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German Pages [345] Year 2012
© 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525535417 — ISBN E-Book: 9783647535418
Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments
Herausgegeben von Jan Christian Gertz, Dietrich-Alex Koch, Matthias Köckert, Hermut Löhr, Joachim Schaper und Christopher Tuckett Band 243
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Heiko Wojtkowiak
Christologie und Ethik im Philipperbrief Studien zur Handlungsorientierung einer frühchristlichen Gemeinde in paganer Umwelt
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Meinen Eltern
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-53541-7 ISBN 978-3-647-53541-8 (E-Book) 2012 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Druck und Bindung: a Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
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Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Gegenstand, Zielsetzung und Methodik der Untersuchung . 1.2 Terminologische Vorklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Forschungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Die Bedeutung Christi für die Grundlegung der Ethik 1.3.2 Die Rolle des Leidens im Philipperbrief . . . . . . . . 1.3.3 Die Frage eines innergemeindlichen Konflikts . . . . Exkurs: Sergio Rosell Nebreda, Christ Identity . . . . . . . . . 1.4 Philippi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.1 Die Geschichte der Stadt und die Anfänge der christlichen Gemeinde . . . . . . . . . . . . . . 1.4.2 Die soziale, kulturelle und religiöse Situation . . 1.4.3 Die ethnische Zusammensetzung der Gemeinde 1.5 Abfassungssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.1 Die Vorgeschichte der Korrespondenz . . . . . . 1.5.2 Die Frage nach dem paulinischen Haftort . . . . 1.6 Die Frage der literarischen Einheitlichkeit . . . . . . .
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2. Der sogenannte Christushymnus (Phil 2,6 – 11) . . . . . . . . . . 2.1 Zur Struktur von Phil 2,6 – 11 . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Untersuchung des potentiellen Traditionsstücks . . . . . . . 2.2.1 Die römische Herrscherverehrung als religionsgeschichtlicher Hintergrund . . . . . . . . . 2.2.2 Christi Selbstentäußerung und Selbsterniedrigung als Weg zur Gottgleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Christi Einsetzung als Gott und Herr . . . . . . . . . 2.2.4 Die Herrschaft Christi . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Ethische Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Die Frage der Textgattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Die Rezeption des Christuspsalms . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Phil 1,27 – 2,18: Die Einheit der Gemeinde in Christus 3.1.1 Vorklärungen: Textabgrenzung und Aufbau . . . 3.1.2 Allgemeine Paraklese A (1,27 – 30) . . . . . . . .
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Inhalt
3.1.3 Konkrete Paraklese (2,1 – 4[5]) . . . . . . . . . . . . . . . 134 3.1.3.1 Christi Vorbild und die Grundlegung der paulinischen Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 3.1.3.2 Paulus’ Mahnung zu einer Niedrigkeitsgesinnung und seine heidenchristlichen Adressaten . . . . . 144 Exkurs: Status und Ehre in der antiken Gesellschaft . . . . . . . . . . . 3.1.4 Allgemeine Paraklese B (2,12 – 18) . . . . . . . . . . . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Phil 3,2 – 4,3: Das Beispiel des Paulus und die „Feinde des Kreuzes“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Zur Auslegung von Phil 3. Eine Problemanzeige . . . . . 3.2.2 Die Rezeption des Christuspsalms und das paulinische Beispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Die Mahnung zur Nachahmung . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4 Die „Feinde des Kreuzes Christi“ und der Konflikt in Philippi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.5 Die exemplarischen Gegenpositionen . . . . . . . . . . . 3.2.6 Das himmlische Politeuma und die Erwartung des Kyrios Jesus Christus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.7 Die Mahnung an Euodia und Syntyche . . . . . . . . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Phil 2,25 – 30: „… bis zum Tod“. Das Beispiel des Epaphroditus 3.3.1 Epaphroditus als ethisches Vorbild . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Paulus’ differenzierte Wertung der Todesnachahmung . . Fazit Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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4. Das Leiden der Christen und die pagane Religiosität . . . . . . . . . 231 4.1 Die Wertung des Leidens im Alten Testament und Frühjudentum und die Entstehung der Martyriumsvorstellung . 231 4.2 Der pagane Mensch und das Leiden . . . . . . . . . . . . . . . 238 5. Der Philipperbrief als Reaktion auf einen Wertekonflikt in Philippi . 5.1 Phil 4,8 f als Verhältnisbestimmung zwischen paganem Ethos und christlicher Lebensführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1 Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.2 Die ethische Maxime Phil 4,8 f . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Ein Wertekonflikt als Hintergrund des Gesamtbriefs . . . . . . 5.2.1 Die Abwägung paganer Werte . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Die Leidenserfahrungen des Apostels und der Gemeinde. Zur Funktion von Phil 1,12 – 26 . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.3 Die Nachahmung Christi und seiner Nachahmer . . . . . 5.2.4 Der Aufbau und die literarische Einheitlichkeit des Philipperbriefs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
6. Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Die Bedeutung der Ergebnisse für weitere Fragen der Exegese des Philipperbriefs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.1 Die Verfasserschaft des Christuspsalms . . . . . . . . . 6.1.2 Die Abfassungszeit des Briefs und seine Einordnung in das Corpus Paulinum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Die christologische Grundlegung der paulinischen Ethik im Philipperbrief . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Die Stellung der Vorbildfunktion Christi innerhalb der paulinischen Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. 285 . 285 . 285 . 287 . 293 . 297
Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Hilfsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wörterbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Andere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Digitale Hilfsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bibelausgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Christliche Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Jüdische Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Pagane Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Inschriften und Papyri . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kommentare zum Philipperbrief . . . . . . . . . . . . . 2. Aufsätze und Monographien zum Philipperbrief und zu Philippi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Weitere Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . .
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. . . 310 . . . 314
Bibelstellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 Autorenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340
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Vorwort Die vorliegende Untersuchung ist eine geringfügig überarbeitete Fassung der Arbeit, die im Sommersemester 2011 von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen wurde. Sie ist das Ergebnis einer mehr als vier Jahre währenden Beschäftigung mit dem Philipperbrief des Paulus. Die besondere kulturelle Situation der Adressaten in einer im Osten des Imperium Romanum gelegen Kolonie hat mich dabei weit über den theologischen Bereich hinaus zur Vertiefung in Fragen der klassischen Altertumswissenschaften geführt, insbesondere in Fragen der gesellschaftlichen Situation im römischen Weltreich. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. DietrichAlex Koch, der die Arbeit über fast ein halbes Jahrzehnt hinweg betreut und im kritisch-konstruktiven Gespräch begleitet hat. Unvergesslich bleiben überdies die von ihm organisierten Exkursionen nach Griechenland und in die Türkei. Herrn Prof. Dr. Hermut Löhr danke ich für die Übernahme des Zweitgutachtens. Ihm sowie allen Teilnehmern des neutestamentlichen Forschungskolloquiums in Münster habe ich zudem zu danken für den kritischen Dialog über meine Forschungsergebnisse, die oft der theologischen Mehrheitsmeinung entgegenliefen. Für konstruktive Hinweise zu meinen Ausführungen danke ich Herrn Dr. Malte van Spankeren und Herrn Wieland Kind. Des Weiteren danke ich den Herren Professoren Koch, Löhr und Christopher Tuckett (Oxford) für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe „Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments“. Der Hessischen Lutherstiftung gebührt mein Dank für die Förderung durch ein Stipendium in den Jahren 2008 und 2009. Ebenso habe ich der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster zu danken, die mir für die letzten zwölf Monate meiner Arbeit ein Promotionsabschlussstipendium gewährte. Weder mein Theologiestudium noch die anschließende Arbeit an meiner Dissertation wäre ohne die Unterstützung meiner Eltern, Heidrun und Harribert Wojtkowiak, möglich gewesen. Ihnen ist zum Dank dieses Buch gewidmet. Schließlich danke ich all den Freunden die mich über Jahre auf meinem Weg begleitet und damit, manchmal ohne es zu wissen, maßgeblich zum erfolgreichen Verlauf meiner Arbeit beigetragen haben. Sie sind es, die mich auf gleichermaßen arbeitsreiche wie glückliche Jahre zurückblicken lassen. Bickenbach, im Januar 2012
Heiko Wojtkowiak
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1. Einleitung 1.1 Gegenstand, Zielsetzung und Methodik der Untersuchung Im Brief des Paulus an die Gemeinde in der römischen Kolonie Philippi begegnet an zentraler Stelle eine kunstvoll gestaltete Schilderung des Christusereignisses, der Menschwerdung Christi, seines Tod und seiner anschließenden Erhöhung durch Gott (Phil 2,6 – 11). Dieser in der Forschung seit der Mitte des 20. Jh. vornehmlich als Christushymnus bezeichnete Abschnitt ist eingebettet in eine Paraklese. Ihm voran geht die Mahnung des Apostels an die Gemeindemitglieder, untereinander einer Gesinnung zu sein, den Anderen höher zu achten als sich selbst und sich an seinen Anliegen zu orientieren (V. 2 – 4). Auch der Abschnitt selbst wird von Paulus durch eine Mahnung eingeleitet, deren Verständnis allerdings unsicher ist: toOto vqome?te 1m rl?m d ja· 1m Wqist` YgsoO (V. 5). Diese Mahnung könnte einerseits die Adressaten dazu aufrufen, sich in ihrer Gesinnung an derjenigen Christi zu orientieren; andererseits lässt sie sich auch als Forderung nach einer dem Heilsgeschehen und dem Leben in der Christusgemeinschaft angemessenen Gesinnung verstehen. Unabhängig von ihren beiden Verständnismöglichkeiten verdeutlicht diese Mahnung allerdings eines: Die Gesinnung, welche Paulus von seinen Adressaten erwartet, steht für ihn im Verhältnis zu Jesus Christus. Christologie und Ethik werden vom Apostel in Phil 2 explizit aufeinander bezogen.1 Diese Beziehung zwischen Christologie und Ethik im Phil ist Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Deren Leitfrage lautet: In welchem Verhältnis stehen die ethischen Mahnungen zu Christus und dessen Heilshandeln? Damit reagiert sie auf die in der Forschung umstrittene Frage, ob und inwiefern Christus innerhalb des Phil sowie allgemein für die paulinische Ethik die Rolle eines Vorbilds einnimmt. Nachdem bis zum Zweiten Weltkrieg ein vorbildethisches Verständnis des Textes dominierte, wurde dieses zwischen 1950 und 1990 mehrheitlich abgelehnt und in Phil 2,6 – 11 ein Verweis auf das von Christus gewirkte Heil als Grundlage des christlichen Lebens gesehen, ohne dass Christus dabei unmittelbar zum Vorbild der Gläubigen werde. In der aktuellen Forschung wird allerdings wieder vermehrt damit gerechnet, dass Paulus Christus innerhalb der Paraklese des Phil eine Vorbildfunktion zuweise.2 Die Klärung des Verhältnisses zwischen Christologie und Ethik im Phil soll durch einen methodischen Zweischritt erfolgen: durch eine Untersuchung 1 Vgl. Brucker, Christushymnen, 309. 2 Vgl. 1.3.1
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Einleitung
zunächst des sogenannten Christushymnus als eines eigenständigen urchristlichen Textes (Kap. 2), sodann von dessen Rezeption innerhalb des Briefs (Kap. 3). Dieses Vorgehen ist erforderlich, da die Verfasserschaft von Phil 2,6 – 11 unsicher ist und erwogen werden muss, dass Paulus eine ihm vertraute Tradition in den Brief integriert hat. Nur so ist es möglich, eine paulinische Akzentsetzung von einer eventuell anders ausgerichteten Intention des Textes zu trennen. Auch wenn Christus in einem vorpaulinischen Text keine ethische Funktion zukommt, kann nicht ausgeschlossen werden, dass Paulus ihm innerhalb seines Briefs eine solche zuweist. Eine Untersuchung zur Ethik des Phil muss den besonderen religiösen und kulturellen Hintergrund der Adressatengemeinde in der Colonia Iulia Augusta Philippensis berücksichtigen. Wie neuere Arbeiten zu Philippi und zum Phil verdeutlichen, ist in dieser römischen Kolonie mit einer gegenüber den anderen Orten, an welchen sich paulinische Gemeinden befinden, singulären Prägung zu rechnen.3 Die frühen Christen in Philippi leben in einem kulturell stark römisch geprägten Umfeld. In diesem Umfeld erfuhren sie ihre Primärsozialisation. Die ihnen vertrauten Werte sind die Werte der römischen Kolonie. Infolgedessen stellt sich die Frage, ob sich diese Prägung der Adressaten auch in der Ethik des Phil niederschlägt. Es gilt zu untersuchen, inwiefern Paulus innerhalb seiner Paraklese auf das pagane Ethos der Gemeindemitglieder eingeht, positiv an dessen Werte anknüpft oder diese ablehnt. Zudem wird die Möglichkeit einer spezifischen ethischen Akzentsetzung nicht allein im Hinblick auf den Inhalt der Paraklese, sondern auch hinsichtlich deren Begründung zu berücksichtigen sein. Es ist möglich, dass sowohl die spezifische ethische Vorprägung der Adressaten als auch eine bestimmte die Abfassung des Phil veranlassende Situation für die Begründung der Mahnungen des Apostels maßgeblich sind. Gleichzeitig ist zu erwägen, ob sich innerhalb des Phil andeutende Spannungen eventuell mit dieser paganen Primärsozialisation zusammenhängen. Der notwendigen Berücksichtigung des kulturellen Hintergrunds wird zunächst Rechnung getragen, indem innerhalb der Einleitung die historische Situation unter besonderer Berücksichtigung der religiösen und kulturellen Charakteristika der Kolonie Philippi dargestellt wird (Kap. 1.4). Des Weiteren wird an einzelnen Punkten der Arbeit der kulturelle Hintergrund gesondert beleuchtet, sofern er als für Spannungen innerhalb der Gemeinde ursächlich und als Anlass der paulinischen Mahnung erscheint. Dies betrifft die Rolle von Status und Ehre in der römischen Gesellschaft (Kap. 3.1.3.2: Exkurs) und die Bedeutung eines religiös motivierten Leidens für Heidenchristen (Kap. 4). Eine Untersuchung der Verknüpfung von Christologie und Ethik im Phil 3 Peter Pilhofer, Philippi. Band 1: Die erste christliche Gemeinde Europas, WUNT 87, Tübingen 1995; Lukas Bormann, Philippi. Stadt und Christengemeinde zur Zeit des Paulus, NT.S 78, Leiden u. a. 1995; Joseph H. Hellerman, Reconstructing Honor in Roman Philippi. Carmen Christi as Cursus Pudorum, MSSNTS 132, Cambridge 2005.
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Terminologische Vorklärungen
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kann zudem über ihre eigentliche Fragestellung hinaus Antworten auf in der Forschung umstrittene Einleitungsfragen liefern: auf die Frage der Verfasserschaft von Phil 2,6 – 11, der literarischen Einheitlichkeit des Briefs sowie dessen Abfassungszeit und Einordnung in das Corpus Paulinum.
1.2 Terminologische Vorklärungen Die Rede von terminologischen Vorklärungen ist zwar insofern missverständlich, als die Bestimmung dessen, was in dieser Untersuchung unter Ethik, Christologie etc. verstanden wird, nicht unabhängig von ihrem Gegenstand erfolgen kann, welcher jedoch allererst durch die Untersuchung erfasst werden soll. Gleichzeitig aber sind terminologische Vorklärungen unerlässlich. Zunächst für die Untersuchung selbst: Deren Gegenstand muss, wenn auch vorläufig, definiert und auf diese Weise eingegrenzt werden. Sodann ist für den Leser eine einleitende Bestimmung der verwendeten Termini erforderlich. Die hier vorangestellten terminologischen Vorklärungen geben nicht ein „Vorverständnis“ des Untersuchungsgegenstands wieder, sondern sie beinhalten bereits die im Abschreiten des „hermeneutischen Zirkels“ gewonnenen Begriffsbestimmungen.4 Dem liegt die methodische Entscheidung zugrunde, dass die Untersuchungsergebnisse selbst für die verwendete Terminologie leitend sein sollen. Damit soll verhindert werden, dass durch eine vorgefasste Terminologie an die paulinische Ethik, wie sie im Philipperbrief begegnet, ihr nur bedingt adäquate Vorstellungen und Kategorien herangetragen werden. Freilich bedeutet dies, dass hier bereits auf Untersuchungsergebnisse voraus verwiesen werden muss. Ethik wird im Folgenden, anknüpfend an Trutz Rendtorff, verstanden als „Theorie der menschlichen Lebensführung“5. Sie beschäftigt sich somit nicht nur mit der Frage des Verhaltens zwischen Individuen oder Gruppen, sondern mit dem menschlichen Handeln überhaupt, unabhängig von dessen Bezugspunkt.6 Allein eine derartig weite Ethikdefinition erscheint dem Untersuchungsgegenstand angemessen. So wird sich bei der Mahnung zur Nachahmung zeigen, dass ein Verhalten in Hinblick auf Gott und gegenüber den Mitchristen eng miteinander verbunden ist. Und Mahnungen zu einem bestimmten Verhalten der Gemeindemitglieder untereinander zielen in Phil 2 funktional auf die gemeinsame Heilsverwirklichung.7 4 Zum „hermeneutischen Zirkel“, im Rahmen dessen der Text förmlich selbst zum Subjekt wird und auf diese Weise das „Vorverständnis“ des Exegeten revidiert, vgl. Fuchs, Marburger Hermeneutik, 85ff; zum „Vorverständnis“ vgl. ebd., 18 ff. 5 Rendtorff, Ethik 1, 11; Blischke, Ethik bei Paulus, 13. 6 Vgl. Rendtorff, Ethik 1, 11. 7 Insofern ist auch Michael Wolters an Klaus Berger anknüpfende Unterscheidung zwischen „protreptischen Mahnungen“, welche zum Eintritt oder Verbleiben in der Ekklesia auffordern,
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Einleitung
Allerdings führt Paulus kein Theorieunternehmen im Sinne der aristotelischen Ahijμ heyq¸a8 durch, indem er „eine systematische Reflexion über die Normen und Begründungen der Handlungen“9 vornehme. Auch erfolgt keine metaphysische Grundlegung des angemahnten Handelns. Die Rede von einer Theorie ist aber insofern berechtigt, als die paulinische Paraklese weder aus unbegründeten Einzelmahnungen besteht, noch sich in Mahnungen, die ausschließlich eine konkrete Situation betreffen, erschöpft.10 Vielmehr gibt der Apostel im Phil durch die Begründung seiner Mahnungen Orientierungshilfen, welche die Gemeinde zur eigenständigen ethischen Reflexion und Entscheidung bei den gegenwärtigen als auch bei zukünftigen ethischen Fragen befähigen sollen. Und wie sich zeigen wird, beschließt Paulus die Paraklese mit einer ethischen Maxime, welche grundlegend für die weitere, eigenständige ethische Orientierung seiner Adressaten sein soll. Indem Ethik auf das reflektiert, was vom Einzelnen, einer Gemeinschaft oder der jeweiligen Gesellschaft als gutes oder schlechtes Handeln angesehen wird bzw. angesehen werden soll, bezieht sie sich auf das Ethos. Der Begriff Ethos wird hier anknüpfend an die griechische Wortbedeutung (5hor : Sitte, Brauch) in einem weiten, materialen Sinn gebraucht für diejenigen Werte und Normen, welche das Denken und Handeln von Menschen bestimmen, einerseits in der Umwelt der frühen Christen andererseits innerhalb der Ekklesia.11 Dieses Ethos bestimmt nicht nur direkt das Handeln, indem sich der Mensch bewusst an dem Werten und Normen orientiert, sondern gleichzeitig wird er von dem Ethos, welches ihn prägt, auch unbewusst beeinflusst.12 In der folgenden Untersuchung wird vorrangig der materiale Aspekt des Ethos in den Blick genommen, während sein funktionaler, identitätsstiftender Aspekt
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und „paränetischen Mahnungen“, welche die Mitglieder der Ekklesia zu bestimmten Verhaltensweisen ermahnen, nur bedingt durchführbar (vgl. Wolter, Ethische Identität, 63 f; Berger, Formen und Gattungen, 190ff, 276ff; kritisch insbesondere bzgl. einer gattungskritischen Unterscheidung vgl. Lçhr, Ethik und Tugendlehre, 161 f). Aristoteles, an. post. I,33. Zimmermann, Jenseits von Indikativ und Imperativ, 272 f. Vgl. ebd., 273. Aufgrund des Fehlens einer „systematische[n] Rechenschaft über Handlungsnormen und Begründungszusammenhänge“ (273) zieht Zimmermann jedoch die Rede von einer „impliziten Ethik“ (273 u. ö.) vor. Vgl. Cl. Geertz, Ethos, 127: „A people’s ethos is the tone, character, and quality of their life, its moral and aesthetic style and mood; it is the underlying attitude toward themselves and their world that life reflects.“ Vgl. auch Kluxen, Ethos, 489: „Ethos (…) bezeichnet die konkrete Gestalt sittlichen Lebens: objektiv den Inbegriff sittlicher Normen und normativer Gehalte, die in einer gegebenen Gesellschaft als gültig anerkannt sind, auch im Bezug auf bestimmte soziale Rollen (Beruf, Stand); subjektiv die entsprechende Einstellung und Gesinnung, den sittlichen Charakter des Einzelnen“. Zum Verhältnis unterschiedlicher „Ethosformen“ zueinander und zur Entwicklung des Ethos vgl. ders., Ethik und Ethos. Zu beiderlei Aspekt, allerdings unter besonderer Berücksichtigung des Ethos im ersten Sinne als „behaviour on the basis of fixed and excepted commandments in a particular community“ vgl. van der Watt, Ethics and Ethos, 151.
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Terminologische Vorklärungen
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weitgehend unberücksichtigt bleibt.13 Dies bietet sich insofern an, als sich zeigen wird, dass gerade das Verhältnis von den Gemeindemitgliedern vertrauten paganen Werten einerseits und einer am christlichem Kerygma orientierten Lebensführung andererseits in Philippi einer Klärung bedarf, also eine Spannung bezüglich des Inhalts eines christlichen Ethos besteht. Primär ethische Orientierung, welche freilich dann auch identitätsstiftend wirkt, wird sich als die Zielsetzung der Paraklese des Phil abzeichnen. Hinsichtlich des Inhalts des paganen Ethos wird an einigen Stellen der Untersuchung zwischen Werten und Normen differenziert. Ist die Rede von Werten, bezieht sich dies allgemein auf „Motivationen und Zielsetzungen, an welchen sich der Mensch moralisch (Überzeugungen, Gesinnung, Handeln) ausrichtet.“14 Hierunter fallen entsprechend dem weit gefassten Verständnis von Ethos auch Anschauungen und Vorlieben. Werte müssen daher nicht in einem juridischen Sinne verbindlich sein, wenn sie auch breiten gesellschaftlichen Einfluss besitzen können. Wird daneben der Begriff Norm gebraucht, so meint dieser einerseits verbindliche Rechtssatzungen und Ordnungen auf staatlicher bzw. munizipaler Ebene, andererseits Verpflichtungen, denen ein Mensch z. B. als Mitglied eines Vereins nachzukommen hat. Damit wird der Begriff Norm hier im engeren Sinne als „rechtliche Norm“15 gebraucht. Der Übergang zwischen beiden Begriffen ist unter historischem Gesichtspunkt fließend, da es sich im Falle des für die Kolonie Philippi relevanten römischen mos maiorum um ein an überlieferten Werten und Verhaltensweisen orientiertes Gewohnheitsrecht handelt.16 Eine Differenzierung ist jedoch insofern sinnvoll, als einige Mahnungen (1,27; 4,8) darauf hindeuten, dass Paulus ausdrücklich das positive Recht in seine ethische Reflexion einbezieht. Darüber hinaus findet der Begriff Maxime Verwendung. Hiermit wird eine Mahnung bezeichnet, welche nicht auf ein konkretes Handeln zielt, sondern vielmehr einen Grundsatz zur ethischen Entscheidungsfindung benennt. Die Maxime bildet damit die Grundlage der auf konkretes Handeln zielenden ethischen Entscheidungen und Mahnungen.17 Für die paulinischen Mahnungen wird der Begriff Paraklese demjenigen der Paränese vorgezogen. Dies knüpft zunächst an Paulus’ eigene Verwendung 13 Letzteren Aspekt hebt besonders Wolter hervor. So diene das Ethos der „Objektivation von Identität“ (Ethische Identität, 62), d. h. dazu, die gemeinsame Identität der Mitglieder einer Gemeinschaft zu repräsentieren und den Einzelnen seiner Zugehörigkeit zu dieser, im Urchristentum spezifisch zum Heilsbereich der Ekklesia, zu versichern (vgl. 62, 76). 14 Vgl. Rçmelt, Norm, 2046. 15 Lienemann, Theologische Ethik, 289 ff. 16 Vgl. Kierdorf, Mos maiorum, 402 f; vgl. auch 1.4.1 zu einer hinter Apg 16,20 f stehenden Anklage der Missionare in Philippi wegen des Verstoßes gegen den römischen mos maiorum. 17 Vgl. Kant, Einführung in die Metaphysik der Sitten, 27, BA 15: „Maxime ist das subjektive Prinzip des Wollens“; vgl. auch zu „Maximen als oberste Praktische Grundsätze“ Hbenthal, Maxime, 228 f.
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Einleitung
von paq²jkgsir und paqajake?m an, wohingegen die Wortgruppe paqaime?m nicht allein in den Briefen des Apostels fehlt, sondern im NT einzig in Apg 27,9.22 begegnet. Entscheidend für die Begriffswahl sind jedoch inhaltliche Erwägungen. Bereits Heinrich Schlier verweist darauf, dass der Begriff Paraklese ein Charakteristikum paulinischer Ethik repräsentiere, nämlich die Verknüpfung von Mahnung und Zuspruch.18 Die breite Bedeutungsspanne von Substantiv und Verb, welche den tröstenden Zuspruch ebenso wie die Mahnung oder Bitte19 umfasst, zeige sich auch in deren paulinischer Verwendung. So komme „das Erbarmen Gottes in der apostolischen Mahnung zu Wort“20 und zwar „in dem Sinn (…), daß diese den Anspruch des erwiesenen Erbarmens Gottes laut werden läßt.“21 Klingt hier ein an Rudolf Bultmann anknüpfendes Verständnis des paulinischen Imperativs als Folge der indikativischen Heilszusage an22, so tritt im Phil eine enge Verbindung von Mahnung und Zuspruch in anderer Weise hervor. Auffallend häufig verweist Paulus in Verbindung mit seinen Mahnungen auf das göttliche Wirken. Dabei motiviert er seine Adressaten auch ausdrücklich dadurch, dass Gott selbst das von ihnen Geforderte bewirke.23 Es begegnet ein explizites Ineinander von Mahnung und Zuspruch. Hinzu kommen zwei weitere Charakteristika des Begriffs Paraklese, welche diesen als der paulinischen Ethik, wie sie sich im Phil darstellt, angemessen erscheinen lassen: Walter Übelacker verweist 1.) auf den weiteren Umfang des Begriffs. So tritt stärker als im Fall der antiken Paränese auch die ethische Motivation in den Blick.24 2.) hebt Übelacker insbesondere ein gegenüber der Paränese anderes Verhältnis zwischen Mahnendem und Ermahnten hervor. 18 Vgl. Schlier, Wesen, 74 – 89; ders., Eigenart, 340 – 357. Vgl. anknüpfend an Schlier GrabnerHaider, Paraklese und Eschatologie; Hasenstab, Modelle paulinischer Ethik, 87 ff. In der aktuellen Paulusforschung vgl. Schnelle, Paulus, 641. 19 Vgl. zum Bedeutungsspektrum Sthlin/Schmitz, paqajak´y, paq²jkgsir, 771 – 798. Die Bedeutungsspanne des Worts zeigt sich deutlich in Phil 2,1, wo paq²jkgsir in seinem Gebrauch neben paqal¼hiom (Trost) offenbar gerade den doppelten Aspekt eines mahnenden als auch tröstenden Zuspruchs ausdrückt. Eine Entscheidung für eine der beiden Bedeutungen, scheint an dieser Stelle dem Text nicht gerecht zu werden (vgl. 3.1.3.1). 20 Schlier, Eigenart, 344. 21 Ebd., 344. 22 Vgl. Bultmann, Theologie, 334: „Der Indikativ (…) steht also nicht nur in keinem Widerspruch zum Indikativ des Gerechtfertigtseins, sondern folgt vielmehr aus ihm“. „Der Indikativ begründet den Imperativ“ (335). Explizit begegnet die Bezeichnung des Imperativs als Folge des Indikativs noch nicht in Bultmanns für die Frage der Verknüpfung von Soteriologie und Ethik bei Paulus wegweisendem Aufsatz „Das Problem der Ethik bei Paulus“ (1924). Hier betont Bultmann im Besonderen das Ineinander von Indikativ und Imperativ, welche beide gleichermaßen von der göttlichen Gnade bestimmt seien (vgl. Ethik bei Paulus, 53 f). Die göttlich Gnade ermöglicht allererst die Erfüllung des Imperativ : „(…) So ist die der Forderung entsprechende Haltung des Gehorsams zugleich Gabe Gottes, gewirkt durch das pmeOla“ (54). 23 Vgl. 2,12 f; 3,15; vgl. auch 2.1.2 zu 1,27 – 30. 24 Vgl. Übelacker, Paraenesis or Paraclesis, 349 f.
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Komme in der antiken Paränese dem Mahnenden vornehmlich eine autoritative Stellung zu, so sei für die paulinische Paraklese die Gemeinschaft des Apostels mit den Adressaten und ein Verzicht auf Autorität kennzeichnend.25 Dem entspricht im Phil die schon im Proömium (1,3 – 11) begegnende Betonung eines besonders innigen Verhältnisses zwischen Apostel und Gemeinde. Dieses Verhältnis betont Paulus nicht zuletzt in den Mahnungen selbst, wenn er die Philipper als !capgto¸ lou (2,12) und !dekvo¸ (3,1.17; 4,1) anredet. Der Begriff Paraklese erweist sich somit als angemessener denn Paränese, da er nicht allein terminologisch an Paulus anknüpfen kann, sondern insbesondere auch inhaltlich in mehrerlei Hinsicht der paulinischen Ethik besser gerecht zu werden vermag. Entsprechend wird als Adjektiv parakletisch verwendet, anstelle von paränetisch. Nun ist die Ethik des Phil nicht an sich Untersuchungsgegenstand, sondern die Ethik in ihrem Verhältnis zur Christologie. Ähnlich wie bezüglich des Begriffs Ethik, ist auch hierbei zu berücksichtigen, dass Paulus keine systematische Reflexion auf das Christusereignis vornimmt, welche dem aus der dogmatischen Tradition stammenden Begriff Christologie in einem engeren Sinne entsprechen würde.26 Allerdings begegnet in Phil 2,6 – 11 eine eventuell vorpaulinische narrative Zusammenfassung des Weges Christi, seiner Menschwerdung, seines Todes, seiner Erhöhung und Einsetzung als Kyrios. Auf diesen narrativen christologischen Abschnitt nehmen sowohl die paulinische Paraklese als auch mit der Paraklese in Verbindung stehende Briefabschnitte wiederholt Bezug. Die Untersuchung ist daher von der Frage geleitet, mit welcher Intention diese Bezugnahmen erfolgen, ob Paulus in Christi Handeln nur das für die christliche Lebensführung grundlegende Heilshandeln erblickt, oder ob er seine Mahnungen auch inhaltlich von Christus her begründet. Angesichts dessen ist eine letzte terminologische Präzisierung erforderlich, welche für gewöhnlich übergangen wird: die Bestimmung der Begriffe Vorbild und Beispiel. Beide Begriffe gehen freilich ineinander über. Unter Vorbild soll jedoch konkret verstanden werden: eine Person, deren Handeln oder deren sich in ihrem Handeln ausdrückende Gesinnung als Maßstab der ethischen Orientierung, des eigenen Handelns oder der eigenen Gesinnung, dient. Das Vorbild fungiert als „personalisierte[s] ethische[s] Handlungsmuster“27. Der Begriff Beispiel wiederum bezieht sich speziell auf 25 Vgl. ebd., 350 f. 26 Eine systematische christologische Reflexion im engeren Sinne findet erst in der Alten Kirche statt. Und der Begriff „Christologie“ ist neuzeitlicher Herkunft (nach Karrer, Jesus Christus im Neuen Testament, 14 gebraucht den Begriff als „Werktitel“ zuerst B. Meisner, ,Christologias‘ Sacrae Disputationes L, Wittebergae 1624). Jedoch hat die christologische Reflexion an sich ihren Ursprung in den neutestamentlichen Deutungsversuchen des Todes Jesu und der Ostererfahrung. Ein entscheidender Schritt dieser frühen Reflexion zeigt sich in Phil 2,6 – 11, dem offenbar frühesten Zeugnis für eine explizite Divinisierung Jesu Christi und seine Integration in den jüdischen Monotheismus (vgl. 2.2). 27 Biesinger, Vorbild, 1997.
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das Handeln des Vorbilds, in welchem dieser Maßstab zur Anschauung gebracht wird.
1.3 Forschungsgeschichte 1.3.1 Die Bedeutung Christi für die Grundlegung der Ethik Eine „Bekräftigung der V. 3 f enthaltenen Vorschrift durch das Beispiel Jesu (…), welcher demuthsvoll nicht sein eigenes Interesse im Auge hatte, sondern dasselbe in Selbstentäußerung und Selbsterniedrigung bis zur Erduldung des Kreuzestodes aufopferte, und deshalb zur höchsten Glorie von Gott erhoben wurde“28 – derart charakterisiert Heinrich August Wilhelm Meyer die Funktion der Mahnung in Phil 2,5 und der anschließenden Schilderung von Christi Erniedrigungshandeln und Erhöhung im sogenannten Christushymnus. Nach Meyer verweist Paulus auf Christus als ein ethisches Vorbild, an welchem sich die Philipper in ihrem Verhalten untereinander orientieren sollen. Dieses Verständnis von Phil 2,5 – 11 ist exemplarisch für die Auslegung des 19. und zu weiten Teilen für diejenige der ersten Hälfte des 20. Jh. Richard Adelbert Lipsius fasst die Intention des Abschnitts derart zusammen: „Der Zweck der ganzen Ausführung ist, Christum als Beispiel selbstverleugnender Demuth hinzustellen, für welche ihm dann der Name, der über alle Namen ist, als göttlicher Lohn zu Theil ward.“29 Und Carl Holsten formuliert: „Für diese Gesinnung aber, welche Paulus für das t¹ aqt¹ vqome?m gefordert hat, für eine Gesinnung, welche ohne Selbstgefälligkeit das eigne Ich dem des andern unterordnet, und ohne Selbstsucht das eigne Interesse nur zugleich mit dem andern ins Auge fasst, stellt Paulus die Gesinnung Christi Jesu den Philippern als Vorbild auf.“30 Ähnlich Holsten betont auch schon Bernhard Weiß die durch das Verb vqome?m angezeigte Ausrichtung der Mahnung speziell auf eine Entsprechung in der Gesinnung: „Damit nun auch die Philipper aufs Eifrigste jenen Tugenden nachjagen möchten, welche die Eintracht allein bleibend sichern, verweist sie Paulus auf das stärkste Motiv, das es für den Gläubigen geben kann, auf das Vorbild Christi. Er fordert ja nur, daß dieselbe Gesinnung in ihnen sein soll, welche in Christo Jesu auch war.“31
28 Meyer, Philipper (1874), 67; dahingehend auch August Hermann Franke (!) in der folgenden, nach Meyers Tod überarbeiteten Auflage (1886), 89 f. 29 Lipsius, Philipper (21892), 226. 30 Holsten, Philipper 1 (1875), 448. Holsten rechnet allerdings mit einer deuteropaulinischen Abfassung des Phil (vgl. die ausführliche inhaltliche und stilistische Begründung dieser Annahme im zweiten und dritten Teil seiner Abhandlung [Philipper 2/3 (1876), 58 – 165.282 – 372]. Der Phil sei zwischen 70 und 90 n. Chr. entstanden, „näher an 70, als an 90 p. Ch.“ [Philipper 3, 327]). 31 Weiß, Philipper-Brief (1859), 142; vgl. auch Haupt, Philipper (1897), 68.
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Forschungsgeschichte
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Mit ihrem vorbildethischen Verständnis steht diese Exegese in reformatorischer Tradition. So übersetzt Martin Luther Phil 2,5 mit: „Ein j[e]glicher sey gesinnet, wie Jhesus Christus auch war“32. Und Johannes Calvin kommentiert die Stelle: „Demut, zu welcher er [= Paulus] bisher durch Worte ermahnt hat, empfiehlt er jetzt durch das Vorbild Christi. (…) Er lädt uns zur Nachahmung Christi, weil dies der Maßstab des Lebens ist.“33 Bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jh. setzt eine Diskussion darüber ein, inwiefern eine derartige Auslegung sachgemäß ist. Diese Diskussion entzündet sich bis in die Gegenwart an der unklaren Übersetzung von Phil 2,5: toOto vqome?te 1m rl?m d ja· 1m Wqist` YgsoO. Aufgrund des Fehlens eines Verbs innerhalb des Relativsatzes ist dessen Intention nicht eindeutig. Der Vers lässt sich auf zweierlei Weise wiedergeben: 1.) im Sinne Luthers und der Mehrheit der Ausleger bis zur Mitte des 20. Jh.: „Dies sinnt in Euch, was auch in Christus Jesus war“. In diesem Fall würde Paulus ausdrücklich auf die Vorbildlichkeit Christi hinweisen. Christus nähme eine explizit normative Bedeutung als ethisches Vorbild ein, dessen in V. 6 – 8 geschildertes Verhalten bzw. dessen sich in diesem Verhalten ausdrückende Gesinnung nachzuahmen sei. 2.) „Dies sinnt unter / in Euch, was der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht“ bzw. „was ihr in der Gemeinschaft in Christus Jesus sinnen müsst“. Dann läge der Akzent der Mahnung auf der das Leben des Einzelnen und der Gemeinschaft neu qualifizierenden Christusbeziehung, in welcher sich die Gemeindemitglieder befinden, und den ethischen Konsequenzen, welche hieraus zu ziehen sind, ohne dass Paulus direkt auf das Beispiel Christi verweisen würde. Der anschließenden Schilderung von Christi Erniedrigungshandeln und Erhöhung käme in diesem Fall (primär) die Funktion eines Verweises auf die Heilstat Christi als Voraussetzung dieser ein neues Handeln erfordernden und gleichzeitig ermöglichenden Situation zu. Der soteriologische Aspekt von Christi Handeln stünde im Vordergrund. 9m Wqist` (YgsoO) versteht sich dann von seiner Funktion als paulinischer Terminus technicus für die neue Situation der Christen her.34 Erstmals lehnt 1871 Johann Christian Konrad von Hofmann eine vorbildethische Intention der Mahnung aufgrund grammatischer Erwägungen und Beobachtungen zur Textentwicklung in den Handschriften ab.35 Der Vers verweise vielmehr auf „die mit dem Verhältnisse zu Christo Jesu gegebene und
32 33
34 35
In der angelsächsischen Forschung vgl. Lightfoot, Philippians (1879), 110: „Reflect in your own minds the mind of Christ Jesus. Be humble as He also was humble.“ WMDB 7, 217. Calvin, Opera Exegetica XVI, 320: „Humilitatem, ad quam hortatus verbis fuerat, nunc commendat Christi exemplo. (…) Invitat nos ad Christi imitationem, quia sit vitae regula.“ Vincent, Philippians, 57 verweist auf die vorbildethische Auslegung des Abschnitts bereits seit der Alten Kirche, entweder als Aufforderung zu einer Nachahmung der Demut Christi oder seiner Selbstverleugnung. Zu den unterschiedlichen Auffassungen dieser technischen Bedeutung vgl. das Folgende. Vgl. von Hofmann, Philipper (1871), 56 ff. Schon Meyer, Philipper, 67 f setzt sich kritisch mit von Hofmann auseinander, welcher „die ganze St[elle] übel missverstanden“ (67) habe.
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durch dasselbe bestimmte Sinnesrichtung.“36 Zumindest mittelbar kommt aber auch bei von Hofmann eine Vorbildfunktion Christi ins Spiel, wenn er über das Anliegen von V. 5 – 11 sagt: „(…) Damit man wohl bedenke, was es heißen will, seine Sinnesrichtung nicht blos die selbsteigene, sondern die durch das Verhältnis zu Christo Jesu bestimmte sein zu lassen, erinnert er sie an das, was er gethan hat“37. Folglich schließt sich Theodor Zahn zwar von Hofmanns Auslegung von V. 5 an, sieht dadurch aber keine grundlegende inhaltliche Veränderung gegenüber dem klassischen vorbildethischen Verständnis des Gesamtabschnitts gegeben: „(…) Jedenfalls wird in dem hieran angeschlossenen Relativsatz das vqome?m Christi zu dem Zweck veranschaulicht, um dadurch zu zeigen, welcher Art das vqome?m der Christen sein soll, also direkt oder indirekt Christi in seinem ganzen Wege von der göttlichen Herrlichkeit durch die menschliche Niedrigkeit wieder zur göttlichen Herrlichkeit bewiesene Gesinnung direkt oder indirekt den Lesern als Vorbild vor Augen gestellt.“38 Auch für Adolf Deissmann, welcher sich gleich Zahn von Hofmann anschließt39, wird eine Vorbildfunktion Christi nicht hinfällig. Anders jedoch als Zahn versucht Deissmann den sachlichen Zusammenhang zwischen dem Verweis auf die Gesinnung, „wie ihr sie auch in Christus Jesus habt“40, und der Rolle Christi als Vorbild aufzuzeigen und zu begründen, warum Paulus nicht allein und unmittelbar auf dieses Vorbild verweise. Deissmann sieht in 1m Wqist` YgsoO eine originär paulinische Verhältnisbestimmung und versteht diese in einem mystischen Sinn. Die „Formel (…) charakterisier[e] das Verhältnis des Christen zu Jesus Christus als ein lokal aufzufassendes Sichbefinden in dem pneumatischen Christus“41 und sei „der eigentümlich paulinische Ausdruck der denkbar innigsten Gemeinschaft der Christen mit dem lebendigen Christus.“42 Dies umfasse jedoch „auch das Verhältnis von nachahmenden Anfängern zum vorbildlichen Ideal“43. Verweise Paulus nun die Adressaten nicht direkt auf Christi Vorbild, sondern vielmehr auf ihr Christusverhältnis, so erhalte dadurch die Mahnung „eine viel wirkungsvollere Bestimmtheit (…), als wenn er sie nur auf ein Vorbild hinweist, ohne hinzuzufügen, worin denn die verpflichtende Kraft dieses Vorbildes beruht.“44 Daher ermahne der Apostel die Philipper stattdessen: „(…) Wozu ihr als emter 1m Wqist` ohnehin verpflichtet seid, dass ihr den Christus in euch Gestalt gewinnen lasst (…), das thut auch in euerem Gemeindele36 37 38 39 40 41 42
Von Hofmann, Philipper, 58. Ebd., 59. Zahn, Altes und Neues (1885), 243 f. Deissmann, In Christo Jesu (1892), 114. Ebd., 113. Ebd., 97. Ebd., 98. Zu Deissmanns Verständnis einer paulinischen Christusmystik vgl. ders., Paulus (21925), 107 ff. 43 Deissmann, In Christo Jesu, 117. 44 Ebd., 117.
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ben.“45 Deissmanns Versuch, die sich aus V. 5 und dem Kontext des sogenannten Christushymnus ergebenden Auslegungsoptionen miteinander in Einklang zu bringen, stellt bis in die gegenwärtige Forschung eine Ausnahme dar. So wendet sich 1908, rund anderthalb Jahrzehnte nach Deissmanns Untersuchung, Julius Kögel ausdrücklich gegen eine (primäre) Vorbildfunktion Christi in Phil 2. Der Hymnus schildere das von Christus durch dessen Selbstentäußerung und -erniedrigung erwirkte Heil.46 Das Bewusstsein von diesem Heilshandeln, auf welches Paulus in 2,5 – 11 verweise, führe unmittelbar zu einer entsprechenden Gesinnung: „Wer seinem Dienst sich weiht und sich dabei gegenwärtig hält, wieviel er es sich hat kosten lassen, und wie sauer es ihm geworden ist, das Heil zu beschaffen, der läßt tief beschämt alle eitle Gesinnung fahren und empfindet keinen stärkeren Antrieb als den einen, sich mit allem, was er ist und hat, dem Bruder zur Verfügung zu stellen.“47 V. 5 diene allein als ein „Hinweis auf die Verbindung mit Christus und die darin gesetzte Gesinnung“48. Hier stellt sich allerdings die Frage, ob nicht das angemahnte Sich-gegenwärtig-Halten von Christi Heilshandeln den Aspekt der Vorbildlichkeit Christi bzw. Jesu notwendig impliziert. Dass Kögel diesen Aspekt nicht gänzlich auszuschließen vermag, zeigt sich deutlich, wenn er zu V. 8 zwar das Fazit zieht: „Es bestätigt sich auch hier, was wir ziemlich zu Anfang betonten, daß es Paulus in unserer Stelle nicht auf die Vorführung des Vorbildes Jesu ankommt“49, an dieses Fazit aber anfügt: „wenigstens nicht in erster Linie.“50 Das Verhältnis dieser Vorbildlichkeit zum für Kögel allein relevanten soteriologischen Aspekt bleibt dabei undeutlich.51 Ähnlich grundsätzlich lehnt Karl Barth in seinem auf eine Münsteraner Vorlesung des WS 1926/27 zurückgehenden Philipperbrief-Kommentar eine Rolle Christi als ethisches Vorbild ab. Anders als die Auslegung Kögels, erweist sich Barths Auslegung insofern als konsequent, als dieser Aspekt auch nicht sekundär einfließt. Barth bezieht die Wendung 1m Wqist` YgsoO auf die durch Christus gesetzte „Wirklichkeit“, in welcher sich die Glaubenden befinden, „die die Gemeinde konstituiert, innerhalb deren das Gebot in Kraft steht.“52 45 46 47 48 49 50 51
Ebd., 117. Kçgel, Christus der Herr, 87. Ebd., 91. Ebd., 60. Ebd., 87. Ebd., 87. Ebd., 92 deutet sich eine mystische Verbindung zwischen dem Heilsgeschehen und einer Vorbildfunktion Christi an: „(…) Es gilt, die Denkungsart, die sich durch ihren inneren lebendigen Verkehr mit dem Heilande bestimmt, nun auch praktisch zu bewähren und auf den Verkehr untereinander unmittelbar zu übertragen. (…) Steht ihnen doch Christus vor Augen als einer, der, da er das Höchste besaß, was sich denken läßt, (…) so wenig daran dachte, dies gottgleiche Dasein für sich selbst auszunutzen, daß er sich im Gegenteil, in königlicher Machtvollkommenheit und freier Selbstbestimmung, desselben entäußerte und in Sklavenstellung begab“. 52 K. Barth, Philipperbrief, (1928, 51947), 54.
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V. 5 fungiere als eine „Erinnerung an die Christuswirklichkeit“53, in deren Rahmen die Paraklese erfolge, „die Wirklichkeit …, in der das alles gesagt ist, die Wirklichkeit, in der sich die Streitenden, die sich jede Mahnung sollen gefallen lassen, befinden, die Wirklichkeit, in der der Mensch auf den Mitmenschen, auf den Andern und auf das, was des Andern ist, hingewiesen werden kann und muß.“54 „Nicht durch den Verweis auf das Beispiel Christi“55, sondern auf die angesichts dieser „Wirklichkeit“ gebotene Gesinnung bekräftige der Apostel die vorangehenden Mahnungen.56 Jedoch dominiert ein vorbildethisches Verständnis von Phil 2,5 – 11 weithin die Exegese auch nach den theologischen Entwicklungen in der Folge des Ersten Weltkriegs. Adolf Schlatter notiert: „So sieht die Christenheit an ihm [= Christus] den vollständigen Gegensatz zu jeder Hoffart, auch zu jeder religiösen Hoffart, die auf ihren christlichen Reichtum pocht und ihre geistliche Größe zur Herrschaft mißbraucht.“57 Noch Gerhard Heinzelmann überschreibt 1949 in seinem Kommentar den Abschnitt 2,1 – 11: „Seid eins in demütiger Liebe, wie Christus sie lebte!“58, ohne im Folgenden die Diskussion um eine vorbildethische Auslegung auch nur mit einem Wort zu erwähnen.59 Hingegen tragen Ernst Lohmeyer, Martin Dibelius und Wilhelm Michaelis dieser Diskussion auf je eigene Weise Rechnung. Lohmeyer sieht in Phil 2,6 – 11 ein von Paulus vorgefundenes poetisches Textstück, welches der Apostel in seinen Brief aufnehme.60 Hinsichtlich der Intention differenziert Lohmeyer zwischen derjenigen des vorpaulinischen „Psalms“61 und dessen Rolle im paulinischen Kontext. Das Traditionsstück spreche „von der Gegenständlichkeit eines göttlich-menschlichen Geschehens, nicht aber von der Vorbildlichkeit einer ethischen Gesinnung.“62 Anders verhalte es sich beim Gebrauch des Textes durch Paulus. Hier werde Christus die Rolle „als Vorbild des Martyriums“63 zugewiesen.64 So „stell[e] in großen Worten ein Hymnus das 53 54 55 56
57 58 59 60 61 62 63 64
Ebd., 62. Ebd., 53. Ebd., 53. Vgl. Ebd., 53: „Nicht durch den Verweis auf das Beispiel Christi will Paulus das in V 1 – 4 gesagte bekräftigen, sondern indem er das Sinnen, von dem da die Rede war, gleichsetzt dem Sinnen, das geboten, das selbstverständliche Aufgabe ist, innerhalb der mit der Formel 1m Wqist` YgsoO (im [!] Christus Jesus), bezeichneten Ordnung“. Schlatter, Philipper (1928), 74 f. Heinzelmann, Philipper (1949), 91. Ksemann, Kritische Analyse (1950), 63 zitiert aus Heinzelmann „zur Abschreckung einige Sätze“. Vgl. Heinzelmann, Philipper, 91 ff. Vgl. Lohmeyer, Kyrios (1927/1928), 8; ders., Philipper (1930), 91. Lohmeyer, Kyrios, 9 u. ö. Lohmeyer, Philipper, 98. Als Sitz im Leben des Traditionsstücks erachtet Lohmeyer, Kyrios, 65ff die Abendmahlsliturgie. Lohmeyer, Philipper, 98. Vgl. ebd., 98: „In diesem Martyrium wird das Gesetz sichtbar, nach dem Niedrigkeit und Hoheit unlöslich verknüpft sind. Den Gehorsam gegen dieses Gesetz im eigenen Leiden und Zeugen zu bewähren, das ist der ethische Sinn jenes kosmischen Geschehens.“
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Forschungsgeschichte
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einzige und ewige Vorbild in allen Martyrien hin, Christus“65. Entsprechend gibt Lohmeyer V. 5 wieder mit: „Also seid gesinnt; das [sehet ihr] auch an Jesus Christus“66. Wilhelm Michaelis hält ein derartiges Verständnis von V. 5 als Verweis auf Christi Vorbild aus syntaktischen Gründen sowie aufgrund des paulinischen Gebrauchs der Formel 1m Wqist` für unwahrscheinlich.67 Zudem beziehe sich der Vers überhaupt nicht auf die nachfolgende Schilderung, sondern bilde vielmehr „den bekräftigenden Abschluss der 2,1 – 4 aufgestellten Mahnungen.“68 Allein sei, „indem in 2,5 Jesus Christus genannt war (…), die Möglichkeit gegeben, dies als formale Anknüpfung für die folgenden Sätze zu nehmen.“69 Michaelis übersetzt: „Eine solche Gesinnung, wie ich sie damit [= in V. 2ff] von euch gefordert habe, müßt ihr untereinander haben und das um so mehr, als ihr ja doch in der Gemeinschaft mit Christus Jesus steht!“70 Bei der Frage nach der Funktion von V. 6 – 11 in seinem Kontext scheiden für Michaelis die terminologischen Beziehungen zur Paraklese (Christi Selbsterniedrigung und Gehorsam) aufgrund inhaltlicher Abweichungen als Hinweis aus.71 Der daher nur wage ausgemachte Kontextbezug weist dann aber auch bei ihm letztlich in eine vorbildethische Richtung: „So kann der Zshg zwischen 2,1 – 5 und 6 – 11 nur darin zu suchen sein, daß Christus nicht das 65 Ebd., 7. Mit der Unterscheidung zwischen der Intention der Traditionsstücks und dessen paulinischem Gebrauch revidiert Lohmeyer in seinem Philipper-Kommentar in Teilen seine Kyrios, 85 vertretene Position, wo er auch für das Traditionsstück eine vorbildethische Zielsetzung annimmt: „Welches aber ist die Bedeutung dieser Christologie für die Gemeinde? Nirgends ist hier von den Gläubigen oder einer Unterscheidung von Gemeinde und Welt die Rede; nur das Bild eines göttlichen Geschehens und seines Trägers ist hier gezeichnet, und darin liegt alles Genüge. Dann ist aber auch der Schluß notwendig, daß die gesamte Bedeutung Christi für die Gläubigen in dieser Vorbildlichkeit beschlossen ist.“ 66 Lohmeyer, Philipper, 90. 67 Vgl. Michaelis, Philipper (1935), 33 f. 68 Ebd., 34; vgl. kritisch hierzu bereits Dibelius, Philipper (31937), 72. Einen Rückbezug erwägt schon Wohlenberg, Philipper, (21895), 103. Lohmeyer, Kyrios, 12 f sieht in V. 5a und b zwei „in sich selbständig[e]“ (12) Sätze deren erster sich auf die vorherigen Mahnungen zurück, deren zweiter sich aber auf das Beispiel Christi voraus beziehe. 69 Michaelis, Philipper, 34. 70 Ebd., 33. 71 Vgl. ebd., 43. Die Verbindung zwischen tapeimovqos¼mg (V. 3) und 1tape¸mysem 2autºm scheide aus, da in „2,3 die Demut Menschen gegenüber gemeint [sei], 2,8 aber die Selbsterniedrigung Gott gegenüber“ (43), und da die Demut zudem „im Hymnus dem Hauptgedanken des Gehorsams untergeordnet“ (43) sei. Der Gehorsam allerdings fehle in V. 1 – 5 und klinge nur in V. 12 wahrscheinlich an (vgl. 43, 46). Damit zeigt sich bei Michaelis ein Problem, welches nicht zuletzt daraus resultiert, dass er die Frage der Verfasserschaft von V. 6 – 11 offen lässt bzw. für „kaum [zu] entscheiden“ (44) hält. Übernimmt Paulus aber einen vorpaulinischen Text, so ist ein freierer Umgang mit diesem als bei einem von ihm selbst verfassten Text einschließlich inhaltlicher Abweichungen und Akzentverschiebung zu erwägen. Offensichtliche terminologische (und strukturelle) Bezugnahmen dürfen deshalb nicht aufgrund inhaltlicher Differenzen abgewiesen werden. Daher werden in dieser Untersuchung schon allein aufgrund der Möglichkeit einer vorpaulinischen Abfassung der sogenannte Hymnus und seine Rezeption getrennt voneinander untersucht.
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Seine gesucht hat, wie denn auch die Philipper zu eben diesem Verhalten aufgefordert werden“.72 Martin Dibelius schließlich übersetzt V. 5 unter Verweis auf die Untersuchungen von Hofmanns, Deissmanns und Kögels: „Meint es so miteinander, (wie ihr es meint) als Glieder Christi Jesu“73. V. 6 – 11 schildere das „Heilsgeschehen“74, dessen die Christen anteilig seien. Sie würden „nicht ermahnt, zu leben wie Christus, sondern aus ihrem bereits bestehenden Sein in Christus die Folgerungen auch im Gemeindeleben zu ziehen“75. Unvermittelt findet sich allerdings auch bei Dibelius der Gedanke einer Vorbildfunktion Christi. So kann er von V. 6ff als „dem Christusbeispiel“76 reden. Dieses Beispiel beziehe sich vor allem auf die Mahnung in V. 3, den Dibelius in diesem Zusammenhang frei wiedergibt: „(…) Als Glieder Christi müßt ihr der Ehrsucht absagen und freiwillige Demut üben, denn die freiwillige Demütigung des Herrn muß auch an den Seinen zur Erscheinung kommen.“77 Somit stehen aber sowohl bei Dibelius als auch bei Michaelis soteriologischer bzw. ekklesiologischer und vorbildethischer Aspekt unverbunden nebeneinander. Nachhaltige Wirkung bis in Teile der aktuellen Forschung besitzt Ernst Käsemanns „Kritische Analyse von Phil 2,5 – 11“ (1950). Käsemann bestreitet darin sowohl für ein vorpaulinisches Traditionsstück als auch für Paulus’ Rezeption ein vorbildethisches Anliegen. Das Traditionsstück schildere ein am gnostischen Mythos vom Urmensch-Erlöser orientiertes Heilsgeschehens und verfolge ein soteriologisches Anliegen.78 Der Präexistente steige in die Welt hinab, gehe in den Tod und werde aufgrund seines Gehorsams als Kyrios eingesetzt. Fortan sei die Welt nicht mehr von ungewisser „Ananke“ (von Zwang, unabänderlichem Schicksal79) bestimmt, sondern vom Kyrios Jesus Christus, der diese in seiner freiwilligen Unterordnung bis zum Tod überwunden habe.80 Er beherrsche die Welt, sei „Kosmokrator“81 und nunmehr 72 Michaelis, Philipper, 43. Hierzu bemerkt Ksemann, Kritische Analyse, 63: „Diese Lösung ist nach der vorangegangenen Exegese folgerichtig. Aber sie ist unbestreitbar nichts anderes als Aufnahme der alten Lehre vom ethischen Vorbild.“ 73 Dibelius, Philipper, 72. 9m rl?m beziehe sich vor dem Hintergrund von V. 4 auf die Gemeinschaft; stehe es hier parallel zur Wendung 1m Wqist` YgsoO, verdeutliche dies deren Gebrauch als Terminus technicus (vgl. 72). Dibelius folgert hieraus: „Dann ist aber sehr fraglich, ob die Leser ein so betontes 1m Wq. Y. überhaupt anders verstehen konnten als im Sinne der geläufigen Formel (…) und mit Beziehung auf ihr Gemeinschaftsleben“ (72). 74 Ebd., 82. Die Verfasserfrage lässt auch Dibelius offen. Entgegen der Annahme einer komplett vorpaulinischen Abfassung lasse „sich der Fall denken, daß Paulus hier einige bereits sonst, etwa liturgisch, von Christus gebrauchte Ausdrücke in einem Hymnus eigener Gestaltung verwendet habe“ (73). 75 Ebd., 82. 76 Ebd., 74. 77 Ebd., 74; vgl. auch 80. 78 Vgl. Ksemann, Kritische Analyse, 70 ff. 79 Vgl. zur Ananke den Überblick bei Schrage, Erster Korinther II, 323. 80 Vgl. Ksemann, Kritische Analyse, 81. 81 Ebd., 83.
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selbst ihr Schicksal, werde selbst „Ananke“.82 Zwar „offenbar[e]“ Christus in seinem Verhalten „Gehorsam, aber er mach[e] ihn nicht zur Imitation vor. Er ist Urbild, nicht Vorbild“83. In Paulus’ zum Traditionsstück überleitender Mahnung sei 1m Wqist` (Ygsou) als soteriologischer Terminus technicus aufzufassen und „weis[e] ohne Zweifel (…) auf das Heilsgeschehen hin“84. Dies bedeute: „Paulus selber hat also im Hymnus eine Darstellung des Heilsgeschehens erblickt.“85 Käsemann revidiert seine Position später dahingehend, dass Christus gleichzeitig „Vorbild und Urbild unseres Verhaltens sei“86. Von da aus erläutert er Röm 15,3: „Christus wird wie in Phil 2,5 f als Vorbild dargestellt, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, dass nach 8,29 dieses Vorbild zugleich das Urbild bleibt.“87 Damit nimmt Käsemann erkennbar Bezug auf seine eigene Formulierung in der „Kritischen Analyse“: „Er ist Urbild, nicht Vorbild“88. Der dort ausdrücklich negierte Vorbildaspekt steht im Römerbrief-Kommentar nunmehr im Vordergrund. Käsemann kann den Abschnitt Röm 15,1 – 6 sogar mit „Das Vorbild Christi“89 überschreiben. Damit zeigt sich eine deutliche Veränderung und Korrektur seiner vormaligen Position. Der zuvor ausgeschlossene Vorbildaspekt wird aufgenommen und bildet jetzt sogar die Intention von Phil 2,5 – 11! Der Hinweis auf die Urbildhaftigkeit Christi hingegen und somit die soteriologische Begründung der Vorbildfunktion wird nur noch als eine Präzisierung angefügt.
Käsemanns Revision seiner eigenen These zur Vorbildlichkeit Christi bleibt bei den ihn rezipierenden Exegeten weitgehend unberücksichtigt.90 Die Mehrheit der deutschsprachigen Forschung schließt sich seiner „Kritischen Analyse“ dahingehend an, dass der sogenannte Christushymnus selbst keine vorbildethische Intention verfolge. Sofern ein vorbildethisches Moment für die paulinische Rezeption nicht ebenfalls abgelehnt wird91, gilt dieses einzig als ein Nebenaspekt.92 Beide Positionen erweisen sich jedoch als keineswegs 82 Vgl. Ebd., 85: „Er ist fortan ihr Herrscher und Richter, pointiert, aber doch wohl hier gemeint: er ist, was der Kosmos Ananke nennt. Er setzt das Schicksal des Alls und jedes einzelnen Wesens. Er ist dieses Schicksal als deus revelatus, als Kriterium und jq_sir aller Geschichte.“ 83 Ebd., 81. 84 Ebd., 91. 85 Ebd., 91. 86 Ksemann, Römer (1973, 41980), 369. 87 Ebd., 369. 88 Ksemann, Kritische Analyse, 81. 89 Ksemann, Römer, 367. 90 M.W. geht keiner der sich an Käsemanns soteriologisches Verständnis anschließenden Ausleger auf diese Selbstkorrektur ein. Einzig Vollenweider, Raub, 264 weist auf die Überwindung des Gegensatzes zwischen einer ethischen Vorbildfunktion Christi und dessen soteriologischer Bedeutung bei Käsemann selbst hin. 91 Vgl. Merk, Handeln aus Glauben (1968), 181ff; Gnilka, Philipperbrief (41987), 108 f. 92 Vgl. u. a. Friedrich, Philipper (1976), 151; G. Barth, Philipper (1979), 41; Bornkamm, Christus-Hymnus (1959), 177; Mller, Philipper (22002), 115; Blischke, Ethik bei Paulus (2007), 372 f.
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unproblematisch. Bei der generellen Ablehnung einer Vorbildethik in Phil 2 bleibt der Verweis auf eine christliche Gesinnung inhaltlich unbestimmt. Dann fragt sich allerdings: Welchen Zweck erfüllt die explizite Forderung einer solchen Gesinnung, ohne dass ein Maßstab zur ethischen Orientierung angegeben wird? Offen bleibt zudem der Sinn der terminologischen Bezüge des Textes zu seinem, wohlgemerkt parakletischen, Kontext.93 Der sogenannte Hymnus und die Paraklese stünden trotz dieser Bezüge inhaltlich unverbunden nebeneinander. Die Problematik des Kontextsbezugs ergibt sich auch im zweiten Fall, in welchem zumindest ein sekundärer ethischer Aspekt anerkannt wird. Exemplarisch zeigt sich dies in Gerhard Friedrichs Philipperbrief-Kommentar sowie in der aktuellen Forschung in Folker Blischkes Untersuchung zu den Begründungsstrukturen der paulinischen Ethik. Friedrich bemerkt zunächst zur Intention des Apostels: „Um zu zeigen, wie es zu dieser neuen Situation des Seins in Christus gekommen ist, führt Paulus das Christuslied an.“94 Unmittelbar im Anschluss an dieses soteriologische Verständnis fährt er allerdings unsicher fort: „Da es in der Urchristenheit eine ganze Reihe von Christusliedern gegeben hat, muß man sich fragen, warum er gerade diesen Hymnus zitiert. Die neuschaffende Bedeutung der errettenden Tat Christi kommt in andern Traditionsstücken viel stärker zum Ausdruck (Gal. 1,4; Kol 1,13 f; Röm. 4,25).“95 Entsprechend vorsichtig ist Friedrichs Schlussfolgerung: „Paulus zieht wahrscheinlich deshalb dieses Lied heran, weil es von der Erniedrigung, vom Gehorsam und von der Selbstlosigkeit des Christus spricht, die Paulus auch bei den Philippern sehen möchte.“96 Gleichzeitig versäumt Friedrich es nicht, erneut zu betonen: „Aber er stellt Christus nicht als das Ideal hin, das man nie erreicht, sondern er spricht primär von dem Wandel der Welt, der durch Christus eingetreten ist, so daß es jetzt ein neues Sein und ein anderes Denken gibt.“97 Ähnlich problematisch erscheint die Auslegung bei Blischke, der in einer vorbildethischen Funktion von Phil 2,6 – 11 nur einen Nebenaspekt sieht, gleichzeitig aber darauf verweisen muss, dass der Text eben unter diesem Aspekt innerhalb der Paraklese terminologisch rezipiert werde.98 Dass aber gerade derjenige Aspekt, welcher sich durch die terminologische Rezeption aufzeigen lässt, nur einen Nebenaspekt darstellen soll, ist schon unter methodischem Gesichtspunkt fragwürdig.99 Inhaltlich wird zudem sowohl bei Blischke als auch bei Friedrich zu 93 Hierauf verweist bereits G. Strecker, Redaktion (1964), 143: „Es besteht in der Tat nicht nur eine kompositorische, sondern auch eine terminologische Verbindungslinie zwischen dem Traditionsstück und seinem paulinischen Kontext.“ 94 Friedrich, Philipper, 151. 95 Ebd., 151. 96 Ebd., 151 (Hervorhebung HW). 97 Ebd., 151. 98 Vgl. Blischke, Ethik bei Paulus, 372 f. 99 Eine generelle methodische Anfrage ergibt sich bezüglich der exkursartigen Abhandlung zu Phil 1,27 – 2,18 bei Blischke, Ethik bei Paulus, 370 ff. Blischke kommt unter Rückgriff auf Röm 6,1 –
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hinterfragen sein, ob die Rede von einem Neben- oder Nacheinander von primären und sekundären Aspekten das Anliegen, welches Paulus mit der Rezeption des sogenannten Christushymnus verfolgt, angemessen zu erfassen weiß. Mit Letzterem scheint sich ein Grundproblem der Auslegung von Phil 2 und überhaupt der Frage nach der Verknüpfung von Christologie und Ethik im Phil anzudeuten: das unzureichend geklärte Verhältnis zwischen dem Christusereignis und dem neuen Sein der Christen100 einerseits und den ethischen Konsequenzen, welche sich für Paulus hieraus ergeben, andererseits, in klassischer Terminologie: die Frage nach dem Verhältnis von Indikativ und Imperativ bei Paulus. Ein Versuch dieses Verhältnis in Phil 2 zu klären, wie derjenige Adolf Deissmanns aus dem Jahr 1892, unterbleibt weitgehend. Vielmehr droht die Dialektik zwischen dem neuen Sein in Christus und einem von diesem Sein bestimmten Handeln einseitig preisgegeben und die Mahnung faktisch der Heilszusage nach- und in ihrem materialen Gehalt untergeordnet zu werden. Dieses Problem deutet sich eventuell schon bei Käsemann an. Käsemann betont zwar zu Recht die grundlegende Bedeutung des Heilshandelns Christi für das Handeln der Christen, welche in der älteren Auslegung zuweilen in den Hintergrund tritt.101 Jedoch erscheint bei ihm der Imperativ als eine Art Nachklapp des Indikativs, wenn er zur Mahnung in 2,5 anmerkt: „Sie entspricht … dem typisch paulinischen Schema der Paränese, das den Imperativ ja z. B. Röm. 6,2ff aus dem Indikativ, das christliche Verhalten aus der Heilstat ableiten läßt.“102 In diesem Zusam11 und Gal 2,19 u. a. zu der Annahme, die Rezeption des Traditionsstücks spiele auf den durch die Taufe vollzogenen Statuswechsel des Christen an (vgl. 371 f). Nicht allein, dass Blischke dabei nicht zwischen dem Inhalt des von ihm selbst als vorpaulinisches Traditionsstück angesehenen sogenannten Hymnus und dessen paulinischer Rezeption differenziert – von der Taufe ist weder im Traditionsstück noch in dessen paulinischem Kontext die Rede. Inwiefern Blischke auf diese Weise seiner eigenen methodischen Voraussetzung, „aus der Vermutung einer möglichen Entwicklung im theologischen Denken des Apostels Paulus (…), jeden Brief weitgehend für sich zu beurteilen“ (12), gerecht wird und er nicht vielmehr aus der Untersuchung anderer Briefe gewonnene Ergebnisse in Phil 2 einträgt, scheint ausgesprochen fraglich. 100 Vgl. zur hier gebrauchten Rede vom neuen Sein 3.1.3.1. 101 Vgl. dahingehend die Würdigung Käsemanns bei Hurtado, Jesus as Lordly Example, 115. Gleichzeitig ist darauf zu verweisen, dass auch Käsemanns Ablehnung eines vorbildethischen Aspekts nicht frei von theologischen Vorentscheidungen scheint und mit der Kritik an der älteren Forschung, vor allem an der Liberalen Theologie, unter dem Einfluss der Dialektischen Theologie steht (vgl. Morgan, Incarnation, 43; Hurtado, Jesus as Lordly Example, 116). Christus ist freilich auch in der älteren Forschung kein allgemeines ethisches Ideal, sondern Vorbild für die Christen, so dass der soteriologische Bezug zumindest impliziert ist (vgl. u. a. B. Weiß, Philipper-Brief, 142; Lipsius, Philipper, 226). Somit lässt sich nur bedingt mit Ernst Käsemann von einem „ethischen Idealismus“ (Kritische Analyse, 53 [hier gegen Lohmeyer!]) reden. Derartiges trifft ansatzweise für Meyer zu, wenn es bei ihm heißt: „Christi Beispiel ist das geschichtlich verwirklichte sittliche Ideal“ (67). 102 Ksemann, Kritische Analyse, 91.
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menhang tritt bei Käsemann und den sich ihm anschließenden Auslegern wiederum die Frage nach dem materialen Gehalt der paulinischen Mahnung zu einer dem Sein „in Christus“ entsprechenden Gesinnung und nach den konkreten Konsequenzen für das Handeln, welche sich aus dem Indikativ „ableiten“, zurück.103 Damit wirft aber die Diskussion um die Auslegung des sogenannten Hymnus innerhalb seines Kontextes, nicht zuletzt um das Verständnis von Phil 2,5, auch die Frage auf, ob nicht die Einordnung in ein Schema IndikativImperativ einen Grund für die Schwierigkeiten der Auslegung darstellt. Zu erwägen ist, ob eine solche Schematisierung nicht einer Tendenz zur Nachordnung oder auch Unterordnung des Imperativs Vorschub leistet und ob sich die Verknüpfung von Christi Handeln und christlicher Ethik bei Paulus bzw. dezidiert im Phil nicht auf andere Weise angemessener erfassen lässt.104 Konkret stellt sich dabei die Frage, wie das neue Sein der Christen, welches im Heilsgeschehen gründet, und das Handeln in diesem neuen Sein in ihrer Beziehung zueinander derart explizierbar sind, dass die Bedeutung sowohl von Zuspruch als auch von Anspruch bei Paulus gleichermaßen zu ihrem Recht kommt. Auf diese Weise soll diese Untersuchung auch einen Beitrag leisten zur in der aktuellen Forschung umstrittenen Frage, wie die Grundlegung paulinischer Ethik erfasst werden kann.105 Nachdem vor allem in der deutschen Forschung eine vorbildethische Zielsetzung von Phil 2,5 – 11 über Jahrzehnte nur eine Minderheitsmeinung darstellte106, gewinnt diese gegenwärtig wieder verstärkt Fürsprecher. Nikolaus Walter differenziert zwischen der christologischen Zielsetzung des Traditionsstücks und der paulinischen Verknüpfung des Textes mit der Forderung nach einer Christus entsprechenden „,Niedrigkeits-Gesinnung‘“107. Hinsichtlich dieses Kontextbezugs betont Walter : „(…) Der Gedanke an eine Vorbild-Funktion des im Zitat dargestellten Christusweges ist gar nicht
103 Vgl. ebd., 90: „(…) Im Weltgericht steht einzig dieses Thema zur Diskussion, ob wir gehorsam waren oder nicht.“ Vgl. auch Friedrich, Philipper, 151; Blischke, Ethik bei Paulus, 372. 104 Rudolf Bultmann selbst hat allerdings kein Problem mit der Vorstellung, Christus diene in Phil 2 als ethisches Vorbild. So heißt es bei ihm: „Eine spezielle Erscheinungsform der !c\pg ist die tapeimovqos¼mg, zu der Phl 2,3 mahnt, und für die Christus als das Vorbild [!] hingestellt wird“ (Theologie, 346). 105 Zur Diskussion um die Begründungsstrukturen paulinischer Ethik und zur Frage, inwiefern überhaupt bei Paulus von einer „Ethik“ die Rede sein kann, vgl. Zimmermann, Jenseits von Indikativ und Imperativ, 260 ff. 106 Vgl. Deichgrber, Gotteshymnus und Christushymnus (1967), 190ff; G. Strecker, Redaktion (1964), 144 ff. Wie Deissmann ist auch Strecker auf einen Ausgleich zwischen dem Verweis auf das Sein „in Christus“ einerseits und der ethischen Intention der Mahnung andererseits bedacht: „Die Erinnerung an das Bestimmtsein durch den Christus enthält nicht allein den Gedanken der Konstituierung der Gemeinde durch das Kreuz, sondern auch die Reflexion über die im Kreuzesgeschehen sich ereignende, das Leben normierende Verhaltensweise des Kyrios“ (146). 107 Walter, Philipper (1998), 63.
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fernzuhalten, auch wenn dabei Unvergleichliches in Analogie gesetzt wird.“108 Udo Schnelle konstatiert: „Für den Apostel legt sich ein ethisches (…) Verständnis der Tradition nahe. Die Gemeinde wird aufgefordert, innerhalb der Ethik nachzuvollziehen, was der Kyrios vorbildhaft im Heilsgeschehen der Menschwerdung, des Todes am Kreuz und der Inthronisation vollzog.“109 Demgegenüber wendete sich Blischke jüngst gegen ein vorrangig vorbildethisches Verständnis durch Paulus.110 Die aktuelle Forschungsdiskussion ist offen. Anders stellt sich die Situation in der internationalen Forschung dar. Hier dominiert in den letzten drei Jahrzehnten wieder ein vorbildethisches Verständnis. So rechnet Larry W. Hurtado mit einer Vorbildfunktion Christi nicht allein im Kontext, sondern auch im Hymnus selbst, wo in V. 7 f sowohl Anklänge an die paulinische Paraklese als auch an die Jesustradition der Evangelien begegneten.111 Gerald F. Hawthorne stellt heraus: „The Christ-hymn (vv 6 – 11) presents Jesus as the supreme example of the humble, self-sacrifying, self-denying, self-giving service that Paul has just been urging the Philippians to practice in their relations one toward another (vv 1 – 4). (…) Although it may have been originally composed for christological or soteriological reasons, Paul’s motive in using it here is not theological but ethical.“112 In diesem Sinne überschreibt Gordon D. Fee 2,5 – 11 „The Example of Christ“113. Desgleichen plädieren Peter O’Brien und Markus Bockmuehl in ihren Philipperbrief-Kommentaren für ein vorbildethisches Verständnis des sogenannten Christushymnus.114 Die Rezeption des von Christus gegebenen Beispiels sowohl innerhalb der Paraklese 1,27 – 2,18 als auch in Phil 3 arbeitet Stephen Fowl in seiner Untersuchung zur Funktion der hymnischen Abschnitte bei Paulus heraus.115 Fowl bezieht dabei erkenntnistheoretische Untersuchungen zur Bedeutung von Beispielen mit ein und verleiht auf diese Weise der Diskussion um eine ethische Vorbildfunktion Christi eine über die exegetischtheologische Perspektive hinausreichende Basis.116 Auch die neueren Untersuchungen zum Hintergrund des Phil von Peter Oakes und Joseph H. Hell108 Vgl. ebd., 63. Schon die frühen Kritiker einer vorbildethischen Auslegung, von Hoffmann und Kögel, können letztlich den Vorbildgedanken in ihrer Auslegung nicht gänzlich ausgrenzen (vgl. oben). 109 Schnelle, Einleitung (62007), 161. 110 Vgl. oben. 111 Vgl. Hurtado, Jesus as Lordly Example, 120ff; vgl. auch Hurtados Übersicht über Vertreter eines vorbildethischen Verständnisses (116). 112 Hawthorne, Philippians (1983), 79. 113 Fee, Philippians, (1995), 197. 114 Vgl. O’Brien, Philippians (1991), 205, 262; Bockmuehl, Philippians (1998), 122 ff. 115 Vgl. Fowl, Story of Christ (1990), 77ff; vgl. auch ders., Christology and Ethics (1998), 146ff, wo Fowl seine These einer Beispielfunktion Christi auf weitere Briefteile, Paulus’ Abwägung zwischen Leben und Tod (1,19 – 26), die Empfehlung von Timotheus und Epaphroditus (2,19 – 30), den Konflikt zwischen Euodia und Syntyche (4,2), ausweitet. 116 Vgl. Fowl, Story of Christ, 92ff, 203 ff.
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erman rechnen beide mit einer vorbildethischen Intention von Phil 2,6 – 11. Oakes verweist darauf, dass die Adressaten in Philippi den Text, welcher vom Kyrios Christus handelt, schwerlich anders denn beispielhaft verstehen dürften, 1.) aufgrund der in der Antike verbreiteten ethischen Verwendung des Beispiels eines Herrschers, 2.) wegen der mit dem Text verknüpften vorangehenden Mahnungen.117 Hellerman zufolge setzt Paulus Jesu (!) Abstieg in ein Gegenüber zum in der Kolonie Philippi stark ausgeprägten römischen Aufstiegsstreben, explizit zum „cursus horonrum“. Als „cursus pudorum“ führe dieser Abstieg von der Gottgleichheit über die Menschwerdung zur öffentlichen Demütigung.118 Diese Schilderung verfolge das Ziel „to subvert Roman social values and to encourage an alternative way of living together for members of the Christian community at Philippi.“119 Dieser breite Konsens darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass Käsemanns These auch international zunächst vielfach Aufnahme fand. Francis Wright Beare schließt sich dessen soteriologischem Verständnis des sogenannten Hymnus an. Sei zwar das Heilshandeln Christi Grundlage der ethischen Mahnungen, so stelle der Abschnitt Christus jedoch keinesfalls als ethisches Vorbild dar.120 Ralph P. Martin erachtet in seiner erstmals 1967 erschienen klassischen Studie zu Phil 2,5 – 11 einen Verweis auf das Vorbild Jesu Christi als der paulinischen Ethik fremd.121 Eine ethische Bedeutung des Abschnitts liege jedoch darin, dass diejenigen, welche „in Christus“ sind, dem Typus des Handelns Christi entsprechen sollten.122 Jean-FranÅois Collange wiederum schließt aufgrund des technischen Gebrauchs der Formel 1m Wqist` eine vorbildethische Zielsetzung der einleitenden Mahnung in Phil 2,5 aus. Paulus verweise die Philipper auf ihre Gemeinschaft in Christus als Grundlage ihrer Existenz. Allerdings sei eine ethische Interpretation in dem Sinne berechtigt, dass, wie der Weg Christi verdeutliche, allein durch Entsagung und Opfer Heil zu erlangen sei.123 Die folgende Untersuchung der ethischen Funktion von Phil 2,6 – 11 wird zu fragen haben, inwiefern dieser Text einerseits selbst ethische Anknüpfungspunkte enthält, andererseits, welche Rolle Paulus dem Vorbildgedanken gibt, und ob er auf diesen hier eventuell doch den Schwerpunkt legt. Dabei ist nicht 117 Vgl. Oakes, Philippians (2001), 189 f. 118 Vgl. Hellerman, Reconstructing Honor (2005), 130. 119 Ebd., 156. Eine frühe Auseinandersetzung mit Käsemanns Ablehnung eines vorbildethischen Verständnisses von Phil 2,6 – 11 findet sich in der internationalen Forschung bei Larsson, Christus als Vorbild (1962), 232 f. 120 Vgl. Beare, Philippians (1959), 75: „But if the passage is thus understood, it is manifestly wrong to think of it in terms of the presentation of Christ as the ethical ideal for our imitation. The hymn belongs in the realm of soteriology, not of Christology or ethics.“ 121 Vgl. Martin, Carmen Christi (21983), 288. 122 Vgl. ebd., 290 f; dahingehend in der aktuellen Forschung Reumann, Philippians (2008), 374ff, der dabei einem vorbildethischen Verständnis jedoch ausgesprochen nahe kommt. 123 Vgl. Collange, Philippians (1973), 95.
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allein die Rezeption im unmittelbaren Kontext, sondern im gesamten Phil zu berücksichtigen. Nicht zuletzt muss aufgrund der besonderen religiös-kulturellen Voraussetzungen der Gemeindemitglieder als Bewohner der Colonia Iulia Augusta Philippensis auch mit einer Akzentverschiebung gegenüber anderen Briefen gerechnet werden, in denen eine Vorbildethik zurücktritt. Gleichzeitig sind angesichts einer eventuellen vorpaulinischen Verfasserschaft Differenzen zwischen 2,6 – 11, der Intention des Abschnitts sowie der Einzelaussagen, und dessen paulinischer Rezeption nicht auszuschließen. Methodisch hat dies zur Folge, dass das potentielle Traditionsstück zunächst ungeachtet dessen paulinischer Rezeption untersucht werden muss (Kap. 2), und diese erst in einem zweiten Schritt Gegenstand der Untersuchung sein kann (Kap. 3). 1.3.2 Die Rolle des Leidens im Philipperbrief Wiederholt begegnet im Philipperbrief das Thema Leiden. Paulus schreibt den Brief aus einer Haft. Wie aus 1,20 – 26 hervorgeht, besteht die Möglichkeit eines Todesurteils; in 3,10 erwähnt der Apostel als sein Ziel die Gleichgestaltung mit Christi Tod. Aber auch die Philipper machen Leidenserfahrungen. So ist der aus Philippi mit einer Geldspende zu Paulus gesandte Epaphroditus dort lebensbedrohlich erkrankt (2,26 f). Und die Gemeinde steht in Bedrängnis durch ihre pagane Umwelt (1,27 – 30). Entsprechend beginnt der parakletische Abschnitt 1,27 – 2,18 mit einer Mahnung an die Philipper zur Standhaftigkeit gegenüber den sie bedrohenden Widersachern und der Charakterisierung des Leidens rp³q WqistoO als eines Geschenks. Damit ist die Leidensthematik aber nicht nur in unterschiedlichen Briefteilen präsent, was auf ihre allgemeine Relevanz innerhalb der Korrespondenz zwischen dem Apostel und der Gemeinde hinweist, sondern sie ist auch direkt mit der Ethik des Phil verbunden, so dass sie in dieser Untersuchung besondere Berücksichtigung finden muss. Erstens ist zu fragen, in welcher Weise die Ethik des Phil auf die Leidenserfahrungen der Apostels und der Gemeinde eingeht, d. h. inwiefern sich die Paraklese inhaltlich auf diese Situation bezieht und wie Paulus diesbezügliche Mahnungen, mitunter bezugnehmend auf Christus, begründet. Dabei ist zweitens der in der Forschungsgeschichte in unterschiedlicher Form vertretenen These nachzugehen, der Phil reagiere auf durch die Leidenserfahrungen verursachte Probleme innerhalb der Gemeinde.124 Schon Bernhard Weiß sieht in der bedrohlichen Situation des Apostels und der Gemeinde den Anlass für die Abfassung des Briefs: „Doch hatte sie [= die Gemeinde] bange Besorgniß erfüllt um das Schicksal ihres theuren Lehrers und um die so eng damit verbundene Sache des Evangeliums (1,12), sie fürchtete für das Leben ihres treuen Abgesandten (2,26 – 28) und sah wohl 124 Zum Verständnis der Leidensthematik im Phil in der Alten Kirche und im Mittelalter vgl. Bloomquist, Suffering in Philippians (1993), 18 ff.
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selbst nicht ohne Bangigkeit der zunehmenden äußern Bedrängniß in’s Auge (1,28 – 30). Da entschloß sich der Apostel, der geliebten Gemeinde seinen Dank für das übersandte Geschenk dadurch abzustatten, daß er an seinem Theile alle diese Besorgnisse zu zerstreuen und sie zu derselben hohen Glaubensfreudigkeit zu erheben versuchte, die ihn erfüllte.“125 Neben Weiß wird die Sorge der Philipper um die Situation des Apostels und die Evangeliumsverkündigung sowie um ihre eigene Lage von weiteren Exegeten des späten 19. und frühen 20. Jh. zumindest als einer der Abfassungsgründe des Phil erachtet.126 Deutlich hierüber hinaus geht Ernst Lohmeyer und fasst dabei zudem die mehrheitliche Wirkung der Leidenserfahrungen auf die Gemeindemitglieder grundlegend anders auf. Lohmeyer sieht den Brief als im Ganzen von der Leidensthematik bzw. explizit vom Thema des Martyriums bestimmt. Allerdings sei weniger die Sorge der Gemeinde Briefanlass. Vielmehr führe die beiderseitige Martyriumssituation zu dem besonderen Verhältnis des Apostels zu den Adressaten, welches sich im Brief zeige.127 Hier schreibe „ein Märtyrer zu Märtyrern“128. Am Gesichtspunkt des Martyriums orientiere sich entsprechend der Gesamtaufbau des Briefs.129 Auch die Paraklese reagiere auf die Leidensthematik bzw. auf die Martyriumssituation. Die Spannungen innerhalb der Gemeinde, auf welche sich die Mahnungen zur Einheit bezögen, gründeten in einem Vollkommenheitsbewusstsein der philippischen Märtyrer.130 In Philippi gebe es „eine Übersteigerung der Märtyrerfreudigkeit und des Märtyrerstolzes“131. Nikolaus Walter unterzieht Lohmeyers These einer grundsätzlichen Kritik. Zwar habe Lohmeyer mit der besonderen Bedeutung der Leidensthematik innerhalb des Phil „etwas Wesentliches gesehen“132. Allerdings berücksichtige er nicht den religionsgeschichtlichen Hintergrund der Martyriumsvorstellung, den jüdischen Monotheismus. Während sich im Frühjudentum die 125 Weiß, Philipper-Brief, 96. 126 Vgl. Zahn, Einleitung 1 (31906), 375; vgl. auch ders., Altes und Neues, 201 f; Franke, Philipper (1886), 9ff; Ewald, Philipper (31917), 17. Auch nach K. Barth, Philipperbrief, 17 f reagiert Paulus vor allem in 1,12 – 26 auf eine Anfrage der über die Haft des Apostels beunruhigten Gemeinde. 127 Lohmeyer, Philipper, 4 f. 128 Ebd., 5. 129 Vgl. ebd., 5 f. Lohmeyer gliedert den Hauptteil des Briefs in fünf Abschnitte: 1.) „Das Martyrium des Paulus“ (1,12 – 26), 2.) „Das Martyrium der Gemeinde“ (1,27 – 2,16), 3.) „Die Hülfe im Martyrium“ (2,17 – 30), 4.) „Die Gefahren im Martyrium“ (3,1 – 21), 5.) „Letzte Mahnungen im Martyrium“ (4,1 – 9). 130 Vgl. ebd., 87, 142ff, insbesondere 148: „So hat sich also in Philippi durch die Tatsache der Verfolgungen eine Unterscheidung zwischen Vollkommenen und Unvollkommenen herausgebildet.“ 131 Ebd., 143. Lohmeyer rechnet jedoch auch mit Apostaten in Philippi, worauf 3,17ff reagiere (vgl. 152ff). 132 Walter, Leiden (1978), 418.
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Vorstellung eines Leidens um des einen Gottes willen entwickelte133, sei Menschen paganer respektive griechischer und römischer Herkunft derlei ebenso fremd wie eine positive Wertung des Leidens überhaupt.134 Davon, dass „ein Märtyrer zu Märtyrern“135 spreche, könne nicht die Rede sein.136 Vielmehr verhalte es sich umgekehrt: Paulus spreche „zu Christen, denen solche Gedanken alles andere als vertraut sind, denen ein Leiden um Christi, um des Evangeliums willen den Glauben und die Standfestigkeit, aber auch den Zusammenhalt untereinander zu zerstören droht.“137 Er reagiere mit dem Brief, vor allem mit 1,12 – 30, auf Anfragen der Gemeinde bezüglich der für sie unverständlichen Leidenssituation.138 Dabei verdeutliche er ihnen an seinem eigenen Geschick und dem Fortgang der Evangeliumsverkündigung Gottes positives Wirken auch im Leiden und wolle ihnen in der anschließenden Paraklese „auch ihr Leiden als einen Bestandteil ihres Glaubens, ihres ZuChristus-Gehörens verständlich machen“139. Während Lohmeyers These einer von den Philippern vorwiegend positiv aufgefassten Martyriumssituation eine Sondermeinung blieb, kann diejenige Walters einer Spannung zwischen der paganen Primärsozialisation der Gemeindemitglieder und der jüdisch-christlichen Martyriumsvorstellung in der neueren Forschung als weitgehend anerkannt gelten.140 Zu hinterfragen ist allerdings Walters Annahme paganer monotheistischer Vorstellungen als eines für diese Spannungen entscheidenden Faktors, so dass die einzelnen in den Kulten verehrten Gottheiten nur als Ausdrucksformen des „Einen Göttlichen“141 gelten, und deren Verehrung daher nicht in Konkurrenz zueinander treten konnte.142 Hier scheint es erforderlich den religionsgeschichtlichen Hintergrund dieser Spannungen unter Berücksichtigung insbesondere der alltäglichen paganen Religiosität zu präzisieren.143 In der jüngeren internationalen Forschung beschäftigen sich u. a. die Arbeiten von L. Gregory Bloomquist (1993), Paul A. Holloway (2001) und Peter Oakes (2001) ausführlich mit der Leidensthematik im Phil. Bloomquist untersucht die Funktion des Leidens innerhalb des Briefs vor dem Hintergrund antiker Briefstrukturen und deren rhetorischer Funktion. Er kommt zu dem 133 134 135 136 137 138 139 140
Vgl. ebd., 428. Vgl. ebd., 424 ff. Vgl. hierzu ausführlich 4. Lohmeyer, Philipper, 5. Vgl. Walter, Leiden, 422 f. Ebd., 423. Vgl. ebd., 431 f. Ebd., 430. Vgl. u. a. Peterlin, Philippians (1995), 49 f; Mller, Philipper (22002), 81 f; Reumann, Philippians (2008), 291 ff. Unberücksichtigt bleibt Walters These leider bei Bloomquist. Dies ist umso unverständlicher, als ihm Walters Aufsatz dem Literaturverzeichnis zufolge bekannt ist (vgl. Bloomquist, Suffering in Philippians [1993], 219). 141 Walter, Leiden, 426. 142 Vgl. ebd., 426. 143 Vgl. 4.2.
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Schluss, Paulus verdeutliche seinen Empfängern, dass sich im Leiden derjenigen, welche Christus dienen, der Christustypus, wie ihn der sogenannte Hymnus darstellt, widerspiegle. Damit berührt Bloomquist die Frage nach einer Vorbildfunktion Christi im Leiden. Dem Rekurs auf die Christusentsprechung komme jedoch nicht primär eine ethische oder soteriologische, sondern eine rhetorische Bedeutung zu144. Auf diese Weise ermögliche es der Apostel den Philippern, ihre Leidenserfahrungen einzuordnen und mit ihnen umzugehen.145 Oakes erachtet den Phil als eine Reaktion des Paulus auf die Leidenserfahrungen der Adressaten. Aufgrund seiner Erwägung zur sozialen Zusammensetzung der Gemeinde und möglicher Folgen des Übertritts zum Christentum schließt Oakes darauf, dass es sich vornehmlich um Leidenserfahrungen in Form wirtschaftlicher Konsequenzen des Christseins handle.146 Daher ziele die Mahnung zur Einheit insbesondere auf eine neue und engere ökonomische Verbindung zwischen den Gemeindemitgliedern, u. a. die Unterstützung der Ärmeren durch die Wohlhabenderen.147 Holloway wiederum versteht den Phil ausdrücklich in Analogie zum antiken Trostbrief (1pistokμ paqaluhgtij¶).148 Gleich diesem verweise Paulus die Gemeinde darauf, dass weder seine eigenen Leidenserfahrungen noch die ihrigen einen Grund zur „Entmutigung“149 darstellten. Dabei komme der Ethik entscheidende Bedeutung zu. So ziele die Paraklese darauf, dass die Philipper durch die Unterscheidung zwischen den wichtigen und den unwichtigen Dingen, anstatt bekümmert zu sein, sich freuen können.150 In diesem Zusammenhang führe der Apostel das Beispiel Christi und an dieses anknüpfend diejenigen des Timotheus und Epaphroditus sowie sein eigenes Beispiel an.151
144 Vgl. Bloomquist, Suffering in Philippians, 195. Problematisch scheint, dass hier eine technische Kategorie inhaltlichen Kategorien entgegengestellt wird. 145 Vgl. ebd., 168 u. ö. 146 Vgl. Oakes, Philippians, 59 ff. 147 Vgl. ebd., 100. Zur geforderten ökonomischen Verbindung zählt nach Oakes neben der unmittelbaren Unterstützung auch, dass Gemeindemitglieder wirtschaftliche Beziehungen zur paganen Bevölkerung abbrechen und gezielt mit den Mitchristen Handel betreiben, z. B. beim Lebensmitteleinkauf (vgl. 101). Vgl. auch Oakes ausführliche Erörterung der potentiellen ökonomischen Schwierigkeiten früher Christen in ihrer paganen Umwelt (89ff). 148 Vgl. Holloway, Consolation in Philippians, 1 f, 55 ff. 149 Zur „Entmutigung“ (discouragement) als Folge des Leidens vgl. ebd., 45 ff. 150 Vgl. ebd., 161. 151 Vgl. ebd., 121ff, 126ff, 136 ff.
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1.3.3 Die Frage eines innergemeindlichen Konflikts An mehreren Stellen des Phil deuten sich Spannungen bei den Empfängern an. So mahnt Paulus innerhalb der Paraklese zur Einheit (1,27; 2,2) und fordert die Gemeindemitglieder auf, anstatt ihren eigenen Vorteil zu suchen, sich einander in Demut, in einer „Niedrigkeitsgesinnung“152, unterzuordnen (2,3ff). In diesem Zusammenhang führt der Apostel den sogenannten Christushymnus an, so dass die Frage eines innergemeindlichen Konflikts unmittelbar mit derjenigen nach der Verknüpfung von Christologie und Ethik verbunden ist und somit in dieser Untersuchung notwendig gestellt werden muss. Als Frage nach dem historischen Hintergrund dient sie dazu, diese Verknüpfung zu präzisieren, indem sie die Situation, auf welche die Paraklese reagiert, verdeutlicht. In 3,2ff wendet sich Paulus ausgesprochen scharf gegen eine jüdische oder judenchristliche Gegenposition, darauf anscheinend gegen eine Form von frühchristlichem Enthusiasmus, der bereits eine gegenwärtige Vollendung annimmt (3,12ff). Anschließend redet er „weinend“ (jka¸ym) von „Feinden des Kreuzes Christen“ mit einer auf das Irdische ausgerichteten Gesinnung (3,18 f). Und in 4,2 ermahnt er zwei Frauen, Euodia und Syntyche, „dasselbe zu sinnen im Herrn“ (t¹ aqt¹ vqome?m 1m juq¸\; vgl. auch 2,2). Klingt hier neuerlich die Mahnung zur Einheit an, so ist innerhalb des Gesamtbriefs der häufige Gebrauch von p÷r bezogen auf die Gemeinde auffällig, was darauf hinweisen kann, dass es dort Spaltungen gibt, oder dass Mitglieder die Gemeinde zu verlassen drohen.153 Die Frage nach möglichen Spannungen oder gar einem akuten Konflikt berührt sich gleichzeitig mit derjenigen nach der Rolle des Leidens im Phil. Sah Lohmeyer im Vollkommenheitsbewusstsein der Märtyrer eine Bedrohung der innergemeindlichen Einheit154, stellte Walter diesem die These entgegen, die Einheit werde gerade durch das Unverständnis der Philipper für die ihnen und ihrem Apostel widerfahrenden Leiden bedroht.155 Nach Davorin Peterlin reagiert der Phil im Ganzen auf Spaltungen innerhalb der Gemeinde. Ursächlich hierfür seien verschiedene Faktoren, ein grundlegender Faktor jedoch sei das Unverständnis eines Teils der heidenchristlichen Gemeindemitglieder für das ihnen aufgrund ihres Christseins widerfahrende Leid.156 Gleichzeitig hätten sich Gemeindemitglieder von Paulus abgewandt, da sie dessen Gefangennahme als ein Zeichen für das Versagen sowohl des Apostels 152 Zur hier gewählten Terminologie vgl. 3.1.3.2. 153 p²mter rle?r : 1,4.7.8.25; 2,17.26; p÷r ûcior: 1,1; 4,21 f; vgl. auch Peterlin, Philippians, 19; Gnilka, Philipperbrief, 31. 154 Vgl. 1.3.2. 155 Vgl. Walter, Leiden, 423, 432. 156 Vgl. Peterlin, Philippians, 219. Bzgl. des religions- und geistesgeschichtlichen Hintergrunds nimmt Peterlin Walters Untersuchung auf (vgl. 49 f).
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als auch des Christen Paulus verstünden.157 Auch nach Holloway haben die Leidenserfahrungen zu Spaltungen in der Gemeinde geführt. Diese zeigten sich aus Sicht des Apostels u. a. in einem ethischen Versagen der Gemeindemitglieder untereinander, worauf die Mahnung in 2,2 f reagiere.158 Schon Teile der älteren Forschung sehen in den Mahnungen zur Einheit einen Hinweis auf Spaltungen, allerdings ohne dabei einen Bezug zur Leidensthematik anzunehmen. So sind nach Holsten „alle diese Forderungen unmittelbar aus der Wirklichkeit eines in Gegensätze zerspaltenen Gemeindelebens erwachsen.“159 Der deuteropaulinische160 Brief befasse sich mit dem Konflikt zwischen Juden- und Heidenchristen in Philippi, wie 3,1 – 16 zeige.161 Dem Kieler Exegeten August Hermann Franke zufolge reagieren die Mahnungen zur Einheit auf eine drohende Schädigung der Gemeinde. Ansatzweise zeigten sich bereits „Schäden“162 und zwar „in sittlicher Selbstüberschätzung (2,3), welche sich der eignen Vorzüge (V. 4) und Leistungen (3,14) rühmt und die der anderen übersieht (2,4), sich unberufen zum Richter des Wandels und des Heilsstandes des andern machend (2,12), als ob sie selbst schon auf Vollkommenheit Anspruch erheben könnte (3,12 f) und das Ringen nach dem eigenen Heil nicht mehr bedürfte (2,12).“163 Joseph Barber Lightfoot rechnet zwar nicht mit offenen Zwistigkeiten und Parteiungen innerhalb der Gemeinde, jedoch mit allgemeinen Rivalitäten der Gemeindemitglieder untereinander.164 In der Forschungsdiskussion des letzten halben Jahrhunderts kommt der Frage nach den Gegnern, auf welche Paulus in Phil 3 reagiert, häufig verbunden mit der Annahme einer ursprünglichen literarischen Eigenständigkeit des Briefabschnitts eine prominente Rolle zu. Die Versuche aus den knappen Angaben in diesem Briefabschnitt eine oder mehrere Gegnerfronten zu rekonstruieren, werden ausführlich unter 3.2.1 gewürdigt. War die These, Paulus reagiere hier auf in Philippi aufgetretene Gegner, zwar zuletzt jahrzehntelang nahezu unangefochten, so wurde bis zum zweiten Weltkrieg Phil 3 157 Vgl. ebd., 219 f. Peterlin geht wie Oakes von Leiden vornehmlich in Form sozialer bzw. ökonomischer Ausgrenzung der frühen Christen durch ihre Umwelt aus. 158 Vgl. Holloway, Consolation in Philippians, 47 f, 100; vgl. auch Oakes, Philippians, 102: „At Philippi, we would therefore expect there to be forces, arising from suffering, that tended to disrupt the unity of the church.“ 159 Holsten, Philipper 1, 459. 160 Vgl. Anm. 30. 161 Vgl. Holsten, Philipper 1 (1875), 459 ff. Anknüpfend an Holsten vgl. Lipsius, Philipper (21892), 209, der allerdings anders als dieser von der paulinischen Verfasserschaft des Phil ausgeht. 162 Franke, Philipper (1886), 11. 163 Ebd., 11 f. Franke stellt allerdings heraus: „Gewiss nun waren diese Schäden bei den Philippern noch unentwickelt, wenig zu Tage tretend“ (12). 164 Lightfoot, Philippians (1879), 67: „(…) If there was not open feuds and parties, there were at least disputes and rivalries. The differences related not to doctrinal but to social questions; and, while each eagerly asserted his own position, each severally claimed the Apostel’s sympathies for himself.“
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vorrangig als eine nur potentielle Warnung verstanden.165 Dies wird in der aktuellen Forschung wieder vereinzelt aufgegriffen.166 Nicht zuletzt angesichts dessen, dass die Anzahl der Gegnergruppen nach wie vor ebenso strittig ist wie deren Couleur, wird diese Möglichkeit besonders zu erwägen sein. Allgemein gilt es in dieser Untersuchung zu fragen, inwiefern der Phil, nicht zuletzt die Paraklese 1,27 – 2,18, Rückschlüsse auf mögliche Konflikte innerhalb der Gemeinde oder Gegner in Philippi ermöglicht, und ob sich diese Konflikte auch in Phil 3 widerspiegeln. Es gilt einen möglichen Bezug der einzelnen Mahnungen und der sich darin andeutenden Spannungen zueinander zu erörtern. Auf diese Weise lässt sich nicht allein ein Beitrag zur Klärung der umstrittenen Gegnerfrage, sondern auch zur Frage der literarischen Einheitlichkeit des Briefs leisten. Sollte sich herausstellen, dass eine hinter Phil 3 stehende Konfliktsituation bereits den Hintergrund der vorangehenden Kapitel darstellt, so entfiele das für eine Briefteilung angeführte Argument einer offenbar veränderten Situation in Philippi, auf welche Paulus mit einem späteren Brief eingehe. Es muss der Möglichkeit Rechnung getragen werden, dass den ethischen Mahnungen und auch speziell der Verknüpfung von Christologie und Ethik im Phil ein einzelner konkreter Konflikt zugrunde liegt.167
Exkurs: Sergio Rosell Nebreda, Christ Identity Unmittelbar nach Abschluss dieser Untersuchung erschien Sergio Rosell Nebredas Arbeit „Christ Identity. A Social-Scientific Reading of Philippians 2.5 – 11“. Auch bei Nebreda kommt der Frage nach der ethischen Funktion des sogenannten Christushymnus eine zentrale Bedeutung zu. Allerdings richtet sich das Interesse des Verfassers weniger auf die Art und Weise, wie Paulus die Ethik an die Christologie rück bindet. Nebredas Fragestellung zielt vielmehr darauf, wie die Adressaten in der römischen Kolonie Philippi die Schilderung von Christi Erniedrigungshandeln und anschließende Erhöhung wahrnehmen, und auf welche Weise Paulus versucht, mit dem Abschnitt und dem Phil als Ganzem eine besondere identitätsstiftende Wirkung bei den Gemeindemitgliedern zu erzielen.168 Eine vorbildethische Rezeption von Phil 2,6 – 11 ist dabei weniger Frage als Prämisse.169 Hiermit teilt Nebreda das mehrheitliche 165 Vgl. u. a. Meyer, Philipper (1874), 130; Lightfoot, Philippians (1879), 68; Zahn, Einleitung 1 (31906), 377; Ewald, Philipper (31917), 23 f; K. Barth, Philipperbrief (1928, 51947), 88; Dibelius, Philipper (31937), 87, 93; Michaelis, Philipper (1935), 53, 62; Heinzelmann, Philipper (1949), 96. 166 Vgl. u. a. Hooker, Phantom Opponents (2002), 377 – 395; Schinkel, Bürgerschaft (2007), 75ff; Bockmuehl, Philippians (1998), 232; vgl. auch 3.2.1. 167 Zur Gegnerfrage in der Forschung von der ersten Hälfte des 19. Jh. bis etwa 1980 vgl. auch Mengel, Studien, 31 – 221. 168 Vgl. Nebreda, Christ Identity, 35. 169 Vgl. ebd., 28.
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Verständnis des Abschnitts in der internationalen Forschung als Verweis auf das Vorbild Christi. Für Nebreda hat die Berücksichtigung des sozio-kulturellen Hintergrunds der Adressaten ebenfalls besondere Relevanz. Das methodische Spezifikum seiner Arbeit besteht dabei in der Aufnahme soziologischer Untersuchungen zur Rekonstruktion dieses Hintergrunds. Die Adressatensituation soll durch den Rückgriff auf soziologische Modelle erhellt werden. Nebreda greift hierzu die seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts entwickelte „Social Identity Theory“ (SIT) auf, die Theorie, wie sich Gemeinschaften durch Besinnung auf eigene Spezifika und die Abgrenzung nach außen definieren und wie dies die Identität ihrer Mitglieder konstituiert.170 Infolgedessen werden die ethischen Mahnungen verstärkt in ihrer Bedeutung für die Identitätsbildung der Gemeinde und ihrer Mitglieder als einer sich von ihrer Umwelt unterscheidenden Gruppe in den Blick genommen. Anders als in dieser Untersuchung, in der das Ethos vornehmlich unter inhaltlichen Gesichtspunkten betrachtet wird, steht ein funktionales Verständnis des Ethos im Vordergrund. Entsprechend sieht Nebreda auch das Ziel, welches Paulus mit dem Verweis auf Christi Vorbild zu erreichen versucht, insbesondere in der Identitätsstiftung.171 An zwei Punkten erwies es sich als ratsam Nebredas Arbeit nachträglich aufzunehmen: Zunächst ist unter 2.2.4 auf Nebredas These einzugehen, Phil 2,6 – 11 verfolge ein explizit herrschaftskritisches Anliegens. Dabei wird zudem das mit dieser These verbundene spezielle Verständnis von 2,6 f diskutiert. Nebreda vertritt die Sondermeinung, Christus gebe an dieser Stelle weder seine Gottgleichheit noch seine göttliche Gestalt auf. Vielmehr nutze er beides allein nicht zu seinen eigenen Gunsten aus.172 Sodann ist unter 5.2.4 Nebredas Rekonstruktion der Adressatensituation kritisch zu würdigen. In diesem Zusammenhang wird nicht zuletzt auch eine methodische Anfrage erforderlich sein, inwiefern es ihm tatsächlich gelingt, mit einem soziologischen Zugang diese Situation über das historisch-kritisch Eruierbare hinaus zu erhellen.
1.4 Philippi 1.4.1 Die Geschichte der Stadt und die Anfänge der christlichen Gemeinde173 Um das Jahr 360/59 v. Chr. gründet der nach Thasos im Nordwesten Kleinasiens exilierte Athener Redner, Politiker und Feldherr Kallistratos von Aphidnai die Stadt Krenides (Jqgm¸der), rund 15 – 20 km landeinwärts der von 170 171 172 173
Vgl. ebd., 36 ff. Vgl. ebd., 28. Vgl. ebd., 302 f, 305. Angabe und Zitation der Inschriften aus Philippi folgen Pilhofer, Philippi 2.
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Thasos binnen weniger Tage per Schiff erreichbaren nordägäischen Hafenstadt Neapolis.174 Mit ihm siedeln sich Griechen in dem ursprünglich von Thrakern bewohnten Gebiet an.175 Bereits nach wenigen Jahren (356/355) kommt die Stadt unter makedonische Vorherrschaft. Als Krenides, von den Thrakern bedroht, den sich gerade in Amphipolis aufhaltenden Philipp II., den Vater Alexanders des Großen, um Hilfe bittet, nutzt dieser die Gelegenheit, die Stadt einzunehmen, siedelt weitere Menschen dort an und benennt die Stadt nach seinem eigenen Namen V¸kippoi.176 168 v. Chr. endet der Dritte Makedonische Krieg mit der Niederlage des letzten (offiziellen) Antigonidenherrschers Perseus177 gegen die römischen Truppen unter Lucius Aemilius Paullus.178 Zunächst fast zwei Jahrzehnte unter Selbstverwaltung wird Makedonien 148 römische Provinz.179 Um 146 beginnt Gaius Ignatius, der Prokonsul der Provinz, mit dem Bau der „Via Egnatia“. Philippi liegt damit ökonomisch günstig an der Hauptverbindung zwischen Rom und dem Osten des Reichs, vom Adriahafen Dyrrhachion nach Byzanz.180 Allerdings steht die Stadt an Größe und Bedeutung stets hinter anderen Provinzstädten zurück. Etwa 1 km beträgt der Weg auf der Via Eganatia durch die ausgegrabene römische Stadt, deren Einwohnerzahl auch in den ersten beiden Jh. n. Chr. nicht über Zehntausend gelegen haben wird.181 Und Hauptstadt des ersten Verwaltungsbezirks der Provinz Makedonien ist Amphipolis.182 Besondere historische Bedeutung erlangt Philippi allerdings als 42 v. Chr. Marcus Antonius und Octavian, der spätere Kaiser Augustus, in der Schlacht bei Philippi die Caesarmörder Brutus und Cassius besiegen. In der Folge kommt es zur Gründung einer römischen Kolonie durch Antonius, der Colonia Victrix Philippensium183, und zur Ansiedlung römischer Veteranen. 174 Eventuell handelt es sich bei Neapolis um eine thasische Kolonie und damit ebenfalls um eine „griechische“ Stadt. Zur Diskussion vgl. Pilhofer, Philippi 1, 90. 175 Vgl. Pilhofer, Philippi 1, 86 f. 176 Vgl. Elliger, Paulus in Griechenland, 36. Allerdings scheint Philippi bis ins 3. Jh. v. Chr. eine autonome Stadt geblieben zu sein, bevor sie anderen makedonischen Städten gleichgestellt wurde (vgl. Pilhofer, Philippi 1, 87). 177 153 v. Chr. tritt Andriskos (Pseudophilippos) „als vorgeblicher Sohn des Perseus“ (L.-M. Gnther, Andriskos, 688) auf. Ein Jahr nach seiner Thronbesteigung als König Philipp VI. unterliegt er 148 den Römern (vgl. ebd., 688). 178 Vgl. Errington, Makedonia, 732. 179 Vgl. ebd., 732. 180 Vgl. Elliger, Paulus in Griechenland, 45 ff. 181 Anhand der über 8000 Sitzplätze im Theater nach dessen Umbau im 2. Jh. n. Chr. schätzt Pilhofer, Philippi 1, 76 die Einwohnerzahl der Stadt für die ersten beiden nachchristlichen Jahrhunderte auf „vielleicht 5000 bis 10000 Menschen“ (76; vgl. auch 74 die weiteren Angaben zur Größe der Stadt). 182 Vgl. Pilhofer, Philippi 1, 161. 183 Vgl. zur Widergabe der Münzlegende A I C U P mit A(ntonii) I(ussu) C(olonia) V(ictrix) P(hilippensium) („auf Befehl des Antonius, die siegreiche Kolonie der Philipper“) Schmidt, Philippoi, 2233. Zum dem Namen der Kolonie vorangestellten Verweis auf die Gründung durch Antonius vgl. Elliger, Paulus in Griechenland, 42: „Der Zusatz iussu ist bezeichnend für die
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Nach dem Bruch des Triumvirats184 und dem Sieg Octavians über seinen Widersacher Antonius in der Seeschlacht bei Actium (31) gründet Octavian um das Jahr 30 die Kolonie neu und siedelt dort weitere Veteranen sowie in Italien enteignete Bauern an.185 Die Neugründung trägt den Namen Colonia Iulia Augusta Philippensis.186 In der späten Republik und der frühen Prinzipatszeit dienen Koloniegründungen vorrangig dazu, Soldaten nach dem Ende ihrer Dienstzeit mit Land zu versorgen.187 Insbesondere nach der Schlacht bei Philippi ist dies für eine große Zahl von Veteranen erforderlich. Während Octavian seine ehemaligen Soldaten in Italien ansiedeln muss, was einerseits zum Widerstand der dafür zu enteignenden Landbesitzer, andererseits zum Unmut der Veteranen wegen Verzögerungen führt, kann Antonius seinen Truppen vor Ort Land zuweisen.188 Die Neugründung durch Oktavian erklärt sich aus der engen Verbindung der Kolonie mit ihrem Gründer, welcher ein Patronat über diese innehatte. Damit bedeutet eine sich auf Antonius zurückführende Kolonie eine potentielle Infragestellung der Autorität des siegreichen Octavian.189 Unabhängig davon wie groß die reale von einer recht kleinen Kolonie wie Philippi ausgehende Gefahr für Octavian anzusetzen ist190, wird man hierin nicht zuletzt auch einen symbolischen Akt sehen dürfen: Der mit dem Namen der Kolonie verbundene Name des Antonius191 wird getilgt. An seine Stelle tritt später derjenige des Augustus.192 Indem die Kolonie das ius Italicum erhält193, besitzt sie Privilegien gegenüber anderen Provinzstädten. Diese bestehen sowohl im Selbstverwaltungsrecht der Kolonie und deren somit weitgehend unabhängigen Status innerhalb der Provinz als
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Kolonisation während der Revolutionsjahre. Die Gründung geschah aus eigener Machtvollkommenheit, ohne einen früher dafür erforderlichen Senatsbeschluß.“ Dritter Triumvir war bis 36 v. Chr. Lepidus (vgl. Will, Antonius, 812). Vgl. umfassend zur zweimaligen Koloniegründung Bormann, Philippi, 14ff; vgl. auch Vittinghoff, Kolonisation und Bürgerrechtspolitik, 128 f. Da Octavian erst 27 v. Chr. der Ehrennamen Augustus verliehen wird (vgl. Elvers, Octavianus, 1097), kann dies erst einige Jahre nach Octavians Koloniegründung deren offizielle Bezeichnung geworden sein. Zu den Namen der beiden Kolonien vgl. auch Elliger, Paulus in Griechenland, 42. Vgl. Galsterer, Coloniae, 84; Bormann, Philippi, 11 f. Vgl. Bormann, Philippi, 13ff; vgl. zu den nach der Schlacht von Philippi zu versorgenden Veteranen Appian, civ. V,5: 28 Legionen Schwerbewaffneter und Hilfstruppen mit mehr als 170 000 Männern, dazu Kavalerie und andere Waffengattungen. Vgl. Bormann, Philippi, 15. Unter Berücksichtigung der geringen Einwohnerzahl selbst im 2. Jh. n. Chr. (vgl. Anm. 181), welche sich sowohl aus Römern als auch aus den einheimischen Thrakern und Griechen zusammensetzt, dürfte es sich nach der ersten Koloniegründung durch Antonius und vor der Ansiedlung weiterer Römer unter Octavian um eine durchaus überschaubare Zahl an Kolonisten gehandelt haben. Vgl. Anm. 183. Vgl. Vittinghoff, Kolonisation und Bürgerrechtspolitik, 129: „Da … Cassius und Brutus und auch Antonius einzelne Kolonien errichtet hatten, mußten sie neu gegründet werden, um die unheilvolle Namen aus der Stadtgeschichte auszulöschen.“ Vgl. ebd., 129; Elliger, Paulus in Griechenland, 45.
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auch in der Befreiung der Kolonisten von der für das ihnen zugeteilte Land anfallenden Grundsteuer sowie der Kopfsteuer auf von ihnen eingesetzte Arbeiter und Nutztiere.194 Auswirkungen auf das römische Bürgerrecht hat das koloniale ius Italicum offenbar nicht.195 Das Territorium der Colonia Iulia Augusta Philippensis beschränkt sich nicht auf die Stadt, sondern schließt auch das Umland mit ein. Nördlich der Stadt Philippi erstreckt sich die Kolonie rund 35 km, nach Westen und Osten mindestens 25 bzw. 10 km. Ob sie im Südwesten bis zur Küste reicht und das gesamte Pangaion- und Symbolongebirge einschließt, ist unsicher, während Neapolis im Südosten aufgrund „zahlreiche[r] lateinische[r] Inschriften“196 ein Teil der Kolonie sein dürfte.197
Nach der Koloniegründung erhält Philippi eine über das Maß anderer Kolonien hinausreichende römische Prägung. Dies verdeutlicht das archäologische Zeugnis schon dadurch, dass „sich im Bereich des Forums kein einziges Gebäude aus der vorrömischen Zeit (…) erhalten hat“198. Zwar ist die genaue architektonische Gestaltung der Stadt zur Zeit des Paulus unsicher, da u. a. das Forum in seinem ausgegraben baulichen Zustand erst unter Marc Aurel entstand.199 Allerdings finden sich auch am Forum Hinweise auf ältere römische Gebäude200, so dass mit Pilhofer schon im ersten Jahrhundert von einer architektonisch römischen Prägung auszugehen ist201, wenn diese sich auch ab dem 2. Jh. noch verstärkt haben dürfte.202 Hierbei ist zu berücksichtigen, dass
194 Von Premerstein, Ius Italicum, 1245 ff. Gleichzeitig gilt das zugeteilte Land, anders als in den Provinzen üblich, nicht mehr als Eigentum des Staates (vgl. 1242ff; vgl. auch Schiemann, Ius und Bürgerrecht, 97). 195 Vgl. Schiemann, Ius und Bürgerrecht, 97: „Mit dem Begriff des i. Italicum wird keine bürgerrechtliche Stellung umschrieben, sondern vielleicht eine Privilegierung von Gemeinden außerhalb Italiens in der Selbstverwaltung gegenüber den Provinzstatthaltern (…) und jedenfalls eine bes. rechtliche Behandlung von Provinzgrundstücken.“ Anders: Elliger, Paulus in Griechenland, 44. 196 Pilhofer, Philippi 1, 66. 197 Die territorialen Ausmaße der Kolonie erörtert ausführlich Pilhofer, Philippi 1, 52 ff. 198 Ebd., 77. 199 Zwei Inschriften der an beiden Enden des Forums zur Via Egnatia hin gelegenen Tempel ermöglichen eine Datierung des Komplexes auf die Zeit zwischen 161 und 175 n. Chr. Die Weihinschrift des westlichen Tempels erwähnt den „divus Antoninus“ (201/L305, Z. B1) und muss daher nach Tod und Divinisierung des Antoninus Pius (161 n. Chr.) entstanden sein; eine Ehrinschrift für Faustina (230/L343), die Gattin Marc Aurels († 175), hingegen im östlichen Tempel wird aus deren Lebzeiten stammen (vgl. Pilhofer, Philippi 2, 293). 200 Zwei weitere Kultgebäude auf beiden Seiten der Rostra ebenfalls zur Via Egnatia hin stammen wahrscheinlich bereits aus dem 1. Jh. n. Chr. (vgl. Elliger, Paulus in Griechenland, 59). Eine im Bereich des südöstlichen Tempels gefundene Weihinschrift für Drusus maior, den Vater des Kaisers Claudius, (evtl. auch für Claudius selbst) könnte auf einen Kaiserkulttempel als Vorgängerbau des Tempels aus der Zeit Marc Aurels hindeuten (232a/L938; vgl. diesbezüglich unter 1.4.2 zum Kaiserkult). Pilhofer, Philippi 1, 77 verweist zudem auf Gebäudefunde aus augusteischer Zeit, darunter das balneum, das römische Bad. 201 Vgl. Pilhofer, Philippi 1, 77. 202 Neben der Umgestaltung des Forums wird das Theater ab dem 2. Jh. erweitert und für Gla-
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es sich zum Zeitpunkt der Koloniegründung bei Philippi nur um eine recht „kleine Siedlung“203 und eventuell um keine intakte griechische Stadt gehandelt haben dürfte.204 Demnach muss mit einem weitgehenden Neubau der Stadt durch die römischen Kolonisten gerechnet werden. Der Apostel Paulus gelangt erstmals um das Jahr 49 nach Philippi. Vorangegangen sind das Apostelkonzil, der Antiochenische Zwischenfall und die Trennung von Barnabas, mit dem Paulus zuvor gemeinsam von Antiochia aus missionierte. Eine Schilderung der Erstmission bietet Lukas in Apg 16,11 – 40. Nachdem Paulus vom Heiligen Geist an einer Mission in der Provinz Asia und in Bithynien gehindert worden sei (16,6ff), erscheint ihm in Troas Alexandria im Traum ein Makedonier, der ihn auffordert: „Setze über nach Makedonien und hilf uns.“205 Die auffallend exakten Angaben zu Philippi (16,12: „eine Stadt des ersten Bezirks Makedoniens, eine Kolonie“206) und den dortigen Beamten (vgl. unten) sowie zur Reise von Troas nach Philippi 16,10 und zum weiteren Reiseweg nach Thessalonich (17,1)207 zeugen von Lukas’ detaillierten Kenntnissen der geographischen und politischen Verhältnisse. Diese Häufung von Details, zudem die besondere Gestaltung des Übergangs nach Makedonien208, lässt die Herkunft des Verfassers der Apg aus Philippi oder allgemein aus dem makedonischen Gebiet erwägenswert erscheinen.209
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diatorenkämpfe und Tierhatzen umgebaut (vgl. Elliger, Paulus in Griechenland, 39; Pilhofer, Philippi 1, 29). Elliger, Paulus in Griechenland, 41 verweist auf diese Bezeichnung Philippis bei Strabo VII,41 (jatoij¸a lijq²). Vgl. Elliger, Paulus in Griechenland, 41: „Als Philippi dann nach dreihundert Jahren plötzlich wieder ins helle Licht der Geschichte trat, war es nichts weiter als ein kleines, unbedeutendes Dorf.“ Diab±r 1m Lajedom¸am bo¶hgsom Bl?m (V. 8). Die auch von Nestle-Aland27 als ursprüngliche Lesart erwogene auf Johannes Clericus zurückgeführte Konjektur Ftir 1st·m pq¾tgr leq¸dor t/r Lajedom¸ar pºkir gibt exakt die historische Situation wieder. Bei l´qir scheint es sich um einen Terminus technicus für die vier Verwaltungsbezirke Makedoniens zu handeln (vgl. Pilhofer, Philippi 1, 162). Trotz der weitaus besseren Bezeugung der Lesart Ftir 1st·m pq¾tg t/r leq¸dor t/r Lajedom¸ar pºkir („welches eine führende Stadt des Bezirks Makedoniens ist“ [u.a. P74, 4]) dürfte u. a. mit Pilhofer die Konjektur hier tatsächlich vorzuziehen sein (vgl. ebd., 164). Lukas beschreibt hier ausgesprochen detailliert die Reiseroute: Von Troas führt die Reise über Samothrake und Neapolis nach Philippi. Von dort nach Thessalonich geht der Weg über Amphipolis und Apollonia. Diese Angaben erfüllen keinen erkennbaren erzählerischen Zweck. Weder sind mit den Orten irgendwelche Traditionen verbunden, noch gäbe es von Philippi nach Thessalonich eine zur Via Egnatia alternative Reiseroute. In Verbindung mit den weiteren detaillierten Angaben zu Philippi, legt sich die Annahme nahe, dass diese Detaillierung auf Lukas eigene geographische Kenntnis zurückgeht (vgl. Pilhofer, Philippi 1, 156 f, 199ff; Koch, Kollektenbericht, 333). Vgl. Pilhofer, Philippi 1, 155 ff. Problematisch ist allerdings Pilhofers in diesem Zusammenhang vertretene These, der damit gleichzeitig vollzogene Übergang nach Europa spiele für einen antiken Menschen keine besondere Rolle (vgl. 154 f). Koch, Kollektenbericht, 336 verweist diesbezüglich u. a. auf die schon bei Herodot IV,36ff zu findende Unterscheidung zwischen Europa, Asien und Libyen (vgl. auch III,96; IV,198).
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Philippi
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Die Missionsstrategie in Philippi schildert Lukas ähnlich derjenigen an anderen Orten, an welchen Paulus bei der jüdischen Synagogengemeinde anknüpft, dort allerdings insbesondere Erfolg bei Gottesfürchtigen, d. h. bei unbeschnittenen Anhängern jüdischer Religiosität, hat.210 Aus der dem Verfasser offenbar geläufigen besonderen Situation in Philippi ergeben sich jedoch markante Abweichungen. Hier gehen die Missionare, Paulus, Silas und eventuell Timotheus211, nicht in die Synagoge. Stattdessen heißt es: „Am Sabbattag gingen wir hinaus aus dem (Stadt-)Tor an (paq²) einen Fluss212, wo wir eine ,Proseuche‘ vermuteten“ (16,13).213 Dass Lukas den Terminus pqoseuw¶ anknüpfend an dessen Gebrauch im Frühjudentum214 anstelle des bei ihm üblichen sumacyc¶ verwendet215, ist zunächst angesichts seiner anderweitigen terminologischen Präzision unwahrscheinlich.216 Ließe sich dies womöglich durch eine dem Verfasser vorgegebene Quelle erklären217, so spricht jedoch die weitere Schilderung ebenfalls dafür, dass unter pqoseuw¶ irgendeine Art Gebetsstätte zu verstehen ist, welche Lukas nicht näher cha209 Vgl. Pilhofer, Philippi 1, 157 f. Gegen Pilhofer vgl. Omerzu, Prozeß, 119 f, 123. Nach Omerzu sind die Angaben traditionell und werden von Lukas übernommen, der „die Apostelgeschichte für eine Gemeinde abgefaßt [habe], in welcher der Charakter Philippis ganz offensichtlich einer näheren Ausführung bedürfe“ (120). Allerdings ist m. E. nicht ersichtlich, dass Lukas’ detaillierte Angaben für das Verständnis von Apg 16 erforderlich sind. Vielmehr scheint der Verfasser hier, ohne dass es erzählerisch notwendig wäre, den Text mit feinen Details zu Philippi und Umgebung zu versehen. 210 Vgl. Apg 13,(14 – 43) 44 – 48; 14,1 f; 17,1 – 4; 10 – 12; 18,4 – 8. 211 Timotheus ist seit Lystra (Apg 16,1) Paulus’ Reisebegleiter, wird allerdings weder in der Philippiepisode noch in Thessalonich erwähnt. Erst in Beröa (17,14) taucht er unvermittelt wieder auf. Gleichzeitig ist jedoch durch nichts angedeutet, dass er die Gruppe (vorübergehend) verlassen hat. Ob Timotheus bei der Erstmission in Philippi anwesend war, bleibt mit einer letzten Ungewissheit behaftet. 212 Pilhofer, Philippi 1, 165ff hat überzeugend die Lage der von Lukas beschriebenen Proseuche nicht an der Via Egnatia, sondern an einem dritten Stadttor im Westen der Stadt, in dessen unmittelbarer Nähe der Fluss entlang fließt, dargelegt. Demnach ist es in V. 13 auch möglich paq± potalºm als eine Näherbestimmung von 5ny t/r p¼kgr zu verstehen und zu übersetzen: „aus dem Tor am Fluss“ (vgl. 171 f). 213 T0 te Bl´qô t_m sabb²tym 1n¶kholem 5ny t/r p¼kgr paq± potal¹m ox 1mol¸folem pqoseuwμm eWmai. 214 Vgl. hierzu ausführlich Hengel, Proseuche und Synagoge, 171 – 195. 215 So u. a. Sterck-Degueldre, Lydia. Erstbekehrte, 39. Zurückhaltender äußert sich derselbe allerdings in: Lydia. Geschichte und Komposition, 132: „Allem Anschein nach gab es in Philippi nur eine geringe jüdische Bevölkerung. Einige Gottesfürchtige sympathisierten mit dem Judentum und trafen sich am Sabbat in einer Gebetsstätte, die, falls sie ein Synagogengebäude war, nicht sonderlich groß sein konnte“ (Hervorhebung HW). 216 Hier sei u. a. verwiesen auf den Wechsel der Bezeichnung der Gottesfürchtigen von vobo¼lemor t¹m heºm in Palästina (vgl. den Centurio Kornelius in Apg 10,2) und in gesamten asiatischen Bereich zu dem der griechischen Haltung gegenüber der Gottheit entsprechendem sebºlemor t¹m heºm in Europa (vgl. Lydia in 16,14; vgl. hierzu Koch, Proselyten und Gottesfürchtige, 271). Auch der Gebrauch der Namens Paulus anstelle von Saulus seit der Begegnung mit dem römischen Prokonsul Sergius Paulus auf Zypern (vgl. 13,9) zeugt davon, wie Lukas Wechsel der Terminologie gezielt einsetzt. 217 So Snger, Heiden – Juden – Christen, 152.
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Einleitung
rakterisiert218 : An dem Ort treffen die Missionare, für einen Synagogengottesdienst ebenfalls ungewöhnlich, ausschließlich Frauen219, unter ihnen eine Purpurhändlerin namens Lydia, eine Gottesfürchtige. Auffällig ist auch, dass von Juden nirgends explizit die Rede ist. Und die Gottesfürchtige Lydia stammt ursprünglich nicht einmal aus Philippi, sondern, wie ihr Name bereits andeutet, aus Thyateira in Lydien.220 Sie wird mit ihrem Haus zur Erstbekehrten Philippis und nimmt die Missionare bei sich auf (V. 15). Anfragen ergeben sich hinsichtlich der Historizität dieser Darstellung. Die Bekehrung einer Gottesfürchtigen an einer (jüdischen?) Gebetsstätte entspricht Lukas’ Schilderung der paulinischen Missionstaktik auch an anderen Orten. Selbst sofern die regelmäßige Anknüpfung der Mission an die Synagoge und eine damit verbundene Bekehrung von mit dem Judentum sympathisierenden Heiden für authentisch zu erachten ist, fällt deren stark schematisierte Darstellung in der Apg auf.221 Lukas ordnet diese Missionstaktik in sein heilsgeschichtliches Konzept ein und weist den Gottesfürchtigen dabei eine Art „Scharnierfunktion“ am Übergang von der Judenzur Heidenmission zu.222 Dass die ersten bekehrten Heiden dem Judentum nahe stehen, unterstreicht die heilsgeschichtliche Kontinuität zwischen der Verkündigung Jesu an Israel, der ersten Gemeinde aus Judenchristen in Jerusalem und der Kirche aus Juden und Heiden am Ausgang des 1. Jh. Entsprechend ist der erste bekehrte Heide, der römische Centurio Kornelius, ein Gottesfürchtiger (vgl. Apg 10,2).223 Und der Übergang des Evangeliums nach Europa scheint die Bekehrung eines Gottesfürchtigen förmlich zu vorauszusetzen. Daher lässt sich erwägen, ob Lukas nicht in Philippi trotz seines Wissens um das Fehlen einer Synagoge oder überhaupt eines jüdischen Bevölkerungsteils versucht, dieses Konzept aufrecht zu erhalten, was u. a. die Historizität der Lydia infrage stellt. Sollte es sich bei ihr um keine historische Person, sondern vielmehr um eine lukanische Fiktion handeln, so ließe sich in ihrer Kennzeichnung als Zugezogene eine Konzession an die dem Verfasser bekannte religiöse Situation in Philippi, das Fehlen einer jüdischen Gemeinde und damit gleichzeitig von mit dem Judentum sympathisierenden Heiden, auffassen.224 Allerdings harmonieren Lukas’ Angaben zu Lydias 218 Sofern Lukas dem in jüdischen Quellen üblichen Sprachgebrauch folgt, so dürfte er hier an ein Gebäude denken (vgl. Snger, Heiden – Juden – Christen, 152), nicht an einen Gebetsplatz am Flussufer unter freiem Himmel (vgl. Roloff, Apostelgeschichte, 244). 219 Vgl. Roloff, Apostelgeschichte, 244. 220 Bei „Lydia“ wird es sich nicht um den wirklichen Namen der Frau, sondern vielmehr um ein Ethnikon handeln (vgl. Pilhofer, Philippi 1, 235ff). 221 Vgl. Reinbold, Propaganda, 181, 186 f. Reinbold sieht „hinter dem lukanischen Bild vom Synagogenprediger Paulus kein tieferes Wissen um die Modalitäten der Paulusmission, sondern ein bestimmtes Interesse des Autors der Apostelgeschichte“ (181). 222 Vgl. Koch, Proselyten und Gottesfürchtige, 269. 223 Hier wird die heilsgeschichtliche Kontinuität noch dadurch verstärkt, dass dessen Bekehrung durch den Apostel Petrus erfolgt. Vgl. auch Weiser, Apostelgeschichte I, 252: „Der Äthiopier wird (nur) von Philippus getauft [vgl. Apg 8,26 – 40], Kornelius dagegen durch die Anweisung Petri, des Repräsentanten der Apostel.“ 224 Anders: Pilhofer, Philippi 1, 238: „(…) Daß diese !paqw¶ gerade keine Makedonin von
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Beruf und Herkunft für eine Fiktion ausgesprochen gut mit der rekonsturierbaren historischen Situation. Pilhofer hebt hervor, dass „ein gewisser Grundbedarf an Purpur … in einer römischen Kolonie immer anzusetzen“225 sei. Epigraphische Belege hierfür bieten zwei Inschriften, deren eine sogar einen Purpurfärber aus Thyateira erwähnt.226 Ist darüber hinaus in den paulinischen Gemeinden ein Interesse an Erstbekehrten anzunehmen, so scheint die Vorstellung problematisch, dass Lukas ausgerechnet eine Erstbekehrte „erfindet“.227 Die Bekehrung der Purpurhändlerin Lydia dürfte somit die Erinnerung an eine historische Person aufnehmen. Eine andere Frage jedoch ist, ob ihre Charakterisierung als eine dem Judentum nahestehende Gottesfürchtige nicht eher Lukas zugeschrieben werden muss. Die auffallende Nähe zum Missionsverlauf andernorts und die heilsgeschichtliche Funktion, welche der Verfasser der Apg den Gottesfürchtigen zuweist, lassen dies als durchaus möglich erscheinen. Dann ließe sich zudem fragen, ob die von Lukas erwähnte Proseuche ein historischer Ort ist. Dass völlig unklar bleibt, worum es sich bei dieser Gebetstätte handeln soll (ein Gebäude? ein Gebetsplatz am Flussufer unter freiem Himmel?228), könnte darauf hindeuten, dass Lukas hier eventuell einen Ort fingiert, an welchem es zur Bekehrung von Gottesfürchtigen kommen kann. Die Unbestimmtheit wäre dann als Mittel literarischer Fiktion zu verstehen.229 Auch dass Paulus und seine Mitarbeiter dort allein Frauen antreffen, passt zur besonderen Rolle von Frauen im lukanischen Doppelwerk und könnte somit redaktionell sein.230 Lässt sich auch keine sichere Entscheidung fällen, so scheint doch hinsichtlich der Charakterisierung Lydias als Gottesfürchtige und ihrer Bekehrung an einer Proseuche Skepsis geboten.231
Für die Untersuchung von ungleich größerer Bedeutung als die Frage nach der Historizität der Erstbekehrten Lydia und ihrem Verhältnis zum Judentum ist die Beobachtung, dass in Lukas’ gesamter Schilderung von Paulus’ Mission in
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echtem Schrot und Korn, sondern eine Frau (!) aus Thyateira in Lydien (!) ist, spricht umso mehr für ihre Historizität.“ Ebd., 175. Pilhofer verweist darauf, dass „ein jedes Mitglied des ordo decurionum die Toga mit dem Purpursaum“ trage. 697/M580: T¹m pq_tom 1j t_m poqvuqob²v[ym )m]t¸owom K¼jou, Huateiq[im]¹m eqeqc´t[gm] ja· […] B pºkir 1t[¸lgse] („Den ersten der Purpurfärber, Antiochos, [Sohn] des Lykos, den Thyateirener, ihren Wohltäter und … , ehrt die Stadt.“ [Übersetzung Pilhofer, Philippi 2, 857]). Zur Frage der Historizität dieser Inschrift vgl. ausführlich Pilhofer, Philippi 1, 177 ff. Die lateinische Inschrift 646/L035, Z. 1 redet von [pu]rpurari, was sowohl Purpurfärber als auch -händler bezeichnen kann. Vgl. Sterck-Degueldre, Lydia. Erstbekehrte, 42. Vgl. Roloff, Apostelgeschichte, 244. Sollte in Philippi keine Synagoge existiert haben, kann Lukas auch rund 30 Jahre später für eine glaubwürdige Darstellung nicht ohne Weiteres deren Existenz behaupten. Dass allerdings ehemals eine wie auch immer zu verstehenden Gebetsstätte vor den Toren der Stadt bestanden habe, wird hingegen auch ein Leser aus Philippi als durchaus möglich erachten. Zur Rolle der Frau bei Lukas vgl. Schmid, Lukas, 21. Sterck-Degueldre, Lydia. Geschichte und Komposition, 152 f plädiert für die Historizität der Charakterisierung Lydias als Gottesfürchtige.
