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German Pages [319] Year 2021
Handbuch zum Neuen Testament Begründet von Hans Lietzmann Fortgeführt von Günther Bornkamm Herausgegeben von Andreas Lindemann
11.I
Angela Standhartinger
Der Philipperbrief
Mohr Siebeck
Angela Standhartinger, geboren 1964; Studium der Ev. Theologie in Frankfurt/Main, München und Heidelberg; Promotion und Habilitation in Frankfurt; Vikariat und Ordination; Gastaufenthalt am Union Theological Seminary in New York; seit 2000 Professorin für Neues Testament in Marburg.
ISBN 978-3-16-160102-6 Leinen ISBN 978-3-16-160245-0 Broschur eISBN 978-3-16-160103-3 DOI 10.1628/978-3-16-160103-3 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
© 2021
Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von SatzWeise in Bad Wünnenberg aus der Bembo Antiqua gesetzt, von GuldeDruck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.
Vorwort Im Vorwort zum Kommentar zu den vier Hauptbriefen des Apostels Paulus von 1910 beschreibt der Begründer der Reihe, Hans Lietzmann, das Programm des „Handbuchs zum Neuen Testament“. Es soll für den Lesenden ein „Orientierungswerk sein, in dem er gleichfalls zunächst Material für sein eigenes Denken findet“ (VII). Daher bot das Handbuch vor allem zentrale Bezugsstellen aus allen antiken Quellengattungen sowie Anmerkungen zur Textrekonstruktion. Bereits 1911 hat Martin Dibelius die Bearbeitung des Philipperbriefs vorgelegt und bis 1937 zweimal grundlegend revidiert und erweitert. Von 1942 bis zu seinem verfrühten Tod 1947 übernahm er auch die Reihenherausgabe. Sein Nachfolger Günther Bornkamm ergänzte das Konzept um eine explizit theologische Ausrichtung. Es geht darum, wie es der gegenwärtige Herausgeber Andreas Lindemann im Vorwort zur Kommentierung des Ersten Korintherbriefs programmatisch formuliert, „den Gedanken und Argumentationsgang des Paulus inhaltlich zu verfolgen und zu versuchen, ihn wirklich zu verstehen“ (V). Die hier vorgelegte Neubearbeitung des Kommentars zum Philipperbrief bleibt dem Programm der Reihe treu und bietet einerseits Hintergrundtexte und Parallelen in Originalsprache und Übersetzung, versteht sich andererseits aber auch als eine theologische Interpretation. In der Einleitung und zum Abschluss der Abschnitte wird jeweils eine knappe, zusammenfassende Auslegung geboten. Die im NTG28 mitgegebenen textkritischen Varianten werden in die Text- und frühe Auslegungsgeschichte eingeordnet. Über die Überlieferungsgeschichte des Textes, das soziale und religiöse Umfeld der Adressatinnen und Adressaten in Philippi, die Geschichte der paulinischen Korrespondenz bis zu ihrer Integration in die Paulusbriefsammlungen sowie über Zeit, Ort und Umstände der Abfassung informiert die folgende Einleitung. Paulus schreibt aus dem Gefängnis an eine langjährig vertraute Gemeinde. Viele der Gedanken und Konzepte werden daher mehr angedeutet als expliziert. Die Auslegung möchte im Gespräch mit antiken Quellen und der Forschungsliteratur die zwischen Paulus und der Gemeinde in Philippi diskutierten theologischen und ethischen Fragen und Antworten rekontextualisieren und rekonstruieren. Diese Kommentierung wäre nicht möglich geworden ohne die vielen kollegialen Diskussionen und kritischen Auseinandersetzungen in Marburg und in nationalen und internationalen Kontexten. Besonders bedanken möchte ich mich bei den Marburger Studierenden, Hilfskräften und Mitarbeitenden, die die vielen Jahre der Entstehung begleitet und unterstützt haben. Ganz besonderer Dank gilt Prof. Dr. Judith Hartenstein, Prof. Dr. Claudia Janssen, Dr. Timo Glaser, Dr. Friederike Oertelt, Dr. Sebastian Weigert, Dr. Eric Weidner, Dr. Aliyah El Mansy, Simon Schindler, Stefanie Rudolf, Felix Gräsche und besonders Matthäus J. Simmel. Bedanken möchte ich mich auch bei V
Vorwort
Andreas Lindemann, Claus-Jürgen Thornton und dem Mohr Siebeck Verlag für die Unterstützung bei der Drucklegung. Marburg im August 2020
VI
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1 3 4 4 10 14 14 17 20 23 31 35 35 39 41 68 72
1. Der Text des Philipperbriefs und seine älteste Rezeption . . . 2. Absender . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Philippi: Stadt und Gemeinde . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Lage und Geschichte der Stadt, religiöses Umfeld . . . . 3.2 Geschichte der Gemeinde in Philippi . . . . . . . . . . 4. Zur Entstehungsgeschichte des Briefes (Redaktionshypothese) 4.1 Probleme und die Geschichte ihrer Lösungsversuche . . 4.2 Antike Briefeditionen und Sammlungen . . . . . . . . . 4.3 Die Redaktion des Philipperbriefs . . . . . . . . . . . . 5. Anlass, Gattung und theologische Schwerpunkte . . . . . . . 6. Abfassungsort und -zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Literaturverzeichnis und Abkürzungen . . . . . . . . . . . . 7.1 Hilfsmittel, Quellen und allgemeine Literatur . . . . . . 7.2 Kommentare zum Philipperbrief . . . . . . . . . . . . . 7.3 Literatur zum Philipperbrief . . . . . . . . . . . . . . . 7.4 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5 Zitierkonventionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . .
1,1 f.
Präskript
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs 1: „Bischöfe“ und „Diakone“ . . . . . . . . .
73 76
1,3–11
Dank für kontinuierliche Partnerschaft . . . . . . . . . . . . .
81 86
Exkurs 2: κοινωνία εἰς τὸ εὐαγγέλιον . . . . . . . .
1,12–26
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 1,12–18c Über den Fortschritt des Evangeliums während Paulus’ Haft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 Exkurs 3: Praetorium . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 1,18d–26 Fortschritt heißt Rückkehr zu euch. . . . . . . . . . . 110 Exkurs 4: Denkt Paulus in Phil 1,22 über den Suizid nach? 117
Persönliche Mitteilungen
VII
Inhaltsverzeichnis
Exkurs 5: Postmortale Existenz nach Phil 1,23 . . . . . 119 Exkurs 6: Freude . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
1,27–2,18 Politik für das Evangelium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 1,27–30 2,1–5 2,6–11
2,12–18
2,19–30
Stellt euch einmütig Gott zur Seite . . . . . . . . . . . Der Trost der Eintracht . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs 7: Demut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Christushymnus . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs 8: Gattung ‚Hymnus‘ . . . . . . . . . . . . . . Exkurs 9: Der religionsgeschichtliche Hintergrund des Philipperhymnus (Phil 2,6–11) . . . . . . . . . . . . . 9.1 Adam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2 Der Himmelsmensch . . . . . . . . . . . . . . . 9.3 Der Gottesknecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4 Urmensch-Erlöser (Gnosis) . . . . . . . . . . . . 9.5 Himmlische Weisheit und weisheitliche Theologie . 9.6 Sich in Menschen verwandelnde Götter und in den Himmel entrückte Menschen . . . . . . . . . . . 9.6a Sich in Menschen verwandelnde Götter . . . . . 9.6b In den Himmel entrückte Menschen . . . . . . . 9.7 Kaiserkult . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.8 Menschensohn und andere Throngenossen Gottes im Frühjudentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.8a Menschensohn . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.8b Mose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.8c Himmlischer Gottesknecht . . . . . . . . . . . 9.8d Frühjüdische Engelvorstellungen . . . . . . . . 9.9 Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Was jetzt zu tun ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
128 138 143 148 152 156 156 157 158 159 160 160 .161 . . .161 . . 163 164 .164 . . .165 . . .166 . . .166 . . 167 182
Reisepläne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 2,19–24 2,25–30
Empfehlung (nicht allein) des Timotheus . . . . Exkurs 10: Empfehlungsbrief . . . . . . . . . . Aufruf zum Dank für den Dienst des Epaphroditus Exkurs 11: Gesandtschaften . . . . . . . . . . .
. . . .
. . . .
. . . .
192 194 200 202
3,1
Briefschluss (Brief B) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210
3,2–21
Fragment eines Abschiedsbriefs (Brief C) . . . . . . . . . . . . 213 3,2–4a 3,4b–14
VIII
Aufruf zur Aufmerksamkeit und Selbstvergewisserung . 216 Eine weisheitliche Bildungsbiographie . . . . . . . . . 223 Exkurs 12: Gottesgerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . 231
Inhaltsverzeichnis
3,15–17 3,18–21
Exkurs 13: Christus-Vertrauen . . . . . . . . . . . . . Werdet Mitnachahmende . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs 14: Mimesis und Imitatio . . . . . . . . . . . . Zukunftsansage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs 15: Gegnerinnen und Gegner im Philipperbrief
234 244 247 250 255
(3,1 +) 4,1–7.9b [8–9a] Briefschluss (Brief B) . . . . . . . . . . . . . . . . 267 4,8–9a
4,10–20
Exkurs 16: Euodia und Syntyche . . . . . . . . . . . . 270 Vorbild und Tugend des Märtyrerapostels . . . . . . . 277
Quittung für eine dringend benötigte Spende (Brief A) . . . . 282 Exkurs 17: Die Beziehung zwischen Paulus und der Gemeinde in Philippi . . . . . . . . . . . . . . . 17.1 Societas Evangelii . . . . . . . . . . . . . . . 17.2 Antiker Verein . . . . . . . . . . . . . . . . 17.3 Freundschaftsethik . . . . . . . . . . . . . . 17.4 Euergetismus . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.5 Patronat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.6 Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . .
4,21–23
. . . . . . .
. . . . . . .
290 291 292 292 294 295 296
Schlussgrüße (Brief B) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 Exkurs 18: Die aus dem Haus des Kaisers
. . . . . . . 303
IX
Einleitung 1. Der Text des Philipperbriefs und seine älteste Rezeption Kurt Aland (Hg.), Text und Textwert der griechischen Handschriften des Neuen Testaments II: Die Paulinischen Briefe, Bd. 3: Galaterbrief bis Philipperbrief, ANTT 18, 1991. – Kurt Aland/Barbara Aland, Der Text des Neuen Testaments, 21989. – Don Barker, The Dating of New Testament Papyri, NTS 57,4 (2011), 571–582. – Dirk Jongkind, The Text of the Pauline Corpus, in: Stephen Westerholm (Hg.), The Blackwell Companion to Paul, 2014, 216–231. – Brent Nongbri, God’s Library. The Archaeology of the Earliest Christian Manuscripts, 2018. – Richard I. Pervo, The Making of Paul. Constructions of the Apostle in Early Christianity, 2010. – Stuart R. Pickering, The Dating of the Chester Beatty-Michigan Codex of the Pauline Epistles, in: Thomas W. Hillard (Hg.), Early Christianity, Late Antiquity and Beyond, 2009, 216–227. – Angela Standhartinger, Paul’s ‚Beloved Community‘ after Paul. Early Christianity in Philippi from the 2nd to the 4th Century, in: Steven J. Friesen/Daniel N. Schowalter/Michalis Lychounas (Hg.), Philippi. From Colonia Augusta to Communitas Christiana. Religion and Society in Transition, im Erscheinen. – Dies., Der Philipperbrief und die Entstehung der Paulusbriefsammlung, in: Wolfgang Grünstäudl/Matthias Schmidt (Hg.), Die Datierung neutestamentlicher Pseudepigraphen. Herausforderungen und Lösungsansätze, WUNT, 2021, 435–473. – Klaus Wachtel/Klaus Witte, Das Neue Testament auf Papyrus II: Die Paulinischen Briefe, Teil 2, ANTT 22, 1994, 92–126.
Der älteste Zeuge für den Philipperbrief ist Papyrus Chester Beatty II = �46. Der Codex, der eine Paulusbriefsammlung ohne Pastoralbriefe, aber mit dem Hebräerbrief enthält, wird heute von vielen jedoch nicht mehr um 200 n. Chr., sondern ins 3. oder 4. Jahrhundert datiert (Pickering*; Barker* 579–582; Nongbri* 142–144). Die den Philipperbrief enthaltenden Papyrusseiten sind am unteren Rand beschädigt, sodass jeweils vier Zeilen ausgefallen sind. Es fehlen Verse oder Versteile aus Phil 1,1; 1,5–15; 1,27 f.; 1,30–2,12; 2,14–17; 2,29–3,8; 3,10–21; 4,2–12 und 4,14–23. Der Text gehört zum alexandrinischen Texttyp, weicht jedoch häufig von den wichtigsten Majuskeln durch singuläre Lesarten und Auslassungen ab (Wachtel/Witte*). Der andere vorkonstantinische Papyruszeuge, P.Oxy. 1009 = �16, überliefert nur ein Papyrusblatt mit Phil 3,10–17 und 4,2–8. Dieselbe Hand schrieb aber auch P.Oxy. 1008 = �15 mit 1Kor 7,18–8,4, sodass �16 vermutlich ebenfalls aus einer Paulusbriefsammlung aus dem 3. oder 4. Jahrhundert stammt (Royse, Text 189 f.). Ein drittes Papyrusblatt, P.Colt. 5 = �61, von Aland/Aland* ins 7. Jahrhundert datiert, überliefert Phil 3,5–9 und 3,12–16 und gehört zu einem Codex, der auch Teile vom Römer-, 1. Korinther-, Kolosser-, 1. Thessalonicher-, Titus- und Philemonbrief enthielt (Jongkind* 219). 1
Einleitung
Die ältesten Majuskeltexte sind: Codices Sinaiticus � (01) und Vaticanus B (03) aus dem 4. Jahrhundert; Codices Alexandrinus A (02), Ephraemi Syri rescriptus C (04; enthält nur: Phil 1,22–3,5), Freerianus I (016) und 048 (enthält nur: Phil 1,1–2,8) aus dem 5. Jahrhundert; Codices Claromontanus D (06) und 0282 (enthält nur: Phil 3,6–8) aus dem 6. Jahrhundert; Codices Augiensis F (010), Boernerianus G (012), Mosquensis I K (018), Angelicus L (020), Porfirianus P (025), Athos Laurensis Ψ (044), 049, 0150, 0151, 0278 (enthält nur: Phil 1,1–3,4) und 0319 aus dem 9. Jahrhundert sowie 056, 075, 0319, 0142 aus dem 10. Jahrhundert. Ab dem 9. Jahrhundert überwiegen die Minuskeln. Einige Minuskeln können ältere Majuskeltexte überliefern: Die Minuskel 1739 kopiert z. B. eine Majuskel aus dem 4. Jahrhundert (Jongkind* 220). Der Philipperbrief ist in mehr als 500 Minuskeln und Lektionaren belegt (K. Aland* 466–658). Unter den von NTG28 konsultierten ständigen Zeugen klassifizieren Aland/Aland �16 und �46 mit den Majuskeln �, B, A und den Minuskeln 33, 1175 in die Kategorie I; �61, die Majuskeln C, D, F, I, 048 und die Minuskeln 81, 1739, 1881, 2464 in die Kategorie II sowie G, P, Ψ, 075, 0150 und die Minuskeln 104, 365, 630, 1505 in die Kategorie III. Den Text der Kategorie V, auch byzantinischer Texttyp genannt, vertreten K und L sowie 049, 056, 0142, 0151. Die angelsächsische Forschung ordnet die ältesten Handschriften dagegen regionalen Textclustern zu. �46, � (01), A (02), B (03), C (04), I (016), Ψ (044) und die Minuskeln 33, 81, 104, 1739 bilden den alexandrinischen Texttyp, D (06), F (010) und G (012) den westlichen Texttyp und K (018), L (020), P (025), 049 und die meisten übrigen den byzantinischen oder Mehrheitstexttyp (�). Die für den Philipperbrief erhaltenen antiken Übersetzungen ins Koptische, Syrische und Lateinische listet Holloway, K. 56 f., auf. In den ältesten Kanonslisten variiert der Platz der Korrespondenz des Paulus mit der Gemeinde in Philippi. Zum Beispiel steht der Philipperbrief in Markions Paulusbriefsammlung an vorletzter oder letzter Stelle, vor oder nach dem Philemonbrief (Tert Marc 5.20; Epiph Haer 42.11,7 f.). In den sogenannten (anti-)markionitischen Prologen der Vulgatahandschrift des Codex Fuldensis und in �46 steht er an sechster Stelle, jedoch einmal nach dem Kolosser- und einmal nach dem Epheserbrief; im Kanon Muratori steht er an dritter Stelle nach dem 1. Korinther- und dem Epheserbrief. Die unterschiedlichen Anordnungen lassen ein langsames Wachstum der Paulusbriefsammlung vermuten (Pervo* 27–30; Standhartinger, Philipperbrief). Die älteste Rezeption des Philipperbriefs liegt vermutlich in 2Tim 4,6–8 vor, einem Text, der von Phil 1,23.27.30 und 2,16 literarisch beeinflusst erscheint (Standhartinger, Beloved Community). Der 2. Timotheusbrief rezipiert den Philipperbrief bereits als Abschiedsbrief eines Märtyrers. Polykarps Korrespondenz mit der Gemeinde in Philippi nimmt ebenfalls Bezug auf Paulus’ Schreiben und Martyrium (Polyk 3,2; 9,1 f.; 11,2; 13,1 f.). Nach Polyk 13,1 f. organisiert Polykarp darüber hinaus den Austausch von Briefen aus Antiochia und Philippi und bezeugt somit die Verbreitung eines oder mehrerer Philipperbriefe jenseits einer abgeschlossenen Paulusbriefsammlung (→ Einl. 4.3).
2
Absender
2. Absender Ferdinand Christian Baur, Paulus, der Apostel Jesu Christi. Sein Leben, seine Briefe und seine Lehre. Ein Beitrag zur kritischen Geschichte des Christentums II, 21867, 50–88. – Darrell J. Doughty, Citizens of Heaven. Philippians 3.2–21, NTS 41 (1995), 102–122. – Karl Christian Johannes Holsten, Der Brief an die Philipper. Eine exegetisch-kritische Studie I–IV, JPTh 1 (1875), 425–495 und 2 (1876), 58–165; 282–372. – Willem Christiaan van Manen, Philippians, Encyclopaedia Biblica 4 (1903), 3703–3713. – Berthold Mengel, Studien zum Philipperbrief. Untersuchungen zum situativen Kontext unter besonderer Berücksichtigung der Frage nach der Ganzheitlichkeit und Einheitlichkeit eines paulinischen Briefes, WUNT II/8, 1982. – Heinrich Munk, Ein anderer Paulus. Eine zeitgeschichtliche Interpretation des Philipperbriefs, 2008. – Günther Schwab, Echtheitskritische Untersuchung zu den vier kleineren Paulusbriefen I/A, 2011, 201–345.
Phil 1,1 nennt Paulus und Timotheus gemeinsam als Absender. Da jedoch das Folgende durchgängig in der 1. Person Singular gehalten ist und Timotheus in Phil 2,19–24 der Gemeinde empfohlen wird, vermittelt der Brief vor allem Paulus’ Stimme (→ 1,1). Im 19. Jahrhundert bezweifelte Ferdinand Christian Baur die paulinische Verfasserschaft mit drei Argumenten (Mengel* 119–127; 317–324): Der Brief sei geprägt von „monotone[r] Wiederholung des zuvor schon Gesagten, Mangel an einem tiefer eingreifenden Zusammenhang, und eine[r] gewisse[n] Gedankenarmuth“, was der Verfasser in → 3,1 selbst bemerke (Baur* 59). Es fehle „ächt paulinische[r] Inhalt“ (Baur* 50 Anm. 2). Unpaulinisch sei unter anderem die Rezeption eines gnostischen Mythos in Phil 2,6–9 und die rein persönliche Beziehung zur Glaubensgerechtigkeit (→ 3,9). Phil 1,13 und 4,15 widersprächen der Geschichtserzählung der Apostelgeschichte. Die Grüße aus dem Kaiserhaus in → 4,22 deuteten jedoch den tatsächlichen Entstehungsort an. Der in Phil 4,3 gegrüßte Clemens, den Baur mit Titus Flavius Clemens aus PsClem H 4.7,2; 12.8,2 identifiziert, habe Ende des 1. Jahrhunderts tatsächlich Beziehungen zum Kaiserhaus unterhalten und sei daher der historische Verfasser des Briefes (→ Exk. 18). Obgleich Baurs Thesen historisch und inhaltlich nicht überzeugen, wurden und werden sie bis heute gelegentlich wiederholt (Holsten*; van Manen*; Doughty*; Munk*). Auch eine durchgehende literarische Abhängigkeit von anderen Paulusbriefen, Deuteropaulinen und der Apostelgeschichte wird behauptet (Schwab*). Jenseits der Baur-Schule wird derzeit jedoch von niemandem angezweifelt, dass der Philipperbrief aus der Feder des historischen Paulus stammt. Dennoch haben Baurs kritische Beobachtungen die Philipperbriefforschung stets produktiv herausgefordert und angeregt.
3
Einleitung
3. Philippi: Stadt und Gemeinde 3.1 Lage und Geschichte der Stadt, religiöses Umfeld Lukas Bormann, Philippi. Stadt und Christengemeinde zur Zeit des Paulus, NT.S 78, 1995. – Cédric Brélaz, ‚Outside the City Gate‘. Center and Periphery in Paul’s Preaching in Philippi, in: Steve Walton/Paul Trebilco/David Gill (Hg.), The Urban World and the First Christians, 2017, 123–140. – Ders., Philippes, colonie romaine d’Orient. Recherches d’histoire institutionnelle et sociale, BCH.S 59, 2018. – Ders., Philippi. A Roman Colony within Its Regional Context, in: Julien Fournier/Marie-Gabrielle G. Parissaki (Hg.), Les communautés du nord Égéen au temps de l’hégémonie romaine – entre ruptures et continuités, Meletemata 77, 2018, 163–182. – Ders., First-Century Philippi. Contextualizing Paul’s Visit, in: James R. Harrison/Lawrence L. Welborn (Hg.), The First Urban Churches 4. Roman Philippi, WGRW.S 13, 2018, 153–188. – Kalliopi G. Chatzinikolaou, Artemis/Diana/Bendis (?). Votive Reliefs from Macedonia. Aspects of its Romanization, in: Julien Fournier/Marie-Gabrielle G. Parissaki (Hg.), Les communautés du nord Égéen au temps de l’hégémonie romaine – entre ruptures et continuités, Meletemata 77, 2018, 363–375. – Paul Collart, Philippes, ville de Macédoine depuis ses origines jusqu’à la fin de l’époque romaine, 1937. – Paul Collart/Pierre Ducrey, Les reliefs rupestres, BCH.S 2, 1975. – Maria Deoudi, Die thrakische Jägerin. Römische Steindenkmäler aus Macedonia und Thracia, 2011. – Valentina Di Napoli, Buildings for Entertainment in Roman Macedonia. Between Continuity and Rupture with the Past, in: Julien Fournier/Marie-Gabrielle G. Parissaki (Hg.), Les communautés du nord Égéen au temps de l’hégémonie romaine – entre ruptures et continuités, Meletemata 77, 2018, 321–340. – Vasilis Evangelidis, Agoras and Fora. Developments in the Central Public Space of the Cities of Greece during the Roman Period, The Annual of the British School at Athens 109 (2014), 335–356. – Emmanouela G. Gounari, The Roman Mosaics from Philippi. Evidence of the Presence of Romans in the City, Bollettino di archeologia online 1 (2010), 27–38. – Georgios G. Gounaris/Emmanouela G. Gounari, Philippi. Archäologischer Führer, 2004. – Szymon Jellonek, The Coins of Philippi. An Example of Colonial Coinage, in: Barbara Zając u. a. (Hg.), Pecunia Omnes Vincit. The Coins as an Evidence of Propaganda, Reorganization and Forgery, 2017, 51–57. – George Karadedos/Chaïdo Koukouli-Chrysanthaki, From the Greek Theatre to the Roman Arena. The Theatres at Philippi, Thasos and Maroneia, in: Athena Iakonidou (Hg.), Thrace in the Graeco-Roman World, 2007, 273–290. – Chaïdo KoukouliChrysanthaki, Colonia Iulia Augusta Philippensis, in: Charalambos Bakirtzis/Helmut Koester (Hg.), Philippi at the Time of Paul and after His Death, 1998, 5–35. – Sophia Kremydi-Sicilianou, Victoria Augusta on Macedonian Coins. Remarks on Dating and Interpretation, Tekmeria 7 (2003), 63–84. – Yannis Lolos, Via Egnatia after Egnatius. Imperial Policy and Inter-Regional Contacts, Mediterranean Historical Review 22 (2007), 273–293. – Athanasios D. Rizakis, Le paysage culturel de la colonie romaine de Philippes en Macédoine. Cosmopolitisme religieux et différentiation sociale, in: Elena Muñiz Grijalvo/Juan Manuel Cortés Copete/Lozano Gómez (Hg.), Empire and Religion. Religious Change in Greek Cities under Roman Rule, 2017, 177– 212. – Michel Sève, Urbanisme, architecture et territoire, in: Julien Fournier (Hg.), Philippes, de la préhistoire à Byzance. Études d’archéologie et d’histoire, BCH.S 55, 2016, 131–150. – Michel Sève/Patrick Weber, Guide du forum de Philippes. Sites et monuments, 2012. – Charalampos Tsochos, Die Religion der römischen Provinz Makedonien, 2012. – Mantha Zarmakoupi, Urban Space and Housing in Roman Macedonia. Thessalonike, Philippi, Amphipolis and Dion, in: Julien Fournier/Marie-Gabrielle G. Parissaki (Hg.), Les communautés du nord Égéen au temps de l’hégémonie romaine – entre ruptures et continuités, Meletemata 77, 2018, 263–297.
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Philippi: Stadt und Gemeinde
Die Stadt Philippi liegt ca. 15 km nördlich der antiken Hafenstadt Neapolis, heute Kavala, an der Grenze zwischen Makedonien und Thrakien. Die Ortslage zwischen einem Sumpfgebiet und zwei Hügelketten bietet zwar strategische Vorteile, wegen der Mücken mindestens in den Sommermonaten jedoch nur eine eingeschränkte Lebensqualität (Sève* 135). Die heute noch sichtbare Stadtmauer umschließt die 200 m steil über der Stadt aufragende Akropolis. Wohnhäuser werden auf dem steilen Hang bisher nicht vermutet. Das zur Stadt gehörige, sehr große Gebiet erstreckt sich in römischer Zeit zwischen den Flüssen Strymon und Nestos nach Süden bis zum Hafen Neapolis und nach Norden über die fruchtbare Ebene, die von den Gebirgen Pangaion, Orvilos und Symbolon umgeben ist. Bewohner und Bewohnerinnen der nahen Insel Thasos gründeten die Stadt 360/359 v. Chr. zur Erschließung von Festland und dort liegenden Gold- und Silberminen (Diod S 16.8,6 f.; Strabo 7a.1,34; Landucci Gattinoni, EncAH 9, 5260–5262). Als ursprüngliche Namen geben die Quellen Daton (Appian Bell Civ 4.105 [439]) oder Krenides „Wasserquellen“ an (Diod S 16.3,7; Strabo 7a.1,41–43). Weiter berichtet der Geograph Artemidor von Ephesus (2.–1. Jh. v. Chr.): „als die Bürger von Krenides von den Thrakern in einen Krieg gezogen wurden, half ihnen Philippus und nannte (die Stadt) Philippi“ (τοῖς δὲ Κρηνίταις πολεμουμένοις ὑπὸ Θρᾳκῶν βοηθήσας ὁ Φίλιππος Φιλίππους ὠνόμασεν; zitiert bei Stephanus von Byzanz, Ethnica 666,1–4 Meineke [Φ 69 Billerbeck/Hartmann]). Diese Neugründung im Jahr 357/356 v. Chr. spülte Gold in die Staatskasse des makedonischen Königs Philipp II. (Diod S 16.8,6 f.). Der von Philipp geprägte „Philippeios“ war die erste massenhaft produzierte Goldmünze (Errington, DNP 9, 794–796). Eine Inschrift belegt einen Schiedsspruch Alexanders des Großen in einem Streit um Nutzungsrechte von Land und Minen zwischen Philippi und thrakischen Nachbarn (SEG 34.664/Pilhofer II 160a, vor 330 v. Chr.). Eine weitere Inschrift belegt den Empfang einer Gesandtschaft aus dem Asklepiosheiligtum der Insel Kos durch die städtische ἐκκλησία „Volksversammlung“ und den ἄρχων „Bürgermeister“ im πρυτανεῖον „Haus des Stadtrats“ (IG XII 4,1 220,36–56/Pilhofer II 754, 242 v. Chr.). Das heißt, Philippi ist in frühhellenistischer Zeit als klassische hellenistische Polis verfasst. Stephanus von Byzanz erwähnt noch, dass hier der Aristotelesschüler Adrastos von Philippi aufgewachsen sei (Ethnica 666,4–6 Meineke [Φ 69 Billerbeck/Hartmann]). Nach ihrem Sieg über die makedonische Dynastie der Antigoniden bei Pydna 168 v. Chr. und der Einrichtung der Provinz Makedonien in den Jahren 148–146 v. Chr. teilten die Römer Makedonien in vier Regionen ein. Philippi scheint dem ersten Teil zwischen den Flüssen Strymon und Nestos zugeschlagen worden zu sein (Liv 45.29,5). Erwähnt wird die Stadt nicht mehr. Dies ist umso erstaunlicher, als die vom römischen Prokonsul Cn. Egnatius in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts v. Chr. initiierte Schnellstraße, die Via Egnatia, unmittelbar durch die Stadtmitte Philippis verlief. Philippi lag damit an der Landverbindung von Kleinasien bis zum Adriahafen Dyrrachium und weiter über die Via Appia von Brindisi nach Rom (Zarmakoupi* 264 f.; Lolos* 274–278). Bereits in republikanischer Zeit wurde die Straße auch nach Osten fortgesetzt und erreichte schließlich Konstantinopel. Obwohl sie als Heerstraße geplant gewesen war, bewegten sich spätestens nach der Gründung der Provinz Thrakien im Jahr 46 n. Chr. negotiatores „Händler“ auf ihr und sorgten für den seit dem 2. Jahrhun5
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dert auch architektonisch sichtbar werdenden Kulturaustausch zwischen Rom und Makedonien (Zarmakoupi*). Der Lage „gleich einem Tor im Durchgang zwischen Asien und Europa“ verdankt Philippi seine politische Bedeutung am Ende des römischen Bürgerkriegs (δίοδος ἦν ἐς τὴν Ἀσίαν τε καὶ Εὐρώπην καθάπερ πύλα; Appian Bell Civ 4.106 [445]). Die Stadt wurde zum Schauplatz der von den Triumvirn Marcus Antonius und Octavian, dem späteren Augustus, gewonnenen Doppelschlacht gegen die Verteidiger der Republik und Mörder Caesars, Cassius und Brutus, im Jahr 42 v. Chr. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Bevölkerung der von Strabo nur noch κατοικία μικρά „kleine Niederlassung“ genannten Stadt stark in Mitleidenschaft gezogen wurde (Strabo 7a.1,41; Bormann* 19–21; Brélaz, Outside the City Gate 128). Die vier Feldlager der Feldheere, die sich zwischen September und Oktober mit riesigen Truppenkontingenten hier verschanzten, umzingelten die Stadt jedenfalls von allen Seiten (Appian Bell Civ 4.87 [368]–4.138 [581]). Nach seinem Sieg gründete Antonius an der Stelle des hellenistischen Philippi die Colonia Victrix Philippensium und siedelte seine Veteranen an (RPC I 1646–1649; CIPh II.1 196, 1. Jh v. Chr.; Brélaz, Philippes 21 f.). Damit erweiterte er seine Machtbasis im Osten des Römischen Reiches (Bormann* 14 f.; Grabinschriften von Veteranen des Antonius CIPh II.1 99, 42 v. Chr.; CIPh II.1 101/Pilhofer II 418, 42 v. Chr.). Nach seinem Sieg über Antonius 31 v. Chr. bei Actium gründete Octavian die Colonia jedoch neu und gab ihr den Ehrennamen Colonia Iulia Augusta Philippensis (RPC I 1650; CIPh II.1 16/Pilhofer II 201, 161 n. Chr.; CIPh II.1 18/Pilhofer II 198, 161 n. Chr. u. ö.; Brélaz, Philippes 42–46). Philippi ist neben der Colonia Iulia Augusta Dyrrachinorum, der Colonia Iulia Augusta Pella, der Colonia Iulia Augusta Cassandrensis und der Colonia Iulia Augusta Diensis eine von fünf römischen coloniae in Makedonien (Brélaz, Philippi 163 f.). Angesiedelt wurden vor allem ehemalige Grundbesitzende aus Italien, die Augustus dort enteignet hatte, um seinen Veteranen Landbesitz in Italien zuzuweisen (Appian Bell Civ 5.5 [22]). Zur Umsiedlung wählte er vor allem Parteigänger des Antonius aus (Dio C 51.4,6; CIPh II.1 113/Pilhofer II 396, 1.–2. Jh. n. Chr.; CIPh II.1 120/Pilhofer II 127c, 2.–3. Jh. n. Chr.; CIPh II.1 App. 4.4/Pilhofer II 700–703, 1. Jh. n. Chr.; Pilhofer II 313; 356). Neben den expatriierten Siedlerfamilien aus Italien kamen in den ersten beiden Jahrhunderten auch Veteranen aus dem Donauraum und Menschen, die Handel und Handwerke betrieben, dazu (Brélaz, Philippes 27; Brélaz, Philippi 169–171; CIPh II.1 103, 13 n. Chr.; CIPh II.1 95, nach 42 v. Chr.). Mit der Gründung der colonia hörte die griechisch-hellenistische Stadt auf zu bestehen (Brélaz, Philippes 34–37). Die noch ansässige Bevölkerung wurde zum Teil enteignet und das Land als öffentliches Eigentum an die italienischen Neusiedler verteilt (Evangelidis* 348; Brélaz, Philippi 166 f.). Möglicherweise wurden Griechen als Parteigänger von Cassius und Brutus bestraft. Denn unter den Bürgern Philippis sind nur wenige Antonii und Iulii zu finden (Brélaz, Philippes 30; Brélaz, Philippi 169). Nach der Umsiedlung auf weniger attraktive Landparzellen blieben die ehemaligen Bewohnerinnen und Bewohner jedoch als incolae „Bewohner“ ohne Bürgerrecht integriert (Brélaz, Philippi 166). Einige vorwiegend thrakisch bewohnte Dörfer wurden als autonome vici „Dörfer“ anerkannt, was auf Unterstützung des Antonius und Augustus durch diese 6
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Bevölkerungsgruppe schließen lässt (Brélaz, Philippes 100–116; Brélaz, Philippi 165– 167). Da die thrakische Sprache keine Schriftsprache entwickelt hat, nutzte diese Volksgruppe vorwiegend Latein in ihren Inschriften. Mit dem benachbarten romfreundlichen thrakischen Königshaus pflegte die neu gegründete Colonia Iulia Augusta Philippensis diplomatische Beziehungen (CIPh II.1 3/Pilhofer II 199, 14–37 n. Chr.; Brélaz, Philippes 31–34). Die drei Volksgruppen – Neusiedler und Veteranen aus Italien, Griechen und Thraker – wohnten also zur Zeit des Paulus auf dem weitläufigen Gebiet der colonia räumlich nicht segregiert (Brélaz, Philippi 168). Vollbürger, coloni, waren jedoch allein die italienischen Neusiedler. Nur sie besaßen das Wahlrecht, das heißt, sie waren in den römischen Stamm, die tribus Voltina, eingeschrieben (Brélaz, Philippes 56–72). Die tribus gehörte weder zum Haus des Augustus noch zu dem des Antonius. Wie in allen coloniae war ihre res publica Teil Roms. Die Garantie des ius Italicum hob die Stadt als extraterritorialen Bereich aus der Provinz Makedonien heraus (Brélaz, Philippi 165). Ihre Ämterordnung spiegelte Rom als „kleines Abbild“ (Aulus Gellius Noct 16.13,8 f.). Auf den Ehreninschriften sprechen die Mitglieder des ordo decurionum, des Senats und dessen Amtsträger, die Ädilen, Quästoren und duumviri (Brélaz, Philippes 118–161). Zu den städtischen Ämtern gehörten auch die Ämter mit religiösen Funktionen im Kaiserkult (Brélaz, Philippes 185–209). Lediglich das Amt des εἰρηνάρχης, des „Aufsehers über den Frieden in der Stadt“, wurde aus der griechischen Polisverfassung übernommen (CIPh II.1 60/Pilhofer II 235a, 2. Jh. n. Chr.; CIPh II.1 133/Pilhofer II 127b, 2. Jh. n. Chr.; CIPh II.1 134/Pilhofer II 252, 2.–3. Jh.; CIPh II.1 175/Pilhofer II 120, 2. Jh. n. Chr.; Brélaz, Philippi 177; Brélaz, Philippes 173–178). Latein blieb bis Mitte des 3. Jahrhunderts n. Chr. die offizielle Sprache, in der 85 % der Inschriften verfasst sind (Brélaz, Philippes 73–77). Der Stadtrat hatte vermutlich nur 100 Mitglieder aus den reichsten Familien der Stadt (Brélaz, First-Century Philippi 169). Wenige Familien der ersten italienischen Neubürgergeneration verteilten über 300 Jahre fast alle politischen Ämter unter sich (Brélaz, Philippes 249–274; 323–333; Brélaz, Philippi 168 f.). Direkte Verbindungen zum Kaiserhaus besaß die Colonia Iulia Augusta Philippensis jedoch nicht und nur ein einziger Bürger, der aus dem thrakischen Königshaus stammende C. Julius Maximus Mucianus, wird im 2. Jahrhundert n. Chr. unter Antoninus Pius in den römischen Senatorenstand aufgenommen (CIPh II.1 38/ Pilhofer II 240, 161–181 n. Chr.; Brélaz, Philippes 308–321; Brélaz, Philippi 174). Das heißt, Philippi war in römischen Augen eine unbedeutende Stadt, jedenfalls viel weniger bedeutsam als Antiochia in Pisidien mit sieben Senatorenfamilien, als Thessaloniki, der Sitz des Statthalters von Makedonien, als Beröa, der Sitz des Landtags von Makedonien, und sogar als das benachbarte Amphipolis, das über einen Hafen verfügte und den Weg nach Rom auf der Via Egnatia deutlich verkürzte (Brélaz, Philippi; Brélaz, First-Century Philippi 179–182). In Philippi wurden seit 1914 zunächst von der École française de Athènes und dann von der Universität Thessaloniki systematisch Ausgrabungen durchgeführt. Seit 2016 ist die Stadt UNESCO-Weltkulturerbe. Bei der Gründung der römischen colonia wurde das Forum als politisches und religiöses Zentrum der Stadt neugestaltet (Sève/ Weber*; Brélaz, First-Century Philippi 159–162). Es steht auf einem Wohngebiet der hellenistischen Stadt. Architektonisch folgt es der typischen Anlage einer römischen 7
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colonia in Makedonien. Das Forum erstreckt sich über zwei Terrassen, von denen die obere als area sacra mit drei Tempeln für die Capitolinische Trias – Juno, Jupiter Optimus Maximus und Minerva – ausgestattet ist. Die untere beherbergt in einem durch Mauern und Bögen abgegrenzten Bereich die Gebäude für die politischen Institutionen: Curia, Basilika, Archiv, Bibliothek, Kaisertempel sowie einige Ehrenstatuen und eine porticus. Die Gestaltung bringt Hierarchie, Frömmigkeit und soziale Abgrenzung als die Grundprinzipien römischer Herrschaft zum Ausdruck (Evangelides* 352). Der Bau des Forums wurde allerdings erst zur Zeit des Claudius (41–54 n. Chr.) und damit während des Aufenthalts von Paulus, Silvanus und Timotheus in der Stadt begonnen. Sehen konnten die Missionare vermutlich bereits die von drei Augusti liberti „Freigelassenen des Kaisers Augustus“ aufgestellten Statuen für die Kinder und Enkel des Augustus (CIPh II.1 8/Pilhofer II 282, nach 37 n. Chr.), außerdem eine Statue für die Familie des Claudius (CIPh II.1 5/Pilhofer II 232a, 41–54 n. Chr.) und eine 20 m lange Inschrift mit 62 cm großen Buchstaben auf dem Boden des Forums, deren Auftraggeber ein flamen „Priester“ des Augustus war (CIPh II.1 66, 1. Jh. n. Chr.; Brélaz, Outside the City Gate 139; Brélaz, First-Century Philippi 157 f.; Brélaz, Philippes 155–159). Sichtbar waren außerdem die hellenistische Stadtmauer und das klassisch-griechische Theater. Eine Sarkophaginschrift aus der Wende vom 1. zum 2. Jahrhundert n. Chr. aus der Gegend um Drama berichtet, dass T. Uttiedius Venerarius sieben Jahre als Hauptdarsteller, Organisator und Regisseur am Theater von Philippi tätig war (CIPh II.1 222/Pilhofer II 476, 1.–2. Jh. n. Chr.). Eine weitere Inschrift belegt einen choragiarius „Bühnenbildner“ (CIPh II.1, App. 1.4/Pilhofer II 287, kaiserzeitlich). Im 2. Jahrhundert wurde das Theater für Gladiatorenkämpfe und Tierhetzen umgebaut, die anlässlich von Kaiserfesten begangen wurden (Karadedos/Koukouli-Chrysanthaki* 275– 280; Di Napoli* 329 f.). Bekannt ist ein Spender von sieben Gladiatorenpaaren und vier Tierhetzen (Pilhofer II 87, kaiserzeitlich). Ein Gymnasiarch und Hohepriester stiftete Spiele für ein sonst unbekanntes großes Asklepiusfest (CIPh II.1 55/Pilhofer II 311, 3. Jh. n. Chr.). Der Patron eines Vereins von Berufsgladiatoren oder ihren Fans stiftete Friese mit den Abbildungen der Nemesis, des Ares und der Nike im Eingang zum Theater (Pilhofer II 242–244/Kloppenborg/Ascough I 70, 2.–3. Jh. n. Chr.). Eine Grabinschrift beklagt in metrisch gebundenen Versen den Tod eines Tierkämpfers (Pilhofer II 296, 3. Jh. n. Chr.). Pausanias entdeckt in Olympia das Standbild eines Wagenlenkers aus Philippi (Paus 6.4,10) und ein in der Stadt gefundener Mosaikboden des 3. Jahrhunderts stellt ein Wagenrennen mit vier Parteien auf einem Rundkurs dar (Gounari*). Mit der Gründung der colonia und der radikalen Neugestaltung der Stadt veränderte sich auch die religiöse Landschaft. Man kann sie in drei Räume gliedern (Tsochos* 41 f.; Rizakis*). Zu den Aufgaben der duumviri gehörte die cura sacrorum, die Sorge um die offiziellen römischen Kulte der Stadt, die auch in den meisten Inschriften dokumentiert ist (Tsochos* 54–71; Bormann* 30–54). Der Verehrung des Kaisers und Roms war das Forum gewidmet. Als Priesterämter sind augur „Zeichendeuter“, pontifex „Oberpriester“ und sacerdos/flamen „Priester“ belegt. Amtsträger gehörten zur italienischen Elite. Dazu traten die für ein Jahr amtierenden servi Augustales aus dem Stand der Freigelassenen (Brélaz, Philippes 185–209; Rizakis* 177 f.). Aus flavischer Zeit (80–90 n. Chr.) sind Statuen der Priesterinnen der vergöttlichten Livia, der Frau des 8
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Augustus, erhalten (CIPh II.1 118/Pilhofer II 2; CIPh II.1 126/Pilhofer II 226). Die oben genannte Stiftung von Gladiatorenkämpfen und Tierhetzen gehörte auch zum Kaiserkult. Ein erstmals unter Augustus geprägter und dann mehr als 200 Jahre wiederholter Münztyp propagierte Philippi als Ort der Vergöttlichung des Augustus durch seinen Adoptivvater Caesar. Dargestellt sind zwei Figuren auf zwei Podesten, von denen die eine in Toga die andere in Militärkleidung krönt (RPC I 1650; Jellonek*; Bormann* 35 f.). Tatsächlich wurde der Schlacht bei Philippi auch im 2. Jahrhundert lebendig gedacht. Der ermordete Caesar soll zum Erschrecken des Cassius auf dem Schlachtfeld in Philippi erschienen sein (Val Max 1.8,8). Und als Tiberius nach Philippi kam, soll sich eine Flamme auf dem auf dem Schlachtfeld aufgestellten Altar von selbst entzündet haben (Suet Tiberius 14,3; Dio C 54.9,6). Anders als andere Kolonien schloss Philippi in seiner offiziellen Kulttradition auch nicht an die bereits in der griechisch-makedonischen Stadt verehrten Gottheiten an, sondern pflegte ausschließlich die Verehrung offizieller römischer Gottheiten inklusive Kaiserhaus und Rom. Erst im 2. Jahrhundert n. Chr. kommen die griechisch-thrakischen Göttinnen und Götter zurück, wenn auch nur an die Ränder der offiziellen Kulttopographie der Stadt (Rizakis* 179 f.). Seit der Zeit Hadrians bis ans Ende des 3. Jahrhunderts n. Chr. entstehen auf der Akropolis ca. 200 Reliefbilder vorwiegend weiblicher Gottheiten (Collart/Ducrey*; Tsochos* 42; 121–135). 97 Reliefs zeigen Artemis/Diana in Gestalt der thrakischen Jägerin, einer Göttin, der der Schutz der Fruchtbarkeit und der Familien zugeschrieben wird. Möglicherweise gehörte Artemis schon zur hellenistischen Stadt, wie eine Inschrift für sie und Apollon Komaios vermuten lässt (Pilhofer II 246, 4. Jh. v. Chr.). Aber die Reliefs belegen keine Kultkontinuität, sondern sind Ausdruck einer Romanisierung lokaler griechisch-thrakischer Darstellungsweisen (Deoudi*; Chatzinikolaou*). Ebenfalls auf dem Berghang der Akropolis finden sich kleine Heiligtümer. Am Fuße der Akropolis kann man bis heute die umfangreiche Liste von Spendern und Mitgliedern eines Vereins des römischen Gottes Silvanus sehen (Pilhofer II 162– 166/Kloppenborg/Ascough I 68, 2. Jh. n. Chr.; Tsochos* 130–132). Im 2. Jahrhundert n. Chr. wurde hinter dem Forum, aber ohne Zugang, ein Heiligtum für Isis und weitere ägyptische Götter gebaut. Die weit verstreuten sechs griechischen und sechs lateinischen Inschriften belegen sozial unterschiedlich situierte Gruppen von Verehrenden. Isis trägt in Philippi den sonst nur in Italien belegten Beinamen Regina (Tsochos* 43; 109–121; CIPh II.1 23/Pilhofer II 132, 2. Jh.; Pilhofer II 175; 581, 2.–3. Jh.). Außerdem gibt es Hinweise auf den Sitz eines Kultvereins des Dionysos – dessen römisch-thrakische Bezeichnung Liber Pater Tasibastenus lautet –, verbunden mit der Libera, eigentlich einer italienischen Göttin der Weinlese, in der Stadt (Tsochos* 89– 92). Die Weihung einer Wasserleitung durch den θίασος „Kult- und Mysterienverein“ der „Maenaden“, den enthusiastischen Verehrerinnen des Dionysos, für Liber, seine Libera und den Herkules sowie fünf ähnliche Weihungen im sogenannten „Haus der wilden Tiere“ südwestlich der Basilika B lassen vermuten, dass hier oder anderswo in der Stadt ein Dionysos-Kultverein ein Vereinshaus besaß (Pilhofer II 94; 338–342/ Kloppenborg/Ascough I 71, 1.–2. Jh.?). Schließlich gab es Kultstätten im ländlichen Raum. Sie haben am wahrscheinlichsten die Übernahme der Stadt durch die Römer überdauert. In der Ebene von Drama 9
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wird ein thrakisches oder griechisch-hellenistisches Heiligtum des Dionysos vermutet. Der Kopf einer Dionysosstatue und griechische Inschriften belegen einen seit dem 4. Jahrhundert v. Chr. kontinuierlich bestehenden Kult (Rizakis* 194 f.; Pilhofer II 501a–d, 3. Jh. v. Chr.–3. Jh. n. Chr.). Auf den Inschriften aus römischer Zeit präsentieren sich Menschen mit thrakischen und griechischen Namen als Mitglieder weiterer Mysterienvereine (Tsochos* 95–98; Pilhofer II 529; 535; 568; 597). Gefunden wurde hier auch die Mitgliederliste eines dem Apollon geweihten Vereinskollegiums (Pilhofer II 509b, 2.–3. Jh.). Wie der städtische Silvanusverein versammelte dieser Verein römische Bürger, vielleicht auch Freigelassene, Griechen und Thraker (Brélaz, FirstCentury Philippi 178). Ein Heiligtum des sogenannten Thrakischen Reiters wurde im Dorf Kipiá im Pangaiongebirge in der Form des Heros Aulonites entdeckt. Im 3. Jahrhundert erschien der Thrakische Reiter mit Kaiserbild in der Münzprägung Philippis (Abbildung: Rizakis* 200). Zu den verehrten thrakischen Göttinnen gehörten Bendis und Manta (Tsochos* 71–89). Die Existenz einer jüdischen προσευχή „Gebetsstätte/ Synagoge“ behauptet Apg 16,13. Der nächste Beleg für die Existenz einer Synagoge stammt aber erst aus dem 4. Jahrhundert n. Chr. Die Anwesenheit von Jüdinnen und Juden zur Zeit des Paulus bleibt daher unsicher (Koukouli-Chrysanthaki* 28–35; Pilhofer II 387a/Noy I Mac. 12). Die religiöse Landschaft der Colonia Iulia Augusta Philippensis war also hoch differenziert. Der auf dem Forum und im Theater praktizierte Kaiserkult hinterließ kaum Spuren auf der Akropolis und im ländlichen Raum (Rizakis* 197). Erst im Laufe des 2. und 3. Jahrhunderts entstehen Vermischungen thrakischer und griechischer mit römischen Götternamen, Festen und Verehrungsformen vor allem im ländlichen Raum (Rizakis* 197–199). So stifteten laut zweier lateinischer Inschriften ein Bithus Macer und der Sklave und Gutsverwalter Lucius dem thiasus „Verein“ des Liber Pater Tasibastenus größere Geldbeträge (Pilhofer II 524 f.; Kloppenborg/Ascough I 69). Duumviri stellten Votivgaben für den Heros Aulonites an seinem Heiligtum im Pangaiongebirge auf (CIPh II.1 158; 168, 1.–2. Jh.). Eine Valeria Mantana gibt einem συμπόσιον genannten Verein des thrakischen Gottes Souregethos 150 Denare, damit sie jährlich das römische Fest der Rosalien am Grab ihres verstorbenen Mannes feiern (Pilhofer II 133/Kloppenborg/Ascough I 69). Das eigentlich römische Totenfest der Rosalien feiern im Umfeld von Philippi auch griechischsprachige Kultvereine des Dionysos (Pilhofer II 529; 568; 597; Tsochos* 99–109). Der θίασος der Maenaden weiht nicht nur dem Dionysos alias Liber Pater, sondern auch der Libera und dem Herkules (Pilhofer II 340/Kloppenborg/Ascough I 71).
3.2 Geschichte der Gemeinde in Philippi Valerie A. Abrahamsen, Women and Worship at Philippi. Diana/Artemis and Other Cults in the Early Christian Era, 1995. – Richard S. Ascough, Paul’s Macedonian Associations. The Social Context of Philippians and 1Thessalonians, WUNT II/161, 2003. – Charalambos Bakirtzis, Paul and Philippi. The Archaeological Evidence, in: Ders./Helmut Koester (Hg.), Philippi at the Time of Paul and after His Death, 1998, 37–48. – Bormann, Philippi. – Cédric Brélaz, The Authority of Paul’s Memory and Early Christian Identity at Philippi, in: Cilliers Breytenbach/Julien M.
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Philippi: Stadt und Gemeinde
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Nach seiner Trennung von Antiochia kam Paulus mit Silvanus und Timotheus auf der Handelsroute von Alexandria Troas nach Thessaloniki und Dyrrachium vermutlich im Jahr 49 n. Chr. nach Philippi (Phil 4,15; 1Thess 1,1; Apg 16,8–12). Sie trafen dort griechischsprachige Menschen, von denen die meisten auch griechische Namen trugen (→ 2,25; 4,2 f.; → Exk. 16). Der einzige Träger eines lateinischen Namens, Clemens, führte kein cognomen und gehörte daher nicht zur Elite der Stadt (Brélaz, First-Century Philippi 163). Die Gemeinde war arm (Phil 4,19; 2Kor 8,1–3; Ascough* 118; Nasrallah, Poverty). Dennoch unterstützte sie die Missionare bei ihrer Weiterreise nach 11
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Thessaloniki und Korinth (Phil 4,16; 2Kor 11,8). Das Geld aus Philippi reichte allerdings nicht, um Paulus für die Missionsarbeit in Thessaloniki ganz freizustellen (1Thess 2,9). Aus 1Thess 2,2 erfahren wir noch, dass der Aufenthalt mit einem schweren Konflikt endete, in dessen Folge die Missionare misshandelt wurden (→ 1,28–30). 2Kor 7,5 deutet einen weiteren Besuch in Makedonien an, Apg 20,1–6 berichtet ebenfalls von einem Besuch. Dahinter könnte sich historisch eine Delegationsreise zur Sammlung und Überbringung der Kollekte nach Jerusalem verbergen (2Kor 8 f.). Je nach Datierung rund 20 oder 70 Jahre nach dem Philipperbrief erzählt auch die Apostelgeschichte von Paulus’ Erstmission in Philippi nach der Trennung von Barnabas (Apg 16,11 f.). Außerhalb der Stadt treffen Paulus und Silas die Purpurhändlerin Lydia und andere Frauen am Schabbat an einer Gebetsstätte, worauf Lydia sich mit ihrem Haus taufen lässt und die Missionare in ihr Haus aufnimmt (Apg 16,13–15.40). Nachdem Paulus einer Magd mit prophetischer Gabe den wahrsagenden Geist ausgetrieben hat, wird er zusammen mit Silas vor die „Anführer“ und „Hauptleute“ geführt und ins Gefängnis gesperrt, von dort aber durch ein Erdbeben befreit, woraufhin sie den Gefängniswärter und sein Haus bekehren und damit anscheinend eine zweite Hausgemeinde gründen (Apg 16,16–34). Am nächsten Morgen werden sie ehrenvoll aus der Stadt geführt (Apg 16,38 f.). Für die Frage nach dem Quellenwert der lukanischen Darstellung wiegt schwer, dass sich mit Ausnahme der Reiseroute keine Information mit dem Philipperbrief in Einklang bringen lässt. Niemand aus der Erzählung von der Gemeindegründung in Philippi nach Apg 16,12–40 kann mit einer im Philipperbrief erwähnten Person identifiziert werden, auch wenn nicht auszuschließen ist, dass sich das mit der Verwendung von Decknamen durch Paulus erklären ließe (siehe → Einl. 5). Dagegen benennt Paulus andernorts gerade die Erstbekehrten (1Kor 16,15; Röm 16,5). Die Apostelgeschichte nennt Philippi richtigerweise eine colonia (Apg 16,12; siehe aber: Brélaz, First-Century Philippi 172 f.). Die übrigen genannten politischen Institutionen bieten keine Fachtermini für die Ämter des römischen Philippi (L. M. White* 246; gegen Pilhofer* 196 f.). Anders als im von sämtlichen griechischen Textzeugen von Apg 16,12 gebotenen Text ist nicht Philippi „erste Stadt dieses Teils von Makedonien“, sondern Amphipolis (Bormann* 5 f.). Der von NTG28 gebotene Wortlaut ist so von keiner antiken Handschrift belegt. Die Philippi-Episode erfüllt in der Dramaturgie der Pauluserzählung in der Apostelgeschichte den Zweck, einen positiven Ausgang der römischen Gefangenschaft des Paulus zu erzählen (Standhartinger, Better Ending). Ihr Quellenwert für die historische Mission des Paulus in Philippi bleibt jedoch sehr begrenzt. Wie die Korrespondenz des Polykarp mit den Philipperinnen und Philippern belegt, existiert die Gemeinde auch im 2. Jahrhundert n. Chr. Weitere Erzählungen von Missionsbemühungen in Philippi bringen die Paulus- und die Andreasakten (Standhartinger, Beloved Community). Archäologische Spuren der Christinnen und Christen des 2. bis 3. Jahrhunderts gibt es jedoch nicht. Zu Beginn des 4. Jahrhunderts n. Chr. stiftete Bischof Porphyrius ein Mosaik für eine Paulusbasilika nahe dem römischen Forum (ICG 3247/Pilhofer II 329). Von jetzt an sind kontinuierlich Christinnen und Christen in der Stadt belegt (Ogereau*). Die Paulusverehrung geht einher mit einer erneuten Anknüpfung an das griechische Erbe der Stadt (Himerios Or 40; ICG 3389/ Bakirtzis* 47; Brélaz, Entre Philippe II, Auguste et Paul 125–135). In den folgenden 12
Philippi: Stadt und Gemeinde
Jahrhunderten pflegte Philippi das Pauluserbe mit sechs weiteren Kirchenbauten. Die Stadt wurde zur Pilgerstätte auf den Spuren des Märtyrers Paulus (Bakirtzis*; Brélaz, Authority; Standhartinger, Beloved Community; Mentzos*). Die Frage nach der Verortung der paulinischen Gemeinde in dem komplexen politischen, sozialen und religiösen Umfeld Philippis wird seit Ende der 80er-Jahre in unterschiedlichen Rekonstruktionen diskutiert. Die starke Präsenz von Göttinnen in den Felsenreliefs der Akropolis spiegelt sich nach Abrahamsen* in einer Kontinuität von Frauen in leitenden Funktionen in den frühchristlichen Gemeinden wider (Apg 16,12–15.40; Phil 4,2 f.). Portefaix* entdeckt die Attraktivität der paulinischen Gemeinde für ehemalige Diana-, Dionysos- und Isisverehrerinnen im Mitleiden Gottes und in der Verheißung auf körperliche Verwandlung in Phil 3,20 f. Jüngst hat Lamoreaux* in Phil 3,18 eine Kritik an der mit Artemis und anderen Göttinnen verbundenen Gebärpflicht vermutet. Viele sehen die entstehende christliche Gemeinde in einem Konkurrenzverhältnis zur Kaiserverehrung. Die „politisch aktive Bürgerschaft in den Himmeln“ mit Bürgerliste sei ein attraktives Angebot für die aus der tribus Voltinia Ausgeschlossenen gewesen (→ 3,20; 4,3; Pilhofer*; Ebel*). Distanz zum römischen Kaiserkult habe die Missionare und die Gemeinde in Konflikte geführt (de Vos*; Tellbe*). Ein in Phil 2,5–11 gelesener cursus pudorum nehme Stellung gegen den – allerdings keineswegs nur in Philippi üblichen – Stolz auf den eigenen cursus honorum, der Ämterlaufbahn der höchsten städtischen Elite (Hellerman*; Harrison*). Auf dem Hintergrund des die Beziehung zwischen Kaiserhaus und colonia bestimmenden Patronatsund Klientelverhältnisses versuche Paulus das von der Gemeinde empfundene Klientelverhältnis angesichts seines Gefängnisaufenthaltes aufzulösen und seine Klientel zu emanzipieren (Bormann*; → Exk. 17.5). Die aus Freigelassenen und Griechen gebildete Gemeinde leide seit ihrer Taufe an ökonomischer und gesellschaftlicher Ausgrenzung, die Paulus mit dem Aufruf zur Eintracht und zum Statusverzicht beantworte (→ 1,27–2,11; Oakes*). Je nach sozialer Verortung werden allerdings die Rezeptionen der ersten Leserinnen und Hörer des Philipperbriefs in unterschiedlicher Weise rekonstruiert (Marchal, People). Dabei versuchen von feministischer und postkolonialer Theorie inspirierte Auslegungen die Komplexität des Sozialraums Philippi in den Blick zu nehmen (Marchal, Hierarchy; Nasrallah, Spatial Perspectives). Von außen mögen die Freundinnen und Freunde von Paulus, Silvanus und Timotheus in Philippi dem Silvanusverein auf der Akropolis und dem Apollonverein von Drama vergleichbar gewesen sein (Ascough*). Es gab aber auch einige institutionelle Unterschiede: die Kommunikation in griechischer Sprache, das Fehlen thrakischer Namen und die Selbstbezeichnung als ἐκκλησία „Volksversammlung“ (Brélaz, FirstCentury Philippi 179). Mit letzterem, für antike Vereine höchst selten belegtem Begriff knüpfen die ersten Gemeindemitglieder explizit an die Tradition der hellenistischen Stadt Philippi an (→ 4,15). Die Erstadressierten der paulinischen Korrespondenz gehörten nicht zur römischen Oberschicht der Stadt. Die Verwendung von Griechisch als Kommunikationssprache lässt sie vielmehr unter den vor der römischen Stadtgründung ansässigen Bewohnerinnen und Bewohnern der hellenistischen Stadt vermuten, die nunmehr vorwiegend außerhalb der Stadtmauern in ländlichem Gebiet wohnten. Sie gehörten jedenfalls zu den von der politischen Selbst- und Kultverwaltung der colonia Ausgeschlossenen (Tsalampouni*). Jedoch ist ausgerechnet der griechischspra13
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chige Bevölkerungsteil in den ansonsten reichen archäologischen Quellen Philippis kaum dokumentiert und bleibt daher weitgehend unsichtbar. Der folgende Kommentar verzichtet auf eine direkte Verortung der im Brief angesprochenen Situationen und Personen in den archäologischen Quellen aus Philippi.
4. Zur Entstehungsgeschichte des Briefes (Redaktionshypothese) 4.1 Probleme und die Geschichte ihrer Lösungsversuche Loveday Alexander, Hellenistic Letter-Forms and the Structure of Philippians, JSNT 37 (1989), 87–101. – Peter Beier, Geteilte Briefe? Eine kriteriologische Untersuchung der neuen Teilungshypothesen zu den paulinischen Briefen, 1964. – Hans Dieter Betz, Der Apostel Paulus in Rom, 2013, 16–43. – David Allen Black, The Discourse Structure of Philippians. A Study in Textlinguistics, NT 37 (1995), 16–49. – L. Gregory Bloomquist, The Function of Suffering in Philippians, JSNT.S 78, 1993, 119–190. – Bormann, Philippi 87–136. – Günther Bornkamm, Der Philipperbrief als paulinische Briefsammlung, in: Ders., Geschichte und Glaube II, 1971, 195–205. – Ralph Brucker, ‚Christushymnen‘ oder ‚epideiktische Passagen‘ ?, FRLANT 176, 1997. – Carl Clemen, Die Einheitlichkeit der paulinischen Briefe an der Hand der bisher mit bezug auf sie aufgestellten Interpolations- und Compilationshypothesen, 1894. – William J. Dalton, The Integrity of Philippians, Bib. 60 (1979), 97–102. – David E. Garland, The Composition and Unity of Philippians, NT 27 (1985), 141–171. – Johann Heinrich Heinrichs, Pauli Epistolae ad Philippenses et Colossenses Graece perpetua annotatione illustratae, 1803. – Robert Jewett, The Epistolary Thanksgiving and the Integrity of Philippians, NT 12 (1970), 40–53. – Veronica Koperski, The Early History of the Dissection of Philippians, JThS 44 (1993), 599–603. – Kirsopp Lake, The Critical Problems of the Epistle to the Philippians, The Expositor 7 (1914), 481–493. – Andreas Lindemann, „… an die Kirche in Korinth samt allen Heiligen in ganz Achaja“. Zu Entstehung und Redaktion des 2. Korintherbriefs, in: Dieter Sänger (Hg.), Der zweite Korintherbrief. Literarische Gestalt, historische Situation, theologische Argumentation [FS Dietrich-Alex Koch], FRLANT 250, 2012, 131–159. – A. Boyd Luter/Michelle V. Lee, Philippians as Chiasmus. Key to the Structure, Unity and Theme Questions, NTS 41 (1995), 89–101. – Mengel, Studien zum Philipperbrief. – Johannes Müller-Bardorff, Zur Frage der literarischen Einheit des Philipperbriefs, WZ(J).GS 7 (1957/58), 591–604. – T. E. Pollard, The Integrity of Philippians, NTS 13 (1966/67), 57–66. – Uta Poplutz, Athlet des Evangeliums. Eine motivgeschichtliche Studie zur Wettkampfmetaphorik bei Paulus, HBS 43, 2004, 293–328. – Stanley E. Porter/Jeffrey T. Reed, Philippians as a Macro-Chiasm and Its Exegetical Significance, NTS 55 (1998), 213–231. – Bruce D. Rahtjen, The Three Letters of Paul to the Philippians, NTS 6 (1959/60), 167–173. – Jeffrey T. Reed, A Discourse Analysis of Philippians. Method and Rhetoric in the Debate over Literary Integrity, JSNT.S 136, 1997. – William Richards, Reading Philippians. Strategies for Unfolding a Story, SR 34 (2005), 65–79. – Walter Schmithals, Zur Abfassung und ältesten Sammlung der paulinischen Hauptbriefe, ZNW 51 (1960), 225–245. – Angela Standhartinger, ‚Join in Imitating Me‘ (Philippians 3.17). Towards an Interpretation of Philippians 3, NTS 54,3 (2008), 417–435. – Robert C. Swift, The Theme and Structure of Philippians, BS 141 (1984), 234–254. – J. E. Symes, Five Epistles to the Philippians, The Interpreter 10 (1914), 167–170. – Duane F. Watson, A Reexamination of the Epistolary Analysis Underpinning the Arguments for
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Zur Entstehungsgeschichte des Briefes (Redaktionshypothese)
the Composite Nature of Philippians, in: John T. Fitzgerald/Thomas H. Olbricht/L. Michael White (Hg.), Early Christianity and Classical Culture [FS Abraham J. Malherbe], NT.S 110, 2003, 157–177. – Ders., A Rhetorical Analysis of Philippians and Its Implications for the Unity Question, NT 30 (1988), 57–88. – Peter Wick, Der Philipperbrief. Der formale Aufbau des Briefes als Schlüssel zum Verständnis seines Inhalts, BWANT 135, 1994.
Der kanonisch gewordene Philipperbrief enthält zwischen 3,1 und 3,2 einen abrupten Themen- und Stimmungswechsel. Bereits im 5. Jahrhundert n. Chr. formulierte Theodor von Mopsuestia die These, Paulus verweise mit τὰ αὐτὰ γράφειν ὑμῖν „euch dasselbe zu schreiben“ auf einen anderen Brief (Theod Mops Comm in Phil 3,1 [Greer 332]; vgl. auch Hofmann, K. 101; H. A. W. Meyer, K. 124; Ewald/Wohlenberg, K. 162 f.). Manche Auslegungen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts halten 3,2 ff. für die Einlage eines älteren Briefes gegen „judaisierende Irrlehrer“, der mit der redaktionellen Überleitung 3,1b in den jüngeren Brief eingearbeitet worden sei (Clemen* 139 f.; Lake* 487 f.; Beare, K. 24). Alternativ wurden Adressatenkreise unterschieden: Phil 1 f. richte sich an alle Gemeindeglieder, Phil 3 f. an die Gemeindeleitung (Heinrichs* 83; Koperski*). Ein weiteres Problem entsteht dadurch, dass 4,18 den Eindruck macht, Epaphroditus sei gerade bei Paulus mit der Gabe aus Philippi angekommen, wogegen er nach 2,25–30 anscheinend nach fast tödlicher Krankheit gerade vor der Abreise steht. Die beiden Notizen sind nur mit Sekundärhypothesen in einem einzigen Schreiben unterzubringen. Merkwürdig ist auch, dass die Sendung des Timotheus nach Philippi nach 2,19–24 erst für einen späteren Zeitpunkt in Aussicht gestellt wird. Daher identifizierten im 19. Jahrhundert einige auch 2,19–24 als Bruchstück aus einem älteren Schreiben (Clemen* 137–139; vgl. Reed* 146 f.). Die These, der inmitten der Schlussgrüße eingefügte Dank für die Gabe aus Philippi in 4,10–20 sei ein eigenständiges, ältestes Brieffragment, geht auf Symes* zurück. Ende der 1950er-Jahre entwickelten Schmithals*, Beare (K. 24–29), Müller-Bardorff*, Rahtjen* und Bornkamm* die derzeit einflussreichste Redaktionshypothese. Als ältestes Brieffragment identifizieren sie in 4,10–20(23) Brief A: das Dankschreiben für die durch Epaphroditus überbrachte Gabe aus Philippi. Einen zweiten Brief B oder „Freudenbrief“ finden sie in 1,1–3,1(a–b) + 4,(1–3)4–7(8 f.21–23). Wegen der inzwischen eingetretenen Krankheit des Epaphroditus müsse er einige Wochen oder Monate nach dem Dankschreiben aus 4,10–20 verfasst worden sein. Brief B mahne zur Eintracht angesichts äußerer Anfeindungen der Gemeinde. Da 4,7 bereits einen Schlusssegen enthalte, sei in 4,8 f. ein zweiter Briefschluss enthalten. Dieser gehöre zu Brief C in 3,2–4,3 + 4,8 f., der sich mit der Befürchtung des Auftretens der Gegner aus dem 2. Korintherbrief in Philippi auseinandersetze (Schmithals* 233–236; Bornkamm*). Müller-Bardorff* nennt Brief C einen „Kampfbrief“. Für Rahtjen ähnelt Brief C in seiner Struktur mit dem biographischen Rückblick (3,6–14), dem Aufruf zur Nachahmung (3,17) und der Zukunftsschau (3,18–21) der Gattung Testament oder Abschiedsrede (Rahtjen* 171 f.). Bornkamm beobachtete, dass die Schlussstellung von Brief A (4,10–20) der Gemeinde ein „schönes Denkmal“ setzt (Bornkamm* 203). Die Redaktion verortet er in Philippi. Diese sogenannte Teilungshypothese, die ich im Folgenden jedoch zutreffender Redaktionshypothese nennen möchte (Lindemann* 131–133), wurde insbesondere in 15
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der deutschsprachigen Exegese rezipiert (Vielhauer, Geschichte 159–162; Schenk, K.; Köster, Einführung 486 f.; 566–569; G. Barth, K.; Walter, K.; Eckey, K.; Reumann, K.; Broer, Einleitung 253–259; Pokorný/Heckel, Einleitung 275–277). Einige Fragen sind jedoch offengeblieben. Die wichtigste ist die nach der Intention der Redaktion, die den kanonisch gewordenen Brief in der jetzigen Reihenfolge zusammenstellte. Offen ist auch, wie man insbesondere das Fragment C (3,2 ff.) historisch einordnen kann. Umstritten ist schließlich die Zuordnung der Verse 3,1a/b, 4,1–9 sowie der Schlussgrüße (4,21–23) zu den einzelnen Brieffragmenten (Übersicht: Bormann* 110; 115; Reed* 149 f.). Neuere Ansätze entdecken den entscheidenden Einschnitt zwischen 3,21 und 4,1 und rechnen die Verse 4,1 ff. dem Rahmenbrief B zu (Poplutz* 295–297; Reumann, K.; H. D. Betz*). Neben einer Redaktion aus drei Briefen wird auch eine aus zwei Briefen vertreten. Wenige nehmen ausschließlich das Quittungsschreiben in 4,10–20 als zweites Brieffragment an (Reed* 409–412). Verbreiteter ist die These, Kapitel 3 enthalte ein zweites Brieffragment, 4,10–20 spiegele dagegen den Eingang in 1,1–11 (Friedrich, K.; Gnilka, K. 5–10; J. Becker, Paulus 325–332; Theobald, Philipperbrief 370–378; Baumert, K.). Schließlich halten einige 3,2–21 und/oder 4,10–20 für Schreiben, die von Paulus dem Brief beigefügt wurden (Baumert, K.; H. D. Betz*). Abgelehnt werden diese Redaktionshypothesen mit folgenden Argumenten: Die Zuordnung der Einzelverse in Phil 4,1–9 bleibt uneindeutig. Es fehle eine Dokumentation der literarkritischen Hypothesen in der Handschriftentradition und es mangele an antiken Analogien (→ Einl. 4.2). Daher werden die offensichtlichen Brüche und Spannungen mit anderen Hypothesen erklärt. Paulus sei zu abrupten Stilwechseln in der Lage und Ton- und Stimmungswechsel seien im formlosen Freundschaftsbrief üblich (Kümmel, Einleitung 291–294; Schnelle, Einleitung 165–168; Swift*; Alexander*). Der Eindruck eines Bruchs zwischen 3,1 und 3,2 sei keineswegs zwingend eine rhetorische Markierung eines argumentativen Wendepunkts (→ 3,1). Reisepläne (2,19–30), das Überleitungsadverb λοιπόν (3,1; 4,3.8) und Segensformeln (4,7.9) fänden sich auch andernorts innerhalb eines Briefcorpus (Beier* 4–45; 190–222). Die inhaltliche Spannung zwischen 4,10–20 und 2,25–30 könne damit erklärt werden, dass Epaphroditus bereits vor der Ankunft bei Paulus krank geworden sei (Garland* 152 f.; Fee, K.; Holloway, K. 26). Oder man rechnet mit einer längeren Diktierpause zwischen diesem Abschnitt und 4,10–20 (U. B. Müller, K. 12; Mengel* 314–316). Paulus bedanke sich in 4,10–20 nicht für die Gabe aus Philippi, weil dieser Dank bereits in 1,3–11 zum Ausdruck gebracht sei. 4,10–20 spiegele 1,3–11 (Jewett* 53; Schubert, Form and Function 74). Außerdem wird auf Stichwortbezüge und Motivwiederholungen zwischen Kapitel 3 und den übrigen Abschnitten verwiesen (Pollard* 62–65; Dalton*; Garland* 157–162; Brucker* 280–290; Reed* 140 f.). Diese allein formal argumentierende Methode überzeugt jedoch nicht. 2Kor 7,5–16 wiederholt mehr Wörter aus Brief B in Phil 1,1–3,1 + 4,1–7.9b.21–23 als Phil 3,2–21 und 4,10–20 aus dem brieflichen Rahmen oder dem Freuden- und Dankesbrief B (Standhartinger* 422 f.). Zur Unterstützung der Argumentation für die einheitlich intendierte Abfassung des kanonisch gewordenen Briefes wird die Gestaltung der Gesamtstruktur untersucht. Eine chiastische Struktur um zwei Zentren in 2,5–11 und 3,1a findet Wick*, eine um die modellhaften Empfehlungen des Timotheus und des Epaphroditus sich spiegelnde Struktur finden Luter/Lee* (zur methodischen Kritik: Porter/Reed* 229 f.). Rhetori16
Zur Entstehungsgeschichte des Briefes (Redaktionshypothese)
sche Analysen bestimmen den Philipperbrief entweder als deliberative (Bloomquist*; Black*; D. F. Watson, Rhetorical Analysis; Brucker* 290–300) oder als epideiktische Rede (Wick* 166–169; Richards*). Abgrenzungen und die Funktion einzelner Abschnitte innerhalb der rhetorischen Struktur werden dabei unterschiedlich bestimmt (Standhartinger* 423–426). Viele verweisen daher auf die Formlosigkeit der Gattung ‚ermahnender Freundschaftsbrief ‘ (Fowl, K. 8 f.; Thurston/Ryan, K. 34–37; Alexander*; D. F. Watson, Reexamination). Wenig beachtet wurden bisher materielle Bedingungen und Analogien antiker Briefeditionen und -sammlungen.
4.2 Antike Briefeditionen und Sammlungen Kurt Aland, Die Entstehung des Corpus Paulinum, in: Ders., Neutestamentliche Entwürfe, TB 63, 1979, 302–350. – Peter Arzt-Grabner, Dokumentarische Papyri und 2. Korintherbrief, ZNT 19,38 (2016), 3–12. – Gordon J. Bahr, The Subscriptions in the Pauline Letters, JBL 87 (1968), 27–47. – Mary Beard, Ciceronian Correspondences. Making a Book out of Letters, in: Timothy P. Wiseman (Hg.), Classics in Progress. Essays on Ancient Greece and Rome, 2002, 103– 144. – Revel Coles, P.Oxy. 60.4060. Official Correspondence, in: Ders. u. a. (Hg.), The Oxyrhynchus Papyri LX, 1994, 127–141. – Hans-Josef Klauck, Compilation of Letters in Cicero’s Correspondence, in: John T. Fitzgerald/Thomas H. Olbricht/L. Michael White (Hg.), Early Christianity and Classical Culture [FS Abraham J. Malherbe], NT.S 110, 2003, 131–155. – John S. Kloppenborg, Literate Media in Early Christ Groups. The Creation of a Christian Book Culture, JECS 22,1 (2014), 21–59. – Andreas Lindemann, Die Sammlung der Paulusbriefe im 1. und 2. Jahrhundert, in: Jean-Marie Auwers/Henk Jan de Jonge (Hg.), The Biblical Canons, BEThL 163, 2003, 321–351. – Eugene H. Lovering, The Collection, Redaction, and Early Circulation of the Corpus Paulinum, 1988. – William C. McDermott, M. Cicero and M. Tiro Cicero, Historia 21 (1972), 259–286. – John Nicholson, The Survival of Cicero’s Letters, in: Carl Deroux (Hg.), Studies in Latin Literature and Roman History IX, 1998, 63–87. – Brent Nongbri, 2 Corinthians and Possible Material Evidence for Composite Letters in Antiquity, in: Bronwen Neil/Pauline Allen (Hg.), Collecting Early Christian Letters. From the Apostle Paul to Late Antiquity, 2015, 54–67. – Thomas Schmeller, Die Cicerobriefe und die Frage nach der Einheitlichkeit des 2. Korintherbriefs, ZNW 95 (2004), 181–208. – David R. Shackleton Bailey, Onomasticon to Cicero’s Letters, 2005. – Standhartinger, Philipperbrief. – Dies., Studien zur Entstehungsgeschichte und Intention des Kolosserbiefes, NT.S 94, 1999, 102–108. – Giuseppe Tibiletti, Le lettere private nei papiri greci del III e IV secolo d. C. tra paganesimo e cristianesimo, 1979. – Katelijn Vandorpe, Archives and Dossiers, in: Roger S. Bagnall (Hg.), The Oxford Handbook of Papyrology, 2009, 216–255. – Peter White, Cicero in Letters. Epistolary Relations of the Late Republic, 2010.
Ein Original der Paulusbriefe ist nicht überliefert (→ Einl. 1). Zwischen der Ankunft eines Schreibens in Philippi und den ersten materiellen Zeugnissen der Existenz des heute kanonisch gewordenen Philipperbriefs in �46 und �16 klafft eine zeitliche Lücke von mindestens 150, wahrscheinlich 250 Jahren. In �46 und vermutlich auch �16 ist der Brief bereits Teil einer Edition. Techniken antiker Briefedition wurden in der Forschung vor allem an den Cicerobriefen studiert. Hinzu kommen noch materielle Zeugnisse durch Papyrusfunde. Unter den Papyrusbriefen gibt es Beispiele für eingelegte, angehängte und ausgiebig zitierte vorherige Briefe oder Briefe von Dritten (J. L. White, Light 217 f.). Ein Beispiel 17
Einleitung
ist der Brief des Panakestor an Zenon aus dem Jahr 257 v. Chr., der einen Brief eines Apollonios an ihn und seine Antwort an Apollonios enthält. Dabei verkürzt Panakestor die Adresse von „An Apollonios“ zu „Apollonios“ und schneidet die Schlussgrüße ab (PSI 5.502, 257 v. Chr.; J. L. White, Light 41 f., Nr. 18; TUAT.NF III [2006], VIII 6, S. 212 f.). Ein weiteres Beispiel ist ein kurzer Brief des Hermias an Horos mit der Kopie eines an Asklepiades übersandten Schreibens, welches Anweisungen für das touristische Programm des römischen Senators Lucius Memmius im Fayum mitteilt (P.Tebt. 1.33, 112 v. Chr.; J. L. White, Light 81, Nr. 51; TUAT.NF III [2006], VIII 6; weitere Beispiele: Standhartinger, Philipperbrief, 437–441). Viele Papyrusfunde stammen aus Archiven, in denen Schreiber Eingangs- und Ausgangspost sammelten. Es gibt Archive offizieller Verwaltungsdokumente, Privatarchive mit Briefen und anderen Urkunden und schließlich auch gemischte Archive, die sowohl offizielle als auch private Korrespondenz enthalten (Vandorpe* 248–250; Nongbri* 59–65). Ausgangspost wurde gelegentlich in Kopialbüchern, libri litterarum missarum, gesammelt. Zum Beispiel enthält P.Sarap. 87–90 (90–133 n. Chr.) ein Archiv von Briefen des Heliodor an verschiedene Adressierte (vgl. Deissmann, LO 200; Cic Verr 3.71,167). In diesen Kopialbüchern werden Adressen und Grußformeln auf das Nötigste zusammengestrichen (z. B. ἄλλη „ein anderes Schreiben“; P.Lille 1.3,42, 216–215 v. Chr.). Eingangspost wurde ebenfalls gesammelt (libri litterarum adlatarum; Cic Verr 3.71,167). Manchmal wurden die Briefe zusammengeklebt, sodass eine Buchrolle entstand (τόμος συγκολλήσιμος „zusammengeklebtes Stück“; Schade, DNP 12/1, 673). Ein Beispiel ist das Archiv des Asklepiades (BGU 4.1203–1209 + BGU 16.2665,29–23 v. Chr.; J. L. White, Light 103– 105, Nr. 63–65; Bagnall/Cribiore, Women’s Letters 114–125; Nongbri* 61 f. mit Abb.). P.Oxy. 60.4060 ist die Kopie einer solchen aus Einzelbriefen erstellten Papyrusrolle. Die mitkopierten Eingangsdaten und die Seitennummerierung belegen die unterschiedliche Beförderungsdauer der Briefe. Das Fehlen einer Seite kann auf Redaktionsprozesse hinweisen (Coles* 141). Papyrusbriefe wurden jüngst auch als Beleg für die Möglichkeit starker Stimmungsschwankungen in einem Brief angeführt (Arzt-Grabner* 7 f.; Arzt-Grabner, 2. Korintherbrief 87–91). P.Oxy. 7.1070 beginnt z. B. sehr freundlich, schlägt dann aber plötzlich in einen tadelnden Ton um (P.Oxy. 7.1070, 45 ff.). Der Briefteil mit dem freundlichen Ton steht allerdings auf der Vorderseite des Papyrus (recto) und er endet mit der Schlussformel ἐρρῶσθαί σε εὔχομαι „ich bete, dass du gesund bist“. Auf der Rückseite (verso) des gleichen Papyrus folgt der Brief(teil) in unfreundlichem Ton. Es könnte sich daher auch um zwei verschiedene Briefe aus einem Kopialbuch handeln (Tibiletti* 158). Ein vergleichbarer Fall ist im Archiv des Paniskos aus dem Jahr 297 n. Chr. zu finden. In drei aufeinanderfolgenden Briefen lädt Paniskos seine Frau zunächst mit liebendem Ton ein, zu ihm zu kommen. Im dritten Brief macht er ihr schließlich verärgert Vorwürfe, dass sie ihm nicht einmal zurückschreibt (P.Mich. 3.214–220; Vandorpe* 246 f.). In Briefsammlungen kann die Anzahl und Abgrenzung von Briefen schwanken. Dies lässt sich etwa im Vergleich der länger bekannten lateinischen mit den neu gefundenen koptischen und griechischen Versionen der Sammlung von Briefen des Pachomius belegen (ca. 298–346 n. Chr.; Nongbri* 58 f.). Das eindrücklichste Beispiel sind die von Hans-Josef Klauck und Thomas Schmeller in die neutestamentliche Dis18
Zur Entstehungsgeschichte des Briefes (Redaktionshypothese)
kussion eingeführten Briefe des Cicero (106–43 v. Chr.). Mit der älteren Forschung führen Klauck und Schmeller die Sammlung der Cicerobriefe auf die Veröffentlichung der Kopialbücher durch Ciceros freigelassenen Sekretär Tiro zurück (Klauck* 134– 136; Schmeller* 186–188). Nach Klauck enthält die Sammlung 50–60 Beispiele für vermutete Briefkompilationen, briefliche Nachträge und Postskripte sowie über längere Zeiträume abgefasste Briefe. Die Sammlung folge in ihrer Anordnung außerdem nicht überall der chronologischen Folge. Klauck hält daher additive Briefkompilationen auch in Paulusbriefen für möglich. Der Satz in Phil 3,1b könnte ein Postskript einleiten (Klauck* 152; Bahr* 38). Auf der Basis des von Klauck zusammengestellten Materials zieht dagegen Schmeller den Schluss: „Die Kompilatoren, die wir in den Briefcorpora Ciceros finden, lassen allenfalls (!) eine addierende Verschmelzung chronologisch geordneter Paulusbriefe […] plausibel erscheinen“ (Schmeller* 207 f.). Neuere althistorische Forschung hat die These von der Veröffentlichung von Sammlungen der Briefe Ciceros zu dessen Lebzeiten oder kurz nach dessen Tod durch seine Vertrauten Tiro und Atticus widerlegt (McDermott* 281 f.; Nicholson*; Beard* 116–124; P. White* 31–34). Zwar verweist Cicero kurz vor seinem Lebensende auf eine Sammlung von 70 Briefen in Tiros Händen und erwähnt eine Rolle mit Atticusbriefen (Att 16.5,5 = 410.5,5SB = 16.2,5K; Att 9.10,4 = 177,4SB = 9.11,4K), aber welche 70 der ca. 407 Briefe in den heutigen 16 Briefbüchern an Atticus gemeint sein sollen, ist nicht zu erschließen. Dem zunächst versklavten, dann freigelassenen Sekretär Tiro und Ciceros intimem Freund Atticus sind die Verwechslungen von Personen, z. B. M. Fabius Gallus mit Titus Fadius oder Decimus Brutus mit Marcus Brutus, nicht zuzutrauen (Fam 11.16 = 434SB = 11.28K; Fam 11.17 = 435SB = 11.27K; P. White* 33; weitere Beispiele: Shackleton Bailey* 141–143). Die Briefe an Atticus enthalten Lücken von bis zu zwei Jahren, die nicht durch Schreibpausen zu erklären sind (Beard* 125 f.). Die Sammlung der Atticusbriefe wird erstmals durch Aulus Gellius zitiert (Aulus Gellius Noct 4.9,6 = Cic Att 9.5,2 = 171SB). Aus den Briefen an die Freunde zitiert bereits der ältere Seneca (gest. um 40 n. Chr.), allerdings nur aus dem Brief des Cassius an Cicero (Sen Rhet Suasoriae 1.5,5 = Cic Fam 15.19,4 = 216SB). Die heute bekannte Sammlung der Briefe Ad familiares stammt aus byzantinischer Zeit (Beard* 118 f.; P. White* 171). Neben den erhaltenen 36 Büchern der Briefe Ciceros sind weitere 38 verlorene Briefbücher bezeugt (P. White* 171). 35-mal wird auf nicht erhaltene Briefe verwiesen (P. White* 35–41). Einige Briefe wurden offensichtlich gekürzt (Fam 3.10,11 = 73,11SB; Att 13.9,1 = 317,1SB = 13.21,1K). Andere Briefe sind das Postskript nicht erhaltener Briefe (Att 10.15 = 390SB = 10.19,1K; Ad Brutum 1.3 = 14SB = 7K; vgl. P. White* 41–43). Die modernen Ausgaben enthalten je nach Zählung, oder genauer: Rekonstruktion der Redaktionsgeschichte, zwischen 846 und 966 Briefe (P. White* 172). Alle Herausgeber versuchen die Briefe in eine chronologische Ordnung zu bringen. Die radikalste Lösung findet sich in der Oxfordausgabe des 19. Jahrhunderts von Tyrrell und Purser, die Sammlungen auflösen und die Briefe von 1 bis 931 durchzählen (Beard* 106–116). Andere beschränken die chronologische Ordnung auf die einzelnen Sammlungen (Shackleton Bailey in Loeb Classical Library, hier: SB). Dritte entwerfen eine eigene Chronologie (die deutsche Auswahl von Kasten, hier K). Da sich die Ausgaben nur durch die sogenannte ‚Vulgatazählung‘ (hier vorangestellt) vergleichen lassen, wird hier die aufwendige Parallelzählung geboten. 19
Einleitung
Die überlieferten Handschriften ordnen dagegen gerade nicht chronologisch. So eröffnet die Atticussammlung mit einem Brief, der Ciceros Wahl zum Konsul diskutiert (Att 1.1 = 10SB = 1.10K). Der zehnte Brief ist dagegen vor seiner Wahl zum Prätor, also drei Jahre vorher, geschrieben (Att 1.10 = 6SB = 1.6K). Att 1.1 f. will Cicero als „Insider des Politikgeschäfts“ vorstellen (Schmeller* 199 f.). Auch die einzelnen Sammlungen in Ad familiares sind thematisch angeordnet (P. White* 51–56). Der Brief an Quintus, in dem Cicero von der Freilassung Tiros berichtet, kann als Allegorie auf den Tod Ciceros und das Ende der alten Republik gelesen werden (Fam 16.16 = 44SB = 16.22K; Beard* 130–143). Jedenfalls ist ein entscheidendes Prinzip der Auswahl die Prominenz der Briefpartner. 74 der 97 Briefpartner stammen aus dem Senatorenstand. Es fehlen Briefe an Magistrate, Klienten und griechische Intellektuelle, denen Cicero aber ebenso geschrieben haben muss (P. White* 59). Die Auswahl stellt Cicero als einflussreiche Persönlichkeit vor, die sogar für Senatoren Empfehlungsbriefe schreibt. Oder kurz zusammengefasst: Die Editionen der Cicerobriefe sind keineswegs ‚konservativ‘ redigiert, sondern es gab von Anfang an bis in die Spätantike und erneut in der Moderne massive Eingriffe in die Auswahl, Anordnung und den Textbestand der Briefe. Die Sammlungen konstruieren durch ihre Auswahl, Anordnung, ihre Beigaben, Auslassungen, Kürzungen und Redaktionen je in ihrer Weise das Bild eines bedeutenden Politikers im Zentrum der einflussreichsten politischen Größen seiner Zeit. Bei Editionen und Sammlungen von Briefen sind Redaktionen und planvolle Anordnungen also keineswegs die Ausnahme, sondern die Regel. Die Cicerobriefe demonstrieren, wie radikal Auswahlprozesse verliefen. Papyrusbriefarchive dokumentieren neben einer nachträglich geänderten Auswahl auch die Kürzung von Adressen, Eingangspassagen und Briefschlüssen im Kopierprozess. 1Kor 5,9, vielleicht auch 2Kor 2,4, belegen nicht überlieferte Paulusbriefe. Wie 1Thess 5,27 und Gal 6,11 zeigen, hat Paulus selbst die Abschrift und Vervielfältigung seiner an einzelne Gemeinden oder im Fall des Galaterbriefs als Rundbrief intendierten Schreiben nicht beabsichtigt. Angesichts seiner noch in seinem letzten Brief in Röm 13,11 virulenten Erwartung des sehr baldigen Weltendes wäre alles andere überraschend (Lindemann* 330–333). Das briefliche Medium war für Paulus darüber hinaus ein unvollkommener Ersatz für die persönliche Kommunikation (Gal 4,20; vgl. 2Kor 3,6; Röm 2,29; 7,6; Standhartinger, Studien 102–108; Kloppenborg* 32–34). Teilsammlungen der heutigen Paulusbriefsammlungen entstanden frühestens im 2. Jahrhundert an verschiedenen Orten auf der Basis der jeweils verfügbaren Briefe (Aland*; Lovering*; Lindemann*; Standhartinger, Philipperbrief).
4.3 Die Redaktion des Philipperbriefs Bormann, Philippi 87–136. – Bornkamm, Philipperbrief. – David Cook, 2 Timothy IV, 6–8 and the Epistle to the Philippians, JThS 33 (1982), 168–171. – Paul A. Holloway, The Apocryphal Epistle to the Laodiceans and the Partitioning of Philippians, HThR 91 (1998), 321–325. – Rahtjen, Three Letters. – Philip Sellew, Laodiceans and the Philippians Fragments Hypothesis, HThR 87 (1994), 17–28. – Ders., Laodiceans and Philippians Revisited. A Response to Paul Holloway, HThR 91 (1998), 327–329. – Standhartinger, Join in Imitating Me. – Dies., Apocalyptic
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Zur Entstehungsgeschichte des Briefes (Redaktionshypothese)
Thought in Philippians, in: Benjamin E. Reynolds/Loren T. Stuckenbruck (Hg.), The Jewish Apocalyptic Tradition and the Shaping of New Testament Thought, 2017, 233–245. – Dies., Weisheitliche Idealbiografie und Ethik in Phil 3, NT 61,2 (2019), 156–175. – Dies., Beloved Community. – Philip L. Tite, The Apocryphal Epistle to the Laodiceans. An Epistolary and Rhetorical Analysis, 2012.
Die abrupten Themen- und Stimmungswechsel zwischen 3,1 und 3,2 sowie zwischen 4,9 und 4,10 müssen als Indizien dafür gelesen werden, dass sich auch der kanonische Philipperbrief einer Redaktion verdankt. Die heute als ein Philipperbrief bekannte Sammlung bestand aus drei Schreiben, von denen zwei zumindest um Adresse und Briefschluss gekürzt wurden (Bornkamm*; Bormann*). Das älteste Stück, Brief A, ist in Phil 4,10–20 erhalten. Es ist das Quittungsschreiben für die von Epaphroditus überbrachte Gabe aus der Gemeinde. Paulus befindet sich in bedrängter Lage (4,11–13), vermutlich bereits im Gefängnis, wie der Freuden- oder Dankesbrief B nahelegt. Jedenfalls braucht Paulus die Gabe aus Philippi dringend (4,10.14–18). Da ihm die Möglichkeit der Anerkennung durch einen Besuch oder eine angemessene Gegengabe fehlt, übergibt er den Dank in Gottes Hand (4,19 f.). Das zweite Schreiben, der Freuden- oder Dankesbrief B in Phil 1,1–3,1 + 4,1– 7.9b.21–23, ist vermutlich vollständig erhalten und wurde aus dem Gefängnis geschrieben (→ 1,7.12–18). Freude trotz widriger Umstände ist das sich durch den Brief ziehende Grundmotiv (→ Exk. 6). Dieser Brief muss wenige Wochen oder Monate nach dem Quittungsschreiben abgesandt worden sein. Epaphroditus befindet sich noch bei Paulus, war inzwischen jedoch todkrank, wovon die Gemeinde gehört hatte. Ein wichtiger Anlass für diesen Brief ist es, die Rückkehr des Epaphroditus mit der Aufforderung zu verbinden, dessen Leistung gebührend anzuerkennen (→ 2,25–30). Außerdem versichert Paulus der Gemeinde seinen dringenden Besuchswunsch. Die Empfehlung des Timotheus spiegelt seine eigene Liebe und Sehnsucht wider (→ 2,19–24). Allerdings verlief Paulus’ Prozess bisher negativ (→ 1,7.13), sodass ihm nicht klar ist, ob er weiterleben oder sterben wird (→ 1,21–26; 1,27; 2,12.17 f.). Noch eindeutiger als Brief A in 4,10–20 ist der Freudenbrief B ein Dankesbrief für die vielfältige Unterstützung durch die Gemeinde und ihre trotz seiner Gefangenschaft andauernde Gemeinschaft mit Paulus (→ 1,7.19). Paulus versichert der Gemeinde, dass ihr finanzielles und personelles Engagement für die gemeinsame Sache des Evangeliums zu Fortschritten geführt hat (→ 1,12–26). Zugleich versucht er, die Gemeinde auf ein Weiterbestehen nach seinem Ableben vorzubereiten und dafür zuzurüsten (→ 1,27–2,18; 4,1–7.9b). Dass es sich bei Phil 3,2–21, einem autobiographischen Stück mit eschatologischem Ausblick, tatsächlich um das Fragment eines Philipperbriefes handelt, lässt sich nicht mit letzter Sicherheit bestimmen. Nichts spricht jedoch dagegen und die bekannten Texte des historischen Paulus stammen alle aus Briefen. Bei der Einfügung in den brieflichen Rahmen des Briefes B wurden, wie bei allen antiken Briefkompilationen und -sammlungen, Kürzungen notwendig. Daher lässt sich der historische Entstehungskontext von Phil 3,2–21 lediglich anhand des Inhalts vermuten. Die Benennung als „Kampf-“ oder „Warnbrief“ fokussiert Anlass und Inhalt auf die in 3,2.18 f. angesprochene(n) Oppositionsgruppe(n) (Schenk, K.; Bormann* 117–119). Allerdings konnte bisher weder über die theologische Positionierung der Oppositionsgruppen 21
Einleitung
noch über die Frage, ob sie bereits in Philippi angekommen sind oder nicht, ein Forschungskonsens erreicht werden (→ Exk. 15). Im jetzigen Kontext dient die Abgrenzung gegenüber den als „Hunde“ und „Feinde des Kreuzes“ Benannten vor allem der Profilierung der Wir-Gruppe. Das Zentrum der Verse bilden der stilisiert biographische Rückblick des Paulus (3,4–14), der Aufruf, das Beispiel selbst kreativ mit nachzuahmen, das heißt zu reinszenieren (3,15–17), und eine Zukunftsschau (3,18–21). Daraus ergibt sich die Struktur der biblisch-frühjüdischen Abschiedsrede (Rahtjen*; Standhartinger, Join in Imitating Me 427–432). Genauer handelt es sich um eine weisheitliche Idealbiographie mit apokalyptischem Ausblick (Standhartinger, Weisheitliche Idealbiografie; Standhartinger, Apocalyptic Thought). Der plausibelste Ursprungskontext ist der einer Abschiedsrede angesichts der in 2Kor 1,8–10 geschilderten negativen Prozesswende mit erwartetem Todesurteil. Phil 3,2–21 ist dann nur wenige Wochen oder Monate nach dem Freudenbrief B verfasst und nach Philippi gesandt worden. Der Korrespondenz des Polykarp mit der Gemeinde in Philippi verdanken wir Hinweise auf Ort, Zeit und Intention der Redaktion. Polykarp hebt unter anderem lobend hervor, dass Paulus den Philipperinnen und Philippern „abwesend … Briefe schrieb“ (ἀπὼν … ἔγραψεν ἐπιστολάς, Polyk 3,2). Ob bereits der Plural ἐπιστολαί mehrere Paulusbriefe an die Gemeinde belegt, ist umstritten. An anderer, nur lateinisch überlieferter Stelle rühmt Polykarp die Gemeinde als Adressatin nur eines Briefes (qui estis in principio epistulae eius, Polyk 11,3). Jedenfalls aber hat Polykarp die Beförderung ihres oder ihrer Schreiben(s) nach Antiochia zugesagt (γράμματα, Polyk 13,1). Die Gemeinde hat sich also spätestens Mitte des 2. Jahrhunderts um die Verbreitung der an sie gerichteten Pauluskorrespondenz bemüht. Außerdem verwendet der zwischen 150 und 250 n. Chr. entstandene und in lateinischen Bibelhandschriften enthaltene Laodicenerbrief ausschließlich Phil 1,1–3,1 + 4,6.8 f. sowie Gal 1,1 und Kol 4,16 (NTApo II5 41–44; Sellew, Laodiceans; Sellew, Laodiceans Revisited; Tite* 68–70; anders: Holloway*). Es muss allerdings offenbleiben, ob sich die Auswahl durch Textkenntnis oder inhaltlich begründet. Aber der Laodicenerbrief ist neben 1Tim 4,4–6 und Polyk 9,1 f. ein Beispiel für die Interpretation des Philipperbriefs als Abschiedsbrief eines Märtyrers (Cook*; Standhartinger, Beloved Community). Auch Kol 4,2 f.18; Eph 3,1 f.; 4,1 und der 3. Korintherbrief interpretieren Paulus’ Gefangenschaft als Zwischenzustand auf dem Weg zu postmortaler Transzendenz. Die Redaktion des kanonisch gewordenen Philipperbriefs fand also vermutlich in der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts in Philippi statt. Polykarps Korrespondenz gibt auch Hinweise auf die Redaktionsprinzipien. Der Philipperbrief wurde als Abschiedswort eines Märtyrers gelesen (Standhartinger, Beloved Community). Das Quittungsschreiben 4,10–20 zwischen Schlussparänese und Grüßen hebt dabei die Bedeutung der Philipperinnen und Philipper für Paulus und sein Missionswerk hervor (Bornkamm* 203; Bormann* 133–136). Die weisheitlich und apokalyptisch geprägte Abschiedsrede in 3,2–21 folgt dabei kaum zufällig dem ersten Aufruf zur Freude im Rahmen der ursprünglichen Schlussparänese. Nach Paulus’ Ableben ist dieser Aufruf der Ausruf eines Märtyrers, der zwischen diesem und dem jenseitigen Leben stehend bereits jetzt in die transzendente himmlische Welt blicken kann (Phil 3,12–14; 3,18–21; E. Lohmeyer, K.). Darüber hinaus überbietet Paulus nunmehr das lobenswerte Beispiel des Timotheus und des Epaphroditus. 22
Anlass, Gattung und theologische Schwerpunkte
Zur einfacheren Benutzung wird dieser Kommentar der kanonisch gewordenen Anordnung des in Philippi redigierten Philipperbriefs folgen. In Einleitung und Auswertung der Abschnitte 3,2–21; 3,1; 4,1–7.[8–9a.]9b und 4,10–20 wird auf die theologischen Differenzen der paulinischen Brieffragmente und die Funktion im redigierten Brief gesondert hingewiesen.
5. Anlass, Gattung und theologische Schwerpunkte Alexander, Hellenistic Letter-Forms. – Norman J. E. Austin/Boris Rankov, Exploratio. Military and Political Intelligence in the Roman World from the Second Punic War to the Battle of Adrianople, 1995. – Eve-Marie Becker, Polemik und Autobiographie. Ein Vorschlag zur Deutung von Phil 3,2–4a, in: Oda Wischmeyer/Lorenzo Scornaienchi (Hg.), Polemik in der frühchristlichen Literatur. Texte und Kontexte, BZNW 170, 2011, 236–254. – H. D. Betz, Apostel Paulus. – Ders., Studies in Paul’s Letter to the Philippians, WUNT 343, 2014. – Bloomquist, Function of Suffering. – Richard J. Cassidy, Paul in Chains. Roman Imprisonment and the Letters of St. Paul, 2001. – Carsten Drecoll, Die Liturgien im römischen Kaiserreich des 3. und 4. Jh.s n. Chr. Untersuchung über Zugang, Inhalt und wirtschaftliche Bedeutung der öffentlichen Zwangsdienste in Ägypten und anderen Provinzen, Hist.E 116, 1997. – Paul Feine, Die Abfassung des Philipperbriefs in Ephesus, BFChTh 4, 1916. – Arminta Fox, Decentering Paul, Contextualizing Crimes. Reading in Light of the Imprisoned, JFSR 33,2 (2017), 37–54. – Gerhard Friedrich, Der Brief eines Gefangenen, MPTh 44 (1955), 270–280. – Christopher J. Fuhrmann, Policing the Roman Empire. Soldiers, Administration, and Public Order, 2012. – Paul A. Holloway, Consolation in Philippians. Philosophical Sources and Rhetorical Strategy, MSSNTS 112, 2001. – Jens-Uwe Krause, Gefängnisse im Römischen Reich, 1996. – Michael Labahn, Paulus – ein homo honestus et iustus. Das lukanische Paulusportrait von Act 27–28 im Lichte ausgewählter antiker Parallelen, in: Friedrich Wilhelm Horn (Hg.), Das Ende des Paulus. Historische, theologische und literaturgeschichtliche Aspekte, BZNW 106, 2001, 75–106. – John C. Lentz, Luke’s Portrait of Paul, MSSNTS 77, 1993, 105–170. – Wilhelm Michaelis, Die Gefangenschaftsbriefe des Paulus und antike Gefangenenbriefe, NKZ 36 (1925), 586–595. – John Nicholson, The Delivery and Confidentiality of Cicero’s Letters, The Classical Journal 90 (1994), 33–63. – Heike Omerzu, Der Prozess des Paulus. Eine exegetische und rechtshistorische Untersuchung der Apostelgeschichte, BZNW 115, 2002. – Brian Rapske, The Book of Acts and Paul in Roman Custody, 1994. – Wolfgang Riepl, Das Nachrichtenwesen des Altertums mit besonderer Rücksicht auf die Römer, 1913. – Steven H. Rutledge, Imperial Inquisitions. Prosecutors and Informants from Tiberius to Domitian, 2001. – Jean-Marie Salamito, Δεσμιος Ιησου Χριστου. L’expérience carcérale de l’apôtre Paul et l’invention de la souffrance chrétienne, in: Cécile Bertrand-Dagenbach u. a. (Hg.), Carcer II: Prison et privation de liberté dans l’empire romain et l’occident médiéval. Actes du colloque de Strasbourg (décembre 2000), 2004, 171–183. – Ryan S. Schellenberg, The Rest of Paul’s Imprisonments, JThS 69,2 (2019), 533–572. – Robin Scroggs, Paul the Prisoner. Political Asceticism in the Letter to the Philippians, in: Leif E. Vaage/Vincent L. Wimbush (Hg.), Asceticism and the New Testament, 1999, 187–207. – Rose Mary Sheldon, Intelligence Activities in Ancient Rome, 2005. – Matthew L. Skinner, Locating Paul. Places of Custody as Narrative Settings in Acts 21–28, AcB 13, 2003. – Ders., Remember My Chains. New Testament Perspectives on Incarceration, Interp. 72 (2018), 269–281. – Angela Standhartinger, Aus der Welt eines Gefangenen. Die Kommunikationsstruktur des Philipperbriefs im Spiegel seiner Abfassungssituation, NT 55,2 (2013), 140–167. – Dies., Better Ending. – Dies., Eintracht in Philippi. Zugleich ein
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Einleitung
Beitrag zur Funktion von Phil 2,6–11 im Kontext, in: Paul-Gerhard Klumbies/David S. du Toit (Hg.), Paulus – Werk und Wirkung [FS Andreas Lindemann], 2013, 149–175. – Dies., Letter from Prison as Hidden Transcript. What It Tells Us about the People at Philippi, in: Joseph A. Marchal (Hg.), The People beside Paul. The Philippian Assembly and History from Below, 2015, 107–140. – Stanley K. Stowers, Friends and Enemies in the Politics of Heaven. Reading Theology in Philippians, in: Jouette M. Bassler (Hg.), Pauline Theology I: Thessalonians, Philippians, Galatians, Philemon, 1994, 105–121. – Nikolaus Walter, Die Philipper und das Leiden. Aus den Anfängen einer heidenchristlichen Gemeinde, in: Rudolf Schnackenburg/Josef Ernst/Joachim Wanke (Hg.), Die Kirche des Anfangs [FS Heinz Schürmann], 1978, 417–434. – Craig S. Wansink, Chained in Christ. The Experience and Rhetoric of Paul’s Imprisonments, JSNT.S 130, 1996. – Alexander Weiss, Sklave der Stadt. Untersuchungen zur öffentlichen Sklaverei in den Städten des Römischen Reiches, Hist.E 173, 2004. – Stephan Josef Witetschek, Der Gefangene Christi Jesu und seine Fesseln. Hintergründe und Deutung, in: Cilliers Breytenbach (Hg.), Paul’s GraecoRoman Context, BEThL 277, Leuven 2015, 563–577. – Heiko Wojtkowiak, Christologie und Ethik im Philipperbrief. Studien zur Handlungsorientierung einer frühchristlichen Gemeinde in paganer Umwelt, FRLANT 243, 2012.
Die philippische Korrespondenz gehört nicht zu den paulinischen Hauptbriefen. In Gesamtdarstellungen der paulinischen Theologien spielen vor allem die Reflexion über Leben und Sterben in Phil 1,21–23 (→ Exk. 5), der Hymnus in Phil 2,6–11 (→ Exk. 8– 9), das kurze Statement zur Rechtfertigungslehre in Phil 3,9 (→ Exk. 12–13) und die Transformationsvorstellungen in Phil 3,10 f. und 3,20 f. eine größere Rolle. Das Quittungsschreiben in Phil 4,10–20 und der Eingangsteil 1,1–26 könnten jedoch zur Rekonstruktion der paulinischen Ekklesiologie, insbesondere der Finanzierung und Strukturierung der paulinischen Mission, beitragen (→ Exk. 2; 17). Die Idealbiographie mit weisheitlichem Ausblick in Phil 3,2–21 profiliert häufig die Gegnerinnen und Gegner des Paulus (→ Exk. 15). Die angelsächsische Forschung fragt außerdem nach der Briefgattung und entdeckt einen formlosen Freundschafts- oder Familienbrief (Alexander*; Stowers*). Wer das Leiden des Paulus und der Gemeinde in den Vordergrund stellt, interpretiert den Brief als Trostrede (Holloway*; Bloomquist*). Wenig beachtet wurde bisher die Abfassung des Briefes im Gefängnis. Nach Phil 1,7.13 f.17 befindet sich Paulus „in Fesseln“. Damit vertritt der Philippermit dem Philemonbrief unter den Paulusbriefen die Gattung ‚Gefangenschaftsbrief ‘. Diese Gattung hat unter den deutero- und tritopaulinischen Briefen viele Nachahmungen gefunden (Kol; Eph; 2Tim; Laod; 3Kor). Auch in der Apostelgeschichte ist Paulus die meiste Zeit der Darstellung inhaftiert (Apg 21,33–28,31). Allerdings ist er nur wenige Stunden den in der Antike allgemein üblichen Haftbedingungen ausgesetzt (Apg 16,23–30; 22,25–39). Jedermann vom Gefängniswärter über den militärischen Kommandanten bis zum Statthalter und Klientelkönig behandelt den gefangenen Paulus zuvorkommend. Am Ende wird die Haft in libera custodia „Hausarrest“ umgewandelt (Apg 28,16). Damit geht es dem inhaftierten Paulus der Apostelgeschichte jedoch viel besser als dem judäischen Klientelkönig Agrippa I. nach Jos. Ant. 18.192–235. Agrippa I. erfreut sich lediglich in den letzten Tagen seiner langen Haft der libera custodia (Jos. Ant. 18.235; Feine* 70 f.; Pervo, Acts 552 f.; Standhartinger, Letter 108–112; Standhartinger, Aus der Welt eines Gefangenen 141–144). Die Apostelgeschichte 24
Anlass, Gattung und theologische Schwerpunkte
überbietet die Haftbedingungen eines Klientelkönigs, um Paulus als prominenten Gefangenen zu zeichnen, der in allerhöchsten gesellschaftlichen Kreisen verkehrt (Lentz*; Skinner*; Labahn*). Der Kontrast zwischen den Haftumständen des Petrus in Apg 5,17–26; 12,1–17 und den Paulus geltenden Prophezeiungen in Apg 9,16 f.; 20,22–24 verstärkt diesen Eindruck (Skinner* 77–105; Standhartinger, Better Ending). Historisch sind solche Haftbedingungen für einen einfachen Provinzbürger nicht plausibel. Was Paulus nach eigener Darstellung in Phil 1,7.13–26.30; 2,17 f.; 3,10 f.20; 4,10–20 sowie in Phlm 1.10.13.23; 1Thess 2,1 f.; 1Kor 4,9–13; 2Kor 6,5 f.; 11,23–27; 12,10 und Röm 16,3 f.7 tatsächlich von römischen und städtischen Behörden erfährt, zeigt, dass er den in der Antike üblichen Haftbedingungen ausgesetzt war. Fesseln sind jedenfalls mehr als ein literarischer Topos (anders: E.-M. Becker* 248–251; Witetschek* 573–577). Die meisten Gefangenen der Antike waren angekettet (Krause* 183–186; Wansink* 32–41; Rapske* 206–209; Apg 12,6 f.; 16,24–26). Dies gilt auch für den Klientelkönig Agrippa I. während der meisten Zeit seiner Inhaftierung (δεθείς, Jos. Ant. 18.195). Lukian beschreibt in seiner Freundschaftsnovelle einen Gefangenen: „des Tags trug er eine Halskette und die eine Hand gefesselt, zur Nacht musste er ganz festgebunden sein. (τῆς μὲν γὰρ ἡμέρας ὁ κλοιὸς ἤρκει καὶ ἡ ἑτέρα χεὶρ πεπεδημένη, εἰς δὲ τὴν νύκτα ἔδει ὅλον καταδεδέσθαι), nämlich an ein Holz geschlossen“ (ἐν τῷ ξύλῳ κατακεκλειμένα, Luc Tox 29). Und in der antiken Traumdeutekunst bedeutet ein Traum, in dem „ein Schurke meint, dass ihm Stelzen untergebunden worden seien, Gefangenschaft. Denn wenn Stelzen an die Füße gebunden werden, verhindern sie das Herumgehen“ (Κωλόβαθρα ὑποδεδέσθαι δοκεῖν τοῖς μὲν πανούργοις δεσμὰ σημαίνει καὶ γὰρ προσδεῖται τὰ κωλόβαθρα τοῖς ποσὶ καὶ τὸν περίπατον ἀλλοιοῖ, Artemid On[e]irocr 3.15; vgl. auch 3.34; → 1,7). Wenn Paulus in Phil 1,16 sagt, dass er „zur Verteidigung des Evangeliums liege“, so kann das durchaus wörtlich gemeint sein. Antike Gefängnisse sind außerdem häufig überfüllt, es ist finster, heiß, dreckig und es stinkt (Luc Tox 29). Die spätere Märtyrerin Perpetua beschreibt ihre ersten Eindrücke im Gefängnis: „Ich war befremdet, denn niemals hatte ich eine solche Finsternis erwartet. O Unglückstag, große Hitze aufgrund der Menge, erpresserische Soldaten“ (et expavi, quia numquam experta eram tales tenebras. O diem asperum: aestus validus turbarum beneficio, concussurae militum, Mart Perp et Felic 3,5 f. [Musurillo 108]; ähnlich Mart Mont et Luc 4 [Musurillo 216]). In der griechischen Übersetzung des Martyriums der Perpetua werden die meisten Soldaten als Spione identifiziert (καὶ στρατιωτῶν συκοφαντίαις πλείσταις). In der Traumdeutekunst sagt ein Traum, in dem man lebendig begraben wird oder in den Hades hinabsteigt, Gefängnis an (Artemid On[e]irocr 2.49,55). Gefängniswärter und Mitgefangene üben körperliche Gewalt aus (Philo Jos. 81; 84; Krause* 273–276; 286–288; Rapske* 195–226; Wansink* 32–40). Hinzu kommt Mangel an allem, vor allem an Essen (Krause* 279–283). So schreibt der Jude Petaus, Sohn des Philippos, an den Politarchen Alexandros von Herakleopolis im Jahr 135 v. Chr. aus dem Gefängnis: „Da ich gebührend zurechtgewiesen bin, Bekanntschaft mit dem Gefängnis gemacht habe und (nun schon) hinreichend lange zugrunde gehe, zumal ich in der Fremde bin und nicht das Nötige habe, bitte ich als Schutzflehender inständig, mich nicht zu übersehen, sondern euch um mich zu kümmern, wenn es 25
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gerecht erscheint, und anzuordnen, mich aus dem [Gefängnis] herauszurufen“ (ἐπεὶ τυγχάνωι καταξίως νενουθετημένος, καὶ πεῖραν φυλακῆς εἰληφὼς ἱκανάς τε ἡμέρας κατεφθα�μένος ὢν ἐπὶ ξένης, κοὐκ ἔχων τὰ ἀναγκαῖα, ἀξιῶ δεόμενος μεθ’ ἱκετείας μὴ ὑπεριδεῖν με ἀλλ’ ἐὰν φαίνηται ἀντιλαβομένους μου συντάξαι ἀνακαλέσασθαί με ἐκ τῆς [φυλακῆς] – P.Polit.Iud. 2.5–18, Übers. James M. S. Cowey/Klaus Maresch; vgl. auch TUAT.NF I [2004], VII 9. Weitere Gefängnisbriefe: P.Yale 42, 229 v. Chr.; J. L. White, Light 54–56, Nr. 28; P.Mich. 1.87, 3. Jh. v. Chr.; P.Enteux. 84, 3. Jh. v. Chr.; P.Lond. 7.2045, 3. Jh. v. Chr.; P.Tebt. 3.1.777, 2. Jh. v. Chr.; P.Coll. Youtie 1,12, 177 v. Chr.; BGU 18.21, 57 v. Chr.; BGU 8.1847, ca. 50 v. Chr.; P. Lond. 2.354/CPR XV 15, 7–4 v. Chr.; vgl. auch Arzt-Grabner, Philemon 75 f.). In Erwartung der Kerkerhaft raten stoische Philosophen, sich an schmale Essensrationen zu gewöhnen (Sen Ep 18,10 f.). Gefängnis gilt als Höchststrafe und ist nur durch die Möglichkeit eines Suizids zu ertragen (Horat Ep 1.16,73–83; Sen Ep 24,3–5; 77,19; Rohmann, EncAH 10, 5545 f.). Außerdem ist Gefängnishaft ehrenrührig und beschämend (2Tim 1,16; 2,9; Salamito*; Skinner*). Angesichts fehlender Möglichkeiten, einen Prozess ausschließlich auf Indizien zu gründen, ist Folter im antiken Strafverfahren üblich (Krause* 291–295; Wansink* 50–55; Apg 16,23; 22,25; Naerebout, EncAH 12, 6786 f.; Schiemann, DNP 4, 584–587). Anklage, Gefängnis und Folter gehören zusammen (2Kor 6,5; 11,23; Artemid On[e]irocr 1.77; 3.59; Suet Claudius 34,1; Plin Ep 10.96,8). Anders als gewöhnliche Schuldner, Straftäter oder des Aufruhrs Verdächtige können Angehörige der römischen Oberschicht Untersuchungshaft häufig umgehen. So wird Cato mit dem Ausspruch zitiert: „Diebe von privaten Diebstählen führen wir in ewigen Fußfesseln ab, öffentliche Diebe in Gold und Purpur“ (Aulus Gellius Noct 11.18,18). Nach ihrer Verurteilung zu Verbannung oder Tod wurden aber auch Angehörige der Eliten im Gefängnis festgehalten. In provinzialen Gefängnissen waren die Wächter und die Vollstrecker der Todesstrafen entweder servi publici „öffentliche Sklaven“ oder Militärangehörige (Plin Ep 10.19 f.; Weiss*; Fuhrmann* 64 f.). Die Bewachung städtischer und dörflicher Gefängnisse in Ägypten wurde im 3.–4. Jahrhundert n. Chr. als λειτουργία, das heißt verpflichtende öffentliche Aufgabe, vergeben, wobei für das Amt des φύλαξ „Wächters“ ein Mindestvermögen von 300 Drachmen, für das des δεσμοφύλαξ „Gefängniswächters“ ein Vermögen von 800–1000 Drachmen vorausgesetzt wurde (Drecoll* 165–168; 294 f.; Apg 5,23; 12,6.12; 16,23.27.36). Die Strafe konnte auch in Zwangsarbeit in Bergwerken oder bei der Kloakenreinigung bestehen (Plin Ep 10.30 f.). Eine Inhaftierung in einem Bergwerk in Philippi deuten die Paulusakten an (ActPaul 9 [P.Heid. 41]). Die spätere Märtyrerin Irene wird von einem δούλος δημόσιος „öffentlichen Sklaven“ im Bordell bewacht (Mart Agape, Irene und Chione 5 f. [Musurillo 286]). Ebenso plötzlich und schicksalhaft wie eine Inhaftierung war auch eine Freilassung möglich (Krause* 212–218; Jos. Ant. 20.215). Beim Amtsantritt von Kaisern waren Amnestien üblich (Krause* 218–222). Paulus sagt, er sei wegen der „Verteidigung des Evangeliums“ inhaftiert (Phil 1,7.17). Die Forschung diskutiert, ob die Anklage seditio/στάσις „Erregung öffentlichen Aufruhrs“ oder maiestas „Majestätsbeleidigung“ lautete (maiestas: Cassidy* 55– 57; seditio: Arzt-Grabner, Philemon 73; Omerzu*). Religiöse Praktiken können eben26
Anlass, Gattung und theologische Schwerpunkte
falls als staatsgefährdend betrachtet werden (Juv 6.560–588; Plin Ep 10.96; Schellenberg* 558–570). Auch wenn es noch keinen entwickelten Polizeiapparat im Römischen Reich gab, waren Verwaltung und Militär zur Wahrung der öffentlichen Ordnung gut gerüstet (Fuhrmann*; Brélaz, EncAH 10, 5374–5376). Der Jurist Ulpian formulierte im 5. Jahrhundert n. Chr.: „Man stimmt überein, dass ein guter und ehrenvoller Statthalter sich darum sorgt, dass die Provinz befriedet und ruhig ist, die er regiert“ (congruit bono et gravi praesidi curare, ut pacata atque quieta provincia sit quam regit, Ulpian, Digestae 1.18,13; vgl. Plin Ep 10.117; Fuhrmann* 171–200). Daher beschäftigte er ein Netz von Provokateuren und Informantinnen, die laut Denkende ins Gefängnis führten (Epict Diss 4.13,5). Sprichwörtlich heißt es: „Der König hat viele Ohren und Augen“ (ὦτα καὶ ὀφθαλμοὶ πολλοὶ βασιλέως, Luc Indoct 23; Luc De mercede conductis 29; Aristid Or 27,29 [Preisrede in Kyzikos]; Xenoph Cyrop 8.2,11 f.; vgl. Austin/Rankov*; Rutledge*; Sheldon*; Fuhrmann* 151–157; 221). Der Geheimdienst wurde auch in den Provinzen ausgebaut (Tert Fuga 13,4; Aurelius Victor, Liber de Caesaribus 39,45). Gefängnisse waren zur Informationsbeschaffung besonders geeignet (Mart Perp et Felic 3,6 [Musurillo 108]; Philostr Vit Ap 7.27,36; Achill Tat 7.1–6). Jüngst wurde vorgeschlagen, dass der durchschnittliche Provinzbürger Paulus sich, wie die allermeisten seiner Standesgenossen, jedenfalls zunächst vor provinzialen Behörden und vielbeschäftigten Statthaltern zu verantworten hatte (Schellenberg*). Die Beobachtung ist wichtig, erklärt aber nicht, warum Paulus vom praetorium „Statthalterpalast“ spricht (→ 1,13; → Exk. 3). Gefangene waren auf Unterstützung von außen angewiesen. Die ersten christlichen Gemeinden sind für dieses Engagement bekannt (Mt 25,36; Hebr 10,34; 13,3; Luc Peregr Mort 12 f.; Krause* 288–291). Bestechung der Gefängniswärter scheint üblich gewesen zu sein (Luc Tox 30; ActThecl 18; Mart Perp et Felic 3,7 [Musurillo 108]; Krause* 288–291; Wansink* 78–95). Zur Sorge gehörten auch Eingaben und Bitten von Dritten, wie etwa von Tryphas, die an Athenodorus schreibt: „Ich habe dir schon oft geschrieben: Kümmere dich um die Sklaven! Sie sterben im Gefängnis“ (πολλάκιhςi σοι δὲ γεγράφη[κ]α σοὶ μελήσῃ ὑπὲρ τῶν σωμάτων ἀποθανοῦνται ἐν τῇ φυλακῖ, BGU 16.2618,14–17, 7 v. Chr.; vgl. Bagnall/Cribiore, Women’s Letters 125). Der Tod im Gefängnis war kein Einzelfall. So berichtet ein königlicher Schreiber dem Strategen: „Einer der uns übergebenen Zolleintreiber, die uns von den Gefängniswärtern auf Befehl des Strategen am 3. des Monats Pachom übergeben wurden, Aurelius Epinicus alias Petosorapis, … wurde krank und starb heute, am 30. des Monats Payni“ = nach 8 Wochen (εἷς τῶν παραδοθέντων ἡμῖν τελωνῶν ὑπὸ τῶν δεσμοφυλάκων ἐξ ἐνκελεύσεώς σου τοῦ στρατηγοῦ τῇ τρίτῃ τοῦ παχὼν μηνὸς, Αὐρηλιος Ἐπινεικος ὁ καὶ Πετοσορᾶπις … νοσήσας ἔνδον ἐτελεύτησεν σήμερον ἥτις ἐστὶν τριακὰς τοῦ ὄντος μηνὸς Παῦνι, P.Oxy. 43.3104,9–22, 228 n. Chr.). Auch die Gemeinde in Philippi hat sich um ihren Gefangenen sowohl mit Geldmitteln als auch persönlich gekümmert. Ihr Apostel Epaphroditus, der möglicherweise mit der Kurzform seines Namens Epaphras in Phlm 23 als Paulus’ Mitgefangener grüßt, ist dabei beinahe verstorben (→ 4,18; 2,20–25). Auch Priska und Aquila haben für Paulus ihren „Hals hingehalten“ und Andronikus und Junia gehörten zu Paulus’ Mitgefangenen (Röm 16,3 f.7).
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Einleitung
Wie die oben genannten Papyrusbriefe zeigen, ist Paulus keineswegs der Erste und Einzige, der aus dem Gefängnis Briefe schreibt. Auch eine Reihe von Martyriumsberichten sind oder sollen Briefe sein (Mart Perp et Felic 3–13 [Musurillo 108–122]; Mart Pionius [Musurillo 136–167]; Mart Lyon [Eus Hist Eccl 5.1,2–6/Musurillo 62– 85]). Jedoch müssen Gefangene damit rechnen, dass Gefängniswärter und Anklagebehörden mitlesen (Tac Ann 6.39). Daher versuchen Inhaftierte Inhalte in Andeutungen und mythologischen Bildern zu verhüllen (Philostr Vit Ap 4.46; Cyp Ep 20–24; 25; 32). Ciceros Korrespondenz enthält ausführliche Reflexionen über Selbstzensur und die Möglichkeit des Verhüllens (Riepl* 297–322; Nicholson*). In die Konflikte des Bürgerkriegs involviert, muss Cicero damit rechnen, dass seine Briefe abgefangen werden, weil σπονδαιότερον „etwas zu Wichtiges“ in ihnen stand (Cic Att 5.3,2 = 96,2SB; vgl. auch Tac Hist 2.98,1). Tatsächlich erreichen ihn manche Briefe nicht (Cic Fam 12.12,1 = 387,1SB; Nicholson* 39 f.). Andernorts beklagt er, dass alles, was er über Politisches schreibe, Caesar mitgeteilt werde. Damit das Papier nichts verrät, schreibt er ἀλληγορίαις „in Allegorien/Bildern“ (Cic Att 2.20,3 = 40,3SB; Nicholson* 42–53). Er vertraut darauf, dass Atticus ihn auch dann versteht, wenn er mit Decknamen und ἐν αἰνιγμοῖς „in Rätseln“ spricht (Cic Att 2.19,5 = 39,5SB). Bisher haben Ernst Lohmeyer, Hans Dieter Betz und Elsa Tamez den Philipperbrief der Gattung Gefängnisbrief zugeordnet. Für Lohmeyer erklärt sich der Ton der „herzlichen Wärme und persönlichen Verbundenheit“ damit, dass hier „ein Märtyrer zu Märtyrern“ spricht (E. Lohmeyer, K. 4 f.). Das Märtyrerbewusstsein einiger habe jedoch zu Elitebildung geführt. Paulus richte daher ein Wort des Abschieds an die Gemeinde, in dem er zwar den Ruf zur Märtyrerfreude wiederholt, sich aber gegen jegliches Vollkommenheitsdenken und damit gegen Hierarchiebildungen wehrt (E. Lohmeyer, K. 7 f.). Lohmeyers Thesen überzeugten zunächst wenige (Forschungsgeschichte: Bloomquist* 18–70). Vielmehr empfand man „apostolische Sachlichkeit“, mit der Paulus sein Leiden übergehe und die man den heimkehrenden deutschen Kriegsgefangenen als Vorbild vorstellte (K. Barth, K. 24; Michaelis*; Friedrich*; U. B. Müller, K. 52 f.; Holloway, K. 35 f.). An seinem eigenen Beispiel demonstriere Paulus, dass das Leiden dem Christus-Typus entspreche, der zur Erhöhung führe (Bloomquist*). Dabei sei der Gedanke, dass zum Glauben auch Leiden gehöre, einer nichtjüdischen Gemeinde fremd (Walter, K. 23 f.; Wojtkowiak* 269–271). In Anlehnung an stoische Trostbriefe wolle Paulus die Gemeinde überzeugen, das Evangelium vom rettenden Erkennen Christi höher zu werten als Leiden und den möglichen Tod (Holloway*; Holloway, K. 1–42). Anders als Cicero und Seneca macht Paulus die Gefängniserfahrung jedoch am eigenen Leib. Sie macht ihn weder stolz, noch wünscht er sie anderen. Dies hat vor allem Wansink gesehen und als Erster eine Kulturgeschichte des antiken Gefängnisses vorgelegt (Wansink* 27–125; vgl. Krause*; Salamito*; Skinner*; Standhartinger, Aus der Welt eines Gefangenen; Standhartinger, Letter). Die Reflexionen über das Sterben und die Dankbarkeit gegenüber der Gemeinde können so neu eingeordnet und die Umkehrung von Machtverhältnissen zwischen Gefangenen und Unterstützenden, Aposteln und Gemeinde beobachtet werden (Wansink* 96–146; → 1,18b–26; 4,10– 20). Scroggs* und Cassidy* lesen den Brief als Zeugnis eines inneren Rückzugs aus der Welt und einer spät entwickelten Opposition zum römischen Kaiser. Für Betz ist es 28
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Paulus’ Abschiedswort vor seiner Hinrichtung, eine praemeditatio mortis „vorwegnehmende Meditation des Todes“, wie sie ähnlich auch in den Briefen Senecas zu beobachten sei (H. D. Betz, Studies 133–154). Der hermeneutische Schlüssel zur Interpretation dieser Auslegung ist Paulus’ Haft (Standhartinger, Aus der Welt eines Gefangenen; Standhartinger, Letter). Es wird im Folgenden damit gerechnet, dass Paulus vieles nur andeutend kommuniziert. Ein Hauptzweck der drei hier versammelten Schreiben ist es, die Dankbarkeit darüber auszudrücken, dass die Gemeinde auch weiterhin mit ihm kommuniziert. Jüngst haben zwei Auslegerinnen die Probe aufs Exempel gemacht und den Philipperbrief mit heutigen Gefangenen interpretiert (Tamez, K.; Fox*). Menschen mit Gefängniserfahrung bestätigen, wie wichtig Kommunikation mit der Außenwelt und die Versicherung gegenseitiger Dankbarkeit und Liebe sind, um die Überzeugung, das Gefängnis als eine gerechte Sache zu ertragen, aufrechtzuerhalten (Tamez, K. 23–35). Im Quittungsschreiben in Phil 4,10–20, dessen Abfassung im Gefängnis allerdings nur vermutet werden kann, muss Paulus zugeben, dass er den großen Einsatz der Gemeinde und ihres Boten Epaphroditus nicht nur anerkennen möchte, sondern auch dringend braucht, er jedoch aktuell weder zu einem Besuch noch zu einer Gegengabe in der Lage ist. Im Freuden- und Dankesbrief B in Phil 1,1–3,1 + 4,1–7.9b.21–23 ist die Abfassung im Gefängnis prägend für die Gesamtkommunikation. Paulus weiß sich nicht allein von der Gnade der Wärter und Richter, sondern vor allem von der Unterstützung von außen und ganz besonders aus Philippi abhängig. Das ganze Schreiben ist von großer Dankbarkeit durchdrungen. Paulus versucht gleichzeitig, seine Sehnsucht nach der Gemeinde und seine unbedingten Besuchsabsichten zu betonen und die Gemeinde für sein nicht unwahrscheinliches Ausbleiben zuzurüsten. Bei allem Zweckoptimismus wechselt die Perspektive ständig zwischen Hoffnung und Angst (→ 1,25; 2,17 f.24). Die Reflexion über das Sterben, in der Paulus einem möglichen Tod durch Martyrium ins Auge sieht, gehört hierher (1,21–23). Vieles deutet Paulus allerdings nur an. Man merkt dem Schreiben an, dass alles, was hier steht, Gefahr läuft, von feindlichen Augen und Ohren mitgelesen zu werden. Paulus übt also Selbstzensur. Auch wenn vier Namen genannt sind, bleiben einige Personen hinter Decknamen verborgen (→ 4,2 f.18.21; 2,25–30; → Exk. 16; 18). Die Angabe „Evangelium“ als Haftgrund ist schwer zu entschlüsseln. Wie viele Gefangene schreibt Paulus nichts Konkretes zur Anklage oder Verhaftung. Ziemlich unklar ist, worin der in 1,12–26 behauptete Fortschritt des Evangeliums trotz gescheiterter Verteidigung und massiver Konflikte am Haftort besteht. Unentwegt betont Paulus das Stichwort Freude. Damit möchte er nicht nur trösten und aufmuntern. Das Stichwort kommuniziert unter denen, die theologisch eingeweiht sind, auch eine Zeitansage. Als Ausdruck des Geistes beschreibt Freude die nahende und schon eingetretene Endzeit (→ Exk. 6). Der Gefängnisbrief hält die Gemeinschaft mit denen, die draußen in Philippi sind, aufrecht. Paulus ist stolz und dankbar, dass die Gemeinde beständig an ihn denkt (1,3– 11.19 f.24–30; 3,1 + 4,1–7.9b.21–23). Möglicherweise haben die Philipperinnen und Philipper sogar ihre Aufseher und Beauftragten zu ihm an den Haftort gesandt, um sich über Paulus’ Verbleib und den Einsatz ihrer Investitionen zu erkundigen (Phil 1,1). Paulus ist es wichtig, nicht nur die Leistung des Apostels aus der Gemeinde, Epaphro29
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ditus, mit höchsten Ehren anzuerkennen, sondern auch die Sendung seines engsten Freundes und Mitarbeiters, Timotheus, zu versprechen (2,19–30). Und er möchte der Gemeinde zeigen, wie sehr ihn die gemeinsame Sache des Evangeliums, trotz Misserfolgen im Prozess und Konflikten am Haftort, beschäftigt und bewegt (1,12–26). Ebenso möchte er zeigen, dass er wahrnimmt, wie sehr sie leiden und was sie durchmachen müssen (1,27–2,5.12–18). Kontakt und Verbundenheit spiegeln sich explizit in der Empfehlung und Anerkennung von Gebet und Gesandtschaft des Gemeindeapostels Epaphroditus (1,19 f.; 2,19–30). Mit der brieflichen Paränese in 1,27–2,18 muss Paulus die Gemeinde für eine mögliche Zukunft auch ohne ihn zurüsten. Daher fordert er zur Eintracht als Garantin für dauerhaftes Bestehen auf. Eintracht entsteht durch gegenseitige Anerkennung, mehr noch durch Überordnung der jeweils anderen, die auch vor einer Selbsterniedrigung nicht haltmacht (2,2–4; Standhartinger, Eintracht). Der Philipperbrief enthält daher kaum zufällig den locus classicus der christlichen Rede von der Demut (→ Exk. 7). Die einträchtige Gemeinde repräsentiert Gott in der eschatologischen Gegenwart. Über einige mit wenigen Strichen gezeichnete apokalyptische Bilder in 1,28; 2,14–16 hinaus formuliert vor allem der Hymnus in 2,6–11 diese Zeitansage. Dieser in Philippi vermutlich schon bekannte, vorpaulinische Psalm beschreibt die Einsetzung einer sich selbst entäußernden göttlichen Gestalt in die unmittelbare Gottesnähe. Mit seiner Selbsterniedrigung verlässt der Gottgleiche die himmlische Sphäre und nimmt die äußerste Konsequenz der Menschlichkeit, den Tod, ja – wie vermutlich Paulus hinzufügt – sogar den Kreuzestod, auf sich. Die in der zweiten Strophe von allen Wesen akklamierte Einsetzung dieses Gekreuzigten in den Himmel bestätigt die Zeitenwende, die mit dieser Überwindung der Trennung zwischen göttlicher und menschlicher Welt begonnen hat. Menschliche Erfahrung hat einen Ort im Himmel erhalten. Vor diesem Hintergrund können die Philipperinnen und Philipper ihre Rettung selbst erarbeiten, während Gott darüber hinaus für sie und mit ihnen wirkt (1,27–30; 2,12 f.). Inmitten von Widersachern und einer korrumpierten Welt repräsentiert die Gemeinde mit allen menschlichen Erfahrungen Gottes eschatologische Wirklichkeit in der und für die Welt. Ihnen und ihrem Missionar Paulus sind daher himmlisches Lob und Anerkennung ihrer Leistungen gewiss (1,10 f.26; 2,16). Der möglicherweise nur wenige Tage, vielleicht auch Wochen oder Monate später verfasste biographische Rückblick mit apokalyptischem Ausblick, der heute in Phil 3,2–21 zu lesen ist, formuliert im Stil der idealisierten weisheitlichen Idealbiographie Paulus’ etwas verfrühte Abschiedsworte. Paulus stilisiert sich im Modell des idealen Weisen und lädt zur kreativen Aneignung des Dargestellten in die Christusschule ein (3,15–17). Mittelbar wird dabei auch deutlich, dass die Rechtfertigungslehre ihren Ursprung in jüdischer Weisheitstheologie hat, wogegen Transformationsvorstellungen in der jüdischen Apokalyptik beheimatet sind (→ Exk. 12). Der sich – wohl aufgrund der in 2Kor 1,8–10 angedeuteten ungünstigen Prozesswende – auf der Grenze zwischen Leben und Tod wähnende Paulus blickt dann als apokalyptischer Seher in 3,18–21 über diese Welt hinaus auf das Schicksal der Ungerechten und die Transformation der Glaubenden, um die Gemeinde mit diesem transzendenten Wissen zu trösten (Standhartinger, Apocalyptic Thought).
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Abfassungsort und -zeit
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Als Abfassungsort und -zeit für die philippische Korrespondenz werden Ephesus im Jahr 54–55 n. Chr., Caesarea ca. 58 n. Chr. und Rom in den Jahren 60–64 n. Chr. diskutiert. Nach der Apostelgeschichte wird Paulus am Ende seiner Missionsreisen in Jerusalem festgenommen und zwei Tage dort festgehalten, dann nach Caesarea Maritima verbracht und dort zwei Jahre im „Praetorium“ gefangen gehalten, bevor er mit anderen Häftlingen nach Rom überstellt wird (Apg 21,37; 23,35; 27,1). Obgleich die Apostelgeschichte den tatsächlichen Ausgang der Gefangenschaft kennt, lässt sie das Ende bewusst offen (Apg 28,31; vgl. 20,22 f.38; 21,11). Paulus’ Tod wird erstmals in 1Clem 5,7 erwähnt. Eine Abfassung des Philipperbriefs in Rom behaupten Subskriptionen in den Majuskeln B1 und 075, den Minuskeln 6, 1739, 1881 sowie der Mehrheitstext �. Am ausführlichsten vermerkt sie der sogenannte „markionitische Prolog“: scribens eis a Roma de carcere per Epaphroditum „er schrieb an sie aus dem Gefängnis in Rom durch Epaphroditus“ (Jongkind* 393 f.). Merkwürdigerweise verortet die Minuskel 945 den Philipperbrief in Athen. Wer die Abfassung in Rom vermutet, hält die philippische Korrespondenz neben dem ebenfalls im Gefängnis geschriebenen Brief an Philemon für die letzten Schreiben des Paulus. Je nach Einschätzung der Schwere der in Phil 1,7.12–16; 2,17 f. dargestellten Haft wäre die Abfassungszeit entweder vor dem von Apg 28,30 behaupteten zweijährigen Hausarrest oder nach einer späteren Haftverschärfung anzusetzen (ca. 60–62 31
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n. Chr.; Reiher*). Als wichtigste Argumente für eine Abfassung in Rom werden genannt: Die Apostelgeschichte stelle lediglich die sehr kurzfristige Inhaftierung des Paulus in Philippi nach Apg 16,23–30 sowie die Festnahme in Jerusalem mit Überstellung nach Caesarea und Rom am Ende der Wirksamkeit des Paulus dar. Im Philipperbrief fehle die Erwähnung der Sammlung der Kollekte für die Gemeinde in Jerusalem. Phil 1,1 könnte die Entwicklung von Ämtern anzeigen (→ Exk. 1) und Phil 1,21–23 eine ‚Wandlung‘ in der paulinischen Eschatologie (→ Exk. 5; Schnelle* 438 f.; 441–448). Problematisch ist jedoch die Identifikation des in Phil 1,13 erwähnten Praetoriums. In Rom kann dies kein Haftort sein und die Identifikation als Personengruppe ist grammatikalisch unwahrscheinlich (→ Exk. 3). Schwierigkeiten bereitet außerdem der in der Korrespondenz vorausgesetzte rege Austausch von Nachrichten zwischen dem Haftort und Philippi. In der Berechnung von Dauer und Routen antiker Reisen im 2. Jahrhundert v. Chr. geben Scheidel/Meeks* für die 2855 km zwischen Philippi und Rom eine Höchstreisegeschwindigkeit von 21,5–38 Tagen an, je nach Jahreszeit und Verkehrsmittel, bei einem Preis von 500–600 Denaren pro Person. Trotz erheblicher Schwierigkeiten wird die Romthese nach wie vor vertreten (Bruce, K./O’Brien, K.; Fee, K.; Bockmuehl, K.; Fowl, K.; Focant, K.; Holloway, K.; Schluep-Meier, K.; Schnelle, Einleitung 159–163; Schnelle*; Gielen*). Die Abfassung in der Gefangenschaft in Caesarea Maritima wurde erstmals von Heinrich Eberhard Gottlob Paulus 1799 behauptet, findet aber seither nur wenige Anhänger (E. Lohmeyer, K. 3 f.; 40 f.; Kümmel, Einleitung 288; Hawthorne/Martin, K. xlvi–xlviii). Unter den Gefangenschaftsorten der Apostelgeschichte passt Caesarea am besten, denn Paulus ist in Apg 23,35 im Statthalterpalast, dem Praetorium, gefangen (1,13; → Exk. 3). Die Haftdauer und Entfernung nach Philippi ermöglicht den vorausgesetzten Informationsaustausch und die Apostelgeschichte erwähnt Unterstützungsmöglichkeiten des Häftlings und eine Verteidigungsrede vor Felix (Apg 24,23–26). Die Strecke zwischen Philippi und Caesarea Maritima berechnen Scheidel/Meeks* mit 1678 km, die man im 2. Jahrhundert v. Chr. schnellstens in zehn Tagen zurücklegen konnte, was im Wagen ca. 250 Denare kostete. Nach der Apostelgeschichte bestand in Caesarea allerdings keine Todesgefahr (→ 2,17 f.). Schwierigkeiten bereiten auch die bisherigen Besuche in Philippi, denn nichts in der philippischen Korrespondenz deutet darauf hin, dass Paulus bereits mehrmals und vor allem kürzlich in Philippi war (→ 4,15 f.; 1,26.30). Die Apostelgeschichte erwähnt dagegen zwei weitere Besuche in Philippi kurz vor der Gefangennahme in Jerusalem (Apg 20,1.6). Eine Gefangenschaft in Ephesus berichtet die Apostelgeschichte nicht. Allerdings wird Paulus in Apg 19 nur als Nebenfigur erwähnt (19,8–12.21 f.30 f.). Opfer des von den Silberschmieden ausgelösten Aufstands sind Paulus’ Reisegefährten Gaius und Aristarch (Apg 19,23–40; vgl. Phlm 24). Angesichts von zwei Jahren Aufenthalt in der „Schule des Tyrannus“ deuten diese spärlichen Hinweise auf Paulus’ Wirken in der Stadt an, dass Lukas entweder keine Informationen zur Verfügung standen oder er diese nicht mitteilen wollte (Apg 19,8; U. B. Müller* 209–212; Omerzu* 314–326). Auffällig ist, dass Timotheus, der Mitabsender in Phil 1,1, nach Apg 20,4 nicht mehr genannt wird. Auch deutet nichts im Philipperbrief auf den in Apg 20,6 erwähnten zweiten Besuch in Philippi hin (Boring* 488–490). Und schließlich behauptet der sogenannte markionitische Prolog zum Kolosserbrief eine Abfassung dieses Gefangen32
Abfassungsort und -zeit
schaftsbriefs in Ephesus (Jongkind* 393 f.). Paulus selbst erwähnt in 1Kor 15,32 im Rückblick, er habe in Ephesus mit wilden Tieren gekämpft (vgl. 2Kor 6,4 f.; 11,22– 33). Die Legende schmückt diese Nachricht zu einer Gefangenschaft mit Tierkampf und Befreiungswunder in Ephesus aus (ActPaul 7,12–26; vgl. 2Tim 4,17). „Tierkampf“ ist allerdings auch eine verbreitete Metapher für die Auseinandersetzung mit Feinden und Sklaven- und Gefangenenaufsehern (vgl. Appian Bell Civ 2.61 [252]; Philo Mos. 1.43; IgnRöm 5,1; Witetschek* 394 f.). Jedenfalls blickt 1Kor 15,32 zurück auf Konflikte mit der Außenwelt. 2Kor 1,8–10 reflektiert dagegen die unmittelbare und soeben überwundene Erfahrung größter Lebensbedrohung durch ein Todesurteil, wie sie als Folge der Inhaftierung in Phil 1,19–23.30; 2,12.17 f. befürchtet wurde. Die Nachricht aus Röm 16,4, dass Priska und Aquila für Paulus’ Leben ihren Hals hinhielten, und die Grüße an Paulus’ ehemalige Mitgefangenen Junia und Andronikus in Röm 16,7 könnten dann ebenfalls im Zusammenhang mit einer Gefangenschaft in Ephesus stehen. Die These einer Abfassung des Philipperbriefs während einer Gefangenschaft in Ephesus wurde Anfang des 20. Jahrhunderts gleichzeitig von Paul Feine, Adolf Deissmann und Heinrich Lisco entwickelt (Feine* 8–13; Deissmann*; Lisco*; Michaelis* 103–183). Neben der Andeutung in 2Kor 1,8–10 werden folgende Argumente genannt: Die räumliche Nähe der beiden Städte ermöglicht die hohe Frequenz des Nachrichtenaustausches (Deissmann*; Deissmann, LO 201 f.; Michaelis* 107–134; U. B. Müller* 209; Omerzu* 301–303). Für die Strecke von Philippi nach Ephesus berechnen Scheidel/Meeks* 648 km, die man in 4,5–5,4 Tagen zurücklegen kann, zum Preis von 122 Denaren im Wagen (weitere Daten bei Concannon*). Apg 20,6–15 setzt einige Tage mehr an. Unter der Hypothese, dass der kanonisch gewordene Brief sich keinen späteren Redaktionsprozessen verdankt, sondern als ein Brief von Paulus verfasst wurde, muss man mindestens vier Reisen voraussetzen: 1. Reise: Ein Bote bringt der Gemeinde in Philippi die Nachricht, dass Paulus inhaftiert ist. 2. Reise: Die Gemeinde sendet Epaphroditus mit der Gabe zu Paulus (Phil 4,17 f.). 3. Reise: Der Gemeinde wird mitgeteilt, dass Epaphroditus krank geworden ist und dass sich die Situation in der Haft verschlechtert hat. 4. Reise: Die Gemeinde erhält den Brief (Hansen, K. 21). Bei der hier vertretenen Redaktionshypothese können drei weitere Reisen vermutet werden. Reise 2b: Paulus schickt das Quittungsschreiben aus 4,10–20 nach Philippi. 5. Reise: Die Gemeinde erhält den ‚Freudenbrief ‘ mit andeutenden Nachrichten über die sich zuspitzende Krise am Haftort (Phil 1,1–3,1 + 4,1–7.9b.21–23). 6. Reise: Kurz vor seiner vermuteten Hinrichtung schickt Paulus die biographisch-prophetische Notiz aus Phil 3,2–21. Wer annimmt, Paulus sei außerdem über ein Auftreten von Gegnerinnen und Gegnern in Phil 3 informiert, muss noch eine weitere Reise hinzufügen. Einige Auslegungen rechnen sogar mit acht oder zehn Reisen (Deissmann*; Reumann, K. 7; Boring* 485–490). Ein weiteres zentrales Argument für eine Abfassung der philippischen Korrespondenz während einer Inhaftierung in Ephesus sind Paulus’ eigene Reisepläne. Er plant einen Besuch in Philippi und in der Hausgemeinde des Philemon nach seiner Freilassung (1,26; 2,24; Phlm 22). Der Plan, nach Makedonien zurückzukehren, widerspricht Röm 15,19–24, wo Paulus seinen Wunsch, nach Rom zu reisen, mit dem Abschluss seiner Mission im Osten und seinem geplanten Aufbruch nach Westen begründet. Das wichtigste Indiz für die Abfassung in Ephesus ist jedoch die 33
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Erwähnung des Praetoriums (→ 1,13). Ausschließlich in den Provinzen heißt der Palast des Statthalters ‚Praetorium‘ und nur in Provinzen werden im Prätorium Gerichtsverhandlungen abgehalten (→ Exk. 3). Schließlich ist die philippische Korrespondenz in die Entwicklung der paulinischen Theologie einzuordnen. Bereits Origenes beobachtet, dass Paulus im Philipperbrief noch nicht zur Vollkommenheit gelangt sei (→ 3,10–14) und der Brief daher vor dem 2. Korintherbrief und dem Römerbrief geschrieben sein müsse (Orig Comm in Rom, Prolog). In der Moderne beobachtet man eine Nähe der in Phil 3,2.18 f. und im Galater- und 2. Korintherbrief geschilderten Konflikte mit Oppositionsgruppen sowie der dort vorgestellten Israeltheologie (Feine* 13–66; U. B. Müller* 212–220). Die Sammlung der Kollekte wird nicht erwähnt, was allerdings angesichts des Aufenthalts im Gefängnis nicht überrascht. Manche Auslegungen vermuten eine Entwicklung der paulinischen Eschatologie hinter Phil 1,21–23. Die Verse reflektieren jedoch vor allem jüdische Martyriumstheologie (→ Exk. 5). Das Gewicht dieser Argumente hat inzwischen die große Mehrheit der deutschsprachigen Forschung von einer Abfassung der philippischen Korrespondenz während einer Gefangenschaft des Paulus in Ephesus überzeugt (Gnilka, K.; Walter, K.; Hansen, K.; Baumert, K.; Häußer, K.; Broer, Einleitung 260–265; Pokorný/Heckel, Einleitung 287 f.; Theobald, Philipperbrief 378– 380; Koch, Geschichte 570 f.). Wegen des in Phil 2,19–23 beschriebenen Plans, Timotheus nach Philippi vorauszuschicken, der nach Apg 19,22 verwirklicht wurde, möchten einige die Gefangenschaft in eine frühe Phase des Ephesusaufenthalts datieren (Michaelis* 112–116; Witetschek* 203 f.). Die Mehrheit rechnet dagegen mit dem Ende des Ephesusaufenthalts im Jahr 54–55. Erst der letzte Teil der im 2. Korintherbrief zusammengestellten Korrespondenz, nämlich 2Kor 1,1–2,13 + 7,5–16, blickt auf die Gefangenschaft zurück. Bei der hier vertretenen Redaktionshypothese müssen schließlich die beiden Einlagen in Phil 4,10–20 und 3,2–21 in ein zeitliches und räumliches Verhältnis zum Rahmen des Gefangenschaftsbriefes gesetzt werden. Die Zeit zwischen der Abfassung von Phil 4,10–20 und 2,25–30 lässt sich mit der lebensbedrohlichen Krankheit des Epaphroditus und seiner Genesung bemessen. Da Paulus in 1,1–3,1 + 4,1–7.9b.21–23 voraussetzt, dass die Gemeinde in Philippi über seine Inhaftierung und die Krankheit des Epaphroditus bereits Bescheid weiß, ist es wahrscheinlich, dass auch Phil 4,10–20 bereits in der Haft geschrieben wurde. Falls der in Phlm 23 erwähnte Mitgefangene Epaphras Epaphroditus ist, ‚Epaphras‘ also einfach eine Kurzform seines Namens, gibt der Brief den Hinweis, dass dieser ebenfalls in Gefangenschaft geriet (→ 4,18; 2,25–30; → Exk. 11). Im Philemonbrief ist Paulus insgesamt optimistischer als im Philipperbrief in Bezug auf seine baldige Freilassung (Phlm 22). Phil 3,2–21 enthält keine äußeren Hinweise auf Ort und Umstände der Abfassung. Der biographische Rückblick und der apokalyptische Ausblick bis zur Parusie erwecken jedoch inhaltlich den Eindruck eines letzten Rechenschaftsberichts oder Abschiedsbriefs, wie er in der unmittelbaren Lebensbedrohung, wie sie in 2Kor 1,8–10 nachträglich geschildert wird, angemessen gewesen wäre. Ich vermute daher die Abfassung von Phil 3,2–10 wenige Tage, Wochen oder Monate nach Phil 1,1–3,1 + 4,1– 7.9b.21–23, möglicherweise nach einem zweiten, ebenfalls misslungenen Verteidi34
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gungsversuch. Die philippische Korrespondenz wurde somit insgesamt in den Wochen oder Monaten während der Gefangenschaft des Paulus in Ephesus verfasst. In der Chronologie der Paulusbriefe ist sie zwischen 2Kor 10–13 und 2Kor 1,1–2,13 + 7,5– 16 einzuordnen. Dass Paulus dieses Mal noch nicht hingerichtet, sondern freigelassen wurde, könnte mit dem Thronwechsel von Claudius zu Nero Ende Oktober 54 n. Chr. zusammenhängen, da ein solcher Thronwechsel typischerweise zur Amnestie Gefangener führte (→ Einl. 5).
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66
Literaturverzeichnis und Abkürzungen
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67
Einleitung
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7.4 Abkürzungen Allgemeine Abkürzungen richten sich nach den „Abkürzungen Theologie und Religionswissenschaft nach RGG4“, 2007, 293–301. Darüber hinaus werden verwendet: AcI
accusativus cum infinitivo
AcP
accusativus cum participio
Anm.
Anmerkung/Fußnote
v. l.
varia lectio
ψ
Psalmen nach der Septuaginta (Text und Zählung)
Bibliographische Angaben richten sich nach den „Abkürzungen Theologie und Religionswissenschaft nach RGG4“, 2007. Darüber hinaus werden verwendet: ABG
68
Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte
Literaturverzeichnis und Abkürzungen
AcB
Academia biblica
AJEC
Ancient Judaism and Early Christianity
BBR
Bulletin for Biblical Research
BibTS
Biblical Tools and Studies
BTB
Biblical Theology Bulletin
CBR
Currents in Biblical Research
EBR
Encyclopedia of the Bible and Its Reception, hg. von Constance M. Furey u. a., 2009 ff.
