Die Galater zurückgewinnen: Paulinische Strategien in Galater 5 und 6 9783666530722, 3525530722, 9783525530726


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German Pages [216] Year 2005

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Die Galater zurückgewinnen: Paulinische Strategien in Galater 5 und 6
 9783666530722, 3525530722, 9783525530726

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Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments Herausgegeben von Dietrich-Alex Koch und Matthias Köckert

Band 208

Vandenhoeck & Ruprecht

Susanne Schewe

Die Galater zurückgewinnen Paulinische Strategien in Galater 5 und 6

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ttp://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 3-525-53072-2

© 2005 Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen / Internet: www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Satz: Satzspiegel, Nörten-Hardenberg. Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Vorwort Vorwort

Vorwort

Die vorliegende Untersuchung wurde unter dem Titel „Im Geist beginnen – im Fleisch vollenden? Eine Untersuchung zur Funktion von Gal 5 und 6“ im Frühjahr 2003 von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen. Ohne vielfältige Anregung und Unterstützung wäre sie nicht entstanden. Mein Dank gilt Professor Dr. Jens-W. Taeger, der die Arbeit betreut und ihre Entstehung kritisch begleitet hat, das Erscheinen des Buches aber leider nicht mehr erlebt. Besonders danke ich ihm für den reichlichen Freiraum, den er mir als wissenschaftliche Mitarbeiterin an seinem Lehrstuhl für die Arbeit an der Dissertation gelassen hat. Professor Dr. Dietrich-Alex Koch danke ich als dem Verfasser des Zweitgutachtens und als Herausgeber der Reihe FRLANT, Professor Dr. Martin Rese für seine geschickte Strategie, mich für das Thema der Untersuchung zu gewinnen. Für alle denkerische, emotionale und technische Unterstützung im Raum 211, an diversen Kneipentischen Münsters, in verschiedenen Arbeitszimmern Westfalens und der Ostschweiz danke ich herzlich Susanne Gessner, Gunnar Held, Dr. Joachim Jeska, Urs Merz, Thomas Mittring, PD Dr. Angelika Reichert, Hannelore Schewe, Werner Schewe, Dr. Martin Schewe, Dr. Dagmar Stoltmann sowie dem NTeam Münster. St. Gallen, im Dezember 2004

Susanne Schewe

Inhalt

Inhalt

Inhalt

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

I. Zur Forschungslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 1. Literarkritik als Problemanzeige . . . . . . . . . . . . . . 12 2. Die den Forschungsüberblick leitende Perspektive . . . . . . 15 3. Das „dogmatische“ Modell . . . . . . . . . . . . . . . . 16 3.1 Die Analyse von Gal 5 und 6 bei J. Becker und F. Mußner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 3.2 Methodische Überlegungen zum „dogmatischen“ Modell . 24 4. Das rhetorische Modell . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Die rhetorische Klassifizierung nach H. D. Betz . . . 4.2 Modifikationen der Betzschen Klassifizierung des Galaterbriefes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Der Galaterbrief als rhetorische Mischform . . . 4.2.2 Die Analyse von Gal 5 und 6 bei B. H. Brinsmead 4.3 Eine Neuklassifizierung des Galaterbriefes . . . . . . 4.3.1 Der Galaterbrief als deliberative Rede . . . . . 4.3.2 Die Analyse von Gal 5 und 6 bei R. G. Hall . . 4.3.3 Die Analyse von Gal 5 und 6 bei R. Brucker . . 4.4 Methodische Überlegungen zum rhetorischen Modell . 4.5 Die Einzelauslegung der exhortatio bei H. D. Betz: Betz als Vertreter des historischen Modells . . . . . 5. Das historische Modell . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Eine programmatische Durchführung des historischen Ansatzes bei J. M. G. Barclay . . . . . . . . . . . 5.2 Zur Plausibilität der rekonstruierten historischen Adressatensituation bei Betz und Barclay . . . . . 5.3 Methodische Überlegungen zum historischen Modell 6. Zusammenfassung

. . 26 . . 26 . . . . . . . .

. . . . . . . .

29 29 31 34 34 36 38 40

. . 42

. . . 49 . . . 50 . . . 53 . . . 57

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58

8

Inhalt

II. Eine textpragmatische Analyse von Gal 5 und 6 . . . . . . .

60

1. Methodische Vorbemerkungen zur Analyse . . . . . . . .

60

2. Textanalysen . . . . . . . . . . . 2.1 Gal 5,1–6 . . . . . . . . . . . 2.2 Gal 5,7–12 . . . . . . . . . . . 2.3 Gal 5,13–15 . . . . . . . . . . 2.3.1 Gal 5,13 . . . . . . . . . Exkurs: Zur Verwendung von sârx 2.3.2 Gal 5,14 . . . . . . . . . 2.3.3 Gal 5,15 . . . . . . . . . 2.4 Gal 5,16–26 . . . . . . . . . . 2.5 Gal 6,1–6 . . . . . . . . . . . 2.6 Gal 6,7–10 . . . . . . . . . . .

. . . . . in . . . . .

. . . . . . . . . . Gal . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1,1–5,12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . .

66 66 73 82 82 86 102 108 116 144 172

. .

183

1. Zusammenschau des Textablaufes von Gal 5,1–6,10 . . . .

183

2. Auswertung unter dem Gesichtspunkt der beiden Leitfragen . 2.1 Der thematische Zusammenhang zwischen Gal 5,13–6,10 und dem Rest des Briefes . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Die Funktion des Schlußabschnittes im Rahmen der Gesamtwirkabsicht des Briefes . . . . . . . . . . . . 2.3 Die Textstrategie der Kapitel 3–6 . . . . . . . . . . . Ausblick: Der Briefschluß Gal 6,11–18 . . . . . . . . . .

185

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

203

III. Ergebnis: Die Funktion von Gal 5 und 6 im Gesamtbrief

. . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . .

185 190 192 195

Einleitung Einleitung

Einleitung

Der Galaterbrief ist ein „Kampfbrief in Inhalt, Ton und Form“, veranlaßt „durch eine . . . einzige Frage“ – der Frage nach der Geltung des jüdischen Gesetzes.1 Was Paulus mit seinem Brief erreichen will, ist unumstritten: Er möchte die Galater von den Gegnern mit ihrem „anderen Evangelium“, das sie auf den Gesetzesgehorsam verpflichten will, distanzieren und für sein gesetzesfreies Evangelium zurückgewinnen. Eigentümlich ist daher die Sonderrolle, die in der Forschung dem Schlußpassus des Briefes Gal 5,13–6,10 zugeschrieben wird. Dieser sei „deutlich“ nicht mehr „auf die akut anstehende Entscheidung der Angesprochenen bezogen“, sondern bilde einen „Exkurs“.2 Er verlasse die „theologische Grundsatzdebatte“3 des Apostels mit der Position der Gegner und bringe allgemeine „Paränese, . . . Gestaltungshinweise zum christlichen Wandel“.4 Oder er wende sich nach der „Polemik gegen Beschneidung und Gesetz“5 einer zweiten Gefahr zu, durch die die christliche Freiheit bei den Galatern bedroht sei: der „Korrumpierung ihres Lebens durch das ,Fleisch‘“.6 Der Abschnitt Gal 5,13–6,10 erscheint bei diesen Auffassungen mehr oder weniger stark wie ein Fremdkörper im Rest des Briefes, der sonst so klar auf das eine Problem zugeschnitten ist: Den Zitaten zufolge wendet sich der Passus einem anderen Thema zu, und es ist nicht ohne weiteres ersichtlich, wie dieser Abschnitt dem Ziel des sonstigen Briefes dient, die Adressaten für das gesetzesfreie Evangelium zurückzugewinnen. Vom Text selbst her gibt es jedoch wenig Veranlassung, ihn nicht als ein Schreiben aufzufassen, das thematisch und funktional einheitlich ausgerichtet ist. Diese vermeintliche Abschweifung gerade des Schlußpassus erstaunt um so mehr, als doch zu erwarten wäre, daß ein Verfasser, der taktisch geschickt schreibt, sein Anliegen gegenüber den Adressaten in besonderer Weise am Schluß des Briefes zum Zuge bringt. Sollte Paulus jedoch in seinem Kampfschreiben, mit dem er entschlossen versucht, die Galater vom Gesetzesgehorsam abzuhalten, sein Anliegen am Ende weitgehend aus dem 1 2 3 4 5 6

Vielhauer, Einleitung 112 f. Brucker, Rhetorik 233; vgl. zu dieser Position ausführlicher u. S. 38 ff. Becker, Galater 83. Becker, Galater 83; vgl. zu dieser Position ausführlicher u. S. 16 ff. Betz, Galaterbrief 467. Betz, Galaterbrief 441; vgl. zu dieser Position ausführlicher u. S. 42 ff.

10

Einleitung

Blick verloren und sich anderen Fragen zugewandt haben? Welchen Sinn und welche Funktion haben die Kapitel 5 und 6 innerhalb des Galaterbriefes? Die Untersuchung will der Frage nach Sinn und Funktion von Gal 5,13–6,10 nachgehen und nachweisen, daß dieser Abschnitt keineswegs ein Fremdkörper innerhalb des Galaterbriefes ist, sondern ganz im Dienste der Absicht steht, die Galater von ihrem Vorhaben abzubringen, Gesetz und Beschneidung zu akzeptieren. Der Galaterbrief führt, so die These, durchgängig eine „theologische Grundsatzdebatte“7, die einer einzigen Frage gilt – der Frage nach der theologischen Bedeutung von Gesetzesgehorsam und Beschneidung. Mit Gal 5,13 erfolgt kein Umschwung zu allgemeinchristlicher Ermahnung, wird kein Exkurs eingeleitet oder eine zweite Gefährdung der Freiheit in den Blick genommen. Der Verfasser enthüllt vielmehr im Schlußabschnitt die Tiefendimension der Akzeptanz von Gesetzesgehorsam und Beschneidung: Mit einer Entscheidung für den Gesetzesgehorsam verlassen die Adressaten den Bereich des göttlichen pneøma. Sie verschreiben sich dem widergöttlichen Bereich des „Nur-Menschlichen“, der sârx, einer Existenzweise, die sie aufgrund des Geistempfangs längst hinter sich gelassen haben. Der Schlußpassus des Galaterbriefes setzt das Anliegen des Paulus, seine Adressaten von dieser Entscheidung abzuhalten, rhetorisch pointiert um: In Gal 5,13–6,10 gewinnt der Verfasser seine Adressaten im Text als Pneumatiker zurück, versetzt sie also in der Textwelt an den Ort, an den sie seines Erachtens gehören – in den Herrschaftsbereich des pneøma, in Einklang mit dem gesetzesfreien Christusevangelium, wie Paulus es vertritt. Damit distanziert er die Adressaten rhetorisch von ihrem derzeitigen Vorhaben, die jüdische Lebensweise zu übernehmen. Mit dem Schlußpassus will Paulus die realen Adressaten am stärksten beeinflussen: Hier bringt er das zum Höhepunkt, was er im vorangegangenen Brief angekündigt und bereits in Teilen vollzogen hat – die Rückgewinnung seiner Adressaten als eine Gemeinschaft von Pneumatikern. Der erste Teil der Arbeit will exemplarisch aufweisen, daß in der Forschung der Schlußpassus des Galaterbriefes durchgängig als Fremdkörper erscheint. Alle Vorschläge, wie der Abschnitt aufzufassen sei, gehen letztlich von einer Themaverschiebung zwischen Hauptteil und Schluß aus bzw. einer Verschiebung der funktionalen Stoßrichtung des Textes. Es gelingt keiner Position, den Galaterbrief als den einheitlichen „Kampfbrief“ zu erweisen, der nur durch eine „einzige Frage“ veranlaßt ist und nur das eine Ziel kennt, die Adressaten von der Übernahme des Gesetzes abzuhalten. 7 Becker, Galater 83.