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Einleitung
Philippi an keiner Stelle explizit Juden erwähnt werden, weder bei der Erstbekehrung an der Proseuche noch in Verbindung mit dem weiteren Verlauf des Aufenthalts.232 So geht V. 16 – 24 auch der Widerstand gegen die Missionare, anders als in Thessalonich, Beröa und Korinth, nicht von jüdischer, sondern von paganer Seite aus. Gleichzeitig gibt Lukas die besondere Situation in der römischen Kolonie offenbar ausgesprochen präzise wieder, sowohl hinsichtlich der munizipalen Ämter als auch der für die ethische Orientierung ihrer Bewohner normativen Maßstäbe. Nachdem Paulus einen „Wahrsagegeist“ (pmeOla p¼hym [V. 16]) aus einer Magd ausgetrieben hat, werden Silas und er von deren Herren, welche sich um ihren mit der Magd erzielten Gewinn gebracht sehen, vor den Duumviri (stqatgco¸ [V. 20]), den als Duumviri iure dicundo auch für die Judikative zuständigen beiden obersten Kolonialbeamten, angeklagt.233 Die Duumviri bzw. stqatgco¸ begegnen in der Apg explizit nur in Philippi.234 Die Ankläger halten die Missionare für Juden und beschuldigen sie des Aufruhrs, indem sie für Römer verbotene Sitten (5hg) verkündigten (V. 20 f).235 Die Anklage lautet demnach offenbar auf einen Verstoß gegen den mos maiorum, die allgemeine Sitte als für Römer auch juristisch relevante Verhaltensnorm.236 Bei den angeprangerten Bräuchen ist an den Juden von römischer Seite eingeräumte Privilegien wie Sabbatobservanz, Befreiung vom Militärdienst, Einhaltung von Speisegeboten und die jüdische Sondergerichtsbarkeit zu denken.237 Deren Übernahme durch Römer und damit die Abkehr von den überlieferten, aus römischer Perspektive staatstragenden Sitten ist ausgeschlossen und gilt als staatsgefährdend.238 232 Verwunderlich ist daher Omerzus Fazit zu Apg 16,11 – 40: „Paulus war (…) im Umfeld der Synagoge unter Juden und Gottesfürchtigen, besonders jedoch unter den Heiden mit seiner Predigt erfolgreich“ (Prozeß, 166). Von Ersteren ist im gesamten Abschnitt nirgends die Rede. 233 Zur Identifizierung des griechischen stqatgcºr mit dem lateinischen duumvir vgl. Pilhofer, Philippi 1, 196 f. Die in V. 19 erwähnten %qwomter werden keine von diesen zu unterscheidende Gruppe darstellen, sondern vielmehr als „Obrigkeiten“ auch die stqatgco¸ einschließen (vgl. ebd., 197). Bzgl. der Funktion der Duumviri vgl. Gizewski, Duoviri, Duumviri, 843 ff. 234 Den Terminus stqatgcºr kann Lukas allerdings auch für den Tempelhauptmann verwenden (vgl. Lk 22,4; 22,52; Apg 4,1; 5,24; 5,26). 235 Der Vorwurf des Aufruhrs (V. 20b) und derjenige der Verkündigung verbotener Sitten (V. 21) sind jeweils mit finitem Verb gebildet und mit ja¸ miteinander verbunden, was auf zweierlei Anklage hindeuten könnte. Allerdings bildet die Feststellung: „Juden sind sie“ (Youda?oi rp²qwomter) zwar einerseits den Abschluss der ersten Anklage, andererseits aber den sachlichen Hintergrund der Vorwurfs, sie verkündigten für Römer verbotene Sitten. Eben diesen Bezug beider Anklagen zueinander unterstreicht der parallele Schluss der zweiten Anklage: „Römer sind wir“ (Uyla¸oir owsim). Das V. 21 einleitende ja¸ wird demnach als ja¸-explikativum zu verstehen sein (vgl. Blass/Debrunner/Rehkopf, §442,6; Witulski, Apologetische Erzählstrategien, 331). Lukas führt somit nicht zwei Anklagen an (gegen Omerzu, Prozeß, 125), sondern erläutert die Anklage des Aufruhrs als Verkündigung verbotener Sitten. 236 Vgl. Pilhofer, Philippi 1, 191 ff, im Anschluss an van Unnik, Anklage, 376ff; Omerzu, Prozeß, 130 ff; Schinkel, Bürgerschaft, 103 f. Zur überlieferten Sitte in Form des mos maiorum als römischer Verhaltensnorm vgl. Kierdorf, Mos maiorum, 402 f. 237 Vgl. van Unnik, Anklage, 380 f; Pilhofer, Philippi 1, 192. 238 Vgl. van Unnik, Anklage, 383: „Auf den ,mores‘ was der Staat begründet, wenn an den ,mores‘
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Inwiefern diese Anklage als ganze historisch ist, lässt sich schwer beantworten.239 Allerdings passt sie ausgesprochen gut zur Situation in der römischen Kolonie Philippi, sei es, dass Lukas hier aktuelle Konflikte einträgt, sei es, dass sich hier eine Erinnerung an die paulinische Erstmission aufbewahrt findet. Dass Paulus und Silas in der Folge zahlreiche Rutenschläge erhalten (V. 22 f), bestätigt der Apostel selbst in 1. Thess 2,2 dahingehend, dass die Missionare, bevor sie nach Thessalonich gekommen seien, „gelitten“ hätten und „misshandelt worden“ seien.240 Von einer geringeren historischen Zuverlässigkeit zumindest, was den Ablauf der Ereignisse anbelangt, muss beim restlichen Abschnitt ausgegangen werden. An die Misshandlung an schließt sich die Schilderung der Inhaftierung und wunderbaren Befreiung von Paulus und Silas aus dem Gefängnis sowie der Bekehrung des Gefängniswärters und seines Hauses (V. 25 – 34). Die Bezeichnung eines Gefängniswärters als deslov¼kan ist im gesamten NT singulär und könnte somit lokalen Sprachgebrauch aufnehmen, unabhängig davon, ob es sich bei ihm um eine historische Person handelt. Letzteres muss als ungewiss gelten. Nicht allein begegnet er im Rahmen einer Wunder- und Bekehrungserzählung mit zahlreichen inhaltlichen Ungereimtheiten241, die kaum historischen Inhalt bieten dürfte242, sondern, anders als bei Lydia, wird auch sein Name nicht genannt, was bei einer historischen Person zu erwarten wäre.243 Den Gefängnisaufenthalt selbst infrage zu stellen, legt sich nicht nahe.
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gerüttelt wurde, war der Staat in Gefahr. Deshalb ist Änderung von ,mores‘ für einen richtigen Römer Revolution.“ Vgl. auch Pilhofer, Philippi, 1, 191 ff. Omerzu, Prozeß, 164 f führt die Anklage der Verkündigung für Römer verbotener Sitten (V. 21) auf Lukas zurück, dem es „damit geling[e] (…), das Konfliktpotential jüdisch-christlicher Mission im Römischen Reich zu veranschaulichen.“ Inwiefern dies tatsächlich ein lukanisches Anliegen darstellt und nicht vielmehr von einer apologetischen Tendenz innerhalb des lukanischen Doppelwerks auszugehen ist, scheint fraglich. Zur Diskussion um eine apologetische Tendenz vgl. Wolter, Obrigkeit, 277 ff. Ausführlich zu [potentiellen] apologetischen Tendenzen im lukanischen Doppelwerk vgl. Conzelmann, Mitte der Zeit, 128 ff. Pqopahºmter ja· rbqish´mter. Dies dürfte unter die drei Geißelungen fallen, welche Paulus in 2. Kor 11,25 erwähnt und offenbar als von profanen Instanzen ausgehende Strafe von der zuvor erwähnten Synagogenstrafe der vierzig Schläge weniger einen (V. 24) abhebt. Der Abschnitt enthält zahlreiche inhaltliche Ungereimtheiten: Paulus verhindert den Suizid des Gefängniswärters, obwohl er in seiner Zelle überhaupt nichts von dessen Vorhaben wissen kann (V. 27 f). Er „weiß auch sofort, daß alle Gefangenen noch in ihren Zellen sind“ (Roloff, Apostelgeschichte, 247; V. 28). Eigenartigerweise haben in V. 35ff die Duumviri und die von ihnen gesandten Liktoren offenbar das Erdbeben und die Ereignisse im Gefängnis nicht bemerkt (vgl. Omerzu, Prozeß, 114, 154). Und dass sich Paulus, als er mit ihnen redet, nach V. 33 f im Haus des Gefängniswärters aufhalten dürfte, anstatt in seiner Zelle, scheint sie nicht zu irritieren. Vgl. Pilhofer, Philippi 1, 198. Pilhofer verweist auf die Bemerkung zur Historizität des Abschnitts bei Haenchen, Apostelgeschichte, 440: „Kurz, die ganze Episode ist ein solches Nest von Unwahrscheinlichkeiten, daß man sie als unhistorisch streichen muß. Ihr Fehlen ergibt nicht einmal eine Lücke.“ Hierauf verweist zu Recht Roloff, Apostelgeschichte, 247 f. Vgl. hingegen Jason in Thessa-
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Hierbei wird es sich um ein coercitive Maßnahme zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, d. h. um eine vorübergehende Ingewahrsamnahme der des Aufruhrs Beschuldigten handeln.244 Stark lukanisch geprägt ist der Abschluss der Perikope (V. 35 – 40). Paulus weigert sich, der von den Liktoren (NabdoOwoi), Dienern der städtischen Behörde, überbrachten Aufforderung nachzukommen und die Stadt zu verlassen. Der Terminus NabdoOwor ist ebenfalls Hapaxlegomenon.245 Von den Liktoren verlangt Paulus, die Duumviri selbst sollten ihm diese Aufforderung überbringen und verweist dabei angesichts der erhaltenen Schläge auf sein römisches Bürgerrecht. Dass Paulus’ römisches Bürgerrecht erstmals in Philippi zur Sprache kommt und damit nicht allein in einer römischen Kolonie, sondern zudem an einem Ort, wo der Verweis hierauf nahezu zum Standardrepertoire der Inschriften gehört246, wird kaum Zufall sein. Auffällig ist, dass die Berufung erst jetzt und nicht bereits früher angesichts der drohenden Schläge erfolgt. Erst im Nachhinein weist Paulus die römischen Behörden auf ihr Fehlverhalten hin. Dies könnte auf lukanischen Ursprung hindeuten. Hier kommt eventuell eine apologetische Tendenz des Lukas zum Tragen, Konflikte zwischen den Missionaren und den römischen Behören zu entschärfen und die Christen als gute Staatsbürger darzustellen. Da die Behörden zuvor nichts von Paulus’ Bürgerrecht wussten, werden sie gleichzeitig vom Vorwurf eines bewussten Fehlverhaltens bei dessen Geißelung entlastet.247 Trotzdem werden die Maßnahmen gegen die Missionare als illegitim dargestellt und zudem als grundlos: dem Youda?oi rpaqwomter der Ankläger aus V. 20 korreliert Paulus Uyla¸our rp²qwomtar (V. 37). Damit wird die erhobene Anklage, die Einführung für Römer verbotener Sitten, faktisch haltlos, sind doch die so Angeklagten selbst Römer.248 Schließlich verweisen die verängstigten Duumviri Paulus und Silas nicht etwa der Stadt, sondern sie ermahnen beide (paqajake?m [V. 39]), diese zu verlas-
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lonich (Apg 17,5 – 9) und in Korinth den Gottesfürchtigen Justus und den Synagogenvorsteher Crispus (18,7 f). Vgl. Omerzu, Prozeß, 151. Vgl. auch Gizewski, Coercitio, 58 f. Auf mehrere Gefangenschaften, m. E. bereits vor einer eventuellen ephesischen Haft, verweist Paulus selbst in 2. Kor 6,5; 11,23. Zu den NabdoOwoi vgl. Pilhofer, Philippi 1, 198 f; Omerzu, Prozeß, 144. Pilhofer bemerkt zu deren Erwähnung in Apg 16: „Es bedarf kaum noch des ausdrücklichen Hinweises, dass NabdoOwoi im Neuen Testament nur hier in Philippi begegnen“ (Philippi 1, 199). Dass alle drei Termini in Philippi epigraphisch nicht belegt sind, spricht nicht gegen deren lokale Herkunft. Inschriften, in denen höhere städtische Beamte, u. a. Duumviri begegnen, sind lateinisch abgefasst, so dass das griechische Äquivalent stqatgcºr selbstverständlich fehlt (vgl. Pilhofer, Philippi 1, 195). Deslov¼kajer und NabdoOwoi werden, wie andere Mitglieder ärmerer Schichten, grundsätzlich weniger Inschriften hinterlassen haben (vgl. 198). Vgl. 1.4.2. Vgl. Omerzu, Prozeß, 165. Dies steht freilich in Spannung zu Omerzus These, dass Lukas mit V. 21 das Ziel verfolge, „das Konfliktpotential jüdisch-christlicher Mission im römischen Reich zu veranschaulichen“ (165). Gegen Omerzu dürfte die Auflösung des Konflikts eher auf eine apologetische Tendenz hinweisen. Vgl. ebd., 162.
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sen. Ähnlich wie kurze Zeit später in Thessalonich249 dürfte Paulus auch in Philippi der Stadt verwiesen worden sein, was Lukas hier auf positive Weise umschreibt.250 Dass der Apostel trotz des guten Verhältnisses zur Gemeinde anscheinend erst fünf Jahre später nach seinem Aufenthalt in Ephesus hierhin zurückkehrt, kann als Indiz dafür gelten, dass eine erneute Einreise, ebenfalls wie in Thessalonich251, zuvor nicht möglich war. Eine Ausweisung aus einer römischen Kolonie harmoniert offenbar nicht mit dem Bild, welches dem Verfasser der Apg für das Verhältnis zwischen den Christen und dem Imperium Romanum vorschwebt. Fazit: Lukas’ Bericht über die Erstmission in Philippi spiegelt auffallend stark das Lokalkolorit der Colonia Iulia Augusta Philippensis wieder : in der Charakterisierung der Stadt, der Bezeichnung der Amtspersonen, der Anklage gegen die Missionare. Gleichzeitig fehlt dem Bericht ein Hinweis auf jüdische Präsenz in Philippi. Vielmehr legt sich der Verdacht nahe, dass Lukas um das Fehlen eines nennenswerten jüdischen Bevölkerungsanteils weiß. Die Schilderung der Bekehrung der Lydia und ihres Hauses scheint die Erinnerung an die Erstbekehrte Philippis aufbewahrt zu haben, wobei die Umstände ihrer Bekehrung und ihre Charakterisierung als Gottesfürchtige redaktionell sein könnten. Dass Wirken der Missionare in Philippi endete offenbar mit einer Anklage wegen öffentlichen Aufruhrs, in deren Folge es zur von Paulus selbst bestätigten Geißelung, darauf zur Inhaftierung und Ausweisung aus der Stadt kam. Phil 4,15 bezeichnet Paulus die Mission in Makedonien als 1m !qw0 toO eqaccek¸ou. Diese Wendung lässt sich in zweierlei Hinsicht verstehen, einerseits aus der Perspektive der Philipper, andererseits aus derjenigen des Apostels selbst. Es stellt sich somit die Frage, ob mit „am Anfang des Evangeliums“ schlicht Paulus’ Erstmission in Philippi und der Beginn der Ausbreitung des Evangeliums in der römischen Kolonie gemeint ist252, oder ob der Apostel die philippische Gemeinde als überhaupt seine erste Gemeindegründung, als den Beginn der durch ihn bewirkten Ausbreitung des Evangeliums, bezeichnet.253 Das aus der Apg und dem Gal zu rekonstruierende vorangegangene missionarische Wirken des Paulus deutet auf Zweites hin. In Apg 13 f ist offenbar Barnabas die
249 Auch die Ausweisung aus Thessalonich wird nicht ausdrücklich erwähnt, sondern als eine nächtliche Flucht nach Beröa geschildert (vgl. Apg 17,10). 250 Anders: Omerzu, Prozeß, 157. So sei die Relegatio „eine offizielle Strafform …, der wiederum ein regelrechtes Gerichtsverfahren vorausgehen musste“ (157). Damit setzt Omerzu freilich eine Vollständigkeit und Exaktheit der lukanischen Schilderung voraus, die gerade in dem historisch wenig verlässlich erscheinenden Abschnitt V. 25 – 40 nicht gegeben sein dürfte. 251 Vgl. 1. Thess 2,18. 252 Vgl. Mller, Philipper, 207. 253 Vgl. Gnilka, Philipperbrief, 177; Koch, Adressaten des Galaterbriefs, 314 f. Bereits Lohmeyer, Philipper, 184 f zieht dies in Erwägung. Pilhofer, Philippi 1, 246 lässt die Entscheidung offen.
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führende Gestalt auf der ersten Missionsreise. Zudem erfolgt beider Mission nicht eigenständig, sondern sie sind von der Gemeinde in Antiochia beauftragte Missionare.254 Bei Paulus selbst findet diese Missionstätigkeit keinerlei Erwähnung.255 Nach der Trennung von Barnabas in Apg 15,39 berichtet Lukas von keiner einzigen Bekehrung oder Gemeindegründung auf der gesamten Reise durch Kleinasien.256 Ob zu diesem Zeitpunkt die galatischen Gemeinden bereits existierten, ist offen. Lukas weiß zwar von diesen Gemeinden, verfügt aber über keine Traditionen bezüglich deren Gründung.257 Mit Dietrich-Alex Koch lässt sich erwägen, dass diese eventuell erst später von Ephesus aus erfolgte.258 Und Paulus’ erster selbstständiger Mission in Arabien (vgl. Gal 1,17) war offenbar kein Erfolg beschieden. Zumindest geben weder die Apg noch die Briefe des Apostels Zeugnis davon, dass es dort paulinische Gemeinden gibt. Philippi ist somit Paulus’ erste eigene Gemeindegründung, von der wir sicher wissen. Ulrich B. Müller verweist hingegen darauf, dass in Phil 4,15 das Possessivpronomen lou fehle. Zudem widerspreche „der Annahme, daß Paulus erst die Europamission als eigentlichen Beginn seiner Heidenmission betrachtet hätte, … völlig seine Aussage in Gal 1,15 f, daß er von Anfang an von Gott selbst zum Heidenmissionar bestimmt ist.“259 Beide Argumente sind nicht zwingend. Ein Possessivpronomen hätte der Wendung in Phil 4,15 allein Eindeutigkeit verliehen; indem es fehlt, bleiben beide Auslegungsoptionen offen. Dass Paulus „von Anfang an“ zur Heidenmission bestimmt war, muss nicht im Widerspruch zu einem Verständnis der Mission in Makedonien als des eigentlichen Beginns der Evangeliumsausbreitung stehen. Hier gilt es zu differenzieren zwischen dem paulinischen Selbstverständnis als von Gott ausersehener Heidenmissionar und dem Resultat seines in diesem Selbstverständnis gründenden Wirkens. War Paulus’ selbständige Heidenmission erst über anderthalb Jahrzehnte nach seiner Berufung erfolgreich, kann er diesen Zeitpunkt durchaus als „Anfang des Evangeliums“ bezeichnen, ohne damit seiner in Gal 1,15 f dargelegten Überzeugung, bereits im Mutterleib zu seinem Dienst auserwählt worden zu sein, zu widersprechen. Somit ist aufgrund der in diese Richtung weisenden neutestamentlichen Quellen anzunehmen, dass die Wendung 1m !qw0 toO eqaccek¸ou nicht aus der Perspektive der Philipper den Anfang des Evangeliums bei ihnen bezeichnet, sondern vielmehr tatsächlich den Beginn der eigenständigen paulinischen Mission. Folglich handelt es sich bei Philippi offenbar nicht allein um Paulus’ Lieblingsgemeinde, sondern um die erste eigene Gemeindegründung des Apostels überhaupt.
254 Vgl. Apg 13,2, sowie in 14,4.14 die für Lukas singuläre Bezeichnung von Barnabas und Paulus als Apostel; vgl. auch Roloff, Apostelgeschichte, 195. 255 Vgl. Gnilka, Philipperbrief, 177. 256 Vgl. dahingehend Koch, Adressaten des Galaterbriefs, 312 f. 257 Vgl. ebd., 312 f. 258 Vgl. ebd., 315 ff. 259 Mller, Philipper, 207.
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1.4.2 Die soziale, kulturelle und religiöse Situation Wirtschaftlich grundlegend innerhalb der Colonia Iulia Augusta Philippensis ist die Landwirtschaft.260 Die Gründung der Kolonie erfolgte zum Zweck, Veteranen und in Italien enteignete Bauern mit Land für ihren Lebensunterhalt zu versorgen. Hierfür ist das Gebiet um Philippi aufgrund seiner großen Fruchtbarkeit besonders geeignet.261 Neben dem Anbau von Getreide ist der Weinanbau weit verbreitet. Mehrere Inschriften262 sowie die Funde von Weinkeltern bezeugen dessen Bedeutung.263 Der im Süden der Kolonie angebaute B¸bkimor oWmor hat Eingang in die griechische Literatur gefunden.264 Spielt der Gold- und Silberbergbau in frühchristlicher Zeit offenbar keine Rolle mehr265, so erfolgt nahe der Akropolis der Abbau von Marmor zum Gebrauch innerhalb der Stadt. Die beiden oben im Zusammenhang mit der Erstbekehrten Lydia erwähnten Inschriften bezeugen Purpurfärber, eventuell auch Purpurhändler266, in Philippi. Auf Letztere verweist zudem Lydias Beruf sowie der vorauszusetzende Bedarf an Purpur für die Mitglieder des ordo decurionum.267 Die wirtschaftlich günstige Lage an der Via Egnatia spiegelt sich innerhalb der Stadt archäologisch in mehreren für den Handel bestimmten Gebäuden wider. Hier ist insbesondere auf das Macellum südwestlich268 des Forums zu verweisen sowie auf die Ausgrabung von elf Läden.269 Mit Pilhofer ist ein Grab aus dem südlichen Thrakien mit zahlreichen
260 Vgl. Pilhofer, Philippi 1, 78, 81. Freilich gilt dies nicht allein für Philippi, sondern für die römische Wirtschaft überhaupt. Alfçldy, Römische Sozialgeschichte, 88 rechnet damit, dass etwa 90 % der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig waren (vgl. bei Alföldy auch allgemein zur Rolle der Landwirtschaft 87 f). 261 Pilhofer, Philippi 1, 78 hebt ausdrücklich den agrarischen Aspekt der Koloniegründung hervor. 262 Vgl. 045/L042; 437/L076; 602/G647. 263 Vgl. Pilhofer, Philippi 1, 78 ff. ‚ 264 Vgl. Hesiod, erg. 588 f: !kk± tºt Edg eUg petqa¸g te sjiμ ja· B¸bkimor oWmor („Aber zu dieser Zeit möge es sowohl einen Felsenschatten als auch Biblinischen Wein geben“). Achilleus Tatios II,2,2 nennt den Wein vom „Weinstock aus Biblia“ (t¹m t/r Bibk¸ar !lp´kou) als Zweites in einer Aufzählung der Weine, welche die Menschen noch nicht besaßen, bevor ihnen Dionysos den Wein brachte (vgl. auch Pilhofer, Philippi 1, 79 f). 265 Vgl. Pilhofer, Philippi 1, 81: „Die in den früheren Jahrhunderten ausgebeuteten Gold- und Silbervorkommen des Pangaion- und der Lekanigebirges waren in römischer Zeit nämlich schon erschöpft.“ 266 Aufgrund der doppelten Bedeutung von purpurari. 267 Vgl. 1.4.1; vgl. auch Pilhofer, Philippi 1, 82. 268 Pilhofer vernachlässigt in seinen Beschreibungen Philippis, dass die von ihm verwendeten Karten nicht genordet sind. Daher ergibt sich gegenüber Pilhofers Angaben jeweils eine Abweichung von etwa 458 im Uhrzeigersinn. 269 Vgl. Pilhofer, Philippi 1, 83. „Macellum“ dürfte allerdings treffender als mit „Marktplatz“ (so Pilhofer) mit „Markthalle“ wiederzugeben sein.
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philippischen Münzen des 1. Jh. n. Chr. als ein deutliches Indiz für Handelsbeziehungen zu erachten.270 Über die soziale Schichtung innerhalb der Kolonie lassen sich nur Vermutungen anstellen. Ähnlich der allgemeinen Situation im Imperium Romanum werden einer kleinen politisch verantwortlichen Oberschicht271 breite Unterschichten gegenüberstehen, die allerdings unterschiedliche Wirtschaftskraft aufweisen.272 Da die Landzuteilung an die Veteranen je nach Dienstgrad und erbrachten Leistungen erfolgt, wird deren soziale Stellung stark differieren.273 Obere Dienstgrade werden die finanzielle Voraussetzung zum Eintritt in den ordo decurionum und damit zum Aufstieg in die Oberschicht besessen haben.274 Peter Oakes geht von einer zunehmenden Konzentration des Landbesitzes aus, so dass ein Teil der mit nur wenig Land ausgestatteten Kolonisten, dieses wieder verloren haben dürften. Für diese Menschen sei dann entweder die Möglichkeit geblieben, das ehemals eigene Land als Lehnbauern zu bestellen oder in die Stadt Philippi zu gehen, um dort zu arbeiten oder von Spenden zu leben und sich eventuell als Klient einem Patron anzuschließen.275 Mit einer allgemein schlechteren sozialen Stellung als derjenigen der Veteranen rechnet Lukas Bormann bei den von Augustus angesiedelten italischen Bauern.276 Diese hätten einerseits ihren Besitz in Italien verloren, andererseits im Gegensatz zu den Veteranen „nicht die Möglichkeit gehabt, sich durch Kriegsbeute zu bereichern.“277 Ob und in welchem Maße es im Zuge der Kolonisation zu Enteignungen der einheimischen Bevölkerung kam, ist umstritten. Geht Elliger davon aus, dass diese mehrheitlich ihren
270 Vgl. ebd., 83 ff. 271 Nach Pilhofer, Philippi 1, 175 komme man für den ordo decurionum in Philippi einschließlich der „,Mitglieder ehrenhalber‘ (…) wohl auf eine Zahl von über 100 Mitgliedern.“ Zur Frage der differierenden Größe des ordo decurionum vgl. 3.1.3.2: Exkurs. 272 Vgl. ausführlich zu den gesellschaftlichen Schichten im Rom der Prinzipatszeit Alfçldy, Römische Sozialgeschichte, 94 ff. Oakes rechnet für die Stadt Philippi mit einer Oberschicht von etwa 3 %. Die übrige Stadtbevölkerung bestünde zu etwa 20 % aus Bauern mit oder ohne eigenem Land, zu etwa 37 % aus Menschen, die unterschiedlichen Arbeiten oder Dienstleistungen nachgingen, die ärmste Schicht bildeten etwa 20 %. Hinzu komme ein Sklavenanteil von 15 – 30 % (vgl. Oakes, Philippians, 17, 40ff). Die Angaben stellen einen Mittelwert aus unterschiedlichen Szenarien („high slave“, „high poor“, „high colonist farmer“ [50]) dar. Sklaven werden dabei nicht als eine eigene Bevölkerungsschicht eingestuft. Für die christliche Gemeinde sieht Oakes eine Verschiebung hin zur Gruppe der Handwerker und der Armen, allerdings auch einen etwas geringeren Sklavenanteil. Als Mittelwerte ergeben sich bei ihm hier : Oberschicht (1 %), Bauern (15 %), Arbeiter (43 %), Arme (25 %), Sklaven (12 – 25 %). 273 Vgl. Bormann, Philippi, 23; Vittinghoff, Kolonisation und Bürgerrechtspolitik, 23. 274 Vgl. Bormann, Philippi, 24. Die finanziellen Voraussetzungen zum Eintritt in den Dekurionenstand dürften in der verhältnismäßig kleinen Stadt nicht allzu hoch gewesen sein (vgl. zu den diesbezüglichen lokalen Unterschieden Alfçldy, Römische Sozialgeschichte, 110). 275 Vgl. Oakes, Philippians, 33. 276 Vgl. Bormann, Philippi, 23 f. 277 Ebd., 24.
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Besitz behielten278, rechnet Oakes damit, dass Teile der ortsansässigen Bauern ihr Land abgegeben mussten.279 Hier gilt es m. E. zwei Punkte zu berücksichtigen: 1.) ist mit Vittinghoff auf die römische Praxis zu verweisen, sofern es sich bei einer zur Kolonie umgewandelten Stadt nicht zuvor um einen Ort des Widerstands gehandelt hatte, der dort lebenden Bevölkerung ihren Besitz weitgehend zu belassen und nur einen Teil des Gebiets der neu geschaffenen Kolonie zu beanspruchen.280 2.) muss jedoch berücksichtigt werden, dass im Zuge der zweimaligen Koloniegründung, zunächst zur Versorgung der Veteranen nach der Schlacht bei Philippi, sodann neuerlicher Veteranen und itallischer Bauern eine beträchtliche Anzahl von Menschen in dem Gebiet angesiedelt wurden. Demzufolge wird zumindest in einem gewissen Umfang von Enteignungen auszugehen sein, wenn auch der Faktor Enteignung im Hinblick auf die soziale Stellung der alteingesessenen Bevölkerung nicht überbewertet werden sollte. Wenn auch mit einer weitgehend römischen Oberschicht zu rechnen ist, so bedeutet dies nicht, dass Griechen und Thraker grundsätzlich sozial schlechter gestellt waren als Römer. Pilhofer verweist in diesem Zusammenhang auf den Sarkophag eines Bithus Macer, sowie dessen Sohnes und Enkels.281 Nicht allein der Sarkophag selbst zeugt vom Wohlstand der darin Beigesetzten, sondern auch die Inschrift, wonach Bithus 200, sein Sohn Rufus 100 Denare dem Kult des Liber Pater Tasibastenus gab, auf das von den Zinsen am Rosalienfest an ihrem Grab ein Mahl abgehalten werde. Den einheimischen Griechen und Thrakern voraus haben die angesiedelten Veteranen allerdings das römische Bürgerrecht, welches Grundvoraussetzung für einen gesellschaftlichen Aufstieg ist.282 Dieses besaßen nicht allein römische Legionäre, sondern auch Angehörige der Auxilia, der aus Menschen nicht-itallischer Herkunft gebildeten Truppen283, erhielten es mit ihrer Entlassung aus dem Militärdienst. Hiervon zeugt das das Militärdiplom des Thrakers Hezbenus, welcher zu See in der „misenischen Flotte“ seinen Dienst verrichtete.284 Nicht inne hatte das Bürgerrecht wahrscheinlich die Purpurhändlerin Lydia, das einzige Mitglied der paulinischen Gemeinde, über dessen Lebensumstände das NT Auskunft gibt. Als Zugezogene mit festem Wohnsitz in Philippi dürfte sie stattdessen „den Status einer incola“285 besessen haben. Allerdings 278 279 280 281 282 283 284
Vgl. Elliger, Paulus in Griechenland, 44. Vgl. Oakes, Philippians, 30 (ausdrücklich gegen Elliger). Vgl. Vittinghoff, Kolonisation und Bürgerrechtspolitik, 24 f. 524/L103; vgl. Pilhofer, Philippi 1, 89. Vgl. Alfçldy, Römische Sozialgeschichte, 98. Vgl. Campbell, Auxilia, 364 f. 030/L523; vgl. auch Pilhofer, Philippi 1, 122 f. Z. I 8ff behandelt zudem ausführlich das mit dem Bürgerrecht verliehene conubium, das Recht zur Eheschließung (zum conubium vgl. Schiemann, Conubium, 158 f). 285 Pilhofer, Philippi 1, 238. Zu den drei unterschiedlichen Stellungen von Einwohnern antiker Städte vgl. Koch, Bilder, 144.
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wird sie nicht der sozial schwächsten Schicht zuzurechnen sein. So besitzt sie ein Haus, in welches sie Paulus und Silas aufnimmt (vgl. Apg 16,15) und das auch der Gemeinde Platz zu bieten scheint (vgl. V. 40).286 Für Philippi kulturell prägend sind freilich die römischen Kolonisten. Dies gilt nicht allein für die architektonische Gestaltung der Stadt, sondern allgemein auf kultureller Ebene. So wird für das Theater eine italische Schauspieltruppe engagiert, welche dort lateinische Stücke aufführt.287 Der spätere Umbau des Theaters für Gladiatorenkämpfe und Tierhatzen entspricht römischen Vorlieben.288 Die starke römische Prägung Philippis zeigt sich insbesondere darin, dass die große Mehrzahl der Inschriften aus den ersten beiden Jahrhunderten auf Latein ist.289 Pilhofer hebt hervor : „In keiner Stadt im Osten des Imperium Romanum, auch in keiner Kolonie, dominiert das Lateinische das Bild auch nur in einem annähernd vergleichbaren Ausmaß.“290 Hinzu tritt in der Colonia Iulia Augusta Philippensis ein weiteres Charakteristikum der römischen Gesellschaft. Der epigraphische Befund weist auf eine besondere Bedeutung, welche in den Augen der Bewohner Status und Ehre zukommen.291 Ansehen und Ehre, welche ein Mensch durch seinen Status erlangt, stellen in der römischen Kolonie offenbar fundamentale Werte dar. So begegnet in Inschriften auffallend häufig eine Hervorhebung des römischen Bürgerrechts. Etwa die Hälfte der in der Stadt selbst gefunden Inschriften aus den ersten beiden Jahrhunderten n. Chr. enthält den Verweis auf die Zugehörigkeit zur Tribus Voltinia, einem römischen Verwaltungsbezirk.292 Exemplarisch hierfür ist die Weihinschrift einer der beiden zur Via Egnatia hin gelegenen Brunnenanlagen des Forums. Deren Stifter Lucius Decimius Bassus hebt sein eigenes Bürgerrecht sowie dasjenige seines Vaters und seines Bruders hervor: Lucius Decimius Bassus, der Sohn des Lucius, aus der Tribus Voltinia, Ädil in Philippi, hat aufgrund seines Testaments für sich und Lucius Decimius, den Sohn des Lucius, aus der Tribus Voltinia, den Quästor und Duumvir in Philippi, seinen Vater, und für Caius Decimius Maxsimus [!], den Sohn des Lucius, aus der Tribus Voltinia, seinen Bruder, (den Brunnen) erbauen lassen. Der Preis betrug 30000 Sesterzen.293
286 Vgl. Pilhofer, Philippi 1, 239 f. Pilhofers zieht das Fazit: „Hier im Falle der Lydia handelt es sich ohne Zweifel um eine ,neuzugezogene‘ Griechin von einiger wirtschaftlichen Potenz“ (240). 287 Vgl. Pilhofer, Philippi 1, 121. 288 Vgl. Elliger, Paulus in Griechenland, 39. 289 Vgl. Pilhofer, Philippi 1, 118 f. 290 Ebd., 119. 291 Vgl. zur Bedeutung von Status und Ehre in der antiken, insbesondere römischen Gesellschaft 3.1.3.2: Exkurs. 292 Vgl. Pilhofer, Philippi 1, 121 f. 293 213/L347 (Übersetzung Pilhofer); vgl. auch Hellerman, Reconstructing Honor, 89.
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Besonderes Gewicht legt man auch auf die Schilderung seines beruflichen Aufstiegs. Eine Grabinschrift aus dem Dorf Cqall´mg, nordwestlich der Stadt Philippi, schildert die militärische Laufbahn des Verstorbenen in einmaliger Ausführlichkeit: Tiberius Claudius Maximus, der Veteran, hat zu seinen Lebzeiten (die Inschrift) anfertigen lassen. Er diente als Reiter in der siebten Legion Claudia Pia Fidelis, wurde zum Quästor der Reiter befördert, Singularis des Legaten eben dieser Legion, Standartenträger der Reiter ; zudem im Dakerkrieg wegen seiner Tapferkeit von Kaiser Domitianus mit dona ausgezeichnet. Vom vergöttlichten Traianus wurde er zum duplicarius in der zweiten Ala Pannoniorum gemacht; von diesem wurde er ebenfalls im Dakerkrieg als Kundschafter eingesetzt und wegen seiner Tapferkeit zweimal mit dona ausgezeichnet – im Dakerkrieg und im Partherkrieg. Und von demselben (Kaiser) wurde er zum decurio in derselben Ala befördert, weil er den Decebalus gefangen genommen und dessen Kopf diesem (d. h. dem Kaiser) in Ranisstorum überbracht hatte. Als Freiwilliger wurde er ehrenhaft entlassen von Terentius Scaurianus, dem konsularischen Befehlshaber der neuen Provinz Mesopotamien (oder Syrien, oder Dakien).294
Jedoch nicht nur bei angesehenen Personen wie Militärangehörigen begegnet in Philippi derlei Schilderung der Berufslaufbahn, auch der Sarkophag des Schauspielers Titus Uttiedius Venerianus gibt Auskunft über dessen erfolgreichen Werdegang. Er war nicht irgendein Schauspieler, sondern „officialis (Angestellter der res publica Philippensis […]) und dies siebenunddreißig Jahre lang.“295 In dieser Zeit stieg er zum „Theaterdirektor“296 (Promisthota) auf und bekleidete dieses Amt für achtzehn Jahre. Eine solche Schilderung ist besonders bemerkenswert angesichts des geringen gesellschaftlichen Ansehens von Schauspielern.297 Hier betont somit gerade ein Angehöriger einer wenig geachteten Berufsgruppe stolz den während seiner Berufslaufbahn erlangten Status: Titus Uttiedius Venerianus, siebenunddreißig Jahre lang lateinischer Hauptdarsteller (archimimus latinus) im Mimus und Angestellter ([officialis] der Stadt Philippi), achtzehn Jahre Promisthota, lebte fünfundsiebzig Jahre. (Er hat) zu seinen Lebzeiten 294 522/L210 (Übersetzung und Hervorhebungen Pilhofer). Der Provinzname am Ende fehlt. Zur Bedeutung der Inschrift für die Frage nach der Funktion von Status und Ehre in der römischen Kolonie Philippi bemerkt Pilhofer : „Daß aber die ausführlichste derartige Inschrift des gesamten Imperium Romanum ausgerechnet im Territorium von Philippi gefunden wurde, kann ich nicht für einen Zufall halten. Ich nehme es als ein Indiz dafür, daß man in Philippi besonders stolz darauf war, seine Posten und Pöstchen zur Schau zu stellen“ (Philippi 1, 142). 295 Pilhofer, Philippi 1, 143; vgl. Hellerman, Reconstructing Honor, 106. 296 Pilhofer, Philippi 2, 462. 297 Vgl. Pilhofer, Philippi 1, 142; vgl. auch Leppin, Historionen, 135 ff. Leppin verweist u. a. auf die sittlichen Vorurteile gegenüber den Schauspielern: „(…) Die Historionen galten als gefährliche Ehebrecher. Ihre Nähe zur Prostitution wurde gern betont; Miminnen und Dirnen setzte man oft gleich“ (137).
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für sich selbst und seine um ihn sehr verdiente Frau Alfena Saturnina (den Sarkophag anfertigen lassen). Alfena Saturnina, einundfünfzig Jahre alt. Dieser Sarkophag geht nicht auf den Erben über.298
In Kultvereinen lässt sich eine weitere Beobachtung zur Teilhabe auch der Unterschichten an der Hochschätzung von Status und Ehre machen. Hier findet sich wiederholt die Aufnahme römischer Amtsbezeichnungen. Eventuell werden in einer Inschrift aus Kipia, ca. 20 km südwestlich der Stadt, Funktionsträger im Kult des Thrakischen Reiters, des Nqyr Aqkyme¸tgr, als „procuratores“ bezeichnet. Dabei würde es sich um den einzigen Beleg für diese Bezeichnung innerhalb des Kultes der meistverehrten thrakischen Gottheit handeln.299 Die Übernahme eines Titels aus dem senatorischen cursus honorum innerhalb eines Unterschichtvereins begegnet in der Gemeinschaft der Silvanusverehrer.300 Ihre Kultstätte befand sich am Rande der Stadt in einem ehemaligen Steinbruch unterhalb der Akropolis. Dem Kult gehörten vorrangig Angehörige der Unterschicht an, was sich nicht allein an seiner Lage zeigt.301 So war der Kultzweck eine Sterbeversicherung.302 Unter den zahlreichen epigraphisch überlieferten Mitgliedern werden keine städtischen Würdenträger erwähnt, dafür aber mehrere Sklaven303 und Freigelassene304. Am Anfang einer Spenderliste heißt es jedoch: Publius Hostilius Philadelphus hat wegen der (ihm verliehenen) Ehrenstellung der Ädilität die Inschrift auf eigene Kosten fein ausarbeiten lassen und die Namen derjenigen Genossen aufgeschrieben, die Leistungen (für den Bau des Heiligtums) erbracht haben (…).“305
Dem Freigelassen306 (!) Publius Hostilius Philadelphus kommt somit in dieser Gemeinschaft der für ihn innerhalb des römischen Staates unerreichbare Titel Ädil zu. Dass die Ädilität als eine Station des cursus honorum, der senatori-
298 476/L092 (Übersetzung Pilhofer). 299 Vgl. hierzu und zur strittigen Wiedergabe des Textes Pilhofer, Philippi 1, 98 f, 145 f. Prokurator bezeichnet einen römischen Verwaltungsbeamten, im 1. Jh. n. Chr. noch vornehmlich innerhalb der Finanzverwaltung. Zu dieser Zeit wurde das zuvor u. a. von Freigelassenen bekleidete Amt auch bereits von Rittern ausgeübt (vgl. Eck, Procurator, 366ff). Es ist zu erwägen, ob in Entsprechung hierzu auch die Prokuratoren im Kult des Thrakischen Reiters in Kipia mit Finanzaufgaben betraut sind. 300 Vgl. Hellerman, Reconstructing Honor, 102. 301 Vgl. Pilhofer, Philippi 1, 109. 302 Vgl. ebd., 113. 303 163/L002, Z. 6, 10, 12, 30 f, 48, 55. 304 Vgl. 163/L002, Z.1 (Publius Hostilius Philadelphus); 163/L002, Z. 50; 164/L001, Z. 15 f (zweimal Caius Paccius Mercuriales). 305 164/L001 (Übersetzung Pilhofer); vgl. auch Hellerman, Reconstructing Honor, 103 f. 306 Vgl. L163/002, Z. 1.
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schen Ämterlaufbahn, auf den religiösen Bereich übertragen wird, ist im Rahmen des Silvanuskults nur in Philippi belegt.307 Die Sitte, in Religionsgemeinschaften an den profanen Bereich angelehnte Ämter einzurichten, wird anscheinend auch von der christlichen Gemeinde übernommen. So könnte mit Pilhofer in den 1p¸sjopoi, welche Paulus ausdrücklich im Präskript des Phil (1,1) erwähnt, eine philippische Sonderentwicklung, analog zu den paganen Vereinen, vorliegen.308 Unabhängig davon zeigt die Schichten übergreifende hohe Wertschätzung von Status und Ehre, dass diese auch für die Primärsozialisation der frühen Christen zu berücksichtigen ist. Die Untersuchung wird daher zu fragen haben, ob und inwiefern sich die paulinische Paraklese mit einer den Adressaten vertrauten Ausrichtung auf Ehre und gesellschaftliches Ansehen auseinandersetzt. Nicht ohne Weiteres lässt sich im Zusammenhang mit der Betonung von Status in den römischen Unterschichten der auch in Philippi begegnende Verweis von Sklaven und Freigelassenen auf ihren (ehemaligen) Besitzer anführen.309 Zunächst gründet dieser Verweis im römischen Namenssystem. Da ein Sklave oder Freigelassener „im sozialen Sinn keinen Vater“310 hat, tritt anstelle des bei einem Freigeborene im Genitiv an den Namen angefügten Vaternamen der Name des Besitzers bzw. nunmehrigen Patrons.311 Während obiger Lucius Decimius Bassus sich als Luci filius ausweist, erfolgt bei dem Freigelassen „Ädil“ aus dem Silvanuskult der Ausweis in der Mitgliederliste als P(ublii) L(ibertus), als Freigelassener eines Mannes, der ebenfalls Publius heißt.312 Auf die Namen der Sklaven folgt im Genitiv der Name des Besitzers313 bzw. bei Sklaven der Kolonie die Ergänzung „coloniae“314. Allerdings hatte der Status des Herrn auch Einfluss auf das Ansehen und den Stand seiner Sklaven.315 Dass bestimmte Sklaven ein besonderes, höheres Ansehen besitzen, spiegelt sich in Phil 4,22 im Gruß ,derer aus des Kaisers Haus‘316 wider. Hier richtet Paulus den Christen in der Kolonie Philippi offenbar gezielt einen Gruß von kaiserlichen Sklaven oder
307 Vgl. Pilhofer, Philippi 1, 145. Zum cursus honorum sowie zur Übertragung von Amtsbezeichnungen innerhalb von Vereinen vgl. 3.1.3.2: Exkurs. 308 Vgl. Pilhofer, Philippi 1, 146 f; Koch, Einmaligkeit des Anfangs, 205 ff. 309 Vgl. 416/Ll66; 321/L377 u. ö. Hellerman, Reconstructing Honor, 107 f und Pilhofer, Philippi 1, 143 sehen Sklaven und Freigelasse auf diese Weise ihren zumindest im Vergleich zu anderen Sklaven und Freigelassenen ehrenvollen Stand betonen. 310 Koch, Bilder, 148. 311 Vgl. ebd., 148; R. Gnther, Studium der Alten Geschichte, 184. 312 163/L002, Z.1. Pilhofer, Philippi 2, 198 ergänzt den verkürzten Genitiv „P(ubli)“. 313 Vgl. Hermeros Metrodori (Z. 6), Crescens Abelli (Z. 12), Chrysio Pacci (Z. 48). 314 Vgl. Z. 10, 30, 31, 55. 315 Vgl. auch Guttenberger Ortwein, Status, 36: „Der Status der Sklaven und Klienten war durch den Status ihres Herren oder Patrons wesentlich mitbestimmt. Je größer dessen Ehre war, desto stärker war auch ihre Position.“ 316 Einfache Anführungszeichen kennzeichnen Paraphrasen biblischer Texte gegenüber exakten Zitaten.
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Freigelassene aus, welche ein für ihresgleichen hohes Ansehen hatten und die er eventuell während seiner Haft im Prätorium bekehrt hat.
Die pagane Gottesverehrung soll hier nur schlaglichtartig dargestellt werden. Ziel dieser Darstellung ist es, an ausgewählten Beispielen exemplarisch die religiöse Prägung der Einwohner Philippis und damit auch der Adressaten des Paulus als Hintergrund des Philipperbriefs zu verdeutlichen. Für ein Weinanbaugebiet wenig überraschend findet Dionysos breite Verehrung. Hierbei handelt es sich um den eventuell ältesten Kult der Region.317 Schon in vorgriechischer Zeit befand sich auf dem Gipfel des Pangaiongebirges ein Heiligtum; in römischer Zeit befindet sich ein solches in Drama im Norden der Kolonie.318 Die Verehrung des Gottes erfolgt gleichermaßen durch Thraker, Griechen und Römer319, dabei nicht allein von Letzteren unter seiner römischen Bezeichnung Liber Pater320 : Der oben erwähnte Thraker Bithus Macer ist Mitglied im Kult des Liber Pater Tasibastenus und am eigentlich römischen Rosalienfest soll laut der Anweisung auf seinem Sarkophag ein Mahl abgehalten werden. Hier hat die sich in der Region seit Jahrhunderten heimische Dionysosverehrung mit deren römischer Ausprägung verbunden bzw. ist von dieser transformiert worden.321 Ebenfalls von der einheimischen Bevölkerung als auch von den römischen Kolonisten verehrt wird der Thrakische Reiter, die bedeutendste thrakische Gottheit. Seine Verehrung als Nqyr Aqkyme¸tgr („Held aus Aulonites“) gibt ein Beispiel dafür, wie auch die römische Bevölkerung an lokalen Kulten teilhat. Nicht allein dies: In seinem Heiligtum in Kipia im Südosten des Pangaiongebirges dominieren sogar römische Namen.322 Zudem erfährt der ursprünglich thrakische Kult sogar Förderung durch die römische Kolonie.323 Selbstverständlich spiegelt sich deren starke römische Prägung auch in den Zeugnissen über die Verehrung römischer Gottheiten wider. Allein aus der Stadt Philippi gibt es vier Weihinschriften für Jupiter, davon eine an einem Brunnen des Forums (223/L339), die übrigen drei an der Akropolis (177/L014; 178/L015; 186/L023); vier weitere Inschriften stammen aus dem Umland (384/ L615; 473/L090; 514/L246; 588/L236). Auch an Merkur richten sich drei Weihinschriften (225/L308; 250/L374; 514/L246; vgl. auch 094/590; 164/L001). Wie sehr Philippi auch in religiöser Hinsicht römisch geprägt ist, zeigt die Verehrung des römischen Gottes Silvanus, für den in ganz Griechenland und 317 318 319 320
Vgl. Pilhofer, Philippi 1, 100. Vgl. ebd., 100. Vgl. ebd., 105. Vgl. u. a. die Weihinschriften der Salvia Pisidia und der Pisidia Helpis für Liber Pater (341/ L267; 342/L292); vgl. auch die Zusammenfassung und Bewertung des epigraphischen Materials bei Pilhofer, Philippi 1, 102 ff. 321 Vgl. Pilhofer, Philippi 1, 115: „(…) Thrakische Anhänger des Dionysos feiern das lateinische Rosalienfest!“ 322 Vgl. 163/L002; vgl. auch Pilhofer, Philippi 1, 96. 323 Vgl. Pilhofer, Philippi 1, 97 ff.
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Makedonien kein weiterer Kult nachgewiesen ist.324 Es handelt sich bei diesem Kult um „eine spezifisch römische Angelegenheit“325, an welchem sich die Bevölkerung nicht-römischer Herkunft kaum beteiligte. So finden sich in den epigraphisch erhaltenen Mitgliederlisten nur wenige griechische, sondern vorrangig römische Namen.326 Epigraphische Zeugnisse für die Verehrung des römischen Kaisers finden sich bereits seit der Zeit des Augustus. So werden Priester (Flamines) des Gaius (Iulius) Caesar, des Augustus und seiner Frau Livia sowie des Claudius und Vespasian erwähnt.327 Dabei handelt es sich jeweils um einen Kult für den vergöttlichten, d. h. postum vom Senat konsekrierten Herrscher.328 Als Kultbedienstete niederen Ranges begegnen für den Kult des Augustus Seviri Augustales.329 Nachdem Bormann bereits 1995 in seiner Untersuchung auf die Errichtung eines Kaiserkulttempel am nordöstlichen Ende des Forums bereits im 1. Jh. n. Chr. und nicht erst unter Marc Aurel schloss330, scheint eine zwischenzeitlich publizierte Inschrift diese Annahme zu bestätigen. Eine im Bereich des späteren Tempels gefundene Weihinschrift für den Vater Kaiser Claudius’ (41 – 54), Drusus maior, dürfte in der unvollständig erhaltenen zweiten Zeile auch den Kaiser selbst erwähnt haben.331 Demzufolge hat offenbar schon in paulinischer Zeit unmittelbar am Forum ein Kaiserkulttempel existiert.332 Zweifellos bedeuten die Verehrung des römischen Kaisers als Gott oder Sohn Gottes und nicht zuletzt die sich auf ihn konzentrierenden Heilshoffnungen eine Herausforderung für das frühe Christentum. Wie sehr diese Verehrung allerdings in den Alltag auch der Christen eingreift und zu Konflikten zwischen der Ekklesia und dem römischen Staat führt, darf nicht pauschal beurteilt werden. Vielmehr wird im Rahmen der Untersuchung zu klären sein, ob politische Implikationen oder potentielle Anspielungen auf den römischen Herrscher und seine Verehrung im Phil eine Auseinandersetzung mit dessen Ansprüchen widerspiegeln, und, wenn ja, inwiefern dem 324 Vgl. ebd., 108. Mihly-Lorand, Silvanus, 564 ist die Bezeugung des Silvanuskults für Philippi offenbar unbekannt, wenn es heißt: „(…) Im gesamten griech[ischen] Osten und in Nordafrika wurde S[ilvanus] kaum verehrt – mit Ausnahme zweier Städte, Timgad und Lambaesis“. 325 Pilhofer, Philippi 1, 108. 326 Vgl. 163/L002; 165/L003; 166/L004, sowie die Spenderliste 164/L001; vgl. auch Pilhofer, Philippi 1, 109. Allerdings stammen die Listen erst aus dem 2. bzw. 3. Jh. n. Chr. 327 Die insgesamt 14 Inschriften bis zum Kult des vergöttlichten Antoninus Pius (138 – 161) bietet Bormann, Philippi, 43 in chronologischer Reihenfolge. 328 Zur postumen Divinisierung des Kaisers via Konsekration durch den Senat vgl. 2.2.1. 329 Vgl. die Zusammenstellung der acht Inschriften bei Bormann, Philippi, 45 f. 330 Vgl. Bormann, Philippi, 41. 331 232a/L938. Zur Rekonstruktion der Inschrift vgl. Pilhofer, Philippi 2, 296 f. Während Pilhofer, Philippi 1, 47.93 (ebenfalls 1995) dem Kaiserkult in Philippi anders als Bormann nur geringe Bedeutung zumisst, schätzt er dessen Relevanz in seinem aktuellen Aufsatz „Philippi zur Zeit des Paulus“ (2009), 16 f, höher ein. 332 Allerdings lässt sich damit keinerlei Auskunft über die Art der Verehrung geben. Ob der Kaiser selbst als Gott verehrt wird oder nur als Sohn Gottes und ob er s¼mmaor einer anderen Gottheit ist, bleibt offen.
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Einleitung
ein Konflikt der Gemeinde um den Kaiserkult zugrunde liegen könnte. Einige grundsätzliche Erwägungen zur historischen Bedeutung des Kaiserkults im 1. Jh. n. Chr., welche Rückschlüsse auch auf die Situation in Philippi ermöglichen, seien hier allerdings aufgrund der unterschiedlichen Forschungspositionen vorangestellt: Lukas Bormann sieht im Verhältnis zum Kaiserkult ein Hauptspannungsfeld für die Christen in Philippi. Vom Kaiser der Bevölkerung als eine Loyalitätsbekundung förmlich aufoktroyiert333, scheinen Konflikte aus seiner Sicht geradezu unumgänglich. Dies treffe vor allem für einen von der Bevölkerung bei der Inthronisation eines neuen Herrschers geforderten und eventuell an deren Jahrestag zu wiederholenden Kaisereid zu.334 Dass dieser Eid jedoch tatsächlich, wie Bormann betont, von der Gesamtbevölkerung zu leisten war, erscheint fraglich: Als ein regelmäßiger Akt innerhalb der sacra publica von derartiger Breitenwirkung ist der Kaisereid ausgesprochen schwach bezeugt.335 Unklar scheint zudem wie ein regelmäßig zu wiederholender verpflichtender Eid der Gesamtbevölkerung praktisch durchgeführt werden soll. Dass alle Bewohner der Kolonie Philippi, also wohl über fünftausend Menschen, an einem festgesetzten Tag auf dem Forum erscheinen und dort, nachdem die Anwesenheit jedes Einzelnen festgehalten wurde, gemeinsam einen Eid auf den Kaiser ablegen, scheint schwer vorstellbar.336 Demgegenüber wird zu erwägen sein, ob nicht vielleicht die städtische bzw. koloniale Führungsschicht den Eid stellvertretend für die Bevölkerung leistet. Die Gemeindemitglieder wären dann vom Kaisereid nicht direkt oder nur in geringem Maße betroffen. Aber selbst, wenn von Christen in Philippi der Kaisereid gefordert werden sollte, so lässt sich doch fragen, ob die Teilnahme an einer solchen Vereidigung mit dem Bekenntnis zu Christus nicht zumindest partiell vereinbar ist. Wie Plinius, Epistulae 10,52 verdeutlicht, kann ein Schwerpunkt im Gebet für den Kaiser bestehen. Für den Herrscher beten können Christen freilich auch (vgl. 1. Tim 2,2; 1. Klem 61,1). In diesem Zusammenhang erweist es sich m. E. als Fehler, dass Bormann die Unterschiede innerhalb der kultischen Verehrung von Kaisern, ob als Gott oder Sohn Gottes, als s¼mmaor in Verbindung mit einer anderen Gottheit oder überhaupt nicht explizit des Kaisers selbst, sondern nur seines Genius, bewusst ausblendet.337 Die unterschiedlichen Verehrungsweisen eröffnen einen Spielraum, der die Loyalitätsbekundung zu einem, wenn auch kultisch überhöhten Herrscher für Christen nicht von vornherein als ausgeschlossen erscheinen lässt.338 Darüber hinaus wird generell das Bild einer vom Herrscher selbst lancierten Verehrung hinterfragt werden müssen. Thomas Witulskis 333 334 335 336
Vgl. Bormann, Philippi, 33ff, 48 ff. Vgl. Ebd., 48 ff. Vgl. Cancik, Kaiser-Eid, 42; vgl. auch 30ff die wenigen Belege für eine Vereidigung des Volkes. Ein dahingehendes Szenario müsste vorausgesetzt werden, sofern man mit Bormann, Philippi, 49 f eine regelmäßige neuerliche Vereidung des Volkes am Jahrestag der Inthronisation in Erwägung zieht. 337 Vgl. Bormann, Philippi, 37. 338 Vgl. Cancik, Kaiser-Eid, 39ff; Auffarth, Herrscherkult und Christuskult, 292.
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Untersuchung zum Kaiserkult im benachbarten Kleinasien macht deutlich, dass die Einrichtung von Kulten im 1. Jh. n. Chr. meist auf lokale bzw. provinziale Initiative zurückgeht.339 Gleichzeitig erfolgt bis auf Ausnahmen die Verehrung des Herrschers als „Sohn eines Gottes“ (divi filius), und dies gemeinsam mit einem weiteren Gott als dessen s¼mmaor, mit dem Senat oder wie bei dem unter Domitian in Ephesus eingerichteten Kult die Verehrung der gesamten Dynastie.340 Zu einem massiven Eingriff des Herrscherkults in den Alltag der Provinzbewohner kommt es offenbar erst unter Kaiser Hadrian (117 – 138).341 Mag auch für die von Augustus gegründete Kolonie Philippi mit einer besonderen Loyalitätsbeziehung zum Herrscher zu rechnen und zudem ihre mit dem ius Itallicum verbundene spezifische rechtliche Stellung innerhalb der Provinz Makedonien zu berücksichtigen sein342, so werden Witulskis Untersuchungsergebnisse trotzdem nicht unberücksichtigt bleiben dürfen. Dass in Philippi mit einem hierzu völlig gegensätzlichen Vorgehen der Herrscher zu rechnen ist, darf als unwahrscheinlich gelten. Die kaiserliche Initiative bei der römischen Herrscherverehrung scheint bei Bormann überbewertet.
1.4.3 Die ethnische Zusammensetzung der Gemeinde Nicht zufällig bleibt im vorigen Unterkapitel jüdische Religiosität in Philippi unerwähnt. Das archäologische Zeugnis gleichermaßen wie Lukas’ Bericht über die Erstmission deuten darauf hin, dass es zur Zeit des Paulus höchstens eine geringe jüdische Präsenz in der Kolonie gibt. Archäologisch findet sich mindestens bis zum 3. Jh. n. Chr. kein Hinweis auf einen jüdischen Bevölkerungsanteil. So ist epigraphisch kein einziger eindeutig jüdischer Name oder ein jüdisches Symbol belegt.343 Die Grabinschrift des Aurelios Oxycholios aus dem 3. oder 4. Jh., welche eine Synagoge erwähnt, ist das erste Zeugnis für Juden in Philippi. Darin heißt es, 1000000 Denare Strafe solle an die Synagoge zahlen, wer einen anderen Toten in dem Grab beisetze.344 Zwar besteht für die urchristliche Zeit auch in Thessalonich, obwohl offenbar bereits eine jüdische Gemeinde existierte, für diese keine archäologische Evidenz.345 In Philippi deckt sich das archäologische Zeugnis allerdings, anders als in Thessalonich, 339 Witulski, Kaiserkult, 32, 37 f, 73. 340 Vgl. ebd., 58 ff. Eine Ausnahme bildet, was kaum überraschen mag, der Kult des Caligula (37 – 41) in Milet (vgl. ebd., 42ff). 341 Vgl. ebd., 90 ff. 342 Vgl. Bormann, Philippi, 36 ff. 343 Vgl. Pilhofer, Philippi 1, 232 f. Dies gilt m. E. auch für die in der zweiten Auflage von Pilhofers „Katalog der Inschriften“ neu aufgenommen Zeugnisse. 344 Vgl. 387a/G813, Z. 5 f: fr #m d³ 2t´qym m´jum jatah´se d¾si pqoste¸lou t0 sumacyc0 W (2jat¹m luqi²der) (Übersetzung Pilhofer : „Wer aber einen anderen Toten hier niederlegt, der soll der Synagoge 1000000 Denare Strafe zahlen.“). 345 Vgl. umfassend vom Brocke, Thessaloniki, 214 – 232. Vom Brocke verweist in diesem Zusammenhang auf das erste literarische Zeugnis für Juden in Makedonien bei Philo, Leg 281 um 40 n. Chr. Die erste jüdische Inschrift datiert frühestens vom Ende des 2. Jh. n. Chr. (vgl. 223ff).
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mit demjenigen des NT. Oben wurde bereits darauf hingewiesen, dass in Apg 16,11 – 40 an keiner Stelle ausdrücklich von Juden die Rede ist. Die Bekehrung der Lydia findet nicht in einer Synagoge statt, sondern an einer nicht näher definierten Proseuche.346 Anders als in Thessalonich, Beröa und Korinth gehen die Maßnahmen gegen Paulus und Silas von paganer Seite aus. Auch der Phil gibt keinen Hinweis auf judenchristliche Gemeindemitglieder. Von den wenigen namentlich Genannten lässt sich keiner als Jude identifizieren. Epaphroditus (Phil 2,25 – 30), Euodia und Syntyche (4,2) sind griechische Namen, Clemens (4,3) ist ein römischer Name.347 Selbstverständlich ist damit zu rechnen, dass auch Juden griechische oder, nicht zuletzt in einer Kolonie von derart starker römischer Prägung, römische Namen tragen, so dass der Name keinen sicheren Rückschluss auf seinen Träger zulässt. Der Einklang von archäologischem Zeugnis, Lukas’ Schilderung in Apg 16 und den Namen der Gemeindemitglieder in Phil ist allerdings bezeichnend.348 Demzufolge ist davon auszugehen, dass Mitte des 1. Jh. n. Chr. in Philippi keine oder nur sehr wenige Juden leben. Die paulinische Gemeinde wird sich weitgehend, wenn nicht sogar ausschließlich, aus Heidenchristen zusammensetzen. Dem kommt für diese Untersuchung besondere Relevanz zu, insofern als die Auslegung des Phil die pagane Primärsozialisation der Adressaten zu berücksichtigen hat. Es wird zu fragen sein, ob die Paraklese an paganes Gedankengut anknüpft bzw. sich damit auseinandersetzt. Daher ist Vorsicht geboten gegenüber einer vorschnellen Parallelisierung mit der Paraklese anderer Paulusbriefe. Eventuell erhält die Ethik des Philipperbriefs gerade durch die pagane Herkunft der Gemeindemitglieder ein spezifisches Profil. Im Hinblick auf mögliche sich abzeichnende Konflikte innerhalb der Gemeinde müssen die religiösen und kulturellen Auswirkungen der paganen Primärsozialisation als eine mögliche Ursache in Erwägung gezogen werden. Darüber, welchen Anteil an der Bevölkerung jeweils Römer, Griechen und Thraker aufweisen, lässt sich nur spekulieren. Letztere werden vorrangig nicht in der Stadt selbst, sondern im Umland leben.349 Offenbar aus diesem Grund scheinen sie in der christlichen Gemeinde stark unterrepräsentiert. Weder im Phil des Paulus und im Brief des Polykarp, noch in den christlichen Inschriften späterer Jahrhunderte findet sich ein thrakischer Name. Auch in der Kolonie 346 Vgl. hierzu Pilhofer, Philippi 1, 231: „Ich sehe in diesem Befund ein Indiz dafür, daß die jüdische Gemeinde in Philippi, wenn es sie denn gegeben hat, jedenfalls klein war.“ 347 Vgl. ebd., 240. Auch bei S¼fucor (Phil 4,3) dürfte es sich um einen griechischen Eigennamen handeln (vgl. 3.2.7). 348 Pilhofer, Philippi 1, 232 verweist zudem auf das Fehlen alttestamentlicher Zitate im Phil, was „unter anderem gewiß auch den Grund [habe], daß Paulus bei den Gliedern dieser Gemeinde nicht mit einer solchen Vertrautheit mit alttestamentlichen Texten rechnet wie etwa bei den Korinthern.“ Mit Koch, Schrift, 96 f lässt sich dies allerdings auch auf die durch Paulus’ Gefangenschaft gegebenen problematischen Abfassungsbedingungen zurückführen, welche „eine gezielte Schriftlektüre zum Auffinden und Auswählen geeigneter Zitate“ (96) verhinderten. 349 Vgl. Pilhofer, Philippi 1, 88 f.
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Abfassungssituation
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Philippi hat das Christentum anscheinend vorrangig in der Stadt Fuß gefasst.350 Hinsichtlich des Verhältnisses zwischen römischem und griechischem Bevölkerungsanteil verweist Pilhofer auf eine epigraphische Entwicklung. So ist zwar die große Mehrzahl der Inschriften aus dem 1. und 2. Jh. n. Chr. auf Latein, danach nimmt die Anzahl lateinischer Inschriften allerdings rapide ab.351 Bei einer römischen Bevölkerungsmehrheit in den ersten beiden Jh. erscheint diese Entwicklung ungewöhnlich. Es legt sich daher mit Pilhofer der Schluss nahe, dass die Römer zu dieser Zeit zwar „die einflußreichste Bevölkerungsgruppe in Philippi bilden“352, die Mehrheit der Bevölkerung jedoch griechischer Herkunft ist.353 Dieses Verhältnis würde auch der Philipperbrief widerspiegeln, wo dem einen Römer Clemens drei bzw. vier (inkl. S¼fucor) Griechen gegenüberstehen. Unabhängig vom Anteil der Römer an der Gesamtbevölkerung ist das römische Moment in der Colonia Iulia Augusta Philippensis jedoch kulturell bestimmend. Es ist mit einer weitgehenden Assimilation vor allem der Stadtbevölkerung an die römische Kultur zu rechnen.354 Die zahlreichen einen Status, insbesondere das römische Bürgerrecht, betonenden Inschriften waren deren Bewohnern täglich vor Augen. Die hohe Wertschätzung von Status und Ehre wird sich auch auf Griechen und Thraker übertragen haben. Römische Gottesverehrung findet wie im Kult des Liber Pater Tasibastenus und dem damit verbundenen Rosalienfest auch Aufnahme bei der einheimischen Bevölkerung.355 Umgekehrt zeigt der Kult des Nqyr Aqkyme¸tgr den Einfluss regionaler Religiosität auf die römischen Kolonisten. Eine Differenzierung zwischen dem kulturellen und religiösen Hintergrund griechischer und römischer Gemeindemitglieder ist daher in der folgenden Untersuchung nicht erforderlich.
1.5 Abfassungssituation 1.5.1 Die Vorgeschichte der Korrespondenz Der Philipperbrief ist zusammen mit Phlm einer der beiden echten Gefangenschaftsbriefe des Paulus.356 In 1,12 – 26 thematisiert der Apostel seine Gefangenschaft, indem er die Situation an seinem Haftort schildert und über 350 351 352 353 354 355 356
Vgl. ebd., 241 ff. Vgl. ebd., 90. Ebd., 91. Vgl. ebd., 90 ff. Vgl. ebd., 115. Vgl. ebd., 115. Eph, Kol und die Pastoralbriefe werden in dieser Untersuchung mit der Mehrheit der Forschung als deuteropaulinisch angesehen. Phil und Phlm dürften am selben Ort und wahrscheinlich in derselben Haft verfasst worden
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Einleitung
den möglichen Ausgang der Haft reflektiert.357 So habe die Gefangenschaft gerade die Evangeliumsverkündigung gefördert (1,12 – 18). Gleichzeitig weiß er von Gegnern zu berichten, bei welchen es sich offenbar um konkurrierende Missionare handelt, deren Tätigkeit er aber als Verkündigung Christi inhaltlich anerkennt (1,17 f). Aus 1,19 – 26 wird deutlich, dass Paulus ein Todesurteil für möglich erachtet; er rechnet allerdings mit seiner Freilassung. Die Philipper wiederum haben von seiner Gefangenschaft erfahren und ihm eine Geldspende zukommen lassen, gleichwie sie ihn auch schon zuvor bei seiner Mission materiell unterstützt haben (vgl. 4,15 f). Die aktuelle Spende diente der Verbesserung der Haftsituation, wohl vor allem der besseren Versorgung mit Lebensmitteln (vgl. 4,18).358 Auf diese Weise sind die Adressaten aus Sicht des Apostels ,Mitteilhaber seiner Bedrängnis‘ (sumcjoimym¶samt´r lou t0 hk¸xei [4,14]) geworden. Der Überbringer der Spende, Epaphroditus, ist jedoch am Haftort des Apostels erkrankt. In Philippi wiederum hat man von der Erkrankung erfahren. Eventuell wissen Paulus und der Gemeindegesandte um negative Auswirkungen dieser Nachricht, zumindest aber ist Letzterer wegen deren eventueller Wirkung beunruhigt (2,26 – 28).359 Über die Sorge um Epaphroditus hinaus muss sich die Gemeinde auch mit der Bedrängnis durch ihre Umwelt auseinandersetzen. Paulus schreibt, die Philipper hätten „denselben Kampf“ (1,30) wie er und fordert sie auf, den Widersachern (!mtije¸lemoi [1,28]) geschlossen und furchtlos zu begegnen. Nicht auszuschließen ist, dass die unterschiedlichen Leidenserfahrungen, die eigene Bedrängnis sowie die Sorge um den inhaftierten Apostel und den erkrankten Gesandten, zu innergemeindlichen Spannungen geführt haben.
sein. In beiden Briefen fungiert Timotheus als Mitabsender (vgl. Phil 1,1; Phlm 1,1). Die Haftsituation ist vergleichbar : Paulus hat Kontakt zu seinen Mitarbeitern (vgl. Phlm 24), betreibt auch als Gefangener Mission (vgl. Phil 1,12 f; Phlm 1) und kann Briefe verfassen (vgl. auch Schnelle, Paulus, 421). Um allerdings das zeitliche Verhältnis der beiden Briefe zueinander zu bestimmen, wäre es relevant zu wissen, ob der in Phlm 23 erwähnte Epaphras mit dem philippischen Gemeindegesandten Epaphroditus identisch ist. Da Epaphroditus nach Phil 2,25 – 30 offenbar der Überbringer des Phil ist, müsste dann Phlm vorher abgefasst worden sein. Zur Frage einer möglichen Identifikation von Epaphras und Epaphroditus vgl. 3.3.1. 357 Vgl. hierzu ausführlich 5.2.2. 358 Hier ist an eine im antiken Gefängniswesen verbreitete Praxis zu denken: Spenden von Verwandten oder anderen nahe stehenden Personen dienen dazu, die Situation eines Gefangenen, insbesonder dessen Ernährungslage, zu verbessern. Ebenfalls ist eine Verbesserung der Situation durch die Bestechung der Wachen möglich (vgl. Krause, Gefängnisse im Römischen Reich, 290 f). 359 Vgl. 3.3.1.
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1.5.2 Die Frage nach dem paulinischen Haftort Die Diskussion um den Abfassungsort des Philipperbriefs und damit verbunden um dessen Abfassungszeit und Einordnung in das Corpus Paulinum ist in der aktuellen Forschung völlig offen. Nachdem Adolf Deissmann 1908 erstmals seine These einer in der Apostelgeschichte nicht erwähnten ephesischen Haft des Paulus und einer Abfassung von Phil und Phlm sowie Eph und Kol während dieser Zeit publizierte360, hatte die Verortung des Phil nach Ephesus Mitte des 20. Jh. in der deutschsprachigen Exegese breiten Zuspruch erlangt.361 Ein besonderer Vorzug dieser These wurde und wird vor allem in der überschaubaren Entfernung zwischen Ephesus und Philippi gesehen, welche sich am besten mit der aus dem Brief hervorgehenden regen Reisetätigkeit zwischen Empfängergemeinde und Haftort vereinbaren lasse.362 Als Hinweis auf eine ephesische Haft gewertet wird Paulus’ offenbar auf eine Todesgefahr in der Provinz Asia zu beziehende Bemerkung in 2. Kor 1,8 – 10363, zuweilen auch die Erwähnung eines Kampfes mit wilden Tieren in Ephesus (1. Kor 15,32).364 Auch wird die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass es im Zusammenhang mit der in Apg 19,23 – 40 geschilderten Auseinandersetzungen in Ephesus zu einer Inhaftierung kam, welche Lukas möglicherweise aus einem apologetischen Interesse heraus verschweigt.365 Bei gleichzeitig strittiger innerer Chronologie der Paulusbriefe erfolgt die Datierung in zeitlicher Nähe zur Korintherkorrespondenz und vor den wohl in Korinth verfassten Römerbrief. Als Abfassungszeit wird das Jahr 54/55 angenommen. Nicht durchsetzen konnte sich hingegen die u. a. von Ernst Lohmeyer stark gemachte Datierung während Paulus’ Haft in Caesarea Maritima (ca. 57 – 59).366 Diese These weist gegenüber der Verortung nach Ephesus den Vorzug einer in Apg 23 – 26 geschilderten längeren Haft des Apostels und die Erwähnung eines Prätoriums, nämlich des Palasts Herodes Agrippas II., als 360 Deissmann, Licht vom Osten (41923), 201 f. Nach eigener Aussage hat Deissmann diese These „für Kol., Philem. und Eph. bereits 1897 im Herborner Seminar den Kandidaten vorgetragen“ (201). 361 In der aktuellen Forschung vgl. u. a. Mller, Brief aus Ephesus, 155 – 171; Reumann, Philippians, 17. Vgl. auch die Übersicht über Vertreter der Ephesus-These bei Eckey, Philipper, 27. Häufig wird die Ephesus-These mit der Annahme einer spätere Abfassung von Phil 3,2 – 4,1 (2 – 3.8 – 9) in Korinth verbunden (vgl. Gnilka, Philipperbrief, 25; Becker, Paulus, 332; Walter, Philipper, 90; Eckey, Philipper, 23; Theobald, Philipperbrief, 379). Zur in der Forschungsgeschichte nur selten vertretenen These von Korinth als Abfassungsort auch des Gesamtbriefs vgl. die Zusammenfassung bei Hawthorne, Philippians, XLf. 362 Vgl. Mller, Brief aus Ephesus, 159; Eckey, Philipper, 23 f. 363 Vgl. Walter, Philipper, 17; Gnilka, Philipperbrief, 22. 364 Vgl. Lindemann, Erster Korintherbrief, 352; Bieberstein, Brief nach Philippi, 6. 365 Vgl. ausführlich Mller, Brief aus Ephesus, 159 ff. 366 Vgl. Lohmeyer, Philipper, 3. Erstmals wurde diese These offenbar 1799 von H.E.G. Paulus vertreten (vgl. Mller, Philipper, 17; Eckey, Philipper, 25). In der neueren Forschung vgl. Hawthorne, Philippians, XLIff. Vgl. auch die Übersicht bei Eckey, Philipper, 25.
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Haftort (23,25) auf.367 Ein grundlegendes Problem der Caesarea-These liegt allerdings in der erheblichen Entfernung von Philippi, vor deren Hintergrund die aus dem Phil zu rekonstruierenden Reisebewegungen problematisch erscheinen. Gleichzeitig scheinen die Israelaussagen in Phil 3 besser vor als nach Röm 9 – 11 erklärbar.368 Beide Probleme ergeben sich auch bei einer Abfassung in Rom. Die traditionelle These, Paulus habe Phil und Phlm während seiner römischen, mit seiner Hinrichtung endenden Haft verfasst, wird in der aktuellen Forschung wieder vermehrt aufgegriffen.369 In diesem Fall handelte es sich um die beiden letzten Briefe des Apostels. Als Argumente für die Romthese werden u. a. angeführt: Paulus’ Rede vom „ganzen Prätorium“ (1,13), womit die Prätorianergarde gemeint sein könnte370 ; der Gruß derer „aus dem Haus des Kaisers“, d. h. kaiserlicher Sklaven und Freigelassener371, in Phil 4,22; die Nähe der „milden Haftsituation“372 zur Schilderung in Apg 28; die Nichterwähnung der Kollekte, was auf deren Abschluss schließen lasse.373 Nach Udo Schnelle kann „eine umfassende historische und theologische Würdigung dieses Briefes (…) erst gelingen, wenn der Phil aus der Spätzeit des paulinischen Wirkens begriffen und interpretiert wird.“374 Einen grundlegenden Angriff auf die These einer ephesischen Haft des Paulus verbunden mit dem Votum für eine Abfassung von Phil und Phlm in Rom unternimmt Marlis Gielen. Gielen versucht einerseits für Ephesus und gegen Rom vorgebrachte Argumente zu entkräften, andererseits eine Haft mit dem aus 2. Kor zu erschließenden Ereignisverlauf gegen Ende von Paulus’ Ephesus-Aufenthalt als nicht vereinbar zu erweisen.375 Sie kommt auf diese 367 Zu weiteren für Caesarea vorgebrachten Argumenten vgl. Eckey, Philipper, 25 f; Hawthorne, Philippians, XLIf. Problematisch ist Müllers Bemerkung, „daß es keinen speziellen Hinweis im Philipperbrief auf Caesarea als Abfassungsort gibt“ (Philipper, 17). Einen „speziellen“, im Sinne von „konkreten“, Hinweis gibt es für keinen der erwogenen Abfassungsorte. 368 Vgl. zu beiden Gegenargumenten ausführlich unten. 369 Vgl. u. a. Fee, Philippians, 34ff; Bockmuehl, 30ff; Schnelle, Einleitung, 153 ff. 370 Vgl. Schnelle, Einleitung, 153. 371 Vgl. ebd., 153. 372 Ebd., 153. 373 Vgl. ebd., 153. 374 Ebd., 165. 375 Marlis Gielen, Paulus – Gefangener in Ephesus. Teil 1, in: BN.NF 131 (2006), 79 – 103; Teil 2, in: BN.NF 133 (2007), 63 – 77. Mit der Forschungsmehrheit dürfte es näher liegen, eine für die Abfassung von Phil und Phlm in Betracht kommende Haft in diesen Zeitraum zu datieren (vgl. u. a. Mller, Philipper, 19; Walter, Philipper, 16 f). Dafür sprechen einerseits der eventuelle Zusammenhang mit dem Aufruhr des Goldschmieds Demetrius, an welchen sich nach lukanischer Schilderung der Aufbruch nach Makedonien anschließt (vgl. Apg 19,23 – 20,1), andererseits die mögliche Identifikation mit einer in 2. Kor 1,8 – 10 erwähnten Todesgefahr, welche stark an die sich in Phil 1,19 – 26 abzeichnende Lage des Paulus erinnert. Die Einleitung dieser Ausführungen mit oq c±q h´kolem rl÷r !cmoe?m („denn wir wollen nicht, dass ihr unwissend seid“) weist darauf
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Weise zu dem Schluss: „Es ist also an der Zeit, sich von der Hypothese einer längeren Gefangenschaft des Paulus in Ephesus, in welcher Phil und Phlm verfasst worden sein sollen, endgültig zu verabschieden.“376 Nach 2. Kor 2,13 f und 7,5 lässt sich das Ende des Ephesusaufenthalts mit Gielen dahingehend rekonstruieren, dass Paulus Titus zur Klärung des Konflikts zwischen ihm und der Gemeinde mit einem Brief nach Korinth schickt.377 Im Anschluss soll der Mitarbeiter durch Griechenland und Mazedonien ziehen, um in Troas Alexandria in der nördlichen Asia wieder mit Paulus zusammentreffen.378 Bezieht sich 2. Kor 1,8 – 10 auf eine ephesische Haft, so muss diese also in den Zwischenzeitraum datiert werden. Eine mehrmonatige Haft, wie sie der Phil voraussetzt, sei aber, so Gielen, zwischen der Abreise des Titus und dem vereinbarten Treffen in Troas zeitlich überhaupt nicht unterzubringen. Dabei steht und fällt Gielens Argumentation allerdings mit ihrer Berechnung der Dauer von Titus’ Reise. Gielen kommt auf eine Reisedauer von Ephesus über Griechenland nach Troas von nur etwa 23 Tagen.379 Paulus habe sich daher nach dessen Abreise eventuell noch zwei Wochen in Ephesus aufgehalten, bevor er selbst Titus entgegen nach Troas aufgebrochen sei – ein Zeitraum, in welchem besagte Haft zugegebenermaßen nicht unterzubringen ist.380 Dabei setzt Gielen jedoch ausgesprochen knappe Reisezeiten für die einzelnen Etappen an; im Falle des Landwegs von Korinth nach Philippi ist die Reisezeit fehlerhaft! Gielen rechnet hier mit nur acht Tagen.381 Da diese Strecke jedoch rund 700 km beträgt382, scheint ihrer Berechnung ein geographischer Fehler zugrunde zu liegen. Selbst bei einer hohen Reisegeschwindigkeit von über 30 km je Tag sind hierfür drei Wochen reine Reisezeit zu veranschlagen383, so dass bei Gielen eine Abweichung von gut zwei Wochen vorliegt. Ursächlich hierfür dürfte ein Missverständnis der aus Apg 20 zu rekonstruierenden Angaben zur Reisedauer auf der ähnlich weiten Strecke von Ephesus nach Philippi sein. So heißt es bei Gielen: „Wenn
376 377
378 379 380 381 382 383
hin, dass es sich hier um eine neue, den Empfängern unbekannte Nachricht handelt. Die Verbindung einer möglichen ephesischen Haft mit dem in 1. Kor 15,32 erwähnten Kampf mit wilden Tieren in Ephesus und eine frühere Datierung der Haft ist eher unwahrscheinlich (vgl. Mller, Philipper, 19; anders: Lindemann, Erster Korintherbrief, 352). Gielen, Paulus 2, 74. Nach Gielen, Paulus 2, 69 handelt es sich dabei um den aus ihrer Sicht nicht erhaltener Tränenbrief. M.E. ist jedoch eher davon auszugehen, dass Titus 2. Kor 10 – 13 überbringt. Zur Rekonstruktion der zweiten Korintherkorrespondenz vgl. 6.1.2. Vgl. Gielen, Paulus 2, 70. Vgl. ebd., 70. Vgl. ebd., 70 f. Vgl. ebd., 70. Http://www.viamichelin.de/web/Routenplaner gibt für die Entfernung vom historischen Korinth nach Philippi 736 km an. Die Mehrheit der Forschung rechnet mit einer Reisegeschwindigkeit zu Fuß von etwa 30 km je Tag (Rapske, Acts, Travel and Shipwreck, 6). Dies entspricht ungefähr 20 römischen Meilen (1 römische Meile = 1,481 m).
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man nun für die Strecke Ephesus – Philippi rund eine Woche Reisezeit veranschlagen darf, wird die Bewältigung der Route Korinth – Philippi kaum wesentlich länger gedauert haben.“384 Die kürzeste Reisedauer zwischen Ephesus und Philippi errechnet sich jedoch aufgrund einer in Apg 20,13 – 15 geschilderten Schiffsreise von Philippi (bzw. Neapolis) über Troas nach Milet, südlich von Ephesus. Lukas’ Zeitangaben beziehen sich nicht auf den Landweg! Mit dieser Fehleinschätzung der Reisedauer für die Strecke Korinth – Philippi dürfte ein weiterer Punkt zusammen hängen, der bei Gielen zur These einer für eine Haft nicht ausreichenden Zeit zwischen Titus’ Abreise in Korinth und dem veranschlagten Treffen in Troas führt. Gielen rechnet außer mit einem etwa fünftägigen Aufenthalt in Korinth, während dessen Titus in Verbindung mit dem überbrachten Brief den dortigen Konflikt entschärft, mit keinem weiteren Aufenthalt in den von Paulus’ Mitarbeiter passierten Gemeinden.385 Dann stellt sich jedoch die Frage, warum Titus dem Apostel überhaupt auf diesem erheblichen Umweg nach Troas entgegengehen soll386, und dies im Besonderen vor dem Hintergrund von Gielens Erwägungen zur Reisedauer Ephesus – Korinth und der verbleibenden Zeit bis zu Paulus’ Abreise nach Troas. Für die Reise nach Korinth und zurück würde Titus Gielen zufolge fünf Tage je Richtung benötigen.387 Inklusive des von ihr angenommenen fünftägigen Aufenthalts in der Konfliktgemeinde könnte er nach rund zwei Wochen wieder bei Paulus in Ephesus sein. Aber gerade so lange, mutmaßt Gielen, habe sich der Apostel wohl noch nach Titus’ Abreise in der Stadt aufgehalten.388 Warum hat er dann aber seinen Mitarbeiter angewiesen, anstatt zurück nach Ephesus zu kommen, durch Griechenland und Makedonien zu ziehen? Die nächst liegende Erklärung für diese umständliche Reise scheint diejenige, dass Titus dort weitere Aufgaben für den Apostel zu erfüllen hatte. Ein weiterer Aufenthalt in einer der Gemeinden der Achaia wäre gerade angesichts der dort anstehenden Kollekte gut vorstellbar (vgl. 2. Kor 9). In Makedonien liegen Beröa, Thessalonich und Philippi auf dem Weg, wo jeweils ein Aufenthalt des Titus möglich erscheint. Dann stellt aber eine mehrmonatige Gefangenschaft des Paulus während dieser Zeit kein grundsätzliches Problem dar.389 Ist inklusive des Aufenthalts in Korinth bereits mit einer Reisezeit von 384 Gielen, Paulus 2, 70. 385 Vgl. ebd., 70. 386 Dieses Problem wird von Gielen anscheinend aufgrund ihrer Fehleinschätzung der Reisedauer Korinth – Philippi nicht realisiert. 387 Vgl. Gielen, Paulus 2, 70. 388 Vgl. ebd., 70. 389 Die rekonstruierbare Kommunikation zwischen Philippi und Ephesus setzt, möchte man nicht mit zu knappen Reisezeiten und Pausen zwischen den einzelnen Reisebewegungen rechnen, eine zwei- bis dreimonatige Haft voraus. Nach http://www.viamichelin.de/web/Routenplaner beträgt der Landweg auf kürzester Route von Ephesus in die Region um das antike Troas etwa 380 km, so dass mit 12 – 15 Tagen für diese Etappe kalkuliert werden muss. Alternativ bietet sich die Möglichkeit analog der Apg 20,13 – 15 geschilderten Reise von Troas ins südlich von
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Abfassungssituation
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etwa 40 Tagen zu rechnen, so kann Titus’ Reise inklusive weiterer Aufenthalte durchaus mehrere Monate in Anspruch nehmen und der verabredete Zeitpunkt für das Zusammentreffen in Troas z. B. drei Monate nach Titus’ Abreise aus Ephesus liegen.390 Gielens These, eine längere ephesische Haft sei aufgrund der aus 2. Kor zu gewinnenden Angaben ausgeschlossen, ist somit nicht haltbar. Vielmehr ist auch nach ihrer Intervention die Abfassung des Phil während einer ephesischen Haft des Apostels weiterhin als eine realistische Option zu erachten. Eine ephesische Abfassung besitzt gegenüber Rom sowie Caesarea vor allem zwei Vorteile: Die bessere Erklärbarkeit I.) der regen Kommunikation zwischen Paulus und den Philippern, II.) der Behandlung der Israelthematik in Phil 3 vor Röm 9 – 11. Zu I.) Zwar ist es korrekt, wenn Gielen herausstellt, dass im Falle einer nach Apg 28,30 zweijährigen römischen Haft selbst fünf Reisebewegungen zwischen Haftort und Gemeinde durchaus möglich sind.391 Jedoch scheint es sinnvoll, über diese theoretische Möglichkeit hinaus die Kommunikationsanlässe in die Erwägung mit einzubeziehen. Aus dem Phil lassen sich vier oder fünf Reisebewegungen erschließen392 : 1.) Da nach 4,14 die Geldspende der Gemeinde offenbar gezielt mit der paulinischen Haft in Verbindung steht, haben die Philipper zunächst von der Inhaftierung des Apostels erfahren. 2.) Die Spende wird von Epaphroditus überbracht (4,18). 3.) Dieser erkrankt am paulinischen Haftort schwer ; die Nachricht von seiner Erkrankung erreicht Philippi. 4.) Eventuell erfahren Paulus und Epaphroditus von den Auswirkungen dieser Nachricht in der Gemeinde.393 5) Epaphroditus überbringt den Brief nach Philippi. Während sich 1., 2. und 5. mit der Romthese vereinbaren lassen, werfen vor allem die Reisebewegung 3 und 4 diesbezüglich Fragen auf.
390
391 392 393
Ephesus gelegene Milet eine Schiffspassage entlang der kleinasiatischen Küste an. Folgt man den Angaben des Lukas (fünf Tage bis Milet) dann könnte der Weg von Ephesus nach Troas in vier bis fünf Tagen zurückgelegt werden (vgl. Mller, Philipper, 18). Nimmt man nach Apg 20,6 fünf Tage für die anschließende Überfahrt nach Makedonien und den Weg von Neapolis nach Philippi an, so wird eine Reisebewegung zwischen zehn Tagen (reine Schiffpassage) und etwa drei Wochen (See- und Landweg) in Anspruch genommen haben. Hier ließe sich zudem erwägen, ob Paulus’ Beunruhigung über Titus’ Ausbleiben in Troas (2,13) nicht eventuell mit seinem eigenen verspäteten Eintreffen zusammenhängt. Möglicherweise ist der Apostel deshalb so beunruhigt darüber, Titus in Troas nicht anzutreffen, weil der verabredete Zeitpunkt schon länger zurückliegt. Paulus selbst könnte aufgrund seiner Inhaftierung zu spät in Troas eingetroffen sein, Titus ist jedoch immer noch nicht dort. Gielen, Paulus 2, 70 nimmt hier an, Paulus habe „als erfahrener Reisender (…) gewiss einige Tage aufgrund möglicher Widrigkeiten eingerechnet.“ Allerdings sei ihm aus Sorge um die Gemeinde in Korinth „eine solche geringe Verspätung (…) wie eine Ewigkeit vorgekommen“. Vgl. Gielen, Paulus 1, 87; dahingehend auch Schnelle, Einleitung, 155; Bockmuehl, Philippians, 31 f. Vgl. auch Gielen, Paulus 1, 87. Dies ist aus 2,26 zwar nicht sicher zu entnehmen, allerdings wahrscheinlich. Zur Rekonstruktion der Ereignisse im Zusammenhang mit dem Gemeindegesandten Epaphroditus vgl. 3.3.1.
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Einleitung
Selbst bei den ausgesprochen knappen Berechnungen von zwei Wochen für die Seereise und vier Wochen über Land394, muss der Sinn dessen, die Botschaft von einer schweren Erkrankung zu überbringen, angezweifelt werden. Binnen dieses Zeitraums ist mit einer grundsätzlichen Änderung des Zustands des Erkrankten, sei es zum Guten oder zum Schlechten, zu rechnen.395 Hier ließe sich allenfalls daran denken, dass diese Nachricht eher zufällig über „das Hörensagen“396 Philippi erreicht hat.397 Sollten die Philipper zudem Paulus von deren Auswirkungen bei ihnen benachrichtigt haben, so scheint auch dies besser mit einem näher gelegenen Haftort zu harmonieren. Bei der großen Entfernung nach Rom wäre es sinnvoll, zunächst weitere Nachrichten oder gar die Rückkehr des Genesenen abzuwarten. Und wenn eine in Philippi entstandene Konfliktsituation zu eskalieren droht, so ist die Kontaktaufnahme mit Paulus und dem erkrankten Gesandten vor allem dann sinnvoll, wenn in Kürze eine Rückmeldung zu erwarten und somit eine schnelle Intervention möglich ist. Bei einer Haft in Ephesus wäre eine die Situation entspannende Reaktion des Apostels binnen drei bis vier Wochen möglich.398 Nimmt man allerdings Rom als Abfassungsort des Phil an, ist selbst bei günstigstem Reiseverlauf mit mindestens anderthalb bis zwei Monaten zu rechnen.399 Liefert die Einbeziehung der Kommunikationsanlässe in die Erwägungen auch zweifellos keine zwingend für oder gegen einen der möglichen Abfassungsorte sprechenden Gründe, so sind diese doch im Rahmen der Gesamtschau der Argumente zusätzlich zur rein theoretischen Möglichkeit einer ausführlichen Kommunikation zwischen Apostel und Gemeinde zu berücksichtigen. Die Kommunikationsanlässe sprechen eher für Ephesus denn für Rom oder Caesarea. Zu II.) Hebt Paulus in Röm 3,2 f und vor allem in 9,4 f die jüdischen Vorzüge hervor, so bezeichnet er diese in Phil 3,8 als sj¼baka (Ausscheidungen, Kot). An diesem Punkt scheinen die Aussagen von Phil und Röm nur schwer miteinander vereinbar.400 Ließe sich dies eventuell mit einer unterschiedlichen 394 Vgl. Gielen, Paulus 1, 87; Schnelle, Einleitung, 155. 395 Zugespitzt ließe sich formulieren: Entweder ist der Betreffende genesen oder zwischenzeitlich verstorben. Zum Umgang mit schweren als auch unheilbaren Krankheiten vgl. von Staden, Incurability and Hopelessness. Von Staden verweist auf Beispiele aus dem Corpus Hippocraticum u. a. für das Verständnis der Heilungsbemühungen als eines Wettlaufs, in welchem der Arzt der Krankheit zuvorkommen muss (vgl. 97 f). 396 Beck, Kommunikation, 200. 397 Vgl. ebd., 202. 398 Zur Reisedauer Ephesus – Philippi vgl. Anm. 389. 399 Auch die angekündigte Sendung des Timotheus (2,19.23) mit dem Ziel, über die Lage der Gemeinde Kenntnis zu erhalten, – hierbei würde es sich um die fünfte bzw. sechste Reisebewegung handeln – scheint von einem näher gelegenen Haftort aus sinnvoller, nicht zuletzt, weil Paulus auch sein eigenes baldiges (V. 24: taw´yr) Kommen ankündigt. Dies wäre schwer vereinbar, damit, dass er zunächst die Entwicklung seiner Situation abwarten (V. 23), dann Timotheus senden und erst nach dessen Rückkehr (V. 19) selbst nach Philippi reisen möchte (vgl. Michaelis, Philipper, 50; Mller, Philipper, 128). 400 Vgl. Mller, Brief aus Ephesus, 164 f.168.
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Abfassungssituation
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Briefsituation erklären, ist derlei Erklärung bezüglich der heilsgeschichtlichen Stellung Israels problematischer. In Röm 11,23 – 32 entwickelt Paulus die Vorstellung einer Wiedereingliederung und Errettung des ungläubigen Teils Israels. Welch große Bedeutung diese Vorstellung für ihn hat, wird deutlich einerseits aus der Beschreibung seines Leidens am Geschick seiner „Verwandten nach dem Fleisch“ (9,2 f; 10,1)401, andererseits aus dem Lobpreis Gottes für deren zukünftige Errettung (11,33 – 36). Selbst wenn es sich bei der Reflexion über das Geschick Israels in Röm 9 – 11 um eine durch die Briefsituation veranlasste Klarstellung des Verhältnisses des Heidenapostels zum Volk Israel und dessen göttlicher Erwählung handelt, darf nicht übersehen werden, dass diese jetzt notwendig gewordene Reflexion offenbar zu einem für Paulus persönlich höchst bedeutsamen Erkenntnisfortschritt führt.402 Nach Gielen sei nunmehr „zu beachten (…), dass man Phil 3 nicht gegen Röm 9 – 11 ausspielt, wo die Frontstellung Heidenchristen vs nichtchristusgläubige Juden bestimmend“403 sei. Den Hintergrund von Phil 3 hingegen bilde eine „innerchristliche(.) Auseinandersetzung“404. Allerdings weitet Paulus diese Auseinandersetzung eben auf besagtes Gegenüber von „Heidenchristen vs nichtchristusgläubige Juden“405 aus, wenn er der jüdischen Beschneidung als Zerschneidung (jatatol¶) die Christen als die wahre Beschneidung (peqitol¶) entgegensetzt (V. 2b.3a) und seine jüdischen Vorzüge anführt, welche er in der Folge radikal abwertet (V. 5ff).406 Dass Paulus einen innerchristlichen Konflikt aber in solch radikaler Weise verallgemeinert, erscheint nach der von ihm in Röm 9 – 11 dargebotenen Erkenntnis zumindest eine problematische Vorstellung.407 Somit ist auch unter dem Gesichtspunkt der Israelthematik, wie 401 Vgl. insbesondere 9,3: „Denn ich selbst wünschte verflucht zu sein, von Christus getrennt, um meiner Brüder, meiner Verwandten nach dem Fleisch willen“ (gqwºlgm c±q !m²hela eWmai aqt¹r 1c½ !p¹ toO WqistoO rp³q t_m !dekv_m lou t_m succem_m lou jat± s²qja). 402 Bei Gielen, Paulus 1, 101ff besteht die Tendenz, Paulus’ Leiden am Geschick Israels gegenüber der „Situationsgebundenheit seiner Briefe“ (101) zu relativieren. Schnelle, Paulus, 410 erachtet Phil 3,2 – 11 ebenfalls als durch die Situation veranlasst: „Die scharfen Aussagen über den Bruch mit seiner jüdischen Vergangenheit sind zweiffellos durch die anhaltende Agitation judaistischer Gegenmissionare bedingt, und sie korrigieren nicht, was Paulus in Röm 11,25 f für Israel erhofft.“ Allerdings klingt diese Hoffnung in Phil 3 nirgends an, und die scheinbare Spannung zu Röm 11,25 f, wo eine mit 1. Thess 2,14 – 16 „unvereinbar[e] (…) Revision der paulinischen Haltung“ (684) zur Israelthematik begegne, bleibt bei Schnelle ungeklärt. Vielmehr geht er im Abschnitt über „Das Geschick Israels“ (vgl. 681ff) auf Phil 3, insbesondere auf Paulus’ Gegenüberstellung von „Zerschneidung“ und den Christen als „die Beschneidung“ (3,2b.3a), nicht ein (desgleichen bereits in ders., Wandlungen, 77ff). 403 Gielen, Paulus 1, 102 f. 404 Ebd., 103. 405 Ebd., 103. 406 Vgl. Mller, Brief aus Ephesus, 165 f. 407 Dies gilt umso mehr, wenn es sich bei Phil 3,2 – 4 nur um eine Warnung vor potentiell in Philippi auftretenden Gegnern handeln sollte (vgl. 3.2.1 und 3.2.5). Auch Gielen sieht „keine akute Gefährdung der Gemeinde“ (Paulus 1, 103; vgl. auch 95) durch judenchristliche Gegner.
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Einleitung
bereits unter demjenigen der Kommunikationsanlässe, eine Abfassung des Phil vor dem Röm und damit in Ephesus wahrscheinlicher denn in Caesarea oder Rom.408 Gleichzeitig erscheint keines der für eine Abfassung des Phil in Rom angeführten Argumente zwingend. Dass Paulus den Statthalterpalast in Ephesus als Prätorium bezeichnet, selbst wenn diese Bezeichnung dort nicht üblich gewesen sein sollte, ist nicht auszuschließen, zumal deren Verwendung durch weitere neutestamentliche Autoren auf ihre Geläufigkeit hinweist.409 Es ist nicht notwendigerweise davon auszugehen, dass Paulus hier die exakte römische Bezeichnung gebraucht.410 Die Existenz kaiserlicher Sklaven oder Freigelassener muss nicht ausschließlich auf Rom deuten411, wenn diese auch hier am weitaus stärksten vertreten sein dürften.412 Nicht zuletzt ist eine Identifizierung der Haftsituation mit Lukas’ Beschreibung der römischen Haft keineswegs unproblematisch. Nach Apg 28,16.30 wird Paulus gestattet, in einem Mietshaus zu wohnen. Es dürfte sich hierbei um die sog. „custodia militaris“ handeln, einen „Hausarrest“413 unter Bewachung durch Soldaten.414 Eine solche Form der Gefangenschaft deutet sich in Phil 1 nicht an. Die finanzielle Unterstützung des inhaftierten Apostels erinnert eher an eine übliche Praxis, um die Situation von Gefängnisinsassen zu verbessern.415 Entsprechend geht Bockmuehl davon aus, Phil sei erst nach einer Änderung der Situation, „probably after 62“416, verfasst.417 Schließlich ist auch das Fehlen eines Hinweises auf die Kollekte mit einer Abfassung des Phil bereits in Ephesus vereinbar. Dass Paulus die Kollekte nicht erwähnt, könnte damit zusammenhängen, dass diese in Makedonien noch nicht angelaufen ist.418 Näher liegt m. E. allerdings die Annahme, dass in den Gemeinden Makedoniens die Kollekte problemlos verläuft, so dass er die Adressaten nicht gesondert hierzu ermahnen muss.419 In diese Richtung deutet 2. Kor 8,1 – 6. Der Apostel verweist hier die Korinther ausdrücklich auf die Spendenbereitschaft in Makedonien (V. 2).420 408 Vgl. Mller, Brief aus Ephesus, 170. Müller geht noch weiter : „Der Phil ist in seinem dritten Kapitel nur plausibel zu machen, wenn er wie der Gal vor den grundlegenden Klarstellungen des Röm zu verorten ist“ (170 [Hervorhebung Müller]). 409 Vgl. Mt 27,7; Mk 15,16; Joh 18,18.33; 19,9; Apg 23,35. Zum verschiedenartigen paganen Gebrauch der Bezeichnung vgl. Gnilka, Philipperbrief, 57; Campbell, Praetorium, 264. 410 Vgl. auch Mller, Brief aus Ephesus, 158. 411 Vgl. Gnilka, Philipperbrief, 21. 412 Vgl. Bockmuehl, Philipppians, 30 f. 413 Omerzu, Prozeß, 499. 414 Vgl. ebd., 499. 415 Vgl. Anm. 358. 416 Bockmuehl, Philippians, 32. 417 Vgl. ebd., 32. 418 Vgl. Becker, Paulus, 27; Mller, Brief aus Ephesus, 158 f. 419 Vgl. Mller, Brief aus Ephesus, 159. 420 Bei den von Schnelle als ein weiteres Indiz für „ein Fortschreiten der Gemeindesituation in
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Die Frage der literarischen Einheitlichkeit
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Lässt sich zwar eine Abfassung des Phil in Rom oder Caesarea Maritima nicht generell ausschließen, so macht allerdings die bessere Erklärbarkeit sowohl der Kommunikation zwischen Paulus und den Philippern als auch der Israelthematik in Phil 3 vor Röm 9 – 11 Ephesus als Abfassungsort wahrscheinlicher. Im Rahmen dieser Untersuchung wird zu fragen sein, ob sich eventuell in der Forschungsdiskussion bisher unberücksichtigte Indizien ergeben, welche diese Annahme erhärten können.
1.6 Die Frage der literarischen Einheitlichkeit Phil ist neben 2. Kor derjenige echte Paulusbrief, dessen literarische Einheitlichkeit am häufigsten infrage gestellt wird. Verschiedene Beobachtungen werden für eine redaktionelle Komposition aus ehemals eigenständigen Briefen angeführt421: 1.) Zu Anfang von Phil 3 findet sich ein auffällig harter Übergang. Auf den Aufruf zur Freude in 3,1 folgt in V. 2 anscheinend unvermittelt ein scharfer Angriff auf eine jüdische oder judenchristliche Gegenposition – Gegner, auf die in den ersten beiden Kapiteln nichts hinzudeuten scheint. Gleichzeitig begegnet in 4,4 ein neuerlicher Aufruf zur Freude, welcher an 3,1 anschließen könnte. In Phil 3 wiederum fehlen unmittelbare Bezugnahmen auf Paulus’ Gefangenschaft, was einen Hinweis darauf geben könnte, dass diese zur Zeit der Abfassung bereits beendet gewesen ist. Darüber hinaus finden sich mit der Empfehlung des Timotheus und des Epaphroditus und der Äußerung von Reiseplänen in 2,19 – 30 sonst am Briefschluss begegnende Elemente. 2.) Paulus bedankt sich für die Spende der Philipper erst am Ende des Briefes in 4,10 – 20. Der Dank erfolgt somit in zweierlei Hinsicht auffallend spät: Zunächst innerhalb des Briefes selbst, was die Frage aufwirft, ob Paulus nicht allein anstandshalber bereits zu Beginn der Gemeinde für ihre Unterstützung hätte danken müssen, und ob ein solch nachgeordneter Dank nicht geradezu die Empfänger brüskieren müsse. Zudem scheint dessen Stellung die abschließende Paraklese zu unterbrechen. Sodann bedankt sich Paulus auch zeitlich ausgesprochen spät für die Spende, da diese schon vor geraumer Zeit von Epaphroditus überbracht wurde und in der Folge mindestens eine Reisebewegung vom Haftort nach Philippi stattRichtung auf die Pastoralbriefe“ (Einleitung, 154) angesehen 1p¸sjopoi in Phil 1,1 könnte es sich um eine lokale Entwicklung innerhalb der philippischen Gemeinde handeln (vgl. 1.4.2; vgl. auch Pilhofer, Philippi 1, 146 f). Auch abgesehen davon lässt die singuläre Erwähnung der 1p¸sjopoi schwerlich den Schluss auf eine Entwicklung der paulinischen Gemeindeämter zu. 421 Vgl. u. a. Walter, Philipper, 17ff; Eckey, Philipper, 10ff; Reumann, Philippians, 9 f. Einen Überblick über die für und gegen eine Briefteilung vorgebrachten Argumente bieten u. a. Bieberstein, Brief nach Philippi, 3ff sowie unter besonderer Berücksichtigung des neueren Forschungsdiskussion Theobald, Philipperbrief, 367 ff.
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Einleitung
fand.422 3.) In 4,4 – 7 und 4,8 – 9 könnten zwei miteinander konkurrierende Schlussmahnungen vorliegen, welche ursprünglich unterschiedlichen Briefen angehört haben. 4.) Hinzu tritt ein Hinweis im Brief des Polykarp von Smyrna an die Philipper. Polykarp, Phil 3,2 redet von „Briefen“, welche der abwesende Paulus an die Philipper geschrieben habe.423 5.) Ein weiteres Argument gegen die Einheitlichkeit des Phil wurde in der neueren Forschung von Philip Sellew vorgebracht. Sellew zufolge deutet neben dem Polykarpbrief der pseudepigraphische Brief des Paulus an die Laodizener auf die Existenz ursprünglich mehrerer Philipperbriefe hin, welche später zum kanonischen Phil zusammengestellt wurden. Besteht der Laodizenerbrief mehrheitlich aus Zitatanspielungen auf Phil, so finde sich jedoch kein einziger Bezug zu 3,2 – 4,3 und 4,10 – 20. Hieraus schließt Sellew, dem Verfasser habe offenbar ein Exemplar des Phil ohne diese Abschnitte vorgelegen.424 Diese Beobachtungen führen vielfach zu der Annahme, Phil gehe in seiner vorliegenden Gestalt auf einen Redaktor zurück, welcher zwei oder drei ehemals eigenständige Briefe nachträglich zusammengefügt habe. 1,1 – 3,1; 3,2 – 4,1 und des Öfteren auch 4,10 – 19(20) werden unterschiedlichen Briefen zugeordnet.425 Die exakte Zuordnung der einzelnen Mahnungen in 4,2 – 9, des Postskripts, sowie von 3,1b ist dabei umstritten.426 Sofern 4,10 – 19(20) nicht zu 1,1 – 3,1 gezählt wird427, gilt dieser Abschnitt als der erste Brief des inhaftierten Apostels an die Gemeinde, als ein Dankschreiben für deren Spende. Darauf folge 1,1 – 3,1, worin Paulus n äher auf seine Haftsituation eingehe und die Gemeinde zur Einheit ermahne. Erst später nach seiner Haftentlassung reagiere der Apostel mit 3,2 – 4,1 auf eine neu eingetretene Konfliktsituation.428 Hinsichtlich der neueren Forschungsgeschichte ergibt sich bei der Frage der Einheitlichkeit des Phil ein ähnliches Bild wie bei derjenigen nach dem
422 423 424 425
Vgl. 1.5.2. fr ja· !p½m rl?m 5cqaxem 1pistok²r. Vgl. Sellew, Laodiceans, 20 ff. Eine Zweiteilung vertreten u. a. Gnilka, Philipperbrief, 10; Becker, Paulus, 327; Theobald, Philipperbrief, 372 f. Mit drei redaktionell miteinander verknüpften Briefen rechnen u. a. Bormann, Philippi, 118; Walter, Philipper, 20; Eckey, Philipper, 15ff; Reumann, Philippians, 3; Standhartinger, Join in imitating me, 418 ff. Vorsichtig für eine Briefteilung, allerdings ohne sich auf eine Zwei- oder Dreiteilung festzulegen, Bieberstein, Brief nach Philippi, 5. Für die Einheitlichkeit des Phil plädieren in der aktuellen Forschung neben den unten Angeführten u. a. Schnelle, Einleitung, 159 sowie die Mehrheit des englischsprachigen Exegeten. 426 Zuweilen ebenfalls strittig ist die Zuordnung von 4,1 (vgl. Reumann, Philippians, 3, 605). 427 Vgl. u. a. Becker, Paulus, 327. 428 Vgl. exemplarisch Walter, Philipper, 20.
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Die Frage der literarischen Einheitlichkeit
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Abfassungsort.429 Nachdem Ernst Lohmeyer Phil als einen einheitlichen, in seinem Aufbau am Gesichtspunkt des Martyriums orientierten Brief interpretiert hatte430, setzte sich in der deutschsprachigen Exegese nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs mehrheitlich die Annahme einer Briefteilung durch. Allerdings ist auch hier gegenwärtig eine Veränderung wahrnehmbar, indem seit den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts wieder verstärkt die Einheitlichkeit des Phil vertreten wird. Dabei werden die auf eine eventuelle Briefkomposition hinweisenden Spannungen auf unterschiedliche Weise erklärt: Ulrich B. Müller nimmt an, Paulus sei, nachdem er mit den Empfehlungen für Timotheus und den Briefüberbringer Epaphroditus bereits zum Ende angesetzt habe, zu einer mehrwöchigen Diktierpause gezwungen gewesen. In dieser Zeit habe er neue Nachrichten von in Philippi aufgetretenen Gegnern erhalten, was ihn dazu veranlasste, in 3,2 ff eine Reaktion einzuschalten.431 Ralph Brucker erklärt den Aufbau von Phil unter rhetorischem Gesichtspunkt.432 Es handle sich um „ein rhetorisch vollständiges Schreiben der beratenden Gattung (c´mor sulboukeutijºm / genus deliberativum)“433. Der vielfach als Bruch wahrgenommene harte Übergang von 3,1 zu 3,2 gehöre zu den „rhetorischen Mittel[n] zur Steigerung der Aufmerksamkeit“434. Peter Wick erkennt einen ausgesprochen planvollen Aufbau des Phil durch Paulus. 1,12 – 2,30 und 3,1 – 4,20 bestünden jeweils aus fünf einander parallelen Unterabschnitten.435 Darüber hinaus greife der Apostel zur Briefgestaltung sowohl auf „epistolographische Elemente und Traditionen“436, insbesondere auf den antiken Familienbrief437, als auch auf rhetorische Elemente zurück.438 Des Weiteren weisen u. a. Brucker und Christian Strecker auf motivische und terminologische Bezüge der einzelnen Briefteile untereinander hin, insbesondere auf terminologische Entsprechungen zwischen dem sogenannten Christushymnus (2,6 – 11) und 429 Zur Forschungsgeschichte vgl. Wick, Philipperbrief, 16ff; Reed, Discourse Analyis, 125ff; Schenk, Neuere Forschung, 3280 ff. Offenbar bestreitet erstmals 1803 Johann Heinrich Heinrichs die Einheit von Phil und sieht in „,3,1 – 4,20 … ein Brieffragment, das nur an die vertrauteren Freunde in der Gemeinde gerichtet ist‘“ (Wick, Philipperbrief, 17; vgl. auch Reed, Discourse Analysis, 127). 430 Vgl. Lohmeyer, Philipper, 5 ff. 431 Vgl. Mller, Philipper, 11 ff. Dass diese Pause „etwas länger, d. h. vielleicht einige Wochen gedauert hat“ (12), schließt Müller aus einer seines Erachtens veränderten Situation sowohl in Philippi (Auftreten von Gegnern) als auch am Haftort des Paulus (keine weitere Gefahr eines Todesurteils; zwischenzeitlich erfolgte Bekehrung von Personen, denen Paulus im Prätorium das Evangelium verkündigt habe [1,13], „derjenigen aus des Kaisers Haus“ [4,22]). 432 Vgl. Brucker, Christushymnen, 290 ff. 433 Ebd., 299. 434 Ebd., 345; vgl. auch 283. 435 Vgl. Wick, Philipperbrief, 39 ff. Ebenfalls von der Briefstruktur ausgehend votiert Bloomquist, Suffering in Philippians, 97ff für die Einheitlichkeit des Phil. 436 Wick, Philipperbrief, 159. 437 Vgl. ebd., 153 ff. 438 Vgl. ebd., 166 ff.
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Einleitung
Phil 3.439 Müller hebt die Berührungspunkte zwischen dem Proömium und Phil 4,10 – 20 hervor.440 Gleichzeitig ergeben sich einige Einwände gegen die für Teilungshypothesen vorgebrachten Argumente: 1.) Dass Paulus ab Phil 3,2 auf Gegner zu sprechen kommt, geschieht auch nach der zuvor weitgehend positiven Stimmung des Briefs nicht völlig unerwartet. Bereits in 1,17 erwähnt der Apostel Gegner an seinem Haftort. Und die wiederholte Mahnung an die von außen bedrohte Gemeinde (vgl. 1,27 – 30) zur Einheit (1,27; 2,2) und zu einer demütigen Gesinnung untereinander (2,3 f) könnte auf Konflikte oder Spannungen hindeuten.441 Zwar fehlen Hinweise auf eine jüdische oder judenchristliche Gegnerfront, was sich allerdings dann erklären würde, wenn Paulus in 3,2 – 11 nur prophylaktisch auf eine potentielle Gefährdung durch derartige Gegner verweist bzw. hier eine exemplarische Gegenposition anführt. Des Weiteren ist zu fragen, ob die bedrohliche Situation des inhaftierten Apostels in Phil 3 wirklich nicht anklingt. Die Beantwortung dieser Frage hängt entscheidend von der Auslegung von 3,10, Paulus’ Rede von einer Gleichgestaltung mit Christi Tod, ab. Ist diese Gleichgestaltung futurisch zu verstehen, dann lässt sie sich auf seinen eventuell bevorstehenden Tod442 und das nach 1,19 – 26 mögliche Todesurteil beziehen. Ebenfalls problematisch erscheint bei der Annahme der ehemaligen Eigenständigkeit der Auseinandersetzung mit den Gegnern in Phil 3, dass die genaue Abgrenzung des Briefteils nach vorne (Zugehörigkeit von 3,1b) und vor allem nach hinten (4,1 – 3) strittig ist.443 2.) Unsicher ist, ob 4,10 – 19(20) wirklich als eigenständiges Dankschreiben fungieren kann. Schnelle erachtet es als „höchst auffällig, daß der Dank für die konkrete Gabe so in den Hintergrund tritt“444. Und Müller verweist darauf, dass es nicht primär die Spende selbst, sondern die Handlung der Philipper ist, die Paulus als „etwas Gott Wohlgefälliges“445 lobt. V. 11 – 13 betont der Apostel sogar, er bedürfe der Spende an und für sich überhaupt nicht.446 Darüber hinaus spielt Paulus in der besonders ausführlichen Danksagung an Gott innerhalb des Proömiums bereits auf die Spende an (vgl. 1,5.7), so dass sich durchaus bereits am Briefanfang eine positive Reaktion auf diese findet.447 Dass Paulus erst nach geraumer Zeit schriftlich für die Spende dankt, könnte zudem mit einer Haftsituation zusammenhängen, in 439 Vgl. Brucker, Christushymnen, 287 ff.; Chr. Strecker, Liminale Theologie, 175 ff. Strecker betont zudem die strukturellen Parallelen zwischen 2,6 – 11 und 3,2 – 21. Vgl. zur terminologischen Rezeption des sog. Hymnus auch die (allerdings ungenaue) Übersicht bei Bloomquist, Suffering in Philippians, 165. 440 Mller, Philipper, 49; vgl. bereits Lohmeyer, Philipper, 6, 177 f; vgl. auch 5.2.4. 441 Vgl. auch Schnelle, Einleitung, 158. 442 Vgl. Lohmeyer, Philipper, 139 f. 443 Vgl. Brucker, Christushymnen, 282. 444 Schnelle, Einleitung, 159; vgl. auch Mller, Philipper, 203. 445 Mller, Philipper, 203; vgl. 4,18. 446 Vgl. Friedrich, Philipper, 127; Mller, Philipper, 210. 447 Vgl. Mller, Philipper, 42 ff.
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Die Frage der literarischen Einheitlichkeit
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welcher es dem Apostel nicht möglich bzw. gestattet war, einen Brief zu verfassen.448 3.) Die Schlussmahnungen 4,4 – 7 und 8 – 9 stellen inhaltlich keine Doppelung dar und auch die Verheißungen in V. 7 und 9b sind inhaltlich nicht identisch miteinander.449 Daher stellt sich die Frage, ob nicht in V. 4 – 9 vielmehr ein logischer Aufbau vorliegt.450 4.) Der Verweis auf Polykarp, Phil 3,2 ist insofern problematisch, als 11,3 von nur einem Brief redet.451 5.) Das von Sellew in die Diskussion eingebrachte argumentum e silentio ist unsicher, da der Laodizenerbrief gerade zwanzig Verse umfasst, so dass hier schwerlich eine hinreichende Evidenz vorliegt. Zudem fehlen, wie Sellew selbst anmerkt, auch Bezüge zu anderen Briefabschnitten, unter anderem zu 2,6 – 11.452 Hier wird vielmehr nach den Gründen des Verfassers zu fragen sein, bestimmte Abschnitte des Phil unberücksichtigt zu lassen.453 In der umstrittenen gegenwärtigen Forschungslage könnte nunmehr gerade die Untersuchung der Verknüpfung von Christologie und Ethik im Phil weiterführende Erkenntnisse liefern. Aufschlüsse sind hier vor allem durch die Art und Weise der Rezeption des sogenannten Christushymnus, insbesondere in Phil 3, zu erwarten. Dabei wird zu untersuchen sein, ob in derart Verbindungen zu 2,6 – 11 bestehen, dass sie die Zugehörigkeit der Abschnitte zu ein- und demselben Schreiben nahe legen. Hinsichtlich des Hintergrunds der ethischen Mahnungen im Phil stellt sich die Frage, inwiefern der Brief als Ganzes auf „eine“ bestimmte Situation reagiert, und ob in Phil 3 wirklich eine veränderte Situation vorausgesetzt werden muss. Hierzu gehört auch die Frage, ob der den Ausführungen zugrunde liegende Konflikt mit sich bereits in den vorangehenden Kapiteln, insbesondere in der Paraklese 1,27 – 2,18 abzeichnenden Spannungen identifizierbar ist. Schließlich ist die Möglichkeit eines planvollen Aufbaus des Gesamtsbriefs und der eventuell gezielten späten Stellung der Auseinandersetzung mit den Gegnern sowie der Danksagung für die empfangene Spende zu erörtern.
448 Vgl. Bieberstein, Brief nach Philippi, 4. 449 V. 7 verheißt ein vom Frieden Gottes bewirktes Verbleiben innerhalb des Heilsbereichs, während V. 9b allgemein den Beistand des Gottes des Friedens ankündigt (vgl. 5.1.1). 450 Vgl. Schnelle, Einleitung, 159, der hier „eine stringent fortschreitende Gedankenfolge“ sieht. 451 Vgl. ebd., 160. Auch Becker, Paulus, 331 lehnt diese Argument als „zusätzliche Stütze“ für seine Teilungshypothese ab. 452 Vgl. Sellew, Laodiceans, 23. 453 Vgl. dahingehend gegen Sellew Holloway, Laodiceans, 324 f: „(1) References to Paul’s imprisonment were selected. (…) (2) Only the most general doctrinal considerations and exhortations, or those consonant with Paul’s imprisonment, were selected. (…) (3) Anything specific to Paul’s relationship with the Philippians was omitted.“ Aufgrund der Konzentration auf die Gefangenschaft des Paulus übergehe der Verfasser Phil 3; ebenfalls werde der speziell an die Philipper gerichtete Dank für die Spende in 4,10 – 20 ausgeklammert (vgl. 325).
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2. Der sogenannte Christushymnus (Phil 2,6 – 11) Bei Phil 2,6 – 11 handelt es sich um den meistkommentierten Abschnitt des Philipperbriefs und einen der meistkommentierten des Neuen Testaments. Innerhalb des Briefs und in dessen Auslegungsgeschichte eine zentrale Stelle einnehmend hat nahezu jeder sich mit dem Phil beschäftigende Exeget diesen Text untersucht.1 Gleichzeitig handelt es sich aber auch um einen der meistumstrittenen Texte, und zwar sowohl hinsichtlich seines religionsgeschichtlichen Hintergrunds als auch bezüglich seiner Aussageabsicht. Nachdem längere Zeit u. a. ein Verständnis des Textes vor dem Hintergrund eines (postulierten) gnostischen Mythos Zuspruch fand2, beschränkt man sich in der gegenwärtigen Forschung vielfach auf die religionsgeschichtliche Herleitung der Einzelmotive.3 Mitunter werden diese dabei als durch einen gemeinsamen ethnisch-kulturellen Kontext miteinander verbunden erachtet.4 Nachdem bis in die erste Hälfte des 20. Jh. eine ethische Auslegung dominierte, wonach Paulus in Phil 2,6 – 11 die Vorbildhaftigkeit Christi schildere, wurde in der Folge nicht nur eine vorbildethische Zielsetzung abgelehnt, sondern auch ethische Implikationen innerhalb des als vorpaulinisch erachteten Abschnitts bestritten.5 Dem Text wird seither vornehmlich eine soteriologische Intention zugeschrieben.6 Vorrangig in der jüngeren englischsprachigen Forschung 1 So bemerkt schon Zahn, Altes und Neues, 244 zu Beginn seiner Untersuchung, dass sich „das richtige Verständnis wesentlich schon bei Chrysostomos finde“ und er „bekenne, daß ich den Entwurf zu den nachstehenden Ausführungen bereits in den Ofen zu werfen geneigt war, als eine nochmalige Betrachtung der schon erwähnten neuesten Monographie über unsere Stelle [Weissenbach, 1884] mich davon abhielt.“ 2 Vgl. Ksemann, Kritische Analyse, 69 ff, 80. Käsemann sieht den religionsgeschichtlichen Hintergrund von Phil 2,6 – 11 in einem gnostischen „Mythos vom Urmensch-Erlöser“ (80). Vgl. auch Merk, Handeln aus Glauben, 179ff; G. Barth, Philipper, 46 f; Gnilka, Philipperbrief, 145 f. Einen Überblick über die unterschiedlichen Ansätze einer religionsgeschichtlichen Herleitung des Gesamttextes in der neueren Forschung bieten Gnilka, Philipperbrief, 138ff; Reumann, Philippians, 335 ff. 3 Vgl. Mller, Philipper, 96ff; Eckey, Philipper, 82 ff. 4 Vgl. Vollenweider, Metamorphose, 296. Vollenweider sieht eine Verbindung der Einzelmotive in epiphanalen Traditionen der jüdischen Angelologie. Nach Mller, Philipper, 114 besteht ein prägender Einfluss in „weisheitliche[n] Traditionen des Judentums wie des Urchristentums“. 5 Vgl. 1.3.1. 6 Vgl. u. a. Ksemann, Kritische Analyse, 71ff; Gnilka, Philipperbrief, 128ff; Hofius, Christushymnus, 65 ff. Käsemann sieht in Phil 2,6 – 11 eine Darstellung der Menschwerdung Christi und seiner Inthronisation durch Gott als universales „Heilsereignis“ (84). Nach Gnilka besingt Phil 2,6 – 11 „das Heilsgeschehen“ (Philipperbrief, 131) der bereits gegenwärtigen Kyriotes Christi (vgl. 137 f), dem der Sieg über die „gottfeindlichen Schicksalsmächte“ (128) vorangeht. Hofius zufolge handelt das Traditionsstück von der „Offenbarung der eschatologischen Kö-
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Der sogenannte Christushymnus
begegnet zudem vermehrt eine politische Auslegung im Sinne einer Entgegensetzung des Kyrios Jesus Christus zum römischen Kaiser.7 Gegenüber den unterschiedlichen Bestimmungen der Intention des Abschnitts wird jedoch anknüpfend an Nikolaus Walter auch die Möglichkeit zu erwägen sein, dass es sich in Phil 2,6 – 11 um „,reine‘ Christologie“8 ohne ein dezidiert ethisches, soteriologisches oder politisches Anliegen handelt.9 Im Anschluss an Ernst Lohmeyers Untersuchung „Kyrios Jesus“ setzte sich in weiten Teilen der Forschung die These durch, Paulus nehme in Phil 2,6 – 11 ein vorpaulinisches Traditionsstück auf. Dieser ehemals weitgehende Konsens ist in der aktuellen Forschung zerbrochen. Während im englischsprachigen Bereich mehrheitlich mit einer Abfassung durch Paulus gerechnet wird10, befürworten aktuell auch deutschsprachige Exegeten wieder vermehrt eine paulinische Verfasserschaft.11 Auf ein Traditionsstück deuten allerdings innerhalb des Abschnitts selbst sowohl sprachliche als auch theologische Beobachtungen hin, wie die folgende Untersuchung aufzeigen wird.12 Weitere Hinweise sind von der Untersuchung der paulinischen Rezeption zu erwarten. Dabei wird zu fragen sein, inwiefern der Apostel der Intention der Einzelaussagen als auch des Gesamttextes folgt. Mögliche Abweichungen können ein weiteres Indiz für eine vorpaulinische Abfassung darstellen. Infolgedessen muss eine Klärung der Verfasserfrage hier zunächst zurückgestellt werden und kann erst am Ende der Arbeit erfolgen. Stark umstritten ist gegenwärtig die Frage der Textgattung. Die seit Mitte des 20. Jh. übliche Bezeichnung als Hymnus verliert aufgrund mangelnder Übereinstimmung mit den gattungsspezifischen Charakteristika des antiken
7 8 9
10 11 12
nigsherrschaft Gottes in der Erhöhung des gekreuzigten Jesus Christus“ (Hofius, Christushymnus, 65), wobei „der Kreuzestod und die Erhöhung Jesu als das ,entscheidende‘ Ereignis gesehen [würden], in dem Gott zum Heil der ganzen Welt gehandelt“ (67) habe. Müller sieht in Phil 2,6 – 11 eine „implizite Soteriologie“ (Philipper, 114) enthalten, indem durch die übermäßige Erhöhung des aufs Äußerste Erniedrigten die Geltung des „Tun-ErgehensZusammenhang[s]“ (Christushymnus, 44) gegenüber einer vermeintlichen Schicksalsverfallenheit erneuert werde (vgl. Christushymnus, 44). Vgl. Seeley, Background; Collins, Worship, 240ff; Tellbe, Paul between Synagogue and State, 253 ff. Walter, Philipper, 61. Vgl. ebd., 61: „Es ist zu beachten, daß alle soteriologischen, vom ,Heil‘ für Menschen sprechenden Aussagen, die in der Auslegung eben schon anklangen, im Gedicht selbst fehlen. Es ist sozusagen ,reine‘ Christologie (…). Daß dieser Herr Jesus Christus mit seiner ,paradoxen Karriere‘ (…) zugleich der Heilsbringer für die Menschen ist, meint natürlich auch das Gedicht; aber das steht hier nicht im Blickpunkt der Aussagen“. Vgl. u. a. Fee, Philippians, 39ff; Collins, Origins of Christology, 363ff; Hellerman, Reconstructing Honor, 155 f; Bockmuehl, Philippians, 177 ff. Vgl. Brucker, Christushymnen, 310ff; Wick, Philipperbrief, 179. Mit einer paulinischen Abfassung allerdings nicht speziell für seinen Ort im Phil rechnet Vollenweider, Hymnus, 224. Schon für Ferdinand Christian Baur waren die inhaltlichen Auffälligkeiten in Phil 2,6 – 11 ein Grund, Phil als Ganzes für deuteropaulinisch zu erklären. Baur erkannte in dem Abschnitt eine nähe zur Gnosis und damit zum Epheser- und Kolosserbrief (vgl. Baur, Paulus, 59).
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Zur Struktur von Phil 2,6 – 11
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griechischen und römischen Hymnus zunehmend an Akzeptanz. Breit ist die Palette der vorgeschlagenen Alternativen und reicht von „hymnisches Christuslob“13 bis „Lehrgedicht“14 oder zur Charakterisierung des Abschnitts als Prosatext.15 Da sich die Gattungsfrage aufgrund diesbezüglich relevanter Ergebnisse erst am Ende der Exegese von Phil 2,6 – 11 beantworten lässt, werden vorläufig die hinsichtlich der Gattung neutralen Begriffe Traditionsstück16 oder schlicht Text17 verwendet.
2.1 Zur Struktur von Phil 2,6 – 11 Verbunden mit dem Verständnis von Phil 2,6 – 11 als eines vorpaulinischen Hymnus wurden unterschiedliche Vorschläge für dessen strophische Gliederung gemacht. Ernst Lohmeyer erkannte in dem Traditionsstück sechs Strophen zu je drei Zeilen.18 Dabei bilde V. 9, mit di¹ ja¸ eingeleitet, nicht nur inhaltlich, sondern auch sprachlich einen Neuansatz, so dass in den Strophen 1 – 3 (V. 6 – 8) und 4 – 6 (V. 9 – 11) „zwei genau gleiche Hälften“19 bestünden. Grundlegend für Lohmeyers Gliederung ist, dass jede Strophe mit Ausnahme der vierten (V. 9) über ein einziges Prädikat verfügt und die Strophen 2 und 3 sowie 5 und 6, d. h. jeweils die letzten beiden Strophen einer Hälfte, durch eine Partikel (!kk² bzw. Vma und ja¸) eingeleitet werden.20 V. 8c (ham²tou d³ stauqoO) stellt bei dieser Einteilung einen Überhang am Ende der dritten Strophe dar und wird demzufolge von Lohmeyer als eine redaktionelle Ergänzung durch Paulus angesehen.21 Lohmeyers an Prädikaten und Partikeln bzw. Konjunktionen orientierte Stropheneinteilung weist jedoch mehrere Schwachstellen auf. So ist die willkürliche Gleichsetzung einzelner Partikel in 13 Vollenweider, Hymnus, 225. 14 Walter, Philipper, 57. 15 Vgl. Brucker, Christushymnen, 310ff; Fee, Philippians, 41 f; Collins, Origins of Christology, 371 f. 16 Dieser Terminus inkludiert zwar einerseits bereits ein Urteil bezüglich der Verfasserschaft von Phil 2,6 – 11, andererseits entspricht er aber dem notwendigen methodischen Vorgehen. Solange die Verfasserfrage ungeklärt ist und sich erst anhand der Aufnahme des Textes an anderen Stellen des Phil klären lässt, muss Phil 2,6 – 11 unabhängig von Paulus’ Bezugnahmen untersucht werden, um Übereinstimmung und Differenzen zwischen dem Text und seiner Rezeption aufzuweisen (gegen Hawthorne, Imitation, 168). Damit wird der Text faktisch wie ein Traditionsstück behandelt. 17 So auch als vorläufige Bezeichnung Walter, Philipper, 56. 18 Vgl. Lohmeyer, Kyrios, 4 f. Lohmeyer unterteilt in 1.) V. 6a–c, 2.) V. 7a–c, 3.) V. 7d–8b (V. 8c entfällt als paulinischer Nachtrag), 4.) V. 9a–c, 5.) V. 10a–c, 6.) V. 11a–c. Lohmeyers Gliederung folgen Ksemann, Kritische Analyse, 52; Bornkamm, Christus-Hymnus, 178; Walter, Philipper, 57. 19 Lohmeyer, Kyrios, 5. 20 Vgl. ebd., 5. 21 Ebd., 44 ff.
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Der sogenannte Christushymnus
ihrer Bedeutung für die Gliederung gegenüber der Nicht-Berücksichtigung anderer fraglich22, und durch die postulierte mit der Partikel ja¸ eingeleitete dritte Strophe wird der Parallelismus in V. 7cd durchbrochen, bzw. werden die beiden auf -la endenden Substantive blo¸yla und sw/la voneinander getrennt.23 Anders als Lohmeyer orientiert sich Joachim Jeremias’ Gliederung an den im Text begegnenden Parallelismen. So sei „die Struktur des Hymnus vom Parallelismus membrorum bestimmt“24. Auf diese Weise unterteilt Jeremias den Text in drei Strophen zu je vier Zeilen.25 Drei Teilverse scheiden dabei als paulinische Redaktion aus: V. 8c (ham²tou d³ stauqoO), V. 10c (1pouqam¸ym ja· 1pice¸ym ja· jatawhom¸ym) und V. 11c (eQr dºnam heoO patqºr).26 Jeremias Ansatz aufnehmend hat eine am Parallelismus membrorum orientierte Gliederung des Traditionsstücks breiten Zuspruch gefunden.27 Eine Besonderheit bildet bei Joachim Gnilkas Einteilung in fünf Strophen zu je zwei Zeilen28, die Annahme einer vorpaulinischen Redaktion. So handelt es sich auch nach Gnilka bei den Teilversen 8c, 10c und 11c um Ergänzungen, V. 10c stamme jedoch nicht aus der Hand des Paulus, sondern von derjenigen eines vorpaulinischen Redaktors, der das Ziel verfolge, „zwei ehedem selbständige Bekenntnisfragmente bzw. -topoi“29 miteinander zu verbinden, von denen das eine (V. 6 f) ursprünglich „auf die Loqvμ heoO“30 abziele, „das andere [V. 8 – 11] … Christus dem Erniedrigten und zum Kyrios-Richter Erhöhten gewidmet“31 sei.32 Gunter Kennel zeigt jedoch in seiner gattungskritischen Untersuchung von Phil 2,6 – 11, dass sich in dem Abschnitt „kein prägendes übergeordnetes Ordnungsprinzip“33 nachweisen lässt. Vielmehr führe „die Kombination
22 Vgl. G. Strecker, Redaktion, 147. Werden bei Lohmeyer einerseits !kk² (V. 7a) und Vma (V. 10b) in ihrer Bedeutung für die Gliederung gleichgesetzt, kommt andererseits fti (V. 11a [nach Lohmeyer anders als Nestle-Aland27 ebenfalls am Anfang einer Zeile, nicht jedoch einer Strophe]) keine entsprechende Funktion zu. 23 Vgl. bereits Dibelius, Philipper, 73; vgl. auch Jeremias, Phil 2,7, 311; Gnilka, Philipperbrief, 134; Hofius, Christushymnus, 6; Mller, Philipper, 93. 24 Jeremias, Phil 2,7, 311. 25 Vgl. ebd., 312: 1.) V. 6a–7b, 2.) V. 7c–8b (8c entfällt), 3.) V. 9a–11b (V. 10c und 11c entfallen). 26 Vgl. ebd., 312 f; vgl. auch Michel, Phil 2,5 – 11, 81. 27 Vgl. Deichgrber, Gotteshymnus und Christushymnus, 122ff; Hunzinger, Christushymnen, 146ff; Gnilka, Philipperbrief, 136 f; Hofius, Christushymnus, 4 ff. 28 Vgl. Gnilka, Philipperbrief, 136 f: 1.) V.6b–7b, 2.) V. 7c–d, 3.) V. 8a–b (V. 8c entfällt), 4.) V. 9a–c, 5.) V. 10a–11b (V. 10c und 11c entfallen). V. 6a ist der ersten Strophe vorangestellt. 29 Ebd., 137. 30 Ebd., 138. 31 Ebd., 138. 32 Vgl. ebd., 137 f. V. 10c komme dabei die Bedeutung zu, durch die Einfügung der Christus huldigenden Mächte die Inthronisation Christi nicht erst als eine eschatologische, sondern als eine universale, bereits erfolgte herauszustellen. 33 Kennel, Frühchristliche Hymnen, 224.
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Untersuchung des potentiellen Traditionsstücks
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mehrerer Prinzipien (…) zu einer höchst individuellen Gestalt“34. Zwar sei „eine übergeordnete Zweiteiligkeit in Verbindung mit einer leichten Dominanz von Parallelismen zu benennen“35, eine strophische Gliederung des Gesamttextes unter dem Gesichtspunkt eines durchgängigen Parallelismus membrorum sei allerdings nicht möglich.36 Dementsprechend ist es auch ausgeschlossen, unter Annahme eines solchen Ordnungsprinzips einzelne Teilverse als redaktionell zu kennzeichnen und aus dem ursprünglichen Traditionsstück auszuscheiden. Die Frage der Zugehörigkeit vor allem des stark umstrittenen V. 8c lässt sich somit allein aufgrund inhaltlicher Erwägungen klären, nicht jedoch aus gattungskritischen. Der einzige deutliche Einschnitt erfolgt zwischen V. 8 und V. 9. Da in V. 9a sowohl inhaltlich durch den Wechsel von der Erniedrigung zur Erhöhung als auch sprachlich mit di¹ ja¸ und einem Subjektwechsel ein Neuansatz erfolgt, bietet es sich an von einer Zweiteilung des Textes auszugehen, wobei sich der erste Teil bzw. die erste Strophe aus zwei Sätzen zusammensetzt.37 Wo genau die Grenze zwischen den beiden die erste Strophe bildenden Sätzen verläuft, ob nach V. 7b oder c, lässt sich erst im Rahmen der Exegese klären. Dabei können durchaus Parallelismen ein Argument für die Aufteilung sein, nicht jedoch für eine weitergehende strophische Gliederung des Gesamttextes.
2.2 Untersuchung des potentiellen Traditionsstücks 2.2.1 Die römische Herrscherverehrung als religionsgeschichtlicher Hintergrund Sofern es sich bei Phil 2,6 – 11 um ein von Paulus übernommenes Traditionsstück handelt, ist dessen ursprünglicher Beginn im Zuge der Einbettung in den Briefkontext entfallen. Eventuell war der Text mit YgsoOr Wqistºr oder einem Lob oder Dank an Christus überschrieben38, bzw. diese Worte fanden
34 Ebd., 224. 35 Ebd., 224. Folgende Parallelismen treten besonders hervor (vgl. darüber hinaus Kennel, Frühchristliche Hymnen, 203 f): V. 6a/7a (1m loqv0 heoO rp²qwym / loqvμm do¼kou kab_m), V. 10b/11a (p÷m cºmu j²lx, / p÷sa ck_ssa 1nolokoc¶sgtai); V. 7c/d (1m bloi¾lati !mhq¾pym cemºlemor / ja· sw¶lati erqehe·r ¢r %mhqypor); chiastisch angeordnet: V. 7a/8a (2aut¹m 1j´mysem / 1tape¸mysem 2autºm). 36 Vgl. Kennel, Frühchristliche Hymnen, 223 f. 37 Vgl. Mller, Philipper, 93. Mit Kennel, Frühchristliche Hymnen, 193 ist in diesem Zusammenhang zudem auf das Fehlen von Partizipialsätzen in V. 9 – 11 zu verweisen, von denen sich in V. 6 – 8 insgesamt fünf finden. 38 Vgl. Hunzinger, Christushymnen, 156: Eqkocgt¹r YgsoOr Wqistºr.
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Der sogenannte Christushymnus
sich anstelle des einleitenden Relativpronomens fr.39 Mit Nikolaus Walter ließe sich auch uR¹r heoO als Überschrift erwägen. Dies könnte die Rede von der „Ehre des Vaters“ in der Schlusszeile (V. 11c) nahe legen, welche, da im überlieferten Text nicht vom Sohn die Rede ist, überraschend erscheint.40 Diesbezügliche Überlegungen bleiben freilich unsicher. Die in etwa identische Länge der beiden Abschnitte V. 6 – 8 und 9 – 11 sowie die, wie sich zeigen wird, inhaltliche Geschlossenheit des Textes (Präexistenz – Menschwerdung – Tod – Erhöhung) machen den Entfall einer größeren Passage unwahrscheinlich.41 Die inhaltlichen Aussagen des Traditionsstücks liegen offenbar weitgehend vollständig vor. In V. 6 begegnen für das NT als auch darüber hinaus ungewöhnliche Wendungen. Die Rede von einer loqvμ heoO („Gestalt Gottes“) ist neutestamentlich nur hier vertreten, der Terminus loqv¶ begegnet einzig noch im sekundären Markusschluss (Mk 16,12). Das Hapaxlegomenon "qpaclºr (eigentlich: das Rauben) ist in der Septuaginta nicht und im Profangriechischen nur selten belegt.42 Im NT singulär ist die Formulierung Usa he`; bei Paulus findet sich der Terminus Usa allein hier. Bereits diese sprachlichen Auffälligkeiten zu Beginn des Textes nähren Zweifel an einer paulinischen Verfasserschaft. Gleichzeitig tragen sie dazu bei, dass es sich bei V. 6 um eine „crux interpretum“43 handelt. Abgesehen von den im Detail differierenden Auslegungen lässt sich die Forschungsdiskussion weitgehend in zwei miteinander verknüpften Fragestellungen zusammenfassen: 1.) Bezieht sich die Formulierung oqw "qpacl¹m Bc¶sato auf etwas gleich einem Raub Festzuhaltendes (res rapta / res retinenda) oder auf etwas zu Raubendes (res rapienda)44, und ist 2.) eine mit t¹ eWmai Usa he` ausgedrückte Gottgleichheit Christi dessen ursprünglicher Besitz und mit der loqvμ heoO letztlich identisch, oder handelt es sich bei ihr um eine anstrebbare Möglichkeit. Hieraus ergeben sich wiederum zwei grundsätzliche Auslegungsoptionen: 1.) Christus hat die ihm von Anbeginn eigene Gottgleichheit nicht gleich einem Raub festgehalten bzw. auszunutzen versucht, oder 2.) er hat die Gottgleichheit, die er ursprünglich nicht besaß, nicht geraubt.45 Während im letzten halben Jahrhundert vor allem 39 Vgl. den Überblick über mögliche Einleitungen bei Deichgrber, Gotteshymnus und Christushymnus, 124 f. 40 Vgl. Walter, Philipper, 59; vgl. auch unten zum eventuellen Verständnis von Christi Sein in göttlicher Gestalt als Gottessohnschaft. 41 Vgl. hierzu bereits Lohmeyer, Philipper, 91: „(…) Er [= der Abschnitt Phil 2,6 – 11] ist auch nicht ein Fragment, da er von der Ewigkeit Gottes ausgeht und wieder in ihr mündet, sondern ein geschlossenes ,carmen Christi‘.“ 42 Vgl. unten. 43 Loofs, Altkirchliches Zeugnis, 2; vgl. auch dezidiert bezüglich des Terminus "qpaclºr Vollenweider, Raub, 264. 44 Vgl. jedoch den Versuch einer Kombination beider Optionen bei Lohmeyer, Philipper, 93 und daran anknüpfend bei Martin, Carmen Christi, 147 f, 151 ff. 45 Einen forschungsgeschichtlichen Überblick über die Variation der Auslegungsoptionen bietet Wright, "qpaclºr, 342 f.