EncAH
Encyclopedia of Ancient History
HBT
Horizons in Biblical Theology
JSPL
Journal for the Study of Paul and His Letters
NET
Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie
PRSt
Perspectives in Religious Studies
PzB
Protokolle zur Bibel
ThWQ
Theologisches Wörterbuch zu den Qumrantexten, hg. von Heinz-Josef Fabry/ George J. Brooke, 3 Bde., 2011–2016
WGRW.S
Writings from the Greco-Roman World. Supplement Series
WJTh
Wiener Jahrbuch für Theologie
Jüdische und frühchristliche Quellen folgen den Abkürzungen in Theologie und Religionswissenschaft nach RGG4, 2007, 1–18.21 f.24. Abweichend davon werden bei Philo die Bücher mehrbändiger Werke mit arabischen Ziffern wiedergegeben, und bei Josephus entfällt „Flav.“. Griechische und römische antike Quellen sowie Kirchenväter sind abgekürzt nach dem Abkürzungsverzeichnis des ThWNT. Inschriften und Papyri folgen den Abkürzungssystemen der Datenbanken. Darüber hinaus sind abgekürzt: 5 Esra
Griechische Esraapokalypse
ActThecl
Theklaakten
Ael Aristid Or
Aelius Aristides, Oratio
Ath Hist Ar
Athanasius, Historia Arianorum ad monachos
Aulus Gellius Noct
Aulus Gellius, Noctes Atticae
CH
Corpus Hermeticum
Cic Brut
Cicero, Ad Brutum
Cic Quint
Cicero, Ad Quintum fratrem
Cyp Ep
Cyprian, Epistulae
Joh Chrys Hom in Hebr
Johannes Chrysostomus, Homiliae in epistulam ad Hebraeos
Joh Chrys Hom in Phil
Johannes Chrysostomus, Homiliae in epistulam ad Philippenses
Luc Cal
Lukian, Calumniae non temere credendum
69
Einleitung
Luc Tox
Lukian, Toxaris
Mart Agape, Irene und Chione
Martyrium Agape, Irene und Chione
Mart Mont et Luc
Martyrium des Montanus und des Lucius
Mart Paul
Paulusmartyrium
Mart Perp et Felic
Martyrium der Perpetua und der Felicitas
Mart Pionius
Martyrium des Pionius und seiner Gefährten
Mart Scillit
Martyrium Scillitanorum
Onas Strat
Onasander, Strategikos
Philo fug.
Philo, De fuga et inventione
Plin Ep
Plinius d. J., Epistulae
Plut Aet Rom Gr
Plutarch, Aetia Romana et Graeca
Plut Alex Fort I/II
Plutarch, De Alexandri magni fortuna aut virtute I/II
Plut An Sen Resp
Plutarch, An seni Respublica gerenda sit
Plut Quo Adol Poet Aud
Plutarch, Quomodo adolescens poetas audire debeat
Sen Ep
Seneca d. J., Epistulae
Sen Tranq
Seneca d. J., De tranquillitate animi
Sokrates Ep
Briefe des Sokrates und der Sokratiker
Tert Apol
Tertullian, Apologeticum
Tert Cor
Tertullian, De corona militis
Tert Fuga
Tertullian, De fuga in persecution
Tert Mart
Tertullian, Ad martyras
Val Max
Valerius Maximus, Dicta
Abgekürzt zitierte Literatur: Ascough/Harland/ Kloppenborg
Ascough, Richard S./Harland, Philip A./Kloppenborg, John S., Associations in the Greco-Roman World. A Sourcebook, 2012
B/D/R
Blass, Friedrich/Debrunner, Albert/Rehkopf, Friedrich, Grammatik des neutestamentlichen Griechisch, 151979 Bagnall, Roger S./Cribiore, Raffaella, Women’s Letters from Ancient Egypt. 300 BC–AD 800, 2006
Bagnall/Cribiore, Women’s Letters Bauer, Wb
Bill. CIPh II.1 CJZC Deissmann, LO
70
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Literaturverzeichnis und Abkürzungen
Eck/Heinrichs, Sklaven
Eck, Werner/Heinrichs, Johannes (Hg.), Sklaven und Freigelassene in der Gesellschaft der römischen Kaiserzeit, TzF 61, 1993
Gerlach, Ehreninschriften
Gerlach, Günther, Griechische Ehreninschriften, 1908
Harland, Associations II
Harland, Philip A., Greco-Roman Associations. Texts, Translations, and Commentary II: North Coast of the Black Sea, Asia Minor, BZNW 204, 2014 Inscriptiones Christianae Graecae, Eine Datenbank der frühchristlichen Inschriften Kleinasiens und Griechenlands, abrufbar unter: http://www. epigraph.topoi.org Kloppenborg, John S./Ascough, Richard S., Greco-Roman Associations. Texts, Translations, and Commentary I: Attica, Central Greece, Macedonia, Thrace, BZNW 181, 2011 Musurillo, Herbert (Hg.), The Acts of the Christian Martyrs, 1972
ICG
Kloppenborg/ Ascough I Musurillo Laum LSJ Noy I NTApo II5 NTG28 NW II/1
Passow Pilhofer II Preisigke, Wb Rice/Stambaugh, Sources Sel. Pap. Sherk Spicq TBLNT TUAT.NF I
TUAT.NF III
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71
Einleitung
TUAT.NF V
Wachtel/Witte, NTP II/2
Janowski, Bernd/Wilhelm, Gernot (Hg.), Texte aus der Umwelt des Alten Testaments. Neue Folge V: Texte zur Heilkunde, 2010 Janowski, Bernd/Wilhelm, Gernot (Hg.), Texte aus der Umwelt des Alten Testaments. Neue Folge VII: Hymnen, Klagelieder und Gebete, 2013 Witte, Klaus/Wachtel, Klaus, Das Neue Testament auf Papyrus II: Die Paulinischen Briefe, Teil 2, ANTT 22, 1994
Welles
Welles, Bradford, Royal Correspondence in the Hellenistic Period, 1934
J. L. White, Light
White, John Lee, Light from Ancient Letters, 1986
TUAT.NF VII
7.5 Zitierkonventionen Kommentare zum Philipperbrief werden mit K. abgekürzt. Auf Seitenzahlen wird verzichtet, wo auf die diskutierte Stelle selbst verwiesen ist. Der Vorläuferkommentar von Martin Dibelius erscheint unter Dibelius, HNT. Die relevante Literatur erscheint am Beginn der Auslegung. Im Text ist auf diese Angaben mit Asterisk * verwiesen (Autorin*). Bei zwei und mehr Titeln eines Autors erscheinen Kurztitel. Allgemeine Literatur und Hilfsmittel werden ebenfalls mit Kurztiteln zitiert. Literatur vor Exkursen bezieht sich ausschließlich auf den folgenden Exkurs. Ab der zweiten Nennung eines Titels in diesem Kommentar wird im Literaturvorspann vor den Abschnitten und Exkursen nur ein Kurztitel angeführt.
72
1,1 f. Präskript 1
Paulus und Timotheus, Sklaven Christi Jesu, an alle Heiligen in Christus Jesus, die in Philippi wohnen, mit Aufsehern und Beauftragten. 2 Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus.
Eve-Marie Becker, Paulus als doulos in Röm 1,1 und Phil 1,1. Die epistolare Selbstbezeichnung als Argument, in: Dies., Der Philipperbrief des Paulus. Vorarbeiten zu einem Kommentar, NET 29, 2020, 205–220. – Klaus Berger, Apostelbrief und apostolische Rede. Zum Formular frühchristlicher Briefe, ZNW 65 (1974), 190–231. – Ernest Best, Bishops and Deacons, in: Frank Leslie Cross (Hg.), Studia Evangelica IV, TU 102, 1968, 373–376. – Bloomquist, Function of Suffering 140–145. – Maren Bohlen, Sanctorum communio. Die Christen als „Heilige“ bei Paulus, BZNW 183, 2011. – John Byron, Slavery Metaphors in Early Judaism and Pauline Christianity. A TraditioHistorical and Exegetical Examination, WUNT II/162, 2003, 150–180. – Samuel Byrskog, Cosenders, Co-authors and Paul’s Use of the First Person Plural, ZNW 87 (1996), 230–250. – Lutz Doering, Ancient Jewish Letters and the Beginnings of Christian Epistolography, WUNT 298, 2012. – Andrew Doole, Was Timothy in Prison with Paul?, NTS 65,1 (2019), 59–77. – Kathy Ehrensperger, Rooted in Heaven and Resident in Philippi, but No ἐκκλησία, in: James R. Harrison/Lawrence L. Welborn (Hg.), The First Urban Churches 4. Roman Philippi, WGRW.S 13, 2018, 63–78. – Dieter Georgi, Die Gegner des Paulus im 2. Korintherbrief, WMANT 11, 1964, 31–38. – Christine Gerber, Paulus und seine ‚Kinder‘. Studien zur Beziehungsmetaphorik der paulinischen Briefe, BZNW 136, 2005, 142–150. – John S. Kloppenborg, Pneumatic Democracy and the Conflict in 1 Clement, in: Mark Grundeken/Joseph Verheyden (Hg.), Early Christian Communities between Ideal and Reality, WUNT 342, 2015, 61–81. – Hermann von Lips, Timotheus und Titus. Unterwegs für Paulus, Biblische Gestalten 19, 2008. – Bruce J. Malina, Timothy. Paul’s Closest Associate, 2008. – Wolf-Henning Ollrog, Paulus und seine Mitarbeiter. Untersuchungen zur Theorie und Praxis der paulinischen Mission, WMANT 50, 1979. – Udo Schnelle, Gerechtigkeit und Christusgegenwart. Vorpaulinische und paulinische Tauftheologie, GTA 24, 1983. – Gerhard Sellin, Die religionsgeschichtlichen Hintergründe der paulinischen „Christusmystik“, in: Dieter Sänger (Hg.), Studien zu Paulus und zum Epheserbrief, FRLANT 229, 2009, 91–115. – M. Luther Stirewalt, Paul, the Letter Writer, 2003. – Martin Vahrenhorst, Kultische Sprache in den Paulusbriefen, WUNT 230, 2008.
Das Präskript entspricht dem für Paulusbriefe üblichen Formular, fällt jedoch im Vergleich zu Gal 1,1–5 oder Röm 1,1–7 knapp aus. Außerdem fehlt der Aposteltitel. Paulus und Timotheus nennen sich „Sklaven Christi Jesu“. Möglicherweise spielen sie auf den Status von Gefangenen an, denn mindestens Paulus befindet sich im Gefängnis (→ Einl. 5). V. 1 nennt Timotheus als Mitabsender, jedoch schreibt Paulus im Folgenden in der 1. Person Singular. Er verantwortet die Korrespondenz mit der Gemeinde in Philippi also weitgehend allein. Timotheus tritt aber als Zeuge und Garant des Schrei73
1,1 f.
Präskript
bens auf, was dem Mitarbeiter des Paulus einen offiziellen Charakter verleiht. In → 2,19–24 erhält er überraschend einen Empfehlungsbrief. Die Gemeinde nennt Paulus „die Heiligen in Philippi“. Unter ihnen tritt eine Gruppe von „Aufsehern“ oder „Bischöfen“ und „Beauftragten“ alias „Diakonen“ hervor. Das Präskript spiegelt ein gegenüber Lesegewohnheiten überraschendes Machtgefälle, welches die Gemeinde und ihre herausgehobenen Funktionsträgerinnen und -träger über die „Sklaven“ Paulus und Timotheus stellt. Die möglichen Aufgaben und Funktionen der „Aufseher“ und „Gesandten“ in Philippi sind allerdings viel diskutiert (→ Exk. 1). Während die ältere Forschung hier den Beginn der Entwicklung zu einer episkopal strukturierten kirchlichen Ämterordnung entdeckte, werden die episkopoi und diakonoi inzwischen häufig als Leiterinnen und Leiter von Hausgemeinden in Philippi oder am Haftort des Paulus in Ephesus identifiziert. In der übrigen antiken Welt werden ἐπίσκοποι ausgesandt, um die Verwendung finanzieller Investitionen zu kontrollieren. Διάκονοι übermitteln Botschaften. Die Gemeinde in Philippi hatte mehrfach in die paulinische Mission investiert (→ 4,15 f.). Gut möglich, dass sie Aufseher und Gesandte zu Paulus sandte, um sich über den Verbleib ihrer Missionare und vor allem über den Fortschritt des finanzierten Projekts, der Verkündigung des Evangeliums, zu informieren. Der folgende Freudenoder Dankesbrief (Phil 1,1–3,1 + 4,1–7.9b.21–23) klingt durchaus wie ein Rechenschaftsbericht des Paulus an die Gemeinde. Das knappe Präskript endet mit der für Paulusbriefe typischen Grußformel, die sich an das Formular jüdischer Gemeindebriefe anlehnt und dieses christologisch erweitert. Mit dem Gruß treten Gott-Vater und der Herr Jesus Christus in das Kommunikationsgeschehen ein, das der Brief zwischen Absendern und Adressatengemeinde aufspannt. 1,1 Παῦλος καὶ Τιμόθεος δοῦλοι Χριστοῦ Ἰησοῦ πᾶσιν τοῖς ἁγίοις ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ τοῖς οὖσιν ἐν Φιλίπποις σὺν ἐπισκόποις καὶ διακόνοις … Im knappen Präskript tritt Timotheus gleichberechtigt neben Paulus auf. Nach 1Thess 2,2 gehörte Timotheus zu den Erstmissionaren in Philippi. Nach 1Kor 4,17 wurde er von Paulus berufen (anders Apg 16,1–4; Ollrog* 22). 1Thess 3,2–6 berichtet von einer Reise im Auftrag von Silvanus und Paulus nach Thessaloniki, um sich nach dem Ergehen der Gemeinde zu erkundigen. Weitere Reisen führten ihn nach Korinth (1Kor 16,10 f.) und Beröa (Apg 17,14 f.). 2Kor 1,19 streicht dabei Timotheus’ Predigttätigkeit heraus. Die intime Vertrautheit, die sich in Paulus’ Empfehlungen des Timotheus an Korinth (1Kor 4,17; 16,10 f.) und an Philippi (Phil 2,19–24; vgl. Apg 19,22) spiegelt, hat das nachpaulinische Bild eines Lieblingsschülers geformt (vgl. 1.–2. Timotheusbrief; Lips*; Malina*). Ob auch Timotheus und andere Mitarbeitende inhaftiert sind, bleibt unklar (Doole*; vgl. aber Phlm 23; Röm 16,7). Die nachpaulinische Auslegungstradition nimmt dies jedenfalls an (Kol 4,10–14; 2Tim 4,10– 12; Hebr 13,23). Paulus nennt Timotheus andernorts „unsern Mitarbeiter“ (1Thess 3,2; vgl. Röm 16,21) und „Bruder“ (1Thess 3,2; Phlm 1,1; 2Kor 1,1). „Sklave Christi Jesu“ heißt Timotheus nur hier. Weil Paulus, anders als im 1. Thessalonicherbrief, ab → 1,3 in die 1. Person Singular wechselt, scheint Timotheus nicht als Mitautor des Briefes eingeführt (Byrskog* 246 f.). Sein Mitdenken und seine Mitwirkung schließt dies jedoch nicht aus (Reumann, K. 80). Gegenüber der Gemeinde tritt Timotheus als Zeuge und Garant des Briefes und der gegenseitigen Verbundenheit auf, ein Phäno74
Präskript
1,1
men, das den Brief als öffentlich-politisches Schreiben wahrnehmen lässt (Stirewalt* 37–44). Anders als in der korinthischen Korrespondenz und im Römerbrief verzichtet Paulus auf den Aposteltitel, was als Rücksichtnahme auf Timotheus, als Ausdruck besonderer Nähe zur Gemeinde oder als implizite Kritik am Ämterstreben in der römischen colonia Philippi interpretiert wird (E. Lohmeyer, K.; Best*; Hellerman, Honor, 121). Man kann den auch in Röm 1,1 und Gal 1,10 verwendeten Titel δοῦλος Χριστοῦ Ἰησοῦ aber auch in Analogie zu dem biblischen Titel „Knecht Gottes“ als Ehrentitel lesen (für Propheten: Jer 25,4; Ez 38,17; Am 3,7; Jak 1,1; Apk 1,1; Abraham: ψ 104,42; Mose: ψ 104,26; David: ψ 88,4; Gnilka, K.; Schenk, K. 77). Die Selbstbezeichnung „Sklave“ oder „Knecht Christi Jesu“ hebt dann das Dienstverhältnis gegenüber Gott hervor und autorisiert das Schreiben (U. B. Müller, K.; Hawthorne/Martin, K.; Doering* 397–399 mit Verweis auf ParJer 6,17[19]). Schließlich entdecken einige Auslegungen einen Vorausverweis auf den Vergleich aus Phil 2,7 und damit eine Christusimitation oder ein Vorbild der im Brief propagierten Ethik (Bloomquist*; Byron*; E.-M. Becker*). Der Sklavenbegriff ist jedoch keine verblasste Metapher. Vielmehr heißt Sklavesein, in einem auch leidvoll erlebten Besitzverhältnis zu stehen (2Kor 4,5; Röm 6,16–20; Holloway, K.). Gefangenschaft ist in Bezug auf die Rechtlosigkeit mit dem Sklavenstatus vergleichbar (→ Einl. 5; vgl. auch Gerber* 149). Konkret arbeiten Gefangene und versklavte Menschen gemeinsam z. B. beim Bau und in Bergwerken (ActPaul 9/P.Heid. 41). Als Sklaven sind Paulus und Timotheus Christi Eigentum und zu schwerer Arbeit am Evangelium verpflichtet (Phil 2,22; vgl. Röm 12,11; 14,18). Zugleich sind sie im Besitz Christi von konkurrierenden, menschengemachten Besitzansprüchen befreit (Gal 1,10; 1Kor 9,19). Als Sklaven Christi bezeichnen sich hier zwei, die gleichzeitig Machtlosigkeit, körperliche und seelische Misshandlung und eine Christusnähe erleben. Christi Auftrag, so ist zu hoffen, half, die bedrängenden Lebensverhältnisse im Gefängnis zu überwinden. Die Gemeinde wird, obgleich in Phil 4,15 durchaus unter die ἐκκλησίαι gezählt, nicht als ekklesia, sondern als „alle Heiligen in Christus Jesus, die in Philippi wohnen“ angesprochen. Dies unterscheidet das Präskript des Philipperbriefs von den Präskripten der Briefe an Korinth, Galatien, Thessaloniki und die Hausgemeinde des Philemon und der Aphia (1Kor 1,2; 2Kor 1,1; Gal 1,2; 1Thess 1,1; Phlm 2). Die auffällige Leerstelle mag der Gefangenschaft des Absenders geschuldet sein, der mit beredtem Schweigen die Gemeinde vor der Unterstellung politischer Ansprüche zu schützen versucht, die mit diesem Basisbegriff griechischer Demokratie verbunden werden könnten (Ehrensperger*). Wenn die Adressierten stattdessen als ἅγιοι „Heilige“ angesprochen sind, steht dahinter jedenfalls mehr als ein Ersatzwort für die noch nicht existierende Selbstbezeichnung ‚Christen‘ (Bohlen* 219 f.). Es schwingt die biblische Vorstellung von Gottes Eigentumsvolk mit (Vahrenhorst* 142–144; 231). Neben den Gemeindegliedern in Philippi heißen auch die in Jerusalem, Korinth und Rom ‚Heilige‘ (1Kor 1,2; 2Kor 1,1; Röm 1,7; 15,31). Wie in Phil 4,21 f. erscheinen Teilgruppen von Heiligen unter den Grüßenden und Gegrüßten in den Briefschlüssen (2Kor 13,12; Röm 16,15). Die Heiligen in Philippi befinden sich nach Phil 1,1 im Christusraum (ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ; Schnelle* 117 f.; Sellin* 105–112). Solche ἐν-Formeln erscheinen im Philipperbrief besonders häufig (Holloway, K. 64 Anm. 29; 66). Nicht nur die Absen75
1,1 f.
Präskript
der, sondern auch die Adressierten stehen also in einer unmittelbaren Beziehung zu Christus (E. Lohmeyer, K.). Die Anrede ist erweitert durch: σὺν ἐπισκόποις καὶ διακόνοις „mit Aufsehern und Gesandten“. Eine Gruppe von mehreren Bischöfen in Philippi ist für Johannes Chrysostomus eine kirchenrechtliche Provokation. Denn nach seiner Ende des 4. Jahrhunderts formulierten Meinung kann es in einer Stadt nur einen Bischof geben und in einer paulinischen Gründung heißt dieser Paulus. Für Chrysostomus kann es sich nur um „Mitbischöfe“ (συνεπίσκοποι) handeln, die eigentlich ‚Presbyter‘ heißen müssten (Hom in Phil 2,1 [Field/Allen 8/PG 62.183,13–35]). Die byzantinischen Majuskeln B2, D2, K, Pvid, 075, einige Minuskeln, die lateinische Handschrift r und Cassiodorus, allerdings nur an einigen Stellen, folgen dieser These, die ein monarchisches Episkopat in der spätantiken Ämterordnung voraussetzt. Jedoch entwickeln sich die Bezeichnungen ἐπίσκοπος und διάκονος erst bis zum 4. Jahrhundert zu den Amtsbezeichnungen ‚Bischof ‘ und ‚Diakon‘. Und σὺν ἐπισκόποις κτλ. muss nicht unbedingt als ein Gegenüber zur Gemeinde aufgefasst werden, sondern kann auch inklusiv die ‚Aufseher‘ als Teilmenge der Heiligen bezeichnen (Baumert, K. 255; gegen Schenk, K. 79 f.). Für die Bedeutung der Begriffe in der Frühzeit müssen pagane und frühjüdische Belege in den Blick genommen werden.
Exkurs 1: „Bischöfe“ und „Diakone“ Ascough, Paul’s Macedonian Associations. – Ders., Voluntary Associations and the Formation of Pauline Christian Communities. Overcoming the Objections, in: Andreas Gutsfeld/DietrichAlex Koch (Hg.), Vereine, Synagogen und Gemeinden im kaiserzeitlichen Kleinasien, STAC 25, 2006, 149–183. – Brélaz, Philippes 225–229. – John N. Collins, Diakonia. Re-Interpreting the Ancient Sources, Oxford 1990. – Benedikt Eckhardt, Paulus und die Vereine. Korinth, Philippi, Thessaloniki, in: Ders./Clemens Leonhard (Hg.), Juden, Christen und Vereine im Römischen Reich, RVV 75, 2018, 131–162. – Georgi, Gegner des Paulus 31–38. – Manuel Guerra Gómez, Episcopos y presbyteros. Evolucion semantica de los terminos ἐπίσκοπος-πρεσβύτερος desde Homero hasta el siglo segundo despues de Jesucristo, 1962. – Lars Hartman, „… with the Overseers and Servants“. The Opening of Paul’s Letter to the Philippians, When Considered in the Light of Certain Letter Conventions of the Time, in: Ders., Approaching New Testament Texts and Contexts. Collected Essays II, WUNT 311, 2013, 203–213. – Edwin Hatch, Bischöfe und Diakone, in: Ders., Die Gesellschaftsverfassung der christlichen Kirchen im Alterthum, 1883, 17–50. – Anni Hentschel, Diakonia im Neuen Testament. Studien zur Semantik unter besonderer Berücksichtigung der Rolle von Frauen, WUNT II/226, 2007. – François Kirbihler, L. Cusinius, épiscopos à Ephèse, JÖAI 74 (2005), 151–173. – John S. Kloppenborg, Edwin Hatch, Churches and Collegia, in: Bradley H. McLean (Hg.), Origins and Method. Towards a New Understanding of Judaism and Christianity [FS John C. Hurd], JSNT.S 86, 1993, 212–238. – Ders., Pauline Assemblies and Graeco-Roman Association, in: Jens Schröter/Simon Butticaz (Hg.), Receptions of Paul in Early Christianity. The Person of Paul and His Writings Through the Eyes of His Early Interpreters, BZNW 234, 2018, 215–248. – Ders., Pneumatic Democracy. – Pilhofer, Philippi I, 140–147. – Jürgen Roloff, Die Kirche im Neuen Testament, GNT 10, 1993, 142 f. – John Reumann, Church Office in Paul, Especially in Philippians, in: Bradley H. McLean (Hg.), Origins and Method. Towards a New Understanding of Judaism and Christianity [FS John C. Hurd], JSNT.S 86, 1993, 82–91. – Andrew M. Selby, Bishops, Elders, and Deacons in the Philippian Church.
76
Präskript
1,1
Evidence of Plurality from Paul and Polycarp, PRSt 39 (2012), 79–94. – Theodore C. Skeat, Did Paul write to „Bishops and Deacons“ at Philippi? A Note on Philippians 1:1, in: J. K. Elliott (Hg.), The Collected Biblical Writings of T. C. Skeat, NT.S 113, 2004, 258–261. – Alistair C. Stewart, Original Bishops. Office and Order in the First Christian Communities, 2014. – Jochen Wagner, Die Anfänge des Amtes in der Kirche. Presbyter und Episkopen in der frühchristlichen Literatur, TANZ 53, 2011. Die ältere Forschung betrachtete Phil 1,1 als erste Station in der Entwicklung kirchlicher Ämter, die ausgehend von 1Kor 12,28 über Tit 1,7 und 1Tim 3,2–13 direkt zur monepiskopalen Bischofsverfassung des Ignatius von Antiochia führt (Gnilka, K. 32–49; Roloff* 142 f.; Baumert, K. 256 f.). Allerdings nennt Polykarp Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr. zwar Presbyter und Diakone, aber keine Bischöfe in Philippi (Polyk 5,2 f.; 6,1; 11,1; Selby*). Inzwischen geht man nicht mehr von einer einlinigen gesamtkirchlichen Ämterentwicklung aus und setzt ihre Entwicklung zeitlich später an. Einige Auslegungen halten die Erwähnung von Bischöfen und Diakonen überhaupt für eine spätere Hinzufügung (Glosse; Schenk, K. 80–82; Walter, K. 32 f.). Tatsächlich fehlt im ältesten Textzeugen, �46, eine Textzeile an dieser Stelle, sodass die Bezeugung bis zum Anfang des 4. Jahrhunderts unsicher bleibt (Skeat*). Die meisten Auslegungen vermuten hinter den ἐπίσκοποι und διάκονοι spezifisch in Philippi entwickelte Ämter- oder Funktionsbezeichnungen, etwa in Analogie zu mannigfaltigen inschriftlich bezeugten Amts- und Funktionsbezeichnungen in der städtischen Umgebung (Pilhofer*). Die ἐπίσκοποι werden als Finanz- (Hatch* 29; Stewart* 56–66) oder Verwaltungsbeamte (Dibelius, HNT 60–62), als Hausvorstände lokaler Hausgemeinden (Reumann* 90; Wagner* 77–79; 104 f.) oder als Funktionsträger in Vereinen identifiziert (Ascough, Voluntary Associations 162–169; Ascough, Paul’s Macedonian Associations 80 f.; 129 f.). Mit ihrer Nennung greife Paulus das Formular politischer Korrespondenz auf, das wichtige Funktionsträger in der Adresse benennt (Hartman*). Wie andere makedonische Städte stand auch Philippi seit dem 2. Jahrhundert n. Chr. unter kaiserlicher Finanzaufsicht, die durch einen vom Kaiser bestellten und häufig aus der örtlichen Honoratiorenschicht gewählten curator rei publicae ausgeübt wurde (CIPh II.1 39/Pilhofer II 312; CIPh II.1 41–43/Pilhofer II 229 f.; 232; CIPh II.1 45/Pilhofer II 436; Brélaz*). Allerdings ist der griechische Begriff ἐπίσκοπος in den lateinisch abgefassten offiziellen Inschriften Philippis nicht zu erwarten. Ein dynastisches Oberhaupt oder ein Hausvorstand wird lediglich einmal bei Aischylos und dann im 1. Timotheusbrief ἐπίσκοπος genannt (δωμάτων ἐπίσκοπος, Aesch Eum 740; 1Tim 3,2–6). Einige Male ist Aufgabe oder Titel eines ἐπίσκοπος im Vereinskontext belegt. Zum Beispiel bestimmt der Dionysosverein von Thera, dass ein Gedenkfest durch die Hypothekenzinsen eines Stiftungsvermögens zu finanzieren sei, wobei zwei ἐπίσκοποι beauftragt werden, das Geld zu verleihen (IG XII,3 329/1295,13/Laum II 52, Nr. 14, 2. Jh. v. Chr.). Ein anderer Dionysosverein von der Insel Delos kennt einen jährlich bestimmten ἐπίσκοπος, der die Auszeichnung verdienter Mitglieder verkündet (I.Délos 1522,8.10.13, 2. Jh. n. Chr.; vgl. Kloppenborg, Pneumatic Democracy 74). Der Titel erscheint jedoch in Vereinsinschriften insgesamt nicht besonders häufig und in vielfältigen Funktionen (Harland, Associations II, 479; Kloppenborg, Edwin Hatch 231– 234; Pauline Assemblies, 216; Ascough, Voluntary Associations 164 f.; Eckhardt* 149 f.). Was die ἐπίσκοποι der philippischen Gemeinde mit antiken Vereinen verbinden könnte, sind die Vielfalt und Variabilität von Ämterbezeichnungen, die sich nicht nur in ihrer Namensgebung, sondern auch in der Wahl der Amtsträger und ihrer jährlichen oder anderweitig periodischen Rotation an politische Institutionen anlehnten (Kloppenborg, Pneumatic Democracy 71 f.). Am häufigsten ist der Begriff ἐπίσκοπος in politischen Inschriften antiker Städte belegt. Die hier erwähnten ἐπίσκοποι sind Aufseher und Kontrolleure, die aus der Metropolis oder von Kaisern und Statthaltern entsandt wurden, um die rechtmäßige Durchführung von Vorhaben und/oder die Anwendung von Regeln und Sitten zu beaufsichtigen. Zum Beispiel sendet der
77
1,1 f.
Präskript
Rat der Athener einen ἐπίσκοποs, um die Einführung der Verfassung in einer athenischen Kolonie zu beaufsichtigen (Aristoph Av 1021–1034; vgl. IG I3 14/IErythrai 4; ähnlich die ἐπίσκοποι, die von Rhodos nach Peraia im 2. Jahrhundert n. Chr. gesandt wurden, IG XII,1 49). Im 1. Jahrhundert n. Chr. versieht der mehrfach inschriftlich erwähnte L. Cusinius die Aufgabe eines curator rei publicae in Ephesus im Auftrag des Statthalters (Kirbihler*; vgl. I.Ephesos 659B, 660B, 716; SEG 43.766). Ähnliche von politischen Institutionen in abhängige Körperschaften gesandte ἐπίσκοποι sind bis in die Spätantike nachweisbar (Rhodes, DNP 3, 1157). Ein kynischer Wanderphilosoph kann sich als aus dem Hades heraufgestiegener ‚Aufseher der Sünder‘ bezeichnen (ἐπίσκοπος ἀφῖχθαι ἐξ ᾅδου τῶν ἁμαρτανομένων, Diog L 6.102). Aufgabe des Kynikers ist es, die Taten und Sitten der Menschen zu beaufsichtigen (ἐπισκοπεῖν, Dio Chrys Or. 8,6; 9,1; Epict Diss 3.22,77.97; Luc Dial Mort 20,2). Schließlich gibt es Aufseher für Bauvorhaben (2Kön 12,12; 2Chr 34,12.17), im Militär (Num 31,14; 2Kön 11,15) und für die rechte Ausführung eines Kults (Num 4,16; 2Kön 12,12; 1Makk 1,51; Jos. Ant. 10.53; 12.254; vgl. auch Beyer, ThWNT II 602– 610; Beyer/Karpp, RAC 2, 394–407; Guerra Gómez* 119–180). Überall sind die Aufseher von einer höheren, sich häufig an einem anderen Orte befindenden Stelle eingesetzt. Seit Homer werden außerdem Götter ἐπίσκοποι genannt, die Menschen und ihre Regeln beschützen und beaufsichtigen (Hom Il 22.254 f.). Plutarch beschreibt die auf der Erde wandelnden Götter als „Bewahrer und Aufseher der menschlichen Taten“ (τῶν ἀνθρωπίνων πράξεων φύλακές τε καὶ ἐπίσκοποι, Plut De Fato 573A, vgl. Sext Emp Math 9.54). Im stoischen Kompendium über das Wesen der Götter (de natura deorum) nennt Cornutus Athene und Zeus „Stadtbeschützer“ (ἐπίσκοποι τῶν πόλεων; Cornut Theol Graec 20,8) und Hermes „Aufseher“ über die in der politischen Öffentlichkeit Redenden (ἐπίσκοπος γὰρ τῶν ἀγορευόντων ἐστίν, Cornut Theol Graec 16,14). Auch Gott selbst und die von Gott ausgehenden Kräfte heißen ἐπίσκοπος (Hiob 20,29; SapSal 1,6; Philo, LA 3.43; migr. 81, 135; mut. 216). Frühchristliche Belege folgen diesen Bahnen. Tit 1,7; 1Tim 3,2–6 und 1Clem 42,4 f.; 44,1 f. betonen die Einsetzung von Aufsehern durch die Apostel bzw. Paulus. Ἐπίσκοποι beschützen die Gemeindeherde und Bedürftigen (Apg 20,28; Herm sim 9.27,2 [104,2]). Gott und Christus sind die Aufseher der Seelen (1Petr 2,25; 1Clem 59,3). Analog wären die ἐπίσκοποι aus Phil 1,1 also erst einmal Aufseherinnen oder Kontrolleure, die die Vollendung der Aufgaben, die Einhaltung der Regeln oder die Verwendung von Mitteln überwachen und beschützen. Was und wen aber sollen sie beschützen und überwachen? Die den Aufsehern/Beschützerinnen zur Seite gestellten διάκονοι geben weitere Hinweise zur Beantwortung dieser Frage. Entgegen früheren Thesen (Beyer, ThWNT II 83–91) haben neuere Untersuchungen übereinstimmend gezeigt, dass ein διάκονος in der Regel kein (Tisch-) Diener ist, sondern eine Mittelsperson und Beauftragte/r, der oder die Aufträge eines Auftraggebers ausführt, z. B. Botschaften übermittelt, und für diese Aufgabe an der Autorität des Auftraggebers partizipiert (Hentschel*; J. N. Collins*). In Vereinen können Kultbeamte διάκονοι heißen (Ascough, Paul’s Macedonian Associations 82 f.). Der Begriff entstammt der gehobenen Sprache. Vom König bis zum Sklaven werden alle Statusgruppen und Geschlechter mit dem Titel διάκονος belegt (Hentschel* 433–436; vgl. Röm 16,1). Als Gesandte agieren die διάκονοι „im Sinne der verantwortlichen, schicksalhaften Repräsentation und Manifestation“ ihres Auftraggebers, der nicht selten Gott selbst ist (Georgi* 34 mit Verweis auf Epict Diss 3.24,65; 3.26,28). Das Verbalsubstantiv διάκονος steht also in der Nähe des Aposteltitels (Hentschel* 435; vgl. 1Kor 3,5; 2Kor 3,2; 6,4; 11,15.23). Das Amt des und der διάκονος sowie einer διακόνισσα ist auf den christlichen Inschriften Philippis seit dem 4. Jahrhundert belegt (ICG 3262/Pilhofer II 77; ICG 3381/ Pilhofer II 115; ICG 3239/Pilhofer II 613; weitere Belege: Brélaz* 224).
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Präskript
1,2
Die Annahme, die διάκονοι „Beauftragten“ oder „Gesandten“ seien den ἐπίσκοποι „Aufsehern“ untergeordnet, ist nicht zwingend. Beide Gruppen können die Einhaltung von Ordnungen ihres Auftraggebers beaufsichtigen. Daher kann es sich auch um zwei Bezeichnungen für die gleiche Gruppe handeln (Haupt, K.; Georgi* 35). Ob die „Aufseher“ und „Beauftragten“ ihren Auftrag von Gott, von Paulus und Timotheus oder von der Gemeinde in Philippi erhielten, muss ebenfalls offenbleiben. Es ist wahrscheinlich, dass sich Paulus’ Freundinnen und Freunde in Analogie zu Vereinen, religiösen Gruppen und politischen Institutionen organisierten. Solche Strukturen müssen, anders als die nachpaulinische Tradition behauptet, nicht unbedingt allein durch Paulus eingesetzt worden sein (Apg 14,23; Tit 1,5). Regional spezifische Organisationsstrukturen sind ebenso denkbar. Möglicherweise kannte Paulus die Namen derer, die in der gegenwärtigen Amtsperiode die Aufgaben übernommen hatten, nicht (Kloppenborg, Pneumatic Democracy 68; 74 f.). Da die meisten der vorchristlich belegten ἐπίσκοποι und διάκονοι nicht zu Hause, sondern an den Orten wirkten, an die sie ihre Auftraggeber gesandt hatten, ist es durchaus möglich, dass sich die „Aufseher“ und „Beauftragten“ zur Zeit der Abfassung von Phil 1,1–3,1 + 4,1–7.9b.21–23 in Ephesus aufhielten, um am Ort der Gefangenschaft nach Paulus, Timotheus und ihrem Delegaten Epaphroditus zu suchen und zu sehen (→ 2,25–30; → Einl. 6). Die ersten Christusgläubigen waren bekannt für ihre tätige Sorge für Gefangene (Mt 25,36; Hebr 13,3; Luc Peregr Mort 12). In Analogie zu anderen „Aufsehern“ und „Beauftragten“ könnten die philippischen „Bischöfe“ und „Diakone“ aber auch nach Ephesus gesandt worden sein, um dort den Fortschritt des mit der Gemeinde gemeinsam verantworteten Projekts, der Verkündigung des Evangeliums, zu überwachen (→ 1,12– 25). Ihre Sendung aus Philippi wäre der Versuch, das mit der Unterstützung von Paulus und Timotheus in Thessaloniki und möglicherweise auch in Korinth begonnene Projekt der Gemeinde, nämlich die Finanzierung von Mission und Gemeindebildung, zu retten und weiter zu befördern (→ 4,15 f.; 2Kor 11,8 f.). 2 … χάρις ὑμῖν καὶ εἰρήνη ἀπὸ θεοῦ πατρὸς ἡμῶν καὶ κυρίου Ἰησοῦ Χριστοῦ. Der briefliche Gruß, die salutatio, in den Paulusbriefen besteht aus einem eigenständigen elliptischen Nominalsatz, der mit dem Verb „sein“ im Optativ εἴη oder im Imperativ ἔστω zu ergänzen ist (Reumann, K. 90 Anm. 38). Das typisch griechische Briefformular verwendet dagegen den Infinitiv χαίρειν (z. B. Apg 15,23; 23,26; Jak 1,1; Arzt-Grabner, Philemon 121). Die salutatio folgt der auch sonst in den Paulusbriefen mit Ausnahme von 1Thess 1,1 üblichen Form. Die Handschriften überliefern allerdings nicht ganz einheitlich. Die Majuskeln � und A lesen in 1Thess 1,2 eine volle salutatio statt der verkürzten, �46, B und weitere Handschriften in Gal 1,3 eine Variation. Die weitgehende Gleichförmigkeit der paulinischen salutatio könnte auch durch eine vereinheitlichende Redaktion bei der Edition der Paulusbriefsammlung entstanden sein (→ Einl. 4.2), denn Präskripte dienen der Authentifizierung von Briefen (Plat Ep 13.360a; Diog L 3.61; Luc Pro Laps 4 f.). Die salutatio übernimmt den Friedenswunsch aus der orientalischen Tradition offizieller Schreiben und jüdischer Gemeindebriefe (Dan 3,98 Th; 2Makk 1,1 [2Makk 1,1]: χαίρειν … εἰρήνην ἀγαθήν; weitere Belege: Doering* 410). Auch für die Erweiterungen sind Parallelen bekannt, z. B. 2Bar 78,2: „Erbarmen (rḥmʾ ) und Frieden für euch“ (Doering* 245–248). Wenn die Paulusbriefe statt Erbarmen χάρις „Gunst, Gnade“ wünschen, so ist dies nicht unmittelbar 79
1,1 f.
Präskript
auf paulinische Gnadentheologie zurückzuführen (so: Doering* 406–415). Denn ohne Einfluss paulinischer Briefe lautet der Eingangsgruß in 1Petr 1,2; 2Petr 1,2 und Apk 1,4 ebenfalls χάρις ὑμῖν καὶ εἰρήνη … Das paulinische Präskript geht also vermutlich auf den jüdischen Gemeindebrief zurück (Berger* 191–201). Die Fortsetzung „von Gott, unserm Vater“ erscheint noch einmal in der Schlussdoxologie von Phil A in → 4,20. Das Formular ist durch die Hinzufügung „und unserm Herrn Jesus Christus“ christologisch erweitert. Urheber (ἀπό) von χάρις und Frieden sind also Gott und Christus. Die Absender treten damit ähnlich den Propheten und apokalyptischen Sehern als Vermittler göttlicher Botschaften auf (Berger* 202). Ob der erhöhte Kyrios Jesus Christus hier die göttliche Gnade vermittelt oder mit Gott gemeinsam hervorbringt, lässt die Beiordnung mit καί nicht erkennen. Mit dem brieflichen Gruß treten Gott und der erhöhte Herr Jesus Christus in den Kommunikationsraum ein, den der Brief zwischen den Sklaven Christi Jesu und den Heiligen in Christus Jesus aufspannt. Das Präskript verwendet also das Formular des jüdischen Gemeindebriefs mit christologischer Erweiterung im brieflichen Gruß (salutatio). Es ist im Philipperbrief allerdings knapp geraten. Paulus und Timotheus heben mit ihrer Selbstbezeichnung als „Sklaven Christi Jesu“ ihr Verpflichtungsverhältnis gegenüber Christus und der Gemeinde hervor. Vermutlich wegen seiner Anwesenheit beim Gründungsaufenthalt zeichnet Timotheus als Mitabsender, obgleich das Folgende von Paulus allein verantwortet wird. Die Gemeinde heißt hier nicht ἐκκλησία „Volksversammlung“ (so: → 4,15 f.). Vielmehr ist sie als Gottes Eigentumsvolk, als „die Heiligen“, gekennzeichnet. Die Funktion der hervorgehobenen „Aufseher“ und „Beauftragten“ lässt sich nur vermuten. Aus dem übrigen antiken Gebrauch der Begriffe episkopos und diakonos lässt sich erschließen, dass es sich auch um Abgesandte der Gemeinde handeln könnte, die sich am Haftort des Paulus nach seinem Verbleib und dem Fortschritt der von ihnen finanzierten Verkündigung des Evangeliums erkundigen.
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1,3–11 Dank für kontinuierliche Partnerschaft 3
Ich danke meinem Gott für all euer Gedenken [sooft ich eurer gedenke], allezeit in jedem meiner Bittgebete für euch alle, wobei ich mit Freuden das Bittgebet verrichte 5 für eure Partnerschaft in der Verkündigung des Evangeliums vom ersten Tag an bis jetzt, 6 im Vertrauen genau darauf, dass der, der eine gute Arbeit bei euch begonnen hat, sie bis zum Tag des Christus Jesus vollenden wird. 7 So ist es richtig, dass ich dies über euch alle denke, weil ihr mich im Herzen habt [weil ich euch im Herzen habe]; in meiner Gefangenschaft und Verteidigung und Bekräftigung des Evangeliums seid ihr alle meine Partnerinnen und Partner der Gnade. 8 Gott ist nämlich mein Zeuge, wie (sehr) ich mich nach euch allen sehne mit der Barmherzigkeit des Christus Jesus. 9 Und darum bete ich, dass eure Liebe noch mehr und mehr überfließt an Erkenntnis und jeglicher Wahrnehmung, 10 sodass ihr das Herausragende erprobt, damit ihr rein und unversehrt seid für den Tag Christi, 11 angefüllt mit Frucht der Gerechtigkeit, die durch Jesus Christus (erschien), zur Ehre und zum Lob Gottes.
4
Peter Arzt, The „Epistolary Introductory Thanksgiving“ in the Papyri and in Paul, NT 36 (1994), 29–46. – Peter Arzt-Grabner, Paul’s Letter Thanksgiving, in: Stanley E. Porter/Sean A. Adams (Hg.), Paul and the Ancient Letter Form, 2010, 129–158. – John M. G. Barclay, Gift and Grace in Philippians, 2 Thessalonians, and Ephesians. A Response, HBT 41 (2019), 224–237. – Norbert Baumert, Koinonein und Metechein – Synonym? Eine umfassende semantische Untersuchung, SBB 51, 2003. – Eve-Marie Becker, Die Person als Paradigma politisch-ethischen Handelns. Kriton 50a und Phil 1,23 f. im Vergleich, in: Paul-Gerhard Klumbies/David S. du Toit (Hg.), Paulus. Werk und Wirkung [FS Andreas Lindemann], 2013, 129–148. – David E. Briones, Paul’s Financial Policy. A Socio-Theological Approach, 2013. – Thomas Buchheim, Die Blinden sind klüger als die Tauben. Bemerkungen zu φρονεῖν und φρόνησις bei Aristoteles, in: Gyburg Radke-Uhlmann (Hg.), Phronesis – die Tugend der Geisteswissenschaften. Beiträge zur rationalen Methode in den Geisteswissenschaften, 2012, 83–104. – Walter Burkert, „Mein Gott“? Persönliche Frömmigkeit und unverfügbare Götter, in: Hubert Cancik (Hg.), Geschichte – Tradition – Reflexion II: Griechische und Römische Religion [FS Martin Hengel], 1996, 3–14. – Doering, Ancient Jewish Letters. – Heinz Giesen, Eschatology in Philippians, in: Stanley E. Porter (Hg.), Paul and His Theology, 2006, 217–282. – Josef Hainz, Koinonia. Kirche als Gemeinschaft bei Paulus, BU 16, 1982. – Rainer Hirsch-Luipold, „Ich bete, dass ihr …“. Impliziter und grammatischer Imperativ im Philipperbrief vor dem Hintergrund zeitgenössischer Literatur zum Gebet, in: Ruben Zimmermann/Stephan Joubert (Hg.), Biblical Ethics and Application. Purview, Validity, and Relevance of Biblical Texts in Ethical Discourse [FS Jan Gabriël van der Watt], WUNT 384, 2017, 259–274. – Holloway, Consolation 74–99. – Ders., Thanks for the Memories. On the Translation of Phil 1.3, NTS 52,3 (2006), 419–432. – Jewett, Epistolary Thanksgiving 40–53. –
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1,3–11
Dank für kontinuierliche Partnerschaft
Matthias Konradt, Gericht und Gemeinde. Eine Studie zur Bedeutung und Funktion von Gerichtsaussagen im Rahmen der paulinischen Ekklesiologie und Ethik in 1Thess und 1Kor, BZNW 117, 2003. – Heikki Koskenniemi, Studien zur Idee und Phraseologie des griechischen Briefes bis 400 n. Chr., 1956. – Krause, Gefängnisse. – Thomas Krüger, Das „Herz“ in der alttestamentlichen Anthropologie, in: Andreas Wagner (Hg.), Anthropologische Aufbrüche. Alttestamentliche und interdisziplinäre Zugänge zur historischen Anthropologie, FRLANT 232, 2009, 103–118. – Brent Nongbri, Two Neglected Textual Variants in Philippians 1, JBL 128,4 (2009), 803–808. – Matthew V. Novenson, „God is Witness“. A Classical Rhetorical Idiom in Its Pauline Usage, NT 52,4 (2010), 355–375. – Julien M. Ogereau, Paul’s Koinonia with the Philippians. A SocioHistorical Investigation of a Pauline Economic Partnership, WUNT II/377, 2014. – Maximilian Paynter, Das Evangelium bei Paulus als Kommunikationskonzeption, NET 24, 2017. – Davorin Peterlin, Paul’s Letter to the Philippians in the Light of Disunity in the Church, NT.S 79, 1995. – Gerald W. Peterman, Paul’s Gift from Philippi. Conventions of Gift-Exchange and Christian Giving, MSSNTS 92, 1997, 90–107. – Jennifer A. Quigley, Divine Accounting. Theo-Economics in the Letter to the Philippians, PhD Diss. Harvard Divinity School, 2018. – Jeffrey T. Reed, Are Paul’s Thanksgivings ‚Epistolary‘ ?, JSNT 61 (1996), 87–99. – Christophe Rico, Une métaphore financière de l’épître aux Philippiens. ΠΕΠΛΗΡΩΜΕΝΟΙ ΚΑΡΠΟΝ ΔΙΚΑΙΟΣΥΝΗΣ (Ph 1,11), RB 114,3 (2007), 447–451. – Stefan Schapdick, Eschatisches Heil mit eschatischer Anerkennung. Exegetische Untersuchungen zu Funktion und Sachgehalt der paulinischen Verkündigung vom eigenen Endgeschick im Rahmen seiner Korrespondenz an die Thessalonicher, Korinther und Philipper, BBB 164, 2011. – Jacques Schlosser, La communauté en charge de l’Évangile. À propos de Ph. 1,7, RHPhR 75,1 (1995), 67–76. – Franz Schnider/Werner Stenger, Studien zum neutestamentlichen Briefformular, NTTS 11, 1987. – Paul Schubert, Form and Function of the Pauline Thanksgivings, 1939. – Standhartinger, Aus der Welt eines Gefangenen. – Gregory T. Tatum, ΠΕΠΛΗΡΩΜΕΝΟΙ, RB 114,3 (2007), 451–453. – Michael Theobald, Die überströmende Gnade. Studien zu einem paulinischen Motivfeld, fzb 22, 1982. – Samuel Vollenweider, Lob am Jüngsten Tag. Zum Hintergrund der Gerichtserwartung im Philipperbrief, in: Ders., Antike und Urchristentum. Studien zur neutestamentlichen Theologie in ihren Kontexten und Rezeptionen, WUNT 436, 2020, 239–248. – Wansink, Chained in Christ. – J. Patrick Ware, The Mission of the Church in Paul’s Letter to the Philippians in the Context of Ancient Judaism, NT.S 120, 2005. – Nicola Wendebourg, Der Tag des Herrn. Zur Gerichtserwartung im Neuen Testament auf ihrem alttestamentlichen und frühjüdischen Hintergrund, BWANT 96, 2003. – Gordon P. Wiles, Paul’s Intercessory Prayers. The Significance of the Intercessory Prayer Passages in the Letter of St Paul, MSSNTS 24, 1974. – Wendell L. Willis, Paul, the Gift and Philippians, HBT 41 (2019), 174– 190.
Die briefliche Danksagung beginnt mit dem Dank an Gott und endet mit einem eschatologischen Ausblick (Phil 1,10 f.; 1Thess 1,9 f.; 1Kor 1,8). Die Abgrenzung wird außerdem durch den Neueinsatz in V. 12 mit einer brieftypischen Mitteilungsformel markiert. Die Danksagung enthält eine von εὐχαριστῶ abhängige Satzperiode, die von ποιούμενος am Ende von V. 4 und πεποιθώς am Anfang von V. 6 fortgeführt ist. Phil 1,3 ff. gehört damit neben 1Thess 1,2–10 und Phlm 4–7 zu dem sogenannten Typ I paulinischer Danksagungen, die das Verb ‚danken‘ amplifizieren und nicht begründen (Schubert* 10–39, vgl. Schnider/Stenger* 46). Auch die mit καθώς eingeleiteten Verse 7 f. lassen sich als Fortführung der Satzperiode auffassen. V. 8 wendet jedoch in einer Zwischenreflexion den Blick von der Gemeinde auf die Motivation des Absenders zurück. In V. 9–11 gibt Paulus konkret Auskunft über den Inhalt seiner 82
Dank für kontinuierliche Partnerschaft
1,3
Fürbitte. Der Abschnitt enthält mit εὐχαριστέω (V. 3), δέησις (V. 4) und προσεύχομαι (V. 9) fast alle von Paulus verwendeten Begriffe für Gebet (Hirsch-Luipold* 266). Schubert entwickelt an Phil 1,3–5 die These, dass die paulinischen Danksagungen als Proömien auf den Inhalt des Briefes vorausschauen. Sein Beispiel ist eine Spiegelung von Phil 1,3–11 in 4,10–20 (Schubert* 77). Diese Beobachtung wird von Auslegungen, die den kanonischen Philipperbrief in seiner Gesamtheit für ein Schreiben des Paulus halten, rezipiert (Jewett* 52 f.; Tatum*; Peterman* 91–93; Ogereau* 231 f.). Die angeführten Wortparallelen χαρά/χαίρω (1,4; 4,10), [συγ]κοινωνέω κτλ. (1,5; 4,15), εὐαγγέλιον (1,5; 4,15), ἀρχή (1,6; 4,15), περισσεύω (1,9; 4,19) und δόξα (1,11; 4,20) bleiben allerdings formal. Inhaltlich blickt die Danksagung 1,3–11 auf Phil 1,1–3,1 + 4,1–7.9b.21–23 voraus, also auf den Dankes- und Freudenbrief B. Paulus’ Gebet spiegelt sich in der Fürbitte der Gemeinde (δέησις; → 1,3 f.19). Das Programm κοινωνία εἰς τὸ εὐαγγέλιον „Partnerschaft in der Arbeit am Evangelium“ wird in 1,7.27; 2,1 f.22 weiter entfaltet. Das Thema χαρά κτλ. „Freude“ ist vor allem in diesem Brieffragment prominent (1,18 f.25; 2,2.17 f.29; 3,1; 4,1.4). Und schließlich zielt der inhaltliche Teil dieses Fragments auf das Lob am „Tag Christi“ (1,6.10; 2,16), womit der Freudenbrief vor den Reiseplänen (2,19–30), Schlussmahnungen (3,1; 4,1–7) und Grüßen (4,21–23) zu seinem Ende kommt. Die Danksagung erweist sich also als Proömium für den Dankes- und Freudenbrief B in Phil 1,1–3,1 + 4,1–7.9b.21–23. Ein besonderes Charakteristikum dieser Danksagung sind mehrdeutige Bezüge, die in der Übersetzung mit eckigen Klammern kenntlich gemacht wurden. Sie lassen jeweils grammatisch offen, ob Paulus sich selbst oder die Gemeinde als Subjekt der Aussage intendiert. Die Doppeldeutigkeit überblendet Subjekt und Objekt, Paulus und Gemeinde. Außerdem spiegelt das hoch emotionale und feierlich wirkende Bittgebet Paulus’ tief empfundene Gefühle für die Gemeinde (E. Lohmeyer, K.; Dibelius, HNT). Sie ist ihm eine zuverlässige Partnerin in seiner Haft, Hoffnungsanker und wichtigste Unterstützerin. Schon ihre Weiterexistenz ist Demonstration göttlichen Wirkens. Am Ende der Zeiten, nur im Philipperbrief „Tag Christi“ genannt, wird ihre herausragende Arbeit in der Partnerschaft für das Evangelium die angemessene Anerkennung, Ehre und Lob vor und für Gott finden. Als Zeitpunkt der Parusie Christi wird der Tag Christi vor allem ein Tag der Belobigung sein (1,5.10; 2,16). Inmitten schmerzvoller Gefängniserfahrung erfüllen die Gedanken an die Gemeinde Paulus mit Freude. Ihre Existenz gibt ihm Halt in seiner Not. Inmitten seines Sehnens bleibt als einziges Medium der gegenseitigen Verbindung das Gebet, dessen Inhalt die Verse 9–11 mitteilen. Auffälligerweise fehlen konkrete Informationen über Anlass und Umstände der Gefangenschaft und die im Sinne einer Freilassung gescheiterte Verteidigungsrede. Viel diskutiert ist die Frage, ob mit „Gemeinschaft im Evangelium“ eine rechtlich fixierte Beziehung zwischen Paulus und der Gemeinde angedeutet ist (1,5.7; → Exk. 2). 3 Εὐχαριστῶ τῷ θεῷ μου ἐπὶ πάσῃ τῇ μνείᾳ ὑμῶν … Die briefliche Danksagung beginnt typischerweise mit dem Dank an Gott (1Thess 1,2; 1Kor 1,4; Phlm 4; Röm 1,8). Die Majuskeln D*, F, G, die lateinische Handschrift b, Ambrosiaster und einige Zitate bei Cassidor stellen ein betontes ἐγὼ μέν „ich für meinen Teil“ voran und richten den Dank an τῷ κυρίῳ ἡμῶν „unsern Herrn“. Paulus formuliert zwar 36-mal „unser Herr“, aber nicht im Philipperbrief (Holloway, K.). Mit der Formulierung ἐγὼ 83
1,3–11
Dank für kontinuierliche Partnerschaft
μέν bekräftigt Paulus andernorts seine Position im Konzert anderer Meinungen (1Thess 2,18; 1Kor 1,12; 3,4; 5,3). Die Lesart ist also kaum ursprünglich. Aus der Perspektive Späterer wird Paulus von dem Mitabsender Timotheus abgerückt und der Gemeinde gegenübergestellt (Ewald/Wohlenberg, K. 43 f.). Der Dank an einen persönlichen Gott fehlt in der griechischen Literatur (Burkert*). In der jüdischen Gebetssprache ist er verbreitet (Jdt 8,25; vgl. ψ 29,13; 117,28; Dan 9,4 Th). Papyrusbriefe belegen jedoch, dass eine an einen persönlichen Gott gerichtete Danksagung auch im allgemeinen griechischen Briefformular vorkommt. So schreibt Apion an seinen Vater Epimachos: „Ich danke meinem Herrn Sarapis, dass er mich sofort gerettet hat, als ich auf dem Meer in Gefahr war“ (εὐχαριστῶ τῷ κυρίῳ Σεράπιδι ὅτι μου κινδυνεύσαντος εἰς θάλασσαν ἔσωσε εὐθέως, BGU 2.423,7, 2. Jh. n. Chr.; Klauck, Brief 29–32; 37 f.; vgl. auch UPZ I 59/P.Lond I.42, 168 v. Chr.; UPZ I 60, 179 v. Chr., zitiert bei U. B. Müller, K. 39). Arzt-Grabner beobachtet, dass in Papyrusbriefen des 1. und 2. Jahrhunderts n. Chr. der Dank an die Götter erst im Anschluss an den Wunsch nach Gesundheit der Adressierten, der sogenannten formula valetudinis, formuliert wird (Arzt-Grabner, Philemon 125–129). Die Danksagung im Eingang sei eine spezifisch paulinische Umprägung der üblichen Briefformel (Arzt*; Arzt-Grabner*). Es gibt allerdings Gegenbeispiele: P.Giss 1 20 (113–120 n. Chr.): „Aline an Apo[llonios], dem Bruder [… zum Gruß.] Wir danken al[len Göttern für] deine [Gesundheit], dass dich auch von […]“ (Ἀλινὴ Ἀπο[λλωνίῳ τῶι] ἀδελφῶ[ι – ca.? – χαίρειν.] εὐχαριστοῦμεν πᾶ[σι τοῖς θεοῖς περὶ τῆς ὑγίας] σου ὅτι σε καὶ ἀπο […]; vgl. Bagnall/Cribiore, Women’s Letters 152 f.). Der Brief SB VI 917, Nr. 23,2/O.Faw. 23,2, 1.–2. Jh.) beginnt mit den Worten: „Ich danke (dem Gott) Serapis …“ (εὐχαριστῶ τῷ Σεράπιδι; Reed* 92 f.). Dank für die Rettung leitet auch den zweiten Brief der Jerusalemer Gemeinde an jüdische Geschwister in Ägypten in 2Makk 1,11 ein: „Aus großer Gefahr von Gott gerettet, danken wir ihm sehr“ (ἐκ μεγάλων κινδύνων ὑπὸ τοῦ θεοῦ σεσῳσμένοι μεγάλως εὐχαριστοῦμεν αὐτῷ). Die paulinische Danksagung nimmt also sowohl Züge aus der allgemeinen Brieftopik als auch aus der Tradition jüdischer Gemeindebriefe auf (Doering* 415–421). Ebenfalls zur brieftypischen Konvention gehört das Erinnerungs- oder μνεία-Motiv, die Versicherung, an die Adressierten zu denken (Koskenniemi* 145–148; ArztGrabner, Philemon 129–132). So schreibt Tubias an Apollonios: „Ich habe i[mmer Gedenken] an dich [ver]richtet, wie es gerecht war (σοῦ διὰ π[αντὸς μνείαν ποι] ούμενος, ὥσπερ δίκαιον ἦν, P.Cair.Zen. I 59076,3, 257 v. Chr.; TUAT.NF III [2006], VIII 1.1). Vier Jahrhunderte später formuliert Antonius Maximus: „Vor allem bete ich, dass du gesund bist – und ich selbst bin ja gesund –, während ich bei den örtlichen Göttern deiner gedenke“ (… μνίαν σου ποιούμενος παρὰ τοῖς [ἐν]θάδε θεοῖς, BGU 2.632,5 f., 2. Jh. n. Chr.; Arzt-Grabner, Philemon 130). Paulus formuliert in Phlm 4: μνείαν σου ποιούμενος (vgl. 1Thess 1,2; Röm 1,9). In Anlehnung daran übersetzt die eine Hälfte der Auslegungen ἐπὶ πάσῃ τῇ μνείᾳ ὑμῶν in Phil 1,3 mit: „sooft ich eurer gedenke“ (Dibelius, HNT; E. Lohmeyer, K.; Gnilka, K., U. B. Müller, K.; Walter, K.; Hawthorne/Martin, K.; Bockmuehl, K.; Fowl, K.). Damit ist ὑμῶν als Genitivus obiectivus und ἐπί mit Dativus temporalis aufgefasst (B/D/R § 235.5). Gemeint ist die allzeitige Erwähnung der Gemeinde in Paulus’ Fürbitten. Jedoch drückt
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Dank für kontinuierliche Partnerschaft
1,4
Paulus sein andauerndes Gedenken andernorts mit ἐπί mit Genitiv aus (1Thess 1,2; Röm 1,10; Phlm 4; vgl. B/D/R § 234.5). Dagegen benennt ἐπί mit Dativ den Grund des Dankens (Phil 1,5; 1Kor 1,4; 1Thess 3,9; B/D/R § 235.2; Baumert, K. 405). Daher übersetzt die andere Hälfte der Auslegungen: „für euer Gedenken“ (Ewald/Wohlenberg, K. 43–47; Schubert* 74 f.; O’Brien, K. 58–61; Schenk, K. 94 f.; Fee, K.; Reumann, K.; Peterman* 93–99; Giesen* 218 f.; Baumert, K. 258 f.; Thurston/Ryan, K.). Dann dankt Paulus dafür, dass die Gemeinde an ihn denkt. Ein Beispiel für μνεία mit genitivus subiectivus ist Bar 5,5: Die Israeliten freuen sich, „dass Gott ihrer gedenkt“ (τῇ τοῦ θεοῦ μνείᾳ). Möglicherweise ist dann konkret die in Phil 4,10–20 erwähnte Gabe der Philipperinnen und Philipper im Blick (Schubert* 78; Peterman* 93–99; Ogereau* 250 f.). Aber das Engagement der Gemeinde für Paulus reicht weit über die vermutlich finanzielle Unterstützung hinaus und umfasst die Fürbitte (→ 1,19), die Arbeit am Evangelium (→ 1,27–30) und die Sendung des Epaphroditus (→ 2,25–30), um nur die im Folgenden erwähnten Taten zu benennen. Einen weiteren Vorschlag macht Holloway, der ἐπί mit Dativus temporalis auffassen möchte, μνεία ὑμῶν jedoch als genitivus obiectivus versteht. Der Gedanke, dass Paulus sich jedes Mal freue, wenn er an die Gemeinde denke, sei eine typische Formulierung antiker Trostliteratur. So formuliert Epikur an seinem Todestag unter großen Schmerzen: „Ein Gegengewicht zu all diesem aber bildet die tief empfundene Freude beim Gedenken an unsere Diskussionen“ (ἀντιπαρετάττετο δὲ πᾶσι τούτοις τὸ κατὰ ψυχὴν χαῖρον ἐπὶ τῇ τῶν γεγονότων ἡμῖν διαλογισμῶν μνήμῃ, Diog L 10.22 vgl. Cic Fin 2.96; Holloway, Thanks; Holloway, K. 72 f.). Paulus ist jedoch kein dem Leiden überlegener Philosoph (→ 4,14–20). Es geht hier nicht um eine Erziehung zur Überwindung der Affekte durch philosophisches Training. Vielmehr verschwimmen absichtsvoll Subjekt und Objekt des Gedenkens und bilden in dem Gebet eine Gemeinschaft vor Gott. 4 … πάντοτε ἐν πάσῃ δεήσει μου ὑπὲρ πάντων ὑμῶν, μετὰ χαρᾶς τὴν δέησιν ποιούμενος … Paulus schließt das Adverb πάντοτε „allezeit, immer“ häufig direkt an εὐχαριστῶ τῷ θεῷ μου an (1Thess 1,2; 1Kor 1,4; Phlm 4; vgl. Kol 1,3; 2Thess 1,3). Hier aber lässt es sich sowohl auf das Danken als auch auf das Gedenken oder die folgende Periode beziehen. Δέησις ist die an eine höhergestellte Person herangetragene, häufig flehentlich vorgetragene Bitte (Philo legat. 276). Die Septuaginta prägt δέησις als Gebetsbegriff (1Kön 8,28.30/2Chr 6,19.21; Michaelis, ThWNT II 39–41). Es ist das Bittgebet in bedrängter Situation, das häufig von Einzelnen stellvertretend für eine Gruppe vor Gott getragen wird (ψ 5,3; 21,25; 27,2; Klgl 3,56; Jdt 9,12; Röm 10,1). Obgleich Paulus in seinen brieflichen Danksagungen verschiedene Gebetsbegriffe verwendet, erscheint δέησις nur hier. Möglicherweise reflektiert der Begriff seine Haftsituation, die auch die Gemeinde besorgt. Paulus tritt in dem flehentlich vor Gott getragenen Bittgebet für alle in der Gemeinde ein. Das hier und in V. 7 hervorgehobene πάντες „alle“ fällt auf, muss aber keine gemeindeinternen, etwa in → 4,2 f. angedeuteten Konflikte spiegeln, sondern nimmt erst mal jede und jeden Einzelnen in den Blick (anders Peterlin* 24–26). In paradoxem Gegensatz zur Stimmung des Bittgebets steht der präpositionale Ausdruck μετὰ χαρᾶς „mit Freude“, der sich unter Absehung des von NTG28 gesetzten Kommas grundsätzlich auf beide Vershälften beziehen kann (Holloway, K.). Die Majuskeln F, G, Ψ, die 85
1,3–11
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Minuskel 2495, einige Vulgatahandschriften sowie die syrische Version Harklensis möchten die Satz- und Stimmungsstruktur durch ein adverbiales καί erhellen: „mit Freude mache ich auch mein Bittgebet“. Stellt man μετὰ χαρᾶς zur ersten Satzhälfte, entsteht ein Wortspiel mit εὐχαριστῶ, das den freudigen Charakter des Dankes verstärkt (E. Lohmeyer, K.). Karl Barth ist dagegen an Martin Luthers Paradox der desperatio fiducialis „getrosten Verzweiflung“ erinnert (K. Barth, K. 13). Holloway versteht χαρά „Freude“ als Synonym für Trost (Holloway, K.). Die Septuaginta stellt Bittgebet und Freude dort zusammen, wo die Bitte mit dem Vertrauen verbunden werden kann, dass Gott die gegenwärtige Leiderfahrung zukünftig in Freude verwandeln wird (1Kön 8,28 LXX; Est 4,17 C10 LXX). Bei den späteren Propheten ist die Freude Charakteristikum der Endzeit (Jes 65,17–19; 66,14; Zeph 3,14–17; Jo 2,21–27; Conzelmann, ThWNT IX 354). In dem knappen präpositionalen Ausdruck μετὰ χαρᾶς klingt ein wichtiges Grundmotiv des Dankes- und Freudenbriefs B an (Phil 1,18.25; 2,2.17 f.29; 3,1; 4,1.4; → Exk. 6). Die im Gebet geknüpfte Verbindung zwischen Gemeinde und Paulus nimmt die eschatologische Freude vorweg und etabliert eine die Entbehrung, Verlustangst und Bedrängnis überwindende Gegenwirklichkeit. 5 … ἐπὶ τῇ κοινωνίᾳ ὑμῶν εἰς τὸ εὐαγγέλιον ἀπὸ τῆς πρώτης ἡμέρας ἄχρι τοῦ νῦν … Das mit Dank und Freude verrichtete Bittgebet gilt der κοινωνία „Gemeinschaft, Teilhabe, Partnerschaft“ der Gemeinde im Hinblick auf das Evangelium. Εὐαγγέλιον ist bei Paulus „Terminus technicus für die mündlich verkündigte Botschaft von Leiden, Tod und Auferstehung Christi als eschatologischem Ereignis“ (Koester, RGG4 2, 1735 f.). Als nomen actionis bezeichnet εὐαγγέλιον bei Paulus sowohl den Botschaftsinhalt als auch den Botschaftsakt, wobei klare Unterscheidungen der beiden Bedeutungsebenen häufig schwierig sind (Friedrich, ThWNT II 726 f.; Paynter*; vgl. 1Thess 1,5.9 f.; 1Kor 4,15; 9,14.18; 2Kor 2,12; Röm 1,1.16). In keinem anderen Brief kommt das Stichwort so häufig vor wie im Dankes- oder Freudenbrief B (Häußer, K.; → 1,7.12.16.27; 2,22; 4,3; sonst noch im Rückblick auf die Gründung der Gemeinde, → 4,15). Die vor allem für die philippische Korrespondenz charakteristische κοινωνία εἰς τὸ εὐαγγέλιον „Partnerschaft in der Verkündigung des Evangeliums“ wurde in den letzten Jahrzehnten viel diskutiert.
Exkurs 2: κοινωνία εἰς τὸ εὐαγγέλιον Richard S. Ascough, Did the Philippians Christ Group Know It Was a „Missionary“ Society?, in: James R. Harrison/Lawrence L. Welborn (Hg.), The First Urban Churches 4. Roman Philippi, WGRW.S 13, 2018, 139–151. – Baumert, Koinonein. – John T. Fitzgerald, Philippians in the Light of Some Ancient Discussions of Friendship, in: Ders. (Hg.), Friendship, Flattery, and Frankness of Speech. Studies on Friendship in the New Testament World, NT.S 82, 1996, 141–160. – Andreas M. Fleckner, Rezension zu Ogereau, Julien M., Paul’s Koinonia with the Philippians, ZSRG.R 135,1 (2018), 685–700. – Hainz, Koinonia. – Ders., ΚΟΙΝΩΝΙΑ bei Paulus, in: Lukas Bormann u. a. (Hg.), Religious Propaganda and Missionary Competition in the New Testament World [FS Dieter Georgi], NT.S 74, 1994, 375–391. – Ogereau, Paul’s Koinonia 35–76. – Ders., A Survey of ΚΟΙΝΩΝΙΑ and Its Cognates in Documentary Sources, NT 57,3 (2015), 275–294. – Peterman, Paul’s Gift 99–105. – Quigley, Divine Accounting 35–76. – J. Paul Sampley, Pauline Partnership in Christ. Christian Community and Community in Light of Roman Law, 1980. –
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Dank für kontinuierliche Partnerschaft
1,5
Heinrich Seesemann, Der Begriff ΚΟΙΝΩΝΙΑ im Neuen Testament, BZNW 14, 1933. – Stowers, Friends. Die ältere Auslegungstradition übersetzt κοινωνία εἰς τὸ εὐαγγέλιον passivisch: „Anteilhabe am Evangelium“ (Seesemann* 73–79). In dieser Interpretation ist Paulus dankbar für seinen Missionserfolg und den erreichten Glaubensstand der Gemeinde (E. Lohmeyer, K.; Dibelius, HNT). Jedoch steht κοινωνία εἰς nicht als Ersatz für einen Genitiv, sondern gibt das Ziel oder den Zweck an, auf den sich eine Gemeinschaft oder ein Gemeinschaftswerk richtet (Peterman* 100 f.; Baumert* 201 f.). So heißt „die Verbindung von Frau und Mann mit dem Ziele des Kinderbekommens“ κοινωνία εἰς τέκνωσιν (Plut Comp Ly/Num 3,1; vgl. Philo opif. 152). Die Kollekte, die Paulus unter anderem κοινωνία nennt, wird „für die Armen unter den Heiligen“ in Jerusalem gesammelt (κοινωνίαν … εἰς τοὺς πτωχοὺς τῶν ἁγίων, Röm 15,26; vgl. 2Kor 8,4; 9,13). Daher fassen die neueren Auslegungen κοινωνία εἰς τὸ εὐαγγέλιον aktivisch auf: „Gemeinschaft in Bezug auf das Evangelium“. Gemeint ist die Gemeinschaft, die „durch das Evangelium gestiftet (ist), an de[r] Paulus und Gemeinde zusammen Anteil haben und de[r] sie gemeinsam dienen“ (Hainz, Koinonia 94; Hainz, ΚΟΙΝΩΝΙΑ 389). Es geht also um die aktive Beteiligung der Gemeinde an der Verbreitung der Christusnachricht (Schenk, K.; Michaelis, K.; Gnilka, K.; U. B. Müller, K.; Baumert, K.). Einige Auslegungen rechnen den Begriff κοινωνία zur antiken Freundschaftsterminologie (Stowers* 110–112; Fitzgerald* 146; Fowl, K.). Ein viel zitiertes antikes Sprichwort lautet: „Freunden ist (alles) gemeinsam“ (κοινὰ τὰ φίλων; Plat Resp 424a; Leg 739c; Philo Mos. I 156 u. ö.). Aristoteles formuliert in seiner Freundschaftsethik: „im Bereich der Partnerschaft (ist auch) die Freundschaft zu verorten“ (ἐν κοινωνίᾳ ἡ φιλία; Aristot Eth Nic 8.9,1 [1159b31 f.]). Jedoch ist für Aristoteles κοινωνία nur ein Charakteristikum von φιλία „Freundschaft“ unter anderen, das auch nur unzureichend über die Qualität der Freundschaft Auskunft gibt (Aristot Eth Nic 9.11–14 [1159a–1162b9]). Anders gesagt: Κοινωνία hat einen Platz in der antiken Freundschaftsethik, ist aber keineswegs ihr zentrales Schlagwort. Das Wortfeld κοινωνία wurde in den letzten Jahren mehrfach umfassend untersucht. In seiner Überprüfung aller literarischen Belege bis ins 7. Jahrhundert n. Chr. extrahiert Baumert zwei Grundbedeutungen: 1. Gemeinschaft; a) abstrakt: Gemeinsamkeit, Miteinander; b) konkret: Vereinigung, Verbindung. 2. Mitteilung; a) abstrakt: das Mitteilen als Akt; b) konkret: das Mitgeteilte, die konkrete Gabe (Baumert* 141). In diesem Vers komme Bedeutung 2b, die konkrete Gabe, nämlich die finanzielle Unterstützung des Paulus, zum Tragen (Baumert* 200–202; U. B. Müller, K.; Hawthorne/Martin, K.; Peterman* 99–103). Ogereau dokumentiert die Belege des κοινώνWortfeldes aus 100 Inschriften und 370 Papyri (Ogereau, Paul’s Koinonia 151–219; 353–499). Er zeigt, dass κοινωνία für die gemeinsame Teilnahme an Wettbewerben, Kulthandlungen und städtischen Aktivitäten sowie für politische Körperschaften und Allianzen und schließlich auch für Ehegemeinschaften, Kultgruppen und Geschäftspartnerschaften gebraucht wird. In der Verbindung ἐπὶ/κατὰ/ἀπὸ κοινωνίαν/ᾳ/ας sei κοινωνία jedoch ein Terminus technicus für die Teilhaberschaft an gemeinsamem Besitz oder Produktionsmitteln (Ogereau, Survey 287–289). Wenig wahrscheinlich ist, dass die Philipperinnen und Philipper Paulus mit der Durchsetzung von Rechten gegenüber römischen Behörden beauftragen wollten, wie es sich für im ganzen Römischen Reich aktive Dionysos- und Athletenvereinigungen rekonstruieren lässt (Ascough*). Für Ogereau drückt Phil 1,5 „die Idee einer Kooperation oder Partnerschaft aus, die in einer gemeinsamen Aktion oder Unternehmung sich auf einen gemeinsamen Zweck, nämlich den der Verkündigung des Evangeliums, richtet“ (Ogereau, Paul’s Koinonia 259; 371 f.; Übers. A. S.). Die κοινωνία εἰς τὸ εὐαγγέλιον sei als eine societas evangelii zu beschreiben, als eine vertraglich vereinbarte Partnerschaft zur Ausbreitung des Evangeliums, in der die Philipper und Philipperinnen die pecunia
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1,3–11
Dank für kontinuierliche Partnerschaft
(Geldmittel) und Paulus opera und ars (Arbeit und Befähigung) beitrügen (Ogereau, Paul’s Koinonia 349; Übers. A. S.; vgl. Sampley* 53–71). Die Interpretation von κοινωνία mit einer rechtlich verfassten societas ist inhaltlich möglich. Wenig wahrscheinlich ist jedoch ein Terminus technicus des römischen Rechts. Denn erstens ist unklar, ob eine Gruppe von Griechen in Makedonien römischem Recht unterliegt, zweitens räumt die Rechtsform vor allem ein Prozessrecht vor römischen Gerichten ein, das hier kaum angestrebt ist, und drittens bestehen die belegten societates aus ein bis fünf Personen über einen kurzen, begrenzten Zeitraum von ein bis zwei Jahren und lösen sich beim Tod eines Vertragspartners automatisch auf (Fleckner*). Jüngst wurde κοινωνία in finanztechnische Sprache eingeordnet und als ein göttliches Unternehmen verstanden, an dem Paulus und die Gemeinde gleichermaßen beteiligt sind und für das sich Paulus mit seinem Körper im Gefängnis finanztechnisch verbürgt (→ V. 7.20; Quigley*). Phil 1,5 enthält allerdings keine finanztechnische Terminologie (Schenk, K.). Aus dem Allerweltswort κοινωνία ist leider keine spezifische Organisationsform der Gemeinde und ihrer Beziehung zu Paulus herauszulesen (→ Exk. 17.1). Deutlich ist aber, dass κοινωνία εἰς eine feste Kooperation mit dem Ziel der Evangeliumsverkündigung meint. Die Gemeinde engagiert sich nicht allein mit Geld, sondern darüber hinaus mit Gebet, Fürsorge, Gesandtschaften, darunter mindestens eine ihres Apostels Epaphroditus (→ 2,25–30). Paulus betont mit dem Brief nicht nur den unermüdlichen Einsatz seiner geistigen und körperlichen Kraft, sondern er bekräftigt auch seine Sehnsucht nach der Gemeinde im Spiegel seines Mitarbeiters Timotheus (→ 2,19–24). Während der Abfassung des Dankes- und Freudenbriefs erschwert ihm seine Inhaftierung jedoch die Erfüllung der von ihm übernommenen Aufgaben erheblich. Umso dankbarer ist er, dass die Gemeinde an der κοινωνία festhält.
Der hier und ähnlich in → V. 7 erscheinende Ausdruck κοινωνία εἰς τὸ εὐαγγέλιον meint zwar nicht technisch, wohl aber inhaltlich eine ‚Partnerschaft auf Gegenseitigkeit‘ für ein gemeinsam verfolgtes Ziel. Neben der in → 4,18 erwähnten Gabe trägt die Gemeinde Fürbitte (1,19), Gastfreundschaft (2,24), die Sendung von Gemeindegesandten (2,25–30) und aktive Verkündigung des Evangeliums bei (→ 1,27–30; 2,12–15; Gnilka, K.; Reumann, K.; Fowl, K.; Ware* 165–171). Die Partnerschaft zwischen Paulus und der Gemeinde besteht bereits „seit dem ersten Tag“. Die den Artikel τῆς auslassende sinngleiche Lesart ἀπὸ πρώτης ἡμέρας, die in zahlreichen jüngeren Majuskeln D, F, G, K, L, Ψ, 075, 0278, Minuskeln und � gegen �46, �, B und andere Zeugen gelesen wird, geht vermutlich auf die dann identische Formulierung aus Paulus’ Abschiedsrede in Milet in Apg 20,18 zurück. Nach Paulus’ vermutlich unfreiwilliger Trennung von seiner ersten Missionsbasis Antiochia (Gal 2,11–14; Apg 15,36–41) war Philippi wahrscheinlich die erste von Antiochia unabhängige Gemeindegründung von Paulus, Timotheus und Silvanus (Phil 4,15 f.; Apg 16,12–40; 1Thess 1,1). Dabei wird die Gruppe im Grundsatz das in Antiochia praktizierte Modell fortgesetzt haben. Nach Apg 13,1–3 wählte die Gemeinde in Antiochia aus dem Kreis ihrer Mitglieder Missionare, die sie in die umliegenden Provinzstädte aussandte und über deren Arbeit sie einen Bericht erwartete (Apg 14,26 f.). Die Gemeinde in Philippi unterstützt Paulus, Timotheus und Silvanus gleichfalls mit Gebet, Geist (→ 1,19) und Gaben (→ 4,18) bei der nächsten Station Thessaloniki und möglicherweise auch in Korinth (2Kor 11,7–9). Sie unterstützt sie darüber hinaus mit „Aufsehern“ und „Beauftragten“ (→ 1,1) und erwartet insbesondere vom inhaftierten Paulus einen Bericht über den Fortschritt der Missionsarbeit
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1,6
(→ 1,12–26). Die „Partnerschaft in der Verkündigung des Evangeliums“ ist mindestens eine Beschreibung, wenn nicht gar der Name der neuen Missionsbasis. 6 … πεποιθὼς αὐτὸ τοῦτο, ὅτι ὁ ἐναρξάμενος ἐν ὑμῖν ἔργον ἀγαθὸν ἐπιτελέσει ἄχρι ἡμέρας Χριστοῦ Ἰησοῦ. Mit der Versicherung seines Vertrauens schließt Paulus den in V. 3 begonnenen Satz ab und bringt die Danksagung zu einem ersten Höhepunkt (Gal 5,10; 2Kor 2,3; Phlm 21). Das Objekt αὐτὸ τοῦτο „dieses selbst“ lässt sich auf die vorher genannte anhaltende Partnerschaft beziehen (Haupt, K.; Peterman* 103–105). Alternativ kann es adverbial vorausweisen (B/D/R § 1543; § 290.4–5: „ebendarum“). Hinter der feierlichen Formulierung des Objektsatzes steht die theologische Grundüberzeugung: „Gleichwie die Anfänge, so sind auch die Enden Gottes Werk“ (ὥσπερ αἱ ἀρχαὶ θεοῦ, οὕτως καὶ τὰ τέλη θεοῦ, Philo her. 120; Jos. Ant. 8.280). Dass Gott Anfang, Mitte und Ende von allen Dingen in den Händen hält, ist ein in der Antike häufig wiederholtes Sprichwort (ὁ μὲν δὴ θεός, ὥσπερ καὶ ὁ παλαιὸς λόγος, ἀρχήν τε καὶ τελευτὴν καὶ μέσα τῶν ὄντων ἁπάντων ἔχων, Plat Leg 715e; weitere Belege: E. Lohmeyer, K. 20; Dibelius, HNT 63). Das substantivierte Partizip ὁ ἐναρξάμενος ist die Umschreibung des Gottesnamens (anders nur: Schlosser*). Paulus verwendet das ‚Anfang-Vollendung-Schema‘ sonst mit Bezug auf menschliches Handeln (Gal 3,3; 2Kor 8,6). Die meisten Auslegungen fassen ἔργον ἀγαθόν „gutes Werk“ passivisch und resultativ auf, im Sinne der Vollendung des Glaubensstandes und des von Gott vermittelten Heils (Gnilka, K. 46; U. B. Müller, K.; Schapdick* 145 f.). Die aktive Übersetzung „gute Arbeit“ liegt bei einer Partnerschaft in der Evangeliumsverkündigung näher (Schenk, K. 98; Baumert, K.). Und ἔργον meint andernorts z. B. Missionsarbeit, Gemeindeleitung und das Engagement des Gemeindegesandten Epaphroditus (→ 2,30; 1Thess 5,12 f.; 1Kor 3,13–15; 9,1; 16,10). Die gute Arbeit der Gemeinde wird Gott „bis zum Tag Christi Jesu vollenden“ (ἐπιτελέω). Der Tag Christi Jesu bzw. Tag Christi kommt ausschließlich im Philipperbrief vor (1,6.10; 2,16). An dieser Stelle sind ἡμέρα Χριστοῦ Ἰησοῦ und ἡμέρα Ἰησοῦ Χριστοῦ fast gleich gut bezeugt. Die von NTG28 mit �46, der Majuskel B und weiteren Majuskeln präferierte Version knüpft an das Bekenntnis „Christus ist Jesus“ an, wogegen die von den Majuskeln �, A, F, G, K, P, 075, 0278, den Minuskeln 33, 81, 104, 365, 614, 1175, 1505, 1739, 1881, 2464, den altlateinischen Handschriften a und r, Vulgatatexten und der syrischen Überlieferung bezeugte Lesart „Jesus Christus“ als Namen interpretiert. Diese Varianz der Lesarten „Christus Jesus“ und „Jesus Christus“ findet sich allerdings an sehr vielen Stellen in der Handschriftentradition. Der „Tag Christi (Jesu)“ ist vergleichbar mit ähnlichen Tagen in den übrigen Paulusbriefen. Im 1. Thessalonicherbrief überwiegt die Formulierung παρουσία τοῦ κυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ „Ankunft unseres Herrn Jesus“ (1Thess 2,19; 3,13; 5,23), in Korinth ist es die ἡμέρα τοῦ κυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ (Χριστοῦ) „der Tag unseres Herrn Jesus (Christus)“ (1Kor 1,8; 2Kor 1,14; vgl. 1Kor 5,5) und im Römerbrief spricht Paulus einfach von ἡ ἡμέρα „dem Tag“ (Röm 13,12; vgl. 2,5.16; 1Kor 3,13). Die ἡμέρα κυρίου „der Tag des Herrn“, hebr. „ יום יהוהTag Gottes“, ist in alttestamentlicher und frühjüdischer Tradition der Tag am Ende der Zeiten, an dem Gott sich letztgültig offenbaren wird, die Unterdrücker bestraft und an dem den Unterdrückten endlich Gerechtigkeit widerfahren wird (Am 5,18–20; Jub 4,19; 23,11 u. ö.; Wendebourg* 28–153). Paulus rezipiert die Erwartung des Endgerichts und die dereinstige Prüfung 89
1,3–11
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und Läuterung von Taten (1Kor 3,13; 5,5; Röm 2,5.16). Im Philipperbrief wird jedoch kein Strafgericht am Tag Christi Jesu erwähnt. Der Tag terminiert vielmehr den Anbruch der Endzeit. Mitgedacht ist die παρουσία „Ankunft“ des auferstandenen Christus (Wendebourg* 213; Schapdick* 147). Der Tag liegt in naher Zukunft (Phil 4,5; Schapdick* 145). An diesem Tag werden die Arbeitserfolge der Gemeinde von Paulus öffentlich präsentiert und belobigt werden (→ 1,10; 2,16). Wendebourg vermutet, Paulus habe „durch Weglassen des κύριος-Titels den Anklang an die traditionellen prophetischen Weissagungen eines Strafgerichts am ‚Tag des Herrn‘ bewusst abgeschwächt“ (Wendebourg* 178; vgl. Konradt* 187). Jedoch wiederholt Paulus die Vertrauensaussagen aus Phil 1,6.10 und 2,16 auch in Bezug auf den „Tag unseres Herrn Jesus Christus“ (1Thess 5,23 f.; 1Kor 1,7–9; 2Kor 1,14; U. B. Müller, K.). Die jeweilige Bezeichnung des „Tages“ scheint somit auch lokal geprägt. Möglich wäre, dass Parusie, Gericht und Strafe weggelassen wurden, weil Paulus diese Erwartung nicht an mitlesende Verfolgungsbehörden preisgeben wollte. 7 Καθώς ἐστιν δίκαιον ἐμοὶ τοῦτο φρονεῖν ὑπὲρ πάντων ὑμῶν διὰ τὸ ἔχειν με ἐν τῇ καρδίᾳ ὑμᾶς, ἔν τε τοῖς δεσμοῖς μου καὶ ἐν τῇ ἀπολογίᾳ καὶ βεβαιώσει τοῦ εὐαγγελίου συγκοινωνούς μου τῆς χάριτος πάντας ὑμᾶς ὄντας. Das einleitende καθώς „so“ begründet die in V. 3 begonnene Danksagung (B/D/R § 453.2; Gnilka, K.; Hawthorne/Martin, K.). Die folgenden zwei Verse richten den bisher vor Gott getragenen Dank nun direkt an die Gemeinde (E. Lohmeyer, K.). Es fällt eine Konzentration von Begriffen aus den Wortfeldern des Rechts (δίκαιος, ἐν τοῖς δεσμοῖς, ἀπολογία, μάρτυς) und der Anthropologie (καρδία, σπλάγχνον) auf. Zunächst formuliert Paulus mit „so ist es richtig“ eine allgemein anerkannte, rechtsverbindliche Regel: „Das Gerechte ist … das einem Gesetz entsprechende und das Gleiche“ (τὸ μὲν δίκαιον ἄρα τὸ νόμιμον καὶ τὸ ἴσον, Aristot Eth Nic 5.2 [1129a34]). Die frühjüdische Literatur formuliert δίκαιον ἐστιν „es ist (göttliches) Recht“ (Apg 4,19; vgl. Sir 10,23 LXX; 2Makk 9,12; 4Makk 6,34; Eph 6,1). Auch die Briefphraseologie kennt diesen Ausdruck (P.Cair.Zen. I 59076,3; → V. 3). Paulus hebt also sein rechtsförmiges Denken und Handeln hervor. Das Verb φρονεῖν „denken, klug sein, trachten nach, seinen Sinn richten auf“ beschreibt die mit Prinzipien reflektierte gerichtete Wahrnehmung und das daraus resultierende Denken und Verstehen (Buchheim*). Abgeleitet ist es ursprünglich von φρήν „Zwerchfell“ als Sitz des Atems und damit geistiger und seelischer Tätigkeiten, des Bewusstseins und des Verstands (G. Bertram, ThWNT IX 217). Aristoteles prägte den Begriff φρόνησις als Kardinaltugend der Klugheit und praktischen Vernunft, nämlich als „eine mit wahrer Norm verbundene praktische Fähigkeit im Hinblick auf das, was für den Menschen gut oder schlecht ist“ (Aubenque, DNP 6, 608 f.). Paulus verwendet φρονέω 23-mal. Näherbestimmungen dieses „Denkens“ sind: „dasselbe“ (τὸ αὐτὸ φρονέω, Phil 2,2; 4,2; 2Kor 13,11; Röm 12,16; 15,5), „die irdischen Dinge“ (τὰ ἐπίγεια φρονέω, Phil 3,19; vgl. Röm 8,5; 11,20) oder „etwas anders“ (τι ἑτέρως φρονέω, Phil 3,15; vgl. Gal 5,10). In Phil 1,7 ist der Maßstab der Wahrnehmung mit τοῦτο angegeben. Zurückverwiesen wird so auf das lobende Bild der Gemeinde in der bisherigen Danksagung. Paulus’ Urteil über die Gemeinde ist angemessen, weil es erfahrungsgesättigt und in der Praxis überprüft ist. Der folgende substantivierte AcI διὰ τὸ ἔχειν με ἐν τῇ καρδίᾳ ὑμᾶς begründet die Würdigung (B/D/R § 402.1). Das Herz (καρδία, hebr. לבב, )לבbezeichnet im Griechischen „das 90
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1,7
Zentrum der emotionalen Lebensäußerungen“, den Ort, an dem die Gefühlsregungen angesiedelt sind (Stolle, TBLNT 948 f.). In der hebräischen Anthropologie ist das Herz der Sitz der Lebenskraft, des Fühlens, Wollens, aber auch Denkens und Urteilens (Krüger* 104). „Im Herzen haben“ beschreibt also die tiefe, die ganze Person erfassende, das heißt liebende Verbindung. Paulus verbindet gelegentlich den Singular καρδία mit Gruppen (1Thess 2,17; 2Kor 3,2; 7,3). Der Singular von καρδία und die Wortstellung innerhalb des AcI-Satzes lassen sich übersetzen: „weil ich euch im Herzen habe“. Dann bekräftigt der substantivierte AcI wiederholend Paulus’ tief erlebte emotionale Verbindung zur Gemeinde. Ebenso möglich ist es, den ersten Akkusativ με als inneres Objekt zu τὸ ἔχειν und den zweiten Akkusativ ὑμᾶς als Subjekt zu verstehen und zu übersetzen: „weil ihr mich im Herzen habt“ (Schenk, K.; Hawthorne/Martin, K.; Reumann, K.). Wie in V. 3 scheint mir auch an dieser Stelle die Doppeldeutigkeit, in der Subjekt und Objekt in- und zueinander übergehen, durchaus beabsichtigt. Die zweite Hälfte des Verses kommt auf die konkreten Umstände des Paulus zu sprechen. Einige möchten ἐν τοῖς δεσμοῖς μου „in meinen Fesseln“ metaphorisch verstehen (Dibelius, HNT; E.-M. Becker* 133 f.). Die allermeisten antiken Gefangenen sind jedoch tatsächlich an Füßen, Händen und/oder ihrem Hals gefesselt (Krause* 283–286; Wansink* 46–49; Arzt-Grabner, Philemon 70–72; Standhartinger* 147 f.; siehe auch: Luc Tox 29, → Einl. 5.; vgl. auch Apg 16,23 f.26). Im Traumhandbuch des Artemidor bedeutet das Träumen der Zahl ρ (100) ein schlechtes Omen, denn „man legt Verbrecher in Fesseln; auch (die Summe der Zahlenwerte von) ‚Fußfesseln‘ ist 100“ (κακούργους δὲ δεσμεύει καὶ γὰρ τὸ ‚πέδαι‘ ἑκατόν, Artemid On[e]irocr 3.34; vgl. auch 3.15; → Einl. 5). Das die Auslegungsgeschichte prägende Bild von Paulus’ Gefangenschaft nach Apg 21,33–28,31 ist historisch dagegen nicht plausibel (→ Einl. 5). Gefängnishaft ist in der Antike mit Fesselung, Schmutz, Enge, Hitze und Hunger verbunden und nicht selten auch mit direkter Folter (Krause* 231–305; Standhartinger* 146–155). Vor der Verurteilung sollte den Angeklagten die Möglichkeit einer ἀπολογία „Verteidigungsrede“ eingeräumt werden (vgl. z. B. Plat Ap 24b; Xenoph Ap; Dion Hal Ant Rom 11.46,3; Jos. Ant. 16.258; Apg 22,1; 25,16; 2Tim 4,16). Dies scheint hier bereits geschehen zu sein, jedoch ohne dass damit die Haft beendet wurde. Die Handschriften A, D*, F, G und einige Vulgatamanuskripte führen Fesseln und Verteidigungsrede durch die Streichung des zweiten ἐν noch stärker zusammen. Als dritten Bereich, in dem sich Paulus von der Gemeinde unterstützt fühlt, nennt er „Bekräftigung des Evangeliums“. Eine βεβαίωσις „Bekräftigung, Festigung“ bezeichnet im antiken Vertragsrecht die Garantie, die ein Verkäufer gegenüber dem Käufer in Bezug auf Ansprüche Dritter abgibt (Arzt-Grabner, 1. Korinther 49; Quigley* 50–66). Verbreitet ist auch die Bedeutung „eidliche Versicherung“ (δι’ ὅρκου βεβαίωσις, Philo Abr. 273 und spec. 2.24; Thuc 4.87; Hebr 6,16). Selten ist der Begriff dagegen in der Bedeutung: „Bestätigung einer Zeugenaussage“ (τὴν μαρτυρίαν βεβαιῶσαι, Demosth Or 47,7 [gegen Evergus]). Seit dem 19. Jahrhundert vermutet die Auslegung, dass Paulus hier nicht nur auf die Verteidigung seiner Person, sondern auch auf eine Gelegenheit zur Verkündigung anspielt (Lightfoot, K. 85; Deissmann, Bibelstudien 100–104; Haupt, K. 12). Die Vorstellung erinnert an Apg 25,23–26,29, überbietet aber sogar die heroischen Märtyrerinnen und Märtyrer in den frühchristlichen Märtyrerakten, die es zumeist bei einem „Ich bin Christ“ belassen (MartPol 10,1; Mart Perp et 91
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Felic 3,6 [Musurillo 108]; Mart Scillit [Musurillo 8] u. ö.). In seinen Briefen demonstriert Paulus seine Christuserkenntnis nicht in heroischen Reden vor den Mächtigen Roms, sondern in körperlich erfahrenem Leiden, die er als Performanz von Gottes Selbsterniedrigung und Solidarität mit den Gekreuzigten dieser Welt erkennt (1Kor 4,9–13; 2Kor 4,10–12; 12,9–12). Mit dem AcP am Ende des Satzes werden alle in der Gemeinde zu Partnerinnen und Partnern der Gnade. Man kann μου auf συγκοινωνοί „meine Mitteilhaber“ beziehen (O’Brien, K.; Fee, K.; Fowl, K.). Möglich ist auch ein Attribut zu χάρις „Gnade“, „Gunst“, „Geschenk“: „Mitteilhaber meiner Gnade/Gunst/meines Geschenks“. Einige im Apparat von NTG28 nicht verzeichnete Handschriften lesen in anderer Anordnung συγκοινωνοὺς τῆς χάριτός μου (D; G; F; 0319; Nongbri* 804–806). Ähnlich interpretiert Theodor von Mopsuestia durch Einführung der Adversationspartikel δέ: συγκοινωνοὺς δέ μου τῆς χάριτος (Theod Mops Comm in Phil 1,7 [Greer 296]). Allerdings spricht Paulus sonst nirgends von „meiner Gnade“ (E. Lohmeyer, K.). Die Vulgata übersetzt socios gaudii mei „Partner meiner Freude“, liest also möglicherweise statt χάρις „Gnade“ χαρά „Freude“. Zur inhaltlichen Füllung von χάρις wird vorgeschlagen: die von Paulus vermittelte Glaubensbotschaft (Hainz, Koinonia 120; Briones* 79); das von ihm und/oder der Gemeinde erduldete Leiden (E. Lohmeyer, K., Dibelius, HNT; Gnilka, K.; Schenk, K.; U. B. Müller, K.); seine ‚Amtsgnade‘ (Haupt, K.; vgl. 1Kor 15,10; Willis* 179–187); Gottes Wohltat, die Paulus an die Gemeinde vermittelt (Nongbri* 808; Ogereau* 260–264; Briones* 79–86) und Paulus’ Zuneigung zur Gemeinde (Baumert, K. 258; Baumert* 108–111). Barclay* interpretiert χάρις auf dem Hintergrund des antiken Wohltäterdiskurses (→ Exk. 17.4) als göttliches Geschenk des Christusereignisses (vgl. 2Kor 8,9; Röm 8,32). Entsprechend sei in Phil 1,7 die solidarische Existenz aller Glaubenden in dieser Wirklichkeit im Blick (Barclay* 228). Χάρις bleibt vieldeutig. Das Wort mutiert zum Deckwort, das die gemeinten Konkretionen vor Außenstehenden verbirgt und/oder erfahrene Schmerzen als Gunst und Geschenk umdeutet. Die Bezeichnung der Philipperinnen und Philipper als συγκοινωνοί „Partner“ zeigt jedenfalls, dass Paulus sie als gleichberechtigt Teilhabende an dieser „Gnade“ betrachtet. 8 μάρτυς γάρ μου ὁ θεὸς ὡς ἐπιποθῶ πάντας ὑμᾶς ἐν σπλάγχνοις Χριστοῦ Ἰησοῦ. Paulus begründet (γάρ) seinen Dank mit der Versicherung, wie sehr er sich ein Wiedersehen wünscht. Auch nach anderen Gemeinden sehnt sich Paulus (1Thess 3,6; Röm 1,11). Und er teilt die Sehnsucht hier mit dem Gemeindeapostel Epaphroditus (→ 2,26). Keine andere Gemeinde jedoch bezeichnet er als ἐπιπόθητοι „Ersehnte“ (→ 4,1) und nirgends sonst ruft er Gott als Zeugen dieser tief empfundenen Sehnsucht an. Die Formel „Gott ist mein Zeuge“ ist kein Schwur, der eventuelle Zweifel beseitigen soll, sondern die Anrufung eines untrüglichen Zeugen der innersten Gedanken (Novenson*; Röm 1,9; 1Thess 2,5.10; 2Kor 1,23). Eine Reihe etwas jüngerer Zeugen (�2, A, D, K, L, P, 075, 0248, Minuskeln, �, die lateinische Überlieferung und Harklensis) ergänzt ἐστιν im elliptischen Satz, einige andere (�3vid, D, F, G, Ψ, 0248 und Minuskeln) lesen den Dativ, μοι, statt μου. Keine dieser Lesarten bringt eine inhaltliche Differenz ins Spiel. SapSal 1,6 kennt Gott auch als Zeugen „der Nieren“. Gott weiß, ὡς „wie, auf welche Weise“ sich Paulus nach der Gemeinde sehnt (vgl. 2Kor 11,11; E. Lohmeyer, K.; Gnilka, K.). 92
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1,9
In der klassischen Literatur sind σπλάγχνα „Eingeweide: Magen, Herz, Leber, Milz, Lunge, Nieren“ Sitz negativer Emotionen und Gefühle (Köster, ThWNT VII 548 f.). In den Spätschriften der Septuaginta bezeichnen σπλάγχνα an einigen Stellen die konkrete Mutter- und Vaterliebe (SapSal 10,5; Sir 30,7; 4Makk 14,13; 15,23.29). Dies entspricht den lateinischen viscera, die zugleich Eingeweide und Kinder meinen (vgl. auch Artemid On[e]irocr 1.44; 5.57). Vor allem aber verwenden die Septuaginta und die frühjüdische Literatur σπλάγχνα in der Bedeutung „Barmherzigkeit“ (Spr 17,5; TestSeb 2,2.4; TestNaph 4,5; 7,4; IgnPhld 10,1; vgl. auch BGU 4.1139,17, 5 v. Chr.; Arzt-Grabner, Philemon 197). Gottes Barmherzigkeit heißt neben οἰκτιρμός auch σπλάγχνα: „Du, bist ein langmütiger, barmherziger, mitleidsvoller Herr“ (σὺ εἶ κύριος μακρόθυμος, εὔσπλαγχνος, πολυέλεος, Oden 12,7/OrMan 7; Lk 1,78; Jak 5,11). Als Barmherzigkeit kann σπλάγχνα sogar metonymisch oder hypostasiert für Gott selbst stehen: „Gott sendet seine Barmherzigkeit auf die Welt“ (ὁ θεὸς ἀποστέλλει τὸ σπλάγχνον αὐτοῦ ἐπὶ τῆς γῆς, TestSeb 8,2; vgl. TestLev 4,4). Die Formulierung ἐν σπλάγχνοις Χριστοῦ Ἰησοῦ „mit der Barmherzigkeit des Christus Jesus“ scheint eine paulinische Eigenbildung zu sein. Zumeist wird sie analog zu ἀγάπη τοῦ Χριστοῦ in 2Kor 5,14 übersetzt mit „herzliche Liebe“ (E. Lohmeyer, K.; Gnilka, K.; U. B. Müller, K.) oder „Herzenswärme“ (Walter, K.). Der Ausdruck spiegelt dann paulinische Christusmystik. Vielzitiert fasst Johann Albrecht Bengel den Gedanken: „Darum ist Paulus nicht in Pauli, sondern in Jesu Christi Herzlichkeit bewegt“ (Paulus non in Pauli sed Jesu Christi movetur visceribus; Bengel, Gnomon 286; K. Barth, K. 18). Paulus’ Sehnsucht nach der Gemeinde ist dann ein „‚Christusgefühl‘, das nicht auf der Ebene gewöhnlicher menschlicher Affekte liegt, sondern ewigkeitsgebunden ist und sich darum im Gebet äußert“ (Dibelius, HNT 63). Tatsächlich erinnert die einen Raum umschreibende Präposition ἐν an das paulinische „in Christus“. Jedoch setzt diese Interpretation eine sonst bisher nicht belegte Metonymie von σπλάγχνα als Sitz des Gefühls und der Elternliebe zur allgemeinen „Liebe“ voraus. In der jüdischen Literatur liegt die Bedeutung „Barmherzigkeit“ für σπλάγχνα eigentlich näher. Wenn sich Paulus nach der ganzen Gemeinde „mit (der) Barmherzigkeit Christi Jesu sehnt“, so hebt er nicht nur die Übereinstimmung und Herkunft seines Wollens, Sehnens und Wünschens mit dem Innersten Christi hervor, sondern formuliert verkürzt einen weiteren Gedanken: Gott weiß, wie Paulus sich nach der Gemeinde sehnt, und im Raum der Barmherzigkeit Christi, das heißt in der Weise, wie Gott an Jesus, dem Christus, seine Barmherzigkeit erwiesen hat und wie dieser in Barmherzigkeit für die Menschen eintritt, kann es gelingen, diese Sehnsucht zu stillen und die Gemeinde noch einmal wiederzusehen. 9 Καὶ τοῦτο προσεύχομαι, ἵνα ἡ ἀγάπη ὑμῶν ἔτι μᾶλλον καὶ μᾶλλον περισσεύῃ ἐν ἐπιγνώσει καὶ πάσῃ αἰσθήσει … Nach der Zwischenreflexion in den Versen 7 f. schließt Paulus noch einen konkreten Gebetsbericht an. Es ist die längste mitgeteilte Fürbitte in den Paulusbriefen (G. P. Wiles* 204; vgl. Holmås, EBR 13, 3–6). Das Demonstrativpronomen τοῦτο weist dabei voraus auf das explikativ angeschlossene ἵνα. Die Stichwörter ‚Liebe‘, ‚Erkenntnis‘, ‚Wahrnehmung‘, ‚das Herausragende erproben‘, ‚rein‘, ‚unversehrt‘ und ‚Gerechtigkeit‘ „scheinen fast bewusst in ganz allgemeinem Sinne gebraucht und als in sich und ihrer Folge als verständlich vorausgesetzt zu sein“ (E. Lohmeyer, K. 31). Das regierende Subjekt ist zunächst ἡ ἀγάπη ὑμῶν 93
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„eure Liebe“ (vgl. 1Kor 13). Die Liebe soll περισσεύῃ „noch mehr und mehr überfließen“. Περισσεύω ist ein dynamisches Geschehen des Überfließens, im Sinne eines ‚Darüber hinaus‘, eines Überschusses (Theobald* 32–40). Einige Manuskripte, die Majuskeln B, D, Ψ und die Minuskeln 81, 2464 und 2495, lesen statt des Konjunktivs Präsens einen Konjunktiv Aorist, was vielleicht den Beginn dieses Prozesses betont, im Gegenüber zu dem wiederholenden Charakter des Präsens, der sich im „mehr und mehr“ spiegelt. Paulus bittet auch andernorts um das Überfließen von Liebe (1Thess 3,12; 2Kor 8,7), von Freude (2Kor 8,2), von Ehre (Phil 1,26), von Gottes Wahrheit (Röm 3,7) und von Gnade (2Kor 4,15; 8,7; 9,8; Röm 5,15). „Im-Überfluss-Sein ist Signum der Christuszeit, Ausdruck der pneumatischen Existenz der Christen“ (Theobald* 35; vgl. Hauck, ThWNT VI 58–63). Es ist keineswegs so, dass Liebe in der Gemeinde fehlt. Vielmehr soll die Liebe einen dynamischen Prozess initiieren und begleiten, der zur Fülle an Gerechtigkeitsfrucht führt (V. 11). Dazu wirkt sie „in Erkenntnis und jeglicher Wahrnehmung“. Anders als in Korinth wird hier kein Gegensatz zwischen Erkenntnis und Liebe konstatiert (Holloway, K.; Holloway, Consolation 92–94). Ἐπίγνωσις ist das „durch den Gesichtssinn vermittelte Erkennen und Wiedererkennen“ und das damit einhergehende „verstehende Erfassen eines Gegenstandes und Sachverhaltes“ (Schmitz, TBLNT 351; Bultmann, ThWNT I 688). In jüdischer Tradition ist menschliche Erkenntnis an Gottes Offenbarung und Offenbaren zurückgebunden und kann sich daher auch über das vorfindlich Wahrnehmbare hinaus auf die tiefere göttliche Wirklichkeit beziehen (Spr 2,5; SapSal 2,13.22; Bultmann, ThWNT I 696–702). Αἴσθησις ist dagegen die sinnliche Wahrnehmung, die insbesondere Philo negativ bewertet. „Wenn aber das Schlechtere, die Wahrnehmung, dem Besseren, dem Verstand, nachfolgt, ist sie nicht mehr Fleisch, sondern beide sind Verstand“ (ὅταν δὲ τὸ χεῖρον ἡ αἴσθησις ἀκολουθήσῃ τῷ κρείττονι τῷ νῷ, οὐκέτι ἔσται σάρξ, ἀλλὰ ἀμφότερα νοῦς, Philo LA 2.50; vgl. Epict Diss 2.18,8). Im Philipperbrief ist αἴσθησις nicht abgewertet, sondern durch πάσῃ „in jeder“ gesteigert und betont (Spr 11,9; 12,1; 15,7). Diese positive Wertung der sinnlichen Wahrnehmung fällt im philosophisch-theologischen Diskurs der Zeit auf. 10 … εἰς τὸ δοκιμάζειν ὑμᾶς τὰ διαφέροντα, ἵνα ἦτε εἰλικρινεῖς καὶ ἀπρόσκοποι εἰς ἡμέραν Χριστοῦ … Die Liebe als regierendes Prinzip von Erkenntnis und Wahrnehmung – in dieser Reihenfolge – führt dazu, dass die Gemeinde „das Herausragende erproben“ kann. Δοκιμάζω „prüfen, erproben“ beschreibt einen Praxistest, in dem etwas, z. B. Metall, oder jemand, z. B. ein Amtsträger, sich als echt und bewährt erweist (Schunack, EWNT I 825 f.). Röm 1,28 und 12,2 nennen als Objekt zu δοκιμάζω Gottes Willen. Hier und in Röm 2,18 wird der Gegenstand mit τὰ διαφέροντα beschrieben. Das Partizip von διαφέρω „einen Unterschied machen, verschieden sein“ ist in der Bedeutung „der Unterschied“, „das Nützliche“ und „das Gewichtige“ belegt (Weiß, ThWNT IX 64). Röm 2,18 lässt vermuten, dass Paulus hier eine geprägte Formulierung jüdischer Ethik rezipiert. Doch anders als Röm 2,18 nennt Paulus hier keinen Maßstab, an dem geprüft werden soll. Die Alte Kirche dachte an eine Selbstunterscheidung der Gemeinde von ihren Gegnern/Häretikern (Joh Chrys Hom in Phil 3,1 [Field/Allen 18/PG 62.190,37–191,16]; Baumert, K.). Neuere Auslegungen verstehen τὰ διαφέροντα häufig als Gegenteil zur stoischen Kategorie τὰ ἀδιάφορα „das Indif94
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1,10
ferente, Gleichgültige“ und übersetzen: „das Wesentliche“, „das, worauf es ankommt“, „was sich schickt“ (Dibelius, HNT; U. B. Müller, K.; Gnilka, K.; Walter, K.). Tatsächlich soll Zenon gelehrt haben: „Von den Dingen gibt es das Gute und das Nicht-Gute und von dem Nicht-Guten das Schlechte und das Indifferente (Τῶν ὄντων τὰ μέν ἐστιν ἀγαθά, τὰ δ’ οὐκ ἀγαθά, καὶ τῶν οὐκ ἀγαθῶν τὰ μέν ἐστι κακά, τὰ δὲ ἀδιάφορα, Diog L 7.61). Formuliert als ethische Maxime: „Alles, was gut und schlecht ist, macht für uns einen Unterschied und alles, was zwischen dem Guten und Schlechten ist, dies ist für uns indifferent“ (ὅσα μέν ἐστιν ἀγαθὰ καὶ κακά, διαφέροντά ἐστιν ἡμῖν, ὅσα δὲ μεταξὺ τῶν τε ἀγαθῶν καὶ κακῶν, ταῦτ’ ἔστιν ἡμῖν ἀδιάφορα, Sext Emp Math 11.16; vgl. Philo fug. 152). Holloway identifiziert dies als stoisches Motiv von notwendiger Indifferenz gegenüber Leiden, Schmerz und Tod (Holloway, K.; Holloway, Consolation 75–79; 94–99). Aber in antiker Ethik erscheint die Kategorie τὰ διαφέροντα selten. Dagegen gehört es in der Bedeutung „die herausragenden Dinge, das Herausragende“ zum politischen Diskurs. So preisen Ehreninschriften Wohltäter als „in jeder Tugend herausragend“ (πάσῃ ἀρετῇ διαφέρων, TAM II 287,16 f.; 422,20 f. römisch). Der Legat des Augustus Gnaeus Pompeius erweist sich als „herausragend im Wohlwollen gegenüber der städtischen Öffentlichkeit“ (διαφέροντα [τῆ]ι πρὸς τὸν δῆ[μον εὐν]οίαι, IPriene 247,4 f. = IkPriene 244,4 f., 27 v. Chr.–14 n. Chr.). Die jüdischen Bibelübersetzer am Hof in Alexandria zeichnen sich aus als „edel und vorzüglich und an Bildung ausgezeichnet“ aus (καλοὶ καὶ ἀγαθοὶ καὶ παιδείᾳ διαφέροντες, Arist 43, vgl. 200; vgl. Dio Chrys Or 68,5; 70,8). Wenn die Gemeinde τὰ διαφέροντα „das Herausragende“ erprobt, dann demonstriert sie ihr Streben nach Exzellenz. Den Charakter dieser eschatologischen Exzellenz ergänzt der abschließende Finalsatz (ἵνα). Er gibt einerseits das Ziel des Prüfens an und konkretisiert andererseits parallel zum ersten ἵνα in V. 9 weiterhin den Inhalt von Paulus’ Fürbitte für die Gemeinde. Wenn die Gemeinde „das Herausragende“ prüft, wird sie für den Tag Christi „rein und ohne Anstoß“ sein. �46 fügt den rückverweisenden Artikel τὴν vor ἡμέραν ein (→ 1,6). Εἰλικρινής bedeutet „unvermischt“, „rein“ z. B. im Hinblick auf einen Teig (1Kor 5,8). Εἰλικρινεία ist auch eine Eigenschaft Gottes (2Kor 1,12; 2,17; SapSal 7,25; Philo cont. 2). In politischen Inschriften charakterisiert es die Unverbrüchlichkeit der Bündnistreue. So schreibt der König von Pergamon, Eumenes II., an die Ionier: „Die Gesandten versicherten mit großem Eifer in Übereinstimmung mit dem Gesagten, dass euer Wohlwollen gegenüber uns sowohl sehr willfährig als auch rein ist“ (οἱ πρ[εσβευταὶ μετὰ π]λείονος σπουδῆς διελέχθησαν ἐξηγο[ύμενοι σύμπα]ντος τοῦ πλήθους πρὸς ἡμᾶς ἐκτενε[στάτην τε καὶ] εἰλικρινῆ τὴν εὔνοιαν, IMilet I 9, 306,38–41/OGIS 763, 167 v. Chr.; Welles 209–219, Nr. 52; vgl. IDidyma 493,13/ OGIS 227, 246 v. Chr.; Welles 105–110, Nr. 22; IStratonikeia 505,4 f./OGIS 441, 81 v. Chr.; Sherk, Nr. 18; Jos. Bell. 2.345; Spicq III 202–210). Ἀπρόσκοπος ist aktivisch: „Anstoß geben“, passivisch: „nicht angestoßen, unverletzt“ (1Kor 10,32; Apg 24,16). Eine Diodora schreibt etwa an Valerius Maximus: „Und sofort schrieb ich dir, dass wir unverletzt sind und gerettet durch den Willen der Götter“ (καὶ εὐθὺς ἔγραψά σοι, ὅτι ἀπρόσκοπός ἤμιν καὶ ἐσώθημεν τῶν θεῶν θελόντων, P.Köln 1.56,6–9, 1. Jh. n. Chr.; Bagnall/Cribiore, Women’s Letters 368– 370). In ethischen Zusammenhängen erscheint das Adjektiv z. B. in Bezug auf das Ver95
1,3–11
Dank für kontinuierliche Partnerschaft
halten gegenüber Gläubigen (P.Giss 17.6–7, 113–120 n. Chr.; Arzt-Grabner, 1. Korinther 379; vgl. 1Kor 10,32); auf die königliche Pflicht zur Nachahmung der Wohltaten, die Gott gegenüber seiner Schöpfung gewährt (Arist 210, vgl. 1Clem 61,1), auf die notwendige Beständigkeit der Winde (1Clem 20,10) und als Charakterisierung des Gewissens (Apg 24,16). Die beiden Verbalattribute charakterisieren den erhofften Zustand der Vollkommenheit, mit dem die Gemeinde den Tag Christi erreichen mag (Schapdick* 149 f.). 11 … πεπληρωμένοι καρπὸν δικαιοσύνης τὸν διὰ Ἰησοῦ Χριστοῦ εἰς δόξαν καὶ ἔπαινον θεοῦ. Die Gemeinde möge schließlich mit Frucht der Gerechtigkeit angefüllt sein. Die Verbindung πληρόω mit Akkusativ ist als Terminus technicus für eine Dividende interpretiert worden (→ 4,17; Rico*). Καρπὸς δικαιοσύνης ist jedoch zunächst eine biblisch eingeführte Metapher (Am 6,12; Spr 13,2; Arist 232; PseudoPhilo, Jona 216; Jak 3,18; vgl. auch Epikur, Frgm. 519/Cl Al Strom 6.2,24). Der bildspendende Bereich bleibt lebendig: „Aus Frucht der Gerechtigkeit wächst ein Baum des Lebens“ (ἐκ καρποῦ δικαιοσύνης φύεται δένδρον ζωῆς, Spr 11,30; vgl. 3,9 f.). Die Gemeinde symbolisiert eine Art Korb, der bis zum Tag Christi voll geworden sein wird (πεπληρωμένοι). Einige Manuskripte lesen den Plural καρπῶν δικαιοσύνης τῶν κτλ. (P, Ψ, eine Reihe Minuskeln, � und die syrische Überlieferung). Der Genitiv δικαιοσύνης kann als genitivus auctoris interpretiert werden: Frucht, die aus der Gerechtigkeit hervorsprießt (O’Brien, K.; Schenk, K.; U. B. Müller, K.). Andere Vorschläge sind genitivus appositivus: „Gerechtigkeitsfrucht“ (Dibelius, HNT) oder genitivus qualitatis: „Frucht, die in Gerechtigkeit besteht“ (Gnilka, K.; Hawthorne/Martin, K.; Fee, K.). Im Hintergrund der verschiedenen Übersetzungen steht die Frage nach dem Verhältnis von menschlichen Werken und göttlicher Gnade. Paulus verwendet die Fruchtmetapher in seiner Ethik (Gal 5,22; Röm 6,22). Wer Gerechtigkeit allein göttlichem Wirken zuordnen will, betont das mit anaphorischem Artikel versehene Attribut zur Gerechtigkeitsfrucht τὸν διὰ Ἰησοῦ Χριστοῦ „(… der Gerechtigkeit,) die durch Jesus Christus (erschien oder entsteht)“ und liest damit den Grundgedanken der paulinischen Rechtfertigungslehre in lutherischer Deutung ein (→ Phil 3,9; Röm 3,22; Bockmuehl, K.). Der Artikel fehlt allerdings im Vaticanus (Majuskel B). An dieser Stelle wird die Frage, ob die Frucht der Gerechtigkeit durch menschliches oder göttliches Wirken entsteht, aber nicht geklärt. Wichtig ist vielmehr das Ziel: „zur Ehre und zum Lob Gottes“. Δόξα „Ehre, Ruhm, Herrlichkeit“ und ἔπαινος „Lob, Anerkennung, Beifall“ werden in biblischer Tradition selten kombiniert (1Chr 16,27; Eph 1,6.12.14). Ἒπαινος beschreibt sonst Gottes Anerkennung der Menschen (Röm 2,29; 1Kor 4,5). Die Schwierigkeit ist bereits den ältesten Abschreibern aufgefallen. �46 liest εἰς δόξαν θεοῦ καὶ ἔπαινόν μοι „zum Ruhm Gottes und mir zum Lob“ und die Majuskeln F und G sowie der lateinische Zeuge g εἰς δόξαν καὶ ἔπαινόν μοι „mir zu Ehre und Ruhm“ und die älteste Version der Majuskel D* liest καὶ ἔπαινον Χριστοῦ. Wegen des Alters von �46 votieren einige für die Lesart „mir zum Lob“ (Collange, K.; Silva, K.; Baumert, K.; Nongbri* 807 f.). Aber Paulus liegt überall der Ruhm der Gemeinden am Herzen, die Ausweis seines Wirkens sind (→ 1,26; 2,16; 4,1; 1Thess 2,19; 2Kor 2,16; 3,2). Die Lesart von �46 et al. entspricht späteren Apostelbildern, die Paulus weit von seinen 96
Dank für kontinuierliche Partnerschaft
1,11
Gemeinden abheben, nicht aber dem Charakter eines Gebets und dessen gerade für Paulus typischen doxologischen Abschlusses (Bockmuehl, K. 70 f.; Vollenweider* 240 f.; Röm 9,5; 11,36; vgl. ψ 40,14; OrMan 15). Der Genitiv in δόξα καὶ ἔπαινος θεοῦ kann als genitivus obiectivus verstanden werden: das Wirken der Gemeinde vergrößert Gottes Ruhm und Ehre. Ebenso möglich ist ein genitivus subiectivus: „für die Vollendung und Anerkennung (der Gemeinde) durch Gott“ (Schenk, K. 128; vgl. Reumann, K. 135 f.; 159 f.). Vollenweider* hat auf die wichtige Parallele zu dieser Praxis öffentlicher Belobigung antiker Wohltäterinnen und Wohltäter durch Volksversammlungen aufmerksam gemacht (vgl. auch Pilhofer II 348,7, 2. Jh. v. Chr.; IG XII 4,1 220,45/Pilhofer II 754,45, 242 v. Chr.). Röm 13,3 und seine Parallelen in kaiserlichen Reskripten an städtische Volksversammlungen zeigen, dass Ehrerweisungen auf der Gegenseite ebenfalls Lob und Anerkennung bewirken sollen (IG XII,4 1.253,9/ IGR IV 1042,9, 15 n. Chr.; IG VII 2711,27 f., 37 n. Chr.). Das Überfließen der Liebe führt ebenso wie das Überfließen von Gnade und Wahrheit zum Lob der Gemeinde in der endzeitlichen himmlischen Volksversammlung und vermehrt dabei auch Gottes stets wachsenden Ruhm (2Kor 4,15; Röm 3,7). Das briefeinleitende Gebet inszeniert die besondere Beziehung zwischen Paulus und der Gemeinde in Philippi als eine Kommunikation vor Gott (Hirsch-Luipold* 274). Mit überfließender Dankbarkeit tritt der gefangene Paulus mit seinem Bittgebet vor Gott. Im Gebet versichert er der Gemeinde sowohl seine Sehnsucht als auch seine Dankbarkeit und seinen Stolz über ihre beständige Treue. Er betet um Wachstum in Liebe, Erkenntnis und Wahrnehmung, sodass die Gemeinde, befähigt zur Prüfung des Herausragenden, sich selbst als herausragend am Tag Christi präsentieren wird, als reines und unverletztes Mitglied des himmlischen Hauses, von und in dem sie auch das angemessene Maß an Ehre und Lob für ihre Gerechtigkeitsfrüchte erhalten wird zum Lobpreis Gottes. Im Gebet spiegelt sich jedoch auch eine hoch engagierte Gemeinde. Trotz Paulus’ Gefangenschaft und misslungener Verteidigung bleibt ihre Treue und Partnerschaft unverbrüchlich (V. 5.7). Vom Anfang bis zum Ende ist Gott in ihr gegenwärtig (V. 6.10 f.). Ihre Unterstützung geht über die im Quittungsschreiben A (→ 4,10–20) bereits erwähnte Gabe hinaus und umfasst Fürbitte, Engagement für die Verbreitung des Evangeliums und Sendung eines Apostels (1,19.27–30; 2,25–30). Wenn, was Phil 4,15 f. nahelegt, Philippi als Missionsbasis die Arbeit von Paulus und Timotheus in anderen Städten finanzierte, so ist diese unverbrüchlich bestehende Partnerschaft zwischen Missionar und Gemeinde die neue Basis paulinischer Missionsarbeit nach seiner Trennung von Antiochia (vgl. Apg 13,1–3; 14,26). Die aussendende und sich auch finanziell stark engagierende Gemeinde kann daher mit Recht Erfolgsnachrichten erwarten. Paulus’ emotionale Worte machen sein beredtes Schweigen über seine tatsächliche Situation und das Ausbleiben des missionarischen Erfolgs umso hörbarer. Dies mag einerseits durch die Gefahr mitlesender Anklägerinnen und Denunzianten erklärt werden. Aber andererseits verhüllt es kaum die Tatsache, dass Paulus derzeit seinen Teil der Partnerschaft in der Verkündigung des Evangeliums nur höchst unzureichend erfüllen kann. Diesem Problem wendet er sich in der sich nun anschließenden ausführlichen brieflichen Mitteilung noch genauer zu. 97
1,12–26 Persönliche Mitteilungen 1,12–18c Über den Fortschritt des Evangeliums während Paulus’ Haft 12
Ich will aber, dass ihr wisst, Geschwister, dass das, was mich betrifft, mehr zum Fortschritt des Evangeliums geführt hat, 13 sodass meine Fesseln in Christus offenbar geworden sind im ganzen Statthalterpalast und bei allen übrigen 14 und die Mehrzahl der Geschwister im Herrn, die Vertrauen gefasst haben durch meine Fesseln, es immer mehr wagen, furchtlos das Gotteswort zu sagen. 15 Einige verkündigen Christus zwar aus Neid und Rivalität, andere aber aus Wohlwollen. 16 Die einen (verkündigen Christus) aus Liebe, weil sie erkannt haben, dass ich zur Verteidigung des Evangeliums (hier) liege. 17 Die anderen aber verkündigen Christus aus korrupten Motiven, nicht ehrwürdig, weil sie befürchten, dass Bedrängnis durch meine Fesseln erwacht. 18 Was also? Jedenfalls wird auf jede Weise, sei es unter Vorwand, sei es in Wahrheit, Christus verkündigt und darüber freue ich mich. Bloomquist, Function of Suffering 147–150. – Christfried Böttrich, Verkündigung aus „Neid und Rivalität“? Beobachtungen zu Phil 1,12–18, ZNW 95 (2004), 84–101. – Karl Deichgräber, ΠΡΟΦΑΣΙΣ. Eine terminologische Studie, in: Paul Diepgen/Julius Ruska (Hg.), Quellen und Studien zur Geschichte der Naturwissenschaften und der Medizin 3,4, 1933, 1–17. – John P. Dickson, Mission-Commitment in Ancient Judaism and in the Pauline Communities. The Shape, Extent and Background of Early Christian Mission, WUNT II/159, 2003, 144–150. – Troels Engberg-Pedersen, Paul and the Stoics, 2000. – T. Hawthorn, Philippians i.12–19 with Special Reference to VV. 15.16.18, ET 62 (1951), 316 f. – Robert Jewett, Conflicting Moments in the Early Church as Reflected in Philippians, NT 12 (1970), 362–390. – Terence Mullins, Disclosure. A Literary Form in the New Testament, NT 7 (1964), 44–50. – Ollrog, Paulus und seine Mitarbeiter 193–201. – Gustav Stählin, Fortschritt und Wachstum. Zur Herkunft und Wandlung neutestamentlicher Ausdrucksformen, in: Erwin Iserloh/Peter Manns (Hg.), Festgabe Joseph Lortz II, 1957, 13–25. – Johan S. Vos, Die Kunst der Argumentation bei Paulus. Studien zur antiken Rhetorik, WUNT 149, 2002, 135–157. – Ware, Mission of the Church 163–199. – Bruce W. Winter, Seek the Welfare of the City. Christians as Benefactors and Citizens, 1994, 93–98.
Paulus eröffnet das Briefcorpus mit einer brieftypischen Mitteilungsformulierung. Dahinter zu vermuten ist die Frage aus Philippi, wie es Paulus geht. Wer den Brief rhetorisch strukturiert, entdeckt in den Versen 12–14 oder 12–26 die narratio (Bloomquist*; Brucker, ‚Christushymnen‘ 302–304; Reumann, K.). Aber der Nachrichten98
Über den Fortschritt des Evangeliums während Paulus’ Haft
1,12
wert bleibt höchst dürftig. Über Paulus’ Haftbedingungen erfahren wir wenig, der Haftgrund bleibt ganz im Dunkeln. Der Abschnitt wird erst in den Versen 25 f. mit einer Inklusion durch das Stichwort προκοπή „Fortschritt“ abgeschlossen. Während die Verse 18d–26 sich wieder der Beziehung zur Gemeinde in Philippi zuwenden, beschreibt Paulus in den Versen 12–18c seine Gegenwart am Haftort. Statt über das, „was ihn betrifft“, schreibt Paulus jedoch ausschließlich über den Fortschritt des Evangeliums. Die Auslegung rühmt dies als ‚apostolische Sachlichkeit‘, die von der eigenen Person und dem eigenen Leiden gänzlich absieht. Ein solches Bild entsteht allerdings vor allem dann, wenn man die vielen im Text erzeugten Leerstellen mit Informationen aus der Darstellung der Apostelgeschichte und späterer Martyriumserzählungen auffüllt. Im Gegensatz zur Gefangenschaft des Paulus nach der Apostelgeschichte spiegeln sich im Philipperbrief zwischen den Zeilen die Nöte eines normalen antiken Gefangenen. Paulus liegt gefesselt in einer Provinzhauptstadt in einem städtischen oder provinzialen Gefängnis und wartet auf unbestimmte Zeit auf den Fortgang seines Prozesses. Eine erste Verteidigungsrede (V. 7.16) vor dem Statthalter oder seinem Vertreter hat nicht zur Freilassung geführt, ist also gescheitert. Nun muss er bis zu einer nächsten Anhörung warten, was ein Jahr oder länger dauern kann. Das Evangelium wird zwar verkündigt, aber nicht durch ihn, sondern durch andere. Es gibt mutige Verkündigerinnen und Verkündiger, aber auch weniger mutige, die gegenwärtig lieber schweigen (V. 14). Die Zahlenverhältnisse müssen trotz Paulus’ Beteuerung, bei der ersten Gruppe handele es sich um „die meisten“, offenbleiben. Unter den Mutigen sind es wiederum nur einige, die Paulus’ Inhaftierung als eine „Verteidigung des Evangeliums“ auffassen. Andere – Paulus kritisiert sie scharf als missgünstige Konkurrenten, die ihren Dienst nicht ehrwürdig leisten – möchten Paulus entweder auch noch Angst einjagen oder erleben seine Inhaftierung als Gefährdung der eigentlichen Sache (V. 15–17). Hinter den Zeilen blitzen Konflikte um Paulus’ Gefangenschaft und möglicherweise auch um seine Person auf, ohne dass wir sie im Detail erhellen können. Paulus möchte vielmehr die These begründen, dass das Evangelium trotz seiner Inhaftierung verkündet wird und dass, was immer um ihn herum geschieht, es dem Fortschritt des Evangeliums dient. Darüber freut sich Paulus, denn es entspricht nicht nur seinem von Gott erteilten Auftrag (Gal 1,16; 1Kor 15,8 f.), sondern auch der gemeinsamen Sache, zu dem ihn die Gemeinde in Philippi beauftragt hat (Phil 1,5.7; 4,15 f.). Er wünscht sich, dass diese positive und Mut machende Nachricht in Philippi ankommt. 12 Γινώσκειν δὲ ὑμᾶς βούλομαι, ἀδελφοί, ὅτι τὰ κατ᾽ ἐμὲ μᾶλλον εἰς προκοπὴν τοῦ εὐαγγελίου ἐλήλυθεν … Eine brieftypische Phrase eröffnet das Briefcorpus (Mullins* 47 f.). So schreibt der Soldat Thomas an seine Mutter: „Ich möchte, dass du weißt, dass ich deshalb so lange keinen Brief geschickt habe, weil ich im Feldlager bin, und nicht wegen einer Krankheit“ (γεινώσκειν σ[ε] θέλω ὅτι διὰ τοσούτου χρόνου οὐκ ἀπέσταλκά σοι ἐπιστόλιον διότι ἐν παρεμβολῇ ἠμι καὶ οὐ δι’ ἀσθένε[ι]αν, P.Oxy. 12.1481,2–4, 2. Jh. n. Chr.; J. L. White, Light 158 f., Nr. 102). Ähnlich formuliert Apollinarius: „Ich will, dass du weißt, Mutter, dass ich gesund in Rom angekommen bin“ (γεινώσκειν σε θέλω, μήτηρ, ὅτι ἐρρωμένος ἐγενόμην εἰς Ῥώμην, P.Mich. 8.491,4 f., 2. Jh. n. Chr.; Deissmann, LO 153–155; J. L. White, Light 164, Nr. 104B; weitere Beispiele: J. L. White, Light 207). Paulus verwendet andernorts die 99
1,12–26
Persönliche Mitteilungen
Formulierung γνωρίζω γὰρ ὑμῖν, ἀδελφοί „ich gebe euch bekannt, Geschwister“ (Gal 1,11; 1Kor 15,1; 2Kor 8,1). Außerdem kennen die Paulusbriefe den Satz in doppelter Verneinung: οὐ θέλομεν δὲ ὑμᾶς ἀγνοεῖν, ἀδελφοί „nicht wollen wir euch im Unwissenden lassen, Geschwister“ (1Thess 4,13; 1Kor 10,1; 12,1; 2Kor 1,8; Röm 1,13; 11,25; ohne Verneinung nur: 1Kor 11,3). Wenn Paulus hier und in Phil 3,1; 4,1.8 die Gemeinde als ἀδελφοί anspricht, sind eindeutig Schwestern mitgemeint, wie die Erwähnung von zwei Gemeindeleiterinnen in → 4,2 beweist (→ Exk. 16). Die Mitteilungsformel oder ‚disclosure formula‘ setzt zumindest eine vermutete, möglicherweise aber auch durch Gesandte und/oder Briefe tatsächlich gestellte Frage nach Paulus’ Ergehen im Gefängnis voraus (Walter, K.). Umso mehr überrascht die „Dürftigkeit der Mitteilungen“ (Gnilka, K. 55). Die Formulierung τὰ κατ᾽ ἐμέ „die Dinge, die mich betreffen“ ist eine typische Mitteilungsformel, der gewöhnlich auch entsprechende Informationen folgen (Xenoph Cyrop 7.1,16; Tob 10,8; Jos. Vita 405; Diog L 4.47). Nur folgt hier keine Paulus betreffende Mitteilung. Auch dem folgenden Komparativ μᾶλλον fehlt das Bezugswort. „Mehr“ als was? Als zu befürchten war und die Gefangenschaft des Paulus erwarten ließ? Jedenfalls ist es mehr „zum Fortschritt des Evangeliums gelangt“. Προκοπή „Fortschritt, Gedeihen“ gebraucht Paulus nur hier und in Phil 1,25. Die Stoa besetzt προκοπή als Fachbegriff für das Fortschreiten des stoischen Weisen im Tugenderwerb (Stählin* 17–20; Engberg-Pedersen* 70–73). Hier geht es aber nicht um individuellen, sondern um kollektiven Fortschritt (Stählin, ThWNT VI 704–707). In diesem Sinne wird προκοπή z. B. in Bezug auf zu erledigende Arbeiten oder in militärischen Kontexten gebraucht (P.Oxy 14.1631,20, 280 n. Chr.; 2Makk 8,8; Jos. Ant. 3.42; P.Giss I.27,6 f./C.Pap.Jud. II 439, 115 n. Chr.; TUAT.NF III [2006], VIII 9.3; Vos* 142). Die Lage, in der Paulus sich befindet, ist also bereits auf das Ziel ‚Evangelium‘ vorangeschritten (εἰς προκοπὴν ἔρχομαι, 2Makk 8,8). Man kann den Ausgang des Prozesses, die Gewinnung neuer Glaubenden, die endgültige Offenbarung des Evangeliums in der Parusie und anderes assoziieren (Röm 13,12; Stählin* 22 f.; Ware* 174). Die Auslegung bewundert ‚die apostolische Sachlichkeit‘, mit der der Apostel seine persönliche Lage ganz der Sache des Evangeliums unterordnet (K. Barth, K. 24; Bloomquist* 148). Jedoch demonstriert sich Gottes Botschaft vom Kreuz für Paulus gerade an den geschundenen Körpern der Apostelinnen und Apostel (1Kor 4,9–13; Gal 3,1; 4,13 f.; 2Kor 2,14–16; 4,7–12; 11,22–12,10). Dies unterscheidet den Paulus der Briefe vom Paulus der Apostelgeschichte, der auch in höchster Bedrängnis seine Souveränität niemals verliert (Apg 16,35–39; 21,37–40). Wenn Paulus hier nicht seinen eigenen Leib, sondern das Evangelium ins Zentrum stellt, dann nicht aus ‚Sachlichkeit‘, sondern weil ebendarin sein Auftrag besteht, den er von Gott und nach Phil 1,5.7; 4,15 f. auch von der Gemeinde in Philippi erhalten hat. Die im Folgenden bis V. 25 f. explizierte, durchaus gewagte These lautet: „Obgleich ich im Gefängnis bin, ist unsere gemeinsame Sache Evangelium weiter vorangeschritten.“ 13 … ὥστε τοὺς δεσμούς μου φανεροὺς ἐν Χριστῷ γενέσθαι ἐν ὅλῳ τῷ πραιτωρίῳ καὶ τοῖς λοιποῖς πάσιν … Die tatsächliche Folge (ὥστε) des bereits eintretenden Fortschritts besteht darin, dass Paulus’ Fesseln (δέσμοι; → Phil 1,7) „in Christus“ sichtbar geworden sind. Fast alle Auslegungen beziehen ἐν Χριστῷ auf φανερὸς γενέσθαι. Einige verstehen das Adjektiv φανερός „sichtbar sein“ als theologisches Konzept 100
Über den Fortschritt des Evangeliums während Paulus’ Haft
1,13
und übersetzen: „dass meine Fesseln eine Offenbarung in Christus wurden“ (E. Lohmeyer, K. 38; 40; Jewett* 371; vgl. Ware* 175; Holloway, K.). „In Christus“ ist dann nicht nur eine nähere Beschreibung des eigentlichen Grunds der Gefangenschaft, sondern Christus ist derjenige, der in und durch die Gefangenschaft handelt (Ware* 176). Die übrigen Auslegungen möchten φανερὸς γενέσθαι als „zutage kommen, bekannt werden“ eines nicht bekannten Sachverhalts verstehen (Bultmann/Lührmann, ThWNT IX 3). Zutage komme, dass Paulus’ Gefangenschaft nun nicht mehr totgeschwiegen werde (Gnilka, K.) oder dass er nicht wegen eines Verbrechens, sondern ‚nur‘ wegen seiner Arbeit für Christus und die Verkündigung gefangen sei (Hawthorne/Martin, K.; U. B. Müller, K.). Die nachpaulinische Legendenbildung hat sich um das Bild einer auch gegenüber den Richtern und Außenstehenden missionarisch wirksamen Gefangenschaft des Paulus ausführlich bemüht (Apg 26,31 f.; 2Tim 4,16–18). Paulus behauptet aber gar keinen eigenen missionarischen Erfolg. Allein der Raum, in denen die Fesseln bekannt geworden sind, wird benannt: ἐν ὅλῳ τῷ πραιτωρίῳ καὶ τοῖς λοιποῖς πάσιν „im ganzen Statthalterpalast und bei allen übrigen“.
Exkurs 3: Praetorium Sandra Bingham, The Praetorian Guard. A History of Rome’s Elite Special Forces, 2013. – Theodore J. Cadoux, The Roman Carcer and its Adjuncts, G&R 55 (2008), 202–221. – Hannah M. Cotton/Werner Eck, Governors and Their Personnel on Latin Inscriptions from Caesarea Maritima, The Israel Academy of Sciences and Humanities VII/7, 2001. – Michael Flexsenhar III, The Provenance of Philippians and Why It Matters. Old Questions, New Approaches, JSNT 42,1 (2019), 17–45. – Rudolf Haensch, Capita provinciarum. Statthaltersitze und Provinzialverwaltung in der römischen Kaiserzeit, 1997. – Paul A. Holloway, Vindolanda Tablet 2.154, RPC 1651, and the Provenance of Philippians, in: James R. Harrison/Lawrence L. Welborn (Hg.), The First Urban Churches 4. Roman Philippi, WGRW.S 13, 2018, 123–137. – Krause, Gefängnisse. – Kremydi-Sicilianou, Victoria Augusta on Macedonian Coins. – Joseph Patrich, Studies in the Archaeology and History of Caesarea Maritima. Caput Judaeae Metropolis Palaestinae, AGJU 77, 2011. – Ritchie Pogorzelski, Die Prätorianer. Folterknechte oder Elitetruppe?, 2014. – Felix F. Schäfer, Praetoria. Paläste zum Wohnen und Verwalten in Köln und anderen römischen Provinzhauptstädten, 2014. – Angela Standhartinger, Polis and Ekklēsia at Philippi. A Response to Kathy Ehrensperger, Paul Holloway, and Julien Ogereau, in: James R. Harrison/Lawrence L. Welborn (Hg.), The First Urban Churches 4. Roman Philippi, WGRW.S 13, 2018, 139–151. Das lateinische Lehnwort πραιτώριον (von praetorium) leitet sich vom Amt des praetor „der (dem Heer) voranschreitet“ ab, dem zweithöchsten römischen Amt. Die Aufgaben des praetors lagen zunächst in der Heeresführung, dann in der Rechtsprechung und Provinzverwaltung (Kierdorf, DNP 10, 260–262). In ältester Zeit bezeichnet praetorium die Unterkunft des praetor im Marschlager, den Platz davor für Ansprachen und öffentliche Gerichtsverhandlungen sowie sein Beratungsgremium aus Offizieren. In der Kaiserzeit wird praetorium dann allgemein für das Wohnquartier des militärischen Kommandanten verwendet (F. F. Schäfer* 17). Praetoria sind also Unterkünfte ranghoher Magistraten, einschließlich des Kaisers, jedoch nur außerhalb Roms. Insbesondere entwickelt sich praetorium zur Bezeichnung der „permanenten Residenzen und Verwaltungszentralen in den capita provinciarum (Provinzhauptstädten), die von den Statthaltern als den höchsten
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Vertretern des Imperium Romanum genutzt“ werden (F. F. Schäfer* 19; Haensch*; vgl. Cic Verr 2.4,65; Jos. Bell. 2.171 u. ö.). Archäologisch konnten bisher allerdings nur sechs Statthalterpaläste – Köln, Aquincum, Carnuntum, Apulum, Caesarea Maritima und Dura Europos – identifiziert werden (F. F. Schäfer* 52– 323). In einigen Provinzen wurden bestehende Gebäude umgenutzt, z. B. der Palast des Herodes in Caesarea Maritima (F. F. Schäfer* 24; vgl. Haensch* 374 f.; Patrich* 205–210). Die Gebäude bringen repräsentativ die Überlegenheit römischer Herrschaft zum Ausdruck und liegen an wichtigen Verkehrswegen (F. F. Schäfer* 338). Hier gab es ein tribunal „Gerichtshof“, das öffentlich zugänglich sein musste und häufig mit Höfen verbunden war, sowie nicht öffentlich zugängliche Schreibstuben (secretaria), Altäre zur Verehrung der Götter und private Wohnräume des Statthalters sowie seiner Familie und persönlichen Dienerschaft (F. F. Schäfer* 26–31). Für Caesarea Maritima ist Wachpersonal von Gefangenen durch eine Inschrift in einem Mosaikboden an der Südwestecke des Gebäudekomplexes belegt: spes bona adiutorib[us] offici custodiar[um] „gute Hoffnung für die Assistenten des Wachpersonals der Gefangenen“ (Cotton/Eck* 230–232, Nr. 4). Ob jedes praetorium auch ein Gefängnis beherbergte, ist nicht sicher. Christliche Quellen legen aber Hafträume im praetorium nahe (Apg 23,35; Eus Hist Eccl 6.39,2 f.). In späteren Jahrhunderten wurde im praetorium von Caesarea Maritima eine Wasserzisterne als Gefängnis genutzt (Patrich* 209). In Ephesus konnte das praetorium zwar bisher archäologisch nicht identifiziert werden, das Gesamtbild der Zeugnisse für statthalterliche Aktivität weist dessen Existenz jedoch zweifelsfrei nach (Haensch* 298–321). Praetorium kann auch ein Gebäude bezeichnen, in dem sich der Kaiser oder hohe Magistrate und Statthalter temporär aufhalten (Mk 15,16 par.; Joh 18,28). Abgeleitet von den prächtigen Landvillen der Kaiser wurde der Begriff praetorium im 1. und 2. Jahrhundert n. Chr. auf luxuriöse Landhäuser der römischen Aristokratie überhaupt übertragen (F. F. Schäfer* 18 f.; Epict Diss 3.22,47; Suet Caligula 37,2; Juv 10.161). Als Personengruppe kann praetorium schließlich die Diensthabenden unter einem militärischen Führer, insbesondere seine Leibwache, meinen (F. F. Schäfer* 17; 19). Augustus machte eine solche Leibwache, die cohors praetoria, zu einer ständigen Einrichtung des Kaiserhauses (Bingham* 9–16; Pogorzelski* 10). Seit dieser Zeit war dieser Name für die kaiserliche Leibwache reserviert (Holloway, K. 22–24). Unter Tiberius erhielten diese Prätorianer ein permanentes Lager, die castra praetoria, direkt vor den Stadtmauern Roms (Tac Ann 4.2; Suet Tiberius 37,1; Bingham* 69–75; Pogorzelski* 40–47). Am Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. kann praetorium abgekürzt die Zugehörigkeit zur Leibwache des jeweiligen Kaisers beschreiben (vgl. Plin Hist Nat 7.19,82; 25.6,17; Tac Hist 1.72,1; 4.46,4; Suet Nero 47,1). Das πραιτώριον aus Phil 1,13 wurde in der Geschichte der Forschung mit jeder dieser Möglichkeiten identifiziert. Da man die Gefangenschaft, aus der Paulus den Philipperbrief schrieb, mit Apg 28 in Rom lokalisierte, hielten Johannes Chrysostomus (Hom in Phil 3,2 [Field/Allen 20/PG 62.192,15 f.]), Theodor von Mopsuestia (Comm in Phil 1,13 [Greer 302,22–24]) und Theodoret (PG 82.564,8–11) das praetorium für den Kaiserpalast auf dem Palatin. Diese These übernimmt einen spätantiken Sprachgebrauch, der praetorium für jeglichen Palast verwendet. Der Kaiserpalast in Rom wird aber sonst nicht praetorium genannt. Kommentare des 19. Jahrhunderts vermuten eine Gefangenschaft des Paulus in den castra praetoria, also dem Lager der Prätorianergarde an Roms Stadtgrenze (de Wette, K. 183; Lipsius, K. 219; Weiss, K. 418). Dass es dort aber überhaupt ein Gefängnis gab, ist nur mit Josephus’ Darstellung der persönlichen Bewachung des judäischen Klientelkönigs Agrippa durch den Prätorianerpräfekten Quintus Naevius Sutorius Macro zu belegen (Jos. Ant. 18.188–235; Bingham* 93 f.; 195 f.). Aufgabe der Prätorianer war es eigentlich, herausgehobene Gefangene wie Senatoren oder Klientelkönige aus der Provinz nach Rom zu überführen sowie gegebenenfalls deren Hinrichtung zu vollstrecken (Plin ep 10.57,2; Tac Ann 12.21). Das römische Gefängnis, der carcer, lag an anderer Stelle (Cadoux*). Ein Aufenthalt des
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Über den Fortschritt des Evangeliums während Paulus’ Haft
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Paulus in der Prätorianerkaserne lässt sich außerdem nicht mit der Darstellung von Apg 28,16 vereinbaren. Daher schlägt Lightfoot – gefolgt von einem Großteil der angelsächsischen Forschung – vor, ἐν ὅλῳ τῷ πραιτωρίῳ nicht als Ort, sondern als Personengruppe, nämlich als die Prätorianergarde, zu identifizieren (Lightfoot, K. 101 f.; Vincent, K.; O’Brien, K. 93 f.; Fee, K.; Fowl, K.; Holloway, K.; Holloway*). Die Prätorianer würden hervorgehoben, weil sie in Verbindung mit Prätorianern in Philippi stünden. Jedoch sind Mitglieder der Prätorianergarde in Philippi frühestens seit der Zeit des Nero, vermutlich aber erst im 2. Jahrhundert dokumentiert. Die früher in die Zeit des Claudius und damit des Paulus datierte Münze RPC I 1651, die Prätorianer in Philippi bezeugt, ist aufgrund ihrer Metalllegierung und Ikonographie frühestens in die Zeit Neros (54–68 n. Chr.), höchst wahrscheinlich erst unter Vespasian oder an den Anfang des 2. Jahrhunderts zu datieren (Kremydi-Sicilianou*). Erst im 2. Jahrhundert erscheinen Prätorianer in Inschriften (CIPh II.1 74; CIPh II.1 75/Pilhofer II 731; CIPh II.1 80/Pilhofer II 429; CIPh II.1 87/Pilhofer II 323a). Das heißt, zur Zeit des Paulus sind bisher keine Prätorianer in Philippi belegt. Vor allem aber ist die Übersetzung ἐν ὅλῳ τῷ πραιτωρίῳ mit „bei allen Prätorianern“ sprachlich problematisch. Zwar kann praetorium für die kaiserliche Leibgarde (in Rom oder andernorts) stehen, aber ἐν ὅλῳ wird in 201 Belegen aus der griechischen Literatur bis zum 2. Jahrhundert n. Chr. so gut wie nirgends mit einer Personengruppe verbunden. Geläufig ist es dagegen bei Ortsangaben, z. B. in ἐν ὅλῳ τῷ κόσμῳ „in der ganzen Welt“ (Röm 1,8 u. ö.) oder ἐν ὅλῳ τῷ οἴκῳ „im ganzen Haus“ (Gen 31,35 LXX; Num 12,7). Nur das „Haus“ kann auch auf eine Personengruppe verweisen (Hebr 3,5; Standhartinger*). Das heißt, ἐν ὅλῳ τῷ πραιτωρίῳ muss der Ort sein. Flexsenhar* denkt allgemein an Administrationsgebäude in der Provinz, in denen es auch tabernae geben kann. Jedoch ist deutlich, dass in dem hier genannten Gebäude eine Verteidigungsrede gehalten wird (→ 1,7.16). In diesem praetorium gibt es einen Gerichtssaal. Dies spricht für die Identifikation mit dem Statthalterpalast in der Provinzhauptstadt oder anderen Gerichtsorten einer Provinz. Allein der Statthalter oder sein Vertreter war in den Provinzen befugt, Gerichtsverhandlungen zu führen und Urteile zu sprechen (Krause* 64 f.). Während seiner Abwesenheit waren Gerichtsverhandlungen ausgesetzt, was vielfach zu langer Gefängnishaft führte. Die Apostelgeschichte bietet zur Lokalisierung Caesarea Maritima an (Apg 23,35; vgl. E. Lohmeyer, K.; Hawthorne/Martin, K. XLVI). Nicht zu vereinbaren mit einem Haftort in Caesarea ist allerdings Paulus’ Wunsch, sofort nach Philippi zu reisen (Phil 1,25–27; 2,24; → Einl. 6). Daher vermutet die Mehrheit der gegenwärtigen Auslegungen die Abfassung des Philipperbriefs in einer aus 2Kor 1,8–10 zu erschließenden Gefangenschaft in Ephesus Mitte der 50er-Jahre des 1. Jahrhunderts (→ Einl. 6). Das in Phil 1,13 genannte praetorium ist also am wahrscheinlichsten der Statthalterpalast in Ephesus (vgl. Gnilka, K.; Dibelius, HNT; Michel, K.; Schenk, K.; Walter, K. 15–17; Reumann, K.; Baumert, K. u. a.).