Einleitung

11

Dieser Aufweis wird begleitet von methodischen Überlegungen, die besonders der Frage gelten, wie sich die Funktion, d. h. die Textstrategie des Schlußpassus methodisch geregelt erheben läßt. In Auseinandersetzung mit dem Vorgehen der Forschungspositionen, die exemplarisch betrachtet werden, kristallisiert sich die Zweckmäßigkeit einer textpragmatischen Analyse heraus, die die individuelle Adressatenlenkung des Einzeltextes erfaßt (siehe unter I.3.2, I.4.4, I.5.3, I.6. und II.1.). Der zweite Teil der Arbeit führt eine textpragmatische Einzelanalyse der umstrittenen Kapitel Gal 5 und 6 durch, indem Vers für Vers die fortlaufende Themaentfaltung und die pragmatische Gestaltung des Textes Gal 5,1 bis 6,10 erhoben wird. Der dritte Teil faßt die Ergebnisse dieser Analyse zusammen und beantwortet die Frage nach der Funktion von Gal 5 und 6 im Rahmen des Gesamtbriefes. Dazu wird der Blick geweitet auf den Gesamtablauf der Kapitel 3–6, die Kapitel, in denen Paulus sich explizit mit der aktuellen Adressatensituation auseinandersetzt. Die Untersuchung endet mit einem Ausblick auf Gal 6,11–18, in dem skizzenartig aufzeigt wird, wie der Verfasser seinen Brief abschließt. Ziel der Untersuchung ist es, ein Verständnis des Galaterbriefes vorzulegen als eines Schreibens, das vom ersten bis zum letzten Vers mit den Adressaten nur um diese eine Sache ringt: um ihren Stand als pneumatikoù (Gal 6,1), den sie aufgeben, wenn sie sich dem Gesetz unterstellen. Als durchgängiger „Kampfbrief“ um die Adressaten als Pneumatiker läßt sich der Galaterbrief erst erkennen, wenn man systematisch die strategische Gestaltung des Textes in den Blick nimmt.

1. LiterarkritikI.als ZurProblemanzeige Forschungslage

I. Zur Forschungslage

1. Literarkritik als Problemanzeige „I can find nothing specifically Pauline in the collection, and nothing that would have had specific bearing on the situation facing the Galatians“.1 Der Passus Gal 5,13–6,10 gehört nicht ursprünglich in den Galaterbrief – so das Urteil von O’Neill aus dem Jahre 1972. Aufgrund formaler sowie inhaltlicher Auffälligkeiten hebe sich dieser so sehr vom Rest des Galaterbriefes ab, daß man ihn nicht mehr als integralen Bestandteil des Briefes verständlich machen könne: Inhaltlich mute es mehr als seltsam an, daß Paulus, nachdem er während des ganzen vorangegangenen Briefes die Galater vor der Beschneidung gewarnt habe, ihnen nun mit einem Mal die Gefahren des Antinomismus vor Augen stelle.2 Der Abschnitt habe entgegen dem Rest des Briefes keine bestimmten Gegner im Auge, sondern sei an alle Christen gerichtet „to meet the common human temptations“.3 Formal handele es sich um eine unzusammenhängende Sammlung ethischer Ermahnungen, welche sich in fünfzehn kleinere, jeweils voneinander stilistisch wie thematisch getrennte Einheiten untergliedern lasse.4 Für O’Neill folgt daraus: „Once this formal characteristic is established, it becomes almost impossible to hold that Paul was directly responsible. . . . The collection was probably added to the epistle at an appropriate place because an epistle meant for building up the Church at large would need to have its own ethical section.“5 1989 stellt Smit erneut die literarische Integrität des Galaterbriefes in Frage – er aufgrund von Überlegungen zum rhetorischen Aufbau des Galaterbriefes. Ein als exhortatio klassifizierter Abschnitt, wie er in Gal 1 O’Neill, Recovery 71. 2 Vgl. O’Neill, Recovery 66. 3 O’Neill, Recovery 67. 4 Vgl. O’Neill, Recovery 67. 71; s. auch seine Gliederung des Abschnittes in fünfzehn Einheiten Recovery 65 f. 5 O’Neill, Recovery 67. 71; vgl. Recovery 82 zu den Beweggründen für den Einschub des Abschnittes: „No apostolic letter could be allowed to go out without its portion of positive advice about the Christian life.“

1. Literarkritik als Problemanzeige

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5,13–6,10 vorliege, lasse sich nicht mit den Vorgaben antiker Rhetorik vereinbaren, woraus er die Konsequenz zieht: „From the rhetorical perspective the question arises whether this exhortation could be a later addition to the letter.“6 Sei diese Frage erst einmal zugelassen, würden weitere Indizien für diese Annahme sichtbar.7 Ähnlich wie O’Neill8 sieht auch Smit in formaler wie inhaltlicher Hinsicht einen deutlichen Bruch zwischen dem Hauptteil und dem Abschnitt 5,13–6,10. Zum einen behandle der umstrittene Abschnitt gegenüber dem vorangegangenen Brief ein neues Thema. Während dort die Beziehung zwischen Heiden und Juden in Christus Gegenstand der Ausführungen sei, thematisiere der Abschnitt 5,13–6,10, wie Christen sich generell untereinander verhalten sollen. Während in den anderen Briefteilen Christus und Gesetz scharf gegeneinander gesetzt seien, bringe der Schlußteil diese beiden Größen in der Formulierung „Gesetz des Christus“ zusammen. Des weiteren ändere sich der Ton. Der aggressive Ton der Auseinandersetzung, der alle Briefteile vorher und nachher bestimme, werde in 5,13–6,10 plötzlich durch einen Aufruf zu wechselseitigem Verständnis und Sanftmut durchbrochen.9 Anders als O’Neill sieht Smit jedoch in 5,13–6,10 keine unzusammenhängende Sammlung einzelner Ermahnungen, sondern eine durchaus in sich geschlossene Einheit – eine Einheit jedoch, die einen unverkennbaren Zusammenhang zwischen Gal 5,7–12 und 6,11–18 unterbricht.10 Die von O’Neill und Smit vertretene Auffassung, der Abschnitt 5,13–6,10 sei als sekundärer Nachtrag zu verstehen, ist in der Forschung vereinzelt geblieben.11 Diese Position sei dennoch als erste genannt, weil gerade sie in besonderer Schärfe die Auffälligkeiten und Probleme des Abschnittes Gal 5,13–6,10 im Rahmen des gesamten Galaterbriefes benennt.

6 Smit, Letter 8. Er will damit jedoch nicht ausschließen, daß der Abschnitt auf Paulus zurückgeht (vgl. Letter 9 Anm. 1). 7 Vgl. Smit, Letter 8. 8 O’Neills Vorschlag bezeichnet Smit als „extreme proposal“; dessen Werk „has rightly received little attention“ (Smit, Letter 8 Anm. 2). Inwiefern Smits Vorschlag gegenüber dem von O’Neill weniger extrem sein soll, ist mir jedoch nicht ganz deutlich. 9 Vgl. Smit, Letter 8. In diesen Eigenarten des Abschnittes spiegelt sich – so Smit – dasselbe Motiv wieder, welches auch in der Redaktion anderer Paulusbriefe eine wichtige Rolle spielt: „(T)he original particularity of the letters had to be adapted in view of their more general use“ (Letter 8); vgl. ausführlicher Smit, Redactie 94 f. 107 ff. 10 Vgl. Smit, Letter 8. 11 Vgl. z. B. Schnelle, der diese Positionen in seiner Einleitung unberücksichtigt läßt: „Die literarische Integrität des Gal ist unbestritten“ (Einleitung 121).

14

I. Zur Forschungslage

Die Schwierigkeiten des Abschnittes Gal 5,13–6,10, die beide Exegeten klar herausstellen, lassen sich auf zwei Grundprobleme reduzieren: Das erste Problem zeigt sich daran, daß beide einen thematischen Bruch zwischen dem Schlußteil und dem Rest des Briefes wahrnehmen: O’Neill diagnostiziert einen Themenwechsel von der Behandlung des akuten galatischen Problems (nämlich der Auseinandersetzung um die Beschneidung12) hin zum Thema „common human temptations“.13 Smit stellt fest, der Hauptteil des Briefes beschäftige sich mit dem Verhältnis von Juden und Heiden, der Schlußpassus widme sich dem christlichen Verhalten im allgemeinen.14 Beide Exegeten stufen diesen Bruch als so gravierend ein, daß sie einen Zusammenhang des Briefes für nicht mehr gegeben halten. Zu diesem Urteil kommen beide u. a. aufgrund der Grundsätzlichkeit der Aussagen von Gal 5,13–6,10.15 Das zweite Grundproblem läßt sich an der eingangs zitierten Feststellung O’Neills ablesen: „I can find nothing . . . in the collection . . . that would have had specific bearing on the situation facing the Galatians.“16 Der in Frage stehende Abschnitt ist nach O’Neill für die Adressaten, die in einer konkreten Problemsituation stehen, ohne sichtlichen Belang – mehr noch: Der Abschnitt verfolgt ein ganz anderes Ziel als der Rest des Briefes. Es besteht für O’Neill ein deutlicher Bruch hinsichtlich der funktionalen Ausrichtung des Abschnittes 5,13–6,10 und der des Restbriefes. Während Gal 1,1–5,12 und 6,11–18 die Galater vor denen warnen sollen, „who were trying to persuade them to be circumcised“17, so zielt die ethische Unterweisung 5,13–6,10 darauf, allgemeinmenschlichen Versuchungen zu begegnen.18 O’Neill erscheint dieser funktionale Bruch so einschneidend, daß er davon ausgeht, Gal 5,13–6,10 sei für einen anderen Adressatenkreis konzipiert worden als der Rest des Briefes. Er richte sich an eine unspezifische Adressatenschaft, die in dem Moment in den Blick kommt, in dem der Galaterbrief, der auf eine spezielle Situation eingeht, für die allgemeine Christenheit von Belang gemacht werden soll.19 Der Abschnitt Gal 5,13–6,10 hat demnach keinerlei Funktion hinsichtlich der ursprünglichen 12 Vgl. O’Neill, Recovery 66. 13 O’Neill, Recovery 67. 14 Vgl. noch einmal Smit, Letter 8. Hinzu kommt für ihn eine eindeutige Spannung zwischen Schluß- und Hauptteil bei der Behandlung des Themas „Gesetz“. Gal 5,13–6,10 unterbricht also s. E. eindeutig den thematischen Zusammenhang zwischen Gal 1,1–5,12 und 6,11–18. 15 Vgl. O’Neill, Recovery 67; Smit, Letter 8. 16 O’Neill, Recovery 71 (Hervorhebung von mir); vgl. auch Recovery 82: „These aphorisms have nothing in particular to do with the urgent choices facing the Galatians“. 17 O’Neill, Recovery 66. 18 Vgl. O’Neill, Recovery 67. 19 Vgl. O’Neill, Recovery 82; vgl. in dieser Richtung auch Smit, Letter 8.