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Untersuchung des potentiellen Traditionsstücks
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die erste Auslegung vertreten wird46, wurde die zweite Variante im Rahmen der bis ins frühe 20. Jh. dominierenden ethischen Interpretationen von Phil 2,6 – 11 vorgezogen.47 Bereits das Verständnis von loqv¶ in V. 6a bereitet Schwierigkeiten. Der Begriff wird sowohl im Judentum als auch im Paganismus weitgehend für die Bezeichnung der äußeren Gestalt gebraucht.48 Die einzig hier belegte Formulierung 1m loqv0 rp²qwym weist jedoch offenbar über die äußere Gestalt hinaus.49 Loqvμ heoO scheint daher mit der Mehrheit der Forschung, da ein Bezug auf die Gottebenbildlichkeit des Menschen Jesus auszuschließen sein dürfte50, entweder einen göttlichen „Status“51 oder eine „Würdestellung“52 des Präexistenten zu bezeichnen bzw., bei einer eher substantiellen Auffassung, Christi Wesen, seine „Daseinsweise“53. Dies würde im Hinblick auf V. 7 be-
46 Vgl. u. a. Ksemann, Kritische Analyse, 70; Gnilka, Philipperbrief, 116 f; Walter, Philipper, 60; Mller, Philipper, 97; Bockmuehl, Philippians, 129. 47 Vgl. u. a. Lipsius, Philipper, 226 f; Michaelis, Philipper, 36; vgl. in der neueren Forschung ohne Verknüpfung mit einer ethischen Auslegung Vollenweider, Raub, 280. 48 In der LXX wird bei sieben Belegen einzig in Tob 1,13, wo der Terminus in der Bedeutung „Ansehen“ begegnet, das rein äußerliche Verständnis als „Gestalt“ überschritten (Belege, bei denen loqv¶ nur die äußere Gestalt bezeichnet: Ri 8,18; Hi 4,16; Weish 18,1; Jes 44,13; Dan 3,19; 4. Makk 15,4). Auch in der zeitgenössischen jüdischen und paganen Literatur findet der Begriff für die äußere Gestalt Verwendung (vgl. Philo, LegGai 80; Plutarch, mor. 372E; vgl. auch Mller, Menschwerdung, 23ff; gegen Ksemann, Kritische Analyse, 65ff, der mit einer Entwicklung des Begriffs in hellenistischer Zeit hin zur Bedeutung „Daseinsweise“ rechnet). Dies gilt auch für die Vorstellung der Epiphanie von Göttern, die in veränderter Gestalt unter den Menschen erscheinen (vgl. u. a. Euripides, Bacch. 4 f.53; Ovid, met. VIII 626 f; vgl. auch Mller, Philipper, 96). 49 Vgl. Mller, Philipper, 96 f; Gnilka, Philipperbrief, 114; vgl. auch bereits Ksemann, Kritische Analyse, 68: „Eine Gestalt, Art, Haltung hat man. Man ist nicht geradezu räumlich ,in ihr‘.“ 50 In der Forschung wird die Rede von Christi Sein in göttlicher Gestalt zuweilen im Sinne einer „Adam-Christus-Typologie“ vergleichbar Röm 5,12 – 19 und 1. Kor 15,21 f verstanden (vgl. Cullmann, Christologie, 179ff; Rissi, Christushymnus, 3317ff; Dunn, Christ, Adam, and Preexistence, 74 – 83). Diese Verständnis birgt allerdings erhebliche Probleme: Zwar zeigt die Beschreibung des Menschen in Gen 1,27 als nach Gottes Bild bzw. Gestalt (LXX: eQj½m heoO) geschaffen sowie die Verheißung des Gleichseins mit Gott (Gen 3,5: 5seshe ¢r heo?) eine Nähe zu Phil 2,6, jedoch fehlen terminologische Übereinstimmungen (vgl. bereits die Kritik bei Ehrhardt, Nochmals: Ein antikes Herrscher-Ideal, 569 f). Vor allem aber bestünde eine erhebliche Spannung zur Schilderung von Christi Wandel seiner loqv¶ und Annahme einer menschlichen Gestalt in V. 7, würde er bereits durch die Formulierung 1m loqv0 heoO rp²qwym (V. 6) als idealer, der göttlichen Bestimmung entsprechender Mensch vorgestellt. Treffend bemerkt diesbezüglich Wanamaker, Philippians 2.6 – 11, 181 f: „(…) Any explanation of loqvμ toO heoO must make reasonable sense of this contrast. But those arguing for a human Christology in vs. 6 rather than a pre-existent Christology make little or no sense of the contrast in vss. 6 and 7.“ 51 Walter, Philipper, 59. 52 Mller, Philipper, 97. 53 Ksemann, Kritische Analyse, 67; G. Barth, Philipper, 42; Gnilka, Philipperbrief, 114. Anders: Bockmuehl, Philippians, 129: „Suffice it to say, that the form of God probably means
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deuten, dass der Gestaltwandel dort nicht allein einen Wechsel der äußeren Erscheinung, sondern eine grundlegende Veränderung Christi, seines Status oder seiner Seinsweise, beschreibt. Insbesondere als problematisch erweist sich jedoch die Formulierung oqw "qpacl¹m Bc¶sato in V. 6b. *qpaclºr ist in NT und LXX nicht, sowie außerbiblisch nur äußerst selten belegt. In den wenigen profanen Belegen bezeichnet das Substantiv "qpaclºr jeweils „die Tätigkeit des "qp²feim“54, den Akt des Raubens. Hingegen wird es in Phil 2,6 für gewöhnlich mit dem gebräuchlicheren ûqpacla (Raub, Beute) identifiziert.55 Seit Werner Wilhelm Jaegers „stilgeschichtliche[r] Studie zum Philipperbrief“ (1915) hat sich ein Verständnis der Stelle vor dem Hintergrund eines Idioms der Struktur oq/oqw ûqpacla – !kk² als „etwas für einen auszunutzenden Glücksfund bzw. ein gefundenes Fressen56 halten“ und in diesem Sinne als „res rapta“ weitgehend durchgesetzt. Christus habe die ihm eigene Gottgleichheit nicht wie etwas glücklich Erlangtes oder etwas Geraubtes festgehalten bzw. versucht, für sich daraus einen Gewinn zu ziehen.57 In der aktuellen Forschung plädiert jedoch Samuel Vollenweider für ein Verständnis von V. 6b als „res rapienda“, als etwas zu Raubendes. Christus habe die Gottgleichheit, die er noch nicht besaß, nicht zu rauben versucht. Vollenweider verweist auf die Problematik der Erklärung von V. 6b mit Hilfe des von Jaeger angeführten Idioms. So sei „das spezifisch mit Phil 2,6b vergleichbare Idiom (ûqpacla + Verb + doppelter Akkusativ) außerhalb der christlichen Literatur allein bei Heliodor von Emesa bezeugt, der wahrscheinlich erst in das späte 4. Jahrhundert n. Chr. gehört“58, und dort
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simply the visual characteristics of his heavenly being, which Christ shared but took on the form of a servant.“ Foerster, "qpaclºr, 472; vgl. Plutarch, mor. 12 A; Vettius Valens 122,1. Vgl. Foerster, "qpaclºr, 472. Die LXX verwendet neben ûqpacla als weiteres Substantiv "qpac¶, welches auch die Bedeutung Plünderung haben kann (vgl. Tob 3,4; Jud 2,11, sowie mitunter auch 1. Makk 13,34; 4. Makk 4,10). Gerne werden seit Foersters Untersuchung der altkirchlichen Auslegung dieses Teilverses „Oqw "qpacl¹m Bc¶sato bei den griechischen Kirchenvätern“ (1930) die Kirchenväter herangezogen, bei denen weitgehend das Verständnis einer Christus von Anbeginn eigenen Gottgleichheit begegnet. Dies scheint jedoch in einem Zusammenhang, der zu den grundlegenden dogmatischen Diskussionen der Alten Kirche gehört, wenig ratsam, da die Auslegung deutlich von theologischen Interessen geprägt sein kann. Die zweite Formulierung lehnt Jaeger für das in die gehobene Literatur eingegangene Idiom ab (vgl. Jaeger, Stilgeschichtliche Studie, 550). Vgl. Jaeger, Stilgeschichtliche Studie, 552 f; Foerster, "qpaclºr, 472; Ksemann, Kritische Analyse, 69 f; G. Barth, Philipper, 42; Gnilka, Philipperbrief, 116; Fee, Philippians, 207; Walter, Philipper, 60; Mller, Philipper, 97; Bockmuehl, Philippians, 130 f. In der Regel wird sich dabei weder dezidiert auf das spezielle Idiom noch auf Jaeger bezogen. Vollenweider, Raub, 266 weist darauf hin, dass die Auslegung als „Festhalten an einem Besitz“, als „res retinenda“, vom postulierten Idiom gerade „nicht gestützt wird“. Vollenweider, Raub, 266. Allerdings findet sich die Struktur oq/oqw ûqpacla – !kk² bereits in
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„durchwegs bei günstigen, zu ergreifenden Gelegenheiten für sex and crime.“59 Die späte Bezeugung und der anscheinend anrüchige Sitz im Leben ließen die Verwendung des Idioms in Phil 2,6 – 11 als äußerst fraglich erscheinen.60 Ergänzend hierzu führt Vollenweider den Gebrauch der Wortgruppe "qp\feim in der LXX an, wobei es „meist (…) um Akte des Raubens und Beutemachens“61 gehe. Es müsse somit „für die Lektüre von V. 6b ernsthaft die Semantik des ,gewaltsam Wegnehmens‘, des ,Raubens‘ in Erwägung“62 gezogen werden und dementsprechend ein Verständnis von V. 6b als „res rapienda“63 : „,Er hielt das Gleichsein mit Gott nicht für Raubgut, nicht für etwas gewaltsam zu Ergreifendes (…).‘“64 Als religionsgeschichtlichen Hintergrund für ein gewaltsames Ergreifen der Gottgleichheit verweist Vollenweider auf die Vorstellung der Gottgleichheit von Herrschern im hellenistisch-römischen Bereich und die Thematisierung dessen als Anmaßung in jüdischen Texten. Exemplarisch drückt diese Vorstellung Papyrus Heidelbergensis 1716v,1 f aus: „Was ist ein Gott? Das Herrschen. Was ist ein König? Gottgleich.“65 Gleichsam beispielhaft ist Cassius Dios Bericht von der Aufforderung, Caesar solle „in den Hymnen gleich den Göttern aufgenommen werden“66. Von der nur vermeintlichen Gottgleichheit des Tyrannen Megapenthes aufgrund der ihn umgebenden Pracht die Rede ist bei Lukian, Tyrannicida 16. Die jüdische Haltung gegenüber der Gottgleichheit von Herrschern wiederum begegnet beispielhaft in 2. Makk 9,12. Hier wird der Terminus Qsºheor (gottgleich) im Hinblick auf die Vermessenheit des Sterblichen, und zwar Antiochus IV., gebraucht, der eingestehen muss: „Es ist recht, sich Gott zu unterwerfen und als Sterblicher nicht Gottgleiches zu sinnen.“67 Jes 14,5 – 21 findet sich ein verspottendes „Klagelied über den König von Babel“68, der sprach: „Ich will hinaufsteigen über die Wolken, dem Höchsten gleich werden.“69 Ez 28 wiederum enthält eine Gerichtsankündigung (V. 1 – 10) mit anschließender Totenklage (V. 11 – 19) für einen imaginären
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Plutarchs Schilderung von Alexanders Asienfeldzug (vgl. Plutarch, mor. 330D; vgl. auch Jaeger, Stilgeschichtliche Studie, 550). Vollenweider, Raub, 267; vgl. Heliodor, Aethiopica 7.11.7; 7.20.2; 8.7.1; (4.6.5). Vgl. Vollenweider, Raub, 266 f. Ebd, 268. Ebd., 268 f. Vgl. ebd., 269. Ebd., 269. Heidelbergensis 1716v,1 f: [t]· heºr ; t[¹] jqatoOm 7 t· basike¼[r ; Qs]ºheor. Vgl. auch Vollenweider, Raub, 270 (weitere Belege vgl. 274). Cassius Dio 51,20.1: 5r te to»r vlmour aqt¹m 1n Usou to?r heo?r 1scq²veshai. D¸jaiom rpot²sseshai t` he` ja· lμ hmgt¹m emta Qsºhea vqome?m (Übersetzung Vollenweider, Raub, 272; Text nach Rahlfs; LXX-Gött entscheidet sich für die Lesart rpeq¶vama vqome?m [„hochmütiges zu sinnen“]). Jes 14,4: hq/mo[r] … 1p· tom basik´a babuk_mor. Jes 14,14: !mab¶solai 1p²my t_m mevek_m, 5solai floior t` rx¸st\. Vgl. auch Vollenweider, Raub, 271.
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Herrscher von Tyros der sagt: „Ich bin Gott“ (V. 2.9: heºr eQl¸). Nicht zuletzt ist in diesem Zusammenhang auf Dan 5,23, die Selbsterhebung Belsazars „über den Herrn, [den] Gott des Himmels“70, sowie die Thematisierung von weltlicher Herrschaft und Herrscherverehrung im Danielbuch generell zu verweisen.71 Schließlich findet sich wiederum in einer paganen Quelle die Verbindung zwischen dem Gedanken der Herrschaft und des Raubes, und zwar in einer gelegentlich mit Phil 2,6 in Verbindung gebrachten Stelle aus Plutarchs Moralia, der Schilderung des Asienfeldzugs Alexanders des Großen.72 Alexander habe „Asien weder räuberisch überrannt, noch es gleich einem Raub oder eine Beute unerwarteten Glücks an sich gerissen“73. Die auffälligen Berührungspunkte mit paganen sowie jüdischen Zeugnissen legen es nahe mit Vollenweider in 2,6 f den „sich selbst erniedrigende[n] Christus (…) als Gegenbild zum Typ des sich selbst erhöhenden Herrschers“74 zu verstehen. „Christi Weltherrschaft beruht nicht auf Usurpation und Selbsterhöhung, sondern auf Entäußerung und Dahingabe für Andere.“75 Das Anliegen, welches der Verfasser mit seiner Darstellung verfolgt, könnte dann in einer Begründung der Kyriotes Christi zu sehen sein.76 Ausgehend hiervon und zur Stützung dieser Annahme lässt sich erwägen, ob nicht weitere Beobachtungen innerhalb des Traditionsstücks vor dem Hintergrund des von Herrschern erhobenen Anspruchs auf Gottgleichheit erklärbar sind. Dies kann zur Präzisierung des Verständnisses von Erniedrigung und Erhöhung Christi und der damit verbundenen Intention des Textes beitragen, sowie zur Klärung der Frage, wie das Verhältnis zwischen Christi ursprünglichem Sein in einer göttlichen Gestalt und seiner Einsetzung als Kyrios in V. 9 – 11 zu verstehen ist. Gleichzeitig ist die Verdeutlichung des religionsgeschichtlichen Hintergrunds für die weitere Arbeit relevant, da auf diese Weise potentielle Anknüpfungspunkte für die paulinische Rezeption erfasst werden können. Insbesondere bei der Verwendung des Textes in einem Brief an eine römische Kolonie können mögliche durch das Thema Herrschaft gegebene politische Implikationen eine besondere Rolle spielen. Zunächst ist auffallend, dass neben der Verbindung von Herrschaft und Raub bei Plutarch über Alexander auch das Thema des Gestaltwandels begegnet. Nicht allein habe Alexander Asien nicht geraubt, sondern er habe 70 Dan 5,23 h: 1p· t¹m j¼qiom he¹m toO oqqamoO rx¾hgr („Du hast Dich über den Herr, [den] Gott des Himmels, erhöht“). 71 Vgl. Dan 3,5 f; 4,16 – 24; 6,8 und besonders die Schilderung Antiochus’ IV. in Dan 11,21 – 45; vgl. auch Vollenweider, Raub, 272. 72 Vgl. Jaeger, Stilgeschichtliche Studie, 550 f; Ehrhardt, Ein antikes Herrscherideal, 102; Schenk, Philipperbriefe, 207; Vollenweider, Raub, 277. 73 Plutarch, mor. 330D: oq c±q k,stqij_r tμm )s¸am jatadqal½m oqd’ ¦speq ûqpacla ja· k²vuqom eqtuw¸ar !mekp¸stou spaq²nai. 74 Vollenweider, Raub, 283. 75 Ebd., 283. 76 Vgl. ebd., 283 f.
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zudem aus taktischen Gründen die Kleidung eines Persers angelegt, um die Bevölkerung der eroberten Gebiete für sich zu gewinnen.77 Er verwandelte seine Gestalt (2autºm 1swgl²tifem), „um zu zeigen, dass alles Irdische einem Logos gehorsam und alle Menschen ein Staat, ein Volk seien“78. In diesem Text sind somit Herrschaft, Raub und Gestaltwandel miteinander verbunden, wenn auch das potentielle Ziel des Raubes nicht die Gottgleichheit ist und der Gestaltwandel rein auf die äußerliche Verkleidung bzw. kulturelle Assimilation des Menschen Alexander bezogen wird. Zwar fehlt die Vorstellung einer göttlichen Epiphanie, dafür findet sich aber diejenige einer göttlichen Sendung Alexanders.79 Nun begegnen in einer Reihe weiterer um das 1. Jh. n. Chr. entstandener Texte, die von antiken Herrschern handeln, miteinander verknüpfte Motive aus Phil 2,6 f. In Philos „Legatio ad Gaium“ findet sich ebenfalls eine Verbindung der Vorstellung des sich selbst vergöttlichenden Herrschers mit der seines Gestaltwandels. Philo beschreibt die Versuche Caligulas, durch Verwandlung seiner äußeren Gestalt, d. h. hier mittels Verkleidung, einer der Götter oder Halbgötter zu werden. Im Bestreben, ein Halbgott zu sein, „verwandelte und veränderte er seines Einzelleibes Beschaffenheit in vielerlei Gestalten“80. In der Folge will sich Caligula über die Halbgötter stellen und ein Gott werden: Er „verwandelte sein Äußeres und verkleidete sich in Apoll.“81 Gegen Caligulas Nachahmung des Apoll (hier gleichgesetzt mit Paian) wendet Philo ein: „Denn eines Gottes Gestalt lässt sich nicht wie eine Münze nachprägen.“82 Findet sich an diesen Stellen der Gestaltwandel nur in Form einer mittels Verkleidung versuchten Verwandlung eines Menschen in einen Gott, so begegnet die umgekehrte, sich mit Phil 2,6 f eng berührende Variante, die Verwandlung Gottes in einen Menschen, in Philos Urteil über Caligulas Bestrebungen. Zunächst heißt es, er begehe die aus Sicht der Juden größte Sünde, indem er versuche „das geschaffene, vergängliche Wesen eines Menschen zum ungeschaffenen, unvergänglichen eines Gottes nach eigenem Belieben um77 Vgl. Plutarch, mor. 330 A. 78 Plutarch, mor. 330D: 2m¹r rp¶joa kºcou t± 1p· c/r ja· li÷r pokite¸ar, 6ma d/lom !mhq¾pour ûpamtar !pov/mai. Hier wäre auch die Nebenbedeutung von rp¶joor, „untertan“, als Übersetzung möglich (vgl. unten zu V. 8). 79 Vgl. Plutarch, mor. 330D: „Die Gottheit, die die Seele Alexanders hierher herab gesandt hatte, hat sie / ihn zurückgerufen“ (b deOqo jatap´lxar tμm )ken²mdqou xuw¶m !mejak´sato da¸lym), und das Selbstverständnis Alexanders als „gottgesandten Feldherrn“ (329C: joim¹r Fjeim heºhem "qlost¶r). Vgl. auch Zeller, Menschwerdung, 169. Die Vorstellung einer göttlichen Sendung Christi klingt in Phil 2,6 – 11 nur mittelbar in cemºlemor rp¶joor l´wqi ham²tou (V. 8b) an, was auf Christi Gehorsam gegenüber Gott dem Vater zu beziehen ist (vgl. unten) und sich damit im weiteren Sinne als die Erfüllung eines göttlichen Auftrags verstehen ließe. 80 Philo, LegGai 80: 2m¹r s¾lator oqs¸am letaswglat¸fym ja· letawaq²ttym eQr pokutqºpour loqv²r (Übersetzung Cohn). 81 Philo, LegGai 95: eQr d³ )pºkkyma leteloqvoOto ja· letesjeu²feto (Übersetzung Cohn). 82 Philo, LegGai 110: oq c±q ¦speq t¹ mºlisla paq²jolla ja· heoO loqvμ c¸metai (Übersetzung Cohn).
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zuformen“83. Es folgt Philos Begründung, warum es sich dabei um eine solch immense Sünde handle: „Denn eher könnte sich Gott in einen Menschen als ein Mensch in Gott verwandeln“84 ! Die verbreitete antike Vorstellung der Verwandlung eines Gottes in einen Menschen findet sich in Bezug auf römische Herrscher bei Horaz und Oktavian. Horaz verbindet in seiner Ode an Octavian den Gedanken der Gottgleichheit eines Herrschers mit dem Motiv der göttlichen Epiphanie in Form eines Gestaltwandels.85 Octavian wird mit Merkur, dem Sohn der Maja, identifiziert. Als solcher ahmt er „in verwandelter Gestalt auf der Erde einen Jüngling nach“86. Eine ursprüngliche himmlische Existenz wird dabei ähnlich Phil 2,6 vorausgesetzt, seine zukünftige Erhöhung in den Himmel thematisiert, wobei Horaz angesichts Octavians Wohltaten auf deren noch langes Ausbleiben hofft.87 Es finden sich somit aus Phil 2,6 – 11 die Motive der göttlichen Epiphanie als Gestaltwandel, des himmlischen Ursprungs vor dem Auftreten auf Erden sowie der postumen Erhöhung, der Wiederaufnahme in den Himmel.88 Diese bei Horaz zutage tretende strukturelle Parallele zu unserem Traditionsstück zeigt sich auch deutlich in Ovids Metamorphosen, hier allerdings noch erweitert um den Aspekt einer erst postumen Verehrung. Buch XV,816ff heißt es über Caesar : „Er, für den du dich mühst, hat erfüllt seine Zeit, Cytherea, da er die Jahre vollbracht, die er der Erde schuldig gewesen. Daß er als Gott zum Himmel sich hebt und in Tempeln verehrt wird, schaffen wirst du’s (…).“89 Hier begegnen somit die Vorstellungen eines Dienstes auf Erden, einer Erhöhung und einer anschließenden (!) Verehrung als Gott. Hinzu tritt, dass Venus als Mutter Caesars bezeichnet wird.90 Caesar ist demnach bereits göttlichen Ursprungs – aber die Verehrung als Gott erfolgt erst postum nach seiner Erhöhung. 83 Philo, LegGai 118: !mhq¾pou cemgtμm ja· vhaqtμm v¼sim eQr !c´mgtom ja· %vhaqtom fsa t` doje?m heopkast/sai (Übersetzung Cohn). 84 Philo, LegGai 118: h÷ttom c±q #m eQr %mhqypom C eQr he¹m %mhqypom letabake?m (Übersetzung Cohn). 85 Vgl. Horaz, carm. I,2. 86 Horaz, carm. I,2,41 f: „mutata iuvenem figura … in terries imitaris”. 87 Vgl. Horaz, carm. I,2,45 ff. 88 Weitere Texte belegen, dass die Vorstellung des Gestaltwandels im Kontext der Göttlichkeit von Herrschern gebräuchlich war. Nach Calpurnius Siculus, Buccolia IV,142ff handelt es sich bei Nero um Jupiter in verwandelter Gestalt („mutata … Iupiter ipse figura“ [142]) oder einen anderen Überirdischen, der das Bild von Sterblichen angenommen hat („seu quis superum sub imagine falsa mortalique lates“ [143 f]). Der Kaiser ist nämlich Gott: „Es enim deus“ (144; vgl. auch Zeller, Menschwerdung, 169). Martial, Epigrammata IX,64 wird Domitian mit Herkules identifiziert. Hier nimmt jedoch nicht Domitian die Gestalt des Herkules an; vielmehr verleiht Domitian der Statue des Gottes seine Züge („Herculis in magni voltus descendere Caesar“). Zum Gedanken der göttlichen Epiphanie in Herrschern und dessen potentiellen Berührungspunkten mit dem Neuen Testament vgl. Zeller, Menschwerdung, 166 ff. 89 Ovid, met. XV,816 ff. 90 Vgl. Ovid, met. XV,843.
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Diese Spannung zwischen ursprünglicher Göttlichkeit und postumer Divinisierung ist charakteristisch für die Praxis der römischen Herrscherverehrung, wo zwischen dem gottgleichen lebenden und dem zum „divus“ konsekrierten toten Herrscher unterschieden wird. Der lebende Kaiser verfügt letztlich nur über eine „potentielle Göttlichkeit“91. Rückblickend von der Konsekration durch den Senat steht zwar außer Frage, dass er bereits zu Lebzeiten ein Gott war92, doch musste er dies während seiner Regentschaft unter Beweis stellen. Umgekehrt bestätigt die Verweigerung der Konsekration, dass es sich bei dem verstorbenen Herrscher nicht um einen Gott gehandelt hat.93 Die Vorstellung einer Bewährung der Göttlichkeit zu Lebzeiten berührt sich ebenfalls mit Phil 2,6 – 11, dezidiert mit V. 7 f, wenn auch der Gedanke einer Preisgabe der Göttlichkeit im römischen Kontext fehlt bzw. negativ gewertet wird.94 Christi Erhöhung und Einsetzung in einen gottgleichen Stand knüpft mit di¹ ja¸ (V. 9) begründend an dessen Handeln, seine Selbsterniedrigung und Selbstentäußerung an. Die Herrscherverehrung legt sich als leitender religionsgeschichtlichen Hintergrund für die Darstellung des Wegs Christi in Phil 2,6 – 11 somit aus zwei Gründen nahe: 1.) aufgrund der auffallenden Verknüpfung der Einzelmotive Gestaltwandel und Raub bzw. unzulässige Aneignung der Gottgleichheit. Die im Paganismus verbreitete Vorstellung der Epiphanie von Göttern95, welche mit dem Gestaltwandel Christi anklingt, scheint demnach über ihre Rezeption innerhalb der Herrscherverehrung Eingang in das Traditionsstück gefunden zu haben. 2.) weist hierauf die strukturelle Parallele: ursprüngliche Göttlichkeit – ein Dienst auf Erden (und damit verbunden die Bewährung der Göttlichkeit) – postume offizielle Einsetzung als Gott. Letztere spricht zudem dafür, dass dieser Hintergrund nicht allgemein im Gedanken der Göttlichkeit von Herrschern besteht, sondern dezidiert in der römischen Herscherverehrung.96 91 Peppel, Gott oder Mensch, 76. 92 Vgl. Cassius Dio, 52,35,5: „Durch Abstimmung ist noch niemand jemals ein Gott geworden“ (weiqotomgt¹r d’ oqde·r p¾pote he¹r 1c´meto). 93 Vgl. Peppel, Gott oder Mensch, 76: „Durch die postume Divinisierung wird das Leben des Kaisers aus Sicht der politischen Elite zu einem schwebenden Verfahren, in dem der Princeps zuerst Beweise dafür zu erbringen hat, daß er ein Gott ist. Alle Aussagen, die den Herrscher zu Lebzeiten als Gott ansprechen oder mit Gott vergleichen, stehen unter dem Vorbehalt einer postumen Beurteilung.“ Die Konsekrierung lässt sich somit als eine Art „institutionelle Kontrolle“ (72) des Kaisers durch den Senat ansehen. 94 Tacitus berichtet von verbreiteter Kritik an Kaiser Tiberius, da dieser eine Verehrung als Gott sowohl zu Lebzeiten als auch nach seinem Tod ablehnt (vgl. Tacitus, ann. IV,38,4; vgl. auch Peppel, Gott oder Mensch, 76 f). Vollenweider verweist auf die Parallelen zwischen Phil 2,6 – 8 und dem „Schema des hellenistisch-römischen Fürstenspiegels“ (Vollenweider, Politische Theologie, 463) bei gleichzeitiger Überschreitung der dortigen Vorstellungen von einer „Selbstbeschränkung“ (463) der Herrschers durch den „Statuswechsel“ (464) Christi. 95 Vgl. Anm. 143. 96 Eine Nähe von V. 9 – 11 zur postumen Divinisierung römischer Kaiser bemerkt auch Georgi,
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Dass dem Verfasser des Textes die römische Herrscherverehrung und die Vorstellung eines sich selbst vergöttlichenden Herrschers präsent sind, ist auch historisch plausibel. Caligula (37 – 41) ließ sich schon zu Lebzeiten explizit als Gott verehren.97 Ende 39 oder Anfang 40 n. Chr. erteilt er den Befehl, seine Statue im Jerusalemer Tempel errichten zu lassen, was Unruhe unter der jüdischen Bevölkerung auslöst.98 Der Ausführung dieses Plans kommt Gaius’ Ermordung am 24.1.41 zuvor, nachdem die Aufstellung der Kaiserstatue durch den syrischen Legaten Petronius hinausgezögert worden war.99 Auch wird der Tod Agrippas I. (37 – 44) in Verbindung mit der Herrscherverehrung gebracht. So schildern sowohl Apg 12,22 f als auch Josephus, Ant. 19,343ff diesen als Strafe dafür, dass er eine ihm entgegengebrachte Bezeichnung als Gott nicht abgelehnt habe.100 Lässt sich zwar ein Zusammenhang von Phil 2,6 – 11 mit bestimmten historischen Ereignissen nicht nachweisen, so weist jedoch das Geschehen um Caligula und Agrippa I. (bzw. dessen Schilderung) darauf hin, dass den Zeitgenossen die Thematik des sich selbst „gottgleich“ machenden Herrschers geläufig ist. Derartige Erfahrungen können für den Autor des Traditionsstücks Anstoß für eine christologische Rezeption des römischen Herrscherkults gewesen sein.
Für die Auslegung des Traditionsstücks ergibt sich der entscheidende Vorteil, dass sich vor dem Hintergrund der römischen Herrscherverehrung die Spannung erklärt zwischen dem Verständnis von 1m loqv0 heoO rp²qwym als Bezeichnung für einen ursprünglichen göttlichen Status oder eine göttliche Seinsweise Christi einerseits und dem vorzuziehenden Verständnis von oqw "qpacl¹m Bc¶sato t¹ eWmai Usa he` als ein Rauben der Gottgleichheit andererseits. Letzteres bezieht sich dann auf die Einnahme einer über Christi ursprüngliches Gottsein hinausgehenden Stellung, gleich dem Verhalten eines Kaisers, der bereits zu Lebzeiten die erst postume Vergöttlichung durch den Senat faktisch vorwegnimmt. Der Gott Christus raubt nicht die Würdestellung, die ihm der Vater erst nach seinem Gehorsam bis zum Tod zuerkennt. Er verhält sich, obwohl er ein Gott ist, nicht gleich Gott, sondern vielmehr – und an diesem Punkt überschreitet das Traditionsstück gleichermaßen den Kontext der Herrscherverehrung wie den römischen und griechischen Vorstel-
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Gott auf den Kopf stellen, 188: „Für den römischen Bürger Paulus ebenso wie für die Bürger der römischen Militärkolonie Philippi muß die Schilderung der Erhöhung und himmlischen Würdigung Jesu die Vorgänge beim Ableben eines Princeps assoziieren, seiner Himmelfahrt und Vergottung Dank Beschluß des Senates und himmlischer Ratifizierung.“ Einen forschungsgeschichtlichen Überblick zur Auslegung von Phil 2,6 – 11 vor dem Hintergrund der römischen Herrscherverehrung bietet Oakes, Philippians, 129 ff. Vgl. Christ, Römische Kaiserzeit, 211; Witulski, Kaiserkult, 43 ff. Vgl. Philo, LegGai 184ff; Josephus, Ant 261ff; ders., Bell 2,184ff; vgl. auch Bernett, Kaiserkult in Judäa, 277 ff. So Josephus, Ant 305ff; Tacitus, hist. V,9,2; anders: Philo, LegGai 330 ff. Nach Philo lässt Gaius aufgrund einer Bittschrift Agrippas I. von seinem Plan ab. Zu den beiden gegensätzlichen Schilderungen des Ausgangs der Statuenaffäre vgl. auch Bernett, Kaiserkult in Judäa, 282 ff. Vgl. Bernett, Kaiserkult in Judäa, 298 f.
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lungshorizont überhaupt – entäußert er sich seiner göttlichen Gestalt und damit seines ihm präexistent eigenen Gottseins. Die Annahme eines zweiten vom Verfasser rezipierten religionsgeschichtlichen Hintergrunds zur Erklärung von Christi präexistentem Sein in göttlicher Gestalt ist nicht erforderlich.101 Darüber, wie dieses ursprüngliche Gottsein Christi ohne Innehaben der Gottgleichheit zu verstehen ist, gibt das von Paulus überlieferte Traditionsstück keine Auskunft. Ursächlich hierfür dürfte eine nur sekundäre Bedeutung dessen für die Intention des Verfassers sein. Möchte dieser den Weg Christi zur Gottgleichheit und seine Einsetzung als Gott und Herr darstellen, so legt er auf ein detailliertes Verständnis des Ursprungs Christi kein Gewicht. Sein göttlicher Ursprung wird freilich herausgestellt, eine nähere Erläuterung der Präexistenz unterbleibt aber.102 Ob dabei an eine substantielle Göttlichkeit zu denken ist, an eine „Daseinsweise“103, oder an einen bestimmten Status, den der Präexistente innehat104, wird nicht näher ausgeführt. Allerdings bietet sich unter thematischem Gesichtspunkten, der Thematisierung des Nicht-Ergreifens von Gottgleichheit sowie Herrschaft und der Einsetzung Christi als Gott und Kyrios, eher ein Verständnis als Status an. Anknüpfend an Wanamaker lässt sich zudem erwägen, ob bei diesem Status eventuell an die Gottessohnschaft zu denken ist. Christus sei als Sohn Gottes ein Gott, aber dem Vater, nach dessen Position er nicht greift, subordiniert.105 Darauf hindeuten könnte der abschließende Verweis auf die Ehre Gottes des Vaters in V. 11c.106 Der Titel uR¹r heoO könnte sich in einer entfallenen Einleitung oder Überschrift befunden haben.107 Dies würde zur römischen Herrscherverehrung als religionsgeschichtlichem Hintergrund passen. Wie gezeigt wurde, begegnet auch dort der Gedanke einer göttlichen Abstammung108 und „divi filius“ diente im 1. Jh. n. Chr. häufig als Bezeichnung des lebenden Kaisers innerhalb des Kaiserkults.109 Die Vorstellung der Gottessohnschaft des Königs kennt jedoch auch das Alte Testament.110 Bei Paulus wiederum begegnet die Anwendung dieser Vorstellung auf den Kyrios Christus in
101 Vollenweider, Metamorphose, 296ff sieht hier Motive der jüdischen Angelologie aufgenommen. 102 Vgl. hingegen die ausführliche Beschreibung der Präexistenz im sog. Kolosserhymnus Kol 1,15 – 20. 103 Vgl. Ksemann, Kritische Analyse, 67; Gnilka, Philipperbrief,114. 104 Vgl. Walter, Philipper, 59; Mller, Philipper, 97. 105 Vgl. Wanamaker, Philippians 2.6 – 11, 187 f. 106 Zur unsicheren Bedeutung der Bezeichnung Gottes als Vater an dieser Stelle vgl. Anm. 180. 107 Vgl. Walter, Philipper, 59. 108 Vgl. Ovid, met. XV,843; Horaz, carm. I,2,43. 109 Vgl. für Kleinasien Witulski, Kaiserkult, 9, 45. Eine Ausnahme bildet der sich im Kult als Gott bezeichnende Caligula (vgl. 43 f). Zum von Ägypten beeinflussten Gebrauch des Gottessohntitels für den Herrscher im Hellenismus vgl. von Martitz, uRºr, 336. 110 Vgl. 2. Sam 7,14; Ps 2,7; 89,27; Fohrer, uRºr, 349 ff.
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Der sogenannte Christushymnus
Röm 1,3 f, wobei es sich, wie eventuell auch beim Christuspsalm, um eine vorpaulinische Tradition handelt.111
An diesem Punkt soll eine vorläufige These zu Phil 2,6 – 11 als Ganzem aufgestellt werden: Die römische Herrscherverehrung bildet den tragenden religionsgeschichtlichen Hintergrund des Traditionsstücks. Sie wird sowohl strukturell rezipiert, als auch werden in ihrem Kontext gebräuchliche Motive aufgenommen. Dabei scheint mit Vollenweider die Frage nach der Legitimität des Herrseins Christi das für den Verfasser leitende Anliegen. Der Text erläutert unter Aufnahme von Motiven und Strukturen des römischen Herrscherkults, dass Christus sein Herrsein nicht geraubt, sondern es infolge der Aufgabe seines präexistenten Gottseins und seiner gehorsamen Selbsterniedrigung rechtmäßig vom Vater verliehen bekommen hat. Als Hintergrund dieses Anliegens lässt sich das Problem eines frühen Judenchristen mit der Vorstellung, dass Christus als Kyrios bezeichnet und angerufen wird, annehmen. Es gilt zu explizieren, inwiefern dies mit dem Glauben an den einen Kyrios und Gott vereinbar ist und auf diese Weise kein zweiter Gott verehrt wird.112 Die weitere Untersuchung wird die Tragfähigkeit und Erklärungskraft dieser These für den Gesamttext Phil 2,6 – 11 aufzeigen.
2.2.2 Christi Selbstentäußerung und Selbsterniedrigung als Weg zur Gottgleichheit V. 7: Für die Verbindung von jemoOm mit einem Reflexivpronomen finden sich im Griechischen keine weiteren Belege. Joachim Jeremias schlägt daher vor, in der Formulierung 2aut¹m 1j´mysem (V. 7a) eine Übersetzung von *9aH!D( N9û r)@( 8L) F"8û („er schüttete sein Leben zum Tode aus“) aus Jes 53,12, dem vierten Gottesknechtlied, zu sehen, worauf auch die Erläuterung durch loqvμm do¼kou kab_m, als Annahme einer Sklavengestalt, hinweise. Christus werde mit dem sein Leben hingebenden Gottesknecht identifiziert.113 In diesem Fall ginge es hier bereits um die Hingabe in den Tod, was jedoch eine Tautologie zu V. 8a, 1tape¸mysem 2autºm, bedeuten würde.114 Daher erscheint es sinnvoller, 111 Zum Umfang der rezipierten Tradition und eventuellen paulinischen Ergänzungen vgl. Wilckens, Römer I, 56 ff. 112 Vgl. Vollenweider, Raub, 283 f. 113 Vgl. Jeremias, Phil 2,7, 308 – 313. Mit einer Bezugnahme auf Jes 53 rechnen bereits Lohmeyer, Philipper, 94; Bornhuser, Jesus imperator mundi, 19 ff. In der aktuellen Forschung nimmt Walter, Philipper, 63 an: „Dieses deuterojesajanische Kapitel (…) wird man zumindest im Hintergrund unseres Liedes sehen dürfen“, betont allerdings, dass hier „nicht von einem Stellvertretungstod des ,Niedrigen‘ ausdrücklich die Rede ist“. Bloomquist, Suffering in Philippians, 163 verweist auf terminologische Berührungen auch mit dem zweiten Gottesknechtslied (Jes 49,1 – 6): jem_r 1jop¸asa (Jes 49,4 LXX), doOkor (Jes 49,3.5 LXX). 114 Vgl. Oepke, jemºy, 661; vgl. auch Gnilka, Philipperbrief, 118.
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die Reflexivwendung aus ihrem Verhältnis zu V. 8a und ausgehend von der Textstruktur zu erklären. In V. 7a und V. 8a finden sich zwei Hauptsätze, welche jeweils durch ein finites Verb im Aorist und das Reflexivpronomen 2autºr gebildet werden und chiastisch zueinander aufgebaut sind.115 Unter syntaktischen Gesichtspunkten liegt es am nächsten, in den anschließenden Partizipialsätzen (V. 7b[–d] und V. 8b) die Explikation des jeweils vorangehenden Hauptsatzes zu sehen. Eine Tautologie wird in diesem Fall vermieden: 2aut¹m 1j´mysem bezieht sich dann auf den Wandel von der Gestalt Gottes zur Sklavengestalt, auf die Menschwerdung Christi, 1tape¸mysem 2autºm hingegen auf Christi Gehorsam bis zum Tod.116 Die Berührungspunkte zwischen Phil 2,6 – 11 und Jes 52,13 – 53,12 hingegen scheinen weniger auf einer literarischen Abhängigkeit als auf dem gemeinsamen Thema Erniedrigung – Erhöhung zu beruhen. So berühren sich beide Texte hierin zwar, jedoch ohne dass es dabei zu einer exakten Übereinstimmung in Terminologie und Inhalt kommt.117 Unsicher ist allerdings, welche der nachfolgenden Partizipialsätze V. 7a (2aut¹m 1j´mysem) syntaktisch zuzuordnen sind. Auszuschließen ist der Bezug von V. 7b–d als Ganzes auf V. 7a aufgrund der im Griechischen ungebräuchlichen Anbindung einzig des letzten Glieds einer Aufzählung mit ja¸, so dass zumindest V. 7d zum folgenden Satz gehören muss. Aus eben diesem Grund ist es auch nicht möglich alle drei Teilverse V. 8a zuzuordnen.118 Somit konzentriert sich die Frage auf die Zuordnung des Partizipialsatzes V. 7c (1m bloi¾lati !mhq¾pym cemºlemor), die sich allein aufgrund grammatischer Erwägungen nicht klären lässt. Der in V. 7cd begegnende Parallelismus spricht gegen eine Trennung der beiden Teilverse.119 Dabei werden diese anknüpfend an Joachim Gnilka „als synthetischer Parallelismus [zu] verstehen“120 sein. Das eine Bewegung implizierende c¸meshai und der Plural !mhq¾pym 115 Vgl. Kennel, Frühchristliche Hymnen, 203. 116 Anders: Vollenweider, Metamorphose, 303 f. Vollenweider sieht zwar keine Aufnahme des Motivs des deuterojesajanischen Gottesknechts, bezieht jedoch „die Kenosis bzw. die Annahme der Sklavengestalt“ (304) sowohl auf den Wandel zu menschlicher Gestalt als auch auf die Erniedrigung bis zum Tod am Kreuz als Sklavenstrafe. Syntaktisch bietet sich dieser Bezug m. E. nicht an. 117 Jes 52,13 (b pa?r lou ja· rxyh¶setai ja· donash¶sehai) berührt sich mit der Erhöhung Christi in Phil 2,9a und der Erwähnung der dºna (V. 11c). Jedoch wird die Erhöhung im Traditionsstück durch das superlativische rpequxoOm ausgedrückt, und in V. 11c ist, anders als im vierten Gottesknechtlied, nicht von der dºna des zuvor Erniedrigten, sondern von der des Vaters die Rede. Auch spricht gegen eine Bezugnahme auf den leidenden Gottesknecht, dass gerade der zentrale Gedanke der stellvertretenden Sühne (vgl. Jes 53,5 f.10.12) in Phil 2,6 – 11 keine Rolle spielt (gegen Rissi, Christushymnus, 3319). Vgl. auch G. Barth, Philipper, 45: „Zweifellos teilt unser Hymnus mit Jes 53 den Zusammenhang von Erniedrigung und Erhöhung. Aber dieser Zusammenhang (…) ist allgemein biblisch (…), und die darüber hinausgehenden Besonderheiten des Hymnus lassen sich von den Gottesknechtliedern her nicht erklären.“ 118 Vgl. Kennel, Frühchristliche Hymnus, 186 f. 119 Vgl. Hofius, Christushymnus, 6; Mller, Philipper, 93. 120 Gnilka, Philipperbrief, 121; vgl. auch Mller, Philipper, 105. Gnilka selbst zieht allerdings trotzdem 1m bloi¾lati !mhq¾pym cemºlemor syntaktisch zu V. 7a
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Der sogenannte Christushymnus
weisen darauf hin, dass in V. 7c das Eingehen Christi in die menschliche Geschichte, „in die Menschheit“121 beschrieben wird. Hier wird noch der Vorgang der Menschwerdung geschildert. Dem gegenüber stehen erq¸sjeim und der Singular %mhqypor (V. 7d) als Beschreibung eines nunmehr wahrnehmbaren Zustands.122 Bietet es sich demnach an, abweichend von Nestle-Aland27 die Satzgrenze zwischen V. 7b und V. 7c zu ziehen123, so hat diese Entscheidung allerdings keine inhaltlichen Auswirkungen auf die Exegese der Verse. Unabhängig von ihrer syntaktischen Zuordnung thematisieren V. 7b–d die Selbstentäußerung Christi und den hieraus resultierenden Zustand.124 Die Aussage 2aut¹m 1j´mysem erhält ihre inhaltliche Füllung durch die drei Partizipialsätze, die sie als Gestaltwandel von göttlicher zu menschlicher Gestalt bzw. als Annahme einer Sklavengestalt explizieren.
Auch V. 7a selbst kommt jedoch bereits eine für das Verständnis der Menschwerdung Christi grundlegende Bedeutung zu. So wird hier die griechische epiphaniale Vorstellung eines rein äußerlichen Gestaltwandels durch die Beschreibung dieses Wandels mit dem Verb jemoOm durchbrochen, welches hier in seiner vorwiegenden Bedeutung „entleeren“ und „entäußern“ bezüglich eines Inhalts oder Besitzes125 gebraucht sein dürfte. D.h., Christus vertauscht, indem er menschliche Gestalt annimmt, nicht nur sein Äußeres, sondern er gibt darüber hinaus etwas Grundlegendes preis. Dies entspricht dem Verständnis von 1m loqv0 heoO rp²qwym als Bezeichnung eines präexistenten Gottseins Christi. Die Wendung 2aut¹m 1j´mysem drückt dann die Preisgabe dieses Gottseins aus und überschreitet damit die pagane Vorstellung eines Wandels der loqv¶. Im Rahmen des weit verbreiteten, von der römischen Herrscherverehrung aufgenommenen Gedankens der Epiphanie von Göttern in menschlicher Gestalt kommt es nicht zu einer wirklichen Preisgabe
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(vgl. Philipperbrief, 111), wohingegen er bei seiner Stropheneinteilung den Parallelismus berücksichtigt und in V. 7cd die zweite Strophe des Traditionsstücks sieht (vgl. 137). Gnilka, Philipperbrief, 121. Vgl. ebd., 120 f: „Man darf nicht übersehen, daß mit cemºlemor noch das Moment der Bewegung, des Werdens vorhanden ist, das im folgenden erqehe¸r vorläufig zur Ruhe kommt.“ (120) „Vom Eintritt des Präexistenten in die Menschheit wird fortgefahren zur Betrachtung des geschichtlichen Menschen“ (121). Vor diesem Hintergrund wird auch die Verwendung des auf die äußere Erscheinung zielenden Begriffs sw/la (vgl. unten) verständlich. Es geht in V. 7d um Christi Erscheinung als Mensch, die für jeden zu erkennen war (vgl. Fischer, sw/la, 956 f.). So auch Hunzinger, Christushymnen, 147; Mller, Philipper, 91. Vgl. dahingehend Ksemann, Kritische Analyse, 76. Vgl. Oepke, jemºy, 661; Lattke, jemºy, 696. Oepke geht in Phil 2,7 allerdings von der Randbedeutung „zunichte machen“ (661, vgl. Vettius Valens 90,7) aus, welche bei Paulus in 1. Kor 9,15 und anscheinend in 2. Kor 9,3 (vgl. auch 1. Kor 1,17) belegt ist. Dann bezöge sich die Formulierung nur auf Christi äußere Gestalt, seinen Leib und dessen Erniedrigung in den Tod. In diesem Fall bestünde jedoch ebenso wie bei einem Verständnis vor dem Hintergrund des alttestamentlichen Gottesknechts eine Tautologie zu V. 8a.
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der Göttlichkeit. Die menschliche Gestalt des Gottes stellt dort nur eine Art Verkleidung dar.126 Damit scheint aber einem möglichen doketistischen Missverständnis der Menschwerdung als eines Wandels einzig der äußeren Gestalt bereits an dieser Stelle gewehrt127, nicht erst durch die zweimalige Erwähnung der menschlichen Gestalt Christi in V. 7cd. Die These, diese Teilverse seien als prophylaktische Abweisung eines derartigen Missverständnisses anzusehen128, muss daher hinterfragt werden. Nach Ulrich B. Müller, der von einer unmittelbaren Übernahme des Einzelmotivs eines Gestaltwandels bei göttlichen Epiphanien ausgeht, sehe der Verfasser des Traditionsstücks die Gefahr gegeben, dass Christi Menschwerdung entsprechend dieses paganen Motivs allein als ein Wandel der äußeren Gestalt Christi missverstanden würde. Daher versuche er in „weiteren Formulierungsansätzen“129 dessen „reale(.) Menschwerdung“130 zu exemplifizieren.131 Hier bereitet jedoch die in V. 7cd verwendete Terminologie erhebliche Schwierigkeiten. Der Terminus blo¸yla (eigentlich: Gleichbild, Gleichgestalt) richtet sich nicht zwangsläufig auf das Wesen bzw. auf etwas Inneres und über die äußere Gestalt Hinausgehendes. Offb 9,7 heißt es t± bloi¾lata t_m !jq¸dym floia Vppoir („die Gestalt der Heuschrecken gleicht Pferden“). Hier wird nur eine äußere Entsprechung ausgesagt. Nach äthHen 31,2 sind die in einer Vision erblickten Bäume „in Gleichgestalt von Mandelbäumen“ (1m bloi¾lati !lucd²kym), werden aber durch diese Formulierung anscheinend nicht mit Mandelbäumen identifiziert. Riesslers Übersetzung dieser Stelle mit „ähnlich den Mandelbäumen“132 liegt eine auch Offb 9,7 implizierte Bedeutung von blo¸yla zugrunde. So besitzt der Begriff nicht allein die Bedeutung „Gleichbild“ oder „Gleichgestalt“, sondern darüber hinaus auch „Analogie“ oder „Ähnlichkeit“.133 Paulus gebraucht ihn in diesem Sinne in Röm 8,3.134 Er birgt gerade das Risiko eines doketistischen Missverständnisses. Erst aufgrund dieses Teilverses sieht Ernst Käsemann über126 Vgl. ausführlich inklusive Beispielen Mller, Menschwerdung, 23 ff. 127 Vgl. Oepke, jemºy, 661. 128 Vgl. Mller, Menschwerdung, 20ff; ders., Philipper, 105; vgl. auch Ksemann, Kritische Analyse, 75 f; Gnilka, Philipperbrief, 121 f. 129 Mller, Menschwerdung, 21. 130 Ebd., 20. 131 Vgl. ebd., 20 f, 26. 132 Vgl. Riessler, Altjüdisches Schrifttum, 374. 133 Vgl. Schneider, blo¸or, 191. Die Spannung zwischen gleich und ähnlich ist, soweit ersichtlich, für die gesamte Wortgruppe blo¸or jtk. charakteristisch (vgl. Schneider, blo¸or, 186ff; Liddel/Scott, 1224 f). 134 Schneider, blo¸or, 197 sieht in Phil 2,7 ähnlich Röm 8,3 eine letztendliche Differenz des gehorsamen Christus zur übrigen Menschheit ausgesagt. Auch Walter, Philipper, 60 merkt an, dass „man in dem Wort homoma einen letzten Vorbehalt ausgedrückt sehen kann“. Hier ist allerdings zu beachten, dass im Hintergrund von Röm 8,3 die Frage der Sündlosigkeit Christi steht, während das Thema Sünde in Phil 2,6 – 11 keine Rolle spielt. Die Notwendigkeit einer Differenzierung zwischen dem Menschgewordenen und allen anderen Menschen ist hier somit für den Verfasser des Traditionsstücks, anders als für Paulus in Röm 8, nicht gegeben.
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Der sogenannte Christushymnus
haupt die Gefahr einer derartigen Fehlinterpretation gegeben, so dass der Verfasser V. 7d: ja· sw¶lati erqehe·r ¢r %mhqypom („und der Gestalt nach befunden wie ein Mensch“), diesem als Erläuterung anbei stelle.135 Nun bezieht sich jedoch gerade der Begriff sw/la (V. 7d) auf die äußere Erscheinung136, wie auch Müller durch seine Übersetzung eben mit „Erscheinung“ eingestehen muss.137 Demnach scheinen aber die hier verwendeten, die „Gestalt“ bezeichnenden Termini weitgehend ungeeignet, die wahre Menschwerdung Christi in Abwehr eines potentiellen Doketismus zu betonen. Christi „Gestalt“ oder „Erscheinung“ steht bei diesem nicht im Zentrum der Diskussion, sondern das Sein oder Wesen bzw. die Substanz. Aussagen über die Gestalt Christi widersprechen einer doketistischen Auffassung seiner Menschwerdung gerade nicht. Sogar Müller muss zugeben: „Bei oberflächlicher Betrachtung könnte man sie [= die Formulierungen in V. 7cd] doketistisch verstehen“138. Man wird daher trotz aller Rücksicht auf eine terminologische Unsicherheit früher Christologie sagen müssen: Möchte der Verfasser an dieser Stelle einen potentiellen Doketismus abwehren, so geschieht dies mittels des Verweises auf Christi menschliche Gestalt äußerst unglücklich – und obendrein misslingt es, wie Marcions doketistische Auslegung des Verses zeigt.139 Bevor jedoch dieser Vorwurf erhoben wird, bietet es sich an, nach einem möglichen anderen Hintergrund für die explizite Betonung der menschlichen Gestalt Christi zu fragen. Ein solcher findet sich wiederum im Zusammenhang mit dem Thema Herrschaft. Zwar fehlt in der römischen Herrscherverehrung die Vorstellung, der Kaiser gebe als Mensch seine Göttlichkeit preis. Anders allerdings verhält es sich in der jüdischen Weisheit, wo gerade das Menschsein des Herrschers betont wird. Weish 7,1 – 6 heißt es von Salomo und den Königen generell (V. 5), sie seien dem Menschen gleich (%mhqypor Usor [V. 1]). Sie würden genau wie er gezeugt (V.2), geboren (V. 3) und aufgezogen (V. 4) und würden wie er sterben (V. 6b). Der entscheidende Vorteil einer Erklärung von V. 7cd ausgehend von diesem weisheitlich-jüdischen Herrscherbild gegenüber der These, hier solle ein potentielles doketistisches Missverständnis abgewehrt werden, besteht darin, dass die Frage nach der Ganzheitlichkeit des Menschseins Christi in diesem Fall nicht primär zur Diskussion steht, anders 135 Vgl. Ksemann, Kritische Analyse, 75 f. 136 Vgl. Fischer, sw/la, 954. Im NT findet sich der Begriff nur ein weiteres Mal bei Paulus in 1. Kor 7,31 für die vergängliche Gestalt der Welt. In Jes 3,17, dem einzigen Beleg in der LXX, heißt es, Gott werde aufgrund ihres äußerlichen Auftretens „die herrschenden Töchter Zions erniedrigen und ihre Gestalt offen legen (jak¼xei t¹m sw/la aqt_m; LXX-Deutsch: „entblößen“). Einen frühchristlichen Beleg bietet Herm Vis V,1. Zu Hermas kommt „irgendein Mann (…) in Hirtengestalt“ (eQs/khem !mμq tir […] sw¶lati poilemij`). Hier ist der Bezug auf die äußere Erscheinung besonders deutlich, zumal der Besucher in V,4 sein Aussehen ändert. 137 Vgl. Mller, Menschwerdung, 21. 138 Mller, Philipper, 105. 139 Vgl. Tertullian, Adv. Marc. V, 20,3 f.
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als bei einer doketistischen Anschauung, welche diese gerade infrage stellt. Der Verfasser des Traditionsstücks kann, nachdem er die Menschwerdung mit 2aut¹m 1j´mysem als grundlegenden über das rein Äußerliche hinausgehenden Wandel gekennzeichnet hat, das Menschsein des postumen Kyrios Christus mit den diesbezüglich mehrdeutigen Termini blo¸yla und sw/la umschreiben. Dabei fällt deren vornehmlich auf das Äußere abzielende Bedeutung für seine Aussageabsicht, auch der (nunmehrige) Kyrios Christus sei wie jeder Herrscher ein Mensch (gewesen), nicht ins Gewicht. Geht man jedoch von einer antidoketistischen Intention in V.7cd aus, bei der gerade, das volle Menschsein Christi infrage steht, müsste man dem Verfasser letztlich einen terminologischen Fehlgriff unterstellen. Lässt sich auch aufgrund des Fehlens sprachlicher Anklänge an Weish 7,1 – 6 eine unmittelbare Verbindung zu V. 7cd nicht nachweisen, so ist eine Herleitung der zweimaligen Betonung der menschlichen Gestalt Christi vom weisheitlichen Herrscherbild einer antidoketischen Begründung der beiden Teilverse auch angesichts der erneuten Berührung mit dem Themenkomplex „Herrschaft“ vorzuziehen. Der Verfasser würde dann im Rahmen seines Gegenbilds zu einem sich selbst gottgleich machenden Herrscher, welches sich strukturell an der römischen Herrscherverehrung orientiert, ihm vertraute jüdische Motive aufnehmen. Eine solche Kombination paganer und jüdischer Motive scheint für einen Judenchristen hellenistischer Prägung wenig überraschend.140 Sie muss zudem bei jeder Auslegung des Abschnitts angenommen werden. Ist die Vorstellung vom Wandel der loqv¶ genuin griechischen Ursprungs, so erfolgt in V. 10 f im Rahmen einer Zitatanspielung auf Jes 45,23 LXX die Aufnahme des alttestamentlichen Gedankens eines universalen eschatologischen Königtums Jahwes. Auch sofern die griechischen Elemente als durch das hellenistische Judentum, z. B. durch die jüdische Angelologie141, vermittelt erachtet werden, wird die Verbindung paganer und jüdischer Vorstellung letztlich nur auf eine andere dem Traditionsstück vorgängige Ebene verlagert. Das die einzelnen Motive in Phil 2,6 – 11 verbindende Band scheint aber offenbar kein ethnisch-kulturelles, sondern ein thematisches, durch das Vorstellungen und Motive unterschiedlicher kultureller Herkunft in Beziehung zueinander treten, spezifisch jüdisches und römisch-hellenistisches Gedankengut. Sie alle sind verbunden durch das ihnen gemeinsame Thema Herrschaft. Beschreibt der Verfasser zuvor in V. 7b die Menschwerdung Christi als Annahme einer Sklavengestalt (loqvμm do¼kou kab¾m), so dient dies offenbar dazu, die größtmögliche Differenz gegenüber der aufgegebenen göttlichen 140 Collins, Worship, 242 verweist auf die potentielle Bedeutung paganer Vorstellungen bereits für das früheste griechischsprachige Judenchristentum: „Thus we, as historical critics, should take seriously the likelihood that non-Jewish Hellenistic and Roman traditions, as well as Jewish traditions, shaped the religious experiences, ideas and writings of especially the Greekspeaking Jewish followers of Jesus in the period immediately following his death.“ 141 Vgl. Vollenweider, Metamorphose, 296 ff.
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Der sogenannte Christushymnus
Gestalt auszudrücken.142 Damit erfolgt ebenso wie durch den Gedanken einer Selbstentäußerung eine Radikalisierung gegenüber hellenistischen Vorstellungen der Menschwerdung (und des Knechtsdienstes) eines Gottes: Dort wird ein sich erniedrigender Gott gerade nicht Sklave (doOkor), sondern vielmehr wird seine Tätigkeit durch hgte¼eim (Lohnarbeit verrichten) ausgedrückt; d. h. er wird zum h¶r (Knecht, Diener, Lohnarbeiter).143 Der Gott erniedrigt sich, begibt sich jedoch nicht in Sklaverei. Gemeinsam mit 2aut¹m 1j´mysem drückt somit auch die Gegenüberstellung von loqvμ heoO und loqvμ do¼kou die Radikalität der Verwandlung des präexistenten Gottes Christus aus. Den religionsgeschichtlichen Hintergrund der Identifizierung von Menschsein als Sklavendasein dürfte die im Hellenismus weit verbreitete Vorstellung einer Versklavung des Menschen unter das Schicksal, seiner Abhängigkeit von unerklärlichen Fügungen bilden.144 Rezipiert wird diese Vorstellung in Teilen der jüdischen Weisheitsliteratur, im pessimistischen Menschenbild der sogenannten skeptischen Weisheit, wie es u. a. bei Hiob und in Kohelet begegnet.145 Der Mensch fühlt sich seinem Schicksal ausgeliefert. Dieses erscheint als zufällig und ungerecht, anstatt von einer Theodizee bestimmt.146 Die Aufnahme des Gedankens, Menschsein bedeute Sklavendasein, – ob aus der skeptischen Weisheit oder unmittelbar aus der hellenistischen Umwelt147 – dient jedoch offenbar nicht zur Reflexion auf dieses Problem selbst, sondern dem Ziel, auf diese Weise das größtdenkbare Ausmaß der Selbstentäußerung Christi zu betonen. Weitere mit diesem Menschenbild verbundene Implikationen sind in Phil 2,6 – 11 nicht erkennbar. Eine Unterwerfung Christi oder des Menschen allgemein unter das Schicksal wird vom Verfasser an keiner anderen Stelle thematisiert, so dass der Aufnahme der Vorstellung vom menschlichen Leben
142 Vgl. Hofius, Christushymnus, 61. 143 Vgl. die Schilderungen des Knechtsdienstes Apollons bzw. Apollons und Poseidons auf Erden in Lukian, sacr 4 (hgte¼eim); Euripides, Alc. 2 (h/ssa = knechtisch).7 (hgte¼eim); Diodorus Siculus IV,71,3 (hgte¼eim). Zur Bedeutung der Wortgruppe hgte¼eim jtk. vgl. Gemoll, 375; Menge, 331 f. Die traditionelle Verwendung des Begriffs „Knecht“ (mitunter synonym zu „Sklave“) für den Erniedrigten Christus in Phil 2,7 (vgl. Lipsius, Philipper, 226; Lohmeyer, Philipper, 93ff; Ksemann, Kritische Analyse, 72ff; Hofius, Christushymnus, 61 u. ö.; Eckey, Philipper, 85) verstellt den Blick auf diese Differenz zu den griechischen Epiphanieerzählungen. 144 Mller, Christushymnus, 28 ff. 145 Vgl. Hiob 7,1 ff.; Koh 7,15; 8,8.14; 9,12; vgl. auch Mller, Philipper, 103. 146 Vgl. Mller, Christushymnus, 29. 147 Wie sich am Beispiel des Kaiserkults zeigt, rezipiert der Autor des Traditionsstücks Gedankengut seiner heidnischen Umwelt, so dass die Annahme einer Vermittlung dieser Vorstellung (vgl. Mller, Philipper, 102 f) durch die jüdische Weisheit nicht zwingend notwendig ist. Eine endgültige Klärung von deren Herkunft ist nicht möglich, da letztlich nur die Formulierung loqvμ do¼kou einen Hinweis auf die Rezeption derartiger Anschauungen gibt, weitere diesbezügliche Anspielungen in Phil 2,6 – 11 jedoch fehlen.
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als Sklavendasein offenbar keine für die Intention des Traditionsstücks grundlegende Bedeutung zukommt.148
V. 8: Wurde mit 2aut¹m 1j´mysem (V. 7a), wie die Partizipialsätze V. 7b–d zeigten, die Menschwerdung Christi ausgedrückt, so bezeichnet der chiastisch dazu aufgebaute Vers 8a (1tape¸mysem 2autºm) die Erniedrigung des Menschgewordenen bis zum Tod, ebenfalls erläutert durch einen Partizipialsatz: cemºlemor rp¶joor l´wqi ham²tou (V. 8b). Walter nimmt an dieser Stelle eine Nebenbedeutung von rp¶joor an. Demnach bedeute das Adjektiv hier nicht „gehorsam“, sondern „untertan“. Der erniedrigte Christus sei der menschlichen Bedingtheit und damit am Ende dem Tod untertan, und nicht etwa Gott dem Vater gehorsam.149 Ein derartiges Verständnis von V. 8b birgt allerdings zweierlei Problem: 1.) hat es die altkirchliche Exegese gegen sich.150 Sofern von den damaligen Auslegern rp¶joor ein Dativobjekt zugeordnet wird, so handelt es sich dabei um pat¶q151 oder um heºr und pat¶q152. Die Formulierung cemºlemor rp¶joor l´wqi ham²tou wird als Christi Gehorsam gegenüber Gott bzw. dem Vater aufgefasst. 2.) besitzt ein Verständnis von rp¶joor als „untertan“ gleichwie das häufige Verständnis von tapeimoOm im Sinne einer Unterordnung unter die von Gott gesetzte Schöpfungsordnung und einer Akzeptanz der Begrenztheit menschlichen Daseins153 im Hinblick auf den Duktus von Phil 2,6 – 11 eine entscheidende Schwachstelle: Eine solche Unterordnung wird bereits durch die Umschreibung des Aktes der Menschwerdung Christi als Selbstentäußerung und Annahme einer Sklavengestalt (V. 7ab) ausgedrückt, so dass V. 8 entweder eine Tautologie darstellen würde oder einzig eine Aussage über Christi (angesichts der erfolgten Preisgabe seines Gottseins alternativloses) Verharren im Menschsein. Näher liegend erscheint daher ein der altkirchlichen Auslegung folgendes Verständnis von 148 Nach Müller besteht die Intention des Textes in einer Erneuerung des Tun-Ergehens-Zusammenhangs, indem gezeigt werde, dass auf äußerste Erniedrigung größte Erhöhung folge und der Mensch demnach nicht dem Schicksal ausgeliefert sei (vgl. Mller, Christushymnus, 37, 43). Hierfür gibt es jedoch außer der Identifizierung von Menschsein als Sklavesein und der Verwendung des verbreiteten Schemas Erniedrigung – Erhöhung keine weiteren Anhaltspunkte. 149 Vgl. Walter, Philipper, 60. 150 Anders als beim Verständnis von V. 6, wo sich es um einen entscheidenden theologischen Streitpunkt innerhalb der Alten Kirche handelt (vgl. Anm. 55), erscheint hier die Einbeziehung der altkirchlichen Ausleger legitim. 151 Bas., reg. br., in: PG 31, 1196C3; 1213C15; Cyrill, glaph. Gen.–Dt., in: PG 69, 61D4; 380C9 f; 540B7; 628D5 f; ders., Is., in: PG 70, 1044B13; 1065D10; Euseb, d.e., in: GCS 23, 223,16; 482,10; Nilus, Magn., in: PG 79, 1060A12 f; Procop, Is., in: PG 87, 2465D6; Didymus, Eun. 4,5, in: PG 29, 697B3 f. 152 Vgl. Cyrill, Nest., in: ACO I.I.6, 97,4; ders., glaph. Gen.–Deut., in: PG 69, 376D8. 153 Vgl. Georgi, Phil 2,6 – 11, 283; Gnilka, Philipperbrief, 123 f; in diesem Sinne auch Ksemann, Kritische Analyse, 81; Mller, Christushymnus, 34. Dieses Verständnis knüpft an die Bedeutung „(sich) demütigen“ in der LXX an (vgl. 2. Chr 32,16; 33,13.23; 34,27; Dan [LXX] 3,39; 10,12; Prov 29,23; Sir 3,18[20]; von Jahwe, der demütigt 1. Sam 2.7 u. ö.).
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Der sogenannte Christushymnus
rp¶joor in V. 8b als „gehorsam“. Entsprechend V. 7b(–d) wird der Partizipialsatz cemºlemor rp¶joor l´wqi ham²tou als Erläuterung des vorangehenden Hauptsatzes, von 1tape¸mysem 2autºm aufzufassen sein. Wurde Christi Selbstentäußerung als Annahme einer Sklavengestalt, als Menschwerdung erläutert, expliziert V. 8b seine Selbsterniedrigung als Gehorsam bis zum Tod. Beschreibt V. 7 die Menschwerdung des präexistenten Christus, so V. 8 das Verhalten des Menschgewordenen. Ein Verständnis als Schilderung des Verhaltens Christi passt auch zur römischen Herrscherverehrung als religionsgeschichtlichem Hintergrund des Traditionsstücks. Wie der Kaiser seine Göttlichkeit durch sein Handeln zu bewähren hat, so bewährt auch der Mensch gewordene Christus seine Göttlichkeit. Christus hat nicht nur seine Gottgleichheit nicht geraubt und sich stattdessen seines Gottseins entäußert, indem er Mensch wurde; vielmehr hat er darüber hinaus als Mensch dem von ihm geforderten Verhalten entsprochen, indem er „gehorsam bis zum Tod“ war. Unsicher ist die Verfasserschaft des sich anschließenden Verweises auf die Todesart, ham²tou d³ stauqoO (V. 8c). Seit Lohmeyer wird hierin mehrheitlich ein paulinischer Zusatz gesehen.154 Ein Ausscheiden des Teilverses aus formalen Gründen ist allerdings nicht möglich. Ein durchgehendes Ordnungsprinzip, welches durch V. 8c durchbrochen würde, lässt sich in Phil 2,6 – 11 nicht nachweisen.155 Auch verweist Otfried Hofius auf Beispiele für eine Anadiplosis, d. h. die Wiederaufnahme eines Stichworts der vorangehenden Zeile, in der jüdischen Poesie.156 Die Wiederaufnahme von h²mator stellt demnach ebenfalls keinen formalen Grund für die Annahme einer sekundären Erweiterung in Phil 2,8c dar.157 Eine somit allein aufgrund inhaltlicher Erwägungen mögliche Klärung der Frage nach dem Ursprung von V. 8c gestaltet sich jedoch schwierig. So ist ein im Anschluss an Käsemann gerne für die These einer paulinischen Interpolation bemühtes, dem Traditionsstück zugrunde liegendes Schema Inkarnation – Erhöhung, welches dem paulinischen Schema Kreuz – Auferstehung entgegenstehe158, im NT nicht eindeutig nachweisbar und bleibt letzten Endes ein Postulat.159 Auch die in diesem Zusammenhang vorgebrachte These, der Tod selbst bilde bereits das äußerste Gegenüber zur Göttlichkeit des Präexistenten, so dass eine „nochmalige
154 Vgl. Lohmeyer, Kyrios, 44ff; Gnilka, Philipperbrief, 124; Walter, Philipper, 58 u. a. Dem ursprünglichen Traditionsstück zugerechnet wird V. 8c von Hofius, Christushymnus, 4ff; Vollenweider, Raub, 264; Eckey, Philipper, 81. 155 Vgl. 2.1. 156 Vgl. Hofius, Christushymnus, 9ff, 105ff: Hofius verweist auf Ri 5,5.11; Ps 24(23),6 LXX; 44,2; 68,25.29.34; 113,8; 122,4 f; 145(144),18 LXX; Hld 2,15; Jes 26,6; Joh 1,14; OdSal 11,3. 157 Gegen Bornkamm, Christus-Hymnus, 178. 158 Vgl. Ksemann, Kritische Analyse, 82; Gnilka, Philipperbrief, 124; Mller, Christushymnus, 21. 159 Vgl. Hofius, Christushymnus, 13.
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Untersuchung des potentiellen Traditionsstücks
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Überbietung“160 durch den Verweis auf die Todesart störe161, scheint keineswegs zwingend. Ebenfalls greift es zu kurz, schon allein aufgrund des Verweises auf das Kreuz an sich mit paulinischer Urheberschaft zu rechnen. Zwar kommt dem Kreuz qualitativ bei Paulus (vor allem in Gal und 1. Kor162) eine große Bedeutung zu, quantitativ jedoch sind die Termini stauqºr und stauqoOm keineswegs überrepräsentiert.163 Die qualitative Bedeutung des Kreuzes Christi in Gal und 1. Kor kann freilich für eine solche Ergänzung sprechen. Dabei begegnet eine Phil 2,8c vergleichbare exponierte Stellung des Kreuzesbezugs als steigernde Ergänzung ebenfalls in 1. Kor 2,2 und findet demzufolge bei Paulus auch syntaktisch Anhalt: oq c±q 5jqim² ti eQd´mai 1m rl?m eQ lμ YgsoOm Wqist¹m ja· toOtom 1stauqyl´mom164. Ebenso lässt die Bezeichnung der Gegner in Phil 3,18 als 1whqo· toO stauqoO („Feinde des Kreuzes“) ein Interesse des Apostels denkbar erscheinen, den Tod Christi am Kreuz mittels einer Ergänzung des von ihm in 2,6 – 11 aufgenommenen Textes herauszustellen. Hinzu kommt, dass die Erwähnung des Kreuzestods als Todesart innerhalb des Traditionsstücks kaum Bezugspunkte besitzt. Möglich wäre eine Verbindung zwischen der Kreuzigung als Sklavenstrafe und der Umschreibung der menschlichen Gestalt Christi mit loqvμ do¼kou.165 Sklavengestalt und Sklavenstrafe würden auf diese Wiese eine Art Klammer um den Abstieg des präexistenten Gottes Christus, seine Selbstentäußerung und Selbsterniedrigung bis zum Tod, bilden. Ist die Funktion von V. 8c innerhalb des Traditionsstücks nur schwer erklärbar, so lässt sich erwägen, ob eventuell die Rezeption sowohl des Gesamttextes als auch speziell des Teilverses innerhalb des Phil auf mögliche Gründe für eine paulinische Ergänzung hinweist. So sieht bereits Lohmeyer den Grund für eine Interpolation im „paränetischen Interesse“166 des Apostels, wonach der Gemeinde in Philippi, der das Martyrium drohe, Christus als „Vorbild der Niedrigkeit“167 dienen solle. In der weiteren Untersuchung wird 160 161 162 163
164 165 166
167
Ksemann, Kritische Analyse, 82. Vgl. ebd., 82; Mller, Christushymnus, 21. Gal 3,1; 5,11; 6,12.14; 1. Kor 1,18.23; 2,2 Auf die Bedeutung des Kreuzes für Paulus verweist faktisch jede V. 8c als paulinisch ansehende Untersuchung. Es ist jedoch zu differenzieren, dass rein quantitativ das Kreuz Christi in den Paulusbriefen keine besondere Präsenz aufweist (siebenmal stauqºr, achtmal stauqoOm). Daher scheint es problematisch, wenn Bornkamm, Christus-Hymnus, 178 vom „typisch paulinische[n] Begriff des stauqºr“ redet. „Denn nicht hatte ich beschlossen irgendetwas Anderes unter euch zu kennen außer Jesus Christus, und diesen als Gekreuzigten.“ Vgl. auch 1. Kor 1,23. Vgl. Vollenweider, Metamorphose, 304. Vgl. Lohmeyer, Philipper, 96. Georg Strecker erachtete V. 8 insgesamt als paulinische Interpolation im Rahmen von dessen ethischer Rezeption des Traditionsstücks (vgl. G. Strecker, Redaktion, 71), fand mit dieser These jedoch keine positive Resonanz. Fehlten im Traditionsstück gerade die für die paulinische Rezeption bedeutsame Selbsterniedrigung (vgl. u. a. die terminologische Anknüpfung an das Traditionsstück in Phil 2,3), wäre der Grund, warum Paulus den Text überhaupt aufnimmt, fraglich (vgl. Gnilka, Philipperbrief, 111 f). Lohmeyer, Philipper, 96.
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Der sogenannte Christushymnus
zu fragen sein, ob Paulus mit dem Brief auf eine konkrete Situation bei den Adressaten reagiert, vor deren Hintergrund eventuell auch eine besondere Hervorhebung des Todes Christi und seiner Todesart durch die Interpolation der Worte ham²tou d³ stauqoO in ein von ihm übernommenes Traditionsstück verständlich wird. Das weitgehende Fehlen von Bezugspunkten zwischen V. 8c und dem restlichen Traditionsstück sowie dessen geschlossene Erklärbarkeit auch ohne die Erwähnung des Kreuzestods, bei der es sich, sollte sie ursprünglich sein, vorrangig um eine Präzisierung handeln dürfte, erlauben es, die Frage nach der Verfasserschaft dieses Teilverses vorläufig offen zu lassen. Sie soll unter Berücksichtigung der paulinischen Rezeption erneut gestellt werden. 2.2.3 Christi Einsetzung als Gott und Herr In V. 9 erfolgt ein Neuansatz, gekennzeichnet durch einen Subjektwechsel und die Richtungsänderung von einer Abwärtsbewegung, Christi Entäußerung und Erniedrigung bis zum Tod, hin zu einer Aufwärtsbewegung, Christi mit einer Namensverleihung verbundener Erhöhung. Die Verknüpfung mit dem ersten Teil des Traditionsstücks durch di¹ ja¸ charakterisiert Erhöhung und Namensverleihung als Reaktion Gottes auf das zuvor geschilderte Verhalten. War das Subjekt bisher Christus, der sich seines Gottseins entäußerte, Mensch wurde und sich bis zum Tod erniedrigte, handelt nunmehr Gott (b heºr), der den Gehorsamen „über alle Maßen erhöht“ (rpequxoOm) und ihm den höchsten Namen „schenkt“ (waq¸feshai).168 „Himmlische, Irdische und Unterirdische“ wiederum reagieren auf Christi Erhöhung und die Verleihung des „Namens, der über jedem Namen ist“ (V. 9c: t¹ emola t¹ rp³q p÷m emola), mit Proskynese und Exhomologese (V. 10 f). Vieles deutet darauf hin, dass Christus mit der Erhöhung und Namensverleihung einen „gottgleichen“ Status erhält. Das die Erhöhung ausdrückende Hapaxlegomenon rpequxoOm ist superlativisch aufzufassen als eine höchstmögliche Erhöhung.169 So ist das Verb positiv nur für Gott belegt und drückt in dieser Verwendung in der LXX Jahwes höchste Erhabenheit aus.170 168 Erhöhung und Namensverleihung werden dabei als Reaktion sowohl auf Christi Selbsterniedrigung in den Tod als auch auf seine vorangegangene Selbstentäußerung zu verstehen sein (gegen Gnilka, Philipperbrief, 125; Mller, Philipper, 106). Der in V. 6 f breit entfalteten Menschwerdung kommt nicht allein eine vorbereitende Funktion für die Selbsterniedrigung zu, sondern sie wird vielmehr durch die Gegenüberstellung mit der alternativen Handlungsoption, die Gottgleichheit zu rauben, besonders hervorgehoben. Darin zeigt sich das für den das Ziel einer Legitimation der Kyriotes Christi verfolgenden Gesamttext leitende Gegenüber: Christus hat die Gottgleichheit nicht geraubt, sondern von dem einen Gott erhalten. Das Traditionsstück spannt den Bogen von der Preisgabe des Gottseins hin zur aus dieser und der anschließenden Selbsterniedrigung resultierenden Verleihung der Gottgleichheit. 169 Vgl. Gnilka, Philipperbrief, 129; Rissi, Christushymnus, 3321; Mller, Philipper, 106; anders: Foerster, Herr ist Jesus, 206 f. 170 Vgl. Ps 97(96),9; Dan 3,52. Ps 37(36),35 steht es für den sich selbst erhebenden Gottlosen (1.
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Dem entspricht die Bezeichnung des Christus verliehenen Namens als t¹ emola t¹ rp³q p÷m emola („der Name, der über jedem Namen ist“). Für dessen Verständnis als Gottesnamen sprechen die alttestamentlichen Umschreibungen „der große und furchtbare Name“ (Ps 99,3; vgl. auch Dtn 28,58), „der heilige und glorreiche Name“ (Tob 3,11; 8,5), „der erhabene und hochherrliche Name“ (2. Makk 8,15), „der herrliche Name, der über allen Preis und jedes Lob erhaben ist“ (Neh 9,5).171 Auch lässt sich mit Hofius auf eine Erläuterung des Namens Jahwes in einem Midrasch zu Ps 9,3 verweisen, der eine große Ähnlichkeit zu Phil 2,9 zeigt. Dort wird der Psalmtext: „Ich will saitenspielen deinem Namen, Höchster“, erläutert durch: „deinem Namen, der erhaben über alle Namen ist“172. Darüber hinaus scheint mehr als fraglich, ob aus judenchristlicher Perspektive „der Name, der über jedem Namen ist“, überhaupt ein anderer als der Gottesname sein kann. Wäre hier ein anderer Name gemeint, würde diese Aussage letztlich beinhalten, der Christus verliehene Name stehe auch über dem Namen Jahwes. Christus würde dem Vater übergeordnet, was gleichermaßen absurd wie ein Sakrileg wäre.173 Somit bietet sich als Verständnis von V. 9 an: Christus wird über alle Maßen erhöht und damit in einen gottgleichen Stand erhoben, welchen er in seinem bereits präexistenten Gottsein nicht zu rauben versucht hatte. Dabei legt ihm Gott seinen eigenen Namen bei. Demzufolge wird auch das betont der Exhomologese vorangestellte j¼qior in V. 11b den Christus verliehenen Gottesnamen repräsentieren und vor dem Hintergrund des Gebrauchs des Kyriostitels im griechischsprachigen Judentum zu verstehen sein.174
171 172 173
174
Klem 14,5 greift Ps 36,35 auf), Dan 11,12 für den überheblichen Herrscher. Im Schema Erniedrigung – Erhöhung findet sich im NT hingegen rxoOm (vgl. Lk 14,11; 18,14; Mt 23,12; Jak 4,10; 1. Petr 5,6). Vgl. auch Jub 36,7: „der gelobte, geehrte, große, glänzende, wunderbare und mächtige Name“; vgl. Hofius, Christushymnus, 28; Mller, Philipper, 110. MidrPs 9 §6: ˇsmk hm‘wlh mkl ˇsmwt (Übersetzung Wnsche, Midrasch Tehillim, 84); vgl. auch Hofius, Christushymnus, 109. Dass der erhöhte Christus keineswegs über dem Vater steht, betont V. 11c, wonach Proskynese und Exhomologese „zur Ehre Gottes des Vaters“ (eQr dºnam heoO patqºr) erfolgen. Eine Differenzierung zwischen t¹ emola t¹ rp³q p÷m emola als keinem „bestimmten ,Namen‘“ (Rissi, Christushymnus, 3322), sondern lediglich einer „Würdestellung“ (3322), und dem den Gottesnamen vertretenden j¼qior (so Rissi, Christushymnus, 3322 f anknüpfend an Ewald, Philipper, 127) ist textimmanent durch nichts angezeigt. Dieser Schluss scheint auch bei einem frühen urchristlichen Text unproblematisch. Eine Verwendung von j¼qior als Ersatz für den Gottesnamen im zeitgenössischen griechischsprachigen Judentum ist wahrscheinlich. Zwar fehlen Belege für die Wiedergabe des Tetragramms mit j¼qior in den LXX-Handschriften des 1. Jh. n. Chr., wo sich stattdessen das Tetragramm in hebräischen Buchstaben findet, doch lässt dies die Frage offen, was anstelle dessen gelesen wurde. Eine andere Wiedergabe des Gottesnamens, der selber nicht ausgesprochen werden durfte, ist für die LXX unbekannt (vgl. de Jonge, Christologie, 178 f). Dass j¼qior verwendet wurde, kann J. Cornelius de Vos wahrscheinlich machen: Sowohl die Vokalisierung des Tetragramms im Hebräischen als auch das Fehlen von =D) *74# in den Spätschriften des AT sprechen für eine in urchristlicher Zeit bereits übliche Verwendung von ’a˘dona¯j
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Dieses Verständnis von Christi Erhöhung und Namensverleihung als dessen Einsetzung in einen gottgleichen Stand wird gestützt durch die Zitatanspielung auf Jes 45,23 LXX in V.10b.11a. In Jes 45 wird das ausschließliche Gottsein Jahwes betont. Wir haben es dort mit einem exklusiven Monotheismus zu tun, wonach sich allein an Jahwe als den einen Gott Proskynese und Exhomologese richten. Thematisiert wird die universale eschatologische Königsherrschaft Jahwes.175 Diese Vorstellung greift der Verfasser des Traditionsstücks mit der Zitatanspielung auf und überträgt sie auf den Erhöhten. Proskynese und Exhomologese, die im alttestamentlichen Horizont einzig Jahwe zukommen, werden nunmehr in Phil 2,10 f Christus bzw. Jesus entgegengebracht. Auffällig ist, dass Proskynese und Exhomologese „im Namen Jesu“ (1m t` amºlati YgsoO) erfolgen. Anknüpfend an Vollenweider dürfte diese Wendung nicht als „im Namen, den Jesus verliehen bekommen hat“, zu verstehen sein, sondern dezidiert als „im Namen Jesus“.176 Im Hintergrund der Wendung scheint der Gedanke einer Perichorese zwischen Gottesnamen und Jesusnamen zu stehen.177 D.h., Gott hat sich mit der Verleihung seines Namens an den von ihm erhöhten Menschen Jesus aufs engste mit diesem und dessen Namen verbunden, wodurch „umgekehrt der Jesusname an der Macht des Gottesnamens teilhat.“178
Die Übertragung der Proskynese und Exhomologese aus Jes 45,23 auf Jesus Christus unter gleichzeitiger Wahrung des Monotheismus ist aus Sicht des Verfassers deshalb möglich, weil sich der alleinige Gott Jahwe durch die Verleihung seines eigenen Namens mit diesem identifiziert und auf diese Weise die Ausübung seiner Herrschaft auf ihn übertragen hat.179 Das Bekenntnis zum Kyrios Jesus Christus wird damit zum Bekenntnis zu dem einen Gott und die Jesus Christus entgegengebrachte Ehrerweisung erfolgt letztlich „zur Ehre Gottes des Vaters“ (V. 11c: eQr dºnam heoO patqºr).180 Die letzte Zeile des
175 176 177 178 179 180
(„[mein] Herr“) als Ersatz für den Gottesnamen, infolge dessen es für diesen Gebrauch reserviert war. Es lässt sich somit auf die Benutzung des griechischen Pendants j¼qior durch hellenistische Juden schließen (vgl. de Vos, Herr ; vgl. zum Gebrauch des Kyrios-Titels auch Rçsel, Adonaj, 5ff). Gegen ein Verständnis von j¼qior als Repräsentation des Gottesnamens in Phil 2,11b vgl. Schenk, Philipperbriefe, 189. Schenk zufolge sei der j¼qior-Titel hier vielmehr der „Thronname“ Christi „als messianischem Mitregenten“ (289), was jedoch von Schenk, wie auch Mller, Philipper, 109 anmerkt, nicht näher erläutert wird. Vgl. neben Jes 45 auch Jes 40,5; 52,10; Ps 22,28 – 32; 86,9; 102,16.23; Sach 14,9; Zef 3,9 f; vgl. auch Hofius, Christushymnus, 41 ff. Vgl. Vollenweider, Name, 182. Vgl. ebd., 182. Ebd., 182. Vgl. G. Barth, Philipper, 45: „(…) Gott handelt nun nicht mehr anders als durch Christus, er hat seine Herrschaftsausübung an ihn delegiert“. Vgl. auch Eckey, Philipper, 87. Nicht eindeutig klären lässt sich die Bedeutung der Bezeichnung Gottes als Vater an dieser Stelle. Hier muss von drei bereits bei Lohmeyer, Philipper, 97 f erwogen Möglichkeiten aus-
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Traditionsstücks stellt dieses Anliegen abschließend heraus, wonach mit dem Kyrios Christus gerade kein zweiter Gott postuliert werde.181 Vielmehr wird dieser in den alttestamentlich-jüdischen Monotheismus integriert, welcher dadurch trotz der „Ausrufung“ Jesu Christi als Kyrios, trotz der Exhomologese j¼qior YgsoOr Wqistºr gewahrt bleibt.182 Christus hat nicht die Gottgleichheit geraubt (V. 6bc), sondern ist vielmehr aufgrund seiner Selbstentäußerung und Selbsterniedrigung von dem einen Gott, zu dessen Ehre die Huldigung Christi erfolgt, als Kyrios inthronisiert worden. j heºr (V. 9a) als Subjekt des Erhöhungshandelns und die dºna heoO patqºr (V. 11c) als Ziel von Proskynese und Exhomologese bilden faktisch eine Klammer um die Inthronisation Christi.183 In diesen Zusammenhang gehört auch die Betonung von Christi Passivität beim Akt der Namensverleihung durch das Verb waq¸feshai (schenken). Der Übergang des Kyriostitels und damit der Herrschaft auf Christus erfolgt ohne dessen aktives Eingreifen allein durch Gott. Christus erhält, selbst völlig passiv, die gottgleiche Stellung von diesem geschenkt.184 In Phil 2,6 – 11 begegnet somit eine frühe hellenistisch-judenchristliche Reflexion auf das Verhältnis des Gottes bzw. des Kyrios Jesus Christus zu dem alttestamentlich-jüdischen Gott dem Vater. Die den Verfasser leitende Frage ist
181 182
183
184
gegangen werden: 1.) Dass der Gedanke an Gott als den „Vater der Gläubigen“ (98) mitschwingt, kann, berücksichtigt man einen möglichen liturgischen Sitz im Leben des Traditionsstücks, gegen Lohmeyer nicht ausgeschlossen werden. Kommen zwar die Gläubigen in Phil 2,6 – 11 nirgends vor, so könnte jedoch vom Verfasser intendiert sein, dass die den Text rezitierende Gemeinde hier Gott als ihren Vater bekennt und damit der Rede von Gott dem Vater neben der textimmanenten diese weitere Bedeutung inhäriert. 2.) Ein Verständnis als „Vater Christi“ (98) könnte sich angesichts des Anliegens des Verfassers, einer Vermittlung zwischen dem Glauben an den einen Gott und an den Herrn Jesus Christus, anbieten. Dann dürfte der präexistente Status Christi, dessen Sein „in göttlicher Gestalt“, als Gottessohnschaft aufzufassen sein (vgl. 2.2.1). 3.) Der Thematisierung der universalen Kyriotes Christi würde es schließlich entsprechen, Gott in V. 11c als den „Vater der Welt“ (98) zu verstehen (so auch Lohmeyer). Eine solche Vorstellung findet sich auch in einer weiteren von Paulus aufgenommenen Tradition in 1. Kor 8,6 (vgl. Mller, Philipper, 111). Vgl. Vollenweider, Raub, 283. Vgl. Martin, Carmen Christi, 283: „(…) There is no thought that Christ is a usurper, nor any suggestion of a crude binitarianism. For the worship of the exalted Lord is ,to the glory of the Father‘. The Biblical monotheism is safeguarded; and the purpose of the Father-God is seen to be honoured in the high place accorded to His Son.“ Vgl. Hofius, Christushymnus, 112. Da aufgrund stilistischer Merkmale ein Ausscheiden einzelner Teilverse aus dem Traditionsstück nicht möglich ist, sondern sich die Beantwortung dieser Frage auf inhaltliche Kriterien stützen muss, V. 11c aber gut im Kontext erklärbar ist, gibt es bei diesem Teilvers ebenfalls keinen Grund von einem paulinischen Nachtrag auszugehen (gegen Jeremias, Gedankenführung, 275; Gnilka, Philipperbrief, 130 f; Mller, Christushymnus, 22). Vielmehr ist der abschließende Verweis auf die Ehre Gottes des Vaters als Ziel von Proskynese und Exhomologese gerade die Konsequenz aus dem Anliegen des hellenistisch-judenchristlichen Verfassers, die Kyriotes Christi unter Wahrung des Monotheismus zu legitimieren. Auf die inhaltliche Kohärenz von V. 11c zum Traditionsstück als Argument für seine Ursprünglichkeit verweist auch Martin, Carmen Christi, 276. Vgl. Ruck-Schrçder, Name Gottes, 269.
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die nach der Vermittlung zwischen dem Gottsein und Herrsein Christi auf der einen Seite und dem Monotheismus auf der anderen.185 Handelt es sich um einen vorpaulinischen Text, so dürfte hierin das älteste Zeugnis für eine explizite Divinisierung Christi vorliegen. Eine metaphysische Verhältnisbestimmung erfolgt dabei noch nicht. So lässt sich die Frage, wie sich das immanente Verhältnis des gottgleichen Kyrios Christus zu Gott dem Vater im Traditionsstück darstellt, nicht abschließend beantworten, da der Text selbst darauf keine Antwort gibt.186 Seine Aussage beschränkt sich auf eine durch das Verhalten Christi und das darauf antwortende Handeln Gottes begründete Erklärung seines Gottseins. Eine darüber hinausgehende christologische Reflexion über die Stellung Gottes des Vaters und Christi zueinander sowie über die Position, welche der Präexistente innehatte, findet nicht statt.
2.2.4 Die Herrschaft Christi Indem der Verfasser das Gottsein Christi unter Anspielung auf Jes 45,23 expliziert, tritt ein weiterer, bereits oben angeklungener Aspekt hinzu: Christus ist als Gott auch gleichzeitig Herrscher. Umstritten ist, in welcher Hinsicht der Verfasser die Herrschaft des erhöhten Christus herausstellt. Hier gibt es zwei Optionen: 1.) Es handelt sich um eine bereits gegenwärtige Herrschaft Christi über Mächte. Diese werden von den Auslegern in der Regel als negative Mächte und Dämonen aufgefasst187, welche in den drei Bereichen des Kosmos die Menschen bedrängen. 2.) Der Verfasser blickt auf die zukünftige universale Herrschaft über alle Wesen: die Engel im Himmel, die Lebenden auf der Erde und die Toten unter der Erde.188 In diesem Zusammenhang steht das Verständnis der 1pouqam¸ym ja· 1pice¸ym ja· jatawhom¸ym („der Himmlischen, Irdischen und Unterirdischen“ [V. 10c]) zur Diskussion. Dass diese Trias nicht zwangsläufig Geistermächte bezeichnen muss189, hat Hofius nachgewiesen.190 Beziehen sich die Termini in antiken Texten hierauf, so entsteht dieser Bezug durch das jeweilige Substantiv, welchem sie attributiv zugeordnet sind.191 Um eine feststehende Trias oder „Termini technici für Geistermächte“192 in den 185 Vgl. Vollenweider, Name, 183: „Phil 2,6 – 11 belegt, wie jüdische Jesusanhänger ihre Treue zum überkommenen Gottesglauben Israels mit ihrer umstürzenden Überzeugung von Jesu Teilhabe an Gottes Macht und Hoheit zu vereinen suchen.“ 186 Vgl. Ruck-Schrçder, Name Gottes, 69. 187 Vgl. Ksemann, Kritische Analyse, 85 f; G. Barth, Philipper, 44; Gnilka, Philipperbrief, 128; Walter, Philipper, 60 f; anders: G. Strecker, Redaktion, 154ff, der unter der Trias Mächte „als eine neutrale Repräsentation der Schöpfung“ (154) versteht. 188 Vgl. Hunzinger, Christushymnen, 150ff; Martin, Carmen Christi, 263; Hofius, Christushymnus, 20ff; Mller, Christushymnus, 39 f; Fee, Philippians, 223; Eckey, Philipper, 87. 189 Vgl. Gnilka, Philipperbrief, 128. 190 Vgl. Hofius, Christushymnus, 20 ff. 191 Vgl. die Belege ebd., 21. 192 Ebd., 21.
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unterschiedlichen Bereichen der Welt handelt es sich nicht.193 Somit ist das Verständnis der substantivierten Adjektive von ihrem Kontext abhängig, sie selbst geben keinen Aufschluss darüber. Der unmittelbare Kontext ist jedoch die Zitatanspielung auf Jes 45,23 LXX, wo die eschatologische Königsherrschaft Jahwes thematisiert und eine zukünftige universale Proskynese und Exhomologese geschildert wird. Sollte in Phil 2,10 f die gegenwärtige Herrschaft Christi über Mächte thematisiert werden, so würde dies eine zweifache Abweichung gegenüber Jes 45 bedeuten: Eine zeitliche Verschiebung von einer futurischen Akklamation hin zu einer bereits erfolgten194 und gleichzeitig eine grundlegende sachliche Verschiebung von einer universalen Kyriotes zu seiner Herrschaft über Mächte. Nun scheint gerade die zweite Veränderung problematisch. Im gesamten Traditionsstück werden Mächte oder Dämonen nirgends dezidiert erwähnt. Von einem Sieg Christi über gottfeindliche Mächte, die ihm daraufhin untergeordnet seien, ist an keiner Stelle die Rede.195 Die motivischen und strukturellen Anknüpfungen an die römische Herrscherverehrung bzw. den Themenkomplex der weltlichen Herrschaft sprechen vielmehr für ein Jes 45 analoges universales Herrschaftsverständnis. Dabei erfolgt durch die Herrschaft über die Himmlischen (1pouq²mioi) und die Unterirdischen (jatawhºmioi) eine Ausweitung über den weltlichen Herrschaftsbereich hinaus. Christus ist Herr über die Engel im Himmel, die Lebenden auf der Erde und die Toten unter der Erde. Eine derartige Ausweitung ist zudem wahrscheinlicher als die faktische Einschränkung der universalen Herrschaft bei einem Bezug der Trias auf feindliche Mächte. Auch angesichts des judenchristlichen Ursprungs des Traditionsstücks scheint die Ausweitung unproblematisch. Eine Proskynese durch Verstorbene kennt, wenn auch als eine Ausnahme, bereits das Alte Testament in Ps 22,30.196 Ein Lobpreis Jahwes durch Engel findet sich in Jes 6,3 und Dan 3,58 LXX, eine Proskynese in Neh 9,6.197
193 Vgl. ebd., 21 ff. 194 Der Tempuswechsel beider Verben von Indikativ Futur zu Konjunktiv Aorist weist auf keine derartige zeitliche Verschiebung hin, sondern ist grammatisch bedingt. Der mit Vma eingeleitete Finalsatz Bedarf des Konjunktivs; dabei wird das Futur, welches selbst keinen Konjunktiv bildet, durch den Konjunktiv Aorist ersetzt (vgl. Hofius, Christushymnus, 26; Mller, Philipper, 107; gegen Ksemann, Kritische Analyse, 86; Gnilka, Philipperbrief, 130). 195 Vgl. Mller, Philipper, 108; Martin, Carmen Christi, 262; gegen Ksemann, Kritische Analyse, 88. 196 Ps 21,30 LXX: 1m¾piom aqtoO pqopesoOmtai p²mter oR jataba¸momter eQr tμm c¶m. Vgl. auch Hofius, Christushymnus, 45 f. Hofius verweist des Weiteren auf einen Text aus dem „Buch der Geheimnisse“ („Sephär ha-razim“), in deutscher Übersetzung abgedruckt bei Maier, Poetisch-liturgische Stücke aus dem „Buch der Geheimnisse“, 181, Z. 106 f: „Gepriesen sei sein Name im Munde aller auf Erden und gesegnet in den Tiefen der Erde“ (53 f). Mehrheitlich wird im Alten Testament freilich ein Lobpreis durch Tote ausgeschlossen (vgl. Ps 6,6; 30,10; 88,11 – 13; 115,17; Jes 38,18 f) 197 Vgl. auch Hofius, Christushymnus, 53.
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Der sogenannte Christushymnus
In der Forschung wurde zuweilen die Zugehörigkeit von V. 10c zum ursprünglichen Traditionsstück bestritten. In das Zitat aus Jes 45,23 LXX eingefügt unterbricht die Trias den Parallelismus membrorum p÷m cºmu j²lx, (V. 10b) ja· p÷sa ck_ssa 1nolokoc¶sgtai (V. 11a). Jeremias als auch Gnilka sehen daher im Zuge ihrer am Parallelismus membrorum orientierten Strophen- und Zeileneinteilung in dem Teilvers einen späteren Nachtrag.198 Nach Gnilka stammt dieser Nachtrag allerdings nicht von Paulus, sondern die Trias sei die Ergänzung eines vorpaulinischen Redaktors, der einen „Hymnus auf die loqvμ heoO“199 mit einem Bekenntnis zum „Erniedrigten und zum Kyrios-Richter Erhöhten“200 verbinde.201 Bereits oben wurde bezugnehmend auf die Untersuchung von Kennel darauf hingewiesen, dass Phil 2,6 – 11 kein einzelnes, den Gesamttext bestimmendes Ordnungsprinzip aufweist, welches eine eindeutige Vers- und Stropheneinteilung und im Zuge dessen das Ausscheiden einzelner Teilverse ermöglicht.202 Die entscheidende Frage bezüglich der Zugehörigkeit von V. 10c zum Traditionsstück muss daher diejenige sein, ob sich der Teilvers in dessen Rahmen erklären lässt, und ob es Hinweise darauf gibt, dass Paulus ein Anliegen an dieser Ergänzung haben könnte. Beides spricht für die Ursprünglichkeit der Trias. Zur Thematisierung der universalen Kyriotes Christi passt gut der Hinweis auf die drei Bereiche des Universums, über welche der Kyrios Jesus Christus herrscht. Hinzu kommt, dass anders als beim Verweis auf das Kreuz als Christi Todesart (V. 8c), welchem bei Paulus vor allem im 1. Kor und Gal eine hohe qualitative Bedeutung zukommt, die Trias in Phil 2,10c singulär ist.203 Auch wird sie innerhalb des Phil nicht im gleichen Maße wie das Kreuz in 3,18 rezipiert, sondern Paulus nimmt nur terminologisch im Zusammenhang mit den Feinden des Kreuzes den Gegensatz himmlisch-irdisch auf (vgl. 3,19 f), ohne dass dabei ein inhaltlicher Bezug zum Traditionsstück hergestellt wird.
Der mit der Übertragung des Gottesnamens verbundene Herrschaftsaspekt spiegelt sich in V. 9 – 11 eventuell auch strukturell wider. Häufig wird auf eine Nähe der zweiten Hälfte des Traditionsstücks zur Aktfolge der altorientalischen Herrscherinthronisation verwiesen.204 So finden sich mit Erhöhung, Namensverleihung und Huldigung durch Proskynese und Exhomologese Anklänge an eine Inthronisation. Die Erhöhung Christi erinnert an die Präsentation eines neuen Herrschers, die Namensverleihung an seine Proklamation, die Proskynese und Exhomologese an seine Akklamation. Der Par-
Vgl. Jeremias, Gedankenführung, 275; Gnilka, Philipperbrief, 137. Gnilka, Philipperbrief, 137. Ebd., 138. Vgl. ebd., 137 f. Für eine vorpaulinische Ergänzung plädiert auch Rissi, Christushymnus, 3323. Vgl. 2.1. Vgl. auch Gnilka, Philipperbrief, 137; Rissi, Christushymnus, 3323. Ein Anklang findet sich evtl. in 1. Kor 8,5 (kecºlemoi heo· eUte 1m oqqam` eUte 1p· c/r). 204 Vgl. Bornkamm, Christus-Hymnus, 183; Jeremias, Timotheus, 28 f; G. Barth, Philipper, 43 f; Gnilka, Philipperbrief, 126, 128; Mller, Philipper, 107; Chr. Strecker, Liminale Theologie, 161. 198 199 200 201 202 203
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allelisierung mit einem Inthronisationsschema205 und einer daran orientierten Auslegung sind freilich dadurch enge Grenzen gesetzt, dass sich ein bestimmtes Inthronisationsschema, welches dem Verfasser als Vorlage gedient habe, aufgrund der Quellenlage kaum rekonstruieren lässt.206 Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Namensverleihung auch eine Parallele in der römischen Herrscherverehrung besitzt. Ihr korreliert im Kaiserkult die Beilegung des Titels „divus“ für den konsekrierten Kaiser.207 Gleichwie der Kaiser nach seinem Tod und der anschließenden Konsekrierung als nunmehriger Staatsgott den Titel „divus“ trägt, empfängt Christus mit der Erhöhung in einen gottgleichen Status den Gottesnamen. Im Hinblick auf den Gesamttext scheint hier auch eine Anknüpfung an die Divinisierung des verstorbenen Herrschers vorstellbar.208 Allerdings wird bei einem Verfasser, der offenbar mit der Struktur von Vorgängen im herrschaftlichen Zusammenhang, wie mit den Strukturen der römischen Herrscherverehrung, vertraut ist, kaum von unbewussten Anklängen an eine Inthronisation auszugehen sein. Daher lässt sich erwägen, ob er die Verschiebung gegenüber des für ihn leitenden Musters der römischen Herrscherverehrung, den erst mit der Divinisierung einhergehenden Herrschaftsantritt, durch eine Anspielung auf die Inthronisation von Herrschern motivisch unterlegt. Wird durch diese Verschiebung zwar die Analogie zur römischen Herrscherverehrung durchbrochen, so spricht dies keineswegs gegen deren weitgehende motivische und strukturelle Rezeption. Die rezipierten paganen Vorstellungen erhalten vielmehr vor einem judenchristlichen Hintergrund eine charakteristische Umprägung, indem anknüpfend an die alttestamentlich-jüdische Vorstellung der Königsherrschaft Jahwes209 der eine Gott nicht allein sein Gottsein, sondern auch sein Herrsein mit Christus, der sich „gehorsam bis zum Tod“ erniedrigt hatte, verbindet.210 Und diese Umprägung kann der Verfasser offenbar wiederum durch die Anspielung auf 205 Jeremias, Timotheus, 28 sieht als Grundlage von Phil 2,9 – 11 sowie von 1. Tim 3,16; Mt 28,18 – 20; Offb 5,5 – 14 und Hebr 1,5 – 14 „das altägyptische Thronbesteigungs-Zeremoniell“. 206 Vgl. Keel, Altorientalische Bildsymbolik, 234: „Die Dokumente sind allerdings so fragmentarisch, daß sich weder für Israel (…) noch für Ägypten (…) der Gesamtablauf der Feier einigermaßen sicher rekonstruieren ließe.“ 207 Vgl. Peppel, Gott oder Mensch, 71 ff. 208 Vgl. Georgi, Gott auf den Kopf stellen, 188 (vgl. auch Anm. 96). 209 Vgl. zu dieser Vorstellung ausführlich, allerdings ohne auf Jes 45,23 einzugehen, Kaiser, Gott des AT 3, 152 ff. 210 Insofern vermag Oakes’ gegen Georgis These einer Orientierung von Phil 2,6 – 11 an der römischen Herrscherverehrung (vgl. Anm. 96) vorgebrachte Mahnung: „I think that Georgi needs to choose between apotheosis and enthronement“ (Philippians, 133), diese These nicht zu treffen. Mit einem ursprünglichem Gottsein, einer Menschwerdung sowie Bewährung während des Menschseins und erst anschließenden Divinisierung des präexistenten Gottes bestehen auffällige Parallelen zwischen dem Text und der Herrscherverehrung. Dass ein Judenchrist die aufgenommenen Motive und Strukturen aber vor seinem religiösen Hintergrund gleichzeitig an einem bestimmten Punkt umformt, scheint gut vorstellbar und widerspricht der Rezeption nicht.
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Der sogenannte Christushymnus
Motive und Strukturen aus dem Kontext Herrschaft, dezidiert auf die Herrscherinthronisation, gestalten. Mit der Einsetzung Christi als universalem Kyrios besitzt das Traditionsstück eine deutliche politische Implikation. Hinsichtlich dieser ist allerdings zu beachten, dass an keiner Stelle ein explizites Gegenüber des Herrschers Christus zu weltlichen Herrschern begegnet. Nirgends tritt der Kaiser oder der römische Staat ausdrücklich als Gegenüber Christi in Erscheinung. Vielmehr bildet Gott das Gegenüber, zu welchem Christus vom Verfasser in ein positives Verhältnis gesetzt wird.211 Zudem wird weder die Art und Weise von Christi Herrschaft erörtert, noch diese als eine besonders positive dargestellt. Vielmehr nimmt der Text einzig die Legitimation seines Gott- und Herrseins in den Blick, nicht die Ausübung der Kyriotes und ihre Relevanz im Hinblick auf die Untertanen.212 Ein Gegenüber zum römischen Kaiser ist freilich insofern implizit vorhanden, als sich Christi Herrschaftsanspruch auf alle drei Bereiche des Kosmos erstreckt, auch auf den irdischen Bereich. Damit tritt der Kyrios Christus in Konkurrenz zu weltlichen Herrschern. Diese Konkurrenz dürfte für die Hörer, besonders für diejenigen in der römischen Kolonie Philippi, auch durch den Kyriostitel selbst anklingen. Gerade bei dessen betontem Gebrauch in der Exhomolegese j¼qior YgsoOr Wqistºr scheinen sich politische Assoziationen bei den Gemeindemitgliedern nahe zu legen.213 Die Frage, ob Paulus gezielt an derartige Assoziationen anknüpft und die politischen Implikationen des Traditionsstücks aufnimmt, wird unter 3. zu erörtern sein. Ein explizit politisches, herrschaftskritisches Anliegen des Verfassers von Phil 2,6 – 11 sieht Sergio Rosell Nebreda. Dabei decken sich Nebredas Ergebnisse in Teilen mit denjenigen dieser Untersuchung. Auch Nebreda nimmt den Kontrast des geschilderten Handelns Christi zu demjenigen eines Herrschers, der seine Herrschaft zu eigenem Nutzen missbraucht, wahr.214 Christus entwerfe mit seinem Erniedrigungshandeln das Gegenbild zu einer solchen Herrschaft; schließlich werde er selbst in die höchste Herrschaftsposition eingesetzt.215
211 Gott ist als Gegenüber des Gehorsams Christi in V. 8b impliziert und bildet das Subjekt des Erhöhungshandelns in V. 9; er „schenkt“ Christus den Kyriostitel (V. 9b) und zu seiner Ehre erfolgen Proskynese und Exhomologese. 212 Vgl. Popkes, Anti-imperiale Deutung, 861: „Kritisch (…) bleibt freilich zu bemerken, dass der kontrastierende Vergleich sich nur auf die Frage bezieht ,Wem gebührt die juqiºtgr?‘ Der Hymnus erzählt gerade nicht von einem guten Herrschen Jesu auf Erden. Sein Verhalten wird weder als heilswirksam noch als sozial-dienlich beschrieben.“ 213 Allerdings stehen dahingehende Erwägungen unter dem Vorbehalt dessen, dass bis zur Mitte des 1. Jh. n. Chr. der Gebrauch des Kyriostitels für den römischen Kaiser nur schwach bezeugt ist. Ist der Titel bezogen auf Herrscher orientalischen Ursprungs, so begegnet er in Rom nach Foerster, j¼qior, 1053 erstmals für Tiberius und breitet sich allmählich unter Nero aus. 214 Vgl. Nebreda, Christ Identity, 303, 314 f. 215 Vgl. ebd., 303, 313 ff.
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Ethische Implikationen
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Dies ist bei Nebreda allerdings mit der These verknüpft, Christus gebe in V. 7 weder seine göttliche Gestalt noch seine Gottgleichheit preis. Vielmehr ziehe er nur keinen Vorteil aus seinen gottgleichen Status.216 Diese These ist jedoch exegetisch problematisch: Wie Nebreda zu Recht bemerkt, wird Christi Erniedrigungshandeln zwar an keinem Punkt der Gottgleichheit gegenübergestellt217, ein augenfälliges Gegenüber bilden dafür aber die Partizipialwendungen 1m loqv0 heoO rp²qwym und loqvμm do¼kou kab¾m.218 Dieses Gegenüber weist deutlich auf eine Preisgabe der loqvμ heoO hin. Nebreda muss für seine These zudem jemoOm metaphorisch als „nichtig / ungültig machen“ („to make null“219) verstehen. Dabei scheint die nur hier belegte Verbindung des Verbs mit einem Reflexivpronomen unzureichend berücksichtigt. Ihre Bedeuting im Rahmen eines metaphorischen Verständnisses bleibt unklar. M.E. lässt sich die auffällige Wendung 2aut¹m 1j´mysem schwerlich anders als derart verstehen, dass Christus etwas für ihn Grundlegendes preisgibt, nämlich seine göttliche Gestalt. Ist für Nebreda selbst der menschgewordene Christus gottgleich, so versteht er in der Konsequenz V. 9 vorrangig als Christi Einsetzung in eine höchste Herrschaftsposition. Der für den Verfasser des Psalms leitende Gedanke sei die Überordnung Christi über jeden anderen Herrscher.220 Hier erscheinen die Hinweise auf die Übernahme speziell göttlicher Ehren nicht ausreichend gewürdigt. Zwar enthält die Bezeichnung des Christus verliehenen Namens als t¹ emola t¹ rp³q p÷m emola, wie Nebreda zu Recht betont, eine politische Konnotation, indem der Name Christi auf diese Weise auch dem Namen des Herrschers übergeordnet wird.221 Allerdings wird die Wendung bei der anzunehmenden judenchristlichen Verfasserschaft von Phil 2,6 – 11 primär als explizite Umschreibung des Gottesnamens zu verstehen sein. Dem korreliert die Verwendung des positiv in der LXX einzig für Gott belegten Verbs rpequxoOm anstelle von rxoOm.222 Unter Berücksichtigung obiger Beobachtung, dass zudem nirgends explizit der Herrscher, sondern vielmehr Gott das Gegenüber Christi bildet, lässt sich gegen Nebreda das politische Moment kaum als das leitende Anliegen des Verfassers erachten.
2.3 Ethische Implikationen Der Verfasser des Traditionsstücks verfolgt kein ethisches, sondern vielmehr ein christologisches Anliegen. Sein Ziel besteht in einer Vermittlung zwischen dem Gottsein Christi sowie seiner Anrufung als Kyrios einerseits und dem 216 Vgl. ebd., 303. 217 Vgl. ebd., 305. 218 Dies passt zur in dieser Untersuchung vertretenen These, dass der Präexistente zwar die göttliche Gestalt, nicht aber die Gottgleichheit besitzt. 219 Nebreda, Christ Identity, 305. 220 Vgl. ebd., 313. 221 Vgl. ebd., 313. 222 Vgl. zu beiden Punkten ausführlich 2.2.3.
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Der sogenannte Christushymnus
Alleinverehrungsanspruch des einen Gottes andererseits. Diese Vermittlung erfolgt, indem er die Legitimität der Kyriotes Christi mit dessen Erniedrigungshandeln und der göttlichen Reaktion auf dieses Handeln erklärt. Im Rahmen dessen ergeben sich innerhalb des Textes jedoch ethische Implikationen, an welche eine ethische Rezeption anknüpfen kann. So inhäriert dem im NT verbreiteten Schema Erniedrigung – Erhöhung ein Lohngedanke, wonach derjenige, der sich selbst erniedrigt, erhöht wird.223 In unserem Fall erhält Christus die Gottgleichheit, weil (diº [V. 9]) er sie nicht zu rauben versucht, sondern sich seines göttlichen Status entäußert und als Mensch bis zum Tod erniedrigt hat. Zwar wird dieses Schema, anders als bei den anderen neutestamentlichen Belegen, vom Verfasser des Traditionsstücks nicht ethisch ausgewertet; einem Rezipienten kann es allerdings als Anknüpfungspunkt für eine von der Intention des Verfassers abweichende Verwendung des Textes in einem ethischen Zusammenhang dienen. Neben dem Duktus des Gesamttextes erscheinen drei einzelne Stellen als potentielle Anknüpfungspunkte für eine ethische Rezeption: 1.) Die Gegenüberstellung zweier Handlungsoptionen in V. 6 f, eines Raubens der Gottgleichheit und der Selbsterniedrigung des präexistenten Christus, enthält eine ethische Wertung. Während Ersteres die illegitime Aneignung eines höheren Status bedeutet hätte, steht dem Christi Statuspreisgabe als ein positiv gewertetes Verhalten gegenüber. Angesichts der großen Bedeutung von Status und Ehre in der römischen Gesellschaft besteht hier ein potentieller Anschluss für eine dem römischen-paganen Ethos kritisch gegenüberstehende Ethik, welche auf das von Christus gegebene Beispiel verweisen kann. Der Vorstellung, anstatt nach einem höheren Status zu greifen, den eigenen aufzugeben, kann vor dem Hintergrund der heidenchristlichen Gemeinde in der römischen Kolonie Philippi eine spezifische Relevanz zukommen. 2.) Die Erläuterung von Christi Selbsterniedrigung als Gehorsam gegenüber Gott (V. 8b) bietet einen Anknüpfungspunkt für eine religiös begründete Ethik, welche wie im AT und NT224 ihre Mahnungen implizit oder explizit mit dem göttlichen Willen gleichsetzt. Ihr kann Christus als Vorbild für die geforderte Entsprechung zum Gotteswillen dienen. Wilhelm Michaelis sieht den Gedanken des Gehorsams und der Entsprechung zum Willen Gottes schon in der Rede von der Annahme einer Sklavengestalt ausgedrückt. Die Wendung loqvμm do¼kou kab¾m meine die völlige Unterordnung unter eines
223 Vgl. Lk 14,11; 18,14; Mt 23,12; Jak 4,6.10; 1. Petr 5,6. 224 Zur alttestamentlichen Grundlegung der Ethik im Gotteswillen vgl. Smend, Ethik, 428: „Das wichtigste Charakteristikum und zugleich die entscheidende Legitimation der sittlichen Forderung im Alten Testament liegen in ihrer Zurückführung auf Jahwe, den Gott Israels, der der Gott der ganzen Welt ist.“ Für das NT vgl. Wendland, Ethik, 2: „Grundlegend ist der Glaube an eine Offenbarung des Willens Gottes, an welche alle Glaubenden gebunden sind.“ Zum Verhältnis der paulinischen Paraklese zum Gotteswillen vgl. 3.1.4.
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Ethische Implikationen
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anderen Willen.225 Christus gebe, anstatt „seinen eigenen Willen gleichberechtigt neben den Gottes“226 zu stellen (so Michaelis’ Verständnis des Raubs des Gottgleichseins), seine Willensfreiheit freiwillig preis.227 Auf der Ebene des Traditionsstücks ist diese Auslegung nicht haltbar. V. 8 scheint vielmehr eine fortwährende Willensfreiheit zu implizieren. Die Rede von der Selbsterniedrigung Christi durch Gehorsam bis zum Tod hat nur Sinn, sofern es auch die Möglichkeit des Ungehorsams gibt. Das positiv gewertete Verhalten des Menschgewordenen setzt zumindest die Option eines Sich-anders-Verhaltens, eines Dem-Tod-Ausweichens voraus. Entsprechend muss Michaelis davon ausgehen, dass es sich bei V. 7ab und V. 8ab um zwei faktisch identische Aussagen handelt, also eine Tautologie besteht. Dies schließt jedoch nicht aus, dass bei einer Rezeption auch der Aspekt der Willensunfreiheit eines Sklaven eine Rolle spielen kann, zumal sich in Kap. 3 zeigen wird, dass eine inhaltliche Abweichung und Spannungen zu dem rezipierten Text durchaus möglich sind.
3.) Christi Gehorsam bis zum Tod erlangt durch die im Martyriumskontext verwendete Wendung l´wqi ham²tou eine spezifische Qualifizierung, als hierin das Thema Martyrium anklingt. Die Wendung begegnet in der LXX ausschließlich im Martyriumskontext in 2. und 4. Makk und bezieht sich dort auf ein positiv gewertetes Verhalten bis zum Tod. Es erfolgt im Krieg ein Kampf bis zum Tod (vgl. 2. Makk 3,14) und Folterqualen werden um des Glaubens willen bis zum Tod ertragen (vgl. 4. Makk 5,37; 6,21.30; 7,8.16; 13,1.27; 16,1; 17,7.10).228 Nach Josephus, Bell II,141 umfasst der Schwur bei der Aufnahme in die Gemeinschaft der Essener u. a., deren Geheimnisse auch unter Folter bis zum Tod nicht preiszugeben (j#m l´wqi ham²tou tir bi²fgtai).229 Die anklingende Martyriumsthematik aufnehmend kann der bis zum Tod gehorsame Christus zu einer Identifikationsfigur für eine aufgrund ihres Christseins leidende Gemeinde werden. Er kann ein Vorbild für die Annahme von Leiden darstellen. Somit erweist sich der auf die Begründung von Christi göttlichem Stand zielende Text als anschlussfähig für eine ethische Rezeption. Dass dieser selbst kein ethisches Anliegen verfolgt, schließt nicht aus, dass ein möglicher Rezipient an die enthaltenen ethischen Implikationen anknüpft und den Text in ethischer Abzweckung aufnimmt. Von da aus wird sich schließlich auch ent225 226 227 228
Vgl. Michaelis, Philipper, 37. Ebd., 37. Vgl. ebd., 37. Vgl. Mller, Philipper, 107; Dibelius, Philipper, 78. Auch findet sich in 4. Makk 15,10 in Verbindung mit der Formulierung l´wqi ham²tou der Gedanke eines Gehorsams bis zum Tod. So sind die sieben zu Tode gefolterten Söhne ihrer Mutter in ihrer Gesetzestreue „bis zum Tod gehorsam“, hier jedoch durch pe¸heshai ausgedrückt. 229 Nicht unmittelbar im Martyriumszusammenhang begegnet die Formulierung in 1. Klem 4,9: „Eifersucht bewirkte, dass Josef bis auf den Tod verfolgt wurde (…)“ (f/kor 1po¸gsem Yysμv l´wqi ham²tou diywh/mai).
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Der sogenannte Christushymnus
scheiden, ob Paulus selbst oder ein anderer der Verfasser von Phil 2,6 – 11 ist. Eine ethische Aufnahme des nur implizit ethischen Textes in seinem Nahkontext und anderen Abschnitten des Phil würde gegen eine Abfassung durch den Apostel zumindest anlässlich dieses Briefs sprechen.
2.4 Die Frage der Textgattung In seiner Untersuchung „Kyrios Jesus“ (1927/28) sowie in seinem zwei Jahre später erschienenen Kommentar zum Phil hatte erstmals Ernst Lohmeyer herausgestellt, dass in Phil 2,6 – 11 ein sich von seinem Kontext abhebender vorpaulinischer Abschnitt begegne. Der Abschnitt sei als ein von alttestamentlich-jüdischer Poesie beeinflusstes „Stück urchristlicher Psalmdichtung“230, ein „rhythmisch geformte[r] Hymnus“231 zu charakterisieren. Nachdem Lohmeyer den Text zwar in deutlicher Nähe zur Psalmendichtung sah, dabei jedoch keine eindeutige gattungsmäßige Klassifizierung vornahm, sondern ihn vielmehr mit verschiedenen Termini umschrieb232, setzte sich ab der Mitte des 20. Jh. dessen Bezeichnung als Christushymnus durch.233 In der neueren Forschung ist die Klassifizierung als Hymnus jedoch zunehmend umstritten. So wird eingewandt, der Text entspreche in seinem Aufbau nicht der griechischen Gattung Hymnus234, bzw. es handle sich bei Phil 2,6 – 11 gar nicht um Poesie nach deren griechischer Definition als metrischer Text.235 Daneben wird auf das Problem der Nachweisbarkeit einer eigenständigen Gattung „frühchristlicher Hymnus“ und der Zuordnung des Traditionsstücks zu einer solchen Gattung verwiesen.236 Allerdings sind die unterschiedlichen anstelle von Hymnus vorgeschlagenen Gattungsbezeichnungen häufig nicht weniger problematisch. Klaus Berger bestimmt die Textgattung als „Enkomion auf Personen“237, einen poeti230 Lohmeyer, Kyrios, 7; vgl. auch 11. 231 Lohmeyer, Philipper, 91; vgl. auch ders., Kyrios, 7, wo m.W. erstmals (1927/28) die Bezeichnung des Textes als „Hymnus“ begegnet. 232 Es handle sich um „ein carmen Christi in strengem Sinne“ (Lohmeyer, Kyrios, 7), ein „Gedicht“ (7), einen „urchristliche[n] Psalm“ (11) oder einen „Hymnus“ (7). 233 Vgl. u. a. Ksemann, Kritische Analyse, 51 u. ö.; Deichgrber, Gotteshymnus und Christushymnus, 118ff; Hunzinger, Christushymnen, 145; G. Barth, Philipper, 41ff; Hofius, Christushymnus, 1 u. ö. sowie in der aktuellen Forschung Mller, Philipper, 91 ff. 234 Vgl. Brucker, Christushymnen, 318; Berger, Hellenistische Gattungen, 1151. In paganen Hymnen mit Ausnahmen (vgl. Vollenweider, Rezension Brucker, 281) üblich ist ein dreigliedriger Aufbau, den Eduard Norden in seiner für die weitere Forschung wegweisenden Untersuchung herausstellt: 1.) Anrufung Gottes, 2.) Schilderung der Eigenschaften und Taten des Gottes, 3.) Gebet (vgl. Norden, Agnostos Theos, 143ff; vgl. auch Berger, Hellenistische Gattungen, 1151ff; Brucker, Christushymnen, 38ff). 235 Vgl. Brucker, Christushymnen, 310 f. 236 Vgl. Kennel, Frühchristliche Hymnen, 273 ff. 237 Berger, Hellenistische Gattungen, 1173.
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Die Frage der Textgattung
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schen Text, welcher als Lobpreis für Menschen zu unterscheiden sei von den Göttern gesungenen Hymnen.238 Diese Klassifizierung ist aus inhaltlichen Gründen abzulehnen: 1.) wurde gezeigt, dass Christus bereits in V. 6a und somit präexistent Gott ist, wenn ihm auch noch nicht der erst dem Erhöhten zukommende gottgleiche Status eignet.239 Das zu lobende Verhalten Christi in V. 6 f ist gerade nicht das Verhalten eines Menschen, sondern dasjenige eines Gottes. Der Gott Christus entscheidet sich dafür, die Gottgleichheit nicht zu rauben, sondern sich stattdessen seines präexistenten Gottseins zu entäußern. 2.) thematisiert Phil 2,6 – 11 die Kyriotes des erhöhten Christus und dessen Weg hin zur höchsten, gottgleichen Würdestellung. Sofern sich bei dem Traditionsstück überhaupt von einem „Loblied“ reden lässt240, so richtet sich dieses an den Kyrios Jesus Christus, d. h. an einen Gott und nicht an einen Menschen. Nikolaus Walter schlägt mit einiger Vorsicht die Bezeichnung des Abschnitts als „Lehrgedicht vom Weg des Gottessohnes“241 vor und erwägt dessen Verortung im katechetischen Kontext. Die Bezeichnung als „Lehrgedicht“ hat den Vorzug, dass damit einerseits der poetische Anklang berücksichtigt wird, andererseits aber auf eine Zuordnung zu einer festgeprägten Gattung, welcher der Text nur teilweise gerecht werden kann, verzichtet wird. Einen Hinweis auf die Katechese als Sitz im Leben könnte die Intention des Traditionsstücks, die Begründung der Rechtmäßigkeit des Gott- und Herrseins Christi, geben. Jedoch lässt sich gleichermaßen fragen, ob Proskynese und Exhomologese (V. 10 f), in welche der Text mündet, nicht eher in einen liturgischen Zusammenhang weisen. Grundsätzlich gegen eine Klassifizierung von Phil 2,6 – 11 als eines poetischen Texts wendet sich Ralph Brucker. Nach Brucker handelt es sich hier nicht um Poesie, sondern vielmehr um einen Abschnitt „Prosa in gehobenem Stil“242, was von ihm mit der Annahme einer paulinischen Verfasserschaft verknüpft wird.243 Im Rahmen dessen charakterisiert er den Text als „Epainos“, eine Form der Lobrede, die „nach Aristoteles die Größe der !qet¶, nicht die Summe der 5qca“244 aufzeige und sich nach „Alexander Numeniu auch durch ihren absoluten Wahrheitsbezug vom Enkomion“245 unterscheide.
238 Vgl. ebd., 1188. 239 Berger lehnt entsprechend seiner Klassifizierung des Textes als Enkomion eine Präexistenz Christi in V. 6 ab (vgl. ebd., 1184ff). 240 Zum Fehlen eines expliziten Lobs vgl. unten. 241 Walter, Philipper, 56. Diese Bezeichnung wird von Eckey, Philipper, 80 übernommen. 242 Brucker, Christushymnen, 311. 243 Vgl. ebd., 310 ff. Als einen von Paulus verfassten Prosatext erachten Phil 2,6 – 11 auch Fee, Philippians, 41 f und Collins, Origins of Christology, 371 f. 244 Brucker, Christushymnen, 319. 245 Ebd., 319.
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Der sogenannte Christushymnus
Diese Redegattung ziehe Paulus für seine Argumentation im Phil heran; es handle sich „um eine epideiktische Darstellung Christi als Beispiel“246. Bruckers Untersuchung kommt das Verdienst zu, auf die Problematik einer sich an unzureichenden Kriterien orientierenden Unterscheidung zwischen Poesie und Prosa in der biblischen Exegese hinzuweisen. Die häufig für die Klassifizierung eines Textes als poetisch ausschlaggebenden Parallelismen bzw. der Parallelismus membrorum247 begegnen nicht ausschließlich in poetischen Texten, sondern unter anderem auch in Phil 2,1 – 4 sowie in Jes 45,23, einer ebenfalls üblicherweise nicht als Poesie charakterisierten Stelle, welche in Phil 2,10b.11a rezipiert wird.248 Parallelismen erweisen sich somit als kein hinreichendes Kriterium zur Klassifizierung eines Textes als Poesie, wenn sie auch vermehrt in den alttestamentlichen Psalmen Verwendung finden. Jedoch sind weder Bruckers Einordnung von Phil 2,6 – 11 als Prosa noch der damit verknüpfte Schluss auf eine paulinische Verfasserschaft der Verse überzeugend. Bereits in ihrem Ansatz problematisch scheint Bruckers Klassifizierung durch die Auswahl des Vergleichsmaterials. Brucker verzichtet weitgehend auf den Vergleich mit Texten aus semitischem Umfeld, sondern zieht nahezu ausschließlich paganes griechisches und lateinisches Material heran.249 Damit berücksichtigt er nicht, dass einem griechischsprachigen Judenchristen die alttestamentlichen Texte ebenfalls auf Griechisch durch die LXX oder eine andere Übersetzung geläufig sind, mitunter geläufiger als griechische und römische Prosa oder Poesie. Nun begegnen allerdings in Phil 2,6 – 11 sprachliche Berührungspunkte gerade mit semitischen Texten. Die ‚ Formulierung 1m t` amºlati IgsoO (V. 10a) ist im Profangriechischen nicht belegt, sondern ein Semitismus, die Übersetzung des hebräischen AMû15!.250 Auf die Verwendung von l´wqi ham²tou (V. 8b) in jüdischen Texten im Martyriumszusammenhang wurde oben hingewiesen. Einen unmittelbaren Bezug zur griechischsprachigen jüdischen Literatur stellt schließlich die Zitatanspielung auf Jes 45,23LXX (V. 10b.11a) her. Es legt sich somit nahe, jüdische Texte, auch die ursprünglich hebräisch abgefassten des AT, in die Untersuchung der Gattungsfrage einzubeziehen. Damit wird aber für Phil 2,6 – 11 nach Bruckers eigenen Kriterien die am Vorhandensein eines Metrums orientierte Unterscheidung zwischen Poesie und Prosa fragwürdig. So lasse sich Brucker zufolge im AT nur eingeschränkt von Poesie reden, da den für gewöhnlich als poetisch angesehen Texten (z. B. den Psalmen) ein Metrum fehle, was ent246 Ebd., 314. Brucker verweist auf das Fehlen eines „angemessene[n] deutsche[n] Adjektiv[s]“ (111) für „epideiktisch“ und gebraucht als deutsche Bezeichnung der Redegattung „je nach Zusammenhang ,Lobrede‘ oder neutraler ,Gelegenheitsrede‘ “ (111). 247 Vgl. u. a. Mller, Philipper, 91. 248 Brucker, Christushymnen, 35 verweist in diesem Zusammenhang auf Gen 21,1.6; Ex 2,1 – 7 sowie auf Num 5,12 – 15 (Rechtssätze) und Gen 49 (Segenssprüche). 249 Eine Ausnahme bildet Philo von Alexandrien (vgl. Brucker, Christushymnen, 218ff; vgl. auch schon die dahingehende Kritik an Bruckers Vorgehen bei Walter, Philipper, 57). 250 Vgl. Bietenhard, emola, 262.
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Die Frage der Textgattung
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sprechend der griechischen Poetik jedoch die Grundvoraussetzung für einen poetischen Text sei.251 Da zudem der Parallelismus membrorum nicht als hinreichendes Kriterium für Poesie gelten kann, gelangt Brucker zu dem Schluss: „Wenn auch in Texten wie den Psalmen die Bezeichnung ,Poesie‘ nicht ganz falsch ist, so ist doch letzten Endes die ganze Polarisierung ,Poesie/ Prosa‘ der hebräischen Literatur nicht angemessen.“252 Dieses Votum wird man jedoch auf Phil 2,6 – 11 ausdehnen müssen, sofern sich der Text stilistisch an semitischer Literatur orientiert. In diese Richtung weisen jedoch obige sprachliche Berührungspunkte. Auch scheint Bruckers Klassifizierung als Epainos wenig glücklich. So verweist Vollenweider darauf, dass der Epainos gemäß der antiken Rhetorik „knapp, einfach und kunstlos“253 sei, was dem Traditionsstück nur sehr bedingt entspricht.254 Vor allem aber geht es in dem Abschnitt weniger um die Tugend Christi, was nach Brucker für den Epainos charakteristisch wäre, sondern vielmehr um dessen Verhalten.255 Nicht Christi !qet¶ wird dargestellt, sondern sein 5qcom und das darauf reagierende Handeln Gottes. Eine gattungsmäßige Klassifizierung steht jedoch allgemein vor schwerwiegenden Problemen. Ein entscheidendes Problem liegt bereits im Fehlen einer Einleitung, so dass „dem Text eine klar bestimmbare kommunikative Ausrichtung fehlt.“256 Der Vergleich mit alttestamentlichen Texten gestaltet sich schwierig. Ist eine sich allein auf den Parallelismus membrorum berufende Charakterisierung als Poesie nicht möglich, so hinken Vergleiche mit den Lobpsalmen auch inhaltlich. Insbesondere im Vergleich zum „berichtenden Lobpreis“, in dessen Nähe Ulrich B. Müller Phil 2,6 – 11 verortet257, fällt auf, dass in unserem Text weder ein Lob, noch eine explizite Soteriologie, eine Schilderung der Rettung durch Gott, begegnet. Beides sind aber konstitutive Elemente des „berichtenden Lobpreises“ bzw. des „berichtenden Lobpsalms des Einzelnen“.258 Am Fehlen eines ausdrücklichen Lobs Gottes krankt auch die Zuordnung zu einer im Sinne eines Gotteslobs weit gefassten Gattung „Hymnus“259, ebenso wie der von Vollenweider gewählte Begriff „hymnisches Christuslob“260. Eine größere Nähe besteht jedoch zu den Jahwe-Königsliedern, „welche die gegenwärtige und die zukünftige (eschatologische) Kö-
251 Vgl. Brucker, Christushymnen, 310 f. Zur Frage nach einem Metrum der Psalmen vgl. Seybold, Poetik der Psalmen, 102 ff. 252 Brucker, Christushymnen, 35. 253 Vollenweider, Rezension Brucker, 281. 254 Vgl. ebd., 281. 255 Vgl. ebd., 281. 256 Kennel, Frühchristliche Hymnen, 276. 257 Vgl. Mller, Philipper, 95. 258 Vgl. u. a. Ps 18; 32; 66; 118 sowie Jes 38,10 – 20; Jon 2,3 – 10; Sir 51; vgl. auch Westermann, Lob und Klage in den Psalmen, 76 ff. 259 Vgl. Deichgrber, Gotteshymnus und Christushymnus, 22, 118 f. 260 Vollenweider, Hymnus, 225.
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Der sogenannte Christushymnus
nigsherrschaft Jahwes besingen.“261 Diese berühren sich thematisch mit dem Traditionsstück durch das Thema der Kyriotes, derjenigen Jahwes in den Psalmen und der von diesem auf Christus übertragenen in Phil 2,6 – 11. Nun gibt es einen weiteren auffälligen Berührungspunkt: Auch in den Jahwe-Königsliedern kann eine explizite Soteriologie fehlen. Die Schilderung der Erhabenheit Jahwes kann ohne Verweis auf deren Heilsbedeutung erfolgen.262 Darüber hinaus fehlt in Ps 93 neben der Soteriologie wie in Phil 2 auch ein Aufruf zum Lobpreis. Während eine Zuordnung zu einer Literaturgattung im engeren Sinne kaum möglich erscheint, bietet es sich an Phil 2,6 – 11 unter den Oberbegriff „Psalm“ zu fassen und im Hinblick auf diesen Text von einem „Christuspsalm“263 zu reden. Damit werden die judenchristliche Herkunft des Textes und seine sprachliche Nähe zur semitischen Literatur betont. Die inhaltliche Nähe zu den „Jahwe-Königsliedern“ spricht ebenfalls für den Terminus „Psalm“. Des Weiteren wird damit ein Bezug zu einem potentiell liturgischen Sitz im Leben, dem Gottesdienst einer hellenistisch-judenchristlichen Gemeinde, hergestellt. Der synonyme Gebrauch von „Psalm“ und „Hymnus“ bei Philo264, aber auch eine derartige Bezeichnung von Psalmen in der LXX265 rechtfertigen zwar die Verwendung des Begriffs „Christushymnus“; jedoch scheint es sinnvoll, diesem den Terminus „Psalm“ nicht zuletzt „um der begrifflichen Klarheit willen“266 vorzuziehen. Die Termini „Psalm“ und „Christuspsalm“ werden, nachdem bisher gattungsneutrale Begriffe gebraucht wurden, in der weiteren Untersuchung Verwendung finden.
Fazit 1.) Das Traditionsstück Phil 2,6 – 11 thematisiert die Legitimität der Kyriotes, des Gott- und Herrseins Christi, vor dem Hintergrund des jüdisch-christlichen Monotheismus. Christus, der bereits präexistent Gott war, hat aus diesem Stand heraus eine dem Vater gleiche Herrschaftsstellung nicht gewaltsam an sich gerissen, sondern vielmehr sein Gottsein preisgegeben, indem er Mensch wurde. Als Menschgewordener erniedrigte er sich, indem er Gott dem Vater bis zum Tod gehorsam war. Infolge seiner Preisgabe des Gottseins und seines 261 Kaiser, Grundriß der Einleitung 3, 16; vgl. Ps 29; 37; 93; 95 – 99. 262 Vgl. Ps 29; 93; 95; 96. 263 So bereits Heinzelmann, Philipper, 92; vgl. aber auch die Bezeichnung als „urchristlicher Psalm“ bei Lohmeyer, Kyrios, 11. 264 Vgl. Philo, Fug 59 u. ö.; vgl. auch Delling, vlmor, 499 f. 265 Vgl. Ps 6,1; 53,1; 54,1; 60,1; 66,1; 71,20; 75,1 LXX. Vgl. darüber hinaus auch zur Entwicklung der paganen Gattung des nicht metrischen Prosahymnus bei Vollenweider, Hymnus, 214 ff. 266 Kennel, Frühchristliche Hymnen, 276.