Paulus’ Fesseln sind im ganzen Statthalterpalast (πραιτώριον) bekannt geworden. Die hyperbolische Sprache ist nicht zu übersehen (Vos* 142 f.). Dennoch hatte er anscheinend die Gelegenheit zu einer Verteidigungsrede (→ 1,7.16). Der Ausgang dieser Verteidigung war jedoch ein Misserfolg und brachte nicht die erhoffte Freilassung. Καὶ τοῖς λοιποῖς πᾶσιν kann sich auf weitere Orte beziehen („in der ganzen Stadt“, so z. B. Joh Chrys Hom in Phil 3,2 [Field/Allen 20/PG 62.192,15 f.]) oder auf Personen, etwa die „sonst bei den Verhandlungen Anwesenden“ (Gnilka, K. 58; vgl. E. Lohmeyer, K.; U. B. Müller, K.; Holloway, K.), „allen außerhalb“ (Hawthorne/Martin, K.) oder Nichtchristinnen und -christen, die von Paulus’ Gefangenschaft und deren Grund hörten (O’Brien, K.). Die vage und durch das verstärkende πάντες „alle“ betont wirkende Formulierung lässt sich nicht präzisieren, gibt aber dem eigentlich frus103
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trierenden Ausgang eine positive Nuance und fordert die Phantasie der Lesenden heraus. 14 … καὶ τοὺς πλείονας τῶν ἀδελφῶν ἐν κυρίῳ πεποιθότας τοῖς δεσμοῖς μου περισσοτέρως τολμᾶν ἀφόβως τὸν λόγον τοῦ θεοῦ λαλεῖν. Der Vers führt den in V. 12 begonnenen Satz mit einem zweiten von ὥστε abhängigen AcI fort. Hier wird Paulus etwas konkreter und berichtet von der Reaktion der Geschwister am Ort der Haft. Allerdings schränkt Paulus ein: οἱ πλείονες „die Mehrzahl“ (B/D/R § 244.3). Von den anderen, den Verängstigten und Mutlosen, schweigt er – jedenfalls zunächst. Ἐν κυρίῳ kann die Geschwister charakterisieren (E. Lohmeyer, K.; Dibelius, HNT; Schenk, K.; Fee, K.). Möglich ist auch der Bezug auf das die τοὺς πλείονας ergänzende Partizip Perfekt πεποιθότας als AcP: „die im Herrn Zuversicht gewannen“ (Gnilka, K. 54; U. B. Müller, K.; O’Brien, K.; Bockmuehl, K.). Die Wortstellung legt Ersteres näher, denn Paulus modifiziert πέποιθα sonst mit nachgestelltem ἐν κυρίῳ (Phil 2,24; Gal 5,10; Röm 14,14; Schenk, K.). Einige Auslegungen möchten die „Geschwister im Herrn“ als eine Gruppe von Missionarinnen und Missionaren identifizieren, die im Gegenüber zu anderen Gemeindegliedern hervorgehoben seien (Schenk, K. 135 f.; Gnilka, K.; Dickson*). Diese Differenzierung ist aber keineswegs zwingend. Vielmehr bietet dieser Satz den deutlichsten Beleg für die Missionsarbeit aller Christinnen und Christen in den paulinischen Briefen (Ware* 178–186). Als das Resultat von πείθω „überreden, überzeugen“ nimmt das Perfekt πεποιθέναι die Bedeutung „Vertrauen gefasst haben, sich verlassen auf“ an (Bultmann, ThWNT VI 5; vgl. Phil 1,6.25; 2Kor 2,3; Phlm 21). Damit ergibt sich innerhalb des AcP τοὺς πλείονας … πεποιθότας die eigentlich paradoxe Aussage: „Die Freunde des Paulus schöpfen ihre Zuversicht gerade daraus, dass Paulus gefangen ist“ (Bultmann, ThWNT VI 6). Nachvollziehbarerweise hebt daher der AcI τοὺς πλείονας … τολμᾶν hervor, dass dies ein Wagnis ist. Das Verb τολμάω „Mut haben, sich wagen“ enthält das Moment der Beherztheit und Kühnheit (Mk 15,43; Röm 5,7; Fitzer, ThWNT IX 181–187). Verstärkt ist es hier mit zwei Adverbien: περισσοτέρως „umso mehr“ sowie ἀφόβως „furchtlos“. Der Komparativ περισσοτέρως nimmt dabei das μᾶλλον „mehr“ aus V. 12 auf und verstärkt damit die im Stichwort ‚Fortschritt‘ implizite Bewegung (Schenk, K. 137). Die Geschwister wagen es jetzt umso mehr, „das Wort zu sagen“. Mit τὸν λόγον λαλεῖν folgt NTG28 �46, D2, K, den Minuskeln 630, 1505, 1739 und 1881, �, der altlateinischen Handschrift r und einem Manuskript der Vulgata sowie Markion nach Tertullian. Dieser Text ist somit äußerlich viel schlechter bezeugt als die längere Lesart τὸν λόγον τοῦ θεοῦ λαλεῖν, die von den Majuskeln �, A, B, (D*), P, Ψ, 048vid, 075, 0278, vielen weiteren Majuskeln, den meisten Minuskeln sowie Clemens Alexandrinus gelesen wird. Die Majuskeln F und G lesen τὸν λόγον κυρίου λαλεῖν. Die äußere Bezeugung spricht für die Lesart τὸν λόγον τοῦ θεοῦ λαλεῖν (vgl. auch Ware* 180 f. Anm. 60; Metzger, Commentary 544 f.). Für die kürzere Lesart lässt sich anführen, dass Paulus ὁ λόγος absolut gebrauchen kann (1Thess 1,6; Gal 6,6). Außerdem stellt D* τοῦ θεοῦ hinter λαλεῖν, was wie eine nachträgliche Ergänzung wirkt. Kurz- und Langform meinen zwar im Prinzip das Gleiche, nämlich das von Gott herkommende Wort. Jedoch spricht einiges dafür, dass die jetzt von NTG28 in den Text aufgenommene Kurzform sich einem Quereinfluss aus der Philippiepisode in Apg 16 verdankt. 104
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Das Syntagma (τὸν) λόγον λαλεῖν entstammt der Sprache der Septuaginta (insgesamt 93 Belege). Neben zwischenmenschlichen Gesprächen bezeichnet es den Dekalog als „die Worte, die Gott sagte“ (Dtn 9,10: οἱ λόγοι, οὓς ἐλάλησεν κύριος; vgl. 10,4; Ex 24,3). Es ist vor allem das durch Propheten vorgetragene Gotteswort (ὁ λόγος κυρίου; 2Kön 15,12; 20,9; Jes 39,8; Jer 10,1; 27,1). Im Neuen Testament tritt Jesu Verkündigung hinzu (Mk 2,2; 4,33; Lk 24,44; Joh 12,48; 15,3). Schließlich beschreibt τὸν λόγον λαλεῖν die innergemeindliche Katechese (Hebr 13,7; vgl. Gal 6,6). Nur in der Apostelgeschichte ist der Ausdruck τὸν λόγον τοῦ θεοῦ/τοῦ κυρίου λαλεῖν mit der Missionspredigt verbunden. Das Syntagma erscheint an zentralen Punkten auf dem Weg der Ausbreitung der Osterbewegung von Jerusalem (Apg 4,29.31) in die jüdische Diaspora (Apg 8,25; 11,19), über die dortige Ablehnung (Apg 13,46) bis zur Bekehrung des ersten Nichtjuden außerhalb von Judäa, des Gefängniswärters in Philippi (Apg 16,6.32). Zweimal wird die Kurzform τὸν λόγον λαλεῖν geboten (Apg 11,19; 16,6). Im Philipperbrief meint τὸν λόγον τοῦ θεοῦ λαλεῖν dagegen, wie in der Septuaginta und der Jesusüberlieferung, die prophetische Verkündigung eines Gotteswortes. Dazu hat eine Gruppe der Geschwister Mut gefasst. Und ebendies ist nun tatsächlich ein erster Fortschritt des Evangeliums, der am Anfang von V. 12 angekündigt wurde. Nicht Paulus’ Predigt, sondern die Verkündigung von Gottes Wort durch „die meisten“ Geschwister macht diesen Fortschritt aus. Trotz der Haft des Paulus geht die mit der Gemeinde in Philippi vereinbarte Aufgabe durch einige Geschwister am Haftort weiter. Dies kann der Gemeinde ein Trost sein (Bloomquist* 149 f.). In den folgenden Versen 15–17 verändert sich jedoch die Tonlage. Zwar geht es nun ganz konkret darum, dass „Christus verkündigt“ wird (V. 15.17), jedoch werden zwei Gruppen von Verkündigenden, τινὲς μέν und τινὲς δέ (V. 15) sowie οἱ μέν (V. 16) und οἱ δέ (V. 17), einander kontrastiv gegenübergestellt. Die Handlungsmotive beider Gruppen beziehen sich auf die Gefangenschaft des Paulus (V. 16 f.). Die Vorstellung der beiden Gruppen ist dabei chiastisch verschränkt. Einige spätere Handschriften lösen den Chiasmus auf und stellen die Verse 16 und 17 um (D1, K, Ψ, die Minuskeln 104, 630, 1505, � und die syrische Harklensis). Damit wird die positive Gruppe durch die Endstellung hervorgehoben. Die Majuskel L liest lediglich V. 16, den sie mit οἱ δέ anschließt. Viele dieser Handschriften (D1, K, Ψ, 630, 1505, �, sy und die Majuskel 075) lesen in V. 17 ἐπιφέρειν statt ἐγείρειν, sodass die negativ gewertete Gruppe auch noch Bedrängnis „hervorbringt“. Die Majuskeln D1vid, P und die Minuskeln 81, 1175 lesen das Kompositum ἐπεγείρειν, was neben der Grundbedeutung „erwecken“ zumeist übertragen verwendet wird für „aufhetzen“ (Apg 13,50; 14,2). Der von NTG28 gebotene Text ist jedoch nicht nur die lectio difficilior, sondern auch äußerlich viel besser bezeugt (�46, �, B und viele Majuskeln). In Bezug auf die Argumentationsstruktur werden vor allem zwei Optionen diskutiert. Die einen halten die Verse 15–17 für einen situationsunabhängigen Exkurs (Dibelius, HNT; Vincent, K.; Gnilka, K.): Während Paulus über den Einfluss seiner Gefangenschaft auf die Predigt des Evangeliums spreche, falle ihm ein, „aus wie [vielen] verschiedenen Motiven heraus Christus hier gepredigt wird“ (Dibelius, HNT 65). Die anderen beziehen die τινές und οἱ auf die Mehrzahl (οἱ πλείονες) zurück (Schenk, K.; Hawthorne/Martin, K.; Ware* 186 f.; Reumann, K.). Damit ist allerdings die positiv klingende Darstellung der mutigen Geschwister aus V. 14 deutlich abgeschwächt. 105
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15 τινὲς μὲν καὶ διὰ φθόνον καὶ ἔριν, τινὲς δὲ καὶ δι᾽ εὐδοκίαν τὸν Χριστὸν κηρύσσουσιν. Die Charakterisierung beider Gruppen greift Begriffe aus dem antiken Eintrachtsdiskurs auf (B. W. Winter* 93–97). Φθόνος „Neid“ ist das direkte Gegenteil von φιλία „Freundschaft“ (Plat Lys 215d; Xenoph Mem 2.6,21 f.). So sagt Plutarch: „Das Hassen ist dem Neiden darin gleich, dass es den Gegensatz zum Lieben bildet“ (τὸ μισεῖν τῷ φθονεῖν ταὐτὸν εἶναι, ὅτι τὴν ἐναντίαν τῷ φιλεῖν ἔχει προαίρεσιν, Plut Mor 536F). Die negative Emotion des Neides ist nach einhelliger Meinung das schlimmste Gift des sozialen Lebens. Griechische und jüdische Autoren widmen dem Neid ganze Abhandlungen (De invidia et odio, Plut Mor 536E–538E; Dio Chrys Or 77/ 78; TestSim; Ps-Phok 70–75; 1Clem 3,2–6,4). Paulus nimmt diesen Gegensatz φθόνος – ἀγάπη auch im Laster- und Tugendkatalog in Gal 5,19–23 auf. Mit φθόνος steht ἔρις „Streit, Rivalität“ in Lasterkatalogen häufig zusammen (Soph Oed Col 1234 f.; Philo mut 95; Röm 1,29; Tit 3,9; Dio Chrys Or 77/78,39; 1Clem 3,2). Anders als die griechische Tradition, die dem euergetistischen Wettbewerb der Wohltäterinnen und Wohltäter auch positive Aspekte abgewinnen kann, wertet die biblische Tradition ἔρις durchgehend negativ (Hes Op 11–26; Sir 28,11; 40,4 f.9; 2Kor 12,20). Jedoch, obgleich τινὲς μέν („die einen“) „aufgrund von Neid und Streit“ handeln, wird am Ende des Satzes doch festgestellt, dass sie „Christus verkündigen“. Das heißt, unabhängig von ihrer negativ gewerteten Motivation tun sie nichts anderes als Paulus selbst nach 1Kor 1,23; 15,12; 2Kor 4,5. Ihnen gegenübergestellt ist eine zweite Gruppe von τινὲς δέ („die anderen“), die δι᾽ εὐδοκίαν „aufgrund von Wohlwollen“ Christus verkündigen. Die Septuaginta verwendet εὐδοκία vor allem für Gottes Huld und Zugewandtheit. Selten ist menschliches Wohlgefallen im Blick (Sir 15,15; 29,23). Der Begriffsgebrauch an dieser Stelle ist einzigartig (Schrenk, ThWNT II 744; Spicq III 315; vgl. aber → 2,13). Εὐδοκία schillert hier zwischen menschlicher Zustimmung (εὐδόκησις) und göttlichem Wohlgefallen (Schlatter, K.; Bockmuehl, K.; Ware* 189–191; Cousar, K.). 16 οἱ μὲν ἐξ ἀγάπης, εἰδότες ὅτι εἰς ἀπολογίαν τοῦ εὐαγγελίου κεῖμαι. Die τινὲς δέ werden mit οἱ μέν aufgenommen. Sie handeln ἐξ ἀγάπης „aus Liebe“, was das direkte Gegenteil von „Neid“ und „Streit“ ist (Gal 5,20.22). Wie überall ersetzt Paulus φιλία, den antiken Begriff für Freundschaft, durch ἀγάπη. Sie handeln „aus Liebe“, weil sie wahrgenommen haben und daher „wissen“, dass Paulus „zur Verteidigung des Evangeliums liegt“. Im Kontext einer Gefangenschaft ist eine ἀπολογία zunächst eine formelle Verteidigungsrede (→ 1,7). Verteidigt werden soll nicht etwa Paulus, sondern das Evangelium, womit die Gefangenschaft zugleich Ziel und Zweck erhält (εἰς). Κεῖμαι „liegen“ ist die Körperhaltung vieler Gefangener in der Antike und daher durchaus im eigentlichen Sinne zu verstehen. So charakterisiert Johannes Chrysostomus eine Gefangenschaft als „in der Finsternis liegen und mit Menschenmördern zusammengekettet sein“ (τὸ ἐν σκότῳ κεῖσθαι καὶ τὸ μετὰ ἀνδροφόνων δεδέσθαι, Joh Chrys Hom in Hebr 1,4 [PG 63.18,38 f.]; vgl. auch Luc Tox 29; Calpurnius Flaccus, Declamatio 4,14–22). Wer Paulus in leichter Haft vermutet, versteht κεῖμαι dagegen ideell als „bestimmt sein“ oder „eingesetzt sein“ zur Apologie des Evangeliums (1Thess 3,3; Lk 2,34; Gnilka, K.; U. B. Müller, K.). 17 οἱ δὲ ἐξ ἐριθείας τὸν Χριστὸν καταγγέλλουσιν, οὐχ ἁγνῶς, οἰόμενοι θλῖψιν ἐγείρειν τοῖς δεσμοῖς μου. Mit οἱ δέ wird die Gruppe derer, die Christus aus 106
Über den Fortschritt des Evangeliums während Paulus’ Haft
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Neid und Rivalität verkündigen, charakterisiert (V. 15a). Ἐριθεία, abgeleitet von ἐριθεύω „für Lohn arbeiten“, meint konkret „Frauenarbeit“ (Tob 2,11; Heliodor 1.5,3) und „Käuflichkeit“ (Suda: μισθαρνία) im Kontext des Ämterkaufs und daraus resultierendem zerstörerischen politischen Ehrgeiz inklusive der Anzettelung eines Aufstands (Aristot Pol 5.2 [1302b4]; 5.3 [1303a14]; Polyb 10.22,9; Philo Flacc. 145 und legat. 68; Büchsel, ThWNT II 657 f.). Für Paulus zählt ἐριθεία neben ἔρις zu den Lastern (Gal 5,20; 2Kor 12,20, vgl. auch Röm 2,8; Jak 3,14.16). In Phil 2,3 beschreibt es das Gegenteil von Eintracht. Daher übersetzen die meisten ἐριθεία als Synonym von ἔρις mit „Streitsucht“ oder „Selbstsucht“, einer Bedeutung, die jedoch nur durch Suda, ein byzantinisches Lexikon, belegt ist, das ἐριθεία mit φιλονεικία „Streitliebe“, „Streitlust“ übersetzt (Baumert, K.; vgl. E. Lohmeyer, K.; Dibelius, HNT). Die Übersetzungen „Selbstsucht“ (Ernst, K.), „Geltungsbedürfnis“ (Walter, K.) und „Eigennutz“ (Gnilka, K.; U. B. Müller, K.) erschließen die Bedeutung kontextuell mit Verweis auf → 2,3.21. Man könnte bei ἐριθεία aber auch an „Korruption“ denken und daher ist hier übersetzt: „Die anderen aus korrupten Motiven …“. Ebenfalls singulär ist die Formulierung οὐχ ἁγνῶς. Das Adverb ἁγνῶς kann im kultischen Sinn „rein“ bedeuten, etwa von Waschungen, Opfern und Büchern (Hom Hymn Ap 112; Hes Op 337; Arist 317). In Ehreninschriften bezeichnet ἁγνῶς die gute, das heißt ehrwürdige und redliche Amtsführung. So handelt ein Agronomos „Marktaufseher“ in Ephesus ἁγνῶς καὶ δικαίως „ehrwürdig und gerecht“ (IEphesus 932,4) und ein Wohltäter ἁγνῶς καὶ ἀμέμπτως „ehrwürdig und tadellos“ (IMagnesia 164,13 f./OGIS 485,13 f.; Gerlach, Ehreninschriften 66–69; Herm vis 3.5,1 [13,1]; Herm sim 5.6,6 [59,6]; 9.25,2 [102,2]; 9.26,2 [103,2]; 9.27,2 [104,5]; Hauck, ThWNT I 123). Οὐχ ἁγνῶς meint also „nicht ehrwürdig“ oder „unredlich“. Das Adverb durchbricht die Symmetrie der Verse 16 und 17 und ist betont. Paulus wirft denen, die aus korrupten Motiven „Christus verkündigen“, unredliche Interessen vor. Dabei ist καταγγέλλω ein Synonym von κηρύσσω „verkündigen“ (Schniewind, ThWNT I 69; 1Kor 2,1; 9,14; 11,26; Röm 1,8). Wiederum äußert Paulus eine Vermutung über ihre Motivation. Οἴομαι „meinen, vermuten“ drückt einen Gegensatz zu Wissen aus (vgl. V. 16: εἰδότες). Mit Bezug auf Zukünftiges heißt es „voraussehen“, „hoffen“ oder „fürchten“. Mit Bezug auf eine Meinung ist es mit „sich vorstellen“ oder „einbilden“ zu übersetzen (Passow II/1, 427). Θλῖψις, von θλίβω „drücken, quetschen, reiben“, ist die „Bedrängnis“ oder auch „Bedrückung“ (Schlier, ThWNT III 139–148; vgl. ArztGrabner, 2. Korinther 167 f.). Äußere Bedrängnis entsteht durch Verfolgung und Not (1Thess 3,7; 2Kor 6,4; Phil 4,14; Röm 8,35 u. ö.). Das Syntagma θλῖψιν ἐγείρειν ist wiederum ein Hapaxlegomenon im Neuen Testament. Clemens von Alexandria formuliert später in Bezug auf die Passion, „man dürfe nicht meinen, dass er (Gott) die Bedrängnis bewirkt“ (οὐ τὸ ἐνεργεῖν τοίνυν αὐτὸν τὰς θλίψεις οἴεσθαι χρή, Cl Al Strom 4.12,87). Versteht man nun ἐγείρειν transitiv und θλῖψις als sein Objekt, sind es die unredlich Verkündigenden, die Bedrängnis erwecken. Aber wie? Altkirchliche Interpretationen vermuten, sie hätten die Kerkerhaft des Paulus erwirkt (z. B. Joh Chrys Hom in Phil 3,2 [Field/Allen 21/PG 62.192,50–193,10]). Unter den modernen Auslegungen fügt Hawthorn* die Beobachtung hinzu, dass θλῖψις nach Mk 13,19.24 die Endzeit107
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wehen bezeichne. Einige hätten die Gefangenschaft des Paulus als Beginn der Endzeit betrachtet und daher „gefördert“, statt sie als notwendige Konsequenz seiner apostolischen Existenz anzusehen (vgl. Collange, K.; Hawthorne/Martin, K.). Die übrigen verstehen θλῖψις dagegen als innere Bedrängnis. Sie übersetzen θλῖψις häufig mit „Trübsal“, die Paulus befallen habe, weil konkurrierende Missionarinnen und Missionare aufgetreten seien (Dibelius, HNT; Walter, K.; Fee, K.; Jewett* 363–371; zu möglichen theologischen Profilen der Oppositionsgruppen: Reumann, K. 203 f.; → Exk. 15). Zu den vorgeschlagenen Motiven gehört auch sozialer Neid (Böttrich*). Schließlich wird vermutet, die Gruppe habe sich von Paulus distanziert, weil sie seine Gefangenschaft als Fehlschlag interpretierte (E. Lohmeyer, K.; Ollrog* 193–200; Gnilka, K.; U. B. Müller, K.). Man habe sogar Paulus’ Lage durch die Erregung von Zwietracht zu verschlechtern versucht (B. W. Winter* 95). Die Vielzahl der Vermutungen zeigt, dass die Auslegung hier auf ihre Vorstellungskraft angewiesen bleibt. Wenig beachtet wird allerdings bisher, dass θλῖψις als innere Bedrängnis bei Paulus überall mit „Herzensenge“ und „Angst“ verbunden ist (2Kor 2,4; 7,4; 7,5). Folgt man dieser Interpretation, dann „hoffen“ die, die unredlich verkündigen, Paulus in seinem Gefängnis Angst einzujagen. Die Spitze dieser Aussage wird allerdings abgeschwächt, indem οἴομαι diesen Versuch als subjektive und im Grunde lächerliche Meinung der neidischen Verkündigungsgruppe relativiert. Es gibt aber noch eine zweite Interpretationsmöglichkeit. Das Verb ἐγείρειν „aufwecken“ wird im antiken Friedens- und Eintrachtsdiskurs im Sinne von „anfachen, in Gang bringen“ verwendet (siehe auch varia lectio ἐπεγείρειν). So begründet Philo Abrahams Trennung von Lot damit, dass Abraham wusste (εἰδώς), dass „diejenigen, die trotz Meinungsverschiedenheiten zusammenleben, immer Aufstände und Kriege gegeneinander anfachen“ (στάσεις ἀεὶ καὶ πολέμους κατ’ ἀλλήλων ἐγείροντες, Abr. 215); Lukian stellt sich eine Stadt vor (οἶμαι), in der das, was in anderen Städten Aufruhr und Streit erweckt (τὰς στάσεις καὶ φιλονεικίας ἐγείρει), nicht vorhanden ist (Luc Hermot 22). Josephus formuliert: „Der Aufruhr (im Inneren) flammte wieder auf“ (τὸν ἔνδον ἡ στάσις ἐπήγειρεν; Bell. 5.98). Letztere Stelle belegt einen intransitiven Gebrauch von ἐπεγείρειν. Möglich ist daher, θλῖψιν ἐγείρειν als einen von οἴομαι abhängigen AcI aufzufassen und zu übersetzen: „weil sie befürchten, dass Bedrängnis aufflammt durch meine Gefangenschaft“. Die unredlichen Verkündigerinnen und Verkündiger sähen dann sich und die gemeinsame Sache in Gefahr. Für Bekannte eines Häftlings, der sich mit dem „Vergehen“ ‚Christus‘, das heißt der Propaganda für einen zu einem Verbrechertod Verurteilten, schuldig gemacht hat, wäre die Angst vor Verfolgung durchaus realistisch. Wie auch immer man οἰόμενοι θλῖψιν ἐγείρειν τοῖς δεσμοῖς μου übersetzt, deutlich ist jedenfalls, dass Paulus diese Meinung oder Befürchtung mit den negativen Wertungen „Neid“, „Streit“, „Korruption“ und „nicht ehrbar“ belegt. Demgegenüber wird die Interpretation seiner Gefangenschaft präferiert, die „aufgrund von Wohlwollen“ und „aus Liebe“ „erkannt“ ist: nämlich dass seine Gefangenschaft selbst „zur Verteidigung des Evangeliums“ dient (V. 16). Und ebendarauf kommt es Paulus an. Er möchte den Fortschritt des Evangeliums nachweisen (V. 12). Dieser Fortschritt besteht nicht im Inhalt seiner – erfolglosen – Verteidigungsrede, sondern darin, dass die „meis-
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Über den Fortschritt des Evangeliums während Paulus’ Haft
1,17
ten der Geschwister“, wenn auch mit Abstrichen, gerade jetzt den Mut haben, „das Wort Gottes zu sagen“ (V. 14) und „Christus zu verkündigen“ (V. 15.17). 18a–c Τί γάρ; πλὴν ὅτι παντὶ τρόπῳ, εἴτε προφάσει εἴτε ἀληθείᾳ, Χριστὸς καταγγέλλεται, καὶ ἐν τούτῳ χαίρω. Den Gedanken schließt eine knappe rhetorische Frage ab: „Was macht es (aus)?“ (B/D/R § 127.3). Die Antwort hebt mit πλὴν ὅτι „jedenfalls, dass“ das Wesentliche zum Abschluss der Erörterung hervor (B/D/R § 449.2). Die von NTG28 gesetzte Interpunktion kann allerdings auch überlesen werden. Dann wäre zu übersetzen: „Was kommt dabei heraus, außer dass … ?“ (Bauer, Wb). Für letztere Interpretation entscheiden sich auch die Schreibenden des Manuskripts B, die das πλήν auslassen, sowie die Majuskeln D, K, L Ψ, die Minuskeln 630, 1505, 1881, � und die syrische Harklensis, die das ὅτι streichen. Ein inhaltlicher Unterschied ergibt sich nicht und Paulus liebt auch andernorts den in rhetorischen Fragen angedeuteten Dialog. Mit παντὶ τρόπῳ „auf jede Weise“ zeigt sich Paulus im Höchstmaß tolerant für Verkündigungsweisen und -inhalte, was die spätantiken Auslegungen provozierte. Paulus scheint hier sogar der sogenannten „Häresie“ das Wort zu erteilen (Joh Chrys Hom in Phil 3,3 [Field/Allen 22 f./PG 62.193,30–54]; Theod Mops Comm in Phil 1,18 [Greer 306]). Die Eintragung des Häresiebegriffs ist sicher anachronistisch. Vielmehr geht es Paulus um die Motivation, die er mit „sei es aus Vorwand, sei es tatsächlich“ zusammenfasst. Πρόφασις, eigentlich: „Grund, Ursache, Entschuldigung“, wird zumeist im Sinne von „Vorwand“ als Gegensatz zu einem objektiven Grund gebraucht (Deichgräber*). Viele Auslegungen beziehen προφάσει auf οὐχ ἁγνῶς aus V. 17 zurück und entdecken einen zweiten Angriff auf die Redlichkeit der neidvollen und unzuverlässigen Streitgruppe (Gnilka, K.). Ἀλήθεια meint dann ‚Wirklichkeit‘ im Gegensatz zum Schein (Bauer, Wb). Allerdings ist das Syntagma εἴτε προφάσει εἴτε ἀληθείᾳ eine rhetorische Figur, die die Unsicherheit der erzählenden und beurteilenden Stimme im Hinblick auf die Bewertung eines Vorgangs zum Ausdruck bringt. So ist sich Plutarch nicht sicher, ob die Prätorianer den Kaiser Otho „tatsächlich, weil sie aus Zuneigung um ihn fürchteten, oder als Vorwand, um einen Aufruhr anzuzetteln“ warnten (εἴτ’ ἀληθῶς φοβούμενοι δι’ εὔνοιαν, εἴτε προφάσει χρώμενοι ταύτῃ τοῦ ταράττειν, Plut Otho 3,2; vgl. Plut Camillus 33,3; Orig Comm in Mt 251 f. [Kostermann 145,21]). In seiner Gefangenschaft kann Paulus über die tatsächlichen Motivationen der jeweiligen Verkündigenden nicht abschließend urteilen, aber wichtig ist ihm, dass Christus überhaupt verkündigt wird (Χριστὸς καταγγέλλεται wie V. 17; vgl. V. 14 f.). Wenn er sich darüber freut, so verdankt sich dies nicht allein der „großartigen Sachlichkeit“, mit der der Apostel alle persönlichen Gefühle zurückstellt (Dibelius, HNT 66, vgl. Schenk, K.; U. B. Müller, K.). �46 und ein koptisch-bohairisches Manuskript fügen ein adversatives ἀλλά ein. Die jetzige Freude wird so der kommenden gegenübergestellt. Vielmehr erfüllt die Verkündigung seinen Auftrag „Fortschritt des Evangeliums“ und demonstriert den Anfang kirchlicher Strukturen am Haftort Ephesus (Conzelmann, ThWNT IX 360). Mit zahlreichen Leerstellen des Nichtsagens gelangt Paulus an sein rhetorisches Ziel. Sein Prozess hat trotz der Bemühungen aus Philippi bisher nicht zu seiner Freilassung 109
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Persönliche Mitteilungen
geführt. Auch gibt es an seinem Haftort Ephesus – die Gemeinde in Philippi ist darüber durch ihre Beauftragten und Gesandten wahrscheinlich informiert – Differenzen und schwerwiegende Kritik. Aber die Verkündigung geht weiter, betrieben von (wenigen) mutigen Unterstützerinnen und Unterstützern und sogar von zahlreichen Kritikerinnen und Kritikern. Angesichts dieser ja eigentlich doch misslichen ephesinischen Perspektive ist die treue Solidarität der Philipperinnen und Philipper mehr als ein Trost. Daher kann Paulus behaupten, das Evangelium mache Fortschritte. Der Fortschrittsgedanke richtet sich nicht auf die besondere Leistung von Einzelnen, etwa Mut, Leidenstoleranz oder Tugendhaftigkeit. In diesem Abschnitt ist es auch nicht Paulus, sondern es sind ausschließlich andere, die „das Wort Gottes sagen“ (1,14) und „Christus verkündigen“ (1,15.17 f.). Aber dass es überhaupt Verkündigung gibt, ist ein Fortschritt, der Paulus und die Gemeinde mit Freude erfüllen kann, weil er dem gemeinsamen, geteilten Auftrag, das Evangelium zur Darstellung zu bringen, entspricht. Die Leistung des nicht näher charakterisierten Kollektivs am Haftort des Paulus grenzt dabei – angesichts der Uneinigkeit untereinander und der Gefahren, die die Gefangenschaft eines wichtigen Missionars bedeutet – im Grunde an ein Wunder.
1,18d–26 Fortschritt heißt Rückkehr zu euch 18d
Ja, ich werde mich freuen, 19 denn ich weiß, dass dies für mich ausgehen wird zur Rettung durch eure Fürbitte und die Unterstützung des Geistes Jesu Christi 20 entsprechend meiner bangen Erwartung und Hoffnung, dass ich in nichts beschämt werde, sondern mit allem Freimut – wie allezeit, so auch jetzt – Christus in meinem Leib groß gemacht werden wird, sei es im Leben, sei es im Tod. 21 Denn für mich ist das Leben Christus und das Sterben Gewinn. 22 Wenn ich aber im Leib weiterleben soll, ist dies für mich eine Frucht des Wirkens, und was ich wählen soll, weiß ich nicht. 23 Von beiden Seiten werde ich bedrängt; ich habe Lust aufzubrechen und mit Christus zu sein, denn (das wäre) sehr viel besser. 24 Aber im Leib zu bleiben ist notwendiger euretwegen. 25 Und weil ich darauf vertraue, weiß ich, dass ich bleiben und bei euch allen verbleiben werde zu eurem Fortschritt und zur Glaubensfreude, 26 damit das zu eurem Ruhm Gesagte überreich sein wird in Christus Jesus durch mich, durch meine erneute Ankunft bei euch. Georg W. Bertram, Ἀποκαραδοκία, ZNW 49 (1948), 264–270. – H. D. Betz, Studies 19–46. – Hae-Kyung Chang, (ἀπο)καραδοκία bei Paulus und Aquila, ZNW 93 (2002), 268–278. – Donald L. Denton, Ἀποκαραδοκία, ZNW 73 (1982), 138–140. – David E. Fredrickson, ΠΑΡΡΗΣΙΑ in the Pauline Epistles, in: John T. Fitzgerald (Hg.), Friendship, Flattery, and Frankness of Speech. Studies on Friendship in the New Testament World, NT.S 82, 1996, 163–183. – Heinz Giesen, Eschatology in Philippians, in: Stanley E. Porter (Hg.), Paul and his Theology, 2006, 217–282. – Richard B. Hays, Echoes of Scripture in the Letters of Paul, 1989. – Karl Theodor Kleinknecht, Der leidende Gerechtfertigte. Die alttestamentlich-jüdische Tradition vom ‚leidenden Gerechten‘ und ihre Rezeption bei Paulus, WUNT II/13, 1984, 308–310. – Markus Öhler, Rezeption des Alten Testaments im 1. Thessalonicherbrief und im Philipperbrief?,
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Fortschritt heißt Rückkehr zu euch
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in: Florian Wilk/Ders. (Hg.), Paulinische Schriftreflexion, FRLANT 268, 2017, 113–135. – D. W. Palmer, „To die is gain“ (Philippians i 21), NT 17 (1975), 203–218. – Peterlin, Paul’s Letter 41–49. – Eric Peterson, Zur Bedeutungsgeschichte von Παρρησία, in: Wilhelm Koepp (Hg.), Zur Theorie des Christentums [FS Reinhold Seeberg], 1929, 283–297. – John Reumann, The (Greek) Old Testament in Philippians 1:19 as Parade Example. Allusion, Echo, Proverb?, in: Sang-Won Aaron Son (Hg.), History and Exegesis [FS E. Earle Ellis], 2006, 189–200. – Schapdick, Eschatisches Heil 150–178. – Stefan Schreiber, Paulus im ‚Zwischenzustand‘. Phil 1.23 und die Ambivalenz des Sterbens als Provokation, NTS 49 (2003), 336–359. – Samuel Vollenweider, Die Waagschalen von Leben und Tod. Phil 1,21–26 vor dem Hintergrund der antiken Rhetorik, in: Ders., Horizonte neutestamentlicher Christologie. Studien zu Paulus und zur frühchristlichen Theologie, WUNT 144, 2002, 237–261.
Der folgende Abschnitt gehört eng mit dem vorhergehenden zusammen. Erst in V. 25 gibt Paulus eine letzte Antwort auf die seit V. 12 virulente Frage, worin angesichts seiner Haft der „Fortschritt des Evangeliums“ besteht. Der von NTG28 gesetzte Einschnitt rechtfertigt sich zum einen durch diesen Perspektivwechsel. Von nun an geht es wieder um die Beziehung zwischen Paulus und der Gemeinde in Philippi. Zum anderen dominiert ab V. 19 das Futur. Auch das dreimalige „bleiben“ (V. 24 f.) und der abschließende Finalsatz enthalten den futurischen Aspekt (Gnilka, K.). Zugleich fällt der Wechsel zwischen überladenen Sätzen in den Versen 19 f. und 25 f. sowie kurzen und verkürzten oder unvollständigen Sätzen in V. 21–24 auf. Die Verse 19 und 25 formulieren ein überzeugtes „ich weiß“, V. 22 ein „ich weiß es nicht“. In V. 19 und V. 24–26 blickt Paulus auf die Gemeinde. In V. 20, 22 und 24 thematisiert er seine körperliche Existenz. Die grammatische Struktur lässt das Ringen des Paulus und sein Wechselbad der Gefühle förmlich nachvollziehen. Der Blick in die Gemeinde richtet sich auf ihre Fürbitte. Sie ist der Motor seiner Rettung (V. 19). In Anspielung auf die biblische Figur des leidenden Gerechten Hiob kämpft er nicht nur gegen mehr oder weniger wohlmeinende Freunde um Gottes endgültige Anerkennung (V. 20), es folgt auch eine abwägende Reflexion über die Möglichkeit des Sterbens. Dabei handelt es sich um die Form eines Vergleichs, einer Synkrisis, die klassischen Vorbildern aus antiken Martyriumstraditionen folgt (V. 21– 24). Dass Paulus unvermittelt von einer Wahl zwischen Leben und Tod spricht, hat vermuten lassen, Paulus positioniere sich hier zum Thema Selbsttötung (→ Exk. 4). Viel diskutiert ist auch die in den Paulusbriefen einzigartige Vorstellung einer unmittelbaren postmortalen Existenz „mit Christus“ (→ Exk. 5). Sie wird von manchen als Beispiel für Wandlungen im paulinischen Denken angeführt. Die klassischen Vorbildern folgende Synkrisis über den Vorteil des Todes gegenüber dem Leben erklärt auch die in den Versen 21–24 dominierenden gnomisch knapp formulierten Sätze. Paulus zitiert, aber er wandelt den klassischen Vergleich im Angesicht der Gemeinde charakteristisch ab. Nicht der Tod um der persönlichen Integrität oder des Auftrags zur Wahrheit willen, sondern das Bleiben der Gemeinde wegen ist notwendiger (V. 24). Und ebendarin besteht der eigentliche Fortschritt des Evangeliums (V. 25). Sein Bleiben, zu dem die Gemeinde mithilfe des fürbittenden Gebets, unterstützt von Gottes Geist, beiträgt, und Paulus’ erneute Ankunft in Philippi werden nicht nur ihre Glaubensfreude (→ Exk. 6), sondern auch ihren Ruhm in Christus vermehren (V. 26). 111
1,18d–26
Persönliche Mitteilungen
18d Ἀλλὰ καὶ χαρήσομαι … Nach der kritischen Bestandsaufnahme zum Fortschritt des Evangeliums am Haftort Ephesus wendet Paulus den Blick in die Zukunft. Das verbindende Glied ist das Verb χαίρω „sich freuen“, das überhaupt die Grundstimmung des Dankes- und Freudenbriefes B prägt (→ Exk. 6). Das vorangestellte ἀλλὰ καί betont: „ja sogar“ (B/D/R § 448.6). NTG28 entscheidet gegen die Verseinteilung und zieht V. 18d zu V. 19. Damit ist der mit οἶδα „ich weiß“ fortgeführte Satzteil die Begründung (γάρ) der erwarteten Freude. �46, B, 0278 sowie wenige Minuskeln und Ambrosiaster lesen δέ statt γάρ und markieren damit den Einschnitt am Beginn von V. 19 (vgl. Röm 8,28). So oder so bleibt der Übergang fließend (E. Lohmeyer, K.). Von nun an geht es allerdings konkret um den zu erwartenden Fortschritt, bei dem die Gemeinde in Philippi die Hauptrolle spielt (→ V. 25 f.). 19 … οἶδα γὰρ ὅτι τοῦτό μοι ἀποβήσεται εἰς σωτηρίαν διὰ τῆς ὑμῶν δεήσεως καὶ ἐπιχορηγίας τοῦ πνεύματος Ἰησοῦ Χριστοῦ … Paulus ist sich gewiss, dass „dies“ ihm zur Rettung gereicht. Τοῦτο lässt sich sowohl auf die Verkündigung des Evangeliums (→ V. 18) als auch auf seine Angelegenheiten beziehen (τὰ κατ᾽ ἐμέ, V. 12; U. B. Müller, K.). Ἀποβαίνω heißt eigentlich „aussteigen“ (z. B. aus einem Schiff: Lk 5,2; Joh 21,9). Übertragen beschreibt es den guten oder schlechten Ausgang einer Situation, etwa eines Traumes, der εἰς ἀγαθόν „zum Guten“ oder εἰς κακόν „zum Schlechten“ führen kann (Artemid On[e]irocr 2.37; 3.66: ἀπέβη δ’ εἰς οὐδὲν χρηστὸν αὐτοῖς „es gereichte ihnen aber zu keinem Nutzen“; Plut Quaest Rom 299F; Lk 21,13). Der Zielpunkt ist hier die σωτηρία, „die Rettung im Sinn eines akut-dynamischen Geschehens zwischen Pers[onen], indem Götter oder Menschen andere machtvoll aus einer akuten Lebensgefahr herausreißen“ (Förster, ThWNT VII 967). In den jüngeren biblischen und apokalyptischen Schriften meint σωτηρία Heil und Rettung im letzten Gericht der Endzeit (Bar 4,24.29; SapSal 5,2; 1Hen [gr.] 98,14; 103,10). Entsprechend ist die Formulierung ἀποβήσεται εἰς σωτηρίαν doppeldeutig (Schenk, K.): Sie spricht zum einen die Rettung in diesem Leben, also die Verschonung von einer Todesstrafe und die Entlassung aus der Gefängnishaft, an (Joh Chrys Hom in Phil 4,1 [Field/Allen 29–31/PG 62.198,1–199,41]; Hawthorne/Martin, K.) und verweist zum andern auf das erhoffte endzeitliche Heil (Phil 1,28; Röm 13,11; Gnilka, K.; U. B. Müller, K.; Holloway, K.; → 1,28; 2,12). Zugleich ist die Formulierung τοῦτό μοι ἀποβήσεται εἰς σωτηρίαν ein Zitat aus Hi 13,16 LXX. In seiner Verteidigungsrede gegenüber seinen Freunden sagt Hiob: „Auch wenn der Mächtige mich in die Hände bekommt, da er bereits begonnen hat: Wahrlich, ich werde reden und ihm Beweise vorlegen. Und dieses wird mir zur Rettung gereichen (τοῦτό μοι ἀποβήσεται εἰς σωτηρίαν), denn Betrug wird nicht vor ihm eintreten“ (Hi 13,15 f. LXX). Hiob behauptet vor seinen Freunden und Gott (ὁ δυνάστης) – beide treten hier als Gegner Hiobs auf –, dass sein Zeugnis sich im unbestechlichen himmlischen Gerichtshof als wahr erweisen wird. Der intertextuelle Verweis ist mit fünf Wörtern markiert (Hays* 21–29). Hays entdeckt in οἶδα γὰρ ὅτι noch einen zweiten intertextuellen Verweis auf Hi 19,25 f.: „ich weiß, dass mein Erlöser lebt“ (Hays* 24). Letztere Markierung ist nicht eindeutig zu identifizieren. Und insgesamt fehlt eine explizite Zitateinleitung. Die ganze Korrespondenz mit der Gemeinde in Philippi enthält nur sehr wenige biblische Zitate oder Anklänge (→ 2,10 f.15; 3,21). Außerdem zitiert Paulus insgesamt selten aus dem Buch Hiob (nur 1Kor 3,19; 112
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Röm 11,35). In der Auswertung dieses Befundes werden drei Interpretationsmodelle vorgeschlagen: (A) Paulus parallelisiert sich mit der Hiobfigur und gibt der Gemeinde damit einen Hinweis, dass seine Gegnerinnen und Gegner unrecht behalten werden, weil Gott ihn rechtfertigen wird (Hays* 21–29; Hawthorne/Martin, K.; Bockmuehl, K. 83 mit rabbinischen Parallelen; Fowl, K.; Öhler* 129–131). (B) Paulus reflektiert sein eigenes Leben auf dem Hintergrund der Hiobfigur, weil es ihm selbst Trost spendet. Er erwartet jedoch nicht, dass die Lesenden das Zitat erkennen (Gnilka, K.; O’Brien, K.; Walter, K.). (C) Es handelt sich nicht um ein Zitat, sondern um ein Sprichwort (Reumann*). Die Existenz eines entsprechenden Sprichworts kann bisher nicht nachgewiesen werden. Auch geht es im Folgenden nicht um eine Auseinandersetzung mit Gegnerinnen und Gegnern. Paulus reflektiert also vor allem seine eigene Situation im Spiegel der biblischen Hiobfigur (Lösung B). Im Umfeld der Paulusbriefe ist Hiob als Beispiel der Geduld, als ein von seinen Feinden und Freunden ungerecht Angeklagter und als jemand, der von Gott geprüft und für gerecht befunden wurde, gut bekannt (Jak 5,11; TestHiob; Kleinknecht* 309). V. 20 verstärkt das Motiv des leidenden Gerechten mit Anklängen an die Psalmensprache. Und auch ohne Textkenntnis des Hiobbuchs der Septuaginta spielt die Formulierung an das Motiv des für eine gerechte Sache Leidenden an. Denn Sokrates sagt bei Platon: „Es gibt kein Übel für einen guten Mann weder im Leben noch im Sterben, noch werden seine Angelegenheiten von den Göttern vernachlässigt sein“ (οὐκ ἔστιν ἀνδρὶ ἀγαθῷ κακὸν οὐδὲν οὔτε ζῶντι οὔτε τελευτήσαντι, οὐδὲ ἀμελεῖται ὑπὸ θεῶν τὰ τούτου πράγματα, Plat Ap 41d, vgl. Resp 613a). Anders als Hiob und Sokrates gründet Paulus die Erwartung der Rettung jedoch nicht allein auf seine sich im himmlischen Gerichtshof erweisende Rechtschaffenheit und den Erweis seiner Wahrheit, sondern auch auf die δέησις „Fürbitte“ (→ 1,4) der Gemeinde und die Unterstützung des Geistes Jesu Christi (G. Barth, K.; Holloway, K.; Phlm 22). Ursprünglich heißt ἐπιχορηγέω „die Kosten für einen Chor bestreiten“, dann übertragen „gewähren, ausstatten“ (Mahoney, EWNT II 114 f.). Nach Gal 3,5 hat Gott die Gemeinde mit Geist ausgestattet. Analog kann man Gott als Subjekt der Unterstützung des fürbittenden Gebetes der Gemeinde auffassen. Gott unterstützt dann durch die Gabe des Geistes. Ebenso möglich ist es aber auch, den Geist als Subjekt aufzufassen. Der Geist kann z. B. unterstützen, indem er die richtigen Worte im Prozess oder vor Gott findet (Mk 13,11 par.; Röm 8,26). Die Formulierung πνεῦμα Ἰησοῦ Χριστοῦ ist singulär, aber Paulus kennt andernorts den „Geist Christi“, „den Geist des Herrn“ und den „Geist seines Sohnes“ (Röm 8,9; 2Kor 3,17; Gal 4,6; vgl. 1Petr 1,11). Die meisten Auslegungen lösen den Genitiv als genitivus subiectivus auf (Gnilka, K.; Schenk, K. u. a.). Es ist dann der Geist, der von Jesus Christus ausgeht. Allerdings gibt sonst überall Gott den Geist (1Thess 4,8; 1Kor 6,19; 2Kor 1,21 f.; 5,5). Möglich ist daher auch ein Genitiv der Apposition: der Geist, der Christus ist (Hawthorne/Martin, K.). Jedenfalls wirkt dieser Geist in den Gebeten der Glaubenden (Gal 4,6; Röm 8,26; Baumert, K.). Paulus fordert die Gemeinde nicht nur zur Fürbitte auf. Er konstatiert, dass ihre Fürbitte eine wirksame Hilfe ist und dass in und mit ihr der Geist wirkt. 20 … κατὰ τὴν ἀποκαραδοκίαν καὶ ἐλπίδα μου, ὅτι ἐν οὐδενὶ αἰσχυνθήσομαι ἀλλ᾽ ἐν πάσῃ παρρησίᾳ ὡς πάντοτε καὶ νῦν μεγαλυνθήσεται Χριστὸς ἐν τῷ σώματί μου, εἴτε διὰ ζωῆς εἴτε διὰ θανάτου. Dieser Vers führt den in V. 18 be113
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Persönliche Mitteilungen
gonnenen Satz zu Ende. Paulus legt seine Zuversicht und Befürchtungen offen. Der Ton von ἀποκαραδοκία „angespannte Erwartung“ ist umstritten. Als Substantiv ist das Wort vor Paulus nicht belegt (Röm 8,19). Das Verb ἀποκαραδοκέω wird aber spätestens seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. gebraucht. Wie das Simplex καραδοκέω, so die Manuskrite F und G, drückt es angespanntes Erwarten mit ungewissem Ausgang aus, zumeist im Kontext höchster Gefahr (ἀπεκαραδόκει τὸν κίνδυνον, Polyb 16.2,8; Jos. Bell. 3.264; Bertram*; Balz, EWNT I 317 f.). Für Bertram bringt Paulus mit ἀποκαραδοκία seine „Spannung über die Ungewissheit seines irdischen Geschickes“ zur Sprache (Bertram* 270). Bestritten wird dies unter anderem von Denton* und Chang*, die aus der mit ἐλπίς „Hoffnung“ ausgedrückten Zuversicht auf eine positive Konnotation schließen. Jedoch wird man dem todesbedroht im Gefängnis einsitzenden Paulus das Gefühl der Angst zugestehen. Die andere Seite seiner Gefühle spiegelt das Stichwort „Hoffnung“ als „die Erwartung des Guten“ (Ἐλπὶς προσδοκία ἀγαθοῦ, Pseudo-Plat Def 416a). In der biblischen Tradition gilt das vertrauende Hoffen Gott (Bultmann, ThWNT II 520; Spicq III 264–266). „Du, Herr, bist meine Hoffnung“ heißt es in den Psalmen (σύ, κύριε, ἡ ἐλπίς μου, ψ 90,9; vgl. ψ 21,10; 60,4; 70,5; 72,28; 93,22; 141,6). Wer auf Gott hofft, hofft zugleich, nicht beschämt zu werden in Ewigkeit (ὁ θεός, ἐπὶ σοὶ ἤλπισα μὴ καταισχυνθείην εἰς τὸν αἰῶνα, ψ 70,1; vgl. ψ 21,6; 24,20; 30,2; Röm 5,5). Αἰσχύνομαι „beschämt werden“ meint hier also nicht allein Ehrverlust, sondern von Gott nicht anerkannt zu werden (E. Lohmeyer, K.; Bultmann, ThWNT I 188). Dem ἐν οὐδενὶ αἰσχυνθήσομαι „in nichts beschämt zu werden“ steht ἐν πάσῃ παρρησίᾳ „in allem Freimut“ antithetisch gegenüber (vgl. Spr 13,5; 1Joh 2,28; Schenk, K.). Παρρησία ist zunächst die politische Redefreiheit des freien Polisbürgers. Wird dieses Recht jedoch von Sklavinnen und Sklaven in Anspruch genommen, wird Redefreiheit zur Unverschämtheit. Unter Gleichgestellten und in Freundschaften ist παρρησία die Offenheit (Peterson*; Schlier, ThWNT V 869–884; Spicq III 526– 533). An dieser Stelle steht wohl vor allem der Freimut im Zentrum, mit dem leidende Gerechte sowie Märtyrerinnen und Märtyrer für ihre gerechte Sache einstehen (4Makk 10,5; MartPol 10,1; Schlier, ThWNT V 883 f.; Balz, EWNT III 110; E. Lohmeyer, K.; Holloway, K.). Jedoch fällt auf, dass die adressierte Öffentlichkeit der freien Rede nicht benannt ist. Im Kontext lässt sich an das öffentliche Zeugnis vor Gericht und im Gefängnis denken (Fredrickson* 172). Aber auch Gott ist als Adressat der freien Rede mindestens mitgemeint (Hi 22,26; Philo her. 5–29; Schlier, ThWNT V 881). Der Vers enthält schließlich eine weitere Antithese aus der Psalmensprache: αἰσχύνομαι – μεγαλύνομαι. In den Psalmen beten Bedrängte: „Zuschanden werden sollen … die, die mir nach dem Leben trachten …, und allezeit sollen sagen die, die deine Rettung lieben: ‚Groß sei Gott‘“ (αἰσχυνθείησαν … οἱ ζητοῦντές μου τὴν ψυχήν … λεγέτωσαν διὰ παντός Μεγαλυνθήτω ὁ θεός, οἱ ἀγαπῶντες τὸ σωτήριόν σου, ψ 69,3–5; vgl. ψ 33,4–6; 34,26–28; 39,15–17; 1QH 12,22 f. [4,22 f. Sukenik]). Paulus hofft, dass – mithilfe der Fürbitte der Gemeinde mit und trotz seiner freien Rede – Gottes Größe sichtbar werden wird. Μεγαλύνω „groß machen“ heißt in den Psalmen „bekennen, dass Gott und seine Werke groß sind“ (Spicq II 545 f.). Für Paulus ist es Christus, der groß gemacht wird, und zwar „in meinem Leib“ (ἐν τῷ σώματί μου; Schapdick* 157). Häufig wird μεγαλυνθήσεται allerdings abgeschwächt mit „geprie114
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sen“ oder „verherrlicht werden“ übersetzt. Aber für einen Lobpreis Christi ist das Verb ungewöhnlich (Schenk, K.; Giesen* 243). Dass sich die Offenbarung Christi am Leib seiner Gesandten vollzieht, sagt Paulus dagegen häufig (vgl. 2Kor 4,10 f.; 1Kor 6,19 f.). Die leibliche Existenz – gerade in ihren leidvollen Aspekten – ist für Paulus ὡς πάντοτε καὶ νῦν „wie allezeit auch jetzt“ Medium der Christusexistenz und Verkündigung (1Kor 4,9–13; 2Kor 2,14–16; 4,7–12). Denn Menschlichkeit inklusive menschlichen Leidens entspricht dem sich im Kreuz offenbarenden Gott (1Kor 1,18–2,5; Gal 3,1). Die letzte Antithese lautet „sei es im Leben, sei es im Tod“. Hier gibt Paulus schließlich klar zu erkennen, dass der Ausgang des Prozesses und der Haft offen und seine Hinrichtung eine keineswegs auszuschließende Möglichkeit ist (vgl. 2Kor 1,8 f.). Wie aber passt diese Gefahr zum „Fortschritt des Evangeliums“ (V. 12)? Die folgenden Verse 21–26 möchten die These, Christus werde sowohl im Leben als auch im Tod groß gemacht, begründen. Es handelt sich um eine Synkrisis, das heißt eine „vergleichende Gegenüberstellung“, der Vorteile von Leben und Sterben (Armin, DNP 11, 1156). Die Synkrisis greift dabei eine Reihe in der Antike sehr populärer und zum Teil sprichwörtlicher Formulierungen auf (gesammelt bei E. Lohmeyer, K. 57 Anm. 4; Palmer* 208–216; Vollenweider* 248–257; NW II/1, 655–666). 21 Ἐμοὶ γὰρ τὸ ζῆν Χριστὸς καὶ τὸ ἀποθανεῖν κέρδος. Als summierende Schlussthese der Argumentation seit V. 19 f. formuliert V. 21 eine Sentenz: „Für mich ist das Leben Christus und das Sterben Gewinn.“ Es handelt sich um ein Sprichwort aus der antiken Martyriumstradition (zuerst: Hom Od 20.316 f.). So sagt die das göttliche gegen das menschliche Gesetz verteidigende Antigone: „Wenn ich vor der Zeit schon sterbe, nenne ich dies Gewinn“ (εἰ δὲ τοῦ χρόνου πρόσθεν θανοῦμαι, κέρδος αὔτ’ ἐγὼ λέγω, Soph Ant 461 f.). Auch für Sokrates gilt: Wenn er ein empfindungsloser Schlaf wäre, so „wäre der Tod ein Gewinn“ (κέρδος ἂν εἴη ὁ θάνατος, Plat Ap 40e). Und bei Libanius bekennt ein Vater, der seinen Sohn, einen Tyrannen, ermordet hat: „Denn gänzlich ist für die, denen das Leben schwer ist, der Tod ein Gewinn“ (πάντως γὰρ οἷς βαρὺ τὸ ζῆν κέρδος ὁ θάνατος, Lib Or 14,34). Dass der Tod ein Gewinn gegenüber einer zu erwartenden Niederlage sei, sagen auch unterlegene Soldaten (Jos. Ant. 15.158; Paus 4.7,11). Paulus formuliert die Sentenz symmetrisch und verbindet (καί) mit den substantivierten Infinitiven zwei Aktivitäten: das Leben im Präsens und das Sterben abschließend im Aorist (H. D. Betz* 27). So traditionell aber die Rede vom Sterben als Gewinn ist, so provokativ ist die Gegenseite formuliert. Christus ist Prädikatsnomen des elliptischen Nominalsatzes: „für mich ist das Leben Christus“ (anders Lutherbibel 2017: „Christus ist mein Leben“). Die theologische Provokation ergibt sich aus der Implikation, dass sich Christus allein auf das Leben zu beziehen scheint. Ausschließlich ist dies sicher nicht gemeint, denn „Christus“ greift das „dass Christus groß gemacht werde in meinem Leib“ aus V. 20 wieder auf. Jedoch muss man das hier Gesagte ernst nehmen und mit Vollenweider den mit dem Leben verbundenen „Christus“ als eine Kurzform für „Verkündigung des Evangeliums“ verstehen (Vollenweider* 244; vgl. O’Brien, K.). Andere möchten trotz der Wortstellung „Christus“ als „das beherrschende Satzglied“ auffassen. Denn auch der Tod führe „zur eschatischen Lebensgemeinschaft mit Christus“ (Schapdick* 159; vgl. Gnilka, K.; U. B. Müller, K.; Schreiber* 339). „Für mich ist das Leben Christus“ ist dann die Kurzform der paulinischen Christusmystik: „Nicht ich lebe mehr, 115
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sondern Christus in mir“ (ζῶ δὲ οὐκέτι ἐγώ, ζῇ δὲ ἐν ἐμοὶ Χριστός, Gal 2,20; vgl. Röm 14,8; 6,10 f.; 2Kor 5,15). Möglicherweise ist die Anspielung auf die Christusmystik intendiert (Holloway, K.). Betont man jedoch das „in Christus leben“ zu stark und macht τὸ ζῆν zu einer Leben und Tod umfassenden Chiffre, ist der hier betonte Gegensatz von Leben und Sterben, τὸ ζῆν und τὸ ἀποθανεῖν, nivelliert. Nicht nur die klassischen Sentenzen laufen auf die Präferenz des Sterbens hinaus, sondern auch die paulinische Argumentation (Vollenweider* 257). 22 εἰ δὲ τὸ ζῆν ἐν σαρκί, τοῦτό μοι καρπὸς ἔργου, καὶ τί αἱρήσομαι οὐ γνωρίζω. Der nächste Vers durchdenkt die Option Leben. Dabei schließen �46 und D* mit εἴτε direkt an V. 18 und V. 20 an. Mit τὸ ζῆν ἐν σαρκί „Leben im Fleisch“, das heißt im Leib/Körper, ist nicht nur τὸ ζῆν aus V. 21, sondern auch ἐν τῷ σώματί μου aus V. 20 aufgegriffen. Die Konjunktion εἰ leitet einen indefiniten Konditionalsatz „als persönliche Ansicht über eine Wirklichkeit oder Verwirklichung“ ein (B/D/R § 371.1). Der bedingte Satzteil (die Apodosis) kann (A) im Nominalsatz τοῦτό μοι καρπὸς ἔργου gefunden werden: „Wenn aber das Leben im Fleisch, so wäre dies für mich Frucht des Wirkens“ (Dibelius, HNT; Gnilka, K.). Oder (B), man lässt die Apodosis am Ende des Satzes mit καὶ τί αἱρήσομαι einsetzen: „Wenn aber das Leben im Fleisch, hwenni das mir Werkesfrucht ist – was soll ich dann wählen? Ich weiß es nicht“ (B/D/R § 442.5b16). Der τοῦτο-Satz ist dann eine Apposition, die das „Leben im Leib“ konkretisiert (E. Lohmeyer, K.; Schenk, K.; Baumert, K.). Ἔργον „Wirken, Werk“ meint wie bereits in → 1,6 die Missionsarbeit (vgl. 2,30; 1Kor 3,13–15; 9,1; 16,10). Καρπός „Frucht“ ist eine eingeführte Metapher für missionarischen Ertrag und Erfolg (Röm 1,13; vgl. Phil 1,6; 1Kor 9,7; Joh 15,2; auch in Bezug auf philosophische Vorträge: Plut Adulat 44A; Hauck, ThWNT II 617 f.). Nach der Interpretation A besteht der Vorteil des Weiterlebens in der Möglichkeit zur weiteren Missionsarbeit und in deren Ertrag. Bei der Interpretation B liegt die Betonung auf Paulus’ Wahl, genauer auf der Unsicherheit, ob er Leben, das heißt weitere Mission, oder Sterben, das heißt Christusgemeinschaft, wählen soll (→ V. 23). Insbesondere das eigentliche Ziel der Argumentation in den Versen 25 f. lässt Möglichkeit A plausibler erscheinen. Das Futur αἱρήσομαι „ich werde wählen“ kann entweder als ein von γνωρίζω abhängiger uneigentlicher Konjunktiv aufgefasst werden (Gnilka, K.; U. B. Müller, K.; Schapdick* 161) oder als eine direkte Frage. Die Antwort folgt dann in einem neuen Satz: καὶ τί αἱρήσομαι; Οὐ γνωρίζω „und was werde ich wählen? Ich weiß es nicht“. Die Majuskeln �46, B und die Minuskel 2464 entscheiden sich eindeutig für die erste Lösung und lesen einen Konjunktiv: καὶ τί αἱρήσωμαι. Fasst man dies als Apodosis zum εἰ-Satz auf, so entsteht ein zweifelnder oder überlegender Bedingungssatz: „Wenn … Frucht des Wirkens, was sollte ich (dann) wählen? Ich weiß es nicht.“ Γνωρίζω „bekannt machen, zu erkennen geben, mitteilen, offenbaren“ wird an dieser Stelle zumeist resultativ mit „wissen“ übersetzt (Bauer, Wb). Wie in Hebr 11,25 beschreibt das Medium αἱρέομαι „die auswählende Vorzugsentscheidung zwischen zwei Möglichkeiten“ (Schlier, ThWNT I 179). Damit aber scheint Paulus über das Ausscheiden aus dem Leben ernsthaft nachzudenken.
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Exkurs 4: Denkt Paulus in Phil 1,22 über den Suizid nach? E.-M. Becker, Person. – Lukas Bormann, Reflexionen über Sterben und Tod bei Paulus, in: Friedrich Wilhelm Horn (Hg.), Das Ende des Paulus. Historische, theologische und literaturgeschichtliche Aspekte, BZNW 106, 2001, 307–330. – N. Clayton Croy, „To die is gain“ (Philippians 1:19–26). Does Paul Contemplate Suicide?, JBL 122 (2003), 517–531. – Arthur J. Droge, Mori lucrum. Paul and Ancient Theories of Suicide, NT 30 (1988), 263–286. – Arthur J. Droge/ James D. Tabor, A Noble Death. Suicide and Martyrdom among Christians and Jews in Antiquity, 1992. – Nijay K. Gupta, „I will not be put to shame“. Paul, the Philippians, and the Honourable Wish for Death, Neotest. 42,2 (2008), 253–267. – James L. Jaquette, Life and Death, Adiaphora, and Paul’s Rhetorical Strategies, NT 38,1 (1996), 30–54. – Mark J. Keown, Did Paul Plan to Escape from Prison? (Philippians 1:19–26), JSPL 5,1 (2015), 89–108. – Rodney Reeves, To Be Or Not to Be? That Is Not the Question. Paul’s Choice in Philippians 1:22, PRSt 19 (1992), 273– 289. – Vollenweider, Waagschalen 247–257. – Wansink, Chained in Christ 96–127. Dass Paulus behauptet, zwischen Tod und Leben wählen zu können, hat die Auslegungen von jeher irritiert. Johannes Chrysostomus ist z. B. der Ansicht, Paulus habe zwar eine Wahl, aber es gehe nicht um eine Selbsttötung, sondern darum, ob er „Gott um die Gnade (des Sterbens) bitten“ solle (Hom in Phil 4,3 [Field/Allen 35/PG 62.202,44]). In Aufnahme der ersten Bedeutung von γνωρίζω „bekannt machen“ meint Ernst Lohmeyer, Paulus könne die Entscheidung zwischen Leben und Tod noch nicht mitteilen, weil Gott es ihm noch nicht offenbart habe (K. 61 f. Anm. 3). Für Gnilka spricht Paulus zwar von einer Entscheidungsmöglichkeit, diese habe jedoch wegen der Gefangenschaft real gar nicht bestanden (K. 72). Doch sind viele Suizide aus dem Gefängnis belegt (Krause, Gefängnis 68; 302 f.; Wansink*). Andere Auslegungen möchten αἱρέομαι lieber im Sinne von „vorziehen“ oder gar „wünschen“ verstehen (Bruce, K./O’Brien, K.; U. B. Müller, K.). Damit wäre das Sterben nur ein Wunsch und keine Wahl. Die These, dass Paulus hier tatsächlich von einer freien Wahl zur Selbsttötung spreche, hat am nachdrücklichsten Arthur Droge vertreten. Gestehe Plato den Suizid letztlich nicht zu, „bevor ein Gott eine Notwendigkeit verhängt hat“ (πρὶν ἀνάγκην τινὰ θεὸς ἐπιπέμψῃ, Phaed 62c), verträten die kynische, die epikureische und die stoische Philosophie zumindest in römischer Zeit das Recht auf Selbsttötung, z. B. wegen Schmerzen oder auch, um die eigene Begierde zu beherrschen (Zenon bei Diog L 7.130). Wie diese erkläre auch Paulus den Tod zu einem Gewinn (V. 21), weil er ihn von den gegenwärtigen Leiden und dem Unglück erlöse (Droge* 278–280; Droge/Tabor* 119– 126). Paulus habe „Todeslust“, so Droges Übersetzung von ἐπιθυμίαν ἔχων εἰς τὸ ἀναλῦσαι (Droge* 280). Droges Thesen sind zu Recht vielfach kritisiert worden. Jaquette vermisst z. B. die Frage nach der rhetorischen Funktion. Paulus erkläre Leben und Tod für nebensächlich (zu Adiaphora), weil er in einer freundschaftlichen Seelenführung den Philipperinnen und Philippern ein Modell vor Augen stellen möchte (Jaquette* 33–38). Croy* zeigt, dass Paulus keinesfalls Leiden zu vermeiden suche (vgl. z. B. Phil 3,10 f. u. ö.). Paulus führe hier vielmehr rhetorisch eine Aporie vor, um sein Argument des Bleibens um der Gemeinde willen zu stärken. Wansink* beobachtet, dass Droge nicht zwischen Freitod und Martyrium unterscheidet. Tatsächlich legt die sokratische Tradition dem angeklagten Sokrates die Worte in den Mund: „Ich werde lieber wählen zu sterben als unfrei zu leben“ (αἱρήσομαι τελευτᾶν μᾶλλον ἢ ἀνελευθέρως τὸ ζῆν, Xenoph Ap 9; vgl. Epict Diss 1.1,9–24). Aber Sokrates tötet sich eben nicht selbst, sondern unterwirft sich dem Gesetz und Urteil der Athener, anstatt der Haft zu entfliehen (Epict Diss 4.1,164 u. ö.). Eve-Marie Becker* vermutet, Paulus gehe es in Analogie zu Sokrates um die Frage, ob er sich dazu entscheiden soll, den Fesseln zu entfliehen, um in seine religiöse Heimat bei Christus zurückzukehren. Andere denken an eine bewusste Inkaufnahme des Todesurteils z. B. durch ein zu forsches Auftreten vor Gericht (Holloway, Consolation 114 f.; Holloway, K.). Dagegen erwägt Wansink,
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Paulus habe sich gar nicht verteidigt (Wansink* 124; Fowl, K. 57–59). Reeves* und Keown* vermuten sogar einen Ausbruchsplan, bei dem die Gemeinde helfen wollte, den Paulus jedoch schließlich ablehnte. Für Nijay K. Gupta muss Paulus’ jüdischer Hintergrund bedacht werden. Hier gebe es zwar keinen Suizid, aber den ehrenhaften Wunsch nach dem Tod, um verlorene Ehre wiederzugewinnen (Num 11,14 f.; 1Kön 19,4 u. ö.). Die insbesondere von Vollenweider zusammengestellten Parallelen der Vergleichung (Synkrisis) in Phil 1,21–24 weisen in die Richtung der Abwägung der Vor- und Nachteile eines Martyriums. Dabei ist nicht völlig auszuschließen, dass der Jude Paulus an Suizid gedacht hat (anders Vollenweider* 257). Aber die moderne Vorstellung eines Freitods in der alleinigen Verantwortung des sich tötenden Subjektes geht hier fehl. Im Einklang mit der von Vollenweider benannten antiken sowie der jüdischen Tradition geht es bei der Abwägung von Leben und Sterben immer um den Nutzen für andere einschließlich der menschlichen und göttlichen Ordnung (vgl. Philo plant. 146 f.; Jos. Bell. 7.320–401 u. ö.). Die paulinische Argumentation läuft darauf hinaus, dass Paulus das Sterben zwar für sich selbst für „besser“, aber eben nicht für gemeinschaftsfähig hält. Für die Gemeinde ist es „notwendiger“ (ἀναγκαιότερον) zu bleiben (Bormann* 319 f.).
23 συνέχομαι δὲ ἐκ τῶν δύο, τὴν ἐπιθυμίαν ἔχων εἰς τὸ ἀναλῦσαι καὶ σὺν Χριστῷ εἶναι, πολλῷ γὰρ μᾶλλον κρεῖσσον. Noch einmal benennt Paulus die beiden Optionen. Er ist vom Ursprung (ἐκ) dieser zwei, also Leben und Sterben, „bedrängt“ und „ganz und gar beherrscht“ (συνέχομαι; Köster, ThWNT VII 881 f.). Eine zweite Bedeutung des Verbs ist „in einem Gefängnis gefangen gehalten werden“ (Lk 22,63; P.Polit.Iud. 2,4 f., 135 v. Chr.; TUAT.NF I [2004], VII 9; P.NYU 2.18,6 f., 6 n. Chr.; weitere Belege: Arzt-Grabner, 2. Korinther 332 f.). Möglicherweise ist diese Doppeldeutigkeit beabsichtigt. Genannt wird zunächst die Seite des Sterbens (τὸ ἀναλῦσαι). Ἀναλύω „aufbrechen“ ist eine geprägte Metapher für „aus dem Leben scheiden“. So heißt es am Ende eines Grabepigramms: „Zu den Göttern bin ich aufgebrochen und mit den Unsterblichen werde ich sein, denn die sie (die Götter) lieben, sterben alle jung“ (ἐς δὲ θεοὺς ἀνέλυσα καὶ ἀθανάτοισι μέτειμι ὅσους γὰρ φιλέουσι, νέοι θνήσκουσιν ἅπαντες, IKyzikos 498,11–16/Merkelbach/Staubner, Steinepigramme 08/06/9, 3. Jh. n. Chr.; vgl. Diogenes von Oinoanda, Frgm. 3, col. 2,11 f.; Sokrates Ep 27,5; Philo Flacc. 187; 2Tim 4,6). �46c, D, F, G lassen die Präposition εἰς aus, was ἀναλῦσαι und σὺν Χριστῷ εἶναι durch die Verbindung nur mit dem Artikel τό näher zusammenrückt. Ἐπιθυμία „Begehren“ ist hier wie in 1Thess 2,17 positiv besetzt im Sinne eines heftigen Bestrebens und Wünschens (vgl. Lk 22,15; 1Tim 3,1). Dies wird am Ende des Satzes noch verstärkt mit einer Häufung von Komparativen. Der Satz klingt überschwänglich, aber verkürzt. Wiederum formuliert Paulus „seine persönliche Präferenz des Sterbens in enger Anlehnung an ‚weisheitliches‘, ungemein breit gestreutes Sentenzengut“ (Vollenweider* 255). So hat Sokrates in seiner Verteidigungsrede „erkannt, dass das Sterben für ihn besser ist, als noch zu leben“ (ἐπεὶ γὰρ ἔγνω τοῦ ἔτι ζῆν τὸ τεθνάναι αὐτῷ κρεῖττον εἶναι, Xenoph Ap 33). An den Helden Kleobis und Bitos „zeigt Gott, dass Sterben für einen Menschen viel besser ist als das Leben“ (διέδεξέ τε ἐν τούτοισι ὁ θεὸς ὡς ἄμεινον εἴη ἀνθρώπῳ τεθνάναι μᾶλλον ἢ ζώειν, Hdt 1.31,3; weitere Belege bei Vollenweider* 251–254; NW II/1, 661–665). Auch die jüdische Tradition kennt diese Sentenzen. Der verzweifelte Prophet Jona bittet: „Nimm meine Seele von mir, denn besser ist das Sterben für mich als zu leben“ (λαβὲ τὴν ψυχήν μου ἀπ᾽ ἐμοῦ ὅτι 118
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καλὸν τὸ ἀποθανεῖν με ἢ ζῆν με, Jon 4,3). Und der Weisheitslehrer Sirach formuliert: „Tod ist besser als ein bitteres Leben“ (κρείσσων θάνατος ὑπὲρ ζωὴν πικράν, Sir 30,17; vgl. 40,28; weitere Belege: Vollenweider* 254 f.). In Paulus’ Version sticht allerdings die besondere Häufung der Komparative heraus: πολλῷ [γὰρ] μᾶλλον κρεῖσσον „[denn] viel mehr besser“. Das wirkt überbetont. Hans Dieter Betz möchte sie wegen des Sentenzenstils streichen und liest in Anlehnung an �46, 0278, Clemens Alexandrinus sowie, im Apparat nicht verzeichnet, die Minuskel 436 und die altlateinischen Handschriften 75 und 77 πολλῷ γὰρ κρεῖσσον „denn (dies ist) viel besser“ (H. D. Betz* 30 f.). In �*, D2, K, L, P, Ψ, den Minuskeln 630, 1505, 2464, �, lat und der Harklensis fehlt das γάρ. Daher ist es von NTG28 eingeklammert. Jedoch wird die begründende Konjunktion γάρ von �46, �1, A, B, C, 075, 0278, vielen Minuskeln, vgmss, Clemens Alexandrinus und Augustin geboten und ist logisch notwendig. Eine ganz andere Variante bieten die jüngeren Handschriften D*, F und G: πόσῳ μᾶλλον „um wie viel mehr“. Welche Version auch immer den ältesten Text bietet, deutlich ist, dass die Abschreibenden an dieser Stelle korrigieren wollten. Die starke Betonung durch die mit „viel“ gesteigerten zwei Komparative ist jedenfalls die schwierigste Lesart. Paulus sehnt sich im Übermaß danach, jetzt „mit Christus zu sein“. Die mit σὺν Χριστῷ εἶναι verbundene Vorstellung der postmortalen Existenz und ihr Verhältnis zur Auferstehung der Glaubenden werden in der gegenwärtigen Forschung diskutiert.
Exkurs 5: Postmortale Existenz nach Phil 1,23 Gerhard Barth, Phil 1,23 und die paulinische Zukunftserwartung, in: Ders., Neutestamentliche Versuche und Beobachtungen, 1996, 335–340. – Günther Baumbach, Die Zukunftserwartung nach dem Philipperbrief, in: Rudolf Schnackenburg/Josef Ernst/Joachim Wanke (Hg.), Die Kirche des Anfangs [FS Heinz Schürmann], 1978, 293–310. – Jürgen Becker, Auferstehung der Toten im Urchristentum, SBS 82, 1976, 40–45. – Paul Hoffmann, Die Toten in Christus. Eine religionsgeschichtliche und exegetische Untersuchung zur paulinischen Eschatologie, NTA 2, 1965. – Claus-Hunno Hunzinger, Die Hoffnung angesichts des Todes im Wandel der paulinischen Aussagen, in: Bernhard Lohse/Hans P. Schmidt (Hg.), Leben angesichts des Todes. Beiträge zum theologischen Problem des Todes [FS Helmut Thielicke], 1968, 69–88. – Günter Röhser, „Christus ist mein Leben“. Leben und ewiges Leben nach dem Neuen Testament, ZNT 7,13 (2004), 22–32. – Schapdick, Eschatologisches Heil 163–174. – Udo Schnelle, Wandlungen im paulinischen Denken, SBS 137, 1989, 37–48. – Schreiber, Paulus im ‚Zwischenzustand‘. – Albert Schweitzer, Die Mystik des Apostels Paulus, 1930, 135–138. – Jerry L. Sumney, Post-Mortem Existence and Resurrection of the Body in Paul, HBT 31,1 (2009), 12–26. – Nikolaus Walter, Leibliche Auferstehung? Zur Frage der Hellenisierung der Auferweckungshoffnung bei Paulus, in: Michael Trowitzsch (Hg.), Paulus, Apostel Jesu Christi [FS Günter Klein], 1998, 109–127. – Wolfgang Wiefel, Die Hauptrichtungen des Wandels im eschatologischen Denken des Paulus, ThZ 30 (1974), 65–81. Der Wunsch, „aufzubrechen und mit Christus zu sein“, deutet für einige Auslegerinnen und Ausleger eine neue, spezifisch veränderte Vorstellung postmortaler Existenz an. Paulus erwarte im Philipperbrief zum ersten Mal, unmittelbar nach seinem Tod „mit“ oder „bei Christus“ zu
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sein. In 1Thess 4,15–18 stellt Paulus ein endzeitliches Szenario vor, nach dem bei der baldigen Ankunft Christi die noch Lebenden mit den Entschlafenen zu dem vom Himmel herabkommenden Kyrios emporgehoben werden. In 1Kor 15,22–28 erwartet Paulus die Auferstehung aller und nach 1Kor 15,45–55 die Verwandlung des vergänglichen Leibes in einen unvergänglichen Leib als endzeitliches Ereignis. Hier erscheint auch das Bild der Überkleidung (1Kor 15,53). In 2Kor 5,1– 10 spricht er ebenfalls von einer himmlischen Überkleidung, jedoch ohne direkten Verweis auf die Endzeit. Der Kontext benennt allerdings das Gericht (2Kor 5,10; vgl. auch 1Kor 3,13; 5,5; Röm 2,5.13; 14,10). Manche Auslegungen interpretieren Phil 1,23 daher als den Endpunkt eines Wandels im paulinischen Denken. Die Vorstellungen über die postmortale Existenz verschöben sich vom kollektiv geprägten jüdisch-apokalyptischen zu individualistisch hellenistisch-griechischem Denken angesichts zurücktretender Naherwartung (Hunzinger*; Wiefel*; Walter*; vgl. Walter, K. 43 f.; Schnelle*; Schnelle, Paulus 635–642). Für diese Position ist der Schlüsseltext vor allem 2Kor 5,6, wo Paulus Leib (σῶμα) und Kyrios einander gegenüberstellt. Mit den Bildern des Auswanderns aus dem Leib und des Leibes als Gewand (5,1–4.6–8) sowie der Betonung des Geistes (5,5) sei die als griechisch zu identifizierende Vorstellung eines unsterblichen Seelenkerns angesprochen, der in seinem irdischen Dasein von einem sterblichen Leib bekleidet ist und diesen nach dem Tode verlässt (Walter* 117 f.; Schnelle, Paulus 637). Wenn Phil 1,23 „auf das unmittelbare Sein bei Christus nach dem Tod ohne Parusie und Auferstehung der Toten“ ziele, sei der Endpunkt der Wandlung paulinischer Auferstehungsvorstellungen erreicht (Schnelle, Paulus 639). Auch deshalb datieren diese Auslegungen den Philipperbrief zumeist ans Ende der paulinischen Briefe (→ Einl. 6). Einige Voraussetzungen dieser These sind allerdings problematisch. Zum ersten ist die Vorstellung des alleinigen Weiterlebens der Seele keineswegs (nur) griechisch. Die älteste jüdische Fassung findet sich in Jub 23,30 f. (2. Jh. v. Chr.): „Dann wird der Herr heilen seine Sklaven, und sie werden sich erheben, und sie werden einen großen Frieden schauen […]. 31Und ihre Knochen werden in der Erde ruhen. Und ihr Geist wird viel Freude haben, und sie werden erkennen, dass es der Herr ist, der Gericht hält und der Güte wirkt an Hunderten und Tausenden, die ihn lieben“ (Übers. Klaus Berger, JSHRZ; vgl. auch Tob 3,6). Zum zweiten ist nicht zu klären, ob Paulus sich wünscht, mit oder ohne Leib bei Christus zu sein. Zum dritten setzen Phil 3,10 f. und 3,20 f. in zwei verschiedenen Bildern wiederum die Hoffnung auf die Verwandlung des Leibes voraus. Schließlich betont Paulus die Nähe von Christi Wiederkunft durchgängig von 1Thess 3,13; 4,17; 5,23 bis Röm 13,11 f. einschließlich Phil 4,5. Mit der übrigen jüdischen Literatur greift Paulus vielfältige Bilder und Vorstellungen auf, um die Hoffnung auf die Auferstehung von den Toten und eine postmortale himmlische Existenz auszudrücken (Hoffmann, Die Toten 310–320; G. Baumbach*; G. Barth, Phil 1,23). Was aber stellt sich Paulus konkret unter σὺν Χριστῷ εἶναι vor? „Mit Christus sein“ ist keine Sonderexistenz, sondern Hoffnung aller, sowohl der Entschlafenen als auch der jetzt noch Lebenden (σὺν αὐτῷ ζήσωμεν, 1Thess 4,17; 5,10; 2Kor 13,4; Röm 6,8; 14,8). Dabei ist der Kern der Aussage eine Weiterexistenz in Beziehung (Röhser*). Phil 1,23 macht keine direkte Aussage über das Wann des „mit Christus Seins“ (Fee, K. 149). Zugleich ist aber auch deutlich, dass Phil 1,23 „mit Christus sein“ als Gegensatz zum Weiterleben formuliert. Möglicherweise denkt Paulus an einen Zwischenzustand, in den er vor der allgemeinen Totenauferstehung einzutreten hofft. Als Vorstellungshintergrund werden vorgeschlagen: (A) Die Hoffnung, dass ungerecht Leidende und Märtyrerinnen und Märtyrer unmittelbar nach ihrem Tod bei Gott sind. So formuliert 4Makk 17,17 f. im Rückblick: „Selbst der Tyrann und der ganze Rat bestaunten ihre (der makkabäischen Märtyrer) geduldige Ausdauer, wegen der sie jetzt vor dem göttlichen Thron stehen und in seliger Ewigkeit leben“ (vgl. 4Makk 18,3; 2Makk 7,36; SapSal 3,1–5; 5,5.15; Apk 6,9–11; 1Clem 5,4.7; Polyk 9,2; Schweitzer*; E. Lohmeyer, K.; J. Becker*; U. B. Müller, K.; Sumney* 23–25; Schap-
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dick* 171–173). (B) Die Vorstellung, dass die verstorbenen Gerechten an eigenen, angenehmen Orten vor der allgemeinen Auferstehung zum Gericht versammelt werden, etwa in Höhlen, „wo die Quelle des Wassers ist, darüber Licht“ (1Hen 22,9). Oder, so die späteren Bilderreden des Äthiopischen Henochbuchs, dass die Verstorbenen ihre Wohnungen „bei den Engeln seiner Gerechtigkeit und ihre Ruheorte bei den Heiligen“ haben (1Hen 39,5; Übers. Siegbert Uhlig, JSHRZ; weitere Belege: Gnilka, K. 90 f.; Hoffmann* 104–127). (C) Schließlich gibt es die Vorstellung von den in den Himmel entrückten Vätern Adam, Abraham etc., die dort als Fürsprecher auftreten. So fordert Gott den Erzengel Michael nach dem Tod Adams auf: „Trage ihn ins Paradies und lass ihn dort bis zu jenem großen Tage“ (VitAd [gr.]/ApkMos 37,5; vgl. 1Hen 70,4; Philo sacr. 5–7; Lk 16,22 f.; Schreiber* 353–357). Jedoch erwartet Paulus nicht, als himmlischer Fürsprecher aufzutreten (Schapdick* 170 f.). Die drei skizzierten frühjüdischen Vorstellungskreise schließen einander keineswegs aus. Vielmehr geht es in den verschiedenen Bildern immer darum, den hier und jetzt leidenden Gerechten Gottes Anerkennung zuzusagen. Zum postmortalen Ausgleich der gegenwärtigen Leiden werden jenseitige Freuden und ein angenehmer Aufenthaltsort in göttlicher Gegenwart verheißen oder beschrieben. Und wie Hoffmann und andere gezeigt haben, vertreten dieselben Schriften dabei in sich unterschiedliche und schwer systematisierbare Vorstellungen. Ein Unterschied ergibt sich jedoch aus der Erzählperspektive. Während die apokalyptischen Schriften die himmlische und unterirdische Geographie aus der Perspektive einer allwissenden Erzählstimme oder von in den Himmel entrückten Sehern betrachten, sind es allein die Märtyrerinnen und Märtyrer, die diese Hoffnung für sich selbst im Angesicht ihrer Feinde behaupten. Anders als apokalyptische Seher auf Himmelsreisen, aber mit Paulus, verzichten sie dabei auf alle himmelsgeographischen Details. Paulus’ Formulierung σὺν Χριστῷ εἶναι „mit Christus sein“ bringt also die Hoffnung, vielleicht sogar die Gewissheit zum Ausdruck, dass Gott den jetzt leidenden Gerechten Paulus postmortal erhöhen wird. Noch stärker als andere frühjüdische Apokalypsen und Martyriumserzählungen enthält sich Paulus jedoch aller weiteren Details.
24 τὸ δὲ ἐπιμένειν [ἐν] τῇ σαρκὶ ἀναγκαιότερον δι᾽ ὑμᾶς. Abrupt verlässt Paulus die klassische, den Vorteil von Leben und Tod abwägende Synkrisis. Obgleich das Sterben die bessere Wahl wäre, ist das Weiterleben ἀναγκαιότερον „notwendiger“. Der eine Komparativ wiegt die Liste gesteigerter Komparative aus V. 23b auf. Diese Entscheidung kommt für an Plato geschulte Ohren unerwartet, ist es dort doch die Ananke, die in den Tod ruft (Plat Phaed 62c; → Exk. 4; Vollenweider* 257–260). Aristoteles definiert: „Notwendig wird etwas genannt, ohne das Leben nicht möglich ist“ (Ἀναγκαῖον λέγεται οὗ ἄνευ οὐκ ἐνδέχεται ζῆν, Metaph 5.5 [1015a20]; vgl. Grundmann, ThWNT I 347 f.; Spicq I 77 f.). Paulus nennt in 1Kor 9,16 die Verkündigung des Evangeliums einen ihm auferlegten Zwang (ἀνάγκη; vgl. Apg 13,46). Hier aber ist es das Bleiben und Verharren (ἐπιμένω) bei den Philipperinnen und Philippern, was der größeren Notwendigkeit unterliegt. Statt des Präsens Infinitiv ἐπιμένειν lesen die Majuskeln B, 0278 und die Minuskeln 104, 365, 1175, 1241, 1505 und 2464 den Aorist Infinitiv ἐπιμεῖναι, wohl in Angleichung an ἀναλῦσαι (V. 23; vgl. Gnilka, K.). Die Majuskeln �, A, C, P, Ψ, 075, die Minuskeln 6, 33, 1739, 2495, Clemens Alexandrinus und Origenes lesen ἐπιμένειν τῇ σαρκί, was eine Abfolge zweier sich widerstreitender Präpositionen, ἐπί und ἐν, vermeidet und der sonst von Paulus verwendeten Konstruktion entspricht (H. D. Betz* 31; vgl. Röm 6,1; 11,22 f.; vgl. aber 1Kor 16,8). Mit dem von �46, B, D, F, G, K, L, 0278, zahlreichen Minuskeln und � gelesenen ἐν wird dagegen eine Referenz zu V. 22 (τὸ ζῆν ἐν σαρκί) hergestellt und 121
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Persönliche Mitteilungen
das Weiterleben des Apostels andeutungsweise mit der Frucht des Werkes, verstanden als Missionsarbeit, gleichgesetzt. Trotz dieser vielleicht erst nachträglich hergestellten Referenz bezieht sich Paulus’ Lebenswille an dieser Stelle jedoch ausschließlich auf die Gemeinde in Philippi. Δι᾽ ὑμᾶς „euretwegen“ – und nicht etwa wegen aller übrigen Gemeinden oder allgemeiner Missionsarbeit – ist das Bleiben notwendiger (E. Lohmeyer, K.; Peterlin* 42–44). Von nun an stehen die Philipperinnen und Philipper, die in den Versen 24–26 fünfmal mit ὑμεῖς benannt sind, im Zentrum. Ihrer Fürbitte (→ V. 19) verdankt sich der Lebenswille des Paulus. 25 καὶ τοῦτο πεποιθὼς οἶδα ὅτι μενῶ καὶ παραμενῶ πᾶσιν ὑμῖν εἰς τὴν ὑμῶν προκοπὴν καὶ χαρὰν τῆς πίστεως … Weil Paulus auf τοῦτο „dies“, nämlich das Notwendigere, vertraut, weiß er, dass er bleiben wird. Das Perfektpartizip πεποιθώς beschreibt das Vertrauen auf das vollendende Wirken Gottes (→ 1,6), οἶδα „ich weiß“ nimmt die Gewissheit aus V. 19 auf. Statt eines Rückbezugs möchten einige Auslegungen das Demonstrativpronomen τοῦτο auf die folgende Aussage beziehen (Michaelis, K.; E. Lohmeyer, K.). Allein eine prophetische Zukunftsschau des Märtyrers könne die plötzlich eintretende Gewissheit über das Weiterleben erklären (siehe aber → 2,17 f.). Der Vers ist zwar futurisch, aber nicht als Prophetie formuliert. Vielmehr benennt er, was sich aus der Beauftragung aus der und für die Gemeinde ergibt. Paulus weiß: „Gott hat noch einiges mit mir vor“ (Walter, K. 42). Mit μένω und παραμένω ist das ἐπιμένειν aus V. 24 aufgegriffen und zu einem Wortspiel geformt (Dibelius, HNT). Das Simplex sowie das verstärkende παραμένω „bei jemand oder etwas dableiben, verbleiben“ drücken im antiken Vertragsrecht die Dienstverpflichtung von Arbeitenden und Sklavinnen und Sklaven aus, die sie zum Verbleiben bei den ihnen übertragenen Aufträgen zwingt (Hauck, ThWNT IV 581 f.; sonst noch 1Kor 16,6). Die Konnotation ist kaum zufällig gewählt, steht der Sklave Paulus doch in einem doppelten Dienstverhältnis: gegenüber Gott und gegenüber der Gemeinde (→ 1,1.5.7; vgl. → 4,15; vgl. 1Kor 9,17). Die Majuskeln D2, K, L, P, 075, 0278c, die Minuskeln 365, 630, 1505, 2464 und � lesen συμπαραμένω „mit oder zugleich dableiben“, möglicherweise um die Assoziation einer unfreien, bindenden Dienstverpflichtung zu vermeiden. Wie im Präskript und in der Danksagung fällt die Betonung des πάντες „alle“ auf (→ 1,1.4.7 f.), die niemanden in der Gemeinde unerwähnt lässt. Bei ihnen allen zu verbleiben, ist nun die προκοπή „der Fortschritt,“ der seit 1,12 angekündigt ist. Mit dieser durch das doppelte προκοπή erzeugten Inklusion wird die Mitteilung τὰ κατ᾽ ἐμέ „was mich betrifft“ nun endlich inhaltlich gefüllt. Hatte Paulus zunächst weder wirklich über seine Situation gesprochen noch mehr als Andeutungen über den „Fortschritt des Evangeliums“ gemacht, so sagt er jetzt: Was immer in der Zwischenzeit geschieht, wie schwierig meine Situation gegenwärtig auch ist, alles dient „zu eurem Fortschritt (εἰς τὴν ὑμῶν προκοπήν) und Freude am Glauben“. Damit ist das eigentliche Ziel der Argumentation des Abschnitts in 1,12–26 erreicht. Den Genitiv τῆς πίστεως kann man dabei auf προκοπή beziehen: „zu eurem Fortschritt und eurer Freude des Glaubens“. Die Rückkehr des Paulus beinhaltet dann vor allem eine vertiefte Evangelisation, aus der Glaubensfreude erwächst. Die Wortstellung lässt den Genitiv aber eher die Freude profilieren: χαρὰ τῆς πίστεως „Freude des Glaubens“. Der Ausdruck ist allerdings bisher ohne Parallele geblieben. Man kann πίστις als Glaubens122
Fortschritt heißt Rückkehr zu euch
1,25
inhalt auffassen. „Glaube“ ist dann der Inhalt, der die Freude begründet (Gnilka, K.; U. B. Müller, K.). Oder „Glaube“ ist der Gegenstand der Freude, also „Freude am Glauben“ (O’Brien, K.; Hawthorne/Martin, K.). Unklar bleibt jedoch, wie der Gegenstand oder Akt des Glaubens zum Erleben von Freude führt. Eine subjektive Übersetzung von πίστις mit „Vertrauen“ oder „Treue“ auf Gott käme vielleicht dem Gefühl oder Affekt der Freude näher. Ein Blick auf antike und insbesondere biblische und frühjüdische Beschreibungen der Freude zeigt: Freude ist vor allem Ausdruck der Gegenwart Gottes. Die Freude, die aus Vertrauen erwächst, ist die Erfahrung von Gottes Anwesenheit und Treue.
Exkurs 6: Freude Troels Engberg-Pedersen, On Comparison. The Stoic Theory of Value in Paul’s Theology and Ethics in Philippians, in: Jörg Frey/Benjamin Schließer (Hg.), Der Philipperbrief des Paulus in der hellenistisch-römischen Welt, WUNT 353, 289–308. – Ders., Paul and the Stoics, 2000. – Petra von Gemünden, Der „Affekt“ der Freude im Philipperbrief und seiner Umwelt, in: Jörg Frey/Benjamin Schließer (Hg.), Der Philipperbrief des Paulus in der hellenistisch-römischen Welt, WUNT 353, 223–253. – Eelis Gideon Gulin, Die Freude im Neuen Testament I, 1936. – Betsy Halpern-Amaru, Joy as Piety in the Book of Jubilees, JJS 56,2 (2005), 185–205. – Holloway, Consolation. – Anke Inselmann, Zum Affekt der Freude im Philipperbrief. Unter Berücksichtigung pragmatischer und psychologischer Zugänge, in: Jörg Frey/Benjamin Schließer (Hg.), Der Philipperbrief des Paulus in der hellenistisch-römischen Welt, WUNT 353, 255–288. – Rainer Kampling, Freude bei Paulus, TThZ 101 (1992), 69–79. – Hans Lewy, Sobria Ebrietas. Untersuchungen zur Geschichte der antiken Mystik, BZNW 9, 1929, 31–41. – Gerd Theißen, Erleben und Verhalten der ersten Christen. Eine Psychologie des Urchristentums, 2007, 176–188. – Walter, Die Philipper und das Leiden. Freude wird einmütig als „Grundakkord“ oder „keynote“ des Philipperbriefs bestimmt (Gnilka, K. 65; Bockmuehl, K. 1; P. Rodgers, EBR 14, 822). Schon Johann Albrecht Bengel bemerkte: „Summa epistolae: gaudeo, gaudete“ – „die Summe des Briefes lautet: Ich freue mich, freut euch!“ (Bengel, Gnomon 285 zu Phil 1,4). Im Freuden- oder Dankesbrief B erscheinen die Verben χαίρω und συγχαίρω zehnmal (1,18 [2x]; 2,17 f. [4x]; 2,28; 3,1 sowie 4,4 [2x]), außerdem einmal im Quittungsschreiben A (4,10); fünf Belege sind für das Substantiv zu verzeichnen (1,4.25; 2,2.29; 4,1). Siebenmal resp. achtmal ist Paulus Subjekt gegenwärtig erlebter oder zukünftig erhoffter Freude, achtmal wünscht er sich Freude unter den Philipperinnen und Philippern und fordert sie dazu auf, sich zu freuen und sich mitzufreuen. Im Angesicht von Paulus’ Gefängnishaft und dem Leiden der Gemeinde an ihrer Umwelt (→ 1,29) fällt dies auf. Für Ernst Lohmeyer erklärt sich der Befund aus „Märtyrerfreudigkeit“, wobei sowohl Paulus als auch mindestens einige Gemeindeglieder auf das Martyrium zugehen (K. 4). Die Freude sei Ausdruck der Gewissheit, „im Martyrium unter den offenbaren Zeichen göttlicher Gnade und ewigen Heils zu stehen“ (K. 114). Sie zeige, dass man im Leiden „das Walten der göttlichen Gnade spürt“ (K. 123). Gegen Lohmeyer muss jedoch beachtet werden, dass Paulus sich nicht das Martyrium, sondern die Rückkehr in die Gemeinde wünscht (1,24–26; 2,24). Über Martyrien in der Gemeinde haben wir keine Information. Freude am Martyrium oder über Märtyrerinnen und Märtyrer gehört erst in spätere christliche Martyriumsdarstellungen (MartPol 12,1; 18,3; Märtyrer von Lyon bei Eus Hist Eccl 5.1,34 [Musurillo 72]).
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Persönliche Mitteilungen
Für Nikolaus Walter haben die nichtjüdischen Philipperinnen und Philipper nicht verstanden, dass man für Gott Leiden und Lebensminderung auf sich nehmen müsse. Weisheitliche und apokalyptische Traditionen begriffen Leiden dagegen als „Bestätigung der Zugehörigkeit zu Gott und damit als Grund zur Freude“ (Walter* 429). In dieser Tradition rufe Paulus auf, im Leiden die „Freude am Evangelium bestätigt zu sehen“ (Walter, K. 67). Die Weisheit kennt den Gedanken, dass göttliche, auch leidvoll erfahrene Erziehung am Ende in die Freude führt (Tob 13,14). Apokalyptisch wird die Freude als eschatologischer Ausgleich für das Leiden an den Ungerechten und hier unrechtmäßig in Glück und Wohlstand Lebenden in Aussicht gestellt: „Gutes und Freude und Ehre sind ihnen bereitet (ἀγαθὰ καὶ ἡ χαρὰ καὶ ἡ τ[ιμὴ] ἡτοίμασται) und die Seelen der verstorbenen Frommen sind eingeschrieben (auf den himmlischen Tafeln). Und sie werden sich freuen (χαιρήσονται) und ihre Geister nicht verloren gehen“ (1Hen 103,3 f.; vgl. 5,7.9; Jub 23,29; 3Bar 73,1 u. ö.). Endzeitliche Freude ist bereits von den biblischen Propheten angesagt (Jes 66,10.14; Zeph 3,14–20 u. ö.). Das Motiv geht in die Jesustradition ein (LkQ 6,22/Mt 5,11 f.; 1Petr 1,6–9; 4,13 f.). Im Philipperbrief ist Freude aber bereits jetzt zu erleben (1,4.18), auch gegen die äußere Wirklichkeit (2,17 f.). Sie ist mit der Hoffnung auf Anerkennung durch Lob und Ruhm (καύχημα, 1,26; 2,16) und Bekränzung/einen Kranz verbunden (4,1; vgl. 1Thess 2,19). Zukünftige Freude ist aber auch das Ergebnis innerweltlicher Situationsveränderung, etwa Paulus’ Freilassung, die Wiederbegegnung mit der Gemeinde und ihr einträchtiger Zusammenhalt (Phil 1,18.25; 2,2). Mindestens ein Teil der Aussagen über die Freude lässt sich als realisierte Eschatologie beschreiben (Conzelmann, ThWNT IX 360; Kampling*76 f.). Mit Rudolf Bultmann formuliert „gehört die χαρά zu den Charakteren der durch das πνεῦμα begründeten eschatologischen Existenz“ (Theologie 340). Andere Auslegungen entdecken eine stoische Position. In der Stoa sei Freude der emotionale Status des Weisen, der verstanden hat, dass die An- oder Abwesenheit von Gutem oder Bösem keinen Einfluss auf ihn und das wirklich gute Leben hat, weil er von einer transzendenten Position das mit ihm zufällig Geschehende in den größeren Zusammenhang des wirklich Wichtigen einordnen kann (Engberg-Pedersen, Paul 74). Paulus besetze Christus mit dieser transzendenten Position, denke aber im Grunde stoisch und lenke die Philipperinnen und Philipper zu diesem Ziel (Engberg-Pedersen, Paul 96–98; 113–116; vgl. Engberg-Pedersen, On Comparison 303 f.). Für Holloway rezipiert der Philipperbrief als Trostbrief die Freude als Topos der stoischen Trostliteratur (Sen Ad Helviam matrem de consolatione 4,2 und Ep 23,4; Holloway* 17–19; 78–83; 107–109; 130–132). Im Philipperbrief ist die Freude jedoch kein Ausdruck einer transzendenten Position oder einer ‚stoisch-unbewegten‘ Haltung gegenüber den äußeren Umständen. Vielmehr erfährt Paulus Freude durch Mitwirkung der Gemeinde (1,19; 2,2). Sie ist seine Freude (4,1). Anders als in der Stoa hat die Freude im Philipperbrief nicht nur einen Gegenwarts-, sondern auch einen Zukunftsaspekt (1,18; 2,2.18). Schließlich interpretieren ihn einige Auslegungen psychologisch-funktionalistisch als Angst- und Lebensbewältigung. Positive Emotionen verstärkten soziale Bindungen. Daher nutze Paulus die Freude als „Mittel der sozialen Steuerung“ (Theißen* 181; 186 f.). Anders als in der Stoa gehe es Paulus nicht nur darum, das Gute zu denken (bona cogitare; Cic Tusc 3.16,35), sondern die Freude sei ein Affekt als emotionales Moment (von Gemünden* 248–252). Paulus demonstriere und verlange „das Erleben und Ausdrücken von positiven Affekten bei sich und von anderen“ (Inselmann* 286). Nicht einfangen können diese Überlegungen das Erleben von Freude (Inselmann* 287; Kampling* 79). Dies hat enthusiastische Züge. In der Antike meint ἐνθουσιασμός „göttliche Einwirkung, Begeisterung, Verzückung“. Wie Klaus Berger mit Rekurs auf Philo zeigt, ist Freude „in dieser Welt ein Hinweis auf die Wirksamkeit Gottes selbst“ (EWNT III 1088; vgl. 1080 f.; anders: Michel, RAC 8, 394–398; Gulin* 150 f.). Der jüdische Philosoph aus Alexandria nennt die Freude Geschenk Gottes (det. 124; Deus 96 f.; mut. 131; Abr. 201–204; QG 4.19 u. ö.). Für ihn ist im eigentlichen Sinne allein Gott glücklich, denn nur Gott genießt ungemischte Freude
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(Philo Abr. 202). Als ein von Sorgen und Trübsal geplagtes Geschlecht können Menschen nur Anteil an dieser Freude erwerben (Abr. 203 f.). Zwar können sie sich mit Tugend und Weisheit auf den Freudenempfang vorbereiten – so weit denkt Philo stoisch. Den „Höhepunkt in dem enthusiastischen Vollendungszustand“ erreicht ein Mensch jedoch nur, „indem der ausgewählte Sterbliche mit Gaben der göttlichen Gnade überschüttet und erfüllt wird“ (Lewy* 34–37; vgl. Philo det. 137, her. 315, ebr. 146–148, somn. 2.248 f.; Conzelmann, ThWNT IX 355–357). Daher beschreibt Philo Freude als Rausch und „nüchterne Trunkenheit“ (ebr. 146–148; Mos. 1.255). Philos Konzept der ekstatischen und enthusiastischen Freude ist vergleichbar mit der paulinischen „Freude(n) des und im heiligen Geist“ (1Thess 1,6; Röm 14,17; vgl. „Frucht des Geistes“, Gal 5,22). Gott ist es, der mit Freude erfüllt (πληρόω, Röm 15,13). Ebenso zusammen gehören Vertrauen und Freude. So heißt es in Ex 4,31: „Und das Volk fasste Vertrauen und freute sich, weil Gott auf die Kinder Israels geblickt hatte“ (καὶ ἐπίστευσεν ὁ λαὸς καὶ ἐχάρη, ὅτι ἐπεσκέψατο ὁ θεὸς τοὺς υἱοὺς Ισραηλ). Und Philo formuliert: „Nach dem Vertrauen … ist Freude der Siegespreis“ (Μετὰ πίστιν … χαρὰ τὸ ἆθλον, praem. 31; vgl. auch Gal 5,22; Röm 15,13; 1Petr 1,8). Aus dem Vertrauen auf und der Treue zu Gottes Mitsein erwächst die Freude als Gabe, die Gott dem Vertrauenden schenkt und gibt. Die χαρὰ τῆς πίστεως aus Phil 1,25 kann daher als die aus der Treue Gottes erwachsende und durch das Vertrauen auf Gott begründete Freude interpretiert werden. In der gesamten Antike ist Freude außerdem Kennzeichen der Gegenwart Gottes in Kult und Fest (Conzelmann, ThWNT IX 352–354; Michel, RAC 8, 366–370). Trankspenden, Opfer und Freude gehören wie in Phil 2,17 f. zusammen (Aristoph Ach 199 f.; Diod S 16.11,1; Plut Numa 7,1, Pomp 42,1, Aem 35,3 u. ö.). Auch im Ersten Testament ist mit Opfern und Opferfesten die Aufforderung zur Freude verbunden (Dtn 12,7.18; 14,26 u. ö.). In den Gesetzen zu den verschiedenen Festtagen und Tempelfesten heißt es: „Du sollst dich an allem Guten, was dir der Herr, dein Gott, geschenkt hat, erfreuen!“ (καὶ εὐφρανθήσῃ ἐν πᾶσιν τοῖς ἀγαθοῖς οἷς ἔδωκέν σοι κύριος ὁ θεός σου, Dtn 26,11; vgl. Num 10,10; Lev 23,40; 1Chr 12,40 f.; 2Chr 30,21–26 u. ö.). Das Jubiläenbuch versteht diese Festfreude als Ausdruck des Vertrauens und als Antwort auf die vielfältigen Gaben Gottes an die Erzväter und -mütter. Sie ist Ausdruck dafür, dass Gott in ihrem Leben wirkt (Halpern-Amaru* 205). Wenn Paulus der Gemeinde in Phil 2,18; 3,1 und 4,4 sagt: „Freut euch!“ und χαίρετε ἐν κυρίῳ, so fordert er sie auf, die Gegenwart Gottes in und unter ihnen wahrzunehmen und ihr Raum zu geben.
26 … ἵνα τὸ καύχημα ὑμῶν περισσεύῃ ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ ἐν ἐμοὶ διὰ τῆς ἐμῆς παρουσίας πάλιν πρὸς ὑμᾶς. Der Vers schließt final (ἵνα) an den Satz aus V. 25 an und spezifiziert „Fortschritt“ und „Freude“ näher. Paulus’ „Bleiben“ lässt den „Ruhm“ der Gemeinde überfließen (περισσεύω; → 1,9). Im Gegensatz zu καύχησις, das die Tätigkeit des Rühmens bezeichnet, meint καύχημα „das zum Ruhm Gesagte, den Gegenstand des Rühmens, aber auch die Möglichkeit bzw. den Grund zum Rühmen“ (Zmijewski, EWNT II 685; vgl. Spicq III 386; lat.: gloria). Die Septuaginta stellt καύχημα neben δόξα „Ehre“, ἔπαινος „Lob“ und τιμή „Ehre“ (vgl. 1Chr 16,27; Jer 13,11; Sir 45,12 u. ö.). Gott macht Israel „namhaft, einen Gegenstand seines Ruhms und berühmt“ unter den Völkern (ἐποίησέν σε ὀνομαστὸν καὶ καύχημα καὶ δοξαστόν, Dtn 26,19; Jer 13,11). Ebenso ist Gott Israels Ruhm (Dtn 10,21). Es geht nicht allein um das: „Wer sich rühme, rühme sich des Herrn“ (Jer 9,22 f.; 1Kor 1,31; 2Kor 10,17; → Phil 3,3). Vielmehr ist an die Anerkennung für vollbrachte Leistungen gedacht. Diese werden am „Tag des Christus“ öffentlich ausgesprochen (→ Phil 1,6.10; 2,16; vgl. 2Kor 5,10; Röm 14,10).
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„In (ἐν) Christus Jesus“ gibt den Bereich an, in dem diese rühmende Anerkennung ausgesprochen wird. Dem ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ ist ein ἐν ἐμοί angeschlossen. Wie Paulus in Phil 2,16 hofft, die Gemeinde möge sein Ruhm am Tag Christi sein, indem sie mit ihrer Existenz bestätigt, dass seine Mühe nicht vergeblich war, so wird die Rückkehr des Paulus hier umgekehrt zum Ruhm der Gemeinde. Diese gegenseitige Vermehrung von Ruhm und Anerkennung vor Gott formuliert Paulus noch einmal in 2Kor 1,14. Der Genitiv τὸ καύχημα ὑμῶν „das zu eurem Ruhm Gesagte“ zeigt, dass der Ruhm der Gemeinde gehört. Ἐν ἐμοὶ „durch mich“ nimmt „durch meine erneute Ankunft (παρουσία) bei euch“ vorweg (Schenk, K.; Peterlin* 44–49). Lukas Bormann erklärt den Gedanken in Analogie zum antiken Patronatsdenken, aus dem der Begriff καύχημα stammt. Paulus’ „Besuch in Philippi bringt den Ruhm der Gemeinde vor Christus zum Wachsen; er ist die dem Einsatz der Philipper angemessene Gegenleistung“ (Bormann, Philippi 215; vgl. Osiek, K. 44 f.). Am Ende dieses langen Abschnitts ist Paulus endlich bei der Antwort auf die Frage aus V. 12 nach seinem augenblicklichen Befinden angekommen. Im Grunde geht es ihm nicht gut. Sein Prozess verschleppt sich und er befürchtet, ihn nicht zu überleben. Auch die Konflikte am Haftort Ephesus setzen ihm zu. Aber immerhin wird dort das Evangelium, wenn auch nicht direkt von ihm und aus unterschiedlichen Motiven, wieder verkündigt. An diesem Fortschritt des Evangeliums ist die Gemeinde in Philippi interessiert, denn dafür hatte sie Paulus finanziert und damit auch beauftragt. Die Gemeinde ist der Hauptgrund seiner Freude. Denn mithilfe ihrer Fürbitte und gerechtfertigt vor Gott wird er Christus in seinem Leib so oder so groß machen (vgl. 2Kor 4,10). In einer klassischen Synkrisis wägt er die Vorteile von Leben und Tod ab. Angesichts seines Leidens wäre es zwar ein Gewinn, aus dem Leben zu scheiden und „mit Christus zu sein“, wie Paulus in Übertragung jüdisch-apokalyptischer und martyrologischer Vorstellungen über die Existenz der verstorbenen Gerechten in V. 23 formuliert. Jedoch besteht die größere Notwendigkeit im Weiterleben wegen der Gemeinde. Seine Rückkehr nach Philippi macht den eigentlichen Fortschritt aus, nämlich die aus Vertrauen gespeiste Freude als Erfahrung der Gegenwart Gottes und der Ruhm der Gemeinde, der sich mit seiner erneuten Ankunft vermehren wird.
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1,27–2,18 Politik für das Evangelium Nachdem Paulus in 1,12–26 über seinen Einsatz für den Fortschritt des Evangeliums berichtet hat, wendet er den Blick nun auf die Gemeinde in Philippi. Der folgende Abschnitt ist geprägt von einer lockeren Folge von Imperativen (1,27; 2,2.5.12.14.18). Die meisten Auslegungen verstehen 1,27 als Beginn einer bis 2,18 reichenden Paränese (Dibelius, HNT; Gnilka, K.; U. B. Müller, K.; Schenk, K. u. a.). Alternativ ordnet Walter den Abschnitt dem vorangehenden evangelischen Lagebericht zu, da hier weiterhin das gegenwärtige Leiden in den Versen 29 f. zur Sprache gebracht werde (Walter, K.). Dritte halten den Abschnitt 1,27–2,16 für eine „paränetische Zwischenrede“ oder „Digression“, die einen Zusammenhang zwischen 1,24–26 und 2,17 f. unterbreche. Im Vordergrund steht dann das Trostargument, dass Paulus sein Leben und Sterben der Gemeinde widme und weihe (K. Barth, K. 80; Holloway, K. 102 f.). Rhetorische Analysen interpretieren 1,27–30 schließlich als propositio der folgenden bis 3,21 reichenden Darlegung (Brucker, ‚Christushymnen‘ 294–296; Witherington, K. 96–98 u. a.). Die unterschiedlichen Einordnungen spiegeln die Besonderheiten des Abschnitts im Briefaufriss. Nach dem langen Selbstbericht in 1,12–26 erwartet man eine thematische Abhandlung. Anders als in den paränetischen Abschnitten in 1Thess 4 f., Gal 5 f., 1Kor 5–14 oder Röm 12–15 rezipiert Paulus hier kaum jüdisch-paränetische Traditionen. Die Paränese bleibt allgemein und „bietet keine scharf umrissenen Probleme“, sondern wiederholt „als einzige Forderung der Stunde“ – bestimmt von der prekären Gefängnishaft des Paulus und dem Leiden der Gemeinde – „Standhaftigkeit und Treue“ (E. Lohmeyer, K. 70 f.; Gnilka, K.). Formal fallen lange Satzperioden auf (1,27–30; 2,1–4; 2,14–16). Die drei jeweils neu einsetzenden paränetischen Abschnitte (A) 1,27–30, (B) 2,1–4(5) und (C) 2,12– 18 sind dabei untereinander thematisch und strukturell verknüpft. Dreimal findet sich ein Imperativ mit abhängigem ἵνα-Satz (1,27; 2,2; 2,15). In den Abschnitten (A) und (B) folgt eine μή … μηδέν „nicht … nichts“-Reihung (1,28; 2,2–4). Jeder Abschnitt ist mit dem Rückverweis auf Paulus’ Abwesenheit und Trostbedürftigkeit eingeleitet (1,27; 2,1 f.; 2,12), die Abschnitte (A) und (C) werden durch einen ebensolchen auch abgeschlossen (1,30; 2,17 f.). Die Paränese reflektiert das Ausbleiben des Paulus und seine Zurüstung der Gemeinde für diesen Fall, trägt also Testamentscharakter (E. Lohmeyer, K.). Die beiden Sätze aus den Abschnitten (A) und (B) enthalten eine Reihung von Stichworten aus dem antiken Eintrachtsdiskurs (1,27; 2,2–4). Die Abschnitte (A) und (C) sind verbunden durch das Thema σωτηρία „Rettung, Heil“ (1,28; 2,12 f.) und einen Blick auf die Außenwelt, in der sich die Gemeinde durch ihre Existenz und mit ihrem Wirken ausweist (1,28; 2,15). Die Wiederaufnahme der Verse 2,1–5 in Abschnitt (C) ist weniger ausgeprägt, aber immerhin durch das Stichwort „Freude“ angedeutet 127
1,27–2,18
Politik für das Evangelium
(2,2.17 f.). Schließlich rekurrieren die Rahmenabschnitte (A) und (C) auf das Vorhergehende, in 1,29 f. auf das Thema Leiden, in 2,16 mit dem Stichwort καύχημα „Ruhm“ auf 1,26 und mit dem „Tag Christi“ auf 1,6.10. Inmitten dieser verknüpften und durch Imperative geprägten Satzperioden steht der Hymnus in Phil 2,6–11, der die Selbstentäußerung eines Gottgleichen – durch den Kontext als Christus identifiziert – bis zum Tod und seine spätere Erhöhung durch Gott in gehobener Prosa beschreibt. Gattung und religionsgeschichtlicher Hintergrund dieses Texts sind ebenso zu diskutieren wie seine Funktion im Kontext (→ Exk. 8–9). Der Hymnus ist durch zwei Stichworte, nämlich ταπεινοφροσύνη/ταπεινόω „Niedrigkeitsgesinnung/sich erniedrigen“ und ὑπακόω „gehorchen“, mit den umliegenden Abschnitten verbunden (2,3.8.12). Wegen des paränetischen Rahmens interpretieren viele Christus als exemplum oder Beispiel für eine christliche Selbsterniedrigung und Demutshaltung (2,3). Die Übertragung richtet sich jedoch nicht auf das Verhalten von Einzelnen, sondern auf die ganze Gemeinde (→ 2,12 f.). Der im Hymnus beschriebene Weg aus der Gottgleichheit in den Tod am Kreuz und die nachmalige Transformation der himmlischen Welt lässt sich aus menschlicher Perspektive nicht imitieren. Der Hymnus beschreibt nicht ein nachahmenswertes, beispielhaftes Verhalten, sondern ein den ganzen Kosmos umgreifendes göttliches Drama, in dem das Göttliche sich mit den Menschen und mit menschlicher Endlichkeit im Tod solidarisiert und deshalb auch den Himmel verändert. Das vermutlich der Gemeinde längst bekannte Christuslied stellt sozusagen den Gründungsmythos der Gemeinde dar. Es ist der materiale Inhalt des Evangeliums, das die Gemeinde mit ihrer Eintracht inmitten einer auf Erlösung wartenden Welt repräsentiert.
1,27–30 Stellt euch einmütig Gott zur Seite 27
Allein, regiert euch in einer dem Evangelium Christi würdigen Weise, damit ich – sei es, dass ich noch einmal komme und euch sehe, sei es abwesend – das von euch höre, nämlich dass ihr feststeht in einem Geist, mit einer Seele zusammen mit dem Glauben, der aus dem Evangelium hervorgeht, kämpft 28und in nichts zurückschreckt vor den Widersachern; das ist für sie ein Zeichen des Verderbens, uns aber der Rettung, und dies von Gott, 29denn euch ist geschenkt das Für-Christus, nicht allein, an ihn zu glauben, sondern auch für ihn zu leiden; 30denn ihr führt den gleichen Kampf, den ihr an mir gesehen habt und jetzt von mir hört. Bradley Arnold, Christ as the Telos of Life. Moral Philosophy, Athletic Imagery, and the Aim of Philippians, WUNT II/371, 2014, 160–171. – Black, Discourse Structure. – Martin Brändl, Der Agon bei Paulus. Herkunft und Profil paulinischer Agonmetaphorik, WUNT 222, 2006, 337– 344. – Raymond Brewer, The Meaning of Politeuesthe in Philippians 1,27, JBL 73 (1954), 76–83. – Brucker, ‚Christushymnen‘ 294–298. – Wendy Cotter, Our Politeuma Is in Heaven: The Meaning of Philippians 3.17–21, in: Bradley H. McLean (Hg.), Origins and Method. Towards a New Understanding of Judaism and Christianity [FS John C. Hurd], JSNT.S 86, 1993, 92–104. – Craig
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Stellt euch einmütig Gott zur Seite
1,27–2,18
Steven de Vos, Church and Community Conflicts. The Relationship of the Thessalonian, Corinthian, and Philippian Church to Their Wider Civic Community, SBL.DS 168, 1999, 231–387. – Philip F. Esler, Paul and the Agon. Understanding a Pauline Motif in Its Cultural and Visual Context, in: Annette Weissenrieder/Friederike Wendt/Petra von Gemünden (Hg.), Picturing the New Testament. Studies in Ancient Visual Images, WUNT II/192, 2005, 356–384. – Fitzgerald, Philippians. – Stephen E. Fowl, Philippians 1:28b, One More Time, in: Amy M. Donaldson/ Timothy B. Sailors (Hg.), New Testament Greek and Exegesis [FS Gerald F. Hawthorne], 2003, 167–179. – Timothy C. Geoffrion, The Rhetorical Purpose and the Political and Military Character of Philippians. A Call to Stand Firm, 1993. – Holloway, Consolation 115–119. – Karadedos/Koukouli-Chrysanthaki, From the Greek Theatre. – Edgar M. Krentz, Military Language and Metaphors in Philippians, in: Bradley H. McLean (Hg.), Origins and Method. Towards a New Understanding of Judaism and Christianity [FS John C. Hurd], JSNT.S 86, 1993, 105–127. – Ders., Paul, Games, and the Military, in: Jerry P. Sampley (Hg.), Paul in the Greco-Roman World. A Handbook, 2003, 344–383. – Dominika Kurek-Chomycz, Fellow Athletes or Fellow Soldiers? συναθλέω in Philippians 1.27 and 4.3, JSNT 39,3 (2017), 279–303. – Christof Landmesser, Der paulinische Imperativ als christologisches Performativ. Eine begründete These zur Einheit von Glaube und Leben im Anschluß an Phil 1,27–2,18, in: Ders./Hans-Joachim Eckstein, Jesus Christus als die Mitte der Schrift. Studien zur Hermeneutik des Evangeliums [FS Otfried Hofius], BZNW 86, 1997, 543–577. – Otto Merk, Handeln aus Glauben. Die Motivierung der paulinischen Ethik, 1968, 175 f. – Ernest C. Miller, πολιτεύεσθε in Philippians 1.27. Some Philological and Thematic Observations, JSNT 15 (1982), 86–96. – Oakes, Philippians 77–102. – Pilhofer, Philippi I 135–140. – Poplutz, Athlet. – Dirk Schinkel, Die himmlische Bürgerschaft. Untersuchungen zu einem urchristlichen Sprachmotiv im Spannungsfeld von religiöser Integration und Abgrenzung im 1. und 2. Jh., FRLANT 220, 2007, 60–64. – Standhartinger, Eintracht. – Stowers, Friends. – Mikael Tellbe, Paul between Synagogue and State. Christians, Jews, and Civic Authorities in 1 Thessalonians, Romans, and Philippians, CB.NT 34, 2001, 231–259. – Samuel Vollenweider, Politische Theologie im Philipperbrief?, in: Ders., Antike und Urchristentum. Studien zur neutestamentlichen Theologie in ihren Kontexten und Rezeptionen, WUNT 436, 2020, 227–238. – Walter, Die Philipper und das Leiden. – Ware, Mission of the Church 215–233. – D. F. Watson, Rhetorical Analysis 57–88. – L. Michael White, Morality between Two Worlds. A Paradigm of Friendship in Philippians, in: David L. Balch/Everett Ferguson/ Wayne A. Meeks (Hg.), Greeks, Romans and Christians [FS Abraham J. Malherbe], 1990, 201– 215. – Nancy Virginia Wiles, From Apostolic Presence to Self-Government in Christ. Paul’s Preparing of the Philippian Church for Life in His Absence, 1993. – B. W. Winter, Seek the Welfare 81–105. – Wojtkowiak, Christologie und Ethik 123–134.
Die bis 2,18 reichende Paränese ist einzigartig mit dem Imperativ πολιτεύεσθε „regiert euch“ eingeleitet. Zugleich möchte Paulus, da er die Gemeinde jetzt nicht sehen kann, wenigstens etwas über ihr Ergehen hören. Um die gegenseitige Verbindung zu stärken, erinnert er sie auch daran, was sie einst an ihm sahen und nun von ihm hören (1,30). Die einleitende Mahnung in V. 27a wird von vielen als Überschrift über die gesamte folgende Paränese interpretiert (U. B. Müller, K.; Landmesser* 562–570; Holloway, K. u. a.). Hauptziel der Mahnung sei das Festhalten am Evangelium trotz Anfechtungen von außen und Leiden (Walter*). Rhetorische Analysen möchten 1,27–30 als propositio oder narratio, also als Darlegung des Themas verstehen, die eine bis 3,21 entfaltete dreiteilige These benennt: ‚Feststehen in einem Geiste‘, ‚zusammen kämpfen für den Glauben‘ und ‚sich nicht schrecken lassen von den Widersachern‘ seien der Inhalt von ‚des 129
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Politik für das Evangelium
Evangeliums würdig zu leben‘ (1,27b–28; Brucker* 294 f.; D. F. Watson* 65–67; Black* 47 f.; Witherington, K. 96–98). Formal ist eine solche Gliederung nicht erkennbar. Zwei der drei Verbalaussagen werden partizipial formuliert und die Satzperiode reicht bis V. 30. Diskutiert wird vor allem der Bezug von πολιτεύομαι „regierend handeln“. Fordert Paulus dazu auf, sich in die Polis Philippi einzubringen oder sich von dieser abzugrenzen, weil das eigene πολίτευμα „die Bürgerschaft, Heimatstadt“ nach 3,20 in den Himmeln liegt? Oder geht es, wie im Folgenden argumentiert wird, um regierendes Handeln in der Gemeinde? Jedenfalls zielt das regierende Handeln auf Eintracht und damit auf einen Topos der antiken politischen Philosophie. Auffällig ist darüber hinaus die Häufung von Begriffen und Bildern aus antiken Kampf- und Schlachtschilderungen: στήκω, συναθλέω (1,27); μὴ πτυρόω, ἀντικείμενοι, ἔνδειξις ἀπωλείας, ἔνδειξις σωτηρίας (1,28); ὑπὲρ … πάσχειν (1,29); ἀγών (1,30). Das dem Evangelium Christi gemäße politische Handeln zielt zunächst auf den Erfolg in einem Kampf gegen nicht näher spezifizierte Widersacher, die den Kampf allerdings bereits verloren haben. Indem die Gemeinde sich dem Evangelium entsprechend regiert und für und durch den aus dem Evangelium entspringenden Glauben einträchtig mitkämpft, nimmt sie als Repräsentantin Christi teil an Gottes eschatologischem Kampf für diese Welt. 27 Μόνον ἀξίως τοῦ εὐαγγελίου τοῦ Χριστοῦ πολιτεύεσθε, ἵνα εἴτε ἐλθὼν καὶ ἰδὼν ὑμᾶς εἴτε ἀπὼν ἀκούω τὰ περὶ ὑμῶν, ὅτι στήκετε ἐν ἑνὶ πνεύματι, μιᾷ ψυχῇ συναθλοῦντες τῇ πίστει τοῦ εὐαγγελίου … Die erste in V. 27 imperativisch eingeleitete Satzperiode reicht bis V. 30. Voran steht der adverbial gebrauchte Akkusativ μόνον „allein, einzig, nur“. Er wird zumeist als Hervorhebung interpretiert: „Dies allein ist, was erstrebenswert ist“ (Chrys Hom in Phil 5,2 [Field/Allen 43/PG 62.208,4 f.]; Walter, K.; Gnilka, K.). „Nur dies ist gefordert“ (Merk* 175; U. B. Müller, K.; vgl. Gal 2,10; 5,13). Die überraschende Überleitung spiegelt die gegenwärtige Trennung zwischen Paulus und der Gemeinde, die sich, so Paulus’ Befürchtung, als endgültig erweisen könnte (→ 2,12.17 f.; Holloway, K.). Die folgende Eintrachtsparänese soll die Gemeinde für diesen Fall rüsten. Das regierende Verb des Hauptsatzes, πολιτεύεσθε, gebraucht Paulus nur hier (sonst im Neuen Testament nur: Apg 23,1). Πολιτεύομαι heißt „Bürger sein“, „sich als Bürger – durch die Teilnahme am politischen Leben – betätigen“, „an der Staatsverwaltung teilnehmen“ (Strathmann, ThWNT VI 517). Die ältere Auslegung setzt πολιτεύεσθε mit dem für die paulinische Paränese typischen περιπατεῖτε „wandelt, lebt“ gleich (Dibelius, HNT; Strathmann, ThWNT VI 534; vgl. 1Thess 2,12; 4,1.12; Röm 13,13). Inzwischen wird jedoch die politische Konnotation des Wortes hervorgehoben (Gnilka, K.; U. B. Müller, K.; Walter, K.; Häußer, K. u. a.). „Angemessenes Bürgersein“ und würdig die Interessen einer Gemeinschaft zu vertreten, sind Grund und Anlass einer öffentlichen Ehrung. Das Philippi benachbarte Dorf Gazoros ehrt Plestis, der während einer Hungersnot Getreide zu Festpreisen verkauft hatte, weil er „würdig gegenüber dem König und den Bürgern zur Rettung der Gegend vorsorgend gehandelt hat“ (ἀξίως τοῦ τε βασιλέως καὶ τῶν πολιτῶν πρ[ο]ενοήσατο τῆς χώρας τοῦ διασωθῆ[να]ι; Pilhofer II 543,9–11, 3.–2. Jh. v. Chr.). Das Volk aus dem thrakischen Ainos ehrt „den besten und ersten der Bürger, T. Flavius Parmis, Wohltäter der Stadt und Stadtretter, da er besonders leuchtend und ehrliebend und der Tugend der 130
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1,27
Vorfahren würdig als Bürger gehandelt hat“ ( Ὁ δῆμος τὸν ἄριστον καὶ πρῶτον τῶν πο|λιτῶν Τίτον Φλάουιον Πάρμιν, εὐεργέτην | πόλεως καὶ σωσίπολιν, λαμπρότατα καὶ φι|λοτειμότατα καὶ τῆς τῶν προγόνων ἀρετῆς ἀξίως πολιτευσάμενον, SEG 38.727, 100 n. Chr.). Vom Schwarzen Meer stammt die Ehrung des Ioulios Satyros, Sohn des Theogenos, „der, da er von unseren Vorfahren die Bürgerrechte erhielt, sich dieser Gunst entsprechend würdig als Bürger engagierte, indem er eine Gesandtschaft nach Rom unternahm“ (πολί[τας ποι]ηθεὶς ἐπ[ὶ τῶ]ν πατέρων ἁμῶν ἀξίως [ἐπολιτε]ύσατο τᾶ[ς] χ[ά]ριτος ταύτας, πρεσ[βεύσας μ]έχρι [Ῥ]ώμας, IosPE I2 691,5–8, 1. Jh. v. Chr.; vgl. Spicq II 718–720; Pilhofer* 137; Schinkel* 62). Umstritten ist jedoch, zu welcher Art bürgerschaftlichem Handeln Paulus in Bezug auf welche Polis aufruft. Vorgeschlagen ist: (A) zu einer angemessenen Wahrnehmung der Bürgerschaft in Philippi (B. W. Winter* 82–85; Walter* 421; Oakes* 177 f.), (B) zur Abgrenzung gegenüber der städtischen Öffentlichkeit in Philippi und seiner Mutterstadt Rom (Brewer*; Pilhofer* 136–139; Tellbe* 239–243; Wojtkowiak* 128–130) und/oder (C) zur „Wahrnehmung des dem Evangelium entsprechenden himmlischen Bürgerrechts“ im himmlischen Politeuma nach 3,20 (Vollenweider* 235; Bruce, K./ O’Brien, K.; Fee, K.; Schinkel* 60–63; Landmesser* 554–559). Ein vierter Vorschlag (D) nimmt eine spezifisch jüdische Prägung an und beschreibt πολιτεύομαι mit „ein durch die religiösen Vorschriften bestimmtes Leben“ führen (Strathmann, ThWNT VI 527; Miller*; Walter, K.). Die Septuaginta-Belege beschreiben mit νόμῳ πολιτευόμενοι „nach dem Gesetz Bürgerin und Bürger sein“ eine Lebensführung nach den Gesetzen der eigenen Volksgruppe, das heißt der Tora, innerhalb eines anderen Staates (2Makk 6,1; 11,25; 3Makk 3,3 f.; 4Makk 2,8.23; 4,23; 5,16; Jos. Ant. 12.142). Aber hier wird kein Gegenüber, weder ein anderer Staat oder eine andere Volksgemeinschaft noch die Stadt Philippi, benannt. Die Außenwelt kommt nur in einer Gruppe inhaltlich schwer identifizierbarer „Widersacher“ in V. 28 in den Blick (N. V. Wiles* 41; Reumann, K. 286). Das in 3,20 genannte πολίτευμα ἐν οὐρανοῖς „himmlische Heimatstadt“ befindet sich in den Himmeln. Es wird in der Zukunft seinen im Exil lebenden Mitbürgerinnen und Mitbürgern einen Retter senden, um sie aus dem Exil in ihre himmlische Heimat zurückzuführen oder die Stadt gemeinsam auf der Erde zu gestalten (→ 3,20 f.). Das himmlische politeuma aus 3,20 ist also kein Raum aktuellen bürgerschaftlichen Handelns für die in Philippi Lebenden (Ewald/Wohlenberg, K. 95). Daher scheint mir ein weiterer Vorschlag (E) am plausibelsten, πολιτεύεσθε als die nach innen gerichtete Aufforderung zu bürgerschaftlichem und regierendem Handeln innerhalb der Gemeinde zu interpretieren (N. V. Wiles* 38–48; Cotter* 102; Ascough, Paul’s Macedonian Associations 77 f.; 147). Das „Evangelium“ ist dann die Verfassung der Gemeinde der Heiligen in Philippi (N. V. Wiles* 45). Das heißt, Paulus fordert die Gemeinde dazu auf, sich ἀξίως „angemessen und würdig“, das heißt lobenswert, selbst zu regieren. Damit ist nicht nur eine von Tugend geleitete ‚Lebensgestaltung‘ gemeint (Arnold* 164 f.). Vielmehr rezipiert Paulus hier und in → 2,2–4 die Sprache des antiken politischen Diskurses um den Erhalt der Eintracht, concordia und ὁμόνοια, in einer Stadt und Gemeinschaft (Standhartinger*; Vollenweider* 230–232; B. W. Winter* 82–93). Gutes Regieren, so die allgemein in der Antike geteilte These, bewahrt die Eintracht nach innen und gegenüber äußeren Feinden und ist damit die Bedingung der Möglichkeit des Bestands einer Gesellschaft (Dio C 53.5,4; Philo virt. 131
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Politik für das Evangelium
119; 1Clem 21,1). Das typisch paulinische Syntagma εὐαγγέλιον τοῦ Χριστοῦ ist somit Verfassung und Regierungsprogramm, das die Gemeinschaft repräsentiert und das ihr Bestand gibt (vgl. 1Thess 3,2; Gal 1,7; 1Kor 9,12; 2Kor 2,12; 9,13; 10,14; Röm 15,19). Der folgende ἵνα-Satz lässt das Ziel dieses Regierens erwarten (Schenk, K. 165). Es folgt jedoch in einer Parenthese die Gegenüberstellung von Paulus’ Abwesenheit und möglicher Anwesenheit, verbunden mit dem Gegensatz von Sehen und Hören. Die Formulierung greift das brieftypische ἀπών-παρών-Schema auf (→ 2,12). Die finite Form ἀκούω durchbricht die Symmetrie, was die Majuskel 075 korrigiert. Der folgende ὅτι-Satz ist dann von ἀκούω abhängig, sodass der ἵνα-Satz unvollständig bleibt. Die meisten Auslegungen vermuten, das ἀκούω fasse in einer Breviloquenz ἀπὼν μάθω „damit … ich abwesend erfahre“ zusammen (Dibelius, HNT; Gnilka, K.; U. B. Müller, K.). Eine größere Anzahl Manuskripte, die Majuskeln �1, A, C, D2, F, G, K, L, Ψ, 0278 und die Minuskeln 33, 81, 104, 365, 630, 1175, 1505, 1739, 1881, lesen statt des Präsens den Aorist Konjunktiv ἀκούσω. Die so ausgedrückte Abgeschlossenheit der Wahrnehmung ist vermutlich aus dem Rückblick auf das Martyrium des Paulus formuliert, also sekundär. Das Präsens wird von den ältesten Zeugen �46, �1 und B geboten. Τὰ περὶ ὑμῶν weist zurück auf Paulus’ Selbstbericht (→ τὰ κατ᾽ ἐμέ; 1,12). In → 2,19 f. wird er den Wunsch, etwas aus der Gemeinde zu hören, mit der Hoffnung, bald Timotheus senden zu können, konkretisieren. Paulus möchte erfahren, dass sie „fest in einem Geist stehen“. Στήκω ist eine Neubildung aus dem Perfekt ἔστηκα von ἵστημι „stehen, feststehen“ (B/D/R § 74.14). Paulus gebraucht das Verb etwa gleich häufig im Imperativ und Indikativ (→ 4,1). Mit ἓν πνεῦμα „ein Geist“ ist vermutlich Gottes Geist gemeint (1Kor 6,17; 12,9.13; Gnilka, K.; Walter, K.). Alternativ kann man ἐν ἑνὶ πνεύματι als ein Synonym zu μιᾷ ψυχῇ „mit einer Seele“ auffassen (Hawthorne/Martin, K.; Reumann, K. 288). Aristoteles definiert: „Eine Seele haben die, die wahrhaftig Freunde sind“ (μίαν ψυχὴν εἶναι τοὺς ἀληθῶς φίλους, Aristot Eth Eud 7.6,6 [1240b3]; vgl. Eth Nic 9,8 [1168b7]; [Pseud-]Aristot Eth M 11,49; Diog L 5.20; vgl. Plut De amicorum multitudine 96F; NW II/1, 666–668). Der Vers ist daher auch ein Hauptbeleg für eine dem Philipperbrief zugrundeliegende Freundschaftsethik (L. M. White* 211; Stowers* 112; Fitzgerald* 144–147; → Exk. 17.3). Die von Aristoteles beschriebene Freundschaft ist eine Freundschaft unter freien männlichen Bürgern aus der Elite einer Polis. Daher ist μία ψυχή auch ein Schlagwort des antiken Eintrachtsdiskurses. So lobt Dio Chrysostomus: „Welche Bauten, welche Landschaft, welche Menschenmenge erscheint als stärkere Volksgemeinschaft als diejenige, die unter sich Eintracht (ὁμόνοια) pflegt? … Es ist, als ob einer der Götter einer so großen und vielbevölkerten Stadt eine Seele (μία ψυχή) geschaffen hätte“ (Dio Chrys Or 39,5; vgl. 36,30 f.; Plut Praec Ger Reip 819D). Paulus möchte hören, dass die Philipperinnen und Philipper einmütig „mitkämpfen“ mit der πίστις τοῦ εὐαγγελίου. Das Syntagma πίστις τοῦ εὐαγγελίου ist einzigartig im Neuen Testament. Der Glaube (→ 1,25; → Exk. 13) tritt hier „fast wie eine personifizierte Größe“ auf (Gnilka, K. 99). Viele verstehen den Dativ dennoch als Dativus commodi: „für den Glauben“ (Dibelius, HNT; U. B. Müller, K.). Andere denken an einen Dativus modi: „glaubend kämpfen“ oder „Weise des Trauens“ (Landmesser* 132
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565; Baumert, K.). Dritte verstehen die pistis als eine „Waffe“ und als „Hinweis auf göttliches Wirken“ im gemeinsamen Kampf (Dativus instrumentalis; E. Lohmeyer, K. 73 f.; Wojtkowiak* 130 f.). Das Präfix συν- macht die πίστις, also „den Glauben“ oder „das Vertrauen“, zu einer Partnerin im gemeinsamen Bemühen. Im gerechtfertigten Krieg, so ein antiker Allgemeinplatz, „setzen sich die Götter als Mitkämpfer wohlwollend für die Kämpfenden ein“ (θεοὶ συναγωνισταὶ τοῖς στρατεύουσιν εὐμενεῖς καθίστανται, Onas Strat 4,1). In dem im Folgenden evozierten militärischen Bild steht πίστις auch für die Treue zu den Bündnispartnerinnen und -partnern und zur gemeinsamen Sache (Geoffrion* 62–65). Der Genitiv τοῦ εὐαγγελίου kann den Urheber des Glaubens angeben: „der Glaube, den das Evangelium bewirkt oder erzeugt“ (genitivus subiectivus: Hawthorne/Martin, K.; Baumert, K.). Ebenso möglich ist es, das Syntagma als Genitiv der Apposition aufzulösen: „der Glaube, der im Evangelium besteht“ (Fee, K.; Reumann, K. 288). Schließlich kann der Genitiv den Gegenstand bezeichnen: „Glaube an das Evangelium“ (genitivus obiectivus: Dibelius, HNT; Schenk, K. 168; U. B. Müller, K.). Das Evangelium ist im Philipperbrief eine dynamische Größe. Es ist sowohl Ziel des Handelns (1,5; 2,22) als auch Raum (4,3), es schreitet zum Fortschritt (1,12), wird befestigt (1,7), verteidigt (1,16), und es ist in diesem Vers bereits die Verfassung des Regierens. Wenn nach 4,3 die Mitarbeitenden gemeinsam „im Bereich des Evangeliums“ kämpfen, so ist das Evangelium als diejenige Größe benannt, aus der Glaube und Vertrauen als Mitkämpfer aus der Gemeinde hervorgehen. Jedenfalls gibt der Vers deutliche Hinweise auf die Missionstätigkeit der ganzen Gemeinde (Ware*). Das Verb συναθλέω „gemeinsam an einem Wettkampf teilnehmen, gemeinsam kämpfen, gemeinsam streiten“ evoziert sowohl das Bildfeld des Sports, als auch der militärischen Schlacht (Poplutz* 60–63; Geoffrion* 60 f.). In den gleichen Kontext weist auch der Begriff ἀγών „(Wett-)Kampf“ aus V. 30. Sportmetaphorik illustriert in der zeitgenössischen philosophischen Diatribe als Bildfeld die Notwendigkeit körperlichen, auch schmerzvollen Einsatzes für das eigene geistige Wachstum und die Treue zu den eigenen Überzeugungen bis hin zum Martyrium (Stauffer, ThWNT I 134–140; 166 f., vgl. z. B. 4Makk 6,10; 17,15 f.). Für einige Auslegungen setzt Paulus Bilder aus der Welt des Sportes ein, um die Gruppe als Koathletinnen und Koathleten zu konstituieren (Esler* 380 f.). Nach anderen geht es um Tugenderwerb in der Arbeit an der Erlösung (Arnold*). Bereits Lightfoot dachte an eine Anspielung auf das römische Amphitheater, in dem Verurteilte im Tierkampf oder als Gladiatoren um ihr Leben kämpfen mussten (K. 106). Erneuert wurde die These mit Hinweis auf Vereine von Berufsathleten (Brändl* 342–344; Kurek-Chomycz* 282–293). In Philippi stiften eine Reihe von Duumviri und andere Mitglieder der höchsten städtischen Elite im 2. und 3. Jahrhundert n. Chr. Spiele und werden als ἀγωνοθέται oder munerarii geehrt (CIPh II.1 55/Pilhofer II 311; CIPh II.1 115/Pilhofer II 720; CIPh II.1 127/Pilhofer II 395; CIPh II.1 133/Pilhofer II 127b; CIPh II.1 140/Pilhofer II 493; CIPh II.1 175/Pilhofer II 120). Ein Stifter, der sich auch am Umbau des Theaters beteiligt, spendet sieben Paare Gladiatoren und vier Tierhetzen (Pilhofer II 87). Das Theater in Philippi wird im 2. Jahrhundert in eine für Gladiatoren und Tierhetzen geeignete Arena umgebaut (Karadedos/Koukouli-Chrysanthaki*). Marcus Velleius Zosimus, Priester der unbesiegbaren Nemesis, weiht Inschriften für die Gemeinschaft 133
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Politik für das Evangelium
der Tierkämpfer (Pilhofer II 142–144). Ein mit dem Relief eines Tierkampfs verzierter Grabstein dokumentiert ein Gedicht, in dem ein Tierkämpfer sein Schicksal benennt: „Ein Gott aber befahl mir zu sterben auf der ruhmreichen Erde, der von Mauern schön bekränzten Gründung des Philippus und des Kaisers Augustus“ (δαίμων δέ μ’ ἐκέλευσε θανεῖν κλυτῆς ἐπὶ γείης | κτίσματος Φιλίπποιο καὶ Αὐγούστοου βασιλῆος εὐστεφίῃ στείχων, BCH 59 [1935], 148–151 + Plate V/Pilhofer II 296,4–6, 3. Jh. n. Chr.). Ohne Zweifel gehören Sportveranstaltungen zur Alltagswelt in Philippi und bringen zugleich den Stolz auf die Kultur dieser Stadt zum Ausdruck. Noch stärker als das Bild des Sports ist jedoch im Folgenden das Bildfeld einer kriegerischen Auseinandersetzung evoziert (Krentz, Military Language 114–127; Krentz, Paul 355–361; Geoffrion* 35–82; Poplutz* 298–304; Gerber, Paulus 184). Bereits στήκειν „feststehen“ kann militärische Konnotationen tragen, ebenso ist einträchtiges Kämpfen notwendig (E. Lohmeyer, K. 74 Anm. 2; Krentz, Military Language 120 f.; Geoffrion* 55–57). So fordert Onasander in seinem Militärhandbuch auf, ein guter General solle seinen flüchtenden Soldaten sagen: „In geschlossener Formation zu bleiben, ist sicherer als ihre Auflösung“ (τοῦ μένειν ἐν τάξει μηδ’ ἐπισφαλέστερον τοῦ λύειν, Onas Strat 27,1). Noch größere Anleihen bei der Metaphorik eines militärischen Kampfes machen die nächsten Verse. 28 … καὶ μὴ πτυρόμενοι ἐν μηδενὶ ὑπὸ τῶν ἀντικειμένων, ἥτις ἐστὶν αὐτοῖς ἔνδειξις ἀπωλείας, ὑμῶν δὲ σωτηρίας, καὶ τοῦτο ἀπὸ θεοῦ … Das „Feststehen“ im „gemeinsamen Kämpfen“ beinhaltet auch das „Nichtzurückschrecken“. Das seltene πτύρομαι beschreibt das Scheuen von Pferden in Kampfhandlungen (Diod S 2.19,3; 17.34,6; 17.57,6; 17.58,4; Plut Philop 12,1 und Fab Max 3,1; übertragen auf menschliche Furcht: Pseud-Plat Spuria 370a; Holloway, K.). Ein kaiserzeitliches Gedicht besingt die Überwindung der Angst vor wilden Löwen (οὐκέτι … πτύρεσθε λεόντων) als Erfolg der Eroberung und Kultivierung Libyens durch den Kaiser (Anth Grec 7.626). Paulus möchte erfahren, dass die Gemeinde „in nichts“ vor den ἀντικείμενοι „Widersachern“ zurückschreckt. Das Partizip von ἀντίκειμαι „gegenüberliegen, im Streit liegen, feind sein“ beschreibt ganz allgemein eine Opposition (Bauer, Wb; Spicq I 103 f.). Die Widersacher bedrängen die Gemeinde von außen, ohne dass theologische Positionen und Differenzen sichtbar werden. Manche denken an Mitbürgerinnen und Mitbürger aus Philippi oder römische Behörden nach Apg 16,19–23, die die Gemeinde direkt verfolgen oder aber ökonomisch bedrängen (Tellbe* 232–234; de Vos* 262– 265; Oakes* 84–96; Reumann, K. 278 f.). Eine inhaltliche Verwandtschaft mit den in → 3,2 benannten „schlechten Arbeitern“ besteht nicht (→ Exk. 15). Auch Gottes Widersacher sind mit gemeint (Jes 66,6; 2Thess 2,4). Im sich anschließenden Relativsatz kann das Relativpronomen ἥτις auf ἔνδειξις „deutliches Zeichen, Erweis, Beweis“ vorausweisen. Dann ist das Nichtzurückschrecken der Beweis für das Verderben der Widersacher. Möglich wäre auch ein Bezug auf πίστις am Ende von V. 27, sodass der aus dem Evangelium hervorgehende Glaube den Beweis erbringt (Hawthorne, K.; Fowl* 173). Jedenfalls fällt der „Beweis“ für zwei Gruppen unterschiedlich aus: Den αὐτοῖς ist er „Zeichen des Untergangs“, gleichzeitig ist er „Zeichen unserer (ὑμῶν δὲ) Rettung“. Bei aller Symmetrie passen der 134
Stellt euch einmütig Gott zur Seite
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Dativ αὐτοῖς und der Genitiv ὑμῶν schlecht zusammen und es fehlt ein μέν „einerseits“ als Gegenüber zum δέ „anderseits“. Der Text ist in der Überlieferung jedoch vielfach korrigiert: Die Majuskeln D1, P, Ψ, 075 sowie die Minuskeln 104 und 1505 ergänzen ein μέν; die Majuskeln K, L, die Minuskel 630 und � verbessern außerdem stilistisch durch Nachstellung eines ἐστίν (ähnlich auch Marius Victorinus und Augustinus). Ein Großteil dieser Gruppe, nämlich die Majuskeln D1, K, L, 075, die Minuskel 630, � sowie die lateinische und die koptische Überlieferung, vervollständigen die Symmetrie, indem sie statt des störenden Genitivs ὑμῶν den Dativ ὑμῖν lesen. Schließlich bieten einige andere Majuskeln D*, F, G, das altlateinische Manuskript b und einige Vulgatahandschriften ein ἡμῖν „für uns“, wohl um Paulus in die Gruppe der Geretteten einzuschließen. Die jeweils von � und B mit vielen anderen Handschriften gebotene, nicht völlig symmetrische Lesart von NTG28 ist sicher die lectio difficilior. Die Gegenüberstellung von ἀπώλεια „Verderben, Untergang“ und σωτηρία „Rettung, Heil“ ist typisch für Kriegsschilderungen inklusive der Exoduserzählung (Polyb 4.57,10; SapSal 18,7; Jos. Ant. 2.342, 345 und Bell. 4.573; Krentz, Military Language 125 f.; Geoffrion* 57 f.). Wer „Rettung“ und „Untergang“ als gegenwärtige, innerweltliche Erfahrungen der Gemeinde auffasst, muss fragen, wie die „Widersacher“ ihr Verderben erkennen sollten. Es handelt sich dann um zwei konkurrierende Wirklichkeitswahrnehmungen. Was die Widersacher als Verderben ansehen mögen, bedeutet eigentlich Heil (Hawthorne/Martin, K.; Fowl*; Fowl, K. 65–69; vgl. auch SapSal 2,22). Bei Paulus trägt ἀπώλεια jedoch eine eschatologische Konnotation und meint endgültige Verdammnis (Phil 3,19; Röm 9,22). Er stellt an anderen Stellen die Verlorenen (ἀπολλύμενοι) und die Geretteten (σῳζόμενοι) im unüberwindlichen Kontrast einander gegenüber (1Kor 1,18; 2Kor 2,15; vgl. auch 2Kor 4,3.9). Dabei wird nicht gefragt, wer später zu den Verdammten gehören wird, sondern den jetzt Bedrängten und Leidenden wird ihre Rettung zugesichert. Paulus verwendet die Gegenüberstellung von ἀπώλεια „Verderben, Untergang“ und σωτηρία „Rettung“ auf dem Hintergrund der jüdischen Apokalyptik. Gottes Feinden ist bei der Auferstehung eben Untergang, das heißt Nichtteilnahme an Auferstehung und himmlischer Existenz, angesagt (Holloway, K. 107 f.). Die gleiche Motivik und Begrifflichkeit erscheint auch in → 3,19 f. Die Gewissheit, dass die Widersacher ihr Verderben werden erkennen müssen, macht die Aussage zu einer Zeitansage. Die Rettung aller Angefeindeten ist nahe – und diese kommt „von Gott“, denn der Untergang der Feinde Gottes ist längst beschlossen und nur eine Frage der Zeit. Mit der militärischen Metaphorik schließt der Vers an das Motiv des Gotteskampfes an, den Paulus auch andernorts im Bild der Waffenrüstung aufgreift (1Thess 5,8; Röm 13,12; vgl. Jes 59,17; SapSal 5,17–22). Indem die Gemeinde nicht vor ihren Feinden zurückweicht, streitet sie an Gottes Seite im eschatologischen Kampf. Sie streitet mit Gott an ihrer Seite für Gottes eschatologischen Sieg. 29 … ὅτι ὑμῖν ἐχαρίσθη τὸ ὑπὲρ Χριστοῦ, οὐ μόνον τὸ εἰς αὐτὸν πιστεύειν ἀλλὰ καὶ τὸ ὑπὲρ αὐτοῦ πάσχειν … Der in V. 27 begonnene Satz wird weiter ergänzt mit einem begründenden ὅτι „weil, denn“. Paulus erinnert die Gemeinde an das ihnen von Gott gemachte Geschenk. Die Majuskel A und die Minuskel 1241 lesen ein ἡμῖν „uns“, möchten also Paulus mit einbezogen wissen. In χαρίζομαι „schenken“ steckt χάρις „Gnade“. Hinter dem Passiv steht Gott (→ 2,9; Gal 3,18; 1Kor 2,12; Phlm 135
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Politik für das Evangelium
22; Röm 8,32). Allerdings war Gott am Ende von V. 28 genannt, weshalb man sich über die passivische Formulierung verwundern mag. Geschenkt ist τὸ ὑπὲρ Χριστοῦ, eine Kurzform, wie im Folgenden sogleich deutlich wird (Dibelius, HNT). Sie dreht Subjekt und Objekt im klassischen Bekenntnissatz „Christus starb für uns (ὑπὲρ ἡμῶν)“ (Röm 5,8; 1Thess 5,10; vgl. 1Kor 15,3; Gal 2,20; 3,13; Röm 8,32) um. Nicht Christus für uns, sondern die Gemeinde „für, zum Vorteil von, anstelle von, zugunsten von“ Christus (ὑπέρ + Genitiv; Bauer, Wb). Was das bedeutet, wird zweifach expliziert: Zum einen ist ihnen τὸ εἰς αὐτὸν πιστεύειν „das An-Christus-Glauben“ geschenkt (Röm 10,14; Gal 2,16), zum andern „das Für-ihn-Leiden“. Der Satz ist theologisch provokativ; nicht nur scheint der Urheber des Passivs „geschenkt“ menschliches Leiden zu evozieren, sondern er macht dies geradezu zum Signum christlicher Existenz. Einige Ausleger verweisen auf Martyriumsfrömmigkeit (E. Lohmeyer, K.). So sagen die makkabäischen Märtyrer im Angesicht ihrer Peiniger: „O Tyrann, du beschenkst uns mit der Gunst, durch noch edelmütigere Schmerzen die Ausdauer im Festhalten am Gesetz zu beweisen“ (ὦ τύραννε χάριτας ἡμῖν χαρίζῃ διὰ γενναιοτέρων πόνων ἐπιδείξασθαι παρέχων τὴν εἰς τὸν νόμον ἡμῶν καρτερίαν, 4Makk 11,12). Aber im 4. Makkabäerbuch geht es nicht um das Leiden an sich, sondern um die Stärke der Märtyrer und ihres dem Tyrannen überlegenen Gesetzes, der Tora. Andere vermuten, Paulus wolle den für römische und hellenistische Ohren fremden Gedanken, dass auch das Leiden ein „Bestandteil ihres Glaubens, ihres Zu-Christus-Gehörens“ sei, verständlich machen (Walter* 430; Walter, K.; U. B. Müller, K.; Wojtkowiak* 132–134 u. a.). Aber die Frage nach dem Warum des Leidens wird gar nicht geklärt und es bleibt zu fragen, warum Paulus diesen Hinweis in Philippi anders als in Thessaloniki vergessen haben sollte (1Thess 3,4 f.). Auch Griechen kennen das Leiden, z. B. als wichtigen Topos in der antiken Trostliteratur (Holloway* 118 f.). „Leiden für“ gehört wie verwandte Formeln vom „Sterben für“ ebenso in die antike Freundschafts- wie in die politisch-militärische Ethik (vgl. Röm 5,6–8). So definiert Lukian: „Freunde müssen das gesamte Schicksal teilen.“ Daher habe man dargestellt, was exemplarische Freunde „miteinander oder füreinander erleiden“ (χρὴ τοῖς φίλοις ἁπάσης τύχης κοινωνεῖν. καὶ ἅ γε μετ’ ἀλλήλων ἢ ὑπὲρ ἀλλήλων ἔπαθον ἀναγράψαντες, Luc Tox 6). Bei Plutarch sagt Cassius zu Brutus, die Senatoren werden „alles für dich erleiden (ὑπὲρ σοῦ πάντα πάσχειν), wenn du sie von der Tyrannenherrschaft befreist“ (Plut Brut 10,6). Bei Appian betrauern die Italiker, dass Flaccus und Gracchus, „die für sie politisch eintraten, solches (ihren Tod) erlitten“ (ὑπὲρ αὐτῶν πολιτεύοντας τοιάδε παθεῖν; Appian Bell Civ 1.34 [154]). Josephus lässt einen Feldherrn sagen, er wäre bereit, „das Größte für euch zu erleiden“ (πάσχειν ὑπὲρ ὑμῶν τὰ μέγιστα, Ant. 13.199). Freundschafts- und Militärethik gehören durchaus zusammen. Onasander rät dem General, Brüder, Freunde und Liebhaber nebeneinander in die Schlachtreihe zu stellen, „denn es ist ein Naturgesetz, dass der Liebende verwegener für seinen Nachbarn kämpft“ (ἀνάγκη τὸν ἀγαπῶντα φιλοκινδυνότερον ὑπὲρ τοῦ πέλας ἀγωνίζεσθαι, Onas Strat 24,1; vgl. Krentz, Military Language 126; Geoffrion* 71–73). Wenn die Philipperinnen und Philipper für Christus leiden, ist dies insofern Auszeichnung und Geschenk, als sie sowohl ihre Loyalität (πίστις) und Liebe zu Christus als auch ihr dem Evangelium Christi würdiges Regieren demonstrieren können (V. 27). Mehr noch, 136
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mit dem Leiden „an der Stelle von Christus“ repräsentieren sie Christus in der Welt und bringen ihn zur Darstellung (Hawthorne/Martin, K. 75 f.; vgl. Gal 3,1; 1Kor 4,9 f.; 2Kor 4,7–12). 30 … τὸν αὐτὸν ἀγῶνα ἔχοντες, οἷον εἴδετε ἐν ἐμοὶ καὶ νῦν ἀκούετε ἐν ἐμοί. In einer Inklusion zu V. 27 verweist Paulus abschließend noch einmal auf seine Person. Ἀγών, ursprünglich „Versammlungsplatz“, daraus abgeleitet „Kampfplatz, Stadion, Rechtsstreit, Wortgefecht, Kampf schlechthin“, lässt sich wiederum sowohl dem Bildfeld des Sports als auch dem des Militärs zuordnen (Stauffer, ThWNT I 135; Poplutz* 36–60; Krentz, Military Language 122 f.; Geoffrion* 60 f.). Die Martyriumstradition vermischt die beiden Bildfelder (4Makk 9,23 f.; 11,20–22; 15,29; 17,11–16; U. B. Müller, K.; Poplutz* 303). Bestaunend lassen die Verfasser der Lobrede die Mutter ihre gefolterten Kinder anfeuern: „O Kinder, edel ist der Kampf, … kämpft bereitwillig für das väterliche Gesetz“ (ὦ παῖδες γενναῖος ὁ ἀγών … ἐναγωνίσασθε προθύμως ὑπὲρ τοῦ πατρῴου νόμου, 4Makk 16,16). Paulus ruft allerdings nicht zu einem Kampf auf, sondern verweist in dem mit dem Korrelativpronomen οἷος eingeleiteten Relativsatz auf die längst gemachte und gemeinsam geteilte Erfahrung. Die Gemeinde erfährt den gleichen Kampf, den sie einst an ihm, Paulus, beobachten musste und jetzt von ihm hört. Der Aorist εἴδετε blickt in die Vergangenheit (Schenk, K. 171; Reumann, K. 295). Paulus, Timotheus und Silvanus erinnern die Thessalonicherinnen und Thessalonicher daran, dass sie in Philippi προπαθόντες „vorher gelitten“ haben und ὑβρισθέντες „misshandelt“ worden waren (1Thess 2,2), aber wir wissen weder von wem noch warum. Unsere Neugier ist leider nicht mehr zu befriedigen, da diese Erfahrung nur unter den ersten Briefpartnerinnen und -partnern geteilt wurde. Konkreter wird Paulus aber auch nicht in Bezug auf die Gegenwart (ἀκούετε). Meint er mit dem, was die Gemeinde jetzt ἐν ἐμοί „aus meinem Bereich“ hört, seine Verhaftung, seinen Prozess, die Konflikte um seine Person am Haftort Ephesus (→ 1,15–17) oder noch etwas anderes? �46 und die Minuskel 81 lassen das ἐν ἐμοί aus, was die Aussage noch allgemeiner macht. Was auch immer „Kampf“ konkret bedeutet, die Philipperinnen und Philipper sind keineswegs nur Nachahmer dieser „Gnade“ (anders: U. B. Müller, K.; Wojtkowiak* 132–134). Auch ohne ihren Erstmissionar repräsentieren sie Christus in der Welt. Ihr und sein Ruf stiftet auch ohne Ansehen (ὁράω, V. 27.30) eine bleibende Verbindung untereinander (ἀκούω, V. 27.30). Paulus eröffnet in 1,27 die briefliche Paränese mit der Aufforderung, sich entsprechend dem Evangelium würdig und angemessen zu regieren. Konkret heißt das, politisch so zu handeln, dass Einigkeit und Eintracht untereinander bewahrt bleiben. Auf diese Weise kann die Gemeinde auch eine starke Gemeinschaft bilden und denen, die draußen sind, inklusive Widersachern trotzen. Ob hier konkrete soziale und theologische Konflikte im Blick sind, kann aus der abstrakten Formulierung nicht sicher abgelesen werden. Das mit Begriffen aus der Sprache des Militärs und der Welt des Sports evozierte Bildfeld malt vielmehr das Bild einer Entscheidungsschlacht, in der die Gemeinde als Mitstreiterin Gottes bei der eschatologischen Durchsetzung des Gottesreiches in der Welt kämpft. An Gottes Seite in diesem Kampf ist ihr die Rettung zugesagt. Doch ist ihr Weg auch gezeichnet von Leiden, das gleichfalls Christus repräsentiert. Die typisch theologische Formulierung ‚Christus starb für uns‘ ist an dieser Stelle genau um137
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gekehrt. Die Gemeinde glaubt nicht nur an Christus, sondern in ihrem Leiden steht sie für Christus ein und repräsentiert damit Gottes Selbstoffenbarung in der Welt. Die Einmütigkeit und Eintracht der Gemeinde ist somit kein Selbstzweck, sondern hat eine wichtige Funktion in der endzeitlichen Offenbarung Gottes in der Welt. Ihre Existenz trotz aller Anfechtung ist die Darstellung des Evangeliums als der sich bald endgültig durchsetzenden Gottesherrschaft und ihres ersten Vorboten: der Solidarisierung Gottes mit dem Leiden und Sterben Christi (→ 2,6–11).
