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German Pages 236 [240] Year 1981
Franz Magnis-Suseno Javanische Weisheit und Ethik
Franz Magnis-Suseno
JAVANISCHE WEISHEIT UND ETHIK Studien zu einer östlichen Moral
R. Oldenbourg Verlag München Wien 1981
Gedruckt mit Unterstützung der Fritz Thyssen-Stiftung
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Magnis-Suseno, Franz: Javanische Weisheit und Ethik : Studie zu e. östl. Moral / Franz Magnis-Suseno. - München ; Wien : Oldenbourg, 1981. ISBN 3-486-50561-0
© 1981 R. Oldenbourg Verlag GmbH, München Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder ähnlichem Wege sowie der Speicherung und Auswertung in Datenverarbeitungsanlagen bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Werden mit schriftlicher Einwilligung des Verlages einzelne Vervielfältigungsstücke für gewerbliche Zwecke hergestellt, ist an den Verlag die nach § 54 Abs. 2 Urh.G. zu zahlende Vergütung zu entrichten, über deren Höhe der Verlag Auskunft gibt. Umschlagphoto: H. I. SSuhardiyanto Druck: R. Oldenbourg Graphische Betriebe ISBN 3-486-50561-0
VORWORT Seit 1961 lebe ich, von kurzen Unterbrechungen abgesehen, auf Java und unter Javanern. Über ermutigende, überraschende, manchmal erschrekkende und oft herzerwärmende Erfahrungen begann ich die Javaner zu verstehen und zu schätzen. In wachsendem Maße drängte sich mir Bewunderung auf für die spezifisch javanische Ausprägung kultivierter Menschlichkeit, die gelassene Lebensweisheit, die urbane, vom langen Atem einer großen Geschichte getragene Zuvorkommenheit, aber auch eine letzte Unnahbarkeit und Rätselhaftigkeit javanischer Menschen. Als Ethiker wünschte ich schon lange einmal, zu versuchen, die bestimmenden Koordinaten herauszufinden, unter denen sich die Vorstellungen der Javaner von einem richtigen, menschengerechten Leben begreifen ließen. Die Verwirklichung dieses Wunsches ermöglichte ein großzügiges Forschungsstipendium der Fritz Thyssen Stiftung in Köln. Allerdings ist die vorliegende Arbeit keine erschöpfende Darstellung javanischer Ethik, sondern ein erster Versuch, anthropologische und soziologische Daten aus der javanischen Gesellschaft unter philosophisch-ethischen Gesichtspunkten zu ordnen. Sie ist so gehalten, daß beim Leser keine Vorkenntnisse der javanischen Sprache vorausgesetzt werden. Eine diesem Vorwort folgende Erklärung der Aussprache des Javanischen und eine Liste aller vorkommenden javanischen Wörter, Ausdrücke und Namen, zusammen mit jeweils einer kurzen Sacherklärung, sollen eine weitere Hilfe darstellen. Im zweiten Kapitel findet der Leser überdies einen einleitenden Aufriß der javanischen Gesellschaft und Geschichte. Bei dieser Gelegenheit möchte ich all denen danken, ohne die diese Arbeit nicht zustande gekommen wäre. Platzmangel zwingt mich, nur einige von ihnen besonders herauszuheben. Mein besonderer Dank gilt der Fritz Thyssen Stiftung, insbesondere dem verstorbenen Dr. Gerd Brand für seine geduldige Förderung des Projektes. Sodann meinem verstorbenen Lehrer Drs. J. W. M. Bakker, der mich zuerst in die javanische Sprache und Kultur eingeführt hat. Ferner Drs. I. Kuntoro Wiryomartono, dem ich viele Anregungen verdanke, meinen Kollegen Drs. F. Danuwinata und Drs. R. Hardaputranta, die an dem Projekt mitgearbeitet und Teile des Manuskriptes gelesen haben. Ferner meinen javanischen Studenten, mit denen ich die meisten Punkte der Arbeit in Seminaren durchdiskutieren konnte. Besonders danke ich auch meinem Kollegen Dr. Kees Bertens, Dr. Jan Boelaars, Pater Dick Hartoko, Prof. Otfried Höffe und Prof. Piet Zoetmulder dafür, daß sie einen ersten Entwurf der
Vorwort
VI
Arbeit gelesen und mir wertvolle kritische Anmerkungen haben zukommen lassen, insbesondere auch Dr. Karl Graf Ballestrem, ohne dessen Insistenz das achte Kapitel nicht zustande gekommen wäre. Schließlich danke ich Frau Gerda Hähnlein, die das Manuskript nebst verschiedenen Korrekturen hervorragend getippt hat. Die Figur auf der Umschlagseite stellt Semar dar, den clownartigen Geieiter der Pandawas und geheimen Schutzpatron der Javaner. Jakarta, den 23. Juni 1980
Franz
Magnis-Suseno
INHALT Zur Rechtschreibung und Aussprache javanischer Wörter
X
Erstes Kapitel Einleitung
1
1. Der Sinn dieser Untersuchung 2. Moralische Fakten 3. Zur Methode dieser Untersuchung 4. Der Aufbau der Arbeit 5. Javanische Moral, zwei Festlegungen
1 2 4 7 8
Zweites Kapitel Einführung in die javanische Gesellschaft
10
1. Die Insel Java 2. Die javanische Gesellschaft 3. Die Stellung der Javaner in Indonesien 4. Aufriß der javanischen Geschichte a. Vorgeschichte b. Die ersten mitteljavanischen Reiche c. Die ersten ostjavanischen Reiche d. Das Reich von Majapahit e. Ankunft des Islams und folgende Entwicklung 5. Die religiöse Situation heute
10 12 20 21 21 23 24 26 29 34
Drittes Kapitel Zwei Grundprinzipien javanischen Zusammenlebens
37
1. Das Prinzip der Konfliktvermeidung a. Rukun b. Rukunpraxis c. Rukun und Gesinnung 2. Das Respektsprinzip 3. Moral der gesellschaftlichen Harmonie
37 37 38 48 54 62
Vili
Inhalt
Viertes Kapitel Javanische Weltanschauung
71
1. Das Numinose und die Welt a. Die numinose Einheit von Gesellschaft, Natur und Übernatur b. Koordination c. Der rechte Ort als Schlüsselkategorie 2. Das Numinose und die Macht a. Das Wesen der Macht b. Der König als Konzentration kosmischer Kraft c. Der Kraton als numinoses Reichszentrum d. Macht und Moral 3. Der numinose Grund des Ich a. Die Dewarucigeschichte b. Das Wissen von sangkan-paran c. Sangkan-paran als Lebenspraxis d. Zusammenfassung 4. Annahme des Schicksals
73 73 77 80 84 85 86 93 96 98 99 101 105 115 117
Fünftes Kapitel Allgemeine Koordinaten der javanischen Moral
119
1. Die rechte innere Einstellung 2. Das rechte Tun in der Welt 3. Der rechte Ort 4. Rechte Einsicht 5. Wayangmoral
120 124 128 133 136
Sechstes Kapitel Einige Sonderfragen
143
1. Familie, Familiarität und Respekt 2. Javanische Sexualmoral 3. Schwarze Magie 4. Semar
143 149 153 157
Siebtes Kapitel Moral als Lebensweisheit
165
1. Moral und Erkenntnis 2. Aktion entfällt 3. Die Stellung moralischer Tugenden 4. Relativierung von Gutund Böse 5. Moral und Aesthetik 6. Weisheitsmoral
166 169 171 175 178 179
Inhalt
IX
Achtes Kapitel Javanische Ethik und Relativismus
187
1. Unterschiede zwischen javanischer und westlicher Ethik 2. Ethischer Relativismus? 3. Entwicklungsstufen gesellschaftlichen moralischen Bewußtseins? . . . 4. Javanische und westliche Ethik
188 190 193 199
Liste javanischer Wörter, Ausdrücke und Namen Literaturverzeichnis Register Karte von Java ¡Historische Stätten Karte von Java: Großstädte und Sprachen heute
201 213 223 226 227
Zur Rechtschreibung und Aussprache javanischer Wörter Alle javanischen und indonesischen Wörter wurden konsequent, auch in Zitaten, nach der neuen offiziellen Schreibweise von 1972 geschrieben, jedoch mit folgenden Besonderheiten: Für die Wörter „Java", „Javaner" und „Javanisch" wurde die gewohnte deutsche Schreibweise benutzt. Das javanische offene a (ein offener o-Laut), das traditionell mit a, heute aber in wachsendem Maße mit o (das an sich einen geschlossenen o-Laut ausdrückt) geschrieben wird, schreibe ich als â. Der Unterschied zwischen d und d sowie t und t wird vernachlässigt. Für die Aussprache gilt: alle Vokabeln werden mittellang ausgesprochen. Die Betonung (die im gesprochenen Javanisch durch die Satzmelodie mitbestimmt wird) kann auf die vorletzte Silbe gelegt werden. Alle im Folgenden nicht aufgeführten Buchstaben werden ähnlich wie im Deutschen ausgesprochen. â = o in Ohr. c = ch im englischen „chess", auch vor a, o, u. e = e in „offen", é = e in „Eva", è = e in „Eck", h = h in „Haus". h am Silbenene: wie ch in „ach", aber ganz leicht, j = j im englischen „just", k am Silbenende wird verschluckt, ng = ng in fangen, auch am Wortanfang, ny = gn im französischen „signer", o = o in „Ofen", oe = u in „Ufer", r = gerolltes Zungen-r. s = ss in „essen". sy = Mittellaut zw. sch („Schaf") und ss („fassen"), w = w im englischen „wall", y = j in „jagen".
Erstes Kapitel EINLEITUNG 1. Der Sinn dieser Untersuchung Zu den großen Kulturen Asiens gehört auch die javanische, die inzwischen auf eine zweitausendjährige Entwicklungsgeschichte zurückblicken kann. Sie hat sich bis heute in ihrer Eigenart behauptet. Ihre Werte und Handlungsmuster bestimmen heute noch weitgehend das Verhalten von über sechzig Millionen Javanern. Javaner spielen im modernen Inselstaat Indonesien die dominierende Rolle1. Javas Tänze, sein Schattenspiel und der fremdartig sanfte Klang des GamelanOrchesters haben für den Besucher nichts von ihrem geheimnisvollen Zauber verloren. Seit langen haben sich namhafte Gelehrte mit der Geschichte, der Kultur, der Literatur und den Gesellschaftsstrukturen der Javaner beschäftigt. Umso erstaunlicher ist es allerdings, daß bisher keine Arbeit speziell über javanische Moralvorstellungen geschrieben wurde. Zwar gibt es einige ausgezeichnete anthropologische und soziologische Untersuchungen über die javanische Gesellschaft,2 in denen auch zahlreiche Elemente aus dem Bereich der Moral zur Sprache kommen, doch sind diese Elemente nirgends systematisch dargestellt. Das Fehlen spezifischer Untersuchungen zu javanischen Moralvorstellungen ist aus drei Gründen zu bedauern. Erstens muß es für alle, die an Indonesien und speziell an Java, sowie darüber hinaus an asiatischem Denken überhaupt interessiert sind, von Interesse sein zu wissen, wie in der javanischen Gesellschaft die Frage nach den grundlegenden Lebensregeln und den sie fundierenden Werten beantwortet wird. Was sehen diese Menschen als ihre Pflicht und Verantwortung an, welches ist ihre Idee vom richtigen Leben, welche Haltungen sind ihnen wertvoll, worin sehen sie Tugend und wie beurteilen sie ihre Laster? Zweitens aber leben wir heute in einem Zeitalter, in dem die Welt immer mehr zusammenwächst. Immer weniger Vorgänge können in ihren Auswirkungen noch auf bestimmte Gebiete begrenzt werden. Damit ist auch das 1 2
Für genauere Angaben siehe 2. Kapitel. Sie werden in den Anmerkungen der folgenden Kapitel genannt.
2
Einleitung
Konfliktpotential der Menschheit ins Ungeheure gestiegen. Um dieses zu entschärfen, ist eine Optimierung der interkulturellen Kommunikation ein dringendes Erfordernis. Dazu, so meine ich, gehört auch das Bemühen um eine bessere Kenntnis der moralischen Vorstellungen der verschiedenen Gesellschaften. Gerade wenn sich herausstellen sollte, daß in der Tat tiefgreifende Unterschiede in den grundlegenden Anweisungen zur Bewältigung des Lebens bestehen, ist ein interkultureller Dialog besonders notwendig. Drittens schließlich könnte ein Zurkenntnisnehmen javanischer Moralvorstellungen auch etwas für die philosophische Ethik abwerfen. Das gilt zum Beispiel für die Frage des ethischen Relativismus, also das Problem der Gemeinsamkeit und Verschiedenheit der moralischen Auffassungen der Menschheit. Es stellt sich auch die Frage, ob die Untersuchung einer Moral wie der javanischen etwas zu der von Jürgen Habermas im Anschluß an Lawrence Kohlberg gestellten Frage beiträgt, ob man, wie beim Inividuum, so auch bei ganzen Gesellschaften von Stufen der Entwicklung des moralischen Bewußtseins sprechen kann. Darüber hinaus, meine ich, sollte sich die philosophische Ethik überhaupt mehr darum bemühen, die moralischen Vorstellungen verschiedener Kulturen systematisch zur Kenntnis zu nehmen. Die heutige philosophische Ethik hat sich geschichtlich im europäischen und nordamerikanischen Kulturkreis entwickelt. Es ist daher anzunehmen, daß ihr Selbstverständnis, ihre allgemeine Ausrichtung, ihre Fragestellungen und auch ihre Antworten durch ihren Bezug auf die in diesem Kulturkreis tatsächlich vorhandenen Moralvorstellungen mitbestimmt wurden. Damit stellt sich aber die Frage, wie repräsentativ die westliche Ethiktradition überhaupt ist. Die Konfrontation mit den moralischen Fakten anderer Kulturen könnte dazu zwingen, Annahmen der westlichen philosophischen Ethik in Frage zu stellen oder zumindest ihre Allgemeingültigkeit zu relativieren, ja sie könnte emeut die Frage aufwerfen, was überhaupt Sinn und Aufgabe philosophischer Ethik sei.
2. Moralische Fakten So stellt sich zum Beispiel die Frage, welche Gegegenheiten innerhalb einer Gesellschaft überhaupt als moralischè Fakten anzusprechen sind, als Gegenstand der Ethik. Gerade hier hat ja die europäische Ethik eine bemerkenswerte Entwicklung durchgemacht. In der alten griechischen Ethiktradition glt als Kernfrage der Ethik die nach dem höchsten Gut für den Menschen. Ethik war die Wissenschaft vom richtigen Leben. Sie sah es daher als ihre Hauptaufgabe an, den Weg zu einem gelingenden Leben zu weisen. Worin dieses bestand, bzw. wie es zu erreichen sei, daran schieden sich die Schulen. Allgemein jedoch wurde Ethik zur Lebensweisheit: sie wies dem weisen Manne den Weg zu einem Optimum an sinnvoller Existenz. Inzwischen hat sich aber in der westlichen Ethik die Fragestellung erheb-
Moralische Fakten
3
lieh verSchobên. Seit Kant den Eudämonismus als vormoralischen Standpunkt disqualifizierte, ist, wie Wilhelm Kamiah feststellt,3 die Frage nach den Möglichkeiten eines gelingenden Lebens aus den Ethikbüchern verschwunden. Ethik wurde weitgehend auf Pflichtenethik reduziert. Unter westlichen normativen Ethikern scheint heute stillschweigende Übereinstimmung darüber zu bestehen, daß Ethik mehr sei als die Lehre von der Kunst vernünftigen Lebens. Moralische Werte werden, um eine Formulierung Dietrich von Hildebrands aufzugreifen, als Werte angesehen, die durch eine „vollständig verschiedene Seriosität... von allen anderen Personwerten abgesetzt" sind.4 Das gilt nicht nur für Ethiker, die Kants Betonung des kategorischen Charakters des moralischen Sollens für eine der entscheidendsten Entdeckungen in der Geschichte der Ethik halten.5 Es gilt auch für einige neuere Ethiken analytischer Provenienz, insofern sie sich mit normativen Fragen befassen. William Frankena, einer der Bahnbrecher analytisch operierender normativer Ethik, begründet bezeichnenderweise seine Auffassung, daß ein ethischer Egoismus als Basis für eine Gesamtmoral unzureichend sei, mit dem Argu J ment, daß dieser nur Klugheitsregeln aufstellen könne, daß „das Prinzip der Klugheit oder der aufgeklärten Selbstliebe (aber) einfach nicht in den Zusammenhang der Moral" gehöre.6 Nach dieser Auffassung muß die Menge aller moralischen Regeln mehr als bloße Regeln aufgeklärter Selbstliebe enthalten. Wie immer man sich zu dieser Auffassung stellen mag, als Ausgangspunkt für die Untersuchung der Moral eines Kulturraumes käme die Reduzierung von Moral auf Pflichtenmoral einer apriorischen Engführung gleich. Es muß sich aposteriori ergeben, ob alle existierenden Moralen als Pflichtenmoral anzusprechen sind, oder ob es Gesellschaften gibt, die nur Klugheitsregeln kennen, oder vielleicht Moralsysteme ganz anderen Charakters. Solchen Gesellschaften dann „eigentliche Moral" überhaupt abzusprechen, würde zwar 3 4 5 6
Kamiah, 145-147. von Hildebrand, 172. Vgl. Reiner 1964, 121; Reiners eigene Auffassung vom kategorischen Imperativ findet sich in Reiner 1974, 176. Frankena, 39; bezeichnend ist, daß Frankena Urteile über die moralische Richtigkeit oder Falschheit von Handlungen einfachhin als moralische Verpflichtungsurteile bezeichnet (2); daß moralische Urteüe über Handlungen Verpflichtungen beinhalten, nicht etwa bloß sapientiale Ratschläge, scheint als selbstverständlich zu gelten. In vergleichbarer Weise wollen z.B. Garner und Rosen die Behauptung, „everybody has the right, at all times, to act in his own interest" dadurch zu Fall bringen, daß sie von der Annahme ausgehen, es läge in S's Interesse, seine Frau und Kinder umzubringen usw., und dann aufzeigen: „Certainly no one who was not blinded by an adherence to ethical egoism would be willing to assent that S did in fact have the right to do these things." (R. T. Garner/B. Rosen, 51). Meinen sie damit, daß S' Auffassung moralisch nicht akzeptabel sei, oder, daß es keine Moral gäbe, in der S' Auffassung akzeptiert würde? Im ersten Fall handelte es sich um einen Zirkelschluß, da es ihnen ja gerade um die Frage geht, ob ein ethischer Egoismus moralisch haltbar ist; im zweiten Fall scheint ihre Auffassung durchaus durch gegenteilige Tatsachen erschüttert werden zu können.
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Einleitung
keine Widersprüche implizieren7, widerspräche aber dem allgemeinen Sprachgebrauch, dem zufolge man in allen Gesellschaften Formen von Moral finden kann. Dementsprechend enge ich im Folgenden den Begriff Moral nicht auf Verpflichtungsmoral ein. Ich verstehe hier vielmehr unter Moral die Gesamtheit derjenigen Normen und Wertvorstellungen, an denen die Menschen der betreffenden Gesellschaft ablesen können, wie sie zu leben haben, um richtig zu leben, in denen sie also eine Antwort auf die Frage finden: wie sollte ich mich verhaltep, auf daß mein Leben gelinge? Dabei kann unter „gelingen" alles verstanden werden: das Erreichen eines Maximums an Vergnügungen, soziale Anerkennung, die Erfüllung des Willens Gottes, ein Optimum an Glück, die Übereinstimmung mit einer als absolut bindend eingesehenen Verpflichtung usw. Moralische Fakten sind demnach alle Gegebenheiten der betreffenden Gesellschaft, die eine Antwort auf die Frage nach einem gelingenden Leben enthalten, in denen Einzelne oder Gruppen die grundlegenden Anweisungen zur Gestaltung ihres Lebens erblicken. 3. Zur Methode dieser Untersuchung Diese Untersuchung ist in zweierlei Hinsicht begrenzt. Einmal beansprucht sie keineswegs, eine umfassende Gesamtdarstellung der javanischen Moral zu geben. Vielmehr beschränkt sie sich darauf, einige charakteristische Strukturen dieser Moral herauszuheben. Sie will nicht mehr als ein erster Versuch sein, der vielleicht zu einer intensiveren Beschäftigung mit der javanischen Moral Anregungen geben kann. Zweitens beruht diese Untersuchung nicht auf eigenen Feldforschungen des Verfassers, sondern nimmt ihr Material aus der anthropologischen und soziologischen Literatur der letzten 30 Jahre über die javanische Gesellschaft. Mein eigener Beitrag besteht in der Auswahl, Gewichtung und Interpretation dieser Daten. Zu dieser theoretischen Auswertung enthält die vorhandene Literatur wertvolle Hinweise, doch basiert sie letzten Endes auf meinem eigenen intuitiven Verständnis der javanischen Gesellschaft, wie ich es in den über 18 Jahren gewonnen habe, die ich bisher in der indonesisch-javanischen Gesellschaft verbringen durfte. Der Leser erwarte also keine neuen empirischen Erkenntnisse aus dieser Arbeit. Dieser Mangel muß nicht nur ein Nachteil sein. Jedenfalls dann nicht, wenn der Ethiker, wie der Verfasser, keine gediegene anthropologische Schulung genossen hat. Denn der Versuch, die grundlegenden Lebensauffassungen einer Gesellschaft erheben zu wollen, ist mit großen Schwierigkeiten befrachtet. Es scheint mir sinnvoll, auf diese etwas ausführlicher einzugehen. 7
G. J. Warnock, 7 - 1 1 , findet eine solche Annahme sogar plausibel.
Methode der Untersuchung
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Es sind, vor allem zwei Überlegungen, die zeigen, wie problematisch allzu simplistische Versuche auf anthropologischem Gelände sind. Erstens, es dürfte überhaupt unmöglich sein, eine Felduntersuchung, in der es also um die Erhebung von Primärinformationen geht, auf das Gebiet der Moral allein zu beschränken. Denn dazu müßte man mit Fragen arbeiten, die sich auf moralische Kategorien beschränken. Woher weiß man aber, daß diese Kategorien überhaupt auf die besondere Moral der zu untersuchenden Gesellschaft anwendbar sind? Benützt man etwa die Kategorie „verpflichtet", so frägt sich immer noch, was in dieser Gesellschaft überhaupt unter „verpflichtet" verstanden wird, und darüber hinaus, inwiefern das in der fremden Spräche dafür benützte Wort (im Javansichen z.B. das Wort ,,ννα/iò") überhaupt denselben Begriff wie das deutsche Wort bezeichnet. Auf diese Weise läßt sich grundsätzlich nicht die Möglichkeit vermeiden, daß die so gewonnenen Informationen nur der Widerhall dessen sind, was der Untersucher durch seine apriorischen Kategorien auf diese Gesellschaft projeziert hat, während andrerseits die wahrhaft relevanten Auffassungen vielleicht gar nicht erfaßt werden, da die Maschen des apriorischen Kategoriennetzes zu weit für sie sind. Am Anfang einer Untersuchung der moralischen Vorstellungen einer Gesellschaft kann überhaupt nur eine umfassende Zurkenntnisnahme der Weltsicht, Auffassungen usw. der betreffenden Gesellschaft stehen, und erst daraus lassen sich dann auch die spezifisch moralischen Daten herauslesen. Diese umfassende Zurkenntnisnahme aber kann in verantwortlicher Weise nur nach den Methoden der einschlägigen Wissenschaften wie der Kulturanthropologie, Soziologie usw. geleistet werden. Zweitens aber übersieht jeder Versuch, Informationen über Ansichten, Auffassungen, Vorstellungen, Ideale, Wertungen usw., die für das befragte Subjekt einen „existenziellen" Stellenwert haben (die also eine Funktion im Bemühen des Subjektes um die Strukturierung seiner äußeren und inneren Erfahrungen und damit um Sicherstellung seiner Existenz haben), durch direkte und objektive, d. h. den subjektiven Zustand des Befragten nicht einbeziehende Befragungen zu erhalten, eine grundlegende Regel· für gelingende Kommunikation. Diese besagt, daß die Bedeutung einer Antwort nur im Zusammenhang mit dem konkreten Kommunikationskontext korrekt erfaßt werden kann, dessen Produkt sie ist. Eine Antwort ist nie nur das Überreichen eines objektiven Informationsbrockens, so wie man im Kaufhaus den gewünschten Wecker überreicht bekommt und nach Hause tragen kann. Der semantische Inhalt einer Antwort ist immer nur ein Teil dessen, was - in einem „ehrlichen" Dialog — nach den Regeln korrekter Kommunikation der betreffenden Gesellschaft die angebrachte Reaktion auf eine Fragesituation ist. Verabsolutiert man ihn, so muß es zu schwerwiegenden Fehldeutungen kommen. Denn es ist keineswegs apriori ausgemacht, daß die angebrachte Reaktion auf eine Frage unbedingt in der verbal-inhaltlich korrekten Antwort bestehen muß. Für javanische Kommunikation z.B. gilt die Regel, daß man keine Antworten geben soll, die den Gesprächspartner enttäuschen
6
Einleitung
könnten. Dieser Regel zuliebe darf sogar eine Unrichtigkeit im verbalinhaltlichen Informationsgehalt in Kauf genommen werden. Der Javaner wird also eine Antwort geben, von der er erwartet, daß sie dem Fragenden gefällt. Erst unter dieser Voraussetzung gibt er eine verbal-inhaltlich richtige Antwort. Es ist also unmöglich, allein aus dem Wortlaut einer Antwort und ohne Berücksichtigung des Kontextes, der Mimik, der emotionellen Gesamtsituation, des gegenseitigen Bekanntheitsgrades und der persönlichen Eigenarten des Antwortenden entnehmen zu wollen, was nun tatsächlich objektiv die Auffassung des Befragten zur Sache ist.8 Die Daten, die ich der anthropologischen Fachliteratur entnehme, in denen die javanischen Moralauffassungen zum Ausdruck kommen, befrage ich auf ihre Rationalität, um so die Struktur der javanischen Moral aufzudecken. Das heißt, ich versuche, diese Daten verstehbar zu machen. Dazu versuche ich einerseits, normativ-logische Zusammenhänge zwischen moralischen Auffassungen herauszuheben und dadurch zu den grundlegenden normativen Annahmen zu gelangen. Andrerseits versuche ich zu zeigen, daß die normativen Annahmen in einen Zusammenhang mit den deskriptiven Überzeugungen der javanischen Weltanschauung gebracht und von daher verständlicher gemacht werden können. Zu diesem Zwecke stelle ich die Frage, ob sich das, was Gegenstand moralischer Normen der javanischen Gesellschaft ist, im Rahmen dieser deskriptiven Überzeugungen als der Maximierung von Glück oder der Minimalisierung von Frustrationen förderlich erweisen könnte. Eine moralische Auffassung wäre danach in dem Maße verstehbar oder rational, als sie in einem Bezug auf das Bemühen um Frustrationsvermeidung unter den Bedingungen der Strukturen der Gesamtwirklichkeit, wie sie der Javaner sieht, gebracht werden kann. Daraus ergibt sich eine verstehbare Struktur der javanischen Moral. Diese versuche ich schließlich nach den Kategorien der philosophischen Ethik zu typisieren und daraus gegebenenfalls einige allgemeine Schlußfolgerungen zu ziehen. Es dürfte klar sein, daß sowohl die Auswahl und Gewichtung der primären Daten als auch deren Strukturierung nach dem Gesichtspunkt der Verstehbarkeit von vornherein Interpretationen implizieren. Beides geschieht not8
Jay (1969, Einleitung) unterscheidet zunächst zwischen den Vorstellungen der Subjekte über ihr Verhalten und ihrem tatsächlichen, vom Anthropologen beobachteten Verhalten. Was in einer Gesellschaft normativ ist, kann nicht nur aufgrund der Auffassungen der Mitglieder dieser Gesellschaft darüber allein beantwortet werden. Ferner unterscheidet Jay zwischen verschiedenen „levels of conception" der Individuen einer Gesellschaft von ihrem Verhalten. Auf oberster Ebene bekommt der Fremde die offiziell sanktionierten normativen Ideale der Gruppe zu hören. Eine mittlere Ebene ist etwa die der Alltagsregeln. Die dritte Ebene eröffnet sich in spontanen, in konkreten Situationen gegebenen Werturteilen, Aufforderungen, Zustimmungen, Ablehnungen usw. Sie ist einem Fremden praktisch unzugänglich, da der Javaner in Anwesenheit von Fremden nicht spontan reagiert. Erst langsam gelang es Jay im Laufe seines zweijährigen Aufenthaltes in Mojokuto, mit seinem Hausherrn und einigen Nachbarn ein Verhältnis genügender Familiarität aufzubauen, so daß sie sich ihm gegenüber spontan äußern konnten.
Aufbau der Arbeit
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wendigerweise aus einer subjektiven Perspektive. Diese ist bestimmt durch meine eigene nichtwissenschaftliche Perception der javanischen Gesellschaft, wie ich sie durch eigenen jahrelangen Kontakt gewonnen habe, sowie durch Auffasungen, die in den Darstellungen der benützten Fachliteratur enthalten sind. Eine solche Perspektive ist unvermeidlich. Ihre Korrktheit muß sich einerseits daran erweisen, daß meine Interpretationen allen anderen Fakten der javanischen Gesellschaft gegenüber aufrechterhalten werden können, und andrerseits daran, daß kompetente Javaner sie akzeptieren können. Überdies schien es mir auch korrekter zu sein, die theoretischen Strukturen, die ich in der javanischen Moral zu sehen meine, in kräftigen Strichen zu ziehen und dadurch deutlich auszusagen, was ich zu sehen glaube. Je ausdrücklicher eine Interpretation, desto offener steht sie der Kritik und desto mehr dient sie dadurch dem Fortschritt der Erkenntnis. Schwach gezeichnete „Fakten" dagegen können weniger kritisiert werden und enthalten daher auch weniger an Information. Im folgenden zeichne ich daher Muster und Beziehungen eher zu scharf als zu schwach, eher zu eindeutig als zu unbestimmt, ich riskiere eher die Gefahr von Überinterpretationen als von Unterinterpretationen in der Hoffnung, dadurch klare Positionen zü erstellen, die in jedem Fall, sei es in ihrer Positivität, sei es dadurch, daß sie spezifisch negiert werden, unser Verständnis der javanischen Gesellschaft vertiefen.
4. Der Aufbau der Arbeit Das folgende zweite Kapitel soll den mit der javanischen Kultur noch nicht vertrauten Leser in diese einführen, um so einen Hintergrund für die Darstellung der javanischen Moral zu gewinnen. Es enthält eine geraffte Darstellung der javanischen Gesellschaft und ihrer Geschichte. Dabei beschränke ich mich darauf, die Ergebnisse der einschlägigen Forschungen zu referieren. Im dritten Kapitel beginnt die eigentliche Untersuchung. Ich untersuche darin die zwei grundlegenden normativen Prinzipien, nach denen der Javaner seinen gesellschaftlichen Verkehr stets einzurichten hat. Im vierten Kapitel stelle ich unter vier Gesichtspunkten die deskriptiven Elemente der javanischen Auffassung vom Wesen der Gesamtwirklichkeit dar, auf deren Hintergrund die beiden Prinzipien des dritten Kapitels verständlich werden; auch hier beschränke ich mich wieder auf eine Systematisierung dessen, was andere Fachgelehrte bereits erarbeitet haben. Das fünfte Kapitel untersucht die grundlegenden moralischen Einstellungen, die die javanische Gesellschaft von ihren Mitgliedern erwartet. Dabei wird sich zeigen, daß sowohl die beiden Prinzipien des zwischenmenschlichen Umgangs als die deskritptiven Elemente der javanischen Weltanschauung mit diesen Haltungen ein rationales, verstehbares Ganzes bilden, dem Javaner aber einen sinnvollen Lebensentwurf anbieten. Ergebnis dieses Kapitels soll die logische Hintergrundstruktur der javanischen Moral sein. Im sechsten Kapitel behandle ich
g
Einleitung
einige untereinander nicht verbundene Sonderfragen, die dazu dienen sollen, einige systematische Punkte zu testen, zu klären und gegen mögliche Mißverständnisse abzusichern. Das siebente Kapitel versucht, die herausgestellte javanische Moral unter verschiedenen philosophischen und speziell ethischen Gesichtspunkten in ihrer theoretischen Eigenart in den Blick zu bekommen. In einem abschließenden achten Kapitel schneide ich zwei Fragen an : was ergibt sich aus der Betrachtung der javanischen Moral für das Problem des ethischen Relativismus, und was für die These von kulturinvarianten Stufen des moralischen Bewußtseins von Gesellschaften?
5. Javanische Moral, zwei Festlegungen Es bleiben noch zwei Festlegungen. Wir haben bisher von javanischer Moral, von javanischer Gesellschaft und von Javanern gesprochen. Hier ist festzulegen, was unter „javanisch" und „Javaner" zu verstehen ist. Soziologisch gesehen ist unter „Javaner" der javanisch sprechende Teil der Bewohner der Insel Java verstanden. Innerhalb der Javaner ist nochmals zwischen zwei ziemlich scharf gegeneinander abgehobenen, geographisch aber miteinander vermischten Gruppen zu unterscheiden, eine Unterscheidung, die auch den Javanern selbst geläufig ist. Zur ersten Gruppe gehören diejenigen, die sich nich nur, wie mindestens 85 Prozent aller Javaner, irgendwie zum Islam bekennen, sondern ihr Leben bewußt aus dem Islam gestalten wollen. Sie halten, wenn auch in verschiedener Intensität, die religiösen Pflichten des Islam ein und orientieren sich kulturell nach Arabien; dieser Gruppe gehören gut 30 Prozent aller Javaner an; sie werden oft santri genannt. 9 Die übrigen, oft abangan oder, wissenschaftlicher, Synkretisten genannt, nennen sich zwar auch Muslim, halten sich aber nicht an die islamische Pflichtenlehre und sind auch nicht bemüht, ihr Leben aus dem Islam zu gestalten. Ihr religiöses Leben ist durch eine zweitausendjährige Integrierung von hinduistischen, buddhistischen und islamischen Elementen mit einem originären Javanismus bestimmt; diese Bevölkerungsgruppe sieht sich zugleich als Träger der javanischen Kultur. 10 In dieser Arbeit beschränke ich mich auf die zweite Gruppe, die sog. abangan, also die Javaner „javanistischer Weltanschauung"; die santri bleiben aus unserer Untersuchung ausgeschlossen, was nicht heißt, daß vieles, was hier nur für die abangan behauptet wird, nicht auch für die santri zutrifft. Zweitens ist hier eine methodische Begrenzung notwendig. Auch wenn in dieser Arbeit ständig von „Javanern" gesprochen wird und das Bild der javanischen Moral aus empirisch-soziologischem Material über die Javaner gewonnen wird, so ist damit doch nicht behauptet, daß es auch nur einen einzi9 10
Vgl. Anm. 12 des zweiten Kapitels; hier sind die Maduresen nicht einbezogen. Vgl. Kodiran 339f.; Koentjaraningrat 1960, 91 f., Muskens 98; ausführlicher darüber im folgenden Kapitel.
Javanische Moral
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gen Javaner oder eine einzige Gruppe von Javanern gibt, deren moralische Auffassungen mit den hier dargestellten identisch sind. Soziologisch gesprochen kann heute von einer javanischen Kultur und Moral nur noch auf einem hohen Abstraktionsniveau gesprochen werden. Es gibt kaum noch Gegenden, die nicht von dem als Modernisierung bezeichneten umfassenden Umwälzungsprozeß betroffen sind. Die javanische Gesellschaft und die Haltung ihrer Individuen unterliegen tiefgreifenden Veränderungen und Differenzierungen. Streng genommen ist das von mir dargestellte und „javanische Moral" genannte System ein theoretisches Konstrukt. Es ist nicht das Gemälde einer vorhandenen oder früher einmal vorhanden gewesenen Moral, sondern die Konstruktion des Idealtyps einer Moral, so wie sie idealerweise wäre, wenn es sie in Reinkultur gäbe. Javanisch nenne ich dieses Konstrukt, weil es aus Elementen zusammengesetzt wurde, die der javanischen Gesellschaft, wie sie bis heute existiert, entnommen wurden, und weil es den Anspruch erhebt, ein geeignetes Modell zu sein, um die moralischen Auffassungen von Javanern heute zu verstehen, daß also ein Verständnis dieses Modells für das Verständnis der Moralauffassungen heutiger Javaner hilfreich ist. Das gilt besonders für Javaner, die noch in einigermaßen intakten traditionellen Gesellschaftsstrukturen leben, doch soll das Modell auch eine Hilfe zum Verständis von Haltungen, Gefühlen und Handlungen von bereits in höherem Grade durch den Modernisierungsprozeß beeinflußten Javanern sein.
Zweites Kapitel EINFÜHRUNG IN DIE JAVANISCHE GESELLSCHAFT Um die javanische Lebenspraxis und Weltanschauung in ihrem realen Kontext begreifen zu können, möchte ich in diesem Kapitel einen kurzen Aufriß der javanischen Umwelt, Gesellschaft und Geschichte geben.
1. Die Insel Java Java gehört zusammen mit Sumatra, Kalimatan (Borneo) und Sulawesi (Celebes) zu den sog. großen Sundainseln, die wiederum einen Teil der indonesischen Inselwelt bilden. Das indonesische Archipel ist der größte Inselkomplex der Welt. Es besteht aus über 13 000 Inseln, die den Raum zwischen dem südostasiatischen Festland, den Philippinen und Australien füllen und den Stillen Ozean mit dem Indischen verbinden. Wie ein Gürtel winden sie sich um den Äquator. Politisch gehört Java zur Republik Indonesien. Diese erstreckt sich von der Nordwestspitze Sumatras bis zum Süden von Westirian (der indonesischen westlichen Hälfte der Insel Neuguinea) über eine Länge von 5 400 Kilometern und eine nordsüdliche Breite von etwa 1900 Kilometern. Die Nationalsprache, das Indonesische, ist eine modernisierte Form des Malayischen und wird nur von einigen hunderttausend Indonesiern als Muttersprache gesprochen. Alle anderen Indonesier sprechen als Muttersprache eine der etwa 250 verschiedenen Regionalsprachen, von denen beinahe alle zur großen Familie der austronesischen Sprachen gehören.1 Die Insel Java selbst ist etwa 1100 km lang und durchschnittlich 120 km breit. Sie liegt zwischen dem 5. und dem 8. südlichen Breitengrad. Mit 132187 Quadratkilometern (einschließlich der anliegenden kleinen Insel Madura; zum Vergleich: die Deutsche Bundesrepublik umfaßt 248 577 Quadratkilometer) umfaßt sie knapp sieben Prozent der Landmasse Indonesien. Sie besteht aus Tiefebenen mit fruchtbaren vulkanischen Böden, einigen trockenen Karstlandschaften vor allem im Süden der Insel und zahlreichen zum Teil noch aktiven Vulkanen, von denen sich 15 über eine Höhe von mehr als 3 000 Metern erheben. Das Klima auf Java ist tropisch. In den Tiefebenen 1
Stöhr 1976, 3.
Die Insel Java
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liegt die dùrchschnittliche Temperatur zwischen 26 und 27 Grad Celsius und der Unterschied zwischen dem höchsten und dem tiefsten Monatsdurchschnitt ist geringer als ein Grad. Im allgemeinen steigt das Thermometer nicht über 33 Grad am Mittag und fällt nicht unter 22 Grad in der Nacht. Die durchschnittliche Luftfeuchtigkeit schwankt zwischen etwa 85 Prozent im feuchtesten und 73 Prozent im trockensten Monat. Mit zunehmender Höhe wird das Klima schnell gemäßigt und angenehm. Java kennt keinen Winter und Sommer, aber es gibt einen einigermaßen deutlichen Unterschied zwischen Regenzeit und Trockenzeit, obwohl auch in der Trockenzeit, besonders im nördlichen und westlichen Teil der Insel, immer wieder Regen fällt.2 Von den etwa 140 Millionen Indonesiern insgesamt (die sich mit einer Geschwindigkeit von etwa 2,1 Prozent im Jahr vermehren) leben etwa 90 Millionen (oder 64 Prozent) auf Java und Madura, die demnach mit einer durchschnittlichen Bevölkerungsdichte von 680 Menschen pro Quadratkilometer zu den am dichtesten besiedelten Gebieten der Erde gehören.3 Da aber auf Java die Landfläche infolge ihrer unterschiedlichen Fruchtbarkeit keineswegs gleichmäßig besiedelt ist - in West- und Ostjava gibt es größere sehr dünn bewohnte Gegenden — ist die tatsächliche Bevölkerungsdichte in dicht bewohnten Gegenden um ein Vielfaches größer. Auf dem Lande rund um Malang in Ostjava beträgt die Bevölkerungsdichte zum Teil über 2 000 Einwohner pro Quadratkilometer." Ursprünglich war Java mit tropischem Regenwald bedeckt, doch hat die dichte Besiedlung zu einer ständigen Verminderung des Waldbestandes geführt, was zunehmende Erosionsschäden und Überschwemmungen zur Folge hat. Heute gibt es nur noch im äußersten Südwesten und Südosten Javas größere zusammenhängende Urwaldgebiete, sowie in den höheren Bergregionen . In den Tiefebenen, aber auch auf Terrassen an den Abhängen der Berge wird Reis gepflanzt, in manchen Gegenden abwechselnd mit Zuckerrohr oder Tabak. Wo Bewässerung nicht möglich ist, pflanzt die Bevölkerung Cassave, Mais und zahlreiche andere Saaten an. In hügeligen Gegenden befinden sich gut versorgte staatliche und private Großplantagen für Gummi, Tee, Kakao, Kaffee, Muskatnüsse, Gewürznelken, Chinin und anderes, sowie ausgedehnte Teakholzwälder. Auf Java liegen die wichtigsten Großstädte Indonesiens: im Westen der Insel die Hauptstadt Jakarta, ferner die Bergstädte Bandung und Bogor; an der Nordküste der Insel von Westen nach Osten die Hafenstädte Cirebon, Pekalongan, Semarang und Surabaya, im Inneren Mittel- und Ostjavas die Fürstenstädte Surakarta und Yogyakarta sowie die Städte Madiun, Kediri und Malang.5 2 3 4 5
Siehe Statistik, 1-17. Siehe Statistik, 3, 23. Koentjaraningrat 1975 b, 30. Wertheim, 18 f.
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2. Die javanische Gesellschaft Auf Java werden ursprünglich vier verschiedene Sprachen gesprochen. Die alteingeessenen Bewohner der Hauptstadt Jakarta (die heute nur noch etwa zehn Prozent der Gesamtbevölkerung Jakartas von über fünf Millionen ausmachen) sprechen einen bestimmten Dialekt des Malayischen. Im mittleren und südlichen Teil von Westjava wird Sundanesisch gesprochen, während im Norden und Osten von Ostjava die zahlreichen Einwanderer von Madura ihre Sprache beibehalten haben. Im restlichen Java spricht man Javanisch. Doch unterscheidet sich das Javanische, das in den Ebenen der Nordküste Westjavas, von Bauten im Westen bis Cirebon gesprochen wird, erheblich vom „eigentlichen" Javanisch. Dieses wird in Mittèl- und Ostjava gesprochen. Unter Javanern versteht man in Indonesien — und verstehen wir hier die Sprecher dieses eigentlichen Javanischen. Javaner sind also die javanisch sprechenden Bewohner im mittleren und östlichen Teil der Insel Java. Heute leben zahlreiche Javaner als Beamte, Techniker, Lehrer, aber auch als Umsiedler auf anderen Inseln; sie haben zum großen Teil Sprache und Brauchtum beibehalten. Es dürfte heute schon etwa 63 Millionen eigentlicher Javaner geben. 6 Innerhalb des javanischen Kulturraumes wird noch einmal unterschieden zwischen den Bewohnern der Nordküste, wo Handelsbeziehungen, Fischereigewerbe und besonders starker islamischer Einfluß zu einer spezifischen Ausprägung der javanischen Kultur geführt hat, diepeswir-Kultur („Küstenkultur") genannt wird, und den javanischen Kerngebieten, oft Kejawèn genannt, die ihr kulturelles Zentrum in den sog. Fürstenstädten Surakarta und Yogyakarta haben und neben diesen beiden Regionen die binnenjavanischen Gebiete Banyumas, Kedu, Madiun, Kediri und Malang umfassen. 7 Die Javaner unterscheiden sich von anderen ethnischen Gruppen in Indonesien durch einen verschiedenen geschichtlichen Hintergrund, durch ihre Sprache und ihre Kultur. 8 Die Mehrzahl der Javaner leben als seßhafte Bauern oder Landarbeiter von der Landwirtschaft. In den Niederungen pflanzen sie auf bewässerten Feldern (sawah) Reis an, in bergigen Gegenden Cassave und allerlei andere Saaten. Der größte Teil Javas ist ländlich, seine Bewohner leben in Dörfern. Die meisten Familien in einem Dorf haben ihr eigenes Bambus- oder Holzhaus, das aus mehreren Zimmern besteht, mit einem kleinen Reisspeicher und anliegendem Stall, in dem vielleicht ein Wasserbüffel, Schafe und Hühner gehalten werden. Das Haus ist von einem meist wenig gepflegten Garten 6
7 β
Diese Zahl ist gewonnen durch Extrapolation der Angaben von Palmier, 1, basierend auf dem Zensus von 1930, und H. Geertz (1967, 41), basierend auf dem 1961er Zensus; bei beiden beträgt der Anteil der ethischen Javaner 45 % der indonesischen Bevölkerung. Kodiran, 322. Im Folgenden stütze ich mich auf Koentjar'aningrat 1960, 88ff.
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umgeben, in dem Kokospalmen und verschiedene Gemüsearten durcheinander wachsen, die die hauptsächlich aus Reis und Cassave bestehende Nahrung ergänzen. Abgesehen von Surabaya und Semarang, zwei bedeutenden Hafen-, Handels- und Industriestädten, ist die städtische Entwicklung zum größten Teil auf Verwaltungszentren beschränkt, in denen die Provinz-, Bezirks- und Kreisverwaltungen residieren. Hier lebt der größte Teil der alten Verwaltungselite, die Händler und die neuen Berufe, die sich seit dem zweiten Weltkrieg gebildet haben. Die beiden Fürstenstädte Yogyakarta und Surakarta, sogenannt, weil sie die Hauptstädte vergangener Fürstentümer waren, sind heute die Zentren javanischer klassischer Kultur, Kunst und Literatur. Die Javaner selbst unterscheiden zwei soziale Schichten, (1) die ,,wong cilik" („kleine Leute"), die die große Masse der Bauern und die unteren Einkommensgruppen der Stadtbevölkerung ausmachen, und (2) die priyayi, zu denen die Beamten und Intellektuellen gehören. 9 Außerdem gibt es noch eine dritte Schicht, die zwar klein ist, aber immer noch ein hohes Prestige genießt, den Adel (ndârà), den ich aber im folgenden nicht eigens behandeln werde, da er in Lebensweise und Weltanschauung sich nicht von den priyayi unterscheidet. Neben dieser sozial-ökonomischen Schichtung gibt es noch eine religiöse Unterscheidung zwischen ( 1 ) den wong abangan oder Angehörigen der sog. javanischen Religion (agàmà Kejawèn10) und (2) den santri. Die wong abangan gehören wie die übergroße Mehrzahl aller Javaner nominell dem Islam an, 11 halten sich aber nicht an dessen Gebote, während sich die santri bemühen, nach den Vorschriften des Islam zu leben. 12 Die priyayi leisten keine Handarbeit. Die Mehrzahl unter ihnen gehört den verschiedenen Graden des Beamtenstandes an. Auf der untersten Ebene zählen dazu die niedrigen Beamten, die Volksschullehrer, die Post- und Bahnbeamten in den kleinen Städten u. ä. Ferner gehören dazu die höheren Beamten in den größeren Städten. Die priyayi genossen hohes Ansehen, das sie noch dadurch zu erhöhen suchten, daß sie in den Adel einheirateten und den Lebensstil der Fürstenhöfe nachzuahmen suchten. Zu diesen traditionellen pyriyayi kamen später die Javaner, die eine akademische Ausbildung genossen hatten. Die traditionellen priyayi gehören praktisch ausnahmslos der javanischen Religion an; der Islam spielte in ihrem Leben, auch wenn sie sich offiziell zu ihm bekannten, keine rolle. Heute gehören viele von Ihnen 9 10 11 12
Zum Verhältnis wong cilik - priyayi als allgemeinem anthropologischen typos vgl. Robert Redfield (Peasant Society . . . , 40 ff.) über kleine und große Tradition. Kodiran, 337. Nach amtlichen Statistiken gehören 96% der Bevölkerung Mittel- und Ostjavas dem Islam an, 2,5% sind Christen, 1,5% andere; Statistik, 32f. Koentjaraningrat 1960,89; nimmt man die allgemeinen Wahlen von 1955, die verhältnismäßigfreiwaren, zum Maßstab, und setzt man voraus, daß die. santri eine der Islamparteien gewählt haben, so kommt man in Mittel- und Ostjava (hier aber einschließlich der etwa 5 Millionen intensiv islamischer Maduresen) auf knapp 60% abangan und gut 40% santri.
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einer der zahlreichen sog. kebatinan Bewegungen an, Vereinigungen, die durch aszetísche, meditative und mystische Praktiken „die Vollkommenheit des menschlichen Lebens" erstreben. 13 . Die priyayi waren die Träger der traditionellen javanischen Stadtkultur, wie sie an den Fürstenhöfen (kraton) von Yogyakarata und Surakarta ihren vollendeten Ausdruck gefunden hat. In priyayi-Kieisen werden auch heute die verschiedenen Formen javanischer Kunst gepflegt: die klassische Tanzkunst, die gamelanMusik, das Schattenspiel, die Batikkunst. Ästhetische und religiöse Ideale der Hinduzeit leben unter ihnen weiter. 14 Die santri unterscheiden sich scharf von den priyayi und den Massen der einfachen abangan, da sie versuchen, ihr Leben nach den Vorschriften des Islam auszurichten. Sie bemühen sich um islamische Orthodoxie, auch wenn ihre religiöse Praxis in Wirklichkeit stark mit Elementen der lokalen javanischen Kultur vermischt ist (oder jedenfalls früher war) ; sie verrichten die täglichen fünf Gebete, gehen freitags in die Moschee, halten den Fastenmonat Ramadan ein, lernen Teile aus dem Koran zu singen und versuchen, wènn es ihnen finanziell möglich ist, die Pilgerfahrt nach Mekka zu machen. Die javanische Volksreligion der abangan-Massen und die prryeyi-Kultur sind ihnen als heidnisch verdächtig. Die alte ^4c/aiordnung, das traditionelle Gewohnheitsrecht, wollen sie durch die islamische syar/öA-Gesetzgebung ersetzen. Ihre eigenen kulturellen Ideale finden sie in Arabien verwirklicht. 15 Santri findet man heute in allen gesellschaftlichen Schichten. In manchen Orten gibt es lokale sanin'-Gemeinden mit einem spezifischen gesellschaftlichen Status. Diese bestehen aus Händlern und neuerdings auch aus Unternehmern. In der Umgebung der Fürstenhöfe handeln sie mit Gold- und Silberschmiedearbeiten, óarifc-Tüchern und anderem Kunsthandwerk, „occupations which do not harmonize with the values of the Javanese culture, which, being basically a court culture, has little interest in economic gain and a positive dislike for commerce and entrepreneurship." 1 6 Infolge ihres Reichtums stehen diese santri in javanischen Augen höher als der wong cilik, aber 13
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Kodiran, 343; allerdings rekrutieren sich die kebatinan-Bewegungen heute auch aus atangan-Kreisen. Mulder (1973, 15) schätzt, daß 3 bis 5 Prozent aller Javaner einer kebatinan-Orgaaisation angehören. H. Geertz 1967,42; ihr Mann, Clifford Geertz (1969, 234) beschreibt den Unterschied in der Orientierung der priyayi und der abangan folgendermaßen: „Although the priyayi and abangan orientations, from the point of view of culture content, are in part but genteel and vulgar versions of one another, they are organized around rather different types of social structure and expressive of quite different sorts of values, a difference Cora Dubois has characterized, speaking of the entire South-east Asian culture-area, as follows: ,Here was a class (the gentry) whose ethos was deeply at variance from that of the peasantry. It conceived of life in terms of hierarchy and power rather than in terms of simple communal democracy; in terms of privilege rather than mutual obligations; in terms of ostentation and aggrandizement rather than subsistence and communal obligations.'" Muskens 8 2 - 1 0 2 ; cf. Jay 1969,5. Koentjaraningrat 1960, 91.
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niedriger als der Durchschnittspriyayi.17 Santri leben vor allem in den Städten, wo sie gewöhnlich einen eigenen Bezirk, kauman genannt, bewohnen, der i. a. in der Nähe von Moschee und Markt liegt. Sie führen ein abgeschlossenes gesellschaftliches Leben und unterscheiden sich durch ihre Kleidung von den Nicht-saniri. Es gibt auch santri-Döriei. Der größere Teil der javanischen Bevölkerung muß als abangan qualifiziert werden.18 Sie halten keine der genannten islamischen Pflichten, beten also nicht, gehen nie in die Moschee und fasten nicht im Fastenmonat und es kommt ihnen nicht in den Sinn, ihr Leben nach den Vorschriften des Koran auszurichten. Die santri- Welt ist ihnen fremd und erweckt nicht selten spontane Resentiments.19 „Grundlage ihrer Weltsicht ist die Auffassung, daß die kosmische und gesellschaftliche Ordnung in all ihren Aspekten determiniert ist. Das einzelne menschliche Individuum spielt in dieser Gesamtstruktur nur eine untergeordnete Rolle. Die Hauptpunkte seines Lebens und seines Status sind festgelegt, sein Schicksal ist vorherbestimmt, und innhalb dieses Rahmens muß er geduldig die Mühsale des Lebens tragen. Diese Auffassung steht in enger Beziehung zu dem Glauben an übernatürliche Führung und Hilfe von Seiten der idealisierten Geister der Vorfahren, die ebenso wie Allah oder Gott religiöse Gefühle und das Gefühl der Sicherheit vermitteln."20 Die Religiosität der abangan wird weiter durch den Glauben an zahlreiche unsichtbare Geister bestimmt, die Unglück und Krankheit verursachen, wenn man sie verärgert oder unvorsichtig ist. Dagegen schützt man sich durch gelegentliche Opfergaben (sesajèn) von Reis und anderer Nahrung, Blumenblättern und Weihrauch, indem man die Hilfe des Medizinmannes (dukun) in Anspruch nimmt und nicht zuletzt, indem man in seinem Inneren einen Zustand ständiger Ruhe und aufregungsfreier Gelassenheit zu bewahren sucht. Der zentrale religiöse Ritus für jeden Javaner, insbesondere für den abangan, ist das slametan, ein einfaches zeremonielles Mahl, zu dem man alle Nachbarn einladen muß und in dem die nachbarschaftliche und kosmische Harmonie wiederhergestellt wird. Im slametan finden die am tiefsten gefühlten Werte des Javaners, nachbarschaftliches Beisammensein und Einvernehmen, ihren Ausdruck. Damit verbunden ist ein starkes Gefühl dafür, daß alle Dorfbewohner untereinander gleich sind, und daß kein Mitglied es Dorfes das Recht hat, sich anderen gegenüber überlegen zu fühlen, es sei denn, ihm komme formell ein höherer Rang zu. Gegenüber Personen, die einen höheren Rang besitzen wie der Lurah (Dorfoberhaupt), Regierungsbeamten aus der Stadt und älteren Leuten, ist respektvolles Verhalten nach einer strengen Etikette erfordert. Die Anerkennung von Statusdifferenzen ist ein Wert, der dem Javaner ebenso viel bedeutet wie der der Gleichheit untereinander. Für den städtischen priyayi bilden die Ideen, die mit der Etikette der 17 18 19 20
ib. Vgl. Anm. 12 Vgl. C. Geertz 1969, 357 f. Koentjaraningrat 1960, 94 f.
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sozialen Rangunterschiede verbunden sind, einen Kernpunkt seines religiösen Weltverständnisses und sind in allen Lebensbereichen bis hinein in die Familienbeziehungen, spürbar. 21 Im javanischen Verwandtschaftssystem gelten Abstammung von der Mutter und vom Vater als gleichberechtigt, Töchter erben dasselbe wie Söhne. 22 Die Kernfamilie (kuläwargk) bestehend aus Mann, Frau und Kindern, ist die grundlegende Verwandtschaftsgruppe im Leben jeden Javaners. Nur Gliedern dieser Gruppen gegenüber hat er größere Verpflichtungen und nur von ihnen kann er maximale Aufmerksamkeit und Sorge erwarten. Das Vernachlässigen von Verpflichtungen gegenüber den Mitgliedern der eigenen Kemfamilie gilt als schweres Fehlverhalten. 23 Die Kernfamilie ist wirtschaftlich selbständig und hat gewöhnlich ein eigenes Haus. Bemerkenswert ist die hohe Scheidungsrate: etwa 50 Prozent aller Ehen werden geschieden und Kinder leben häufig in einer Reihe verschiedener Familien. 24 Rechte und Pflichten gegenüber Verwandten außerhalb der Kernfamilie sind weniger genau festgelegt und weniger stark sanktioniert. Im Unterschied zu zahlreichen anderen indonesischen Stämmen, etwa den Batak in Nordsumatra, kennt die javanische Gesellschaft kein Clansystem. Trotz dieser losen Struktur der Verwandtschaftsbeziehungen außerhalb der Kernfamilie hat der Javaner klare Vorstellungen von der Wichtigkeit der Verwandtschaft. Zu ihr zählt er die eigenen Blutsverwandten, marlchmal auch Schwiergerverwandte, vor allem seine Vettern und Nichten und die erste auf- und absteigende Generation. Von seinen Verwandten kann man verschiedene Hilfen erwarten. Auf einer Reise kann man ζ. B. bei Verwandten übernachten, und wenn man ein Beschneidungsfest für seinen Sohn gibt, helfen sie aus. Auch Abstammung von einem gemeinsamen Vorfahren ist ein wichtiger Faktor im javanischen Gesellschaftssystem. Wer von einem gemeinsamen Vorfahr abstammt, gehört zu der Gruppe meist verstreut lebender Verwandter, die alur waris genannt werden und die in den Dorfgemeinden gemeinsam für die Pflege und Instandhaltung der Gräber der gemeinsamen Vorfahren verantwortlich sind. Neben Kernfamilie, Verwandtschaft und alur-waris-Gruppe ist die engere Nachbarschaft (rukun tetànggâ) die vierte Gruppe, der das Individuum der javanischen Gesellschaft Beachtung zu schenken hat und von der er Hilfe erwarten darf. 25 Die wichtigste traditionelle gesellschaftliche Gruppierung oberhalb der Familie ist das sich selbstversorgende Dorf oder désà. Das désà stellt die landwirtschaftliche Basis der javanischen Gesellschaft dar. Dörfer können 21 22
23 24 25
Vgl. H. Geertz 1967, 44f. Vgl. H. Geertz 1967,47; im Unterschied dazu erben in islamisch orientierten Familien die Söhne 2/3 und die Töchter 1/3, cf. Jay 1969,85 ; Kodiran, 336, gibt die islamische Aufteilung. Koentjaraningrat 1960, 114. H. Geertz 1967, 47. Koentjaraningrat 1960, 114f.
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100 bis 500 Haushalte umfassen. Sie stehen unter einen {urah, dem Dorfbürgermeister. Ein Dorf zerfällt in mehrere Weiler oder dukuh, die jeweils unter einem kepala dukuh stehen. Seit Jahrhunderten wurde der lurah von den Landrechte besitzenden Dorfbewohnern (kuli) gewählt. Ihm steht ein Stab von zehn bis zwanzig Dorfbeamten (prabot) zur Seite, die manchmal ebenfalls gewählt, meist jedoch ernannt werden. Lurah und Dorfbeamte erhalten kein Regierungsgehalt, sondern bestreiten ihren Unterhalt z.T. aus den Erträgen von Dorfland, das ihnen während ihrer Amtszeit zum Nutznieß übertragen wurden (siti bçngkok), ζ. Τ. aus verschiedenen traditionellen Abgaben und Diensten der kulis. Einmal gewählt behielt der lurah sein Amt solange, wie er das Vertrauen und die Unterstützimg seiner Gemeinde genoß. Verlor er sie, so konnten die Dorfbewohner eine Petition an den Landrat richten, der dann den lurah entlassen und die Wahl eines neuen anordnen konnte. Der lurah symbolisierte das Dorf als Ganzes und sein Verhältnis zu den Dorfbewohnern konnte mit der eines Familienvaters zu seinen Hausgenossen verglichen werden. 26 Er repräsentierte das Dorf gegenüber der Zentralregierung, deren unterster Vertreter gegenüber dem Dorf der camat, dem deutschen Landrat vergleichbar, ist. Während kepala dukuh und lurah örtliche Beamte sind, in denen die Dorfbewohner ihre Vertreter gegenüber allen Instanzen außerhalb des Dorfes sehen, ist der camat i. A. ein priyayi aus der Stadt; seine Beziehungen zur Dorfbevölkerung können als ein Gemisch aus traditionellem priyi-Paternalismus und bürokratischem Formalismus beschrieben werden. Camat und lurah zusammen versuchen, den Spalt zwischen Zentralregierung und örtlicher Bauernschaft zu überbrücken, der eine vom Dorf aus nach oben, der andere vom Landkreis nach unten. 27 Da ein lurah starken Einfluß auf die Wahl seines Nachfolgers hatte, wurde sein Amt oft innerhalb derselben Familie weitervererbt. Heirat untereinander verband die Familien der lurahs verschiedener Dörfer nicht selten zu Verwandtschaftsgruppen, die eine Art dörfliche Oberschicht bildeten. Manche lurahs erreichten durch Genealogien und mythische Legenden, durch die ihr Geschlecht auf Figuren aus der weyeng-Mythologie oder auf Helden lokaler Volkstraditionen, deren Gräber man auf einem nahegelegenen Berggipfel oder in einem Walde verehrte, zurückgeführt wurde, einen magisch-religiösen Nimbus. 28 Die gesellschaftlichen Beziehungen innerhalb der Dorfgemeinde basieren weitgehend auf einem System gegenseitiger Hilfe (gotong-royong), die verschiedene traditionelle Formen kennt. Obwohl gotong-royong nicht auf Verwandtschaftsbande eingeschränkt ist, verstehen es die Dorfbewohner als Ausdruck der Ausweitung der Verwandtschaftsbeziehungen, die einen mächtigen Einfluß auf den Gesamtkomplex interpersonaler Beziehungen ausüben, auf das ganze Dorf. Außer gotongroyong Formen gegenseitiger 26 27 28
Koentjaraningrat 1960, 93 f. H. Geertz 1967, 45. Koentjaraningrat 1960, 94.
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Hilfe besteht allerdings stets die Möglichkeit, Arbeitkraft und Dienstleistungen über gewöhnliche Enlohnung zu erwerben.29 Arbeitsverträge sind auch auf dem Lande stets individuell.30 Abgesehen von gelegentlichen gotong-royong Arbeiten, die auf Dorfebene organisiert werden, gibt es über dem Familienhaushalt keine organisierte Gruppierungen zu wirtschaftlichen, rituellen oder anderen Zwecken. Religion gilt als persönliche Angelegenheit. Für den abangan bedeutet sie ein gelegentliches slametan-Mahl, für den santri außerdem noch regelmäßige Gebete und den freitäglichen Besuch in der Moschee. Es ist keinçswegs außergewöhnlich, daß es in ein und derselben Familie abangan-, santri- und christliche Kinder gibt.31 Moscheen unterhalten sich i. A. selbst und werden von keiner organisierten Gruppe getragen. Die Dorfgemeinschaft, das dukuh, besitzt meist einige gemeinschaftliche Elemente. Dazu gehört vor allem ein heiliger Platz (pundèn), ζ. Β. ein kleines Grab, eine Gruppe von Bäumen oder eine Quelle, der den Begräbnisplatz oder den Ort des ersten Hauses des mythischen Dorfgründers bezeichnet, der einst zum ersten Maleden Urwald gerodet und zu Reisland gemacht hat. Alle Einwohner gelten als geistige Nachkommen der ersten Siedler. An diesem Platz werden zu bestimmten Gelegenheiten kleine Feiern veranstaltet. Außerdem gibt es gewöhnlich einen Friedhof direkt am Rande des Dorfes, an dem das einzige religiöse Ritual stattfindet, das das ganze Dorf umfaßt, die jährliche Reinigung des Dorfes von üblen Geistern (bersih désà).32 Zum Dorfbereich gehören Reisfelder, Trockenland und der Grund, auf dem Häuser stehen. Das Bewässerungssystem, das von größter Bedeutung für den Reisanbau ist, steht unter Aufsicht eines Regierungsbeamten, der mehrere Dorfbewohner angestellt hat, um die Anlagen ständig auf ihren Zustand zu kontrollieren. Der größte Teil der Felder ist Privatbesitz im westlichen Sinn (mit einigen Einschränkungen; so darf ζ. B. Dorfland nicht an Außenstehende veräußert werden). Ein weiterer Teil, kongsèn genannt, gehört dem Dorf als solchem und wird bestimmten Dorfbewohnern für einige Jahre oder auch auf Lebenszeit zum Nutznieß überlassen. Die Verteilung dieses kongsèn -Landes liegt beim dukuh, nicht beim désà.33 Trotz solcher traditioneller Bande bildet das moderne dukuh heute i. a. keine stark integrierte Gruppe, der gegenüber der einzelne eine tiefere Loyalität verspüren würde. Dazu sind die Dörfer durch ökonomische und administrative Maßnahmen von seiten der Kolonialregierung in den letzten hundert Jahren viel zu stark durcheinandergewirbelt und die individuellen Dorfbewohner viel zu oft gezwungen gewesen, ihren Wohnitz zu wechseln. Im 29 30 31 32 33
ib. H. Geertz 1967, 46. Eigene Beobachtung. H. Geertz 1967, 47. Η. Geertz 1967, 46f.
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19. Jahrhundert war ein Stück Ackerland durchschnittlich weniger als 30 Jahre im Besitz derselben Bauernfamilie.34 Seit einigen Jahren befindet sich das gesamte traditionelle Lebens- und Arbeitssystem auf dem Lande in einer schweren Krise. Die Position des lurah ist schon lange angeschlagen. Schon in der holländischen Zeit versuchte die Zentralregierung, seine starke Stellung im Dorfe — noch heute kann sie ohne Zusammenarbeit des lurahs auf dem Lande praktisch nichts erreichen - dazu zu benützen, um den Dorfbewohnern gegenüber ihren Willen durchzusetzen.35 Heute gilt das in vermehrtem Maße. Ein lurah wird nur noch auf acht Jahre gewählt und der Druck, den die Regierung vor allem über den bupati (Bezirksleiter, direkt unter der Provinzregierung) auf diese Wahlen ausübt, ist beträchtlich. Vom lurah wird erwartet, daß er die Bevölkerungslisten führt, Steuern eintreibt und für die Durchführung aller Art von Instruktionen der Zentralregierung sorgt. Heutzutage wird er z.B. für die Durchführung der von der Regierung verordneten Maßnahmen zur Geburtenkontrolle verantwortlich gestellt. Der lurah ist weiterhin ein mächtiger Mann, doch besteht zusehends die Gefahr, daß er von einem Expontent des Dorfes zum untersten Handlanger der Regierung wird, deren Verordnungen von der Dorfbevölkerung nicht selten als repressiv empfunden werden. Das größte Problem auf dem javanischen Dorf stellt heute das Bevölkerungswachstum dar. Da neues Ackerland nicht mehr hinzugewonnen werden kann, nimmt die Größe der Grundstücksparzellen ständig ab. Früher konnte das Dorf durch ein komplexes System von Landverleih und Erntebeteiligung lange Jahre jedem männlichen Dorfbewohner die Möglichkeit garantieren, ein Stückchen Land zu bebauen. Dieses System ist heute am zusammenbrechen. Kapitalintensive Anbaumethoden zwingen ärmere Bauern, ihre Felder praktisch an die reicheren abzutreten, um ihre Schulden zu bezahlen, während für die landlosen Landarbeiter die Möglichkeit, Arbeit in der Landwirtschaft zu finden, immer geringer wird. Die Folge ist eine wachsende Abwanderung in die Slums der Großstädte, aber auch das Entstehen eines ländlichen Proletariats. Genaue Zahlen existieren nicht, aber Stichproben in einzelnen Gegenden haben zu der Annahme geführt, daß in den dicht besiedelten Gebieten Javas 30 bis 60 Prozent der Dorfbevölkerung keinerlei Land mehr besitzt und daß weitere 10 bis 20 Prozent so wenig Land besitzen, daß die Erträge nicht für die Ernährung der Familie ausreichen.36
M 35 36
Ongkokham, 18; zur vaguen Struktur des javanischen Dorfes vgl. C. Geertz 1959; ferner H. Geertz 1967, 48. Vgl. Wertheim, 133, 139. Collier 29; schon in den frühen 60er Jahren besaßen 80% aller Reisbauern weniger als 0,5 ha Reisfeld, und nur 3,5% mehr als 2 ha, Sievers 194.
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3. Die Stellung der Javaner in Indonesien Nicht nur rein quantitativ stellen die Javaner mit etwa 63 Millionen oder etwa 45 Prozent der indonesischen Bevölkerung die weitaus bedeutsamste Volksgruppe Indonesiens dar. Auch politisch und kulturell ist Java, das kaum Küstensümpfe hat und daher leicht zu besiedeln war, seit jeher das Zentrum der indonesischen Inselwelt gewesen. Und innerhalb Javas sind es die Javaner, die mit ihrer zweitausendjährigen Hochkultur den entscheidenden Einfluß ausgeübt haben. Heute weist Java den höchsten Bildungsstand in Indonesien auf. Es ist daher kein Wunder, daß die Javaner im jungen Indonesien den Ton angeben. Auch die ersten nationalistischen Bewegungen Anfang dieses Jahrhunderts gingen von Javanern aus. Heute sind die Javaner in den politischen, kulturellen und militärischen (aber nicht in den wirtschaftlichen) Schlüsselstellungen Indonesiens überproportioniert vertreten. Indonesiens Präsident ist der Mitteljavaner Soeharto, Vizepräsident war lange Jahre hindurch der Sultan von Yogyakarta, Hamengkubuwânâ IX. (jetzt im Jahre 1979 ist es der Sumatraner Adam Malik). 58 Prozent der Kabinetsminister sind Javaner. Von den 47 höchsten Positionen in den Streitkräften waren 1974 mindestens 35 ( = 74 Prozent) von Javanern besetzt.37 Als Beamte und Militärs in mittleren Positionen sind Javaner heute über ganz Indonesien verbreitet. Die Folge davon ist, daß es der mitteljavanischen Kultur als einziger der zahlreichen Kulturen Indonesiens gelungen ist, Verhalten und Anschauungen der herrschenden indonesischen Elite intensiv zu beeinflussen.38 „So sind die javanischen Fürstenhöfe von Surakarta und Yogyakarta der focus, von dem kulturelle Einflüsse über ganz Indonesien ausgehen. Das Prestige von Yogyakarta ist dabei besonders groß, weil es das Zentrum der politischen Aktivitäten gegen die Niederländer gewesen ist und weil dort von 1945 bis 1949 die Wiege der Republik stand." 39 Der javanischen Kultur entlehnte Verhaltensweisen werden in steigendem Maße auch durch Nichtjavaner, vor allem in politischen und militärischen Führungskreisen, übernommen. Diese unter Soekarno begonnene Entwicklung hat unter der Präsidentschaft General Soehartos noch umfassendere Ausmaße angenommen. Ideologische Losungen und Schlüsselformeln, die die Ideale der Neuen Ordnung für Volk und Streitkräfte ritualisieren, sind größtenteils dem Javanischen oder dem Sanskrit, insofern es in die klassische javanische Literatur eingegangen ist, entnommen. Entsprechend der javanischen Gewohnheit, zu Beginn wichtiger Unternehmungen eine Wayangvorführung zu geben, um dadurch übernatürlichen Segen auf sie herabzurufen, wurde sowohl der erste wie der zweite Fünfjahresplan der Regierung Soeharto durch eine nationale Wayangwoche eingeleitet. 37 38 39
Current Data, 154. Muskens, 71, 69. Muskens, 69.
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Obwohl dieser Javazentrismus bei Nichtjavanern ein gewisses Ressentiment hervorgerufen hat - auch Javaner selbst machen sich selbstironisch darüber lustig—so besteht kein Zweifel: Indonesiens Schicksal wird auch weiterhin zu einem besonders großen Teil durch den javanischen Kulturraum bestimmt werden. Damit wird nur eine Entwicklung fortgesetzt, die bereits die letzten zehn Jahrhunderte indonesischer Geschichte gekennzeichnet hatte. 40
4. Aufriß der javanischen Geschichte Die bisherige Darstellung versuchte, ein erstes Bild der komplexen sozialökonomischen und kulturell-religiösen Schichtung der javanischen Gesellschaft zu vermitteln. Vieles davon wird in den kommenden Kapiteln noch eingehender zur Sprache kommen. In diesem Abschnitt soll nun ein knapper Überblick über die Geschichte Javas gegeben werden, um dem bisher gezeichneten Oberflächenbild etwas geschichtliche Tiefendimension zu geben. Diese Dimension ist nicht nur wichtig, weil die bestehenden javanischen Verhältnisse nun einmal das Ergebnis der in der javanischen Geschichte wirkenden Faktoren sind, sondern weil dieselbe Geschichte Bilder bereitstellt, die noch heute von vielen Javanern benützt werden, um ihr Selbstverständnis zu artikulieren. Im Rahmen der notwendigen Kürze versuche ich, die wichigsten Knotenpunkte hervorzuheben.41 a. Vorgeschichte
Etwa beginnend mit dem dritten Jahrtausend vor Christus muß die erste Welle von malayischen Einwanderern sich vom Süden Chinas über ganz Südostasien ergossen haben, der im Laufe der nächsten 2.000 Jahre weitere Wellen folgtön. Die Javaner gelten als die Nachfahren dieser späteren Einwanderer. Diese Malayen lebten von der Landwirtschaft, sie kannten bereits den Naßreisanbau. Damit verbunden war eine relativ hoch entwickelte dörfliche Organistionsform. Umrisse dieser sozialen Organisation lassen sich rekonstruieren und haben sich bis heute erhalten. An der Spitze des Dorfes stand ein Dorfoberhaupt. Ein Dorf bestand aus einer Gruppe von Häusern, ev. Ställen, ferner umliegenden Feldern, Fischteichen, Wäldern und unbebautem Grund. Der Ackergrund war ursprünglich Besitz der Gemeinde. Hatte ein Gemeindemitglied durch eigene Arbeit Land kultiviert, so hatte er ein persönliches Recht auf dessen Ertrag, konnte jedoch über den Boden nicht ohne Zustimmung der Gemeinde verfügen. Für das Gemeindewohl waren alle Gemeindemitglieder gemeinsam verantwortlich: in Notzeiten war man verpflichtet, einander zu helfen; für Verbrechen, die auf Dorfboden vollbracht wurden, stand das ganze Dorf verantwortlich, wenn die Täter nicht 40 41
Legge, 40. Die meisten Daten entnehme ich Vlekke, Legge, van Niel und Zoetmulder 1965.
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ermittelt werden konnten (selbst den Holländern gelang es nicht, demgegenüber das Prinzip individueller Verantwortlichkeit durchzusetzen). Bis heute können höhergeordnete Autoritäten ohne die Zusammenarbeit des Dorfoberhauptes auf Dorfebene wenig erreichen.42 Die Religiosität der Dorfbewohner war bestimmt durch den Glauben, daß alles belebt und durchseelt ist, daß die Naturkräfte Ausdruck geistiger Mächte sind, ferner durch die Annahme der Existenz einer persönlichen Seele, die nach dem Tode in der Nähe des Dorfes bleibt und an dessen Leben weiter Anteil nimmt. Die Ahnenverehrung nahm einen wichtigen Platz im religiösen Leben des Dorfes ein.43 Die ersten eigentlichen Geschichtsquellen über das frühe Indonesien stellen Bruchstücke einiger steinerner und metallener Inschriften dar, die bis zum fünften Jahrhundert zurückreichen, sowie chinesische Berichte ab dem siebten Jahrhundert, deren geographische Angaben aber nicht leicht zu deuten sind. Man nimmt heute an, daß schon vor der Ankunft des Hinduismus örtliche Führer die ersten politischen Institutionen oberhalb der Dorfebene geschaffen hatten, wozu vor allem auch die Notwendigkeit einer überdörflichen Regelung der Bewässerung drängte.44 Zunehmende Handelskontakte mit Indien - die westlichen indonesischen Inseln lagen auf der Handelsroute von Süd- nach Ostasien und waren selbst Lieferanten von Gewürzen, Gold, Sandelholz und anderen begehrten Gütern - brachten lokale Fürsten in Kontakt mit indischen politischen und religiösen Vorstellungen. Deren Kern bestand in der Idee einer zentralen, hierarchischen staatlichen Organistion unter einem Gottkönig. Lokale indonesische Fürsten sahen in dieser Idee ein geeignetes ideologisches Mittel zur Legitimierung und Ausdehnung ihrer Autorität. Sie nahmen brahmanische Priester in ihren Dienst und konnnten nun ihre Abstammung von göttlichen Vorfahren herleiten oder sich als irdische Inkarnationen von Siwa oder Wisnu ausgeben. Der König wurde zur Achse, um den das Reich drehte: göttlicher Segen strömte von ihm hinaus ins Land. So kamen die frühen indonesischen Staaten in das Ausstrahlungsfeld der indischen Kultur. Dabei ist allerdings anzunehmen, daß diese wenig Einfluß auf die religiösen Vorstellungen des einfachen Volkes ausgeübt hat. 45 Aus chinesischen Quellen wissen wir schließlich, daß im sechsten und siebten 42
43 44 45
Vgl. Vlekke, 1 2 - 1 4 ; es ist ein Verdienst des holländischen Professors J. H. Kern (Linguistic Materials for the Determination of the Country of Origin of the Malay People, 1889), eine Methode entwickelt zu haben, die es erlaubt, den ursprünglichen Wortschatz des Malayischen zu rekonstruieren und daraus Schlüsse zu ziehen auf Gegenstände und Sitten, die den ursprünglichen Malayen bekannt gewesen sein müssen. Vlekke 14 f. Zum Zusammenhang zwischen Bewässerung und Herrschaftsstrukturen siehe Wittfogel; eine Kritik der Ansichten Wittfogels in Bezug auf Java gibt Ina Slamet. Siehe Legge, 3 3 - 3 5 ; vor allem van Leur hat die früher, u. a. von Coedes vertretende Auffassung widerlegt, daß die Ausbreitung des indischen Einflusses auf Wellen indischer Einwanderungen zurückgingen.
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Jahrhundert mehrere indisierte Staaten auf Java, Borneo und Sumatra existiert haben müssen. Im aufblühenden Reich von Sriwijaya in Südsumatra gab es damals sogar ein international bekanntes Zentrum des Hinayanabuddhismus.46 b. Die ersten mitteljavanischen
Reiche
Das achte Jahrhundert sah große Veränderungen in den politischen Strukturen des indonesischen Archipels, die möglicherweise durch engere religiöse und handelspolitische Beziehungen mit Bengalen angeregt wurden.47 Unter den lokalen Fürsten erhoben sich stärkere Könige, die ihre Macht über weitere Gebiete ausdehnten. San j aya, König von Matar am in der Gegend des heutigen Yogyakarta, dehnte seine Souveränität über ganz Mitteljava und möglicherweise auch über Teile Sumatras und Balis aus. Aus dieser Zeit datieren die ersten großen mitteljavanischen Baudenkmäler, die siwaistischen Tempel auf dem Diengplateau. Wenig später kommt Mitteljava unter die Kontrolle der buddhistischen Sailendradynastie aus Sumatra, die an sich nicht erwähnenswert wäre, wäre nicht unter ihrer knapp 60jährigen Herrschaft westlich des heutigen Yogykarta die größte buddhistische Stupa der Welt gebaut worden, der Bârâbudur. Der Bârâbudur ist nach altjavanischer Tradition als Terrassenheiligtum angelegt und stellt den Kosmos dar. Die unteren Terrassen sind mit Reliefs aus der Glaubenswelt des Mahayanabuddhismus verziert. Der Pilger, der betrachtend von Terrasse zu Terrasse aufstieg, stieß schließlich auf den obersten Terrassen in den bildlosen Bereich vor, der Erleuchtung und Buddhaschaft versinnbildlichte. „Dergestalt ist der Bârâbudur ein riesiger Mandala in Stein, ein mystischer Kreis, der neben seiner symbolischen Funktion gleichzeitig auch die effektive Kraft besitzt und den Gläubigen vermitteln kann, das Symbolisierte zu verwirklichen."48 Es ist durchaus möglich, daß der Bârâbudur zugleich noch einen anderen Zweck hatte, daß er nämlich als Grabdenkmal für den regierenden Sailendrafürsten dienen sollte. Wir hätten dann hier ein erstes Zeugnis der Fähigkeit der javanischen Kultur vor uns, fremde Religionen zu übernehmen und sie von innen her ihren eigenen Anliegen dienstbar zu machen, das heißt sie zu javanisieren. Eine Tendenz langsamer Javanisierung zeigt sich auch daran, daß in dieser Zeit das Sanskrit durch Altjavanisch ersetzt und eine eigene javanische Schrift entwickelt wird.49 Im neunten Jahrhundert wird Mitteljava wieder siwaistisch. Seine Herrscher nennen sich Könige von Mataram. Bedeutendstes Bauwerk dieser Periode ist der Lârâjonggrang-Komplex in Prambanan bei Yogyakarta, der aus drei, Brahma, Siwa und Wisnu geweihten Haupttempeln besteht, denen drei 46 47 48 49
Zoetmulder 1965, 235. van Niel, 273. Zoetmulder 1965, 247. Zoetmulder 1965, 2 4 3 - 2 4 9 .
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kleinere gegenüberstehen; das ganze war von 224 kleinen Tempelchen umgeben. Die Reliefe des Siwatempels sind der Ramayanageschichte entnommen. Auch von Lârâjonggrang nimmt man an, daß er zugleich als Bestattungstempel für die Fürsten von Mataram gedacht war. Außerdem konnte der Komplex die Funktion eines ReicHstempels erfüllt haben. Beides sind charakteristische Zeichen für die javanische Ausprägung des Hinduismus.50 Im zehnten Jahrhundert verschwindet Mitteljava plötzlich von der politischen Landkarte. Das politische Schwergewicht der Insel verlagert sich nach Osten ins Brantastal. Was der Grund für diesen plötzlichen Abbruch war, wissen wir nicht. Sicher ist, daß Sindok, der erste ostjavanische König, weiterhin den Titel eines Königs von Mataram'gebraucht. 51 Zwei Entwicklungen sind für die dargestellte frühe mitteljavanische Periode kennzeichnend. Erstens sehen wir, wie langsam javanische Elemente in den Vordergrund treten: buddhistische und siwaistische Heiligtümer werden zugleich javanisch als Gedenkstätten für die Vorfahren gebraucht, javanische Schrift und javanischer Baustil treten in den Vordergrund. Zweitens scheinen auf Java Siwaismus und Buddhismus friedlich nebeneinander existiert zu haben. Hier deutet sich das javanische Streben an, Verschiedenes zu vereinen, der Sinn für die Relativität formeller Unterschiede, die Fähigkeit, hinter dem scheinbar einander Ausschließenden einen Einheitsgrund zu finden. Offensichtlich waren die javanischen Fürsten an einer exklusiven Religion gar nicht interessiert. Gleichzeitige Pflege des Siwaismus und Buddhismus war nicht nur erlaubt, sondern auf dem Hintergrund des javanischen Verständnisses religiöser Betätigung als Streben nach magischer Kraft sogar ratsam: auf diese Weise konnte sich der Fürst sowohl der magischen Kraft Siwas als Buddhas versichern und sie zu den von den eigenen Vorfahren ererbten Göttern hinzufügen. 52 Beide Entwicklungen finden ihre Fortsetzung in den neuen Reichen, die in Ostjava entstehen. c. Die ersten ostjavanischen Reiche Nach dem Jahre 1000 wurde ganz Ostjava durch den mächtigen König Airlangga (1019-49) zu einem Reich vereinigt. Sitz des Reiches war die ostjavanische Stadt Kediri, das später in der javanischen Geschichte stets die Rolle eines Gegenpols zur bestehenden Macht spielen sollte. Von Airlangga wird erzählt, er habe sich zuvor jahrelang in die Wildnis zurückgezogen, um magische Kraft zu erwerben. Unter seiner Herrschaft entsteht bezeichnenderweise das Arjunawiwaha, die javanische Version einer Geschichte aus dem indischen Mahabharata, in der Arjuna jahrelang in der Wildnis Askese betreibt, um innere Kraft zu erwerben. Die Parallele zwischen Arjuna und Airlangga ist offenkundig. Dichtung war für den javanischen Hof kein literarischer Vorgang, sondern ein Akt magischer Kraft: durch den Akt des Nieder50 51 52
Zoetmulder 1965, 253; Vlekke, 36. van Niel, 274. Vlekke, 37 f.
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schreibens wird das Niedergeschriebene Wirklichkeit. Indem der Dichter die Heldentaten des Arjuna berichtet, wächst König Airlangga neue magische Kraft zu." Ostjava wurde nun intensiv kultiviert und dichter besiedelt. Als Handelsmacht gelang es ihm, das konkurrierende sumatranische Sriwijaya zu überflügeln. Tuban und andere Städte der javanischen Nordküste entwickelten sich zu blühenden Handelszentren, deren Kontakte sich über die ganze indonesische Inselwelt erstreckten. Ternate auf den Molukken mußte die Oberhoheit Kediris anerkennen, ebenso Bali. Unter den Königen von Kediri hat Jâyâbâyâ Ruhm erworben, der von 1135 bis 1157 regierte. Unter ihm übersetzte der Hofdich ter Mpu Sedah Teile des indischen Mahabharataepos ins Javanische. Unter dem Namen Baratayuda ist es bis heute die hauptsächlichste Quelle für das javanische Schattenspiel geblieben. Viel später, im 18. Jahrhundert, wurden König Jâyâbâyâ die sog. raíM-adií-Prophezeiungen in den Mund gelegt, nach denen Java eine Zeit des Niederganges erleben würde, aus der es der ratu adii, der gerechte König Herucâkrâ, zur endgültigen Größe führen würde.54 Diese Prophezeiungen übten im 19. und anfangs des 20. Jahrhunderts einen starken Einfluß auf das javanische politische Bewußtsein aus und es kam immer wieder zu kleinen Revolten unter Führern, die sich zum ratu adii berufen fühlten. Auch der Aufstand Prinz Dipânegârâs von Yogyakarta, der die Holländer von 1825 bis 1830 in einen Krieg verwickelte, den sie nur mühsam gewinnen konnten, war von rafK-atft'Z-Hoffnungen getragen.55 Ein Versuch des letzten Herrschers von Kediri, die Priesterschaft unter direktere königliche Kontrolle zu bringen, führte im Jahre 1222 zu seinem Sturz und dem Aufstieg einer neuen ostjavanischen Dynastie, die sich in Singosari in der Nähe des heutigen Malang festigte. Singosaris bedeutendster Herrscher war auch sein letzter, Fürst Kertanegara, der von 1268 bis 1292 regierte. Er galt als Mann von außerordentlichen magischen Kräften. Um sich gegen die drohende Macht des Mogolenführers Kublai Khan zu wappnen, soll er sich im Alter von 21 Jahren einer magischen Weihe unterzogen haben. 56 Es heißt von ihm, daß es ihm gelang, seine Macht bis auf das asiatische Festland auszudehnen, ein Anspruch, der bei den meisten Historikern auf Skepsis stößt. Feststeht, daß er Kublai Khans Abgesandten verunglimpfte, als sie ihn aufforderten, sich zu unterwerfen. Noch bevor die mongolische Strafexpedition Java erreichte, wurde Kertanegara durch den Fürsten von Kediri ermordet.57
53 54 55 56 57
Vgl. Vlekke 46; zur magischen Bedeutung altjavanischer Dichtung siehe Zoetmulder 1965, 261-266. Vlekke 50. Vgl. Sartono Kartodirdjo 1970, 1971, 1973. Muskens, 37. van Niel, 275.