2. Die den Forschungsüberblick leitende Perspektive

15

Adressaten. Grund für diese radikale Einschätzung ist wiederum u. a. die Grundsätzlichkeit der Aussagen, die ihn urteilen lassen: „This section is directed to all Christians“.20 Die radikale Position, die O’Neill und Smit vertreten, stellt deutlich die Auffälligkeiten des Abschnittes Gal 5,13–6,10 im Ablauf des Galaterbriefes vor Augen: Er sticht aufgrund inhaltlicher und formaler Besonderheiten vom restlichen Brief ab. In ihm werden Themen angesprochen, die in Spannung zum vorangegangenen Brief zu stehen scheinen, so die positive Bezugnahme auf das Gesetz (Gal 5,14; 6,2) und der Rekurs auf Verhalten im Rahmen eines Lasterkataloges, das an antinomistische Tendenzen denken läßt (Gal 5,19–21). Die Aussagen sind sehr grundsätzlich und allgemein formuliert, so daß sich die Frage erhebt, was dieser Abschnitt den konkreten Adressaten des Briefes in ihrer speziellen Problemsituation zu sagen hat. 2. Die den Forschungsüberblick leitende Perspektive

2. Die den Forschungsüberblick leitende Perspektive Wie bereits erwähnt besteht in der Forschung weitgehend Konsens darüber, daß der Galaterbrief als „einheitlicher Paulusbrief_“ aufzufassen ist.21 Die Position von O’Neill und Smit bildet demnach eine Ausnahme. Wenn man den Abschnitt Gal 5,13–6,10 als integralen Bestandteil des Galaterbriefes verständlich machen will, sind folgende Fragen zu beantworten: 1. Wie ist der thematische Zusammenhang zwischen Gal 5,13–6,10 und dem Rest des Briefes zu bestimmen? 2. Welche Funktion hat der Abschnitt im Rahmen der Gesamtwirkabsicht des Briefes? Das Thema des Abschnittes Gal 5,13–6,10 wäre also zum Gesamtthema des Briefes in Beziehung zu setzen und die Strategie dieses Teiltextes durchsichtig zu machen als Teilstrategie der Hauptstrategie, die den Gesamtbrief leitet. Die These vom Galaterbrief als einem ursprünglich einheitlichen Brief müßte sich daran erweisen, daß der Brief als eine thematische und funktionale Einheit verständlich ist.22 20 O’Neill, Recovery 67 (Hervorhebung von mir); vgl. Smit, Letter 8. 21 Becker, Galater 9; vgl. Schnelle, Einleitung 120. Vgl. jedoch Witulski (Adressaten), der Gal 4,8–20 literarkritisch aus dem Gesamtbrief herauslösen möchte. 22 Das Postulat thematischer und pragmatischer Einheit ist als Versuch zu verstehen, auf dem Hintergrund der drei semiotischen Dimensionen des Textes eine handhabbare Definition

16

I. Zur Forschungslage

In dem nun folgenden Forschungsüberblick soll die Literatur, die Gal 5,13–6,10 als integralen Bestandteil des Briefes versteht, unter der Perspektive gesichtet werden, ob es ihr gelingt, den Galaterbrief tatsächlich als eine thematische und funktionale Einheit verständlich zu machen. Unter dieser Befragungsperspektive lassen sich in der Forschung ähnlich gerichtete Antworttypen ausmachen, was eine zusammenfassende Behandlung der Ausführungen bestimmter Exegeten erlaubt. 3. Das „dogmatische“ Modell

3. Das „dogmatische“ Modell Zunächst findet sich ein Typus im Umgang mit dem umstrittenen Schlußpassus, der den Problemen, die der Abschnitt bereitet, in folgender Weise begegnet: Der Schlußabschnitt Gal 5,13–6,10 ist als Paränese zu verstehen. Die Paulus-Briefe, am deutlichsten der Römer- und der Galaterbrief, gliedern sich in einen lehrhaften Teil, der die Theorie, und einen paränetischen Teil, der die Praxis christlichen Glaubens darlegt. Nach der „Dogmatik“ erfolgt die Abhandlung der notwendig zu ihr gehörenden „Ethik“. Diese Sicht vertreten exemplarisch Becker in seinem Kommentar aus dem Jahre 1976 und Mußner.23

3.1 Die Analyse von Gal 5 und 6 bei J. Becker und F. Mußner Ein solcher paränetischer Teil eines Paulusbriefes, wie Becker und Mußner ihn in Gal 5 und 6 ausmachen, zeichnet sich durch weitgehende Situavon einem „einheitlichen Text“ zu gewinnen (vgl. zu den Schwierigkeiten, das Phänomen „Text“ generell zu definieren, z. B. Vater, Textlinguistik 10–21; vgl. zu den Textdimensionen auch u. S. 62 Anm. 10). Die Definition bietet eine Maximalbestimmung für einen kohärenten Text (zu der Frage, welche thematischen und funktionalen „Brüche“ innerhalb dieser Definition noch tolerabel sind, bevor die literarische Einheit in Frage steht, vgl. die Überlegungen am konkreten Beispiel S. 21 ff mit Anm. 59). Sie stellt zugleich ein Kriterium bereit für die Beurteilung von Auslegungen des Textes. Eine Auslegung des Galaterbriefes, der es gelingt, den Text annähernd als eine solche thematische und pragmatische Einheit durchsichtig zu machen, wird höhere Plausibilität für sich beanspruchen dürfen als eine, der dies in keiner Weise gelingt – einmal mehr, da der Text Gal 5,13–6,10 selbst z. B. keinen expliziten Hinweis auf einen Themawechsel gibt (vgl. u. S. 23). 23 Vgl. die Auslegung z. St. bei Becker, Galater (1976) 66 ff sowie bei Mußner, Galaterbrief 366 ff; zur Klassifizierung des Abschnittes als Paränese vgl. Mußner, Galaterbrief 408. – In ähnliche Richtung gehen die Auffassungen von Merk (vgl. Beginn 83. 104), Ebeling (vgl. die Auslegung z. St. Wahrheit 320 ff; zur Einteilung des Briefes in einen belehrenden und ermahnenden Teil vgl. im besonderen Wahrheit 332 ff) und Eckert (vgl. Verkündigung 131 ff).

3. Das „dogmatische“ Modell

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tionsunabhängigkeit aus: Es geht dem Apostel „um allgemeingültige Mahnungen zum christlichen Lebenswandel im Pneuma“, welche „ebenso anderen christlichen Gemeinden vorgelegt werden“ könnten.24 Unter Paränese wird dabei im Anschluß an Dibelius eine formgeschichtliche Gattung verstanden25: „Paränese nennt man eine Aneinanderreihung verschiedener, häufig unzusammenhängender Mahnungen mit einheitlicher Adressierung.“26 Die charakteristischen Merkmale und Elemente dieser Gattung sind: „lockere Sammlungen ohne große logische Struktur; fehlende Kohärenz (nur Stichwortverbindungen u. ä.); Reihungen kleiner selbständiger Einheiten, oft in geprägter Form (Maximen, Gnomen, Sentenzen, Sprichworte); weitgehende Zeit- und Situationslosigkeit (usuell statt aktuell); Eklektizismus gegenüber der Tradition und bei der Benutzung (,Schatzkasten‘); Unoriginalität; Anrede- und Imperativformen; Verwendung kleinerer Teilformen (Kataloge, Tafeln); bisweilen Entwicklung kurzer Einheiten (Abhandlungen).“27 Die inhaltlichen und formalen Besonderheiten des Abschnittes Gal 5,13–6,10 können so nicht weiter erstaunen: Die weitgehende Situationsunbezogenheit des hier Verhandelten, die Grundsätzlichkeit der Aussagen, die Allgemeinheit der Formulierungen, die thematischen Spannungen zum Vorangehenden, alles das erklärt sich dadurch, daß eine Paränese, so wie sie hier vorliegt, eben genau diese Eigenschaften hat.28 Bei Mußner findet sich zudem noch einen Erklärung dafür, warum ein solcher typischer paränetischer Briefabschluß in der galatischen Situation Sinn macht.29 Die im Abschnitt Gal 5,13–6,10 entfalteten Gedanken sind in der galatischen Situation geboten, da die Botschaft von der Freiheit der Christen vom Gesetz, die der Brief so radikal vertritt, einem möglichen 24 Mußner, Galaterbrief 374; vgl. zu Gal 5,26–6,6: „Es handelt sich . . . um mehr oder minder konkrete Anweisungen für ein christliches Gemeinschaftsleben, die nicht spezifisch situationsbezogen sind, sondern allgemeine Geltung haben.“ Vgl. auch Becker, Galater (1976) 4: Die Mahnung „könnte so zu jeder paulinischen Gemeinde gesprochen sein und enthält nichts, was nachweisbar unmittelbar an die galatische Situation erinnert“ (Galaterbrief 396). 25 Vgl. die explizite Bezugnahme auf Dibelius bei Ebeling (Wahrheit 321), Eckert (Verkündigung 149) und Mußner (Galaterbrief 408). Becker bezieht sich nicht direkt auf Dibelius, seine Definition und Kennzeichnung von Paränese deckt sich jedoch mit den Charakterisierungen bei Dibelius (vgl. Galater [1976] 67). 26 Dibelius, Geschichte 140. 27 Popkes, Paränese 32; vgl. die Ausführungen bei Dibelius (Jakobus 16–23), aus denen Popkes die wichtigsten formalen Merkmale der Gattung zusammengestellt hat; vgl. auch Dibelius, Formgeschichte 239–244. 28 „Die Regeln und Weisungen sind nicht für bestimmte Gemeinden und konkrete Fälle formuliert, sondern für die allgemeinen Bedürfnisse der ältesten Christenheit. Sie haben nicht a k t u e l l e , sondern u s u e l l e Bedeutung“ (Dibelius, Formgeschichte 239). 29 Becker sieht überhaupt keinen Haftpunkt zwischen der Paränese und der galatischen Situation gegeben, sondern versteht den Abschnitt als vollkommen situationsunbezogene Mahnung (vgl. Galater [1976] 4).

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I. Zur Forschungslage

Mißverständnis ausgesetzt ist. Es könnte aus ihr „ein falscher Schluß gezogen werden: Christus ist für dich gestorben, du brauchst nur fest dein gläubiges Vertrauen auf ihn zu setzen, im übrigen kannst du tun und lassen, was du willst.“30 Das Mißverständnis, „die Entlassung des Gläubigen in die christliche Freiheit sei identisch mit einer Entlassung in den ethischen Libertinismus“, könnte „bei den Galatern durch den Pneumaempfang verursacht sein . . . . Als ,Pneumatiker‘ glaubten sie vielleicht, in ethischer Freizügigkeit leben zu können.“31 Solche „Schlüsse aus seiner Rechtfertigungslehre“ weist Paulus „mit aller Entschiedenheit zurück“.32 Zur funktionalen und thematischen Einheit Dieser Position scheint es auf den ersten Blick zu gelingen, den Abschnitt Gal 5,13–6,10 als integralen Bestandteil des Galaterbriefes zu plausibilisieren. Die Probleme des Abschnittes sind mit dem Stichwort „Paränese“ verortet, die Annahme vom möglichen Mißverständnis scheint die Verwendung der Gattung zusätzlich zu motivieren. Doch auf den zweiten Blick zeigt sich, daß diese Lösung keineswegs vermag, den Brief als thematische und funktionale Einheit zu erweisen: Hinsichtlich der Frage nach der Funktion des Abschnittes 5,13–6,10 im Rahmen des Gesamtbriefes ist bei den exemplarischen Vertretern dieses Antworttyps Fehlanzeige zu verzeichnen. Eine funktionale Bestimmung des Abschnittes erfolgt bei genauerem Hinsehen nicht.33 In Formulierungen wie: „Der dritte Hauptteil will gar nicht nur die Galater ansprechen, sondern die hier beschriebene Lebensführung ist von allen Christen überhaupt zu erwarten“34 bzw.: Die den Galatern vorgelegte Ethik „könnte ebenso anderen christlichen Gemeinden vorgelegt werden“35 wird dem Abschnitt zwar nicht jeglicher Bezug auf die Adressaten abgesprochen36; es wird jedoch in keiner Weise erklärt, warum dieser Abschnitt aber gerade auch den Galatern vorgelegt wird. Welchen Sinn und welche Funktion soll ein Abschnitt haben, der zwar an die konkreten Adressaten des Briefes geschrieben, aber eigentlich gar nicht an sie gerichtet ist?37 Bei dem hier 30 Mußner, Galaterbrief 364. 31 Mußner, Galaterbrief 367. 32 Mußner, Galaterbrief 364. 33 Zu der These vom Mißverständnis bei Mußner, die auf den ersten Blick eine Funktionsbestimmung zu bieten scheint, vgl. u. S. 19 f. 34 Becker, Galater (1976) 67 (Hervorhebung von mir). 35 Mußner, Galaterbrief 374 (Hervorhebung von mir); vgl. Mußner, Galaterbrief 396 zu Gal 5,26–6,6. 36 Sonst müßten Becker und Mußner konsequenterweise der Position von O’Neill und Smit folgen und den Abschnitt zu einem Zusatz erklären, der nicht ursprünglich zum Brief gehört. 37 Selbst wenn der Abschnitt als relativ situationsunabhängige Paränese einzustufen wäre,