2,1–5 Der Trost der Eintracht 1
Wenn es also einen Trost in Christus gibt, wenn ein Zuspruch der Liebe, wenn eine Gemeinschaft des Geistes, wenn herzliches Mitgefühl und Zuwendung existieren, 2 macht meine Freude (damit) voll(kommen), dass ihr dasselbe denkt, indem ihr dieselbe Liebe habt, einträchtig das Eine denkt, 3nichts aus korrupten Motiven noch aus Prahlerei (tut), sondern in Wahrnehmung (eigener) Niedrigkeit einander für höhergestellt haltet als euch selbst! 4Dabei verfolge jede und jeder nicht (allein) die eigenen Ziele, sondern vielmehr sollen alle die Ziele der anderen im Blick haben! 5Denkt das unter euch, was auch in Christus Jesus (zu denken ist):
Christian Blumenthal, „… sondern auch das der anderen“ – Beobachtungen zur Deutung und argumentationsstrategischen Funktion der paulinischen Mahnungen in Phil 2,4.12. Zugleich ein Beitrag zur Funktionsbestimmung des Philipperhymnus im Brieftext, ZNW 111,1 (2020), 100– 123. – Troels Engberg-Pedersen, Altruism in Philippians 2,4, in: John T. Fitzgerald/Thomas H. Olbricht/L. Michael White (Hg.), Early Christianity and Classical Culture [FS Abraham J. Malherbe], NT.S 110, 2003, 197–214. – Anton Fridrichsen, Σύμψυχος = ὅλῃ τῇ ψυχῇ, Philologische Wochenschrift 58 (1938), 910–912. – Pieter W. van der Horst, Aelius Aristides and the New Testament, SCHNT 6, 1980, 49 f. – Merk, Handeln aus Glauben 59–65. – Oakes, Philippians. – Peterlin, Paul’s Letter 59–75. – Standhartinger, Eintracht. – Vollenweider, Politische Theologie. – Klaus Wengst, Demut – Solidarität der Gedemütigten. Wandlungen eines Begriffes und seines sozialen Bezugs in griechisch-römischer, alttestamentlich-jüdischer und urchristlicher Tradition, 1987. – N. V. Wiles, From Apostolic Presence. – B. W. Winter, Seek the Welfare 81–105. – Wojtkowiak, Christologie und Ethik 134–157.
Forderte 1,27–30 zur Eintracht gegenüber Außenstehenden inklusive der eschatologischen Widersacher auf, so wendet sich der Blick nun nach innen auf den inneren Zusammenhalt der Gemeinde. Eingeleitet ist der Satz aus 2,1–4 durch vier konditionale Nominalausdrücke, die der folgenden Bitte um ein Mehr an Freude beschwörenden Charakter verleihen. Im Angesicht Christi, der Liebe, des Geistes, der Gemeinschaft und der herzlichen Zuwendung können sowohl Paulus als auch die Gemeinde Trost und Zuspruch erfahren und kann Freude gedeihen (→ 1,4.18.25). Die inhaltliche Füllung des Wunsches folgt in einem mit ἵνα eingeleiteten Objektsatz, dem eine Reihe partizipialer Nebensätze beigeordnet sind. Sie formulieren redundant die Bitte um Eintracht. Einige Auslegungen vermuten als Anlass dieser Paränese Konflikte, die zu 138
Der Trost der Eintracht
2,1
Spaltungen und Gruppenbildung führten (Peterlin*). Andere denken an Spannungen aufgrund von Status- und Rangunterschieden im Kontext der römisch geprägten Leistungsgesellschaft (Merk*; Wengst* 88–96; U. B. Müller, K.; Oakes* 177–180). Jedoch lehnen sich fast alle Formulierungen an den antiken politisch-philosophischen Diskurs über die Eintracht als Bedingung der Möglichkeit eines gut geordneten Gemeinwesens an (B. W. Winter*; Vollenweider* 228–232; Standhartinger*). Paulus rezipiert also ein Stück politischer Rhetorik seiner Umwelt. Originell ist nicht die Paränese, sondern ihr Publikum. Anders als die zahlreichen Eintrachtsreden oder Handbücher für angehende Politiker richtet Paulus seine Aufforderung nicht an einzelne Führungspersönlichkeiten, sondern an die ganze Gemeinde. Dabei sind die Wahrnehmung der eigenen Niedrigkeit, das heißt die Demut, und das Verfolgen der Ziele der jeweils anderen der Weg, auf dem kollektive Gemeindeleitung ohne Hierarchisierungen gelingen kann (2,3 f.). In V. 5 beginnt mit dem dritten Imperativ eine neue Satzperiode, die die erste Strophe des folgenden Christushymnus umfasst. Die Frage, ob der im Folgenden Besungene als paradigmatisches Vorbild für das von der Gemeinde geforderte Verhalten eingeführt wird oder ob der Hymnus das Christusereignis als eschatologisches Ereignis beschreibt und daher theologische Gegenwartsbestimmung ist, kann erst nach der Analyse des Textes selbst beantwortet werden. Schon hier fällt jedoch auf, dass die Rahmung durch das zweimalige ἐν Χριστῷ (V. 1.5) und die Näherbestimmung des Stichworts φρονέω (V. 2.5) der allgemeinen Eintrachtsparänese eine theologische Grundstimmung verleiht. „Dasselbe“ und „Eine“, was die Gemeinde denken soll, ist also keineswegs beliebig, sondern durch den in V. 1 und in den Versen 5–11 explizierten theologischen Rahmen bestimmt. 1 Εἴ τις οὖν παράκλησις ἐν Χριστῷ, εἴ τι παραμύθιον ἀγάπης, εἴ τις κοινωνία πνεύματος, εἴ τις σπλάγχνα καὶ οἰκτιρμοί … Der folgende Abschnitt führt die paränetische Redeform im Imperativ nicht unmittelbar fort, sondern stellt ihr eine ausgiebige konditionale Reihung voran. Die Verbindung der Konjunktionen εἰ und οὖν drückt eine reale Folgerung aus: „wenn demnach“ (B/D/R § 372.1). Die meisten Auslegungen verstehen οὖν „also“ als Epanalepse, Wiederaufnahme, des letzten Hauptsatzes in V. 27 (Gnilka, K.; Schenk, K. 173; U. B. Müller, K.; Holloway, K.). Möglich ist aber auch der Bezug auf die Beschreibung des gemeinsamen Kampfes in V. 30 (H. A. W. Meyer, K. 60 f.; N. V. Wiles* 90 f.). Diskutiert wird ferner, ob man die vier nominalen Konditionalsätze als einen Istzustand oder einen Idealzustand verstehen soll und ob Paulus oder die Gemeinde Trost und Zuspruch erfahren haben oder sollen. Die Apodosis zu den vier Konditionalsätzen, „erfüllt meine Freude“ (V. 2), fordert zum Handeln der Gemeinde an Paulus auf. Einige schließen daraus, Paulus sehne sich nach Trost aus der Gemeinde (Chrys Hom in Phil 5,1 [Field/Allen 51/PG 62.213,11– 47]; Holloway, K.). Andere rechnen Zuspruch, Trost etc. dem seelsorgerlichen Bemühen des Paulus an der Gemeinde zu (Walter, K.; Baumert, K.). Schließlich beziehen einige die ersten beiden Glieder auf Paulus und die letzten drei auf die Gemeinde (Gnilka, K.). Formal fehlt ein Hinweis auf diese Aufteilung, sie drückt aber aus, dass sich Subjekt und Objekt in den nominalen Konditionalsätzen schwer trennen lassen (Eckey, K.; Häußer, K.). Diskutiert wird schließlich, ob εἴ τις als festgefügter Ausdruck eigentlich εἴ τι meint: „wenn … etwas gilt“ (B/D/R § 137.2). In dieser Weise fassen es anscheinend 139
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die Handschriften D*.c, L, 33 und 2495 auf, die durchgängig τις trotz des Neutrums παραμύθιον lesen. Die meisten Auslegungen fassen εἴ τις dagegen prädikativisch auf: „wenn etwas ein Trost ist, wenn es irgendeinen Trost gibt“. Allerdings enthält auch die von NTG28 gebotene, am besten bezeugte Textüberlieferung einen Fehler. Fasst man τις als Attribut zu παράκλησις κτλ. auf, so müsste es am Ende eigentlich εἴ τινα σπλάγχνα κτλ. heißen (so die altlateinische Überlieferung, eine Vulgataedition, Ambrosius, Pseudo-Augustinus und Speculum). Die Majuskeln K, Ψ und die Minuskeln 81, 323, 365, 614, 630, 945, 1241, 1739, 1881 sowie zwei Vulgataeditionen lesen εἴ τι σπλάγχνα κτλ. Trotz dieses von NTG28 gebotenen und von der Mehrheit der Handschriften bezeugten grammatischen Schnitzers bewirkt das viermal wiederholte εἴ τις/ τι der Einleitung einen feierlichen und beschwörenden Klang (Gnilka, K.). Die Feierlichkeit wird durch die Beobachtung bestärkt, dass die Trias Christus, Liebe und Geist auch in der Segensformel aus 2Kor 13,13 erscheint (E. Lohmeyer, K.). Die fünf in den vier Nominalsätzen gereihten Substantive beschreiben den Beziehungsraum „in Christus“, der sich zwischen Paulus und der Gemeinde aufspannt. Paulus verwendet παράκλησις in der Bedeutung „Zuspruch“ und „Trost“ (Röm 15,5; 2Kor 1,3–7; 7,4.13; Phlm 7; ψ 93,19; PsSal 13,1 u. ö.; E. Lohmeyer, K.). Der ohnmächtig gefangene Paulus bedarf des Zuspruchs, dessen Urheber Gott ist (Baumert, K.; Walter, K.; Eckey, K.). Zuspruch braucht natürlich auch die bedrängte Gemeinde (→ 1,29 f.; Hansen, K. 107 f.; Häußer, K.; Holloway, Consolation 120 f.). Παραμύθιον „Zuspruch, Trost“ ist die Nominalbildung zu παραμυθέομαι „zu jemanden sprechen, indem man sich ihm nahe zur Seite stellt“ (Stählin, ThWNT V 815–822; 1Kor 14,3; 1Thess 2,12; 5,14). Urheberin des Zuspruchs ist die ἀγάπη „Liebe“. Dabei kann wiederum die Liebe des Paulus zur Gemeinde (Hawthorne/Martin, K.), die Liebe der Gemeinde zu Paulus (→ 1,16) oder die Liebe innerhalb der Gemeinde im Blick sein (→ 1,9; 2,2; Stählin, ThWNT V 821; Eckey, K.). Schließlich wird auch an Gottes Liebe gedacht (1Kor 13,13; Röm 5,8; 8,39; E. Lohmeyer, K.; Gnilka, K.; U. B. Müller, K.; Fee, K.). Obgleich die dritte Formulierung κοινωνία πνεύματος im Grunde die gleiche Frage aufwirft, interpretieren meines Wissens alle Auslegungen den Geist als göttlichen Geist. Der vierte εἰ-Satz ist als Parataxe (καί) formuliert. Neben σπλάγχνα „Barmherzigkeit“ (→ 1,6) steht das ebenfalls zumeist pluralisch gebrauchte οἰκτιρμοί „das sich aus Mitleid ergebende Erbarmen“. Den Doppelausdruck kann man als Hendiadyoin mit „herzliches Mitgefühl“ oder „liebevolles Erbarmen“ übersetzen (Bultmann, ThWNT V 163; U. B. Müller, K.). Allerdings bezieht Paulus οἰκτιρμός auf Gottes Erbarmen (Röm 12,1; 2Kor 1,3; vgl. ψ 77,38; 85,15; 144,8 u. ö.). Will man den Aspekt menschlicher Erfahrung von göttlichem Wirken betonen, übersetzt man „von Herzen kommende Liebe und Gottes Zuwendung“ (Schenk, K.; Köster, ThWNT VII 556). Die vier Konditionalsätze umschreiben also einen Paulus und die Gemeinde umgreifenden Beziehungsraum. Beide Seiten brauchen Trost, Zuspruch, Gemeinschaft und herzliches Mitgefühl und beide Seiten können sich dies „in Christus“, in der Liebe, im Geist und aus Gottes Erbarmen gegenseitig geben. 2 … πληρώσατέ μου τὴν χαρὰν ἵνα τὸ αὐτὸ φρονῆτε, τὴν αὐτὴν ἀγάπην ἔχοντες, σύμψυχοι, τὸ ἓν φρονοῦντες … Der Vers bringt die Apodosis zur vorherigen vierfachen Protasis. Πληρόομαι χαρᾶς „von Freude erfüllt zu werden“ ist eine ge140
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bräuchliche Wendung zum Ausdruck eines Höchstmaßes an häufig von Gott bewirkter Freude (Philo Abr. 108 und Mos. 1.177; 1.333; Jos. Ant. 15.421; 2Makk 3,30; Röm 15,13; Apg 13,52; Joh 3,29; 15,11; 16,24). Als Geschenk Gottes gibt die Freude Anteil an der himmlischen Welt (→ Exk. 6). Indem Paulus die Gemeinde zum Auffüllen seiner Freude auffordert, macht er sie zu Gottes Mitarbeiterin. Der folgende ἵνα-Satz lässt sich als Objektsatz, genauer: als Ersatz für den Infinitiv nach Verben des Aufforderns und Befehlens, verstehen (B/D/R § 388.22; Dibelius, HNT; andere Optionen: Häußer, K. 135). Die Philipperinnen und Philipper füllen die Freude des Paulus dadurch auf, dass sie τὸ αὐτὸ φρονέω „dasselbe denken, auf dasselbe ihren Sinn ausrichten“ (2Kor 13,11; Röm 12,16; 15,5). Τὸ αὐτὸ φρονέω ist ein Hauptschlagwort des antiken Eintrachtsdiskurses (B. W. Winter*; Vollenweider* 230–232; Standhartinger*). Von den Bewohnerinnen und Bewohnern antiker Städte und insbesondere ihren politischen und ökonomischen Eliten ist ὁμόνοια oder lateinisch concordia, nämlich Eintracht und Einigkeit im Inneren und nach außen, gefordert. Zwietracht führt dagegen zu innerer Zerrüttung und Zerstörung. Während die politische Philosophie im Hellenismus das richtige Maß an Gleichheit und Verschiedenheit unter den Bürgerinnen und Bürgern einer Polis fordert, betrachtet die frühe Kaiserzeit die Alleinherrschaft als die der Eintracht förderlichste Regierungsform. Die Bewahrung der Eintracht wird zur wichtigsten Aufgabe der politischen Eliten der römischen Provinzen. Entsteht Zwietracht und Aufruhr, etwa durch konkurrierende Machtansprüche zwischen Städten, innerhalb der politischen Führungseliten oder zwischen reichen und armen Bevölkerungsgruppen, so greifen römische Statthalter ein und entmachten die politisch Führenden. Rhetoren des 1. und 2. Jahrhunderts n. Chr. fordern unablässig zur Eintracht auf. Zum Beispiel vertritt Aristides (ca. 117–181) die These, man müsse diejenigen Städte für die vornehmsten halten, „die dazu fähig sind, nach demselben zu trachten (αἵτινες ἂν ταυτὸν φρονεῖν ἐπίστωνται, Or 23,31 [Keil: Über die Eintracht der Städte]; vgl. Horst, Aelius Aristides 49 f.). Dio Chrysostomus (ca. 40–120) tadelt die Bewohnerinnen und Bewohner von Tarsus, es seien „in der Stadt nicht zwei Männer zu finden, die das gleiche denken“ (μηδ’ ἂν δύο ἄνδρας εὑρεῖν ἐν τῇ πόλει τὸ αὐτὸ φρονοῦντας, Dio Chrys Or 34,20). Die für Paulus singuläre Formulierung τὴν αὐτὴν ἀγάπην ἔχοντες „die gleiche Liebe haben(d)“ gehört ebenfalls zur Rhetorik dieser Eintrachtsreden. Die größten Güter einer jeden Stadt sind „die gegenseitige Liebe und Eintracht“ (ἡ πρὸς ἀλλήλους φιλία καὶ ὁμόνοια, Ael Aristid Or 23,53,72 [Über die Eintracht Dindorf/Keil]; vgl. auch Or 24,14 f. [Dindorf/Keil: An die Rhodier betreffs Eintracht]). Daher rät Plutarch einem Nachwuchspolitiker „Gleichgesinntheit und Liebe gegenüber den Mitherrschenden“ (ὁμοφροσύνη καὶ φιλία πρὸς συνάρχοντας, Plut Praec Ger Reip 816A). Und auch das den Vers abschließende τὸ ἓν φρονέω „das Eine denken“ ist Teil der Eintrachtsrhetorik. So lobt Dio Chrysostomus die Stadt Nikomedia nach der Überwindung eines Streits: „Wie freue ich mich jetzt zu sehen, dass ihr eine Kleidung tragt, mit einer Stimme sprecht, dasselbe wollt. Was wäre ein schönerer Anblick als eine auf das Gleiche trachtende Stadt?“ (ὡς ἔγωγε ἥδομαι νῦν ὁρῶν ὑμᾶς ἓν μὲν σχῆμα ἔχοντας, μίαν δὲ φωνὴν ἀφιέντας, ταὐτὰ δὲ βουλομένους. ποῖον μὲν γὰρ θέαμα κάλλιον πόλεως ὁμοφρονούσης, Dio Chrys 39,3). Die Majuskeln �*, A, C, I, Ψ, die 141
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Minuskeln 33, 81, 1241, 2464, das lateinische Manuskript f und die Vulgata lesen ein zweites Mal τὸ αὐτὸ φρονοῦντες ohne inhaltliche Differenz. Im Eintrachtsdiskurs nicht nachzuweisen ist das sehr seltene Wort σύμψυχος. Die Bedeutung „einträchtig“ (Bauer, Wb) ergibt sich aus einem bei Euseb zitierten Schreiben des Dionysius von Alexandria, der beklagt, er könne wegen eines Aufstands in der Stadt „mit seinem eigenen Herzen, den mit ihm wohnenden und einträchtigen Geschwistern“ nur noch brieflich verkehren (πρὸς γοῦν τὰ ἐμαυτοῦ σπλάγχνα, τοὺς ὁμοσκήνους καὶ συμψύχους ἀδελφούς …, Eus Hist Eccl 7.21,3). Σύμψυχος ist sonst nur noch bei Polemon (2. Jh. n. Chr.) belegt, der einen Helden aus Marathon, Kallimachus, mit der Akklamation preist: „O innigst mit dem Land Vertrauter!“ (ὦ τῇ γῇ σύμψυχε, Polemon, Declamation 2,54). Fridrichsen* leitet aus dem Neugriechischen die Bedeutung „vollständig“ ab. Im Kontext von Phil 2,3 steht σύμψυχος als Synonym zu μία ψυχή aus → 1,27. Paulus fordert also die Gemeinde auf, Eintracht untereinander zu bewahren. 3 … μηδὲν κατ᾽ ἐριθείαν μηδὲ κατὰ κενοδοξίαν ἀλλὰ τῇ ταπεινοφροσύνῃ ἀλλήλους ἡγούμενοι ὑπερέχοντας ἑαυτῶν … Der Vers setzt die Aufzählung von Eintracht stiftendem Verhalten mit der Verneinung des Gegenteils fort. Das einleitende μηδέν „nichts“ fordert im Deutschen wiederum die Ergänzung eines Verbs. �46 und �2 lesen μηδέ, was die beiden Laster mit einer Weder-noch-Formulierung leichter in die Satzkonstruktion integriert, jedoch zu schwach bezeugt ist. Die Majuskeln D, F, G, K, L, P, Ψ, 075, die Minuskel 630, � und die Harklensis setzen die Aufzählung mit ἤ „oder“ fort. Die Minuskeln 629, 2464, die armenischen Überlieferungen und ein Teil der bohairischen ergänzen noch ἢ κατά. Das von �*, B und anderen wichtigen Majuskeln gelesene μηδὲν κατ᾽ ἐριθείαν μηδὲ κατά passt zur eindringlichen Emphase bedeutungsähnlicher Schlagworte aus dem antiken Eintrachtsdiskurs. Das Gegenteil von „dasselbe“ und „eines denken“ ist einerseits ἐριθεία „Käuflichkeit“ oder „Streitlust“ (→ 1,17) und andererseits κενοδοξία „leere Meinung, Irrwahn, Prahlerei, nichtige Ruhmsucht“. Letztere erscheint häufig neben ἔρις „Streit“, φιλονικία „Streitlust“, ἀλαζονεία „Prahlerei“ und μεγαλαυχία „Arroganz“ zur Charakterisierung unsozialen Verhaltens (Oepke, ThWNT III 662; Luc Dial Mort 20 und Icaromenipp 29; Philo legat. 114; 4Makk 2,15; 8,19; Gal 5,26). Manche Auslegungen entdecken in κενο-δοξία „leerer Ruhm“ eine direkte Polemik gegen das Streben nach δόξα „Ehre, Ruhm“, also antikes Statusdenken, und übersetzen „leere Ehrsucht“ (Wojtkowiak* 145; vgl. Osiek, K.; Hellerman, Honor 120). Darin wird dann ein Bezug zu ἐκένωσεν „er entleerte sich“ aus Phil 2,8 vermutet (Holloway, K.). Jedoch ist die Gegenüberstellung von gemeinschaftsstiftenden Tugenden und gemeinschaftszerstörenden Lastern ebenfalls ein Topos in Eintrachtsreden. So bittet Dio Chrysostomus nach einem Streit in Nikaia die Götter, sie mögen „Liebe, eine Meinung und dasselbe Wollen und Trachten (in die Stadt) hineinbringen, dagegen Aufruhr, Zwietracht und Streit aber hinauswerfen, damit die Stadt fortan zu den glücklichsten und besten gezählt werden kann“ (ἐμβαλεῖν ἔρωτα καὶ μίαν γνώμην καὶ ταὐτὰ βούλεσθαι καὶ φρονεῖν, στάσιν δὲ καὶ ἔριδα καὶ φιλονικίαν ἐκβαλεῖν, ὡς ἂν ἐν ταῖς εὐδαιμονεστάταις καὶ ἀρίσταις ᾖ πόλεσι τὸ λοιπόν, Dio Chrys Or 39,8; vgl. 38,29; 38,43; B. W. Winter* 93 f.; 98 f.). Daher gehört es auch zu den wichtigsten Aufgaben eines klugen Politikers, „Zänkerei, Entzweiung und Missgunst zu 142
Der Trost der Eintracht
2,3
verbannen“ (ἔριδας δὲ καὶ διχοφροσύνας καὶ δυσμένειαν ἐξαιρεῖν, Plut Praec Ger Reip 824D). Die ὑπερέχοντες, von ὑπερέχω „hervorragen“ im eigentlichen und übertragenen Sinne, sind „die durch Besitz/Macht/Ansehen Hervorragenden“ (Delling, ThWNT VIII 524; → 3,8; 4,7). Im Wettstreit zwischen den Städten und Eliten geht es darum, sich vor anderen auszuzeichnen. Der Eintrachtsdiskurs stellt dieses Ziel nicht infrage, mahnt aber zur Mäßigung: „Das Streben, die aus jeglichem Anlass Kämpfenden zu überragen, zeichnet eher echte Hähne als Männer aus“ (τὸ δ’ ἐξ ἅπαντος τρόπου ζητεῖν μαχομένους ὑπερέχειν ἀλεκτρυόνων ἐστὶ μᾶλλον γενναίων ἤπερ ἀνδρῶν, Dio Chrys Or 34,45). Im Philipperbrief wird dagegen grundsätzlich gefordert, ἀλλήλους „einander“ höher zu achten als sich selbst. „Einander zu lieben“, „das Gleiche zu denken“ und „einander die Lasten zu tragen“, gehört zu den wichtigsten Prinzipien paulinischer Ethik (1Thess 3,12; 4,9; 5,15; Röm 12,10.16; 13,8; Gal 5,13.15.26; 6,2 u. ö.). Außerdem ist Paulus’ Satz im Plural gehalten: „die anderen höher zu achten als die eigene Gruppe“ (ἑαυτῶν). Spätere Abschreiberinnen und Abschreiber denken dagegen an eine gebührende Achtung vor der Gemeindeleitung. Dies würde jedenfalls die Variante προηγούμενοι „Anführende“ in den Majuskeln �46, D*, I, K, 075, 0278 und den Minuskeln 1175, 1505 erklären. Der Bezug auf Amtsträgerinnen und Amtsträger erklärt vermutlich auch den Artikel τούς bei ὑπερέχοντας in �46 und B (N. V. Wiles* 60–64). Für Paulus sind dagegen der Weg und das Mittel gegenseitiger Hochschätzung und Leitung die konkrete Negation von ὑπερέχω „herausragen, überragen“: die ταπεινοφροσύνη „Niedriggesinnung, Demut“. Der Vers gilt in Verbindung mit Phil 2,8 als locus classicus des christlichen Demutbegriffs (Dihle, RAC 3, 749).
Exkurs 7: Demut Eve-Marie Becker, Der Begriff der Demut bei Paulus, 2015. – Willem den Boer, Tapeinos in Pagan and Christian Terminology, in: Emilio Gabba (Hg.), Tria Corda. Scritti in onore di Arnaldo Momigliano, 1983, 143–162. – Stephen B. Dawes, ʿĀNĀWĀ in Translation and Tradition, VT 41 (1991), 38–48. – John P. Dickson/Brian S. Rosner, Humility As a Social Virtue in the Hebrew Bible?, VT 54,4 (2004), 459–479. – Reinhard Feldmeier, Macht – Dienst – Demut. Ein neutestamentlicher Beitrag zur Ethik, 2012, 81–128. – Gudrun Guttenberger Ortwein, Status und Statusverzicht im Neuen Testament und seiner Umwelt, NTOA 39, 1999, 77–85. – Ragnar Leivestad, ΤΑΠΕΙΝΟΣ – ΤΑΠΕΙΝΟΦΡΩΝ, NT 8 (1966), 36–47. – Stefan Rehrl, Das Problem der Demut in der profan-griechischen Literatur im Vergleich zur Septuaginta und dem Neuen Testament, 1961. – Gerd Theißen, Die Religion der ersten Christen. Eine Theorie des Urchristentums, 3 2003, 112–122. – Wengst, Demut. Das Substantiv ταπεινοφροσύνη, gebildet aus ταπεινός „niedrig, gering, unbedeutend, schwach, arm“ und φρονέω „denken, klug sein, gesinnt sein auf“, erscheint in Phil 2,3 zum ersten Mal in der bekannten griechischen Literatur. Das Verb ταπεινοφρονέω kommt jedoch bereits in ψ 130,2 und das Adjektiv ταπεινόφρων in Spr 29,23; Plut Alex Fort II 336E und Tranq An 475E vor. Das Substantiv ist außer in Kol 2,18.23; 3,12/Eph 4,2; Apg 20,19 und 1Petr 5,5 unabhängig von Paulus am Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. in Jos. Bell. 4.494 und Epict Diss 3.24,56 belegt.
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Die breite Bezeugung macht eine originelle Eigenbildung des Paulus unwahrscheinlich (Feldmeier* 81). Allerdings wird ταπεινοφροσύνη sonst sensu malo verwendet. Epiktet stellt es neben κολακεία „Schmeichelei“. Josephus erzählt, dass Galba von seinen Soldaten ἐπὶ ταπεινοφροσύνῃ „wegen niedriger Gesinnung“ (Geiz?) meuchlings ermordet wurde. Viele Auslegungen sind daher der Meinung, dass ταπεινός vor allem die niedrige soziale Lage beschreibt, in der sich jemand befindet. Auf die innere Haltung übertragen folgt daraus eine „niedrige, knechtische“ Gesinnung (Grundmann, ThWNT VIII 1–4). Sich selbst vor Statusgleichen oder Statusunterlegenen zu erniedrigen, sei nach griechischer und römischer Moralphilosophie unbedingt zu vermeiden. Seit Augustin vertreten viele die These: „Die Demut als Tugend ist der gesamten antiken Ethik fremd“ (Dihle, RAC 3, 737; vgl. Aug Sct Virg 31–57). Jedoch sind Clemens von Alexandria und Origenes anderer Meinung. Sie verweisen auf Plat Leg 715e–716a: „Gott, der, wie auch das alte Wort besagt, Anfang und Ende und die Mitte alles dessen, was ist, in Händen hat, geht auf geradem Wege zum Ziel, indem er der Natur gemäß kreisend seine Bahn zieht, und ihm folgt dabei stets die Gerechtigkeit (δίκη) nach als Rächerin für diejenigen, die hinter dem göttlichen Gesetz zurückbleiben. An diese schließt sich an, wer glücklich sein will, und folgt ihr demütig und gesittet“ (ἧς ὁ μὲν εὐδαιμονήσειν μέλλων ἐχόμενος συνέπεται ταπεινὸς καὶ κεκοσμημένος, Cl Al Strom 2.22,132; Orig Cels 6.15; vgl. auch den Boer* 153 f.). Nach Clemens spricht Platon über christliche Demut; nach Origenes hat er den Gedanken aus ψ 130,1 f. übernommen, Christinnen und Christen seien dagegen direkt vom Heiland belehrt (Phil 2,6–8; Mt 11,29). Jedenfalls ist die Forderung, menschliche Niedrigkeit gegenüber göttlicher Größe und Macht wahrzunehmen, der Antike bekannt (Rehrl*). Daher verhüllt man sein Haupt auch beim Gebet (Plut Aet Rom Gr 266D und Ser Num Vind 549C–D; Prop 3.17,1; Statius Achilleis 1.144; Rehrl* 40–45). Ebenfalls gemein-antik ist der Gedanke, dass Götter den Status eines Menschen umkehren (Dihle, RAC 3, 737). So soll der Fabeldichter Äsop als wichtigstes Werk des Zeus hervorgehoben haben, „das Hohe zu erniedrigen und das Niedrige zu erhöhen“ (τὰ μὲν ὑψηλὰ ταπεινοῦν, τὰ δὲ ταπεινὰ ὑψοῦν, Diog L 1.69; vgl. 1Sam 2,7; Spr 3,34; Arist 257; Philo Mos. 1.31; Lk 1,52; Jak 4,6; 1Petr 5,5; Silv 9,19 f., NHC VII,4 101; den Boer* 148 f.). Schließlich werden vereinzelt auch Politiker für ihre demütige Haltung gepriesen. So lobt Xenophon den spartanischen König Agesilaos: „Die übermäßig Stolzen verachtete er und er war niedriger als die Geringen“ (τῶν γοῦν ὑπεραύχων καταφρονῶν τῶν μετρίων ταπεινότερος ἦν, Xenoph Ag 11,11; vgl. den Boer* 143–145). Andernorts preist er die Mächtigen in Sparta, „die darin sich groß machen, niedrig zu sein“ (ταπεινοὶ εἶναι μεγαλύνονται, Xenoph Resp Lac 8,2). Und Plutarch nennt als einen Grund für den Brauch der zu wählenden Magistraten, ohne Toga zu erscheinen: „Sie gewannen auf diese Weise, sich selbst erniedrigend, mit Nacktheit das Volk“ (οὕτω τῇ γυμνότητι ταπεινοῦντες ἑαυτοὺς ἐδημαγώγουν, Plut Aet Rom Gr 176D). Dass Herrschende ihren Beherrschten dienen müssen, ist ein in der Antike geläufiger Gedanke (Guttenberger Ortwein*). Die jüdische Herrscherethik unterstreicht dies, wenn sie dem König rät, wie er Hochmut (ὑπερηφανία) vermeiden kann, nämlich: „Wenn er die Gleichheit bewahre und bei jedem sich selbst erinnere, dass er wie ein Mensch Menschen regiere. Und Gott vernichtet die Hochmütigen, die Sanftmütigen und Niedrigen erhöht er.“ (Εἰ τὴν ἰσότητα τηροῖ, καὶ παρ’ ἕκαστον ἑαυτὸν ὑπομιμνήσκοι, καθὼς ἄνθρωπος ὢν ἀνθρώπων ἡγεῖται. Καὶ ὁ θεὸς τοὺς ὑπερηφάνους καθαιρεῖ τοὺς δὲ ἐπιεικεῖς καὶ ταπεινοὺς ὑψοῖ, Arist 263.) Dass Menschen sich ihrer Niedrigkeit vor Gott gewahr werden müssen und dass Gott die Hochmütigen erniedrigt und die Niedrigen erhöht, gehört zu den biblischen Grundgedanken. Darüber hinaus tritt der biblische Gott für die Niedrigen ein (Ex 3,7; Jes 66,2; Ps 22,25; 149,4). Sich selbst und seine Seele zu erniedrigen, meint allerdings konkret zu „fasten“ (Lev 16,29.31; Ps 35,13 u. ö.; Buster, EBR 12, 542–544; Mathys, RGG4 2, 654 f.). Welche weiteren Gedanken
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2,4
die hebräische Bibel und ihre griechische Übersetzung als Demut fassen, ist umstritten (Leivestad*; Dawes*; Dickson/Rosner*). Ein Problem ergibt sich aus dem Umstand, dass die hebräischen Begriffe „ ָע ָנוgedrückt, gebeugt, demütig“ und „ ֲע ָנ ָוהElend, Demut“ lediglich in Spr 3,34 und Zeph 2,3 mit einer Form von ταπεινός κτλ. übersetzt werden, sonst aber mit πραΰς κτλ. „sanft“ oder πένης, πτωχός κτλ. „arm“. Spr 3,34/Jak 4,6; Zeph 2,3 und 1Petr 5,5 heben die enge Beziehung zwischen Erniedrigten und Gott hervor. Weisheitsschriften fordern, sich vor Gott und höhergestellten Menschen der eigenen Niedrigkeit bewusst zu sein und sich entsprechend zu verhalten (Spr 11,2; 18,12; Sir 3,17–20; 11,1). Eine Selbsterniedrigung vor Statusgleichen wird jedoch nicht gefordert. Philo kann aber von einer καλὴ ταπείνωσις „guten Erniedrigung/Demut“ sprechen, die die Zerstörung von unvernünftigen Gedanken umfasst (φρονήματος ἀλόγου καθαίρεσιν περιέχουσα, Philo fug. 207). Die Ablegung des Hochmuts (μεγαλαυχία) ist Merkmal des Gerechten (Philo post. 48; vgl. sacr. 62). Vor allem die Qumrangemeinde besetzt Demut positiv: „Alle sollen zusammen sein im Yaḥad von Wahrhaftigkeit, gütiger Demut ()ענוה טוב, Liebe zur Treue und gerechtem Denken“ (1QS 2,24). Die Gemeinschaft handelt nach „Wahrhaftigkeit, Eintracht und Demut“ (1QS 5,3 f.25). Sie versteht sich als „Volk der Demütigen“ (עם ענוים, 1QHa 13,21 [Sukenik 1QH 5,21]; vgl. CD 19,9; Markl, ThWQ III 171 f.; N. Meyer, EBR 12, 547). Der neutestamentliche Demutsgedanke wird von den Auslegungen unterschiedlich formuliert. Mit Augustin definiert Albrecht Dihle die Tugend der Demut als freiwillige Unterordnung unter den Nächsten, in dem Gott begegnet (RAC 3, 736). Für Gerd Theißen ist es „Statusverzicht auf Gegenseitigkeit“ (Theißen* 117). Klaus Wengst beschreibt Demut als „Solidarität der Gedemütigten“ und damit „das genaue Gegenteil von Aufstiegsmentalität“ (Wengst* 90; 103). Für Reinhard Feldmeier geht es darum, „den Mitmenschen zur Geltung kommen zu lassen, auch auf Kosten des eigenen Geltungsbedürfnisses“ (Feldmeier* 95), und Eve-Marie Becker beschreibt Demut als „Haltung und Übung … (der) ekklesiale(n) Gestaltung einer an Christus orientierten Henophronesis“ als eine „‚politische‘ und kybernetische Aufgabe“ (E.-M. Becker* 204; 219). In der Tat erscheint ταπεινοφροσύνη in Phil 2,3 in einem Abschnitt, der vor allem den zeitgenössischen Eintrachtsdiskurs und damit die politische Sprache der Umwelt rezipiert. Die Aufforderung, mit Niedriggesinnung einander als solche anzusehen, die höhergestellt sind als man selbst, verbindet in origineller Weise zwei Gedanken: zum einen den jüdisch-weisheitlichen Rat, vor Höhergestellten im Bewusstsein der eigenen Niedrigkeit aufzutreten, und zum anderen den – allerdings selten mit dem Stichwort ταπεινός κτλ. formulierten – Gedanken, dass Führende auf die von ihnen Geführten angewiesen bleiben (Xenoph Ag 11,11 und Resp Lac 8,2; in jüdischer Literatur: Arist 263). Im Kontext von Phil 1,27–2,4, einem Text, der sich durch viele sprachliche Anleihen als Reflexion und Applikation des antiken Eintrachtsdiskurses auf das Leben der Gemeinde erweist, ist mit ταπεινοφροσύνη eine politische Aufgabe oder Tugend beschrieben. Demut meint mehr als die Beobachtung menschlicher Angewiesenheit auf Gott. Mit der Zumutung, sich selbst in Macht, Status und Ansehen gegenüber allen anderen Gemeindegliedern niedriger wahrzunehmen, formuliert Paulus vielmehr einen Weg zu einer Gemeindestruktur, die sich gegen hierarchische Strukturen wehrt. Wenn jeder und jede die anderen als sich selbst überlegen wahrnimmt, ist die Ausbildung von Hierarchien im Modus der Über- und Unterordnung durchkreuzt. Der Demutsgedanke aus Phil 2,3 ist nicht Teil einer christlichen Individualethik, sondern einer Sozialethik, die mit Hierarchiekritik auf Etablierung und Bewahrung einträchtiger und daher stabiler Gemeindestrukturen zielt. Demut beschreibt hier also politisches Handeln.
4 … μὴ τὰ ἑαυτῶν ἕκαστος σκοποῦντες ἀλλὰ καὶ τὰ ἑτέρων ἕκαστοι. Der Vers erläutert den vorangehenden. Den von NTG28 gebotenen Text lesen allerdings ledig145
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lich �46, die Majuskeln �, P, 075 und die Minuskeln 104, 365, 1241, 1739, 1881 und 2464 (zur Textkritik des Verses zuletzt Blumenthal* 109–114). Die Majuskeln A, B, Ψ lesen zweimal den Plural ἕκαστοι; K, L und die Minuskeln 630 und 1505 zweimal den Singular ἕκαστος; die Majuskeln F, G, die lateinische Überlieferung, Ambrosiaster und Pelagius streichen ἕκαστοι am Ende des Verses. Anstelle des Partizips σκοποῦντες lesen die Majuskeln L, Ψ, die Minuskel 630 und � den Imperativ Plural: σκοπεῖτε; die Majuskel K, die Minuskeln 945, 1505, die Harklensis und Marius Victorinus lesen einen Imperativ Singular: σκοπείτω. Die Fortsetzung der Partizipienreihe aus dem vorangehenden Vers ist besser bezeugt. Der Wechsel von ἕκαστος auf das nachgestellte ἕκαστοι ist jedenfalls die von zwei sehr alten Manuskripten gelesene lectio difficilior. Das Pronominaladjektiv ἕκαστος „jede und jeder Einzelne“ kann vor ein pluralisches Subjekt treten (B/D/R § 305.1). Das seltene pluralische ἕκαστοι erklären einige mit einer Gruppenbildung in der Gemeinde (Peterlin* 63). Andere möchten ἕκαστοι V. 5 zuordnen mit Verweis auf die markierte Lücke im Text von �, A, C und 33 (Holloway, K.). Jedoch betont gerade die Nachstellung des ἕκαστοι, dass es um wirklich jede und jeden in der Gemeinde geht (Schenk, K. 183). Die Vielzahl von Textvarianten überrascht in einem Vers, der wiederum einen vielzitierten Topos aus der zeitgenössischen politischen Ethik aufgreift. Weder das Gedeihen eines Staates noch irgendeiner Gemeinschaft kann gelingen, „wo jede Partei den Blick nur auf das Eigene richtet“ (ὅπου δ’ ἑκάτερος σκοπεῖ τὸ ἑαυτοῦ μόνον, Muson 13A; Thuc 6.12,2; Plat Resp 346e; weitere Belege: NW II/1, 669–672; Eckey, K.). Paulus verwendet die Maxime auch in 1Kor 10,24.33; 13,5 und → 2,21, aber nur an dieser Stelle mit dem die Maxime eigentlich prägenden Verb σκοπέω. Σκοπέω heißt unter anderem „schauen, in die Ferne sehen, auf ein Ziel hinblicken, auf etwas bedacht sein, betrachten, prüfen, bedenken“ (Passow II/2, 1462 f.; → 3,17; Gal 6,1; 2Kor 4,18; Fuchs, ThWNT V 416). Es geht also um die genaue Wahrnehmung des gemeinsamen Ziels. Über die antike Maxime hinaus denkt Paulus nicht abstrakt an das Wohl des Gemeinwesens, sondern an die Wahrnehmung der Ziele der Schwestern und Brüder. Für Paulus ist dies nicht nur die Aufgabe einzelner politisch Verantwortlicher. Inhaltlich bedeutsam ist auch das von NTG28 eingeklammerte καί. Es fehlt jedoch lediglich in den Majuskeln D*.c, F, G, K, in der altlateinischen Überlieferung und einer Vulgataedition, ist also in der Manuskripttradition eigentlich bestens bezeugt. Aber der Text bietet kein οὐ μόνον als direkten Gegensatz ἀλλὰ καί im Sinne von „nicht nur … sondern auch“. Inhaltlich strittig ist vor allem, ob neben dem Achten auf die Interessen der anderen „auch“ die eigenen in den Blick kommen sollen (Schenk, K. 183; Walter, K.) oder ob einem radikalen Altruismus das Wort geredet wird, der den Blick vom Ich ganz weg auf das Wir lenkt (Engberg-Pedersen*; U. B. Müller, K.; Holloway, K.). Wie die zweite Gruppe von Auslegungen herausstreicht, übersetzt man ἀλλὰ καί am besten steigernd mit „sondern vielmehr“ oder „sondern unbedingt“ (Wojtkowiak* 157). Aber auch die erste Auslegung beobachtet richtig, dass das überladen wirkende zweimalige ἕκαστος/ἕκαστοι sich gegen die Forderung der völligen Aufgabe des Eigenen verwehrt. Es geht also um die Überwindung einer vermeintlichen Spannung zwischen Selbstwahrnehmung und dem Engagement für die Interessen und Ziele von anderen. Jedes Gemeindeglied ist gleichermaßen aufgefordert, in Wahrnehmung der eigenen Niedrigkeit auf die anderen zu achten. 146
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2,5
5 Τοῦτο φρονεῖτε ἐν ὑμῖν ὃ καὶ ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ. Mit einem weiteren Imperativ setzt ein neuer Satz ein, dessen zweiter Teil in der ersten Strophe des nachfolgenden Christushymnus in 2,6–8 besteht. Man darf eine theologische Reflexion der allgemeinen Werbung um Eintracht erwarten. �46, die Majuskeln �2, D, F, G, K, L, P, 075, 0278, die Minuskeln 104, 365, 630, 1175, 1505, 1739, 1881, �, die lateinische Überlieferung und die syrische Harklensis unterstreichen dies mit einem begründenden γάρ. Die äußere Bezeugung spricht aber für den kürzeren Text. Die zweite Satzhälfte bleibt unvollständig. Diskutiert werden vor allem zwei Fragen: Bezieht sich τοῦτο zurück auf die Eintrachtsparänese in den Versen 2–4 oder voraus auf das Relativpronomen ὅ in der zweiten Satzhälfte? Und welches Verb ist in dem elliptischen Relativsatz zu ergänzen? Die grammatischen Überlegungen möchten auch die Funktion des Hymnus im Kontext klären (Überblick: R. P. Martin, Hymn 84–88; O’Brien, K. 253–263; Häußer, K. 148–151). Ein Rückbezug von τοῦτο auf die voranstehenden Verse lässt sich mit der Beobachtung unterstützen, dass der Imperativ φρονεῖτε „dieses denkt“ auf die in V. 2 zitierten zwei Schlagworte aus dem antiken Eintrachtsdiskurs, τὸ αὐτὸ φρονέω und τὸ ἓν φρονέω, rekurriert. Außerdem weist das Demonstrativpronomen οὗτος gewöhnlich auf vorher Erwähntes zurück (B/D/R § 290.13). Für den Vorausverweis spricht die Wiederaufnahme im ὅ und die Parallelisierung von ἐν ὑμῖν und ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ. Wojtkowiak entdeckt eine analoge Satzstruktur zu Gal 5,25 und ordnet den Satz zusammen mit 2,1 einem Grundschema der paulinischen Ethik zu, nämlich ‚Transformation und Partizipation‘ (Wojtkowiak* 135–140). Als Ergänzung für den elliptischen Partizipialsatz sind verschiedene Vorschläge gemacht worden: (A) eine Form von εἰμί, nämlich ἦν: „was auch in Christus war“ (Vincent, K.; Häußer, K.; Holloway, K.), (B) eine auffordernde Form des Verbs aus dem Vordersatz: „was auch in Christus zu sinnen ist“ (φρονεῖν δεῖ; Dibelius, HNT; Gnilka, K.; U. B. Müller, K.) oder (C) eine finite Form mit Bezug auf Christus: „wie auch Jesus Christus bei (in) sich selbst (gesinnt war)“ (ἐφρονεῖτο; Walter, K.; Hawthorne/Martin, K.). Die Vorschläge A und C verstehen das folgende Christusbeispiel als Vorbild und Handlungsmodell. Lösung B interpretiert den Hymnus als theologische Grundlegung der die Gemeinde bestimmenden Wirklichkeit. Dabei wird ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ (→ 1,1.13; 2,1) als ein durch das Christusereignis aufgespannter Raum verstanden, in dem sich die Glaubenden nunmehr befinden. Reumann stellt außerdem heraus, dass ἐν ὑμῖν auf die ganze Gemeinde und nicht auf die und den einzelnen Glaubenden abzielt (Reumann, K. 375). Der Vers gibt zusammen mit V. 1 der allgemeinen antiken Eintrachtsrhetorik aus den Versen 2–4 ein christologisches Fundament (ἐν Χριστῷ, V. 1.5). Nunmehr wird gefüllt, was „dasselbe“ und „das Eine“ ist, was die Gemeinde gemeinsam denken soll (φρονέω, V. 2.5). Auch in Phil 2,1–5 rüstet Paulus die Gemeinde für sein mögliches Ausbleiben zu. Er selbst und die Gemeinde brauchen Trost, Zuspruch, Gemeinschaft und herzliches Mitgefühl. Mit einer stabilen Struktur nach innen, in Einheit und gemeinsamem Miteinander, kann die Gemeinde Gottes Mitarbeiterin sein und Paulus’ Freude vollkommen machen. Im Werben um Eintracht greift Paulus die politische Sprache seiner Umwelt auf und setzt einige neue Akzente. Einheit gelingt weder mit qualifiziertem Führungspersonal noch durch Überordnung Einzelner über andere, sondern dann, 147
1,27–2,18
Politik für das Evangelium
wenn jede und jeder die Ziele der anderen und des Ganzen in den Blick nimmt. Nicht das Verfolgen der eigenen Interessen und Leistungen, sondern die Wahrnehmung der eigenen Niedrigkeit, Bedürftigkeit und der Angewiesenheit auf andere ist der Weg zum Ziel. Die in den Versen 3 f. hervorgehobene generelle Angewiesenheit der Einzelnen auf die anderen jenseits von Status, Ethnos, Geschlecht und Reichtum wird in vielen Befreiungstheologien besonders hervorgehoben (Stubbs, K. 370 f.; D. K. Williams, K. 482–489). Wichtig ist außerdem zu bemerken, dass Paulus hier keine Ratschläge zu einem moralisch gelingenden Leben von Einzelnen macht, sondern eine politische Ethik formuliert, die über die Gemeinde hinaus in die Welt wirken soll. In welcher Weise solches Denken der Offenbarung Gottes in Christus entspricht, wird der nächste Abschnitt klären.
2,6–11 Der Christushymnus 6a
Der in göttlicher Gestalt existierte, erachtete es nicht als einen auszunutzenden Vorteil, 6c Gott gleich zu sein, 6b
7a
sondern er entäußerte sich selbst, wobei er die Gestalt eines Sklaven annahm, 7c den Menschen ähnlich wurde 7b
7d
und in einer Menschen vergleichbaren Gestalt wahrgenommen. Er erniedrigte sich selbst, 8b war gehorsam bis zum Tod, 8c sogar (bis zum) Tod am Kreuz. 8a
9a
Deshalb hat Gott ihn erhöht und ihm den Namen geschenkt, 9c der über allen Namen ist, 9b
10a
damit sich im Namen Jesu jedes Knie beuge 10c – der himmlischen, irdischen und unterirdischen (Wesen) – 10b
11a
und jede Zunge bekenne: Herr (ist) Jesus Christus 11c zur Ehre Gottes des Vaters. 11b
Luise Abramowski, Drei christologische Untersuchungen, BZNW 50, 1981, 1–17. – E.-M. Becker, Demut 96–106. – Dies., Mimetische Ethik im Philipperbrief. Zu Form und Funktion paulinischer Exempla, in: Ulrich Volp/Friedrich Wilhelm Horn (Hg.), Metapher – Narratio – Mimesis – Doxologie. Begründungsformen frühchristlicher und antiker Ethik, WUNT 356, 2016,
148
Der Christushymnus
2,6–11
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Politik für das Evangelium
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Der Aufforderung, das Denken der Gemeinde an der in Christus bestehenden Wirklichkeit auszurichten, folgt ein berühmter christologischer Text. Die in der Übersetzung nachgeahmte kolometrische Versanordnung orientiert sich an der seit der 26. Auflage im NTG üblichen Textgestaltung. Sie rezipiert die erstmals 1928 von Ernst Lohmeyer vertretene These, dass Phil 2,6–11 einen frühchristlichen Hymnus zitiert. Damit ist vorausgesetzt, dass die in diesem Text eingeschriebene hohe Christologie bereits sehr früh in vorpaulinischer Zeit formuliert wurde. Andere Auslegungen möchten den Text lieber später ansetzen und als Lehrdichtung des Paulus erschließen. Exkurs 8 wird die Diskussion um die Gattung des Textes vorstellen. 150
Der Christushymnus
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Die Verse 6–8 schildern den Abstieg eines gottgleichen Wesens in die Menschenwelt bis zum Tod am Kreuz. Die Verse 9–11 berichten, dass Gott dieses Wesen erhöhte und diesem Menschgewordenen einen göttlichen Namen übergab, damit alle Menschen und Mächte ihm huldigen und ihn bekennen. Unstrittig rezipiert und bearbeitet Phil 2,6–11 frühjüdische und hellenistisch-römische Vorstellungen und Traditionen und überträgt sie auf die Christologie. Nur selten wird andernorts im Neuen Testament Inkarnation mit dem Kreuz verbunden und Auferstehung als Erhöhung und Inthronisation gefasst. Die Komplexität der in Phil 2,6–11 vorgetragenen christologischen Gedanken sticht im Konzert christologischer Texte des Neuen Testaments heraus und lässt nach den religionsgeschichtlichen Voraussetzungen und Kontexten fragen (→ Exk. 9.1–8). In Bezug auf die theologische Aussage des Textes werden verallgemeinert zwei Grundpositionen diskutiert. Nach der Position (A) verhüllt der Gottgleiche beim Abstieg in die Welt seine göttliche Identität durch Attributsverzicht, Gestaltwandel, Selbsterniedrigung und Gehorsam gegenüber Gott am Kreuz. Zur Belohnung erhöht ihn Gott und überträgt ihm den Gottesnamen Kyrios. Die universale Anerkennung des Kyrios-Seins Christi steht allerdings noch aus. Nach der anderen Position (B) greift der Besungene eben nicht nach göttlichem Sein, sondern wird – nach einer Phase der Verkleidung – in V. 8 tatsächlich Mensch und unterwirft sich gehorsam den Bedingungen des Menschseins bis zum Tod, und zwar in einer seiner grausamsten Formen, dem Foltertod am Kreuz. Auf Erhöhung und Namensübertragung folgt die universale, von himmlischen, irdischen und unterirdischen Mächten gemeinsam ausgesprochene Anerkennung der Integration dieses Menschen in den Himmel, auf die der Hymnus zurückblickt. Das ganze Geschehen dient nicht nur der Einsetzung des Menschgewordenen in den himmlischen Thronraum, sondern vor allem der Ehre und damit dem Gottsein Gottes. Die größten Streitfragen sind also zum einen, ob der Besungene das Menschsein seinem göttlichen Sein hinzufügt oder sich seiner göttlichen Identität mit Erniedrigung und Unterwerfung unter den Tod vollkommen entleert, und zum andern, ob die Akklamation des erhöhten Jesus Christus schon geschehen ist oder noch aussteht. Aus den hier idealtypisch gegenübergestellten Interpretationen folgen auch zwei verschiedene Funktionen des Textes für den Kontext: Position A entdeckt in Christus das Vorbild einer selbstentäußernden Haltung, die nach 2,3 f. und 2,12 von der Gemeinde gefordert wird und am Beispiel des Paulus (→ 3,2–17), des Epaphroditus (→ 2,25–30) und des Timotheus (→ 2,19–24) paradigmatisch expliziert wird. Position B sieht in der Zusammenfassung des Christusgeschehens eine Ansage der eschatologischen Gegenwart, in der Gott sich neu ins Verhältnis zur Welt gesetzt hat. Mit ihrem einträchtigen und einsatzfreudigen Wirken repräsentiert die Gemeinde diese eschatologische Wirklichkeit in der Welt. Die folgende Auslegung favorisiert Position B und die Gattungsbestimmung Hymnus. Sie entdeckt Bezüge zur jüdischen Weisheitstheologie: zu der Vorstellung von dem Himmelsmenschen, dem leidenden Gerechten und der Erhöhung ausgewählter Gerechter zu Throngenossen Gottes. Für die religiös-politische Diskussion zur Zeit der Abfassung ist darüber hinaus die griechisch-römische Vorstellung von in Menschengestalt erscheinenden Gottheiten und die Entrückungen verdienter Menschen, insbesondere Kaiser unter die Götter, relevant. Der religionsgeschichtliche Hin151
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Politik für das Evangelium
tergrund des Hymnus ist also kaum weniger komplex als die in ihm formulierte Christologie. Der Frage nach der Funktion des Textes für den Kontext wird im Anschluss an die Versauslegung der letzte Abschnitt der Auslegung gewidmet sein.
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Der Christushymnus
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Phil 2,6–11 ist in ‚gehobener Prosa‘ formuliert, die sich vom „mühsamen Ringen mit der Satzbildung in den Versen 1–5“ abhebt (Walter, K. 58). Nur an dieser Stelle kommen im Neuen Testament die Begriffe ἁρπαγμός „Raub“, μορφή „Gestalt“ (noch im sekundären Markusschluss Mk 16,12), das Kompositum ὑπερυψόω „sehr hoch erhöhen“ und καταχθόνιος „unterirdisch“ vor. Nirgendwo sonst heißt Christus bei Paulus δοῦλος „Sklave“ und nirgendwo sonst wird ihm etwas geschenkt (χαρίζομαι). Σχῆμα „Gestalt“ ist in 1Kor 7,31 auf die Welt bezogen, κενόω gebraucht Paulus in Röm 4,14; 1Kor 1,17; 9,15 und 2Kor 9,3 mit negativer Wertung. Anstelle von „Erhöhung“ (ὑπερυψόω) kennt Paulus an allen anderen Stellen das inhaltlich zu unterscheidende Konzept der Auferstehung (ἀνάστασις, Phil 3,10 u. ö.). Zwar gibt es Stichwortbezüge zum Kontext (2,3.12.30 mit 2,8), aber anders als in der umgebenden Paränese ist die Gemeinde in den Versen 6–11 nicht im Blick. Die Überleitung in V. 5 macht deutlich, dass das Folgende den Glaubenden in Philippi bekannt ist. Die Fülle dieser Beobachtungen führt Ernst Lohmeyer zu der Hypothese, dass Paulus hier einen vorpaulinischen Christushymnus zitiert. Die Struktur beschreibt er folgendermaßen (E. Lohmeyer* 5–7): Das διὸ καί am Beginn von V. 9 schneide die Satzperioden in zwei Hälften, verbunden mit einer gedanklichen Wende inklusive des Wechsels der handelnden Personen. Jede Hälfte sei mit zwei syntaktisch verknüpften Partikeln strukturiert (ἀλλά in Z. 7a, καί in Z. 7d sowie ἵνα in Z. 10a und καί in Z. 11a). Jede dieser Partikel leite eine Strophe ein, wobei jede Strophe drei Zeilen (Kola) zu gleicher Länge enthalte. In dieser Gliederung erweise sich allerdings die Zeile θανάτου δὲ σταυροῦ „dem Tod aber am Kreuz“ (Z. 8d) strukturell und inhaltlich als Überschuss und eine „von Paulus in das Gedicht eingetragene Glosse“ (E. Lohmeyer* 45). In den ersten drei Strophen sei jeweils ein Verb von zwei Partizipien umrahmt, in Strophe 4–6 herrschten Nominalformen vor. NTG28 folgt Lohmeyers Stropheneinteilung und verändert die Kolometrie nur leicht. Lohmeyer zieht τὸ ὄνομα am Ende von Z. 9b und ὅτι am Ende von Z. 11a jeweils in die nächste Zeile. Nach Lohmeyer weist die „eigentümlich(e)“ Wortstellung auf ein „sorgsam komponiertes und bis in alle Einzelheiten hinein abgewogenes strophisches Gebilde, ein carmen Christi im strengen Sinne“, hin (7). Lohmeyer nennt Phil 2,6–11 nicht nur „Lied“ (carmen), sondern auch „Hymnus“, „Gedicht“, „Psalm“ und „Ode“ (9–11; 13; 55 u. ö.). Von diesen Begriffen hat sich besonders der Begriff „Hymnus“ durchgesetzt, möglicherweise weil er an das Kirchenlied erinnert und Lohmeyer als Sitz im Leben des Hymnus die Abendmahlsfeier vorschlägt (E. Lohmeyer* 65 f.; Gamber* 376). Andere denken an die Taufe (Käsemann* 95; R. P. Martin* 292– 294). Der „judenchristliche Psalm“ stamme „von einem Dichter, dessen Muttersprache semitisch war“ (E. Lohmeyer* 9). Drei aramäische Rückübersetzungen liegen vor (Fitzmyer*; Levertoff* 148/R. P. Martin* 41 f.; Grelot* 185). Wegen der Benutzung des Zitats aus Jes 45,23 in der Septuaginta-Fassung (V. 10 f.) ist eine Abfassung in griechischer Sprache jedoch wahrscheinlicher. Lohmeyers Strophenfassung folgen bis heute viele. Allerdings ordnet sie die inhaltlich parallelen Zeilen 7c und 7d und das Zitat aus Jes 45,23 in den Zeilen 10b–11a je zwei Strophen zu. Daher formuliert Joachim Jeremias einen Alternativvorschlag mit drei Strophen zu je vier Zeilen im Parallelismus Membrorum: Strophe I, in den Versen 6–7a/b, handele vom Präexistenten, Strophe II, in den Versen 7c/d–8, vom Irdischen, Strophe III, in den Versen 9–11, vom Erhöhten. Um den Parallelismus zu etablieren, scheidet Jeremias neben θανάτου δὲ σταυροῦ auch ἐπουρανίων καὶ ἐπιγείων καὶ καταχθονίων in V. 10c sowie εἰς δόξαν θεοῦ πατρός in V. 11 aus (Jeremias* 274– 276; Hunzinger* 145–156). Aber auch diese Lösung enthält Probleme. Mit der These eines „antithetischen Parallelismus“ wird die strophische Verbindung von gegensätzlichen Aussagen aus V. 6 und V. 7a/b verhüllt. Zweifelhaft ist, ob V. 7a/b noch von der „Präexistenz“ spricht. Zu bedenken wäre auch die Möglichkeit dreigliedriger Parallelismen (Bergmeier* 176 f.). Und jüngst schlägt Robert Calhoun vor, das seit NTG26 gesetzte Kolon nach „γενόμενος“ in Zeile 7b zu streichen und die Zeilen 6a–7b und 7c–8c als zwei parallele Beschreibungen von Anfang und Ende des Weges Christi von der Inkarnation bis zum Kreuz zu lesen (Calhoun*). Noch radikaler ist der
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Politik für das Evangelium
Vorschlag, den kompletten Vers 8 als paulinischen Zusatz auszuscheiden, mit dem Argument, dass der Philipperbrief im Kontext ausschließlich auf diesen Vers Bezug nehme. Man erhält dann zwei Strophen zu je drei Doppelzeilen (G. Strecker* 147–152; vgl. Georgi* 280). Umgekehrt bestreitet Hofius* jeglichen paulinischen Zusatz. Das „rhythmische – wie sachliche! – Eigengewicht“ der Zeilen 8d und 11c betone die jeweiligen Zeilen am Schluss der beiden Strophen (Hofius* 7 f.). In den letzten Jahren wurde mit verschiedenen Argumenten Kritik an der Hymnus-These geübt. Bestritten wird die Relevanz der Beobachtungen zu Wortschatz, Stil und theologischen Besonderheiten (O’Brien, K. 198–202; Fee*, Fee, K. 39–46; Bockmuehl, K. 117–120; Justnes*). Paulus sei selbst ein „hervorragender Stilist“ und komme als Autor infrage (Vollenweider* 290 f.; Hengel* 257; Wick* 178 f.; Brucker, ‚Christushymnen‘ 311–318; Holloway, K.). Ein Hymnus verlange ein Metrum, das heißt eine regelmäßige Abfolge von langen und kurzen Silben, und gliedere sich in Anrufung – Mittelteil – Bitte/Gebet (Schenk, K. 194; Berger, Gattungen 1061– 1171; Berger, Formgeschichte 239; Brucker, ‚Christushymnen‘ 23–25; 39; Brucker, Songs). Die Kirchenväter berichten nirgends von einem liturgischen Gebrauch des Textes (Edsall/Strawbridge*). Berger bezeichnet Phil 2,6–11 als „Christus-Enkomion“ (lobende Darstellung eines Menschen; Berger, Gattungen 1178–1191; Berger, Formgeschichte 344–346), Brucker als „Epeinos“ (‚Christushymnen‘ 319), Lattke* als „Doxologie“ (233), Schenk als „Propagandatext“ und „Missionstext“ (K. 195; 206–209), Kennel* als „Bekenntnistext“ (276), Häußer als „katechetische Formel“ (K. 144; vgl. Häußer, Christusbekenntnis 228 f.) und Walter und Eckey als „Lehrgedicht“ (Walter, K. 57; Eckey, K. 80 f.). Der Begriff Enkomion lässt sich jedoch auf Phil 2,6–11 nicht anwenden (Vollenweider* 291). Denn die bei Platon getroffene Unterscheidung zwischen „Hymnen für die Götter“ und „Enkomion für verdiente Menschen“ setzt sich in der Antike durch und wird noch in spätantiken Handbüchern regelmäßig wiederholt (Plat Resp 607a; Scholien zu Dion Thr 451,6; Furley/Bremer*). Die Kritik an einer zu einfachen Übertragung vom Begriff ‚Hymnus‘ auf Erfahrungen mit modernen Kirchenliedern ist dagegen berechtigt. Allerdings ist nicht zu bestreiten, dass die ersten Gemeinden Psalmen und Hymnen sangen und dichteten (Mk 14,26; Mt 26,30; 1Kor 14,26; Kol 3,16/Eph 5,19; Apk 5,9; 14,3; 15,3; Plin Ep 10.96,7; Tert Apol 39; A. Y. Collins, Psalms 361–363; Löhr* 163–167). ActJoh 94–96 überliefert ein Tanzlied mit Wechselgesang. Die These, ein griechischer Hymnus sei ausschließlich ein metrisch gebundener Text mit Anrufung, Mittelteil und Bitte, ist zu bestreiten. Eine allgemeinere Definition lautet vielmehr: Ein antiker Hymnus „ist eine Form der Äußerung, die sich von normaler Rede durch einen oder mehrere der folgenden Züge unterscheidet: Einstimmig von einer Gruppe von Menschen gesprochene Worte, Melodie, Metrum oder Rhythmus, musikalische Begleitung, Tanz, getanzt entweder durch die Hymnus-Sänger und -Sängerinnen oder durch eine ihnen assoziierte Tanzgruppe, Wiederholung zu bestimmten Anlässen. […] Der Hymnus unterscheidet sich von normaler Rede oder Gesang dadurch, dass er sich aus menschlichem Blickwinkel an Gott oder eine Gruppe von Gottheiten wendet und diese entweder direkt (Du-Stil) oder indirekt (Er-Stil) oder sogar stellvertretend (Offenbarungsrede in Erster Person) anspricht. Typischerweise ziehen sich Hymnussängerinnen und -sänger aus ihrer weltlichen Umgebung zurück, um mit anderen zusammen jenseits der Alltagssprache in kunstvoller Weise die Gottheit anzureden, wobei sie jegliche Technik artifizieller Verschönerung der Rede nutzen“ (Furley/Bremer* 1 f., Übers. A. S.). In metrisch gebundener Rede verkündet Apollon selbst seine Worte in Orakeln. In Hymnen für Zeus und Apollon gibt das Metrum den Rhythmus und damit die Tanzschritte vor. Ein Beispiel ist der mehrfach inschriftlich überlieferte Paian auf Apollon (IErythria II 205, 380–360 v. Chr.; Käppel* 193–200; 372–374; IGR 1,5 1154/I.Metr 176; Ptolemais Hermiu, 98–100 n. Chr.; TUAT.NF VII [2013], V. 5; IG II2 4509, 1.–2. Jh. n. Chr., Athen; Oikonomos, Epigraphai 4, kaiserzeitlich, Dion; vgl. Standhartinger*). Das durch die Anrufung „ie Paian, Asklepios“ in Strophen gegliederte Gedicht ist, mit Ausnahme des Refrains, im lyrisch-daktylischen Metrum gehalten.
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Zunächst werden die Jünglinge aufgefordert, Apollon, den Leto-Sohn, zu besingen. Die Strophe erzählt dann von Apollons Taten im Relativstil (ὅς), der Zeugung des Asklepios im Land des Phlegyas und nach Wiederholung des Refrains „ie Paian, Asklepios“ von weiteren Liebschaften und Kindern. Die dritte Strophe ist dann im Du-Stil gehalten. Sie bittet Asklepios, sich gnädig zu erweisen und auf den Tanzplatz in die Stadt zu kommen. Es wird erhofft, dass der Gott durch die Gesangs- und Tanzgesellschaft erfreut ist und sich zu ihr gesellt. Der Hymnus soll also den Gott dazu bewegen, in der menschlichen Gemeinschaft zu erscheinen, die wiederum in seiner Anwesenheit Heil, Gesundheit (Hygieia) und Freude erfährt. Aber nicht alle Gottheiten bevorzugen metrische Hymnen. Isis und Sarapis lieben die Litaneiform inklusive Parallelismus Membrorum (IK Kyme 41/RICIS 203/0204, 1. Jh. v. Chr.; TUAT. NF VII [2013], V. 1; Standhartinger*). Auch die Isis-Aretalogie von Kyme ist in vielen Fassungen überliefert, in Du-Form, als Prosahymnus (SEG 26.821/RICIS 114/0202, Maroneia, 1. Jh. v. Chr.) und auch in Hexametern und iambischen Trimetern (IK Kyme 5/RICIS 701/103, 1. Jh. v. Chr.; TUAT.NF VII [2013], V. 2). An diesem Isis-Hymnus lässt sich beobachten, was für die jüdische Psalmdichtung behauptet wird. Philo bezeichnet die Psalmen und andere Lieder des Ersten Testaments als Hymnen (ὕμνοι; Philo plant. 29; somn. 2.242; 2.245 u. ö.; vgl. auch Delling, ThWNT VIII 499 f.). „Rhythmik, Harmonik und Metrik“ lernt Philos Mose in Ägypten (Philo Mos. 1.23). Aber nur seine Therapeutinnen und Therapeuten komponieren „Lieder und Hymnen auf Gott mit vielfältigen Metren und Melodien“ (Philo cont. 29; 84 f.). Bei Josephus dichtet Mose das Schilfmeerlied und seinen Segen in Hexametern (Jos. Ant. 2.46; 4.303). David verfasst die Psalmen in Trimetern und Pentametern (Jos. Ant. 7.305). Mindestens Philo und vermutlich auch Josephus war bewusst, dass die biblischen Psalmen keine vom Metrum bestimmten Dichtungen sind – aber als „Lieder und Gebete an Gott“ müssen auch sie in göttlicher Sprache verfasst sein. Dies gilt jedoch für die Kommunikation nach außen in die griechische Gottheiten verehrende Welt. Denn jede Gottheit bevorzugt ihren eigenen Rhythmus und ihre eigene Gesangsform. Ein griechisches Metrum für den Psalmen liebenden Gott Israels ist daher eigentlich unpassend. Phil 2,6–11 hat möglicherweise einige Ansätze einer metrischen Struktur, aber kein durchgehendes Metrum (Analyse: Eckman*). Einige Auslegungen möchten Phil 2,6–11 daher als Prosahymnus definieren (Beispiele bei Pseud-Aristot Mund 7 [401a12–27]; Epict Diss 1.16,16 f.; Ael Arist Or 37–45 [Dindorf/Keil]; Delling, ThWNT VIII 495 f.; Krentz* 78–97; A. Y. Collins, Psalms 367–371; DiPaolo* 23 f.). Adela Yarbro Collins weist auch darauf hin, dass sich die Auffassung von Poesie im Laufe der ersten Jahrhunderte veränderte und Quint Inst Orat 9.3,75–79 eine reimbasierte Poetik kennt (vgl. Χριστός/πατρός, Phil 2,11). Die christliche Spätantike entwickelt dann eine auf Akzenten, das heißt Betonungen, beruhende Hymnodik (Standhartinger*). Das Fehlen einer regelmäßigen, silbenbasierten griechischen Metrik ist jedoch für einen Text in der Tradition biblischer Psalmen völlig angemessen. Die Psalmen weichen auch ab von der festen Struktur: Anrufung – Mittelteil – Bitte. Eine solche Struktur fehlt im Übrigen auch in acht der von Furley/Bremer versammelten zwölf griechischen Hymnen aus hellenistischer Zeit (DiPaolo* 18). Was Phil 2,6–11 mit dem oben zusammengefassten Paian an Apollon verbindet, ist der Mittelteil, in dem über Geschichte und Wirken des Gottes im Partizipialstil berichtet wird. Soll man anstatt von einem Hymnus lieber von einem „Hymnusfragment“ (DiPaolo* 138), „hymnischen Christuslob“ (Vollenweider* 291) oder „Christuspsalm“ (Wojtkowiak* 120) sprechen? Tatsächlich fehlt eine Anrufung, die z. B. „Gesegnet sei Jesus Christus“ gelautet haben könnte (Hunzinger* 156; Walter, K. 59; U. B. Müller, K. 94). Aber die typische Herbeirufung von Mitsängerinnen und Mitsängern könnte man hinter der Aufforderung in Phil 2,5 entdecken: „Denkt das unter euch, was in Christus Jesus (zu denken ist)“ (Furley/Bremer* 51 f.; vgl. Kol 1,12–14; 1Tim 3,16; Standhartinger*). Die Aufforderung von Phil 2,5 wird besonders plausibel, wenn die Philipperinnen und Philipper den Hymnus bereits kannten. Phil 2,11 enthält ein mit
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ἐξομολογέω eingeleitetes Bekenntnis von Erdkreis und Mächten, nämlich das: „Herr (ist) Jesus Christus“. Aber einen spezifischen, sich von einem Hymnus abhebenden Bekenntnischarakter erhält der Text deshalb nicht. Ebenso wenig lehrt der Text über die Jesus-Christus-Geschichte, vielmehr setzt er die Vertrautheit mit der dahinterliegenden Erzählung voraus. Phil 2,6–11 wird meines Erachtens sinnvollerweise weiterhin als ‚Hymnus‘ oder ‚Hymnusfragment‘ bezeichnet. Es ist möglich, aber nicht zwingend, dass eine ursprüngliche Anrufung und eine abschließende Bitte bei der Einfügung in den Philipperkontext abgeschnitten wurden. Möglich, aber ebenso wenig zwingend sind paulinische Ergänzungen, die eine durchaus musikalische Gestaltung und Aufführung ja erschwert haben würden. Über die Verfasserinnen und Verfasser können nur Vermutungen angestellt werden. Gegen Paulus sprechen die Begrifflichkeit, die theologische Schwerpunktsetzung und die Beobachtung, dass lediglich V. 8 durch inhaltlich gewichtige Stichwortbeziehungen mit dem Kontext verbunden ist. Die beiden entfernt verwandten christologischen Traditionen in 2Kor 8,9 und Röm 15,3.7 f. sind dagegen direkt in die theologische Argumentation im Kontext eingewoben (Walter, K. 58; Wojtkowiak* 285–287). Das Lied, das weder in seiner Begrifflichkeit noch in seiner Gedankenwelt typisch paulinisch klingt, wurde, wie Phil 2,5 ausweist, in Philippi geschätzt. Man kann nicht ausschließen, dass es überhaupt in Philippi komponiert wurde (Schenk, K. 185; 192 f.; 209; Reumann* 442–446; 456 f.; Reumann, K. 365 f.; Smit* 85 f.; Suh*). Ebenso kann man an den Stephanuskreis mit seiner Vision vom inthronisierten Christus denken (Apg 7,56; Georgi* 292 f.; R. P. Martin* 312 f.).
Exkurs 9: Der religionsgeschichtliche Hintergrund des Philipperhymnus (Phil 2,6–11) Phil 2,6–11 greift in komplexer Weise Vorstellungen aus seinem religionsgeschichtlichen Umfeld auf. Es folgt ein Überblick über die wichtigsten derzeit diskutierten religionsgeschichtlichen Parallelen.
9.1 Adam Oscar Cullmann, Die Christologie des Neuen Testament, 1966, 178–186. – James D. G. Dunn, Christ, Adam, and Preexistence, in: Ralph P. Martin/Brian J. Dodd (Hg.), Where Christology Began, 1998, 73–83. – Ders., Christology in the Making, 1980, 113–125. – Ders., The Theology of Paul the Apostle, 1998, 281–288. – Häußer, Christusbekenntnis. – Morna D. Hooker, Philippians 2.6–11, in: Dies., From Adam to Christ. Essays on Paul, 1990, 88–100. – Dies., Adam Redivivus. Philippians 2 Once More, in: Steve Moyise (Hg.), The Old Testament in the New Testament [FS J. Lionel North], JSNT.S 189, 2000, 220–234. – James F. McGrath, Obedient unto Death. Philippians 2:8, Gethsemane, and the Historical Jesus, Journal for the Study of the Historical Jesus 14,3 (2016), 223–240. – Steenburg, Case. „Der in Gestalt Gottes war“ (Z. 6a) erinnert an die Schöpfung des Menschen nach Gen 1,26 f. in „Gestalt“ Gottes (εἰκών, ֶצֶלם, ) ְדּמוּת. Paulus stellt andernorts Adam und Christus gegenüber (1Kor 15,21 f.42–49; Röm 5,12–21). Allerdings sind die griechischen Begriffe εἰκών „Bild, Abbild“ aus Gen 1,26 f. und μορφή aus Phil 2,6a keine Synonyme. Daher wird auf die Übersetzung demut in der Peschitta und auf die Übersetzung von ֶצֶלםmit μορφή in Dan 3,19 LXX verwiesen (Cullmann* 180; Hooker, Philippians 96 f.; R. P. Martin, Hymn 102–119; Dunn, Christology 115). In Dan 3,19 ist ֶצֶלם/μορφή allerdings ein Götzenbild (Steenburg*). Spätere Beiträge spre-
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chen vorsichtiger von ‚Anspielung‘ oder ‚Wortfamilie‘ (Dunn, Christ 77; Dunn, Theology 283 f.; Hooker, Adam 221). Für Morna Hooker ist Christus das Gegenbild zum Ersterschaffenen, der auf die Schlange hörte, um ὡς θεοί „wie Götter“ zu sein (Gen 3,5), und der nach dem Essen der Frucht γέγονεν ὡς εἷς ἐξ ἡμῶν „wie einer von uns geworden ist“ (Gen 3,22; Hooker, Philippians 97–109; Hooker, Adam 230 f.). Für Dunn macht V. 6 keine Präexistenzaussage, sondern die Verse 6–8 beschreiben die ‚adamitischen‘ Erfahrungen im Leben Jesu. Jesu Versuchung bestehe nach V. 6 darin, im Paradies zu verharren (vgl. Aletti, K. 137–167). V. 7 spiele auf Mk 10,28–30 oder Lk 9,58/Mt 8,20 an, V. 8 auf Jesu Gottesvertrauen nach Mt 6,25–33 oder Mk 15,34 (Dunn, Christology 114–121). Andere entdecken außerdem eine Anspielung auf die Versuchungsperikope (Mk 1,12 f.; Lk 4,1–13/Mt 4,1–11; Häußer* 239 f.249–251; McGrath*). Anspielungen auf die Jesusgeschichte bewegen sich auf der Interpretationsebene, nicht auf Begriffs- und Textebene. Das einzig benannte Faktum aus der Jesusbiographie ist das Kreuz. Die Gegenüberstellung von μορφὴ θεοῦ und μορφὴ δούλου verbunden durch κενόω „entleeren“ macht es schwer, eine Präexistenzvorstellung völlig auszuschließen (Hooker, Adam 230 f.). Einen seltenen Beleg des synonymen Gebrauchs von μορφή und εἰκών bietet CH I 12 (→ Exk. 9.4). Der Adam, der dort erschaffen ist, ist jedoch der himmlische Urmensch oder Himmelsmensch (→ Exk. 9.2).
9.2 Der Himmelsmensch DiPaolo, Hymn Fragments. – Thomas H. Tobin, The World of Thought in the Philippians Hymn (Philippians 2:6–11), in: John Fotopoulos (Hg.), The New Testament and Early Christian Literature in Greco-Roman Context [FS David E. Aune], NT.S 122, 2006, 91–104. Anders als in Joh 1,1–18, Kol 1,15–20 und Hebr 1,3 f. übt der Präexistente in Phil 2,6 keine Schöpfungsmittlerschaft aus. Seine einzige Tat ist seine Haltung, „die Gottgleichheit nicht zum eigenen Vorteil zu ergreifen“ (Z. 6b–c; Tobin* 91–95). In Philo von Alexandrias platonisierender Auslegung der beiden biblischen Schöpfungserzählungen (Gen 1–3) wird in Gen 1 das Urbild des Menschen und in Gen 2 sein körperliches Abbild geschaffen (Philo opif. 134; vgl. LA 1.31 f.). Bei der Auslegung von Gen 2,18 denkt Philo über das Verhältnis der beiden Menschentypen nach: „Denn es gibt zwei Arten von Menschen: die nach dem Bild Gewordenen und die aus der Erde Gebildeten (τό τε κατὰ τὴν εἰκόνα γεγονὸς καὶ τὸ πεπλασμένον ἐκ γῆς). Aber weil es für den nach dem Bild gewordenen Menschen nicht gut ist, allein zu sein, strebt er nach seinem Urbild. Das Bild Gottes (nämlich der nach dem Bild Gottes gewordene Mensch) wiederum ist ein Urbild der anderen (ἡ γὰρ εἰκὼν τοῦ θεοῦ ἀρχέτυπος ἄλλων ἐστί, gemeint sind die in Gen 2 aus Lehm gebildeten Menschen). Jedes Abbild ersehnt das, dessen Darstellung es ist, und tritt an seine Seite“ (πᾶν δὲ μίμημα ποθεῖ τοῦτο, οὗπέρ ἐστι μίμημα, καὶ μετ᾽ ἐκείνου τάττεται, LA 2.4, vgl. 1.88 f.). Damit würden dem nach dem Bild Gottes gewordenen Menschen, dem himmlischen Menschen, Charakter und eine Handlungskraft verliehen (Tobin* 97–100; DiPaolo* 98 f.; vgl. auch 1Kor 15,47). Philo zeigt darüber hinaus Ansätze, das himmlische Urbild der Menschen mit den Vorstellungen des Logos zu vermischen. Der Logos wird an einigen Stellen mit der himmlischen Weisheit identifiziert (z. B. Philo fug. 97), ist aber noch stärker als die himmlische Weisheit Vermittler von Gottes schöpferischer Kraft (Philo opif. 24 und fug. 12 f.). In seinen „Fragen und Antworten zu Genesis“ führt Philo aus: „Denn nichts Sterbliches kann dem Höchsten und Vater des Ganzen nachgebildet werden, sondern nur dem zweiten Gott, das ist der Logos von jenem“ (Θνητὸν γὰρ οὐδὲν ἀπεικονισθῆναι πρὸς τὸν ἀνωτάτω καὶ πατέρα τῶν ὅλων ἐδύνατο, ἀλλὰ πρὸς τὸν δεύτερον θεόν, ὅς ἐστιν ἐκείνου λόγος, QG 2.62). Hier tritt der Logos in die Rolle, die sonst
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dem Urbild-Menschen aus Gen 1 verliehen ist. Eine weitere Stelle bestätigt diese Interpretation. Für Philo heißt der Logos nicht nur „zweiter Gott“, sondern auch „Ältester der Engel“ und er ist „Anfang, Name Gottes, Logos, der nach dem Bild gestaltete Mensch und der Schauende, Israel“ (τὸν ἀγγέλων πρεσβύτατον … καὶ γὰρ ἀρχὴ καὶ ὄνομα θεοῦ καὶ λόγος καὶ ὁ κατ᾽ εἰκόνα ἄνθρωπος καὶ ὁ ὁρῶν, Ἰσραήλ, Philo conf. 146; Tobin* 100–102). Bei Philo wird also der erste in Gen 1,27 nach dem Bild Gottes geschaffene Mensch mit dem Logos identifiziert. Damit ergeben sich Ansätze einer absteigenden Linie von Abbildungen, die von Gott über den Logos alias den ersten Menschen bis hin zum Lehmgebildeten reicht. Anders gesagt: Philo kennt eine platonisierende Version der Schöpfungserzählung, in der der gottgleiche Logos in die Welt absteigt und zum ersten Menschen wird (→ siehe auch Exk. 9.4). Den Weg von einem Gottgleichen zum Menschen erzählt auch Phil 2,6 f.
9.3 Der Gottesknecht Bloomquist, Function of Suffering 160–163. – Bornkamm, Zum Verständnis des Christus-Hymnus. – Häußer, Christusbekenntnis. – Hofius, Christushymnus. – Joachim Jeremias, Zu Philipper 2,7: ἑαυτὸν ἐκένωσεν, in: Ders., Abba. Studien zur neutestamentlichen Theologie und Zeitgeschichte, 1966, 308–313. – E. Lohmeyer, Kyrios Jesus. – Harald Riesenfeld, Unpoetische Hymnen im Neuen Testament? Zu Phil 2,1–11, in: Jarmo Kiilunen/Vilho Riekkinen (Hg.), Glaube und Gerechtigkeit [FS Rafael Gyllenberg], 1983, 155–168. – Mathias Rissi, Der Christushymnus in Phil 2,6–11, ANRW II.25.4 (1987), 3314–3326. – Schweizer, Erniedrigung und Erhöhung. – Ware, Mission of the Church 224–231. Bereits Ernst Lohmeyer entdeckt im Stichwort δοῦλος „Sklave, Knecht“ als Motiv der freiwilligen Erniedrigung und des Gehorsams bis zum Tod (Z. 7a–b; 8b–c) eine Anspielung auf Jes 52,13– 53,12 (E. Lohmeyer* 33–40; E. Lohmeyer, K. 94). Jeremias vermutet außerdem, die im Griechischen sonst nicht belegte Formulierung ἑαυτὸν ἐκένωσεν gehe auf eine Übersetzung von ֹ„ ֶהֱע ָרה ַלָמּ ֶות ַנְפשׁוer schüttet sein Leben bis zum Tod aus“ in Jes 53,12 zurück (Jeremias* 309). Weitere Motivparallelen werden in Phil 2,7b/Jes 52,13; Phil 2,7c/Jes 52,14; Phil 2,8a/Jes 53,8 und Phil 2,8b/Jes 53,12 gesehen (Bloomquist*; Ware*, mit synoptischer Aufstellung). Die Gottesrede zur Erhöhung des Knechts wird in Jes 53,12 wie in Phil 2,9a mit einem betonten ָלֵכן/διὰ τοῦτο „deshalb“ eingeleitet (Jeremias, ThWNT V 708 f.; Rissi* 3320–3324). Der vermutete Rekurs auf Jes 52/53 kann eine soteriologische Funktion des Hymnus begründen (Hofius* 64–67; 70–74; Häußer* 243–247). Einige entdecken darüber hinaus eine Anspielung auf Mk 10,45 (Riesenfeld* 165–168; Häußer* 252–259; Häußer, K. 155 f.). Anders als Mk 10,45 nimmt der Hymnus jedoch keinen Bezug auf Jesu Erdenwirken. Dagegen spielt in Mk 10,45 die Menschwerdung keine Rolle. Der Gottesknecht heißt in Jes 52/53 παῖς θεοῦ, nicht δοῦλος (Phil 2,7b). Er leidet unter seinen Mitmenschen „für die vielen“ (Jes 53,3–9.12). Die Menschenwelt spielt aber in Phil 2,6–8 keine Rolle (zur Kritik auch: Bornkamm* 180; Schweizer* 97; Vollenweider, Metamorphose 303 f.). In der Weisheit Salomos wird der Gottesknecht jedoch universalisiert und zur paradigmatischen Gestalt des leidenden Gerechten. Der Selbsterhöhungshymnus in Qumran gestaltet den Text zu einer bekenntnisartigen Ich-Erzählung um, die mehr Parallelen zum Hymnus aufweist (→ Exk. 9.8c).
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9.4 Urmensch-Erlöser (Gnosis) Georgi, Der vorpaulinische Hymnus. – Käsemann, Kritische Analyse. – Lüdemann/Janßen, Phil 2,6–11. – Klaus Wengst, Christologische Formeln und Lieder des Urchristentums, StUNT 7, 1972, 144–152. Bis in die 1980er-Jahre vertraten viele die These, der Hymnus rezipiere einen „gnostischen Urmenschen-Erlösermythos“ (Bultmann, Theologie 178 f.; Käsemann* 61; 69–71; Dibelius, HNT; Gnilka, K.; Wengst*). Bultmann schildert diesen Mythos folgendermaßen: „Aus der Lichtwelt wird eine göttliche Gestalt auf die von dämonischen Mächten beherrschte Erde herabgesandt, um die Lichtfunken, die aus der Lichtwelt stammen und infolge eines Falles in der Urzeit in menschliche Leiber gebannt sind, zu befreien. Der Gesandte nimmt menschliche Gestalt an und tut auf Erden die ihm vom Vater aufgetragenen Werke, wobei er vom Vater nicht ‚abgeschnitten‘ ist. […] Die Seinen hören auf ihn, und er weckt in ihnen die Erinnerung an ihre Lichtheimat, lehrt sie ihr eigentliches Selbst erkennen und lehrt sie den Rückweg in die Heimat, in die er selbst, ein erlöster Erlöser, wieder emporsteigt“ (RGG3 3, 847). Auch in Phil 2,6–11 werde „ein Drama … geschildert, in welchem verschiedene Phasen einander folgen“ (Käsemann* 71). Gibt das Perlenlied aus ActThom 108–113 die Grunderzählung vor, so stammt die wichtigste Sprachparallele aus dem Corpus Hermeticum I. Hier heißt es in einem Offenbarungsgespräch zwischen Poimandres, dem „Menschenhirten“, und einer Ich-Stimme, die „das Seiende begreifen […] und Gott erkennen“ möchte (CH I 3): „Der Vater von allem, der Verstand (ὁ Νοῦς), der Leben und Licht ist, gebar einen Menschen, ihm gleich, der von ihm geliebt wurde wie sein eigen Geborenes (ἀπεκύησεν Ἄνθρωπον αὐτῷ ἴσον, οὗ ἠράσθη ὡς ἰδίου τόκου), denn es war sehr schön, da es das Abbild des Vaters hatte (τὴν τοῦ πατρὸς εἰκόνα ἔχων). Und auch Gott wurde von seiner eigenen Gestalt geliebt (καὶ ὁ θεὸς ἠράσθη τῆς ἰδίας μορφῆς). Und er übergab ihm alle seine eigenen Schöpfungen“ (παρέδωκε τὰ ἑαυτοῦ πάντα δημιουργήματα, CH I 12). Im Folgenden wird erzählt, dass der erste Mensch auch erschaffen möchte, was ihm der Vater erlaubt. „Und der über alles Sterbliche und alle vernunftlosen Wesen der Welt Macht hatte, beugte sich durch die harmonischen Sphären […] und zeigte der unteren Natur die schöne Gestalt Gottes“ (τὴν καλὴν τοῦ θεοῦ μορφήν, CH I 14). Schließlich wird als Ergebnis festgehalten: „Und deshalb hat der Mensch von allen Lebewesen auf der Erde eine doppelte Natur, sterblich zwar wegen des Körpers, unsterblich aber wegen des wirklichen Menschen (διὰ τὸν οὐσιώδη ἄνθρωπον). Denn obgleich er unsterblich ist und über alles Vollmacht hat, erleidet er das Sterbliche, unterworfen unter das Schicksal. Über den Sphären wirklich, in den Sphären aber zum Sklaven geworden“ (ὑπεράνω οὖν ὢν τῆς ἁρμονίας ἐναρμόνιος γέγονε δοῦλος, CH I 15, Textauswahl: Dibelius, HNT 80). Der vom Νοῦς gezeugte erste Mensch trägt Gottes εἰκών und μορφή und ist Gott gleich (ἴσος). Das Schöpfungswerk kann als Abstieg interpretiert werden. Die vom ersten Menschen geschaffenen Menschen sind Sklavinnen und Sklaven (δοῦλοι) des Schicksals. Aber anders als in Bultmanns ‚gnostischem Normalmythos‘ fehlt das Erlösungskonzept in Corpus Hermeticum I. Die Welt ist nicht feindlich und es wird auch niemand zurückgeführt. Beim ‚Urmenschen-Erlösermythos‘ handelt es sich um ein Kunstprodukt der Forschung. Corpus Hermeticum I ist inzwischen als platonisierende Version einer biblisch inspirierten Schöpfungserzählung erkannt (Struck, EncAH 6, 3161–3163). Mit Phil 2,6–11 teilt Corpus Hermeticum I die Vorstellung eines präexistenten gottgleichen Wesens, das μορφή und εἰκών mit dem Schöpfer gemeinsam hat, und die Idee vom Abstieg in die Welt als Versklavung, wobei Corpus Hermeticum I anders als Phil 2,7 die Versklavung unter das Schicksal meint (Georgi* 264–266). Außerdem ist Phil 2,6–11 für einige der in der Bibliothek aus Nag Hammadi gesammelten Schriften, insbesondere für Silv 9 (NHC VII,4 109) und Inter (NHC XI,1 10–12), wichtig geworden (Lüdemann/Janßen*).
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9.5 Himmlische Weisheit und weisheitliche Theologie E.-M. Becker, Demut 96–106. – Joachim Gnilka, Der Christushymnus des Philipperbriefes (2,6– 11) und die neutestamentliche Hymnendichtung, in: Hansjakob Becker/Reiner Kaczynski (Hg.), Liturgie und Dichtung [FS Walter Dürig], 1983, 173–185. – Georgi, Der vorpaulinische Hymnus. – U. B. Müller, Christushymnus. – Schweizer, Erniedrigung und Erhöhung. In jüdischer Weisheitstheologie ist der Präexistenzgedanke mit der personifizierten Figur der Weisheit verbunden (Spr 8,22–31; Sir 24,1–6; SapSal 7,22; 8,3 f.; 9,4.9; Philo ebr. 30 f. und virt. 62; 1Hen 42,1 f. u. ö.). Die ältere Weisheitstheologie preist außerdem die Selbsterniedrigung, denn „den Demütigen gibt Gott Gnade“ (ταπεινοῖς δὲ δίδωσιν χάριν, Prov 3,14; vgl. Sir 2,17; 3,18; LkQ 14,11/Mt 23,12; Jak 4,10; 1Petr 5,5). Viele vertreten daher die These, Phil 2,6–11 rezipiere das weisheitliche Schema ‚Erniedrigung und Erhöhung‘ (Schweizer* 93–102; Gnilka* 180 f.; U. B. Müller*; U. B. Müller, K. 105–107). Der Hymnus widerspreche der griechisch-römischen Kritik an der Selbsterniedrigung und einer skeptischen Position, die am Grundsatz „wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden“ zweifele (U. B. Müller* 26–29; vgl. Hi 7,1–6; Koh 8,8; 9,12). Stattdessen preise er den Verzicht auf Gottgleichheit. „Gott setzt bei Jesus den Grundsatz ausdrücklich in Kraft, dass, wer sich selbst erniedrigt, erhöht werden wird“ (U. B. Müller* 37). Eve-Marie Becker* bezeichnet den Text als „paradigmatische[] Erfolgs-Erzählung“ (104). Allerdings ist die Wiederherstellung der ausgleichenden Gerechtigkeit im Tun-Ergehen-Zusammenhang auch nichtjüdischem Denken bekannt. Eines der wichtigsten Werke des Zeus ist es, „das Hohe zu erniedrigen und das Niedrige zu erhöhen“ (τὰ μὲν ὑψηλὰ ταπεινοῦν, τὰ δὲ ταπεινὰ ὑψοῦν, Diog L 1.69; → Exk. 7). Für Dieter Georgi* repräsentiert der Hymnus spekulative Weisheitstheologie. Sie verallgemeinere die Figur des leidenden Gerechten aus Jes 52/53 und spreche von seiner Erhöhung: Die leidenden Gerechten „sind in Gottes Hand“, werden als Richter über die Gottlosen eingesetzt und zu den Gottessöhnen gerechnet (SapSal 3,1–3; 4,16; 5,1.5.16; 18,13). Außerdem könne von der transzendenten Weisheit gesagt werden: „In jeder Generation geht sie in die frommen Seelen der Freunde Gottes über und rüstet Propheten aus“ (SapSal 7,27). Die Weisheit „ging mit dem Gerechten in die Grube und verließ ihn im Gefängnis nicht“ (SapSal 10,14, in Anspielung auf Gen 37,24; 39,21). Die Weisheit inkorporiert sich im Weisen, aber sie identifiziert sich nicht, sondern bleibt einzig (μία δὲ οὖσα, SapSal 7,27). Dagegen erzähle Phil 2,7a.8 die wirkliche Menschwerdung in ihrer radikalen Beschränkung auf das Einzelschicksal des einen Gekreuzigten. Diese Verse seien daher eine Bearbeitung des ursprünglich weisheitlichen Hymnus aus christologischer Perspektive (Georgi* 284). Die Verse 9–11 beschreiben die postmortale Erhöhung des leidenden Gerechten aus SapSal 2–5. Mit der Einführung des Jesusnamens und damit eines gekreuzigten Menschen in den Himmel werde auch hier weisheitliche Theologie radikalisiert.
9.6 Sich in Menschen verwandelnde Götter und in den Himmel entrückte Menschen David E. Aune, Heracles and Christ. Heracles Imagery in the Christology of Early Christianity, in: David L. Balch/Everett Ferguson (Hg.), Greeks, Romans, and Christians [FS Abraham J. Malherbe], 1990, 3–19. – Brucker, ‚Christushymnen‘ 222–224. – Conrad, Absolute Macht 253–257. – DiPaolo, Hymn Fragments 105–139. – Wilfred L. Knox, The ‚Divine Hero‘ Christology in the New Testament, HThR 41 (1948), 229–249. – Ulrich B. Müller, Die Menschwerdung des Gottessohnes, SBS 140, 1990, 23–27. – Vollenweider, Metamorphose 288–293. –
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Dieter Zeller, Die Christologie des Neuen Testaments in ihrer hellenistischen Rezeption, in: Ders., Neues Testament und hellenistische Umwelt, BBB 150, 2006, 141–159. – Ders., Die Menschwerdung des Sohnes Gottes im Neuen Testament und die antike Religionsgeschichte, in: Ders., Neues Testament und hellenistische Umwelt, BBB 150, 2006, 61–81.
9.6a Sich in Menschen verwandelnde Götter Bereits Homer bemerkt: „Und auch Götter gleichen aus anderen Gegenden kommenden Fremden und in mancherlei Gestalten erscheinend besuchen sie die Städte und beaufsichtigen Frevel und Wohlverhalten der Menschen“ (καί τε θεοὶ ξείνοισιν ἐοικότες ἀλλοδαποῖσι, παντοῖοι τελέθοντες, ἐπιστρωφῶσι πόληας, ἀνθρώπων ὕβριν τε καὶ εὐνομίην ἐφορῶντες, Hom Od 17.485–487; vgl. Plat Resp 381d–e; Max Tyr 8,8; Philo somn. 1.233 und QG 4.2). Erscheinungen in Menschengestalt werden von Aphrodite „in Gestalt einer hochbetagten Greisin“ (Hom Il 3.386–389), von Athene (Hom Od 13.189) und von Demeter (Hom Hymn Cer 105–112) erzählt, aber der für seinen Gestaltwandel berühmteste Gott ist Dionysos. Ihn lässt Euripides sagen: „Ich vertausche Gottgestalt mit Menschengestalt“ (μορφὴν δ’ ἀμείψας ἐκ θεοῦ βροτησίαν, Eur Ba 4) und wenig später: „Deshalb habe ich mich in das Bild eines Sterblichen verwandelt und meine Gestalt verwandelt zur Natur eines Mannes“ (ὧν οὕνεκ’ εἶδος θνητὸν ἀλλάξας ἔχω μορφήν τ’ ἐμὴν μετέβαλον εἰς ἀνδρὸς φύσιν, Eur Ba 53 f.). Und bestätigend singt der Chor in vielen Tragödien des Euripides: „Vielerlei sind die Gestalten der Götter“ (πολλαὶ μορφαὶ τῶν δαιμονίων, Eur Alc 1159; Eur Andr 1284). Auf diese Vorstellung rekurrieren Apg 14,11–13 und 28,6. An einigen Stellen führt das Auftreten in Menschengestalt zur Statusminderung. Auf seiner Suche nach Gastfreundschaft durchstreift Jupiter bei Ovid mit einem Heroldstab und abgelegten Flügeln (positis alis) die Welt und wird dort nur in der armen Hütte von Baucis und Philemon aufgenommen (Ovid Metam 8.626–724). Bei Euripides muss Apollon zur Strafe für einen Konflikt mit Zeus ein Jahr bei Admetos als Rinderhirte dienen (Eur Alc 1–9; Pseud-Apollod Bibl 3.10,4; vgl. Luc Jup Conf 8; Hom Il 21.444 f.). Göttinnen und Götter erscheinen in Menschengestalt, aber auch zu Erziehungszwecken. Den Götterboten Hermes sendet Zeus, „um bei den Menschen Ehrfurcht und Recht einzuführen“ (πέμπει ἄγοντα εἰς ἀνθρώπους αἰδῶ τε καὶ δίκην, Plat Prot 322c; vgl. Cornut 16,1). Die Verwandlungsvorstellung aus Phil 2,7 erinnert an griechische und römische Göttinnen und Götter, die sich in Menschengestalt verwandeln (Schenk, K. 206–209; Zeller, Menschwerdung; DiPaolo* 105–138; U. B. Müller* 23–27; U. B. Müller, K. 93 f.; Vollenweider*). Allerdings sterben Göttinnen und Götter nicht, noch verändern sie ihren Wesenskern. Wo sie Sklavendienste verrichten, bleibt diese Erniedrigung zeitlich sehr begrenzt (Conrad* 254 f.).
9.6b In den Himmel entrückte Menschen Die griechische und römische Welt kennt außerdem die Vorstellung, dass verdiente Menschen in den Himmel unter die Götter entrückt werden. Ein Verbindungsglied sind dabei Halbgötter, also aus der Verbindung von Frauen und Göttern gezeugte Wesen. Zu ihnen zählt Herakles, der unter anderem auch als Erlöser der Menschheit dargestellt werden kann und als Lohn für seine Unterstützung der Götter in den Himmel versetzt wird (Sen Hercules Oetaeus; vgl. Just Apol 1.21,1 f.; Aune* 4–8; Knox*; Zeller, Christologie 145 f.; DiPaolo* 123–126). Nach Epiktet geht Herakles, weil ihm Zeus anvertraute, dass er sein Sohn sei, was er auch war, im Vertrauen auf jenen durch die Welt, wobei er sie von Ungerechtigkeit und Gesetzlosigkeit reinigt (διὰ τοῦτο ἐπιστεύθη Διὸς υἱὸς εἶναι καὶ ἦν. ἐκείνῳ τοίνυν πειθόμενος περιῄει καθαίρων ἀδικίαν καὶ ἀνομίαν, Epict Diss 2.16,44). Nach Diodor verleiht ihm Zeus für seine Treue im Kampf gegen die Giganten den
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Namen „Olympier“ (ὠνόμασεν Ὀλυμπίους, Diod S 4.15,1). Die aufgeklärte Religionskritik nennt Herakles einen in den Himmel versetzten Wohltäter (Cic Nat Deor 2.62). Aber auch Staatsgründern wird diese Ehre zuteil; so lässt Plutarch Romulus sagen: „Den Göttern gefiel es …, dass wir in der Zeit, in der wir unter den Menschen weilten, eine Stadt von größter Herrschaft und größtem Ruhm gründeten und (danach) wiederum im Himmel wohnen, woher wir waren“ (θεοῖς ἔδοξεν … τοσοῦτον ἡμᾶς γενέσθαι μετ’ ἀνθρώπων χρόνον, καὶ πόλιν ἐπ’ ἀρχῇ καὶ δόξῃ μεγίστῃ κτίσαντας, αὖθις οἰκεῖν οὐρανόν, ἐκεῖθεν ὄντας, Plut Romulus 28,2). An Phil 2,6–11 erinnert insbesondere Plutarchs Lobpreis des Alexander, der sich als „ein zum Wohl der Gemeinschaft von Gott gesandter Ordner und Versöhner aller“ betrachtete und dies mit der Wahl seiner Kleidung abgebildet habe (κοινὸς ἥκειν θεόθεν ἁρμοστὴς καὶ διαλλακτὴς τῶν ὅλων νομίζων, Plut Alex Fort I 329B). Weiter heißt es: „Denn Alexander zog nicht räuberisch über Asien her, noch beabsichtigte er, es wie Raubgut (οὐδ’ ὥσπερ ἅρπαγμα) und Beute aus unverhofftem Glück zu zerreißen und zu entblößen […], sondern, weil er die Erdenbewohner der einen Vernunft und einer Staatsgemeinschaft gehorsam machen wollte (ἑνὸς ὑπήκοα λόγου τὰ ἐπὶ γῆς καὶ μιᾶς πολιτείας), ja alle Menschen als eine Volksgemeinschaft erscheinen lassen, gestaltete er sich selbst auf diese Weise (οὕτως ἑαυτὸν ἐσχημάτιζεν), nämlich in der Übernahme von Kleidungssitten der verschiedenen von ihm beherrschten Völker. Wenn aber die Gottheit, nachdem sie die Seele Alexanders hierhergesandt (καταπέμψας), sie nicht so schnell zurückgerufen hätte (ἀνεκαλέσατο), würde ein Gesetz alle Menschen regieren und sie würden zu einer Gerechtigkeit emporblicken wie zu einem gemeinsamen Licht. Jetzt aber ist der Teil der Erde ohne Sonne geblieben, der Alexander nicht gesehen hat“ (Plut Alex Fort I 330D–E). Plutarch rühmt Alexander hier als einen Gesandten der Götter, der durch sein eigenes Beispiel die Menschheit versöhnt und im Gehorsam unter eine Vernunft zusammenführt. Trotz der sprachlichen Parallelen fällt jedoch meines Erachtens ein gewichtiger Unterschied im Vergleich mit Phil 2,6–11 auf. Die Gesandten der Götter, Herakles, Alexander und Romulus, wirken zwar wie Menschen, gleichen sich ihren Völkerschaften an und kehren nach Abschluss ihrer Aufgaben in ihre himmlische Heimat zurück. Niemals verlieren sie jedoch ihren göttlichen Wesenskern. Daher wird der Tod der göttlichen Gesandten auch als Ab- und Heimberufung verhüllt. Ein Gott kann und darf nicht sterben. Letztlich ist der in den Himmel entrückte Mensch nicht eine eigenständige „Linie“ oder ein eigener Vorstellungskreis (Zeller, Menschwerdung 71). Vielmehr ist er der Spezialfall und eine Konkretion der sich menschlich offenbarenden Götter. Dies gilt auch für Philos Lobrede auf den vollkommenen Herrscher Mose (Mos. 1.148–162; vgl. A. Y. Collins, Psalms 370 f.; Brucker, ‚Christushymnen‘ 222–224; Schenke, K. 208 f.). Philo betont die Wahl des Mose aufgrund seiner Tugend (ἀρετὴ καὶ καλοκἀγαθία) und seines Edelmuts (εὔνοια; Mos. 1.148), den er mit dem Verzicht auf die Herrschaft in Ägypten, die Förderung seines eigenen Hauses, Geld und Besitz und königliche Pracht beweist (Mos. 1.149–154). Daher ist Mose für Philo das Urbild des vernünftigen Herrschers (Mos. 1.162). Sterben kann ein solches „vollkommenes Abbild der Tugend“ (τὸ εἶδος τέλειον ἀρετῆς, Mos. 1.159) nicht. Vielmehr schildert Philo einen Übergang in die göttliche Natur: „man sagt, er sei in die dunkle Wolke, in der Gott war, hineingegangen, das heißt in die gestaltlose, unsichtbare und körperlose vorbildhafte Wesenheit der Dinge, und nahm das für eine sterbliche Natur Unsichtbare wahr“ (Mos. 1.158). Verdiente Menschen werden also in der Antike inklusive Judentum in den Himmel erhoben (→ Exk. 9.8a–c). Anlass geben die vollbrachten Taten und Tugendleistungen. Sterben und Tod werden im Gegensatz zu Phil 2,8 schweigend übergangen.
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9.7 Kaiserkult Dorothea H. Bertschmann, Bowing before Christ – Nodding to the State? Reading Paul Politically with Oliver O’Donovan and John Howard Yoder, 2014, 79–99. – Karl Bernhard Bornhäuser, Jesus imperator mundi, 1938. – Conrad, Absolute Macht. – Michael Benjamin Cover, The Death of Tragedy. The Form of God in Euripides’s Bacchae and Paul’s Carmen Christi, HThR 111 (2018), 66–89. – Camille Focant, De condition divine, esclave et Seigneur. La christologie paradoxale de „Philippiens“, RTL 48 (2017), 69–63. – Erik M. Heen, Phil 2:6–11 and Resistance to Local Timocratic Rule. Isa Theō and the Cult of the Emperor in the East, in: Richard A. Horsley (Hg.), Paul and the Roman Imperial Order, 2004, 125–153. – Nebreda, Christ Identity. – Oakes, Philippians. – Wiard Popkes, Zum Thema ‚Anti-imperiale Deutung neutestamentlicher Schriften‘, ThLZ 127 (2002), 850–862. – David Seeley, The Background of the Philippian Hymn (2:6–11), Journal of Higher Criticism 1 (1994), 49–72. – Tellbe, Paul 253–259. – Vollenweider, Raub. – Ders., Politische Theologie. – Wojtkowiak, Christologie und Ethik 83–113. Der Philipperhymnus wurde als direkte Kritik an Kaiser Caligula (37–41 n. Chr.) gelesen, der mit Kleidung, Auftreten und Statuen einen göttlichen Anspruch erhoben haben soll (Suet Caligula 52; Dio C 59.26,6–8; Philo legat. 93–110; Bornhäuser* 17 f.; Seeley* 61–71). Bezüge auf einen bestimmten Kaiser enthält der Hymnus jedoch nicht. Wohl aber bietet sich der in Philippi bereits im 1. Jahrhundert archäologisch belegte Kaiserkult als weiterer religionsgeschichtlicher Hintergrund an (Vollenweider, Raub 274–283; Vollenweider, Theologie 232–234; Tellbe*; Oakes* 143–201; Nebreda* 316–329; Wojtkowiak*; Conrad*). Die augusteische Dichtung preist Augustus und seinen Vater Caesar als auf der Erde in Menschengestalt erschienene Götter, die nach vollbrachten Segenstaten in den Himmel zurückkehren (Horat Carm 1.2,41–49; Ovid Metam 15.745–749; 15.818 f.). Der im Hymnus rezipierte Dionysosmythos werde unter anderem auf Augustus bezogen (Horat Carm 2.19; 3.25; Cover*). Auch andere Kaiser werden als in Menschengestalt erschienene Götter gepriesen (z. B. Nero bei Calpurnius Siculus, Ekloge 4.142–146; Conrad* 247–250). Sich durch ihre guten Taten auszeichnende Kaiser sind „gottgleich“ zu verehren (Vollenweider, Raub 274–277; Heen* 136–150). So berichtet Dio, der Senat habe nach dem Sieg des Augustus über die Parther im Jahr 29 v. Chr. neben anderen Ehrungen angeordnet, „ihn in die Hymnen als den Göttern gleich einzuschreiben“ (ἔς τε τοὺς ὕμνους αὐτὸν ἐξ ἴσου τοῖς θεοῖς ἐσγράφεσθαι, Dio C 51.20,1; vgl. Phil 2,6c). Ein populärphilosophischer Katechismus formuliert knapp: „Was ist ein Gott? Das Herrschende. Was ein König/Kaiser? Gottgleich.“ ([τ]ί θεός; τ [ὸ] κρατοῦν. τί βασιλεύ[ς; ἰσ]όθεος, Pap.Heid. 1713 verso Z. 1 f.). Allerdings müssen auch Kaiser ‚gottgleiche‘ Verehrung erst verdienen, wie die Rede des Maecenas an Augustus klarstellt: „Tugend macht nämlich viele gottgleich, eine demokratische Wahl aber hat noch niemanden jemals zu einem Gott gemacht“ (ἀρετὴ μὲν γὰρ ἰσοθέους πολλοὺς ποιεῖ, χειροτονητὸς δ’ οὐδεὶς πώποτε θεὸς ἐγένετο, Dio C 52.35,5). Daher lehnen viele Herrscher ihnen angetragene Ehrungen zunächst ab (Sel. Pap. II, Nr. 211, Z. 33–43). Liegen aber entsprechende Leistungen vor, so ist sogar Philo von Alexandria geneigt, Augustus „den Olympiern gleiche“ (ἰσολύμπιος) Ehrungen zuzugestehen (Philo legat. 149; vgl. Conrad* 234–236). Conrad hat jüngst den Kaiserkult als Anerkennung der Leistung verdienter Kaiser durch die auf Senatsbeschluss erfolgende consecratio/Apotheose beschrieben (Conrad* 8–145). Obgleich auch Tiberius, Caligula und Claudius mit ihrer Zustimmung zu Lebzeiten verehrt werden, entwickelt sich erst unter Nero ein geregeltes Verfahren der Erhebung unter die staatlich zu verehrenden Götter. Die Apotheose kann nur nach dem Tod und durch den römischen Senat beschlossen werden, beruht auf individuellen, besonderen Leistungen, setzt einen Kult ein und verleiht dem Kaiser einen göttlichen Namen
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(Conrad* 258–272). Kaiser gründen ihre Legitimation auch auf göttliche Abkunft (Conrad* 226– 228). Einige Auslegungen vermuten, damit sei auch die Vorstellung der Erscheinung oder Epiphanie eines Gottes in Menschengestalt verbunden (Nebreda* 319–329; Wojtkowiak* 87–93). Jedoch ist die Ablehnung von Ehrerweisen Teil der Tugenddemonstration und keine Selbsterniedrigung (Conrad* 247–257). Namensverleihung, Kniefall, Machtübername und Akklamation in Phil 2,9–11 erinnern an das offizielle Zeremoniell der Divinisierung (Conrad* 320–338; Oakes* 149–172). Das Gott-gleich-Sein ergibt sich jedoch im Kaiserkult aus den erbrachten Leistungen (Conrad* 239 f.). Tugendleistungen fehlen dagegen im Hymnus ganz. Die einzige Tat ist die Selbstentleerung, was als Kritik am Kaiserkult gelesen wird (Focant*). Aber „Der Hymnus erzählt gerade nicht von einem guten Herrschen Jesu auf Erden“ (Popkes* 862). Das Divinisierungsritual aus Phil 2,9–11 rekurriert auf biblische Sprache. Schließlich fehlen im Hymnus direkte Stellungnahme zum Kaiser und Aussagen zur Herrschaftspraxis des Erhöhten (Bertschmann* 90–99).
9.8 Menschensohn und andere Throngenossen Gottes im Frühjudentum Daniel Boyarin, Die jüdischen Evangelien. Die Geschichte des jüdischen Christus, 2015. – Ders., Henoch und Metatron, der „Fürst der göttlichen Gegenwart“. „Apokalypse“ und der „zweite Gott“, in: Andrea Taschl-Erber/Irmtraud Fischer (Hg.), Vermittelte Gegenwart. Konzeptionen der Gottespräsenz von der Zeit des Zweiten Tempels bis Anfang des 2. Jh.s n. Chr. [FS Johannes Marböck], WUNT 367, 2016, 125–150. – John J. Collins, Enoch and the Son of Man. A Response to Sabino Chialà and Helge Kvanvig, in: Gabriele Boccaccini (Hg.), Enoch and the Messiah Son of Man. Revisiting the Book of Parables, 2007, 216–227. – Ders., The Scepter and the Star. The Messiahs of the Dead Sea Scrolls and Other Ancient Literature, 1995, 149–164. – Jarl E. Fossum, The Name of God and the Angel of the Lord. Samaritan and Jewish Concepts of Intermediation and the Origin of Gnosticism, WUNT 36, 1985, 297–301. – Darrell D. Hannah, Michael and Christ. Michael Traditions and Angel Christology in Early Christianity, WUNT II/109, 1999, 143–146. – Hofius, Christushymnus 109–111. – Nicholas A. Meyer, Adam’s Dust and Adam’s Glory in the Hodayot and the Letters of Paul. Rethinking Anthropogony and Theology, NT.S 168, 2016, 147–162. – Peter Schäfer, Die Ursprünge der jüdischen Mystik, 2011, 206–212. – Ders., Zwei Götter im Himmel. Gottesvorstellungen in der jüdischen Antike, 2017. – Schwindt, Tradition. – Vollenweider, Metamorphose. – Ders., Zwischen Monotheismus und Engelchristologie. Überlegungen zur Frühgeschichte des Christusglaubens, in: ders., Horizonte neutestamentlicher Christologie. Studien zu Paulus und zur frühchristlichen Theologie, WUNT 144, 2002, 3–27.
9.8a Menschensohn Ernst Lohmeyer* vermutet in V. 7c σχήματι εὑρεθεὶς ὡς ἄνθρωπος einen Rekurs auf die Menschensohntradition aus Dan 7,13(.40 f.69). Der Menschensohn hat in frühjüdischer Literatur Karriere gemacht (1Hen 37–71; 4Esra 12 f.). Er existierte, „bevor die Sonne … und bevor die Sterne des Himmels geschaffen wurden“, ist also wie die Weisheit präexistenter Erstling der Schöpfung (1Hen 48,3, Übers. Siegbert Uhlig, JSHRZ; vgl. 1Hen 48,6; 62,7). Endzeitlich sitzt er auf dem „Thron der Herrlichkeit“ (1Hen 62,5; 69,27.29) und „alle Könige und Mächtigen und Hohen und die, die das Festland beherrschen, werden vor ihm auf ihr Angesicht niederfallen und anbeten, und sie werden ihre Hoffnung auf jenen Menschensohn setzen und ihn anflehen und von ihm Barmherzigkeit erbitten“ (1Hen 62,9, Übers. Uhlig; vgl. 1Hen 48,5). Der Menschensohn ist in
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den Bilderreden des Äthiopischen Henochbuchs einerseits präexistent, anderseits übernimmt er am Ende der Tage die richterlichen Funktionen und Ehren Gottes. Am Ende der Bilderreden schildert Henoch seine eigene Entrückung: „Und er [das Haupt der Tage = Gott] kam zu mir und grüßte mich mit seiner Stimme und sprach zu mir: ‚Du bist der Menschensohn, der zur Gerechtigkeit geboren ist, und Gerechtigkeit wohnt über dir und die Gerechtigkeit des Hauptes der Tage verlässt dich nicht‘“ (1Hen 71,14, Übers. Uhlig). Hier wird eine menschliche Figur mit dem Menschensohn identifiziert. Umstritten ist, ob dieses Kapitel einen Nachtrag bietet (J. J. Collins, Enoch 221–227; P. Schäfer, Zwei Götter 56–60) oder ob diese Gleichsetzung bereits in den älteren Teilen der Henochtradition (1Hen 15 f.) angelegt ist (Boyarin, Evangelien 90–93; Boyarin, Henoch 132 f.). Auch das slawisch und koptisch erhaltene 2. Henochbuch erzählt die Verwandlung Henochs in einen Lichtengel im himmlischen Thronsaal (2Hen 22,8–10). Im hebräischen 3. Henochbuch oder Sefer Hekhalot wird Henoch zur göttlichen Figur „Metatron“. Weiter heißt es: „Er [Gott, A. S.] setzte sie [die Krone, A. S.] auf mein Haupt und nannte mich ‚Kleiner/Junger JWJ‘ vor seiner ganzen Familie in der Höhe [= himmlischer Hofstaat der Engel, A. S.], wie es heißt: Denn mein Name ist in ihm (Ex 23,21)“ (3Hen 12 = Sefer Hekhalot § 15; Übers. Peter Schäfer). Hier erhält Henoch also ausdrücklich einen Gottesnamen, eine Kurzform des Tetragramm. Vermutungen zur Abfassungszeit des 3. Henochbuchs reichen von 100 bis 900 n. Chr. Daher bleibt unklar, ob man das 3. Henochbuch als Voraussetzung von oder als Auseinandersetzung mit Christologien lesen muss. Die Übertragung des Gottesnamens auf eine weitere Figur dokumentiert aber bereits der Midrasch 11Q 13 ii 9 f. in Übertragung von Ps 82,1 auf Melchisedek. Jedenfalls ist der Menschensohn in frühjüdischer Literatur eine Figur, die sowohl Präexistenz als auch Erhöhung und Einsetzung in den himmlischen Thronsaal in sich vereinigt.
9.8b Mose Eine weitere frühjüdische Figur, die mit Gott Thron und Herrschaft teilen kann, ist Mose. Nach Dtn 34 stirbt Mose zwar, jedoch bleibt sein Grab unbekannt. Bei Philo und Josephus geht Mose in die Wolke göttlicher Präsenz hinein und wird auf ihr entrückt (Philo Mos. 1.158; Jos. Ant. 4.326). Bereits im Exodusdrama ‚Exagoge‘ aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. tritt Mose in einer Berufungsvision an den Gottesthron heran. Weiter heißt es: „Einen Zepter gab er [Gott, A. S.] mir und er hieß mich auf einen großen Thron zu sitzen. Er gab mir das königliche Diadem und er wich selbst vom Thron (καὶ αὐτὸς ἐκ θρόνων χωρίζεται). Ich aber sah auf den ganzen Erdkreis und unter die Erde und über den Himmel hinaus und vor mir fiel die Menge der Sterne auf die Knie, ich aber zählte sie alle“ (καὶ μοί τι πλῆθος ἀστέρων πρὸς γούνατα ἔπιπτ’, ἐγὼ δὲ πάντας ἠριθμησάμην, EzTrag 74–79). Eine ähnliche Tradition verarbeitet Philo, wenn er im oben zitierten Mose-Enkomion sagt: „Er [Gott, A. S.] würdigte ihn nämlich, als Teilhaber (κοινωνόν) seines eigenen Loses zu erscheinen, und überließ ihm als Erben (ὡς κληρονόμῳ) den ganzen geordneten Kosmos. Deshalb gehorchen ihm wie einem Herrscher die Elemente“ (Philo Mos. 1.155; → Exk. 9.6b). Mose ist hier als Gottes Mitherrscher eingesetzt und teilt mit Gott die Verehrung der Elemente. Aufgrund seiner Gemeinschaft mit Gott wird Mose „vom ganzen Volk Gott und König genannt“ (ὠνομάσθη γὰρ ὅλου τοῦ ἔθνους θεὸς καὶ βασιλεύς, Philo Mos. 1.158). Damit schließt sich der Kreis zum Herrscherlob im Kaiserkult (→ Exk. 9.7).
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9.8c Himmlischer Gottesknecht Der sogenannte Selbsterhöhungshymnus aus Qumran beschreibt die Erhöhung einer menschlichen Figur, deren Identität sich leider nicht abschließend klären lässt. Der Text ist in mehreren Fragmenten überliefert (4Q471b; 4Q491c; 4Q427 vii; 1QHa 25,35–26,10; J. J. Collins, Scepter; P. Schäfer, Ursprünge 206–212; P. Schäfer, Zwei Götter 40–44; N. A. Meyer* 157–159). Es heißt: „[…] meine[r] Herrlichkeit, denn keiner gleicht (mir), und keiner erhebt sich (so) außer mir, und keiner kommt zu mir; denn ich habe Platz genommen auf einem/dem [Thron] im Himmel, und kein […]. 7 Ich werde mit Göttlichen gerechnet, und meine Wohnstatt ist in der Heiligkeitsgemeinde, nicht wie Fleisch (ist) [mein?] Beg[ehr …], alles Teure kommt mir zu in der Herrlichkeit 8 [der Göttlichen in] der heiligen Wohnstatt. Wer ist um meinetwillen verachtet worden? Und wer kann mit mir in meiner Herrlichkeit verglichen werden? Wer ist e[s …], 9 der (alle) Kümmernisse trä[gt], wie ich es tue? Und wer [erlei]det Übel wie ich? Niemand! […] 11 [Freund des Königs], Genosse von Heiligen [werde ich genannt], denn mit Göttlichen werde ich gerechn[et, und] meine Herrlichkeit (ist) mit der von Königssöhnen“ (4Q491c Frgm. 11; Übers. P. Schäfer, Zwei Götter 40 f.; vgl. Maier, Qumran-Essener II 559 f.). Hier preist jemand seine eigene Erhöhung unter die Göttlichen. Ein Engel würde sich nicht selbst loben, daher muss es eine menschliche Gestalt sein. Deutlich sind außerdem Anspielungen auf Jes 52/53 (vgl. V. 8 f. mit Jes 53,3 f.). Der Selbsterhöhungshymnus dokumentiert eine Übertragung von Jes 52/53 in Gebetsform.
9.8d Frühjüdische Engelvorstellungen Mose und der Selbsterhöhungshymnus enthalten vor allem Parallelen zu den Erhöhungsaussagen, insbesondere zur Namensverleihung aus Phil 2,9–11 (Fossum*; Hofius*; Hannah* 143–146; Vollenweider, Monotheismus 11 u. a.). Die biblische und frühjüdische Angelologie kann zur Vorstellung der Verwandlung des Gottgleichen in Menschengestalt beitragen (Schwindt* 12–21). Die Bibel stellt Engel als Träger des Gottesnamens vor (Ex 23,20 f.; vgl. Gen 16,13). Der Babylonische Talmud diskutiert Ex 23,20 f. als Beleg für die Existenz eines zweiten Gottes im Himmel (b.San 38b; vgl. P. Schäfer, Zwei Götter 138–146; Vollenweider, Metamorphose 296–299). Die Tradition, dass Engel Gott repräsentieren, geht auf Ez 1,26 zurück. Die Gestalt auf dem Thronwagen ist „dem Bild eines Menschen ähnelnd“ (ὁμοίωμα ὡς εἶδος ἀνθρώπου; Ez 1,26 LXX; vgl. 8,2). 1Hen 69,14 nennt Michael als Wächter und ApkAbr 10,4 Joel als Träger des Gottesnamens. In Philos Erzählung von Moses Gottesbegegnung am Dornbusch offenbart sich Gott so: „in der Mitte der Flamme war eine überschöne Gestalt (μορφή), deren Aussehen (ὁρατός) niemandem ähnelte, ein höchst gottgleiches Bild (θεοειδέστατον ἄγαλμα), das glänzendes Licht des Feuers abstrahlte, sodass man vermuten konnte, dass es das Abbild des Seienden ist (εἰκόνα τοῦ ὄντος εἶναι), man soll es jedoch einen Engel nennen“ (καλείσθω δὲ ἄγγελος, Philo Mos. 1.66). Gott selbst verkleidet sich hier als Engel. Engel erscheinen in Menschengestalt in Gen 18 (vgl. Philo Abr. 114–118 und QG 4.2, mit Verweis auf Hom Od 17.485–489; Tob 5,14–12,21; TestAbr; Vollenweider, Metamorphose 296–299). Allerdings bleibt die Verwandlung bzw. Verhüllung der eigentlichen Herrlichkeitsgestalt begrenzt und zielt auf Offenbarung. Es geht auch hier nicht um eine Veränderung des himmlischen Wesenskerns. In dem bei Origenes zitierten Gebet Josephs heißt es: „Ich stieg hinab auf die Erde und wohnte unter den Menschen“ (κατέβην ἐπὶ τὴν γῆν καὶ κατεσκήνωσα ἐν ἀνθρώποις, Oratio Josephi Frgm. a; Orig Comm in Joh 2.31). Unklar ist, ob hier Uriel oder Jakob/Israel spricht. Weiterhin nennt sich die Stimme „Erzengel (ἀρχάγγελος) … oberster Heerführer unter den Söhnen Gottes, Israel, der erste Diener (λειτουργός) im Angesicht Gottes“. Und darüber hinaus sagt Jakob/Israel von sich: „Ich bin von den Lebewesen, die von Gott lebendig gemacht wurden, der Erstgeborene“ (ἐγὼ πρωτόγονος παντὸς ζῴου
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ζωουμένου ὑπὸ θεοῦ, ebd.). Sofern der erste Sprecher auch Israel/Jakob ist, wäre hier ein Mensch aus dem Himmel hinabgestiegen und wiederum unter die Engel entrückt worden. Leider ist der weitere Kontext dieser Stelle verloren. Die jüdischen Traditionen zum Menschensohn, zu Mose, zu Engelwesen und der ‚Selbsterhöhungshymnus‘ kontextualisieren Phil 2,6.9–11 innerhalb der jüdischen Theologie.
9.9 Auswertung Alle in der Forschung diskutierten religionsgeschichtlichen Kontexte bieten Anknüpfungspunkte für den Hymnus (A. Y. Collins, Worship 240–251; Schwindt*). Dies zeigt auch, dass das antike Judentum Teil der hellenistisch-römischen Welt ist und sich mit deren religiösen und philosophischen Traditionen konstruktiv auseinandersetzt. Phil 2,6 erinnert am stärksten an die philonischen Spekulationen über den himmlischen Urmenschen. Neben jüdischer Weisheitstheologie rezipiert Philo platonische Emanationsvorstellungen, wie sie oben für Corpus Hermeticum I besprochen wurden (→ Exk. 9.4). Präexistenzaussagen gibt es in der jüdischen Weisheits- und der Menschensohntradition. 1Hen 48; 62 und die von Origenes zitierte Oratio Josephi verbinden Präexistenz und Erhöhungsvorstellungen. Die Weisheit wohnt in Weisen und Propheten, folgt ihnen sogar ins Leiden, aber sie selbst leidet nicht. Weisheitlich ist auch die Vorstellung von der Erhöhung des erniedrigten und leidenden Gerechten (SapSal 2–5). Das Urbild stammt aus dem Gottesknechtslied Jes 52/53. Der Selbsterhöhungshymnus formuliert den Gedanken im Gebet. In der ganzen Antike verbreitet ist der Gedanke, dass, wer sich erniedrigt, von Gott und den Göttern erhöht werden wird. Göttliche Metamorphosen in Menschengestalt gehören ebenso in die griechische und römische Tradition wie in die jüdische Angelologie. Aber weder Götter noch Engel verlieren in Menschengestalt ihren himmlischen Wesenskern. Die Überlegungen machen auf differente Vorstellungen in Phil 2,7a; 2,7b–d und 2,8 aufmerksam. Grund ihrer Erhöhung ist bei Romulus, Alexander, den Kaisern, Henoch und Mose die im Leben gezeigte Tugend und Leistung. Im Hymnus werden Taten und Leistungen des Besungenen nicht erwähnt. Selbstentäußerung (Z. 7a) und Erniedrigung bis zum Tod am Kreuz (V. 8) beinhalten mehr als göttliche Metamorphose und menschliche Apotheose. Sie umfassen die wesenhafte Veränderung des Präexistenten. Bei in den Himmel erhöhten Menschen, von Alexander über die Kaiser bis Henoch und Mose, wird der Tod übergangen und als Entrückung interpretiert. Die Integration eines am Kreuz gestorbenen Menschen in den Himmel ist das zweite theologische Spezifikum von Phil 2,6–11. Die Henoch- und Mosetradition kennt die Verbindung von Erhöhung und Namensübertragung. Die römische Welt wählt für die Versetzung unter die Götter das ‚demokratische‘ Verfahren eines Senatsbeschlusses. Während die Verehrung von Menschensohn und anderen himmlischen Gestalten im Judentum eine eschatologische Hoffnung bleibt, ist sie in der römischen Welt inklusive Philippi eine täglich präsente Praxis. Der Hymnus reflektiert also vielfältige Einflüsse aus seiner jüdischen und hellenistisch-römischen Umwelt und bietet in all diesen Traditionskreisen Anknüpfungspunkte für seine Rezeption.
6 … ὃς ἐν μορφῇ θεοῦ ὑπάρχων οὐχ ἁρπαγμὸν ἡγήσατο τὸ εἶναι ἴσα θεῷ … Der Hymnus setzt auf typische Weise im Relativstil ein (→ Exk. 8). Das Relativpronomen ὅς schließt an Jesus Christus aus V. 5 an. Die Identifikation des Besungenen folgt im Hymnus selbst erst in den Versen 9–11. Μορφή ist die „Gestalt“ oder „äußere Erscheinung“ von Menschen und Dingen und die Erscheinungsform von Göttinnen und Göttern (Behm, ThWNT IV 750 f.; Fabricatore* 27–98; Philo Mos. 1.66; → Exk. 9.8d). Eine direkte Anspielung auf Gen 1,26 f. liegt nicht vor (→ Exk. 9.1). 167
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Lediglich CH I 12 verwendet μορφή neben εἰκών im Schöpfungskontext (→ Exk. 9.4; Sib 8.266 f.; Steenburg*). Eine „Gestalt Gottes“ tragen der Himmelsmensch (→ Exk. 9.2), die göttliche Weisheit (→ Exk. 9.5; Sir 24,3 f.; SapSal 7,25 f.; 8,4; Schwindt* 22) und der Menschensohn (→ Exk. 9.8a). Das den Relativsatz aus Zeile 6a regierende Partizip von ὑπάρχω steht für εἶμι „ist“ (B/D/R § 354.2; Bauer, Wb 1670). Der Vers spricht also von der Präexistenz des Besungenen, erzählt aber nichts von seiner kosmologischen Rolle (anders: Focant*). Der präpositionale Ausdruck ἐν μορφῇ θεοῦ „im Bereich einer göttlichen Gestalt“ meint also ein „Bestimmtsein“, die Existenz in einem „Kraftfeld“ (Gnilka, K. 114; Käsemann* 68). Kontrovers diskutiert wird, ob „in Gestalt Gottes“ die äußere „Erscheinung“ beschreibt (Behm, ThWNT IV 758) oder eine „Daseinsweise […] in göttlicher Substanz und Kraft“ (Käsemann* 67). Im ersten Fall ist man an die Gestaltwandlung griechischer und römischer Götter erinnert (Eur Ba 4.53 f.; U. B. Müller, K. 96; → Exk. 9.6a). Jedoch folgt der korrelierenden μορφὴ δούλου „Knechtsgestalt“ in Zeile 7b der Tod als Endpunkt menschlicher Existenz. Dies spricht dafür, auch Zeile 6a als Wesensaussage zu interpretieren. Der Text hat jedoch kein Interesse an einer ontologischen Spekulation (Dibelius, HNT 75). Eduard Schweizer schlägt vor, μορφή mit „‚Status‘, die Position, die Stellung“ zu übersetzen (Schweizer* 95 f.; Pöhlmann, EWNT II 1091; Byron* 159 f.). Angespielt werde auf das Statusbewusstsein der römischen Umwelt und die These von der göttlichen Herkunft besonderer Herrscher und Kaiser (Oakes* 209; Hellerman* 129–148; Conrad* 221–231). Allerdings ist Tob 1,13 der einzige Beleg für die Verwendung von μορφή im Sinne von „Ansehen“. Am Ende muss man wohl konstatieren, dass der vorliegende Hymnus sich der Konkretion der Gottesgestalt enthält. Angedeutet ist die Zugehörigkeit des Besungenen zum himmlischen Hofstaat, ähnlich der μορφὴ περικαλλεστάτη „überirdisch schönen Gestalt“ einiger Engel (Philo Mos. 1.66; → Exk. 9.8d; Holloway, K.). Dies lässt im jüdischen Kontext an die Erscheinungsweise Gottes und von Gottes Throngenossen denken. Dem vorliegenden Hymnus ist aber die genaue Beschreibung von Gestalt, Wesen und Status des Besungenen nicht wichtig. Entscheidend ist, was er unternimmt. Für die erste finite Verbalaussage οὐχ ἁρπαγμὸν ἡγήσατο τὸ εἶναι ἴσα θεῷ (Z. 6b–c) werden zwei Übersetzungen diskutiert: „nicht erachtete er das Gott-gleichSein als Raubgut“ oder „er nutzte das Gott-gleich-Sein nicht zu seinem Vorteil aus“. Im ersten Fall ist τὸ εἶναι ἴσα θεῷ etwas, was der Besungene nicht anstrebt, im zweiten Fall etwas, das er zwar hat, aber nicht ausnutzt. Der adverbial gebrauchte Neutrum Plural des Adjektivs ἴσον „gleich“ beschreibt die Würde des Besungenen (Gnilka, K. 117; Schenk, K. 189; B/D/R § 434.1). Der Artikel τό weist anaphorisch auf den voranstehenden Partizipialsatz zurück (B/D/R § 399.12). Diese Beobachtung spricht dafür, das „Gott-gleich-Sein“ als etwas schon Erreichtes oder Geraubtes (res rapta) aufzufassen. Dennoch interpretieren derzeit viele τὸ εἶναι ἴσα θεῷ aus inhaltlichen Gründen als res rapienda, das heißt als etwas erst noch zu Raubendes (Vollenweider, Raub 280–282; vgl. Moule* 266–268; 271–276). Auch Helden und Kaiser werden als „Gott gleich“ gepriesen (Hom Od 15.520; → Exk. 9.7). Diese Gottgleichheit verdanke sich jedoch gewaltsamer Usurpation, wie etwa in Plutarchs Lobpreis des Alexander oder im Bildprogramm des Sebasteion aus Aphrodisias sichtbar werde (Vollenweider, Raub 274–278; Shaner*). Dagegen werde 168
Der Christushymnus
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das „Gott-gleich-Sein“ in der Bibel verspottet (Jes 14,13–15; 2Makk 9,12 [Ralphs]). Philo kritisiert die Pflanzung heiliger Haine: „Selbstliebend und gottlos ist der Verstand, der meint, Gott gleich zu sein und zu erschaffen“ (φίλαυτος δὲ καὶ ἄθεος ὁ νοῦς οἰόμενος ἴσος εἶναι θεῷ καὶ ποιεῖν δοκῶν; LA 1.49; vgl. decal. 7). Christus werde daher in Phil 2,6b–c zum Gegenbild des „sich selbst erhöhenden Herrschers“ (Vollenweider, Raub 283; vgl. Heen, Phil 136–153). Allerdings spricht Philo einigen Kaisern ἰσολύμπιος „Olympiern gleiche“ Ehren ausdrücklich zu (Philo legat. 149; Conrad* 236–242). Und auch Alexander betrachtet die zu gewinnenden Untertanen eben gerade nicht als Raubgut (→ Exk. 9.6b; Plut Alex Fort I 329B–C; → Exk. 9.6b; Standhartinger, Theologie 371–373). Versteht man Gottgleichheit als eine zu erwerbende Eigenschaft (res rapienda), wird die in den Versen 7 f. geschilderte „Entleerung“ zu einer gelungenen Strategie für das später erhaltene Geschenk der Erhöhung und Einsetzung in ebendiese. Jedoch sprechen insbesondere der idiomatische Gebrauch von ἁρπαγμός/ἅρπαγμα mit doppeltem Akkusativ sowie die Parallelität der Zeilen 6a und 6b/c für die andere Interpretation, nach der der Besungene Gottgleichheit zunächst besitzt. Das seltene ἁρπαγμός ist abgeleitet vom Verb ἁρπάζειν „rauben, fortschleppen, wegführen, entfernen, entrücken“. Als auf -μός gebildetes Substativ beschreibt ἁρπαγμός eine Tätigkeit: „das Rauben“ (B/D/R § 109.1). Für eine aktive Bedeutung muss man jedoch entweder nicht genannte mythologische Hintergründe, etwa eine himmlische Versuchungsgeschichte, eintragen oder man versteht den Ausdruck idiomatisch als ‚sexuellen‘ Übergriff, ein Verhalten, das in der Gemeinde nach dem Vorbild Christi zu vermeiden sei (Moule*; Fredrickson* 85–104). Das Bild von Christus als sexuellem Gewalttäter hat jedoch sonst keinerlei Anhalt. Das mit doppeltem Akkusativ konstruierte ἡγέομαι „etwas für etwas ansehen, halten“ setzt ἁρπαγμός mit dem Zustand τὸ εἶναι ἴσα θεῷ in Beziehung. Weil hier eine negativ konnotierte Tätigkeit mit einem positiv konnotierten Zustand verbunden ist, schlägt Merkelbach* die Konjektur ἁρπάγhιiσμον „geraubt, was geraubt werden kann, was man aufraffen kann“ vor und übersetzt „er dachte nicht, daß die Gottgleichheit dasjenige sei, was er aufraffen sollte“ (350). Das Ergebnis ähnelt Weiterentwicklungen der Thesen von Werner Jäger* und Werner Foerster (ThWNT I 472–474) durch Roy W. Hoover* und Michael W. Martin*. Mit Verweis auf ψ 61,11; Lev 5,23 und den synonymen Gebrauch von ἁρπαγμός und ἅρπαγμα bei Eus Hist Eccl 8.12,2 und Fragmenta in Lucam 6.20 etabliert Hoover die schon von Jäger vermutete Gleichbedeutung im nachklassischen Griechisch (Hoover* 106–109; Foerster, ThWNT I 472; Vollenweider, Raub 266). Für die Verwendung als prädikatives Akkusativobjekt in einer mit doppeltem Akkusativ gebildeten Verbalkonstruktion ἁρπαγμόν τι ἡγέομαι hatte Jäger* eine alltagssprachliche Redensart „etwas für einen ‚Glücksfund erachten‘ oder ‚Geschenk des Zufalls‘ halten“ vermutet. Sein wichtigster Beleg ist ein synonymer Gebrauch von ἁρπαγμός/ἅρπαγμα mit doppeltem Akkusativ, συντυχία „Zufall, Glück“ und ἕρμαιον „glücklicher Fund, unverhofftes Glück“ bei Heliodor Aeth 7.11,7; 7.20,2. Der „glückliche Fund“ ist hier ein ersehnter, aber unerreichbarer Liebhaber (Jäger* 550 f.; Foerster, ThWNT I 473). Hoover* hat Jägers These modifiziert. Denn die Formulierung bei Euseb „Petrus hielt den Tod am Kreuz für ein harpagmos wegen der rettenden Hoffnung“ (Ὁ Πέτρος δὲ ἁρπαγμὸν τὸν διὰ σταυροῦ 169
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θάνατον ἐποιεῖτο διὰ τὰς σωτηρίους ἐλπίδας, Frgm. in Lucam 6.20 [PG 24.538,39 f.]) zeigt, dass ἁρπαγμός das Ergreifen der Option ‚Tod‘ als die bessere Möglichkeit meint. Ebenso erläutert der bei Heliodor Aeth 7.11,7 an ἅρπαγμα angeschlossene Vergleich ὥσπερ ἄγρας ἀρχήν „gleichsam zum Beginn der Jagd“ und legt die Bedeutung „zum Vorteil ergreifen“ nahe. Daher übersetzt Hoover als Idiom und den Ausdruck ἅρπαγμα τι ποιέομαι, ἡγέομαι etc.: „etwas zum eigenen Vorteil ergreifen“ oder „etwas zum eigenen Vorteil ausnutzen“ (Hoover* 104 f.). In dieser Interpretation von ἁρπαγμὸν ἡγέομαι + Akkusativ besitzt der Besungene das gottgleiche Wesen bereits, nutzt es aber eben nicht aus (res rapta). Dies impliziert keineswegs, wie Abramowski* zeigt, dass man das ‚Gott-gleich-Sein‘ im Sinne einer identischen Wesenheit mit dem einen Gott Israels verstehen muss. Ἁρπάζω ist ein Terminus technicus für die Entrückung in den Himmel (SapSal 4,11; 1Thess 4,17; 2Kor 12,2.4; Apk 12,5). Im Mittelplatonismus wird ἁρπάζω für den Aufstieg innerhalb der Himmelssphären gebraucht: „Der Vater entrückte sich selbst (ἥρπασσεν ἑαυτόν), aber er schloss sein Feuer nicht in seine Verstandeskraft ein“ (Chaldäisches Orakel 3; Abramowski* 1). V. 6 konstatiert also knapp die göttliche Gestalt des Besungenen und berichtet von seinem Handeln lediglich, dass er keinen Vorteil aus seinem Gott-gleichSein zieht. Die Anlehnung der Formulierung τὸ εἶναι ἴσα θεῷ an antikes Herrscherlob ist möglich (→ Exk. 9.7). Aber anders als Heroen und Kaiser besitzt der Besungene bereits Gottgleichheit und muss sie sich nicht erst mit Leistungen verdienen. Im Gegensatz zu Kol 1,15–18 und Joh 1,1–5 verzichtet Phil 2,6 auf die Darstellung irgendeines Handelns des Gottgleichen, z. B. als Schöpfungsmittler. 7 … ἀλλὰ ἑαυτὸν ἐκένωσεν μορφὴν δούλου λαβών, ἐν ὁμοιώματι ἀνθρώπων γενόμενος καὶ σχήματι εὑρεθεὶς ὡς ἄνθρωπος … NTG28 lässt am Beginn von V. 7 die zweite Strophe beginnen (E. Lohmeyer* 5 f.). Jeremias* zählt die Zeilen 7a/b zur Beschreibung des Präexistenten in der ersten Strophe (→ Exk. 8). Jedoch markiert ἀλλά eine Opposition; und ein Strophenanfang in Zeile 7d mit καί ist plausibler als einer mit ἐταπείνωσεν ἑαυτόν in Zeile 8a (E. Lohmeyer* 38 f.). Auch beginnt die Reihe paralleler Aussagen bereits in Zeile 7b. Das finite Verb κενόω „entleeren, leer werden“ in Zeile 7a formuliert zum ersten Mal die radikale Selbstentäußerung des Besungenen. Die drei im Aorist gefassten Partizipialaussagen in den Zeilen 7b–d beschreiben dagegen eine Metamorphose: den äußeren Gestaltwandel eines Gottes in eine Menschengestalt (Holloway, K.). Ὁμοίωμα ist „das gleichgemachte Abbild“ (Schneider, ThWNT V 191). Ein Synonym ist εἰκών. Die Formulierung ἐν ὁμοιώματι ἀνθρώπων („wurde zum Abbild der Menschen“) „identifiziert den Inkarnierten mit der menschlichen Erscheinungsweise, hält aber in solcher Identität eine Differenz offen“ (Holz, EWNT II 1254; vgl. auch Röm 8,3). In Bezug auf griechische Götter heißt es: „Zeus aber vereinigte sich mit Leda, indem er sich einem Schwan gleichgestaltete“ (Διὸς δὲ Λήδᾳ συνελθόντος ὁμοιωθέντος κύκνῳ, Pseudo-Apollod Bibl 3.10,7; DiPaolo* 113 f.; Zeller, Menschwerdung 71–74; → Exk. 9.6a). Der Genitiv Plural ἀνθρώπων unterstreicht hier den Gattungsaspekt. �46, lateinische Handschriften, Markion nach Tertullian und Cyprian lesen den Singular ἀνθρώπου, was das Verkleidungsmotiv verstärkt. Im Hintergrund könnte Ez 1,26 stehen, wo die Gottesgestalt auf dem Thronwagen in
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Der Christushymnus
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ὁμοίωμα ὡς εἶδος ἀνθρώπου „ähnlich gleichsam in Gestalt eines Menschen“ erscheint (→ Exk. 9.8d; Rodgers* 190 f.). Σχῆμα ist „die von außen durch sinnliche Wahrnehmung erkennbare Gestalt oder Struktur, das Aussehen“ (Schneider, ThWNT VII 954; Bauer, Wb 1590). Zu den Synonymen gehört μορφή (Behm, ThWNT IV 751). Der Begriff stammt aus der Welt des Theaters oder Mimus (Eastman* 7–12). Auch Göttinnen erscheinen κατὰ τὸ σχῆμα „in bestimmter Gestalt“ (Artemid On[e]irocr 2.37). Das Partizip Passiv von εὑρίσκω „finden“, auch „wahrnehmen, entdecken“, unterstreicht den Beobachtungsaspekt. Ungeklärt bleibt das Subjekt hinter dem Passiv, also die Gruppe der Beobachtenden. Jedenfalls ist die Abstiegsbewegung in Zeile 7c zum Abschluss gekommen. Die drei Synonyme in den Zeilen 7b–d, μορφή, ὁμοίωμα und σχῆμα, beschreiben Erscheinungsweisen in Menschengestalt; die drei Aorist-Partizipien von λάμβανω „nehmen, empfangen“, γίνομαι „werden, entstehen“ und εὑρίσκομαι „gefunden, wahrgenommen werden“ blicken auf den Prozess von der Kostümierung bis zum Erscheinen vor einem nicht näher beschriebenen Publikum (Gnilka, K. 120). Eine Interpretation, die eine Kontinuität in der göttlichen Identität trotz „Entleerung“ und „Entäußerung“ (Z. 7a) entdeckt hat, hat in den Zeilen 7b–d ihren Anhalt (K. Barth, K. 60– 65; O’Brien, K. 216–218; Fee, K. 210 f.; Bockmuehl, K. 134; Fowl, K. 97–99 u. a.). Für Eastman* ist es eben Christus, der die Rolle eines Menschen imitiert. Sprechen die Zeilen 7c und 7d ganz allgemein vom „Abbild der Menschen“ und vergleichend vom Aussehen „wie ein Mensch“, so fällt in Zeile 7b jedoch der Begriff δοῦλος „Sklave, Knecht“ auf. Gelegentlich dienen antike Götter in Menschengestalt (Vollenweider, Metamorphose 290; DiPaolo* 120–127; → Exk. 9.6a). Götter werden allerdings nirgends tatsächlich zu Sklavinnen und Sklaven und arbeiten, wenn überhaupt, dann nur kurzfristig (Conrad* 254 f.). Klar ist, dass μορφὴ δούλου den Gegensatz zu μορφὴ θεοῦ in Zeile 6a bildet. Aber wofür steht δοῦλος? Ist „Sklave“ eine „Metapher für eben jene Ohnmacht und Schmach“ (Hofius* 61)? Oder geht es um Versklavung unter „feindliche Mächte“, das Schicksal, die Sünde und den Tod (Käsemann* 74; Gnilka, K.; Gupta*; G. Barth, K.; Walter, K.)? Oder ist δοῦλος eine Anspielung an den παῖς θεοῦ, den Gottesknecht aus Jes 52/53 (→ Exk. 9.3; Baumert, K. 296; Häußer, K. 158)? Oder geht es um die Wirklichkeit antiker Sklavinnen und Sklaven, die der Macht ihres κύριος ausgeliefert waren, die körperliche Misshandlung erfuhren (Hellerman* 135–142)? Zwar beklagt sich die antike Elite entrüstet, dass „der Sklave schon im Aussehen den Herren gleicht“ (ὁ δουλεύων ἔτι τὸ σχῆμα τοῖς δεσπόταις ὅμοιος, Appian Bell Civ 2.120 [505]; vgl. Pseudo-Xenoph Ath 1,10); tatsächlich aber wurden vielen Sklavinnen und Sklaven die „Gesichter tätowiert, das Haar halbrasiert und die Füße angekettet“ (Apul Met 9.12). Es fällt auf, dass im Hymnus die Instanz, die versklavt oder Herrschaft ausübt, ungenannt bleibt. Anders als antike Sklavinnen und Sklaven nimmt der Besungene die Sklavenrolle freiwillig ein und sein Verhalten ist alles andere als das, was die antike Mehrheitsgesellschaft für typisch sklavisch halten würde. In den Versen 9–11 folgt ein märchenhafter Aufstieg. Man kann daher fragen, ob der Hymnus tatsächlich die Wirklichkeit antiker Sklaverei in den Blick nimmt (Briggs, K. 629; Briggs*; Shaner* 362 f.). Ob die Zeile 7b das Verkleidungsmotiv durchbricht, muss offenbleiben. Jenseits eines Gestaltwandels formuliert aber Zeile 7a: Κενόω heißt „a. leer machen, des Inhalts
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oder Besitzes berauben“ und „b. zunichte machen“ (Oepke, ThWNT III 661). Paulus verwendet κενόω in der Bedeutung b., gibt aber überall im Genitiv das Objekt des Verlustes an (vgl. 1Kor 9,15; 2Kor 9,3: Ruhm; vgl. im Passiv 1Kor 1,17: Kreuz Christi; Röm 4,14: Pistis). Hier folgt ein Reflexivpronomen im Akkusativ: ἑαυτόν. Wessen sich der Besungene entleert, muss aus dem Kontext ergänzt werden. In der einfachsten Lösung bezieht sich κενόω auf das Objekt aus Zeile 6c. Das heißt, der Besungene entleert sich der göttlichen Gestalt und des Gott-gleich-Seins (Oepke, ThWNT III 661). Dann zielt die Selbstentleerung auf die Preisgabe des „göttlichen Wesens“ und „göttlichen Selbst“ (Georgi* 280; Abramowski* 10 f.; Vollenweider, Metamorphose 302 f.; Wojtkowiak* 96 f.; Conrad* 249–251). Andere möchten ἑαυτὸν ἐκένωσεν im Sinne eines Gestaltwandels (R. P. Martin, Hymn 171), Statusverzichts (U. B. Müller, K. 99) oder als „Verzicht des Menschen Jesus auf die Ausübung seiner göttlichen Macht“ (Baumert, K. 295) verstehen. Jeremias entdeckt eine Spontanübersetzung von Jes 53,12 (→ Exk. 9.3). Eine metaphorische Interpretation führt zur Übersetzung: „er machte sich arm“ (Hofius* 59 f.; Lattke, EWNT II 697; U. B. Müller, K. mit Verweis auf Ruth 1,21; Jer 15,9; Lk 1,53). Damit wird die Ergänzung eines Objekts verzichtbar. Es ist dann ein Bogen zu 2Kor 8,9 geschlagen: „Obgleich er [Christus] reich war, machte er sich wegen euch arm (δι᾽ ὑμᾶς ἐπτώχευσεν πλούσιος ὤν), damit ihr in der Armut jenes reich seid.“ In 2Kor 8,9, wo auf den Kontext der Geldsammlung direkt angespielt wird, fehlt allerdings das Erhöhungsmotiv aus Phil 2,9–11. Phil 2,6–8 verzichtet dagegen auf die soteriologische Aussage „euretwegen“. Die theologische Verwandtschaft ist zu weitläufig, um ἑαυτὸν ἐκένωσεν als eingeführte Metapher der Inkarnation zu begründen. Will man auf die Ergänzung eines Objekts verzichten, kann man auch übersetzen: „er machte sich selbst zunichte“ (Conrad* 251). „Er entleerte sich selbst“ formuliert einen inhaltlichen Gegensatz zu den Verkleidungsaussagen der Zeilen 7b–d (Vollenweider, Metamorphose 304 f.). Ob sich diese Spannung aus der Redaktion eines älteren Hymnus ergibt, muss Spekulation bleiben (→ Exk. 8). Jedenfalls aber sticht der völlige Verzicht auf Anspielungen auf die aus den Evangelien überlieferte Biographie des Gekreuzigten ins Auge. 8 … ἐταπείνωσεν ἑαυτὸν γενόμενος ὑπήκοος μέχρι θανάτου, θανάτου δὲ σταυροῦ. Die drei Zeilen aus V. 8 durchbrechen die Überkleidung eines göttlichen Wesenskerns dann endgültig. Ταπεινόω heißt „niederbeugen, niedrig machen, erniedrigen, unterdrücken“ (Grundmann, ThWNT VIII 7; Wengst, Demut 17–29). Den Ausdruck ταπεινόω ἑαυτόν verwendet die Septuaginta allerdings als Terminus technicus für „fasten“ (→ Exk. 7). Diskutiert wird, ob der Vers (A) das Wirken Jesu schildert, (B) ein Modell ethischen Handelns exemplifiziert und in Kraft setzt oder (C) das Menschsein in seiner radikalen Begrenzung auf den Einzelfall konkretisiert. Interpretation (A) sieht in ἐταπείνωσεν ἑαυτόν eine Fortführung des ἑαυτὸν ἐκένωσεν, also das der ‚Inkarnation‘ folgende Erdenwirken (Michaelis, K. 39). Die Zeile spiele auf Jes 53,8: „in Erniedrigung (ἐν τῇ ταπεινώσει/עֶצר ֹ )ֵמwurde sein Recht weggenommen“ sowie auf Jes 53,12: παρεδόθη εἰς θάνατον ἡ ψυχὴ αὐτοῦ/ֶהֱע ָרה ֹ„ ַלָמּ ֶות ַנְפשׁוsein Leben wurde in den Tod übergeben“ an (→ Exk. 9.3). Damit sei ein Verweis auf Jesu Passion gegeben (Häußer* 280–283; Häußer, K. 163–165; Baumert, K. 298 f.; 425 f.). Aber „sich selbst erniedrigen“ und „gehorsam sein bis zum Tod“ 172
Der Christushymnus
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enthalten keine identifizierbaren Anspielungen bzw. sind zu allgemein, um an die aus den Evangelien bekannten Passionserzählungen zu erinnern. Die zweite Interpretation (B) interpretiert die Selbsterniedrigung auf dem Hintergrund des weisheitlichen Grundsatzes ‚Wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden‘ (→ Exk. 9.5). Gott setze im Hymnus diesen Grundsatz wieder in Kraft (U. B. Müller, K. 106 f.). Christus exemplifiziere freiwillige Selbsterniedrigung und damit Rechtsverzicht, die nachmalig belohnt werde (E.-M. Becker, Demut 102; Byron* 164 f.). Allerdings fehlt im Hymnus das „freiwillig“. Und der Gedanke, dass Selbsterniedrigung zur Erhöhung führt und umgekehrt, wird auch andernorts in der Antike vertreten (→ Exk. 9.5). In den Interpretationsmodellen (A) und (B) gerät die Zeile 8b γενόμενος ὑπήκοος μέχρι θανάτου „war gehorsam bis zum Tod“ zur Illustration der vorbildhaften Selbsterniedrigung. Daher möchte Ulrich B. Müller die Präposition μέχρι auf die Bedeutung „Maß/Grad des Gehorsams“ eingrenzen (K. 107). Aber μέχρι θανάτου „bis zum Tod“ ist die Spanne des Lebens bis zur Grenze des Todes. So heißt es bei Hippokrates: „Die menschliche Seele wächst bis zum Tod“ (ἀνθρώπου ψυχὴ φύεται μέχρι θανάτου, Hippocr Epid 6.5,2; vgl. Plat Resp 361c; 2Makk 13,14; 4Makk 6,21). Tod (θάνατος) ist der größte Gegensatz zur göttlichen Welt. Jüdische Weisheitstheologie möchte den Tod aus Gottes Schöpfungswirken exkludieren (SapSal 1,13.16; 2,23 f.). Wenn Erkenntnis der eigenen ταπεινότης „Niedrigkeit“ und der Nichtigkeit der Schöpfung Bedingung für die Möglichkeit der Gottesbegegnung ist, dann führt der Weg in die göttliche Welt nicht durch den Tod, sondern ist ein direkter Aufstieg aus dem Leben in die himmlische Welt (Philo congr. 107; LA 3.214; her. 29; post. 136). Der weise Gerechte stirbt eben nicht, sondern wird unter die Himmlischen erhöht (SapSal 3,1–5; 5,1–5). Daher ist die dritte Interpretation (C) die plausibelste. Sie baut auf den Beobachtungen zur jüdischen Weisheitstheologie auf. Der Hymnus verweigert sich der Allgemeinheit und konkretisiert die Menschwerdung in der „radikalen Selbstbeschränkung auf den Einzelfall“ (Georgi* 285; Gnilka, K. 123). Daher bleibt auch das Stichwort „gehorsam“ seltsam objektlos. Zwar kann man auf dem Hintergrund der biblischen Tradition an den Gehorsam gegenüber Gott denken. Aber Gott tritt in den Versen 7 f. nirgends auf (Walter, K. 60). Hier fehlt der Herr, dem der zum Sklaven Erniedrigte gehorcht. Gehorsam ist dagegen ganz allgemein die Charakteristik des Sklavenstatus (Kittredge* 77–83; Byron* 164). Daher meint die Formulierung „er war gehorsam“ nicht die Erfüllung eines göttlichen Auftrags. „Gehorsam bis zum Tod“ expliziert vielmehr die Selbsterniedrigung (Z. 8a) und Selbstentleerung (Z. 7a) als tatsächlich irreversible Übernahme des Sklavenstatus und konsequente Menschwerdung. Der Hymnus entdeckt im Gehorsam kein ethisches Vorbild und auch keine ethische Handlungsanweisung, sondern das Ja zum menschlichen irdischen Leben (Georgi* 284; Gnilka, K. 123 f.; Kittredge* 80 f.). Anders als die Weisheitstheologie (→ Exk. 9.5) und griechisch-römische Erzählungen von Verwandlungen der Götter in Menschengestalt (→ Exk. 9.6a) gibt der Präexistente spätestens im Tod seine göttliche Identität und jeglichen göttlichen Wesenskern auf. Dabei enthalten die Verse 6–8 auch „keine Heilsgarantie“. Während „der Menschgewordene bis zum Tode versehrt wird und schließlich nicht mehr existiert“, greift Gott an keiner Stelle ein. Erst die „totale Desintegration des Menschgewordenen“ im Tod ist Anlass und Grund für Gottes Handeln in den Versen 9–11 (Georgi* 286). 173
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Politik für das Evangelium
Der Hymnus verstärkt die Beschreibung des Todes mit einer Amplifizierung: θανάτου δὲ σταυροῦ „dem Tod aber am Kreuz“. Keine andere Aussage im Hymnus wird direkt in der nächsten Zeile wiederholt. Die Partikel δέ kann intensivierend oder erläuternd aufgefasst werden. Die Erwähnung der Todesart σταυρός „Kreuz“ ist der einzige konkrete Hinweis auf die Biographie des Jesus von Nazareth. Seit Lohmeyer halten viele Auslegungen die Zeile für eine von Paulus hinzugefügte Ergänzung (E. Lohmeyer* 44–46; Käsemann* 82; Gnilka, K. 124; U. B. Müller, K. 108; Walter, K. 68). Denn in der Logik der Selbsterniedrigung des göttlichen Präexistenten ist die mit dem Tod dokumentierte Menschengestalt bereits der absolute Gegensatz. Widersprochen hat Hofius mit dem Argument, es handele sich um die kunstvolle Wiederholung oder Anadiplose des voranstehenden Satzglieds. Das Kreuz bilde den äußersten Kontrast zur göttlichen Macht und Herrlichkeit und zeige, dass „im Hymnus eine feste Anschauung von der Heilsbedeutung des Sterbens bereits vorausgesetzt ist“ (Hofius* 17). Aber die Erwähnung des Kreuzes ist an sich keine soteriologische Aussage. Wer Interpretation (A) folgt, votiert für die Ursprünglichkeit des Verses (Baumert, K. 299 f.; Häußer, K. 163–165), ebenso die Auslegungen, die Paulus für den Verfasser des poetischen Textes halten (Schenk, K. 184; Brucker* 309; Fee, K. 217). Die Betonung des Kreuzes passt jedenfalls gut in die paulinische Theologie (1Kor 1,17 f.; Gal 3,1; 5,11; 6,12–14). Als Sklavenstrafe verstärkt es die Niedrigkeitsaussage (Hellerman* 144–148; Wojtkowiak* 287; 293; Conrad* 255–257). Auffällig ist auch, dass alle Stichwortbezüge im Kontext sich nur auf V. 8 beziehen (→ 2,3.12.30). Es gibt also Argumente für beide Optionen. Nicht auszuschließen ist jedenfalls, dass sich die Zeilen 7a und 8 der Bearbeitung eines ursprünglich jüdisch-weisheitlichen Hymnus in der Jesusbewegung verdanken (→ Exk. 8). 9 διὸ καὶ ὁ θεὸς αὐτὸν ὑπερύψωσεν καὶ ἐχαρίσατο αὐτῷ τὸ ὄνομα τὸ ὑπὲρ πᾶν ὄνομα … Unvermittelt wechselt die Szene. Lohmeyer hat dies in Anlehnung an die antike Dramentheorie „Peripetie des Psalms“ genannt, „den Umschlag der Handlungen in das Gegenteil“ (E. Lohmeyer* 46; Aristot Poët 11 [1452a22 f.]). Handelte bis V. 8 allein der sich bis zum Tod Entäußernde, so handelt von jetzt an Gott. Es geht hier nicht um eine Heimkehr nach erfülltem Auftrag (Joh 3,13; Eph 4,10; → Exk. 9.6; 9.8a. d). Im Gegenteil: Das Ende menschlicher Handlungsfähigkeit im Tod ist ausdrücklich respektiert (Gnilka, K.). Das einzige Verbindungsglied zwischen den beiden Teilen des Hymnus ist die Konjunktion διό „deshalb“. Aber worauf bezieht sich das verkürzte διό (gebildet aus διὰ ὅ)? Auf den Gehorsam des Besungenen als Gehorsam gegenüber Gott (Käsemann* 79; Gnilka, K. 125; G. Barth, K. 43)? Auf seine Selbsterniedrigung gemäß dem weisheitlichen, auch in der Jesustradition referierten Grundsatz, dass, wer sich selbst erhöht, erniedrigt wird (LkQ14,11/Mt 23,12; Lk 18,14; U. B. Müller, K. 108; Hawthorne/Martin, K. 123 f.; E.-M. Becker, Demut 96–106; → Exk. 9.5)? Oder feiert der zweite Teil die Erhöhung des leidenden Gerechten (Jes 53,12; SapSal 4,14; Hofius* 64–67; Bockmuehl, K. 141; → Exk. 9.3)? Oder geht es darum, alle bisherigen Vorstellungen von Gott und Welt ins Wanken zu bringen und zu transformieren (N. V. Wiles* 153–186; Moessner* 141 f.; vgl. 1Kor 2,6–8)? Jedenfalls fällt erst im Nachhinein auf, dass Gott bisher schwieg. Erst der Tod des ganz und gar Mensch Gewesenen setzt Gott ins Werk (Georgi* 286).