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Einführung in die Javanische Gesellschaft
d. Das Reich von Majapahit Im Windschatten des Mongoleneinfalls entstand das Reich von Mâjâpahit, das mächtigste Reich der javanischen Geschichte. Prinz Wijaya, ein Schwiegersohn Kertanagaras, gelang es, mongolische Unterstützung gegen Kèdiri zu gewinnen. Nachdem die Mongolen Kediri verwüstet hatten, setzte er sich von ihnen ab und verwickelte sie in einen Guerillakrieg, worauf sie sich für immer aus Java zurückzogen. Mit dem Ruhm eines Befreiers von den Mongolen geschmückt gründete Wijaya im Jahre 1293 die neue Dynastie von Mâjâpahit. Wijaya nahm die Expansionspolitik Kertanegaras wieder auf und obwohl sich einige von den Vasallen gegen Mâjâpahit auflehnten, konnte das Reich sein Territorium ständig ausdehnen. Unter König Hayam Wuruk (1350-1389) sowie unter Gajah Madja, der von 1331 bis 1364 Reichskanzler war, erreichte Mâjâpahit seine größte Ausdehnung. Obwohl das Ausmaß des tatsächlichen Machtbereiches von Majapahit umstritten ist, so wird doch heute allgemein angenommen, daß es sich über ganz Java und Bali sowie über die wichtigsten Küstengebiete des heutigen Indonesien in der einen oder anderen Weise erstreckte.58 Inzwischen hatte sich die religiöse Situation auf Java weiter entwickelt. Der Unterschied zwischen Buddhismus und Siwaismus war praktisch verschwunden. Der offizielle Kult besteht aus einer Form von tantrischen Synkretismus, dem Siwa-Buddha-Kult. Alle Wege zur Erlösung gelten als grundsätzlich gleich.59 Auch wo Kultformen des Siwaismus und Buddhismus nebeneinander weiterlaufen, „begreift der Wissende, daß es sich allein um verschiedene Ausdrücke derselben Wirklichkeit handelt, die im wesentlichen identisch sind." 60 Zugleich damit erstarken uralte javanische Ideen, die sich nicht gegen, sondern durch die indische Verkleidung hin durchsetzen. Ein typisches Beispiel ist die Geschichte der Brüder Gagang Aking („trockener Stengel") und Bubuksyah („Vielfraß"), die auch heute noch bekannt ist: Um die höchste Weisheit zu finden, ziehen sich die beiden in die Berge zurück. „Der eine befolgt die siwaistische Observanz: er treibt Askese und Meditation und enthält sich des Fleisches und aller unreinen Nahrung. Der andere ist Buddhist. Für ihn gibt es keine Verbotsbestimmungen: er ißt und trinkt bis weit in die Nacht hinein; er fängt und tötet Tiere. Der Obergott sendet ihnen einen weißen Tiger, um sie auf die Probe zu stellen und um ihre Fortschritte im Streben nach Vollendung zu prüfen. Der Tiger bittet die Brüder um Nahrung, will aber nur Menschenfleisch haben. Gagang Aking verweist als Ausflucht auf seine Magerkeit; sein Bruder könne doch viel besser zur Nahrung dienen. Dieser - der Buddhist - ist dazu durchaus bereit. Nachdem diese Bereitwilligkeit zur Genüge auf die Probe gestellt worden ist, trägt der Tiger Bubuksyah auf seinem Rücken zum höchsten Himmel. Gagang 58 59 60
Muskens, 39. Zoetmulder 1965, 260. Zoetmulder 1965, 270.
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Aking darf wohl, sich am Schwanz festhaltend, mit, muß sich jedoch mit einem viel geringeren Platz im Himmel zufriedengeben."61In dieser Erzählung von der Einheit der beiden Pole des Siwaismus und Buddhismus scheint ein alter indonesischer Stammesmythos wieder aufgetaucht zu sein. Danach hat sich der Stamm in zwei Teile geteilt. Beide Teile rivalisieren miteinander, sind aber gleichzeitig untrennbar miteinander verbunden. Der siwaistische Candi (Tempel), an dem diese, den Buddhismus begünstigende Geschichte als Steinrelief abgebildet ist (an einem Tempel des Panataran Komplexes aus dem 14. Jahrhundert), wäre dann eigentlich ein Stammesheiligtum, „ein Kulturzentrum, das die Gesamtgemeinschaft repräsentiert und dabei auch ihre beiden konstituierenden Teile umfaßt." 62 Daß in der Zeit von Mâjâpahit altindonesische Elemente immer mehr zum Vorschein kommen, zeigt sich auch an der Tempelarchitektur und den Reliefs, es zeigt sich daran, daß viele Götterbilder der Singâsari- und Mâjâpahitdynastien sogenannte Porträtbildwerke sind, d. h. daß die Züge des Gottes denen des verstorbenen Fürsten nachgebildet sind. „Sie wurden nach dem Tode des Fürsten... in speziell dafür errichteten Heiligtümern aufgestellt."63 Die dabei veranstalteten Beisetzungsfeierlichkeiten sind als Erlösungszeremonien zu verstehen, „in die Elemente altindonesischer Ahnenverehrung aufgenommen wurden. Sie ist die letzte einer Reihe von Feierlichkeiten, durch die die Seele des Verstorbenen von jenen Banden befreit wird, die sie noch an die körperliche und irdische Welt fesseln. Gleichzeitig wird ein Bildwerk errichtet, in das der Fürst in seinem erlösten und vergöttlichten Zustand niedersteigen kann. So wird das Heiligtum gleichzeitig zum Ort, wo er verehrt wird und von wo aus er das Gedeihen des Reiches auch für seinen Nachfolger fördert." 64 Um seine magische Macht zu vermehren, von der wiederum Frieden und Wohlfahrt des Reiches abhingen, durchzog der König sein Reich und besuchte die verschiedenen Heiligtümer, um dort mit der Gottheit in Verbindung zu treten und zugleich der magischen Kraft seiner dort begrabenen Vorfahren teilhaft zu werden. Durch diese Kontakte mit den Vorfahren wurde der Fürst immer erlöster und unsterblicher, was auch für alle galt, die an den Feierlichkeiten teilnahmen. Erlösungsmotive und Unsterblichkeitsverlangen sind die Hauptthemen der Skulturen der Tempel.65 Unter Gajah Mada erlangte Java seine größte Machtausdehnung. Die Handelswege, vor allem die von den Gewürzinseln im Osten bis nach Malakka, standen unter javanischer Aufsicht. Javaner waren selbst eifrig an Handel und Seefahrt beteiligt. Dabei hatte Java ein natürliches Übergewicht über die anderen Inseln weil diese vom javanischen Reis abhängig waren. Die Ein61 62 63 64 65
Zoetmulder 1965, 270f. Zoetmulder 1965, 271. ib. Zoetmulder 1965, 272 f. Muskens, 39.
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kiinfte des Hofes bestanden aus den Tributsabgaben der Vasallenstaaten und aus dem Handel, aber auch aus Naturalabgaben, die den Dörfern kollektiv auferlegt wurden. Es gab auch Dörfer, denen als Steuer der Unterhalt für Heiligtümer und die dort beschäftigten Geistlichen übertragen worden war.66 Andere Dörfer waren Beamten des Hofes übergeben, die aus ihnen ihren Unterhalt in Form von Naturalabgaben bezogen. Wie van Niel bemerkt, scheint sich das Verwaltungssystem und die Lebensweise der Mâjâpahitzeit bis ins Java des 19. Jahrhunderts hinein nicht wesentlich verändert haben. 67 Ergebnis einer mehr als tausendjährigen Geschichte hindujavanischer Kulturentwicklung war die Zweiteilung der javanischen Gesellschaft in das Volk auf den Dörfern einerseits und den Fürstenhof, von dem magische Kraft fruchtbringend ins Land hinausströmte, andrerseits, die im übrigen in der Trennung zwischen einfachem Volk und gebildeter Elite bis heute weiterlebt. Während die Welt des Hofes vielerlei politische, kulturelle und religiöse Veränderungen mitmachte, konnte das javanische Dorf in bemerkenswertem Ausmaß seine traditionellen Eigenschaften - seinen Glauben an eine alles durchdringende Geisterwelt, sein Gefühl für Solidarität und seinen Konservativismus - durchhalten. Dennoch standfen beide Welten nicht unverbunden nebeneinander, sondern sie ergänzten einander auch. War die Schaffung einer intensiven,auf dem Naßreisanbau basierenden Landwirtschaft eine ursprüngliche Leistung der Javaner, so förderten indische kulturelle Einflüsse die Entwicklung der Welt der Fürstenhöfe in eine Richtung, die sie bereits zuvor eingeschlagen hatte. Eine stabile landwirtschaftliche Gesellschaft bildete die Basis für das Wachsen größerer politischer und verwaltungsmäßiger Einheiten. Einerseits mußten die Dörfer den Hof erhalten, andererseits garantierte der Hof den Dörfern Schutz, Ruhe und Stabilität, wie sie ein komplexes System wie der Naßreisanbau nötig hatte und die die Dörfer selbst nicht garantieren konnten. Umgekehrt brachte es diese Weise gegenseitiger Abhängigkeit mit sich, daß das Dorf als ganzes für die Hofkultur von Bedeutung wurde und daher eine gewisse Autonomie sowie seine innere Organisation in hohem Maße zu behaupten vermochte. Legge sieht in dieser komplimentären Beziehung zwischen Dorf und Herrscher den entscheidenden Beitrag der hindujavanischen Periode an die indonesische Gesellschaft.68 Bemerkenswert ist weiter, daß am Ende der hindujavanischen Zeit der ursprüngliche javanische Geist triumphiert. Nachdem die wertvollen Elemente des Siwaismus, Wisnuismus und Buddhismus aufgenommen worden waren, wurden sie zu Vehikeln ursprünglich javanischer Vorstellungen wie der Ahnenverehrung, javanischer Auffassungen von Tod und Erlösung, des Glaubens an eine kosmische Macht und alter Stammesmythen. Die importierten
66 67 68
Muskens, 39 f. van Niel, 276. Legge, 40.
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Relitionen wurden von der javanischen Kultur aufgesogen, bis sie schließlich zum Ausdruck der javanischen Identität selbst wurden. Es ist daher kein Wunder, daß weder im Volke noch am Hofe eine neu andrängende Kraft besonderem Widerstand begegnete, jedenfalls so lange, als sie sich ausgezeichnet in die vorhandene religiöse Mentalität einzupaßen verstand, der Islam. Denn Mâjâpahits Blüte hielt sich nur kurze Zeit. Nur hundert Jahre nach seiner Gründung, mit dem Tode Hayam Wuruks im Jahre 1389, begann sein Niedergang. 1401 wurde es durch einen Bürgerkrieg gespalten. Den genauen Zeitpunkt des Endes von Mâjâpahit können wir nicht mit Sicherheit ausmachen. Im Jahre 1475 wurde es vom islamischen Demak angegriffen. Am Anfang des 16. Jahrhundert verlieren sich die letzten Spuren von Mâjâpahit im Dunkel der Geschichte.69 e. Ankunft
des Islams und folgende
Entwicklung
Als Marco Polo mit seinem Vater und seinem Onkel als Gesandter des Kublai Khan im Jahre 1292 einige Monate in Nordsumatra verbringt, bemerkt er, daß ein Küstenstädtchen namens Perlak zum Islam übergetreten ist.70 Der Raja des im 14. Jahrhundert an der Westküste Malayas gegründeten Malaka tritt 1414 zum Islam über. Das Sultanat von Malaka wird bis zu seiner Einnahme durch die Portugiesen im Jahre 1511 zum Zentrum der Ausbreitung des Islam. Islamische Händler aus Arabien und vor allem aus dem Gujerat, aber auch in Malaka ansässige Javaner bringen den Islam in die Hafenstädte der nordjavanischen Küste. Das erste muslimische Grab auf Java stammt aus dem Jahre 1419.71 Zur gleichen Zeit verfällt die Macht von Mâjâpahit zusehends. Die Fürsten der nordjavanischen Küstenstädte Cirebon, Demak, Tuban, Japârâ, Gresik und später Madium im Landesinneren werden islamisch. Nach Legge war der Islam in zweifacher Weise attraktiv für die nordjavanischen Küstenfürsten. Einmal als Symbol des Widerstandes gegen Mâjâpahit. Zum anderen bedeutete der Islam eine Alternative zur gesamten Hinduweltanschauung. „In bringing man face to face with God without the necessity of a mediating priesthood or a complicated ritual, it implied a doctrine of equality which could offer a powerful solvent for the hierarchical order of Mâjâpahit." 72 Vlekke weist poch auf einen anderen Umstand hin: „For many centuries, the Javanese princes had been accustomened to conceive of religious practices as a means for increasing their inner strength or magic force. Understandably, they saw Islam in the same light. The growing influence of the new religion throughout Southeast Asia proved its powerful significance. Why should not the Javanese rulers accept Islam, too? Why not add this new source of magic force to the ones they already knew? This would serve a double purpo69 70 71 72
Vlekke, 84, Legge, 45. Vlekke, 55, 66 f. Vlekke, 83. Legge, 44.
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se: it would make them spiritually the equals to possible Moslem opponents and it might well secure the help of these same Möslems against their nonMoslem ennemies." 73 Der Übertritt zum Islam mußte also keineswegs notwendig einen Bruch mit der hindu javanischen Vergangenheit bedeuten, sondern konnte in das traditionelle javanische Bemühen um Vermehrung magischer Kräfte ohne große Schwierigkeiten integriert werden. In diesem Zusammenhang kam es dem Islam zugute, daß er nicht in seiner puristischen arabischen Gestalt nach Java kam, sondern über das indische Gujerat und in einer stark vom Suñsmus, der islamischen Mystik bestimmten Gestalt.74 Der Islam konnte daher ohne große Erschütterungen in die bestehenden kulturellen, sozialen und politischen Formen eingegliedert werden. Die wichtigsten Verkünder des neuen Glaubens waren islamische Lehrer (kiyai) und Gelehrte (ulama). Sie behielten einen großen Teil der hindujavanischen Kultur bei (in der javanischen Legende heißt es sogar, die ersten Verkünder des Islams, die sog. Wali, hätten das vwyang-Schattenspiel und das GamelanOrchester erfunden75 und die stark mystische Färbung der islamischen Lehre paßte sie ohne Schwierigkeiten in das überkommene javanische Weltbild ein. 76 So entstand die javanische saniri-Kultur. Sie war zunächst auf die nördlichen Städte Javas begrenzt, faßte dann langsam über Händler und Handwerker auch in anderen Städten und schließlich auch in einigen Gebieten des javanischen Hinterlandes Fuß.77 1526 nimmt Bantam in Westjava den Islam an und entwickelt sich zu einem mächtigen Staat. Zur selben Zeit rückt das mitteljavanische Demak, das 1511 Sultanat geworden war, zur führenden Macht an Javas Nordküste auf. Vor die Wahl gestellt, sich den Portugiesen anzuschließen und christlich zu werden, oder Demak und damit den Islam anzunehmen, wählten die Hindufürsten des javanischen Hinterlandes den Islam. Mit der Übernahme des Islam gewinnen die innerjavanischen Fürstentümer wiederum die Oberhand gegenüber den Sultanaten der Nordküste. Ende des 16. Jahrhunderts gelingt es Senâpati von Mataram, seinen Einflußbereich bis über das alte Kediri in Ostjava auszudehnen. Wenig später wird Demak unterworfen. 78 Senâpatis Enkel Agung (1613-1645) verwüstet die Handelsstädte der Nordküste und unterwirft ganz Java mit Ausnahme von Bantam im Nordwesten sowie der Halbinsel Blambangan im äußersten Südosten der Insel. Die Vernichtung der nordjavanischen Handelsstädte durch Mataram führte zum allmählichen Absterben des javanischen Handels, der ohnehin von der Ostindischen Compagnie schwer bedrängt wurde. Mitteljava wird
73 74 75 76 77 78
Vlekke, 86. Muskens, 47; vgl. Zoetmulder 1965, 294ff., Mulder 1978, 1. Zoetmulder 1965, 302. ib. van Niel, 277. Vlekke, 128.
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mit seiner nach Innen gerichteten Mentalität zum Zentrum des politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebens Javas. 79 Obwohl sich Agung als Muslimfürst gibt - 1 6 4 1 erhält er als Anerkennung von Mekka den Sultanstitel verliehen, — knüpft er doch bewußt wieder an die hindujavanische Tradition an. Seine Hofdichterläßt er eine Geschichte Javas schreiben (babad tanah Jawi), die ihn als legitimen Nachfolger der Herrscher von Mâjâpahit ausweisen soll. Das Hofleben unterscheidet sich nur wenig von dem der vorislamischen Zeit. Der Sultan sammelt weiter pusàkâs, magisch potente Reichszierarten. Sein Sohn Amangkurat I. legt den Sultanstitel wieder ab und setzt dem wachsenden Einfluß islamischer Lehrer dadurch ein abruptes Ende, daß er einige hundert von ihnen samt ihren Familien ermorden läßt. Kein einziger der mitteljavanischen Fürsten wird je einen arabischen Namen annehmen. War Sultan Agung noch jede Woche in die Moschee zum Gebet gegangen, so ließ sein Nachfolger dem Adel zwar die freie Wahl, blieb aber selbst zuhause. So hielten es bis heute seine Nachfolger. 80 Die folgenden 150 Jahre sehen ein ständiges Abnehmen der Macht Matarams. Erbfolgestreitigkeiten spalten das Reich, führen zu mehrmaliger Verlegung der Reichshauptstadt und bringen, fast ohne daß es auffällt, die holländische Ostindische Compagnie, die sich 1619 in Jakarta niedergelassen hatte, in eine Position wachsender Macht, da sie immer wieder von einem der rivalisierenden Fürsten zu Hilfe gerufen wird. Im Jahre 1755 wird das Reich zum ersten Mal geteilt und zerfällt in das Susuhunat Surakarta unter dem Susuhunan Pakubuwänä III, und das Sultanat Yogyakarta unter Hamengkubuwânâ I. Ein Jahr später spaltet Prinz Mangkunegârâ einen Teil des Susuhunats von Surakarta für sich ab. Im Jahre 1813 schließlich wird als letztes das Sultanat von Yogyakarta geteilt: ein kleiner Teil kommt unter die Souveränität des Yogyakartaner Fürsten Paku Alam I. Im Laufe des 18. Jahrhunderts hatte außerdem die Ostindische Compagnie fast ganz Ostjava dem Mataramreich abgehandelt. Als im Jahre 1798 Indonesien von der bankrott gegangenen Ostindischen Compagnie auf die Niederländische Regierung übertragen wird, bleibt den Mataramschen Fürstentümern eine sehr begrenzte Souveränität in einem Gebiet, das auf knapp 10000 Quadratkilometer zusammengeschrumpft war. Heute noch regieren vier Nachkommen des Sultan Agung in diesen vier Restfürstentümern, doch hat nur noch die Regierung von Sultan Hamengkubuwànâ IX. in Yogyakarta politische Bedeutung. In Anerkennung um seine Verdienste beim indonesischen Unabhängigkeitskampf der Sultan hatte im Gegensatz zu seinen Kollegen in Surakarta loyal auf der Seite der Nationalisten gestanden und der Regierung der jungen Republik Indonesien unter Soekarno in den Jahren 1945 bis 1949 in Yogyakarta Unterkunft gewährt - wurde er zum Haupt der „Besonderen Region Yogya-
79 80
Vlekke, 129. Muskens, 50f., Vlekke, 175.
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karta" eingesetzt, die sein ehemaliges Sultanatsgebiet zusammen mit dem Gebiet des Paku Alam umfaßt, der sein Stellvertreter wird. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts hatte sich demnach ein Zustand ergeben, in dem ganz Java zwar islamisiert war, aber in sehr verschiedener Intensität. Zentrum eines bewußt orthodoxen, wenn auch in der Praxis noch mit zahlreichen heterodoxen Elementen aus der javanischen Volksfrömmigkeit durchsetzen Islam waren die Städte der Nordküste. Hier lag das Schwergewicht der sog. íanfW-Kultur. Auch in allen innerjavanischen Städten gibt es santri-Kolomen. Dem standen die Fürstenhöfe und das Javanische Hinterland gegenüber. Obwohl die Höfe offiziell dem Islam anhingen, wurde ihr Erscheinungsbild viel stärker durch die hindujavanische Tradition bestimmt. Sie entwickelten sich zu Zentren der klassischen javanischen Kultur mit Tanz und wayang, gamelan-Orchester und mit einem religiösen Ritual, das zwar an den Muslimfeiertagen abgehalten wurde, dessen Inhalte aber der hindu-javanischen Zeit entstammten. 81 Der Islam galt hier als eine der möglichen Vorschulen zum Erwerb wahrer Innerlichkeit, die ihre Bedeutung verloren, wenn man zum wahren Begreifen der göttlichen Einheit der Gesamtwirklichkeit im eigenen Inneren vorgestoßen war.82 An den Höfen, vor allem in Surakarta, blühte eine zwar stark durch islamische Mystik beeinflußte, aber durchaus heterodoxe mystische Literatur. 83 Das javanische Hinterland aber war vom Islam kaum berührt. Nur wo sich islamische Schulen (pesantrèn) befanden, wie sie sich oft um einen heiligen, magisch mächtigen kiyai bildeten, strahlte die sawfri-Lebensform auch auf die umliegenden Dörfer aus. In den meisten Dördern aber gab es keine Moschee, sondern nur einen islamischen Beamten, der für Hochzeiten, Begräbnisse und das Segensgebet zum rituellen slametan-Mzhi benötigt wurde. Die Helden des wayang-Schattenspiels bedeuteten (und bedeuten bis heute) für den 81
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So zum Beispiel anläßlich der sog. Grebegfestlichkeiten, die am Ende der islamischen Fastenzeit (lebaran), dem Opfertag (besar) und vor allem an Muhammads Geburtstag (mulud) stattfanden. Bei ihnen zeigte „sich der Fürst dem ganzen Volke . . . und (ließ) dieses seiner segensreichen Kräfte teilhaftig werden . . . Dabei wurden ganz bestimmte Bräuche beachtet, z. B. das Herumtragen der mit magischer Kraft ausgestatteten fürstlichen Insignien, das Spielen des heiligen Gamelans, die Herstellung kegelförmiger Reisberge, die erst in feierlicher Prozession in die Moschee getragen und danach unter dais Volk verteilt wurden . . . " Zoetmulder 1965, 292. So wird z.B. im Suluk Cabolek, einem Lehrgedicht aus dem 18. Jahrhundert, als Höhepunkt einer Auseinandersetzung zwischen orthodoxen Muslim und einem heterodoxen Mystiker vom Sprecher der ersten (!) Gruppe die Dewârucigeschichte erzählt (die aus dem wayang-Repertoire stammt und nichts mit dem Islam zu tun hat); die Pointe ist, daß javanische Mystik nicht als verboten angesehen wird, sondern als esoterische Weisheit, die nur von solchen ausgeübt werden darf, die den normalen Weg der islamischen Pflichtenlehre bereits treu durchschritten haben, cf. Soebardi 1975, 53. Dieselbe Tendenz, aber mit ausdrücklicher antüslamischer Pointierung, findet sich auch im Lehrgedicht Wedâtâmâ des Fürsten Mangkunagârâ aus dem letzten Jahrhundert. Zoetmulder 1965, 302-307.
Javanische Geschichte
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einfachen Dorfbewohner mehr als der Prophet Muhammad oder die ersten Helden des Islam.84 Im späten 19. Jahrhundert begann sich diese Situation allmählich zu verändern. Java war inzwischen vollständig unter der Kontrolle der Holländer, auf der Landbevölkerung lastete seit der Einführung des sog. Kulturensystems, das die Bauern zwang, im Turnus auf ihrem Ackerland Export-Saaten anzupflanzen, ein schwerer wirtschaftlicher Druck.85 Da die Holländer im Rahmen ihrer „indirekten Politik" die Durchführung der Abgaben der einheimischen priyayi-Yi\i\& überließ, wurde diese in den Augen der Bevölkerung mit der Kolonialmacht in Verbindung gebracht.86 Auch das Dorfoberhaupt, der lurah, wurde immer mehr zum Vertreter der Kolonialregierung gegenüber seinen Dörflern. Vermutlich war diese Identifizierung der einheimischen Eliten mit der Kolonialmacht einer der Gründe für einen wachsenden Einfluß der islamischen kiyais und ulamas, die ja von je her zu den unversöhnlichsten Gegnern der Kolonialherren gehört hatten, in einigen ländlichen Gegenden.87 Andrerseits führten vermehrte Kontakte mit den Ländern des Nahen Ostens, insbesondere nach der Eröffnung des Suezkanals im Jahre 1869, zu einer Erneuerungsbewegimg im indonesischen Islam selbst. Viele der ursprünglich javanischen Gebräuche, die bisher ohne weiteres insan/ri-Kreisen geduldet worden waren, wurden nun als „heidnisch" und mit der reinen Lehre des Islams unvereinbar angesehen. Kulturell begann man sich in santπ'-Kreisen bewußt an Arabien zu orientieren und die traditionellen javanischen Kulturformen wie wayang, gamelan und klassischen Tanz abzulehnen. Die gesamte, in der Tat stark heterodoxe javanische mystische Bewegimg, die sich bis dahin vielfach als Ausdruck islamischen Glaubens begriffen hatte, fiel nun dem Bann der Puristen zum Opfer. Das führte notwendigerweise zu einer zunehmenden Polarisation zwischen densanfr/'-Gruppen einerseits und javanistisch orientierten Gruppen andrerseits. Während die ersteren danach strebten, die reine ursprüngliche Lehre des Islam (wie sie in Ägypten durch Muhammad Abduh wieder in den Blick gebracht worden war)88zu verwirklichen, wurde sich priyayi und abangan mehr und mehr ihrer javanischen Eigenart bewußt und begannen, ihre Kultur und Vergangenheit bewußt zu pflegen. Und während die santri in den kulturellen und religiösen Gebräuchen der Javanisten immer mehr Heidnisches entdeckten, verachteten die priyayi die santris als eng und formalistisch. Die abangan wiederum empfan-
den íanín'-Bestrebungen, sie unter das Gesetz der Orthodoxie zu bringen, als lästig. Was bis dahin nur zwei verschieden akzenzuierte Lebensweisen waren, 84 85 86 87 88
Zoetmulder 1965, 308. Zu den Auswirkungen des Kulturensystems auf die javanischen Bauern siehe Sievers, 115-117. Siehe Sutherland 1973. van Niel, 286. Vgl. Sastrapratedja.
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wurde nun zum Ausdruck bewußt entgegengesetzter Einstellung. Das, was Robert Jay das santri-abangan - Schisma nennt,89 beginnt sichtbar zu werden. Diese Tendenz wurde durch die im 20. Jahrhundert anbrechende nationale Bewegung noch verstärkt. Die erste nationale, noch unpolitische Organisation überhaupt, die Budi Utomo („hohes Streben") Bewegung vom Jahre 1908, setzte es sich zum Ziel, javanische Kulturideale zu fördern. 90 1912 entstand die erste politische Gruppierung unter dem Namen Sarekat Islam (Islamische Union). Innerhalb von zehn Jahren kam es innerhalb des Sarekat Islam zu einer Konfrontation zwischen einer islamisch und einer kommunistisch orientierten Richtung, die mit dem Auszug der letzteren aus dem Sarekat Islam endete. Seitdem schritt die politische Organisierung Indonesiens stets nach der Trennungslinie Islam versus Abangan voran. Diese Polarisierung führte nach der Unabhängigkeitserklärung von 1945 wiederholt zu schweren Krisen. Von Anfang an lehnten radikale Islamelemente die junge indonesische Republik als kafir („heidnisch") ab. 1950 begann diese Gruppe unter Führung des Ostjavaners Kartosuwirjo unter dem Banner des Darul Islam („Islamstaat") einen Aufstand, der von Westjava aus auch auf Aceh in Nordsumatra und auf Südsulawesi übergriff und erst 1966 endgültig niedergeschlagen werden konnte.
5. Die religiöse Situation heute Wie tief der Gegensatz zwischen javanistisch orienterten Gruppen, seien sie nun „kleine Leute" (wong cilik) oder priyayi, einerseits und santri-Gruppen andrerseits ins Volk reicht, konnten Clifford Geertz und Robert Jay zeitens ihres Studienaufenthaltes in Ostjava Anfang der 50-er Jahre feststellen. Jay beschreibt, wie in dem von ihm untersuchten Dorfkomplex (desà) Tamansari, die zwei nordwestlichen Weiler (dukuh) streng orthodox orientiert waren, während die östlichen und südlichen Weiler synkretistisch (abangan) waren, wobei diese Weiler einen einzigen ununterbrochenen Häuserkomplex von etwa zwei mal einem Kilometer bildeten. Die Beziehungen zwischen beiden Dorfteilen waren so schlecht, daß Dorfbewohner, die mit beiden Gruppen Kontakt hatten, von ihren eigenen Weilergenossen der Disloyalität verdächtigt wurden und daß Dörfler auf dem Wege zur nahen Stadt lieber einen erheblichen Umweg in Kauf nahmen, als durch den santri- bzw. abanganWeiler gehen zu müssen.91 89 90 91
Jay 1969, 4. van Niel, 292. Jay 1963, 78f.; meine eigene Erfahrung 1964-65 in einem Dorfkomplex westlich von Yogyakarta war, daß die Dorfbewohner genau angeben konnten, wer „Islam" ist und wer nicht; in einem Weiler galten die Leute auf der westlichen Straßenseite als „Masyumi" (die damals bereits verbotene, zweitgrößte indonesische Islampartei), die auf der östlichen als PNI (die afcangan-orientierte Nationalpartei).
Religiöse Situation
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Dieser Gegensatz ist zweifellos durch die fortschreitende Politisierung der javanischen Gesellschaft in den 50-er und Anfang der 60-er Jahre noch verschärft worden. Die politischen Parteien, die stets deutlich auf der einen oder der anderen Seite des religiösen Schismas angesiedelt waren, drangen in diesen Jahren auf der Suche nach einer Massenbasis im Volk bis in die hintersten Dörfer vor, so daß der religiöse Gegensatz in aller Schärfe auch dem einfachen Dorfbewohner ins Bewußtsein trat. Seinen blutigen Höhepunkt erreichte diese Spannung nach dem vermutlich kommunistisch inspirierten Coup vom 1. Oktober 1965, als islamische Jugendgruppen in Ostjava hunderttausende des Kommunismus verdächtige abangan, oft ihre eigenen Dorfgenossen, niedermetzelten.92 Auch der Regierung Soeharto ist es nicht gelungen, die santri-Gruppe in die sog. Neue Ordnung zu integrieren. Sie stellt derzeit die einzige ernst zu nehmende Oppositionsgruppe gegen die Regierung dar.93 Ob es sich bei dieser Spaltung um unversöhnliche grundsätzlich divergierende Wertorientierungen handelt - so die Tendenz bei Clifford Geertz94 oder ob es sich, wie neuerdings einige islamische Soziologen meinen, nur um verschiedene Gradierungen der Islamisierung handelt, die künstlich politisch hochgepeitscht wurden,95 ändert nichts an den tatsächlich vorhandenen phänomenalen Unterschieden zwischen beiden Gruppen, wie sie von Geertz, Jay und anderen dargestellt wurden96 und'die auch gar nicht bestritten werden.97 Heute handelt es sich nicht anders, als es Koentjaraningrat Ende der Fünfzigerjahre konstatierte, um „zwei Subkulturen mit entgegengesetzten Weltanschauungen, Werten und Orientierungen innerhalb des Ganzen der Javani92 93
94 95 96 97
Dafür, daß neben kulturell-ideologischen Spannungen auch handfeste wirtschaftliche Interessen hinter diesen Metzeleien standen, siehe Utrecht, 322-327. In den 70er Jahren scheint sich eine neue Entwicklung anzubahnen, in der der Islam als Lebensform eine stärkere Attraktion auf Jugend aus dem städtischen priyayiMilieu auszüben beginnt: es bilden sich spontan Gruppen, die das Rezitieren des Koran lernen, neben verschiedenen sozialen Aktivitäten; Islamthemen und -stil hat in die Popmusik Eingang gefunden; vgl. Bericht in der Wochenzeitschrift Tempo vom 9.12.1978,44-49. Möglicherweise handelt es sich dabei auch um eine Folge der Tatsache, daß nach der Vernichtung der politischen Linken in Indonesien unter dem ideologisch sterilen, westernisierenden Soehartoregime der Islam als einzige oppositionelle und nicht westlich ausgerichtete Lebensform übrig geblieben ist. In diesem Zusammenhang ist auch das Aufblühen zahlreicher neuer „mystischer" (Rebatirían-") Bewegungen zu sehen. Vgl. C. Geertz 1969, 356, wo er neben verschärfenden auch mäßigende Faktoren des Konflikts aufzählt. Vgl. Dhofier 1978 a und b. Vgl. C. Geertz 1969, bes.: 126-130, 357-359; Jay 1963, 1 - 3 0 . Die Frage hat allerdings einen aktuellen politischen Hintergrund: je nachdem, wie sie beantwortet wird, ist Indonesien als ein mehrheitlich islamischer Staat (etwa 90%) anzusehen, oder als ein Staat, in dem der Islam nur eine Minderheit von etwa 45 % darstellt; die Relevanz dieser Frage wiederum muB auf dem Hintergrund islamischer Bestrebungen zur Errichtimg eines Islamstaates auf der Grundlage dersyariah gesehen werden.
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sehen Kultur." 98 Und während der Aufstieg eines wong citik in die Reihen der priyayi (und der umgekehrte Vorgang) durchaus im Bereich des Möglichen liegt, stellen die santris eine geschlossene Gruppe dar. In ländlichen Gegenden sind wong cilik, santri und priyayi an kleinen aber typischen Unterschieden in Kleidung und Verhalten für die Javaner selbst jederzeit erkennbar." In dieser Arbeit bleibt die santri- Variante ausgeklammert, ohne daß damit behauptet sein soll, daß ein Großteil der folgenden Überlegungen nicht auch auf sie zutreffen könnte. Unter „Javaner" verstehe ich im folgenden also stets die abangaw-Variante, sowohl unter den wong-cilik als unter den priyayi.
98 99
Vgl. Koentjaraningrat 1960, 91. Koentjaraningrat 1960, 92; nach Muskens, 98, befand sich Mitte der sechziger Jahre unter den etwa 1000 Studenten der Akademie für bildende Kunst, Musik, Tanz und Ballet und Film in Yogyakarta kein einziger ían in-Moslem.
Drittes Kapitel ZWEI GRUNDPRINZIPIEN JAVANISCHEN ZUSAMMENLEBENS Für das Zusammenleben innerhalb der javanischen Gesellschaft sind zwei Prinzipien von überragender Bedeutung. Das erste besagt, daß der Javaner sich in jeder Situation so zu verhalten hat, daß es nicht zum offenen Ausbruch von Konflikten kommt. Das zweite Prinzip enthält die Forderung, in Sprache und Gebärde stets die dem Range aller Anwesenden zukommende Respektshaltung zum Ausdruck zu bringen. Im folgenden nenne ich ersteres das Prinzip der Konfliktvermeidung, das zweite das Respektsprinzip. Beide Prinzipien stellen den normativen Rahmen dar, der für alle konkreten Formen javanischer Interaktion bestimmend ist. Ihre Forderungen stehen dem Javaner stets im Bewußtsein: Er hat sie als Kipd internalisiert und ist sich bewußt, daß die Gesellschaft von ihm erwartet, sein Verhalten in allen Lagen nach den beiden Prinzipien auszurichten. Ich möchte daher die Untersuchung der javanischen Moral mit einer Besprechung dieser beiden Prinzipien beginnen. Und zwar beginne ich mit einer Beschreibung des Prinzips der Konfliktvermeidung.
1. Das Prinzip der Konfliktvermeidung a. Rukun Ziel des Prinzips der Konfliktvermeidung ist die Aufrechterhaltung eines Zustandes sozialer Harmonie. Einen solchen Zustand nennt der Javaner rukun. Der Ausdruck rukun kann übersetzt werden mit „sich in Harmonie befinden", „ruhig und friedlich", „ohne Zank und Streit", „vereint in der Absicht, einander gegenseitig zu helfen". 1 Ein rufcun-Zustand ist ein Zustand, in dem alle Parteien sich im Frieden miteinander befinden, ein Zustand bestimmt durch Zusammenarbeit, gegenseitige Annahme, Ruhe und Eintracht. Rukun ist der Idealzustand, den der Javaner in allen gesellschaftlichen Beziehungen obwalten sehen möchte, in der Familie, in der Nachbarschaft, im Dorf, in jeder festeren Gruppierung. Die ganze Gesellschaft sollte vom Geist des rukun bestimmt sein.2 1 2
Mulder 1978, 39. ib.
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Grundprinzipien javanischen Zusammenlebens
Das Wort rukun bezeichnet zugleich auch eine Handlungsweise. 3 Rukun handeln bedeutet, sich stets darum zu bemühen, alle Zeichen gesellschaftlicher oder persönlicher Spannungen zu unterdrücken, um stets den Eindruck harmonischer zwischenmenschlicher Beziehungen so weit als möglich zu wahren. 4 Rukun impliziert das ständige Bemühen aller Individuen, sich miteinander ruhig zu verhalten und Elemente potenzieller Zwietracht und möglicher Dissonanzen zu beseitigen.5 Die rukun-Forderung ist ein umfassendes gesellschaftliches Ordnungsprinzip. Alles, was den rukun-Zustand, den Zustand offenbarer Harmonie, in der Gesellschaft stören könnte, hat zu unterbleiben. Dabei sind zwei Gesichtspunkte besonders zu beachten. Erstens geht es in der Vorstellung dps Javaners nicht so sehr darum, positiv einen Zustand sozialer Harmonie herzustellen, als darum, einen solchen Zustand nicht zu stören. In javanischer Perspektive ist die gesellschaftliche Ruhe und Einheit der Normalzustand, der von selbst anhält, solange er nicht gestört wird, ebenso wie die Oberfläche des Meeres von selbst glatt ist, wenn sie nicht durch Wind oder gegen es anschwimmende Körper gestört wird. Das rukun-Prinzip hat also vorwiegend negativen Charakter: es stellt die Forderung, alle Verhaltensweisen zu unterlassen, die die soziale Harmonie stören könnten. Es zielt darauf ab, den Ausbruch von Konflikten zu vermeiden. Aus diesem Grunde nenne ich das rukun-Púnzip nicht, wie es meist geschieht, „Prinzip der sozialen Harmonie", sondern, im Anschluß an Ann R. Willner, „Prinzip der Konfliktvermeidung' ' . 6 Zweitens geht es beim rukun-Prinzip nicht um irgendwelche inneren Willenshaltungen und seelischen Zustände, sondern um die Sicherstellung der äußeren Harmonie in der Gesellschaft. Es geht um die beobachtbare Oberfläche sozialer Beziehungen. Zu vermeiden ist der offene Ausbruch von Konflikten. Dem dienen zwar bestimmte innere Haltungen wie Bereitschaft zur Resignation, die denn auch dem rw/cun-Prinzip zuliebe einzuüben sind, aber sie sind nicht der Gegenstand dieses Prinzips. Zur Bestimmung eines rufcun-Zustandes gehört allein der äußere soziale Frieden, die Abwesenheit des Ausdrucks von Zwisten. Hildred Geertz nennt rukun daher auch „harmonious social appearances". 7 Bevor wir auf diesen wichtigen Sachverhalt näher eingehen, ist die Bedeutung des rw^urt-Prinzips in der javanischen Gesellschaft darzustellen. b. Rukunpraxis Konflikte entzünden sich vor allem daran, daß entgegengesetzte Interessen aufeinanderprallen. Das rukun-Prinzip impliziert daher die Forderung, um 3 4 5 6 7
Jay 1969, 66. H. Geertz 1961, 146. Willner 1970, 258. ib. H. Geertz 1961, 146.
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des guten Einvernehmens willen persönliche Interessen hintenanzusetzen, ja gegebenenfalls überhaupt auf ihre Durchsetzung zu verzichten. 8 Den eigenen Vorteil ohne Rücksicht auf die Billigung der Gesamtheit zu betreiben, das Streben nach individuellem Fortschritt ohne Beteiligung der Gruppe gilt als anstößig. Ebenso wird das Nehmen eigener Initiativen zunächst einmal negativ beurteilt. Denn Initiativen brechen Neuland und ändern stets etwas am eingependelten sozialen Gleichgewicht. Sie können damit leicht gegen bestehende und bereits gesellschaftlich integrierte Interessen verstoßen und somit zu Konflikten führen. Der Einzelne sollte stets zusammen mit der Gruppe handeln. Das Einnehmen exponierter Positionen, auch zu Zwecken, die schließlich der Gruppe Vorteile bringen können, gilt als ungehörig. 9 Bereits bestehende Interessengegensätze werden durch traditionelle Vermittlungstechniken der Gruppe entschärft und in die bestehende Ordnung integriert, so daß Konflikte nicht zum Ausbruch zu kommen brauchen. Private Ambitionen sollte man nie zeigen. 10 Die eigentliche Gefahr für den rufcun-Zustand bilden jedoch nicht objektive Interessengegensätze als solche. Interessengegensätze können in den meisten Fällen sachlich vermittelt werden, was zumeist auch im wohlverstandenen Interesse aller Beteiligten selbst liegt. Daß Interessengegensätze zum Ausbruch offener Konflikte führen, ist meist eine Folge der Emotionen, mit denen sie besetzt sind. Die javanische Gesellschaft hat daher Verhaltensnormen entwickelt, die das Entstehen konfliktträchtiger Emotionen abblokken oder zumindest verhindern sollen, daß sie zum Ausbruch kommen. Diese Normen gelten in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens mit Ausnahme des engsten Familienkreises, in dem die Kraft spontaner Sympathie das Entstehen konfliktträchtiger Emotionen normalerweise verhindert oder sie in Grenzen hält. Sie können in der Forderung zusammengefaßt werden, sich stets umsichtig und beherrscht zu verhalten. Naturgemäß bringt es der gebildete priyayi darin zu besonderer Fertigkeit, aber auch der Dorfbewohner bemüht sich um ein solches Verhalten. Dazu gehört die Forderung, sich stets gelassen zu geben, nie die Ruhe zu verlieren, keine Überraschung 1 1 oder Aufregung zu zeigen. Umgekehrt hat man sich stets so zu verhalten, daß andere nicht überrascht oder erschreckt werden. Vom erwachsenen Javaner wird erwartet, daß er stets die Reaktionen aller Anwesender berücksichtigt und sich so verhält, daß von vornherein keine Zusammenstöße möglich werden. Er spricht mit ruhiger, emotionsloser Stimme und vermeidet es, seinen Standpunkt so vorzubringen, daß der andere nur mit ja oder nein antworten kann und somit möglicherweise eine konfrontative Position einzunehmen gezwungen sein könnte. Aussagen werden durch Formeln wie „nach meinem Gefühl" (raoskulà) oder „vielleicht" (mbok menawi) relativiert. Das Offen8 9 10 11
Jay 1969, 86; Selosoemardjan, 393. Mulder 1975, 118. Mulder 1973, 26. Für „Überraschung" gibt es im Javanischen kein eigenes Wort.
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Grundprinzipien javanischen Zusammenlebens
baren von Gefühlen ist verpönt. Impulsivität und Spontanität gelten als Zeichen von Unterentwicklung. Es ist besser, nichts zu unternehmen, als Unruhe hervorzurufen. Übermäßige Bemühungen zu welchen Zwecken auch immer wird mißbilligt.12 Reaktionen, die Ungeordnetheit verraten oder auf einen Mangel an Selbstkontrolle schließen lassen, empfindet der Javaner als peinlich. 13 Besonders behutsam hat man sich in Situationen zu verhalten, m denen gegensätzliche Interessen zum Austrag kommen. Wünsche oder Angebote zum Beispiel dürfen nicht direkt abgelehnt werden. Die angebrachte Antwort ist in jedem Fall ein höfliches Ja (inggih), nie ein direktes Nein. Es bleibt der Feinfühligkeit des Bittenden überlassen, herauszufinden, ob ein Ja eine feste Zusage, ein höfliches Zurkenntnisnehmen ohne weitere Verpflichtung, dem Wunsche nachzukommen, oder gar ein verblümtes Nein besagt. Umgekehrt wird erwartet, daß man Angebote und Wünsche nicht direkt vorträgt. 14 Vielmehr muß zuerst abgetastet werden,' wie ein solcher Wunsch aufgenommen werden würde. Danach richtet sich dann, wie und ob überhaupt der Wunsch vorzubringen ist. Eine andere Möglichkeit, eine Ablehnung zu äußern, ohne ablehend zu erscheinen, besteht darin, sein eigenes Angebot oder dasjenige, was der andere als Wunsch vorbringt, schlecht zu machen. Clifford Geertz beschreibt das feststehende Ritual, das sich abspielt, wenn die Eltern eines jungen Mannes um die Hand der Tochter bei deren Eltern anfragen. Dazu gehört, daß die Eltern des Mädchens protestieren, ihre Tochter wäre nicht mehr frisch, sie würde sich, obwohl schon erwachsen, immer noch wie ein Kind aufführen und im übrigen würde sie als Schwiegertochter nur Scherereien machen. 15 Dadurch ist beiden Parteien die Möglichkeit gegeben, sich ohne ausdrückliche Ablehnung aus der Affäre zu ziehen: stimmen die Eltern des Mädchens dieser Heirat nicht zu, so erscheint ihre Absage als ein Ausdruck ihrer Besorgtheit um das Interesse der Eltern des jungen Mannes und als deren eigenen Wünschen entsprechend. Und ebenso können sich auch die Eltern des jungen Mannes zurückziehen, wenn sie es sich doch noch anders überlegen wollen. Eine von Javanern hochgeschätzte Tugend ist die Fähigkeit, Unerfreuliches auf indirekte Weise zur Sprache zu bringen. Unangenehme Wahrheiten, Ermahnungen und Forderungen sollte man niemals direkt an den Mann zu bringen versuchen, sondern sie behutsam vorbereiten und einwickeln. Ein kultiviertes Gespräch kann lange Zeit nur über Lapalien gehen. Die Gesprächspartner haben so Gelegenheit, sich gegenseitig abzutasten und emotionell zu wappnen. Kommt man dann schließlich zum entscheidenden Punkt, so ist die Gefahr emotioneller Ausbrüche gering. „Bluntness is simply not a virtue, and by the time one comes to the point in a well-moderated 12 13 14 15
Mulder 1975, 118. Vgl. C. Geertz 1969, 243. C. Geertz 1969, 244f. C. Geertz 1969, 53 f.
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priyayi conversation everyone should be quite aware of what one is going to say. Often it is not necessary to come to the point at all - a great relief to everyone." 16 Eine andere Technik, um zu vermeiden, Enttäuschungen hervorzurufen, besteht in der Praxis der Dissimulation. 17 Der Javaner nennt diese étok-étok, so tun als ob. Etok-étok ist eine hohe Kunst und gilt als Tugend. Clifford Geertz berichtet von einem Informanten, der von einem der Kandidaten einer Bürgermeisterwahl sagt, er zeige nie, was er wirklich denke, wobei diese Bemerkung als Kompliment verstanden war. Zum étok-étok gehört, daß man, außer im engsten Familienkreise, niemals seine wahren Gefühle offenbart. Das gilt in erster Linie von negativen Gefühlen. Auch wenn man tieftraurig ist, hat man zu lächeln. Erhält man Besuch, den man nicht ausstehen kann, so hat man sich erfreut zu geben, und viele Javaner haben es in dieser Kunst zu hoher Meisterschaft gebracht. Ebenso hört man auch gute Bekannte selten über ungeliebte Dritte schimpfen. Aber auch starke positive Gefühle soll man verbergen, es sei denn in sehr intimen Situationen. „The effort is to keep a steady level of very mild positive affect in interpersonal relations, an étokétok warmth behind which all real feelings can be effectively concealed." 18 Zur Kunst der Dissimulation gehört es ferner, außerhalb des Intimkreises auf Fragen, die einen persönlich betreffen, eine nichtssagende oder auch ein wenig falsche Antwort zu geben (was aber nicht gilt, wenn eine falsche Antwort dem Fragesteller Schaden bringen würde). Etwa, wenn man gefragt wird, was man gerade tue, wohin man gehe, wann man das neue Kleid gekauft habe. „One tells the truth in small matters only, when there is some reason to do so. In general, polite Javanese avoid gratuitous truth." 1 9 Die Rationale dieser positiv beurteilten Gewohnheit scheint auf zwei Ebenen zu liegen: einerseits erwartet der Fragende von vornherein gar nicht, eine richtige Antwort zu erhalten; es liegt ihm ja fern, sich in die Privatangelegenheiten eines anderen einmischen zu sollen; seine Frage ist nur ein Zeichen dafür, daß er den anderen freundlich zur Kenntnis nimmt. Andrerseits gibt die in der Dissimulation enthaltene Verweigerung von Information über einen tatsächlichen Sachverhalt beiden Gesprächspartnern die Freiheit, das Gespräch in alle Richtungen weiter zu entwickeln, während eine einmal eingeführte Tatsache ein Absolutum ist, dessen Sperrigkeit die Möglichkeit, bestimmte Positionen dem ruPrinzip zuliebe nicht zu beziehen, zunichte macht. Bestimmte Handlungsmöglichkeiten werden schwieriger, wenn bestimmte Tatsachen bekannt sind. In diesem Kontext ist wohl auch die Beobachtung zu verstehen, daß Javaner sich hüten, sich in die Privatangelegenheiten ihrer Nachbarn einzumischen (was freilich in keiner Weise erhebliche Neugier und ausgiebigen 16 17 18 19
C. C. C. C.
Geertz Geertz Geertz Geertz
1969, 1969, 1969, 1969,
244. 245-247. 246. 245.
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Tratsch ausschließt). Abgesehen von denjenigen Fällen, in denen die Tradition gegenseitige Hilfeleistung gebietet, 20 ist der Javaner tunlichst bemüht, nicht in möglicherweise emotionsgeladene Probleme seiner Nachbarn verwickelt zu werden. Im Zweifelsfalle tut er so, als ob er eher zu wenig als zu viel gehört hat. Wohnen zwei Haushalte unter einem Dach, so haben sie doch ihre strikt getrennten Privatquartiere. 21 Mischigkeit macht besonders unbeliebt. Solange der Nachbar kein öffentliches Ärgernis gibt, werden sich die anderen Nachbarn bemühen, sich weise aus seinen Problemen herauszuhalten. Dahinter steht die Erfahrung, daß Einmischung leicht Emotionen in Gang setzt und somit zu Konflikten führen kann. Konfliktverhindernd wirkt schließlich die strenge Etikette (tâtâkrâmà) , nach der alle Formen direkter Interaktion außerhalb des Intimkreises der Familie oder unter Kumpeln abläuft. 22 Die Etikette bezieht sich auf die Gesten, die Sitzordnung, auf Inhalt und Form des Gesprächs. Die javanische Sprache selbst ist dazu hervorragend geeignet: ein Gespräch unter gebildeten Personen muß in der Sprachform der kràmà geführt werden, das in etwa mit dem Siezen im Deutschen verglichen werden kann; im kràmà kann man sich jedoch schon rein sprachlich nur höflich ausdrücken, es besteht sprachlich nicht die Möglichkeit, zu schimpfen, Imperative auszudrücken oder Emotionen Luft zu machen. 23 Die Disposition zu solchem Verhalten hat der Javaner zusammen mit seiner Erziehung als Kind erworben, wie Hildred Geertz ausführlich dargestellt hat. 2 4 In der sozialen Disziplinierung des javanischen Kindes laßen sich zwei Phasen unterscheiden. Die erste reicht etwa bis zum 5. Lebensjahr und ist durch innigste, spannungslose Verbundenheit mit der Familie gekennzeichnet. Ununterbrochen ist es in dieser Zeit Zentrum liebevoller Aufmerksamkeit seiner Umwelt. Es ist in ständigem physischen Kontakt mit Mutter, Vater, älteren Geschwistern, Großeltern usw. Frustrationserfahrungen und Aufregungen werden ihm nach Möglichkeit erspart, alle Wünsche erfüllt. 25 20 21 22
23 24 25
Siehe unten ,gotong-royong". Koentjaraningrat 1960,103; vgl. H. Geertz 1961, 33. Vgl. C. Geertz 1969,247-260; Jay (1969,201-206) stellte fest, daß es auf dem javanischen Land keinen Begriff von Freundschaftsbeziehungen gibt; abgesehen von Familienbeziehungen gibt es nur geographische festgelegte Nachbarschaftsbeziehungen und Kumpelei unter unverheirateten männlichen Jugendlichen eines Dorfes. Die Struktur der Sprache selbst, nicht etwa bloße Konventionen, erlaubt diese Interaktionsformen nicht, siehe unten. H. Geertz 1961, 92-117. Das Entwöhnen fällt der javanischen Mutter besonders schwer, da es nicht ohne Frustrationserlebnisse für das Kind möglich ist, vgl. H. Geertz 1961, 9 5 - 9 7 . - D e r Soziologe Niels Mulder meint, das charakteristische Ergebnis dieser Früherziehung sei, daB der Javaner seine emotionelle Sicherheit ausschließlich aus dem Gefühl des Getragenseins von der Kleingruppe her gewinnt und nicht aus dem Umgang mit der Materie, vgl. Mulder 1973, 51-53. Auch die Tatsache, daß der Javaner bei wichtigen Veränderungen in seinem Leben, insbesondere, wenn er heiratet, gern seinen
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Nie wird es allein gelassen. Auffallend ist, daß das javanische Baby keine Krabbelperiode erlebt (Kriechen auf dem Boden wird als gefährlich angesehen, da böse Geister über den Boden in das Kind eindringen können). 26 Die Möglichkeit, die Umwelt eigenständig zu erkunden und selbständig Erfahrungen zu machen, wird ihm nicht gelassen. Alle Schrecknisse und Gefahren nimmt ihm die Umwelt ab.27 In dieser Phase erfolgt die notwendige soziale Disziplinierung auf eine doppelte Weise. Erstens werden dem Kind die wichtigsten Verhaltensweisen durch sanfte Wiederholung allmählich antrainiert. So lernt es zum Beispiel, daß es Gegenstände mit der rechten Hand und nicht mit der linken zu empfangen oder zu geben hat, dadurch, daß die Mutter ständig die linke Hand sanft beiseite schubst und die rechte hervorzieht. Im übrigen rieselt unaufhörlich ein Strom ruhiger Ermahnungen wie „lauf nicht so schnell", „sag danke schön" auf das Kind hernieder. Ungezogenheiten werden schlicht abgestellt, sie rufen niemals emotionelle Reaktionen bei der Mutter hervor. Die Reinlichkeitserziehung geht ohne jede Aufregung von statten. Dahinter steht die Auffassung, daß ein kleines Kind noch nicht den Gebrauch der Vernunft erlangt hat, daß es daher auch keinen Sinn hat, von ihm zu verlangen, seine spontanen Triebe und Emotionen zu beherrschen, und so kommt es niemanden in den Sinn, auf ein kleines Kind böse zu werden.28 Hiermit hängt das zweite Kennzeichen javanischer Kindererziehung zusammen. Gehorsam wird nicht durch Strafen oder durch Mißfallenskundgebungen der Mutter sanktioniert, sondern durch die Drohung, daß irgendeine Kraft außerhalb der Familie — böse Geister, Hunde, ein Fremder 29 — dem Kind etwas antun werden, wenn es sich nicht richtig benimmt. Das Kind erfährt so die eigene Familie ausschließlich als Quelle seiner seelischen und leiblichen Geborgenheit. Es interiorisiert als richtig dasjenige Verhalten, das es in Einheit mit der Familie hält, als falsch alles, was es von der Familie trennt. Die Außenwelt erfährt es als Bedrohung. Diese totale Angewiesenheit auf die Stützung durch den Intimkreis macht das Kind übersensibel gegenüber selbst subtilsten Reaktionen von anderen. 30 Eine zweite Phase der sozialen Disziplinierung beginnt etwa nach dem fünften Lebensjahr. Sie ist dadurch gekennzeichnet, daß der Vater eine andere Rolle zu spielen beginnt: aus einem warmen, akzeptierenden Gefährten wird er zu einem distanzierten Fremden, den die Mutter nun in ihren Ermahnungen in die feindliche Außenwelt einbezieht, vor dem man sich fürchtet
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Namen wechselt (Koentjaraningrat 1960,101), kann von daher interpretiert werden: er erfährt seine Identität in erster Linie aus seiner Position in der Gruppe. H. Geertz 1961, 101, 104. H. Geertz 1961, 92f., 106. H. Geertz 1961, 99f„ 105, 150. H. Geertz 1961, 151. H. Geertz 1961, 108f„ 114f.
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und dem gegenüber man Respekt zeigen muß. 31 Vom Kind wird nun erwartet, daß es vernünftig handeln kann. Es hat all die Verhaltensweisen zu lernen, die von einem erwachsenen Javaner erwartet werden. Das Kind wird nun nicht mehr diszipliniert durch direkte Drohungen mit Gefahren von Außen, sondern durch mehr indirekte Hinweise auf das Mißfallen der Außenwelt. Wieder ist es nicht das Mißfallen der eigenen Mutter, das zum Ausdruck gebracht wird, sondern was wohl die anderen Leute denken werden. 32 Das Kind lernt, sich vor Außenseitern zu schämen (isin), „to dread the feeling of embarassment, shame, and guilt that he learns to associate with the open expression of feeling or the transgression of other rules of etiquette." 33 Ist der Javaner erwachsen geworden, so hat er internalisiert, daß seine Wohlfahrt, ja seine Existenz von seinem Eingefügtsein in die Gruppe abhängt. Sich direkt gegen den Willen einer anderen Person zu stellen oder Feindseligkeit öffentlich zu zeigen, ist für ihn seelisch revoltierend. 34 Einem Verhalten , das vom rukun-Ptiiaip abweicht, stehen daher schwere psychische Widerstände entgfegen. Unordnung, Disharmonie, lauter Streit, jede Störung der Ruhe und des sozialen Gleichgewichts verabscheut er zutiefst. 35 Umgekehrt ist ein Zustand sozialer Harmonie für ihn überaus befriedigend: in diesem Zustand erfährt er die Geborgenheit in der Gruppe, er braucht keine eigenverantwortlichen Entscheidungen zu treffen und sich daher nicht der feindlichen Außenwelt isoliert auszusetzen, in allem kann er sich an Gewohnheit (adat) und Höflichkeitsformen (tâtàkrâmâ) halten. Der rukun-Zustand übersetzt sich für ihn psychologisch in einen Zustand der Abwesenheit von Negativgefühlen, in einen Zustand der Geborgenheit und des Friedens. Das rwfcwn-Prinzip kommt in allen Lebensbereichen zur Anwendung. Zum Beispiel sind Erbstreitigkeiten zwischen den Angehörigen der Kernfamilie äußerst selten. 36 Eine Erbteilung gilt als gut und wird als befriedigend erfahren, wenn konkret allen Ansprüchen und Bedürfnissen Rechnung getragen werden konnte und nicht einfach, wenn den abstrakten Normen des Rechts oder gewohnheitsrechtlicher Bestimmungen entsprochen wurde. Ziel ist nicht abstrakte Gerechtigkeit, sondern, daß eine Lösung erzielt wird, der alle zustimmen (mufakat) können. 37 Auch wenn die Betroffenen nur noch entfernt miteinander verwandt sind und daher wenig spontane Neigung zu einer rwfcww-Lösung besteht, wird eine solche meist durch den Druck der Umwelt (zum Beispiel über das Dorfoberhaupt) erzwungen. Dasselbe gilt bei Güterverteilung im Falle einer Scheidung. Wer partout auf seinem Recht bestehen
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H. Geertz 1961, 152. H. Geertz 1961, 117. H. Geertz 1961, 152. H. Geertz 1961, 153. Vgl. Mulder 1978, 39. H. Geertz 1961, 48. H. Geertz 1961, 46f.; Jay 1969, 84.
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bleibt, gilt als einer, „der auf egoistische Weise nur seinen eigenen Vorteil sucht." 38 Das Streben nach rukun ist der Grund, auch entfernteren Verwandten in der Not zu helfen, selbst dann, wenn man sie nicht leiden kann oder sich eigentlich nicht um sie kümmern möchte. Aus demselben Grund muiissen auch unwillkommene Verwandte in das eigene Haus aufgenommen werden. 39 Das erscheint immer noch als das kleinere Übel im Vergleich zu offenen Streitereien oder der Gefahr, in den Ruf zu geraten, mit seinen Verwandten nicht rukun zu sein. Das ist umso bemerkenswerter, als der Javaner emotionell deutlich zwischen Kernfamilie und übriger Verwandtschaft unterscheidet. Während in der Kernfamilie eine gelöste Atmosphäre der Herzlichkeit, des Vertrauens und der spontanen Sympathie besteht, hält der Javaner seinen Verwandten und der Schwiegerfamilie gegenüber eine vorsichtige und kühle Distanz. 40 Die normative Kraft des rukun-Prinzips zeigt sich dabei gerade dadurch, daß ein Javaner diesen Tatbestand nie direkt zugeben wird, daß er im Gegenteil stets beteuern wird, daß alle ein Herz und eine Seele seien und keinerlei Spannungen beständen. Dasselbe gilt übrigens auch für die Position dés Vaters in der Familie. 41 Fragt man danach, so wird der Vater als geliebtes, verehrtes und weises Haupt der Familie dargestellt, dem man vertrauten Respekt erweist und zu dem man in allen Nöten kommt. Das ist das normative rukun-Bild. In Wirklichkeit hat die Frau das Heft in der Hand, sie führt die Kasse, ihre Schwestern und nicht die Verwandten des Mannes dürfen im Hause aus- und eingehen, sie setzt meist ihren Willen durch, wenn über Erziehungsfragen, Heiratspläne usw. beschlossen wird, 42 und zwischen Vater und Sohn herrscht oft eine kühle, formelle Atmosphäre. 43 In diesem Zusammenhang ist die Tatsache aufcchlußreich, daß der Javaner es vermeidet, seine Verwandtschaftsbeziehungen zu seinen Hausgenossen und Verwandten zu spezifizieren, obwohl er das ganz exakt tun könnte. 44 Vettern und Nichten werden wie direkte Geschwister, Tanten und Onkeln nicht selten als Mutter und Vater angesprochen. Dahinter steht wohl, daß eine genauere Bezeichnung des Verwandtschaftsgrades offenbar machen würde, daß es sich nicht um ein Mitglied der Kernfamilie handelte; das aber käme dem Eingeständnis gleich, daß in Wahrheit keine spontane rukun-Atmosphäre besteht; das aber darf nicht zugegeben werden aufgrund der „deep-rooted Javanese conviction that it is best to avoid or to play down divisive or conflicting tendencies between individuals in the hope that by verbally ignoring them social relationsips will flow more smoothely." 45 38 39 40 41 42 43 44 45
Jay 1969, 65, vgl. 67. H. Geertz 1961, 26f., 150. H. Geertz 1961, 153. Jay 1969, 105; H. Geertz 1961, 121f. H. Geertz 1961, 4 4 - 4 6 . Jay 1969, 92. Jay 1969, 197 f. H. Geertz 1961, 18.
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Deswegen bemüht sich der Javaner, die Menschen, mit denen er zu tun hat, als Blutsverwandte zu behandeln. Nachbarn müssen stets als Verwandte behandelt werden. Im Gespräch wird nicht zwischen den Mitgliedern der Kemfamilie und den übrigen Verwandten, zwischen näherer und entfernterer Verwandtschaft, zwischen Bluts- und Schwiegerverwandten, zwischen Verwandten und Nachbarn unterschieden. Als Anrede Fremden gegenüber werden stets Ausdrücke der Familiensprache verwendet: so wird das deutsche „Herr" in der Anrede mit „Pak" (Vater), das deutsche „Frau" mit „Ibu" (Mutter) übersetzt: auch die Worte für Großvater und Großmutter, Onkel, Tante, ältere Schwester, jüngeres Geschwister usw. finden weite Verwendung. Javaner empfinden es geradezu als peinlich, wenn sie zugeben müssen, daß sie in Wirklichkeit mit verschiedenen Nachbarn und Bekannten, die sie immer als Verwandte ausgegeben haben, überhaupt nicht verwandt sind. In Wirklichkeit sind sich die Javaner dieser Unterschiede peinlich bewußt.Denn nur in der Kernfamilie fühlen sie sich einigermaßen frei vom «/«-Druck, von der Furcht, sich schämen zu müssen, auf Blutsverwandte ist nun einmal im Ernstfall ganz anders Verlaß als auf die Schwiegerfamilie, und obwohl man auf die Hilfe der Nachbarn rechnen darf, so muß man vor ihnen doch auch auf der Hut sein. Die vorsorgliche Einbeziehung der Umgebung in den Kreis der engsten Blutsverwandten scheint ein Versuch zu sein, mögliche Spannungen von vornherein abzublocken. Da innerhalb der Kernfamilie tatsächlich eine Atmosphäre druckfreien rukuns gegeben ist, bezeugt der Umgang mit der Umgebung als wie mit Blutsverwandten rukun und macht gewissermaßen von vornherein jeden Anschein unmöglich, als ob mit all diesen lieben Menschen, mit denen man so betont familiär und gelöst verkehrt, nicht die herzlichsten Beziehungen bestünden. Es soll gleichsam der Eindruck geweckt werden, daß es sich hier nicht um ein mühsam aufrechterhaltenes, sondern um ein spontanes, emotionell unterstütztes rukun handle.46 Rukun ist das Motiv dafür, daß man bei bestimmten Anlässen an Mitglieder der weiteren Familie und an Nachbarn Gaben gekochten Essens schickt.47 Wer einen besonderen Gewinn gemacht hat, von dem wird erwartet, daß er ihn unter die Gemeinschaft verteilt, wobei nahe Verwandte allerdings Priorität genießen. Überschüssiger Reichtum soll mit den Mitgliedern der Gemeinschaft geteilt werden, was in dem Sprichwort ausgedrückt ist: „Gibt es wenig, so verteilt man wenig, gibt es viel, so verteilt man viel."48 Wer ein Reisfeld besitzt, muß seine Dorfgenossen und auch andere an der Ernte 46 47 48
H. Geertz 1961,18; Jay 1969,137,153,157-159,197ff.; Koentjaraningrat 1960, 114. Jay 1969, 174-176, 227f., 447f. Ana satitik didum satitik, &rtä akèh didum akèh, Soetrisno, 39; in der Umgebung von Yogyakarta beobachtete Selosoemardjan, daß Genossenschaften einen Teil ihrer Gewinne zum Wohl des ganzen Dorfes abzuzweigen pflegten, z. B. in Form einer Spende für die örtliche Begräbniskasse, um dadurch das rukun - Verhältnis zwischen Genossenschaft und Dorf zu festigen, Selosoemardjan 308.
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beteiligen.49 Praktische Gegenstände wie Drucklampen, ein Fahrrad, Stühle usw., aber auch kleine Mengen von Bargeld müssen ausgeliehen werden.50 Eine besondere Weise von rukun stellt gemeinsame Arbeit im Dorf dar, gotong-royong genannt. Unter „gotong-royong" fallen zwei Arten von Arbeiten: sich gegenseitig helfen, und gemeinsame Arbeiten im Interesse des ganzen Dorfes verrichten. Zum ersten gehören Nachbarschaftshilfe beim Bau eines Hauses, bei der Vorbereitung eines Festes und bei bestimmten anderen Gelegenheiten. Bei Arbeiten für die Belange des Dorfes ist an Verbreiterung eines Weges, Ausbesserung von Bewässerungskanälen oder eines Hochwasserdammes, an den Bau einer Schule, an die Ausbesserung einer Brücke, an Gräberpflege und Nachtwächterei zu denken. 51 Nach Koentjaraningrat stehen dem Dorfbewohner dreierlei Werte im Bewußtsein, wenn er gotong-royong praktiziert: Erstens, da jeder einzelne vom anderen abhängt, sei es wichtig, gute Beziehungen untereinander zu pflegen; zweitens, es sei gut, dem Nächsten zu jielfen; drittens, „man müsse sich konform verhalten, d. h. sich stets dessen bewußt sein, daß man nicht danach streben sollte, sich vor den anderen in der Gesellschaft hervorzutun."52 Das Bemühen um rukun steht auch hinter der Gewohnheit der musyawarah, dem Prozeß der Entscheidungsfindung durch gegenseitige Konsultationen, der in Indonesien stets als Weise spezifisch indonesischer Demokratie angeführt wird. „Ideally, musyawarah is a procedure in which all voices and opinions are heard. All these are considered to be equally true and to contribute to the solution sought. Musyawarah tries to establish the kebulatan kehendak, or kebulatan fikiran, that can roughly be translated as the totality or completeness of wishes and opinions of the participants. This completeness is a guarantee for truth and right decision-making, because the truth is contained in the harmonious unity of the deliberating group. The truth should not be sought outside of it, or with those who hold most power: the right decision is a social fact that reflects the totality of the participants. There is no voting in the musywarah; it is a process of deliberation, of a give-and take and compromise, in which all opinions should be respected." 53 Javaner werden nicht müde, auf die Überlegenheit von musywarah gegenüber der westlichen Methode der Entscheidungsfindung durch Abstimmung hinzuweisen. Ziel der musyawarah ist es, daß jeder seine Meinung einbringen kann, daß keine Beschlüsse gefaßt werden, in denen nur eine Partei zum Zuge kommt, daß daher auch alle den Beschlüssen zustimmen können. Jeder muß daher bereit sein, etwas nachzugeben. „A concern for rukun makes it
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Jay 1969, 269. Jay 1969, 268. Kodiran 339, vgl. Jay 1969, 320-322. Koentjaraningrat 1969, 35. Mulder 1978, 40
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necessary for the opposing parties to reliquish those personal desires likely to cause overt social disturbance."54 In Dorfversammlungen (rembug desa) ist es in manchen Gegenden üblich, daß die versammelten Einwohner für jede Entscheidung, die die gesamte Gruppe angeht, ausdrücklich ihre Zustimmung bekunden, was durch ein lautes Ja-Sagen („inggih") ausgedrückt wird.55 Entgegenstehende Meinungen werden indirekt und taktvoll, mehr durch Andeutungen oder dadurch, daß man auf die vorgelegte Frage nicht eingeht, ausgedrückt. Nicht selten sind die Probleme schon vorher lange informell besprochen und eine Lösung ausgehandelt worden, so daß die formelle Versammlung nur noch eine show vollständiger Einmütigkeit ist.56 Besteht dagegen weiterhin eine Opposition gegenüber einem Vorschlag, der auf einer Versammlung vorgetragen wird, so wird sie durch die Blume vorgebracht, mit Anspielungen, die aus der javanischen Mystik stammen, Apellen an nationale Ideale usw. Dennoch spüren Versammlungsleiter und Anwesende meist recht genau die Stärke, die Intensität und den relativen Einfluß der Opposition. Ist sie zu stark, so läßt der Versammlungsleiter die Diskussion weiterlaufen. Hält sich die Opposition, so wird die Versammlung aufgehoben und die Besprechung des Vorschlages auf eine spätre Sitzung verschoben.57 c. Rukun und Gesinnung Aus dem Dargestellten sollte deutlich geworden sein, daß das rukun-Prinzip in der javanischen Gesellschaft eine überragende Bedeutung besitzt. Wir wollen es uns jetzt etwas genauer ansehen. Kem des rw&im-Prinzips ist die Forderung, alle Verhaltensweisen zu unterlassen, die zum offenen Ausbruch von Konflikten führen könnten. Das Gut, dem dieses Prinzip dienen soll, ist die soziale Harmonie, der rukun-Zustand, ein Zustand, der dadurch gekennzeichnet ist, daß sich alle Parteien einer Gruppe im Frieden miteinander befinden. Die Motivation des Javaners, sich dem rukun-Prinzip entsprechend zu verhalten, ist eine doppelte: einmal steht 54 55 56 57
H. Geertz 1961, 48. Jay 1969, 399. Es kommt daher bei Besprechungen zwischen Javanern und Europäern leicht zu Kommunikationsstörungen. „When proper etiquette prevails and the speakers stick to the subject at issue, opposition to any proposal before the assembly is expressed in tactfiil, often elliptical phrasing, with appeal to high sentiments, sometimes supported with logic drawn from Javanese mysticism or from the mystique of modern Indonesian nationalism. Yet out of this foggy dew of opinion the chairman and most of the assembly gain a fine sense for the size, intensity, and relative influence of the opposition. If therefore, he considers the opposition too large, he allows the discussion to continue until signs of opposition subside or, if there is no abatement in the opposition, until the meeting can be brought tactfully to an end. With this course the Chairman signals tacitly that the proposal is being dropped at least for the time." Jay 1969, 381, vgl.
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jeder Einzelne unter dem schweren Druck seiner Umwelt, die von ihm rukun-Verhalten erwartet und nichtkonformes Verhalten mit Sanktionen belegt. Zum anderen hat der Javaner das rukun-Gebot intemalisiert: Er empfindet Schuld- und Schamgefühle, wenn er durch sein Verhalten den rukunZustand stört. Worauf beziehen sich genauer diese Negativgefühle des Javaners? Sie entstehen, wenn sein Verhalten Widerspruch weckt. Zeichen dafür, daß Worte, Haltungen, eine Handlung bei anderen negative Reaktionen hervorrufen würden, entfesseln mächtige psychische Antriebe, um solches Verhalten sofort einzustellen. Der Javaner fühlt sich gedrängt, eine Konfrontation um beinahe jeden Preis zu vermeiden. Er fühlt sich innerlich im Frieden, leicht, gelöst, wenn er nirgendwo auf Widerstand stößt, und umgekehrt erregt Widerspruch von Außen intensive Unlustgefühle. Es geht also beim rukun -Prinzip nicht um Altruismus gegen Egoismus. Es geht um das Vermeiden von offenbaren Konflikten. Hier haben wir einen für die ethische Beurteilung des rw^un-Prinzips grundlegenden Gesichtspunkt vor uns: das rukun-Prvazvp bezieht sich nicht auf die Gesinnung, vielmehr bezieht es sich auf einen Zustand der Außenwelt, auf die konliktlose Ruhe der Oberfläche gesellschaftlicher Beziehungen. Der Gesichtspunkt der rechten Gesinnung liegt außerhalb des Blickpunktes des rukun-Priazips. Worauf die Gesellschaft, notfalls durch Druck und Sanktionen, besteht, und was das Individuum intemalisiert hat, ist die Forderung, die manifeste äußere Ruhe, den sichtbaren gesellschaftlichen Frieden nicht zu stören. 58 Es geht nicht um Beilegung des sachlichen oder persönlichen Konfliktes als solchen, es geht dar:um, daß weder sachliche Gründe noch Emotionen es rechtfertigen, in äußeren Streit zu geraten. Was beim Javaner Gefühle des Widerwillens und Unwohlseins hervorruft, ist das Gestelltwerden in eine offene Konfrontation. Wie Konfrontationen vermieden werden, fällt nicht mehr unter das rukunPrinzip, sondern ist eine Frage der Technik der Verhaltensregelung und ist vom Standpunkt des rukun-Prinzips aus neutral. Ob Konflikte dadurch am Ausbruch gehindert werden, daß die streitenden Parteien auseinander gehen, daß das Problem nicht gelöst, sondern auf die lange Bank geschoben wird, oder dadurch, daß eine Partei sich in den Verzicht schickt, ist vom ru£u/i-Standpunkt aus nicht weiter bedeutsam. Es geht nicht um die Gesinnung, es geht darum, daß das gesellschaftliche Faktum eines manifesten Zusammenstoßes nicht zustande kommt. Zwar wird, wie noch darzustellen ist, dem Javaner inensiv empfohlen, sich innerlich eine Gesinnung der Resignation (rilà, iklas) zu eigen zu machen, das aber nicht moralistisch im Namen der Bruderliebe oder weil eine egobezogene Einstellung verwerflich wäre, sondern als Gebot der Klugheit: durch eine solche Haltung erspart man sich überflüssige Frustrationen. 58
Diesen Gesichtspunkt unterstreichen besonders H. Geertz (1961, 47ff., 53, 147ff.), Willner (1970, 258), Jay (1969, 66), C. Geertz (1969, 61).
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Beim rKÄwn-Prinzip geht es also um das äußere Verhalten. Sich um rukurt bemühen impliziert in der Vorstellung des Javaners keineswegs die Pflicht, sich auch um eine versöhnliche, verständnisvolle, sympathisierende innere Haltung zu bemühen. Es fordert nicht die Bereitschaft, sich selbst nicht wichtig zu nehmen oder anderen zuliebe Opfer zu bringen. Entscheidend ist nur die Forderung, sich so zu verhalten, daß es an der sichtbaren Oberfläche ruhig bleibt. Es geht nicht so sehr darum, den Konflikt selbst zu vermeiden, der ja oft in einer objektiven Interessenlage begründet ist, als dessen Manifestwerden. 59 Die Repression der Verfolgung egoistischer Interessen im Namen des rufcurt-Prinzips erstreckt sich also nicht auf die innere Haltung. Was ich innerlich denke, ist Privatsache. Es wird dem Javaner also zu den gehörigen Opfern, die er im Namen des rw^Mn-Prinzips zu bringen hat, nicht auch noch zugemutet, auch innerlich auf die geopferten Interessen zu verzichten und etwa Schuldgefühle darüber zu empfinden, daß er Rachegedanken hegt. Vielleicht ist das ein Grund dafür, daß das rukun-Prinzip zu keinen auffälligen neurotischen Entwicklungen geführt hat. Rukun bedeutet demnach auch nicht, daß der Javaner einen Verzicht, zu dem er sich unter dem Druck von rukun bereitfinden mußte, auch innerlich stets zuzustimmen bereit ist,60 noch, daß das moralisch eigentlich von ihm er59
60
Im engsten Familienkreis, in dem spontane Liebe (tresnä) und Familiarität herrschen, äußern sich solche Kommunikationsschwierigkeiten weniger. Wie sich aber die Spannung zwischen Pflicht zu äußerem rukun und wahren inneren Gefühlen in Wirklichkeit auswirkt, sei an einem ausführlichen Beispiel gezeigt, wo es um das Verhältnis Stiefmutter zu ihren Stiefkindern geht: „One informant, a widower with five young children, described the difficulties he was having with his present wife, a well-meaning amiable woman. He began by saying that children never consider their stepmother in the same way they consider their own mother. They are more disobedient to the stepmother than they would be to their own mother. When his wife told her stepchüdren to go somewehre for her, they just answered ,It's too hot, I don't feel like going,' and then she felt slighted. He felt that they should have more respect for her, as they would have had for their own mother. He then went on in detail. His wife did not like the chüdren to have better clothes than she (in contrast to a real mother, who would want the chüdren to have the best) because she felt that would represent their superiority to her. His wife had a niece, her sister's child, whom she had brought up as her own ; and she always bought nice clothes for herself and her niece but not for her stepchüdren. One of these, a girl of about sixteen, felt very hurt when the stepmother bought her niece some earring. Typically, she did not tell her father, for that would upset him, but instead stayed in her room and wept till one of her younger brothers saw her and told her father about is. He in turn said nothing directly to his wife about is, but gave her long lectures on Javanese mystical philosophy (on which he was an expert), using the family relationships as examples for the moral rules he expounded, andfinallyhinted that she should buy her stepdaughter a pair of earrings. The familiy picture he presented was one of a complex network of interpersonal tensions (expressed mainly in attitudes toward material mattersclothing and jewelry) accompanied by great concern for restraint in order to protect the father form being upset (which he was anyway) and skillful use of various indirect means of communication (weeping, philosophy)." (H. Geertz 1961). H. Geertz (1961,53) berichtet z.B. von einer Informantin, die gern aus dem Haus
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wartet würde. Es muß daher nicht bedeuten, daß er die Sache einfach auf sich beruhen lassen wird. Das wird er tun, wenn er selber den ra&un-Kompromiß als gerecht ansieht. Im anderen Fall bleibt ihm die Möglichkeit offen, bef einer Veränderung der Interessenkonstellation der Gruppe seine individuellen Ansprüche erneut vorzubringen. Allerdings wird eine solche Aktion nur dann Erfolg haben, wenn der erste rufc«H-Kompromiß von der Gesellschaft selbst als nicht geglückt angesehen wird. Dem Javaner stehen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, um auszudrücken, daß er innerlich nicht zustimmt. Da die Verweigerung der Zustimmung aber, eben aufgrund des rukun-Prinzips, nicht offen geschehen darf, sind diese Möglichkeiten immer indirekt. Eine solche Möglichkeit ist ζ. B. die der räumlichen Trennung. 61 Hildred Geertz hat vermutet, daß die hohe Scheidungsrate unter den Javanern außer auf die relativ geringe Tiefe der emotionellen Bindung zwischen den Ehegatten auch darauf zurückzuführen ist, daß das Auseinandergehen die einfachste Weise der Konfliktlösung ist. 62 Eine weitere Weise, einen Konflikt nicht zum Ausbruch kommen zu lassen, ihn aber für jedermann sichtbar zu demonstrieren, besteht darin, miteinander für eine bestimmte Zeit nicht mehr zu sprechen (jotakan). Das bemerkenswerte an dieser Art, gegenseitige Konflikte kund zu tun, ist, daß sie von der Umgebung respektiert und damit moralisch in gewissen Maße akzeptabel gemacht wird. Dieses jotakan ist quasi-institutionalisiert, es kann sich über einige Tage, aber auch Wochen, ja in Extremfällen auf ein ganzes Leben erstrecken. Es wird meistens durch die formelle Vermittlung über Dritte beendet. 63 Eine .einfache Weise, seine NichtZustimmung einem erzwungenen rufcun-Kompromiß gegenüber auszudrücken, besteht darin, ihn einfach dadurch zu sabotieren, daß man eben nichts tut. 6 4 Aus dem Gesagten ergibt sich, daß das rukun-Fiinzip mißverstanden wird, wenn man es als eine Art angeborener sozialer Gesinnung interpretiert. Rukun hat nichts zu tun mit einer Gesinnung, die die eigenen Interessen und Rechte gegenüber den Belangen der Gruppe hintanzusetzen bereit ist, es impliziert keineswegs das Ideal eines Untertauchens des Individuums im Kollektiv. Der Javaner fühlt sich durchaus als Individuum, mit individuellen Lebensproblemen, mit persönlichen Rechten und Interessen, und im Rahmen
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ihrer verstorbenen Eltern einige bewegliche Gegenstände, darunter das Porzellan, geholt hätte, doch war gemäß der rukun-Erbregelung bereits ihr jüngerer Bruder •mit Familie eingezogen. Als die Inforlnantin ihn besuchte, sah sie, daß dessen Frau das Porzellan bereits benutzte. Das machte sie böse, doch ihr Mann riet ihr, nichts zu sagen. Als Folge davon besuchte sie seitdem nie mehr ihren jüngeren Bruder. „Ulis is a typical example of the rukun ideal in practice, resulting in external harmony at the expense of repression of true feeling." Vgl. H. Geertz 1961, 30. H. Geertz 1961, 134-136, 153. H. Geertz 1961,29f., 43,136; Hildred Geertz (1961,34) erlebtez. B. wie ein Mann Monate lang nicht mit seiner Mutter sprach, weü sie ihn einmal wegen seiner Weise der Kindererziehung gescholten hatte. H. Geertz 1961, 153; Jay 1969, 393.
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dessen, was ihm das rukun-Prìnzip erlaubt, tut er alles, um diese auch durchzusetzen. Er legt zum Beispiel Wert auf sein Privatleben. Er kann es durchaus nicht leiden, wenn andere Leute ihre Nase in seine Angelegenheiten stecken. Sein Privatleben spielt sich in der Kernfamilie ab, der einzigen Gruppe und Umgebung, in der er sich gelöst und frei von Etikettezwängen so geben kann, wie ermöchte.6s Der Intrusion von Außenseitern steht er mißtrauisch und widerwillig gegenüber. Das ist besonders deutlich im Falle der Verwandtschaft, zu der nach der „offiziellen" Moral genau dieselbe Beziehung bestehen sollte wie zur Kernfamilie, der er aber, wie wir sahen, in Wirklichkeit distanziert gegenübersteht. Werden zum Beispiel Verwandte oder die Familie eines der Kinder ins Haus aufgenommen, so führen beide Familien getrennten Haushalt.66 Daß der Javaner einen klaren Begriff von individuellen Rechten hat, kommt auch in der wirtschaftlichen Basis seiner individuellen Existenz zum Ausdruck: Ein bedeutender Teil der Reis- und Trockenfelder sowie die Häuser sind Privatbesitz.67 Daß sich der Javaner seiner individuellen Interessen voll bewußt ist, zeigt sich an der Weise des gegenseitigen Helfens (gotong-royong), das wir als einen Ausdruck des rukun-Piinzips bereits besprochen haben. Von den sieben verschiedenen gotong-royong-'Weisen, die Koentjaraningrat unterscheidet, 68 kommen nur zwei auf ganz spontane Weise zustande, nämlich das Helfen bei Todesfällen (tulung layat) und das Durchführen bestimmter Projekte im Interesse des gesamten Dorfes (gugur gunung).69 Dagegen ist das Annehmen der Einladung zu einem Fest soziale Pflicht und von jedem Gast wird erwartet, daß er einen bestimmten Geldbetrag dem Hausherrn bei passender Gelegenheit heimlich zusteckt (njurung). Die Größe der jeweiligen Spende wird von beiden Seiten genau vermerkt und der Spender darf hoffen, daß der jetzige Gastherr auch bei seinem Feste auftauchen und eine Spende in gleicher Höhe machen wird. Hilfe beim Bau eines Hauses zum Beispiel muß stets erbeten werden. Der Dorfbewohner, der von einem Nachbarn um Hilfe gebeten wurde, betrachtet den Nachbarn als ihm gegenüber in Arbeitsschuld stehend. Diese Schuld wird nicht vergessen und der Betrag an Arbeit, die ihm geschuldet wird, wird sorgfaltig ausgerechnet. Sie wird bei passender Gelegenheit eingefordert. In all diesen Weisen gegenseitigen Helfens weiß der Dorfbewohner genau, wieviel Arbeitszeit oder wieviel Geld er anderen 65
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Das gilt bereits nicht mehr uneingeschränkt vom Vater: „Javanese culture, in contrast to that for instance of Japan which has a similar stress on interpersonal formality, provides no area of life where the rules of propriety are held in abeance and the person can relax," H. Geertz 1961, 152; bei den Frauen gehören oft noch engere weibliche Verwandte und vielleicht auch noch die eine oder andere Freundin in diesen vertrauten Kreis, cf. H. Geertz 1961, 45. Koentjaraningrat 1960, 103. Vgl. Jay 1969, 307-320. Koentjaraningrat 1961, 29. Koentjaraningrat 1961, 37.
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schuldet und wieviel er selbst noch ausstehen hat. 70 Ebenso weiß er ganz genau um seine Rechte bei Tauschgeschäften, Geldverleih, Kauf und Verkauf, beim Einfordern von Versprechungen, bei der Zurückzahlung von Schulden usw.71 Das rukun-ΫτΪΏΖψ bedeutet also nicht etwa, daß der Javaner keine individuellen Interessen hat, vielmehr stellt es einen sozialen Mechanismus dar, um diese Interessen zum Wohl der Gruppe zu integrieren. Für den Bauern bedeutet rukun „a hard-headed modus vivendi reached through a process of give-and-take between selfinterested people." 72 Man kann geradezu sagen: das rukun-Piiazip ermöglicht es dem Javaner, seine soziale Einstellung zu demonstrieren, ohne innerlich entschlossen auf seine eigenen Interessen verzichten zu müssen. Außerdem ist noch ein anderer Gesichtspunkt zu beachten. Das rukunPrinzip legt den Betroffenen in der Tat ständig Verzichte auf: um Konflikte zu vermeiden, müssen sie zu Kompromissen bereit sein, sie müssen sich in vielen Fällendamit abfinden, nicht ihr volles Recht zu erhalten. Doch garantiert dasselbe rukun-Piinzvp, daß sie später wiederum von den Verzichten anderer Gruppenmitglieder profitieren. Opfer machen sich also bezahlt, nicht nur emotionell, indem man sich dadurch Freiheit von unangenehmen Konfrontationen einhandelt, sondern auch materiell: auch die anderen müssen Verzichte leisten und dadurch wird man für seine Verzichte kompensiert. Im übrigen muß die Gemeinschaft sorgfaltig darauf achten, daß auf lange Sicht die Gerechtigkeit gewahrt bleibt. Anderenfalls würde nämlich ein ständig benachteiligtes Gruppenmitglied seinen eigenen Anfangseinsatz bei der gemeinschaftlichen Beschlußfindung immer höher schrauben, es würde immer hartnäckiger auf seinen eigenen Interessen bestehen; da aber die Gruppe unter dem Druck des rukun-Prinzips Entscheidungen einstimmig zu fällen hat (sepakat), würde es ihr immer schwerer fallen, ihre Interessen gegenüber diesem Mitglied durchzusetzen. Außerdem muß die Gemeinschaft darauf achten, daß keine vitalen Einzelinteressen mißachtet werden. Denn in diesem Falle müßte es früher oder später zum gefürchteten offenen Konflikt kommen. Entgegen „idealisierenden Plattitüden", 73 wie sie zur offiziellen rwfcMrt-Ideologie in Indonesien gehören, ist Clifford Geertz zuzustimmen, wo er schreibt: „Rukun, as a value, ties together a group not of oversocialized primitive communists but of rather self-contained peasant materialists with a clear realization of where their own interests lie; and it does so not so much by appealing to vague notions of universal brotherhood as by defining actual 70 71
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Vgl. Koentjanmingrat 1961, 29-41; C. Geertz 1969, 66. Wie Hildred Geertz berichtet (1961,68), ist eine der Motivationen für das Geben aufwendiger Hochzeits- oderBeschneidungsgeschenke die Idee, dadurch dem Kind für die Zukunft die Verpflichtung zur Dankbarkeit gegenüber seinen Eltern aufzuerlegen. H. Geertz 1961, 48. ib.