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skizzierten Verständnis bleibt der briefliche Charakter des Galaterbriefes außer acht, die Tatsache, daß es sich bei dem Text um einen Teil einer konkreten Kommunikation handelt.38 Darüber kann auch die zusätzliche Erklärung von Mußner nicht hinwegtäuschen, in Galatien könne ein Mißverständnis entstehen bzw. bereits entstanden sein, auf welches der Abschnitt reagiere.39 Damit scheint zwar eine Verbindung zwischen dem Abschnitt und den konkreten Adressaten geschaffen und eine Funktion des Abschnittes genannt: Er will einem Mißverständnis begegnen. Diese „Lösung“ des Problems ist aber aus verschiedenen Gründen nicht tragfähig. Zum einen ist die These vom Mißverständnis in diesem Fall wenig aussagekräftig, da sie sich der unmittelbaren Überprüfung entzieht.40 Der Text spricht explizit nicht von einem solchen Mißverständnis. Es ist somit zwar eine denkbare, theoretische Möglichkeit, zwingend zeigen läßt es sich jedoch nicht.41 Hinsichtlich ihrer Plausibilität ist zudem zu fragen, wie wahrscheinlich ein libertinistisches Mißverständnis in einer Gemeinde ist, die sich dem Gesetzesgehorsam verpflichten will. Entsprechend kommt dieses Mißverständnis auch bei Mußner selbst nur als eine reichlich hypothetische Größe vor: Ein solches Mißverständnis „könnte bei den Galatern durch den Pneumaempfang verursacht sein . . . . Als ,Pneumatiker‘ glaubten sie vielleicht, in ethischer Freizügigkeit leben zu können.“42 müßte auch in diesem Fall die Frage nach der Funktion beantwortet werden, die ein solcher Abschnitt haben soll. 38 Selbstverständlich verstehen Becker und Mußner den Text als Brief, gehen also auf die historische Briefsituation, Verfasser und Adressaten ein: vgl. die jeweiligen Ausführungen im Einleitungsteil ihrer Kommentare (Mußner, Galaterbrief 1 ff; Becker, Galater (1976) 1 ff; zu den Gegnern dann noch einmal Galater [1976] 64 ff). In der Einzelauslegung jedoch nehmen die Ausleger nur dann auf die Briefsituation Bezug, wenn explizit von dieser die Rede ist, also wenn z. B. die Adressaten direkt angesprochen werden. Bei Passagen, wo dies nicht der Fall ist, gerät die Tatsache aus dem Blick, daß ja auch diese an die konkreten Adressaten gerichtet sind. Entscheidender ist jedoch, daß sie von der funktionalen Gestaltung des Textes selbst vollkommen abstrahieren (s. dazu u. S. 20 f. 24 ff), und damit den Text als Brief letztlich nicht ernst nehmen. 39 Vgl. Mußner, Galaterbrief 367. 40 Die These vom Mißverständnis gehört zu der Art von Textauslegung, die Schwierigkeiten eines Textes durch eine hypothetische Zusatzannahme erklären will. Damit ist jedoch das nach wie vor bestehende Problem nicht gelöst. Es mag durchaus Fälle geben, in denen die Schwierigkeiten tatsächlich nicht aufzulösen sind und es hilfreich erscheint, sie wenigstens erklären zu können. Eine solche „Lösung“ ist jedoch allenfalls eine ultima ratio. Ob sie in diesem hier anstehenden Fall zu früh bemüht worden ist, ist im folgenden noch einmal einer kritischen Überprüfung zu unterziehen. 41 Vgl. z. B. 1 Kor 5,9 ff, wo sich am Text die Korrektur eines Mißverständnisses ablesen läßt. 42 Mußner, Galaterbrief 367 (Hervorhebung von mir).

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I. Zur Forschungslage

Entscheidend ist aber nun folgendes: Ganz gleich, ob das Mißverständnis theoretisch besteht oder faktisch bei den Galatern vorhanden ist, es müßte am Text gezeigt werden können, daß und wie der Text in dieser Stoßrichtung funktioniert. Ein solcher Aufweis findet sich bei Mußner jedoch nicht. Er stellt zwar den gesamten Abschnitt 5,13–6,10 unter das Motto, Paulus weise hier „mit aller Entschiedenheit“ das Mißverständnis ab, der Gläubige könne tun und lassen, was er wolle43, faktisch spielt diese Front in seiner Einzelauslegung jedoch gar keine Rolle. Er zeigt an keiner Stelle, wie der Text gegen ein solches Mißverständnis gerichtet funktionieren könnte, sondern legt ihn dieser angeblichen Frontstellung nicht weiter eingedenk als „allgemeinchristliche Mahnungen zum christlichen Lebenswandel“ aus.44 Insofern ist mit der von Mußner vorgebrachten These vom theoretischen oder faktischen Mißverständnis hinsichtlich der Frage nach der Funktion des Abschnittes im Blick auf die konkreten Adressaten nichts gewonnen. Der Text ist nicht stärker als Teil konkreter Kommunikation wahrgenommen als bei Becker.45 Charakteristisch für die von Becker und Mußner vorgenommenen Auslegungen ist die Abstraktion von der konkreten Kommunikation, deren Teil der Brief ist. Der Abschnitt Gal 5,13–6,10 wird primär unter dem Gesichtspunkt des sachlichen Gehaltes des hier Ausgeführten ausgelegt. Diese Art der Auslegung läßt sich m. E. zutreffend als „dogmatisches Modell“ bezeichnen. Gemeint ist damit ein Auslegungstyp, der den Text ausschließlich unter thematischem Gesichtspunkt liest, ihn auf seinen sachlichen Lehrgehalt hin untersucht.46 Zur Verdeutlichung sei exemplarisch die Auslegung des Verses Gal 5,13 bei Becker betrachtet: „Die Formulierung lehnt sich eng an 5,1 an. Solche Berufung, die alle Christen zu Brüdern zusammenschließt, muß sich beim einzelnen Christen zugunsten der Bruderschaft auswirken. Freiheit ohne gelebte Konkretion ist ein Unding. Darum folgt dem Konstatieren des Seins der Christen direkt der Aufruf zum Lebensvollzug. Dies ist der typische Ansatz paulinischer Mahnung (vgl. Röm. 6,1–23; Gal 5,25 u. ö.) . . . Zur Freiheit berufene Brüder verwirklichen die Freiheit im brüderlichen Umgang. . . . Also sagt V. 13 aus: Die christliche Freiheit kann in der Gefahr stehen, durch Selbstsucht in ihr Gegenteil verkehrt zu werden.

43 Vgl. Mußner, Galaterbrief 364. 44 Mußner, Galaterbrief 374; vgl. auch Galaterbrief 408, wo sich Mußner noch einmal abschließend zur weitgehend fehlenden Situationsbezogenheit des Abschnittes äußert. Von einem Mißverständnis ist hier überhaupt nicht mehr die Rede. 45 Vgl. noch einmal Becker, Galater (1976) 4. 67. 46 Die Bezeichnung „dogmatisches Modell“ meint also keine Wertung in dem Sinne, die Auslegung sei durch dogmatische Vorgaben geprägt.

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Sie wird dort angemessen verwirklicht, wo gegenseitiger Liebesdienst praktiziert wird.“47 Die Auslegung erfaßt den inhaltlichen Gehalt der Verse, ein wesentliches Charakteristikum des Verses 5,13 bleibt jedoch vollkommen unberücksichtigt48: Die Anredeform des Verses wird komplett ausgeblendet. Der Verfasser spricht in Gal 5,13 ja nicht von zur Freiheit berufenen Brüdern im allgemeinen („Solche Berufung, die alle Christen zu Brüdern zusammenschließt, muß sich beim einzelnen Christen zugunsten der Bruderschaft auswirken. . . . Zur Freiheit berufene Brüder verwirklichen die Freiheit im brüderlichen Umgang“), sondern er spricht die Adressaten direkt an (¡meû™ gär Épš Éleuherù⁄ ÉklŒhvte, ådelfoù). Entsprechendes gilt für den Teilvers 5,13c. Dieser spricht nicht allgemein von der Verwirklichung christlicher Freiheit in gegenseitigem Liebesdienst („Die christliche Freiheit . . . wird dort angemessen verwirklicht, wo gegenseitiger Liebesdienst praktiziert wird“), sondern fordert seine Adressaten direkt zu einem solchen Liebesdienst auf (doule‹ete).49 An dem hier angeführten Beispiel zeigt sich deutlich die Konzentration der Auslegung auf die Erhebung des thematischen Gehaltes sowie das Fehlen einer funktionalen Analyse. Zu fragen ist des weiteren, wie die Vertreter des „dogmatischen“ Modells den thematischen Zusammenhang des Briefes beurteilen. Sie sehen einen Bruch zwischen den Kapiteln 1–4 sowie 5 und 6: Hauptteil und Schlußteil des Briefes gehen thematisch in unterschiedliche Richtung, vom Sein des Christen, von der Entfaltung der Christusbotschaft, hin zum Verhalten der Christen. Deutlich formuliert Becker: Die Ausführungen des Galaterbriefes enden in 5,1–12 in einer Reflexion über den „Grundentscheid zwischen Gesetz und Freiheit“, das „Sein der Christen“. Der Abschnitt 5,13–6,10 geht „nun“ dem „Gesichtspunkt des christlichen Verhaltens“ nach.50 Die Verbindung beider Themen sei lediglich durch das Stichwort „Freiheit“ gegeben: 5,13 ff „knüpft . . . durch thematisch beabsichtigte Stichwortassoziation (Freiheit) an 5,1 ff an . . . . Dabei hat das Thema Freiheit eigentlich nur überleitende Funktion, denn ab V. 14 fehlt das Wort, und die Sache ist nur unter nachträglichem Rückbezug auf V. 13 vorhanden.“51 47 Becker, Galater (1976) 68 (Hervorhebung von mir). 48 In Frage steht hier für den Moment weder die sachliche Richtigkeit des von Becker Ausgeführten noch die grundsätzliche Legitimität einer solchen Konzentration auf den sachlichen Gehalt des Textes. Zur möglichen Problematik s. u. unter I.3.2. 49 Inwiefern die vorgenommenen Differenzierungen für den Sinngehalt des Verses einen Unterschied machen, wird sich im folgenden zeigen; vgl. u. die Einzelauslegung des Verses S. 82 ff. 50 Becker, Galater (1976) 67 (Hervorhebung von mir). 51 Becker, Galater (1976) 67. Vgl. auch Mußner: Mit 5,12 „beendet der Apostel einstweilen