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Der Christushymnus
2,9
Das Kompositum ὑπερυψόω „darüber hinaus erhöhen“ (Passow II/2, 2098) oder „zur höchsten Höhe erheben“ (Bauer, Wb) konstatiert die Einsetzung an die höchste Stelle unter den Himmlischen. Das Verb könnte in Anspielung auf ψ 96,9 gewählt sein: „Du bist Herr, der Höchste auf der ganzen Erde, ganz erhöht über alle Götter“ (ὑπερυψώθης ὑπὲρ πάντας τοὺς θεούς). Jedenfalls erhält der Besungene eine höhere Stellung als der Präexistente. Das Verb ὑπερυψόω fällt auch deshalb auf, weil Paulus sonst von Christi Auferstehung oder Auferweckung spricht (ἀνάστασις: 1Kor 15,21; Röm 1,4; 6,5; Phil 3,10 u. ö.; ἐγείρω: Gal 1,1; Röm 4,25 etc.; ὑψόω: nur Apg 2,33; 5,31, mit Anspielung auf ψ 109,1; Joh 3,14; 8,28; 12,31.34). Man kann Anklänge an die griechischen Vorstellungen von der Erhöhung besonders ausgezeichneter Menschen in den Himmel entdecken (→ Exk. 9.6b; Schenk, K. 206–209; Zeller, Christologie 146 f.; Reumann, K. 372). Jüdischerseits ist dies in der Mosetradition rezipiert (→ Exk. 9.8b; A. Y. Collins, Worship 207). Verdiente Menschen schreiten allerdings selbstständig in den Himmel hinauf (ἀνέρχομαι: Just Apol 1.21,2; ἀναχωρέω: Jos. Ant. 4.326; εἰσέρχομαι: Philo Mos. 1.158; → Exk. 8b). Oder sie werden nach Hause „zurückgerufen“ (ἀνακαλέω; Plut Alex Fort I 330D; → Exk. 9.6b). In Rom ist die Erhebung unter die Himmlischen Sache eines Senatsbeschlusses (Cic Nat Deor 2.62; → Exk. 9.7). Anders als in der griechisch-römischen Vorstellung der Entrückung verdienter Menschen bleibt der hier Besungene jedoch völlig passiv. An dem Gekreuzigten wird nur noch gehandelt. Mit der Erhöhung verbunden ist ein Akt des Schenkens (χαρίζω). Es ist die einzige Stelle im Neuen Testament, an der Christus eine χάρις „ein Geschenk“ empfängt (Gnilka, K. 125). Wer ἁρπαγμός als „Raub“ übersetzt, kann hier einen Gegensatz entdecken. Jedoch ist Erhöhung also nicht einfach nur Lohn für eine erbrachte Leistung (Schenk, K. 201). Das Geschenk ist „der Name über allen Namen“. Allerdings gibt es eine Reihe von Textzeugen, die keinen Artikel (τό) lesen, nämlich die Majuskeln D, F, G, K, L, P, Ψ, 075, 0278, die Minuskeln 81, 104, 365, 630, 1175c, 1241, 1505, 1881, � und die von Clemens Alexandrinus angefertigten Exzerpte des gnostischen Theologen Theodotos. Es wäre hier dann nur von „einem Namen über allen Namen“ gesprochen. Möglicherweise soll damit eine Differenz zum Gottesnamen erzeugt und Christus eine etwas niedrigere Stellung eingeräumt werden. Es liegt nahe, diese Textvariante als Ergebnis christologischer Diskussionen des 3.–5. Jahrhunderts unter den Abschreiberinnen und Abschreibern zu verstehen (Rodgers* 191–193). Die Lesart mit Artikel ist jedenfalls durch die ältesten Textzeugen (�46, �, B u. a.) gut bezeugt. „Der“ im Himmel genannte „Name über allen Namen“ muss der Name des höchsten himmlischen Wesens sein. Nahe liegt eine Identifikation mit dem Tetragamm (Hofius* 27 f.; U. B. Müller, K. 109). Damit ist er für viele identisch mit dem in V. 11 genannten Kyriostitel, den die Septuaginta häufig anstelle des Tetragramms verwendet (Dibelius, HNT 79; U. B. Müller, K.; Vollenweider, Name 81). Allerdings gibt es keine Standardübersetzung des Tetragramms, sondern verschiedene Übersetzungen, die unterschiedliche Bedeutungen haben: Die Übersetzung des Tetragramms mit θεός hebt Gottes schöpferische und wohltätige Seite hervor, die Übersetzung mit κύριος Gottes erbarmendes Handeln oder seine regierende Macht. Die Verse 9–11 übertragen daher diese regierende Macht auf den Gekreuzigten Gottes (Standhartinger, Herr 70–73). 175
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Von der Septuaginta bis zur Hekhalotmystik wird der Name Gottes mit Ehrenprädikaten versehen, etwa „der ehrenvolle und wunderbare Name“ (τὸ ὄνομα τὸ ἔντιμον καὶ τὸ θαυμαστόν, Dtn 28,58) oder der Name, „der furchtbar und heilig ist“ (φοβερὸν καὶ ἅγιόν ἐστιν, ψ 98,3; vgl. Neh 9,5; Jub 36,7; 2Makk 8,15 u. ö.; vgl. Hofius* 109–111). Die Übertragung des Gottesnamens auf den Gekreuzigten bleibt singulär. An den übrigen Stellen der frühchristlichen Literatur ist es der Sohn, der den Namen des Vaters erhält (Joh 17,11 f.; EvPhil 12a–b [NHC II,3 54,5–13]; EvVer [NHC I,3/XII,2 38 f.]). In der jüdischen Mystik haben Engel nicht nur theophore Namen, sie sind auch Träger und Wächter des Gottesnamens (Ex 23,20 f.; 1Hen 69,14; ApkAbr 10,4; → Exk. 9.8d). Auf Melchisedek wird im Midrasch (11Q13 ii 9 f.) und im 3. Henochbuch (3Hen 12 = Sefer Hekhalot § 15) der Name El bzw. sogar das Tetragramm übertragen (→ Exk. 9.8.a). Die Übertragung des höchsten himmlischen Namens, sei es El oder das Tetragramm, ist also nicht unbedingt ein einmaliges Christusprädikat, sondern erst einmal der Ausdruck höchster Ehrenstellung unter den Himmlischen (Eph 1,20 f.; Hebr 1,4; Holloway, K.). Es gibt jüdische Wurzeln früher christologischer Vorstellungen. Innerhalb der frühjüdisch-mystisch-apokalyptischen Texte (→ Exk. 9.8) fällt die Thronraumszene in Phil 2,9–11 allerdings insgesamt knapp aus. Zugleich wird nirgendwo sonst der Akt der Übertragung des Gottesnamens so direkt und ausführlich geschildert. 10 … ἵνα ἐν τῷ ὀνόματι Ἰησοῦ πᾶν γόνυ κάμψῃ ἐπουρανίων καὶ ἐπιγείων καὶ καταχθονίων … Die Funktion des geschenkten Gottesnamens wird im folgenden Finalsatz (ἵνα) enthüllt, dessen Struktur ein Zitat aus Jes 45,23b prägt (vgl. auch Röm 14,11). Im Zentrum der Botschaft Deuterojesajas steht die universale Anerkennung von Gottes Alleinherrschaft. Jes 45,22 f. lautet: „Ich bin Gott und es gibt keinen anderen. Bei mir selbst schwöre ich, meine Worte werden nicht zurückkehren, denn vor mir wird jedes Knie sich beugen (ὅτι ἐμοὶ κάμψει πᾶν γόνυ) und jede Zunge wird sich zu Gott bekennen (ἐξομολογήσεται πᾶσα γλῶσσα τῷ θεῷ).“ Die Aufnahme von Jes 45,23b in den Zeilen 10a/b.11a ist durch zwei Einschübe ergänzt: Erstens steht anstelle des ἐμοί „(vor) mir“ „im Namen Jesu“. Zum ersten Mal wird hier der Besungene mit seinem Namen benannt. Der Genitiv Ἰησοῦ kann entweder als Genitiv der Zugehörigkeit aufgefasst werden: „der Name, den Jesus besitzt oder trägt“ (Vollenweider, Name 81 f.; B/D/R § 162) – der „Name über allen Namen“ ist dann der Ehrenname ‚Jesus‘ (Schottroff* 91 f.) – oder als genitivus appositivus: „im Namen Jesus“ (B/D/R § 167.2). Dann wird der zufällig-historische Name eines Menschen, Jesus, mit der Umschreibung des Gottesnamens im Tetragramm identifiziert. Damit ist in Fortführung von V. 8 die provokative Integration eines historisch einmaligen und endlichen Menschen in den Himmel nochmals hervorgehoben (Georgi* 288 f.; Gnilka, K.). Der zweite Einschub konkretisiert „jedes Knie“. Das Beugen der Knie (κάμπτω γόνυ) ist in der Antike eine Körpergeste der Bitte, Anbetung und Unterwerfung (Schlier, ThWNT I 738–740; III 599; Nützel, EWNT I 621 f.). Anders als in Röm 14,11 bezieht sich der Akt der Anbetung auf die folgenden drei Gruppen: Die ἐπουράνιοι sind „im Himmel befindliche Wesen“ oder „Engel“, die ἐπίγειοι „die der Erde Angehörenden“ können Menschen oder Mächte meinen und καταχθόνιος, von κατὰ χθονός „unter der Erde“ könnte verstorbene Menschen oder freundliche bzw. feindliche Unterweltsmächte oder Unterweltsgötter bezeichnen. Dabei ist κατα176
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χθόνιος vor dem Philipperbrief ausschließlich in der Bedeutung „Unterweltgöttinnen und -götter“ belegt (Sasse, ThWNT III 634 f.). In einem Zauberpapyrus wird ein Geist beschworen: „Sprich du, wer immer du bist, sei es ein himmlisches oder ein Luftwesen, sei es ein irdisches, sei es eins von unter der Erde oder ein Unterirdisches (καὶ σὺ λάλησον, ὁποῖον ἐὰν ᾖς, ἐπουράνιον ἢ ἀέριον εἴτε ἐπίγειον εἴτε ὑπόγειον ἢ καταχθόνιον; Pap.Graec.Mag. I 170.3041 f.; Deissmann, LO 217–225 [222,3042–3045]; Dibelius, HNT 79). Man kann die drei als „Geistermächte“, also die „eigentlichen Repräsentanten des Kosmos“ interpretieren, die hier den Triumph Christi akklamieren (Käsemann* 86 f.; Gnilka, K. 128). Aber die Mächte sind nicht feindlich, sondern Wesen aus drei Stockwerken und sie repräsentieren die Gesamtheit aller Geschaffenen (Ex 20,4; Apk 5,13; IgnTrall 9,1). Andersherum ist aber auch die Eingrenzung auf „Engel im Himmel, die Lebenden auf der Erde und die Toten in der Unterwelt“ zu eng (Hofius* 129). Es geht vielmehr um eine umfassende Universalität von Menschen, Engeln und Mächten (U. B. Müller* 39; U. B. Müller, K. 110; Walter, K.; Schwindt* 38 f.). Wie in Apk 5,3–13 feiert der Hymnus die Rechtfertigung eines gerechten Märtyrers (Peerbolte*). In der Anbetung und folgenden Akklamation wird dabei eine Einheit von Himmel, Erde und Unterwelt hergestellt (Georgi* 290). 11 καὶ πᾶσα γλῶσσα ἐξομολογήσηται ὅτι κύριος Ἰησοῦς Χριστὸς εἰς δόξαν θεοῦ πατρός. Der Vers führt das Zitat aus Jes 45,23b fort. Die griechische Bibel prägt für ἐξομολογέω „offen eingestehen, anerkennen, bekennen“ die Bedeutung „lobpreisen“ (Michel, ThWNT V 204). Die Septuaginta formuliert in Jes 45,23b allerdings im Futur. Entsprechend lesen die Majuskeln A, C, D, F*, G, K, L, P, Ψvid, 075, 0278, die Minuskeln 6, 33, 81, 104, 365, 630*, 1175, 1241, 1505, 1739, 1881, 2464 sowie eine Version des Irenäustextes: ἐξομολογήσεται. Den weiterhin von ἵνα in V. 10 abhängigen Konjunktiv bieten die älteren Zeugen (�46, �, B u. a.). � ist an dieser Stelle gespalten. Mit dem Konjunktiv ist die Frage, wann Jesus als „Herr“ akklamiert wird, grammatisch nicht geklärt. Engel, irdische und unterirdische Mächte preisen mit einem der ältesten Bekenntnisse des entstehenden Christentums: „Kyrios Jesus Christus“ (2Kor 4,5; Röm 1,4; 1Kor 8,6 u. ö.). Wenige Handschriften, mit Variation eine Korrektur von A sowie F, G, 1505*, die altlateinischen Handschriften b und g, je ein Vulgata- und ein sahidisch-koptisches Manuskript sowie ein Teil der lateinischen Origenesüberlieferung, lesen die Kurzform aus Röm 10,9 und 1Kor 12,3: κύριος Ἰησοῦς, die Majuskel K liest: Χριστὸς κύριος „Christus ist der Herr“. Auch in der gegenwärtigen Auslegung ist die Frage umstritten, ob die Akklamation des Kyrios Jesus Christus bereits mit Auferstehung – hier Erhöhung – geschah oder ob das universale Bekennen durch alle Mächte noch aussteht. Für die Endzeit verheißen 1Hen 48,5 und 61,9–13, dass der Menschensohn durch alle Erdenbewohnerinnen und -bewohner gepriesen wird, und die universale Akklamation des „Herrn der Geister“ durch den ganzen himmlischen Hofstaat (Michel, ThWNT V 206; → Exk. 9.8a). Nach 1Kor 15,24–28 steht die Unterwerfung der Mächte noch aus. Auch → 3,10 f. und → 3,20 f. bleiben futurisch ausgerichtet. Daher votieren viele Auslegungen für eine futurische Interpretation des Finalsatzes. Damit stünde auch die universale Akklamation des Kyrios Jesus Christus durch die Mächte noch aus (Hofius* 34; U. B. Müller, K.; Walter, K. 61; Baumert, K. 303; Schwindt* 42).
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Allerdings sind Erhöhung, Namensübertragung, Huldigung und Akklamation ein geschlossener Ritus und Rechtsakt. Es gibt kein Indiz für eine zeitliche Differenzierung (Käsemann* 82–90; Gnilka, K. 128). Entsprechend dem Mythos vom im Himmel bereits gewonnenen eschatologischen Endkampf aus Apk 12,7–10, der am Beginn der einbrechenden Gottesherrschaft steht, blickt der Hymnus auf die Akklamation Jesu als Herrn durch die Mächte zurück. Der Hymnus enthält damit die Zeitansage, dass die Endzeit mit der Erhöhung Christi begonnen hat. Alle himmlischen, irdischen und unterirdischen Mächte stimmen bereits jetzt in das Bekenntnis der Gemeinde, dass der am Kreuz gestorbene historische Mensch Jesus Gottes Kyrios und Gesalbter ist, mit ein. Anders gesagt, schon jetzt hat Gott diesem Jesus sein regierendes und erhaltendes Handeln übertragen (1Kor 8,6). Die Herrschaft des Erhöhten gilt bereits in der Gegenwart nicht allein seiner Gemeinde, sondern der ganzen Welt (Gnilka, K.; N. V. Wiles* 184). Eine Reihe von Auslegungen lesen diese Akklamation in Konkurrenz zum Kyrios Caesar (Oakes* 147– 174; Nebreda* 316–329; Wojtkowiak* 110–112; Conrad* 320–355). Aber ein Machtvergleich zwischen Christus und Caesar findet nicht statt. Vielmehr schenkt Gott dem bis zum Tod historisch einmaligen Menschen Jesus eine Gemeinschaft, die in der Übertragung von Ehre und Namen gipfelt. Die Akklamation des Gekreuzigten als Kyrios verwandelt nicht nur die Welt und die Zeit, sondern auch den Himmel selbst (Standhartinger, Theologie 374). Die Akklamation des Kyrios Jesus Christus könnte Höhepunkt und Abschluss des Liedes sein, aber es folgt noch die Schlussdoxologie: „zum Lobe Gottes des Vaters“. Grammatisch kann man die präpositionale Wendung als locker angeschlossenen Abschluss des Hymnus, als Ergänzung zu ἐξομολογήσηται „bekennen“ in Z. 11a oder als Erweiterung der Akklamation in Z. 11b, verstehen. Manche lesen auch diese Zeile als paulinischen Zusatz, da sie über den Höhepunkt hinaus nachklappe (Jeremias* 275; Gnilka, K.; Söding* 113 f.; U. B. Müller, K.; vgl. 1Kor 10,31; Röm 15,7; → 1,11). Wer die Zeile als Erweiterung der Kyriosakklamation versteht, erhält eine Aussage über das Verhältnis der „unvergleichliche(n) Würde Jesu“ und der Einzigartigkeit Gottes. Der Text könne als „‚Leitfossil‘ des schon früh im 1. Jahrhundert n. Chr. sich herausbildenden christologischen Monotheismus identifiziert“ werden (Vollenweider, Name 83; Wojtkowiak* 106–108). Aber ontologische Spekulationen zum Verhältnis von Gott und Christus sind hier nirgends im Blick und sie übergehen auch die differenzierten Ehrennamen im Thronraum in der jüdischen Mystik (→ Exk. 9.8). Soll die Doxologie nicht eine inhaltsleere Formel bleiben, sind die einzig möglichen Sprecherinnen und Sprecher die in Z. 10c genannten universalen Mächte. Die Anerkennung der Ehre des Vaters hängt also von ἐξομολογήσηται in Z. 11a ab. Die Poetinnen oder Poeten des Liedes könnten von Jes 45,24 angeregt worden sein, wo diejenigen, die die Knie beugen werden, auch Gottes δικαιοσύνη καὶ δόξα „Gerechtigkeit und Ehre“ akklamieren. ‚Vater‘ ist hier wie in 1Kor 8,6 absolut gebraucht (weitere Möglichkeiten: E. Lohmeyer, K. 97 f.). Das Bekenntnis der Mächte, dass ausgerechnet der Gekreuzigte zum Herrn erhöht wurde und den Gottesnamen erhielt, ruft also zugleich das Gotteslob und Bekenntnis zu Gott, dem Vater, hervor und setzt damit Gott ins Recht.
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Mit gehobener Prosa und dem Parallelismus der Zeilen rezipiert Phil 2,6–11 Struktur und Gattung der biblischen Psalmen. Wie diese kann der Text von den Zeitgenossen als ‚Hymnus‘ bezeichnet werden. Wie viele antike Hymnen bietet er eine Zusammenfassung der wichtigsten Stationen des Christus-Mythos (Söding*). Abgesehen von Kreuzestod und Schlussdoxologie in den Zeilen 8c und 11c bleiben die Formulierungen und die theologischen Zuspitzungen einzigartig innerhalb der paulinischen Theologie. Es ist daher unwahrscheinlich, dass Paulus diesen Christuspsalm oder Hymnus geprägt hat. Vermutlich hat er ihn aus Damaskus, Jerusalem oder Antiochia nach Philippi mitgebracht. Die entwickelte hohe Christologie mit ihrer breiten Rezeption jüdischer, griechischer und römischer Traditionen spricht für eine Entstehung in von jüdischer Weisheit und Mystik inspirierten theologischen Kreisen. Anklänge an die Traditionen der Vergöttlichung sich durch Leistung und Tugenden auszeichnender Menschen inklusive Kaiser lassen allerdings auf eine besondere Aktualität des Hymnus im römisch besetzten griechischen Osten, keineswegs nur in Philippi, schließen. Dabei überkreuzen sich in dieser frühen christologischen Tradition mindestens drei theologische Gedanken: Die Zeilen 6a–b und 7b–d reflektieren zum einen das „Eingehen“ der Weisheit in ausgewählte Gerechte (SapSal 7,27; 10,14) und zum andern die Metamorphose von Göttern in Menschengestalt. Die Integrität der ursprünglichen göttlichen Gestalt bleibt in diesen beiden Traditionen bestehen. Die Zeilen 7a und 8a–c überschreiten dies und interpretieren die Selbstentäußerung als Selbstentleerung von einer göttlichen Gestalt, die der Besungene einstmals hatte. Die drei Verbalhandlungen aus Z. 7a und den Zeilen 8a–b, ἑαυτὸν ἐκένωσεν „er entleerte/entäußerte sich selbst“, ἐταπείνωσεν ἑαυτόν „er erniedrigte sich selbst“ und γενόμενος ὑπήκοος μέχρι θανάτου „wurde gehorsam bis zum Tod“, beschreiben also nicht allein einen Gestaltwandel oder einen Statusverzicht, sondern die gänzliche Preisgabe des göttlichen Selbst. Auffällig ist, dass dieser Identitätsverlust weder eine soteriologische Funktion im Sinne eines „für uns“ erhält noch als Leistung beschrieben ist, die nach griechisch-römischer Tradition die Erhöhung eines verdienten Menschen begründen könnte. Betont sind allein die Einsetzung des einmaligen Menschen Jesus an die höchste Stelle unter die Himmlischen und seine Akklamation durch alle Mächte. Und obgleich die in den Versen 9–11 geschilderte Stellung des Besungenen die aus V. 6 übersteigt, ist, wie spätestens Z. 11c zeigt, der Monotheismus nicht infrage gestellt. Vielmehr ist die Aufteilung der göttlichen Herrschaftsaufgaben und Namen in jüdischer Weisheitstheologie und Mystik vorbereitet worden (→ Exk. 9.6+8). Nichts spricht dafür, dass Inthronisation, Namensübertragung und/oder universale Akklamation erst in der Zukunft stattfinden sollen. Der Hymnus blickt auf die Integration des gekreuzigten Jesus von Nazareth in den Himmel zurück. Dies gibt auch wichtige Hinweise für die Funktion des Hymnus im Kontext. Die zwei bisher in der Forschung vertretenen Thesen kann man schlagwortartig mit den Stichworten „soteriologisch/kerygmatisch“ und „ethisch/paradigmatisch“ zusammenfassen. Anders formuliert geht es um die Frage, ob Christus hier „Urbild“ oder „Vorbild“ ist (Käsemann* 81; E.-M. Becker, Demut 97; → 2,9). Der Hymnus ist durch V. 5 in die voranstehende Eintrachtsparänese 1,27–2,4 eingebunden. Auch die nächsten beiden Verse 12 f. sowie Paulus’ Antrag zur Ehrung des verdienten Epaphroditus in → 2,25–30 nehmen Motive und Begriffe aus dem Hymnus auf. Als Stichwortaufnah179
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men werden genannt: ἡγέομαι (2,3/Z. 6b); μηδὲ κατὰ κενοδοξίαν/κενόω (2,3/ Z. 7a); ταπεινοφροσύνη/ταπεινόω (2,3/Z. 8a); μὴ τὰ ἑαυτῶν ἕκαστος σκοποῦντες/ἐταπείνωσεν ἑαυτόν (2,4/Z. 8a); γενόμενος ὑπήκοος/ὑπακούω (2,12/Z. 8b); μέχρι θανάτου (2,30/Z. 8b) und χαρίζομαι/τὸ ὑπέρ (1,29/Z. 9b–c; Wojtkowiak* 134 f.). Nicht alle Wortanklänge leuchten jedoch gleichermaßen inhaltlich ein. Wenig aussagekräftig, weil zu allgemein und in der Aussage im Kontext inhaltlich stark unterschieden, sind: ἡγέομαι „meinen, glauben, halten für“, die Vorsilbe κεν- „leer“ und τὸ ὑπέρ χαρίζομαι „darüber hinaus geschenkt erhalten“. Die stärksten Beziehungen bestehen zwischen 2,8 und 2,12.30. Der Kreuzestod an sich kann kein vorbildliches Handeln repräsentieren. Und auch Gottgleichheit kann schwerlich imitiert werden. Daher möchten die meisten, die eine ethische Funktion des Hymnus annehmen, lieber von Christuskonformität sprechen (Merk* 183; Schrage, Ethik 217). Ein weiterer Vorschlag beschreibt das Verhältnis als „metaphorische Hermeneutik“, die die Erfahrung Christi und die der Philipper und Philipperinnen aneinander angleiche (Kraftchick*). Wer annimmt, dass sich der Gottgleiche nicht seiner Identität entäußert, kann eine mimetische Performanz des Besungenen entdecken, der Menschengestalt nachahmt (Eastman*). Tatsächlich fallen Begriffe aus der Theaterwelt in den Zeilen 7b–d auf. Die meisten derzeitigen Auslegungen entdecken in Christus ein Mastermodell, das von Paulus in Kapitel 3, Timotheus und Epaphroditus in Kapitel 2 und möglicherweise auch von Euodia und Syntyche (→ 4,2 f.) in verkörperter Form imitiert wird oder werden soll (Meeks*; Fowl*; Oakes* 189 f.; Hellerman* 130; Smit* u. a.). Eine Analogie zum Vorbildcharakter des Kaisers wurde ebenfalls entdeckt (Conrad* 258–272). In dieser Auslegungstradition formuliert der Hymnus die Aufforderung, sich wie Christus selbst zu erniedrigen (E.-M. Becker, Mimetische Ethik). Die Verse 9–11 bilden dann allerdings einen „sachlichen Überhang“ (Dibelius, HNT 80). Diesen Versen kommt, wenn überhaupt, dann die Funktion einer Verheißung der zu erwartenden Belohnung für Erniedrigungsleistungen zu (U. B. Müller*; Brucker* 314 f.). Ernst Käsemann hat dieser ethischen Interpretation des Hymnus vehement widersprochen: „Der Anthropos bleibt himmlisches Wesen und kann darum gar nicht zum Vorbild werden. Er offenbart Gehorsam, aber er macht ihn nicht zur Imitation vor“ (Käsemann* 81). Für Käsemann beschreibt der Hymnus den Indikativ der Heilstat, aus dem sich der Imperativ christlichen Verhaltens ableite (Käsemann* 91; Merk* 182; R. P. Martin, Hymn 294–296; 309–311). Wojtkowiak* hat dies jüngst moderner als ‚Transformation‘ und ‚Partizipation‘ gefasst (136). Der Hymnus begründe an keiner Stelle die Ermahnungen im Kontext, Christus werde jedoch als Vorbild zum Maßstab der Orientierung (Wojtkowiak* 168–230; 293–299). Der Einspruch gegen die Interpretation des Hymnus als Urbild des Gehorsams ist gewichtig, geht aber meines Erachtens noch nicht weit genug. Denn weder in Phil 1,27–2,4 noch in Phil 2,12–30, und auch nicht in Phil 3 f. wird auf ein Beispiel Christi oder das im Hymnus Beschriebene verwiesen. Dies bleibt die entscheidende Differenz zu den beiden häufig als Analogien genannten Stellen 2Kor 8,9 und Röm 15,3.7 f. Dort ist Christus Vorbild für den Gabenaustausch, für das Leben nicht-für-sich-allein, sondern im Hinblick auf die anderen und des Einander-Annehmens. Im Philipperbrief fehlt der Analogieschluss: „wie auch der Christus“ (Röm 15,7). Paulus kann also Chris180
Der Christushymnus
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ti Handeln in die Ethik übertragen, aber er unterlässt die Übertragung in Bezug auf Phil 2,6–11. Bei dieser Auslassung geht es um mehr als um die Betonung der Einzigartigkeit des Christusgeschehens (so Blumenthal* 116–123). Der Hymnus schildert kein vorbildhaftes, paradigmatisches Handeln, sondern er vergegenwärtigt das Heilsereignis, das die Welt, Zeit und Gemeinde grundlegend verändert hat und prägt. Wenn der Hymnus rezitiert oder gesungen wird, so stimmen die Sprechenden in die Akklamation des „Jesus Christus ist Kyrios“ ein und etablieren dabei zugleich seine Herrschaft (Michaelis, K.; N. V. Wiles* 184). Liturgiegeschichtlich ist die Vorstellung der Akklamation und der anschließenden Doxologie als Refrain und Antwort der Mitsingenden plausibel (Gamber* 374 f.; Minear*; Cuvillier*). Der Hymnus ist also vor allem eine Zeitansage. Wer immer ihn liest – und das heißt in der Antike immer auch: aufführt –, akklamiert zusammen mit den Irdischen, Unterirdischen und Himmlischen den „Herrschaftswechsel“ (Käsemann* 93; N. V. Wiles* 186). Vergegenwärtigt werden Gottes Selbstoffenbarung in der Geschichte und die „pneumatische Herrschaft, die der auferweckte und erhöhte Gekreuzigte als Kyrios bereits gegenwärtig über die Gemeinde ausübt“ (Söding* 128; Nebreda* 339). Paulus zitiert den in Philippi längst bekannten Text, um die Gemeinde an diese ihre Wirklichkeit zu erinnern (→ 2,5). Im Kontext vergegenwärtigt der Hymnus die von Gott zu erzählende Geschichte – den Mythos – und ruft diese Wirklichkeit herbei. Bei jeder Aufführung des Hymnus, sei es durch die den Brief Vorlesenden, sei es im gemeinschaftlichen Bekenntnis, Gebet, Gesang und Tanz, stimmt die Gemeinde mit allen Mächten in die Akklamation dieser Wirklichkeit ein. In den direkt anschließenden Versen (→ 2,12–18) wird Paulus zeigen, wie die im Hymnus besungene Wirklichkeit das Handeln von Welt, Gemeinde und Himmel schon jetzt bestimmt. Entsprechend dem für die Welt geöffneten Himmel, den der Hymnus besingt, ist die Gemeinde im Hier und Jetzt die Stellvertreterin und Mitwirkende Gottes in der und für die Welt. Seit Beginn der Auslegung ist der Philipperhymnus theologisch provokativ. Bereits im 3. und 4. Jahrhundert n. Chr. sind sowohl das soteriologische als auch das ethische Interpretationsmodell bekannt. Die zur Nag-Hammadi-Bibliothek gehörende Schrift „Die Auslegung der Erkenntnis“ interpretiert die Erniedrigung und Erhöhung Christi in Phil 2,6–11 soteriologisch: Der Erlöser ‚wird klein‘ und erniedrigt sich, um die Seele aus der Welt in die große Höhe hinaufzuführen und zu erhöhen (Inter [NHC XI,1 10,27–38; 12,15–38]; Lüdemann/Janßen* 494–501). Dagegen ahmen Märtyrerinnen und Märtyrer die sich erniedrigende und demütigende Haltung nach Phil 2,6–8 nach und verweigern und verbergen die ihnen eigentlich zustehende Ehre (Mart Lyon 2 [Eus Hist Eccl 5.2,2–5/Musurillo 82 f.]; Ep Phileas [Eus Hist Eccl 8.10,2–4/Musurillo 321 f.; vgl. auch Musurillo 321–353]). Einige Auslegungen der Gegenwart kritisieren den Hymnus dafür, dass er Selbsterniedrigung und Gehorsam zum Ideal erkläre und damit verhindere, dass Menschen sich aus menschengemachten Unterdrückungsverhältnissen befreien (Marchal*). Manche finden sogar ein Männlichkeitsideal der freiwilligen Selbstkontrolle und Selbstbeherrschung, die zur Weltherrschaft führen soll (Weidemann*). Einige Menschen aus dem globalen Süden entdecken dagegen einen entscheidenden Unterschied zwischen der Aufforderung zum Gehorsam durch Mächtige und der in V. 8 beschriebenen freiwilligen Akzeptanz, die letzte Konsequenz eines Lebens in der und für die Welt zu 181
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Politik für das Evangelium
tragen. Für sie geht es um Gottes solidarisches Ja zu den vielen gekreuzigten Leidenden in der Welt (Tamez, K. 72–78).
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Daher, meine Geliebten, wie ihr stets gehorsam wart, nicht allein in meiner Anwesenheit, sondern jetzt noch viel mehr, während meiner Abwesenheit, schafft eure Rettung mit Furcht und Zittern! 13 Denn Gott ist es, der in euch wirkt sowohl das Wollen als auch das Wirken über (euren) guten Willen hinaus. 14 Unternehmt alles ohne Murren und (ängstliche) Gedanken, 15 damit ihr unbescholten und unversehrt seid, Gotteskinder ohne Fehl inmitten eines verirrten und verdrehten Geschlechts, unter denen ihr leuchtet wie die Sterne im Kosmos; 16 und haltet fest am Wort des Lebens, mir zum Ruhm am Tag Christi, dass ich nicht vergebens gelaufen bin und mich vergebens gemüht habe. 17 Ja, sogar wenn ich als Trankspende ausgegossen werde beim Opfer und im Dienst eures Vertrauens, freue ich mich und freue mich mit euch allen. 18 Ebenso freut euch auch ihr und freut euch mit mir!
David M. Allen, ‚Paul Donning Mosaic Garb?‘ The Use of Deuteronomy 32 in Philippians 2:12– 18, European Journal of Theology 26 (2017), 135–143. – Arnold, Christ as the Telos 179–184. – Horst R. Balz, Furcht vor Gott? Überlegungen zu einem vergessenen Motiv biblischer Theologie, EvTh 29 (1969), 626–644. – Christian Bechtold, Gott und Gestirn als Präsenzformen des toten Kaisers, 2011. – H. D. Betz, Apostel Paulus. – Blumenthal, „… sondern auch das der anderen“. – Günther Bornkamm, Der Lohngedanke im Neuen Testament, in: ders., Studien zu Antike und Urchristentum, BEvTh 53, 1959, 69–92. – Brändl, Agon bei Paulus 248–288. – Dickson, Mission-Commitment 107–114. – Georg Eichholz, Bewahren und Bewähren des Evangeliums. Der Leitfaden von Philipper 1–2, in: Ders., Tradition und Interpretation. Studien zum Neuen Testament und zur Hermeneutik, 1965, 138–168. – Heinz Giesen, „Furcht und Zittern“ – vor Gott? Zu Philipper 2,12, ThG(B) 31 (1988), 86–94. – Otto Glombitza, Mit Furcht und Zittern. Zum Verständnis von Philip. II 12, NT 3 (1959), 100–106. – Holloway, Consolation. – Kittredge, Community and Authority. – David McAuley, Paul’s Convert Use of Scripture. Intertextuality and Rhetorical Situation in Philippians 2:10–16, 2015. – Merk, Handeln aus Glauben 183–187. – Peter Oakes, Quelle devrait être l’influence des échos intertextuels sur la traduction? Le cas de l’Épître aux Philippiens (2,15–16), in: Daniel Marguerat/Adrian H. W. Curtis (Hg.), Intertextualités. La Bible en échos, 2000, 251–287. – Öhler, Theologie des Alten Testaments. – Jane L. Patterson, Keeping the Feast. Metaphors of Sacrifice in 1 Corinthians and Philippians, 2015. – Sigfred Pedersen, „Mit Furcht und Zittern“ (Phil. 2,12–13), StTh 32 (1978), 1– 31. – Poplutz, Athlet des Evangeliums 303–313. – Vern S. Poythress, „Hold fast“ Versus „Hold Out“ in Philippians 2:16, Westminster Theological Journal 64,1 (2002), 45–53. – Eckart Reinmuth, ‚Nicht vergeblich‘ bei Paulus und Pseudo-Philo, Liber Antiquitatum Biblicarum, NT 33 (1991), 97–123. – Schapdick, Eschatisches Heil 178–195. – Smit, Paradigms 95–107. – Standhartinger, Die paulinische Theologie. – Christian Stettler, Das Endgericht bei Paulus. Framesemantische und exegetische Studien zur paulinischen Eschatologie und Soteriologie, WUNT 371, 2017, 274–276. – Martin Vahrenhorst, Kultische Sprache in den Paulusbriefen, WUNT 230, 2008, 231–238. – Ware, Mission of the Church 237–285. – Wojtkowiak, Christologie und Ethik
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Was jetzt zu tun ist
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158–166. – Korinna Zamfir, The Departing Paul. Some Reflections on the Meaning of Spendomai and its Early Christian Reception, EThL 93 (2017), 74–94.
In Auswertung des himmlischen Dramas mit seiner Zeitansage, welche die zweite Strophe des Hymnus entfaltet, nimmt Paulus die jetzt unmittelbar vor der Gemeinde und ihm selbst stehenden Aufgaben in den Blick. Der Abschnitt schließt also die seit 1,27 entfaltete Politik des Evangeliums ab. V. 12 fährt nach der Schlussdoxologie des Hymnus mit einer schlussfolgernden Konjunktion fort. In V. 19 beginnt die Mitteilung von Reiseplänen, was dem Abschnitt eine klare Abgrenzung verleiht. Die Imperative setzen die in → 1,27 begonnene Reihe der Vorschläge für das politische Leben im Evangelium fort. Die Themen σωτηρία „Rettung, Heil“, ‚Außenwelt‘ und ‚Freude‘ bilden dabei Inklusionen (1,28; 2,2; 2,12 f.15.17). Anders als 1,27–30 und 2,1–4 enthält der relativ kurze Abschnitt jedoch vier Imperative und in den Versen 12 f., 14–16 und 17 f. drei eigenständige Bildfelder: „Rettung und Heil“ (V. 12 f.), ‚Wüstenwanderung‘ (V. 14– 16) und ‚Opferkult‘ (V. 17 f.). Der schnelle Bildwechsel wirkt fast gehetzt. Eine Reihe von Auslegungen teilen in mehrere Unterabschnitte (z. B. E. Lohmeyer, K.; Gnilka, K.; Baumert, K.; Holloway, K.). Andere ordnen alles V. 12 als einheitlicher Ermahnung zu moralischem Fortschritt unter (Arnold*). Trotz der vier Imperative (V. 12.14.18 [bis]) macht sich Paulus auch selbst zum Thema (V. 12.16 f.). Seine Stimmung changiert zwischen vollmächtigem Lob der Gemeinde (V. 12), dem Eingeständnis, dass der Erfolg seines Lebenswerks von der Gemeinde abhängt (V. 16), und dem Bekenntnis, dass sein Leben am seidenen Faden hängt (V. 17). Paulus scheint noch hastig zusammenzustellen, was in der verbleibenden knappen Zeit unbedingt gesagt werden muss (H. D. Betz* 34–36; G. Barth, K.). Die beiden direkt auf den Hymnus folgenden Verse formulieren eine theologische Provokation. V. 12 behauptet ‚werkgerecht‘, Menschen könnten ihr Heil selbst erarbeiten. V. 13 scheint dagegen umgekehrt den freien Willen zu negieren und Menschen allein als Gefäße göttlichen Wirkens aufzufassen. Einzig die kleine Konjunktion „denn“ verbindet die beiden Aussagen, ein „Denn“, das das „Deshalb“ aus dem Hymnus spiegelt (V. 9.13). Wie Gott den gekreuzigten Jesus in den Himmel erhöht hat, so wirkt Gott bei den sich ganz und gar auf die Welt einlassenden Philipperinnen und Philippern über Wirken und Wollen hinaus. Das „Denn“ ordnet das Welthandeln der Gemeinde dem Wirken und Wollen Gottes zu. Die Gemeinde ist damit Ort der Offenbarung von Gottes Wirken in der Welt. Deshalb nennt Paulus die Philipperinnen und Philipper auch ‚Leuchtsterne im Kosmos‘ (V. 15). Allerdings gilt es unterwegs nicht den Mut zu verlieren und, wie manche aus der Wüstengeneration Israels, umkehren zu wollen (V. 14 f.). Indem die Gemeinde am „Wort des Lebens“ festhält und es darbietet, verhilft sie Paulus’ Lebenswerk zum Erfolg (V. 16). Umgekehrt versichert Paulus, dass eine mögliche Hinrichtung kein Scheitern ihrer gemeinsam verantworteten Bemühungen um das Evangelium bedeutet. Vielmehr trägt er sich und ihren Dienst als Opfergabe vor Gott. Dieser ‚Opferkult‘ führt in gemeinsam geteilte Freude als Zeichen der Gegenwart Gottes (V. 17 f.). 12 Ὥστε, ἀγαπητοί μου, καθὼς πάντοτε ὑπηκούσατε, μὴ ὡς ἐν τῇ παρουσίᾳ μου μόνον ἀλλὰ νῦν πολλῷ μᾶλλον ἐν τῇ ἀπουσίᾳ μου, μετὰ φόβου καὶ τρόμου τὴν ἑαυτῶν σωτηρίαν κατεργάζεσθε. Im Anschluss an die Schlussdoxologie mar183
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Politik für das Evangelium
kiert die Anrede „meine Geliebten“ einen Neueinsatz (1,12; 3,1; 4,1). Eingeleitet mit der folgernden Konjunktion ὥστε „deshalb, daher, also“ erwartet man einen „praktischen Kommentar“ zum Hymnus (Merk* 183; B/D/R § 391.2). Zitiert wird das ὑπήκοος „gehorsam“ aus V. 8. Darüber hinaus spiegeln V. 12 und 13 die Struktur des Hymnus. Die mit der korrelierenden Konjunktion καθώς „da ja, wie“ (1,7) eingeleitete Parenthese erinnert noch einmal an die schmerzlich empfundene Trennung (→ 1,25.27). Die Gegenüberstellung von παρουσία „Anwesenheit, Ankunft“ und ἀπουσία „Abwesenheit“ zitiert das ἀπών-παρών-Schema der antiken Briefsprache (Koskenniemi, Studien 175 f.; Thraede, Grundzüge 95–106; Arzt-Grabner, 1. Korinther 202 f.). So gratuliert ein Vater seinem Sohn zur Hochzeit: „Wir aber haben uns über die Nachricht, obgleich abwesend, mit der Feststimmung gefreut, als wären wir anwesend gewesen“ (καὶ ἡμεῖς δὲ ἀκοῇ ἀπόντες ὡς παρόντες διαθέσι ηὐφράνθημεν, BGU 4.1080,6–8, 3. Jh. n. Chr.). Paulus verwendet das Schema einige Male (→ 1,27; 1Kor 5,3; 2Kor 10,11; 13,10; vgl. Kol 2,5). Der Brieftopos erklärt die überschießende Wiederholung der Konjunktion ὡς, die von der Majuskel B, den Minuskeln 33, 1241, einigen Vulgatatexten und dem Ambrosiaster gestrichen ist. Nicht dem klassischen Griechisch entspricht auch die Verneinung μή … μόνον statt οὐ … μόνον (vgl. aber Gal 4,18). Die Häufung von Zeitadverbien πάντοτε und νῦν πολλῷ μᾶλλον unterstreicht die dauerhafte Treue der Gemeinde. Der Vers lässt allerdings offen, wem gegenüber die Philipperinnen und Philipper „allezeit“ und „jetzt noch viel mehr“ „gehorsam“ waren und sind. Als Objekt des Gehorsams werden Paulus (Dibelius, HNT; U. B. Müller, K.; Kittredge* 83–86: Wojtkowiak* 158 f.), Gott (Bockmuehl, K.; Baumert, K.) und Christus vorgeschlagen, Letzterer als das Mastermodell, dessen Gehorsam den in Phil 2,9–11 beschriebenen Erfolg garantieren soll (Smit*). Paulus spricht andernorts vom Gehorsam des Glaubens (Röm 1,5), vom Hören auf das Evangelium (Röm 10,16), vom Gehorsam Christi (Röm 5,19; 2Kor 10,5) und davon, dass „Christus durch mich wirkt, um die Völker zum Gehorsam zu bringen“ (κατειργάσατο Χριστὸς δι᾽ ἐμοῦ εἰς ὑπακοὴν ἐθνῶν, Röm 15,18). Anders gesagt: Paulus versteht sich als Medium des Evangeliums, nicht als sein Gegenstand. Das objektlose ὑπακούω „hören auf, gehorchen“ spiegelt das gleichfalls objektlose „gehorsam sein“ des im Hymnus Besungenen (→ 2,8; Standhartinger* 378 f.; Holloway, K.). Dort wie hier steht Gott im weiteren Hintergrund, aber Gehorsam impliziert vor allem Akzeptanz der Bedingungen menschlichen Daseins einschließlich seiner Endlichkeit. Ein inhaltlicher Stein des Anstoßes ist die werkgerecht klingende Aufforderung des Hauptsatzes: „Schafft eure Rettung!“ Auslegungen der zwanziger bis dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts diffamieren den Gedanken als „pharisäisch“ oder als „jüdische Maxime“ (E. Lohmeyer, K. 102; Dibelius, HNT 83). Das Verbum κατεργάζω bezeichnet „sowohl das Bearbeiten und Bewirken, als auch das Vollbringen einer Aufgabe“ (Bertram, ThWNT III 635). Die in der Umwelt „Rettung bewirken“ (σωτηρίαν κατεργάζω), tun dies z. B. durch Beistand in einem Krieg oder Herstellung eines Ausgleichs zwischen Armen und Reichen (Xenoph An 6.2,10; Lykurg bei Plut Solon 16,2). Ob σωτηρία „Rettung, Heil“ (→ 1,28; 3,20 f.) hier gegenwärtig oder endzeitlich gedacht ist, wird nicht geklärt (Osiek, K. 70). Aber im Gegensatz zu einer lutherisch inspirierten Interpretation paulinischer Rechtfertigungslehre fällt auf, dass die 184
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Gemeinde sich anscheinend ihr Heil selbst erarbeiten kann. Der pluralische Bezug ἑαυτῶν von σωτηρία ist ebenfalls einmalig (Gnilka, K.). Dabei kann ἑαυτῶν auf die ganze Gemeinde oder jede und jeden Einzelnen in ihr bezogen sein (Blumenthal* 114–116). Die Septuaginta prägt den Ausdruck φόβος καὶ τρόμος „Furcht und Zittern“ für die Furcht der Feinde gegenüber Gottes Macht (Ex 15,16; Dtn 2,25; 11,25; ψ 2,11; Jes 19,16; Dan 4,37a LXX; 4Makk 4,10) und die Angst vor den Feinden (Gen 9,2; ψ 54,6; Jdt 2,28; 15,2; 1Makk 7,18). Furcht und Zittern ist außerdem die typische und angemessene Reaktion auf eine Gottesbegegnung (1Hen 14,13; 60,3; Mk 16,8). Paulus beschreibt mit dem Ausdruck sein Auftreten in Schwachheit in Korinth (1Kor 2,3) sowie die Reaktion der mit ihm zerstrittenen Gemeinde auf den Besuch des Titus (2Kor 7,15). Der Befund wurde verschieden gedeutet: Glombitza bezieht das μή vom Anfang des Satzes auf den Imperativ und kann daher übersetzen: „… schafft … nicht mit Furcht und Zittern eure Seligkeit“ (Glombitza* 103). Dagegen spricht allerdings die Wortstellung. Für viele ist „mit Furcht und Zittern“ ein Synonym für Gehorsam und damit der Aufruf, vor Gott demütig zu sein (Dibelius, HNT; Eichholz* 158 f.; U. B. Müller, K.; Pedersen* 20). McAuley* entdeckt zusätzlich einen intertextuellen Verweis auf Psalm 2 (178–198). Dagegen wendet Heinz Giesen* meines Erachtens zu Recht ein, dass sowohl die Septuaginta als auch der paulinische Gebrauch an die Angst vor äußeren Feinden und Bedrängnissen denken lässt. Giesen interpretiert als Appell: „vollbringt eure Rettung trotz berechtigter Furcht“. Wäre Paulus das Subjekt von ἐν φόβῳ καὶ τρόμῳ, wäre Giesens Interpretation noch überzeugender. Aber mit anderen betont er zu Recht, dass es nicht um individuelles Erschaudern, sondern um die gemeinschaftliche Reaktion auf Gottes heilvolle Anwesenheit geht (Balz*; Balz, EWNT III 1036 f.; Gnilka, K.). Weil die Gemeinde sich wie der im Hymnus Besungene gehorsam gegenüber den Umständen und Begrenzungen des Daseins verhält, ist sie befähigt, gemeinsam inmitten einer mit „Furcht und Zittern“ erlebten Gegenwart Gottes ihr Heil zu erarbeiten – allezeit und jetzt, während der Abwesenheit ihres Missionars, noch viel mehr. 13 θεὸς γάρ ἐστιν ὁ ἐνεργῶν ἐν ὑμῖν καὶ τὸ θέλειν καὶ τὸ ἐνεργεῖν ὑπὲρ τῆς εὐδοκίας. Begründend (γάρ) schließt der Vers eine Aussage über Gottes Wirken an. Ἐνεργέω von ἐν ἔργῳ εἶναι bedeutet intransitiv „am Werk sein, in Tätigkeit sein oder treten“ und transitiv „ins Werk setzen, bewirken“ (Bertram, ThWNT II 649). In den Spätschriften der Septuaginta ist ἐνέργεια Gottes Welterhaltung und sichtbares Zeichen von Gottes Gegenwart (SapSal 7,26; 13,4; 3Makk 5,12.28). Auch für Paulus wirken Gott und Geist in allem und daher auch „in uns“ (1Kor 12,6; Gal 3,5; vgl. 1Kor 12,11; Gal 2,8). Die Majuskeln D1, L, Ψ, 075 und 0278 sowie die Minuskeln 104, 630, 1505, 1739c, 2464 und � lesen ὁ θεός und betonen, dass es sich um den bekannten Gott Israels handelt (B/D/R § 254.1). Die Variante ohne Artikel ist jedoch durch die ältesten Majuskeln �, A, B und viele andere besser bezeugt. Gott wirkt hier umfassend sowohl τὸ θέλειν „das Wollen“ als auch τὸ ἐνεργεῖν „das Wirken“ ὑπὲρ τῆς εὐδοκίας. Subjekt von εὐδοκία „guter Wille, Wohlgefallen“ (→ 1,15) kann Gott, können aber auch die Philipperinnen und Philipper sein; denn ὑπέρ mit Genitiv lässt sich sowohl mit „zum Vorteil von“, mit „um willen/wegen“ als auch mit „über hinaus“ übersetzen 185
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(Passow II/1, 2067 f.). Für Ersteres votiert z. B. Gnilka (K.): „nach (seiner) Huld“ (ähnlich Dibelius, HNT; G. Barth, K.; Bruce, K./O’Brien, K.; U. B. Müller, K.; Bockmuehl, K.), für Letzteres W. Bauer: „über d(en) guten Willen hinaus“ (Wb 646; Walter, K.; Baumert, K.; Hawthorne/Martin, K.; Reumann, K.). Wenn ὑπὲρ τῆς εὐδοκίας aber nicht nur, wie in der ersten Deutung, auf Gottes Huld verweist, sondern Gottes Wirken den guten Willen der Menschen übersteigt, ist jedoch das theologische Problem des Satzes verschärft. Denn wo Gottes Wollen und Wirken das Wollen der Menschen übersteigt, ist der freie Wille begrenzt. Mehr verhüllt als gelöst ist dieses Problem mit der Benennung als „paulinisches Paradox“ (Stettler*). Alles hängt an der Frage, in welches Verhältnis das begründende γάρ die Verse 12 und 13 setzt. Paulus formuliert nämlich nicht – wie es theologisch vielleicht akzeptabler wäre – „(w)eil Gott alles wirkt, darum habt ihr alles zu tun“ (Bornkamm* 91; vgl. Gnilka, K.; U. B. Müller, K. u. a.). Vielmehr formuliert er genau umgekehrt: „Ihr schafft eure Rettung, denn Gott wirkt unter euch darüber hinaus.“ Menschliches und göttliches Wirken geschehen unabhängig in zwei Sphären, lediglich verbunden durch eine begründende Konjunktion. Die Struktur entspricht dem Hymnus. Handelt in 2,6–8 Jesus allein, handelt in 2,9–11 nur noch Gott. Verbunden sind die beiden Handlungssphären mit der begründenden Konjunktion διό (V. 9). Die Selbstentäußerung des sich bis zur äußersten Grenze des Menschseins, dem Tod, erniedrigenden Gottgleichen ist der Grund für Gottes Handeln an ihm. Ebenso ist die Gemeinde in ihrem Wirken der Immanenz unterworfen. Aber sie kann inmitten der dem Gehorsam unterworfenen Welt ihre eigene σωτηρία erschaffen, weil (γάρ) Gott, der Jesu Menschlichkeit in den Himmel integriert hat, mit seinem Wollen und Wirken über sie hinaus wirkt. Gottes ‚Energie‘ im Wollen und Tun der Philipper und Philipperinnen macht die Gemeinde zu einem Ort göttlichen Wirkens in der Welt. 14 Πάντα ποιεῖτε χωρὶς γογγυσμῶν καὶ διαλογισμῶν … Die Aufforderung ποιεῖτε „tut!“ nimmt den letzten Imperativ aus V. 12, κατεργάζεσθε, auf. Es folgt eine mit dem Adverb χωρίς „ohne von etwas Gebrauch zu machen“ formulierte Einschränkung (Bauer, Wb). Man könnte auch „ohne Beschwerden und Debatten“ übersetzen. Zum Verständnis sind jedoch die Anspielungen entscheidend: Γογγύζω, lautmalend „gurren, murren“, wird in der nichtbiblischen Literatur selten für eine allgemeine Beschwerde gegen nicht verwirklichte, vermeintliche Ansprüche oder einen göttlichen Auftrag gebraucht (Epict Diss 1.29,55; 4.1,79; vgl. Mt 20,11). Die Septuaginta prägt das Wort für das Murren der Wüstengeneration gegen Gott, Mose und Aaron angesichts der eingetretenen Krisen auf dem Weg durch die Wüste ins gelobte Land (für לוןNifal und Hifil: Ex 15,24; 16,2.7 f.12; Num 14,27–29; 17,20.25; Dtn 1,27). Einige denken direkt an den Ungehorsam des Volkes gegenüber Mose bei Meriba (D. M. Allen* 137 f.; vgl. Ex 17,1–7; Dtn 32,51 f.). Das Motiv der Wüstenwanderung und ihrer Gefahren ist im Neuen Testament vielerorts präsent (1Kor 10,10 f.; Joh 6,26–51; Hebr 4,1–13 u. ö.). „Ohne Murren“ spielt daher auf Entbehrung, Schmerzen und Verzweiflung an, die auf dem Weg ins ‚gelobte Land‘ zu erleiden und ertragen sind. Διαλογισμός heißt „Erwägung, Überlegung, Gedanke“ und technisch „Abrechnung“ (z. B. Sir 9,15; 13,26; Arist 252; 255; Arzt-Grabner, 1. Korinther 158). Die Lutherbibel 2017 übersetzt allerdings „Zweifel“ (vgl. G. Barth, K.), die Einheitsüber186
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setzung 2016 „Bedenken“ (vgl. E. Lohmeyer, K.; Gnilka, K.; U. B. Müller, K.). Andere Übersetzer schlagen „ängstliches Reflektieren“ (Schrenk, ThWNT II 97), „Klügeleien“ (K. Barth, K.), „dauernde taktische Berechnungen“ (Schenk, K. 220; 226), „langes Hin- und Herreden“ (Walter, K.), „Bedenklichkeit“ (Eckey, K.), „Verhandeln“ und „Räsonieren“ (Baumert, K.) vor. Zu Recht fragen die Auslegungen, warum Paulus das dialogische Überlegen an dieser Stelle negativ wertet. Zwar rezipiert er den skeptischen Gedanken, dass menschliches Denken gegenüber Gottes Weisheit vergeblich bleibt (1Kor 3,20 = ψ 93,11; vgl. Röm 1,21; ψ 39,6; 91,6 f.; 145,4). Absolut gebraucht die Septuaginta διαλογισμός jedoch nirgends mit negativer Wertung (anders nur ψ 55,6: οἱ διαλογισμοὶ αὐτῶν εἰς κακόν „ihre Gedanken zum Bösen“; Sir 33 [36],5; Jes 59,7: διαλογισμοὶ ἀφρόνων „Gedanken der Toren“). Phil 2,14 formuliert offensichtlich verkürzt. Jedenfalls geht es darum, in Angst, Zweifel und leidvollen Entbehrungen durchzuhalten und sich weder an Zweifel noch Streitigkeiten aufzureiben. Holloway* interpretiert dies erneut als Topos der Trostliteratur (124–126). 15 … ἵνα γένησθε ἄμεμπτοι καὶ ἀκέραιοι, τέκνα θεοῦ ἄμωμα μέσον γενεᾶς σκολιᾶς καὶ διεστραμμένης, ἐν οἷς φαίνεσθε ὡς φωστῆρες ἐν κόσμῳ … setzt die Satzperiode final fort (ἵνα). �46, A, D*, F und G lesen ἦτε in Angleichung an → 1,10. Die Lesart γένησθε in �, B und der Mehrheit der übrigen Zeugen nuanciert stärker im Sinne des Zustandekommens eines Resultats (Schenk, K. 220). Die drei folgenden, mit α-privativum negierten Adjektive beschreiben aus drei Perspektiven den vollkommenen Zustand der Gemeinde alias der Kinder Gottes. Ἄμεμπτος, abgeleitet von μέμφομαι „tadeln, schelten, schmähen“, sind Menschen, an denen nichts auszusetzen ist. In der Septuaginta ist vor allem der Gerechte Hiob als herausgehobenes Beispiel zu nennen, aber auch Noah und Israel (Hi 1,1.8; 2,3 u. ö.; SapSal 10,5.15; vgl. 1Thess 3,13; Lk 1,6; Grundmann, ThWNT IV 576–578). Ἀκέραιος ist jemand, die oder der sich „in dem ursprünglichen Zustand von Unversehrtheit, Ganzheit“ befindet (Kittel, ThWNT I 209; Vahrenhorst* 232 f.). Ἄμωμος beschreibt die Fehlerlosigkeit von Opfertieren und sittlich tadellosen Menschen (z. B. SapSal 2,22; Hauck, ThWNT IV 836, vgl. auch Währisch/Haacker, TBLNT 402). Das letzte Adjektiv ἄμωμος ist dabei Ausgangspunkt des folgenden Zitats aus dem Moselied (Dtn 32,1–34). Im Rückblick auf die Auszugsgeschichte formuliert Mose am Ende seines Lebens: „Sie [die Wüstengeneration] sündigten und nicht gehörten sie zu ihm [Gott] als tadelnswerte Kinder, ein verkehrtes und verdrehtes Geschlecht“ (τέκνα μωμητά γενεὰ σκολιὰ καὶ διεστραμμένη, Dtn 32,5 LXX). Der Rückblick ist Warnung und Aufforderung an die Nachgeborenen. Nach Ps 78 ist daher die Tora gegeben, „damit sie nicht würden wie ihre Väter ein verkehrtes Geschlecht und ein ungehorsames Geschlecht“ (ἵνα μὴ γένωνται ὡς οἱ πατέρες αὐτῶν γενεὰ σκολιὰ καὶ παραπικραίνουσα γενεά, ψ 77,8; Oden 2,5). Dtn 32,5 reflektiert die Verirrungen in der Wüste bildlich. Σκολιός heißt eigentlich „krumm“, διαστρέφω „verbiegen“; beides ist in der jüdischen Weisheit bereits ethisch übertragen (Schenk, K. 221 f.). Paulus setzt statt des μωμητής aus Dtn 32,5 das durch α-privativum negierte, aber sonst gleichbedeutende ἄμωμος. Vermutlich in Angleichung an das Zitat lesen die Majuskeln D, F, G, K, L, P, 075 und 0278, die Minuskeln 81, 104, 365, 630, 1175, 1505, 1739, 1881, 2464 und � ἀμώμητα. Außerdem erweitert Paulus die τέκνα „Kinder“ zu τέκνα θεοῦ (vgl. Röm 8,16 f.21; 9,8; Joh 1,12; 11,52; 1Joh 3,1 f.10; 5,2). Schließlich fügt er 187
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Politik für das Evangelium
das Adverb μέσον ein, wodurch das „verkehrte und verdrehte Geschlecht“ sich nicht mehr auf die verirrte Wüstengeneration bezieht, sondern auf ein Gegenüber der Gotteskinder: die verirrte Welt (Apg 2,40; Gal 1,4; Röm 12,2). Die Anspielung auf Dtn 32,5 wurde verschiedentlich als intertextueller Verweis auf Paulus’ Selbststilisierung als Mose gedeutet (McAuley* 198–213; D. M. Allen* 138 f.; Öhler* 131–133). Aber weder Mose noch Paulus sind im Blick, sondern die Gemeinde, der es gelingen kann, sich besser als die Wüstengeneration zu bewähren (Wojtkowiak* 163; 1Kor 10,11–13). Das „verkehrte und verdrehte Geschlecht“ ist dann die Umwelt in Philippi (Reumann, K. 412; vgl. Oakes, Philippians 83; Fee, K.). Paulus denkt an konkrete Menschen, wie der relative Anschluss deutlich macht, der sich nicht auf ἡ γενεά „das Geschlecht“, sondern auf eine pluralische Gruppe bezieht (ἐν οἷς). „Unter ihnen“ leuchten die Philipperinnen und Philipper wie φωστῆρες „Leuchtkörper, Himmelslichter, Sterne“ in der Welt (Passow II/2, 2380; Bultmann/Lührmann, ThWNT IX 1 f.). Die Verwandlung der Gerechten in Sterne gehört zu den ältesten Auferstehungsvorstellungen. So heißt es in der Epistel Henochs: „Wie Sterne des Himmels werdet ihr aufscheinen und leuchten, die Türen des Himmels werden für euch geöffnet sein“ (ὡσεὶ φωστῆρες τοῦ οὐρανοῦ ἀναλάμψετε καὶ φανεῖτε, αἱ θυρίδες τοῦ οὐρανοῦ ἀνοιχθήσονται ὑμῖν, 1Hen 104,2). Ähnlich formuliert Dan 12,3: „die Einsichtigen werden wie Sterne des Himmels leuchten“ (οἱ συνιέντες φανοῦσιν ὡς φωστῆρες τοῦ οὐρανοῦ). Das Bild ist in Weisheit und Apokalyptik für die den Gerechten verheißene Lichtexistenz verbreitet (SapSal 3,7; Mt 13,43; 4Makk 17,5; 4Esra 7,97.125). Paulus zitiert also nicht einfach Dan 12,3 (so Gnilka, K.; U. B. Müller, K.; Ware* 254–256; McAuley* 212–225). Die Gemeinde leuchtet außerdem bereits jetzt (vgl. Mt 5,14 f.; Röm 2,19). Ähnlich sieht sich die betende Stimme aus 1QHa 11,20–22 (1QH 3, 11,20–22 Sukenik) bereits jetzt verwandelt (Holloway, K.). In antiker Moralphilosophie wird von besonders tugendhaften Personen gesagt, sie leuchten wie Sterne (Ael Aristid Or 1,140 [Panathenische Rede, Keil]; NW II/1, 688 f.). Für die politische Philosophie ist der geordnete Sternenhimmel das Vorbild einer guten, das heißt einträchtig geordneten Polis (Ael Aristid Or 23,77; Dio C 40.38–40; vgl. Standhartinger, Eintracht 169). Der Stoiker Chrysipp formuliert die Analogie, wenn er sagt, „dass der Staat der Kosmos sei, die Bürger die Sterne“ (τὸν κόσμον εἶναι πόλιν καὶ πολίτας τοὺς ἀστέρας, Plut Comn Not 1076F; Philo spec. 1.13 f.). In Ciceros Staatsentwurf wird den verdienten Staatslenkern ein Platz unter den Sternen zugewiesen: „Allen, die die Heimat bewahrt, ihr geholfen und sie gefördert haben, ist ein fester Platz im Himmel bestimmt, dort selig ein ewiges Leben zu genießen.“ Die „Lenker und Bewahrer“ der civitas kehren daher in den Himmel zurück (Cic Resp 6.13 im „Somnium Scipionis“, Übers. K. Büchner). Für die Legitimation des Kaisers Augustus war das Erscheinen des die Entrückung des Caesars anzeigenden sidus Iulius zentral (Suet Caesar 88; Dio C 45.7,1). Münzprägungen zum anschließenden Triumphzug des Augustus dokumentieren das Erscheinen Caesars als Stern in der Schlacht von Philippi (Bormann, Philippi 34 f.; Bechtold* 179–182). Seit Caesar wird die Apotheose, die Vergöttlichung der Kaiser als Stern, symbolisiert (Bechtold* 161– 366). Als Leuchtkörper und Sterne gleichen die Philipperinnen und Philipper den in den Himmel entrückten Staatslenkern. Wie diese haben sie eine Vorbildfunktion in der Welt (Bormann, Philippi 219; Standhartinger* 380). 188
Was jetzt zu tun ist
2,16
16 … λόγον ζωῆς ἐπέχοντες, εἰς καύχημα ἐμοὶ εἰς ἡμέραν Χριστοῦ, ὅτι οὐκ εἰς κενὸν ἔδραμον οὐδὲ εἰς κενὸν ἐκοπίασα. Anschluss und Inhalt des folgenden Partizipialsatzes sind viel diskutiert. Das sich weiter auf die Philipperinnen und Philipper beziehende Partizip ἐπέχοντες kann außer den Finalsatz in V. 15a den Relativsatz in V. 15b oder auch den Imperativ aus V. 14 fortführen. Letzteres ist wegen der Einführung des neuen Gedankens die beste Lösung (Dibelius, HNT; Schenk, K.; Hawthorne/Martin, K.; U. B. Müller, K.). Das Syntagma λόγος ζωῆς ist selten (1Joh 1,1), erinnert aber an paulinische Prägungen wie „Wort vom Kreuz“ (1Kor 1,18) und „Wort der Versöhnung“ (2Kor 5,19) und verweist vermutlich auf das Evangelium. „Leben“ steht hier zugleich im Gegensatz zur in den nächsten Versen angedeuteten Todesbedrohung. Das Hauptproblem des Verses liegt in der Bestimmung der Bedeutung von ἐπέχω. In der Bedeutung „to hold forth“ (LSJ 619), „darbieten“, beschreibt es die Missionstätigkeit der Philipperinnen und Philipper als leuchtende Himmelskörper in der Welt (Ewald/Wohlenberg, K. 141 f.; Ware* 256–270; Bruce, K./O’Brien, K.; Fee, K.; Baumert, K.; Häußer, K.). Ihr gegenüber steht die Bedeutung „in der Gewalt haben, festhalten“ (Bauer, Wb). Dann führt das Festhalten am Lebenswort dazu, dass die Gemeinde zu unbescholtenen und unversehrten Gotteskindern zählt (Haupt, K. 98 f.; Dibelius, HNT; Gnilka, K.; U. B. Müller, K.; Reumann, K.; Dickson*). Leider fehlen für beide Bedeutungen überzeugende Belege (Poythress*; Ware* 256–270; Häußer, K. 187 f.). Als Syntagma heißt λόγον ἐπέχω „bedeuten“ oder „eine Rolle spielen“, z. B.: „geträumte Ärzte haben die gleiche Bedeutung wie Verteidiger“ (ἰατροὶ ὁρώμενοι τὸν ἴσον τοῖς συνηγόροις ἐπέχουσι λόγον, Artemid On[e]irocr 1.29,10) oder „sie [eine Stadt] nimmt die Rolle einer Mutterstadt ein“ (τὸν τῆς μητροπόλεως ἐπέχουσα λόγον, Strabo 14.5,13; Oakes* 266–285; E. Lohmeyer, K. 109 Anm. 3). Das Idiom hilft jedoch wenig. Am Ende wird man beide Übersetzungsvorschläge nicht gegeneinander ausspielen dürfen. Auch das Festhalten am Wort des Lebens ist ein dynamischer Prozess mit missionarischer Strahlkraft (E. Lohmeyer, K.; Schenk, K. 223; Schapdick* 188). Die Gemeinde ist jedenfalls aktiv in der Missionsarbeit (→ 1,5.27; 4,3). Nicht zuletzt sandte sie Paulus, Timotheus, Silvanus und Epaphroditus aus und unterstützte die Missionsarbeit in Thessaloniki und anderen Gemeinden (→ 4,15 f.). Und natürlich steht sie in fester Gemeinschaft mit Paulus und seiner Botschaft. Wie die Gemeinde Ruhm empfangen wird am Tag Christi (→ 1,6.10), so hofft auch Paulus, an diesem Tag καύχημα als „Anerkennung für vollbrachte Leistungen“ zu erhalten (→ 1,26). Denn die Existenz der Gemeinde und ihre Bedeutung für die Welt zeigen, dass er nicht εἰς κενόν „ins Leere, erfolglos, ohne Wirkung“ gelaufen ist und sich erfolglos „mit großer Anstrengung und schwerer Arbeit gemüht“ hat (Spicq III 405 f.). Der Aorist der Verben τρέχω und κοπιάω denkt aus der Perspektive des Tages Christi. Beide Verben verwendet Paulus für Missionsarbeit und Gemeindeaufbau und -leitung (1Thess 5,12; Gal 2,2; 1Kor 4,12; 15,10; 16,16; Gal 4,10; Röm 16,6.12). Die Verben können als Metaphern aus der Welt des Sports aufgefasst werden (Poplutz*). Andere lesen sie als intertextuellen Verweis auf die prophetische Stimme, die verheißt: „Meine Erwählten werden sich nicht vergeblich mühen“ (οἱ δὲ ἐκλεκτοί μου οὐ κοπιάσουσιν εἰς κενόν, Jes 65,23; vgl. 40,31; Reinmuth*). Der Gottesknecht befürchtet: „Umsonst habe ich mich gemüht“ (κενῶς ἐκοπίασα, Jes 49,4; Brändl* 189
1,27–2,18
Politik für das Evangelium
254–262; McAuley* 226–242). Jedenfalls bindet Paulus die Anerkennung seiner Leistungen an die Gemeinde (1Thess 2,19; 2Kor 1,14). Die Philipperinnen und Philipper tragen mit ihrer Treue und mit der Leuchtkraft ihres Wirkens für die Welt Mitverantwortung für Paulus’ Ruhm am Tag Christi (Schapdick* 188 f.). 17 Ἀλλὰ εἰ καὶ σπένδομαι ἐπὶ τῇ θυσίᾳ καὶ λειτουργίᾳ τῆς πίστεως ὑμῶν, χαίρω καὶ συγχαίρω πᾶσιν ὑμῖν. Die Adversativpartikel ἀλλά führt hier etwas neu Hinzukommendes ein: „ja, sogar“ (B/D/R § 448.6). Die nächsten beiden Verse wechseln in das Bildfeld des antiken Kultes in einem mit εἰ καί eingeleiteten Konzessivsatz. Σπένδομαι „als Trankopfer ausgegossen oder versprengt werden“ gehört überall in der Antike zur Kultpraxis (Michel, ThWNT VII 529–537). Die Metapher beziehen einige auf Paulus’ mühevolles Wirken für die Gemeinde (Michaelis, K.; Hawthorne/Martin, K.; Fee, K.; Baumert, K.; Reumann, K.; Vahrenhorst* 236 f.; Häußer, K.). Die meisten denken an das mögliche Martyrium des Paulus (E. Lohmeyer, K.; Gnilka, K.; U. B. Müller, K.; Walter, K.; Bockmuehl, K.; Gerber, Paulus 167; Schapdick* 190 f.; Holloway, K.). Der älteste Zeuge dieser Interpretation ist 2Tim 4,6 (Zamfir*). Aber im Kontext des erzwungenen Todes beschreibt die Opfermetapher den letzten Akt des in den Tod Gehenden (Plut Alex 69,6; Dio C 62.26,3 f.; Tac Ann 15.64,3 f.; 16.35,1; NW II/1, 689 f.). Ἐπὶ τῇ θυσίᾳ „bei dem Opfer“ passt ins Bild des antiken Opferkults, in dem Trankopferspenden über Altären und Opfertieren ausgegossen werden (Plut Def Orac 435B– C; 437A–B; 438A; Luc Syr Dea 57; NW II/1, 691 f.). Aber wenn Paulus die Trankspende ist, wer oder was ist dann das Opfer und wer bringt es zum Altar? Wird hier der geopfert, „der sich selbst als Opfer darbringt“ (Gerber, Paulus 168)? Oder steht θυσία metonymisch für Opferaltar? Auf seinem Weg zum Martyrium formuliert Ignatius: „Gewährt mir, dass ich für Gott ausgegossen werde, solange der Opferaltar bereitsteht“ (παράσχησθε τοῦ σπονδισθῆναι θεῷ ὡς ἔτι θυσιαστήριον ἕτοιμόν ἐστιν, IgnRöm 2,2; vgl. 4,2; MartPol 14,2). Das überladene Bild in V. 17 lässt sich entschärfen, wenn man gegen die Interpunktion in NTG28 ἐπὶ τῇ θυσίᾳ zu χαίρω zieht (Dibelius, HNT; U. B. Müller, K.). Dann bezieht sich „beim Opfer und Dienst“ als Hendiadyoin „Opferdienst“ auf die Gemeinde. Die Septuaginta verwendet λειτουργία für kultische Dienste im Tempel (Ex 37,19; Num 8,22; 16,9; 2Chr 31,2; Lk 1,23; vgl. Röm 15,16 u. ö.). Die kultische Metapher kann die Selbstgabe der Gemeinde als Dankopfer beschreiben (Patterson* 81–115). Ursprünglich bezeichnet λειτουργία jedoch jegliche Dienstleistung für die Allgemeinheit (→ 2,30). Holloway (K.) interpretiert λειτουργία konkret als Geldspende (→ 4,18). Ein letztes Problem bietet der Genitiv in der Wendung λειτουργία τῆς πίστεως ὑμῶν. Als genitivus obiectivus interpretiert, bringt Paulus beim Opfer und Dienst den Glauben der Philipperinnen und Philipper vor Gott (Strathmann, ThWNT IV 234; Vincent, K.; Bruce, K./O’Brien, K.; Häußer, K. 190–192). Als genitivus epexegeticus gelesen, gilt Opfer und Dienst des Paulus der Förderung des Glaubenslebens oder Christseins der Philipperinnen und Philipper (Dibelius, K.; Schapdick* 192; vgl. Röm 15,16). Als genitivus subiectivus aufgelöst, geht es um das Opfer und den Dienst des Glaubens der Gemeinde (Schenk, K.; Gnilka, K.; Walter, K.; Baumert, K.; vgl. Röm 12,2). Die Gemeinde agiert im letzten Fall als Priesterin, die ihren Glauben darbringt (Ware* 271–274; vgl. Vahrenhorst* 237 f.). Der Glaube kann jedoch kaum 190
Was jetzt zu tun ist
2,18
geopfert werden. Der mögliche Tod des Paulus ist für niemanden ein Heilsmittel. Das Bild ist also überladen und lässt sich nicht eins zu eins übertragen. Vermutlich möchte Paulus ungefähr sagen: ‚Sollte ich jetzt hingerichtet werden, da ich in unserem gemeinsamen Auftrag fürs Evangelium unterwegs bin (→ 1,5.7) und damit für den mir von euch anvertrauten Dienst, so interpretiere ich dies als Gottesdienst und freue mich mit euch.‘ Freude gehört zum Kult. Trankopfer und Opferfeste erfreuen nicht nur Gott, sondern auch die mitfeiernden Menschen (Diod S 16.11,1; Plut Numa 7,1). Denn Freude ist Zeichen und Ausdruck der göttlichen Gegenwart im Fest (→ Exk. 6). 18 τὸ δὲ αὐτὸ καὶ ὑμεῖς χαίρετε καὶ συγχαίρετέ μοι. Das adverbial gebrauchte τὸ αὐτό „ebenso“ weist auf die Freude des Paulus zurück (B/D/R § 288.11). Χαίρετε und συγχαίρετε können ebenso als Indikativ wie als Imperativ aufgefasst werden. Die Parallelen in → 3,1 und → 4,4 lassen für den Imperativ votieren. Es entspricht der biblischen Aufforderung, in der sich kultisch ausdrückenden Gegenwart Gottes fröhlich zu sein und sich zu freuen (Dtn 12,7; 26,11; 2Chr 30,21–26 u. ö. → Exk. 6). Diese Freude stiftet gleichermaßen Gemeinschaft untereinander und mit Gott. Paulus schließt die in 1,27 begonnene Eintrachtsparänese mit einer dichten Folge von knappen Ermahnungen ab. Vor seiner nicht unwahrscheinlichen Hinrichtung möchte er die Gemeinde möglichst umfassend trösten und im Sinne einer Politik des Evangeliums zurüsten. Die Verse 12 f. enthalten die deutlichste Übertragung des Hymnus auf die Gemeinde. Sie widersprechen dabei zugleich der klassischen These vom Erwerb des Heils ohne eigene Werke. Wie der Besungene sich gehorsam der Endlichkeit menschlichen Daseins unterwarf, sind auch die Philipperinnen und Philipper aufgefordert und in der Lage, gehorsam ihr eigenes Heil zu erarbeiten im Angesicht Gottes und trotz der Gefahren, die in der Außenwelt drohen (→ 1,28). Wie Gott den Gekreuzigten für seinen Gehorsam erhöhte, wirkt Gott auch unter den Philipperinnen und Philippern über ihr eigenes Wollen und Vermögen hinaus (V. 13). Denn nachdem Gott den Gekreuzigten in den Himmel integriert hat, sind Himmel und Erde gleichermaßen transformiert. Die Gemeinde Gottes repräsentiert diese neue Wirklichkeit Gottes in der und für die Welt. Das Bild der Wüstengeneration (V. 14 f.) evoziert den Aspekt des Durchhaltens angesichts von Angst, Zweifel und leidvollen Entbehrungen. Als Leuchtkörper und Sterne gleichen die Philipperinnen und Philipper den in den Himmel entrückten Staatslenkern und werden zu Vorbildern inmitten einer korrumpierten Welt (V. 15). Indem sie am Wort des Lebens festhalten und es in der Welt verbreiten, garantieren sie auch Paulus’ Ruhm am Tag Christi. Die nicht unwahrscheinliche baldige Hinrichtung des Paulus im Dienst der Gemeinde kann so sogar metaphorisch als allseitig Freude erzeugendes Opferfest interpretiert werden (V. 17 f.).
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2,19–30 Reisepläne
2,19–24 Empfehlung (nicht allein) des Timotheus 19
Ich hoffe aber im Herrn Jesus, Timotheus bald zu euch zu schicken, damit auch ich Mut fasse, weil ich weiß, was bei euch vorgeht. 20 Ich habe nämlich keinen (anderen) Gleichgesinnten, der sich so aufrichtig um das, was bei euch vorgeht, sorgen wird. 21 Denn alle suchen das Ihre, nicht das Jesu Christi. 22 Von seiner Bewährung wisst ihr, dass er, wie ein Kind dem Vater, mit mir bei der Verbreitung des Evangeliums diente. 23 Zwar hoffe ich diesen sofort zu senden, sobald ich meine Angelegenheiten absehen kann. 24 Ich vertraue aber im Herrn, dass ich auch selbst bald zu euch kommen werde. Efraim Agosto, Paul’s Use of Greco-Roman Conventions of Commendation, PhD Boston University 1996. – Panayotis Christou, ΙΣΟΨΥΧΟΣ, JBL 70,4 (1951), 293–296. – R. Alan Culpepper, Co-Workers in Suffering. Philippians 2:19–30, RExp 77 (1980), 349–358. – Anton Friedrich, ΙΣΟΨΥΧΟΣ = ebenbürtig, solidarisch, SO 18 (1938), 42–49. – Paul A. Holloway, Alius Paulus. Paul’s promise to send Timothy at Philippians 2.19–24, NTS 54,4 (2008), 542–556. – Robert Jewett, Paul’s Anthropological Terms. A Study of Their Use in Conflict Settings, AGJU 10, 1971. – Edgar Krentz, Civic Culture and Philippians, CTM 35 (2008), 258–264. – Ders., Paul, Games, and the Military. – Margaret M. Mitchell, New Testament Envoys in the Context of Greco-Roman Diplomatic and Epistolary Conventions. The Example of Timothy and Titus, JBL 111 (1992), 641–662. – Ollrog, Paulus und seine Mitarbeiter. – Luc Pialoux, L’épître aux Philippiens. L’Évangile du don et de l’amitié, EtB 75, 2017, 218–228. – Smit, Paradigms.
Am Ende vieler Paulusbriefe folgen Besuchspläne. Aufgrund seiner Haft kann Paulus jedoch nur seine Hoffnung auf ein Wiedersehen formulieren (V. 24). Weil der inhaftierte Paulus aktuell nicht selbst kommen kann, plant er, wenigstens Timotheus nach Philippi zu senden (V. 19). Die Verse 20–23 formulieren für Timotheus ein ausführliches und sehr herzliches Empfehlungsschreiben (→ Exk. 10). Paulus wählt die Gattung Empfehlungsbrief hier allerdings nicht deshalb, weil er Timotheus, der bereits bei der Gründung der Gemeinde wirkte und der als Mitabsender firmiert, in Philippi einführen müsste (→ 1,1; 1Thess 1,1; 2,2). In Person des ihm gleichgesinnten Timotheus möchte Paulus vielmehr seine eigene Sehnsucht und sein Bemühen um ein Wiedersehen der Gemeinde vor Augen stellen. Timotheus wird der Gemeinde als Ersatz für den ausbleibenden Paulus zum Trost in Aussicht gestellt (Holloway, K.; Holloway*; Holloway, Consolation 126 f.).
192
Empfehlung (nicht allein) des Timotheus
2,19
Üblicherweise bilden die Reisepläne den Schluss eines Paulusbriefes (Röm 15,22– 29; 1Kor 16,5–9; 2Kor 12,14–13,4; Phlm 22). Gelegentlich werden in diesem Kontext auch Reisen anderer Mitarbeitenden des Paulusteams oder selbstständig arbeitende Missionare angekündigt (1Kor 16,10–12; 2Kor 8,16–22). Wo Paulus in der Mitte eines Briefes auf Reisen seines Teams zu sprechen kommt, blickt er dagegen zurück (ἔπεμψα, ἐπέμψαμεν). Entweder sind die Betreffenden bereits zurückgekehrt (1Thess 3,2.5–8; vgl. 2Kor 7,6 f.), oder sie reisten mit dem Brief in die Gemeinde und der Akt der Sendung liegt während der Verlesung bereits in der Vergangenheit (1Kor 4,17; Phil 2,25; 2Kor 9,3). Inhalt und Anordnung des mit Phil 2,19 einsetzenden Abschnitts sprechen also dafür, dass er ursprünglich am Schluss des Freuden- und Dankesbriefes B (Phil 1,1–3,1 + 4,1–7.9b.21–23) vor den abschließenden Ermahnungen (3,1 + 4,1– 7.9b) und Schlussgrüßen (4,21–23) stand (→ Einl. 4.3; 5). Wer den kanonischen Brief als originale Einheit lesen möchte, sieht diesen und den folgenden Abschnitt über Epaphroditus entweder (A) als einen Exkurs (digressio: D. F. Watson, Rhetorical Analysis 71 f.; Brucker, ‚Christushymnen‘ 321 f.; Bloomquist, Function of Suffering 172 u. a.) oder (B) als die Wiederaufnahme der Beweisführung (probatio: Witherington, Friendship 75 f.; Witherington, K. 169–171). Die Empfehlung des Timotheus wird in beiden Fällen als exemplum, Beispiel für das in der Eintrachtsparänese (→ 1,27–2,18) geforderte Verhalten interpretiert. Dagegen spricht allerdings, dass Timotheus von Paulus weder als Beispiel der Einmütigkeit charakterisiert wird noch dem Weg Christi folgt, sondern Paulus demonstriert im Spiegel des Lobpreises für Timotheus seine eigene Sehnsucht und Treue zu seinen Freundinnen und Freunden in Philippi. 19 Ἐλπίζω δὲ ἐν κυρίῳ Ἰησοῦ Τιμόθεον ταχέως πέμψαι ὑμῖν, ἵνα κἀγὼ εὐψυχῶ γνοὺς τὰ περὶ ὑμῶν. Paulus hofft im Hoffnungs- und Herrschaftsraum des Kyrios Jesus, Timotheus ταχέως „schnell“ und „ohne Verzug“ zu senden (ἐν κυρίῳ Ἰησοῦ auch 1Thess 4,1; Röm 14,14). V. 23 benennt allerdings, dass Paulus zuerst freigelassen werden müsste, womit deutlich wird, dass es sich bei dem Adverb ταχέως inhaltlich eher um ein ‚möglichst bald‘ handelt (Fee, K.). Die einfache Nennung von Jesus ohne Christustitel ist bei Paulus selten und kommt vor allem in Bekenntnissen und Segensformeln vor (1Kor 12,3; 2Kor 4,14; Röm 10,9; 1Kor 16,23; Röm 16,20). Möglicherweise ist die Inthronisation des Kyrios Jesus aus dem Hymnus im Blick (→ 2,10). Allerdings gehen auch hier, wie an vielen Stellen, die Handschriften in Bezug auf die christologischen Titel auseinander. Die Majuskeln C, D*, F, G sowie die Minuskeln 630, 1739, 1881 sowie ein Teil koptisch-bohairischer Zeugen lesen ἐν Χριστῷ. Durch Timotheus möchte Paulus „erfahren“ (γινώσκειν), wie es um die Gemeinde in Philippi und um ihre „Angelegenheiten“ (τὰ περὶ ὑμῶν) steht. Angespielt ist auf die Eingangsformulierung γινώσκειν δὲ ὑμᾶς βούλομαι … τὰ κατ᾽ ἐμέ in → 1,12 (Holloway, K.). Wie in → 1,27 schon deutlich wurde, muss es weitere Informationskanäle geben, über die Nachrichten ausgetauscht wurden (→ Einl. 6). Das Verb εὐψυχῶ ist ein Hapaxlegomenon in der Bibel, aber das Nomen εὐψυχία, das Adjektiv εὔψυχος und das Adverb εὐψύχως beschreiben militärischen Mut und die Beherztheit im Martyrium (1Makk 9,14; 2Makk 7,20; 14,18; 4Makk 6,11; 9,23). Das Verb wird mit ähnlicher Bedeutung verwendet. So schreibt eine Frau: „Denn ich bin nicht unruhig, sondern verbleibe guten Mutes“ ([ἐ]γὼ γὰρ οὐχ ὀλιγωρῶ, ἀλλὰ εὐψυχοῦσα πα[ρα]μένω, 193
2,19–30
Reisepläne
BGU 4.1097,14 f., 1. Jh. n. Chr.; Bagnall/Cribiore, Women’s Letters 307). Ein Heraklammon bittet um Nachricht von Kallistos, weil er seine Sklaven bei dem Adressaten vermutet: „Schreibe mir schnell, damit ich Mut fasse (ταχέως οὖν μοι γράψον ἵνα εὐψυχῶ, P.Oxy. 38.2860,16 f., 2. Jh. n. Chr.; vgl. auch Jos. Ant. 11.241; Herm vis 1.3,2 [3]). Der antike Lexikograph Pollux übersetzt εὐψυχεῖν mit θαρρεῖν „mutig sein“ (Onom 3.135). Aber auch ein Trostaspekt klingt mit, denn die Grußformel in einem Kondolenzbrief lautet εὐψυχεῖν (P.Oxy. 115, 2. Jh. n. Chr.; Deissmann, LO 143, Nr. 11; Bagnall/Cribiore, Women’s Letters 172; vgl. für Grabsteine auch Spicq I 337 Anm. 2). Schließlich wird das Adverb auch im Wohltäterdiskurs gebraucht, wenn über die vom König bereitgestellte Ausstattung für das Rettungsfest der alexandrinischen Jüdinnen und Juden gesagt wird, sie sei εὐψύχως geschehen (3Makk 7,18; Spicq I 338). Die von der Sendung des Timotheus erwarteten Informationen aus der Gemeinde sollen Paulus also stärken, erfreuen und ermutigen. Ob er mit der Rückkehr des Timotheus rechnet (Fee, K. 265) oder ihn als seinen Nachfolger einsetzen möchte (E. Lohmeyer, K. 115), bleibt offen. Die alte Kirche hat es im letzteren Sinne verstanden (1Tim 1,3). Die Verse 20–23 enthalten eine Laudatio für Timotheus, genauer einen formellen Empfehlungsbrief (Dibelius, HNT 84; U. B. Müller, K. 124; Fee, K. 262 f.; Reumann, K. 436; Mitchell* 652; Agosto* 199–202).
Exkurs 10: Empfehlungsbrief Efraim Agosto, Paul and Commendation, in: J. Paul Sampley (Hg.), Paul in the Greco-Roman World. A Handbook, 2003, 101–133. – Ders., Paul’s Use. – Ders., Patronage and Commendation, Imperial and Anti-Imperial, in: Richard A. Horsley (Hg.), Paul and the Roman Imperial Order, 2004, 103–123. – Arzt-Grabner, Neues zu Paulus aus den Papyri des römischen Alltags, Early Christianity 1,1 (2010), 131–157. – Hannah Cotton, Documentary Letters of Recommendation in Latin from the Roman Empire, 1981. – Clinton W. Keyes, The Greek Letter of Introduction, AJP 56 (1935), 28–44. – Chan-Hie Kim, Form and Structure of the Familiar Greek Letter of Recommendation, SBL.DS 4, 1972. – Hans-Josef Klauck, Die antike Briefliteratur und das Neue Testament, 1998, 75–79. – Martin Leutzsch, Die Bewährung der Wahrheit. Der dritte Johannesbrief als Dokument urchristlichen Alltags, 1994, 18–30; 185–188. – Peter Marshall, Enmity in Corinth. Social Conventions in Paul’s Relations with the Corinthians, WUNT II/23, 1987, 91– 129. – Pialoux, L’épître aux Philippiens 218–228. – Roger Rees, Letters of Recommendation and the Rhetoric of Praise, in: Ruth Morello/A. D. Morrison (Hg.), Ancient Letters. Classical and Late Antique Epistolography, 2007, 149–189. – Stanley K. Stowers, Letter Writing in GrecoRoman Antiquity, 1986, 153–165. – P. White, Cicero 46–51. In den von Pseudo-Demetrius gesammelten Brieftypen ist der Empfehlungsbrief (ὁ συστατικός) definiert als „das Lob, das wir für einen anderen zu einem anderen schreiben“ (ὑπὲρ ἄλλου πρὸς ἄλλον γράφομεν ἔπαινον, Pseudo-Demetrius, Τύποι Ἐπιστολικοί 2,1 f.; Malherbe, Epistolary Theorists 32,18 f.; vgl. Pseudo-Libanius, Περὶ ἐπιστολιμαίου χαρακτῆρος 55 [Malherbe, Epistolary Theorists 74,20–23]). Pseudo-Demetrius fügt folgenden Musterbrief an: „NN, der Dir diesen Brief übergibt, ist von uns geprüft worden und wird von uns wegen seiner Zuverlässigkeit geliebt. Du wirst gut daran tun, wenn Du ihn freundlicher Aufnahme würdigst, um meinetwillen, um seinetwillen und auch wegen Dir selbst. Du wirst es nicht bereuen, wenn Du ihm nach
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Empfehlung (nicht allein) des Timotheus
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Deinem Gutdünken vertrauliche Worte und Angelegenheiten anvertraust. Aber auch Du selbst wirst ihn vor anderen loben, wenn Du wahrnimmst, dass er, in jeder Hinsicht nützlich sein kann“ (Τὸν δεῖνα τὸν παρακομίζοντά σοι τὴν ἐπιστολὴν καὶ ἡμῖν κεκριμένον καὶ δι’ ἣν ἔχει πίστιν ἀγαπώμενον καλῶς ποιήσεις ἀποδοχῆς ἀξιώσας καὶ δι’ ἐμὲ καὶ δι’ αὐτόν, ἔτι δὲ καὶ διὰ σαυτόν. οὐ μεταμελήσῃ γὰρ ἐν οἷς θέλεις εἴτε λόγον ἀπόρρητον εἴτε πρᾶξιν εἰπεῖν. ἀλλὰ καὶ σὺ πρὸς ἑτέρους ἐπαινέσεις αὐτὸν αἰσθόμενος ἣν ἐν παντὶ δυνατός ἐστι χρείαν παρασχέσθαι, Pseudo-Demetrius 2,4–10 [Malherbe, Epistolary Theorists 32,21–26]; Klauck* 75). Die Empfehlungsbriefe dienen also sowohl der Bekräftigung der Verbindung zwischen Absendenden und Adressierten als auch der Vorstellung und vor allem dem Ausweis der Exzellenz derer, die empfohlen werden (Marshall*). Da der Brief häufig von den Empfohlenen selbst übergeben und dann, wie immer in der Antike, laut vorgelesen wird, ist dies eine „face-toface“-Empfehlung durch die Briefschreiber (Stowers* 153). Viele Empfehlungsbriefe sind auf Papyrus erhalten (Keyes*; Cotton*; Kim*; Arzt-Grabner, Philemon 59–61; 229; Arzt-Grabner, Neues 137–142; Pialoux* 218–225). Weitere finden sich in Briefsammlungen, z. B. unter den Briefen Ciceros, des Plinius und Frontos (Keyes*; Cotton*; Marshall*; Agosto, Paul’s Use 70–117; Agosto, Paul 102–110; Rees*). Solche Sammlungen demonstrieren vor allem den Einfluss des Absenders. In der heute als dreizehntes Buch der Briefsammlung Ad familiares bekannten und üblicherweise publizierten Zusammenstellung von Empfehlungsbriefen Ciceros empfiehlt Cicero 48 Zeitgenossen, darunter 38 Senatoren (P. White* 46). Mit diesen Briefen schaut die Leserin einem sehr einflussreichen Autor über die Schulter, auf den die mächtigen Zeitgenossen hören und von dessen Empfehlungen sie abhängig sind. Empfehlungsbriefe folgen einer festen Formelsprache (Keyes* 39–42; Kim* 9–97). So heißt es in P.Brem. 6,5–7: „Ich möchte Dich nicht im Unwissenden darüber lassen, dass Malchus mein ist; darum verhalte Dich so zu ihm, als wäre er ein Teil von mir selbst“ (οὐκ οἶμαι ἀγνοεῖν σε ὅτι Μάλχος ἐμός ἐστιν, ὥστε οὕτως ἔχε πρὸς αὐτὸν ὡς πρὸς ἴδιόν μου μέρος, TUAT.NF III [2006], VIII 9.7.2, 2. Jh. n. Chr.). P. Oslo 2.55,7–9: „Du tust also gut daran, Bruder, diesen aufzunehmen wie auch mich …“ (καλῶς οὖν ποιήσεις, ἄδελφε, τοῦτον ὑπδεξάμενος ὡς ἂν ἐμέ, 2.–3. Jh.). Und in einem lateinischen Papyrusbrief heißt es: „Schon früher einmal habe ich Dir meinen Freund Theon empfohlen. Und au[ch j]etzt bitte ich, Herr, dass Du ihn vor Augen habest wie mich selbst. Denn der Mann ist so, dass Du ihn lieb haben musst …“ (iam tibi et pristine commendaveram Theonem amicum meum et mod[o qu]oque pẹto domine ut eum ant[e] oculos habeas tanquam me est enim tales [h]omo ut ametur a te reliquit, ChLA 4.267,4–10/P.Oxy. 1.31, 2. Jh. n. Chr.; Übers. Deissmann, LO 163 f., Nr. 17; Cotton*; Stowers* 157). Auch die rabbinische Literatur kennt diese Schreiben: „Wir schicken euch einen großen Menschen als unseren Boten, und er ist gleich uns (= hat unsere Befugnisse), bis er (wieder) zu uns kommt“ (jChag 1,8 76d = jNed 42b 10,10; Übers. Gerd Wewers). Einige lateinische Briefschriftsteller möchten ihre Empfehlungen aus der Masse herausheben. So empfiehlt Plinius einen Arrianus Maturus aus Altinum: „Wenn ich sage ‚der erste Mann‘, dann spreche ich nicht von seinem Gelde, über das er in reichem Maße verfügt, sondern von seiner Sittenreinheit, Gerechtigkeit, Charakterfestigkeit und Klugheit. Seines Rates bediene ich mich bei meiner Tätigkeit, seines Urteils bei meinen literarischen Arbeiten, denn er überragt alle an Zuverlässigkeit, Wahrheitsliebe und Verstand. Er liebt mich – enthusiastischer kann ich es nicht ausdrücken – wie Du …“ (cum dico princeps, non de facultatibus loquor, quae illi large supersunt, sed de castitate iustitia, gravitate prudentia. 3Huius ego consilio in negotiis, iudicio in studiis utor; nam plurimum fide, plurimum veritate, plurimum intellegentia praestat. 4Amat me – nihil possum ardentius dicere – ut tu, Ep 3.2,2–4, Übers. Helmut Kasten; vgl. Plin Ep 2.13; 10.87 etc.). Das Lob ist sicher überschwänglich geraten, aber man würde Arrianus Maturus vertrauen (zum offiziellen Charakter solcher Briefe vgl. auch Plin Ep 10.58). In den Paulusbriefen sind vor allem Röm 16,1 f. und der Philemonbrief Empfehlungsbriefe (außerdem 3Joh). 2Kor 3,1–3 rekurriert auf diese Praxis (weitere Beispiele: Kim* 119–142; Agos-
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to, Paul; Agosto, Patronage). Auch politisch-diplomatische von städtischen Volksversammlungen bestimmte Gesandte tragen das sie autorisierende Empfehlungsschreiben mit sich (Matthews, RAC 10, 663 f.; Kienast, PRE.S XIII 552–566). Ein Brief aus der Sammlung des Sokrates gibt von der Praxis Zeugnis: „Du weißt wohl, mit welcher Sorge Chairephon von uns umgeben wird. Er ist nun von der Stadt als Gesandter nach der Peloponnes gewählt und wird wahrscheinlich auch zu Euch kommen. Freundliche Aufnahme, wie sie dem Gast zukommt, ist nun zwar für einen Philosophen leicht zu erlangen; aber die Reiseverhältnisse sind unsicher, ganz besonders wegen der dort jetzt herrschenden Unruhen. Wenn Du Dich darum kümmerst, wirst Du sowohl jenen mir lieben Mann retten als auch uns einen großen Dienst erweisen“ (Χαιρεφῶν ὃν τρόπον ὑφ’ ἡμῶν σπουδάζεται οὐκ ἀγνοεῖς, ᾑρημένος δὲ ὑπὸ τῆς πόλεως πρεσβευτὴς εἰς Πελοπόννησον τάχ’ ἂν καὶ πρὸς ὑμᾶς ἀφίκοιτο. Τὰ μὲν οὖν τῶν ξενίων εὐπόριστα ἀνδρὶ φιλοσόφῳ, τὰ δὲ τῆς πορείας ἐπισφαλῆ καὶ μάλιστα διὰ τὰς αὐτόθι νῦν ταραχὰς ὑπαρχούσας. Ὧν ἐπιμεληθεὶς ἐκεῖνόν τε σώσεις ἄνδρα φίλον καὶ ἡμῖν τὰ μάλιστα χαριῇ, Sokrates Ep 2; Übers. Liselotte Köhler).
Timotheus wird im Folgenden für seinen Eifer, seine aufrichtige Zuneigung zu Paulus und zur Gemeinde, seine Erfahrung in der Missionsarbeit, seine große Zuverlässigkeit und seinen Einsatz für die Sache, der den aller anderen bei weitem übersteigt, gelobt und damit der Gemeinde als perfektes Alter Ego des Paulus empfohlen. Die Frage ist nur, warum Timotheus überhaupt empfohlen wird, denn er ist der Gemeinde doch eigentlich gut bekannt und braucht längst keinen Empfehlungsbrief mehr (→ 1,1). Sein Empfehlungsbrief scheint also noch einen anderen Zweck zu verfolgen (Pialoux* 225– 228). 20 οὐδένα γὰρ ἔχω ἰσόψυχον, ὅστις γνησίως τὰ περὶ ὑμῶν μεριμνήσει Zunächst wird Timotheus als ἰσόψυχος „gleichgesinnt“ und der Gemeinde ebenso wie Paulus besonders zugewandter Freund charakterisiert. Mit ἰσόψυχος klingt εὐψυχῶ aus V. 19 an, was einige Ausleger für ein Wortspiel halten (Dibelius, HNT). Auch ἰσόψυχος ist selten belegt. Man kann es mit „gleichgesinnt“ (Beyreuther, TBLNT 802) oder mit „ebenso vortrefflich“ (Balz/Schneider, EWNT II 495) übersetzen. Es kann als soziale Kategorie der gesellschaftlichen Gleichheit aufgefasst werden (Aesch Ag 1470 und ψ 54,14; Friedrich*; Jewett* 349 f.). Man kann es auch als eine innere Haltung verstehen (Christou*; Schweizer, ThWNT IX 667). Krentz entdeckt eine militärische Metapher für einen vertrauten Adjutanten (Paul 361 f.). Wenig beachtet wurde bisher, dass der Begriff auf die frühjüdische Fassung des antiken Freundschaftsdiskurses rekurriert, die in Aufnahme von Dtn 13,7 ὁ φίλος ὁ ἴσος τῆς ψυχῆς σου „der Freund, der dir seelenverwandt ist“ aus dem Kultzentralisierungsgesetz formuliert, dass man „dem seelenverwandten Freund“ zur Dankbarkeit verpflichtet ist (ἴσον τῇ ψυχῇ τὸν φίλον, Arist 228). Und Philo erklärt: „Für Mose ist der Freund so nahe, dass er nicht von der Seele zu trennen ist. Denn er sagt: ‚Der Freund, der dir seelenverwandt ist‘“ (Μωυσῆν οὕτως ὁ φίλος ἐγγύς ἐστιν, ὥστε ἀδιαφορεῖ ψυχῆς λέγει γάρ „ὁ φίλος, ὁ ἴσος τῇ ψυχῇ σου“, Philo her. 83). Möglicherweise übernimmt Paulus den Begriff ἰσόψυχος also aus diesem frühjüdischen Freundschaftsdiskurs. Damit ist auch der Streit entschieden, mit wem Timotheus verglichen wird: mit Paulus (so H. A. W. Meyer, K.; Vincent, K.; Collange, K.; Hawthorne/Martin, K.; Fee, K.), mit anderen Mitarbeitenden (so Gnilka, K.; U. B. Müller, K.; Baumert, K.) oder mit den Philipperinnen und Philippern (Friedrich* 45 f.; Jewett* 350). Wie in anderen antiken Empfehlungsschreiben 196
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bezieht sich das „gleich“ in ἰσόψυχος auf das Subjekt des ἔχω, also auf Paulus (P.Brem. 6,5–7; P.Oslo 2.55,7–9; → Exk.). Was hier empfehlend über Timotheus gesagt ist, gilt also gleichermaßen für Paulus selbst. Wie Timotheus sich um die Angelegenheiten der Philipperinnen und Philipper sorgt, so auch Paulus (2Kor 11,28). Das Adverb γνησίως meint ursprünglich „leiblich“ im Sinne von „rechtmäßig anerkannt geborenes Kind, dem die Vollbürgerschaft zusteht“. Übertragen heißt es „echt, lauter, aufrichtig“ (Bertram, ThWNT I 727; Spicq I 196–199). Charakterisiert wird z. B. die Loyalität in politischen Bündnissen (2Makk 14,8; 3Makk 3,19.23). So schreibt der Hohepriester Eleazar „an König Ptolemaios, seinen echten Freund“ (Ἐλεάζαρος ἀρχιερεὺς βασιλεῖ Πτολεμαίῳ φίλῳ γνησίῳ χαίρειν, Arist 41). In Inschriften werden Mitglieder städtischer Eliten als γνήσιος gerühmt, wenn sie sich gegenüber ihrer Heimatstadt verdient gemacht haben (Syll.3 708,9 f./IScM I 54,9 f., 1. Jh. v. Chr.; Syll.3 721,41/IDelos 1512, 2. Jh. v. Chr.; Dibelius, HNT; 2Kor 8,8). Eine besonders wichtige Wohltat aufrichtiger und loyaler Bürgerinnen und Bürger war die Übernahme einer Gesandtschaft. So heißt es in einer Inschrift aus Maroneia in Thrakien aus der Zeit des Kaisers Claudius: „Gewählt wurden Gesandte, die aufs Aufrichtigste um ihre Heimatstadt bemüht waren (ᾑρέθησαν πρεσβευταὶ γνησιώτατα προθυμηθέντες ὑπὲρ τῆς πατρίδος, SEG 59.659 B 20 f., 42–46 n. Chr.; vgl. IK Sestos 2,5–9, 2. Jh. v. Chr.). Timotheus wird also größte Loyalität bescheinigt. Wegen des Futurs von μεριμνάω las die Wirkungsgeschichte den Vers als Beleg der Einsetzung des Timotheus zum Nachfolger des Paulus (1Tim 1,2; Tit 1,4; E. Lohmeyer, K.). 21 οἱ πάντες γὰρ τὰ ἑαυτῶν ζητοῦσιν, οὐ τὰ Ἰησοῦ Χριστοῦ. Es folgt eine Begründung (γάρ) für das Lob des Timotheus mit einer Sentenz. Alle „suchen, streben an, wünschen, begehren“ (ζητέω) das Ihre und nicht das Jesu Christi. Die Handschriften B, L, 0278, die Minuskeln 104, 365, 630, 1175, 1505 mit zusätzlichem Artikel, �, die Vulgata, die syrische Harklensis, Ambrosiaster und Cassiodorus lesen τὰ Χριστοῦ Ἰησοῦ, verstehen „Christus“ also als Titel: „das des Christus Jesus“. Die Majuskel K und Cyprian lesen nur τὰ Χριστοῦ. Die Varianz der Lesarten in Bezug auf den Christustitel ist durchaus üblich, die Lesart von NTG28 ist äußerlich etwas besser bezeugt (�, A, C, D, F, G, P, Ψ u. a.). Die Generalisierung οἱ πάντες „alle“ klingt typisch wie in einem Sprichwort. Dennoch wird die Identität der οἱ πάντες diskutiert. Man kann andere Mitarbeitenden vermuten, unter denen sich Timotheus hervorhebe (Chrys Hom in Phil 10,1 [Field/ Allen 97/PG 62.246,4–13]; Ollrog* 193–200; Gnilka, K.; Schenk, K.; U. B. Müller, K.). Andere denken an die in → 1,15–17 genannten kritischen Missionare am Haftort Ephesus oder an Gegnerinnen und Gegner der paulinischen Mission (→ Exk. 15). Schließlich wurde die sentenzenhafte Formulierung auch als direkte Kritik an der Gemeinde in Philippi interpretiert, in der jede und jeder den eigenen Vorteil anstrebe (→ 2,4; Culpepper* 350). Das Gegenteil von τὰ ἑαυτῶν ist aber nicht „das der Anderen“ (τὰ ἑτέρων; → 2,4; vgl. 1Kor 10,24.33; 13,5), sondern „das des Christus“. Der Charakter einer Sentenz, die eine allgemeine Wahrheit ausdrücken möchte, legt eine konkrete Identifizierung der οἱ πάντες gar nicht nahe. Es geht darum, τὰ Ἰησοῦ Χριστοῦ zu suchen. Ollrog* interpretiert „das des Christus“ als Kurzformel für „Leidensbereitschaft“ (199 f.). Aber in der pointiert abkürzenden Formulierung einer Sentenz ist darüber hinaus jeglicher Einsatz für die Sache des Christus mit gemeint. 197
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Johannes Chrysostomus stellt die Formulierung in den Kontext des antiken Gesandtschaftswesens. Für ihn sind „die das Ihre suchen“ diejenigen, die „das Ausruhen zu Hause und das In-Sicherheit-Sein“ vorziehen (τὴν οἰκείαν ἀνάπαυσιν καὶ τὸ ἐν ἀσφαλείᾳ εἶναι, Chrys Hom in Phil 10,1 [Field/Allen 97/PG 62.246,6 f.]). Gesandtschaften waren wegen der mit ihnen verbundenen Mühen und Gefahren keineswegs beliebt (Kienast, PRE.S XIII 589 f.). Ein auf einer Inschrift dokumentierter Volksbeschluss lobt daher Epaminondas von Akraiphia, „weil er nach langer Suche die Gesandtschaft zum Kaiser (Caligula) bereitwillig unentgeltlich für das Volk der Böoter übernahm, die die anderen Anwesenden der größeren Städte abgelehnt hatten“ (ἐπειδὴ πολλῆς ζητήσεως γενομέν[ης ὑ]πέσχετο τὴν πρὸς τὸν Σεβαστὸν πρεσβείαν προθυμότατα κατὰ [δωρε]ὰν ὑπὲρ τοῦ Βοιωτῶν ἔθνους, ἣν ἄλλοι παρόντες ἐκ τῶν μειζόνω[ν] [πόλε]ων ἠρνήσαντο …, IG VII 2711,16–19, 37 n. Chr.). Die Sentenz unterstreicht des Timotheus selbstlose Bereitschaft zu der gefahrvollen Reise. Die spätere Paulustradition hat den Vers als Hinweis darauf gelesen, dass Paulus am Ende seines Lebens von den meisten Mitarbeitenden verlassen wurde (Kol 4,11; 2Tim 4,9– 13). 22 τὴν δὲ δοκιμὴν αὐτοῦ γινώσκετε, ὅτι ὡς πατρὶ τέκνον σὺν ἐμοὶ ἐδούλευσεν εἰς τὸ εὐαγγέλιον. Nachdem Paulus Timotheus’ aufrichtige Loyalität, Fürsorge und Bereitwilligkeit zum selbstlosen Einsatz gelobt hat, beschreibt er darüber hinaus noch seine Eignung. Δοκιμή meint die „durch Prüfung festgestellte Bewährung“ (Wolter, Römer I 325 Anm. 25; Krentz, Civic Culture 260; → 1,10). Das Nomen δοκιμή ist vor Paulus lediglich in einem griechischen Fragment von Jub 10,9 belegt und könnte Paulus in Korinth begegnet sein (2Kor 13,3; dann 2Kor 2,9; 8,2; 9,13; Röm 5,4; Schenk, K. 234). Obgleich die Gemeinde die „Erprobtheit“ und „Bewährung“ des Timotheus längst kennt (γινώσκετε), wird noch einmal ausgeführt, dass er „wie ein Kind dem Vater mit mir bei der Verbreitung des Evangeliums diente“. �46 liest statt γινώσκετε das für Paulus typischere οἴδατε ὅτι (vgl. Baumert, K. 212 Anm. 47). Εἰς τὸ εὐαγγέλιον „mit dem Ziel Evangelium“ meint hier wie in → 1,5; 2Kor 2,12 und Röm 1,1 Evangeliumsverkündigung. Wenn Timotheus dem Evangelium ἐδούλευσεν „diente“ oder „Sklavendienste verrichtet hat“, so entspricht dies seinem mit Paulus geteilten Titel δοῦλος Χριστοῦ im Eingang des Briefes (→ 1,1). Den Vergleich (ὡς) „wie ein Kind dem Vater“ bezieht die eine Hälfte der Auslegung auf die Beziehung zwischen Timotheus und Paulus (Gnilka, K.; Hawthorne/Martin, K.; Bockmuehl, K.; Fee, K.). Sie verweist auf 1Kor 4,17, wo Paulus Timotheus μου τέκνον ἀγαπητόν „mein geliebtes Kind“ nennt, und auf die von Paulus gebrauchte Metapher des Vaters gegenüber seinen Gemeinden (1Thess 2,11 f.; 1Kor 4,15; vgl. Phlm 10). Paulus nennt sich jedoch andernorts Mutter ganzer Gemeinden (Gal 4,19). Wenn Paulus auch im Philipperbrief Timotheus als sein treues Kind oder seinen ergebenen Schüler hätte beschreiben wollen, sollte man eigentlich ἐμοὶ ἐδούλευσεν „mir diente“ und nicht σὺν ἐμοὶ ἐδούλευσεν „zusammen mit mir diente“ erwarten. Die Formulierung σὺν ἐμοὶ ἐδούλευσεν zeigt, dass Timotheus und Paulus gemeinsam und gleichberechtigt dem Ziel Evangelium gedient haben. Daher bezieht die andere Hälfte der Auslegung den Vergleich auf das gemeinsame Verhältnis von Timotheus und Paulus zum Evangelium (Haupt, K.; Vincent, K.; Schenk, K.; U. B. Müller, K.; Walter, K.; Osiek, K.; Gerber, Paulus 208). Anders gesagt: „Vater“ steht im Bildvergleich für das Evan198
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gelium, Timotheus zusammen mit Paulus für das „Kind“. Der Aorist ἐδούλευσεν blickt dabei auf die vergangene Arbeit beider zurück, nicht auf die zukünftige (so aber 1Tim 1,18; 2Tim 2,1). 23 τοῦτον μὲν οὖν ἐλπίζω πέμψαι ὡς ἂν ἀφίδω τὰ περὶ ἐμὲ ἐξαυτῆς Der Eingang von V. 23 wiederholt V. 19a wörtlich, was die Partikel οὖν „also, wie gesagt“ auch unterstreicht. Das Demonstrativpronomen (οὗτος) fasst die ganze Empfehlung von V. 20–22 als Charakterisierung des Timotheus zusammen. Der Vers ist mit V. 24 durch eine μὲν … δέ-Konstruktion verbunden, was Spannung erzeugt. Paulus will also einerseits Timotheus senden, andererseits auch selbst kommen. Die Reise des Timotheus steht an, sobald Paulus das, was seine Angelegenheiten betrifft, absehen kann (ὡς ἄν + Konjunktiv: B/D/R § 455.2; Röm 15,24; 1Kor 11,34; τὰ περὶ ἐμέ: B/D/R § 228.3). Ἀφοράω, eigentlich: „hinsehen“, meint in diesem Kontext „absehen, überblicken“ (Bauer, Wb). Unklar ist, ob Paulus damit Zuversicht in Bezug auf seinen Prozess ausdrückt (Gnilka, K.; Baumert, K.) oder ob er Timotheus auch bei einem negativen Ausgang gehen lassen möchte (E. Lohmeyer, K.). Soll Timotheus also als eine Art Nachfolger nach Philippi geschickt werden (1Tim 1,3; 3,15) oder erst einmal als Unterstützer bei Paulus bleiben (2Tim 4,9)? Angesichts von Phil 1,21–23; 2,17 f. muss fraglich bleiben, wann und ob Paulus irgendetwas über den Ausgang seines Prozesses wird absehen können. Die eigentliche Aussage versteckt sich in dem betont nachgestellten ἐξαυτῆς. Das Adverb, eine Ellipse für ἐξ αὐτῆς τῆς ὧρας „zu dieser Stunde“, verstärkt das „sofort, unmittelbar, gleich“ (ταχέως, V. 19). Die Sendung des Timotheus hat also größte Eile und Priorität, und dies nicht nur, weil Paulus Genaueres aus Philippi erfahren möchte, sondern weil er dort selbst dringend erwartet wird (ταχέως, V. 19.24). 24 πέποιθα δὲ ἐν κυρίῳ ὅτι καὶ αὐτὸς ταχέως ἐλεύσομαι πρὸς ὑμᾶς. Die so ausführliche Belobigung des doch längst in Philippi bekannten Timotheus stellt ihn als Alter Ego des Paulus vor und unterstreicht damit auch Paulus’ eigene Loyalität und Einsatzbereitschaft für die Gemeinde und ihre gemeinsame Sache des Evangeliums. Die Sendung des Timotheus ist eine Art Angeld (μέν) für Paulus’ eigenen Besuch (δέ). Dabei sind V. 24 und V. 19 ganz parallel gestaltet. Paulus vertraut (πέποιθα → 1,6.25) ἐν κυρίῳ „im Herrn“ (V. 19), dass er auch selbst ταχέως „schnell, eilig, ohne Verzug“, oder besser „bald“ (V. 19), kommen wird. Das Thema ἐν κυρίῳ bildet im Schlussabschnitt des Briefes B den Grundakkord (→ 2,29; 3,1; 4,1 f.4). Der Reiseplan nach Philippi widerspricht dem Plan einer Spanienmission nach Abschluss des uns bekannten Wirkens des Paulus (Röm 15,23.28; Dibelius, HNT; Walter, K.). Die Manuskripte �*, A, C, P, 0282, die Minuskeln 326, 629, 1241, 2464, lateinische und koptische Handschriften sowie Augustinus und einige weitere Übersetzungen lesen ἐλεύσομαι πρὸς ὑμᾶς (vgl. 1Kor 4,19; 16,5). Dies kann als stilistische Verbesserung aufgefasst werden (O’Brien, K. 316). Wahrscheinlicher scheint mir jedoch, dass das unter anderem von �46, �2, B und vielen anderen späteren Texten gelesene πρὸς ὑμᾶς im Prozess der Sammlung der Paulusbriefe gestrichen wurde, um den Brief an die eine konkrete Gemeinde in Philippi zu universalisieren (→ Einl. 4.2). Die Verse 19–24 unterstreichen den dringenden Kontaktwunsch des Paulus. Nachdem er die Philipperinnen und Philipper über „das, was ihn betrifft“ (→ 1,12), in Kenntnis 199
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gesetzt hat und den gegenwärtigen Fortschritt des Evangeliums (→ 1,12.25) nicht nur darin beschrieben hat, dass das Evangelium an seinem Haftort (Ephesus) gepredigt wird (1,12–18), sondern vor allem, dass er mithilfe der Fürbitte der Gemeinde noch einmal nach Philippi kommen wird (1,24–26), nimmt dieser Abschnitt den Gesprächsfaden aus dem Eingang des Briefes wieder auf. Paulus möchte auch über das, was bei ihnen vorgeht, mehr erfahren (V. 19). Dazu will er zum einen möglichst sofort (ταχέως, V. 19; ἐξαυτῆς, V. 23) Timotheus senden, zum andern auch selbst eiligst (ταχέως, V. 24) in Philippi erscheinen. Die auffällig gehäufte Betonung des „schnell“ ist dabei vor allem der Ausdruck eines Wunsches, steht sie doch unter dem Vorbehalt des nach wie vor ungewissen Ausgangs seines Prozesses (V. 23; vgl. 1,27: 2,12.17 f.). Das Lob des Timotheus (V. 20–23) greift die Gattung Empfehlungsbrief auf und gibt dem Schreiben einen offiziellen Charakter. Timotheus wird damit als Vertreter des ausbleibenden Paulus eingesetzt. Dieser Gedanke hat in der Auslegungsgeschichte die größte Wirkung gezeigt (1/2Tim). Die ausführliche Vorstellung des in der Gemeinde eigentlich gut bekannten „Sklaven Jesu Christi“ stellt aber vor allem dem mit ihm „gleichgesinnten“ (V. 20) und mit ihm (σὺν ἐμοί) „dem Evangelium dienenden“ (V. 22) Paulus selbst ein exzellentes Zeugnis aus. Anders gesagt: Hier lobt nicht nur der Empfehlende den Empfohlenen, sondern auch umgekehrt spiegelt der Empfohlene Eifer, Treue, Zuverlässigkeit, Liebe, Einsatz und Sehnsucht des ihn Empfehlenden. Timotheus’ Loyalität und Einsatzbereitschaft heben Paulus’ eigenen Einsatz für die und seine Sehnsucht nach der Gemeinde hervor. Seine Reise ist „dringend“, weil sie nicht nur ein Angeld auf das dringend erwartete Kommen des Paulus ist, sondern vor allem eine Gegengabe für die Sendung des Gemeindegesandten und „Dienstleisters“ (Liturgen) Epaphroditus aus Philippi sein wird. Daher kündigt Paulus diese eigentlich erst in ungewisser Zukunft liegende Reise als fast unmittelbar bevorstehend an. Erst danach geht er zum Dank für die Sendung und Arbeit des Epaphroditus über.
2,25–30 Aufruf zum Dank für den Dienst des Epaphroditus 25
Ich hielt es aber für notwendig, Epaphroditus, meinen Bruder und Mitarbeiter und Mitkämpfer, euren Apostel und Beauftragten in meiner Not, zu euch zu senden. 26 Denn er sehnte sich nach euch allen und war in Unruhe, weil ihr gehört hattet, dass er krank geworden war. 27 Ja, in der Tat, er war todkrank. Aber Gott erbarmte sich seiner, nicht nur seiner allein, sondern auch meiner, damit ich nicht Schmerz auf Schmerz erleide. 28 Umso eiliger, wie gesagt, habe ich ihn gesandt, damit ihr euch freut, weil ihr ihn wiederseht, und auch ich schmerzfreier bin. 29 Empfangt ihn also im Herrn mit aller Freude und haltet solche wie ihn in Ehren! 30 Denn wegen des Wirkens für Christus näherte er sich bis zum Tod und setzte sein Leben aufs Spiel, um euren Mangel an Dienstleistung für mich zu erfüllen.
Arzt-Grabner, Neues zu Paulus 131–157. – Frederick W. Danker, Benefactor. Epigraphic Study of a Graeco-Roman and New Testament Semantic Field, 1982. – Gerald F. Hawthorne, The
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Aufruf zum Dank für den Dienst des Epaphroditus
2,24
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Trotz der Ankündigung des Timotheus ist Epaphroditus der Überbringer des Briefes. Er hatte die finanzielle Unterstützung aus der Gemeinde zu Paulus gebracht (→ 4,18). Phil 2,25–30 blickt auf seine lebensbedrohliche Krankheit zurück, die in 4,18 nicht erwähnt ist. Dieses Indiz nötigt dazu, das Quittungsschreiben A 4,10–20 zeitlich vor dem Freuden- und Dankesbrief B (1,1–3,1 + 4,1–7.21–23) anzusetzen (→ Einl. 4.3). Auch das Lob des Epaphroditus wird als exemplum in der Nachfolge Christi nach Phil 2,6–11 beschrieben (Smit*; H. H. D. Williams*). Tatsächlich nennt Paulus den Einsatz des Epaphroditus nachahmenswert (V. 29). Und mit der Formulierung μέχρι θανάτου „bis zum Tod“ scheint er auch auf den Hymnus anzuspielen (→ 2,8.30). Allerdings war Epaphroditus’ Todesnähe kein Sterben (am Kreuz) und auch keine nachahmenswerte Tat, sondern verdankte sich einer schweren Krankheit, aus der ihn Gottes Erbarmen errettete (V. 27). Epaphroditus ahmt hier nicht Christus nach, sondern es ist seine Bereitschaft, sich auf die gefahrvolle Reise zu begeben, um für Christus zu wirken, die Epaphroditus’ Handeln nachahmenswert macht (Hawthorne* 175). Der Dienst, für den Epaphroditus von der Gemeinde gesandt wurde, drohte wegen der Krankheit zu scheitern. Man fragt sich, ob Paulus mit der ausführlichen Empfehlung auf Kritik aus Philippi reagiert (K. Barth, K. 82–84; Gnilka, K.; Peterlin* 189– 191). Möglich wäre auch, dass er einer möglichen Kritik vorwegnehmend begegnen möchte (Mayer*; U. B. Müller, K.). Aber kritisch ist allein, dass Epaphroditus seinen Auftrag aus der Gemeinde wegen der gesundheitlichen Einschränkung nicht wie geplant erfüllen konnte. Die Worte des Paulus spiegeln jedenfalls seine tief empfundene Freundschaft (Metzner*). Das Lob des Epaphroditus wird als Empfehlungsbrief identifiziert (Kim, Form 131 f.; Stowers* 155 f.; Agosto, Conventions 165–167; Agosto, Paul 119 f.; Agosto, Patronage 116–118; Arzt-Grabner* 139 f.; vgl. πέμπω „senden“, 201
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V. 25.28; προσδέχoμαι „aufnehmen“, V. 29). Der Abschnitt ist jedoch noch präziser als Antrag auf die Ehrung eines Wohltäters für die gute Erfüllung des im Auftrag der Heimatstadt ausgeführten Dienstes zu beschreiben (Danker* 425 f.; λειτουργία). Die von Epaphroditus übernommene λειτουργία, nämlich eine im Dienst einer Öffentlichkeit übernommene Aufgabe, ist die Gesandtschaft im Auftrag der Gemeinde zu Paulus (→ V. 25.30).
Exkurs 11: Gesandtschaften Anthony Bash, Ambassadors for Christ. An Exploration of Ambassadorial Language in the New Testament, WUNT II/92, 1997. – T. Corey Brennan, Embassies Gone Wrong. Roman Diplomacy in the Constantinian Excerpta de Legationibus, in: Claude Eilers (Hg.), Diplomats and Diplomacy in the Roman World, Mn.S 304, 2009, 171–192. – Danker, Benefactor. – Christian Habicht, Tod auf der Gesandtschaftsreise, in: Biagio Virgilio (Hg.), Studi ellenistici XIII, 2001, 9–17. – Ders., Zum Gesandtschaftsverkehr griechischer Gemeinden mit römischen Instanzen während der Kaiserzeit, ΑΡΧΑΙΟΓΝΩΣΙΑ 11 (2001–2002), 11–28. – Krentz, Civic Culture. – Mitchell, New Testament Envoys. – Robert Kenneth Sherk, Roman Documents from the Greek East. Senatus consulta and Epistulae to the Age of Augustus, 1969. – Heikki Solin, Die stadtrömischen Sklavennamen. Ein Namenbuch II: Griechische Namen, 1996. – H. H. D. Williams, Honouring Epaphroditus. Viele Inschriften aus hellenistischer und römischer Zeit ehren Gesandte, die im Auftrag ihrer Städte, Provinzen, Berufsverbände oder anderer Gruppen zu politischen Machthabern, anderen Städten oder religiösen Orten gereist waren, um dort für ihre Gemeinschaft einzutreten und zu wirken (Habicht, Gesandtschaftsverkehr; Bash* 31–80). Für Plutarch ist die Übernahme einer solchen Gesandtschaft die wichtigste politische Aufgabe der Eliten einer Stadt in römischer Zeit (Plut Praec Ger Reip 805A). Zweck einer Gesandtschaft konnten die Aushandlung internationaler Verträge, Friedensschließung, Gewährung und Bestätigung von Privilegien, aber auch Huldigungen und Ehrungen und andere diplomatische Aufträge sein (Kienast, PRE.S XIII 512–519; Matthews, RAC 10, 656–662). Gesandte wurden immer durch die Stadt oder eine andere politische Körperschaft bestellt und mit einem schriftlichen Auftrag versehen, der den Willen der sie entsendenden Volksversammlung (ψήφισμα, der durch Stimmenmehrheit gefasste Beschluss) enthielt (Kienast, PRE.S XIII 563 f.; Matthews, RAC 10, 664). Gesandte reisten manchmal in kleineren Gruppen, aber auch allein (Kienast, PRE.S XIII 526–544). Die Übernahme einer Gesandtschaft war mit erheblichen Kosten für die Reise und den Aufenthalt am Zielort verbunden. Einige Ehrendekrete heben hervor, dass die Gesandten die Kosten selbst getragen hätten (Habicht, Gesandtschaftsverkehr 17 f.). In den erfolgreichen Gesandten mitgegebenen Reskripten fordern einige Kaiser aber auch auf, den Gesandten ihre Kosten aus öffentlichen Mitteln zu erstatten (Sherk* 8–11). Gesandtschaften waren nicht immer erfolgreich, was Ehreninschriften niemals, antike Historiker aber umso öfter berichten (Brennan* 175). Sie konnten auf der gefährlichen Reise oder bei langem Warten auf eine Audienz am Zielort versterben oder mit ihrem Anliegen scheitern, z. B. weil auch andere Interessengruppen Gesandtschaften geschickt hatten, die gegen sie Politik machten (Habicht, Tod; Bash* 106 f.; Brennan* 182–187). Ehreninschriften heben daher nicht selten gemeisterte Gefahren hervor. So wird über die drei Gesandten, die zum König Zalmodegikos der Geten im 3. Jahrhundert v. Chr. unterwegs waren, gesagt, dass sie „jede durch den Krieg entstandene Gefahr aushielten“ (διὰ τῆς πολεμίας πάντα κίνδυνον ὑπομείναντες), um sechs Geiseln
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Aufruf zum Dank für den Dienst des Epaphroditus
2,25
zu befreien (IScM I.8, 7–9/SEG 18.288,7–9, 3. Jh. v. Chr.). Zwei andere Gesandte aus Abdera haben für ihre Gesandtschaft nach Rom für ihr Volk „sowohl psychische als auch physische Strapazen ausgehalten“ (εἴς τε [Ῥώμην π]ρεσβεύσαντες ὑπὲρ τοῦ δήμου ψυχικὴν ἅμα καὶ σω [ματικὴν] ὑπέμειναν κ[α]κοπαθίαν, Syll.3 656,18 f./I.Aeg. Trace 5,18 f., 166 v. Chr.; weitere Beispiele: Habicht, Tod; Brennan*; Bash* 106 f.). Als Beleg des Erfolgs wurde das Anliegen der Gesandtschaft durch ihre Empfänger schriftlich bestätigt (IPriene 133/OGIS 12, 285 v. Chr.; Welles 40–45, Nr. 6; IErythrai 31, 270/260 v. Chr.; Welles 78–85, Nr. 15; IDidyma 493/OGIS 227, 246 v. Chr.; Welles 105–110, Nr. 22; Welles 141 f., Nr. 31; IMilet I 9, 306, 167/166 v. Chr.; Welles 209–219, Nr. 52 u. ö.). In diesen Briefen werden die Namen der Gesandten genannt und die Erfüllung ihres Auftrags im Namen der sie Aussendenden ausdrücklich anerkannt (Mitchell* 656–658; Sherk* 190 f.). Auch kann dazu aufgefordert werden, ihren Einsatz für das Gemeinwesen nachzuahmen (→ 2,29). Paulus bezeichnet Epaphroditus ausdrücklich als Gesandten (ἀπόστολος: Mitchell* 653). Frederick Danker zeigt, wie der ganze Abschnitt das Thema „in Gefahr geratener Gesandter“ reflektiert und zugleich den Dank des Paulus für Epaphroditus’ Dienst ausdrückt (Danker* 425 f.; Krentz* 260–263). Die eigentlichen Wohltäter, so Danker, sind die Philipperinnen und Philipper, die diesen so vorzüglichen Gesandten geschickt haben (vgl. auch den Dank der Bewohner des ägyptischen Busiris an den Kaiser Claudius für die Sendung eines fähigen Statthalters, der in goldenen Buchstaben auf einer Stele eingeschrieben ist, damit diese Wohltat allen bekannt wird; OGIS 666,20–23, 55–59 n. Chr.; Danker* 225 f., Nr. 35). Eine Kritik an antiker Ehrenkultur, wie Drake Williams* vermutet, enthält der Abschnitt gerade nicht.