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modes, means, and forms of specifically limited inter-individual cooperation within clearly defined social contexts." 74 Im übrigen kennt auch der Javaner Grenzen, über die er nicht gestoßen werden darf. Geschieht das, so reagiert er konfrontativ. Doch tut er das dann in Form eines höchst emotionellen, dem konkreten Anlaß unproportionierten Ausbruchs. 75 Ein solcher Ausbruch ist nicht einem klärenden Gewitter zu vergleichen, sondern eher einer alles vernichtenden Explosion des mitteljavanischen Merapivulkans, nach der nur Tod, Trümmer und Asche übrigbleiben. Ein solcher Ausbruch bedeutet den Zusammenbruch der psychischen Hemmungsmechanismen und wird als überaus bestüzend und beschämend erlebt. 76 Es handelt sich dabei nicht um eine dem rukun-Prinzip selbst eingebaute Schranke, sondern um dessen Zusammenbruch.
2. Das Respektsprinzip Ein zweites Prinzip, das für das Zusammenleben in der javanischen Gesellschaft von besonderer Bedeutung ist, ist ein Prinzip, das ich mit Hildred Geertz Respektsprinzip nennen möchte. Es besagt, daß jeder in Sprache und Gebärde stets die dem Range seines jeweiligen Gegenübers zukommende Respektshaltung zum Ausdruck zu bringen hat. „Every encounter, between two Javanese especially, involves a mutual recognition in language, gesture, and attitude of their relative place in an elaborately and subtly stratified social order. The proper observance of the niceties of etiquette, with recognition of the precise degrees of deference and condescension, is of utmost importance." 7 7 Das Respektsprinzip basiert auf der Auffassung, daß alle gesellschaftlichen Beziehungen hierarchisch geordnet sind, daß diese hierarchische Ordnung ein Gut an sich selbst ist und daß es daher moralisch geboten ist, diese Weise gesellschaftlicher Ordnung aufrechtzuerhalten und zum Ausdruck zu bringen. 78 Dahinter steht wiederum das Ideal einer wohlgeordneten Gesellschaft, in der jeder seinen Ort hat und seine Aufgabe kennt und dadurch dazu beiträgt, daß die verschiedenen Teile der Gesellschaft eine harmonische Einheit bilden. Diese Einheit sollte jeder dadurch anerkennen, daß er die korrekten Formen gesellschaftlicher Etikette anwendet. Diejenigen, die in höhergestellten Positionen sind, sollte er respektieren, Niedergestellten gegenüber 74 75 76
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C. Geertz 1969, 61. Die extremste Form eines solchen Ausbnichs ist amuk, eine Art Tobsuchtsanfall, in dem jeder, der dem Tobenden in den Weg gerät, physisch attaquiert wird. Einen etwas verschieden gelagerten Fall eines peinlichen Zusammenbrechens emotioneller Selbstkontrolle bei einem Begräbnis, zusammen mit der gepeinten Reaktion der Trauergäste, beschreibt Gìfford Geertz 1957. Willner 1970, 259. H. Geertz 1961, 147.
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dagegen Wohlwollen zeigen und sich verantwortlich für sie fühlen. Indem jeder sich mit seinem Stand und seiner Position zufrieden gibt, bleibt die gesellschaftliche Ordnung gewährleistet. Man sollte daher keine Ambitionen entwickeln, nicht miteinander wetteifern, sondern mit seinem Platz im Leben vorliebnehmen und das Beste daraus machen: „Ambition, competition, inpoliteness, and personal wishes for material gain and power are sources of disruption, disharmony and contradiction that should be avoided and repressed." 79 Das Bewußtsein des gegenseitigen sozialen Rangverhältnisses durchdringt das gesamte Leben des Javaners. Es ist im Jananischen nicht möglich, jemanden anzusprechen und mit ihm zu reden, ohne dabei zum Ausdruck zu bringen, wie man die eigene Rangstellung im Verhältnis zum anderen einschätzt. Wie bereits im Zusammenhang mit dem rukun-Prinzip dargestellt, gebrauchen Javaner als Anrede Ausdrücke aus dem Familienbereich. Das Charakteristische dieser Termini ist aber, daß sie fast ausnahmslos den Senior-Junior Aspekt zum Ausdruck bringen. Während im Deutschen die wichtigste Unterscheidung die zwischen den Geschlechtern ist (Bruder oder Schwester, Großvater oder Großmutter), wird im Javanischen der Geschlechtsunterschied (mit Ausnahme von Formen, in denen die Worte für „Vater" (Pak) und „Mutter" [mBok, Ibu] vorkommen, sowie einigen wenigen anderen) nicht ausgedrückt. Muß er doch einmal ausgedrückt werden (was tatsächlich erstaunlich selten der Fall ist), dann geschieht das durch Hinzufügung der Adjektive „weiblich" (wadon), bzw. „männlich" (lanang).60 Dagegen ist beinahe in allen Ausdrücken enthalten, ob der Verwandte älter oder jünger ist, bzw. der Vetter (die Cousine) Kind eines älteren oder jüngeren Bruders (Schwester) des Vaters (der Mutter) ist. Kommt dem Gesprächspartner ein höherer gesellschaftlicher Rang zu, so gebraucht man einen Seniorterminus, kommt ihm ein niedrigerer Rang zu, einen Juniorterminus. Einen älteren Herrn redet man mit ,,mBah" (Großvater) oder „Pak" (Vater) an, einen gleichaltrigen oder etwas jüngerem mit„Afaj" oder,,Kang" (beides bedeutet „ältere Geschwister") an, einen erheblich jüngeren mit„Dik" (jüngere Geschwister) an, eine ältere Frau mit „Bah" (Großmutter) oder „mBok" (Mutter) eine gleichaltrige mit „mBakyu" (ältere Schwester), eine jüngere mit „Dik" an. Das verschiebt sich noch je nach dem sozialen Stand: je höher gestellt der Partner, desto älter wird er eingestuft und umgekehrt. Ist man außerdem wirklich blutsverwandt miteinander, so ist, ohne Rücksicht auf die tatsächlichen Altersverhältnisse, die der Generationsbeziehung entsprechende Anrede und Sprachform zu gebrauchen. Hildred Geertz berichtet, wie ein zwölfjähriger Junge dagegen protestierte, daß er einen zweijähri79 80
Mulder 1978, 41. Bei gelegentlichen Übersetzungen von Briefen aus dem Indonesischen (das sich in dieser Hinsicht nicht allzu sehr vom Javanischen unterscheidet) ins Deutsche, hatte ich jedesmal die Schwierigkeit, ob ich kakak und adik als Bruder oder Schwester zu übersetzen hatte.
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gen Verwandten, der aber der Generation seiner Großeltern angehörte, mit „Großvater" (mBah) und im Hoch javanischen anreden sollte. Schließlich erlaubte ihm die Mutter, das familiäre Umgangsjavanisch zu gebrauchen, aber zusammen mit der Anrede.„mBah cilik" („kleiner Großvater"). 81 Da jeder Mensch, der einem begegnet, sei er nun verwandt oder nicht, in Verwandtschaftsausdrücken angeredet werden muß, dürfte in der Tat, wie Hildred Geertz schreibt, der erste Gedanke eines Javaners sein, wenn er ein Gespräch beginnt: „Welchen Grad von Respekt sollte ich ihm erweisen?" 82 Die Bezeichnung des gegenseitigen sozialen Ranges ist nicht nur durch den Zwang zur Wahl eines Terminus für die Anrede nicht zu vermeiden, sie ist der Struktur der javanischen Sprache selbst inhärent. „It is impossible to speak Javanese without reference to the position of the person spoken to in relation to the position of the speaker. In its many complicated and formal gradations, the choice of words reflects position, intimacy or formality, age, social distance and rank, together with all the nuances of relative expectations, obligations and rights. The choice of words and language are expressive of the prevailing order." 83 Ebensowenig, wie die deutsche Sprache gebraucht werden kann, ohne die Zeitbeziehung (Vergangenheit, Gleichzeitigkeit, Zukunft) mitausdrücken, kann ich javanisch sprechen, ohne das Rangverhältnis zwischen mir, meinem Gesprächspartner und gegebenenfalls Dritten, über die wir sprechen, auszudrücken. Die Statusindikatoren sind in die javanische Sprache selbst eingebaut; man kann nur von gleich zu gleich, von höher zu niedriger und umgekehrt sprechen, und innerhalb dieser Bezeichnungen gibt es zahlreiche äußerst feine Abstufungen. Die javanische Sprache besteht aus zwei Hauptstufen, die sich in Wortschatz und Grammatik unterscheiden. Die eine entspricht in etwa dem deutschen Siezen und drückt eine Respektshaltung aus (kràmâ), während die zweite etwa dem Duzen entspricht und Familiarität ausdrückt (ngoko). Im Unterschied zum Deutschen unterscheiden sich ngoko und kràmà nicht nur in den Personal- und Possessivpronomina der zweiten Person, sowie den entsprechenden Verbsuffixen, sondern im Wortschatz und in der Grammatik. Für die etwa 850 wichtigsten Begriffe des täglichen Lebens hat die javanische Sprache eine eigene ngoko- und kràmâ-Form.84 Dazu kommen noch etwa 260 Worte einer dritten Sprachstufe, des kràmà inggil, die Personen („Vater"), Tätigkeiten („schlafen") und besonders eng mit Personen verbundene Gegenstände (wie „Haus", „Fahrzeug") bezeichnen und hohen Respekt 81
82 83 84
H. Geertz 1961, 23; ich kannte einen javanischen Studenten, der mit einem sehr entfernten Verwandten, Student an derselben Hochschule, der zwar jünger war, aber der Generation seines Vaters angehörte, in einem Studentenheim lebte; er beklagte sich darüber, daB er ständig gehemmt sei, weil er seinen Kameraden im Hochjavanisch und mit der Anrede „Paifc Lik" (Onkel mütterlicherseits) anzureden hatte. H. Geertz 1961, 19. Mulder 1978, 40. Poedjosoedarmo, 64.
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ausdrücken und die sowohl mit der kràmà- als mit der ngofco-Sprache kombiniert werden.85 Außerdem gibt es zahlreiche Zwischenkombinationen. Auf diese Weise bringt es das Javanische auf etwa elf verschiedene Sprachebenen, von denen jede einem bestimmten sozialen Rangverhältnis entspricht,86 mit 850 Begriffen, die durch je zwei Wörter, und 260, die durch je drei Wörter ausgedrückt werden. Der Gebrauch der javanischen Sprache setzt ein Bewußtsein des jeweiligen sozialen Ranges voraus.87 Zum Einhalten der korrekten Respektshaltungen wird der Javaner von Kind an erzogen. Es sind, wie Hildred Geertz dargestellt hat, vorallem drei Gefühle, die das javanische Kind in Situationen empfinden lernt, in denen ein Respektsverhalten erfordert ist, die Gefühle we di, isin und sungkan. Wedi bedeutet „sich fürchten" und zwar sowohl als Reaktion auf physische Bedrohung wie als Angst vor den unerfreulichen Folgen einer Handlung. Ein Kind lernt zuerst, Respektspersonen gegenüber wedi zu fühlen. Es wird gelobt, wenn es gegenüber älteren Leuten und Fremden wedi ist. Erste Formen der Höflichkeit und des Anstandsverhaltens werden dem Kinde anerzogen unter Hinweis auf allerlei Schreckliches, das ihm sonst Fremde und Mächte außerhalb der Familie antun würden.88 Wenig später beginnt die Erziehungzum Fühlen von isin.69 „hin" bedeutet „sich schämen", aber auch „scheu" oder „verlegen zu sein", Schuld zu empfinden usw. Sich schämen können zu lernen (ngerti isin) ist der erste Schritt auf dem Weg zur reifen javanischen Persönlichkeit. Umgekehrt enthält die Beurteilung „ora ngerti isin", er weiß sich nicht zu schämen, eine überaus scharfe Mißbilligung der betroffenen Person. Das win-Gefiihl wird Kindern dadurch beigebracht, daß man sie bewußt vor Nachbarn, Fremden usw. beschämt macht, wenn sie etwas Tadelnswertes begangen haben. Die Folge ist, daß sich Kinder in Anwesenheit von Gästen nicht selten völlig in sich selbst verkriechen, überflutet von einem Gefühl totaler Verlegenheit, und völlig unansprechbar werden, sogar für die eigene Mutter. 90 85 86 87
88 89 90
Poedjosoedarmo, 67. Poedjosoedarmo, 59, 67 f. Jan Bakker 1978 macht darauf aufmerksam, daß mit der Verfeinerung der Sprache vom rtgoko über kràmà auf kràmà inggil eine Verundeutlichung der Wortbedeutung zusammengeht. Die vier ngofco-Ausdrücke für Zukunft (arep, bakal), wollen igelem) und den Mut zu etwas haben (wani) werden im kràmà durch nur zwei Wörter, badé (Zukunft) undpurun (wollen, den Mut haben), im kràmà inggil schließlich nur durch das eine Wort karsà (es ist der Wille) ausgedrückt. Kaufen (tuku, tumbas), nehmen (njupuk, mendet), fragen (takon, nedä) und bitten (njaluk, nedä), also vier Worte im ngoko und drei im kràmà, werden im kràmà inggil zu mundut (in etwa ,·,heischen"). Diese Verwischimg der exakten Bedeutung ist ein Zeichen von Vornehmheit und parallel mit dem, was im Zusammenhang mit dem rukun-Prinzip über Dissimulation, étok-étok usw. gesagt wurde. Im gebildeten Verkehr wird Objektivität immer unwichtiger, entscheidend sind nur noch die intersubjektiven Verhaftungen und die entsprechenden Emotionen. H. Geertz 1961, 114f. H. Geertz 1961, 115-117. „The two-year-old, silent in fear that the strange visiting man will, as his mother had
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Isin und R e s p e k t (urmat) gehören zusammen. D e r Javaner fühlt sich isin, wenn er Respektspersonen nicht den erforderten Respekt erweisen kann, / s i « - G e f ü h l e sind in allen sozialen Situationen potentiell vorhanden. Die einzige A u s n a h m e ist der engste Familienkreis, den Vater oft ausgeschlossen, in dem Familiarität (tresna) herrscht und in d e m erwartet wird, daß man sich nicht voreinander geniert. 9 1 Familiarität ist der Gegensatz zu urmat, bzw. zu ¿íin-Beziehungen. N u r innerhalb der Familie kann sich der Javaner daher völlig gelöst geben. Dagegen sind seine Außenbeziehungen ständig durch «¿«-Gefühle bedroht. Demgegenüber versucht er sich auf zweierlei Weise zu wappnen. Einerseits, indem er den Kreis seiner Familiaritätsbeziehungen auszuweiten sucht. Nachbarn gegenüber sollte m a n zum Beispiel nicht isin fühlen. Doch gelingt das bereits recht selten. Die Abwesenheit von t j m - G e fühlen innerhalb der Familie ist wohl auch ein G r u n d dafür, weshalb der Javaner alle sozialen Beziehungen als Familienbeziehungen zu konstruieren pflegt, wobei dieser Trick ihm allerdings nicht hilft, über seinen ¿sm-Schatten zu springen u n d zu wirklich gelösten sozialen Beziehungen zu k o m m e n . A n d rerseits hilft aber gerade das Vorhandensein einer strikten Respektsetikette zu einer gelösteren Form des Umgangs, da die im R a h m e n dieser Etikette ausgetauschten W o r t e und Gesten, gerade wegen ihrer formalisierten Form, einem die Sicherheit geben, sich korrekt zu verhalten und einen dadurch vor ¿sín-Gefühlen bewahren. Es ist keine Ubertreibung zu behaupten, daß die Furcht vor i s w - G e f ü h l e n für den Javaner eine der stärksten Motiviationen für sozial richtiges Verhalten ist. I m Alter von etwa fünf Jahren hat das javanische Kind ein G e f ü h l dafür entwickelt, in welchen Kontexten es sich isin zu fühlen hat. Je größer es wird und je besser es die Regeln höflichen Verkehrs beherrscht, desto mehr wird es als vollwertiges Mitglied der javanischen Gesellschaft anerkannt. In diesen J a h r e n lernt der Javaner das sungkan- Gefühl. Sung kan kann a m besten mit „verlegen" übersetzt werden, aber nicht in dem Sinn, wie sich Kinder vor Fremden verlegen fühlen, sondern in einem positiveren Sinn. Sich sungkan fühlen gilt d a h e r im Unterschied zu isin nicht als ein Gefühl, das man meiden sollte. Hildred Geertz beschreibt sungkan als „a feeling of respectfull politness before a superior or an unfamiliar aequal", 9 2 als „ t h e graceful constraint of one's own personality out of deference to the other person." 9 3 Sungkan ist das Gefühl positiver Verlegenheit, das man in Anwesenheit von Höhergestellten empfindet. Wedi, isin und sungkan stellen ein Kontin u u m von Gefühlszuständen dar, deren gesellschaftliche Funktion es ist, den
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warned, bite him if he makes a noise, is not unrelated to the four-year-old who, stiff with shyness, hides behind his mother, or the adult villager who, when calling on a government official, hides not only his shame but also his purpose in coming behind a screen of polite sentences." H. Geertz 1961, 113. H. Geertz 1961, 113. H. Geertz 1961, 114. H. Geertz 1961, 152.
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Forderungen des Respektsprinzips psychologische Unterstützung zu gewähren: Das Individuum fühlt sich gedrängt, stets die geforderte Respektshaltung einzunehmen, während respektloses Benehmen Unlustgefiihle erzeugt. Die Internalisierung dieser Gefühle ist Zeichen einer reifen Persönlichkeit. „To ,know' is in, sungkan, and rukun and to know when and how they are appropriate is to have attained the more general ideal of being jawa: being proper, sane, and mature, in short being fully Javanés." 94 Respektverhalten und die es umgebenden Haltungen haben sich am offenkundigsten in denjenigen Klassen der Gesellschaft entfaltet, in denen hierarchische Strukturen das tägliche Leben am stärksten beeinflussen, nämlich in den traditionell auf den Kraton (Fürstenhof) orientierten priyayi-Kieisen.'5 Dagegen spielt es im Dorfmilieu mit seiner egalitären Grundstruktur eine weit untergeordnetere Rolle, wie überhaupt in den manuell arbeitenden Klassen. Heutzutage zeigt sich die Mentalität, die durch Internalisierung der Respektverhaltungen bestimmt ist, besonders in den Kreisen der Beamten und Angestellten, des Militärs und überhaupt der gebildeten javanischen Mittelschicht, die denn auch gern moderne priyayis genannt werden. Das Verhalten dieser Kreise ist durch die Maxime bestimmt, „daß der Mensch sich in seinem Handeln am besten an dem Verhalten des Vorgesetzten orientiert", daß man „Vorgesetzten, hochgestellten Persönlichkeiten und alten Leuten zu Dienste stehen soll."96 Untergebene rechnen es sich zur Ehre an, ihren Vorgesetzten kleine Privatgeschenke zu machen. Umgekehrt bringt die Position als Vorgesetzter (auch) die Verpflichtung mit sich, den ihm Untergebenen oder niedriger Gestellten Protektion zu gewähren. (Das Respektsprinzip führt daher zu Patron-Klienten-Verhältnissen.) Der Untergebene erwartet vom Vorgesetzten Schutz und moralische Orientierung, während der Vorgesetzte mit dem Dienste und der Loyalität seiner Untergebenen rechnen kann: „the social order as a moral order of derived patrimonial leadership."97 Untergebenen und Niedrigergestellten steht es nicht zu, Vorgesetzte bzw. Höhergestellte an moralischen Normen zu messen, zu kritisieren oder zur Verantwortung zu rufen. Vielmehr ist es gerade umgekehrt: das faktische Verhalten Vorgesetzter ist als solches gerechtfertigt und setzt somit moralische Standarts, die der Untergebene nachzuahmen trachtet. Koentjaraningrat sieht in diesem Verhältnis einen der Hauptgründe für Korruption, fehlendes Bewußtsein für sachorientierte Verantwortung und Ineffizienz. Echte Kommunikation zwischen Vorgesetzten und Untergebenen verkümmert: der Vorgesetzte gibt „briefings" (ein im Indonesischen im Zusammenhang mit Regierungsmitgliedern, Generälen usw. derzeit gern ge94 95
96 97
ib. Eine Beschreibung der konkreten Respektsformen impriyayi-Milieu des 19. Jahrhunderts, sowie die beginnende Reaktion dagegen in den 20er und 30er Jahren dieses Jahrhunderts gibt Sutherland 1973, 145 ff. und 455 ff. Koentjaraningrat 1969, 44. Mulder 1978, 42.
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brauchtes Wort, das ungefähr mit „autoritativer Lagedarsteliung" übersetzt werden kann), „Instruktionen" und „WegWeisungen", während der Untergebene „Rapporte" (indonesisch „laporan") schreibt, die so frisiert sein müssen, daß das Berichtete den Erwartungen des Vorgesetzten entspricht (solche Berichte heißen im Indonesischen „ laporan kecap", Ketchuprapporte, Berichte, die nach Geschmack gewürzt werden). Zu einer Kommunikation über die sachlich vorhandenen Probleme kommt es nicht. 98 Es entsteht eine Interessengemeinschaft zwischen „Patron" und „Klient" zur Aufrechterhaltung dieser beiden Teilen nützlichen Situation, die ihre Basis in den dadurch gesicherten Bedürfnis nach Protektion einerseits und Status andrerseits besitzt, und moralisch und psychologisch durch das Respektsprinzip abgesichert ist. Anders ist die Situation auf dem Dorf. Hier herrschte von altersher eine egalitäre Weise des Zusammenlebens und noch in den fünfziger Jahren beobachtete Jay, daß arme wie reiche Bauern mit Stolz darauf hinwiesen, daß im Dorfe jedermann, unbeschadet seiner wirtschaftlichen Stärke, gleiche Stellung und gleiches Ansehen genieße. Der lurah (das Dorfoberhaupt) nimmt zwar eine patriarchalische Stellung ein, doch nicht als Autoritätsperson, der zu gehorchen ist, sondern als primus inter pares.Die Autorität des lurahs ist daher nicht unangefochten. Für Maßnahmen, die das ganze Dorf angehen, muß er von der Dorfgemeinschaft Zustimmung einholen. Befehle werden in Form von Vorschlägen wie zwischen gleich und gleich ausgedrückt. Über alle wichtigen Beschlüsse muß zuvor die Zustimmung mittels einer musyawarah (Versammlung) eingeholt werden. 100 Tritt dagegen in der Versammlung ein Vertreter der Regierung auf, der aus 98
Koentjaraningrat 1969, 44; zum Problem der Korruption vgl. auch Soedarso. Vgl. Jay, 2 3 9 - 288 ; Wertheim 133 ; allerdings nähert sich heute die Stellung des Lu rahs immer mehr der einer Autoritätsperson, und zwar aufgrund der Regierungspolitik, ihn zum Werkzeug der Zentralregierung zu machen, einer Politik, die bereits im letzten Jahrhundert von den Holländern eingeleitet wurde, Wertheim 139; entsprechend ist der ganze Respektsverhaltenskomplex auch auf dem Lande auf dem Vormarsch, und war parallel mit einer ständigen Verschärfung der Klassenunterschiede auf dem Land. Offiziell wird der Lurah auch heute noch durch die Dorfbewohner gewählt; wie eine solche Wahl in der demokratischsten Periode der indonesischen Republik, im Jahre 1954, in einer ostjavanischen Gemeinde vor sich ging, beschreibt C. Geertz 1965,155-208. 100 Jay 1969,407 - 4 1 0 ; Ähnliches hat Ann Willner in einem ostjavanischen Betrieb in den 50er Jahren beobachtet; obwohl selten Versammlungen der Belegschaft mit der Gewerkschaftsführung stattfanden, sah sich letztere doch genötigt, vor allem in Fragen, die direkt das Interesse der Arbeiter betrafen, deren Meinung zuerst zu erkunden, etwa um in Verhandlungen mit dem Management einen bestimmten Standpunkt festzulegen. Fand eine Versammlung statt, so konnte jeder sich zu Wort melden und sprechen, so lange er wollte ; es wurde kein Versuch gemacht, ihn etwa beim Thema der Versammlung zu halten. Widerstand gegen vorgeschlagene Maßnahmen wurde kaum direkt ausgedrückt, sondern meistens indirekt, z. B. durch Hinweis auf irgendwelche, nötigenfalls weit hergeholte unliebsame Konsequenzen. Vgl. Willner 1961, 3 0 8 - 3 1 0 .
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der Stadt angereist ist, so findet keine musyawarah statt und direkte Kritik an seinen „Vorschlägen" ist kaum möglich. 101 Allerdings sind die Wirkungen dieser Art von Befehlen und Instruktionen dementsprechend begrenzt. 102 Zwar werden die versammelten Dorfbewohner einschließlich ihres lurahs den hochgestellten Gast aus der Stadt nach allen Regeln des Repsektszeremonjells (tàtâkràmâ) empfangen, aber eine Garantie, daß seine väterlichen Anweisungen durchgeführt werden, besteht nicht. Bemüht sich der Beamte nicht um die tatsächliche, ehrliche Zustimmung der Dorfbewohner, so werden später seine Anweisungen in der konkreten Ausführung so modifiziert, daß sie den Wünschen des Dorfes entsprechen, oder sie werden überhaupt nicht ausgeführt. Hier zeigt sich, daß vom Respektsprinzip dasselbe gilt, was wir schon beim Prinzip der Konfliktvermeidung feststellten: es bezieht sich nicht auf die innere Haltung, sondern nur auf die Einhaltung der äußeren Umgangsformen. Nicht Ungehorsam, sondern respektloses Betragen verstoßen gegen das Respektsprinzip. Es kommt auch nicht darauf an, daß man innerlich Vorgesetzten oder Höhergestellten gegenüber Respekt empfindet (das sungkan-Gefühl als solches stellt sich gegebenenfalls von selbst ein, es ist ein psychischer Mechanismus und nicht Gegenstand des Respektsgebotes), die Hauptsache ist, daß man so tut als ob man Respekt empfindet. Hildred Geertz bemerkt dazu: „In fact, a significant aspect of all Javanese social relationships is that the important thing is not the sincerity of the relationship. And although in many social interactions both sides are well aware that the true situation between them is not as it appears on the surface, all are happy as long as the superficial accord is not disturbed." 103 So umfassend auch das Respektsprinzip mit den es begleitenden isin- und sungkan -Befindlichkeiten ist, so begrenzt und oberflächlich ist doch seine Forderung. Ein höherer Status bringt zum Beispiel keine besonderen Rechte mit sich, zum Beispiel in der Familie, weis Erbschaften angeht. Es verleiht keine ökonomischen Privilegien, sondern erfordert einfach die Anerkennimg der Seniorität im äußeren Verhalten. „ .Respect'. . . means only the recognition of superior rank by means of the appropriate etiquette." 104 Respekt muß nicht unbedingt die Anerkennung faktischer Autorität implizieren. In javanischen Familien liegt die eigentliche Autorität, der man sich beugt, vielfach in den Händen der Mutter, doch dem Vater gehört die Respektsbezeugung. Das Respektsprinzip darf also nicht mit einer „Führer-befiehl-wir-folgen-dir"-Einstellung gleichgesetzt werden. Respektvolles Zuhören und Jasagen ist keine Garantie für die Ausführung des Gesagten, sondern beweist nur die Kultiviertheit und Toleranz der Zuhörer gegenüber der Respektsperson. Befehlen, die gegen die Interessen des Untergebenen verstoßen oder 101 102 103 104
Vgl. Jay 1969, 346. Vgl. Jay 1969, 405. H. Geertz 1961, 111. H. Geertz 1961, 148.
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von ihm nicht gutgeheißen werden, wird zwar nicht offen widersprochen, sie dürfen aber boykottiert werden. In der öffentlichen Meinung wird man dem Befehlenden die Schuld dafür geben: seine Aufgabe wäre es gewesen - gerade, weil die Untergebenen durch das Respektsprinzip, das die Respektsperson für sich in Anspruch nimmt, in die Rolle des stummen Zuhörers gezwungen werden — herausfinden, ob der Befehlsempfänger etwas einzuwenden hat. Von einem klugen Vorgesetzten wird erwartet, daß er selbst herausfindet, was seine Untergebenen denken und empfinden, daß er ähnlich der musyawahrah, die zum rukun führt, immer unter Wahrung der Respektsetikette, die ihm allein souveräne Aktivität, dem anderen ja-sagende Passivität zudiktiert, einen echten Dialog zustande bringt, daß er in diesem Dialog versucht, den anderen zu überzeugen und in jedem Fall idealerweise nur einen Befehl gibt, von dem er weiß, daß der Untergebene bereit ist, ihn auch auszuführen. Das Ausnützen der Pflicht des Untergebenen, zu schweigen und ja zu sagen, um Befehle von oben durchzudrücken, ist genauso ein Mißbrauch des Respektsprinzips, wie die konsequente Mißachtung der Interessen eines bestimmten Gruppenmitgliedes einen Bruch des rukun-Prinzips darstellte. Es ist daher ein schwerwiegender Fehler aus der scheinbaren Unterwürfigkeit javanischer Untergebener schließen zu wollen, man könne Dinge getan bekommen, indem man sie einfach befiehlt, ohne, in den Formen javanischer Etikette, einen echten Dialog zu führen ,und sich der freien Zustimmung zu versichern. Respektvolles Verhalten ist keine Garantie für Gehorsam. „They (die Dorfbewohner, MS) have learned that it pays to be deferent to authority, but this does not mean they co-operate willingly with authority's request. The Javanese have seven ways of saying ,yes', and depending on how it is pronounced, the same word can mean anything from ,yes' to,maybe' or even an insulting ,no'. It's always a great source of amusement for village people when a puppeteer plays upon this word during a shadow theatre performance, having a servant of the king reply to commands in the different tones. The audience is delighted by the way the servant insults his master and ruler while the latter is supposedly unaware of the intended insult." 105
3. Moral der gesellschaftlichen Harmonie Wir haben gesehen, daß die javanische Gesellschaft ihre Interaktionen durch zwei Prinzipien regelt, durch das Prinzip der Konfliktvermeidung oder rukun-Prinzip und durch das Respektsprinzip.106 Diese beiden Prinzipien 105 106
Polomka, 28 f. Für das Konfliktsvenneidungsprinzip bevorzuge ich i. A. den javanischen Ausdruck (rukun-Prinzip), da das Wort rukun ein unübersetzbares Schlüsselwort ist, das ständig von Javanern gebraucht wird und eine ganze Weltsicht und Stimmungslage angibt. Dagegen spreche ich von Respektsprinzip und nicht urmat-Prinzip, weü das Wort urmat im Javanischen nur einen Ideinen Bereich der mit dem Re-
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fordern, daß in allen Formen der Interaktion offene Konflikte vermieden werden müssen und daß die der Rangstellung aller Beteiligten jeweils entsprechenden Respektsformen einzuhalten sind. Beide Prinzipien stehen in einem engen Zusammenhang miteinander. Sie genügen, um alle möglichen Interaktionsweisen vollständig zu bestimmen. Das rukun-Prinzip regelt alle Formen nichtautoritärer Entscheidungsfindung. Das Respektsprinzip bestimmt die hierarchischen Verhältnisse und legt damit den Rahmen möglicher Interaktionen fest. In diesem Rahmen hat jede Partei ihren berechtigten und anerkannten Platz und es liegt fest, wie Entscheidungen getroffen werden: entweder autoritär oder nach rukun. Wir können den Sachverhalt auch so ausdrücken: das Respektsprinzip legt den hierarchischen Bezugsrahmen fest und bestimmt dadurch zugleich einen Großteil der möglichen Variablen von Beschlußfassungsprozeduren, nämlich diejenigen autoritärer Art. Das rukun-Vrmzvp, welches besagt, daß die Zustimmung aller Betroffenen einzuholen ist, regelt innerhalb des hierarchischen Rahmens die Weise, wie offene, d. h. nicht autoritär entscheidbare Fragen zum Abschluß zu bringen sind. Durch die beiden Prinzipien sind demnach die gegenseitigen Ausgangsstellungen und Verfahrensstrategien vollständig festgelegt. Damit sind alle Bedingungen erfüllt, daß Interaktionsvollzüge geordnet ablaufen können: Jeder hat seinen anerkannten Platz und weiß, wie er sich zu verhalten hat, jeder ist auf den anderen bezogen, es herrscht vollständige Harmonie. Ich möchte daher im folgenden die beiden Prinzipien als die Hannonieprinzipien bezeichnen. Zum Ausgangspunkt unserer Überlegungen über die ethischen Implikationen des dargestellten Sachverhaltes nehmen wir die privilegierte Stellung, die beiden Prinzipien in der Javanischen Gesellschaft zukommt: sie genießen den Vorrang vor anderen gesellschaftlichen Regulationsprinzipien. Das ist zunächst ein soziologischer Sachverhalt. Ein anderes gesellschaftliches Regulationsprinzip wäre zum Beispiel das positive Recht. Die Harmonieprinzipien sollten in der Tat in den Augen des Javaners (wie wir ihn oben bestimmt haben) den Vorrang vor dem positiven Recht haben: sein gesetzliches Recht gegen die Harmonieprinzipien auszuspielen wird nicht gebilligt. 107 Nur gibt es diese durch die Priorität der Harmonieprinzipien bestimmte Gesellschaft heute nicht mehr. Heute muß der Javaner in einer Gesellschaft leben, in der dem positiven Recht der absolute Vorrang gebührt — allerdings nur in der Theorie - und die Harmonieprinzipien nur innerhalb des vom positiven Recht offengelassenen Entscheidungsspielraum angewendet werden dürfen. Er muß also mit einer Gesellschaft vorlieb nehmen, die nicht gänzlich seinen Idealen entspricht. Dagegen war die vorkoloniale reale javanische Gesellschaft durch das Gewohnheits- oder Adatrecbt bestimmt, das eben den Harmonieprinzipien entsprach, also nicht mit ihnen in Konflikt ge-
107
spektsprinzip gemeinten, im Javanischen durch zahlreiche und verschiedene konkrete Bezeichnungen bestimmten Haltungen und Gefühle ausdrückt. Vgl. ζ. B. das oben über die Erbteilung Gesagte.
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raten konnte. Was als adat galt, war im /-«&M«-Grundkonsens der Gesellschaft enthalten und bestimmte die hierarchischen Rangverhältnisse innerhalb der Gesellschaft. Uns aber interessiert hier der ethische Sachverhalt. Dieser ergibt sich daraus, daß die Harmonieprinzipien an das Individuum Forderungen stellen. Die javanische Gesellschaft erwartet vom Individuum, daß es seine eigenen Interessen und Rechte nur soweit durchzusetzen versucht, als dadurch die gesellschaftliche Harmonie nicht gestört wird.108 Das rukun-Prinzip verbietet es grundsätzlich, Positionen zu beziehe^, die voraussichtlich zu Konflikten führen müssen. Das Respektsprinzip verbietet das Beziehen von Positionen, die die Nichteinhaltung der jeweils angebrachten Respektshaltungen mit sich bringen würden. Was auch immer das Individuum ersehnt und erstrebt, wie auch immer seine Rechte und Interessen liegen, wie auch immer es selbst eine Sachlage beurteilt, die javanische Gesellschaft erwartet, daß das Individuum nur insoweit diesen seinen Überlegungen entsprechend handelt, als dadurch die Harmonie gewahrt und den bestehenden hierarchischen Verhältnissen Rechnung getragen wird. Die Harmonieprinzipien enthalten somit das unbedingte Verbot, allein aufgrund eigener Einsicht und eigenen Willens zu handeln. Diese Sachlage hat weitreichende Implikationen. Zunächst fallen unter dieses Verbot Handlungen, zu denen Emotionen, Leidenschaften, aber auch kühl kalkulierter Eigennutz drängen. Rukun- und Respektsprinzip fordern, daß ich meine Gefühle und Leidenschaften stets beherrsche und bereit bin, meine persönlichen Interessen der Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Harmonie unterzuordnen. Doch die Harmonieprinzipien fordern mehr als das. Sie verbieten jegliches Handeln, das ihren Forderungen nicht entspricht: Konflikte sind grundsätzlich zu vermeiden; Respektsbeziehungen ist stets Rechnung zu tragen. Die Harmonieprinzipien stellen also einen absoluten Rahmen dar, an dem meine Handlungen, wie auch immer sie motiviert sein mögen, ihre Grenze finden. Man darf grundsätzlich nicht einfachhin aufgrund eigener Einschätzungen der Lage handeln. Damit fallen aber auch moralische Erwägungen unter die rukun- und Respektsgrenze. In den Augen der javanischen Gesellschaft geben mir auch moralische Überlegungen nicht das Recht, mich über die Ansprüche der Harmonieprinzipien hinwegzusetzen. An den Harmonieprinzipien findet also auch die Pflicht, nach eigener Verantwortung zu handeln, ihre Grenze. Auch Anteilnahme an dem Schicksal eines anderen Menschen, Verantwortung einer übertragenen Aufgabe gegenüber oder direkte Berufung auf moralische Prinzipien können eine Störung der sozialen Harmonie nicht rechtfertigen. Auch Berufung auf das eigene moralische Gewissen ge108
Selosoemardjan schreibt: „The social system in the village communities goes so far as to require that each member should think of the interest of the community first and of his own interest only after that," Selosoemardjan, 308.
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währt in den Augen der javanischen Gesellschaft dem Individuum nicht das Recht, sich über die Harmonieprinzipien hinwegzusetzen. Hier liegt der Einwand nahe, daß es mir auch nach westlichen Moralauffassungen nicht gestattet ist, aufgrund einer bestimmten moralischen Norm über andere moralische Normen einfach hinwegzugehen. Zum Beispiel rechtfertigt es das Bewußtsein, moralisch zur Hilfeleistung verpflichtet zu sein, nicht ohne Weiters, dieser Verpflichtung dadurch nachzukommen, daß ich dadurch die Rechte Dritter beeinträchtige. Ebenso, so könnte man einwenden, bin ich nicht zur Hilfeleistung berechtigt, wenn ich dadurch Konflikte heraufbeschwöre (unter der stattgegebenen Voraussetzung, daß das Heraufbeschwören von Konflikten moralisch zu mißbilligen ist). Doch besteht zwischen diesem moralischen Sachverhalt und dem Verbot von Handlungen gegen die Harmonieprinzipien ein grundsätzlicher Unterschied. Im Falle der Pflicht zur Hilfeleistung versus die Pflicht zur Respektierung der Rechte Dritter handelt es sich um eine Pflichtenkollision. Pflichtenkollisionen sind in regeldeontologischen Moralsystemen mit mehreren nicht von einander ableitbaren Grundnormen grundsätzlich möglich. Insofern zwischen den ins Spiel kommenden Normen Präferenzregeln bestehen, können Kollisionsfälle im Prinzip eindeutig entschieden werden. So hat zum Beispiel die Pflicht zur Anerkennung eines bestehenden Rechtes Vorrang gegenüber der Pflicht, auf eine beliebige Weise Gutes zu tun. Präferenzregeln bestehen jedoch nicht zwischen sämtlichen moralischen Grundnormen. Außerdem kommt das Prinzip der Verhältnismäßigkeit zur Anwendung. Je unbedeutender das Infrage stehende Recht, je wichtiger und eindeutiger andrerseits die Pflicht zum Gutestun ist, desto moralisch möglicher wird es, daß im konkreten Fall letztere vor ersterer den Vorrang hat. Die einzige (immer noch viele Fragen offen lassende) einigermaßen befriedigende Möglichkeit, diesem Sachverhalt theoretisch Rechnung zu tragen, besteht darin, mit Ross moralische Normen grundsätzlich als nur prima facie verpflichtend anzusehen. 109 Das würde dann bedeuten, daß für die konkrete Situation keine definitiven Anweisungen theoretisch gegeben werden können. Das aber würde, auf unseren Einwand bezogen, bedeuten, daß es zwar einerseits nicht statthaft ist, unter Berufung auf eine bestimmte moralische Norm und ohne Berücksichtigung anderer den Fall ebenfalls betreffender Normen (der Pflicht, die Rechte Dritter zu achten, bzw. Konflikten keinen Vorschub zu leisten) zu handeln. Denn alle genannten Normen verpflichten in einer konkreten Situation nur prima facie und nie ohne weiteres tatsächlich. Aber andrerseits besteht aufgrund derselben Überlegung prima facie stets die Möglichkeit, daß ich im konkreten Fall verpflichtet bin, gegen die Rechte Dritter zu verstoßen, bzw. Konflikte in Kauf zu nehmen. Nach diesem Verständnis hätte ich zum Beispiel einerseits nicht das Recht, ohne weiteres
109
Vgl. Ross, 19 ff.
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die Pflicht zur Hilfeleistung als einzige Handlungsmaxime zu gebrauchen, da sie nur prima facie verpflichtet, andererseits bestände aber auch die Pflicht, Konflikte zu vermeiden, nur prima facie. Gerade diese Möglichkeit läßt die javanische Gesellschaft für die Hannonieprinzipien aber nicht gelten. Die Harmonieprinzipien stellen nicht nur prima facie Forderungen, ihnen ist stets tatsächlich Folge zu leisten. Sie enthalten definitive Anweisungen für konkrete Situationen. Damit relativieren sie alle anderen moralischen Normen für soziales Verhalten definitiv. Gegen diese Interpretation läßt sich ein Einwand vorbringen. Man könnte nämlich annehmen, die javanische Gesellschaft habe wie jede andere Gesellschaft ihre sanktionierten Standarts zulässigen sozialen Verhaltens, und nach diesen Standarts sei nun einmal ein harmoniegefährdendes Verhalten unzulässig; wie jede Gesellschaft setzte die javanische diese ihre Standarts durch und lasse Verstöße dagegen auch dann nicht zu, wenn sie unter Berufung auf „Gewissensgründe" geschehen. Schließlich handhaben auch andere Gesellschaften Grenzen, über die hinaus ein Verstoß gegen ihre Standarts auch aus Gewissensgründen nicht toleriert wird. In unserem Fall handelt es sich jedoch gar nicht um den Fall Gewissen gegen die Standarts der Gesellschaft, sondern um eine Rangordnung innerhalb dieser Standarts selbst. Die javanische Gesellschaft wertet anhand der Harmonieprinzipien auch solche Handlungen negativ, die unter Berufung auf Normen gesetzt werden, die sie selbst anerkennt, wie zum Beispiel Handlungen aus Ehrlichkeit, Treue, Hilfsbereitschaft oder Gerechtigkeitsgefühl. Alle diese Tugenden genießen in der javanischen Gesellschaft hohe Wertschätzung. Auch Berufung auf Forderungen dieser Tugenden können in den Augen der javanischen Gesellschaft eine Handlung nicht Techtfertigen, die zu Konflikten führen könnte. Sie läßt nicht nur Gewissensgründe nicht gegen die rukun- und Respektspflicht gelten, sie relativiert ihr gegenüber von vornherein auch die von ihr selbst akzeptierten grundlegenden moralischen Forderungen. Die definitive Relativierung aller moralischen Normen gegenüber den Harmonieprinzipien muß grundsätzlich zu einer Einschränkung der moralischen Autonomie des Individuums führen. Denn és steht dem Individuum nicht zu, den Vorrang der Harmonieprinzipien vor allen anderen moralischen Prinzipien seiner moralischen Beurteilung zu unterwerfen. Das kann an einem Beispiel verdeutlicht werden. Mir gelangen Beweise in die Hand, daß der lurah (Dorfoberhaupt) meines Dorfes Entwicklungsgelder der Regierung korrumpiert. Nicht nur wegen der Gesetzwidrigkeit dieses Verhaltens fühle ich mich zur Anzeige verpflichtet, sondern auch, weil nur dadurch, daß dieser Fall an die Öffentlichkeit gelangt, eine Chance besteht, den ärmsten 25 Familien im Dorfe zu helfen. Auch nach westlicher Moral berechtigen mich diese Überlegungen moralisch nicht, ohne Weiteres den Korruptionsfall an die Öffentlichkeit bringen zu wollen. Ich bin moralisch zuvor verpflichtet, alle anderen relevanten Faktoren in Rechnung zu stellen, so zum Beispiel die
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konkrete Situation des lurahs selbst (vielleicht befindet er sich in einer extremen Notlage), oder die Bewahrung des dörflichen Friedens (es gibt zwei Parteien im Dorf, die wenige Jahre zuvor in einem Bürgerkrieg gegeneinander standen; die Aufdeckung der Korruption des lurahs, der einer der beiden Parteien angehört, würde das Dorf wieder spalten und unter Umständen ein neues Morden einleiten). Erst wenn ich alle diese Faktoren gegeneinander abgewogen habe, darf ich die Entscheidung, zu der ich schließlich gekommen bin, als sittlich verantwortet ansehen und danach handeln. Die Harmonieprinzipien fordern jedoch mehr. Sie fordern, daß ich gleichgültig, zu welchem Urteil ich beim Abschluß dieses Entscheidungsfindungsprozesses gekommen bin, diese Entscheidung nur dann ausführe, wenn sie nicht zu Störungen der Harmonie führt. Also auch dann, wenn ich nach Abwägung aller Umstände zu dem Urteil gekommen bin, daß in diesem Fall der Konflikt für die Gesellschaft das kleinere Übel wäre. Anders ausgedrückt: nachdem ich selbst alle moralisch relevanten Faktoren, einschließlich der moralischen Verpflichtung, Konflikte zu vermeiden, in die Überlegung einbezogen habe und mir ein Urteil darüber gebildet habe, was meine Pflicht ist, so gilt doch unbedingt, daß ich diese Pflicht nur ausführen darf, bzw., daß dies nur dann wirklich meine Pflicht ist, wenn es dem rukun- und Respektsprinzip entspricht. Ich hätte mir also meine Überlegungen überhaupt sparen können. Oder, was auf dasselbe hinausläuft: ich hätte mir alle Überlegungen über meine moralische Verantwortung sparen können; das einzige, was ich zu tun hatte, war, mir darüber ein Urteil zu bilden, ob eine Anzeige gegen rukun und Respekt verstoßen würde. Es wird mir also moralisch nicht das Recht zugestanden, auch diesen Sachverhalt noch einmal in eigener Verantwortung moralisch zu beurteilen, also zu fragen, ob ich in diesem konkreten Fall eher „meinem Gewissen" oder der von außen, durch Etikette und allgemeine Meinung mir angetragenen Harmoniepflicht zu gehorchen hätte. Der Unterschied zu westlichen Moralauffassungen besteht nicht darin, daß dort meine gegen die Harmonieprinzipien verstoßende Gewissensentscheidung von der Umwelt respektiert worden wäre, sondern darin, daß selbst im Falle der Ablehnung meiner Gewissensentscheidung moralisch aufgeklärte Vertreter diesèr Umwelt sie als moralisch richtig beurteilen würden, etwa unter der Überschrift „irrendes Gewissen" ; man würde die Handlung selbst nicht billigen, man würde sie zu verhindern suchen, man würde mich u. U. mit Sanktionen belegen, aber man würde mir den moralischen Respekt nicht versagen. Dagegen würde in der javanischen Gesellschaft diese Entscheidung schlechthin mißbilligt, eben weil in ihr die Harmonieprinzipien nicht absolut gesetzt sind. Die Harmonieprinzipien fordern demnach vom Individuum den Verzicht auf einen Teil seiner moralischen Autonomie. Über die moralische Angemessenheit der Harmonieforderungen steht ihm kein Urteil zu. Es darf sich nicht mehr auf seine persönliche Verantwortung berufen, sondern hat sich nach dem zu richten, was die Gesellschaft für richtig hält.
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Grundprinzipien javanischen Zusammenlebens
Es hat sich ergeben, daß die in den rukun- und Respektsprinzipien ausgedrückte Forderung, stets die gesellschaftliche Harmonie zu wahren, die Geltung der übrigen in der javanischen Gesellschaft anerkannten Moralprinzipien relativiert. Die Forderung der Harmonieprinzipien gilt stets und unbedingt, die der übrigen Moralprinzipien nur insoweit, als sie den Harmonieprinzipien nicht widersprechen. Kann man nun sagen, die Harmonieprinzipien seien die Grundprinzipien der javanischen Moral? Unter moralischen Grundprinzipien verstehe ich hier moralische Normen letzter Ordnung, also Normen, die einerseits in ihrer Verbindlichkeit nicht mehr auf andere Normen zurückgeführt werden können, die aber andrerseits die moralische Verbindlichkeit moralischer Normen erster bis vorletzter Ordnung fundieren. In diesem Sinne verstanden sind die Harmonieprinzipien keine Grundprinzipien. Denn sie fundieren keineswegs die sittliche Verbindlichkeit aller anderen moralischen Normen. Es gibt, wie wir hier vorgreifend voraussetzen dürfen, in der javanischen Moral durchaus Grundprinzipien, etwa daß man anderen prima facie wohl wollen sollte, daß man gerecht, treu, ehrlich sein sollte. Diese Normen fundieren den sittlichen Wert anderer, konkreterer Nonnen; sie selbst aber können auf andere Normen nicht mehr zurückgeführt werden, schon gar nicht auf die Harmonieprinzipien (wobei die Frage hier offen bleiben darf, ob sie vielleicht kantisch oder aristotelisch oder sonstwie doch noch auf eine ihnen zugrundeliegende Norm zurückgeführt werden könnten). Daß der Javaner gerechtes Handeln als moralisch richtig ansieht, vorausgesetzt, es stößt nicht mit den Harmonieprinzipien zusammen, kann nicht auf die Harmonieprinzipien zurückgeführt werden, sondern ist für ihn im Werte von Gerechtigkeit selbst fundiert. Diese Normen werden von den Harmonieprinzipien von außen her relativiert, sie gelten immer nur unter der Voraussetzung als verbindlich, daß ihre Befolgung nicht zu Konflikten führt und die gesellschaftlichen Respektsverhältnisse gewahrt bleiben. Damit haben die Harmonieprinzipien in der javanischen Moral einerseits eine Schlüsselrolle inne: alle anderen moralischen Normen sind in ihrer Verbindlichkeit auf sie bezogen. Andrerseits gleichen sie erratischen Blöcken: sie stehen gesondert für sich, sie befinden sich nicht auf gleicher Ebene mit den anderen Normen, da sie, im Unterschied zu jenen, nicht nur prima facie gelten. Diese Sonderstellung ergibt sich auch aus einer Untersuchung ihrer formalen Struktur. Das gemeinsame formale Kennzeichen solcher Grundtugenden wie Wohlwollen, Gerechtigkeit, Ehrlichkeit und Treue ist es, daß sie nicht bestimmte Handlungen, sondern einen bestimmten Willen fordern. Sie können ohne Bezug auf eine bestimmte innere Absicht nicht einmal verstanden werden (und sind denn auch in einem behavioristischen Modell sinnlos). So kann ich zwar meiner Gerechtigkeitspflicht dadurch genüge tun, daß ich das, was sie fordert, tue, ohne daß dazu auch eine bestimmte Motivation oder Gesinnung gefordert wäre (ich erfülle die Pflicht zur Zurückzahlung meiner Schulden einzig dadurch, daß ich sie zurückzahle, gleichgültig, ob ich das tue, weil
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ich mich dazu verpflichtet fühle, oder weil ich mir ausrechne, daß ein Nichtbezahlen mir Nachteile einbringen würde). Aber ich kann die Tugend der Gerechtigkeit nicht üben, wenn ich nicht den Willen habe, gerecht zu handeln. Ebenso kann ich nur ehrlich sein, wenn ich die Wahrheit sagen will. Die genannten Grundtugenden machen also immer einen bestimmten Willen zur Pflicht, bzw. setzen ihn voraus. Ein solcher Wille kann (und muß) dann durch eine Vielheit von Handlungen, Verhaltensweisen usw. realisiert werden, die betreffend dann Normen mittlerer Ordnung aufgestellt werden und die ihre moralische Verbindlichkeit daraus beziehen, daß der durch sie belegte Vollzug ein Ausdruck des die Grundnonn wollenden Willens darstellt. Es ist durchaus möglich, daß dieselbe Grundnorm in verschiedenen Situationen durch Verhaltensweisen, Handlungen usw. realisiert werden muß, die einander ausschließen. Die Grundnorm, dem anderen prima fade wohl zu wollen, kann sich zum Beispiel in folgenden Interaktionsvollzügen ausdrükken: loben, tadeln, helfen, Hilfe nicht mehr gewähren, Kontakte vermehren oder abbrechen, usw. Jeder dieser Interaktionsvollzüge selbst kann (und muß) wiederum durch eine Vielzahl von verschiedenen empririschen Handlungen vollzogen werden, die Gegenstand von moralischen Normen erster Ordnung werden können (so gibt es zahlreiche verschiedene Möglichkeiten, Lob oder Tadel auszudrücken; die Interaktionspflicht, Hilfe zu leisten, kann sich zum Beispiel in der moralischen Norm erster Ordnung ausdrücken, daß man alten Frauen ihre Pakete die Treppen hinauftragen zu helfen habe). Die moralische Autonomie des Individuums besteht genau darin, daß es selbst zu beurteilen berechtigt ist, welche der verschiedenen prima facie gültigen Grundnormen jetzt tatsächlich durchschlagend auf die Situation zutreffen und welcher Interaktionsvollzug, und dann welche konkrete Handlung, dem entspricht. Empirisch bestimmte Handlungen wie auch bestimmte in ihnen ausgedrückte Interaktionsvollzüge selbst aber gelten niemals absolut, auch nicht prima facie, sondern stets nur relativ, nämlich insofern, als in ihnen ein bestimmter Wille zum Ausdruck kommt. Sie können zwar ohne Bezug auf einen bestimmten Willen verstanden werden (zur Definition dessen, was Loben heißt, braucht es keinen Bezug auf eine bestimmte Intention), haben aber ohne einen solchen Bezug keine moralische Geltung. Wenn wir nun das rukun- und das Respektsprinzip betrachten, so fällt auf, daß beide Prinzipien nicht einen bestimmten Willen zum Gegenstand haben, sondern einen bestimmten Interaktionsvollzug. Das rukun-Prinzip enthält das unbedingte Gebot, den Interaktionsvollzug Konflikt zu vermeiden. Ob ich das aus Wohlwollen, Faulheit, Feigheit oder Berechnung tue, ist für das rukun-Príazip unerheblich. Es kann nicht nur in seiner Forderung ohne Bezugnahme auf einen bestimmten Willen verstanden werden, es ist auch ohne eine solche Bezugnahme moralisch lobenswert. Es kommt einzig darauf an, daß ich auf die Interaktionsform Konflikt verzichte. Ebenso fordert das Respektsprinzip nur die Einhaltung von äußeren Formen des Respekts gegenüber Höhergestellten, die äußere Anerkennung des jeweiligen Ranges. Wie
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Grundprinzipien javanischen Zusammenlebens
ich mich innerlich dazu stelle, ob ich tatsächlich Ehrfurcht empfinde und bereit bin, den Willen des anderen anzunehmen, oder ob ich ihn innerlich verspotte, oder er mir einfach gleichgültig ist, das alles fallt nicht unter das Prinzip. Die Einschränkung der moralischen Autonomie des Individuums, die die Absolutsetzung der Harmonieprinzipien in der javanischen Moral notwendig zur Folge hat, kann also genauer dahingehend bestimmt werden, daß hier ein bestimmter Interaktionsvollzug als solcher, also nicht nur, insofern er auf einen moralischen Willen bezogen ist, absolut gesetzt wird. Das Individuum wird dadurch fraglos auf ein bestimmtes Handeln festgelegt. Zugleich relativiert die javanische Gesellschaft dadurch ihre eigenen grundlegenden moralischen Normen. Wie, so stellt sich die Frage, ist das - moralisch — einsichtig zu machen? Es stellt sich, mit anderen Worten, die Frage nach der Rationalität der javanischen Moral. Um diese zu untersuchen, ist es zunächst erforderlich, die deskriptiven Überzeugungen zu erhellen, die die javanische Weltanschauung bestimmen.
Viertes Kapitel JAVANISCHE WELTANSCHAUUNG Unter „Weltanschauung" verstehe ich hier das Gesamt aller deskriptiver Überzeugungen über die Wirklichkeit, insofern diese eine Einheit bilden, von der her der Mensch seine Erfahrungswelt sinnvoll strukturiert. Eine Weltanschauung ist der Bezugsrahmen, auf den hin der Mensch die Einzelelemente seiner Erfahrung allererst begreift. Charakteristisch für die javanische Weltanschauung ist es, daß sie die Wirklichkeit nicht in verschiedene, wenig miteinander verbundene Bezirke aufteilt, sondern sie als eine kohärente, einer Seinsqualität angehörende Einheit ansieht. Die im Westen deutlich von einander abgesetzten Wirklichkeitsbereiche Welt, Gesellschaft und Ubematur sind für den Javaner nicht drei relativ selbständige Bezirke mit jeweils gegeneinander autonomen Verhaltensweisen, sondern bilden eine Erfahrungseinheit. Der Javaner unterscheidet nicht grundsätzlich zwischen religiösen und nicht-religiösen Akten, und Interaktionen sind zugleich Verhalten gegenüber der Natur, wie umgekehrt eine Naturbeziehung stets gesellschaftlich relevant ist. Zwischen Arbeit, Interaktion und Gebet kann also nicht grundsätzlich unterschieden werden. 1 Ferner ist Weltanschauung für den Javaner nicht abstraktes Wissen, sondern Element seines Bemühens um ein Gelingen seiner Lebenspraxis. In viel emphatischerer Weise, als das beim heutigen Mitteleuropäer der Fall zu sein scheint, können Theorie und Praxis nicht von einander geschieden werden. Maß des Sinnes seiner Welt ist für den Javaner deren pragmatischer Wert zur Erreichung eines bestimmten psychologischen Zustandes, den der inneren Ruhe, Gelassenheit und Ausgeglichenheit. Weltanschauung und Weltverhalten können daher nicht adäquat unterschieden werden. Die Richtigkeit der deskriptiven Überzeugungen des Javaners mißt sich daran, inwiefern sie dazu beitragen, ihm diesen inneren Zustand zu vermitteln. Sie mißt sich daran, ob alle ihre Elemente zu einem harmonischen Erfahrungsgesamt zusammenfallen, ob sie miteinander schließen (sreg), und dieses miteinander Schließen ist eine psychologische Kategorie, es bedeutet die Abwesenheit von inneren Spannungen und Aufregungen. Mit den Worten von Robert Jay: „there was an interest in the other world for the sake of this world, rather than the other 1
Vgl. Mulder 1973, 36.
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Javanische Weltanschauung
way about." 2 Ontologie, Psychologie und Ethik können daher nicht adäquat unterschieden werden (und daher ist es auch nicht möglich, alle ethischen Überlegungen auf das folgende Kapitel zu verschieben, wo sie nach der westlichen - Logik dieser Arbeit ihren zukommenden Platz haben). Wenn wir daher von javanischer Weltanschauung sprechen, so müßte nicht nur von Religion (im engen westlichen Sinn) und Mythos gesprochen werden, sondern auch über Reisanbau und Erntefeste, Familie und Tanzkunst, Mystik und Dorfstruktur. Im folgenden muß ich mich auf einige, mir wesentlich erscheinende Elemente beschränken. Schließlich ist zu beachten, daß „javanische Weltanschauung" nicht eine einzige genau fixierbare Weltanschauung ist, sondern in verschiedenen Schichten der Gesellschaft verschiedene Ausprägungen erhalten hat. Wir könnten also auch von javanischen Weltanschauungen sprechen. Doch erstens trifft die oben gegebene allgemeine Charakterisierung der javanischen Weltanschauung auf alle diese Ausprägungen zu. Und zweitens stehen sie miteinander in einem kohärenten Zusammenhang und die Grenzen zwischen ihnen verfließen. Sie schließen sich gegenseitig nicht aus. Im Unterschied zu Clifford Geertz, der die javanische Weltanschauung, provozierend von „javanischer Religion" sprechend, nach ihren gesellschaftlichen Trägern nach Abangan-, Santri- und P/ryayireligion unterscheidet, möchte ich sie nach vier voneinander abhebbaren Kreisen von Sinngehalten unterscheiden. Der erste Kreis ist durch seinen extroverten Charakter bestimmt: Seinen Kem bildet die Einstellung zur Außenwelt, die als numinöse Einheit von Natur, Gesellschaft und Übernatur erfahren und im Ritus vollzogen wird, ohne betonte Reflexion auf das innere Selbst; diese Variante überwiegt auf dem Dorf und bei den nichtliterären Volksschichten: Clifford Geertz hat sie als „Ai>«ngenreligion" beschrieben.3 Der zweite Kreis umfaßt die Erfahrung der Manifestationen politischer Macht als Ausdruck des Numinosen, ein Aspekt, den Clifford Geertz fast vollständig vernachlässigt, wohl deshalb, weil er im von ihm untersuchten ostjavanischen Milieu keine besondere Rolle mehr spielte; doch ist er nicht nur bis in die neueste Zeit literär nachzuweisen, sondern, wie vor allem Anderson gezeigt hat, wesentlich für ein Verständnis heutiger politischer Konstellationen.4 Der dritte Kreis hat seinen Brennpunkt in der Erfahrung des eigenen Ich als Numinosum. Hier sind die Elemente des ersten Kreises bewußt in die Dimension der Selbsterfahrung übersetzt und umgekehrt wird die Außenwelt von den Bedürfnissen der Innenwelt her strukturiert. Clifford Geertz hat diesen Kreis als „Priyayireiig^on" dargestellt.5 Höhepunkt dieser Variante ist das Streben nach mystischer Er2 3 4 5
Jay 1963, 4; derselben Meinung sind C. Geertz (1969, 318), Harun Hadiwijono (150, 247f) und Rahmat Subagyo (1973, 167-169). C. Geertz 1969, 1 - 1 1 8 . Anderson 1972. C. Geertz 1969, 227-381.
Das Numinose und die Welt
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fahrung. Der vierte Kreis ist das Bestimmtsein aller Erfahrungsbereiche durch göttliche Vorherbestimmung, das takdir.
1. Das Numinose und die Welt Die erste Variante javanischer Weltanschauung begreift die Außenwelt als einen homogenen Lebensraum des Individuums, in dem es sein Heil (slamet) 6 dadurch sichert, daß es sich in Harmonie zu dieser Welt stellt. Es ist vorallem die Welt des javanischen Bauern, aber auch überhaupt des nichtgebildeten Javaners, der ja, auch wenn er in der Großstadt lebt, meist enge Beziehungen zum Lande hat. Kennzeichen dieser Weltsicht ist die Erfahrung von Gesellschaft, Natur und Übernatur als fugenloser Einheit. Vom richtigen Verhalten zu dieser Einheit hängt das slamet des Javaners ab. a. Die numinose Einheit von Gesellschaft, Natur und Übernatur Gesellschaft und Natur bilden die Umgebung, in der sich der Javaner von Kind ab vorfindet. Die Gesellschaft stellt sich ihm dar als die eigene Familie, auf die er als Kind, oder als jüngeres oder älteres Geschwister bezogen ist, sodann als Nachbarn, als weitere Verwandtschaft und schließlich als das ganze Dorf. In dieser Gesellschaft findet er seine Identität und sein psychisches Geborgensein. 7 Getrennt von diesen Bezügen fühlt er sich verlassen und unfähig zu handeln, bis er, zum Beispiel in der Stadt, neue gesellschaftliche Bezüge gefunden hat. Über die Gesellschaft ist er mit der Natur vermittelt. Die natürlichen Rythmen von Tag und Nacht, von Regen- und Trockenzeit bestimmten seinen Tageslauf und sein gesamtes Planen. Von seiner sozialen Umwelt lernt er, daß die Natur ihn bedroht, aber auch Segen und Zufriedenheit spendet, daß seine ganze Existenz von der Natur abhängt. Die verschiedenen Stadien von Reisanbau und -ernte sowie andere landwirtschaftliche Tätigkeiten lernt er von der Gesellschaft, sein Leben bekommt Ordnung, durch seine Umwelt lernt er, sich auf die Natur zu beziehen, ihr Rhythmus wird sein Rhythmus, er lernt, was er zu welchen Zeiten zu tun hat. Ebenso kommt ihm die Natur auch
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Slamet ist ein javanisches Schlüsselwort, dessen Sinngehalt im Folgenden weiter erklärt wird. Koentjaratiingrat (1960, 95) beschreibt es als „a state in which events will run their fixed course smoothely and nothing untoward will happen to anyone." Clifford Geertz kommt für die 50-er Jahre zu dem SchhiB, daß die zahlreichen disruptiven gesellschaftlichen Einflüsse der vorausgegangenen 130 Jahre zu einer inneren Erschlaffung der Struktur des javanischen Dorfes geführt haben und erst die politischen „Strömungen" (aliran) der Nachkriegszeit dem Individuum wieder die Möglichkeit geboten hätten, seine soziale Identität zu finden und sein soziales Leben zu rekonstruieren. Diese Entwicklung ist jedoch durch die von Soehartos „Neuer Ordnung" durchgeführte Depolitisierung des Landes beendet worden. C. Geertz 1959.
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Javanische Weltanschauung
in den großen Lebensereignissen wie Schwangerschaft, Geburt, sexueller Reifwerdung, Eheschließung, Altwerden und Tod ständig zum Bewußtsein. So findet der javanische Bauer einerseits seine Identität in der Gruppe, anderseits ist er durch die Gruppe ständig mit der Natur als der sein Leben vollständig bestimmenden Macht konfrontiert. Das ist am unmittelbarsten in der Landwirtschaft offenkundig, wo aller Fleiß des Bauern nur die Vorbedingung für eine gute Ernte darstellt. Ob es tatsächlich zu einer solchen kommt, hängt von den Kräften der Natur, von Sonne und Regen, Wind und Schädlingen ab. Naturkatastrophen wie Überschwemmungen und Vulkanausbrüche Zeigen ihm ihre Macht. Das Ringen mit der Natur hat dem Javaner die Grundlagen seiner Gesellschaft und Kultur legen helfen. Insbesondere der Naßreisanbau zwang zu fortgeschrittenen Formen gesellschaftlicher Kooperation. Wie van Akkeren schreibt: „ Wet rice cultivation encourages very much all activities directed at restraining the wild forces of nature: it stimulates the population to achieve a high degres of mutual cooperation and aid; peace must be maintained with neighbouring villages. Technical ability, organizational skill, special care for the preservation of social peace and a harmonious developemant of the community and other social virtues have in the course of two or three thousand years formed the special character of the Javanese people." 8 Stellt sich somit die Gesellschaft dem Javaner als Hort der Geborgenheit dar, so die Natur als Macht, von der sein Wohl und Wehe abhängt. Sie ist daher für den Javaner Ausdruck des Numinosum, des ihn umgreifenden machtvollen Geheimnisses, dem er sich verdankt weiß und von dem er abhängt. Die Natur ist Ausdruck der letzten Macht, die sein Leben bestimmt. In ihr erfährt er seine Ausgesetztheit gegenüber der nichtberechenbaren Macht des Göttlichen, die der Javaner alam gaib (unheimliche Welt) nennt. „The cosmos, including life, things and events on earth, is a co-ordinated and ranked whole, a oneness of existence in which every phenomenon, material and spiritual, has a significance far beyond its face value." 9 So ist für den Javaner die Welt der Empirie mit der metempirischen Welt (alam gaib) aufs engste verbunden, sie durchdringen sich gegenseitig. Es ist nicht so, daß empirische Erfahrungen, nämlich Erfahrungen mit der Natur und mit Menschen, nur in einer nachträglichen Reflexion auf metempirische, übernatürliche Bedingungen hinterfragt werden können, in der direkt Erfahrenes, sinnenhaft Empirisches, aufgrund eines ausdrücklichen Glaubens in metaphysische Dimensionen gestellt wird. Vielmehr sind „empirische" Erfahrungen des Javaners nie nur empirisch, die metempirische, unheimliche und faszinierende Welt der numinosen Dimension ist Erfahrungsinhalt selbst. Empirie ist vom Numinosum von vornherein durchdrungen. Weshalb eine javanische Mutter mit derselben Selbstverständlichkeit (und demselben 8 9
van Akkeren 1970, 5. Mulder 1978, 17.
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Gewißheitsgrad) den Geist angeben kann, der in ihr Baby gefahren ist, wie eine deutsche Mutter einen Keuchhusten identifiziert. Der Sinn für die numinose Dimension der empirischen Welt hat auf verschiedenartige Weise Ausdruck gewonnen, zum Beispiel in Volksspielen, in denen alte Mythen aufgeführt werden, die um Ursprung des Stammes, Harmonie und deren Störung, Ehe, Fruchtbarkeit und Reisanbau kreisen. Solche Aufführungen ließen die Gemeinde wiederum an der Erfahrung der übernatürlichen Natur der Gesellschaft teilhaben, sie zeigten die mythische Einheit von Gesellschaft und Kosmos, die trotz aller Konflikte erhalten blieb. 10 Heute werden diese Spiele kaum noch angetroffen. Doch genießt unter den Javanern die Reisgöttin Dewi Sri, von der sowohl Fruchtbarkeit in der Familie als auf dem Reisfeld abhängt, große Verehrung. 11 Ihr zu Ehren schneiden noch heute die meisten Javanerinnen jede Reisähre einzeln mit einem winzigen, in der Hand verborgenen Messer, ani-ani genannt, ab. Die Einheit von Gesellschaft und Übernatur vollzieht der Javaner sodann durch die Verehrung seiner Vorfahren. Zu ihren Gräbern kann man kommen, um Segen zu erbitten, man bittet um Klarheit vor einer schwierigen Entscheidung, um Beförderung im Dienst, um Geld, um Schulden zurückzahlen zu können. Jedes Jahr im Monat Ruah werden die Gräber der Eltern feierlich gereinigt. Außerdem besitzen die meisten Dörfer einen Dorfschrein, in dem der Dorfgründer (cakal bakal) verehrt wird. 12 Der numinose Charakter der Natur konkretisiert sich für den Javaner im Wirken zahlreicher unsichtbarer Mächte, die er als Geister personifiziert. Alle Kräfte der Natur werden Geistern und unsichtbaren Wirklichkeiten zugeschrieben. Da gibt es die Schutzgeister des Dorfes, oft der Vorfahr selbst (danyang). Es gibt Gespenster, die den Menschen Schreck einjagen (memedi) ; Geister, die in ihn eintreten und ihn zum Wahnsinn treiben können (lelembut)·, es gibt Geister in hohen Bäumen, an Wegkreuzungen, an einer Quelle und an vielen anderen Lokalitäten (demit); es gibt Kindergeister (tuyul), die für ihren „Herrn" stehlen, und noch viele andere. 13 Krankheit und Unglücksfälle werden auf das Wirken von Geistern zurückgeführt, ebenso auch Erfolg und Glück. 14 Diese Geister sind einerseits unheimlich: sie sind nicht einfach schlecht oder gut, sondern unberechenbar. Und daher beängstigend. Sie können zwar Segen spenden, aber oft bringen sie auch Schaden. Leben und Wohlergehen hängt von ihrem Wohlwollen ab. Andrerseits hat 10 11 12
13 14
van Akkeren 1970, 16. Stöhr 1976; C. Geertz 1969, 81; Jay 1969, 10. H. Geertz 1967, 47. Einen eigentlichen Ahnenkult konnte Clifford Geertz in seinem Untersuchungsgebiet nicht feststellen. Niemand konnte sich über die Großeltern hinaus an seine Vorfahren erinnern. Ahnenkult ist demnach nicht vielmehr als der fromme Ausdruck des Respekts vor den Toten plus des BewuBtseins von der Notwendigkeit guter Beziehungen zu den verstorbenen Eltern; vgl. C. Geertz 1969, 76. C. Geertz 1969, 1 6 - 2 9 . Kodiran, 340.
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der Geisterglaube aber auch eine integrative Funktion: indem der Javaner die verschiedenen Naturkräfte mit Geistern in Verbindung bringt und dadurch benennen kann, holt er sie aus ihrer völligen Unfaßbarkeit heraus und stellt sie in einen begreifbaren Kontext, ja er macht sie zu einem gewissen Grade sogar manipulierbar. Dadurch, daß einer javanischen Mutter ihr dukun (Medizinmann) den Geist bezeichnep kann, der ihrem Kinde ein Abszeß verursacht, gewinnt sie kaum weniger als eine deutsche Mutter, der ihr Doktor das gleiche Phänomen auf Staphylokokken zurückführt. Für beide Mütter ist das Unfaßbare des plötzlichen Leidens ihres Kindes identifizierbar geworden, hat seine Unfaßbarkeit verloren und wird damit der Therapie zugänglich. Der Javaner erfährt demnach die Welt als eine, in der sein Wohlergehen davon abhängt, daß es ihm gelingt, sich mit diesen nicht geheueren Mächten zu arrangieren. Daher werden, um sich die Geister gewogen zu machen, zu bestimmten Zeiten im Haus, im Garten und am Rande des Reisfeldes kleine Speise- und Blumenopfer (sesajèn) aufgestellt.15 Steigt man auf einen der bis in die dreitausend Meterzone reichenden Vulkane, so ist an bestimmter Stelle ein kleines Weihrauchopfer zu entrichten, begleitet von Gebeten in javanischer und arabischer Sprache, um den „Besitzer des Berges" gnädig zu stimmen. Viele Javaner haben Talismane (jimat) bei sich, die sie vor Geistern schützen sollen, oder ererbte pusâkâs, vor allem den traditionellen Dolch (kris), der an einem besondern Platz im Hause aufgehoben und nur zu besonderen Anlässen getragen wird.16 Hat sich der Javaner auf diese verschiedenen Weisen gegenüber der Geisterwelt abgesichert, so fühlt er sich ,¿lamet", das heißt im Zustand des Heils. Die unheimlichen Mächte sind gebannt und er kann in Frieden und frei von bösen Überraschungen seinen Tätigkeiten nachgehen. Der wichtigste religiöse Ritus in der javanischen Gesellschaft ist das sogenannte slametan. Es wird bei allen wichtigen Lebensereignissen vorgenommen wie bei Schwangerschaft, Geburt, Beschneidung, Hochzeit, Begräbnis, vor der Reisernte, aber auch vor einer großen Reise, nach einer Beförderung, kurzum zu jeder Gelegenheit, bei der eine erneute Absicherung kosmischen Heiles (slamet) angebracht erscheint. Das slametan besteht aus einem kurzen ritualisierten Mahl, zu dem alle engeren männlichen Nachbarn eingeladen werden müssen. Über den Reis, der zu einem Kegel geformt ist, wird ein Segen gesprochen; daraufhin essen die Anwesenden einige Bissen und tragen dann den Rest nach Hause, um auch Frau und Kindern Anteil daran zu geben. Das slametan ist als Versöhnungsritus zu begreifen, der den Zustand des slamet wieder herstellen soll. Indem alle Nachbarn am slametan teilnehmen, 15 16
Kodiran, 341 f. Soeyatno (51) berichtet, daß im indonesischen Unabhängigkeitskampf die Freiheitskämpfer Amulette getragen hätten, um dadurch Unverwundbarkeit (kasektèn) zu erlangen. Zu diesem Zweck wären sie bei Gums in die Lehre gegangen, von denen er einige nennt.
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bringt es allen sichtbar die Tatsache nachbarschaftlicher Harmonie zum Ausdruck, bestätigt damit den Zustand gesellschaftlichen Friedens und neutralisiert widrige Mächte. Zugleich ist durch das Gebet auch die lokale Geisterweit ins SlametanmahX einbezogen und erfreut sich an der Essenz (sari) der Speisen. So ist das slametan ein Ritus, in dem das gute Einvernehmen innerhalb der Gesellschaft und mit der Geisterwelt symbolisiert und dadurch hergestellt wird, und der so Störungen der kosmischen Harmonie entgegenwirkt.17 Gesellschaft, Natur und Geisterweit sind der numinose Raum, auf den sich der Javaner in seiner Selbstbefindlichkeit spontan bezieht. Das kommt auch in traditionellen Weisen der Arbeit zum Ausdruck. Es ist bezeichnend, daß das javanische Wort für Arbeit („gawé") zugleich auch Fest bedeutet. Es wird vermutet, daß in früheren Zeiten für den Javaner ein enger Zusammenhang bestand zwischen Arbeit, Festefeiern und Gottesdienst,18 also Vollzügen, die im europäischen Lebensgefühl den drei Bereichen Natur, Gesellschaft und Übernatur zugeordnet sind und weit auseinander liegen. Die verschiedenen Stadien des Reisanbaus haben bis heute ihren religiösen Charakter nicht völlig verloren und werden häufig noch mit einem slametan eingesegnet. Arbeit im Reisfeld ist freudige und befriedigende Tätigkeit,19 ebenso wie übrigens die aufgeregten Tage erhöhter häuslicher Aktivitäten der Frauenwelt einer Nachbarschaft in Vorbereitung auf ein größeres Fest wie der Beschneidung eines Sohnes oder der Verheiratung einer Tochter. b. Koordination Die erfahrene Einheit von Gesellschaft, Natur und Übernatur findet ihren Ausdruck im Glauben, daß alle Ereignisse der empirischen Welt mit Ereignissen in der metempirischen strikt koordiniert sind.20 Gesellschaft und Natur einerseits verhalten sich zur Übernatur andrerseits wie die Außenseite zur Innenseite. 'Was auf der einen Seite der Wirklichkeit passiert, hat sein pendant auf der anderen. Der Javaner darf daher nicht einfach drauflos handeln, als gäbe es nur die in seiner gesellschaftlichen und natürlichen Umwelt zählenden Faktoren. In allem Handeln muß er sich so verhalten, daß er nicht mit 17
18 19 50
C. Geertz 1969, 1 1 - 1 5 ; Koentjaraningrat 1960, 9 5 - 9 7 ; Jay 1969, 2 0 6 - 2 1 6 ; C. Geertz schreibt (1969,28): „Theslametan concentrates, organizes, and summarizes the general abangan ideas of order, their .design for living'. In a subdued dramatic form, it states the values that animate traditional Javanese peasant culture: the mutual adjustment of interdependent wills, the self-restraint of emotional expression, and the careful regulation of outward behavior. And it is at just those points in Javanese life when the need for the statement of these values is greatest, when the spirits and the nonhuman disorder they represent are most threatening, that the slametan tends to occur." Geertz zitiert einen Dachdecker, „When you give Λ slametan, nobody feels any different from anyone else and so they don't want to split up. Also a slametan protects you against the spirits, so they will not upset you." (1969, 14). Vink, 72. Jay 1969, 37. Mulder 1978, 3 0 - 3 5 ; Bakker 1979.
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irgendwelchen Geistern und übernatürlichen Mächten zusammenstößt. Diese Mächte sind jedoch nicht direkt beobachtbar. Die einzige Weise, um zu lernen, sich so zu verhalten, daß man mit Geistern nicht zusammenstößt, besteht darin, aus Erfahrungen zu lernen. Aus langer Erfahrung lernt der Dorfbewohner, welche Verhaltensweisen ihm Verderb bringen (cilaka) und welche slamet sind. Diese Erfahrungen aber kann nicht der einzelne selbst sammeln. Der einzelne lernt Verhalten, das slamet ist, aus den Traditionen seiner Gesellschaft. In ihnen haben sich die gemeinsamen Erfahrungen der früheren Generationen seiner Dorfgemeinschaft mit der Geisterwelt niedergeschlagen. Im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte hat seine Dorfgemeinschaft gelernt, wie sie sich verhalten muß, um mit dem Kosmos und der Geisterwelt in optimaler Harmonie zu verbleiben. Diese Erfahrungen haben in den verschiedenen lokalen Traditionen und Verhaltensnormen der Gemeinschaft (adat-istiadat) ihren Ausdruck gefunden. Wer sich an sie hält, ist kosmisch abgesichert und braucht nicht zu fürchten, mit Geistern in Konflikt zu geraten. Als wichtigstes Mittel, die Elemente der empirischen Welt entsprechend dem universalen Koordinationszusammenhang zwischen allen Phänomenen des Kosmos zu ordnen, hat die javanische Tradition ein umfassendes Klassifikationssystem entwickelt. Dieses System umfaßt prinzipiell alle Phänomene der Erfahrungswelt und zeigt, wie sie zusammenhängen. Danach fallen alle in der Welt vorkommenden Elemente in eine von fünf Klassen, die man zum Beispiel nach den vier Windrichtungen (plus dem Zentrum) einteilen kann. Farben, Metalle, Tage, Charaktereigenschaften, Beruf, verschiedene Gegenstände und Eigenschaften, sie alle fallen in eine der fünf Kategorien und stehen somit untereinander in Verbindung. Unter Norden fällt zum Beispiel schwarz, Eisen, Wagé (ein Tag der javanischen Fünftagewoche), die Charaktereigenschaft schroff, der Beruf Metzger, Fleisch, Feuer und anderes.21 Ein Dieb wird seine Unternehmung nach dieser Klassifikation richten. Ebenso aber kann die Polizei anhand derselben Klassifikation rückwärts arbeitend den Dieb ermitteln. Wird zum Beispiel am Tatort etwas Schwarzes oder ein Stück Eisen gefunden, so kann die Polizei mit Hilfe dieses Klassifikationssystems den Beruf des Diebes (vermutlich hat er zumindest einen Metzger in der Familie, wenn er nicht selbst einer ist), die Richtimg, aus der er gekommen ist usw. ermitteln und auf diese Weise den Diebstahl aufklären. Auf diesen Klassifikationen basieren die sogenanntenprimbon, Bücher, in denen für alle denkbaren Unternehmungen die rechten Zeiten, Orte und sonstigen Bedingungen angegeben sind. Primbons sind in allen Buchläden zu haben und überaus populär. Von Traumdeutung und Angaben, nach denen man berechnen kann, wie eine Krankheit ausgehen wird, bis zu genauen Angaben darüber, wann eine Hochzeit zu halten oder eine Kuh zu kaufen ist,
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Duyvendak, 117.
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findet sich dann alles.22 Der passende Name für ein neugeborenes Kind, die rechte Himmelsrichtung beim Bau eines Hauses, der günstige Tag zum Abschluß eines Geschäftes müssen sorgfältig ermittelt werden, um späteres Unheil zu vermeiden. In Yogyakarta war in den fünfziger und sechziger Jahren der beste Chirurg am katholischen Pantirapihkrankenhaus, ein Muslim, dafür bekannt, daß er eine Operation erst dann auszuführen bereit war, wenn feststand, daß der Kranke durch diejenige der beiden Türen in den Operationssaal gerollt worden war, die er selbst bestimmt hatte. Zum Zwecke solcher Berechnungen steht ein ausgeklügeltes Berechnungssystem zur Verfügung, pétungan genannt.23 Es garantiert, daß die vorzunehmende Unternehmung kosmisch stimmt (cocog) und daher slamet ist. Im übrigen geht man in allen wichtigen Angelegenheiten zum dukun, dem örtlichen Medizinmann, der in der Lage ist, mittels komplizierter Berechnungen für alle Arten von Unternehmungen geeignete Tage und Stunden, den rechten Ort und die angebrachte Himmelsrichtung auszurechnen.24 Der Glaube ein die Koordination zwischen irdischen und überirdischen Ereignissen erklärt die große Bedeutung, die in der javanischen Gesellschaft Zeremonien, Namensgebungen und sakralen Formeln beigemessen wird.25 Zeremonien, die früher religiöser und feudaler Natur waren, sind heute säkularisiert: Einsetzungen von Ministem, Generälen, Beamten, Ordensverleihungen, Eröffnungsfeinern, „Geburtstage" von Organisationen finden fast jeden Tag, meist vom Fernsehen übertragen, im ganzen Lande statt, und zwar stets nach demselben, todernst ablaufenden, meist stark militärisch orientierten Zeremoniell. Von größter Bedeutung sind dabei stets die Namensgebungen, deren kryptomagische Bedeutimg daran zu erkennen ist, daß, vom Militât pionieri, fast alle Namen sofort zu offiziell verwendeten Akronymen verkürzt werden, wodurch das sachlich Gemeinte aus dem Bewußtsein verdrängt wird und der Eindruck eines sakralen Wortes entsteht. Im übrigen spielen sogenannte Konzeptionen als „heilige Formeln" eine große Rolle, wobei sie meist mit (der Bevölkerung unverständlichen) Wörtern aus dem Sanskrit bezeichnet werden, wie zum Beispiel Pancasila (die fünf Grundprinzipien des indonesischen Staates), Sabda Marga (die sieben Meilensteine der indonesischen Armee), Tridarma Perguruan Tinggi (die drei Dienste der Hochschulen), Pancaprasetya Ekakarsa (der fünfgefächerte eine Wille, die Pancasila hochzuhalten), die bei offiziellen Gelegenheiten ständig im Munde 22
23 24 25
Ein typisches Primbon (1976), das im Jahre 1976 die 30. Auflage erreichte, hat den Untertitel: „Enthält verschiedene geheime Wissenschaften. Abschrift aus Primbonsammlungen, die aus alten Zeiten überliefert sind," und enthält 334 Ratschläge, darunter über schlechte und sehr schlechte Tage, verschiedene slametans, über alles, was Geburten betrifft, Tage für Reisen, was ein Mann tun muB, wenn seine Frau schwanger wird, wann man am besten zum Gericht geht, über Kartenspielen, Träume, Häuserbauen, Zeichen nahenden Todes usw. Mulder 1978, 31; C. Geertz 1969, 30ff. Zur Rolle des dukuns siehe Utrecht. Siehe Mulder 1978, 4 8 - 5 1 .
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geführt werden. Dahinter steht die implizite Auffassung, daß eine Angelegenheit dann im wesentlichen in Ordnung ist, wenn sie in die rechte konzeptionelle Form, in die zutreffende Kategorie gegossen ist; „es fehlt nur noch die Durchführung," ist ein oft gehörter und auch von den Indonesiern gern belächelter Spruch. Dieses heute vollkommen säkularisierte Verhalten ist unschwer auf die Zeit zurückzuführen, als auch im wachen Tagesbewußtsein jegliche Kraft und Wirkung Ausdruck übernatürlicher Mächte war und das einzige, was der Mensch tun konnte, eben darin bestand, die rechte Formel auszusprechen, somit dem Phänomen seinen Ort im Kosmos zuzuschreiben und es damit in die kosmische Harmonie einzuordnen, während die „Durchführung" ohnehin durch kosmische Kraft und nicht durch menschlichen Einsatz geschah. Die Tatsache der Koordination zwischen irdischen und überirdischen Kräften eröffnet dem Menschen jedoch noch weitergehende Möglichkeiten. Nicht nur kann er sich durch Berechnen günstiger Orte und Zeiten den übernatürlichen Mächten anpassen, vielmehr kann er über denselben Mechanismus auch selbst die außerirdischen Mächte manipulieren, die das Leben des Menschen bestimmen und dadurch zu Macht über die Natur und über Menschen gelangen. Menschen von größerer innerer Kraft können durch Konzentration und Meditation die Macht erhalten, Gutes in der Gesellschaft zu wirken, Krankheiten zu heilen, günstige Zeiten und Orte zu berechnen, Fruchtbarkeit auf Mütter und Felder herabzurufen. Diese Kraft kann aber auch gebraucht werden, um den eigenen egoistischen Interessen zu dienen oder andere direkt zu schädigen. In der javanischen Gesellschaft haben bis heute weiße (dukun) und schwarze Magie (klenik, tenung, sihir) einen festen und im Falle der schwarzen Magie gefürchteten Platz. 26 c. Der rechte Ort als Schlüsselkategorie Grundlegend für das javanische Weltbild ist die Annahme eines universalen Koordinationszusammenhanges zwischen natürlichen Ereignissen und den Mächten der übernatürlichen Sphäre. Da die übernatürlichen Mächte aber empirischer Beobachtung nicht zugänglich sind, befindet sich der Mensch in seinem Bemühen, mit ihnen nicht zusammenzustoßen, in der mißlichen Situation eines Menschen, der sich in einem stockdunklen Haus voller Möbel, Treppen usw. befindet: er tut gut daran, sich behutsam (waspàdâ éling) zu bewegen, oder noch besser, wenn er einen ihm paßenden Sessel gefunden hat, dort sitzen zu bleiben und sich überhaupt nicht zu bewegen. Aus dieser Überlegung ergibt sich, daß die Kategorie des rechten Ortes für den Javaner eine fundamentale Bedeutung haben muß. Sein Heil (slamet) hängt davon ab, daß er seinen Ort findet und dort verbleibt. Von der Erreichung des rechten Ortes hängt das Gelingen meiner Unternehmungen, die Erfüllung meiner Wünsche, die Befriedigung meiner Interessen ab. Das Ein26
Zum ganzen Abschnitt siehe Mulder 1978, 30-35.