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I. Zur Forschungslage

Mit der Feststellung eines thematischen Bruches unterscheidet sich die Position dieses Auslegungstypus zunächst nicht von derjenigen, die in Gal 5,13–6,10 einen sekundären Nachtrag sieht. Die Vertreter des „dogmatischen“ Modells ziehen jedoch aus der thematischen Unverbundenheit des Haupt- und des Schlußteils nicht den Schluß, der Brief bilde keine literarische Einheit, sondern haben eine Erklärung für diesen Themensprung. Er ist durch die Verwendung der Gattung „Paränese“ bedingt bzw. durch das hypothetisch angenommene Mißverständnis in Galatien veranlaßt, das die Erörterung dieses neuen Themas notwendig macht.52 Gegen diese Erklärungsversuche erheben sich jedoch Bedenken. Auf die Fraglichkeit eines Mißverständnisses wurde oben bereits hingewiesen. Ein solches Mißverständnis ist zwar theoretisch denkbar, aber am Text nicht aufweisbar und in der galatischen Situation wenig plausibel. Aber auch die Annahme, Gal 5,13–6,10 sei als Exemplar der Gattung „Paränese“ zu verstehen, das naturgemäß ein neues Thema anschlägt, kann das Problem des Themensprunges nicht entschärfen. Die „Lösung“ wird zweifelhaft angesichts dessen, daß die Existenz einer solchen Gattung „Paränese“, auf die Becker und Mußner sich selbstverständlich beziehen, fraglich ist.53 Popkes z. B. fragt im Anschluß an seine Darstellung des Paräneseverständnisses bei Dibelius: „Freilich: wie ,bestimmt‘ ist das alles? Schon der Befund im NT ist, näher betrachtet, sehr viel diversifizierter; so hinsichtlich der ,P. im Briefschlußteil‘: das gilt relativ klar nur für Röm und 1 Thess; weniger deutlich für Phil und Hebr; bei Gal 5–6 ist der ,Anfang der P.‘ bis heute umstritten.“54 Die Selbstverständlichkeit ist kaum angemessen, mit der die Auseinandersetzung mit seinen Gegnern und ihren Anschauungen . . . . Er wendet sich nun ethischen Fragen zu, jedoch in engem Anschluß an bereits berührte Themen“ (Galaterbrief 364 [Hervorhebung von mir]). Vgl. auch Ebeling (Wahrheit 332 ff), für den der erste Teil des Briefes „die kerygmatischen Aussagen“ entfaltet und die Ausführungen des zweiten Teils „vornehmlich auf das sittliche Verhalten hin ansprechen“ (Wahrheit 332). 52 Vgl. noch einmal Mußner, Galaterbrief 364 ff und Ebeling, Wahrheit 334 ff. Wie nahe die Positionen von O’Neill und Smit einerseits und den Vertretern des „dogmatischen“ Modells andererseits liegen, zeigt sich auch darin, daß z. B. O’Neill ebenfalls davon ausgeht, daß in Gal 5–6 „an old collection of moral aphorisms“ (Recovery 82) vorliege, also Material im Sinne von Dibelius’ Paränese-Gattung. O’Neill zieht jedoch aus dieser Klassifizierung des Stoffes Gal 5–6 einen anderen Schluß als die Vertreter des „dogmatischen“ Modells. 53 Vgl. zur selbstverständlichen Bezugnahme auf die Gattung „Paränese“ Becker, Galater (1976) 67; Mußner, Galaterbrief 408. – Zu der Schwierigkeit, von einer festumrissenen Gattung „Paränese“ zu sprechen, vgl. Popkes, Art. Paränese 737 ff; Popkes, Paränese 13–52; speziell zur Auseinandersetzung mit der Position von Dibelius Popkes, Paränese 30–34; zu unterschiedlich denkbaren Zugängen zum Phänomen „Paränese“ s. z. B. die beiden Beiträge von Perdue (Character 5 ff) und Gammie (Morphology 43 ff) in dem Semeia-Band 50, der ganz dem Thema „Paränese“ gewidmet ist. 54 Popkes, Paränese 32. Die Kritik an der gattungsgeschichtlichen „Engführung“ der Debatte um die Paränese bei Popkes ist noch zu verschärfen. Auch die zuversichtliche Einschätzung, daß der Römerbrief eines der wenigen Beispiele sei, an denen sich eine

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die Ausleger des „dogmatischen“ Modells den Schlußpassus des Galaterbriefes als ein Gattungsexemplar der Gattung „Paränese“ ansehen und auslegen. Eine solche Gattungszuordnung bedürfte zum einen einer differenzierteren Klärung der Gattung „Paränese“, zum anderen aber vor allem einer eingehenden Begründung, inwiefern der Einzeltext einer solchen Gattung zuzurechnen ist. Gerade letzteres erfolgt bei den exemplarischen Vertretern des „dogmatischen“ Auslegungstypus nicht.55 Der Themensprung zwischen Gal 1–4 und 5–6 findet mit dem Rückgriff auf das problematische Erklärungsmuster „Paränese“ keine zufriedenstellende Begründung. Das Zitat von Popkes weist nun aber noch auf ein weiteres Problem hin, das zu bedenken ist: die Unklarheit darüber, wo der paränetische Teil im Galaterbrief eigentlich anfängt.56 Die Frage nach dem Beginn der Paränese stellt ein vieldiskutiertes Problem dar, das keiner einhelligen Lösung zuzuführen ist.57 Die Diskussion zeigt, daß der Themenwechsel vom lehrhaften zum paränetischen Teil, der durch das vermeintlich gängige Aufbaumuster paulinischer Briefe bedingt ist und sich entsprechend in Gal 5 und 6 vollziehen soll, doch nicht so offenkundig ist wie postuliert. Von hier stellt sich die grundsätzliche Frage: Gibt es überhaupt den angenommenen thematischen Bruch zwischen Gal 1–4 und Gal 5–6? Der Text selbst scheint ihn ja keineswegs eindeutig anzuzeigen, wenn nach Aufweis der Sekundärliteratur für den Beginn der Paränese Gal 4,12; 4,21; 5,1; 5,2; 5,7 oder 5,13 in Betracht kommen.58 Die Möglichkeit ist demnach ernsthaft in Betracht zu ziehen, daß es den angenommenen thematischen Sprung gar nicht gibt und der Brief vielmehr eine thematische Einheit bildet. Die Unklarheit hinsichtlich des angeblichen Themenwechsels verstärkt die Berechtigung der eingangs formulierten Forderung nach einem positiven Aufweis des thematischen Zusammenhanges des Briefes – ein Aufweis, der der „dogmatischen“ Auslegung nicht gelingt.59 Paränese im Briefschlußteil ausmachen ließe, steht durchaus in Frage; vgl. dazu die Auslegung des sogenannten paränetischen Teils Röm 12–14 bei Reichert, Gratwanderung 222 ff. 55 Mit der Problematisierung der Gattung „Paränese“ ist auch noch etwas Zweites gegeben: Wie stichhaltig ist eigentlich die Annahme, die paulinischen Briefe – und hier speziell der Galaterbrief – seien nach einem bestimmten Aufbaumuster gestaltet, welches einem lehrhaften einen ethischen Teil folgen läßt? Allein aus dem knappen Hinweis bei Popkes (Paränese 32) ergibt sich schon, daß ein solches Muster als zweifelhaft gelten muß (vgl. z. B. zur Fraglichkeit dieser Einschätzung hinsichtlich des Römerbriefes Anm. 54). 56 Vgl. Popkes, Paränese 32. 57 Vgl. zu den verschiedenen Vorschlägen Merk, Beginn 83 ff. 58 Vgl. Merk, Beginn 84. Diese Anfrage trifft in gleicher Weise auch die Position von O’Neill und Smit. Zu einer detaillierten Auseinandersetzung mit denjenigen Positionen, die einen Themenwechsel annehmen, vgl. u. die Auslegung zu Gal 5,13 S. 82 ff. 59 Der thematische Zusammenhang müßte jedoch aufgezeigt werden, wenn man an der

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I. Zur Forschungslage

3.2 Methodische Überlegungen zum „dogmatischen“ Modell Der hier skizzierte Auslegungstyp tendiert zu einer Verabsolutierung der semantischen Textdimension. Seine Vertreter interessieren sich beinah ausschließlich für die theologischen Sachfragen, die im Text angesprochen und verhandelt werden. Dieses Interesse, diese Konzentration auf den Text als „signifikanten Gegenstand“60 ist selbstverständlich legitim. Es stellt sich jedoch die Frage, ob eine solche Konzentration so durchführbar ist, wie sie hier vorgenommen wird: Die „dogmatische“ Auslegung sieht in ihrem konkreten Vollzug von der speziellen kommunikativen Situation ab, die die Gestaltung eines Textes wesentlich bestimmt, und erhebt die Sachausliterarischen Integrität des Galaterbriefes festhalten will. Nun könnte man einwenden, die Feststellung eines Themenwechsels oder -sprunges stelle noch nicht zwingend die literarische Integrität des Briefes in Frage. Das ist ohne Frage richtig. Ein Text kann auch dann noch als literarische Einheit gelten, wenn sich keine einheitliche Themaführung ausmachen läßt. Vgl. dazu die Überlegungen zu den Bedingungen eines kohärenten Textes bei Plett. Grundsätzlich gilt: „Aus semantischer Sicht ist ein Text begrenzt durch die Einheit der thematischen Referenz. Dies bedeutet, daß mit dem Themawechsel auch ein Textwechsel stattfindet“ (Textwissenschaft 103). Plett kommt in diesem Zusammenhang jedoch auch auf den Fall zu sprechen, daß „zwischen zwei größeren Kommunikationsunterbrechungen mehrere Themen zu einer Einheit zusammengefaßt sind (Modellfall: Fragestunde im Bundestag)“ (Textwissenschaft 103). Dieser Fall entspräche in etwa der Annahme, der Galaterbrief handle als einheitlicher Text unterschiedliche Themen ab. Unter Umständen könnte nach Plett der Modellfall „Fragestunde im Bundestag“ unter textpragmatischer Perspektive durchaus als einheitlicher Text angesehen werden, sofern als textkonstituierendes Kriterium das „Grenzsignal ,Kommunikationsunterbrechung‘“ geltend gemacht würde (vgl. Textwissenschaft 104). Fraglich wird die Anerkennung als Text unter funktionaler Perspektive jedoch schon, wenn „die kommunikative Funktion als textpragmatischer Konstitutionsgrund“ gilt (Textwissenschaft 104). Texte können also zwar je nach gewählter semiotischer Dimension in unterschiedlicher Weise als Einheit in den Blick kommen und sie können auch unter einer Perspektive noch als Einheit gelten, wenn diese unter einer anderen Perspektive nicht gegeben ist. Fraglich wird die Anerkennung eines Textes als Einheit jedoch dann, wenn nicht nur seine Einheitlichkeit unter thematischem Gesichtspunkt in Frage steht, sondern auch unter funktionaler Perspektive, wie im konkreten Fall der Auslegung des Galaterbriefes durch die Vertreter des „dogmatischen“ Modells. Z. B. kommt die folgende bereits erwähnte Äußerung bei Becker der Aussage, es lägen zwei Texte vor, bedenklich nahe: Der Abschnitt könne auch an jede beliebige andere Adressatenschaft gerichtet sein und es bestünde kein Zusammenhang zwischen dem Thema des Haupt- und des Schlußteils des Briefes abgesehen von der „thematisch beabsichtigte(n) Stichwortassoziation (Freiheit)“, wobei das Thema „Freiheit“ jedoch allsogleich wieder aus dem Blick geriete (Galater [1976] 67; vgl. Galater [1976] 4). Diese Auskunft ließe sich allenfalls in der Richtung auslegen, daß die Kohärenz des Textes zumindest thematisch über das Stichwort „Freiheit“ gesichert sei und pragmatisch über die Tatsache, daß der Text auch die Adressaten betreffen könnte. Doch bewegt sich diese Kohärenzbestimmung am alleräußersten Rand des oben formulierten Postulats vom einheitlichen Text (vgl. o. S. 15 mit Anm. 22); man wird zumindest sagen müssen, daß die Plausibilität einer solchen Auslegung weitaus geringer ist als bei einer Interpretation, die eine Kohärenz des Textes umfassender aufzuzeigen vermag. 60 Plett, Textwissenschaft 52.

