Buch der Makkabäer (2Makk) 2,22 177 3,12 54 6,1 119 Anm. 96 7,23 83 12,7 170 3. Buch der Makkabäer (3Makk) 7,6 177 4. Buch der Makkabäer (4Makk) 5,25 83 8,23 54 9,23 165 Anm. 263 16,18 54 Ijob 10,22 82 Anm. 173 14,12 69 38–39 67 Anm. 107 PsalmenLXX (PsLXX) 96,7 130 Anm. 134 97,9 51 Anm. 21 104,42 208 Psalmen (HT) (Ps) 16,11 110 Anm. 68 33,13–19 76 46 68 48 68 69,29 157 Anm. 239 72,8 135 Anm. 153 73,23.28 110 Anm. 68

252

Stellenregister

88 78 Anm. 161 93 68 102,13–23 77 107,10 f 82 Anm. 173 119,89 69 Anm. 117 136,6 68 Anm. 116 139,18 110 Anm. 68 Sprichwörter (Spr) 11,2 123 18,12 123 Weisheit (Weish) 2,19 177 Anm. 314 3,7 142 Anm. 180 9,3 54 10,1 54 11,17 83 12,18 177 13,2 82 Anm. 174 17,20 f 54 Jesus Sirach (Sir) 11,1 123 43,7 82 Anm. 174 51,13–30 158 Anm. 243 Jesaja (Jes) 19,18 25,8

136 Anm. 156 78 Anm. 161

26,19 38,11 40,1–11 40,12–31

78 Anm. 161 66 Anm. 102 135 Anm. 148 77, 135 Anm. 148 40,18–26 77 Anm. 154 41,1–42,12 135 Anm. 148 42,13–44,23 135 Anm. 148 44–45 134–135 46,1–48,22 135 Anm. 148 53,8 66 Anm. 102 59,9 82 Anm. 173 65,17 69 66,22 69

Ezechiel (Ez) 1,26 10,1

67 Anm. 109 67 Anm. 109

Daniel (Dan) 2,18–19 12,1b 12,3 (LXX)

68 Anm. 116 157 Anm. 239 142 Anm. 180

Jona 1,9

68 Anm. 116

Sacharja (Sach) 9,10

135 Anm. 153

Neues Testament (außer Philipperbrief) Matthäusevangelium (Mt) 13,43 142 Anm. 180 Johannesevangelium (Joh) 1,14 129 Anm. 133 3,12 132 Apostelgeschichte (Apg) 16,11–40 16,24.26 17,1–9 Römerbrief (Röm) 1,1 1,7

184 Anm. 349 47 Anm. 52 184 Anm. 349 201; 208 Anm. 43 87 Anm. 5; 88 Anm. 7; 99 Anm. 36

3,24 100 5,2 100 5,5 199 Anm. 426 6,4 118 Anm. 89 8,15 161 Anm. 248; 204 Anm. 22 8,17 137 Anm. 162 9,31 166 Anm. 269 12,11 202 13,1–7 33 Anm. 113 13,13 118 Anm. 89 14,18 202 15,22–29 146 Anm. 196 16,25–27 195 Anm. 411 1. Korintherbrief (1Kor) 1

161 Anm. 248

253

Stellenregister 1,2

11 Anm. 2; 87 Anm. 5 1,3.4–9 97 Anm. 30 1,9 97 Anm. 30; 161 Anm. 248 2,12 199 Anm. 426 4,9–13 50 Anm. 18 5,5 137 Anm. 162 13 12 Anm. 4 13,3 136 Anm. 161 15 112 Anm. 73; 112 Anm. 75; 112 Anm. 76 15,40 132 15,51–52.58 112 16,5–12 146 Anm. 196 16,19–24 195 Anm. 411 2. Korintherbrief (2Kor) 1,1 87 Anm. 5 2,12 103 Anm. 44 4,14 112 Anm. 73 5,1 132 5,7 118 Anm. 89 6,4–5 50 Anm. 18 6,4 82 Anm. 173 11,21b–33 167 Anm. 277 11,23–27 50 Anm. 18 11,23 167 Anm. 277 12,2–4 168 Anm. 285 12,10 50 Anm. 18 13,13 195 Anm. 411 Galaterbrief (Gal) 1,1 201 1,2b 87 Anm. 5 1,13–2,21 42 Anm. 35 2,4 136 Anm. 161 3,23–25 42 Anm. 35 4,3.7 204 Anm. 22