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nehmen eines falschen Ortes bedeutet eo ipso, daß die kosmische Harmonie gestört ist, oder, übersetzt in die Sprache des Geisterglaubens, daß ich mit geheimnisvollen Mächten zusammenstoße. Das Verlassen des rechten Ortes, des Ortes, den ich im Kosmos einnehme, bringt mich in Gefahr und die Gesellschaft in Unruhe. Innerhalb der javanischen Weltsicht muß der Javaner alles Interesse haben, daß jedermann seinen ihm zugewiesenen Ort einnimmt. Wie aber weiß ich, daß ich mich auf dem rechten Ort befinde? Auf der Ebene des Operationablen haben wir die Antwort bereits besprochen: wir haben gesehen, welche Möglichkeiten dem Javaner zur Verfügung stehen, um mit den übernatürlichen Mächten nicht in Konflikt zu kommen. Doch worin zeigt sich der rechten Ort positiv? Der Javaner kennt dafür zwei untrügliche Zeichen, das eine auf der gesellschaftlichen Ebene, das andere auf der psychologischen. Auf der äußeren, gesellschaftlichen Ebene ist manifest gesellschaftliche Harmonie das Zeichen dafür, daß sich jedermann auf seinem ihm zukommenden kosmischen Ort befindet. Unordnung in der Gesellschaft impliziert stets eine Störung der kosmischen Harmonie. Und umgekehrt bedeutet jede Störung der kosmischen Harmonie eine Bedrohung für die Gesellschaft. Geht es in der Welt ruhig, friedlich, geordnet zu, so ist das ein Zeichen dafür, daß die kosmische Harmonie in Ordnung ist. Auf psychologischer Ebene ist das Gefühl innerer Ruhe, die Abwesenheit von Aufregungen und emotionellen Spannungen ein Zeichen dafür, daß alles in Ordnung ist. Gesellschaftlicher Friede und seelische Störimgsfreiheit stellen das dar, was der Javaner als slamet erstrebt.27 Aus dieser Überlegung ergibt sich, warum die Harmonieprinzipien in der javanischen Gesellschaft eine so überragende Rolle spielen. Da jede Störung der gesellschaftlichen Harmonie im überirdischen Bereich Wellen schlägt und somit mich und die Gesamtgesellschaft unbekannten Gefahren aussetzt, muß die javanische Gesellschaft in allen Fällen der Bewahrung der Harmonie den Vorrang geben. Wenn wir ein Tun vernünftig nennen, das Bedrohung der eigenen Lebensqualität und Existenz zu minimalisieren trachtet, so ist das Vernünftigste, das der Javaner tun kann, das Vermeiden von Konflikten (rukun) und das Anerkennen der jedermann zukommenden Stellung in der Gesellschaft (urmat). Das rukun-Prinzip verhindert eine Störung der gesellschaftlichen Ruhe, indem es Konflikte nicht zum Ausbruch kommen läßt. Das urma/-Prinzip fordert, daß ich jedes Element der Gesellschaft entsprechend seinem Rang bzw. seiner Stellung in der Gesellschaft anzuerkennen habe. Indem ich Respekt zolle, wem solcher gebührt, erkenne ich die in der Gesellschaft bestehende Ordnung an und stütze damit die in ihr bestehende Harmonie, während respektloses Verhalten Unordnung hervorruft. Ebenso erklärt sich, warum der Javaner Initiativen wenig schätzt. Initiativen bedeuten stets, den gesicherten Ort zu verlassen und neue Schwerpunkte zu setzen. 27
Vgl. Mulder 1978, 45.
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Das aber muß notwendigerweise das bestehende Gleichgewicht stören und somit die kosmische Ordnung gefährden. Auf der psychologischen Ebene führen Initiativen leicht zu Spannungen und stören so die innere Gelassenheit. Eine Weltsicht, die von einem strikten Koordinationszusammenhang zwischen irdischem und überirdischem Bereich ausgeht, wird konservatives Verhalten prämieren und Veränderungen negativ gegenüberstehen. Der Vorrang, den das rukun- und Respektsprinzip in der javanischen Gesellschaft genießen, ist demnach durchaus vernünftig. Daß dem in westlichen Ethiken nicht so ist, liegt an den andersgearteten weltanschaulichen Voraussetzungen des durchschnittlichen Mitteleuropäers. Nimmt man an, daß das Leben des Menschen durch Naturkräfte bestimmt ist, die unpersönlich und berechenbar sind, die daher exakt zur Erzielung gewünschter Wirkungen eingesetzt werden können, dann ist solches Handeln vernünftig, das den jeweils verfügbaren Naturkräften entsprechend optimale Ergebnisse liefert. Dagegen ist das Vermeiden von Konflikten und die Anerkennung gesellschaftlicher Positionen nur soweit in meinem wohlverstandenen Interesse, als Konflikte und Versagung gesellschaftlicher Anerkennung meine Verfügung über Naturkräfte einschränken würden. Mit anderen Worten, ich vermeide Konflikte dann, wenn ein Konflikt mir kurz- oder langfristig eine Machteinbuße einträgt. Ist das nicht der Fall, so können natürlich noch moralische Erwägungen mich dazu bestimmen, einen Konflikt vermeiden zu wollen. Doch moralische Überlegungen sind an Normen orientiert, die ausnahmslos nur prima facie Gültigkeit beanspruchen können, und daher kann ich niemals unbedingt auf Konfliktvermeidung verpflichtet werden. Die javanische Gesellschaft geht von anderen weltanschaulichen Voraussetzungen aus. Für sie gibt es keinen Bezirk menschlicher Existenz, der rein durch objektive, berechenbare Gesetze bestimmt wäre. Der Mensch befindet sich vielmehr in einer Welt, in der alle Kräfte letztlich auf das Wirken uns stets unheimlicher, nie rational in den Griff zu bekommender geistiger Mächte zurückgeführt wird. In einem solchen Universum hat es keinen Sinn, unbedingt nach moralischen Normen, also nach Normen, die einen bestimmten Willen einschließen, handeln zu wollen. Denn solche Normen sind nur unter der Annahme sinnvoll, daß es möglich ist, gewollte Wirkungen in der Welt tatsächlich zu erzielen, daß also Wirkungen in der Welt durch objektive Naturgesetze, die ich wiederum nach meinem Willen einsetzen kann, hervorgerufen werden. Ist das nicht der Fall, so ist mein Wille, bestimmte Handlungen mit bestimmten Zielen zu setzen, für die Umwelt folgenlos. Nehmen wir die moralischen Normen, man solle stets gerecht, treu und hilfebereit handeln. Diese Normen verpflichten in westlichen Moralen absolut, wenn auch prima facie, können also allesamt die tatsächliche Verpflichtung mit sich bringen, Konflikte zu riskieren und soziale Rangordnung nicht zu respektieren. Eine solche absolute Verpflichtung hat aber nur dann einen Sinn, wenn ich mich in einem Universum bewege, in dem mein Handeln vorausberechenbare Veränderungen zur Folge hat. Mit anderen Worten, solche
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Verpflichtungen haben nur dann einen Sinn, wenn mein Tun auch „ankommt", wenn ich durch mein Handeln den anderen tatsächlich helfen kann (als Gegeninstanz kann der Fall eines Entlastungszeugen in einem politischen Prozeß gelten, der sicher weiß, daß seine Aussage dem Angeklagten nicht im mindesten helfen kann, zum Beispiel, weil der Ausgang des Prozesses sowieso von vornherein politisch festgelegt ist; in diesem Falle ist es durchaus zweifelhaft, ob er zu einer der Wahrheit entsprechenden entlastenden Aussage moralisch verpflichtet wäre). Und das setzt voraus, daß mein Handeln, welches ja im Einsatz von Naturkräften besteht, bestimmte Veränderungen in der Welt mit Sicherheit hervorbringen wird (wie im sozialen Bereich meine wahre Aussage nur dann einen Sinn hat, wenn ich kommunikativ in der Lage bin, das, was ich sagen möchte, verständlich vorzubringen). Gerade diese Voraussetzung ist aber im javanischen Verständnisuniversum nicht gegeben. Der Javaner kann die Folgen seines Handels grundsätzlich nicht positiv vorausberechnen, es besteht kein direkter kausaler Zusammenhang zwischen dem was er tun kann und dem, was dadurch in der Welt bewirkt wird. Er hat grundsätzlich keine Garantie, daß er das, was er in guter Absicht erreichen will, auch erreichen kann. Er kann es nicht festlegen, weil die Natur nicht festlegbar ist. Dagegen weiß er, daß er, wenn er Konflikte verursacht und so die gesellschaftliche Harmonie stört, sich und die übrigen Mitglieder der Gesellschaft, einschließlich des intendierten Nutznießers seiner Handlung, in kosmische Gefahr bringt. Das einzige, was der Javaner tun kann, ist, die gesellschaftliche und damit die kosmische Ordnung möglichst nicht stören. Gerade dadurch dient er den Interessen aller von seinem Tun Betroffenen am optimalsten. Daß der Javaner in westlichen Ethiken als grundlegend angesehene moralische Normen relativiert, liegt also nicht daran, daß sie ihm an sich gleichgültig wären, sondern daran, daß ihre absolute Durchsetzung in seinem Universum keinen Sinn abgibt. Und umgekehrt ist der absolute Primat, der innerhalb der javanischen Moral den beiden Harmonieprinzipien vor allen anderen Normen zukommt, durchaus einzusehen. Die Vernünftigkeit dieses Primats ergibt sich auch aus einer anderen Überlegung. Im Rahmen einer Weltanschauung, nach der die Welt durch berechenbare Naturkräfte bestimmt wird, müssen notwendig zwei Kategorien zu Schlüsselkategorien werden: die Kategorie „(objektiver) Sachverhalt" und die Kategorie „Wahrheit", hier minimalistisch verstanden als zutreffende Kenntnisnahme von einem solchen Sachverhalt. Der Sachverhalt besteht in der objektiven Konstellation der Naturkräfte ; da diese sachlicher Natur sind, steht ein Sachverhalt fest, das heißt, die Beschreibung dieser objektiven Konstellation liefert zugleich, im Maße ihrer Vollständigkeit, eine vollständige Beschreibung des möglichen Feldes von Wirkungen. Vom Sachverhalt hängt daher die Möglichkeit meiner Weltbeherrschung und damit die Sicherung meiner Existenz ab. Und daher ist er von vitaler Bedeutung für mich. Aus demselben Grund ist zutreffende Kenntnisnahme dieses Sachverhaltes von vitaler Bedeutung. Im Rahmen eines solchen Weltbildes hängt der Mensch
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vom Sachverhalt ab und muß sich daher stets um Wahrheitserkenntnis bemühen. Dagegen geben beide Kategorien in der Welt des Javaners wenig ab. Er erfährt die Welt nicht als eine Konstellation objektiver Naturkräfte mit berechenbaren Wirkungen, also als eine Welt von Sachverhalten, die so oder so sind und, einmal treffend zur Kenntnis genommen, ein für alle Mal als fester Faktor in Rechnung gestellt werden könnten. Vielmehr sind die das Leben des Menschen bestimmenden Kräfte ausnahmslos Ausdruck nicht berechenbarer, kapriziöser Geister. Und, wie es für den westlichen Menschen auch im interpersonalen Verkehr gilt, kann das, was diese Geister uns gegenüber unternehmen, nie vorausberechnet werden, da es nun einmal von ihren Kaprizen abhängt. Es gibt also gar keinen objektiven Sachverhalt und daher hat im javanischen Weltbild die Kategorie der Wahrheit eine untergeordnete Bedeutung. Der Versuch, durch stets minuziösere Untersuchungen die den Menschen betreffenden Kräfte in den Griff zu bekommen, d. h. den Sachverhalt vollständiger zur Kenntnis zu nehmen, istvom javanischen Standpunkt aus von vornherein ein fehlgeleitetes Bemühen. Nicht, ob eine Auffassung oder Stellungnahme wahr (bener) ist, entscheidet, sondern ob sie „stimmt" (cocog).
Die untergeordnete Stellung, die im javanischen Weltbild die Kategorien „Sachverhalt" und „Wahrheit" einnehmen, muß weitreichende Folgen im gesellschaftlichen und ethischen Bereich haben. Es ist nun verständlich, warum der Javaner seine Nonnen richtiger Interaktion so wenig an „objektiven Sachverhalten" orientiert, warum ihn der Hinweis, daß ein bestimmtes Verhalten nicht sachgerecht sei, kalt läßt, warum umgekehrt das Vermeiden von Spannungen und Konflikten, von Störungen der gesellschaftlichen hierarchischen Ordnung für ihn von höchster Bedeutung ist. Denn richtiges Handeln, das heißt Handeln, das die größte Gewähr für das Erreichen der von mir gewünschten Folgen hat, ist eben solches Handeln, das „stimmt", das „cocok" ist, das ruhig, kalm, wie von selbst, ohne Widerstände hervorzurufen abläuft. Ein solches Handeln, das gewissermaßen wie geschmiert läuft, trägt das Garantiesiegel der Harmonie an sich, es sitzt richtig, fügt sich glatt ein, garantiert, daß ich mich dabei genau meinem eigenen kosmischen Ort entsprechend verhalte und daher in optimaler Weise zum s/amei-Zustand der Gesamtgesellschaft beitrage.
2. Das Numinose und die Macht Was für alle Kräfte im javanischen Universum gilt, gilt insbesondere für das Phänomen politischer Macht: sie gilt als Ausdruck des Numinosen. Machtvolle Individuen gelten als magisch potent, im guten oder im bösen Sinn. Die politische Macht, die seit zweitausend Jahren eine Realität war, mit der auch das javanische Dorf in verschiedener Intensität in Berührung kam,
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ist für den Javaner die stärkste erfahrene Konzentration der alles durchdringenden kosmischen Kraftsubstanz. Da sie zudem bis in unsere Tage ein hervorragender Gegenstand javanischer theoretischer Reflexion ist und die Beschäftigung mit ihr einen bedeutenden Platz in der klassischen javanischen Literatur einnimmt, möchte ich die javanische Auffassung von Macht ausführlicher darstellen.28 a. Das Wesen der Macht Im Bewußtsein des westlichen Menschen ist Macht ein spezifisch zwischenmenschliches Phänomen. Macht heißt die Fähigkeit, anderen Menschen seinen Willen aufzulegen, sie zu bestimmtem Tun veranlassen zu können. Macht ist an sich selbst etwas Abstraktes, konkret ist sie in ihren Ursachen und Wirkungen. Sie besteht in einer bestimmten Beziehung zwischen Personen oder Personengruppen, von denen die eine Seite der anderen gegenüber ihren Willen durchsetzen kann. Sie tritt in heterogener Gestalt auf, zum Beispiel als elterliche, charismatische, politische, physische, finanzielle, intellektuelle, in Abhängigkeit von ihrer empirischen Grundlage. Im javanischen Bewußtsein ist Macht etwas ganz anderes und es gibt auch kein Wort, das ein genaues Äquivalent für den deutschen Begriff darstellt. Macht ist wie alle Kräfte, die sich in der Natur kundtun, Ausfluß der den ganzen Kosmos durchdringenden, formlosen, ständig schöpferischen göttlichen Energie. Macht ist kein von den Naturkräften verschiedenes spezifisch gesellschaftliches Phänomen, sondern Ausdruck kosmischer Kraft, die wir uns als eine Art von Fluidum vorstellen können, das den gesamten Kosmos durchdringt. Im Prinzip ist diese Kraft überall anwesend, doch gibt es Orte, Gegenstände und Menschen, bei denen sie in besonderer Konzentration auftritt. Menschen, die von dieser Kraft erfüllt sind, sind unüberwindlich und unantastbar, sie siadsekti. Die Kraft, die sekti macht, wird kasektèn genannt. Politische Macht ist Ausdruck von kasektèn, sie ist daher nicht etwas Abstraktes, ein bloßer Name für eine Beziehung zwischen zwei concreta, nämlich Personen oder Personengruppen. Macht ist etwas Substanzielles. Sie existiert an sich selbst, unabhängig und vorausgehend zu jedem empirischen Träger. Sie ist in Wahrheit das Wesen der Wirklichkeit selbst, ihr göttlicher Urgrund, betrachtet unter dem Gesichtspunkt der von ihm ausgehenden Kräfte. Macht ist für den Javaner ihrem Wesen nach homogen, sie ist eine und dieselbe überall, wo sie in Erscheinung tritt. Die im westlichen Bewußtsein unterschiedenen Formen von Macht sind im javanischen Verständnis Ausdruck derselben Wirklichkeit, sie stammen aus derselben Quelle, sind von derselben Qualität. Alle Äußerungen von Macht beruhen auf Partizipation an der den Kosmos durchdringenden einen Kraft. Individuen oder Gruppen, die 28
Die folgenden Überlegungen basieren zu einem großen Teil auf Anderson 1972; siehe auch Moertono.
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Macht gewonnen haben, können wir uns als Gefäße vorstellen, die einen Teil des kosmischen Kraftfluidums in sich fassen. Es ergibt sich aus dieser Konzeption, daß die Totalsumme an Macht im Universum immer konstant bleibt. Sie kann weder zu- noch abnehmen, da sie mit dem Wesen des Kosmos selbst identisch ist. Verändern kann sich nur die Verteilung der Macht im Kosmos. Konzentration von Macht an einem Ort bedeutet notwendig Verminderung von Macht an anderen Orten. 2 9 b. Der König als Konzentration kosmischer Kraft Auf dem Hintergrund dieser Auffassung von Macht ist der König (ratu) als Person zu verstehen, die kosmische Kraft in hohem Maße in sich konzentriert, die im höchsten Maße sekti ist. Wir können ihn uns als eine Schleuse vorstellen, die alle ausströmenden Wasser in sich konzentriert und für das tieferliegende Land die einzige Quelle von Wasser und somit Fruchtbarkeit darstellt. Oder als Brennglas, in dem das diffuse Sonnenlicht zusammengefaßt ist und von dem aus es nach unten verteilt wird. 30 Die kasektèn des Königs mißt sich am Maße der Fülle seines Machtmonopols. Seine Macht ist umso größer, je weiter sich sein Machtbereich ausdehnt und je ausschließlicher alle Kräfte in seinem Reiche von ihm ausgehen. 31 Von einem mächtigen König strahlt Ruhe und Wohlstand ins Land hinaus. Kein Feind von außen und keine Unruhen im Innern stören den Bauern bei der Feldarbeit, denn die Macht, die der Herrscher in sich konzentriert, ist so groß, daß alle Unruhe stiftenden Faktoren machtlos geworden sind, gleichsam trockengelegt; ihre Störungskraft ist in den König abgesaugt. Im Lande herrschen daher Friede und Gerechtigkeit und jeder kann seinem Gewerbe ohne Angst vor Überraschungen nachgehen. Die Macht des Königs zeigt sich auch in der Fruchtbarkeit des Landes und der Abwesenheit von Naturkatastrophen wie Überschwemmungen, Vulkanausbrüchen und Erdbeben. Denn da Naturereignisse von eben derselben kosmischen Kraft ausgehen, die der König in sich konzentriert, zeigt sich seine umfaßende Macht darin, daß es unabhängig von ihm zu keinen Kraftäußerungen kommt. Anzeichen für die Macht des Herrschers sind daher Ordnung und Fruchtbarkeit in Gesellschaft und Natur, also wenn Frieden herrscht, das Land gute Ernten abwirft, jeder Einwohner genug zu essen und Kleidung hat, und daher allgemeine Zufriedenheit herrscht, ein Zustand, den der Javaner als adii makmur (gerecht und reich) bezeichnet. Eine solche Ge-
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Vgl. Anderson 1972, 5 - 8 . Anderson 1972, 8. Auch sexuelle Potenz ist ein Zeichen der inneren Macht eines Herrschers, vgl. Anderson 1972,17-19. In sehr abgeschwächtem Mafie versuchten auch die örtlichen priyayi-Familien, sich als übernatürlich potent auszugeben, vgl. Sutherland 1973, 158-160.
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sellschaft verwirklicht das javanische Ideal des tata tentrem kartâ raharjâ (Ordnung, Friede, Wohlstand, Glück). 32 Negative Zeichen für die Macht des Herrschers sind die Abwesenheit aller Art von Unruhen, Kritik, Widerstand, das Nichtvorhandensein von unabhängigen, gegen die Zentralregierung aufmüpfigen Machtzentren im Lande, das Fehlen aller Art von Störungen des inneren Friedens und der Harmonie in seinem Herrschaftsgebiet. Denn das Auftreten solcher negativer Erscheinungen würde beweisen, das kosmische Kraft unabhängig vom Herrscher zur Wirkung kommt, daß der Herrscher also nicht mehr die innere Stärke besitzt, um alle kosmische Kraft in sich zu vereinen. Deshalb werden Naturkatastrophen, Krankheitsepidemien und Rattenplagen als bedenkliches Abnehmen der kasektèn des Herrschers, als ein Schwinden seiner Fähigkeit zur Konzentration übernatürlicher Kräfte gedeutet. 33 Für den Javaner sind solche Ereignisse ein Zeichen, daß ein Machtwechsel bevorsteht. Sie können aber auch längere Perioden politischer Gesetzlosigkeit, Naturkatastrophen und kosmischer Unruhe ankündigen, eine sogenannte jaman édan (verrückte Zeit), wie sie in bestimmten Abständen der Geschichte auftreten und die erst ein Ende finden, wenn schließlich ein ratu adii (gerechter König) auftritt und erneut den Zustand des tata tentrem kartà raharjà herstellt. 34 Die Echtheit der Macht eines Herrschers zeigt sich nicht nur in ihren Wirkungen, sondern auch in der Weise, wie sie ausgeübt wird. Kennzeichen wahrer Macht ist, daß der Herrscher alle Wirkungen seiner Kraft - die Abwesenheit von Störungen der Harmonie in Natur und Gesellschaft, den allgemeinen Zustand von Wohlstand, Gerechtigkeit, Frieden und Zufriedenheit - ohne jeden Anschein von Anstrengung hervorbringt. Die Macht des Herrschers zeigt sich darin, daß gewissermaßen alles ganz von selbst geschieht. Umgekehrt gelten dem Javaner intensive Aktivität, aufgeregte Geschäftigkeit und sichtbare Besorgtheit als Zeichen von Schwäche. Wahre Macht zeigt sich in ruhiger Gelassenheit. Ruhige Gelassenheit geht für den Javaner zusammen mit einer Eigenschaft, die für ihn den Inbegriff kultivierter Menschlichkeit darstellt und zugleich dem Wissenden die Anwesenheit innerer Kraft verrät: ein Herrscher muß alus sein. 35 Alus bedeutet zunächst einmal die physische Eigenschaft, glatt zu sein, dann aber auch sanft, elegant, höflich, einfühlsam, unaufdringlich usw. 36 Dem oberflächlichen Beobachter mag -A/usheit als Zeichen von 32
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Vgl. Anderson 1972,13-19; das javanische Ideal eines von einem mächtigen König regierten Reiches wird zu Beginn jeder wayang-purwà Aufführung vom Puppenspieler in stereotypen Sätzen erzählt. Das galt auch für lokale Regierungsbeamte. „Should some natural disaster occur, such as aflood,eruption or widespread crop failure, then the priyayi were often held responsible by the people, as they had obviously failed to maintain the proper blance." Sutherland 1973, 160. Zum ratu-adil-GlaubeA siehe Hardjamardjaja. Anderson 1972, 38f. Zu „α/iw" siehe C. Geertz 1969, 232-234: ,,Α/t« means pure, refined, polished,
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Schwäche erscheinen. In Wirklichkeit ist es das genaue Gegenteil: wer alus ist, beweist dadurch, daß er sich selbst vollkommen unter Kontrolle hat und damit über innere Mächtigkeit verfügt. Ein Mann von wahrer Macht muß seine Stimme nicht erheben, um sich Gehör zu verschaffen, er braucht sich nicht aufzuregen und muß nicht auf den Tisch hauen, damit man ihm gehorcht. Es genügt vollkommen, wenn er seine Befehle auf indirekte Weise gibt, in Form einer Andeutung, eines Vorschlages, einer Anregung; der Indonesier spricht hier vonperintah halus, einem „sanften Befehl". 37 Ebenso braucht er Verbote nicht ausdrücklich zu geben: eine kritische Bemerkung, eine höfliche Gegenfrage, ein tolerantes Lächeln genügen, um seinen eisenharten Willen kundzutun. Eine wahre Autoritätsperson hat es nicht nötig, ihrer Autorität durch äußere Bemühungen Nachdruck zu verleihen. Im Gegenteil, glaubt ein Vorgesetzter, seine Autorität unterstreichen zu müssen, so gibt er damit indirekt seine Schwäche zu und erschüttert dadurch seine eigene Stellung. Die entgegengesetzte Eigenschaft heißt kasar, grob. Grob wird mit Unebenheit, Unausgeglichenheit, mangelnder Selbstkontrolle, Disharmonie, Häßlichkeit und Unsauberkeit assoziiert. Grobes Verhalten, zornig Werden, Schreien und Toben weisen auf mangelnde innere Stärke hin und offenbaren dadurch einen Mangel an Macht. Der Javaner verachtet kasar- Verhalten, es ist für ihn ein Zeichen fehlender Kultur, mangelnder Selbstbeherrschung und innerer Schwäche. Grobheit und Emotionalität schwächen stets die Position des Befehlenden. 38 Das kommt im javanischen Theater, dem Wayang, stets
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polite, exquisite, etheral, subtle, civilized, smooth. A man who speaks flawless high-Javanese is alus, as is the high-Javanese itself. A piece of cloth with intricate, subtle designs painted onto it is alus. An exquisitely played piece of music or a beautifully controlled dance step is alus. So is a smooth stone, a dog with his hair petted down, a farfetched joke, or a clever poetic conceit. God is, of course, alus (as are all invisible spirits), and so is the mystical experience of Him. One's own soul and character are alus insofar as one emotionally comprehends the ultimate structure of existence; and one's behavior and actions are alus insofar as they are regulated by the delicate intricacies of the complex court-derived etiquette. Kasar is merely the opposite: impolite, rough, uncivilized, a badly played piece of music, a stupid joke, a cheap piece of cloth. Between these two poles the priyayi arranges everyone from peasant to king." C. Geertz 1969, 232. Anderson 1972, 42. Das bestätigen die Autoritätsschwierigkeiten, mit denen ein früheres holländisches und chinesisches Management in einer von Ann Wülner untersuchten Fabrik zu kämpfen hatten. Der sozial höhere Status dieses Managements wurde zwar anerkannt, doch übte das Management seine Autorität in einer Weise aus, die nicht mit den Erwartungen der Belegschaft übereinstimmte: es stellte Forderungen, die die Arbeiter nicht antizipieren konnten, zeigte unerwartete Reaktionen, bellte Befehle in einer Sprache, die die Arbeiter oft nicht einmal verstanden und gab scharfen, öffentlichen Tadel. Ein späteres javanisches Management hatte diese Schwierigkeiten nicht mehr: Tadel wurde nur indirekt ausgesprochen, Strafen wie Versetzung an einen anderen Arbeitsplatz oder selbst Entlassungen wurden in einer Weise vorgenommen, die es dem Betroffenen erlaubten, sein Gesicht zu wahren. Besondere Autoritätsschwierigkeiten hatten im übrigen die Vorarbeiter: für ihre Position rein
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trefflich zum Ausdruck, wenn der Held der Geschichte, meist ein Ritter (ksatriyà), insbesondere dei; edle Arjunâ, mit seinen traditionellen Feinden, den Riesen (butä), zusammentrifft. Arjunâ ist dermaßen alus, daß er meist von einer Frau dargestellt wird, während die Riesen die Personifizierung all dessen, was kasar ist, darstellen. Während der Riese herumspringt, schreit, sich die Haare rauft, Erde frißt, Purzelbäume schlägt und mit dem Dolche herumfuchtelt, steht Arjunâ vollkommen still: er ist so sehr von innerer Kraft gefüllt, daß die Riesen ihn nicht berühren können. Mit einer gleichsam verächtlich hingeworfenen Bewegung seines Armes stößt er schließlich seinen Dolch in den Riesen. Da Macht metempirischen Charakters ist, kann sie auch nicht mit empirischen Mitteln errungen werden. Sie ist für den Javaner nicht das Ergebnis von Reichtum, Einfluß, Beziehungen, physischer oder militärischer Stärke, von Intelligenz und selbst nicht von Abstammung allein. Macht dadurch gewinnen zu wollen, daß man sich um den Erwerb dieser Faktoren bemüht, ist ein törichtes Unterfangen. Es gibt nur eine Weise, Macht zu erringen, und das ist durch Konzentration von kosmischer Potenz. Diese aber kann man sich nicht einfach nehmen, sie muß einem gegeben werden. Nach javanischer Auffassung geschieht das nicht selten durch eine Art Berufungserlebnis: Auf den Berufenen, der sich vielleicht auf einem Berge oder in einem Walde in Konzentration übt (laku tàpâ, lelànà bràtà), fällt plötzlich eine göttliche Offenbarung (wahyu) wortloser Natur, oft in Form eines kreisförmigen blauen Lichtes, das über den Hümmel streicht und auf den Erwählten herabsteigt (ndaru, pulung). Ein so mit göttlicher Kraft erfüllter (katibanan wahyu) Mann verändert sich auch in seinem Äußeren: sein Antlitz beginnt, ihm selbst unbewußt, aber dem Volke sichtbar, zu strahlen (téjà). Das Volk weiß somit, daß hier ein zukünftiger Herrscher aufgestanden ist. 39 Wem so Macht zufloß, der wirkt nun wie ein Magnet: ohne daß er sich darum zu bemühen braucht, stellen sich nun militärische Macht und Reichtümer, Ansehen und Beziehungen und alle anderen empirischen Elemente ein, die nach westlicher Auffassung die Voraussetzung zum Erringen von Macht bilden. Ohne eine vorausgegangene „Berufung" dagegen kann einer noch so reich sein, sich noch so sehr um Beziehungen und um militärische Macht bemühen, er wird auf diese Weise niemals zur Macht gelangen. 40 Das bedeutet jedoch nicht, daß man sich überhaupt nicht um Macht bemühen könnte. Es kommt nur darauf an, diejenigen Mittel dafür einzusetzen, die dem Gegenstand angemessen sind. Nach javanischer Tradition gibt es Möglichkeiten, die kosmische Kraft, das kasektèn, in sich zu konzentrieren. Das
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sachlicher, stellvertretender Autorität gibt es keine traditionelle Entsprechung. Einerseits gehörten sie klassenmäßig zu den Arbeitern, andrerseits mußten sie das Management vertreten, ohne eigene Autorität zu haben. Vgl. Willner 1961, 308-310 und passim. Vgl. Anderson 1972, 16 f. Vgl. Anderson 1972, 41.
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geschieht durch alle Arten von Bemühungen, die darauf hinzielen, das Sichverausgaben an die Außenwelt abzustellen, die Kontrolle über sich selbst zu erhöhen und das eigene Innere ausschließlich auf das gewünschte Ziel zu konzentrieren. Dazu zählen vor allem asketische Übungen wie Feisten, Entzug von Speise, Schlaf und sexuelle Enthaltung, sowie Konzentrationsübungen (semadi). Zu diesem Zwecke begibt man sich in die Einsamkeit (lelànâ bràtâ). Bevorzugte Orte der Meditation sind Berggipfel, Höhlen im Urwald und Flüsse. Vorbild ist in der javanischen Tradition der ostjavanische König Airlangga, von dem berichtet wird, er habe sich zwanzig Jahre in den Urwald und auf die Berge zurückgezogen, um dort „Wissen" (ngèlmu) zu erwerben und sekti zu werden. Um Andersons Bild vom Brennglas zu gebrauchen: je mehr Sonnenlicht es zu konzentrieren im Stande ist, desto mehr Hitze kann es erzeugen. Je höher die Konzentration, die einer durch Meditation erreicht, desto mehr kosmische Kraft konzentriert er in sich und desto mächtiger wird er. 41 Auch wenn jemand schon ein Herrscher geworden ist, wird er sich darum bemühen, seine Macht zu vergrößern. Zu diesem Zwecke versichert er sich aller magischen Potenzen, die sich in seinem Machtbereich befinden. Er sammelt magisch potente Gegenstände um sich, wozu vor allem die königlichen Erbstücke (pusàkà) gehören wie Dolche (kris), Speere und Game/an instrumente. Er umgibt sich mit magisch potenten Menschen, zieht berühmte Seher und fromme Männer an den Hof, aber auch seltsame Menschen wie Krüppel, Albinos und andere Exoten. 42 Ferner besucht der König regelmäßig verehrungswürdige Stätten und Heiligtümer in seinem Reich, insbesondere die Grabstätten früherer Könige. Indem der lebende König sie besucht, geht deren übernatürliche Kraft auf ihn über. 43 Ebenso, wie Macht ein Ergebnis der Fähigkeit ist, kosmische Kraft in sich zu konzentrieren, so kann ein Herrscher die Macht dadurch verlieren, daß er 41
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Ina Slamet entnehme ich einen Text aus dem 11. Jahrhundert, der diese Auffassung deutlich ausspricht: Nachdem vom König gesagt wurde, er habe einen Fluß eingedämmt, heißt es weiter: „Aus diesem Grunde tränkt die Stellung des Sri Maharaja der in Kahuripan thront, gleichsam die gesamte Erde mit seiner Güte, die das Wasser der Unsterblichkeit ist, und regnet seinen Ruhm, indem er den geheiligten Eßplatz vervollkommnet. Derjenige dreht die Räder der Welt, der bewirkt, daß in der Welt das angetroffen wird, was fürs tägliche Leben von Nutzen ist." Slamet 94. Anderson 1972, 12f. So brachten Majapahits Könige einen großen Teil ihrer Zeit damit zu, Heiligtümer zu besuchen, um den Göttern gebührende Verehrung zu erweisen und zugleich der magischen Kraft ihrer dort begrabenen Vorfahren teilhaft zu werden, Vlekke 74. Von der treuen Erfüllung dieser Pflichten hingen Macht und Wohlfahrt des Landes ab. „After death each ruler was ritually clad in the person of a major divinity by his successor and buried within a monumental complex that created, near the new ruler's palace, a divine pantheon which lent its spiritual strength to that of the new ruler. The dead ruler's royal spouse and his father and mother, and sometimes his parental siblings, were also thus apotheosized in death, to extend their spiritual aid reciprocally to that of the ruler as they had done, materially and spiritually, in life." Jay 1963, 4.
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diese Konzentrationsfähigkeit verliert. Ein Zeichen dafür, daß ein Erosionsprozeß der Macht eingesetzt hat, sind aufkeimende Unruhen, Aufstände, Unzufriedenheit im Volk, um sich greifende Sittenlosigkeit, aber auch Naturkatastrophen und Mißernten.44 Als Boten des bevorstehenden Verfalls treten in solchen Zeiten Einsiedler und Weise auf (resi, begawan, ajar). Aber nicht diejenigen, die fest am Hofe leben und dadurch vielleicht korrumpiert wurden. Vielmehr sind es heilige Männer, die sich aus der Gesellschaft auf Berge und in Wälder zurückgezogen haben, umgeben von ihren Schülern. Verlassen sie ihre Einsiedeleien, um am Hofe den um sich greifenden Verfall anzuklagen und vor dem bevorstehenden Sturz der Dynastie zu warnen, so befindet sich der Herrscher bereits in einer für ihn kritischen Situation. Seine meist gewalttätige Reaktion beweist dann nur, daß er in der Tat den Lauf der Dinge nicht mehr kontrollieren kann, denn sonst müßte er nicht zu Mitteln greifen, die kasar sind, ja er brauchte sich um seine Kritiker überhaupt nicht zu kümmern.45 Wie kommt es, daß ein Herrscher seine Fähigkeit zur Konzentration kosmischer Kraft verliert? Wie Aszese und Meditation der Weg zur Erlangung von kasektèn sind, so verliert ein Herrscher seine kasektèn allmählich, wenn er beginnt, sich seinen Leidenschaften hinzugeben und seinen Eigeninteressen nachzujagen. Eine solche Einstellung nennt der Javaner pamrih. Ein Mensch zeigt pamrih, wenn er nur auf die Befriedigung der eigenen persönlichen Interessen und Wünsche aus ist, wenn er nur für sich selbst lebt, wenn er nach persönlichen Reichtümern und Genüssen strebt. 46 Daß pamrih als Haltung des Herrschers negativ gewertet wird, hat unmittelbar nichts mit Moral zu tun. Dieser Wertung unterliegt nicht die Überlegung, daß pamrih sozial disruptiv wirken und so die gesellschaftliche Harmonie stören könnte. Pamrih ist eine Gefahr für den Herrscher, weil es seine Macht aushöhlt. Wer dem pamrih nachgibt, konzentriert sich nicht mehr auf seine eigene kosmische Kraft, sondern gibt sich seinen Leidenschaften und Interessen hin. Das aber bedeutet, daß er durch Elemente von außen gesteuert wird. Damit beginnt er, seine Macht nach außen zu vergeuden, statt sie in seinem Inneren zu konzentrieren. Er gleicht einem Wasserschlauch, der leckt und daher nicht mehr konzentriert und mit Druck spritzen kann. 47 Ein Herrscher, der seine Machtstellung mißbraucht, um seinen persönlichen Leidenschaften nachzugehen, Reichtümer aufzuhäufen und sich ein angenehmes Leben zu machen, aber auch, der beginnt, seine Untertanen zu unterdrücken und zu erpressen und sich tyrannisch zu gebärden, kurzum ein 44
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Cantrik Mataram z. B. nennt 40 Zeichen für das Ausbrechen einer jaman édan, darunter daß die Menschen faul und gefräßig werden, die Lügner im Frieden leben, daß Bürgerkrieg ausbricht, daß der Boden besteuert wird und die Bodenerträge abnehmen; cf. Mataram 29 f. Vgl. Anderson 1972, 52-57. Anderson 1972, 39. Vgl. Anderson 1972, 38-43.
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Herrscher, der das totale Machtmonopol, über das er nach javanischer politischer Philosophie verfügt, zu seinem persönlichen Vorteil ausnutzt, bereitet dadurch seinen eigenen Sturz vor. Denn er vergeudet seine Energien, wird kasar und außengesteuert. Anderson weist darauf hin, daß im Wayang der wesentliche Gegensatz zwischen den „Guten" und den „Schlechten" eben darin besteht, daß die „Guten" frei von pamrih handeln, während die „Schlechten" ihre Macht durch pamrih verpuffen lassen und daher schließlich geschlagen werden. 48 So kann im Ramayana Ràmâ den dämonischen Rahwânâ, vor dessen magischer Kraft selbst die Götter zittern, deshalb schlagen, weil Rahwânâ seiner Leidenschaft für Râmâs Gattin Sintâ nachgibt. Die größte Gefahr für die Position eines Herrschers kommt also nicht von Außen, sondern von Innen, von der inneren Schwäche des Herrschers selbst. Denn Kräfte von außen können ihm nichts anhaben, so lange er selbst das Brennglas ¿st, das alle kosmische Energie in sich konzentriert. Diese Unverletzlichkeit verliert er, wenn er seine Kraft im Verfolg eigensüchtiger Interessen versickern läßt. 49 48 49
Anderson 1972, 39f. Wie sehr dieses traditionelle Machtverständnis noch lebendig ist, hat kürzlich der Fall Sawito gezeigt. Der 46-jährige Javaner Sawito Kartowibowo wurde am 14. September 1976 verhaftet und im Juli 1978 zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. Die Verurteilung erfolgte wegen Subversion; der Angeklagte habe die Autorität der Regierung untergraben und im Volke Unruhe geweckt. Sawito, der bis zu seiner groß von der Regierung über Radio und Femsehen verkündeten Verhaftung nur einem kleinen Kreis Eingeweihter bekannt gewesen war, hatte u. a. fünf Texte aufgesetzt, von denen einer den Präsidenten Soeharto aufforderte, wegen moralischer Korruption abzutreten und seine Macht an Altvizepräsident Mohammad Hatta zu übertragen. Zu einem dieser Texte hatte Sawito auch die Unterschrift der vier höchsten Persönlichkeiten des Islam, der Kebatinanbewegungen (Javanismus), der katholischen und der evangelischen Kirche erhalten (und somit in den Augen der überraschten Bevölkerung die geistlichen Führer des Landes auf die Gegenseite von Suharto rangiert). Zum weiteren Hintergrund übersetze ich wörtlich aus der Tageszeitung KOMPAS (19. 7. 1978): „Im Jahre 1972 ging Sawito lelanabrata (sich aus der Welt zurückziehend herumwandern) nach Parangtritis (mystisch potenter Platz an der Südküste, MS) und Demak (Ort des ersten javanischen Sultanates, MS). Nachdem er von dort zurückgekehrt war, ging er zusammen mit Sudjono lelanabrata auf den Gipfel des Muria- und des Saptorenggoberges. Auf dem Saptorenggo sah der Zeuge Sudjono ein /idaru' (helles Licht) auf Sawitos Körper treffen, so daß dieser niederstürzte. Danach setzte Sawito sein lelanabrata fort in den Ketanggawald, auf den Semeruberg und den Jatiberg bei Cirebon. Dort zeigten sich wieder geheimnisvolle Zeichen, die der Zeuge Trisirah so deutete, daß Sawito einmal ein Ratu Adii, ein großer Führer in Indonesien werden würde. Die Ansicht, Sawito werde ein Ratu Adii werden, verdichtete sich, nachdem der holländische Psychologe (!) Van Gennep den Angeklagten zuhause besuchte. In seinem eigenen Hause wurde Sawito von Van Gennep zum Ratu Adii Indonesiens eingesetzt, indem er einen kleinen kris (traditionellen Dolch, MS) um das Haupt des Angeklagten kreisen ließ." Der Fall Sawito erregte in Indonesien größte Anteilnahme, die Gerichtsverhandlungen mußten per Lautsprecher auf die Gänge des Gerichtes übertragen werden, da der Raum die Besucher nicht fassen konnte, immer wieder kam
Das Numinose und die Macht c. Der Kraton als numinoses
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Reichszentrum
Für die javanische Bevölkerung war die Hauptstadt mehr als nur ein politischer und kultureller Mittelpunkt: sie war das magische Zentrum des Reiches.50 Denn in ihr residierte der Herrscher und der Herrscher war die Quelle, von der die Kräfte des Kosmos, Frieden, Gerechtigkeit und Fruchtbarkeit spendend, in das Land hinausströmten. Dieser Anspruch kommt sehr deutlich in den Titeln der Herrscher der vier mitteljavanischen Fürstentümer zum Ausdruck, in die das zweite Mataramreich bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts zerfallen war. Die beiden Fürsten von Yogyakarta nennen sich Hamengku Buwânâ (der den Erdkreis im Schöße trägt) und Paku Alam (Nagel der Welt), die Fürsten von Surakarta heißen Mangkunegârâ (der den Staat im Schöße trägt) und Pakubuwânâ (Nágel des Erdkreises). In der vorislamischen Zeit wurde der König entweder als Inkarnation Gottes (rajadewa) oder als von Gott abstammend, oder auch als beides zugleich angesehen. Gewöhnlich nahm man an, daß sich Siwa im König inkarniere, doch gab es auch Könige, die als Inkarnationen von Wisnu galten. König Krtarajasa (gestorben 1316 AD), der Gründer des großjavanischen Reiches von Majapahit, ist in einer Statue verewigt, die ihn als Harihara darstellt, als Zusammensetzung von Wisnu und Siwa. sl Und obwohl der Islam, der vom 15. bis zum 17. Jahrhundert ganz Java durchdrang, die Idee eines Gottkönigs verpönte, so hielten sich die alten Ideen dennoch. Von Panembahan Senâpati, dem Begründer des zweiten Mataramreiches in der Nähe des heutigen Yogyakarta (gestorben 1601) wird berichtet, er sei so voller mystischer Kraft gewesen, daß die machtvolle Göttin des Südmeeres, Nyai Rârâ Kidul, sich mit ihm vermählt habe.52 Noch heute gelten die Regalien des Sultans von Yogyakarta, insbesondere sein goldener Wagen und das Gamelanorchester, in der Bevölkerung als fruchtbarkeitsspendend, und wenn alljährlich am Fest Grebeg Mulud (Muhammads Geburtstag) der goldene Wagen gewaschen wird, drängt sich die Bevölkerung, um etwas von dem Waschwasser mit nach Hause nehmen zu können. Die Auffassung vom Kraton als dem magischen Zentrum des Reiches bestimmte die javanische Staatsidee. Vergleichen wir den Kraftstrom, der vom König ins Reich hinausfließt, mit dem Licht einer Leselampe. Je näher wir der Birne sind, desto heller scheint ihr Licht, je weiter wir uns von ihr entfernen, desto schwächer der Schein, bis die von der Glühbirne ausgehenden
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es zu spontanen Beifallskundgebungen für Sawito, der den Prozeß in überlegener Weise über sich ergehen ließ, und die Härte der Strafe wird allgemein als Zeichen dafür gedeutet, daß die höchsten Machtsträger Sawitos Anspruch Ernst nahmen. Der Bericht in der Zeitung endet mit dem - ominösen—Bericht, daß Sawitos ständiger militärischer Bewacher fünf Stunden vor Beginn der Schlußsitzung zu Hause an einem Herzschlag gestorben sei. Die folgenden Ausführungen stützen sich vor allem auf Heine-Geldern. Heine-Geldern, 7. So z. B. in dem bis heute populären Erbauungsgedicht Wedh&t&mä des surakartensischen Fürsten Mangkunagârâ IV aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
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Strahlen schließlich nicht mehr festzustellen sind. Ebenso ist nach javanischer Staatsauffassung der Staat am dichtesten im Zentrum verwirklicht, in der nächsten Umgebung des Königs, im Kraton. Ihn umschließt wie ein Ring die Hauptstadt, in der die Familien einer Gruppe von Untertanen wohnen, die direkt oder indirekt von Dienstleistungen oder Arbeiten am Kraton lebt. Von der Hauptstadt aus ergießt sich die Kraft des Königs strahlenförmig über die Dörfer. Mit wachsender Entfernung von ihr wird die königliche Kraftstrahlung immer schwächer, bis sie schließlich ganz verebt. So führen die entferntesten Dörfer im Niemandsland zwischen der Kraft des Herrschers und der seines Nachbarn ein praktisch von politischer Macht nicht beeinflußtes Dasein. Ersteigt ein Fürst mit einem machtvollen kasektèn den Thron, so verstärkt sich die Strahlung und die Grenzen des Reiches weiten sich aus, so daß mehr Dörfer in den königlichen Strahlungsbereich gelangen. Die Idee eines Territorialstaates mit festen Grenzen, innerhalb deren an jeder Stelle, zumindest in der Theorie, genau dieselbe Dichte staatlicher Präsenz gegeben ist und an denen die Autorität des Staates plötzlich endet, liegt der javanischen Konzeption von politischer Macht fern. In der javanischen Konzeption haben Grenzen keine Funktion, die Staatlichkeit des Reiches ist in der Hauptstadt verkörpert, was auch dadurch zum Ausdruck kommt, daß im Javanischen Hauptstadt und Staat mit demselben Wort negàrà bezeichnet werden. 53 Diese Auffassung von Staatlichkeit als dem Einflußbereich der magischen Kraft des Königs hat zur Folge, daß der javanischen politischen Konzeption die Idee einer Pluralität von Gewalten stets fremd geblieben ist (eine Perspektive, die in den fünfziger Jahren innerhalb der jungen Republik Indonesien mit ihren zahlreichen selbstbewußten Bevölkerungsgruppen zu schweren Spannungen geführt hat). Alle Gewalt und alles Recht geht von der Person des Königs aus." Insbesondere ist die Idee eines der Person des Herrschers übergeordneten Rechtes in der javanischen politischen Philosophie unbekannt. Sie muß es auch sein, denn wenn politische Macht ein quasiphysischer Kraftstrom ist, der von der Person des Königs ausgeht, ist für ein Recht als eine Bedingung der Legitimität seiner Macht und als Begrenzung ihres Gebrauches kein Raum. Der König ist die Quelle seiner Souveränität. Es gibt demnach in der javanischen Literatur nichts, was sich der griechischen Diskussion um die Frage von Herrschaft des besten Herrschers versus Herrschaft des Gesetzes vergleichen ließe. Fast überflüßig zu sagen, daß die Idee einer Verfassung als Rechtsgrundlage staatlicher Tätigkeit nicht in die javanische Auffassung paßt. Bemerkenswert ist auch, daß es in Java nie ein Feudalsystem im westlichen Sinne, als ein System von durch festgelegte Rechte und Pflichten geordneten politischen Einheiten mit begrenzter Machtautonomie, gegeben hat.55 Im javanischen System gab es im Grund nur die Hauptstadt und das Land. Die 53
Vgl. Anderson 1972, 2 8 - 3 3 . Vgl. Anderson 1972, 22-25. " Vgl. Anderson 1972, 33-38.
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Hauptstadt selbst bestand im Wesentlichen nur aus dem Königspalast. Was um ihn herum siedelte, hatte irgendwelche Dienstleistungen im Zusammenhang mit dem Hofe zu verrichten. Es entwickelte sich auch kein Landadel von Bedeutung; die Vertreter des Königs auf dem Lande bestanden aus Beamten, die versetzt werden konnten und deren Amt i. A. nicht erblich war.56 Ebenso entwickelte sich keine Stadtkultur. Nur an der javanischen Nordküste kam es zur Bildung von Städten, die vom Seehandel lebten und auf mehrere Jahrhunderte Existenz zurückblicken konnten. Bezeichnenderweise waren diese Städte die Stützen des javanischen Islams und konnten nicht ins javanische politische System eingegliedert werden. Im Landesinneren kam es lange Zeit nicht zu dauerhaften Stadtgründungen und es ist auffallend, daß jegliche Baudenkmäler städtischer Provenienz fehlen. Da außerdem das javanische politische System gerade wegen seiner übermäßigen metaphysischen Ansprüche strukturell gesehen äußerst instabil war,57 kam es häufig zu Stürzen der bestehenden Dynastie. Um aber die eigene magische Potenz unter Beweis zu stellen und dem Fluch zu entgehen, der offensichtlich auf dem Ort der Herrschaft des gestürzten Vorgängers lag, war es üblich, daß der neue Herrscher seine Residenz an einem neuen Ort aufschlug. Damit verlor die alte Kratonstadt ihre wirtschaftliche Basis und verfiel.58 So sind zum Beispiel die beiden mitteljavanischen Fürstenstädte Yogyakarta und Surakarta nur zweihundert Jahre alt und haben keinerlei bedeutsame architektonische Monumente aufzuweisen. Aus der javanischen Konzeption von Macht ergab sich, daß der König ein absolutes Machtmonopol behaupten mußte, denn nur dann konnte er seinen Anspruch ausweisen, in sich die gesamte im Reiche wirksame kosmische Kraft zu konzentrieren. Der König konnte daher keine semiautonomen Bezirke in seinem Machtsbereich dulden. Das erklärt, weshalb sich auf Java kein echter Landadel bilden konnte. Es erklärt aber auch, warum der Islam, insbesondere seine streitbaren Ulamas, mit seiner Betonung der Gleichheit aller Menschen vor Gott vom Herrscher mit Mißtrauen angesehen wurde. Denn hier erhoben sich Ansprüche der Autonomie, die nicht in die javanische Konzeption integriert werden konnten. Wir lesen denn auch in der Geschichte des zweiten Mataramreiches von verschiedenen Metzeleien an Ulamas. Zum Verfall des Reiches kam es, wenn der Herrscher infolge von pamrih und Korruption seine kosmischen Kräfte versickern ließ. Zeichen dieses Ver56
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Das galt mehr in der javanischen Herrschaftsideologie als in der Wirklichkeit. Es gab auch priyoyi-Ftamilien mit starken lokalen Verwurzelungen, die als Verbindung zwischen Hof und Bevölkerung fungierten. Das Amt des Regenten war unter den Holländern erblich geworden. Vgl. Sutherland 1975. Heine-Geldern, 10 f. Von Kartosura, wo im 17. und 18. Jahrhundert etwa 80 Jahre lang die Könige von Mataram residierten, ist nur eine Straßenkreuzung Übriggeblieben, von Kotagedé, wo Sultan Agung, der mächtigste der Mataramkönige im 17. Jahrhundert residierte, hat sich nur das von diesem König aus Persien eingeführte SUberschmuckhandwerk erhalten.
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falls ist die abnehmende Dichte der königlichen Kraft im Lande. Diese ermöglichte es regionalen Prinzen, im Vacuum der königlichen Macht ein eigenes kleines Machtzentrum aufzubauen, wodurch wiederum der Anspruch des Königs auf das Monopol der Macht herausgefordert wurde. Gelang es ihm nicht, den Emporkömmling bei Zeiten zu unterdrücken, so mußte das, da die Möglichkeit einer permanenten feudalen Akkommodation nicht bestand, zum Zerfall des Reiches führen. d. Macht und Moral Zum Abschluß dieser Darstellung stellt sich die Frage, in welcher Weise der Erwerb und Gebrauch von Macht innerhalb der javanischen Machtauffassimg selbst einer moralischen Legitimierung unterliegen. Nach westlicher Ethik ist Macht an sich selbst moralisch neutral. Ihre moralische Legitimität hängt von der Weise ihres Erwerbs und ihres Gebrauches ab. Dabei ist vorausgesetzt, daß Macht sowohl berechtigter als auch unberechtigter Weise ergriffen werden kann und daß ich Macht in moralisch gerechtfertigter oder nicht gerechtfertigter Weise gebrauchen kann. Diese westliche Auffassung setzt jedoch voraus, daß Erwerb und Gebrauch von Macht in meine Verfügung gestellt sind. Gerade deshalb muß ich beides moralisch verantworten. Nach javanischer Auffassung ist Macht jedoch eine übernatürliche Wirklichkeit, die sich selbst gewährt und verfügt und deren empirischer Träger nur ein Gefäß ist, das sie faßt, ohne sie zu bestimmen. Macht ist souverän in sich selbst, weder ihr Erwerb noch ihr Gebrauch ist in die Verantwortung des Individuums gestellt, das sie in sich faßt. Das Individuum kann sich höchstens durch Aszese, Meditation und physische Nähe zu magisch potenten Gegenständen für ihren Erwerb disponieren. Und es kann durch pamrih seine Fähigkeit, kosmische Kraft in sich zu fassen, vermindern. Aber als kosmische Kraft ist und bleibt Macht nur ihrer eigenen Selbstbestimmung unterworfen. Daraus ergibt sich, daß sich die in westlicher politischer Ethik zentrale Frage nach der Legitimation eines Machterwerbs für den Javaner gar nicht stellt. Macht legitimiert sich selbst. Ihre Legitimität ist ebenso selbstevident wie jede andere Erscheinung des Göttlichen. Macht ist für den Javaner genau dann legitim, wenn sie vorhanden ist. Vor dem Phänomen der Macht schweigt moralische Beurteilung. Überall, wo genuine Macht am Werke ist, ist ihr Gebrauch eo ipso legitim. Dabei ist der Ausdruck „Gebrauch der Macht" selbst schon irreführend. Macht wird ja nicht gebraucht, sie ist da, sie strömt von selbst, der Herrscher wendet sie nicht an, sondern läßt sie ausfließen, und das einzige, was er tun kann, besteht darin, sie zu fassen und fließen zu lassen. Eine Handlung, die sich als machtvoll erweist, ist von selbst riehtig.59 Das führt zu der eigenartigen Konsequenz, daß ein Versuch, die Macht zu 59
Vgl. Anderson 1972, 8.
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ergreifen, immer dann als legitim erscheint, wenn er gelingt. Denn wahre Macht setzt sich notwendig durch. Gelingt es einem Rebellen, sich gegenüber dem „rechtmäßigen" Herrscher durchzusetzen und die Herrschaft zu übernehmen, so ist das der buchstäblich schlagende Beweis dafür, daß der ehemalige Herrscher nicht mehr „rechtmäßig" regierte, daß ihm nur noch die Hülle der Macht blieb, während die Substanz bereits versickert war, und daß jet2t umgekehrt eben der erfolgreiche Rebell die kosmische Kraft in sich konzentriert. Versucht jedoch ein Usurpator, die Macht an sich zu reißen, ohne dazu durch übernatürliche Berufung (wahyu) legitimiert zu sein, so ist ein solches Bemühen weiter nicht beachtenswert, da es ohnehin zum Scheitern verurteilt ist.60 Machterwerb ist also keine moralische Frage, sondern eine Frage der Fähigkeit, kosmische Kraft in sich zu konzentrieren. Stellt sich nun zwar in javanischer politischer Philosophie die Frage nach der moralischen Legitimierung von Machterwerb und Machtgebrauch nicht, so bedeutet das doch nicht, daß jede Art von Machtgebrauch für den Javaner akzeptabel ist. Hier gilt zu beachten, daß sich westlicher und javanischer Machtbegriff nicht decken. Während im Westen die Tendenz besteht, Macht als an sich rein instrumental und daher moralisch neutral anzusehen, ist für den Javaner Macht mehr als die bloße Fähigkeit, anderen seinen Willen auferlegen zu können. Da Macht konkrete kosmische Kraft ist, kann sie nie abstrakt von ihren oben dargestellten Charakterica auftreten. Im Unterschied zur westlichen Konzeption von Macht ist Macht für den Javaner also nicht neutral, sondern „gut", nicht im moralischen Sinn, sondern insofern sie für die Allgemeinheit wünschenswerte Folgen mit sich bringt. Wahre Macht erweist sich sowohl an der Weise ihrer Ausübung als an ihren Wirkungen. Kennzeichen wahrer Macht ist es, daß sie ihre Wirkungen ohne Gewaltmaßnahmen, gewissermaßen wie von selbst und ohne Zwang oder sichtbare Anstrengung hervorbringt. Sie zeigt sich darin, daß sie ihre Wirkungen erzielt, daß also im Lande Friede, Wohlstand und Gerechtigkeit herrschen, daß die Menschen zufrieden ihrer Arbeit nachgehen, daß eine solche Ruhe herrscht, daß die königliche Gewalt nicht in Erscheinung zu treten braucht. Beginnt dagegen der König sein Volk auszusaugen und zu drangsalieren, fangen die Menschen an, unruhig zu werden, zu klagen und muß der König seine Autorität durch harte Maßnahmen festigen, so ist das für das ganze Volk ein Zeichen, daß ihm die Macht am entgleiten ist und es wird sich allgemein die Ansicht durchsetzen, daß seine Tage gezählt sind. 61 In der javanischen Konzeption von Macht sind also für den javanischen Herrscher auch starke Motivationen eingebaut, sich zu bemühen, ein „guter" Herrscher zu werden, gerecht und bei seinem Volke beliebt, sein Land in Frieden und Wohlstand zu erhalten und Situationen zu vermeiden, in denen 60 61
Vgl. Anderson 1972, 25 f. Vgl. Anderson 1972, 39-41. Zu Formen des Protestes der Bevölkerung siehe Sutherland 1973, 24f.
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er zu Gewaltmaßnahmen eine Zuflucht nehmen muß. Denn eben dadurch hält er den Beweis seiner Macht in Händen. Gerade, weil er ein Interesse daran haben muß, sich und dem Volke zu beweisen, daß er wirklich mächtig ist, steht er unter psychischen Druck, alles zu tun, was von einem guten Herrscher erwartet wird. Mißbraucht er seine Macht, um seine Leidenschaften und seine engen egoistischen Interessen zu befriedigen, so ist diese Tatsache nicht nur fürs Volk, sondern auch für sein eigenes Selbstverständnis, insofern er nicht schon völlig verblendet ist, das Menetekel an der Wand. 62
3. Der numinose Grund des Ich Was in besonderer Weise für den Herrscher gilt, daß er nämlich ein Gefäß göttlicher Kraft ist, gilt nach der Auffassung javanischer Mystik in Wirklichkeit von jedem Menschen. Denn im Grunde seines Ichs ist jeder Mensch eins mit dem göttlichen Urgrund, aus dem er hervorging. Sich dieser Wirklichkeit inne zu werden, ist das zentrale Streben javanischer Mystik. Um diese Wirklichkeit kreist die klassische javanische Literatur vom 17. bis zum 19. Jahrhundert, und die Tatsache, daß dieses Bemühen heute zum Kern der modernen mystischen sogenannten Kebaänanbev/egungtn in Stadt und Land geworden ist, beweist, wie sehr es in der javanischen Kultur lebendig ist. Im Streben nach der Realisation der Einheit von Ich und göttlichem Urgrund erreicht die javanische Weltanschauung ihre tiefste Dimension. 63 62
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Neben dieser „rechten" gibt es noch eine „linke" Tradition, die im Bhairawakult ihren Ausdruck gefunden hat. „Darunter ist die Verehrung von verschiedenen Manifestationen der Gottheit in ihrer dämonischen Gestalt zu verstehen, in der sie als Zerstörer aller feindlichen Mächte während des Kali-Zeitalters auftritt. Die mystische Vereinigung mit ihr verleiht nach der Lage der Dinge Macht über dämonische Kräfte... Den üblichen Moralgesetzen, die für die Uneingeweihten gültig sind, ist man dabei nicht mehr unterworfen. An die Stelle der fünf Gebote des exoterischen Buddhismus treten die fünf Genüsse (kamapancika), welche sich auf den Genuß von Speise und Trank sowie den geschlechtlichen Verkehr beziehen. Diese werden zu Quellen magischer Kraft und zum Mittel, die Vereinigung mit der Gottheit zu erreichen." Zoetmulder 1965,267. Den Anhängern dieses Kultes ist also die Befriedigung ihrer Leidenschaften erlaubt. Dahinter steht die Meinung, daß dadurch die Leidenschaften erschöpft werden und dadurch der Mensch in der Lage ist, kosmische Kraft ohne Widerstand in sich zu konzentrieren. Auch in diesem Kult geht es letztlich um Konzentration kosmischer Kraft, cf. Anderson 1972, 10. Zu diesem Abschnitt siehe C. Geertz 1969,227-352. Neben Geertz stützt sich die Darstellung auch auf Zoetmulder 1935, der die einzige ausführliche und systematische Darstellung der unter dem Einfhiß des Islam entstandenen javanischen Mystik des 17. und 18. Jahrhunderts - dessen Ideen die javanische Mystik des 19. Jahrhunderts bestimmte sowie immer noch einen mächtigen Einfluß auf moderne kebatinαπ-Bewegungen ausübt - gibt. Die meines Wissens einzige systematische Darstellung der javanischen Mystik des 19. Jahrhunderts, darunter eine ausführliche Darstellung der Idee des sangkan-paran, sowie einiger moderner kebatinan-Gruppen gibt Hadiwijono. In deutscher Sprache gibt es, meines Wissens, zu diesem Thema immer noch nur das weiterhin lesenswerte 1. Kapitel von Schuurman.
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Diese Tiefenschicht der Wirklichkeit steht zu den bereits dargestellten Ausprägungen javanischer Weltanschauung nicht in Konkurrenz, sondern eröffnet erst deren wahre Dimension. Sie findet sich vorwiegend im gehobenen priyayi-Milieu der Städte, doch ist sie keineswegs ausschließlich darauf beschränkt. Auch sehr einfache Menschen in Stadt und Land partizipieren in ihrem Lebensvollzug an dieser Dimension. Handelt es sich bei dieser Weltsicht auch um Theorie, so doch um Theorie in ganz und gar praktischer Absicht. 64 Es geht nicht um Spekulation um ihrer selbst willen, sondern diese Spekulation ist Erfüllung und Sinn eröffnende Lebenspraxis. Aus diesem Grunde möchte ich auf die Darlegung der theoretischen Elemente dieser Weltsicht eine Darstellung ihres praktischen Vollzuges folgen lassen, ohne die diese Weltanschauung in ihrer für den Javaner relevanten Wirklichkeit verfehlt würde. An den Beginn meiner Darstellung aber möchte ich eine Erzählung stellen, die zu den bekanntesten Wayanggeschichten gehört und bis auf den heutigen Tag in den Augen vieler Javaner die Quintessenz javanischer Weisheit enthält, die sogenannte Dewarucigeschichte. a. Die Dewarucigeschichte Inhalt der Geschichte ist, wie Bimâ, der zweite der fünf Pandâwâbriider aus dem Epos Mahabharata, das Wasser des Lebens findet.65 In Vorbereitung auf den großen Brâtâyudâkrieg wollen die Gegner der Pandâwâs, die Kurâwâs, Bimâ aus dem Weg räumen. Um das zu erreichen, befiehlt ihm Durnâ, sein ehemaliger Lehrer und jetziger geistlicher Mentor der Kurâwâs, nach dem Wasser des Lebens zu suchen, das sich in der Höhle Càndrâmukâ in einem entfernten Urwalde befinde. Unbeeindruckt von den möglichen Gefahren und ohne auf die Warnungen seiner Verrat witternden Brüder zu achten, begibt sich Bimâ auf den Weg. A m Ziele angekommen, entwurzelt er auf der Suche nach dem Wasser Bäume und verwüstet den ganzen Wald, wodurch er den Zorn zweier dort hausender Riesen erregt. Nach einem wilden Kampf tö64
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Daher das fehlende Interesse javanischer Mystik an einer theoretischen Systematisierung. In der „javanischen Religion" gibt es keine systematische Theologie, Dogmen, allgemein akzeptierte Schriften usw., vgl. Mulder 1973, 37. Daher die zahlreichen voneinander unabhängigen kebatinan-Gruppen, die zwar in der grundlegenden Realitätseinstellung gleich, in der kategorialen Explizitierung von Theorie und Praxis jedoch voneinander unterschieden sind. Zu den ältesten Dewârucitexten siehe Soebardi 1975,22. Dieser und der folgende Absatz basieren auf einer javanischen Prosadarstellung der Dewärucigeschichte von Imam Supardi (Supardi 1960). Danach halte ich mich an den in Soebardi 1975 enthaltenen Text des Cabolekbuches. Dieses ist vom surakartensischen Hofdichter Yâsâdipurâ I (gestorben 1803) verfaßt, Soebardi 1975,16-26; es enthält eine Darstellung des Gedichtes von Dewâruci in modernem Javanisch, beginnend mit dem Augenblick, wo Dewâruci Bimâ befiehlt, in sein Inneres einzutreten. Alle Zitate im folgenden basieren auf dieser Ausgabe Soebardis. Ich zitiere nach Gesängen und Versen (Zahlen in Klammern beziehen sich auf eine von Soebardi in Klammern beigefügte parellele Weise der Verszählung).
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tet Bimä die beiden und bricht damit einen Zauber, den der Obergott Batârâ Guru über sie geworfen hatte. Sie kehren in ihre ursprüngliche Gestalt als die Götter Indrâ und Bayu zurück und teilen Bimä dankbar mit, daß das Wasser des Lebens nicht in diesem Walde zu finden sei. Bimä kehrt zu Durnâ zurück, der ihm nun erklärt, das Wasser befinde sich auf dem Grunde des Ozeans. Obwohl Bimä nun argwöhnisch wird, so bleibt er doch fest entschlossen, das Wasser d*s Lebens zu holen, selbst wenn es ihm das Leben kosten sollte. Ungerührt durch das Flehen seiner Brüder begibt er sich auf die lange Reise. Am Rande des Ozeans angekommen, stürzt er sich mutig in die tobende Brandung. Als er in tiefes Wasser gerät, greift ihn die gewaltige Seeschlange Nemburnâwâ an. Aber mit seinen magischen Fingernägeln Pâncânâkâ reißt Bimä sie in Fetzen. Erschlafft läßt er sich von den Wellen hin und her schlagen. Es wird still um ihn. Da findet er sich plötzlich einer winzigen Gestalt gegenüber, deren Aussehen und Gestalt identisch mit der von Bimä selber ist. Sie gibt sich ihm als der Gott Dewäruci zu erkennen, als Inkarnation des Allmächtigen selbst. Er lädt Bimä ein, durch sein linkes Ohr in sein Inneres einzutreten. Obwohl Bimà von Zweifeln erfüllt ist, gehorcht er. Ohne Schwierigkeiten führt er seinen gewaltigen Körper in Dewârucis Inneres ein. Dort findet er sich zunächst in einer grenzenlosen Leere vor und verliert alle Orientierung. Doch nach ein paar Augenblicken sieht er wieder Sonne, Land, Berge und Meer. Er erkennt, daß in Dewârucis winzigem Körper die gesamte Außenwelt auf umgekehrte Weise enthalten ist (jagad walikan). Er sieht vier Farben, von denen drei, nämlich gelb, rot und schwarz die gefährlichen Leidenschaften symbolisieren, vor denen man sich hüten soll, während die vierte, weiß, die Herzensruhe darstellt. Nun sieht er eine kleine Elfenbeinfigur. Sie symbolisiert das pramànà, das göttliche Lebensprinzip, das in ihm selbst lebensspendend anwesend ist. Bimä realisiert, daß er in seinem innersten Wesen mit dem Göttlichen eins ist. Ein achtfarbiger Lichtblitz führt ihn in die tiefste Wirklichkeit ein, in die Tatsache, daß alles eins ist mit dem göttlichen Urgrund. Bimä vollzieht in dieser Erkenntnis die „Einheit von Knecht und Herr", 6 6 von Mensch und Gott: Beide sind ungeteilt eins (amisésa sami).67 Durch die Realisierung dieser Wirklichkeit wird Bimä Herr über die ganze Welt: sie ist von ihm umfaßt,68 hat nichts mehr zu lernen, hat den „Tod im Leben" vollzogen und dadurch „Leben im Tode" 6 9 gewonnen. Im Besitz unbesiegbarer Kraft verläßt Bimä Dewäruci. Mit Frieden im Herzen kehrt er zu seinen überglücklichen Brüdern zurück. Er verbirgt sorgfältig, was mit ihm geschehen ist und erfüllt die Pflichten, die ihm das Schicksal übertragen hat.
66 67 68 69
Soebardi 1975, Soebardi 1975, Wus kawengku Soebardi 1975,
123: VIII, 124: VIH, amèng siri 126: VIH,
43 (20). 4 4 (31). jagad kabèh, Soebardi 1975, 125: VIII, 49 (36). 51 (38).
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Wie es in einem Text des 18. Jahrhunderts heißt, sind „sein äußeres und sein inneres Selbst in Harmonie wie ein Ziegel in seiner Form." 7 0 b. Das Wissen von sangkan-paran Wie die Schale einer Walnuß ihren Kern, so enthält die Dewarucigeschichte den Kern aller javanischen mystischen Weisheit. Es ist die Einsicht, daß der Mensch zum Quellwasser des Lebens vorstoßen muß, will er Vollkommenheit und damit seine eigene tiefste Wirklichkeit erreichen. Er findet dieses Quellwasser nicht in der Außenwelt, sondern in seinem eigenen Inneren, symbolisiert durch den winzigen, Bimä gleichenden Gott Dewâruci. Dewârucis Gleichheit mit Bimä zeigt, daß er in Wirklichkeit nichts Fremdes, sondern das Innere (batin) Bimäs selber ist. Seine Kleinheit symbolisiert die Tatsache, daß im Vergleich zur Außenwelt die Welt des Innen zunächst unbedeutend erscheint. Die Göttlichkeit Dewärucis symbolisiert das, was Bimä sogleich erkennen wird, nämlich daß er in seinem innersten Existenzgrund göttlicher Natur ist. In seinem Innen angekommen erinnert sich Bimä, daß er im Grunde seines Wesens göttlichen Ursprungs ist. In dieser Erinnerung realisiert er aufs Neue seine wesenhafte Einheit mit dem göttlichen Ursprung, der „Einheit von Knecht und Herr" (pamoré kawulà Gusti). Durch diese Einheit erreicht der Mensch, was der Javaner kawruh sangkan-paraning dumadi nennt: das Wissen (kawruh) um das Woher (sangkan) und das Wohin {paran) des Geschaffenen (dumadi)11 Die Idee des sangkan-paran stellt den Kern javanischer mystischer Spekulation dar. Zum sangkan-paran kann nur durchstoßen, wer es sich zum einzigen Lebensziel setzt und bereit ist, allen Verlockungen der Außenwelt zu widerstehen und sogar sein Leben zu wagen, so wie es Bimä tat. Ein solcher Mensch ist der Außenwelt abgestorben und hat das wahre Leben erreicht, was in der javanischen Mystik als die Einheit von ,/nati sajroning urip" (Sterben im Leben) und „urip sajroning mati" (Leben im Sterben) bezeichnet wird. Doch hat er weiter seine vom Schicksal bestimmte Aufgabe in der Welt zu erfüllen. Wir wollen nun die Elemente dieser Weltsicht im einzelnen betrachten. Grundlegend für die javanische Weltanschauung ist die Unterscheidung zwischen zwei Seiten der Wirklichkeit, der Außenseite (lair) und def Innenseite (batin). Diese beiden Seiten kommen im Menschen zusammen. Als Naturwesen ist der Mensch Außenwesen, er hat ein lair und wir erfassen ihn zunächst über sein lair. Aber hinter dem lair verbirgt sich seine Innenseite, das
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Soebardi 1975, 123: VIH, 77 (64). Über das Thema sangkan paraning dumadi (Ursprung und Ziel der Schöpfung) erscheint seit dem Januar 1978 in jeder Nummer der von kebatinan-Kreisen herausgegebenen Zeitschrift Mawas Diri ein Artikel.
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batin. Das lair besteht aus seinen Handlungen, Bewegungen, Gesten, Reden usw. Das batin äußert sich im inneren Leben des subjektiven Bewußtseins. 72 Zur Unterscheidung von lair und batin tritt die schon dargestellte Unterscheidung zwischen alus (fein) und kasar (grob). 73 Das batin, die innere Wirklichkeit, ist ihrem Wesen nach alus. Das lair, die Außenwelt, ist infolge ihrer materiellen Sperrigkeit und Aufdringlichkeit wesentlich kasar. Je mehr an einem Gegenstand oder einem Menschen das batin überwiegt, desto mehr erscheint er alus. Und umgekehrt verweisen alle Manifestationen, die kasar sind, auf eine umso überwiegendere Bindung an das lair. Auf den ersten Blick drängt sich die Außenwelt als die eigentliche, ja die einzige Realität auf. Aber dieser Eindruck ist nur ein vordergründiger. In Wahrheit ist die Innenwelt die wahrhaft wirkliche. Erst wer von der Außenwelt zur Innenwelt vorgestoßen ist, dem eröffnet sich die wahre Wirklichkeit. Vergeblich sucht Bimä nach dem Lebenswasser auf den Bergen und am Grunde des Ozeans: Er findet es erst, als er in sein eigenes batin eintritt. Das bedeutet nicht, daß die Außenwelt für den Javaner nur ein leerer Schein, eine Illusion ist. Sie hat Wirklichkeit (wobei in der javanischen Spekulation das Problem ihres ontologischen Status nicht auftaucht). Aber ihre Wirklichkeit ist vordergründig und kraftlos. Wir können diesen Status wohl am besten vom javanischen Verständnis des Wesens aller Kräfte her verstehen, wie wir es bereits gesehen haben. Danach kommt der sinnenhaften Außenwelt kein eigenes Wirken zu. Die Kräfte, die wir in der Natur beobachten, sind alus, nicht kasar, sie gehen von der dahinter liegenden, unsichtbaren Wirklichkeit aus. Die Innenwelt ist deshalb die wahre Wirklichkeit, weil sie die Welt der eigentlich das Leben des Menschen bestimmenden Kräfte ist. Am deutlichsten erfährt das der Mensch an sich selbst. Wie sehr er sich auch wesentlich als leibhaftes Wesen erfährt, so ist er sich doch stets bewußt, daß der Kern seines Wesens, seine Subjektivität, das Kraftzentrum, aus dem heraus er autonom sein Verhalten regelt, mit keinem Teil seiner Leiblichkeit je identisch ist, ja daß seine Subjektivität in Kategorien der Außenwelt nicht zu fassen ist. Die Einsicht, daß die wahre Wirklichkeit das batin ist, findet ihren Ausdruck in der Spekulation vom Markokosmos (jagad gedé) und Mikrokosmos (jagad cilik). Unter Makrokosmos ist in der javanischen Mystik die Außenwelt verstanden, unter Mikrokosmos der Leib des Menschen (der aber nicht mit Körper im westlichen Sinn, als der Seele entgegengesetzt, identifiziert werden darf; diese Dychotomie ist dem Javaner fremd; für ihn handelt es sich eher um Stufen oder konzentrische Kreise zunehmender Veräußerlichung). 74 Im Inneren von Dewâruci, also in seinem eigenen batin, sieht Bimä
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Vgl. C. Geertz 1969, 232. * Vgl. C. Geertz 1969, 232-234. 74 Zur javanischen Auffassung von Seele und Leib, die keineswegs mit der im Westen gewohnten ineinsgesetzt werden kann, siehe Zoetmulder 1935, 204-272, besonders 2 2 2 - 2 3 2 . 7
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Sonne, Sterne, Berge und Meer, kurzum die gesamte Außenwelt, auf umgedrehte Weise. Und Dewâruci erklärt ihm, daß nun „die ganze Welt von ihm umfaßt sei". 75 Diese Spekulation erlleichtert es, der Innenwelt zuzugestehen, daß sie, und nicht die Außenwelt, die wahre Wirklichkeit sei. Wenn das Innen das Außen umfaßt, ist das Außen nur Ausdruck des Innen. Das Innen ist also im Vergleich zum schillernden und aufdringlichen Außen nicht das Leere und Abstrakte, sondern es enthält ursprünglich alle Reichtümer des Außen, es ist seine Kraftquelle. Als Bimâ in sein Inneres eingekehrt ist, verliert er zunächst jegliche Orientierung. Er befindet sich in einer ungeheuren Leere, in der es kein Oben und Unten und keine Himmelsrichtungen gibt. Diese Leere, awang-uwung,76 ist in der javanischen Mystik Symbol des Göttlichen. Auf dem Grund seines Inneren angekommen begegnet Bimâ somit dem Göttlichen. Das was den Menschen anzieht, seine Fesseln an die Außenwelt zu lösen und in sein eigenes Innen abzusteigen, ist der numinose Grund des eigenen Ichs. Nach javanischer mystischer Spekulation ist der Mensch in seinem tiefsten Innen göttlich. Die menschliche Seele (suksmä), als Grund des menschlichen Innen verstanden, ist Ausfluß der göttlichen Allseele (Hyang Suksmä). Indem der Mensch zu seinem Innen vorstößt, erreicht er nicht nur seine wahre Wirklichkeit, sondern das Göttliche. Genauer, er realisiert seine eigene wahre Wirklichkeit als das Göttliche. Ein moderner Javaner drückte das so aus: „Das Körperliche stammt aus dem Stoff der Erde, das Geistige dagegen vom Strahl des Lichtes Gottes." 77 Diese Auffassung ist Gegenstand zahlreicher javanischer theoretischer Spekulationen. In der Dewârucigeschichte hat sie ihre theoretische Erklärung in der Spekulation vompramànà erhalten, dem Lebensprinzip, das dem Leben des subjektiven Bewußtseins zugrundeliegt und Ausfluß des göttlichen Lebens ist; es verhält sich nach einem Vergleich der javanischen Mystik zum Göttlichen wie Feuer zum brennenden Holz oder wie Sahne zu Milch. 78 Die Moderne Pangestu-Bewegung sieht den Menschen als Strahl des dreifachen Göttlichen, der individuelle Seelengrund ist eins mit dem „heiligen Geist", der dritten Emanationsstufe des Göttlichen. 79 Diese Auffassung impliziert, daß die menschliche Individualität als solche nichts Letztes und kein Wert an ihr selbst ist. Da in Wirklichkeit alle Einzelsuksmâs wie Wasser in kommunizierenden Röhren, deren Verbindungsrohr in der Erde vergraben ist, Ausfluß der einen göttlichen Suksmä sind, sind im Grund ihres Seins alle Menschen eins. 80 Die Individualität des Einzelmenschen ist nicht ein letztes, sie gehört zur vorläufigen Wirklichkeit. So offenbart sich im Innen als wahre 75 76
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Soebardi 1975, 125: VIII, 49 (36). Hadiwijono 104.
Tageszeitung Kompas vom 14. 9. 1976. Soebardi 1975, 132: VIII, 74 (61) Mertowardoyo o.J., 3 7 - 4 0 . Vgl. C. Geertz 1969,333 ; er zitiert dort einen Anhänger der Budi Setia (kebatinan-)
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Wirklichkeit des Menschen der göttliche Urgrund. Gott und Menschen sind im Tiefsten eines. Die Erkenntnis der Einheit von Gott und Mensch gilt in der javanischen Mystik als der Höhepunkt des geistlichen Fortschritts. Indem Bimà dieser Einheit inne wird, hat er das Wasser des Lebens erreicht. In diesem Innewerden öffnete sich'die innerste Wirklichkeit dem Bewußtsein. Dieses Innewerden ist zunächst ein Akt des Erkennens (kawruh). Aber dieses Erkennen ist mehr als ein bloßes Zurkenntnisnehmen. Es ist Geschehen, das den Menschen innerlich verändert, seiner Existenz neue Tiefendimension gibt, die nunmehr seine fortdauernde Wirklichkeit wird. In diesem Erkennen wird die Einheit von Mensch und Gott, die zuvor sozusagen eingepuppt und inoperationabel war, aktualisiert. Der klassische Ausdruck dafür in der javanischen Mystik lautet „Vereinigung von Knecht und Herr" {pamoré/manunggaling/jumbuhing kawulà Gusti). Diese Vereinigung ist das Ziel der javanischen Mystik.81 Inhalt des mystischen kawruh ist demnach die Gleichung von Ich und Gott. So heißt es im Wirid Hidayat Jati, einer mystischen Schrift aus dem vorigen Jahrhundert, die noch heute viel gelesen wird: „In Wahrheit ist der Mensch mein Geheimnis und ich bin das Geheimnis des Menschen,"82 und in derselben Schrift finden wir so gewagte Aussprachen wie „ich bezeuge, in Wahrheit gibt es keinen Gott außer mir" (wobei „ich" die empirischen Iche des Lehrers und seines ihm nachsprechenden Schülers sind).^3 Und für die Todesstunde, in der den Menschen alle Kräfte verlassen und er zu nichts mehr fähig scheint, gibt der Wirid den Rat, sich nur noch an die Buchstaben A - 1 — U zu klammern, die heiligen drei mystischen Buchstaben, die Anfangsbuchstaben von Aku Iki Urip: Ich bin Leben, nämlich in meiner wahren Wirklichkeit, göttliches unsterbliches Leben. 84 Die Frage, ob diese Einheit als völlige Auflösung der Identität des Einzelnen zu deuten ist (wie es in der Dewarucigeschichte angedeutet ist; dort wird an einer Stelle ausdrücklich alle Zweiheit abgelehnt),85 oder ob eine gewisse Zweiheit zwischen Gott und Mensch gewahrt bleibt, braucht uns nicht weiter zu beschäftigen (und interessiert, als rein spekulative Frage, die meisten Javaner nur am Rande). Die javanische Mystik ist sich, hierin gleich aller genuinen Vereinigungsmystik, voll darüber im klaren, welch unerhörten Anspruch sie damit erhebt. Im Vergleich zur Einsicht, daß der Makrokosmos (die Außenwelt) vom Mikrokos81 82 83
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Vereinigung: „Their outer form I see is different, but their ,insides', their selves, are all the same; they are one." Vgl. dazu Zoetmulder 1935, 204-272. Rânggâwarsitâ, 8. Rânggâwarsitâ 10; im Suluk Gatoloco aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, der vor allem durch seine phallische Mystik auffällt, heißt es vom Helden des Gedichts, dem wie ein phallus ausschauendem Gatoloco, er sei das Göttliche auf der Welt, unter Verwendung des Wortspiels Allah-âlà-ianang: Allah bedeutet Gott, âlâ bedeutet häßlich (wie Gatolocos Aussehen), lanang heißt männlich und spielt auf Gatolocos phallisches Äußeres an; van Akkeren 1951, 71 + 104. Rânggâwarsitâ, 39. Soebardi 1975, 125: VIII, 49 (36).
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mos (dem menschlichen Leib) umfaßt ist, stellt die Einheit zwischen Mensch und Gott das noch größere Paradox dar. Es bedeutet, daß derjenige, in dem „wir leben, uns bewegen und sind", von dem, den er umfängt, umfaßt ist. Der Inhalt faßt sein Gefäß. Die javanische Mystik drückt die Einheit von Gott und Mensch denn auch in zahlreichen Paradoxformeln aus wie „Der Dolch dringt in die Scheide ein und die Scheide in den Dolch" (waràngkà manjing curigà) ; „die Höhle umfängt die Kröte und die Höhle ist von der Kröte umfangen" (kodok angumuli léngé).86 c. Sangkan-paran ab Lebenspraxis Theorie ist für den Javaner kein Ziel an sich selbst. Das gilt selbst für die mystische Spekulation. Auch sie wird letztlich betrieben, insofern sie sich als sinnvolle Lebenspraxis erweist. Aus ihr gewinnt der Javaner eine Antwort auf die Frage, wie er sein Leben am sinnvollsten gestalten soll. 87 Das ist jedoch nicht instrumentalistisch zu verstehen. Mystisches Bemühen ist kein Mittel, das Resultate liefern soll, die später auch ohne Bezug auf dieses Mittel Verwendung finden können. Etwa um bestimmte Erkenntnisse über Mensch und Wirklichkeit zu gewinnen, die dann zur Beantwortung ethischer Fragen von Nutzen sein könnten. Vielmehr ist mystisches Bemühen Praxis im Sinne des Aristoteles: es trägt seinen Sinn in sich selbst. Aber dieser Sinn ist — anders als der von theoria bei Aristoteles - ein praktischer. Der Sinn mystischen Bemühens erweist sich für den Javaner in der Erfahrung des Gelingens der eigenen Existenz, die es gewährt, er mißt sich am inneren Frieden, der inneren Freiheit von Aufregungen, an der Erfahrung von slamet (Heil) und cocog, 88 dem rechten Eingepaßtsein in die Ordnung der Wirklichkeit, die aus ihm fließt. Die existentielle Bedeutung der sangkan -paran -Idee eröffnet sich uns daher erst über ihre Praxis. Sangkan-parw-Piaxis beantwortet die Frage, wie der Mensch, angesichts seiner wahren Wirklichkeit, am sinnvollsten sein Leben gestaltet. Entsprechend der doppelten Dimension seines Daseins hat sich der Mensch in zwei Richtungen zu bemühen: um das rechte Verhältnis zu seinen Außenaspek86 87 88
Zu solchen Paradoxformeln siehe Zoetmulder 1935, 321 ff. Diesen Aspekt betonen Jay 1963, 4, Mulder 1973, 20 und C. Geertz 1969, 310-312. Der Begriff „cocog" ist einer der fundamentalsten metaphysischen Begriffe des Javaners. „To cogog means to fit, as a key does in a lock, as an efficacious medicine does a disease, as a solution does an arithmetic, as a man does to the woman he married (if he doen't, they get divorced). If your opinion agrees with mine, we cogog; if the clothes I wear are proper for my class standing, they cocog; if the meaning of my name fits my character (and if it brings me good luck), it is said to be cocog. Tasty food, comfortable surroundings, gratifying outcomes are all cocog. In the broadest and most abstract sense two separate items cocog when their coindidence forms an aesthetic pattern. It implies a contrapunctal view of the universe in which what is important is what natural relationship the separate elements—space, time, and human motivation - have to one another, how they must be arranged in order to strike a chord and avoid a dissonance." C. Geertz 1969, 31.