25 Ἀναγκαῖον δὲ ἡγησάμην Ἐπαφρόδιτον τὸν ἀδελφὸν καὶ συνεργὸν καὶ συστρατιώτην μου, ὑμῶν δὲ ἀπόστολον καὶ λειτουργὸν τῆς χρείας μου, πέμψαι πρὸς ὑμᾶς … Nachdem er das Kommen des Timotheus und seinen eigenen Besuch in Aussicht gestellt hat, erklärt Paulus, warum er sogleich Epaphroditus zurücksenden will. Die Formulierung ἀναγκαῖον δὲ ἡγησάμην „ich hielt es aber für notwendig“ deutet Dringlichkeit an (2Kor 9,5; 2Makk 9,21). Die Formulierung gehört zum brieflichen Repertoire. So schreibt ein Antonius: „Als ich nach Italien kam, hielt ich es für notwendig, euch zu vermelden, dass ich gesund bin mit allen, die bei mir sind“ (ἐπ [ιβὰς τῆς] Ἰταλικῆς χώρας ἀν[αγκ]αῖ[ο]ν ἡγησάμην δη[λῶσα]ι ⟦ὑμῖν⟧ ὅτι ἔρρωμ [α]� σὺν τοῖς ἐμαυτοῦ πᾶσι …, P.Oxy. 18.2191,5–8, 2. Jh. n. Chr.; weitere Belege bei Arzt-Grabner, 2. Korinther 429). Von Epaphroditus wissen wir nur aus Phil 2,25–30 und 4,18. Ob mit Epaphras in Phlm 23/Kol 1,7; 4,12 dieselbe Person unter Abkürzung ihres Namens gemeint ist, lässt sich nicht entscheiden. Ἐπαφρόδιτος heißt übersetzt „von Aphrodite begünstigt“ oder „mit Liebreiz begabt, liebreizend, liebenswürdig“. Belegt ist Ἐπαφρόδιτος als Beiname Sullas (Appian Bell Civ 1.97 [452]; Plut Sulla 34,2 f.), für einen Freigelassenen des Augustus (Plut Anton 79,6) und einen berühmten und sehr reichen Freigelassenen Neros (Epict Diss 1.1,20) sowie für den Gönner des Josephus (Ant. 1.8; Apion. 2.296; Vita 430). Vor allem aber gibt es viele Sklaven mit diesem Namen (Solin* 281–283). In der Basilika B in Philippi ist eine Inschrift mit der Aufschrift EPAPHAN verbaut (Pilhofer II 294). In der Umgebung der Stadt wurde eine zweite mit der Aufschrift [E]phrodit [us? ------]/CIORUM PRIS gefunden, die leider nicht weiter zu deuten ist (Pilhofer II 425). Weil Epaphroditus mit einer λειτουργία, das heißt einer öffentlichen Aufgabe betraut war, vermutet Davorin Peterlin, dass er zu den wohlhabenden Gemeindemit203
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Reisepläne
gliedern zählte (Peterlin* 195–199). Joseph Marchal erwägt dagegen den Status eines Sklaven, der überall hingeschickt werden kann und zu jedem „Bedürfnis“ zur Verfügung zu stehen hat (χρεία in sexueller Konnotation: P.Oxy. 42.3070, 1. Jh. n. Chr.; Marchal* 156–163; 169–175). Es ist nicht auszuschließen, dass die Christusglaubenden in Philippi nicht ihr wohlhabendstes Mitglied, sondern einen Sklaven oder Freigelassenen, der sich zu diesem Dienst bereit erklärte, mit ihrer Gesandtschaft zu Paulus beauftragten. Im Kontext antiken Wohltätertums wäre diese Auswahl bemerkenswert. Keine andere Person in den Paulusbriefen erhält so viele Ehrennamen wie Epaphroditus (Mayer* 177). Er heißt ἀδελφός „Bruder“ (vgl. 1Kor 1,1; 2Kor 12,18; 8,18.22; Röm 16,1.15.23), συνεργός „Mitarbeiter“ (vgl. 1Thess 3,2; Phil 4,3; Phlm 24; 2Kor 8,23; Röm 16,3.9.21) und συστρατιώτης „Mitkämpfer“ (vgl. Phlm 2). Letzterer Titel stammt zwar aus der Militärsprache, wird aber zumeist bildhaft aufgefasst (Krentz, Paul 362; Gnilka, K.), Ernst Lohmeyer denkt an den Kampf des Martyriums (Lohmeyer, K.). Nach Ollrog haben Gemeindemitarbeiter wie Epaphroditus Paulus eine Zeitlang begleitet und sich an seiner Missionsarbeit beteiligt (Ollrog* 98–100; 1Kor 16,15–18). Allerdings zeigt spätestens V. 30, dass Epaphroditus keineswegs von Paulus mitgenommen wurde, sondern von der Gemeinde gesandt war (Venetz* 15–17; 27). Den drei Titeln in Bezug auf Paulus werden zwei noch viel ehrenhaftere Titel in Bezug auf die Gemeinde zur Seite gestellt: Epaphroditus ist ihr „Apostel“, das heißt ihr Gesandter, und damit der Einzige, der im Philipperbrief Apostel heißt (M. Lohmeyer* 123–159; Gerber, Paulus 119–131; vgl. 2Kor 8,23; 1Thess 2,7). Der Titel spielt kaum zufällig auf den außerhalb des Philipperbriefs von Paulus selbst gebrauchten Ehrentitel an. Außerdem ist Epaphroditus λειτουργός „Liturge“ der Gemeinde. Eine λειτουργία, gebildet aus λαός und ἔργον, ist eine „Dienstleistung von Einzelpersonen für die Allgemeinheit, sei es durch persönlichen Einsatz, sei es durch Sach- oder Geldleistungen“ (Noethlichs, RAC 23, 208; Peterlin* 195–199; Krentz, Civic Culture 260–262). Gesandtschaften können eine Aufgabe eines als λειτουργός geehrten Wohltäters sein (IKaunos 139 IIIc 14–19, 2. Jh. n. Chr.). Die Septuaginta verwendet λειτουργία für den Dienst gegenüber Gott (→ 2,17), aber eine speziell kultische Bedeutung ist an dieser Stelle nicht im Blick (anders Metzner* 127). Vielmehr erfüllt Epaphroditus als Liturge der Gemeinde einen Dienst an Paulus hinsichtlich Bedürfnis, Mangel und Not (χρεία; Bauer, Wb). Ähnlich heißt es in einer Ehrung für zwei Gesandte aus Abdera, dass sie ihre „Gesandtschaft nach Rom antraten, weil eine Notwendigkeit für die Stadtbevölkerung bestand“ (ἐπειδὴ χρείας τῶι δήμ[ωι γενο]μένης πρεσβείας εἰς Ῥώμην, Syll.3 656/I.Aeg. Thrace 5,5 f.; vgl. auch Danker* 434). Auffällig ist, dass die Gesandtschaft des Epaphroditus nicht der Behebung einer Not in seiner Heimatgemeinde, sondern einer am Zielort, also bei Paulus, dient. 26 … ἐπειδὴ ἐπιποθῶν ἦν πάντας ὑμᾶς [ἰδεῖν] καὶ ἀδημονῶν, διότι ἠκούσατε ὅτι ἠσθένησεν. Dass Paulus Epaphroditus, den die Gemeinde als Dienstleister für Paulus’ Not gesandt hatte, zurückschickt, bedarf einer Begründung (ἐπειδή; B/D/R § 456.3). Epaphroditus sehnte sich (ἐπιποθῶν ἦν; duratives Imperfekt) nach allen in Philippi und war „in Unruhe“, weil die Philipperinnen und Philipper von seiner Krankheit gehört hatten (ähnlich P.Oxy. 12.481; → 1,12). Es muss also ein reger Nachrichtenaustausch zwischen Philippi und dem Ort der Gefangenschaft des Paulus, vermutlich Ephesus, stattgefunden haben (→ Einl. 6). Der Vers hat Epaphroditus den Ruf 204
Aufruf zum Dank für den Dienst des Epaphroditus
2,27
eines heimwehkranken Deserteurs eingebracht (K. Barth, K.; Gnilka, K.). Paulus verwendet ἐπιποθέω jedoch durchgehend positiv konnotiert (1Thess 3,6; Phil 1,8; 2Kor 9,14; Röm 1,11; Mayer* 181 f.). Ein bedeutender Teil älterer Handschriften, nämlich die Majuskeln �*, A, C, D, Ivid, 0278, die Minuskeln 33, 81, 104, 326, 365, 1175, 1241, 2495 sowie die syrische und die bohairische Übersetzung lesen πάντας ὑμᾶς ἰδεῖν, B, die altlateinische Handschrift b, ein Vulgatamanuskript und Ambrosiaster bieten ὑμᾶς πάντας, Majuskel 075 liest ἰδεῖν πάντας ὑμᾶς, �46vid πέμψαι πρὸς ὑμᾶς (Dittographie V. 25?). Das von den Majuskeln �2, F, G, K, L, P, Ψ, den Minuskeln 630, 1505, 1739, 2464, �, einem Teil der lateinischen und der koptisch-sahidischen Überlieferung gelesene πάντας ὑμᾶς ist von NTG28 vermutlich als die Lesart gewählt, die den stilistischen Verbesserungen der anderen zugrunde liegen könnte. Ἐπιποθῶ ἰδεῖν ὑμᾶς formuliert Paulus allerdings häufiger (Röm 1,11; 1Thess 3,6; vgl. 2Tim 1,4). Jedenfalls hat Epaphroditus kein Heimweh, sondern sehnt sich danach, die ganze Gemeinde wiederzusehen, die ja auch selbst gegenwärtig leidet (vgl. 1,28 f.; Schenk, K.). Außerdem ist er ἀδημονῶν „in Unruhe“. Der Gebrauch des zugehörigen Verbs in der Gethsemaneperikope lässt an Angst und innere Erschütterung denken (Mk 14,33; Mt 26,37). Jedoch wird ἀδημονέω, wörtlich: „vom Volk fern sein“, häufig in politischen Kontexten gebraucht, etwa bei der Unruhe des Atheners Perikles wegen seiner Veruntreuung öffentlicher Mittel, der Unruhe, die Cicero bei seinem Rückzug aus der Politik befällt, der Unruhe der Jerusalemer angesichts der Befürchtung, Herodes könnte den Jerusalemer Tempel nicht wiederaufbauen, oder wegen der Entfernung aus dem Amt des Konsuls (Diod S 12.38,3; Plut Cicero 40,3.7; Jos. Ant. 15.388; Dio C 59.20,3). Epaphroditus war vermutlich auch deshalb in Unruhe versetzt, weil er die Erfüllung seines Auftrags durch seine Krankheit gefährdet sah. 27 καὶ γὰρ ἠσθένησεν παραπλήσιον θανάτῳ ἀλλὰ ὁ θεὸς ἠλέησεν αὐτόν, οὐκ αὐτὸν δὲ μόνον ἀλλὰ καὶ ἐμέ, ἵνα μὴ λύπην ἐπὶ λύπην σχῶ. Mit καὶ γάρ greift Paulus die Begründung (ἐπειδή) aus V. 26 ergänzend auf (B/D/R § 452.3). Nachdem er die Motivation des Epaphroditus beschrieben hat, fügt er betont bestätigend hinzu: „Ja, in der Tat, er war todkrank“ (ἠσθένησεν παραπλήσιον θανάτῳ). Παραπλήσιος ist das, „was sich einer Sache nähert, ihr nahekommt, angleicht“, wobei im Einzelnen das Maß von Ähnlichkeit und Gleichheit schwer zu bestimmen ist (Passow II/1, 705 f.; Spicq II 664 f.). Das Adjektiv kann auch mit dem Genitiv konstruiert werden (B/D/R § 1842; so die Majuskeln �2, B, P, Ψ, 075, 0278* und die Minuskeln 81, 104, 365, 1175, 2464, 2495). Bei Philo sagt die Gesandtschaft zum syrischen Statthalter Petronius: „Die Zornesausbrüche des Kaisers (gemeint ist Caligulas Wunsch, seine Statue im Jerusalemer Tempel aufzustellen) rufen den Tod hervor oder etwas dem Tode Ähnliches“ (ὀργαὶ δεσπότου θάνατον ἀπεργάζονται ἢ παραπλήσιόν τι θανάτῳ, Philo legat. 237). Epaphroditus’ Krankheit war also lebensbedrohlich. Die antiken Ausleger dachten an eine langwierige Krankheit, moderne dagegen an eine schnell überwundene (Chrys Hom in Phil 10,1 [Field/Allen 99/PG 62.248,12 f.]; U. B. Müller, K.). Aber der Text schweigt zu Dauer und Ursache der Krankheit. Die den Ersthörenden bekannten antiken Gefängnisbedingungen ließen die Erklärung möglicherweise überflüssig erscheinen (Krause, Gefängnisse 295–299; Schenk, K. 240; → Einl. 5). Die Adversationspartikel ἀλλά betont eine Wende. Gott hat handelnd eingegriffen (→ 2,9.13) und sich seiner erbarmt (ἠλέησεν αὐτόν). Mit biblischer Tradition hält 205
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Paulus fest, dass Gottes Erbarmen (ἔλεος, ἐλεέω) Gottes Freiheit entspricht (Ex 33,19 = Röm 9,15.18, vgl. 11,30–32). Dabei ist Erbarmen auch Gottes Attribut (Spicq III 254–258; 1Kor 7,25; 2Kor 4,1). Die Betenden der Psalmen bitten um Gottes Erbarmen (ψ 6,3; 9,14; 50,3). Wenig später wird Paulus auf die Errettung aus der Haft und auf die Toten auferweckende Macht Gottes hinweisen (2Kor 1,9). Indem sich Gott des todkranken Epaphroditus erbarmt hat, erbarmte er sich auch zugleich des Paulus, damit „ich nicht Schmerz auf Schmerz erleide“ (λύπην ἐπὶ λύπην σχῶ). Λύπη drückt sowohl körperlichen Schmerz als auch seelisches Leid, Kummer und Trauer aus (Bultmann, ThWNT IV 314). Die biblisch vorgeprägte Wendung λύπην ἐπὶ λύπην beschreibt dabei die Übersteigerung des Schmerzes (vgl. Jes 28,10.13; Ez 7,26). Die Todesgefahr, in der der Gemeindegesandte schwebte, hat für Paulus zu den übrigen im Gefängnis erlittenen Schmerzen noch Kummer und Leid hinzugesellt. Anders als Phil 1,21–23 vermuten lässt, ist er durchaus nicht gleichgültig gegenüber dem Tod, was Auslegungen seit Johannes Chrysostomus zwar wunderte, jedoch im Einklang mit Phil 1,24–26; 2Kor 1,8–10 etc. steht (Hom in Phil 10,1 [Field/Allen 100/PG 62.248,25– 56]; Hawthorne/Martin, K.; Fee, K.). Das Interesse des Paulus ist auch hier auf das diesseitige, nicht auf das jenseitige Heil gerichtet. 28 σπουδαιοτέρως οὖν ἔπεμψα αὐτόν, ἵνα ἰδόντες αὐτὸν πάλιν χαρῆτε κἀγὼ ἀλυπότερος ὦ. Im Angesicht der erfahrenen Gnade von Epaphroditus’ Genesung hat Paulus ihn umso eiliger zurückgesandt. Der Vers wiederholt zunächst die Aussage aus V. 25 (οὖν). Der Aorist ἔπεμψα nimmt die Ankunft des Briefes samt Epaphroditus’ in Philippi vorweg und formuliert aus dieser Perspektive rückblickend. Σπουδαιοτέρως ist ein aus dem Komparativ gebildetes Adverb mit superlativischem Sinn. Das zugrunde liegende Adjektiv σπουδαῖος meint den besonderen Einsatz für etwas oder jemanden (Harder, ThWNT VIII 559–568; Spicq II 822 ff.; Arzt-Grabner, 2. Korinther 405 f.; vgl. 382 f.). Statt „umso eiliger“ könnte man auch „umso eifriger“ übersetzen. Paulus’ Eifer und Eile begründen sich in seiner Verbundenheit mit der Gemeinde. Der Komparativ ἀλυπότερος, der λύπη aus V. 27 aufnimmt, demonstriert, dass es nicht um die Aufhebung des Schmerzes, sondern um ein ‚Weniger‘ an Schmerz geht. Tatsächlich hat Epaphroditus geholfen, aber die Sorge um den philippischen Gemeindegesandten hat für Paulus die Situation erschwert. Wichtiger aber als ein Weniger an Schmerz ist, dass sich die Gemeinde über das Wiedersehen freuen wird (Conzelmann, ThWNT IX 360; 2Kor 2,3). Es muss offenbleiben, ob Paulus sich um die freudige Aufnahme des krank gewordenen Gesandten sorgt (U. B. Müller, K.) oder ob er die Gemeinde wegen seiner Krankheit trösten möchte (Holloway, K.; Holloway, Consolation 128 f.). Die folgenden Verse preisen jedenfalls die Leistung des Epaphroditus als sehr nachahmenswert. 29 προσδέχεσθε οὖν αὐτὸν ἐν κυρίῳ μετὰ πάσης χαρᾶς καὶ τοὺς τοιούτους ἐντίμους ἔχετε, … Der Gemeindegesandte der Philipperinnen und Philipper ist zum Gesandten des Paulus geworden. Paulus bittet daher, die Gemeinde möge ihn aufnehmen. Das Verb προσδέχομαι gehört zur Sprache von Empfehlungsbriefen (Röm 16,2; 3Joh 9; Arzt-Grabner, Neues 139; Kim, Form 76). Die Aufnahme soll μετὰ πάσης χαρᾶς „mit jeglicher Freude“ geschehen, womit der Grundton des Briefes aufgegriffen ist (→ Exk. 6). Man soll τοὺς τοιούτους, „solche Leute, die so Beschaffenen“ in Ehren halten. Ἔντιμος „geehrt, angesehen“, lat. honestus, gehört zu den Ausdrücken der Anerkennung (Lk 14,8; Lendon* 278). 206
Aufruf zum Dank für den Dienst des Epaphroditus
2,30
Wie Danker gezeigt hat, erscheint die Formulierung τοὺς τοιούτους ἐντίμους ἔχετε häufig in antiken Ehrendekreten für verdiente Wohltäter (Danker* 453). Ein Beispiel ist das Ehrendekret des Oktavian für den Gesandten der Stadt Rhodos, Seleukos: „Diesen empfehle ich euch. Denn solche Männer erzeugen noch größeres Wohlwollen gegenüber der Heimatstadt“ (τοῦτον οὖν ὑμεῖν συνίστημι· οἳ γὰρ τοιοῦτοι ἄνδρες καὶ τὴν πρὸς τὰς [πατρίδας] εὐνοίαν προθυμοτέραν ποιοῦσιν, IGLSyr 3,1 718, VI 91 f.; Sherk Nr. 58, v. Chr.; Danker* 98–103, Nr. 18). Der hellenistische Herrscher Antiochus II. lobt Gesandte aus der kleinasiatischen Stadt Erythrai: „Das meiste darüber und das andere, was wir besprochen haben, werden euch die Gesandten berichten, die wir auch wegen des Übrigen, was sie taten, loben und wegen des Eifers zum Nutzen für die Gemeinde“ ([τὰ δὲ πλείονα περὶ τούτων καὶ] τῶν ἄλλων ὧν συλλελαλή[καμεν ἀναγγελοῦσιν ὑμῖν οἱ] πρεσβευταί, οὓς διά τε τὰ ἄλ[λα ἃ ἔπραξαν ἐπαινοῦμεν καὶ δ]ιὰ τὴν σπουδὴν ἣν ἐποιοῦν[το περὶ τῶν συμφερόντων τῶι δήμωι …], IErythrai 31,35–38/OGIS 223, nach 223 v. Chr.; Welles 78 f., Nr. 15; vgl. auch Sherk, Nr. 28A/IAph 2007 8.25, 2.–3. Jh. n. Chr.). Nicht nur Könige, sondern auch die politischen Körperschaften der Städte fordern zur Nachahmung erfolgreicher Gesandter auf. So heißt es im Ehrendekret für Apollonius aus Perge: „Es ist klar, dass das Volk verfügt, diejenigen Bürger, die sich im Interesse des Vaterlandes bemühend Dienste erwiesen haben, in voller Anerkennung mit Ehren zu belohnen, damit auch die anderen (Bürger) wissen, dass das Wohlwollen in Staatsgeschäften wechselseitig ist (und) dass sie zukünftig solchen Männern nacheifern“ (πρέ[πον δὲ δῆμ]ος ἡγεῖται τοὺς οὕτως ὑπὲρ τῆς πατρίδος σπουδαίως [πολιτεύοντα]ς ταῖς καταξίοις ἀμείβεσθαι τειμαῖς πρὸς τὸ καὶ τοὺς [ἄλλους εἰδ]ότας τὰς τῆς πόλεως ἀμοιβαίας χάριτας εἰς τὸ λοιπὸν ζη[λωτὰς τῶν τ]οιούτων ἀνδρῶν γείνεσθαι, Ik Perge 23,13–17, nach 20 n. Chr., Übers. Sencer Şahin). Von Apollonius heißt es weiter vorn in derselben Inschrift, dass er anlässlich des erfolgreichen Abschlusses einer Gesandtschaft μετὰ πάσης χαρᾶς „mit aller Freude“ ein Fest auf der Agora für seine Mitbürgerinnen und Mitbürger veranstaltete (Ik Perge 23,7). Indem Paulus Epaphroditus’ Einsatz zum vorbildhaften Typus erklärt, gibt er sein Votum für eine gebührende Ehrung in Philippi ab. Er formuliert hier sozusagen den Ehrenbeschluss einer Volksversammlung, den so viele Inschriften dokumentieren. Die Verlesung dieser Ehrung wird damit automatisch ein Freudenfest seiner Rückkehr (vgl. 1Kor 16,18). 30 … ὅτι διὰ τὸ ἔργον Χριστοῦ μέχρι θανάτου ἤγγισεν παραβολευσάμενος τῇ ψυχῇ, ἵνα ἀναπληρώσῃ τὸ ὑμῶν ὑστέρημα τῆς πρός με λειτουργίας. Der letzte Vers des Abschnitts begründet (ὅτι) und verstärkt Paulus’ Dank. Wegen des Wirkens (τὸ ἔργον → 1,6.22) für Christus „näherte er sich bis zum Tod“. Der Genitiv in τὸ ἔργον Χριστοῦ gibt das Objekt des Wirkens an, also Wirken für Christus. Eine subjektive Mitbedeutung „das von Christus selbst erwirkte Werk“ ist aber nicht auszuschließen. Einige Manuskripte, die Majuskeln �, A, P, Ψ, 075, die Minuskeln 33, 81, 104, 365, 1241, 1505, die Harklensis und die koptisch-bohairische Überlieferung lesen ἔργον κυρίου (vgl. 1Kor 15,58; 16,10). Der Text, ἔργον Χριστοῦ, ist gut bezeugt durch �46, B, F, G, 0278, die Minuskeln 6, 1175, 1739, 1881, 2464 und die sahidischkoptische Überlieferung. D, K, L, die Minuskel 630 und � lesen τοῦ Χριστοῦ. Einige Auslegungen votieren für τὸ ἔργον ohne Zusatz, was allerdings lediglich durch die Majuskel C bezeugt ist (Lightfoot, K. 124; E. Lohmeyer, K. 121). 207
2,19–30
Reisepläne
Μέχρι θανάτου ἤγγισεν lehnt sich an biblische Sprache an (ἤγγισεν δὲ εἰς θάνατον ἡ ψυχὴ αὐτοῦ „es näherte sich seine Seele bis zum Tod“, Hi 33,22; Sir 51,6). Die meisten aber entdecken eine Anspielung auf das μέχρι θανάτου aus dem Philipperhymnus (→ 2,8; E. Lohmeyer, K.; Schenk, K. 239; Holloway, K.). Hier ist mehr gemeint als Todesangst, für deren Überwindung Epaphroditus als Vorbild stehen könnte (anders Hicks*). Die Todesgefahr, in die Epaphroditus in seinem Wirken für Christus geraten ist, wird ergänzend beschrieben mit einer Formulierung, die sehr ähnlich ebenfalls auf einer Ehreninschrift für Karzoazos Attalos von der Küste des Schwarzen Meeres zu lesen ist: „Aber auch bis zu den Enden der Erde wurde ihm das Zeugnis zuteil, dass er sich der Freundschaft zuliebe durch den Beistand im [Rechts]streit bis zu den Majestäten hin den Gefahren aussetzte“ (ἀλλὰ καὶ hμέχριi περάτων γῆς ἐμαρτυρήθη τοὺς ὑπὲρ φιλίας κινδύνους μέχρι Σεβαστῶν συμμαχίᾳ παραβολευσάμενος, IosPE I2 21,26–28, 2. Jh. n. Chr.; Übers. Deissmann, LO 69; Dibelius, HNT; Danker* 426). Auch andere Gesandte setzen in ihrem Einsatz „Leib und Seele aufs Spiel“ (ψυχῇ καὶ σώματι παραβαλλόμενος, IGBulg I2 13, 39, → Exk. 11). Einige jüngere Manuskripte, die Majuskeln C, K, L, P, Ψ, 075, die Minuskeln 33, 81, 104, 365, 630, 1241, 1505, 1739, 1881, 2464, �, die syrische und Teile der bohairischen Überlieferung lesen allerdings παραβουλευσάμενος „einen leichtfertigen, unüberlegten Entschluss fassen“, vermutlich weil das παραβολεύομαι „aufs Spiel setzen, preisgeben“ ungebräuchlich ist. Dann wird der Einsatz als übertriebene Risikobereitschaft gewertet (Hawthorne/Martin, K.). Der so mit starken Worten gerühmte Einsatz des Epaphroditus hat stellvertretend, wie die Vorsilbe ἀνα- hervorhebt, die „Lücke aufgefüllt“ an „eurem Bedürfnis“ (Delling, ThWNT VI 305; Venetz* 16) und „eurem Mangel“ (Wilckens, ThWNT VIII 592; Spicq III 669 f.). Vom ἀναπληροῦν τὸ ὑστέρημα „Auffüllen des Mangels“ spricht Paulus in Bezug auf die Versorgung in Korinth, für das die Geschwister aus Makedonien sorgten (2Kor 11,9), in Bezug auf die Kollekte, die die Armut der Heiligen in Jerusalem lindern kann (2Kor 9,12; vgl. auch 8,14), und in Bezug auf die Ankunft des Stephanas, Fortunatus und Achaikus, die Paulus’ Mangel an Gemeinschaft mit der Gemeinde in Korinth auffüllten (1Kor 16,17). Der Genitiv gibt an, welcher Person etwas mangelt (Wilckens, ThWNT VIII 597). Die Wortstellung τὸ ὑμῶν ὑστέρημα zeigt zunächst an, dass es um einen Mangel derer in Philippi geht. Der zweite Genitiv gibt an, woran es den Philipperinnen und Philippern mangelt und worin ihr Bedürfnis besteht: nämlich an öffentlicher Dienstleistung zugunsten des Paulus (τῆς πρός με λειτουργίας; vgl. V. 25). Epaphroditus hat mit seiner Gesandtschaft zu Paulus stellvertretend für die Gemeinde diesen Dienst übernommen und damit den Mangel der Gemeinde aufgefüllt. Er tat dies unter Einsatz seines Lebens als Wirken für Christus. Daher gebührt ihm Dank nicht nur von der Gemeinde (so V. 29), sondern insbesondere auch von Paulus, dem Empfänger dieser λειτουργία und Dienstleistung aus Philippi.
Epaphroditus heißt keineswegs umsonst als Einziger im Philipperbrief Apostel. Mit fünf Ehrentiteln und öffentlichem Dank für seine unter Einsatz des Lebens erfolgreich durchgeführte Gesandtschaft ausgestattet, ist er der diensttuende Liturge und Wohltäter, den es nachzuahmen gilt. Er ist es wohl auch, der den Brief (B) nach Philippi bringt. Mit seinem ausführlichen Dank spricht Paulus über die Arbeit des Epaphroditus 208
Aufruf zum Dank für den Dienst des Epaphroditus
2,30
ein Votum aus, das beim Verlesen dieses Briefes öffentlich erklingt. Der Dank hebt besonders den lebensgefährlichen Einsatz des Epaphroditus hervor. Seine anscheinend verfrühte Rücksendung aufgrund seiner Krankheit hätte auch als Ablehnung dieser Dienstleistung missverstanden werden können. Paulus, dem diese Krankheit zusätzlich Schmerzen bereitet hatte, erlebt die Genesung des Epaphroditus als Gottes Erbarmen. Gottes Erbarmen möge auch den Schmerz und die Trauer in Philippi in Freude verwandeln. Mit seiner Danksagung wehrt Paulus nicht nur jegliche Kritik gegenüber Epaphroditus ab, vor allem drückt er damit Anerkennung für die Leistung der Gemeinde aus, die Epaphroditus stellvertretend für sie übernommen hatte. Die Danksagung für die λειτουργία des Liturgen Epaphroditus lehnt sich mit ihren Formulierungen an zeitgenössische Volksbeschlüsse für mit öffentlichen Gesandtschaften Betraute an, die auf Inschriften festgehalten den öffentlichen Raum antiker Städte prägen. Auffällig ist allerdings, dass hier ein Gesandter geehrt wird, der wegen einer Krankheit seinen Auftrag nur zum Teil erfüllen konnte. Was auch fehlt, ist der Hinweis, dass Epaphroditus seine Gesandtschaft und seinen Dienst aus eigenen Mitteln finanzierte. Wenn Epaphroditus, wie andere Träger des Namens, zur Gruppe der versklavten Menschen gehörte, wäre seine Ehrung im Lichte antiker Gepflogenheiten höchst ungewöhnlich.
209
3,1 Briefschluss (Brief B) 1
Schließlich, meine Geschwister, freut euch im Herrn! Dasselbe zu schreiben, ist mir nicht lästig, euch aber macht es sicher.
H. D. Betz, Studies 48–50. – Bornkamm, Philipperbrief. – Brucker, ‚Christushymnen‘ 325 f. – Paul A. Holloway, Verum gaudium res severa est! Reflections on the Hermeneutics of Literarkritik in Philippians, in: Eve-Marie Becker/Hermut Löhr (Hg.), Die Exegese des 2 Kor und Phil im Lichte der Literarkritik, BThS 185, 2010, 233–246. – Müller-Bardorff, Einheit des Philipperbriefs. – Reed, Discourse Analysis. – Ders., Philippians 3:1 and the Epistolary Hesitation Formulas. The Literary Integrity of Philippians, Again, JBL 115,1 (1996), 63–90. – Stowers, Friends. – Wick, Philipperbrief 54–58.
Der Vers 3,1a setzt zum Briefschluss an und enthält einen weiteren Aufruf zur Freude. V. 3,1b fügt eine Metareflexion über den Schreibprozess des Verfassers hinzu. In der heutigen Anordnung des kanonischen Philipperbriefs folgt ein radikaler Stimmungsumschwung mit der dreifachen Aufforderung, auf drei Gruppen zu blicken, bevor Paulus zu einem längeren autobiographischen Abschnitt mit eschatologischem Ausblick ansetzt (3,2–21). V. 4,1 greift dann wieder das Thema und die imperativische Redeform aus 3,1a auf. Die offensichtlichen Spannungen zwischen 3,1a/b und 3,2 haben in der Auslegungsgeschichte zu vier Lösungsoptionen geführt (→ Einl. 4.1). (A) Wer den kanonisch gewordenen Brief für einen von Paulus formulierten Gesamttext hält, entdeckt hier eine rhetorische Markierung als „Überleitung“ mit „zusammenfassende[m] Hinweis auf die bisherige Entfaltung“ (Brucker* 325), eine „Markierung des argumentativen Wendepunkts“ (Wick*; Bockmuehl, K.; Free, K.) oder eine ‚notwendige Einleitung des folgenden Argumentationsgangs‘ (Holloway, K. 15; Holloway*). (B) Eine Mittelposition nimmt ein, wer hier die Markierung einer Unterbrechung des Vorhergehenden nach einer Diktierpause mit Stimmungsumschwung oder dem Eintreffen neuer Nachrichten vermutet (Lightfoot, K.; U. B. Müller, K.). Dibelius spricht von „Abschweifung mit polemischer Tendenz“ (HNT 59). (C) Einige halten den Vers 3,1b für den kommentierenden Zusatz eines späteren Redaktors, der als Glosse in den Text geraten ist. (D) Schließlich, so wird im Folgenden argumentiert, ist der Bruch zwischen 3,1a/b und 3,2 das Indiz für eine nachträgliche Redaktion, die den kanonisch gewordenen Brief aus zwei ursprünglich unverbundenen Briefen zusammenstellte (Bornkamm*; Reumann, K. 451–458; → Einl. 4.3). Ein wichtiges Argument für diese Entscheidung ist die Beobachtung einer Verbindung von 3,1b und 4,1 im Bildfeld „sicher stehen“. Die Grundthese, die Paulus in 3,1 + 4,1–7.9b amplifizierend wieder-
210
Briefschluss
3,1
holt, ist, dass sich „im Herrn“ zu freuen einen sicheren und festen Stand im Herrn verleiht. 1 Τὸ λοιπόν, ἀδελφοί μου, χαίρετε ἐν κυρίῳ. τὰ αὐτὰ γράφειν ὑμῖν ἐμοὶ μὲν οὐκ ὀκνηρόν, ὑμῖν δὲ ἀσφαλές. Durch τὸ λοιπόν „schließlich, im Übrigen“ wird die Einleitung in den Briefschluss mit abschließenden Aufforderungen und Bitten markiert (B/D/R § 160.33; → 4,8; 1Thess 4,1; Gal 6,17; 2Kor 13,11; Eph 6,10; 2Thess 3,1; Papyrusbelege bei Arzt-Grabner, 2. Korinther 536). Wie fast alle Auslegungen beobachten, will „Paulus hier zum Ende seines Briefes kommen“ (Dibelius, HNT 85). Auch in 1Thess 5,16 und 2Kor 13,11 ruft Paulus abschließend zur Freude auf. Der Philipperbrief knüpft dabei an den Grundakkord des gesamten Freuden- und Dankesbriefs B an (→ 1,4.25 f.; 2,2.17 f.28 f.; 4,1.4). In der Wirklichkeit Gottes, ἐν κυρίῳ, ist trotz der gegenwärtigen größten Not eine Gegenwirklichkeit, die Freude erleben lässt und zur Widerstandskraft gegen Angst und Leid machen kann (→ Exk. 6). Der Aufforderung des „Freut euch im Herrn!“ wird in 4,1 ein „Steht fest im Herrn!“ korrelieren (Holloway, K.). V. 3,1b enthält eine anschließende Metareflexion aus auktorialer Perspektive. Wer 3,1b als Einleitung zu 3,2–21 liest, hält den Satz häufig für einen Hinweis darauf, dass die Philipperinnen und Philipper das Folgende bereits kennen (Stowers* 115 f.). Hierbei wird an die Aufforderung zur Freude in 2,18 oder an die Aufforderung, Epaphroditus „mit Freuden aufzunehmen“, gedacht (Bruce, K./O’Brien, K.; Fowl, K.; Häußer, K.). Manche denken auch an hier zwar noch nicht Erwähntes, aber mündlich bei früheren Besuchen Gesagtes, etwa eine Warnung vor Irrlehrern (Gnilka, K.; Holloway, K.). Andere entdecken die Markierung einer Diktierpause, deren Länge allerdings nicht bestimmt werden kann (U. B. Müller, K.). Hans Dieter Betz* hält 3,1b für den Beginn eines Postskripts, was Paulus jedoch sonst deutlicher markiert (1Kor 16,21; Gal 6,11). Auch eine Anspielung auf einen verlorenen Brief wurde vermutet (Theod Mops Comm in Phil 3,1 [Greer 332]; Lightfoot, K. 138–142; Friedrich, K.). Verweise auf frühere Briefe formuliert Paulus jedoch ausdrücklich mit ἔγραψα „ich habe geschrieben“ (1Kor 5,9.11; 2Kor 2,3). Ὀκνηρός heißt eigentlich „träge, faul, zaudernd, ängstlich, widerwillig“, wird an dieser Stelle aber zumeist kausativ aufgefasst: „Bedenken oder Unlust verursachend“ (Hauck, ThWNT V 167 f.). Einige identifizieren die brieftypische Formulierung: „Zögere nicht!“. So schreibt Andron an Milon: „Zögere nicht, uns zu schreiben, was wir für Dich tun können!“ (μὴ ὀκνῶν γράφειν ἡμῖν καὶ τί ἄν σοι ποιοῦντες, P.Eleph.Gr. 13,7; Sel. Pap. I 96, 222 v. Chr.). In einem anderen Brief heißt es: „Und zögere nicht im Briefeschreiben, denn ich habe mich darüber überaus gefreut, als ob Du bei mir wärest“ (καὶ μὴ ὀκ[νή]σῃς γράφων ἐπιστολάς, ἐπεὶ ἐχάρην λίαν λίαν ὥς σου παραγεναμένου P.Mich. 8 482 II,22–24, 133 n. Chr.; weitere Beispiele bei Spicq II 615; Reed, Philippians 66–72; Reed, Discourse 229–239). Ἀσφαλής, von α-σφάλλω/σφαλῆναι „nicht gefallen“, charakterisiert Personen als „zuverlässig“ oder „überzeugend“, vor allem aber Orte und Wege als „sicher“ (LSJ 266; Spicq III 73 f.). Selten wird ἀσφαλής von Wissensbeständen ausgesagt, etwa: „festes und sicheres Begreifen“ (κατάληψις ἀσφαλὴς καὶ βέβαιος, Philo congr. 141; vgl. Apg 25,26; Hebr 6,19). Die Minuskeln 104, 323, 614, 629, 945, 2464 lesen daher eine Substantivierung τὸ ἀσφαλές, worin ihnen einige Auslegungen folgen: „Es fällt mir 211
3,1
Briefschluss
nicht lästig, euch dasselbe zu schreiben, geschieht es doch zu eurer Sicherheit“ (Gnilka, K. 184; Reed, Philippians 78). Die Übrigen votieren mit Luther für eine übertragenmetaphorische Bedeutung: „Macht euch umso gewisser!“ (Lutherbibel 2017). Umstritten ist, ob sich die Metareflexion auf das Vorangehende oder das Nachfolgende bezieht. Prinzipiell kann τὰ αὐτά kataphorisch auf das Folgende vorausweisen. Typischer ist allerdings ein anaphorischer Bezug, hier also auf die soeben genannte Aufforderung „Freut euch!“ in 3,1a. Denn es handelt sich ja tatsächlich um eine Wiederholung aus 2,18 (Dibelius, HNT; E. Lohmeyer, K.; U. B. Müller, K.). Und auch die Freude über die Genesung des Epaphroditus ist mit gemeint (→ 2,29). Dagegen schließt der Aufruf zum Blicken auf die „Hunde“, „schlechten Arbeiter“ und die „Zerschneidung“ in 3,2 weder inhaltlich noch formal an die Metareflexion in 3,1b an. Viel deutlicher ist der Anschluss von 3,1b an 4,1: … οὕτως στήκετε ἐν κυρίῳ „… so steht im Herrn!“. Denn „fest“ oder „sicher stehen“ ἔστηκα/στήκω wird häufig mit dem Adjektiv ἀσφαλής modifiziert. Plutarch meint z. B., es sei der einzige emotionale Halt gegenüber dem Schicksal, „in den wichtigsten und größten Dingen sicher zu stehen“ (ἀσφαλὴς ἕστηκεν; Plut Tranq An 475C). Cornutus nennt als Beinamen des Gottes Poseidon den Namen „der Sichernde“ (Ἀσφάλειος), „weil ihm die sichere Standfestigkeit der Wohngebäude auf der Welt obliegt“ (ὡσὰν ἐπ’ αὐτῷ κειμένου τοῦ ἀσφαλῶς ἑστάναι τὰ οἰκήματα ἐπὶ τῆς γῆς, Cornut Theol Graec 22,4). Mit dieser Beobachtung muss ἀσφαλής auch nicht mehr metaphorisch interpretiert werden. Vielmehr bezieht sich „sicher“ auf das „… steht so im Herrn“. Freude ist das, was die Gemeinde sicher im Herrn stehen lässt, und dies wiederholt zu betonen, ist für Paulus keine Last. Die Metareflexion über die Selbstwiederholung bezieht sich also nicht auf den Übergang zu 3,2, sondern auf die bereits erwähnten (2,18; vgl. 1,26; 2,29) und noch folgenden Bezeugungen und Aufrufe zur Mitfreude (χαρά μου, χαίρετε 4,1.4). Der Freuden- und Dankesbrief B schließt mit betont wiederholten Aufforderungen zur gemeinsamen Freude als einer Lebenshaltung, die die Trennung zwischen Paulus und Gemeinde im Hier und Jetzt überwinden kann. Die Wiederholung kann keinesfalls aufgeschoben werden, weil sie die Gemeinde sicher stehen lässt. 3,1 ist also der Beginn der abschließenden Schlussmahnungen in 4,1–7.9b, mit denen Paulus seinen Dankesbrief an die Gemeinde in Philippi für ihre treue Gemeinschaft während seiner Gefangenschaft schließt und noch einmal um standhafte Eintracht wirbt. Die Endredaktion des kanonisch gewordenen Briefes hat die Metareflexion als Überleitung genutzt, um das Fragment des Abschiedsbriefs aus 3,2–21 in den jetzigen Kontext zu integrieren. Damit wird der folgende Abschnitt zum Verweis auf wiederholte Warnungen vor Irrlehrern, deren Auftreten selbst den Beginn der Endzeit markiert (1Tim 4,1–3; 2Tim 3,1; 2Thess 2,3; 2Petr 3,3; 3Kor). Über die Standhaftigkeit des nunmehr als Märtyrer vollendeten Paulus kann sich die Gemeinde, der er doch wiederholt schrieb und die er seiner Liebe versicherte, mit größtem Recht freuen.
212
3,2–21 Fragment eines Abschiedsbriefs (Brief C)
Dorothea Bertschmann, Is There a Kenosis in This Text? Rereading Philippians 3:2–11 in the Light of the Christ Hymn, JBL 137,1 (2018), 235–254. – H. D. Betz, Studies 47–67. – Ingo Broer, Autobiographie und Historiographie bei Paulus, in: Thomas Schmeller (Hg.), Historiographie und Biographie im Neuen Testament und seiner Umwelt, NTOA 69, 2009, 155–178. – Wolfgang Harnisch, Die paulinische Selbstempfehlung als Plädoyer für den Gekreuzigten. Rhetorisch-hermeneutische Erwägungen zu Phil 3, in: Ulrich Mell/Ulrich B. Müller (Hg.), Das Urchristentum in seiner literarischen Geschichte [FS Jürgen Becker], BZNW 100, 1999, 133–154. – Antony R. Littlewood, Biography and Autobiography, in: Nigel Wilson (Hg.), Encyclopedia of Ancient Greece, 2006, 124–126. – Karl-Wilhelm Niebuhr, Heidenapostel aus Israel. Die jüdische Identität des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen, WUNT 62, 1992. – Rahtjen, Three Letters. – Standhartinger, Apocalyptic Thought. – Dies., ‚Join in Imitating Me‘. – Dies., Weisheitliche Idealbiografie. – Gerd Theißen, Psychologische Aspekte paulinischer Theologie, FRLANT 131, 1983, 230–252. – Martin Winter, Das Vermächtnis Jesu und die Abschiedsworte der Väter. Gattungsgeschichtliche Untersuchung der Vermächtnisrede im Blick auf Joh. 13–17, FRLANT 161, 1994, 9–213. – Wojtkowiak, Christologie und Ethik 168–217.
Mit dem Übergang von Phil 3,1 auf 3,2 wechselt der Ton abrupt. Unvermittelt werden die Adressatinnen und Adressaten aufgefordert, eine oder mehrere mit drei Schlagworten charakterisierte Gruppe(n) wahrzunehmen (3,2). Nach der Selbstversicherung seiner jüdischen Identität folgt eine längere Ich-Rede, in der Paulus auf seine Herkunft, Gegenwart und Zukunft blickt (3,4–14) und zur nachahmenden, kreativen Aneignung der vorgestellten Biographie aufruft (3,15–17). Die biographischen Details aus Phil 3,5 f. ergänzen, was wir über Paulus vor seiner Berufung wissen. Phil 3,9 enthält eine knappe Formulierung paulinischer Rechtfertigungslehre, die sowohl in der Diskussion um die ‚New Perspective on Paul‘ als auch in der Diskussion um die Übersetzung des Syntagmas πίστις Χριστοῦ viel diskutiert wird (→ Exk. 12–13). Phil 3,8– 9a und 3,10 f. beschreiben die von Paulus erstrebte Christusgemeinschaft als Erkenntnis- und Transformationsprozess. Ab V. 18 blickt Paulus unter Tränen in die Zukunft, zunächst auf den Untergang der „Feinde des Kreuzes“, dann sagt er die Ankunft des von der himmlischen Bürgerschaft ausgesandten Retters an, die mit der Verwandlung der geschundenen Körper in eine himmlische Lichtgestalt einhergehen wird (3,20 f.). Phil 3,2–21 beschreibt mehr als ein christusförmiges Leben der Selbsterniedrigung und ihrer Belohnung durch göttliche Erhöhung. Die von einigen Auslegungen angeführte Aufnahme von Begriffen aus dem Christushymnus in 2,6–11 bleibt formal und enthält kaum inhaltliche Entsprechungen (Wojtkowiak* 176; Bertschmann* 235–247; Aletti, K. 17–21). Im Folgenden wird Phil 3,2–21 als Fragment eines Abschiedsbriefs 213
3,2–21
Fragment eines Abschiedsbriefs (Brief C)
interpretiert, das nach Sammlung und Aufbewahrung in Philippi in den heutigen Kontext redaktionell eingefügt wurde (→ Einl. 4.2–3). In diesem Prozess gingen mindestens Präskript, Danksagung und Schlussgrüße verloren (Schenk, K. 280; Reumann, K. 470). Einige Auslegungen vermuten hinter der ausführlichen Ich-Rede in V. 4–14 „Einblicke in die Persönlichkeit des Apostels“ (Schnelle, Paulus 406). Man hat aus den Versen 4–6.9 sogar Rückschlüsse auf das Bewusstsein des „vorchristlichen Paulus“ gezogen, inklusive eines unbewussten psychischen Konflikts mit dieser Vergangenheit (Theißen*). Forschungen zur Autobiographie mahnen zur Vorsicht. Autobiographien zielen auf Veranschaulichung eines positiven Charakters und müssen keineswegs historische Wahrheiten abbilden (Broer* 169–173). Damit ist auch die Frage nach der Gattung des Brieffragments aus 3,2–21 gestellt. Vorgeschlagen wurde die Gattung ‚Autobiographie‘ oder memorandum/ὑπόμνημα, zu der man so diverse Texte wie Platos 7. Brief, Isocrates’ Antidosis-Rede (Or 15), Augustus’ Res Gestae oder Josephus’ Vita zählen kann (H. D. Betz* 50–52; Littlewood*). Anders als dieses dem politischen Rechenschaftsbericht gewidmete Genre, enthält Phil 3,2–21 jedoch keine historischen Details. Die Verse 3,15–17.20 f. sind zudem in einem inklusiven Wir-Stil formuliert. Ältere literarkritische Entwürfe beschreiben Phil 3,2 ff. als „Kampfbrief“, der in Anlehnung an die Auseinandersetzungen im Galater- oder im 2. Korintherbrief das Ziel verfolge, die Gemeinde vor einem Überlaufen zu anderen Missionaren abzuhalten (→ Einl. 4.1; 4.3). Als rhetorische Redegattung wäre das eine Gerichtsrede (genus iudiciale; Schenk, K. 278). Polemische Passagen bleiben jedoch auf V. 2 und 18 f. beschränkt. Die biographische Konzentration und die Vergleichung/Synkrisis in V. 4 geben Anlass, für die Gattung Verteidigungsrede/Apologie zu votieren (Harnisch*). Als eine „Verteidigung, für ein Gerichtsverfahren geschrieben“, bezeichnet Isokrates seine Autobiographie (ἀπολογία … περὶ κρίσεως γεγράφθαι; Isoc Or 15,13). Schließlich erinnern die in V. 15 einsetzenden Ermahnungen an das genus deliberativum, das heißt eine Mahnrede (Niebuhr* 82 f.). Die Folge von biographischen und geschichtstheologischen Rückblicken, daraus abgeleiteten Ermahnungen und Warnungen vor zukünftig auftretenden Feinden zeichnet in der frühjüdischen Literatur jedoch eine spezifische Gattung aus, die Abschiedsrede oder das Testament. Hier berichten z. B. Eva, Jakob und seine zwölf Söhne, Mose oder Hiob und andere auf dem Sterbebett über ihr Leben, ermahnen ihre Nachkommen, Gottes Gebote zu befolgen und warnen vor zukünftigem Abfall (TestEva = ApkMos/VitAd [griechisch] 15–30; Gen 49; TestXII; Dtn; AssMos; TestHiob). Dahinter steht die Gattung ‚Abschiedsrede‘ eines und einer Sterbenden, die im ganzen antiken Orient, in der Bibel und in der griechisch-römischen Literatur in Variationen bekannt ist (Xenoph Cyrop 8.7,6–28; Dtn 31,1–33,29; 1Sam 12,1–25; Joh 13–17; Apg 20,18–35; 2Tim; 2Petr; Sweeney/van Wahlde/Avery-Peck, EBR 8, 875–884; M. Winter*). Mit biographischem Rückblick in 3,5–11, daraus abgeleiteten Ermahnungen in 3,15–17, Warnungen vor Feinden in V. 2 und 18 f. sowie Zukunftsschau in V. 18–21 enthält der Text 3,2–21 alle Elemente der Gattung Abschiedsrede und Testament (Rahtjen* 171 f.; Berger, K. 718; Standhartinger, Join in Imitating Me 427–432). Einzigartig ist allerdings der Einsatz mit dem dreifachen Aufruf zur Aufmerksamkeit in V. 2. Der biographische Rückblick des Paulus bleibt einerseits unabgeschlossen (3,8– 214
Fragment eines Abschiedsbriefs (Brief C)
3,2–21
14), andererseits sagt Paulus eine doppelte Zukunft voraus: die Vernichtung für Feinde und das aus der Transzendenz herabkommende Heil für die Wir-Gruppe (3,18–21). Anstelle der Einsetzung eines Nachfolgers steht, wie in anderen jüdischen Vertretern der Gattung, der Aufruf zur gemeinsamen Nachahmung (3,17; vgl. Dtn 31,14 f.23; Apg 20,28; 2Tim 2,19 f.). Die Verse 4–17 lehnen sich außerdem an die Selbstvorstellung eines Weisheitslehrers an und nutzen sie als ein Mastermodell, in das Paulus seine Christusbiographie einschreibt (Schenk, K. 274 f.; Standhartinger, Weisheitliche Idealbiografie). Wie der Weisheitslehrer in seinen Selbstvorstellungen in Sir 51,13–30 und SapSal 6–9 erachtet Paulus alle menschlichen Vorzüge und Tugenden für nichts gegenüber seiner alles übertreffenden Sehnsucht nach Gottes Tochter Weisheit respektive Gottes Sohn. Wie der Weisheitslehrer befindet sich Paulus in einem unendlich unabgeschlossenen Prozess des Strebens nach tieferer Erkenntnis, Transformation und Begegnung mit der Transzendenz. Wie der Weisheitslehrer einlädt, ihm auf dem Weg zur Vollkommenheit zu folgen, ruft Paulus dazu auf, sich die von ihm vorgeführte weisheitliche Christusbiographie kreativ anzueignen (3,15–17). In V. 18 wechselt Paulus dann metakommunikativ den Redemodus und sagt weinend das Verderben der „Feinde des Kreuzes“ und die Rettung für die eigene Gruppe an. Damit schlüpft Paulus in eine andere Rolle, nämlich die eines apokalyptischen Sehers und Propheten (Standhartinger, Apocalyptic Thought). Wie ein apokalyptischer Prophet blickt Paulus vom Ende der Geschichte auf eine leidvoll erfahrene Gegenwart. Abgesehen von den Polemiken gegenüber einer schwer zu identifizierenden Opposition enthält Phil 3,2–21 kaum situative Bezüge (→ Exk. 15). Diese merkwürdige Kontextlosigkeit fällt insbesondere in einem sonst dem Nachrichtenaustausch gewidmeten Brief ins Auge. Hans Dieter Betz identifiziert Phil 3,2–21 als vorformulierten Lebenslauf, der dem Brief beigelegt worden sei (H. D. Betz* 50). Mir scheint eine durch die Wahl der Gattung und die andeutenden Anspielungen verhüllte und verhüllende briefliche Kommunikation wahrscheinlicher: Paulus möchte mehr sagen, als er in einem Brief aus dem Gefängnis, der mit mitlesenden Gefängniswärtern, Geheimagenten und Anklägern zu rechnen hat, zum Ausdruck bringen kann (→ Einl. 5). Neben der Redegattung, die auf eine Abschiedssituation verweist, finden sich auch Andeutungen auf körperliches Leiden (3,10.20 f.). Die Hoffnung auf Auferstehung ist keineswegs triumphal ausgedrückt, sondern zurückhaltend vorsichtig formuliert (3,11.14). Die apokalyptische Passage in den Verse 18–21 nimmt eine Perspektive jenseits dieser Welt ein. All dies deutet darauf hin, dass Paulus die Zeilen im Angesicht des in 2Kor 1,8 f. angesprochenen Todesurteils verfasste, das dem negativen Ausgang seines Prozesses in Ephesus folgte. Es lässt sich daher vermuten, dass Paulus Phil 3,2–21 als letztes Abschiedswort an die geliebten und treuen Geschwister in Philippi formulierte. Nach seiner plötzlichen Freilassung erwies sich dieses Abschiedswort zunächst als etwas verfrüht. Nachdem Paulus jedoch tatsächlich zum Märtyrer geworden war, fügten die Freundinnen und Freunde in Philippi den Abschiedsbrief in die heutige Stelle ihres redigierten Philipperbriefs ein, den sie im 2. Jahrhundert unter anderem nach Antiochia verbreiteten (Polyk 13,1; → Einl. 4.3). Nunmehr unterstreicht Phil 3,2–21 die vorbildhaften Tugenden und das transzendentale Wissen des Märtyrerapostels. 215
3,2–21
Fragment eines Abschiedsbriefs (Brief C)
3,2–4a Aufruf zur Aufmerksamkeit und Selbstvergewisserung 1
Seht die Hunde! Seht die schlechten Arbeiter! Seht die Zerschneidung! Denn wir sind die Beschneidung, die wir im Geist Gottes dienen, uns in Christus Jesus rühmen und nicht im Fleisch vertrauen, 4aobgleich ich auf das Fleisch Vertrauen setzen kann.
3
Herbert W. Bateman, Were the Opponents at Philippi Necessarily Jewish?, BS 155 (1998), 39–61. – Eve-Marie Becker, Das introspektive Ich des Paulus nach Phil 1–3. Ein Entwurf, NTS 65 (2019), 310–331. – Dies., Polemik und Autobiographie. – H. D. Betz, Studies 47–89. – Robert L. Brawley, From Reflex to Reflection? Identity in Philippians 2.6–11 and its Context, in: Kathy Ehrensperger/J. Brian Tucker (Hg.), Reading Paul in Context. Explorations in Identity Formation, [FS William S. Campbell] 2010, 128–146. – Takaaki Haraguchi, Das Unterhaltsrecht des frühchristlichen Verkündigers. Eine Untersuchung zur Bezeichnung ἐργάτης im Neuen Testament, ZNW 84 (1993), 178–195. – Harrison, From Rome. – Hellerman, Reconstructing Honor 121–127. –Jonas Holmstrand, Gängse tolkning av Fil 3:2 – ett exempel på antijudisk exeges?, SEÅ 69 (2004), 137–153. – George D. Kilpatrick, ΒΛΕΠΕΤΕ in Philippians 3,2, in: Matthew Black/Georg Fohrer (Hg.), In Memoriam Paul Kahle, 1968, 146–148. – Helmut Koester, The Purpose of the Polemic of a Pauline Fragment (Philippians III), NTS 8 (1961/1962), 317–332. – Matthias Konradt, „Mein Wandel einst im ‚Ioudaismos‘“ (Gal 1,13). Paulus als Jude und das Bild des Judentums beim Apostel Paulus, in: René Bloch/Simone Haeberli/Rainer Schwinges (Hg.), Fremdbilder – Selbstbilder. Imaginationen des Judentums von der Antike bis in die Neuzeit, 2010, 25–67. – Wolfgang Kraus, Das Volk Gottes. Zur Grundlegung der Ekklesiologie bei Paulus, WUNT 85, 1996, 336–341. – Bruce J. Malina/Jerome H. Neyrey, Portraits of Paul. An Archaeology of Ancient Personality, Louisville 1996, 51–55. – Mark D. Nanos, Out-Howling the Cynics. Reconceptualizing the Concerns of Paul’s Audience from his Polemics in Philippians 3, in: Joseph A. Marchal (Hg.), The People beside Paul. The Philippian Assembly and History from Below, 2015, 183–221. – Ders., Paul’s Polemic in Philippians 3 as Jewish-Subgroup Vilification of Local Non-Jewish Cultic and Philosophical Alternatives, JSPL 3,1 (2013), 47–91. – Ders., Paul’s Reversal of Jews Calling Gentiles ‚Dogs‘ (Philippians 3:2). 1600 Years of an Ideological Tale Wagging an Exegetical Dog?, Bibl.Interpr. 17 (2009), 448–482. – Niebuhr, Heidenapostel aus Israel 87–103. – Scott C. Ryan, The Reversal of Rhetoric in Philippians 3:1–11, PRSt 39,1 (2012), 67–77. – Schinkel, Bürgerschaft. – Walter Schmithals, Die Irrlehrer des Philipperbriefs, ZThK 54 (1957), 297–341. – Stefan Schreiber, Cavete Canes. Zur wachsenden Ausgrenzungsvalenz einer neutestamentlichen Metapher, BZ 45 (2001), 170–192. – Peter-Ben Smit, Paul, Plutarch and the Problematic Practice of Self-Praise (περιαυτολογία). The Case of Phil 3.2–21, JSNT 60 (2014), 341– 359. – Christian Strecker, Die liminale Theologie des Paulus. Zugänge zur paulinischen Theologie aus kulturanthropologischer Perspektive, FRLANT 185, 1999. – Jerry L. Sumney, ‚Servants of Satan‘, ‚False Brothers‘ and Other Opponents of Paul, JSNT.S 188, 1999, 160–187. – Herbert Ulonska, Gesetz und Beschneidung. Überlegungen zu einem paulinischen Ablösungskonflikt, in: Dietrich-Alex Koch/Gerhard Sellin/Andreas Lindemann (Hg.), Jesu Rede von Gott und ihre Nachgeschichte im frühen Christentum [FS Willi Marxsen], 1989, 314–331. – Francis Watson, Paul, Judaism, and the Gentiles. Beyond the New Perspective, 22007, 136–150. – Florian Wilk, Ruhm coram Deo bei Paulus?, ZNW 101,1 (2010), 55–77. – Dieter Zeller, Selbstbezogenheit und Selbstdarstellung in den Paulusbriefen, in: Ders., Neues Testament und hellenistische Umwelt, BBB 150, 2006, 201–213.
216
Aufruf zur Aufmerksamkeit und Selbstvergewisserung
3,2–21
Unvermittelt ruft V. 2 zur Aufmerksamkeit gegenüber „Hunden“, „schlechten Arbeitern“ und „der Zerschneidung“ auf. Der Aufruf wird häufig als Warnung vor einer jüdischen oder judenchristlichen Gegenmission interpretiert. Die drei ‚Schimpfwörter‘ lassen allerdings wenig bezüglich der theologischen Position einer oder mehrerer Oppositionsgruppe(n) erkennen (→ Exk. 15). Rückbezüge zu vorangehenden Briefteilen gibt es ebenso wenig (H. D. Betz* 50; U. B. Müller, K.). Erst → 4,1 nimmt Stichworte aus → 3,1 wieder auf. Funktion und Zuordnung von V. 3 und V. 4a/b zum Kontext werden unterschiedlich bestimmt. Wer V. 2 als Warnung vor einer oder mehreren konkreten Gruppen liest, interpretiert V. 3 als Synkrisis oder Vergleichung, die den Ehrentitel „Beschneidung“ für die Christus-Gruppe des Paulus reklamiert. Das dritte Schlagwort „Zerschneidung“ ist dann eine Paronomasie oder Verballhornung von „Beschneidung“. Nicht erkennen lässt sich allerdings, ob eventuelle Gegnerinnen und Gegner die philippischen Männer auffordern, sich beschneiden zu lassen, ob sie Nichtbeschnittene auszugrenzen suchen oder sich über Beschnittene erheben wollten oder für welche anderen konkreten, praktischen Forderungen oder theologischen Positionen „Beschneidung“ hier steht. Der Satz „Wir sind die Beschneidung“ in V. 3a drückt keinen Gegensatz aus, sondern betont mit der biblisch-jüdischen Tradition die Wichtigkeit der (spirituellen) Beschneidung. V. 3 ist also eine Identitätsaussage, die die Zugehörigkeit der Wir-Gruppe zum Bundesvolk der Beschneidung hervorhebt. Die Verse 3d–4b sind durch die dreimalige Wiederholung des Prädikats πεποιθέναι/ἔχω πεποίθησιν ἐν σαρκί „auf Fleisch/Körperlichkeit/biologische Vorzüge vertrauen“ verbunden, widersprechen sich aber inhaltlich. H. D. Betz* (50–54) grenzt die kämpferische Redeeinleitung in V. 2 von der folgenden autobiographischen Skizze in V. 3–11 ab. Andere verstehen die Verse 2 f. als rhetorische Vergleichung, der in V. 4–11 der Lebensrückblick des Paulus folge (Schenk, K.; Holloway, K.). Wegen des konzessiven Anschlusses von V. 4a an den Vordersatz in V. 3 werden im Folgenden mit der Mehrheit der Auslegungen die Verse 3,2–4a als Einleitungsabschnitt abgegrenzt (Gnilka, K.; Fee, K.; U. B. Müller, K.; Reumann, K.). V. 4b leitet in den folgenden biographischen Rückblick über. Inzwischen mehren sich die Stimmen, 3,2 f. nicht mehr als Bekämpfung einer konkreten gegnerischen Gruppe, sondern als stilisierte Einleitung zu der in V. 5 folgenden biographischen Selbstvorstellung des Paulus zu lesen (Malina/Neyrey* 52 f.; Ryan* 67–73; E.-M. Becker, Das introspektive Ich; E.-M. Becker, Mimetische Ethik). Die im Stakkato formulierte Einleitung in den Versen 2–4a skizziert ein Panorama, vor dem die folgende stilisierte Biographie Wirkung entfalten kann. Der dreifache Aufruf zum Hinsehen in V. 2 erinnert an eine Technik des antiken Theaters, jenseits der Bühne liegende Eindrücke, hier vor allem Bedrängnis, Gefahr und Konkurrenz, dem Publikum vor Augen zu führen. Die Wir-Gruppe der Beschneidung erklärt Fleisch und Körperlichkeit für unmaßgeblich für die eigene Identität (→ 3a.d). Ziel der Argumentation ist die Behauptung aus V. 4a: Heraustretend aus der Wir-Gruppe erklärt Paulus, auf sein Fleisch sein Vertrauen setzen zu können. Die Wendung ist mehr als überraschend. Denn im Rekurs auf die Mehrdeutigkeit des Stichwortes σάρξ „Fleisch“ als Körper, körperliche Merkmale und biologisches Herkommen entfaltet V. 3 die biblische Kritik an jeglichen Biologismen. Die folgende vollmundige Bejahung 217
3,2–21
Fragment eines Abschiedsbriefs (Brief C)
biologistischer Vorzüge deutet damit eine gewisse Ironie an, die eine wichtige kritische Distanz zur Auflistung der Vorzüge seines aristokratischen Herkommens im folgenden Abschnitt markiert. 2 Βλέπετε τοὺς κύνας, βλέπετε τοὺς κακοὺς ἐργάτας, βλέπετε τὴν κατατομήν. Unvermittelt werden die Adressatinnen und Adressaten mit dem dreifachen imperativischen βλέπετε zur Aufmerksamkeit aufgefordert. Einige Übersetzungen interpretieren den Aufruf als Warnung: „Nehmt euch in Acht vor den Hunden … !“ (Lutherbibel 2017). Dem βλέπετε müsste jedoch ein μή, πῶς, ἵνα oder ἀπό folgen, um eine Warnung auszudrücken. Ist der Imperativ βλέπετε wie hier direkt mit einem Akkusativobjekt verbunden, drückt er den Aufruf zur Achtsamkeit aus: „Achtet auf/ seht!“ (Kilpatrick*). Wer gegenwärtig aktive Gegnerinnen und Gegner in Philippi vermutet, findet im präsentischen Imperativ das stärkste Argument. In dieser Interpretation spielen die Akkusativobjekte mit Schimpfwörtern auf eine oder mehrere Gruppen und eine Praxis an (→ Exk. 15). Die Begriffe sind allerdings mehrdeutig. Κύων „Hund“ steht metaphorisch sowohl für seine positiven Eigenschaften wie Treue, Anhänglichkeit und Wachsamkeit als auch für seine negativen Eigenschaften wie Aas fressen, bellen, schmeicheln etc. Auch Dummheit und Unreinheit (Spr 26,11; 2Petr 2,22), Niedrigkeit (1Sam 17,43), Gefahr (ψ 21,17.21), Schamlosigkeit (Jos. Apion. 2.85) und Heuchelei werden mit Hunden verbunden (Schreiber* 170–174). Die Philosophenbewegung der Kyniker wertet dieses Schimpfwort in ihrer Selbstbezeichnung um (Diog L 6.60; vgl. Philo plant. 151; Luc Demon 21; NW II 693 f.). Die Philosophenpolemik nutzt das Bild: „Denn niemals befleißigen sie (die Kyniker, A. S.) sich des Nützlichen, das in der Natur der Hunde liegt, nämlich das Bewachende, das Häusliche, das den Herrn Liebende, Anhängliche, sondern sie betreiben ganz genau das Bellen, Schlemmen, Erbeuten, sich andauernd der Lust Hingeben, Schmeicheln, um den Gebenden Herumschwänzeln und Sich-um-die-Tische-herum-Aufhalten“ (Luc Fugitivus 16; Ryan* 70–72). Seit Johannes Chrysostomus wird unter Verweis auf Mt 15,26 f. behauptet, „Hunde“ sei eine typische jüdische Bezeichnung für Menschen aus den Völkern, die von Paulus übertragen worden sei auf „gottlose und verabscheuungswürdige, schändlich gewinn- und habsüchtige Juden, die, weil sie viele der Glaubenden wegziehen wollen, sowohl das Christentum als auch das Judentum verkündigen, womit sie das Evangelium zugrunde richten“ (Chrys Hom in Phil 11,1 [Field/Allen 111–112/PG 62.256,21– 25]). Die These ist falsch. Zwar taucht die Bezeichnung κύνες in frühchristlicher Literatur als Schimpfwort für verschiedene Übeltäter und Feinde auf (Apk 22,15; IgnEph 7,1: im Bild ψ 58,7.15; Jes 56,9–11; 1Hen 90,4; Tan Terumah 3,101a zu Ex 25,2). Aber das viel verwendete Sprichwort „Gebt Heiliges nicht den Hunden!“ bezieht sich auf Opfergaben, nicht auf Menschen (Mt 7,6; EvThom 93; Did 9,5). 4QMMT B 58–62 rationalisiert das Verbot: „[… Und man bringt nicht ins Lager der Heil]igkeit Hunde, [denn diese fressen (dann eventuell) etwas von den K[nochen des Heiligtums und] das Fleisch (ist noch) an [ihnen]“ (= 4Q397,ii–iii; Übers. Johann Maier). Was nicht heilig ist, kann unter anderem auch Hunden vorgeworfen werden (mNed IV 3; mBekh V 6). Weder Mk 7,27 f./Mt 15,26 f. noch einer der von Bill. I 724–726, III 621 f. und Michel, ThWNT III 1101 f. angeführten rabbinischen Belege setzen Menschen aus den Völkern mit Hunden gleich (Nanos, Paul’s Reversal). „Hund“ ist ein ganz allgemeines 218
Aufruf zur Aufmerksamkeit und Selbstvergewisserung
3,2
Schimpfwort gegen jegliche Gegner (NW II 694–697). Rückschlüsse über die ethnische und religiöse Identität, theologische oder philosophische Meinung oder Moral der so Bezeichneten sind nicht möglich. Am ehesten lässt sich an eine Warnung vor einer bedrängenden Gefahr denken. Aus einer die Gegnerinnen und Gegner im Judentum verortenden Interpretationsperspektive wurde κακοὶ ἐργάται mit „Werkhelden“ übersetzt und mit einer vermeintlich jüdisch-werkgerechten Position identifiziert (K. Barth, K. 92; Friedrich, K. 117). Die meisten denken bei den „schlechten Arbeitern“ jedoch an die in 2Kor 11,13 zu bekämpfenden Apostel und Christusmissionare, die Paulus als ἐργάται δόλιοι „betrügerische Arbeiter“ diffamiert. Manche identifizieren die philippische Opposition daher mit der aus dem 2. Korintherbrief bekannten Opposition (→ Exk. 15). Der Begriff ἐργάτης „Arbeiter“ ist in der frühchristlichen Missionssprache Terminus technicus für Missionarinnen und Missionare (LkQ 10,2/Mt 9,37 f.; LkQ 10,7/Mt 10,10; 2Tim 2,15; Haraguchi*). Paulus bezieht den Begriff ἐργάτης allerdings nirgends auf sich selbst. Daher halten einige „Arbeiter“ für die Selbstbezeichnung einer Oppositionsgruppe von Christusmissionaren (Koester* 320; U. B. Müller, K.; vgl. aber → 2,30; 1,6). Im Psalm allerdings bezeichnet es Feinde ganz allgemein: οἱ ἐργαζόμενοι τὴν ἀνομίαν „Arbeiter an der Gesetzlosigkeit“ (ψ 6,9; Holmstrand*; Bruce, K.). Weist ἐργάτης vor allem in frühchristliche Missionssprache, so interpretieren die meisten Auslegungen κατατομή als „Zerschneidung“ im Sinne einer ironisch-polemischen Paronomasie für περιτομή „Beschneidung“ (→ V. 3; vgl. Gal 5,12). Paulus mokiere sich über die Beschneidung mit dem Hinweis, sie sei nichts anderes als eine ‚Verschneidung‘ (Dibelius, HNT). Er nutze dabei sogar typisch nichtjüdische Stereotypen (F. Watson* 145 f.). Polemische Paronomasien sind unter anderem unter dem Namen des Kynikers Diogenes überliefert: „Die Schule (schole) des Euklid nannte er Galle (chole), den Zeitvertreib (diatribe) im philosophischen Gespräch des Platon Zeitverschwendung (katatribe)“ (τὴν μὲν Εὐκλείδου σχολὴν ἔλεγε χολήν, τὴν δὲ Πλάτωνος διατριβὴν κατατριβήν, Diog L 6.24). Allerdings bedeutet κατατομή eigentlich „Einschnitt, Schnittfläche“. Belegt ist nur eine metaphorische Übertragung auf den aus dem Felsen geschnittenen Zuschauerraum des antiken Theaters (Köster, ThWNT VIII 109–111; Flechter, PRE X 2, 2493). Die Übertragung des femininen Abstraktums ἡ κατατομή auf eine Menschengruppe fällt mindestens formal aus dem Rahmen. Im Mund des beschnittenen Paulus, der andernorts Beschneidung zum Adiaphoron erklärt, wirkt eine solch generelle Polemik merkwürdig (Gal 5,6; 6,15; 1Kor 7,19). Unklar ist, ob die Oppositionsgruppe zur Beschneidung auffordert oder sich (nur) ihrer rühmt (Schmithals* 315 f.; Sumney* 165). Selbst wenn angenommen wird, dass sie zur Beschneidung auffordert, kann dies aus einer jüdischen oder christusgläubigen und sogar aus einer nur mit jüdischen Riten sympathisierenden Position heraus geschehen (Niebuhr* 92; Kraus* 340; Bateman* 56–58). Der dahinterstehende Konflikt kann inhaltlich die Themen Zugehörigkeit zum Judentum, bestimmte Praktiken wie Verzicht auf Tischgemeinschaft mit nichtjüdischen Menschen, Kaschrut, Schabbatbeachtung, eine bestimmte Haltung zur Tora und/oder zu den Gesetzen oder eine spezifische Erlösungslehre beinhalten oder eben auch nichts von alledem.
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3,2–21
Fragment eines Abschiedsbriefs (Brief C)
Einige Auslegungen schlagen einen ganz anderen Weg ein und identifizieren das Schlagwort „Zerschneidung“ als Selbstkastration, wie sie in orgiastischen Kulten, etwa bei den Galloi, den Priestern der Göttin Kybele, oder den in Philippi bekannten Kulten der Bendis und des Dionysos geübt wurde (Ulonska* 318–322; Nanos, Out-Howling 183–202). Schließlich wurde vorgeschlagen „Achtet auf die Zerschneidung!“ als „Achtet auf die Spaltung!“ zu interpretieren, was angesichts der Eintrachtsparänese in 2,1–4; 4,2 f. einen Anhalt in der Geschichte der Gemeinde finden könnte (Baumert, K. 346 f.; 430–433). Zusammenfassend muss man wohl konstatieren, dass eine Zuordnung der drei Schimpfwörter zu einer oder mehreren inhaltlich bestimmbaren religiösen Konkurrenzgruppe(n) und Positionen nicht möglich ist (Schinkel* 78–82; → Exk. 15). Der Vers ist mit der Anapher, der dreifachen Wiederholung des Imperativs βλέπετε und der κ-Alliteration in der Liste κύνες, κακοὶ ἐργάται und κατατομή rhetorisch stilisiert. Die dreifache Aufforderung, auf etwas zu sehen, gehört in die antike Dramatik. Im Theater fordern Figuren die mitspielenden Charaktere auf, in verschiedene Himmelsrichtungen, auf Requisiten oder nicht dargestellte Handlungssegmente zu blicken: „Siehe vor dem Haus, siehe, der zum Himmel schnell emporsteigende Rauch verkündet es“ (ἴδε πρὸ δωμάτων ἴδε προκηρύσσει θοάζων ὅδ’ αἰθέρος ἄνω καπνός, Eur Or 1541). „Ich sehe den zweirudrigen (Kahn des Hades), ich sehe ein Boot im See“ (ὁρῶ δίκωπον ὁρῶ σκάφος ἐν λίμναι, Eur Alc 252 f.). „Blicke nach unten … Blicke nun nach oben!“ (βλέψον κάτω … βλέπε νυν ἄνω, Aristoph Av 175 f.). Ein Mimos mit dem Namen „Frauliches“ des Sophron enthält die Zeilen „Siehe die schönen Scheren, siehe die Hummer, sieh, wie lieblich anzusehen, wie rot und zart behaart es ist!“ (ἴδε καλᾶν κουρίδων, ἴδε καμμάρων, ἴδε φίλα θᾶσαι μὰν ὡς ἐρυθραί τ’ ἐντὶ καὶ λειοτριχιῶσαι, Athen Deipn 3.68 [106d]). Personen, Dinge, Orte oder Handlungen, die sich räumlich oder durch Requisiten nicht darstellen lassen, werden so in die Vorstellung der Zuschauenden gerückt. Die Technik wird von der Diatribe übernommen. So kann Epiktet die These, dass sich das Glück nicht im Äußeren des Menschen befindet, mit der Aufforderung unterstreichen: „Blickt auf Myron, schaut auf Ophellios! … seht den Krösus, seht die jetzt Reichen!“ (ἴδετε Μύρωνα, ἴδετε Ὀφέλλιον … ἴδετε Κροῖσον, ἴδετε τοὺς νῦν πλουσίους, Epict Diss 3.22,27; vgl. auch Cl Al Prot 9.84,5). Mit der dreifachen Aufforderung „Seht die Hunde! Seht die schlechten Arbeiter! Seht die Zerschneidung!“ zeichnet Paulus vor allem eine Kulisse, vor der die folgende Rede stattfindet. 3–4a ἡμεῖς γάρ ἐσμεν ἡ περιτομή, οἱ πνεύματι θεοῦ λατρεύοντες καὶ καυχώμενοι ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ καὶ οὐκ ἐν σαρκὶ πεποιθότες, 4καίπερ ἐγὼ ἔχων πεποίθησιν καὶ ἐν σαρκί. Zum ersten Mal im kanonisch gewordenen Philipperbrief verbindet sich Paulus im betont vorangestellten ἡμεῖς „wir“ mit den Adressatinnen und Adressaten (→ 3,17.20 f.; E. Lohmeyer, K.). Die Wir-Gruppe identifiziert sich als περιτομή „Beschneidung“ mit einer jüdischen Identität. Fast alle Auslegungen interpretieren Beschneidung metaphorisch als „Herzensbeschneidung“ oder „nicht von Händen gemachte Beschneidung“ (Röm 2,29; Kol 2,11 f.; Eph 2,11). Mindestens Paulus, möglicherweise noch andere, z. B. Timotheus nach Apg 16,3, sind aber auch körperlich beschnitten (→ 1,1; 2,19–23). Hier steht jedenfalls nicht, dass die nicht beschnittenen männlichen Mitglieder der Wir-Gruppe die einzige ἀληθινὴ περιτομή „wahre Beschneidung“ oder eine πνευματικὴ περιτομή „geistige Beschneidung“ repräsen220
Aufruf zur Aufmerksamkeit und Selbstvergewisserung
3–4a
tieren (Kraus* 338–341; Brawley* 145 f.). Diese These vertritt hundert Jahre später Justin (Dial 18,2; 41,4). Hält Paulus jedoch andernorts Beschneidung für unwesentlich gegenüber dem durch Liebe wirksamen Glauben, der neuen Schöpfung und dem Bewahren von Gottes Geboten (Gal 5,6; 6,15; 1Kor 7,19), so hebt er hier und in Röm 4,11 Beschneidung als Ehrennamen hervor (vgl. auch Röm 15,8). Viele vermuten, Paulus behaupte hier ein jüdisches Selbstverständnis gegenüber einer mit den Schlagworten aus V. 2 benannten Oppositionsgruppe (Koester* 320 f.; Wilk* 62–64; Holloway, K.). Die einleitende Konjunktion γάρ stellt einen Begründungszusammenhang her. Aber eine Gruppe, die Gott „im Fleisch“ dient, sich „im Fleisch“ rühmt und auf „das Fleisch“ vertraut, bleibt eine spiegelbildliche Konstruktion und ist keine Beschreibung jüdischer Religiosität. Anders gesagt: Weder V. 2 noch die Negation von V. 3 führen zu einer jüdischen oder judenchristlichen Position. V. 3 ist vielmehr ein „ekklesiologisches Bekenntnis“ (Reumann, K. 473). Die drei Partizipialsätze dokumentieren positiv das Selbstverständnis Israels im Licht des Christusereignisses. Dass die Beschneidung des Herzens das wichtigere und eigentliche Symbol der Zugehörigkeit zu Gott ist, ist biblisches und jüdisches Grundbekenntnis (Lev 26,41 f.; Dtn 10,16; 30,6; Jer 4,4; Ez 44,7.9; Jub 1,23; 1QpHab 11,13; Philo spec. 1.8–10). Λατρεύω „um Lohn arbeiten, dienen“ gebraucht die Septuaginta im Kontext von Gottesdienst und Kult (z. B. Ex 3,12 LXX; 23,25; Dtn 6,13; vgl. Mt 4,10 par.). Die λατρεία gehört nach Röm 9,4 zu den von Paulus hervorgehobenen Ehrenzeichen seines Volkes Israel. Sein eigenes Lebenswerk beschreibt er als geistigen Gottesdienst (λατρεύω ἐν τῷ πνεύματί μου, Röm 1,9; vgl. 2Tim 1,3; Schenk, K. 292 f.). Auch die Liebhaber der jüdischen Weisheit preisen: „Die [der Weisheit] dienen, werden dem Heiligen dienen, und die sie lieben, liebt der Herr“ (οἱ λατρεύοντες αὐτῇ λειτουργήσουσιν ἁγίῳ καὶ τοὺς ἀγαπῶντας αὐτὴν ἀγαπᾷ ὁ κύριος, Sir 4,14). Weisheit und Geist Gottes stehen synonym (SapSal 1,4–6; 7,22; 9,17). „Dienen“ ist hier durch den modalen Dativ πνεύματι θεοῦ „die wir mit dem Geist Gottes dienen“ ergänzt. Das gedachte Objekt „Gott“ fehlt, wird aber von den Majuskeln �2, D*, P, Ψ, 075 sowie den Minuskeln 365, 1175, einem Teil der lateinischen, der syrischen Überlieferung und bei Chrysostomus ergänzt, die an der Stelle des Genitivattributs zu πνεῦμα (θεοῦ) den Dativ θεῷ lesen. In �46 fehlt, vermutlich zufällig, θεός ganz. Die Gabe des Geistes ist für Paulus Angeld des mit der Auferstehung beginnenden Zeitalters. Nunmehr wohnt der Geist ein in den Glaubenden (Röm 8,9), handelt und spricht durch sie (Röm 8,14; Gal 4,6; vgl. 1Kor 2,10 f.; 14,2) und tritt für sie ein vor Gott (Röm 8,26 f.). Als mit Christus der alten Weltzeit Gestorbene dienen die Glaubenden im Geist (Röm 1,9; 7,6). Rekurriert der Geistbezug implizit auf das Christusereignis, so wird es im nächsten Partizipialsatz direkt angesprochen: „die wir uns in Christus Jesus rühmen“. Der Satz ist eine einzigartige christologische Modifikation der häufig von Paulus zitierten biblischjüdischen Tradition: „Wer sich rühme, rühme sich des Herrn“ (Jer 9,22 f.; ψ 5,12; 1Kor 1,31; 2Kor 10,17; Röm 2,17). Neben Phil 3,13 enthält nur Röm 5,12 eine christologisch erweiterte Version. Die Verkürzung pointiert den Christusbezug in der Beschneidungsidentität. Schließlich folgt als einzige negierte Aussage: οὐκ ἐν σαρκὶ πεποιθότες „nicht auf das Fleisch vertrauen“ (πείθω → 1,6.14.25; 2,24). Möglich ist, dass sich hier ein Konflikt um die Frage spiegelt, ob sich die Zugehörigkeit zum Gottesvolk durch körperliche Beschneidung der männlichen Vorhaut oder durch Christus221
3,2–21
Fragment eines Abschiedsbriefs (Brief C)
bezug und Geist konstituiert (Ch. Strecker* 112–114; Konradt* 36–39). Aber auch die biblische Tradition ruft dazu auf, Vertrauen nicht auf die eigene Stärke, sondern auf Gott zu setzen (Jdt 2,5; vgl. Jes 47,8; Jer 12,5; 31,7; Ez 16,15; 2Chr 16,7 f.; Zeller* 206– 208). Und die jüdische Weisheit schärft ein, nicht auf die eigenen Leistungen zu setzen: „Sei voll Vertrauen auf Gott von ganzem Herzen, auf deine Weisheit sei nicht stolz!“ (ἴσθι πεποιθὼς ἐν ὅλῃ καρδίᾳ ἐπὶ θεῷ, ἐπὶ δὲ σῇ σοφίᾳ μὴ ἐπαίρου, Spr 3,5; vgl. SapSal 3,9; 16,24). Paulus beschreibt das Selbstverständnis der Wir-Gruppe also ohne Polemik als ein biblisch-jüdisches mit Christusbezug. Im letzten Syntagma wird σάρξ „Fleisch“ allerdings häufig metonymisch als Hinweis auf „Beschneidung“ gelesen, die dann wiederum stehen kann für „eine sich auf das Weltliche beschränkende Existenz“, „Selbst- statt Gottvertrauen“ oder „Selbstruhm“ (Walter, K.; Friedrich, K.; Schenk, K. 294; U. B. Müller, K.). Die Vielfalt der inhaltlichen Füllungen für σάρξ trägt einerseits der Offenheit des Begriffs und andererseits der Bedeutungsverschiebung zwischen „körperlichem Marker“, „körperlichen Vorzügen“ und „biologischem Herkommen“ in V. 3d–4a Rechnung. Im einräumenden Abschluss des Statements in V. 4a tritt Paulus mit betontem ἐγώ „ich“ aus der WirGruppe hervor und behauptet plötzlich, selbst sehr wohl auf das Fleisch zu vertrauen. Warum aber möchte Paulus, nachdem er soeben mit der gesamten biblischen und jüdischen Tradition jedes Vertrauen auf das Fleisch zurückgewiesen hat, solches Selbstvertrauen behaupten? Man kann darauf verweisen, dass das Selbstlob bei Angriffen von Feinden erlaubt sei (Plut Laud s Inv 539A–547F; Zeller* 208–212; Ryan* 73–77; Smit*). Oder man setzt einen Konjunktiv, der einen Irrealis andeuten soll: „obgleich auch ich auf das Fleisch Vertrauen setzen könnte“ (Gnilka, K.; U. B. Müller, K. etc.). Der partizipiale Nebensatz ἔχων πεποίθησιν formuliert eine einräumende und keineswegs eine irreale Aussage – „… Vertrauen setzen kann“. Wenn καίπερ einen hypothetischen Nebensatz einleitet, dient es „zur Bezeichnung eines als wahrscheinlich od[er] ausgemacht angenommenen Falles, der aber für die Sache selbst als vollkommen gleichgültig dargestellt werden soll“ (Passow I/2, 1543; vgl. Hebr 5,8; 7,5; 12,17; 2Petr 1,12; B/D/R § 425.1). Was hier zur Debatte steht, ist nicht nur die Frage der Notwendigkeit der Beschneidung oder wer sich mit dem Ehrentitel ‚Beschneidung‘ bezeichnen darf, sondern generell die Bedeutung körperlicher und biologischer Marker und Vorzüge (Hellerman* 123; Harrison*). Die ausführliche Darstellung der kollektiven biblisch-jüdischen Christusidentität setzt sich in eine kritisch-ironische Distanz zu der folgenden Liste von körperlichen Vorzügen und erworbenen Leistungen. Mit einer an das Theater erinnernden Technik deutet Paulus an, von verschiedenen Gefahren umgeben zu sein. Unklar bleibt, wer mit „Hunden“, „schlechten Arbeitern“ und „Zerschneidung“ gemeint ist. Lediglich die „Arbeiter“ erscheinen auch anderswo in christlicher Missionssprache. „Zerschneidung“ kann als Paronomasie auf „Beschneidung“ und damit eine weitere Personengruppe zielen. Diese Identifikation ist jedoch nirgends sonst in der Antike belegt und keineswegs sicher. Ebenso möglich ist ein Hinweis auf Kastration oder auf die Gefahr von Spaltungen. Da die Einleitung des in Phil 3,2–21 beginnenden Fragments verloren ist, bleiben Anlass und Inhalt des dreifachen Aufrufs zum genauen Hinsehen im Dunkeln und vermitteln vor allem eine gespannte 222
Eine weisheitliche Bildungsbiographie
3–4a
Stimmung. Es folgt eine Einordnung der Glaubenden der paulinischen Gemeinden in „die Beschneidung“. Die Wir-Gruppe, aus der mindestens zwei körperlich beschnittene Mitglieder bekannt sind, umfasst alle, die im Geist Gottes dienen, sich in Christus rühmen und auf Gott und nicht auf die eigenen Vorzüge vertrauen. Diese um einen Christusbezug erweiterte allgemeine Definition des Bundesvolks ist sicher keine ethnisch-religiöse Abgrenzung vom Judentum oder von jüdischen Christusmissionaren. Der Zielpunkt der aus rasch wechselnden Perspektiven Situationen und Themen mehr andeutenden als beschreibenden Eingangspassage ist erreicht, wenn Paulus aus der WirGruppe hervortritt, um sich nunmehr doch seiner menschlichen Vorzüge zu rühmen.
3,4b–14 Eine weisheitliche Bildungsbiographie 4b
Wenn jemand meint, auf das Fleisch zu vertrauen, ich noch mehr: 5 Am achten Tag beschnitten, aus dem Geschlecht Israel, aus dem Stamm Benjamin, ein Hebräer(-kind) von Hebräerinnen und Hebräern, in Bezug auf die Gesetzesauslegung orientiert an der pharisäischen Schule, 6 in Bezug auf den Eifer ein Verfolger der Gemeinde, in Bezug auf die Gerechtigkeit, die sich im Gesetz manifestiert, ohne Tadel. 7 Was mir ein Gewinn war, dies erachte ich wegen Christus für einen Verlust. 8 Ja, auch noch mehr, ich halte alles für einen Verlust wegen des überragenden Werts der Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, um dessentwillen mir alles zum Verlust geworden ist und ich alles für Dreck halte, damit ich Christus gewinne und 9 in ihm gefunden werde – wobei ich nicht meine Gerechtigkeit, die aus einem Gesetz (hervorgeht), erhalte, sondern die durch Christus-Vertrauen bewirkte, die von Gott kommende Gerechtigkeit im Glauben –, 10 um ihn zu erkennen und die Kraft seiner Auferstehung und Gemeinschaft seiner Leiden, als jemand, der mit seinem Tod gleichgestaltet ist. 11 Ob ich etwa zur Auferstehung der Toten gelange? 12 Nicht, dass ich es selbst schon ergriffen hätte oder schon vollkommen wäre, ich eile aber, ob ich wohl ergreife, weil ich von Christus Jesus ergriffen worden bin. 13 Geschwister, ich meine nicht, dass ich es selbst ergriffen hätte. Eines aber: Während ich, was hinter mir liegt, vergesse und mich nach dem, was vorne liegt, ausstrecke, 14 eile ich zu auf das Ziel, auf den Kampfpreis der Berufung Gottes in Christus Jesus, nach oben.
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223
3,2–21
Fragment eines Abschiedsbriefs (Brief C)
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Nach einer den Vers 4a wiederholenden und verstärkenden Weiterführung des fiktiven Dialogs folgt eine von V. 5 bis V. 14 reichende Selbstdarstellung (Ich-Rede). Die Verse 5 f. listen biographische Details auf, ohne dass Paulus damit unmittelbare Einblicke in 224
Eine weisheitliche Bildungsbiographie
3,5 f.
seine Persönlichkeitsentwicklung gewährt. Vielmehr folgt seine Darstellung dem Modell eines weisheitlichen Bekehrungsberichts mit der Umwertung aller bisherigen Werte und Leistungen (Sir 51,13–30; SapSal 6–9). Die Vorzüge aus der Liste in den Versen 5 f. möchte die Ich-Stimme verwerfen für einen viel größeren Gewinn, den sie aus dem Streben nach Erkenntnis und in der transformierenden Kraft der Gemeinschaft mit Christus erhofft (V. 7 f.). Der Weg in die Christusgemeinschaft bleibt jedoch unabgeschlossen. In konzentrischen Kreisen wiederholt das sprechende Ich sein Streben danach, „gefunden“ und „ergriffen zu werden“, sowohl in mystisch-partizipatorischen (V. 8–9a.10 f.) als auch in rechtfertigungstheologischen Bildern (V. 9). Schließlich wechselt das Bildfeld in die Welt des Sports (V. 12–14). Wegen der Stichworte ‚Gesetz‘, ‚Gerechtigkeit‘ und ‚Glaube‘ gehören V. 6 und 9 zu den im Kontext der ‚New Perspective on Paul‘ sowie der πίστις-Χριστοῦ-Debatte kontrovers diskutierten Belegen. 4b Εἴ τις δοκεῖ ἄλλος πεποιθέναι ἐν σαρκί, ἐγὼ μᾶλλον. Mit dem charakteristischen εἴ τις δοκεῖ wiederholt Paulus die These aus V. 4a in Form eines hypothetischen Streitgesprächs (1Kor 3,18; 8,2; 11,16; 14,37; Gal 6,3). Gesprächspartner ist ein τις ἄλλος „irgendein anderer“, also nicht zwingend jemand aus der Gemeinde oder von den „schlechten Arbeitern“. Rhetorische Stilisierung verrät auch die Reihung ἐν σαρκὶ πεποιθότες … ἔχων πεποίθησιν καὶ ἐν σαρκί … πεποιθέναι ἐν σαρκί in den Versen 3d–4b (Holloway, K.). Im indefiniten Konditionalsatz ist die Übertreibung auf die Spitze getrieben. Das übersteigernde ἐγὼ μᾶλλον „ich noch mehr“ erinnert an das ὑπὲρ ἐγώ „ich darüber hinaus“ aus 2Kor 11,23. Hier deutet sich am stärksten ein Vergleich (σύγκρισις) mit einer gegnerischen Position an (Ch. Strecker* 116). Aber anders als in der Narrenrede in 2Kor 11,22–31 wird die ironische Ebene im nächsten Vers sofort wieder verlassen (Schmeller* 190). 5 f. περιτομῇ ὀκταήμερος, ἐκ γένους Ἰσραήλ, φυλῆς Βενιαμίν, Ἑβραῖος ἐξ Ἑβραίων, κατὰ νόμον Φαρισαῖος, 6κατὰ ζῆλος διώκων τὴν ἐκκλησίαν, κατὰ δικαιοσύνην τὴν ἐν νόμῳ γενόμενος ἄμεμπτος. Um sich zu „rühmen“, zählt Paulus die Vorzüge seiner Herkunft und seine Leistungen auf (2Kor 11,22–31; Gal 1,13–23; Röm 11,1 f.). Die Siebenzahl der Glieder kann Vollkommenheit andeuten (Still*). Man kann auch eine Symmetrie zwischen den drei Aussagen zur vornehmen Herkunft und den drei Aussagen zu den erworbenen Leistungen finden (Ch. Strecker* 116; O. Betz* 55). Vorangestellt ist die περιτομή „Beschneidung“, was vielfach als Hinweis auf eine Auseinandersetzung zum Thema gedeutet wird (Niebuhr* 103–105; → Exk. 15). „Am achten Tag beschnitten“ – oder wie zu übersetzen es dem Griechischen genauer nachempfunden wäre: „durch Beschneidung ein Achttägiger“ – bedeutet, als männliches Kind in einem jüdischen, sich der Tora verpflichtet fühlenden Haushalt geboren zu sein (Gen 17,12–14; Lev 12,3). In der Antike waren aber auch Männer arabischer Völker und bei den Ägyptern beschnitten, die Beschneidung fand aber zu einem anderen Zeitpunkt statt (Bernat, EncAH 1509 f.). Den Ehrentitel Ἰσραηλίτης hebt Paulus auch in 2Kor 11,22 und Röm 11,1 hervor, an letzterer Stelle benennt er auch seine Zugehörigkeit zum Stamm Benjamin. Auffallenderweise fehlt in Phil 3 das ἐκ σπέρματος Ἀβραάμ „aus der Nachkommenschaft Abrahams“ (Röm 11,1; 2Kor 11,22). Der Ehrenname Israelit ist im 1. Jahrhundert n. Chr. die gegenüber Jude/Judäer üblichere Bezeichnung (Cohen*; Eyl*). Johannes Chrysostomus nennt die Liste eine Aufzählung der Merkmale vornehmer Herkunft 225
3,2–21
Fragment eines Abschiedsbriefs (Brief C)
(εὐγένεια; Hom in Phil 11,2 [Field/Allen 115/PG 62.258,36], Vollenweider* 527). Pilhofer* interpretiert die Zuordnung zur φυλὴ Βενιαμίν als Analogie zur Einordnung der Bürger der Colonia Iulia Augusta Philippiensis in die römische tribus Voltinia. Hellerman* zieht eine Parallele zur Aufzählung des Karrierewegs, cursus honorum, der philippischen Bürgermeister, der duumviri, auf Grabinschriften (mit Verweis auf CIPh II.1 119C/Pilhofer II 214, 1. Jh.; CIPh II.1 127/Pilhofer II 395, 161 n. Chr.; Pilhofer* 125–127; Harrison*). Die Kontroverse, ob die Biographie jüdischen oder griechisch-römischen Charakter hat, gehörte in vergangenen Generationen zur christlich-antijüdischen Polemik (O. Betz* 54–57). Die Frage erübrigt sich im Vergleich mit der Biographie des jüdischen Historikers Josephus, der seine an römische Leserinnen und Leser gerichtete Autobiographie so beginnt: „Mein Geschlecht ist nicht unbedeutend, sondern entstammt einem sehr alten Priestergeschlecht, 2… dem ersten, … und in diesem aus dem vornehmsten Stamm. Auf mütterlicher Seite stamme ich aus königlichem Geschlecht …“ Es folgt eine Aufzählung der Generationenfolge. Dann fährt Josephus fort: „7Mein Vater Matthias war nicht allein wegen seiner guten Herkunft berühmt, sondern wurde auch wegen seiner Gerechtigkeit gelobt und genoss höchstes Ansehen in der größten Stadt, die bei uns Jerusalem heißt. 8Ich aber … machte große Fortschritte in der Bildung“ (Εμοὶ δὲ γένος ἐστὶν οὐκ ἄσημον ἀλλ᾽ ἐξ ἱερέων ἄνωθεν καταβεβηκός … 2ἐμοὶ δ᾽ οὐ μόνον ἐξ ἱερέων ἐστὶν τὸ γένος ἀλλὰ καὶ ἐκ τῆς πρώτης … καὶ τῶν ἐν ταύτῃ δὲ φυλῶν ἐκ τῆς ἀρίστης ὑπάρχω δὲ καὶ τοῦ βασιλικοῦ γένους ἀπὸ τῆς μητρός … 7Ὁ πατὴρ δέ μου Ματθίας οὐ διὰ μόνην τὴν εὐγένειαν ἐπίσημος ἦν ἀλλὰ πλέον διὰ τὴν δικαιοσύνην ἐπῃνεῖτο γνωριμώτατος ὢν ἐν τῇ μεγίστῃ πόλει τῶν παρ᾽ ἡμῖν τοῖς Ἱεροσολυμίταις. 8 ἐγὼ δὲ … εἰς μεγάλην παιδείας προύκοπτον, Jos. Vita 1 f.7 f.). Im Vergleich mit dieser sehr ähnlich strukturierten Liste nimmt sich Paulus’ Abstammungsnachweis bescheiden aus. „Hebräer von Hebräerinnen und Hebräern“ kann (A) hebräische Sprachkenntnisse ausweisen (Apg 21,40; 22,2; O. Betz* 57; Ch. Strecker* 117 u. a.) oder (B) hervorheben, dass die Eltern des Paulus aus Israel stammten (Niebuhr* 107 f.; nach Hier ad Phlm 23 aus Gischala in Galiläa). Letztere Vermutung konkurriert mit der Aussage in Apg 22,3, Geburtsstadt des Paulus sei Tarsus. Hebräische oder aramäische Sprachkenntnisse sind in den Paulusbriefen nicht erkennbar (Tiwald* 144–164). Daher wird (C) vorgeschlagen, Paulus wolle vor allem seine Verbundenheit mit dem Land Israel und seiner Kultur betonen (Tiwald* 177) oder (D) mit dieser ehrenvollen und von Paulus präferierten Selbstbezeichnung seine unvermischte Genealogie betonen (G. Strecker/ Nolting* 720; 2Kor 11,22). Die eben zitierte Vita des Josephus, der sich besondere Mühe um den Altersnachweis seiner Familie macht, lässt den Vorschlag (D) am plausibelsten erscheinen (vgl. Jos. Vita 1–7). Es folgen drei jeweils mit der Präposition κατά eingeleitete erworbene Fähigkeiten oder „Eigenleistungen“ (προαίρεσις; Chrys Hom in Phil 11,2 [Allen/Field 115/PG 62.258,56]; Vollenweider* 528). Mit „nach dem Gesetz Pharisäer“ bestätigt Paulus die These aus Apg 23,6, er stamme aus einer pharisäischen Familie, nicht. Möglich ist, dass er sich der Gruppe der Pharisäer in der Diaspora oder in Jerusalem anschloss (O. Betz*; Lindemann*). Die neuere Judaistik vermutet allerdings, Paulus folge lediglich der pharisäischen Schule der Gesetzesauslegung (Saldarini* 134–137; Overman*). Denn ähn226
Eine weisheitliche Bildungsbiographie
3,5 f.
lich formuliert wiederum Josephus: „Im Alter von neunzehn Jahren begann ich, am öffentlichen Leben teilzunehmen, und zwar indem ich mich an der Sondergruppe der Pharisäer orientierte …“ (ἐννεακαιδέκατον δ᾽ ἔτος ἔχων ἠρξάμην τε πολιτεύεσθαι τῇ Φαρισαίων αἱρέσει κατακολουθῶν, Vita 12; Übersetzung: Folker Siegert u. a.). Das von �46 und den älteren und bedeutsamen Majuskeln �*, A, B, D*, F, G und I gelesene τὸ ζῆλος ist gleichbedeutend mit dem gebräuchlicheren ὁ ζῆλος, so die Majuskeln �2, D1, K, L, P, Ψ, 075, die Minuskeln 33, 81, 104, 365, 630, 1175, 1241, 1505, 1739, 1881, 2464 und � mit der übrigen Verwendung des Wortes im Neuen Testament. „Eifer“ ist ein in der Antike sowohl positiv als auch negativ gewerteter Affekt (Stumpff, ThWNT II 879 f.). In Verbindung mit dem Verb διώκω „verfolgen“ liegt es nahe, an „Intensität der Verfolgung“ zu denken (Niebuhr* 26–29.109; Ch. Strecker* 119). Die Manuskripte F, G, 0282, die Minuskel 629 und ein Teil der lateinischen Überlieferung gleichen die Formulierungen aus Gal 1,13 und 1Kor 15,9 an und lesen: τὴν ἐκκλησίαν (τοῦ) θεοῦ. „Eifer“ erscheint hier in einer Reihung positiver Leistungen und darf daher auch in der Auslegung nicht umgewertet werden. Die Reihung κατὰ νόμον … κατὰ ζῆλος … κατὰ δικαιοσύνην enthält keine Kritik und wird auch im Rückblick als „Gewinn“ verbucht (→ V. 7). Daher möchte Seewann* διώκω, das auch „etwas erstreben, nach etwas trachten“ heißt, auf die Bedeutung „gerichtlich belangen“ eingrenzen (vgl. Apg 8,3; 9,1 f.; 26,10 f.; Baumert, K.). Paulus benennt zwar in 1Kor 15,9; Gal 1,14 seine Verfolgertätigkeit, schweigt aber über das Wie, Wo und Warum, sodass die Angaben der Apostelgeschichte nicht überprüft werden können (G. Strecker/Nolting* 721 f.). Möglicherweise klingt ein Moment ironischer Selbstdistanzierung an (→ V. 4). Im Sinne eines leidenschaftlichen Einsatzes, tiefen Ernsts und eifrigen Bemühens umschreibt ζῆλος eine besonders engagierte Form von Frömmigkeit. Paulus tritt in die Fußstapfen der Priester und Propheten Pinhas, Elia, Levi, des Makkabäers Matthias und anderer (Num 25,7–15; ψ 105,30 f.; Sir 45,23–26; 1Makk 2,26 f.; 4Makk 18,12; 1Kön 19,10.14; Jdt 9,2–4; Jub 30,18; 2Bar 66,2–5 u. a.; Holloway, K.). Pinhas’ Einsatz gilt dabei als Sühne für sein Volk und wird „ihm zur Gerechtigkeit angerechnet“ (ἐλογίσθη αὐτῷ εἰς δικαιοσύνην, ψ 105,31; vgl. Num 25,13; Sir 45,23). Andere werden als „Eiferer der Gesetze“ (ζηλωταὶ τῶν νόμων) und „Wohltäter“ gerühmt (2Makk 4,2; 1Makk 2,27; vgl. Gal 1,14). Eifer ist weder Kennzeichen der pharisäischen Bewegung noch gehören „Gesetzeseifer“ und „Stolz auf alle Vorzüge und Ehrentitel“ zum „sarkischen Verhalten des frommen Israeliten“ (Bultmann, Theologie 240). Schon eher kann man an ein intensiviertes, spezifisches „commitment to maintain Israel’s distinctivness“, also einen Eifer um die Bewahrung der identitätsstiftenden Merkmale der Tora, denken (Dunn* 355 f.; Theobald* 366). Ob dieser Eifer sich auf das Einhalten soziologisch zu beschreibender Differenzmerkmale wie Beschneidung, Schabbat oder Kaschrut-Regeln bezog, lässt sich allerdings nicht sagen. Der Besitz eines Gesetzes und das Streben, danach zu leben, sind für die Antike zunächst einmal Zeichen von Kultur und Bildung, keineswegs nur ein partikulares ‚identitätsstiftendes Merkmal‘ von Israel als Bundesvolk (Philo ebr. 141–143). Die dritte positive Leistung, die Tadellosigkeit bezüglich der Gerechtigkeit im Gesetz, wurde in der sogenannten ‚New Perspective on Paul‘ als positiver Wert und Auszeichnung wiederentdeckt. Ἄμεμπτος sind Menschen, an denen auch am letzten Tag 227
3,2–21
Fragment eines Abschiedsbriefs (Brief C)
nichts auszusetzen ist (→ 2,15; 1Thess 3,13). Paulus stellt die δικαιοσύνη ἡ ἐν νόμῳ „Gerechtigkeit im Bereich des Gesetzes“, das heißt sich nach dem Maßstab der Tora richtendes und Gottes Erwählung entsprechendes Handeln, nicht infrage (Theobald* 367 f.). Er zählt die im Gesetz zu erwerbende Leistung stolz zu seinen übrigen, hat also anders als Augustin und Martin Luther ein „robustes“ Gewissen (Stendahl* 20; Sanders* 484; Dunn* 344; zur Interpretation der Stelle durch Augustin: Vollenweider* 533–538). Nicht nur die in → V. 9 erneut erwähnte δικαιοσύνη aus dem Gesetz, sondern auch alle in V. 5 genannten Vorzüge einer vornehmen Geburt werden im nächsten Vers in einer radikalen Umwertung als Verlust gewertet (Campbell* 212–215). Diese Umwertung wird nötig, weil Paulus nun ein noch viel höheres Gut anstrebt. 7 Ἅτινα ἦν μοι κέρδη, ταῦτα ἥγημαι διὰ τὸν Χριστὸν ζημίαν. Die von NTG28 in eckige Klammern gesetzte Adversativpartikel ἀλλά fehlt in entscheidenden ältesten Handschriften, in �46, �61vid, �*, A, G, 0282 sowie in den Minuskeln 33, 82, 1241, den lateinischen Manuskripten b, d und in den Zitaten bei Lucifer und Ambrosiaster. Unter den positiven Zeugen sticht der Codex Vaticanus (B) heraus, der allerdings ἀλλ’ ἅτινα μοι ἦν liest und mit dem vorangestellten „mir“ das innere Erleben des Paulus betont. Die Einfügung des ἀλλά ist wohl eine stilistische Verbesserung von Abschreiberinnen und Abschreibern (U. B. Müller, K.; Holloway, K.). Das Relativpronomen im Neutrum Plural (ἅτινα) bezieht sich auf die Gesamtheit der in den Versen 5 f. aufgelisteten Vorzüge und Leistungen, keineswegs nur auf Verfolgung und/oder Gesetzesgerechtigkeit. Alles fällt einer radikalen Umwertung anheim. Hinter der im Folgenden beschriebenen Umwertung steht unbestritten das Damaskuserlebnis des Paulus. Das resultative Perfekt von ἡγέομαι „meinen, glauben, halten für“ zielt dabei auf einen in die Gegenwart reichenden Prozess (Dibelius, HNT). Hier wird keine Berufung zum Christuspropheten erzählt (Gal 1,15 f.) und es gibt auch keine Erscheinung des Auferstandenen, die das Apostelamt legitimiert (1Kor 9,1; 15,8–10). Paulus berichtet weder von einer Himmelsreise (2Kor 12,1–7) noch von einer inneren Erleuchtung (2Kor 4,6). Lediglich in der Wendung διὰ τὸν Χριστόν ist ein Grund der Umwertung angedeutet (B/D/R § 222; 1Kor 4,10 f.). Aber weder Gott noch der Auferstandene treten in Aktion. Beschrieben ist eine radikale Umwertung in nüchterner Geschäftssprache. Ζημία ist der Verlust von Geld und materiellen Werten (Stumpff, ThWNT II 890– 894; Apg 27,10.21), κέρδος sein Gegenteil, der materielle Gewinn (Schlier, ThWNT III 671 f.). „Hervorgegangen sind die Begriffe Verlust und Gewinn aus (der Sprache) des freien Handels. Denn das Mehr-haben-als-einem-zusteht wird gewinnen genannt, das Weniger-haben-als-am-Anfang verlieren, so etwa beim Kaufen und Verkaufen“ (ἐλήλυθε δὲ τὰ ὀνόματα ταῦτα, ἥ τε ζημία καὶ τὸ κέρδος, ἐκ τῆς ἑκουσίου ἀλλαγῆς τὸ μὲν γὰρ πλέον ἔχειν ἢ τὰ αὑτοῦ κερδαίνειν λέγεται, τὸ δ’ ἔλαττον τῶν ἐξ ἀρχῆς ζημιοῦσθαι, οἷον ἐν τῷ ὠνεῖσθαι καὶ πωλεῖν …, Aristot Eth Nic 5.7 [1132b11–15]). Das Bild wird auch metaphorisch gebraucht (Mk 8,35 par.; 1Kor 3,15; 2Kor 7,9; mAv II,1; Cic Fin 3.34; Holloway, K.; Engberg-Pedersen, Comparison 295– 298). Grundlegende Lebenswenden und Bekehrungsberichte kennt auch die Philosophie (Engberg-Pedersen, Paul 92–103; Divjanović* 110 mit Verweis auf Diog L 4.16; Ael Var Hist 2.30; 3.27). Aber die Beschreibung des eigenen Berufungsereignisses mit „Marktplatzmetaphern“ überrascht (Ascough* 118). Man könnte „fast mei228
Eine weisheitliche Bildungsbiographie
3,8
nen …, ihm liege ein umwälzender Entschluss zugrunde“ (Gnilka, K. 191; vgl. E. Lohmeyer, K.). Die Metaphorik aus der Geschäftssprache für diese ‚Umwertung aller Werte‘ geht zurück auf die jüdische Weisheitstheologie (Schenk, K. 274 f.; Koperski* 299–301; Standhartinger, Weisheitliche Idealbiografie). Die Weisheit ist nicht nur so wertvoll wie Geld, Gold und Edelsteine (Spr 2,4; 3,14 f.; 8,10 f.17–19; Hi 28,15–17; SapSal 8,5; Sir 51,21), Weisheit ist ein Reichtum, der alles Wertvolle übersteigt (Sir 51,28–30; SapSal 7,8–11; 8,18). Diese Erkenntnis führt auch in der jüdischen Weisheitstheologie zu einem Bekehrungserlebnis (Sir 51,13–30 = 11QPsa 21,11–22,11; SapSal 6–9). Im Rückblick formuliert der weise König: „Ich zog sie Zeptern und Thronen vor, und Reichtum hielt ich im Vergleich mit ihr für nichts. Nicht einmal ein unbezahlbarer Edelstein gleicht ihr, denn jegliches Gold ist vor ihr wenig Sand, und Silber wird im Vergleich mit ihr als Lehm gerechnet“ (προέκρινα αὐτὴν σκήπτρων καὶ θρόνων καὶ πλοῦτον οὐδὲν ἡγησάμην ἐν συγκρίσει αὐτῆς 9οὐδὲ ὡμοίωσα αὐτῇ λίθον ἀτίμητον ὅτι ὁ πᾶς χρυσὸς ἐν ὄψει αὐτῆς ψάμμος ὀλίγη καὶ ὡς πηλὸς λογισθήσεται ἄργυρος ἐναντίον αὐτῆς, SapSal 7,8 f.). Statt sich auf die Vorzüge seiner Geburt und seines Standes zu verlassen, strebt und sucht der weise König intensiv nach der himmlischen Weisheit (SapSal 6,1–21; 7,1–8,21). Paulus stilisiert seine Berufung im Rückblick als weisheitlichen Erkenntnisprozess. 8 ἀλλὰ μενοῦνγε καὶ ἡγοῦμαι πάντα ζημίαν εἶναι διὰ τὸ ὑπερέχον τῆς γνώσεως Χριστοῦ Ἰησοῦ τοῦ κυρίου μου, δι᾽ ὃν τὰ πάντα ἐζημιώθην, καὶ ἡγοῦμαι σκύβαλα, ἵνα Χριστὸν κερδήσω … Die mit V. 8 beginnende Satzperiode reicht bis V. 10. Eingeleitet ist sie mit einer in der griechischen Literatur einzigartigen Anhäufung von Partikeln: ἀλλὰ μενοῦνγε καί. �46, �61, B, die Minuskeln 6, 33, 1739 und 1881 und ein Teil der lateinischen Überlieferung lassen allerdings das letzte καί aus. So oder so unterstreicht die Emphase das bereits in V. 7 Gesagte. Die Auslegungen vermuten einen Gedankenfortschritt entweder in einer durch πάντα und τὰ πάντα „alles“ ausgedrückten Generalisierung, die über die in V. 5 f. aufgezählten Vorzüge und Leistungen hinausgehe (Dibelius, HNT 89; Gnilka, K. 192), oder mit dem Wechsel von Perfekt zum Präsens des Verbs ἡγοῦμαι, da sich darin zeige, dass die Umwertung bis in die Gegenwart andauere (E. Lohmeyer, K. 133; U. B. Müller, K. 153). Jedoch generalisiert bereits das Relativpronomen ἅτινα aus → V. 7 und Präsens und Perfekt von ἡγέομαι sind bedeutungsgleich (Dibelius, HNT; Häußer, K.; Apg 26,2). Der Gedankenfortschritt besteht allein in der amplifizierenden Wiederholung der gleichen Aussage mit gesteigerter Drastik. Auf ζημία „Verlust“ folgt das aus der Vulgärsprache entnommene σκύβαλον „Mist, Kot, Abfall“ (Lang, ThWNT VII 446–448). Als Beischrift zur Darstellung eines Skeletts auf einem Trinkbecher aus dem Silberschatz von Boskoreale wird σκύβαλον zum eindrücklichen Bild der Vergänglichkeit (Dibelius, HNT 69; U. B. Müller, K. 155; Eckey, K.). Die etwas jüngeren Majuskeln �61vid, �2, A, D2, K, L, P, Ψ, 075, die Minuskeln 81, 104, 365, 630, 1175, 1241, 1505, 1739, 1881, 2464, �, Vulgatahandschriften und Augustin ergänzen das gedachte εἶναι ohne Bedeutungsverschiebung (→ V. 8a). Auch die biographischen Rückblicke des Weisheitslehrers und weisen Königs enthalten zahlreiche Amplifikationen und Neuansätze, die das fortwährende Streben nach Weisheit in Worte zu fassen versuchen (Sir 51,13.15.20 f.; SapSal 6,12–21; 8,2; 9,1–18). 229
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Fragment eines Abschiedsbriefs (Brief C)
In V. 8 wird aus dem διὰ τὸν Χριστόν „wegen Christus“ aus V. 7 das διὰ τὸ ὑπερέχον τῆς γνώσεως Χριστοῦ Ἰησοῦ τοῦ κυρίου μου „wegen der alles übertreffenden Größe der Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn“. �46, �61 und B lesen mit Artikel τοῦ Χριστοῦ, was die Parallelität der Aussagen von V. 7 und 8 unterstreicht. Der aus einem substantivierten Partizip von ὑπερέχω „überragen“ (→ 2,3; 4,7) und einen appositiven oder epexegetischen Genitiv von γνῶσις „Erkenntnis Wissen“ gebildete Ausdruck ist bei Paulus singulär (Schapdick* 201). Ebenfalls nur hier formuliert Paulus das bekenntnishaft wirkende „mein Herr“ (Gnilka, K.; vgl. 2Tim 4,17). Es könnte der Gebetssprache entstammen (→ 1,3; 1Kor 1,4; Röm 1,8). „Christus Jesus (ist) Herr“ spiegelt das älteste christologische Bekenntnis (1Kor 12,3; Phil 2,11; Röm 10,9). Γιγνώσκω verbindet Paulus selten mit Christus (1Kor 2,8; 2Kor 5,16). Im Zentrum seiner Theologie steht die Gotteserkenntnis (Gal 4,9; 1Kor 2,11; Röm 1,21; 2,18; 11,34). Während in 1Kor 13,9 Erkennen noch Stückwerk bleibt, ist γνῶσις hier „als eine den Erkennenden umgestaltende Dynamis vorgestellt“ und ein „Innewerden der Gottheit in Schau und Verwandlung des Schauenden“ (Gnilka, K. 193; Dibelius, HNT 89; Ch. Strecker* 121 f.; 2Kor 4,6). Dieser Gnosisbegriff entstammt ebenfalls der jüdischen Weisheitstheologie. Σοφία und γνῶσις werden einerseits synonym gebraucht (Spr 2,6; 8,10 f.; SapSal 10,9 f.), andererseits kommen die Menschen trotz eifrigen Bemühens nur dann zur Erkenntnis der Weisheit und ihres Urhebers Gott, wenn die Weisheit sich selbst zu erkennen gibt. Daher fordert auch der Weisheitslehrer auf: „Spüre und suche, und sie gibt sich dir zu erkennen!“ (ἐξίχνευσον καὶ ζήτησον καὶ γνωσθήσεταί σοι, Sir 6,27). „Sie gelangt zu denen, die sie begehren, um sich zuvor erkennen zu lassen“ (φθάνει τοὺς ἐπιθυμοῦντας προγνωσθῆναι, SapSal 6,13). Mit der gesamten antiken Mystik rezipiert auch die jüdische Weisheitstheologie den Gedanken, dass Gotteserkenntnis ein unverfügbares Geschenk Gottes bleibt (PGM 3.591– 611; Ascl 41; Holloway, K. 162 f.). Der über die Versgrenze hinausreichende Finalsatz reflektiert mit κερδαίνω „gewinnen“ noch einmal die Geschäftssprache. Zugleich ist der Gedanke vom Verlieren, um zu gewinnen, auch Teil der Liebesromantik, wo das Liebespaar alles verlässt, „um von allen Dingen allein einander zu gewinnen“ ( ἵν’ ἐκ πάντων μόνους ἀλλήλους κερδήσωσι, Heliodor 4.18,2; NW II/1, 699; Baumert, K. 357). Die Beziehung zwischen Weisem und Weisheit wird ebenfalls in erotischen Bildern gemalt (Sir 15,2; 51,20 f.; SapSal 6,12; 8,2). Für die Liebenden ist die Weisheit zugleich ein ἀγαθὸν κτῆμα „guter Besitz“ (Sir 51,21; SapSal 7,14). 9 … καὶ εὑρεθῶ ἐν αὐτῷ, μὴ ἔχων ἐμὴν δικαιοσύνην τὴν ἐκ νόμου ἀλλὰ τὴν διὰ πίστεως Χριστοῦ, τὴν ἐκ θεοῦ δικαιοσύνην ἐπὶ τῇ πίστει … Der Vers setzt zunächst den Finalsatz fort (V. 9a), schiebt dann aber eine Paränese mit der paulinischen Rechtfertigungslehre ein (V. 9b–d). Die Formulierung „damit ich … in ihm gefunden werde“ bleibt erneut singulär in den Paulusbriefen. Hinter dem Passiv des εὑρεθῶ steht entweder Gott oder Christus. Für Letzteres spricht, dass ἐν αὐτῷ an ἐν Χριστῷ und die Christusmystik erinnert, an den Ausdruck/die Wendung „nicht ich lebe, sondern Christus in mir“ (Gal 2,20; Dibelius, HNT; Gnilka, K.; U. B. Müller, K.). Der Satz ist daher auch ein locus classicus für die Diskussion um die sogenannte Christusmystik des Paulus. Das Ineinander von partizipativer Sprache – „Christus gewinnen“ und „in Christus gefunden werden“ – in Verwandlungsaussagen in → V. 10 und sogenannter forensischer 230
Eine weisheitliche Bildungsbiographie
3,9
Terminologie, das heißt Aussagen über den Erwerb der Gerechtigkeit in → V. 9, fordert heraus, nach dem inneren Zusammenhang dieser zunächst sehr verschieden wirkenden theologischen Bildfelder zu fragen. Zur Debatte steht, ob „die Gerechtigkeit durch Glauben“ ihren Grund im εὑρεθῶ ἐν αὐτῷ als „Einbezogensein in die Hilfsgemeinschaft mit Christus“ hat (Schnelle, Paulus 405) oder ob umgekehrt „‚[i]n Christus vorgefunden werden‘ … durch ‚die Gerechtigkeit durch Christus-Glauben haben‘ … inhaltlich gefüllt“ wird (Wolter, Paulus 244). Im letzteren Fall wäre ‚in Christus‘ zu einem Synonym für Christsein und „zu Christus gehören“ geworden (Wolter, Paulus 244). Forensische Rechtfertigungslehre und mystische Partizipation gehören jedoch bereits in der von Paulus ererbten theologischen Tradition zusammen (→ Exk. 12). Der ἵνα-Satz ist zeitlich nicht festgelegt. Er kann auf die zukünftige Christusgemeinschaft im Eschaton zielen, was die → Verse 12–14 nahelegen (E. Lohmeyer, K.; Hawthorne/Martin, K.; Bockmuehl, K.; Wojtkowiak* 182–184; Holloway, K.). Ebenso geht es um die gegenwärtige Christusgemeinschaft, denn im Hintergrund steht die Damaskuserfahrung des Paulus und deren Folgen (Schenk, K.; U. B. Müller, K.; Walter, K.; Baumert, K.). Paulus teilt keine Details seiner konkreten Christusbiographie mit. Vielmehr stellt er eine grundlegende Dialektik von aktivem Bemühen und passivem Empfangen ins Zentrum, die wiederum die Bewegung zwischen Liebhaber und himmlischer Weisheit spiegelt. Denn die Weisheit „geht umher und sucht die, die ihr würdig sind“ (τοὺς ἀξίους αὐτῆς αὐτὴ περιέρχεται ζητοῦσα, SapSal 6,16). Und sie lässt „sich finden von denen, die sie suchen“ (εὑρίσκεται ὑπὸ τῶν ζητούντων αὐτήν, SapSal 6,12). Die Liebenden können ihrer Geliebten jedoch nur dann begegnen, wenn sich die Geliebte den sie Liebenden nähert (Sir 15,2; SapSal 8,17–21; 9,10). Die Spannung zwischen aktivem Bemühen und passivem Gefundenwerden unterstreicht die Unverfügbarkeit und den Geschenk- und Gnadencharakter, mit dem sich sowohl die transzendentale Weisheit als auch Christus an die sie Liebenden vermitteln. Diesen hier begonnenen Gedanken setzt Paulus allerdings erst in V. 10 fort. Die Darstellung des offenen Prozesses in den Versen 9 f. unterbricht eine Parenthese zur paulinischen Rechtfertigungslehre. Manche Auslegung fragt, wie es sein kann, dass „ein zentrales theologisches Thema nur als Randmotiv und ohne innere Verbindung mit dem Briefganzen gestreift wird“ (Ernst, K. 97). Andere vermuten einen an das in V. 6 genannte Stichwort δικαιοσύνη anschließenden Exkurs, der gegen eine Beschneidungsforderung von Gegnerinnen und Gegnern polemisiert (Dibelius, HNT; U. B. Müller, K.). Bei näherem Hinsehen passt jedoch auch die Parenthese in ihren Grundzügen zur weisheitlichen Sprache des Kontexts.
Exkurs 12: Gottesgerechtigkeit Rudolf Bultmann, ΔΙΚΑΙΟΣΥΝΗ ΘΕΟΥ, in: Ders., Exegetica. Aufsätze zur Erforschung des Neuen Testaments, 1967, 470–475. – Arthur Dewey, A Re-Hearing of Romans 10:1–15, Semeia 65 (1994), 109–127. – James D. G. Dunn, Philippians 3.2–14 and the New Perspective on Paul, in: Ders., The New Perspective on Paul. Collected Essays, WUNT 185, 2005, 463–484. – Ernst Käsemann, ΔΙΚΑΙΟΣΥΝΗ ΘΕΟΥ, in: Ders., Exegetische Versuche und Besinnungen II, 21965, 181–193. – Koperski, Knowledge 191–238. – Dies., The Meaning of Pistis Christou in Philippians
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3:9, LouvSt 18 (1993), 198–216. – Andreas Lindemann, Paulus – Pharisäer und Apostel. – Daniel Marguerat, Paul et la Loi. Le retournement (Philippiens 3,2–4,1), in: Andreas Dettwiler/JeanDaniel Kaestli (Hg.), Paul, une théologie en construction, MoBi 51, 2004, 251–275. – Martin Meiser, Phil 3,7–11 im Horizont der New Perspective on Paul und der patristischen Exegese, in: Matthias R. Hoffmann/Felix John (Hg.), Paulusperspektiven [FS Dieter Sänger], BThSt 145, 2014, 146–173. – Sanders, Paulus und das palästinische Judentum. – Krister Stendahl, Eher Berufung als Bekehrung, in: Ders., Der Jude Paulus und wir Heiden. Anfragen an das abendländische Christentum, 1987, 17–37. – Theobald, Paulus und Polykarp. In der Mitte des 20. Jahrhunderts lag das Hauptgewicht der Diskussion um Phil 3,9 auf der Frage, wie die Genitivverbindung δικαιοσύνη θεοῦ zu interpretieren sei. Für Bultmann handelt es sich um einen genitivus auctoris. In seinem Entwurf, der die anthropologischen Grundlagen paulinischer Theologie aufdecken möchte, stellt ἐμὴ δικαιοσύνη „meine Gerechtigkeit“ den zum Scheitern verurteilten Versuch des Menschen dar, für sich selbst Gerechtigkeit aus dem Gesetz zu erwerben. Dagegen stehe die hier präpositional erweiterte Formulierung ἡ ἐκ θεοῦ δικαιοσύνη für die „Gabe, die Gott dem Menschen schenkt“ (Bultmann* 470; Bultmann, Theologie 285 f.; Schnelle, Paulus 336). Sein Schüler Käsemann widersprach mit der Beobachtung, dass Gottes Gerechtigkeit in Röm 10,3–8 als personifizierte Macht auftritt, die in „1. Kor. 1,30 darum mit Christus identifiziert werden kann, in 2. Kor. 5,21 die Realität der erlösten Gemeinde beschreibt und in unbestreitbarem genetivus subjecticus mindestens in Röm. 3,5.25 f. Gottes eigenes Handeln und Wesen charakterisiert“ (Käsemann* 182). Gerechtigkeit Gottes sei primär nicht auf das Individuum bezogen, sondern beschreibe die „in Gottes Herrschaft zurückgeholte Welt“ (Käsemann* 188). Wie inzwischen vielfach kritisiert wurde, ist Bultmanns anthropologische Interpretation begleitet von der Konstruktion einer vermeintlich jüdischen Position, die sich mit dem Tun von Werken Gerechtigkeit erwerben will. Unter dem Schlagwort ‚New Perspective on Paul‘ wurden diese Zuschreibungen und ihre Konstruktionen einer werkgerechten, selbsterlösenden Religion treffend kritisiert. Krister Stendahl zeigt, dass Paulus sich im Rückblick weder von Sündenbewusstsein geplagt weiß noch sich nach dem Scheitern am Gesetz von seinen in Phil 3,5 f. hervorgehobenen Vorzügen und Leistungen abwendet (Stendahl* 24 f.). Ed P. Sanders vermerkt, dass die partizipatorischen Aussagen in V. 8–9a und 10 f. und die Aussagen zur Gerechtigkeit unverbunden nebeneinanderstehen: „Es geht nicht um ‚Gerechtigkeit‘ als Ziel an sich, noch wird die Gerechtigkeit als notwendige Voraussetzung für das Sein in Christus behandelt. … Die Soteriologie dieses Abschnitts hätte gänzlich ohne Verwendung des Begriffs Gerechtigkeit formuliert werden können“ (Sanders* 383). Vielmehr verschiebe Paulus die Bedeutung des Begriffs ‚Gerechtigkeit‘. Dass es eine Gerechtigkeit aus dem Gesetz gibt, stelle Paulus gar nicht infrage, aber dies sei nach Damaskus für ihn nicht mehr „die wahre Gerechtigkeit bzw. nicht die rechte Art der Gerechtigkeit … Die einzig richtige Gerechtigkeit ist die christliche Gerechtigkeit“ (Sanders* 485). James D. G. Dunn arbeitet den doppelten Gegensatz in dem Vers heraus. Die Gegenüberstellung von „meiner Gerechtigkeit“ und „Gerechtigkeit aus Glaube an Christus“ unterstreiche die These, dass nun auch die Völker im Glauben Zugang zur Bundesgerechtigkeit haben, die Juden wie Paulus nach Phil 3,6 bereits besitzen. Der zweite Gegensatz, ‚Gerechtigkeit aus dem Gesetz‘ und ‚Gerechtigkeit aus Gott‘ ordne dem Gesetz den zweiten Platz zu, da die Gerechtigkeit nunmehr direkt auch ohne Bundeszeichen von Beschneidung, Kaschrut etc., sogenannten ‚identity markers‘, zu erhalten sei (Dunn* 474–478; vgl. Gal 3,19–4,7). Die inhaltliche Füllung von δικαιοσύνη mit „identity marker“ bleibt allerdings eine Setzung. Auch von Auslegungen jenseits der ‚New Perspective on Paul‘ werden zwei Grundaussagen übernommen: 1. Hinter der Opposition „meine Gerechtigkeit“ und „Gerechtigkeit aus Gott“ steht keine generelle Abwertung der Tora oder ein Scheitern an im Gesetz geforderten „Werken“ und Leistungen (Phil 3,6; Röm 7,12.22; → 1,10; 2,12). 2. Daher kann die zentrale Opposition in
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Eine weisheitliche Bildungsbiographie
3,9
V. 9 nicht ἐκ νόμου … ἐκ θεοῦ „aus dem Gesetz“ oder „aus Gott“ lauten, denn als Tora stammt das Gesetz ja bereits von Gott. Der Gegensatz lautet vielmehr: „‚meine Gerechtigkeit‘/‚Gerechtigkeit aus Gott‘ einerseits; ‚Gerechtigkeit aus dem Gesetz‘/‚Gerechtigkeit durch den Glauben‘ andererseits“ (Meiser* 167; Theobald* 360; Lindemann* 51). Damit stellt sich jedoch umso mehr die Frage, was ἡ ἐκ θεοῦ δικαιοσύνη und δικαιοσύνη διὰ πίστεως Χριστοῦ auszeichnet und vor allem, warum Paulus inmitten der Darstellung seines weisheitlich geprägten Strebens nach Christus in einer Parenthese diese „Kurzformel“ oder diesen „Basissatz“ der Rechtfertigungslehre bringt (Theobald* 354–356). Der an dieser Stelle häufig wiederholte Verweis auf eine die Gemeinde bedrängende jüdische, judenchristliche oder jüdisch-enthusiastische Opposition läuft Gefahr, die zu Recht inzwischen allgemein abgelehnte abstrakte Konstruktion eines vermeintlich legalistischen Judentums durch eine nicht wirklich konkretere Konstruktion zu ersetzen (→ Exk. 15). Geht es Paulus also um die Differenzierung zweier Gerechtigkeitstypen, einer in pharisäischer Gesetzesdeutung begründeten älteren und einer in Christus von Gott zugeeigneten Gerechtigkeit (Wolter, Paulus 365; vgl. Lindemann* 51; 69; 72)? Oder geht es um zwei zeitlich-biographisch zu unterscheidende Wahrnehmungen von Gerechtigkeit, eine ältere vor der „Offenbarung des Glaubens“ und einer, die aus der „Erkenntnis von Jesus Christus als meinem Herrn“ resultiert (Koperski, Knowledge 237; Marguerat*)? Oder geht es vor allem um die Mitgliedschaft in der Ekklesia, und Paulus möchte herausstellen, dass der Glaube genüge und „die Heiden“ nicht erst „Juden werden (müssen), um vollwertige Mitglieder der Heilsgemeinschaft zu werden“ (Theobald* 369; ähnlich Dunn)? Oder benennt „Phil 3,9 die sachliche Basis, auf der die in V. 8 und 10 genannte Christuserkenntnis aufruht“, indem der Vers die „Gerechtigkeits-Tat Gottes“ benennt, mit der „Gott die Bedingungen einer heilvollen Gemeinschaft neu geordnet (hat), indem Gerechtigkeit nunmehr an die Anerkennung des Kreuzestodes Christi in seinem soteriologischen Effekt gebunden wird“ (Meiser* 166; 168; 172)? Diese typologischen, heilsgeschichtlichen, ekklesiologischen und soteriologischen Erklärungen können noch genauer in den weisheitstheologischen Kontext eingeordnet werden. Dabei gilt es, die Einbettung in die partizipatorischen weisheitstheologischen Aussagen ernst zu nehmen und sich nicht ausschließlich auf Phil 3,6 und 3,9 zu konzentrieren (Koperski, Knowledge 299 f.; 321; Schenk, K. 296). Jüdische Weisheitstheologie betont, dass wahre Gerechtigkeit ihren Ursprung einzig in Gottes Weisheit hat (Spr 1,3; 2,9; 3,16a LXX; 8,15.18.20). Toren mögen behaupten, „unsere Stärke ist das Gesetz der Gerechtigkeit“ (ἡμῶν ἡ ἰσχὺς νόμος τῆς δικαιοσύνης, SapSal 2,11; vgl. 14,16). Im Angesicht der Erhöhung des von ihnen verachteten leidenden Gerechten müssen sie jedoch bekennen: „Wir waren abgeirrt vom Weg der Wahrheit und das Licht der Gerechtigkeit erstrahlte uns nicht“ (τὸ τῆς δικαιοσύνης φῶς οὐκ ἐπέλαμψεν ἡμῖν, SapSal 5,6). Sie müssen einsehen, dass allein in Gottes „Kraft der Anfang der Gerechtigkeit“ liegt (ἡ γὰρ ἰσχύς σου δικαιοσύνης ἀρχή, SapSal 12,16). Daher gilt: „Dich zu verstehen, ist vollständige Gerechtigkeit, und deine Herrschaft zu erkennen, die Wurzel der Unsterblichkeit“ (τὸ γὰρ ἐπίστασθαί σε ὁλόκληρος δικαιοσύνη καὶ εἰδέναι σου τὸ κράτος ῥίζα ἀθανασίας, SapSal 15,3). Ähnlich stehen sich in Phil 3,9 die immanente „meine Gerechtigkeit“ und die transzendente „Gerechtigkeit aus Gott“ gegenüber. Paulus beschreibt die immanente „meine Gerechtigkeit“ als eine ἐκ νόμου „aus einem Gesetz“ herstammende Gerechtigkeit. Andernorts meint ἐκ νόμου „rechtmäßig, natürlich“ und unterscheidet Ismael, den ‚biologischen‘ Sohn des Abraham, von Isaak dem „aus der Verheißung“, das heißt von Gott erzeugten Sohn (Gal 3,18; Röm 4,14). Thematisch verwandt mit Phil 3,9 ist Gal 3,21, wo Paulus die Existenz eines lebenschaffenden Gesetzes infrage stellt. In Bezug auf das Gesetz ist die Weisheitstheologie grundsätzlich optimistischer: „Aufmerksamkeit auf das Gesetz“ ist hier „Befestigung der Unvergänglichkeit“ (προσοχὴ δὲ νόμων βεβαίωσις ἀφθαρσίας, SapSal 6,18; 16,6; 18,4). Die Weisheitstheologie kennt aber auch falsche Gesetze anderer Völker und Götter, die nicht zum Heil führen (SapSal 14,16; 18,9;
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vgl. 2,11). Und selbst ein vollkommener Mensch kann ohne Hilfe der göttlichen Weisheit die Gesetze weder verstehen noch bewahren (SapSal 9,5 f.; 6,4). Die Gegenüberstellung von „meiner Gerechtigkeit aus einem Gesetz“ und der Gerechtigkeit aus Gott radikalisiert diesen weisheitlichen Gedanken. Nirgendwo jenseits der göttlichen Transzendenz, nicht mal im Gesetz, kann wahre, von Gott her stammende Gerechtigkeit erlangt werden. Die hier formulierte Skepsis gegenüber oder Kritik an der Kraft des Gesetzes überschreitet die optimistische Haltung jüdischer Weisheitstheologie in Bezug auf das von Gott gegebene Gesetz, die Tora. Sie bleibt aber insofern der Linie weisheitlichen Denkens verhaftet, als die einzige zur Gerechtigkeit führende Hermeneutik der transzendentalen Weisheit bzw. hier Christus obliegt und nur durch sie und ihn vermittelt wird. Phil 3,9 wirft damit ein Schlaglicht auf den Ursprung der paulinischen Rechtfertigungsaussagen. Er liegt mindestens ebenso in einer Radikalisierung jüdisch-weisheitstheologischen Denkens wie in den konkreten Konflikten in Antiochia und in Galatien. In der Diskussion um Gottes Treue zu seinem Volk Israel angesichts von dessen Weigerung, sich dem Glauben an Christus anzuschließen, in Röm 9–11 greift Paulus Teile der hier gefundenen Formulierungen erneut auf (Röm 10,3.5; Lindemann* 51). Nun aber stehen die zwei Gerechtigkeiten, die schriftliche in der Tora und die mündliche „aus dem Glauben“, für Partikularität und Universalität und werden expliziert anhand der fehlenden Reichweite einer stummen Schrift im Vergleich zum mitreisenden Wortereignis der lebendigen Stimme (Dewey*). Während die „Gerechtigkeit aus dem Gesetz“ auf ihre Täter und Täterinnen beschränkt bleibt, verkündet die „Gerechtigkeit aus Glauben“ mit der Stimme von Dtn 30 den Zeuginnen und Zeugen der Auferstehung und allen Propheten und Prophetinnen Gottes Einladung an die Welt (Röm 10,6–21).
Exkurs 13: Christus-Vertrauen Matthew C. Easter, The Pistis Christou Debate. Main Arguments and Responses in Summary, CBR 9,1 (2010), 33–47. – Jörg Frey, Was ist Glaube? Eine Hinführung, in: Ders./Benjamin Schließer (Hg.), Glaube. Das Verständnis des Glaubens im frühen Christentum und in seiner jüdischen und hellenistisch-römischen Umwelt, WUNT 373, 2017, XI–XXV.– Morna D. Hooker, ΠΙΣΤΙΣ ΧΡΙΣΤΟΥ, NTS 35 (1989), 321–342. –Käsemann, ΔΙΚΑΙΟΣΥΝΗ ΘΕΟΥ. – R. Barry Matlock, The Rhetoric of πίστις in Paul. Galatians 2.16, 3.22, Romans 3.22, and Philippians 3.9, JSNT 30,2 (2007), 173–203. – Teresa Morgan, Roman Faith and Christian Faith. Pistis and Fides in the Early Roman Empire and Early Church, 2015. – Dietrich Rusam, Was versteht Paulus unter der ΠΙΣΤΙΣ (ΙΗΣΟΥ) ΧΡΙΣΤΟΥ (Röm 3,22.26; Gal 2,16.20; 3,22; Phil 3,9)?, PzB 11 (2002), 47–70. – Benjamin Schließer, ‚Christ-Faith‘ as an Eschatological Event (Galatians 3.23–26). A ‚Third View‘ on πίστις Χριστοῦ, JSNT 38,3 (2016), 277–300. – Thomas Schumacher, Zur Entstehung christlicher Sprache. Eine Untersuchung der paulinischen Idiomatik und der Verwendung des Begriffes πίστις, BBB 168, 2012, 446–473. – Stendahl, Eher Berufung. – Karl Friedrich Ulrichs, Christusglaube. Studien zum Syntagma πίστις Χριστοῦ und zum paulinischen Verständnis von Glaube und Rechtfertigung, WUNT II/227, 2007, 222–247. – Sam K. Williams, Again Pistis Christou, CBQ 49 (1987), 431–447. In Phil 3,9 ist die „aus Gott stammende Gerechtigkeit“ durch die Formulierung διὰ πίστεως Χριστοῦ charakterisiert. Der Ausdruck kann auf verschiedene Weise übersetzt werden: (A) als genitivus obiectivus: „durch den Glauben an Jesus Christus“, „die Treue zu Christus“ oder das „Vertrauen auf Christus“, (B) als genitivus auctoris: „durch den von Christus verursachten“ oder „geschenkten Glauben“ etc. oder (C) als genitivus subiectivus: „durch Treue, Vertrauen, Glauben
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Christi“. Im letzten Fall ist Christus selbst das Subjekt des Glaubens etc. Mit Gal 2,16; 3,22 und Röm 3,22 enthält Phil 3,9 in διὰ πίστεως Χριστοῦ … ἐπὶ τῇ πίστει zwei πίστις-Aussagen. Im Vergleich zu den anderen Belegstellen wurde Phil 3,9 in der πίστις-Χριστοῦ-Debatte wenig diskutiert (Ulrichs* 223). Die Hauptargumente der Debatte sind zusammengefasst bei Schnelle, Paulus 571 f. oder Easter*. Für eine Übersetzung von πίστις Χριστοῦ als genitivus subiectvus (C) spricht an dieser Stelle Folgendes: διὰ πίστεως Χριστοῦ bildet den Gegensatz zu „aus dem Gesetz“. Sie ist damit effektiver Grund zum Erwerb der Gerechtigkeit. Inhaltlich beschreibt dann der ‚Glaube Christi‘ die Treue des Märtyrers Jesus Christus zu Gott, mit der er in den Tod geht, sodass Gott diese Treue bis zum Tod nach Röm 3,25 als Sühnemittel wertet und den über die Welt ausgegossenen Zorn beendet (S. K. Williams*). Die Übersetzung als genitivus subiectivus vermeidet außerdem eine Redundanz: „durch den Glauben an Christus … im Glauben“. Nur die Wendung ἐπὶ τῇ πίστει zielt dann ähnlich wie εἰς αὐτὸν πιστεύειν auf den Glauben der Glaubenden, die dabei dem Vertrauen Christi entsprechen (→ 1,29; Gal 2,16; Röm 3,22; S. K. Williams* 445 f.). Alternativ wird an Jesu Gottesvertrauen gedacht, den er im Gehorsam bis zum Kreuzestod zur Vollendung bringt (→ 2,8; Hooker* 331 f.). Vorgeschlagen ist auch, als Objekt des Vertrauens Christi nicht Gott, sondern die Menschen anzunehmen und ‚Glaube Christi‘ als Christi „vertrauensvolle Zuwendung zu den Menschen“ zu interpretieren, die einen Lebensvollzug aus Glauben ermögliche (Schumacher* 446–460). Dieses Modell entspricht inhaltlich der Lösung B). Als genitivus auctoris (B) interpretiert, ist Christus Urheber der Gerechtigkeit, die dem Menschen anstelle von Werken zugerechnet wird. Vorausgesetzt ist die Gleichsetzung von ἐκ νόμου aus Phil 3,9 mit ἐξ ἔργων νόμου „aus den aus einem Gesetz hervorgehenden Leistungen“ aus Gal 2,16 und Röm 3,20 (Rusam* 65 f.). Die Lösung (A) schließt sich dem letzten Argument an und verneint das Vorliegen einer Redundanz, da der Artikel in ἐπὶ τῇ πίστει anaphorisch auf das τὴν διὰ πίστεως Χριστοῦ zurückweise (Koperski, Meaning 213–216; Ulrichs* 229–245; Matlock* 177–184). Außerdem verwende Paulus das Stichwort πίστις κτλ. im Philipperbrief konkordant (Ulrichs* 223–229; → 1,25.27.29; 2,17). „Durch den Glauben“ sei eine Kurzformel für die ‚Bekehrungs- oder Tauferfahrung‘ bzw. die innere Ausrichtung auf Tod und Auferstehung in den Versen 8–9a und 10 f. „Glaube an Christus“ meine also das „Geschehen“, dass „der Glaubende ‚Gerechtigkeit‘ hat“, also Gottes Gerechtsprechung oder Gerechtmachung als unverdiente Gabe (Ulrichs* 240; Koperski, Meaning 214). Man kann aber auch an Gegenstände des Glaubens denken, etwa: „dass das paulinische Evangelium wahr ist, und die Gewissheit, dass in Jesus Christus das Heil Gottes erschlossen und zugänglich ist“ (Wolter, Paulus 66; 74–79). Die Schwierigkeit an Lösung (A) bleibt, dass „Christus“ hier eine Art Platzhalter für anderswo eruierte dogmatische Inhalte ist. Wie inzwischen häufig konstatiert wird, lässt sich der dogmatisch aufgeladene Streit weder grammatisch noch semantisch abschließend klären (Frey* XVIIf.). Hilfreich sind dagegen Erweiterungen des Blickfelds, etwa die Beobachtung, dass nach Gal 3,21–25 das Erscheinen der πίστις als Personifikation die Zeitenwende und das angebrochene neue Zeitalter markiert (Schließer*, ähnlich bereits S. K. Williams* 437 f.; Stendahl* 33 f.; Käsemann* zur Gottesgerechtigkeit). Außerdem wird zunehmend die Bedeutung von πίστις und fides in der griechischen und römischen Welt in die Diskussion einbezogen. Dabei steht insbesondere die römische fides für ein wechselseitiges Treueverhältnis entweder im zwischenmenschlich-gesellschaftlichen Bereich, etwa im Patronatswesen, oder im politischen Bereich als Bundestreue der Verbündeten (Schumacher*; Morgan*). Πίστις ist also auch wechselseitige Beziehung, wie sie Philo in Auslegung von Gen 12,3 einbringt: „Weil Gott den gegen ihn gerichteten Glauben bewunderte, gab er dem Mann (Abram) eine Treue(zusage) zurück (ὃς τῆς πρὸς αὐτὸν πίστεως ἀγάμενος τὸν ἄνδρα πίστιν ἀντιδίδωσιν αὐτῷ, Philo Abr. 273).
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Fragment eines Abschiedsbriefs (Brief C)
Das Syntagma πίστις Χριστοῦ beschreibt eine vielfache Relation zwischen insgesamt drei Parteien: Menschen, Christus und Gott. Alle drei treten gleichermaßen in eine wechselseitige Vertrauens-, Treue- und Glaubensbeziehung ein (Morgan* 303 f.). Darüber hinausgehend formuliert die Weisheitstheologie den Gedanken, dass πίστις κτλ. in die tiefere Gotteserkenntnis führt (SapSal 3,9; Philo her. 92–94 und migr. 43 f.; Morgan* 152 f.; 201 f.). Und für die jüdische Weisheitstheologie ist Transzendentes allein durch Transzendenz erkennbar: „Das Weise ist durch Weisheit zu sehen. Weisheit aber ist nicht nur ein Medium zum Schauen nach der Weise des Lichts, sondern schaut sich auch selbst. Sie ist Gottesschein als Archetyp der Sonne … (διὰ σοφίας τὸ σοφὸν θεωρεῖται. Σοφία δὲ οὐ μόνον φωτὸς τρόπον ὄργανον τοῦ ὁρᾶν ἐστιν, ἀλλὰ καὶ αὑτὴν ὁρᾷ. αὕτη θεοῦ τὸ ἀρχέτυπον ἡλίου φέγγος, Philo migr. 39 f.). Die Übersetzung „durch Christus-Vertrauen“ möchte den vielfachen Relationen zwischen Gott, Christus und Menschen – Menschen glauben an Christus und vertrauen Gott, Christus ist Gott treu, Gott erkennt Christi Treue an und schenkt den Menschen Vertrauen, was diese im Spiegel des Vertrauens Christi erkennen können – im Ausdruck διὰ πίστεως Χριστοῦ einen behelfsmäßigen Ausdruck verleihen.
Die Parenthese, die den offenen Prozess der Suche nach Christus abrupt zu unterbrechen scheint, ist also kein Fremdkörper innerhalb der den Abschnitt prägenden weisheitlichen Sprache und Theologie. Es geht Paulus auch um mehr als die Hervorhebung einer „soteriologischen Relevanz des Christusereignisses“, die Beschreibung der Gottesgerechtigkeit auch als individuelle „Transfer- und Partizipialkategorie“ oder den Ausblick auf die Gerechtsprechung im letzten Gericht (Schapdick* 204; vgl. Schnelle, Paulus 336; 405; Holloway, K.). Vielmehr behauptet Paulus mit der jüdischen Weisheitstheologie, dass Christus sich nicht in eigenem Streben, sondern nur in dem Inihm-gefunden-Werden schenkt. In der Bewegung von „meiner Gerechtigkeit“ zur „aus Gott stammenden Gerechtigkeit“ spiegelt sich der immer selbe weisheitliche Grundgedanke. Die Parenthese ist damit mindestens auch eine weitere weisheitstheologische Amplifizierung des in V. 8–9a formulierten Grundgedankens. Die Basisthese, nach der Gerechtigkeit ausschließlich von Gott her kommt, hat seine Wurzeln ebenfalls in der Weisheit. Den in der jüdischen Weisheitstheologie als unmittelbar behaupteten Zusammenhang von Weisheit und Gesetz stellt Paulus allerdings infrage. An die Stelle stellt er aber mit πίστις, dem Christus-Vertrauen, einen in der Weisheitstheologie ebenfalls bereits formulierten Gedanken. Denn auch jüdische Weisheit kann sagen: „Die auf ihn vertrauen, werden Wahrheit verstehen, und die treu sind in der Liebe, werden ihm anhängen, denn Gnade und Erbarmen werden seinen Heiligen zuteil und rettende Heimsuchung seinen Erwählten“ (οἱ πεποιθότες ἐπ᾽ αὐτῷ συνήσουσιν ἀλήθειαν καὶ οἱ πιστοὶ ἐν ἀγάπῃ προσμενοῦσιν αὐτῷ ὅτι χάρις καὶ ἔλεος ἐν τοῖς ὁσίοις καὶ ἐπισκοπὴ ἐν ἐκλεκτοῖς αὐτοῦ, SapSal 3,9 [Ziegler]). Kurz: Paulus bringt in seine weisheitliche Biographie Rechtfertigungstheologie ein, weil sie der Radikalisierung weisheitstheologischer Gedanken zum göttlichen Ursprung der Gerechtigkeit, der Notwendigkeit einer aus der Transzendenz gestützten Hermeneutik des Gesetzes und der Bedeutung von Vertrauen und Glauben in der Gottesbeziehung entspringt. Indem die Parenthese die Bewegung von einer individuell-immanenten zu einer im Vertrauen gegründeten transzendenten und damit potenziell universalen Gerechtigkeit enthält, amplifiziert sie ein weiteres Mal den Gedanken aus den Versen 8–10. 236
Eine weisheitliche Bildungsbiographie
3,10 f.
10 f. … τοῦ γνῶναι αὐτὸν καὶ τὴν δύναμιν τῆς ἀναστάσεως αὐτοῦ καὶ [τὴν] κοινωνίαν [τῶν] παθημάτων αὐτοῦ, συμμορφιζόμενος τῷ θανάτῳ αὐτοῦ 11εἴ πως καταντήσω εἰς τὴν ἐξανάστασιν τὴν ἐκ νεκρῶν. Der substantivierte Infinitiv „ihn zu erkennen“ schließt an den durch die Parenthese unterbrochenen Finalsatz in V. 8c– 9a an. Die Glieder des mystische oder „partizipatorische“ Sprache sprechenden Satzes und ihre Zuordnung eröffnen verschiedene Bedeutungsoptionen (U. B. Müller, K.). Man kann einen bis V. 11 reichenden Chiasmus entdecken, dessen äußere Glieder ἀνάστασις „Auferstehung“ und ἐξανάστασις ἡ ἐκ νεκρῶν „Auferstehung der Toten“ die inneren Glieder πάθημα „Leiden“ und θάνατος „Tod“ rahmen (Gnilka, K.; Schenk, K. 320; U. B. Müller, K.). Für einige Auslegungen ist durch diesen Chiasmus der Leidensaspekt christlicher Existenz betont, für andere die Auferstehung als Ermöglichungsgrund des Ertragens von Leiden hervorgehoben (G. Barth, K.; Gnilka, K.; Schnelle, Paulus 633). Aber weder die beiden inneren Glieder noch die äußeren sind ganz parallel gestaltet (Schapdick* 205). Daher können die Verse auch als Curriculum Vitae einer christlichen Existenz gelesen werden, die in der Auferstehung gipfelt (Holloway, K.). Inhaltlich steht nicht nur zur Diskussion, ob der Vers die Teilhabe an der Auferstehungsmacht oder Gottes Solidarität mit dem Leiden hervorhebt, sondern auch, ob es hier um Gegenwart oder Zukunft und ob es allein um Paulus oder paradigmatisch um jede Christusexistenz geht. Alle Optionen sind begründbar. Das Verb γινώσκω greift das Stichwort γνῶσις und die partizipatorische Aussage aus → V. 8 auf (Ch. Strecker* 121–131). Ähnlich versteht die jüdische Weisheit γινώσκω als einen erfahrungsbezogenen Prozess, der in einer unaufhörlichen Bewegung nach Erkenntnis besteht, der jedoch nur dann sein Ziel erreicht, wenn die Weisheit sich erkennen lässt und dem oder der Lernenden den Weg zur Gotteserkenntnis zeigt, den ihr Gott selbst zuvor offenbart hat (Sir 6,27 f.; SapSal 7,21; 9,17; Koperski* 321). Dass man Gott an der Wirkung seiner δυνάμις „Fähigkeit, Vermögen, Kraft“ erkennen kann und soll, ist ein im hellenistischen Judentum vielfach geäußerter Gedanke (Arist 132; SapSal 13,4; Philo opif. 7 und LA 3.97; Röm 1,20 f.; Grundmann, ThWNT II 307). Der Ausdruck δύναμις τῆς ἀναστάσεως αὐτοῦ spezifiziert die Demonstration dieser Macht in einer geschichtlichen Tat. Gegenwärtiges Leiden inklusive der Konflikte in und mit den Gemeinden nennt Paulus auch andernorts παθήματα τοῦ Χριστοῦ, was die Adressatinnen und Adressaten seiner Briefe zu κοινωνοὶ τῶν παθημάτων „Genossinnen und Genossen der Leiden“ macht (2Kor 1,5.7; vgl. Gal 6,17). Die ältesten Manuskripte, �46, �* und B, lesen einen Artikel weder vor κοινωνία noch vor παθημάτων αὐτοῦ; A sowie die Minuskeln 1241 und 2464 lassen nur den Artikel vor κοινωνία weg. Die frühe und gute Bezeugung sowie die betonte Verbindung von δύναμις und κοινωνία durch den Gebrauch nur eines Artikels lässt viele Auslegungen für diese letzte Lesart votieren (Gnilka, K.; Schapdick* 205; Häußer, K.; Holloway, K.). In der Zusammenstellung mit Jesu Passionsleiden fällt auf, dass die Auferstehung zuerst genannt ist. Die älteren Auslegungen vermuteten wiederum Einflüsse gegnerischer Missionarinnen und Missionare (Bultmann, ThWNT I 710 f.; Gnilka, K.; Schenk, K. 320 f.; → Exk. 15). Andere interpretieren die „Auferstehungsmacht“ als christliche Grunderfahrung, die das Ertragen von Leiden überhaupt erst ermöglicht (Schapdick* 205; Wolter, Paulus 251 f.255). Im Leiden der Glaubenden demonstrier237
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Fragment eines Abschiedsbriefs (Brief C)
ten sich Leben und Herrlichkeit der Auferstehungsmacht Christi (2Kor 4,11; Röm 8,17). Δύναμις kann als Synonym für den Geist stehen, was enthusiastische Erfahrungen beinhaltet (1Thess 1,5; Röm 15,13; E. Lohmeyer, K.; Gnilka, K.; Holloway, K.). Jedenfalls negiert die Auferstehung keinesfalls Solidarität im Leiden und Sterben. Der leidvolle Alltag und die voranschreitende Gleichgestaltung mit dem Tod sind trotz oder gerade wegen der Auferweckung des Gekreuzigten keine von Gott abgewandte oder verlassene Wirklichkeit (2Kor 4,8–11; vgl. 1Kor 4,9–13; 2Kor 12,9–12; Schenk, K. 320; Walter, K.). Anders als in der Stellvertretungs- oder Sühnetodvorstellung in Röm 3,25 f.; 5,6–8 und 1Kor 15,3 geht es hier nicht um einen effektiven Tod Christi, der Sünden und Leiden von den Glaubenden wegnimmt, sondern um einen integrativen, der Tod und Auferstehung und damit Himmel und Erde verbindet (G. Barth, K.). Auch dies gehört zu weisheitlichem Denken (Standhartinger, Weisheit 500). Das συμμορφίζομαι „dieselbe Gestalt verleihen“ ist an dieser Stelle zum ersten Mal in der griechischen Literatur belegt. Das Adjektiv σύμμορφος verwendet Paulus auch in → 3,21 und in dem erwählungstheologischen Satz Röm 8,29. Man kann in V. 10c eine Anspielung an die Tauftheologie entdecken: „zusammengewachsen in der Gleichgestalt seines Todes“ (σύμφυτοι … τῷ ὁμοιώματι τοῦ θανάτου αὐτοῦ, Röm 6,5; Gnilka, K.; U. B. Müller, K.; Hawthorne/Martin, K.; Reumann, K. 525; Kuo-Yu Tsui*). Mit ψ 43,23 spricht Paulus auch vom täglichen Sterben und von der Gestaltwerdung Christi im Leben der Glaubenden (Röm 8,36; 1Kor 15,31; Gal 4,19). Aber spätestens V. 11 thematisiert das Ende menschlicher Existenz. Daher vermuten manche, Paulus habe hier sein eigenes Martyrium vor Augen (E. Lohmeyer, K.; Eckey, K.; Wojtkowiak* 184–186). Trotz der seit V. 4 vorherrschenden Ich-Rede ist das Geschilderte jedoch nicht individuell, sondern paradigmatisch gemeint (Dibelius, HNT). Auch die Vorsilbe συμ- weist auf die Kollektivität der Anstrengung hin (Schapdick* 208). Umso mehr verwundert, dass die Erwartung auf Auferstehung in V. 11 nicht als Gewissheit formuliert ist. Die Konjunktion εἴ πως „ob etwa“ oder „ob vielleicht“ ist „Ausdruck einer eine Handlung begleitenden Erwartung“ (B/D/R § 375). Paulus formuliert also lediglich eine vorsichtige Hoffnung (Otto*; Schapdick* 209). Καταντήσω, Indikativ Futur oder Konjunktiv Aorist von καταντάω, beschreibt dabei „die Bewegung, die zu [einem] gegebenen Ziel und dem gegebenen Abschluss führt“ (Michel, ThWNT III 626). Das nächste Hapaxlegomenon ἐξανάστασις vermeidet die Wiederholung von ἀνάστασις und hebt das ἐκ νεκρῶν hervor. Überall sonst bei Paulus ist ἐκ νεκρῶν allerdings auf Christus bezogen (Gal 1,1; 1Kor 15,12.20 etc.; U. B. Müller, K.). Die Majuskeln K, L, 075, die Minuskeln 630, 1241, 1739, 1881, 2464, � und die koptisch-bohairische Überlieferung datieren Paulus’ erhoffte Auferstehung auf die allgemeine Auferstehung der Toten ἐξανάστασις τῶν νεκρῶν (Mt 22,31; 1Kor 15,42). Dass es um die allgemeine Auferstehung und nicht nur die Christi geht, klären die Majuskeln F und G durch die Lesart τῶν ἐκ νεκρῶν. Die Unsicherheit in Bezug auf die eigene Auferstehung wird mit der Idee einer mit dem Martyrium verbundenen unmittelbaren Entrückung erklärt, deren sich Paulus nicht gewiss sein könne (E. Lohmeyer, K.; Otto*; Schnelle, Paulus 639; → Exk. 4). Andere sehen einen Einspruch gegen die Idee eines Heilsautomatismus oder persönliche Demut (Gnilka, K.; Schapdick* 209–212; Thurston, K.). Dritte differenzieren 238
Eine weisheitliche Bildungsbiographie
3,12
zwischen der allgemeinen Auferstehung zum Gericht und der Auferstehung der Gerechten, von denen hier Letzteres im Blick sei (Holloway, K., vgl. 1Hen 104,2.4; Dan 12,1–3; Jub 23,27–33; AssMos 10,8–10). Jedenfalls ist postmortale Auferstehung das theologische Erbe der jüdischen Apokalyptik. Die hier konzedierte Offenheit der Biographie setzt sich in den nächsten Versen fort. 12 Οὐχ ὅτι ἤδη ἔλαβον ἢ ἤδη τετελείωμαι, διώκω δὲ εἰ καὶ καταλάβω, ἐφ᾽ ᾧ καὶ κατελήμφθην ὑπὸ Χριστοῦ Ἰησοῦ. Mit der elliptischen Selbstpräzisierung οὐχ ὅτι „nicht, dass (ich sagen will) …“ beginnt ein neuer Satz (→ 4,11.17; 2Kor 1,24; 3,5; 7,9). NTG28 und viele Auslegungen lassen zugleich einen neuen Abschnitt beginnen. Aber V. 12 schließt präzisierend an den in den Versen 8–11 eröffneten Erkenntnisprozess an (Thurston, K.). Bis einschließlich V. 14 bleibt die selbstvorstellende Ich-Rede prägend. Von nun an aber setzt die Rhetorik Gesprächsbeiträge voraus und Gesprächspartner werden in V. 13 als Geschwister angesprochen. Auch die Metaphorik verschiebt sich: Statt κερδαίνω „gewinnen“, γινώσκω „erkennen“ und εὑρισθῆναι „sich finden lassen“ evozieren διώκω „verfolgen, nachjagen“ und (κατα)λαμβάνω „ergreifen, empfangen“ das Bildfeld des Laufsports. Der Prozess vom menschlichen Bemühen zum passiven καταλήμφθῆναι „ergriffen werden“ setzt die weisheitliche Bildungsbiographie aus den Versen 5–11 fort. Viel diskutiert ist die Frage, was das Ich noch nicht „schon, bereits“ (ἤδη) ergriffen oder empfangen hat. Als zu ergänzendes Objekt ist vorgeschlagen: Auferstehung (→ V. 11; Brändl* 295; Thompson, K.), die δύναμις der Auferstehung als materiell gedachter Geist (→ V. 10; Engberg-Pedersen, Cosmology 153–155), Christus (→ V. 8.12; Dibelius, HNT), Erkenntnis Christi (→ V. 8.10; Hawthorne/Martin, K.; Häußer, K.), Gerechtigkeit (→ V. 9; Pfitzner* 143; Baumer, K.), Vollkommenheit (→ V. 6.15; Sir 27,8; Schenk, K. 297), das Martyrium (E. Lohmeyer, K.) und der Preis der himmlischen Berufung (→ V. 14; Poplutz* 362 f.; Holloway, K.; Chrys Hom in Phil 12,1 [Allen/Field 128/PG 62.287,36]). Die Vielfalt der Vorschläge spricht für absichtsvolle Offenheit (Gnilka, K.; U. B. Müller, K.). Ohne direktes Objekt wird jedenfalls die Aufmerksamkeit spannungsvoll auf die Reihung weiterer Verben gelenkt. Einige Manuskripte, �46, D*.c, die armenische Überlieferung und Ambrosiaster ergänzen ἢ ἤδη δεδικαίωμαι, die Majuskeln F, G, der altlateinische Zeuge b, die lateinische Überlieferung von Irenäus ergänzen ἢ ἤδη δικαίωμαι. Damit knüpfen sie zwar an V. 6 und V. 9 an, formulieren aber nicht paulinisch. Das passivische τελειόω „zur Vollendung, zur Ganzheit bringen“ handelt an Paulus und braucht daher kein Objekt. Metaphorisch beschreibt τελειοῦσθαι die Entrückung der Gerechten in die Gottesnähe (SapSal 4,7.10.13; Philo LA 3.45; 3.74; 4Makk 7,15; Delling, ThWNT VIII 82). Wer an die Korrektur eines falschen Vollkommenheitsbewusstseins von Gegnerinnen und Gegnern oder der Gemeinde denkt, kann auf die Bedeutung „in ein Mysterium einweihen“ verweisen (Wick* 95 f.; Koester* 322 f.). Jedenfalls ist mehr als moralischer Fortschritt gemeint. Der Wechsel vom komplexen Aorist ἔλαβον über das resultative Perfekt τετελείωμαι zu dem Präsensverb διώκω deutet biographische Vervollkommnung an, ohne dass einzelne Stationen konkretisiert werden (Schapdick* 216 f.). Weiterhin bleibt Vollkommenheit göttliche Gabe (SapSal 9,6).
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Anders als in V. 6 bedeutet διώκω hier „streben nach geistigen Gütern und Zielen“ (Knoch, EWNT I 817; 1Thess 5,15; 1Kor 14,1; Röm 9,30 f.; 12,13). Die Gegenwart ist durch die adversative Partikel δέ hervorgehoben. Der knappe Bedingungssatz εἰ + Konjunktiv drückt eine sehnsuchtsvolle, aber keine sichere Erwartung aus (B/D/R § 3751.4). Allerdings leitet εἰ καί eigentlich einen Konzessivsatz ein, weshalb das καί von den Majuskeln �*, D*, F, G, den Minuskeln 326, 2464, 2495, einem Teil der lateinischen Überlieferung und der Peschitta ausgelassen ist. Διώκω und καταλαμβάνω gehören zu einem semantischen Feld: „Sie sind zu verfolgen, bis sie eingeholt sind“ (διωκτέοι εἰσὶ ἐς ὃ καταλαμφθέντες, Hdt 9.58,4; Sir 27,8; Röm 9,30). Die Vorsilbe κατα- in καταλαμβάνω verstärkt: „vollständig ergreifen“ (Delling, ThWNT IV 10). Der präpositionale Ausdruck ἐφ᾽ ᾧ wird entweder kausal interpretiert, also mit „weil“ übersetzt (ἐπὶ τούτῳ ὅτι/διότι; Häußer, K.), oder, so eine angelsächsische Tradition, als Ersatz für einen relativischen Anschluss gelesen (τούτῳ ἐφ᾽ ᾧ; Bockmuehl, K.; Holloway, K.). Angesichts der zugrunde liegenden mystischen Tradition ist erstere Lösung wahrscheinlicher. Das einzige ergriffene Objekt ist Paulus, der von Christus Jesus ergriffen ist. Dies ist ein mystisches Bild. So heißt es, sagt Philo, Gott könne allein „von sich selbst ergriffen werden“ (ὑφ᾽ ἑαυτοῦ καταλαμβάνεσθαι, Philo praem. 40). Daher strebt Mose unentwegt danach zu schauen und von ihm gesehen zu werden (Philo post. 13; vgl. Gal 4,9; 1Kor 13,12; Dibelius, HNT). Neuplatonische Mystik verstärkt: „Wenn aber jemand von uns, unfähig, sich selbst zu sehen, von jenem Gott ergriffen wird, um zu sehen, (und) das Gesehene anwendet, wendet er sich zu sich selbst und sieht sein noch schöneres Abbild“ (Εἰ δέ τις ἡμῶν ἀδυνατῶν ἑαυτὸν ὁρᾶν ὑπ’ ἐκείνου τοῦ θεοῦ ἐπὰν καταληφθεὶς εἰς τὸ ἰδεῖν προφέρῃ τὸ θέαμα, εἰκόνα αὑτοῦ καλλωπισθεῖσαν βλέπει, Plot Enn 5.8,11). NTG28 setzt Ἰησοῦ in eckige Klammern, aber ausgelassen wird es lediglich von den Majuskeln B, D, F, G, der Minuskel 33, dem altlateinischen Manuskript b, Tertullian, Clemens Alexandrinus und Ambrosiaster. �46.61vid, �, A und viele andere bieten Χριστοῦ Ἰησοῦ (Holloway, K.). Christus Jesus setzt den Prozess des Empfangens, der Vervollkommnung und des Strebens in Gang. Die Objektlosigkeit aller aktiven Formen betont auch, dass weder Christus Jesus noch Gott sich vom Menschen aus ergreifen und über sich verfügen lassen. 13 ἀδελφοί, ἐγὼ ἐμαυτὸν οὐ λογίζομαι κατειληφέναι ἓν δέ, τὰ μὲν ὀπίσω ἐπιλανθανόμενος τοῖς δὲ ἔμπροσθεν ἐπεκτεινόμενος … Mit der Anrede „Geschwister“ wechselt Paulus in einen dialogischen Stil und teilt eine Selbsteinschätzung mit. Λογίζομαι, eigentlich das kaufmännische Rechnen, meint in der Philosophie einerseits den rationalen Denkakt, andererseits aber auch seine subjektive Seite (Heidland, ThWNT IV 287 f.). Die Majuskeln �, A, D*, F, G, K, L, 075, die Minuskeln 33, 81, 104, 365, 614, (629), 1175, 1241, die armenische Überlieferung, einige Vulgatatexte, die Harklensis*, die bohairische Überlieferung und Clemens Alexandrinus lesen das mit ἤδη korrelierende Zeitadverb οὔπω „noch nicht“ statt der einfachen Verneinung οὐ. Die Lesart unterstreicht den zeitlichen Aspekt und könnte von der Rezeption des Briefes als letztes Wort des Märtyrers Paulus angeregt sein. Jedenfalls widerspricht der Zwischengedanke der Unterstellung, Paulus habe Christus in seinem Leben vollkommen erfasst.