3. Das „dogmatische“ Modell

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sagen an dieser gezielten Gestaltung vorbei.61 Die Frage nach der kommunikativen Funktion des Textes, die Erhebung der Strategie, die ein Text gegenüber seinen Adressatinnen und Adressaten verfolgt, blendet sie aus. So bleibt eine Textdimension außer acht: die pragmatische, auf die sich die zweite Leitfrage dieses Forschungsüberblicks richtet (Welche Funktion hat der Abschnitt im Rahmen der Gesamtwirkabsicht des Briefes?). Ob eine Erhebung des semantischen Gehalts an dieser Textdimension vorbei tatsächlich gelingen kann, erscheint fraglich, wenn man folgendes bedenkt: Es gibt „keine autonome Semantik“62, sondern diese Dimension ist genauso an die „kommunikative() Einbettung in konkrete Situationen der Textübermittlung“63 gebunden „wie an die syntaktischen Regeln der Zeichenverkettung“64. Die Erfassung des Textes in seiner ganzen Sinn- und Bedeutungshaftigkeit kann also erst bei Berücksichtigung aller drei Textdimensionen gelingen.65 Im harmlosesten Fall entginge der „dogmatischen“ Auslegung bei der Ignorierung der pragmatischen Textdimension die Erhebung zusätzlicher Textdaten, die die Erfassung des Textes bereichern könnten, im schlimmsten Fall jedoch geriete die Auslegung in eine bedenkliche Schieflage. Diese könnte darin bestehen, aus den vom Text benannten Sachverhalten ein Textthema zu erheben, das möglicherweise gar nicht die primäre Aussage und Wirkabsicht des Textes trifft, also das, was der Text in erster Linie seinen Adressaten mitteilen und bei ihnen bewirken möchte. Im konkreten Fall des Galaterbriefes passen die Stichworte „wandeln“, „Begierde des Fleisches“ sowie die Aufzählung eines Tugend- und Lasterkataloges ohne Frage gut zum Thema „(christliche) Ethik“. Dennoch ist es denkbar, daß Gal 5 und 6 primär gar keinen Beitrag zu diesem Thema liefern wollen, sondern die Aussagen, die die Ethik betreffen, im Dienste einer anders gelagerten Mitteilung und Wirkabsicht des Abschnittes stehen.66 Diese Möglichkeit ist zu prüfen, da die Auffassung, der Abschnitt handle vom allgemeinen christlichen Verhalten67, vor nicht unerhebliche Probleme stellt. Entsprechend gewinnt eine Analyse der pragmatischen

61 Zur Frage der Berücksichtigung der konkreten historischen Briefsituation durch die Vertreter des „dogmatischen“ Modells vgl. o. S. 19 Anm. 38. 62 Plett, Textwissenschaft 114; vgl. auch Textwissenschaft 52: Eine „totale Isolierung der einzelnen Textdimensionen“ erweist sich „als undurchführbar.“ 63 Plett, Textwissenschaft 52. 64 Plett, Textwissenschaft 114. 65 Vgl. Plett, Textwissenschaft 114: Erst „die vollständige (triadische) Semiose eines Zeichens“ legt „seine ganze Aspektmannigfaltigkeit“ offen. 66 Nicht gemeint ist damit, daß die Aussagen des Galaterbriefes gar nichts zum Thema „christliche Ethik“ beitragen könnten. Die entscheidende Frage ist vielmehr, ob dies ihre primäre Stoßrichtung gegenüber den Adressaten ist. 67 Vgl. noch einmal Becker, Galater (1976) 67; Ebeling, Wahrheit 332; Mußner, Galaterbrief 374.

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I. Zur Forschungslage

Gestaltung des Textes an Gewicht, die eine Schieflage in der Textwahrnehmung auszugleichen vermag, die durch eine Verabsolutierung der semantischen Textdimension entsteht.

4. Das rhetorische Modell

4. Das rhetorische Modell Ein zweiter Auslegungstyp scheint geradezu programmatisch dieser möglichen Schieflage begegnen zu wollen: die Auslegung derer, die mit den Mitteln der rhetorischen Analyse an den Text herangehen. Die Entdeckung, daß der Galaterbrief bzw. die Paulusbriefe von den Regeln antiker Rhetorik beeinflußt sein könnten, ermöglichte in der Forschung einen neuen Einblick in die Eigenart der Texte und setzt gegenüber der rein „dogmatischen“ Exegese der Paulusbriefe einen wichtigen Gegenakzent: „The rhetorical character of Galatians suggests that Paul’s statements must be interpreted on the basis of their rhetorical origin and function before they can be properly understood.“68 Eine an der antiken Rhetorik orientierte Auslegung untersucht die Briefe als „Texte-in-Funktion“69, als „funktionale Kommunikationseinheit(en)“70. Sie nimmt also die pragmatische Gestaltung in den Blick, die Textdimension, die bei der „dogmatischen“ Auslegung unberücksichtigt bleibt.71

4.1 Die rhetorische Klassifizierung nach H.D. Betz Den entscheidenden Anstoß für eine Betrachtung der paulinischen Briefe unter dem Gesichtspunkt der Kategorien und Regeln der antiken Rhetorik gab Betz im Jahre 1974 mit einem programmatischen Vortrag72, dem 1979 sein umfassender Galaterbrief-Kommentar folgte. 68 Aune, Rez. Betz 323; vgl. auch Becker: „(D)er Wert solcher Untersuchung (ist) offenkundig. Wenn nämlich die strukturelle und funktionale Disposition des Briefes auf diese Weise wirklich erhellt werden kann, hat das für die Einsicht in die paulinische Argumentation grundlegende Bedeutung. Kann doch dann von einem Grundkonzept her alles Einzelne im Brief verstanden werden“ (Paulus 288). 69 Bickmann, Kommunikation 32 (Bickmann schließt sich mit dieser Wendung gängiger textwissenschaftlicher Terminologie an). 70 Plett, Textwissenschaft 82. 71 Zur Deckungsgleichheit der Frage nach der rhetorischen Gestaltung eines Textes mit der Frage nach der textpragmatischen Dimension eines Textes vgl. Bickmann, Kommunikation 44 ff; Plett, Textwissenschaft 95 f. 72 „The Literary Composition and Function of Paul’s Letter to the Galatians“, gehalten

4. Das rhetorische Modell

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Ausgangspunkt für alle nachfolgenden rhetorischen Analysen des Galaterbriefes73 ist das von ihm vorgeschlagene Verständnis des Briefes als apologetischer Brief: „Der apologetische Brief, wie z. B. der Galaterbrief, setzt die echte oder erdachte Situation eines Gerichtshofes mit Jury, Kläger, und Beklagtem voraus. Im Falle des Galaterbriefes sind die Adressaten identisch mit der Jury, wobei Paulus der Beklagte und seine Gegner die Kläger sind.“74 Der Brief sei eine „Selbstverteidigung“75 des Apostels, die auf eine „Verteidigung des ,Geistes‘“ hinauslaufe.76 Mit dieser Klassifizierung des Briefes ist die Gesamtstoßrichtung des Briefes im Sinne der leitenden Textstrategie beschrieben. Der Brief zeigt nach Betz folgenden Aufbau, der der dispositio einer Rede entspricht, die nach den Regeln antiker Rhetorik gestaltet ist:77 1,1–5 1,6–11 1,12–2,14 2,15–21 3,1–4,31 5,1–6,10 6,11–18

Präskript exordium narratio propositio probatio exhortatio Postskript (conclusio)

Den für diese Untersuchung interessanten Abschnitt Gal 5,13–6,10 kennzeichnet Betz als exhortatio (zu der er auch den Abschnitt 5,1–12 zählt).78 Diese Kennzeichnung hat eine zentrale Rolle gespielt in der nachfolgenden Diskussion um den rhetorischen Charakter des Galaterbriefes.79 Das Proauf der Jahreskonferenz der Studiorum Novi Testamenti Societas in Sigtuna/Schweden. Die Betrachtung der neutestamentlichen Schriften unter der Perspektive antiker Rhetorik ist natürlich nicht vollkommen neu, sondern hat Vorläufer von der Alten Kirche an (vgl. dazu Anderson, Theory 17 ff). Das Verdienst von Betz liegt jedoch ohne Frage darin, diese Perspektive in die moderne neutestamentliche Wissenschaft eingeführt zu haben (vgl. Hübner, Galaterbrief 243). 73 Bei dem Überblick über rhetorische Analysen des Galaterbriefes beziehe ich mich auf diejenigen, die sich an der antiken Rhetorik orientieren; zu alternativen Verständnissen und Möglichkeiten vgl. z. B. Brucker, Rhetorik 211 ff; Kern, Rhetoric 7–38 (Kern geht differenziert einer Definition von „Rhetorik“ nach). 74 Betz, Galaterbrief 69. 75 Betz, Galaterbrief 69. 76 Betz, Galaterbrief 70. 77 Vgl. Betz, Galaterbrief 57 ff. 78 Vgl. Betz, Galaterbrief 66. 79 Zu der grundsätzlichen Frage der Existenz einer Gattung „apologetischer Brief“ vgl. Aune, Rez. Betz 324; Anderson, Theory 124 ff. Zur Diskussion um das grundsätzliche Verhältnis von antiker Epistolographie und Rhetorik, auf die ich hier nicht näher eingehen möchte, vgl. z. B. Anderson, Theory 109 ff; Bickmann, Kommunikation 17 ff; Brucker, Rhetorik 218 ff; Classen, Paulus 1–33 (Classen erachtet es nicht für möglich, Briefe nach

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blem, das vor allem diskutiert wurde, betrifft den Umstand, daß sich ein als exhortatio gekennzeichneter Abschnitt nicht in das rhetorische Schema fügt, das Betz am sonstigen Briefcorpus nachweist. Die antiken rhetorischen Handbücher kennen keinen Redeteil „exhortatio“: „(N)o discussion of exhortatio is to be found either in the ancient rhetorical handbooks or in the modern synthetic presentations of ancient rhetorical theory.“80 Schon diese Tatsache weist darauf hin, daß der Galaterbrief sich nicht ohne weiteres mit den rhetorischen Klassifikationen fassen läßt. Entscheidender als die Frage, ob und wie eine exhortatio generell in der antiken Rhetorik vorgesehen ist oder nicht, scheint mir in diesem Zusammenhang jedoch zu sein, ob und wie unter funktionalem Gesichtspunkt die von Betz ausgemachte apologetische Gesamtstoßrichtung des Briefes mit der Kennzeichnung des Abschnittes als exhortatio zusammenpaßt. Wenn Betz schreibt: Es „kann . . . gesagt werden, daß die Paränese des Galaterbriefes nicht in grundsätzlichem Widerspruch zur apologetischen Rhetorik steht“81, so scheint mir gerade das fraglich. Der Gesamtbrief steht als apologetische Rede betrachtet im Rahmen einer Gerichtssituation.82 In einer solchen Situation ist die Ermahnung der Adressaten (der Jury) durch den Verfasser (den Beklagten) eine schwer vorstellbare Teilstrategie der Verteidigung.83 Betz müßte zumindest eingehender, als er dies tut, erläutern, wie eine Ermahnung der Jury als Teilstrategie der Verteidigung funktionieren soll.84 Denn prinzipiell weisen Verteidigungssituation und Ermahnungssituation in verschiedene funktionale Richtungen. Verfasser und Adressaten kommen in jeweils unterschiedlichen Rollen vor. Während in der Gerichtssituation der Verfasser (der Beklagte) in unterlegener Position dem Urteil der Adressaten (der Jury) ausgesetzt ist, versetzt ihn seine Rolle

dem Muster von Reden zu analysieren); Hübner, Galaterbrief 241–250, bes. 244 f; Kremendahl, Botschaft 15–20; Porter, Justification 100–122; zu den verschiedenen Forschungspositionen Schoon-Janßen, Apologien 14–25. 80 Aune, Rez. Betz 325; vgl. Anderson, Theory 129; Hübner, Galaterbrief 244; Brucker, Rhetorik 227. 233; Smit, Letter 4. Zu den unterschiedlichen Konsequenzen, die daraus gezogen werden, s. weiter u. S. 29 ff; vgl. auch Betz selbst: Galaterbrief 434 f sowie das Vorwort zur deutschen Ausgabe, wo sich schon eine Entgegnung auf die kritischen Anfragen bzgl. der Paränese findet (Galaterbrief 2 f). 81 Betz, Galaterbrief 3. 82 Vgl. Betz, Galaterbrief 69. 83 Vgl. Kern, Rhetoric 113: „(F)or a third of a court-room speech to exhort the jury to good works is simply inconceivable.“ 84 Betz reißt an einer Stelle diese Frage kurz an: „Bis V 13 hatte Paulus die Freiheit, zu der die Christen in Galatien berufen sind, konsequent verteidigt. Es ist nun die Frage, ob er an diesem Punkt diese Verteidigung aufgibt, oder ob das folgende ihre Weiterführung ist“ (Galaterbrief 464). Eine Beantwortung dieser Frage und ein Aufzeigen dessen, wie die Weiterführung der Verteidigung in der Form der Ermahnung aussieht, findet sich im weiteren nicht.