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Gehorsams bis zum Tod hat ihm der Vater rechtmäßig die Kyriotes verliehen, indem er ihn in gottgleichen Stand erhöht und ihm den Gottesnamen beigelegt hat. 2.) Der hellenistisch-judenchristliche Verfasser bedient sich zu diesem Zweck sowohl jüdischer als auch griechischer und römischer Vorstellungen und Motive aus dem Kontext des Themas „Herrschaft“. Als für seine Darstellung leitender religionsgeschichtlicher Hintergrund erweist sich die römische Herrscherverehrung. Diese wird sowohl strukturell durch eine bereits ursprüngliche Göttlichkeit, eine Bewährung dieser und eine postume Divinisierung rezipiert, als auch werden in zeitgenössischen Texten zu Herrschern bzw. zur Herrscherverehrung u. a. miteinander verknüpft vorkommende Einzelmotive (Gestaltwandel, Raub, Gottgleichheit) aufgenommen. 3.) Ein ethisches Anliegen des Verfassers ist nicht ersichtlich. Jedoch ergeben sich im Rahmen der Begründung der Kyriotes Christi durch dessen Erniedrigungs- und Gottes darauf reagierendes Erhöhungshandeln Implikationen, die potentielle Anknüpfungspunkte für eine ethische Rezeption des Textes bieten, und daher für die weitere Untersuchung besonders zu beachten sind: das einen Lohngedanken implizierende Schema Erniedrigung – Erhöhung; die Gegenüberstellung zweier Handlungsoptionen in V. 6 f, des Ergreifens der Gottgleichheit einerseits und der Preisgabe des präexistenten Gottseins andererseits; die Erläuterung der Selbsterniedrigung als Gehorsam gegenüber Gott; die in diesem Zusammenhang gebrauchte aus dem Martyriumskontext stammende Wendung l´wqi ham²tou. 4.) Explizit findet sich im gesamten Psalm keine soteriologische Aussage. Auf die Heilsbedeutung von Tod und Erhöhung Christi geht der Verfasser nicht ein. Auch hier besteht freilich die Möglichkeit, dass ein Rezipient an die Schilderung in einem dezidiert soteriologischen Sinn anknüpfen kann. Der Abschnitt ist ebenso wie für eine ethische auch für eine soteriologische Rezeption offen. 5.) Darüber hinaus bietet Phil 2,6 – 11 politische Implikationen. Zwar verfolgt das Traditionsstück weder mit der motivischen und strukturellen Aufnahme der römischen Herrscherverehrung, noch mit der Schilderung von Christi Einsetzung als universalem Herrscher ein explizit politisches bzw. herrschaftskritisches Interesse. Jedoch sind einerseits mögliche dahingehende Assoziationen der den Text rezitierenden Gemeindemitglieder in der römischen Kolonie Philippi zu berücksichtigen, andererseits ist eine eventuelle paulinische Anknüpfung an die politischen Implikationen zu untersuchen.
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3. Die Rezeption des Christuspsalms Im Anschluss an die Untersuchung des Christuspsalms an sich und ohne Berücksichtigung der paulinischen Bezugnahmen auf diesen Text soll im Folgenden dessen Rezeption in drei Abschnitten des Phil untersucht werden: innerhalb seines parakletischen Nahkontextes (1,27 – 2,18), im Rahmen der Auseinandersetzung mit Gegenpositionen in Phil 3 und im Zusammenhang mit Paulus’ Lob des Gemeindegesandten Epaphroditus (2,25 – 30). Dabei ist als Fragestellung leitend: Welchen Bezug stellt Paulus zwischen dem Christuspsalm und der Ethik im Phil her? Knüpft er an dessen ethische Implikationen an und weist Christus auf diese Weise eine Vorbildfunktion zu, oder verbindet er Paraklese und Psalm unter soteriologischem Gesichtspunkt? Orientieren sich die Mahnungen auch inhaltlich an Christi Handeln, oder versteht Paulus dieses allein als den Imperativ begründendes Heilshandeln? Begleitet wird diese Untersuchung von der Frage, ob dabei eine bestimmte Gemeindesituation erkennbar wird, auf welche der Apostel reagiert, und nach dem konkreten Anliegen, aus welchem heraus der Apostel den Phil verfasst.
3.1 Phil 1,27 – 2,18: Die Einheit der Gemeinde in Christus 3.1.1 Vorklärungen: Textabgrenzung und Aufbau Paulus verwendet den Christuspsalm innerhalb eines von Phil 1,27 – 2,18 reichenden parakletischen Briefabschnitts. Dieser schließt an die Schilderung seiner Haft und deren positiver Auswirkung auf die Evangeliumsverkündigung sowie eine Reflexion über den möglichen Haftausgang, Tod oder Freilassung, an (1,12 – 26). Im dem Traditionsstück unmittelbar vorangehenden, die Gemeindemitglieder zu einträchtigem Verhalten untereinander auffordernden Unterabschnitt 2,1 – 4 bereitet der Apostel durch einen gehobenen Sprachstil den eventuell aus einem liturgischen Zusammenhang stammenden Text vor. Die vier Parallelismen in V. 1 sowie parallele Satzstrukturen in V. 2b.3a und 4 nehmen, obiger Vorbehalte eingedenk1, auch in der Poesie gebrauchte Stilmerkmale auf und leiten zu dem Psalm über.2 Terminologisch wird dieser in dem Unterabschnitt durch die Aufforderung zur tapeimovqos¼mg (V. 3: Niedrigkeitsgesinnung/Demut ! V. 8: tapeimoOm) re1 Vgl. 2.4. 2 Vgl. 3.1.3.1.
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Die Rezeption des Christuspsalms
zipiert, zudem in den Begriffen jemodon¸a (V. 3: „leere Ehrsucht“ ! V. 7: jemoOm, V. 11: dºna) und Bce?shai (V. 3: ansehen als ! V. 6) sowie durch das wiederholte 2autºr (V. 3 f ! V. 7 f) und das Präfix rpeq- in rpeq´weim (V. 3 ! V. 9: rpequxoOm, rp´q). Zwar scheint die stilistische und terminologische Verbindung mit der Paraklese in 2,1 – 4 auf eine ethische Funktion von V. 6 – 11 hinzuweisen, doch wird das Verständnis des Christuspsalms innerhalb seines paulinischen Kontextes durch zweierlei erschwert: zunächst durch die unsichere Wiedergabe der paulinischen Überleitung in V. 5 (toOto vqome?te 1m rl?m f ja· 1m Wqist` YgsoO).3 Auf sprachlich-syntaktischer Ebene lässt sich keine Entscheidung zwischen beiden Auslegungsoptionen, als Verweis 1.) auf die Vorbildlichkeit der Gesinnung Christi oder 2.) auf Christi die neue Gesinnung der Gemeindemitglieder begründendes Heilshandeln, treffen. Daher ist es erforderlich, die Funktion des Christuspsalms innerhalb seines Nahkontextes zu untersuchen, um davon ausgehend die Frage zu beantworten, ob Paulus mit der Rezeption des Textes ausdrücklich auf Christi Vorbildfunktion Bezug nimmt oder primär die grundlegende soteriologische (und dabei nur in einem weiteren Sinne die ethische) Bedeutung Christi im Blick hat – oder ob es sich bei beidem vielmehr um zwei untrennbar miteinander verbundene Aspekte der paulinischen Ethik handelt. Bei der Untersuchung des Nahkontextes des Christuspsalms tut sich jedoch eine zweite Schwierigkeit auf. Es ist umstritten, wie weit dieser Kontext reicht. Sprachlich vorbereitet und verstärkt terminologisch rezipiert wird der Text zwar in 2,1 – 4. Jedoch sind diese Verse Teil eines größeren parakletischen Abschnitts. Bereits in 1,27 – 30 wird die Einheit der Gemeinde angemahnt. Dabei stellt eine äußere Bedrohung, welche in 2,1 – 4 allerdings nicht erwähnt wird, den Hintergrund der Paraklese dar. Der an den Christuspsalm anschließende Abschnitt (2,12 – 18) wiederum bezieht sich durch den einleitenden Verweis auf den Gehorsam der Philipper terminologisch auf den Psalm zurück (2,12: rpajo¼eim ! V. 8: rp¶joor).4 Die Frage nach dessen Nahkontext lässt sich somit dahingehend zuspitzen: Stellt Phil 1,27 – 2,18 eine einzige, zusammenhängende, auf ein bestimmtes Problem reagierende Paraklese dar, und kommt dem Christuspsalm eine für diese Paraklese im Ganzen grundlegende Funktion zu? In diesem Zusammenhang steht vor allem die Zuordnung der Verse 1,27 – 30 zur Diskussion, welche mit dem Vorangehenden die Bezugnahme auf das Leiden um Christi willen, mit 2,1 – 4 hingegen das Thema der Einheit der Gemeinde teilen.5 Letzteres wird jedoch in beiden Abschnitten unter verschiedenen Ge3 Vgl. 1.3.1. 4 Vgl. 3.1.4. 5 Lohmeyer, Philipper, 112 zieht 2,17.18 als „Überleitung“ zu 2,19 – 30 (vgl. dahingehend neuerdings wieder Heil, Philippians, 100ff). Gegen Lohmeyer (und Heil) und zur Verknüpfung zwischen V. 16 und 17 vgl. 3.1.4.
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Die Einheit der Gemeinde in Christus
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sichtspunkten betrachtet, zunächst im Hinblick auf eine äußere Bedrohung und die Außenwirkung einer gemeinsam kämpfenden Gemeinde (1,27 f), im Folgenden hinsichtlich der Verwirklichung eines einmütigen Verhaltens innerhalb der Gemeinde (2,2 – 4). Nikolaus Walter kommt daher zu dem Schluss, dass, wenn auch beide „Mahnungen (…) in derselben Situation [= einer Bedrohung von Außen] begründet sein“6 können, aufgrund des Perspektivwechsels zwischen 1,30 und 2,1 eine Zäsur bestehe, so dass „1,27 – 30 nicht eine Art ,Auftakt‘ zu den folgenden Mahnungen“7 bilde. Vielmehr handle es sich dabei um den Abschluss des das „Leiden um Christi willen“8 behandelnden „,evangelische[n] Lagebericht[s]‘ des Paulus“9 (1,12 – 30), in welchem der Apostel nach der Schilderung seiner „Leidenssituation“ auf das „Leidenmüssen der Philipper“10 eingehe.11 Allerdings könnte gerade im Perspektivwechsel ein Hinweis auf die Zugehörigkeit von 1,27 – 30 zum Folgenden liegen. So fehlt in diesen Versen mit der Binnenperspektive auch jegliche konkrete Anweisung an die Gemeinde, wie die aufgrund der äußeren Bedrohung notwendige innere Einheit verwirklicht werden soll. Die Mahnung bleibt mit dem Verweis auf die Erwartung des Apostels, vom Stehen „in einem Geist“ und dem gemeinsamen Kampf der Philipper zu erfahren (1,27), weitgehend abstrakt. Konkrete Handlungsanweisungen finden sich erst in 2,3 f. Dort entfaltet Paulus die Aufforderung, seine „Freude vollkommen“ zu machen, indem die Gemeindemitglieder untereinander „dasselbe sinnen“ (V. 2), als Mahnung zu einer nicht auf „Eigennutz“ (1qihe¸a) und „leere Ehrsucht“ (jemodon¸a) gegründeten Haltung, sondern einer „Niedrigkeitsgesinnung“12 (tapeimovqos¼mg), durch welche der Andere „als höher stehend erachtet“ werde als die eigene Person (V. 3). Praktisch wird dies in V. 4 ausgeführt als ein Schauen ,eines Jeden nicht auf die eigenen Dinge, sondern unbedingt13 aller auf die der Anderen‘. D.h., die Einheit der Gemeinde wird nach 2,2 – 4 allererst durch eine Niedrigkeitsgesinnung und einem aus dieser Gesinnung resultierenden Verhalten hergestellt.14 Erst hier erfolgt eine Konkretisierung der bereits in 1,27 angemahnten Einheit hinsichtlich ihrer Umsetzung.
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Walter, Philipper, 52. Ebd., 51. Ebd., 37. Ebd., 37. Ebd., 51. Ebenfalls zum Vorangehenden als Abschluss von Paulus’ „brieflicher Selbstempfehlung“ ziehen Phil 1,27 – 30 Schnider/Stenger, Briefformular, 54; Schnelle, Einleitung, 156. 12 Zur an Walter, Philipper, 54 („,Demut‘ = Niedrigkeits-Sinnen“) anknüpfenden Übersetzung von tapeimovqos¼mg mit Niedrigkeitsgesinnung vgl. 3.1.3.2. 13 Zum textkritischen Problem des !kk± [ja¸] und zur Übersetzung der Wendung im Sinne einer Steigerung vgl. 3.1.3.2. 14 Ein ähnlicher Gedankengang begegnet bei Paulus auch in Röm 12,16. Dort wird die Mahnung „untereinander das Selbe zu sinnen“ (t¹ aqt¹ eQr !kk¶kour vqomoOmter) ausgeführt als „nicht
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Die Rezeption des Christuspsalms
Auf eine dahingehende Verbindung der beiden Unterabschnitte verweist auch die ähnliche Struktur der Mahnungen in 1,27 und 2,2 – 4. Die einleitende Mahnung zu einer dem Evangelium Christi würdigen Lebensführung (!n¸yr toO eqaccek¸ou toO WqistoO pokite¼eshe [1,27]) wird häufig unmittelbar als Forderung nach Einheit verstanden.15 Auffällig ist jedoch, dass Paulus die Einheit im Anschluss gerade nicht ausdrücklich fordert, sondern vielmehr als das bezeichnet, was er infolge eines dem Evangelium würdigen Lebenswandels der Philipper zu erfahren hofft. Sie dürfte demnach eher als Resultat des geforderten Lebenswandels aufzufassen sein.16 Dies entspräche aber insofern 2,2 – 4, als auch dort die Einheit erst durch die Niedrigkeitsgesinnung verwirklicht werden muss. Vor diesem Hintergrund bietet es sich an, unter einer dem Evangelium Christi würdigen Lebensführung eben jenes von Paulus in 2,3 f entfaltete in dieser Niedrigkeitsgesinnung gründende Verhalten zu verstehen. Das geforderte Stehen „in einem Geist“ und das gemeinsame Kämpfen „mit einer Seele“ resultiert aus einer Lebensführung, welche von einer Christus bzw. dem Sein in Christus entsprechenden Niedrigkeitsgesinnung bestimmt wird. Demnach enthält aber bereits die Eingangsmahnung !n¸yr toO eqaccek¸ou toO WqistoO pokite¼eshe einen impliziten Verweis auf den Christuspsalm bzw. das darin geschilderte Handeln Christi. Diese Annahme wird dadurch gestützt, dass Christus den alleinigen Inhalt des paulinischen Evangeliums darstellt.17 Bei einer dem Evangelium Christi18 würdigen Lebensführung dürfte es sich somit letztlich um nichts anderes als um eine Christus bzw. dem Christusereignis als dem Inhalt des Evangeliums würdige handeln. Dieser Inhalt findet aber seine Darstellung im Christuspsalm. Die Eingangsmahnung weist demzufolge offenbar bereits auf den Psalm voraus. Dieser entfaltet das Evangelium, in Entsprechung zu dem die Philipper ihr Leben führen sollen.19
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nach den hohen Dingen sinnen, sondern sich zu den Niedrigen herablassen“ (lμ t± rxgk± vqomoOmter !kk± to?r tapeimo?r sumapacºlemoi; vgl. Wengst, Demut bei Paulus, 432). Vgl. G. Barth, Philipper, 37; Gnilka, Philipperbrief, 99; Mller, Philipper, 77; Walter, Philipper, 46. Vgl. Bockmuehl, Philippians, 99: „For the Philippians, the result of living in a way worty of the gospel will be a corporate Christian existence that stands firm and united, and which is entirely independent of Paul’s absence or presence with them.“ Vgl. Röm 1,3 f; 1. Kor 15,3 – 5; vgl. auch Friedrich, eqacc´kiom, 728. Demzufolge ist eqacc´kiom toO WqistoO als Genitivus objektivus zu verstehen (vgl. Mller, Philipper, 76), wenn auch mit Friedrich, eqacc´kiom, 728 und G. Strecker, eqacc´kiom, 181 zu beachten ist, dass eine Trennung von Genitivus objektivus und Genitivus subjektivus insofern problematisch ist, als Christus für Paulus gleichsam den Urheber der Verkündigung darstellt (vgl. Röm 15,18; 2. Kor 5,20; 13,3). Vgl. dahingehend Mengel, Studien, 245 sowie mit explizit vorbildethischem Verständnis Bockmuehl, Philippians, 98: „The practical substance of what it means to live worthy of the gospel in Philippi is now explained by the remainder of this section, perhaps specially as illustrated in 2.5 – 11: to live by the gospel of Christ means above all to live by the example of Christ.“ „(…) The key to a citizenship ,worthy of the gospel of Christ‘ is in fact none other than to adopt the mind of Christ“ (121).
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In diesem Zusammenhang ist auffällig, dass Paulus an beiden Stellen, an denen er ausdrücklich auf den Inhalt seines Evangeliums zu sprechen kommt, Röm 1,3 f und 1. Kor 15,3 – 5, jeweils auf eine Tradition zurückgreift. Dies könnte ein weiteres Indiz dafür sein, dass es sich auch bei Phil 2,6 – 11 um ein Traditionsstück handelt.20
Somit scheint eine Trennung der Verse 1,27 – 30 von der Paraklese in 2,1 – 18 und ihre Zuordnung zum vorangehenden Briefabschnitt unzulässig. 1,27 – 30 und 2,1 – 4 verhalten sich vielmehr als allgemeine und konkrete Paraklese zueinander. Des Weiteren bestehen inhaltliche und motivische Verknüpfungen zwischen 1,27 – 30 und 2,12 – 18 die darauf hindeuten, dass beide Abschnitte rahmende und dabei zugleich grundlegende Elemente der Gesamtparaklese 1,27 – 2,18 sind. Das Motiv der Anwesenheit oder Abwesenheit des Apostels begegnet in 1,27 und 2,12 in der Einleitung des jeweiligen Unterabschnitts. Auf die Umwelt wird in 1,28 sowie in 2,15 Bezug genommen, wobei diese ausgesprochen negativ gewertet wird. In diesem Zusammenhang geht Paulus in 1,28 erstmals auf die Erlösung der Philipper ein, welche er in 2,12 f thematisiert. Parallelisiert der Apostel in 1,30 sein Leiden bzw. seinen „Kampf“ mit demjenigen der Philipper, so charakterisiert er in 2,17 seinen möglichen Tod als ein Opfer. Diese Beobachtungen verdeutlichen, dass es sich bei Phil 1,27 – 2,18 um eine zusammenhängende Paraklese handelt. Die allgemeinen Paraklesen in 1,27 – 30 und 2,12 – 18 bilden deren Rahmen, während Paulus in 2,1 – 4 die Mahnung auf die erforderliche Gesinnung und das aus dieser resultierende Verhalten hin konkretisiert unter Bezugnahme auf den mit V. 5 angeschlossenen Christuspsalm (2,6 – 11). In der abschließenden allgemeinen Paraklese 2,12 – 18 erfolgt die soteriologische (und eschatologische) Zuspitzung der Mahnung, wobei Paulus einen besonderen Akzent auf die ethische Motivierung legt. Die terminologische Rezeption des Christuspsalms in allen drei Unterabschnitten und der Vorausverweis auf diesen bereits mit der einleitenden Mahnung, deuten auf eine zentrale Funktion des Textes innerhalb der Gesamtparaklese 1,27 – 2,18 hin. 3.1.2 Allgemeine Paraklese A (1,27 – 30) Neben dem Vorverweis auf den Christuspsalm durch die Eingangsmahnung findet sich innerhalb der einleitenden allgemeinen Paraklese eine Bezugnahme auf diesen nur in Form der terminologischen Anknüpfung von waq¸feshai und t¹ rp´q in 1,29 an Christi Erhöhung in 2,9. Drei Beobachtungen innerhalb des Abschnitts kommt allerdings für die Untersuchung der Ethik des Phil besondere Bedeutung zu: 1.) der sich in 1,27 abzeichnenden Gegenüberstellung einer Orientierung am Evangelium mit den den Adressaten vertrauten römisch-paganen Werten und Normen, 2.) den Anzeichen für 20 Vgl. 6.1.1.
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eine besondere Betonung des Wirkens Gottes, 3.) den hier thematisierten Leidenserfahrungen in Philippi und Paulus’ Versuch, diese den Gemeindemitgliedern verständlich und akzeptabel zu machen. 1.) In der Eingangsmahnung !n¸yr toO eqaccek¸ou toO WqistoO pokite¼eshe, welche durch das voran stehende lºmom grundsätzlichen Charakter erhält, als dasjenige, worauf es allein ankommt21, klingt paganer Sprachgebrauch an. Dass Paulus nur hier gegenüber den vornehmlich heidenchristlichen Adressaten in der römischen Kolonie Philippi das Verb pokite¼eshai22 anstelle des bei ihm üblichen peqipate?m23 verwendet, wird schwerlich Zufall sein und nicht ohne Berücksichtigung dessen den gesellschaftlich-politischen Bereich berührender Grundbedeutung „sein Bürgerleben führen“ erfolgen.24 Hier ist zumindest von einer sprachlichen Annäherung an die Empfänger auszugehen.25 Peter Pilhofer verweist darüber hinaus jedoch auf epigraphische Belege für die Verbindung von !n¸yr mit Bezugspunkten aus dem staatsbürgerlichen Kontext.26 In einer Ehreninschrift aus Gazoros, etwa 50 km westlich von Philippi27, aus dem 3. Jh. v. Chr. heißt es: !n¸yr toO te basik´yr ja· t_m pokit_m28. Weitere von Pilhofer angeführte pagane Belege aus anderen Regionen, darunter insbesondere die Formulierung !n¸yr t/r Blet´qar pºkeyr29, legen die Annahme nahe, dass Paulus eine gängige, seinen heidenchristlichen Empfängern geläufige Wendung aufgreift, welche ein dem Staat und seinen Bürgern bzw. der Polis würdiges Leben als ethische Maxime hervorhebt.30 Die Stelle der Polis als Bezugsgröße des Handelns nimmt in Phil 1,27 allerdings das Evangelium Christi ein. Gerade in Verbindung mit dem von Paulus nur hier gebrauchten Verb pokite¼eshai erscheint die einleitende Mahnung somit als ein ausdrücklicher Widerspruch zur in der Kolonie 21 Vgl. Mller, Philipper, 74ff; Bockmuehl, Philippians, 97; Landmesser, Performativ, 554; vgl. auch die mit lºmom eingeleitete grundsätzliche Mahnung in Gal 5,13, sowie das einleitende lºmom in Gal 1,23; 2,10; 3,2. 22 Im NT begegnet pokite¼eshai nur ein weiteres Mal in Apg 23,1, wo es Paulus bei seiner Verteidigungsrede vor dem Synedrium von Lukas in den Mund gelegt wird. 23 Vgl. Röm 6,4; 8,4; 13,13; 14,15; 1. Kor 3,3; 7,17; 2. Kor 4,2; 5,7; 10,2 f; 12,18; Gal 5,16; Phil 3,17 f; 1. Thess 2,12; 4,1.12. 24 Vgl. K. Aland, Die Christen und der Staat nach Phil 3,20, 255; Pilhofer, Philippi 1, 136; Schinkel, Bürgerschaft, 61; anders: Strathmann, pºkir, 534. 25 Vgl. Mller, Philipper, 76. Zum Verhältnis zu Paulus’ Verweis auf das „himmlische Politeuma“ der Christen in 3,20 vgl. 3.2.6. 26 Vgl. Pilhofer, Philippi 1, 137. 27 Zur Frage der Zugehörigkeit Gazoros’ zur Kolonie Philippi vgl. ebd., 52 ff. 28 543/G480, Z. 9 f: „würdig sowohl dem König als auch den Bürgern“. 29 „Würdig unserer Stadt“ (vgl. IG VII 387, Z. 6). 30 Vgl. Pilhofer, Philippi 1, 137. In 1. Thess 2,12, der sich ebenfalls an eine mehrheitlich heidenchristliche Gemeinde richtet, fordert Paulus einen Gott würdigen Lebenswandel. Bereits hier dürfte es sich um die Aufnahme paganen Sprachgebrauchs handeln. So ist die von Paulus benutzte Wendung !n¸yr toO heou im paganen Kontext epigraphisch belegt (vgl. IG II2 775, Z. 19; 1136, Z. 5 u. ö.; vgl. Pilhofer, Philippi 1, 137). Vgl. auch Röm 16,2 (!n¸yr t_m "c¸ym).
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Philippi üblichen ethischen Orientierung. Nicht der Stadt oder der Kolonie würdig sollen die Gemeindemitglieder ihr „Bürgerleben“ führen, sondern dem Evangelium Christi.31 Wird in der römischen Kolonie ein der Stadt oder dem Staat würdiges Leben angestrebt, so bildet die allgemeine Sitte bzw. der römische mos maiorum die Norm des Verhaltens.32 Ruft Paulus jedoch die Christen zu einem dem Evangelium Christi würdigen Leben, im Gegensatz zu dem der Kolonie würdigen, auf, so kann die Norm dieses Lebens nicht mehr die überlieferte Sitte sein, wenn auch ein am Evangelium orientiertes Verhalten nicht zwangsläufig im Widerspruch zu den Werten und Normen der paganen Umwelt stehen muss.33 Diese Werte und Normen, welche das Dasein der heidenchristlichen Gemeindeglieder als Einwohner der Kolonie Philippi zeitlebens bestimmt haben, werden durch die Aufforderung zu einem dem Evangelium würdigen Lebenswandel infrage gestellt. Die sich aus der Orientierung am Evangelium Christi ergebenden Handlungsanforderungen34 nehmen nunmehr diejenige normative Funktion ein, welche in einem dem römischen Staat würdigen Leben dem mos maiorum zukommt.35 Paulus fordert auf diese Weise zu Beginn der Paraklese eine ethische Grundausrichtung, welche mit der üblichen Ausrichtung eines heidnischen Bewohners Philippis (und demzufolge auch mit der Primärsozialisation seiner heidenchristlichen Adressaten) konkurriert.36 Pilhofer fasst diese Spannung zusammen: „(…) Als ein Romanus, der stolz auf seine römische Identität ist, 31 Vgl. Pilhofer, Philippi 1, 137. Pilhofer sieht eine zusätzliche „Brisanz“ der Forderung einer Orientierung am Evangelium Christi anstelle des mos maiorum darin, „daß es sich in diesem Fall [= bei der Ekklesia] nicht um eine lokale religiöse Verirrung, sondern um eine ,internationale‘ Bewegung handelt“ (137). 32 Vgl. ebd., 191 f. Die Anklage gegen Paulus und Silas in Apg 16,20 f beruht offenbar auf einem Verstoß gegen den mos maiorum, wenn es heißt, sie verkündeten als Juden Sitten (5hg), welche Römer nicht annehmen dürfen. Zum römischen mos maiorum und dem von Lukas geschilderten Konflikt vgl. 1.4.1. 33 Vgl. Phil 4,8. Allerdings erscheint vor diesem Hintergrund ein Verständnis dieses Verses, wonach die paulinische Intention darin bestehe, die Bedeutung auch paganer Werte herauszustellen (vgl. dahingehend Walter, Philipper, 94 f; Gnilka, Philipperbrief, 222), fraglich. Zur Auslegung von 4,8 f hingegen als einer grundsätzlichen Verhältnisbestimmung zwischen christlichem und paganem Ethos vgl. 5.1. 34 Diese weite, unbestimmte Formulierung wird hier zunächst gewählt, da erst durch die Untersuchung von 2,1 – 5 und der Klärung der Frage nach einer ethischen Vorbildfunktion Christi der an die Stelle des mos maiorum tretende Maßstab ersichtlich wird. 35 Dies impliziert auch eine Infragestellung des positiven Rechts. Nicht allein leitende Werte, sondern auch rechtlich verbindliche Normen werden hiermit infrage gestellt. 36 Schinkel, Bürgerschaft, 61 f verweist in diesem Zusammenhang auf einen weiteren Aspekt von pokite¼eshai in jüdischem Kontext, darunter in sämtlichen Belegen innerhalb der LXX, wo das Verb in Bezug auf das Gesetz Gottes als Handlungsnorm begegnet. Vgl. Esther 8,12p; 2. Makk 6,1; 11,25 (1p· t_m pqocºmym aqt_m 5hg [nach den Sitten der Vorfahren]); 3. Makk 3,4; 4. Makk 2,8.23; 4,23 (t` patq¸\ pokiteuºlemoi mºl\ [die ihr Leben im väterlichen Gesetz führen]); 5,16; vgl. auch Arist 31. Es ist damit zu rechnen, dass dieser ethische Gebrauch innerhalb des Judentums dem Juden Paulus bei der Aufnahme des Verbs neben dessen paganem Anklang bewusst ist.
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kann man nicht der Aufforderung des Paulus nachkommen: !n¸yr toO eqaccek¸ou toO WqistoO pokite¼eshe; denn hier wird das eqacc´kiom toO WqistoO als eine Bezugsgröße eingeführt, die im römischen Koordinatensystem, dem mos maiorum, nicht nur nicht vorkommt, sondern auch in dieses römische Koordinatensystem schlechterdings nicht integrierbar ist.“37 Stellt der Apostel aber direkt zu Beginn der Paraklese eine christliche Lebensführung den in Philippi leitenden Werten und Normen gegenüber, so wirft dies unweigerlich die Frage auf, ob diese Mahnung auf einen Wertekonflikt reagiert, gerade angesichts der mehrheitlich paganen Primärsozialisation der Gemeindemitglieder. Es wird daher in der Folge zu untersuchen sein, inwiefern sich eine Spannung zwischen der Orientierung an paganen Werten und solchen, welche im Evangelium Christi gründen, auch an anderen Stellen abzeichnet und ein eventuell damit in Verbindung stehender Konflikt erkennbar wird. 2.) Paulus verknüpft mit seiner einleitenden Mahnung die Erwartung auf ein Stehen der Gemeinde „in einem Geist“. Dieses entfalten die anschließenden Partizipialsätze als einen gemeinsamen Kampf und ein Sich-nicht-einschüchtern-Lassen durch die Widersacher (V. 27b.28a).38 Unsicher ist dabei das Verständnis dieses gemeinsamen Kampfes als eines Kämpfens t0 p¸stei toO eqaccek¸ou. Mehrheitlich wird der Dativ in der neueren Forschung als Dativus commodi aufgefasst.39 Es sei von einem Kampf für den Glauben an das Evangelium bzw. für den Glauben, welcher aus dem Evangelium hervorgeht, die Rede.40 Aufgrund des Kontextes wäre dieser Kampf als eine Verteidigung des Glaubens gegen äußere Widersacher zu verstehen. Ein ausdrücklicher missionarischer Aspekt fehlt in 1,27 – 2,1841; demgegenüber steht eine aus37 Pilhofer, Philippi 1, 116. 38 Nicht eindeutig zu klären ist die Frage, ob hier bei pme¼la an den von den Glaubenden in der Taufe empfangenen Heiligen Geist (vgl. Gnilka, Philipperbrief, 99; Mller, Philipper, 77) oder vielmehr an den individuellen menschlichen Geist der einzelnen Gemeindemitglieder (vgl. Lohmeyer, Philipper, 75; G. Barth, Philipper, 37; Eckey, Philipper, 70) zu denken ist. Das als Entfaltung des st¶jete 1m 2m· pme¼lati anschließende liø xuw0 sumahkoOmher lässt eher an Zweites denken. Allerdings begegnet die Voranstellung des Geistes Gottes als Grundlage des Handelns der Christen in dem Verweis auf die joimym¸a pme¼lator in 2,1. Eventuell kommt hier eine gewisse „individuierende Tendenz“ (Vollenweider, Geist Gottes, 176) bei Paulus hinsichtlich des empfangenen Geistes Gottes zum Tragen, infolge derer dieser nicht mehr eindeutig vom Geist des einzelnen Glaubenden zu trennen ist und förmlich dessen Raum einnimmt (vgl. 1. Kor 2,14 – 16; Vollenweider ordnet Phil 1,27 jedoch [unter Vorbehalt] denjenigen Stellen zu, die „vom Empfangen des Geistes Gottes bzw. Christi ohne individuierende Tendenz sprechen“ [176]). 39 Vgl. u. a. Gnilka, Philipperbrief, 99; Walter, Philipper, 46; Bockmuehl, Philippians, 99; Mller, Philipper, 77; Eckey, Philipper, 71. 40 Zu den beiden Verständnismöglichkeiten des Genitiv vgl. Bockmuehl, Philippians, 99. Peterlin, Philippians, 58 versteht die Wendung sumahke?m t0 p¸stei toO eqaccek¸ou als Aufforderung zum Kampf um einen evangeliumsgemäßen Glauben bzw. um dessen Bewahrung. Sie bilde somit faktisch eine Parallele zu !n¸yr toO eqaccek¸ou toO WqistoO pokite¼eshe. 41 Anders: Eckey, Philipper, 71.
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gesprochen negative Wertung der Umwelt sowohl in 1,28 als auch in 2,15.42 Christof Landmesser verweist jedoch darauf, „daß Paulus an keiner anderen Stelle die p¸stir als etwas zu Verteidigendes beschreibt, wofür die Christen überhaupt kämpfen könnten oder kämpfen sollten. t0 p¸stei als ein Dativus commodi ist bei Paulus nicht nachweisbar.“43 Landmesser versteht die Wendung infolgedessen als einen Dativus modi: „Die Pointe in V. 27d liegt vielmehr darauf, daß die Christen als solche, die glauben, gemeinsam kämpfen.“44 Es lässt sich jedoch fragen, ob nicht der Kontext Anhaltspunkte für ein von Ernst Lohmeyer vertretenes Verständnis als Dativus sociativus, als eines gemeinsamen Kampfes „mit dem Glauben des Evangelium“45, oder aber als Dativus instrumentalis, „durch den Glauben an das Evangelium“, bietet, so dass an den Glauben und damit letzten Endes an Gott selbst als im Kampf der Gemeinde wirksam zu denken ist.46 Derlei berührt sich mit 2,12 f, wo Paulus die Adressaten zwar zur Arbeit am eigenen Heil auffordert, diese Forderung jedoch mit dem Wirken Gottes in ihnen begründet.47 In diese Richtung könnte auch der unmittelbare Zusammenhang in 1,27 – 30 weisen. Der gemeinsame Kampf und die Unerschrockenheit der Gemeinde sind für die „Widersacher“ ein „Zeichen des Verderbens“ (5mdeinir !pyke¸ar), welches, wie Paulus ausdrücklich hinzufügt, von Gott stammt (ja· toOto !p¹ heoO [1,28]). Ist das Verhalten der Christen aber ein göttliches Zeichen, so beinhaltet dies, dass Gott selbst darin wirksam ist.48 Vor dem Hintergrund von 2,13 und 1,28 bietet sich somit durchaus ein soziatives oder instrumentales Verständnis des Dativs t0 p¸stei toO eqaccek¸ou an. Paulus betont dann ein göttliches Wirken in diesem Kampf. Damit zeigt sich hier ein Gedanke, welchem für Paulus innerhalb des Phil nicht allein in der Paraklese 1,27 – 2,18 eine besondere Bedeutung zukommt: Das Handeln der Glaubenden hat seinen Ermöglichungsgrund im fortwährenden Wirken Gottes.49 Oder zugespitzt im Hinblick auf die ethische Mahnung: Gott selbst wirkt in dem bzw. das Verhalten, welches er von den Glaubenden fordert. Dieser Verweis auf Gottes Wirken fällt sowohl in seiner 42 Die Außenwirkung des gemeinsamen Kampfes ist allein ein Zeichen des Verderbens (5mdeinir !pyke¸ar) für die Widersacher (1,28). Nach 2,15 befinden sich die Gemeindeglieder als „untadelige Kinder Gottes inmitten eines verdrehten und verkehrten Geschlechts“ (t´jma heoO %lyla l´som ceme÷r sjoki÷r ja· diestqall´mgr). 43 Landmesser, Performativ, 565. 44 Ebd., 565 (Hervorhebung Landmesser). 45 Lohmeyer, Philipper, 72. 46 Vgl. Lohmeyer, Philipper, 75 f. Nach Lohmeyer ist „der Glaube der eigentliche Streiter im Kampf gegen die Widersacher“ (76) entsprechend „der Märtyreranschauung des Pls. (…), die den Märtyrer zu dem gleichsam willenlosen Werkzeug mach[e]“ (76). 47 Vgl. unten; vgl. auch 3,15. 48 Vgl. Mller, Philipper, 79: „Alles aber geschieht allein ,von Gott her‘; es ist keine Leistung der Gemeinde, sondern göttliches Geschenk.“ Vgl. auch Landmesser, Performativ, 569; Bockmuehl, Philippians, 101. 49 Vgl. Hawthorne, Imitation, 178.
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proportionalen Häufigkeit als auch hinsichtlich seiner Prägnanz – er folgt wiederholt unmittelbar auf die ethische Mahnung (2,13; 3,15; 4,7) bzw. ist, wie bei der Mahnung zu einem Kampf mit oder durch den Glauben, direkt in diese eingebunden – im Phil gegenüber anderen Paulusbriefen auf.50 Es wird daher zu fragen sein, ob sich dieser Sachverhalt einer konkreten, den Phil veranlassenden Gemeindesituation verdankt. 3.) In V. 29 charakterisiert Paulus die Leidenserfahrungen der Philipper als ein Geschenk Gottes. Ihnen ist geschenkt, nicht allein an Christus zu glauben, sondern auch für ihn zu leiden. Dabei nimmt der Apostel mit waq¸feshai und zweimaligem t¹ rp´q auf den Christuspsalm Bezug (vgl. 2,9). Eine über die terminologische Entsprechung hinausgehende inhaltliche Bezugnahme ist nicht ersichtlich.51 Das Verb waq¸feshai begegnet bei Paulus, abgesehen vom Gebrauch in der Nebendeutung „verzeihen“ in 2. Kor 2,7.10; 12,1352, ausschließlich mit Gott als Urheber.53 Parallelisiert er hier zudem das Geschenk des Glaubens mit dem Geschenk des Leidens, so unterstreicht dies, dass dem Leiden ein göttlicher Ursprung zugewiesen wird.54 Gleichzeitig macht die Parallelisierung deutlich: Glaube und Leiden gehören zusammen.55 Die Leidenserfahrungen sind notwendig mit dem Glauben verbunden – und sie stehen vor allem nicht im Widerspruch zu der den Adressaten im Evangelium verkündeten Heilsbotschaft bzw. -verheißung. Paulus zielt hiermit auf ein Verständlich- und Annehmbarmachen der Bedrängnis, welche die heidenchristlichen Gemeindemitglieder in Philippi erfahren. Notwendig scheint dies, weil ihnen als pagan sozialisierten Menschen der Gedanke, es könne gefordert sein um eines Gottes willen zu leiden, weitgehend fremd sein dürfte.56 50 Vgl. auch Paulus’ Hoffnung auf die von Gott gewirkte Heilsvollendung in 1,6 (dahingehend auch 4,7 [vgl. 5.1.1]) sowie das eventuelle Verständnis des Geschenks des Leidens in V. 29 als die von Gott geschenkte Fähigkeit, die Leidenserfahrungen zu ertragen (vgl. Anm. 54). 51 Wie die Untersuchung von Phil 3,2 – 21 verdeutlichen wird, arbeitet Paulus häufig mit terminologischen Anklängen an den Psalm, ohne gleichzeitige inhaltliche Entsprechung. 52 Vgl. Conzelmann, w²qir, 387. 53 Vgl. Röm 8,32; 1. Kor 2,12; Gal 3,18; Phil 2,9; Phlm 22. 54 Allerdings ist zu erwägen, ob diese Charakterisierung des Leidens als göttliches Geschenk möglicherweise auf ein Wirken Gottes auch im Leidenskampf hindeuten soll. Dann wäre V. 29 dahingehend zu verstehen, dass Gott das Leidenkönnen ermöglicht. Paulus ginge in diesem Fall, anders als der paulinisches Gedankengut aufnehmende 1. Petrusbrief, nicht so weit, den frühchristlichen Leidenserfahrungen selbst göttlichen Ursprung zuzumessen (vgl. 1. Petr 3,17; 4,19). Er würde vielmehr den Philippern das Leiden auf die Art annehmbar machen, dass er herausstellt, Gott befähige sie dazu, gegenüber der äußeren Bedrängnis standhaft zu bleiben. Dieser Gedanke klingt an bei Walter, Philipper, 47: „(…) Mit der unerwarteten Zumutung des Leidens kommt zugleich der Mut-Zuspruch, kommt zugleich die Kraft des Geistes zu euch, die euch in solcher Lage bestehen lässt.“ Ein derartiges Verständnis des Geschenks des Leidens als göttliche Befähigung, die Leidenserfahrungen zu ertragen, würde zur auffälligen Betonung des Wirkens Gottes im Phil passen. 55 Vgl. Walter, Leiden, 431; Mller, Philipper, 80. 56 Vgl. hierzu ausführlich 4.2. Auch, indem Paulus nicht unmittelbar p²sweim mit rl?m 1waq¸shg t¹
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Diesem Ziel dient auch die anschließende Kennzeichnung des Leidens als eines Kampfs (!c_m [1,30]), womit Paulus ebenso wie bereits mit sumahke?m (1,27) Wettkampfterminologie aufnimmt.57 Auf diese Weise verbindet der Apostel die Leidenserfahrungen mit dem den Philippern geläufigen „Ideal des heroischen Wettstreits …, das im Unterschied zu passivem Leiden die Würde des Menschen ausmacht“58. Die Leiden werden nicht passiv erduldet, sondern sie stellen vielmehr einen aktiven Kampf dar.59 Mit dieser Vorstellung kann Paulus an die pagane Primärsozialisation seiner Adressaten anknüpfen. Hinzu tritt in V. 30 als Motivation zur Aufnahme dieses Leidenskampfs dessen Parallelisierung mit den Leidenserfahrungen des Apostels.60 Die Philipper kämpfen denselben Kampf, wie sie ihn an ihm gesehen haben und jetzt von ihm hören.61 Weist Paulus hierbei mit eUdete 1m 1lo¸ auf seine Leidenserfahrungen bei der Erstmission zurück, so wird hierin einerseits ein die Verknüpfung von Glaube und Leiden in V. 29 aufnehmender Rekurs auf die Erfahrung der Philipper zu sehen sein. Dass Glaube und Leiden zusammen gehören, haben sie selbst bereits als sie Christen wurden an ihm sehen können. Andererseits setzt sich Paulus durch die Parallelisierung seines eigenen Kampfes mit demjenigen der Philipper in eine Vorbildrolle. An ihm (1m 1lo¸) veranschaulicht sich diejenige Haltung gegenüber den Leidenserfahrungen, welche er von den Adressaten fordert.62 Durch die Parallelisierung des Geschenks des Glaubens mit dem Geschenk des Leidens und seiner eigenen Leidenserfahrungen mit denjenigen der Gemeinde reagiert der Apostel auf die Fremdheit des Gedankens eines Leidens aus religiösen Gründen für seine Adressaten. Ebenfalls reagiert er auf dieses Problem mit der Charakterisierung des Leidens als Wettkampf. Geht er in der einleitenden allgemeinen Paraklese auf diese Problematik ein und versucht den Philippern ihre Leidenserfahrungen verständlich und annehmbar zu machen, so ist diese auch als ein Hintergrund der anschließende konkreten
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rp³q WqistoO, sondern das Geschenk des Leidens erst in einem Nebensatz mit dem Geschenk des Glaubens parallelisiert und das Leiden als dessen Überbietung darstellt, scheint er der Fremdheit des Gedankens eines Leidens um Gottes willen Rechnung zu tragen (vgl. Walter, Leiden, 430 f; Mller, Philipper, 79 f). Mit dem Verständnis des Leidens als Wettkampf bewegt sich Paulus im Rahmen jüdischen Gedankenguts, wie es im etwa ein halbes Jahrhundert später verfassten 4. Makk zutage tritt. Das Leiden und Sterben der sieben Söhne stellt einen !c_m dar (11,20; 16,16; 17,11). Der Greis erträgt die Schläge wie ein !hkgt¶r (6,10), und sie alle sind Athleten für Gottes Gesetz und haben als solche den Siegerkranz erhalten (17,15 f; vgl. auch Mller, Philipper, 82 f). Mller, Philipper, 80; vgl. Walter, Leiden, 431. Vgl. Mller, Philipper, 80; Walter, Philipper, 47. Vgl. Mller, Philipper, 80 f. Die Parallelisierung des Kampfes muss nicht zwingend die Gefangennahme auch von Gemeindemitgliedern bedeuten (gegen Pilhofer, Philippi 1, 135). Die Betonung liegt vielmehr darauf, dass Paulus und die Philipper denselben Kampf, denjenigen um Christi willen, führen (vgl. Walter, Philipper, 47). Vgl. dahingehend Mller, Philipper, 80.
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Paraklese zu berücksichtigen. Gleichzeitig wird besonderes Augenmerk darauf zu legen sein, inwiefern diese Problematik auch in weiteren Briefteilen anklingt und ob es sich hierbei eventuell um eine den Gesamtbrief bestimmende und damit nicht zuletzt für die Verknüpfung von Christologie und Ethik prägende Grundproblematik handelt.
3.1.3 Konkrete Paraklese (2,1 – 4[5]) 3.1.3.1 Christi Vorbild und die Grundlegung der paulinischen Ethik Die Verse 1 – 4 bestehen aus einem einzigen sorgfältig strukturierten Satz. Auf vier parallele unvollständige Konditionalsätze (V. 1), in denen jeweils das Verb fehlt und gedanklich 5stim bzw. eUsim zu ergänzen ist, folgt in V. 2a der Imperativ, Paulus’ Freude vollkommen zu machen.63 An diesen schließt sich die eigentliche Mahnung in einem Finalsatz an: Die Gemeindemitglieder sollen „dasselbe sinnen“64. Erläutert wird diese Mahnung in V. 2b–4 durch mehrere Partizipialsätze. In V. 2b unterstreicht der Apostel das Ziel seiner Forderung, die Einheit der Gemeinde, indem er diese als „die eine Liebe haben“ und „einträchtig das Eine sinnen“ umschreibt (V. 2b).65 Anschließend führt er in V. 3 und 4 aus, wie diese Einheit herzustellen ist, wobei V. 3 zur Demut, zu einer Niedrigkeitsgesinnung, ermahnt, während V. 4 das auf dieser Gesinnung beruhende Handeln expliziert als ein Schauen ,eines jeden nicht auf die eigenen Dinge, sondern unbedingt aller auf die der Anderen‘66. Die bis dahin vornehmlich abstrakte Mahnung wird inhaltlich in Hinblick auf Gesinnung und Handeln konkretisiert. Neben V.1 begegnen auch in V. 2b (t¹ aqt¹ vqom/te / tμm aqtμm !c²pgm 5womter / t¹ 4m vqomoOmter), 3a (lgd³m jat’ 1qihe¸am / lgd³ jat± jemodon¸am) und 4 (t± 2aut_m 6jastor / t± 2t´qym 6jastoi) parallele Formulierungen. Offenbar setzt Paulus gezielt Parallelismen ein, um auf diese Weise den nachfolgenden Christuspsalm stilistisch vorzubereiten.67 In V. 3 f wird dieser terminologisch rezipiert, insbesondere durch die Verknüpfung der geforderten Niedrigkeitsgesinnung (tapeimovqos¼mg [V. 3]) 63 pkgq¾sat´ lou tμm waq²m. 64 Vma t¹ aqt¹ vqom/te. 65 tμm aqtμm !c²pgm 5womter, s¼lxuwoi t¹ 4m vqomoOmter. Unsicher ist, ob s¼lxuwoi als eigenständiges Satzglied zu fassen oder t¹ 6m vqomoOmter zuzuordnen ist. Es bietet sich m. E. an, dieses gegen Nestle-Aland27 zu t¹ 4m vqomoOmter zu ziehen, so dass hiermit die Art und Weise, wie die Philipper „das Eine sinnen“ sollen, beschrieben wird (vgl. Fee, Philippians, 183). Andernfalls bestünde zwischen t¹ aqt¹ vqom/te und dem erläuternden t¹ 4m vqomoOmter eine Tautologie (vgl. Haupt, Philipper, 60ff). 66 lμ t± 2aut_m 6jastor sjopoOmter !kk± ja· t± 2t´qym 6jastoi. Zum Verständnis von !kk± ja¸ als Steigerung vgl. 3.1.3.2. 67 Vgl. auch Gnilka, Philipperbrief, 103. Wie bereits Lohmeyer, Philipper, 80 f rechnet auch Gnilka mit einer strophischen Gliederung des Abschnitts (vgl. 102 f).
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mit der Selbsterniedrigung Christi (1tape¸mysem 2autºm [V. 8]). Auch die weiteren Bezugnahmen auf den Text innerhalb der konkreten Paraklese richten sich fast ausnahmslos68 auf dessen erste Hälfte (V. 6 – 8) und somit auf Christi Verhalten bzw. seine darin zutage tretende Gesinnung.69 Demnach scheint die Rezeption von V. 6 – 11 auf ein vorbildethisches Verständnis seitens des Apostels hinzudeuten. Diese Annahme erhärtet sich durch eine Gegenprobe, inwiefern in 1,27 – 2,18 eine dezidiert soteriologische Anknüpfung an den Psalm nachweisbar ist. Paulus rezipiert diesen neben 2,3 f an mindestens zwei weiteren Stellen innerhalb der beiden allgemeinen Paraklesen (1,27 – 30; 2,12 – 18). In 2,12 nimmt er das Gehorsamsmotiv aus V. 8 auf und setzt damit den Gehorsam der Philipper zu demjenigen Christi in Analogie.70 Auch hier erfolgt die Rezeption des Textes offenbar mit einer ethischen Zielsetzung. 1,29 charakterisiert der Apostel das Leiden für Christus als Geschenk Gottes und nimmt dabei aus 2,9 waq¸feshai und t¹ rp´q auf. An keiner dieser Stellen gebraucht er den Text jedoch in dem Sinne soteriologisch, dass er durch die Bezugnahme unmittelbar auf Christi Heilstat verweist.71 Auch enthält der Psalm selbst keine explizite Soteriologie.72 Verfolgt dieser zwar ebenfalls keine ethische Intention, sondern impliziert allein ethische Anknüpfungspunkte, so weist auf einen vorbildethischen Gebrauch durch Paulus dessen terminologische Rezeption in 2,3 f und 2,12 hin.73 Hingegen ist die vor allem in der deutschsprachigen Forschung über Jahrzehnte dominierende These, dem Christuspsalm komme (primär) die Funktion eines Verweises auf das für die Gesinnung der Christen grundlegende Heilshandeln Christi zu, im gesamten Abschnitt 1,27 – 2,18 weder verifizierbar, noch gibt es hierfür erkennbare Anhaltspunkte. Dass Paulus stattdessen gezielt eine vorbildethische Funktion Christi im Blick haben dürfte, soll im Folgenden auf zweierlei Weise verdeutlicht werden: 1.) durch die theologische Einordnung des Vorbildgedankens in die strukturelle Grundlegung der paulinischen Ethik, 2.) durch einen Seitenblick auf den Gebrauch von Vorbildern in der antiken jüdischen und paganen Ethik. 1.) In 2,1 – 5 lässt sich zeigen, dass eine normative Bedeutung Christi, in welcher dieser die Rolle eines ethischen Vorbilds einnimmt, als ein notwendiges Element der paulinischen Ethik verstanden werden kann und sich in eine 68 Die einzige Ausnahme bildet das Präfix rpeq- in rpeq´weim (V. 3), womit Paulus offenbar auf die Erhöhung Christi in V. 9 anspielt (rpequxoOm, rp´q). 69 Vgl. 3.1.1. 70 Vgl. 3.1.4 zur m. E. schwerlich zu bestreitenden Bezugnahme von V. 12 auf V. 8. 71 Die in 2,12 an die Erwähnung des Gehorsams der Philipper anknüpfende Aufforderung zur Verwirklichung „des eigenen Heils“ (tμm 2aut_m sytgq¸am) bietet zwar mit dem Reflexivpronomen einen Anklang an den Christuspsalm (V. 7a.8a). Allerdings fehlt auch hier der Gedanke einer Heilswirksamkeit des Handelns Christi für die Christen. 72 Vgl. 2: Fazit. 73 Zur Problematik einer trotz der terminologischen Bezüge nur als sekundär erachteten vorbildethischen Zielsetzung der paulinischen Rezeption des Psalms vgl. 1.3.1.
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kohärente Erklärung in der Forschung umstrittener Punkte innerhalb dieses Unterabschnitts einfügt. Die Konditionalsätze in V. 1 schildern eine Situation bzw. diese konstituierende Verhaltensweisen als Voraussetzung der anschließenden Mahnung: „mahnender Zuspruch in Christus“74, „tröstender Zuspruch der Liebe“75, „Gemeinschaft des Geistes“76, „Herzlichkeit und Barmherzigkeit“77. Strittig ist allerdings die Frage, ob Paulus damit die Situation innerhalb der philippischen Gemeinde beschreibt bzw. die erwähnten Verhaltensweisen als bei den Philippern vorhanden erachtet.78 In diesem Fall wäre eventuell ein verdeutlichendes 1m rl?m zu erwarten.79 Nikolaus Walter erwägt stattdessen, V. 1 auf Paulus’ Haltung den Adressaten gegenüber zu beziehen. Der Apostel kennzeichne mit diesem Vers eventuell seine anschließende Mahnung als „in der Liebe Christi, aus der Barmherzigkeit Christi heraus gesprochen“80. Wilfried Eckey wiederum bezieht den Vers sowohl auf Paulus als auch auf die Gemeinde. Der Apostel setze „die genannten Charakteristika christlichen Gemeindelebens sowohl in seinen Beziehungen zur Gemeinde als auch im gegenseitigen Verhältnis der Adressaten untereinander“81 voraus. Dabei nehmen sowohl Walter als auch Eckey die Offenheit der Formulierung wahr82, welche eine sichere Zuordnung des Inhalts erschwert. Gleichzeitig gibt es keine Anhaltspunkte für eine Differenzierung zwischen den Bezugpunkten der einzelnen Aussagen, wie sie Joachim Gnilka vornimmt. Während paq²jkgsir 1m Wqist` und paqal¼hiom !c²pgr „vom seelsorgerlichen Verhalten des Apostels gegenüber der Gemeinde“83 rede, bezeichneten joimym¸a pme¼lator und spk²cwma ja· oQjtiqlo¸ hingegen dasjenige, „was sie beide miteinander verbindet.“84 Dies hat jedoch den parallelen Aufbau der Kondi-
74 paq²jkgsir 1m Wqist`. Zur doppelten Bedeutung von paq²jkgsir als Mahnung sowie Trost und Zuspruch als charakteristisch für die paulinische Ethik vgl. 1.2. 75 paqal¼hiom !c²pgr. Auch paqal¼hiom schwankt zwischen Ermahnung, Trost und Zuspruch und berührt sich eng mit paq²jkgsir. Das Nebeneinander der beiden Substantive bzw. der Verben paqajake?m und paqaluhe?shai findet sich bei Paulus auch in 1. Kor 14,3 (hier paqaluh¸a); 1. Thess 2,12; 5,14. Nach Gnilka, Philipperbrief, 104 bringt paqal¼hiom bzw. paqaluhe?shai „noch stärker (…) die Unmittelbarkeit der individuellen, persönlichen Ansprache“ zum Ausdruck. 76 joimym¸a pme¼lator. 77 spk²cwma ja· oQjtiqlo¸. Beide Substantive überschneiden sich in ihrer Bedeutung stark, so dass sich hier von einen Hendiadyoin reden lässt (vgl. Bauer, 1138; Mller, Philipper, 85). Jeweils wäre auch eine Übersetzung mit „Erbarmen“ möglich (vgl. Bauer, 1138, 1523). 78 Vgl. G. Barth, Philipper, 39; Mller, Philipper, 84. 79 Dahingehend Mller, Philipper, 84, der allerdings trotzdem die Werte als in Philippi vorhanden versteht, vgl. auch Walter, Philipper, 52. 80 Walter, Philipper, 52. 81 Eckey, Philipper, 75. 82 Vgl. Eckey, Philipper, 74; Walter, Philipper, 52; vgl. auch Mller, Philipper, 84. 83 Gnilka, Philipperbrief, 104. 84 Ebd., 104.
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tionalsätze gegen sich und ist sprachlich durch nichts (z. B. ein Personalpronomem) angezeigt.85 Zur Klärung der Frage, worauf sich die Konditionalsätze beziehen, kann ein Blick auf die für die paulinische Ethik klassische Stelle Gal 5,25 hilfreich sein. Dort begegnet eine strukturelle Nähe zu Phil 2,1.2a: EQ f_lem pme¼lati, pme¼lati ja· stoiw_lem („Wenn wir im Geist leben, lasst uns auch mit dem Geist ,im Einklang sein‘“).86 Der Imperativ folgt auf den vorangehenden Konditionalsatz. An beiden Stellen klingt ein Grundmotiv der paulinischen Ethik an: die Gläubigen sind dazu aufgefordert, einer bereits vorgegebenen Situation im Handeln zu entsprechen.87 Insofern ist es korrekt, Phil 2,1 auf die Gemeinde in Philippi zu beziehen. Es ist aber unmittelbar zu ergänzen, dass die in diesem Vers getroffenen Aussagen auf die gesamte Ekklesia zutreffen als einen für Paulus effektiv heiligen Bereich. Anknüpfend an Ulrich B. Müller und Udo Schnelle bietet es sich an, in diesem Zusammenhang vom neuen Sein in Christus zu reden, welches Paulus in V. 1 beschreibt und welches die Christen auch leben sollen.88 Die Mitglieder der Ekklesia „sind von der Sünde geschieden und leben in einer qualitativ neuen Beziehung zu Gott und dem Kyrios Jesus Christus.“89 Demzufolge sollen sie jedoch auch ihrer bereits gegenwärtigen Heilsteilhabe entsprechend handeln. In diesem Sinne konstatiert V.1 das neue Sein der Christen, während 2,2ff die Entsprechung zu diesem fordert.90 Gemäß dieser Forderung bestimmt Schnelle die paulinische Ethik als Thematisierung der „Handlungsaspekte des neuen Seins“91. 85 Vgl. dahingehend Mller, Philipper, 85. Auch eine Akzentverschiebung vom „Sein in Christus“ im ersten Konditionalsatz hin zum Verhältnis zwischen Paulus und der Gemeinde im vierten und letzten (vgl. Fee, Philippians, 178 f) ist nicht erkennbar. 86 Hierbei handelt es sich um den sprichwörtlichen „locus classicus“ (Schnelle, Paulus, 633) für Rudolf Bultmanns lange Zeit das Verständnis der paulinischen Ethik dominierendes IndikativImperativ-Schema (vgl. Bultmann, Ethik bei Paulus, 54). Zur an Schnelle anknüpfenden Wiedergabe von stowe?m als „im Einklang sein mit“ vgl. Anm. 87. 87 Vgl. speziell zu Gal 5,25 Schnelle, Ethik bei Paulus, 120: „(…) Es geht um eine Relation, die mit dem Dativ pme¼lati ausgedrückt wird: im Einklang leben mit dem Geist.“ In Phil 2,1 findet allerdings eine mit dem erwägenden tir bzw. ti gegebene potentielle Einschränkung im Hinblick auf die geschilderte Situation statt. Diese Einschränkung lässt sich als rhetorisch auf eine Reflexion der Empfänger über ihr Ekklesia-Sein abzielend verstehen, als an sie gerichtete Frage, ob diese „Charakteristika christlichen Gemeindelebens“ (Eckey, Philipper, 75) bei ihnen wirklich vorhanden sind (vgl. ebd., 74 f). Zudem könnte sich hierin die Gefährdung dieser Situation durch einen Konflikt in Philippi andeuten (vgl. Walter, Philipper, 52). 88 Vgl. Mller, Philipper, 85; Schnelle, Paulus, 629ff; ders., Ethik bei Paulus, 117 ff. Müller und Schnelle nehmen damit ohne ausdrücklichen Verweis die Terminologie Paul Tillichs auf. Tillich versteht Erlösung als „Teilnahme“ (Wiedergeburt) und „Annahme“ (Rechtfertigung) des in Christus manifest gewordenen neuen Seins, sowie als „Umwandlung“ des Menschen durch dieses (vgl. Tillich, Systematische Theologie 2, 189ff). Die Rede vom neuen Sein wendet auf die neutestamentliche Ethik überhaupt an Pfeiffer, Einweisung in das Neue Sein; zu Paulus vgl. 201 ff. 89 Schnelle, Paulus, 438. 90 Vgl. Mller, Philipper, 85: „Paulus will die Gemeinde implizit bei ihrem neuen Sein behaften (V. 1), das sich in einem positiven Umgang miteinander konkretisiert.“
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Das von Schnelle für die Ethik sowie für die Theologie des Apostels insgesamt postulierte „Grundmodell ,Transformation und Partizipation‘“92 besitzt nunmehr gerade für Phil 2 gegenüber Rudolf Bultmanns Schema „Indikativ-Imperativ“ eine höhere Erklärungskraft. So wird in V. 1 f die ethische Mahnung nicht explizit soteriologisch mit dem Erlösungshandeln begründet, sondern vielmehr mit der neuen Situation, in welcher sich die Christen befinden. Zwar ist die Erlösung durch Christus deren Grundlage, doch überwiegt hier durch Paulus’ Begründung der Mahnung mit einer Situationsbeschreibung ein lokaler Aspekt. Dieser Aspekt wird durch die förmliche Rahmung des Abschnitts 2,1 – 5 mit 1m Wqist` noch verstärkt. Die Wendung wird gegen Käsemann weniger als soteriologischer Terminus technicus aufzufassen sein93, sondern vielmehr von einem „lokal-seinshafte[n] Grundverständnis“94 ausgehend als „der Raum, in dem sich seinshafte Veränderungen vollziehen und gelebt werden.“95 Dieser Raum ist einerseits definiert durch die Gemeinschaft der Glaubenden mit Christus, andererseits durch diejenige der Glaubenden untereinander.96 Somit weist f ja· 1m Wqist` YgsoO in V. 5, wie bereits die frühe Kritik an einem vorbildethischen Verständnis hervorhebt, durchaus „auf die Verbindung mit Christus und die darin gesetzte Gesinnung“97 hin, auf eine Gesinnung, „welche der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht“. Allerdings erschöpft sich die Relativwendung nicht hierin. Gibt die Rede von einem neuen Seinsbereich, welchem die Christen angehören und der ihren Wandel bestimmt, zunächst den lokalen Aspekt in Phil 2 am besten wieder, so bietet Schnelles Modell gleichzeitig den entscheidenden Vorzug, dass es die hier zutage tretende normative Funktion Christi als einen notwenigen Bestandteil der Ethik des Paulus einzuschließen vermag. Eine solche Funktion ist mit der Verortung der Glaubenden 1m Wqist` unweigerlich verbunden. Infolge der Teilhabe am neuen Sein ist deren gesamtes Leben von Christus geprägt. „Die Getauften haben Christus angezogen (Gal 3,27), sind gänzlich von ihm bestimmt, denn Christus lebt in ihnen (Gal 2,20a), und er will in ihnen Gestalt gewinnen (vgl. Gal 4,19).“98 Durch die Christus-Bestimmtheit der Glaubenden wird dieser aber selbstverständlich auch zum Maßstab ethischer Orientierung. 91 92 93 94 95
Schnelle, Paulus, 631. Schnelle geht hier allerdings nicht auf Phil 2,1 ein. Ebd., 631; vgl. auch ders., Transformation und Partizipation. Vgl. Ksemann, Kritische Analyse, 91. Schnelle, Paulus, 549. Ebd., 549; vgl. dahingehend bereits Deissmann, In Christo Jesu, 97; Oepke, 1m, 538. Den lokalen Aspekt der Wendung in Phil 2 betont ausdrücklich Gnilka, Philipperbrief, 110: „daß nämlich das ,In-Christus-Sein‘ (…) in der Weise ein Bestimmtsein durch Jesus Christus bedeutet, als es ein Sich-Befinden im Einfluß- und Machtbereich des persönlichen Christus darstellt.“ 96 Vgl. Schnelle, Paulus, 549, anknüpfend an Chr. Strecker, Liminale Theologie, 193ff, der in der Wendung 1m Wqist` eine „vertikale und horizontale Christuscommunitas“ (193) ausgedrückt sieht. 97 Kçgel, Christus der Herr, 60; vgl. dahingehend bereits von Hofmann, Philipper, 58. 98 Schnelle, Paulus, 631.
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Es lässt sich demzufolge mit Schnelle über den Christus teilhaftigen Menschen sagen: Der Christ „ist hineingenommen in den Weg Jesu, ahmt Christus nach“99. „Die innere Ausrichtung und das Wollen sind von Christus her präfiguriert, und die Christuskonformität100 prägt das neue Sein und Handeln.“101 Die normative Funktion Christi erweist sich somit als untrennbar mit dem durch Christi Heilshandeln ermöglichten neuen Sein der Christen verbunden. „Der Weg Jesu zum Kreuz begründet die christliche Existenz und ist zugleich wesentliches Kriterium dieser Existenz.“102 Christus wird förmlich zur Handlungsmaxime des ihm teilhaftigen Menschen.103 Die Erklärungskraft eines von der Christusteilhabe ausgehenden Verständnisses der paulinischen Ethik für die Exegese von Phil 2 zeigt sich insbesondere hinsichtlich der umstrittenen Auslegung der Überleitung zum Christuspsalm in V. 5.104 Vor dem Hintergrund der beiden zusammengehörigen Aspekte des neuen Seins der Christen, welches einerseits die Christusteilhabe und somit das Sein in Christus bedeutet, und in welchem andererseits Christus zu einem ethischen Vorbild wird, löst sich die Spannung zwischen den in der Forschung vertretenen Auslegungen der Mahnung. Nicht wird entweder eine der Ekklesia entsprechende Gesinnung gefordert oder eine derjenigen Christi entsprechende. Vielmehr umfasst der Vers beide Gesichtspunkte. Die Gesinnung der Christen soll dem Sein bzw. der Gemeinschaft 1m Wqist` entsprechen. Maßstab dieser Gesinnung aber ist eben aufgrund dieser Gemeinschaft in und mit Christus Christus selbst. Die beiden Übersetzungsmöglichkeiten des Verses stehen somit gerade nicht in Spannung oder im Widerspruch zueinander, sondern gehören unmittelbar zusammen. „Dies sinnt in (und unter) Euch, was dem Sein in Christus Jesus entspricht, d.i., was auch Christus Jesus in sich gesinnt hat.“ Wie bereits Adolf Deissmann hervorhebt, umfasst „ein lokal aufzufassendes Sichbefinden in … Christus“105 nicht zuletzt auch, dass Christus zum Vorbild wird.106 Die 99 Ebd., 632. 100 Zur besseren Abgrenzung gegen den Gedanken einer förmlichen Vereinigung zwischen Christus und den Christen und gegen das Missverständnis, Paulus’ Mahnung ziele auf eine exakte imitatio des Handelns Christi, erscheint es sinnvoll anstelle von „Konformität“ von „Analogie“ oder „Entsprechung“ zu reden. Vgl. zu diesem Sprachgebrauch auch Schnelle selbst, Ethik bei Paulus, 117: „Entsprechung als ethische Grundkategorie“. 101 Schnelle, Ethik bei Paulus, 121. 102 Schnelle, Paulus, 632. 103 Vgl. dahingehend Schnelle, Paulus, 632; ders., Ethik bei Paulus, 119: „Das ethische proprium christianum ist somit Christus selbst“. Vgl. dezidiert zu Phil 2 G. Strecker, Theologie, 79: „Weiß sich die Gemeinde durch den Indikativ des Erlösungsgeschehens bestimmt, ist sie in den Christusbereich eingeordnet, so wird auch die Verhaltensweise des Kyrios zu einer ethisch-vorbildhaften Norm.“ Bereits Hooker, Philippians 2:6 – 11 (1975), 154 betont das untrennbare Ineinander von Christi Heilshandeln und der ethischen Normativität Jesu Christi für die Glaubenden. 104 Vgl. 1.3.1; 3.1.1. 105 Deissmann, In Christo Jesu, 97. 106 Vgl. ebd., 117.
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sprachliche Offenheit, welche durch den unvollständigen Relativsatz in V. 5b entsteht, scheint Paulus gerade deshalb zu wählen, um beide Aspekte in die Mahnung einzuschließen.107 Kritisch muss allerdings gegenüber Schnelles Betonung der „Heilsgegenwart als Zentrum der paulinischen Theologie“108 gerade im Hinblick auf den Phil die noch ausstehende Vollendung des Heils und damit auch der Christusgemeinschaft berücksichtigt werden. Insbesondere in Phil 3 dominiert ein futurischer Heilsaspekt. In 3,10 thematisiert Paulus die Teilhabe nicht nur an Christi Auferstehung, sondern auch an seinem Tod unter futurischem Gesichtspunkt. Eine Auslegung als bereits gegenwärtige Teilhabe an Christi Leiden (und Tod)109 wirft hier erhebliche syntaktische Schwierigkeiten auf.110 Partizipation und Transformation finden ihren Abschluss erst mit Tod und Auferstehung bzw. in 3,20 f durch die Wiederkunft des Herrn und die Verwandlung der s¾lata der Gläubigen, indem sie „seinem Leib der Herrlichkeit gleich gestaltet“ werden. Entsprechend verweist der Apostel in 3,12ff seine Adressaten auf die noch ausstehende Vollendung. Die Christusteilhabe bzw. Gemeinschaft ist eine gegenwärtig noch nicht vollendete.111 Diese Spannung ermöglicht es Paulus, in unterschiedlichen Situationen auf das bereits vorhandene oder auf das zukünftige Heil zu verweisen. Angesichts der Konfliktsituation der Gemeinde in Philippi, der aktuellen Erfahrung von Leiden und somit von „Unheil“ in der Welt, kann Paulus den Akzent auf das noch ausstehende Heil legen und die Erwartung des Kyrios Jesus Christus als Retter (3,20). Insofern lässt sich gegen Schnelle gerade mit Blick auf den Phil durchaus von einem „Spannungsfeld von Schon jetzt und Noch nicht des Heils“112, in welchem die Glaubenden stehen, und von einem „eschatologischen Vorbehalt(.)“113 reden.114
2.) Mit dem Verweis auf Christus als ethisches Vorbild und, wie noch zu zeigen sein wird, auf sich selbst und seine Mitarbeiter Timotheus und Epaphroditus, welche ihrerseits zu Vorbildern für eine Christusentsprechung werden, bewegt sich Paulus im Rahmen antiker sowohl paganer als auch jüdischer Paraklese. Seneca verweist auf die unvergleichliche Wirkung, welche die Gemeinschaft mit weisen Männern auf die Entwicklung der Gesinnung eines Menschen habe. Diese Wirkung erfolge, indem diese von ihm „häufig gesehen und gehört“115 würden. Bereits der Athener Redner Isokrates betont vier Jahrhun107 108 109 110 111 112 113 114 115
Vgl. G. Strecker, Theologie, 79. Schnelle, Paulus, 437. Vgl. ebd., 419 f. Vgl. 3.2.2. Vgl. auch in 1,23 Paulus’ Verlangen danach, die Gemeinschaft mit Christus (s»m Wqist`) durch seinen Tod zu vollenden. Klein, Eschatologie, 283. Ebd., 283. Gegen Schnelle, Theologie, 318. Seneca, epist. 94,40: „frequenter aspici, frequenter audiri“; vgl. auch Engberg-Pedersen, Paraenesis, 60.
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derte zuvor, man solle „die Jüngeren nicht nur zur Tugend ermahnen, sondern ihnen auch durch Taten veranschaulichen, welcher Art gute Männer sein müssen.“116 Entsprechend kann er seine Hörer ermahnen: Lμ lºmom 1paime?te to»r !caho»r, !kk± ja· lile?she.117 Um das Jahr 30 n. Chr. verfasst Valerius Maximus seine Sammlung „Denkwürdige[r] Taten und Worte“ und formuliert einleitend als deren Intention, „dass derjenige, der sich Beispiele nehmen möchte, von der Arbeit einer langen Suche befreit sei.“118 Diese Sammlung enthält auch das in der christlichen Tradition u. a. bei Tertullian rezipierte Beispiel119 der Lucretia, welche sich nach einer Vergewaltigung das Leben nimmt. Bezeichnet sie Valerius Maximus als „dux Romanae pudicitiae“120, so nimmt sie auch beim Historiker Livius die Rolle eines Vorbilds ein. Dieser legt ihr die Worte in den Mund: „(…) Es soll künftig keine Frau, die ihre Ehre verloren hat, unter Berufung auf Lucretia weiterleben.“121 Von besonderem Interesse hinsichtlich Paulus’ vorbildethischer Bezugnahme auf Christus ist, dass in paganen Texten wiederholt der Herrscher ein Beispiel für das Verhalten seiner Untertanen liefert.122 Nach Plutarch muss der Herrscher „zunächst über sich selbst Herrschaft gewinnen, seine Seele einrichten und seinen eigenen Charakter festigen, um [danach] das, was ihm untertan ist, diesem anzugleichen.“123 Velleius Paterculus hebt hervor : „Denn, recht zu handeln lehrt der beste Herrscher seine Bürger durch das Handeln, und obgleich er durch Befehlsgewalt der Größte ist, ist er größer durch das Beispiel.“124 Seneca äußert als seine Erwartung bezüglich Kaiser Nero: „Diese Milde deines Geistes wird überliefert werden und sich nach und nach durch den gesamten Körper des Imperiums ausbreiten, und alles wird zu deinem Abbild gestaltet werden.“125 Schließlich findet sich in der Anthologie des Johannes Stobaios die auf Diotogenes zurückgehende Schilderung des guten Herrschers und dessen Wirkung auf die Beherrschten. Wie man eine Leier stimmt, müsse dieser die Stadt bzw. den Staat einrichten.126 Dies geschehe, indem er selbst mit seinem gerechten Handeln ein Beispiel gebe. Der Effekt 116 Isokrates, Nikokles, 57; vgl. auch Engberg-Pedersen, Paraenesis, 60. 117 Isokrates, Nikokles, 61: „Lobt die Guten nicht nur, sondern ahmt sie auch nach.“ 118 Valerius Maximus I (Praefatio): „ut documenta sumere volentibus longae inquisitionis labor absit.“ 119 Vgl. Tertullian, mart 4. Zur wiederholten Rezeption dieses sowie weiterer paganer Beispiele in der patristischen Literartur vgl. Schmitz, Pagane ,exempla‘ in der Paränese des christlichen Glaubens, 203 – 219. 120 Valerius Maximus VI,1,1: „Wegweiserin römischer Keuschheit“. 121 Livius I,58,10: „nec ulla deinde impudica lucretiae exemplo vivet.“ 122 Vgl. auch zum Folgenden Oakes, Philippians, 172 f. 123 Plutarch, mor. 780B: t¹m %qwomta pq_tom tμm !qwμm jtgs²lemom 1m 2aut` ja· jateuh¼mamta tμm xuwμm jatastgs²lemom t¹ Ghor ovty sumaqlºtteim t¹ rp¶joom. 124 Velleius II,126,5: nam facere recte civis suos princeps optimus faciendo docet, cumque sit imperio maximus, exemplo maior est. 125 Seneca, Clem II,2,1. 126 Stobaios IV,7,62: ¢r k¼qam ja· pºkim eqmoloul´mam de? sumaqlºseshai.
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dessen sei, dass die Seelen derjenigen, welche auf ihn schauen, „wie durch eine harmonische Flöte verändert“ würden.127 Die pagane Vorstellung des Herrschers als ethisches Vorbild ist für Phil 2 in zweierlei Hinsicht interessant. Zunächst, da auch der Christuspsalm das Thema Herrschaft, das Herrsein des Kyrios Jesus Christus thematisiert. Hier lässt sich freilich nur spekulieren, ob für Paulus eine Motivation zur vorbildethischen Aufnahme des Textes in seinem Wissen um die paganen Verweise auf die Vorbildlichkeit von Herrschern lag. Relevanter jedoch ist ein anderer Punkt: Bei einer Orientierung am Herrscher scheidet ebenso wie bei derjenigen an Christus eine exakte Entsprechung zu dessen Handeln aus. Das rechte Handeln des Herrschers veranschaulicht sich seinen Untertanen letztlich nicht anders als durch sein Regierungshandeln und seinen Umgang mit der ihm gegebenen Macht. Ethische Orientierung am Vorbild des Herrschers lässt sich nur als ein analoges Verhalten der Untertanen verstehen, wobei diese die im Handeln des Herrschers zutage tretende Gesinnung auf ihre jeweilige spezifische, sich von derjenigen des Herrschers unterscheidende Situation übertragen müssen. Widersprechen somit bereits die paganen Parallelen dem gegen ein vorbildethisches Verständnis des Christuspsalms vorgebrachten Argument, Christi Heilshandeln sei schließlich nicht nachahmbar, so gilt dies insbesondere für den Gebrauch des Vorbildgedankens im Judentum. Hier findet der Gedanke eines vorbildlichen Handelns Gottes Verwendung. Die Mahnung, Gott nachzufolgen, aus Dtn 13,5 entfaltet Rabbi Hama als eine Entsprechung ˙ Handeln: Gab Gott Adam zu den alttestamentlichen Schilderungen von Gottes und Eva Kleider (Gen 3,21), so gilt es ebenfalls Nackte zu kleiden. Aus der Erscheinung Gottes vor Abraham bei Mamre (Gen 18,1) leitet Rabbi Hama die ˙ Forderung ab, die Kranken zu besuchen, aus der Segnung Isaaks nach dem Tod seines Vaters Abraham (Gen 25,11) die Forderung, Trauernde zu trösten, und aus Gottes Begräbnis des Mose (Dtn 34,6) diejenige, ebenfalls die Toten zu begraben.128 Abba Saul wiederum begründet die Einhaltung des Sabbats mit der Mahnung, ebenso „gütig und mitleidig“129 zu sein wie Gott.130 Bei diesen Beispielen ist deutlich die ethische Transferleistung erkennbar : Ein nicht exakt imitierbares Handeln Gottes wird als ethischer Maßstab auf die Situation des Menschen und dessen Handlungsmöglichkeiten übertragen. Somit machen aber pagane gleichwie jüdische Quellen deutlich, dass der Vorbildgedanke für einen antiken Menschen nicht zwingend denjenigen der exakten Entsprechung zu diesem Vorbild beinhaltet. Vielmehr ist das Bewusstsein vorauszusetzen, dass es das Handeln des Vorbilds in die eigene 127 oQ [Korrektur TLG: oq] c±q l0om aqk_ ja· "qlom_ar ["] t` !cah` basik´yr pota¼casir ave¸kei tq´pem t±r xuw±r t_m potaucal´mym. 128 Sot 14a; vgl. auch Bockmuehl, Philippians, 123. 129 Shab 133b: „gracious and compassionate“ (Übersetzung Epstein). 130 Vgl. Shab 133b; vgl. auch Bockmuehl, Philippians, 123.
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Situation zu übertragen gilt. Treffend bemerkt daher Markus Bockmuehl zur vermeintlichen Problematik einer Nachahmung von Christi Heilshandeln bzw. seiner Inkarnation: „Neverthless, we must acknowledge the possibility that it may seem so more to the modern interpreter than it did to Paul.“131 Gegen den Einwand einer mit der vorbildethischen Auslegung des Abschnitts gegebenen Diskrepanz zwischen der nicht nachahmbaren Menschwerdung des präexistenten Christus und dessen von der Gemeinde geforderter Nachahmung132 ist darüber hinaus zu beachten, dass auch Paulus’ Mahnung ausdrücklich nicht auf eine Imitatio Christi im Sinne einer unmittelbaren Nachahmung von dessen Handeln zielt. Stattdessen ruft der Apostel zur Nachahmung der Gesinnung, welche sich freilich in Christi in V. 6 – 8 geschildertem Handeln ausdrückt, auf.133 Paulus gebraucht nicht als unmittelbare Handlungsaufforderung poie?m, sondern das die Mahnung beherrschende Verb ist vqome?m. Dieses begegnet in V. 2 und 5 insgesamt dreimal; zudem beinhaltet den Wortstamm das die geforderte Gesinnung bezeichnende Substantiv tapeimovqos¼mg in V. 3. Die Bedeutung von vqome?m reicht von „denken“ (vgl. 1,7) und „urteilen“ bis „eine Gesinnung haben“, „gesinnt sein“.134 In letzter Bedeutung gebraucht es Paulus in 2,2 – 5 als Mahnung zu einer einheitlichen Gesinnung135, welche es durch die gemeinsame Orientierung der Gemeindemitglieder an Christi sich in dessen Handeln ausdrückender Niedrigkeitsgesinnung zu verwirklichen gilt. Unter Gesinnung bzw. gesinnt sein ist dabei, wie sich besonders am Gegenüber der fleischlichen und der geistlichen Gesinnung in Röm 8,5 f zeigt, die Grundorientierung des Menschen zu verstehen, „in der Denken und Wollen eine Einheit bilden“136, seine intellektuell und emotional grundlegende Ausrichtung.137 Die Mahnung zielt auf „die Denkweise und Denkrichtung, … das Gesinnt- oder Orientiertsein, woran Intellekt und ,Herz‘ und Wille gleichermaßen beteiligt sind“138. Es geht Paulus um eine allem Handeln der Christen zugrunde liegende Orientierung. Auch wenn im Anschluss an die Paraklese ab 2,19 der Handlungsaspekt der Christusnachahmung in den Fordergrund rückt und Paulus auf sein eigenes Beispiel sowie auf die Beispiele des Timotheus und des Epaphroditus verweist, so rekurriert er darauf in 3,15b auf die Gesinnung als Handlungsgrundlage. Die Vorbilder Paulus, Timotheus und Epaphroditus 131 132 133 134
135 136 137 138
Bockmuehl, Philippians, 123. Vgl. Schrage, Ethik, 177. Dies betonen bereits B. Weiß, Philipper-Brief, 142 und Holsten, Philipper 1, 448. Vgl. Walter, Philipper, 52: „(…) Es umfasst Denken, Verstehen ebenso wie Gemüt und Gefühl und Willen – alles was nach griechischer Sicht im ,Zwerchfell‘ (phrÞn) angesiedelt ist.“ Vgl. auch Bauer, 1726 f. Vgl. auch die Mahnungen in Phil 4,2; Röm 12,16; 15,5; 2. Kor 13,11. Bultmann, Theologie, 215. Vgl. ebd., 215; Walter, Philipper, 53; Mller, Philipper, 86. Walter, Philipper, 53. Entsprechend formuliert Schnelle, Ethik bei Paulus, 121 unter Verweis auf 2,5: „Es [= das Verb vqome?m] bezeichnet das Ziel und die Richtung des Denkens, das ,Trachten und Sinnen‘ der Existenz“. Vgl. auch Bertram, vq¶m, 229.
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veranschaulichen die geforderte Gesinnung an einem konkreten Handeln. Insbesondere an der differenzierten Bewertung von Epaphroditus lebensbedrohlicher Erkrankung wird deutlich, dass es Paulus um eine Christusentsprechung in der jeweiligen Situation mit ihren Erfordernissen geht.139 Diese erfolgt aufgrund einer derjenigen Christi analogen Gesinnung, aus der heraus das jeweils Erforderliche zu erwägen ist bzw. sich überhaupt nur erwägen lässt.
3.1.3.2 Paulus’ Mahnung zu einer Niedrigkeitsgesinnung und seine heidenchristlichen Adressaten Wie durch diese gemeinsame Orientierung der Gesinnung am Vorbild Christi die Einheit der Gemeinde verwirklicht werden kann, erläutern V. 3 und 4. In V. 3 stellt Paulus einer auf „Eigennutz“ oder „niederträchtiger Selbstsucht“140 (1qihe¸a) und leerer Ehrsucht (jemodon¸a) beruhenden Haltung die Forderung nach einer Niedrigkeitsgesinnung bzw. nach Demut (tapeimovqos¼mg) gegenüber. Durch diese sollen die Gemeindemitglieder „einander als höher stehend erachten als sich selbst“. Dabei finden mit 1qihe¸a und jemodon¸a zwei ausgesprochen negativ besetzte Termini Verwendung, um eine der tapeimovqos¼mg entgegenstehende Gesinnung zu umschreiben. Die einzigen beiden vorpaulinischen Belege für 1qihe¸a finden sich bei Aristoteles, Politik V,2,3; V,2,9. Dort bezeichnet das Substantiv die Einflussnahme auf eine Wahl mit dem Ziel, ein Amt zu erringen, und beinhaltet damit einen betrügerischen Aspekt im Sinne der „Amtserschleichung“141. Für ein ausschließlich auf eigenen Ruhm ausgerichtetes Verhalten verwendet Polybius X,22,9 1neqihe¼eim.142 Das Kompositum bezieht sich hier auf das Innehaben eines militärischen Postens allein zwecks des Aufstiegs zum Heerführer, was die Vernachlässigung der eigentlich damit verbundenen Aufgabe mit sich bringe. Im Phil begegnet 1qihe¸a bereits in 1,17 in Bezug auf die unlautere Evangeliumsverkündigung der Gegner am Haftort.143 Des Weiteren verwendet der Apostel den Begriff neben Röm 2,8 im Rahmen der Lasterkataloge in Gal 5,19 f und 2. Kor 12,20. 139 Einerseits wird dieser dadurch zu einem Vorbild für eine Entsprechung zu Christi Leiden und Tod, andererseits ist sein Überleben im Blick auf die aktuelle Situation der Gemeinde positiv zu bewerten und daher ein Grund zur Freude (vgl. 3.3.2). 140 Giesen, 1qihe¸a, 130; zur Wiedergabe als Eigennutz oder Selbstsucht vgl. auch Bauer, 626. Abzuleiten sind 1qihe¸a und Derivate offenbar von 5qihor (Lohnarbeiter) bzw. von 1qihe¼eim als Bezeichnung für dessen Tätigkeit, nicht von 5qir (Streit) (vgl. Bchsel, 1qihe¸a, 657 – 658, 657 f; Giesen, 1qihe¸a, 130; Reumann, Philippians, 181 f). Der Lohnarbeiter ist nach Bchsel, 1qihe¸a, 658 in der Antike aus Sicht höherer Gesellschaftsschichten „von vornherein verdächtig, mit seiner Anstrengung nur seinen Gewinn zu suchen, alles nur um seines Profits willen zu tun“, woraus eine dahingehende negative Prägung der Wortgruppe resultiere. 141 Eckey, Philipper, 76. 142 Vgl. auch ebd., 76. 143 Zur Beziehung zwischen 1,17 und 2,3 und der eventuellen Funktion der von Paulus beschriebenen Gegner an seinem Haftort als Negativbeispiel vgl. 5.2.2.
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9qihe¸a zählt zu den „Werken des Fleisches“ (Gal 5,19), nicht zu denjenigen, die aus dem Leben im Geist resultieren. Sie widerspricht dem Verhalten, welches Paulus in der Ekklesia erwartet (vgl. 2. Kor 12,20). Ebenfalls in Lasterkatalogen, allerdings außerhalb des Neuen Testaments, findet sich das paulinische Hapaxlegomenon jemodon¸a.144 Dessen ausnahmslos negativer Gebrauch reicht von „nichtiger Ruhmsucht“, „eitler Prahlerei“145 bis zu „Irrtum“, „törichter Wahn“146. Dabei kann der Übergang zu Letzterem fließend sein.147 Die im Folgenden verwendete Übersetzung mit „leere Ehrsucht“ soll einerseits die terminologischen Bezüge der beiden Wortteile zum Christuspsalm wiedergeben (zu jemoOm in V. 6 und zu dºna in V. 11), andererseits Paulus’ Anspielung auf die besondere Bedeutung von Status und Ehre in der römischen Kolonie Philippi verdeutlichen.148 Außerchristlich rein negativ konnotiert ist auch der Begriff tapeimovqos¼mg. Allerdings erhält dieser bei Paulus, beeinflusst von alttestamentlich-jüdischem Gedankengut, eine für seinen weiteren Gebrauch in der christlichen Tradition entscheidende Umprägung.149 Für tapeimovqos¼mg, welches, wiederum um der sprachlichen Bezüge zum Kontext willen, zu Christi Selbsterniedrigung (2,8: 1tape¸mysem 2autºm) und zum die Paraklese in 2,2 – 5 bestimmenden Verb vqome?m, nicht mit „Demut“, sondern mit „Niedrigkeitsgesinnung“150 wiedergegeben werden soll, finden sich lediglich zwei außerchristliche Belege, ein paganer Beleg bei Epiktet und ein jüdischer bei Josephus. Epiktet III,24,56 begegnet das Substantiv im Zusammenhang mit einer sich einschmeichelnden Haltung.151 Josephus gebraucht es in De Bello Iudaico IV,494 für die „niedrige Gesinnung“ desjenigen Soldaten, welcher den nach dem Tod Neros zum Kaiser ernannten Galba ermordete. Eine derart negative Prägung kommt innerhalb der paganen Literatur mit wenigen Ausnahmen der gesamten Wortgruppe zu.152 Tapeimºr bezeichnet häufig den niedrigen Status eines Menschen, wobei dies auf dessen niedere Gesinnung und moralische Minderwertigkeit übertragen wird. So soll sich nach Euripi144 145 146 147
148 149 150 151 152
Vgl. 4. Makk 2,15; 1. Klem 35,5; Herm mand 8,5. Vgl. u. a. Polybius, III,81,9; IgnPhld 1,1; 1. Klem 35,5; Herm mand 8,5; vgl. auch Bauer, 869. So bereits Epikur XXX,5; vgl. Weish 14,14; IgnMagn 11; vgl. auch Bauer, 869 f. Vgl. 4. Makk 8,19. Bauer versteht jemodon¸a hier als „nichtige Ruhmsucht“, während Riessler die Übersetzung „leerer Wahn“ vorzieht. Bietet sich ein derartiges Verständnis aufgrund der Verwendung parallel zu 1qihe¸a und im Gegenüber zu tapeimovqos¼mg für Phil 2,3 zwar nicht als primäre Bedeutung an, wird jedoch ein von Paulus intendierter dahingehender Anklang nicht auszuschließen sein. Das kritisierte Verhalten erhielte damit als in die Nähe des Wahnsinns gerückt eine noch um ein weiteres Moment verstärkte Abwertung. Vgl. unten. Vgl. zum Wandel des Gebrauchs der gesamten Wortgruppe in der alten Kirche Grundmann, tapeimºr, 25 ff. In den echten Paulusbriefen begegnet tapeimovqos¼mg nur hier. Der Gebrauch des Begriffs erfolgt anknüpfend an Walter, Philipper, 54: „,Demut‘ = Niedrigkeits-Sinnen“. Vgl. auch Mller, Philipper, 87; Grundmann, tapeimºr, 5. Vgl. auch zum Folgenden Wengst, Demut, 16ff; Grundmann, tapeimºr, 2 ff.
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des, Andromache 163ff die versklavte ehemalige Fürstin nicht nur körperlich, sondern auch geistig beugen (pt/nai tapeim¶m [165]). Nach Dion Chrysostomos 4,80 ist der Geist „des niedrigen und unedlen [Mannes] … niedrig.“153 Plutarch verwendet den Superlativ tapeimºtator gemeinsam mit j²jistor154 ; das Adverb tapeim_r begegnet bei ihm neben aQswq_r (schändlich, unsittlich).155 Die Verknüpfung von Status und ethischer Wertung zeigt sich insbesondere bei Lukian, Somnium 9, wo dem Verfasser prophezeit wird, dass er, sollte er die Arbeit als Bildhauer der Bildung vorziehen, zwangsläufig eine niedere Gesinnung haben werde.156 Schon aus der Sicht des Aristoteles erniedrigen niedere Beschäftigungen das Denken und machen Leib, Seele und Denken unbrauchbar zur !qet¶.157 Und der Christentumskritiker Celsus erachtet den „Demütigen“ (tapeimºvqym) als jemanden, der sich „in unwürdiger und unanständiger Weise erniedrigt, auf den Knien im Staube liegend und kopfüber hingeworfen, mit dem Gewand der Unglücklichen bekleidet und mit Staub haufenweise bedeckt“158. Selten findet sich jedoch auch ein positiver Gebrauch von tapeimºr und Derivaten. Demut gegenüber Gott begegnet bei Plutarch, Moralia 549d als das Ziel der göttlichen Strafe.159 Dion Chrysostomos 77,28 kann neben obiger negativer Verwendung von tapeimºr, das Adjektiv auch positiv für eine bescheidene „Lebensführung“160 gebrauchen. Xenophon schließlich schreibt in seinem Enkomion auf den Sparterkönig Agesilaos dieser sei, „während er die Hochmütigen freilich verachtete, demütiger (tapeimºteqor) als die gewöhnlichen (Menschen)“161 gewesen. Ein vielschichtiges Bild für die Verwendung der Wortgruppe bietet die LXX. Dort kommt den Termini einerseits eine ausgesprochen negative Bedeutung zu: tapeimoOm kann u. a. für die Unterdrückung Israels in Ägypten (Gen 15,13; Ex 1,12 u. ö.) gebraucht werden, im Sinne von vergewaltigen (Ri 20,5; Klg 5,11 u. ö.) und von töten (1. Sam 26,9; Mal 2,12). Daneben tritt in zweierlei Hinsicht ein positiver Gebrauch: 1.) hinsichtlich der Niedrigkeit und Erniedrigung gegenüber Gott: Wiederholt begegnet der Aufruf zum Fasten als Erniedrigung der xuw¶ (Lev 16,9 u. ö.). Hinzu tritt 2.) ein sozialer Aspekt: Gott erniedrigt die Hohen und erhöht bzw. rettet die Niedrigen (vgl. Ps 17,28 LXX zur Rettung des „niedrigen Volks“ Israel; Hi 22,29).162 So kann es Jdt 9,11 von ihm hießen: 153 154 155 156 157 158
159 160 161 162
tapeim¹r d³ b toO tapeimoO ja· !cemmoOr. Vgl. Plutarch, De Nicia 26,6. Vgl. Plutarch, De Cato Minor 32,1. Vgl. auch Wengst, Demut, 21 f; Mller, Philipper, 87. Vgl. Aristoteles, pol. VIII,2,1; vgl. IV,9,5; vgl. auch Wengst, Demut, 17 f. Origenes, Contra Celsum, 6,15 (Übersetzung Koetschau). Celsus sieht den Ursprung der christlichen „Lehre von der ,Demut‘“ in einer missverstandenen Mahnung, „demütig und bescheiden / maßvoll“ (tapeim¹r ja· jejoslgl´mor) der Gerechtigkeit nachzufolgen, bei Plato, leg. 715Ef. (vgl. Contra Celsum, 6,15). Vgl. Wengst, Demut, 32; vgl. auch Grundmann, tapeimºr, 4. Wengst, Demut, 33. Xenophon, Agesilaos XI,11; vgl. Wengst, Demut, 33. Vgl. auch Mller, Philipper, 87 f.
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tapeim_m eW heºr. Und nach Jes 11,4 wird der Messias den tapeimo¸ Recht schaffen.163 Anders als im paganen Kontext wird hier soziale Niedrigkeit nicht mit moralischer Minderwertigkeit verknüpft. Besonders in den Proverbien und bei Jesus Sirach kann Demut einen ethischen Wert darstellen. Den Demütigen erwarten Gnade und Ehre, den Hochmütigen Erniedrigung (Sir 3,18; Prov 18,12; 29,23). Vor diesem Hintergrund kann ein Sich-Herablassen auf einen niedrigen Status als positiv erachtet werden (Prov 16,19; 18,12; vgl. auch die Erniedrigung des Gottesknechts in Jes 53,7). Allerdings stellt derlei positiv gewertete immanente Selbsterniedrigung, anders als diejenige gegenüber Gott, auch innerhalb der LXX nur einen Randaspekt dar und kann ebenso skeptisch als mögliche Heuchelei betrachtet werden (Prov 13,7; Sir 12,11; 29,5).164 Gleichsam aber bietet der alttestamentlich-jüdische Kontext Anknüpfungspunkte für eine positive Wertung einer Niedrigkeitsgesinnung, wie sie bei Paulus in Phil 2,3 erfolgt. Für seine mehrheitlich heidenchristlichen Adressaten in Philippi hingegen steht die Mahnung, eine solche Gesinnung anzunehmen, in weitgehendem Widerspruch zu den Werten ihrer Umwelt – und damit nicht zuletzt zu denjenigen ihrer eigenen, paganen Herkunft und Sozialisation.165 Die Gegenüberstellung der angemahnten tapeimovqos¼mg mit den auf die eigene Ehre und den eigenen Ruhm abzielenden Termini 1qihe¸a und jemodon¸a wirft die Frage auf, ob Paulus hiermit auf konkrete Probleme bei den Adressaten reagiert. Der Exeget August Hermann Franke sah hier die Folgen „sittlicher Selbstüberschätzung“166 thematisiert, und Ernst Lohmeyer erachtete das Vollkommenheitsbewusstsein der Märtyrer als Hintergrund der Mahnung.167 Nachdem bereits Otto Merk eine Verbindung der Mahnung zum römischen Statusdenken sah168, erachtet Ulrich B. Müller diese als eine Reaktion auf das in der römischen Gesellschaft verbreitete Aufstiegsstreben, den „Drang, vor den anderen herauszuragen“169, welches sich in der Gemeinde fortgesetzt und zu Rivalitäten geführt habe.170 Der epigraphische Befund für 163 Vgl. Wengst, Demut, 43. 164 Vgl. Guttenberger Ortwein, Status, 107 ff. 165 Häufig zitiert wird in diesem Zusammenhang Albrecht Dihles Aussage: „Die D[emut] als Tugend ist der gesamten antiken Ethik fremd“ (Demut, 737). Bockmuehl, Philippians, 111 bemerkt zur Bedeutung, welche der Demut hingegen im frühen Christentum zuwächst: „The centrality of this word is one of the paradoxes of early Christian ethics which made little sense in the first century, and perhaps makes even less today.“ Allerdings bieten sich trotzdem für die paulinische Mahnung potentielle Anknüpfungspunkte auch an pagane Werte (vgl. Exkurs). 166 Franke, Philipper, 11. 167 Vgl. Lohmeyer, Philipper, 87. Zur Forschungsgeschichte vgl. 1.3.3. Gegen eine konkrete Problematik bei den Adressaten als Hintergrund der Mahnung wenden sich u. a. Gnilka, Philipperbrief, 105 f; Walter, Philipper, 54. 168 Vgl. Merk, Handeln aus Glauben, 177 f. 169 Mller, Philipper, 90. 170 Vgl. ebd., 90.
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Philippi bekräftigt die Annahme eines Zusammenhangs zwischen Phil 2,3 f und einem Statusdenken bzw. Aufstiegsstreben. Wie aus zahlreichen Inschriften hervorgeht, ist Ehre ein leitender Wert in der römischen Kolonie. Hierauf rekurrierend sieht in der aktuellen Forschung auch Joseph H. Hellerman in Phil 2 eine Reaktion des Apostels auf das seinen Adressaten vertraute Aufstiegsstreben, auf ein Suchen nach Ehre durch das Erlangen eines höheren Status. Als Gegenentwurf zu einer solchen Haltung führe Paulus den Christuspsalm an. Dieser eröffne den Adressaten einen anderen, neuen Weg zum Aufstieg, nämlich durch Erniedrigung. Als „cursus pudorum“171 stehe die Schilderung von Christi Selbsterniedrigung und anschließender Erhöhung dem römischen cursus honorum, an dessen Ämterstruktur auch Religionsgemeinschaften in Philippi anknüpfen172, gegenüber.173 Ein Indiz dafür, dass Paulus mit seiner Mahnung auf eine aus der römischen Hochschätzung von Status und Ehre resultierende Problematik reagiert – sei es, dass es sich dabei um ein innergemeindliches Aufstiegsstreben handelt oder um den Versuch einzelner Gemeindemitglieder, ihren gesellschaftlichen Status auch als Christen zu wahren oder sogar zu verbessern – findet Anhalt an der anschließenden Erläuterung der Niedrigkeitsgesinnung. Diese Gesinnung soll bewirken, dass die Gemeindemitglieder „einander als höher stehend erachten als sich selbst“ (!kk¶kour Bco¼lemoi rpeq´womtar 2aut_m [V. 3b]). Dabei erfolgt offenbar eine neuerliche vorbildethische Bezugnahme auf den Christuspsalm. So begegnen mit Bce?shai und 2autºr sowie durch das Präfix rpeq-174 zwei weitere terminologische Anklänge an Christi im Psalm geschildertes Verhalten und dessen Folgen. Dort bezieht sich Bce?shai auf das Streben nach einem höheren Status, der Gottgleichheit, während 2autºr in Verbindung mit Christi Selbstentäußerung und Selbsterniedrigung gebraucht wird.175 Paulus erläutert somit offenbar die intendierte Folge der Niedrigkeitsgesinnung mit einer Anspielung auf Christi Verhalten und setzt die Mahnung zu diesem in Analogie. Nicht nach einem höheren Status sollen die Philipper streben oder ihr Handeln auf den Erhalt ihres Status ausrichten176, sondern sie sollen sich, wie Christus sich seines Status entäußerte (2aut¹m 1j´mysem [V. 7]), einander unterordnen. Die geforderte Niedrigkeitsgesinnung realisiert sich darin, dass die Gemeindemitglieder entsprechend Christus auf einen Status, den sie bereits innehaben oder den sie anstreben, verzichten. Diese Forderung steht in einer nicht zu unterschätzenden Spannung zu den Paulus’ heidenchristlichen Adressaten durch ihre pagane Primärsozialisation Hellerman, Reconstructing Honor, 129 u. ö. Vgl. 1.4.2. Vgl. Hellerman, Reconstructing Honor, 129ff, 165. Ein bewusster Anklang legt sich nahe, zumal Paulus auch in 1,29 auf t¹ rp´q aus 2,9 Bezug nimmt. 175 Vgl. 2.2. 176 Zu Paulus’ offenbar von dem in Kap. 2 dieser Untersuchung abweichendem Verständnis von oqw "qpacl¹m Bc¶sato t¹ eWmai Usa he` als Festhalten an einem Status in 3,5 – 9 vgl. 3.2.2. 171 172 173 174
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vertrauten Werten. Charakterisiert der Apostel in 2,3 ein auf Statusgewinn oder -erhalt ausgerichtetes Verhalten zwar mit auch im paganen Kontext ausgesprochen negativ besetzten Termini, stellt dieses Verhalten jedoch für Römer und Griechen an und für sich nichts Negatives dar. Berücksichtigt man den epigraphischen Befund für Philippi177, so erscheint es einem Bewohner der Colonia Iulia Augusta Philippensis offenbar als selbstverständlich, stolz auf seinen Status zu verweisen. Dies gilt, wie mehrere Belege zeigen, auch für die Unterschicht. Demnach ist eine hohe Wertschätzung von Status und Ehre auch für die pagan sozialisierten Gemeindemitglieder vorauszusetzen. Das bedeutet aber : Paulus dürfte hier genötigt sein, nicht allein auf ein individuelles Fehlverhalten einzelner Gemeindemitglieder zu reagieren, sondern auf eine grundlegende ethische Problematik. Das Fehlverhalten gründet in einer Spannung zwischen den in der römischen Kolonie Philippi üblichen Werten, und dem Verhalten, welches Paulus von den Mitgliedern der Ekklesia erwartet, einer Lebensführung „würdig dem Evangelium Christi“ (1,27). Nachdem sich bereits in der einleitenden Mahnung ein eventueller Wertekonflikt andeutete, weist somit auch die konkrete Paraklese auf eine Spannung zwischen den den Gemeindemitgliedern aufgrund ihrer Primärsozialisation vertrauten Werten und den „christlichen“ Werten hin. Wie diese Spannung konkret zutage tritt, durch Rivalitäten in der Gemeinde oder durch die Folgen des Versuchs gesellschaftlichen Statuserhalt oder -gewinn zu erlangen, lässt sich anhand von 2,3 f nicht klären. Beides gereichte der Gemeinde, welche besonders angesichts der Leidenssituation innerer Geschlossenheit bedarf, zum Schaden. Die erforderliche Geschlossenheit würde gleichermaßen korrumpiert durch Rivalitäten um einzelne Posten innerhalb der Gemeinde wie durch Versuche einer Re-Assimilation an die Umwelt und einen damit verbundenen teilweisen oder auch völligen Rückzug von der Ekklesia. Beide Optionen sind zunächst offen zu halten. Hier ist von der Charakterisierung der „Feinde des Kreuzes Christi“ in 3,17 – 19 weiterer Aufschluss zu erwarten.
Exkurs: Status und Ehre in der antiken Gesellschaft Die Verknüpfung von niedriger sozialer Stellung und moralischer Minderwertigkeit sowie die weitgehend negative Wertung von (Selbst-) Erniedrigung, stattdessen das Streben nach Ehre und die Betonung eines erlangten Status sowie eines erfolgreichen Werdegangs, wie sie in Inschriften aus Philippi zutage tritt, sind Ausdruck einer für den antiken paganen Mittelmeerraum und insbesondere für die römische Gesellschaft charakteristischen Haltung. Hellerman verweist auf die zentrale Stellung des Werts Ehre in der Gesellschaft des Imperium Romanum. Diesem kommt entscheidende Bedeutung für die 177 Vgl. 1.4.2.
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Orientierung des Handelns der Menschen zu.178 Auch Reichtum ist Ehre funktional untergeordnet und wird zu ihrer Steigerung verwendet. Er bildet eine der Grundvoraussetzungen gesellschaftlichen Aufstiegs und wird u. a. mit dem Ziel der Ehrsteigerung als Spende für öffentliche Zwecke eingesetzt.179 Pilhofer erkennt dieses Vorgehen in den epigraphischen Zeugnissen aus Philippi. So begegne „der kºcor dºseyr ja· k¶lxeyr [Phil 4,15] (…) in allen Bereichen der Kolonie.“180 Die Brunnenspende des Lucius Decimius Bassus werde zur Folge haben, dass auch sein in der Inschrift erwähnter „bisher amtslose[r] Bruder (…) umgehend zum Quästor gewählt wird.“181 Der „Ädil“ Publius Hostilius Philadelphus hat vor seiner Ernennung „weder Kosten noch Mühen [gescheut], um dem collegium zu einem würdigen Mitgliederverzeichnis182 zu verhelfen, welches er auf seine eigenen Kosten in den Fels hauen läßt.“183 Am Beispiel des Letzteren, eines Freigelassenen innerhalb des weitgehend aus Mitgliedern der Unterschichten bestehenden Silvanuskults, zeigt sich, wie die Orientierung am Wert Ehre alle Gesellschaftsschichten umfasst. So wird in Kulten und Vereinen versucht, Ehrenstellungen der Oberschicht nachzuahmen. Hellerman verweist auf die Ämterhierachie im Mithraskult und im Kult des Aesculapius und der Hygia (Asklepios und Hygieia) von Rom als Beispiel eines Anklangs an den senatorischen Kursus184, ähnlich den Beobachtungen zum Silvanuskult und zum Kult des Thrakischen Reiters in Philippi. Aber z. B. auch in Handwerkervereinigungen und unter den Bediensteten in Haushalten begegneten im weiteren Sinne an den Kursus angelehnte Hierarchien.185 178 Vgl. Hellerman, Reconstructing Honor, 35ff; vgl auch Guttenberger Ortwein, Status, 26ff, die die antike griechische und römische Gesellschaft in ihrem Handeln entscheidend auf Status- und Ehrerhalt bzw. Steigerung ausgerichtet sieht. Vgl. Plinius, Ep 9,3,1: „(…) Ich halte den für den glücklichsten Menschen, der im Vorgenuss eines guten bleibenden Rufes, seines Nachlebens sicher, mit seinem zukünftigen Ruhme lebt“ (Übersetzung Kasten). Dion Chrysostomos 66,1: „(…) Ruhmsucht und Ehrgeiz jedoch will kein Mensch verstecken, sondern man zeigt sie in aller Öffentlichkeit.“ 31,16: „Die Menschen aber brauchen Kränze, Bilder, Ehrenplätze im Theater und ehrendes Gedenken, sind doch viele schon deswegen in den Tod gegangen, um ein Standbild zu bekommen, öffentlich ausgerufen zu werden oder sonst eine Ehrung zu erhalten und der Nachwelt einen herrlichen Namen und die Erinnerung an sich zu hinterlassen“ (Übersetzung Elliger). Vgl. auch Hellerman, Reconstructing Honor, 36 ff. 179 Vgl. Hellerman, Reconstructung Honor, 38ff; vgl. auch Dion Chrysostomos 66,2.8. 180 Pilhofer, Philippi 1, 151. Pilhofer sieht in der von Paulus gewählten Wendung einen Bezug auf die Spendenpraxis insbesondere innerhalb von Kultvereinen (vgl. 150 f). 181 Ebd., 148; vgl. 213/L347. 182 Vgl. 163/L002; 164/L001. 183 Pilhofer, Philippi 1, 150; vgl. zu den Inschriften des Lucius Decimius Bassus und des Publius Hostilius Philadelphus auch 1.4.2. 184 Vgl. Hellerman, Reconstructing Honor 56 f. 185 Vgl. ebd., 27. Alfçldy, Römische Sozialgeschichte, 115 bemerkt zur Nachahmung von Oberschichtstrukturen in Vereinen der römischen Unterschicht: „Die Mitglieder derartiger Vereine verfügten über ein gewisses korporatives Selbstbewusstsein und konnten im Vorstand der Körperschaften die Tätigkeit städtischer Würdenträger nachahmen“.
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Zur großen Bedeutung von Status und Ehre treten im Imperium Romanum verschiedene Aufstiegsmöglichkeiten, welche für die Angehörigen der Unterschichten allerdings begrenzt sind.186 Ein Übergang in die Oberschicht ist nur sehr selten möglich. Theoretisch kann dies mittels Aufnahme in den ordo decurionum, den Rat der Stadt, erfolgen.187 Allerdings ist es den meisten Menschen unmöglich, das hierfür erforderliche Vermögen zu erlangen.188 Der Aufstieg in den Ritterstand auf dem Weg der Centurionenlaufbahn, „die einzige institutionalisierte Möglichkeit für den Aufstieg vom Boden bis zur Spitze der sozialen Pyramide“189, bildet eine nur in den seltensten Fällen verwirklichte Ausnahme.190 Entscheidende Voraussetzung für einen gesellschaftlichen Aufstieg ist das volle römische Bürgerrecht.191 Dieses kann derjenige, welcher es nicht als Sohn römischer Bürger von Geburt an besitzt, durch Adoption, mit Abschluss des 25-jährigen Militärdienstes bei den Auxiliartruppen, durch Freilassung aus der Sklaverei192 oder „anläßlich hervorragender Verdienste für Rom“193 erlangen.194 Ein Freigelassener trägt jedoch auch als römischer Bürger zeitlebens „das Stigma der unfreien Herkunft“195, welches sich auch durch größten Reichtum nicht beseitigen lässt und in der Regel den Eintritt in die politisch verantwortliche gesellschaftliche Oberschicht ausschließt.196 Hierin 186 Vgl. Alfçldy, Römische Sozialgeschihte, 127 ff. Wengst, Demut, 25 verweist auf ein bereits der Schilderung der Gründung Roms bei Livius I,8,5 inhärentes „Aufstiegsbewußtsein“ (25), welches „Rom sozusagen von Anfang an eingestiftet“ (25) gewesen sei. 187 Zum ordo decurionem vgl. Alfçldy, Römische Sozialgeschichte, 109ff; Bleicken, Verfassungs- und Sozialgeschichte der Römischen Kaiserreichs 2, 22 f. 188 Vgl. Hellerman, Reconstructing Honor, 60; Alfçldy, Römische Sozialgeschichte, 128. Je nach Größe und Reichtum einer Stadt differierte das für die Aufnahme vorzuweisende Vermögen. Dazu bemerkt Alföldy : „In vielen größeren und mittleren Städten wie in Karthago oder im oberitalischen Comum betrug der erforderliche Minimalcensus 100000 Sesterzen. In weniger bedeutenden städtischen Gemeinden war er niedriger und lag in den kleinen afrikanischen Municipien nur bei 20000 Sesterzen“ (110). Allerdings ist gegen Alföldy nicht davon auszugehen, dass es eine exakt festgesetzte Zahl von 100 Dekurionen gegeben habe, von der fast nie abgewichen worden sei (vgl. 100). Nicols, On the Standard Size of the Ordo Decurionum, 712 – 719 verweist auf die Zeugnisse für eine erheblich differierende Größe des ordo decurionum. Die Argumente für eine Anzahl von je 100 Dekurionen stützten sich hingegen auf unsichere sprachliche Rückschlüsse von deren Bezeichnung als centumviri (vgl. 712 f). 189 Alfçldy, Römische Sozialgeschichte, 129. 190 Vgl. ebd., 129: „(…) Z.B. um die Mitte des 2. Jahrhunderts gab es gleichzeitig nur etwa 2000 Centurionen, von denen jeweils nur etwa ein Drittel den Primipilat mit dem ritterlichen Rang und weniger als 10 eine hohe ritterliche Rangstufe erreichen konnten.“ 191 Vgl. ebd., 98. 192 Dies ist nur möglich, sofern der Besitzer des Sklaven selbst römischer Bürger ist (vgl. Bleicken, Verfassungs- und Sozialgeschichte des Römischen Kaiserreichs 1, 340). 193 Omerzu, Prozeß, 22. 194 Vgl. auch Ebel, Leben des Paulus, 91; Omerzu, Prozeß, 21 ff. Der Centurio in Apg 22,28 hat für die Verleihung des Bürgerrechts offenbar „Bestechungsgelder“ (Omerzu, Prozeß, 23) bezahlt. 195 Alfçldy, Römische Sozialgeschichte, 114. 196 Vgl. ebd., 113 f. Ein prominentes Beispiel hierfür ist der zu größtem Reichtum gelangte Freigelassene Trimalchio, dem aufgrund seiner Abstammung der Aufstieg in die Oberschicht verwehrt blieb (vgl. 100).
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kommt eine weitere gesellschaftliche Differenzierung, die Scheidung auch der freien Bürger in ingenui (frei geborene Römer) und liberti (Freigelassene) zum Tragen.197 Kommt es zwar nur selten zu einem Aufstieg in die Oberschicht, so ist ein Übergang zwischen deren einzelnen ordines nicht unüblich. So rekrutiert sich der Senatorenstand (ordo senatorius) aus dem Ritterstand (ordo equester)198, in welchen man wiederum aus dem ordo decurionum aufsteigen kann.199 Die Laufbahn eines Senators wird dabei durch den cursus honorum geregelt.200 Besondere Beispiele für einen gesellschaftlichen Aufstieg innerhalb der Unterschicht geben Lukian von Samosata, der aus einfachen Verhältnissen stammend, durch Bildung zu Ehre und Wohlstand aufstieg201, und der reiche Freigelassene Trimalchio. Mögen diese Beispiele zwar eine Ausnahme darstellen, zeugen sie jedoch von einer, wenn auch in der Regel schichtimmanenten, gesellschaftlichen „Elastizität“202. Gesellschaftlicher Aufstieg ist möglich und lässt sich, eventuell durch derartige Beispiele animiert, anstreben. Nicht die in den meisten Fällen begrenzte reale Aufstiegsmöglichkeit, sondern die Möglichkeit eines Aufstiegs überhaupt, kann Anlass für ein verbreitetes Streben nach einem höheren Status sein.203 Dabei darf das Ver-
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Nicols, On the Standard Size of the Ordo Decurionum, 718 verweist auf Belege für Freigelassene auch innerhalb des ordo decurionum, die aber offenbar keine Ratsmitgliedschaft und somit die Möglichkeit gesellschaftlicher Mitbestimmung innehatten. Hier wird von einer Art Mitgliedschaft ehrenhalber auszugehen sein. Vgl. Bleicken, Verfassungs- und Sozialgeschichte des Römischen Kaiserreichs 1, 312, 340. Nach Alfçldy, Römische Sozialgeschichte, 100 repräsentiert die sich hierin offenbarende Spannung zwischen Herkunft und persönlicher Leistung eine „für die römische Gesellschaftsordnung höchst charakteristisch[e]“ Ambivalenz: „(…) Sie beharrte einerseits auf dem aristokratischen Prinzip des Vorrangs der adligen Geburt und überhaupt der Bestimmung der sozialen Position durch Herkunft, zugleich bot sie jedoch auch einen Spielraum für persönliche Qualitäten und Ambitionen.“ Zur Bedeutung nicht allein der freien Geburt, sondern auch einer ehrenvollen Herkunft vgl. Hellerman, Reconstructing Honor, 54 ff. Die Kinderlosigkeit vieler Senatoren sowie der Ermordung von Teilen des Senatorenstandes u. a. unter Caligula und Nero sorgten für die Aufnahme neuer Senatoren aus dem ordo equester (vgl. Alfçldy, Römische Sozialgeschichte, 103). Vgl. Alfçldy, Römische Sozialgeschichte, 127. In der frühen Prinzipatszeit stehen an dessen Beginn das Vigintisexvirat und das Militärtribunat, worauf die seit republikanischer Zeit üblichen Stationen Quästur, Ädilität, Prätur und Konsulat folgen (vgl. H.C. Gnther, Cursus honorum, 244). „Doch befreien die Kaiser öfters von den Regeln des c.h. oder verleihen Ämter und Rangplätze im Senat nach polit. Opportunität“ (244 f). Vgl. Wengst, Demut, 22 f. Alfçldy, Römische Sozialgeschichte, 129. Alföldy sieht hierin einen Grund für die „Stärke und Stabilität“ (129) des „römische[n] Gesellschaftssystem[s]“ (129). Nach Wengst, Demut, 25 bieten schon seltene Beispiele eines geglückten Aufstiegs Grund zu einem persönlichen Aufstiegsstreben und der Abwertung eines sozial niedrigen Status als selbst verschuldet, was, so der Skopus von Wengsts Überlegung, zur Verschleierung versklavender Strukturen führe. Vgl. auch Theißen, Christologie und soziale Erfahrung, 321: „Es gab also begrenzte Aufstiegschancen. Wie oft sie realisiert wurden, ist weniger wichtig. Ent-
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ständnis von „Aufstieg“ nicht zu eng gefasst werden. Schon eine bescheidene Verbesserung der Lebenssituation, von Wohlstand und Ansehen, kann von einem Angehörigen der Unterschicht gegenüber materieller Not und gesellschaftlicher Verachtung als Aufstieg gewertet und als ein anzustrebendes Ziel erachtet werden. Im Rahmen solcher geringfügigen Status- und Ehrverbesserung wird sich auch weitgehend das Aufstiegsstreben Unterschichtangehöriger in Philippi bewegt haben, insbesondere eingedenk dessen, dass die nichtrömische Bevölkerung der Kolonie zu einem großen Teil kein römisches Bürgerrecht besessen haben dürfte und ihren Bestrebungen daher Grenzen gesetzt waren. Die Imitation elitärer Strukturen in Unterschichtkulten kann gerade dieser Begrenztheit Rechnung tragen.204 Auf diese Weise werden innergesellschaftlich versperrte Aufstiegsmöglichkeiten andernorts geschaffen. Ein Status der innerhalb der Gesellschaft unzugänglich bleibt, wird im begrenzten Rahmen einer religiösen Gruppierung zum erreichbaren Ziel. Wie bereits der partiell positive Gebrauch der Wortgruppe tapeimºr in der LXX andeutet, weist der alttestamentlich-jüdische Kontext erhebliche Differenzen zur paganen Wertung von Status und Ehre auf. Guttenberger Ortwein verweist als dessen Hintergrund auf zwei Voraussetzungen: 1.) werde in Israel wie im gesamten Orient ein größerer „Abstand zwischen Gott und Mensch“205 empfunden als in der paganen Welt; „die religiöse Demut spiegel[e] diesen Abstand.“206 2.) wirke sich hierin Israels Situation als kleines Volk, die Situation der Bedrohtheit und Abhängigkeit, aus.207 Von Zweitem zeugt der Gedanke der Erwählung bzw. Rettung des niedrigen Volkes Israel durch Gott (vgl. Ps 17,28 LXX).208 Innerhalb des Volks wendet sich Gott wiederum den Niedrigen bzw. den sozial Benachteiligten zu.209 Entsprechend nehmen über obige Belege für eine positive Wertung von Niedrigkeit hinaus weitere alttestamentliche Texte Partei für die Armen, welche dem Unrecht der Reichen und Mächtigen ausgesetzt sind. So prangert das Amosbuch in aller Schärfe die soziale Ungerechtigkeit und die Ausbeutung der Unterschichten an.210 Am 2,6; 5,12 begegnet eine Parallelisierung, Ps 37,12.16 u. ö. eine Gleichsetzung von
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scheidend ist, daß die Erwartungen der Menschen davon geprägt werden konnten, daß jeder in seinem Leben einen Schritt ,nach oben‘ tun konnte“. Vgl. Hellerman, Reconstructing Honor, 58. Guttenberger Ortwein, Status, 91. Ebd., 91. Vgl. ebd., 91. Daneben partizipiere Israel allerdings sowohl im Hinblick auf innerfamiliäre Verhältnisse als auch hinsichtlich der Familienehre an der antiken Ehr- und Schamkultur (vgl. 89 f). Vgl. ebd., 94. Grundmann, tapeimºr, 12 verweist darüber hinaus auf die grundlegende Differenz zwischen dem paganen und alttestamentlich-jüdischen Menschenbild. Dem „Bild des freien Menschen im Griechentum“ stehe in Israel der Gedanke des Menschen vor Gott gegenüber. Gott bestimme sein Handeln und sei derjenige, „auf den der Mensch hören, dem er gehören und gehorchen soll“. Vgl. Guttenberger Ortwein, Status, 96 ff. Vgl. Wengst, Demut, 35ff; Guttenberger Ortwein, Status, 96.
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„arm“ und „gerecht“211 gegenüber der erfahrenen Verbindung von Reichtum und Ungerechtigkeit.212 Die niedrige soziale Stellung wird, anders als in paganen Texten, mit einer positiven ethischen Wertung verbunden.213 Texte aus Qumran weisen als einen neuen Aspekt den Gedanken gegenseitiger Demut auf.214 So findet sich in 1 QS II,24 f eine an Phil 2,1 – 4 erinnernde Mahnung zum Umgang miteinander innerhalb der Gemeinschaft. „(…) Alle seien in wahrhafter Einung und in demütiger Liebe, in liebevoller Verbundenheit und gerechtem Denken einer gegenüber seinem Nächsten in einem Rat von Heiligkeit und von Söhnen eines ewigen Kreises.“215 1 QS V,24 f mahnt dazu, dass „jeder zurechtweise seinen Nächsten in Wahrhaftigkeit und Demut und liebevoller Verbundenheit gegen einen jeden.“216 1 QS IV,3 fordert „einen Geist von Demut und Langmut“217. Allerdings findet auch unter paganem Gesichtspunkt das Streben nach Status und Ehre, die Ausrichtung „auf die eigenen Dinge“, seine Grenze im Wohl der Gemeinschaft bzw. des Staates. Wilfried Eckey verweist auf „die Thematik des Einsatzes für das Wohl des Gemeinwesens und die Wachsamkeit gegenüber Leuten, die es vor allem als Basis ihres eigenen Macht- und Ruhmstrebens ansehen“218 als einen „unter Griechen und Römern feste[n] Topos.“219 Nach Thukydides VI,612 warnt Nikias 415 v. Chr. die Athener vor jungen Feldherren, die um des eigenen Ruhmes willen über die erbetene Hilfeleistung für die Segestaner hinaus unter Gefährdung Athens weitere militärische Aktionen anstreben. Plato, Politeia 346E zufolge werden „Regierungsämter“ nicht wegen der Macht angestrebt, sondern wie jede andere Kunst ziele auch die Regierungskunst auf ihr Objekt, den Regierten und das ihm Nützliche. Besonders stellt er dabei heraus, dass es um das Schauen auf den Nutzen des Regierten als des Schwächeren gegenüber dem Nutzen des 211 Vgl. Wengst, Demut, 42 f, 47 ff. 212 Vgl. Wengst, Demut, 45. Wengst verweist in diesem Zusammenhang des Weiteren auf das Richten des Messias (vgl. oben zu Jes 11,4) auf Zef 2,3; 3,11b–13 (vgl. 45 f) und in der zwischentestamentlichen Literatur auf äthHen 94,6 – 104,13 (vgl. 51ff). In letzterem Text wird den reichen Frevlern hinsichtlich der Umkehr der Verhältnisse prophezeit: „Wisset, dass ihr in die Hände der Gerechten gegeben werdet, und sie werden euch den Kopf abschlagen“ (98,12; vgl. Wengst, Demut, 57). 213 Umgekehrt zeugt nach Wengst, Demut, 35, 60ff die in der Weisheitsliteratur, insbesondere in Jesus Sirach, begegnende positive Wertung von Demut der Reichen gegenüber den sozial Schwächeren (vgl. oben zu tapeimºr) auch eine derartige Tendenz der Loslösung von sozialem Status und ethischer Wertung, die es erlaube, den positiv besetzten Begriff nicht nur den Armen, sondern auch den Reichen zuzusprechen. 214 Vgl. auch zum Folgenden Mller, Philipper, 86. Müller sieht in dem sich in den Qumrantexten niederschlagenden jüdischen Gedankengut den geistesgeschichtlichen Hintergrund der paulinischen Forderung. 215 Übersetzung Maier. 216 Übersetzung Maier. Vgl. auch Wengst, Demut, 67; Grundmann, tapeimºr, 12. 217 Übersetzung Maier. 218 Eckey, Philipper, 77. 219 Ebd., 77; vgl. auch zum Folgenden 77 ff.
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stärkeren Regierenden gehe.220 Dionysios von Halikarnassos, Antiquitates Romanae V,10,2 berichtet aus den Anfängen der Republik, Konsul L. Junius Brutus (seit 509 v. Chr.) habe gegen seinen Amtskollegen L. Tarquinus Collatinus Vorkehrungen getroffen, „da dieser anstatt auf das dem Staat / der Allgemeinheit Förderliche auf seinen eigenen Vorteil blicke“.221 Nach Plutarch, Fabius Maximus 14,7 beabsichtigte Konsul L. Aemilius Paullus gegen sein persönliches Interesse auf Anraten Q. Fabius Maximus Verrucosus’ um des Vaterlands willen die Schlacht gegen Hannibal hinauszuzögern. Cicero, De finibus III,64 vergleicht die Welt einer Stadt oder einem Staat (urbem et civitatem), worin Götter und Menschen gemeinsam leben. Als ein Teil dieser Gemeinschaft ziehe der Mensch als natürliche Konsequenz deren Nutzen seinem eigenen vor.222 Auch begegnet bei Cicero in diesem Zusammenhang eine positive Wertung des Todes. Ruhm erfährt, wer für die Gemeinschaft stirbt, denn den Staat gilt es mehr zu lieben als sich selbst.223 Diese Begrenzung des Ehrstrebens durch das Wohl der Gemeinschaft wird verständlich unter Berücksichtigung dessen, dass es sich bei Ehre um einen Wert handelt, der dem Menschen von seinem Umfeld zuerkannt wird. Ob sein Handeln und eine dadurch erzielte Stellung als ehrenhaft gilt, ist abhängig von der Gesellschaft oder einer bestimmten Gemeinschaft, welcher der Mensch angehört, und davon, was diese als ehrbar erachtet.224 Ein Aufstieg zum Schaden der Gemeinde hätte somit innerhalb dieser gerade nicht den Zuspruch von Ehre zur Folge, sondern wäre im Gegenteil unehrenhaft. Als ehrenhaft kann es vielmehr gelten, die eigenen Bestrebungen zu deren Wohl zurückzustellen. Somit dürfte Paulus’ paganen Empfängern ein freiwilliger Verzicht auf Ehre einerseits weitgehend fremd und ihnen vielmehr eine Hochschätzung von Status und Ehre vertraut sein. Andererseits bietet auch deren paganes Ethos einen Anknüpfungspunkt für die Forderung einer Niedrigkeitsgesinnung, nämlich das Wohl der Gemeinschaft. Dass der Aspekt des Verzichts auf eigene Vorteile zugunsten der Gemeinschaft respektive der Ekklesia auch in Phil 2 leitend ist, unterstreicht die auf das Handeln abzielende Konkretisierung der Mahnung zur Niedrigkeitsgesinnung in V. 4: lμ t± 2aut_m 6jastor sjopoOmter !kk± [ja¸] t± 2t´qym 6jastoi. Engberg-Pedersen sieht hierin nicht die Forderung eines prinzipi(…) t¹ 1je¸mou nulv´qom Fttomor emtor sjopoOsa, !kk’ oq t¹ toO jqe¸ttomor. (…) !mt· t_m joim0 sulveqºmtym t¹ 2autoO sjop_m kusitek´r. „(…) ex quo illud natura consequi ut communem utilitatem nostrae anteponamus.“ „Ex quo fit ut laudandus is sit qui mortem oppetat pro re publica, quod decat cariorem nobis esse patriam quam nosmet ipsos.“ 224 Vgl. Hellerman, Reconstructing Honor, 40ff; Hausmanninger, Ehre, 346: „Ehre entsteht dort, wo sich eine Person durch bestimmte Qualitäten (Geburt, Fähigkeiten, Leistungen) als ,ehrwürdig‘, ,ehrernwert‘ erweist und eine soziale Umwelt diese ,Würdigkeit‘ feststellt bzw. durch ihre Wertschätzung zum Ausdruck bringt“. 220 221 222 223
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ellen Altruismus bzw. eines Selbstopfers an sich ausgedrückt. Nicht Selbstverleugnung überhaupt werde gefordert225, sondern vielmehr ziele die Mahnung auf einen Perspektivwechsel von der „Ich-“ hin zur „Wir-Perspektive“.226 Paulus verweise die Empfänger weg vom Blick auf die eigenen Dinge, d. h. konkret, weg vom Blick auf die eigene Ehre. Stattdessen solle ein jeder in der Ekklesia auf die Anliegen der anderen Gemeindemitglieder und damit der Gemeinde als Ganzes blicken. Dieses Verständnis findet bei Paulus Anhalt in 1. Kor 10,33. Die Mahnung lässt sich analog zur Selbstaussage des Apostels verstehen, er ,suche nicht was ihm nützlich ist, sondern den Vielen‘ (lμ fgt_m t¹ 1lautoO s¼lvoqom !kk± t¹ t_m pokk_m). Die Nähe zu dieser Stelle verdeutlicht sich noch dadurch, dass Paulus hiermit die Mahnung aus V. 24: „Niemand suche das Seine, sondern das des Anderen“ (lgde·r t¹ 2autoO fgte¸ty !kk± t¹ toO 2t´qou), erläutert.227 Allerdings besteht ein für den Skopus des Verses relevantes textkritisches Problem hinsichtlich !kk± ja¸. Einerseits ist die Lesart mit ja¸ sehr gut bezeugt und einzig D* .c, F, G, K, wenige Minuskeln sowie die Mehrzahl der altlateinischen Handschriften und die Editio Clementina der Vulgata lassen dieses aus. Andererseits scheint die mehrheitliche Lesart eine Spannung zur Mahnung in V. 3b („einander als höher stehend erachten als sich selbst“) darzustellen. Es ließe sich daher mit Nestle-Aland27 erwägen, ja¸ sei zur Abschwächung der paulinischen Forderung nachträglich in den Text eingefügt worden. Wird hingegen, wie von der großen Mehrheit der Forschung, ja¸ als ursprünglich angesehen, erfolgt häufig in V. 4a gedanklich die Ergänzung lºmom228, so dass der Vers folgendermaßen wiederzugeben wäre: „nicht nur ein jeder auf die eigenen Dinge schauend, sondern auch alle auf die der Anderen“. Nikolaus Walter erklärt die dabei entstehende Spannung zum Vorangehenden unter Verweis auf 1. Kor 12 mit dem paulinischen Verständnis des Einzelnen innerhalb der Ekklesia als Glied am Leib Christi. Paulus fordere gerade nicht die Preisgabe der eigenen „Individualität“229, sondern vielmehr bringe der Einzelne seine Charismata in die Gemeinschaft ein.230 Allerdings wäre in diesem Fall eher eine Einschränkung von V. 4a zu erwarten. Gerade die nach Walter der Leib-Christi-Metaphorik konkurrierende Forderung, „nicht auf die eigenen Dinge“ zu schauen, wird jedoch nicht eingeschränkt. Gleichzeitig fällt auf, dass keiner der !kk± ja¸ lesenden Textzeugen im ersten Versteil lºmom einfügt. Diese scheinen V. 4 somit offenbar nicht im Sinne von „nicht nur – sondern auch“ zu verstehen. Einen Ausweg aus dieser Problematik zeigt Engberg-Pedersen an, indem er ja¸ an dieser Stelle steigernd versteht. Für diesen Gebrauch verweist er auf Beispiele aus der
225 226 227 228 229 230
Vgl. Engberg-Pedersen, Altruism, 207 f. Vgl. ebd., 202 ff. Vgl. auch ebd., 204 f. Vgl. G. Barth, Philipper, 39; Walter, Philipper, 51; Eckey, Philipper, 74. Walter, Philipper, 53. Vgl. ebd., 53.
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paganen Literatur.231 Mit steigernder Funktion begegnet !kk± ja¸ bei Sophokles, Ajax ‚ 1313: pq¹r haOt fqa lμ toqlºm, !kk± ja¸ t¹ sºm232 ; ja¸ alleine wird im Anschluss ebenfalls steigernd gebraucht.233 Weitere Belege für eine steigernde Bedeutung findet Engeberg-Pedersen bei Plato.234 Ein steigerndes Verständnis von !kk± ja· in Phil 2,4 hat den entscheidenden Vorteil, dass auf diese Weise einerseits die Spannung zu V. 3b entfällt, andererseits die Notwendigkeit, in V. 4a lºmom zu ergänzen.235 Die gute Bezeugung der Lesart !kk± ja¸ spricht ebenfalls für dieses Verständnis. Hinzu tritt, dass in 4,9 ja¸ offenbar ebenfalls steigernd gebraucht wird, es sich also um eine Paulus geläufige Verwendung der Partikel handeln dürfte.236
Als Übersetzung von Phil 2,4 bietet sich daher an: „nicht ein jeder auf die eigenen Dinge schauend, sondern unbedingt alle auf die der Anderen“. Nicht sowohl um die eigenen Dinge, den eigenen Status und die Ehre, soll sich jedes Gemeindemitglied kümmern, sondern allein um die Anliegen der Anderen, dies allerdings zum Wohl der Gemeinschaft, welcher es selbst angehört. Fordert der Apostel um der Gemeinde willen die Adressaten dazu auf, angesichts der Leidenserfahrungen sich nicht auf ihren Status und ihre Ehre zu konzentrieren, sondern vielmehr auf diese zu verzichten, so kann er hiermit an ihnen vertraute pagane Wertvorstellungen anknüpfen, welche im Gemeinwohl die Grenze der persönlichen Bestrebungen sehen. Statusgewinn zum Schaden der Ekklesia wäre auch aus der Sicht der Philipper nicht ehrenhaft, sondern würde höchstens zu einer jem± dºna, einer leeren, eingebildeten Ehre führen. Im Anschluss an diese Konkretisierung seiner Mahnung im Hinblick auf das Handeln leitet Paulus mit der Forderung nach einer Christus bzw. der Gemeinschaft 1m Wqist` entsprechenden Gesinnung zum Christuspsalm über (V. 5). Dem ursprünglich auf eine christologische Fragestellung, die Frage nach dem Verhältnis der Herrschaft des Kyrios Jesus Christus zum Glauben an den einen Gott, reagierenden Text, kommt nunmehr, in seinem paulinischen Kontext eine ethische Funktion zu. Er veranschaulicht die geforderte Niedrigkeitsgesinnung am Beispiel des seine göttliche Gestalt preisgebenden und sich „gehorsam bis zum Tod (…) am Kreuz“ erniedrigenden Herrn der Gemeinde.
231 Vgl. Engberg-Pedersen, Altruism, 201 f; vgl. auch Mller, Philipper, 89: „Das fragliche ja¸ dient zur Verstärkung des unmittelbar Folgenden: Gerade die Sache des Mitbruders soll der Christ in Philippi in den Blick nehmen und als Ziel ins Auge fassen“. In diesem Sinne übersetzt schon Lohmeyer, Philipper, 80 V. 4b: „sondern eben auf das der anderen“. 232 „Angesichts dessen, schaue nicht auf das Meine, sondern gerade auf das Deine“. 233 Vgl. Sophokles, Ajax 1315. 234 Plato, Alc. I,103 A6; symp. 175E7ff; rep. 347E2; Lys. 25,13; Phil. 25B7 (vgl. Engberg-Pedersen, Altruism, 201 f). 235 Vgl. Engberg-Pedersen, Altruism, 202. 236 Vgl. 5.1.2.
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3.1.4 Allgemeine Paraklese B (2,12 – 18) Nach der Mahnung zu einer für die innergemeindliche Einheit erforderlichen Niedrigkeitsgesinnung (2,1 – 4) und der anschließenden Veranschaulichung dieser Mahnung am Beispiel von Christi Erniedrigungshandeln (2,5 – 11) kehrt Paulus in 2,12 – 18 zur allgemeinen Paraklese zurück. Darin werden Motive und Inhalte der ersten allgemeinen Paraklese (1,27 – 30) aufgenommen und weitergeführt237: das Motiv der Anwesenheit und Abwesenheit des Apostels (1,27/2,12) und das Thema von Paulus’ eigenem Ergehen (1,30/2,16 – 18), der soteriologische Aspekt des Handelns der philippischen Christen (1,28/2,12 f) sowie das Verhältnis zur negativ gewerteten paganen Umwelt (1,28/2,15). Das einleitende ¦ste wird somit nicht allein auf den vorangehenden Christuspsalm zu beziehen sein, sondern dürfte 2,12 – 18 vielmehr als eine Schlussfolgerung aus der gesamten bisherigen Paraklese kennzeichnen.238 Es bietet sich daher die Wiedergabe mit einem appellativen „also“ an, „im Sinn von ,wohlan denn!‘“239 In Verbindung mit der soteriologischen Zuspitzung der Mahnung zielt der Unterabschnitt insbesondere auf die Motivierung der Adressaten zu dem von ihnen angesichts der Leidenserfahrungen geforderten Verhalten. Diese Motivierung erfolgt einerseits durch den Verweis auf den ethischen Stand der Gemeinde und auf Gottes grundlegendes Wirken in den Glaubenden, andererseits durch die Verknüpfung ihres Handelns mit dem eschatologischen Geschick des Apostels. Weist 2,12 – 18 zwar mehrheitlich Verbindungen zu 1,27 – 30 auf, so nimmt jah½r p²mtote rpgjo¼sate (V. 12) auf den Gehorsam Christi in V. 8 (rp¶joor l´wqi ham²tou) Bezug.240 Dass es sich dabei um eine unbeabsichtigte terminologische Berührung mit der nur vier Verse voran stehenden Wendung handelt241, ist unwahrscheinlich. Der Einwand, einer Verbindung mit dem Christuspsalm widerspreche, dass sich der Gehorsam der Philipper in 2,12 auf den Apostel, derjenige Christi in 2,8 hingegen auf Gott richte242, ist schon aufgrund des inhaltlich freien Umgangs mit dem Psalm, welcher sich bei den terminlogischer Anknüpfung in 1,29 und 2,3 f abzeichnet, fragwürdig.243 Er 237 Vgl. Ewald, Philipper, 131 f; Mller, Philipper, 114; Fee, Philippians, 230 f; Mengel, Studien, 252. 238 Vgl. Eckey, Philipper, 88; G. Barth, Philipper, 49; anders: Weber, Phil 2,12 – 13, 31. Nach Mller, Philipper, 116 bezieht sich ¦ste allein auf 1,27 – 30 zurück und nicht auf den Psalm. Dagegen sprechen allerdings Paulus’ Bezugnahmen auch auf 2,6 – 11. 239 Eckey, Philipper, 88, anknüpfend an Schlier, Philipperbrief, 43. 240 Vgl. Lohmeyer, Philipper, 101; Gnilka, Philipperbrief, 148; Fee, Philippians, 233; Bockmuehl, Philippians, 150; Schnelle, Einleitung, 161. 241 Vgl. Mller, Philipper, 116 f: „(…) Das Stichwort ,Gehorsam‘ ist eher eine zufällige Übereinstimmung“. 242 Vgl. Mller, Philipper, 116; Walter, Philipper, 64. 243 Zu Paulus’ Rezeptionsweise vgl. ausführlich 3.2.2.