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ten, dem lair, und um Verinnerlichung. Ich beginne mit dem rechten Verhältnis des Menschen zu den Außenaspekten seiner Existenz. Das rechte Verhältnis zum Außen vollzieht der Mensch in drei Dimensionen: durch die Ordnung der eigenen Emotionen, durch das Einnehmen des rechten Verhältnisses zur Gesellschaft und durch die Kultivierung der Natur. Die Ordnung der Emotionen, inneren Impulse und Leidenschaften ist Voraussetzung für das Ordnen der Außenbeziehungen des Menschen. Leidenschaften gelten als kasar-Gefühle. Wer sich von ihnen beherrschen läßt, wird von Außen gesteuert, er vergeudet seine innere Kraft upd macht einen unästhetischen Eindruck. Ein leidenschaftlicher Mensch gilt als unbeherrscht, er kann sich nicht in die bestehende Ordnung einfügen und es fehlt ihm die Kraft, um sich auf sein Innen zu konzentrieren. Um seine Leidenschaften beherrschen zu lernen, soll sich der Mensch in zwei Richtungen bemühen. Zum ersten sollte er ständig darum bemüht sein, seine inneren Impulse und instinktiven Regungen abzustumpfen. Darum sollte man sich darum bemühen, ständig das innere Gleichgewicht zu bewahren und sich stets ausgeglichen, sanft, ruhig, beherrscht, überlegt und kühl geben. Das Ziel ist ein konstanter Zustand heiterer innerer Stabilität. 89 Der Javaner versucht daher, keine starken Emotionen bei sich aufkommen zu lassen. Es gilt als unpassend, spontane Gefühle zu zeigen. Starke Gefühle, zum Beispiel der Freude, der Trauer, der Enttäuschung, des Ärgers, der Niedergeschlagenheit, der Hoffnung oder des Mitleids sollte man zu verbergen suchen. Der Soziologe Niels Mulder berichtet, wie ihn einst ein guter Bekannter besuchte und eine Stunde lang fröhlich und nichtssagend mit ihm plauderte, um dann schließlich damit herauszurücken, daß sein Vater eben verstorben sei. 90 Starke Emotionen könnten zu schweren Frustrationen führen, sorgfältig inhibierte Agressionsgefühle freilegen oder zu ernsten Verdrängungen führen. All das bemüht sich der Javaner zu vermeiden. Er erstrebt daher einen inneren Zustand, der durch ein Abflachen der allgemeinen Gefühlsintensität bestimmt ist. 91 In diesen Zusammenhang gehört die javanische Auffassung, daß plötzliche Emotionen, insbesondere Gefühle der Enttäuschung (gela) und des Erschreckens (kagèt) die Gesundheit gefährden. 92 99 90
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Vgl. C. Geertz 1969, 55. Mulder 1978,66; C. Geertz (1969,240) berichtet über die Reaktion seines Mietsherrn, der nach einigen Tagen Abwesenheit in sein Haus zurückkommt und es ausgeraubt findet: „he didn't say anything to Bu Ardjo (seine Frau) about it for quite a while. In fact, when I came in, just after he returned, he was talking to a railroad friend and said there had been a lot going on here too, but he just ignored this and went and went on talking about other subjects . . . Later he told me he had resigned himself about the theft; had convinced himself by saying, ,If it's gone, it's all there is to it*. Being upset wouldn't bring the bike back, nor would getting angry at his wife . . . He said he had kept himself from being upset about it all." C. Geertz 1969, 241. Überhaupt besteht für den Javaner ein enger Zusammenhang zwischen emotioneller Stabilität und physischer Gesundheit, vgl. C. Geertz 1969, 87 f. Der Javaner ist
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Während der Bauer aus solchen Gefühlen übernatürliche Gefahren erwachsen sieht, zum Beispiel, weil sie es den Geistern leicht machen, in den Menschen einzudringen, was sich dann in Unfällen, Krankheiten und im Tod manifestiert, 93 sieht der Gebildete in ihnen eine Gefahr für sein inneres Gleichgewicht. 94 Der Javaner wird daher stets wachsam gegenüber nicht voraussehbaren Möglichkeiten sein, um ihnen rechtzeitig aus dem Wege zu gehen oder ihre Einwirkungen zumindest abzuschwächen. Der zweite Weg zur Beherrschung der Leidenschaften besteht in maßvoller aszetischer Praxis (laku tàpà). Gebräuchlich sind Verminderung von Essen und Schlafen, geschlechtliche Enthaltsamkeit, Konzentrationsübungen, aber auch ausgefallenere Möglichkeiten wie Meditation am Grab eines Kö-
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sich der Gefahren verborgener Negativgefühle sehr bewußt. Beim slametan anläßlich einer Beschneidung gibt es auch Reis, der auf einem großen Tablett oblatendünn ausgestrichen ist. Diese Reisspeise soll symbolisieren, daß alle Anwesenden frei von geheimen Gefühlen von Neid, Haß, Eifersucht usw. sind; daß die Emotionen der Anwesenden so abgeflacht sind, daß sich alle Im Inneren ruhig, friedlich und frei von Verwirrung fühlen; vgl. C. Geertz 1969, 52. Einmal im Jahr, am Fest Lebaran, das das Ende der islamischen Fastenzeit anzeigt, bittet der Niedrigergestellte den Höhergestellten um Vergebung: vor allem Kinder ihre Eltern, aber auch Arbeiter ihren Chef, Politiker ihren Parteiführer usw. (C. Geertz 1969,379). Über die Bedeutung des um Vergebung Bittens schreibt Jay (1969, 177 f.): „A person who feels that his relations with a kinsman or a community mate have become strained and who wishes to rectify this may go to him, usually at his house, explain the purpose of the visit, and beg his pardon for his own faults. The one besought is by this means coerced to grant forgiveness, verbally at least, and with this supposed to cleanse any ill feelingfromwithin himself that he may harbor against the beseecher. The technique of asking forgiveness seems to exercise great power, psychologically, on both the beseecher and the besought. There is a strong sense among the villagers that animosity by itself works harm upon the person harboring it, as do misdeeds, unpardoned, of any nature that a person has committed against others. A person ill with a disease that fails ίο respond to other treatment will visit those of his acquaintances whom he thinks tnay feel ill will toward him or toward whom he feels guilt. By gaining expressions of forgiveness from them he fortifies himself against the illness. A person unable to repay afinancialdebt to another will visit him from time to time, explain why he is unable to make payment, and ask for forgiveness. Again, the creditor is coerced to grant him pardon. As long as the debtor is willing to do this, the villagers asserted at even low lévels of conception, his creditor will feel no ill will toward him. In actuality, there will almost certainly be some ill will, but this conception expresses the power the villagers accord this technique and incidentally the delicacy with which the collection of debts among fellow villagers must be handled." Koentjaraningrat 1960, 95. Ist eine Frau bei einer Geburt in Schwierigkeiten, so bittet sie nicht selten ihren Mann um Vergebung. Hildred Geertz (1961, 88) meint, dahinter stehe die Idee, daß so für den Fall, es beständen noch verborgene Feindseligkeiten, die rechte Ordnung und der Friede in den zwischenmenschlichen Verhältnissen wiederhergestellt werden soll, und der dadurch wiedergewonnene Herzensfriede sowie das innere Gleichgewicht würden sich auch auf die Schmerzen günstig auswirken. Interessant ist, daß auch in der mystischen Schrift Wind Hidayat Jati als Vorbereitung auf den Tod angeraten wird, allen Elementen Verzeihung zu gewähren und selbst um Verzeihung zu bitten (Ranggawarsita 30). Offenbar sollen vor dem Übergang in ein anderes Leben alle inneren Spannungen abgebaut werden.
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nigs oder Ahnen, Nachtwachen, stundenlanges Sitzen an bestimmten mystisch potenten Stellen in einem Fluß, sich in Höhlen oder auf einen Berggipfel zurückziehen und anderes.95 Auch kann man sich für einige Zeit zu einem mystischen Lehrer (guru) begeben, um unter seiner Anleitung „Wissen" (ngèlmu) zu erwerben.96 Grundlage für das Verhältnis des Javaners zur Gesellschaft ist die Auffassung, daß alle gesellschaftlichen Beziehungen in der Welt hierarchisch geordnet sind und daß diese hierarchische Ordnung ein Wert an sich selbst ist. In der Gesellschaft hat jeder seinen ihm zukommenden Platz, auf den er gehört (cocog) und der ihm konkret seine Pflichten (kuwajiban) bestimmt. Dabei ist es unerheblich, ob einer oben oder unten, als Leiter, Bauer oder Angestellter in dieser Ordnung steht. Von der Einhaltung dieser Ordnung und den rechten Beziehungen zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen hängt das Wohl der Gesellschaft ab.97 Grundlegende Pflicht des Menschen ist es daher, diese Ordnung anzuerkennen. Jeder sollte mit seinem Platz in der Gesellschaft zufrieden sein und sich bemühen, seine Standespflichten zu erfüllen. Ebenso hat man die Stellung eines jeden in der Hierarchie der Gesellschaft zu achten, ob hoch oder niedrig. Hier zeigt sich, daß das Respektsprinzip in Wirklichkeit nicht als einseitig nach oben ausgerichtet verstanden werden darf. Seiner eigentlichen Intention nach, die allerdings weithin verschütt gegangen zu sein scheint,98 besagt es nicht nur, daß Niedriggestellte Höhergestellten Ehrfurcht zu erweisen haben, sondern es gilt allen Lebewesen in der ihnen jeweils zukommenden Wei95
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Mulder 1978, 23. Im übrigen gelten diese Praktiken als außergewöhnlich. Clifford Geertz (1969,326) schreibt: „In the less spiritually heroic present, such extrems of religious asceticism are but unpracticed ideals, and most mystics are content with sumèdi: meditation, anywhere from twenty minutes to several hours in length, for which one prepares by a certain amount of fasting, staying awake, and sexual abstinence. But the principle is the same: absolute and intense concentration upon a single aim, that of emptying the batin of mundane content in order to come into contact with the representative of the divine within one. And the result is the same, if less spectacular: an increased spiritual strength which allows one to pursue one's aims in this world with a fixed and unchanging will instead of being pulled here and there by distracting elements. Tranquilly undisturbed by the suprise of a contingent reality, inwardly peaceful and stable in a world of flux, the man who has gained the true knowledge of what lies within him proceeds steadily on his way, master of his own desires. If he sets out to go north, he goes north, not east, south, or west - and he does not stop in at a coffee-shop on the way." Zur Bedeutung eines gurus siehe Banawiratma. Ein Anhänger der Budi Setia Sekte erklärte Clifford Geertz, daß die Menschen in der Gesellschaft eine je verschiedene Position einnähmen, da sie sich in verschieden e n Stadien geistlichen Fortschrittes befänden. Es sei daher passend, daB einige Führer seien und andere deren Anhänger, daB einige den Acker pflügten, während andere Händler, Beamte, Tischler oder Lehrer seien. Die Gesundheit der Gesellschaft hänge von den rechten Beziehungen zwischen den verschiedenen Gruppen ab, C. Geertz 1969, 333. Vgl. die scharfe Kritik an der „priyayi-Mentalität" durch Koentjaraningrat 1969, 4 6 - 5 7 , sowie Mulder 1973, passim.
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se. Das kommt zum Beispiel im Wayang zum Ausdruck. In einem Stück aus dem Mahabharatazirkel verspotten die Pandâwâbriider einen jungen Mann namens Karnâ, weil er an einem Wettkampf im Bogenschießen teilnähme, obwohl er nur der Sohn eines Wagenlenkeis sei. Weil Karnâ in Wahrheit ein Prinz ist (was aber den Pandâwâs zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt ist), gilt das Betragen der Pandâwâs als tadelnswert: es schickt sich nicht (ora pantes)99 Umgekehrt gibt es einen vielgelesenen Roman aus den Zwanzigerjahren, Ngulandârâ, in dem ein Chauffeur namens Rapingun die Hauptrolle spielt. Wegen seiner Ehrlichkeit, Hingabe und Edelmütigkeit behandelt ihn sein Dienstherr entgegen der üblichen Gewohnheit stets mit Respekt. Am Ende stellt sich dann heraus, daß Rapingun in Wirklichkeit ein Edelmann ist. Man könnte hier einwenden, daß der Respekt in beiden Beispielen in Wirklichkeit eben doch einem Edelmann erwiesen werde, und nicht einem „Mann aus dem Volke". Der springende Punkt ist jedoch, daß jeder Mensch ein Prinz sein könnte und daher jeder Mensch mit dem ihm zukommenden Respekt zu behandeln ist. Das zeigt sich besonders deutlich an der Rolle, die die drei Clowns (pânàkawan) Semar, Gareng und Pétruk in allen Wayangstücken spielen. Ihr Kennzeichen ist ihr komisches, häßliches Aussehen, ihre Ungebildetheit, ihre ungehobelte Volkssprache. Ihre Aufgabe ist es, Arjunâ auf seinen Wanderungen zu begleiten. Oberflächlich betrachtet wirken die drei wie schlechte Karikaturen des einfachen Mannes. Aber der Javaner liebt und verehrt sie, auch wenn er sich vor Lachen über ihre nicht selten anrüchigen Possen kugelt. Auch die Pandâwâs lachen, im Unterschied zu den sie attackierenden Riesen, bei denen sich das aber sehr bald als fatale Torheit erweist, die phnäkawans nie aus, sondern erweisen ihnen stets Respekt. Sie wissen, daß sie ihre Aufgabe nur erfüllen können, wenn Semar sie begleitet. Wenn alles auf dem Spiel steht, ist Semar der einzig unbesiegbare. In Wirklichkeit ist er denn auch der ältere Bruder des Obergottes Batârâ Guru. 100 Die Liebe und Ehrfurcht, die Arjunâ Semar und dessen Söhnen entgegenbringt, muß dem Javaner von Kind an das Bewußtsein dafür schärfen, daß auch der einfachste und ungebildetste Mensch ein göttliches Geheimnis bergen kann, und daß ihm daher Respekt zu erweisen ist. Die Respektierung der hierarchischen Ordnung der Gesellschaft ist für den priyayi zutiefst befriedigend: er trägt dadurch dazu bei, daß sich jedermann auf seinem rechten Ort befindet, daß daher alles in Ordnung ist, und alles seinen glatten Gang läuft und er keine Angst vor Aufregungen, Überraschungen und Enttäuschungen haben müß. Das Eingebundensein in eine geordnete Gesellschaft vermittelt ihm jenes innere Gefühl des Friedens, der Abwe-
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Vgl. Anderson 1965, 8. Hood 443; zu Semar siehe 6. Kap., 4.
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senheit von bedrohenden Emotionen und Spannungen, das seinen Begriff des guten Lebens erfüllt.101 In der Praxis gestaltet der Javaner sein gesellschaftliches Verhalten nach den Vorschriften der Etikette (tàtâkràmà). Die Etikette bestimmtrdie Formen des zwischenmenschlichen Umgangs, legt Gesten und Sprache fest, in denen jeweils die angebrachten Respektsbezeugungen auszudrücken sind. Javanische Etikette besteht aus vier Hauptprinzipien.: Das Einnehmen der dem jeweiligen Rang entsprechenden Haltung, Indirektion, Dissimulation und die Unterbindung aller Äußerungen, die auf innere Ungeordnetheit oder mangelnde Selbstkontrolle schließen lassen.102 Das erste Prinzip impliziert das Beherrschen der korrekten Respektsäußerungen, bzw., sollte man sich über die gegenseitige soziale Position noch nicht klar sein, das Bemühen, den anderen an Demut und Unterwürfigkeit jeweils zu übeitTtiien{andap-asor). Indirektion ist die Kunst, das, was man vorhat, nicht direkt vorzubringen, sondern sich gewissermaßen auf Umwegen an das gewünschte Ziel heranzupirschen; es gilt als unfein, gerade heraus zu sagen, was man will. Unter Dissimulation verstanden wir die Gewohnheit, in unwichtigen oder mehr persönlichen Dingen keine Informationen über den wahren Sachverhalt zu geben, wie es in der Gewohnheit des étok-étok zum Ausdruck kommt. Zur vollendeten Selbstkontrolle schließlich gehört es, alle groben ([kasar) Formen des Umgangs zu meiden, wie zum Beispiel das Geben einer ablehnenden Antwort, direktes Befehlen, sich aufregen, wütend werden, überhaupt alle spontanen Reaktionen. In javanischer Auffassung unterséheidet sich der Mensch dadurch vom Tier, daß er „Ordnung kennt". 103 Clifford Geertz hat beschrieben, was der gebildete Javaner unter Ordnung versteht: „By order, the priyayi means formality of bearing, restraint of expression, and bodily selfdiscipline — a constant awareness of himself as being an object of perception for others and therefore obligated to present a pleasing, alus picture. Spontaneity or naturalness of gesture or speech is fitting only those ,not yet Javanese' - i.e., the mad, the simple-minded, and children."104 C. Geertz weist in diesem Zusammenhang auf „the great concern with cor101
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„The Javanese child . . . learns well the lesson that it is morally right, aesthetically pleasing, and psychologically rewarding to observe the appropriate etiquette of respect toward all superiors ...", H. Geertz 1961,152. In einem Brief beklagte sich ein katholischer Seminarist über den Intelektualismus westlicher Pfarrer und schrieb im Anschluß daran: „Was unsere Gemeinden erstreben ist ein Leben in Ruhe, Frieden untereinander, und das erreicht man nicht mit hochtönenden Theorien, sondern durch Einfühlung. Das Anfühlen des Lebens zusammen in rukun, wie es sich in der Schärfe des rasa und des Verstehens ausdrückt, das imstande ist zu erfassen, was der andere erwartet und was er fühlt ohne daß es ausdrücklich gesagt werden muß. Unsere Gemeinden haben nicht die Gewohnheit, auszusprechen, was sie im Sinn haben oder erwarten, und wenn sie es doch notgedrungen tun müssen, dann tun sie es auf indirekte Weise." (Eigenes Material). C. Geertz 1969, 241-248. C. Geertz 1969, 247. ib.
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rect posture, with soft-colored (browns and blues mainly) abstract textile designs, with graceful gesture, with soft, slow, even speech. Care, deliberation, the careful sorting out of one thing from another is the proper mode of procedure; and behaving otherwise puts one in danger of being diguyu pitik — laughed at by the chickens." 105 Das rechte Verhältnis des Menschen zur Natur ist dadurch gekennzeichnet, daß er sich von ihr nach Möglichkeit emanzipiert, indem er sie spiritualisiert, bzw. alus macht. Natur an ihr selbst, insofern sie noch in ihrer Ursprünglichkeit existiert, gehört der tear-Welt an. Sie ist für den Javaner unheimlich, schaudererregend und abstoßend, ein Ort der Wildnis, Unordnung und Gefahren, voll von unbekannten Geistern. Sie dient höchstens Aszeten zum Aufenthalt, die so sekti (voll kosmischer Kraft) sind, daß ihnen keine Gefahren etwas anhaben können. Sie dient Menschen, die kasektèn suchen, als zeitweiliger Aufenthalt und Ort der Bewährung. Für den Bauer ist die Natur der Bereich, den man rodet, um für den Menschen segensreiches Land zu gewinnen. Ungerodete Natur ist Ort der Geister und wilden Tiere und daher ein unmenschlicher Ort. Erst als kultivierte ist die Natur Lebensraum für den Menschen. Der priyayi, der nicht arbeiten muß, schenkt der Natur, wie auch speziell seiner natürlichen Umgebung, wenig Beachtung. So ist zum Beispiel auffallend, daß Gebäudepflege und Landschaftsgestaltung bis vor kurzem in javanischen Gebieten wenig Interesse fanden. Erst als die Tourismuslawine anschwoll, wurden die verfallenden Gebäude der Kratons in Yogyakarta und Surakarta wieder hergerichtet. 106 Der priyayi fühlt sich über Arbeit erhaben, denn sie gehört zu den kasar-Tätigkeiten des Menschen. Insofern der priyayi mit Natur zu tun hat, bemüht er sich, sie alus zu machen. Das tut er durch die Kunst. Gegenstand der Verfeinerung ist zuerst der natürliche Aspekt des Menschen selbst, sein Leib. Ihn macht der Javaner alus insbesondere durch die Kunst des Tanzes (jogèd). Dazu gehören ferner die verschiedenen Theaterformen (wayang), insbesondere das Schattenspiel mit überaus kunstvoll geschnitzten und zu einem hohen Abstraktionsgrad stilisierten flachen ledernen Puppen, das wayang kulit. Es gehört dazu das Game/anorchester, das zum größten Teil aus gong- oder zymbalonartigen Instrumenten besteht, dessen Musik selbst dann, wenn sie dramatische Kampszenen untermalt, nie ihren gedämpften, sanften Charakter verliert. 107 Fer105 106
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C. Geertz 1969, 248. Erst seit einigen Jahren baut sich die neureiche javanische Oberschicht Luxusvillen, die nach westlichen, von Singapur und Malaysia übernommenen Vorstellungen von javanischer Bauweise modernst und luxuriösest ausgestattet und mit belandschafteten Gärten umgeben sind, oft sehr stilvoll, wobei das Hauptmotiv in der Tatsache zu suchen sein dürfte, daß diese Art von Häusern heute, ebenso wie die komplette Golfausrüstung, ein Statussymbol dieser Oberschicht geworden ist (das man aus dem Ausland übernommen hat). Die lebendigere und dramatischere Tanzkunst und Gamelanmmik Balis gelten bei Javanern als kasar (grob).
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ner gehört dazu die Verfertigung von Batik Stoffen, das heißt das Einfärben kunstvoller, zum Teil durch uralte Traditionen genauestens festgelegter geometrischer Muster auf Stoffen, indem das Tuch mit Wachs so abgedeckt wird, daß die Stellen, die eingefärbt werden sollen, frei bleiben ; dann wird das Tuch in die gewünschte Farbe getaucht, danach das Wachs abgesehmolzen und der Prozeß so oft wiederholt, bis alle gewünschten Farben eingefärbt sind. Die Ordnung der eigenen Beziehungen zur Außenwelt macht den Weg frei für den Abstieg ins Innen, der mit wachsender Tiefe zu einem immer lebendigeren Innewerden des eigenen göttlichen Urgrundes und der eigenen Einheit mit allen Lebewesen führt. Dieses Innewerden ist für den Javaner keine spekulative Erkenntnis, es handelt sich nicht (oder nicht nur) um mystische Theorie, sondern es ist ein Durchstoßen zu vertiefter Erfahrung des eigenen Selbst. Diese Erfahrung eröffnet sich ihm im räsä.108 Ràsà ist ein javanisches Schlüsselwort: es bedeutet „Fühlen" in allen seinen Dimensionen: vom körperhaften Fühlen des Geschmacks- und Tastsinnes, über das ein- und anfühlende Gewahrwerden der eigenen Position in einem Interaktionsfeld, über das Fühlen der Einheit mit dem Kosmos, der Bestimmtheit der eigenen Existenz durch das Schicksal (takdir) bis hin zum erfühlenden Innewerden des innersten Ich. Zugleich hat ,jàsà" auch die Bedeutung von „Bedeutung", etwa im Sinn der Bedeutung eines Zeichens. Im ràsà eröffnet sich Sein und Bedeutung des Gefühlten.109 Ràsà ist ein religiöser Begriff. Denn mit dem innersten Ich eröffnet sich im ràsà zugleich dessen numinoser Urgrund. Im ràsà erfährt und vollzieht das Ich die Einheit mit dem Göttlichen. Im ràsà eröffnet sich der numinose Charakter der Wirklichkeit überhaupt. Räsä ist daher zugleich éling, „Erinnerung" an den eigenen Ursprung aus dem göttlichen. Im räsä erreicht der Javaner kawruh sangkan-paraning dumadi, das Wissen um Ursprung und Ziel alles Geschaffenen.110 108 109 110
Siehe C. Geertz 1969, 238-242, und Zoetmulder 1935, 207-209. „An empirical analysis of inward perception yields at the same time a metaphysical analysis of objective reality", C. Geertz 1969, 239. Zur Veranschaulichung der Bedeutung von ràsà in der javanischen Mystik seien hier zwei Texte gebracht, die ich Zoetmulder entnehme: „Es ist nicht das ràsà, das man in seinem Körper fühlt, sondern das, das man im Herzen fühlt. Es ist das saubere, reine Herz, das das mächtige ràsà in sich empfängt. Dieses ràsà ist erhaben und ohne Fehler. Such es im Herzen, im reinen Wohnort des Körpers. Das ràsà offenbart sich im Herzen. Das rósa und das erhabene Herz, das (Gottes) Gunsterweis teilhaft geworden ist, sind zu vergleichen mit einem Gefäß aus Edelstein voll mit reinem Honig . . . Beachte gut das Verschwinden des kristallhellen Gefäßes. Die Bewegung des Honigs vernichtet die reine Hülle und nur der Honig bleibt übrig." (Zoetmulder 1935,180f). In dem Vergleich istrôîà das Göttliche, das im Herzen gefunden wird,' und zwar wird volle Einheit zwischen dem Empfangenden und Empfangenen erreicht: der Honig, das göttliche räsä, absorbiert das Gefäß, das Herz oder subjektive räsä, vollständig. Der andere Text lautet: „Selbst wenn er sich (einfach) hinsetzt, macht er in diesem Sitzen sein Herz rein; dann findet er in
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Râsâ, Fühlen, ist in der Vorstellung des Javaners nicht ein Akt, den ich auf bestimmte Gegenstände richte, sondern ein Zustand, den ich erreiche. Ràsà ist immer schon gegeben, es ist gewissermaßen koextensiv mit der Dichte meiner Existenz. Einer oberflächlichen Existenz entspricht ein oberflächliches ràsà, während umgekehrt ein râsâ, das in die Tiefe durchgestoßen ist, meiner Existenz neue Wirklichkeitsdimensionen verleiht. So wurde Bimä nach seiner Begegnung mit Dewâruci ein neuer Mensch, auch wenn er wieder in sein gewöhnliches Leben zurückkehrte, um dort seine Pflicht zu tun. Wer ein vertieftes râsâ erreicht hat, hat eine vertiefte Existenz gewonnen, er wird von selbst ein anderes Leben führen und eine andere, wahrere, „passendere" Einstellung zur Wirklichkeit zeigen. Der Weg nach Innen führt daher über eine ständige Verfeinerung des râsâ. Râsâ im sinnlichen Fühlen macht uns empfindsam für die physische Umwelt. Im râsâ fühlen wir, wie unser Verhältnis zu anderen Personen sich entwickelt. Je mehr wir das râsâ sensibilisieren, desto mehr öffnet sich das Wesen der wahren Wirklichkeit. Es geht dabei nicht um eine Erkenntnis Schritt für Schritt, in dem ein kognitives Element nach dem anderen angehäuft wird. Es geht vielmehr um ein ständig tiefer eindringendes Innewerden, ein Abblättern vorläufiger Erkenntnis, um zum Wesen des Ich durchzustoßen, wie man Blatt für Blatt einer Artischocke abblättert, bis der Boden erreicht ist. Das Bemühen javanischer Mystik ist daher auf eine ständige Vertiefung und Verfeinerung des râsâ gerichtet. Dem dient seine Ordnung und Verfeinerung der Außenaspekte seiner Existenz. Das wahre râsâ ist für ihn kein Mittel zu der durch es eröffneten Erkenntnis, sondern an sich selbst Ziel des Bemühens. Die Befindlichkeit des râsâ der wahren Wirklichkeit ist die Befindlichkeit seiner eigenen wahren Wirklichkeit, sie ist zutiefet befriedigend und trägt ihren Wert in sich selbst. Im râsâ erfährt das Ich seine Einheit mit dem göttlichen Urgrund, so daß die Gleichung gilt: râsâ = aku (ich) = Gusti (Herr). 111 Im Innewerden des numinosen Grundes des eigenen Ich erhellt sich dem
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dem Geheimnis (ràsà) des Herzens das Wesen Gottes. Er ist nicht geschieden von seinem Herrn." (Zoetmulder 1935, 208). Hier ist ràsà mehr im subjektiven Sinn gebraucht. Zoetmulder weist im Anschluß daran daraufhin, daß ràsà (Gefühl) in der alt javanischen Theologie auch Körperflüssigkeit (dessen Grundstoff mit daizugehöriger Farbe und korrespondierendem Geschmack) und semen bedeutet und außerdem oft mit rahasya (Geheimnis) verwechselt wird. Die wichtigsten Bedeutungen von ràsà sind „die von,Gefühl', und zwar vorallem das höhere Gefühl der Anwesenheit Gottes, und die von .Geheimnis', wodurch gewöhnlich das Objekt des Gefühlten angedeutet wird. Das Objekt ist wie ein undefinierbares Fluidum, das im Menschen anwesend ist, wodurch er nicht nur mit Gott in Kontakt kommt, sondern mit ihm eins ist. Es ist das eine SEIN, die eine wujud, die sich in allem befindet und wodurch alles in seinem tiefsten Wesen (jati) identisch ist. Dieses Fluidum betrachtet man als dasjenige, das alles belebt wie ein Lebensstoff oder ein Lebensgeist, der von Gott ausgeht ohne von ihm geschieden zu sein; wie das Leben von Gott selbst, das sich im Menschen (und anderen lebenden Wesen) fortsetzt." Zoetmulder 1935, 209. Vgl. C. Geertz 1960, 310, 314-317.
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Javaner noch eine andere Wirklichkeit, die der wesentlichen Einheit aller Menschen. Denn jeder, der bei sich in die Tiefe gräbt, kommt schließlich zum Quellgrund seiner individuellen Fruchtbarkeit, dem einen unterirdischen Strom des Göttlichen, aus dem alle unsere individuellen Wasser gespeist werden und mit dem wir im Tiefeten eins sind. Das führt zugleich zur Erkenntnis der relativen Unwichtigkeit des eigenen Ich. Wer seine von allen anderen je verschiedene Individualität absolut setzt, verfehlt sein eigenes Wesen, da er sich dadurch gegenüber der Ureinheit des Alls und damit von seinem eigensten innersten Wesen verschließt. Der Mensch findet sein Wesen demnach nicht, indem er seine individuelle isolierte Existenz und seine Privatinteressen absolut setzt, sondern indem er, die Grenzen seiner Individualität überschreitend, seine wesentliche Einheit mit dem Göttlichen erkennt. 112 Wer durch Ordnen seiner Außenaspekte das innere Gleichgewicht gefunden hat und durch Verfeinerung seines ràsà immer tiefer in die numinose Allwirklichkeit herabgestiegen ist, der hat nach javanischer Auffassung einen Zustand erreicht, der mit drei Begriffen bezeichnet werden kann: er ist zu einem König (ratu), zu einem Stellvertreter Gottes (kalifulah) und zu einem Ritter geworden, der zugleich ein geistlicher Lehrer ist (ksatriyä pinanditä). Indem er in sein Innen eingedrungen ist, ist er eins mit dem Göttlichen geworden und faßt so die gesamte, ihn umfassende Wirklichkeit in sich. Er steht somit über allen, denn nichts kann ihn mehr beherrschen und er hat alles in seiner Hand. 113 Für denjenigen, der zur Erkenntnis der Einheit von Herr und 112 113
Vgl. C. Geertz 1969, 333, 335. Im Serat Cabolek heißt es denn auch von Bimâ, der die Einheit mit dem Absoluten erreicht hat: „There is no further need for magical skills, you have mastered everything, there is nothing further to be sought. Courage and invulnerability are all behind you, and likewise everything concerned with war (das, obwohl Bimás wichtigste Aufgabe in der Welt sein entscheidender Anteil am Brâtâyudâkrieg sein wird). Dewâ Ruci had finished his teaching. Werkudâiâ's (= Bimá's, MS) heart was no longer troubled now he knew himself. By the power of (Dewâ Ruci's) words, he could fly without wings, and was able to traverse the entire great universe, he had mastered his body. It is fitting — in the language of poetry, to compare him to a flower which (has been) long a bud (and now) opens and spreads its fragrance . . . " Soebardi 1975,126: VIII, 52 (39) f. In diesem Zusammenhang sei auf die traditionelle javanische (und sundanesische) Kunst der waffenlosen Selbstverteidigung (pencak silat) verwiesen, wie sie heute vor allem noch in Westjava (im ursprünglich javanischen Banten) von gurus gelehrt wird. Obwohl diese Kunst in der Praxis nur durch viel körperliche Übung gewonnen wird, so gilt sie, wie Judo und Karate in Japan, als eine religiöse Betätigung, man lernt sie von einem guru und assoziiert mystisches Bemühen damit. In der javanischen Tradition ist pencak silat eine Weise von ngèlmu, mystischem Wissen, das man durch lelàn&bràtâ (sich zurückziehen) auf die Gipfel hoher Berge lernt. Die Idee von „Trimm dich!" liegt außerhalb des Horizontes von pencak silat. Hier findet bis heute die Grundidee javanischer Mystik ihren Ausdruck, daß das Vorstoßen zur wahren Selbsterkenntnis (vgl. den obigen Dewärucitext) und damit zum göttlichen Urgrund einem Meisterschaft über Mikrokosmos (den eigenen Leib) und Makrokosmos (die äußere Welt) einbringt.
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Knecht durchgestoßen ist, relativiert sich auch die politische Macht, denn er weiß sich jedem politischen König als ebenbürtig.114 Ein solcher Mann ist ferner kalifulah, denn in seiner Weisheit und Unbesiegbarkeit offenbart sich die göttliche Kraft selbst, so daß er in der Welt zum Stellvertreter Gottes wird.115 Und er ist ein ksatriyä pinanditä, das höchste, was ein Ritter erstreben kann, ein Ritter, der weise geworden ist, damit unbesiegbar und anderen den Weg nach Innen weisen kann.116 d. Zusammenfassung Obwohl es das erklärte letzte Ziel der mystischen Bestrebungen des Javaners ist, zur „Einheit von Knecht und Herr" durchzustoßen, so liegt die Betonung doch nicht auf der Transzendenzerfahrung als solcher. Auch die Erfahrung der Einheit mit dem Göttlichen hat pragmatischen Wert: in ihr erreicht das individuelle Selbst die Vollendung seiner Bemühung um Kontrolle aller es betreffenden Existenzaspekte. Es geht also letztlich nicht um eine Theorie über das Ich und das Göttliche, es geht aber auch nicht um einen religiösen Akt der Ubergabe an das Göttliche, sondern diese Elemente, Theorie und Glaube, dienen selbst noch einmal der Abrundung der Macht der eigenen Existenz. Und das wiederum nicht aufgrund einer Theorie über die eigene wesentliche Existenz. Vielmehr erweist sich die Abrundung im râsâ, im Anfühlen der Wirklichkeit. Das rasa ist pragmatischer Maßstab des Sinns aller mystischen Bemühungen des Javaners.117 Das rasa trägt seinen Sinn in sich selbst, es ist die Befindlichkeit ruhigen Befriedigtseins, des inneren Friedens (tentrem ing manah)11* und der Abwesenheit von Spannungen, die das javanische Äquivalent der griechischen eudaimonia darstellt. Es zeigt sich, daß die einfache Befindlichkeit des javanischen Bauern, der in Übereinstimmung mit Gesellschaft, Natur und Geisterwelt steht, und der javanische Mystiker, der die wahre Wirklichkeit im Innen entdeckt, voneinander gar nicht so weit entfernt sind. Für den Bauern ist der Maßstab des Gelingens seines Lebens die Erfahrung des slamet, des ruhigen inneren Friedens, der Abwesenheit von Bedrohungen, Konflikten und Unruhen, für den Mystiker ist es der Herzensfriede, katentremaning manah, der im râsà erreicht wird, das zur Ruhe gekommen ist. Für beide ist der letzte Bezugspunkt das eigene Selbst. Dem Bauer geht es um das Geborgensein in seiner Umwelt, dem priyayi um die Kontrolle aller Aspekte der eigenen existenz.119 114 115 116 117 118 119
Vgl. de Jong 1976, 22, 29. de Jong 1976, 29. de Jong 1976, 14. C. Geertz 1969, 317-319. C. Geertz 1969, 310. Jay (1963,13) spricht von der „syncretist philosophy in its emphasis upon the self, in all its dimensions, as the primary and ultimate point of reference. Control of the unified self - spiritual, mental, emotional, physical, and social - with the aid perhaps of some external doctrine, provided this requires absolutely no personal renunciation or submission, is the central teaching of the philosophy. Each individual
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Wollen wir mit Clifford Geertz diese Weltanschauung der priyayi als seine Religion bezeichnen — eine Bezeichnung, die mir gerechtfertigt erscheint, da die javanische Weltanschauung eine allumfassende Antwort auf die Frage nach der letzten Struktur der Wirklichkeit gibt, einen metempirischen Grund dieser Wirklichkeit annimmt und diese Annahme nicht (nur) als Theorie, sondern als sinnvolle menschliche Praxis darbietet, - so müssen wir, wie mir scheint, von einer emphatisch pragmatischen Religion sprechen. Nicht die Wahrheitsfrage ist darin entscheidend, sondern die Frage, ob diese Weltanschauung erfahrungsmäßig „stimmt" ([cocog), ob sie sich im ràsâ als an sich sinnvoll darstellt. Aus diesem Grunde ist der Javaner gegenüber den verschiedenen Weltreligionen wie Islam, Christentum oder Buddhismus ziemlich indifferent. Wenn man mit einem Javaner ins Gespräch kommt, so hört man nicht selten die tröstend und versöhnend gemeinte Bemerkung, er gehöre zwar dem Islam an, alle Religionen seien aber ohnehin gleich (agàmâ kabèh pàdâ waé). Für Besorgnis um Reinheit der Lehre, Bemühen um dogmatische Abgrenzung und religiöse Exklusivität hat der Javaner nichts übrig.120 Javanische (also nicht santri-) Familien empfinden es keineswegs als außergewöhnlich, wenn ihre Kinder verschiedenen Religionen, etwa dem Islam, dem Christentum und einer javanistischen Kebatinansekte angehören. In diesen Zusammenhang gehört auch, daß die im Islam prädominierende Frage von Sanktionen im Leben nach dem Tode, von Himmel und Hölle, im Javanismus nur einen minimalen Stellenwert hat. 121 Moralische Ermahnungen mit dem Hinweis auf Wiedervergeltung im ewigen Leben sind fast unbekannt (dagegen ist der Glaube an karmatische Vergeltung in diesem Leben weit verbreitet, vgl. im folgenden Abschnitt). Weltanschauung und entsprechende Lebenspraxis müssen ihren Sinn in der erfahrenen Qualität dieses Lebens erweisen. Aus der pragmatischen Intention javanischen mystischen Bemühens erklärt sich noch ein anderer Punkt. Auch wenn die „Vereinigung von Knecht und Herr" als das letzte Ziel solchen Bemühens angesehen wird, so liegt doch in der Praxis die Betonung auf der Ordnung der Außenaspekte. Denn das ist die sinnvolle Praxis, die jedermann offensteht. Selbst in kebatinan-Kreisen, die sich ganz ausdrücklich im Sinne der mystischen Tradition Javas um eine Vertiefung des Selbst durch Eröffnung der Dimension des Innen (batin) bemühen, gilt es als ausgemacht, daß die letzte Vereinigung mit dem Göttlichen nur das Ziel ganz weniger Individuen sein kann. Daher gehören die strengen
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must gain ultimate control for himself through separate control over all his various human faculties. None should be neglected; all must be kept in symmetrical balance." „Mystics always insist, sometimes quite passionately, on their freedom from fanaticism. They argue that the ultimate râsà is not fanatic but calm, cool, and peaceful in feeling tone, and that no fanatic can even understand their .science'. All religions are good, but none is good for everyone; ,'many are the roads'." C. Geertz 1969, 336. Jay 1963, 4.
Annahme des Schicksals
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Formen mystischen Bemühens, tàpà (stundenlanges bewegungsloses Sitzen in geistiger Konzentration) und schwere Aszese auf Bergen und in Höhlen, nicht zu den gewöhnlichen Praktiken.122 Die große Menge derjenigen, die einen Lebensweg suchen, begnügt sich mit der Ordnung des Außen. Dieser Weg ist jedermann zugänglich. Er garantiert die rechte Lebensrichtung und führt wie von selbst auch zu einer Vertiefung der Persönlichkeit. Er enthält klare Anweisungen, wie man sich in allen Lebensbereichen zu verhalten habe, und ermöglicht es somit, das Leben zu ordnen. Zusammen mit geregelten Konzentrationsübungen (semadi) bietet er eine gemäßigte Praxis an, die eine zunehmende innere Freiheit von Beunruhigungen durch Emotionen und Außenwelt und das Gefühl gelassenen inneren Gleichgewichtes vermittelt und damit den gewaltigen Vorteil verbindet, neben einem ganz normalen Berufsleben betrieben werden zu können. Und dieser Zustand ist für die meisten Javaner das Optimum, das sie sich realistischerweise im Leben erwarten zu dürfen glauben.
4. Annahme des Schicksals Es bleibt noch ein Element darzustellen, ohne das die Weltanschauung des Javaners nicht vollständig wäre, die überragende Bedeutung des Glaubens an das Schicksal (takdir). Dieser Glaube beinhaltet, daß das Leben des Menschen von vornherein in Ausgangspunkt, Möglichkeiten der Selbstverwirklichung und Ende festgelegt ist und keiner dieser Festlegung ausweichen kann. 123 Jeder Mensch hat seinen spezifischen Ort, der ihm vorherbestimmt ist und von dem er nicht herunter kann. Dieser Ort ist ihm durch Geburt, gesellschaftliche Position und geographischen Lebensraum eindeutig bestimmt. Leben und Tod, Unglück und Krankheit sind Schicksal (nasib), man kann nichts dagegen tun. Jeder Schicksalsort hat seine spezifische Aufgabe, die derjenige, der ihn einnimmt, zu erfüllen hat (darmä). Indem man seine spezifischen Lebenspflichten erfüllt, vermeidet man Konflikte und kommt in den Genuß inneren Friedens, und trägt zugleich zur Ruhe und zum Frieden in Gesellschaft und Kosmos bei. Sich gegen sein Schicksal stemmen, führt zu nichts: man rackert sich nur erfolglos ab und erreicht doch nicht, was einem nun einmal nicht gegeben ist; dagegen bringt man Unruhe in den Kosmos, die nur unter Unannehmlichkeiten für alle wieder neutralisiert werden kann. Damit verbunden ist die schon im ersten Abschnitt dieses Kapitels dargestellte Auffassung, daß es eigentliche Aktivität in der Welt nicht gibt. Da die Naturkräfte in Wirklichkeit Ausdruck geheimnisvoller geistiger Kräfte sind, ist es dem Menschen nicht gegeben, durch zielbewußte Aktivität etwas an der Welt definitiv zu verändern. Jeder kann nur tun, wozu er durch seinen kosmi122 123
Mulder 1978, 28 f. Vgl. Koentjaraningrat 1960, 94 f; Kodiran 340.
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Javanische Weltanschauung
sehen Ort instand gesetzt ist, das heißt, er kann seine Standespflichten tun, wie sie ihm durch Tradition (adat-istiadat) und Gesellschaft (rukun und Hierarchie) angewiesen sind. Jeder sollte sich darum bemühen, seinen eigenen Platz zu erkennen. Man sollte sich daher um Einsicht bemühen. Der Einsichtslose benimmt sich, als ob es kein Schicksal gäbe. Er bringt auf diese Weise zwar einige Unordnung und Störungen in die Welt, ändert im Grund aber auch nichts. Nur trägt es den Betroffenen überflüssiges Ungemach ein. Wer Frieden, Ruhe, Gelassenheit, Freiheit von Aufregung und Schmerz sucht, der wird sein Schicksal annehmen und versuchen, die ihm angewiesenen Aufgaben zu erfüllen. Denn dadurch paßt er mit der Wirklichkeit zusammen und kann eine Lebenslinie halten, auf der ihm keine Widerstände entgegenkommen. Für den Bauern ist Schicksal durch die festen Koordinaten bestimmt, innerhalb derer sich sein Leben abspielt: durch die geographische Lage seines Dorfes mit Flüssen, Bergen, Himmelsrichtungen, durch die Kräfte der Natur wie Sonne und Regen, Vulkane in seiner Umgebung und gelegentliche Erdbeben, sowie durch die Eigenart der lokalen Geisterwelt. Sein Arbeitsrythmus wird durch die Jahreszeiten bestimmt und der Unterschied zwischen Hunger und Zeiten relativen Wohlstandes hängt zu einem bedeutenden Teil von Kräften ab, über die er keine Kontrolle hat. Für den priyayi ist das Schicksal in der hierarchischen Ordnung der Gesellschaft konkretisiert und sein persönliches nasib durch seine Stellung in dieser Gesellschaft, durch die ihm die Lebensmöglichkeiten und Standespflichten festgelegt sind. Im folgenden Kapitel wird auf die Funktion des Schicksalsglaubens für die Lebenspraxis des Javaners näher einzugehen sein.
Fünftes Kapitel ALLGEMEINE KOORDINATEN DER JAVANISCHEN MORAL Die inhärent praktische Intention javanischer Weltanschauung machte es uns unmöglich, sie im vorigen Kapitel ganz ohne Praxisbezug darzustellen. Javanische „theoria" impliziert „praxis". Wenn nun in diesem Kapitel die normativen Koordinaten dargestellt werden sollen, unter denen javanische Praxis steht, so wird umgekehrt zu deren Verständnis der Bezug auf die kognitiven Elemente javanischer Weltanschauung immer wieder hergestellt werden müssen. Als Kern der javanischen Weltanschauung hat sich ergeben, daß hinter den sinnenhaften Phämonemen als wahre Wirklichkeit die kosmischen Kräfte des Numinosum wirken und daß die wahre Wirklichkeit des Menschen sein in diesem Bereich verwurzeltes Innen ist. Es hat sich ferner ergeben, daß das Leben des Menschen in dem Maße gelingt, als es ihm gelingt, sich dieser Wirklichkeit einzupassen, bzw. zu ihr vorzustoßen. Kriterium dieses Gelingens ist letztlich eine psychologische Befindlichkeit, der Zustand des slamet, des ruhigen Friedens eines kalmen Innen. Als entscheidend hat sich dabei das Bemühen um die rechte innere Einstellung erwiesen. Mit der Frage nach der rechten inneren Einstellung des Menschen möchte ich die Darstellung des spezifischen Charakters der javanischen Moral beginnen. Als zweites bespreche ich die Frage nach dem rechten Tun in der Welt. Mit dieser Reihenfolge folge ich dem ersten allindonesischen Kebatinankongreß von 1955, der das folgende Motto zum gemeinsamen Kern des Bemühens aller Kebatinangmppen erklärte: sepi ing pamrih, ramé ing gawé, memayu ayuiting bawänä.1 Übersetzt: Freiwerden vom Eigeninteresse, Tun seiner Pflichten, Verschönerung der Welt. In einem dritten Punkt möchte ich als grundlegenden Bezugspunkt der im ersten und zweiten Punkt dargestellten moralischen Auffassungen die Kategorie des rechten Ortes darstellen, im vierten Punkt den spezifisch kognitiven Charakter dieser Ethik. Den Abschluß bildet eine Exemplifizierung dieser Ethik im wayang purwà, dem beliebtesten javanischen Volkstheater, das die javanische Mythologie enthält und Weltsicht und Ideale des Javaners bis heute aufs tiefste prägt und widerspiegelt.
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Subagyo, 229.
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Koordinaten der javanischen Moral
1. Die rechte innere Einstellung Es gibt zwei Gefahren für das rechte Leben, die Leidenschaften (hàwâ nepsu) und den Egoismus (pamrih). Wer daher ein rechtes Leben führen will, muß seine Leidenschaften unter Kontrolle bringen und dem Egoismus entsagen. Leidenschaften sind fawar-Gefühle, da sie den Menschen der Kontrolle über sich selbst berauben und ihn blindlings an die Außenwelt binden. Sie schwächen den Menschen, weil sie seine innere Kraft nutzlos vergeuden. Außerdem sind sie.in den Augen der Javaner gefährlich, weil ein von ihnen beherrschter Mensch nicht mehr der Vernunft gehorcht. Ein solcher Mensch kann nicht nur nicht seine eigenen alus-Aspekte kultivieren, er wirkt auch sozial disruptiv, erregt Konflikte und Spaltungen in der Gesellschaft und bringt au diese Weise den sozialen Frieden in Gefahr, Leidenschaftlichkeit ist ein Zeichen, daß die Vernunft noch nicht die Kontrolle übernommen hat. Der Javaner erwartet solches Verhalten von Kindern, Tieren, Verrückten und Ausländern,2 aber bei erwachsenen Gliedern der javanischen Gesellschaft gilt es als peinlich und unerfreulich. Dabei handelt es sich weniger um einen moralischen Tadel als um ein Gemisch von Verachtung und Bedauern darüber, daß ein erwachsener Javaner sich noch wie ein unerzogenes Kind benimmt. Wir brauchen hier nicht aufzuzählen, welche Verhaltensdispositionen der Javaner als Leidenschaften ansieht. Er unterscheidet sich dabei kaum von normalen Westeuropäern. In der javanischen Literatur und Erziehung gibt es Aufzählungen von gefährlichen Leidenschaften. Die populärste Reihe ist wohl die der sogenanntenwá-/(>n¿, die fünf (limâ) Leidenschaften, die mit M (mâ) beginnen: madat (Opium rauchen), madon (huren), minum (saufen), makan (fressen), main (um Geld spielen). Um die Leidenschaften unter Kontrolle zu bringen, ist es nützlich^ maßvoll Aszese zu betreifen: Nahrung und Schlaf vermindern, geschlechtliche Selbstbeherrschung und Ähnliches. Entsprechend ist auch Aszese für den Javaner kein Ziel an sich selbst. Sie dient dazu, den eigenen Körper in die Hand zu nehmen, um seine Antriebe zu ordnen und zu pflegen, nicht um sie zu vernichten. Äußere Aszese soll den Willen stärken in seinem Bemühen, stets den inneren Gleichmut zu bewahren und sich den Forderungen der sozialen Harmonie entsprechend zu verhalten. Schwere Aszese wie langandauerndes hartes Fasten, sexuelle Enthaltsamkeit und die anderen Übungen, die bereits genannt wurden, sind Übungen, die nicht für die große Menge bestimmt sind, sondern nur für solche, die über besondere innere Kraft verfügen.3 Nur wer größere magische Kraft erwerben will, zum Beispiel die Kraft, den Biß giftiger Schlangen zu ertragen, oder wer einen Tuyulgeist erwerben möchte, der 2 3
Vgl. C. Geertz 1958, 431. Vgl. Mulder 1978, 21-30.
Die Innere Einstellung
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später für ihn Geld stiehlt, muß sich solchen Übungen unterziehen. Der normale Sterbliche hält sich an den Satz: „Höre nicht zu arbeiten auf, bevor du müde bist, beginne nicht zu essen, bevor du Hunger hast." 4 Die zweite Gefahr, der auch derjenige noch ausgesetzt ist, der seine Leidenschaften zu zügeln gelernt hat, ist pamrih. Aus pamrih Handeln bedeutet unter Nichtbeachtung der Interessen der Gesellschaft nur seinen eigenen individuellen Interessen nachzugehen. Pamrih wirkt sich sozial disruptiv aus, da es Handeln ohne Rücksicht auf die gesellschaftliche Harmonie ist. Zugleich schwächt es von innen her. Denn wer dem pamrih huldigt, setzt sein isoliertes Ich absolut und schneidet sich dadurch von der Quelle innerer Kraft ab, die nicht seiner isolierten Individualität, sondern dem alle verbindenden numinosen Seelengrund entspringt. E r sucht seine Interessen in der Welt und bindet sich dadurch an sie, wodurch er die Fähigkeit verliert, kosmische Kraft in sich selbst zu konzentrieren. Indem er sich seinen isolierten Einzelinteressen hingibt, läßt er diese Kräfte nutzlos versickern. 5 Pamrih äußert sich vor allem in drei Leidenschaften, nämlich darin, stets der erste sein zu wollen (nepsu menangé déwé), stets recht haben müssen (nepsu beneré déwé) und stets sich nur um die eigenen Bedürfnisse zu kümmern (nepsu butuhé déwé).6 Andere verpönte Haltungen sind die Gewohnheit, aus jeder Situation ohne Rücksicht auf die Gemeinschaft seinen eigenen Vorteil ziehen zu wollen (ngaji mumpung) oder aufgrund eingebildeter Verdienste sich etwas herausnehmen zu können (dumèh) glauben. 7 Unter das pamrih-Verbot fällt alles Handeln, das ausschließlich auf Egomotivationen beruht, wie auch das Verbot, sich mit eigenen Qualitäten zu brüsten. Intelligenz und Reichtum sollte man nicht zur Schau stellen. 8 Die Grundhaltung, die im Verständnis des Javaners einen edlen Charakter auszeichnet, ist das „frei sein von pamrih", sepi ing pamrih. Wir können diese Haltung als das innere Hinauswachsen aus dem Bekümmertsein ums eigene Ich bezeichnen, als ein Freiwerden von der Sucht des Habenwollen, einen Zustand, der zugleich voraussetzt, daß die Leidenschaften vollständig in Kontrolle genommen und zur Ruhe gekommen sind. Der Schriftsteller Pramudya Ananta Tur hat diese Haltung in seinem erschütternden Roman „Dia yang menyerah" (Sie, die sich abfand") dargestellt, dessen Schlüsselfigur ein junges Mädchen ist, das in den Schrecknissen des revolutionären Kampfes gegen die Holländer sowie des kommunistischen Madiunaufstandes (1948) und seiner Nachwehen ihren jüngeren Geschwistern die Eltern und alles er4 5 6 7 8
„Äjä lèrèn lamun durung sayah, âjâ mangan lamun dururtg luwé", Soetrisno, 11. Zu pamrih siehe: Mulder 1978, 36f.; Anderson 1972, 39f. Soetrisno 26. Soetrisno 15. hinter äjä kuminter, sugih äjä semugih," Soetrisno, 31 ; vgl. Mulder 1978,24, über zwei grundlegende mystische Zensuren, nämlich die Warnung vor Egomotiven, die die Einsicht einschließt, daß man selbst nichts vermag, und die Warnung gegen Stolz auf die eigene Leistung sowie das sich mit seinem Wissen brüsten.
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setzen muß und ganz bewußt, aber ohne Verzweiflung ihre Lebenschancen vollständig für ihre Geschwister hingibt. Die Haltung des sepi ing pamrih entfaltet der Javaner in zahlreichen Haltungen, denen gemeinsam ist, daß sie ruhigen Selbstbesitz, Freiheit von Eigensucht und ein sich Bescheidenkönnen mit der einem zugewiesenen Rolle in der Welt verbinden. Diese Haltungen beziehen sich auf das Göttliche, auf die eigene innere Haltung und auf den, Mitmenschen. Das Bewußtsein, von Gott abzuhängen, sollte stets im Hintergrund des Bewußtseins des javanischen Menschen gegenwärtig sein: „Vergiß nicht auf deinen Ursprung!", heißt eine oft gehörte Mahnung.9 Man soll sich an Gott „erinnern" (éling) und entsprechend stets bedachtsam (waspàdà-éling) vorgehen. Man soll sich Gottes Führung anvertrauen (pracâyâ) und ihm glauben (mituhu). Wir können uns zwar anstrengen, aber der Erfolg unserer Anstrengungen muß von oben kommen: „Du kannst Sein Tun nachahmen, nicht aber Seine Gabe." 10 Es lohnt sich, in allem der Tatsache eingedenk zu sein, daß „die Welt nicht nur so groß wie ein Kélorblatt" ist; hat man zum Beispiel in der Liebe Pech, so soll man daran denken, daß es noch mehr in der Welt zu finden gibt.11 Im übrigen liegt dem Javaner wenig an intensiven religiösen Akten, wie zum Beispiel Gott zu lieben, ihn zu loben, ihm sich anzuvertrauen. Noch weniger kommt ihm in den Sinn, sich vor Gott als unwürdig oder verdammenswert anzusehen. Das Wort Sünde {dosa) spielt in seinem religiösen Bewußtsein - sofern es ihm nicht vom Islam oder vom Christentum eingetrichtert wurde — keine besondere Rolle. Auch das Leben nach dem Tode scheint wenig Interesse hervorzurufen12 (wichtig ist nur die Pflicht der Hinterbliebenen bei einem Todesfall, für eine korrekte Bestattung der sterblichen Überreste des Verstorbenen zu sorgen, wollen sie sich nicht den Ärger seines Geistes (arwah) auf den Hals ziehen). Das Verhältnis des Javaners zu Gott ist von ruhiger Art, es tritt nicht in den Vordergrund und wird nur expliziert, wenn besondere Anlässe vorliegen. Vor wichtigen Lebensereignissen oder in Notlagen verrichtet er Gebete, pilgert vielleicht zu einem magisch potenten Wallfahrtsort oder steigt auf den Merapivulkan, um dort zu beten und ein Geldund Blumenopfer darzubringen. Ansonsten ist die Aufmerksamkeit des Javaners seiner konkreten Umwelt zugewandt. Da die ganze Natur numinosen Charakter hat, hat der Javaner keinen Anlaß, einen eigenen Bereich religiöser Betätigung aus dem Felde der übrigen Tätigkeiten auszuzirkeln. Er hat keine Schwierigkeit, seine Religiosität zu bewahren, auch wenn er nur selten ausdrücklich religiöse Akte setzt. Wer sich so der Tatsache bewußt ist, daß er letztlich stets und gänzlich vom Göttlichen abhängt, der findet überhaupt die rechte Einstellung zu allem, was 9 10 11 12
,Âjà lati marang asedé," Soetrisno, 13. ,JCowé bisä tíru pagawéané, nanging ora bisâ tiru réjekiné," Soetrisno, 11. ,Jagad ora sagodong kélor," Soetrisno, 12. Vgl. C. Geertz 1969, 320.
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ständig auf ihn eindringt. Einige typische Haltungen, deren Vorhandensein als Zeichen moralischer Reife gilt, seien hier erwähnt. Der Javaner sollte sabar, geduldig, sein. Sabar zu sein ist Zeichen eines guten Führers: er rückt achtsam voran, „stopping tentatively as we do when we are not certain that a plank is strong enough to hold us." 13 Es bedeutet, einen langen Atem zu haben im „Bewußtsein, daß sich zu seiner Zeit ein gutes Schicksal einstellen wird."14 Weitere wichtige Haltungen sind nrimä \mdiklas.„Nrimä" bedeutet „annehmen", nämlich alles annehmen was auf einen zukommt, ohne Protest und Auflehnung. Nrimh ist eine der am häufigsten kritisierten javanischen Haltungen, da es oft als apathisches alles Schlucken mißverstanden wird. In Wirklichkeit ist es eine positive Lebenseinstellung.15 Nrimä bedeutet, auch unter Enttäuschungen und in Widerwärtigkeiten vernünftig zu reagieren, weder zusammenzubrechen, noch fruchtlos dagegen anzurennen. Es fordert die Kraft zur Annahme des Unvermeidlichen, ohne sich dadurch zerschmettern zu lassen. Nrimä Haltung gibt die Kraft, auch ein böses Schicksal zu tragen. Wer diese Haltung besitzt, für den verliert das Unglück seinen Schmerz.16 Er bleibt „froh im Leid und besorgt in der Freude." 17 Ein typisch javanischer Spruch lautet: „Das Leben ist nicht leicht. Nennt man es leicht, so ist's leicht, nennt man es schwer, so ist's schwer."18 „Iklas" bedeutet „bereitwillig" und impliziert die Bereitschaft, die eigene Individualität loszulassen und sich der großen Harmonie der Welt einzuordnen, wie es einem bestimmt ist.19 In dieselbe Richtung weist,,r¡7á", „loslassen können", als die Bereitschaft, sein Eigentum, seine Fähigkeiten und die Ergebnisse der eigenen Arbeit loszulassen, wenn Verantwortung oder Schicksal es von einem fordern. Auch iklas und rila sind als positive Tugenden zu verstehen, nicht als schlechte Resignation, sondern als Gesten der autonomen Übergabe, als wissendes Loslassen statt passiven sich entreißen lassen.20 Weiter sollte ein Javaner stets ehrlich sein (temen). Man muß sich auf sein Wort verlassen können. Wer ehrlich ist, wird sich auch gerecht verhalten 13 14 15
16 17 18 19
20
C. Geertz 1969, 241. Koentjaraningrat 1969, 43; vgl. de Jong 1976, 20f. Vgl. de Jong 1976,19; im Offenbarungsbuch der Pangestu Bewegung heißt es z.B.: „Only acceptance can give you a clear mind, since it centaines peace and tranquility of the heart, so that you will not feel the turbulent current of life you undergo." Mertowardoyo, o.J., 20. Koentjaraningrat 1969, 43. ,ßungah sajroning susah, prihatin sajroning burtgah," Soetrisno, 15. „Wong urip ora gampang, diarani gampang yà gampang, diarani angèl yà angèl," Soetrisno, 21. Koentjaraningrat ib.; C. Geertz 1969, 241, schreibt: Jklas brings psychological peace through a lack of attachment to the external world; sabar brings such peace by an inwart restraint of emotional drive, an atrophy of the will, an excess of caution; trima brings peace trough the acceptance of the inevitable with grace : ,If you accept unhappiness, it will totally disappear';" zu iklas angesichts des Todes siehe C. Geertz 1969, 7 0 - 7 2 . de Jong 1976, 18.
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(adii), er wächst, wie es in einer Kebatinanschríft heißt, an „Mut und Herzensfrieden". Seine Versprechen halten ist eine Vorbedingung, um Gott begegnen zu können. 21 Der Javaner sollte sich stets einfach (prasàjâ) geben, bereit sein, sich niedriger zu stellen als andere (andap-asor), er sollte stets seiner Grenzen und der Gesamtsituation, innerhalb der er sich bewegt, eingedenk sein (tepà-salirà). Wer diese Eigenschaften besitzt, der besitzt budi luhur, einen „hohen Geist". Budi luhur kann als Zusammenfassung dessen gelten, was ein Javaner als edlen Charakter ansieht. Έλα „budi luhur" strahlt gewissermaßen die Anwesenheit Gottes im Menschen an die Umgebung ab. 22 Budi luhur impliziert zugleich die ideale Einstellung zum Mitmenschen. Es ist das Gegenteil aller Eigenschaften, die Javaner besonders verachten, wie der Gewohnheit, „sich in andrer Leute Angelegenheiten einzumischen" (dahwèn, opèn), Gemeinheit (drenki), Mißgunst (srei), Intriganz (jail) und Rüppelhaftigkeit (metakil). Budi luhur gibt einem das rechte Gespriir, wie und was man einem anderen gegenüber tun und sagen kann oder nicht. Denn gerade auf die Weise, wie man etwas sagt, kommt es an. „Du magst zwar noch so recht haben, aber tu's doch nicht auf so eine Weise!"23 „Vieleicht muß man einem anderen wehe tun, aber man wird ihn nicht am Boden zerstören." 24 Ebenso lohnt es sich nicht, sich über die Schlechtigkeit anderer aufzuregen, denn „das Gute tritt an den Tag und das Schlechte kommt zum Vorschein." 25 Wer budi luhur ist, wird sich nicht nur guten, sondern auch schlechten Menschen gegenüber gut verhalten. 26 Seine Mitmenschen betrachtet der Javaner nicht als Gegenstand, den er gebraucht, um seine Bedürfnisse zu befriedigen, sondern ihm ist der Mitmensch als solcher ein Bedürfnis. Das Zusammensein ist Zweck an sich selbst. Ein häufig zitiertes — und meiner Beurteilung nach der Wirklichkeit ziemlich gut entsprechendes — javanisches Sprichwort besagt: „Ob wir zu essen haben oder nicht, Hauptsache, wir sind beieinander!" Und „was man hat, das teilt man untereinander; ist es wenig, so teilt man wenig, ist es viel, so teilt man viel." 27 2. Das rechte Tun in der Welt Aus der rechten inneren Haltung wächst von selbst das rechte Tun in der Welt. Für die javanische Weltanschauung ist es charakteristisch, daß ein Auszug aus der Welt abgelehnt wird. Zwar soll man sich nicht an die Welt binden, 21 22 33 24 25 26 27
Mertowardoyo o.J., 20. Vgl. Mertowardoyo o.J., 21f. ,JVgono yà ngono, nanging mbok âjâ ngono," Soetrisno, 22. „Tèga larané nanging ora tèga patiné," Soetrisno, 23. ,ßecik ketitik ala ketara," Soetrisno, 38. ,£apa becik dèn beciki, sapa ala den beciki," Soetrisno, 28. „Mangan ora mangan nèk kumpul," „ana seútik didum setitik, ana akèh didum akèh, " Soetrisno 39.
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sondern innerlich von ihr frei werden, aber das nicht, um sich aus ihr zurückzuziehen, sondern im Gegenteil, um von seinen Leidenschaften und seinem egoistischen pamrih loszukommen und dadurch fähig zu werden, in der Welt seine jeweilige Aufgabe zur Erhaltung der Gesellschaft erfüllen zu können. Deshalb kann Bimâ nicht im Inneren Dewârucis bleiben, sondern muß zu seinen Brüdern nach Ngamartâ zurückkehren. Und deshalb kann sich der Javaner nicht für scharfe, physisch schwächende aszetische Praktiken und permanente Einsiedelei erwärmen. Die Erfüllung der jeweiligen Aufgabe in Welt und Gesellschaft bezeichnet der Javaner mit dem Ausdruck ramé inggawé, der im allgemeinen zusammen mit sepi ing pamrih ausgesprochen wird und, wie gesagt, vom ersten allindonesischen Kebatinariinonff^Q als passender Ausdruck des Kernanliegens aller vertretenen Kebatinanbewegungen akzeptiert wurde. Wörtlich bedeutet der Ausdruck .intensiv aktiv werden". Gemeint ist damit, daß man in der Welt seine Pflicht tun soll. Nicht selten wird „ramé inggawé" von indonesischen Autoren als „Pflicht zur harten Arbeit" erklärt, als Aufforderung, „nicht nur für sich selbst, sondern auch für die Familie, für die Gesellschaft, für die Menschlichkeit oder für das Wohl der Welt zu arbeiten." 28 Wie Niels Mulder29 zeigt, trifft diese Erklärung jedoch nicht den Kern des Gemeinten. Sie ist zu sehr von dem Bemühen beeinflußt, beweisen zu wollen, daß auch in der javanischen Tradition Arbeit für den Fortschritt der Gesellschaft ein Ideal ist (was nicht geleugnet sein muß, wenn man diese Interpretation unseres Ausdrucks ablehnt). In Wirklichkeit handelt es sich bei ramé ing gawé aber nicht um Weltveränderung als solche. Das Wort gawé selbst heißt nicht nur Arbeit, sondern auch Fest. Der Zusammenhang besteht vcermutlich darin, daß einerseits die Vorbereitung eines Festes einen fröhlichen Trubel gemeinschaftlicher Arbeit mit sich brachte, und andrerseits die verschiedenen Stadien der Feldarbeit mit Festen begangen wurden. Arbeit und Fest standen in engem Zusammenhang mit der Idee eines religiösen Ritus, da Feldarbeit, insbesondere der Reisanbau, ein religiöses Tun war und Feste stets religiösen Charakter hatten. Die Bedeutung von ramé ing gawé ist daher aus seinem Zusammenhang mit sepi ing pamrih zu verstehen. Der Javaner ist davon überzeugt, daß die Welt dann in Ordnung ist, wenn jedermann seinem pamrih entsagt.30 Die Welt ist in Ordnung, wenn die Menschen die rechte Einstéllung haben, denn dann herrscht Harmonie und dann läuft alles seinen Lauf. In diesem Kontext erklärt sich die Bedeutimg von ramé ing gawé. Ramé ing gawé ist gewissermaßen die Aktivseite von sepi ing pamrih, der aktive Verzicht auf das Verfolgen der eigenen Interessen der gesellschaftlichen Harmonie zuliebe. Es bedeutet mit anderen Worten, daß man an seinem 28 29 30
Soetrisno, 11. Mulder 1978, 36 s. Mulder 1978, 36.
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angewiesenen Platz seine Standespflichten zu erfüllen hat. Mulder übersetzt daher ramé ing ga wé mit „the faithful practice of one's duty in the place where one has to perform, be it as a peasant or a servant, a functionary or a king, not emphasizing personal initiative or responsibility, but the faithful acceptance of one's task and duty, the fulfilment of the place in life where one has been born and has to perform according to the law of karma, the law of ,God', and the law of ,men'." 3 1 Wenn mansepi ingpamrih ist, also nicht mehr seine eigenen individuellen Interessen ohne Rücksicht auf die Harmonie des Ganzen verfolgt, befindet man sich auf der richtigen Stelle im Kosmos. Die áktive Seite dieses Einnehmern der rechten Stelle ist dann nichts anderes als das Erfüllen der eigenen Standespflichten. Das Erfüllen der Standespflichten aber darf nicht mit dem Streben nach Weltveränderung gleichgesetzt werden. 32 Das Streben nach Weltveränderung hat das Erreichen eines objektiven Zieles, einer definitiven Veränderung an der Welt zum Motiv und ist daher grundsätzlich standestranszentdent: vorausgesetzt, ich möchte ein bestimmtes Feld entwässern, dann ist es nicht relevant, welchem Stand ich angehöre. Umgekehrt impliziert die Idee einer Standespflicht, daß nicht ihr Ergebnis die Motivation zu entsprechendem Handeln ist, sondern die Tatsache, daß ich diésem Stand angehöre. Im javanischen Universum hat, wie wir sahen, der Versuch, definitive Veränderungen an der Welt zu verursachen, von vornherein keinen Sinn, da die in der Welt wirkenden Kräfte nicht die der empirischen, von uns kontrollierbaren Natur sind. Beim ramé ing gawé geht es darum, das zu tun, was der jeweilige Stand von einem verlangt, denn das bedeutet, sich so zu verhalten, daß man die gesellschaftliche und kosmische Harmonie nicht stört. Ramé ing gawé kann interpretiert werden als das aktive Einnehmen des eigenen gesellschaftlichen und kosmischen Ortes. Diese Einstellung der Welt gegenüber ist besonders deutlich in einem anderen Wort ausgedrückt, das ebenfalls 1955 zur Kernhaltung aller Kebatinangruppen Indonesiens erklärt wurde: memayu ayuning bawànà. Der Ausdruck bedeutet „die Welt verschönern" oder, so de Jong, „verzieren". 33 Zugleich schwingt darin das Bewußtsein mit, daß man dadurch seinen Beitrag zur Rettung der Welt leistet. Zur Erklärung dessen, was gemeint ist, wird gern das Gleichnis des Vollmonds gebraucht. So wie der Mond die Erde zum Strahlen bringt, so der Mensch durch seine Anwesenheit die Welt. Das Entscheidende an diesem Vergleich ist, daß der Mensch gegenüber der Außenwelt, wie der Mond gegenüber der Erde, nie seine Distanz verliert. Der Mond verändert nichts an der Erde, sie bleibt weiterhin kalt, er strahlt sie nur an. Ihre „Rettung" besteht darin, daß sie für einen Augenblick in das Licht des
31 32 33
Mulder 1978, 37 Vgl. Mulder 1978, 37 f. de Jong 1976, 33.
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Mondes einbezogen wurde. 34 Ebenso verhält sich der Mensch zur Welt. Durch sein göttliches Inneres (batin) ist er in der Welt der Stellvertreter Gottes (kalifulah). Durch seine Anwesenheit in der Welt wirft er auf sie seine Strahlen, verschönert sie und rettet sie dadurch. Diese seine Rolle in der Welt erfüllt der Mensch dadurch, daß er in ihr seine verschiedenen Pflichten (kuwajiban) erledigt. Als solche werden genannt: Pflichten gegenüber dem eigenen Leib, gegenüber der Nachkommenschaft, gegenüber der Gesellschaft, gegenüber der Regierimg, die Pflicht zu arbeiten, und andere. 35 Dabei geht es nicht so sehr um das Erreichen des Effektes, der Ziel des pflichtgemäßen Tuns ist, als solchem, als um Einübung der rechten Haltung: zum einen erweist getreues Pflichterfüllen die Gesinnung von sepi ingpamrih, es geht also um die eigene Bewährung, um den Beweis, daß man seine Leidenschaften zu beherrschen gelernt hat und nicht mehr vom Eigennutz umgetrieben wird; zum anderen ist Pflichterfüllung der eigene Beitrag zur Harmonie des Ganzen. Der Mensch, der seinem jeweiligen Stand gemäß seine Pflicht tut, zeigt dadurch, daß er Herr über die Außenwelt ist, daß er sie beherrscht. Er erweist sich als „König". „Das Bezeichnende an diesem König ist, daß er nicht etwa die Gesellschaft verändert, in der sich sein Leben abspielt, sondern daß er als ksatriyà lernt, inmitten der verschiedenen Strukturen und Zustände zu leben, seien sie gut oder schlecht." 36 Der Javaner trägt dadurch dazu bei, in der Gesellschaft einen Zustand von Wohlstand und Gerechtigkeit (adil-makmur) zu schaffen, den Mulder „das weltliche Ideal der Kebatinanmy&tik" nennt: „the equilibrated and quiet social order that is characterized by respect for benenevolent hierarchy, harmony, trust and rukun, while being coordinated with the forms of order in the cosmos." 37 Das rechte Verhalten zur Außenwelt ist demnach getragen durch eine Haltung wissender Distanz. 38 Ein sich Hingeben an Zielstellungen in der Außenwelt, der Drang, diese an sich zu verändern, leidenschaftliches Engagement für die Verbesserung der Gesellschaft gelten auf diesem Hintergrund als töricht. Jeder sollte in seinem individuellen Verhalten das tun, was die Standespflichten von ihm verlangen, was eo ipso bedeutet, daß man sich dabei in die Gesellschaft einordnet (rukun) und ihre Ordnung anerkennt (urmat). Dadurch leistet man auf optimale Weise seinen Beitrag zur sozialen Harmonie und zum allgemeinen Wohlbefinden und erreicht für sich selbst einen Zustand innerer Gelassenheit. Die javanische Ethik ist, wie Mulder betont, 39 dadurch gekennzeichnet, 34 35 36 37 38 39
„Der Mensch -betritt die Welt - erleuchtet die Welt - und verläßt die Welt," wie es in einem Spruch heißt, vgl. de Jong 1976, 34. de Jong 1976, 3 0 - 3 3 . de Jong, 1976, 29; vgl Mulder 1978, 37f. Mulder 1975, 134. Vgl. de Jpng 1976, 17 ff. Mulder 1978, 38
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daß der Drang, die Welt zu verbessern, in ihr keine Funktion hat. Entsprechend dem Glauben, daß die in der Welt wirkenden Kräfte der jenseitigen Welt angehören, besteht die Pflicht des Menschen der Welt gegenüber darin, ihre Harmonie nicht zu stören, was man eben dadurch tut, daß man seine Standespflichten erfüllt. Abgesehen von diesen Standespflichten, die zahlreiche positive Gebote des einander Helfens und für einander Verantwortung Tragens enthalten - alle Arten von Nachbarschaftshilfe, Hilfe Notleidenden gegenüber, gegenseitiger Beistand in Katastrophenfällen, alles, was wir unter rMfcwn-Pflichten kennengelernt haben, sodann weitere Konkretisierungen der oben genannten fünf Bereiche von Pflichten in der Welt - gilt als Faustregel für das rechte Verhältnis dem Nächsten gegenüber: Àjà mitunani wong liyà, man soll seinem Nächsten nicht schaden.40 „People should have a good attitude to one another, make each other happy, and especially refrain from bothering each other. Javanese etiquette and behaviour just try to accomplish this." 41 3. Der rechte Ort Versuchen wir nun, ausdrücklich die tragende Vorstellung darzustellen, die das javanische Ideal des sepì-ing-pamrih, ramé-ing-gawé, memayu-ayuning-bawânà zu einem Ganzen verbindet. Sepi ihg pamrih beinhaltet den Verzicht auf das Verfolgen eigener Interessen ohne Rücksicht auf die Gesellschaft. Ramé inggawé, das rechte Handeln in der Welt, bestand im treuen Erfüllen der jeweiligen Pflichten, wodurch memayu ayuning bawànà geschieht, das heißt die Welt verschönert und damit die Harmonie des Kosmos bestätigt wird. Umgekehrt gesehen ist das Verfolgen egoistischer Interessen deshalb zu tadeln, weil es die Harmonie der Gesellschaft und des Kosmos durcheinander bringt. Die tragende Vorstellung hinter diesen grundsätzlichen Anweisungen über rechte Einstellung und rechtes Tun ist die von der überragenden Wichtigkeit der Besetzung des rechten Ortes. Die ganze javanische Lebensweisheit kann in der Metaforderung zusammengefaßt werden, stets den rechten Ort einzunehmen. Der Kosmos ist ein geordnetes Ganzes, in dem jedes Element seinen ihm zukommenden Platz hat. Solange die Elemente ihre Plätze einnehmen, herrscht Ruhe und Sicherheit. Es ist daher im überragenden Interesse aller, daß jedermann seine ihm zukommende Rolle im Ganzen spielt. Sepi ing pamrih drückt die grundsätzliche Selbstbescheidung auf den eigenen Ort in Gesellschaft und Kosmos aus, ramé inggawé die Erfüllung der einem an diesem Ort zukommenden Rolle. Die Haltung sepi ing pamrih ist eng verbunden 40
41
In einer von Studenten der Driyarkara Hochschule für Philosophie (Jakarta) 1976 im Räume von Yogyakarta durchgeführten Untersuchung ergab sich, daß ,,α/ά mitunani wong Uyà" (schade keinem anderen) sehr häufig spontan als Begründung verschiedener moralischer Regeln angeführt wurde. Mulder 1975, 51.
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mit éling, dem sich Erinnern an seinen wesentlichen Ursprung. Wer sepi ing pamrih ist, erinnert sich seiner wahren Wirklichkeit, seiner Situation im Ganzen, seiner Abhängigkeit vom Göttlichen, seines Platzes in Welt und Gesellschaft. Aus dieser Erinnerung erwächst ramé ing gawé, das Erfüllen seiner jeweiligen Pflichten. Vom Javaner wird daher verlangt: sing éling lan waspàdâ, sei eingedenk und umsichtig! Javanische Moral ist daher in einem strikten Sinn ortsrelative Moral. Was einer zu tun hat, ist ihm durch seinen Ort in der Gesellschaft bestimmt. Nicht was der einzelne für wünschenswert, nützlich oder als seine Gewissenspflicht ansieht, entscheidet, sondern was von ihm an diesem Ort verlangt ist. In der javanischen Moral haben daher absolute Normen wenig Sinn. Das einzige, was im javanischen Universum Sinn hat, ist das Einhalten der rechten Ordnung. Der Versuch, seine eigenen subjektiven Zielvorstellungen zur Grundlage seines Handelns zu machen, ist aus zwei Gründen tadelnswert. Zum einen zeugt es von Rücksichtslosigkeit und pamrih, den eigenen Vorstellungen zuliebe die Harmonie des Ganzen und daher den Frieden der Gesellschaft hintanzusetzen, zum anderen ist es ein Zeichen beschämender Selbstüberschätzung, da ein so Handelnder übersieht, daß er nur im Rahmen der seinem Ort zukommenden Kräfte sinnvoll handeln kann. Es geht nicht darum, Ziele zu setzen und diese zu verwirklichen, es geht darum, daß alles stimmt (cocog). Der Anspruch, aufgrund eigener Verantwortung allein Handlungen zu setzen, die andere in Mitleidenschaft ziehen, ist dem Javaner suspekt, er riecht nach pamrih. Wer wirklich verantwortlich handeln möchte, der sei sich seiner Grenzen bewußt und verhalte sich seinem Stande entsprechend, da jede Störung der gesellschaftlichen Harmonie letztlich alle betreffen würde. „Precisely because all functions are interrelated, and because each order is essential to all the others, social approval for individuals within each order depends on how adequately they fulfil their order's functions". 4 2 42
Anderson 1965, 7. Die Wichtigkeit des rechten Ortes macht auch verständlich, warum in javanischer Interaktion mehr Wert auf die Einhaltung der rechten Umgangsformen als auf die wahre Absicht gelegt wird. Verbergen der eigentlichen Absicht, Tun als ob (étok-étok) gelten als positive Verhaltensweisen. Da das Einhalten des rechten Ortes das Entscheidende ist, sollte man sich an die Regeln halten. Man schämt sich, wenn andere einen beim Ubertreten einer Regel ertappen. Es kommt auf den formellen Rang an. „A superior position warrants respect; whoever possesses the symbols of superior position should be respected. The symbols of reality create the content of reality; it is the formal organization that counts and that should be maintained." Mulder 1978, SO. Daher bestimmt, wie Mulder schreibt, der gesellschaftliche Stand die Person. „He is identified by his rank, by the stars on his uniform, by the title of his nobility, by his pedigree or his academic symbols." (Mulder 1978,51). Das Gewicht, das der Konformität des äußeren Handelns mit der gesellschaftlich von ihm erwarteten Rolle in der javanischen Gesellschaft zukommt, führt leicht zu Identifizierungen zwischen dieser Konformität, bzw. den äußerlich erkennbaren Standesmarkierungen. „A red theatre mask means — and is - a bad and angry chracter; to show emotion means - and is - a disturbed batin . . . The organization of form and outward appearances functions as a mantra, or sacred formula,
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Die Vorstellung, daß wahre Verantwortung im treuen Erfüllen dessen besteht, was der eigene „Ort" von einem verlangt, findet ihre rationale Basis in dem schon erwähnten Glauben an das Schicksal. Dieser Glaube kann mit Hilfe von drei Begriffen dargestellt werden, die auf dem Hintergrund des Bewußtseins des Javaners stets gegenwärtig sind: takdir (oder nasib), dorma und karma. Takdir und nasib bedeuten beide, wie oben dargestellt, Schicksal. Der Javaner weiß um die Tatsache, daß alles bereits vorherbestimmt ist. Jedem Wesen ist sein Schicksal zugeteilt, die Lebenslinie vorgezogen, und es kann von ihr nicht abweichen. Gerade deshalb kann es nicht Gegenstand sinnvoller Einstellung zur Welt und zum Leben sein, Veränderungen vornehmen zu wollen. Große Pläne zur Weltverbesserung aufzustellen und ohne Rücksicht auf Gesellschaft und Kosmos ausführen zu wollen, zeugt von Überheblichkeit, da es nicht in die Macht des Menschen gestellt ist, an der Wirklichkeit etwas zu verändern. Der weise Mann unterscheidet sich vom törichten dadurch, daß er um diesen Sachverhalt weiß, und daher sein Bemühen darauf konzentriert, seine Lebenslinie einzuhalten, d. h. vor allem seinen Platz in der Gesellschaft zu finden sowie jedem anderen Element seinen „Ort" zukommen zu lassen, indem er die ihm durch seinen Stand bestimmten Pflichten getreu ausführt. Dem Javaner wird daher empfohlen, stets des takdir eingedenk zu sein.43 Daher auch die Wichtigkeit von Haltungen wie nrimà, der Bereitschaft zur Annahme, sabar, Geduld, und tepa, salirà, des Bewußtseins der eigenen Grenzen. Darma bedeutet Pflicht oder Lebensaufgabe. Jeder Mensch hat sein darmi und seine Lebensaufgabe ist es, es zu vollbringen. Er findet es in den Pflichten, die ihm durch seine Stellung in Welt und Gesellschaft bezeichnet sind. 44 Es wird erwartet, daß jeder zum Wohl der Gesellschaft, zur Aufrechterhaltung der kosmischen Harmonie und zur Erlangung des eigenen inneren Friedens dieses sein darmä treu erfüllt. Mit clem Begriff darmb verbindet sich die Vorstellung, daß jeder, ob klein oder groß, bedeutend oder unbedeutend, seine ganz spezifische Aufgabe im Ganzen zu leisten hat, daß die Harmonie des Ganzen und damit der Frieden und Wohlstand der Gesellschaft eben davon abhängt, daß jeder diese seine spezifische Lebensaufgabe erfüllt. Auch hier gilt wieder, daß jeder Versuch, aufgrund eigener Vorstellungen, Einsichten oder Verantwortung und ohne Rücksicht auf seinen „Ort" Ziele zu setzen und zu verwirklichen, von einer bedauerlichen Beschränktheit der Selbsteinschätzung zeugt und für die Gesellschaft nachteilige Folgen haben muß.
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that conjures the situation; while new situations have to be formalized as they arrise, to coordinate them in the existing order." Mulder 1978, 51. So zum Beispiel im Lehrgedicht Wedâtâmâ aus dem letzten Jahrhundert, in dem die letzte Strophe mit der Ernahmung endet, stets seines takdir eingedenk zu sein, Mangukunagoro IV 1975,123; auch im etwas früheren, ebenso wie das Wedâtâmâ noch immer populären Wulangreh wird wiederholt an das takdir erinnert, PakubuwanalV 1968, 11, 18. Vgl. Mulder 1978, 24, 37.
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Der dritte Begriff, karma, bezeichnet das göttliche Gesetz, unter dem all unser Handeln steht.45 Der Javaner denkt bei karma nicht so sehr an seinen übernatürlichen Status, etwa im Hinblick auf eine etwaige Wiedergeburt; eine solche Auffassung ist bei ihm nicht ausgeprägt und scheint jedenfalls keine besondere handlungsmotivierende Kraft zu besitzen.46 Vielmehr denkt er an Wiedervergeltung in diesem Leben. So warnt man davor, sich über Behinderte lustig zu machen, mit dem Ausspruch „mengko mundak kuwalat", „paß auf, daß dich nicht eine Strafe trifft!" 47 Karma ist also im javanischen Kulturkreis zunächst ein negativer Begriff, beinahe gleichgedeutend mit Wiedervergeltung. Der Gedanke an karma - nichtsein karma - ist ein starkes Motiv, um „unpassende" Handlungen zu unterlassen. Doch ist die Vorstellung vom karma auch ein Ansporn, das zu vollbringen, was einem als darmä in seinen Standespflichten auferlegt ist. Was der einzelne konkret zu tun hat, um seine Lebensaufgabe zu erfüllen, erfährt er aus fünf Quellen: die erste ist die Tradition (adat-istiadat), wie sie in seiner Familie, seinem Dorfe usw. überliefert ist. Im adat-istiadat haben sich die gemeinsamen Erfahrungen seiner Gesellschaft normativ niedergeschlagen. Dazu gehören die zahlreichen Gebräuche, Riten, Tabus, Formen gegenseitiger Hilfe, in die jedes Individuum wie von selbst hineinwächst. Eine zweite Quelle bilden die approbierten Formen gesellschaftlichen Umgangs, die festlegen, was in einer bestimmten Situation „paßt" (parties) und was nicht (ora pantes). Hierher gehören die schon dargestellten Formen javanischer Etikette wie das Einnehmen der korrekten Respektshaltung, das Bestreben, sich indirekt auszudrücken und unnötige Informationen nicht zu geben (Dissimulation), sowie das Unterbinden aller Anzeichen mangelnder Selbstbeherrschung. In Dingen, die nicht durch Tradition und Etikette festgelegt sind, sind die beiden javanischen Methoden der Entscheidungsfindung einzuhalten: die Entscheidung muß den rukun-Zustand intakt lassen. Handelt es sich um ein Problem unter Gleichgestellten, so ist der Beschluß durch musyawarah (gemeinsame Beratung) und sepakat (Einstimmigkeit der Beschlußfassung) zu erzielen. Kommen Autoritätsverhältnisse ins Spiel, so wird die Entscheiduhg der berechtigten Äutoritätsperson, in Verbindung mit der den Autoritätsrelationen entsprechenden Form der musyawarah, anerkannt. Daß es neben diesen vier Quellen konkreter Handlungsanweisungen noch eine fünfte gibt, wird, vielleicht wegen ihres außergewöhnlichen Charakters, in der soziologischen Literatur und ebenso im normalen Gespräch mit soziologisch interessierten Javanern wenig beachtet, obwohl diese Möglichkeit sich von den anderen dadurch unterscheidet, daß sie die totale Bindung an bestehende Gesellschaftsstrukturen durchbricht. In der javanischen Gesellschaft wurde immer die Möglichkeit anerkannt, daß ein Individuum durch göttliche Offenbarung (wahyu) zu außergewöhnlichen Taten berufen werden 45 46 47
Vgl. Mulder 1978, 41. Vgl. C. Geertz 1969, 320. Soetrisno, 17.