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als Ermahnender in eine Position, die den Adressaten gegenüber überlegen ist. Das Kommunikationsgefälle zwischen Verfasser und Adressaten stellt sich in beiden Fällen genau umgekehrt dar, was jeweils die Art der Kommunikation bestimmt. Der Beklagte möchte der Jury gegenüber etwas anderes erreichen, als der Ermahnende bei den Ermahnten, dementsprechend müssen die Textstrategien auch unterschiedlich ausfallen, wollen sie ihr jeweiliges Ziel erreichen. Apologie und Ermahnung passen nicht bruchlos zueinander. Die von Betz bestimmte Gesamtfunktion des Briefes als Apologie und die Einzelfunktion des Schlußteils als Ermahnung weisen in unterschiedliche Richtungen und lassen sich nicht unmittelbar ersichtlich sinnvoll aufeinander beziehen. Diese Überlegung stellt die funktionale Kennzeichnung des Briefes als Apologie bzw. des Teilabschnittes Gal 5–6 als exhortatio85 auch jenseits des Problems in Frage, daß eine exhortatio in den rhetorischen Handbüchern nicht zu finden ist. Aus der Schwierigkeit, daß eine exhortatio das vorgegebene rhetorische Muster sprengt, sind in Auseinandersetzung mit der Betzschen Analyse unterschiedliche Schlüsse gezogen worden.86

4.2 Modifikationen der Betzschen Klassifizierung des Galaterbriefes 4.2.1 Der Galaterbrief als rhetorische Mischform Einige Ausleger halten an der Betzschen Gesamtklassifizierung des Briefes als Apologie fest und schlagen Modifikationen seiner Analyse angesichts des bestehenden Problems vor. So erwägt z. B. Hübner87, „ob die Elemente 85 Ob man daraus den Schluß ziehen möchte, daß die Kennzeichnung des Gesamtbriefes als Apologie fraglich ist oder die Kennzeichnung des Schlußabschnittes als exhortatio, ist mit der Feststellung noch nicht entschieden: Deutlich ist nur der Bruch zwischen der Ausrichtung des Gesamtbriefes und der des Schlußteils. 86 Für einen Überblick über die verschiedenen Positionen und rhetorischen Gliederungsvorschläge vgl. Anderson, Theory 129 ff; Brucker, Rhetorik 210–236; Kern, Rhetoric 90–166 (Kern führt den Nachweis, daß der Galaterbrief sich nicht im Rahmen antiker Rhetorik verstehen läßt); Watson, Criticism 232–234. 87 An der Klassifizierung des Briefes als apologetische Rede halten des weiteren Brinsmead und Hester fest (vgl. Hester, Structure 223 ff; Hester, Use 386 ff). Hester geht auf den Abschnitt 5,13–6,10 nicht ein, so daß seine Position hier unberücksichtigt bleibt. Zu Brinsmeads Position s. u. S. 31 ff. Auch bei Becker findet sich in seinem Paulus-Buch aus dem Jahre 1989 entgegen seinen Ausführungen im früheren Galaterbriefkommentar eine rhetorische Klassifizierung. Der Galaterbrief bilde „als ganzer – wenn auch in gebrochener Form – das Grundmodell einer Gerichtsrede“ nach (Paulus 288). Vgl. auch die Neubearbeitung seines Galaterbriefkommentars aus dem Jahre 1998, wo Becker zu der Einschätzung kommt, der paränetische Abschnitt 5,13–6,10 sei mit einer beratenden Rede vergleichbar, der Gesamtbrief stünde jedoch der Gerichtsrede näher (vgl. Galater 11 f).

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der forensischen Rede, die unbestreitbar vorliegen, von Paulus nicht unter der Hand so ,umfunktioniert‘ wurden, daß aus der Verteidigungs-,Rede‘ bzw. aus dem Verteidigungsbrief eine Anklage-,Rede‘ bzw. ein Anklagebrief geworden ist, freilich ein Anklagebrief, dessen eigentliches Wesen das Werben um die Adressaten ist“.88 Andere sehen den Galaterbrief am besten als rhetorische Mischform erfaßt: So kombiniert nach Aune Paulus „some features of forensic rhetoric with others from deliberative and/or epideictic oratory“, so daß „the letter appears . . . to be an eclectic combination of various rhetorical techniques and styles of diverse origin which are nevertheless welded together in a new and distinctive literary creation.“89 Die Tragfähigkeit dieser Auffassungen ist in ähnlicher Weise kritisch zu hinterfragen wie die der Betzschen Analyse. Die ausgemachten funktionalen Kennzeichnungen weisen genauso wie bei Betz in verschiedene Richtungen. Verteidigung, Anklage und mögliche Werbung um die Adressaten bei Hübner bzw. Verteidigung und Beratung bei Aune bedeuten verschiedene kommunikative Rollen und Strategien, die nicht bruchlos ineinandergreifen. Gegenüber der Betzschen Analyse fällt zudem auf, daß bei Hübner und Aune die Strategien ohne Bezug nebeneinander stehen. Es fehlt eine Hierarchisierung der Textstrategien. Während Betz als Haupttextstrategie die Apologie ausmacht, nehmen Hübner und Aune keine solche Gewichtung der Textstrategien vor, was jedoch nötig wäre, um den Brief als funktionale Einheit verständlich zu machen.90 88 Hübner, Galaterbrief 249 f. 89 Aune, Rez. Betz 326. Diese Position vertreten auch Morland (Curse 111 ff) und Hansen (Abraham 59). Hansen geht jedoch insofern eigene Wege, als er den Galaterbrief sowohl einer epistolographischen als auch einer rhetorischen Analyse unterzieht (zur methodologischen Begründung dieser Doppelanalyse vgl. Abraham 55). Er klassifiziert den Brief als „,rebuke-request‘ letter“ (Abraham 27; zur näheren Begründung vgl. Abraham 21 ff sowie das Diagramm zum Aufbau des Briefes Abraham 50). Während Gal 1,16–4,11 als „Rebuke section“ (Abraham 53) den Charakteristika des Genus iudiciale entspricht (zu dieser Klassifizierung vgl. näher Abraham 59 f), erfolgt mit dem Abschnitt Gal 4,12–20 „a major rhetorical shift“ (Abraham 59), der die „Request section 4. 12–6. 10“ (Abraham 53) einleitet: Der Verfasser ändert den Ton seines Schreibens „from accusation and defense to exhortation, i. e., from forensic to deliberative rhetoric“ (Abraham 60). 90 Vgl. Plett, Textwissenschaft 84: „Wesentlich ist für die pragmatische Konstitution von Textualität, daß eine bestimmte Textstrategie vorherrscht und die anderen unter sich subsumiert. Nur so bleibt die Einheit der textuellen Funktionalität gewahrt.“ Eine der Betzschen Analyse vergleichbare Gewichtung der Textstrategien findet sich bei Becker (Paulus 288; Galater 11 f). Insofern trifft ihn die oben zuletzt genannte Kritik nicht. – Was den thematischen Zusammenhang des Briefes anbelangt, so ist mit den oben kurz skizzierten Positionen ebenfalls wenig gewonnen. Hübner schreibt: „Von V. 13 an wendet aber Paulus den Gedanken, indem er zeigt, wie man der Freiheit auch auf andere Weise verlustig gehen kann, nämlich indem man sie zum Ausgangspunkt für das Wirken des Fleisches macht“ (Galaterbrief 246). Damit zeigt er einen Themenwechsel an. Becker nähert sich in seinem Kommentar

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4.2.2 Die Analyse von Gal 5 und 6 bei B.H. Brinsmead Etwas ausführlicher eingehen möchte ich auf die Position von Brinsmead, der unter denjenigen, die die Betzsche Analyse modifizieren, einen recht eigenwilligen Weg beschreitet.91 Brinsmead übernimmt die rhetorische Analyse von Betz in allen Teilen unverändert, bestimmt den Schlußpassus jedoch nicht als exhortatio, sondern als refutatio.92 Zu dieser Einschätzung kommt er aufgrund des rhetorischen Musters, das sich in den antiken Rhetorik-Handbüchern findet.93 Nach der probatio, die er in Gal 3,1–4,31 von 1998 der Position von Mußner an. Auch er rechnet nun mit einem theoretischen Mißverständnis bzw. gegnerischen Verdacht gegenüber dem gesetzesfreien Evangelium des Paulus: „Das Stichwort ,Freiheit‘ wird . . . vom neuen Hauptteil übernommen (5,13), jedoch unter neuen Gesichtspunkten erörtert: Die christliche Freiheit, wie sie Paulus versteht, ist nicht gegen das Gesetz . . ., wenn der Christ die Freiheit als Verbindlichkeit zur Liebe versteht . . ., als Kampf gegen seine eigenen zerstörerischen Kräfte . . . und als gemeinschaftsfördernde Kraft . . . . Gegenüber den Gegnern ist Paulus in einer heiklen Lage. Sie können argwöhnen, daß der, der so die Freiheit vom Gesetz propagiert wie Paulus, der zügellosen Beliebigkeit Tor und Tür öffnet“ (Galater 83). S. dazu o. unter I.3. S. 19 f mit Anm. 40. 91 Brinsmeads Interesse zielt nicht primär auf eine rhetorische Analyse des Galaterbriefes: „This thesis seeks to discover the center of Galatians –_– its unique theological statement –_– by approaching the question from the perspective of the dialogical nature of the letter as a piece of literature and of the theology of the opponents with which it is dialogical“ (Response 1). Die Erklärung für die spezifische Art der Theologie sowie der Argumentation des Galaterbriefes ist – so Brinsmead (vgl. Response 2) – über die Position der Gegner zu gewinnen. Dieser will er sich durch einen Zugang über die literarische Gestalt des Galaterbriefes nähern: „This thesis . . . seeks to approach the question of the opponents from a particular direction, an analysis first of the dialogical nature of Galatians as a piece of literature“ (Response 3). D. h. seine rhetorische Analyse steht im Dienste der Erhellung der Theologie des Briefes über eine Ermittlung der gegnerischen Positionen (zu den massiven methodischen Problemen seines Ansatzes vgl. Droge [Rez. Brinsmead 551–553], der zu Recht auf die Unmöglichkeit eines Rückschlusses von der Form des paulinischen Briefes auf den Inhalt der gegnerischen Theologie aufmerksam macht [vgl. Droge, Rez. Brinsmead 552 unter Bezugnahme auf Brinsmead, Response 55: „In indicating something of overall structure, the genre also indicates something about the intruders’ theology“]; Aune, Rez. Brinsmead 145–147; Barclay, Truth 26; Watson, Criticism 233). Strenggenommen ist Brinsmead aufgrund seines Erkenntnisinteresses nicht im engeren Sinne zu den Vertretern des „rhetorical criticism“ zu rechnen. Da die rhetorische Analyse jedoch bei der Beantwortung seiner Fragestellung von seinem methodischen Ansatz her eine entscheidende Rolle spielt, gehört er dennoch zu denjenigen, die von der von Betz initiierten rhetorischen Analyse der paulinischen Briefe beeinflußt sind; vgl. Watson (Criticism 232 f), der ihn ebenfalls zu dieser Gruppe rechnet. 92 Vgl. Brinsmead, Response 53. 93 Vgl. zu seinem Vorgehen Brinsmead, Response 44 f. Zunächst benennt er die Teile einer antiken Rede, wie sie dem rhetorischen Grundmuster entsprechen, und folgert dann im Blick auf den Galaterbrief: „Looking ahead to Galatians, it is interesting to note that the body of a forensic speech . . . would have three major parts, a narratio, a probatio and a refutatio“ (Response 44 f). Nach einer Prüfung der Frage, ob eine rhetorische Analyse überhaupt im Blick auf die Paulusbriefe angemessen ist (vgl. Response 45) und einer kurzen Auflistung der Indizien im Galaterbrief, die für die Annahme sprechen, den Brief als apologetische