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wird jedoch haltlos angesichts dessen, dass der Gotteswille und die paulinische Paraklese aus Sicht des Apostels schließlich keine zwei voneinander unabhängigen Größen darstellen. Vielmehr setzt Paulus die Übereinstimmung seiner Mahnung mit dem Willen Gottes voraus und kann sie aus diesem ableiten, gleichwie auch die Christen allgemein auf die Übereinstimmung ihres Handelns und Wollens mit dem Gotteswillen reflektieren sollen.244 Durch Paulus spricht Christus245, so dass in der paulinischen Paraklese der Gemeinde Gottes Wille begegnet.246 Eine Trennung zwischen dem Gehorsam gegenüber Gott und demjenigen gegenüber Paulus ist vor diesem Hintergrund unsachgemäß. Ist die Gemeinde Paulus gehorsam, so richtet sich dieser Gehorsam letztlich auf Gott.247 Allerdings ist die abschließende allgemeine Paraklese weniger eng mit dem Christuspsalm verknüpft als die konkrete Paraklese in V. 1 – 4.248 Weitere terminologische Bezugnahmen werden evntuell in V. 12b durch 2aut_m (! V.7a.8a) und in V. 16 durch das zweimalige jemºr (! V. 7a) hergestellt. In beiden Fällen ist keine über den sprachlichen Anklang hinausreichende inhaltliche Verbindung erkennbar.249 Durch die Verknüpfung mit dem Gehorsam der Gemeinde erhält auch Christi Gehorsam eine normative Funktion. Paulus fordert den Gehorsam allerdings nicht explizit, sondern konstatiert diesen als bei seinen Adressaten bereits „allezeit“ (p²mtote) vorhanden. Der anschließende Einschub lμ ¢r 1m t0 paqous¸ô lou lºmom !kk± mOm pokk` l÷kkom 1m t0 !pous¸ô lou250 nimmt eine Zwischenstellung zwischen dem vorangehend konstatierten Gehorsam und dem nachfolgenden zur Heilsverwirklichung aufrufenden Imperativ ein. Einerseits knüpft dieser an die adverbiale Bestimmung der Zeit p²mtote an.251 Andererseits weist die Einleitung mit l¶ auf den Imperativ voraus, während bei einem unmittelbaren Bezug auf den vorangehenden Indikativ oqw erforderlich wäre.252 Infolgedessen rückt aber die Konstatierung des Gehorsams der Philipper in die Nähe des anschließenden Imperativs und erhält eine doppelte Funktion. Einerseits zielt Paulus auf eine ethische Motivierung der Empfän244 245 246 247
248 249
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Vgl. Röm 12,2; 1. Thess 4,3. Vgl. 2. Kor 13,3; vgl. auch Röm 15,18. Vgl. Schrage, Ethik, 197. Vgl. ebd., 202; Fee, Philippians, 232 f. Bockmuehl, Philippians, 150 rechnet damit, dass dem hier absolut, ohne Objekt gebrauchten Gehorsam unmittelbar Gott als Gegenüber zuzuordnen ist (vgl. dahingehend bereits Merk, Handeln aus Glauben, 183). Insofern ist der Abschnitt bzw. sind die Verse 12 – 16 gegen Lohmeyer, Philipper, 100 auch nicht im engeren Sinne als eine ethische Entfaltung des Psalms anzusehen. Derartige sprachliche Anklänge ohne inhaltliche Berührung begegneten bereits in 1,29 und finden sich vermehrt in Phil 3. Hierin zeigt sich offenbar ein Charakteristikum der paulinischen Rezeption des Psalms (vgl. 3.2.2). „Nicht nur wie während meiner Anwesenheit, sondern jetzt vielmehr während meiner Abwesenheit“. Vgl. Mller, Philipper, 117. Vgl. ebd., 115; Merk, Handeln aus Glauben, 183.
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ger253, indem er ihr positives Verhalten bzw. ihre positive Gesinnung lobt, andererseits ergibt sich eine indirekte Gehorsamsforderung.254 Einen besonderen Akzent erhält die ethische Motivierung vor dem Hintergrund der Verknüpfung von Selbsterniedrigung und Gehorsam in V. 8. In Kap. 2 wurde gezeigt, dass innerhalb des Christuspsalms der Partizipialsatz cemºlemor rp¶joor l´wqi ham²tou (V. 8b) als Erläuterung von Christi Selbsterniedrigung (1tape¸mysem 2autºm [V. 8a]), auf welche Paulus mit der Mahnung zur tapeimovqos¼mg anspielt, zu verstehen ist. Selbsterniedrigung und Gehorsam gehören dort untrennbar zusammen. Sofern in diesem Punkt auch bei einer vorpaulinischen Verfasserschaft von 2,6 – 11 keine Abweichung zwischen dem Traditionsstück und dessen paulinischer Rezeption vorliegt, ergibt sich daraus für die Paraklese: Die von Paulus angemahnte Niedrigkeitsgesinnung zeigt sich im Gehorsam. Das bedeutet aber im Hinblick auf die ethische Motivierung der Philipper in V. 12: Betont Paulus den steten Gehorsam der Philipper, so verweist er sie auf diese Weise darauf, dass sie die Forderung, in ihrer Gesinnung Christus zu entsprechen (2,5), durch ihren Gehorsam implizit schon immer erfüllen. Er motiviert die Gemeindemitglieder dahingehend, dass, was er mit einer Christus analogen Niedrigkeitsgesinnung fordert, nichts ihnen Unmögliches ist. Es ist vielmehr in der aktuellen Situation die konsequente Fortsetzung desjenigen, was bereits „allezeit“ (pamtºte) in ihrem Gehorsam angelegt ist. Auf die Konstatierung der bereits vorhandenen Christusentsprechung und mit dieser durch den sowohl vor- als auch rückbezogenen Einschub verknüpft kann Paulus den die Gesamtparaklese aufnehmenden und soteriologisch zuspitzenden Imperativ anführen: „Mit Furcht und Zittern erwirkt Euer Heil“. Die in der Forschungsgeschichte zuweilen kritisch beurteilte Mahnung255 steht allerdings in unmittelbarer Verbindung mit V. 13: „denn Gott ist es, der in Euch wirkt das Wollen und das Wirken gemäß [seinem] Ratschluss“. Dieser Vers bezieht sich mit c²q auf V. 12b zurück, so dass der Verweis auf Gottes Wirken die vorangehende Mahnung ausdrücklich begründet.256 Nach dem Verweis auf den bisherigen Gehorsam erfolgt hierin eine weitere ethische Motivierung. Paulus motiviert die entscheidende Mahnung zum Schaffen des eigenen Heils dadurch, dass er auf Gott als den im Handeln und Denken der Philipper eigentlich Wirksamen verweist. Gott wirkt in ihnen ihr Heil. Der sich bereits in 1,27 – 30 andeutende Gedanke eines Wirkens Gottes in dem gefor-
253 Vgl. Mller, Philipper, 117. 254 Vgl. hinsichtlich einer Paulus’ Konstatierung des Gehorsams immanenten Forderung Mengel, Studien, 251; Gnilka, Philipperbrief, 148: „Aber indem er ihren Gehorsam bestätigt, fordert er ihn.“ 255 Nach Lohmeyer, Philipper, 102 verwendet Paulus „zur Paränese für urchristliche Gläubige geprägte Formeln …, die zum charakteristischen Ausdruck pharisäischer Frömmigkeit geworden waren“. 256 Vgl. Mller, Philipper, 119.
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derten Verhalten kommt hier ausdrücklich zur Sprache.257 Insbesondere unter Berücksichtigung der Beobachtungen in der einleitenden allgemeinen Paraklese dürfte der Akzent in V.12b.13 weniger auf dem Imperativ als auf dem Wirken des Geforderten liegen.258 Dabei wird die auffällige Wendung, Gott wirke in den Philippern „sowohl das Wollen als auch das Wirken“ (V. 13), dahingehend zu verstehen sein, dass Gott gerade die geforderte Niedrigkeitsgesinnung wirkt: 1.) versteht Paulus unter Gesinnung eine für alles Handeln grundlegende Orientierung, welche Denken und Wollen des Menschen bestimmt259, 2.) stellt er in 3,15 explizit die von den Adressaten geforderte Gesinnung Gottes Offenbarung anheim. Ist Gottes Wirken gerade nicht etwas ergänzend Hinzutretendes, sondern hat als ein Wirken der Gesinnung vielmehr grundlegende Bedeutung, legt es sich nahe rp³q t/r eqdoj¸ar nicht mit „über den [= euren] guten Willen hinaus“ wiederzugeben260, sondern die Wendung auf den göttlichen Ratschluss zu beziehen.261 Dies wird gestützt durch 1,6, wo Paulus das göttliche Wirken an den Adressaten bereits innerhalb des Proömiums unter soteriologischem Aspekt anführt. Der Apostel äußert seine Zuversicht, dass Gott das an den Philippern begonnene Werk „bis zum Tag Christi Jesu“ vollenden werde.262 D.h. aber, alles Wirken unter den Philippern, auch ihr eigenes Wirken, von der Erstbekehrung bis zum „Tag Christi“ geht auf Gott selbst zurück. Gott wirkt die geforderte Gesinnung und das daraus resultierende Handeln „gemäß [seines] Ratschlusses“.
Die der Mahnung betont vorangestellte Wendung let± vºbou ja· tqºlou dürfte weder eine letzte Heilsunsicherheit ausdrücken263 noch „die Erschrockenheit von Menschen, die in die Nähe Gottes geraten sind, an denen Gott ihr Werk begonnen hat.“264 Vielmehr scheint diese, eine mit der Niedrigkeitsge257 Dass dabei in V. 13 göttliches und menschliches Wirken gleichermaßen mit 1meqce?m bezeichnet werden, zeugt von deren untrennbarem Ineinander, welches Paulus in 1,27 – 2,18 durch keinerlei Verhältnisbestimmung auflöst. 258 Diese Akzentsetzung betont Friedrich, Philipper, 155; vgl. auch Dibelius, Philipper, 83. 259 Vgl. 3.1.3.1. 260 So Walter, Philipper, 64 f (allerdings ohne sich festzulegen); Reumann, Philippians, 410. Für den guten Willen von Menschen gebraucht Paulus eqdoj¸a eventuell in 1,15 (vgl. Gnilka, Philipperbrief, 150). Allerdings ist auch dort ein Verständnis als „(göttlicher) Ratschluss“ nicht auszuschließen (vgl. Bockmuehl, Philippians, 78 f; vgl. auch 5.2.2). 261 Vgl. Gnilka, Philipperbrief, 147, 150; G. Barth, Philipper, 49; Mller, Philipper, 116, 119; Fee, Philippians, 230, 240; Eckey, Philipper, 87. Auch ist es aufgrund des Fehlens eines erläuternden Possessivpronomens wahrscheinlicher, dass die Wendung auf das Subjekt des Satzes, Gott, und nicht auf die Philipper zu beziehen ist (vgl. dahingehend Mller, Philipper, 119). 262 Vgl. Walter, Philipper, 65; Eckey, Philipper, 90; Mller, Philipper, 119. Das Motiv des „Tages Christi“, welches sich ebenfalls in 2,16 findet, stellt eine weitere Verbindung zwischen 1,6 und 2,12 – 18 dar. Dies unterstreicht die Nähe der Aussagen in 1,6 und 2,13 zueinander. 263 Vgl. Walter, Philipper, 65. 264 Gnilka, Philipperbrief, 149; vgl. G. Barth, Philipper, 48. Zwar bezeichnet die Formel in der
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sinnung verbundene Haltung zu bezeichnen und auf diese Weise explizit darauf zu verweisen, dass gerade durch die Annahme einer solchen Gesinnung das Heil zu erreichen ist. So fällt bei den beiden weiteren paulinischen Belegen eine Verbindung der Wendung mit zwei auch in Phil 2 relevanten Elementen auf, einerseits mit dem Kreuz, andererseits mit dem Gehorsam.265 1. Kor 2,3 charakterisiert der Apostel seine dem Kreuz entsprechende Haltung als 1m !sheme¸ô ja· 1m vºb\ ja· 1m tqºl\. Nach 2. Kor 7,15 zeigt sich in „Furcht und Zittern“ der Gehorsam der Korinther.266 Der Gehorsam wiederum ist jedoch in Phil 2,12 Ausdruck der dem Verhalten der Philipper schon allezeit immanenten Niedrigkeitsgesinnung. Nimmt Paulus hier auf den in V. 8 als Selbsterniedrigung erläuterten Gehorsam Christi Bezug, so findet sich dort zudem ein möglicherweise von ihm selbst ergänzter Kreuzesbezug. Somit sind in Phil 2 Selbsterniedrigung, Kreuz, Gehorsam sowie „Furcht und Zittern“ miteinander verbunden. Diese stehen für Paulus offenbar in engem Zusammenhang.267 „Furcht und Zittern“ dürfte demnach gerade als die Kreuz, Gehorsam und einer Niedrigkeitsgesinnung adäquate Haltung der Gemeindemitglieder zu verstehen sein. In ihr sollen die geforderte Niedrigkeitsgesinnung und der Gehorsam ihren Ausdruck finden.268 Mit dieser Haltung sollen die Adressaten ihr Heil erwirken. Hierin deutet sich eine strukturelle Parallele der paulinischen Mahnung zum Christuspsalm an. Wie in diesem erfolgt die Rettung auch in V. 12 durch Selbsterniedrigung und Gehorsam bzw. durch eine Niedrigkeitsgesinnung.269 Zwar verwendet der Psalm mit Erniedrigung und Erhöhung ein gebräuchliches Schema, jedoch wird die weitere Untersuchung zeigen, dass Paulus den Text auch in Phil 3 in dem Sinne strukturell rezipiert, dass Statusverzicht und die Entsprechung zu Christi Erniedrigungshandeln eine Heilsvoraussetzung darstellen. Dies verdeutlicht der Apostel an seinem eigenen Bespiel für eine Christusanalogie. Eine dahingehende Bezugnahme auf den Psalm scheint
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LXX wiederholt eine solche Reaktion, allerdings jeweils nicht diejenige der Frommen, sondern der Gegner Israels bzw. Jahwes (vgl. Ex 15,16; Dtn 2,25; 11,25; Ps 2,11; Jes 19,16; 4. Makk 4,10). Ein positiver Gebrauch als Reaktion auf Gottes Heilswirken ist auch außerhalb des AT nicht belegt (vgl. den Überblick über den Gebrauch der Wendung bei S. Pedersen, Furcht und Zittern, 11ff). Vgl. S. Pedersen, Furcht und Zittern, 15 ff. Vgl. auch in den Deuteropaulinen Eph 6,5. Vgl. S. Pedersen, Furcht und Zittern, 17. Vgl. auch Furcht im Gegensatz zu Hochmut in Röm 11,20: l¶ rxgk± vqºmei !kk± voboO. Vgl. Weber, Phil 2,12 – 13, 36; Mengel, Studien, 251; Mller, Philipper, 119; vgl. auch Lohmeyer, Philipper, 103: „,Furcht und Zittern‘ ist darum die Form, in der dem zum Martyrium bestimmten Gläubigen es möglich wird, jenes Vorbild an sich und durch sich nachzubilden.“ Vgl. S. Pedersen, Furcht und Zittern, 21: „Die Konsequenz der Deutung ist schließlich, daß V. 12c: let± vºbou ja· tqºlou tμm 2aut_m sytgq¸am jateqc²feshe dasselbe heilsgeschichtliche Schema zwischen Gehorsam und Erhöhung für den Christen und die Gemeinde enthält, die [?] für Christus im Hymnus mit der Achse in 2,9 ausgedrückt ist“.
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auch in der Mahnung an die Gemeinde, ihr Heil mit „Furcht und Zittern“, also mit der Christi Selbsterniedrigung entsprechenden Haltung, zu erwirken, anzuklingen. Hier begegnet, wenn auch nicht in derselben Deutlichkeit wie in Phil 3, ansatzweise eine strukturelle Rezeption des Christuspsalms. In V. 14 – 18 richtet sich der soteriologische Aspekt nicht mehr primär auf die Gemeindemitglieder. Wurde der Imperativ in V. 12b durch die von Gott selbst gewirkte Heilsvollendung der Philipper motiviert, führt Paulus zu diesem Zweck im Folgenden sein eigenes eschatologisches Geschick an. Das Verhalten der Gemeinde, durch welches sie sich auszeichnet, soll Paulus „auf den Tag Christi hin“ (V. 16) zum Ruhm dienen. Ethik und Christologie werden zudem nicht mehr unmittelbar aufeinander bezogen. Die Struktur der Mahnung berührt sich mit 1,27ff und 2,2 ff. Auf den Imperativ (V. 14) folgt ein Finalsatz (V. 15; vgl. 1,27; 2,2); an diesen anschließend drückt Paulus die konkrete Mahnung partizipial aus (V. 16a; vgl. 2,2; vgl. auch 1,28): kºcom fy/r 1p´womter („indem ihr am Wort des Lebens festhaltet“). Das von der Gemeinde geforderte Verhalten und deren daraus resultierende positive Auszeichnung gegenüber ihrer Umwelt werden mit alttestamentlich geprägter Terminologie umschrieben und dabei heilsgeschichtliche Verheißungen für Israel auf die Ekklesia übertragen.270 Paulus ermahnt die Philipper zu einem Handeln „ohne Murren und Zweifel“ (V. 14). In der LXX bezeichnet das Substantiv coccuslºr (Murren) bzw. das Verb cocc¼feim vornehmlich Israels Ungehorsam in der Wüste.271 Dieser Ungehorsam der Wüstengeneration hatte seinen Anlass in Leidenserfahrungen (Hunger, Bedrohung durch andere Völker). Paulus’ Wortwahl zielt somit offenbar auf eine Parallelisierung zwischen deren Leidenssituation und derjenigen der Philipper.272 Anders als Israel in der Wüste soll die Gemeinde trotz der Leidenserfahrungen nicht durch „Murren und Zweifel“ vom Gehorsam abfallen. Die Wendung ceme± sjoki± ja· diestqall´ma (V. 15: verdrehtes und verkehrtes Geschlecht) bezieht sich in Dtn 32,5 LXX ebenfalls auf das Israel der Wüstenzeit, wird nun aber von Paulus für die pagane Umwelt der Philipper gebraucht. Wie schon in 1,28 erfolgt auch hier deren ausgesprochen negative Wertung. Gleichzeitig überträgt der Apostel die eschatologische Verheißung für die Gerechten Israels aus Dan 12,3 LXX auf die Gemeindemitglieder in der Gegenwart. Diese sollen unter ihren Mitbürgern als „makellose (%lyla)273 Kinder Gottes (…) in der
270 Vgl. G. Barth, Philipper, 49 f; Mller, Philipper, 119ff; Walter, Philipper, 66; Fee, Philippians, 242 ff. 271 Vgl. u. a. Ex 16,2.7; 17,3; Num 14,27.29; Ps 105,25 LXX; vgl. auch 1. Kor 10,10. 272 Vgl., allerdings ohne sich auf dieses Verständnis festzulegen, Mller, Philipper, 120. 273 Auch das Adjektiv %lylor enthält alttestamentliche und dabei vor allem kultische Konnotationen. Vahrenhorst, Kultische Sprache, 232 verweist auf den Gebrauch des Verbs innerhalb der LXX 1.) für „den Zustand, in dem sich Opfertiere befinden müssen (Lev 1,3; 4,3 u. ö.)“, 2.) für „den Menschen, der sich in der Gegenwart Gottes im Tempel aufhalten will (Ps 15,2)“, 3.) für „Menschen und ihr einwandfreies Verhalten (z. B. David: 2. Sam 22,24) jenseits des Kultes“.
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Welt wie Sterne [oder : Lichter] leuchten“ (V. 15).274 Einer missionarische Wirkung auf die nichtchristlichen Einwohner Philippis kommt in diesem Zusammenhang keine ersichtliche Rolle zu. Die Betonung liegt auf dem Gegenüber der standhaften Gemeinde zur sie bedrängenden paganen Umwelt, ohne dass Paulus dabei eine von ihr ausgehende missionarische Wirkung erwähnt.275 Die Zielsetzung der Mahnung besteht nach V. 16 vielmehr darin, dass die Philipper am Wort des Lebens, d. h. am Evangelium festhalten.276 Hierin zeigt sich neuerlich das bereits in 1,27 – 30 thematisierte übergeordnete Anliegen der Paraklese: die Standhaftigkeit auch angesichts äußerer Bedrohung. Dass dieses Anliegen unmittelbaren Anlass an durch die Leidenserfahrungen ausgelösten Ereignissen innerhalb der Gemeinde haben dürfte, wird die Untersuchung von 3,2 – 4,3 zeigen. Als Motivation zum Festhalten am Evangelium dient das eschatologische Geschick des Paulus, der sich am „Tag Christi“ für die Erfüllung (oder Nichterfüllung) seines apostolischen Auftrags verantworten muss. Seine Gemeinden legen dann für ihn Rechenschaft ab. Bleiben die Philipper trotz der äußeren Bedrängnis standhaft, sind sie ihm ein Ruhm und seine Arbeit war nicht umsonst.277 V. 17 setzt die Motivierung fort im Hinblick auf die lebensbedrohliche Situation des inhaftierten Apostels und knüpft mit !kk² kontrastierend an V. 16b an. Paulus’ Arbeit wäre, wenn die Philipper am Evangelium festhalten, nicht allein nicht umsonst, sondern selbst sein Tod wäre ihm ein Grund zur Freude.278 Das Verständnis des Verses ist allerdings in mehreren Punkten umstritten. Zunächst ist unklar, welchem Verb 1p¸ zuzuordnen ist. Sollte es statt auf sp´mdeshai auf (suc-)wa¸qeim zu beziehen sein, so stellte nicht Paulus’ „Ausgegossenwerden“, sondern der Opferdienst der Philipper, einen Grund zur Freude dar.279 Dies würde die Schwierigkeit umgehen, dass der Tod des
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Dass Paulus mit dem Adjektiv hier gezielt Opferterminologie aufgreift, legt sich von 2,17 her nahe (vgl. Vahrenhorst, Kultische Sprache, 234). Zwei Verständnismöglichkeiten beinhaltet die Wendung ¢r vyst/qer 1m jºsl\: 1.) „wie Sterne im Kosmos / All“ (vgl. Walter, Philipper, 64), 2.) „wie Lichter / Sterne in der Welt“ (vgl. Gnilka, Philipperbrief, 150; Mller, Philipper, 116). Die zweite dürfte insofern vorzuziehen sein, als diese am besten zum Gegenüber zwischen den Christen und ihrer Umwelt passt. Vgl. Mller, Philipper, 121: „Es geht um das Bewahren und Bewähren des Christenstandes im Kontrast zur Welt, nicht um die missionarische Gewinnung derselben.“ Vgl. auch Schinkel, Bürgerschaft, 121; anders: Ewald, Philipper, 141 f; Schenk, Philipperbriefe, 222 f. Die Wendung kºcor fy/r gebraucht Paulus nur an dieser Stelle und ist auf das Evangelium als „zum ewigen Leben“ (Mller, Philipper, 221) führendes Wort zu beziehen (vgl. ebd., 221; Gnilka, Philipperbrief, 153). Vgl. Schnelle, Paulus, 162; Becker, Paulus, 86; vgl. auch 3.3 zu 2,30. Vgl. Ksemann, Phil 2,12 – 18, 297; Mller, Philipper, 123. Eine Trennung der beiden letzten Verse von der Paraklese bietet sich somit nicht an (gegen Lohmeyer, Philipper, 112; Heil, Philippians, 100ff). Sie bilden die Fortsetzung der ethischen Motivierung durch das Geschick des Apostels. Vgl. Gnilka, Philipperbrief, 154; Walter, Philipper, 67.
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Apostels bei den Philippern Freude auslösen soll. Jedoch ist ebenfalls unsicher, ob sp´mdeshai überhaupt Paulus’ Tod oder eher allgemein seinen Dienst als Opfer meint280, und nicht zuletzt, wer Subjekt der mit der Wendung 1p· t0 hus¸ô ja· keitouqc¸ô t/r p¸steyr rl_m umschriebenen Opferhandlung ist. Sind es das Opfer und der Dienst des Paulus für den Glauben der Philipper281 oder Opfer und Dienst des Glaubens seiner Empfänger282, über denen Paulus ausgegossen wird bzw. worüber er sich freut? Martin Vahrenhorst weist darauf hin, dass sowohl keitouqc¸a bzw. keitouqcºr als auch hus¸a in den drei weiteren Belegen des Phil jeweils für die Gemeinde bzw. ihren Gesandten Epaphroditus gebraucht werden. Daher ist anzunehmen, dass Paulus auch hier an Opfer und Dienst der Gemeinde denkt.283 Des Weiteren verweist Vahrenhorst auf den Gebrauch von 1p¸ für „das Ausgießen der Trankspende auf das Hauptopfer“284 in paganen Kulten.285 Demzufolge dürften die heidenchristlichen Gemeindemitglieder in Philippi sp´mdeshai 1p¸ verstanden haben als ein Ausgegossenwerden des Paulus über ihrem eigenen Opfer und Dienst. Dabei wird dieses Ausgegossenwerden allerdings gegen Vahrenhorst auf Paulus’ Tod zu beziehen sein. Zwar hofft der Apostel nach 1,26; 2,24 auf ein Wiedersehen mit den Philippern286, nimmt aber in 3,10 erneut auf sein mögliches Sterben Bezug. Dass Letzteres nicht nur für ihn selbst (vgl. 1,23) ein Grund zur Freude wäre, sondern auch für die Philipper, so dass er in V. 18 den parakletischen Abschnitt mit einem Aufruf zur Freude abschließen kann, ist kein Widerspruch. So sind das Motiv der Freude und der Aufruf zu dieser im Phil besonders verbreitet.287 Ähnlich 2,17 f verknüpft Paulus auch in 1,18 das Motiv mit seiner Haftsituation. An beiden Stellen fällt die grundsätzlich positive Stimmung trotz der lebensbedrohlichen Lage des Apostels auf. Die Haft kann, da sie der Evangeliumsverbreitung förderlich ist, Anlass zur Freude sein (vgl. 1,12ff). Und der Tod des Apostels kann und soll unter der Voraussetzung, dass sein Werk bestand hat, ebenfalls Freude auslösen. Hierin deutet sich an, dass die Freude und der Aufruf zur Freude offenbar eine gezielte Reaktion auf die Leidensproblematik darstellen. Paulus stellt den Zweifeln der Philipper, 280 Vgl. Vahrenhorst, Kultische Sprache, 235 ff. Vahrenhorst verbindet dies mit einem medialen Verständnis von sp´mdeshai. Paulus werde nicht getötet, sondern er sei „derjenige, der [in Form seines Aposteldienstes] etwas an sich selbst vollzieht“ (237). Bockmuehl, Philippians, 161 und Reumann, Philippians, 415 sehen hier Paulus sowohl seinen Dienst als auch seinen möglichen Tod als ein Opfer darstellen. 281 Vgl. Mller, Philipper, 122 f; Eckey, Philipper, 92. 282 Vgl. Gnilka, Philipperbrief, 154; Walter, Philipper, 67; Fee, Philippians, 252. 283 Vgl. Vahrenhorst, Kultische Sprache, 237. Dieser Sprachgebrauch findet sich auch im Alten Testament beim Trankopfer in Gen 35,12 und Ex 30,9 (vgl. Vahrenhorst, Kultische Sprache, 237). 284 Vahrenhorst, Kultische Sprache, 236. 285 Vgl. ebd., 236. 286 Vgl. ebd., 235 gegen die Annahme, Paulus rede von seinem Tod. 287 Vgl. auch die Aufforderungen zur Freude 3,1; 4,4, sowie überhaupt das Motiv der Freude in 1,4.18.
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welche das Leiden, sein eigenes und dasjenige von Gemeindemitgliedern, auslöst, einen Gewinn gegenüber, der auch Leiden und Tod überwiegt.288 Dahinter dürfte neben der Motivierung zu einem Verbleiben in der Ekklesia noch ein zweites Anliegen erkennbar sein, die Vorsorge für den Fall eines Todesurteils. Gerade, indem Paulus seinen möglichen Tod, mit dem Aufruf zur Standhaftigkeit verbindet, beugt er der Gefahr vor, dass sich in diesem Fall die Adressaten vom Glauben abwenden. Der Apostel macht ihnen deutlich, dass sein Tod dann kein Grund zu Betrübnis oder Zweifeln wäre, wenn sie „am Wort des Lebens festhalten“ (2,16). Ein Verbleiben in der Ekklesia und Paulus eventueller Tod werden positiv aufeinander bezogen. Der Apostel fordert somit in der abschließenden allgemeinen Paraklese die Adressaten auf, am Glauben bzw. am Evangelium festzuhalten. Diese Mahnung wird in dreierlei Weise motiviert: 1.) indem er ihnen durch den Verweis auf ihren allezeit geleisteten Gehorsam zu verstehen gibt, dass sie die Forderung nach einer Niedrigkeitsgesinnung implizit schon immer erfüllen; 2.) durch die Zusage, dass Gott selbst diese Gesinnung in ihnen wirkt; 3.) indem er sie auf sein eigenes von ihrer Standhaftigkeit abhängiges eschatologisches Geschick verweist.
Fazit 1.) In der Paraklese Phil 1,27 – 2,18 ermahnt Paulus die Adressaten zu einer der Gesinnung Christi analogen Niedrigkeitsgesinnung bzw. zur Demut, durch welche die erforderliche Einheit der Gemeinde verwirklicht werden soll. Eine solche Gesinnung steht im Gegenüber zu einer Ausrichtung auf „Eigennutz“ und „leere Ehrsucht“ (V. 3) und soll sich im Handeln konkretisieren, „indem nicht ein jeder auf die eigenen Dinge schaut, sondern unbedingt alle auf die der Anderen“ (V. 4). 2.) Der Apostel bindet den Christuspsalm (2,6 – 11) hierzu vorbildethisch in seinen Kontext ein. Dies geschieht durch terminologische Bezugnahmen der Mahnung insbesondere auf dessen erste, Christi Selbstentäußerung und Selbsterniedrigung schildernde Hälfte (2,6 – 8). Die Mahnung wird auf diese Weise inhaltlich von Christi Verhalten, in welchem sich die geforderte Niedrigkeitsgesinnung ausdrückt, abgeleitet. Christus erhält die Rolle eines ethischen Vorbilds. 3.) Unmittelbarer Anlass der Paraklese ist die Situation äußerer Bedrängnis, welche in der einleitenden allgemeinen Paraklese (1,27 – 30) die Mahnung zur Einheit begründet. Durch die Charakterisierung der Auseinandersetzung mit der Umwelt als Wettkampf, des Leidens (bzw. der Fähigkeit zu leiden) als göttliches Geschenk und durch die Parallelisierung des „Kampfes“ der Philipper mit seinen eigenen Leidenserfahrungen reagiert Paulus auf die 288 Vgl. 5.2.2.
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Fazit
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schwierigen Rezeptionsbedingungen des Gedankens eines Leidens um Gottes willen innerhalb der heidenchristlichen Gemeinde. 4.) In Spannung zur paganen Primärsozialisation der Adressaten steht allerdings auch Paulus’ Forderung einer Niedrigkeitsgesinnung. So genießen Status und Ehre im antiken paganen Mittelmeerraum eine hohe Wertschätzung, welche in Inschriften aus Philippi in besonderem Maße zutage tritt. Eine positive Wertung von Selbsterniedrigung, es sei denn zum Wohl einer Gemeinschaft, ist der paganen Umwelt des frühen Christentums hingegen weitgehend fremd. 5.) Zeichnen sich somit innerhalb der Paraklese zwei Spannungsbereiche ab, welche beide in Verbindung mit der paganen Herkunft und Primärsozialisation der Gemeindemitglieder stehen, stellt sich die Frage, ob eventuell der Phil als Ganzes auf einen ethischen Konflikt respektive einen Wertekonflikt in Philippi reagiert. In diese Richtung scheint bereits die an pagane Ehrinschriften angelehnte einleitende Mahnung !n¸yr toO eqaccek¸ou toO WqistoO pokite¼eshe (1,27) zu weisen, welche Paulus offensichtlich gezielt in Gegensatz zur in der römischen Kolonie üblichen Ausrichtung der Lebensführung setzt. 6.) Auffallend hervor tritt in der Paraklese zudem der Gedanke des göttlichen Wirkens im Handeln der Philipper. Ausdrücklich betont wird dieses in 2,12b.13, wo die Aufforderung zur Heilsverwirklichung unmittelbar mit dem Wirken Gottes begründet wird. Ebenfalls dahingehend verstehen lassen sich die Wendung sumahkoOmter t0 p¸stei toO eqaccek¸ou als eines Kampfes mit dem oder durch den Glauben (1,27), sowie die Kennzeichnung dieses Kampfes als eines Zeichens Gottes (1,28) und möglicherweise des Leiden-Könnens als göttliches Geschenk (1,29). Im Folgenden wird zu untersuchen sein, inwiefern sich die These einer vorbildethischen Rezeption des Christuspsalms in Phil 3 bestätigt und zudem konkretisieren lässt. Da in diesem Kapitel Paulus ausdrücklich auf Konflikte zu sprechen kommt, ist von dessen Untersuchung gleichzeitig eine Näherbestimmung der sich in 1,27 – 2,18 andeutenden Spannungen und eines eventuellen ethischen Konflikts zu erwarten.
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3.2 Phil 3,2 – 4,3: Das Beispiel des Paulus und die „Feinde des Kreuzes“ 3.2.1 Zur Auslegung von Phil 3. Eine Problemanzeige Im Abschnitt Phil 3,2 – 21 werden dem Anschein nach drei unterschiedliche Problembereiche thematisiert. Ab 3,2 wendet sich Paulus mit dreimaligem bk´pete („gebt Obacht“289) offenbar scharf gegen Personen, bei denen die Beschneidung eine hohe Wertschätzung genießt.290 Diese bezeichnet er polemisch als „Hunde“ und „böse Arbeiter“ sowie ihre „Beschneidung“ (peqitol¶) als „Zerschneidung“ (jatatol¶). Ihnen stellt er die Mitglieder der Ekklesia als die wahre Beschneidung, als diejenigen, „welche im Geist Gottes dienen und sich in Christus Jesus rühmen“ (V. 3), gegenüber und charakterisiert dabei die Vorstellung einer Heilsrelevanz der Beschneidung als Vertrauen auf das Fleisch (V. 3b.4a). Im Anschluss führt der Apostel als Gegenbeispiel seine eigene vorchristliche Vergangenheit, seine jüdische Abstammung und seinen Werdegang, an, alles dasjenige, was ihm Anlass zum Vertrauen auf das Fleisch sein könnte (V. 4b–6), und kontrastiert diesem die grundlegende Umkehr seiner Werte (V. 7 f): sein einziger Wert und gleichsam das Ziel seines Handelns ist nunmehr die „Erkenntnis Christi“ (V. 8ff). Ab V. 12 steht nicht mehr die Beschneidung und das Vertrauen auf vorchristliche Werte im Blickpunkt, sondern Paulus grenzt sich gegen den Gedanken einer schon erreichten Vollkommenheit ab. Auch diesbezüglich veranschaulicht er die angemessene Haltung an seinem eigenen Beispiel, dem Bewusstsein seiner noch ausstehenden Vollendung und seinem Streben hin zu dieser. Nach der Aufforderung zur Nachahmung in V. 17 geht er schließlich auf Gegner ein, welche er als „Feinde des Kreuzes Christi“ (V. 18) bezeichnet und deren Charakteristikum in ihrer Ausrichtung auf irdische Dinge (t± 1p¸ceia [V. 19]) liegt. Im Gegenüber zu einer derartigen Gesinnung verweist der Apostel auf das himmlische Politeuma der Christen, die Erwartung des „Kyrios Jesus Christus“ als des „Retters“ (syt¶q) und der mit dessen Parusie verbundenen Verwandlung des Leibes der Glaubenden (V. 20 f). Angesichts der sich hier andeutenden vermeintlich voneinander zu unterscheidenden Konfliktbereiche liegt ein Schwerpunkt der Forschung zum Philipperbrief vor allem seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs auf der Frage nach den hinter diesen Konflikten stehenden Gegnern. Dabei wird sowohl von
289 Zur Übersetzung vgl. 3.2.5. 290 Der Imperativ bk´pete tμm jatatol¶m und der anschließende kontrastierende Indikativ Ble?r c²q 1slem B peqitol¶ weisen in den Beschneidungskontext (vgl. Chr. Strecker, Liminale Theologie, 114; vgl. auch Schinkel, Bürgerschaft, 81, allerdings ohne daraus nähere Schlüsse auf Gegner zu ziehen).
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Das Beispiel des Paulus
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drei unterschiedlichen Gegenpositionen ausgegangen291, von zwei Gegnerfronten292, als auch vermehrt eine einheitliche Gegnerkonzeption vertreten.293 So sieht Walter Schmithals in den Gegnern „judenchristliche Gnostiker“294, welche einen „prinzipielle[n] Libertinismus“295 verträten. Diese leugneten die Auferstehung296 und lehnten die „Heilsbedeutung des Kreuzes“297 ab. Ihr Anliegen sei nicht die Beschneidungsforderung – ob diese Forderung überhaupt erhoben werde, lasse sich nicht klären298 –, und schon gar nicht zielten sie darauf, Heidenchristen durch die Beschneidung dem Gesetz zu unterstellen.299 Schmithals’ These steht allerdings in Spannung zu Paulus’ einleitendem Verweis auf die Zer- bzw. Beschneidung (V. 2 f) und die wiederholte Bezugnahme auf das Gesetz (V. 5.6.9). Nach Joachim Gnilka verkündigen die Gegner Christus anknüpfend an ein hellenistisch-jüdisches Motiv als he?or !m¶q.300 Christus sei ein Gottmensch gewesen, dessen „Teilhabe … an der göttlichen Kraft“301 den Christen durch die Tradition (evtl. auf dem Weg allegorischer Schriftauslegung) übermittelt werde und sie schon jetzt zu Vollkommenen mache.302 Damit würden für die Gegner das Kreuz und die Teilhabe an Christi Leiden hinfällig.303 Das Leiden finde in ihrer Verkündigung keinen Raum.304 Auch Gnilka kann jedoch mit seiner von der Vollkommenheitsproblematik ausgehenden Gegnerkonzeption die Funktion von V. 2 – 11 nur unzureichend erklären, insbesondere was die Betonung des Nomos (V. 5 f.9) betrifft, über dessen Bedeutung für den Konflikt Gnilka mutmaßt: „Als Vollkommene vermitteln sie mit Hilfe einer
291 Vgl. Lohmeyer, Philipper, 122 ff. Richte sich V. 2 – 11 gegen „jüdische Agitatoren“ (126 u. ö.) als Auslöser der Verfolgungen in Philippi, so V. 12 – 16 gegen die „inneren Gefahren, die in einer Übersteigerung des Märtyrerwürde bis zur ,Vollkommenheit‘ bestehen“ (142). Bei den „Feinden des Kreuzes“ (V. 18) handele es sich schließlich um ehemalige Gemeindemitglieder, die aufgrund von Leidenserfahrungen die Gemeinde verlassen hätten (vgl. 152ff). 292 Vgl. Walter, Philipper, 88 ff. Walter zufolge reagiert 3,12 – 21 nicht auf Gegner in Philippi, sondern auf eine „Gruppe christlicher ,Enthusiasten‘ in Korinth“ (89), von denen er den Philippern berichte, 3,2 – 11 hingegen richte sich gegen jüdische Missionare, „die den Heidenchristen in Philippi die Beschneidung und damit die Aufnahme ins Judentum aufnötigen wollen“ (88 f). 293 Vgl. Schmithals, Irrlehrer, 60ff; Kçster, Purpose, 317 – 332; Gnilka, Philipperbrief, 215ff; G. Barth, Philipper, 69ff; Mller, Philipper, 188ff; Schnelle, Einleitung, 163. 294 Schmithals, Irrlehrer, 64. 295 Ebd., 77. 296 Vgl. ebd., 67 ff. 297 Ebd., 78. 298 Vgl. ebd., 64. 299 Vgl. ebd., 63 f. 300 Vgl. Gnilka, Antipaulinische Mission, 271; ders., Philipperbrief, 216 f. 301 Gnilka, Philipperbrief, 216. 302 Vgl. ebd., 216 f. 303 Vgl. ebd., 216. 304 Vgl. Gnilka, Antipaulinische Mission, 27: „Es ergibt sich von selbst, daß Leiden, Verfolgungen, Not für eine in dieser Weise von Selbstbewußtsein geprägte Erlösungslehre nur Beweise für die Ungültigkeit und den Trug einer Botschaft sein konnten.“
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traditionsgebundenen allegorischen Auslegung der Schrift (des Gesetzes?) das wahre Erkennen.“305 Helmut Köster wiederum, der wie Schmithals von judenchristlichen Gnostikern als Gegnern ausgeht, erachtet deren Nomismus als grundlegendes Charakteristikum. Aus ihrem Vollkommenheitsbewusstsein resultiere gerade kein Libertinismus, sondern vielmehr solle sich ihre Vollkommenheit gerade durch strenge Gesetzesobservanz ausdrücken.306 Der Vorwurf ¨m b he¹r B joik¸a (V. 19) lasse sich auf ihre Observanz jüdischer Speisegebote beziehen und sei somit kein Hinweis auf eine libertinistische Haltung.307 In diesen exemplarischen Gegnerkonstruktionen deutet sich ein Grundproblem des Versuchs an, eine einheitliche Gegnerfront in Phil 3 zu ermitteln: die Vereinbarkeit eines Nomismus bzw. einer besonderen Wertschätzung von Gesetz und Beschneidung mit einem Vollkommenheitsbewusstsein, aus dem nach 3,18ff eine besondere Zuwendung zu den irdischen Dingen, eventuell ein Libertinismus, resultiert. So bemerkt schon Philipp Vielhauer, der in den Gegnern „judaisierende Gnostiker jüdischer Herkunft“308 sieht: „Diese Vollkommenheit (…) stellt eine seltsame Verbindung von Nomismus und Enthusiasmus dar.“309 Zunächst erscheint es als ausgesprochen problematisch, mithilfe der paulinischen Stellungnahme zur Vollkommenheit bzw. Vollendung in V. 12 – 16 eine Gegnerfront zu rekonstruieren. Gegner werden hier anders als in V. 2 – 11 und V. 17 – 21 nicht ausdrücklich erwähnt. Auch wendet sich Paulus gegen ein falsches Vollkommenheitsbewusstsein weniger scharf als gegen die anderen Konfliktpunkte.310 Abgesehen von der Anspielung auf eine Gegenposition mit fsoi owm t´keioi (V. 15) ist der Abschnitt frei von offensichtlichen Reaktionen auf Gegner. Besondere Beachtung verdient zudem das einleitende oqw fti (V. 12). Dieses begegnet bei Paulus wiederholt im Rahmen einer „Selbstpräzisierung“ und dürfte somit das Folgende vielmehr als prophylaktische Korrektur eines falschen Verständnisses denn als eine Auseinandersetzung mit Gegnern ausweisen.311 Gegen die Annahme einer Reaktion auf in Philippi aufgetretene Gegner spricht darüber hinaus, dass gerade in diesem Abschnitt die Gemeinde angeredet wird, in V. 13 mit !dekvo¸, sowie in V. 15 f durch den Kohortativ vqom_lem und den Verweis auf Gottes Offenbarung der erforderlichen Gesinnung.312 Diese Beobachtungen legen den Schluss nahe: Wird in 3,12 – 16 ein aktuelles Problem angesprochen, dann offenbar ein innergemeindliches, ohne dass Gegner
305 306 307 308 309 310
Gnilka, Philipperbrief, 218; vgl. ders., Antipaulinische Mission, 276. Vgl. Kçster, Purpose, 322 f. Vgl. ebd., 327, 331. Vielhauer, Urchristliche Literatur, 165. Ebd., 165. Vgl. Peterlin, Philippians, 86 f. Schon Lohmeyer, Philipper, 142 verweist auf diese Differenz der Mahnung in V. 15 f zur Gegnerpolemik in V. 2 f. 311 Vgl. Phil 4,11.17; 2. Kor 1,24; 3,5; 7,9; vgl. auch Klein, Antipaulinismus, 310; Mller, Philipper, 166; Schinkel, Bürgerschaft, 83. 312 Vgl. Peterlin, Philippians, 82.
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von außen Erwähnung finden. Um solche dürfte es sich aber bei den als „Feinden des Kreuzes“ (V. 18) gekennzeichneten Gegnern handeln. Diese werden von Paulus offensichtlich nicht mehr der Gemeinde zugerechnet, da er deren Ende ansonsten schwerlich als !p¾keia (Verderben) bezeichnen könnte.313 Lässt sich somit zwar erwägen, ob der Apostel in V. 12 – 16 auf (potentielle) Differenzen zwischen ihm und seinen Empfängern anspielt314, so scheint eine Identifizierung der betreffenden Personen mit den „Feinden des Kreuzes“ jedoch ausgeschlossen. Somit ist Günter Kleins Urteil zuzustimmen: „Ein eschatologischer bzw. ein Vollkommenheitsenthusiasmus ist als Gegenfront nicht auszumachen.“315 Fährt Klein jedoch fort: „Für die Identifizierung der philippischen Gegner des Paulus kommt einzig Phil 3,2 – 11 in Frage. Es handelt sich um Judaisten“316, ergibt sich ein weiteres Problem. Klein knüpft hinsichtlich V. 17 – 21 an Alfred Suhls These an, die Philipper versuchten durch einen Übertritt zur Synagoge Verfolgungen zu entgehen. Nach Suhl handelt es sich in Phil 3 um judenchristliche Gegner, welche den Philippern diesen Übertritt als Schutz vor Repressionen rieten.317 Sie selbst seien Judenchristen aus Ephesus, welche „unter dem Eindruck der Predigt des Paulus die Synagoge verlassen“318 hätten, nun jedoch aus Furcht angesichts dessen Verhaftung und seines Prozesses zurück in diese als das Schutz gewährende „jüdische Politeuma“ strebten.319 Sie rühmten „sich der Beschneidung ihrer Scham, um so als Christen den Rechtsschutz der Synagoge gegen mögliche Verfolgungen durch den Staat in Anspruch nehmen zu können“320, und rieten, als Überbringer von Nachrichten über die paulinische Haftsituation und die Erkrankung des Epaphroditus nach Philippi gekommen, den dortigen Heidenchristen ein ebensolches Verhalten an.321 Klein hingegen geht, anders als Suhl, von Judaisten aus, die die Beschneidung und das Gesetz nicht allein aus derlei taktischen Gründen predigen. Er mutmaßt Bestrebungen zu einem taktischen Eintritt in die Synagogengemeinde allerdings für die Philipper : „Nimmt in Philippi eine untergründig schon stets virulente Leidensscheu (1,28) die
313 314 315 316 317
318 319 320 321
Vgl. 3.2.4. Vgl. dahingehend Peterlin, Philippians, 82. Klein, Antipaulinismus, 309. Ebd., 313. Vgl. Suhl, Paulus, 184 f. Vgl. dahingehend auch Niebuhr, Heidenapostel, 96 ff. Nach Niebuhr gebe es in Philippi, wie Apg 16,20 f verdeutliche, Spannungen zwischen jüdischer und paganer Bevölkerung. Die „Beschneidungsagitatoren“ (97) hätten „die unbeschnittenen christlichen Synagogalanhänger vor die Entscheidung“ (97) zwischen Beschneidung oder Verlust des Schutzes und der rechtlichen Privilegien der Zugehörigkeit zur Synagoge gestellt. Auch Pilhofer, Philippi 1, 132ff sieht Paulus’ Rede vom himmlischen Politeuma u. a. im Zusammenhang mit der Suche nach Schutz und Rechtssicherheit innerhalb der Synagoge. Suhl, Paulus, 184. Vgl. ebd., 184. Ebd., 199. Vgl. Suhl, Paulus, 185, 197 f. Paulus greife deren Nomismus deshalb so scharf an, weil dieser in seinen „Augen (…) im Gegensatz zum religiös begründeten Streben nach Gesetzesgerechtigkeit nur ein aus leidensscheuem Opportunismus geborener Pseudonomismus“ (198) sei „und darum Feindschaft des Kreuzes Christi bedeute(.)“ (198).
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als solche ganz anders motivierte gegnerische Propaganda als Chance wahr, dem Druck der Umwelt durch Annäherung an die Synagoge zu entkommen?“322 Ein Eintritt in die Synagoge ist für Philippi allerdings mit historischen Problemen belastet. Nicht nur archäologisch lässt sich im 1. Jh. n. Chr. keine jüdische Präsenz nachweisen, die Schilderung der Erstmission in Apg 16,11 – 40 spricht ebenfalls gegen die Existenz einer Synagogengemeinde und lässt, sofern überhaupt, mit einer nur geringen Anzahl jüdischer Einwohner rechnen.323 Auch abgesehen von diesem Befund scheint das Verständnis der Rede von dem pok¸teula 1m oqqamo?r als Gegenüber zur jüdischen Synagogengemeinde, welche als Politeuma mit besonderen Rechten organisiert gewesen sei, ausgesprochen problematisch. Wie Dirk Schinkel in seiner Untersuchung zum Motiv der „himmlischen Bürgerschaft“ herausstellt, finden sich nur ausgesprochen wenige Belege für diesen Sprachgebrauch, welche fast ausschließlich aus der Cyrenaica und Ägypten stammen. Die exakte Bedeutung des Begriffs Politeuma und die eventuell damit verbundenen Rechte blieben darin unsicher.324 Die „Übertragbarkeit des Befundes (…) auf andere Städte im allgemeinen und auf die römische Kolonie Philippi im besonderen“325 ist daher ausgesprochen problematisch.326 Nun legt es sich aber gerade angesichts der besonderen Situation vor Ort, der starken römischen Prägung der Kolonie und der dem epigraphischen Befund zufolge verstärkten Ausrichtung ihrer Bewohner an römischen (Ehr-)Werten, nahe, Paulus’ Verweis auf das „himmlische Politeuma“ als Kontrast zum bürgerlichen Gemeinwesen und zum in Philippi hoch geschätzten römischen Bürgerrecht zu verstehen.327 Derlei Kontrastierung der Ekklesia mit der paganen Umweld und ihren Werten begegnet bereits in 1,27 f, wo Paulus das verwandte Verb pokite¼eshe gebraucht und würde zu den Erwägungen bezüglich des kulturellen Hintergrunds der Mahnung in 2,3 f passen und somit Anhaltspunkte innerhalb des Philipperbriefs finden.328 Anhaltspunkte für einen Konflikt mit Judenchristen oder Juden hingegen fehlen, ausgenommen Phil 3, völlig. Die These einer jüdischen oder judaistischen Gegnerfront scheint daher notwendig auf die Annahme einer ursprünglichen Eigenständigkeit des Briefabschnitts angewiesen. Dann besteht allerdings das Problem, dass das 322 Klein, Antipaulinismus, 313. 323 Vgl. 1.4.3. Aufgrund der geringen jüdischen Präsenz erwog Francis Wright Beare, der Abschnitt Phil 3,2 – 21 habe sich ursprünglich gar nicht an die Philipper, sondern an eine andere Gemeinde gerichtet und sei erst redaktionell mit der Philipperkorrespondenz verbunden worden (vgl. Beare, Philippians, 101). Beares Annahme blieb allerdings eine Außenseitermeinung. 324 Vgl. Schinkel, Bürgerschaft, 65 ff. Die einzigen beiden literarischen Belege bieten Josephus, Ant 12,108 und Arist 310. 325 Schinkel, Bürgerschaft, 67. 326 Vgl. ebd., 67. Schinkel zieht das Fazit: „(…) Die These …, Paulus nehme in Phil 3,20 mit dem Wort pok¸teula eine Art ,Parole‘ seiner ,judaistischen‘ Gegner auf, die mit dieser privilegierten rechtlichen Gemeinschaftsform eines jüdischen pok¸teula in der christlichen Gemeinde Mitglieder abgeworben hätten (…), kann (…) für das pok¸teula in 3,20 als Lösungsvorschlag eigentlich nicht mehr angeboten werden.“ 327 Vgl. ebd., 102 ff. 328 Vgl. ebd., 120 ff.
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pok¸teula 1m oqqamo?r kaum als Gegenüber zur jüdischen Synagoge dienen dürfte. Stellt Paulus dieses jedoch als Kontrast zur irdischen Bürgerschaft den auf irdische Dinge (t± 1p¸ceia) ausgerichteten Gegnern gegenüber, so legt eine derartige Kontrastierung nahe, dass sich die Gegner eben am paganen Umfeld und dessen Werten orientieren. D.h. aber, reagiert V. 2 – 11 tatsächlich auf einen Konflikt mit Juden oder Judenchristen, dann muss es sich in V. 17 – 21 um einen zweiten Konflikt mit paganen Gegnern handeln. Die These einer einheitlichen Gegnerfront ist bei der Annahme jüdischer oder judenchristlicher Gegner in Philippi nicht aufrechtzuerhalten. Allerdings erwachsen aus dem Versuch, unterschiedliche Gegner in V. 2 – 11 und V. 17 – 21 zu ermitteln, ebenfalls Probleme. Bereits Schmithals merkt an, dass „Paulus selbst innerhalb seiner Polemik mit keinem Wort andeutet, daß er nun andere Gegner zu bekämpfen gedenke.“329 Gerhard Barth verweist in diesem Zusammenhang auf die „fließenden Übergänge“330 und darüber hinaus auf die „Kürze des Kapitels“331. Letzteres bereitet einer Mehrfrontenthese erhebliche Schwierigkeiten. In den kurzen Unterabschnitten wird auf die Gegner eher schlaglichtartig angespielt, denn ausdrücklich auf deren Position eingegangen. Die knappe Reaktion in 3,17 – 21 lässt sich nur schwerlich als alleinige Entgegnung auf einen, wie V. 18 (mOm d³ ja· jka¸ym k´cy) deutlich macht, gleichermaßen aktuellen wie für Paulus schwerwiegenden Konflikt in Philippi erklären. Das gleiche Problem ergibt sich auch in V. 2 – 11. Hier stellt sich insbesondere die Frage: Ist eine derart knappe Reaktion des Apostels auf eine jüdische oder judenchristliche Gefährdung der Gemeinde in Philippi – gerade der von ihm so hochgeschätzten Gemeinde in Philippi – vorstellbar? Man bedenke diesbezüglich Paulus’ ausführliche Reaktion auf eine solche Gefährdung der galatischen Gemeinden. Infolgedessen ist zu erwägen, ob V. 2 – 11 möglicherweise exemplarische Bedeutung zukommt und eventuell zudem eine prophylaktische Warnung vor Gegenmissionaren, welche Beschneidung und Gesetzesobservanz fordern, darstellt.332 Nachdem bereits die ältere Forschung mehrheitlich von ausschließlich prophylaktischen Mahnungen in Phil 3 ausging333, vertreten in jüngerer Zeit u. a. Morna D. Hooker und Markus Bockmuehl die These einer dahingehenden Funktion des gesamten Kapitels.334 Dem widerspricht allerdings das Gegenüber pokk²jir – mOm in V. 18: Paulus habe von den Gegnern wiederholt zu den Philippern geredet, jetzt aber rede er „weinend“. Hierin liegt ein deutliches Indiz dafür, dass in diesem Unterab329 330 331 332
Schmithals, Irrlehrer, 60. G. Barth, Philipper, 69. Ebd., 69. Vgl. neben Schinkel auch Schoon-Janßen, Umstrittene Apologien, 127 f, 148 f; Fee, Philippians, 289 f; Reumann, Philippians, 589 f. 333 Vgl. u. a. Meyer, Philipper, 130; Lightfoot, Philippians, 68; Zahn, Einleitung 1, 377; Ewald, Philipper, 23 f; so auch noch K. Barth, Philipperbrief, 88; Dibelius, Philipper, 87, 93; Michaelis, Philipper, 53, 62; Heinzelmann, Philipper, 96. 334 Vgl. Hooker, Phantom Opponents, 377 – 395; Bockmuehl, Philippians, 232. Vgl. auch Wick, Philipperbrief, 89ff. der in den Gegnern „negative Vorbilder“ (89) sieht. Nach Peterlin, Philippians, 90ff reagiert Paulus mit den exemplarisch angeführten Gegenpositionen auf latente Probleme in Philippi.
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schnitt ein aktueller Konflikt zur Sprache kommt.335 Für V. 2 – 11 und 12 – 16 hingegen ist dies nicht zwingend vorauszusetzen. Dort könnte Paulus schlaglichtartig Konflikte ansprechen, von denen er den Philippern bereits zuvor berichtet hat.336
Nach Dirk Schinkel geht Paulus erst in Phil 3,17 – 21 auf einen aktuellen Konflikt vor Ort ein. In V. 2 – 11 und 12 – 16 hingegen begegneten zwei für Philippi fiktive „nicht-paulinische Standpunkte, die mit dem Ziel der Identitätsstiftung innerhalb der christlichen Gemeinde abgewehrt“337 würden.338 In beiden Fällen handle es sich um Beispiele für eine „irdische Gesinnung“, d. h. für ein Vertrauen auf irdische Dinge, auf t± 1p¸ceia, was unter anderen Vorzeichen für den gegenwärtigen Konflikt kennzeichnend sei.339 Zunächst richte sich V. 2 – 11 gegen ein Vertrauen auf die jüdische Herkunft und Sozialisation. An diesem Beispiel zeige Paulus, „dass die Bindung an die Welt im Lichte der cm_sir WqistoO keine Heilsbedeutung besitzt.“340 In V. 12 – 16 wende er sich anschließend gegen das Missverständnis einer schon erreichten Vollendung.341 Ab 3,17 gehe der Apostel schließlich auf den Konflikt in Philippi ein, den er auf einen Wertekonflikt um die Orientierung an den in der Kolonie Philippi vorherrschenden römischen Werten oder der christlichen Kreuzesbotschaft zuspitze.342 Für die These eines erst ab V. 17 thematisierten Konflikts sprechen neben der aufgezeigten Problematik des Versuchs, eine oder mehrere Gegnerfronten aus dem Gesamtabschnitt V. 2 – 21 zu rekonstruieren sprachliche Beobachtungen. Erneut werden die Gemeindemitglieder in 3,17 mit !dekvo¸ angeredet.343 Seit der dreimaligen Aufforderung bk´pete zu Beginn in 3,2 begegnen mit c¸meshe und sjope¸te die ersten neuerlichen Imperative.344 Und das Gegenüber pokk²jir – mOm (V. 18) weist das Folgende als einen aktuellen Konflikt in Philippi aus. Besteht aber das akute Problem nicht in einer Beschneidungsforderung oder einem falschen Vollkommenheitsbewusstsein, sondern betrifft dieses 335 Vgl. Schoon-Janßen, Umstrittene Apologien, 127. Anders: Hooker, Phantom Opponents, 392. Hooker schließt aufgrund von Paulus’ Aussage, er habe zu den Philippern des Öfteren von den Gegnern geredet, es handle sich bei diesen um keine aktuellen Gegner in Philippi. Dabei missachtet Hooker allerdings die zweite Hälfte des Relativsatzes, „jetzt“ rede Paulus weinend von diesen, was deutlich darauf hinweist, dass der Apostel nunmehr einen aktuellen Konflikt anspricht. 336 Vgl. V. 18: ovr pokk²jir 5kecom rl?m. 337 Schinkel, Bürgerschaft, 75. 338 Vgl. ebd., 75: „(…) An real in Philippi nicht greifbaren Gegnern exemplifiziert Paulus Sachprobleme, die die christliche Existenz betreffen.“ 339 Vgl. ebd., 76: „Es handelt sich um Beispiele für diejenigen, die ,irdischer Gesinnung sind‘, d. h. mehr auf die irdisch-politische und nicht auf das pok¸teula 1m oqqamo?r ausgerichtet sind.“ 340 Ebd., 82. 341 Vgl. ebd., 86. 342 Vgl. ebd., 88 ff. 343 Vgl. ebd., 88. 344 Vgl. ebd., 88.
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vielmehr einen Wertekonflikt, so berührt sich dies mit den Ergebnissen der Untersuchung der Paraklese 1,27 – 2,18. Eine Spannung aufgrund der paganen Sozialisation der Gemeindemitglieder zeigt sich dort in zweierlei Hinsicht: Zunächst reagiert Paulus in 1,27 – 30 auf die äußere Bedrohung der Gemeinde und die Fremdheit des Gedankens eines Leidens um Christi willen, indem er dieses Leiden als einen heroischen Kampf darstellt und gleichzeitig das göttliche Wirken in diesem Kampf betont. Sodann richtet sich 2,1 – 11 offenbar gegen eine im paganen Kontext und insbesondere in Philippi verbreitete Wertschätzung von Status und Ehre. Paulus rezipiert in diesem Zusammenhang den Christuspsalm und mahnt zu einer Christi Selbsterniedrigung analogen Niedrigkeitsgesinnung. Sind Status und Ehre aber leitende Werte innerhalb des „irdischen“ Gemeinwesens, der Colonia Iulia Augusta Philippensis, so fügt sich die Charakterisierung der Gegner als derjenigen, oR t± 1p¸ceia vqomoOmter (3,19), ebenso wie der Verweis auf das pok¸teula 1m oqqamo?r (V. 20) gut in diesen Zusammenhang ein. Es scheint also möglich, dass Paulus in beiden Abschnitten denselben Konflikt behandelt. Demzufolge wird die Untersuchung von Phil 3 besonders auf Bezugspunkte zu den sich in der Paraklese 1,27 – 2,18 andeutenden Konfliktbereichen (Leiden, Ausrichtung auf die eigenen Dinge bzw. auf den eigenen Status) zu achten haben. Dabei ist zu fragen, ob beide Konfliktstränge hier eventuell zusammenlaufen und ihr Verhältnis zueinander erkennbar wird. Unter Umständen erhellt sich die aus den Andeutungen in 3,2 – 4,3 selbst kaum lösbare Gegnerfrage vor dem Hintergrund des Briefs als Ganzem. Zudem würde dies für die umstrittene literarische Einheitlichkeit des Philipperbriefs sprechen und in Verbindung mit weiteren Beobachtungen die These der Zusammengehörigkeit von 1,1 – 3,1 und 3,2 – 4,3 stützen.
3.2.2 Die Rezeption des Christuspsalms und das paulinische Beispiel Terminologische Rezeption: In Phil 3 begegnet sowohl eine terminologische als auch eine strukturelle Bezugnahme auf den Christuspsalm.345 Terminologische Berührungspunkte mit dem mutmaßlichen Traditionsstück bestehen fast ausschließlich346 in V. 6 – 13 und 19 – 21. D.h., die Terminologie des Psalms findet sich wieder einerseits in Verbindung mit dem Beispiel des Paulus, andererseits mit der irdischen Gesinnung der Gegner in Philippi und der dieser Gesinnung entgegen gesetzten Heilserwartung der Gemeindemitglieder. Wie bereits in 1,27 – 2,18 ergibt sich ebenfalls, wenn auch nicht in gleichem Um345 Zur terminologischen Rezeption vgl. Bloomquist, Suffering in Philippians, 102, 165; Brucker, Christushymnen, 288 f; zur terminologischen und strukturellen Rezeption vgl. Chr. Strecker, Liminale Theologie, 176. Terminologische und inhaltliche Bezugnahmen auf den Psalm in Phil 3 sieht bereits Hooker, Philippians 2:6 – 11 (1975), 155 f. 346 Ausnahme: c¸meshai (V. 17).
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Die Rezeption des Christuspsalms
fang, ein Übergewicht der Rezeption auf der ersten Hälfte des Psalms. Von insgesamt 25 terminologischen Übereinstimmungen betreffen 16 V. 6 – 8 und 9 V. 9 – 11.347 c¸meshai dºna 1p¸ceior 1pouq²mior erq¸sjeim Bce?shai h²mator j¼qior YgsoOr Wqistºr kalb²meim loqv¶
Phil 2,6 – 11 V. 7.8 V. 11 V. 10 V. 10 V. 7 V. 6 V. 8 V. 11 V. 7 V. 6.7
p²r stauqºr sw/la tapeimoOm rp²qweim
V. 9 – 11 V. 8 V. 7 V. 8 V. 6
Phil 3 V. 6.17 V. 19.21 V. 19 V. 20 (1m oqqamo?r) V. 9 V. 7.8 (2x) V. 10 V. 8 (WqistoO YgsoO toO juq¸ou loO).20 V. 12 (jatakalb²meim [2x]). 13 (item) V. 10 (sulloqvifºlemor) V. 21 (s¼lloqvor) V. 8 (2x). 21 V. 18 V. 21 (letaswglat¸feim) V. 21 (tape¸mysir) V. 20
Insbesondere innerhalb des paulinischen Beispiels begegnen mehrheitlich terminologische Berührungen mit 2,6 – 8. Elf Termini stehen drei Begriffe bzw. Wendungen aus 2,9 – 11 gegenüber. Allerdings handelt es sich bei den Übereinstimmungen in Phil 3 vorwiegend um Anklänge an 2,6 – 11, ohne dass eine sachliche Entsprechung zwischen dem Gebrauch eines Terminus bzw. dessen Derivats in Phil 3 und im Christuspsalm vorliegt. So endet in 3,6 Paulus’ Schilderung seines vorchristlichen Werdegangs mit der Aussage: jat± dijaios¼mgm tμm 1m mºl\ cemºlemor %lelptor („gemäß der Gesetzesgerechtigkeit untadelig geworden“). Hier scheinen die Partizipialwendungen 1m bloi¾lati !mhq¾pym cemºlemor (2,7: „in [die] Gleichgestalt der Menschen eingegangen“) und cemºlemor rp¶joor (2,8: „gehorsam geworden“) anzuklingen, allerdings ohne eindeutige inhaltliche Beziehung zu einer der beiden Stellen.348 Keine sachliche Entsprechung lässt sich bei erq¸sjeim ausmachen. 347 2,6 – 8: zehn Termini werden 16 mal (3x Bce?shai; 2x loqv¶; 3x kalb²meim; 2x c¸meshai); 9 – 11: fünf Termini bzw. Wendungen werden neunmal rezipiert (3x p÷r, 2x dºna, 2x j¼qior YgsoOr Wqistºr). Ein weiterer Bezug zum Christuspsalm könnte in V. 8 t¹ rpeq´wom (rpeq´weim) darstellen. Hier sowie in 2,3 dürfte das Präfix rpeq- auf die Erhöhung Christi in (2,9) anspielen (rpequxoOm, rp´q). 348 Hier lässt sich erwägen, ob Paulus auf diese Weise sein tadelloses Verhalten in Bezug auf das Gesetz, seinen Gesetzesgehorsam, dem wahren von Christus repräsentierten Gehorsam gegenüberstellt.
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Das Beispiel des Paulus
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Paulus möchte „in ihm [= Christus] gefunden“ werden (3,9); Christus wurde „der Gestalt nach als ein Mensch befunden“ (2,7). Die Berührung scheint über einen reinen Anklang an den Psalm nicht hinauszugehen. Allerdings wird dieser Anklang durch den Aorist Passiv (2,7: erqehe¸r – 3,9: erqeh_) verstärkt, was auf eine beabsichtigte Bezugnahme hindeutet. Das wiederholte kalb²meim bzw. jatakalb²meim in V. 12 f weist ebenfalls keine inhaltliche Entsprechung zum Christuspsalm auf. Bezeichnet kalb²meim in 2,7 Christi Annahme einer Sklavengestalt, so hier das Ergreifen der Vollendung bzw. das Ergriffensein von Christus. Erstes wäre analog zu 2,9, der Erhöhung Christi, nicht aber zu seinem Gestaltwandel. Das Motiv des Gestaltwandels wiederum wird zwar sowohl im Rahmen von Paulus’ Beispiel als auch im Zusammenhang mit dem zukünftigen Heil der Philipper aufgenommen (sulloqvifºlemor [V. 10], sulloqvºr, letaswglat¸feim [V. 21]), doch besteht auch in diesem Punkt eine terminologische, nicht aber eine inhaltliche Entsprechung: Der Gestaltwandel bezeichnet im Christuspsalm die Menschwerdung Christi und damit die Aufgabe eines ehemaligen Status. Seine sachliche Entsprechung wäre demnach Paulus’ Nichtachtung seiner jüdischen Vorzüge. Allerdings gebraucht der Apostel Derivate von loqv¶ und sw/la nicht hierfür, sondern einerseits für seinen eigenen Tod (V. 10), andererseits für die Verwandlung des Leibes der Christen bei der Wiederkunft Christi (V. 21). Gleichzeitig wird es sich aber bei diesen terminologischen Berührungen schwerlich um Zufälle handeln, besonders unter Berücksichtigung des Umstands, dass beide Wortgruppen bei Paulus nur ausgesprochen selten Verwendung finden.349 Anders als im Nahkontext des Christuspsalms in 1,27 – 2,18 nimmt Paulus nunmehr auch auf die Kyriotes Christi aus dessen zweiter Hälfte Bezug. Ihm erscheinen seine persönlichen Vorzüge als Verlust angesichts „des Übermaßes der Erkenntnis [seines] Herrn Christus Jesus“ (V. 8); und die Christen erwarten von dem himmlischen Politeuma her ihren Retter, den j¼qior YgsoOr Wqistºr (V. 20; wörtliche Entsprechung zu 2,11b). Dieser besitzt die Fähigkeit, sich alles (V. 21: t± p²mta) zu unterwerfen.350 Gerade in 3,20 f ist aufgrund des Kontextes, der Aufrichtung der Christusherrschaft, mit einer gezielten Anspielung auf 2,10b.11a (Jes 45,23 LXX), p÷m cºmu j²lx, (…) ja· p÷sa ck_ssa 1nolokoc¶sgtai, zu rechnen.351 Eine auffallende inhaltliche Nähe des Gebrauchs eines Terminus zu seiner 349 Loqv¶ ist paulinisches Hapaxlegomenon und begegnet darüber hinaus im Neuen Testament nur im sekundären Markusschluss (Mk 16,12). S¼lloqvor findet sich in Röm 8,29; als weiteres Derivat begegnet loqvoOm Gal 4,19. Sw/la verwendet Paulus auch 1. Kor 7,31, letaswglat¸feim 1. Kor 4,6; 2. Kor 11,13 – 15. 350 Zur Frage, ob Paulus auch in 3,20 f eine Tradition aufnimmt, vgl. 3.2.6. 351 Vgl. zur Rezeption von 2,9 – 11 des Weiteren t± 1p¸ceia (V. 19 ! 2,11: 1pice¸ym) und 1m oqqamo?r (V. 20 ! 2,11: 1pouqam¸ym), das zweimalige dºna (V. 19.21 ! 2,11) sowie das wiederholte p÷r (neben V. 21 zweimal in V. 8 ! 2,9 – 11). Es liegt dabei jeweils keine deutliche inhaltliche Entsprechung vor, jedoch spricht die Häufung ab V. 19 für eine bewusste Bezugnahme auf den Psalm.
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Die Rezeption des Christuspsalms
Verwendung im Christuspsalm bietet Bce?shai (V. 7 f). Hier scheint sich die terminologische Rezeption einer strukturellen Rezeption des Textes anzunähern. Paulus setzt offenbar das Nicht-Achten seiner auf Herkunft und Sozialisation gegründeten Vorzüge in Analogie zu Christi Preisgabe seiner göttlichen Gestalt. Analog zu Christus missachtet er einen potentiellen Gewinn, welchen er aus diesen Vorzügen ziehen könnte. Auf diese Weise stellt sich der Apostel selbst als ein Beispiel für die in 2,1 – 11 geforderte Christusentsprechung dar.352 Allerdings besteht eine Differenz zur in Kap. 2 vertretenen Auslegung von Phil 2,6. Dort konnte aufgrund des Gebrauchs verwandter Syntagmata als auch des religionsgeschichtlichen Hintergrunds des „Raubes der Gottgleichheit“ und des Psalms als Ganzem plausibel gemacht werden, dass zwischen Christi präexistentem Sein „in göttlicher Gestalt“ und der „Gottgleichheit“ als etwas, das Christus nicht zu rauben trachtete, zu unterscheiden ist. Oqw !qpacl¹m Bc¶sato (2,6b) bezeichnet demzufolge nicht das Missachten eines eigenen Vorzugs, sondern den nicht erfolgten Raub eines noch höheren Status. Es bezieht sich nicht auf die dem präexistenten Christus eignende loqvμ heoO (2,6a), welche dieser im Folgenden preisgibt, sondern auf t¹ eWmai Usa he` (2,6c) als ein erst dem Erhöhten zukommendes Gottgleichsein.353 Anders verhält es sich bei der paulinischen Rezeption in 3,7 f. Hier bezieht sich Bce?shai auf die vorhandenen Vorzüge, welche Paulus nicht achtet. Die in der Forschungsdiskussion gebrauchten Schlagwörter aufnehmend: Während die Auslegung des Christuspsalms abgesehen von seiner paulinischen Rezeption ein Verständnis der Gottgleichheit als „res rapienda“, etwas zu Raubendes, nahe legt, fasst Paulus’ Analogisierung diese als „res rapta“ bzw. „res retinenda“ auf, als etwas, woran man gleich einem Raub festhält. Diese Abweichung bedeutet jedoch keinen Widerspruch gegen obige Auslegung von 2,6. Vielmehr rechtfertigt sie die methodische Vorgehensweise, aufgrund der ungeklärten Verfasserschaft des Christuspsalms und möglicher Abweichungen innerhalb dessen paulinischer Rezeption, den Text zunächst abgesehen von Paulus’ Bezugnahmen zu untersuchen. Die Differenzen zwischen dem Psalm und der Rezeption sind aber, wie sich zeigt, ganz erheblich. In Phil 3 handelt es sich mehrheitlich nur um terminologische Anklänge, inhaltliche Berührungspunkte sind eher weitläufig und die Verwendung von Bce?shai in 3,7 f wäre, sofern man in 2,6 der Mehrheitsmeinung folgend göttliche Gestalt und Gottgleichheit identifizierte, die einzige exakte Übereinstimmung. Eine solche findet sich nicht einmal im Nahkontext, wo die Bezugnahme von tapeimovqos¼mg (2,3) auf 1tape¸mysem 2autºm unstrittig ist. Vor diesem Hintergrund verbietet es sich förmlich die Rezeption des Christuspsalms für dessen Auslegung heranzuziehen.
352 Vgl. Pollard, Integrity, 62; Hawthorne, Imitation, 173 f. Auf eine Beziehung zwischen oqw !qpacl¹m Bc¶sato (2,6) und Fcglai … fgl¸am (3,7) verweist schon Bultmann, Rezension Lohmeyer, 778 f. 353 Vgl. 2.2.1
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Das Beispiel des Paulus
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Trotz der inhaltlichen Differenzen zwischen dem Christuspsalm und den terminologischen Berührungspunkten ist von dessen gezielter Rezeption in Phil 3 auszugehen: 1.) häufen sich diese Berührungspunkte binnen weniger Verse (V. 6 – 13.19 – 21), 2.) begegnet mit den Wortgruppen loqv¶ und sw¶la eine bei Paulus unübliche Terminologie, 3.) erfolgt in V. 5 – 11 gleichzeitig eine strukturelle Bezugnahme auf den Psalm, 4.) entspricht der freie Umgang mit dem Psalm bereits dessen Rezeption in seinem Nahkontext. Inhaltliche Differenzen sind daher kein hinreichendes Argument gegen eine gezielte vorbildethische Rezeption des Christuspsalms im Rahmen des paulinischen Beispiels.354 Hierin wird vielmehr Paulus’ Rezeptionsmethode zu erblicken sein: Weniger durch explizite Verweise, sondern durch Anspielungen markiert er in der Paraklese und in den diese veranschaulichenden Beispielen Bezugspunkte zum Psalm. Gerade dieser freie Umgang ermöglicht es ihm, seine christologisch begründete Paraklese auf eine konkrete Gemeindesituation zu beziehen.355 Die Adressaten werden durch die rezipierten Termini und Wendungen auf die Schilderung von Christi Handeln bzw. auf seine dieses Handeln begründende Gesinnung, sowie in V. 8 und insbesondere in V. 20 f auf dessen Herrsein verwiesen; dies erfolgt aber dezidiert in Hinblick auf ein Verhalten, welches die konkrete, aktuelle Situation der Gemeinde in Philippi erfordert. Strukturelle Rezeption: Neben einer Häufung terminologischer Anklänge in V. 6 – 13 finden sich in diesem Unterabschnitt strukturelle Parallelen zum Christuspsalm. Diese verdeutlichen Paulus’ Absicht, sein eigenes Beispiel mit dem dort geschilderten Handeln Christi zu parallelisieren. Nicht allein den Verzicht auf seine eigenen Vorzüge, sondern auch sein Leiden und seinen Tod setzt der Apostel in Beziehung zu Christi Leiden und Sterben, desgleichen seine Auferstehung zu dessen Erhöhung. Detailliert hebt Paulus in V. 5 f seine jüdische Herkunft und seinen Werdegang hervor. Mutet dies gegenüber heidenchristlichen Adressaten ungewöhnlich an, so könnte Paulus damit eine Verbindung zu deren besonderer Wertschätzung von Status und Ehre ziehen. Peter Pilhofer verweist auf die Nähe der Beschreibung der paulinischen Herkunft und Vorzüge in 3,5 zur Charakterisierung der römischen Abstammung. 9j c´mour Ysqa¶k entspreche der Bezeichnung als „civis Romanus“, als „römischer Bürger“, der folgende Verweis auf die vukμ Bemial¸m der dieses römische Bürgerrecht signalisierenden Zugehörigkeit zur Tribus Voltinia, d. h. der Zuordnung zu einem Bezirk Roms.356 In Philippi begegnet in zahlreichen Inschriften eine aus354 Gegen Dodd, Story of Christ, 155ff; Reumann, Philippians, 528. 355 Vgl. Meeks, Man from Heaven, 112: „Paul’s supple and allusive use of the mythic pattern in his moral advice to the Philippian Christians binds the Christian vqºmgsir to that pattern, but opens wide ranges for the unfolding of a moral reasoning based on it.“ 356 Pilhofer gibt zu bedenken, dass die Aussage, Paulus gehöre der vukμ Bemial¸m an, als Betonung eines bestimmten innerjüdischen Vorzugs für die Heidenchristen in Philippi schwerlich zu
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Die Rezeption des Christuspsalms
drückliche Betonung dieses Bürgerrechts.357 Dessen Besitz stellt für die Bewohner der Kolonie offenbar ein hohes Gut dar. Eine dahingehende Parallelisierung seiner Vorzüge wäre somit für Paulus durchaus nahe liegend. :bqa?or 1n :bqa¸ym bezeichne schließlich das Elternhaus, entsprechend der obligatorischen Erwähnung des Vaters in römischen Inschriften. Auch die den Herkunftsaussagen vorangestellte Beschneidung am achten Tag könnte nach Pilhofer eine römische Analogie besitzen und dem Anlegen der toga virilis, des „offizielle[n] Gewand[s] des [volljährigen] röm[ischen] Bürgers“358, entsprechen, was um das 17. Lebensjahr erfolgte.359 In den Zusammenhang von Status und Ehre lässt sich über Pilhofer hinausgehend auch Paulus’ Schilderung der großen Bedeutung, welche das Gesetz für ihn vor seiner Bekehrung hatte, einordnen (V. 5b.6). Seine Haltung gegenüber dem Gesetz war die eines Pharisäers, der auf dessen strenge Einhaltung durch ganz Israel achtete; und aus diesem Eifer heraus verfolgte er die Kirche.360 Diesem Anspruch auf Einhaltung des Gesetzes sei Paulus selbst gerecht geworden, wie er mit dem abschließenden Verweis auf seine Untadeligkeit hinsichtlich der Gesetzesgerechtigkeit hervorhebt. Jat± dijaios¼mgm tμm 1m mºl\ cemºlemor %lelptor wird hier als Verweis auf dasjenige, was Paulus erreicht hat, seine tadellose Gesetzeserfüllung, zu verstehen sein. Schließlich bedeutet ein Statusverzicht nicht allein die Preisgabe aufgrund der Herkunft empfangener, sondern auch selbst erarbeiteter Vorzüge.361 Welche große Bedeutung aber dasjenige, was ein Mensch selbst erreicht hat, in Philippi spielt, belegen epigraphisch die Schilderungen der militärischen Laufbahn des Tiberius Claudius Maximus und des beruflichen Aufstiegs des Titus Uttiedius Venerianus bis zum Theaterdirektor.362
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362
verstehen war (vgl. Pilhofer, Philippi 1, 125). Allerdings dürfte der Gedanke eines mit der Zugehörigkeit zur vukμ Bemial¸m verbundenen Vorzugs durchaus inkludiert und als Teil der Analogie zum römischen Bürgerrecht aufzufassen sein; schließlich ist auch das römische Bürgerrecht ein Vorzug, welchen der Verweis auf die Zugehörigkeit zur Tribus Voltinia hervorhebt (gegen Pilhofer, Philippi 1, 126). An Pilhofer anknüpfend hält auch Mller, Philipper, 150 einen Anspielung auf das römische Bürgerrecht für möglich. Vgl. 1.4.2. Hurschmann, Toga, 654. Vgl. Pilhofer, Philippi 1, 126. Zum Zeitpunkt des Ablegens der „toga praetexta“ des Knaben und des Anlegens der „toga virilis“ vgl. auch Binder/Saiko, Lebensalter, 1210 f. Die These, dass Paulus hier auf das Anlegen der toga virilis anspielt, lässt sich eventuell durch den Gal erhärten, sofern der Apostel in Gal 3,27 bei der Erläuterung der Taufe als „Christus anziehen“ (Wqist¹m 1md¼eshai) ebenfalls auf diese Zeremonie rekurriert (vgl. Harrill, Coming of Age and Putting on Christ, 251 – 277). Dann würde es sich hierbei um ein von Paulus in unterschiedlichen Zusammenhängen herangezogenes Motiv handeln. Vgl. Mller, Philipper, 151. Vgl. Hellerman, Reconstructing Honor, 124 f. Hellerman verweist in diesem Zusammenhang auf die dem Aufbau paganer Inschriften ähnelnde Abfolge „ascribed honor and acquired honor“ (124: „zugeschriebener und erlangter Ehre“). 522/L210; 476/L092; vgl. 1.4.2.
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Das Beispiel des Paulus
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Angesichts der mit der Annahme einer jüdischen oder judenchristlichen Gegnerfront verbundenen Probleme einerseits, der Anklänge aber an die Darstellung paganer Vorzüge andererseits, bietet es sich an, in den preisgegebenen jüdischen Vorzügen des Apostels nicht an sich den Kern der Darstellung zu sehen. Vielmehr scheint diese auf die den Gemeindemitgliedern als Bewohnern der römischen Kolonie Philippi vertrauten paganen Vorzüge abzuzielen, die es in gleicher Weise um Christi willen preiszugeben gilt.363 In diesem Sinne formuliert Hellerman: „Philippians 3:5 – 6 constitutes Paul’s pre-Christian cursus honorum.“364 Den Hintergrund der Ausführungen dürfte weniger ein von den Adressaten als attraktiv erachteter Übertritt zum Judentum bzw. Judenchristentum bilden, sondern vielmehr die sich in 2,3 f andeutende Spannung, welche in der besonderen Relevanz von Status und Ehre in der römischen Kolonie ihre Ursache hat. Ruft Paulus demgegenüber mit der Forderung einer Niedrigkeitsgesinnung zum Statusverzicht auf, so führt er in 3,5 – 11 sich selbst als Beispiel für diese an und rekurriert dabei auf den Philippern geläufige Formen, den eigenen Status zu betonen. Das Beispiel der paulinischen Preisgabe seiner ehemaligen Vorzüge expliziert die in der Paraklese erhobene Mahnung.365 Gleichzeitig kommt dem Verweis auf eine Beschneidungsforderung erhebende Gegner, in dessen Rahmen Paulus sein Beispiel anführt, eine exemplarische Funktion hinsichtlich des erst ab 3,17 thematisierten Konflikts um eine Ausrichtung auf „irdische Dinge“ zu.366 Und offenbar steht diese „irdische Gesinnung“ in Verbindung mit der Wahrung der eigenen gesellschaftlichen Stellung. Die Mahnung in 2,3 f und Paulus’ Reaktion auf die „Feinde des Kreuzes Christi“ (3,18) stehen offenbar in Verbindung miteinander. Die weiteren strukturellen Bezugnahmen auf den Christuspsalm verdeutlichen, dass Paulus sich selbst als ein Vorbild für die geforderte Christusentsprechung einführt. So erschöpft sich die strukturelle Entsprechung zu Christi im Psalm geschildertem Werdegang nicht in der Preisgabe eines Status. Vielmehr werden auch die Situation nach dem Statusverzicht, Leiden und Tod, sowie die daran anknüpfende Erhöhung bzw. hier Auferstehung rezipiert.367 In V. 7 beschreibt Paulus die Nicht-Achtung seiner jüdischen Vorzüge im Perfekt. 363 Pilhofer, Philippi 1, 132ff geht allerdings trotz der von ihm ausgemachten Nähe der Darstellung zu derjenigen römischer Vorzüge von einer jüdischen Gegnerfront aus. 364 Hellerman, Reconstructing Honor, 123; vgl. auch Becker, Paulus, 323: „Auch berichtet Paulus (3,2ff) von seiner jüdischen Herkunft so, wie er es Heidenchristen gegenüber tun muß.“ 365 Vgl. Hawthorne, Imitation, 173 f. 366 Vgl. Schinkel, Bürgerschaft, 82: „Paulus personalisiert hier an seiner eigenen conversio vom gesetzestreuen Pharisäer zum Nachfolger Christi ein Sachproblem, welches wiederum mit der Formel pepoih´mai 1m saqj¸ zusammenhängt und mit dem Vorwurf ,irdischer Gesinnung‘, die Paulus in 3,19 anspricht“ (Hervorhebung Schinkel). Schinkel geht allerdings nicht näher auf die Entsprechung des paulinischen Beispiels zu diesem Konflikt ein. 367 Vgl. Hawthorne, Imitation, 174.
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Die Rezeption des Christuspsalms
„Was auch immer“ (ûtima) ihm Gewinn war, erachtete er „um Christi willen“ als Verlust. Dieser Vers ist auf Paulus’ Damaskuserlebnis zu beziehen, welches hier allerdings, anders als in Gal 1,15 f und 1. Kor 15,8 – 11, „nicht als Berufung“368 zum Apostel, sondern „als Bekehrung dargestellt“369 wird.370 Mit V. 8 erfolgt ein Tempuswechsel ins Präsens. Paulus schildert jetzt die gegenwärtige Sicht auf seine Vergangenheit. Mit vorangestelltem !kk± lemoOmce („aber vielmehr“) besonders betont hebt er hervor: Noch immer erachtet er seine ehemaligen Vorzüge als Verlust „wegen des Übermaßes der Erkenntnis Christi“. Nicht genug, er hält sie für sj¼baka, Kot. Urich B. Müller verweist darauf, dass sich mit diesem Begriff „nicht nur der Aspekt des Ekelhaften, sondern des Mißlungenen, des Erledigten“371 verbindet. Paulus’ drastische Wortwahl streicht heraus: Die Vergangenheit ist „endgültig abgetan“372. Gerade rückblickend von seiner Situation nach der Statuspreisgabe erscheinen Paulus die aufgegebenen Vorzüge als wertlos.373 Unsicher ist die zeitliche Einordnung des in V. 8b anschließenden Finalsatzes, von welchem offenbar die gesamte Satzkonstruktion bis V. 10 abhängt.374 Diese Finalkonstruktion wird von der Mehrheit der Ausleger präsentisch verstanden. Paulus stelle seine bereits gegenwärtige Teilhabe am Heil und an Christi Leiden dar.375 Allerdings ergeben sich gegen diese Auffassung sprachliche sowie inhaltliche Bedenken: Wenig überzeugend ist Müllers Auslegung, wonach „jeqd¶sy den Beginn der Gemeinschaft mit Christus mein[e], (…) das folgende erqeh_ die Fortsetzung“376. Zunächst ist ein teilweiser Rückbezug des Finalsatzes auf die in V. 7 geschilderte Bekehrung trotz der terminologischen Berührung mit j´qdg fraglich. V. 8b.9a selbst liefert keinen Hinweis auf eine zeitliche Unterscheidung zwischen „Christus gewinnen“ und „in ihm gefunden werden“.377 Aber auch ein Bezug der gesamten 368 Mller, Philipper, 153. 369 Ebd., 153. 370 Vgl. Becker, Paulus, 79, 344; Mller, Philipper, 153; anders: Schenk, Philipperbriefe, 305, der den Begriff Bekehrung aufgrund fehlender „Konversionsterminologie“ ablehnt. 371 Mller, Philipper, 155. 372 Ebd., 156; vgl. auch G. Barth, Philipper, 94 f; Eckey, Philipper, 124. 373 Vgl. Mller, Philipper, 153. Müller betont gegen Gnilka, Philipperbrief, 192 u. a., dass der „Gedankenfortschritt“ in V. 8 nicht darin bestehen könne, dass Paulus’ Abwertung seiner jüdischen Vorzüge nunmehr auf irdisch-fleischliche Vorzüge überhaupt verallgemeinert werde. Dieser Gesichtspunkt ist „schon in dem verallgemeinernden Relativpronomen ûtima von V. 7 enthalten“ (151). Zur Funktion der besonderen Betonung der fortwährend negativen Sicht bzw. der Nichtberücksichtigung der Vergangenheit vgl. unten. 374 Zur Zuordnung von V. 10 vgl. Anm. 386. 375 Vgl. u. a. Fee, Philippians, 321; Chr. Strecker, Liminale Theologie, 123ff; Mller, Philipper, 156 (ausgenommen V. 8b); Walter, Philipper, 79 ff. Nach Gnilka, Philipperbrief, 193ff geht es in V. 8 – 11 gerade um die Dialektik von „schon hier“ und „noch nicht“. 376 Mller, Philipper, 156 anknüpfend an Michaelis, Philipper, 57. 377 Bei einem Bezug von V. 8b auf Paulus’ Bekehrung, von V. 9a hingegen auf seine gegenwärtige
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Das Beispiel des Paulus
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Finalkonstruktion auf die gegenwärtige Situation des Apostels ist problematisch. Der mit Vma eingeleitete Finalsatz fordert einen Konjunktiv. Der von Paulus in beiden Fällen gebrauchte Konjunktiv Aorist gibt den punktuellen Aspekt des Ergreifens und Gefundenwerdens wieder378 und lässt keinen Aufschluss über die zeitliche Einordnung des Satzes zu.379 Unter syntaktischem Gesichtspunkt aber bietet sich ein präsentisches Verständnis von V. 9.10 ebenso wie ein Rückbezug von V. 8b auf Paulus’ Bekehrung keineswegs an: Bezeichnet der Finalsatz ein aus dem im präsentischen Hauptsatz geschilderten Handeln resultierendes Ziel, so ist er diesem zeitlich nachgeordnet. Ein gegenwärtiges Handeln erfolgt aufgrund eines zukünftigen Ziels.380 Hinzu tritt eine inhaltliche Schwierigkeit: V. 12 – 14 betont Paulus gerade sein Nochnicht-ergriffen-Haben und sein Streben nach dem zu Ergreifenden. Bei einem Rückbezug von jeqd¶sy auf die Bekehrung und einem präsentischen Verständnis von erqeh_ sowie der vom Finalsatz abhängigen Satzkonstruktion bis V. 10 bestünde zumindest eine Spannung zu den Vollkommenheitsaussagen in V. 12 – 14.381 Das sich somit syntaktisch wie inhaltlich nahe legende Verständnis der gesamten Finalkonstruktion als eines noch ausstehenden Geschehens, wird schließlich gestützt durch Paulus’ Rede von der „Erkenntnis Christi Jesu“382, welche nach V. 8 alle ehemaligen Vorzüge überwiegt und die er in V. 10 als Teilhabe an Christi Auferstehung und Tod entfaltet. Diese betrachtet der Apostel offenbar primär unter einem futurischen und nicht unter einem präsentischen Gesichtspunkt. Müller bezieht die Erkenntnis unter Verweis auf Gal 4,8 f, die Galater hätten Gott vormals nicht gekannt, ihn aber nunmehr erkannt bzw. seien von ihm erkannt worden, auf Paulus’ Bekehrung.383 Demzufolge betone der Apostel in Phil 3,10 die gegenwärtige Anteilhabe an Christi Auferstehungsmacht und seinen Leiden. Dieser Vers sei analog zu 2. Kor 4,10 zu verstehen. Mit dem „Sterben Jesu“ werde auch das „Leben Jesu“ schon jetzt an Paulus’ Leib offenbar.384 Nun wird jedoch in Phil 3 die Erkenntnis gerade
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Situation wäre ein verdeutlichender Tempuswechsel zum Konjunktiv Präsens erq¸sjylai oder eine adverbiale Bestimmung zu erwarten. Vgl. Koperski, Knowledge of Christ, 163. Vgl. auch zum Konjunktiv im Finalsatz innerhalb des Christuspsalms in 2,10a.11b 2.2.4. Der Konjunktiv Aorist kann in temporaler Bedeutung auch futurisch gebraucht werden, da das Futur selbst keinen Konjunktiv bildet. Somit ist die Finalkonstruktion aufgrund des zweimaligen Konjunktiv Aorist und des Infinitiv Aorist cm_mai (V. 10a) auch nicht notwendig als Ganze auf Paulus’ „Christwerden“ zurück zu beziehen (gegen Schenk, Philipperbriefe, 307; Niebuhr, Heidenapostel, 99; Ewald, Philipper, 173 ff). Vgl. Koperski, Knowledge of Christ, 163. Klein, Antipaulinismus, 310 und Mller, Philipper, 164 gehen davon aus, Paulus sehe sich gerade aufgrund seiner präsentischen Aussagen zur Selbstpräzisierung gezwungen. Die Wendung ist für Paulus singulär. Vgl. Mller, Philipper, 154. Vgl. Mller, Philipper, 162; vgl. auch Gnilka, Philipperbrief, 196; Eckey, Philipper, 125 f; Fee, Philippians, 330 u. a.
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nicht mit der Bekehrung in Verbindung gebracht! In V. 7 beschreibt Paulus seine Bekehrung als einen Wertewandel „um Christi willen“ (di± t¹m Wqistºm). Von der „Erkenntnis Christi Jesu“ ist erst in V. 8 die Rede, wo der Apostel seine gegenwärtige Sicht schildert. Stellt Paulus zunächst heraus, dass er um dieser willen alles als Verlust erachtet, so bleibt dabei offen, ob er hier an die noch ausstehende oder die schon vorhandene Erkenntnis denkt. Im hieran anknüpfenden Relativsatz blickt er dann zwar auf seine Bekehrung zurück, verbindet diese jedoch wie in ‚ V. 7 erneut nicht mit der Erkenntnis, sondern sie geschah „wegen ihm“ (di fm [Akk. m.]), wegen Christus. Weder auf t/r cm¾seyr noch auf t¹ rpeq´wom bezieht sich die Begründung des Wertewandels, sondern auf WqistoO YgsoO toO juq¸ou lou. Eine Verbindung von Bekehrung und Erkenntnis Christi liegt hier gerade nicht vor; vielmehr ließe sich fragen, ob Paulus diese geradezu vermeiden möchte. Anders als in Gal 4,8 f, wo er den Erkenntnisgewinn der christlichen Gottesverehrung gegenüber der ehemaligen Gottesverehrung seiner Empfänger herausstellt, legt er hier den Akzent anscheinend explizit auf die noch ausstehende Vollendung der Gotteserkenntnis. Wie sich zeigen wird, dürfte hierin eine Reaktion auf ein gegenüber Gal 4 andersgeartetes Problem der Philipper, welches in Zusammenhang mit der paganen Heilserwartung steht, vorliegen. Eine unterschiedliche Akzentsetzung im Gal und Phil, einmal auf die schon erlangte Erkenntnis, einmal auf deren noch ausstehende Vollendung, ist daher möglich, da Erkenntnis Gottes bzw. Christi für Paulus in der Spannung zwischen „schon jetzt“ und „noch nicht“ steht. Erkennt der Christ gegenwärtig bereits teilweise, so steht die Vollendung dieser Erkenntnis noch aus (vgl. 1. Kor 13,9 – 12). Die Möglichkeit einer unterschiedlichen Akzentsetzung macht es aber höchst problematisch, das zeitliche Verständnis der Erkenntnis Christi in Phil 3 aus anderen Paulusbriefen mit einer anderen Frontstellung abzuleiten. Ob unter dieser die schon partiell gegenwärtige oder erst die vollkommene, zukünftige Erkenntnis zu verstehen ist, lässt sich nur aus dem jeweiligen Kontext selbst klären. Dieser spricht hier jedoch syntaktisch wie inhaltlich gegen ein präsentisches Verständnis. Dann wird sich aber auch V. 10 kaum vor dem Hintergrund von 2. Kor 4,10 im Sinne einer gegenwärtigen Teilhabe an Christi Tod und Auferstehung verstehen lassen. Desgleichen ist ein von Röm 6,3 f ausgehendes Verständnis unwahrscheinlich, wonach hier auf das Mitsterben in der Taufe angespielt werde.385 Beides stünde, abgesehen von der Differenz zum Verständnis der Erkenntnis Christi in V. 8, vor dem syntaktischen Problem, dass der Vers nicht allein Teil der in V. 8b beginnenden Finalkonstruktion ist386, sondern auch 385 Gegen Reumann, Philippians, 525; Schnelle, Paulus, 419 f; Walter, Philipper, 81; Mller, Philipper, 162 u. a. 386 Vgl. Wolter, Apostel, 227. Mit Koperski, Knowledge of Christ, 175 ließe sich toO cm_mai auch als dem Finalsatz parallele, von BcoOlai (V. 8) abhängige Konstruktion erachten, was allerdings für das zeitliche Verhältnis zum übergeordneten Hauptsatz als in beiden Fällen diesem zeitlich nachgeordnet keinen Unterschied macht.
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selbst durch das einleitende toO + Infinitiv finale Bedeutung erhält.387 Demnach ist hier auch nicht von der hinter 2,1 – 5 stehenden gegenwärtigen Christusteilhabe, aus welcher der Christ lebt, die ihn transformiert und die seinen Lebenswandel, auch sein Ethos, prägt, die Rede, sondern von der Vollendung dieser Teilhabe.388 Paulus’ Ziel ist es, Christus „zu erkennen, sowohl die Kraft seiner Auferstehung als auch [die] Gemeinschaft seiner Leiden389, indem [er] seinem Tod gleich gestaltet werde“ (V. 10). Hierin tritt eine besondere Betonung von Paulus’ Leiden in Entsprechung zum Leiden Christi zutage. Dies gipfelt in der partizipialen Erläuterung der Leidensgemeinschaft mit Christus als eines Gleichgestaltetwerdens (sulloqvifºlemor) mit dessen Tod, nach V. 11 als Voraussetzung der „Auferstehung von den Toten“.390 Dabei verstärkt der Apostel die Christusanalogie durch den terminologischen Anklang an das zweimalige loqv¶ und damit an Christi Gestaltwandel in 2,6 f. Durch den chiastischen Aufbau von V. 10 f (Auferstehung – Leiden – Tod [Leiden] – Auferstehung)391, wird die notwendige Leidensteilhabe von der Auferstehungshoffnung umrahmt. Auferstehen mit Christus und Leiden mit Christus gehören zusammen.392 Ein futurisches Verständnis der Christusteilhabe durch Mitleiden, Mitsterben und Mitauferstehen passt nunmehr ausgesprochen gut zu anderen Stellen des Phil. Wiederholt geht Paulus auf seinen möglicherweise bevorstehenden Tod ein. Der Apostel sitzt in Haft. In 1,20 – 26 reflektiert er über den Ausgang seiner Causa und hält ein Todesurteil für möglich.393 2,17 thematisiert er seinen Tod als ein Ausgegossenwerden über dem Opfer und Dienst der Philipper. Somit scheint sich für 3,10 die These Ernst Lohmeyers zu bestätigen: „Pls. spricht hier von seinem eigenen, leiblichen Tode“394. Im Gegensatz zu 2. Kor 4,10 dominiert nicht der Gedanke einer gegenwärtigen Teilhabe an den Leiden 387 Demnach wäre eine solche Auslegung selbst dann problematisch, wenn man den übergeordneten Finalsatz präsentisch auffasst oder toO cm_mai direkt an BcoOlai anschließt. Dementsprechend sieht auch Koperski, Knowledge of Christ, 180ff eine vorrangig futurische Ausrichtung von V. 10, wobei diesem allerdings ein überzeitlicher Aspekt der das gesamte christliche Leben kennzeichnenden Gemeinschaft mit Christus innewohne (vgl. 190: „In what begins as a further description of Paul’s goal, the ultimate, though perhaps not originally intended, result is a description of the meaning of Christian existence not only in the present and future, but in the past as well.“). 388 Gegen Schnelle, Paulus, 419, nach dem „die Wendung ja· erqeh_ 1m aqt` (…) gleichbedeutend mit 1m Wqist`“ sei und „das Einbezogensein in das neue Sein benenn[e].“ 389 Gegen Nestle-Aland27 ist die u. a. von P46 und Codex Vaticanus (B) bezeugte Lesart joimym¸am pahgl²tym derjenigen mit Artikel (tμm joimym¸am t_m pahgl²tym) vorzuziehen. Bei letzterer dürfte es sich um eine Angleichung an tμm d¼malim t/r !mast²seyr handeln (vgl. Wolter, Apostel, 226 f; Mller, Philipper, 161). 390 Vgl. Wolter, Apostel, 227. 391 Vgl. Jeremias, Chiasmus, 280; Wolter, Apostel, 227. 392 Vgl. auch Röm 8,17b, wo Mitleiden die Voraussetzung des Mitverherrlichtwerdens darstellt. 393 Vgl. Wolter, Apostel, 227. 394 Lohmeyer, Philipper, 140.
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und der Auferstehung. Die Rede von der Gleichgestaltung mit Christi Tod ist nicht in einem übertragenen Sinn zu verstehen. Vielmehr bezieht Paulus die Gemeinschaft mit Christi Leiden auf seinen eventuell bevorstehenden Tod um Christi willen, und diese Gemeinschaft liegt damit wie die Auferstehung in der Zukunft.395 Dies hat Auswirkungen auf die Frage nach der literarischen Einheitlichkeit des Phil. Rechnet Paulus auch in 3,10 mit der Möglichkeit seines Todes, dann liegt hier offenbar keine veränderte Situation des Apostels gegenüber derjenigen in 1,19ff vor. Die Gefahr eines Todesurteils scheint vielmehr weiterhin zu bestehen, und eine andauernde Haft muss daher offenbar vorausgesetzt werden. Das für eine ursprüngliche Eigenständigkeit von 3,2 – 4,1 (2 – 3) angeführte argumentum e silentio, Paulus lasse in diesem Abschnitt seine Haft unerwähnt396, ist demzufolge nicht tragfähig. Insbesondere aber entspricht Paulus’ Analogisierung seines eigenen Handelns und Geschicks mit demjenigen Christi der Verbindung von Christologie und Ethik, wie sie in 1,27 – 2,18 begegnet und bestätigt die in Kap. 3.1 aufgestellte These einer primär vorbildethischen Bezugnahme auf den Psalm. Auch in Phil 3 nimmt Christus eine Vorbildfunktion ein, an welcher sich der Apostel orientiert. Paulus stellt sich selbst wiederum als Vorbild für eine Christusanalogie dar, die von der Statuspreisgabe über das physische Mitleiden und Mitsterben mit Christus bis hin zum Mitauferstehen reicht. Er setzt den Verzicht auf seine einstigen Vorzüge in Entsprechung zu Christi Preisgabe seiner göttlichen Gestalt sowie seinen drohenden Tod und seine zukünftige Auferstehung zu Leiden, Tod und Auferstehung Christi. Mitleiden und Mitsterben verstanden als „Gleichgestaltung“ mit Christi Tod werden auf diese Weise zur Voraussetzung des Mitauferstehens. Die Christusentsprechung erhält dadurch explizit eine soteriologische Relevanz.397
3.2.3 Die Mahnung zur Nachahmung Nimmt der Apostel in 3,17 mit sullilgta¸ lou c¸meshe auf das Beispiel seiner eigenen Christusentsprechung Bezug, dann handelt es sich bei dieser Mahnung um eine Aufforderung zur Leidensnachahmung. Die Philipper sollen seinen und Christi Statusverzicht, das Leiden und auch das Sterben nachahmen.398 Diese besondere Rolle des Leidens bei der Mahnung zur Mitnachah395 Vgl. ebd., 139 f; Wolter, Apostel, 227. 396 Vgl. 1.6. 397 Eine soteriologische Bedeutung begegnete auch bereits in 2,12, wo gerade durch „Furcht und Zittern“ als einer Christi Niedrigkeitsgesinnung entsprechenden Haltung das Heil verwirklicht werden soll (vgl. 3.1.4). 398 Vgl. bezüglich der Leidensnachahmung insbesondere Oakes, Philippians, 105 f; vgl. auch Gnilka, Philipperbrief, 204; Walter, Philipper, 82; Schinkel, Bürgerschaft, 89; Fee, Philippians, 362 f; Chr. Strecker, Liminale Thelogie, 113. Unsicher ist allerdings das exakte
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mung überrascht allerdings wenig, berücksichtigt man die weiteren paulinischen Belege der Wortgruppe lile?shai.399 Dabei zeigt sich, dass Paulus die Rede von der Nachahmung mit Ausnahme von 1. Kor 11,1 ausschließlich in Verbindung mit Leiden gebraucht. Nach 1. Thess 1,6 sind die Christen in Thessalonich Nachahmer des Apostels, seiner Mitarbeiter (Silas und Timotheus) und des Herrn geworden, indem sie das Wort angenommen haben „in viel Trübsal“ (1m hk¸xei pokk0). In 2,14 wiederum heißt es, sie seien „Nachahmer geworden … der Gemeinden Gottes in Judäa“, denn sie hätten „von den eigenen Landsleuten das Selbe erlitten (t± aqt± 1p²hete) wie auch diese von den Juden“.400 Auch in 1. Kor 4,16 ist Paulus’ Mahnung an die Gemeinde, seine Nachahmer zu werden, mit der Leidensthematik verbunden. Zuvor schildert der Apostel in V. 9 – 13 seine apostolische Existenz als grundsätzlich von Leiden (Hunger, Durst, Schmähungen) gekennzeichnet. Dies gipfelt in der Aussage (V. 13b): „wie der Auswurf der Welt sind wir geworden, aller Abschaum bis jetzt“ (¢r peqijah²qlata toO jºslou 1cem¶hglem, p²mtym peq¸xgla 6yr %qti).401 Nachahmung ist an diesen Stellen jeweils charakterisiert als eine Entsprechung im Leiden. In diese Beobachtung ein reiht sich Paulus’ Aufforderung an die Christen in Philippi, mit oder gleich ihm Christi Leiden beginnend mit seinem Statusverzicht bis zu seinem Tod nachzuahmen. Es deutet sich somit eine konstitutive Rolle des Leidens innerhalb der Nachahmungsvorstellung an, wonach Nachahmung entscheidend in einer Leidensentsprechung zu bestehen scheint. Nachahmer sein bedeutet offenbar zuallererst, den Leiden Christi und der anderen Christen in seinem eigenen Leben zu entsprechen. In Spannung hierzu steht allerdings 1. Kor 11,1. Der einzige paulinische Beleg für die Nachahmungsvorstellung, in dessen Kontext kein Leidensbezug begegnet, bildet den Abschluss von Paulus’ Ausführungen zum Götzenopferfleisch. Der Mahnung: „Werdet meine Nachahmer, gleichwie auch ich Verständnis von sullilgta¸ lou c¸meshe und damit, ob hier ein direkter oder indirekter Christusbezug vorliegt. Nur ein indirekter Christusbezug über Paulus’ Beispiel seiner Christusentsprechung besteht, sofern die Wendung wiederzugeben ist mit „werdet gemeinsam meine Nachahmer“ (vgl. Michaelis, lil´olai, 669; Mller, Philipper, 175; Bockmuehl, Philippians, 228; Fee, Philippians, 364 f), ein direkter Bezug hingegen bei einem Verständnis als „werdet meine Mit-Nachahmer“ bzw. „mit mir Nachahmer“ (vgl. Gnilka, Philipperbrief, 204; Schinkel, Bürgerschaft, 89). Eine sichere Entscheidung ist kaum zu treffen, da sullilgt¶r nicht nur ntl. Hapaxlegomenon, sondern auch außerhalb des NT nicht belegt ist. Möglicherweise handelt es sich um eine paulinische Bildung (vgl. Michaelis, lil´olai, 669; Walter, Philipper, 82; Schinkel, Bürgerschaft, 88). 399 Dies bemerkt bereits Gnilka, Antipaulinische Mission, 267: „Zur Bereitschaft, Leiden zu übernehmen (…), fordert Paulus wahrscheinlich auch in V. 17 auf. Der Mimesis-Gedanke, der hier durch die Intensivform sullilgta¸ noch unterstrichen wird, begegnet öfter in Verbindung mit der Nachahmung in Leiden.“ 400 Vgl. ebd., 267; vgl. auch Fee, Philippians, 364. 401 Zum Bezug der Mahnung zum vorangehenden Beispiel vgl. Schulz, Nachfolgen und Nachahmen, 310 ff.
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(Nachahmer) Christi (bin)“, geht in 10,33b Paulus’ Aussage voran, er suche „nicht seinen eigenen Vorteil, sondern den der Vielen“. Nachahmung ist hier verstanden als eine Orientierung nicht am eigenen Nutzen, sondern an dem der Nächsten bzw. der Ekklesia. In diesem Sinne fordert der Apostel bereits in 10,24: „Niemand suche das Eigene, sondern das der Anderen“. Dieses die Nachahmungsforderung in 1. Kor 11,1 bestimmende Gegenüber („nicht das Eigene, sondern das der Anderen“ bzw. „der Vielen“) ist jedoch aus Phil 2,4 geläufig, wo Paulus die Mahnung zur Niedrigkeitsgesinnung (V. 3) in diesem Sinne auf das Handeln der Gemeindemitglieder hin entfaltet. Die geforderte derjenigen Christi analoge Gesinnung realisiert sich, indem „nicht jeder auf die eigenen Dinge blickt, sondern unbedingt alle auf die der Anderen“. Auf diese Weise fordert Paulus mit der Mahnung zur tapeimovqos¼mg einen Christus entsprechenden Statusverzicht, welchen er in 3,5 – 11 durch sein eigenes Beispiel verdeutlicht. Ein solcher Verzicht auf angeborene und erworbene Vorzüge hat jedoch, wie sich in Phil 2 zeigt, seinen Zweck gerade nicht in sich selbst, sondern er soll um der Einheit der Gemeinde willen erfolgen. Statusverzicht geschieht nicht um seiner selbst, sondern um der Ekklesia willen; er richtet sich auf die Bedürfnisse der Gemeinschaft und dient damit dem Vorteil der Vielen.402 Der in 1. Kor 11,1 leitende Aspekt begegnet somit auch in der Paraklese des Phil, wenn auch nicht unmittelbar mit der Nachahmungsforderung verbunden. Sofern es sich beim Phil aber um ein literarisch einheitliches Schreiben handelt, ist dieser Aspekt implizit auch für Phil 3 vorauszusetzen. Verbindet der Apostel zwar seinen eigenen Statusverzicht (3,5 – 11) nicht unmittelbar mit dem Aspekt der Relevanz für die Mitchristen, so ist dennoch davon auszugehen, dass den Empfängern vor dem Hintergrund der Paraklese 1,27 – 2,18 bewusst ist, dass gerade die Ausrichtung auf die Gemeinde und deren Glieder den Zweck des Verzichts auf eigene Vorzüge, auf einen gesellschaftlichen Status darstellt. Indem die Aufforderung zur Nachahmung in 3,17 u. a. auf diesen Statusverzicht Bezug nimmt, ist in ihr auch dieser weitere Aspekt der Nachahmungsvorstellung implizit enthalten. Laufen damit im Phil beide Aspekte, Leidensnachahmung und Orientierung am Vorteil der Anderen bzw. der Gemeinde, ineinander, so deutet sich an, auf welche Weise der zweite Aspekt Eingang in die Nachahmungsvorstellung gefunden haben könnte, nämlich über die Verknüpfung des Christi analogen Erniedrigungshandelns mit dessen Relevanz für die Mitchristen. Hierin scheint der Ausgangspunkt zu einem dahingehenden ethischen Gebrauch der Nachahmungsvorstellung zu liegen, welcher sich bei Paulus offenbar erst entwickelt. Dieser Gedanke klingt in 1. Thess 1,6 und 2,14 nicht einmal an. Vielmehr hebt der Apostel die Leidensnachahmung der Thessalonicher an sich hervor, ohne dass überhaupt von einer im engeren Sinne 402 Vgl. 3.1.3.2 zum Verständnis von 2,4 als Mahnung zu einem Altruismus um der Gemeinschaft willen.
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ethischen Relevanz die Rede wäre. Nachahmung scheint demnach ursprünglich einzig eine Entsprechung im Leiden zu bezeichnen; diese Bedeutung tritt mit Ausnahme von 1. Kor 11,1 noch bei allen Belegen innerhalb der echten Paulusbriefe hervor. Erst sekundär, durch die Verknüpfung der Christus entsprechenden Selbsterniedrigung bzw. Statuspreisgabe mit dem Gedanken der innergemeindlichen Relevanz dieses Handelns, erhält die Nachahmung Christi bei Paulus auch eine Funktion für das Miteinander innerhalb der Gemeinde. Sie kann von ihm jedoch auch weiterhin ohne diesen erst sekundär hinzugetretenen Aspekt gebraucht werden, wie das Nebeneinander von 1. Kor 4,16 und 11,1 zeigt. Das Spezifikum des Nachahmungsgedankens gegenüber der Nachfolge in den Evangelien liegt somit nicht in einem anderen ethischen Bezugspunkt der Mahnung. Der Unterschied ist gegen Hans Dieter Betz nicht darin zu sehen, dass Paulus’ „Aufruf zur Mimesis … in keiner Weise an der ethischen und sittlichen Vorbildlichkeit des historischen Jesus oder einer präexistenten Christusfigur oder des Paulus orientiert [sei], sondern am Christusmythos selber“403. Keineswegs bildet mit Betz – und an diesen anknüpfend Otto Merk – die Orientierung der Nachahmungsvorstellung am Heilsgeschehen die Differenz zur Nachfolge.404 Zwar ist eine solche Orientierung in der Bezugnahme auf Christi Leiden, seinen Statusverzicht und seinen Tod, selbstverständlich eingeschlossen; und das neue Sein 1m Wqist`, welches die paulinische Ethik auf das Handeln hin entfaltet, ist Folge des Heilsgeschehens. Aber all dies lässt sich, wie die Untersuchung von Phil 2,1 – 5 aufzeigen konnte, nicht trennen von der „ethischen (…) Vorbildlichkeit“405 Christi. Ulrich Luz betont daher zu Recht gegen Betz und Merk: „Gewiß ist dieser Herr Grundlage des Heils und des Lebens, nicht nur Modell und Vorbild, aber eben auch Vorbild“406. Insbesondere zeigt sich diese Vorbildfunktion in Phil 2,3 f, wo Paulus durch die Verknüpfung der Paraklese mit der ersten Hälfte des Christuspsalms die geforderte Niedrigkeitsgesinnung in Analogie zum Handeln Christi und der sich darin ausdrückenden Gesinnung setzt, desgleichen auch, wenn er in 3,5 – 11 sein eigenes Handeln demjenigen Christi parallelisiert. Hieran erweist sich aber auch Wolfgang Schrages These, Nachahmung Christi beziehe sich nicht auf den irdischen Jesus407, als unhaltbar. Die von Paulus angemahnte Niedrigkeitsgesinnung knüpft terminologisch nicht an die Menschwerdung Christi (2,7: 2aut¹m 1j´mysem), sondern an die Erniedrigung des „Mensch403 Betz, Nachfolge und Nachahmung, 168; vgl. auch im Anschluss an Betz Merk, Nachahmung, 203. 404 Vgl. Betz, Nachfolge und Nachahmung, 168; Merk, Nachahmung, 203 f. 405 Betz, Nachfolge und Nachahmung, 168. 406 Luz, Nachfolge, 685. Allerdings stellt Luz insbesondere die Nähe „zur Nachfolgeüberlieferung der Evangelien“ (685) heraus, ohne auf die Charakteristik des paulinischen Nachahmungsgedankens und dessen Differenz zur Nachfolge, welche er jedoch ausdrücklich als vorhanden konstatiert, einzugehen. 407 Vgl. Schrage, Ethik, 214.
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gewordenen“408 (2,8: 1tape¸mysem 2autºm) in den Tod an. Ließe sich an dieser Stelle zwar Paulus’ freie, inhaltlich von diesem abweichende Rezeption des Psalms anführen, so bezieht sich allerdings in 3,10 sein Beispiel einer Gleichgestaltung mit Christi Tod unabweislich auf den irdischen Jesus. Ebenso wenig handelt es sich jedoch um einen rein graduellen Unterschied zwischen Nachahmung und Nachfolge. Ein solcher ergibt sich bei David Sim: „Die Forderung zur N[achfolge] Jesu bezieht sich jetzt nicht mehr so sehr auf die Weiterführung seiner Verkündigung und seines kompromißlosen Lebensstiles (…), vielmehr werden die Christen nun ermutigt mehr allg[emein] seinem Charakter und seiner Haltung nachzueifern.“409 Hier wird Nachahmung letztlich zu einer inhaltlich nicht näher fassbaren Weiterentwicklung der Nachfolge ohne konkrete Handlungsnormen. Richard A. Burridge wiederum übersieht in seiner aktuellen umfassenden Untersuchung zur Nachfolge im Neuen Testament410 die Besonderheit des paulinischen Nachahmungsgedankens, indem er unzureichend zwischen denjenigen Stellen, welche die Wortgruppe lile?shai enthalten, und den weiteren eine Christusentsprechung thematisierenden Stellen bei Paulus differenziert. Burridge erachtet daher die Entsprechung zu Christi Selbstpreisgabe im Sinne einer Ausrichtung nicht auf sich selbst, sondern auf den Nächsten als entscheidenden Inhalt der Nachahmungsforderung.411 Dass Nachahmung Christi auch den Aspekt der Orientierung am Wohl des Nächsten bzw. der Ekklesia einschließt, zeigt 1. Kor 11,1, aber in 1. Thess 1,6; 2,14 und 1. Kor 4,16 fehlt er völlig, während er in Phil 3,17, die literarische Einheitlichkeit des Briefs vorausgesetzt, nur mittelbar auf horizontaler Briefebene einfließt. Nachahmung meint bei der Mehrzahl der paulinischen Belege eine Entsprechung im Leiden, ohne einen (direkten) Bezug auf das Sozialverhalten der Christen. Der Gedanke der Selbstpreisgabe ist wiederum nur in Phil 3,17 mit der Nachahmungsvorstellung verbunden, wo Paulus an sein Beispiel eines demjenigen Christi analogen Statusverzichts, Leidens und Sterbens anknüpft. Demgegenüber wird gerade die Entsprechung im Leiden als ein inhaltliches Spezifikum der Nachahmungsvorstellung zu erachten sein, wie er in den mit lile?shai und Derivaten gebildeten Aussagen begegnet. Nachahmung scheint in ihrem Ursprung explizit Leidensnachahmung zu bedeuten. Die Ausrichtung auf den Vorteil der Ekklesia und ihrer Glieder tritt als ein weiterer ethischer Aspekt erst später hinzu. Einer weiteren Beobachtung zu Paulus’ Gebrauch der Nachahmungsvorstellung kommt für die Frage der Verknüpfung von Christologie und Ethik besondere Bedeutung zu: Der unmittelbare Christusbezug der Nachahmung 408 409 410 411
Ebd., 214. Sim, Nachfolge, 5 (Hervorhebung HW). Burridge, Imitating Jesus (2007). Vgl. ebd., 148.
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tritt zurück. Das nachzuahmende Vorbild wird durch Paulus selbst, seine Mitarbeiter oder die Gemeinden in Judäa vermittelt. In 1. Thess 1,6 und 1. Kor 11,1 wird die Nachahmung zwar auch auf den Herrn bzw. auf Christus bezogen, doch erst nachdem zur Nachahmung des Apostels (und seiner Mitarbeiter) aufgefordert bzw. die Nachahmung bestätigt wurde; der Christusbezug erscheint nachgeordnet. Auch wird der in Verbindung mit der Nachahmung in 1. Thess 1,7 und Phil 3,17 begegnende Begriff t¼por nicht für Christus gebraucht: T¼poi sind die Thessalonicher „allen Gläubigen in Makedonien und Achaia“ geworden; sich selbst sowie wahrscheinlich auch Epaphroditus und Timotheus412 bezeichnet Paulus als t¼por für die von ihm im Phil angemahnte Lebensführung. Ausgehend von Phil 3,17 wird deutlich, dass der Grund für den nur indirekten Christusbezug der Nachahmungsforderung nicht in Paulus’ oder überhaupt einem frühchristlichen Vorbehalt gegenüber einer vorbildethisch zu verstehenden Nachahmung Christi liegt.413 Paulus’ vorangehende Parallelisierung seines Beispiels mit demjenigen Christi spricht ebenso gegen eine derartige Zurückhaltung, wie die direkte Bezugnahme der Paraklese in Phil 2 auf Christi Vorbild. Dieses stellt in 2,3ff unmittelbar einen ethischen Orientierungspunkt für die Gemeindemitglieder dar. Sie sollen in ihrer Gesinnung derjenigen Christi entsprechen, die sich in dessen Erniedrigungshandeln ausdrückt. Dies spricht gleichzeitig gegen eine grundsätzliche Vermittlung der Leidensnachahmung durch ein spezifisch apostolisches Leiden des Paulus.414 Auch findet eine damit verbundene Differenzierung zwischen apostolischem Leiden und Gemeindeleiden im Phil keine Anhaltspunkte.415 Beschreibt Paulus in 3,5 f seinen ehemaligen Status analog zu den Gemeindemitgliedern als Bewohnern der römischen Kolonie Philippi vertrauten paganen Vorzügen, so liegt ihm hier gerade nicht an einer Unterscheidung seines Leidens von demjenigen der Gemeinde, sondern umgekehrt an der Entsprechung beider zueinander. Daher schildert er seine Statusverzicht um Christi willen auch nicht als Berufung zum Apostel, sondern als Bekehrung, wie sie die Philipper ebenfalls erfahren haben. Sein Beispiel einer Leidensnachahmung ist, anders als in 1. Kor 4,9 – 13 und 2. Kor 4,7 – 12; 11,24 – 33, hier nicht primär dasjenige des Apostels, sondern des Christen Paulus. Des Weiteren identifiziert Paulus 412 Vgl. unten. 413 Vgl. dahingehend Schulz, Nachfolgen und Nachahmen, 288. 414 Vgl. dahingehend Wolter, Apostel, 234. Nach Wolter hat Paulus in seinen Leiden als Apostel Gemeinschaft mit Christus. Die Gemeinden wiederum werden über ihre Gemeinschaft mit Paulus in diese Leidensgemeinschaft mit hinein genommen. Mit einem spezifischen Bezug der Nachahmungsvorstellung auf den Apostel als „Repräsentant[en]“ und „Mittler“ der „Norm christlichen Handelns“ rechnet Lohmeyer, Philipper, 151. Diese Annahme hat allerdings 1. Thess 2,14 gegen sich, wo es nicht der Apostel, sondern die Gemeinden Judäas sind, welche die Thessalonicher nachahmen. 415 Vgl. für eine dahingehende Unterscheidung neben Wolter auch Ehrhardt Gttgemanns, Der leidende Apostel, 324ff u. ö. Güttgemanns sieht Paulus’ apostolisches Leiden als Epiphaniegeschehen grundsätzlich vom Leiden der Gemeinde unterschieden.
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bereits in 1,30 seinen Kampf, seine Leidenserfahrungen, mit denjenigen der Gemeinde, um auf diese Weise seine Adressaten zur Annahme des Leidens um Christi willen zu motivieren. Eine Unterscheidung zwischen Paulus’ Leiden als Apostel und dem Leiden der Gemeinde trifft im Phil gerade nicht zu. Liegt der Grund für das partielle Zurücktreten des Christusbezugs weder in der Zurückhaltung gegenüber einer direkten vorbildethischen Bezugnahme auf Christus, noch in einer Differenzierung zwischen Apostel- und Gemeindeleiden, so scheint hierin vielmehr ein weiterer Aspekt der paulinischen Ethik, insbesondere der Nachahmungsvorstellung, zutage zu treten: Für Paulus kann Christi Vorbild durch das Beispiel anderer Christen veranschaulicht werden, und gerade diese Veranschaulichung dient der Umsetzung der Nachahmung im Leben der Gemeinde. Besonders deutlich wird dies im Phil. Auf die Paraklese 1,27 – 2,18 folgen, wie noch zu zeigen sein wird, insgesamt drei Beispiele für ein Christus analoges Handeln bzw. eine Christus analoge Gesinnung: Paulus’ Mitarbeiter Timotheus, welcher die Forderung, nicht das Eigene zu suchen erfüllt (2,21)416, der Gemeindegesandte Epaphroditus, der „um des Werks Christi willen dem Tod nahe417 gekommen“ ist (2,30), und schließlich Paulus’ eigenes Beispiel seines Statusverzichts, Leidens und Sterbens in Entsprechung zu Christi Vorbild.418 Die drei Vorbilder Timotheus, Epaphroditus und Paulus veranschaulichen beispielhaft einen Lebenswandel, wie der Apostel ihn von den Adressaten fordert.419 Auf diese Weise begegnet das Vorbild Christus zwar vermittelt, aber, wie 2,1 – 11 zeigt, nicht aus dem Grund, weil Paulus einen direkten Christusbezug der Paraklese ablehnte. Die Vermittlung erfolgt vielmehr aus einem praktischen Grund, um der Gemeinde den geforderten Lebenswandel an Beispielen ihnen bekannter Christen – die damit wiederum selbst zu Vorbildern werden – nahe zu bringen. Deshalb führt Paulus den Philippern sich selbst und andere vor Augen und empfiehlt ihnen nicht zuletzt den zurückkehrenden Gemeindegesandten Epaphroditus als Vorbild für die notwendige Leidensnachahmung.420 Schwer zu entscheiden ist die Frage, ob t¼por Bl÷r nur auf Paulus zu beziehen ist, oder ob Bl÷r als ein wirklicher Plural Timotheus und Epaphroditus einschließt. In der Forschung wird mehrheitlich die erste Auslegung vertreten.421 Timotheus und Epaphroditus würden dann nicht dezidiert als t¼por bezeichnet, sondern denjenigen zuzurechnen sein, welche in gleicher Weise wie der t¼por Paulus ihr Leben führen. Diese Auslegung ist allerdings keineswegs zwingend. Die Rede von Paulus als t¼por in 416 Vgl. 5.2.3. 417 Durch die Wendung l´wqi ham²tou stellt Paulus eine Analogie zwischen Epaphroditus’ lebensbedrohlicher Erkrankung und Christi Gehorsam „bis zum Tod“ in 2,8 her (vgl. 3.3.1). 418 Vgl. dahingehend auch Oakes, Philippians, 104, 110 f. 419 Vgl. Hawthorne, Imitation, 172 ff. 420 Vgl. 3.3.1. 421 Vgl. u. a. Bockmuehl, Philippians, 229; Mller, Philipper, 175; anders: O’Brien, Philippians, 450; Fowl, Christology and Ethics, 148.
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der ersten Person Plural ist nur deuteropaulinisch in 2. Thess 3,9 belegt und lässt somit keinen sicheren Schluss auf den Sprachgebrauch des Apostels zu.422 Gleichzeitig scheint die Annahme problematisch, dass Paulus innerhalb eines Satzes von sich selbst zunächst im Singular (sullilgta¸ lou), darauf aber im Plural redet (t¼por Bl÷r).423 Schließt t¼por Bl÷r Timotheus und Epaphroditus ein, bliebe zwar unbestimmt, wer diejenigen sind, welche gleich diesen Vorbildern wandeln424 ; allerdings hat dies eine Parallele in 2,29. Dort fordert Paulus die Adressaten auf, Epaphroditus ,mit Freuden aufzunehmen und derartige (to»r toio¼tour) in Ehre zu halten‘. Auch hier wird somit das von Epaphroditus erbrachte Beispiel auf einen unbegrenzten, nur durch ein spezifisches Verhalten definierten Personenkreis ausgeweitet.425
Unabhängig davon, ob Timotheus und Epaphroditus zu denjenigen gehören, welche in ihrer Lebensführung dem t¼por Paulus entsprechen oder, m. E. wahrscheinlicher, in der Wendung t¼por Bl÷r mit eingeschlossen sind, findet in 3,17 eine unbegrenzte Ausweitung des Kreises der Vorbilder statt. Dies geschieht, indem Paulus seine Adressaten nicht unmittelbar auf sein eigenes Vorbild bzw. die drei Vorbilder verweist, sondern auf diejenigen, welche ihren Lebenswandel gleich ihm bzw. diesen führen. Eine Beschränkung dieser Ausweitung auf „die Gemeindeführer in Philippi“426, wird dabei durch nichts angezeigt. Es erfolgt vielmehr eine Einbeziehung aller Mitglieder der Ekklesia, die diese Vorbildfunktion erfüllen. Jeder Christ kann (und soll) demnach t¼por der Christusnachahmung werden. Diese uneingeschränkte Ausdehnung des Vorbildgedankens entspricht 1. Thess 1,7, wonach die gesamte Gemeinde t¼por ist. Leidenserfahrungen haben nicht zum Abfall geführt427, so dass die Christen in Thessalonich alle zu einem Beispiel der Leidensnachahmung geworden sind. Und die Philipper wiederum können sich an all denjenigen in ihrer Gemeinde orientieren, welche ebenfalls dem Leiden nicht ausweichen.
3.2.4 Die „Feinde des Kreuzes Christi“ und der Konflikt in Philippi Diese Vorbilder setzt Paulus jedoch nicht nur in Entsprechung zu sich selbst (sowie Timotheus und Epaphroditus), sondern er stellt sie zudem den anschließend skizzierten Gegnern gegenüber. Ihr Wandel steht im Gegensatz zu dem der „Vielen“, von denen er „oft zu den Philippern geredet hat, nun aber 422 Gegen Merk, Handeln aus Glauben, 191. Allerdings sieht auch Merk in einem Verständnis als literarischen Plural nur „die wahrscheinlichste Annahme“ und fügt hinzu: „(…) Ungewöhnlich aber ist der plötzliche Wechsel vom Sing. zum Plur. innerhalb derselben Mahnung“ (191). 423 Vgl. O’Brien, Philippians, 450; vgl. auch schon die Äußerung Merks (Anm. 422). 424 Vgl. Hawthorne, Philippians, 161. 425 Zudem lässt die Formulierung (to»r ovty peqipatoOmtar) den Umfang des hiermit bezeichneten Personenkreises auch dann offen, wenn Timotheus und Epaphroditus diesem zuzurechnen sein sollten. 426 Merk, Handeln aus Glauben, 191. 427 Vgl. 1. Thess 3,5 – 8.
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weinend redet“ (3,18).428 Dieses Gegenüber zwischen denjenigen, welche dem Beispiel einer Entsprechung zu Christi Leiden in ihrem Lebenswandel folgen, und den „Feinden des Kreuzes“ weist darauf hin, dass Paulus den Mangel der Gegner gerade im Bereich der Leidensnachahmung sieht. Die Wendung „Feinde des Kreuzes Christi“ scheint nicht allein Gegner des paulinischen Evangeliums zu bezeichnen, welche dessen „Kernbotschaft (…) abweisend gegenübersteh[en]“429, noch solche, welche wie in Galatien durch die Übernahme der Beschneidung und des Gesetzes „das Ärgernis des Kreuzes beseitig[en]“430. Sondern Paulus dürfte hier konkret die mangelnde Kreuzesnachahmung als deren Charakteristikum im Blick haben. Wie das Verb peqipate?m verdeutlicht, geht es um eine Frage der Lebensführung.431 „Feinde des Kreuzes“ sind offenbar Menschen, welche dem notwendigen Christus analogen Leiden auszuweichen trachten.432 Schinkel verweist in diesem Zusammenhang auf die besondere Anstößigkeit der Kreuzesbotschaft für römische Hörer und somit gerade in Philippi. Nach der berühmten Stelle Cicero, Pro Rabirio 5,16 soll „selbst das Wort Kreuz“ fern sein von „Gedanken, Augen und Ohren“ römischer Bürger.433 Hieran anknüpfend lässt sich erwägen, ob Paulus mit der Betonung des Kreuzes in 3,18 und in 2,8 eine denkbar größte Entgegensetzung zu den Werten der paganen Umwelt seiner Empfänger beabsichtigt. Fordert der Apostel, anstatt ein „Feind des Kreuzes“ zu sein, die Nachahmung Christi bis zum Tod, „zum Kreuzestod aber“ (2,8), so fände das Gegenüber zwischen paganen Werten und paulinischer Paraklese hierin seine schärfste Ausprägung. Von da aus ließe sich der Verweis auf Christi Todesart, welchem innerhalb des Psalms selbst keine eindeutige Funktion zugewiesen werden konnte434, als paulinische Ergänzung erklären. Eine das Erniedrigungshandeln Christi abschließende Hervorhebung des Kreuzes passt zum Nahkontext, indem damit, ähnlich wie mit der Forderung nach einer Niedrigkeitsgesinnung in 2,3, eine Umwertung der seinen Empfängern geläufigen paganen Werte erfolgt. Paulus würde in diesem Fall der hohen Wertschätzung von Status und Ehre nicht allein Christi Statuspreisgabe und Erniedrigung bis zum Tod, sondern als äußersten Kontrast den Kreuzestod gegenüberstellen.435
Vgl. die Gegenüberstellung durch das zweimalige peqipate?m. Schinkel, Bürgerschaft, 91. Mller, Philipper, 178. Vgl. O’Brien, Philippians, 453. Vgl. Lohmeyer, Philipper, 152 f; Dibelius, Philipper, 93; Kçster, Purpose, 325; Gnilka, Antipaulinische Mission, 268. 433 Vgl. Schinkel, Bürgerschaft, 91 ff. 434 Vgl. 2.2.2. 435 Zur dahingehenden Funktion der expliziten Erwähnung des Kreuzestods vgl. Hellerman, Reconstructing Honor, 143, der allerdings mit einer paulinischen Abfassung des Psalms als Ganzem rechnet. 428 429 430 431 432
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Eine weitergehende Charakterisierung der Gegner bietet V. 19. Da die Annahme einer jüdischen Gegnerfront in Philippi historisch problematisch und hier aufgrund von Paulus’ anschließendem Verweises auf das himmlische Politeuma unwahrscheinlich ist, wird ihre Charakterisierung durch ¨m b he¹r B joik¸a ja· B dºna 1m t0 aQsw¼m, aqt_m („deren Gott der Bauch und [deren] Ehre in ihrer Schande ist“) nicht auf die Einhaltung jüdischer Speisegebote und ein Sich-der-Beschneidung-Rühmen zu beziehen sein.436 Mit Schinkel ist stattdessen auf den Gebrauch von joik¸a in 1. Kor 6,13 und Röm 16,18 zu verweisen.437 Nach 1. Kor 6,13 wird Gott sowohl den Bauch als auch die Speisen zunichte machen. Sie sind etwas Vorläufiges, Irdisches. Röm 16,17 f warnt Paulus vor Irrlehrern, welche „nicht unserem Herrn Christus, sondern ihrem eigenen Bauch dienen“. Hier steht joik¸a als Metapher für irdische Ziele dem Dienst für Christus gegenüber. Vor dem Hintergrund dieser beiden Stellen und dem die Charakterisierung der Gegner abschließenden oR t± 1p¸ceia vqomoOmter („die das Irdische sinnen“) wird die Wendung b he¹r B joik¸a in Phil 3,19 in dem Sinne verständlich, dass es den Gegnern nicht um Christus gehe, sondern sie einzig auf irdische Dinge ausgerichtet seien. Diese, von Paulus zugespitzt: ihr „Bauch“, seien ihr Gott. Darin, dass ihr „Gott der Bauch und [ihre] Ehre in ihrer Schande ist“, drückt sich ihre irdische Gesinnung aus. Im zweiten Teil dieser Charakterisierung dürfte das Gegenüber von dºna (Ehre) und aQsw¼mg (Schande)438 als Anspielung auf die hohe Wertschätzung von Status und Ehre in der römischen Kolonie Philippi aufzufassen sein. Dann widerspricht Paulus hier ausdrücklich den in Philippi verbreiteten Ehrvorstellungen der Gegner. Dies korrespondiert den sich in 2,3 f andeutenden Spannungen, auf welche der Apostel mit der Mahnung zu einer Niedrigkeitsgesinnung reagiert. Auch dort erfolgt bereits eine Umwertung dieser Ehrvorstellungen, wenn Paulus eine Ausrichtung auf Ehre als 1qihe¸a (Eigennutz / niederträchtige Selbstsucht) und jemodon¸a (leere Ehrsucht) charakterisiert und ihr die geforderte tapeimovqos¼mg gegenüberstellt. Eventuell steigert er im Anschluss das Gegenüber zu den paganen Ehrvorstellungen noch durch die ergänzende Erläuterung des Todes Christi als Kreuzestod (2,8). 436 Vgl. 3.2.1. 437 Vgl. auch zum Folgenden Schinkel, Bürgerschaft, 98. 438 Schinkel, Bürgerschaft, 98 zieht die Übersetzung mit „Scham“ vor und sieht in der Wendung eine Anspielung auf die Ablehnung des Kreuzes Christi: „(…) Sie schämen sich des Kreuzes Christi, verleugnen es und werden so in der Sprache des Paulus zu ,Feinden des Kreuzes‘“ (vgl. dahingehend auch Eckey, Philipper, 135). Gegenüber diesem Verständnis gilt es allerdings zu beachten, dass der Konflikt in Philippi weniger den Inhalt der Verkündigung betrifft (die Wortgruppe jgq¼sseim fehlt mit Ausnahme von 1,15 im Phil) als vielmehr die Lebensführung (3,18: peqipate?m) und die Orientierung an bestimmten Werten. Gnilka, Philipperbrief, 205; Mller, Philipper, 180 f verstehen aQsw¼mg u. a. vor dem Hintergrund von Paulus’ Verwendung des Verbs aQswumh¶setai in 1,20 für sein eigenes Ergehen mit „Zuschandenwerden“ (Mller, Philipper, 180) und beziehen die Wendung auf das eschatologische Geschick der Gegner. Kritisch hierzu u. a. aufgrund des Gebrauchs des Substantivs aQsw¼mg im NT vgl. Bockmuehl, Philippians, 231.