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Eine weisheitliche Bildungsbiographie
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Mit einer freien Ellipse, die an διώκω δέ aus dem vorangehenden Vers anschließt, wird die in den Versen 7–11 beschriebene Haltung verallgemeinernd zusammengefasst (B/D/R § 481; Dibelius, HNT). Grundsätzlich möchte Paulus τὰ ὀπίσω „die Dinge, die hinten liegen“ vergessen (ἐπιλανθάνω wird in der Septuaginta negativ gewertet: Dtn 8,14.19; Jer 13,25 u. ö.). In τά ist mehr impliziert als die in den Versen 5 f. genannten Vorzüge und Leistungen. Das Gegenteil, ἐπεκτείνομαι „sich ausstrecken“ nach τοῖς ἔμπροσθεν „den Dingen, die vor ihm liegen“, umfasst alle in V. 12 implizierten Objekte, Erkenntnis, Christus, Gottesgerechtigkeit, Kraft, Geist, Auferstehung und Preis der himmlischen Berufung. Evoziert ist das Bild einer Läuferin oder eines Läufers, die sich auf einer Rennbahn möglichst effektiv auf das Ziel zu bewegt (Pfitzner* 139–153; Metzner*; Poplutz* 349–373; Brändl* 294–302; Esler*; zu Läuferinnen: Poplutz* 86–95; Holloway, K. 172 f. Anm. 2; → 1,27.30; 2,16; 4,1.3). Sport diente in der Antike nicht nur der gesellschaftlichen Unterhaltung, Sieger bei den großen Wettkämpfen, etwa in Olympia oder bei den Isthmischen Spielen nahe Korinth, brachten auch ihren Heimatstädten Anerkennung und Ehre (Paus 6.4,11). Sportliche Wettkämpfe gehörten auch zu religiösen Festen (Poplutz* 71–99; Esler*) und der Laufsport, sowohl in Gruppen als auch als Wettkampf von einzelnen Laufenden, war in der Antike verbreitet (Esler* 371– 375). Möglicherweise wurden in Philippi Wagenrennen abgehalten, das Theater diente spätestens seit dem 2. Jahrhundert auch für Gladiatoren- und Tierkämpfe (→ Einl. 3.1). Metaphern und Bilder aus der Welt des Sports haben in der philosophischen Rhetorik eine lange Tradition (Pfitzner*; Brändl* 32–137; Arnold* 97–123; NW II/1, 700– 702). In der jüdischen Tradition sind Jakob, aber auch Märtyrer die athletischen Tugendkämpfer par excellence (SapSal 10,10–12; Philo sacr. 17; TestHiob 4,10; 4Makk 6,10; 17,11–16; Poplutz* 174–212; Brändl* 76–132). Lukian illustriert den Neid als Ursache der Verleumdung mit dem Bild eines schlechten Läufers, der seine Mitlaufenden zu hindern versucht. Er ist das Gegenbild zum guten Läufer, der „sofort, wenn die Startschranke gefallen ist, geradeaus läuft und, da er den Verstand auf das Ziel ausrichtet, seinem Mitlaufenden nichts Böses antut“ (ὁ μὲν ἀγαθὸς δρομεὺς … τῆς ὕσπληγγος εὐθὺς καταπεσούσης μόνον τοῦ πρόσω ἐφιέμενος καὶ τὴν διάνοιαν ἀποτείνας πρὸς τὸ τέρμα … τὸν πλησίον οὐδὲν κακουργεῖ, Luc Cal 12). Die Auslegung versucht Paulus auf dieser Lebenslaufbahn zu verorten. Einige denken an die Haltung eines Läufers bei einem knappen Zieleinlauf (Pfitzner* 141; Metzner* 587 f.; Brändl* 302). Die Kurzstreckenläufer „bewegen nämlich ihre Beine mit den Händen im scharfen Lauf … die Dauerläufer tun dies am Ziel“ (ἐκεῖνοι μὲν γὰρ σκέλη χερσὶ κινοῦσιν ἐς τὸν ὀξὺν δρόμον … δολιχοδρόμοι δὲ τουτὶ μὲν περὶ τέρμα πράττουσι, Philostr De Gymnastica 32; Poplutz* 357; 367 f.). Der Zieleinlauf wäre allerdings ein wenig beeindruckendes Bild zur Bestreitung der These, vollkommen zu sein (→ V. 12). Esler zeigt, dass in Darstellungen einzelne Läufer genau die von Paulus abgelehnte Haltung einnehmen und nach hinten sehen. Paulus spiele auf den Lauf in einer Gruppe an (Esler* 370 f.; 379–382). Die rhetorische Konventionalität des Bildes verweigert sich gegenüber solchen Präzisierungen. Wichtig ist es Paulus, den Gedanken abzuwehren, er befinde sich bereits am Ziel. 14 … κατὰ σκοπὸν διώκω εἰς τὸ βραβεῖον τῆς ἄνω κλήσεως τοῦ θεοῦ ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ. Der nächste Vers führt den in V. 13b begonnenen Satz und das Bild unter 241
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Fragment eines Abschiedsbriefs (Brief C)
Rückgriff auf das bereits in → V. 12 gebrauchte Verb διώκω zum Ziel. Auch διώκω „verfolgen“ passt ins Bild des sportlichen Laufens (Luc Hermot 77; NW II/1, 700 f.). Wenig bezeugt und daher kaum ursprünglich lesen die Majuskeln I und Ψ ein Präsenspartizip und ordnen die Verbalhandlung damit den vorangehenden Partizipien bei. Die Majuskeln D, F, G, K, L, P, 075, die Minuskeln 104 und 630 sowie � konstruieren διώκω mit ἐπί vielleicht wegen der Bedeutung „hinauf“. Im Unterschied zu 1Kor 9,24–27 und Luc Cal 12 fehlen beim Wettlauf des Paulus die Konkurrentinnen und Konkurrenten – Paulus ist allein auf der Bahn. Σκόπος ist das „Ziel“ eines Bogenschützen (Hom Od 22.6; SapSal 5,21; Philo Mos. 2.151). Die Stoa überträgt σκόπος und τέλος zwar auf das höchste Ziel eines durch Tugend geübten Lebens gemäß der rechten Vernunft (Chrysipp, Frgm. 3 [Stob Ecl 2.76,16]; Frgm. 10 [Philo Mos. 1.48]; Engberg-Pedersen, Stoicism 269–274). Aber σκόπος gehört nicht direkt zum Bildfeld des antiken Sports (Brändl* 300; Pfitzner* 139 f.). Dagegen ist τὸ βραβεῖον „der (Kampf-)Preis“, den die in einem Wettkampf Siegenden vom βραβεύς „Schiedsrichter“ überreicht bekommen (Stauffer, ThWNT I 636 f.; Poplutz* 263–266; 1Kor 9,24; übertragen auf den Tugendkampf: Philo praem. 4–6). Üblich ist die Übergabe eines Kranzes (→ 4,1). Hier ist als Zielpunkt ἄνω κλῆσις die „Berufung nach oben“ oder die „obere Berufung“ genannt, die, so die Mehrheit der ältesten Zeugen, von Gott in Christus Jesus stammt. Bereits die Handschriftentradition ringt mit der Vorstellung. Eine Randbemerkung der Minuskel 1739 und Tertullian interpretieren κλῆσις als ἀνεγκλησία „Tadellosigkeit“. Außerdem lesen �46 und Ambrosiaster nur κλῆσις τοῦ θεοῦ, womit diese (eschatologische?) Berufung von der Berufung zum Glauben „in Christus“ unterschieden werden kann, wogegen die Majuskeln F und G sowie Clemens Alexandrinus ausschließlich κλῆσις ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ bzw. ἐν κυρίῳ Ἰησοῦ Χριστῷ bezeugen, was umgekehrt „in Christus“ zu einem Ort der Erlösung macht. �16 fügt zu den Varianten noch τοῦ θεοῦ ἐν Ἰησοῦ Χριστῷ hinzu. Die von NTG28 und den übrigen Varianten gebotene Lesart ist theologisch die größere Herausforderung. Denn den Ausdruck ἡ ἄνω κλῆσις verwendet Paulus nur hier, wogegen κλῆσις „Berufung“ sonst Gottes initiales, erwählendes Handeln an Israel und den Glaubenden beschreibt (Röm 11,29; 1Kor 1,27; 7,20 vgl. Hebr 3,1). Es fragt sich also, worin sich die „obere Berufung“ von der „Berufung zum Glauben“ unterscheidet. Drei Erklärungen werden diskutiert: Die erste möchte ἄνω κλῆσις „Berufung nach oben“ wörtlich als den Ruf des Kampfrichters verstehen, der zur Bekanntgabe und Ehrung die Siegerinnen und Sieger auf ein Podium ruft und ihnen dort den Siegespreis überreicht (Hawthorne/Martin, K. 210 f.; Witherington, K. 211; Reumann, K. 540 f.; 550; Thurston, K.). Es fehlt aber bisher jeder Beleg zu diesen Details antiker Preisverleihungen (Poplutz* 368 f.). Die zweite Erklärung interpretiert den Genitiv τῆς ἄνω κλήσεως als Genitiv der Apposition zu τὸ βραβεῖον: Gemeint sei nicht „anfängliche Berufung“, sondern der Ruf zur Vollendung in der Auferstehung (→ V. 11; Poplutz* 369; Brändl* 302; Schapdick* 224). Alternativ lässt sich auch an die noch ausstehende Verherrlichung denken (→ 3,21; Röm 8,30; Dibelius, HNT). Aber auch hier fehlen sprachliche Belege. Zwar steht ἄνω „oben“ in der jüdischen Apokalyptik für den Himmel. Henoch wird von Winden „nach oben gehoben und in den Himmel geführt“ (καὶ ἐπῆράν με ἄνω καὶ 242
Eine weisheitliche Bildungsbiographie
3,14
εἰσήνεγκάν με εἰς τὸν οὐρανόν, 1Hen 14,8 [griechisch]; vgl. TestAbr A 7,7; Gal 4,26; ParJer 5,35). Aber eine ἄνω κλῆσις ist lediglich einmal in einigen Handschriften in einer interpolierten Stelle aus 3Bar 4,15 belegt: „Wiederum werden sie durch Jesus Christus, den Immanuel, in ihm die Berufung nach oben empfangen und den Eingang ins Paradies“ (πάλιν διὰ Ἰησοῦ Χριστοῦ τοῦ Ἐμμανουὴλ ἐν αὐτῷ μέλλουσιν τὴν ἀνάκλησιν [v. l. ἄνω κλῆσιν] προσλαβεῖν, καὶ τὴν εἰς παράδεισον εἴσοδον). Eine dritte Erklärung vermutet, ἄνω κλῆσις sei ein Schlagwort von Gegnerinnen und Gegnern (Schenk, K. 303 f.). Sie könnten eine enthusiastische Entrückung anstreben, wie es Philo in seiner Auslegung von Ex 31,2 LXX formuliert: „Deshalb heißt es in den Gottessprüchen, dass die gänzlich von Weisheit und Einsicht Angefüllten ‚nach oben gerufen‘ (Ex 31,2 LXX) sind. Denn es ist angemessen, dass das Göttliche die von ihm Begeisterten nach oben ruft“ (διὰ τοῦτο ἐν τοῖς χρησμοῖς οἱ σοφίας καὶ ἐπιστήμης ἄπληστοι διατελοῦντες ἀνακεκλῆσθαι λέγονται πρὸς γὰρ τὸ θεῖον ἄνω καλεῖσθαι θέμις τοὺς ὑπ᾽ αὐτοῦ καταπνευσθέντας, Philo plant. 23; vgl. Philo QG 2.46 f.; NW II/1, 702 f.). Ähnlich heißt es in Philo her. 70 vom begeisterten Verstand, dass er vom Seienden geführt und „nach oben zu dem Seienden gezogen ist“ (ἄνω πρὸς αὐτὸ εἱλκυσμένη). Wie Paulus spricht Philo vom ἄνω καλεῖσθαι „nach oben berufen werden“. Allerdings denkt Paulus nicht nur an eine temporäre Entrückung. Sein Denken ist stärker als das seines älteren alexandrinischen Zeitgenossen apokalyptisch geprägt (→ 3,21; 1Thess 4,15–18; 1Kor 15,51–54). Dass es Gott ist, der nach oben ruft, ist für beide Theologen selbstverständlich. Ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ kann sowohl lokal als auch instrumental aufgefasst werden (Schapdick* 225; E. Lohmeyer, K.). In letzterem Fall deutet sich die in → V. 21 angedeutete Hoffnung auf eine postmortale himmlische Existenz an.
Dem ironischen Einsatz in V. 4b folgt eine bis V. 14 reichende Christusbiographie, die sich an der Biographie des idealen Weisen aus der jüdischen Weisheitstheologie orientiert. Mit Ausnahme der knappen Bemerkung zur Verfolgung der ἐκκλησία enthält die Darstellung keine Selbstdistanzierung. Vielmehr werden alle Vorzüge vornehmer Herkunft und erworbener Leistungen inklusive der im Gesetz zu erwerbenden Gerechtigkeit deshalb zum Verlust und Dreck, weil ein noch viel größerer Gewinn erhofft ist. Was für den Weisheitslehrer die Nähe zu der von ihm erotisch geliebten göttlichen Frau Weisheit ist, ist für Paulus die Erkenntnis und das Erkanntwerden von Christus. Das Streben nach diesem Gewinn wird in amplifizierenden Bildern und sich wiederholenden Kreisen vorgeführt, in denen nur punktuell das Ziel der Vereinigung mit dem und der Ersehnten aufscheint. Zum Ziel gelangt der Suchende dann, wenn das gesuchte Objekt ihm als Subjekt begegnet und sich selbst zu erkennen gibt. Die Verse 12–14 verallgemeinern das biographisch angelegte Bild mithilfe der viel gebrauchten Bildwelt des antiken Sports. Wie im Mastermodell der hier vorgeführten Christusbiographie, der Werberede des jüdischen Weisheitslehrers und idealen Königs in Sir 51,13–30 und SapSal 6–9, bleibt das Suchen des Paulus prinzipiell offen und unabgeschlossen. Wie im Mastermodell geht es dabei auch um die Beschreibung der notwendig unabgeschlossenen Suche nach der jenseits der immanenten Welt und ihrer menschlichen Werte liegenden göttlichen Transzendenz. Im Licht dieser Transzendenz revidieren sich menschliche Wertungen. Sie schließt die göttliche Wirklichkeit, inklusive ihrer Ge243
3,2–21
Fragment eines Abschiedsbriefs (Brief C)
rechtigkeit, ihrer Treue und ihres Vertrauens, auf. Die weisheitliche Christusbiographie offenbart damit sowohl die traditionsgeschichtliche Herkunft paulinischer Mystik und partizipativer (Tauf-)Theologie als auch paulinischer Rechtfertigungslehre. Die Bildungsbiographie aus der jüdischen Weisheit ist immer eine Werberede, die die Leserinnen und Hörer auffordert, sich dem Streben, der Suche und der Bewegung zur Weisheit anzuschließen. Dieser bereits in V. 12–14 anklingende dialogische Charakter wird im Folgenden in einer imperativisch geprägten Wir-Passage verstärkt.
3,15–17 Werdet Mitnachahmende 15
Die wir nun vollkommen sind, lasst uns auf diese Weise gesinnt sein. Und wenn ihr etwas anders denkt, wird Gott euch auch dies offenbaren. 16 Allein wohin wir gelangt sind, darin lasst uns übereinstimmen. 17 Werdet mit mir Mitnachahmer, Geschwister, und achtet auf die, die so ihr Leben führen, wie ihr ein Urbild in uns habt.
Jo-Ann A. Brant, The place of mimēsis in Paul’s thought, SR 22 (1993), 285–300. – Willis Peter de Boer, The Imitation of Paul. An Exegetical Study, 1962. – Susan G. Eastman, Imitating Christ Imitating Us. Paul’s Educational Project in Philippians, in: J. Ross Wagner/C. Kevin Rowe/ A. Katherine Grieb (Hg.), The Word Leaps the Gap [FS Richard B. Hays], 2008, 427–451. – Harnisch, Selbstempfehlung. – Schapdick, Eschatisches Heil 225–236. – Standhartinger, Weisheitliche Idealbiografie. – Wojtkowiak, Christologie und Ethik 186–193.
Im Anschluss an die Darstellung seiner weisheitlichen Bildungsbiographie wechselt Paulus zurück in die erste Person Plural (→ 3,3). Das „Wir“ changiert zwischen einer gemeindlichen Elite (V. 15.17) und der Gesamtgemeinde, den Geschwistern (V. 13.17). Auch die folgenden Imperative gehören in die Selbstvorstellung der weisheitlichen Lehrperson. So fordert der Weisheitslehrer auf: „Nähert euch mir, ihr Ungebildeten, und lasst euch nieder im Haus der Bildung!“ (Sir 51,23). „Begehrt meine Worte, sehnt euch danach und ihr werdet Bildung erlangen!“ (SapSal 6,11). Typischerweise laden die Weisen allerdings Ungebildete und nicht die Vollkommenen in die Schule der Weisheit ein. Nicht Belehrung, sondern Verständigung über das gemeinsame Unterwegssein ist hier das Ziel dieser Ermahnungen. Der Abschnitt gipfelt im Ruf zur Mitnachahmung, das heißt der kreativen Aneignung des Vorgeführten und Wahrgenommenen (→ Exk. 14). Vorbild ist nicht allein der ideale Weisheitsbzw. Christuslehrer Paulus, sondern sind alle, die danach streben, in ihrem Leben diesen Typus zu verkörpern. 15 Ὅσοι οὖν τέλειοι, τοῦτο φρονῶμεν καὶ εἴ τι ἑτέρως φρονεῖτε, καὶ τοῦτο ὁ θεὸς ὑμῖν ἀποκαλύψει. Angezeigt durch das adverbiale οὖν zieht der folgende Abschnitt die Schlussfolgerung aus der vorhergehenden Selbstvorstellung (V. 4b–14; vgl. Spr 8,32; SapSal 6,1.9.11.21). Der Einladungsruf erklingt im Adhortativ φρονῶμεν „lasst uns denken/gesinnt sein“. Der Satz enthält außerdem eine Korrelation (ὅσος). Merkwürdig ist nur, dass Paulus sich plötzlich unter die τέλειοι „Vollkommenen“ 244
Werdet Mitnachahmende
3,15
rechnet. Schließlich hatte er eben noch behauptet, noch nicht zur Vollkommenheit gelangt zu sein (→ V. 12). Man kann den Vers als ironische oder als ernsthafte Aussage interpretieren. Im ersten Fall kann ein Schlagwort von Gegnerinnen und Gegnern, gemeindlichen Vollkommenheitsenthusiasten oder fast zum Martyrium Gelangten zitiert sein (1Kor 2,6; Dibelius, HNT; Gnilka, K.; Schenk, K. 297 f.; U. B. Müller, K.; Walter, K.; E. Lohmeyer, K.; → Exk. 15). Τέλειος steht biologisch auch für „ausgewachsen, ausgereift“ im Gegensatz zu „unausgereift“ und „unmündig“ (1Kor 14,20; Hebr 5,14; Eph 4,13; Delling, ThWNT VIII 68–80; Eckey, K. 129–131). Wie in 1Kor 3,1 könnte die vermeintliche Reife ironisch karikiert sein (Hawthorne/Martin, K.; Bockmuehl, K.; Osiek, K.; Reumann, K.). Ohne Ironie bezieht man τέλειος auf die von Paulus bereits erlangte spirituelle Reife oder Glaubensgewissheit (Bruce, K./ O’Brien, K.; Fee, K.; Schapdick* 226 f.). Die Majuskeln �, L, die Minuskeln 326, 1241 und Clemens Alexandrinus lesen statt des Konjunktivs der ersten Person Plural φρονῶμεν den Indikativ φρονοῦμεν. Auf diese Weise gäbe Paulus ein Statement über den spirituellen Status der Gemeinde ab. Der besser bezeugte Adhortativ passt in die Gattung der weisheitlichen Bildungsbiographie, die auch den vermeintlichen Widerspruch zu V. 12 erklärt. Nachdem der Weise seine radikale Lebenswende und sein unermüdliches Streben nach der Begegnung mit der Weisheit geschildert hat, lädt er in seine Schule ein. Der Weisheitslehrer vermittelt Weisheit nicht in objektiven Inhalten, sondern als Lebenshaltung. Seine Biographie beschreibt die Spur, auf der Frau Weisheit ihm begegnet ist. Sie bleibt ein unverfügbares Geschenk auf dem eigenen Weg zur Vollkommenheit und ist „Vollendung der Klugheit“ (φρονήσεως τελειότης, SapSal 6,15; vgl. SapSal 9,6). Allerdings lädt Frau Weisheit Lernbegierige und Unvollkommene ein. Ob die Anrede τέλειοι gemeindliche Gruppenbildung spiegelt wie in Korinth, ob es sich um eine Captatio Benevolentiae handelt oder ob hier Ironie gegenüber einer bestimmten Geisteshaltung in der Gemeinde mitschwingt, lässt sich kaum ausmachen. In V. 15b wird dann, für viele Auslegungen überraschend, das theologische Denken der Gemeinde über die „Weisung des Apostels“ gestellt, ja, Paulus erscheint als „Fürsprecher eines die Auflösung fördernden Individualismus“ (Gnilka, K. 202). Das Gegenteil von paulinischer Meinungsführerschaft ist allerdings nicht Individualismus, sondern ein von Gott unterstütztes gemeindliches Kollektiv. Nach der einfachsten Interpretation des griechischen Textes schreibt Paulus: Gott wird möglicherweise eine andere Meinung als die seinige offenbaren, wenn dies dem Denken und Meinen der Gemeinde entspricht (Thurston, K.; Holloway, K.). Grammatisch ausgedrückt: In dem die Möglichkeit einräumenden εἰ-Satz bezieht sich das τοῦτο „dies“, das Gott „offenbaren, enthüllen“ wird (ἀποκαλύψει), auf das τι ἑτέρως φρονεῖν „etwas anders denken“. Weil sich viele Paulusbilder an dieser Aussage stoßen, möchten einige Auslegende τοῦτο lieber als Wiederaufnahme des τοῦτο in V. 5a interpretieren und auf die Meinung des Paulus eingrenzen (Gnilka, K.). Andere interpretieren ἀποκαλύπτω „aufdecken, enthüllen“ als objektive Mitteilung der paulinischen Meinung (U. B. Müller, K.; Häußer, K. mit Verweis auf Gal 2,2; 1Kor 14,6.26). Paulus zeige eine erstaunliche Geduld, wenn er auf die göttliche Bestätigung seiner Meinung in der Gemeinde warte (U. B. Müller, K.; Poplutz* 371; Schapdick* 229 f.). Möchte Paulus auf seiner Mei245
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nung bestehen, kann er sich jedoch viel deutlicher ausdrücken (Gal 5,10). Paulus rezipiert das Verb ἀποκαλύπτω in der in jüdischer Weisheitstheologie und Apokalyptik entwickelten Bedeutung von „Gottes Erschließung dessen, was bei ihm verborgen ist“ (M. Karrer, TBLNT 1411). Enthüllt werden Christus, das Evangelium und transzendentale Einsicht (Gal 1,12.16; 1Kor 2,10; 2Kor 12,1.7; Röm 1,17). Das heißt, Urheber der Offenbarung und Enthüllung ist Gott. Sprachrohr dieser göttlichen Mitteilungen sind gemeindliche Prophetinnen und Propheten (Gal 2,2; 1Kor 14,6.26.30; Thompson, K.). Gottes Meinung bleibt auch für Paulus unverfügbar. 16 πλὴν εἰς ὃ ἐφθάσαμεν, τῷ αὐτῷ στοιχεῖν. Eingeleitet mit πλήν „jedoch, nur, jedenfalls“ hebt Paulus abschließend das für ihn Wesentliche hervor (B/D/R § 449.2). Der Aorist von φθάνω εἰς „gelangen zu“ macht deutlich, dass man gemeinsam ein gutes Stück des Weges zurückgelegt hat (Fitzer, ThWNT IX 92; Röm 9,31). Dies gilt, mit dem Relativpronomen im Neutrum gefasst, für alles, was in τοῦτο und τι enthalten ist (Dibelius, HNT). �16 sowie einige sahidische Manuskripte lesen ἐφθάσατε „ihr seid gelangt“, sehen also Paulus als Gegenüber zur Gemeinde. Der Hauptsatz ist mit einem imperativischen Infinitiv formuliert (B/D/R § 389; vgl. Röm 12,15). Στοιχεῖν „in der gleichen Reihe stehen“ ist zuerst als militärische Strategie belegt, wird aber vielfach im Feld der Philosophie und Politik übertragen gebraucht: „sich dem Beschluss der Volksversammlung anschließen“, „sich der Mehrheitsmeinung anschließen“ (στοιχεῖν τῇ τῆς συγκλήτου προθέσει, Polyb 28.5,6; ταῖς πλείοσι γνώμαις στοιχεῖν, Dion Hal Ant Rom 6.65,1; Delling, ThWNT VII 666 f.). Paulus wünscht sich also, dass niemand die Seite wechselt und hinter das Erreichte zurückgeht. Dieser inhaltlich ungefüllte Kurztext wird nur von den beiden Papyri �16.46, den ältesten Majuskeln �*, A, B sowie Ivid, den Minuskeln 6, 33, 1739 und 1726, der altlateinischen Handschrift b, der koptischen Tradition sowie von Hilarius und Augustin geboten. Die übrigen Handschriften suchen nach inhaltlichen Maßgaben und machen Anleihen an Gal 6,16 und/oder → 4,2 und Röm 15,5 und fügen τῷ αὐτῷ κανόνι „demselben Maßstab“ und/oder τὸ αὐτὸ φρονεῖν „dasselbe denken“ hinzu. 17 Συμμιμηταί μου γίνεσθε, ἀδελφοί, καὶ σκοπεῖτε τοὺς οὕτω περιπατοῦντας καθὼς ἔχετε τύπον ἡμᾶς. Die Anrede „Geschwister“ (→ 3,13) nimmt erneut die Gesamtgemeinde in den Blick. In NTG28 gibt dies das Signal eines Neuansatzes. Aber die imperativische Struktur und die Anrede an die Gemeinde ist erst hier zum Abschluss gebracht, weshalb man den Vers zum vorangehenden Absatz zählen sollte (Baumert, K.; vgl. Ernst, K.; Bockmuehl, K.; Fowl, K.; Hanson, K.; Thurston, K.; SchluepMeier, K.). Die weisheitliche Biographie gipfelt im typischen Einladungsruf. Das nur hier und als Verb συμμιμέομαι einmal bei Plato erscheinende Kompositum συμμιμητής hebt die Gemeinsamkeit der Anstrengungen hervor. Plato formuliert: „der ganze Kosmos, den wir nachahmen“ (ὅλος ὁ κόσμος, ᾧ συμμιμούμενοι, Plat Polit 274d). Viel diskutiert ist die Frage, ob Paulus oder Christus nachgeahmt werden soll. Die antike Vorstellung von μίμησις, μιμεῖσθαι, μιμητὴς γίνεσθαι beinhaltet allerdings mehr den Vorgang des Kopierens (Standhartinger* 170–175). Es geht um die Repräsentanz einer Wirklichkeit und ihrer Wahrnehmung auf einer anderen Ebene.
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Exkurs 14: Mimesis und Imitatio Manuel Baumbach, Stimmung und συμμιμηταί im Philipperbrief, in: Jörg Frey/Benjamin Schließer (Hg.), Der Philipperbrief des Paulus in der hellenistisch-römischen Welt, WUNT 353, 2015, 207–221. – E.-M. Becker, Mimetische Ethik. – Elizabeth Castelli, Imitating Paul. A Discourse of Power, 1991. – Brian J. Dodd, Paul’s Paradigmatic ‚I‘. Personal Example as Literary Strategy, JSNT.S 177, 1999. – Ders., The Story of Christ and the Imitation of Paul, in: Ralph P. Martin/Ders. (Hg.), Where Christology Began, 1998, 154–161. – Michael Erler, Epicurus as deus mortalis. Homoiosis Theoi and Epicurean Self-Cultivation, in: Dorothea Frede/André Laks (Hg.), Traditions of Theology. Studies in Hellenistic Theology, its Background and Aftermath, PhAnt 89, 2001, 159–181. – Benjamin Fiore, The Function of Personal Example in the Socratic and Pastoral Epistles, 1986. – Hellmut Flashar, Die klassizistische Theorie der Mimesis, in: Le classicisme à Rome aux Iers siècles avant et après J.-C. Neuf exposés suivis de discussions, EnAC 25, 1979, 79–112. – Stephen Halliwell, The Aesthetics of Mimesis. Ancient Texts and Modern Problems, 2002. – Thomas Hidber, Das klassizistische Manifest des Dionys von Halikarnass. Die Praefatio zu De oratoribus veteribus. Einleitung, Übersetzung, Kommentar, BzA 70, 1996. – Maria Kardaun, Der Mimesisbegriff in der griechischen Antike. Neubetrachtung eines umstrittenen Begriffes als Ansatz zu einer neuen Interpretation der Platonischen Kunstauffassung, 1993. – William Kurz, Kenotic Imitation of Paul and of Christ in Philippians 2 and 3, in: Fernando F. Segovia (Hg.), Discipleship in the New Testament, 1985, 103–125. – Otto Merk, Nachahmung Christi. Zu ethischen Perspektiven in der paulinischen Theologie, in: ders., Wissenschaftsgeschichte und Exegese. Gesammelte Aufsätze, BZNW 95, 1998, 302–336. – Philippe Nicolet, Le concept d’imitation de l’apôtre dans la correspondence paulinienne, in: Andreas Dettwiler/Jean-Daniel Kaestli (Hg.), Paul, une théologie en construction, LeMo 51, 2004, 393–415. – Adele Reinhartz, On the Meaning of the Pauline Exhortation. Mimētai mou ginesthe – become Imitators of Me, SR 16 (1987), 393–403. – Tim Whitmarsh, Greek Literature and Roman Empire. The Politics of Imitation, 2001. Wojtkowiak, Christologie und Ethik 186–193. Die Aufforderung συμμιμηταί μου γίνεσθε wird nicht selten als Aufforderung zur gemeinsamen Nachahmung des Paulus und als Unterwerfung unter seine Autorität interpretiert (Michaelis, ThWNT IV 670; Gnilka, K.; U. B. Müller, K.; Castelli* 95–97). Ein Appell zur Nachahmung der eigenen Person wäre jedoch einzigartig (Reinhartz* 395). Natürlich beobachtet auch die Antike, dass Kinder Eltern und Lernende Lehrpersonen imitieren. Als Lehrmethode wird daher der Umgang mit tugendreichen Menschen empfohlen und die Orientierung an Vorbildern aus Literatur und Geschichte (Xenoph Mem 1.2,3; Quint Inst Orat 2.2,8; TestBen 3,1; 4,1; Fiore* 33–35). Aber nur der Märtyrer fordert zur Imitation im Sinne der Nachfolge ins Martyrium auf (4Makk 9,23). Und die Antike bemerkt auch, dass das alleinige Betrachten eines Vorbilds nicht hilft: „Denn viele sehen die Flötenspieler und hören sie täglich, doch können sie nicht in die Flöte hineinblasen, wenn sie nicht mit ihnen zusammen sind und die Technik erlernen“ (Dio Chrys Or 55,5). Antike Lehrpersonen ermahnen zur συνάσκησις, zur gemeinsamen Einübung eines Ideals, eines sich durch Tugendleistungen besonders auszeichnenden Vorfahren oder eines literarischen oder rhetorischen Vorbilds (Fiore* 176–178). Daher wird Phil 3,17 auch als Aufforderung zur gemeinsamen Christusnachahmung gelesen (1Kor 11,1; Merk* 333; Dodd, Paradigmatic, 187– 194; Dodd, Story; Nicolet* 407–411; Walter, K.). Mit seinem Statusverzicht ahme Paulus das Mastermodell aus dem Christushymnus in Phil 2,6–11 nach und zeichne damit der Gemeinde die christliche Existenzweise vor (Wojtkowiak*; E.-M. Becker*; Kurz*). Das antike Nachdenken über Mimesis ist allerdings komplexer. „Die Wörter μιμεῖσθαι und dann später μίμησις bedeuten so viel wie ‚Präsentation auf einer anderen Ebene‘, die gelegentlich den Charakter des Nachahmens, gelegentlich den der Darstellung annimmt. Aber immer ist damit
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ein Umsetzungsprozess auf einer anderen Ebene verbunden“ (Flashar* 80; vgl. M. Baumbach* 217 f.; Halliwell*; Kardaun*). In der platonischen Philosophie geht es bei der μίμησις um die Darstellung des Wirklichen und Wahren als Nachahmung des Göttlichen. Zwar ist die mimetische Kunst der Dichter und Maler nur eine Produktion von Scheinwelten (Plat Resp 596a–601b), aber der Philosoph ahmt, auf das Seiende blickend, dieses nach und der sichtbare Kosmos ist die μίμησις seiner ewigen Natur (Plat Resp 500c; Tim 39e; vgl. Philo sacr. 65; 68). Für Aristoteles „ist das Nachahmen den Menschen von Kind an eingepflanzt“ und die Grundlage allen menschlichen Lernens (τό τε γὰρ μιμεῖσθαι σύμφυτον τοῖς ἀνθρώποις ἐκ παίδων ἐστί, Aristot Poët 4 [1448b4 f.]). Gegenstand sind ethisch relevante menschliche Handlungen. Die mimetische Kunst nimmt insofern eine bewertende Haltung zu ihnen ein, als sie sie „idealisieren und parodieren kann, und zwar orientiert an der Kategorie der Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit“ (Flashar* 83). Für Aristoteles erschließt Mimesis also die menschlichen Handlungen in ihrer eigentlichen Weise. Sie behält notwendigerweise einen Bezug zum Gegenstand, da nur diejenigen, die ihren Ausgangspunkt kennen, mimetisch lernen können. Die Übrigen bleiben in der ästhetischen Wahrnehmung verhaftet (Aristot Poët 4 [1448b15–19]). In der epikureischen Philosophie wird Epikur in seiner durch Selbstbeherrschung und vollkommene Anschauung gewonnenen Unerschütterlichkeit selbst zum gottgleichen Vorbild, das es nachzuahmen gilt. Seneca überliefert den Ausspruch: „Tue alles, als ob Epikur es sähe“ (sic fac tamquam spectet Epicurus, Sen Ep 25,5; Erler*). Hier geht es also tatsächlich um die Imitation des philosophischen Vorbilds. Aber nicht Epikur selbst, sondern seine Schülerinnen und Verehrer fordern dazu auf. In der antiken Rhetorik bedeutet μιμεῖσθαι die Nachahmung oder imitatio des literarischen Vorbilds. Die Mimesis eines Vorbilds der griechischen Klassik behauptet Kontinuität mit der Vergangenheit, nimmt aber zugleich die eigenen Differenzen und Diskontinuitäten wahr (Whitmarsh* 47). Plutarch verteidigt die Dichtung gegenüber Platos Kritik damit, dass sie „eine Nachahmung von Charakteren und Leben ist“, und zwar deshalb, weil sie nicht nur vollkommene, sondern auch mit Gutem und Schlechtem vermischte Charaktere darstellt (μίμησιν εἶναι τὴν ποίησιν ἠθῶν καὶ βίων, Plut Poet Aud 26A). Für ihn selbst bedeutet Geschichtsschreibung das Betrachten der Lebensbilder großer Vorfahren und der vertraute Umgang mit ihnen, um „das Hoheitsvollste und Schönste für die Erkenntnis aus den Taten zu entnehmen“ und sich selbst ihm anzugleichen (ἀφομοιοῦν, Plut Aem 1,1 f.). In seiner nur aus Fragmenten zu rekonstruierenden Schrift De imitatione nennt Dionysius von Halikarnassus Mimesis einen Akt kreativer Schöpfung und Aneignung, in dem der Imitator aus dem Besten seiner Vorlagen wählt und zu einem Neuen zusammensetzt (Dion Hal De imitatione, Frgm. 6,1 [Radermacher/Usener 31,1,1]). Das Sekundäre ist hier das Bessere (Whitmarsh* 74). In der antiken Ethik bedeutet μιμητὴς γίνεσθαι schließlich, sich den Tugenden herausragender Vorfahren und Heroen anzuverwandeln. Die Biographie und die Geschichtsschreibung stellen die „παραδείγματα ‚Beispiele‘ nachahmenswerter bzw. zu vermeidender Handlungs- und Lebensweisen“ bereit (Hidber* 61 f.; vgl. Diod S 10.3,3; 31.27,2; NW II/1, 703 f.). Mimetische Ethik ist Selbstbildung anhand von vorbildhaftem und scheiterndem Verhalten aus der Vergangenheit (Withmarsh* 90–94; Hidber* 63–75).
Der Hintergrund der antiken Mimesisdebatte erklärt die Strategie des Paulus, seine Selbstdarstellung dem Muster der weisheitlichen Bildungsbiographie anzugleichen und zur Christusbiographie zu transformieren. Die Transformation in Gestalt eines artifiziellen Abbilds arbeitet das Wesentliche des Urbilds heraus und überbietet es. Wie der Weisheitslehrer vor ihm lädt daher auch Paulus in seine Schule ein, das heißt zur kreativen Aneignung einer Lebensweise und Haltung, bei der nicht nur Weisheit, sondern sogar Christus begegnet (Sir 6,18–37; 51,23–30; SapSal 6,1–21). Mimetisches Handeln führt – sowohl als literarischer Prozess der Gestaltung von Paulus’ Biographie 248
Werdet Mitnachahmende
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als auch als ethisch-performatorischer Akt der Lebensgestaltung – nicht zur Kopie des Urbilds, sondern zur Aneignung und Darstellung des Wesentlichen und damit Eigentlichen auf einer neuen Ebene. „The Philippians do not mimic Paul; they take the ideal that Paul’s actions represent and apply it to their own behavior“ (Brant* 297; vgl. de Boer* 87; Eastman*). Ähnlich wie die Gemeinde in Thessaloniki, die zur μιμητής „Darstellerin“ wurde, indem sie nicht nur den Glaubenden in Makedonien und Achaia zum τύπος „Vorbild, Muster“ geworden ist, sondern ihre Missionare in der Ausbreitung ihres Rufes und damit in ihrem Missionserfolg übertraf, so sind auch die Philipperinnen und Philipper aufgefordert, gemeinsam mit Paulus das weisheitliche Streben nach Christus und damit Christus selbst zur Darstellung zu bringen (1Thess 1,6–8; Brant* 290–293). Der zweite Imperativ σκοπεῖτε „gebt acht, blickt auf das Ziel!“ (→ 2,4) ist mit einem den erhofften Lebenswandel näher konkretisierenden Objektsatz verbunden. Wie die Septuaginta verwendet Paulus das Wort περιπατεῖν „umhergehen“ in der Paränese für die an Geboten und Werten orientierte Lebensführung (J. Seesemann/ G. Bertram, ThWNT V 942–945; 2Kön 20,3; Spr 6,22; 8,20; 1Thess 2,12; 4,1.12; 1Kor 7,17; 2Kor 5,7; Röm 6,4; 13,13; 14,15 etc.). Das Adverb οὕτω „so“ korreliert mit καθώς „wie“ (B/D/R § 453.1–2). Τύπος ist das Geprägte, der Abdruck, den ein Siegel in Wachs, einer Münze etc. hinterlässt, und ebenso das Prägende, die Form, der Umriss, die Hohlform einschließlich der daraus entstehenden Plastik (Goppelt, ThWNT VIII 246 f.). Das himmlische Urbild der Stiftshütte ist ein solcher τύπος, also eine Art Blaupause, die, im irdischen μίμημα umgesetzt, eine Adaption der Materialien und Gegebenheiten verlangt (Ex 25,40; Philo Mos. 2.74–76; Apg 7,44; Hebr 8,5). In Bezug auf Menschen ist Bildung eine Prägeform (Plat Leg 681b; Dio Chrys Or. 60,9 f.; Philo prob. 15; spec. 1.30). Den Philipperinnen und Philippern wird ein „Wir“ als prägendes Urbild vor Augen geführt, an dessen Betrachtung sie ihren Lebenswandel ausrichten sollen. Der Wechsel von Singular zu Plural wurde als Indiz für das Vorliegen einer Glosse gewertet, zumal die Abstrahierung von allen konkreten Umständen in der ganzen Biographie auffällt (Harnisch* 150 f.). Die Annahme, Paulus spreche in einer Art majestätischen Plurals, ist nicht nur wegen des Numeruswechsels im gleichen Subjekt innerhalb eines Satzes problematisch (Wojtkowiak* 193; vgl. aber Hawthorne/Martin, K. 160 f.; Schapdick* 236). Mindestens müsste ein Kreis von Mitarbeitenden im Blick sein. Im Kontext sind jedoch als einzige ‚Sondergruppe‘ „die Vollkommenen“ genannt (→ V. 15), ohne dass deutlich würde, wie sie sich von den Geschwistern unterscheiden (→ V. 13.17). Die These, das „Wir“ betreffe eine besondere Gruppe von Mitarbeitenden oder Amtsträgerinnen, übergeht vor allem die Dialektik der Vor- und Abbildstruktur, die im ganz offenen „die, die so leben“ angesprochen ist (Wojtkowiak* 193). Das heißt, Paulus räumt ausdrücklich einen Wechsel in der Ur- und Abbildrolle ein. Diejenigen, die sich das Vorbild kreativ aneignen, werden selbst zum Muster, das ihren Vorbildern als Modell kreativer Aneignung dienen kann (vgl. 1Thess 1,6–8). Nachdem Paulus weisheitliche Bildungsbiographie vorgestellt hat, mit ihrer radikalen Wende und der Umwertung aller Werte, dem unermüdlichen Streben nach Erkenntnis und himmlischer Berufung und dem Begehren, von Christus gefunden und ergriffen 249
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zu werden (→ 3,4–14), ruft er, ebenfalls weiterhin im Stil des idealen Weisen, diejenigen, die es ihm nachtun wollen, in seine Schule. In dieser Schule geht es nicht um die Vermittlung von geschlossenem Lernstoff und objektiven Wahrheiten, sondern um die Beschreitung des Weges, der zur Begegnung mit der Transzendenz führen wird. Deshalb räumt Paulus nicht seiner eigenen theologischen Erkenntnis, sondern der kontinuierlichen Offenbarung Gottes die Meinungsführerinnenschaft ein (V. 15b). Deshalb spricht er die Gemeinde – anders als andere jüdische Weisheitslehrerinnen und -lehrer – bereits als Vollkommene an (V. 15a). Wichtig ist ihm allerdings, dem Weg vorwärts und nicht rückwärts zu folgen (V. 16). Die Aufgabe für die Zukunft heißt gemeinsame kreative Aneignung des Erkannten, und zwar so, dass der Blick auf die anderen zum Erkennen der nachahmenswerten Urbilder führt, die weiter gemeinsam durch Nachahmung angeeignet werden können.
3,18–21 Zukunftsansage 18
Viele allerdings führen ein Leben, über die ich oftmals mit euch redete, jetzt sage ich unter Tränen: (Sie sind) die Feinde des Kreuzes Christi, 19 deren Ende Untergang ist, deren Gott der Bauch ist und deren Ehre in ihrer Schande liegt, die, die ihren Sinn auf das Irdische richten. 20 Denn unsere politisch aktive Bürgerschaft ist in den Himmeln beheimatet, aus ihr erwarten wir auch den Herrn Jesus Christus als Retter, 21 der unsern erniedrigten Leib verwandeln wird, sodass er gleichgestaltet sein wird mit seinem himmlisch glänzenden Leib entsprechend der Wirkkraft, aus der er sich auch alles zu unterwerfen vermag.
Peter Arzt-Grabner, Die Stellung des Judentums in neutestamentlicher Zeit anhand der Politeuma-Papyri und anderer Texte, in: Jens Herzer (Hg.), Papyrologie und Exegese. Die Auslegung des Neuen Testaments im Licht der Papyri, WUNT II/341, 2012, 159–171. – Ascough, Paul’s Macedonian Associations. – Eve-Marie Becker, Die Tränen des Paulus (2Kor 2,4; Phil 3,18) – Emotion oder Topos?, in: Renate Egger-Wenzel/Jeremy Corley (Hg.), Emotions from Ben Sira to Paul, 2012, 361–378. – Jürgen Becker, Erwägungen zu Phil 3,20–21, in: Ders., Annäherungen. Zur urchristlichen Theologiegeschichte und zum Umgang mit ihren Quellen, BZNW 76, 1995, 65–78. – H. D. Betz, Studies 63–67. – Paul C. Böttger, Die eschatologische Existenz der Christen, ZNW 60 (1965), 244–263. – Wendy Cotter, Our Politeuma is in Heaven. The Meaning of Philippians 3.17–21, in: Bradley H. McLean (Hg.), Origins and Method. Towards a New Understanding of Judaism and Christianity [FS John C. Hurd], JSNT.S 86, 1993, 92–104. – James M. S. Cowey/Klaus Maresch, Urkunden des Politeuma der Juden von Herakleopolis (144/2– 133/2 v. Chr.) (P.Polit.Jud.), 2001. – Peter Doble, ‚Vile bodies‘ or Transformed Persons? Philippians 3.21 in Context, JSNT 86 (2002), 3–27. – Lutz Doering, Urzeit-Endzeit Correlation in the Dead Sea Scrolls and Pseudepigrapha, in: Hans-Joachim Eckstein/Christof Landmesser (Hg.), Eschatologie – Eschatology. The Sixth Durham-Tübingen Research Symposium: Eschatology in Old Testament, Ancient Judaism and Early Christianity, WUNT 272, 2011, 19–58. – Hans Förster/Patrick Sänger, Ist unsere Heimat im Himmel? Überlegungen zur Semantik von POLITEUMA in Phil 3,20, Early Christianity 5,2 (2014), 149–177. – Erhardt Güttgemanns, Der
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Zukunftsansage
3,18
leidende Apostel und sein Herr. Studien zur paulinischen Christologie, FRLANT 90, 1966, 240– 247. – Sylvie Honigman, The Jewish Politeuma at Heracleopolis, SCI 21 (2002), 251–266. – Franz Jung, ΣΩΤΗΡ. Studien zur Rezeption eines hellenistischen Ehrentitels im Neuen Testament, NTA 39, 2002. – Koester, Purpose of the Polemic. – Thomas Kruse, Das jüdische politeuma von Herakleopolis in Ägypten. Zur Methode der Integration ethnischer Gruppen in den Staat der Ptolemäer, in: Vera V. Dementyeva/Tassilo Schmitt (Hg.), Volk und Demokratie im Altertum, 2010, 93–106. – Kuo-Yu Tsui, Transformation. – Andrew T. Lincoln, Paradise Now and Not Yet. Studies in the Role of the Heavenly Dimension in Paul’s Thought with Special Reference to his Eschatology, MSSNTS 43, 1981. – Gert Lüderitz, What is the Politeuma?, in: Willem van Henten/Pieter W. van der Horst (Hg.), Studies in Early Jewish Epigraphy, AGJU 21, 1994, 183– 225. – Chris Mearns, The Identity of Paul’s Opponents at Philippi, NTS 33 (1987), 194–204. – N. A. Meyer, Adam’s Dust. – Oakes, Philippians 138–146. – Karl-Heinrich Ostmeyer, Politeuma im Neuen Testament und die Politeuma-Papyri von Herakleopolis, in: Jens Herzer (Hg.), Papyrologie und Exegese. Die Auslegung des Neuen Testaments im Licht der Papyri, WUNT II/ 341, 2012, 159–171. – Pilhofer, Philippi I 127–139. – John Reumann, Philippians 3.20–21 – A Hymnic Fragment?, NTS 30 (1984), 593–609. – Walter Ruppel, Politeuma, Ph. 82 (1927), 268–312; 433–454. – Karl Olav Sandnes, Belly and Body in the Pauline Epistles, MSSNTS 120, 2002. – Patrick-Antoine Sänger, Die ptolemäische Organisationsform politeuma. Ein Herrschaftsinstrument zugunsten jüdischer und anderer hellenischer Gemeinschaften, TSAJ 178, 2019. – Schapdick, Eschatisches Heil 231–267. – Schinkel, Bürgerschaft 68–122. – Gennadi A. Sergienko, Our Politeuma is in Heaven! Paul’s Polemical Engagement with the „Enemies of the Cross of Christ“ in Philippians 3:18–20, 2013. – Standhartinger, Apocalyptic Thought. – G. Strecker, Redaktion. – Wick, Philipperbrief. – Demetrius K. Williams, Enemies of the Cross of Christ. The Terminology of the Cross and Conflict in Philippians, JSNT.S 223, 2002. – Oda Wischmeyer, Philippi und Jerusalem. Sind Phil 3,20 und Gal 4,24–26 politische oder ethische Texte?, ThZ 69,4 (2013), 298–319.
Nach typisch weisheitlichem Aufruf zur kreativen Nachahmung der vorangehenden weisheitlichen Bildungsbiographie und ihres unabgeschlossenen Strebens nach Christus wechselt Paulus unversehens in die Rolle eines apokalyptischen Propheten. Wie dieser sagt er unter Tränen das Schicksal der „Feinde des Kreuzes“ und die heilvolle Zukunft für die Seinen voraus. Während die „Feinde des Kreuzes“ im Irdischen verhaftet bleiben, verheißt Paulus der eigenen Gruppe, verwandelt und mit einem himmlischen Leib überkleidet zu werden. Im Himmel existiert eine politisch aktive Bürgerschaft, die sich für die Glaubenden einsetzt und einen Retter für ihre auf der Erde erniedrigten Mitbürger und Mitbürgerinnen aussendet. Dieser, der Herr Jesus Christus, wirkt als Gottes Kraft und Energie und verfügt damit über eine nur hier bei Paulus beschriebene Machtfülle. 18 πολλοὶ γὰρ περιπατοῦσιν οὓς πολλάκις ἔλεγον ὑμῖν, νῦν δὲ καὶ κλαίων λέγω, τοὺς ἐχθροὺς τοῦ σταυροῦ τοῦ Χριστοῦ … Der Aufruf zur Mitnachahmung ist zweifach begründet (γάρ → V. 18.20). Zunächst folgt die Skizze des gegenteiligen Lebenswandels (περιπατεῖν → V. 17). Obgleich Paulus schon πολλάκις „vielfach“ über πολλοί „viele“, die im Folgenden als Feinde charakterisiert werden, gesprochen hat, spricht er jetzt κλαίων „weinend, unter Tränen“. Metakommunikativ beschreiben Tränen die emotionale Verfassung des Sprechers (E.-M. Becker*). Hier sind es Zorn und Empathie über und für das desaströse Ende der Feinde. Tränen begleiten das fle-
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Fragment eines Abschiedsbriefs (Brief C)
hentliche Gebet um Abwendung von Unheil (1Makk 7,36; ParJer 2,1.5.10; 3,14[20]; 4,6[7]). Propheten und apokalyptische Seher weinen über das kommende Unheil und das Ende der Gottlosen in der kommenden Welt (Jer 8,23/9,1 LXX; 9,10; AssMos 11,1–4; 3Bar 35,1; 2Bar 1,3; 5Esra 5,6.28; Jesus ben Ananias bei Jos. Bell. 6.304–309). So heißt es im Brief des Henoch (2. Jh. v. Chr.) inmitten einer langen Reihe von Weherufen über die Ungerechten: „Wehe euch Reichen, denn ihr habt auf euren Reichtum vertraut … (9) Ihr habt Blasphemie und Ungerechtigkeit begangen, und ihr seid für den Tag des Blutvergießens und den Tag der Finsternis und den Tag des großen Gerichts bereitet. … (95,1) O wären doch meine Augen eine Wasserwolke, sodass ich über euch weinen könnte und ich meine Tränen ausschütten könnte wie eine Wasserwolke und ich Ruhe fände vor dem Kummer meines Herzens. (2) Wer erlaubt es euch, dass ihr Blasphemie und Böses begeht? So wird euch Sünder das Gericht treffen …“ (1Hen 94,8–95,2; Übers. Siegbert Uhlig, JSHRZ). Paulus weint hier in der Haltung des apokalyptischen Sehers über das unausweichliche Verderben der „Feinde des Kreuzes“. Wie in anderen apokalyptischen Texten folgt dem Gerichtswort eine knappe Andeutung zum Heil der Gerechten (Dan 12,3; 1Hen 104,2.4.6; 108,11–14). Der Satz aus V. 18 f. läuft gegen die klassische Grammatik. Dem Prädikat περιπατοῦσιν „sie wandeln“ fehlt das Adverb, sodass unbestimmt bleibt, wie der falsche Lebenswandel der „vielen“ genau aussieht. Das folgende Relativpronomen im Akkusativ Plural (οὕς) findet aber einen Bezug am Ende des Verses in τοὺς ἐχθροὺς τοῦ σταυροῦ τοῦ Χριστοῦ „den Feinden des Kreuzes Christi“. Es müsste eigentlich heißen πολλοὶ περιπατοῦσιν ὡς ἐχθροὶ τοῦ σταυροῦ „viele führen ein Leben als Feinde des Kreuzes“ (Haupt, K. 151). Singulär ergänzt der Papyrus �46 βλέπετε „seht“ (→ 3,2) vor τοὺς ἐχθρούς, möchte also die Feinde des Kreuzes mit den „Hunden“ (τοὺς κύνας κτλ.) identifizieren, worin ihm inhaltlich einige moderne Auslegungen folgen (Schenk, K. 255; U. B. Müller, K.; → Exk. 15). Inhaltliche Bezüge zwischen „den Hunden“ etc. und den Kreuzesfeinden lassen sich jedoch nicht erkennen. In der Erregung scheint Paulus die intendierte Satzkonstruktion vergessen zu haben (E. Lohmeyer, K.; Gnilka, K.). Die Formulierung „Feinde des Kreuzes Christi“ ist einzigartig im Neuen Testament. Ἐχθρός ist ganz allgemein „der Hasser, der Feind, der Gegner“ (Foerster, ThWNT II 811). Manche verweisen auf eine Definition im sogenannten AmmoniusLexikon (1.–2. Jh. n. Chr.), die zwischen verschiedenen griechischen Wörtern für Feind unterscheidet und definiert: „Ein echthros ist derjenige Feind, der vorher ein Freund war“ (ἐχθρὸς μὲν γάρ ἐστιν ὁ πρότερον φίλος, De adfinium vocabulorum differentia 208 [Nikau]; D. K. Williams* 225). Aber die Definition bleibt singulär. Das Neue Testament verwendet ἐχθρός in der von der biblischen und apokalyptischen Tradition geprägten Weise (Wolter, EWNT II 234 f.). Paulus zitiert die Feindesliebe aus Lev 19,18, und die jetzt versöhnten Glaubenden sind solche, die vormals zu den Feinden Gottes gehörten (Röm 12,20 = Spr 25,21 f. LXX; 1Kor 15,25 f.; Röm 5,10; 8,5–7; 11,28). Die hier ausgesprochene generelle Abwertung der Feinde fällt im Kontext der Paulusbriefe auf. Manche Auslegungen denken an Gemeindeglieder, die sich dem mit dem Glauben verbundenen notwendigen Leiden verweigern (E. Lohmeyer, K.; Dibelius, 252
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HNT; Baumert, K.; Holloway, K.). „Feinde des Kreuzes Christi“ ist dann eine rhetorische Waffe gegen „Enthusiasmus, Triumphalismus, Uneinigkeit und Legalismus“ in der Gemeinde (D. K. Williams* 236). Andere möchten auf Mitbürger und Mitbürgerinnen aus Philippi und eine Verschärfung des Konflikts mit dem herrschenden Wertesystem eingrenzen (Schinkel* 95). Gedacht wird auch an Kritiker und Kritikerinnen aus dem Judentum und/oder solchen der paulinischen Soteriologie oder Rechtfertigungslehre (Walter, K. mit Verweis auf 1Kor 1,22–24; U. B. Müller, K.; Schenk, K. 286; Häußer, K. mit Verweis auf Gal 2,21; 3,1–4; 5,11; 6,12–14). Jedenfalls aber geht es nicht nur um das Denken, sondern um das περιπατεῖν, also den „Lebenswandel“ (D. K. Williams* 224; 241; Schapdick* 238). Die Vielfalt möglicher Zuordnungen zeigt, dass die Kreuzesfeinde vor allem einen ‚Antitypus‘ repräsentieren, der im nächsten Vers noch weiter charakterisiert wird. 19 … ὧν τὸ τέλος ἀπώλεια, ὧν ὁ θεὸς ἡ κοιλία καὶ ἡ δόξα ἐν τῇ αἰσχύνῃ αὐτῶν, οἱ τὰ ἐπίγεια φρονοῦντες. Der in V. 18 begonnene Satz wird mit relativisch angeschlossenen Nominalsätzen fortgesetzt. Als „Ziel“ und „Ende“ ist τέλος auch der Ausgang des Lebens (2Kor 11,15; Röm 6,22). Für Apokalyptiker ist τέλος das Ende der jetzigen Welt (1Hen 10,2; 4Esra 3,14; 5,41 etc.; Delling, ThWNT VIII 53 f.). Manche entdecken weiterhin einen Reflex auf eine Oppositionsgruppe, welche Vollkommenheit definierten als „das gute Ziel derer, die Erkenntnis erlangt haben, um vergöttlicht zu werden“ (τὸ ἀγαθὸν τέλος τοῖς γνῶσιν ἐσχηκόσι, θεωθῆναι, (CH I 26; Koester* 325 f.; Schenk, K. 286). Doch schon die Weisheit erwartet die „Rettung der Gerechten, aber der Feinde Untergang“ (προσεδέχθη ὑπὸ λαοῦ σου σωτηρία μὲν δικαίων ἐχθρῶν δὲ ἀπώλεια, SapSal 18,7; vgl. PsSal 3,11; 9,5; 13,11; 14,9 f.; 15,10; 16,5; → 1,28). Für die Apokalyptik ist die bereits beschlossene ἀπώλεια „Verderben, Untergang“ der Unterdrücker zentral (1Hen 1,9; 98,3.9 f.16; 99,1 f.4; 101,5; 4Esra 7,78–99). Am Ende der Welt wird alles, was ist, untergehen (καὶ πάντα ὅσα ἐστὶν ἐπὶ τῆς γῆς ἀπολεῖται, 1Hen 1,6). Die Gottlosen heißen im Yaḥad „Männer des Verderbens“ (�1 ;נשי השחתQS 9,16.22; 10,19 f.; CD 6,15; Hahn, TBLNT 1732). Diejenigen, die den Gerechten verfolgen, müssen ihren eigenen Untergang konstatieren, während die Gerechten gerettet werden (SapSal 5,5 f.; 1Hen 108,15). Wie in → 1,28 ist kein konkretes Untergangsszenario oder gar eine Gerichtsvorstellung beschrieben (Schapdick* 239). Das Schlagwort vom „Bauch als Gott“ wurde in der Alten Kirche auf die Beschneidung bezogen (so ablehnend bereits Chrys Hom in Phil 14,1 [Allen/Field 143/PG 62.277,46]; Mearns* 198–200). Alternativ denkt man an Kaschrutgebote (Behm, ThWNT III 788; Hawthorne/Martin, K.). Die dahinterliegende Stereotypisierung in Bezug auf das Judentum lässt sich bei Theodoret (ca. 393–460) studieren: „Wenn er [Paulus] ihren Bauch als Gott bezeichnet, klagt er sie der Schlemmerei an. Denn auf sich unterscheidende Weise widmen die Juden viel Eifer der Speise und meinen, eine Definition der Gerechtigkeit sei der Aufwand am Schabbat. Da diese Meinung unter ihnen akzeptiert ist, musste er sie beschämen“ (Θεὸν δὲ αὐτῶν τὴν κοιλίαν ἐκάλεσε, τῆς γαστριμαργίας κατηγορῶν. Διαφερόντως γὰρ οἱ Ἰουδαῖοι πολλὴν ποιοῦνται τροφῆς ἐπιμέλειαν, καὶ δικαιοσύνης ὅρον νομίζουσι τὴν ἐν Σαββάτῳ χλιδήν δόξαν ταῦτα ὑπολαμβάνοντες ἐφ’ οἷς ἔδει αἰσχύνεσθαι, Comm in Phil [PG 82.584,18–23]). Die Meinung wird, wie schon gesagt, nicht von allen patristischen 253
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Autoren geteilt (Sandnes* 219–263). Neuere finden eine Anspielung auf eine vermeintliche Abwertung des Körpers einer Oppositionsgruppe (Koester* 326; Gnilka, K.; U. B. Müller, K. 150; Reumann, K. 571 f.). Aber ὁ θεὸς ἡ κοιλία ist ein weit verbreitetes Schimpfwort, das Haltlosigkeit in Bezug auf jegliche Begierden – Luxus, Essen und Sexualität – unterstellt und damit die Schädigung des Gemeinwohls. Ein viel zitierter Ausspruch des Demosthenes lautet etwa: „die das Glück am Bauch und am Schändlichsten messen“ (τῇ γαστρὶ μετροῦντες καὶ τοῖς αἰσχίστοις τὴν εὐδαιμονίαν, Demosth Or 18 [De corona] 296; Plut Fort 97D; Pseud-Long Sublim 32,2; Theon, Progymnasmata 107,10 f.; Sandnes*). Seneca zählt die, „die vor Geschlechtslust wahnsinnig sind“, und die, „die ihrem Bauch versklavt sind“, zu den schwachen Menschen (Sen Ben 7.26,4). Ein κοιλιόδαιμον „der seinen Bauch zu seinem Gott macht“ ist ein „Schlemmer“ und „Fresser und Weinsäufer“ (Eupolis bei Athen 3.56 [100b]; vgl. Athen 3.52 [97c]; Cl Al Paed 2.1,15,4; vgl. Eur Cyc 334 f.; Plautus Frgm. 17–20 [Goetz], NW II/1, 704). Jüdische Schriften rezipieren das Schlagwort in diesem Sinne. 3Makk 7,11 kritisiert Apostaten als solche, „die wegen des Bauches die göttlichen Anordnungen übertreten hatten“ (τοὺς γαστρὸς ἕνεκεν τὰ θεῖα παραβεβηκότας προστάγματα). Philo erklärt das Verbot, Kriechtiere zu essen, als Vermeidung der γαστρὸς ἡδονή „Lust des Bauches“ (Philo migr. 65; vgl. spec. 1.206; Mos. 2.23; LA 1.86; 3.144). Die göttlichen Gesetze sind für ihn überhaupt „Lenker der Begierden des Bauches und des Unterleibs“ (τάς τε γαστρὸς ἡδονὰς καὶ ὑπογαστρίους … ἡνίοχον, Philo spec. 2.163). Nirgends steht κοιλία oder γαστήρ als Metonymie für Beschneidung oder Kaschrut (Sandnes* 97– 135). Mit ὁ θεὸς ἡ κοιλία rezipiert Paulus vielmehr ein verbreitetes Schimpfwort über Luxusmenschen jeglicher Art. Der nächste mit καί angeschlossene Nominalsatz ergänzt die erste Invektive (Schenk, K. 288). Auch αἰσχύνη „Schande“ wurde auf ein äußeres männliches Geschlechtsmerkmal bezogen (Mearns* 198; D. K. Williams* 227; Hawthorne/Martin, K.). Andere finden in ἡ δόξα „Ehre, Glanz, Herrlichkeit“ eine Spiegelung des Vollkommenheitsbewusstseins oder die Herrlichkeitserwartung der Gegner (Schenk, K. 289; U. B. Müller, K.; Koester* 327). Die Gleichsetzung mit αἰσχύνη „Schande, Ruhm“ stehe der Erwartung eines verwandelten Herrlichkeitsleibes in → 3,21 gegenüber (Thompson, K.; Holloway, K.). Ehre – Schande (δόξα – αἰσχύνη) bilden zunächst einmal einen klassischen Gegensatz, der die Anerkennung durch Peers thematisiert (Dio Chrys Or 31,159; Plut Peraec Ger Reip 822D). Aristoteles bestimmt: „Die Scham ist Fantasie über Ehrlosigkeit“ (περὶ ἀδοξίας φαντασία ἐστὶν ἡ αἰσχύνη, Aristot Rhet 2.6 [1384a22]) und Theophrast definiert: „Die Unverschämtheit ist … die Verachtung der Ehre um eines schändlichen Gewinns willen“ (Ἡ δὲ ἀναισχυντία ἐστὶ μὲν … καταφρόνησις δόξης αἰσχροῦ ἕνεκα κέρδους, Theophr Char 9,1). Der Satz enthält also ein weiteres allgemeines Schimpfwort. In der biblischen Tradition ist αἰσχύνη „Beschämung“ aber auch Folge und Erfahrung von Gottes Gericht (ψ 43,16; Jer 31[38 LXX],19; TestLev 15,2). Propheten drohen Beschämung an (Jes 19,9; 20,4; 30,3–6). Die Gerechten hoffen, Gott werde „ihre Feinde mit Schande bekleiden“ (οἱ δὲ ἐχθροὶ αὐτῶν ἐνδύσονται αἰσχύνην, Hi 8,22 LXX; ψ 131,18; 34,26; 1Makk 1,28). Der apokalyptische Seher verkündet die Beschämung der Sünder im letzten Gericht als Ausgleich für das den Gerechten im 254
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Hier und Jetzt angetane Unrecht: „Und daher werden sie zusammen mit ihren Schätzen und mit all ihrer Herrlichkeit und Ehre vertilgt werden, und in Schande, in Verderben und großer Armut werden ihre Geister in den Ofen des Feuers geworfen werden“ (1Hen 98,3, Übers. Uhlig). Die Ungerechten werden auferstehen in Spott und ewiger Schande (εἰς ὀνειδισμὸν καὶ εἰς αἰσχύνην αἰώνιον, Dan [Th] 12,2; PsSal 2,31; TestBen 10,8). Sie werden im letzten Gericht angesichts ihrer Taten beschämt werden (1Hen 46,6; 48,8; 62,9 f.; 63,11). In 4Esra 7,87 wird ihnen als Qual prophezeit, „dass sie in Scham vergehen, sich in Schande verzehren (consumentur in honoribus et marcescent in timoribus) und in Furcht erschlaffen, wenn sie die Herrlichkeit (gloria) des Höchsten schauen, vor dem sie im Leben gesündigt haben und vor dem sie in der Endzeit gerichtet werden sollen“ (Übers. Josef Schreiner, JSHRZ). Die Reihung: τὸ τέλος … ὁ θεός … ἡ δόξα spiegelt „die höchsten Ziele jedes Gläubigen“ (E. Lohmeyer, K. 154). Wenn die vielen „Feinde des Kreuzes“ abschließend charakterisiert sind als solche, die „die irdischen Dinge denken“ (τὰ ἐπίγεια φρονοῦντες), symbolisieren sie das Gegenteil zur Mitgliedschaft in der himmlischen Bürgerschaft, die „der Seher Paulus“ für die Wir-Gruppe im Folgenden reklamiert (vgl. Kol 3,2; Jak 3,15). Der Plural τὰ ἐπίγεια „die irdischen Dinge“ möchte vielleicht die Vielgestalt solchen Denkens andeuten (Schapdick* 242) und der Gegensatz enthält Ironie, wie der Witz einer Greisin zeigt, die dem in eine Grube gefallenen Himmelsforscher Thales entgegenhält: „Du kannst zwar das zu deinen Füßen nicht sehen, aber die himmlischen Dinge meinst du zu kennen“ (σὺ γάρ, ὦ Θαλῆ, τὰ ἐν ποσὶν οὐ δυνάμενος ἰδεῖν τὰ ἐπὶ τοῦ οὐρανοῦ οἴει γνώσεσθαι, Diog L 1.34; Schenk, K. 290). Die Gegenüberstellungen des endzeitlichen Schicksals der Ungerechten, hier vor allem in der Ankündigung des Untergangs und der Schande der Kreuzesfeinde, angezeigt im Gegenüber zum Heil der Gerechten, ist eine typisch apokalyptische Redeform (vgl. z. B. 1Hen 62; 103 f.; 108; 4Esra 7,78–99). Die positive Seite folgt in den nächsten beiden Versen. Anders als in den in 1. Henoch, 2. Henoch, 4. Esra und 3. Baruch zusammengestellten apokalyptischen Werken fehlen allerdings konkrete Hinweise darauf, worin das den „Feinden des Kreuzes“ zur Last gelegte Unrecht besteht. Die kommunikativen Hinweise des apokalyptischen Sehers Paulus bleiben hinter allgemeinen Schimpfworten verborgen. Die verhüllten Anspielungen sind möglicherweise der bedrängten Situation des Sehers geschuldet, der sich anders als in den zitierten Apokalypsen nicht hinter einem Pseudonym verbergen kann.
Exkurs 15: Gegnerinnen und Gegner im Philipperbrief Herbert W. Bateman, Were the Opponents at Philippi Necessarily Jewish?, BS 155 (1998), 39–61. – Günther Baumbach, Die von Paulus im Philipperbrief bekämpften Irrlehrer, Kairos 13, 252– 266. – E.-M. Becker, Polemik und Autobiographie 236–239. – Brawley, From Reflex to Reflection? – David A. deSilva, No Confidence in the Flesh. The Meaning and Function of Philippians 3:2–21, Trinity Journal NS 15,1 (1994), 27–54. – Dodd, Paul’s Paradigmatic ‚I‘. – E. Earle Ellis, Paul and His Opponents: Trends in Research, in: Jacob Neusner (Hg.), Christianity, Judaism and Other Greco-Roman Cults. Studies for Morton Smith at Sixty, Bd. 1, 1975, 264–298. – EngbergPedersen, Paul and the Stoics. – Ders., Cosmology 153–155. – Joachim Gnilka, Die antipaulini-
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3,2–21
Fragment eines Abschiedsbriefs (Brief C)
sche Mission in Philippi, BZ 9 (1965), 258–276. – Morna D. Hooker, Philippians. Phantom Opponents and the Real Source of Conflict, in: Ismo Dunderberg/Christopher Tuckett (Hg.), Fair play. Diversity and Conflicts in Early Christianity [FS Heikki Räisänen], NT.S 103, 2001, 377– 395. – Jewett, Conflicting Movements. – Christoph Kähler, Konflikt, Kompromiß und Bekenntnis. Paulus und seine Gegner im Philipperbrief, KuD 40,1 (1994), 47–64. – Günter Klein, Antipaulinismus in Philippi. Eine Problemskizze, in: Dietrich-Alex Koch u. a. (Hg.), Jesu Rede von Gott und ihre Nachgeschichte im frühen Christentum [FS Willi Marxsen], 1989, 297–313. – Albertus F. J. Klijn, Paul’s Opponents in Philippians iii, NT 7 (1964), 278–284. – Koester, Purpose of the Polemic. – Wolfgang Kraus, Das Volk Gottes. Zur Grundlegung der Ekklesiologie bei Paulus, WUNT 85, 1996, 336–341. – Mearns, Identity of Paul’s Opponents. – Nanos, OutHowling the Cynics. – Ders., Paul’s Polemic in Philippians 3. – Ders., Paul’s Reversal of Jews. – Niebuhr, Heidenapostel aus Israel 87–103. – Nina Nikki, Opponents and Identity in Philippians, NT.S 173, 2019. – Peter Reinl, Plädoyer gegen die Schaffung neuer Ränder in der Gemeinde von Philippi. Phil 3,1b–11(21) und das kulturanthropologische Modell Ehre und Scham/Schande, in: Max Küchler/Ders. (Hg.), Randfiguren in der Mitte [FS Hermann-Josef Venetz], 2003, 117– 134. – Schinkel, Bürgerschaft 68–76; 88–99. – Schmithals, Irrlehrer des Philipperbriefs. – Ch. Strecker, Liminale Theologie. –Sumney, ‚Servants of Satan‘. – Mikael Tellbe, The Sociological Factors behind Philippians 3.1–11 and the Conflict at Philippi, JSNT 55 (1994), 97–121. – Gerd Theißen, Die Gegenmission zu Paulus in Galatien, Philippi und Korinth. Versuch einer Einheitsdeutung, in: Wolfgang Kraus (Hg.), Beiträge zur urchristlichen Theologiegeschichte, BZNW 163, 2009, 277–306. – Ulonska, Gesetz und Beschneidung. – Samuel Vollenweider, Kreuzfeuer. Paulus und seine Konflikte mit Rivalen, Feinden und Gegnern, in: Ders., Antike und Urchristentum. Studien zur neutestamentlichen Theologie in ihren Kontexten und Rezeptionen, WUNT 436, 2020, 201–226. – Ders., Rivals, Opponents, and Enemies. Three Kinds of Theological Argumentation in Philippians, in: James R. Harrison/Lawrence L. Welborn (Hg.), The First Urban Churches 4. Roman Philippi, WGRW.S 13, 2018, 291–305. – F. Watson, Paul 136–150. – Wojtkowiak, Christologie und Ethik. – Christopher Zoccali, „Rejoice, o Gentiles, with His People“. Paul’s intra-Jewish Rhetoric in Philippians 3:1–9, CRE 9/2 (2001), 17–31. An verschiedenen Stellen des Philipperbriefs werden Oppositionen zur paulinischen Position benannt. Phil 4,2 f. zeigt, dass die Annahme allein männlicher Gegner kaum zu rechtfertigen ist. Wenige vermuten eine einzige ‚Gegnerfront‘ in Phil 1,15–18; 1,28; 3,2–21 (Mearns*; Nikki* 137–157). Manche entdecken eine Übereinstimmung gegnerischer Positionen in Ephesus und Philippi. Beide hätten das Leiden, welches zur Kreuzesbotschaft gehöre, abgelehnt (Phil 1,14– 18; 3,18 f.; Jewett*; Hooker*). Neuerdings möchte Nikki*, die Paulus während der Abfassung des Briefes in Caesarea verortet, die Gegnerinnen und Gegner in 1,15–18, 2,21 und 3,2–21 als Jerusalemer Opposition gegen die beschneidungsfreie Völkermission des Paulus identifizieren. Die These muss allerdings Paulus’ Rhetorik stark manipulative Taktiken und Interessen unterstellen. Denn Paulus begegnet der Kritik in Phil 1,15–18 mit Toleranz, den „Feinden des Kreuzes“ kündigt er dagegen Verderben an. Phil 1,28 nennt eine die Gemeinde bedrängende Gruppe von „Widersachern“, ohne dass theologische Differenzen sichtbar würden (Sumney* 174 f.). Es handelt sich um die Andeutung politischer und/oder sozialer Konflikte (→ 1,28). Wie in 3,18–21 tröstet Paulus die Gemeinde aus apokalyptischer Perspektive. Die meisten Auslegungen finden mindestens in 1,15–18; 1,28; 3,2–21 drei verschiedene Gruppen von Gegnerinnen und Gegnern (Vollenweider, Rivals; Vollenweider, Kreuzfeuer). Darüber hinaus kann Phil 3,2–21 die Warnung vor oder Auseinandersetzung mit einer oder mehreren Oppositionsgruppe(n) enthalten. Diskutiert wird (A), ob die Oppositionsgruppe bereits in der Gemeinde anwesend ist oder ob nur vor einem möglichen Auftreten gewarnt wird. Für die erste These werden der Imperativ Präsens βλέπετε „seht“ in V. 2 sowie der Rückverweis auf die
256
Zukunftsansage
3,19
eigene Verkündigung in V. 18 (Theißen* 290–295) angeführt. Phil 3,18 kann auch begründen, dass die Gemeinde eine Konkurrenzmission nur aus Erzählungen kennt (F. Watson* 146). Anders als in allen anderen Briefen argumentiert Paulus nicht, sondern charakterisiert in Schimpfworten und Verwünschungen (Invektiven). Eine aktuelle Auseinandersetzung ist also unwahrscheinlich. Im Hintergrund werden daher (B) entweder der Konflikt aus dem 2. Korinther- (1) oder der aus dem Galaterbrief (2) vermutet. Die Christusmissionarinnen und -missionare aus dem 2. Korintherbrief (1) werden als „schlechte Arbeiter“ angesprochen (→ 3,2; 2Kor 11,13). Als gemeinsame Themen der Auseinandersetzung mit den Gegnerinnen und Gegnern in Korinth und Philippi klingen an: ἀπειπάμεθα τὰ κρυπτὰ τῆς αἰσχύνης „wir entsagen schändlicher Heimlichkeit“ (2Kor 4,2; Phil 3,19), das Rühmen (2Kor 10,7–18; 11,30–12,12; Phil 3,3) und die Selbstbezeichnung des Paulus als „Hebräer“ (Phil 3,5; 2Kor 11,22; Ellis* 291). Nach Gnilka* heben beide Gruppen ihre intime Bekanntschaft mit Jesus Christus hervor (2Kor 5,16; Phil 3,8.10). Beide vertreten eine realisierte Eschatologie, im Philipperbrief angezeigt durch die Selbstbezeichnung als τέλειοι „Vollkommene“ (→ 3,12.15; Schmithals* 315; Koester* 322 f.; Klijn* 282). Die Schlagworte aus 3,18 f. unterstreichen die gegnerische Verachtung des vergänglichen Körpers (Schmithals*). Andere entdecken auch eine polemische Karikatur ihrer realisierten Eschatologie (Koester* 324–331). Wer eine ähnliche Oppositionsgruppe wie im 2. Korintherbrief vermutet, nennt die philippischen Gegnerinnen und Gegner „libertinistische Gnostiker“ (Schmithals; vgl. γνῶσις „Erkenntnis“ in Phil 3,8–10), „Gesetzesspiritualisten mit realisierter Eschatologie“, „Gottesmänner“ (θεῖος ἀνήρ, Gnilka*; G. Barth, K.) und „Propagandisten“ jüdischer dualistischer Weisheitstheologie (Schenk, K.). Für Gemeinsamkeiten mit der galatischen Opposition (2) wird die mögliche Paronomasie oder Verballhornung von περιτομή „Beschneidung“ in κατατομή angeführt (→ 3,2; E. Lohmeyer, K.; Dibelius, HNT; Hawthorne/Martin, K.; U. B. Müller, K.; Walter, K.; Holloway, K.; Vollenweider, Kreuzfeuer). Die Gegnerinnen und Gegner wollten sich im Fleisch der Neubeschnittenen rühmen, um nicht wegen des Kreuzes Christi verfolgt zu werden (ἐν … σαρκὶ καυχήσωνται … καυχᾶσθαι … ἐν τῷ σταυρῷ, Gal 6,13 f.; vgl. Phil 3,3); daher betone Paulus im Galaterund im Philipperbrief seine Rechtfertigungslehre (Gal 2,16; Phil 3,9) und vertrete eine partizipative Christologie, angezeigt durch „gefunden werden“ in Gal 2,18 und Phil 3,9 und Χριστῷ συνεσταύρωμαι „ich bin mit Christus mitgekreuzigt“ in Gal 2,19 respektive das συμμορφιζόμενος τῷ θανάτῳ αὐτοῦ in Phil 3,10 (Niebuhr* 90; Kraus* 340). Unklar bleibt, ob die „Zerschneidung“ auch eine Christologie vertritt oder ob es sich um nicht christusgläubige Jüdinnen und Juden handelt (E. Lohmeyer, K.; Dibelius, HNT; Niebuhr* 88–92). Auch nichtjüdische Anhänger jüdischer Bräuche werden vermutet (Bateman*). „Zerschneidung“ könnte dann für Kastrationsriten in orgiastischen Religionen stehen (Ulonska* 318–322; Nanos, Out-Howling 183– 202). Auch eine allgemeine Anspielung auf „Spaltung“ ist möglich (Baumert, K. 346 f.; 430–433). Wahrscheinlicher aber bleibt eine innerjüdische Debatte (Nanos, Paul’s Reversal; Brawley*; Zoccali*). Dass die Gegnerinnen und Gegner forderten, sich beschneiden zu lassen, wird nicht gesagt (Schmithals* 315 f.; Sumney* 165). Wenn sie Beschneidung verlangten, dann als Initiationsritus, als Bundeszeichen oder ethnischen Marker (Ch. Strecker* 114; Niebuhr* 100; F. Watson* 146– 150; Zoccali* 19). Möglicherweise bietet Beschneidung Schutz vor Verfolgung (Tellbe*). Zur Liste fehlender Eindeutigkeit gehört schließlich (C) die Anzahl der gegnerischen Positionen. Wer an galatische Gegnerinnen und Gegner denkt, findet die Argumente in 3,2–11; wer an die realisierte Eschatologie aus Korinth denkt, sieht sie in 3,12–21. Manche Auslegungen nehmen daher zwei verschiedene Fronten an (Dibelius, HNT; Jewett*; G. Baumbach*; Ernst, K.; Walter, K.). Insbesondere in der Polemik in 3,18 f. fehlt die Eindeutigkeit. Die Schlagworte könnten eine Position andeuten, die das Kreuz als zentrale Erlösungsbotschaft infrage stellt (Gal 3,13; Kraus* 340; F. Watson* 145; Häußer, K.), ebenso auch eine, die Leiden abwehren will und eine Herr-
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3,2–21
Fragment eines Abschiedsbriefs (Brief C)
lichkeitschristologie vertritt (Kol 2,12; 3,1; 2Tim 2,18; Gnilka, K. 215; Walter, K.), die Schutz vor sozialen Anfeindungen und Verfolgungen sucht (1Kor 2,8; Gal 6,12; E. Lohmeyer, K.; Thompson, K. 114), die einen Vollkommenheitsanspruch erhebt oder die Beschneidung und jüdische Speisepraxis fordert (→ V. 19). Die Schimpfworte lassen sich inhaltlich nicht auswerten (Bateman* 59; Klein* 312 f.; Niebuhr* 90). Der Überblick zeigt, dass es allen (Re-)Konstruktionen einer oder mehrerer konkreter Oppositionsgruppe(n) in Philippi an eindeutiger Überzeugungskraft fehlt. Bereits Kümmel bemerkt: „Es ist darum aufgrund der wenigen Andeutungen der Polemik in Phil 3 schwerlich möglich, ein klares Bild der Irrlehrer zu gewinnen“ (Kümmel, Einleitung 288). Inzwischen mehren sich die Stimmen, die ganz auf eine Gegnerhypothese verzichten. Die Invektive aus 3,2 und 3,18 f. erhalten dann eine andere Funktion. Sie können Konfliktlösungsstrategien bei inhaltlich unterschiedlich schwer gelagerten Differenzen vermitteln (Kähler*). Sie können Sachprobleme an nicht greifbaren Gegnern exemplifizieren, insbesondere eine Umwertung der Wertehierarchie (Schinkel* 75; 88–99; Wojtkowiak* 173–175; Reinl*). Es kann sich um den Versuch handeln, den Zusammenhalt der Gruppe durch die Abgrenzungen zu stärken (deSilva* 29–32; Thompson, K. 93–96). V. 2 fällt dann als rhetorisch stilisierte und Aufmerksamkeit erzeugende Eröffnung der autobiographischen Rede ins Auge, die Gegenbilder zur Identität der Wir-Gruppe inszeniert (E.-M. Becker*; Dodd*). Erweckt wird der Eindruck, die im Folgenden entwickelte Gruppenidentität gestalte sich vor der Kulisse eines bedrängenden Außen. Die Abgrenzung von den „Feinden des Kreuzes“ ist Teil der apokalyptischen Prophetie des Paulus, die das Verderben der Ungerechten und der Feinde Gottes ansagt, um die Gerechten der eigenen Gruppe zu trösten. Allerdings fehlt in V. 18 f. jeder konkrete Verweis, worin die WirGruppe bedrängt ist und was die Feindschaft zur Kreuzesbotschaft für Absender und Adressierte bedeutet. Dies mag der aktuell bedrängten Situation des Sprechers angesichts eines drohenden Todesurteils geschuldet sein. Die Identität und Taten derer, die hier als „Feinde des Kreuzes“ benannt sind, bleiben uneingeweiht Lesenden verborgen.
Als Gegensatz zu den „vielen … Feinden des Kreuzes“, die im Irdischen verhaftet bleiben, sagt der apokalyptische Seher Paulus einen Retter aus den Himmeln an, der „unseren“ erniedrigten Leib in seine himmlische Glanzgestalt verwandeln wird. Auf πολλοὶ γάρ in V. 18 folgt also ἡμῶν γάρ, auf ἀπώλεια folgt der σωτήρ. Der δόξα ἐν τῇ αἰσχύνῃ αὐτῶν der einen entspricht das σύμμορφος τῷ σώματι τῆς δόξης αὐτοῦ der anderen (Holloway, K.). Die Verse 20 f. wurden vielfach als Stück apokalyptisch geprägter Theologie erkannt. Parallelen lassen sich insbesondere zu 1Thess 1,9 f.; 4,15–18; 1Kor 1,7; 15,26 f.49–52 und Röm 8,17–30 aufzeigen. Es gibt aber auch Unterschiede in der Begrifflichkeit von V. 20 und in der exponierten Rolle Christi in V. 21. Keine Rolle spielen hier Gottes Zorn und Gericht. Die ältere Auslegung vermutet einen sich steigernden „feierliche[n] Lobgesang“ oder beobachtet zumindest „ein liturgisches Bedürfnis“ (E. Lohmeyer, K. 150; Dibelius, HNT 93). Daraus entwickelt sich die These, hier werde ein vorpaulinischer Hymnus oder wenigstens ein Hymnenfragment zitiert, ein „Vertrauenslied“, das möglicherweise sogar Phil 2,6–11 ekklesiologisch interpretiert oder soteriologisch fortsetzt (J. Becker* 76; vgl. Güttgemanns*; G. Strecker* 154–157; Hawthorne/Martin, K.; Hanson, K.; vorsichtig Reumann*; Reumann, K. 583 f.). Jedoch gehen die terminologischen Beziehungen zwischen 2,6–11 und 3,20 f. nicht über das Verb ὑπάρχω und κύριος Ἰησοῦς Χριστός hinaus. Es fehlt ein Parallelismus, 258
Zukunftsansage
3,20
und anders als in → 2,6–11 lassen sich auch keine inhaltlichen Parallelen zu antiken Götterhymnen entdecken (→ Exk. 8). Handelt in → 2,9–11 allein Gott, so handelt in V. 21 Christus als Gottes Energie, die ihm sogar „das All“ unterwirft (Gnilka, K.; Schinkel* 100–102). Der traditionsgeschichtliche Hintergrund des Stückes ist komplex. Diskutiert wird außerdem, in welcher Weise sich die politischen Begriffe aus V. 20 auf die politische Umwelt beziehen, ob das endzeitliche Heil im Himmel oder auf der Erde stattfindet und ob V. 21 die Kontinuität oder Diskontinuität des Leibes in der Auferstehung formuliert (Schnelle, Paulus 616; Wolter, Paulus 190). 20 ἡμῶν γὰρ τὸ πολίτευμα ἐν οὐρανοῖς ὑπάρχει, ἐξ οὗ καὶ σωτῆρα ἀπεκδεχόμεθα κύριον Ἰησοῦν Χριστόν … Mit πολίτευμα und σωτήρ enthält dieser Vers bei Paulus singuläre politisch konnotierte Begriffe. In Bibelübersetzungen wird πολίτευμα mal mit „Bürgerrecht“ (Lutherbibel 1984), mal mit „wir aber sind Bürgerinnen und Bürger einer himmlischen Gemeinschaft“ (Bibel in gerechter Sprache 2006, Lutherbibel 2017) und mal mit „Heimat“ übersetzt (Einheitsübersetzung 2016, Zürcher Bibel 2007). Die Kommentare fügen noch „Regierungsmacht“ (Schenk, K. 329), „Gemeinwesen“ (Eckey, K. 133 f.), „Staat“ (U. B. Müller, K. 182) und „Heimatrecht“ (Walter, K. 86 f.) hinzu. Alle Wiedergaben bringen einen Teil der komplexen Wortbedeutung zum Klingen. Als Wortbildung auf -μα beschreibt πολίτευμα die Aktivität des politisch entscheidungsmächtigen Teils der Bürgerschaft, das regierende Handeln, aber auch die Verfassung (Böttger* 245; Aristot Pol 3.6 [1278b10–14]; Jos. Apion. 2.164 f.; Ruppel*; Lüderitz*; Sergienko* 193–200; Förster/Sänger* 157–164). In hellenistischer Zeit, belegt nur im Einflussbereich der Ptolemäer, lassen sich auf Ethnien bezogene verfasste πολιτεύματα nachweisen, nämlich πολιτεύματα der Boiotier, der Idumäer, der Kilikier, der Phrygier, der Lykier, der Kreter sowie der Judäer, Letztere in der Militärkolonie in Herakleopolis im 2. Jahrhundert v. Chr., in Berenike und in Leontopolis im 1. Jahrhundert n. Chr. In diesen πολιτεύματα gibt es politisch verfasste Ämter und die jeweiligen Politeumata üben Rechte gegenüber Nichtbürgern aus, die sowohl aus der eigenen Ethnie als auch aus anderen Ethnien stammen können (Kruse*; P.-A. Sänger*; P.Polit.Iud. 1.2,4–45; 4.4; 7.3; 8.5; 18.1; 20.8, 2. Jh. v. Chr. [Texte bei P.-A. Sänger* 275 ff.]; SEG 16.931/CJZC 70, 1. Jh. v. Chr.; Ascough/Harland/Kloppenborg Nr. 305; IGRR I 1024/CJZC 71/C.Pap.Jud. III 1530A, 24 n. Chr.; Ascough/Harland/Kloppenborg Nr. 305). Aber nicht nur Judäer in Ägypten und an anderen Orten, sondern auch Idumäer, Kilikier, Kreter, Lykier und Phrygier nennen sich πολιτεύματα (Belege bei Cowey/Maresch* 5); außerdem Kultgruppen, etwa die Kultgruppe der Isis Sachypsis oder das πολίτευμα τῶν γυναικῶν „die politisch aktiven Bürgerinnen“ am Heiligtum der Hera und des Zeus Panamoros (IFayoum 2.121, 93 n. Chr.; Ik Stratonikeia 149; 174; 352; 666). Letztere Gruppen werden von manchen als Hinweis auf eine Selbstbezeichnung von antiken Vereinen als πολιτεύματα gewertet (Lüderitz* 189–202; Cotter*; Ascough* 77 f.; Sergienko* 129–143). Dementsprechend soll dann das politeuma im Himmel aus Phil 3,20 ein Gegenbild zu konkurrierenden religiösen Vereinen in Philippi zeichnen (Cotter*; Ascough* 144–149; Sergienko* 127–182). Andere lesen πολίτευμα als Äquivalent zum römischen Bürgerrecht, civitas, das in Philippi ausschließlich italische Kolonisten und deren Nachkommen besaßen und die 259
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Fragment eines Abschiedsbriefs (Brief C)
damit die politischen Ämter der Stadt ausschließlich unter sich verteilten. In Auseinandersetzung mit jüdischen Missionsgruppen, die der Gemeinde die Mitgliedschaft in einem jüdischen πολίτευμα angeboten hätten, biete Paulus das himmlische Bürgerrecht und eine himmlische Heimatstadt an (Pilhofer*; Schinkel* 100–122; Arzt-Grabner* 150–152; Förster/Sänger* 167–177). Denkbar wäre auch die Adaption des jüdischen πολίτευμα-Begriffs durch Paulus (Ostmeyer*). Allerdings sind weder alle Judäerinnen und Judäer als Politeuma organisiert, noch ist πολίτευμα ein explizit auf diese Volksgruppe bezogener Begriff, sondern er beschreibt eine spezifische Verfassungsform herausgehobener Siedlergruppen insbesondere unter Soldaten und Veteranen hellenistischer Könige (Honigman*; Kruse*; P.-A. Sänger*). Die Verfassung Philippis ist seit der Koloniegründung ca. 100 Jahre vor Ankunft des Paulus keine griechische, die Stadt also auch kein Politeuma. Als πολίτευμα verfasste Gruppen sind in Philippi bisher nicht belegt. Vielmehr sind die griechischsprachigen Bewohnerinnen und Bewohner von der aktiven politischen Bürgerschaft in Philippi ausgeschlossen (→ Einl. 3.1). Eine weitere Auslegung vermutet, Paulus habe den Begriff „die Vollkommenen“ von den „Kreuzesfeinden“ übernommen, die sich ihrer bereits jetzt verfügten Himmelsbürgerschaft gerühmt hätten (Lincoln* 101–103). Und schließlich wird vermutet, Paulus habe hier eine kreative Metapher für „ein Zuhause“ und „bürgerliche Freiheit und Ordnung“ geprägt, um seiner Ethik ein passendes Bild zu geben (Wischmeyer* 305–313, 309). Paulus ist aber keineswegs der erste jüdische Autor, der die Vorstellung eines πολίτευμα ἐν οὐρανοῖς formuliert. In Aufnahme stoischer politischer Philosophie spricht Philo vom Bürgersein „in der größten und vornehmsten aktiven politischen Bürgerschaft des Weltalls“ (ἐν τῷ μεγίστῳ καὶ ἀρίστῳ πολιτεύματι τοῦδε τοῦ κόσμου, Philo Jos. 69; opif. 143). Kosmopoliten sind diejenigen, „die meinen, die Welt ist eine Stadt, die Mitbürger aber seien diejenigen, die Umgang mit der Weisheit haben, welche die Tugend, die die politische Leitung im gemeinsamen πολίτευμα hat, in die Bürgerliste eingeschrieben hat“ (κοσμοπολῖται γενόμενοι, οἳ τὸν μὲν κόσμον ἐνόμισαν εἶναι πόλιν, πολίτας δὲ τοὺς σοφίας ὁμιλητάς, ἀρετῆς ἐγγραφούσης, ἣ πεπίστευται τὸ κοινὸν πολίτευμα πρυτανεύειν, Philo spec. 2.45; vgl. conf. 107– 109). An anderer Stelle wird deutlich, dass die Weisen nicht Bürger irdischer Städte und Staaten sind, sondern des Himmels: „Deshalb treten die im Sinne des Mose Weisen auch als Nichtbürger auf. Denn ihre Seelen verlassen zwar den Himmel niemals ganz, pflegen aber aus Lust an der Schau und am Lernen eine Reise in die irdische Natur zu unternehmen. Wenn sie dann, während sie sich in Leibern aufhalten, alles Wahrzunehmende und Sterbliche vermittels der Leiber genau betrachtet haben, kehren sie wiederum dorthin zurück, von wo sie früher losgesandt wurden, da sie den Himmel, in dem sie ihre Bürgerinnenschaft ausüben, für ein Vaterland halten, das Irdische, in dem sie als Ausländerinnen wohnen, für eine Fremde“ (διὰ τοῦτο οἱ κατὰ Μωυσῆν σοφοὶ πάντες εἰσάγονται παροικοῦντες αἱ γὰρ τούτων ψυχαὶ στέλλονται μὲν ἀποικίαν οὐδέποτε τὴν ἐξ οὐρανοῦ, εἰώθασι δὲ ἕνεκα τοῦ φιλοθεάμονος καὶ φιλομαθοῦς εἰς τὴν περίγειον φύσιν ἀποδημεῖν. (78) ἐπειδὰν οὖν ἐνδιατρίψασαι σώμασι τὰ αἰσθητὰ καὶ θνητὰ δι᾽ αὐτῶν πάντα κατίδωσιν, ἐπανέρχονται ἐκεῖσε πάλιν, ὅθεν ὡρμήθησαν τὸ πρῶτον, πατρίδα μὲν τὸν οὐράνιον χῶρον ἐν ᾧ πολιτεύονται, 260
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3,20
ξένην δὲ τὸν περίγειον ἐν ᾧ παρῴκησαν νομίζουσαι, Philo, conf. 77 f.; NW II/1, 706 f.; vgl. Philo somn. 1.181; christlich adaptiert: Diog 5,4 f.; Cl Al Prot 10.108,4). Philo macht deutlich, dass jüdische Philosophie und Weisheitstheologie nicht nur die stoische Idee der Welt als politisch geordneter Stadt und ihr himmlisches Urbild diskutierten, sondern einen eigenen Beitrag dazu liefern wollten. Der von Paulus gewählte Begriff πολίτευμα nimmt die weisheitlich rezipierten stoischen Ideen auf. Neben πολίτευμα fällt auch der nur im apokalyptischen Fragment aus 1Thess 1,10 sowie in 2Kor 5,1 verwendete Plural οὐρανοί auf. Jedenfalls kann sich der relativische Anschluss ἐξ οὗ nur auf τὸ πολίτευμα beziehen. Auch bei Paulus geht es also um eine in den Himmeln bereits versammelte politisch aktive Bürgerschaft. Die Vorstellung will sich nicht unbedingt gegenüber der Umwelt in Philippi oder Rom abgrenzen. Dies fordert erst Ende des 2. Jahrhunderts Tertullian (Cor 13,3 f.). Die Vorstellung von der himmlisch aktiven Bürgerschaft konkurriert auch nicht direkt mit anderen verfassten politisch aktiven städtischen, ethnisch-religiösen oder vereinsmäßig organisierten Bürgerschaften in Philippi und außerhalb Philippis, sondern Paulus formuliert ein Hoffnungsbild, das sich nicht von der römisch-griechischen politisch-philosophischen Diskussion um die beste Polis und beste politische Ordnung abgrenzt, sondern sich ausdrücklich anschließt. Mit Philo und der stoischen Philosophie hebt die Vorstellung von τὸ πολίτευμα ἐν οὐρανοῖς hervor, dass die optimale politische Ordnung ein himmlisch-transzendentes Urbild hat, das die irdischen Bürgerschaften prägen und leiten sollte (Zenon bei Diog L 7.33; Cic Fin 3.19,64; Sen De Otio 4,1; H. D. Betz* 64– 66; Engberg-Pedersen, Paul 292). Der präsentische Indikativ von ὑπάρχω macht deutlich, dass die „aktive Bürgerschaft in den Himmeln“ in der Gegenwart „existiert“. Für Philo ist die Luft schon immer eine Stadt, deren „vornehme Bürgerschaft“ aus unvergänglichen und unsterblichen Seelen besteht, welche die Bibel Engel nennt (Philo, somn. 1.137–141). Vergleichbar sind Vorstellungen aus den „Sektenschriften“ aus Qumran, nach denen die Mitglieder des Yaḥad an der himmlischen Versammlung der Engel teilnehmen. „Denen, die Gott erwählt hat, gab Er sie (Gerechtigkeit etc.) zu ewigem Besitztum, gab ihnen einen Erbteil im Lose (8) Heiliger und mit Himmelssöhnen verband Er ihren Rat ( )סודםzur Einungsgemeinschaft ( )לעצת יחדund Rat heiligen Baues (;וסוד מבנית קודש 1QS 11,7–9, Übers. Johann Maier). In den Hodajot dankt die betende Stimme dafür, gereinigt worden zu sein, um „in eine Einung zu treten mit einer Gemeinschaft von Himmelssöhnen“ (ולבא ביחד עם עדת בני שמים, 1QHa 11,22 [3,22 Sukenik], Übers. Maier; vgl. 1QHa 19,10–14 [Sukenik 11,10–14]; 1QSb [1Q28b] 4,24–26). Wie in Ps 89,8 ist סוד, der Thronrat Gottes, die politische und kultische Versammlung der Engel (H. J. Fabry, ThWAT V 775–782; ThWQ II 1078 f.). עדהist „die allgemeine Versammlung aller freien, erwachsenen Männer“, die „bevollmächtigt [ist], Entscheidungen zu fällen, die die ganze Nation betreffen“ (Levy/Milgrom/Ringgren/Fabry, ThWAT V 1079–1093, 1081; S. Metso, ThWQ III 30–33). Die Mitglieder des Yaḥad nehmen also an der immerwährenden kultischen Versammlung der Engel im göttlichen Thronrat teil. Bei Paulus handelt die im Himmel versammelte Bürgerschaft (der himmlischen Wesen und Engel) auf typische Weise, wenn sie aus ihrer Mitte einen σωτήρ „Retter“ sendet, um ihre anderswo ins Exil geratenen Mitbürger und Mitbürgerinnen heim-
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zubringen. „Retter sind Menschen [und Götter], denen es gelingt, die Lebensbedingungen anderer Menschen wesentlich zu verbessern und alles abzuwenden, was ein geregeltes Leben bedroht oder unmöglich macht“ (Jung* 154). Retter werden von den πολιτεύματα „Bürgerschaften“ antiker Städte mit Ehreninschriften geehrt, die etwa lauten können: „Die städtische Öffentlichkeit der Malloer (ehrt) Demeas, Sohn des Hermokrates, weil er zum Wohltäter der Gemeinschaft geworden ist und zur Rettung des Volkes regiert hat“ (ὁ δῆμος ὁ Μαλλωτῶν Δημέαν Ἑρμοκράτου κοινὸν εὐεργέτην γεγενημένον καὶ πεπολιτευμένον ἐπὶ σωτηρίαι τοῦ δήμου, ICilicie 69, 2. Jh. v. Chr.). Für den griechischen Politiker Aratos von Sikyon stellen die aus dem Exil zurückgekehrten Mitbürger ein Bildnis mit der Aufschrift auf: „Wir haben für die Tugend und Gerechtigkeit des Retters anstelle der rettenden Götter aufgestellt, weil du deinem Volk Gleichheit und göttliche Wohlordnung geschenkt hast“ (στάσαμεν ἀντ’ ἀρετᾶς ἠδὲ δικαιοσύνας, σωτῆρος σωτῆρσι θεοῖς, ὅτι πατρίδι τᾷ σᾷ δᾶμον ἴσον θείαν τ’ ὤπασας εὐνομίαν, Plut Aratus 14,4). Nach Plutarch wird auch Sulla von den ehemals Verbannten als „Vater und Retter akklamiert, weil sie seinetwegen in die Heimatstadt zurückgekehrt waren“ (σωτῆρα καὶ πατέρα τὸν Σύλλαν ἀποκαλοῦντες, ἅτε δὴ δι’ ἐκεῖνον εἰς τὴν πατρίδα κατιόντες, Plut Sulla 34,1). Zu den gerühmten Aufgaben regierenden Handelns gehört außerdem die Durchführung einer „Gesandtschaft zur Rettung von Stadt und Land“ (εἰς σωτηρίαν ταῖς πόλεσιν καὶ τῆι χώραι, IG II3, I 1292,23, 2. Jh. v. Chr.; Jung* 149 Anm. 137). Und natürlich wird der Titel σωτήρ auch auf den römischen Kaiser übertragen (Jung* 166–169; Oakes*). Aber das Bild vom aus der himmlischen Bürgerschaft ausgesandten Retter in Phil 3,20 ist mehr als eine direkte Replik auf den Kaiser in Rom. Es knüpft an die gemeinantike politische Vorstellung an, dass „Menschen immer zu Rettern ausgerufen werden im Hinblick auf eine bestimmte politische Körperschaft“, dass „der Retter vom Himmel her kommt oder zumindest seine Macht vom Himmel bezieht“ und dass seine Aufgabe in der Restitution im Hinblick auf die Gesamtheit der politischen Bürgerschaft besteht (Jung* 312 f.). Stammen die Begriffe πολίτευμα und σωτήρ aus der politischen Sprache der Umwelt, so wechselt das Verb ἀπεκδέχομαι „erwarten“ in den apokalyptischen Vorstellungshorizont. Paulus gebraucht das Verb für die Hoffnung auf die Offenbarung Jesu Christi als unser Herr, das Offenbarwerden der Kinder Gottes in der auf Erlösung wartenden Schöpfung und den Freikauf unserer versklavten Leiber (1Kor 1,7; Röm 8,19.23; vgl. Röm 8,25; Gal 5,5; Glasswell, EWNT I 989 f.; Grundmann, ThWNT II 55 f.). V. 21 bringt Ausführungen zu dieser Erwartung. 21 … ὃς μετασχηματίσει τὸ σῶμα τῆς ταπεινώσεως ἡμῶν σύμμορφον τῷ σώματι τῆς δόξης αὐτοῦ κατὰ τὴν ἐνέργειαν τοῦ δύνασθαι αὐτὸν καὶ ὑποτάξαι αὐτῷ τὰ πάντα. Der als Retter von der himmlischen Bürgerschaft entsandte und von den irdischen Mitbürgern erwartete Parusiechristus wird den „Leib unserer Niedrigkeit“ verwandeln. Μετασχηματίζω „umgestalten, verwandeln, umformen“ nimmt die äußere Erscheinung oder Rolle einer Person in den Blick (→ 2,7; 2Kor 11,13–15; Röm 12,2; Philo aet. 79; legat. 80; 346; Jos. Ant. 7.257; 8.267). Nur einmal in einem Bildvergleich wird über den die Folter ertragenden Märtyrer gesagt, er sei „gleichsam im Feuer verwandelt worden zur Unvergänglichkeitkeit“ (ὥσπερ ἐν πυρὶ μετασχηματιζόμενος εἰς ἀφθαρσίαν, 4Makk 9,22). Σύμμορφος kann ebenfalls äußerlich 262
Zukunftsansage
3,21
„das gleiche Aussehen haben“ meinen oder wesenhaft „gleichgestaltet sein“ (→ 2,6). Der Begriff weist zurück auf → 3,10 und Paulus’ Wunsch, mit Christi Tod „gleichgestaltet“ zu werden. Einige Majuskeln – D1, K, L, P, Ψ, 075 –, die Minuskeln 33, 104, 365, 630, 1505, 2464, �, die syrische Überlieferung, Irenäus und Ambrosius ergänzen εἰς τὸ γένεσθαι αὐτό vor σύμμορφον „so dass er (der Leib) gleichgestaltet ist“, was als stilistische Verbesserung zu werten ist. Die Korrelation von „unser Leib“ (Singular!) und „seinem Leib“, das heißt dem Leib des Retters, deutet eine leiblich fundierte Anverwandlung an die himmlische Wirklichkeit an. Die Stelle kann als Beleg für die Kontinuität des Leibes in der Auferstehung betrachtet werden und damit eine Überkleidungsvorstellung implizieren (1Kor 15,53 f.; 2Kor 5,1–3; Lincoln* 102 f.). Allerdings fällt die kollektive Rede von „einem Leib“ für die Wir-Gruppe auf (1Kor 15,49) und man kann auch mit 1Kor 15,51 f. eine völlige „Umschaffung“ vermuten (U. B. Müller, K. 185; vgl. ἀλλάσσω „vertauschen“ in 1Kor 15,51 f.). Nach Röm 8,29 beginnt die Umgestaltung mit der Taufe oder sogar mit der Erwählung (vgl. 2Kor 3,18; Röm 6,5; 8,18; Kuo-Yu Tsui*). „Unser Leib“ ist geprägt von „Erniedrigung, Niedrigkeit“. Ταπείνωσις beschreibt weder generell eine irdische Existenz (→ 2,7) noch Demut als Tugend (Doble*). Vielmehr sind biblisch gesehen die Lage der unterdrückten Sklavin Hagars im Hause Sarais, die der kinderlosen Zweitfrau Hanna, das Leiden des Gottesvolkes in Ägypten und die Unterdrückungserfahrung des Gottesknechts im Blick (Gen 16,11; Dtn 26,7; 1Sam 1,11; Jes 53,8; Lk 1,48; Apg 8,33; → 2,3; → Exk. 7). Der apokalyptische Seher klagt an: „Wehe euch, ihr Mächtigen, die ihr mit Gewalt den Gerechten niederdrückt, denn der Tag eurer Vernichtung wird kommen. In jenen Tagen werden für die Gerechten viele und gute Tage kommen – am Tage eures Gerichts“ (1Hen 96,8; Übers. Siegbert Uhlig, JSHRZ). Während aber das 1. Henochbuch und viele andere apokalyptische Texte ausführen, wie die Ungerechten und Mächtigen ungerecht handeln und die Erniedrigten quälen, fehlt hier die explizite Konkretion. Viele Auslegungen denken an die „hinfällige, auf den Tod zustrebende leiblich-irdische Existenz des Menschen“ (Gnilka, K. 207; Schapdick* 251; → 2,8; Röm 6,6; 7,24; 8,18). Die Wirklichkeit antiker Gefängnisse und der Hinweis auf das gemeindliche Leiden für Christus (→ 1,29; vgl. 1Thess 2,2) lassen eine sehr viel konkretere Vorstellung von den leiblichen Schmerzen und Leiden gewinnen, die hier im Blick sein müssen (Tamez, K. 100; → Einl. 5). Der erwartete Retter wird den Leib der Erniedrigung seiner Glanzgestalt anverwandeln (Röm 8,17; 2Kor 3,18). Einen „Leib der Herrlichkeit“ (σῶμα τῆς δόξης) trägt Christus nur hier (vgl. aber 1Kor 2,8; 2Kor 4,4.6; Jak 2,1). Die frühjüdische Mystik kennt einen Engel, der die kabod/δόξα Gottes trägt, wozu vermutlich die Thronwagengestalt mit einem Aussehen „gleich der Herrlichkeit des Herrn“ beigetragen hat (ἡ ὅρασις ὁμοιώματος δόξης κυρίου, Ez 1,28; Holloway, K.). „Herr der Herrlichkeit“ kann aber auch Gottesname sein (1Hen 22,14; 25,3.7; 40,3; 63,2; 75,3; 83,8; → Ex. 9.8). Der Herrlichkeitsleib des Parusiechristus entspricht seinem Aufenthaltsort in der aktiven himmlischen Bürgerschaft, dem πολίτευμα. Dort steht der Thron der Herrlichkeit Gottes (ὁ θρόνος τῆς δόξης, 1Hen 9,4). Auf ihm sitzt „die große Herrlichkeit“ (καὶ ἡ δόξα ἡ μεγάλη ἐκάθητο ἐπ’ αὐτῷ, 1Hen 14,20; 104,2). Im Gericht wird der „Erwählte“ (1Hen 45,3; 51,3; 55,4; 61,8), der „Herr der Geister“ und der „Men263
3,2–21
Fragment eines Abschiedsbriefs (Brief C)
schensohn“, dort Platz nehmen (1Hen 62,2–15; 69,27; 108,12). Der Thronraum ist umgeben von unbeschreiblicher Herrlichkeit, und wer eintreten will, muss in eine himmlische Gestalt verwandelt und überkleidet werden (1Hen 62,15 f.; 2Hen 22,8– 10; 1QS 4,7 f.; JosAs 14 f.; Apk 3,4; 6,11 u. ö.). Für die Mitglieder des Yaḥad ist die Restitution der ursprünglichen „ דם� כבודHerrlichkeit Adams“ nicht nur in der zukünftigen Welt, sondern proleptisch bereits für die Teilnahme an der himmlischen Liturgie verheißen (1QS 4,22 f.; CD III 19 f.; 1QHa 4,14 f. [Sukenik 17,15 f.]; Doering* 41–43). Der Transformation des erniedrigten Leibes in einen Leib der Herrlichkeit, den der aus der himmlischen Bürgerschaft ausgesandte Retter bereits trägt, geht trotz → 3,11 keine Auferstehung voraus, kein Schall der Trompete, kein Gericht und keine Belobigung nach dem jeweiligen Wirken oder sonst eines der apokalyptischen Szenarien, auf die Paulus andernorts rekurriert (1Kor 3,11–15; 2Kor 5,10; Röm 14,10; 1Thess 1,10; 4,15–18; 1Kor 15,52; → 1,6.10; 2,16). Es bleibt auch offen, ob hier Lebende oder schon Verstorbene verwandelt werden und wie sich 3,20 f. zu den in → 1,23 und 3,11 angesprochenen Hoffnungen in Beziehung setzen. Kaum zu klären ist, ob sich die Verwandelten mit dem Retter auf der Erde befinden oder, wie das politische Bild und die stoisch-philonische Tradition nahelegen, in ihre himmlische Heimat zurückgeführt werden (Lincoln* 188 f.; Engberg-Pedersen, Cosmology 155). In der Apokalyptik wäre außerdem die Vorstellung eines messianischen Zwischenreichs denkbar, bei dem der Retter mit den Gerechten auf der Erde eine Zeitlang herrscht (Apk 20,4; 4Esra 7,28; Holloway, K.). Der Text folgt jedenfalls den apokalyptischen Traditionen, in denen den Gerechten die heilvolle Zukunft unter den Himmelsbewohnern und Himmelsbewohnerinnen im himmlischen Lichtkleid und/oder unter den Sternen angesagt wird (Dan 12,3; 1Hen 62,15; 104,2; 108,11–15; 4Esra 7,95–98; 3Bar 51,3.10 f.). Die endzeitliche Verwandlung der erniedrigten Gerechten in die himmlische Glanzgestalt bewirkt hier – anders als überall sonst bei Paulus – nicht Gott, sondern Christus. Aber auch in der zeitgenössischen jüdischen Apokalyptik treten gelegentlich Mittlerfiguren als Agenten der himmlischen Heimführung der Gerechten auf: „Und die Gerechten und Auserwählten werden an jenem Tage gerettet werden, und sie werden das Angesicht der Sünder und Ungerechten nicht mehr sehen von nun an. (14) Und der Herr der Geister wird über ihnen wohnen, und sie werden mit jenem Menschensohn speisen und sich (zur Ruhe) niederlegen und sich erheben von Ewigkeit zu Ewigkeit. (15) Und die Gerechten und Auserwählten werden sich von der Erde erhoben haben und sie werden aufgehört haben, das Angesicht zu senken, und sind bekleidet mit dem Gewand der Herrlichkeit“ (1Hen 62,13–15, Übers. Uhlig). Phil 3,21 enthält außerdem eine Anspielung auf ψ 8,7: πάντα ὑπέταξας „du hast (ihm) alles unterworfen“ (vgl. 1Kor 15,27; Eph 1,22; Hebr 2,8). Der Artikel τὰ πάντα kann wie in → 3,8 verstärken („alles“) oder die ganze Schöpfung in den Blick nehmen (1Kor 8,6; Röm 11,36; Kol 1,16). Psalm 8 profiliert die Schöpfungserzählung aus Gen 1,26–30 (Herm mand 12.4,2 [47,2]; Diog 10,2). Nach den frühjüdischen Versionen des Psalms wird der erste Mensch zwar in die Verantwortung gegenüber der irdischen Schöpfung eingesetzt, nicht aber über die Engel und die im Himmel (ψ 8,6; Philo opif. 84; Hebr 2,5–9). Mit ψ 8,7 rezipiert V. 21b das Urzeit-Endzeit-Schema (N. A. Meyer* 159–162; Doering*). Der von von der himmlischen Bürgerschaft ausgesandte Retter 264
Zukunftsansage
3,21
gibt den Exilierten nicht nur ein dem Himmel angemessenes Lichtkleid, sondern restituiert die ursprüngliche Herrlichkeit des ersten Menschenpaars und agiert dabei in Anspielung auf Gottes Schöpfungshandeln. Er tut dies entsprechend der ἐνέργεια „Wirkkraft“, die in der übrigen jüdischen Tradition immer von Gott ausgeht (→ 2,13; 2Makk 3,29; 3Makk 4,21; 5,12.28; SapSal 7,17.26; 13,4; Schenk, K. 326). Von der Weisheit heißt es, sie sei „ein fleckenloser Spiegel von Gottes Wirkkraft“ (ἔσοπτρον ἀκηλίδωτον τῆς τοῦ θεοῦ ἐνεργείας, SapSal 7,26). Gottes δόξα „Herrlichkeit“ lässt sich nur als „Abbild seiner eigenen Wirksamkeit“ erkennen (ἀπεικόνισμα τῆς ἑαυτῶν ἐνεργείας, Philo spec. 1.45–47; QE 2.45; Sellin, Epheser 134 f. zu Eph 1,19). Daher ist zu fragen, ob hier nicht ebenfalls „die Wirksamkeit Gottes“ gemeint ist, „die Christus auferweckte und ihn so zum Herrn über die Mächte machte“ (Sellin, Epheser 112 zu Eph 1,11). Dann muss man allerdings einen Subjektswechsel vermuten und αὐτόν mit Gott und αὐτῷ mit Christus identifizieren: „entsprechend der Energie, mit der Gott Christus auch alles unter die Füße legen kann“ (1Kor 15,27). Dieser Subjektswechsel ist jedoch nicht vorbereitet und daher grammatikalisch schwierig. Die meisten Auslegungen schließen sich daher inhaltlich dem Vorschlag der Majuskeln �2, D2, L, Ψ, der Minuskeln 6, 81, 104, 326, 630, 1175, 1241 und vielen anderen sowie eines Teils der lateinischen Überlieferung an, die das αὐτῷ reflexiv als ἑαυτῷ „sich selbst“ lesen (Gnilka, K.; Holloway, K.). Diese einzigartige göttliche Vollmacht Christi erinnert an die Herrschaftsübernahme des Menschensohngleichen aus Dan 7,9–14 und seinen Rezeptionen 1Hen 46,1 und 4Esra 13,3. Nach Vorstellung seiner weisheitlichen Christusbiographie wechselt Paulus die Rolle und beklagt als apokalyptischer Prophet das Ende der „Feinde des Kreuzes“. Deren Identität bleibt hinter Schimpfworten verhüllt, sodass sich ihre theologische Position nicht rekonstruieren lässt. Die Opposition markiert vielmehr das Gegenüber zur Position. Die Schlagworte τέλος „Ende“, ἀπώλεια „Verderben“ und αἰσχύνη „Schande“ gehören außerdem in den apokalyptischen Gerichtsdiskurs. Anders als in anderen frühjüdischen Apokalypsen fehlt jedoch die Darstellung der Gerichtsszene. Strafe ist vielmehr, im Irdischen verhaftet zu bleiben und damit aus der himmlisch-transzendenten Perspektive der folgenden Verse ausgeschlossen zu sein. Wir, so der apokalyptische Prophet Paulus in V. 20 f., erwarten einen Retter aus der im Himmel versammelten Bürgerschaft. Er, nämlich der Herr Jesus Christus, wird unseren erniedrigten Leib verwandeln, indem er ihn mit seinem himmlischen Lichtkleid überkleidet. Er tut dies mit der Energie, mit der Gott die Welt schuf und auf die Menschen hin ordnete (Ps 8,7). Die Restitution der Urzeit in der Endzeit und die Lichtexistenz der Gerechten gehören weiterhin in die Apokalyptik. Philo und die „Sektenschriften“ des Yaḥad aus Qumran teilen mit Paulus außerdem die Vorstellung einer im Himmel aktiven Bürgerschaft, die entweder die Weisen aus ihrer himmlischen Heimat auf die Erde sendet oder Irdische an ihrer himmlischen Liturgie teilnehmen lässt. Die Begriffe πολίτευμα und σωτήρ sind dabei politisch konnotiert. Unklar bleibt, ob der „Retter“ die im Exil befindlichen Mitglieder heim in den Himmel führt oder ob sich mit seinem Kommen das himmlische politeuma auch auf der Welt ausbreitet. Ebenso offen bleibt, womit die „Feinde des Kreuzes“ und „Bauchverehrer“ die Gerechten bedrücken. Vielleicht deutet sich in den „Feinden des Kreuzes“ und im 265
3,2–21
Fragment eines Abschiedsbriefs (Brief C)
„erniedrigten Leib“ die Lage des gefolterten Gefangenen Paulus und einer bedrängten Gemeinde an. Jedenfalls aber spricht Paulus aus der Perspektive, die anderen in einer Himmelsreise zuteil wird. Von einem Standpunkt jenseits der immanenten Welt überblickt er Raum und Zeit bis zur Rettung und Erlösung. Auch wenn hinter Phil 3,20 f. kein vorpaulinisches Hymnenfragment zu rekonstruieren ist, so partizipiert Phil 3,18–21 an den Traditionen frühjüdischer Apokalyptik. In der Rolle des apokalyptischen Propheten deckt Paulus die Begrenztheit einer sich allein auf das Irdische richtenden Perspektive auf. Der aus der himmlischen Bürgerversammlung ausgesandte Retter Christus wird die Glaubenden in eine himmlische Gestalt verwandeln und damit in die politisch aktive himmlische Bürgerschaft (re-)integrieren. Christi Rolle gleicht hier jener des „Menschensohns“ und „Herrn der Geister“ in den Bilderreden des Henoch, der nach einer Zeit im Verborgenen am Ende Gericht über die ungerechten Machthaber und Könige hält, während die Gerechten mit Herrlichkeit überkleidet werden (1Hen 62,15 f.). Umso auffälliger ist, dass Christus hier nicht zum Gericht erscheint. Die „Feinde des Kreuzes“ haben sich längst selbst gerichtet, indem sie im Irdischen verhaftet blieben (1Kor 2,8; SapSal 5,1–6). Die Solidarität aus der himmlischen Bürgerschaft verheißt hier den Verbliebenen Rettung und Trost im urzeit-endzeitlichen Heil. Als Abschluss der weisheitlichen Selbstvorstellung in den Versen 4–14 und der Aufforderung zur kreativen Aneignung dieser Christusbiographie ergänzt die apokalyptische Passage das Abschiedswort. Vergleichbar ist die literarische Form dem frühjüdischen Testament. Vor einer nur mit Schlagworten skizzierten Kulisse der Bedrängnis blickt Paulus auf sein Leben zurück und über die Grenze der irdischen Existenz hinaus in die Zukunft (V. 11.14.20 f.). Auch wenn das Stück keine direkten Hinweise auf die Gefangenschaft bringt, enthält es doch ein Abschiedswort, das über die in Phil 1,21–23 und 2,12.17 f. formulierte Möglichkeit des Martyriums kein Weiterleben mehr impliziert (anders: → 1,19 f.24–26; 2,24). Vermutlich wurde Phil 3,2–16 nach Erhalt des in 2Kor 1,8 f. angesprochenen Todesurteils verfasst. Angesichts der Freilassung – möglicherweise im Zusammenhang mit dem Herrschaftsantritt Neros – kam dieses Abschiedswort freilich zu früh. Die Gemeinde in Philippi hat es trotzdem bewahrt. Nach dem tatsächlichen Martyrium des Paulus hat sie den Brief in seine Jetztgestalt redigiert und in anderen ebenfalls ihre Märtyrer beklagenden Gemeinden verbreitet (Polyk 13,1–3). Im Grunde ist sie damit der Aufforderung zur kreativen Nachahmung aus Phil 3,17 gefolgt. Im heutigen Gesamtbrief erscheint die weisheitliche Biographie mit apokalyptischem Ausblick als Höhepunkt in einer Reihe von Christus-Imitationen (→ 2,6–8). Auch andere Märtyrererzählungen modellieren ihre Martyrien nach dem Beispiel Christus und rezipieren dabei insbesondere Phil 2,6–8 (vgl. Mart Lyon 2 [Eus Hist Eccl 5.2,2/Musurillo 82–85]; Ep Phileas [Eus Hist Eccl 8.10,2 f./Musurillo 320–323]). Der nunmehr erhöhte Märtyrer stellt nicht nur sein von Gott bestätigtes nachahmenswertes Lebensmodell vor Augen, sondern als Erhöhter vermittelt er auch Einblicke in die zukünftige himmlische Welt, die dank seiner Fürsprache der ihn verehrenden Nachwelt nunmehr offensteht.
266
(3,1 +) 4,1–7.[8–9a.]9b Briefschluss (Brief B) (3,1 Schließlich, meine Geschwister, freut euch im Herrn! Dasselbe zu schreiben, verdient meinerseits keinen Aufschub, euch aber macht es sicher). 4,1 Daher, meine geliebten und ersehnten Geschwister, meine Freude und mein Ehrenkranz, steht auf diese Weise fest im Herrn, Geliebte! 2 Euodia bitte ich und Syntyche bitte ich, dasselbe im Herrn zu denken. 3 Ja, ich bitte auch dich, treue(r) Freund (in), hilf ihnen, die mit mir für das Evangelium gekämpft haben, zusammen mit Klemens und meinen übrigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, deren Namen im Buch des Lebens stehen. 4 Freut euch im Herrn allezeit! Wieder werde ich sagen: Freut euch! 5 Eure Güte soll allen Menschen bekannt werden! Der Herr ist nah! 6 Sorgt euch um nichts, sondern in jeder Lage lasst eure Anliegen in Gebet und Bittgebet mit Dankbarkeit vor Gott wissen! 7 Und der Friede Gottes, der jeglichen Verstand beschützt, wird auch eure Herzen und eure Gedanken behüten in Christus Jesus. [8 Schließlich, Geschwister, was rechtschaffen ist, was ehrwürdig, was angemessen, was tadellos, was wohlgefällig, was Anerkennung verdient, wenn etwas eine Tugend ist und wenn etwas ein Lob, dies bedenkt! 9aWas ihr gelernt und empfangen und gehört und gesehen habt bei mir, dies tut!] 9bUnd der Gott des Friedens wird mit euch sein. Ascough, Paul’s Macedonian Associations. – Leslie Baynes, The Heavenly Book Motif in JudeoChristian Apocalypses 200 B.C.E.–200 C.E., JSJ.S 152, 2012. – H. D. Betz, Studies 60–89. – Carl J. Bjerkelund, Parakalô. Form, Funktion und Sinn der parakalô-Sätze in den paulinischen Briefen, 1967. – Brändl, Agon bei Paulus. – Doering, Ancient Jewish Letters. – Richard G. Fellows/Alistair C. Stewart, Euodia, Syntyche and the Role of Syzygos. Phil 4:2–3, ZNW 109,2 (2018), 222–234. – Camille Focant, La paix de Dieu, elle qui surpasse toute intelligence (Ph 4,7), in: Eberhard Bons/Daniel Gerber (Hg.), Bible et paix [FS Claude Coulot], LeDiv 233, 2010, 239–249. – James R. Harrison, The Fading Crown. Divine Honour and the Early Christians, JThS 54 (2003), 493–529. – Paul A. Holloway, Bona Cogitare. An Epicurean consolation in Phil 4:8–9, HThR 91 (1998), 89–96. – Jewett, Paul’s Anthropological Terms. – Gerhard Lohfink, Paulinische Theologie in der Rezeption der Pastoralbriefe, in: Ders., Studien zum Neuen Testament, SBAB 5, 1989, 291–343. – Francis X. Malinowski, The Brave Women of Philippi, BTB 15,2 (1985), 60–64. – Wayne A. Meeks, Urchristentum und Stadtkultur. Die soziale Welt der paulinischen Gemeinden, 1993. – Markus Müller, Vom Schluß zum Ganzen. Zur Bedeutung des paulinischen Briefkorpusabschlusses, FRLANT 172, 1997. – Terence Y. Mullins, Petition as a Literary Form, NT 5 (1962), 46–54. – Kurt Niederwimmer, Pax Dei custodia cordis (Phil 4,7), in: WJTh 7 (2008), 293–311. – Janelle Peters, Crowns in 1 Thessalonians, Philippians, and 1 Corinthians, Bib. 96,1 (2015), 67–84. – Pilhofer, Philippi I. – Antonio Piras, γνήσιε σύζυγε in Phil
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(3,1 +) 4,1–7.[8–9a.]9b
Briefschluss (Brief B)
4,3 und seine gotische Übersetzung. Ein Beitrag zur Text- und Interpretationsgeschichte, ZNW 101,1 (2010), 78–92. – Wiard Popkes, Philipper 4.4–7. Aussage und situativer Hintergrund, NTS 50 (2004), 246–256. – Poplutz, Athlet des Evangeliums. – Schapdick, Eschatisches Heil. – Anton Vögtle, Die Tugend- und Lasterkataloge im Neuen Testament, NT.A 16,4–5, 1936. – Jeffrey A. Weima, Neglected Endings. The Significance of the Pauline Letter Closings, JSNT.S 101, 1994. – Siegfried Wibbing, Die Tugend- und Lasterkataloge im Neuen Testament und ihre Traditionsgeschichte unter besonderer Berücksichtigung der Qumran-Texte, BZNW 25, 1959. – Wojtkowiak, Christologie und Ethik.
Unabhängig von der Frage, ob man den kanonischen Philipperbrief als das Ergebnis eines Redaktionsprozesses versteht oder nicht, ist die Einordnung der Verse 3,1 und 4,1–9 in die Argumentationsstruktur schwierig. Folgende Probleme sind zu lösen: Phil 3,1 leitet mit τὸ λοιπόν „im Übrigen“ und der Anrede ἀδελφοί μου „meine Geschwister“ zum Briefschluss über. Die Aufforderung „freut euch“ wiederholt 2,18. Paulus macht in 3,1b selbst darauf aufmerksam. Die 4,1 einleitende Konjunktion ὥστε zieht eine Folgerung aus Vorhergehendem. Ein direkter Bezug zu 3,20 f. ist nicht festzustellen. Die konkreten Bitten an Euodia, Syntyche und den oder die treue(n) Freund (in) in 4,2 f. passen ebenfalls in einen paulinischen Briefschluss (vgl. 1Kor 16,15–18). Die Verse können, müssen aber nicht unbedingt an 4,1 anschließen. V. 4 wiederholt das χαίρετε ἐν κυρίῳ aus 3,1. Die Friedenszusage in V. 7 und der Segenswunsch in V. 9b könnten beide einen Briefschluss bilden (vgl. 1Thess 5,28; 2Kor 13,11; Röm 16,20). Daher werden – unabhängig von der Annahme einer Redaktions- oder einer ‚Integritätshypothese‘ – Einschnitte vor V. 1 und nach V. 1, V. 3 und/oder V. 7 gesehen. Unstrittig ist, dass 4,9b einen Abschluss bildet. Die Vielfalt der Vorschläge zeigt, dass verschiedene Lösungswege begangen werden können. Die meines Erachtens plausibelste Lösung ist, 3,1 + 4,1–7.9b als ursprünglichen Briefschluss von Brief B (1,1–3,1) zu identifizieren. Zum einen schließt die Folgerung in 4,1 gut an 3,1 an. Zum zweiten enthalten die Verse 4,1–7 Bezüge zu Formulierungen aus 1,1–3,1. Das Brieffragment 3,2–3,21 ist dann von der Redaktion in Philippi als Einlage in den Briefrahmen des Dankes- und Freudenbriefes B (1,1– 3,1 + 4,1–7.9b.21–23) eingefügt worden. Die weisheitliche Biographie mit apokalyptischem Ausblick stellt in der kanonisch gewordenen Fassung des Briefs den Märtyrer Paulus ins Zentrum (→ Einl. 4.3). Die Verse 4,8–9a setzen ebenfalls mit der Abschlussformulierung τὸ λοιπόν, ἀδελφοί ein und bilden einen weiteren Briefschluss. Sie enthalten eine populärphilosophische Tugendliste und etablieren den Apostel Paulus als Vorbild einer Tugendethik. Konzept und Begrifflichkeit kommen an keiner anderen Stelle der paulinischen Ethik vor, entsprechen aber tritopaulinischer Ethik, wie sie z. B. 1Tim 1,12–17; 6,11 f.; 2Tim 1,12–14 und 3,10–14 formulieren. Die Verse entstammen vermutlich einer im späten 2. Jahrhundert in den Text geratenen Randglosse und spiegeln ein tritopaulinisches Apostelbild. Der älteste Zeuge dieser Verse ist der Laodizenerbrief (V. 15), ein zwischen 150 und 250 entstandener, lateinisch erhaltener Brief, den das Konzil von Nizäa II 787 n. Chr. verurteilt, der jedoch noch bis zum 10. Jahrhundert in lateinischen Bibelhandschriften überliefert ist. Der Laodizenerbrief ist gebildet aus Phil 1,1–3,1 +
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Briefschluss (Brief B)
4,1
4,6.8 f. sowie Gal 1,1 und Kol 4,16 (→ Einl. 4.3). Die Glosse fordert die Lesenden auf, sich am Märtyrerapostel als Vorbild aller allgemeinen Tugenden zu orientieren. Die Verse 4,1–7.9b schließen also unmittelbar an 3,1 an und bilden einen in Paulusbriefen typischerweise mit Schlussmahnungen gefüllten Briefschluss. In 3,1; 4,1 und 4,4–7 ist die ganze Gemeinde direkt angesprochen. Die Verse 2 f. richten sich an Euodia und Syntyche, zwei in der Gemeinde prominente Mitarbeiterinnen, und stellen ihnen ein exzellentes Zeugnis aus. Sie werden zur Einmütigkeit aufgefordert. Unklar bleibt, ob es einen Konflikt unter den beiden Frauen oder zwischen den Frauen und Paulus gab. Eine nicht namentlich genannte Person wird aufgefordert, sie zusammen mit Klemens zu unterstützen. Die besondere Herzlichkeit der Anrede der Gemeinde (4,1) und die wiederholte Aufforderung zur Freude prägen die Stimmung (3,1; 4,1.4). Es ist die Freude im Angesicht der nahen Parusie Christi (V. 5). Die Gemeinde kann sorglos sein, weil die Gegenwart Gottes ihre Bitten, ihre Not und ihre Dankbarkeit erhört und spiegelt (V. 6). Gottes Friede beschirmt und beschützt ihre Herzen, Gedanken und ihren Verstand (V. 7) und der Gott des Friedens weilt unter ihnen (V. 9b). 1 Ὥστε, ἀδελφοί μου ἀγαπητοὶ καὶ ἐπιπόθητοι, χαρὰ καὶ στέφανός μου, οὕτως στήκετε ἐν κυρίῳ, ἀγαπητοί. Ὥστε „deshalb, daher“ zieht eine Folgerung aus dem Vorhergehenden (→ 2,12). Da jedoch keine inhaltliche Beziehung zu 3,20 f. festgestellt werden kann, votieren Auslegungen, die Phil 1–4 als einheitlichen Brief lesen, entweder für einen Anschluss an den letzten Imperativ in 3,17 oder für einen lockeren Anschluss an die Warnungen des ganzen Kapitels 3 (U. B. Müller, K.; Schapdick* 257). Der Vers schließt jedoch nicht allein mit dem Wortfeld „Freude“ an 3,1 an, sondern auch mit dem Imperativ στήκετε „steht fest“. Mit ἀσφαλής „sicher“ bildet ἔστηκα/στήκω ein geprägtes Bildfeld (→ 3,1). Das mit der Konjunktion ὥστε korrelierende Adverb οὕτως „auf diese Weise, so“ bezieht sich konkret auf ἀσφαλής in 3,1 zurück. Was die Gemeinde sicher macht, ist, „auf diese Weise“ im Herrn fest zu stehen (ἐν κυρίῳ → 3,1a). Der Imperativ στήκετε formt im Rückbezug auf → 1,27 außerdem eine Inklusion, die nicht nur das andeutend militärische Bild aus 1,27 f., sondern auch die Struktur des aus dem Sein resultierenden Sollens aufgreift (Reumann, K. 631; vgl. Gal 5,25). Der Vers sticht im Corpus Paulinum mit der allerherzlichsten Anrede einer Gemeinde heraus. Erneut nennt Paulus die Gemeinde ἀδελφοί μου „meine Geschwister“ (1,12; 3,1; vgl. 1Thess 5,12.14). Ἀγαπητοί „Geliebte“ ist sowohl als Attribut zu ἀδελφοί als auch am Ende des Verses im Vokativ „Geliebte“ eingesetzt (vgl. auch 2,12). Die Majuskel B, die Minuskel 33 und die syrische Überlieferung fügen noch ein „meine“ (Geliebten) hinzu, was an „meine Geschwister“ am Beginn des Verses anschließt, die Majuskel D*, die armenische Überlieferung, die altlateinische Handschrift b sowie einige Vulgatatexte streichen die zweite Anrede „Geliebte“. Außer den Philipperinnen und Philippern heißen nur die Korintherinnen und Korinther einmal „meine geliebten Geschwister“ (1Kor 15,58). Das Hapaxlegomenon ἐπιπόθητος „ersehnt“ lässt die Danksagung anklingen (ἐπιποθέω; → 1,8). Außerdem nennt Paulus die Gemeinde χαρὰ καὶ στέφανός μου „meine Freude und mein Kranz“. Στέφανος, ein Kranz oder eine Krone, gewöhnlich „[a]us Blumen, Blättern und Zweigen geformt oder in deren Nachbildung (Bronze, Silber, Gold …) gefertigt, ist … Bestandteil griech[ischen] und röm[ischen] Alltags- und Kulturlebens, 269
(3,1 +) 4,1–7.[8–9a.]9b
Briefschluss (Brief B)
ein Symbol der Weihung, Auszeichnung und des Schmuckes für Menschen und Götter“ (Hurschmann, DNP 6, 805, vgl. Engemann, RAC 21, 1006–1034). Die römische Welt kennt Kränze auch als militärische Auszeichnung (Engemann, RAC 21, 1011– 1013), als Priesterkrone (Peters* 71–78) oder als Siegeskranz im Sport (vgl. 1Kor 9,25; Poplutz* 313–318). Letzteres Bild wird in die Märtyrertheologie übertragen (Brändl* 320–322; vgl. 4Makk 17,11–15). Anders als in → 3,14, wo der Siegespreis τὸ βραβεῖον heißt, fehlen an dieser Stelle weitere Begriffe aus dem Bildfeld des Militärs oder des Sports. Am nächsten liegt es daher, den Kranz als Zeichen der Anerkennung von Leistungen eines Wohltäters durch ein öffentliches Gremium zu interpretieren. Zahlreiche Ehreninschriften und Denkmäler dokumentieren diesen Brauch (Harrison* 493–504; Ascough* 144). Der Kranz ist Zeichen des Lobes, das die Gemeinde und Paulus am Tag Christi erwarten dürfen (→ 1,10 f.; → 2,16; vgl. 1Thess 2,19; 2Tim 4,8; Jak 1,12; 1Petr 5,4; Apk 2,10). Die Überreichung eines Kranzes ist immer mit Freude verbunden (vgl. Klgl 5,15 f.; Sir 1,11 f.). Wer den Kranz überreicht, bleibt an dieser Stelle jedoch ebenso offen wie die Frage des Wann. Nichts spricht dagegen, dass die Gemeinde bereits jetzt Freude und Kranz des Paulus ist (Poplutz* 316 f.; Schapdick* 257 f.). Das Bild möchte vor allem seine tiefe Bindung zur Gemeinde unterstreichen. 2 Εὐοδίαν παρακαλῶ καὶ Συντύχην παρακαλῶ τὸ αὐτὸ φρονεῖν ἐν κυρίῳ. Die nächsten beiden Verse enthalten die einzigen Hinweise auf konkrete Personen in Philippi, darunter mindestens zwei Frauen. Παρακαλέω meint in der Grundbedeutung „herbeirufen“, was je nach Kontext spezieller „ermahnen, trösten, ermuntern“ und „bitten“ bedeuten kann (Baumann, TBLNT 381–383; Schmitz, ThWNT V 700– 777). Fast alle deutschsprachigen Bibeln und Kommentare übersetzen an dieser Stelle mit „ermahnen“ oder „ermuntern“. Lediglich Baumert und die „Bibel in gerechter Sprache“ entscheiden sich für „bitten“ (Baumert, K. 398–400). Die Mehrheitsübersetzung spiegelt die Überzeugung, Paulus verfüge über eine Autorität gegenüber den beiden ihm untergeordneten Frauen. Neben ἐρωτάω (→ 4,3, vgl. 1Thess 4,1; 5,12) ist παρακαλέω jedoch ein Terminus technicus für brieflich vorgetragene Bitten. In offiziellen Briefen wird er für Bitten an höhergestellte Persönlichkeiten verwendet, in Privatbriefen an gleichrangige Briefpartner (S. R. Llewelyn, NDIEC 6, 140–146; Mullins*; Bjerkelund* 34–74; Arzt-Grabner, Philemon 193 f.; Arzt-Grabner, 2. Korinther 58 f.). Als ein Gefangener befindet sich Paulus kaum in einer Machtposition gegenüber den beiden Frauen in Freiheit. Vorstellbar ist ebenfalls, dass die Frauen die Patroninnen des Paulus waren (Tamez, K. 103 f.; vgl. auch Röm 16,1 f.). Möglicherweise gab es also weniger Meinungsverschiedenheiten zwischen den Frauen als zwischen ihnen und Paulus. Was sich überhaupt über die beiden Frauen sagen lässt, soll der folgende Exkurs klären.
Exkurs 16: Euodia und Syntyche Valerie A. Abrahamsen, Women at Philippi. The Pagan and Christian Evidence, JFSR 3,2 (1987), 17–30. – Peter Carls, Wer sind Syzygos, Euodia und Syntyche in Phil 4,2 f.?, PzB 4,2 (1995), 117– 141. – Nils A. Dahl, Euodia and Syntyche and Paul’s Letter to the Philippians, in: L. Michael White/O. Larry Yarbrough (Hg.), The Social World of the First Christians [FS Wayne A.
270
Briefschluss (Brief B)
4,2
Meeks], 1995, 3–15. – Mary Rose D’Angelo, Women Partners in the New Testament, JFSR 6,1 (1990), 65–86. – de Vos, Church and Community 255 f. – Greg H. R. Horsley, Euodia, NDIEC 4 (1987), 178 f. – Kittredge, Community. – Dies., Rethinking Authorship in the Letters of Paul. Elisabeth Schüssler Fiorenza’s Model of Pauline Theology, in: Dies./Shelly Matthews (Hg.), Walk in the Ways of Wisdom [FS Elisabeth Schüssler Fiorenza], 2003, 318–333. – Veronica Koperski, Feminist Concerns and the Authorial Readers in Philippians, LouvSt 17 (1992), 269–292. – Lamoreaux, Ritual. – Joseph A. Marchal, The Politics of Heaven. Women, Gender, and Empire in the Study of Paul, 2008. – Ders., Slaves as Wo/men. – Meeks, Urchristentum. – Peterlin, Paul’s Letter. – Pilhofer, Philippi I 234–240. – Poplutz, Athlet des Evangeliums. – Portefaix, Sisters Rejoice 183–200. – Monya A. Stubbs, Philippians, in: Brian K. Blount (Hg.), True to our Native Land. An African American New Testament Commentary, 2008, 363–379. Der griechische Name Euodia kann übersetzt werden als „guter Gang der Dinge, Erfolg“ oder „Wohlgeruch“ (εὐωδία; vgl. Schenk, K. 273; Osiek, K.). Im ebenfalls griechischen Namen Syntyche steckt τύχη („Glück, Schicksal“, vgl. Schenk, K. 273: „Glückskind“; Osiek, K.: „good luck“). Die Radikalkritik möchte die Namen als Allegorien lesen (Carls*). Die Begriffe könnten tatsächlich die Hoffnung des Paulus auf einen guten Ausgang seines Prozesses versinnbildlichen (Poplutz* 321). Die Nennung von Namen in einem Brief aus dem Gefängnis fällt jedenfalls auf, identifiziert dies doch die Genannten als Sympathisanten eines potenziellen Straftäters. Standen die beiden Frauen also nicht auf der Liste von Verdächtigen (Tamez, K.)? Gegen die Identifikation von „Euodia“ und „Syntyche“ als Allegorien spricht jedoch, dass die Namen inschriftlich gut belegt sind. Namensträgerinnen sind sowohl Sklavinnen und Freigelassene als auch Mitglieder der Eliten. Zu Euodia vgl. G. H. R. Horsley*. Zu Syntyche: Sklavin: TAM V,2 1252,12/SEG 35.1155, 41–52 n. Chr.; IG X,2 1 855, Thessaloniki, 2./3. Jh. n. Chr.; Amme: SEG 4.577,3 f.; Freigelassene: SEG 34.478,7, 131–132 n. Chr. Zu den Namensträgerinnen aus der römischen Elite gehört auch Valeria Syntyche, die Ehefrau und Stifterin des Sarkophags für den decurio Titus Valerius Fulcinius Maior aus Philippi (CIPh II.1 124/Pilhofer II 127b, 2. Jh. n. Chr.). Die beiden Frauen aus Philippi werden unter Handwerkerinnen und Kaufleuten der Stadt vermutet (Meeks* 123). Andere suchen sie bei den Freigelassenen (de Vos*) oder Sklavinnen (Marchal, Politics 103–109; Marchal, Slaves 162–169). Das Fehlen römischer Gentilnamen macht eine Identifikation als römische Bürgerinnen wenig wahrscheinlich. Seit der Alten Kirche gibt es Versuche, Lydia, die Purpurhändlerin aus Apg 16,14 f.40, mit einer der beiden Frauen zu identifizieren (Peterlin* 128–130; Pilhofer*). Der Pauluskommentator des 4. Jahrhunderts Severian von Gabala bezeugt erstmals die These: „Euodia sei die Frau des Gefängniswärters (aus Apg 16,23–34), Syntyche aber der Mann“ (Τινὲς δὲ Εὐοδίαν εἶναί φασι τὴν γυναῖκα τοῦ δεσμοφύλακος, Συντύχην δὲ τὸν ἄνδρα, Staab, Pauluskommentar 134,19 f.). Anhaltspunkte gibt es dafür nicht und Lydia ist ebenfalls als Eigenname breit belegt. Die in Apg 16 genannten Personen benennt Paulus in seiner philippischen Korrespondenz nicht (→ Einl. 3.2). Euodia und Syntyche werden gebeten, „das Gleiche im Herrn zu denken“. Mit τὸ αὐτὸ φρονεῖν ist eine typische Formulierung antiker Eintrachtsparänese zitiert (→ 2,1–5; vgl. 2Kor 13,11; Röm 15,5). Nicht im Apparat verzeichnet ist die Lesart von �16 (P.Oxy. 7.1009, 3.–4. Jh.), der statt φρονεῖν den Imperativ φρονεῖτε liest (Wachtel/Witte, NTP II,2, 122; Royse, Text 189 f.). Mit diesem Imperativ wird das offene Machtverhältnis zugunsten des Paulus geklärt. Im von NTG28 gebotenen, breit bezeugten Text erscheint Paulus’ Einlassung als Bitte und nicht als Befehl. Peterlin identifiziert Euodia und Syntyche mit den Diakoninnen/Beauftragten aus Phil 1,1, Osiek denkt an die Bischöfinnen/Aufseherinnen (Peterlin* 106–111; Osiek, K. 111 f.). Bereits Johannes Chrysostomus hält die Frauen für „das Haupt der dortigen Gemeinde“ (τὸ κεφάλαιον εἶναι τῆς Ἐκκλησίας τῆς ἐκεῖ, Hom in Phil 14,3 [Allen/Field 146/PG 62.280,58 f.]; Koperski* 269–271). Ebenso vorstellbar wäre ein Missionarinnenpaar, vergleichbar mit Tryphäna
271
(3,1 +) 4,1–7.[8–9a.]9b
Briefschluss (Brief B)
und Tryphosa und Maria und Martha (Röm 16,12; Lk 10,38–42; Joh 11,1–45; D’Angelo*; Kittredge, Community 107 f.). Über Anlass und Inhalt der hier durchscheinenden Uneinigkeit kann ebenfalls nur spekuliert werden. Einige vermuten, der Streit zwischen den zwei Gemeindeleiterinnen sei der Anlass des ganzen Schreibens (Dahl*; Peterlin*). Für andere geht es um unterschiedliche Positionen im Widerstand gegenüber einer nichtchristlichen Umwelt einschließlich der Ehemänner (Portefaix*). Auch Konflikte um traditionelle Frauenrollen werden als Anlass diskutiert (Lamoreaux* 101–126 mit Verweis auf κοιλία in der Bedeutung „Gebärmutter“, 3,19). Ohne die theologische Relevanz frauenbezogener Fragestellungen aus dem Blick zu verlieren, kann man aber auch an allgemeinere theologische Themen denken (Abrahamsen* 17). Man kann die Bitte an die oder den Syzygos auch als Aufruf verstehen, die beiden Frauen zu unterstützen (Stubbs* 374; Koperski* 290–292). Kittredge vermutet z. B., sie gehörten zu den Dichterinnen des Hymnus (Kittredge, Rethinking 324–326). Eine explizit andere theologische oder auch kirchenpolitische Positionierung legt sich besonders nahe, wenn man den Streit nicht unter den beiden Frauen, sondern zwischen Paulus und den Frauen verortet (D’Angelo* 76; Kittredge, Community 105–107; Marchal, Politics 103–109). Auch wenn viele Fragen zu Euodia und Syntyche offenbleiben müssen, so ist ihre Prominenz eine stete Herausforderung, die angestammten Vorstellungen und Modelle zur paulinischen Mission und die Geschlechterverhältnisse in den Gemeindestrukturen infrage zu stellen.