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kann. Eine solche Berufung tut sich auf außergewöhnliche Weise kund, etwa durch den Mund eines Sehers (resi) oder durch das Erscheinen eines blauen Lichtes (ndaru). Sie geschieht gewöhnlich dann, wenn das Schicksal einen Menschen zu besonderen Taten in der Gesellschaft auserlesen hat. Wir haben diese Berufungsmöglichkeit im Zusammenhang mit der javanischen Sicht von politischer Macht bereits kennengelernt. Wer eine solche Berufung empfangen hat, kann durchaus berechtigt sein, Taten zu vollbringen, die gegen Tradition, hergebrachte Etikette, rukun und urmat angehen. Obwohl solche Taten oberflächlich betrachtet die gesellschaftliche Harmonie stören müssen, entsprechen sie doch in Wahrheit den kosmischen Notwendigkeiten, stören also die kosmische Harmonie nicht nur nicht, sondern sind zu ihrer Erhaltung erforderlich. Ein so Berufener steht „über dem Gesetz", für ihn sind moralische Beurteilungen nicht anwendbar. Beweis für die Echtheit seiner Berufung ist die charismatische oder auch magische Kraft, die hinter seinem Anspruch steht. Beweist er sich als stark genug, um den gesellschaftlichen Verhältnissen seinen Stempel aufzudrücken* so ist das eo ipso der Beweis, daß wir es nicht mit einem Hochstapler zu tun haben.48 Vorausgesetzt er handelt in der Kraft seiner Berufung, so ist, was immer er tut, und seien es auch Taten, die gegen alle bestehenden Normen verstoßen, gerechtfertigt. Dabei ist allerdings zu beachten, daß das im Prinzip auch von allen anderen Menschen gilt, denn auch sie handeln stets gerechtfertigt, wenn sie tun, was Tradition, Etikette, rukun und Autorität fordern, auch wenn das gegen bestimmte Normen wäre, nur daß eben gerade das, was diesen vier „Autoritäten" entspricht, dasjenige ist, was einem als Pflicht vorgestellt wird. Für uns bleibt hier festzuhalten, daß in der Möglichkeit einer außerordentlichen individuellen Berufung die javanische Gesellschaft eine Möglichkeit offengelassen hat, ein Handeln als moralisch richtig anzuerkennen, das zwar ebenfalls der Erhaltung der kosmischen Harmonie und damit letztlich der Gesellschaft dient, das aber andrerseits nicht den bestehenden gesellschaftlichen Normen zu entsprechen braucht. Hier ist der Ort, auf eine Auffassung javanischer Mystik hinzuweisen, die die schon dargestellte Relativierung moralischer Normen in der javanischen Gesellschaft von einer anderen Seite her bestätigt. In der javanischen Mystik führt der Weg zum Ziel der „Vereinigung von Knecht und Herr" über verschiedene Stadien. Das erste besteht im Streit zwischen den schlechten Leidenschaften, die meist durch die Farben schwarz, rot und gelb symbolisiert werden, und den guten, deren Farbe weiß ist. Nur wer Schwarz, Rot und Gelb besiegt, kann auf dem Wege zur mystischen Vereinigung weiterschreiten. Ist aber diese Schlacht im eigenen Herzen einmal gewonnen, so läßt der Sucher das ganze Problem von Gut und Böse überhaupt hinter sich. Prinz Mangkunegârâ schreibt dazu in seiner Einführung in die Mystik des Wayang·. „At this stage of the semadi the grim moments of the struggle between good and evil, 48
Vgl. oben S. 96 f.
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symbolized by the battle between white and black with all the other colors, must have been passed already. Good and evil are now subordinate to the great, intensive yearning, the fulfillment of which is sought through semadi."*9 Ebenso heißt es in der Dewârucigeschichte, daß alle vier Farben, also nicht bloß die der schlechten Leidenschaften, überwunden werden müssen, will man Fortschritte im mystischen Bemühen erzielen. 50 Das ganze Problem von Gut und Böse ist für den javanischen Mystiker nur ein vorläufiges, insofern es nur auf den ersten Stadien des Weges zum eigenen Selbst auftreten kann. Hat man diese passiert, so ist man zu einer Wirklichkeit gelangt, die einen so gänzlich in Beschlag nimmt, daß man in seinem darmâ völlig gefestigt ist; man ist gewissermaßen so in die Harmonie des Alls eingetaucht, daß man in allem den Rhythmus dieser Harmonie folgt. Im Grund ist diese Auffassimg nur eine andere Spielart der Ansicht, daß Macht, verstanden als Konzentration von kosmischer Kraft (kasektèn), sich selbst rechtfertigt, und daß Wirken als solches gar nicht in der Macht des Menschen steht.
4. Rechte Einsicht Es hat sich ergeben, daß der javanischen Auffassung von rechter innerer Einstellung und rechtem Tun in der Gesellschaft die Vorstellung des rechten Ortes zugrunde liegt. Wer um seinen Ort in Gesellschaft und Welt weiß, der hat die rechte innere Einstellung und wird dementsprechend richtig handeln. Wer sich dagegen von Leidenschaften und Egomotiven treiben läßt, wer seine Standespflichten vernachlässigt .und sich.nicht um rukun und Autorität kümmert, der gibt dadurch Zeugnis davon, daß er seinen Platz im Ganzen noch nicht begriffen hat. Es fehlt ihm an der rechten Einsicht. 51 Rechte Einsicht besteht für den Javaner nicht in einem theoretischen Wissen um absolute Normen, die er dann nach bestem Wissen und Gewissen auf konkrete Fälle anzuwenden hätte. Sie kann auch nicht durch Vermehrung diskursiven Wissens erworben werden. Sie eröffnet sich vielmehr im ràsà, sie muß erfühlt werden. Im ràsà eröffnet sich die objektive Wirklichkeit. Von der Tiefe des erreichten rasa, hängt es ab, ob einer fähig ist, sich im Kosmos zu piazieren, also seinen passenden Ort einzunehmen und sich in die allgemeine Harmonie einzufügen. Das Erreichen eines feinen (alus) ràsà ist daher für den Javaner von höchstem Wert. Das Wort „ràsà" gebraucht er in zahlreichen Zusammenhängen und stets in positiver Konnotation. Situationen müssen angefühlt werden, vor dem Gefühl anderer muß man Respekt haben, es gilt, ein „Kapital an ràsà" aufzubauen, das man zu vermehren sucht, von dem man leben kann, als wachsende Fähigkeit, die Wirklichkeit anzufühlen. 49 50 51
Mangkunagoro VII 1957, 14. Soebardi 1975, 118: VIÜ, 21 f. Zu diesem und zum vorigen Abschnitt siehe Bakker 1979.
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Die Gefühle anderer verletzen gilt stets als ernsthafter Verstoß. 52 Von verfeinertem ràsà zeugt der vollendete Gebrauch der javanischen Sprache, das Beherrschen der der jeweiligen Situation angepaßten Höflichkeitsformen, das instinktive Wissen darum, was sich in einer Situation gehört und was nicht. In Tanz, Musik und Batikkunst wird die Außenwelt verfeinert und zugleich das" körperliche Gefühl für Rythmus, Gleichgewicht, Schönheit, Sensibilität und Proportion eingeübt, das zugleich eine Verfeinerung des inneren râsà mit sich bringt. „The more refined (alus) one's feeling, the more profound one's understanding, the more elevated one's moral character, and the more beautiful one's external aspect." S3 Die Tiefe des erreichten ràsà zeigt daher die Dimension der erreichten Existenz an; aus dem rechten ràsà folgt von selbst die rechte Einstellung zum Leben, zur Gesellschaft und zu seinen jeweiligen Pflichten. Dieser Zusammenhang von rechter Einsicht, ràsà, und rechter Disposition erklärt die spezifische Weise, wie der Javaner Fehlhaltungen und Verstöße gegen Pflichten beurteil^. Fehlhaltungen und Pflichtvergessenheit gelten, abgesehen vom Fall simpler Unwissenheit, als durch Emotionen und Leidenschaften oder durch Eigensucht (pamrih) bedingt. Beides, Leidenschaften und pamrih, sind aber für den Javaner nicht so sehr ein Problem mangelnden Willens, als fehlender Einsicht. Wer seinen Leidenschaften und egoistischen Interessen nachjagt, ist nicht so sehr schlecht als töricht. Leidenschaften sind ein Zeichen, daß der Betreffende seine Gefühle noch nicht in Zucht genommen und verfeinert hat; sie weisen daher auf einen verachtenswert unkultivierten Zustand hin und offenbaren, daß hier ein Mensch nicht weiß, wozu er lebt. Der Egoist dagegen ist ganz einfach nicht über seine wahren Interessen aufgeklärt. Er hat sein ràsà nicht entwickelt, ihm ist daher das Wissen darum verschlossen, daß doch alles schon durch takdir vorherbestimmt ist, daß alles unter dem Gesetz des karma steht und daß es auch für ihn subjektiv das allerbeste wäre, treu sein darmâ, seine Standespflichten zu erfüllen. In solchen Fehlhaltungen sieht der Javaner daher nicht etwas, über das man sich entrüsten sollte, sondern eher einen Erweis von Torheit. Torheit ist ein Zeichen von Unreife, von mangelnder innerer Entwicklung. Ein Mensch, der sich von Leidenschaften und pamrih umtreiben läßt, ist menschlich noch nicht erwachsen, er steht, wie wir sahen, auf einer Ebene mit Kindern, Tieren und Verrückten (deren gemeinsames Merkmal es in javanischen Augen ist, daß ihr Verhalten durch ihre Instinkte beherrscht wird). Für solche Menschen gebraucht der Javaner den bezeichnenden Ausdruck „durung Jàwâ", „er ist noch nicht javanisch". 54 Darunter fallen nicht nur moralische Fehlerhaftigkeit, sondern auch Grobheit, Ungezogenheit, ungelenker Sprachgebrauch usw. Ein solcher Mensch ist eben noch kein echter Javaner geworden, 52 53 54
Vgl. C. Geertz 1969,242 f.; auf Seite 239 nennt Geertz zahlreiche Ableitungen vom Wort râsà mit ihren Bedeutungen. C. Geertz 1969, 239. C. Geertz 1958, 424.
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sonst würde er sich von selbst nicht so unreif aufführen. Auch der Ausdruck „durung ngerti", „er hat noch kein Verständnis gewonnen", wird dafür verwendet. 55 Umgekehrt sagt der Javaner von einem Jugendlichen, der es gelernt hat, sich wie ein erwachsener Javaner zu betragen, d. h. die Regeln höflichen Verkehrs einzuhalten und seine Pflichten zu erfüllen,,, wis dadi wong", „er ist schon ein Mensch geworden". Unmoralisches Verhalten wird als ein Ausfall der Vernunft angesehen und gilt daher als „unjavanisch" und verachtenswert, im schlimmsten Fall ist er „kâyâ kéwan", „wie ein Tier". 56 Aber nicht nur der Egoist und der Unbeherrschte handeln töricht. Dasselbe gilt auch für den Idealisten, der die Welt nach absoluten moralischen Normen, aufgrund seiner eigenen Einsichten oder seines individuellen Verantwortungsgefühls verbessern oder anderen helfen möchte. Denn einerseits überschätzt der Idealist seine Möglichkeiten; jeder Mensch hat seinen Ort und sein bestimmtes Schicksal57 und kann daran mit seiner Geschäftigkeit durchaus nichts ändern. Andrerseits aber bringt er durch seinen Eigensinn die allgemeine Harmonie in Gefahr. Zurückhaltung und Selbstbescheidung sind Tugenden auch in Bezug auf gute Taten. Fassen wir zusammen. Schon im Zusammenhang mit der Stellung des rukun-und Respektsprinzips in der javanischeen Gesellschaft war uns der relativistische Charakter der javanischen Moral aufgefallen. Dieser hat seinen Grund im „ortsrelativen" Charakter moralischer Normen. Ob einer nach diesen Normen lebt ist eine Frage der Entwicklung seiner Einsicht, der Tiefe des erreichten ràsâ. Der Javaner fällt moralische Urteile nicht nach abstrakten moralischen Normen, sondern danach, ob der betreffende seinem Stand entsprechend gehandelt hat. Ob ein Verhalten richtig oder falsch war, mißt sich nicht an Prinzipien, sondern an dem erreichten Ergebnis. Zeichen für rechtes Verhalten ist der gute Zustand der Gesellschaft und das innere Gefühl, daß alles stimmt. „The final test of right behavior lies in the harmonious order of society and the feeling of well being and quietness of heart of its members." 58 Der ortsrelative Charakter der javanischen Moral erklärt zugleich die erstaunliche Toleranzspanne des Javaners gegenüber moralischen und religiösen Eigentümlichkeiten. Obwohl Tradition, Etikette, rukun und Autorität einen Druck in Richtung auf konformes Handeln ausüben, so erkennt doch der Javaner an, daß jedes Individuum seinen individuellen Ort und seine individuelle Berufung hat, und er ist in der Praxis bereit, eine reiche Auswahl von Lebensmöglichkeiten und Handlungsalternativen anzuerkennen. Es gibt zahlreiche kosmische Orte in der Welt und daher eine große Vielfalt individueller Varianten innerhalb der einen Ordnung. Der Javaner ist prinzipiell bereit, eine erstaunliche Breite möglicher Lebensvollzüge zu akzeptieren, 55 56 57 58
H. Geertz 1961, 105. H. Geertz 1961, 57. Koentjaraningrat 1960, 94 f. Mulder 1978, 45.
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vorausgesetzt, sie setzen sich nicht absolut, sondern passen sich in die Gesamtharmonie der javanischen Gesellschaft ein. Der Javaner ist stolz auf diese Absorbtionsfähigkeit. Er sieht in ihr zurecht einen Ausdruck der Weite seiner Kultur, ein Stolz, der auch darin zum Ausdruck kommt, daß er unreifes Verhalten als „unjavanisch" bezeichnet. Das größte Lob, das einem Ausländer gespendet werden kann, ist von ihm zu sagen, er sei „njawani", er benehme sich wie ein Javaner. „So deeply ingrained is this pride that almost anything is tolerated, provided that it can be adapted to or explained in terms of the Javanese way of life." 59 Den Anschauungsunterricht in konkreter Moral erhält der Javaner durch das Wey engspiel.60 5. Wayangmoral Unter Wayang versteht man alle Theateraufführungen, bei denen Gestalten oder Geschichten aus dem Wayangrepertoire zur Darstellung kommen. Die Darstellung kann durch menschliche Schauspieler oder durch Puppen geschehen. Auf Java sind an sich beide Formen populär. Die bedeutsamste WayangduX auf Java ist jedoch diejenige, bei der kunstvoll gestochene Lederpuppen verwendet werden (wayang kulit) und die Erzählung aus dem klassi~ sehen Wayang-Purwä-Repertoiie genommen ist. Die Puppen werden vom Puppenspieler, dalang genannt, vor einem weißen Schirm hin und her bewegt, der von einer Lampe angestrahlt wird, wodurch die Schatten der Wayangñgaitn auf den Schirm geworfen werden. Die Zuschauer sitzen zu beiden Seiten des Schirms, können also wählen, ob sie die Verführung als Schattenspiel sehen oder lieber die schön angemalten Puppen selbst betrachten wollen. Das Wayang-Purwä-Repertoire besteht aus vier Zyklen, die ihr Material zum überwiegenden Teil aus Indien bezogen haben: (1) die mythische Vorgeschichte des Kosmos, in der es um Götter, Riesen und Menschen am Anfang der Zeiten geht; (2) der Arjunâ-Sâsrâ-Bau-Zyklus, der die Vorgeschichte zum Ramayanaepos enthält; (3) der Ramayanazyklus und (4) der Mahabharatazyklus. Unter Javanern ist der Mahabharatazyklus bei weitem der populärste. Wayang Purwä Vorstellungen hält man bei wichtigen gesell59 60
Anderson 1965, 5. Die Bedeutung des klassischen (purwä-) Wayangspitis für Selbstverständnis und Lebensorientierung des Javaners kann kaum überschätzt werden. Anderson 1965 weist daraufhin, daß im Wayang dem Javaner eine Mythologie zur Verfügung steht, an der er sich stets orientieren kann. Resink 1975 zeigt detailliert, wie der für die gesellschaftliche und politische Entwicklung Indonesiens entscheidend bestimmende Oktobercoup von 1965 mit seinen Folgen von seinen Hauptakteuren, sowohl von linker Seite (putschende Offiziere, Führer der kommunistischen Partei) als von der Armeeführung aus der Perspektive des Mahabharata gesehen wurde. Dahm ( 1966) stellt dar, wie sehr Soekarno, Indonesiens erster Präsident, durch die Wayangmythologie beeinflußt war.
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schaftlichen oder häuslichen Anlässen, um sich eines glücklichen Ausganges zu versichern oder Unheil abzuwenden; ebenso an den großen Tagen des Lebens wie bei Hochzeiten, wenn bei einem neugeborenen Kinde die Nabelschnur abfällt, bei Beschneidungen, aber auch bei wichtigen Ereignissen wie zum Beginn eines Hausbaues, bei Beförderung im Beruf und ähnlichem.61 Im Folgenden beschränke ich mich auf das Wayang Purwà, und zwar auf den Ramayana- und den Mahabharatazyklus. Im Wayang bieten sich dem Javaner eine große Anzahl verschiedenster Charaktere dar. Da gibt es Götter (dewà) und Brahmanen (resi), Ritter (ksatriyà), Riesen (buta) und Clowns (pânàkawan). Quer durch diese sozialen Ränge schlägt die Spaltung in zwei sich bekriegende Lager, im Ramayana das des Râmâ gegen das des Reisenkönigs Rahwânâ, im Mahabharata die fünf Pandâwâbriider und ihre Freunde gegen die 99 Kurâwâbriider. Jeder Rang hat seine eigenen Verhaltensnormen, aber auch jede einzelne Person ihr von den Göttern bestimmtes Schicksal und ihre persönliche Aufgabe. Indem jede Person ihre Aufgabe erfüllt, bleibt die Ordnung der Welt und der Gesellschaft gewahrt. An den Wiayengpersonen, ihren Taten und ihren Schicksalen liest der Javaner den Sinn des Lebens ab. Die zahlreichen Stücke (lakon) sind voll von moralischer Ambiguität. So entdeckt z. B., der edle Salyâ, daß seine geliebte Braut Satyâwati die Tochter des Riesen Bagaspati ist. Nun ist es gegen den Kodex eines Ksatriyh, einen Riesen in der Familie zu haben. Die Hochzeit kann nur stattfinden, wenn Bagaspati vorher getötet wird. Bagaspati selbst befiehlt um des Glückes seiner Tochter willen dem Salyâ, ihn zu töten. Salyâ weiß, daß er auch dadurch gegen den Ksatriyàkodex verstößt. Er tötet Bagaspati, der ihn, bevor er stirbt, zu einem gewaltsamen Tode verflucht. Wie Anderson bemerkt, sind die moralischen Probleme der Geschichte für das javanische Publikum Gegenstand endloser Debatten. Hätte Satyâwati zu ihrem Vater halten sollen? Wenn Bagaspati sich opfern möchte, warum verflucht er, zu Tode verwundet, den Salyâ? Wer erwies sich eigentlich als der wahre Ksatriyâ?62 Von grundsätzlicher Bedeutung ist ein Konflikt, der sowohl im Ramayana als im Mahabharata ausgetragen wird. Im Ramayana mißbilligen Kumbâkarnâ und Wibisânâ das Verhalten ihres Bruders, des Riesenkönigs Rahwânâ, der Râmâs Gattin Sintâ entführt hatte. Doch ziehen beide entgegengesetzte Konsequenzen. Wibisânâ, der jüngere von beiden, fühlt sich im Gewissen verpflichtet, auf der Seite des Rechtes zu kämpfen; er geht daher zum Heere Râmâs über. Sein Verhalten wird offensichtlich als richtig beurteilt, er gilt als vortrefflicher Ritter. Kumbâkarnâ dagegen hält sich für verpflichtet, seinem schlechten Bruder und König die Treue zu halten und für sein Vaterland zu kämpfen, obwohl er weiß, daß Râmâ eine Inkarnation Wisnus ist und 61
62
Bestimmte Stücke werden speziell verwendet, um drohende Gefahren zu beschwören (ngruwat), siehe Wiryamartana 1977; über die Beschwörung von Rattenplagen siehe Becht 1939. Vgl. Anderson 1965, 8 f.
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daher den Krieg gewinnen wird. Er legt weiße Kleider an wie bei einer Totenfeier und begibt sich auf das Schlachtfeld, wo er nach tapferem Kampfe fällt. Kumbâkarnâ, dem Äußeren nach ein abstoßender Riese (im Gegensatz zu Wibisânà, der eine menschliche alus Gestalt hat), ist eine der meist geliebten Wayangñgmen und die Tragik seines Todes berührt die Zuschauer tief. Wer hat nun recht gehandelt, Wibisânâ oder Kumbâkarnâ? Derselbe Konflikt kommt im Brâtâyudâkrieg, dem Höhepunkt des Mahabharataepos, zum Austrag, wenn auch in weniger prominenter Weise. Hier handelt es sich um die Prinzen Sanjâyâ und Karnâ. Karnâ ist ein Halbbruder von Arjunâ, aber aus Dankbarkeit gegen den Kurâwâfiirsten Suyudânâ, der ihn von Kind an großgezogen hat, kämpft er auf Seiten der dem Untergang geweihten Kurâwâs. Kresnâ, der große Freund und Ratgeber der Pandâwâs und selbst eine Inkarnation Wisnus, versucht Karnâ zu überreden, sich auf die Seite der Pandâwâs zu schlagen. Aber unter Berufung auf seine Dankbarkeitspflicht gegenüber Suyudânâ weigert sich Karnâ. Darin liegt seine edle Gesinnung. Sanjâyâ dagegen geht zu den Pandâwâs über unter Berufung auf seine Überzeugung, daß die Tugend darin bestehe, sich für das Gute und Wahre einzusetzen. Sanjâyâ und Karnâ verteidigen entgegengesetzte Prinzipien. Beide fallen im großen Krieg. 63 Die springende Frage für uns ist nicht, wie der Konflikt zwischen beiden Prinzipien hätte gelöst werden sollen. Vielmehr stellt sich die Frage, in welchen Bezugsrahmen javanischer Ethik dieser Konflikt fällt. Mit anderen Worten, kann dieser Konflikt innerhalb der javanischen Ethik unter Berufung auf Prinzipien, also nicht nur exemplarisch, gelöst werden? Dazu müssen wir genauer auf den Gegensatz zwischen Pandâwâs und Kurâwâs, den beiden einander befeindenden Fraktionen im Mahabharata, eingehen (das Ramayana, auf Java selten aufgeführt, ist ethisch gesehen einfacher: es herrscht kein Zweifel darüber, daß Râmâ, eine Inkarnation Wisnus, die gute Partei vergegenwärtigt, der Unrecht geschehen ist, während Rahwânâ das moralisch Schlechte verkörpert und sich überdies durch die Entführung Sintâs ganz eindeutig ins Unrecht gesetzt hat; das javanische Weltbild wird jedoch vor allem durch das Mahabharata bestimmt). Der Gegensatz zwischen beiden ist an sich selbst schon ambivalent. Obwohl die Pandâwâs die edlen und die Kurâwâs die Schurken im Mahabharata sind, so dürfen sie doch nicht einfach mit Gut und Böse identifiziert werden. 64 Die Kurâwâs werden nicht kritisiert, weil sie an sich im Unrecht wären. Die moralische Bilanz zwischen beiden Parteien am Beginn des Brâtâyudâkrieges ist ziemlich ausgeglichen. Allerdings sind die Kurâwâs die schlechteren Ksatriyäs, was an sich schon ein ungutes Omen für sie ist: sie sind habgierig und herrschsüchtig, unbeherrscht und grob im Umgang und scheinen blind für warnende Vorzeichen des Schicksals zu sein. Aber auch die Pandâwâbriider sind keineswegs über alle Kritik erhaben. 63 64
Vgl. Brandon, 77 f. Vgl. C. Geertz 1969, 270.
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Fürst Yudistirâ, der Älteste, ist zwar von vollendeter Selbstbeherrschung, der Meditation ergeben und von so edler Gesinnung, daß sein Blut weiß fließt, aber er kann nicht nein sagen und stürzt durch seine Spielleidenschaft sich und seine Brüder ins Elend. Bimâ, der furchtbare zweite Pandâwâbruder, der mit seinen magischen Fingernägeln seine Gegner in Stücke reißt, ist von unbeirrbarer Ehrlichkeit, Loyalität, Schlichtheit und Gradlinigkeit, bringt aber eben durch diese Eigenschaften seine Brüder immer wieder überflüssigerweise in Schwierigkeiten. Arjunâ, der beliebteste der Pandâwâs, unbesiegbarer Kämpfer, Schützer der Schwachen und Verfolgten, aber von der physischen Zartheit eines Mädchens, kennt kein Mitleid und tötet kühlen Blutes im Bewußtsein seiner Pflicht. Kresnâ, mächtiger Freund der Pandâwâs und Inkarnation des Gottes Wisnu, ist ein skrupelloser Lügner, der nicht zögert, die Regeln ritterlichen Kampfes zu übertreten, wenn das für den Sieg der Pandâwâs notwendig erscheint; im Gegensatz zu den Kurâwâs aber ist er gerechtfertigt, da das was er tut, mit dem Willen der Götter, die Kurâwâs zu vernichten, übereinstimmt und da er selbst göttlichen Ursprungs ist. 65 Ein Verhalten, das bei den Kurâwâs als Zeichen ihrer Falschheit kritisiert wird, etwa wenn sie Bimâ auf die Suche nach dem Wasser des Lebens aussenden in der Absicht, ihn dabei umkommeen zu lassen, wird bei Kresnâ akzeptiert, weil es den Pandâwâs nützt. Die Waagschalen sind eindeutig zu gunsten der Pandâwâs gelastet. Obwohl Karnâ seine Treue gegenüber den Kurâwâs zur Tugend angerechnet wird, so läßt der Fortgang der Handlung doch den Schluß zu, daß letztlich Sanjâyâ (und Wibisânâ) richtig gehandelt haben. Denn indem die Pandâwâs, die moralisch anrüchige Unterstützung zurückweisen müßten, seine Hilfe annehmen, rechtfertigen sie ihn, nicht Karna. Es gibt keinen Fall eines gerechtfertigten Übertritts von den Pandâwâs zu den Kurâwâs. Wie Brandon richtig bemerkt, 66 wird den Pandâwâs allein aufgrund der Tatsache, daß sie die Pandâwâs sind und von den Göttern die Bestimmung erhalten haben, zu siegen, eine gewisse Freiheit in der Auswahl ihrer Mittel zur Erreichung des Sieges zugestanden, während dasselbe den Kurâwâs verwehrt scheint. Dieser Sachverhalt wird dem Javaner dadurch begreiflich, daß er ihn nicht auf den Hintergrund einer absoluten Prinzipienmoral projiziert, sondern im Rahmen des takdir, der göttlichen Vorherbestimmung, begreift. Danach hat jeder seinen Ort im Ganzen, und jeder hat seine eigene Aufgabe und daher seine eigene Moral, die ihm durch Rang und persönliches Schicksal zugewiesen wird. Es ist daher auch nur zu erwarten, daß den Pandâwâs mehr erlaubt ist als den Kurâwâs. Für das Verständnis der javanischen Moral ist aber nicht so sehr die Frage interessant, warum den Pandâwâs mehr durchgesehen wird als den Kurâwâs (nämlich weil es ihrer vom Schicksal bestimmten Rolle entspricht), sondern 65 66
Vgl. Anderson 1965, 14. Brandon, 70; 78.
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daß es überhaupt so verschiedene moralische Rollen gibt. Letztlich hat jede Wayangügur ihre eigene Lebensregel, und was für die eine erlaubt ist, ist es nicht notwendig für die andere. Jede Wayangñgur „ist in vollem Maße als Teil der Wayangwelt akzeptiert, die ihrerseits als Modell für javanische Lebensführung angesehen wird."67 Dem Javaner stehendaher von Kind an eine große Zahl moralischer Identifikationsmöglichkeiten zur Verfügung, aus denen er sich ein zu ihm passendes Modell wählen kann, von dem er sicher annehmen darf, daß es innerhalb der javanischen Gesellschaft grundsätzlich akzeptiert wird. Das bedeutet nicht, daß alle Modelle bewunderungswürdig wären : Aber gerade, weil in den lakons eine reiche Palette moralischer Schattierungen zum Zuge kommt, finden auch die tadelnswerten Typen einen Platz im Ganzen. Im Gegensatz zu westlichen Moralen, in denen das Böse nicht sein soll und der ideale Zustand ein Zustand ist, in dem es keine bösen Menschen gibt, hat in der javanischen Welt auch das moralisch Tadelnswerte seinen Platz.68 Daß das moralisch Tadelnswerte seinen Platz in der javanischen Gesellschaft hat, findet der Javaner am anschaulichsten durch die Tatsache vorgeführt, daß es im Mahabharata nicht ohne die Kurâwâs geht. Die Spannung des Mahabharata, seine gesamte Dynamik, beruht auf dem Vorhandensein der Polarität von Pandâwâs und Kurâwâs. Beide sind erforderlich, um die Stabilität, also die Harmonie des Ganzen sicherzustellen. Es kann also (im Unterschied zum monistischen Ramayana, das aber, wie gesagt, auf Java — anders als auf Bali — keine große Popularität genießt) keineswegs darum gehen, die Kurâwâs zu vernichten und eine Kurâwâ-freie Welt des Friedens aufzubauen. Und zwar nicht nur in dem trivialen Sinn, daß ohne die Kurâwâs nichts mehr zu bekämpfen wäre. Es gibt im Rahmen des Mahabharata eine große Zahl sogenannter lakon carangan. Die lakon carangan („Zweigstükke") sind Stücke, die später zu den ursprünglichen, den Kern der Mahabharatageschichte enthaltenden lakon pokok („Stammstücken") hinzugekommen sind. Von den 149 heute bekannten lakons sind 117 carangan.69 In den lakon carangan treten zwar die Personen des Mahabharata auf, doch haben die Handlungen nichts mit dem Brâtâyudâkrieg, dem dramatischen Abschluß des Mahabharata, zu tun. Der Konflikt zwischen Pandâwâs und Kurâwâs tritt kaum in Erscheinung. Die meisten lakon carangan spielen in dem einen fröhlichen Jahr, in dem die Pandâwâs eine glückliche und sorgenfreie Herrschaft in Ngamartâ genossen, wenig belästigt von den Kurâwâvettern in der Hauptstadt Ngastinâ (während sich der ganze· Mahabharatazyklus über eine Periode von sechs Generationen erstreckt). Diese Art von lustigen lakons, in denen die Pandâwâs allerhand Abenteuer bestehen, könnten an sich auch nach der Beendigung der Brâtâyudâkrieges spielen, doch gibt es kein einziges 67 68 69
Anderson 1965, 24. Anderson 1965, 26f. Von den von Kats, 446 f., aufgeführten 149 Stücken sind nur 32 pokok, die restlichen sind carangan, Brandon 12.
Wayangmoral
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lakon carangan für diese Periode. Es ist, als ob die gesamte Lebenskraft der Pandâwâs mit der Vernichtung der Kurâwâs leergelaufen sei. Umgekehrt kommt den lakons, die über den Brâtâyudâjâyâbinangun, den entscheidenden großen Krieg zwischen den Pandâwâs und den Kurâwâs gehen, in dem die Kurâwâs vernichtet werden, eine große und bedrohliche magische Potenz zu. Sie werden daher selten aufgeführt, denn sie könnten zu gesellschaftlichen und kosmischen Katastrophen führen. 70 Die Geschichte des Mahabharata endet bekanntlich damit, daß die Pandâwâs, nachdem alle 99 Kurâwâbriider gefallen sind, sich aus der Welt auf den Götterberg Mahameru zurückziehen; auf dem Weg dorthin kommen alle, mit Ausnahme Yudistirâs und seines Hundes, vor Erschöpfung um. Mit dem Ende des großen Krieges haben die Pandâwâs alle ihre Vitalität verloren. Es gibt kein einziges lakon, in dem der Triumpf der Pandâwâs gefeiert würde. Mit anderen Worten, nachdem die Pandâwâs die Kurâwâs vernichtet haben, sind auch sie erledigt. Es geht also nicht ohne Gut und Böse, ohne Rechts und Links (die Kurâwâs sind die Linken, weil sie auf dem Wayangschkm links vom dalang aufgestellt werden). Interessant ist, daß nach dem Prosa werk Korawasrama aus dem 15. Jahrhundert die Kurâwâs nach dem Ende des großen Krieges wieder zum Leben erweckt werden, und der Konflikt aufs neue beginnt; denn „wie kann es (in der Welt) gut geregelt sein, wenn es keine Korawas und Pandawas mehr gäbe. Sie sind ja der Inhalt der Welt." 71 Übrigens hat diese Auffassung von der Notwendigkeit einer Polarität eine Entsprechung in der javanischen politischen Philosophie. Danach lösen sich Zeiten des Chaos (jaman édan) und Zeiten des Friedens (jaman emas) unter einem gerechten König (ratu adii) in unaufhörlichem Rythmus ab. Vermutlich war es die Scheu vor den gefährlichen Potenzen einer Aufführung des Brâtâyudâkrieges, vielleicht auch die inhärente Tragik des ganzen Mahabharataepos, die zur Entstehung der erwähnten lakon carangan geführt haben. Hier konnte sich das Publikum an den Heldentaten seiner Pandâwâlieblinge ergötzen, ohne sofort an kosmische Konflikte erinnert zu werden, deren Realität dem Javaner in den Konfíkten seines eigenen Lebens nur zu deutlich bewußt war. In diesem Zusammenhang verdient eine Gruppe des ja70
71
Niels Mulder (1978,32) entnehme ich, daß am Abend des 30.11.1957 in Yogya im Rahmen einer der überaus seltenen Aufführungen des aus zwölf lakons bestehenden Brâtâyudâ-krieges das Stück „Karno stirbt" zur Aufführung kam; am selben Abend warfen im sog. Cikiniattentat in Jakarta Anhänger des Danil Islam fünf Granaten auf Präsident Soekarno, der im Volke Bung (= Bruder) Karno genannt wird. Ebenso schockierend muß es auf die tausende von Zuschauer gewirkt haben, als bei einer neuerlichen Aufführung des Brâtâyudâzyklus in Yogyakarta im exakten Augenblick des Todes von Abimanyu Yogyakarta von einem starken Erdbeben erschüttert wurde, Hood 1963,444f. Sri Mulyono schreibt in seinem Buch über den Wayang, daß er als Kind oft gehört habe, da sei ein Kampung abgebrannt, dort in einem Dorfe eine Katastrophe passiert, ein Fluß über seine Ufer getreten oder ein Vulkan explodiert, nachdem in dem entsprechenden Kampung gerade eine Brâtáyudá-Aufführung gegeben worden war. Mulyono 1975, 240f. Zoetmulder 1965, 278.
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Koordinaten der javanischen Moral
vanischen Wayangspieis unsere Aufmerksamkeit, die Riesen (buta). Diese kommen im indischen Epos nicht vor, sie sind javanische Schöpfungen und treten vor allem in den lakon carangan auf. Sie sind wilde, unkultivierte Gesellen von „Ubersee" (sabrangan), die die Pandâwâs (und manchmal auch die Kuràwâs) attackieren und unweigerlich getötet werden. Gegenüber den Pandâwâs, den Prototypen des ksatriyà alus (des edlen Ritters) sind sie der Inbegriff des kasar selbst. Brandon hat meines Wissens als erster auf die merkwürdige Tatsache verwiesen, daß diese Riesen keine Namen haben (ihre „Namen" wie „Cakil" oder „Terong" charakterisieren nur ihr Äußeres; dieselben Figuren treten in verschiedenen lakons unter verschiedenen Namen auf), keine Königreiche und keine Genealogien. Im Unterschied zu den Kurâwâs, die einmal gefallen eben für den Rest des Mahabharatazyklus tot sind, treten die in jedem lakon getöteten Riesen im folgenden immer wieder auf; sie gaben keine Identität, keine Lebensgeschichte, sie sind bloße Figuren, tun stets dasselbe und werden stets umgebracht. In der javanischen Mythologie haben sie keinen Platz, ihre einzige Funktion besteht darin, innerhalb der strengen Szenenfolge einer Weyangaufführung für bestimmte Szenen herzuhalten. 72 Während der Tod der Kuwâwâs zu den mythisch tragischen und magisch potenten Szenen gehört, ist es die Hauptfunktion der Riesen, nach lustig fröhlichem Kampf getötet zu werden. Ich kann mir das nur so erklären, daß diese Riesen ebenso wie die lakon carangan erfunden wurden, um von der düsteren Tragik des Mahabharata ein wenig abzulenken. Indem man in den Riesen ein unmenschliches Gebilde von Übersee schuf, das also (im Gegensatz zu den Kurâwâs) nicht der javanischen Welt und damit überhaupt der menschlichen Kultur angehörte, schuf man Figuren, deren einzige Funktion es war, die Überlegenheit des javanischen Menschen durch Kontrastwirkung ans Licht zu setzen. Hier bestand keine kosmische Polarität. Der Riese gehört nicht der javanischen Welt an und konnte daher nach Herzenslust umgebracht werden. Möglich ist auch, daß damit eine symbolische Reinigung des vom Menschen kultivierten Lebensraumes von den chaotischen Kräften der wilden Natur intendiert ist. Als nicht menschliche Figuren sind die Riesen auch keine möglichen Identifikationsmodelle für Javaner.
72
Vgl. Brandon, 27-29.
Sechstes Kapitel EINIGE SONDERFRAGEN Nachdem ich die allgemeinen Koordinaten javanischer Moral dargestellt habe, sollen in diesem Kapitel vier untereinander nicht verbundene Sonderfragen behandelt werden. Diese sollen dazu dienen, die bisher gewonnenen Ergebnisse einerseits zu exemplifizieren, andrerseits kritisch zu überprüfen, gegen Fehlinterpretationen abzusichern und gegenenfalls zu präzisieren. Zuerst weise ich auf die Familie als den Ort hin, an dem der Javaner relativ frei von äußeren und inneren Zwängen die moralischen Tugenden und Grundwert? — die dann wieder durch die Harmonieprinzipien relativiert werden — erlernt. Sodann soll anhand der javanischen Sexualmoral überprüft werden, wie sich die Ethik gesellschaftlicher Harmonie in einem bestimmten Verhaltensbereich auswirkt, der nicht selten als Prototyp eines von deontologischen Normen geordneten Bereiches gilt. Sodann möchte ich am Beispiel der Möglichkeit Schwarzer Magie die Grenzen der javanischen Auffassung von der Selbstlegitimierung kosmischer Macht abtasten. Als viertes soll eine Figur aus dem Wayangiepertoire vorgestellt werden, die alles Uber die moralischen Implikationen des Gegensatzes von alus und kasar Gesagte zu relativieren scheint.
1. Familie, Familiarität und Respekt Wie bereite dargestellt wurde, wird das gesellschaftliche Verhalten des Javaners durch die Prinzipien der Kopfliktvermeidung und des Respektes bestimmt. Die Gesellschaft übt einen ununterbrochenen Druck auf den Einzelnen aus, sich diesen beiden Prinzipien entsprechend zu verhalten. Dieser Druck von außen wird von innen durch isin- und s«ngA:an-Gefühle abgestützt. Also durch Gefühle des sich Schämens und sich Genierens. Beide Prinzipien verlangen die Fähigkeit, die eigenen Antriebe ständig unter Kontrolle zu halten. Natürliche Impulse unterliegen scharfen Inhibitionen. Ebenso fordern die Prinzipien, daß der Einzelne seine eigenen Urteile und Wertungen von vornherein unter den Vorbehalt der gesellschaftlichen Zustimmung und der Vereinbarkeit mit den gegebenen Autoritätsverhältnissen stellt. Diese gesellschaftlichen Forderungen und psychologischen Zwänge
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Sonderfragen
werden moralisch dutch eine sepi-ing-pamrih- und ramé-ing-gawé-Ethik flankiert: man sollte stets die Haltung der Bereitschaft zum Verzicht auf die Durchsetzung der eigenen Interessen pflegen und im übrigen die einem durch seine Stellung in der Gesellschaft angewiesenen Pflichten treu erfüllen. Wir haben ferner gesehen, daß diese Moral auf dem Hintergrund der deskriptiven Überzegungen, die die javanische Weltanschauung bilden, den wirklichen Langzeitinteressen der Individuen entspricht und somit als vernünftig anzusehen ist. In der javanischen Gesellschaft steht daher das Individuum unter einem ständigen Druck, seine spontanen Antriebe zu kontrollieren und sich heteronomen Autoritäten anzupassen. Der einzige Raum, in dem er davon — relativ —frei ist, ist die Familie. Sie ist der Ort, in dem der Javaner er selber sein kann, in dem er sich frei und geborgen fühlt, in dem er seine Antriebe am wenigsten inhibieren muß und es da, wo das doch erforderlich ist, nicht als Heteronomie empfindet. Die Familie ist daher ein Faktum, das für die javanische Moral von besonderer Bedeutung ist. Sehen wir uns zunächst die Situation in der Familie an. Die Familie ist für das javanische Individuum ein Hort der Sicherheit und eine Quelle der Geborgenheit. Das gilt in erster Linie von den Eltern. Sie sind die primäre Quelle des leiblichen und seelischen Wohlbefindens des Kindes, von ihnen empfangt es Gutes und ihnen verdankt es seine Stellung in der Gesellschaft. Sie schenken dem Kinde ihre Liebe und alles, was es nötig hat, ohne zu messen und ohne Vorbedingungen. Stets sind sie bereit, ihm seine Irrtümer und Streiche zu verzeihen und in allen Lebenslagen bleiben sie ihm ein Fels der Sicherheit. Der einfache Javaner fühlt, daß es für die physischen Eltern einfach keinen Ersatz gibt.1 Dieses Idealbild ändert sich allerdings insofern, als der Vater, wenn das Kind größer wird, aus dem engsten familiären Umkreis ausscheidet und zur Respektsperson wird, der dann das heranwachsende Kind, besonders die Söhne, immer ferner stehen. Die Mutter wird geliebt, zum Vater besteht ein emotionell eher kühles Respekts Verhältnis.2 Auch im Verhältnis von Mann und Frau stimmt die Wirklichkeit nicht mit dem Idealbild überein, das in der javanischen Gesellschaft von diesem Verhältnis gezeichnet wird. Danach ist der Vater das weise Haupt und der mächtige Beschützer von Frau und Kindern, er besorgt ihren Lebensunterhalt, an ihm finden sie ihre Stützte. In Wirklichkeit dominiert eher die Frau, sie ist das Zentrum der Familie, führt im Allgemeinen die Kasse, trifft die Entscheidungen über Schulausbildung, Berufs- und Gattenwahl der Kinder, und in Krisenzeiten, Naturkatastrophen, wirtschaftlichen Schwierigkeiten usw. ist es eher die Mutter, die die Familie durchbringt. Der Vater dagegen spielt eine verhältnismäßig marginale Rolle. Im Falle einer Scheidung ist er derjenige,
1 2
Jay 1969, 98. Jay 1969, 105-110.
Familie
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der die Familie verläßt.3 Bemerkenswert ist Jays Beobachtung, daß Frauen im Unterschied zu den Männern, die meist versuchen, sich nach den angemessenen Formen der Höflichkeit zu benehmen, wohl um dadurch ihre eigene emotionelle Unsicherheit zu überwinden, viel weniger Hemmungen haben, grob zu werden, mit lauter Stimme zu schimpfen und ihrem Ärger Ausdruck zu geben, was ihre Männer, sind sie Gegenstand eines solchen Ausbruchs oder müssen sie ihn mitansehen, mit gepeintem Schweigen über sich ergehen lassen.4 Jay fiel jedoch auf, daß in privaten Gesprächen recht deutlich zum Ausdruck kam, daß vor allem jüngere Ehemänner eine intime, gelöste, warme und dauerhafte Kameradschaft in der Ehe ersehnen, auch wenn das in Wirklichkeit oft nicht erreicht wird (möglicherweise, so vermutet Jay, ist die hohe Zahl der Ehescheidungen unter javanischen Paaren auch auf die Enttäuschung über den Spalt zwischen den Erwartungen von der Ehe und ihrer emotionell unterkühlten Wirklichkeit - wegen der marginalen Position des Mannes - zurückzuführen).5 Zwischen Schwestern und zwischen älteren Schwestern und jüngeren Brüdern herrscht eine Atmosphäre inniger Vertrautheit. Die ältere Schwester ist ihren jüngeren Geschwistern gegenüber eine zweite Mutter (Jay erzählt von einem Fall, wo ein solches Verhältnis in dem Moment seine Intimität verlor, als die ältere Schwester heiratete: jetzt mußte der jüngere Bruder ihr gegenüber Respektshaltung einnehmen, was unmittelbar dadurch zum Ausdruck kam, daß er sie nicht mehr im Niederjavanisch [ingoko] anreden konnte). 6 Umgekehrt ist der ältere Bruder für seine jüngeren Schwestern der unbestrittene Held, dem uneingeschränkte Bewunderung, Respekt und Anerkennung gezollt wird. Die Beziehung zwischen älterer Schwester und jüngeren Geschwistern bleibt (trotz Jays Beispiel) das ganze Leben hindurch warm und zwanglos. Dagegen herrscht zwischen Brüdern meist eine mehr oder weniger starke Spannung, und sie versuchen, sich gegenseitig aus dem Wege zu gehen. 7 Die Familie versucht, dem Kind nach Möglichkeit Frustrationserfahrungen zu ersparen. Das Entwöhnen ist für die Mutter immer ein Problem, weil sie es fast nicht übers Herz bringt, ihrem Kind die Brust zu verweigern.8 Das den Forderungen der Gesellschaft entsprechende Verhalten wird nicht durch Tadel oder Liebesentzug von Seiten der Familienmitglieder sanktioniert, sondern durch Hinweis auf Gefahren von Außen, von Hunden, Fremden, Gespenstern usw. wodurch das Kind noch mehr in die Familie als den Hort seiner Geborgenheit eingebunden wird. Im übrigen gilt das kleine Kind oh3 4 s 6 7
8
Jay 1969, 8 9 - 9 2 . Jay 1969, 93. Jay 1969, 91. Jay 1969, 120. Vgl. Jay 1969, 118-122; Jay schreibt: „I have often seen a teen-age boy leave the room when an older brother appears, and the patterns of avoidance reveal occasional flashes of hostility", 121. H. Geertz 1961, 106.
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Sonderfragen
nehin als noch nicht zum Gebrauch der Vernunft gelangt („durung ngerti"), und es ist daher auch sinnlos, es zwingen zu wollen, ein Verhalten zu zeigen, zu dem ihm die Voraussetzungen fehlen, oder es für Fehler zu bestrafen, deren Fehlerhaftigkeit über seinen Horizont gehen. Eltern sind daher ihren Kindern gegenüber überaus geduldig und es kommt normalerweise nicht vor, daß die Mutter sich über es aufregt oder entrüstet. Nur wenige Inhibitionen spontaner Antriebe werden dem Kinde von der Familie als solcher auferlegt. Zum Beispiel wird von älteren Geschwistern kompromißlos verlangt, daß sie den Wünschen der jüngeren Geschwister nachgeben: in dieser Atmosphäre warmer Nähe lernt der Javaner zum ersten Mal, daß man seine eigenen Wünsche unterdrücken muß, um Konlikte zu vermeiden, und zugleich, darüber nicht allzu enttäuscht zu sein.9 Die Familie ist daher, wenn auch mit einigen Einschränkungen, was die Rolle des Vaters und das Verhältnis zwischen Brüdern angeht, der Raum, in dem das javanische Individuum gelöst und frei von Zwängen gesellschaftlicher Etikette leben kann. In der Familie sollten die gegenseitigen Beziehungen von Liebe (tresna) getragen sein, und tresna ist daran zu erkennen, daß man sich voreinander nicht schämt oder geniert, daß man sich nicht isin fühlt. Für das javanische Empfinden ist daher der psychologisch bedeutendste Gegensatz derjenige zwischen Familiarität (tresna) und Respekt (urmat). Er fühlt sich da wohl und geborgen, wo er frei von Kwujr-Zwängen ist und eine Atmosphäre der Familiarität herrscht. In annähernd idealer Weise spendet nur die Kernfamilie diese Atmosphäre. Doch gibt es darüber hinaus noch weitere Kreise, die in abnehmendem Maße durch Vertrauen und Familiarität (und entsprechend in zunehmendem Maße durch die Forderungen des Respektsprinzips) bestimmt sind. Abgesehen von der Kemfamilie sind es die Verwandten zweiten Grades, auf die sich das Individuimi vor allem verlassen kann. Nahen Verwandten in der Not zu helfen ist eine selbstverständliche moralische Verpflichtung.10 Ist die Familie nicht in der Lage, die Schulausbildung eines hoffnungsvollen Sprößlings zu bezahlen, so kommt Verwandtschaftssolidarität ins Spiel: die nächste Verwandtschaft ist nicht selten zu schweren Opfern bereit, um dem Familienstolz die Fortführung seiner Ausbildung zu ermöglichen, wobei auch die Hoffnung eine Rolle spielt, später an dem Prestige teilzuhaben, das den so geförderten umkleiden wird, wenn er eine hohe Stellung erreicht hat. 11 Wie Jay bemerkt, spielen Verwandtschaftsbziehungen zweiten Grades eine außerordentlich wichtige Rolle in der Ökonomie des Dorfhaushaltès.12 Zu diesem Kreis gehören die Geschwister der Eltern sowie die Kinder der eigenen Geschwister. Auch die Großeltern spielen eine große Rolle als Hort materieller Zuwen9 10 11 12
H. Geertz 1961, 105-109. H. Geertz 1961, 26f. Vgl. Selosoemardjan 368. Jay 1969, 159.
Familie
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düngen und esoterischer Weisheit für das Kind.13 Zeichen des besonderen Verhältnisses zwischen engen Verwandten ist der Austausch von gekochtem Essen sowie von Vergebung und Segen; und während bei Festen die Geldspenden, bzw. Arbeitsleistungen, die der Besucher mitzubringen hat, genau vermerkt werden und bei sich bietender Gelegenheit zurückzuzahlen sind, ist solche Hilfe zwischen engen Verwandten stets einseitig.14 Schließlich gehört auch die engere Nachbarschaft in den Kreis derjenigen, von denen der Javaner in Not Hilfe erwarten darf. Dorfsolidarität hat für den Dorfbewohner einen hohen Gefühlswert. Man fühlt sich als eine große Kernfamilie. Die Verpflichtung, dieses den Familienverhältnissen nachempfundene Verhältnis aufrecht zu erhalten, ist sehr stark. Ein physischer Streit zwischen Dorfgenossen wird sofort durch andere Dorfgenossen abgebrochen und auf die Betroffenen unter Hinweis auf die /-ufcurc -Verpflichtung eingewirkt, sich gütlich zu einigen. Es sind vor allem drei Werte, die der Javaner in guten Nachbarschaftsbeziehungen verwirklicht findet: (1) den gegenseitiger Hilfe. So hilft man sich beim Bau eines Hauses (wobei die aufgewendete Arbeitszeit vermerkt wird und der Nutznießer sie bei Gelegenheit wiedererstatten muß), 1 5 Dorfgenossen muß als erstes die Möglichkeit gegeben werden, auf Feldern anderer Dorfgenossen zu arbeiten und an der Ernte teilzunehmen. 16 Auch kleinere Mengen von Bargeld, eine Drucklampe oder Stühle muß man Nachbarn ausleihen. (2) Die Dorfgemeinschaft bietet jedem Dorfgenossen die Möglichkeit, von den anderen in seiner Bedeutung anerkannt zu werden. Dazu gehört der gegenseitige Austausch von Speisen, zum Beispiel an den letzten zehn Tagen des Fastenmonats Rhamadan, sowie die Teilnahme an den Festen der Nachbarn, zu denen man durch Arbeitskraft und Geld beiträgt. Teilnahme an Begräbnissen in der Nachbarschaft ist obligatorisch.17 (3) In diesen verschiedenen Formen nachbarschaftlicher Beziehungen sieht der Dorfbewohner die Realisation eines Wertes, der ihm besonders viel bedeutet, den der Gleichheit aller Dorfbewohner untereinander. Unterschiede an materiellem Reichtum, Bildung und gesellschaftlicher Position verlieren idealerweise im Dorf ihre Bedeutung, und die oben genannten Formen der Dorfsolidarität verwirklichen - wiederum idealer Weise - dieses Ideal. Im Dorf ist man einfach Nachbar, man steht auf gleich und gleich miteinander. Je offenbarer diese Gleichheit zum Ausdruck kommt, desto wohler und entspannter fühlen sich die Dorfbewohner. 18 Die Familie und in abgeschwächteren Maße auch die engere Verwandtschaft und die Nachbarn im Dorf sind der Raum, in dem der Javaner sich si13 14 15 16 17 18
Jay Jay Jay Jay Jay Jay
1969, 1969, 1969, 1969, 1969, 1969,
157-162. 174-176. 226 f. 259. 212-221, 227, 267-269. 237-260.
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Sonderfragen
cher fühlt, wo er in einer Notlage aufgefangen würde und wo er emotionellen Frieden erfährt. Die Familie ist daher auch der Raum, in dem grundlegende soziale Tugenden am meisten zu Zuge kommen, darunter solche Tugenden, die in der weiteren Gesellschaft durch rukun-Druck und Respektsverhältnisse oft in den Hintergrund gedrängt werden. Dazu gehören Ehrlichkeit und Gerechtigkeit. Da man sich in der Familie nicht isin (verlegen) fühlt und da man stets der Unterstützung durch die Eltern gewiß ist, muß man in ihr seine Gefühle nicht verheimlichen und kann Regungen der Freude, der Trauer, der Enttäuschung und des Desinteresses zumindest als Kind spontan Ausdruck verleihen. Das Kind braucht sich in der Familie nicht in Acht zu nehmen, es kann sein Gesicht nicht verlieren. Auch wenn mit wachsendem Alter auch innerhalb der Familie „javanisches" Verhalten gefordert wird, so müssen diese Erfahrungen aus der früheren Kindheit starke normative Bilder zurücklassen. Gerechtigkeit wird innerhalb der Familie nicht in einem formal abstrakten Sinn geübt, sondern konkret so, daß jedem nach seinen Bedürfnissen an den Möglichkeiten der Familie Anteil gegeben wird, und wenn die Familie zum Beispiel für die Ausbildung eines besonders begabten Kindes schwere Opfer gebracht hat, dann darf sie ihrerseits hoffen, daß sich dieses später daran erinnert und seiner Familie an seinem Ansehen und Reichtum Anteil geben wird. Bei Erbteilungen wird darauf geachtet, daß den konkreten Bedürfnissen der verschiedenen Hinterbliebenen Rechnung getragen wird. Die Familie ist der Ort, wo spontane Hilfsbereitschaft wächst. Hier kann sich jeder unbedingt auf seine Mitmenschen verlassen. Nie wird man allein gelassen. Hier entwickelt der Javaner die Tugenden des Mitleids, der Güte, der Großherzigkeit, der Anteilnahme an den Sorgen anderer, der sozialen Verantwortlichkeit. Hier lernt er, Opfer für andere zu bringen und darin etwas Wertvolles zu sehen. In der Familie wird der Sinn vonsepi-ing-pamrih erlebt, des Verzichtes auf die rücksichtslose Durchsetzung der eigenen Interessen. Denn nur der Verzicht auf blanken Egoismus ermöglicht das gegenseitige sich Stützen und Geborgenfühlen in der Familiengemeinschaft, aus der der Javaner sein Gefühl des slamet, des ruhigen inneren Friedens gewinnt. So ist die Familie idealerweise der Ort, an dem der Javaner frei von äußeren und inneren Zwängen seine Sozialität und darin seine Individualität entwickeln kann. Gerade weil er in der großen Gesellschaft unter dem psychischen Druck steht, stets seine wahren Gefühle verbergen und gegebenen Respektsbeziehungen Rechnung tragen zu müssen, wird die Familie zur Oase der Freiheit von innerem Druck und zum Ort, wo er soziale Tugenden in Übereinstimmung mit seinen Gefühlen und seinen Einsichten üben kann. Die Familie ist daher auch der Ort, in dem das Individuum seine Autonomie erfährt, der Ort maximaler sozialer Eingebundenheit bei einem Minimum von Heteronomie. Während ihm außerhalb des Familienbereiches gesellschaftskonformes Verhalten heteronom durch Druck aufgezwungen, wenn auch in seiner Weltanschauung ideologisch gerechtfertigt wird, fungiert die
Sexualmoral
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Familie als Ort erfahrener Autonomie, wo das Individuum es selbst sein kann. Es besteht also eine Spannung, wenn auch kein formaler Gegensatz zwischen allgemeinersepi-ing-pamrih- undramé-ing-gawé-Moial einerseits und der Moral im Raum der Familie andrerseits. Im gesellschaftlichen Raum wird alles von den Respektsverhältnissen bestimmt, in der Familie von einer Atmosphäre gelöster Familiarität. In der Familie kann ein Konflikt zwischen rukun und individuellem Verantwortungsbewußtsein kaum auftreten, und auch Triebversagungen im Rahmen der Familie werden i. A. unmittelbar als sinnvoll erfahren. Die sepi-ing-pamrih-Moral ist zwar theoretisch durch die deskriptiven Überzeugungen der javanischen Weltanschauung gedeckt, kann aber in der Praxis ein Verhalten fordern, das in Spannung zu spontanen Gefühlen moralischer Redlichkeit und Verantwortung steht. Umgekehrt entwickelt sich in der Familie ein praktisches Moralempfinden von großer Tiefe, das keiner theoretischen Abstützung bedarf. Dieses kann sich allerdings in der konkreten Befindlichkeit des erwachsenen Javaners gegenüber der sepi-ing-pamrih Moral nicht durchsetzen, da es nur in den ersten fünf Lebensjahren uneingeschränkt zum Zuge kommt, während danach die Forderung nach Respekt und nach Unterdrückung spontaner Regungen bis in den Familienbereich hinein — Verhältnis zum Vater — das gesamte Lebensgefühl immer mehr bestimmt und nur eine nostalgische Erinnerung an den Frieden in der Familie zurückbleibt. Andrerseits bietet diese Spannung die Möglichkeit einer Weiterentwicklung javanischer moralischer Praxis, die ja wohl auch deshalb irgendwie notwendig werden wird, weil die theoretische javanische Weltanschauung im Zuge der fortschreitenden „Modernisierung" immer mehr an Kraft zu verlieren scheint.
2. Javanische Sexualmoral Als Ausgangspunkt kann uns das Faktum dienen, daß Geschlechtsverkehr von der javanischen Gesellschaft nur im Rahmen der Ehe toleriert wird. Wird ein Paar entdeckt, das unerlaubterweise zusammenschläft, so führt das in der Nachbarschaft zu einem Sturm der Aufregung. Gewöhnlich werden einige Dorfbeamte oder öfter noch eine Gruppe junger Männer zu dem Hause beordert, in dem sich das Paar aufhält, um es zu stürmen. Das Paar wird öffentlich verunglimpft und nicht selten dazu gezwungen, auf der Stelle zu heiraten und, falls sie bereits verheiratet waren, sich von ihren Ehepartnern scheiden zu lassen, (was nach islamischem Gesetz keine Schwierigkeiten bereitet). Solche erzwungenen Ehen führen allerdings oft in kurzer Zeit zur Scheidung, der dann keine besonderen Schwierigkeiten in den Weg gelegt werden. 19 Wird ein javanisches Mädchen außerhalb der Ehe schwanger, so gilt die Si19
H. Geertz 1961, 71.
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Sonderfragen
tuation zwar als peinlich, aber nicht als hoffnungslos; wenn es gelingt, das Mädchen zu verheiraten, bevor das Baby geboren wird, entsteht wenig Skandal. In einer solchen Situation muß der Vater oft einen Mann bezahlen, daß er seine Tochter heiratet.20 Die javanische Gesellschaft tendiert zur Prüderie. In der Öffentlichkeit dürfen sich ein Mann und eine Frau nicht alleinsehen lassen. Bei Dorffesten sitzen Männer und Frauen getrennt. Daß Mädchen mit Jungen herumspazieren, kommt nicht vor. Frauen und Mädchen gehen grundsätzlich nicht allein aus, sondern immer zumindest zu zweien.21 Der Grund dafür scheint weniger in der Befürchtung zu liegen, daß ein Mädchen allein belästigt werden könnte, als in der Annahme, daß es selbstverständlich mit dem nächstbesten jungen Mann zusammenschlafen würde, ließe man es unbeaufsichtigt. Wie Jay bemerkt, nimmt die Dorfbevölkerung als selbstverständlich an, daß ein junger Mann und ein Mädchen, sind sie unbeaufsichtigt zusammen, miteinander schlafen. Dahinter scheint die Auffassung zu stehen, daß der Einzelne, losgelöst vom Druck seiner Umgebung, in diesem Falle also, wenn er unbeaufsichtigt bleibt, keine Mittel zur Verfügung hat, um seine Instinkte zu beherrschen, eine Auffassung, die ja auch der javanischen Weise der Disziplinierung des Kindes zugrunde liegt, die nicht durch Erziehung zur Verantwortung, sondern durch Hinweis auf die Kritik der Umwelt bewerkstelligt wird.22 Zwar gelingt es Jungen und Mädchen, flüchtige Kontakte miteinander zu unterhalten. Aber wegen dieses allgemeinen Mißtrauens ist es für den jungen Mann schwierig, um ein Mädchen zu werben oder gar mit ihm zu flirten. Gewöhnlich geschieht das nur kurz und direkt im Hinblick auf eine bereits abgesprochene Eheschließung. Jungen und Mädchen haben kaum Gelegenheit, einander vor der Ehe kennenzulernen,23 was einer der Gründe für die hohe Scheidungsrate unter den Javaner zu sein scheint. Da die erste Ehe meist von den Eltern zusammengestellt ist, paßt ein beachtlicher Prozentsatz der Paare nicht zusammen; ist das der Fall, so besteht gesellschaftlich kein Druck, die Ehe über längere Zeit hin fortzusetzen; es kommt zur Scheidung und danach können beide einen Partner ihrer eigenen Wahl heiraten. Bemerkenswert ist, daß das Thema möglicher Ehescheidung ohne Verlegenheit auch vor Dritten unter Eheleuten besprochen wird.24 Während das Mädchen einige, wenn auch nur wenig genaue Informationen 20 21 22
23 24
H. Geertz 1961, 70 f. Jay 1969, 43, 129. Mulder 1978,44. Einen bemerkenswerten Einblick in diese Auffassung von Erziehung und sozialer Disziplinierung gewährt, wie ein Dorbantri Robert Jay den Wert religiöser Erziehung erklärte (eine Auffassung, die abgesehen von der Überzeugung vom Wert orthodoxen Islams ebenso für die abangan gelten dürfte): „Children need the moral selfcontrol that comes from a religious school, otherwise when they grow up they will have no brake, they will just run wild and hurt themselves . . . A child without religious prohibitions is like a bicycle without brakes," Jay 1963,83. Jay 1969, 43. Jay 1969, 65, 101.
SexualmoraJ
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über die Geheimnisse des ehelichen Lebens von ihrer Mutter und ihren verheirateten älteren Schwester erhält (Hildred Geertz meint, daß die Kinder, obwohl sie mit den Eltern zusammen auf einer Bambuspritsche schlafen, von deren Geschlechtsverkehr nichts merken), 25 muß der Junge sie sich selber suchen. Gewöhnlich wählt er sich dazu einen älteren Mann, manchmal seinen Großvater, als eine Art guru (Lehrer), um von ihm esoterisches Wissen, Antworten auf alle möglichen Fragen, Informationen und Segen zu erhalten. Niemals wird er sich dazu an seinen Vater oder einen älteren Bruder wenden (infolge des emotionell gespannten Verhältnisses, das er i. A. zu ihnen hat). 26 Außerdem wird vielfach stillschweigend vorausgesetzt, daß sich ein junger Mann vor der Ehe die nötigen Erfahrungen mit Prostituierten geholt hat, die es in den meisten Kaffeeläden am Straßenrand gibt. 27 Von ihm wird erwartet, daß er alles Nötige weiß, wenn er in die Ehe tritt, um gegebenenfalls seiner Frau bei der Einführung in das eheliche Leben zu helfen. Wie Hildred Geertz bemerkt, gibt es keine Anzeichen dafür, daß Javaner Geschlechtsverkehr als solchen und Geschlechtliches überhaupt für etwas Fragwürdiges ansehen. So gehen die Eltern in geschlechtlichen Dingen mit kleinen Kindern völlig unbefangen um, kindliche Sexualität taucht als Problem nicht auf. 28 Der Geschlechtstrieb erscheint als etwas völlig Natürliches. Vom Einzelnen wird nicht erwartet, daß er selbst Disziplin übt, daß er etwa aus grundsätzlichen sittlichen Erwägungen auf außerehelichen Geschlechtsverkehr verzichten würde. Eine solche Einstellung wäre für die meisten Javaner völlig überraschend. Es gilt vielmehr als selbstverständlich, daß das Individuum, der gesellschaftlichen Überwachung entronnen, das tut, wozu es seine Instinkte drängen. 29 Gerade daher ist strenge Überwachung erforderlich, da sie die einzige effektive Weise ist um außerehelichen Geschlechtsverkehr zu unterbinden. Die Ablehnung außerehelichen Geschlechtsverkehrs scheint nicht auf irgendwelchen grundsätzlichen Auffassungen von der Verwerflichkeit eines solchen Tuns zu beruhen, sondern auf Überlegungen utilitaristischer Art. Ein unverheiratetes Mädchen gerät durch Geschlechtsverkehr in Gefahr, schwanger zu werden, und das macht es schwierig oder zumindest teuer, für sie einen Mann zu finden. Die verheiratete Frau verletzt das Recht ihres Ehemannes. Hildred Geertz berichtet, daß ihre Informantinnen wenig Skrupel kannten und sich auch nicht genierten, zuzugeben, daß sie einem gelegentlichen Seitensprung nicht abgeneigt seien.30 Umgekehrt scheint das Hauptmotiv der Ehefrau, ihrem Manne außereheliche Abenteuer zu verübeln, finanzieller Natur zu sein: Diese Abenteuer kosten zu viel Geld. Er25 26 27 28 29 30
H. Geertz 1961, 103. Jay 1969, 36f„ 121. H. Geertz 1961, 119. H. Geertz 1961, 102. Vgl. H. Geertz 1961, 120; Mulder 1978, 44. H. Geertz 1961, 129f.
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Sonderfragen
tappt ein Mann seine Frau beim Ehebruch, so läßt er sich i. A. von ihr scheiden. 31 Eine Frau wiederum tut das spätestens, wenn die Seitensprünge ihres Mannes allgemein bekannt geworden sind (wobei sie es oft als letzte merkt). Dabei spielt auch verletzter Stolz eine wichtige Rolle.32 Ein unverheirateter Mann, der sich geschlechtliche Erfahrungen in Kaffeeläden holt, erregt kaum Tadel. Drei Elemente fallen an dieser Sexualmoral auf. Erstens, daß jeglicher Begriff dafür fehlt, daß Geschlechtsverkehr als solcher moralisch gesehen etwas Problematisches sein sollte. Daß Geschlechtsverkehr außerhalb der Ehe im eigenen Nachbar&chaftsbereich nicht geduldet wird, ist utilitaristisch motiviert. Ein solcher Geschlechtsverkehr ist gegen die Regeln der Gesellschaft, er verletzt die Rechte des Ehemannes bzw. zukünftigen Ehegatten, er ruiniert die Familienfinanzen usw. Hier wird also nicht deontologisch argumentiert. Nicht der außereheliche Geschlechtsverkehr als solcher ist das schlechte, sondern seine schlechten Folgen. Dem könnte entgegengehalten werden, daß die Bevölkerung auf außerehelichen Geschlechtsverkehr ausgesprochen entrüstet reagiere, was beweise, daß hier ein Tabu verletzt werde. Doch läßt sich diese Reaktion auch anders erklären. Sie findet nämlich nur statt, wenn ein Paar in flagranti erwischt wird, während es verhältnismäßig wenig Aufregung verursacht, wenn ein solches Rendezvous - und gegebenenfalls seine Folgen - erst später bekannt werden. Ebenso finden sexuelle Abenteuer außerhalb des eigenen Wohnbezirks wenig Beachtung. Die oben genannte scharfe Reaktion scheint sich mehr auf den mit einem Ehebruch erfolgten flagranten Bruch der Dorfetikette zu beziehen, als auf seinen spezifischen Charakter. Es handelt sich um eine offenbare Verletzung der Dorfordnung, bringt die örtliche rukun-Atmosphäre in Gefahr und das hat unbedingt zu unterbleiben. Das Tabu, das gebrochen wird, ist das Verbot direkter Mißachtung der Dorfsitten. So kann zum Beispiel der Diebstahl eines Huhns im eigenen Dorf eine gemeinsame Lynchaktion zur Folge haben, an der der Dieb stirbt, während dasselbe Delikt im Nachbardorf mit einem Schmunzeln registriert würde. Zweitens fallt auf, daß die javanische Gesellschaft keine überspannten moralischen Erwartungen auf sexuellem Gebiet hegt. Fehltritte können vorkommen, sie gelten keineswegs als besonders beschämend, doch muß dadurch verursachter Schaden gut gemacht werden. Vom Einzelnen wird keine besondere Enthaltsamkeit erwartet, im Gegenteil, man hält ihn von vornherein für unfähig, seine Triebe zu beherrschen und verschärft deshalb die gesellschaftliche Aufsicht. Diese ist nicht ein Zeichen für die Verabscheuungswürdigkeit außerehelichen Geschlechtsverkehrs, sondern eine Defensiv31
32
Eheliche Untreue wird nakal (ungezogen) genannt, dasselbe Wort, das ohne jeglichen Bezug zu ehelicher Untreue auch von ungezogenen Kindern gesagt wird, H. Geertz 1961, 131. Es handelt sich bei ehelicher Untreue nicht so sehr um etwas Schändliches, als eben um Unerzogenheit. H. Geertz 1961, 128-131, 139.
Magie
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maßnahme der Gesellschaft: sie gilt als einzige effektive Garantie, außerehelichen Geschlechtsverkehr zu verhindern, und das ist nötig, um die gesellschaftliche Ruhe und Ordnung sicherzustellen. Als Drittes ergibt sich aus den ersten beiden Bemerkungen, daß das Schlechte am außerehelichen Geschlechtsverkehr im Abweichen von der gesellschaftlichen Norm liegt. Außerehelicher Geschlechtsverkehr verstößt gegen die Gesellschaftsordnung und führt zu Aufregungen und Streit. Deshalb ist er scharf zu unterbinden. Auch in Bezug auf Geschlechtsverkehr zeigt sich also die javanische Gesellschaft nicht so sehr an absoluten Moralprinzipien als daran interessiert, daß Ruhe und Harmonie gewahrt bleiben.
3. Schwarze Magie In seinen Ausführungen über die mystische Bedeutung des Wayang kulit unterscheidet Fürst Mangkunegara VII drei Ziele, deretwegen ein Wayangheld sich in die Einsamkeit zurückzieht, um dort Aszese zu betreiben (laku tâpâ) und zu meditieren (semadi). Das erste Ziel ist „die Sehnsucht, das Wissen um seinen Ursprung zu erreichen", 33 also zum Innewerden des sangkanparan vorzustoßen. Eine zweite Movitivation besteht in dem Wunsche, „unbesiegbare Macht" zu erreichen, um diese dazu gebrauchen zu können, „das Leiden großer Ungerechtigkeit aufeuheben." 34 Es geht also darum, magische Kräfte zu guten Zwecken zu erwerben, um sogenannte weiße Magie. Schließlich erwähnt Mangkunegara noch eine dritte Möglichkeit, nämlich, „wenn jemand semadi um minder edler und minder selbstloser Ziele willen übt und sich zu diesem Zwecke in den bekannten, von Gefahren erfüllten Wald ,Sétrâ-Gândâmayu' begibt, wo die Göttin Durgâ über eine Schar von Dämonen herrscht. Hier haben wir ein Symbol von schwarzer Magie. Derjenige, der semadi ausübt, kann dadurch eine zeitweilige Erfüllung seiner Wünsche erreichen." 35 Mangkunegara beläßt es bei dieser Bemerkung, ohne auf das Problem weiter einzugehen. Die Möglichkeit schwarzer Magie ergibt sich aus der schon dargestellten Auffassung, daß Konzentration auf das Innen Zugang zum Fluidum kosmischer Kraft erwirkt. Aszese und Meditation sind Weisen, um j e t ó zu werden, um übernatürliche Kraft in sich aufzunehmen. Und diese Macht kann sowohl zu guten wie zu schlechten Zwecken gebraucht werden. Beide Möglichkeiten sind im Bewußtsein des Javaners stets gegenwärtig. In seinem Leben spielen weiße und schwarze Magie eine nicht unbedeutende Rolle. Man kann mystische Erfahrung einsetzen zum Heilen von Krankheiten, zum Vorhersagen der Zukunft, oder um Reichtum zu erwerben. „Boys semèdi before school examinations in order to pass with high marks; girls who want husbands so33 34 35
Mangkunagoro VII 1957, 16. ib. ib.
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Soliderfragen
metímes fast and meditate for them; and even some politicians are held to meditate for a higher office." 36 In den meisten Dörfern gibt es einen dukun, einen Mann oder auch eine Frau, die die Kraft haben, günstige Zeiten und Orte zu berechnen, Krankheiten zu heilen und von denen man einen Talismann für die verschiedensten Nöte erhalten kann. Zum dukun geht man in allerlei Schwierigkeiten, zum Beispiel, wenn man wissen möchte, warum man keine Kinder bekommt, wenn einem die Hühner immer wieder verenden, aber auch zur Abwehr schwarzer Magie. 37 An der Tatsache schwarzer Magie, des Einsatzes magischer Kräfte, um anderen zu schaden, zweifelt kaum jemand. Durch mystische Erfahrung erworbene Kraft kann zum Guten wie auch zum Schlechten benutzt werden. Sie gibt einem nicht nur die Fähigkeit, zu heilen, sondern auch andere Leute krank zu machen. Clifford Geertz führt an, daß Javaner im Allgemeinen ungern zugeben, daß sicsemadi üben, um nicht in den Verdacht zu kommen, sie wollten anderen Böses zufügen. 38 Die Furcht vor Verhexung ist überall gegenwärtig und auch gebildete Javaner haben mit mir ohne Scheu davon gesprochen, wie sie selbst oder Familienangehörige von ihnen das Opfer magischer Praktiken geworden seien. Diese Möglichkeit, mystisches Bemühen für egoistische oder gar böse Zwecke zu mißbrauchen, eröffnet für den Javaner erschreckende Perspektiven. Er sieht sich hier in besonderer Weise Kräften gegenüber, gegen die er sich hilflos fühlt. Nur ein dem magischen Gegner ebenbürtiger dukun kann dessen Einfluß neutralisieren. Schwarze Magie ist sicherlich diejenige Form assozialen Verhaltens, die im javanischen Bewußtsein am stärksten mit dem, was wir das Böse nennen, assoziiert wird. Schwarze Magie wird daher scharf verurteilt. Sprachlich wird in diesem Zusammenhang zwischen zwei Arten mystischen Bemühens unterschieden: zwischen kebatinan, dem Bemühen um innere Vertiefung, um mystisches Wissen zu den beiden ersten der von Mangkunegara genannten Zwecke zu erwerben, und klenik. Sosrosudigdo definiert klenik als „diejenigen üblen Praktiken, die durch niedere Leidenschaften nach irdischen Gütern und teuflischen Kräften angetrieben werden." 39 Klenik ist demnach ebenfalls Bemühen um innere Kraft, aber aus unreinen Motiven, nämlich um diese Kraft zur Förderung eigener egoistischer Interessen oder zum Schaden anderer gebrauchen zu können. Klenik ist egoistisch und assozial und daher verwerflich. /C/emfcpraktiken sind in Indonesien durch Verordnung verboten und die zahlreichen Kebatinan-Bewegungen werden staatlicherseits auch daraufhin überwacht, ob sich bei ihnen Kle36 37
38 39
C. Geertz 1969, 319. Zur Rolle desdukuns siehe Utrecht, siehe dort (327-330) auch die Geschichte von mBah Suro, der 1967 von Elitetruppen der Armee in einem blutigen Gefecht erschossen wurde. C. Geertz 1969, 320. Sosrosudigdo 1965, 90; Mulder 1975, 36.
Magie
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Mi'fcpraktiken finden. In der Praxis ist die Grenze zwischen weißer und schwarzer Magie nicht immer leicht zu ziehen, da, was dem einen nutzt, dem anderen schaden kann und daher auch der Gebrauch magischer Kräfte zu guten Zwecken nicht unproblematisch ist. Die Haltung der verschiedenen kebatinan Gruppen gegenüber der Ausübung weißer Magie ist dementsprechend nicht einheitlich. Während einige Gruppen ihre Mitglieder dazu anhalten, andere Menschen durch mystische Hingabe und Gebet zu heilen, verbieten andere solche Heilpraktiken ganz und zwar mit der Begründung, solche Praktiken führten zum Stolze und damit zum pamrih, aber auch, weil es als gefährlich angesehen wird, in den von Gott bestimmten Lauf der Dinge eingreifen zu wollen.40 Der Glaube an die Möglichkeit schwarzer Magie bringt in die javanische Vorstellung von Moral eine Spannung hinein, die ihren Bezugsrahmen zu sprengen droht. Javanische Moral geht davon aus, daß richtiges Verhalten darin bestellt, seinen vom Schicksal bestimmten Ort einzunehmen und die diesem Ort entsprechenden Pflichten (darmi) getreulich zu erledigen. Dabei war richtiges Verhalten vor allem eine Sache der Einsicht: derjenige verhält sich richtig, der im ràsâ seines Ortes inne wird. Um ein je wahreres räsh zu gewinnen, muß der Mensch in seine Tiefe graben. Er wird sich dort seiner wahren, numinosen Wirklichkeit bewußt. Dieses Bewußtsein bedeutet zugleich einen Zuwachs an innerer kosmisther Kraft. Wer diesen Zustand erreicht hat, der handelt von selbst richtig, weil er in der Kraft seiner wahren Wirklichkeit handelt. Er hat in gewisser Hinsicht das Problem von Gut und Böse hinter sich gelassen, weil er in seiner wahren Wirklichkeit gefestigt ist. Die Möglichkeit schwarzer Magie zeigt aber, daß sieser gesamte Prozeß des Durchstoßens zur eigenen wahren Wirklichkeit - einschließlich des Beherrschern der Leidenschaften und der Loslösung von egoistischen Interessen - noch einmal zweckrational verwendet werden kann, sei es zu den guten Zwecken der weißen Magie, sei es zum potenzierten pamrih oder, gar zu direkt antisozialen Zwecken in der schwarzen Magie. Damit scheint aber die ganze Auffassung, daß Machtsgebrauch als solcher keiner moralischen Wertung unterliegt, daß er sich selbst legitimiert, unhaltbar zu werden. Denn offensichtlich kann dann zwischen einem moralisch richtigen und moralisch falschen Gebrauch innerer Potenz unterschieden werden. Und damit würde die gesamte Vorstellung einer Ortsmoral ebenfalls zusammenstürzen. Denn dann würde nicht mehr stimmen, daß moralisch richtiges Verhalten darin besteht, sich seinem Ort entsprechend zu verhalten, oder, dynamisch ausgedrückt, sich von seinen Ortskräften treiben zu lassen. Es würde nicht mehr stimmen, daß eò ipso legitim sei, was immer einen seine kasektèn zu tun drängt. Mit anderen Worten, die Möglichkeit eines zweckrationalen Einsatzes innerer Kraft scheint es notwendig zu machen, absolute, nicht mehr ortsrelative moralische Nonnen anzunehmen, um überhaupt zwischen moralisch 40
Vgl. Mulder 1975, 55f.
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richtigem und moralisch falschem Gebrauch dieser Kraft unterscheiden zu können. In der Tat muß der Glaube an die Möglichkeit schwarzer Magie ein ortsrelatives Moralverständnis an die Grenze seiner Möglichkeiten stellen. Die Möglichkeit schwarzer Magie stellt eine solche Moral vor folgendes Dilemma: entweder sie beharrt konsequent auf ihrem Standpunkt, daß nämlich moralisch richtiges Handeln darin besteht, sich den in einem wirkenden „Ortskräften" entsprechend zu verhalten; dann kann konsequenterweise schwarze Magie nicht als moralisch schlecht qualifiziert werden. Oder man hält an dieser Qualifikation fest, dann scheint es, daß nicht mehr ortsrelativ, sondern absolut qualifiziert wird; es sei denn, es könnte gezeigt werden, daß die Ablehnung magischer Praktiken dennoch ortsrelativ gerechtfertigt werden könnte. In der javanischen Moral werden beide Möglichkeiten, das Dilemma aufzulösen, verwendet. Gegenüber seinen Herrschern hat der Javaner in der Tat konsequent auf eine moralische Beurteilung verzichtet. Waç ein Herrscher tat, war immer und per se richtig: als mit kasektèn Erfüllter konnte er nie falsch handeln (falsch handelte ein Herrscher nur, wenn er durch blinden pamrih seine übernatürlichen Potenzen vergeudete). In der hindujavanischen politischen Tradition gibt es den sogenannten linken Weg. Danach erweist ein Herrscher gerade dadurch seine Freiheit von allen Leidenschaften, daß er ihnen nachgibt. Gerade das ist ein Zeichen seiner inneren Kraft. So berichtet zum Beispiel das Nagarakrtagama, ein Gedicht des Hofdichters Prapanca aus dem 14. Jahrhundert, von Kertanagara, dem letzten König der Singâsaridynastie, er habe im Rufe außergewöhnlicher magischer Kraft gestanden, er sei ein Heiliger und Asket gewesen und frei von Leidenschaften, während das Gedicht Pararaton, dessen Materialien etwa zur selben Zeit niedergeschrieben wurden, ihn als Säufer und Gewalttäter darstellt.41 Der Schreiber des Nagarakrtagama war ein in den „linken Weg" Eingeweihter, der des Pararaton nicht. Der König stand außerhalb moralischer Kategorien und auch die Bevölkerung erkannte das an. Aber im täglichen Leben, im engen Umkreis des eigenen Dorfes war eine solche Interpretation nicht durchzuhalten. Die bösen Wirkungen schwarzer Magie mußten ein solches Bemühen in den Augen der Betroffenen moralisch verwerflich machen. Sosrodigunas oben zitierte Definition von klenik ist denn auch rein moralistisch: Klenik ist Bemühen um Verinnerlichung zu schlechten Zwecken, im Gegensatz zum echten kèbatinan. Doch läßt sich diese moralische Wertung schwarzer Magie immer noch, wenn auch nicht ohne etwas Gewalt, in den Rahmen einer ortsrelativen Moral spannen. Wie Mangkunegärä betont, führt schwarze Magie nur zu einer zeitweiligen Erfüllung der eigenen Wünsche.42 Man scheint sich den Sachverhalt so vorzustel41 42
Vgl. VlekJce, 61-63. Siehe oben.
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len, daß durch Beherrschen der Leidenschaften, Freiwerden von pamrih und Bemühung um mystische Vertiefung eine Art Kapital magischer Potenz aufgebaut wird. Dieses Kapital kann bewahrt und vermehrt werden, indem man weitere kosmische Kraft in sich konzentriert, was weiterhin Freiheit vom pamrih voraussetzt. Man kann dieses Kapital jedoch durchaus auch vergeuden, und zwar eben durch pamrih und Leidenschaften (und das Praktizieren schwarzer Magie wird immer auf eines der beiden zurückgeführt), und dann nimmt das angehäufte Kraftkapital langsam ab. Ein solcher Umgang mit seinem inneren Kapital zeigt wiederum ein Unverständnis für die eigene wahre Wirklichkeit an. Er vereitelt außerdem das wertvollste, was wir, subjektiv gesehen, erreichen kônnén, nämlich jenen Zustand innerer Gelassenheit und Spannungslosigkeit, den der Javaner als Inbegriff von slamet erfährt und der seinen Höhepunkt in der „Vereinigung von Knecht und Herr" findet. Von diesem Hintergrund aus erweist sich schwarze Magie zwar als eine Tatsache, mit der man rechnen muß, sie kann aber nicht mit mystischer Tiefe, wahrer Innerlichkeit und vollkommener Kraft gleichgesetzt werden. Sie ist ein defizienter modus dieser Kraft und führt, gerade wegen des ihr inhärenten pamrih, zur Selbstliquidierung. Sie ist letztlich ein Zeichen von Torheit. Auch hier erfaßt der Javaner die wahren Relationen im Medium des Wayang. Hier ist es der dämonische Riesenkönig Rahwânâ aus dem Arjunâ-Sâsrâ-Bau- und dem Ramayanazyklus, der durch jahrelange Aszese eine derartige magische Kraft erreicht, daß er von niemandem besiegt werden kann und selbst die Götter in ihrer Bleibe Surâlâyâ vor ihm zittern. Rahwânâs Bosheit kennt keine Grenzen und seine Raffgier ist unermeßlich. Er ist der Feind jeglicher Ordnung und verbreitet Zerstörung um sich hin. Doch letztlich wird ihm zum Verhängnis, daß er seine magische Kraft in den Dienst seiner Leidenschaften stellt. Als er sich an Râmâs Gemahlin Sintâ vergreift, schlägt ihm die Stunde. Râmâ ist ebenfalls durch tâpà sekti geworden. Aber er ist sepi ing pamrih, frei von allen Egointeressen. Außerdem ist er eine Inkarnation Wisnus. Im Kampf gegen Râmâ muß Rahwânâ zuerst mitansehen, wie seine Kinder und Geschwister (mit Ausnahme von Wibisânâ, der zu Râmâ überläuft) umkommen, um schließlich selbst für ewige Zeiten unter einem Berg begraben zu werden.43 Die Lektion ist deutlich: schwarze Magie führt schließlich zur eigenen -Vernichtung, und zwar gerade, weil sie im Dienst von Leidenschaften und Egoismus steht.
4. Semar Eine wayang-kulit-Vorführung beginnt gegen acht Uhr abends und geht ohne Unterbrechung durch bis zum Anbruch des neuen Tages etwa gegen sechs Uhr morgens. Einen ersten Höhepunkt erreicht die Vorstellung um 43
Poedjawijatna 1978, 136-142.
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Mitternacht in der sogenannten gàrà-gàrà-Szene mit dem Auftreten des Haupthelden des Stückes, z. B. Arjunâs. Meist ist dieser gerade auf Wanderung in einem gefährlichen Wald. Er befindet sich in einem Zustand innerer Spannung. Diesen Zustand spiegelt die Natur wieder (gârâ-gàrà) : Die Erde bebt, Vulkane speien und die See beginnt zu kochen. Es folgt eine vorentscheidende Begegnung mit der feindlichen Partei und ein heftiger Kampf bricht aus (perang kembang), aus dem der Held am Ende siegreich hervorgeht. Die gàrâ-gârà-Szene wird von den Zuschauern mit Spannung erwartet. Der dalang zeigt hier seine ganzen technischen Künste und seine Sprachfertigkeit, um das ruhige, selbstbewußte Auftreten des Helden gegen die rohe Kraft und wüsten Angriffe seiner Gegner hervorzuheben. 44 Inmitten dieses Wirrwarrs treten auf einmal vier seltsame Gesellen auf. Völlig unbekümmert um ihre aufgescheuchte Umgebung lassen sie sich auf dem Boden nieder und vergnügen sich mit allerlei Schwänken. Es sind die vier pànàkawan, die als treue Diener ihren Herrn Arjunâ (oder wer immer der gute Hauptheld der jeweiligen Geschichte ist) auf all seinen Reisen begleiten. Das Auftreten der pànàkawan ist das Charakteristikum des javanischen Wayangs. Sie begleiten nicht nur die Pandâwâhelden des Mahabharatazyklus, sondern auch den Knaben Sumantri im Arjunâ-Sâsrâ-Bau-Zyklus und den Affenhelden Hanoman im Ramayana. Sie gelten als rein javanischen Ursprungs und scheinen keine Entsprechung in den indischen Epen zu haben. 45 Zu den pànàkawan gehören Semar und seine „Söhne" Gareng, Petruk und (seit dem 17. Jahrhundert auch) Bagong. Ursprung und Wesen der vier pànàkawan innerhalb der Wayangv/elt bleibt im Dunkel. Gareng, Petruk und Bagong sind keine leiblichen Söhne Semars, da Semar nicht verheiratet ist, sie gelten als durch die Gedankenkraft Semars geschaffen. Alle vier haben ein seltsames Aussehen und auf den ersten Blick beschränkt sich ihre Aufgabe darauf, herumzuclownen und beim Publikum die Spannung etwas abzubauen, die sich zum mitternächtlichen Höhepunkt der Vorstellung angestaut hat. Im Gegensatz zu den anderen Figuren sind die Kommentare der pànàkawan in den Weye/igstücken nicht festgelegt; ihre Witze sind nicht selten obszön, oft enthalten sie handfeste kritische Anspielungen auf aktuelle politische Ereignisse, wobei gelegentlich zum Ergötzen der Zuschauer Einlagen in modernem Indonesisch geliefert werden. Semar ist von unförmiger Dicke, hat große Brüste und ein gewaltiges Hinterteil, so daß nicht deutlich ist, ob er eigentlich ein Mann oder eine Frau ist (er ist ein Mann). 46 Gareng hat eine unförmige Nase, verkrüppelte Arme und Füße, Petruks Kennzeichen ist seine schlaksige Länge: lange Nase, lange Hände (er ist ein geschickter Ta44 45 46
Inleiding, 19f. Siehe Poedjawijatna 1975, 56; Mulyono 1978,115; zu Semar siehe femer C. Geertz 1969, 275-278. Mulyono 1978, 59.