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Die inhaltliche Nähe zur Paraklese 1,27 – 2,18 (das Problem der Annahme von Leiden und der Bedeutung von Status und Ehre) macht es aber wahrscheinlich, dass Paulus in beiden Briefabschnitten auf ein und denselben Konflikt reagiert. Vor dem Hintergrund von 3,17 – 19 scheint nunmehr eine Näherbestimmung dieses Konflikts möglich: 1.) Weist das Verhältnis zwischen 1,27 – 30 und 2,1 – 4 (5 – 11) als allgemeine und konkrete Paraklese darauf hin, dass die Leidenserfahrungen auch Hintergrund der Mahnung zur Niedrigkeitsgesinnung sind und daher beide sich andeutenden Problembereiche, der Umgang mit Leiden und die Hochschätzung von Status und Ehre, in Verbindung miteinander stehen, so findet dies hier seine Bestätigung. Einerseits sieht Paulus den Mangel der „Feinde des Kreuzes Christi“ in deren fehlender Leidensnachahmung, andererseits charakterisiert er sie unter Rückgriff auf die Kategorien Ehre und Schande. 2.) Die bis hierhin übergangene Wendung ¨m t¹ t´kor !p¾keia („deren Ende Verderben ist“) weist darauf hin, dass Paulus offenbar keine innergemeindlichen Gegner vor Augen hat und somit nicht auf einen Konflikt zwischen einzelnen Personen oder Gruppen in der Gemeinde reagiert.439 Ein Bezug von !p¾keia in 3,19 auf Gemeindemitglieder scheint mit der paulinischen Ekklesiologie unvereinbar, wonach die Gemeinde einen „sündenfreie[n] Raum“440 darstellt. Die Ekklesia ist für Paulus effektiv heilig „als erwählte und geheiligte Schar der Endzeit, die in den Sieg Jesu über Sünde und Tod mit hineingenommen ist und im Gericht bestehen wird.“441 Eine eschatologische Verwerfung ist für die Gemeindemitglieder gerade ausgeschlossen. Hingegen bezeichnet der Apostel bereits in 1,28 mit !p¾keia das Schicksal der die Gemeinde bedrohenden paganen Widersacher, dem das Heil der Mitglieder der Ekklesia gegenüber steht.442 Unter Einbeziehung des Gesamtbriefs legt es sich nahe, in den „Feinden des Kreuzes Christi“ ehemalige Mitglieder zu sehen, welche die Gemeinde aufgrund von Leidenserfahrungen verlassen haben. So finden sich wiederholt Hinweise darauf, dass Paulus sich um ein Verbleiben der Philipper im Heilsbereich sorgt. In 4,1 fordert er die Adressaten ausdrücklich zur Standhaftigkeit auf. Implizit erfolgt eine dahingehende Aufforderung auch in 1,27, indem der Apostel seiner Erwartung eines gemeinsamen Kampfes der Adressaten Ausdruck verleiht. Erhebt er diese implizite Aufforderung zur Standhaftigkeit in Zusammenhang mit der Bedrohung durch die pagane Umwelt, unterstreicht dies, dass es die Leidenserfahrungen sind, welche diese Standhaftigkeit bei 439 Gegen einen Bezug auf Gemeindemitglieder vgl. auch Schoon-Janßen, Umstrittene Apologien, 150. 440 Schnelle, Theologie, 313. 441 Schnelle, Paulus, 648. 442 Eine Identifizierung mit den Gegnern aus 1,28 (vgl. dahingehend Schmithals, Irrlehrer, 50, 53 f) ist allerdings durch nichts angedeutet. Die „Feinde des Kreuzes Christi“ werden gerade nicht als Urheber von Leidenserfahrungen beschrieben, sondern als Menschen, welche diese Leidenserfahrungen nicht annehmen.
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einigen Gemeindemitgliedern gefährden. Auch darüber hinaus geht Paulus wiederholt auf die Frage des Durchhaltens bis zur Heilsvollendung ein. Besonders auffällig ist dabei, dass im Proömium (1,3 – 11) gleich zweimal ein eschatologischer Ausblick begegnet (V. 6.10). Während der Apostel in 1,10 die ethische Entwicklung der Philipper hin zur Erkenntnis des Wesentlichen mit der Lauterkeit am Tag Christi motiviert, drückt er in 1,6 sein Vertrauen darauf aus, dass „der, welcher in euch ein gutes Werk angefangen hat, dieses bis zum Tag Christi Jesu vollenden wird.“443 In 1,28 motiviert Paulus den Leidenskampf der Adressaten mit dem Ausblick auf ihr Heil und das Verderben der Widersacher. Hier begegnet somit ein eschatologischer Ausblick dezidiert in Verbindung mit den Leidenserfahrungen der Gemeindemitglieder. Nachdem Paulus sie in 2,12 mit der Mahnung „mit Furcht und Zittern erwirkt euer Heil“ in 2,12 zur Heilsvollendung auffordert, motiviert er sie anschließend in V. 16 – 18 am „Wort des Lebens“ festzuhalten durch den Verweis auf sein eigenes, vom Erfolg seiner Missionsarbeit abhängiges eschatologisches Geschick.444 In die Situation eines bereits erfolgten und weiterhin drohenden Abfalls von Gemeindemitgliedern ordnet sich auch eine weitere Beobachtung ein, welche schon in der älteren Forschung als ein Hinweis auf Konflikte gewertet wurde445, die häufige Verwendung von p÷r in Bezug auf die Gemeinde insbesondere innerhalb des Prskripts und Proömiums. Der Brief richtet sich an „alle Heiligen“ (p÷sim "c¸oir [1,1]); Paulus versichert, dass er „für alle“ bete (1,4) und sich „nach allen“ sehne (1,8).446 Die Annahme, dass sich hierin weniger Spaltungen innerhalb der Gemeinde andeuten447, sondern der Apostel vielmehr auf einen drohenden Verlust weiterer Gemeindemitglieder reagiert, wird gestützt durch den Gebrauch von p²mter rle?r in 1,7 unmittelbar bezogen auf die Heilsvollendung. Nachdem Paulus im vorangehenden eschatologischen Ausblick (V. 6) sein Vertrauen auf die von Gott selbst gewirkte Heilsvollendung ausgesprochen hat, betont er im Anschluss, es sei „recht“ (d¸jaiom), „dies von euch allen zu denken“ (toOto vqome?m rp³q p²mtym rl_m). ToOto vqome?m ist dabei auf V. 6 zurück zu beziehen.448 Paulus drückt hier somit einleitend seine Überzeugung aus, die Philipper würden „alle“ an der von Gott gewirkten Heilsvollendung Anteil haben. Erneut in eschatologischem Zusammenhang begegnet p²mter rle?r in 2,17. Auch hier geht es um 443 Zum Gebrauch dieses Motivs in Phil 1,6.10 und 1. Kor 1,8 im Hinblick auf das noch ausstehende endgültige Heil der Adressaten vgl. N. Wendebourg, Tag des Herrn, 172 ff. Wendebourg berücksichtigt allerdings nicht ausreichend, dass im Proömium des Phil der eschatologische Ausblick auffälligerweise gleich zweimal erfolgt, und formuliert daher: „Über den Zustand der Gemeinde in Philippi ist der Apostel glücklich. Ihr gegenüber kann er deshalb herausstreichen, daß sie (…) zum Ausgang des Gerichts einen positiven Beitrag zu leisten vermag.“ 444 Vgl. 3.1.4. 445 Vgl. 1.3.3. 446 Jeweils p²mter rle?r (vgl. auch 1,7.25; 2,17.26); zu p÷r ûcior vgl. auch im Postskript 4,21 f. 447 Vgl. Peterlin, Philippians, 26 ff. 448 Vgl. Schenk, Philipperbriefe, 102; Mller, Philipper, 44.
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das Durchhalten der Philipper, diesmal hinsichtlich des eschatologischen Geschicks des Apostels. Dieser würde sich, wenn sie „am Wort des Lebens“ (V. 16) festhalten, „mit ihnen allen“ sogar über seinen eigenen Tod freuen (sucwa¸qy p÷sim rl?m [V. 17]). Dass der Abfall gerade aufgrund von Leidenserfahrungen im Urchristentum ein Problem darstellt, zeigt sich bei Paulus in 1. Thess 3,1 – 8. Um die bedrängte Lage der auch hier offenbar mehrheitlich heidenchristlichen Gemeinde449 wissend schickt Paulus Timotheus nach Thessalonich, „damit niemand in diesen Bedrängnissen erschüttert werde“ (3,3). Dieses Problem begegnet ebenfalls bei den Synoptikern. In der Auslegung des Gleichnisses vom Sämann werden die auf den Felsboden Gesäten als solche charakterisiert, welche, „wenn Bedrängnis und Verfolgung um des Worts willen entsteht, sogleich abfallen“ (Mk 4,17 par). Für den Autor des Hebr machen es nicht zuletzt die Leidenserfahrungen der Adressaten erforderlich, diese zum Ausharren zu ermahnen (vgl. 10,34 – 36; 11,35 – 12,7).450 Die Rolle, welche der Hochschätzung von Status und Ehre im Rahmen des Konflikts um Leidenserfahrungen zukommt, erklärt sich unter Berücksichtigung zweier Punkte: 1.) ist aufgrund der Abgrenzung vom paganen Alltagsleben, der Nicht-Teilnahme an den Festen und Kulten, mit einem Verlust von Ansehen zu rechnen, welcher mit einer Rückkehr zur paganen Religiosität wieder korrigierbar ist. 2.) gilt es den wirtschaftlichen Aspekt urchristlicher Leidenserfahrungen und den damit verbundenen sozialen Abstieg zu berücksichtigen. Ansehen und soziale Stellung aber sind, wie der Gebrauch der Wortgruppe tapeimºr verdeutlicht451, entscheidend miteinander verknüpft. Ehre erlangt der antike Mensch nicht zuletzt durch seinen von der Umwelt wahrgenommenen Wohlstand.452 Auf die Leidenserfahrungen, u. a. auf den Statusverlust, reagieren offenbar einige Gemeindemitglieder in der Weise, dass sie zurück in ihre ehemalige soziale Stellung streben, ihren ehemaligen Status durch Re-Assimilation an ihre Umwelt wiederzuerlangen trachten. Und dies führte bei einigen von ihnen zu einem Verlassen der Gemeinde. Ein solcher Abfall wird nicht zwingend als ein einzelner Akt zu verstehen sein. Es ist ebenso an eine schrittweise Re-Assimilation an die pagane Umwelt zu denken als ein Versuch, auf diese Weise den negativen Folgen des Christseins im Alltag, dem Leiden, zu entgehen.453 Die neuerliche Teilnahme an Kulten und Festen und damit die Aufgabe der eigenen Abgrenzung gegenüber den anderen Bewohnern der Kolonie erscheint unter zwei Gesichtspunkten als 449 Vgl. die Gegenüberstellung der Juden und der Landsleute (sulvuketo¸) der Adressaten in 2,14. 450 Vgl. auch das Thema des Ausharrens im Leiden in Offb 1,9; 3,10 und der Versuchung durch die Leidenserfahrungen in Offb 2,10. 451 Vgl. 3.1.3.2. 452 Vgl. Hellerman, Reconstructing Honor, 38 ff. 453 Schinkel, Bürgerschaft, 95 rechnet damit, dass einige Gemeindemitglieder einen Kompromiss zwischen der Zugehörigkeit zur Ekklesia und zum irdischen Gemeinwesen (inklusive Kultteilnahme) einzugehen versuchen.
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ein gangbarer Weg, Leidenserfahrungen zu umgehen: 1.) Wenn es sich bei diesen weniger um behördliche Maßnahmen als um die Reaktion der Mitmenschen auf diese Abgrenzung handelt, lassen sich die sozialen Folgen des Christseins als auch unmittelbare Übergriffe durch die Aufgabe dieser Abgrenzung reduzieren oder umgehen. 2.) ist zu berücksichtigen, dass eventuelle Maßnahmen der philippischen Behörden weniger eine Reaktion auf das Christsein an sich darstellen dürften, sondern vielmehr auf die Nicht-Teilnahme der Christen an den paganen Kulten. Diese lassen sich somit auch ohne explizite Aufgabe des Christseins vermeiden.454 Ein solcher Re-Assimilationsprozess kann freilich wie bei den „Feinden des Kreuzes“ mit einem völligen Rückzug aus der Gemeinde enden. In einer derartigen teilweisen Re-Assimilation an die Umwelt und einen drohenden Abfall könnte der Anlass für die Mahnung an Euodia und Syntyche liegen.455 Ist die Gemeindesituation insoweit korrekt erfasst, verdeutlicht sich auf dieser Grundlage die Zielsetzung der Mahnungen zur Einheit in 1,27 und 2,2 – 4. Diese werden zunächst im Hinblick auf ein Verbleiben in der Ekklesia und eine alleinige Konzentration auf deren Erfordernisse zu verstehen sein. Fordert Paulus einen Altruismus um der Gemeinschaft willen, so wird dieser Altruismus dezidiert den Verzicht auf einen Statuserhalt durch Re-Assimilation an die Umwelt und die ungeteilte Zuwendung zur Gemeinde und deren weiteren Gliedern bedeuten. Über die konkrete Form der Zuwendung zu dem Mitchristen, welche Paulus als „die selbe Liebe haben“ (V. 2) und „einander als höher stehend erachten als sich selbst“ (V. 3) umschreibt, lässt sich nur spekulieren. Vor dem Hintergrund, dass die Leidenserfahrungen der Philipper nicht zuletzt in sozialer Ausgrenzung und den daraus resultierenden wirtschaftlichen Folgen bestehen dürften456, könnte eine solche Zuwendung z. B. in der gegenseitigen finanziellen Unterstützung der Gemeindemitglieder untereinander Ausdruck finden.457 454 Dass die Christen für die philippischen Behörden Mitte der 50er Jahre des 1. Jh. (so bei einer Abfassung des Phil in Ephesus) bereits als eine per se zu bekämpfende Gruppierung gelten, ist m. E. eher unwahrscheinlich. Zunächst genießt auch der „Christuskult“ die faktische Religions- und Kultfreiheit des Imperium Romanum (vgl. 4.2). Behördliche Maßnahmen werden vielmehr dadurch veranlasst sein, dass die Christen die paganen Kulte ablehnen, was ihre Loyalität mit Stadt und Staat infrage stellt. 455 Vgl. 3.2.7. 456 Vgl. Oakes, Philippians, 96ff; Peterlin, Philippians, 219; allgemein für das frühe Christentum Wolter, Apostel, 219 f. Auch körperliche Übergriffe sind selbstverständlich nicht auszuschließen (anders: Peterlin, Philippians, 219). Schon Paulus und Silas war derlei in Philippi widerfahren (vgl. 1. Thess 2,2: pqopahºmter ja· rbqish´mter […] 1m Vikippo?r). 457 Ausführlich zu den potentiellen wirtschaftlichen Konsequenzen für Christen und den daraus abzuleitenden innergemeindlichen Erfordernisses vgl. Oakes, Philippians, 89 ff. Oakes Annahme, die Mahnung ziele schwerpunktmäßig auf die finanzielle Unterstützung der ärmeren, von den wirtschaftlichen Folgen besonders betroffenen Gemeindemitglieder durch die wohlhabenderen, lässt sich allerdings am Text nicht verifizieren (vgl. 100 f). So findet sich in Verbindung mit den Mahnungen zur Einheit in 1,27 und 2,2 – 4 kein dezidierter Hinweis auf
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Einen Hinweis darauf, dass die Leidenserfahrungen u. a. in den wirtschaftlichen Folgen der gesellschaftlichen Isolation zu sehen sind, könnte der Abschnitt 4,10 – 20 geben. Nach 4,16 hat die Gemeinde in der Zeit nach ihrer Gründung den Apostel wiederholt materiell unterstützt.458 4,10 zufolge scheint Paulus zum Zeitpunkt der Abfassung des Phil jedoch seit längerer Zeit keine neuerliche Unterstützung mehr erhalten zu haben.459 Allerdings hebt er hervor, dass die Philipper dies zwar beabsichtigt, allerdings keine Möglichkeit dazu gehabt hätten. Dies könnte darauf hindeuten, dass sich die finanzielle Situation der Gemeinde zwischenzeitlich verschlechtert hat. Während anfangs eine mehrmalige materielle Unterstützung binnen kurzer Zeit möglich war, so war die Gemeinde in der Folge eventuell nicht mehr zu regelmäßigen Spenden in der Lage.
Von dieser Konfliktsituation her erschließen sich nunmehr auch weitere Beobachtungen in Phil 3. Zunächst lässt sich die Wendung ¨m (…) B dºna 1m t0 aQsw¼m, aqt_m (V. 19) als eine Anspielung auf den durch die Re-Assimilation an die pagane Umwelt vermeintlich wiederzuerlangenden oder zu erhaltenden Status und die mit diesem verbundene Ehre konkretisieren. Was aus Sicht der „Feinde des Kreuzes“ ihre Ehre wieder herstellen bzw. erhalten soll, bedeutet gerade nicht Ehre, sondern ist, da dies mit dem Verlassen der Ekklesia einhergeht, vielmehr als „Schande“ aufzufassen. Dem bereits erfolgten Abfall von der Gemeinde und der Gefahr eines Verlusts weiterer Mitglieder entspricht Paulus’ starke Betonung der negativen Sicht auf seine ehemaligen Vorzüge, die er als Kot (t± sj¼baka) bezeichnet. Bei einigen Christen in Philippi ist es, anders als bei Paulus, nicht mehr so, wie zum Zeitpunkt der Bekehrung. Negative Konsequenzen, die sich im Alltag aus ihrem Christsein ergeben, lassen ihnen dessen Sinn bzw. die Wirkmächtigkeit des christlichen Gottes als fragwürdig erscheinen.460 Demgegenüber stellt der Apostel heraus, dass er noch immer, aus gegenwärtiger Sicht sogar erst recht seinen ehemaligen Status angesichts der angestrebten „Erkenntnis Christi Jesu [seines] Herrn“ als wertlos erachtet. Dieses Bekenntnis erhält besonderes Gewicht unter der Voraussetzung, dass Paulus zu diesem Zeitpunkt in Haft eine solche Zielsetzung. Auch in Verbindung mit der ihm von den Philippern überbrachten Spende geht Paulus hierauf nicht ein, wobei gerade dieses Thema einen Anknüpfungspunkt für eine Mahnung zur finanziellen bzw. allgemein materiellen Unterstützung auch innerhalb der Gemeinde bieten würde. 458 Das genaue Verständnis der Formulierung ja· 1m Hessakom¸j, ja· ûpan ja· d·r eQr tμm wqe¸am loi 1p´lxate ist in zweierlei Hinsicht unsicher: 1.) ob 1m Hessakom¸j, auch auf ja· d_r zu beziehen ist und demnach auch die wiederholte Sendung nach Thessalonich erfolgte, 2.) wie viele Sendungen es insgesamt gab (vgl. zu den unterschiedlichen Optionen Suhl, Paulus, 105 f). Unter Berücksichtigung von 2. Kor 11,8 f wird auf eine Unterstützung auch in Korinth zu schließen sein (vgl. Suhl, Paulus, 106 f, der mit insgesamt drei Spenden, deren erste Paulus in Thessalonich und deren dritte er in Korinth erhielt, rechnet). 459 9w²qgm d³ 1m juq¸\ lec²kyr fti Edg pot³ !meh²kete t¹ rp³q 1loO vqome?m: „Ich habe mich aber sehr gefreut im Herrn, dass ihr endlich einmal die Sorge für mich habt aufblühen lassen“ (Hervorhebungen HW). 460 Vgl. 4.2.
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sitzt und sogar ein Todesurteil für möglich hält (vgl. 1,20 – 26; 3,10). Selbst die existentiellste Bedrohung wiegt somit für ihn nicht den Wert der Christuserkenntnis auf. Sein scharfes Urteil über die von ihm zurückgelassenen Vorzüge erklärt sich vor dem Hintergrund der Gemeindesituation, in welches hinein er dieses spricht. Im Zusammenhang mit dieser anhaltend abwertenden Sicht des Apostels auf seine ehemaligen Vorzüge wird auch V. 13b zu verstehen sein: „Ich vergesse zwar was hinten ist, strecke mich aber aus nach dem vorne Liegenden“. Nachdem Paulus bereits in 1,27.30 die Leidenserfahrungen des Philipper als ein gemeinsames Kämpfen (sumahke?m) und einen !c_m charakterisiert hat, verwendet er in V. 13b.14 erneut Wettkampfterminologie bzw. nunmehr eine komplette Wettkampfmetapher, das sogenannte Läufermotiv.461 Dabei handelt es sich noch immer um sein mit V. 4b einsetzendes Beispiel, welches es nachzuahmen gilt (V. 17). Gerade hier kommt folglich der Verwendung von den Philippern geläufigem Gedankengut besondere Bedeutung zu. Das nachzuahmende Beispiel ist dasjenige eines Wettkampfs, es hat etwas Heroisches und ist gerade kein Beispiel für Schwachheit. Den verlorenen sozialen Status nicht zurückgewinnen zu wollen, sondern in der Gemeinde zu verbleiben und das Leiden um Christi willen auf sich zu nehmen, bedeutet die Teilnahme an diesem Wettkampf, ist also gerade ein ehrenvolles Handeln und kein stilles Erdulden. Schließlich lässt sich auch der in Phil 3 dominierende futurische Heilsaspekt vor dem Hintergrund des skizzierten Konflikts verstehen. Der erneute Rückgriff auf Motive des Wettkampfs erfolgt im Rahmen einer Selbstpräzisierung gegenüber dem Gedanken einer schon erreichten Vollkommenheit bzw. Vollendung.462 Der Apostel stellt heraus, er sei noch nicht vollkommen, wobei das Perfekt (oqw) teteke¸ylai (V. 12) anzeigt, dass er dabei an seine noch ausstehende Vollendung denkt.463 Dem entspricht das im Anschluss dreimal gebrauchte Kompositum jatakalb²meim, welches ein vollständiges Ergreifen meint.464 Paulus will vollständig ergreifen, wovon er vollständig ergriffen ist (V. 12b). Und er betont ausdrücklich, dass er nicht glaubt, (schon) vollständig ergriffen zu haben (V. 13a). Auch hier dominiert somit, wie bereits seit V. 8b, der futurische Aspekt des Noch-nicht. Im „Läufermotiv“ rückt sodann selbst die an sich bereits erfolgte Berufung als „Siegpreis der himmlischen Berufung“ (V. 14) in eine futurische Perspektive.465 In vermeintlicher 461 462 463 464 465
Vgl. auch 1. Kor 9,24. Vgl. Schinkel, Bürgerschaft, 83. Vgl. G. Barth, Philipper, 63; Mller, Philipper, 167; anders: Schinkel, Bürgerschaft, 87. Vgl. Schinkel, Bürgerschaft, 83; Delling, kalb²my, 10. Anders: Schinkel, Bürgerschaft, 85. Faktisch läuft auch Schinkels Auslegung hierauf hinaus, bleibt dabei aber zumindest missverständlich, wenn es heißt: „Wer seinen Sinn nach irdischen Dingen ausrichtet (…), der entspricht nicht der %my jk/sir und wird sie nicht als bqabe?om seines Lebenslaufes erhalten. Die %my jk/sir ist keine zukünftige Erwartung, ebenso wenig wie die %my Yeqousak¶l in Gal 4,26 als zukünftig[e] Größe gedacht ist“ (85).
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Spannung hierzu scheint zwar die Paulus selbst einschließende466 Wendung fsoi owm t´keioi (V. 15) zu stehen, welche offenbar eine schon erlangte Vollkommenheit aussagt. Hierunter wird jedoch mit der Mehrheit der Forschung die Aufnahme von Gegnerterminologie oder einer Gegnerposition zu verstehen sein, bei gleichzeitiger Korrektur dieser Position.467 So gebraucht Paulus in 1. Kor 2,6 t´keior in präsentischem Sinn, korrigiert den Vollkommenheitsgedanken allerdings dahingehend, dass er (und Andere) den „Vollkommenen“ zwar Weisheit verkündeten, jedoch nicht die Weisheit dieses Äons und seiner Herrscher, d. h. eine irdische Weisheit, sondern diejenige Gottes.468 Er korrigiert eine Ausrichtung auf irdische Dinge bzw. an irdischen Maßstäben und revidiert das seines Erachtens problematische Vollkommenheitsbewusstsein einzelner Gemeindemitglieder in Korinth. Ähnlich scheint Paulus auch in Phil 3,15 eine missverstandene Vollkommenheit in der Weise zu korrigieren, dass er auf die zukünftige Vollendung und damit auf das Ausstehen eigentlicher Vollkommenheit verweist. Wer vollkommen ist bzw. vollkommen sein will, muss seine Unvollkommenheit annehmen und sich gemeinsam mit dem Apostel auf das zukünftige Heil ausrichten; er muss eben diese Gesinnung haben (toOto vqom_lem).469 Zugleich stellt Paulus die Offenbarung der richtigen Gesinnung durch Gott in Aussicht (V. 15b). Damit begegnet erneut der schon in der Paraklese 1,27 – 2,18 hervortretende Gedanke, dass Gott selbst das Geforderte in den Empfängern wirke. Hierin wird zudem deutlich, dass Paulus, auch wo er durch die angeführten Beispiele die Entsprechung des Handelns zu demjenigen Christi in den Blickpunkt rückt, nicht einfach an eine Imitation dieses Handelns denkt. Das Christus entsprechende Handeln geht vielmehr, wie schon 2,3 f zeigt, in der jeweiligen spezifischen Situation aus einer derjenigen Christi analogen Gesinnung hervor. Die geforderte Niedrigkeitsgesinnung ist Grundlage allen Handelns.
466 Vgl. den anschließenden Kohortativ. 467 Vgl. G. Barth, Philipper, 64; Gnilka, Philipperbrief, 200 f; Mller, Philipper, 173; Walter, Philipper, 83; anders: Bockmuehl, Philippians, 225 f. 468 Vgl. Schrage, Erster Korinther I, 249. 469 Vgl. G. Barth, Philipper, 64: „Das, was sie bedenken sollen, ist ja nach V. 12 – 14, daß ein Christ immer nur unterwegs sein und also gerade nicht vollendet oder vollkommen sein kann! Christliche Vollkommenheit kann also allenfalls im Wissen um die Unvollkommenheit, um das Noch-nicht-fertig-Sein, und also im Laufen nach dem Ziel bestehen.“ Der unvollständige Relativsatz fsoi owm t´keioi tendiert somit in Richtung eines Potentialis: „So viele, die wir vollkommen sein wollen“ (vgl. G. Barth, Philipper, 62 f). Indem Paulus das Verb auslässt, bleibt der Satz gezielt in der Schwebe zwischen „schon“ und „noch nicht“. Insofern zeigt sich hier durchaus eine Dialektik zwischen bereits erreichter Vollkommenheit und noch ausstehender Vollendung, allerdings nicht als Skopus des gerade auf die zukünftige Vollendung verweisenden Unterabschnitts (gegen Standhartinger, Weisheit, 500; Schinkel, Bürgerschaft, 86). Vielmehr bietet diese Dialektik den Hintergrund dafür, dass Paulus Vollkommenheit ebenso wie Christuserkenntnis und Teilhabe Christi gleichermaßen unter präsentischem wie unter futurischem Gesichtspunkt betrachten kann.
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Das Beispiel des Paulus
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Dem Verweis auf das Ausstehen der Vollendung und dem das paulinische Beispiel seit V. 8b dominierenden futurischen Aspekt dürfte schließlich eine entscheidende Funktion im Hinblick auf das Problem der paganen Adressaten zukommen, ihre Leidenserfahrungen religiös einzuordnen. So ist zu erwägen, ob sich Paulus mit der Betonung des zukünftigen Aspekts der Erkenntnis und Teilhabe Christi und dem Verweis auf die noch ausstehende Vollkommenheit gegen eine präsentische Heilserwartung abgrenzt und damit auf ein Verständlichmachen der gegenwärtigen Leidenssituation zielt, indem er diese mit der noch ausstehenden Vollendung zu erklären versucht. Hier gilt es, die religiöse Sozialisation der heidenchristlichen Gemeindemitglieder zu berücksichtigen: Der pagane Mensch erwartet von der Religion Wohlergehen nicht erst nach seinem Tod, sondern vornehmlich im Alltag. Seine Verehrung einer Gottheit hat das Ziel, sich diese wohl gesonnen zu machen, auf dass sie ihm in den unterschiedlichen Bereichen seines Lebens beistehe. Eine Gottesverehrung, aus der Leiden resultiert, kann grundlegende von paganen Menschen an sie gerichtete Erwartungen nicht erfüllen. Leiden bedeutet demzufolge eine Infragestellung der Wahrheit der christlichen Verkündigung und kann ein Grund dafür sein, den Glauben an diesen Gott aufzugeben. Der christliche Glaube ist daher unter präsentischem Gesichtspunkt auf dem „religiöse[n] Markt der Möglichkeiten“470 gegenüber in der Kolonie praktizierten paganen Kulten nicht konkurrenzfähig, sobald aus der Sonderrolle der Christen in ihrer Umwelt negative Erfahrungen resultieren. In dieser Enttäuschung religiöser Erwartungen heidenchristlicher Gemeindemitglieder wird ein Grund dafür zu sehen sein, dass Leidenserfahrungen gerade in Philippi Auslöser eines Konflikts sind.471 Von hier aus wird Paulus’ Betonung der noch ausstehenden, erst zukünftigen Vollendung verständlich als konsequente Transzendierung paganer Heilserwartungen. Gerade weil die Vollendung noch aussteht, weil das christliche Heil noch nicht diesseitig ist472, erfahren die Philipper und Paulus Bedrängnisse bzw. Leiden. Der paganen, an die Gottesverehrung geknüpften Erwartung insbesondere diesseitigen Wohlergehens stellt Paulus das jenseitige bzw. eschatologische Heil gegenüber. Damit erklärt sich der bereits V. 8b–10 dominierende futurische Aspekt, unter welchem er die Erkenntnis Christi gerade nicht als gegenwärtige Teilhabe an Christus thematisiert. Ein Hervorkehren des präsentischen Aspekts der Erkenntnis Christi, zumal der Teilhabe an der „Kraft seiner Auferstehung“ (V. 10), wäre hier kontraproduktiv bzw. für die pagan sozialisierten Philipper, die eben schon jetzt Wohlergehen erwarten, aber stattdessen Leiden erfahren, schwerlich annehmbar. Sie sehen ihre Erwartungen gerade nicht erfüllt. Kann Paulus auf 470 Vgl. Pilhofer, Philippi zur Zeit des Paulus, 15. 471 Diese hier nur umrissene Problematik soll in Kapitel 4 anhand von Beispielen für die Wertung des Leidens im antiken paganen und jüdischen Kontext verdeutlicht werden. 472 Vgl. dahingehend auch die Aufforderung zur Heilsverwirklichung in 2,12b.
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Die Rezeption des Christuspsalms
diese Enttäuschung der Erwartungen seiner Adressaten daher nicht mit dem Verweis auf präsentisches Heil reagieren, so verweist er auf das Ausstehen letzter Vollkommenheit, der Vollendung.473 Allerdings bleibt der Apostel nicht bei diesem Verweis auf die Zukünftigkeit des Heils stehen. Keineswegs vertröstet er die Gemeinde angesichts gegenwärtiger Leidenserfahrungen schlicht durch die Aussicht auf eine umso heilvollere Zukunft. Vielmehr weist er dem Leiden eine Funktion zu als Weg hin zu diesem zukünftigen Heil. Leiden ist gerade der Weg, das Heil zu erlangen; es ist Heilsvoraussetzung. Im gemeinsamen Kampf der Philipper zeigt sich ihre Erlösung (1,28). Auferstehen mit Christus erfolgt durch Leiden und Sterben mit Christus (3,10 f), gleichwie im rezipierten Christuspsalm auch Christus erhöht wurde, da er bis zum Tod am Kreuz gehorsam war (2,8 f). Paulus stellt somit der paganen mit der Gottesverehrung verbundenen Erwartung auf irdisches Wohlergehen, welche die Leidenserfahrungen mit sich bringende Christusverehrung nicht erfüllen kann, nicht allein eine jenseitige bzw. futurische Heilserwartung entgegen, sondern er ordnet in diese Erwartung das Leiden funktional als Heilsweg ein.
3.2.5 Die exemplarischen Gegenpositionen Im Rahmen des Konflikts mit den „Feinden des Kreuzes Christi“ wird Paulus’ Auseinandersetzung mit einer potentiellen judaistischen Gegenposition sowie mit seiner eigenen Vergangenheit anknüpfend an Schinkel eine exemplarische Funktion zuzuweisen sein.474 Die scharf kritisierte Position gebraucht der Apostel beispielhaft für eine Ausrichtung auf irdische Dinge, auf gegenwärtiges Wohlergehen. Dem entspricht die Charakterisierung der Wertschätzung der Beschneidung und weiterer jüdischer Vorzüge als Vertrauen auf das Fleisch (V. 3b.4). Eine solche Haltung ist konträr zu derjenigen Orientierung, welche Paulus von den Glaubenden erwartet, wie er durch das Gegenüber von s²qn und pme¼la unterstreicht.475 Christliches Leben ist ein Dienst im Geist
473 Dass angesichts von Leidenserfahrungen der futurische oder jenseitige Aspekt des Heils besonders hervorgehoben wird, lässt sich im NT auch explizit im 1. Petr beobachten (vgl. 1,3 – 7; 4,7.17). Ebenfalls findet sich dort der Gedanke der Fremdheit in der Welt (vgl. 1,1.17; 2,11), welcher in Phil 3,20 dem Verweis auf das himmlische Politeuma inhäriert. Diese Fremdheit (allerdings hinsichtlich der alttestamentlichen Glaubenszeugen und damit nur indirekt der Adressaten) betont auch Hebr 11,13 – 16. Und die Offennbarung reagiert u. a. auf Leidenserfahrungen und stellt den Lesern das Bild des neuen vom Himmel herabkommenden Jerusalem vor Augen (vgl. 3,12; 21,2.10). Zur Verbreitung des Gedankens der Fremdheit innerhalb des NT und speziell zu dessen Verbindung mit Leidenserfahrungen vgl. Feldmeier, Christen als Fremde, 75 ff. 474 Vgl. Schinkel, Bürgerschaft, 75ff; vgl. auch 3.2.1. 475 Vgl. auch Röm 2,28 f; 7,5 f; 8,9.
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Das Beispiel des Paulus
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Gottes, nicht in bzw. gemäß dem Fleisch.476 Die eigentliche fleischliche bzw. irdische Existenz des Menschen und die mit ihr verbundenen Anliegen verlieren ihre Bedeutung und werden zum Uneigentlichen.477 Zwar leben die Glaubenden aus physischer Sicht nach wie vor im Fleisch, aber die damit verbundenen irdischen Dinge sollen nicht mehr Maßstab ihrer Lebensführung sein.478 Das pepoih´mai 1m saqj¸ (V. 3 f) korreliert somit der zusammenfassenden Charakterisierung der „Feinde des Kreuzes“ als oR t± 1p¸ceia vqomoOmter (V. 19)479 ; beides bildet einen Rahmen um die Ausführungen zu einer aus Sicht des Apostels fehlerhaften Orientierung an für den Glaubenden uneigentlichen, irdischen Dingen. Auch die Gegenüberstellung von „Gerechtigkeit aus dem Gesetz“ und „durch den Glauben an Christus“480 in V. 9, ein „locus classicus“ für die paulinische Rechtfertigungslehre, bindet Paulus in die Behandlung dieses Konflikts ein. Der Rechtfertigung durch Glauben kommt hier eine Funktion im Zusammenhang des Gegenübers irdisch (fleischlich) – himmlisch (geistig) zu. Auch die von Paulus für sich selbst konstatierte Untadeligkeit im Gesetz (V. 6) kann von ihm angesichts des Christusereignisses nur noch dem Bereich des Irdisch-Fleischlichen, dem Vertrauen auf das Fleisch zugeordnet werden. Ein Vertrauen auf eine eigene erbrachte Leistung, sei es, dass diese Leistung als Weg zum Heil angesehen wird oder eher als persönliche Vergewisserung des Verbleibens im Bund Gottes481, bedeutet nur eine eigene Gerechtigkeit (1lμ dijaios¼mg), die gegenüber der „Gerechtigkeit aus Gott“ (B 1j heoO dijaios¼mg) wertlos ist.482 Heil ist nur noch von Gott zu erwarten.483 Über476 Vgl. zum paulinischen Gebrauch von s²qn und der Wendungen 1m saqj¸ und jat± s²qja Bultmann, Theologie, 232ff; Schnelle, Paulus, 569 ff. 477 Vgl. Bultmann, Theologie, 237: „(…) So zeigt doch die Verwendung der Formel 1m saqj¸ Rm 7,5; 8,8 f, daß das Leben im ,Fleisch‘ ein uneigentliches Leben ist“. 478 Vgl. dahingehend Bultmann, Theologie, 239: „Der Mensch, und so auch der Christ, lebt sein natürliches Leben 1m saqj¸ (…). Aber es ist die entscheidende Frage, ob dieses 1m saqj¸ nur den Raum und die Möglichkeiten oder auch die bestimmende Norm des Lebens angibt, ob es zugleich ein jat± s²qja ist (…), ob die Sphäre des Natürlich-Irdischen, des VergänglichHinfälligen die Welt ist, aus der der Mensch sein Leben zu schöpfen und kraft deren er es zu behaupten meint.“ 479 Vgl. Mller, Philipper, 181: „Von den Gegnern gilt also, daß sie nach dem aus sind, was dem irdischen Machtbereich angehört; das aber ist gleichbedeutend mit dem ,Fleisch‘, wie denn die Gegner ja auch dem ,Fleisch‘ vertrauen (vgl. Phil 3,3).“ 480 Zum Verständnis der Wendung p¸stir YgsoO WqistoO bei Paulus als genitivus obiectivus vgl. Schnelle, Paulus, 600 f; Reumann, Philippians, 495 f. 481 Zur von der „New Perspective on Paul“ angestoßenen Diskussion um die Heilsbedeutung der Gesetzeserfüllung im Judentum und deren Verständnis bei Paulus vgl. Frey, Das Judentum des Paulus, 35 ff. 482 Mit Schenk, Philipperbriefe, 303 dürfte 1lμm dijaiys¼mgm „das Moment der unbegründeten Subjektivität einer nur eingebildeten, selbstgebastelten dijaiys¼mg“ implizieren (vgl. auch Mller, Philipper, 158). 483 Vgl. Schnelle, Paulus, 419: „Die Antithetik 1j mºlou – 1j heoO in Phil 3,9 (…) unterstreicht (…) den neuen Ort des Heils: Er liegt bei Gott und kann vom Menschen nur empfangen werden.“
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tragen auf die Situation der Adressaten bedeutet das: Ihr Vertrauen soll sich allein auf Gott richten, während sie selbst nicht in der Lage sind, sich durch ihr Handeln eine Form von Heil (durch Status, Ehre, Wohlstand) zu verschaffen. Die Abgrenzung gegen den Gedanken einer schon erreichten Vollkommenheit (V. 12 – 16) ist desgleichen nicht als Reaktion auf ein falsches Vollkommenheitsverständnis bei den Adressaten zu verstehen. Vielmehr wird die paulinische Intention hier im Verweis auf die Zukünftigkeit des Heils gegenüber der paganen Erwartung gegenwärtigen Wohlergehens zu sehen sein. Auch dies wäre eine Form irdischer Gesinnung, wenn die Adressaten ihr Heil bereits gegenwärtig erhofften, gleich der Vorstellung einer schon ereichten Vollkommenheit. Reagiert Paulus in V. 2 – 16 zwar nicht auf in Philippi aufgetretene Gegner, so ist dennoch zu fragen, welche eventuell aus anderen Paulusbriefen bekannten Gegner den historischen Hintergrund für die angeführten Gegenpositionen bilden. Diese Frage ist insbesondere daher angebracht, weil Paulus erwähnt, er habe „oft“ (V. 18: pokk²jir) von diesen Menschen zu den Adressaten geredet. Es handelt sich also explizit um historische Konflikte an anderen Orten, von denen der Apostel den Philippern wiederholt berichtet hat und die sich in seinen anderen Briefen widerspiegeln dürften. Angesichts dessen lässt sich erwägen, ob t± aqt± cq²veim rl?m in 3,1b anstatt auf den wiederholten Aufruf zur Freude ebenfalls auf die Nachrichten über Gegner zu beziehen ist.484 V. 1b und V. 18a korrelierten dann miteinander als Rahmen um die angeführten Positionen. In diesem Fall wäre vorauszusetzen, dass in V. 1b die Betonung nicht auf cq²veim, sondern auf t± aqt² liegt485, so dass zu ergänzen wäre: „euch dasselbe zu schreiben, wovon ich schon oft geredet habe“.
Für V. 2 – 11 legt sich eine Bezugnahme auf die Gegner des Gal nahe. Die besondere Rolle, welche angesichts der Gegenüberstellung von jatatol¶ und peqitol¶ (V. 2b.3a) offensichtlich die Beschneidung spielt, und Paulus’ wiederholtes Eingehen auf das Gesetz (V. 6.9) deuten in diese Richtung.486 An die in Galatien aufgetretenen Gegenmissionare zu denken ist auch insofern plausibel, als ein solcher Verweis über ein reines Negativbeispiel für eine irdische Gesinnung hinaus auch als prophylaktische Warnung sinnvoll er484 Vgl. Gnilka, Philipperbrief, 185; Fee, Philippians, 292 f. 485 Vgl. Fee, Philippians, 292; Reumann, Philippians, 453; anders: Bormann, Philippi, 111. Reumann bezieht 3,1b jedoch trotzdem auf den Aufruf zur Freude. 486 Mit der Mehrheit der Forschung wird bei diesen Gegnern von wandernden judenchristlichen Missionaren auszugehen sein (vgl. u. a. Koch, Adressaten des Galaterbriefs, 300; Schnelle, Paulus, 296 f; anders: Breytenbach, Paulus und Barnabas in Galatien, 140ff [ortsansässige der Synagoge angehörende Judenchristen]; Walter, Paulus und die Gegner des Christusevangeliums in Galatien, 351 – 356 [Juden]). Die zentrale Forderung der Gegner ist diejenige einer Beschneidung der galatischen Christen (vgl. Gal 5,2 f; 6,12 f; vgl. auch Koch, Adressaten des Galterbriefs, 300 f; Schnelle, Paulus, 96 f; Breytenbach, Paulus und Branabas in Galatien, 127ff).
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scheint, nicht zuletzt aufgrund der geographischen Lage Philippis an der Via Egnatia, der Verbindung zwischen Rom bzw. dem Adriahafen Dyrrachium und Byzanz. Sollten derartige Missionare nach Europa weiterziehen, so bestünde, insbesondere, wenn diese in der „Landschaft“ Galatien aufgetreten sind487, die Gefahr, dass sie Philippi passieren und versuchen werden, die dort lebenden Heidenchristen zur Beschneidung zu bewegen.488 Vor diesem Hintergrund erschließen sich dann auch die einleitenden Imperative bk´pete to»r j¼mar, bk´pete to»r jajo»r 1qc²tar, bk´pete tμm jatatol¶m als mehr denn ein literarisches Stilmittel, welches die Aufmerksamkeit der Leser und Hörer wecken soll.489 Vielmehr dienten sie als Warnung an die Adressaten, sich vor derartigen Leuten in Acht zu nehmen. Bk´pete wäre demnach dezidiert als „gebt Obacht“ zu verstehen.490 In V. 12 – 16 könnte Paulus auf Erfahrungen in Korinth rekurrieren. Darauf hin deutet der Gebrauch des Begriffs t´keior (V. 15), womit Paulus in 1. Kor 2,6 offenbar Gegnerterminologie aufnimmt und ein falsches Vollkommenheitsverständnis seiner Gegner bzw. einiger Gemeindemitglieder korrigiert.491 Rekurriert Paulus in Phil 3 auf Gegenpositionen aus 1. Kor und Gal, so bestünde hierin ein Hinweis auf die relative Chronologie der Paulusbriefe. Der Phil müsste in diesem Fall nach den beiden Briefen abgefasst worden sein. Sollte Paulus zudem die in Galatien aufgetretenen Gegner nicht nur exemplarisch anführen, sondern 3,2 – 11 gleichzeitig als eine Warnung vor diesen Gegnern zu verstehen sein, dann spräche dies darüber hinaus für eine zeitnahe Abfassung des Phil nicht lange nach dem Gal. In diesem Fall wären Caesarea oder Rom als Abfassungsort unwahrscheinlich, eine Abfassung in Ephesus hingegen würde sich nahe legen.
3.2.6 Das himmlische Politeuma und die Erwartung des Kyrios Jesus Christus In 3,20 f verweist Paulus im Gegenüber zur irdischen Gesinnung der von ihm attackierten „Feinde des Kreuzes Christi“ auf das himmlische Politeuma der 487 Die Reiseroute über Philippi entspräche in diesem Fall nahezu der Luftlinie. Dabei wäre Philippi die erste paulinische Gemeinde, welche die in Galatien aufgetretenen Gegner erreichten. Paulus hätte somit allen Grund die Philipper eindringlich vor diesen Leuten zu warnen. 488 Vgl. bezüglich einer Identifizierung mit den Gegner aus Gal auch Schoon-Janßen, Umstrittene Apologien, 153 f; Becker, Paulus, 342 ff. Nach Becker wurden 3,2 – 4,3 und 4,8 – 9 als Brief B nach der ephesischen Haft und nach dem Galaterbrief verfasst, um die Philipper nach den Vorfällen in Galatien vor judaistischen Gegenmissionaren zu warnen. Auch Ausleger, die mit bereits in Philippi aufgetretenen Gegnern rechnen, nehmen die Nähe zu den Gegnern des Gal war (vgl. Tellbe, Sociological Factors, 99 f; Mller, Philipper, 179). 489 Vgl. Brucker, Christushymnen, 326 f. 490 Vgl. u. a. Mller, Philipper, 144; Walter, Philipper, 73; anders: Schinkel, Bürgerschaft, 78. 491 Vgl. 3.2.4.
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Christen und deren Erwartung des Kyrios Jesus Christus als Retter (syt¶q). Dabei begegnen sowohl terminologische als auch inhaltliche Berührungspunkte mit dem Christuspsalm.492 Insbesondere findet sich hier der Gedanke der Herrschaft Christi, und zwar entsprechend 2,10 f als Allherrschaft: Christus hat die Fähigkeit, sich alles (t± p²mta) zu unterwerfen. Allerdings bestehen, wie bei Paulus’ Bezugnahmen auf den Psalm in V. 6 – 13 und innerhalb seines Nahkontextes (1,27 – 2,18), neuerlich inhaltliche Differenzen. Ist hier Christus derjenige, der sich selbst alles unterwerfen kann, erfolgen in 2,9 Erhöhung und Namensverleihung (und damit implizit die Unterwerfung) durch Gott.493 In V. 21 gebraucht der Apostel die Vorstellung eines Gestaltwandels für die eschatologische Verherrlichung der Christen. Die Parallele innerhalb des im Psalm geschilderten Werdegangs Christi wäre dessen Erhöhung (2,9), die dort jedoch nicht mit einem erneuten Gestaltwandel verbunden wird. Im Gegenzug fehlt in 3,21 die Erhöhungsvorstellung.494 Zudem fehlt im Psalm der Begriff s_la, dessen Bedeutungsspektrum dort jedoch teilweise durch den Gebrauch von loqv¶ im Sinne einer über die rein äußere Gestalt hinausgehenden grundlegenden Verfasstheit abgedeckt wird.495 Dass Paulus hier ein Traditionsstück „aus dem gleichen sprachlichen, vorstellungsmäßigen und religionsgeschichtlichen Milieu“496 wie in 2,6 – 11 übernimmt, ist angesichts der inhaltlichen Differenzen und dem für Paulus charakteristischen Begriff s_la unwahrscheinlich. Die terminologischen Berührungen zwischen beiden Texten und ein Teil der von Paulus selten verwendeten Termini in V. 20 f erklären sich aus der gezielten Rezeption des Christuspsalms. Diese erfolgt hier auf ähnliche Weise wie bereits zuvor mittels terminologischer Anklänge, jedoch ohne dass notwendig eine exakte inhaltliche Entsprechung damit verbunden ist. Gleichsam spricht auch hier die Fülle von terminologischen Berührungen gegen einen zufälligen Anklang an den Psalm. Weitere terminologische Auffälligkeiten wiederum, die Rede von einem himmlischen Politeuma sowie die Bezeichnung Christi als syt¶q, erklären sich problemlos vor dem historischen Hintergrund des Phil, ohne dass mit einer Quelle gerechnet werden muss.497 492 Vgl. 3.2.2. 493 Dies stellt gleichzeitig eine innerpaulinische Spannung dar (vgl. 1. Kor 15,27 f). Mller, Philipper, 186 hebt bezüglich Phil 3,21 hervor : „Diese Christozentrik ist singulär bei Paulus“. 494 Vgl. hingegen 1. Thess 4,17, wo Paulus die Vorstellung einer Entrückung der Christen zu ihrem Herrn gebraucht. 495 Zum Bedeutungsspektrum von s_la bei Paulus vgl. Schnelle, Paulus, 566 ff. 496 Gttgemanns, Der leidende Apostel, 241; vgl. dahingehend auch G. Strecker, Redaktion, 155. Für eine vorpaulinische Abfassung plädieren ebenfalls Becker, Erwägungen, 16 – 29; ders., Paulus, 259, 348 und Reumann, Philippians 3.20 – 21, 605. Letzterer sieht hierin mittlerweile allerdings nur noch eine Option (vgl. Philippians, 596: „3:20 – 21 may be a hymnic frg.“; vgl. auch 583 f). 497 Dass ein paralleler Satzbau, welcher vorrangig in V. 21a (letaswglat¸sei t¹ s_la t/r tapeim¾seyr Bl_m / s¼lloqvom t` s¾lati t/r dºngr aqtoO) begegnet, ein auch von Paulus eingesetztes Stilmittel darstellt und somit nur bedingt auf die Übernahme einer Tradition
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Oben wurde, Schinkels Untersuchung zum Motiv der „himmlischen Bürgerschaft“ aufnehmend, herausgestellt, dass Paulus mit der Wendung t¹ pok¸teula 1m oqqamo?r rp²qweim schwerlich ein Gegenüber zur jüdischen Synagogengemeinde postuliert. Nur wenige Belege bieten einen entsprechenden Gebrauch von pok¸teula498, und der archäologische Befund sowie die Schilderung der Erstmission in Apg 16 sprechen gegen die Existenz einer größeren Anzahl von Juden und einer Synagoge in Philippi.499 Handelt es sich aber bei den „Feinden des Kreuzes“ um ehemalige Gemeindemitglieder, welche sich aufgrund von Leidenserfahrungen wieder an die pagane Umwelt assimiliert haben, und stellt die besonders starke Ausrichtung auf Status und Ehre in der römischen Kolonie ein für den Konflikt grundlegendes Moment dar, so passt es hierzu ausgezeichnet, wenn Paulus von dem „himmlischen Politeuma“ im Gegenüber zum paganen irdischen Gemeinwesen redet. Dabei wird keine Sicherheit über die exakte Wiedergabe von pok¸teula zu gewinnen sein. Dies ist allerdings auch nicht zwingend erforderlich. Zwei Aspekte des Begriffs sind zu beachten, die sich nicht ausschließen und die hier möglicherweise beide anklingen: Einerseits lässt sich pok¸teula mit Gemeinwesen500 oder „Bürgerschaft“501 wiedergeben. Paulus weist weg von dem irdischen Gemeinwesen, der Stadt und der römischen Kolonie Philippi, auf dasjenige, welchem die Gemeindemitglieder in Wahrheit angehören. Andererseits ließe sich unter pok¸teula auch das Bürgerrecht verstehen.502 Dies wäre historisch durchaus plausibel, spielt doch das römische Bürgerrecht, wie dessen häufige epigraphische Erwähnung zeigt, in Philippi eine große Rolle und ist für die Bewohner der Kolonie offenbar ausgesprochen erstrebenswert.503 Gegenüber dieser Hochschätzung des Bürgerrechts und dem Streben danach, dieses zu erlangen, würde Paulus auf das Bürgerrecht der Christen im Himmel, welches seinen Grund in deren Zugehörigkeit zur himmlischen Bürgerschaft hat504, verweisen. Das römische Bürgerrecht verliert damit seine Relevanz. Heißt es zudem in 4,3, die Namen u. a. Euodias und Syntyches stünden „im Buch des Lebens“, so könnte darin eine Anspielung auf das Verzeichnis der römischen Bürger im Archiv von Philippi zu sehen sein.505 Bei
498 499 500 501
502 503 504
505
hinweist, zeigt 2,1 – 4 (gegen: Becker, Erwägungen, 17 f; zu Parallelismen als nur unsicherem Hinweis auf Poesie vgl. auch 2.4). Vgl. 3.2.1. Vgl. 1.4.1. Vgl. Eckey, Philipper, 133, 136. Schinkel, Bürgerschaft, 58. Nach Schinkel erscheint der Übergang zwischen den Bedeutungen Gemeinwesen und „,Bürgerschaft‘ als Gesamtzahl der Bürger“ (58) letztlich fließend (vgl. 119). Vgl. Pilhofer, Philippi 1, 130; Fee, Philippians, 378 f; Schwemer, Himmlische Stadt, 229. Vgl. 1.4.2. Vgl. Schinkel, Bürgerschaft, 58: „Sachlich liegen beide Übersetzungen nicht weit voneinander entfernt, sind doch die in der Bürgerschaft Eingeschriebenen Bürger und damit Inhaber des Bürgerrechts.“ Vgl. Pilhofer, Philippi 1, 131 f.
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der Rede vom „himmlischen Politeuma“ dürfte der Aspekt des Bürgerrechts zumindest mitschwingen.506 Unabhängig davon, ob hier eher der Aspekt des Gemeinwesens bzw. der Bürgerschaft oder derjenige des Bürgerrechts im Vordergrund steht, weist das Gegenüber von t± 1p¸ceia vqomoOmter (V. 19) und pok¸teula 1m oqqamo?r auf das Anliegen einer Entgegensetzung des himmlischen Politeuma zu einer irdischen Gesinnung.507 Paulus entwirft „ein positives Gegenbild zu dem Verhaftetsein an das Irdische, das den Gegnern vorgeworfen wird“508. Die Zugehörigkeit der Christen zum himmlischen Gemeinwesen schließt das Streben nach irdischen Dingen und damit die Orientierung an den Werten eines irdischen Gemeinwesens aus. Das irdische Gemeinwesen ist nicht dasjenige, welchem die Adressaten in Wahrheit zugehörig und verpflichtet sind.509 D.h. konkret, nicht die römische Kolonie Philippi mit ihren Werten, u. a. der großen Bedeutung von Ehre, kann für die Mitglieder der Ekklesia Maßstab ihrer Gesinnung und ihres Handelns sein, sondern allein das himmlische Gemeinwesen, in welchem sie ihr Bürgerrecht besitzen. Paulus reagiert hier auf die grundlegende ethische Frage, an welchem Gemeinwesen und welchen Werten sich die Mitglieder der Ekklesia orientieren sollen.510 Damit nimmt der Apostel einen Gedanken auf, der sich bereits am Anfang des parakletischen Briefabschnitts in 1,27 findet, wo er die Philipper auffordert, ihr Bürgerleben würdig dem Evangelium Christi zu führen. Dort verwendet er ebenfalls einmalig das verwandte Verb pokite¼eshai im Rahmen einer Anspielung auf eine in der paganen Umwelt geläufige Wendung für ein dem Gemeinwesen würdiges Leben. Bereits an diesem zentralen Punkt, in der die Paraklese einleitenden Mahnung, verweist er damit auf den gegenüber den in Philippi üblichen Werten anderen Maßstab christlichen Lebens, nämlich das Evangelium Christi.511 Von 3,20 aus lässt sich dies dahingehend präzisieren: Dieser andere Maßstab resultiert aus der schon gegenwärtigen Zugehörigkeit der Christen zum himmlischen Gemeinwesen. Nicht länger können demnach die Werte und Normen des irdischen Gemeinwesens respektive der römische mos maiorum Maßstab des Handelns sein. Das Handeln zielt nicht mehr auf ein der Kolonie, sondern dem himmlischen Gemeinwesen und dem Evangelium würdiges Leben.512 506 507 508 509
Vgl. Eckey, Philipper, 137. Vgl. Mller, Philipper, 187; Walter, Philipper, 86; Eckey, Philipper, 136. Walter, Philipper, 86. Vgl. Meeks, Man from Heaven, 109: „(…) They are people whose moral reasoning is not determined by the 1p¸ceia (,earthly things‘), because they are resident aliens, not merely in Philippi but on earth.“ Vgl. auch Walter, Philipper, 87; Oakes, Philippians, 138. Zur Frage, inwiefern pagane Werte inklusive Status und Ehre allerdings auch von den Glaubenden geteilt werden können, vgl. 5.1.2 und 5.2.1. 510 Vgl. Schinkel, Bürgerschaft, 119. 511 Vgl. 3.1.2; vgl. auch Schinkel, Bürgerschaft, 63. 512 Gegen Standhartinger, Join in Imitating Me, 422 f besteht somit zwischen pok¸teula und pokite¼eshai im Phil selbstverständlich eine Verbindung. Zwar verweist Paulus auf das
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Dies bedeutet, die bisherigen Untersuchungsergebnisse aufgreifend, konkret hinsichtlich Gesinnung und Handeln der Adressaten: In der paganen Umwelt, welcher die Gemeindemitglieder entstammen und die für ihre Primärsozialisation bestimmend war, ist Ehre ein entscheidender Wert. Haben die „Feinde des Kreuzes“, auf welche Paulus mit dem Verweis auf das „himmlische Politeuma“ reagiert, nicht zuletzt um ihren gesellschaftlichen Stand und ihr Ansehen zu sichern oder wiederzuerlangen, die Gemeinde verlassen, so dürften dem Apostel vor allem die pagane Hochschätzung von Status und Ehre kritisch vor Augen stehen. Dieser stellt er die Orientierung der dem himmlischen Gemeinwesen angehörenden Christen am Evangelium Christi gegenüber (1,27; 3,20). In Entsprechung zu Christus, dem Inhalt des Evangeliums, fordert er eine Niedrigkeitsgesinnung, welche sich in der Ausrichtung des Handelns nicht auf die eigenen, letztlich irdischen Dinge, sondern in der Hinnahme von Statusverzicht und Leiden selbst bis zum Tod realisiert. Auf die Spannung zwischen der Orientierung an den vertrauten paganen Werten und dem von ihnen als Christen in der aktuellen Situation geforderten Handeln reagiert Paulus, indem er mit dem in 2,6 – 11 aufgenommenen und in mehreren Briefteilen rezipierten Christuspsalm auf das Vorbild Christi verweist und dessen notwendige Nachahmung u. a. mit seinem eigenen Beispiel veranschaulicht. Damit erfolgt eine radikale Umwertung der den Empfängern vertrauten Werte, zu denen Ehre, aber gerade nicht eine Niedrigkeitsgesinnung gehört. Wie bereits die grundsätzliche Mahnung !n¸yr toO eqaccek¸ou toO WqistoO pokite¼eshe in 1,27 andeutet, scheinen die Spannungen in Philippi in einem Wertekonflikt zu gründen. Dass dieser Konflikt den Brief im Ganzen bestimmt, wird in Kap. 5 dieser Untersuchung verdeutlicht werden. Paulus’ ethische Argumentation mündet schließlich in einer Verhältnisbestimmung zwischen paganen und christlichen Werten (4,8 f). Dem Verweis auf das himmlische Politeuma folgt eine eschatologische Motivierung. Wie bereits in 1,28 die Aufforderung zum gemeinsamen Kampf und in 3,10 f die Leidens- und Todesnachahmung motiviert Paulus auch in 3,21 die ethische Neuausrichtung mit dem zukünftigen Heil der Christen. Anders als in V. 10 f begegnet hier allerdings nicht die Auferstehungshoffnung, sondern die Vorstellung einer Verwandlung des Leibes der Christen. Der Abwertung des Irdischen und das Zurücktreten des Gedankens einer partiellen gegenwärtigen Heilsteilhabe entspricht es, dass Paulus den gegenwärtigen „Leib der Niedrigkeit“ (s_la t/r tapeim¾seyr) Christi „Leib der Herrlichkeit“ (s_la t/r dºngr) gegenüberstellt, welchem die Christen bei dessen Parusie gleich gestaltet werden. Dabei ist unklar, ob er hier nur von der Verwandlung der zur Zeit der Parusie lebenden Christen513 redet. Eine aushimmlische Politeuma in eschatologischem Zusammenhang, ihm gehören die Christen jedoch bereits jetzt an, was Konsequenzen für ihr gegenwärtiges Handeln hat. 513 Vgl. Gnilka, Philipperbrief, 209; Schapdick, Irritierende Vielfalt, 33, 38.
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Die Rezeption des Christuspsalms
drückliche Differenzierung zwischen dem Schicksal der Lebenden und der Verstorbenen514 begegnet nicht. Sollte Paulus nur an die Leibverwandlung der Lebenden denken, bedeutete dies eine zusätzliche Motivation und Hoffnung für die Empfänger, würde Paulus damit doch die Parusie noch zu deren Lebzeiten vorhersagen.515 Mit dem Verweis auf das himmlische Gemeinwesen der Christen und die Erwartung des Herrn Jesus Christus als Retter (syt¶q), welcher die Fähigkeit besitzt, sich alles zu unterwerfen, enthält der Text eine nicht auszuklammernde politische Implikation. Die auf Christus angewandte weit verbreitete Bezeichnung u. a. von Göttern als syt¶q516 wird in diesem Zusammenhang als Anspielung auf den Kaiser als Retter und Heilsbringer verstanden werden müssen.517 Martin Karrer verweist darauf, „dass sich die Belege des 1. Jh.s für syt¶q in hohem Maße auf den Kaiser konzentrieren.“518 Und der epigraphische Befund in Philippi deutet auf einen Kaiserkulttempel am Forum aus der Regierungszeit des Claudius hin.519 Ebenfalls spricht für eine dahingehende Anspielung, dass Paulus den Terminus einzig hier verwendet. Den für ihn untypischen Begriff scheint er ebenso wie pok¸teula und pokite¼eshai gezielt im Hinblick auf die Empfänger in Philippi zu gebrauchen, und zwar ebenfalls im Gegenüber zu einer paganen Orientierung. Zudem lässt sich das Gegenüber des aus dem520 „Politeuma in den Himmeln“ erwarteten Christus zum römischen Kaiser zwanglos vor dem Hintergrund des Strebens nach irdischem Wohlergehen und der Hoffnung auf ir514 Vgl. 1. Thess 4,17; 1. Kor 15,52. 515 Hierauf hin deutet eventuell der Verweis auf die Nähe des Kommens Christi in 4,5 (vgl. Schapdick, Irritierende Vielfalt, 38). 516 Einen umfassenden Überblick über den Gebrauch in antiken paganen, jüdischen und christlichen Quellen bietet Jung, SYTGQ. 517 Vgl. bereits von Harnack, Heiland, 310: „Der Gegensatz ist klar : ,Unser Staatswesen ist nicht das römische Reich mit seinem Kaiser-Heiland.‘“ Auch Lohmeyer, Christuskult und Kaiserkult, 28 bemerkt: „So läßt sich nur schwer der Schluß abweisen, daß hier zum erstenmal Jesus, der Kyrios des Christuskultes, und der römische Cäsar, der Kyrios des Kaiserkultes, in bewußten Gegensatz einander gegenübergestellt werden.“ Vgl. auch Oakes, Philippians, 138ff; anders: Mller, Philipper, 183. Müller zufolge „fehlt jede Antithese, auch ein betontes Bl_m bei syt¶q“. Das Wortfeld pok¸teula (Bl_m [!]), j¼qior, syt¶q innerhalb nur eines Verses weist jedoch auffallend in den politischen Bereich und scheint auf diese Weise durchaus eine Antithese zu implizieren. 518 Karrer, Jesus, der Retter, 159. Der Rückgang des Gebrauchs des syt¶q-Titels unter Nero kann bei einer Abfassung des Phil in Ephesus nicht lange nach dem Tod des Claudius und zu Beginn der Amtszeit Neros in diesem Zusammenhang als unerheblich gelten (anders: Karrer, Jesus, der Retter, 161). 519 Vgl. zur unvollständigen Weihinschrift des Tempels 1.4.2. 520 Durch den Singular 1n ox könnte Paulus gezielt einen Bezug auf pok¸teula beabsichtigen (vgl. Lohmeyer, Philipper, 158) und damit die an anderen Stellen gebrauchte Rede von der Erwartung Christi aus dem Himmel variieren (vgl. 1. Kor 15,47; 2. Kor 5,2; Gal 1,8; 1. Thess 1,10). M.E. ist es nicht gerechtfertigt, hier a priori unter Verweis auf diese Stellen einen direkten Bezug auf oqqamo?r anzunehmen (vgl. u. a. Gnilka, Philipperbrief, 207; Mller, Philipper, 183).
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disches Heil (und somit in Zusammenhang mit dem Konflikt in Philippi) erklären, richten sich doch gerade an den Kaiser derartige Hoffnungen.521 Von ihm erhofft man Friede und Schutz, wobei es sich nicht zuletzt um die Voraussetzung für einen individuellen sozialen Aufstieg handelt. Der auf den Kaiser bezogene Rettergedanke kann weit reichende Ausmaße annehmen. So ist für Claudius in Athen aus der Zeit zwischen 49 – 53 n. Chr., also kurz vor Abfassung des Phil, eine Inschrift überliefert, in welcher der Kaiser als syt¶q toO jºslou522 bezeichnet wird. Dieses umfangreiche Heilshandeln bzw. die Hoffnung auf ein solches Handeln wird in Phil 3,21 nunmehr durch den Allherrscher Christus erfüllt bzw. überboten.523 Dieser hat die Macht, sich alles (t± p²mta) zu unterwerfen. Hier erfolgt eine größtmögliche Ausweitung der Herrschaft, sofern Paulus obigem Verständnis von 2,10c folgt, auf die Engel im Himmel, die Lebenden auf der Erde und die Toten unter der Erde.524 Christi Macht, sich alle Bereiche des Kosmos zu unterwerfen, dient dem Apostel dabei als Begründung für das verheißene Heilshandeln an den Christen. Deswegen kann Christus ihren „Leib der Niedrigkeit“ in die Gestalt seines „Leibes der Herrlichkeit“ verwandeln.525 Die Rettung versteht Paulus demnach dezidiert als das Ende irdischer Niedrigkeit. Die Situation der Philipper berücksichtigend wird dies nicht zuletzt die Rettung aus dem Leiden meinen.526 Dabei ist zu beachten, dass hier allein die mit dem eschatologischen Retter verbundene Hoffnungsperspektive begegnet. Der Gedanke endzeitlicher Zerstörung und vor allem der Gerichtsgedanke fehlen.527 Paulus stellt auf diese Weise den heidenchristlichen Philippern, deren irdische Heilshoffnungen aufgrund der Leidenserfahrungen enttäuscht werden und – so wird man ergänzen müssen – vom Christentum wegen der Konflikte mit der paganen Umwelt nicht erfüllt werden können, eine größtmögliche Heilshoffnung vor Augen. Diese überbietet, indem sie sich nicht auf Irdisches richtet, alle anderen Hoffnungen, 521 Vgl. Oakes, Philipper, 138 ff. 522 IG II/2, 3273; vgl. Karrer, Jesus, der Retter, 168. Unsicher ist, ob Kosmos hier nur die „Menschenwelt“ oder die „Welt überhaupt“ (ebd., 168) meint. 523 Zur Überbietung der an den Kaiser gerichteten Erwartungen bei Paulus (allerdings ohne Bezugnahme auf Phil 3,20) vgl. Schnelle, Paulus, 552 f. Im Hinblick auf einen dahingehenden Gebrauch des syt¶q-Titels im NT überhaupt vgl. Karrer, Jesus, der Retter, 172. 524 Zum strittigen Verständnis der Trias in 2,10c vgl. 2.2.4. 525 Vgl. Eckey, Philipper, 138. 526 Karrer, Jesus, der Retter, 171 sieht hier als zwei weitere Elemente, die Rettung vor Gottes Zorn (unter Verweis auf 1. Thess 1,10) und vor den „Feinden des Kreuzes“. Erstes klingt allerdings weder in 3,20 f noch im Kontext an, so dass offen bleiben muss, ob dieser Gedanke hier mitschwingt. Zumindest liegt hierauf nicht der Akzent, wie Karrer offenbar annimmt. Zweites ist ebenfalls fragwürdig, da die „Feinde des Kreuzes“ offenbar nicht die Verursacher der Leidenserfahrungen sind, sondern ehemalige Gemeindemitglieder, welche dem Leiden und damit dem Kreuz Christi ausweichen. 527 Vgl. Jung, SYTGQ, 316: „Alle destruktiven Elemente der Parusie haben in diesem paulinischen Hoffungsentwurf keinen Platz. Weder zerstört der Retter, noch richtet er.“ Anders: Walter, Philipper, 87. Walter zufolge rede Paulus hier von Christus als „von dem endzeitlichen, göttlichen Richter, der für die Glaubenden zugleich auch der Retter aus dem Gericht ist“.
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Die Rezeption des Christuspsalms
auch die auf Rettung und Heil durch den Kaiser. Hierin zeigt sich erneut Paulus’ bereits ab 3,8 begegnende konsequente Transzendierung der Heilshoffnungen seiner Empfänger. Bei dieser handelt es sich jedoch nicht allein um die Verschiebung dieser Hoffnungen in eine eschatologische Zukunft, sondern um deren maximale Überbietung. Paulus nimmt somit zwar in Phil 3 dezidiert auf die zweite Hälfte des Psalms und damit auf Christi Herrsein Bezug und stellt die Parusieerwartung sich an den römischen Kaiser richtenden Erwartungen gegenüber. Allerdings ist dabei nicht ersichtlich, dass ihm einerseits der leitende religionsgeschichtliche Hintergrund des Psalms, die römische Herrscherverehrung, andererseits dessen theologisches Anliegen bewusst ist. Zwar knüpft der Apostel an die Herrschaftsthematik an, eine Anspielung auf die göttliche Verehrung von Herrschern oder deren Selbstvergöttlichung begegnet dabei allerdings nicht. Im Psalm wiederum fehlt ein explizit soteriologischer Aspekt, der Gedanke des Heils, welches die Christusherrschaft bedeutet. Gleichzeitig thematisiert Paulus in 3,20 f, anders als in 1. Kor 15,24 – 28, nicht das Verhältnis der Herrschaft Christi zu Gott dem Vater. Die den Psalm leitende monotheistische Fragestellung nach der Vereinbarkeit der Verehrung des Kyrios Jesus Christus und des einen Gottes spielt hier keine Rolle. Hierin wird ein weiteres Indiz gegen eine paulinische Verfasserschaft des Psalms zu sehen sein.
3.2.7 Die Mahnung an Euodia und Syntyche In 4,2 f ermahnt Paulus die beiden Frauen Euodia und Syntyche, „das Selbe zu sinnen im Herrn“, und bittet offenbar ein bestimmtes Gemeindemitglied528 darum, sich ihrer anzunehmen. Inhaltliche sowie syntaktische Beobachtungen legen es nahe, diese Mahnung in Verbindung mit dem sich in der Paraklese 1,27 – 2,18 abzeichnenden und im vorangehenden Abschnitt ab 3,17 ausdrücklich thematisierten Konflikt in Philippi zu sehen.529 Mehrheitlich wird die Aufforderung t¹ aqt¹ vqome?m 1m juq¸\ auf einen Streit zwischen den beiden Frauen bezogen, über den sich Paulus nicht näher äußere530, bzw. die Auseinandersetzung wird mit einer Parteibildung inner528 Mit cm¶sie s¼fuce bzw. S¼fuce (4,3) redet Paulus offenbar ein bestimmtes Gemeindemitglied namentlich an. Zwar ist der Eigennahme S¼fucor nicht belegt (vgl. Bauer, 1548); allerdings ist anknüpfend an Mller, Philipper, 195 davon auszugehen, dass eine Anrede als „treuer Gefährte“ (Eckey, Philipper, 139, 141; vgl auch Fee, Philippians, 393) „zu unbestimmt gewesen wäre, als dass die Philipper sicher verstehen konnten, wer gemeint ist“ (Mller, Philipper, 195; vgl. auch Gnilka, Philipperbrief, 167). Die Aufforderung, sich der beiden Frauen anzunehmen, ist am besten verständlich, wenn eine bestimmte Person ausdrücklich angeredet wird. 529 In Verbindung mit Phil 3 sehen die Mahnung Schmithals, Irrlehrer, 81ff; Schenk, Philipperbriefe, 271 f; Bockmuehl, Philippians, 237, 242; Eckey, Philipper, 140 f. Fee, Philippians, 397 hält einen Zusammenhang für möglich. 530 Vgl. u. a. G. Barth, Philipper, 71; Gnilka, Philipperbrief, 166; Chr. Khler, Konflikt, 59; Walter, Philipper, 91; Mller, Philipper, 194 f; Bockmuehl, Philippians, 238 ff.
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halb der Gemeinde in Verbindung gebracht.531 Allerdings begegnet eine ähnliche Aufforderung zur Einheit bereits in 2,2 (Vma t¹ aqt¹ vqom/te), was auf eine Verbindung zur dortigen Paraklese hinweist.532 Somit erscheint auch ein Verständnis der Mahnung an Euodia und Syntyche in Entsprechung zur Mahnung in 2,2 möglich. Dort zielt die Mahnung auf einen Altruismus um der Gemeinde willen, auf ein Verbleiben in ihr und eine ungeteilte Zuwendung zu deren weiteren Mitgliedern. 4,2 f ließe sich dann dahingehend verstehen, dass Paulus beide Frauen in der Gefahr sieht, wie bereits mehrere Personen zuvor die Ekklesia aufgrund von Leidenserfahrungen zu verlassen. Konkret wäre daran zu denken, dass es sich bei den beiden Frauen um Gemeindemitglieder handelt, welche sich teilweise der paganen Umwelt re-assimiliert haben, um den Leidenserfahrungen, z. B. dem Verlust von Status und Ehre zu entgehen, und deren Bindung an die Ekklesia sich von daher als gelockert darstellt. Diese Annahme lässt sich durch weitere Beobachtungen stützen. Geht es nicht um einen Streit zwischen zwei Gemeindemitgliedern, sondern um die Gefahr des Abfalls von der Gemeinde, so passt hierzu, dass in 4,3 mit dem Verweis darauf, ihre Namen stünden im Buch des Lebens, eine eschatologische Motivierung erfolgt.533 Desgleichen weist in diese Richtung die dem Abschnitt vorangehende Mahnung st¶jete 1m juq¸\ (4,1), die Aufforderung zur Standhaftigkeit. Sprachliche Beobachtungen sprechen für deren Scharnierfunktion zwischen der Thematisierung des Konflikts in Philippi in Phil 3 und der Einzelmahnung. 4,1 knüpft mit ¦ste (daher) als Konsequenz an das Vorangehende, die Schilderung des Konflikts und den Ausblick auf das Kommen des Kyrios Jesus Christus, an.534 Gleichzeitig stellt das abschließende 1m juq¸\ eine Parallele zu 4,2 her : Die Philipper sollen standhaft sein „im Herrn“; Paulus ermahnt Euodia und Syntyche „im Herrn“. Die parallele Formulierung spricht gegen eine inhaltliche535 oder sogar literarkritische Trennung536 zwischen 4,1 und 4,2 und rückt beide Mahnungen eng zusammen.537 Zieht 4,1 die Konsequenz aus 3,(2 – 16)17 – 21538, dann wird auch die nachfolgende Mahnung an Euodia und Syntyche der in diesem Briefabschnitt behandelten Problematik zuzurechnen sein. Anknüpfend an Bockmuehl ist 4,1 – 3 demnach zu verstehen als eine Spezifizierung des Vorherigen in Hinblick auf die Situation der beiden Frauen.539 Nachdem Paulus zunächst sein 531 Vgl. Peterlin, Philippians, 223 532 Die sprachliche Nähe nehmen u. a. wahr Chr. Khler, Konflikt, 59; Walter, Philipper, 91; Mller, Philipper, 194; Eckey, Philipper, 140. 533 Vgl. unten. 534 Vgl. Reumann, Philippians, 605. 535 Vgl. Mller, Philipper, 194; Eckey, Philipper, 139. 536 Vgl. Gnilka, Philipperbrief, 8 f. 537 Auf die Nähe der beiden Mahnungen zueinander verweist Schmithals, Irrlehrer, 83. 538 Vgl. u. a. G. Barth, Philipper, 69; Gnilka, Philipperbrief, 220; Mller, Philipper, 188; Chr. Khler, Konflikt, 56, 60 f; Walter, Philipper, 88; Bockmuehl, Philippians, 238 ff. 539 Vgl. Bockmuehl, Philippians, 237.
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Die Rezeption des Christuspsalms
eigenes Beispiel für einen Christus entsprechenden Statusverzicht sowie eine Leidensnachahmung bis zum Tod angeführt und darauf zur Nachahmung dieses Beispiels aufgerufen und einer irdischen Gesinnung das himmlische Politeuma der Christen gegenübergestellt hat, geht er abschließend mit einer persönlichen Mahnung auf zwei Gemeindemitglieder ein. Diese fordert er auf, angesichts der äußeren Bedrängnis eben dieselbe Christi analoge Niedrigkeitsgesinnung anzunehmen, wie sie in seinem Beispiel Ausdruck findet und dem Sein in Christus entspricht.540 Dabei erfolgt eine zweifache Motivierung. Zunächst verweist Paulus auf den gemeinsamen Kampf und damit auf die bereits erfolgte Nachahmung Christi. Ähnlich wie mit der Konstatierung des bisherigen Gehorsams in 2,12 macht der Apostel deutlich, dass, was die gegenwärtige Situation erfordert, im früheren Handeln der beiden Frauen bereits angelegt ist, dass es sich dabei um nichts für sie Unvollbringbares handelt. Gleichzeitig erfolgt ähnlich 2,13 eine eschatologische Motivierung, hier allerdings nicht durch den Verweis auf Gottes Wirken, sondern darauf, dass ihre Namen im Buch des Lebens stehen. Bei Gott ist somit die Voraussetzung dafür geschaffen, dass Euodia und Syntyche in der Ekklesia und damit im Heilsbereich bleiben, auch angesichts sie bedrängender Leiden.541
Fazit 1.) In Phil 3 begegnen einerseits zahlreiche terminologische Berührungen mit dem Christuspsalm, andererseits findet sich eine strukturelle Parallelisierung zwischen Paulus’ Schilderung seines eigenen Beispiels (V. 4b–14) und dem im Psalm geschilderten Handeln Christi. Die Häufung der Anklänge binnen weniger Verse, u. a. an von Paulus selten gebrauchte Termini (loqv¶, sw/la), und das Nebeneinander von terminologischen und strukturellen Bezugnahmen auf 2,6 – 11 sprechen eindeutig für eine gezielte Rezeption des Textes. 2.) Der Apostel setzt den Verzicht auf seine ehemaligen Vorzüge, sein Lei540 Ein Rückschluss auf eine besondere Stellung von Euodia und Syntyche innerhalb der Gemeinde aufgrund der persönlichen Mahnung (vgl. u. a. Peterlin, Philippians, 104ff; Bockmuehl, Philippians, 238) ist nicht möglich. Dass sie die Gemeinde zu verlassen drohen, erscheint als ein ausreichender Grund für Paulus’ Mahnung, unabhängig davon, ob es sich bei ihnen um führende Personen handelt. 541 Paulus’ Aussage, ihre Namen stünden im Buch des Lebens (4,3), spricht keineswegs gegen die Annahme, hier gehe es um einen drohenden Abfall und das Heil der beiden Frauen stehe auf dem Spiel (gegen Chr. Khler, Konflikt, 59). Vielmehr ist die hierin ausgedrückte Heilsgewissheit als Teil der eschatologischen Motivierung zu verstehen und gibt dieser ein besonderes Gewicht. Ähnlich wie hier verfährt Paulus bei der Motivierung seiner Adressaten zur Heilsverwirklichung in 2,13, wo der Apostel unmittelbar im Anschluss an die Forderung, das eigene Heil zu schaffen, betont, Gott selbst wirke in ihnen „Wirken und Wollen gemäß seinem Ratschluss“. Auch an dieser Stelle erscheint angesichts des göttlichen Wirkens ein Verlassen des Heilsbereichs faktisch ausgeschlossen, was eine besondere Motivation zum Verbleiben in der Ekklesia darstellt.
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Das Beispiel des Epaphroditus
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den, seinen eventuellen Tod und sein Auferstehen in Analogie zu Statuspreisgabe, Leiden, Tod und Auferstehung Christi. Auch in Phil 3 erfolgt somit, wie bereits in der Paraklese 1,27 – 2,18, eine vorbildethische Bezugnahme auf Christus. Indem Paulus in 3,17 mit der Aufforderung sullilgta¸ lou c¸meshe an dieses Beispiel anknüpft, inhäriert der geforderten Christusentsprechung hier im Besonderen das Moment der Leidensnachahmung. Dieses erweist sich unter Berücksichtigung weiterer Belege als das Charakteristikum des Nachahmungsgedankens bei Paulus. 3.) In 3,20 f spielt Paulus, anders als im Nahkontext des Psalms, auch auf Christi Herrsein (2,9 – 11) an. Den Leidenserfahrungen seiner Adressaten und der Ausrichtung der „Feinde des Kreuzes Christi“ auf irdische Dinge stellt Paulus die Erwartung des Kyrios Jesus Christus gegenüber, die alle irdischdiesseitigen Heilserwartungen übertrifft. 4.) Der sich bei der Untersuchung von 1,27 – 2,18 abzeichnende Konflikt in Philippi verdeutlicht sich in Phil 3 in dreierlei Hinsicht: a) Infolge der Leidenserfahrungen haben einige Personen die Gemeinde verlassen (3,18: „Feinde des Kreuzes Christi“), weitere sind vom Abfall bedroht (4,2 f: Euodia und Syntyche). b) Im Bestreben von Gemeindmitgliedern durch die Re-Assimilation an die pagane Umwelt den sozialen Leidenserfahrungen, dem Verlust von Status und Ehre, zu entgehen, wird die Verbindung zum zweiten in 2,3 f anklingenden Konfliktbereich zu sehen sein. 5.) Eine Reaktion auf einen weiteren Konflikt um jüdische bzw. judenchristliche Gegenmissionare oder eine enthusiastische Strömung liegt in Phil 3 offenbar nicht vor. Die angeführten Gegenpositionen, ein Vertrauen auf die Beschneidung und die Vorstellung einer bereits erreichten Vollkommenheit, führt der Apostel vielmehr exemplarisch den Philippern als Beispiele für eine Ausrichtung auf irdische Dinge vor Augen. Ersteres könnte dabei gleichzeitig als Warnung vor den Gegnern aus Galatien fungieren.
3.3 Phil 2,25 – 30: „… bis zum Tod“. Das Beispiel des Epaphroditus Geht Paulus in Phil 3 auf den Konflikt in Philippi ein und spitzt dabei die Mahnung zu einer Christusentsprechung dahingehend zu, dass selbst eine Leidens- und Todesnachahmung erforderlich sein kann, für welche er selbst ein Beispiel gebe, so geht diesem Abschnitt ein weiteres Beispiel für die geforderte Nachahmung voran. Diesem kommt für die Empfänger insofern eine besondere Bedeutung zu, als es sich um das Beispiel eines Gemeindemitglieds, einer Person aus ihren eigenen Reihen, handelt. Der Gemeindegesandte Epaphroditus hat die vom Apostel an die Philipper gerichtete Forderung in exemplarischer Weise erfüllt und wird der Gemeinde daher besonders an-
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Die Rezeption des Christuspsalms
empfohlen. Begegnet in 2,25 – 30 lediglich eine Zitatanspielung auf den Christuspsalm, so wird jedoch in einem besonders markanten Punkt auf den Text Bezug genommen und eine Analogie zwischen dem Handeln des Gemeindegesandten und demjenigen Christi hergestellt. Für unsere Untersuchung hat dieser Abschnitt zudem besondere Relevanz, da sich in ihm das paulinische Verständnis der Nachahmung Christi weiter verdeutlicht. Er gibt Aufschluss darüber, wie Paulus die in Phil 3 geforderte Leidens- und Todesnachahmung im konkreten Handeln der Christen versteht und inwiefern er tatsächlich ein physisches Mit-Sterben fordert. Dies ist auch der Grund dafür, das Beispiel des Epaphroditus, abweichend von seiner Stellung innerhalb des Briefs, erst nach Phil 3 zu behandeln.
3.3.1 Epaphroditus als ethisches Vorbild Epaphroditus zählt zu den wenigen namentlich bekannten Gemeindemitgliedern Philippis.542 Nach 4,18 handelt es sich bei ihm um den Überbringer der von den Philippern an Paulus gesendeten Geldspende. Schreibt Paulus, er halte es für nötig, ihn nach Philippi zu senden, schließt dies offenbar ein, dass ihm seitens der Gemeinde weitere, längerfristige Aufgaben im Umfeld des Apostels zugedacht waren und eine Rückkehr zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorgesehen war.543 Epaphroditus wird, worauf auch seine Bezeichnung als rl_m !pºstokor (V. 25) hinweist, den Gemeindegesandten zuzurechnen sein, d. h. den von den Gemeinden zur Mitarbeit an der paulinischen Mission abgestellten Mitgliedern.544 Am Haftort des Apostels war Epaphroditus allerdings erkrankt, wie Paulus wiederholt hervorhebt, sogar lebensbedrohlich (2,27.30). Die Gemeinde hatte von seiner Erkrankung erfahren, was bei ihrem Gesandten Besorgnis erregte (V. 26). Es ist zu erwägen, ob Epaphroditus eventuell ebenfalls verhaftet und zu Paulus gesperrt worden war und anschließend in der Haft erkrankte.545 Ein Hinweis hierauf könnte in seiner Bezeichnung als sustqati¾tgr („[Kriegs-]Kamerad“546 [V. 25]) liegen. Wählt Paulus hiermit einen aus dem militärischen Bereich stammenden Begriff, welcher aus Sicht der Bewohner der römischen Kolonie Philippi einen besonders ehrenvollen Klang besitzt547, so könnte dies über den reinen Gebrauch als „Ehrenprädikat“548 hinaus implizieren, dass beide gemeinsam Konflikten ausgesetzt 542 Offenbar handelte es sich bei seinen Eltern um Verehrer der Göttin Aphrodite (vgl. O’Brien, Philippians, 329). Sein Name kennzeichnet ihn als einen Heidenchristen. 543 Vgl. Gnilka, Philipperbrief, 162. 544 Vgl. Ollrog, Mitarbeiter, 99; Mller, Philipper, 129. Zu den Gemeindegesandten allgemein vgl. Ollrog, Mitarbeiter, 79ff, 95 ff. 545 Vgl. Walter, Philipper, 70. 546 Vgl. Gemoll, 722; Menge, 667. 547 Vgl. unten. 548 Bauer, 1586.
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Das Beispiel des Epaphroditus
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waren.549 Von da aus scheint aber die Möglichkeit durchaus erwägenswert, dass Epaphroditus mit dem vom Apostel in Phlm 23 erwähnten „Mitgefangenen Epaphras“ (9pavq÷r b sumaiwl²kytºr lou), bei dessen Namen es sich um eine Kurzform von Epaphroditus handeln dürfte550, identisch ist.551 Gerade da Phlm in derselben Haft wie Phil entstanden ist, lässt die offenbare Namensgleichheit eine Identifizierung der beiden Personen als möglich erscheinen. Dies hätte besondere Bedeutung für die innere Chronologie der Paulusbriefe. In diesem Fall hätte Paulus Phlm vor Phil verfasst, da Epaphroditus nach Abfassung des Phil offenbar unverzüglich mit dem Brief nach Philippi zurückkehren sollte (vgl. V. 25 f). Dem entgegen steht freilich die Erwähnung des „Mitsklaven Epaphras“ in Kol 1,7, welcher nach Kol 4,12 offenbar aus Kolossae stammt.552 Angesichts der Erwähnung eines Epaphras im zeitnah zum Phil verfassten Phlm und der möglichen Inhaftierung des Gemeindegesandten Epaphroditus wird allerdings zu fragen sein, inwiefern die Angaben des deuteropaulinischen Kol ein zwingendes Argument gegen eine Identifizierung des Epaphroditus aus dem Phil und des Epaphras aus Phlm 23 darstellen.
Die wiederholte Betonung der Bedrohlichkeit von Epaphroditus’ Erkrankung, der Verweis auf den von ihm geleisteten Dienst (V. 30), die Mahnung, ihn ,im Herrn mit viel Freude aufzunehmen und solche wie ihn in Ehren zu halten‘ (V. 29), sowie nicht zuletzt die Frage, warum Epaphroditus von dem Wissen der Philipper um seine Krankheit derart beunruhigt ist (V. 26), gibt vor allem in der deutschsprachigen Forschung Anlass zu Mutmaßungen über einen Konflikt oder eine potentielle Spannung zwischen dem Gemeindegesandten und seiner Heimatgemeinde.553 Paulus reagiere darauf mit einer „Rechtfertigung des Epaphroditus“554. Bernhard Mayer fragt bezüglich V. 29: „Wozu bedürfte es einer solchen Aufforderung, wenn die Position des Epaphroditus unangefragt gewesen wäre?!“555 In Philippi seien, so Mayer, infolge der Nachricht von der Erkrankung „Zweifel [entstanden], ob Epaphroditus seiner Aufgabe gerecht wurde“556, wenn auch noch kein offener Konflikt ausgebrochen sei.557 Anknüpfend an Mayer formuliert Ulrich B. Müller : „(…) Die 549 Vgl. Bockmuehl, Philippians, 170; Reumann, Philippians, 443. 550 Vgl. Bauer, 574; Lohmeyer, Philipper, 118 f. 551 Eine derartige Identifizierung wird weitgehend abgelehnt (vgl. u. a. Reumann, Philippians, 424; Gnilka, Philipperbrief, 161. Lohmeyer, Philipper, 119 betont: „Die Frage nach solcher Identität ist weder zu beantworten noch zu stellen“). Walter, Philipper, 70 hingegen verweist im Zusammenhang mit einer eventuellen Inhaftierung des Gemeindegesandten explizit auf Phlm 23 und hält eine Identifizierung zumindest für möglich. 552 Vgl. u. a. Wolter, Kolosser/Philemon, 55; Peterlin, Philippians, 186. 553 Vgl. u. a. Mayer, Paulus als Vermittler, 182ff; Gnilka, Philipperbrief, 163 f; Mller, Philipper, 129 ff. Bereits K. Barth, Philipperbrief, 82 sieht in 2,25 – 30 „eine einzige goldene Brücke“ die dem aus seinem Dienst bei Paulus „desertierten“ (!) Gemeindegesandten „für seinen Rückzug gebaut wird.“ 554 Gnilka, Philipperbrief, 164. 555 Mayer, Paulus als Vermittler, 188. 556 Ebd., 183. 557 Vgl. ebd., 183.
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Die Rezeption des Christuspsalms
Gemeinde zu Philippi hat von der Krankheit ihres Abgesandten gehört; Epaphroditus seinerseits ist in Unruhe, ob die Gemeinde diese Nachricht richtig deutet, ob ihr nicht Zweifel kommen, daß er seiner Aufgabe gerecht geworden ist.“558 Infolgedessen wird der Abschnitt 2,25 – 30 als eine Art Empfehlungsschreiben für Epaphroditus an seine Heimatgemeinde angesehen, mit welchem Paulus einem (potentiellen) Konflikt entgegenzuwirken trachte. Keineswegs habe der Gemeindegesandte der Philipper seine Aufgabe vernachlässigt; der Einsatz seines Lebens, welcher nach V. 30 „um des Werks Christi willen“559 erfolgt sei, zeuge vielmehr von deren Erfüllung.560 Ein dahingehendes Verständnis bleibt allerdings insofern spekulativ, als weder der Abschnitt selbst einen eindeutigen Hinweis auf Spannungen zwischen dem Gesandten und der Gemeinde in Philippi enthält, noch an irgendeiner anderen Stelle des Phil eine dahingehende Problematik anklingt.561 In der neueren englischsprachigen Forschung wird verstärkt ein anderer in Phil 2,25 – 30 zutage tretender Aspekt wahrgenommen. So klingt in dem Abschnitt, insbesondere in der Betonung von Epaphroditus’ lebensbedrohlicher Erkrankung, auch eine ethische Vorbildfunktion des Gemeindegesandten an.562 Dieser würde dann mit seinem beinahe tödlich verlaufenen Dienst für Christus ein Bespiel für die von den Adressaten geforderte Christusnachahmung geben. Für ein solches Verständnis sprechen entscheidend zwei Argumente: 1.) Innerhalb des Textes selbst findet sich eine markante Zitatanspielung auf den Christuspsalm. Paulus beschreibt die Leistung des Epaphroditus derart: Er sei, „um des Werks Christi willen dem Tod nahe gekommen (l´wqi ham²tou Eccisem)“ (V. 30). Mit der Wendung l´wqi ham²tou nimmt der Apostel offenbar gezielt auf die Schilderung von Christi Gehorsam bis zum Tod Bezug.563 Auf diese Weise setzt er das Leiden des Gemeindegesandten in Analogie zu demjenigen Christi und kennzeichnet es als Christusnachahmung.564 2.) Das Lob des Gemeindegesandten lässt sich auf diese Weise im Rahmen des Gesamtbriefs erklären. Zunächst harmoniert ein solches Verständnis ausgesprochen gut mit dem Kontext. Der Abschnitt reiht sich auf diese Weise ein zwischen zwei weitere Beispiele einer Christusentsprechung. Zuvor lobt 558 Mller, Philipper, 132. 559 Codex Sinaiticus (4) und Alexandrinus (A) sowie weitere Zeugen lesen juq¸ou anstelle von WqistoO. Letzteres ist jedoch u. a. durch P46 und Codex Vaticanus (B) belegt, so dass die Lesart di± t¹ 5qcom WqistoO mit Nestle-Aland27 vorzuziehen ist. 560 Vgl. in diesem Sinne Gnilka, Philipperbrief, 164; Mayer, Paulus als Vermittler, 188; Mller, Philipper, 129 ff. 561 Brucker, Christushymnen, 324 bemerkt: „(…) Von alledem geht nichts aus dem Text hervor.“ 562 Vgl. Fowl, Christology and Ethics, 148; Holloway, Consolation in Philippians, 129; Meeks, Man from Heaven, 111. In der deutschen Forschung vgl. Brucker, Christushymnen, 323 f. 563 Vgl. Meeks, Man From Heaven, 111; Holloway, Consolation in Philippians, 129; Oakes, Philippians, 111; Bockmuehl, Philippians, 174; Brucker, Christushymnen, 323; vgl. auch bereits Lohmeyer, Philipper, 121. 564 Vgl. dahingehend Oakes, Philippians, 111.
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Das Beispiel des Epaphroditus
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Paulus seinen Mitarbeiter Timotheus, welchen er bald nach Philippi zu schicken hofft. Dessen Vorzug hebt der Apostel in Form einer Abgrenzung hervor: „(…) Denn alle suchen das Ihre (t± 2aut_m), nicht dasjenige Jesu Christi“ (V. 21). Bei Timotheus ist dies anders. Als Vorbild veranschaulicht er den auf das innergemeindliche Miteinander, das Verhalten zum Nächsten abzielenden Aspekt der Nachahmungsforderung.565 Darauf folgt Epaphroditus’ Beispiel einer Todesnachahmung und schließlich in 3,5 – 11 dasjenige von Paulus’ Entsprechung zu Christi Statusverzicht, Leiden und Tod. Zusammen decken diese Beispiele die unterschiedlichen Aspekte der Nachahmungsforderung ab. Sodann passt ein dahingehendes Verständnis des Abschnitts zur in den anderen Briefteilen begegnenden und für den Konflikt in Philippi ursächlichen Fremdheit des Gedankens eines Leidens um Christi willen. Gibt das Vorbild Epaphroditus ein Beispiel für eine Christusentsprechung bis zum Tod, fügt sich dies sowohl in die bisherigen Beobachtungen zu einem Konflikt um Leidenserfahrungen als auch in den unmittelbaren Briefkontext ein. Vor allem ist es nicht erforderlich, einen Konflikt oder Spannungen zwischen der Gemeinde und ihrem Gesandten anzunehmen, wovon an keiner Stelle explizit die Rede ist. Ein derartiges Verständnis von 2,25 – 30 lässt sich insoweit verifizieren, als sich auch die weiteren Aussagen des Abschnitts in diesem Zusammenhang erklären lassen. Epaphroditus’ Beunruhigung wegen des Wissens der Gemeinde um seine Erkrankung, die Notwendigkeit, ihn nach Philippi zu senden, die Betonung des beinahe tödlichen Krankheitsverlaufs und die Mahnung an die Philipper, ihn aufzunehmen und solche wie ihn zu ehren, erklären sich vor dem Hintergrund des Konflikts um die Leidensnachahmung und aufgrund der Vorbildfunktion, welche Paulus dem Gemeindemitglied als Reaktion hierauf zuweist. Die Begründung von Epaphroditus’ Rücksendung in V. 26 damit, er habe „Sehnsucht nach euch allen“ (1pipoh_m Gm p²mtar rl÷r) und sei beunruhigt (!dglom_m) gewesen, weil die Philipper von seiner Erkrankung gehört hatten, hat weit reichende Vermutungen über den „wahren“ Grund seiner Rückkehr und die Ursache der Beunruhigung ausgelöst. Ernst Lohmeyer sieht den Grund der Abreise in Epaphroditus’ Verlangen, seiner Gemeinde „in ihrer schweren Lage [dem Martyrium] beizustehen.“566 Anknüpfend an Karl Barth versteht Gnilka die Sehnsucht als „Heimweh“567 und folgert: „Der Text gibt den frühzeitigen Abbruch des Aufenthaltes und damit ein Versagen des Epaphroditus, wenn auch auf vornehmste Weise, zu.“568 Mayer betont dem gegen565 Terminologische Anklänge an den Christuspsalm und damit an das Beispiel Christi bieten vor allem t± 2aut_m (V. 21) und douke¼eim (V. 22). 566 Lohmeyer, Philipper, 119. 567 Gnilka, Philipperbrief, 163; K. Barth, Philipperbrief, 82; vgl. auch Walter, Philipper, 70. Nach Walter ist dies allerdings nicht „als ein ,Versagen‘ angesichts der ,Aufgabe‘, Paulus zur Verfügungen zu stehen“, aufzufassen. 568 Gnilka, Philipperbrief, 162.
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Die Rezeption des Christuspsalms
über zu Recht Paulus’ Begründung von Epaphroditus’ „Sehnsucht“ und „Beunruhigung“ mit der nach Philippi gelangten Nachricht von seiner Erkrankung. Diese Nachricht stellt offenbar den Grund für dessen Streben nach einer Rückkehr dar.569 Mayer schließt allerdings daraus, Epaphroditus sei beunruhigt und wolle nach Philippi zurückkehren, um möglichen Zweifeln zuvorzukommen, ob er aufgrund der Erkrankung „seiner Aufgabe gerecht wurde.“570 Ganz ohne derlei Erwägung über eine potentielle Spannung zwischen Epaphroditus und seiner Heimatgemeinde erklärt sich dessen Beunruhigung wegen des Wissens der Philipper um seine Krankheit jedoch angesichts der aktuellen Probleme in Philippi. Bedeuten die Leidenserfahrungen innerhalb der Gemeinde und die Verhaftung des Apostels Paulus bereits eine Anfechtung für die heidenchristlichen Gemeindemitglieder und können für sie die Wahrheit des Evangeliums infrage stellen, so droht die Nachricht einer schweren Erkrankung des Gemeindegesandten den sich abzeichnenden Konflikt noch zu verschärfen.571 Ob Paulus und Epaphroditus bereits Auswirkungen der Nachricht in Philippi bekannt sind, oder ob den Gemeindegesandten nur eine dahingehende böse Ahnung bedrängt, geht aus dem Text nicht hervor. Jedoch ist zu erwägen, ob nicht gerade eine Eskalation der Situation nach Epaphroditus’ Eintreffen bei Paulus den Anlass für die Abfassung des Phil darstellen könnte. Mit der Überbringung der Krankheitsnachricht gab es seit seiner Ankunft bereits eine Reisebewegung vom paulinischen Haftort nach Philippi. Hat aber zu diesem Zeitpunkt die sich in der bisherigen Untersuchung zeigende Konfliktsituation schon in der Form bestanden, dass Gemeindemitglieder die Ekklesia verlassen haben und weitere vom Abfall bedroht sind, wäre eine sofortige Reaktion auf ein derart drängendes Problem angemessen. Der mögliche Abfall von Gemeindemitgliedern scheint keine Verzögerung zuzulassen. Es wäre daher zu erwarten, dass Paulus angesichts dessen bereits denjenigen, die auch die Botschaft von der Erkrankung des Gemeindegesandten nach Philippi gebracht haben einen Brief als Reaktion auf den akuten Konflikt mit gäbe. Eine unverzügliche Intervention des Apostels mit dem Ziel, den Abfall weiterer Gemeindemitglieder zu verhindern, läge nahe. Sicherheit über den Ablauf der Ereignisse wird jedoch nicht zu gewinnen sein, da in Rechnung gestellt werden muss, dass die Möglichkeit, einen Brief zu verfassen, von den jeweiligen Haftbedingungen abhängig gewesen ist. Eine verzögerte Reaktion
569 Vgl. Mayer, Paulus als Vermittler, 182. Anders: Lohmeyer, Philipper, 119: „Man darf sie [diese Bemerkung] wohl kaum dahin interpretieren, als sei der eigentliche Grund seiner Sorge die Verbreitung der Nachricht von seiner Krankheit gewesen. Näher liegt es, hier eine brieflich lose Wendung zu nehmen, die nur abwehren will, als handele es sich hier für die Philipper um etwas Neues oder bisher Unbekanntes.“ 570 Mayer, Paulus als Vermittler, 183. 571 Paulus Betonung der Lebensbedrohlichkeit der Erkrankung schließt nicht aus, dass die Philipper darum bereits wussten (gegen Mayer, Paulus als Vermittler, 184). Ihr kommt die Funktion eines Verweises auf die Christusnachahmung zu.
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Das Beispiel des Epaphroditus
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ließe sich demzufolge damit erklären, dass Paulus die Abfassung eines Briefs zuvor nicht möglich war.572
Es ist somit zumindest möglich, dass der Konflikt in Philippi erst nach Epaphroditus’ Ankunft bei Paulus und infolge der Nachricht von seiner Erkrankung erheblich an Schärfe zugenommen hat. Eventuell kommt es erst jetzt zu einer Eskalation, zu Austritten aus der Gemeinde und damit zur Bedrohung von deren Einheit. Diesen Vorgängen muss Paulus in einem Brief gegensteuern, u. a. dadurch, dass er den heimkehrenden Gemeindegesandten den Philippern als ein Beispiel für die erforderliche Nachahmung von Christi Leiden und Tod präsentiert. Diesem Beispiel dient der wiederholte Verweis auf die Todesnähe, insbesondere die Parallelisierung von Epaphroditus’ lebensbedrohlicher Erkrankung mit dem Vorbild Christi durch die Zitatanspielung l´wqi ham²tou.573 Gleichzeitig verleiht er auf diese Weise dessen schwerer Krankheit einen Sinn und macht sie, ebenso wie seine eigene Lebensgefahr in 1,12 – 14, den Adressaten als mit dem Christusverhältnis verbunden annehmbar. Epaphroditus’ Tod wäre im Dienst für das Werk Christi erfolgt und hätte demnach keine Infragestellung des christlichen Kerygmas bedeutet.574 Von dem Konflikt um Leidenserfahrungen und von der Vorbildfunktion des Epaphroditus aus erklärt sich auch die als Hinweis auf Spannungen zwischen der Gemeinde und ihrem Gesandten erachtete Aufforderung: „Nehmt ihn also im Herrn mit Freuden auf und haltet solche wie ihn in Ehren“ (V. 29). Das Thema der Aufnahme mit Freuden knüpft an V. 28 an. Mit der Rücksendung des Epaphroditus nach Philippi verbindet Paulus das Ziel, dass sich die Gemeinde, wenn sie ihn sieht, freut. Freude auch angesichts von Leid ist ein wiederkehrendes Motiv innerhalb des Phil575, welches Paulus gezielt als Reaktion auf den Konflikt um Leidenserfahrungen in Philippi einsetzt.576 Die Freude über den genesen Zurückgekehrten kann nunmehr dazu dienen die akute Konfliktsituation einzudämmen. Paulus stellt somit ausdrücklich die Freude heraus, die Epaphroditus’ Rückkehr mit sich bringen soll. Und eben weil die Freude über die Rückkehr zu einer Deeskalation in Philippi beiträgt, kann der Apostel sorgenfreier (!kupºteqor) sein.577 Daher rücken die Wie572 Zur römischen Untersuchungshaft und zu den unterschiedlichen Haftbedingungen vgl. Krause, Gefängnisse im Römischen Reich, 64ff, 276 ff. 573 Offen bleiben muss, ob Paulus die Verbreitung der Wendung im Martyiumskontext (vgl. 2.3) bewusst ist. 574 Aufgrund der Reaktion auf einen akuten Konflikt erklärt sich auch Paulus’ eifriges Bemühen um die Rücksendung (spoudaiot´qyr owm 5pelxa 2autºm; mit Mayer, Paulus als Vermittler, 185 wird spoudaiot´qyr hier am besten ähnlich einem Elativ zu verstehen und mit „recht [sehr] eifrig, mit ziemlichem [besonderem] Eifer“ wiederzugeben sein). 575 Vgl. 1,4.18.25; 2,2.17; 4,1.10 und die ausdrückliche Aufforderung zur Freude in 2,18; 3,1; 4,4. 576 Vgl. 5.2.2. 577 Dahingehend auch Mayer, Paulus als Vermittler, 187. Mayer denkt dabei allerdings an die Beilegung der von ihm postulierten „Krise zwischen Epaphroditus und seiner Heimatgemeinde“ (187; vgl. auch Mller, Philipper, 131).
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dersehensfreude der Philipper und Paulus’ geringere Sorge im das Ziel der Sendung des Epaphroditus angebenden Finalsatz V. 28b eng zusammen.578 Dient Epaphroditus als ethisches Vorbild, so ist auch der zweite Teil der Aufforderung, ihm besondere Ehre zukommen zu lassen, ohne weiteres verständlich. Dass Paulus diese Ehre dabei nicht alleine für Epaphroditus fordert, sondern im Plural für all diejenigen, welche ebenso handeln (toioOtoi), weist keineswegs auf eine Spannung hin, infolge derer „es für die Gemeinde eine gewisse Zumutung zu sein schien, Ansehen und Position des Epaphroditus in Philippi weiterhin ungeschmälert zu akzeptieren.“579 Vielmehr entspricht dies der unbegrenzten Ausweitung des Vorbildgedankens, die in 3,17 deutlich wird. Dort verweist Paulus im Rahmen der Nachahmungsforderung nicht direkt auf sich selbst (sowie wahrscheinlich Timotheus und Epaphroditus580) als Vorbild einer Christusnachahmung, sondern er fordert die Adressaten auf, sich an all denjenigen zu orientieren, welche ebenso ihr Leben führen. Alle Christen, welche den angeführten Vorbildern Timotheus, Epaphroditus und Paulus und damit dem Vorbild Christi entsprechen, werden selbst Vorbilder für die Nachahmung von Christi Leiden und Tod. Sie alle sind das Gegenbild zu den „Feinden des Kreuzes“, welche infolge von Leidenserfahrungen die Gemeinde verlassen haben. Mit Epaphroditus’ Vorbildfunktion erklärt sich auch dessen ausführliche Charakterisierung zu Beginn des Abschnitts. In V. 25 charakterisiert Paulus den Gemeindegesandten im Verhältnis zu sich als seinen Bruder (!dekvºr), Mitarbeiter (sumeqcºr) und Mitkämpfer (sustqati¾tgr): Man wird in dieser Abfolge gegen Mayer durchaus eine Steigerung erkennen dürfen, zumindest insofern als auf deren Abschluss mit sustqati¾tgr offenbar eine besondere Betonung liegt.581 Diese nur noch einmal zeitnah in Phlm 2 begegnende Bezeichnung wird in Verbindung mit dem sozialen Umfeld in der römischen Kolonie Philippi und den dort angesiedelten Veteranen zu verstehen sein. Paulus dürfte sie mit Bedacht an das Ende der Reihe gesetzt haben, förmlich 578 Vgl. dahingehend Holloway, Consolation in Philippians, 128: „Paul’s purpose in returning Epaphroditus is therefore explicitly consolatory : first, to console the Philippians who, already distressed over Paul’s imprisonment, are now further distressed by word of Epaphroditus’ illness, and second, to console Paul himself who, like Epaphroditus, is concerned about the Philippians.“ 579 Mayer, Paulus als Vermittler, 187. 580 Vgl. 3.2.3 zum unsicheren Verständnis von t¼por Bl÷r in 3,18. 581 Gegen Mayer, Paulus als Vermittler, 178; vgl. für eine steigernde Auffassung Lohmeyer, Philipper, 119; Mller, Philipper, 128; Eckey, Philipper, 96. Allerdings wird hier nicht an eine Steigerung in dem Sinne zu denken sein, dass Paulus von dem Bruder als Mitchristen im Allgemeinen, über den Mitarbeiter hin zum „Mitkämpfer“, der „die Leiden dieses Amtes, insbesondere jetzt das Martyrium mitträgt“ (Lohmeyer, Philipper, 119), fortschreite. In Verbindung mit den auf alle drei Begriffe zu beziehenden Personalpronomen lou scheint Paulus mit !dekvºr hier seine besondere Verbundenheit mit Epaphroditus zu betonen, und nicht nur allgemein dessen Christsein zu bezeichnen (vgl. Mayer, Paulus als Vermittler, 178; Ollrog, Mitarbeiter, 78).
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als ein besonderes „Ehrenprädikat“582. Mit diesem greift er offenbar auf den Philippern geläufigen militärischen Sprachgebrauch zurück583, in welchem sustqati¾tgr eine ehrenvolle Bezeichnung des Mitkämpfers im Krieg darstellt.584 In diesem Sinne bieten Gemoll sowie Menge die Wiedergabe als „(Kriegs-)Kamerad“.585 Der Apostel bezeichnet auf diese Weise den Gemeindegesandten Epaphroditus mit einem Attribut, welches in den Ohren der Empfänger einen ausgesprochen ehrenvollen Klang hat und hebt dadurch dessen Dienst in besonderem Maße hervor.586 Hierin zeigt sich erneut Paulus’ Eingehen auf das Ethos der heidenchristlichen Gemeindemitglieder. Wie er bereits in 1,27.30 den Philippern den Sinn ihres Leidens mit der Vorstellung eines heldenhaften Wettkampfs nahe zu bringen versucht und zur Schilderung seiner eigenen Vorbildfunktion in 3,13b.14 das Läufermotiv gebraucht, so berücksichtigt er auch hier deren pagane Herkunft, zumal aus einer römischen Kolonie, und integriert eine ihnen geläufige Wertvorstellung positiv in seine Argumentation.587 Epaphroditus ist nicht nur Bruder und Mitarbeiter, er ist darüber hinaus auch Mitkämpfer im möglicherweise tödlichen Kampf um des Werks Christi willen. Schließlich ergibt sich vor diesem Hintergrund eine weitere Auslegungsvariante für die Wendung !mapkgq¾s, t¹ rl_m rst´qgla in V. 30. Zunächst bestehen für die Wiedergabe dieser Wendung zwei sich gegenseitig nicht ausschließende Optionen, welche beide bei Paulus Anhalt finden, so dass allein der Briefkontext Aufschluss über die Bedeutung in Phil 2,30 geben kann: 1.) ein wörtliches Verständnis als Auffüllen bzw. Ausgleich eines konkreten Mangels oder 2.) im übertragenen Sinn als eine Stellvertretung der Gemeinde, deren Mangel in ihrer „räumlichen Entfernung (…) von Paulus besteht“588, so dass sie ihn nicht unmittelbar bei seiner Missionsarbeit unterstützen kann.589 Dieses übertragene Verständnis bereitet allerdings insofern Schwierigkeiten, als Epaphroditus seiner eigentlichen Aufgabe als Gemeindegesandter aufgrund seiner Erkrankung offensichtlich nicht nachkommen konnte. Es stellt sich die Frage, wie eine beinahe tödlich verlaufene Krankheit den Missions-
582 Bauer, 1586. 583 Anders: Bauernfeind, stqate¼olai, 711. 584 Vgl. ebd., 704: „Nur diejenigen pflegten einander so zu begrüßen, die beiderseits kriegerische Gefahren ehrenvoll bestanden hatten“ (vgl. Xenophon, hell. II,4,20). 585 Vgl. Gemoll, 722; Menge, 667; vgl. dahingehend auch Bauernfeind, stqate¼olai, 704 unter Verweis auf die Verbindung von Mitkämpfersein und Freundschaft in Aristoteles, eth. Nic. VIII,9,1. 586 Eventuell weist die Bezeichnung auf gemeinsam bewältigte Auseinandersetzungen hin (vgl. oben). 587 Selbst wenn unter den Gemeindemitgliedern keine römischen Veteranen sein sollten, werden den Empfängern militärische Werte aus ihrer Umwelt geläufig sein. 588 Mller, Philipper, 134. 589 Vgl. Lohmeyer, Philipper, 118, 121; Mller, Philipper, 134; Fee, Philippians, 283 f; Walter, Philipper, 69; Ollrog, Mitarbeiter, 98 f.
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dienst der Gemeinde vertreten kann?590 Versteht man Paulus’ Aussage jedoch wörtlich, Epaphroditus habe einen Mangel der Philipper aufgefüllt, indem er „um des Werks Christi willen dem Tod nahe gekommen“ sei, so passt dies neuerlich zu dem Konflikt in Philippi, bei dem es entscheidend um die Frage des Leidens um Christi willen geht. Der konkrete Mangel der Philipper besteht ja gerade in der unzureichenden Leidensnachahmung einiger Gemeindemitglieder.591 Einen solchen Mangel kann man Epaphroditus keineswegs nachsagen. Vielmehr nimmt er in seinem Dienst Leiden „bis zum Tod“ in Kauf. Durch den Einsatz seines Lebens für das Werk Christi aber gleicht er aus Sicht des Apostels den Mangel der Philipper aus. Dass Paulus diesen Mangel als Mangel der Gemeinde in ihrem Dienst für ihn (t/r pqºr le keitouqc¸ar) bezeichnet, ließe sich von 2,16 f her erklären. Seine Gemeinden sind am Tag Christi der Maßstab dafür, ob er dem von Gott selbst erteilten Auftrag als Apostel592 gerecht geworden ist.593 In diesem Zusammenhang gebraucht Paulus ebenfalls den Begriff keitouqc¸a für den Dienst der Philipper. Die Gemeinde ist ihm Grund zum „Ruhm auf den Tag Christi hin“ (V. 16) und daher ist es ihm ein Grund zur Freude, selbst wenn er „ausgegossen“ wird „über dem Opfer und Dienst (keitouqc¸a) [deren] Glaubens“ (V. 17). Wenn die Philipper den Leidenserfahrungen zum Trotz standhaft bleiben, dem Leiden nicht ausweichen und an Christus festhalten – wenn sie auf diese Weise das Opfer und den Dienst des Glaubens verrichten –, hat dies unmittelbare Auswirkungen für den Apostel selbst.594 Daher stellt die Leidensnachahmung gerade auch einen Dienst für Paulus dar, eine Leidensflucht hingegen ein Mangel in diesem Dienst. Das Schicksal seiner Gemeinden ist aufs Engste mit demjenigen des Apostels verknüpft.595 Der Ausgleich eines Mangels ist dabei eventuell konkret von Epaphroditus’ Vorbildfunktion her zu verstehen. Sein Vorbild dient dazu, angefochtene Gemeindemitglieder zur Standhaftigkeit im Leiden zu bewegen. Der Gemeindegesandte gleicht dann im strengen Sinne einen Mangel aus, und zwar,
590 Auch Ollrog, Mitarbeiter, 98 f, der sich kritisch mit der Frage auseinandersetzt, inwiefern Epaphroditus seine Gemeinde vertreten oder deren Mangel ausgleichen kann, übersieht diese Problematik, wenn er die Rolle der Krankheit weitgehend ausblendet. So heißt es bei ihm: „Als offizieller Vertreter seiner Gemeinde vertritt er die Philipper in der Missionsarbeit bei Paulus und füllt damit den Mangel aus, der der Gemeinde anhaftet“ (99). 591 Peterlins These, der Mangel bestehe in einem zu geringen Umfang der Geldspende (Philippians, 203), welchen Epaphroditus dadurch ausgleiche, dass er die Kosten für seine Missionstätigkeit selbst trage (200 f), lässt sich im Brief nicht verifizieren. Vielmehr bestätigt Paulus in 4,18, dass er nunmehr Überfluss habe (vgl. Ollrog, Mitarbeiter, 98). Zudem verweist bereits Ollrog darauf, dass „hier nicht ein Geldmangel des Paulus, sondern ein Mangel der philippischen Gemeinde ausgeglichen werden soll (,euer Mangel‘)“ (98). 592 Vgl. Gal 1,15 f; 1. Kor 15,10. 593 Vgl. auch 1. Thess 2,19; 1. Kor 2,9; 2. Kor 1,14. 594 Vgl. auch die Anrede der Philipper als „mein Siegeskranz“ (st´vamºr lou) in 4,1. 595 Vgl. Schnelle, Paulus, 162; Becker, Paulus, 86; vgl. auch 3.1.4.
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indem er Andere dazu veranlasst, seinem Beispiel Folge zu leisten, auf dass sich Paulus der Philipper am „Tag Christi“ rühmen kann.596 Es bietet sich somit an die ausführliche Empfehlung des Gemeindegesandten Epaphroditus nicht auf eine (potentielle) Spannung zwischen diesem und seiner Heimatgemeinde Philippi zurückzuführen, sondern in dem Abschnitt vielmehr eine Reaktion auf den durch Leidenserfahrungen ausgelösten Konflikt in der heidenchristlichen Gemeinde zu sehen. Paulus stellt den Philippern ihren Gesandten als ein ethisches Vorbild vor Augen. Diese Auslegung hat sowohl den unmittelbarem Kontextbezug als auch den Bezug zum Gesamtbrief für sich und ist nicht auf höchst unsichere, allein auf den Abschnitt selbst gründende Spekulationen angewiesen. Die Beobachtungen, an welche Spekulationen über einen Konflikt zwischen Epaphroditus und den Philippern anknüpfen, lassen sich zudem alle vor dem Hintergrund des Konflikts um Leidenserfahrungen und aufgrund der Vorbildfunktion des Gemeindegesandten erklären.
3.3.2 Paulus’ differenzierte Wertung der Todesnachahmung Führt Paulus die lebensbedrohliche Erkrankung des Epaphroditus als Beispiel für eine Nachahmung Christi bis zum Tod an, so tritt daneben noch eine zweite Sicht des Apostels auf die Todesgefahr, in welcher sich der Gemeindegesandte befunden hatte. Dabei wird diese gerade nicht positiv gewertet. In V. 27a erwähnt Paulus erstmals die Lebensbedrohlichkeit der Erkrankung: Der Gemeindegesandte war schwer krank, „nahe dem Tod“ (paqapk¶siom ham²tou). Seine Genesung kann der Apostel als Erbarmen Gottes auffassen (V. 27b), sowohl für die Gemeinde als auch für sich selbst. Für ihn hätte Epaphroditus’ Tod noch eine weitere Trübsal bedeutet. Die Philipper wiederum sollen sich über die Rückkehr des Genesenen freuen (V. 28). Mit der positiven Wertung von Epaphroditus’ Genesung besteht eine scheinbare Spannung zu Paulus’ Lob, dieser sei „um des Werks Christi willen dem Tod nahe gekommen“ (V. 30), und zur Forderung einer Leidens- und Todesnachahmung in Phil 3. Die Todesnähe wird in V. 30 durch die Zitatanspielung auf den Christuspsalm mit l´wqi ham²tou, dessen Gebrauch im Martyriumskontext Paulus eventuell bewusst ist, ausdrücklich positiv hervorgehoben und in Analogie zu Christi Handeln gesetzt. Und Todesnachahmung wird in Phil 3 nicht allein gefordert, sondern erscheint in V. 10 f sogar als Voraussetzung der Auferstehung und somit als heilsnotwendig. Ernst Lohmeyer erklärt die ver596 Mller, Philipper, 121 sieht darin, dass Paulus in V. 25 bezüglich Epaphroditus Sendung nach Philippi nicht !map´lpeim (zurücksenden), sondern p´lpeim (senden) schreibt, einen Hinweis darauf, dass der Apostel gezielt an eine Beauftragung des Gemeindegesandten nunmehr „zu einem Dienst bei der Heimatgemeinde“ denke. Epaphroditus käme dann mit einem geradezu offiziellen Auftrag des Apostels nach Philippi zurück, während dieser in Haft sitzt und sich nicht selbst um die in eine Krise geratene Gemeinde kümmern kann.
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Die Rezeption des Christuspsalms
meintliche Spannung zwischen den paulinischen Aussagen dahingehend, V. 27 enthalte „Mitteilungen (…) konkrete[r] geschichtliche[r] Verhältnisse, die mit einfacher und unreflektierter Frömmigkeit behandelt und erlebt werden.“597 Die unterschiedliche Wertung der Todesnachahmung lässt sich jedoch unter Berücksichtigung zweier Punkte als durchaus theologisch reflektiert verstehen: 1.) gilt es den Aspekt zu beachten, unter welchem Paulus den Tod um Christi willen innerhalb des Phil jeweils betrachtet. Erfolgt in anderen Briefteilen eine positive Wertung des Todes, so geschieht dies unter eschatologischer und soteriologischer Perspektive. In 1,23 ist es das s»m Wqist` eWmai, die Vollendung der Gemeinschaft mit Christus, welches Paulus Anlass geben könnte, den Tod dem Leben vorzuziehen. Nach 2,16 f wäre dem Apostel sein Tod dann ein Grund zur Freude, wenn er sich der Philipper am „Tag Christi“ rühmen kann. Und 3,10 f ist Paulus’ Ziel das Sterben mit Christus als Voraussetzung des Auferstehens mit ihm. Erscheint damit an letzter Stelle der Tod um Christi willen sogar als heilsnotwendig, so wird dies verständlich unter Berücksichtigung der Konfliktsituation in Philippi. Die Gemeindemitglieder stehen aus Paulus’ Sicht einzig vor zwei Alternativen: a) Re-Assimilation an die pagane Umwelt durch Verlassen der Ekklesia und damit des Heilsbereichs, b) Leidensnachahmung, indem sie in der Gemeinde verbleiben mit den sich daraus ergebenden negativen Konsequenzen. Dabei kann das Verbleiben im Heilsbereich, wie die Philipper an ihrem Gesandten erfahren müssen, sogar das Sterben „um des Werks Christi willen“ einschließen. Angesichts dessen kann Paulus zur Leidens- und Todesnachahmung aufrufen und den Tod unter eschatologischem und soteriologischem Gesichtspunkt positiv werten. Dadurch werden Leiden und Tod im Hier und Jetzt jedoch nicht zu etwas Positivem. Sie bleiben für die Betroffenen selbst dann negativ, wenn sie im Einsatz für das Evangelium erfolgen. Und der Tod eines Mitbruders und Mitarbeiters ist ein Grund zur Betrübnis. Damit äußert sich Paulus aber gerade nicht „unreflektiert“, wenn er in Epaphroditus’ Genesung das Erbarmen Gottes erkennt. Vielmehr ist seine Aussage gerade darin reflektiert, dass er das Leid als solches nicht negiert, sondern in seiner Schwere wahrnimmt.598 „Unreflektiert“ müsste es seinen Empfängern hingegen anmuten, würde er ihre negativen Erfahrungen im Diesseits bzw. in der Gegenwart als an sich positiv charakterisieren, wenn auch das Ertragen des Leids unter eschatologischer Perspektive ein Grund zur Freude sein kann. 597 Lohmeyer, Philipper, 120. Damit stehe V. 27 in „scheinbarem“ Widerspruch zu anderen Aussagen des Phil: „Scheinbar vergessen ist alles, was noch eben über die Todesfreude gesagt war (…). Vergessen scheint auch, daß das Martyrium, das hier deutlich unter ,Not‘ [so Lohmeyer für k¼pg] mitverstanden ist, bisher immer als Zeichen besonderer Gnade betrachtet war.“ 598 Dem würde es entsprechen, wenn Paulus in 1,29 mit 1w²qishg (…) t¹ rp³q aqtoO p²sweim nicht das Leiden selbst, sondern das Leiden-Können als Geschenk bezeichnet (vgl. 3.1.2).
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Fazit Rezeption
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2.) darf ein weiterer entscheidender Aspekt nicht übersehen werden. Die Forderung einer Todesnachahmung ist auch insofern situationsbedingt, als in bestimmten Fällen ein Weiterleben der Sache Christi dienlicher sein kann. Dies wird deutlich in der Abwägung des inhaftierten Paulus zwischen Leben und Tod. Leben wie Tod können Christus verherrlichen (1,20). Und das Leben kann um der Ekklesia willen dem Tod vorzuziehen sein. Wegen der Philipper ist Paulus’ Weiterleben notwendiger (1,24).599 Und auch Epaphroditus’ Rückkehr in seine sich aufgrund von Leidenserfahrungen in einer Krise befindende Gemeinde ist notwendiger, als es sein Sterben für Christus am Haftort des Paulus gewesen wäre. Die Rückkehr soll Freude auslösen und damit die akute Konfliktsituation in seiner Heimatgemeinde entschärfen. Nicht zuletzt, wenn seine Erkrankung ursächlich für die Eskalation des Konflikts war, kommt seiner Genesung und Rückkehr große Bedeutung zu. Sein Tod hingegen hätte einen negativen Verlauf des Konflikts begünstigt. Stattdessen kann er nunmehr selbst in diesen Konflikt eingreifen und der Gemeinde zu Hause als Vorbild für den Umgang mit Leidenserfahrungen dienen. Als solches kann er andere Gemeindemitglieder davon überzeugen, auch angesichts der Leidenserfahrungen am Christentum festzuhalten, und damit einen wichtigen Dienst in der Gemeinde verrichten. Paulus fordert somit kein Leiden und Sterben um Christi willen an sich, sondern ein der Situation angemessenes Handeln. Dieses Handeln kann darin bestehen, dass ein Mensch, wie der Gemeindegesandte Epaphroditus, im Dienst für Christus Leiden oder sogar den Tod in Kauf nimmt. Daraus ergibt sich aber keine positive Wertung des Todes selbst. Der Tod bleibt nicht zuletzt für die Mitmenschen eine Leidenserfahrung. Ebenso kann es sein, dass gerade nicht Sterben, sondern vielmehr Leben um Christi willen geboten ist. Damit zeigt sich im Phil eine ausgesprochen differenzierte Wertung der Todesnachahmung. Diese Wertung orientiert sich einerseits an der Perspektive, unter welcher Todesnachahmung betrachtet wird, der soteriologisch-eschatologischen Perspektive oder der Perspektive der Mitmenschen, andererseits an den spezifischen situativen Erfordernissen.
Fazit Rezeption In allen drei untersuchten Briefabschnitten weisen die Bezugnahmen auf den Christuspsalm in Richtung einer vorbildethischen Bedeutung Christi. In der Paraklese 1,27 – 2,18 nimmt Paulus insbesondere mit der Mahnung zu einer Niedrigkeitsgesinnung (2,3) auf Christi im Psalm geschildertes Handeln Bezug. Hinzu treten als vorbildethische Bezugnahmen auf den Psalm die Verknüpfung von Christi Statusverzicht mit der Forderung, ,einander als 599 Vgl. 5.2.2.
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Die Rezeption des Christuspsalms
höher stehend zu erachten als sich selbst‘ (V. 3) sowie von Christi Gehorsam und dem bisherigen Gehorsam der Philipper. Eine soteriologische Verknüpfung zwischen der Paraklese und Christi Handeln in dem Sinne, dass dieses als Heilshandeln die Mahnung des Apostels begründe, begegnet nicht. Die Funktion Christi als ethisches Vorbild bestätigt sich im Abschnitt 3,2 – 4,3. Paulus parallelisiert sein eigenes Beispiel für einen Statusverzicht und die Annahme von Leiden bis zum Tod mit Christi Erniedrigungshandeln, indem er den Christuspsalm sowohl terminologisch als auch strukturell rezipiert. Auf diese Weise stellt er sich selbst wiederum als Vorbild für eine Christusentsprechung dar. Im Anschluss fordert er die Gemeindemitglieder auf, ebenfalls Nachahmer Christi zu werden, sich an denjenigen zu orientieren, welche wie er und seine Mitarbeiter ihr Leben führen. Als ein weiteres Vorbild für eine Nachahmung Christi führt der Apostel in 2,25 – 30 das Gemeindemitglied Epaphroditus an. Dieser ist in seinem Dienst lebensgefährlich erkrankt und wird nun nach seiner Genesung, den Philippern besonders anempfohlen. Paulus nimmt dabei mit der Wendung l´wqi ham²tou (V. 30) auf den Psalm Bezug und setzt Epaphroditus’ beinahe tödlich verlaufene Erkrankung „um des Werkes Christi willen“ in Entsprechung zu Christi Tod. Die bisherige Untersuchung zeigt zudem, dass Paulus auf einen ethischen Konflikt reagiert, dessen unmittelbarer Auslöser Leidenserfahrungen sind. Durch diese Leidenserfahrungen ist die Einheit der Gemeinde bedroht. Einzelne Mitglieder, von Paulus als „Feinde des Kreuzes Christi“ (3,18) bezeichnet, haben die Gemeinde verlassen; andere, Euodia und Syntyche, sieht der Apostel ebenfalls in der Gefahr abzufallen. Auf den religionsgeschichtlichen Hintergrund dieses Konflikts, das Unverständnis paganer Menschen für ein Leiden um eines Gottes willen, wurde bisher nur schlaglichtartig eingegangen. Im Folgenden sollen daher die für den Konflikt maßgeblichen Aspekte paganer Religiosität verdeutlicht werden.
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4. Das Leiden der Christen und die pagane Religiosität Bei der Fremdheit des Gedankens, um eines Gottes willen zu leiden, handelt es sich keineswegs um ein griechisches oder römisches Spezifikum. Vielmehr ist es umgekehrt ein Spezifikum des jüdischen Monotheismus, der wiederum singulär gegenüber seiner religiösen Umwelt ist, dass Leiden für den einen Gott gefordert sein kann. Das aus dem Judentum hervorgegangene, bereits früh mit Leidenserfahrungen konfrontierte und zudem durch die Kreuzigung Christi unter dem Vorzeichen des Leidens stehende Christentum nimmt dieses Spezifikum in sich auf. Nicht das pagane Unverständnis für ein positiv gewertetes religiöses Leiden stellt einen Sonderfall dar, sondern im Gegenteil die jüdische und die hieran anknüpfende christliche Vorstellung eines Leidens für Gott.1 Im Folgenden werden in groben Zügen die Wertung von Leidenserfahrungen im alttestamentlichen und frühjüdischen Kontext und die Entwicklung hin zur Martyriumsvorstellung dargestellt. Anschließend sollen diejenigen Charakteristika der polytheistischen griechischen und römischen Religiosität beleuchtet werden, denen besondere Bedeutung für Spannungen zuzumessen ist, welche sich aufgrund der urchristlichen Leiden speziell für Heidenchristen ergeben.
4.1 Die Wertung des Leidens im Alten Testament und Frühjudentum und die Entstehung der Martyriumsvorstellung Im jüdisch-alttestamentlichen Kontext ist die Vorstellung eines religiös motivierten Leidens eine späte Entwicklung. Sie findet sich im AT erstmals bei Daniel, dem jüngsten Buch, sodann in der zwischentestamentlichen Literatur, insbesondere in 1., 2. und 4. Makk. Erst in der Auseinandersetzung um die religionspolitischen Maßnahmen Antiochos’ IV. Epiphanes (175 – 164 v. Chr.), welche diese Texte reflektieren, begegnet der Gedanke, es könne geboten sein, um der Treue zu dem einen Gott und seinem Gebot willen zu leiden und zu sterben. Für diese Entwicklung kommt neben der historischen Situation, einer elementaren Bedrohung der jüdischen Religionsausübung, dem exklusiven jüdischen Monotheismus entscheidende Bedeutung zu. Jahwe ist der eine 1 Vgl. Walter, Leiden, 427 f.
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Das Leiden der Christen und die pagane Religiosität
Gott, den es allein zu verehren gilt und dessen Gebot das Leben bestimmen soll. Infolgedessen befindet sich der Mensch in dem Moment, in welchem anderweitige religiöse Forderungen an ihn herangetragen werden, in einer religiösen Konfliktsituation. Er sieht sich vor die existentielle Entscheidung gestellt zwischen dem Bruch der für ihn einzig legitimen Gottesbeziehung oder der Treue zu Jahwe und seinem Gebot, einschließlich der damit verbundenen negativen Konsequenzen.2 Zunächst jedoch ist Leiden auch im AT eine negative Erfahrung, welche es zu deuten gilt. Für diese Deutung ist ebenfalls der die Verfasser leitende Monotheismus von besonderer Relevanz. Wenn allein Jahwe Gott ist und durch seinen Bund in einer exklusiven Beziehung zum Volk Israel steht, wie erklären sich dann Leidenserfahrungen sowohl des Einzelnen als auch von ganz Israel?3 Die Antwort erfolgt, anders als später in der christlichen Dogmatik, indem auch das Leid auf Gott selbst zurückgeführt wird. „Weil Gott der Schöpfer und Geber alles Guten ist, darum wird Eigentumsverlust, wie übrigens auch jede andere Not, mit Gott in Verbindung gebracht.“4 Charakteristisch für die alttestamentliche Leidensdeutung sind dabei die Verbindung von Leiden und Schuld und das Verständnis von Leiden als einer göttlichen Strafe. Leidenserfahrungen gelten als Folge eines persönlichen Fehlverhaltens, desjenigen der Ahnen oder des Königs.5 Verschiedene Krankheiten, vor allem Aussatz (Lev 14,12 – 14.49 – 53; Num 12,9 – 15; Dtn 28,35; 2. Chr 26,19 – 21), werden als Strafe Gottes aufgefasst.6 Die Urgeschichte schildert das Leiden in der Welt als Folge des Sündenfalls, so dass sich „die Schöpfung in einer (…) universalen Unheilssituation [befindet], die latent menschliches Leben begleitet, die leiblich-seelische und soziale Integrität bedroht“7. Das Böse, symbolisiert durch die Schlange, wird für den Menschen zu einer steten „Bedrohung seines Daseins“8 (Gen 3,15). Als konkrete Formen des Leids werden die Geburtsschmerzen der Frau und ihre Unterordnung unter den 2 Vgl. Walter, Leiden, 428. 3 Vgl. Gerstenberger, Leiden, 64. 4 Ebd., 22. Gerstenberger verweist auf die diesbezüglich charakteristische Reaktion Hiobs auf den Verlust seiner Kinder und seines Besitzes in Hi 1,21: „Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen“. Daneben begegnet im AT auch eine Verbindung des Leidens mit bösen Geistern (1. Sam 16,14), Dämonen (Lev 16,18; Ex 12,23; Ps 59,7.15; 91,5 f) oder dem Teufel (Hi 1 f; vgl. Gerstenberger, Leiden, 55ff; Fabry, Leiden, 236). Allerdings besteht auch hierbei zuweilen eine göttliche (Mit-) Verantwortung. Der böse Geist, welcher König Saul nach 1. Sam 16,14 ergreift, kommt von Gott. Und der Teufel kann Hiob nur schädigen, weil Gott ihn gewähren lässt. Im NT wird Gott in 1. Petr 4,19 ausdrücklich als der Urheber des Leidens der frühen Christen bezeichnet. 5 Insofern lässt sich mit Haag, Sinn des Leidens, 481, Leid unter alttestamentlicher Perspektive weitgehend als „das konstitutive Zeichen der Schuld“ verstehen. Diese Wendung übernimmt Haag aus Rahner, Schuld und Schuldvergebung, 293. 6 Vgl. Gerstenberger, Leiden, 30. 7 Fabry, Leiden, 235; vgl. auch Haag, Leiden, 481 f. 8 Haag, Leiden, 482.