3 ναὶ ἐρωτῶ καὶ σέ, γνήσιε σύζυγε, συλλαμβάνου αὐταῖς, αἵτινες ἐν τῷ εὐαγγελίῳ συνήθλησάν μοι μετὰ καὶ Κλήμεντος καὶ τῶν λοιπῶν συνεργῶν μου, ὧν τὰ ὀνόματα ἐν βίβλῳ ζωῆς. Mit dem bekräftigenden Artikel ναί „ja, wahrhaftig, in der Tat“ eingeleitet, folgt eine zweite Bitte an eine weitere Person (B/D/R § 441.2). Die Anrede im Vokativ hat in der Geschichte der Forschung viel Rätselraten hervorgerufen. Σύζυγος, abgeleitet von ζεύγνυμι „zusammen in ein Joch spannen“, ist am besten in der Bedeutung „Ehefrau“ belegt, dann auch in der Bedeutung „Genosse, Gefährte“ (Passow II/2, 1608). Die ältesten Kommentatoren dachten tatsächlich, hier sei Paulus’ Ehefrau gemeint, vermutlich jedoch in Opposition zu ehekritischen Kreisen der jeweiligen Kirchen (Cl Al Strom 3.53,1; Orig Comm in Rom 1,1; vgl. auch Chrys Hom in Phil 14,3 [Allen/Field 146/PG 62.279,48 f.]; Piras*). Angesichts von 1Kor 7,40 ist die Annahme, Paulus sei zur Zeit der philippischen Korrespondenz verheiratet gewesen, höchst unwahrscheinlich. Jedoch wird in dieser Diskussion deutlich, dass trotz des eigentlich dreiendigen Adjektivs γνήσιος „treu, rechtmäßig“ (→ 2,20) die angesprochene Person als weiblich identifiziert werden kann. Alternativ wird die These diskutiert, es handele sich um einen Eigennamen (Chrys Hom in Phil 14,3 [Allen/Field 146/PG 62.280,25 f.; vgl. Gnilka, K.; U. B. Müller, K. u. a.). Bisher ist der Eigenname Syzygos jedoch nicht belegt. Daher vermuten andere einen Decknamen für Epaphroditus, Timotheus, Silas, Lukas u. a. (Gnilka, K.; Hawthorne/Martin, K.; Häußer, K.). Auch die These, es handele sich um einen Verweis auf das Kollekiv der ganzen Gemeinde, wird vertreten (Holloway, K.; Silva, K.; Fellows/Stewart*). Alle Identifikationen bleiben spekulativ. Die Verhüllung dieser Person könnte im Kontext der Gefangenschaft zu erklären sein (Tamez, K.). Der treue Freund oder die treue Freundin wird aufgefordert, Euodia und Syntyche zu helfen. Das Kompositum συλλαμβάνω, verbunden mit einem Dativobjekt, heißt nicht „seelsorgerlich zu christlicher Eintracht … helfen“ (Delling, ThWNT VII 762), 272
Briefschluss (Brief B)
4,4
sondern „helfen, mitwirken, beitragen“ (LSJ ad loc. VI.). So schreibt Apollinarius an seinen Bruder Sempronius: „Ich habe dir unseren (Sklaven?) Eros geschickt. Ich bitte dich, hilf ihm, damit er durch dich gesund nach Hause kommt (ἔπεμψα Ἔρωτα τὸν ἡμέτε[ρο]ν. διὸ ἐρωτῶ συνλαβοῦ αὐτῷ ὅπως διὰ σο[ῦ εἰ]ς οἶκον διασωθῇ, P.Mich. 8.487,10–12, 2. Jh. n. Chr.; → 4,2). Aristophanes formuliert: „Die Wohlmeinenden müssen die Stadt nach Kräften unterstützen“ (δεῖ τῇ πόλει ξυλλαμβάνειν, Eccl 861; vgl. 2Clem 17,2; Plat Leg 709c u. ö.). Der oder die Gefährte/in soll also mit Euodia und Syntyche zum Wohl der Gemeinde zusammenarbeiten. Euodia und Syntyche werden in dem angeschlossenen ersten Relativsatz weiter gelobt als solche, die „im Bereich des Evangeliums mitgekämpft haben“. Der Aorist συνήθλησαν blickt zurück auf frühere „Kämpfe“. Die meisten denken an Konflikte bei der Verkündigungsarbeit. Das seltene Kompositum συναθλέω „zusammen kämpfen“ stammt aus der Welt des Sports (Poplutz* 319–328; Brändl* 340–348; → 1,27). Möglicherweise ist es bereits als Metapher für das Martyrium eingeführt (E. Lohmeyer, K.; Malinowski*). Euodia und Syntyche haben zusammen mit Paulus und den „übrigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern“ (συνεργοί, → 2,25; Röm 16,3.9.21; 1Thess 3,2; 2Kor 8,23; Phlm 1) gekämpft. Vermutlich in Angleichung an spätere Amtsunterscheidungen trennen Sinaiticus �* und �16vid zwischen „Mitarbeitern“ und „übrigen“ (Royse, Text 190). Namentlich hervorgehoben wird auch Klemens. Das Adjektiv clemens bedeutet „mild“. Einige rechnen diesen einzigen Träger eines lateinischen Namens zur römischen Bürgerschaft der Stadt (Meeks* 122). Anders als für Valerius Clemens von der Mitgliederliste des Silvanusvereins in Philippi wird aber kein Gentilname genannt (CIL III 633,73/Pilhofer II 163/Kloppenborg/Ascough I 68b, 2. Jh. n. Chr.). Viele Sklaven heißen ebenfalls Clemens (Ascough* 125 f.). Euseb identifiziert den hier genannten Klemens mit dem dritten Bischof von Rom (Hist Eccl 3.15). Der sich anschließende mit ὧν eingeleitete Relativsatz bezieht sich auf alle vorher Genannten. Sie alle sind im Buch des Lebens verzeichnet. Gemeint ist die altorientalische und biblische Vorstellung einer himmlischen Bürgerliste (Ex 32,32; ψ 68,29; Dan 12,1; Lk 10,20; Hebr 12,23; Apk 3,5 u. ö.), nicht zu verwechseln mit der ebenfalls verbreiteten Vorstellung einer himmlischen Buchführung über die Taten von Menschen (Koep, RAC 2, 725–731; Baynes*). Manche vermuten, Paulus wolle ein Gegenbild zu römischen Bürgerlisten schaffen (Hawthorne/Martin, K.; Pilhofer, Philippi I 130–132). Jedoch ist die theologische Vorstellung ‚Lebensbuch‘ sehr verbreitet. Es drückt Anerkennung aus und bringt die Hoffnung auf das Mitwirkungsrecht in der himmlischen Welt zur Sprache. 4 Χαίρετε ἐν κυρίῳ πάντοτε πάλιν ἐρῶ, χαίρετε. Einige Redaktionshypothesen schließen unter Verweis auf τὰ αὐτὰ γράφειν die Verse 4,4–7 direkt an 3,1b an. V. 4a wiederholt wörtlich V. 3,1a und fügt lediglich das Adverb πάντοτε „immer, stets, allezeit“ hinzu (steht im Neuen Testament für ἀεί, Balz, EWNT II 27). Der Anschluss an 3,1b ist aber nicht zwingend. Ein erstes Mal hatte Paulus im Kontext der Erwägungen seines möglichen Martyriums zur Freude aufgerufen (→ 2,18), ein nächstes Mal im Anschluss an die Empfehlung des Timotheus und die Danksagung für Epaphroditus (→ 3,1a). Nun, nachdem er seine Bitte an bestimmte Gemeindeglieder formuliert hat (4,2 f.), nimmt der wiederholte Aufruf erneut die ganze Gemeinde in den Blick und 273
(3,1 +) 4,1–7.[8–9a.]9b
Briefschluss (Brief B)
leitet endgültig den Briefschluss ein (vgl. 1Thess 5,16; 2Kor 13,11). Der Aufruf zur Freude formuliert eine Widerstandsstrategie gegen das sowohl Paulus als auch die Gemeinde bedrängende Leiden (1,7.13–18.27–30; → Exk. 6). Die Selbstwiederholung in V. 4b ist mit „wiederum“ ausdrücklich vermerkt (πάλιν, → 1,26; 2,28). Allerdings überrascht das Futur ἐρῶ. Ist es als biblischer Ersatz für den Imperativ oder Konjunktiv als energische Verstärkung gewählt (so Baumert, K. 327: „[n]ochmals muss ich sagen“, vgl. B/D/R § 362.1)? Oder drückt es die sofort erfolgende Selbstwiederholung „freut euch“ aus (Schenk, K. 245; Haupt, K. 161)? Oder soll man mit Bengel πάντοτε zum Folgenden ziehen und übersetzen „allewege und abermals sage ich: Freuet euch“ (semper, item dico, gaudete, Bengel, Gnomon 301; Hofmann, K. 150; H. A. W. Meyer, K. 173 f.)? Umfasst das „ich werde sagen“ also „nicht nur dieses Mal, wo Paulus davon spricht, sondern alle Male, wo er noch sprechen wird“ (E. Lohmeyer, K. 168)? Die Fragen zeigen Interpretationsmöglichkeiten auf, lassen sich jedoch kaum eindeutig beantworten. Die meisten Übersetzungen vereinfachen und übersetzen präsentisch. 5 τὸ ἐπιεικὲς ὑμῶν γνωσθήτω πᾶσιν ἀνθρώποις. ὁ κύριος ἐγγύς. Die Bedeutung von τὸ ἐπιεικές ist schwer zu fassen. Preisker gibt als Übersetzungen „was nach allgemeiner Lebensauffassung ist, was für schicklich, recht und billig gehalten wird, … brauchbar tüchtig, … milde“ an (ThWNT II 585; Spicq I 263–267). Aristoteles definiert: „Wer Recht nicht akribisch zum Schlechteren, sondern elastischer anwendet, selbst wenn er das Gesetz als Helfer hätte, der ist billig“ (ὁ μὴ ἀκριβοδίκαιος ἐπὶ τὸ χεῖρον ἀλλ’ ἐλαττωτικός, καίπερ ἔχων τὸν νόμον βοηθόν, ἐπιεικής ἐστι, Aristot Eth Nic 5.14 [1138a]). Aristoteles beschäftigt sich dabei mit Eliten- und Herrschaftsethik. Dieser Kontext ist auch in frühjüdischer Literatur aufgegriffen, die den Gesetzgeber Mose und den guten König ἐπιεικής nennt (2Makk 9,27; Arist 188; 211; 263; Philo Jos. 221 u. ö.). Biblisch erscheint ἐπιεικής vor allem als Eigenschaft Gottes und für sein ausgeglichenes Handeln gegenüber den Sünderinnen und Sündern (1Sam 12,22; ψ 85,5; Dan 3,42; 4,24; Bar 2,27; 2Makk 2,22; 10,4; SapSal 12,18; 2Kor 10,1 von Christus). In der Geschlechterethik übersetzt τὸ ἐπιεικές die modestia: Frauen sollen „die Schicklichkeit ihrer Zunge durch Schweigen offenbaren“ (τὸ ἐπιεικὲς τῆς γλώσσης αὐτῶν διὰ τῆς σιγῆς φανερὸν ποιησάτωσαν, 1Clem 21,7). Im Martyrium bedeutet ἐπιείκεια Gleichmut (SapSal 2,19). Die klassische Übersetzung „Güte“ versucht diese Bedeutungsvielfalt einzufangen. Die Güte und Milde der Gemeinde soll „allen Menschen“ bekannt werden (γνωσθήτω, Imperativ Aorist). Diesen universalistischen Zug paulinischer Vorbildethik formuliert auch Röm 12,17 f. (Gnilka, K.). Die Vorbildethik gewinnt ihr spezifisches Profil, wenn man τὸ ἐπιεικές als Übertragung einer Herrschertugend auf die ganze Gemeinde versteht (Popkes* 249–251). Sie hat darüber hinaus eine eschatologische Perspektive. Der abschließende Ausruf „Der Herr ist nahe!“ gehört zu den ältesten Bekenntnissen (als Antwort auf den aramäischen Ruf: Maranatha, 1Kor 16,22; Did 10,6; vgl. Apk 22,20). Mit ihrer Milde, Billigkeit, Tüchtigkeit repräsentiert die Gemeinde Christus. Der Vers macht außerdem deutlich, dass die Naherwartung auch im Philipperbrief präsent bleibt. 6 μηδὲν μεριμνᾶτε, ἀλλ᾽ ἐν παντὶ τῇ προσευχῇ καὶ τῇ δεήσει μετὰ εὐχαριστίας τὰ αἰτήματα ὑμῶν γνωριζέσθω πρὸς τὸν θεόν. Die Aufforderung „Macht 274
Briefschluss (Brief B)
4,7
euch um nichts Sorgen!“ erinnert an das Q-Logion: „Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen sollt … euer Vater weiß, was ihr braucht“ (LkQ 12,22.30/Mt 6,25.32). Einige Auslegungen entdecken ein ‚Echo‘ der Jesusüberlieferung (O’Brien, K.; Hawthorne/Martin, K.; Bockmuehl, K.; Häußer, K.). Die wörtlichen Anklänge bleiben aber auf μηδὲν μεριμνᾶτε begrenzt. Anders als die Logienquelle benennt der Vers keine konkrete Not (Gnilka, K.; U. B. Müller, K.). Das seltene αἴτημα wird auch für formelle „Begehren, Bitten, Anliegen“ gegenüber Königen verwendet (Stählin, ThWNT I 193). Es erscheint außerdem in der Gebetstheologie der Psalmen: „Flehe zum Herrn, und er wird dir die Begehren deines Herzens geben (καὶ δώσει σοι τὰ αἰτήματα τῆς καρδίας σου, ψ 36,4, vgl. ψ 19,6; 105,15). „Und jedes Begehren einer auf ihn hoffenden Seele wird der Herr erfüllen“ (καὶ πᾶν αἴτημα ψυχῆς ἐλπιζούσης πρὸς αὐτὸν ἐπιτελεῖ ὁ κύριος, PsSal 6,6). Über die Zuordnung von ἐν παντί und μετὰ εὐχαριστίας wird diskutiert. Man kann ἐν παντί als Opposition zu μηδὲν (s. o.) lesen oder zum Gebet ziehen (Dibelius, HNT; E. Lohmeyer, K.). Μετὰ εὐχαριστίας kann das Bittgebet konkretisieren (Ewald/Wohlenberg, K. 220) oder wie hier den Imperativ von γνωρίζομαι. Wesentliche Bedeutungsverschiebungen ergeben sich nicht. Die Gebetsbegriffe beschreiben Gebetsformen aus der Praxis paulinischer Gemeinden (→ 1,3 f.). Der passivische Imperativ Präsens von γνωρίζω verweist zurück auf das γνωσθήτω aus V. 5. Wie die Güte und Milde der Gemeinde allen Menschen bekannt wird, so trägt diese unentwegt ihre Anliegen und ihre Sorgen um sich und die Welt vor Gott. 7 καὶ ἡ εἰρήνη τοῦ θεοῦ ἡ ὑπερέχουσα πάντα νοῦν φρουρήσει τὰς καρδίας ὑμῶν καὶ τὰ νοήματα ὑμῶν ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ. Die Hörgewohnheit des häufig als Kanzelsegen verwendeten Verses lässt einen Segenswunsch vermuten. Im Kontext schließt jedoch καί konsekutiv an V. 6 an: „und dann wird in der Folge auch …“ (Niederwimmer* 294). Das regierende Verb φρουρήσει ist eine Futurform, also eine Zukunfts- oder Verheißungs-, keine Wunschaussage. Vermutlich verdankt sich unsere Übersetzungstradition der lateinischen Übersetzung, die mit Konjunktiv custodiat übersetzt (Niederwimmer* 294). Es lassen sich jedoch auch Argumente für eine Übersetzung als Segenswunsch anbringen. Die Psalmensprache der Septuaginta übersetzt an einigen Stellen futurisch, wo wir eine Wunschform vermuten würden (z. B. ψ 15,11; 71,19; 109,6; Schenk, K. 52). Daraus kann erschlossen werden, dass auch im Neuen Testament das Futur für den Potentialis und den Imperativ eintreten kann (B/D/R § 385.1; § 362). Statt vom Frieden Gottes lesen Alexandrinus (A), das altlateinische Manuskript t, Vulgatahandschriften und die Marginallesart der Harklensis „Friede Christi“. Φρουρέω beschreibt die Aufgabe von Wächtern und Wachmannschaften (Bauer, Wb; Arzt-Grabner, 2. Korinther 501 zu den Papyri; Niederwimmer* 308 f.; vgl. 2Kor 11,32). Auch anderen göttlichen Entitäten wird diese Schutzfunktion zugeschrieben (Soph Oed Tyr 1479; Gal 3,23). Wenn die Gemeinde ihre Anliegen vor Gott bringt, wird der Friede Gottes ihre Herzen und ihre Gedanken bewachen. Καρδία ist der Sitz der Gefühle und νόημα das Ergebnis des Gedachten, der Gedanke (Behm, ThWNT IV 958 f.; Niederwimmer* 310). Zusammen beschreiben Herz und Gedanken als Hendiadyoin die Gesamtheit des Menschen. Die Zeugen des Westtextes, F, G, die altlateinische Zeugen ar und d sowie Marius Victorinus und Pela275
(3,1 +) 4,1–7.[8–9a.]9b
Briefschluss (Brief B)
gius lesen statt τὰ νοήματα „eure Gedanken“ τὰ σώματα ὑμῶν „eure Körper“, womit die Opposition aus Röm 1,24 aufgegriffen ist. �16 verbindet beide Versionen und liest τὰ νοήματα τὰ σώματα ὑμῶν, vermutlich eine Mischlesart (Wachtel/Witte, NTP II/ 2, 122; Royse, Text 190). Die Versionen nehmen stärker als die älteste Textform die vom Martyrium betroffene Körperlichkeit in den Blick (E. Lohmeyer, K.). Als Wunsch ist εἰρήνη ἀπὸ θεοῦ „Friede von Gott“ Teil der salutatio im paulinischen Briefpräskript (→ 1,2 u. ö.). Der Genitiv τοῦ θεοῦ kann als genitivus originis aufgefasst werden: der Friede, der von Gott kommt und ausgeht. Als griechische Übersetzung von Schalom ( )ָשׁלוֹםmeint εἰρήνη mehr als die Abwesenheit von Krieg und Zwietracht: eine umfassende heilvolle Beziehung zwischen Gott, Menschen und Welt (Gnilka, K.; Bockmuehl, K.; Walter, K.). Personifiziert ist die εἰρήνη τοῦ θεοῦ nur hier. Einige möchten das Wirkungsfeld der εἰρήνη auf den inneren Frieden begrenzen (Niederwimmer*; Focant* 247). Bereits in Athen wurde jedoch die Εἰρήνη als Göttin verehrt. Besonders prominent machte diese göttliche Macht oder dieses Numen Kaiser Augustus mit seiner Weihung der Ara Pacis in Rom, der zahlreiche Darstellungen von Pax als Göttin in der römischen Münzprägung und Bildkunst folgten (Simon, LIMC VII 1, 204–212). In der Bibel nennt der Richter Gideon seinen Altar „Friede des Herrn“ (Εἰρήνη κυρίου; Ri 6,24). Die Midraschtradition schließt aus dieser Stelle, dass ein Gottesname „Friede“ lautet: „Groß ist der Friede, denn der Name des Heiligen, gepriesen sei er, lautet Friede“ (Sifre Num § 42 zu Num 6,26; vgl. LevR 9,9, b.Ber 55b, vgl. Bockmuehl, K.). Der von Gott kommende Friede ist mit einer Partizipialkonstruktion näher charakterisiert. Transitiv mit einem Akkusativobjekt verbunden, heißt ὑπερέχω „darüber halten, darüber emporhalten, beschützen, beschirmen“ (Passow II/2, 2081). Νοῦς „Intellekt, Geist, Verstand“ ist in der griechischen Philosophie sowohl eine göttliche Substanz als auch das menschliche Erkenntnisvermögen. Das Verhältnis des menschlichen zum göttlichen νοῦς ist Gegenstand beständiger philosophischer Diskussion (Szlezák, DNP 5, 1027–1029). Die Theologiegeschichte begreift νοῦς als anthropologische Entität, als „das Wissen um etwas, das Verstehen und Urteilen, das dem Menschen als solchem zu eigen ist und seine Haltung bestimmt“ (Bultmann, Theologie 211; vgl. Behm, ThWNT IV 956; Jewett* 358–367). Viele Übersetzungen wählen für ὑπερέχω die Bedeutung „überragen, übertreffen, übersteigen“, um auszudrücken, dass die göttliche Friedensmacht „alles übersteigt, was menschlicher Verstand leisten kann“ (U. B. Müller, K. 198; vgl. Delling, ThWNT VIII 523 f.). Jedoch spricht der transitive Gebrauch von ὑπερέχω gegen die Übersetzung. Die von Gott ausgehende Friedensmacht beschirmt und beschützt vielmehr den menschlichen Intellekt (Schenk, K. 247). Infolge ihrer vor Gott getragenen Anliegen wird die im Griechischen feminin deklinierte Eirene Gottes, die den Intellekt beschirmt, auch die Herzen und Gedanken derer aus Philippi am Schutzort „in Christus Jesus“ behüten.
276
Vorbild und Tugend des Märtyrerapostels
4,8
4,8–9a Vorbild und Tugend des Märtyrerapostels 8 Τὸ λοιπόν, ἀδελφοί, ὅσα ἐστὶν ἀληθῆ, ὅσα σεμνά, ὅσα δίκαια, ὅσα ἁγνά, ὅσα προσφιλῆ, ὅσα εὔφημα, εἴ τις ἀρετὴ καὶ εἴ τις ἔπαινος, ταῦτα λογίζεσθε V. 8 setzt wie bereits 3,1 mit der für den Briefschluss typischen Überleitungsformel τὸ λοιπόν und der erneuten Anrede der Geschwister ein (→ 1,12; 3,1; 4,1; vgl. 3,12.17). Manche möchten τὸ λοιπόν als „konjunktive Klausel“ zur Markierung des letzten Glieds in der Reihe von Imperativen interpretieren (M. Müller* 146 f.; U. B. Müller, K.). Jedoch folgt das letzte Glied erst in V. 9. Überzeugender liest man die Verse 4,8–9a als Einsatz in einen (weiteren) Briefschluss (Weima* 191–201). Redaktionshypothesen vermuten häufig den ursprünglichen Schluss des Briefes C (3,2–21) (Schmithals, Irrlehrer 54; Bornkamm, Philipperbrief 197; Gnilka, K. 219; Schenk, K. 270; → Einl. 4). Offen geblieben ist allerdings die Frage, warum die Redaktion zwei Briefschlüsse verschachtelt und in dieser Reihenfolge angeordnet haben könnte. Plausibler ist die Annahme einer in den Text geratenen Randglosse, die die Ethik und das Apostelbild der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts spiegelt (Fiedler, EWNT III 568). Denn der Tugendkatalog aus V. 8 bleibt ohne biblisch geprägte Begriffe. Dies unterscheidet diesen Katalog von den zwei anderen in den Paulusbriefen in Gal 5,22 f. und 2Kor 6,6–8 (Vögtle* 178–187; Wibbing* 99–103; Gnilka, K.; U. B. Müller, K. u. a.). Die Liste gleicht in Form und Inhalt Tugendlisten aus der „populären Moralphilosophie“ (Dibelius, HNT 95). Beare vermutet sogar die Übernahme des Verses aus einem „Textbuch ethischer Unterweisung“ (K. 148). Die beiden Tugenden προσφιλής und εὔφημος sind Hapaxlegomena im Neuen Testament, σεμνός kommt sonst nur noch in den Pastoralbriefen, ἀρετή nur in den Petrusbriefen vor. Die nächste Parallele bietet ein Tugendkatalog in der Tradition der Sieben Weisen auf einer auf das 4./3. Jahrhundert v. Chr. zu datierenden Inschrift, die am Eingang des Apollotempels in Delphi angebracht war. Hier heißt es unter anderem: „Lobe die Tugend, tue das Gerechte, … sei angesehen“ (ἀρετὴν ἐπαίνει. πρᾶσσε δίκαια … [ε]ὔφημος γίνου …, Syll3 1268; vgl. Vögtle* 181 f.; Text: Rice/Stambaugh, Sources 73). Eine ähnliche, durch Wiederholung des Pronomens quid „irgendwas“ geprägte Auflistung stellt auch Seneca zusammen. Der bessere Politiker sei derjenige, „der verkündet, was Gerechtigkeit sei, was Pflichtbewusstsein, was Ausdauer, Unerschrockenheit, Todesverachtung, Gotteserkenntnis, was das uneingeschränkt Gute [und] ein gutes Gewissen sei“ (quam qui quid sit iustitia, quid pietas, quid patientia, quid fortitudo, quid mortis contemptus, quid deorum intellectus, quam tutum gratuitumque bonum sit bona conscientia?, Sen Tranq 3,4; vgl. Cic Tusc 5.23,67). Die Liste aus Phil 4,8 enthält sechs Adjektive im Neutrum Plural: ἀληθής, eigentlich „wahr“ im Gegensatz zu Irrtum (2Kor 6,8), meint im Kontext der Tugendliste „rechtschaffen“ (Bultmann, ThWNT I 248). Σεμνός meint „was an Göttern und Menschen eine Verehrung hervorruft“, also „ehrwürdig“ (Foerster, ThWNT VII 191–193; sonst nur in den Amtsspiegeln für Diakone 1Tim 3,8.11 und ältere, lehrende Frauen Tit 2,2). Δίκαιος „gerecht, angemessen“ gehört in der griechisch-römischen Tugendlehre zu den Kardinaltugenden, ist hier aber nur ein Glied unter anderen in der Reihe. Als sittliches Ideal meint ἁγνός „tadellos“ (Hauck, ThWNT I 123, → 1,17). Das neutestamentliche Hapaxlegomenon προσφιλής „vertraut, beliebt, angenehm, wohl277
(3,1 +) 4,1–7.[8–9a.]9b
Briefschluss (Brief B)
gefällig“ drückt Wertschätzung innerhalb der staatlichen Öffentlichkeit aus. So lautet die Aufforderung des Weisheitslehrers: „Mache dich selbst in der Versammlung beliebt!“ (προσφιλῆ συναγωγῇ σεαυτὸν ποίει, Sir 4,7, vgl. 20,13). Der inschriftlich dokumentierte Brief des Königs Attalus II. empfiehlt seinen Vertrauten Sosander als „sowohl seinem Bruder als auch uns, als auch allen anderen angenehm“ (προσφιλῶς δὲ τῶι τε ἀδελφῶι καὶ ἡμῖγ καὶ τοῖς ἄλλοις ἅπασι, IvP I 248,9 f./OGIS 331, 135/ 134 v. Chr.; Welles 265, Nr. 65). Ebenfalls ein Hapaxlegomenon ist εὔφημος „einen guten Ruf haben oder empfangen, Anerkennung verdienen“ (Passow II/1, 1270; das Substantiv auch 2Kor 6,8, als königliche Tugend Arist 191, als allgemeine Tugend IMT L Apollon/Milet 2315, I,13). Zuletzt werden zwei Substantive mit εἴ τις („wenn etwas“ → 2,1) angeschlossen: Der Allgemeinbegriff ἀρετή „Tugend“ erscheint ebenfalls nur hier in den Paulusbriefen (sonst nur: 1Petr 2,9; 2Petr 1,3.5). Die Einordnung dieses übergeordneten Begriffs in den Katalog dokumentiert, dass es sich nicht um eine spezifisch stoische, sondern um eine popularphilosophische Liste handelt (Vögtle* 181–185; Dibelius, HNT). Auch das letzte Glied ἔπαινος „Lob, Anerkennung, Beifall“ wird hier im Gegensatz zur biblischen Tradition und zur Stoa rein affirmativ gebraucht (Preisker, ThWNT II 585 f.). Gedacht ist wie in der Tugendliste der Sieben Weisen aus Delphi ganz allgemein an öffentliche Anerkennung (Syll3 1268,12). Einige Zeugen des Westtextes, D*, F, G, sowie zwei lateinische Zeugen und Ambrosiaster versuchen diese Allgemeinheit ein wenig zu korrigieren und ergänzen: ἔπαινος ἐπιστήμης „Lob des Verstehens“. Insgesamt sammelt die Liste Phil 4,8 allgemein-antike Tugenden ohne spezifisch philosophische Couleur. Solche Listen werden gelegentlich auch in jüdisch-hellenistischer Literatur rezipiert (Belege bei Schenk, K. 314–317; Bockmuehl, K.). Warum aber wird die Liste in Phil 4,8 zitiert? Für einige Auslegungen fordert Paulus auf, sich mit diesen höchsten moralischen Standards im Gegenüber zur Umwelt auszuzeichnen (Gnilka, K.; Bockmuehl, K.). Auf dem Hintergrund antiker Trostliteratur versteht Holloway V. 8 als Aufforderung zum Umdenken in bedrängter Situation (Holloway* 94 f.; Holloway, K.). Für diese und andere Auslegungen besteht die spezifisch theologische Adaption in der Aufforderung: ταῦτα λογίζεσθε. Λογίζομαι, eigentlich „berechnen, erwägen, überlegen“, nutzt die Septuaginta als Übersetzung für „ ָחַשׁבsorgen, planen“ (Heidland, ThWNT IV 287–295; vgl. J. Eichler, TBLNT 264). Paulus fordere also dazu auf, die populären ethischen Standards einer ernsthaften theologischen Überprüfung zu unterziehen (H. D. Betz* 72–74; Reumann, K. 640; Baumert, K.; Wojtkowiak* 255–263). Aber hier fehlt jeder Maßstab, an dem diese theologische Kritik erfolgen könnte. Es geht nicht um Kritik der Tugenden im Lichte des Christusereignisses, sondern um die Aufforderung, sich entsprechend den aufgezählten allgemein gültigen Tugenden zu verhalten. 9a ἃ καὶ ἐμάθετε καὶ παρελάβετε καὶ ἠκούσατε καὶ εἴδετε ἐν ἐμοί, ταῦτα πράσσετε V. 9a ergänzt dann die Aufforderung zum intellektuellen Erwägen der populärphilosophischen Tugendliste durch die Aufforderung zum Handeln: Den Imperativ πράσσετε gebrauchen die Paulusbriefe nur hier. Das Verb πράσσω „vollbringen, tun, verüben“ wird im Neuen Testament selten in einem positiven oder wenigstens neutralen Sinn verwendet (Maurer, ThWNT VI 635 f.). Will man V. 9 als Maßstab der in V. 8 aufgezählten allgemeinen Tugendmaßstäbe verstehen, so muss man ἅ als 278
Vorbild und Tugend des Märtyrerapostels
4,8
Eingrenzung von ὅσα interpretieren (O’Brien, K.; Bockmuehl, K.; Wojtkowiak* 262). Alternativ kann man das ἃ καί als „idiomatisches Relativum“ übersetzen: „dasjenige aber“ (Schenk, K. 270). Doch eigentlich korreliert ἅ mit ταῦτα am Satzende. Einfacher ist es, die beiden Sätze als zwei asyndetisch nebeneinander geordnete Parallelsätze aufzufassen (Ewald/Wohlenberg, K.; Reumann, K. 640; H. D. Betz* 76). Das Relativpronomen ἅ ist das Objekt der Verben μανθάνω „lernen, sich aneignen“, παραλαμβάνω „in Empfang nehmen, annehmen“, ἀκούω „hören“ und ὁράω „sehen“. Dem letzten Glied folgt ἐν ἐμοί „in mir“ (vgl. 1,26.30). Einige Auslegungen möchten es wegen einer entfernten Parallele in 1,30 lediglich auf die letzten beiden Glieder beziehen (Wojtkowiak* 263 Anm. 85). Aber man muss sich wohl zwischen einer Zuordnung zum letzten Glied εἴδετε oder zu allen vier mit καί verbundenen Verben entscheiden. V. 9a etabliert Paulus als Vorbild des moralischen Handelns. Impliziert ist die These, Paulus habe die in V. 8 aufgelisteten Tugenden in seinem Leben personifiziert (Holloway* 95 f.; Wojtkowiak* 263–266). Seit Langem wird beobachtet, dass diese den Apostel als sittliches Vorbild etablierende Ethik typisch ist für die nachpaulinische Literatur. In den Protopaulinen bleibt sie solitär (Lohfink* 306 f.). Deutero- und tritopaulinische Texte fordern dagegen regelmäßig dazu auf, an dem vom Apostel Gelernten festzuhalten (Kol 1,7; Eph 4,20; Tit 3,14; [Röm 16,17]). Παραλαμβάνω kann als Synonym von μανθάνω gebraucht werden, etwa bei Plato: „Wir nennen den, der [die Kunst] übergibt, dass er lehre, und wer sie empfängt, dass er lerne“ (Καὶ καλοῦμέν γε παραδιδόντα μὲν διδάσκειν, παραλαμβάνοντα δὲ μανθάνειν, Plat Theaet 198b). Dabei ist häufig an die Weitergabe mündlicher Überlieferungsbestände gedacht (Delling, ThWNT IV 11–15). Aber nirgends sonst verweist Paulus allgemein auf seine Person. Vielmehr überliefert Paulus ein Evangelium dessen Urheber Gott und Christus sind (1Thess 2,13; 4,1; Gal 1,12). Was die Gemeinden an Paulus beobachten können, inklusive des von ihm Gehörten soll immer in die kritisch-realistische Einschätzung seines Wirkens, Denkens und Handelns münden (→ 1,30; Gal 1,13; 1Kor 2,1–5; 2Kor 11,22–12,13). Zur Übernahme des von ihm und Timotheus gelernten ‚geordneten Lebenswandels‘ fordert dagegen der nachpaulinische 2Thess 3,6 auf. Die nachpaulinische Tradition verweist überhaupt sehr häufig auf das an Paulus zu beobachtende Vorbild (Kol 2,1; Apg 20,35; 1Clem 5,3.7; Polyk 9,1 f.). Außerdem betont sie die Zuverlässigkeit der direkt vom Apostel Paulus gehörten Lehre (Kol 1,23; Eph 3,1–4; 2Tim 1,11–13; 2,2). Alle Verben im Aorist blicken auf die Erfahrung der Gemeinde zurück (Gerber, Paulus 246). Damit gibt sich der Vers als Abschiedswort, als ultimum verbum, zu erkennen (H. D. Betz* 89). Um es mit Ernst Lohmeyer zu sagen: „Es wird deutlich, wie hier der Begriff einer Kanonizität des Apostels in Leben und Lehre aufdämmert“ (K. 176, vgl. auch Gnilka, K.). Ruft Paulus in Phil 3,17 zur Mitnachahmung als gemeinsamer kreativer Aneignung der Christusnachfolge auf, so fokussiert V. 9a allein Paulus’ persönliches Vorbild. Der Paulus aus V. 9a ‚inkorporiert‘ das Evangelium. Sein Vorbild – und nicht etwa Christi – verkörpert und ergänzt die allgemeine Tugendliste aus V. 8, um sie den Glaubenden zu vermitteln. Die Nähe von V. 9a zu nachpaulinischen Paulusbildern, die populärphilosophische und im Kontext der Paulusbriefe einzigartige Sammlung von Tugendbegriffen sowie die Etablierung des Apostels als persönlichen 279
(3,1 +) 4,1–7.[8–9a.]9b
Briefschluss (Brief B)
Exemplums rechten Handelns ohne jeglichen kreuzestheologischen oder christologischen Verweis machen es meines Erachtens unmöglich, den Autor der übrigen Paulusbriefe für den Autor der Verse zu halten. Wahrscheinlicher ist eine nachpaulinische Glosse, die typischerweise den Märtyrer zum Vorbild aller Tugenden erhöht (Fiedler, EWNT III 568). Die Glosse kann von der Redaktion der drei Fragmente in Philippi oder auch von anderer Hand bis zum 3. Jahrhundert ergänzt und in den Text aufgenommen worden sein. Die ältesten Zeugen sind Laod 15, �46 und �16. 9b καὶ ὁ θεὸς τῆς εἰρήνης ἔσται μεθ᾽ ὑμῶν. Fallen die Verse 8–9a formal, sprachlich und inhaltlich aus der in den übrigen Paulusbriefen vorgetragenen Ethik heraus, so lassen sich für den Schlusssegen aus V. 9b viele Parallelen benennen. Ἡ εἰρήνη τοῦ θεοῦ formuliert Paulus ähnlich in 2Kor 13,11. Der θεὸς τῆς … εἰρήνης ist außerdem Subjekt von Verheißungs- und Segensformulierungen in 1Thess 5,23; Röm 15,33, vgl. Gal 6,16 und nachpaulinisch in Hebr 13,20 und Röm 16,20. Solch ein abschließender Friedenswunsch reflektiert jüdische Briefpraxis (Doering* 428; 450–452). Hier wird das Mitsein des Friedensgottes verheißen. Der Abschluss des Freudenbriefs (1,1–3,1 + 4,1–7.9b mit den Grüßen 4,21–23) unterstreicht die herzliche und ekstatische Grundstimmung. Fünf überschwängliche Ehrennamen für die Gemeinde bekräftigen die herzliche Beziehung, die Paulus in seiner Haft trägt. Die konkreten Bitten an zwei oder drei namentlich genannte Mitarbeiterinnen nahmen bereits Ausleger des 4. Jahrhunderts in Richtung einer egalitären Gemeindeleitung wahr. Damit konterkarieren sie modernere Paulusbilder, die sich ihn allein als Streitschlichter in einem mehr oder weniger typisch weiblichen Konfliktfeld vorstellen möchten. Obgleich Paulus drei bis vier namentlich benannte und einen größeren Kreis von Mitarbeitenden hervorhebt (4,3), ist die ganze Gemeinde zur Repräsentation der herrschaftlichen Milde und Güte vor der Welt aufgerufen. Gottes personifizierte Friedensmacht beschirmt und beschützt gleichermaßen Verstand, Herzen und Gedanken. Der häufig als Kanzelsegen verwendete Vers 7 ist dabei eigentlich die Folge der vor Gott getragenen Gebete. Der Abschnitt schließt mit einer typisch paulinischen Segensbitte in V. 9b. In nachpaulinischer Perspektive fügen die Verse 8–9a eine allgemeine Tugendliste hinzu und etablieren den Märtyrerapostel als unübertroffenes Vorbild sittlichen Handelns. Das nachpaulinische Christentum schreibt sich so in die allgemeinen moralischen Standards ein und legitimiert sie durch ein namhaftes Vorbild. Die Endredaktion hat der harte Übergang zwischen 3,21 und 4,1 anscheinend nicht besonders gestört. Die Ehrennamen „Kranz“ und „Freude“ werden nun zur proleptischen Anrede der in die himmlische Stadt heimgeholten und verwandelten Glaubenden. Ihre herausragenden Leitungspersönlichkeiten haben in dieser Stadt Bürgerrecht (4,3). Angesichts dieser eschatologischen Wirklichkeit erklingt der Aufruf zur Freude (4,4). In der Welt leben sie in unmittelbarer Nähe ihres Herrn, der ihr Denken und Handeln bewacht (4,5–7). Ob die Redaktion in Philippi oder spätere kommentierende Abschreiberinnen und Abschreiber für die Einfügung der Verse 8–9a verantwortlich zeichnen, ist schwer zu klären. Wenn der Laodicenerbrief Phil 3,2–21 nicht, wohl aber 4,8–9a zitiert, so könnte dies ein Hinweis auf zwei unabhängige Redaktionsprozesse 280
Briefschluss (Brief B)
4,9b
sein (→ Einl. 4.3) Allerdings passt diese allgemeine Tugend- und Vorbildethik sehr gut zu Polykarps Brief an die Gemeinde in Philippi (Polyk 9,1 f.). Der in Phil 3,17 erklingende Aufruf zur kreativen Aneignung der weisheitlichen Idealbiographie aus 3,4b–14 ist in 4,8–9a in die Auforderung zur Imitation eines überlebensgroßen Vorbilds des alle Tugenden verkörpernden Apostels transformiert.
281
4,10–20 Quittung für eine dringend benötigte Spende (Brief A) 10
Ich habe mich im Herrn sehr gefreut, dass ihr endlich einmal eure fürsorgliche Gesinnung für mich wieder aufblühen ließet, woran ihr ja (immer) gedacht habt, aber ihr hattet keine Gelegenheit. 11Nicht, dass ich’s aus Mangel sage; ich habe nämlich gelernt, unter allen Umständen autark zu sein. 12 Ich weiß niedrig zu sein, ich weiß reich zu sein, in alles und jedes bin ich eingeweiht, satt zu sein und zu hungern, Überfluss zu haben und Mangel zu leiden, 13 alles vermag ich durch den, der mich stark macht. 14 Jedenfalls habt ihr es gut gemacht, dass ihr mit mir Gemeinschaft pflegt in meiner Not. 15Ihr wisst doch, Philipperinnen und Philipper, dass am Anfang des Evangeliums, als ich von Makedonien aufbrach, keine andere Gemeinde mit mir im Verrechnen von Geben und Nehmen Gemeinschaft pflegte außer euch allein 16(und) dass ihr mir mehr als einmal (etwas) nach Thessaloniki zu meinem Bedarf sandtet. 17Nicht, dass ich das Geschenk suche, ich suche den auf eurem Konto anwachsenden Ertrag. 18Ich habe alles empfangen und (damit) Überfluss. Ich bin voll geworden, da ich von Epaphroditus eure Gabe erhalten habe, einen lieblichen Duft, ein angenehmes Opfer, wohlgefällig vor Gott. 19Mein Gott aber wird all euren Mangel entsprechend seinem Reichtum in glanzvoller Weise in Christus Jesus auffüllen. 20Unserm Gott und Vater (sei) Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit, Amen.
Bradley Arnold, αὐτάρκης in Stoicism and Phil 4:11. Challenging Individualist Readings of Stoicism, NT 59,1 (2017), 1–19. – Norbert Baumert, Ist Philipper 4,10 richtig übersetzt?, BZ 13 (1969), 256–263. – H. D. Betz, Studies 69–132. – Bormann, Philippi. – Rudolf Bultmann, Der Stil der paulinischen Predigt und die kynisch-stoische Diatribe, FRLANT 13, 1984. – Divjanović, Paulus als Philosoph. – Martin Ebner, Leidenslisten und Apostelbrief. Untersuchung zu Form, Motivik und Funktion der Peristasenkataloge bei Paulus, FzB 66, 1991, 331–364. – EngbergPedersen, Paul and the Stoics. – Everett Ferguson, Spiritual Sacrifice in Early Christianity and its Environment, ANRW II.23.2 (1980), 1151–1189. – Joshua Garroway, The Beginning of the Gospel. Paul, Philippi, and the Origins of Christianity, 2018, 45–62. – Dieter Georgi, Der Armen zu gedenken. Die Geschichte der Kollekte des Paulus für Jerusalem, 1994. – Mark A. Jennings, The Price of Partnership in the Letter of Paul to the Philippians. „Make My Joy Complete“, 2018. – Joachim Kügler, Die Macht der Nase. Zur religiösen Bedeutung des Duftes, SBS 187, 2000. – Abraham J. Malherbe, Paul’s Self-Sufficiency (Philippians 4:11), in: Ders., Light from the Genti-
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Quittung für eine dringend benötigte Spende (Brief A)
4,10–20
les. Hellenistic Philosophy and Early Christianity, NT.S 150,1, 2014, 325–338. – Leon Morris, ΚΑΙ ΑΠΑΞ ΚΑΙ ΔΙΣ, NT 1 (1956), 205–208. – M. Müller, Vom Schluß zum Ganzen 131–206. – Ogereau, Paul’s Koinonia. – Peterman, Paul’s Gift 120–161. – Pialoux, L’épître aux Philippiens. – Pilhofer, Philippi I. – William M. Ramsay, On the Greek Form of the Name Philippians, JTS 1 (1900), 115 f. – Reed, Discourse Analysis 261–283. – Reumann, Contributions. – Schubert, Form and Function 71–82. – Vahrenhorst, Kultische Sprache 242–245. – Weima, Neglected Endings. – Michael Wolter, Der Reichtum Gottes, JBTh 21 (2006), 145–160.
Nach den Verheißungen von V. 7 und V. 9b ist eigentlich kein weiterer inhaltlicher Abschnitt zu erwarten. Die „inhaltliche Selbstständigkeit“ der folgenden Verse 10–20 wird selten bestritten (anders: M. Müller*). Einige halten die Quittung für die Gabe aus Philippi für ein eigenhändig von Paulus angefügtes Postskript (Weima* 123 f.; Baumert, K.; Holloway, K.). Hinweise darauf finden sich aber nicht (anders Gal 6,11; 1Kor 16,21; → Einl. 4). Außerdem fehlt 4,10–20 ein echtes Dankeschön, sodass Holsten bereits 1876 das Bonmot „dankloser Dank“ prägte (Holsten, Brief II 164). Die Empfangsbestätigung der Gabe steckt hinter den Formulierungen: ἐχάρην … μεγάλως (V. 10); καλῶς ἐποιήσατε (V. 14); εἰς τὴν χρείαν μοι ἐπέμψατε (V. 16); ἀπέχω und δεξάμενος παρά (V. 18), die auch in Papyrusbriefen den Empfang von Dingen oder Geldbeträgen quittieren (Reed*). Dass der ausdrückliche Dank fehlt, begründet für einige Auslegungen die These, das Stück erfülle eine integrale Funktion im Gesamtaufriss. Der Dank komme in 1,3–8 ausführlich zur Sprache und 4,10–20 greife die Begriffe χαίρω/χαρά (4,10; 1,4), φρονεῖν (4,10; 1,7), εὐαγγέλιον (4,15; 1,5), συγκοινωνέω κτλ. (4,14 f.; 1,5.7), καρπός (4,17; 1,11) und δόξα (4,20; 1,11) aus dem Proömium lediglich wieder auf (Schubert* 76 f.; Ogereau* 231 f.; Pialoux* 170–176). Umgekehrt wird argumentiert, Paulus wolle in 1,1–4,9 die Gabe zunächst theologisch einordnen und komme deshalb so spät auf sie zu sprechen. Entweder möchte er sie als Bestätigung der Anerkennung seiner Wahrheit gegenüber den Behauptungen von oppositionellen Gruppen in Philippi betrachten (Jennings*), oder er will sie als Ausdruck vollkommener Liebe und Freundschaft interpretieren (Pialoux*). Allerdings bleibt die von Epaphroditus gebrachte materielle Gabe aus Philippi in 1,1–4,9 unerwähnt. Vor allem aber verliert Paulus in 4,18 weder über den längeren Aufenthalt und Dienst des Epaphroditus noch über seine beinahe tödlich verlaufene Krankheit ein Wort (→ 2,25–30). Die Differenz in der Biographie des Epaphroditus bezeugt einen zeitlichen Abstand zwischen dem Quittungsschreiben A in 4,10–20 und dem Dankes- und Freudenbrief B in 1,1–3,1 + 4,1–7.9b.21–23 (→ Einl. 4.3). Die Quittung muss unmittelbar nach der Ankunft des Epaphroditus nach Philippi geschickt worden sein. Der zeitliche Abstand zum Freudenbrief B bemisst sich an der Krankheit und Genesung des Epaphroditus. Die in 4,10–20 durchschimmernde Not und die in V. 14 erwähnte „Bedrängnis“ beziehen sich dann entweder auf Ereignisse kurz vor der Festnahme des Paulus oder bereits auf seine Gefängniserfahrungen. Das Bonmot vom „danklosen Dank“ ist auch deshalb treffend, weil Paulus selbst in 4,10–20 erst in V. 18 auf die Gabe zu sprechen kommt (Dibelius, HNT 95; E. Lohmeyer, K. 178). Die Adversativpartikel δέ (V. 10.18) und die Adversativkonjunktion πλήν (V. 14) kennzeichnen drei Neueinsätze in V. 10, 14 und 18. In V. 11 und 17 grenzt sich Paulus außerdem mit οὐχ ὅτι gegenüber falschen Vermutungen ab. Paulus 283
4,10–20
Quittung für eine dringend benötigte Spende (Brief A)
ringt geradezu darum, die Gabe annehmen zu können. Die Verse 11–13 formulieren in rhythmischer Prosa ein stoisches Lob der Autarkie. Erst in V. 14 legt Paulus die Maske des stoischen Weisen ab und räumt ein, wie sehr er auf die Gemeinde angewiesen ist. Während die Verse 15 und 17 f. Begriffe der antiken Geschäftssprache verwenden (εἰς λόγον δόσεως καὶ λήμψεως; ἀπέχω; δεξάμενος παρά), verschiebt sich das Motivfeld in V. 18b in den Bereich des Kultes (ὀσμὴ εὐωδίας; θυσία δεκτή). In der erhaltenen Form endet das Schreiben mit einem Gebet und einer ausführlichen Doxologie (V. 19 f.). Das mit finanztechnischer Sprache angereicherte Quittungsschreiben gab vielfach Anlass dazu, die Beziehung des Paulus zur Gemeinde in Philippi sozialgeschichtlich zu untersuchen. Als vergleichbare Institutionen wurden Vereine, vertraglich geregelte Gesellschaften, Freundschaftsethik sowie Wohltäter und Patronatsverhältnis herangezogen (→ Exk. 17.4). Dass Paulus überhaupt eine Gabe, vermutlich einen im Verhältnis zu den Möglichkeiten ganz erheblichen Geldbetrag, aus der Gemeinde annimmt (→ 4,18; 2Kor 8,1–3), ist angesichts des von 1Kor 9,15–18 und 2Kor 11,7–9 und auch nachpaulinisch geprägten Paulusbildes erstaunlich (Apg 20,33 f.; 2Thess 3,7–12). Phil 4,10– 20 unterstreicht die Nähe zur ersten oder zweiten paulinischen Gemeindegründung nach seiner Trennung von der Gemeinde in Antiochia (Gal 2,11–15; Apg 15,39; Gal 4,12–20). Die Gemeinde blickt auf ein langjähriges gemeinsames Projekt zurück, zu dem sie nicht allein finanzielle Beiträge geleistet hat. Angesichts seiner gegenwärtig misslichen Lage ringt Paulus mit der Annahme der Gabe aus Philippi, weil aus ihr ein Verpflichtungsverhältnis erwächst, das er gegenwärtig nicht bedienen kann. Paulus sieht sich von dem mit Philippi bestehenden Gemeinschaftsverhältnis in die Pflicht genommen. 10 Ἐχάρην δὲ ἐν κυρίῳ μεγάλως ὅτι ἤδη ποτὲ ἀνεθάλετε τὸ ὑπὲρ ἐμοῦ φρονεῖν, ἐφ᾽ ᾧ καὶ ἐφρονεῖτε, ἠκαιρεῖσθε δέ. Der Einsatz ἐχάρην δὲ … μεγάλως „ich habe mich sehr gefreut“ ist eine typische Einleitungsformulierung in Papyrusbriefen (J. L. White, Light 201). So beginnt Eudaimonis ihren Brief an ihren Sohn Apollonios: „Sehr gefreut habe ich mich, als ich hörte, dass es dir gut geht …“ (λίαν ἐχάρην ἀκούσασα ὅτι ἔρ�ωσαι, P.Giss I.21,3–5, 113–115 n. Chr.; Bagnall/Cribiore, Women’s Letters 154). Und Harpokras schreibt an Thrakidas: „Ich habe mich aber sehr gefreut, als ich deinen Brief las“ (ἐχάρην δὲ μεγάλως δ[ι]αναγνούς σου τὴν ἐπιστολήν, P.Oxy. 47.3356,10 f., 76 n. Chr.; vgl. 2Joh 4; 3Joh 3). Das Präskript des Quittungsschreibens A fehlt und wurde entweder schon bei der Sammlung oder erst bei der Redaktion zum kanonisch gewordenen Philipperbrief abgetrennt (→ Einl. 4.2). Die Partikel δέ knüpft jedenfalls nicht an V. 9 an. In Röm 1,13; 1Kor 1,10 und Phil 1,12 leitet δέ das Briefcorpus ein (Walter, K.). Paulus freut sich über das erneute Aufblühen an τὸ ὑπὲρ ἐμοῦ φρονεῖν, an „fürsorglichem Handeln und Denken“ (Bertram, ThWNT XI 229). Das Syntagma φρονεῖν ὑπέρ mit Genitiv kann auch die Loyalität im politischen Raum zum Ausdruck bringen (→ 1,7; 2Makk 14,8; Plut Titus [Flamininus] 24,3). Das neutestamentliche Hapaxlegomenon ἀναθάλλειν „aufkeimen, neue Zweige bekommen, aufsprießen, (wieder) aufblühen“ lässt sich transitiv oder intransitiv übersetzen. In transitivem Fall wird τὸ ὑπὲρ ἐμοῦ φρονεῖν zum direkten Objekt: „dass endlich einmal euer Gedenken an mich wieder grünte“ (E. Lohmeyer, K. 178; Dibelius, HNT). Intransitiv gibt τὸ 284
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4,11
ὑπὲρ ἐμοῦ φρονεῖν als inneres Objekt den Raum des Wachstums an: „dass ihr endlich einmal aufgeblüht seid, euch entfalten konntet in eurer Fürsorge“ (Gnilka, K. 173; U. B. Müller, K.; Baumert, K.). Die biblische Weisheitsliteratur belegt beide Verwendungsweisen (SapSal 4,4; Sir 1,18; 11,22). Die Majuskeln F und G lesen statt des Akkusativs τό den Genitiv τοῦ, was eine intransitive Deutung unterstützt (Holloway, K.). „Aufsprießen“ bringt Frucht (Sir 50,10). 2Kor 8 f. überträgt ebenfalls das Motivfeld Landwirtschaft auf die Ökonomie (H. D. Betz* 118). In Fortführung des botanischen Bildes heißt die Gabe später καρπός „Frucht“ (V. 18). Die adverbiale Verbindung ἤδη ποτέ „endlich einmal“ zeigt, dass Paulus dieses „Aufblühen“ dringlich ersehnt (Bauer, Wb s. v. ἤδη 1.c; Röm 1,10; Jos. Bell. 4.158; Jos. Ant. 16.197). Das Adverbiale scheint aber auch Kritik an der Gemeinde zu konnotieren (Chrys Hom in Phil 116,1 [Allen/Field 158/PG 62.287,52–58]: „Tadel“). Die meisten Auslegungen verstehen ἐφ’ ᾧ als Angabe des Grunds der Freude (B/D/R 235.23; 2Kor 5,4; Phil 3,12; Röm 5,12): „denn ihr sorgtet ja“ (Gnilka, K. 171). Ebenso kann man aber auch ἐφ’ ᾧ auf τὸ ὑπὲρ ἐμοῦ φρονεῖν beziehen: „worüber ihr ja groß gedacht habt = worauf ihr stolz wart“ (Baumert, K.; Baumert*). Möglich ist schließlich auch ein Bezug auf das Aufblühen der Beziehung, „woran ihr ja auch dachtet“ (Haupt, K. 181 f.). Jedenfalls macht das Imperfekt ἐφρονεῖτε deutlich, dass Paulus die im „endlich einmal“ anklingende Ungeduld oder Kritik sogleich korrigiert und das bereits in der Vergangenheit andauernde fürsorgliche Denken und Handeln der Gemeinde hervorhebt (→ 4,14–16). Die Unterbrechung lag an einer fehlenden „günstigen Gelegenheit“. Das seltene ἀκαιρέω ist das Gegenteil von εὐκαιρέω „Zeit haben, eine günstige Gelegenheit haben“ (1Kor 16,12; sonst nur Herm sim 9.10,5 [87,5] vom beschäftigten Deuteengel). Warum die Gemeinde verhindert war, wird nicht gesagt. Sonstige Nachrichten aus Makedonien legen nahe, dass ihnen schlicht das Geld fehlte (2Kor 8,1–3; 11,8 f.). Auch das Leiden, das die Gemeinde in der Vergangenheit und gegenwärtig erfährt, könnte ein Hinderungsgrund gewesen sein (→ 1,28 f.; Holloway, K.). Die nächsten drei Verse bringen eine „Einlage“ oder rhetorische Parenthese (Dibelius, HNT 96). In rhythmischer Prosa beschreibt Paulus den Lern- und Einweihungsprozess seines Ichs. Ausgangs- und Zielpunkt ist seine Autarkie gegenüber allen äußeren Umständen. Die Gemeinde gerät dabei aus dem Blick. Angesichts des warmen Tons von V. 10 überrascht diese Wendung. Wie seit Langem beobachtet, folgt Paulus kynisch-stoischen Traditionen. 11 οὐχ ὅτι καθ᾽ ὑστέρησιν λέγω, ἐγὼ γὰρ ἔμαθον ἐν οἷς εἰμι αὐτάρκης εἶναι. Das betonte ἐγώ „ich“ bleibt bis V. 13a Subjekt. Einige Auslegungen entdecken in 4,11–13 einen Hymnus oder ein Gedicht (E. Lohmeyer, K.; Gnilka, K.). Jedenfalls fällt die rhythmisch komponierte Form ‚gehobener Prosa‘ auf (Schenk, K. 30–32; U. B. Müller, K. 205; Bormann* 139 f.). Während Paulus in V. 10 und V. 14 ein Gespräch mit den Philipperinnen und Philippern führt, sind sie in den Versen 11–13 lediglich Publikum seiner Selbstdarstellung (Ebner* 332). Andernorts betont Paulus seinen Mangel (→ 2,30; 1Kor 4,11 f.; 2Kor 6,4 f.; 11,9.27 f.); hier verneint er, καθ’ ὑστέρησιν „aus Bedürftigkeit, Mangel, Not, Armut“ zu sprechen. Vielmehr habe er gelernt, in jeglicher Lage „selbstgenügsam“ zu sein. Mit αὐτάρκης führt Paulus ein zeitgenössisches philosophisches Schlagwort an, das seit Sokrates die Frage nach der Bedingung der Möglichkeit menschlichen Glücks be-
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antwortet (Wilpert, RAC 1, 1039–1044; Ebner* 338–343; Malherbe*). Die Schule des Aristoteles vertritt die These, dass das Glück zwar nicht von den äußeren Gütern abhänge, sie diese aber befördern können (Aristot Eth Nic 1.10 f. [1099b9–1101a21]). Epikur hält dagegen, dass der Genuss nicht von den Gütern an sich abhänge. „Die schlichte Brühe führt den gleichen Genuss herbei wie eine kostspielige Tafel, wenn sie den aus Mangel entstehenden Schmerz wegnimmt. Und Brot und Wasser sind der größte Genuss, wenn jemand dies unbedingt braucht“ (Epikur an Menoikeus, Diog L 10.130 f.). Die Kyniker versuchen auf dem Weg der ἄσκησις „Übung“ zur Ablehnung aller Annehmlichkeiten und damit zur Autarkie zu gelangen (Malherbe* 331–334). Für die Stoa stellt schließlich die Tugend den Weg zum Glück dar, weil sie dazu befähigt, in allen Lebenslagen autark zu bleiben (Sen Ep 85,1). „So wird der Weise die sittliche Vollkommenheit (virtus), wenn er darf, in Reichtum entwickeln, wenn nicht, in Armut; wenn er kann, im Vaterland, wenn nicht, in der Verbannung; wenn er kann, als Oberbefehlshaber, wenn nicht, als einfacher Soldat; wenn er kann, als Gesunder, wenn nicht, als Krüppel. Welches Schicksal (fortuna) auch immer er erfährt – etwas davon wird er denkwürdig (memorabile) gestalten“ (Sen Ep 85,40; Übers. Manfred Rosenbach). Der Stoiker entwickelt sein Selbstverhältnis, das ihm Freiheit von allen, auch lebensfeindlichen, Umständen verleiht. „Verlockst du ihn durch Geld? Er wird es verachten. Was gelten ihm Töchter, was Finsternis, was eitler Ruhm, was Schmach, was Lob, was der Tod? Über dies alles kann er siegen“ (ἂν ἀργυρίδιον προβάλῃς, καταφρονήσει. Τί οὖν ἂν κορασίδιον; τί οὖν ἂν ἐν σκότῳ; τί οὖν ἂν δοξάριον; τί οὖν ἂν λοιδορίαν; τί οὖν ἂν ἔπαινον; τί δ’ ἂν θάνατον; δύναται ταῦτα πάντα νικῆσαι, Epict Diss 1.18,22; vgl. 2.16,42 f.). Mit dem Schlagwort ‚Autarkie‘ evoziert Paulus den skizzierten philosophischen Diskurs. Diskutiert wird, ob er sich einer bestimmten, etwa der stoischen, Position anschließt oder ob er das Konzept ‚Autarkie‘ aus einer theologischen Perspektive kritisiert. 12 οἶδα καὶ ταπεινοῦσθαι, οἶδα καὶ περισσεύειν ἐν παντὶ καὶ ἐν πᾶσιν μεμύημαι, καὶ χορτάζεσθαι καὶ πεινᾶν καὶ περισσεύειν καὶ ὑστερεῖσθαι In V. 12 folgt ein Peristasenkatalog, der, wie die eben zitierten stoischen Adiaphorakataloge, die Überlegenheit und Unabhängigkeit von den jeweiligen äußeren Bedingungen aufweist (Ebner* 343 f.). Nach Bultmann gehört diese Gattung in die religiöse und philosophische Propaganda. Hier zählt „der Redner die verschiedenen Fügungen des Geschicks, die περιστάσεις auf […], denen gegenüber er sich als Überwinder rühmt“ (Bultmann* 19). „Die Peristasen sind es, die zeigen, was wahre Männer sind“ (Αἱ περιστάσεις εἰσὶν αἱ τοὺς ἄνδρας δεικνύουσαι, Epict Diss 2.24,1). Das Aushalten von Gefahren und Nöten demonstriert also die besondere Leistungsfähigkeit und Außerordentlichkeit (Bormann* 140). Peristasenkataloge verwendet Paulus in den Konflikten mit der korinthischen Gemeinde und dort auftretenden anderen Missionarinnen und Missionaren (1Kor 4,9–13; 2Kor 4,8–10; 6,3–10; 11,23–33; 12,10). Jedoch stellt er dort ausschließlich schmerzliche Widerfahrnisse zusammen: Steinigung, Kälte, Hunger, Schiffbruch, Flucht etc. Die Außerordentlichkeit besteht nicht nur im Ertragen dieser Nöte und Gefahren, sondern in seiner tatsächlichen Schwäche (2Kor 12,10). Verachtet zu werden, ist Teil einer apostolischen Performanz, die Gottes Selbstoffenbarung in einem Gekreuzigten entspricht (1Kor 4,9–13).
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Dagegen beschreiben die drei Infinitivpaare aus Phil 4,12 sowohl Mangel als auch Überfluss, um das Ganze möglicher Erfahrungen zu umgreifen (ἐν παντὶ καὶ ἐν πᾶσιν; πάντα). Die chiastisch verschränkte Infinitivreihe beginnt zunächst auf der Mangelseite: ταπεινοῦσθαι „(durch Armut) erniedrigt sein“. Der Begriff konnotiert hier kaum selbsterniedrigende Demut, sondern den mit Armut einhergehenden Verlust des sozialen Ansehens (Jak 1,9; Spr 13,7; Sir 6,12; Jes 58,10; → Exk. 7). Es folgt πεινάω „hungern“ und ὑστερεῖσθαι „Mangel leiden“. Auf der Überflussseite stehen περισσεύειν „Überfluss haben“ und χορτάζεσθαι „satt sein“. Das mittlere Paar ist das konkreteste. Χορτάζεσθαι ist im Neuen Testament die tatsächliche, wenn auch häufig nur erhoffte Erfahrung eines gefüllten Magens (vgl. Mk 6,42 par.; 8,8 par.; LkQ 6,21/Mt 5,6; Lk 15,16; 16,21; Jak 2,16). Bei Paulus kommt der Begriff nur hier vor. Πεινάω „hungern“ erscheint dagegen in allen Peristasenkatalogen (1Kor 4,11; vgl. 2Kor 6,5; 11,27). Die Gegenüberstellung von περισσεύειν καὶ ὑστερεῖσθαι ist geprägt (Sir 11,12; 1Kor 8,8; 12,24; 2Kor 8,14). Aber andernorts wird ein Gegenstandsbereich genannt, das heißt gesagt, worin der Mangel oder der Überfluss besteht. Die „Not“ des Überflusses erscheint in den Paulusbriefen nur hier. Das Ich aus Phil 4,11 f. bleibt von den äußeren Umständen unberührt, weil es einen sich stetig vertiefenden Lern- und Einweihungsprozess durchlaufen hat: ἔμαθον „ich habe gelernt“, οἶδα „ich weiß“, μεμύημαι „ich bin eingeweiht“. Das Hapaxlegomenon μυέω ist eigentlich Terminus technicus aus den Mysterienreligionen. Der übertragene Gebrauch ist nicht unüblich; ein religiöser Beiklang im Sinne der tiefsten Form der Begegnung bleibt erhalten: „[S]o wird auch der vollkommene Staatsmann zuerst noch lernen politisch zu handeln, und sich (darin) einweihen lassen, zuletzt aber lehrend auch in die Mysterien einführen“ (οὕτως ὁ τελέως πολιτικὸς ἀνὴρ τὰ μὲν πρῶτα μανθάνων ἔτι πολιτεύεται καὶ μυούμενος τὰ δ’ ἔσχατα διδάσκων καὶ μυσταγωγῶν, Plut An Sen Resp 795D/E; vgl. 3Makk 2,30; Bornkamm, ThWNT IV 834). 13 πάντα ἰσχύω ἐν τῷ ἐνδυναμοῦντί με. Ziel und Gipfel des Lernprozesses ist das ἰσχύω „ich vermag, bin stark, befähigt“. Das so umfassend gebildete Ich ist zu allem fähig, weil es gestärkt worden ist. Beide Verben, ἰσχύω und ἐνδυναμόω, „kräftig machen, stärken“ teilen die Grundbedeutung „fähig sein“ (Grundmann, ThWNT III 400; II 286–288). Die handelnde Person in dem Partizip ἐνδυναμοῦν kann Gott oder Christus sein. Für Gott votieren unter Verweis auf V. 19 Schenk, K. 33 f.; Eckey, K. 108; Reumann, K. 701 f.; Baumert, K. 338 und H. D. Betz* 108–111; vgl. Ri 6,40; Herm sim 9.1,2 [78,2]; 9.13,7 [90,7]). Die meisten Auslegungen entscheiden sich für Christus, womit sie den jüngeren Textzeugen, den Majuskeln �2, D2, (F, G,) K, L, P, Ψ, 075, den Minuskeln 81, 104, 365, 630, 1175, 1241, 1505, 1881, 2464, �, der syrischen Überlieferung und Hieronymus folgen (Gnilka, K.; U. B. Müller, K.; Walter, K.; Fee, K.; Hawthorne/Martin, K.; Bockmuehl, K.; Häußer, K.; Holloway, K.; 1Tim 1,12; 2Tim 2,1). Anders als der Stoiker wisse sich Paulus jedenfalls von der Kraft seines göttlichen Herrn ermächtigt (Divjanović* 377–382). Die Leerstelle im ältesten Text ist jedoch wichtig. Im Gegensatz zu 2Kor 12,9 f. und Phil 3,10 benennt Paulus die ihn stark machende Instanz nicht. Das in Phil 4,11b–13 sprechende Ich unterscheidet sich bei genauerem Hinsehen überhaupt nicht vom kynisch-stoischen Weisen. Denn auch dieser weiß sich von Gott zu den Menschen gesandt und als sein Bote beauftragt. Auch er kann sagen: „Schick mir jetzt, o Zeus, jede 287
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Schwierigkeit (περίστασις), die du willst. Denn ich habe von dir (ἐκ σοῦ) Ausrüstung und Mittel erhalten, um mich durch alles, was sich ereignet, auszuzeichnen“ (Epict Diss 1.6,37). Auch er kann rhetorisch fragen: „Werde ich nicht die Kraft gebrauchen, wozu ich sie erhalten habe?“ (οὐ χρήσομαι τῇ δυνάμει πρὸς ἃ εἴληφα αὐτήν; Epict Diss 1.6,29) Und auch der Stoiker fordert seinen Schüler auf: „Wage es, zu Gott aufzublicken und zu sagen: Mache hinfort mit mir, was du willst. Ich bin eines Sinnes mit dir, ich bin dein. Ich bitte um Abwendung von nichts, was dir gefällt. Führe mich, wohin du willst. Lege mir das Kleid an, welches du willst. Ob ich herrsche oder Privatmann bin, bleibe oder fliehe, arm (πένεσθαι) oder reich (πλουτεῖν) bin? Ich werde dich für all dieses vor den Menschen verteidigen“ (Epict Diss 2.16,41 f.; Ebner* 244; Bormann* 144–151; Engberg-Pedersen* 100–102; Arnold* 16). Das in Phil 4,11–13 sprechende Ich ist vom kynisch-stoischen Weisen nicht zu unterscheiden. Damit stellt sich aber umso mehr die Frage, was Paulus zu dieser stoischen Selbstdarstellung bewegt. Unterschreibt er die stoische Haltung, die durchaus mehr auf das Wirken in Gemeinschaft ausgerichtet ist, als es christliche Exegese lange wahrnehmen wollte (Engberg-Petersen* 102 f.; Arnold*)? Oder möchte er „die begeisterten Freundschaftsbezeugungen aus Philippi durch die massive Darstellung seiner Autarkie“ zurückdrängen (Ebner* 264)? Oder zieht er sich in dieser rhetorischen Parenthese „gleichsam eine fremde Maske über das Gesicht“, um sich mit einer überzeichneten Karikatur des religiösen Helden von einem Bild seiner selbst zu distanzieren, das er bei den Philippern vermutet (Bormann* 149–151)? Vermutlich sehen alle drei Positionen etwas Richtiges. In dieser zwischen V. 10 und V. 14 eingeschobenen Parenthese begibt sich Paulus in größtmögliche Distanz zur Gemeinde und führt eine Art inneren Reflexionsprozess vor. Der stoische Peristasenkatalog demonstriert seine Autarkie, weil er sich wie ein Stoiker ganz und gar im Dienst seines Gottes weiß. In V. 14 fällt die Maske des stoischen Weisen dann ebenso abrupt, wie sie aufgesetzt wurde. Nun gibt Paulus unumwunden zu, wie sehr er die Unterstützung durch die Gemeinde in Philippi braucht. 14 πλὴν καλῶς ἐποιήσατε συγκοινωνήσαντές μου τῇ θλίψει. V. 14 schlägt einen im Vergleich zu V. 11–13 ganz anderen Ton an. Eigentlich müsste das einleitende πλήν „nur, jedoch“ die Erörterung abschließen und das Wesentliche hervorheben (B/D/R § 449.2). Hier dagegen folgt ein Lob für die bisher nur in V. 10 angesprochene Unterstützung der Gemeinde. Einige Auslegungen fassen καλῶς ἐποιήσατε als „Danke“ auf, das dem Brief sonst so merkwürdig fehlt (Hawthorne/Martin, K.; Schenk, K.). Die futurische Formulierung καλῶς ποιήσεις wird in Papyrusbriefen als aufforderndes „Bitte“ gebraucht. So schreibt Askles an Serenus: „Bitte schreibe mir über deine Gesundheit“ (καλῶς οὖν ποιήσεις δηλώσας μοι περὶ τῆς ὑγείας σου, SB 3.6265,8–10, 1. Jh. n. Chr.; vgl. 3Joh 6; Reed* 278; Pialoux* 146–148). Aber der Aorist ist nur in der Negation belegt: „Du hast nicht recht getan, … mir nicht mitzuteilen …“ (οὐ καλῶς δε ἐποιήσας … μὴ σημᾶναί μοι, BGU 4.1078,3–5, 29 v. Chr.). Paulus sagt also zwar nicht Danke, aber doch wenigstens „gut gemacht“. Gut hat es die Gemeinde gemacht, „zusammen mit Paulus Anteil an seiner Not zu nehmen“ (συγκοινωνήσαντές μου τῇ θλίψει, Peterman* 145). Über Trübsal und Angst als innere Bedrängnisse hinaus beschreibt θλῖψις von außen verursachte Not und Bedrängnis durch Armut, Hunger, Anfeindung, Verfolgung und Gefangenschaft (→ 1,17; 288
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4,14
1Thess 3,7; 2Kor 1,8; 8,2; Röm 8,35). Als „Anteil haben und nehmen“ bringt bereits κοινωνέω mit Dativ der Sache ein Gemeinschaftsverhältnis zur Sprache, das „durch (gemeinsames) Anteilhaben entsteh[t] und sich als (wechselseitiges) Anteilgeben und Anteilnehmen“ darstellt (Hainz, EWNT II 750 f.; → 1,5.7). Das συγ-κοινωνήσαντές μου betont in doppelter Weise das solidarische Mitleiden der Gemeinde mit Paulus’ Bedrängnis. Die auffällige Mittelstellung des Pronomens μου lässt es doppelt beziehen: Sie sind seine Mitteilhaber an seiner Bedrängnis. 15 f. οἴδατε δὲ καὶ ὑμεῖς, Φιλιππήσιοι, ὅτι ἐν ἀρχῇ τοῦ εὐαγγελίου, ὅτε ἐξῆλθον ἀπὸ Μακεδονίας, οὐδεμία μοι ἐκκλησία ἐκοινώνησεν εἰς λόγον δόσεως καὶ λήμψεως εἰ μὴ ὑμεῖς μόνοι, 16ὅτι καὶ ἐν Θεσσαλονίκῃ καὶ ἅπαξ καὶ δὶς εἰς τὴν χρείαν μοι ἐπέμψατε. Solche Solidarität zeichnet diese Gemeinde von Beginn an aus. �46, D*, 1505, einzelne Vulgatatexte und die syrische Harklensis lassen δέ aus, vermutlich aus stilistischen Gründen, nämlich der Doppelung mit καί (Holloway, K.). Die Philipperinnen und Philipper werden nun direkt angesprochen, und zwar mit einer vor Paulus nirgends griechisch belegten Version namens Φιλιππήσιοι (statt Φίλιπποι oder Φιλιππεῖς). Manche entdecken eine Anspielung auf das römische Milieu der Stadt (Ramsay*; Pilhofer* 116–118). Vor allem aber gibt die Formulierung ἐν ἀρχῇ τοῦ εὐαγγελίου „im Anfang des Evangeliums“ Rätsel auf. Vor seiner Trennung von der Gemeinde in Antiochia und Barnabas hatte Paulus bereits ca. zehn Jahre als deren Apostel gewirkt (Gal 2,1–10; Apg 13,2–15,36). Historisch gesehen beginnt Paulus mit seiner Missionsarbeit keinesfalls in Philippi. Soll sich die Formulierung auf Paulus beziehen, kann sie nur bedeuten, dass er den Beginn seiner selbstständigen Mission in Makedonien als den entscheidenden Wendepunkt seiner Missionstätigkeit ansah (E. Lohmeyer, K. 184 f.; Gnilka, K.; Pilhofer* 246). Je nach Datierung der ersten Ankunft in Galatien könnte die Gemeinde in Philippi die älteste oder zweitälteste Gründung des Paulusteams nach der Trennung von der Gemeinde in Antiochia sein (1Thess 2,1 f.; Gal 4,12–20). Jüngst möchte Garroway* den Vers als Beginn der beschneidungsfreien Völkermission interpretieren. Alternativ kann man ἐν ἀρχῇ τοῦ εὐαγγελίου auf die Ankunft des Evangeliums in Philippi beziehen (Dibelius, HNT; U. B. Müller, K.). Reumann vermutet ein Zitat aus dem Begleitbrief der Philipperinnen und Philipper, also ihre Sicht der Dinge (K. 661; 707). Jedenfalls aber betont Paulus die Originalität ihrer gemeinsamen Arbeit am Evangelium (→ 1,5; 4,3; 1Thess 1,7 f.; 3,2; 2Kor 8,18). Das besondere Engagement der Gemeinde wird in V. 16 konkretisiert. Das einleitende ὅτι kann οἴδατε in V. 15 weiter erläutern (U. B. Müller, K.). Oder man fasst es subordiniert, als Begründung des ganzen Vordersatzes, auf (E. Lohmeyer, K.). Inhaltlich stellt sich die Frage, ob sich die Unterstützung auf Thessaloniki beschränkte oder darüber hinaus auch in Korinth fortgeführt wurde (2Kor 11,7–9; 12,13; Reumann* 439 f.). Im letzteren Falle wäre die Gemeindegründung in Philippi der Ersatz für das frühere Missionszentrum in Antiochia. Jedenfalls meint die sonst nur noch in 1Thess 2,18 nachzuweisende Formulierung καὶ ἅπαξ καὶ δίς „mehr als einmal“ (Morris*). Zwar waren die Mittel der Philipperinnen und Philipper begrenzt, denn Paulus musste in Thessaloniki auch arbeiten (1Thess 2,9; 2Kor 8,1–3), aber die Gemeinde schickte mehrmals etwas für den „Bedarf“ des Paulus (→ 2,25).
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Χρεία ist existenzieller Bedarf: an Kleidung, an Unterkunft, an Nahrung (Mk 2,25; Röm 12,13; Apg 2,45; 4,35; 1Joh 3,17; Offb 3,17). Ähnliche Bitten findet man in auf Papyrus erhaltenen Briefen. So bittet Dromon Zenon um ein Heilmittel: „Wenn Du gesund hinaufsegelst, bitte einen der Deinen, eine Kotyle attischen Honig zu kaufen. Denn ich habe Bedarf für die Augen entsprechend der Anordnung des Gottes“ (ὡς δ’ ἂν ἀναπλέηις ὑγιαίνων, σύνταξόν τινι τῶν παρὰ σοῦ ἀγοράσαι μέλιτος Ἀττικοῦ κοτύλην χρείαν γὰρ ἔχω πρὸς τοὺς ὀφθαλμοὺς κατὰ πρόσταγμα τοῦ θεοῦ, P. CairoZen. 3 59426,5–7/SB 3 6804, 3. Jh. v. Chr.; TUAT.NF V [2010], V. 11.1; J. L. White, Light 207 und 52, Nr. 26). Achillas schreibt an seinen Sohn Apollonius: „Ich wundere mich, … dass Du Sarapammon noch nicht geschickt hast, obgleich Du weißt, dass er hier gebraucht wird“ (θαυμάζω … οὐκ ἔπεμψας Σαραπάμμονα, εἰδὼς ὅτι χρ [ε]ί(α) αὐτοῦ ἐστὶν ἐνθάδε, P.Merton II 80,3–6, 2. Jh. n. Chr.). In Phil 4,16 bleibt πέμπω ohne Objekt, sodass nicht genau gesagt wird, was geschickt wurde. Allgemein vermutet wird Geld. �46, die Majuskel A und die Minuskeln 81, 104, 326, 1175, 1241, 2464 lassen die Präposition εἰς aus, womit τὴν χρείαν zum Akkusativobjekt von πέμπω wird: „… habt ihr mir das Nötige geschickt“ (Baumert, K.). Die Majuskeln D*, 075 und in Variation altlateinische Manuskripte lesen τὴν χρείαν μου, und die Majuskeln D1, L, P sowie die Minuskeln 323, 614, 629, 630, eine Lesart der altlateinischen Handschrift g und in Variation Ambrosiaster lesen εἰς τὴν χρείαν μου „zu meinem Bedarf“, möglicherweise in Angleichung an Apg 20,34. Die von NTG28 gebotene Lesart ist jedenfalls am besten bezeugt. Paulus beschreibt die besondere Gemeinschaft mit der Gemeinde in Philippi mit dem Terminus technicus der antiken Geschäftssprache: εἰς λόγον δόσεως καὶ λήμψεως „auf Geben und Nehmen“. Δόσις ist die Auszahlung (Preisigke, Wb I 397; Ogereau* 84–93), λῆμψις ist die Einnahme (Preisigke, Wb II 18; Ogereau* 82–84). Der Ausdruck εἰς λόγον bedeutet „zur Verrechnung“ oder „auf das Konto“ (Preisigke, Wb II 34; Kittel, ThWNT II 104; Ogereau* 79–81; 93–104). Bereits die Septuaginta benutzt die technische Sprache: „Falls du etwas weitergibst, in Zahl und Gewicht, sowohl Geben als auch Nehmen, alles schriftlich“ (ὃ ἐὰν παραδιδῷς, ἐν ἀριθμῷ καὶ σταθμῷ, καὶ δόσις καὶ λῆμψις, πάντα ἐν γραφῇ, Sir 42,7). Stoiker reflektieren Geschäftsethik so: „Die unausgeglichenen Einnahmen und Ausgaben [fördern] die Habsucht“ (τὸν φιλάργυρον [ἐπαύξε] αἱ ἀκατάλληλοι λήψεις καὶ δόσεις, Epict Diss 2.9,12). Der Ausgleich zwischen Geben und Nehmen bestimmt aber insbesondere Senecas Schrift über angemessenen Austausch von Wohltaten (De benificiis). In ihr soll es darum gehen, „zu unterweisen gerne zu geben, gerne zu nehmen, gerne zu vergelten …“ (docendi sunt libenter dare, libenter accipere, libenter reddere, Sen Ben 1.4,3). Die Forschung der letzten Jahre hat versucht, die Beziehung der Gemeinde in Philippi zu Paulus in Analogie zu zeitgenössischen Institutionen zu beschreiben.
Exkurs 17: Die Beziehung zwischen Paulus und der Gemeinde in Philippi Ascough, Paul’s Macedonian Associations 110–161. – Ken L. Berry, The Function of Friendship Language in Philippians 4:10–20, in: John T. Fitzgerald (Hg.), Friendship, Flattery, and Frankness of Speech. Studies on Friendship in the New Testament World, NT.S 82, 1996, 107–124. – H. D.
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Betz, Studies 113–131. – Bormann, Philippi. – Briones, Paul’s Financial Policy. – Ders., Paul’s Intentional „Thankless Thanks“ in Philippians 4.10–20, JSNT 34,1 (2011), 47–69. – Brian T. Capper, Paul’s Dispute with Philippi. Understanding Paul’s Argument in Phil 1–2 from Thanks in 4.10–20, ThZ 49 (1993), 193–214. – Ebner, Leidenslisten 331–364. – John T. Fitzgerald, Paul and Friendship, in: J. Paul Sampley (Hg.), Paul in the Greco-Roman World. A Handbook, 2003, 319–343. – Ders., Philippians in the Light of Some Ancient Discussions of Friendship, in: Ders. (Hg.), Friendship, Flattery, and Frankness of Speech. Studies on Friendship in the New Testament World, NT.S 82, 1996, 141–160. – Fleckner, Rezension. – Jean Fleury, Une société de fait dans l’église apostolique (Phil. 4:10 à 22), in: Faculté de Droit (Hg.), Mélanges Philippe Meylan II, 1963, 41–53. – Georgi, Der Armen zu gedenken 46–51. – Miriam Griffin, De Beneficiis and Roman Society, JRS 93 (2003), 92–113. – John S. Kloppenborg, Christ’s Associations. Connecting and Belonging in the Ancient City, 2019, 55–97. – Bruce A. Lowe, Paul, Patronage and Benefaction. A „Semiotic“ Reconsideration, in: Stanley E. Porter/Christopher D. Land (Hg.), Paul and his Social Relations, 2012, 57–84. – Marshall, Enmity in Corinth 157–164. – M. Müller, Vom Schluß zum Ganzen 147–161. – Ogereau, Paul’s Koinonia. – Markus Öhler, Gründer und ihre Gründung. Antike Vereinigungen und die paulinische Gemeinde in Philippi, in: Jörg Frey/Benjamin Schließer (Hg.), Der Philipperbrief des Paulus in der hellenistisch-römischen Welt, WUNT 353, 2015, 121–151. – Peterman, Paul’s Gift 120–161. – Pialoux, L’épître aux Philippiens 390–425. – Pilhofer, Philippi I 147–152. – Wilhelm Pratscher, Der Verzicht des Paulus auf finanziellen Unterhalt durch seine Gemeinden. Ein Aspekt seiner Missionsweise, NTS 25 (1979), 284–298. – Reumann, Contribution. – Ders., Philippians, Especially Chapter 4, as a „Letter of Friendship“. Observations on a Checkered History of Scholarship, in: John T. Fitzgerald (Hg.), Friendship, Flattery, and Frankness of Speech. Studies on Friendship in the New Testament World, 1996, 83–106. – Sampley, Pauline Partnership 51–77. – Benjamin Schließer, Paulus und „seine“ Philipper: Geschäftspartner, Freund, Vereinsgründer? Sozialgeschichtliche Perspektiven auf den Philipperbrief, in: Jörg Frey/Ders. (Hg.), Der Philipperbrief des Paulus in der hellenistisch-römischen Welt, WUNT 353, 2015, 33–119. – Tatum, ΠΕΠΛΗΡΩΜΕΝΟΙ. Warum akzeptierte Paulus die Unterstützung aus Philippi, lehnte sie aber in Korinth ab? Wie lässt sich das Verhältnis zwischen Paulus und der Gemeinde genauer beschreiben, sodass die zögerliche Akzeptanz der Gabe verständlich wird? Eine Antwort lautet, dass Paulus „von den Gemeinden, in denen er gerade arbeitet, keine Unterstützung annimmt“ (Pratscher* 298; Briones, Policy 219– 226; vgl. 1Kor 9,15–18; 2Kor 11,7–9; 12,13; 1Thess 2,9). Die These kann jedoch die in Phil 4,15 f. angesprochene langjährige Beziehung mit der Gemeinde in Philippi ebenso wenig erklären, wie sie deutlich machen kann, warum Paulus seine Dankbarkeit in 4,10–20 so vornehm verhüllt. Ebner entwirft daher ein Entwicklungsmodell. Paulus habe zunächst eine ‚Gütergemeinschaft‘ zwischen Katechetinnen und Glaubensschülern bejaht (Gal 6,6), sich aber in Korinth für die finanzielle Unabhängigkeit entschieden. Phil 4,10–20 markiere eine Zwischenphase (Ebner* 364). Reumann hält dagegen Korinth für die Ausnahme von einer Regel, die sich in Phil 4,15 f. manifestiert und die sich später im Kollektenwerk weiterentwickelt (Reumann, Contribution 442; Georgi* 47; 1Kor 9,14; Röm 15,27; 1Tim 5,18). Andere ordnen das Verhältnis zwischen Paulus und der Gemeinde in das römische Vertragsrecht ein.
17.1 Societas Evangelii Für die These, dass Paulus und seine Freundinnen und Freunde einen rechtsförmig verfasste Gesellschaft bildeten, ist die Beobachtung leitend, dass κοινωνία (vgl. [συγ]κοινωνέω, V. 14 f.) als
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Äquivalenzbegriff für das römische Rechtsinstitut der societas gebraucht werden kann (umfassende Dokumentation: Ogereau* 390–499). Es handele sich also um eine vertraglich vereinbarte Partnerschaft zwischen zwei Partnern (socii) für einen vereinbarten Zweck (Fleury*; Sampley*; Capper*; Ogereau*; H. D. Betz* 123–130). Der Hintergrund im Vertragsrecht erkläre die Häufung von Begriffen aus der Geschäftssprache in Phil 4,10–20, neben εἰς λόγον δόσεως καὶ λήμψεως und χρεία auch ἀπέχω „erhalten“, καρπός „Ertrag“ und πληρόω „auffüllen“ in den Versen 18 f. (Sampley* 54; Tatum*; Ogereau* 69–119). Die Entwürfe variieren in Bezug auf das Gewicht der beiden Partner. Während Paulus für Fleury* die vertraglich mit Lydia (Apg 16,14 f.40) vereinbarte Partnerschaft mit dem „ich habe erhalten“ (V. 18) für beendet erklärt, spricht Sampley* von einer konsensualen societas, in der beide Partner das gemeinsame Ziel der Evangeliumsverkündigung verfolgen. Für Ogereau beschreibt der λόγος δόσεως καὶ λήμψεως das Gemeinschaftskonto, das Paulus in Übereinkunft mit den Philipperinnen und Philippern eingerichtet habe und auf das diese regelmäßig einzahlten, um die Kosten der missionarischen Aktivitäten des Paulus zu tragen. Paulus’ Verbindung mit den Philipperinnen und Philippern sei daher als societas evangelii zu beschreiben, „that is, a partnership for the propagation of the gospel, whereby the Philippians provided the pecunia (funds), while Paul supplied the opera and ars“ (Ogereau* 349; ähnlich Capper* 204–211). Allerdings ist die Übersetzung von κοινωνία, oder genauer (συγ)κοινωνέω (V. 14 f.), mit dem lateinischen Rechtsinstitut der societas nur eine unter mehreren Möglichkeiten und im Sinne eines rechtlichen Terminus technicus wenig wahrscheinlich (Fleckner*; → Exk. 2). Auch wird in Phil 4,10–20, anders als in Röm 15,26 f.; 2Kor 8,13 f. und 9,11–15, nicht direkt von einem Austausch zwischen materiellen und ideellen Gaben gesprochen (Bormann* 180–187). Offen bleibt auch die Frage, warum Paulus eine solche societas nur mit der Gemeinde in Philippi, nicht aber mit Thessaloniki oder Korinth gründete (Schließer* 50–54).
17.2 Antiker Verein Stärker im griechischen Kulturraum suchen diejenigen Entwürfe, die die philippische Gemeinde auf dem Hintergrund antiker Vereine betrachten (Pilhofer* I 149–153; Ascough*; Öhler*). Ein Verein kann unter anderem τὸ κοινόν heißen, was die Verwendung von κοινωνία erhelle (Ascough* 142). Paulus sei als Gemeindegründer ein Vereinspatron. Die Gabe (δόμα, → V. 17) sei die Unterstützung des Vereinslebens. Würden vom Patron Geschenke erwartet, so sei es die Pflicht der Mitglieder, diesen durch öffentliche Danksagungen, bestätigt durch das Aufstellen von Inschriften, zu ehren (Ascough* 149–157; Öhler* 146). Allerdings lassen sich bisher kaum Parallelen für das Engagement eines Vereins jenseits der eigenen Stadt und für einen abwesenden Patron finden (Schließer* 103–107). Dies mag auch an der vor allem auf Inschriften beruhenden Quellenlage liegen. Möglich wäre aber auch die Vorstellung, dass Paulus und andere Philipperinnen und Philipper eine Berufsgenossenschaft jenseits ihrer Missionsaufgaben bildeten und dieses auch die Knüpfung weiterer Missionsnetzwerke veranlasste (Kloppenborg*).
17.3 Freundschaftsethik Während Auslegungen, die das Verhältnis zwischen Paulus und der Gemeinde als rechtlich formalisierte societas oder als Verein beschreiben, die ökonomischen Begriffe möglichst wörtlich auffassen, entdecken andere einen übertragenen Gebrauch im philosophischen Diskurs über Freund-
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schaft (φιλία). Cicero lehnt in seinem Dialog Laelius, „Über die Freundschaft“, 16,58 die Meinung ab dass unser Wohlwollen (benevolentia) dem Wohlwollen der Freunde gegen uns in Ausmaß und Art genau entsprechen soll, denn dies hieße, „die Freundschaft einer allzu strengen und kleinlichen Berechnung zu unterwerfen, auf dass die Rechnung der Einnahmen und Ausgaben aufgehe (ut par sit ratio acceptorum et datorum). Wahre Freundschaft ist … reicher und großzügiger und hält nicht streng darauf, dass das, was sie ausgibt, die Einnahmen nicht übersteigt.“ Paulus thematisiere in Phil 4,10–20 also die Verpflichtung von Freunden zum gegenseitigen Austausch von Geschenken und Diensten, Missionsarbeit und Bezahlung. Freundschaft konkretisiere sich im Austausch von Geld und geistigen Gaben (Marshall* 163; Peterman* 152; Ebner* 353). Daher sei εἰς λόγον δόσεως καὶ λήμψεως Ausdruck des geforderten reziproken Freundschaftsverhältnisses (Schenk, K. 62–65; Marshall*; Ebner* 345–357; Fee, K. 439–447; M. Müller*; Berry*; Fitzgerald, Philippians; Fitzgerald, Paul 332–334; Peterman* 23–89; 121–161; Pialoux* 399). In diesen antiken Freundschaftsdiskurs gehörten auch die Begriffe φρονεῖν ὑπέρ und συγκοινωνεῖν κτλ. (V. 14 f.; Berry* 110 f.). So heißt es in der Epitome stoischer Philosophie des Arius Didymos: „Freundschaft aber ist Gemeinschaft des Lebens“ (Φιλίαν δ’ εἶναι κοινωνίαν βίου; Stob 1.7,5l [Hense/Wachsmuth]). Aristoteles formuliert: „Richtig ist das Sprichwort: Freunden ist alles gemeinsam, denn in Gemeinschaft ist Freundschaft“ (ἡ παροιμία κοινὰ τὰ φίλων, ὀρθῶς ἐν κοινωνίᾳ γὰρ ἡ φιλία, Aristot Eth Nic 8.9 [1159b31 f.]). Κοινωνία ersetze das bei Paulus fehlende Stichwort φιλία. Zur Beschreibung der Beziehung zwischen Paulus und den Philipperinnen und Philippern auf dem Hintergrund antiker Freundschaftsethik sind einige kritische Anmerkungen nötig: 1. In den Versen 11–13 wehrt sich Paulus mit der Betonung seiner Autarkie gegen einen auf Ausgleich und Anerkennung zielenden Austausch in einer Freundschaftsbeziehung (Bormann* 168 f. gegen Fitzgerald, Philippians 157; Fitzgerald, Paul 333). 2. Die von von Aristoteles und Cicero geführte Diskussion über das Wesen der φιλία gipfelt in der These, dass Freundschaft nur zwischen statusgleichen Männern der bürgerlichen Elite möglich ist. Die Gemeindestruktur in Philippi entspricht diesem Ideal nicht (Bormann* 170; Schließer* 72 f.). 3. Im Philipperbrief fehlt wie in allen übrigen Paulusbriefen das Stichwort φιλία (Reumann, Philippians 105 f.; Schließer* 69–72). 4. Die Freundschaftsphilosophie verwahrt sich gegenüber geschäftsmäßiger Verrechnung und Austauschbeziehungen. Wer empfangen hat, müsse zwar die Gabe überbieten, jedoch in anderer Währung, wie z. B. Dank und Ehre (Aristot Eth Nic 8.16 [1163b1–4]). So heißt es in der Fortsetzung des oben angeführten Zitats aus Senecas Schrift „Über die Wohltaten“: „Unterwiesen werden müssen die Menschen, gerne zu geben, gerne entgegenzunehmen, gerne zu vergelten und sich großen Wetteifer vorzunehmen, die Menschen, denen sie verpflichtet sind, in Tat und Gesinnung nicht nur einzuholen, sondern zu übertreffen, denn wer Dank abstatten muss, schafft das nicht, wenn er nicht überholt“ (Ben 1.4,3; Übers. Manfred Rosenbach). Richtig macht es der von Peterman* 74–77 angeführte Chairas in seinem Brief an den Arzt Dionysos: „Chairas seinem lieben Dionysos, vielmals Grüße und allezeit Gesundheit. Als ich Deinen Br[ief] erhielt, war ich so voller Freude, [als ob] ich tatsächlich zu Hause wäre, denn o[hne] das ist (alles) nichts. Dir große Danksagungen zu schreiben, verbietet sich jedoch; denn nur denen, die keine Freunde sind, muss man mit Worten Dank sagen. Ich vertraue aber darauf, dass ich in einer gewissen heiteren Runde ganz munter bin, und wenn Dir vielleicht auch nicht dasselbe zu bieten ist, werde ich doch wenigstens etwas Kleines für Deine Liebe zu mir bieten … Lebewohl, und denke an das Gesagte“ (Χαιρᾶ Διονυσίωι τῶι φιλτάτωι πλεῖ�τα χαίρειν καὶ διὰ παν�ὸ (ς) ὑγιαίνειν. κομισάμενός σου ἐπι[στολ(ὴν)] οὕτως περιχαρὴς ἐγενόμ�[ν ὡς εἰ] ὄντως ἐν τῇ ἰδίᾳ ἐγεγόνειν, ἄ�[νευ] γὰρ ταύτης οὐθέν ἐστιν. γράφειν δέ � σοι μεγάλας εὐχαριστίας παρετέο(ν) δεῖ γὰρ τοῖς μὴ φίλοις οὖσι διὰ λόγων εὐχαριστεῖν. πείθομαι δὲ ὅτι ἐν γαληνείᾳ τινὶ ἐνισχύω, καὶ εἰ μὴ τὰ ἴσα σοι παρασχεῖν, βραχέα τινὰ παρέξομαι τῇ εἰς ἐμὲ φιλοστοργίᾳ …, P.Merton I.12, 59 n. Chr., Übers. Jördens, TUAT.NF V [2010], V 8.1; vgl. J. L.
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White, Light 145 f., Nr. 93). Dieses literarisch ausgefeilte Dankschreiben versucht tatsächlich die Gabe dringend benötigter Rezepte durch den Ausdruck allergrößter Dankbarkeit zu überbieten, die mit der Ankündigung, möglichst bald zumindest eine Kleinigkeit zu senden, noch unterstrichen wird. Die Größe der Dankbarkeit zeigt sich dabei in der Offenbarung, nichts Gleichwertiges (τὰ ἴσα) zurückgeben zu können. Mit diesem ausgefeilten Dank möchte Chairas möglicherweise seinen geliebten Freund Dionysos zur Gegengabe weiterer Rezepte herausfordern. Daher ist es meines Erachtens falsch, aus diesem Brief zu schließen „that verbal gratitude is misplaced in friendship of equity“ und dass Paulus’ Dank in Phil 4,10–20 keineswegs danklos sei (Peterman* 77; 120–161; vgl. Fee, K. 446). Im Gegenteil: Gerade angesichts von Chairas’ Brief wirken die wenigen Dankesformulierungen wie „ich freue mich sehr“ (→ 4,10) und „gut gemacht“ (→ 4,14) kühl und töricht (vgl. auch Sen Ep 81,8).
17.4 Euergetismus Für den antiken Freundschaftsdiskurs werden von Marshall*, Ebner*, Berry* und Peterman* auch Abhandlungen über Wohltaten (εὐεργεσία, beneficium) ausgewertet. Pialoux* meint sogar, Phil 1,1–4,23 entspreche in besonderer Weise dem von Seneca geforderten unkonventionellen Dank, der Gefühlen Ausdruck verleiht und auf die gemeinsam geteilten Tugenden verweist. Senecas Abhandlung De benificiis, „Über das Erweisen und Entgegennehmen von Wohltaten“, behandelt Freundschaftsbeziehungen jedoch nur am Rande, weil es unter wahren Freunden keine diesbezüglichen Unstimmigkeiten gibt (Griffin*; vgl. Bormann* 171–175). Nicht Freundschaftsbeziehungen zwischen gleichberechtigten Mitgliedern der Elite, sondern Wohltäterbeziehungen zwischen Herren und Sklavinnen und Sklaven, Vätern und Söhnen, Ehemännern und Frauen, Göttern und Menschen sind hier gemeint. Überhaupt ist das Gewähren von Wohltaten für Seneca Nachahmung Gottes, wie er in der Einleitung, auf dem Höhepunkt und zum Abschluss seiner Abhandlung hervorhebt (Sen Ben 1.1,9; 4.25,1–3; 7.31,2–32). Wie die Götter dürfen die Wohltäter zwar auf Dank hoffen, müssen aber mit dem Ausbleiben der Gegengabe und mit Undankbarkeit rechnen (Sen Ben 4.24,1). Wohltäterinnen und Wohltäter sind eben keine Investoren oder Kreditgeber, sie dürfen nicht geschäftsorientiert agieren (Sen Ben 1.1,3; 1.2,3; 3.15,4; 4.3,3). Oder kurz: „Nicht ist eine Wohltat, was zum Erwerb geliefert wird“ (non est beneficium, quod in questum mittitur, Sen Ben 4.13,3). Wohltaten sind das Gegenteil von Verpflichtungen und gehen über Notwendigkeiten hinaus (Sen Ben 4.29,2). „Eine Wohltat ist das, was einer gegeben hat, obwohl ihm freistand, es auch nicht zu geben“ (Sen Ben 3.19,1, Übers. Rosenbach). Die Empfangenden gehen mit dem Empfang der Wohltat gleichwohl ein Verpflichtungsverhältnis ein. Aber um sich zu revanchieren, ist der richtige Zeitpunkt abzuwarten (Sen Ben 6.42,1). Dieser ist insbesondere dann gekommen, wenn der ursprüngliche Spender in Not ist (Sen Ben 6.41,2). Mit dem Geben, Empfangen, Vergelten und Wiedervergelten der Wohltaten wird ein Band der Beziehung gestiftet (Sen Ben 2.18–20). Motivation der Gegengabe darf aber wiederum nicht die Hoffnung auf weitere Gegenleistungen sein (Sen Ben 4.20). Wichtig ist vor allem, möglichst unmittelbar seiner Freude über die Wohltat Ausdruck zu verleihen: „dass Freude zu uns gekommen ist, wollen wir bekunden mit überströmenden Gefühlen, die wir nicht nur, wenn der Schenkende selbst zuhört, sondern überall bezeugen wollen“ (pensio; Sen Ben 2.22,1, Übers. Rosenbach). Dankesbekundungen für Wohltaten gegenüber Städten, Vereinen und religiösen Gruppen dokumentieren die zahllosen Ehreninschriften in allen anderen griechisch-römischen Städten einschließlich Philippi (Pilhofer*). Die Gewährung von Wohltaten für die Gemeinschaft ist der wichtigste Ausdruck politischen Handelns der Eliten (vgl. Cic Off; Plut Praec Ger Reip 827F–828E).
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Auf dem Hintergrund dieser philosophischen Diskussion über das Empfangen und Geben von Wohltaten wäre Paulus’ Reaktion in Phil 4,10–13 mehr als ungehörig. Sie klingt ungefähr, wie Seneca es als schlechte Praxis formuliert: „Ich habe es zwar nicht nötig, aber weil du es so sehr willst, will ich mich zur Verfügung stellen“ (Sen Ben 2.24,3, Übers. Rosenbach). Schon Sirach stellt heraus: „Schämt euch … vor geringschätzigem Empfangen und Geben“ (αἰσχύνεσθε … ἀπὸ σκορακισμοῦ λήμψεως καὶ δόσεως, Sir 41,19 [23a–24]). Für Seneca hätte Paulus mindestens sagen müssen: „Mehr Menschen, als du denkst, hast du verpflichtet … du weißt gar nicht, was du mir gewährt hast, aber wissen musst du, wie viel mehr es ist, als du meinst, … niemals werde ich dir Dank abstatten können; das jedenfalls überall zu bekunden, werde ich nicht ablassen: ‚Dank abstatten kann ich nicht‘“ (Sen Ben 2.24,4, Übers. Rosenbach; vgl. P.Merton I.12; Exk. → 17.3). Und noch etwas fällt auf: Nicht Paulus agiert als Wohltäter, sondern die Gemeinde in Philippi ist Wohltäterin gegenüber Paulus (Bormann* 171–181). Die Gemeinde gibt ihre Wohltat in der Situation der Not (4,14 f.), und sie gibt über den Bedarf hinaus (4,18). Wohltaten sind das Gegenteil verpflichtender Bezahlungen. Somit kann die Gabe keineswegs die philippische Gegenleistung für die paulinische Evangeliumsverkündigung bei ihnen oder anderswo sein (Bormann* 175– 177). Vielmehr entsteht Paulus für die Zukunft die Verpflichtung, die Gabe zu erwidern. Dieser kann er aber zur Zeit der Abfassung des Briefes nicht nachkommen. Das heißt, die Philipper haben etwas bei ihm gut (vgl. V. 17 f.). Der Hauptunterschied zwischen Senecas Überlegungen zum Wohltatenaustausch und Paulus ist aber, dass bei Seneca, jedenfalls solange Menschen noch handlungsfähig sind, göttlicher und menschlicher Bereich getrennt bleiben. Paulus ruft dagegen ausdrücklich Gott als vergeltende Instanz an (Bormann* 210; Schließer* 85 f.).
17.5 Patronat Eine weitere Institution, die als Modell hinter der Beziehung zwischen Paulus und der Gemeinde in Philippi diskutiert wird, ist das römische Patronatsverhältnis. Der lateinische Begriff patronus ist allerdings vieldeutig und benennt sowohl einen gerichtlichen Verteidiger, den ehemaligen Besitzer eines Freigelassenen oder Beschützer einer Gruppe, z. B. eines Vereins oder einer Stadt. Das Gegenüber kann sowohl als Freigelassener als auch als abhängig (cliens) beschrieben werden (Liu, EncAH 9, 5097–5099; Lowe*). Die Beziehung zwischen Patron und Abhängigen ist ein auf fides gegründetes Treueverhältnis. „Fundamentally, both individual and collective ‚clients‘ were sources of prestige for the patrons, who were in turn sources of material benefits, legal advocacy, and protection for their clients“ (Liu, EncAH 9, 5097). Mithilfe der idealtypischen Beschreibung römischer Klientelverhältnisse in Dion Hal Ant Rom 2.9–11 analysiert Bormann die Beziehung zwischen Paulus und den Philipperinnen und Philippern als Patronatsverhältnis. Dabei hätten die Philipperinnen und Philipper ihren Patron frei gewählt. Phil 4,15 reflektiere diese für das römische Patronatswesen typische Austauschbeziehung. Da Paulus in seiner Bedrängnis (V. 14) zu keiner Gegenleistung in der Lage sei, müsse er die von ihm erwartete Gabe (V. 10) im Gebet vor Gott tragen (V. 19 f.). Weitere Gaben aus Philippi lehne er ab (4,18; Bormann* 207 f.). Im weiteren Verlauf der Beziehung, dies ergebe sich aus Brief B (Phil 1,1–3,1), emanzipiere sich die Gemeinde zunehmend, wie die Sendung des Epaphroditus als selbstständig organisierte Prozessunterstützung dokumentiere. Die Gemeinde entwickele sich zur „emanzipierte[n] Klientel“ (Bormann* 217). Andere Auslegungen setzen nicht Paulus, sondern Gott mit dem Patron gleich. Paulus sei Gottes Vermittler (Briones, Policy 110–130; Briones, Thankless Thanks; Fowl, K. 192). Phil 4,10.18–20 beschreibe eine Austauschbeziehung, in der Paulus die Gott geltenden Gaben in die Gemeinde zurücklenke. „God is the source of all gifts in the economy of all χάρις, while Paul and
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the Philippians are alternating mediators of his divine beneficence“ (Briones, Policy 115; Briones, Thankless Thanks 64). Dabei durchbreche Gott die von Seneca beschriebenen Wohltäterverpflichtungen (Briones, Policy 127). Die behaupteten Transformationen des Verhältnisses zwischen Patron und Klientel bleiben jedoch ohne antikes Vorbild (Schließer* 92–96). Vor- und Nachteil einer Beschreibung des Verhältnisses zwischen Paulus und der Gemeinde in Philippi als Patronatsverhältnis ist die spezifisch römische Prägung der Institution, deren Ausformung bisher nur aus der stadtrömischen Elite bekannt ist. Die Frage, inwiefern die adaptierte römische Verfassung der Colonia Iulia Augusta Philippensis mit ihrer Elite aus wenigen Familien aus der Gruppe italischer Umsiedler in Philippi ein Patronatsverhältnis, etwa zum Kaiserhaus, begründete und ob und inwiefern sich das auf die griechischsprachigen Adressatinnen und Adressaten des Paulus auswirkte, muss offenbleiben. Die von Paulus Adressierten sind jedenfalls nicht die knapp hundert unter Augustus umgesiedelten Menschen aus Italien, die die lateinischsprachige Elite in Philippi bildeten, sondern die griechischsprachigen Bewohnerinnen und Bewohner der Gegend, deren politische Polis-Verfassung achtzig Jahre vor Paulus’ Ankunft in der Gegend außer Kraft gesetzt worden war (→ Einl. 3.1).
17.6 Auswertung Keines der vorgeschlagenen Modelle kann die sich in der philippischen Korrespondenz abzeichnende und entwickelnde Beziehung zwischen Paulus und der Gemeinde gänzlich beschreiben. Aber alle angeführten antiken Institutionen beobachten Richtiges zum soziokulturellen Hintergrund der Beziehung, vor der Paulus die Annahme der Gabe diskutiert. Freundschafts-, Wohltäter- und Patronatsverhältnis bewegen sich nach Ausweis verfügbarer Quellen jedoch in einem viel höheren sozialen Milieu, als es für Paulus und die Gemeindeglieder zu vermuten ist. Dennoch gilt die allen Verhältnissen zugrunde liegende moralische oder rechtlich verbriefte Verpflichtung. Sei es im formalisierten Vertragsverhältnis einer societas evangelii oder im Verein, sei es auf dem Hintergrund eines formalisierten Freundschafts-, Wohltäter- oder Patronatsverhältnisses, Paulus ist immer zu einer Gegenleistung verpflichtet. Solange ihm diese Gegenleistung nicht gelingt, bleibt er etwas schuldig. Damit ist nicht nur das Beziehungsgefüge zwischen Paulus und der Gemeinde gestört. Vor allem kann Paulus den Auftrag, nämlich die von der Gemeinde finanzierte Verkündigung des Evangeliums, nicht mehr erfüllen. Um mit dieser prekären Situation umzugehen, wählt Paulus in seinem Quittungsschreiben mehrere Strategien zugleich. Er deutet seine Erwartung der Gabe an, die sich aus seiner Beziehung als Wohltäter und Patron der Gemeinde ergibt (V. 10). Er betont seine Autarkie, die gleichwohl, von außen – durch Gott, Christus und die Gemeinde – gestärkt, Bestand haben kann (V. 11–13). Er drückt, wenn auch verhalten, seine Freude aus und zeigt damit offen, dass er trotz aller Selbstgenügsamkeit bedürftig ist (V. 14). Und er hebt die langjährige, ja ursprüngliche, vertrauensvolle Austauschbeziehung mit den Philipperinnen und Philippern hervor (V. 15 f.). Erst jetzt kann er die Gabe auch wirklich bestätigen.
17 οὐχ ὅτι ἐπιζητῶ τὸ δόμα, ἀλλὰ ἐπιζητῶ τὸν καρπὸν τὸν πλεονάζοντα εἰς λόγον ὑμῶν. Wie in V. 11 setzt Paulus erneut mit οὐχ ὅτι ein, möchte also ein weiteres Missverständnis ausräumen. Ἐπιζητέω „suchen, erstreben, wünschen“ wird als Terminus technicus für das Einfordern von Schulden und Deposita gebraucht (Greeven, ThWNT II 898; Preisigke, Wb I 553 f.). Gnilka interpretiert ἐπιζητῶ τὸ δόμα als „terminus technicus für die Einforderung von Zinszahlungen“ (K. 178). Die dokumentarischen Quellen stützen diese These nicht (Ogereau* 71–75). Besser übersetzt man 296
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δόμα mit Geschenk (LSJ, vgl. Gen 25,6; Pseudo-Plat Def 415b). Die Septuaginta verwendet δόμα anstelle von δόσις für die Gaben der Wohltäter (1Makk 3,30; 10,28; Sir 18,17; 38,2 u. ö.). Paulus betont also, dass er keine Geschenke oder Wohltaten einfordere. Vielmehr (ἀλλά) suche er den Ertrag, der auf dem Konto der Gemeinde wächst. Der erneute finanztechnische Terminus εἰς λόγον „aufs Konto“ profiliert das Bildwort καρπός „Frucht“ als „Ertrag“ und „Gewinn“ (→ V. 15 f.). Für Ogereau ist dies das Konto des gemeinsam getragenen Missionsvereins (Ogereau* 280–290). Die meisten anderen votieren für ein eschatologisches Konto. Paulus blicke auf eine Ernte der von der Gemeinde gesammelten Früchte am Jüngsten Tag voraus (Gnilka, K.; U. B. Müller, K.; Holloway, K.; → 1,10 f.). Allerdings produziert die Gabe dann ein eschatologisches Verdienst, was schwer zur übrigen Theologie des Paulus passt (Bormann* 153–155). Nicht näher spezifiziert gehört καρπός in den weisheitlichen Tun-Ergehen-Zusammenhang. Es geht um Ergebnisse des Handelns im Hier und Jetzt (Gal 5,22; Röm 6,20–22; vgl. Spr 1,31; 19,22; 31,31). Auch die „Gerechtigkeitsfrucht“ aus Phil 1,11 ist Zierde am Tag Christi, nicht Gegenstand eines dort nicht genannten letzten Gerichts. Die Gabe der Philipperinnen und Philipper füllt ihr Guthaben, aber nicht auf einem himmlischen Konto, sondern bei Paulus selbst. Sie haben etwas gut bei ihm. Paulus erkennt sein momentanes Schuldverhältnis gegenüber der Gemeinde ausdrücklich an, einschließlich der aus diesem Guthaben entstehenden Zinsen. Πλεονάζω „wachsen“ wird im Sinne von Zinsen technisch gebraucht (Preisigke, Wb II 316; Ogereau* 297 f.). 18 ἀπέχω δὲ πάντα καὶ περισσεύω πεπλήρωμαι δεξάμενος παρὰ Ἐπαφροδίτου τὰ παρ᾽ ὑμῶν, ὀσμὴν εὐωδίας, θυσίαν δεκτήν, εὐάρεστον τῷ θεῷ. Mit einer typischen Quittungsformulierung: ἀπέχω δὲ πάντα quittiert Paulus den Erhalt des vollen Betrags (Deissmann, LO 88–90; Bauer, Wb; Preisigke, Wb I 163 f.; Ogereau* 104–112; H. D. Betz* 120 f.). Δέχομαι παρά ist ebenfalls als Terminus technicus für einen Zahlungsempfang belegt. So wird auf einer Steuerquittung bestätigt: „Ich habe von dir vollständig empfangen ohne jeden Rest“ (δέδεγμαι παρὰ σοῦ ἐκ πλήρους ἄνευ παντὸς λοιπήματος, P.Tebt. II 281,21–24, 125 v. Chr.; Sel. Pap. II 379). Zwischen den beiden formellen Bestätigungsformulierungen ἀπέχω δὲ πάντα und δεξάμενος ist die Größe der Gabe hervorgehoben: „Ich habe Überfluss“ (περισσεύω, vgl. V. 11). �46, die Minuskel 2495 sowie einige Vulgatatexte stellen ein δέ (δὲ καί) zwischen πεπλήρωμαι und δεξάμενος, vielleicht um zwischen dem Boten Epaphroditus und den Geberinnen und Gebern aus Philippi zu unterscheiden (H. D. Betz* 116). Das resultative Perfekt von πληρόω „anfüllen“ kann als Anklang an die technische Bedeutung von ἐκ πλήρους „vollständig“ zur Bestätigung des vollständigen Erhalts der Gabe interpretiert werden (Ogereau* 112–118; 305 f.). Der Satz wäre dann die Verstärkung der formellen Entlastung des Boten Epaphroditus von seiner verantwortungsvollen und durchaus gefährlichen Aufgabe des Geldtransportes. Näher liegt es, die Ich-Aussage auf die Wirkung der Gabe bei Paulus selbst zu beziehen. Seine Bedürfnisse sind nun vollauf gedeckt. Die Größe der Gabe scheint Paulus auch in Verlegenheit zu bringen (Georgi* 47; Bormann* 177; 216). Eine dritte Möglichkeit wäre, πεπλήρωμαι auf alle folgenden Akkusativobjekte zu beziehen. Dann wäre nicht nur gesagt: „Eure Gabe hat mich voll gemacht“, sondern hinzugefügt: „erfüllt wurde ich …
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mit einem Duft …“ (Baumert, K. 338; 340 f.; 428 f.; vgl. E. Lohmeyer, K.). Die meisten Auslegungen ordnen die Akkusative ὀσμήν und θυσίαν δεκτήν jedoch attributiv dem ersten Akkusativobjekt τὰ παρ᾽ ὑμῶν zu (Gnilka, K.; Schenk, K.; U. B. Müller, K.). Ὀσμὴ εὐωδίας ist der jede antike Gottheit erfreuende „wohlriechende Duft“, der von der Verbrennung von Opfergaben aufsteigt (Gen 8,21; Ex 29,18; Lev 1,9.13; Stumpff, ThWNT II 808 f.). Die gesamte Antike kennt aber auch eine Spiritualisierung der eigentlich im Kult beheimateten Begriffe (Ferguson* 1152–1166). Gebet, Weisheit, Gerechtigkeit, Vernunft und Tugend sind in dieser Metaphorik die wichtigeren Duft verströmenden Opfergaben (ψ 140,2; Sir 39,13 f.; Philo congr. 114 f.). Nimmt Gott das Opfer an, so entsteht Harmonie zwischen Gott und Menschen (Kügler* 126). Im antiken Opfergottesdienst ist eine θυσία δεκτή ein korrektes Opfer. Die Formulierung beschreibt die Deklaration eines Priesters, dass ein Opfer aufgrund seiner Makel- und Tadellosigkeit für Gott „angenehm“ und damit „willkommen“ ist (Lev 1,3 f.; 17,3 f.; 19,5 f.; 22,19 f.; Jes 56,7). Δεκτός wurde in der jüdischen Weisheitstheologie ebenfalls auf die Ethik übertragen: „Das Gerechte ist bei Gott angenehm, mehr als das Opfern von Opfergaben“ (τὰ δίκαια δεκτὰ δὲ παρὰ θεῷ μᾶλλον ἢ θύειν θυσίας, Spr 16,7; vgl. Spr 10,24; 14,9; 22,11; Sir 32,9/35,9 LXX; Hebr 13,16; Link/ Becker, TBLNT 586). Ohne direkten Bezug zum antiken Kult bezeichnet εὐάρεστος ein Gott angenehmes und wohlgefälliges Handeln. So bittet der weise König: „Sende Weisheit aus deinen heiligen Himmeln …, damit ich erkenne, was wohlgefällig bei dir ist!“ (… καὶ γνῶ τί εὐάρεστόν ἐστιν παρὰ σοί, SapSal 9,10; vgl. SapSal 4,10; Röm 14,18; 2Kor 5,9; Bietenhard, TBLNT 1914 f.). Der Gebrauch des Begriffs inmitten kultischer Metaphern ist allerdings keineswegs selten. So sagt Philo vom Verstand, wenn er „gereinigt ist mit der Reinigung durch die vollkommene Tugend, dass er selbst das allerheiligste Opfer ist und Gott ganz und gar wohlgefällig“ (νοῦς … καθαρθεὶς καθάρσεσι ταῖς ἀρετῆς τελείας αὐτός ἐστιν ἡ εὐαγεστάτη θυσία καὶ ὅλη δι᾽ ὅλων εὐάρεστος θεῷ, Philo spec. 1.201; vgl. Röm 12,1 f.; Hebr 12,28; 13,16). Zur abschließenden Bewertung nimmt Paulus also kurzfristig die Rolle Gottes ein, lobt den Duft der Gabe, erteilt dann als Priester den positiven Opferbescheid „Gott angenehm“ und bewertet sie schließlich als „vor Gott wohlgefällig“ (Vahrenhorst*). Der plötzliche Wechsel in das Bildfeld des Kultes provoziert die These, Paulus entziehe sich seinem Schuldverhältnis mit der Behauptung, die Gabe gelte nicht eigentlich ihm, sondern Gott (Gnilka, K.; U. B. Müller, K.; Georgi* 48 f.). Die ethische Bewertung am Schluss des Verses erkennt jedoch die Gabe als Leistung der Gemeinde unumwunden an (Bormann* 156–160). Die dem Kult entnommenen Bilder deuten den Versuch einer Gegengabe an, die jedoch nur im Angesicht Gottes gelingen kann. Der nächste Vers formuliert daher ein Gebet. 19 ὁ δὲ θεός μου πληρώσει πᾶσαν χρείαν ὑμῶν κατὰ τὸ πλοῦτος αὐτοῦ ἐν δόξῃ ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ. Paulus fährt mit der Gebetsformlierung ὁ θεός μου fort (→ 1,3; 1Kor 1,4; Phlm 4; Röm 1,8). Man erwartet einen Wunsch, sodass wichtige Zeugen des westlichen Textes, die Majuskeln D*, F, G, Ψ, 075, die Minuskeln 6, 33, 81, 104, 326, 365, 1175, 1241, 1505, 1739, 1881 und die lateinische Überlieferung den Optativ πληρώσαι lesen. Das Futur πληρώσει ist aber mit �46, �, A, B u. a. besser bezeugt. Es handelt sich also um eine als Gebet vorgetragene Verheißung (U. B. Müller, K.; 298
Quittung für eine dringend benötigte Spende (Brief A)
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O’Brien, K.; Bockmuehl, K.) oder um einen Segensausspruch (Gnilka, K.). Betz möchte sogar einen formellen Kultbescheid annehmen (H. D. Betz* 130 f.). In Antwort auf die durch Epaphroditus erzeugte Fülle (πεπλήρωμαι, V. 18) und die früheren Sendungen aus der Gemeinde für seinen Bedarf (χρεία, V. 16) betet Paulus, dass Gott jeden Mangel (χρεία) der Philipperinnen und Philipper auffüllen (πληρόω) wird. Ihre Gabe erzeugt auf zweifache Weise einen Überschuss: als Opfer vor Gott und entsprechend Gottes Reichtum wiederum bei den Philipperinnen und Philippern. Angesichts der in Philippi herrschenden Not ist dies vermutlich mehr als willkommen (2Kor 8,1 f.). Das Gegenbild zur χρεία in Philippi, πλοῦτος, kann sowohl als Maskulinum als auch als Neutrum dekliniert werden (B/D/R § 51.2). Die Septuaginta kennt Gottes Fülle, z. B. die Fülle seines Glanzes (πλῆθος τῆς δόξης, Ex 15,7). Erst Philo spricht ausdrücklich vom „unbegrenzten Reichtum Gottes“ (τὸν ἀπερίγραφον τοῦ θεοῦ πλοῦτον, Philo post. 174) und vom „Übermaß von Gottes eigenem Reichtum und eigener Güte“ (τὸν πολὺν πλοῦτον τῶν τοῦ θεοῦ χαρίτων, LA 3.163; Wolter* 145– 154). Reichtum ist außerdem ein wichtiges Charakteristikum der göttlichen Weisheit (Spr 8,18; SapSal 7,11.13; Philo post. 151), die ihn gerne verschenkt (Spr 3,16; 22,4; SapSal 10,11 u. ö.). Doxologien im Römer- und im Epheserbrief greifen das Bild auf (Röm 9,23; 11,33; Eph 1,7.18; 3,16). Man kann τὸ πλοῦτος αὐτοῦ ἐν δόξῃ analog als Gottes Reichtum an Glanz, Ehre oder Herrlichkeit verstehen. Näher liegt es, ἐν δόξῃ als adverbiale Näherbestimmung zu πληρώσει aufzufassen: „in glanzvoller Weise auffüllen“. Noch nicht entschieden ist damit, ob Paulus einen eschatologischen Ausgleich des Mangels im Blick hat (E. Lohmeyer, K.; O’Brien, K.; U. B. Müller, K.) oder ob Paulus Gott bittet, den Mangel in Philippi sogleich zu beheben (Hawthorne/Martin, K.; Baumert, K.). Im ersten Fall wird die Parallelisierung von ἐν δόξῃ und ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ als eschatologische Auferstehungsherrlichkeit interpretiert, im anderen Fall als Gottes Selbstoffenbarung in der Identifikation mit dem Gekreuzigten. Es ist das einzige Mal, dass Christus in diesem kurzen Quittungsschreiben überhaupt erwähnt wird. „In Christus Jesus“ ist auch eine Zeitansage, nämlich dass die Endzeit bereits jetzt angebrochen ist (Georgi* 49). Auch Seneca stellt heraus, dass man einem Fremden Wohltaten gewährt, obgleich er sie nicht vergelten kann. Dieser beauftragt die Götter und bittet, „sie mögen statt seiner Dank abstatten“ (pro se gratiam referant; Sen Ben 4.11,3). Das Gebet des Paulus bewegt sich im Denkrahmen des antiken Wohltäterdiskurses (Danker, Benefactor 426). Wichtig ist, dass die Gabe aus Philippi in ihrem Opfercharakter auch Gott bewegt. 20 τῷ δὲ θεῷ καὶ πατρὶ ἡμῶν ἡ δόξα εἰς τοὺς αἰῶνας τῶν αἰώνων, ἀμήν. Paulus beendet sein Gebet mit einer typisch jüdischen Doxologie (→ 1,11; Röm 9,5; 11,33– 36 u. ö.). Wie in den Psalmen soll „Gottes ruhmreicher Name gesegnet sein in Ewigkeit und von Ewigkeit zur Ewigkeit“ (καὶ εὐλογητὸν τὸ ὄνομα τῆς δόξης αὐτοῦ εἰς τὸν αἰῶνα καὶ εἰς τὸν αἰῶνα τοῦ αἰῶνος, ψ 71,19; 103,31; 4Makk 18,24; Apk 5,13; 7,12; 11,15). Die Formel εἰς τοὺς αἰῶνας τῶν αἰώνων übersetzt das hebräische Wort עוָֹלם/olam bzw. seinen Plural als alle Raum und Zeit umgreifende Wirklichkeit (ψ 83,5; vgl. Walter, K.). Die hier verwendete Doxologie erscheint noch einmal in Gal 1,5. Dort zitiert Paulus eine frühchristliche Tradition, nach der Christus uns aus dem gegenwärtigen bösen Äon herausgerissen hat (vgl. die von vielen Auslegungen für nachpaulinisch gehaltene Stelle: Röm 16,27). Gal 1,4 f. preist Gott für die durch Christus 299
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bewirkte eschatologische Zeitenwende. Wie in der von Paulus verwendeten brieflichen salutatio (→ 1,2) wird Gott als „unser Vater“ angesprochen. Diese Anrede ist Folge der Gabe des Geistes (Gal 4,6; Röm 8,15). Die Schlussdoxologie preist also Gottes Raum und Zeit umgreifendes Heilswirken, das bereits jetzt begonnen hat. Das „Amen“ ist die Bestätigung der durch den prophetischen Geist gemachten Zusage (1Kor 14,26). Mit „Amen“ enden die eigenhändige Nachschrift in Gal 6,18 sowie ein möglicher Briefschluss in Röm 15,33. Das Fragment bricht hier ab. Vermutlich fehlt der briefliche Schlussgruß, zumindest dann, wenn die folgenden Verse usprünglich zum Dankes- und Freudenbrief B in 1,1–3,1 + 4,1–7.9b gehörten. Das knappe Quittungsschreiben gibt Einblicke in Ansätze zur Institutionalisierung innerhalb der paulinischen Mission (→ Exk. 17). Zugleich fallen viele Besonderheiten dieses Stückes innerhalb der übrigen erhaltenen paulinischen Briefe auf. Allein in Phil 4,15.17 f. findet sich eine solche Dichte ökonomischer Fachbegriffe. Allein in Phil 4,11–13 stilisiert sich Paulus als stoischer Weiser. Allein in Phil 4,18 schlüpft Paulus in die Rolle eines Priesters und befindet über die Angemessenheit einer Opfergabe. Phil 4,15 f. geben darüber hinaus einen einzigartigen Einblick in die Frühphase einer paulinischen Gemeindegründung, die noch dazu vermutlich die älteste Gründung seines von Antiochia getrennten Missionsteams darstellt (1Thess 2,1 f.). Der Text stellt also eine der dichtesten Reflexionen über die Finanzierung der paulinischen Mission oder provokanter: der Beziehung zwischen Gott und Geld dar. Anders als in Korinth (1Kor 9,15–18; 2Kor 11,7–9; 12,13) akzeptiert Paulus Geld aus Philippi – und zwar nicht nur in seiner augenblicklich bedrängten Situation, sondern über einen längeren Zeitraum (V. 15 f.). Dies aber zieht Verpflichtungen nach sich, sei es zur Gegengabe im Freundschafts-, Wohltäter- oder Patronatsverhältnis, sei es zur Arbeitsleistung im Kontext einer gemeinsam verantworteten Gesellschaft zur Verkündigung des Evangeliums. Augenblicklich kann Paulus jedoch keine Gegenleistung erbringen. In drei Argumentationskreisen ringt Paulus mit dem Verpflichtungsverhältnis, das sich aus der Akzeptanz der Gabe aus Philippi ergibt. Zweimal räumt er „Missverständnisse“ aus (V. 11.17). Er ist nicht abhängig von der Gabe, aber eine höhere Macht – Gott und die Freigiebigkeit der Gemeinde – ermächtigt ihn und gibt ihm Freiheit, das Gemeinschaftsverhältnis mit der Gemeinde erneut wahrzunehmen (V. 10.13 f.). Die Gabe ist kein Geschenk, sondern ein Kredit, der mit Zinsen verrechnet werden wird, aber Gott wird die bei Paulus angekommene Fülle mit seinem Reichtum ausgleichen (V. 18 f.). Im Bild des Opfers wird aus dem finanziellen Austausch ein Gottesdienst, der mittels Gebet nicht nur die Gebenden, sondern auch Gott wachsen lässt (V. 19 f.). Paulus wird einige der hier formulierten Gedanken in Bezug auf die Kollekte oder Sammlung für die Armen in Jerusalem weiterentwickeln (2Kor 9,12–15; Georgi* 50; 74; Reumann* 450–454). Zwei der später formulierten Gedanken fehlen allerdings noch an dieser Stelle. Zum einen bleibt „in Christus Jesus“ (V. 19) verhältnismäßig blass gegenüber dem durch Christus selbst initiierten Güteraustausch nach 2Kor 8,9. Zum anderen sagt Paulus noch nichts von einer materiellen Schuld der Völker gegenüber den geistigen Gaben der Jerusalemer, wie er es abschließend über die Motivation seiner Kollekte in Röm 15,27 formuliert.
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4,20
Im Kontext des kanonisch gewordenen Philipperbriefs klingt das in 4,10–20 fehlende „Dankeschön“ in 1,3–11 immerhin an. Das Ich des Peristasenkatalogs (V. 11–13) reiht sich dann ein in die autobiographischen Passagen 1,19–26 und 3,4b–14 und unterstreicht das herausragende Beispiel des Apostels. Vor allem aber bezeugt der Abschluss die außerordentlichen Leistungen der Gemeinde und begründet ihren Ruf als Paulus’ Lieblingsgemeinde. Phil 4,15 f. demonstriert die anfängliche Ursprünglichkeit ihrer als kontinuierlich ausgezeichneten Beziehung zum Apostel „seit dem ersten Tag“ bis zum letzten Tag im Gefängnis und dem sich anschließenden Martyrium. Der „danklose Dank“ setzt der Gemeinde im heutigen Brief „ein schönes Denkmal“ (Bornkamm, Philipperbrief 203).
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4,21–23 Schlussgrüße (Brief B) 21
Grüßt jede Heilige und jeden Heiligen in Christus Jesus! Es grüßen euch die Geschwister, die bei mir sind. 22 Es grüßen euch alle Heiligen, besonders die aus dem Haus des Kaisers. 23 Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus (sei) mit eurem Geist.
Doering, Ancient Jewish Letters 422–428. – Klauck, Briefliteratur 50–52.
Antike Briefe übermitteln häufig Grüße an und durch Dritte (Klauck*). Über Absender und Adressierte hinaus kommunizieren hier größere Gruppen. Mit Ausnahme des Galaterbriefs übermitteln alle Paulusbriefe Grüße. Wie in 1Thess 5,26 und 2Kor 13,12, aber anders als in 1Kor 16,19 f., Phlm 23 f. und Röm 16,21–23, werden in Phil 4,21–23 keine namentlich Grüßenden erwähnt. Alle Paulusbriefe schließen mit einem Segenswunsch. Für die Redaktionshypothese stellt sich die Frage, zu welchem der ursprünglichen Fragmente die Schlussgrüße gehörten. Man kann die Verse 21–23 entweder als Abschluss des Quittungsschreibens 4,10–20 lesen (Schenk, K.; Bormann, Philipper 117 f.; Gnilka, K.; Baumert, K.) oder als ursprünglichen Schluss des Dankesbriefs B, Phil 1,1– 3,1 + 4,1–7.9b (Rahtjen, Three Letters 168; Müller-Bardorff, Einheit des Philipperbriefs 599; Bornkamm, Philipperbrief 197). Ein inhaltlicher Bezug zwischen 4,10–20 und den Grüßen lässt sich nicht entdecken. Daher ist es wahrscheinlicher, dass die Verse 21–23 den Dankesbrief B abschlossen, der den Rahmen für die beiden Einlagen bildet. Die Grüße „aus dem Haus des Kaisers“ spielen dabei auf die Abfassungssituation im Gefängnis an (→ Exk. 18). 21 Ἀσπάσασθε πάντα ἅγιον ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ. ἀσπάζονται ὑμᾶς οἱ σὺν ἐμοὶ ἀδελφοί. In fast allen Briefen fordert Paulus zum Grüßen aller Gemeindeglieder auf, häufig mit der Aufforderung zum heiligen Kuss (1Kor 16,20; 2Kor 13,12; Röm 16,16; vgl. 1Petr 5,14). Ungewöhnlich ist hier die singularische Formulierung πᾶς ἅγιος „jede/r Heilige“ (vgl. οἱ ἅγιοι in 1,1). Einige Auslegungen beziehen diese Aufforderung auf eine hinter 1,1 oder 4,2 f. vermutete herausgehobene Gemeindeleitung (Beare, K. 157; Gnilka, K.; Hawthorne/Martin, K.; Fowl, K.). Aber eine Fraktionsbildung etwa durch Ämter, Martyrien oder Spaltungen in der Gemeinde wird nicht sichtbar. Vielmehr soll das Kollektiv jede und jeden der Heiligen grüßen. Dabei kann ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ das Objekt πᾶς ἅγιος erweitern, sodass betont die Heiligen in Christus gegrüßt werden (Hawthorne/Martin, K. mit Verweis auf 1,1). Ebenso kann man ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ auf ἀσπάσασθε beziehen und als eine besondere Form des
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Schlussgrüße (Brief B)
4,22
Grußes in Christus Jesus interpretieren (Dibelius, HNT; E. Lohmeyer, K.; Röm 16,22; 1Kor 16,19). Vermittelt werden zunächst Grüße von allen Geschwistern, „die mit mir sind“ (οἱ σὺν ἐμοὶ ἀδελφοί). „Alle Geschwister“ grüßen auch in 1Kor 16,20. Hier aber muss es sich um eine Gruppe von christusgläubigen Mithäftlingen handeln (E. Lohmeyer, K.). Paulus nennt andernorts explizit Onesimus, Epaphras und Timotheus (Phlm 13 f.16.23; 2Kor 1,1.8–11; → 2,25–30). Vielleicht gehören auch Markus, Aristarch, Demas und Lukas dazu (Phlm 24; vgl. Kol 4,10–14). Angesichts des freundschaftlichen Tones fällt auch auf, dass keine Namen genannt sind (O’Brien, K.). Allerdings fehlen in diesem Brief mit Ausnahme von Timotheus und dem Briefboten Epaphroditus alle Namen von Gemeindegliedern und Mithäftlingen am Haftort Ephesus. 22 ἀσπάζονται ὑμᾶς πάντες οἱ ἅγιοι, μάλιστα δὲ οἱ ἐκ τῆς Καίσαρος οἰκίας. Neben der Gruppe der mit Paulus gefangenen Geschwister grüßen πάντες οἱ ἅγιοι „alle Heiligen“. Die Heiligen werden also von allen Heiligen gegrüßt (→ 1,1; 4,21). Ein inhaltlicher Unterschied zwischen der Gruppe der ἀδελφοί aus V. 21 und der ἅγιοι lässt sich nicht ausmachen, denn beide Begriffe werden auf alle Gemeindeglieder bezogen (→ 1,1.12; 3,1.13.17; 4,1.8). V. 22a entspricht wörtlich 2Kor 13,12b, ein Stück, das, wie Gnilka (K.) bemerkt, ebenfalls in Ephesus geschrieben wurde. Es folgt die Hervorhebung einer Untergruppe unter den Heiligen durch den Superlativ von μᾶλλον, nämlich μάλιστα: „besonders die aus dem Haus des Kaisers“. Deren Identität hat die Auslegung von Beginn an besonders beschäftigt.
Exkurs 18: Die aus dem Haus des Kaisers Martin Bang, Caesaris Servus, Hermes 54 (1919), 174–186. – Baur, Paulus II 65–72. – Bormann, Philippi 187–213. – Heinrich Chantraine, Freigelassene und Sklaven im Dienst der römischen Kaiser. Studien zu ihrer Nomenklatur, 1967. – Deissmann, LO 126 f. – Werner Eck, Familia Caesaris, in: Heinz Heinen (Hg.), Handwörterbuch der antiken Sklaverei, Lieferung I–IV, 2007 (CD-Rom). – Ders., Teilhabe an der Macht. Kaiserliche Freigelassene in der Gesellschaft des Imperium Romanum, in: Präsident der Universität Trier (Hg.), Reden an der Universität, 2011, 7–42. – Ders./Johannes Heinrichs (Hg.), Sklaven und Freigelassene in der Gesellschaft der römischen Kaiserzeit, TzF 61, 1993. – Jonathan C. Edmondson, Slavery and the Roman Family, in: Keith Bradley/Paul Cartledge (Hg.), The Cambridge World History of Slavery I: The Ancient Mediterranean World, 2001, 337–361. – Michael Flexsenhar III, Christians in Caesar’s Household. The Emperor’s Slave in the Makings of Christianity, 2019. – Fontana Gonzalo Elboj, Los orígenes del cristianismo en Asia Menor (a. 70–135), 2015, 194–203. – Doreen Hartland, Breaching the „Silence“ on Early Christianity and Military Service. Paul and the Praetorian Guard, IBSt 28,1 (2010), 21–49. – Colin J. Hemer, The Book of Acts in the Setting of Hellenistic History, WUNT 49, 1989. – Stephen R. Llewelyn, Sending Letters in the Ancient World. Paul and the Philippians, TynB 46,2 (1995), 337–356. – Richard P. Saller, Familia, Domus, and the Roman Conception of the Family, Phoenix 38 (1984), 336–355. – Standhartinger, Aus der Welt eines Gefangenen. – Paul R. C. Weaver, Familia Caesaris. A Social Study of the Emperor’s Freedmen and Slaves, 1972. – Weiss, Sklave der Stadt. – Aloys Winterling, Aula Caesaris. Studien zur Institutionalisierung des römischen Kaiserhofes in der Zeit von Augustus bis Commodus (31 v. Chr.–192 n. Chr.), 1999.
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4,21–23
Schlussgrüße (Brief B)
Das Syntagma οἱ ἐκ τῆς Καίσαρος οἰκίας ist ausschließlich im Philipperbrief belegt. Wo griechischsprachige Autoren ἡ οἰκία Καίσαρος gebrauchen, meinen sie entweder das kaiserliche Wohnhaus (Plut Caesar 63,6; Plut Cicero 28,2; 47,6) oder aber die Mitglieder aus der unmittelbaren Familie des Kaisers, denen es zusteht, „gewisse Privilegien und Ehre zu erhalten“ (τις τῶν ἐκ τῆς Καίσαρος οἰκίας … προνομίαν τινὰ καὶ τιμὴν ἔχειν, Philo Flacc. 35). Ehrungen für das „Haus des Caesar“ meinen die unmittelbare Familie im Sinne der Dynastie. So wird der Sieger in einem Wettbewerb von Preisliedern auf der Insel Kos dafür gerühmt, dass er sein Lied zu Ehren des „Stadtgründers Augustus und der Wohltäter Kaiser Tiberius und Kaiser Germanicus und ihres ganzen Hauses“ vortrug (ἔς τε τὸν κτίσταν τᾶς πόλιο[ς] Σεβαστὸν Καίσαρα καὶ τὸhςi [ε] ὐεργέτας Τεβέ[� ιο]ν Καίσαρα κ[αὶ] Γερμανικὸν Καίσαρα καὶ τὸν ὅλον οἶκον αὐτ[ῶ]ν, IG XII,4 2.939,6–11, 4 n. Chr.). Eine Weiheinschrift in dem Theater von Hierapolis richtet sich an den Zeus Olympois, die Götter der Väter, Hadrian und die ganze Familie der Augusti (… Αὐτοκράτορι Καίσα[ρι Τ]ραιανῷ Ἁδριανῷ Σεβασ[τ]ῷ κ[αὶ τ]ῷ [σύ]ν[παν]τι οἴκῳ τῶν Σεβαστῶν, SEG 41.1200,1 f., 117–138 n. Chr.). Ein Bacchusverein in Perinthos stiftet eine Stele für die Gesundheit und den Sieg des Septimius Severus, seiner ganzen Familie (τοῦ σύμπαντος οἴκου) und des heiligen Senats und Volkes (IPerinthos 56,4–9/Kloppenborg/Ascough I 87). Bei der Renovierung des Forums in Philippi in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts werden eine Reihe von Gebäuden „dem kaiserlichen Haus und der Colonia Iuliae Augustae Philippiensium“ gewidmet (in honorem divina domus et coloniae Iuliae Augustae Philippiensium; CIPh II.1 16/Pilhofer II 201, 161 und 176 n. Chr.; CIPh II.1 18/Pilhofer II 198, 161 und 176 n. Chr.; CIPh II.1 19/Pilhofer II 228, 161 und 176 n. Chr.; CIPh II.1 21/Pilhofer II 233, 161 und 176 n. Chr.; CIPh II.1 22/Pilhofer II 243, 161 und 176 n. Chr.; vgl. auch Weihung an Isis Regina CIPh II.1 23/Pilhofer II 132, Ende 2. Jh. n. Chr.). Die ältesten Ausleger von Phil 4,22 interpretieren den Text vor diesem Hintergrund. Für Johannes Chrysostomus sind „die aus dem Haus des Kaisers“ mit dem „Verwalter der Stadt Erastos“ (Röm 16,23) der Beleg, dass die Botschaft auch von den Großen ergriffen wurde (ὅτι καὶ τῶν μεγάλων τὸ κήρυγμα ἥψατο, Hom in Rom 33,3 [PG 60.678,2 f.]). Es handele sich um die Bewohnerinnen und Bewohner des „kaiserlichen Palastes“ (οἱ ἐν τοῖς βασιλείοις, Hom in Phil 16,4 [Field/Allen 167/PG 62.294,5–12]). Auch für Theodoret von Kyros lehrt Paulus, „wie das göttliche Evangelium auch von οἱ βασιλείοι ‚den Königlichen‘ angenommen wurde und die βασιλέως οἰκεῖοι ‚Vertrauten des Kaisers‘ zum Leben abgeführt wurden“ (Comm in Phil [PG 82.589,31–33]). Die These wird noch von Johannes von Damaskus (8. Jh.) zitiert: „Damit tröstet er sie sehr, indem er sagt, dass die Botschaft bis in den königlichen Palast ergriffen wurde“ (εἰς τὸν οἶκον τὸν βασιλικὸν κεκρατηκέναι … τὸ κήρυγμα, Ad Phil [Volk 433,583–585/PG 95.881,52 f.]). Für Athanasius ist Phil 4,22 sogar ein wichtiges Argument gegen den seiner Meinung nach unberechtigten Einfluss der Kaiser bei Konzilien: „Der Apostel Paulus hatte Freunde, die zum Haus des Kaisers gehörten, und als er schrieb, grüßte er die Philipper von ihnen, aber er zog diese nicht als Teilnehmer an Entscheidungen hinzu“ (Παῦλος ἀπόστολος εἶχε φίλους τοὺς τῆς τοῦ Καίσαρος οἰκίας καὶ γράφων ἠσπάζετο τοὺς Φιλιππησίους ἀπὸ τούτων, ἀλλ’ οὐκ εἰς κρίματα τούτους κοινωνοὺς παρελάμβανε, Ath Hist Ar 52,4). Der an dieser Stelle nur lateinisch überlieferte Theodor von Mopsuestia folgt der (alt)lateinischen Übersetzung qui de Caesaris domo (Comm in Phil 4,22 [Greer 360,29]). Im klassischen Latein bezeichnet domus neben der physischen Struktur eines Wohnhauses zum einen den Haushalt einer Familie, gegebenenfalls inklusive ihrer Sklavinnen und Sklaven, und zum anderen aber alle Verwandten inklusive der Vorfahren. „The emperor’s relatives of all types constitute the domus Caesarum“ (Saller, Familia* 342–355, 345). Das heißt, die griechische und die lateinische Auslegung verstehen „die aus dem Haus des Kaisers“ entweder unmittelbar als Mitglieder der kaiserlichen Familie oder zumindest als ranghohe Verwalter. Origenes erschließt aus einer Kombination von Phil 4,22 und Joh 4,46 f., dass ὁ βασιλικός „der Königliche“ aus Joh 4 τῆς Καίσαρος οἰκίας
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Schlussgrüße (Brief B)
4,22
γεγονέναι „aus dem Haus des Kaisers stammt“ und etwas in Bezug auf die Provinz Judäa zu tun hatte, also vom Kaiser zur Provinzverwaltung entsandt war (πράττοντά τι περὶ τὴν Ἰουδαίαν τότε, Orig Comm in Joh XIII § 395). Lediglich fiktive Erzählungen bringen „Menschen aus dem Haus des Kaisers“ in Beziehung zu Paulus. Die ältere, das Martyrium des Paulus vom Ende des 2. Jahrhunderts, setzt ein mit der Ankunft des Paulus in Rom und der Verbreitung dieser Nachricht in der ganzen Stadt, sodass viele in das von Paulus angemietete horreum „Lagerhaus“ außerhalb der Stadt strömen. Zu dieser Menge gehört auch πολὺ πλῆθος ἐκ τῆς Καίσαρος οἰκίας „eine große Menge aus dem Kaiserhaus“, die zum Glauben kommt. Exemplifiziert wird dies durch die Erzählung vom Fenstersturz und von der nachmaligen Auferweckung von Neros Mundschenk Patroklos, eine Episode, die die tödliche Auseinandersetzung zwischen Paulus und dem Kaiser ins Rollen bringt (ActPaul 11/Mart Paul 1). Die Erzählung nutzt Motive aus Apg 20,7–12 und Phil 4,22 (Flexsenhar* 45–54). Die aus dem 4. Jahrhundert stammenden Pseudoclementinen identifizieren den Petrusbegleiter Clemens und seinen Vater Faustinus jeweils als einen Verwandten des Kaisers Tiberius (ἀνὴρ πρὸς γένους Τιβερίου Καίσαρος, PsClem H 4.7,2; vgl. 12.8,2; 14.10,2; Eus Hist Eccl 3.18,4). Beide Erzählungen interpretieren die Nachrichten aus Phil 4,3 und 4,22. Der einzige οἰκέτης … ἐκ τῆς Καίσαρος οἰκίας „Sklave aus dem Haus des Caesars/Caesaris servus“, der von Hippolyt im 3. Jahrhundert unter die Glaubenden gezählt wird, ist der Besitzer des Calixt von Rom, Karpophorus. Als Bankier gehört der ehemalige Sklavenbesitzer des späteren Bischofs zur imperialen Elite (Hipp Ref 9.12; Flexsenhar* 66–75). Im 19. Jahrhundert verlor die These, bereits Paulus habe im unmittelbaren Kaiserhaus Anhängerinnen und Anhänger gefunden, an Plausibilität. Für Ferdinand Christian Baur ist diese Behauptung ein letztes Argument, die Verfasserschaft des Paulus für diesen Brief zu bestreiten (Baur*; → Einl. 2). Er führt die Erwähnung der Leute aus dem Kaiser aus Phil 4,22 in Verbindung mit Clemens in Phil 4,3 auf die Petruspartei zurück, die hier den in PsClem H 4.7,2 u. ö. genannten Petrusbegleiter und kaiserlichen Verwandten Clemens in einen Pseudo-Paulusbrief einschreibe. Der historische Anhalt – freilich nur ein fundus fabulae – sei Flavius Clemens, ein Verwandter der Domitianvertrauten Flavia Domitilla, die nach Euseb wegen ihres Christusglaubens verbannt wurde (Suet Domitian 15,1; Dio C 67.14,1 f.; Eus Hist Eccl 3.18,4). Gegen Baurs radikalkritischen Ansatz entwickelt Joseph Barber Lightfoot die für die folgende Auslegung von Phil 4,22 maßgebliche These: „The ‚domus‘ or ‚familia Caesaris‘ (represented by the Greek οἰκία Καίσαρος) includes the whole of the imperial household, the meanest slaves as well as the most powerful courtiers“ (Lightfoot, K. 171). In seinem Exkurs möchte Lightfoot außerdem mithilfe eines Vergleichs der in der Namensliste aus Röm 16,1–16 und in römischen Inschriften und literarischen Quellen des 1. Jahrhunderts genannten Personennamen nachweisen, dass zur römischen Gemeinde, seiner Meinung nach dem Abfassungsort des Philipperbriefs, tatsächlich Mitglieder des Kaiserhauses gehörten (Lightfoot, K. 171–178). Lightfoots Thesen werden insbesondere in der englischsprachigen Forschung bis heute rezipiert (z. B. O’Brien, K.; Fee, K.; Bockmuehl, K.; Witherington, K. 283–287 u. a.; zur Rezeption von Lightfoots Thesen am Beginn des 20. Jahrhunderts Flexsenhar* 1–11). In der deutschsprachigen Forschung ist dagegen die Modifikation von Lightfoots These durch Adolf Deissmann einflussreich. Nach Deissmann stammen die Grüße aus Phil 4,22 „nicht von Prinzessinnen und Ministern, sondern von einfachen kaiserlichen Sklaven, kleinen Schreibern, die in Ephesus vielleicht bei Finanz- und Domänenbehörden beschäftigt waren“ (Deissmann, LO 126 f.; vgl. Dibelius, HNT; Gnilka, K.; U. B. Müller, K.; Walter, K.; Häußer, K.). Derzeit werden „die aus dem Haus des Kaisers“ häufig als Netzwerk kaiserlicher Sklaven und Freigelassener identifiziert, die entweder in Rom oder in anderen Provinzhauptstädten zu lokalisieren seien (Osiek, K. 123 f.; Bormann, Philippi 191; 198 f.; 201; 213). Näherhin wurden sie als christliche Postkuriere im Dienst des Kaisers (Hemer* 273 f.; vgl. aber Llewelyn*), als das Gefängnis bewa-
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4,21–23
Schlussgrüße (Brief B)
chende Soldaten (Hartland*) oder als eine Hauskirche aus versklavten und freigelassenen Mitgliedern des Kaiserhauses in Ephesus bestimmt (Reumann, K. 739; vgl. U. B. Müller, K.). Die Thesen von Lightfoot und Deissmann übergehen allerdings ein entscheidendes Problem. Nirgendwo erscheint das griechische ἡ οἰκία Καίσαρος in der von Lightfoot zugeschriebenen Bedeutung. Das behauptete lateinische Äquivalent familia Caesaris ist im Wesentlichen ein moderner Kunstbegriff (Weaver* 299 f.; Winterling* 24; 113 f.). In der Antike ist er bisher lediglich fünfmal belegt für Arbeiter verschiedener Berufsgruppen: Frontinus, De aquaeductu urbis Romae 116–118, nennt 460 Arbeiter aus einer von Claudius begründeten Caesaris familia neben 240 aus der familia publica, der Gruppe der „öffentlichen Sklaven“, die die Wasserversorgung in Rom instandhalten (Eck/Heinrichs* 104 f.). Die Inschriften CIL III 7380/ILS 5682, 55 n. Chr.; CIL VIII 11105, 3. Jh. n. Chr.; AE 1917/1918, 111, 152 n. Chr. benennen Gladiatoren, Bewacher von Militärstützpunkten und Arbeiter in der Geldherstellung als familia gladiatoriae, familia castrensis, familia monetalis, familia, quae est in metalis (Eck, Familia; vgl. Eck/Heinrichs* 102–110; Weaver* 300). Erst ab Mitte des 1. Jahrhunderts „verwenden Sklaven und Freigelassene … in ihrer Nomenklatur nicht mehr den Bezug zu einem bestimmten Kaiser, sondern nennen sich ohne Individualisierung servus/a Caesaris, Freigelassene aber Augusti liberti; der Hinweis auf den individuellen Kaiser ist aber nie ausgeschlossen“ (Eck, Familia; Bang*; Chantraine* 9–11; 143–149; 398–400; Weaver* 48–58). Der Genitiv Caesaris in servus Caesaris oder verna Caesaris gehört seit Claudius nur noch zur Nomenklatur versklavter Mitglieder des Kaiserhauses. In einer zweisprachigen Inschrift aus der Zeit des Domitian ist ein griechisches Äquivalent belegt. Hier ehrt ein Antiochos Καίσ(αρος) δοῦλ(ος) seine Lebensgefährtin Valeria Fortunata (SIA VI 71/SEG 21.1058, 81–96 n. Chr.). Ordnet man οἱ ἐκ τῆς Καίσαρος οἰκίας hier ein, gehörten die hier grüßenden Sklavinnen und Sklaven und einige Gemeindeglieder in Philippi möglicherweise zur gleichen Berufsgruppe (Flexsenhar* 27–44). Ein Beispiel für Augusti liberti sind drei Freigelassene des Caligula, C(aii) Iuli [Au]gusti liberti, die zwei Kaiserstatuen für Tiberius und Drusus auf dem Forum Philippis stiften (CIPh II.1 8A/Pilhofer II 282, 37 n. Chr.). Stiftungsort und Gegenstand zeigen, dass Cad[m]us, Atimetus und Martia [lis] über viel Geld, Macht und Einfluss in Philippi verfügten (Eck, Teilhabe 37 mit Hinweis auf vergleichbare Beispiele aus Ephesus und Caesarea Maritima). Alle bekannten Augusti liberti sind Mitglieder der kaiserlichen Elite. Nach den von Artemidor versammelten Traumdeutungen bedeutet der Traum eines Sklaven, zum Himmel zu fliegen, das Vorzeichen, εἰς βασιλέως αὐλήν „an den kaiserlichen Hof“ zu wechseln (Artemid On[e]irocr 2.68). Artemidor hat allerdings Sklaven am kaiserlichen Hof im Blick. Es muss offenbleiben, ob Sklavinnen und Freigelassene des Kaisers eine einheitliche Sozialpersönlichkeit bildeten oder ob sich der Status an ihrer Funktion bemaß (Winterling* 24). Nur die in der Verwaltung und in unmittelbarer Nähe des Kaisers Wirkenden waren vermögend und einflussreich genug, auch Inschriften zu hinterlassen. Wer in Bergwerken oder auf Latifundien schuften musste, bleibt für die Nachwelt unsichtbar. Wen könnte Paulus mit οἱ ἐκ τῆς Καίσαρος οἰκίας meinen, wenn familia Caesaris kein eingeführter Fachterminus für eine abgrenzbare Gruppe von Kaisersklaven ist und domus Caesaris die unmittelbare Familie, Verwandtschaft und direkte Dienerschaft des Kaisers meint, in dessen Einflussbereich man Christinnen und Christen frühestens im 3. Jahrhundert vermuten darf? Vorschlagen möchte ich ἡ Καίσαρος οἰκία als Gefängnis und οἱ ἐκ τῆς Καίσαρος οἰκίας als Mitgefangene zu verstehen (Standhartinger* 161 f.). Die Septuaginta nennt an einigen Stellen ein Gefängnis οἶκος τῆς φυλακῆς (Ri 16,25; 2Kön 17,4; 2Chr 18,26; Jes 42,7; Jer 39,2; 44,4 u. ö.). Tertullian warnt die Märtyrer: „Das Gefängnis ist ja ein Haus des Teufels, in dem seine Abhängigen wohnen“ (domus quidem diaboli est et carcer, in qua familiam suam continet, Tert Mart 1,4). Nicht ohne Ironie nennt Perpetua sich und ihre Mitgefangenen „nobelste Verurteilte, nämlich des Kaisers, die zum Tierkampf an Kaisers Geburtstag verurteilt sind“ (noxiis nobilissimis, Caesaris scilicet, et natali eiusdem pugnaturis, Mart Perp et Felic 16,3 [Musurillo 124]). Die Märtyrerinnen glichen
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Schlussgrüße (Brief B)
4,23
damit Gladiatorenschulen, die tatsächlich zum Teil zur familia des Kaisers gehörten. In diesen Beispielen deutet sich jedenfalls an, dass man ein provinziales Gefängnis tatsächlich „Haus des Kaisers“ genannt hat. Alternativ könnte man auch an Bewacher denken, die gelegentlich, aber keineswegs immer, unter den städtischen Sklaven oder Soldaten rekrutiert wurden (servi publici: Plin Ep 10.19 f.; Tert Cor 13,2; Krause, Gefängnisse 252–254; Weiss* 110–112). Historisch wenig plausibel, aber entsprechend ihrer allgemeinen Tendenz ist die Apostelgeschichte bemüht, den römischen Bürger Paulus ausschließlich von vornehmsten Bewachern inhaftieren zu lassen: von einem Hausvorstand in Philippi, dem Militärchef in Jerusalem, der sich den Kauf des Bürgerrechts leisten kann, und einem Prätorianerhauptmann mit Namen Julius, also möglicherweise aus dem julisch-claudischen Haus (Apg 16,27–32; 22,28; 27,2). Am Ende muss offenbleiben, wer hier unter dem Namen „die aus dem Haus des Kaisers“ tatsächlich grüßt. Die Verdeckung kann jedenfalls als gelungen betrachtet werden.
Die Grüßenden οἱ ἐκ τῆς Καίσαρος οἰκίας „aus dem Haus des Kaisers“ sind also aus historischen Gründen keine Mitglieder des Kaiserhauses und aus begrifflichen Gründen auch keine kaiserlichen Freigelassenen. Wie die aus Philippi Bekannten, gehören alle liberti Augusti der höchsten gesellschaftlichen Elite des Römischen Reichs an. Der Genitiv Καίσαρος kann zwar seit der Mitte des 1. Jahrhunderts auf kaiserliche Sklaven verweisen, nirgends aber werden die ‚Sklaven des Kaisers‘ mit dem Syntagma οἱ ἐκ τῆς Καίσαρος οἰκίας benannt. Selbst als funktionale Differenzierung innerhalb von Sklavengruppen und die für sie zuständigen Körperschaften ist der lateinische Ausdruck familia Caesaris nur höchst selten belegt. Daher ist ἡ Καίσαρος οἰκία am wahrscheinlichsten eine hier von Paulus spontan geprägte kreative Metapher. Mit „Haus des Kaisers“ ist dann ganz konkret das Praetorium oder ein daran angeschlossenes Gefängnis in Ephesus gemeint, in dem Paulus unter der Aufsicht des Statthalters inhaftiert ist, als er an die Gemeinde in Philippi schreibt (→ Exk. 3). Die durch diesen Aufenthalt gekennzeichneten Menschen οἱ ἐκ τῆς Καίσαρος οἰκίας sind dann entweder die Wächter oder wahrscheinlicher Paulus’ Mitgefangene. V. 22b hebt also die in V. 21b schon genannte Gruppe noch einmal hervor und gibt ihr einen selbstironischen Ehrennamen. 23 Ἡ χάρις τοῦ κυρίου Ἰησοῦ Χριστοῦ μετὰ τοῦ πνεύματος ὑμῶν. Alle Paulusbriefe enden mit einem Schlusssegen. In der sonstigen Briefliteratur ist dagegen der Schlussgruß ἔρρωσο/ἔρρωσθε „Leb[t] wohl!“ oder εὐτύχει „Sei glücklich!“ üblich, der aber ebenso einen Wunsch darstellt (Apg 15,29). Abweichungen und eigenständige Prägungen sind aber keineswegs selten (Arzt-Grabner, Philemon 267–270). Man kann vermuten, dass sich der Segenswunsch aus dem jüdischen Friedenswunsch entwickelte, der in hebräischen und aramäischen, jedoch, soviel bisher bekannt, nicht auf griechisch erhaltenen jüdischen Briefen den Brief beschließt (Doering* 423 f.). Der Jude Paulus hat also wiederum eine Form aus seiner Tradition übernommen (vgl. auch Hebr 13,25; Apk 22,21). In der von den meisten Textzeugen überlieferten Form entspricht der Segenswunsch aus V. 23 dem aus Phlm 25 (vgl. Gal 6,18; 1Thess 5,28; Röm 16,20). Die Majuskeln �2, K, L, Ψ, die Minuskeln 630, 1505, 2464, � und die syrische Überlieferung lesen μετὰ πάντων ὑμῶν „mit euch allen“ statt „mit eurem Geist“ (1Kor 16,24). Die Stelle ist dann ein weiterer Beleg für πνεῦμα als anthropologische Bezeichnung (Schweizer, ThWNT VI 433; vgl. U. B. Müller, K.). �46, �, A, D, K, L, Ψ, die Minuskeln 33, 81, 104, 365, 630, 1175, 1241, 1505, 1739c, 2464, �, ein Teil der lateinischen, die syrische und die koptisch-bohairische Überlieferung setzen ans Ende 307
4,21–23
Schlussgrüße (Brief B)
ein ἀμήν. Die meisten dieser Handschriften fügen das Amen an den Schluss eines jeden paulinischen und deuteropaulinischen Briefs an. Das biblische Wort bekräftigt und bestätigt ein von anderen gesprochenes Wort. Höchstwahrscheinlich wurde es beim liturgischen Gebrauch dieser Handschriften ergänzt (Bietenhard, TBLNT 1845). 4,21–23 enthält die Schlussgrüße des Briefes B (1,1–3,1 + 4,1–7.9b), der den Rahmen des heute kanonisch gewordenen Philipperbriefs bildet. Trotz formaler und zum Teil wörtlicher Übereinstimmungen von V. 22a mit 2Kor 13,12b und von V. 23 mit Phlm 25 und Gal 6,18 fallen Besonderheiten auf: zum einen der Singular πᾶς ἅγιος „jede/r Heilige“, der jede und jeden Einzelne/n anspricht; zum anderen die Grüße aus dem zum Kaiser gehörenden Haus. Hierbei handelt es sich wahrscheinlich um Grüße derjenigen, die mit Paulus zur Zeit der Abfassung des Briefes das Gefängnis teilen müssen. Es fehlen der sonst fast überall genannte heilige Kuss, die Aufforderung, „einander“ zu grüßen, und die Mitteilung von Namen. Die Identitäten der Gegrüßten sind damit vor Einblicken durch Außenstehende etwas geschützt.
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