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schendieb), lange Beine, in jeder Situation ist er entspannt und die Ruhe selbst. Bagong ist eine verkleinerte'Ausgabe von Semar. Aufgabe Semars und seiner Söhne ist es, den jeweiligen Helden der Geschichte sicher durch alle Gefahren zu seinem Ziel zu lotsen. Befindet sich der Held in Schwierigkeiten, so spricht Semar ihm Rat zu. Ist er zu aggressiv und erregt, so bremst ihn Semar oder hält ihn von unüberlegten Schritten zurück. Ist er betrübt, erheitern ihn diepànàkawan mit ihren Possen, fühlt er sich verlassen, so leisten sie ihm Gesellschaft. Und befindet er sich in Gefahr, so retten sie auch einmal. 47 Ihrer Gestalt und ihrem Benehmen nach sind dìo,pànàkawan die Diener des Helden, sie reden ihn in höchst respektvoller Sprache an (im kràmà inggil), auch wenn sie sich .dabei ständig verhaspeln. In Wirklichkeit aber sind es die pànàkawan, die den Helden sicher zu seinem Ziele geleiten. Wen Semar geleitet, der scheitert nie in seiner Aufgabe und verliert nie im Kampf. So liegt die Unbesiegbarkeit der Pandâwâ in Wirklichkeit und in den Augen des Publikums - nicht in ihrer eigenen Kraft, sondern darin, daß Semar sie begleitet. Würde Semar die Pandäwäs verlassen, so wäre das für sie die Katastrophe. 48 Semar ist die beliebteste aller Wayangügpiea. Erscheint er auf dem Schirm, so schlägt ihm eine Welle von Sympathie entgegen. Es ist, als ob die Zuschauer selbst sich unter den Schutz von Semar gestellt wissen. Wenn diese unergründliche, weise, einfache, volkstümliche, gütige, lächerliche und unbesiegbare Gestalt erscheint, sind diejenigen, die sich unter seinem Schutz befinden, von allen Gefahren sicher. Wer ist dieser Semar? In jeder Wayangvortuhrnng kündet ihn der dalang mit etwa folgenden Worten an: „Wer ist rund wie eine Wanne? Es ist Kiyai Lurah Semar, auch Samar (= der Undeutliche, MS), denn Kiyai Semar hat eine Mütze wie ein Mann aber ist mollig mit großen Brüsten wie eine Frau. Er sieht weder eindruckerweckend noch schön aus, denn er hat keine Figur, er ist in Wirklichkeit Hyang Ismàyâ, auch Hyang Asmârâsântâ, ein Gott in Menschengestalt; in der Welt ist er ein Fürsorger, ein Abstämmling von Brahmà und Wisnu." 49 Semar ist also in Wirklichkeit der Gott Ismâyâ, nach Brandon der mächtigste eingeborene javanische Gott, 50 zugleich gilt er als Onkel 5 1 oder älterer Bruder 52 des Obergottes Batara Guru ( = Siwa 53 ). Semar ist allen Göttern an Kraft überlegen. Er redet Götter, anders als seine „Herren", von oben herab an (im ngoko). Ist er zornig, so zittern die Götter, und was er wünscht, geschieht. Jeder Versuch Batârâ Gurus, unter verschiedenen Inkarnationen die Welt zu beherrschen, insbesondere um den Brât&yudâkrieg und damit die Niederlage der Kurâwâs abzublocken, macht Semar zunichte. Semar ist der 47 48 49 50 51 52 53
Mulyono 1978, 66. Poedjawijatna 1975, 54. Poedjawijatna 1975, 53. Brandon 18; nach Sri Mulyono (1978, 34f.) ist Semar ein Enkel Ismayas. Mulyono 1978, 33. Hood, 443. Zoetmulder 1975, 277.
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unüberwindliche Schutzengel der Pandâwâs, und, da die Pandâwâs die Vorfahren der javanischen Könige sind,54 ist Semar der machtvolle Schutzgeist (danyang) der Insel Java und damit der ganzen Welt.55 Wie Clifford Geertz bemerkt, bedeutet die Existenz von Semar und seinen „Söhnen" eine totale Relativierung des priyayi-Ideals vom kultivierten, vornehmen, im Innen wie im Außen durch und durch e/itseη Edelmannes, wie es in vorzüglicher WeisedurchArjunâ verkörpert ist (der heutzutage imwayang wong, dem von Menschen gespielten Wayang, fast immer von einer Frau dargestellt wird).56 Für den priyayi gilt ein vornehmes lair (Äußeres) als Garantie eines vornehmen batin (Inneres), ein kasares lair ist ihm unangemessen und erlaubt nur zu leicht Rückschlüsse auf ein kasares batin. Dieses Ideal wird durch die Tatsache Semar gründlich über den Haufen geworfen. Auch wenn an sich ein alusts Äußeres erwünscht ist und jeder sich, so weit es ihm bestimmt ist, darum bemühen sollte, so gibt es dennoch für den Javaner keine einfache Identität zwischen Außen und Innen. Unter den Wayangñguren läßt sich zwischen alus-Typen (Yudistirâ, Arjunâ, Karnâ), männlich harten, sog. gflgfl/i-Typen (Bimâ, Bâlâdewâ, Suyudânâ) und fawer-Typen (im allgemeinen die Riesen) unterscheiden. Auch wenn tendentiell die e/ws-Typen die moralisch guten zu sein pflegen und die kasar-Typen die schlechten, so darf doch, wie Brandon betont,57 im Einzelfall niemals vom Äußeren einfach auf den Charakter geschlossen werden. Ein Beispiel für einen extremen kasarTyp ist der Riese Kumbâkarnâ, ein Bruder des dämonischen Rahwânâ: seine Wayang-puppe ist mit etwa 150 Zentimeter Höhe die größte Wayangpuppe überhaupt, er hat einen fetten, haarigen Körper, große Kulleraugen und die Fänge eines Keilers, aber einen edlen und verantwortungsbewußten Charakter und gehört zu den beliebtesten und als Vorbild verehrten Wayangñguren. 58 Semar stellt auch einen anderen Eckpfeiler der priyayi-Weltanschauung auf den Kopf, nämlich die Ansicht, daß innere Mächtigkeit (kasektèn) etwas mit gesellschaftlichem Status zu tun haben muß, daß je höher der Status in der Gesellschaft, desto kosmisch machtvoller jemand ist. Semar hat den Status eines Dieners, aber er redet die anderen Götter im ngoko an, vor seinem Zorn erzittert der Himmel und seinem Schutz verdanken die Pandâwâ ihren Sieg im Brâtâyudâkrieg. Ebenso führt Semar die geliebte priyayi-Auffassung, daß ein kultiviertes Äußeres ein Zeichen innerer Potenz sein muß, ab absurdum. Semar, der ständig Winde läßt und ein wenig anziehendes Äußeres hat, ist doch allen Göttern an Macht überlegen. Ebenso durchbricht er die Gleichsetzung von Bildung und Weisheit: Semar besitzt nur die einfache 54 55
56 57 se
Poedjawijatna 1975, 49 f. C. Geertz 1969,264; Fürst Mangkunagoro VII (1957,11) spricht von „the Sacredness of the Semar figure who, perhaps justifiably, is regarded as the most significant
figure of the whole kotak" (= Wayangkiste, MS). C. Geertz 1969, 277. Brandon, 41. Anderson 1965, 17f.
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Schläue des Volkes, aber er ist der weiseste von allen. Es ist keine Frage, daß diese Relativierung vom javanischen Publikum sehr bewußt gesehen wird: die pànâkawan scheuen sich nicht, kurzfristige Abwesenheiten ihrer Herren dazu zu benützen, um ihre feine Weise, sich zu bewegen und sich auszudrükken, genüßlich nachzuäffen, zur großen Belustigung der Zuschauer. Da außerdem selbst der unbesiegbare Arjunâ (dessen wahre A/itfheit sich, im Unterschied zu seinen Gegnern, auch darin zeigt, daß er Semar stets mit Respekt behandelt) nur solange unbesiegt bleibt, als Semar ihn begleitet, erweist sich wahre Macht und Größe als unabhängig von aller äußeren, an den ksatriyàStand gebundenen Kultiviertheit. Semar und die anderen pànâkawan stellen das javanische Volk in der Wayangwelt dar. Es kann kaum ausbleiben, daß sein Auftreten in der javanischen Bevölkerung von einem tiefen, wenn auch selten direkt artikulierten Wissen darum begleitet ist, daß im Gegensatz zum äußeren Anschein das Volk und nicht die Welt des Hofes die eigentliche Quelle javanischer Kraft, Fruchtbarkeit und Weisheit ist.. Genau wie die pànâkawan damit zufrieden sind, demütige Diener ihrer edleren Herren zu sein, wie sie wissen, daß sie ungebildet sind und durch ihr derbdreistes Benehmen gelegentlich'ihre Herren blamieren, so begnügt sich das javanische Volk mit der Rolle der Zulieferer des Hofes. Aber wie die Pandâwâs der Katastrophe anheimfallen würden, würden sie vergessen, was sie in Wahrheit den pànâkawan verdanken, so erwartet auch das javanische Volk, daß seine Führer nicht die eigentlichen Relationen vergessen. In Semar und nicht in mystischer Spekulation erfährt der einfache Javaner die Realität des Göttlichen. Semars Außeres ist gerade in seiner Formlosigkeit ein Gleichnis des göttlichen Urgrundes, von dem es im Dewärucilied heißt, es „habe keine Form oder Aussehen, sei gestaltlos und unsichtbar". 59 Wie das Göttliche vereint Semar in seiner Form alle Gegensätze. Er ist „weder Mann noch Frau, er weint nicht und er lacht nicht, ist weder Gott noch Mensch, hat weder Ort noch Platz, ist weder fern noch nahe, aber er ist stets anwesend." 60 Gerade die Tatsache, daß er nicht schön nach menschlichen Maßstäben ist, ist für den Javaner ein Zeichen, daß in ihm das wahre Göttliche zum Ausdruck kommt. Denn jede Liierung des Göttlichen an bestimmte menschliche ästhetische Ideale wäre dem wahrhaft Göttlichen von vornherein inadäquat. 61 In Semar kommt daher die Religion des einfachen Volkes zum Ausdruck. Diese zeigt andere Akzentsetzungen als die der gebildeten priyayi. Semar macht deutlich, daß Arjunâ, der ideale Ritter, der durch semadi und tâpâ zu höchster Konzentration an kosmischer Kraft gekommen ist, allein dennoch 59
„Tanpä rupâ datanpâ warni tan gaträ tan satmätä," Soebardi 1975, 121: VIII, 32 (19)
61
·
„Ora lanang ora wadon ora nangis ora ngguyu dudu déwà dudu manungsà ora pa-' pan ora dunung ora adoh ora cedak nanging mesti àn," Mulyono 1978, 6. Poedjawijatna 1975, 55.
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nichts vermag. Daraus läßt sich die Lehre ziehen, daß; wer nicht dem Stande des ksatriyh angehört, auch nicht versuchen sollte, als ksatrìyà aufzutreten. Innere Kraft und Erreichen des Göttlichen hängen nicht ausschließlich an der Möglichkeit, sich nach dem Bild des ksatriyh zu entwickeln. Der ksatrìyà ist grundlegend in seiner Bedeutung und Erstrebenswertheit relativiert: höchste Kultiviertheit zu entwickeln ist nur sinnvoll für einen ksatriyh, nicht für jedermann, und ksatriyh-Sein ist ein Stand neben anderen in der Gesellschaft. 62 Hier scheint ein wesentlicher Unterschied zum griechischen Ideal des kaloskagathos anthropos vorzuliegen, der ja das Ideal schlechthin ist, was dann zur Folge hat, daß der, dem äußere Lebensumstände die Verwirklichung dieses Ideals nicht ermöglichen, auch nicht in vollem Sinne Mensch genannt werden kann. Das Bewußtsein, daß der ksatriyh als solcher letztlich nicht ohne Hilfe Semars sein Lebensziel erreichen kann, hat allerdings eine Entsprechung in der Grundanschauung javanischer Mystik überhaupt. So kann z. B. Bimâ nicht durch eigene Kraft zur Vereinigung von Knecht und Herr durchstoßen, er bedarf dazu der Hilfe des Gottes Dewäruci, auch wenn Dewâruci selbst wiederum Symbol des göttlichen Innens Bimâs selbst ist. Das Element der Vermittlung, des Empfangens und der Gnade fehlt in der javanischen Mystik nicht völlig, es kommt auch in der Notwendigkeit zum Ausdruck, einen guru auf dem Wege mystischen Fortschrittes zu gebrauchen. 63 Allerdings ist diese Einsicht stark in den Hintergrund gedrängt, so wie sich ja auch Semars eigentliche Funktion einem oberflächlichen Beobachter (nicht aber dem javanischen Durchschnittszuschauer) entzieht. Semar verkörpert noch einen anderen Aspekt javanischer Volksreligion, der im elitären Bemühen um mystische Kraft weitgehend verlorengegangen ist, nämlich die Erfahrung des Ausgesetztseins in der Welt, dem das Bedürfnis nach Schutz und die Erfahrung des Göttlichen als Geborgenheit spendender Anwesenheit entspricht. Während die /vywyi-Religiosität, wie sie sich in den zahlreichen kebatinan-Gruppen äußert, den Akzent auf Selbsterlösung durch aszetische Praktiken und Meditation legt und das Bewußtsein der Verdanktheit, des Beschenktseins in den Hintergrund getreten ist,64 steht in der Semarerfahrung das Bewußtsein der Abhängigkeit und des liebevollen Beschirmtseins im Vordergrund. Im Leben von Bauern, deren Alltag mit Arbeit auf dem Feld und im Hause gefüllt ist und die ihre Abhängigkeit von der 62
63 64
Während die Mystik des priya^i-Milieus zum Monismus tendiert, zum Aufgehen des Individuums im Göttlichen, und daher keinen Raum für die Anerkennung einer konstitutiven Bedeutung der Mitmenschlichkeit für die Selbstwerdung läßt, ist die Wayangwelt antimonistisch: Reduzierung auf eine Einheit ist nicht möglich, es bestehen ständig polare Spannungen, und zwischenmenschliche Beziehungen sind konstitutiv für das Erreichen des eigenen Lebenszieles. Vgl. Banawiratma, 55 f. Das gilt jedoch nicht für alle Bewegungen. Die Pangestubewegung zum Beispiel, die auch christlich Einflüsse in sich aufgenommen hat, gebraucht Ausdrücke wie „liebvolle Gnade" (sih-nugrahan), „Schutz" und „Begleitung" (ngayomi, nuntun), vgl. Mertowardoyo o.J., 8 f.
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Gunst der Natur im täglichen Leben vor Augen haben, ist das in der Tat eine naheliegende Weise der Erfahrung des Göttlichen. Zugleich kommen in der Figur Semars und seiner Söhne Tugenden zum Ausdruck, die im Referenzrahmen einer jep/'-ing-pamrih- und ramé-inggcwé-Ethik, und in der priyayi-Ethik überhaupt, zu wenig zum Zuge kommen, die aber im bäuerlichen Leben des Dorfes, im Kampf mit den Elementen, im gemeinsamen Ertragen von Naturkatastrophen und Feiern von Festen eine große Bedeutung haben: die Tugend der Hilfsbereitschaft, der Mitmenschlichkeit, der Großherzigkeit, der Verläßlichkeit sowie der Wert tiefer Lebensweisheit, Zugleich fordert Semars Auftreten die Haltung der Ehrfurcht auch vor dem Unscheinbaren, Lächerlichen, scheinbar Unbedeutenden. Das alles sind übrigens Tugenden, die auch von Arjunâ in vorbildlicher Weise verwirklicht werden. Semars Auftreten bestätigt einerseits, was wir in früheren Abschnitten als die wichtigsten Koordinaten javanischer Moral kennengelernt haben, aber es setzt zugleich wichtige neue Akzente. In Semar sind die Haltungen des sepi ing pamrih und ramé ing gawé in idealer Weise verwirklicht. Als Diener ist er von Eigeninteressen völlig frei, er lebt ganz und gar seiner Pflicht, die Pandâwâs auf ihren Wanderungen zu begleiten und zu schützen. Er beansprucht dafür keinerlei Anerkennung und ist zufrieden, im Hintergrund zu bleiben und von manchen anderen Reisenden als der Dumme angeschaut zu werden. Seine Treue und Hingabe ist ohne Grenzen. Er gibt sich vollständig seinen darmà hin, eben ein getreuer Diener zu sein, ist mit seinem Ort in der Gesellschaft zufrieden und sichert durch sein Tun die kosmische Harmonie, was übrigens im wayang dem Publikum jedesmal dadurch ganz konkret vor Augen geführt wird, daß mit dem Auftreten der pànàkawan die aufgeregte Natur wieder zur Ruhe komm. Andrerseits aber korrigiert Semars Existenz Tendenzen in der javanischen Ethik, die sie ihrer moralischen Würde schließlich berauben könnten. So verbietet seine Figur jede Identifizierung von äußerem und inneren A/ussein. Ein Außen, das alus ist, ist kein unbedingtes Ideal, auch wenn es zum allseits bewunderten Ideal des priyayi gehört; es ist weder Bedingung noch Garantie des aluseη Inneren. Letztes aber bleibt in vollem Umfang das javanische Ideal: Semars innere Eigenschaften können im wesentlichen darin zusammengefaßt werden, daß er eben innerlich alus ist, ebenso wie der schon erwähnte Kumbakarna. Semar zeigt aber, worin wahre.A/roheit besteht: nicht in einem raffinierten Äußeren, sondern in einem feinfühligen Innen, das treu zu seinen Pflichten steht. Ein äußeres Alussein wird zwar nicht als belanglos beiseite geschoben, denn im wayang sind alle im Äußeren wirklich aluse η Figuren auch innerlich edel (was aber, wie gesagt, eben nicht umgekehrt gilt), es gilt weiterhin als erstrebenswerte Form menschlicher Existenz, aber ein absoluter Wert kommt ihm nicht zu. Ebenso relativiert das Faktum Semar die Bedeutung aszetischer Praktiken und der Meditation, und damit letztlich auch die Bedeutung magischer Kräf-
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te. Denn gegen Semar können auch diese Kräfte nichts ausrichten. Es gibt also zwei Wege, ujn sich gegen magische und übernatürliche Unheilskräfte zu wappnen: selbst kasektèn zu suchen, wie es der klassische Weg der javanischen Mystik ist und wie er vor allem in den Mächtigen dieser Welt verkörpert ist (im wayang von Râmâ und Arjunâ) oder sich unter den Schutz von Semar zu stellen, wie es die an sich selbst schon machtvollen Pandäwäs tun (Semar hat übrigens einen Bruder Togog, der dieselbe Funktion wie Semar bei der linken Partei, zum Beispiel bei den Riesen, erfüllt; Togog selbst fehlen alle sympathischen Züge von Semar; bemerkenswert ist, daß sich die Riesen oder, wen immer Togog geleitet, im Unterschied zu den Pandäwäs, nicht um Togogs Ratschläge kümmern und dementsprechend zu Fall kommen), letzteres ist der sicherste Weg und es ist der Weg, der der breiten Bevölkerung Javas offen steht. Übertragen in die dargestellten Koordinaten javanischer Ethik bestätigt die zweite Alternative, daß derjenige richtig lebt, der sich an seine von alters her überlieferten dörflichen Traditionen hält, zu denen neben PPayangvorführungen vor allem der slametan-Ritus und die Verehrung der lokalen Geisterwelt, insbesondere des an Semar erinnernden Dorfgründers (cakal bakal) gehören. Im übrigen ist zu beachten, daß Semar und die übrigenpànàkawans im Unterschied zu Arjunä, Karnâ oder Gatotkâcâ (dem Sohne Bimás, der für die Pandäwäs im Kampfe fällt und in Indonesien Vorbild für die jung gefallenen Kämpfer im Freiheitskrieg ist) nicht als Lebensvorbild fungieren. Semar kann man nicht nachahmen, gerade, weil er göttlich und allumfassend ist. Die moralische Lektion Semars besteht nicht in einer Aufforderung, ihn nachzuahmen, sondern, sich Semar gegenüber richtig zu verhalten, das heißt sich von ihm führen zu lassen und seinen Ratschlägen Gehör zu schenken. Semar aber leitet seine Helden stets dazu an, ihre Leidenschaften zu beherrschen, dem pamrih zu entsagen, er führt sie sanft und unerbittlich dazu, die ihnen vom Willen der Götter aufgetragenen Pflichten zu erledigen. Semar verhindert resolut, daß der große Brâtâyudâkrieg vermieden wird. Er leitet also gerade zu den Haltungen an, die wir als Kern javanischer Ethik herausgestellt haben. Semar führt vor Augen, daß die Erfüllung der Pflichten, so schwer es auch fallen möge, letztlich immer Segen bringt, daß man eben darin von Semar, vom göttlichen Prinzip geleitet wird. Das Auftreten Semars betont zugleich die Bedeutung von takdir, der göttlichen Vorherbestimmung: einerseits hat nur solches Tun Aussicht auf Erfolg, zu dem Semar den Helden geleitet, andrerseits führt Semar seine Helden unerbittlich auf dem Wege ihrer vorherbestimmten Pflicht. Zusammenfassend können wir sagen, daß in Semar die javanische Lebenskunst, die durch den takdir-Glauben und auf dem Hintergrund des Mahabharata vor einem düsteren Horizont entwickelt werden muß, ein Element der Wärme und des Vertrauens erhält.
Siebtes Kapitel MORAL ALS LEBENSWEISHEIT Im vorigen Kapitel haben wir die Struktur der javanischen Moral herausgearbeitet. In diesem sollen nun verschiedene Gesichtspunkte dieser Moral besonders hervorgehoben werden mit dem Ziel, ihre theoretische Eigentümlichkeit schärfer in den Blick zu bekommen. Fassen wir zunächst noch einmal das Ergebnis unserer bisherigen Untersuchung zusammen. Wir gingen davon aus, daß grundsätzlich vom Javaner erwartet wird, daß er die gesellschaftliche Harmonie bewahrt. Das tut er dadurch, daß er den Ausbruch von Konflikten vermeidet und den jedem Individuum in der Gesellschaft zukommenden Rang achtet. Hinter dieser Forderung steht der Glaube an den Zusammenhang zwischen gesellschaftlicher und kosmischer Harmonie: beide bedingen sich gegenseitig. Von der Harmonie des Kosmos aber hängt mein Heil ab. Um Unheil abzuwenden, muß der Mensch daher das tun, was er tun kann, und das heißt eben, er darf die Harmonie der Gesellschaft nicht stören. Diese Harmonie ist aber erst dann vollkommen, wenn dem harmonischen Äußeren ein harmonisches Inneres entspricht. Dazu muß der Mensch seine Leidenschaften unter Kontrolle nehmen und in seinem Inneren eine Haltung verstehenden sich Bescheidens (sepi ingpamrih) einnehmen. Diese Haltung macht es ihm möglich, ruhig und treu seine ihm von seinem Stand und vom Schicksal aufgetragenen Pflichten zu erfüllen (ramé ing gawé). Durch diese Einstellung erreicht der Mensch den seelischen Zustand innerer Ruhe und Gelassenheit, des Friedens und der Geborgenheit, der slamet genannt wird. Der Harmonie im Äußören entspricht so der Zustand des slamet im Inneren des Menschen. Angelpunkt der javanischen Moral ist daher das Bemühen um die Erhaltung der Harmonie in Gesellschaft und Kosmos, die wiederum den als Gut in sich selbst erfahrenen s/amef-Zustand gewährleistet. Die kosmische Harmonie ist aber dann gewahrt, wenn alle Elemente des Kosmos ihren angebrachten Platz einnehmen. Als wichtigste Metakategorie der javanischen Moral hat sich daher die des Ortes erwiesen: sich selbst bescheiden heißt sich mit seinem Ort zufrieden geben, und seine Pflichten erfüllen bedeutet, das zu tun, was an der einem zugewiesenen Stelle im Kosmos zu tun ist. Konkrete Moral ist daher wesentlich „ortsbezogen", sie wird durch den jeweiligen Ort des Individuums bestimmt. Jedes Individuum hat seine ihm spezifisch durch seinen
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Moral als Lebensweisheit
Stand in der Gesellschaft und durch das Schicksal zugewiesenen Pflichten zu erfüllen. Daß aber das Individuum sich seinem kosmischen Orte entsprechend verhalten kann, setzt voraus, daß es die ihm daraus erfließenden Pflichten kennt. Diese Kenntnis schöpft es zunächst aus vier äußeren Quellen, nämlich den Forderungen von Tradition, Etikette, Hierarchie und rukun. Doch genügt das nicht. Daß er überhaupt einsieht, daß er sich nach diesen Pflichten zu richten hat, daß er,'so können wir auch sagen, moralisch zu handeln hat, kann ihm nur sein Inneres sagen. Sein Inneres muß so feinfühlig (alus) für seine Position in Gesellschaft und Kosmos geworden sein, daß der „weiß", daß er seine Pflichten zu erfüllen hat. Dieses Wissen eröffnet sich ihm im inneren Fühlen, im räsä. Je feiner das rasa, desto mehr eröffnet sich ihm seine Wirklichkeit in ihren inneren Beziehungen auf die göttliche Kraft des Kosmos, desto richtiger wird sein Leben. Wir wollen unsere Überlegungen von diesem Ansatzpunkt aus beginnen.
1. Moral und Erkenntnis Räsä ist eine Kategorie der Erkenntnis. Es entfaltet sich zuerst in der gelösten, von Zwängen - idealerweise - freien Atmosphäre der Familie, der nahen Verwandtschaft und der Nachbarschaft. Hier entwickelt der Javaner das Grundvertrauen in seine Gruppe, hier erwächst ihm jenes überfeine Empfinden selbst für die leisesten Reaktionen anderer, hier lernt er die Furcht vor der gefährlichen Außenwelt, hier wachsen in ihm moralische Grundhaltungen wie Ehrlichkeit, Hilfsbereitschaft und Gerechtigkeit, hier macht er sich das umfassende Gebot der Konfliktvermeidung als etwas Positives zu eigen und lernt die hierarchische Strukturiertheit der Gesellschaft begreifen. In diesem Wachstumsprozeß wird seine Lebenseinstellung von vornherein örtlich strukturiert: er erfährt den Unterschied zwischen Innen (Vertrauen, Wärme, Familiarität, Geborgenheit) und Außen (Ehrfurcht,' Verlegenheit, Kühle, Gefahren), die unterschiedlichen Positionen in der Gesellschaft, die erst das Individuum definieren, die Unterschiedenheit der Pflichten je nach dem Stand innerhalb der Gesellschaft. Hier internalisiert er die Forderungen von Etikette und Tradition. So entwickelt sich sein räsä. Durch sein räsä weiß er, wie er sich verhalten soll und richtiges Verhalten wird ihm zur Gewohnheit. Als erste Bestimmung javanischer Ethik fällt hier auf, wie stark in ihr das Erkenntniselement betont ist. Alles hängt davon ab, daß man seinen gesellschaftlichen und damit kosmischen Ort kennt. Wer ihn kennt, der wird auch richtig handeln, und wer falsch handelt, kennt offensichtlich seinen Ort, seine kosmische Situation nicht, was der Javaner, wie wir sahen, dadurch zum Ausdruck bringt, daß er unkorrektes Verhalten als fehlendes Verständnis (durung ngerti) interpretiert.
Moral und Erkenntnis
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Nicht das Faktum als solches, daß in der javanischen Moral Erkenntnis eine Rolle spielt, ist an sich bemerkenswert. Überall wo es Moral gibt, gibt es auch Regeln, und nur, wer sie kennt, kann ihren Forderungen genüge tun. Das Besondere der javanischen Moral ist vielmehr die Ausschließlichkeit, die dem Faktor Erkenntnis in ihr zukommt. Nicht nur setzt moralisch richtiges Handeln die Kenntnis der moralischen Normen voraus, sondern die rechte Erkenntnis impliziert auch bereits richtiges Handeln. Wer sich seinen Leidenschaften hingibt oder nur seinen eigenen Interessen nachgeht, tut das nicht, weil er nicht will, sondern weil er noch nicht das rechte Wissen erlangt hat. Dem Willen als einer von der Erkenntnis abgesetzten Fähigkeit mißt der Javaner keine besondere Bedeutung bei. So haben wir z. B. gesehen, wie dem javanischen Kinde nach Möglichkeit keine Frustrationen auferlegt werden, solange es als noch nicht zum Gebrauch der Vernunft gelangt gilt, wobei sich letzteres an der Fähigkeit des Kindes mißt, seine Relationen zur Außenwelt zu erfassen. Ebenso wird auch von Individuen keine Selbstbeherrschung auf sexuellem Gebiet für möglich gehalten, weshalb die soziale Überwachung dann umso schärfer sein muß. Die javanische Ethik ist insofern Erkenntnisethik, als richtiges Verhalten durch richtige Erkenntnis bereits als garantiert angesehen wird, während dem Willen daneben keine Aufmerksamkeit geschenkt wird. Damit aber stellt sich als entscheidende Frage, was der Javaner unter Erkenntnis überhaupt versteht. Wie wir bereits angedeutet haben, versteht der Javaner darunter einen viel umfassenderen Prozeß, als es das deutsche Wort nahe legt. Unter Wissen wird oft die kognitive Kontrolle über eine Anzahl von Elementen verstanden. Wissenzuwachs ist dann die Hinzufügung neuer Elemente zum Schatz kognitiv beherrschter Elemente. Für den Javaner aber ist die Erkenntnis nicht ein ständiges Ausweiten des kognitiven Besitzstandes des Menschen, eine Art Einverleibung ständig neuer Elemente der Außenwelt, sondern ein Entwicklungsprozeß des erkennenden Subjektes. Durch Erkenntnis geschieht etwas am Erkennenden selbst. Erkenntnis ist verstanden als ein Innewerden der wahren Wirklichkeit. Dieses setzt zunächst einmal voraus, daß man sich von allen oberflächlichen, groben (kasar), vorläufigen, dem äußeren Eindruck verhaften Meinungen, Ansichten, Vorstellungen usw. löst. Erkenntnis ist daher am besten als ein Befreiungsprozeß zu verstehen. Mit der Befreiung vom Gebundensein ans Vordergründige und Äußere ist ein Prozeß der Verfeinerung und Verinnerlichung des inneren Wahrnehmungsvermögens verbunden. Solche Erkenntnis ist nicht Ergebnis eifrigen Fortschrittes von Wissen zu Wissen, sondern vielmehr das, was bleibt, wenn der Mensch alles Vorläufige abgestreift hat. 1 1
Die javanische Moral unter diesem Gesichtspunkt betrachtet zu haben verdanke ich der Anregung durch Artur C. Dantos Untersuchung der indischen Moral (Mysticism and Morality) ; Danto schreibt: „Hie Indian conceives of knowledge in practical terms, as leading directly to felicity. But knowledge is not, as with Socrates, specifically individuated with regard to its object, viz the Good, but rather it is seen as
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Moral als Lebensweisheit
Wie wir gesehen haben, erfaßt der Javaner diese Art der Erkenntnis als ràsà. Râsà ist ein Durchstoßen zum Wesentlichen. Erkenntnis ist verstanden als ein je tieferes Angekommensein in der eigenen Wirklichkeit. Im râsà geschieht daher ein Wachsen oder eine Vertiefung der Persönlichkeit. Diese Art der Erkenntnis ist nicht Äußerliches, Zufälliges, Quantitatives, sondern stets Wirklichkeit am erkennenden Subjekt selbst. Sie verändert und vertieft dieses Subjekt. Daraus aber ergibt sich, daß einer wahreren Erkenntnis, also einem vertiefteren râsà, eine neue, tiefere, wahrere Weise des Fühlens, des Handelns und überhaupt der gesamten Einstellung des Menschen entsprechen muß. Von diesem Erkenntnisbegriff her wird verständlich, warum dem Willen keine gesonderte Bedeutung beigemessen wird: Erkenntnis selbst ist ein so umfassender Vorgang, daß darin die ganze Persönlichkeit als ergriffen aufgefaßt wird. Derjenige, dessen Erkenntnis sich im râsà vertieft hat, wird sich daher von selbst anders verhalten. Es ist dann auch nicht mehr verwunderlich, daß „Erkenntnis" für den Javaner in die Nähe zu „innerer Macht" (kasektèn) rückt, wie es vor allem im Worte ngèlmu zum Ausdruck kommt: ngèlmu (vom arabischen 'ilmu) bedeutet zugleich „Wissenschaft", „Wissen" (vor allem im mystischen Sinn) und „magische Kraft", etwa im Sinne einer besonderen Fähigkeit zur physischen Selbstverteidigung.2 Wie verhält sich nun die javanische Erkenntnismoral zur sokratischen Auffassung, daß Tugend lehrbar sei?3 Sokrates geht von der Voraussetzung aus, daß einer, der Böses tut, dies nicht um dieses Bösen selbst willen tut, sondern um eines Guten willen, das er in dem Bösen sieht. Wer Böses tut, tut das, weil er nicht weiß, was für ihn wirklich das Gute ist. Tugend ist daher eine Sache des Wissens. Wenn man einen darüber belehrt, was das wahre Gut für ihn ist, wird er entsprechend, d.h. tugendhaft handeln. Tugendhaftes Handeln scheint hier eine Folge der Einsicht in die spezifische Vernünftigkeit eben dieser bestimmten Handlungsart zu sein. Je weiter der Bereich, über den ein Mensch durch Belehrung (oder eigenes Lernen) das rechte Verständnis erreicht hat, desto umfassender auch der Bereich seines tugendhaften Handelns. Die Betonung hegt hier auf dem Gegenstand der Erkenntnis, über den Wissen erworben werden muß. Demgegenüber liegt in der javanischen Auffassung die Betonung auf der Veränderung am erkennenden Subjekt selbst. Dieses bedarf nicht in erster Linie der Belehrung über das objektiv Richtige oder Vernünftige, sondern der Wegweisung zum eigenen Innen. Nach der ja-
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the product of a certain kind of transformation. It is what is left when false beliefs are removed," (op. cit. 18). Vgl. dazuAnm. 113 zum 4. Kapitel (S. 114). Pencak silat wird heute in zahlreichen Schulen und Clubs gepflegt; auch heute noch gehört dazu ein „guru" sowie eine gewisse religiöse Disziplin. - Daß ngèlmu neben „mystisches Wissen" und „Wissenschaft" auch „Fähigkeit zu magischem Handeln" bedeutet, weist darauf hin, daß letztere selbst nur eine Überform der Fähigkeit zu richtigem Handeln ist; vgl. C. Geertz 1958, 424. Vgl. Piaton, Protagoras 361 b; Menon 87 c - 8 9 a; Apol. 15 d - 2 6 a; Aristoteles, Nik. Eth. VI, 13.
Aktion entfallt
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vanischen Auffassung ist Erkenntnis nicht einfach ein intentionaler Akt, sondern eine bleibende, seinsmäßige Veränderung am Menschen selbst. Sie ist Ermächtigung und Verwirklichung des Erkennenden selbst. Wer zu den tieferen Schichten des eigenen Ich durchgestoßen ist, sieht alles in einem neuen Licht, gewinnt daher eine umfassende neue Einstellung und handelt von selbst anders. Weil diese Erkenntnis nicht im Aufnehmen neuer Informationen besteht, sondern in einer Umwandlung des eigenen Selbst, ist Moral für den Javaner auch nicht im sokratischen Sinne lehrbar. Über das rechte Leben kann man nicht informieren, man kann dazu auch nicht maieutisch über geschickte Dialoge hinführen, vielmehr ist es Ergebnis eines inneren Wachstumsprozesses des Subjektes. Natürlich müssen die zahlreichen Einzelpflichten gelernt werden, aber die zugrundeliegende „moralische Haltung" ist eine Frage des rasa, der erreichten Wirklichkeit des Subjektes, und kann nicht als Wissen übermittelt werden. In diesem Sinn steht die javanische Auffassung von Moral dem Aristoteles näher, nach dem Moral nur demjenigen gelehrt werden kann, der bereits einen, moralischen Sinn hat. 4 Ebenso muß nach javanischer Auffassung ràsà vorausgesetzt werden, um von rechter innerer Einstellung und von Standespflichten sprechen zu können. Wer noch nicht zur Vernunft gekommen ist, also sein ràsà noch nicht entwickelt hat, von dem erwartet der Javaner, wie wir sahen, auch kein korrektes Verhalten. Im Unterschied aber zu Aristoteles, der die ethischen Tugenden von den dianoetischen unterscheidet, wobei die ethischen als Haltungen des Willens durch Übung des Willens erworben werden, und diese daher ein eigenes Element im sittlichen Bemühen darstellt (zum moralisch richtigen Handeln gehören neben der dianoetischen Tugend der phronesis die ethischen Tugenden, und diese lernt man durch Gewöhnung,5 indem man also die Akte der Tugend immer wieder setzt; das aber ist eine Sache des Willens 6 ), ist für den Javaner mit der richtigen Grundeinstellung, dem je tieferen und wahreren ràsà, der ethische habitus von selbst gegeben: denn ràsà ist eine Wirklichkeit und wer sie erreicht hat, verhält sich von selbst dieser neuen Wirklichkeit entsprechend. 2. Aktion entfällt Daß der Javaner mit dem Erreichen der rechten moralischen Grundeinstellung, des wahren ràsà, das rechte Verhalten von selbst gewährleistet sieht, während in der westlichen Ethik der Einübung des Willens in das Vollbringen dessen, was die Vernunft als moralisch richtig erkannt hat, große Bedeutung beigemessen wird, weist auf ein zweites Charakteristikum javanischer Ethik hin: es geht in dieser Ethik letztlich überhaupt nicht um Aktion. 4 5 6
Nik. Eth. I. 2. Nik. Eth. Π, 1. Nik. Eth. ΠΙ, 1.
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Zwar fordert, wie wir sahen, die javanische Moral, daß jeder seine Standespflichten vollbringt. Jeder hat das zu tun, was ihm durch gesellschaftlichen Rang und persönliches Schicksal in der Welt zu tun aufgetragen ist. Javanische Ethik ist sicher keine Moral des Nichtstuns. Aber bei diesem Τμη handelt es sich nicht um Aktion, um ein aus sich selbst Heraustreten und ein kategorisches Verändern der Welt. Es geht nicht darum, aus der Welt, wie sie jetzt ist, eine andere, bessere zu machen. Wie wir sahen, steht das nach javanischer Weltanschauung gar nicht in der Macht des Menschen, ja es liegt außerhalb ihres Blickfeldes. Die Welt ist ein Zustand, wenn auch ein dynamischer. Die eigentlichen Kräfte sind unsichtbarer, kosmischer Natur, sie können Geistern zugeschrieben werden, sind aber letztlich nur Ausdruck der einen alles in allem wirkenden kosmischen Gesamtenergie. Jedem Element in der Welt kommen dank dieser kosmischen Energie bestimmte Bewegungen zu, und dadurch, daß sie diese Bewegungen vollziehen, befindet sich das Ganze in Ruhe und bleibt sich gleich. Diese Bewegungen verändern also nicht die Relationen zwischen den Elementen, sondern erhalten sie im Gegenteil. Wir können es mit den Bewegungen der Steme am Firmament vergleichen: deren Konstellation bleibt gerade dadurch in totaler Harmonie, daß jeder Himmelskörper seine Bahn einhält, also sich bewegt. In diesem Sinn bedeutet das Vollbringen der Standestugenden nichts anderes als das schwerelose Folgen der jedem vorgezeichneten Weltlinie, ähnlich wie ein in den Weltraum abgeschossenes Raumschiff nach Abschaltung des Raketenantriebes geräuschlos und in vollster Harmonie mit sämtlichen kosmischen Kräften seine Bewegung und Richtung beibehält. Das Erfüllen der Pflichten bedeutet daher nicht Aktion in dem Sinn, daß man definitiv an der Umwelt etwas verändert, sondern das ruhige Eingeordnetsein in die Harmonie des Ganzen, wie ein auf einem Strom treibender Baumstamm. Auch wenn das Handeln in der Welt positive Veränderungen bewirkt, so sind diese in Wirklichkeit nichts anderes als das Erhalten der Harmonie des Alls. Dementsprechend bedeutet ein Nichteinhalten der Standespflichten, sei es durch falsches Handeln, sei es durch Nichtstun, eine Störung der gesellschaftlichen und kosmischen Harmonie. Aus dieser Auffassung von menschlichen Handeln ergibt sich noch einmal, daß mit dem Erreichen des rechten räsä, das wir hier mit „moralischem Sinn" oder „moralischer Grundeinstellung" übersetzen können, von selbst das rechte „Tun" garantiert ist. Denn rechtes râsâ ist das vollkommene, d. h. harmonische Eingebettetsein in die Wirklichkeit, es impliziert darum von selbst das Erfüllen der Standes- und Individualpflichten.7 Eine Vernachlässigung dieser Pflichten würde nicht als Zeichen mangelnder Entschlossenheit gedeutet, die erkannten Pflichten zu erfüllen, sondern als Unreife, als noch nicht zur wahren Wirklichkeit Vorgestoßensein. Ein solcher Mensch „weiß" 7
Vgl. Danto, 18: „To see the worldrightis to remove the need for an action that makes sense only in terms of a set of beliefs that are now seen as false,"
Moralische Tugenden
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vielleicht in einem platten Sinn, was er zu tun hätte, aber die Tatsache, daß er es nicht tut, beweist, daß dieses Wissen noch nicht Verständnis geworden ist, daß er es noch nicht anfühlt, daß es noch außer ihm steht. Javanische Moral ist also keine Aktionsmoral. Es geht nicht um bestimmte Veränderungen, die an der Welt zu vollbringen wären, es geht vielmehr um einen Reifungsprozeß. Es dürfte deutlich sein, daß diese Eigenschaft javanischer Ethik nicht unter die aristotelische Entgegensetzung von Aktion und Passion fällt. Javanische Ethik ist keine Passionsethik. Wenn Aristoteles betont, daß eudaimonia nicht im Erdulden, sondern im Vollbringen besteht, 8 so will er damit die Auffassung zurückweisen, daß der Mensch sein Glück, sagen wir seine Erfüllung, im Genießen, irti'faulen zur Verfügung Haben alles Wünschbaren Sndet, und dem gegenüber betonen, daß er sie im Gegenteil dadurch findet, daß er seine Anlagen aktualisiert, daß er allseitig wirklich wird, was eben im Vollbringen der Anlagen geschieht. Setzt man die javanische Pflichtenauffassung in diese Auffassung des Aristoteles ein, so könnte man durchaus sagen, daß auch nach javanischer Auffassung das Individuum sein Heil (slamet) dadurch erreicht, daß es seine Pflichten erfüllt, also aktiv im Kosmos seine Fähigkeiten ausübt, und sicherlich nicht im leeren Genießen. Nur ist für den Javaner Tun nicht als Aktivieren von Anlagen verstanden, sondern als harmonisches Eingebettetsein in den Gesamtkosmos, in Übereinstimmung mit der Natur des Menschen als Element dieses Kosmos.
3. Die Stellung moralischer Tugenden Die javanische Moral hat sich als Erkenntnismoral erwiesen. In diesem Zusammenhang erhebt sich die Frage, welche Stellung in dieser Moral die moralischen Tugenden einnehmen. Unter moralischen Tugenden verstehe ich hier feste Disposition des Willens, moralisch, d. h. nach den grundlegenden moralischen Normen zu handeln. Welcher Wert wird solchen Dispositionen in der javanischen Moral zugemessen? Wir gehen dabei am besten von der Problematik aus, die sich uns im Anschluß an die Darstellung der Harmonieprinzipien ergeben hatte. Diese bestand darin, daß in der javanischen Moral den Forderungen der Harmonieprinzipien absolute Geltung zukommt. Das heißt, es ist immer richtig, sich ihnen entsprechend zu verhalten, wie es umgekehrt immer falsch ist, gegen sie zu verstoßen. Demgegenüber gelten die Forderungen moralischer Grundnormen nur insoweit, als sie mit den Harmonieprinzipien nicht in Konflikt geraten. Als moralische Grundnormen hatten wir Normen bezeichnet, die die Gültigkeit moralischer Normen erster bis vorletzter Ordnung fundieren und selbst nicht mehr von anderen Normen abgeleitet sind. Kennzeichen einer Reihe von Normen, die in westlichen Ethiken als Grundnormen anerkannt 8
Nik. Eth. I, 6.
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wurden, war, daß sie stets einen bestimmten Willen fordern, daß sie also ohne Bezug auf eine bestimmte Willenshaltung nicht verstanden werden können. Dagegen implizieren die Harmonieprinzipien keinen bestimmten Willen, sondern sie beziehen sich auf bestimmte Interaktionsweisen. Da sie keineswegs den moralischen Geltungsanspruch aller übrigen moralischen Normen fundieren, sind sie selbst nicht als Grundnormen anzusehen. Sie relativieren den Geltungsanspruch der genannten moralischen Grundnormen nicht von innen, wie diese selbst den Anspruch moralischer Normen mittlerer und erster Ordnung relativieren, sondern von außen: an den Harmonieprinzipien findet die Geltung der moralischen Grundnormen ihre absolute Grenze, sie gelten stets nur unter der Voraussetzung, daß der gesellschaftliche Friede gewahrt und die jeweils angebrachten Respektsformen eingehalten werden. Der Grund für diese Relativierung lag, wie wir sahen, in der Logik der javanischen Weltanschauung. Wenn idi in der Welt keine Veränderungen bewirken kann, weil alles seinen vorherbestimmten Bahnen folgt und alle wirkenden Kräfte nur Ausdruck der umfassenden Gesamtenergie des Kosmos sind, hat eine unbedingte Verpflichtung zu bestimmten Handlungen in der Welt keinen Sinn. Denn ich kann durch mein Tun an der Welt nichts ändern. Ich kann daher niemandem helfen. Ich kann keinen Zustand herstellen, der besser wäre als der bestehende. Die einzige Weise, wie ich einem anderen das Leben erleichtern und wie ich zu geordneten und damit gerechteren Verhältnissen beitragen kann, besteht nach dieser Auffassung eben darin, daß ich mich aller Handlungen enthalte, die die Harmonie der Gesellschaft stören könnten. Die Annahmen der javanischen Weltansicht machen es sinnlos, unbedingt nach den Grundnormen handeln zu wollen. Und umgekehrt ist es in jedem Falle sinnvoll, die gesellschaftliche Harmonie nicht zu stören. Moralische Normen, auch letzter Ordnung, gelten daher nie kategorisch. Keine einzige sollte auf die Spitze getrieben, um jeden Preis durchgesetzt werden, im Namen keiner einzigen ist es gerechtfertigt, sich hundertprozentig zu engagieren, seine Distanz und den Blick aufs Ganze zu verlieren. Leidenschaftlicher Einsatz für hohe Ideale, der absolut gesetzt wird und das Maß überschreitet, das der Pflichtenkodex setzt, der auf die betreffende Situation zutrifft, ist für den Javaner ein unästhetischer und vor allem törichter Versuch, die eigenen Grenzen zu überschreiten, ein Versuch, der nur Unruhe und unerwünschte Schocks verursachen kann. Auch Berufung auf moralische Tugenden oder moralische Verantwortung dem Nächsten gegenüber rechtfertigen es nie, seine Handlungsweise absolut zu setzen, da es ohnehin nicht möglich ist, über die einem im Ganzen bestimmten Möglichkeiten hinaus einander zu helfen. Diese Relativierung des Anspruchs moralischer Grundnormen erfaßt auch das Gewicht, das den Tugenden, die sich auf diese Grundnormen beziehen, in der javanischen Moral zukommt. Nicht nur gilt Berufung auf den Wert einer Tugend von vornherein nicht als Instanz', die ein Abweichen von den Forderungen der Harmonieprinzipien rechtfertigen könnte. In keiner Moral darf
Moralische Tugenden
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ohne weiteres unter Berufung auf eine bestimmte Tugend gehandelt werden, eben weil die Normen, auf die sich diese Tugenden richten, nur prima facie gelten. Das aber bedeutet an sich keineswegs, daß der Besitz dieser Tugenden nicht von größtem moralischen Werte wäre. In der Hannoniemoral dagegen stehen sie im zweiten Glied der moralischen Wertschätzung, da die Normen, die ihr Gegenstand sind, von vornherein in ihrer Geltung relativiert sind. Innerhalb der javanischen Moral ist es ganz einfach, gerade moralisch gesehen, nicht so wichtig, diese Tugenden überhaupt zu entwickeln. Die Tugenden, denen in der javanischen Moral der absolute Primat zukommt, sind diejenigen Willensdipsositionen, die sich auf die Hannonieprinzipien richten, also die Disposition zu konfliktvermeidendem und respektvollem Verhalten. Das Charakteristikum dieser Tugenden besteht, wie wir gesehen haben, darin, daß sie ein ganz bestimmtes sozial-empirisch beschreibbares Verhalten, nämlich bestimmte Interaktionen fordern. Demgegenüber beziehen sich die oben genannten Tugenden nicht auf bestimmte Interaktionen, sondern auf transempirische Werte wie Wohlwollen, Gerechtigkeit, Treue, Ehrlichkeit, Redlichkeit usw., die jeweils durch verschiedene Interaktionen realisiert werden können. Transempirisch nenne ich diese Werte nicht, um ihnen irgendeinen Seinsstatus anzuhängen, sondern weil sie gegenüber konkreten Interaktionen an sich neutral sind, weil sie genannt und verstanden werden können, ohne daß damit bestimmt wäre, in welchen konkreten Handlungen bzw. Interaktionen sie realisiert würden. Damit ergibt sich für die javanische Moral folgende Situation: Groß geschrieben werden Tugenden, die zwei ganz bestimmte Interaktionskomplexe fordern, und zwar ohne zugleich zu fordern, daß sie Ausdruck des Willens seien, einen durch die oben genannten Tugenden geforderten Wert zu realsieren. Dagegen kommt den Tugenden, die die Realisierung transempirischer Werte fordern, keine entscheidende Stellung zu. Es ist aber deutlich, daß eine Verabsolutierung von Tugenden, die direkt ein bestimmtes Verhalten fordern, gegenüber solchen, die transempirische Werte zum Gegenstand haben, für das Individuum eine Einschränkung der moralisch wählbaren Alternativen mit sich bringen muß. Denn das Individuum wird dadurch unmittelbar auf bestimmte Interaktionen festgelegt, während andere von vornherein ausgeschaltet werden. Das moralische Recht, sich ein eigenes Urteil darüber zu bilden, ob in einem konkreten Fall das Vermeiden eines Konfliktes bzw. respektlosen Verhaltens tatsächlich das schlechthin Richtige ist, wird ihm von vornherein abgesprochen. Gelten dagegen diejenigen Tugenden als die moralisch wertvollsten, die sich auf transempirische Werte richten, so kommt dem Individuum das moralische Recht zu, sich ein Urteil darüber zu bilden, welche Interaktionsform im gegebenen Fall die richtige ist. Daß diese moralischen Tugenden in der javanischen Moral durch die Tugenden harmoniegerechten Verhaltens verdrängt werden, impliziert daher eine Einschränkung der moralischen Autonomie des Individuums. Das wird noch offenkundiger, wenn wir zwei weitere Tugenden betrach-
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ten, die in der javanischen Moral eine Schlüsselrolle innehaben und sich auf die den Harmonieprinzipien komplimentären inneren Haltungen beziehen. Die erste ist die Tugend des sich Bescheidenkönnens (sepi ing pamrih), die zweite ist die Bereitschaft, seine jeweiligen Pflichten treu zu erfüllen (ramé ing gawé). Im Unterschied zu den bisher besprochenen können wir diese als formale Tugenden bezeichnen, da sie an sich selbst inhaltslos sind. Die Haltung des sich Bescheidens konkretisiert sich in den verschiedenen Formen der Interaktion, während die Tugend der Pflichterfüllung sich im Gegenüber zu den jeweiligen Standespflichten inhaltlich füllt. Beide formalen» Tugenden sind dadurch gekennzeichnet, daß sie Verzicht und Anpassung an äußere Vorgegebenheiten zum Inhalt haben. Wer Selbstbescheidung übt, verzichtet darauf, seine eigenen (moralischen und nicht moralischen) Zielsetzungen und Interessen durchzusetzen. Wer bereit ist, seine Standespflichten zu erfüllen, erkennt das äußere Gesetz als sein eigenes an, paßt sich daher der äußeren Wirklichkeit an. Das disqualifiziert diese Tugenden moralisch zwar keineswegs. Das gesellschaftliche Zusammenleben fordert beide Haltungen und beide dürften in den meisten existierenden MoraIen als Tugenden gelten. Signifikant ist vielmehr, daß diese Tugenden in der javanischen Ethik nicht durch andere formale Tugenden relativiert werden, wie zum Beispiel durch die Forderung nach moralischer Selbständigkeit und moralischer Tapferkeit. Diese beiden Tugenden sind nicht gefragt, weil sie nicht mit dem absoluten Primat der Harmonieforderungen vereinbar sind. Ohne sie aber muß die Forderung nach Verzicht auf das Verfolgen eigener, auch moralischer Zielsetzungen und Interessen sowie nach unbedingter Akzeptation gesellschaftlicher, durch Tradition oder Autorität legitimierter Normen eine Einschränkung der moralischen Autonomie zur Folge haben: einzig Verzicht und Gehorsam gegenüber den gegebenen Umständen sind gefordert, das Recht, sich selbst ein Urteil darüber zu bilden, ob in einer bestimmten Situation Verzicht und Gehorsam tatsächlich die richtigen Einstellungen sind, ist nicht vorgesehen. Die javanische Moral ist demnach durch eine Einschränkung der moralischen Autonomie des Individuums gekennzeichnet. Dabei ist auf zwei Punkte zu achten. Erstens, diese Einschränkung ist im Rahmen der javanischen Moral nichts Willkürliches, und es besteht auch kein Grund, sie etwa auf einen mangelnden Begriff von Moralität zurückzuführen. Sie ist nämlich, wie wir gesehen haben, durchaus einsichtig, da sie eine Folge bestimmter deskriptiver Überzeugungen von der Natur der Wirklichkeit und des menschlichen Handels ist. Diese Einsichtigkeit ist selbst moralischer Natur: Die Einschränkung der moralischen Autonomie des Individuums in der javanischen Moral ist moralisch begründet. Der Zusammenhang zwischen den deskriptiven und den normativen Elementen der javanischen Weltauffassung wird nämlich über eine normative Prämisse hergestellt, die durchaus moralische Dignität beanspruchen darf, die Prämisse, daß man sich so verhalten sollte, wie es der Gemeinschaft der Menschen am zuträglichsten ist, bzw. daß
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man auf Verhaltensweisen verzichten sollte, die der Gemeinschaft und dem betreffenden Individuum selbst schaden. Die dargestellte Entwertung moralischer Tugenden und die darin implizierte Einschränkung der Autonomie des Individuums ist die Folge dieser normativen Prämisse auf dem Hintergrund des javanischen Wirklichkeitsverständnisses. Als zweites ist zu beachten, daß diese Entwertimg nicht bedeutet, daß diese Tugenden in der javanischen Gesellschaft nicht hochgeschätzt und gepflegt würden. Wir haben gesehen, daß das Bewußtsein der Werthaftigkeit dieser Tugenden in den Erfahrungen im Schöße der Familie wächst und ζ. B. in der Gestalt des Semar seinen Ausdruck gefunden hat. Statt „Entwertung" wäre vielleicht der Ausdruck „Beiseiteschieben" zutreffender. Diese Tugenden kommen nicht zum Tragen und sind daher letztlich auch moralisch nicht entscheidend, da die Forderung nach Konfliktvermeidung und Respekt sie verdrängt. Nicht weil der Javaner moralisch irgendwie abgestumpft wäre, treten sie in den Hintergrund, sondern weil ihnen die Überzeugungen seines Weltbildes keinen Raum zur Entfaltung lassen. Die javanische Moral ist daher durch eine Spannimg zwischen den moralischen Wertvorstellungen, die sich im Schöße der Familie entfalten, und den deskriptiven Überzeugungen seiner Weltanschauung gekennzeichnet, die diesen Wertvorstellungen die Entfaltungsmöglichkeiten beschneiden. Es zeigt sich, daß die Moral einer Gesellschaft tiefgreifend von ihren deskriptiven Grundüberzeugungen affîziert werden muß, es sei denn, es gäbe eine Moral, die keinen Bezug auf das Erreichen einer sinnvollen Existenz für die Mitglieder der betreffenden Gemeinschaft hätte. Insofern abeT die Moral einer Gesellschaft den Anspruch enthält, Wegweiser zum Erreichen eines sinnvollen Lebens zu sein, muß sie durch die Weise, die Wirklichkeit zu sehen, innerlichst bestimmt werden. Es zeigt sich genauer, daß die Annahme einer umfassenden Schicksalsbestimmtheit des menschlichen Lebens und die Leugnung der Möglichkeit des Menschen, durch sein Tun die Welt zu verändern, zu einer Einschränkung auch der moralischen Autonomie des Individuums führen muß. 4. Relativierung von Gut und Böse Die Relativierung des Anspruchs moralischer Grundnormen schränkt nicht nur den Wert der sie betreffenden Tugenden ein, sie geht noch weiter: sie affiziert überhaupt den Unterschied zwischen Gut und Böse. Denn der Begriff des Bösen bezieht sich wesentlich auf den Willen: böse ist der Wille zum moralisch Falschen. Da die Normen moralisch richtigen Handelns als absolut verpflichtend gelten, verletzt derjenige, der weiß, wie er moralisch richtig zu handeln hätte, aber dennoch nicht danach handelt, seine absolute Pflicht. Er setzt eine Tat, von der er weiß, daß sie moralisch falsch ist. Eine solche Tat ist böse. Aus der absoluten Verpflichtung zu moralisch richtigem Handeln ergibt sich, daß ein Sachverhalt, der dadurch gekennzeichnet ist,
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daß jemand bewußt gegen moralische Normen verstößt, schlechthin nicht sein soll. In der westlichen Moral soll daher das Böse unbedingt nicht sein. Selbst wenn Elemente eines bösen Sachverhaltes in verschiedener Hinsicht Vorteile bringen würden, so bliebe doch die Wertung unangefochten, daß dieser Sachverhalt nicht sein soll. Der ideale Zustand, nach dem stets zu streben ist, ist ein Zustand, in dem es nichts Böses gibt. Diese unversöhnliche Dichotomie von Gut gegen Böse wird in der javanischen Ethik von zwei Seiten her aufgeweicht. Einmal gilt in der javanischen Ethik moralisch falsches Handeln nicht als Sache eines bösen Willen, sondern fehlender Einsicht: von einem solchen Menschen heißt es: durung ngerti, er ist noch nicht zum Verständnis gekommen. Ein so handelnder Mensch gilt nicht so sehr als bö$e, sondern als menschlich unterentwickelt, er steht auf einer Stufe mit Kindern und Verrückten und ist weniger Gegenstand moralischen Abscheus als des Bedauerns und der Verachtung. Dabei ist mit „fehlender Einsicht" hier nicht einfach die Unkenntnis einer moralischen Norm gemeint, die ja auch in westlicher Ethik durch die Unterscheidung zwischen bösem Handeln einerseits und objektiv falschem aber subjektiv gut gemeintem (oder indifferenten) Handeln andrerseits anerkannt wird. Sondern es ist durchaus an den Fall gedacht, wo das betreffende Individuum die zutreffende moralische Regel kennt und in einem flachen Sinn auch „weiß", daß es danach handeln sollte, es aber nicht tut, ζ. B. weil ihn die Leidenschaft hinreißt, oder um eines bestimmten persönlichen Vorteils willen. Auch bei einem solchen Menschen spricht der Javaner nicht vom bösen Willen, sondern er versteht ein solches Verhalten eben als mangelnde Einsicht, als menschliche Unreife in einem ähnlichen Sinn, wie auch im Westen von moralischer Unreife gesprochen wird. Ein solcher Mensch ist zu bemitleiden, weil er auf der Stufe von Wilden stehen geblieben ist. Er ist nicht böse, sondern töricht. Törichtes Verhalten ist zwar bedauerlich, aber es hat keinen Sinn, sich darüber zu entrüsten. Im Gegenteil, da es eine Frage der Entwicklung des inneren Menschen ist, und diese ohnehin nicht forciert (wohl gefördert) werden kann, ist falsches Verhalten durchaus zu erwarten und es wäre Zeichen eigener Enge, würde man sich darüber aufregen. Auch wenn solch unreifes Verhalten bedauerlich ist und in diesem Sinne nicht sein sollte, so entspricht es andrerseits dem Entwicklungsstande des Betreffenden und ist daher dann auch wieder normal, und es kann nicht gesagt werden, daß es eo ipso nicht sein sollte. Interessanter Weise hat die javanische Sprache in der Tat kein eigenes Wort für „böse": das dafür verwendete Wort àlà bedeutet auch „schlecht", und zwar auch im nicht moralischen Sinn. Noch in einem zweiten Sinn verhindert es die logische Struktur der javanischen Ethik, daß es zum Begriff des Bösen als eines absolut nicht Seinsollenden kommt. Wir haben gesehen, daß richtiges Handeln stets „ortsrelativ" ist. Darunter verstanden wir, daß jedem Individuum seine Pflichten durch seinen Ort in Gesellschaft und Kosmos bestimmt sind. Der Kosmos als ganzer aber ist voller Spannung und Geheimnisse. Im Rahmen dieser Anschauung ist es
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für den Javaner durchaus zu erwarten, daß es „kosmische Orte" und individuelle Lebensschicksale gibt, zu denen ein Verhalten gehört, das den normalen, d. h. allgemein gültigen Regeln moralisch richtigen Handelns widerspricht, und gerade dadurch zum Erhalt des Ganzen notwendig ist. Hier stoßen wir auf die berühmte javanische Toleranz, die immer mit der Möglichkeit rechnet, daß es Individuen und ganze Völker gibt, denen im Gesamt des Kosmos antagonistische Rollen zukommen. Wir haben diese Möglichkeit kurz erwähnt, wo wir zeigten, daß neben den vier „gewöhnlichen" Bestimmungsquellen richtigen Handelns, nämlich Tradition, Etikette, rukun- und Respektsprinzip, immer noch die Möglichkeit einer individuellen „Berufung" offensteht, in deren Namen das betreffende Individuum dann zu Handlungen berufen sein kann, die den durch die vier anderen Richtlinien bestimmten Regeln total widersprechen. Ein solches Handeln muß sich schließlich durch seine innere Kraft „rechtfertigen". Die javanische Moralist in Folge ihres ortsrelativen Charakters so weit, daß sie auch extrem annormales Verhalten in ihrem Rahmen akzeptieren kann. Wo solches Handeln in die Rechte und Gewohnheiten der anderen Mitglieder der Gesellschaft eingreift, wo es also zu Schaden führt, wird die Gesellschaft selbstverständlich etwas dagegen unternehmen (und dabei wird sich gerade zeigen, was das Schicksal nun eigentlich bestimmt hat), denn auch das gehört zu den Spielregeln, aber dahinter steht nicht die Wertung, daß solches Handeln schlechthin nicht sein soll. Für das javanische Bewußtsein ist hier sicherlich das Mahabharata mit seinen gewaltigen Spannungen, der Unausweichlichkeit aller Entwicklungen, der Notwendigkeit aller „guten" und „bösen" Rollen, der Unabwendbarkeit des blutigen Kampfes und seiner tiefen Tragik von größtem Einfluß. Im übrigen sehen wir, daß gerade im Mahabharata die Waagschalen moralischer Beurteilung nicht gleich gewichtet sind: den Pandâwâs und ihrem Freunde, dem göttlichen Kresnâ, werden Verstöße gegen die Gesetze edlen Rittertums eher durchgesehen als den Kurâwâs, und zwar deshalb, weil sie die zum Siegen vorherbestimmten sind.9 Gut und Böse verlieren demnach ihre strenge Unverträglichkeit. Das Böse, also das Vorhandensein eines Willens, der sich nicht nach den moralischen Normen richtet, kann nicht als verwerflich angesehen werden, sondern gilt als — unvermeidliche — Folge einer geringen geistigen Entwicklung, und im übrigen muß der Javaner mit der Möglichkeit rechnen, daß das, was er mißbilligt, im Ganzen einen Sinn hat und somit vorherbestimmt ist. 9
In der entscheidenden Endphase des Brâtâyudà Jâyâ binangun stehen sich Bimâ, der zu keiner Falschheit fähige zweite Pand&wäbruder, und Suyudânâ, der Kurâwâherrscher gegenüber. Keiner kann die Oberhand gewinnen. Da bricht Bimâ, auf das Geheiß von Kresnâ, den Ehrenkodex des ksatriyà und zerschmettert, was streng verboten ist, den exponierten Oberschenkel Suyudânâs und führt durch diesen schmutzigen Schlag die Entscheidung herbei. Bimä hat richtig gehandelt, denn Fairness und Ehrlichkeit sind keine absoluten Normen, absolut gilt nur der Wille der Götter, die im übrigen genau dieses Ende Suyudânâs vorherbestimmt haben; cf. Anderson 1965, 20.
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5. Moral und Ästhetik Wir sind wiederholt darauf gestoßen, daß das Gute, auf das unser Handeln nach der javanischen Moral gerichtet sein soll, die Erhaltung der gesellschaftlichen und kosmischen Harmonie ist. Richtig ist unser Handeln, wenn es diese Harmonie fördert, wenn wir dadurch unseren Platz im Ganzen auf harmonischere Weise einnehmen. Umgekehrt ist Handeln, das die Harmonie stört, das zu Verzerrungen in der Gesellschaft, zu Unruhe und Verwirrung führt, falsch. In diesem Zusammenhang haben zwei Schlüsselkategorien, nach denen der Javaner alle Elemente seiner äußeren und inneren Umwelt einordnet, für die Ethik besondere Bedeutung, die Kategorien alus und kasar. Wir haben alus als Begriff kennengelernt, der die Bedeutungen von sanft, fein, einfühlend, elegant, höflich usw. in eines faßt. Kasar, grob, ist der Inbegriff der entgegengesetzten Eigenschaften. Alus ist das Kennzeichen vollendeter Harmonie. Befindet sich die Gesellschaft in harmonischem Zustand, so verläuft alles glatt, ruhig, wie von selbst. Ist der Kosmos in Harmonie, so ist die Natur fruchtbar und ihre Kräfte strömen ruhig und fast ohne aufzufallen dahin, dem ruhigen, kaum noch wahrzunehmenden Lauf eines gut geschmierten Schwungrades vergleichbar. Alus ist ein Mensch, der sein Äußeres unter Kontrolle hat und sein Inneres so geordnet hat, daß er zum wahren râsà durchgestoßen ist. Umgekehrt ist kasar-Sein ein Zeichen fehlender Selbstbeherrschung und der Unreife. Alus ist zugleich ein Zeichen von Kraft, kasar von Schwäche. Nach dem alus-kasar Maßstab beurteilt der Javaner alle Phänomene seiner Umwelt. Da alus das Wesen der hinter den äußeren Erscheinungen stehenden kosmischen Wirkkräfte ist, isM/usheit ein Zeichen des Durchgestoßenseins zur wahren Wirklichkeit. Sein râsà vertiefen heißt sein râsà alus zu machen. Umgekehrt sind alle fawar-Elemente Zeichen dafür, daß einer noch nicht zur wahren Wirklichkeit durchgestoßen ist. -A/usheit ist daher das Merkzeichen wahrer Existenz: Sie deutet auf Harmonie und innere kosmische Kraft hin. Und umgekehrt offenbart &uarheit fehlende Harmonie und fehlende innere Kraft. Sie ist daher auch ein Kriterium von moralischer Relevanz. Je mehr etwas alus ist, desto besser und richtiger ist es, und je mehr kasar, desto schlechter und bedauerlicher. Damit mißt sich moralisches Handeln daran, ob es alus oder kasar ist, bzw. einen Zustand mehr alus oder mehr kasar macht. Die Beurteilung nach alus und kasar ist nur eine andere Weise der Beurteilung unter dem Gesichtspunkt der Harmonie und der inneren wahren Wirklichkeit. Zwar haben wir am Beispiel Semars und Kumbâkarnâs gesehen, daß wir behutsam vorangehen müssen. Der Javaner schließt nie einfach vom Äußeren auf das Innere. Er rechnet immer mit der Möglichkeit des Ungewohnten und Grotesken als Äusruck wahrer Kraft und Göttlichkeit. Hinter einem kasareη Äußeren kann sich ein zutiefst alus es Inneres verbergen. Umgekehrt
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gilt das allerdings nicht. Aus einem wirklich aluseη Äußeren kann auch auf ein atuses Inneres geschlossen werden. Doch gibt es für den Javaner keine naive Identifizierung des Äußeren mit dem Inneren. Mit dieser wichtigen Einschränkung aber gilt, daß im Maße etwas alus ist, in dem Maße ist es auch besser, und umgekehrt. Alus und kasar aber sind primär ästhetische Kategorien. Was alus ist, ist auch schön und was kasar ist, ist häßlich. Damit rückt die Beurteilung nach Gut und Schlecht in die Nähe eines ästhetischen Urteils. Da Gut nur im Zustand vollendeter Harmonie realisiert ist und da das Schlechte stets eine. Störung dieser Harmonie ist, ist ohne weiteres begreiflich, daß das Gute schön und das Schlechte häßlich ist. Was schön ist, ist gut, weil es Harmonie verwirklicht, und eine Störung der Harmonie ist häßlich und daher schlecht. In der Tat wird das javanische Wort für „gut" (becik) auch in der Bedeuung von „schön" gebraucht, obwohl es für „schön" ein eigenes Wort (éndah) gibt. Für „häßlich" gibt es dagegen kein eigenes Wort, es steht dafür nur das Wort ala (auch èlèk) zur Verfügung, das „schlecht", und zwar auch im moralischen Sinn, bedeutet.
6. Weisheitsmoral Als Grundforderungen der javanischen Moral an das Individuum hat sich die Forderung erwiesen, grundsätzlich eine Haltung der Selbstbescheidung einzunehmen und bereit zu sein, die eigenen Standespflichten zu erfüllen. In diesem Abschnitt fragen wir, welches die Verbindlichkeit dieser Forderung ist. Mit welchem Anspruch kann die javanische Moral ihre Forderungen an das Individuum decken? Diese Frage hängt eng zusammen mit der Frage, was das javanische Individuum dazu bewegen könnte, den Forderungen seiner Ethik nachzukommen. Wie wir gesehen haben, ist die in der javanischen Moral entscheidende Unterscheidung nicht diejenige zwischen guten und bösen Menschen, sondern die zwischen Weisen und Toren. Wer sich nicht an die Vorschriften der javanischen Moral hält, gilt nicht so sehr als böse denn als töricht. Wer seinen Leidenschaften nachjagt, wer nur an die Befriedigung seiner unmittelbaren egoistischen Bedürfnisse denkt, erregt nicht sittliche Empörung, sondern Verachtung und Bedauern. Sein Verhalten zeigt, daß er noch nicht weiß, welche Weise, sein Leben zu führen,in seinem wahren Interesse ist. Umgekehrt erfaßt der Einsichtige, daß es für ihn das Beste ist, nach den Vorschriften der Moral zu leben, selbst wenn das einen Kampf gegen seine Leidenschaften und den Verzicht auf unmittelbare Nahzeitinteressen mit sich bringen sollte. Es hat daher auch keinen Sinn, dem gegen die Vorschriften der Moral Verstoßenden Vorwürfe zu machen. Solange er uneinsichtig ist, ist ihm nicht zu helfen: man wird zwar zu verhindern wissen, daß er Schaden stiftet, aber ansonsten kann man nur hoffen, daß auch er einmal zur Einsicht kommt. Erzwin-
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gen läßt sie sich nicht. Die Einsicht, um die es hier geht, ist die Einsicht, daß es für das handelnde Individuum selbst und überhaupt für jedermann das Vernünftigste ist, nach den Vorschriften der Moral zu leben. Warum aber ist es vernünftig, den Vorschriften der javanischen Moral Folge zu leisten? Die Vernünftigkeit moralischen Lebens erfährt der Javaner unmittelbar im râsà. Gerade deshalb lebt, wer im räsä seine wahren Dimensionen erfaßt hat, von selbst richtig, und deshalb hat es keinen Sinn, ein moralisches Leben zu eFwarten, wo das entsprechende räsä fehlt. Im räsä erfährt das Individuum ein moralisches Leben als seiner eigenen Natur entsprechend, als passend (cocog). Dieses räsä läßt sich nun weiter spezifizieren. Es unterscheidet sich in seiner konkreten Färbung und Tiefe je nach Lebensweise, Bildungsstand und mystischer Lebensorientierung. Es kann daher verschieden akzentuiert sein, ohne daß man von ganz verschiedenen räsä sprechen könnte. Dem einfachen Dorfbewohner vermittelt ein Leben nach den hergebrachten Gewohnheiten das Gefühl der Geborgenheit und des Friedens in der Gruppe, der Freiheit von nachbarschaftlichen Spannungen und erschreckenden Überraschungen, es gibt ihm das Bewußtsein, in Harmonie mit den Kräften der Natur und der Geisterwelt seines Dorfes zu stehen und garantiert ihm so einen maximalen Schutz vor Hungersnöten, Krankheiten, Naturkatastrophen und Kriegen. Kurzum, sein räsä ist bestimmt durch die Erfahrung von slamet (Heil). Für ihn ist es eine unmittelbare Erfahrung, daß er dies alles aufs Spiel setzen würde, wenn er sich seinen Leidenschaften oder seinen Egoismen hingäbe. Wer sein individuelles räsä weiter entwickelt hat, wird sich dessen bewußt, daß Leidenschaften und Egoismus untrennbar mit Frustrationen und Enttäuschungen verbunden sind. Diese wiederum stören den inneren Frieden. Dieses Bewußtsein ist bei vielen Javanern so spontan und stark, daß sie, wie wir sahen, der Auffassung sind, daß Gefühle der Enttäuschung krank machen. So erkennt der Javaner in seinem räsä, daß der grundsätzliche Verzicht auf das Verfolgen eng egoistischer Interessen, also die Haltung des sepi-ing-pamrih, das ihm wahrhaft Zuträgliche, Gesunde, Entsprechende ist. Zugleich erfaßt er, daß jeder seine Aufgabe in der Welt hat, daß es für alle am richtigsten, beruhigensten und gesündesten ist, seine Standespflichten zu tun, also raméinggawe zu sein. Je mehr der Mensch außerdem im räsä zu den Tiefenschichten des eigenen Inneren durchstößt, desto intensiver erfährt er eine doppelte Existenzerfüllung: er findet immer intensiver sein eigenes wahres Selbst und er begegnet in seinem innersten Selbst der Realität des Göttlichen. Beide Erfahrungen tragen ihren Sinn in sich selbst. Wer zu seinem Inneren und damit zu seinem wahren Selbst vorstößt, der wird einerseits in wachsendem Maße frei von allen Entfremdungen, denn als solche entpuppen sich seine Verwicklungen in der Außenwelt; andrerseits aktualisiert er im selben Maße seine eigentliche Wirklichkeit und erreicht dadurch die höchstmögliche Selbsterfüllung. Sein Bemühen umsepi-ing-pamrih und Vertiefung des räsä trägt so seine Rationa-
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lität in sich selbst: es führt zu ständig intensiverem Selbstbesitz und dieser wird intuitiv und unmittelbar als Wert an sich selbst erfahren. Dazu tritt noch das zweite Element: in dem das Individuum im ràsà zu seinem wahren Selbst durchgestoßen ist, wird es seiner eigenen letzten Wahrheit gewahr: es erfaßt, daß es in seinem tiefsten Selbst, seiner suksmä, eins ist mit der göttlichen Allseele, Hyang Suksmà. Indem es zu sich selbst durchgestoßen ist, stößt es zugleich zum Göttlichen vor. Die Erfahrung des Göttlichen aber ist stets auch die Erfahrung seiner überwältigenden Attraktivität. Das Streben nach dem Göttlichen bedarf keiner Rechtfertigung von außen, seine Sinnhaftigkeit liegt in ihm selbst, in der Glückserfahrung, die es begleitet. Die Kombination von Selbstaktualisierung und wachsendem Innewerden des eigenen numinosen Glanzes muß ein Maximum an Erfüllung anbieten. Die javanische Moral kann also im Namen der wahren Interessen der Betroffenen selbst argumentieren. Ihre Forderungen weisen den besten Weg zur Erreichung eines Zustandes innerer Ruhe und inneren Friedens, des ruhigen Selbstbesitzes, der Freiheit von Frustrationen und der Erfahrung des Göttlichen, also zu einem Maximum erfüllter Existenz, die der Javaner mit den Ausdrücken slamet (Heil) und katentremaning ati (Herzensfrieden) umschreibt. Es ist daher vernünftig, den Forderungen der javanischen Moral Folge zu leisten. Ein weiser Mensch wird moralisch leben. Es ist für das betreffende Individuum und überhaupt für jedermann am zuträglichsten, wenn es moralisch richtig handelt. An dieser Stelle bietet sich ein Vergleich mit der Ethik des Aristoteles an. Die bisherige Darstellung dürfte bereits gezeigt haben, wie auffallend ähnlich die Struktur der javanischen Moral mit der der Nikomachischen Ethik ist. Wie die Nikomachische Ethik die Lebensweise aufzeigen möchte, die den Menschen zu seinem höchsten Gut führt, so auch die javanische. Für Aristoteles ist das höchste Gut für den Menschen die eudaimonia, denn sie ist das Ziel, das an sich selbst erstrebenswert ist.10 Die javanische Ethik lenkt den Menschen auf einen Weg, der ihm die Erfahrung von Heil (slamet) und innerem Zufriedensein (katentremaning ati) gewährt, also einen Zustand, der seine Erfüllung in sich selbst trägt und über den hinaus nichts zu ersehnen bleibt. Wir dürfen slamet" und ,Jcatentremaning ati" in ihren verschieden akzentuierten Ausprägungen den javanischen Begriff von Eudämonie nennen. Gemeinsam haben aristotelische Eudämonie und javanisches slamet, daß sie keine instrumentalen Ziele sind, sondern ihren Sinn in sich selbst tragen und als sinnvoll und erfüllend erfahren werden. Der Unterschied zwischen beiden beruht auf der so verschiedenen Auffassung von Kosmos und Mensch und der dadurch mitbedingten verschiedenen Interpretation der eigenen Wirklichkeit, die ja nicht einfach eine andere Theorie über Mensch und Kosmos ist, sondern in deren Erfahrung selbst konstitutiv eingegangen ist, 10
Nik. Eth. I, 1 und 2.
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und ihr eine andersgeartete Qualität gibt. Auf eine knappe Formel gebracht besteht der Unterschied zwischen beiden Eudämonieauffassungen darin, daß Aristoteles den Menschen von seiner gesamten Umwelt abgehoben an ihm selbst, als Individuum in seinen sozialen Bezügen analysiert, während in der javanischen Erfahrung der Mensch mit Gesellschaft und Kosmos von vornherein ein einziges Ganzes bildet. Für Aristoteles ergibt sich daher, daß die Eudämonie im Vollzug der dem Menschen eigentümlichen Tätigkeiten bzw. Lebensformen (der praktischen und der theoretischen) besteht, 11 während der Zustand des slamet und der inneren Ruhe durch die rechte Einordnung in Gesellschaft und Kosmos realisiert werden. Der Unterschied liegt jedoch nur in der Akzentuierimg. Denn daß der Javaner den Zustand des slamet durch harmonisches Einordnen in den Kosmos erreicht, bedeutet ja, vom Individuum her gesehen, daß es die seiner Wirklichkeit entsprechende Lebensweise realsiert. In diesem Zusammenhang fällt weiter eine gewisse Ubereinstimmung zwischen der Anthropologie des Aristoteles und der javanischen auf. Nach Aristoteles wird Eudämonie grundsätzlich in zwei Lebensweisen realisiert, dem bios theoretikos und dem bios praktikos,12 die bei ihm allerdings scharf von einander getrennt und denen verschiedene dianoetische Tugenden zugeordnet sind.13 Der bios praktikos ist der eigentlich menschliche, insofern er den Menschen sowohl von Gott als von den Tieren unterscheidet. Er besteht im Vollzug der Sozialität des Menschen, der als innerlichst gesellschaftliches Wesen (zoon politikon) verstanden ist. 14 Im bios theoretikos dagegen vollzieht der Mensch etwas in ihm, was wesenhaft göttlich ist, den logos.ls Es ist auffallend, daß beide Dimensionen, die soziale und die metaphysische, auch in der javanischen Anthropologie die signifikanten Bestimmungen des Menschen ausmachen, und daß sie zwar nicht scharf gegeneinander abgesetzt aber eben doch unterschieden werden. Nach javanischer Auffassung findet der Mensch sein slamet in der gesellschaftlichen Harmonie, die darin implizit die Harmonie mit den Kräften des Kosmos sichert. Der soziale Bezug ist für den Javaner der entscheidende Faktor überhaupt in seinem Bemühen, zum inneren Frieden zu kommen. In der javanischen Spekulation aber gibt es auch eine Entsprechung zum aristotelischen Logos, die suksmä, die das Göttliche im Menschen ist und, anders als der aristotelische Logos, nicht so sehr als Erkenntnisvermögen denn als Seinswirklichkeit verstanden wird (aber auch bei Aristoteles „hat" der Mensch den logos, er ist zôon logon echón). Und wenn Aristoteles keinen Bezug zwischen politischer Aktivität (praxis) und philosophischer Aktivität (theoria) sieht, so läßt auch der javanische Mystiker die 11 12 13 14 15
Nik. Eth. I, 6. Nik. Eth. I, 3. Nik. Eth. VI, 3. Politik I, 2. Nik. Eth. X, 7; Politik I, 2.
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sozialen Bezüge hinter sich und steht sehr viel individueller vor dem Göttlichen als der Dorfbewohner, der diese Dimension nur implizit vollzieht.16 Javanische und Nikomachische Ethik stimmen auch darin überein, daß moralisch richtiges Tun nicht von Außen her gerechtfertigt werden muß, sondern seinen Sinn erfahrbar in sich trägt. Wie bei Aristoteles die praxis im Unterschied zurpoiesis an ihr selbst befriedigend ist, so ist das sich Einordnen in die gesellschaftliche Harmonie und die Verfeinerung des ràsâ für den Javaner nicht Mittel zu einem tranzendierenden Zweck, sondern an sich selbst das Ziel.17 Und wie bei Aristoteles der moralische Sinn bereits vorausgesetzt ist, und aller Moralunterricht nur dann einen Sinn hat, wenn einer schon weiß, was moralisches Leben bedeutet,1® so setzt auch die javanische Moral die erreichte Einsicht bereits voraus und ihre Anweisungen greifen ins Leere, wo einer „noch nicht zum Verständnis gekommen ist" (durung ngerti). Vor allem aber stimmt die javanische Moral mit der aristotelischen darin überein, daß sie Weisheitsmoral ist. Vom Standpunkt der Nikomachischen Ethik aus kann nicht sinnvoll ein absolutes moralisches Sollen abgeleitet werden.19 Alles was Aristoteles tun kann, ist, unter Hinweis auf die Wirklichkeit des Menschen einen Kurs des Handels vorzuschlagen, der ein Maximum an Eudämonie verspricht. Ein weiser Mann wird diesen Ratschlägen folgen, und tut er das nicht, dann ist er eben töricht. Eben so ist die javanische Moral in emphatischer Weise Weisheitsmoral. Sie fordert zur Beachtung ihrer Anweisungen durch einen Appell an die Vernunft auf: wenn du klug sein willst, wenn du slamet, also ein Maximum an Lebenssinn und Sicherheit erfahren möchtest, dann handle moralisch richtig. Es ist weise, nach den Regeln der Moral zu leben, aber in keiner Weise möchte oder könnte die javanische Moral ein kategorisches Sollen begründen. Die Idee einer kategorischen Verpflichtung, nach moralischen Regeln zu leben, ist sinnlos, da das eine Frage der Einsicht ist und man zur Einsicht nicht verpflichtet werden kann. Da wo es am Verständnis fehlt, kann der Javaner eben nur bedauernd die Achseln zucken und versuchen, gesellschaftliche Schäden zu minimalisieren. Die Idee einer absoluten Verpflichtung auf die Regeln der Moral wäre auch deshalb ohne Sinn, weil ohnehin der Lebensweg eines jeden vom Schicksal (takdir) bestimmt ist. Umgekehrt aber ist es klug, den Ratschlägen der Moral zu folgen, da sie ein Maximum an Lebenssinn und Freisein von Unerfreulichkeiten versprechen. Da die javanische Ethik Weisheits- und keine Verpflichtungsethik ist, ist es nicht verwunderlich, daß in ihr die zwei zentralen Kategorien einer Ver-
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Dieser Ähnlichkeit könnten sogar historische Zusammenhänge zugrunde liegen. Die javanische Mystik ist stark durch die islamische beeinfluBt, die wiederum neuplantonische Elemente in sich aufgenommen hat; vgl. dazu Zoetmulder 1935. Nik. Eth. VI, 5. Nik. Eth. I, 2. Vgl. Kant 1788, 26.
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pflichtungsethik nur eine untergeordnete Rolle spielen, der Kantsche Pflichtbegriff und die Kategorie der Gesinnung. Das Charakteristische am Kantschen Begriff sittlicher Pflicht ist seine Bestimmtheit durch den kategorischen Imperativ. Eine Handlung wird nach Kant zur sittlichen Pflicht nicht im Hinblick auf das Ergebnis, das sie erzielt, nicht um eines bestimmten Zieles willen, das man durch sie erreichen möchte, nicht aus Neigung und Interesse, sondern einzig dadurch, daßsie aus Achtung fürs Gesetz getan wird.20 Daraus ergibt sich, daß der sittliche Charakter einer Handlung nicht kraft ihrer physischen Wirklichkeit anhaftet, sondern insofern, als sie Ausdruck eines bestimmten Willens ist, nämlich des Willens, das Sittengesetz zu erfüllen. Was daher sittlich gesollt ist, ist stets ein Wille, und ein Tun ist nur insoweit Gegenstand eines sittlichen Sollens, als ohne es der Wille nicht zur vollen Entfaltung kommt. Damit besteht das Charakteristische am Kantschen Pflichtbegriff darin, daß das Gesollte stets ein Wollen ist, bzw. negativ ausgedrückt, daß ein Vollzug, der keinen bestimmten Willen impliziert, also ein bestimmtes physisches Tun als solches, ein bestimmter Interaktionsvollzug, ohne Beachtung des diesen Vollzug tragenden Willens auch niemals sittlich gesollt sein kann. In der javanischen Ethik aber ist es, wie sich bereits im Anschluß an die Harmonieprinzipien zeigte, gerade umgekehrt. Maximen, auch sittliche, gelten niemals kategorisch. Sie finden ihre Metanorm an den Harmonieprinzipien, an der Forderung, Konflikte zu vermeiden und die jeweils angebrachten Formen des Respekts einzuhalten. Der Begriff einer Pflicht als einer Handlung, die insofern absolut gesollt ist, als sie Ausdruck eines bestimmten, nämlich eines sittlichen Willens ist, die also ohne Rücksicht auf ihre Ergebnisse zu setzen ist, fehlt in der javanischen Ethik. Und im Gegensatz zur Kantschen Verpflichtungsethik ist ein sittlicher Wille in der javanischen Ethik richtig oder falsch im Hinblick auf das Ergebnis seiner Durchführung: er ist nur richtig, wenn er die gesellschaftliche Harmonie fördert. Ein Handeln ist sittlich richtig, wenn es den Hannonieprinzipien entspricht, der Wille und die Absicht, die es tragen, ändern nichts an dieser Wertung. In Kantscher Terminologie kommt es also in der javanischen Moral auf die Legalität, nicht auf die Moralität an. Die Hannonieprinzipien selbst aber sind keine sittlichen Pflichten im Kantschen Sinn, erstens weil sie nur Handlungen ohne einen bestimmten Willen fordern, während sich die Kantsche Pflicht immer auf den Willen bezieht. Und zweitens, weil sie, wie wir sahen, überhaupt nur den Charakter von Klugheitsregeln haben. Die zweite sittliche Grundkategorie der Verpflichtungsethiken, die in der javanischen Ethik ihre Bedeutung zum großen Teil verliert, ist die der sittlichen Gesinnung. Unter Gesinnung ist hier die grundlegende Haltung des Willens verstanden, insofern sie der tragende Grund möglicher Absichten, 20
„Pflicht ist die Notwendigkeit einer Handlung aus Achtung fürs Gesetz", Kant 1785, 400.