4,6 4,12 6,6 6,18

199 Anm. 426 42 Anm. 35 106 Anm. 53 195 Anm. 411

Epheserbrief (Eph) 6,13–17

47 Anm. 52

1. Thessalonikerbrief (1Thess) 1,1 87 Anm. 5 1,6(–8) 106 Anm. 53; 165 Anm. 267 1,9–10 161 Anm. 248 2,2 50 Anm. 18; 184 Anm. 349 2,12 118 Anm. 89 2,17–3,10 146 Anm. 196 4 112 Anm. 75 4,8 199 Anm. 426 4,12 118 Anm. 89 4,13–17 112; 112 Anm. 73; 112 Anm. 76 5,3 94; 94 Anm. 24 5,10 112 Anm. 73 5,16–22 176 Anm. 308 5,26–28 195 Anm. 411 Philemonbrief (Phlm) 23–25 25

195 Anm. 411 199 Anm. 424

Hebräerbrief (Hebr) 8,5 133 Jakobusbrief (Jak) 3,15 133 Offenbarung des Johannes (Offb) 3,5 156 Anm. 238

Frühchristliche Schriften 1. Clemensbrief (1Clem) 21,1

120 Anm. 100

Polykarp Brief an die Philipper

39 Anm. 14

254

Stellenregister

Judentum Aristeasbrief (Arist)

De opificio mundi (Opif.) 143 171

Griechische Baruch-Apokalypse (grBar)

De virtutibus (Virt.) 119

263 124 7,2 54 10,3 83

Griechische Esra-Apokalypse (grEsr) 3,6 54

Flavius Josephus

Antiquitates Judaicae (Ant.) 1.13 170 Anm. 294 15.14 177 De bello Iudaico (Bell.) 633

59 Anm. 61

Contra Apionem (C. Ap.) 2.258

170 Anm. 294

Äthiopisches Henochbuch (Hen[äth]) 10,5 102,7 47,3

82 Anm. 173 82 Anm. 173 157 Anm. 239

120 Anm. 100

Qumran 1QS 1,9–10

82 Anm. 173

4Q401 Fragment 14i6–8

78 Anm. 163

11QPsa [5] 21,11–22,11

158 Anm. 243

Sibyllinen (Sib)

3,75–77 54 4,65 54

Testament Abrahams A (TestAbrA) 10,3 54 11,9 54

Testamente der zwölf Patriarchen

Joseph und Aseneth (JosAs)

Testament des Levi (Test XII Lev) 19,1 82 Anm. 173

Buch der Jubiläen (Jub)

Testament des Dan (Test XII Dan) 5,2 181 Anm. 334

15,12 83 30,20

157 Anm. 239

Philo von Alexandria

In Flaccum (Flacc.) 35 197 De Josepho (Jos.) 69 171 Legatio ad Gaium (LegGai.) 39 55

Rabbinisches Schrifttum

Bet HaMidrash (BHM) 2,39 (Midrash Konen) 79 3,85 = Hekhalot Rabbati 3,3 79 3,90 = Hekhalot Rabbati 8,4 79 Shemot Rabba (ShemR) 33,4

78 Anm. 164

Talmud Bavli: Traktat Ḥ ullin (bHul) 91b 79 Anm. 166

255

Stellenregister

Pagane Autoren Aelius Aristides Εἰς Δία 5.24–30

Diogenes Laertius 57; 57 Anm. 55

Aëtios

Placita 2.7 72 2.11.4 75 Anm. 146

2.7 2.14–15 7.138 7.139 8.48

72 Anm. 129 72 Anm. 129 75 Anm. 147 75 Anm. 148 71 Anm. 128

Dion von Prusa

Der gefesselte Prometheus (PV.) 320–321 125 Anm. 116

Reden (Or.) 34,19 123 39,5 120 Anm. 102 40,20 124 Anm. 113

Aristoteles

Dionysius von Halikarnassos

Aischylos

De caelo 294a28 70 Anm. 122 294b13 71

Augustus

Res gestae 34 176–177

Cicero

Academica priora (Acad. Pr.) 2.126 75 Anm. 146 Epistulae ad Atticum (Ep. ad Att.) 9.7 176 Anm. 312 De finibus bonorum et malorum (Fin.) 3.64 125 Anm. 114; 171 Laelius de amicitia (Lael.) 58 190 De natura deorum (Nat.) 1.36

75 Anm. 146

Pro P. Quinctio (Quinct.) 12

188 Anm. 360

De re publica (Rep.) 1.10(16) 73 Anm. 138 6.13 142

Dio Cassius 53.5.4

120 Anm. 100

Antiquitates Romanae (Ant. Rom.) 2.9–11 191 Anm. 384 2.72.8 132 Anm. 139 2.74.1–5 58 2.74.3–4 58 Anm. 57