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Die Wertung des Leidens im AT
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Mann (3,16), die mühsame landwirtschaftliche Bearbeitung des Bodens und die Endlichkeit des menschlichen Lebens (3,17 – 19) als aus dem Sündenfall resultierend erklärt.9 Auch das Schicksal der beiden israelitischen Staaten wird auf der Grundlage eines Zusammenhangs von Tun und Ergehen verstanden. Für das Deuteronomistische Geschichtswerk ist der Untergang des Nordreichs und Judas Jahwes Reaktion auf die Abwendung der Herrscher und des Volks von seinem Alleinverehrungsanspruch und seinem Gesetz (2. Kön 17,6 – 23; 23,27; 24,3).10 Darüber hinaus interpretieren die Deuteronomisten die gesamten geschichtlichen Erfahrungen Israels in Zusammenhang mit der Befolgung bzw. Nichtbefolgung des ersten Gebots.11 Diese Interpretation der Leiden Israels hat grundlegende Wirkung auf die weiteren alttestamentlichen und jüdischen Schriften, auch auf die späteren Martyriumstexte.12 Vor allem in weisheitlichen Kreisen ist die Vorstellung verbreitet, dass es sich bei den Leidenserfahrungen des Einzelnen um die unmittelbare Folge eines persönlichen Fehlverhaltens handelt (Prov 23,29).13 Ohne jeweils explizit den Gedanken des Erfolg und Unglück zumessenden Gottes einzuschließen, wird mit einer Rückwirkung der bösen Tat auf den Täter gerechnet, wie sie exemplarisch Prov 26,27 zum Ausdruck bringt: „Wer eine Grube gräbt, fällt hinein.“14 Umgekehrt hat, wer sich Gott zuwendet und nach seinem Gebot und somit „weise“ handelt, Wohlergehen zu erwarten (Prov 2 – 4; Hi 8,5 – 7; 11,13 – 19).15 Diese Überzeugung, dass den Gerechten und Frommen Heil, den Bösen und Gottlosen aber Verderben erwartet, fasst Ps 37 zusammen.16 Die Erklärung aus einem Tun-Ergehens-Zusammenhang verliert allerdings ihre Tragfähigkeit, sobald ein offenbar Unschuldiger schwerstes Leid ertragen muss. Die Krise einer solchen Theodizee thematisiert das Hiobbuch, in welchem ein vorbildlicher Frommer seinen gesamten Besitz verliert und (anscheinend an Aussatz17) erkrankt. Der in den Reden seiner Freunde vorgebrachten Erklärung des Leids mit Hiobs Schuld steht dessen Überzeugung von seiner Unschuld entgegen (Hi 9,21). Sein Leid wird schließlich entgegen ihrer Lehre in Hi 38 f mit dem für den Menschen nicht durchschaubaren Handeln Gottes begründet.18 9 10 11 12
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Vgl. ebd., 482; Fabry, Leiden, 235. Vgl. Kaiser, Gott des AT 1, 128ff; Braulik, DtrG, 201 f. Vgl. Kaiser, Gott des AT 1, 129. U.a. sehen auch die Chronikbücher die Orientierung am ersten Gebot als ausschlaggebend für Erfolg oder Leiden (1. Chr 28,9; 2. Chr 7,13 – 22; 15,2; 20,20; vgl. Steins, Chronik, 260). Zum Verständnis des Leidens Israels als göttliche Strafe in den Makkabäerbüchern vgl. unten. Vgl. Scharbert, Leiden, 671; Gerstenberger, Leiden, 104. Vgl. Gerstenberger, Leiden, 91; vgl. auch Prov 22,8; Ps 7,17; 9,16; 57,7; Hi 18,5 – 21. Vgl. Scharbert, Leiden, 671. Vgl. Kaiser, Gott des AT 3, 265ff; vgl. auch Prov 11,5.21; 12,21; 13,9; 15,9. Vgl. Hi 2,7; vgl. auch Gerstenberger, Leiden, 29. Vgl. Kaiser, Gott des AT 1, 281. Bei Hiob finden sich zudem weitere alttestamentliche Leidensdeutungen, die sich teilweise mit
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Insbesondere im Hiobbuch wird deutlich, dass Leiden auch für die Israeliten eine religiöse Krisenerfahrung darstellt. Schuldlos sieht Hiob sich von Gott schlimmsten Leidenserfahrungen ausgesetzt (Hi 9,21; 16,12 – 17).19 Er klagt diesen dafür aufs Schärfste an (7,11 – 21; 10 u. ö.).20 Und anstatt Gott zu vertrauen, löst der Gedanke an ihn nunmehr Entsetzen aus (23,15 f).21 Diese religiöse Krisenerfahrung bedeutet eine äußerste Störung seiner Gottesbeziehung. Ähnliches begegnet in der Klage des leidenden Gerechten in den Psalmen, der den Verlust des göttlichen Beistands beklagt. Exemplarisch zeigt sich diese Klage in Ps 22,2 in der Frage des Beters: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“22 Ps 73 wiederum schildert die Krise des Frommen angesichts des Erfolgs der Gottlosen. Diesen Erfolg beklagt auch Jer 12,1. Dem gegenüber stehen insbesondere bei Jeremia die Leiden des Propheten um seines göttlichen Auftrags willen, so dass es ihn dazu drängt, sich von Jahwe und dessen Dienst abzuwenden (Jer 20,8 f).23 Aber diese Krisenerfahrung und die alttestamentlichen Antworten darauf sind, anders als im paganen Kontext, entscheidend geprägt von der exklusiven Bindung an Jahwe. Die Zerstörung Jerusalems und des Tempels und das daran anschließende Exil müssen mit dem Bund Gottes mit Israel in Einklang gebracht werden.24 Und das individuelle Leid eines Menschen ist in seinem Verhältnis zur Überzeugung von der Zuwendung Jahwes auch zu dem einzelnen Israeliten zu erklären.25 Damit bietet aber das AT dem frühen Christentum mögliche Leidensdeutungen im Rahmen und unter Aufrechterhaltung der Gottesbeziehung. Die Beziehung des leidenden Gerechten zu seinem Gott wird erhalten. Jahwe greift rettend ein und straft die den Gerechten bedrängenden Gegner (vgl. Ps 37,17 – 20 u.a). Der um Jahwe willen angefochtene Prophet erhält im Jeremiabuch die Zusage von dessen Beistand im Leid (Jer 15,20 f).26 In der spätalttestamentlichen und zwischentestamentlichen Lite-
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der Deutung als Strafe überschneiden. Leid ist nach Hiobs Freund Elifas von Teman eine Züchtigung Gottes, in deren Folge allerdings reicher Segen zu erwarten ist (5,17 – 26; vgl. Gerstenberger, Leiden, 96; Fabry, Leiden, 236; vgl. auch Prov 3,11; Hos 2). Der Rahmenerzählung zufolge sollen die Leidenserfahrungen Hiobs Frömmigkeit auf die Probe stellen (1 f; vgl. Gerstenberger, Leiden, 96; Schabert, Leiden, 671; Fabry, Leiden, 236; vgl. auch als „locus classicus“ für eine göttliche Prüfung die Opferung Isaaks in Gen 22). Vgl. Gerstenberger, Leiden, 69. Vgl. ebd., 69. Ebd., 69. Vgl. auch Ps 44,10ff; 74. Gerstenberger, Leiden, 62 formuliert diesbezüglich treffend: „(…) Die Gewißheit, Gottes Gegenwart und Schutz verloren zu haben, bedeutet eine tiefe Erschütterung des Lebens.“ Vgl. zum Leiden Jeremias’ Haag, Leiden, 486 f; zum prophetischen Leiden allgemein vgl. Gerstenberger, Leiden, 79 ff. Zum Untergang Judas als Glaubenskrise vgl. Gerstenberger, Leiden, 83 f. Vgl. ebd., 64 f. Vgl. Haag, Leiden, 486.
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ratur kann der Gerechte zudem auf einen postumen Ausgleich hoffen.27 Für einen Judenchristen bestehen damit Deutungsoptionen, die es ihm ermöglichen, Leidenserfahrungen in seinen Christusglauben zu integrieren, so dass diese die Wahrheit des Kerygmas und die Wirkmächtigkeit Christi nicht infrage stellen. Insbesondere aber bieten die spätalttestamentlich-frühjüdischen Martyriumsvorstellungen eine Deutungsoption für die urchristlichen Leidenserfahrungen. Erst im 2 Jh. v. Chr. im Rahmen einer religionspolitischen Krise entwickelt sich im Frühjudentum der Gedanke eines Leidens um der eigenen Religion willen. Der Schilderung in 1. Makk 1,20 – 64 und 2. Makk 5,11 – 6,11 zufolge28 plündert der Seleukidenherrscher Antiochos IV. Epiphanes 169 v. Chr., offenbar in Zusammenhang mit einer Strafexpedition29, den Jerusalemer Tempel und betritt das nur dem Hohepriester am Versöhnungstag zugängliche Allerheiligste (1. Makk 1,21 – 24; 2. Makk 5,15 f).30 Nachdem er 168/ 167 Jerusalem verwüsten lässt (1. Makk 1,29 – 33; 2. Makk 5,24 – 26), fordert 167 ein königliches Edikt von den Völkern des Seleukidenreichs die Aufgabe ihrer eigenen religiösen Bräuche und die Einrichtung paganer Kulte, einschließlich der Opferung für Juden unreiner Tiere. Die jüdische Religionsausübung (Gottesdienst, Beschneidung, Sabbatobservanz, Einhaltung von Reinheitsvorschriften) wird untersagt; Zuwiderhandlungen werden unter Todesstrafe gestellt (1. Makk 1,43 – 52). Im Tempel erfolgt die Einrichtung eines Kults für Zeus Olympios (2. Makk 6,2).31 Auf diese Entweihung durch einen paganen Kult spielen 1. Makk 1,54; Dan 11,31; 12,11 mit der Rede vom „Gräuel der Verwüstung“ an. In der Folge kommt es zum sogenannten Makkabäeraufstand, welcher 164 zur Einnahme Jerusalems durch die Truppen der Aufständischen und zur Wiedereinweihung des Tempels führt. In den die eingetretene Situation reflektierenden Texten begegnet erstmals der Gedanke, dass fromme Juden lieber sterben, als das Gebot ihres Gottes zu übertreten. Die Bindung an den einen Gott wird höher gewertet als der Erhalt des Lebens. Nur teilweise ist dies mit der Hoffnung auf ein jenseitiges oder zukünftiges Heil verbunden. Im in Zusammenhang mit den Ereignissen redaktionell bearbeiteten Danielbuch32 findet sich in Kap. 3 die Erzählung der 27 Vgl. Weish 5,1 – 5.16 f; Dan 12,2 f; vgl. auch Ruppert, Jesus als der leidende Gerechte, 23 f. 28 Vgl. auch Josephus, Ant XII,237 – 264; Bell I,31 – 35. 29 Nach 2. Makk 5 handelt es sich um eine Reaktion Antiochos’ auf dem missglückten Versuch des ehemaligen Hohepriesters Jason, in Jerusalem die Macht zu ergreifen. Zur Diskussion um die Ursachen des religionspolitischen Konflikts, dessen Eskalation in der Folgezeit und der Historizität der Schilderung in den Makkabäerbüchern vgl. Hengel, Judentum und Hellenimus, 503ff; von Dobbeler, 1/2 Makkabäer, 20 f. 30 Vgl. auch zum Folgenden die Darstellung der Ereignisse bei Donner, Geschichte des Volkes Israel, 483 f; von Dobbeler, 1/2 Makkabäer, 18 ff. 31 Nach 1. Makk 1,54 wurden auch in Städten des Umlands Altäre errichtet. 2. Makk 6,2 berichtet von der Einrichtung eines Kultes für Zeus Xenios auf dem Garizim, dem samaritanischen Kultort. 32 Zu den gegenwärtigen Theorien über die Entstehung des Danielbuchs vgl. Niehr, Daniel, 510 f.
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Das Leiden der Christen und die pagane Religiosität
drei Männer im Feuerofen. Die als Freunde Daniels eingeführten Sedrach, Misach und Abed-Nego weigern sich vor einem vom babylonischen König Nebukadnezar errichteten Standbild niederzufallen, trotz der Androhung dafür in einen Feuerofen geworfen zu werden (V. 12 – 18). Stattdessen verweisen sie den König auf ihren Gott, dem sie dienen und der sie befreien kann (V. 17).33 An eine Vision in Dan 11, welche den Konflikt mit Antiochos IV. in der Vorausschau schildert, schließt sich 12,2 f die Vorstellung einer Auferweckung der Toten an, der Gerechten unter ihnen zum ewigen Leben. Derjenige, welcher unter Antiochos den Tod findet, kann mit einem postumen Ausgleich rechnen, für sich selbst mit ewigem Leben, für die Unterdrücker mit ewiger Verdammnis.34 Der Gedanke, dass der leidende Gerechte nach seinem Tod Heil zu erwarten hat, begegnet zuvor bereits im 4. Gottesknechtlied (Jes 53,10b – 12; vgl. auch 52,13 – 15).35 Allerdings fassen dahingehende Vorstellungen erst allmählich in der zwischentestamentlichen Literatur Fuß. An die Schilderung der Maßnahmen Antiochos’ IV. schließt sich in 1. Makk 1,62 f der Verweis auf viele Israeliten an, welche sich weigerten, etwas Unreines zu essen, und lieber starben, anstatt den heiligen Bund zu entweihen. Die Vorstellung eines infolge dieses Verhaltens zu erwartenden Heils fehlt hier allerdings ebenso, wie im Bericht von den 1000 Männern, Frauen und Kindern, die sterben, nachdem die Männer sich weigerten, am Sabbat zu kämpfen (2,29 – 38).36 Gleiches gilt für Judas Makkabäus’ Aussage, es sei besser im Kampf zu sterben, als das Elend von Volk und Heiligtum zu sehen (3,59). Auch die Erzählung vom Tod des alten Schriftgelehrten Eleazar in 2. Makk 6,18 – 31, der sich sowohl weigert Schweinefleisch zu essen als auch diese Gesetzesübertretung zumindest vorzutäuschen, enthält keinen ausdrücklichen Hinweis auf ein zu erwartendes Heil.37 An zwei Stellen findet sich in 1. Makk die Vorstellung, durch den Tod als Märtyrer werde ein andauernder Ruhm erlangt. 2,50 f ermahnt der sterbende Anführer der Aufständischen, Mattathias, seine Söhne, sich für das Gesetz zu ereifern und ihr
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Nach Niehr stellt „die entscheidende Zeit für die Herausbildung des Danielbuches … die erste Hälfte des 2.Jh.s v. Chr. dar“ (512). Vgl. auch Droge/Tabor, Noble Death, 71. Indem es zu einer Rettung der drei Männer sowie zu einer Bekehrung Nebukadnezzars kommt (V. 24 – 30) unterscheidet sich der Text von üblichen Martyriumsschilderungen (vgl. Haag, Die drei Männer im Feuer, 21; hinsichtlich des Verhältnisses zu weiteren für Märtyrererzählung typischen Motiven vgl. Kellermann, Danielbuch, 54 f). Vgl. Droge/Tabor, Noble Death, 71. Vgl. ebd., 69; Hermisson, Lohn des Gottesknechts, 194; Scharbert, Leiden, 671; Ruppert, Jesus als der leidende Gerechte, 20. Dies führt allerdings zu dem pragmatischen Entschluss, das Sabbatgebot fortan im Falle eines Angriffs zu verletzen (2,40 f). In V. 26 verweist Eleazar zwar darauf, er werde „der Hand des Allmächtigen weder im Leben noch im Sterben entfliehen“, was sich allerdings im Kontext eher auf eine göttliche Strafe beziehen dürfte, wenn er, eine Befolgung der Anweisung zum Verzehr des Fleisches vortäuschend, Andere verführe.
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Leben für den Bund der Väter zu geben. Als Motivation dient die Verheißung eines „großen Ruhmes und ewigen Namens“ (dºnam lec²kgm ja· emola aQ¾miom [V. 51]). 6,43 – 46 schildert den Tod des Eleazar Avaron. Dieser wirft sich unter einen Elefanten, auf welchem er den Herrscher vermutet, ersticht den Elefanten und wird darauf von dem zusammenbrechenden Tier zerquetscht. Seine Selbsthingabe hat einen ewigen Namen zum Ziel (V. 44: emola aQ¾miom). Hierbei handelt es sich allerdings nicht um ein eschatologisches Motiv, sondern um einen in paganem Kontext verbreiteten Gedanken: Der in seinem Einsatz gestorbene Held ist zwar physisch tot, aber sein Ruhm überdauert ihn. Exemplarisch formuliert diese Vorstellung Tyrtaeus: „Niemals vergeht sein guter Ruhm noch sein Name, sondern obwohl er unter der Erde sein wird, wird er unsterblich“38. Damit ist nicht der Gedanke eines postumen Weiterlebens ausgedrückt.39 Im Motiv des ewigen Namens zeigt sich die Aufnahme auch hellenistischen Gedankenguts in die Martyriumsvorstellung. Jedoch kombiniert diese das aufgenommene Motiv in für pagane, polytheistische Zusammenhänge, wie sich zeigen wird, völlig unüblicher Weise, indem der anhaltende Ruhm Folge des Sterbens für eine Überzeugung bzw. für die eigene Religion ist.40
Die Hoffnung auf einen postumen Ausgleich begegnet in der Erzählung vom Tod der sieben Söhne und ihrer Mutter in 2. Makk 7. Weil sie um der Einhaltung des Gesetzes willen ihr Leben hingeben, wird Gott es ihnen wieder zurückgeben (V. 23). Die Brüder haben „kurzes Leid für ein immerwährendes Leben auf sich genommen“ (V. 36). Dabei wird nach V. 9.14 die Rückgabe des Lebens ausdrücklich als Auferstehung verstanden.41 Antiochos hingegen wird zukünftiges Unheil angekündigt (V. 14.17.19.36). Ebenfalls findet sich diese Hoffnung im 4. Makkabäerbuch, welches allerdings erst um die Wende vom 1. zum 2. Jh. n. Chr. entstanden sein dürfte und daher eventuell eine Weiterentwicklung der Martyriumsvorstellung in der Folge des jüdischen Kriegs enthält.42 Hier begegnet allerdings nicht die Auferstehungsvorstellung, sondern verbunden mit dem Gedanken der Unsterblichkeit der Seele diejenige, dass die Märtyrer gleich den Patriarchen Israels bei Gott leben werden.43 18,23 resümiert: „Die Knaben aus Abrahams Stamm, zusammen mit ihrer Mutter, die den Siegespreis davontrug, werden dem Chor der Väter zugestellt, nachdem sie heilige und unsterbliche Seelen empfangen haben von Gott.“44 Der 38 Vgl. Tyrtaeus 12,31ff, in: Gerber (Hg.), 60 f; vgl. zu diesem und weiteren Beispielen auch Versnel, Quid Athenis, 169 ff. 39 Vgl. Versnel, Quid Athenis, 169 f. 40 Vgl. ebd., 175 ff. Als Beispiel für die Aufnahme paganen Gedankenguts innerhalb der jüdischen Martyrologie vgl. auch das Motiv eines sportlichen Wettkampfs in 4. Makk 6,10; 11,20; 16,16; 17,11. Auch Paulus rezipiert dieses Motiv in Phil 1,27 – 30 (vgl. 3.1.2). 41 Von der Wiedergabe des Lebens oder einer Rückkehr ins Leben reden darüber hinaus V. 6.11.20.29. 42 Zur Datierungsfrage vgl. Klauck, 4. Makkabäerbuch, 668 f. 43 Vgl. 5,13; 7,19; 13,17; 16,25; 17,18; 18,23; vgl. auch Klauck, 4. Makkabäerbuch, 673. 44 Übersetzung Klauck.
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Tyrann Antiochus hingegen hat diesseitige und jenseitige Strafen zu erwarten (vgl. 12,18 u. ö.). Als konstitutiv für die frühjüdischen Martyriumsvorstellungen und deren positive Deutung von Leidenserfahrungen erweist sich somit der exklusive Monotheismus: Leiden bis zum Tod wird um der Treue zu dem einen Gott und seines Gesetzes willen ertragen. Die Bindung an Jahwe ist Beweggrund derjenigen, die lieber ihr Leben hingeben als andere Götter zu verehren und das Gesetz Jahwes zu übertreten. Hinzu tritt in einem Teil der angeführten Texte, die Vorstellung eines durch das Martyrium zu gewinnenden Heils.45 Kann Paulus im Phil die urchristlichen Leidenserfahrungen positiv deuten und die Gemeindemitglieder zur Annahme des Leidens um Christi willen motivieren, ermöglicht ihm dies als Juden die Vertrautheit mit dem Martyriumsgedanken.46 Seine jüdische Primärsozialisation liefert ihm Deutungsmöglichkeiten für sein eigenes Leiden und das Leiden seiner Gemeinden, und zwar Deutungsmöglichkeiten innerhalb seiner Gottesbeziehung. Leidenserfahrungen stellen Paulus’ Beziehung zu seinem Gott nicht infrage. Im Gegenteil kann es gerade die exklusive Bindung an die Offenbarung des einen Gottes erfordern, um der Religion willen zu leiden oder gar zu sterben. Daher schließt für den Apostel das Geschenk, „an Christus zu Glauben“, auch dasjenige des Leidens um seinetwillen ein (1,29), und selbst die Hingabe des Lebens kann er mit der Hoffnung auf postumes Heil verknüpfen (3,10 f). Seinen heidenchristlichen Adressaten hingegen ist die Vorstellung eines religiös motivierten Leidens nicht allein fremd, sondern mit ihrer paganen Primärsozialisation auch weitgehend unvereinbar.
4.2 Der pagane Mensch und das Leiden Aufgrund der konstitutiven Bedeutung, welche dem jüdischen exklusiven Monotheismus für den Martyriumsgedanken zukommt, erklärt sich, dass vergleichbare Vorstellungen in der polytheistischen paganen Religion der Griechen und Römer fehlen. Eine existentielle Verbundenheit mit einem einzigen Gott, den es allein zu verehren gilt und von dem allein alles Heil zu erwarten ist, wie in Judentum und Christentum, ist paganer Religiosität fremd. Die paganen Gottheiten erheben keinen Alleinverehrungsanspruch. Man 45 Darüber hinaus wird auch in den Makkabäerbüchern das Leid Israels, in dessen Zusammenhang es zu den Martyrien kommt, als Strafe Gottes verstanden (vgl. 1. Makk 1,64; 2. Makk 6,12; 4. Makk 6,28 u. ö.). Hierin setzt sich die traditionelle alttestamentliche Leidensdeutung parallel zum positiven Verständnis des Leidens der Märtyrer fort. Bereits angedeutet in 2. Makk 7,37 f, fungiert in 4. Makk der Märtyrertod als Sühnetat, welche der über Israel gekommenen göttlichen Strafe ein Ende bereiten soll (vgl. 6,28 f; 17,21 f u. ö.; vgl. auch Klauck, 4. Makkabäerbuch, 670ff). 46 Vgl. Walter, Leiden, 428.
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verehrt verschiedene Götter, ohne dass diese dabei in Konkurrenz zueinander treten. Einzelne von ihnen können in einer kultischen Handlung miteinander verbunden werden47 und sich in öffentlichen Kulten einen Tempel teilen.48 In hellenistischer Zeit kommt es verstärkt zur Übernahme orientalischer Kulte aus den von Alexander dem Großen eroberten Gebieten. Dabei erfolgt häufig deren „interpretatio graeca“, d. h. die Identifizierung der neuen Gottheit mit einem bekannten, griechischen Gott.49 Im Imperium Romanum finden u. a. durch das Militär neue Gottheiten Verbreitung.50 Solche neuen Kulte, wie der sich in der Prinzipatszeit stark ausbreitende Mithraskult zum Teil sogar staatlich gefördert51, stellen unter polytheistischer Perspektive kein theologisches Problem dar.52 Die private Verehrung eines neuen Gottes bedeutet weder die Abkehr von anderen bisher im privaten Bereich verehrten Göttern, noch den Rückzug von den öffentlichen Kulten. In der paganen Religiosität fehlt daher auch weitgehend der Gedanke einer Bekehrung im Sinne der Preisgabe der bisherigen Gottesverehrung und der Alleinverehrung eines anderen, neuen Gottes.53 Damit ist jedoch auch eine historische Situation vergleichbar derjenigen, welche im Frühjudentum des 2. Jh. v. Chr. zur Entwicklung des Martyriumsgedankens führt, im antiken Paganismus weitgehend ausgeschlossen. Aufgrund des polytheistischen Gottesverständnisses besteht in der griechischen und römischen Welt Religions- und Kultfreiheit insofern, als einem Menschen die Verehrung des von ihm bevorzugten Gottes in der Regel nicht verwehrt wird. Diese bedeutet schließlich keinen Widerspruch zur Verehrung der offiziellen Gottheiten. Die Loyalität zu den Kulten der Stadt oder des Staates wird davon für gewöhnlich nicht berührt. Geht zwar 186 v. Chr. der römische Senat 47 Vgl. unten die Schilderung des häuslichen Kultes bei Cato. 48 Vgl. Muth, Religion, 143 f. Beispielhaft sei hier auf die „Kapitolinische Trias“, auf Jupiter, Juno und Minerva, verwiesen, die in einem gemeinsamen Tempel auf dem Kapitolshügel verehrt wurden. 49 Vgl. Muth, Religion, 188. 50 Vgl. ebd., 188. Kritisch mit der üblicherweise angenommenen besonderen Bedeutung des Militärs bei der Verbreitung ursprünglich lokaler Kulte auseinander setzt sich der Forschungsbericht von Eck/Haensch, Die römische Armee im Osten, 81 – 88. 51 Muth, Religion, 285. Dies ist besonders bemerkenswert, als es sich hierbei um einen nur für seine (ausnahmslos freien, männlichen) Mitglieder zugänglichen Mysterienkult handelt, ohne dass daneben öffentliche Kulte für diesen Gott bestehen (vgl. Graf, Mysterien, 619). Mit dem Kult des Nqyr Aqkyme¸tgr, des Thrakischen Reiters, findet in Philippi ein regionaler Kult staatliche Förderung (Vgl. 1.4.2). 52 Vgl. Versnel, Quid Athenis, 181: „Der Glaube an einen neuen Gott wurde nicht zum Problem, weil er dem Pantheon einfach beigeordnet werden konnte.“ 53 Vgl. Bardy, Menschen werden Christen, 17: „Die Idee einer Bekehrung in dem Sinne, wie wir heute dieses Wort verstehen, blieb der griechisch-römischen Mentalität lange Zeit hindurch, vielleicht sogar bis zum Auftreten des Christentums, völlig fremd.“ Vgl. Nock, Conversion, 14: „There was therefore in these rivals of Judaism and Christianity no possibility of anything which can be called conversion.“ In der neueren Forschung vgl. Versnel, Quid Athenis, 180; Cancik, Bekehrung, 1229 f.
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infolge des sogenannten Bacchanalienskandals gegen den Bacchus- bzw. Dionysoskult vor, so hat dies weniger religiöse Gründe, sondern ist vielmehr als eine Maßnahme zur Widerherstellung der öffentlichen Ordnung zu verstehen. Zudem wird die Kultausübung zwar stark eingeschränkt, nicht aber untersagt.54 Auch militärische Auseinandersetzungen zwischen polytheistischen Staaten sind für gewöhnlich nicht mit dem Zwang verbunden, bestimmte Götter anzunehmen und die Verehrung anderer aufzugeben.55 Ein religiöser Konflikt entsteht erst in dem Moment, wenn ein Einzelner oder eine Gruppe die paganen Kulte insgesamt ablehnt und damit die Loyalität mit Stadt und Staat aufkündigt. In der griechischen Polis hatte dies einen Asebieprozess zur Folge, welchem u. a. Sokrates zum Opfer fällt.56 Und die frühen Christen stehen als „Atheisten“ in Spannung zu ihrer polytheistischen Umwelt.57 Somit fehlen innerhalb des paganen Polytheismus sowohl die theologische Voraussetzung des Martyriumsgedankens, der Alleinverehrungsanspruch eines Gottes, als auch infolge der faktischen Kult- und Religionsfreiheit die historische Voraussetzung, unter welcher Leiden im Judentum eine positive Wertung erhält. Zwar kennen Griechen und Römer den Gedanken eines ehrenvollen Sterbens im Kampf für die Heimat.58 Schon Homer, Ilias 15,496 f heißt es: „Denn nicht schimpflich sind wir gestorben, indem wir das Vaterland verteidigten.“59 Nach Thukydides II,43 gewannen diejenigen, welche Leib und Leben für Athen hingaben, ewigen Ruhm.60 Das wohl berühmteste Beispiel für ein ehrenvolles Sterben im Krieg bildet der postume Ruhm der 300 Spartaner (und 700 Thespier) unter Leonidas, die mit ihrem Widerstand den Vormarsch der Perser an den Thermopylen entscheidend bremsten.61 Bei Philostrat, Apollonius VII,12,1 zählt Demetrius die für einen Philosophen angemessenen Gründe zu Sterben auf: Befreiung einer Stadt, Verteidigung von Verwandten,
54 Vgl. Klauck, Umwelt 1, 101 f; Stark, Religiöse Konflikte, 189 f; vgl. auch den Bericht über die vermeintlichen Ausschweifungen und die staatlichen Gegenmaßnahmen bei Livius 39,8 – 19 sowie den Senatsbeschluss in: CIL I2, 581. Auch das Vorgehen gegen den Isiskult in Rom Mitte des 1. Jh. v. Chr. sowie unter Kaiser Tiberius dürfte politische Gründe haben (vgl. Haase, Isis, 1129; Stark, Religiöse Konflikte, 188 f). 55 Vgl. Versnel, Quid Athenis, 179: „(…) Eine polytheistische Religion braucht gegenüber ebenfalls polytheistischen Nachbarn nicht verteidigt zu werden.“ 56 Vgl. ebd., 180; Thr, Asebeia, 77. 57 Vgl. Hauschild, Kirchengeschichte 1, 127. Allerdings wurde eine Teilnahme an den „sacra publica“ im Imperium Romanum für gewöhnlich nicht unter Zwang durchgesetzt (vgl. Wissowa, Religion und Kultus, 399 f; Rpke, Religion, 14). Konflikte, welche den frühen Christen aufgrund der Ablehnung des paganen Kultes entstehen, dürften in paulinischer Zeit noch vornehmlich aus der Spannung zur übrigen Gesellschaft resultieren (vgl. 3.2.4). 58 Vgl. Versnel, Quid Athenis, 182 f. 59 Ou oR !eij³r !lumol´m\ peq· p²tqgr tehm²lem; vgl. Versnel, Quid Athenis, 182. 60 joim0 c±q t± s¾lata didºmter Qd¸ô t¹m !c¶qym 5paimom 1k²lbamom; vgl. Versnel, Quid Athenis, 182. 61 Vgl. Herodot VII, 223ff, insbesondere die drei Ehrinschriften 228.
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Freunden und Geliebten.62 Die Vorstellung eines Leidens und Sterbens um der Religion oder überhaupt um einer Überzeugung willen ist der paganen antiken Welt hingegen weitgehend fremd.63 Zudem fehlt der Gedanke, durch einen ehrenvollen Tod werde postumes Heil erworben. Zwar bleibt demjenigen, der sein Leben um des Gemeinwesens willen hingibt, sein Nachruhm; ein gutes Weiterleben nach dem Tod bewirkt sein Handeln aber nicht.64 Für die heidenchristlichen Gemeindemitglieder in Philippi ist es demzufolge etwas Neues, zunächst Unverständliches, wenn sie aufgrund ihrer Christusverehrung Leiden ertragen müssen. Dazu, dass die Leidenserfahrungen zu einer Bedrohung der Gemeinde werden und offenbar zum Abfall einzelner Mitglieder führen, dürfte allerdings noch ein weiteres Charakteristikum paganer Religiosität beitragen, welches in der bisherigen Forschung zum Phil unzureichend Beachtung findet: An die pagane Gottesverehrung knüpfen sich vorrangig diesseitige Heilserwartungen. Wohlergehen im Alltag ist das primäre Ziel. Diese Erwartungen werden jedoch vom Christentum enttäuscht, sofern die Gemeindemitglieder aufgrund ihrer religiösen Absonderung den Anfeindungen der Umwelt ausgesetzt sind. Die Enttäuschung der für die griechische und römische Religiosität charakteristischen Erwartungen wird als eine nicht zu unterschätzende Ursache für die sich aus den Leidenserfahrungen pagan sozialisierter Christen ergebenden Spannungen anzusehen sein. Den paganen Göttern kommen (meist mehrere) Aufgabenbereiche im Hinblick auf den Alltag der Menschen zu.65 Die griechisch-römische Hauptgottheit Zeus bzw. Jupiter vereinigt unterschiedlichste Aufgaben. Dabei wird dem Namen des Gottes entsprechend seines Aufgabenbereichs häufig ein Epitheton hinzugefügt, z. B. Jupiter Stator, der Beschützer Roms, oder Zeus Xenios, der das Gastrecht schützt.66 Mars ist einerseits der römische Kriegsgott, andererseits aber auch Beschützer der Bauern.67 Hera, nach dem Mythos die Frau des Zeus, ist insbesondere die Beschützerin der Frauen; ähnlich in Rom Juno.68 Hermes und Merkur beschützen vor allem die reisenden Kaufleute69, wobei ersterer auch „Schutzherr(.) von Dieben und Betrügern“70 ist. In hellenistischer Zeit breitet sich die Verehrung sogenannter „Personifikationen von Abstraktionen“ aus. Das Leben beeinflussenden Widerfahrnissen werden 62 Vgl. auch zu weiteren paganen Belegen für ein Sterben um eines bestimmten Anliegens willen Lçhr, Ethik und Tugendlehre, 155. 63 Vgl. Versnel, Quid Athenis, 180 f. 64 Vgl. 4.1 zum Motiv des Nachruhms und „ewigen Namens“. 65 Vgl. zum Folgenden auch den knappen Überblick zur paganen Religiosität bei GrabnerHaider/Maier, Kulturgeschichte, 14 ff. 66 Vgl. Muth, Religion, 73ff, 243 ff. 67 Vgl. ebd., 247; vgl. auch unten die Anrufung des Mars bei der Lustratio. 68 Vgl. Muth, Religion, 78, 250 f. 69 Vgl. ebd., 105ff, 270 f. 70 Ebd., 105.
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als göttlichen Mächten Kulte eingerichtet, um auf diese Weise selbst Einfluss auf das Wohlwollen dieser „Gottheiten“ ausüben zu können. Am bedeutendsten ist der Kult der Schicksalsgöttinen Tyche und Fortuna.71 Das Schicksal, dem verfallen zu sein eine in hellenistischer Zeit verbreitete Vorstellung ist72, lässt sich durch die Verehrung der Tyche korrigieren. Auch Krankheiten können derart personifiziert und kultisch verehrt werden. Auf dem römischen Palatin befindet sich ein Heiligtum der Göttin Febris, der „Personifikation des Malariafiebers“73. Ihre Verehrung dient dazu, die Erkrankung an Malaria zu verhindern und daran Erkrankte zu heilen.74 Sie „gehört zu den unheilbringenden Gottheiten, denen man kult[ische] Verehrung zukommen ließ, damit sie inaktiv blieben“75. Die sich an der Funktionsbestimmung der einzelnen Gottheiten und der Verehrung von Personifikationen zeigende primäre Ausrichtung paganer Religiosität auf die Bewältigung des Alltags und den Erfolg im Diesseits verdeutlicht die Betrachtung der Kultausübung in den unterschiedlichen Lebensbereichen. Im römischen Hauskult werden den Schutzgottheiten am Hausaltar, dem „aediculum“, oder am Herd Trank- und Speiseopfer dargebracht. Der „Pater familias“ opfert dem „Lar familiaris“, dem Beschützer des Hauses bzw. der Familie, und den ihn selbst beschützenden Penaten, sowie am Geburtstag seinem Genius.76 Ein eindrückliches literarisches Zeugnis der privaten Gottesverehrung und von deren Zielsetzung auf einem Landgut bietet Cato, De Agri cultura, 132 ff. Cato beschreibt die Opfer, welche im landwirtschaftlichen Jahreszyklus Jupiter, Ceres, Janus und Mars dargebracht werden sollen. An Janus soll beim Opfer das Gebet erfolgen: „Vater Janus, mit Darbietung dieses Kuchens bitte ich gute Bitten, dass du seiest wohlwollend und geneigt mir und meinen Kindern, meinem Haus und meiner Hausgenossenschaft.“77 Die gleiche Bitte richtet sich im Anschluss auch an Jupiter.78 In Kapitel 141 finden sich die Anweisungen zur „Lustratio“, einem Reinigungsritus, bei dem das Land umrundet und die „Suovetaurilia“, die Opferung dreier Tiere (Schwein, Schaf, Stier), vorgenommen wird.79 Dabei werden Bitten für die verschiedenen Belange des Hauses und des Landguts an Mars (unter Einbeziehung von Janus und Jupiter) gerichtet: Mars soll schützen vor Krankheit, Unfruchtbarkeit, Zerstörungen und vor schlechtem Wetter ; er soll der Ernte, den Ackerfrüchten, Weinbergen und Anpflanzungen Gedeihen 71 72 73 74 75 76 77
Vgl. ebd., 186 f, 276ff; Johannsen, Tyche, 936 f. Vgl. 2.2.2. Schaffner, Febris, 455. Vgl. Valerius Maximus II,5,6; vgl. auch Schaffner, Febris, 455. Schaffner, Febris, 455. Vgl. Muth, Religion, 290. Cato, De Agri cultura 134: „Iane pater, te hac strue ommovenda bonas preces precor, uti sies volens propitius mihi liberisque meis domo familiaeque meae“ (Übersetzung Schönberger). 78 Vgl. Cato, De Agri cultura 134. 79 Zum Ritual der Lustratio vgl. Baudy, Lustratio, 520 ff.
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geben, die Hirten und Herden gesund erhalten und ebenso gute Gesundheit und Kraft dem Beter und seinem gesamten Haushalt gewähren.80 Die Gefahren des Alltags, hier insbesondere des landwirtschaftlichen, werden dem Gott vorgetragen mit der Bitte, er möge den Beter davor bewahren. Die private Verehrung von Gottheiten mit dem Ziel des Schutzes und der Bewahrung setzt sich außerhalb des häuslichen Bereichs fort. Auf einer Reise wird häufig eine Schutzgottheit mitgenommen.81 Schiffe tragen den Namen der sie schützenden Gottheit und führen ihr Bild mit.82 Am Großen Sankt Bernhard-Pass befindet sich ein Jupiter Poenius geweihtes Heiligtum. Dort löst der Reisende, den der Gott auf dem Weg über die Alpen bewahrt hat, sein zu Beginn der Reise abgelegtes Gelübde (votum) ein.83 Gerade am Beispiel des Gelübdes zeigt sich die Bedeutung diesseitigen Wohlergehens als Ziel paganer Gottesverehrung. Der Mensch richtet sich mit einem Anliegen an einen Gott und gelobt, er werde ihm, sollte seine Bitte erfüllt werden, ein Dankopfer darbringen.84 Hinzu treten Votivgaben, welche das von der Gottheit gewirkte Heil dokumentieren.85 Der sich in hellenistischer Zeit ausbreitende Asklepiuskult liefert zahlreiche Beispiel für Votivgaben in Form des geheilten Körperteils oder als die Heilung beschreibenden Text.86 Auch bei den Mysteriengottheiten, die ihren Verehrern die Hoffnung auf ein Wohlergehen nach dem Tod bieten, fehlt nicht die Erwartung göttlichen Beistands im Alltag.87 Demeter schenkt nicht nur postumes Heil, sondern ist gleichzeitig Herrin über das Getreide.88 Die Mysterien von Samothrake dienen
80 Cato, De Agri cultura 141: „uti tu morbos visos invisosque, viduertatem vastitudinemque, calamitates intemperiasque prohibessis defendas averruncesque; utique tu fruges, frumenta, vineta virgultaque grandire beneque evenire siris, pastores pecuaque salva servassis duisque bonam salutatem valetudinemque mihi domo familiaque nostrae“. 81 Vgl. Rpke, Religion, 13. 82 Vgl. ebd., 13. Das Bildnis der Schutzgottheit eines Schiffes ist der Ursprung der noch heute bekannten Galionsfigur bei Segelschiffen. 83 Vgl. Rpke, Religion, 161 f. 84 Vgl. ebd., 162 zur „Grundstruktur“ des Gelübdes: „(…) Das Gelübde ist die Bitte an eine Gottheit um eine bestimmte Leistung; für die Erfüllung der Leistung wird vom Bittenden eine bestimmte Gegenleistung in Aussicht gestellt“. 85 Vgl. ebd., 163. 86 Ebd., 161 verweist in diesem Zusammenhang auf die „großen Mengen von Körpervotiven, die [in Rom] im Tiber gefunden wurden“ und welche offenbar mit dem Asklepiusheiligtum auf der Tiberinsel zusammenhängen. Zur allgemeinen Bedeutung des Gelübdes in paganen Kulten bemerkt Burkert, Antike Mysterien, 19: „In vorchristlichen Bereichen weiß der Archäologe wie der Religionshistoriker, daß ein Heiligtum in der Regel durch die Masse der Votivgaben gekennzeichnet ist, die sich in ihm befinden“. 87 Vgl. Burkert, Antike Mysterien, 19ff; Graf, Mysterien, 623; Kloft, Mysterienkulte, 97. Eine Veranschaulichung der Jenseitshoffnung der Anhänger des Dionysoskults in Philippi bietet die Grabinschrift aus Doxato (439/L078; vgl. auch Pilhofer, Philippi 1, 105 f). 88 Vgl. Burkert, Antike Mysterien, 26; Graf, Demeter, 421 f. Graf verweist darüber hinaus auf Demeters Rolle als „Frauengöttin“ (422).
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der „Rettung aus Seenot“89. Eine Funktion als „Patronin der Seefahrt“90 nimmt zudem Isis wahr. Diese heilt aber auch von Krankheiten.91 Die doppelte Ausrichtung der Mysterien auf diesseitiges und jenseitiges Heil verdeutlicht sich in Apuleius’ Metamorphosen, wo eine Einweihungszeremonie in den Isiskult zumindest teilweise geschildert wird. Isis verheißt dem in einen Esel verwandelten Lukius zunächst: „Doch ein Leben voll Glück, ein Leben voll Ruhm wartet auf dich unter meiner Obhut.“92 Erst darauf folgt die Verheißung eines Lebens nach dem Tod im Elysium.93 Weitere Weihen des nunmehr in Rom lebenden Lukius haben auf diesen eine positive psychische Wirkung und ziehen infolgedessen beruflichen Erfolg und Wohlstand nach sich.94 Anders als im frühen Christentum bedeutet in den Mysterienkulten die Hoffnung auf ein gutes jenseitiges Leben nicht, dass das Diesseits weitgehend sekundär wird. Nicht allein in einem zukünftigen Leben, sondern schon jetzt im Alltag, auch außerhalb der Religionsgemeinschaft, soll sich die Einweihung in einen Mysterienkult positiv auswirken.95 Die sacra publica, die öffentlichen Kulte des Staates und der Städte, haben ebenfalls diesseitiges Wohlergehen zum Ziel. Voraussetzung für den Bestand und die Ausbreitung des Imperium Romanum ist die „pax divinum / deum“. Der Friede mit den Göttern, ihr Beistand, ist gesichert, solange ihnen die erforderliche Verehrung entgegengebracht wird.96 Cicero verweist auf die besondere „Frömmigkeit und Religiosität“97 als den entscheidenden Vorzug der Römer gegenüber anderen Völkern. Deshalb genießen sie den besonderen Beistand der Götter.98 Umgekehrt kann Horaz in seinen Oden an die Römer die Krisen Roms im 1. Jh. v. Chr. u. a. auf die Vernachlässigung des Kults zurückführen.99 Dementsprechend erneuert Augustus die Kulte „als wesentliche Voraussetzung für Frieden und Größe“100 Roms. Für die Sicherheit einer antiken Stadt wiederum sind ihre Schutzgottheiten 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98
99 100
Graf, Mysterien, 617; vgl. auch Burkert, Antike Mysterien, 26. Graf, Mysterien, 619. Vgl. Burkert, Antike Mysterien, 22. Apuleius, met. 11,6,6 (Übersetzung Brandt): „vives autem beatus, vives in mea tutela gloriosus.“ Vgl. Apuleius, met. 11,6,6 f. Vgl. Apuleius, met. 11,28,5 f; 11,30; vgl. auch Burkert, Antike Mysterien, 24. Vgl. Burkert, Antike Mysterien, 34; Kloft, Mysterienkulte, 99. Vgl. Muth, Religion, 221 f. Cicero, har. resp. 19 (Übersetzung Muth): „pietate ac religione“. Vgl. Muth, Wesen, 293: „Die zitierten Sätze aus Cicero geben fundamentale Aspekte der politisch-religiösen Weltsicht der Römer wieder: das römische Volk, das alle anderen Völker an pietas und religio übertreffe, werde gerade deshalb von den Göttern besonders geschätzt und befinde sich daher in der pax deum“ (weitere Beispiele für die religiöse Selbsteinschätzung der Römer vgl. ebd. 291ff; vgl. auch Veyne, Religion, 19). Vgl. Horaz, carm. III,6,1 – 8; vgl. auch Muth, Wesen, 294 f. Muth, Wesen, 295. Zu Augustus’ Reformen und der damit nicht zuletzt auch verbundenen politischen Zielsetzung einer religiösen Verankerung des Prinzipats vgl. Wissowa, Religion und Kultus, 73 ff.
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verantwortlich, in Rom sowie in vielen stark römisch geprägten Städten, die Kapitolinische Trias, und davon besonders die Göttin Juno.101 Die ihnen entgegengebrachte Verehrung soll das Wohlwollen dieser Gottheiten sichern, auf dass sie die Stadt und ihre Bevölkerung vor Schaden bewahren. Unglücke, z. B. Erdbeben oder Hagel, können ein Anzeichen dafür sein, dass die Verehrung hinter dem ihnen zustehenden Maß zurückbleibt und es ihren Kult zu intensivieren gilt.102 Es zeigt sich hier ein Grundgedanke paganer Religiosität: Den Göttern steht Verehrung zu. Indem die Menschen ihnen diese entgegenbringen, stehen sie im Frieden mit ihnen und können auf ihren Beistand hoffen. Bezüglich der öffentlichen Kulte formuliert diesen Grundgedanken Jörg Rüpke: „Die Gesamtheit der sacra publica kann man auffassen als die Pflichten der politischen Gemeinschaft gegenüber ihren Göttern.“103 Werden diese Pflichten des Einzelnen oder der Gemeinschaft vernachlässigt drohen Leidenserfahrungen.104 Der Kult hat somit nicht zuletzt die Leidensvermeidung zum Ziel.105 Negative Folgen eines religiösen Fehlverhaltens auszuschließen, dient in Rom eine exakte, formalisierte Kultausübung.106 Dazu gehört, wie bereits bei den Griechen, die Eingeweideschau (haruspicinum), die zeigen soll, ob das dargebrachte Opfer von dem Gott angenommen wird (litatio). Ansonsten muss der Opfervorgang abgebrochen oder wiederholt werden.107 Leiden lässt sich somit auf eine unzureichende oder falsche Gottesverehrung zurückführen. Diese kann allerdings nicht allein als Fehlverhalten des Menschen bei der Kultausübung verstanden werden, sondern auch die Wirkmächtigkeit des verehrten Gottes kann infrage gestellt werden. Bleibt das Heilshandeln des Gottes aus, bzw. scheint dieser, Unglücke nicht zu verhindern, stellt sich die Frage nach dem Sinn seiner Verehrung. Eine Reihe von Beispielen zeugt davon, dass ein Verehrer sich enttäuscht von einem Gott abwendet oder sogar offensiv gegen ihn bzw. seine Kultstätten vorgeht.108 Derartige Reaktionen begegnen bereits in der griechischen Tragödie bei Euripides. In den „Trojanerinnen“ ruft Hekabe, die Königin Trojas, angesichts der Niederlage und drohenden Versklavung: „Hört Götter. Aber warum rufe ich die Götter an? Denn auch zuvor haben sie meine Anrufungen nicht ge101 Vgl. Muth, Religion, 251. Welche Gottheiten auf der Akropolis in Philippis verehrt wurden, ist nicht bekannt. In einer derart stark nach römischem Vorbild geprägten Kolonie könnte es sich dabei aber durchaus um die Kapitolinische Trias gehandelt haben. 102 Vgl. Rpke, Religion, 29. 103 Rpke, Religion, 29. 104 Vgl. Veyne, Religion, 19. 105 Vgl. Walter, Leiden, 425: „So versucht der Mensch sich im Kult der Gunst der Götter zu versichern, um so wenigstens unnötigem Leidenmüssen vorzubeugen.“ 106 Vgl. Herz, Popularreligion, 61. 107 Vgl. Rpke, Religion, 149 f. Nach Wissowa, Religion und Kultus, 419 ist die Eingeweideschau nur „bei bestimmen Gattungen von Staatsopfern üblich“. 108 Vgl. auch zum Folgenden Veyne, Religion, 21 f, 149; ders., Paganismus, 271 ff.
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hört.“109 Nachdem Herakles, von seiner Stiefmutter Hera mit Wahnsinn belegt, seine Frau und Kinder getötet hat, sagt er über diese Göttin: „Zu solch einem Gott, welcher Mensch wird zu ihm beten?“110 Handelt es sich bei diesen beiden Stellen um die Äußerungen zweier Charaktere in Tragödien des fünften vorchristlichen Jahrhunderts, welche nicht zwingend die Sicht des Autors111 oder von Teilen der paganen Bevölkerung in frühchristlicher Zeit widerspiegeln, finden sich zwei Belege in den Lehrgesprächen Epiktets (ca. 50 – 125/138 n. Chr.), in welchen der Philosoph auf ein seinen Gesprächspartnern geläufiges Verhalten rekurriert. Nach II,22,17ff sei die Reaktion, wenn Götter eigenen Interessen im Weg zu stehen scheinen, dass Statuen umgestürzt und Tempel angezündet würden. So habe auch Alexander der Große nach dem Tod seines Geliebten Hephaistion angeordnet, die Asklepiustempel in Brand zu stecken. III,4,7 ruft Epiktet offenbar allgemein Bekanntes in Erinnerung, wenn er sagt: „Schmähen die Bauern nicht Zeus, wenn er sich ihnen in den Weg stellt? Schmähen die Seeleute [ihn] nicht?“112 Ein Beispiel dafür, dass das römische Volk sich infolge eines Unglücks gegen seine Götter wendet, überliefert Sueton. In De vita caesarum IV,5 schildert er die Unruhen, die im Jahr 19. n. Chr. der Tod des beim Volk beliebten Feldherrn und designierten Thronfolgers Germanicus auslöste. Die Menschen hätten Tempel mit Steinen beworfen, Altäre umgestürzt und ihre lares familiares aus den Häusern geworfen.113 Bezüglich derartiger Reaktionen bemerkt Hendrik Simon Versnel zusammenfassend: „All we can say is that gods who were hard of hearing had to beware: they were in danger of becoming smaller, sometimes a whole head smaller.“114 Anknüpfend an Paul Veyne lässt sich schließlich auf drei Briefe von Privatpersonen verweisen, in welchen diese ihre Abwendung von den Göttern bekunden.115 In einem der Brief heißt es: „Gleichwie die Götter mich nicht geschont haben, so werde auch ich [die] Götter nicht schonen.“116 In den anderen beiden Briefen schildert eine Mutter, die in Sorge um das Schicksal ihres Sohnes ist, ihre Reaktion gegenüber den Göttern. Sie kündigt an, die Gottesverehrung einzustellen: „Wisse aber, ich will mich mit [dem] Gott nicht abgeben, wenn ich nicht zuerst meinen Sohn [da] heraushole.“117 Im zweiten
109 110 111 112 113 114 115 116 117
Euripides, Tro., 1280 f. Allerdings entgegnet ihr hierauf Talthybius, sie sei nicht bei Sinnen. Euripides, Herc., 1307 f. Vgl. von Severus, Gebet, 1143. Zum schon seit klassischer Zeit in Griechenland vorkommenden Spott über die Götter vgl. Veyne, Religion, 22. Vgl. auch ebd., 21. Versnel, Religious Mentality, 42 Vgl. Veyne, Paganismus, 271. Oxyrhynchos VII,1065 (3. Jh. n. Chr.), in: Hunt/Edgar, Select Papyri I, 344: ¦speq [o]R heo· oqj 1v¸samto l[o]u, ovtyr j!c½ he_[m] oq v¸[s]olai. Bremen 10, in: Mitteis/Wilcken, Papyruskunde I.1, 125: Ushi d³ fti oq l´kky he` swok²feim, eQ lμ pqºteqom !paqt¸sy t¹m riºm lou.
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Der pagane Mensch und das Leiden
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Brief konstatiert die Frau: „Weder habe ich mich gewaschen noch [die] Götter angebetet, weil ich die Ungewissheit um dich fürchte.“118 Mögen diese Beispiele auch nicht ohne Weiteres verallgemeinerbar sein, so drückt sich in ihnen jedoch eine Grundproblematik aus, welche hinsichtlich der Reaktion von Heidenchristen auf Leidenserfahrungen besondere Berücksichtigung verdient: Für einen pagan sozialisierten Menschen bedeuten Leidenserfahrungen, dass die selbstverständliche Erwartung, der verehrte Gott gewähre diesseitiges Wohlergehen, enttäuscht wird. Welchen Sinn hat dann aber dessen Verehrung? Der christliche Gott bietet seinen heidenchristlichen Verehrern zwar die Hoffnung auf ein jenseitiges bzw. eschatologisches Heil, und diese Hoffnung, welche die Mehrzahl der paganen Kulte nicht bieten kann, ist durchaus als ein Grund für die Anziehungskraft des Christentums zu erachten. Wie sich allerdings am Beispiel der Mysterienkulte, welche ebenfalls das religiöse Bedürfnis nach einem über den Tod hinausreichenden Heil ansprechen, zeigt, bedeutet das Streben nach diesem jenseitigen Heil nicht den Verzicht auf Wohlergehen im Diesseits. Diesseitiges Wohlergehen ist vielmehr ein konstitutives Hoffnungsgut paganer Religiosität. Dessen Ausbleiben kann daher zu einer Krise des Verhältnisses zu der verehrten Gottheit führen. Hat ein pagan sozialisierter Mensch die Verehrung seiner bisherigen Götter aufgeben, erfährt nun aber als Mitglied der Ekklesia Leiden, so kann dies zum Schluss auf eine fehlerhafte Gottesverehrung führen. Hier lassen sich zwei mögliche Gesichtspunkte erwägen: 1.) Die Wirksamkeit der Christusverehrung steht infrage. Dies muss aus paganer Sicht nicht bedeuten, dass der christliche Gott kein Gott ist. Zumindest aber gewährt er seinen Verehrern keinen Schutz und kein Wohlergehen.119 Welchen Sinn aber hat dann seine Verehrung, wenn er seine Anhänger nicht vor Unglück und Leid bewahrt? Gerade vor dem Hintergrund des sich in der römischen Kolonie Philippi zeigenden Strebens nach Status und Ehre kann sich einem Heidenchristen die Frage stellen: Ist es überhaupt sinnvoll, ein jenseitiges Heil unter Verzicht auf diesseitiges Wohlergehen zu erwerben? 2.) Die Leidenserfahrungen können auf die Aufgabe der Verehrung der paganen Gottheiten zurückgeführt werden. Der Mensch hat ihren zuvor genossenen Schutz verloren,
118 Athene e Roma VII,124,11, in: Mitteis/Wilcken, Papyruskunde I.1, 125: out[’ 1]kous²lgm [ou]te pqosej¼mgsa heo»r voboul´mg sou t¹ let´yqom. 119 Auch in obigen Beispielen für pagane Reaktionen auf Leidenserfahrungen wird das Gottsein oder überhaupt die Existenz der Götter nicht infrage gestellt. Die Drohung, sie nicht zu schonen, oder die von Epiktet berichtete Schmähung des Zeus setzt vielmehr voraus, dass es die Götter gibt. Dahinter steht ein Grundzug der paganen Gottesvorstellung: Die Götter sind von den vernunftbegabten und sterblichen Menschen nicht als ein absolutes, transzendentes Wesen, welches auch die moralischen Normen transzendiert, unterschieden, sondern sie unterscheiden sich nur durch ihre Unsterblichkeit und größere Macht. Ihr Verhalten kann gleich dem der Menschen von Neid und Missgunst bestimmt sein (vgl. Veyne, Religion, 14ff). Ausgehend von dieser Gottesvorstellung bedeuten Leidenserfahrungen keine Infragestellung des Gottseins.
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Das Leiden der Christen und die pagane Religiosität
oder er bekommt nun die Strafe der Götter zu spüren, denen er nicht die ihnen zustehende Verehrung entgegenbringt. Die Enttäuschung der diesseitigen Heilshoffnungen ist als eine bisher nicht ausreichend berücksichtigte Problematik zu erachten, die sich für Heidenchristen aus Leidenserfahrungen ergibt. Das Christentum ist, sobald aus der besonderen Situation der Christen in ihrer Umwelt Leidenserfahrungen resultieren, handle es sich um soziale und wirtschaftliche Isolation oder um unmittelbare Übergriffe auf Mitglieder der Ekklesia, nicht in der Lage, den paganen Heilshoffnungen zu entsprechen. Die Hoffnung auf ein immanentes, diesseitiges Wohlergehen wird unweigerlich enttäuscht. In Verbindung damit, dass dem polytheistischen Denken ohnehin der Gedanke, es könne erforderlich sein, um seiner Religion willen zu leiden, fremd ist, kann dies zu einer ernsthaften Bedrohung einer frühen heidenchristlichen Gemeinde werden. Es besteht die Gefahr, dass Menschen sich von dem christlichen Gott ab und wieder den paganen Kulten zuwenden – nicht allein um damit Leiden zu entgehen, sondern auch weil ihnen der Sinn einer Gottesverehrung, die zwar ein postumes Heil verheißt, aus der aber diesseitig Leiden resultiert, unverständlich ist. Paulus reagiert auf dieses Problem offenbar in Phil 3, und zwar nicht indem er wider die Erfahrungen der heidenchristlichen Gemeindemitglieder den durch die Christusverehrung erreichten diesseitigen Gewinn herausstellt, sondern vielmehr mit einer radikalen Transzendierung der Heilshoffnungen. Allein der zukünftige Aspekt des Heils wird betont. Gleichzeitig überbietet aber dieses Heil alle diesseitigen Hoffnungen mit der (Nah-)Erwartung des Retters und Herrn Jesus Christus und der Gleichgestaltung mit dessen Herrlichkeitsleib (3,20 f). Der Apostel geht auf diese Weise in die Offensive gegenüber den für seine Adressaten selbstverständlichen Erwartungen. Alle diesseitigen Vorzüge und Errungenschaften erklärt er für nichtig angesichts des für die Christen zu erwartenden Heils, das alle Hoffnungen auf Rettung und Wohlergehen, welche sich unter anderem auf den römischen Kaiser richten, überbietet.120 Nikolaus Walter erachtet als ausschlaggebend für das Unverständnis heidenchristlicher Gemeindemitglieder für ein Leiden um Christi willen pagan-monotheistische Vorstellungen. Bei der Frage, warum um eines Gottes willen Leid auf sich genommen werden soll, gehe es „um einen Aspekt des tiefgreifenden Konflikts zwischen dem spätantik-griechischem und dem jüdischen, biblischen Gottesdenken, zwischen dem hellenistisch-philosophischen Monotheismus und nun auch christlichen Glauben an den Einen Gott“121. Walter ist dahingehend zuzustimmen, dass der pagane Monotheismus die Vorstellung eines derartigen Leidens faktisch ausschließt. Die einzelnen in den Kulten verehrten Gottheiten gelten bei diesem als Ausdrucksformen des 120 Vgl. 3.2.4 und 3.2.6. 121 Walter, Philipper, 49.
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Der pagane Mensch und das Leiden
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„Einen Göttlichen“122. Von da aus ergibt sich insofern eine ähnliche Situation wie aus polytheistischer Perspektive, als keinem einzelnen kultisch verehrten Gott Alleinverehrungsanspruch zukommt. Ein Verehrer mit einem solchen monotheistischen Gottesverständnis ist nicht in der Weise existentiell z. B. mit dem in Philippi beliebten Thrakischen Reiter verbunden, dass er auch angesichts drohender Konsequenzen keinen anderen Gott außer diesen verehren würde. Die verschiedenen Kulte lassen sich vielmehr als unterschiedliche Ausdrucksformen des Göttlichen miteinander kombinieren. Inwiefern jedoch diese monotheistische Gottesvorstellung seit hellenistischer Zeit für breitere Bevölkerungskreise und für die paulinischen Adressaten als relevant anzusehen ist, indem sie sich „immer mehr als die eigentliche Anschauung hinter allen konkreten Kultformen durchsetzte“123, erscheint fraglich. So handelt es sich beim paganen Monotheismus insbesondere um ein philosophisches Gottesbild.124 Anknüpfend an Robert Muth lässt sich zudem auf eine der religionsphilosophischen Reflektion in hellenistischer Zeit parallel verlaufende Entwicklung, nämlich eine „Veräußerlichung“125 der Religiosität verweisen.126 Es kommt zur synkretistischen Kombination verschiedener Götter und derer Kulte mit dem Ziel, die Wirkung zu verstärken.127 Neue orientalische und ägyptische Kulte fassen in Griechenland Fuß.128 Die Verehrung der „Personifikationen von Abstraktionen“ breitet sich aus, ebenso die Heroenverehrung. Herakles wird als „Beschützer vor allem Bösen und Überwinder des Todes“129 verehrt. Und der Kult des Heilgottes Asklepius erlangt zunehmend Bedeutung.130 Dies lässt die Annahme breiter monotheistischer Tendenzen in den vom Hellenismus geprägten Gesellschaften fragwürdig erscheinen. Hier wird gegenüber Walter stärker zwischen der Religiosität von Teilen einer gebildeten Minderheit und der weit verbreiteten polytheistischen Religiosität der Bevölkerungsmehrheit, für die monotheistische Vorstellungen kaum eine Rolle spielen, zu unterscheiden sein.131 Gleichzeitig gilt es zu berücksichtigen, dass in der aktuellen Forschungsdiskussion mit einer Ausbreitung pagan-monotheistischer Vorstellungen 122 Walter, Leiden, 426; vgl. auch Amir, Monotheismus, 5; Athannasiadi/Frede, Pagan Monotheism, 7 ff. Der von Athannasiadi und Frede herausgegebene Sammelband steht am Beginn einer verstärkten Diskussion um Gestalt und Relevanz des paganen Monotheismus in der Forschung des letzten Jahrzehnts. Vgl. zu dieser Diskussion insbesondere die Beiträge bei Mitchell/van Neuffelen, One God. Beispielhaft zeigt sich der pagane Monotheismus in der Selbstvorstellung der Isis in Apul., met 11,5 (Übersetzung Brandt): „Von Deinem Gebet gerufen bin ich da, die Mutter der Natur, Herrin aller Elemente, Keimzelle der Geschlechter, – Geisterfürstin, Totenkönigin, Himmelsherrin, – Inbegriff der Götter und Göttinnen. (…) Ein Wesen bin ich, doch in vielen Gestalten, wechselnden Bräuchen, mancherlei Namen betet mich der ganze Erdkreis an.“ 123 Walter, Leiden, 426. 124 Vgl. Amir, Montheismus, 11; Bloch, Monotheismus, 376. 125 Muth, Religion, 192. 126 Vgl. zu dieser zweifachen Entwicklung ebd., 192. 127 Vgl. ebd., 192. 128 Vgl. ebd., 188 ff. 129 Ebd., 185. 130 Vgl. ebd., 186. 131 Vgl. Grabner-Haider/Maier, Kulturgeschichte, 39.
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Das Leiden der Christen und die pagane Religiosität
erst in nachhellenistischer Zeit gerechnet wird.132 In diesem Zusammenhang ist mit Martin Wallraff zudem auf die ungelöste Frage zu verweisen, ob eine solche Ausbreitung derjenigen des Christentums vorangeht und für dieses wegbereitend wirkt, oder ob darin vielmehr umgekehrt eine pagane Reaktion auf die christliche „Konkurrenz“ zu sehen ist.133 Angesichts dieser vielfältigen Anfragen scheint es höchst unsicher, ob paganmonotheistische Vorstellungen unter der Bevölkerung der Colonia Iulia Augusta Philippensis Mitte des 1. Jh. n. Chr. überhaupt von Bedeutung sind. Die Relevanz eines paganen Monotheismus für die Leidensproblematik in der christlichen Gemeinde wird als eher gering einzuschätzen sein.
132 Vgl. Mitchell/van Neuffelen, Introduction, 6, 14. 133 Vgl. Wallraff, Pagan Montheism, 536.
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5. Der Philipperbrief als Reaktion auf einen Wertekonflikt in Philippi
Aufgrund der bisherigen Untersuchungen lassen sich die Spannungen, welche sich für Heidenchristen in Philippi infolge von Leidenserfahrungen ergeben, wie folgt zusammenfassen: 1.) Die Erfordernis, um eines Gottes willen zu leiden, ist innerhalb der paganen polytheistischen Religiosität nahezu ausgeschlossen. Diesbezügliche Vorstellungen sind den pagan sozialisierten Gemeindemitgliedern daher höchstwahrscheinlich fremd. Leidenserfahrungen enttäuschen zudem die grundlegende von ihnen an einen Gott gerichtete Erwartung diesseitigen Wohlergehens. 2.) Die Hinnahme von Leiden steht gleichzeitig in Spannung zu dem in der römischen Kolonie Philippi zentralen Wert Ehre. Christsein beinhaltet aufgrund der damit verbundenen gesellschaftlichen Isolation nicht zuletzt Leiden in Form eines freiwilligen Ehrverzichts. Bezüglich dieser Isolation werden zwei Aspekte zu berücksichtigen sein: a) Die Christen grenzen sich von dem ab, was für sie aus religiösen Gründen untragbar ist, der Teilnahme am paganen Kult; b) die Umwelt reagiert hierauf ihrerseits mit Ausgrenzung der Christen, was nicht zuletzt wirtschaftliche Konsequenzen mit sich bringt: Soziale Aufstiegschancen bleiben den Gemeindemitgliedern aufgrund wirtschaftlicher Isolation verwehrt, statt dessen droht ein sozialer Abstieg. 3.) tritt hinzu, dass einem freiwilligen Verzicht auf Status und Ehre die im paganen Zusammenhang weitgehend negative Wertung von Selbsterniedrigung entgegensteht. Soziale Niedrigkeit und moralische Minderwertigkeit sind eng miteinander verbunden.1 Insbesondere Punkt 2 und 3 deuten an, dass die Spannungen in der Gemeinde Philippis nicht zuletzt vor dem Hintergrund eines über die Leidenserfahrungen an sich hinausreichenden Wertekonflikts zu verstehen sind. Für die Gemeindemitglieder stehen ihre Erfahrungen als Christen und die sich daraus ergebenden Anforderungen an ihre Lebensführung in Spannung zur bisher selbstverständlichen Ausrichtung an denjenigen Werten, mit denen sie aufgewachsen und primär sozialisiert worden sind. Diese Problematik verdeutlicht sich unter Berücksichtigung dessen, dass die Bekehrung eines pagan sozialisierten Menschen zum Heidenchristentum nicht unmittelbar mit materialen ethischen Konsequenzen verbunden ist. Ein Übertritt zum Judentum oder zum Judenchristentum wäre mit der Annahme der Tora verbunden und mit der Ablösung derjenigen paganen Werte, welche in unvereinbarem Wi1 Vgl. 3.1.3.2.
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Der Philipperbrief als Reaktion auf einen Wertekonflikt
derspruch zum jüdischen Gesetz stehen.2 Anders stellt sich die Situation beim Heidenchristentum dar. Es fehlt ein Wertekanon, der das pagane Ethos der Bekehrten ersetzen oder transformieren könnte. Eine Neu-Sozialisation findet nicht statt3 bzw. kann überhaupt nicht stattfinden. Dieser Sachverhalt wird zuweilen verkannt, wenn ein Übergewicht auf die ethische Opposition der frühen Heidenchristen gegenüber ihrer Umwelt gelegt wird.4 Freilich weist 1. Kor 5,9 f darauf hin, dass einige Christen, allerdings erst infolge einer missverstandenen paulinischen Mahnung, was den Umgang mit Unzüchtigen anbelangt, eine radikale Abgrenzung zur Umwelt erwägen. Andere hingegen gehen nach wie vor zu Prostituierten (vgl. 1. Kor 6,13 – 18).5 Wieder Andere halten sogar die Teilnahme an Mahlzeiten in Tempeln für möglich (vgl. 1. Kor 8,10). Hierin begegnet eine ethische Grundproblematik der frühen heidenchristlichen Gemeinden, welche aus der gesetzesfreien Mission des Paulus entstanden sind: Für einen Heidenchristen der ersten Generation ist zunächst unklar, wie er sein Leben nach der Bekehrung gestalten soll. Da institutionalisierte „christliche“ Werte fehlen, besteht die Frage, inwiefern er sich von seinen bisherigen Lebensgewohnheiten distanzieren muss oder diese beibehalten kann. Die Heidenchristen müssen ethisch ihren Platz in der Welt erst finden. Und der Apostel Paulus muss, wie hinsichtlich des Verzehrs von Götzenopferfleisch in 1. Kor 10,25 – 28, neue Antworten auf Fragen finden, welche im Judentum bzw. Judenchristentum durch Torabestimmungen geregelt sind.6 Bereits Paulus’ erste, die Paraklese Phil 1,27 – 2,18 einleitende Mahnung nimmt die Frage der ethischen Orientierung der Christen auf. Als Maxime christlicher Lebensführung verweist der Apostel auf das Evangelium Christi (!n¸yr toO eqaccek¸ou toO WqistoO pokite¼eshe [1,27]), wobei der Anklang an mit !n¸yr gebildete Wendungen in Inschriften und das paulinische Hapaxlegomenon pokite¼eshai diese Maxime offenbar gezielt in ein Gegenüber zur Orientierung des Bürgerlebens am Staat rückt.7 In 2,1 – 11 wird eine solche 2 Vgl. Wolter, Ethische Identität, 72. 3 Vgl. ebd., 72. Ungünstig erscheint der von Michael Wolter hierfür gebrauchte Begriff der Resozialisation, da dieser üblicherweise für die Wiederherstellung einer vormaligen Sozialisation und Wiedereingliederung in ein soziales Umfeld bzw. eine Gemeinschaft Verwendung findet (vgl. Wetzstein, Resozialisierung, 1507 f), also gerade die Kontinuität zur Primärsozialisation beinhaltet. 4 Vgl. unten zur Auslegung von Phil 4,8 bei Friedrich, Gnilka, Walter und Eckey. 5 Der Gang zur Prostituierten war in der römischen Gesellschaft allgemein üblich und wurde an sich nicht moralisch in Frage gestellt. Aufgrund des geringen Entgelts handelte es sich dabei um ein schichtübergreifendes Phänomen (vgl. Hartmann, Prostitution, 453 f). 6 Vgl. zur Notwendigkeit der frühchristlichen Identitätsfindung Koch, Christliche Identität, 162 f. Paulus’ Behandlung der Frage des Götzenopferfleisches ist programmatisch für diese Situation, denn nach der Tora bestünde eine eindeutige Regelung: der Verzehr sämtlichen nicht nach jüdischem Ritus geschlachteten Fleisches wäre untersagt (vgl. Lev 17,3 – 6; Apg 15,20.29; vgl. auch Koch, Christliche Identität, 160). 7 Vgl. 3.1.2.
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Phil 4,8 f als Verhältnisbestimmung
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Orientierung inhaltlich erläutert als eine Entsprechung zu Christi Niedrigkeitsgesinnung und in Phil 3 anhand Paulus’ eigenem Beispiel eines Statusverzichts und eines Leidens bis zum Tod verdeutlicht. Der von den Philippern geforderten Grundorientierung entgegensetzt ist ein Handeln aus „Eigennutz“ (1qihe¸a) und „leerer Ehrsucht“ (jemodon¸a [2,3]), sowie überhaupt die Ausrichtung auf irdische Dinge (t± 1p¸ceia [3,19]), eine Haltung, welche Paulus als charakteristisch für die „Feinde des Kreuzes“ (3,18) darstellt. Hingegen gilt es um Christi willen irdische Vorzüge preiszugeben, gleichwie der Apostel selbst die Vorzüge seiner Herkunft als wertlos erachtet (3,7 f). Betont Paulus an diesen Stellen das Gegenüber der an die Christen gerichteten ethischen Forderung zur paganen Umwelt und ihren Werten, so nimmt er mit der abschließenden Mahnung in 4,8 f eine Verhältnisbestimmung vor zwischen den seinen Empfängern vertrauten paganen Werten und einer dem Evangelium Christi würdigen Lebensführung. Damit gibt er den Philippern eine Orientierungshilfe dafür, wie sie ihr Leben als Heidenchristen mit einer paganen Primärsozialisation und in einer paganen Umwelt, deren Werte in Teilen der christlichen Verkündigung entgegenstehen, gestalten sollen. Der Apostel beschließt seine Mahnungen mit einer Maxime als Grundlage für die eigenständige ethische Urteilsbildung seiner Adressaten.
5.1 Phil 4,8 f als Verhältnisbestimmung zwischen paganem Ethos und christlicher Lebensführung 5.1.1 Kontext Auf die persönliche Mahnung an die beiden Frauen Euodia und Syntyche (4,2 f), welche offenbar in Verbindung mit der in Phil 3 behandelten und den gesamten Brief bestimmenden Problematik steht8, folgen weitere knappe Mahnungen. Eine derartige Aneinanderreihung einzelner Mahnungen findet sich wiederholt gegen Ende der Paulusbriefe9, ebenso der Verweis auf den „Frieden Gottes“ (V. 7) bzw. den „Gott des Friedens“ (V. 9).10 Nachdem Paulus
8 Vgl. 3.2.7. 9 Vgl. 1. Thess 5,12 – 22; 1. Kor 16,13 – 16. 10 Vgl. 2. Kor 13,11; Röm 15,13.33; 16,20. Am Beispiel des Römerbriefs zeigt sich die Variabilität des paulinischen Briefschlusses mit Friedenswunsch und -verheißung sowie der Mitteilung von Reiseplänen bereits in Kap. 15 und der ausführlichen Grußliste und Einzelmahnungen in Kap. 16 (zur Ursprünglichkeit von Röm 16 vgl. Wilckens, Römer I, 24ff). Daher müssen keineswegs aufgrund epistolographischer Erwägungen Phil 4,4 – 7 und 8 f unterschiedlichen Briefen zugeordnet (vgl. Gnilka, Philipperbrief, 219; Schenk, Philipperbriefe, 242ff; Bormann, Philippi, 117; Walter, Philipper, 18) oder der Dank für die Spende der Philipper (4,10 – 20) als ursprünglich eigenständiges
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Der Philipperbrief als Reaktion auf einen Wertekonflikt
ab 3,17 ausdrücklich auf den Konflikt in Philippi eingegangen war, geht er nun zum Briefschluss über. In V. 4 ruft der Apostel die Adressaten nach 3,1 erneut zur Freude im Herrn auf.11 Darauf schließt sich in V. 5 die Mahnung an, die „Milde“ (1pieij´r) der Philipper solle allen Menschen bekannt werden. Damit weitet Paulus die Forderung eines neuen Sozialverhaltens der Glaubenden über den innergemeindlichen Bereich auf das Verhalten gegenüber Außenstehenden, den nicht-christlichen Einwohnern der Kolonie Philippi aus. Dies überrascht insofern, als die Umwelt der Gemeinde bisher ausschließlich negativ in den Blick kam und ein missionarischer Aspekt, welcher von einer positiven Außenwirkung des Verhaltens der Christen ausgeht, fehlt (vgl. 1,28; 2,15). Einen Hinweis auf die Intention der Mahnung, könnte der Gebrauch von 1pieij´r und 1pie¸jeia in der LXX geben. So bezeichnen die Termini dort auch „die Mäßigkeit im Rechtsverhalten“12 oder den Rechtsverzicht.13 Weish 2,19 sagen die „Gottlosen“ (1,16: !sebe?r): „Durch Erniedrigung und Folter wollen wir ihn prüfen, um seine Milde kennen zu lernen (Vma cm_lem tμm 1pie¸jeiam aqtoO) und seinen Gleichmut auf die Probe zu stellen.“14 Allerdings irren sie darin, dass sie nicht an die Unvergänglichkeit des Menschen glauben und keinen postumen Lohn erwarten (V. 21 f). Versteht man Phil 4,5 vor einem derartigen Hintergrund, dann fordert Paulus hier den Verzicht auf rechtliche Ansprüche und die Hinnahme von Unrecht, da der Herr und damit das Ende des Leids nahe ist, nahe aber auch das Schicksal der Widersacher.15 Damit stünde die Mahnung derjenigen in 1,28 nahe, wo Paulus fordert, den Widersachern unerschrocken zu begegnen, was ein Zeichen für deren Verderben und die Rettung der Christen ist. Dies entspräche auch der negativen Tendenz, welche der Mahnung zur Feindesliebe in Röm 12,17 – 20 inhäriert. Der Christ sammle
11
12 13 14 15
Schreiben angesehen werden (vgl. Walter, Philipper, 18). Zur Funktion dieses Danks innerhalb des Briefschlusses vgl. 5.2.4. Vgl. auch den Aufruf zur Freude, selbst angesichts des möglichen Todes des Apostels in 2,18, und das Motiv der Freude in 1,4.18. Zur Funktion des Motivs vgl. 5.2.2. Die Annahme, dass 4,4 ursprünglich unmittelbar auf 3,1 folgte, ist nicht zwingend. Paulus’ Aussage, den Philippern dasselbe zu schreiben, sei ihm zwar nicht langweilig, ihnen aber heilsam (3,1b), muss sich nicht auf einen nachfolgenden zweiten Aufruf zur Freude beziehen. Sowohl ein Rückbezug auf 2,18 als auch ein Bezug auf die anschließenden Nachrichten von Gegnern ist möglich (vgl. 3.2.5). Zudem ergäbe sich, wenn 4,4 unmittelbar auf 3,1 folgte, zumindest eine auffällige „Doppelung“, indem Paulus mit p÷kim 1q_, wa¸qete die Wiederholung des Aufrufs zur Freude erneut herausstellte (vgl. Mller, Philipper, 196). Mller, Philipper, 196. Von Gott: Dan 3,42; 2. Makk 2,22; 10,4; Weish 12,18; vom König: 2. Makk 9,27; 3. Makk 3,15; 7,6; vom Frommen: Weish 2,19. Übersetzung: LXX Deutsch. Allerdings ist der Bezug von b j¼qior 1cc¼r (V. 5b) unsicher, da Paulus weder mit einem c²q an V. 5a anknüpft, noch in V. 6 durch eine Partikel auf die vorangehende eschatologische Motivierung Bezug nimmt (vgl. Röm 13,11: oOm; 1. Kor 7,29: t¹ koipºm [im Sinne von oOm]). Angesichts dessen lässt sich ein Bezug zu beiden Mahnungen erwägen (vgl. Fee, Philippians, 407 f).
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Phil 4,8 f als Verhältnisbestimmung
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damit „feurige Kohlen auf das Haupt“ (V. 20 [Prov 25,22]) seines Feindes.16 Vor dem Hintergrund des Gesamtbriefs liegt ein Verständnis der Mahnung als Aufforderung zum Rechtsverzicht mit Blick auf die negativen Konsequenzen dieses Handeln für die Gegner der Gemeinde näher als die Annahme einer missionarischen Zielsetzung.17 Die Mahnung, um nichts zu sorgen, sondern ,mit allen Gebeten und Bitten die Anliegen mit Danksagungen Gott kundwerden zu lassen‘ (V. 6), passt wie auch die anschließende Verheißung (V. 7) gut zur Situation einer äußeren Bedrängnis der Gemeinde. Dass Paulus das Bittgebet hier ausdrücklich mit dem Dank verbindet, dürfte darauf zielen, „die Hoffnung auf Gottes helfendes Eingreifen mit der dankbaren Erfahrung bisherigen Gotteshandelns“18 zu stützen. Die durch die Leidenserfahrungen angefochtene Gemeinde erhält darüber hinaus die Verheißung, der Frieden Gottes werde, wenn sie sich betend an Gott wende19, ihre Herzen und Sinne20 in Christus Jesus bewahren (V. 7). Angesichts dessen, dass es offenbar zu Gemeindeaustritten gekommen ist und weitere Mitglieder vom Abfall bedroht sind, wird hierunter die Verheißung dessen zu verstehen sein, dass der Friede Gottes die Adressaten in der Gemeinschaft in Christus Jesus und damit im Bereich des Heils bewahren werde.21 Damit begegnet hier aber nach 2,13 erneut der Aspekt, dass Gott selbst die Heilsvollendung wirkt.22
5.1.2 Die ethische Maxime Phil 4,8 f Den Abschluss der Paraklese bilden in Phil 4,8 f zwei parallele Mahnungen. In V. 8 folgt auf sechs mit fsa eingeleitete Relativwendungen, die in der Umwelt allgemein anerkannte Werte benennen, und zwei unvollständige Konditionalsätze die Aufforderung taOta koc¸feshe („dies erwägt“). Anschließend verweist Paulus in V. 9 die Adressaten auf dasjenige, was (û) sie gelernt, empfangen, gehört und an ihm gesehen haben, und mahnt: taOta pq²ssete 16 Gegen Mller, Philipper, 197 lässt sich Röm 12,17(–20) daher schwerlich für einen missionarischen Aspekt der Mahnung anführen. 17 Anders: Mller, Philipper, 197, der trotz seines Verweises auf die LXX hier nicht den Gedanken des Rechtsverzichts als für Paulus leitend erachtet, sondern „ansatzweise (…) eine missionarische Dimension innergemeindlichen Verhaltens sichtbar“ werden sieht. 18 Ebd., 198; vgl. auch Schenk, Philipperbriefe, 246. 19 Aufgrund des einleitenden „ja¸ des Nachsatzes“ (Mller, Philipper, 197) und nachfolgendem Indikativ Futur ist V. 7 „nicht Schlußwunsch, sondern göttliche Verheißung für die Mahnung in V. 6“ (197 f; vgl. auch Dibelius, Philipper, 95; Merk, Handeln aus Glauben, 195; Schnelle, Einleitung, 159; anders: Walter, Philipper, 94). 20 Jaqd¸a und mºgla stehen hier annähernd als Hendiadyoin für das menschliche Ich (vgl. [auch zu den Unterschieden zwischen beiden Termini] Bultmann, Theologie, 214, 221). 21 Vgl. dahingehend Eckey, Philipper, 101. 22 Vgl. zum göttlichen Wirken auch 1,6; 3,15; 4,9 sowie Kap. 3.1.2 zu dieser Vorstellung auch in 1,27 – 30.
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Der Philipperbrief als Reaktion auf einen Wertekonflikt
(„dies tut“). Die Parallelisierung der Mahnungen weist darauf hin, dass der Apostel beide in Beziehung zueinander versteht. Das Erwägen der in V. 8 angeführten Werte und das Handeln auf der Grundlage der Überlieferung, Verkündigung und des paulinischen Beispiels dürfen demzufolge nicht unabhängig voneinander ausgelegt werden. Paulus fordert von den Philippern nicht einfach die Entsprechung zu paganen Werten.23 Auch verweist er nicht auf die Vorzüge paganer Werte zusätzlich zu denjenigen Werten, welche sich aus der christlichen Verkündigung ergeben.24 Vielmehr gibt Paulus mit den aufeinander bezogenen Mahnungen den Philippern eine Handreichung zur Orientierung nicht allein angesichts der gegenwärtigen Spannungen, sondern auch für zukünftige ethische Fragen. Die einleitende Wendung t¹ koipºm findet sich hier erneut nach 3,1 und wird von Paulus wiederholt zur Einleitung von (Schluss-)Mahnungen verwendet.25 Ein an 1. Kor 7,29 anknüpfendes Verständnis als Schlussfolgerung aus dem Vorangehenden im Sinne von owm, so dass die Friedensverheißung aus V. 7 die Mahnung motiviere26, ist unwahrscheinlich angesichts der erneuten die Funktion einer Motivierung einnehmenden Verheißung in V. 9 und der Geschlossenheit des „Gedankengangs“ von V. 8 f.27 Dem abschließenden und zugleich grundlegenden Charakter der Mahnung entspricht am besten eine Wiedergabe von t¹ koipºm mit „schließlich“.28 Das Relativum fsa wird angesichts des Gegenübers zum auf den Inhalt des christlichen Kerygmas und des paulinischen Vorbilds bezogenen Relativum û weniger als p²mta fsa („alles, was“) zu verstehen sein.29 Vielmehr dürfte hierin die Unbestimmtheit der in V. 8 angeführten Werte anklingen und sich daher die Wiedergabe mit „was (auch) immer“ anbieten.30 Die sechs Adjektive und zwei Substantive in V. 8 werden in der Forschung mehrheitlich vor einem nicht-kultischen, paganen Hintergrund ausgelegt. Die Annahme, Paulus greife hier die Terminologie jüdischer oder judenchristli23 Dahingehend offenbar Schnelle, Paulus, 640, der zu den „politisch-gesellschaftliche[n] Begriffen“ euvglor und 5paimor bemerkt: „(…) Sie zielen auf die gesellschaftliche Anerkennung, die Paulus von der Gemeinde erwartet.“ 24 Hierauf hinaus läuft die Auslegung bei Walter, Philipper, 94 f; Gnilka, Philipperbrief, 222. 25 Vgl. 1. Thess 4,1; Gal 6,17; 2. Kor 13,11. Leitet Paulus auch in 1. Thess die Paraklese bereits in 4,1 mit koipºm ein, so ist t¹ koipºm in Phil 3,1 und 4,8 kein zwingendes Indiz für einen Briefschluss und eine ursprüngliche Eigenständigkeit von 3,2ff bzw. 4,10ff (gegen Schenk, Philipperbriefe, 242). 26 Vgl. Merk, Handeln aus Glauben, 197 f. 27 Vgl. Mller, Philipper, 199. 28 Vgl. Fee, Philippians, 413; Reumann, Philippians, 616 („finally“); dahingehend auch Dibelius, Philipper, 94 („endlich“). 29 Gegen Bauer, 1187. Mit dieser Bedeutung würde fsa besser in V. 9 passen. 30 Vgl. Fee, Philippians, 414: „The difference between fsa and û is that of ,indefinite‘ and ,definite‘ (i. e. ,whatever things in general‘ and „what things in particular‘).“ Vgl. auch Gnilka, Philipperbrief, 218; Mller, Philipper, 194; Reumann, Philippians, 616; Bockmuehl, Philippians, 243 („whatever“).
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cher Gegner auf31, ist hingegen historisch problematisch, da die Existenz einer derartigen Gegnerfront für Philippi als unwahrscheinlich gelten muss.32 Gegen die Auslegung vor einem jüdischen religiösen Hintergrund33 sprechen zudem die letzten beiden Adjektive. So ist euvglor biblisches Hapaxlegomenon. Pqosvik¶r findet sich im NT ausschließlich hier ; in der LXX gibt es nur drei Belege in Sir 4,7; 20,13 und Esth 5,1b.34 Gleichzeitig deutet sich aber durch beide Termini an, in welchem Sinne die gesamte Reihe zu verstehen sein dürfte: Es handelt sich um in der Gesellschaft anerkannte Werte und im Speziellen um das gesellschaftliche Ansehen, welches aus der Entsprechung zu diesen Werten resultiert.35 Pqosvik¶r bezeichnet einerseits eine menschliche Eigenschaft als „liebenswert“ oder „liebenswürdig“, andererseits die Wertschätzung eines Menschen durch Andere als „beliebt“ oder „wohlgefällig“.36 Für zweite Bedeutung charakteristisch ist eine Inschrift auf einer Marmorstele aus Pergamon: „beliebt (Adv. pqosvik_r) bei den Brüdern als auch bei uns allen anderen“37. Diese Bedeutung findet sich auch im Sirachbuch: Sir 4,7 fordert dazu auf, sich „in der Versammlung beliebt“ zu machen; nach Sir 20,13 macht sich der Weise bei Wenigen beliebt.38 Der Gebrauch neben den, wie sich zeigen wird, ebenfalls auf die äußere Anerkennung zielenden Termini euvglor und 5paimor spricht dafür pqosvik¶r auch in Phil 4,8 im Hinblick auf die Wertung durch Andere zu verstehen als dasjenige, was bei den Mitmenschen beliebt macht.39 Die Bedeutungsspanne des biblischen Hapaxlegomenon euvglor umfasst sowohl mit „heilig“ oder „geweiht“ den sakralen Bereich als auch in den Bedeutungen „Glück verheißend“, „anziehend“, „löblich“ und „anerkannt“ den profanen.40 Ein Hinweis auf das Verständnis in Phil 4,8 kann Paulus’ Verwendung des Substantivs eqvgl¸a in 2. Kor 6,8 geben. Dort begegnet dieses innerhalb der beiden Gegensatzpaare dºna / !til¸a, dusvgl¸a / eqvgl¸a (Ehre / Ehrlosigkeit, „Verleumdung“ / „Belobigung“41) für eine Wertschätzung durch 31 Vgl. Schenk, Philipperbriefe, 314 ff. 32 Vgl. 3.2.1. 33 Vgl. Lohmeyer, Philipper, 174ff; Fee, Philippians, 415 ff. Fee sieht in V. 8 hellenistische Termini, welche Paulus allerdings durch die jüdische Weisheitsliteratur vermittelt worden seien und von ihm nunmehr unter christlichem Gesichtspunkt angeführt würden. 34 Vgl. Mller, Philipper, 200. Entsprechend bleibt Fee, Philippians, 418 das Verhältnis der beiden Adjektive zu den übrigen von ihm religiös verstandenen Termini ungeklärt. Paulinische Hapaxlegomena sind zudem selmºr und !qet¶. 35 Das „Auftreten rein gesellschaftlicher Werte“, auch hinsichtlich des folgenden Substantivs 5paimor, betont bereits Dibelius, Philipper, 95; vgl. auch G. Barth, Philipper, 74; Mller, Philipper, 200. 36 Vgl. Gemoll, 651. 37 Pqosvik_r d³ t_i te !dekv_i ja· Bl?c [j]a· to?r %kkoir ûpasi (OGIS 1,225,III). 38 So LXX-Gött XII,2; Rahlfs liest 1m kºcoir statt 1m ok¸coir. 39 Vgl. Mller, Philipper, 200; Dibelius, Philipper, 95. 40 Vgl. Gemoll, 347; Bauer, 662. Zum sakralen Gebrauch vgl. Maximus, Dialexeis 40,2b: eqvglºr ce 1h´kym eWmai t± he?a. Zum profanen Gebrauch vgl. Lukian, Pro Lapsu 18,13. 41 S. Pedersen, eqvgl¸a, 215.
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andere Menschen.42 Von da aus bietet sich ein Verständnis von euvglor als „anerkannt“ oder „löblich“, im Sinne von „was Lob empfängt“ an.43 Einen Bezug der letzten beiden Adjektive auf dasjenige, was einen gesellschaftlichen Zuspruch bewirkt, stützen die nachfolgenden Konditionalwendungen eU tir !qetμ ja· eU tir 5paimor. )qet¶ und 5paimor finden sich in antiken Texten wiederholt in Verbindung miteinander, allerdings geht es dabei um das Lob, welches die Tugend hervorruft.44 Das Nebeneinander mit 5paimor sowie die Wendung tir !qet¶ („irgendeine Tugend“) weisen darauf hin, dass Paulus !qet¶ hier nicht mehr im klassischen Sinn als die grundlegende, das rechte Maß alles Handelns bestimmende Tugend versteht, sondern als einen allgemeinen Obergriff für dasjenige, was als gut oder „tugendhaft“ gilt, gebraucht.45 Gleichzeitig lässt der Kontext den Schluss zu, dass hier die Bedeutung „Ruhm“46 oder „Ruhmestat“47 zumindest mit anklingt. )qet¶ und 5paimor würden demnach in Richtung eines Hendiadyoin tendieren. Je nachdem, ob unter 5paimor das „Lob“48 selbst oder das „Lobenswerte“, der „Gegenstand des Lobs“49 zu verstehen ist, ließe sich die doppelte Konditionalkonstruktion wiedergeben mit: „wenn es irgendwelchen Ruhm und irgendein Lob einbringt“, oder : „wenn es irgendeine Tugend (bzw. irgendetwas Ruhmreiches) und irgendetwas Lobenswertes ist“50. Das unbestimmte tir verstärkt den Eindruck, dass die Wendung nicht auf etwas Bestimmtes und an sich Ruhmreiches oder Lobenswertes zielt51, sondern vielmehr auf dasjenige, was allgemein, d. h. bei den Gemeindemitgliedern und in ihrer Umwelt, als lobenswert erachtet wird und Anerkennung erwirkt. Bei Lob und Anerkennung aber handelt es sich um ein grundlegendes Ziel des Handelns innerhalb der 42 In dahingehender Bedeutung findet sich das Substantiv auch im Aristeasbrief im Mund des ägyptischen Königs, der fragt, „wie er bei den Audienzen und Entscheidungen Ansehen auch bei den Abgewiesenen erlange“ (vgl. Arist, 191 [Übersetzung: Meisner]: p_r %m 1m to?r wqglatislo?r ja· diajq¸sesim eqvgl¸ar tucw²moi ja· rp¹ t_m rpotucwamºmtym). 43 Vgl. Mller, Philipper, 200; Reumann, Philippians, 618, 639. 44 Vgl. u. a. Aristoteles, eth. Nic. 1101b,31; Plutarch, mor. 84. 45 Vgl. Lohmeyer, Philipper, 175; Gnilka, Philipperbrief, 221; Mller, Philipper, 200; Reumann, Philippians, 640. Bauernfeind, !qet¶, 460 merkt diesbezüglich an: „Hier mag die Nähe zwischen !qet¶ und 5paimor griechisch sein, schwerlich aber ihre Koordination.“ 46 Vgl. Homer, Od. 13,45; Sophokles, Phil. 1420. Wiederholt findet sich der Gebrauch von !qet¶ im Sinne von dºna in der LXX (vgl. Jes 42,8.12; vgl. auch Bauernfeind, !qet¶, 459). 47 Bauernfeind, !qet¶, 459; vgl. Jes 43,21; 63,7; vgl. auch Vçgtle, Tugend- und Lasterkataloge, 182 f. 48 Vgl. Walter, Philipper, 94. 49 Bauer, 570; vgl. Gnilka, Philipperbrief, 221; Fee, Philippians, 419; Mller, Philipper, 200; Eckey, Philipper, 142; Reumann, Philippians, 620. 50 Eine eindeutige Entscheidung hinsichtlich des Verständnisses von 5paimor ist nicht möglich. Zwar gebraucht Paulus das Substantiv ansonsten ausschließlich in der Bedeutung „Lob“ (vgl. Phil 1,11; 1. Kor 4,5; 2. Kor 8,18; Röm 2,29; 13,3), die Adjektive selmºr (geachtet), pqosvik¶r (anerkannt) und euvglor (beliebt) legen jedoch ein passivisches Verständnis als das „Lobenswerte“ nahe. 51 Demnach lässt sich 5paimor schwerlich auf das Lob durch Gott beziehen (vgl. Röm 2,29; 1. Kor 4,5; gegen Fee, Philippians, 419).
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antiken, insbesondere der römischen Gesellschaft. Nicht zuletzt stellt in der römischen Kolonie Philippi Ehre einen zentralen Wert dar.52 Lob als ethischer Beweggrund ist daher auch ein Charakteristikum paganer (Popular-)Ethik.53 Die Ausrichtung auf Ehre und gesellschaftliche Anerkennung betrifft auch den ethischen Bereich, wie u. a. die häufige Verbindung von Tugend und Lob, !qet¶ und 5paimor, zeigt. Demnach geht Paulus in V. 8 aber nicht allein auf seinen heidenchristlichen Adressaten vertraute Werte ein, sondern auch auf die ethische Zielsetzung ihres Handelns.54 Diese verwirft der Apostel ausdrücklich nicht. Ein Verhalten, welches das Lob der Umwelt empfängt, bleibt für die Philipper auch als Christen erwägenswert. Allerdings formuliert Paulus in V. 9 einen Maßstab für das geforderte Erwägen der in Philippi anerkannten und einem Menschen, der ihnen entspricht, gesellschaftliche Anerkennung bringenden Werte. In die These eines Bezugs von V. 8 auf pagane gesellschaftliche Werte und deren Wirkung fügen sich auch die weiteren Adjektive ein. Das paulinische Hapaxlegomenon selmºr bezeichnet mehrheitlich, sofern es sich nicht auf das Ehrfurcht gebietende Göttliche, die Gottheit oder das ihr geweihte Heilige, bezieht55, „das, was an dem Sein der Dinge, an dem Verhalten der Menschen, auf den anderen einwirkend ein s´beshai hervorruft“56. Auch selmºr beinhaltet somit den Aspekt der Wirkung, welche ein Mensch durch sein Handeln oder seine Haltung erzielt. In diesem Sinne verwenden das Adjektiv auch die deuteropaulinischen Pastoralbriefe, deren Verfasser von den Diakonen, Frauen und Ältesten fordert, selmºr zu sein.57 In Phil 4,8 passt ein dahingehendes Verständnis gut zu den Adjektiven pqosvik¶r und euvglor, wobei dem
52 Vgl. 1.4.2 und 3.1.3.2. 53 Vgl. Preisker, 5paimor, 583: „5paimor Lob, Anerkennung, Beifall ist das charakteristische Lebensziel der alten Welt, dh der Griechen der klassischen Zeit und der philosophischen Ethik der späteren Zeit.“ Hiervon ist die zeitgenössische philosophische Ethik insofern abzugrenzen, als das Lob des gemeinen Volkes als Ziel des Handelns in der Stoa abwertend betrachtet wird (vgl. Epiktet, III,23,7: „Was bedeutet mir ein Wort des Lobs von den Vielen?“ [1lo· d³ toO paq± t_m pokk_m 1pa¸mou t¸r kºcor]; vgl. auch II,13,4; III,23,19). Nach Preisker, 5paimor, 583 „beweist [die Stoa] damit nur, welch großen Wert die Antike auf den 5paimor durch Menschen, durch den einzelnen wie die öffentliche Meinung, legt“. 54 Vgl. Reumann, Philippians, 640. 55 Vgl. Homer, h. 486 (über Zeus); Philo, LegGai 198 (über den Jerusalemer Tempel); vgl. auch Foerster, selmºr, 190. 56 Foerster, selmºr, 192; vgl. Fiedler, selmºtgr, selmºr, 567. Der Gedanke des Ehrwürdigen, Ehrfurcht Gebietenden inhäriert auch dem Gebrauch bei Epiktet 1,16,13; 3,20,15 (gegen Gnilka, Philipperbrief, 221, der diese Belege dafür anführt, dass selmºr in Phil 4,8 „wie in der Stoa einfach das sittlich Gute“ bedeute). 57 1. Tim 3,8.11; Tit 2,2. Fiedler, selmºtgr, selmºr, 567 sieht in der Nähe zu den Pastoralbriefen einen Hinweis auf „eine(.) erst vom Redaktor der Phil-Briefsammlung vorgenommene(.) Einfügung“ (vgl. unten).
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Der Philipperbrief als Reaktion auf einen Wertekonflikt
Aspekt der Wirkung eine Wiedergabe mit „geachtet“ am besten Ausdruck verleiht.58 Bei d¸jaior sprechen der nicht exponierte Gebrauch innerhalb der Reihe unterschiedlicher Werte und das unbestimmte fsa gegen einen Bezug auf das göttliche Gebot bzw. eine an Gott orientierte Gerechtigkeit.59 Neben einem religiösen Gebrauch des Substantivs dijaios¼mg für die Gerechtigkeit aus Gott in 3,6.960, verwendet Paulus bereits in 1,7 d¸jaior in einem unspezifischen Sinn von was „recht und billig“61 ist. Legt sich von da aus dieses Verständnis zwar auch in 4,8 nahe, so lässt sich jedoch erwägen, ob hier evtl. der verbreitete juridische Gebrauch anklingt, wonach unter t± d¸jaia die „Rechte, Ordnungen, Verpflichtungen, Forderungen“62 zu verstehen sind.63 In diesem Fall würde Paulus auch das positive Recht und die Verpflichtungen, welchen die Gemeindemitglieder als Bewohner der Kolonie Philippi nachzukommen haben, der Erwägung anheim stellen. Dahin könnte auch "cmºr tendieren. Das Adjektiv bezeichnet im sakralen Bereich die kultische Tadellosigkeit, die rituelle Reinheit.64 Diese Bedeutung begegnet 2. Kor 11,2: Paulus will die Gemeinde als paqh´mor "cm¶ („reine Jungfrau“) Christus zuführen. Sie tritt aber in 2. Kor 7,11 zurück, wo der Apostel den Korinthern hinsichtlich der (zurückliegenden65) Auseinandersetzungen schreibt, sie hätten sich „in allem als selbst schuldlos erwiesen“. Hier dürfte die übertragene ethische Bedeutung „sittlich tadellos“ anklingen.66 Ebenfalls in nicht-religiöser, ethischer Bedeutung gebraucht Paulus in Phil 1,17 das Adverb "cm_r im Gegenüber zur unlauteren Evangeliumsverkündigung einiger Personen an seinem Haftort. Ließe sich zwar sowohl für 1,17 als auch für 4,8 die Bedeutung „lauter“ oder „sittlich tadellos“ annehmen, ist allerdings auch hier ein weiterer Aspekt der Wortgruppe zu berücksichtigen. So kann "cmºr speziell die „tadellose Amtsführung“67 bezeichnen. Gerade in Philippi, wo auf Posten und Ämter großen Wert gelegt wird, könnte dieser Aspekt von den Adressaten wahrgenommen werden. Die Missionare in 1,17 würden dann ihr Amt nicht vorschriftsgemäß ausüben. Und "cmºr würde in 4,8 nicht nur „lauter“ oder „sittlich tadellos“ im allgemeinen bedeuten, sondern speziell auch die zuverlässige Verrichtung der Ämter und Pflichten als 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67
Diese Übersetzung wählt Zürcher 2007 in 1. Tim 3,8.11. Gegen Fee, Philippians, 417 f; Schrenk, d¸jaior, 189. Vgl. auch 1,11. Schrenk, d¸jaior, 189. Schrenk, d¸jaior, 186; vgl. auch Bauer, 394 f. Vgl. u. a. Diodorus Siculus, 19,85,3: paq± pamt± t± d¸jaia; Josephus, Ant 12,121: t± d¸jaia t/r pokite¸ar; Prov 21,7: pq²sseim t± d¸jaia. Vgl. zur Herkunft und Entwicklung bereits der sakralen Bedeutung Hauck, "cmºr, 123. U.a. mit Bornkamm, Vorgeschichte, 186 dürfte der Abschnitt 2. Kor 7,5 – 16 einem nach dem Ende der Auseinandersetzungen verfassten Brief zuzurechnen sein (vgl. auch 6.1.2). Vgl. auch 1. Tim 5,22; 1. Petr 3,2; 1. Joh 3,3; Jak 3,17. Anders: Hauck, "cmºr, 123. Hauck, "cmºr, 123. Hauck nimmt die Bedeutung „tadellose Amtsführung“ für Phil 1,17 an, während in 4,8 „"cmºr … als sittliches Ideal neben d¸jaior“ stehe.
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Einwohner der Kolonie oder Mitglied von Vereinen meinen.68 Die Mahnung, zu erwägen, „was lauter ist“, bekäme damit eine ähnlich Tendenz wie diejenige, zu erwägen, „was gerecht bzw. recht ist“. Auch hier würden, wie bei einem juridischen Verständnis von d¸jaior, die gesellschaftlichen Verpflichtungen der Adressaten von Paulus anerkannt, büßten aber gleichzeitig ihre unangefochtene Geltung ein, indem sie einzig etwas Erwägenswertes darstellen. Das einleitende fsa 1st·m !kgh/ lässt sich aufgrund des weiten Bedeutungsspektrums nur im Zusammenhang des gesamten Verses bestimmen. Bezeichnete !kgh¶r hier, wie Gnilka annimmt, „das Wahre, Lautere im Gegensatz zu allen Scheinwerten“69, wäre „diese Bedeutung als Beginn der ganzen Reihe [nicht nur] viel zu speziell“70, sondern sie stünde gleichzeitig in Spannung zu dem unbestimmten fsa. Rekurriert der Vers aber auf gesellschaftliche Werte und Normen, bietet es sich an, anknüpfend an Rudolf Bultmann !kgh¶r als „rechtschaffen“ zu verstehen.71 Der einleitende Relativsatz bildet dann eine Art Zusammenfassung der folgenden Relativwendungen. Es geht um dasjenige, was bei den Philippern und in ihrer Umwelt als rechtschaffen erachtet wird. Eine gewisse Nähe zu Phil 4,8 weisen die Tugendkataloge bei Seneca, De tranquilitate animi, III,472 und Cicero, Tusculanae Disputationes V,6773 auf, während unmittelbare literarische Parallelen fehlen.74 Terminologische Anklänge finden sich innerhalb eines populären Tugendkatalogs in einer Inschrift aus Delphi: dºnam d¸yje, !qetμm 1pa¸me, pq÷sse d¸jaia (…) [e]uvglor c¸mou (…) eqvgl¸am %sjei75. Zuweilen wird erwogen, Paulus übernehme in Phil 4,8 einen ihm vorliegenden paganen Tugendkatalog.76 Hierfür könnte sprechen, dass es sich bei vier der acht Adjektive und Substantive um paulinische Hapaxlegomena handelt. Allerdings lassen gerade terminlogische Differenzen zu pagagen Tugendkatalogen eine solche 68 Dabei ließe sich z. B. an die von Mitgliedern eines Berufsvereins, ausgeübten Ämter denken. Wird in diesen Vereinen zwar in der Regel eine pagane Gottheit verehrt (vgl. Pekry, Vereinswesen, 1188 f), hält Koch, Christen als Randgruppe, 355 eine Mitgliedschaft auch nach der Bekehrung zum Christentum für wahrscheinlich. 69 Gnilka, Philipperbrief, 221; vgl. bereits Haupt, Philipper, 177; Vçgtle, Tugend- und Lasterkataloge, 180. 70 Mller, Philipper, 200. 71 Vgl. Bultmann, !kgt¶r, 248; Mller, Philipper, 201. 72 (…) Quid sit iustitia, quid pietas, quid patentia, quid fortitudo, quid mortis contemptus, quid deorum intellectus, quam tutum gratuitumque bonum sit bona conscientia. 73 (…) Bonum autem mentis est virtus; ergo hac beatam vitam contineri necesse est. hinc omnia, quae pulchra honesta praeclara sunt, ut supra dixi, sed dicendum idem illud paulo uberius videtur, plena gaudiorum sunt. 74 Vgl. Bockmuehl, Philippians, 251: „And while the qualities here enumerated do sound very Hellenistic, there is in fact no close parallel to Paul’s list in contemporary Graeco-Roman literature.“ 75 SIG 1268; vgl. auch Vçgtle, Tugend- und Lasterkataloge, 181 f. 76 Vgl. Gnilka, Philipperbrief, 221.
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Übernahme fraglich erscheinen. Von den vier Kardinaltugenden (syvqos¼mg, vqºmgsir, dijaios¼mg, !mdqe¸a) klingt mit fsa d¸jaia nur die Gerechtigkeit an, jedoch einzig als einer unter anderen Werten, ohne besonders hervorgehoben zu werden.77 Es fehlen zudem weitere charakteristische Begriffe paganer, auch zeitgenössischer stoischer Ethik wie jakºr und !cahºr78, d. h. das moralisch Gute und das Gute an sich.79 Das Nebeneinader von !qet¶ und 5paimor steht nicht nur im Widerspruch zur klassischen Ethik, sondern auch zu derjenigen der Stoa, in welcher die !qet¶ als höchstes Gut eine singuläre Position einnimmt.80 Gnilkas These: „In der Tat gehören die Tugenden in den Kontext der stoischen Moralphilososphie, aus der sie, möglicherweise sogar in der Form eines vorgegebenen Katalogs, herausgenommen sind“81, legt sich daher keineswegs nahe. Sollte Paulus in V. 8 einen populären Tugendkatalog übernommen haben, wäre zudem von dessen umfangreicher literarischer Bearbeitung auszugehen. Die beiden Mahnungen in V. 8 und V. 9 weisen eine bewusste, aufeinander bezogene Gestaltung auf: Dem unbestimmten fsa korreliert û, taOta koc¸feshe die Mahnung taOta pq²ssete. Gleichzeitig klingt in der Terminologie die Situation der Adressaten an. Endet der Katalog auf eU tir 5paimor, so passt dies gut zu einer Auseinandersetzung mit der in Philippi besonders relevanten Ausrichtung auf gesellschaftliche Anerkennung und Ehre. Von da aus lässt sich auch der Gebrauch der Hapaxlegomena selmºr (geachtet), pqosvik¶r (beliebt) und euvglor (anerkannt) erklären.82 Dies spricht darüber hinaus nicht nur gegen die These von Paulus’ Übernahme eines ihm vorliegenden Tugendkatalogs, sondern auch gegen Peter Fiedlers Annahme einer sekundären Ergänzung von V. 8 f durch einen Redaktor.83 Der Tugendkatalog in V. 8 scheint vielmehr auf Paulus selbst zurückzugehen. Der Apostel wählt die Terminologie offenbar gezielt in Hinblick auf das pagane Ethos der Philipper, in welchem Ehre eine hohe Wertschätzung genießt, und ermahnt seine Adressaten, dieses Ethos am Maßstab der Verkündigung und seines eigenen Beispiels einer Christusanalogie zu erwägen.
Stellt Paulus die für die heidenchristlichen Philipper in ihrem Alltag relevanten Werte und eventuell die Normen, d. h. auch das positive Recht und gesellschaftliche Verpflichtungen, der Erwägung anheim, billigt er diesen einerseits keine uneingeschränkte Gültigkeit zu. Dies passt zur einleitenden Mahnung !n¸yr toO eqaccek¸ou toO WqistoO pokite¼eshe in 1,27, wo der 77 Vgl. Reumann, Philippians, 638. Zu zeitgenössischen Tugendkatalogen vgl. auch Lçhr, Ethik und Tugendlehre, 169. Löhr verweist u. a. auf den stoischen Tugenkatalog in Stobaios’ Anthologion II,7,5: T_m d’!qet_m t±r l³m eWmai pq¾tar, t±r de ta?r pq¾tair rpotetacl´mar7 pq_tar d³ t´ttaqer eWmai, vqºmgsim, syvqos¼mgm, !mdqe¸am, dijaios¼mgm. 78 Vgl. Vçgtle, Tugend- und Lasterkataloge, 181. 79 Vgl. auch Plato, Gorg. 470e; Diogenes Laertius VII,100, Epiktet, III,3,1. Zur Entwicklung des Begriffspaares in der antiken Ethik vgl. Grundmann, jakºr, 540ff; Reiner, Gut, 937 – 946. 80 Vgl. Diogenes Laertius VII,69; Cicero, fin. IV,16,43; vgl. auch Stemmer, Tugend, 1541 ff. 81 Gnilka, Philipperbrief, 221. 82 Insofern !qet¶ den „Ruhm“ oder die „Ruhmestat“ meint, erklärt sich aus diesem Zusammenhang auch das vierte Hapaxlegomenon. 83 Vgl. Fiedler, selmºtgr, selmºr, 567.
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Apostel das Evangelium als Maßstab der Lebensführung offenbar gezielt in ein Gegenüber zur Orientierung an der Stadt bzw. der Kolonie setzt und damit auch zum römischen mos maiorum.84 Die Lebensführung der Christen soll nicht dem irdischen Gemeinwesen würdig erfolgen, sondern dem Evangelium Christi. Andererseits aber führt 4,8 f über 1,27 hinaus, indem Paulus die seinen Empfängern vertrauten Werte nicht als mit ihrem Christsein schlechthin unvereinbar ablehnt, sondern eine Vermittlung zwischen paganem Ethos und einer Orientierung am Evangelium vornimmt. Damit erläutert er hier, in einer abschließenden Mahnung, wie ein evangeliumsgemäßes Leben in einer paganen Umwelt und angesichts der paganen Primärsozialisation der Philipper möglich ist. Zu diesem Zweck führt der Apostel in V. 9 einen Maßstab für die Erwägung der seinen Adressaten vertrauten Werte ein. Er verweist die Philipper auf dasjenige, was sie gelernt (1l²hete), empfangen (paqek²bete), von ihm gehört und an ihm gesehen haben (Ajo¼sate ja· eUdete 1m 1lo¸).85 Der taOta koc¸feshe („dies erwägt“) parallele Imperativ taOta pq²ssete („dies tut“) und das einleitende konkrete Relativum û gegenüber dem unbestimmt offenen fsa in V. 8 verleihen dem zweiten Teil der Mahnung einen übergeordneten Charakter : „Was auch immer“ den Philippern an Werten und Normen vertraut ist und ihnen alltäglich in ihrer Umwelt begegnet, sollen sie erwägen; „und / aber86 was“ der empfangenen Lehre und dem paulinischen Vorbild entspricht sollen sie tun. Damit rekurriert der Apostel auch in der abschließenden Maxime auf den Vorbildgedanken. Ein christologischer Bezug besteht dabei, 1.) indem unter dem Empfangenen und Gelernten primär das Evangelium, dessen Inhalt Christus ist, zu verstehen sein dürfte87, 2.) indem sein eigenes Beispiel, auf welches der Apostel verweist, schließlich gerade das Beispiel einer Christusentsprechung ist. Handelt es sich bei seiner Christusentsprechung nach Phil 3 um die Entsprechung zu Christi Statuspreisgabe, Leiden und Tod, so schwingt hier zudem in Paulus’ Verweis auf sein Beispiel der Gedanke der Leidensnachahmung mit. Dieser wird noch verstärkt durch den Anklang an 1,30, wo sich oXom eUdete 1m 1lo· ja· mOm !jo¼ete 1m 1lo¸ ausdrücklich auf die gegenwärtige Leidenssituation des Apostels bezieht.88 Das Evangelium und 84 Vgl. 3.1.2. 85 Die Parallele oXom eUdete 1m 1lo· ja· mOm !jo¼ete 1m 1lo¸ (1,30) spricht dafür in 4,9 1m 1lo¸ nicht allein auf eUdete, sondern auch auf Ajo¼sate zu beziehen (vgl. Gnilka, Philipperbrief, 219; Mller, Philipper, 621; Eckey, Philipper, 142; anders, trotz Verweis auf die Parallele: Reumann, Philippians, 621). Ein Bezug bereits auf 1l²hete ja· paqek²bete (vgl. Fee, Philippians, 420; Walter, Philipper, 94) ist zwar inhaltlich möglich, die Nähe der Formulierung zu 1,30 macht aber einen Bezug nur auf die letzten beiden Verben wahrscheinlicher. 86 Die Partikel ja¸ ist hier nicht eine das Nachfolgende nebenordnende Konjunktion, sondern wird ähnlich 2,4 in steigerndem Sinn gebraucht und hebt V. 9 von V. 8 ab (vgl. Schenk, Philipperbriefe, 270; Reumann, Philippians, 640: „ja¸ may have an adversative sense“). 87 Vgl. auch den Gebrauch von lamh²meim in Bezug auf das Evangelium in Gal 1,12, von paqakalb²meim in 1. Kor 15,1; Gal 1,9.12. 88 Vgl. Fee, Philippians, 420. Reumann, Philippians, 640 verweist zudem auf die Schilderung der
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Der Philipperbrief als Reaktion auf einen Wertekonflikt
dessen Veranschaulichung durch Paulus, nicht zuletzt in seinem Leiden, sind der Maßstab, an welchem die Adressaten ihr paganes Ethos bewerten und dessen Inhalt erwägen müssen.89 Dieses Ethos ist bei ihrer Bekehrung nicht im Rahmen einer Neu-Sozialisation ersetzt oder transformiert worden bzw. es konnte aufgrund des Fehlens eines dezidiert christlichen Ethos überhaupt nicht ersetzt werden.90 Was in Philippi „angesehen“ und „beliebt“, was eine „Tugend“ und „etwas Lobenswertes“ ist, ist dies zunächst auch bei den dort lebenden frühen Heidenchristen. Ein Verhalten, welches auf gesellschaftliche Anerkennung zielt, ist auch für sie alltäglich. Dies verkennt eine Auslegung, die V. 8 dahingehend interpretiert, Paulus verweise die Mitglieder der Ekklesia darauf, dass es auch in ihrer Umwelt durchaus als positiv zu erachtende Werte gebe.91 Denn die Werte ihrer Umwelt sind noch weitgehend ihre eigenen. Auf diese müssen die Philipper daher auch nicht verwiesen werden. Nikolaus Walter übersieht zudem das Verhältnis von V. 8 zu V. 9, wenn er schreibt: „Und nicht nur über das Nachdenken und Urteilen kommt es zu einem angemessenen Verhalten, sondern auch über das Anschauen und Nachahmen“92. „Nachdenken und Urteilen“ stehen aber gerade nicht unabhängig neben demjenigen, was das paulinische Beispiel veranschaulicht, sondern sollen vielmehr von dieser Veranschaulichung geleitet werden. Ferner wird das Verhältnis der beiden Verse zueinander nicht darin zu sehen sein, dass V. 9 V. 8 in dem Sinne erläutere, dass das Rechtschaffene, Geachtete etc. erst durch das Kerygma und Paulus’ Vorbild bestimmt werde.93 In diesem Fall müsste sich û auf das vorangehende taOta in V. 8 zurück beziehen94, wogegen die parallele Struktur der Verse (Relativum und taOta mit finitem Verb) spricht.95 Diese weist vielmehr auf eine Gegenüberstellung. V. 9 bestimmt somit nicht „Inhalt und Umfang des Rechten, Lobwürdigen usw.“96, sondern speziell dessen „Umfang“. Paulus legt einen kritischen Maßstab an die den Philippern vertrauten paganen Werte zur
89
90 91 92 93 94 95
96
paulinischen Lebensführung in 1. und 2. Kor als Beispiel dafür, was auch die Philipper am Apostel gesehen haben und er von ihnen fordert: „His ,way of life‘ was a ,theology of the cross‘, a cruciform lifestyle, as letters he was writing to Corinth in this period make clear“. Vgl. Mller, Philipper, 199: „(…) a) Paulus fordert zur Reflexion über die in der Welt geltenden Normen auf und gibt die Diskussion darüber frei (V. 8). b) Als inhaltliches Kriterium nennt er die apostolischen Überlieferungen, die beim Nachdenken über das, was konkret zu tun ist, verbindlich sind (V. 9a).“ Vgl. auch Reumann, Philippians, 640; Fenske, Argumentation, 306. Vgl. oben. Vgl. Friedrich, Philipper, 172; Gnilka, Philipperbrief, 222; Walter, Philipper, 25, 94; Eckey, Philipper, 143. Walter, Philipper, 94 f. Gegen Vçgtle, Tugend- und Lasterkataloge, 185 f; Fee, Philipians, 415, 417; Bockmuehl, Philippians, 254. Vgl. Vçgtle, Tugend- und Lasterkataloge, 185. Vgl. Fee, Philippians, 414. Angesichts dessen ist es unverständlich, dass Fee in der Folge trotzdem die in V. 8 angeführten Werte ausgehend von V. 9 „in light of the cruciform existence that Paul has urged throughout the letter“ auslegt. Vçgtle, Tugend- und Lasterkataloge, 186.
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Phil 4,8 f als Verhältnisbestimmung
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Prüfung, welche für sie als Christen weiterhin in Geltung bleiben können und welche mit ihrem Christ-Sein unvereinbar sind.
Das Verhältnis der in Philippi alltäglichen Werte zum Christsein der Gemeindemitglieder bedarf einer nachhaltigen Klärung, zumal aus dem paganen Ethos mit seiner Hochschätzung von Ehre bei gleichzeitigem Unverständnis für ein Leiden um eines Gottes willen Spannungen innerhalb der Gemeinde entstanden sind. Dass diese Spannungen im Hintergrund der abschließenden Mahnung stehen, verdeutlicht die Tendenz der Termini in V. 8, die Ausrichtung auf das gesellschaftlich Angesehene und Anerkennung Bewirkende. Paulus gibt mit 4,8 f seinen Adressaten, nachdem er sie zu einer an Christus orientierten Lebensführung ermahnt und diese Orientierung durch die Beispiele des Timotheus, Epaphroditus und seiner selbst erläutert hat, eine Handreichung, wie sie diese Lebensführung angesichts ihrer paganen Primärsozialisation gestalten können. Dabei verwirft der Apostel weder grundsätzlich die paganen Werte, noch, wie der konditionale Einschub eU tir !qetμ ja· eU tir 5paimor zeigt, die ethische Zielsetzung, gesellschaftliche Anerkennung. Selbst diese ist erwägenswert, allerdings anhand des in V. 9 angeführten Maßstabs.97 Die sich hierin widerspiegelnde ethische Mündigkeit, welche Paulus seinen Gemeinden zuerkennt, begegnet bereits im Proömium in Phil 1,10: Sein Ziel ist, dass die Philipper prüfen, was das Entscheidende, Relevante für sie als Christen ist (eQr t¹ dojil²feim rl÷r t± diav´qomta). In 1. Thess 5,21 fordert Paulus ebenfalls im Rahmen der Schlussmahnung die mehrheitlich heidenchristliche98 Gemeinde auf: p²mta d³ dojil²feshe, t¹ jak¹m jat´wete („alles aber prüft, das [moralisch] Gute behaltet“). Und Röm 12,2 ermahnt zu einer Verwandlung „durch die Erneuerung des Sinnes“ eQr t¹ dojil²feim rl÷r t¸ t¹ h´kgla toO heoO, t¹ !cah¹m ja· eq²qestom ja· t´keiom („auf dass ihr prüft, was der Wille Gotte ist, das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene“).99 Die mündige Gemeinde, welche sich selbstständig innerhalb den ihnen vertrauten und in ihrer Umwelt begegnenden Werte orientieren kann, zeigt sich als ein 97 Infolgedessen steht die Mahnung, die paganen gesellschaftlichen Werte zu erwägen, auch nicht in Spannung zu Phil 2,1 – 11 (gegen Vçgtle, Tugend- und Lasterkataloge, 183). Die Erwägung erfolgt am Maßstab des paulinischen Kerygmas und Vorbilds und ist damit gerade an dem orientiert, was Paulus in Phil 2 unter Verweis auf den Christuspsalm veranschaulicht. Ist Lob bzw. Ehre als den Adressaten vertrautes Ziel des Handelns zwar zu erwägen, so schließt dies nicht aus, dass dieses Ziel, zumindest in der aktuellen Konfliktsituation, dem in 4,9 angegeben Maßstab widerspricht und somit preisgegeben werden muss. Dass Paulus die paganen Werte nebst dem Lob als Ziel des Handelns nicht überhaupt verwirft, sondern zur Erwägung stellt, entspricht des Weiteren dem Gedanken der Unanstößigkeit gegenüber der Umwelt. Dieser begegnet in 1. Kor 10,32 bezogen auf die Tischgemeinschaft mit Heiden (vgl. Koch, Christliche Identität, 162). Gerade in der Situation äußerer Bedrängnis ist es sinnvoll, die Solidarität zu den Werten und Normen der Umwelt soweit möglich aufrecht zu erhalten (vgl. 1. Thess 4,11; Röm 13,3). Der Gedanke, durch Unanstößigkeit Konflikte mit der Umwelt zu vermeiden, könnte in Phil 4,8 mitschwingen (vgl. Eckey, Philipper, 143 f). 98 Vgl. 1. Thess 2,14. 99 Hier beziehen sich die angeführten Werte, anders als in Phil 4,8, auf den Willen Gottes.
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Der Philipperbrief als Reaktion auf einen Wertekonflikt
Ziel paulinischer Paraklese. Entsprechend beschließt Paulus seine Mahnungen an die sich in einer ethischen Konfliktsituation befindenden Heidenchristen in Philippi mit einer Maxime als Anleitung für eine solche Orientierung. Phil 4,8 f ist zu sehen im Licht der Identitätsfindungsprozesse im frühen Heidenchristentum, wo noch kein dezidiert christliches Ethos an die Stelle der paganen Primärsozialisation getreten und somit unklar ist, welche Konsequenzen Christsein für die Lebensführung hat. An diese Maxime knüpft der Apostel die Verheißung an, der Gott des Friedens werde mit den Philippern sein.100 Dies entspricht nicht allein dem paulinischen Briefschluss101, sondern gleichzeitig der besonders prägnanten Verbindung von Mahnung und Zuspruch göttlichen Beistands, welche sich wiederholt in der Paraklese des Phil zeigt.102 Die pagan sozialisierten Adressaten erhalten diesen Zuspruch folglich auch hinsichtlich der für ihre Lebensführung als Christen leitenden Maxime.103
5.2 Ein Wertekonflikt als Hintergrund des Gesamtbriefs Es konnte aufgezeigt werden, dass Paulus sowohl mit der Paraklese 1,27 – 2,18 als auch mit der Reaktion auf die „Feinde des Kreuzes Christi“ in Phil 3 auf einen Konflikt eingeht, dessen geistig-religiöse Ursache in der Spannung zwischen den seinen Adressaten durch ihre Primärsozialisation vertrauten Werten und den Anforderungen einer christlichen Lebensführung liegt. Im Rahmen dieses Konflikt, der dezidiert in der Frage eines Leidens um Christi willen und der Rolle von Status und Ehre zutage tritt, erklärt sich das ausführliche Lob des in seinem Dienst für das Werk Christi fast gestorbenen Gemeindegesandten Epaphroditus (2,25 – 30) als Beispiel für eine Leidensund Todesnachahmung, sowie die Mahnung in 4,8 f als eine Verhältnisbestimmung zwischen paganem Ethos und christlicher Lebensführung. Auf Grundlage dieser Untersuchungsergebnisse soll nunmehr abschließend aufgezeigt werden, inwiefern der Phil im Ganzen auf diesen Konflikt reagiert. Dadurch lassen sich einerseits diese Ergebnisse weiter stützen, andererseits lässt sich auf diese Weise plausibel machen, dass es sich beim Phil um ein einheitliches unter bestimmten inhaltlichen Gesichtspunkten zielgerichtet aufgebautes Schreiben handelt. 100 101 102 103
V. 9b weist die gleiche Struktur auf wie V. 7 mit ja¸ und anschließendem Indikativ Futur. Vgl. 2. Kor 13,11; Röm 15,13.33; 16,20. Vgl. 1,27 – 30; 2,12 f; 3,15. Dabei ist allerdings, anders als in 1,27 – 30; 2,12 f und 3,15, wo ein förmliches Ineinander des Wirkens Gottes und der Christen begegnet, der göttliche Beistand dem Handeln der Philipper nachgeordnet (vgl. Mller, Philipper, 201: „Dem geforderten Tun gilt die Verheißung. Wenn die Gemeinde sich daran hält, wozu der Apostel sie ermahnt, wird der Gott des Friedens mit ihnen sein.“).
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Ein Wertekonflikt als Hintergrund des Gesamtbriefs
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5.2.1 Die Abwägung paganer Werte Die am Ende der Schlussparaklese stehende Mahnung, die paganen Werte anhand des Evangeliums und des paulinischen Beispiels zu bewerten, erfolgt im Rahmen des Gesamtbriefs keineswegs unvermittelt. Vielmehr korreliert ihr bereits im Proömium Paulus’ Aussage, er bete, „dass eure Liebe noch mehr und mehr überreich werde in Erkenntnis und jedem Urteilsvermögen, um das Wesentliche zu prüfen, damit ihr rein und tadellos seid auf den Tag Christi hin“ (1,9.10a). Hierin greift Paulus mit 1p¸cmysir (die moralische Erkenntnis), aUshgsir (das konkrete moralische Urteilen im Hinblick auf eine Situation) und t± diav´qomta (was sich aufgrund dieser Beurteilung als vorzuziehen erweist, das Bessere gegenüber anderen Dingen) in der hellenistischen Moralphilosophie verbreitete Termini auf.104 Im ethischen Erkennen, Urteilen und Handeln der Adressaten soll sich ihre Liebe zunehmend konkretisieren.105 Damit werden diese bereits einleitend implizit zu einer ethischen Abwägung ermahnt106, während eine derartige Mahnung explizit am Ende der Schlussparaklese erfolgt (4,8 f). Dort führt der Apostel abschließend aus, nach welchen inhaltlichen Kriterien die Prüfung des Wesentlichen zu erfolgen hat. Gleichzeitig entspricht die Rede von t± diav´qomta Paulus’ dortigem Umgang mit den paganen Werten. Es geht um dasjenige, welches vorzuziehen wäre, was besser ist als andere Dinge, ohne dass diese anderen Dinge an sich schlecht wären.107 Inklusive der großen Bedeutung von Status und Ehre, welche in der Mehrzahl der in 4,8 erwähnten Werte anklingt, werden die paganen Werte nicht grundsätzlich abgelehnt, es sei denn, sie kollidieren mit denjenigen, welche sich aus dem christlichen Zeugnis ergeben. Paulus’ Paraklese an die heidenchristliche Gemeinde in Philippi zielt primär auf die Erkenntnis des Erforderlichen, des Vorzuziehenden, nicht auf die Ablehnung der seinen Adressaten vertrauten Werte. Dass er im Rahmen dessen selbst die Relevanz von Status und Ehre nicht an sich ablehnt, scheint sich auch im Präskript in der Erwähnung der 1p¸sjopoi ja· di²jomoi (1,1) widerzuspiegeln. Anknüpfend an Pilhofer könnte es sich bei den Episkopen um eine philippische Sonderentwicklung handeln, gemäß der Ämtervielfalt in paganen Kultvereinen der Kolonie, wo u. a. eine Anknüpfung
104 Vgl. zur Anknüpfung an die hellenistische Moralphilosophie Gnilka, Philipperbrief, 51 f; Mller, Philipper, 47. Zu Gebrauch und Bedeutung der Termini im paganen sowie im jüdischen Kontext vgl. Reumann, Philippians, 124 ff. 105 Vgl. auch Gnilka, Philipperbrief, 51: „Die Liebe soll sich auswirken in innergemeindlichen und allgemein-menschlichen Beziehungen.“ 106 Vgl. ebd., 51: „An dieser Stelle wird deutlich, daß die der Gemeinde dargebotene pqoseuw¶ eine Form der Paraklese des Apostels darstellt.“ 107 Vgl. Reumann, Philippians, 127: „The things that are best suggests what is excellent among good things, not just in contrast to evils“ (Hervorhebung Reumann).
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an den römischen cursus honorum begegnet.108 Erwähnt Paulus diese Amtsträger, deren Ämter offenbar aufgrund der Wertschätzung für „Posten und Pöstchen in Philippi“109 entstanden sind, erkennt er damit diese Wertschätzung zumindest in einem bestimmten Zusammenhang an. Der Grund für die Erwähnung und Anerkennung der Bischöfe als auch der Diakonen wird darin zu sehen sein, dass es eben diese innergemeindlichen Autoritäten sind, die in Paulus’ Abwesenheit versuchen müssen, die Spannungen in der Gemeinde einzudämmen. Diejenigen, welche unter den Gemeindemitgliedern Status und Ansehen genießen, müssen dafür sorgen, dass die Mahnungen des Apostels vor Ort wirksam werden.110 Status und Ansehen schaden in diesem Zusammenhang nicht der Gemeinde, sondern kommen ihr vielmehr zugute.111 Hierin zeigt sich, wie Paulus pagane Werte, sogar solche, die in anderen Zusammenhängen zu Konflikten in der Gemeinde führen, positiv rezipieren und für die Zielsetzung seines Schreibens funktionalisieren kann. Der Umgang mit Status und Ehre veranschaulicht Paulus’ differenzierte Behandlung paganer Werte. Der Versuch, einen Status zu erhalten oder zu erreichen, und der Stolz auf einen Status sind insofern legitim, als dies der Gemeinde nicht abträglich bzw. im Fall der „Bischöfe und Diakone“ sogar zuträglich ist. In der gegenwärtigen Situation ist aber eine Verbindung zwischen Mitgliedschaft in der Ekklesia und gesellschaftlichem Statuserhalt oder -gewinn zum Problem geworden, da hierdurch die Einheit der Gemeinde gefährdet wird. Diese steht in einem Konflikt mit ihrer Umwelt. Ihre Mitglieder sind Leidenserfahrungen ausgesetzt, wobei es sich nicht zuletzt um wirtschaftliche Konsequenzen ihres Christseins und den damit einhergehenden sozialen Abstieg, den Verlust von Status und Ehre handelt. In dieser konkreten Situation bedeutet die Ausrichtung auf Statuserhalt eine Bedrohung der gemeindlichen Einheit, insofern sich Status und Ehre nur durch Re-Assimilation an die pagane Umwelt wiedererlangen lassen, in letzter Konsequenz, indem ein Mensch die Ekklesia wieder verlässt. Hierauf reagiert Paulus mit der Forderung eines Altruismus um der Gemeinde willen. Die Philipper sollen sich nicht auf den Erhalt oder Wiedergewinn von Status und Ehre ausrichten, sondern vielmehr ,einander als höher stehend erachten als sich selbst‘ (V. 3), „nicht ein jeder auf die eigenen Dinge schauen, sondern unbedingt alle auf die der anderen“ (V. 4). Angesichts dieses Konflikts kann Paulus sogar in 1,27 der paganen Orientierung insge108 Vgl. Pilhofer, Philippi 1, 142ff; vgl. auch 1.4.2. 109 Pilhofer, Philippi 1, 142. 110 Vgl. Bockmuehl, Philippians, 55: „Paul’s address here, then appears at the very least to recognize and respect a group of people who in his own absence exercise a ministry of supervision and care for the Christian polity at Philippi“. Anders: Peterlin, Philippians, 221, der Unstimmigkeiten zwischen einzelnen Gemeindeleitern als Hintergrund für deren ausdrückliche Erwähnung als Adressaten annimmt. 111 Allerdings ist zu beachten, dass Paulus im Phil, anders als in 1. Kor 8 – 10 und Röm 14 f, die Paraklese an keiner Stelle ausdrücklich negativ, durch den möglichen Schaden, zu welchem ein bestimmtes Verhalten führen kann, begründet.
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samt eine Lebensführung gemäß dem Evangelium gegenüberstellen112, ohne dass dies einen Widerspruch zu 1,9 f und 4,8 f bedeutet. Vielmehr ist auch nach 4,9 dieses Evangelium als das was die Philipper empfangen, gelernt und an Paulus gesehen haben, Maßstab der Abwägung paganer Werte. Aufgrund der Leidenssituation, kann diese Orientierung am Evangelium es erfordern, mit vertrauten paganen Werten um der Gemeinde willen zu brechen. Und diejenigen, welche sich an den paganen Werten orientieren und deshalb die Ekklesia verlassen, werden zu „Feinden des Kreuzes Christi“ (3,18).
5.2.2 Die Leidenserfahrungen des Apostels und der Gemeinde. Zur Funktion von Phil 1,12 – 26 Die Spannung zwischen der paganen Primärsozialisation der Gemeindemitglieder und der von ihnen als Christen in der aktuellen Situation geforderten Lebensführung tritt neben der Bedeutung von Status und Ehre besonders bei der Frage eines Leidens um Christi willen zutage. Die Leidenssituation und das Unverständnis für ein Leiden aus religiösen Gründen erwiesen sich in der Untersuchung als Auslöser für den Konflikt in Philippi: Die Bedrohung durch die Umwelt bildet den Anlass der Paraklese 1,27 – 2,18; und die „Feinde des Kreuzes“ haben die Gemeinde offenbar aufgrund von Leidenserfahrungen verlassen. Führt Paulus gegenüber Letzteren u. a. sein eigenes Beispiel einer Christusnachahmung in Leiden und Tod an, so dient auch die Schilderung seiner Haft und die Reflexion über deren Ausgang in 1,12 – 26 der Veranschaulichung einer Haltung im Leiden, welche er ebenfalls von den Adressaten erwartet. Gleichzeitig versucht der Apostel ihnen ihre Sorge um sein Geschick, um seine persönliche Leidenssituation, selbst wenn diese mit seinem Tod enden sollte, als unbegründet darzustellen. Somit lässt sich auch dieser Abschnitt der Behandlung des Konflikts zuordnen. In Phil 1,30 setzt Paulus die Leidenserfahrungen der Philipper in Entsprechung zu seinen eigenen Leiden. Sie erfahren „denselben Kampf, den sie [einst] an ihm gesehen haben (Aorist eUdete) und jetzt von ihm hören“. Bezieht sich Erstes offenbar auf die Ereignisse bei der Erstmission (vgl. 1. Thess 2,2; Apg 16,19 – 24), ist Zweites auf die vorangehende Schilderung seiner Haftsituation zu beziehen.113 Auf diese Weise nimmt die Paraklese den vorangehenden Abschnitt (1,12 – 26) auf. Indem der Apostel dort seine eigenen Leidenserfahrungen positiv wertet und auf deren wider Erwarten positive Auswirkungen auf die Evangeliumsverkündigung hinweist, kann er anschließend auch seine Adressaten zur Annahme des Leidens, welches zum Glauben an 112 Vgl. zur kontrastierenden Anknüpfung der Wendung !n¸yr toO eqaccek¸ou toO WqistoO pokite¼eshe an die pagane Betonung eines dem Gemeinwesen und dessen Werten würdigen Handelns 3.1.2. 113 Vgl. Gielen, Paulus 1, 86.
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Christus dazu gehört (1,29), ermahnen.114 Der Abschnitt steht aber auch dahingehend in Bezug zur Paraklese, als Paulus mit seiner „Entscheidung“ für ein Weiterleben um der Philipper willen (V. 24 f) ein Beispiel für die von ihm in 2,4 geforderte Orientierung nicht an den eigenen Interessen, sondern an denjenigen der Anderen bzw. der Ekklesia gibt. Steht 1,12 – 26 zwar formal der „brieflichen Selbstempfehlung“ nahe, so fällt allerdings in V. 12 – 18a das weitgehende Zurücktreten einer Schilderung der persönlichen Situation auf.115 Stattdessen schildert Paulus zunächst die Auswirkungen seiner Haft auf die Evangeliumsverkündigung. Erst im Anschluss (V. 18b–26) geht er auf seine Lage ein, jedoch auch dies, ohne konkrete Angaben zu Haftsituation und Prozessverlauf zu machen. An deren Stelle tritt eine Bewertung sowohl seines möglichen Todes als auch seines Überlebens als Verherrlichung Christi sowie eine Abwägung zwischen Leben und Tod. Diese beschließt der Apostel mit dem Ausdruck seiner Gewissheit, dass er um der Adressaten willen überleben werde. Paulus’ Haft, seine Leidenssituation, hat zu einem „Fortschritt des Evangeliums“ (V. 12) geführt, und zwar, wie das Adverb l÷kkom (vielmehr) anzeigt, entgegen der Erwartung. Damit dürfte Paulus weniger herausstellen, dass er selbst diese Folgen nicht erwartet hat, sondern vielmehr die gegenteilige Erwartung seiner Adressaten im Blick haben.116 Ob diese sich ausdrücklich nach dem Verlauf der Verkündigung erkundigt haben oder nur nach dem persönlichen Ergehen des inhaftierten Apostels, lässt sich nicht entscheiden117, ist aber auch nicht primär relevant. Bedeutsamer ist, wie Paulus die Entwicklung an seinem Haftort einer (potentiellen) Erwartung seiner Adressaten gegenüberstellt. Anders als es die Philipper erwarten würden, ist die Evangeliumsverkündigung durch die Gefangenschaft des Apostels nicht ins Stocken geraten, sondern vielmehr befördert worden. Dieser Fortschritt scheint in einem zweifachen Sinn erfolgt zu sein: Redet Paulus 1.) davon, dass seine „Fesseln offenbar geworden [seien] in Christus im ganzen Prätorium und bei allen Übrigen“ (V. 13), so lässt sich dies dahingehend verstehen, dass es im Rahmen seiner Haft zu Missionserfolgen gekommen ist. Diese kann er einerseits unter seinen Mitgefangenen erzielt haben, andererseits ist auch ein Erfolg unter römischen Bediensteten nicht ausgeschlossen. Auf Letzteres hin deutet möglicherweise im Postkript der Gruß derer „aus des Kaisers Haus“ (oR 114 Vgl. Walter, Leiden, 430: „So will Paulus mit allem, was er im Abschnitt 1,12 – 26 schreibt, die Leser auf jene Paränese vorbereiten, die ihnen auch ihr Leiden als eine Bestandteil ihres Glaubens, ihres Zu-Christus-Gehörens verständlich machen soll (1,27 – 30).“ 115 Vgl. Mller, Philipper, 50. Zu Funktion und Inhalt der „brieflichen Selbstempfehlung“ bei Paulus vgl. ausführlich Schnider/Stenger, Briefformular, 50ff; zu paganen Beispielen vgl. Fee, Philippians, 106. 116 Gegen Walter, Leiden, 430. 117 Gegen K. Barth, Philipperbrief, 17 f; Mller, Philipper, 50, die beide damit rechnen, Paulus korrigiere eine Anfrage nach seinem Ergehen dahingehend, dass er nicht von der Auswirkung der Haft auf sich selbst, sondern auf sein apostolisches Wirken berichtet.