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Vorsätze und Handlungen ist.21 In Verpflichtungsethiken gilt eine Handlung nur dann als sittlich wertvoll, wenn sie Ausdruck einer sittlichen Gesinnung ist.22 Eine Gesinnung gilt dann als sittlich wertvoll, wenn sie entweder, kantisch, im Pflichtbewußtsein, also im Willen, seine Sittliche Pflicht zu erfüllen, besteht, 23 oder zumindest, wenn sie auf Verwirklichung nicht egoistischer Werte gerichtet ist, also nicht bloß den eigenen Vorteil im Auge hat, sondern die Handlung aus altruistischen Motiven, aus Verantwortungsbewußtsein usw. will. Nach dieser Auffassung ist Moral wesentlich Gesinnungsmoral: nur wo Pflichtbewußtsein, altruistische Zielsetzungen, Verantwortungsbewußtsein usw. der tragende Grund für eine Handlung sind, ist diese sittlich wertvoll. Nicht der objektive Erfolg entscheidet über den sittlichen Wert einer Handlung, sondern die Gesinnung, aus der heraus sie gesetzt wird. Es kann zwar kein Zweifel bestehen, daß das Vorhandensein derartiger Gesinnungen -ceteris paribus - auch für den Javaner den sittlichen Wert einer Handlung vermehrt und überhaupt für ihn von hohem Werte ist. Der Javaner ist keineswegs blind für die Gesinnung, die hinter Handlungen steht, und obwohl, wie wir sahen, die javanische Ethik letztlich nach den Kategorien klug und töricht und nicht nach gut und böse urteilt, so unterscheiden Javaner in der Praxis des Alltags doch zwischen guten und bösen Menschen, zwischen Menschen, denen man sich anvertrauen kann, und solchen, denen man mit Mißtrauen begegnen muß. Aber gegen die Absolutsetzung der Harmonieprinzipien kann der intuitiv angefühlte Wert der Gesinnung das Feld nicht behaupten. Der Satz, daß der sittliche Wert einer Handlung nur so groß ist wie der Wert der Gesinnung, aus der heraus sie vorgenommen wurde, kommt in der javanischen Ethik nicht zum Tragen, da letzten Endes das sittlich Richtige bzw. Falsche überhaupt nicht an einen Willen gebunden ist, sondern an das Ergebnis einer Handlung, an die Harmonie. Wie daher moralische Grundnormen, die einen bestimmten Willen zum Gegenstand haben, von den Harmonieprinzipien relativiert werden, so die Gesinnung. Es kann nicht gesagt werden, daß in der javanischen Ethik bestimmte Gesinnungen sittlich erfordert sind, um ein schlechthin richtiges Leben zu führen. Zwar empfiehlt sie aufs stärkste, sich innerlich die Haltungen des rukun, des Respekts und des sich-bescheiden-Könnens (sepi ingpamrih) zu eigen zu machen. Doch handelt es sich hier nicht um sittliche Gesinnungen im Sinne der Verpflichtungsethiken. Die „Gesinnung" des rukun und Respektes ist kein notwendiges Element an dem durch die Harmonieprinzipien gebotenen Verhalten. Und wenn auch sepi ing pamrih ein Wert an sich selbst ist, so ist es doch keine Gesinnung im dargelegten Sinn, weil es sich um einen Selbstwert für den, der diese „Gesinnung" hegt, handelt, der nichts mit Pflichtbewußtsein, Altruismus oder Verantwortung zu tun hat, sondern ebenso wie die „Gesinnung" des rukun und des Re21 22 23
Vgl. Scheler, 135. Vgl. Kant 1788, 71. Vgl. Kant 1785, 400.
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spektes eine Forderung der Klugheit ist: sie hilft, Frustrationen zu ersparen, harmoniestörendes Verhalten zu vermeiden und innerlich ruhig zu werden, was wiederum eine Voraussetzung zur Vertiefung des rasa ist.
Achtes Kapitel JAVANISCHE ETHIK UND RELATIVISMUS Im vorigen Kapitel habe ich die theoretische Eigentümlichkeit der javanischen Ethik von verschiedenen Gesichtspunkten aus untersucht. Dabei ergab sich, daß sie nicht als Verpflichtungsethik, sondern als Weisheitsethik anzusprechen ist, deren Regeln letztlich als Forderungen der Klugheit begriffen werden müssen. Es wäre zwar falsch, diese Ethik einfach als „ethischen Egoismus" zu kategorisieren. Denn wer ihre Regeln befolgt, handelt dadurch nicht nur seinen eigenen Interessen, sondern stets auch denen der Gesamtgemeinschaft entsprechend. Außerdem würde eine Konzentration auf die eigenen Interessen als „pamrih" diesen geradezu entgegen laufen. Andrerseits aber genügen als Motiv zur Einhaltung der Regeln der javanischen Ethik in der Tat bloße Klugheitserwägungen, d. h. es genügt, von den eigenen wahren Interessen auszugehen.1 Es ist daher nicht weiter verwunderlich, daß in der javanischen Ethik die Idee einer Gewissenspflicht nicht auftaucht und die moralische Gesinnung ihre Bedeutung einbüßt. Gewissenspflicht und Gesinnung sind aber Kernelemente westlicher Ethik. Zwischen javanischer und westlicher Ethik bestehen also offensichtlich tiefgreifende Unterschiede. Aber worin bestehen diese nun genau? Bilden sie einen Beleg für die These des deskriptiven, kulturellen Relativismus, demzufolge sich „die moralischen Grundsätze verschiedener Individuen oder Gruppen" häufig „unterscheiden u n d . . . in ganz fundamentaler Weise" widersprechen? 2 Oder läßt sich die javanische Moral vielleicht mit Hilfe einer Theorie von universal gültigen Stufen der Entwicklung des moralischen Bewußtseins von Gesellschaften besser verstehen, wie sie Jürgen Habermas im Anschluß an Lawrence Kohlbergs Untersuchungen über Stufen der Entwicklung individuellen moralischen Bewußtseins zur Diskussion stellt? In diesem abschließenden Kapitel möchte ich auf diese beiden Fragen eingehen.
1
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In einem Seminar bemerkte einer meiner javanischen Studenten, daB das Streben nach Freiheit vom pamrih (sepi-ing-pamrih-Ideal) letztlich selbst eine subtile Form von pamrih sei, womit er die Grenzen dieser Moral sehr scharf aufgewiesen hat. Brandt 1976, 44; vgl. Frankena, 132-134; Patzig, 76-100.
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Javanische Ethik und Relativismus 1. Unterschiede zwischen javanischer und westlicher Ethik
Zunächst eine begriffliche Klärung: Der Ausdruck „westliche Ethik" ist hier in einem ganz losen Sinn gebraucht. Der Begriff dient nur dazu, eine Folie zu gewinnen, gegen die die javanische Ethik abgehoben werden kann. In einem minimalen Sinn nenne ich hier „westliche Ethik" ein mir persönlich in einem bestimmten mitteleuropäischen Milieu zugewachsenes moralisches Bewußtsein, das ich bei zahlreichen Mitteleuropäern wiedergefunden zu haben glaube, und das in meinen Augen moralische Dignität und Plausibilität beanspruchen kann. Das Problem des ethischen Relativismus stellt sich, weil die von der westlichen verschiedene javanische Ethik in javanischen Augen ebenso durch Dignität und Plausibilität gekennzeichnet ist. Wo liegen nun genauer die Unterschiede zwischen beiden Ethiken? Der ethische Relativismus geht im allgemeinen von einander offensichtlich entgegengesetzten moralischen Wertungen und Normen in verschiedenen Gesellschaften aus. Gerade in dieser Hinsicht hat jedoch unsere Darstellung der javanischen Moral wenig zu Tage gebracht. Rukun und Respekt, die Haltungen des sich bescheiden Könnens und des seine Pflicht Vollbringens in allen ihren Ausfaltungen stellen zwar zusammen ein typisch javanisches Muster dar, aber für sich genommen gelten sie auch in westlicher Ethik als Werte, wenn audi mit anderer Gewichtung. Und umgekehrt können auch typisch westliche Tugenden den Javanern moralisch verständlich gemacht werden. Der eigentliche Unterschied zwischen javanischer und westlicher Ethik liegt überhaupt nicht in einzelnen Grundnormen, Tugenden und Wertauffassungen, sondern er liegt, wie die ganze Untersuchung gezeigt hat, im Formalen: Darin, daß javanische Ethik Klugheitsethik ist, während sich in der neueren westlichen Ethik, insofern sie sich überhaupt mit normativen Fragen beschäftigt und dabei nicht rein behavioristisch oder soziologistisch vorgeht, auch wo sie sich nicht ausdrücklich kantianisch versteht, eine Art Konsens herausgebildet hat, daß Moral mehr enthalten muß als bloße Klugheitsregeln. Moralischen Regeln kommt nach dieser Auffassung ein Verpflichtungscharakter zu, der nicht durch Überlegungen aufgeklärter Selbstliebe begründet werden kann. Der Unterschied liegt im fehlenden Begriff einer Gewissenspflicht, im Zurücktreten des moralischen Wertes der Gesinnung in der javanischen Moral. Auf ein paar Gesichtspunkte dieses Unterschiedes sei hier hingewiesen. Zunächst, auch Klugheitsethiken können von Pflicht sprechen: Sie verpflichten zum Gehorsam gegenüber ihren Prinzipien. Aber es handelt sich dann nicht um kategorische, um Gewissenspflicht, um die absolute Pflicht, diese Pflichten zu erfüllen, sondern einfach um die Aussage, daß dieser Moral zu folgen eben diese Pflichten zu erfüllen bedeutet. Es handelt sich um hypothetische Pflichten. Und daher wird in der javanischen Moral nicht die Gesinnung, aus der heraus man ihre Forderungen erfüllt, prämiert, sondern die tatsächlich erzielte Erfüllung dieser Forderungen. In der Sprache Kants: Legalität, nicht Moralität wird gefordert.
Unterschied javanische Ethik - westliche Ethik
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Wo aber Legalität gefordert wird, wird eo ipso das Recht, dem eigenen Gewissen zu folgen, relativiert. Da es auf die faktische Übereinstimmung des Verhaltens mit den Forderungen der Moral ankommt und nicht auf die dahinterstehende Gesinnung, gibt die Berufung auf das eigene Gewissen dem Individuum in der javanischen Moral nicht das moralische Recht, gegen die Harmonieprinzipien zu verstoßen. Ein Verstoß gegen sie unter Berufung auf das eigene Gewissen gilt nicht nur als objektiv falsch, sondern auch als subjektiver moralischer Mangel. Denn wie wir sahen, gelten die Harmonieprinzipien kategorisch.3 Eine für westliche Ethik wichtige Unterscheidung fehlt daher in der javanischen: die zwischen falschem Verhalten und Schuld. Da es in der javanischen Ethik nicht auf den Willen, sondern auf das faktische Ergebnis ankommt, kommt in ihr der Begriff der Schuld nicht zum Zuge. Das bedeutet einerseits, daß von den Forderungen der javanischen Ethik abweichendes Verhalten eben nur als falsch und nicht als böse beurteilt wird, andrerseits aber auch, daß keine Möglichkeit besteht, es als einen zwar objektiv verfehlten, aber subjektiv entschuldbaren oder sogar berechtigten Ausdruck moralischer Gesinnung anzuerkennen. Was ist nun die Relevanz der These, daß die Idee einer Gewissensverpflichtung nicht universal für alle Moralen gilt, daß es neben Verpflichtungsmoralen auch Klugheitsmoralen gibt? Auf die javanische Moral angewendet: ist der Ausfall der Idee einer Gewissensverpflichtung ein letztes Faktum, das nicht weiter hinterfragt werden kann, oder läßt er sich auch von westlicher Ethik her doch noch verständlich machen? Ich habe die „Logik" der javanischen Moral bereits ausführlich dargestellt und zu zeigen versucht, daß sich die Relativierung des Rechts des Gewissens gegenüber der Forderung der Harmonieprinzipien - die den Kern unseres Problems ausmacht — sehr wohl verständlich machen läßt. 4 Hier genügt es daher, diese Logik noch einmal knapp nachzuzeichnen. Die javanische Moral stellt ihre Forderungen unter der Voraussetzung von zwei eng miteinander zusammenhängenden Grundannahmen über die Struktur der Gesamtwirklichkeit: erstens, daß jedem Menschen seine Stellung in der Welt und sein Wirken durchs Schicksal vorgeschrieben ist, und zweitens, daß der Mensch durch sein Wollen und Tun an der Welt letztlich nichts wirklich verändern kann. Allerdings, und das ist die wichtige Kehrseite dieser Annahmen, kann er durch harmoniestörendes Verhalten im Kosmos Wirbel erzeugen, die für den Handelnden selbst und die ganze Gesellschaft Gefahren mit sich bringen. Unter diesen Voraussetzungen fordert nun die javanische Moral absolute Anpassung des Individuums an die Forderung gesellschaftlicher Harmonie, der gegenüber denn auch keine Berufung aufs eigene Gewissen eingebracht werden darf und selbst die Ansprüche sittlicher Grundtugenden - Tugenden, die im Wollen angesiedelt sind und die der Ja3 4
Vgl. S. 62 ff. Vgl. S. 8 0 - 8 4 und 1 2 8 - 1 3 2 .
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Javanische Ethik und Relativismus
vaner an sich hochschätzt-relativiert werden. Das hat die javanische Gesellschaft durch ein ganzes Netz von sozialen, psychologischen und theoretischnormativen Verhaltensregeln abgesichert, so daß das Individuum, das gegen die Harmonieprinzipien verstößt, von der Gesellschaft getadelt wird, Schamgefühle empfindet und weiß, daß es so nicht handeln sollte (da'es ζ. B. ein Zeichen vonpamrih wäre). Die logische Verbindung zwischen dieser Verabsolutierung der Harmonieprinzipien und den genannten deskriptiven Prämissen der javanischen Weltanschauung wird über die normative Voraussetzung hergestellt, daß das Individuum sich stets so zu verhalten habe, daß es für die Gesellschaft keine Gefahren heraufbeschwört, daß also ein Verhalten, das der allgemeinen Eudemonie unzuträglich ist, zu unterbleiben hat. Denn da in einer durch die beiden genannten deskriptiven Prämissen bestimmten Welt ein den Harmonieprinzipien widersprechendes Handeln sozial schädlich sein muß, muß es nach dieser normativen Voraussetzung moralisch falsch sein.
2. Ethischer Relativismus? Damit können wir die Frage nach dem ethischen Relativismus schärfer stellen. Es geht zunächst nicht darum, ob die westliche Auffassung, nach der die Anerkennung des moralischen Rechtes, dem eigenen Gewissen zu folgen, zum Grundbestand der Moral gehört, relativ sei oder nicht, sondern um das Prinzip, daß es moralisch falsch ist, sich sozial schädlich zu verhalten. Denn dieses Prinzip ist die Grundlage dafür, daß die javanische Ethik die Befolgung der Harmonieprinzipien zur absoluten Norm richtigen moralischen Verhaltens macht. Ihm müssen wir uns daher zuwenden. Das Prinzip, daß jegliches Verhalten zu unterbleiben hat, das der Gemeinschaft Schaden zufügen kann, steht offensichtlich in engstem Zusammenhang mit einem Prinzip, das zu den letzten Grundprinzipien von Moral überhaupt gehört, dem Prinzip des Wohlwollens, das mit Frankena folgendermaßen formuliert werden kann: Es besteht die prima facie Pflicht, Gutes zu tun und Schlechtes zu verhindern.5 In dieser engen Beziehung liegt die hohe moralische Dignität, die diesem javanischen Prinzip zuzuschreiben ist. Beide Prinzipien sind jedoch nicht identisch. In seiner negativen Form ist das javanische Prinzip enger als das Prinzip des Wohlwollens: es wird zur schlechthinnigen Bedingung sittlich erlaubten Handelns überhaupt. Sittlich richtig verhält sich demnach nur, wer dabei versucht, die Gemeinschaft nicht in Gefahr zu bringen, ihr keinen Schaden zuzufügen. Dagegen scheint mir in westlicher Ethik die Pflicht, die Gemeinschaft nicht in Gefahr zu bringen, nur unter der Bedingung zu gelten, daß dadurch nicht in schwerer Weise einem wesentlichen Rechte oder einer Forderung der Gerechtigkeit Abbruch geschieht. Damit verschiebt sich das Relativismusproblem wiederum. Die Frage lau5
Vgl. Frankena 64
Ethischer Relativismus?
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tet nun: warum findet sich diese Bedingung in der javanischen Ethik nicht, zumindest in dem Sinne, daß sie nicht vom Betroffenen gegen die Harmonieprinzipien eingebracht werden kann? Hier bieten sich jedoch drei Überlegungen an. Erstens haben wir gesehen, 6 daß eine javanische Gemeinschaft nicht auf die Dauer vitale Interessen unter Berufung auf das rukun-Priazip mißachten kann. Die Verzichte auf private Interessen, die dem Individuum im Rahmen des rukun-Prinzips zugemutet werden, geschehen unter der Voraussetzung, daß die Gemeinschaft das Individuum zu gegebener Zeit dafür entschädigen wird. Auch' die javanische Gemeinschaft muß darauf achten, daß den Forderungen der ausgleichenden Gerechtigkeit genüge geschieht. Dieser-Sachverhalt kann so gedeutet werden, daß der Javaner bereits voraussetzt, daß seine Gesellschaft eine gerechte ist. Er braucht daher die oben für westliche Ethik formulierte Bedingung nicht ausdrücklich zu setzen, da sie schon immer gegeben ist. Die Gemeinschaft oder geordnete Gesellschaft, die der Javaner im Auge hat, wenn er unbedingte Anpassung an sie fordert, ist nicht irgend eine Gesellschaftsordnung, sondern eine, die er als gut und richtig und daher auch als gerecht erfährt. Die absolute Geltung der Harmonieprinzipien setzt voraus, daß die gegebene Gesellschaft eine gerechte ist. Aus der Forderung nach unbedingter Anpassung an die Gemeinschaft kann also nicht geschlossen werden, daß den Forderungen der Gerechtigkeit in der jávanischen Gesellschaft weniger Bedeutung zukommt als in der westlichen. Zweitens aber kann umgekehrt gefragt werden, ob in westlicher Ethik tatsächlich unbedingt gilt, daß die Gemeinschaft nur in so weit vor Gefahren zu bewahren ist, als dadurch Forderungen der Gerechtigkeit kein wesentlicher Abbruch geschieht. Sind Rechte und Gerechtigkeitsforderungen stets zu achten? Vermutlich gibt es deontologische Ethiken, in denen diese Frage ohne Zögern bejaht würde. Aber wie repräsentativ sind diese Ethiken? Ich möchte dagegen annehmen, daß in westlicher Ethik folgendes utilitaristische Prinzip plausibel ist: Es ist moralisch nicht richtig, die Rechte einzelner Individuen ohne jede Berücksichtigung der Folgen für die übrige Gemeinschaft durchzusetzen; daher darf sich der Leiter der Gemeinschaft in Zwangslagen über diese Rechte hinwegsetzen. Mit diesem Prinzip ist aber die Bedingung relativiert, daß gemeinschaftsschädigendes Verhalten nur dann moralisch falsch ist, wenn es nicht zur Erfüllung von Gerechtigkeitsforderungen erfordert ist. Logisch bedeutet das, daß das javanische Verbot gemeinschaftsschädigenden Verhaltens auch in westlichen Ethiken prinzipiell gilt. Drittens: wie wir gezeigt haben, hat die javanische Moral guten Grund, ihren Harmonieprinzipien ohne Einschränkung Vorrang vor allen anderen moralischen Forderungen zu geben: es kann nicht im Interesse irgendeines Individuums liegen, daß die Harmonie gestört wird. Daß also zum Beispiel individuelle Rechte und Gerechtigkeitsforderungen gegenüber den Harmonie6
Vgl. S. 53f.
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Javanische Ethik und Relativismus
prinzipien zurückstecken müssen, hat seinen Grund darin, daß diese Forderungen auf dem Hintergrund der javanischen Weltanschauung keinen Bezug auf die Eudämonie der betroffenen Individuen haben kann. Wir können diesen Zusammenhang wieder in einem Prinzip ausdrücken: Das Achten von Rechten, deren Durchsetzung in keiner Weise zur Eudämonie der Besitzer dieser Rechte beiträgt, hat keinen angebbaren Sinn und kann daher auch nicht Inhalt einer absoluten moralischen Forderung sein. Mir scheint, daß dieses Prinzip auch in westlicher Ethik einigermaßen plausibel ist. Wenn dem so ist, dann besteht auch von hier aus kein prinzipieller Unterschied zwischen einer westlichen und einer javanischen normativen Grundprämisse. Das Ergebnis dieser Überlegungen ist, daß die Unterschiede zwischen javanischer und westlicher Ethik, so tiefgreifend sie auch sein mögen, nicht auf verschiedenen normativen Grundprinzipien beruhen, sondern auf dem so total verschiedenen Weltbild, das einerseits die Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Harmonie zur zentralen gesellschaftlichen Aufgabe zu machen zwingt und andrerseits einer Berufung auf moralische Tugenden als Instanz gegen die Harmonieforderung jeden Sinn nimmt. Es hat sich auch gezeigt, wie entscheidend für jede Ethik die Forderung nach Berücksichtigung der Eudämonie der Gemeinschaft ist. Die entscheidende Stellung dieser Forderung wirft aber auch ein anderes Licht auf die Frage nach dem moralischen Recht, seinem Gewissen zu folgen. Für den Javaner übersetzt sich die Grundnorm, die gemeinschaftsschädigendes Verhalten verbietet, in die Verabsolutierung der Harmonieprinzipien. Eine Gewissensentscheidung gegen sie kann nur als Entscheidung gegen diese Grundnorm verstanden werden. Das gilt natürlich nicht in westlicher Moral, da dort harmoniestörendes Verhalten keineswegs als notwendig gemeinschaftsschädigend gilt. Aber eine Gewissensentscheidung gegen eine moralische Grundnorm würde auch im Westen moralisch nicht anerkannt werden, d. h. man würde die moralische Ernsthaftigkeit einer solchen Gewissensentscheidung bezweifeln. Eine Gewissensentscheidung kann sich immer nur auf die Anwendung fundamentaler moralischer Normen auf konkrete Situationen bezieben. Moralische Anerkennung der Gewissensfreiheit bedeutet, daß anerkannt wird, daß ein Individuum zu einer von meinem Urteil abweichenden Interpretation eines moralischen Grundprinzips in einer konkreten Situation kommt. Dagegen bedeutet es nicht, daß die Möglichkeit anerkannt wird, daß sich jemand im Gewissen grundsätzlich nicht an die Pflicht zur gerechten Behandlung anderer, an die Gebote des Wohlwollens, der Ehrlichkeit, Dankbarkeit usw. gebunden fühlt. Denn eine „Gewissensentscheidung" gegen diese Grundprinzipien gälte als gleichbedeutend mit einer Gewissensentscheidung gegen den moralischen Standpunkt überhaupt, und eine solche ist eine contradictio in adiecto, insofern Gewissen gerade das Bewußtsein meines konkreten moralischen Verpflichtetseins ist. Es gibt also auch in westlicher Ethik keine uneingeschränkte moralische Anerkennung des Rechtes auf freie. Gewissensentscheidung. Da nun unter der Voraussetzung
Entwicklung moralischen Bewußtseins?
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der javanischen Weltanschauung die Harmonieprinzipien praktisch identisch sind mit der Forderung, grundsätzlich dem anderen nicht zu schaden, d.h. ihm wohl zu wollen, kann die javanische Ethik einen Gewissensentscheid gegen diese moralisch nicht anerkennen. Der Unterschied zum Westen liegt nur darin, daß im javanischen Weltbild das Wohl des Menschen absolut an gesellschaftliche Harmonie gebunden ist, im westlichen dagegen nicht. Weshalb dann in westlicher Moral die absolute Geltung der Forderungen nach grundsätzlichem Wohlwollen keineswegs die absolute Forderung nach Aufrechterhaltung gesellschaftlicher Harmonie impliziert, in der javanischen Moral dagegen wohl. Zusammenfassend können wir sagen: es läßt sich nicht zeigen, daß die erheblichen Unterschiede zwischen javanischer und westlicher Moral auf unüberbrückbare Verschiedenheiten in moralischen Grundauffassungen, Normen und Wertungen zurückzuführen sind. Sie lassen sich vollständig aus den unterschiedlichen deskriptiven Überzeugungen vom Wesen der Wirklichkeit erklären. Aus der javanischen Moral läßt sich daher, meiner Meinung nach, kein Argument für einen kulturellen moralischen Relativismus gewinnen. Allerdings muß auch ein zweites gesagt werden: umgekehrt läßt sich aus der Tatsache, daß zwei Moralen keine gegensätzlichen Grundprinzipien aufweisen, nicht auf ihre Gleichheit schließen. Ihre praktische Bedeutung erhält eine Moral nicht aus den letzten Grundprinzipien - die vielleicht in allen Moralen der Menschheit dieselben sind, — sondern aus ihrer konkreten Ausgestaltung. Diese aber hängt, das zeigt die javanische Ethik in größter Deutlichkeit, sehr stark von kosmologischen und anderen Prämissen ab, in deren Licht konkrete Erfahrungen gedeutet werden.
3. Entwicklungsstufen gesellschaftlichen moralischen Bewußtseins? Bekanntlich hat Lawrence Kohlberg auf der Basis psychologischer Untersuchungen eine Theorie aufgestellt, nach der die Entwicklung der Fähigkeit des Individuums, moralische Urteile abzugeben, in bestimmten Stufen abläuft. Die Folge dieser Stufen ist nach Kohlberg irreversibel. Sie unterscheiden sich durch zunehmende Komplexität, wobei keine Stufe übersprungen werden kann und die jeweils höhere Stufe die Elemente der jeweils vorausgehenden enthält. Fest liegt nur die Reihenfolge der Stufen, nicht aber, welche für ein Individuum terminal wird. Eine Stufe terminal erreicht zu haben schließt nicht aus, daß das betreffende Individuum gelegentlich nach Kriterien niedrigerer, aber auch höherer Stufen urteilt. Im ganzen unterscheidet Kohlberg sechs solcher Entwicklungsstufen des moralischen Bewußtseins, von denen er annimmt, sie seien kulturinvariant, also universal gültig, da alle möglichen Figuren moralischen Urteils innerhalb dieser sechs Stufen angesiedelt werden könnten. 7
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Javanische Ethik und Relativismus
Auf diese entwicklungspsychologische Theorie greift Jürgen Habermas in seinem Bemühen um eine Rekonstruktion des Historischen Materialismus zurück. Nach Habermas kann nicht nur die Entwicklung kognitiver Kompetenzen des Individuums, sondern auch ganzer Gesellschaften als Lernprozeß verstanden werden. Die Entwicklung normativer Strukturen spiegelt nicht, wie eine platte Basis-Überbau-Vorstellung behauptet, einfach die Entwicklung der Produktivkräfte wieder, sondern ist vielmehr selbst „ein Schrittmacher der sozialen Evolution". 8 Habermas überträgt also Kohlbergs These von Stufen individueller moralischer Entwicklung auf die Entwicklung des normativen praktischen Bewußtseins ganzer Gesellschaften. Die Entwicklung des normativen praktischen Bewußtseins einer Gesellschaft folgt also nicht einfach der Entwicklung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, sondern folgt „einer eigenen Logik", 9 die ihrerseits einen Rahmen festlegt, innerhalb dessen vorhandene Produktivkräfte implementiert bzw. neue erzeugt werden können. 10 In diesem Abschnitt möchte ich der Frage nachgehen, ob unter der Voraussetzung der Habermasschen Auffassung die javanische Ethik in ihrer spezifischen Eigenart besser verstanden werden könnte. Das aber schließt umgekehrt auch die Frage ein, ob unsere Analyse der javanische Ethik die Habermassche These plausibler erscheinen läßt. Vergleicht man die wichtigsten Züge der javanischen Ethik mit den sechs Stufen von Kohlberg, so ist das Ergebnis in der Tat frappierend: die javanische Ethik hätte geradezu einer der Kohlbergschen Stufen Modell stehen können, nämlich der dritten. Kohlberg rechnet die Stufe 3 zur zweiten, konventionalen Ebene („Moralische Wertung beruht auf der Übernahme guter und richtiger Rollen, der Einhaltung der konventionellen Ordnung und den Erwartungen anderer.") und charakterisiert sie folgendermaßen: „Orientierung am Ideal des ,Guten Jimgen'. Bemüht, Beifall zu erhalten und anderen zu gefallen und ihnen zu helfen. Konformität mit stereotypischen Vorstellungen vom natürlichen oder Mehrheits-Verhalten, Beurteilung aufgrund von Intentionen." 11 Weiter schreibt Kohlberg: „Auf Stufe 3 werden kulturelle Normen als ,intern' in dem Sinne begriffen, daß sie als interne psychologische Dispositionen oder Tugenden des Ich und als moralische Erwartungen (und Tugenden) anderer definiert werden, und das Ich wird ,als etwas, das versucht, ein guter Mensch zu sein' definiert. Auf dieser konventionellen Ebene werden die Werte jedoch immer noch als abhängig von aktuellen sozialen Beziehungen der Gemeinsamkeit, von einer konkreten sozialen Ordnung mit aktuellen gemeinsamen Erwartungen aufgefaßt. Die Norm ist davon abhängig, von an7 8 9 10 11
Kohlberg, vorallem 59-83. Habermas, 35. Habermas, 163. Habermas 35, vgl. 176. Kohlberg 60.
Entwicklung moralischen Bewufitseins?
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deren vertreten und eingehalten zu werden, sowie von der Billigung oder Nichtbilligung seitens anderer." 12 Vor der konventionellen liegen zwei Stufen der präkonventionellen Ebene, auf denen das Individuum von Standpunkt hedonistisch verstandener egoistischer Interessen aus urteilt. Zur konventionellen Ebene gehört neben der dritten die vierte Stufe der „Orientierung an Aufrechterhaltung von Autorität und sozialer O r d n u n g . . . um ihrer selbst willen." 13 Es folgen die zwei Stufen der postkonventionellén Ebene, auf welcher das Individuum nach Prinzipien urteilt, den Prinzipien der Anerkennung individueller Rechte und der Verpflichtimg zur Vertragsgerechtigkeit (5. Stufe) und der Pflicht, seinem Gewissen zu folgen, bzw. dieses nach letzten moralischen Prinzipien auszurichten (6. Stufe). Als die wichtigsten Züge der javanischen Ethik hatten sich die folgenden erwiesen: Einhaltung der jeweils gehörigen Etiquette, gestützt durch die Gefühle des sich Schämens (win) und Genierens (sungkan); die Bereitschaft, sich um der Gemeinschaft willen bescheiden zu können (sepi ingpamrih) und die einem durch die jeweilige Stellung zugewiesenen Pflichten zu erfüllen {ramé ing gawé) ; ferner die Betonung des rechten Gefühls für interpersonale Situationen (rasa), um zu wissen (ngerti), was sich gehört und was nicht; die Mißbilligung persönlicher Initiativen und Handelns aus eigener individueller Gewissensverantwortung. Alle diese Forderungen stimmen genau mit Kohlbergs dritter Stufe überein. Allerhôchstêns könnte man die Forderung nach ramé ing gawé, wie sie uns etwa im wajwig-Schattenspiel als die Pflicht des edlen Ritters entgegentritt, treu und ohne Rücksicht selbst auf die eigene Familie seine von den Göttern festgelegten Pflichten zu erfüllen, der vierten Stufe zurechnen. Es kann kaum ein Zweifel darüber bestehen: die javanische Moral stimmt in erstaunlichem Maße mit dem überein, was Kohlberg als dritte, teilweise auch als vierte Stufe der Entwicklung des individuellen moralischen Bewußtseins beschrieben hat. Mit dieser Feststellung ist aber noch gar nichts zur Frage gesagt, ob Gesellschaften ihr moralisches Bewußtsein nach einer bestimmten inhärenten Logik entwickeln. Um eine solche nachzuweisen, müßte gezeigt werden, daß zum Verständnis der javanischen Moral, so wie sie ist, die Annahme einer solchen Logik notwendig ist. Kann man sie hinreichend durch ihren Bezug auf andere Elemente der javanischen Gesellschaft erklaren, so entfällt die Notwendigkeit zur Annahme einer kultur- und „basis"-invarianten moralischen Entwicklungslogik. Damit ist natürlich nicht ausgeschlossen, daß eine solche Logik auf Grund anderer Überlegungen postuliert wird und dann gezeigt wird, daß damit die Gegebenheit der javanischen Moral sehr wohl vereinbar ist. Vielleicht kann gezeigt werden, daß sich das Entstehen der javanischen Moral in ihrer bestehenden Bezogenheit auf anderer Elemente der javanischen Gesellschaft nicht ohne eine solche Logik verstehen läßt. Doch um diese Fragen geht es in dieser Arbeit nicht und es soll auch keine Hypothese 12 13
Kohlberg 149s. Kohlberg 60.
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Javanische Ethik und Relativismus
über die Entstehung der javanischen Moral aufgestellt werden. Hier soll nur gefragt werden, ob die javanische Moral in ihrer spezifischen Ausfaltung rätselhaft bleiben würde, es sei denn, man akzeptiere eine allgemeine Logik gesellschaftlicher moralischer Entwicklung. Das aber ist offensichtlich nicht der Fall. Erstens haben wir gesehen, daß die Spezifität der javanischen Moral sich logisch voll aus der Eigenart der javanischen Weltanschauung erklären läßt. Aus ihr lassen sich gerade die angeführten Elemente erklären, die die javanische Moral als ein Spezimen für Kohlbergs Stufe 3 erscheinen lassen, und zwar gerade in ihrer Spezifität, nämlich in dem Nachdruck, der ihnen im Gegensatz zu weniger für die Stufe 3 typischen Einstellungen wie Gerechtigkeit, Ehrlichkeit, Verantwortungsbewußtsein gegeben wird. Unter Voraussetzung der normativen Prämisse, daß man sich stets so zu verhalten habe, daß man der Gemeinschaft nicht schadet, einer Prämisse, die im Kohlbergschen Schema nicht spezifisch der dritten Stufe angehört, sondern eher zu den Prinzipien der sechsten zu rechnen ist, hat sich die javanische Moral so spezifiziert. Damit ist zwar keineswegs eine genetische Erklärung für die Entwicklung der javanischen Moral nachgewiesen, so als ob sie sich unter dem Einfluß einer bestimmten Weltanschauung langsam entwickelt habe. Darüber sagt der logische Zusammenhang nichts. Doch ist das auch nicht nötig. Denn um zu zeigen, daß die Tatsache, daß die javanische Moral die Kennzeichen der Kohlbergschen Stufe 3 aufweist, keinen Schluß auf eine bestimmte Logik der Entwicklung des moralischen gesellschaftlichen Bewußtseins erlaubt, genügt bereits die Möglichkeit eines genetischen Zusammenhanges zwischen Weltanschauung und moralischem Bewußtsein, und diese Möglichkeit ist durch die logische Beziehung erwiesen. Dazu kommt aber eine zweite Überlegung. Die Übereinstimmung zwischen Kohlbergscher Stufe 3 und javanischer Moral könnte den Schluß nahelegen, daß die Mehrzahl der Individuen der javanischen Gesellschaft ein minder entwickeltes moralisches Bewußtsein besitzen (wobei hier vorausgesetzt sei, daß Kohlbergs Schema den Schluß zuläßt, daß ein Individuum, das hauptsächlich nach Kategorien der dritten Stufe urteilt, moralisch-kognitiv nicht voll entwickelt ist14). Für unsere Frage nach einer Logik moralischer Entwicklung von Gesellschaften ist es wichtig einzusehen, warum ein solcher Schluß ein Fehlschluß wäre. Nehmen wir als Beispiel einen heutigen Mitteleuropäer und nehmen wir an, er habe die moralisch-kognitive Kompetenz der Stufe 6 von Kohlberg erreicht. Versetzen wir nun diesen moralisch reifen und verantwortungsbewußten Mitteleuropäer nach Feierabend in den Kreis seiner Familie. Nehmen wir ferner an, daß ihn keine Umstände dazu zwingen, sich zu dieser trauten Stunde mit beruflichen, politischen oder finanziellen Problemen auseinanderzusetzen. In diesem Milieu würde unser Mitteleuropäer seiner Gewis14
Vgl. Kohlberg 127.
Entwicklung moralischen Bewußtseins?
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sensverantwortung, also den Kriterien der Stufe 6, vollständig entsprechen, wenn er sich ganz nach den Kriterien der 3. Stufe verhalten würde. Der Grund dafür ist einfach: die dritte Kohlbergsche Stufe enthält gerade die Kriterien für ein vollkommenes Funktionieren in einem Kreis, der durch konkrete, interpersonale Beziehungen bestimmt ist. Auch die Kriterien strenger moralischer Verantwortung fordern hier kein anderes Verhalten, als es die Kriterien der dritten Stufe fordern. Im Rahmen einer Normalsituation, in der also keine außergewöhnlichen Anforderungen auftauchen, könnte im Rahmen eines in jeder Hinsicht intakten Familienkreises zwischen einem Bewußtsein der dritten und der sechsten Stufe nicht unterschieden werden. Das gilt, so scheint mir, noch mehr für ganze Gesellschaften. Hier möchte ich eine Art moralisches Sparsamkeitsprinzip postulieren: Danach entwickelt eine Gesellschaft immer nur diejenigen moralischen Kriterien, die erforderlich sind, um ihre Probleme so zu lösen, daß ihre Strukturen erhalten bleiben, und diese Lösung ist moralisch adäquat, weil von einem Standpunkt, der an Prinzipien orientiert ist, in dieser geschlossenen Gesellschaft keine anderen Kriterien benötigt werden. In einer Gesellschaft, in der sich praktisch alle sozialen Beziehungen im Milieu von Familie, Verwandtschaft, nahem Bekanntenkreis, Nachbarschaft abspielen, d. h. in einem Kreis, in dem unpersönliche, sachlich-rechtliche Strukturen noch keine Rolle spielen, genügen die Maßstäbe der dritten Kohlbergschei) Stufe vollständig zur moralisch adäquaten Verhaltensregelung. Die javanische Gesellschaft, deren Moral wir analysiert haben, ist idealtypisch eine solche Gesellschaft. In ihr genügen die Kriterien der Stufe 3 den strengen Anforderungen moralischer Verantwortung, deren Realisierung selbst Kennzeichen der sechsten Stufe des moralischen Bewußtseins ist. Die Tatsache, daß in der javanischen Gesellschaft im Allgemeinen nach Kriterien der dritten Stufe geurteilt wird, besagt daher nichts über die individuelle moralische Reife der javanischen Individuen. Es ist durchaus möglich, daß Javaner, die nach Kriterien der Stufe 3 urteilen und auch konzeptionell nur diese Kriterien beherrschen (während unser Mitteleuropäer durch die Anforderungen im außerfamiliären Bereich, die in Wirklichkeit natürlich ständig in den familiären Bereich eindringen, gezwungenerweise nach ganz anderen Kriterien, zumindest denen der vierten und der zweiten Stufe urteilen wird), potenziell in dem Sinn, daß Javaner auf Grund ihres gesellschaftlichen Milieus keine genügenden ausdrücklichen Kriterien der sechsten Stufe zur Verfügung haben, daß sie daher angesichts von Anforderungen, die den gewohnten Rahmen interpersonaler Verhältnisse sprengen, eine Orientierungsphase nötig hätten, um ihre implizite Kompetenz ins Spiel bringen zu können. Aber dennoch real, weil ihnen diese Orientierung und damit die Aktualisierung der Kompetenzen der Stufe 6 tatsächlich möglich ist. Die Möglichkeit einer potentiellen Öffnung auf ein moralisches Bewußtsein der sechsten Kohlbergschen Stufe läßt sich übrigens an den moralischen Kernbegriffen der javanischen Ethik selbst aufzeigen, als da sind: das ver-
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Javanische Ethik und Relativismus
ziehten Können auf die Durchsetzung der eigenen Interessen (sepi ing pantriti); das treue Erfüllen der jeweiligen Pflicht (raméing gawé); aber auch die Pflicht, Interessenkonflikte friedlich zu lösen (rukun), vor allem im Familienkreis, wo rukun nichts Formales, Äußerliches ist, sondern als innerlich wärmende Sphäre der Gemeinsamkeit erlebt wird; persönliche Zuneigung {tresna)·, Edelmut (budi luhur). Alle diese Tugenden bewegen sich primär im Bereich von Kohlbergs Stufe 3, alle enthalten sie aber auch die Möglichkeit in sich, Konkretisierungen einer Einstellung zu sein, die sich grundsätzlich in personale Verantwortung gestellt und dem Gewissen verpflichtet weiß. Diese Überlegung erlaubt es, an Kohlberg selbst eine Frage zu richten: stimmt es, daß die sechste Stufe nur über die dritte, vierte und fünfte erreicht werden kann? Es dürfte sicherlich in solchen Gesellschaften stimmen, deren gesellschaftliche Verhältnisse die Stadien rein interpersonaler Beziehungen und des Obrigkeitsstaates hinter sich gelassen haben. Denn" unter solchen Bedingungen sind die Kriterien der vierten und fünften Stufe notwendig zum kompetenten Partizipieren am gesellschaftlichen Lebensprozeß. In einer Gesellschaft aber, in der die Kriterien der vierten und fünften Stufe keine Funktion innehaben, möchte ich annehmen, daß von der dritten Stufe ein direkter Zugang zur sechsten möglich ist, wobei sich eine ausschließlich mit den Kriterien der dritten Stufe arbeitende individuelle Moral zu einer der sechsten Stufe wie oberflächliche zur vollverantwortlichen Moral verhalten würde. Könnte es nicht sein, daß die Kompetenzen der dritten, vierten und fünften Stufe jeweils den Anforderungen einer bestimmten sozial-ökonomischen Form der Gesellschaft entsprechen (und daher nur zur Entwicklung kommen, wo die Gesellschaft die entsprechenden Basisbedingungen erreicht hat), während die sechste Stufe sich auf alle drei genannten Stufen im Verhältnis der eigentlichen moralischen Verantwortung - Kohlberg selbst benützt zu ihrer Kennzeichnung kantische Kategorien 15 - zu einer Moral des bloßen gesellschaftlichen Funktionierens bezieht? Es scheint mir jedenfalls evident, daß eine Moral der vierten und fünften Stufe sich nur unter ganz bestimmten gesellschaftlichen Verhältnissen herausbilden kann. Und umgekehrt finde ich die Annahme schlechterdings unakzeptabel, daß Gesellschaften, deren sozial-ökonomische Verhältnisse die Herausbildung der vierten und fünften Stufe noch nicht erforderlich gemacht haben, nicht wenigstens auf implizite Weise einen Begriff von Gewissensverantwortung erreichen können sollten. Wenn diese Überlegungen richtig sind, dann gilt: die Stufe des moralischen Bewußtseins einer bestimmten Gesellschaft, wie es in ihrem Normensystem zum Ausdruck kommt, hängt von den gesellschaftlichen Verhältnissen ab (womit weder eine totale Determinierung behauptet noch die Möglichkeit einer Rückwirkung der normatischen Strukturen auf die gesellschaftlichen Verhältnisse geleugnet ist; behauptet ist vielmehr ein Bedingungszusam15
Id.
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menhang: bestimmte Stufen moralischen Bewußtseins können sich ohne bestimmte sozial-ökonomische Strukturen nicht entfalten). Daß das Normensystem einer Gesellschaft der dritten Stufe Kohlbergs angehört, läßt sich dann daraus erklären, daß ihre gesellschaftlichen Verhältnisse noch ganz durch interpersonale, emotionsbezogene, nicht-sachlich-rechtliche Beziehungen bestimmt sind. Wir kommen zum gleichen Schluß wie schon bei der ersten Überlegung: Die Tatsache der javanischen Moral als einer Moral, die offensichtlich auf dem von Kohlberg als Stufe 3 bezeichneten Niveau einzuordnen ist, bedarf, um plausibel zu sein, nicht der Annahme einer inhärenten Logik von Entwicklungsstufen gesellschaftlichen moralischen Bewußtseins. Sie läßt sich mindestens ebenso gut durch die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse erklären.
4. Javanische und westliche Ethik Damit kommen wir zu folgenden Ergebnissen: Erstens, für die These des kulturellen ethischen Relativismus konnte in der javanischen Moral keine Bestätigung gefunden werden. Ihre beachtliche Andersartigkeit im Vergleich zur westlichen Ethik beruht nicht auf anderen moralischen Grundprinzipien, sondern auf einem höchst verschiedenen Weltbild. Zweitens, die Tatsache, daß die Normen moralischer Beurteilung in der javanischen Ethik der dritten Kohlbergschen Stufe moralischen Bewußtseins entspricht, impliziert nicht, daß Javaner in irgendeiner Weise moralisch weniger reif sein müssen und weniger verantwortungsbewußt urteilen können als Menschen aus anderen Kulturkreisen. Ob die Kriterien moralischen Urteilens bestimmter Gesellschaften der dritten, vierten oder fünften Stufe angehören, impliziert überhaupt nichts über die moralische Reife der Individuen dieser Gesellschaften, da von allen drei Stufen aus moralisches Urteilen nach den Kriterien der sechsten Stufe möglich ist (wohl aber enthält es einen Hinweis auf die sozial-ökonomischen Bedingungen der betreffenden Gesellschaft). Aus diesem Grundist ein ethischer Dialog zwischen verschiedenen Kulturen möglich. Im übrigen muß erwartet werden, daß das javanische Weltbild, auf das die javanische Moral in ihrer Spezifität bezogen ist, nicht ungeschoren durch den als Modernisierung bezeichneten umfassenden Umwälzungsprozeß hindurchgelangen wird, der auch über Java hinwegrollt. Im Laufe dieses Prozesses werden in sich geschlossene interpersonale Kommunikationsstrukttiren immer mehr aufgebrochen. Ganz andere Mächte kommen ins Spiel. Diese Mächte stellen Anforderungen an das Individuum als solches (zum Beispiel, sich individuell einen Arbeitsplatz besorgen zu müssen), die mit den Kategorien einer Gruppenmoral nicht mehr zu handhaben sind. Um diese neue Situation moralisch adäquat bewältigen zu können, um also zu verhindern, daß sich das Individuum außer an Resten der Kriterien der dritten Stufe ganz nach den Kriterien der zweiten orientiert, ist eine Ethik erforderlich, die dem Individuum aus-
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Javanische Ethik und Relativismus
drücklich moralische Autonomie im Sinne der Fähigkeit zu personalen, an universalen Prinzipien orientierten Gewissensentscheidungen vermittelt. An westliche Ethik aber Iäßt sich von der javanischen her die Frage richten: Muß eine Ethik der Gewissenspflicht, wie sie Kant pionierte, nicht einen Bezug zur Eudämonie der Individuen haben, um überhaupt glaubwürdig zu sein? 16 Ist der Hinweis, daß eine moralische Lebensweise den wahren Interessen der so Lebenden entspricht, wirklich ein Abfall vom sittlichen Standpunkt? Wäre es nicht an der Zeit, die alte ethische Tradition wieder aufzunehmen, nach der Ethik etwas mit Lebenskunst zu tun hat? 17 Hat nicht auch die Vernachlässigung dieses Aspektes mit dazu beigetragen, daß die moderne philosophische Ethik immer abstrakter wurde und immer mehr ihre praktische Bedeutung verloren hat? 18 Im übrigen dürften die Überlegungen dieses Abschlußkapitels gezeigt haben, daß die heutige philosophische Ethik, die sich in wachsendem Maße wieder normativen Fragen zuwendet, sich nicht damit begnügen sollte, nach inhaltlichen Grundprinzipien für moralische Regelsysteme zu fragen. Fragen wie: was ist moralische Einstellung?, was unterscheidet Regelgemäßheit von moralischer Verantwortung?, was bedeutet „Gesinnung" und „Gewissensentscheidung"?, welche Beziehung besteht zwischen moralischer Reife im Sinne der Fähigkeit zu personalen Gewissensentscheidungen einerseits und dem ausdrücklich verwendeten Kriteriensystem moralischen Urteilens andrerseits?, sind Kernfragen der Ethik, die nur zum Schaden ihrer praktischen Relevanz beiseite geschoben werden dürfen. An Kant scheint nun einmal kein Weg vorbeizuführen.
16 17 18
Schon die materiale Wertethik hat diese Kritik vorgebracht, vgl. Scheler, 68-101. Eine Wende in dieser Richtung scheint sich abzuzeichnen, vgl. Fromm und Kamiah. Vgl. Warnock, VIII.
LISTE JAVANISCHER WÖRTER, AUSDRÜCKE UND NAMEN (Namen von javanischen Autoren zitierter Literatur, sowie zeitgenössischer Javaner sind nicht hier, sondern im Register enthalten. Wenn Wörter und Ausdrücke häufig im Text vorkommen, sind nur die Stellen angegeben, wo sie im Text erklärt werden) abangan: Javaner, der nur nominell dem Islam angehört, ihn aber nicht praktiziert, Angehöriger der „javanischen Religion", 8, 15. Abimanyu: Sohn Arjunas, 141. adat: Gewohnheit, 14, 44, 63 f. adat-istiadat: lokale Gewohnheiten und Traditionen, 78, 118, 131. adik: jüngeres Geschwister, 55. adii: gerecht, 124. adil-makmur: gerecht und wohlhabend, jav. Ideal des Gesellschaftszustandes, 86,127. agâmâ kabih pàdâ waé: alle Religionen sind gleich, 116. agâmi Kejawèn: „javan. Religion"; darunter versteht man den aus alten javanischen (Geisterglaube, Beseelung der Natur, Verehrung der Vorfahren), hind. u. isl. Elementen bestehenden Glauben der abangan-priyayi, 13. Agung: erster Sultan und mächtigster König des 2. Mataramreiches im 17. Jhd., 30 f., 95. Airlangga: ostjavanischer König im 11. Jhd., 24f., 90. aku: ich, 113. aku iki urip: ich bin Leben, mystischer Ausspruch, 104. ajar: javanischer Weiser, 91. âjâ Ioli marang asalé: vergiß nicht auf deinen Ursprung, 122. âjâ lèrèn lamun durung sayah, âjâ mangan lamun durung luwé: höre nicht auf, bevor du müde bist, esse nicht bevor du Hunger hast, 121. âjâ mitunani wong tiyä: füge niemandem Schaden zu, 128. âlâ: schlecht, 176, 179. alam gaib: die unsichtbare Welt, Jenseits, Geisterreich, 74. aliran: Strömung; so bezeichnen sich politische und religiöse Richtungen in Indonesien, 73. Allah-âlà-lanang: wörtl. Gott-häBlich-männlich, Anspielung phallischer Mystik auf Gatoloco, 104. alur waris: Verwandte, die von einem gemeinsamen Vorfahren abstammen, 16. alus: fein, höflich, immateriell, 87f., 102. Amangkurat I: Nachfolger Agungs, 31. amuk: Toben, 54. ànâ satitik didum satitik, ânâ akèh didum akèh: hat man wenig so verteilt man wenig, hat man viel so verteilt man viel, 124. andap-asor: demütig, 110, 124. ani-ani: winziges Messer zum Schneiden der Reisähren, 75. arep: drückt Futurum im ngoko aus, 57. Arjunâ: dritter der Pandâwâbriider, 24f., 89, 109, 139, 158, 160f., 163f. Arjunâ Säsrä Bau: einer der vier wayang-purwä Zyklen, 136, 157f. Arjuna Wiwaha: altjavanisches Epos des 11. Jhd., 24. arwah: Seelen der Verstorbenen, 122. AsmÎrâsânti: javanischer Gott, 159. awang-uwung: totale Leere, Symbol für das Göttliche, 103.
202 babad tanah Jawi: Hofchronik der Könige des zweiten Mataramreiches, 31. bade: drückt Futurum im Krama aus, 57. Bagaspati: Riese aus dem wayang, Vater von Satyawati, 137. Bagong: dritter Sohn von Semar, 158f. baked: drückt Futurum im ngoko aus, 57. Bâlâdewâ: Bruder Kresnâs, Freund der Kurâwâs, 160. Bandung: Stadt in Westjava, 11. Bantam: westjavanisches Sultanat im 16. u. 17. Jhd., 30. Banten: nordwestjavanische Tiefebene, 114. Banyumas: Stadt in Mitteljava, 12. Bäribudur: buddhistischer Tempelberg aus dem 8. Jhd., 23. Batak: Volksstamm in Nordsumatra, 16. Batârâ Guru: javanischer Obergott, identisch mit Siva, 100, 159. batik: einfärben von Stoffen durch wiederholtes Einwachsen der nicht zu färbenden Stellen und Abschmelzen des Wachses, 14, 112, 134. batin: das Innere, Herz des Menschen, 102. Bayu: Gottheit, 100. beeik: gut, schön, 179. beeik ketitik Uà ketärä: das Gute zeigt sich, das Schlechte wird offenbar, 124. begawan: Seher, 91. bener: wahr, 84. bersih désà: jährlicher Reinigungsritus des Dorfes, 18. Besar: islamischer Opfertag, 32. Bimä: zweiter der Pandâwâbrûder, 99-104, 113f., 139, 160, 162, 164, 177. Blambangan: letztes hindujavanisches Königreich am äußersten Südostzipfel Javas, 30. Bogor: Stadt in Westjava, 11. Brahmä: erster der drei obersten Hindugötter, 159. Brâtâyudà: javan. Übersetzung von Teilen des Mahabharata im 12. Jhd., wichtigster Zyklus des wayang-purwä Repertoire; auch Abkürzung von Brâtâyudâjâyâbinangun, 25, 99, 138, 140f., 159f„ 164. Brâtâyudâjâyâbinangun: zwölftägiger Entscheidungskampf zwischen Pandâwâ und Kuráwá am Ende des Mahabharata, 141, 177. Bubuksyah: mit Gagang Aking Person aus einer alten ostjavanischen Erzählung, 26. budi luhur: von edler Gesinnung, 124. Budiutomo: Vereinigung javanischer Händler 1908; gilt als Beginn der nationalistischen Bewegung des modernen Indonesiens, 34. bungah sajroning susah, prihatin sajroning bungah: froh in der Trauer, besorgt in der Freude, 123. bypati: Regierungsbezirksrat, Instanz unter dem Provinzgouvemeur, 19. butä: Riese, 137. Cabolek: siehe Serat Cabolek, 32, 114. cakal bakal: Dorfgründer, 75, 164. Cakil: einer der Riesen aus dem wayang, 142. camat: Landrat, 17. candi: hindujavanischer Tempel, 27. Cândrâmukâ: Höhle in der Dewarucieizählung, 99. ciläkä: Verderben, 78.
203 Cirebon: Stadt an der javanischen Nordküste, 11, 29, 92. cocok: passend, übereinstimmend, 105. dahwèn: mischig, 124. dalang: Puppenspieler im wayang, 136, 159. danyang: Schutzgeist eines Dorfes, 75, 160. darmä: die jedem vom Schicksal aufgegebene Pflicht, 117, 130f. Darul Islam: islamische Aufstandsbewegung 1950-66 in Westjava, Aceh und Südsulawesi, 34, 141. Demak: Stadt in Nordmitteljava, Sitz des ersten javanischen Sultanates im 16. Jhd., 29 f., 92. demit: Geist, der an einem bestimmten Ort wohnt, 75. désà: Dorf, 16-19. déwâ: Gottheit, 137. Dewânici : Gottheit, die in der Dewarucierzählung Bimâ zum mystischen Wissen führt, 32, 99-103, 113f., 162. Déwi Sri: javanische Reisgöttin, 75. „Dia yang menyerah": Titel einer Novelle von Pramudya Ananta Tur, 121. Dieng: vulkanisches Hochplateau in Mitteljava mit den ältesten hindujavanischen Tempeln, 23. diguyu pitik: von den Hühnern ausgelacht, 111. dik: gleich adik, 55. Dipânegârâ: Yogyakartanischer Prinz, der von 1825 bis 29 einen Guerillakrieg gegen die Holländer führte, 25. dosâ: Sünde, 122. drengki: gemein, 124. dukuh: Weiler, Unterteil eines désa, 17 f. dukun: magisch potenter traditioneller Heilpraktiker, 79, 154. dumèh: aufgrund eingebildeter Verdienste sich etwas herausnehmen zu können glauben, 121. Durgá: Göttin des Bösen, 153. Durnâ: Ratgeber der Kuráwás und ehemaliger Lehrer Bimis, 99 f. durung ngerti: noch nicht zum Verständnis gekommen, 134, 176. durung Jâwà: sich noch nicht wie ein echter Javaner benehmen können, 134. èlèk: häßlich, schlecht, 179. éling: sich erinnern, auch mit mystischer Bedeutung, 112, 122, 129. éndah: schön, 179. étok-étok: tun als ob, 41,57,110. gagah: männlich imponierend, 160. Gagang Aking: siehe Bubuksyah, 26. Gajah Mada: Kanzler König Hayam Wuruks im 14. Jhd., unter dem Májápahit den Höhepunkt seiner Macht erreichte, 26 f. Gamelan: javanisches Orchester, das vor allem Schlaginstrumente verwendet, 111. gàrà-g&râ: Aufruhr der Elemente zum mittelnächtlichen Höhepunkt einer wayangVorführung, 158. Gareng: erster Sohn von Semar, 109, 158. Gatoloco: siehe Suluk Gatoloco, 104.
204 Gatotkâcâ: Sohn Bimás, 164. gawé: Arbeit, auch Fest, 77, 125. geli: enttäuscht, 106. gelem: ngoko-Voim für „wollen", 57. gotong-royong: Zusammenarbeit bei der Erledigung von Aufgaben im Dorf, 17 f., 47, 52. Grebeg Mulud: Feierlichkeiten zu Mohammads Geburtstag in Yogyakarta, 32, 93. Gresik: Stadt an der Nordküste Javas, 29. gugur gunung: eine Form von gotong-royong: gemeinsame Bemühung des ganzen Dorfes in Katastrophenfallen u.a., 52. guru: Lehrer, 76, 108, 114, 151, 162. Gusti: Herr, als Anrede des Königs und Gottes gebraucht, 113. Hamengkubuwáná: Titel der Sultane von Yogyakarta, 31, 93. Hamengkubuwänä IX: der derzeitige Sultan von Yogyakarta, langjähriger Vizepräsident der Indonesischen Republik, 20, 31. Hanoman: Affenheld aus dem Ramayana, 158. hâwà nepsu: Leidenschaft, 120. Hayam Wuruk: mächtigster König von Mâjâpahit, 14. Jhd., 26, 29. Herucâkrâ: Name des „gerechten Königs" (ratu adit) nach den Prophezeiungen von Jáyábáyá, 25. Hyang Suksmâ: die göttliche Allseele, 103, 181. ibu: Mutter, 55. iklas: bereitwillig, 123. 'ilmu: Wissenschaft (arab.), 168. Indrâ: Gottheit, 100. inggih: ja, 40, 48. isin: sich schämen, 44, 57-59. Ismâyâ: der mächtigste eingeborene Gott Javas, 159. jagad cilik: kleines Weltall, Mikrokosmos, 102. jagad gedé: großes Weltall, Makrokosmos, 102. jagad ora sagodong kélor: die Welt ist nicht nur so groß wie ein Kélorblatt, 122. jagad watikan: wörtl. umgedrehte Welt, nämlich der im Mikrokosmos umfaBte Makrokosmos, 100. jail: intrigant, 124. jaman édan: „verrückte Zeit", Periode der Aufstände, Unruhen und Verwirrungen, 87, 91, 141. jaman emas: „goldene Zeit", Periode des Wohlstandes, Friedens und der Gerechtigkeit unter dem ratu adii, 141. Japárá: nordjavanische Küstenstadt, 29. jati: Wesen, 113. Jatiberg: Berg bei Cirebon, 92. Jáyábáyá: 1135-1157 König von Kediri; ihm werden die ratu-adil Prophezeiungen zugeschrieben, 25. jimat: Talisman, 76. jogèd: klassischer javanischer Tanz, 111. jotakan: nicht mehr mit einander reden, 51.
205 jumbuhing kawulà Gusti: (mystische) Vereinigung von „Knecht und Herr", von Mensch und Gott, 104. kafir: Heide, 34. kagét: erschrocken, 106. kakak: älteres Geschwister, 55. kalifulah: Stellvertreter Gottes, 114f., 127. kang: siehe kakak, 55. karma: das göttliche Gesetz der Wiedervergeltung, 130 f. Karnâ: Halbbruder der Pandâwâs, Gegenspieler Arjunis auf der Seite der Kurâwâs, 109, 138 f., 141, 160, 164. karsà: krâmâ-inggil-Formyon arep, bakal, gelem, warn, 57. Kartâsurâ: Sitz der Mataramfiirsten im 18. Jhd., heute eine Kleinstadt bei Surakarta, 95. Kartosuwiryo: Führer des westjavanischen Darul Islam Aufstandes, 34. kasar: grob, 88f., 102. kasektèn: übernatürliche Mächtigkeit in einem Menschen, 85f., 155f., 160, 164. katentremaning ati: Herzensfrieden (ngoko), 181. katentremaning manah: Herzensfrieden (krâmà), 115. katibanan wahyu: von göttlicher Kraft erfüllt, 89. kauman: vorwiegend von santris bewohnter Stadtteil, meist in der Nähe der Moschee, 15. kawruh: Wissen, 104. kawruh sangkan-paraning dumadi: Wissen um Ursprung und Ziel der Schöpfung, 101, 112.
k&yä kéwan: wie ein Tier, 135. kebatinan: Name für Gruppen, die heute javanische Mystik praktizieren, 14,154-156. kebulatan fikiran: Einheit oder Gemeinsamkeit des Denkens (indon.), 47. kebulatan kehendak: Einheit oder Gemeinsamkeit des Wollens (indon.), 47. Kediri: Stadt in Ostjava, llf., 24f., 30. Kedu: Region in Mitteljava, 12. Kejawèn: Bezeichnung für die binnenjavanischen Kernlande; auch für das Gesamt javanischer Religion und Kultur, 12 f. kepala dukuh: Leiter eines Weilers, 17. Kertanegara: letzter Herrscher der Singosaridynastie, fl292, 25 f., 156. Ketänggiwald: Wald in Mittel] ava, 92. kiyai: Titel für einen religiösen Führer, Lehrer oder Gelehrten, 30, 32. Kiyai Lurah Semar: voller Titel von Semar, 159. klertik: das Praktizieren schwarzer Magie, 154-156. kodok angemuli ièngé: der Frosch umschließt seine Höhle, Paradoxspruch javanischer Mystik, 105. kongsèn: Dorfland, das Dorfbewohnern zum NutznieB überlassen werden kann, 18. Korawasrama: javanisches Prosastück aus dem 15. Jhd., 141. kotak: Kiste, in der die wayang -Figuren aufgehoben werden, 160. Kotagedé: Städtchen bei Yogyakarta, ehemalige Hauptstadt Sultan Agungs, 95. „kowé bisâ tiru pagawéané, rumging ora bisâ tiru rejekiné": du kannst sein Tun nachahmen, nicht aber seine Gabe, 122. krâmà: Hochjavanisch, 42, 56f. krâmâ inggil: Sprache höchsten Respektes, 56f., 159.
206 kraton: Residenz des Königs, 14, 59, 93 ff. Kresná: Inkarnation Wisnus, machtvoller Freund und Helfer der Pandáwás, 138 f., 177. kris: javanischer Dolch, 76, 90, 92. Krtarajasa: Königsname Wijayas, des Gründers des Májipahitreiches, t l 3 1 6 , 93. ksatriyâ: Ritter, 89, 137f., 142, 162. ksatriyä pinanditä: ein Ritter, der zugleich ein geistlicher Lehrer ist, 114 f. kulâwargâ: Familie, 16. kuli: Landrechte besitzender Dorfbewohner, 17. Kumbákamá: Bruder Rahwânâs, von edlem Charakter, 137 f., 160, 163, 178. Kurâwâ: 99 Brüder, die „linken" Gegner und Vettern der Pandâwâ im Mahabharata, 99, 137-142, 159, 177. kuwajiban: Pflicht, 108, 127. lair: der äußere Existenzaspekt, Gegenpol zum batin, 101 f., 106, 160. lakon: Theaterstück, 137, 140-142. lakon carangan: „Zweigstücke", die zu den lakon pokok hinzugekommenen Stücke, 140-142. lakon pokok: die ursprünglichen Kernstücke des wayang-purwà Repertoire, 140. laku tàpà: Aszese betreiben, 89, 107, 153. lanang: männlich, 55. laporan: Rapport, 60. laporan kecap: „Ketchuprapporte", frisierte Rechenschaftsberichte, 60. Lárájonggrang: Name des sivaistischen Tempelkomplexes bei Prambanan, 23 f. lebaran: Fest am Ende der islamischen Fastenzeit, 32, 107. lelänä brätä: an einsame Orte wandern, um magische Kräfte zu erlangen 89f., .192, 114. lelembut: Geister, die in den Menschen eindringen können, 75. limi: fünf, 120. lurah: Vorsteher eines Dorfes (désâ), 17, 19. madat: Opium rauchen, 120. Madiun: Stadt in Ostjava, 11 f., 29. madon: mit Frauen herumhuren, 120. Mahabharata: aus Indien stammende Erzählung, die den wichtigsten Zyklus von Stükken des wayang-purwà Repertoire darstellt, 25, 99, 109, 137-142, 158-160, 163, YÍ7. Mâhâmeru: Götterberg, 141. main: um Geld spielen, 120. Mâjâpahit: mächtigstes Hindujavanisches Königreich vom 13.-16. Jahrhundert, 26-29, 90, 93. makan: fressen, 120. Malang: Stadt in Ostjava, 11 f., 25. m&-limä: die fünf Laster, die mit m beginnen, 120. mangan ora mangan nèk kumpul: ob wir zu essen haben oder nicht, Hauptsache, wir sind beieinander, jav. Spruch, 124. Mangkunegárá: Name der zweiten Fürstenfamilie von Surakarta, 31, 93. manunggaling kawulä Gusti: siehe jumbuhing kawulá Gusti, 104. mas: gleich kang, 55.
207 Mataram: Name zweier mitteljavanischer Königreiche: MataramI 8.-10. Jhd.,Mataram II 16.-18. Jhd., 23f., 30f., 93, 95. maä sajroning urip: Sterben im Leben, mystischer Spruch, 101. mbah: Großvater, Großmutter, 5 5 f. mbah cilik: kleiner Großvater, 56. mbah Suro: Name eines mitteljavanischen dukuns, der nach 1965 eine große Anhängerschaft um sich versammelte und 1967 in einem Gefecht mit Armeeinheiten erschossen wurde, 154. mbakyu: ältere Schwester, 55. mbok: Mutter (ngoko), 55. mbok menawi: vielleicht, 39. memayu ayuning buwänä: die Welt verschönern, Leitmotiv der kebatinan-Bewegungen, 119, 126, 128. memedi: Gespenst, 75. mendet: krama-Form von njupuk, 57. mengko mundak kuwalat: paß auf, daß dich nicht eine Strafe trifft, jav. Ausruf, 131. Merapi: aktiver Vulkan bei Yogyakarta, 54, 122. metakil: rüppelhaft, 124. minum: saufen, 120. mituhu: glauben, 122. Mpu Sedah: Hofdichter in Kediri im 12. Jhd., Verfasser des Bratayuda, einer javanischen Ubersetzung von Teilen des indischen Mahabharataepos, 25. mufakat: Übereinkommen, Einstimmigkeit, 44. Mulud: Muhammads Geburtstag, 32. mundut: krama-inggil Form von tuku (kaufen), njupuk (nehmen), takon (fragen), njaluk (bitten), 57. Muriaberg: Berg an der mitteljavanischen Nordküste, 92. musyawarah: gemeinsame Beratung, 45. Nagarakrtagama: Geschichte der javanischen Könige in Gedichtsform, verfaßt von Prapanca im 14. Jhd., 156. nakal: ungezogen, frech; auch Prostituierte werden nakal genannt, 52. nasib: persönliches Schicksal, 117, 130. ndàrà: Angehöriger des Adels, 13. ndaru: blaues, kreisförmiges Licht, das vom Himmel auf besonders erwählte Menschen als Zeichen dieser Erwählung (wahyu) herunterfallt, 89, 92, 132. nedâ: krâmà-Form von njaluk (bitten), takon (fragen) und mangan (essen), 57. negârâ: Hauptstadt, Staat, 94. Nemburnawa: Name der Seeschlange, die in der Dewarucigeschichte Bima anfallt, 100. nepsu beneré déwé: stets recht haben wollen, 121. nepsu butuhé déwé: sich nur um die eigenen Bedürfnisse kümmern, 121. nepsu menangé déwé: stets der erste sein wollen, 121. ngaji mumpung: aus jeder Situation ohne Rücksicht auf die anderen seinen eigenen Vorteil schlagen wollen, 121. Ngamartä: Hauptstadt und Resident der Pandawa, 140. Ngastinâ: Hauptstadt und Residenz der Kurawa, 140. ngayomi: schützen, 162. ngèlmu: mystisches Wissen, Wissenschaft, magische Kraft, 114, 168.
208 ngerti: verstehen, 195. ngerti isin: sich schämen können, 57. ngoko: Niederjavanisch, 56 f. ngono y& ngono, nanging mbok àjà ngono: wörtl.: so, aber doch nicht so!; man mag zwar recht haben, sollte das aber doch nicht auf solche Weise tun, 124. Ngulandârâ: populärer javanischer Roman aus den 20-er Jahren, 109. njaluk: bitten, 57. njawani: sich wie ein Javaner, d.h. kultiviert, benehmen, 136. njupuk: nehmen, 57. njurung: als Gast bei einem Fest dem Hausherrn heimlich etwas Geld zustecken, 52. nrimä: alles, was auf einen zukommt, gelassen annehmen, 123. nuntun: geleiten, 162. Nyai Rârâ Kidul: Göttin der Südsee (der Küste am indischen Ozean), 93. open: mischig, 124. ora ngerti isin: keine Scham kennen, ein scharfer Tadel, 57. ora pontes: das schickt sich nicht, 109, 131. pak: Kurzform für „Vater", 55. paklik: Onkel mütterlicherseits, 56. Paku Alam: das zweite der beiden Yogyakartaner Fürstenhäuser, 31 f., 93. Paku Buwáná: Titel des Susuhunan (höchsten Fürsten) von Surakarta, 31, 93. pamoré kawulà Gusti: siehe jumbuhing kawulà Gusti, 101, 104. pamrih: nur nach Befriedigung der eigenen Interessen streben, 91, 121f., 155—157. pänäkawan: Clowne im wayang, Begleiter der Helden, 109, 158f., 161, 163f. Panataran: späthindujavanischer Tempel in Ost java, 27. Páncánáká: die magisch potenten Fingernägel Bimâs, 100. Pandáwá: 5 Brüder, die „rechten" Gegner und Vettern der Kuräwäs im Mahabharata, 99, 109, 137-142, 158-160, 163f., 177. Pangestu: eine der größten Kebatinanorganisationen, 123, 162. pontes: wie es sich gehört, 131. Parangtritis: mystisch potenter Strand südlich von Yogyakarta, 92. Pararaton: Geschichte der hindujavanischen Könige in Gedichtsform, 14.-16. Jhd., 156. Pekalongan: Stadt an der javanischen Nordküste, 11. pencak silat: javanische (und sundanesische) Form waffenloser Selbstverteidigung, 114, 168. perang kembang: vorentscheidender Kampf, nach Mittemacht, in einer wayang-Vorführung, 158. perintah halus: wörtl. (indon.) „sanfter Befehl", ein Befehl, der nicht wie ein Befehl aussieht, 88. Perlak: von Marco Polo erwähntes, zum Islam übergegangenes Städtchen in Nordsumatra, 29. pesantrèn: islamische Schule, 32. Pesisirkultur: mehr islamisch geprägte Kultur der nordjavanischen Küstenstriche, 12. Pétruk: p&nâkawan, zweiter Sohn Semars, 109, 158. pétungan: javanisches System zur Berechnung günstiger Zeiten, 79. pinter àjâ kuminter, sugih âjâ semugih: auch wenn man gescheit ist oder reich, so sollte man es doch nicht zur Schau stellen, jav. Spruch, 121.
209 prabot: Dorfbeamter, 17. pracàyà: vertrauen, 122. pramànà: das göttliche Lebensprinzip im Menschen, 100, 103. Prambanan: Ort bei Yogyakarta, berühmt durch den Lârâjonggrang Tempelkomplex, 23. Prapanca: Verfasser des Nagarakrtagama, 156. prasäjä: einfach, 124. primbon: Bücher, in denen für die verschiedenartigsten Unternehmungen die rechten Zeiten, Orte und sonstigen magischen Bedingungen angegeben sind, 78 f. priyayi: die gebildete javanische Oberklasse, 13 f. pulung: wie ndaru, 89. pundèn: heiliger Platz eines Dorfes, 18. purun: kràmâ-Form von arep (Zukunft) und gelem (wollen), 57. pusàkà: Erbstücke, oft magisch potent, 31, 90. Rahwânâ: Riesenkönig von gewaltiger magischer Kraft aus den Arjuni Sásrá Bau und Ramayana wayang-Zyklen, entführt in letzterem Râmâs Frau Sintâ, 137f., 157, 160. Rámá: Hauptheld des Ramayanaepos, Inkarnation Wisnus, schlägt Rahwânâ und befreit seine Frau Sintâ, 92, 137f., 157, 164. Ramayana: aus Indien stammende Geschichte von Rámá, die zum wayang-purwâ Repertoire gehört, 24, 92, 136-139, 157 f. ramé ing gawê: fleißig im Erfüllen der eigenen Pflicht, 125 f., 128. Rânggâwarsitâ: Hofdichter in Surakarta im 19. Jhd., 104, 107. raos kulä: nach meinem Gefühl, 39. Rapingun: Hauptfigur aus dem Roman Ngulandârâ, 109. râsâ: Gefühl, Fühlen, javanische Schlüsselkategorie, 112f., 133-135. ratu: König, 86, 114. ratu adii: „gerechter König", dessen Kommen zur Wiederherstellung einer gerechten Gesellschaft der jav. Bauer erhofft, 25, 87, 92. rembug désâ: Dorfversammlung, 48. resi: Seher, heiliger Mann, 91. rilä: loslassen können, 123. rukurt: in Harmonie, in Übereinstimmung, 37 f. rukun tet&nggä: engere Nachbarschaft, 16. sabar: geduldig, 123. sabrangan: von Übersee, 142. Sailendra: buddhistische Dynastie im Mitteljava des 8. Jhd., unter der der Bârâbudurtempel gebaut wurde, 23. Salyâ: Ritter auf der Kurâwâseite, Mann der Satyäwati, 137. Sanjâyâ (1): König von Mataram im 8. Jhd., 23. Sanjiyâ (2): Ritter auf der Kurâwâseite, der zu den Pandâwâs überläuft, 138. samar: undeutlich, 159. sangkan-paran: Ursprung und Ziel, myst. Ausdruck, 101. sangkan-paraning dumadi: Ursprung und Ziel der Schöpfung, erweiterte Formulierung desselben Begriffs, 101. santri: frommer Muslim, 8, 14f.
210 sâpâ becik dèn beciki, sâpâ à là dèn beciki: zu einem Guten verhält man sich gut, zu einem Schlechten verhält man sich (auch) gut, jav. Ausspruch, 124. Saptorenggoberg: Berg in Mitteljava, 92. Sarekat Islam: Islamische Union, 1912 als erste politische Organisation Indonesiens entstanden, 34. sari: Wesen, 77. Satyäwati: Frau des Salyâ, 137. sawah: Reisfeld, 12. sekti: unnahbar, voll übernatürlicher Kraft, 85 f. semadi: sich in Konzentration üben, 90, 117, 153 f. Semar: pánákawan, Begleiter der „guten" Seite, in Wahrheit der mächtigste der Götter, 109, 158-164, 175, 178. Semarang: Hauptstadt der Provinz Mitteljava, 11, 13. Semeru: höchster Berg Javas (3676 m), 92. Senápati: Begründer des zweiten Mataramreiches um 1600, 30. sepakat: Einstimmigkeit erzielen, 131. sepi ing pamrih: frei von Eigeninteressen, 121 f., 128, 157. Serat Cabolek: vom surakartaner Hofdichter Yâsâdipurâ I. im 18. Jhd. verfaßtes Gedicht, das die Dewärucierzählung enthält, 32. sesajèn: kleines Speise- oder Blumenopfer, 15, 76. Sétrâgândâmâyâ: Wald, in dem die Göttin Durgâ herrscht, 153. sihir: schwarze Magie, 80. sih-nugrahan: liebevolle Gnade, 162. Sindok: erster bekannter ostjavanischer König, 10. Jhd., 24. Singâsari: Sitz einer ostjavanischen Fürstendynastie im 13. Jhd., 25, 156. sing éling lan waspädä: sei (deiner Situation) eingedenk und (handle) behutsam, jav. Spruch, 129. Sintâ: Frau Râmâs, die von Rahwânâ entführt wird, 92, 137f., 157. siti bengkok: Dorfland, 17. Siwâ: zweiter der obersten drei Hindugötter, 159. slamet: heil, wohlbehalten, 73, 76, 181 f. slametan: religiöses Mahl, 76 f. sreg: genau passend, 71. srei: Mißgunst, 124. Sriwijaya: sumatranisches Königreich 500-1300 n. Chr., 23, 25. suksmä: Seele, 103, 181. Suluk Cabolek: siehe Serat Cabolek; suluk ist ein javanischer Gesang, 32. Suluk Gatoloco: das Lied von Gatoloco, ein Stück phallischer javanischer Mystik aus dem 19. Jhd., 104. Sumantri: wayang-Figar aus dem Arjuná-Sásrá-Bau Zyklus, 158. sumedi: wie semadi, 108. sungkan: verlegen, 5 7 - 5 9 . Surabaya: Hauptstadt der Provinz Ostjava, 11, 13. Surakarta: mitteljavanische Fürstenstadt, Sitz des Susuhunan Pakubuwânâ und des Mangkunegärä, ein Zentrum javanischer Kultur, 11-13, 20, 31, 93, 95. Surâlâyâ: Wohnung der Götter, 157. Susuhunan: Titel des Herrschers von Surakarta, 31. Suyudáná: Anführer der Kurâwâ, 138, 160, 177. syariah: islamisches Recht, 14, 35.
211 takdir: Gesetz der göttlichen Vorherbestimmung, 117, 130. takon: fragen, 57. t&pà: Aszese, 117, 157. tâtàkr&mà: Etikette, 42, 61, 110. tàtâ tentrem kartä raharjä: „Ordnung, Friede, Wohlstand, Glück", der Idealzustand der javanischen Gesellschaft, 87. tégâ tarané nanging ora tégâ patiné: man bringt es zwar fertig, einem anderen weh zu tun, aber nicht, ihn umzubringen, jav. Ausspruch, 124. téjà: sichtbare Ausstrahlung auf dem Gesicht eines von übernatürlicher Kraft (wahyu) Erfüllten, 89. temen: ehrlich, 123. tentrem ing manah: Frieden im Herzen, 115. tenung: wie sihir, 80. tepá salirà: umsichtig, 124. Ternate: Molukkeninsel, 25. Terong: Name eines Riesen in wayang, 142. Togog: Bruder Semars, pànâkawan der linken, „schlechten" Seite, 164. tresnä: Liebe, 50, 58, 146. trimâ: gleich nrimâ, 123. Tuban: Stadt an der mitteljavanischen Nordküste, 25, 29. tuku: kaufen, 57. tulung layat: Nachbarschaftshilfe bei Todesfällen, 52. tumbas: krâmâ-Foim von tuku, 57. tuyul: Geist, den man erwerben kann und der für einen stiehlt, 75, 120. ulama: Korangelehrter, 30, 95. urip sajroning mati: Leben im Tode, myst. Spruch, 101. urmat: Respekt, 58, 62, 81. wadon: weiblich, 55. Wagé: ein Tag der javanischen Fünftag'ewoche, 78. wahyu: (göttl.) Offenbarung, Machterweis, 89, 97, 131. wajib: verpflichtet, 5. Wali: die ersten Verkünder des Islams auf Java, 30. wani: den Mut zu etwas haben, 57. warângkâ manjing curigä: die Scheide geht in den Dolch ein, Paradoxspruch der jav. Mystik, 105. waspädä éling: behutsam, 80, 122. wayang: Puppe des javanischen Schattenspiels, auch das javanische Puppentheater selbst, 136ff. wayang kulit: wayang, bei dem flache, aus Leder geschnittene Puppen verwendet werden, 136. wayang purwä: die „klassischen" wayang-Stücke im Unterschied zu späteren, moderneren, 136. wayang wong: wayang, in dem die Puppen durch Menschen ersetzt sind, 160. Wedâtémi: Lehrgedicht des surakartaner Fürsten MangkunegÄrä IV aus dem letzten Jahrhundert, 32, 93, 130. wedi: sich fürchten, 57 f. Werkudârâ: anderer Name für Bimâ, 114.
212 Wibisânâ: Brader Rahwânâs, der zu Râmâ übergeht, 137-139, 157. Wijaya: Gründer des Majapahitreiches 1292, 26. Wind Hidayat Jati: mystische Lehrschrift von Ringgäwarsitä aus dem 19. Jhd., 104, 107. wis dadi wong: wörtl. „er ist schon ein Mensch geworden", d. h. er benimmt sich höflich und kultiviert, 134. Wisnu: dritter der obersten drei Hindugötter, 157, 159. wong abangan: siehe abangan, 13. wong citik: -wörtl. „kleiner Mann", die einfachen, ungebildeten Volksschichten, 13. wong urip ora gampang, diarani gampang y à gampang, diarani angèlyà angèl: das Leben ist nicht leicht; nennt man es leicht, so ist's leicht, nennt man es schwer, so ist's schwer, jav. Spruch, 123. wujud: Sein, 113. Wulangrèh: Lehrgedicht des surakartaner Fürsten Pakubuwáná IV, 19. Jhd., 130. wus kawengku amèngsirâ jagad kabèh: in dir ist der ganze Erdicreis umfangen, 100. Yâsàdipurâ I: surakartaner Hofdichter im 18. Jhd., vermutlich der Verfasser des Serat Cabolek, 99. Yogyakarta: neben Surakarta die zweite mitteljavanische Fürstenstadt, Sitz der Sultane Hamengkubuwáná und der Fürsten Paku Alam, ein Zentrum javanischer Kultur, 11-13, 20, 23, 31, 93, 95. Yudistirâ: ältester der Pandâwâbriider, 139, 141, 160.
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Geertz, H.: 12,14, 16-19, 38, 42-46, 48-54, 56-58, 61, 75, 107, 110, 145 f., 149-152. Geisterglaube, 75f. van Gennep, 92. Gesinnung, 184 f. griechische Ethiktradition, 2. «abennas, 2, 187, 194. Harmonieprinzipien, 63 ff. Harihara, 93. Hatta, M.: 92. Harun Hadiwijono, 72, 98, 104. Heine Geldern, 93, 95. von Hildebrand, 3. Hinduismus auf Java, 23-29. Hinayanabuddhismus, 23. Hood, 109, 141, 159. Iman Supardi, 99. Ina Slamet, 22, 90. „Indirekte Politik", 33. Indonesien, 10 f. Islam, seine Entwicklung in Indonesien, 29-34. Jakarta, 11, 31. Java, lOf. „Javaner", 8 f., 12. „Javanisch", 8. „javanische Moral", 9. „javanische Religion", 13-15. javanische Sprache, 12. Jay, 5, 16, 341, 38f., 45-49, 52, 60f„ 75, 77, 90, 105, 107, 115 f., 144-147, 150f. Jong, de: 115, 123, 126f. kaloskagathos anthropos, 162. Kamiah, 3, 200. Kant, 183-185, 188, 200. Kats, 140. Kem, 22. Kernfamilie, 16, 45, 146. Kindererziehung, 42-44. Kodiran, 8, 12-14, 16, 47, 75f., 117.
224 Koentjaraningrat, 8, 11-17, 36, 42f., 47f., 52f., 59f., 73, 77, 107f., 117, 123.. Kohlberg, 2, 187, 193-199. Kublai Khan, 25, 29. kultureller, ethischer Relativismus, 187, 190-193. Kulturensystem, 33. Legge, 21 f. Leidenschaften, 120. Leur, van: 22. „linker Weg", 156. Magie, 153-157. Mahayanabuddhismus, 23. Makro- und Mikrokosmos, 102, 105, 114. Malakka, 29. Mangkunegara IV, 32, 93, 130. Mangkunegara VII, 133, 153f„ 156, 160. Marco Polo, 29. Mekka, 31. Mertowardoyo, 103, 123 f., 162. Moertono, 85. Mongolen, 25 f. „moralische Fakten", 2 - 4 . „moralisches Grundprinzip", 68 f. Muhammad Abduh, 33. Mulder, 14, 30, 37, 39f., 42, 44, 47, 55f., 71, 74, 77, 79-81, 99, 106, 108, 117, 120 f., 125-131, 135, 141, 150f., 154 f. Muskens, 8, 14, 20, 2 5 - 2 8 , 30f., 36. Mutter, 42-45, 144-146. Mystik, javanische, 98-105. Niel, van: 21, 23-25, 28, 30, 33f. Nikomachische Ethik, 181, 183. Oktobercoup 1965,136. Onghokham, 19. ortsrelative Moral, 129. Ostindische Compagnie, 30 f. Paku Buwana IV, 130. Palmier, 12. Patzig, 187.
Piaton, 168. Poedjawijatna, 157-161. Poedjosoedanno, 56 f. Polomka, 62. pragmatische Religion, 116. Pramudya Ananta Tur, 121. Rahmat Subagyo, 72, 119. Redfield, 13. Reiner, 3. Relativismus, 2, 187, 190-193. religiöse Grundeinstellung des Javaners, 122. Resink, 136. Respektsprinzip, 54f. Rhamadan, 147. Rosen, 3. Ross, 65. saniri-Kultur, 14f„ 30, 32. Sartono Kartodirdjo, 25. Sastrapratedja, 33. Sawito, 92 f. Scheler, 185, 200. Schicksalsglaube, 117 f., 130f. Sçhuurman, 98. Selosoemardjan, 39, 46, 64, 146. Sievers, 19, 33. Siva-Buddhakult, 26. Siwaismus auf Java, 23 f., 26, 28. Soebardi, 32, 99-101, 103 f., 114, 133, 161.
Soedarso, 60. Soetrisno, 46, 121-125, 131. Soeyatno, 76. Sokrates, 167f. sokratische Tugendauffassung, 168 f. Sosrosudigdo, 154, 156. Sprachstufen, javanische, 56 f. Sri Mulyono, 141, 158f., 161. Staatsidee, javanische, 93-96. Stöhr, 8, 75. Sufismus, 30. Soeharto, 20, 35, 73, 92. Sudjono, 92. Soekarno, 20, 31, 136, 141. Sundanesisch, 12. Sutherland, 33, 59, 86f., 95, 97.
225 Trisirah, 92. Tugenden, 122-124. Untugenden, 120 f., 124. Utrecht, 35, 79, 154. Vater, 42-45, 144. Verwandtschaft, 16 f., 45 f., 146 f. Vink, 77. Vlekke, 21f., 24f., 29-31, 156. Warnock, 4, 200. Wayangwoche, nationale, 20.
Weisheitsmoral, 183. „Weltanschauung", 71. Weltflucht, keine, 124 f. Wertheim, 11, 19, 60. Willner, 38, 49, 54, 60, 88 f. Wiryamartana, 137. Wisnuismus auf Java, 28. Wittfogel, 22.
Zoetmulder, 21, 23-27, 30, 32f., 98, 102, 104 f., 112f., 141, 159, 183.
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