Herodot

Historien (Hist.) 2.52 57 Anm. 48 2.53 57 Anm. 54 4.36 56 Anm. 45 4.110 55 Anm. 36 5.4 65 Anm. 94 5.7 65 Anm. 94 7.101.2 120

Hesiod

Werke und Tage (Op.) 171 66 Theogonie (Theog.) 116 57 Anm. 51 720–725 67 881–885 57 885 57 Anm. 50

Homer

Ilias (Il.) 1.265 132 Anm. 139 1.272 132 Anm. 139 8.16 67 Anm. 105 9.455–457 132 Anm. 139 15.187–193 57 Anm. 49 18.483–485 66 18.607–608 66

256 Odyssee (Od.) 24.197

Stellenregister

132 Anm. 139

Isokrates

Reden (Or.) 4.179 (= Panegyrikos)

54 Anm. 31

Plato 76 Anm. 150 Gorgias (Gorg.) 507e 53 Kritias 113c–118e

25 Anm. 81

Nomoi (Leg.) 716a

125 Anm. 116

Phaidon (Phaid.) 107d–115a 72–74 Phaidros (Phaidr.) 246–257

73 Anm. 139

Politeia (Pol.) 614–621

76 73 Anm. 139

Timaios (Tim.) 25 Anm. 81 28b 54 Anm. 31 39e10–40a2 75 Anm. 143 92c 54

Plinius d. Ä.

Polybius

Historien (Hist.) 1.1.5 1.13.12 1.35.5.3 28.9.5.3 38.12.11

59 Anm. 62 170 Anm. 291 170 Anm. 291 170 Anm. 291 170 Anm. 291

Poseidonios

75; 76 Anm. 151

Pseudo-Aristoteles

De mundo / Über die Welt 54

Pseudo-Demetrios Τύποι Ἐπιστολικοί

38 Anm. 5

Pseudo-Plutarch Stromata 2 Frg. 179 3 Frg. 179

70 71

Seneca

De Beneficiis (Benef.) 1.1.13 192 3.18.1 192 Anm. 393 Epistulae morales ad Lucilium (Ep.) 47.1 206–207 Naturales Quaestiones 3.14

70 Anm. 122

Naturalis historia (Nat. Hist.) 2.241 56 Anm. 43 2.245 56 Anm. 44 7.26.93 176

De Otio 4.1 171

Plutarch

1.116 1.154 2.644

Vita Caesaris (Caesar) 57 176 Anm. 312 63.9 197 Vita Catonis Maioris (Cato maior) 5 206 Vita Ciceronis (Cic.) 28.2 197 47.6 197

Stoicorum Veterum Fragmenta (SVF)

(siehe auch schon oben: Aëtios, Cicero, Diogenes)

Strabo

75 Anm. 146 75 Anm. 146 75 Anm. 148

Geographika (Geogr.) 1–2 55–56 1.1.1 56 Anm. 41 1.1.2–7 56 Anm. 42 1.1.3 56 Anm. 42 1.1.8 56 Anm. 41 1.1.11 56 Anm. 41 1.2–4 55 Anm. 39 1.3 55 Anm. 39

257

Stellenregister 2.1 2.2 2.3 5.4.5 6.2.11

55 Anm. 39 55 Anm. 39 55 Anm. 39 132 Anm. 139 132 Anm. 139

Thales

70 Anm. 122

Vergil

6.791–795 58 Anm. 58 6.792 58 6.851–853 59 Anm. 64

Xenophanes

Testimonia [Fragment] 41

55 Anm. 37

Xenophon

Aeneis (Aen.) 1.278 58 1.279 57 1.287 58 5.755–757 61

Agesilaos (Ag.) 11.11

124; 125

Das Staatswesen der Lakedämonier (Res. Lac.) 8.2 124

Papyri Papyrus Oxyrhynchus (P.Oxy) 1021.5 ff L 3555, Zeilen 4–8   und 34–38

59 Anm. 61 207

Inschriften Orientis Graeci inscriptiones selectae (OGIS) 668.5

59 Anm. 61

Inschriften im Katalog der Inschriften von Philippi (Pilhofer, Philippi 2) Nr. 202/L313 Nr. 203/L314 Nr. 250/L374 Nr. 476/L092 Nr. 618/G565

Münzen Roman Provincial Coinage 308 Nr. 1651

62 Anm. 75

62 60 Anm. 68 61 Anm. 69 62 Anm. 77 65 Anm. 93