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Ein Wertekonflikt als Hintergrund des Gesamtbriefs
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1j t/r Ja¸saqor oQj¸ar [4,22]), welche als zu den „Heiligen“ gehörend eindeutig als Christen ausgewiesen werden. Bei ihnen könnte es sich um von Paulus bekehrte kaiserliche Sklaven oder Freigelassene handeln, die im Prätorium tätig sind.118 Hat nunmehr gerade der leidende Apostel Missionserfolge vorzuweisen, so bedeutet dies nicht allein, dass seine Evangeliumsverkündigung fortschreitet. Dieser Erfolg steht auch der paganen Einschätzung des Verhältnisses von Leiden und richtiger Gottesverehrung entgegen. Leiden können im paganen, griechisch-römischen Kontext mit seiner starken Ausrichtung auf diesseitiges Wohlergehen die Wahrheit einer Religion bzw. die Wirkmächtigkeit eines Gottes infrage stellen. Sie sind gerade kein Grund, sich zum christlichen Gott zu bekehren.119 Angesichts dessen erhält der Bericht von Bekehrungen eine apologetische Tendenz. Paulus verdeutlicht anhand seiner gegenwärtigen Situation, dass Leidenserfahrungen keinen Anlass darstellen, sich vom Evangelium abzuwenden. Im Gegenteil kann er davon berichten, dass diese sogar Menschen dazu animieren, sich dem Evangelium zuzuwenden. Drohen in Philippi weitere Gemeindemitglieder aufgrund der eigenen Leidenssituation abzufallen und kann die Inhaftierung des Apostels für sie zudem die Wahrheit des von ihm verkündigten Evangeliums infrage stellen, so stellt er diesem gerade ein gegenteiliges Verhalten von Menschen an seinem Haftort gegenüber.120 2.) missioniert allerdings nicht allein der inhaftierte Apostel, sondern auch in seinem Umfeld kommt es aufgrund seiner Haft zu einer verstärkten Evangeliumsverkündigung (V. 14 – 18). In diesem Zusammenhang unterscheidet Paulus zwischen denjenigen, welche „Christus aus gutem Willen / wegen des (göttlichen) Ratschlusses121 verkündigen“ (V. 15), und Anderen, deren Mission er ausdrücklich als gegen sich gerichtet ansieht. Beider Verhalten bringt er mit seiner Haft in Verbindung. Während die Einen Christus „aus Liebe“ verkündigten, „weil sie sehen, dass ich zur Verteidigung des Evangeliums [in Fesseln / Gefangenschaft] liege“ (V. 16), verkündigten „die Anderen Christus aus Eigennutz“ oder „niederträchtiger Selbstsucht“ (1qihe¸a), „weil sie glauben, dass sie [mir damit] in meinen Fesseln Trübsal
118 Vgl. Mller, Philipper, 212. 119 Vgl. 4.2. 120 Vgl. dahingehend Bockmuehl, Philippians, 74 f. Gegen Bockmuehl wird man allerdings kaum aus der Formulierung ¦ste to»r deslo¼r lou vameqo»r 1m Wqist` c´meshai ableiten dürfen, Paulus habe den Bekehrten keine Heilsperspektive eröffnet, sondern allein die Erkenntnis, dass er um Christi willen gefangen sei, habe zu dem Missionserfolg geführt. Diese Erkenntnis wird jedoch schwerlich anders als durch die paulinische Verkündigung entstanden sein, deren Kern aber gerade das Erlösungshandeln Christi bildet. 121 Vgl. Bockmuehl, Philippians, 78 f. Angesichts des Gebrauchs von eqdoj¸a für den göttlichen Ratschluss in 2,13 könnte dies auch hier der Bedeutung „guter Wille“ vorzuziehen sein. Allerdings ist dort Gott Subjekt des Satzes, während es hier t¸mer ist, was, sollte der göttliche Ratschluss gemeint sein, eine Näherbestimmung durch toO heoO nahe legen würde.
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erwecken“ (V. 17).122 Der Hintergrund lässt sich nur soweit erahnen, dass offenbar einige Christen an Paulus’ Haftort dessen Gefangenschaft dazu nutzen, eine eigenständige, gegen die seinige gerichtete Mission durchzuführen. Weshalb gerade seine Verhaftung ihnen die Möglichkeit zur Mission bietet und ob die Gegner infolgedessen eventuell sein Apostolat anzweifeln, bleibt ebenso ungeklärt, wie mögliche theologische Differenzen zur paulinischen Verkündigung. Allerdings führt Paulus hierauf das Motiv der Freude ein, welches im Phil seit dem Proömium (vgl. 1,4) wiederholt begegnet. Auch ihre Evangeliumsverkündigung ist ihm ein Grund zur Freude. Dies wäre schwerlich denkbar, wenn die Gegner z. B. eine Beschneidungsforderung erhöben123, oder wenn sie versuchten, die paulinische Gemeinde von der Bindung an den Apostel zu lösen.124 Es scheint sich somit offenbar nicht im engeren Sinne um Versuche einer Gegenmission wie diejenigen, auf welche Paulus in Gal und 2. Kor reagiert, zu handeln, sondern um eine für Paulus auch theologisch akzeptable Mission unter Nicht-Christen.125 Der Betonung der Freude kommt im Phil weit reichende Bedeutung zu. In 3,1 und 4,4 rahmt Paulus förmlich die Behandlung des Konflikts in Philippi mit dem Aufruf zur Freude. Als ein Ziel der Rücksendung des Epaphroditus hebt er hervor, dass diese bei den Philippern Freude auslösen solle (2,28). Wird des Öfteren die vermeintliche Spannung zwischen dem Freudenaufruf in 3,1 und den nachfolgenden (potentiellen) Konflikten als Anhaltspunkt für eine ursprüngliche Eigenständigkeit von 3,2 – 21 (bzw. 4,3) erachtet, so fällt auf, dass Paulus auch an anderen Stellen des Briefs das Motiv der Freude in Spannung zum Kontext gebraucht. Die Untersuchung der Paraklese 1,27 – 2,18 zeigte bereits, wie der Apostel die Freude und den Aufruf, sich zu freuen, mit seinem Leiden und möglichen Tod verbinden kann. Sollten die Philipper „am Wort des Lebens festhalten“ (2,16), so wäre selbst sein Tod ein Grund zur Freude, und zwar sowohl für ihn als auch für sie (vgl. 2,17 f). Dort erfolgt somit eine Umkehrung der üblichen Reaktion auf den Tod. Dies verbindet Paulus allerdings mit der Voraussetzung, dass die Philipper beim Evangelium bleiben, und beugt auf diese Weise der Gefahr vor, dass sich im Falle seines 122 Gebraucht Paulus 1qihe¸a in 2,3 als das Gegenüber der von den Adressaten geforderten Niedrigkeitsgesinnung, so könnte die Darstellung der Gegner hier die ethische Funktion eines Negativbeispiels einnehmen (vgl. dahingehend Walter, Philipper, 54). Allerdings nimmt Paulus, anders als bei den positiven Beispielen, in 1,15 – 18 nicht in weiteren Punkten auf die Paraklese und auf den Konflikt in Philippi Bezug, so dass eine dahingehende Funktion des Berichts von den Gegnern ausgesprochen unsicher ist. 123 Vgl. die scharfe Abgrenzung gegen eine derartige Gegenposition in 3,2 – 11 (vgl. Bockmuehl, Philippians, 77). 124 Vgl. dahingehend und gegen Erwägungen, die Gegner bestritten Paulus’ Apostolat, Mller, Philipper, 56 ff. Müller rechnet mit einer unterschiedlichen Einschätzung des Sinns eines Martyriums, wobei die Gegner Gefangenschaft und Martyrium als für die Mission kontraproduktiv einschätzten und „ihm vielleicht vorwerfen, er dränge sich aus Profilierungssucht zum Martyrium“ (58). 125 Vgl. Bockmuehl, Philippians, 78.
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Todes die Adressaten vom Glauben abwenden. Sollten die Adressaten standhaft bleiben, dann ist auch Paulus’ Tod ein Grund zur Freude.126 Ohne diese Einschränkung verleiht Paulus in Phil 1 seinem Tod ebenfalls eine positive Wertung. Er bekundet, er werde sich „auch (weiterhin) freuen“127 (V. 18), da er gewiss sei, dass die Situation ihm zum Heil dienen werde, weil sowohl durch Tod als auch durch Leben Christus an ihm verherrlicht werde (V. 19 f). Diese positive Wertung des Todes setzt sich fort in der anschließenden Abwägung zwischen Leben und Tod (V. 21 – 26), welche jedoch letztlich in eine „Entscheidung“ für das Leben mündet. Wie Samuel Vollenweider aufzeigt, dürfte Paulus in diesem Abschnitt die rhetorische Figur der Synkrisis, einer vergleichenden Wertung zweier Optionen, aufnehmen. Nachdem der Apostel zunächst deutlich macht, dass ihm für sich selbst das Sterben und die damit verbundene Vollendung der Christusgemeinschaft als besser erscheint, erachtet er es schließlich um der Philipper willen als wichtiger weiterzuleben.128 Im Hinblick auf die Gemeindesituation besitzt der Abschnitt in dreifacher Hinsicht Relevanz: 1.) Neben den Leidenserfahrungen der Adressaten scheint auch die bedrohliche Lage des Apostels eine Ursache des Konflikts in Philippi darzustellen. Sitzt der Verkündiger des Evangeliums in Haft, so können gerade dessen Leiden die Wahrheit seiner Botschaft infrage stellen.129 Insbesondere gilt dies, sollte die Haft mit einem Todesurteil enden. Vor diesem Hintergrund lässt sich die Charakterisierung des Todes als „um sehr viel besser“ (pokk` c±q l÷kkom jqe?ssom [V. 23]) als ein Versuch verstehen, einer weiteren Verschärfung der Spannungen vorzubeugen. Auch sein Tod würde das Evangelium nicht infrage stellen, sondern bedeutete für ihn vielmehr die vollendete Gemeinschaft mit Christus.130 Indem Paulus selbst einen solchen Ausgang seines Prozesses positiv wertet, verhindert er, dass es in diesem Fall zu einer Eskalation in Philippi kommt.131 2.) Dem gegenüber steht allerdings die Versicherung, er sei gewiss weiterzuleben. Richtet sich die positive Wertung des Todes gegen eine mögliche
126 Vgl. 3.1.4. 127 Mller, Philipper, 58 als Wiedergabe des Futur waq¶solai. 128 Vgl. Vollenweider, Waagschalen, 237 – 261. Vollenweider verweist als Nähe zur antiken Synkrisis 1.) auf die „Überfülle von Komparativen“ (242) in V. 23 (pokk` c±q l÷kkom jqe?ssom) und „die reiche Verwendung der Antithese“ (242), 2.) „die abwechselnde Darstellung der beiden comparanda“ (242) sowie 3.) auf die auch in der Synkrisis häufige Kennzeichnung der Abwägung als „persönliche(.) Wertung“ (243), hier durch betont vorangestelltes 1lo¸ (V. 21). 129 Vgl. dahingehend Walter, Leiden, 432. 130 Zum eschatologischen Hintergrund der von Paulus mit seinem Tod erhofften endgültigen Christusgemeinschaft und zur Frage eines von ihm eventuell erwarteten Sonderschicksals vgl. den Exkurs bei Mller, Philipper, 66 – 71. 131 Dabei kann Paulus, wie Vollenweider, Waagschalen, 247ff zeigt, auf im Paganismus verbreitete Vorstellung zurückgreifen, dass der Tod in bestimmten Fällen dem Leben vorzuziehen ist.
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zukünftige Verschärfung der Spannungen, scheint Paulus hiermit auf eine Entschärfung der aktuellen Situation abzuzielen. 3.) Nicht zuletzt inhäriert der positiven Wertung des Todes und der dieser entgegenstehenden „Entscheidung“ zum Weiterleben auch eine ethische Stoßrichtung. Mit dieser weist die Synkrisis bereits auf die anschließende Paraklese voraus. Paulus zieht das Überleben um der Philipper willen vor, obwohl ihm für sich selbst die Aussicht auf den Tod als Vollendung der Christusgemeinschaft besser erscheint. Entgegen seinem eigenen Interesse wählt er das Leben, d. h., er stellt das Interesse seiner Gemeinde über sein eigenes. Damit präsentiert er sich als Beispiel für den in 2,4 geforderten Altruismus.132 Er erachtet die Anliegen der Anderen, dezidiert der auf ihn angewiesenen Gemeinschaft, als höher stehend als die seinen (vgl. 2,3).133 Sollte zudem V. 21a (1lo· c±q t¹ f/m Wqistºr) als Teil des Synkrisis nur das irdische Leben bezeichnen, welches dem als Gewinn erachteten Tod gegenübersteht134, dann würde Paulus dieses Leben hier ausdrücklich als in Entsprechung zu Christus charakterisieren. Damit läge an dieser Stelle auch ein expliziter Vorausverweis auf das Vorbild Christi vor, dessen Handeln der Christuspsalm schildert.135 Paulus reagiert somit in 1,12 – 26 in doppelter Hinsicht auf den Konflikt in Philippi: Zunächst, indem er seinen Adressaten veranschaulicht, dass seine Leidenserfahrungen und selbst sein möglicher Tod das Evangelium nicht infrage stellen. Stattdessen kann er schildern, wie sein Leiden sogar anderen Menschen ein ausschlaggebender Grund für die Annahme des Evangeliums wird. Und selbst sein Tod hätte eine positive Bedeutung als Verherrlichung Christi und als Vollendung seiner Christusgemeinschaft. Gleichzeitig präsentiert sich der Apostel auch hier als ethisches Vorbild. Kommt seiner Haltung gegenüber Leiden und Tod eine Beispielfunktion für die Annahme des Leidens um Christi willen zu, so stellt er sich in der abschließenden Abwägung als Beispiel für die Wahl dessen dar, was um der Gemeinde willen notwendiger ist, für einen Altruismus um der Gemeinschaft willen.
132 Vgl. Fowl, Christology and Ethics, 147; Vollenweider, Waagschalen, 260. 133 Vgl. dahingehend Vollenweider, Waagschalen, 245, 260. Dieses Beispiel erlangt besondere Wirkung, wenn mit Vollenweider damit zu rechnen ist, dass die Adressaten durch die Synkrisis selbst in Paulus’ Abwägen miteinbezogen werden (vgl. 245). 134 Vgl. ebd., 243 f. Demgegenüber versteht die Mehrheit der deutschsprachigen Forschung V. 21a als Begründung von V. 21b: Paulus definiere das Leben als Christus und damit als über das irdische Leben hinausreichend, so dass auch der Tod, den Christus überwunden hat, einen Gewinn darstellen kann, da das Sterben „den ,Modus‘ zum Empfang umfassenden Lebens darstellt“ (Mller, Philipper, 61; vgl. auch Gnilka, Philipperbrief, 70 f; Walter, Philipper, 42; Eckey, Philipper, 62). Zur Diskussion um das Verständnis von V. 21 vgl. Reumann, Philippians, 216ff, 248 ff. 135 Vgl. dahingehend Vollenweider, Waagschalen, 260: „Die Prädizierung des Lebens als Christus in V. 21a antizipiert die Referenz auf den Weg Christi.“
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5.2.3 Die Nachahmung Christi und seiner Nachahmer Präsentiert sich somit Paulus bereits in diesem Abschnitt als ethisches Beispiel, so folgen auf die sich hieran anschließende Paraklese zwei weitere der Gemeinde vertraute Personen als Beispiele für das Verhalten bzw. die Gesinnung, welche der Apostel von seinen Adressaten erwartet, sein enger Mitarbeiter Timotheus und der Gemeindegesandte Epaphroditus (2,19 – 30). Beider Verhalten bzw. Gesinnung wird durch terminologische Verknüpfungen mit der Paraklese und dem Christuspsalm als Nachahmung Christi charakterisiert.136 Schließlich verweist Paulus ab 3,4b erneut auf sein eigenes Beispiel und nimmt dabei terminologisch sowie strukturell auf den Psalm Bezug.137 Zunächst handelt es sich in 2,19 – 30 um die Empfehlung zweier Mitarbeiter, welche Paulus zu den Adressaten schicken möchte, verbunden mit der Erwähnung eigener Reisepläne. Dass derlei bei Paulus wiederholt am Briefende begegnet138, wird in der Forschung zuweilen als Hinweis auf eine ehemalige literarische Eigenständigkeit von Phil 3 erachtet139 bzw. als Anzeichen für einen geplanten Abschluss des Schreibens, welcher allerdings durch neue Informationen aus Philippi hinausgezögert worden sei.140 Unter Berücksichtigung der Variabilität der Stellung von Empfehlungen in antiken Briefen ist der frühe Zeitpunkt für Paulus zwar auffällig, jedoch nicht derart unüblich, dass hier ein zwingender Grund für eine Briefteilung vorliegen muss.141 Vor allem aber deutet die Ausführlichkeit der beiden Empfehlungen deren weiterreichende Funktion innerhalb des Briefs an. Aus dieser heraus erklärt sich auch ihre frühe Stellung. Die Bezugnahme auf die Paraklese und das darin enthaltene Beispiel Christi weist darauf hin, dass diese weiterreichende Funktion in einer Veranschaulichung der vorangehenden Mahnungen bzw. dezidiert in einem Beispiel für die angemahnte Christusentsprechung besteht. Das Bespiel des Epaphroditus bezieht Paulus mit der Wendung l´wqi ham²tou Eccisem (V. 30) ausdrücklich 136 Über eine Vorbildfunktion von Timotheus und Epaphroditus besteht in der neueren englischsprachigen Forschung ein breiter Konsens (vgl. Meeks, Man From Heaven, 110 f; Bloomquist, Philippians, 173 f; Fowl, Christology and Ethics, 148 f; Bockmuehl, Philippians, 174; Oakes, Philippians, 104; Holloway, Consolation, 126ff; Heil, Philippians, 113). In der deutschen Forschung hingegen bleiben die Verknüpfungen von 2,19 – 30 mit der Paraklese und dem Christuspsalm weitgehend unberücksichtigt (vgl. Walter, Philipper, 67ff; Mller, Philipper, 124ff; Eckey, Philipper, 93ff; eine Ausnahme bilden Schenk, Philipperbriefe, 233, 239; Brucker, Christushymnen, 322ff). Hierin wird eine Folge der jahrzehntelang verbreiteten Ablehnung des Gedankens einer Vorbildethik bei Paulus zu sehen sein. 137 Vgl. 3.2.2. 138 Vgl. 1. Kor 16,5 – 12; Röm 16,1 f. Besuchsankündigungen finden sich bei Paulus auch mitten im Brief (vgl. 1. Kor 4,19; Gal 4,19; vgl. auch Phil 1,25 f). 139 Vgl. Walter, Philipper, 67. 140 Vgl. Mller, Philipper, 6 f, 10 f, 134 ff. 141 Vgl. Reed, Discourse Analysis, 228.
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auf Christi Tod. Auf diese Weise charakterisiert er die lebensbedrohliche Erkrankung des Gemeindegesandten als ein eventuell erforderliches Sterben um des Werks Christi willen und stellt ihn den Adressaten als ein Vorbild für die auch von ihnen geforderte Christusentsprechung im Leiden, möglicherweise bis zum Tod, vor Augen. Epaphroditus’ Vorbildfunktion wird noch durch die Mahnung des Apostels unterstrichen: „Nehmt ihn im Herrn mit aller Freude auf und haltet derartige in Ehren“ (V. 29).142 Nicht explizit auf Christi Leiden und Tod, sondern auf die von Paulus aus dessen Handeln abgeleitete Mahnung, dass „nicht ein jeder auf die eigenen Dinge schaue, sondern unbedingt alle auf die der Anderen“ (2,4), nimmt das vorangehende Lob des Timotheus Bezug. Anders als alle Anderen, suche dieser nicht das Seine.143 T± 2aut_m fgtoOsim (V. 21) greift offenbar t± 2aut_m sjopoOmter aus V. 4 auf144 ; in beiden Wendungen klingt Christi Selbstentäußerung (V. 7: 2aut¹m 1j´mysem) und Selbsterniedrigung (V. 8: 1tape¸mysem 2autºm) an. Konstatiert Paulus, Timotheus habe „wie ein Kind einem Vater mit mir dem Evangelium gedient“ (V. 22b), besteht durch das Verb douke¼eim zudem ein Anklang an Christi Annahme einer Sklavengestalt (loqvμ do¼kou) in V. 7.145 Des Weiteren scheint Paulus mit Qsºxuwom (V. 20) auf li± xuw¶ (1,27) und s¼lxuwoi (2,2) anzuspielen und somit eine weitere Verknüpfung zwischen der „Gesinnung“146 des Timotheus und der vorangehenden Paraklese herzustellen.147 Die Bezüge verdeutlichen, dass es Paulus in 2,19 – 23 nicht allein um die Empfehlung eines seiner engsten Mitarbeiter geht, den er in Kürze nach Philippi zu schicken gedenkt, sondern er veranschaulicht den Adressaten an Timotheus gleichzeitig die Paraklese. Durch die terminologischen Bezugnahmen auf den Christuspsalm bzw. auf die mit diesem ver142 Vgl. ausführlich zu Epaphroditus 3.3. 143 Im Hintergrund der Aussage, „alle (oR p²mter) suchten das Ihre, nicht dasjenige Christi“, dürften Konflikte am paulinischen Haftort stehen, auf welche Paulus bereits in 1,16 f eingeht. Da der Apostel an dieser Stelle zwischen denen, welche das Evangelium lauter, und denen, welche es aus „Eigennutz“ (1qihe?a) verkündigen, unterscheidet, wird oR p²mter hier als eine rhetorische Zuspitzung zu verstehen sein, wodurch die Wertschätzung des Timotheus besonders zum Ausdruck kommt (vgl. dahingehend Schenk, Philipperbriefe, 231; Mller, Philipper, 127; anders: Walter, Philipper, 68, der aufgrund der unterschiedlichen Bewertung der Gegner einen Bezug zu Phil 1 ausschließt). 144 Vgl. Brucker, Christushymnen, 322. 145 Vgl. Bloomquist, Suffering in Philippians, 174; Brucker, Christushymnen, 322. V. 22 korreliert darüber hinaus im Präskript die Bezeichnung von Paulus und Timotheus als doOkoi WqistoO YgsoO. Bloomquist misst aufgrund des Verbs douke¼eim und dessen Bezug zum Christuspsalm dem Leidensaspekt auch für das Beispiel des Timotheus besondere Bedeutung zu. 146 Die Wortgruppe vqome?m kommt in 2,19 – 30 nicht vor. Jedoch weist gerade V. 20a: „Denn ich habe keinen Gleichgesinnten“ (oqd´ma c±q 5wy Qsºxuwom), über Timotheus Verhalten auf dessen grundlegende Haltung hinaus, so dass hier die Rede von dessen Gesinnung berechtigt scheint. 147 Vgl. Bloomquist, Suffering in Philippians, 174; Brucker, Christushymnen, 322. Bloomquist sieht hier zudem einen Bezug zu Usa in 2,6. Vgl. auch eqxuwe?m (V. 19).
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knüpfte Mahnung in 2,4 wird auch er zu einem Vorbild für die von den Adressaten geforderte Christusentsprechung. Steht Epaphroditus exemplarisch für eine Leidens- bzw. Todesnachahmung, so Timotheus für die von Paulus durch das Vorbild Christi begründete Forderung, nicht auf die eigenen Dinge zu sehen, sondern auf die Anliegen der Ekklesia. Sie beide geben ein Beispiel für ein Handeln aus der im Vorangehenden geforderten Christus analogen Gesinnung.148 Die frühe Stellung der beiden Empfehlungen innerhalb des Phil erklärt sich nunmehr aufgrund ihrer gleichzeitigen Funktion als zwei die Paraklese veranschaulichende Beispiele. Auf diese Beispiele kann Paulus rekurrieren, wenn er im Folgenden auf den konkreten Konflikt in Philippi eingeht. Timotheus und Epaphroditus dienen als Gegenbild zu den Feinden des Kreuzes, welche aufgrund der Leidenserfahrungen offenbar die Gemeinde verlassen haben. Aus eben diesem Grund wird ihre Empfehlung der Behandlung des Konflikts in Phil 3 vorangestellt. Dort präsentiert Paulus ab 3,4b zunächst sich selbst als ein Vorbild für die Christusentsprechung: Er missachtet seinen Status und strebt nach der Gleichgestaltung mit Christi Leiden und Tod als Weg zur Auferstehung von den Toten. In 3,17 fordert er die Philipper auf, seine MitNachahmer zu werden, ergänzt jedoch dazu: „und blickt auf die, welche so wandeln (peqipatoOmtar), wie ihr uns (Bl÷r) zum Vorbild habt.“ Der Apostel weist über sein eigenes Beispiel hinaus auf alle, welche wie er Nachahmer Christi sind.149 Eine Lebensführung, welche er exemplarisch an Timotheus und Epaphroditus aber auch an sich selbst veranschaulicht, steht im Gegenüber zu derjenigen der „Feinde des Kreuzes Christi“. Sie geben gemeinsam ein Beispiel für das in der aktuellen Konfliktsituation erforderliche und in der Paraklese 1,27 – 2,18 unter Bezug auf Christi Handeln angemahnte Verhalten bzw. für die geforderte Gesinnung. An ihnen als Nachahmer veranschaulicht sich eine dem Sein in Christus und damit gleichzeitig Christus selbst und dem Evangelium entsprechende Lebensführung. Paulus mahnt daher zur Nachahmung Christi und seiner Nachahmer.
5.2.4 Der Aufbau und die literarische Einheitlichkeit des Philipperbriefs Somit ergibt sich eine logische Abfolge der Briefabschnitte 1,27 – 2,18, 2,19 – 30 und 3,2 – 4,3. Auf die Paraklese folgen zunächst die Beispiele zweier Mitarbeiter des Apostels zur Veranschaulichung der vorangehenden Mahnungen. 148 Vgl. Bockmuehl, Philippians, 174: „Both Timothy and Epaphroditus, then, are here commended in terms which show that they embody something of the attitudes Paul encouraged in 1.27 – 2.18, especially in relation to the example of Christ (2.5 – 11). In self-giving service of others for the work of the gospel, each of them in different ways has adopted the ,mind of Christ Jesus‘.“ 149 Zur Frage, ob sich t¼por Bl÷r auch Timotheus und Epaphroditus einschließt oder diese denjenigen zuzurechnen sind, welche gleichwie der t¼por Paulus ihr Leben führen, vgl. 3.2.3.
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Auf diese Beispiele zurück greift Paulus mit der Forderung, auf diejenigen zu schauen, welche entsprechend seinem bzw. ihrem gemeinsamen Vorbild leben, und setzt sie in Gegenüber zu den „Feinden des Kreuzes Christi“ (3,17 f). Paraklese, Beispiele und die erst hieran anschließende Behandlung des Konflikts in Philippi bilden ein notwendiges Nacheinander. Dabei besteht jeweils ein sachlicher Rückbezug zum vorangehenden Abschnitt: der Beispiele auf die Paraklese, des Konflikts auf die Beispiele. Gleichzeitig nimmt Paulus in Phil 3 durch die terminologischen und strukturellen Anspielungen auf den Christuspsalm und damit ebenfalls auf die Paraklese Bezug. Darüber hinaus konnte die Verknüpfung weiterer Briefteile und deren Funktion innerhalb des Gesamtbriefs aufgezeigt werden. Der Abschnitt 1,12 – 26 erklärt sich als Vorbereitung der Paraklese. Paulus’ Schilderung der positiven Auswirkungen seines Leidens auf die Evangeliumsverkündigung und die positive Wertung sogar seines möglichen Todes, bilden die Voraussetzung der anschließenden, den Adressaten fremden Mahnung, ein Leiden um Christi willen anzunehmen. Gleichzeitig stellt sich Paulus in seiner Abwägung zwischen Leben und Tod als Beispiel eines Lebens zugunsten der Gemeinde dar und weist damit auf 2,3 f voraus. Enden schließlich die Schlussmahnungen (4,4 – 9) mit einer Verhältnisbestimmung zwischen paganem Ethos und christlicher Lebensführung, so entspricht dies dem sich sowohl in der Paraklese als auch in Phil 3 abzeichnenden Wertekonflikt in der weitgehend heidenchristlichen Gemeinde der römischen Kolonie Philippi. In Beziehung zu dieser abschließenden Verhältnisbestimmung steht im Proömium Paulus’ Verweis auf sein Gebet um den Fortschritt der Adressaten hinsichtlich der Beurteilung des Wesentlichen (1,9 f). Noch ungeklärt ist jedoch die späte Stellung des Danks für die durch Epaphroditus überbrachte Spende der Gemeinde in 4,10 – 20. Im letzten, der Schlussparaklese nachgeordneten Briefabschnitt begegnen mehrere terminologische Bezugspunkte zum Christuspsalm. Vor allem scheint Paulus in V. 12 mit oWda ja· tapeimoOshai („ich weiß sowohl, niedrig zu sein“) auf Christi Selbsterniedrigung (1tape¸mysem 2autºm) anzuspielen. Weitere potentielle Anspielungen auf den Psalm begegnen mit t¹ rp´q in V. 10 (! 2,9) und dem wiederholten dºna in V. 19 f (! 2,11). Erstes besitzt zwar keinen inhaltlichen Bezug zum Psalm, wird in exponierter Stellung jedoch bereits in 1,29 aufgenommen, was eine gezielte Rezeption auch hier nahe legt. Redet Paulus in V. 20 von der dºna des Vaters, so verstärkt dies den Anklang an 2,11. Über die Bezüge zum Christuspsalm hinaus begegnet in 4,10 mit vqome?m zweimal eines der Schlüsselwörter der Paraklese.150 Sprechen diese Beziehungen zu Phil 2 gegen eine ursprüngliche Eigenständigkeit von 4,10 – 20, so bleiben allerdings Stellung und Funktion des Abschnitts innerhalb des Gesamtbriefs weiterhin erklärungsbedürftig. Zwar ist ein Einschub zwischen Schlussparaklese und Postskript unter formalen 150 Vgl. auch Brucker, Christushymnen, 289.
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Gesichtspunkten keineswegs ausgeschlossen151, jedoch scheint problematisch, dass der Dank für die empfangene Spende erst am Briefende erfolgt.152 Hier ist allerdings die Eigenart des Abschnitts zu beachten, welche es nicht minder problematisch macht, diesen als eigenständiges Dankschreiben zu verstehen bzw. überhaupt Dank als dessen Grundanliegen zu erachten.153 So kommt dem Dank an sich nur eine untergeordnete Rolle zu. Zwar konstatiert Paulus den Adressaten in V. 10 seine Freude über ihre Spende, jedoch um im Folgenden auszuführen, dass diese eigentlich überflüssig gewesen sei. Treffend bemerkt hierzu Gerhard Friedrich: „Fast unhöflich ist es, in einem ,Dankbrief‘ den Spendern zu schreiben, er habe die Spende nicht nötig“154. Den eigentlichen Nutzen der Spende sieht Paulus entsprechend nicht für sich selbst, sondern für die Philipper (4,17). Passend hierzu bezieht sich auch seine positive Reaktion weniger auf die Spende an sich als auf das Handeln seiner Adressaten (vgl. V. 10.14). Schließlich kann er sie als Opfer theologisch interpretieren (V. 18) und einen eschatologischen Ausblick auf die Erfüllung allen Bedarfs der Philipper anschließen (V. 19). Zudem kommt Paulus in diesem Abschnitt keineswegs erstmals auf die Spende der Philipper zu sprechen, noch drückt er hier erstmals seinen Dank dafür aus. Vielmehr nimmt bereits die Danksagung des Proömiums implizit auf diese Bezug. In 1,3 – 5 dankt der Apostel Gott für die Gemeinschaft [der Philipper] im Hinblick auf das Evangelium155 vom ersten Tag bis jetzt“ (V. 5). Unter Berücksichtigung dessen, dass Paulus in 4,16 explizit auf die wiederholte finanzielle Unterstützung bereits in der Anfangszeit seiner Mission eingeht, legt sich ein Bezug auch der Danksagung auf die Spende nahe.156 Dies 151 Vgl. Anm. 10. 152 Vgl. u. a. Walter, Philipper, 18. 153 Den Versuch einer Erklärung des Abschnitts als ehemals eigenständiges Schreiben unter Berücksichtigung von dessen Besonderheiten unternimmt Bormann, Philippi, 127 ff. Der inhaftierte Apostel, welcher für die Spende keine „Gegenleistung anbieten kann“ (159), erwehre sich dem potentiellen Missverständnis seines Verhaltens im Sinne desjenigen eines „kynischstoische[n] Wanderphilosoph[en], der nimmt, ohne Verbindlichkeiten zu akzeptieren.“ (159) Hierauf reagiere er in seiner Beurteilung der Spende „mit einer spannungsreichen Verknüpfung dreier Ebenen, der des ethisch-philosophischen Exkurses (Phil 4,11 – 13), der theologischen Interpretation (Phil 4,18) und der Einbettung der konkreten Vorgänge in soziale Beziehungsmuster und Konventionen [u.a. das Beneficial- und das Patronatswesen] der hellenistisch-römischen Welt“ (206). 154 Friedrich, Philipper, 127. Zur Problematik des Verständnisses als eines Dankbriefs vgl. auch Mller, Philipper, 203. 155 Mit Mller, Philipper, 42 f dürfte die Formulierung joimym¸a eQr t¹ eqacc´kiom auf die (finanzielle) Unterstützung bei der Evangeliumsverkündigung abzielen (vgl. auch Gnilka, Philipperbrief, 45; anders: Walter, Philipper, 35, der hierin nur allgemein die im Evangelium gründende Gemeinschaft zwischen Paulus und den Philippern, „die Teilhabe an Gottes Heil und die Verbundenheit im Glauben“, ausgesagt sieht). Müller übersetzt daher frei mit „wegen eurer Teilnahme an der Verkündigung des Evangeliums“ (39). 156 Vgl. Mller, Philipper, 42 f. Gemeinschaft am Evangelium bzw. an der Evangeliumsverkündigung haben die Philipper auch, indem sie Epaphroditus zur Unterstützung der Missions-
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unterstreicht die weitere Erläuterung der Gemeinschaft zwischen Apostel und Gemeinde in V. 7, wonach die Adressaten in Paulus’ ,Fesseln und in der Verteidigung und Stärkung des Evangeliums Teilhaber seiner Gnade‘ seien. Ebenso wie in 4,14 versteht er auch hier die Spende als Teilhabe an seinem Geschick als Apostel, jedoch nicht als Teilhabe an seiner Trübsal (4,14: hk?xir), sondern an seiner Gnade (1,7: w²qir). Letzteres weist bereits auf die für die Philipper unerwartete Schilderung und Wertung seiner Haftsituation voraus. Gleichzeitig klingt in der Danksagung des Proömiums ein Aspekt an, welchem in 4,10 – 20, insbesondere in V. 17 f, Bedeutung zukommt: Paulus konstatiert den Adressaten ihre schon erbrachte ethische Leistung bzw. ihren ethischen Stand. Im Falle der Einheitlichkeit des Phil würde diese Konstatierung somit förmlich den Rahmen der weiteren Briefabschnitte bilden, welche alle in ihrer Funktion dem ethischen Konflikt in Philippi zugeordnet werden konnten. Einleitend zu Beginn des Proömiums als auch abschließend nach der für die weitere ethische Orientierung der Gemeinde grundlegenden Schlussmahnung in 4,8 f führte dann Paulus seinen Adressaten motivierend vor Augen, was sie schon erreicht haben. Auch der letzte Briefabschnitt ließe sich demzufolge im Zusammenhang mit dem ethischen Anliegen des Phil verstehen. Diese Annahme wird dadurch gestützt, dass sich auch die weiteren Besonderheiten in 4,10 – 20 im Rahmen des Gesamtbriefs erklären lassen. Bereits in 2,17 versteht Paulus das Handeln der Gemeinde als ein Opfer. Anders als dort, wo er offenbar die eschatologische Relevanz dieses Opfers für ihn als Apostel, der sich für den Erfolg seiner Missionstätigkeit verantworten muss, im Blick hat, steht in 4,18 die Bedeutung für die Adressaten selbst im Vordergrund. Lässt sich Paulus unterstützen, so zielt er damit auf „die reichliche Frucht zugunsten“ der Philipper (4,17). Ziel ist der ethische Fortschritt, welcher ihnen gleichzeitig soteriologisch zugute kommt. Die Intention dieser Betonung der soteriologischen Relevanz des Handelns wird darin zu sehen sein, dass der Apostel auf diese Weise die angefochtene Gemeinde nicht allein auf die von ihnen schon erbrachte „ethische Leistung“157 verweist, sondern darüber hinaus auf das schon erworbene Heil. Paulus konstatiert den Philippern in ihrer gegenwärtigen Konfliktsituation zweierlei, sowohl, was sie ethisch bereits erreicht haben, als auch den damit erzielten soteriologischeschatologischen Gewinn.158 V. 17 erläutert dabei den Zusammenhang zwischen beidem, während in V. 18 die Konstatierung der erbrachten Leistung tätigkeit zu Paulus gesandt haben. Zum Bezug von 1,3 auf die Spende vgl. bereits Jewett, Epistolary Thansgiving (1970), 53. 157 Vgl. diese Wendung bei Bormann, Philippi, 159. 158 Gegen Bormann, Philippi, 153ff stehen somit die Bedeutung der Spende als „ethische Leistung“ (159) und ein eschatologisches Verständnis von eQr kºcom rl_m keineswegs in Gegensatz zueinander. Die Verknüpfung von Handeln und Heil findet sich bereits ausdrücklich in 1,28, wo sich im Kampf der Philipper gegen die Widersacher ihre Rettung zeigt. Zum eschatologischen Verständnis von 4,17 f vgl. u. a. Gnilka, Philipperbrief, 179; Mller, Philipper, 208 f.
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Ein Wertekonflikt als Hintergrund des Gesamtbriefs
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und damit auch des Gewinns erfolgt, indem Paulus das Handeln der Adressaten als ein „Wohlgeruch, rechtes Opfer und Gott wohlgefällig“ charakterisiert.159 Mit dem sich in V. 19 anschließenden Ausblick auf die eschatologische Erfüllung, setzt sich die explizit futurische Ausrichtung der Heilserwartung aus Phil 3 fort. Dabei richten sich in 3,20 f alle Erwartungen auf den Kyrios Jesus Christus, dessen Kommen als Retter (syt¶q) die Überwindung des Leidens der Philipper bedeutet. Die abschließende Verheißung in 4,19: „Mein Gott aber wird erfüllen all euren Bedarf gemäß seinem Reichtum in Herrlichkeit in Christus Jesus“, dürfte nunmehr explizit den Aspekt des Leidens unter den wirtschaftlichen Konsequenzen des Christseins aufnehmen. Dieser Schluss bietet sich insofern an, als derselbe Aspekt auch bei der Anspielung auf den Christuspsalm mit der Wendung oWda ja· tapeimoOshai (V. 12) leitend zu sein scheint. Die Bezugnahme auf Christi Selbsterniedrigung legt es nahe, die Ausführungen in V. 11 – 13 als weiteres Beispiel für eine Christusentsprechung zu verstehen. Paulus drückt hierin seine Fähigkeit aus, sofern es die Situation erfordert, gleich Christus Niedrigkeit und Leiden anzunehmen. Mit dem Gegenüber „niedrig sein“ – „Überfluss haben“ und den sich anschließenden Gegensatzpaaren „satt sein“ – „hungern“, „Überfluss haben“ – „Mangel leiden“ dürfte er dabei über sich selbst hinaus auf die Situation seiner Adressaten weisen. Angesichts ihrer sozialen Leidenserfahrungen, stellt sich der Apostel ihnen neuerlich als Beispiel für die Annahme eines Leidens um Christi willen dar, und zwar im Hinblick auf die spezifische Form, in welcher das Leiden in der Gemeinde besonders zutage tritt. Die angeführten Bedürfnisse haben für ihn keine tragende Bedeutung mehr. Vor dem Hintergrund von Phil 3, der Zurückweisung einer Ausrichtung auf Irdisches, erscheinen diese als rein irdische Bedürfnisse und damit, sofern nicht als irrelevant, so doch als sekundär. Dem Zurücktreten irdischer Bedürfnisse entspricht auch Paulus’ Beschreibung seiner eigenen Haltung mit dem Adjektiv aqtaqj¶r. Unabhängig davon, ob der Apostel explizit philosophischen Sprachgebrauch aufnimmt, drückt er hierin seine erworbene „Fähigkeit, Äußeres zu entbehren“160, aus.161 Demnach wird auch der letzte Abschnitt 4,10 – 20 im Rahmen der Unter159 Zum Verhältnis zwischen V. 17 und V. 18 vgl. auch Mller, Philipper, 209, demzufolge Paulus in V. 18 „den Gedanken von V. 17b neu formulier[t]“. 160 Lohmeyer, Philipper, 180. 161 Mit dem Adjektiv klingt paganes philosophisches Gedankengut, speziell der Gedanke der Autarkie, der selbstgenügsamen Unabhängigkeit von äußeren Gütern, an. Ob hier jedoch dezidiert eine Rezeption zeitgenössischer Philosophie vorliegt, ist aufgrund des breiten Gebrauchs des Begriffs in neutestamentlicher Zeit unsicher (vgl. Engberg-Pedersen, Stoicism in Philippians, 263; für eine Rezeption vgl. Gnilka, Philipperbrief, 174; Mller, Philipper, 205; anders: Lohmeyer, Philipper, 180; zum Autarkiebegriff in der antiken paganen Philosophie vgl. Warnach, Autarkie, 685ff). Müller sieht hier eine Anspielung auf die „Selbstgenügsamkeit des kynisch-stoischen Wanderphilosophen, der für seine Weisheit kein Geld nimmt“ (205).
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Der Philipperbrief als Reaktion auf einen Wertekonflikt
suchungsergebnisse verständlich und lässt sich in den Gesamtbrief einordnen. Nachdem Paulus bereits im Proömium die mit der Unterstützung des Apostels erbrachte ethische Leistung der Adressaten konstatierte, erfolgt dies erneut am Ende des Briefs, allerdings ergänzt um den Verweis auf deren soteriologisch-eschatologische Bedeutung. Auf die konkreten wirtschaftlichen Leidenserfahrungen der Gemeindemitglieder reagiert die Verheißung in V. 19 ebenso wie Paulus’ Beispiel seiner Unabhängigkeit von irdischen Bedürfnissen. Lassen sich somit aber alle Briefteile auf eine einzige spezifische Gemeindesituation beziehen und in ihrer Stellung innerhalb des Gesamtbriefs erklären, so spricht dies deutlich für die Einheitlichkeit des Phil. Hinzu treten die Anspielungen auf den Christuspsalm sowohl in Phil 3 als auch in 4,10 – 20, welche besser innerhalb eines Briefs erklärbar sind. Eine veränderte Situation des Apostels schließlich geht aus Phil 3 nicht hervor. Im Gegenteil ist es syntaktisch geboten, Paulus’ Rede von seiner Gleichgestaltung mit Christi Tod (3,10) auf einen Ausgang der Untersuchungshaft mit einem Todesurteil zu beziehen, welches er nach 1,19 f für möglich hält. Der Phil lässt sich ohne weiteres als ein einheitliches Schreiben, in welchem Paulus mit Paraklesen, Beispielen und Motivierungen auf einen ethischen Konflikt reagiert, verstehen. Der Apostel mahnt die Adressaten, denen ein Leiden um Christi willen eine fremde Vorstellung ist, dieses Leiden anzunehmen, und fordert entgegen den ihnen geläufigen Werten eine Niedrigkeitsgesinnung, den Verzicht auf Status und Ehre. Gleichzeitig veranschaulicht er seine Mahnungen durch Beispiele, konstatiert den Philippern aber auch, was sie ethisch bereits erreicht haben, und verweist sie auf das von Christus zu erwartende Heil. Auf diese Weise verfasst der Apostel mit dem Phil eine Reaktion auf einen Wertekonflikt in Philippi. Die von Sergio Rosell Nebreda rekonstruierte Briefsituation stimmt in mehreren Einzelpunkten mit den Ergebnissen dieser Untersuchung überein. Auch Nebreda sieht als Hintergrund der Paraklese des Phil eine Spannung zwischen den Paulus’ Adressaten vertrauten paganen Werten und den diesen in Teilen widersprechenden Anforderungen an eine christliche Lebensführung.162 Als ein besonderes Spannungsmoment erachtet auch er die große Bedeutung von Status und Ehre in der römischen Gesellschaft. Einer Ausrichtung auf Ehre stelle Paulus das Beispiel Christi gegenüber.163 Dieses Beispiel sowie dasjenige von Christi Nachahmern Paulus, Timotheus und Epaphroditus versteht auch Nebreda als Reaktion auf einen Wertekonflikt.164 Ebenfalls rechnet er mit negativen Auswirkungen von Leidenserfahrungen auf die Gemeinde, ohne auf diesen Aspekt jedoch näher einzugehen.165 Die besondere Problematik von Leidenserfahrungen für Heidenchristen, bei der es sich im ein weiteres Moment dieses Wertekonflikts handelt, bleibt unberücksichtigt. Zudem 162 163 164 165
Vgl. Nebreda, Christ Identity, 60, 63. Vgl. ebd., 63. Vgl. ebd., 275 f. Vgl. ebd., 212, 216, 218.
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Ein Wertekonflikt als Hintergrund des Gesamtbriefs
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erkennt Nebreda hinter den Ausführungen in Phil 3 als einen weiteren Konfliktpunkt die Auseinandersetzung mit judaistischen Gegnern.166 Damit ergibt sich bei Nebreda ein Nebeneinander unterschiedlicher Konfliktbereiche, deren Verhältnis zueinander unscharf bleibt. Hierin wird nicht zuletzt die Folge einer oftmals zu knappen Exegese zu sehen sein. Einzig Phil 2,6 – 11 wird ausführlich untersucht.167 Die Untersuchung der anderen Briefabschnitte bleibt hingegen zu oberflächlich. Dies ist insofern bedauerlich, als infolgedessen Nebredas Ziel, durch Rückgriff auf soziologische Untersuchungen zu einem besseren Verständnis des Phil und der Adressatensituation zu gelangen168, nicht erreicht wird. Die historisch-kritische Rekonstruktion, auf deren Grundlage eine gewinnbringende Aufnahme soziologischer Untersuchungen erfolgen könnte, bleibt hierfür unzureichend. In einem soziologischen Zugang wird allerdings dann eine nicht zu missachtende Chance zu sehen sein, die dem Phil zugrunde liegende Gemeindesituation weiter zu präzisieren, sofern dieser Zugang gezielt als Ergänzung, nicht als Alternative zur herkömmlichen Methodik verstanden wird. In Letzterem, dem Verständnis des soziologischen als eines alternativen Zugangs, wird ein grundlegendes methodische Problem der Untersuchung Nebredas zu sehen sein, aus dem die unzureichende historisch-kritische Rekonstruktion resultiert.169
166 Vgl. ebd., 279. Hier wird die neuere Forschungsdiskussion m. E. unzureichend wahrgenommen. Die in dieser angezeigten Probleme einer Rekonstrukion von Gegnerfronten aus 3,2 – 21 bleiben unberücksichtigt. 167 Vgl. ebd., 288 – 329. 168 Vgl. ebd., 245. 169 Vgl. ebd., 244 f.
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6. Fazit und Ausblick 6.1 Die Bedeutung der Ergebnisse für weitere Fragen der Exegese des Philipperbriefs Die Untersuchung der Verknüpfung von Christologie und Ethik im Phil liefert über ihre eigentliche Fragestellung hinausreichende Ergebnisse für drei Problembereiche, welche in der Erforschung des Briefs besondere Bedeutung einnehmen: zur Frage der Verfasserschaft des Christuspsalms, zu Abfassungsort und -zeit des Phil und zu dessen literarischer Einheitlichkeit. Letztere wurde bereits im vorigen Kapitel thematisiert und dabei aufgezeigt, dass der Phil als ein einheitliches Schreiben mit logisch aufeinander bezogen Briefteilen verständlich ist, mit welchem Paulus auf einen Wertekonflikt innerhalb der heidenchristlichen Gemeinde reagiert. Die Annahme einer ehemaligen Eigenständigkeit einzelner Briefteile legt sich nicht nahe. Auf die anderen beiden Problembereiche soll im Folgenden abschließend eingegangen werden. 6.1.1 Die Verfasserschaft des Christuspsalms Für die in der neueren Forschung wieder verstärkt vertretene These, Paulus selbst habe den Christuspsalm, möglicherweise sogar gezielt für seinen jetzigen Ort in Phil 2, verfasst, ergeben sich keine Anhaltspunkte. Die Untersuchungsergebnisse zur Rezeption des Psalms innerhalb des Gesamtbriefs sprechen vielmehr gegen dessen Abfassung anlässlich des Phil und erweisen gleichzeitig eine paulinische Verfasserschaft überhaupt als unwahrscheinlich. Grundsätzliche inhaltliche Abweichungen, sowohl gegenüber der Intention des Textes als Ganzem als auch gegenüber dessen Einzelaussagen, lassen es als ausgeschlossen erscheinen, dass sein ursprünglicher Sitz im Leben die Paraklese des Phil ist. Verfolgt der Psalm selbst ein christologisches Anliegen, die Begründung des Gott- und Herrseins Christi unter Wahrung des Monotheismus, so wird er sowohl innerhalb seines Nahkontextes als auch in anderen Briefteilen vornehmlich im Rahmen einer vorbildethischen Bezugnahme auf Christi Handeln rezipiert. Zwar knüpft Paulus in Phil 3,20 f auch an die Vorstellung der Christusherrschaft an, das christologische Anliegen, im Rahmen dessen der Psalm diese Vorstellung gebraucht, bleibt bei ihm jedoch unberücksichtigt.1 Hingegen sind für Paulus die ethischen Implikationen, welche 1 Gleiches gilt für den religionsgeschichtlichen Hintergrund des Psalms, die römische Herrscherverehrung (vgl. 3.2.6).
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Fazit und Ausblick
insbesondere die Schilderung von Christi Erniedrigungshandeln beinhaltet, von entscheidender Bedeutung. Gleichzeitig weisen die zahlreichen terminologischen Bezugnahmen auf den Psalm erhebliche Differenzen zum dortigen Gebrauch der Termini bzw. derer Derivate auf. Es handelt sich mehrheitlich um Anspielungen, bei denen, sofern überhaupt ein inhaltlicher Bezug zum Psalm erkennbar ist, keine exakte Übereinstimmung mit ihrem dortigen Gebrauch vorliegt. Die in Phil 3 begegnende strukturelle Rezeption des Textes im Rahmen des paulinischen Beispiels (3,4b–14) weicht ebenfalls in zwei Punkten von diesem ab: 1.) Anders als in 2,6 versteht Paulus das Nicht-alseinen-Raub-Ansehen der Gottgleichheit als „res rapta“ bzw. „res retinenda“, als ein Festhalten an der Gottgleichheit wie an einem Raub (vgl. 3,7). 2.) Während im Psalm auf Christi Tod dessen Erhöhung folgt, begegnet in 3,10 f die Vorstellung einer Gleichgestaltung mit Christi Tod und Auferstehung. Vor diesem Hintergrund muss eine Abfassung des Textes durch den Apostel als unwahrscheinlich gelten. Mag zwar eine Verschiebung der Intention des Gesamttextes, welchen Paulus ursprünglich zu einem anderen Zweck verfasst haben könnte, erklärbar sein, lassen sich die zahlreichen weiteren Differenzen bei ein und demselben Verfasser kaum erklären. Dass sich bei den zahlreichen terminologischen Bezugnahmen auf den Christuspsalm letztlich keine einzige exakte inhaltliche Entsprechung zu diesem findet, wäre in diesem Fall kaum vorstellbar. Die ausgesprochen freie Rezeption ist erheblich besser mit der Annahme vereinbar, dass Paulus den Text eines anderen Verfassers übernimmt. Ein mögliches weiteres Indiz für eine vorpaulinische Verfasserschaft des Christuspsalms liegt zudem darin, dass Paulus in 1,27 mit der Mahnung zu einer dem Evangelium würdigen Lebensführung offenbar bereits auf diesen voraus verweist. Der Psalm entfaltet das Evangelium, an welchem sich die Gemeindemitglieder ethisch orientieren sollen. Nun nimmt der Apostel allerdings auch in Röm 1,3 f und 1. Kor 15,3 – 5, den einzigen beiden weiteren Stellen, an denen er ausdrücklich auf den Inhalt des Evangeliums zu sprechen kommt, jeweils eine Tradition auf. Lässt sich aus den wenigen Belegen zwar keine Regel ableiten, so ist es doch erwägenswert, ob es für Paulus nicht einen Grundsatz darstellt, das Evangelium jeweils auf eine seiner Verkündigung vorgängige Tradition zurückzuführen. Die Untersuchungsergebnisse lassen folgenden Schluss zu: Der Apostel nimmt das auf die Begründung der Legitimität von Christi Gott- und Herrsein abzielende Traditionsstück auf und gebraucht es, anknüpfend an dahingehende Implikationen, in einem ethischen Sinn. Auf diese Weise begründet er seine Mahnungen an die Adressaten inhaltlich durch die Bezugnahme auf Christi Vorbild, an dessen Gesinnung sich die Gemeindemitglieder orientieren sollen. Paulus’ Begründung der Paraklese im Phil knüpft somit an einen Text an, der ursprünglich kein ethisches Anliegen verfolgte, allerdings, u. a.
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Die Bedeutung der Ergebnisse für weitere Fragen
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mit dem Motiv der Selbsterniedrigung, Anknüpfungspunkte für eine ethische Rezeption bietet.2
6.1.2 Die Abfassungszeit des Briefs und seine Einordnung in das Corpus Paulinum Unter 1.5 konnte gegen Marlies Gielen gezeigt werden, dass die aus 2. Kor zu gewinnenden Erkenntnisse über das Ende von Paulus’ Aufenthalt in Ephesus die Annahme einer längeren Haft des Apostels zu diesem Zeitpunkt historisch keineswegs ausschließen. Vielmehr ist eine mehrmonatige Reise des Paulusmitarbeiters Titus über Korinth durch die Achaia und Makedonien nach Alexandria Troas, dem mit dem Apostel verabredeten Treffpunkt, wahrscheinlich. In diesem Fall besteht ausreichend Zeit für eine mögliche Inhaftierung in Ephesus, während der es zu vier oder fünf Reisebewegungen zwischen Haftort und Gemeinde kommt. Gleichzeitig lässt sich unter besonderer Berücksichtigung der Kommunikationsanlässe die Annahme bekräftigen, dass diese Reisebewegungen bei einem von Philippi weit entfernt gelegenen Haftort wie Rom oder Caesarea problematisch erscheinen und sich erheblich besser mit einer Abfassung des Phil in Ephesus vereinbaren lassen. Für eine damit gegebene frühe Abfassung des Briefs vor dem Röm spricht als inhaltliches Argument zudem die Behandlung der Israelthematik in Phil 3. Die Ausdehnung des potentiellen Konflikts mit judenchristlichen Gegnern auf ein Gegenüber von Christen als die wahre „Beschneidung“ und Juden als „Zerschneidung“ (3,2 f) lässt sich besser vor den ausführlichen Reflexionen über die heilsgeschichtliche Stellung Israels in Röm 9 – 11 erklären, nicht zuletzt angesichts der großen Bedeutung, welche die Erkenntnis der Wiedereingliederung des ungläubigen Teils Israels dort für Paulus selbst einzunehmen scheint. Ausgehend hiervon wurde als eine die Untersuchung von Christologie und Ethik im Phil begleitende Frage diejenige gestellt, ob sich weitere, in der Forschungsdiskussion bisher nicht berücksichtigte Indizien für eine Abfassung des Phil in Ephesus ergeben. Derartige Indizien lassen sich nunmehr unter Berücksichtigung zweier Punkte anführen: 1.) möglicher Anklänge an den Konflikt in Philippi im 2. Kor, 2.) der Reaktion auf nur potentielle judenchristliche Gegner in Phil 3,2 – 4. Zu 1.) Auslöser des Konflikts innerhalb der heidenchristlichen Gemeinde 2 In V. 8c (ham²tou d³ stauqoO) könnte eine paulinische Ergänzung vorliegen. Innerhalb des Traditionsstücks lässt sich der Erwähnung des Kreuzes als Todesart keine eindeutige Funktion zuweisen. Diese Erwähnung passt jedoch zu einem Wertekonflikt, auf welchen Paulus mit dem Phil reagiert. Dann würde der Apostel durch den Verweis auf die Kreuzesstrafe die Schilderung des Erniedrigungshandelns Christi noch um einen weiteren Faktor ergänzen, welcher im äußersten Gegenüber zur Hochschätzung von Status und Ehre in der römischen Kolonie Philippi steht.
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Fazit und Ausblick
Philippis waren, wie aus 1,27 – 30 hervorgeht, Leidenserfahrungen. Die hier erwähnte Bedrohung der Philipper durch ihre Umwelt könnte auch in 2. Kor 8,1 f anklingen. Zu Beginn des Kollektenabschnitts verweist Paulus die Korinther auf das Beispiel der Gemeinden in Makedonien, auf deren große Spendenbereitschaft. Dabei hebt er deren umfangreiche Bewährung in Bedrängnis (1m pokk0 dojil0 hk¸xeyr [V. 2]) hervor. Noch deutlicher klingt eine Konfliktsituation in Philippi in 2. Kor 7,5 an. Hier beschreibt Paulus seine Situation bei der Ankunft in Makedonien als ,in jeder Hinsicht bedrängt‘ (1m pamt· hkibºlemoi). Und zwar gebe es „von außen Kämpfe [und] von innen Furcht“ (5nyhem l²wai, 5syhem vºboi). Da Paulus von Troas aus seinem Mitarbeiter Titus nach Makedonien entgegenreist (vgl. 2,12 f), wird er sich in dieser Lage mit großer Wahrscheinlichkeit in Philippi befunden haben. =syhem vºboi wird auf Paulus innere Beunruhigung wegen des Ausbleibens des Titus und der von ihm zu überbringenden Nachrichten aus Korinth zu beziehen sein.3 Hingegen deutet 5nyhem l²wai auf einen Konflikt in Philippi hin.4 Hier gibt es zwei Optionen: a) Paulus wird nunmehr selbst Zeuge der Leidenserfahrungen, welchen die Gemeinde ausgesetzt ist; b) der durch die Leidenserfahrungen ausgelöste innergemeindliche Konflikt konnte durch den Phil nicht beigelegt werden, so dass der Apostel selbst in die Auseinandersetzungen mit hineingezogen wird. Ersteres dürfte vorzuziehen sein, da es im Phil keinen Hinweis auf eine derartige Entwicklung innerhalb der Gemeinde gibt, dass sich Mitglieder gegen den Apostel wenden. In zweitem Fall müsste von einer Verschärfung der Konfliktsituation um ein weiteres Element gerechnet werden. Zu 2.) Eine jüdische oder judenchristliche Gegnerfront erweist sich für Philippi als unwahrscheinlich. Vielmehr führt Paulus derartige Gegner in Phil 3,2 – 4 als exemplarisch für eine irdische Gesinnung an. Gleichzeitig lässt es die Schärfe des Verweises auf diese Gegner jedoch als denkbar erscheinen, dass der Apostel hiermit auch eine Warnung vor eventuell in Philippi auftretenden Gegenmissionaren ausspricht. Die Nähe zu den in Galatien aufgetretenen Gegnern macht es wahrscheinlich, dass Paulus hier gerade diesen Personenkreis im Sinn hat. Sollte es sich aber um eine prophylaktische Mahnung vor den Gegnern des Gal handeln, dann wird davon auszugehen sein, dass diese Mahnung in zeitlicher Nähe zu den Ereignissen in Galatien erfolgt. Spiegelt 3,2 – 4 eine Reaktion auf den galatischen Konflikt wieder, so passt dies somit besser zu einer Datierung des Phil nach Ephesus als nach Caesarea oder Rom
3 Vgl. dahingehend Grßer, Zweiter Korinther I, 272. 4 Gegen Grßer, Zweiter Korinther I, 272, der hier einen Zusammenhang mit 2. Kor 1,8 sieht. Dies würde einerseits voraussetzen, dass die dort geschilderte lebensbedrohliche Situation im übertragenen Sinn gemeint wäre, was sich m. E. nicht nahe legt (vgl. unten; Gräßer selbst lässt dies offen [vgl. 62]). Insbesondere aber verbindet Paulus diese Situation ausdrücklich mit seinem Aufenthalt 1m t0 )s¸ô. Eine Verbindung auch mit seinem anschließenden Aufenthalt in Makedonien scheint von daher nahezu ausgeschlossen.
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Die Bedeutung der Ergebnisse für weitere Fragen
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und damit an einen Zeitpunkt, an dem dieser Konflikt bereits mehrere Jahre zurückliegt. Können zwar auch die Untersuchungsergebnisse die Ephesus-These nicht sicher belegen, so sind sie doch in der Lage, diese zu stützen. Verbunden mit der regen Kommunikation zwischen Gemeinde und Haftort und der besseren Erklärbarkeit von Phil 3 nach Röm 9 – 11, erweist sich eine Abfassung des Phil während einer ephesischen Haft des Apostels als am plausibelsten. Auf dieser Grundlage soll der Versuch einer Einordnung des Phil in das Corpus Paulinum unternommen werden. Aus Obigem ergibt sich, dass der Brief erst nach dem Gal abgefasst worden sein dürfte. Sollte zudem der Gemeindegesandte Epaphroditus mit dem Mitgefangenen Epaphras aus Phlm 23 zu identifizieren sein, dann wäre der Phlm ebenfalls vor dem Phil entstanden. Da sich Paulus während der Abfassung des Gal noch nicht in Haft befindet, ergäbe sich die Reihenfolge Gal – Phlm – Phil. Zu klären bleibt demnach das Verhältnis zur Korintherkorrespondenz. Eine mögliche Abfassung vor 1. Kor, so dass in Paulus’ Erwähnung eines Kampfs mit wilden Tieren (1. Kor 15,32) ein Hinweis auf seine ephesische Haft zu sehen wäre, steht in Spannung dazu, dass ein aktueller Konflikt in Philippi offenbar in 2. Kor 7,5 anklingt.5 Ebenfalls für eine größere Nähe des Phil zur zweiten Korintherkorrespondenz spricht die vom Apostel erwähnte Todesgefahr in der Asia in 2. Kor 1,8 – 10. Hat Paulus nach V. 9 sogar mit einem Todesurteil gerechnet, so scheint sich hierin eine Situation widerzuspiegeln, welche derjenigen in Phil 1,19 – 26 ähnelt. Gielen widerspricht der Annahme, 2. Kor 1,8 – 10 sei ein Reflex auf eine ephesische Haft, in welcher Paulus ein Todesurteil befürchten musste. „Eine sehr viel näher liegende Erklärung“6 sei vielmehr, dass der Apostel besorgt war, mit dem (Gielen zufolge nicht erhaltenen) Tränenbrief die Situation zwischen ihm und den Korinthern noch verschlimmert zu haben.7 „Die Sorge um den Verlust der Gemeinde dürfte Paulus also in eine tiefe seelische Krise gestürzt haben, die sich in 2. Kor 1,8 – 10 widerspiegelt.“8 Dies setzt freilich ein von Gielen angenommenes metaphorisches Verständnis des Todesurteils und der Errettung aus Todesgefahr (V. 9 f) voraus. Inwiefern dieses „näher liegt“, scheint freilich fraglich. Unmittelbare Hinweise auf ein solches Verständnis bietet der Kontext nicht.9 Dahingegen bietet sich aufgrund der Nähe zu Paulus’ Erwägungen über den möglichen Ausgang seiner Haft in Phil 1,19 –
5 Mit einer Abfassung vor 1. Kor rechnen Conzelmann/Lindemann, Arbeitsbuch, 251; Bieberstein, Brief nach Philippi, 7. 6 Gielen, Paulus 2, 71. 7 Vgl. ebd., 71. 8 Ebd., 72. 9 Ebd., 72 sieht einen solchen Hinweis darin, „dass Paulus den Empfang dieses Todesurteil offenbar als einen inneren Vorgang versteht (aqto· 1m 2auto?r t¹ !pºjqila toO ham²tou 1sw¶jalem) (V. 9a).“ Dies passt aber ebenso gut zu einer Haft, in welcher Paulus zu einem bestimmten Zeitpunkt mit einem Todesurteil rechnete. Auch dabei handelt es sich um „einen inneren Vorgang“.
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Fazit und Ausblick
26, die Gefahr eines Todesurteils, eine Verbindung zwischen dieser Situation und 2. Kor 1,8 – 10 geradezu an.10 Zudem führt Gielen gegen eine der Abfassung von 2. Kor 1 vorausgegangene Inhaftierung an, dass Paulus seinen ausbleibenden Besuch nicht mit dieser Todesgefahr bzw. mit „äußere[n] Umständen“11 begründe. „Vielmehr gibt er unmissverständlich zu erkennen, dass er diesen Entschluss aus freien Stücken fasste.“12 Hier gilt es allerdings zu differenzieren: So geht es in 2. Kor 1 f nicht allein darum, dass Paulus bisher seine Besuchsankündigung nicht in die Tat umgesetzt hat, sondern dass er auch jetzt, anstatt selbst nach Korinth zu reisen, der Gemeinde durch einen Mitarbeiter einen Brief zukommen lässt. Der erneute Brief anstelle eines Besuchs bedarf der besonderen Erklärung, nicht der bisher ausgebliebene Besuch! Auch jetzt, nach seiner Haftentlassung, wo theoretisch die Möglichkeit hierzu bestünde, findet dieser nicht statt. Dies begründet Paulus in 1,23 mit der Absicht „euch zu schonen“ (veidºlemor rl_m) und in 2,1 damit, er habe sich entschlossen, „nicht wieder in Traurigkeit zu euch zu kommen“ (lμ p²kim 1m k¼p, pq¹r rl÷r 1khe?m). Die Frage, ob Paulus bis dato durch eine Gefangenschaft daran gehindert worden ist, seiner Ankündigung nachzukommen, wird hiervon überhaupt nicht berührt.
AlsplausibelsteErklärungvon2.Kor1,8 – 10erscheintdieernsthafteGefahreines Todesurteils.DieAusführungensindalseindeutlichesIndizfüreineInhaftierung des Apostels am Ende seines Aufenthalts in Ephesus zu werten. Da Paulus diese mit oq c±q h´kolem rl÷r !cmoe?m („denn wir wollen nicht, dass ihr unwissend seid“) einleitet, dürfte es sich um eine neue, den Empfängern unbekannte Nachricht handeln. Eine Identifikation mit der in 1. Kor 15,32 angedeuteten Situation scheidet daher aus. Gegen eine Datierung des Phil vor 1. Kor spricht des Weiteren, dass Paulus in 3,12 – 16 respektive mit der Wendung fsoi owm t´keioi offenbar auf eine Gegenposition aus 1. Kor 2,6 anspielt. Weisen die Beobachtungenvermehrt indieZeitzwischen1.und2.Kor unddamit indieEndphasevon Paulus’ Ephesus-Aufenthalt, so passt dies zu dem häufig mit einer möglichen ephesischen Haft in Verbindung gebrachten Auseinandersetzung in Ephesus, welche Lukas in Apg 19,23 – 40 schildert und an die sich Paulus’ Aufbruch aus der Stadt anschließt. Die These, dass Lukas eventuell aus einem apologetischen InteressePaulus’InvolvierungindiesenKonfliktundeinedarausresultierendeHaft verschweigt13, muss daher ernsthaft in Erwägung gezogen werden. Somit lässt sich die Frage weiter einengen auf die zeitliche Einordnung des Phil innerhalb der zweiten Korintherkorrespondenz. Dabei besitzt m. E. nach wie vor eine an Günther Bornkamms Ansatz orientierte Rekonstruktion dieser 10 Dass Paulus in Phil 1,25 mit seinem Weiterleben rechnet, bedeutet eventuell, dass zu diesem Zeitpunkt die Gefahr eines Todesurteils nicht mehr allzu groß war. Allerdings ist hier auch die Zielsetzung der Argumentation in Phil 1,21 – 26 zu berücksichtigen (vgl. 5.2.2; vgl. auch Mller, Philipper, 20). 11 Gielen, Paulus 2, 69. 12 Ebd., 69. 13 Vgl. Mller, Brief aus Ephesus, 159 ff.
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Die Bedeutung der Ergebnisse für weitere Fragen
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Korrespondenz die höchste Erklärungskraft.14 So scheinen der Bruch nach 2. Kor 2,13 und die Anschlussmöglichkeit an diese Stelle in 7,5 darauf hinzudeuten, dass in 2,14 – 7,4* ein ehemals eigenständiger Briefteil vorliegt.15 Muss sich Paulus hierin zwar bereits gegen in Korinth aufgetretene Missionare zur Wehr setzen (vgl. 2,17 f; 4,2; 6,3 – 10)16, steht eine Eskalation des Konflikts jedoch noch aus. Demnach dürfte der Abschnitt mit Bornkamm als „eine erste große Apologie des apostolischen Amtes“17 und somit als ältester Teil des 2. Kor anzusehen sein.18 Zu einer Eskalation kam es offenbar im Anschluss bei einem Zwischenbesuch, auf welchen Paulus in Kap. 10 – 13 reagiert.19 Die Abschnitte 1,(1 f)3 – 2,13; 7,5 – 16 hingegen blicken bereits auf die Klärung des Konflikts zurück.20 Ebenfalls dürften die Kollektenschreiben in 8 f erst nach dessen Beendigung entstanden sein.21 Blickt Paulus in 2. Kor 1,8 – 10 auf die seinen Adressaten noch nicht bekannte ephesische Haft zurück, so wird diese und damit die Abfassung des Phil zwischen der Abfassung von 2. Kor 10 – 13 und 1,1 – 2,13; 7,5 – 16 stattgefunden haben. Nachdem der Apostel seinen Mitarbeiter Titus mit dem zu Teilen in 2. Kor 10 – 13 enthaltenen Brief zur Klärung des Konflikts nach Korinth geschickt hat, wird er in Ephesus verhaftet. Während dieser Haft ist er gezwungen auf einen weiteren Konflikt, diesmal in Philippi zu reagieren. Ist mit dem Verhältnis zum Gal und Phlm sowie zur zweiten Korintherkorrespondenz die relative Chronologie geklärt, so steht noch die Frage der absoluten Chronologie aus. Einen Hinweis auf diese gibt 1. Kor 16,8. Paulus kündigt den Adressaten an, er werde bis Pfingsten in Ephesus bleiben und im Anschluss über Makedonien nach Korinth reisen. Dabei dürfte an Pfingsten 54 zu denken sein.22 Dieser Zeitpunkt errechnet sich vor dem Hintergrund des Verhörs vor dem Statthalter Gallio in Korinth (vgl. Apg 18,12 – 17), welches 14 Vgl. Bornkamm, Vorgeschichte, 162 – 194; Becker, Paulus, 229ff; Conzelmann/ Lindemann, Arbeitsbuch, 271ff; Grßer, Zweiter Korinther I, 29 ff. 15 Vgl. Bornkamm, Vorgeschichte, 176. Bei 6,14 – 7,1 dürfte es sich um eine Glosse handeln (vgl. 187). 16 Vgl. Becker, Paulus, 230. 17 Bornkamm, Vorgeschichte, 176. 18 Vgl. ebd., 178; Becker, Paulus, 232. 19 Vgl. Bornkamm, Vorgeschichte, 178; Becker, Paulus, 232. 20 Vgl. Bornkamm, Vorgeschichte, 172; Becker, Paulus, 231 f. 21 Deren Zuordnung ist strittig. Becker, Paulus, 234 rechnet mit einer Zugehörigkeit beider Kapitel zu 1,1 – 2,13; 7,5 – 16. Bornkamm, Vorgeschichte, 186 f nimmt dies nur für Kap. 8 an (unter Berücksichtigung der Option, dieses könne auch wenig später nach Korinth gesandt worden sein). Anknüpfend an Conzelmann/Lindemann, Arbeitsbuch, 273; Grßer, Zweiter Korinther I, 35 ist auch eine spätere Abfassung beider Kapitel zu erwägen. Gielen, Paulus 1, 84 geht von einer Zweiteilung des Briefs aus. So folgten auf einen der Korrespondenz vorangehenden Zwischenbesuch der nicht erhaltene Tränenbrief und die klärende Reise des Titus. Darauf sei es zur Abfassung des ersten Briefteils (2. Kor 1 – 9) aus Makedonien gekommen. Weitere Nachrichten veranlassten Paulus später zu einem neuerlichen Brief, dessen scharfe Ausführungen in Kap. 10 – 13 enthalten seien. 22 Vgl. Becker, Paulus, 172. Anders: Schnelle, Einleitung, 74; Gielen, Paulus 1, 80.
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Fazit und Ausblick
wahrscheinlich im Sommer 51 gegen Ende von Paulus’ Korinth-Aufenthalt stattgefunden haben dürfte23, und der Zeitangaben, welche Lukas zu dessen Ephesus-Aufenthalt macht. Nach Apg 20,31 war Paulus’ drei Jahre in Ephesus, nach 19,8.10 etwa zwei Jahre.24 Die Angabe aus 20,31 dürfte den Zeitraum seit Paulus erster Ankunft in Ephesus, auf welche die von Lukas geschilderte Reise nach Jerusalem, Antiochien, Galatien und Phrygien stattgefunden haben soll, mit einschließen (18,21 – 23).25 Unter Berücksichtigung der weiteren Angabe in Apg 18,17, Paulus sei im Anschluss an das Verhör noch nicht unmittelbar aus Korinth abgereist, sondern noch über einen längeren Zeitraum (Bl´qai Rjama¸) in der Stadt geblieben, ergibt sich für seinen Aufenthalt in Ephesus ein Zeitraum (mit Unterbrechungen) von Spätsommer / Herbst 51 bis 54. Diese Berechnung harmoniert mit der aus den Korintherbriefen und aus dem Phil rekonstruierbaren Ereignisfolge gegen Ende des Ephesus-Aufenthalts. Paulus’ Planung, erst nach Pfingsten Ephesus zu verlassen, weist auf eine Abfassung des 1. Kor in den ersten Monaten des Jahres 54 hin. In der Zeit bis zu Paulus’ Verhaftung kommt es zu folgenden Ereignissen: In Korinth treten Gegenmissionare auf. Paulus verfasst als eine erste Reaktion hierauf 2. Kor 2,14 – 7,4*. Da dieser Brief offenbar erfolglos blieb bricht er zu einem Besuch in Korinth auf; während diesem eskaliert die Lage. Erneut reagiert Paulus hierauf mit einem Brief (2. Kor 10 – 13) und kündigt, darin einen neuerlichen Besuch an – dieser Besuch wird durch seine Verhaftung verhindert.26 Zwischen der Abfassung von 1. Kor und Phil dürften demnach mehrere Monate liegen. Die Besuchspläne in Phil 2,24 f können als Hinweis für die Abgrenzung nach 23 Vgl. Schnelle, Einleitung, 34; Ebel, Leben des Paulus, 84 f. Die Amtszeit des Gallio ist wahrscheinlich auf Mitte 51 bis Mitte 52 zu datieren (vgl. Schnelle, Einleitung, 34; Ebel, Leben des Paulus, 84). Mit Ebel sprechen zwei Erwägungen dafür, dass die Anklage vor Gallio relativ bald nach dessen Amtsantritt erfolgte: 1.) Möglicherweise haben die Ankläger „auf die Unerfahrenheit des neu eingetroffenen Statthalters spekuliert“ (84 f). 2.) Nach Apg 18,2 trifft Paulus bei seiner Ankunft in Korinth auf Aquila und Priska, die zu treuen Unterstützern des Apostels werden (vgl. besonders Röm 16,3 f). Diese sind kurz zuvor aufgrund des wohl auf das Jahr 49 zu datierenden Claudius-Edikts aus Rom ausgewiesen worden, was eine Ankunft des Paulus bereits im Jahr 50 nahe legt (vgl. 85; vgl. auch Schnelle, Einleitung, 34). Verbunden mit Lukas’ Zeitangabe, Paulus sei anderthalb Jahre in Korinth gewesen (Apg 18,11), bietet sich eine Datierung der Gallio-Szene auf Sommer 51 an (vgl. Ebel, Leben des Paulus, 85; Schnelle, Einleitung, 34). 24 Paulus habe drei Monate in der Synagoge verkündigt (Apg 19,8), darauf zwei Jahre in der Schule des Tyrannos (V. 9 f). 25 Dabei ist vor allem die Station Jerusalem unsicher und könnte auf Lukas zurückgehen (vgl. zur Problematik einer Rekonstruktion der Reise Schnelle, Einleitung, 41 f). 26 Unsicher ist, ob in diese Zeit auch die galatische Krise fällt. Dies ist abhängig davon, inwiefern Paulus’ Anordnung bezüglich der Kollekte in 1. Kor 16,1, sie solle so erfolgen, wie er es für die galatischen Gemeinden angeordnet habe, nach dieser Krise sinnvoll erscheint (Schnelle, Einleitung, 112 sieht hierin ein Indiz für eine Abfassung des Gal nach 1. Kor). Da Paulus hier jedoch anders als bei den Gemeinden in Makedonien (2. Kor 8,1 – 6) nicht auf eine Vorbildfunktion der Galater verweist, sondern es nur um die Art und Weise der Durchführung der Kollekte geht, kann dieser Hinweis m. E. auch nach der galatischen Krise erfolgen. Ob Gal vor oder kurz nach 1. Kor zu datieren ist, muss daher offen bleiben.
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Christologische Grundlegung der paulinischen Ethik
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hinten dienen. So setzt Paulus’ Ankündigung, sowohl Timotheus nach Philippi zu senden als auch selbst bald die Gemeinde zu besuchen, offenbar voraus, dass noch geraume Zeit bis zur Einstellung der Schifffahrt am 12. November27 besteht. Es bietet sich somit als absolute Datierung für eine ephesische Haft und die Abfassung des Phil Sommer 54 an. Lukas’ Angabe über einen insgesamt dreijährigen Ephesusaufenthalt dürfte demnach ausgesprochen exakt sein.
6.2 Die christologische Grundlegung der paulinischen Ethik im Philipperbrief Ernst Käsemann wies in seiner einflussreichen, vor allem für die deutschsprachige Forschung über Jahrzehnte wegweisenden „Kritische[n] Analyse von Phil 2,5 – 11“ dem Christuspsalm eine soteriologische Funktion zu. Der Psalm verweise „auf das Heilsgeschehen“28 als Grundlage des neuen Handelns bzw. der neuen Gesinnung der Christen. Dies entspreche „dem typisch paulinischen Schema der Paränese, das den Imperativ (…) aus dem Indikativ, das christliche Verhalten aus der Heilstat ableiten läßt.“29 Eine derart unmittelbare Begründung der Ethik durch das Heilsgeschehen konnte die Untersuchung der Verknüpfung von Christologie und Ethik im Phil nicht aufzeigen. Zwar bildet das neue Sein der Glaubenden die Voraussetzung ihres neuen Handelns, so dass Paulus in 2,1 – 4 die Entsprechung zu diesem neuen Sein anmahnen kann. An keiner Stelle aber, auch nicht im Rahmen der Einbindung des Psalms in seinem Nahkontext, verweist er ausdrücklich auf das Heilshandeln Christi als Grundlage seiner Paraklese. Dieses ist zwar Voraussetzung der neuen Situation, in welche hinein der Apostel seine Mahnung spricht. Eine christologische Grundlegung der Ethik in dem Sinne, dass Paulus als deren Begründung in dezidiert soteriologischer Hinsicht auf Christus verweist, findet allerdings nicht statt. Unmittelbar von Christus her begründet wird die Ethik im Phil jedoch inhaltlich. Indem Paulus im parakletischen Nahkontext terminologisch auf den Christuspsalm und dabei insbesondere auf das in dessen erster Hälfte geschilderte Handeln Christi Bezug nimmt, erhält Christus die Rolle eines ethischen Vorbilds. Die von den Philippern geforderte Niedrigkeitsgesinnung verknüpft der Apostel mit Christi Selbsterniedrigung (2,3: tapeimovqos¼mg ! 2,8: 1tape¸mysem 2autºm), ihren Gehorsam mit dem Gehorsam Christi (2,12: rpajoOm ! 2,8: rp¶joor). Diese vorbildethische Rezeption des Psalms setzt sich in den weiteren Briefabschnitten fort. Das Beispiel des Epaphroditus, der 27 Vgl. Weeber, Reisen, 857. 28 Ksemann, Kritische Analyse, 91. 29 Ebd., 91.
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Fazit und Ausblick
„um des Werks Christi willen dem Tod nahe gekommen ist“, wird von Paulus in Bezug zu Christi Tod (2,29 ! 2,8: l´wqi ham²tou) gesetzt. Seinen eigenen Statusverzicht, sein Leiden und seinen eventuell bevorstehenden Tod wiederum kennzeichnet der Apostel durch eine Vielzahl terminologischer Anspielung sowie durch die strukturelle Bezugnahme auf den Christuspsalm als Nachahmung Christi (3,4b –11). Im Anschluss fordert er die Glaubenden in Philippi, welche Leidenserfahrungen durch ihre Umwelt ausgesetzt sind, zu einer ebensolchen Christusnachahmung auf (3,17). In 4,11 – 13 wiederum präsentiert er sich ihnen als ein Beispiel für die Christus entsprechende Annahme von Niedrigkeit und Leiden, speziell für die Hinnahme wirtschaftlicher und sozialer Konsequenzen des Christseins. Die Ethik des Phil ist somit inhaltlich aufs Stärkste von der Christusanalogie bestimmt.30 Es erfolgt eine christologische Grundlegung gerade der konkreten Ethik. Diese orientiert sich am Vorbild Christi, wobei Paulus ohne erkennbare Differenzierung auf das Handeln des Präexistenten sowie des Menschgewordenen Bezug nimmt.31 Damit fordert Paulus zwar keine Imitatio Christi in dem Sinne, dass dessen Handeln an sich und situationsunabhängig nachzuahmen sei; vielmehr sollen die Adressaten in der jeweiligen Situation mit ihren spezifischen Erfordernissen auf der Grundlage einer Christus analogen Gesinnung handeln (vgl. 2,3 – 5; 3,15). Diese Gesinnung zeigt sich jedoch in Christi im Psalm geschildertem Verhalten. Wiederum wird sie veranschaulicht von Timotheus, Epaphroditus und Paulus selbst. Christi Vorbild, welches durch weitere Vorbilder vermittelt werden kann, setzt den Maßstab für die ethische Orientierung der Glaubenden. An diesem Maßstab sind die den Philippern vertrauten Werte zu messen, nicht zuletzt die in der römischen Kolonie bedeutsame Hochschätzung von Status und Ehre. In 4,8 f fasst Paulus diese Forderung im Hinblick auf die fortwährende eigenständige Orientierung der Adressanten zusammen. Sowohl die paganen Werte als auch die ethische Zielsetzung, die Ausrichtung des Handelns auf Lob, Anerkennung, Ehre, verwirft der Apostel nicht. Es gilt allerdings, diese am Maßstab des Evangeliums und des paulinischen Beispiels zu erwägen. Daraus ergeben sich Konsequenzen für die Frage, inwiefern sich die paulinische Ethik inhaltlich von jüdischen und paganen Vorstellungen abhebt. Diese Frage vermag deren Spezifikum dann nicht zu erfassen, wenn sie auf das 30 Hinzu tritt auch innerhalb Paulus’ Abwägung zwischen Leben und Tod (1,21 – 26) eventuell ein unmittelbarer Christusbezug, sofern der Apostel dabei in V. 21 mit 1lo· c±q t¹ f/m Wqistºr sein irdisches Leben als in Entsprechung zu Christus bezeichnet (vgl. 5.2.2). 31 Gegen Schrage, Ethik, 214, wonach der Christuspsalm „nicht das Verhalten des irdischen Jesus im Sinne eines Beispiels besingt und die Selbsterniedrigung nicht am Menschgewordenen, sondern am Menschwerdenden veranschaulicht“. Abgesehen davon, dass Letzteres unzutreffend ist und die Selbsterniedrigung im Psalm gerade diejenige des Menschgewordenen in den Tod meint, lässt sich eine solche Differenzierung im Phil nicht verifizieren. Auch Schrage selbst merkt präzisierend an: „Natürlich ist das für Paulus kein Gegensatz, aber im Vordergrund steht der Gehorsam des Präexistenten“ (214).
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Christologische Grundlegung der paulinischen Ethik
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inhaltlich Neue bei Paulus zielt.32 Jüdische sowie pagane Werte kann Paulus gleichermaßen in seine Ethik integrieren. Der Gedanke, um eines Gottes willen zu leiden oder gar zu sterben, ist dem Judentum seit der Makkabäerzeit vertraut. Wie bereits die jüdische Martyrologie kann auch die paulinische Paraklese hiermit die Vorstellung eines heroischen Kampfs verbinden. Schließlich sind selbst die paganen Ehrwerte für Paulus nicht an sich mit dem Christsein unvereinbar. Das spezifisch Neue aber ist die Christusorientierung als inhaltliches Kriterium der Ethik. Das Vorbild Christi, welches den Adressaten durch das Kerygma verkündigt und durch Paulus’ eigenes Beispiel vergegenwärtigt wird, ist Maßstab zur Beurteilung der paganen Werte. Von diesem Vorbild her erlangt ein religiös motiviertes Leiden und Sterben seine Begründung. Und Demut bzw. eine Niedrigkeitsgesinnung, welche in der paganen Umwelt eine ausgesprochen negative Wertung besitzt, wird, begründet durch die Selbsterniedrigung Christi, zur zentralen Forderung der Paraklese. Mit dieser grundlegenden Bedeutung der Niedrigkeitsgesinnung geht Paulus auch über Altes Testament und Frühjudentum hinaus33, obwohl diese ebenfalls eine positive Wertung von Demut kennen.34 Damit ist die paulinische Ethik inhaltlich zwar nicht in ihren einzelnen Forderungen neu, aber in ihrem Wertekanon, der sich von der Christusorientierung herleitet. Es erfolgt 1.) eine spezifische Auswahl und Kombination von Werten jüdischer sowie paganer Herkunft und 2.) eine ebenfalls spezifische Gewichtung einzelner dieser Werte.35 Begründet Paulus seine Paraklese im Phil nicht explizit soteriologisch, so ist diese gleichzeitig keineswegs losgelöst vom Heilshandeln Gottes. Anstatt einer Begründung durch ein vorgängiges Heilshandeln, begegnet hier jedoch ein auffallendes Nebeneinander bzw. Ineinander von Mahnung und Zuspruch. In 1,27 – 30 ist es Gott selbst, welcher für die Standhaftigkeit der Gemeinde gegenüber der äußeren Bedrängnis sorgt. Entsprechend kann Paulus den Weg der Glaubenden von der Bekehrung bis zur Vollendung auf Gottes Wirken zurückführen (1,6).36 Die Christus entsprechende Niedrigkeitsgesinnung als Grundlage des Handelns der Christen wird ihnen von Gott selbst gegeben 32 Vgl. Marxsen, Ethik, 191 f, der zu dem Schluss gelangt: „M.E. gelingt es nicht, für die Inhalte der paulinischen Imperative Beispiele zu finden, die den Rahmen dessen sprengen, was aus der Umwelt begegnet“ (191). Anknüpfend an Bultmann, Ethik bei Paulus, 52 sieht Marxsen kein inhaltliches Spezifikum der paulinischen Ethik, sondern nur eine andere „,Motivation‘“ (192), nämlich diejenige, dass „das Tun … den Charakter des Gehorsams“ (192) trage. 33 Vgl. Grundmann, tapeimºr, 23; Dihle, Demut, 751. 34 Vgl. 3.1.3.2. 35 Vgl. auch Schrage, Ethik, 207, bei dem hier allerdings die Problematik der weitgehenden Ausklammerung eines vorbildethischen Aspekts (vgl. 177, 214) besonders deutlich wird, wenn es heißt: „Phil 2,3 (…) aber erhält sie [= die Niedrigkeitsgesinnung] wahrscheinlich darum positive Bedeutung, weil es von Christus heißt: ,Er erniedrigte sich selbst‘ (Phil 2,8)“ (Hervorhebung HW). 36 Dahingehend dürfte auch die Verheißung, Gott werde die „Herzen und Sinne“ der Adressaten „in Christus Jesus“ bewahren (4,7), zu verstehen sein (vgl. 5.1.1).
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Fazit und Ausblick
(vgl. 2,13; 3,15). Historisch lässt sich die auffällige Betonung von Gottes Wirken des Geforderten vor dem Hintergrund der aktuellen Gemeindesituation erklären. Die pagan sozialisierten Gemeindemitglieder, denen die paulinischen Forderungen eines Leidens um Christi willen und einer freiwilligen Annahme von Niedrigkeit fremd sind, erhalten auf diese Weise eine besondere ethische Motivierung, diese Forderungen zu erfüllen bzw. sie von Gott gewirkt an sich in Erfüllung gehen zu lassen. Theologisch hat dies allerdings Auswirkungen auf die Frage des Verhältnisses von göttlichem Heilshandeln und Handeln der Christen. Konnte keine unmittelbare „Ableitung“ des „Imperativ[s] (…) aus dem Indikativ“37 aufgezeigt werden, so wird von hier aus zu betonen sein, dass die Rede von einer solchen Ableitung der Ethik des Phil auch nicht gerecht wird. Ihr gegenüber steht das wiederholte Ineinanderübergehen von Zusage und Forderung. Von Indikativ und Imperativ lässt sich dabei nur reden, sofern gesichert ist, dass es sich hierbei um eine stete Wechselbeziehung handelt, bei der auch in der Erfüllung des Imperativs Gott selbst wirksam ist, der Imperativ auf diese Weise förmlich zu einem „Performativ“38 wird. Angesichts der sich in Verbindung mit dem Indikativ-Imperativ-Schema abzeichnenden Tendenz zu einer Nachordnung des Imperativs unter Vernachlässigung der konkreten Ethik39, scheint allerdings eine Erläuterung des Verhältnisses von Heilszusage und Handeln der Christen angemessener, die 1.) in der Lage ist, das andauernde göttliche Wirken an den Glaubenden hervorzuheben, und die 2.) die materiale Relevanz des neuen Seins der Christen, nämlich die ethische Orientierung am Evangelium Christi, einzuschließen vermag. Diesbezüglich erweist sich ein an Udo Schnelle anknüpfendes Verständnis der paulinischen Ethik ausgehend von der Christusteilhabe, welche die Glaubenden transformiert und in der ihnen Christus gleichsam zum Maßstab ihres Handelns wird, als leistungsfähiger.40
37 Vgl. Ksemann, Kritisch Analyse, 91. 38 Landmesser, Performativ, 575 u. ö. Bezeichnenderweise gründet Landmesser sein Verständnis des „paulinische[n] Imperativ[s] als christologisches Performativ“ (534) auf die Untersuchung von Phil 1,27 – 2,18. Auch bei Ernst Käsemann zeigt sich ein knappes Jahrzehnt nach seiner „Kritischen Analyse“ eine Verschiebung hin zur ausdrücklichen Betonung des Ineinander von Imperativ und göttlichem Handeln (vgl. Gottesgerechtigkeit bei Paulus [1961]). Käsemann hebt hier den Machtcharakter der dem Menschen gegebenen Gerechtigkeit Gottes hervor (vgl. 187 f) und betont: „Der gleiche Herr, der uns zu seinem Dienst beruft, ermöglicht diesen Dienst auch und fordert ihn so, daß seine Gabe weitergegeben wird.“ 39 Vgl. 1.3.1. 40 Vgl. Schnelle, Paulus, 629ff; vgl. auch 3.1.3.1.
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Die Stellung der Vorbildfunktion Christi
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6.3 Die Stellung der Vorbildfunktion Christi innerhalb der paulinischen Ethik Ausdrücklich durch den Verweis auf das Handeln Christi begründet Paulus ein innerhalb der Ekklesia gefordertes Verhalten auch in 2. Kor 8,9 und Röm 15,2 f.7.41 Erstere Stelle erachtet bereits Albrecht Oepke als „den besten Kommentar“42 zu Phil 2,6 f. Und in Zusammenhang mit Röm 15 revidiert Ernst Käsemann seine These einer rein soteriologischen Funktion des Christuspsalms und hebt hervor: „Christus wird wie in Phil 2,5 f als Vorbild dargestellt“43. Für beide Stellen legt sich unter Berücksichtigung der Untersuchungsergebnisse zur Verknüpfung von Christologie und Ethik im Phil ein dezidiert vorbildethisches Verständnis nahe. In 2. Kor 8,9 motiviert Paulus die Adressaten zur Kollekte, indem er sie daran erinnert, dass Christus um ihretwillen arm geworden sei, damit sie im soteriologisch-eschatologischen Sinne reich würden. Dem Arm-Werden Christi sollen sie nunmehr entsprechen, indem sie sich an der Kollekte für Jerusalem beteiligen. Dass Christus „arm wurde, obwohl er reich war“, wird hier zwar, insbesondere unter Berücksichtigung von Phil 2,6 f, auf die Menschwerdung des Präexistenten zu beziehen sein. Angesichts Paulus’ ethischer Bezugnahme im Phil auch auf das Handeln des Menschgewordenen, lässt sich diese Stelle jedoch schwerlich für die These einer generellen Anknüpfung der paulinische Paraklese an den Präexistenten anführen.44 In Röm 15 werden zwei Mahnungen vorbildethisch begründet. Die Mahnung, ein jeder solle „dem Nächsten gefallen“, begründet Paulus mit dem Verweis auf Christus, welcher ebenfalls „nicht sich selbst gefallen“ habe (V. 2 f). Ähnlich Phil 2,3 f dient dieser Verweis hier der Forderung eines innergemeindlichen Altruismus. Röm 15,7 ermahnt der Apostel die Gemeindemitglieder, einander anzunehmen, wie Christus sie angenommen habe. Dem korreliert zu Beginn des Abschnitts in 14,3 die Mahnung an die „Starken“ und „Schwachen“ in der Gemeinde, einander aufgrund ihres unterschiedlichen Verhaltens bezüglich der alttestamentlichen Speisegebote nicht zu verurteilen oder zu verachten45, worauf Paulus jedoch nicht begründend auf das Handeln Christi, sondern auf die Annahme durch Gott selbst verweist. Mit diesem expliziten Bezug auf Gottes Handeln geht Paulus über die inhaltliche Begründung ethischer Mahnungen im Phil hinaus. Dabei ist sowohl für Röm 14,3 als auch für 15,7 zu betonen: Zwar verweist der Apostel mit der Annahme der Glaubenden durch Gott bzw. Christus auf das 41 Vgl. auch 1. Kor 11,1, wo Paulus die Adressaten auffordert, seine Nachahmer zu werden, wie er ein Nachahmer Christi ist. 42 Oepke, jemºy, 661. 43 Ksemann, Römer, 369. 44 Vgl. dahingehend aktuell Grßer, Zweiter Korinther II, 31. 45 Vgl. Wilckens, Römer III, 104.
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Fazit und Ausblick
Heilsgeschehen als Grundlage des neuen Seins und Handelns, gleichzeitig kommt dem göttlichen Heilshandeln an den Glaubenden aber Vorbildcharakter zu. Es begründet die Mahnung auch inhaltlich.46 Begegnet somit auch in weiteren Paulusbriefen eine vorbildethische Begründung der Paraklese, so ist allerdings die konstitutive Bedeutung, welche der Vorbildgedanke für die Ethik innerhalb des gesamten Phil einnimmt, bei Paulus singulär. Die breite Bezugnahme auf Christi Vorbild innerhalb der Paraklese selbst und in den Beispielen für die geforderte Christusentsprechung hebt sich von den anderen Briefen des Apostels ab. Dies gilt nicht zuletzt auch dafür, dass Paulus hier die Entsprechung zum Evangelium Christi als Handlungsmaxime einführt und seine Adressaten auffordert, die ihnen vertrauten Werte anhand dessen, was sie empfangen und an seinem eigenen Beispiel gesehen haben, abzuwägen (vgl. 1,27; 4,9). Die Ursache dieser besonderen Gewichtung des Vorbildgedankens wird in der spezifischen Gemeindesituation in Philippi zu sehen sein, sowohl in der aktuellen Leidenssituation als auch in der besonderen kulturellen Prägung der Gemeindemitglieder. Leidenserfahrungen haben zu einem Konflikt in Philippi geführt. Menschen haben die Gemeinde wieder verlassen, andere, Euodia und Syntyche, sieht der Apostel vom Abfall bedroht. Mit dem Verweis auf Christi Vorbild kann Paulus seinen Adressaten zunächst die ihnen fremde positive Wertung von Leiden nahe bringen und die Forderung, das Leiden anzunehmen, inhaltlich begründen. Allerdings hat der durch die Leidenserfahrungen ausgelöste Konflikt seine tiefere Ursache in der paganen Primärsozialisation, welche sich noch in einem zweiten Punkt auf diesen auswirkt: Nicht allein die Vorstellung eines religiös motivierten Leidens ist Paulus’ Adressaten fremd und enttäuscht ihre an die Verehrung des christlichen Gottes gerichteten Erwartungen. Auch die Hinnahme des Verlusts von Status und Ehre und damit der konkreten sozialen Form von Leiden steht im Widerspruch zu den ihnen als Bewohnern der römischen Kolonie Philippi vertrauten Werten. Die aktuelle Konfliktsituation resultiert aus der Spannung zwischen dem paganen Ethos der Gemeindemitglieder und den Erfahrungen, welche sie als Christen in ihrer Umwelt machen müssen – sie ist Ausdruck eines Wertekonflikts in der heidenchristlichen Gemeinde in Philippi. Als Reaktion auf diese Situation verweist Paulus auf Christus nicht allein als Vorbild für die Annahme von Leiden und freiwilligem Statusverzicht, sondern er führt die Christusentsprechung als einen generellen Maßstab ein, an welchem die Adressaten ihre paganen Werte messen sollen. Der Vorbildethik kommt somit nicht zufällig in einem Brief an eine weitgehend heidenchristliche Gemeinde eine innerhalb des Corpus Paulinum einmalige Bedeutung zu. Am Beispiel des Phil zeigt sich deutlich, wie Paulus die Begründung der Ethik im Hinblick auf die spezifischen Erfordernisse seiner Adressaten variieren kann. Dies bedeutet für die Frage nach den Be46 Gegen Merk, Handeln aus Glauben, 168 ff.
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Die Stellung der Vorbildfunktion Christi
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gründungstrukturen paulinischer Ethik: Die Rede von einer einzelnen für Paulus charakteristischen inhaltlichen Begründung der Ethik durch das Liebesgebot aus Lev 19,1847 erscheint vor diesem Hintergrund problematisch. Zwar konkretisiert sich das neue Sein der Glaubenden nach Phil 2,1 als „tröstender Zuspruch der Liebe“ (paqal¼hiom !c²pgr), an keiner Stelle aber begründet der Apostel im Phil die Paraklese inhaltlich vom Liebesgebot her. „Als Maßstab des Handelns“48 führt Paulus hier nicht dieses, sondern das Vorbild Christi ein. Dient dieses Vorbild zur Abwägung der paganen Werte, so kommt dem Liebesgebot wiederum in Röm 3,8 – 10 und Gal 5,14 die Funktion als Maßstab zur Bewertung der Tora zu. Paulus’ inhaltliche Begründung der Ethik durch das Liebesgebot erfolgt an diesen Stellen ebenfalls im Hinblick auf eine konkrete sich im frühen Christentum ergebende Fragestellung, nämlich der Frage nach der Gültigkeit der Tora für Heidenchristen. Dies widerspricht nicht der fundamentalen Bedeutung der Liebe innerhalb der paulinischen Ethik. Auch die zentrale Forderung der Paraklese im Phil, ,nicht auf die eigenen Dinge, sondern auf die der Anderen zu schauen‘ (2,4), bildet nach 1. Kor 13,5 ein Charakteristikum der Liebe, die ,nicht das Ihre sucht‘. Allerdings darf dies nicht die unterschiedliche Gewichtung und die strukturellen Differenzen bei der Begründung der Ethik in den einzelnen Briefen des Apostels verdecken. Nicht zuletzt wird in der Variabilität der Suche nach theologisch verantworteten Lösungen für jeweils neue Situationen ein Grund für den Erfolg des paulinischen Missionswerks zu erblicken sein. Diese Variabilität der ethischen Begründung, die strukturelle Ausrichtung der paulinischen Ethik an den spezifischen Bedürfnissen einer Gemeinde, lässt sich im Phil in besonderem Maße beobachten. Der Apostel muss sich mit einem Konflikt auseinandersetzen, welcher aus einer unter seinen Gemeinden singulären pagan-römischen Prägung resultiert. Auf diesen Konflikt reagiert er mit einer Begründung der Paraklese durch das Vorbild Christi. Zu diesem Zweck nimmt er an zentraler Stelle seines Briefs eine Schilderung von Christi Menschwerdung, seines Tods und seiner anschließenden Erhöhung durch Gott auf. Diese Schilderung verknüpft er sowohl mit der Paraklese als auch mit Beispielen, welche die Mahnung zu einer Christusentsprechung veranschaulichen. Paulus’ Reaktion auf einen Wertekonflikt in der Colonia Iulia Augusta Philippensis erfolgt durch die vorbildethische Verknüpfung von Christologie und Ethik im Philipperbrief.
47 Vgl. Hahn, Theologie 1, 289 f. 48 Ebd., 289.
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Abkürzungen CBET DNP JHC LXX-Gött NSK.AT VWGTh WBC WP ZRG.R
Contributions to Biblical Exegesis & Theology Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike Journal of Higher Criticism Septuaginta. Vetus Testamentum Graece. Auctoritate Societas Litterarum Gottingensis editum Neuer Stuttgarter Kommentar. Altes Testament Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie Word Biblical Commentary Wissenschaftliche Paperbacks zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Romanistische Abteilung
Abkürzung paganer Schriften nach Hubert Canzik u. a. (Hrsg.), Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike. Band 1, Stuttgart 1996. Abkürzungen Patristischer Literatur nach Geoffrey William Hugo Lampe, A Patristic Greek Lexicon, Oxford 1961. Alle weiteren Abkürzungen nach Siegfried M. Schwertner, Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, Berlin u. a. 1994 (IATG2).
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Literatur I. Hilfsmittel 1. Wörterbücher Bauer, Walter, Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der frühchristlichen Literatur, hg. v. Barbara u. Kurt Aland, Berlin u. a. 61988. Gemoll, Wilhelm, Griechisch-deutsches Schul- und Handwörterbuch, hg. v. Karl Vretska, München 1965. Lampe, Geoffrey William Hugo, A Patristic Greek Lexicon, Oxford 1961. Liddel, Henry George/Scott, Robert, A Greek English Lexicon, hg. v. Henry Stuart Jones u. a., Oxford 91968. Menge, Herrmann, Langenscheidts Großwörterbuch Griechisch-Deutsch, Berlin u. a. 231979.
2. Andere Aland, Kurt, Vollständige Konkordanz zum Neuen Testament. Band I/1.2, ANTT IV/1, Berlin u. a. 1983; Band II: Spezialübersichten, ANTT IV/2, Berlin u. a. 1978. Geerard, Maurice/Glorie, Franciscus, Clavis Patrum Graecorum, Turnhout u. a. 1974 ff. Blass, Friedrich/Debrunner, Albert/Rehkopf, Friedrich, Grammatik des neutestamentlichen Griechisch, Göttingen 182001 (=BDR). Schmoller, Alfred, Handkonkordanz zum griechischen Neuen Testament, Stuttgart 81994. Schwertner, Siegfried M., Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, Berlin u. a. 21994 (= IATG2).
3. Digitale Hilfsmittel Thesaurus Linguae Graecae (TLG). A Digital Library of Greek Literature, hg. v. der University of California (Zugang über den Server der Westfälischen WilhelmsUniversität Münster). http://www.viamichelin.de/web/Routenplaner, Via Michelin Deutschland GmbH, Frankfurt a. M.
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2. Christliche Literatur Basilius von Caesarea, Regulae brevius tractatae, in: PG 31 (1857), 1051 – 1322. Borret, Marcel (Hg.), Origne, Contre Celse. 4 volumes, Paris 1967 ff. Calvin, Johannes, Opera Exegetica XVI: Commentarii in Pauli Epistolas ad Galatas, ad Ephesios, ad Philippenses, ad Colossenses, hg. v. Helmut Feld, Genf 1992. Cyrill von Alexandrien, Glaphorum in Deuteromium Liber, in: PG 69 (1864), 9 – 678. –, Commentarium in Isaiam Prophetam, in: PG 70 (1864), 9 – 1450. –, Contra Nestorium, in: ACO I/1, 23 – 42. Dekkers, E. (Hg.), Quniti Septimi Florentis Tertulliani Opera. Pars I: Opera Catholica. Adversus Marcionem, CChr.SL 1, Turnhout 1954. Didymus, Adversus Eumomium IV, V, in: PG 29 (1865), 672 – 774. Euseb von Caesarea, Demonstratio evangelica, in: GCS 23 (1913), 1 – 496. Evans, Ernest (Hg.), Tertullian, Adversus Marcionem. Books 4 and 5, Oxford 1972. Fischer, Joseph A. (Hg.), Schriften des Urchristentums. Erster Teil: Die Apostolischen Väter, Darmstadt 81981. Heikel, A. (Hg.), Eusebius Werke VI. Die Demonstratio evangelica, GCS 23, Leipzig 1913. Kçrtner, Ulrich H.J./Leutzsch, Martin, Schriften des Urchristentums. Dritter Teil: Papiasfragmente. Hirt des Hermas, Darmstadt 1998. Luther, Martin, Die Epistel S. Pauli: an die Philipper (1546), in: WMDB 7, 213 – 225. Migne, Jacques Paul (Hg.), Patrologia Graeca, Paris/Turnhout 1857ff (=PG). Nilus, De Volutaria Paubertate, in: PG 79 (1865), 968 – 1062.
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5. Inschriften und Papyri Dittenberger, Wilhelm, Incriptiones Megaridis et Boeothiae, IG VII, Berlin 1892. –, Orientis Graeci Inscriptiones Selectae. Volumen Prius, OGIS, Leipzig 1903, ND Hildesheim 1960. –, Sylloge Inscriptionum Greacarum. Volumen Tertium, Leipzig 31920, ND Hildesheim 1960. Hunt, A.S./Edgar, C.C. (Hg.), Select Papyri I. Non-literary Papyri and Private Affairs, LCL 266, London u. a. 1952. Kirchner, Johannes (Hg.), Inscriptiones Atticae Euclidis Anno Posteriores I: Decreta Continens, Fasciculus 1: Decreta Annorum 403/2 – 230/29, Berlin 1913; Fasciculus 2: Decreta Anno 229/8 Posteriora Accedunt Leges Sacrae, IG II/III2, Berlin 1916. –, Inscriptiones Atticae Euclidis Anno Posteriores III: Dedicationes, Titulos Honorarios, Titulos Sacros, Titulos Sepulchrales continens, Fasciculus 1: Dedicationes, Titulos Honorarii, Tituli Sacri, IG II/III2, Berlin 1935. Lommatzsch, Ernst, Inscriptiones Latinae Antiquissimae ad C. Caesaris Mortem. Pars Posterior, Fasciculus 1, CIL I2, Berlin 1918. Mitteis, Ludwig/Wilcken, Ulrich, Grundzüge und Chrestomathie der Papyruskunde I.1. Historischer Teil. Grundzüge, Leipzig/Berlin 1912. Papyrus Heidelbergensis 1716 Verso, in: Philologus 80 (1925), 339 – 340.
III. Sekundärliteratur 1. Kommentare zum Philipperbrief Barth, Gerhard, Der Brief an die Philipper, ZBK.NT 9, Zürich 1979. Barth, Karl, Erklärung des Philipperbriefes, Zürich 51947. Beare, Francis Wright, A Commentary on the Epistle to the Philippians, BNTC, London 1959. Bockmuehl, Markus, The Epistle to the Philippians, BNTC 11, London 1998.
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Bibelstellenregister Altes Testament Genesis 1,27 3,5 3,15–19 3,22 15,13 18,1 22 25,11 35,12
85 85 232f 142 146 142 234 142 165
Exodus 1,12 12,23 15,6 16,2 16,7 30,9
146 232 162 163 163 165
Levitikus 1,3 4,3 14,12–14 14,49–53 16,9 16,18 19,18 Numeri 12,9–15 14,19 14,27
163 163 232 232 146 232 299
232 163 163
Deuteronomium 2,25 162 11,25 162
18,5 28,35 28,58 32,5 34,6
142 232 105 163 142
Richter 5,5 5,11 8,18 20,5
102 102 85 146
1. Samuel 2,7 16,14 26,9
101 232 146
2. Samuel 7,14 22,24
93 163
2. Könige 17,6–23 23,27 24,3
233 233 233
1. Chronik 28,9
233
2. Chronik 7,13–22 15,2 20,20 26,19–21 32,16 33,13
233 233 233 232 101 101
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Bibelstellenregister
33,23 34,27
101 101
Nehemia 9,5 9,6
105 109
Esther 5,1b 8,12 p
257 129
Hiob 1f 1,21 2,7 4,16 5,17–26 7,1ff 7,11–21 8,5–7 9,21 10 11,13–19 16,12–17 18,5–21 22,29 23,15f 38f
232, 234 232 233 85 234 100 234 233 233f 234 233 234 233 146 234 233
Psalter 2,7 2,11 6,6 7,17 9,3 9,16 15,2 18 18(17),28 22,2 22,28–32 22(21),30 24(23),6 29
93 162 109 233 105 233 163 119 146, 153 234 106 109 102 120
30,10 32 37 37,12 37,16 37,17–20 37(36),35 44,2 44,10ff 57,7 59,7 59,15 66 68,25 68,29 68,34 73 86,9 88,11–13 89,27 91,5f 93 95–99 97(96),9 99,3 102,16 102,23 106(105),25 113,8 115,17 118 122,4f 145(144),18
109 119 120, 233 153 153 234 104 102 234 233 232 232 119 102 102 102 234 106 109 93 232 120 120 104 105 106 106 163 102 109 119 102 102
Proverbien 2–4 3,11 11,5 11,21 12,21 13,7 13,9 15,9 16,19
233 234 233 233 233 147 233 233 147
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Bibelstellenregister 18,12 22,8 23,29 25,22 26,27 29,23
147 233 233 255 233 101, 147
Kohelet 7,15 8,8 8,14 9,12
100 100 100 100
Hohelied 2,15
102
Jesaja 3,17 6,3 11,4 14,5–21 19,16 26,6 38,18f 38,10–20 40,5 42,8 42,12 43,21 44,13 45,23 49,1–6 52,10 52,13–15 52,13–53,12 53,7 53,10-12 53,12 63,7 Jeremia 12,1
98 109 147, 154 87 162 102 109 110 106 258 258 258 85 99, 106, 108f, 119, 118, 177 94 106 236 95 147 236 94 258
234
15,20f 20,8f
234 234
Klagelieder 5,11
146
Ezechiel 28
87f
Daniel 3,5f 3,12–18 3,19 3,24–30 3,38 3,42 3,52 3,39 4,16–24 5,23 (Th.) 6,8 10,12 11 11,12 11,31 12,2f 12,3 12,11
88 236 85 236 109 254 104 101 88 88 88 101 236 105 235 235f 163 235
Hosea 2
234
Amos 2,6 5,12
153 153
Jona 2,3–10
119
Maleachi 2,12
146
Sacharja 14,9
106
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330
Bibelstellenregister
Zefanja 2,3
154
3,9 3,11–12
106 154
Apokryphen Judit 9,11
146
Weisheit 1,16 2,14 2,19 2,21f 5,1–5 5,16f 7,1–16 12,18 18,1
254 145 254 254 235 235 98f 254 85
Tobit 1,13 3,11 8,5
85 105 105
Jesus Sirach 3,18 4,7 12,11 20,13 29,5 51
101, 147 257 147 257 147 119
1. Makkakkbäer 1,20–64 235 1,62f 236 1,64 238 2,29–38 236 2,40f 236 2,50f 236 3,59 236 5,11–6,11 235 6,43–46 237 2. Makkabäer 2,22 3,14 6,1 6,12 6,18–31 7 7,37f 8,15 9,12 9,27 10,4 11,25
254 115 129 238 236 237 238 105 87 254 254 129
Neues Testament Matthäus 23,12 27,7 28,18–20 Markus 4,17
105, 114 72 111
15,16 16,12
72 84, 177
Lukas 14,11 18,14
105, 114 105, 114
198
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331
Bibelstellenregister Johannes 1,14 18,18 18,33 19,9
102 72 72 72
Apostelgeschichte 12,22f 92 13f 49 13,2 50 14,4 50 14,14 50 15,39 50 16,11–40 42–49, 172 16,19–24 269 16,20f 15, 129 17,1 42 17,10 49 18,2 292 18,11 292 18,12–17 291 18,17 292 18,21–23 292 19,8ff 292 19,23–40 65, 290 19,23–20,1 66 20,6 69 20,13–15 68 20,31 292 22,28 151 23–26 65 23,1 128 23,25 66 23,35 72 27,9 16 27,22 16 28 66 28,16 72 28,20 72 28,30 69 Römer 1,3f 2,8
2,28f 2,29 3,2f 3,8–10 5,12–19 6,3f 6,4 7,5 7,5f 8,3 8,4 8,8f 8,9 8,17 8,29 8,32 9,2f 9,4f 9–11 10,1 11,20 11,23–32 12,2 12,16 12,17–20 12,20 13,3 13,11 13,13 14f 14,3 15f 15,2f 15,7 15,13 15,18 15,33 16,1f 16,2 16,3f 16,17f 16,20
204 258 70 299 85 184 128 205 204 97 128 205 204 185 177 132 71 70 70–73, 287, 289 71 162 71 159, 265 125 254 255 258, 265 254 128 268 297 253 297 297 253, 266 126f, 159 253, 266 275 128 292 195 253, 266
94, 126, 186 144
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332
Bibelstellenregister
1. Korinther 1, 8 1,17 1,18 1,23 2,2 2,3 2,6 2,9 2,12 2,14–16 3,3 4,5 4,6 4,9–13 4,16 4,19 5,9f 5,21f 6,13 6,13–18 7,17 7,29 7,31 8–10 8,5 8,6 8,10 9,15 10,10 10,24 10,25–28 10,32 10,33 11,1 12 13,5 13,9–12 14,3 15,1 15,3–5 15,8–11 15,10 15,24–28
197 96 103 103 103 162 202, 297, 290 226 132 130 128 258 177 187, 191 187, 189f 275 252 85 195 252 128 254, 256 98, 177 268 110 107 252 96 163 156 252 265 156, 188 187–191, 297 156 299 184 136 263 126f, 286 182 226 214
15,27f 15,32 15,47 15,52 16,1 16,5–12 16,8 16,13–16
208 65, 67, 289f 212 212 292 275 291 253
2. Korinther 1,1–2,13 1,8 1,8–10 1,14 1,23 1,24 2,1 2,7 2,10 2,12f 2,13 2,13f 2,14–7,4 2,17f 3,5 4,2 4,7–12 4,10 5,2 5,5 5,20 6,3–10 6,8 6,14–7,1 7,5 7,5–16 7,9 7,11 7,15 8f 8,1f 8,1–6 8,9 8,18
291 288 66ff, 289ff 226 290 170 290 132 132 288 69, 291 67 291f 291 170 128, 291 191 183–185 212 128 126 291 257 291 67, 288f, 291 260, 291 170 260 162 291 288 72, 292 297 258
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9 9,3 10,2f 10–13 11,2 11,8f 11,13–15 11,24–33 12,13 12,18 12,20 13,3 13,11
68 96 128 67, 291f 260 200 177 191 132 128 144f 126, 159 253, 256, 266
Galater 1,8 1,9 1,12 1,15f 1,17 2,20 3,1 3,18 3,27 4,8f 4,19 5,2f 5,11 5,14 5,16 5,19f 5,25 6,12 6,12f 6,14 6,17
212 263 263 50, 182, 226 50 138 103 132 138, 180 183f 138, 177, 275 206 103 299 128 144f 137 103 206 103 256
Bibelstellenregister
333
1,3–11 1,4 1,5 1,6 1,7 1,8 1,9f 1,10 1,11 1,12f 1,12ff 1,12–18 1,12–26 1,13 1,15 1,16f 1,17 1,18 1,19f 1,19ff 1,19–26 1,20 1,20–26 1,21 1,21–26 1,23 1,24 1,25 1,25f 1,26 1,27
17 165, 197, 223, 254, 272 76 132, 197, 255, 295 76, 197, 260, 280 197 267, 269 197, 265 258 64 165, 223 64 124, 269–274, 278 66 161, 195 276 144, 260 165, 223, 254 282 186 64, 66, 76, 289 195, 228 185, 201 294 290 140, 228 228 197, 223, 290 275 165 15, 76, 199, 201, 210f, 225, 252, 263, 286, 298 172 77, 123–167, 175, 177, 186, 188, 196, 217, 228, 252, 296 16, 76, 175, 196, 237, 255, 266, 288, 295, 64, 196f, 204, 211, 254, 280 228, 238, 270, 279 64, 192, 201, 225, 263, 269 299 76, 215, 223, 276
1,27f 1,27–2,18
1,27–30 Epheser 6,5
1,28
162
Philipper (in Auswahl) 1,1 64, 73, 197 1,3 280 1,3–5 279
1,29 1,30 2,1 2,2
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334 2,1–11 2,1–4 2,1–5 2,2–4 2,3 2,3f 2,3ff 2,3–5 2,4 2,5 2,5ff 2,6 2,6–11 2,7 2,8 2,8f 2,9 2,9f 2,9–11 2,10 2,10f 2,11 2,12 2,12f 2,13 2,15 2,16 2,16–18 2,16f 2,17 2,17f 2,18 2,19 2,19–24 2,19–30 2,21 2,22 2,24 2,24f 2,25–30 2,26
Bibelstellenregister 196, 252 118, 208, 293 185 11 178, 194, 229, 253, 272, 274 76, 172, 181, 217, 278, 297 191 294 263, 270, 274, 276f, 299 11, 124 297 178, 276, 286 11ff, 17, 75–77, 79–121, 211, 283 276 160, 192, 194f, 276, 287, 293f 204 132 278 208 213 177 278 17, 186, 197, 203, 293 16, 131, 216, 266 132, 255, 271, 296 254 272 197 226, 228 185, 197f, 223, 280 272 223, 254 143 70 73, 275f 192, 221 221 165 292 64, 217–230 69, 197
2,26–28 2,28 2,29 2,30 3,1 3,1f 3,2f 3,2–4 3,2–11 3,2–21 3,2–4,3 3,4 3,4–14 3,5–11 3,6 3,7 3,7f 3,8 3,9 3,10 3,10f 3,12ff 3,12–16 3,13f 3,15 3,17 3,17f 3,17–19 3,18f 3,20 3,20f 4,1 4,1–3 4,2–10 4,4 4,4–7 4,4–9 4,5 4,7 4,8 4,8f
64 272 193, 294 192 17, 165, 206, 223, 254, 256, 272 73–76 71 287f 71, 76 132, 283 74, 168–217, 230 275, 277 286 221 260 286 253 70 260 76, 140, 165, 201, 282 227f, 238, 286 140 290 225 16, 132, 143, 161, 255, 266, 296 17, 186, 224, 294 128, 278 149 253 128 140, 207ff, 248, 281, 285 17, 196, 223, 226 76 74 73, 165, 223, 272 253–255 77, 278 212 132, 266, 295 15, 252 129, 211, 253, 255–266, 269, 280, 294
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335
Bibelstellenregister 4,9 4,10 4,10–20 4,11 4,11–13 4,14 4,15 4,15f 4,16 4,17 4,18 4,21f 4,22
157, 298 200, 223 73f, 76, 200, 253, 278–282 170 294 69 50, 150 64 200 170 64, 218, 226 197 57, 66, 271
Kolosser 1,7 1,15–20 4,12
219 93 219
1. Thessalonicher 1,6 187f, 190f 1,7 191, 193 1,10 212f 2,2 47, 199, 269 2,12 128, 136 2,14 187f, 190, 198, 265 2,14–16 71 2,19 226 3,1–8 198 3,5–8 193 4,1 128, 256 4,3 159 4,11 265 4,12 128 4,17 208, 212 5,12–22 253 5,14 136 5,21 265 2. Thessalonicher 3,9 193 1. Timotheus 2,2 60
3,8 3,11 3,16 5,22
259f 259f 111 260
Titus 2,2
259
Philemon 1 2 10 22 23 24
64 224 64 132 64, 219, 289 64
1. Petrus 1,1 1,3–7 1,17 2,11 3,2 3,17 4,7 4,17 4,19 5,6
204 204 204 204 260 132 204 204 132, 232 105
1. Joh 3,3
260
Hebräer 1,5–14 10,34–36 11,13–16 11,35–12,7
111 198 204 198
Jakobus 3,17 4,10
260 105
Offenbarung 1,9 198 2,10 198
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336 3,10 3,12 5,5–14
Bibelstellenregister 198 204 111
9,7 21,2 21,10
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97 204 204
Autorenregister (in Auswahl)
Alföldy, Geza 150ff Athanasiadi, Polymnia
249
Barth, Gerhard 173, 202 Barth, Karl 21f, 219, 221, 270 Baur, Ferdinand Christian 80 Beare, Francis Wright 30, 172 Becker, Jürgen 207 Berger, Klaus 13f, 116 Betz, Hans Dieter, 189 Blischke, Folker 26f, 29 Bloomquist, L. Gregory 33f, 175, 276 Bockmuehl, Markus 29, 72, 143, 147, 159, 173, 215, 271, 277 Bormann, Lukas 52, 59ff, 279f Bornkamm, Günther 103, 260, 290f Brucker, Ralph 75, 117–119, 175, 275 Bultmann, Rudolf 16, 28, 137f, 178, 261 Burkert, Walter 243f Burridge, Richard A. 190 Calvin, Johannes 19 Collange, FranÅoise 30 Deissmann, Adolf 20, 24, 27, 65, 138f Dibelius, Martin 22, 24 Dihle, Albrecht 147 Ebel, Eva 292 Eck, Werner 239 Eckey, Wilfried 136, 154 Engberg-Pedersen, Troels 155ff Ewald, Paul 105, 183
Fee, Gordon D. 29, 257f, 264 Fiedler, Peter 262 Foerster, Werner 86 Fowl, Stephen 29 Franke, August Hermann 36, 147 Frede, Michael 249 Friedrich, Gerhard 26, 279 Fuchs, Ernst 13 Gemoll, Wilhelm 225 Georgi, Dieter 91f, 111 Gerstenberger, Gerhard 232ff Gielen, Marlies 66–71, 287, 289ff Gnilka, Joachim 82, 94, 110, 136, 138, 169f, 182, 187, 221, 261f Grundmann, Walter 153 Guttenberger Ortwein, Gudrun 153 Haag, Ernst 232 Haensch, Rudolf 239 von Harnack, Adolf 212 Harrill, James Albert 180 Hauck, Friedrich 260 Hausmanninger, Thomas 155 Hawthorne, Gerald F. 29 Heil, John Paul 164 Heinzelmann, Gerhard 22 Hellerman, Joseph H. 29f, 148ff, 180, 194 Hofius, Otfried 102, 105, 109 von Hofmann, Johann Christian Konrad 19f, 24, 29 Holloway, Paul A. 33f, 36, 204 Holsten, Carl 18, 36
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338
Autorenregister (in Auswahl)
Hooker, Morna D. 139, 173–175 Hurtado, Larry W. 29 Jaeger, Werner Wilhelm 86 Jeremias, Joachim 82, 104, 110 Jewett, Robert 280 Kähler, Christoph 216 Karrer, Martin 213 Käsemann, Ernst 24f, 27, 79, 97, 102, 293, 296f Kennel, Gunter 82 Klein, Günther 140, 171f Koch, Dietrich-Alex 50, 53, 62, 206, 252, 261, 265 Kögel, Julius 21, 24, 29 Koperski, Veronica185 Köster, Helmut 170 Landmesser, Christof 131, 296 Lipsius, Adelbert 18 Lohmeyer, Ernst 22, 32f, 35, 75, 80ff, 102, 106, 116, 131, 147, 159f, 164, 185, 212, 219, 221f, 224, 227f Löhr, Hermut 14, 262, 241 Luther, Martin 19 Luz, Ulrich 189 Martin, Ralph P. 30 Marxsen, Willi 295 Mayer, Bernhard 219, 221–224 Menge, Herrmann 225 Merk, Otto 147, 189, 193, 298 Meyer, Heinrich August Wilhelm 18 Michaelis, Wilhelm 22ff, 114f Müller, Ulrich B. 50, 75f, 97f, 100, 119, 137, 147, 154, 158, 182f, 208, 212, 214, 219f, 227, 255, 264, 270, 272f, 279, 281 Muth, Robert 239, 241f, 244f, 249
O’Brien, Peter 29 Oakes, Peter 29f, 33f, 52f, 111, 186, 199 Oepke, Albrecht 297 Ollrog, Wolf-Henning 226 Omezu, Heike 43, 46, 47–49 Pedersen, Sigfred 162 Peterlin, Davorin 35, 130, 226 Pfeiffer, Matthias 137 Pilhofer, Peter 38f, 41–49, 51–59, 61–63, 128ff, 133, 150, 179ff, 268 Rahner, Karl 232 Rendtorff, Trutz 13 Reumann, John 208 Riessler, Paul 97, 145 Rissi, Matthias 105 Rüpke, Jörg 243, 245 Schenk, Wolfgang 183, 175, 256 Schinkel, Dirk 129, 172, 174, 181, 194f, 201f, 209 Schlatter, Adolf 22 Schlier, Heinrich 16 Schmithals, Walter 169, 173 Schneider, Johannes 97 Schnelle, Udo 29, 66, 71f, 76, 137–140, 292, 296 Schrage, Wolfgang 189, 294f Sellew, Philip 74 Sim, David 190 Standhartinger, Angela 202, 210 Strecker, Christian 75, 138, 175 Strecker, Georg 28, 103, 139 Suhl, Alfred 171 Tillich, Paul
137
Übelacker, Walter Nebreda, Sergio Rosell Nicols, John 151f Niebuhr, Karl-Wilhelm Norden, Eduard 116
16
37f, 112f, 282f 183
Vahrenhorst, Martin 163ff Versnel, Hendrik Simon 240, 246 Veyne, Paul 245ff
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Autorenregister (in Auswahl) Vielhauer, Philipp 170 Vittinghoff, Friedrich 53 Vögtle, Anton 265 Vollenweider, Samuel 79, 86f, 94, 106, 119, 130, 273f de Vos, J. Cornelis 105 Wallraff, Martin 250 Walter, Nikolaus 28, 32f, 80, 84, 97, 101, 117, 125, 132, 136, 145, 156, 219, 221, 248f, 264, 279
Wanamaker, Charles A. 93 Weiß, Bernard 18, 32 Wendebourg, Nicola 197 Wengst, Klaus 145f, 151–154 Wick, Peter 75, 173 Witulski, Thomas 60f Wolter, Michael 13f, 252 Zahn, Theodor 20, 79 Zimmermann, Ruben 14
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Sachregister
Abfassungsort 70, 85, 207 Abfassungszeit 13, 65, 200 Adam-Christus-Typologie 85 Ädil 57, 150 Akklamation 109f Alleinverehrungsanspruch 233, 238, 240, 249 Alte Kirche 31, 86, 101, 145 Altruismus 156, 188, 199, 215, 268, 274, 297 Amt 46, 55ff, 144, 152, 260f, 268 Angelologie 79, 99 apologetische Tendenz / apologetisches Interesse (Lukas) 48, 65, 290 Apostolat 272 Asklepiuskult 243 Auferstehung 102, 140, 179, 181, 183–186, 186, 217, 227, 237, 277, 286 Auferstehungshoffnung 185, 211 Aufstiegsstreben 30, 147f, 152f Autarkie 281 Auxilia / Auxiliartruppen 53, 151
Christologie 11f, 17 u.ö. Christusentsprechung / Christusanalogie 139f, 144, 162, 178, 185-187, 220f, 262f, 275ff, 281, 294 u.ö. Christusereignis 27, 205 Christusherrschaft 177, 285 Christuskonformität 139 Christusmystik 20 Christuspsalm 120 u.ö. (Christus)Teilhabe 139f, 169, 182–185, 202f, 296 Chronologie der Paulusbriefe 219, 291 Colonia Iulia Augusta Philippensis 12, 31, 40f, 49, 51, 54, 63, 149, 175, 250, 299 Colonia Victrix Philippensium 39 conubium 53 Corpus Paulinum 13, 65, 287, 289, 298 cursus honorum 56f, 148, 152, 181, 268
Beispiel 17f u.ö. Bekehrung 182f, 191, 239, 271, 295 Beschneidung 71, 168–171, 173, 180, 194, 204, 206f, 217, 235, 287 Beschneidungsforderung 174, 181, 272 Bischof / Episkop 57, 273, 93, 267f Briefteilung 37, 75, 275 Buch des Lebens 215f Bund 234 Bürgerrecht 41, 48, 53f, 63, 151, 153, 172, 179f, 209f, Bürgerschaft 209f
Deuteronomistisches Geschichtswerk 233 Diakon 259, 268 Dialektische Theologie 27 Dionysoskult 240, 243 Divinisierung 17, 91, 108, 111, 121 Doketismus/doketistisch 97f Duumvir 46ff Ehre 57, 149–155, 157, 259 u.ö. Eingeweideschau (haruspicium) 245 Einheit (d. Gemeinde) 35, 76, 124–126, 134, 144, 188, 199, 230, 268
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Sachregister (literarische) Einheitlichkeit 73ff, 175, 186, 190, 280, 282 Einwohnerzahl 40f Ekklesiologie 196 Enkomion 116 Enthusiasmus 35, 170 Epainos 117, 119 ephesische Haft 65ff, 69, 207, 289ff, 293 Epiphanie 96f Erhöhung 83f, 88, 90ff, 95, 101, 104–106, 110f, 208 u.ö. Erkenntnis Christi 168, 177, 182ff, 200f, 203 Erlösung 127, 137ff, 204 Erlösungshandeln 138, 271 Erniedrigung 26, 83, 88, 95f, 101, 104f, 114, 121, 146–149, 162, 189, 194, 254 Erniedrigungshandeln 18f, 37, 112ff, 121, 158, 162, 188, 191, 194, 230, 286f Erstmission (in Philippi) 42f, 47, 49, 61, 133, 172, 209, 269 eschatologischer Ausblick 197, 279 Ethik 11–14 u.ö. Ethos 12, 14f, 38, 252f, 262–266 u.ö. Evangelium 126–130, 286 u.ö. ewiger Name 237, 241 Exhomologese 104–107, 109f, 112, 117 Exil 234 Fleisch 168, 205 Freude 164f, 206, 219, 223, 226, 228f, 254, 272f, 279 galatische Krise 292 Gebot 21 Gegner 36f, 168–172, 193f, 272 u.ö. Gehorsam 158–160, 162, 166 u.ö. (Heiliger) Geist 125, 130, 145, 204 u.ö. Gelübde 243 Gemeindegesandter 64, 218ff, 222f, 225–227, 229, 266, 289
341
Gesetz 22, 129, 133, 169, 171, 176, 180, 194, 205f, 233, 236–238, 252 Gesetzesgehorsam 170, 173, 176 Gesinnung 18, 143, 202, 276, 294 u.ö. – irdische Gesinnung 174f, 181, 195, 206f, 210, 216, 288 Gestaltwandel 86, 88–91, 96f, 121, 177, 185, 208 Gnade 147 Gnostiker 170 Gottesfürchtige 43–46, 49 Gottesgerechtigkeit 180 Gottesknecht 94, 147 Gottesname 105f, 111, 113, 121 Gottessohnschaft 84, 93, 107 Gotteswille / Wille Gottes 114, 159, 265 Gottgleichheit 30, 38, 84, 86–94, 102, 104, 107, 113f, 117, 121, 148, 178, 286 göttliche Gestalt 38, 84f, 113, 157, 178, 186 Götzenopferfleisch 252 Hauskult 242 Heidenchrist 12, 36, 62, 71, 169, 171, 179, 181, 207, 218, 231, 247f, 251, 253, 264, 282, 299 Heidenchristentum 251f, 266 Heilserwartung 175, 184, 203f, 217, 241, 281 Heilsgegenwart 140 Heilsgeschehen 11, 21, 24f, 28f, 189, 293, 298 Heilsgewissheit 216 Heilshandeln 11, 17, 21, 27, 30, 123f, 135, 139, 142f, 213, 230, 245, 293, 295f, 298 Heilshoffnung 59, 213f, 248 Heilstat (Christi) 19, 27, 135, 293 Heilsverwirklichung 13, 159, 167, 203, 216 Heilsvollendung 163, 197, 255 Heilsvoraussetzung 204 Heilszusage 16, 27, 296
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342
Sachregister
Hellenismus 93, 100, 249 hermeneutischer Zirkel 13 Heroenverehrung 249 Herrscherverehrung 61, 88, 98f, 102, 109, 111, 121, 214, 285 Hymnus 80f, 116, 119f u.ö. Ideal 20, 27, 133, 261 Imitatio (Christi) 139, 143, 294 Imperativ 16, 27f, 123, 137, 293, 296 u.ö Imperium Romanum 49, 52, 54f, 149, 151, 199, 239f, 244 incola 53 Indikativ 16, 27f, 293, 296 u.ö. Indikativ-Imperativ-Schema 28, 137f, 296 Inkarnation 143 Inthronisation – Christi 29, 79, 82, 107 – d. Herrschers 60, 110ff Isiskult 240, 244 Israel 44, 71, 108, 111, 114, 146, 153, 162f, 180, 232–238, 287 ius Italicum 40f, 61 Jahwe-Königslieder 119f Judaisten 171 Jude 44, 46, 61f, 72, 89, 106, 129, 171ff, 187, 198, 206, 209, 235, 238, 287 Judenchrist 36, 44, 94, 99, 111, 118, 171ff, 206, 235 Judenchristentum 99, 181, 251f Judentum 43ff, 85, 99, 105, 142, 169, 181, 205, 231, 235, 238, 240, 251f, 295 Kaiser 59ff, 90f, 111f, 212ff u.ö. Kaisereid 60 Kaiserkult 41, 59–61, 100, 111, 212 Kapitolinische Trias 239, 245 Kardinaltugenden 262 Kollekte 66, 68, 72, 297 Koloniegründung 39–42, 53 Kolonisation 52
Königtum / Königsherrschaft Jahwes 99, 106, 111 Korintherkorrespondenz 65, 289ff Kreuz 102f, 110, 162, 194, 287 u.ö. Kreuzesbotschaft 174, 194 Kult 198f, 203, 235, 239–242, 244f, 247f, 249, 251 Kyriotes (Christi) 88, 107, 109f, 112, 114, 117, 120f, 177 Laodizenerbrief 74 Läufermotiv 201, 225 Legionär 53 Leib – Christi 156 – d. Christen / d. Glaubenden 168, 177, 211 – d. Menschen allgemein 146 – d. Niedrigkeit / Herrlichkeit 213 – d. Paulus 183 Leiden 31–36, 132f, 186f, 203f, 231–252 u.ö. Liberale Theologie 27 Libertinismus 169f Liebe 134 Liebesgebot 299 Liktoren 47f Lustratio 242 Makkabäeraufstand 235 Märtyrer 32f, 35, 131, 147, 236ff Martyrium 22f, 32, 75, 103, 115, 162, 221, 224, 228, 238, 272 Martyriumsvorstellung 32f, 231, 237 Maxime 14f, 128, 252f, 255, 263, 266 u.ö. Menschwerdung 17, 84, 95–102, 104, 111, 177, 189, 287, 299 Mimesis vgl. Nachahmung Mithraskult 150, 239 Monotheismus – jüdisch 17, 32, 106, 108, 120, 231f, 285 – pagan 248ff
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Sachregister mos maiorum 15, 46, 129f, 263 Motivierung – ethische 127, 158ff, 164, 166, 296 – eschatologische 211, 215f, 254, 256 Mysteriengottheiten 243 Mysterienkult 239, 244, 247 Nachahmung / Mimesis 186–192, 275, 277 u.ö. – Leidensnachahmung 186, 188, 190–194, 196, 217f, 221, 226, 228, 263, 266, 277 – Todesnachahmung 211, 217f, 227ff, 266, 277 Nachfolge 189f Namensverleihung 104, 106f, 110f, 208 neues Sein 27f, 137f, 189 u.ö. Niedrigkeitsgesinnung / Demut 125f, 143ff, 147f, 155ff, 160ff, 167, 186, 188f, 293, 295 u.ö. Nomismus 170 Nomos 169 Norm 14f, 129f, 210 u.ö. Opfer 30, 127, 165, 185, 226, 240, 242, 245, 279ff ordo decurionum 45, 51f, 151f (ethische) Orientierung 14f, 17, 26, 46, 127, 129f, 138, 142ff, 150, 161, 174, 188ff, 195, 204f, 210ff, 252f, 256, 263, 265f, 268ff, 280, 294, 296 Paraklese / parakletisch 15ff u.ö. Parallelismus membrorum 82, 110, 118f Paränese / paränetisch 15ff u.ö. Parusie / Wiederkunft Christi 168, 177, 211f Parusieerwartung 214 Pastoralbriefe 259 pax divinum / pax deum 244 Performativ 128, 296
Personifikation von Abstraktionen 241, 249 Poesie 116–119, 123 Politeuma 171f, 207–212 u.ö. Polytheismus 240 positives Recht 15, 129, 260, 262 Präexistenter / präexistenter Christus 24, 85, 93, 96, 102, 108, 113f, 143, 178, 294, 297 Präexistenz 84, 93 Präsentation (Herrscher) 110 Prätorianer(garde) 66 Prätorium 58, 65f, 72, 75, 270f Prokurator 56 Prosa 117ff Proseuche 43, 45, 46 Proskynese 104–107, 109f, 117 Prostitution 252 Qumran
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Rechtfertigung 205 res rapienda 84, 86f, 178 res rapta 84, 86, 178, 286 res retinenda 84, 86, 178, 286 Retter (soter) 140, 207, 212f, 248 sacra publica 60, 240, 244f Schande 195f, 200 Schema Erniedrigung – Erhöhung 114, 121 Schicksal 24f, 100f, 242 u.ö. Schuld 232 Selbstentäußerung (Christi) 94, 96, 100–104, 107 u.ö. Selbsterniedrigung 102–104, 107, 114f, 295 u.ö. Silvanuskult 150 Soteriologie 80, 119f, 135 Sozialisation 147, 174f, 178, 203, 252 – Neu-Sozialisation 252, 264 – Primärsozialisation 12, 33, 57, 62, 129f, 133, 148f, 167, 211, 238, 252f, 263, 265f, 269, 298
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Sachregister
– Resozialisation 252 Staat 155, 171, 244 Status 54f, 146–149, 151–155, 157, 179ff, 198, 200f, 217, 267f, 287, 298 u.ö. Statuserhalt 149, 268 Statusgewinn 149, 268 Statuspreisgabe / Stausverzicht 114, 162, 180–182, 186–190, 192, 194, 211, 229, 253, 263, 294 Strafe – d. pagagen Götter 248 – d. jüd.-christl. Gottes 232ff, 236, 238 Sünde 97 Sylvanuskult 57 Synagoge 43–45, 61, 171f, 209, 292 Synkrisis 273f Tag Christi 161, 226f Taufe 27, 130, 180, 184 Tempel – Jerusalem 234 – pagan 239, 246, 252 Tetragramm 105 Textgattung 80, 116 Theodizee 100, 233 toga virilis 180 Tora 251, 299 (vorpaul.) Tradition / Traditionsstück 80f, 127, 208, 285f u.ö. Tränenbrief 289, 291 Transformation 138, 140 Tribus Voltinia 54, 179f Tugend 18, 119, 141, 147, 258f, 264 Tugendkatalog 261f
Tun-Ergehens-Zusammenhang 101, 233 Urbild 25 Urmensch-Erlöser
80,
24, 79
Vater (Gott) 92ff, 101, 105–108, 214, 278 ü.ö. Verfasserschaft – d. Psalms 80f, 214, 285f u.ö. – von Phil 2,8c 102, 104, 287 Verfolgung 171 Verheißung 163, 237, 244, 255f, 281f u.ö. Verherrlichung 208, 270, 274 Veteran 51ff, 224f Via Egnatia 39, 41–43, 51f, 54, 207 (Heils)Vollendung 35, 132, 140, 163, 168, 174, 177, 184f, 197, 201–204, 228, 255, 273f, 295 Vollkommenheit 36, 168–170, 201–204, 206, 217 Vollkommenheitsbewusstsein 32, 35, 147, 170, 174 Vorbild 17f, 135, 141f, 181, 192f, 229f, 274, 277, 293f, 297ff u.ö. Vorverständnis 13 Votivgabe 243 Weisheit (AT) 98, 100 Wert 15, 129f, 210f, 267–269 u.ö. Wertekonflikt 130, 149, 167, 174f, 211, 251, 266, 278, 282, 287, 298f Wettkampf 133, 166, 201, 225, 237 Wirken Gottes / göttliches Wirken 16, 33, 128, 131f, 158, 160f, 167, 175, 216, 266, 295f
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