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ausmacht94, folgt im Aufbau einer antiken Rede die refutatio95, die er entsprechend im Galaterbrief im folgenden Abschnitt 5,1–6,10 sieht.96 Aus dieser rhetorischen Kennzeichnung des Abschnittes ergibt sich nach Brinsmead für die konkrete Funktion des Abschnittes Gal 5,1–6,10 folgendes: Paulus gestaltet seine refutatio „in terms of ethical exhortation.“97 Eine refutatio zielt generell auf eine „destruction of the opponents’ argument in the opponents’ own terms, by an appeal to norms to which even the opposition had to agree.“98 Der Abschnitt nimmt in diesem Fall also die Ethik der Gegner auf: „As the passage is in the style of ethical exhortation, then, these must be the ethics of the opponents themselves.“99 Daraus schließt Brinsmead: „Thus the community ethics in the paraenesis can be expected to be the opponents’ own, the paraenesis itself functioning as a refutation of their community claims. Because in fact the new idyllic relationships between members of the community have not come about, the opponents’ claim to be community apostles, bringing God’s last remnant into existence, must be false.“100 Mit 5,13–6,10 „Paul is saying to the opponents, ,Even your ethic breaks down, for the very reason that it is an eschatological ethic. You have not acknowledged the eschatological work of Christ, and for you there can be no fulfillment. The very thing you preach most against has happened, and you have fallen subject to sârx.‘ In this sense the paraenetic section is a rhetorical refutatio, the final argument against the intruding theology.“101

Rede zu verstehen (vgl. Response 46–49), untersucht Brinsmead den Galaterbrief dann anhand dieses rhetorischen Grundmusters. 94 Vgl. Brinsmead, Response 52. 95 Vgl. Brinsmead, Response 44. 96 Vgl. Brinsmead, Response 53 f. 97 Brinsmead, Response 53. 98 Brinsmead, Response 54. 99 Brinsmead, Response 189; vgl. auch folgenden Begründungszusammenhang: „Further, there are reasons for expecting that Paul will . . . use, to an extent, the ethics of the opponents themselves. Paul typically does so in his paraenesis. The subtlety of a rhetorical refutatio suggests that this will be the case. And thirdly, the suggested dynamic behind 3:28 indicates that the opponents are claiming to be community apostles who are establishing the new community of God“ (Response 163 f). 100 Brinsmead, Response 164; zum angenommenen Selbstverständnis der Gegner als „community apostles“ (Response 163) vgl. Response 146–157. 101 Brinsmead, Response 180; vgl. auch Response 181 sowie Brinsmeads Formulierung in der Schlußzusammenfassung: „Ethics are seen (by the opponents; Verf.) as the believer’s part in the struggle between two dualistic powers –_– a struggle which still looks forward to its final eschatological outcome. Paul responds to this program, in effect, by saying that this approach to ethics has led to a breakdown of ethics. He puts all ethical maxims on one level and shows, on the opponents’ own grounds, that they are living on the basis of the old age, not the new age. In fact, one cannot fulfill the ethics of the new age unless one enters the new age“ (Response 200). Zur Rekonstruktion der ethischen Traditionen, die

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Zur funktionalen Einheit Brinsmead entgeht mit der von ihm vorgeschlagenen rhetorischen Kennzeichnung des Schlußabschnittes dem Einwand, der Abschnitt 5,1–6,10 füge sich nicht in das für den Gesamtbrief angenommene rhetorische Redemuster.102 Der Brief bildet bei seinem Verständnis eine geschlossene Einheit und entspricht geradezu klassisch den Vorgaben einer Rede. Die funktionale Einheit des Gesamtbriefes als apologetischer Brief scheint damit gewährleistet.103 Gegen den Vorschlag von Brinsmead erheben sich vor allem methodische Einwände, die seine Bestimmung der Funktion des Schlußpassus grundsätzlich in Frage stellen. Brinsmead verwendet die rhetorische Analyse wie eine Schablone, die er auf den konkreten Text auflegt, um dann an ihr Aufbau und Funktion des Textes abzulesen. Entsprechend ist seine Funktionsbestimmung des Schlußpassus des Galaterbriefes als refutatio eher ein Postulat denn eine näher begründete, am Text plausibilisierte Kennzeichnung. Brinsmead appliziert das vorgegebene rhetorische Muster auf den Galaterbrief und kommt so zu dem Schluß, der Abschnitt müsse die refutatio bilden, ohne wirklich zwingende Textbeobachtungen für diese Behauptung beibringen zu können.104 Aune stellt hinsichtlich des als refutatio angesprochenen Schlußabschnittes fest: Brinsmead „does not really defend this label, and the passage is conspicuously absent from the detailed discussion of ,Internal Indications of Structure‘ (pp. 57–87)“.105 Eine so gewonnene Funktionsbestimmung, die zudem nicht am Text aufgewiesen wird, kann nicht überzeugen.106 Paulus nach Meinung von Brinsmead aufgenommen und umgearbeitet hat, vgl. Response 164 ff; zur Rekonstruktion der Theologie der Gegner Response 196 ff; vgl. dazu kritisch Droge, Rez. Brinsmead 552 f; Aune, Rez. Brinsmead 145–147; Barclay, Truth 26. 102 Vgl. o. S. 27 f. 103 Die Tatsache, daß der Aufbau des Briefes den rhetorischen Redeteilen entspricht, gibt allein noch keinen Aufschluß über die Zugehörigkeit zu einer der drei Redegenera. Zur Begründung der Zuordnung des Briefes zur Gattung „apologetische Rede“ bzw. „apologetischer Brief“ vgl. Brinsmead, Response 46–54. 104 Vgl. noch einmal folgende Formulierungen: „Looking ahead to Galatians, it is interesting to note that the body of a forensic speech . . . would have three major parts, a narratio, a probatio and a refutatio“ (Brinsmead, Response 44 f [Hervorhebung teilweise von mir]) und: „In rhetorical terms, 5:1–6:10 would be expected to function as a refutatio, the final destruction of the adversaries’ argument“ (Response 188 [Hervorhebung teilweise von mir]). 105 Aune, Rez. Brinsmead 147. 106 Auch hier sei kurz auf die Frage nach dem thematischen Zusammenhang des Briefes eingegangen. Brinsmead sieht ihn gesichert über die durchgängige Auseinandersetzung mit der gegnerischen Theologie: „5:1–6:10 would be expected to function as a refutatio . . . . In this case it is integrally connected with what has preceded, and is still addressing the same problem –_– the Galatians’ acceptance of the intruders’ theology“ (Response 188 [Hervorhebung von mir]; vgl. auch 180). Auch hier zeigt sich dasselbe methodische Problem wie bereits bei der Erfassung des funktionalen Zusammenhangs. Brinsmead erhebt den thematischen Zusam-

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4.3 Eine Neuklassifizierung des Galaterbriefes 4.3.1 Der Galaterbrief als deliberative Rede Eine andere Weise, der Schwierigkeit zu begegnen, die sich mit der exhortatio verbindet, besteht darin, die Klassifizierung des Briefes als apologetischer Brief grundsätzlich in Frage zu stellen. So erwägt Kennedy als erster, ob der Galaterbrief als ganzer nicht weitaus passender dem genus deliberativum zuzurechnen sei, eine Klassifizierung, der sich viele angeschlossen haben.107 Als ein entscheidendes Argument macht Kennedy das Vorkommen eines ermahnenden Teils geltend: „The exhortation of 5:1–6:10 is strong evidence that the epistle is in fact deliberative in intent. . . . Exhortation is one of the two forms of deliberative rhetoric.“108 Betz, so Kennedy, „overemphasizes the presence of narrative and underestimates the presence of exhortation . . . What Paul is leading to in chapters 1–4 is the exhortation of chapters 5–6. This is the point of the letter.“109 Mit der Klassifizierung des Briefes als deliberativ löst sich das zentrale Problem der Betzschen Analyse, daß apologetische Ausrichtung des Hauptteils und ermahnende Ausrichtung des Schlußteils unter pragmatischer Perspektive nicht zusammenpassen. Der Brief hat so in allen Textteilen eine Gesamtstrategie. Die Verteilung der kommunikativen Rollen zwischen Verfasser und Adressaten im Text ist durchgängig dieselbe. Für die Frage nach menhang nicht aus dem Text, sondern schlußfolgert mehr oder minder freischwebend, daß dieser so sein müsse, weil der Abschnitt eine refutatio sei. Eine solche refutatio „would conclude the debate by appealing to norms to which even the opponents had to agree“ (Response 189), woraus zu folgern ist: „As the passage is in the style of ethical exhortation, then, these must be the ethics of the opponents themselves. Paul is attacking an ethos that is owned by the opposition“ (Response 189). Die Vermutung, Paulus setze sich im Schlußpassus mit der Ethik der Gegner auseinander, ist nicht aus dem Text selbst gewonnen, sondern von außen an ihn herangetragen aufgrund einer rhetorisch begründeten Erwartung. Die Frage bleibt bei Brinsmead unberührt, inwiefern der Text selbst Anhaltspunkte für eine direkte Auseinandersetzung mit einer gegnerischen Position gibt. Vgl. auch Response 179, wo Brinsmead inhaltlich präziser formuliert: „In both chapters 3–4 and 5–6 Paul is developing the significance of baptism.“ Die Verbindung der Abschnitte über das Thema „Taufe“ muß Brinsmead aber m. E. erst sehr gezwungen herstellen (vgl. Response 166 ff), da im ganzen Brief das Stichwort „Taufe – taufen“ lediglich in Vers 3,27 auftaucht. Zudem stellt sich die Frage, wie sich diese Bestimmung des thematischen Zusammenhangs des Briefes zu der oben genannten verhält. 107 Diese Klassifizierung nehmen vor z. B. Hall (vgl. Outline 277 ff), Lyons (vgl. Autobiography 136), Matera (vgl. Galatians 11), Vouga (vgl. Gattung 291 f), Smit (vgl. Letter 9 ff sowie o. S. 12 ff), Bachmann (vgl. Sünder 156 ff), Brucker (vgl. Rhetorik 225), Jegher-Bucher (vgl. Epistolographie 72 ff) und Witherington III (vgl. Grace 27). – Soweit ich sehe, faßt allein White den Galaterbrief als epideiktische Rede auf (vgl. Mission 159 f) – dies jedoch ohne die Klassifizierung näher am Text zu plausibilisieren. 108 Kennedy, Interpretation 145 f; vgl. auch Hall, Outline 281 f. 109 Kennedy, Interpretation 146.

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der funktionalen Einheit des Galaterbriefes ist also mit dieser Gesamtklassifizierung des Briefes als deliberative Rede grundsätzlich einiges gewonnen. Kennedy scheint mit der oben zitierten programmatischen Auskunft die Lösung des Problems von Gal 5 und 6 zu präsentieren. Doch bleibt seine verheißungsvolle Ankündigung, den Schlüssel für Gal 5 und 6 gefunden zu haben, bedauerlicherweise in der Luft hängen. In der Skizzierung der einzelnen Briefteile findet sich zu 5,1–6,10 nur folgende knappe Ausführung: „The entire section of the proof from 1:11 to 5:1 corresponds to the theological sections seen in most other epistles of Paul and provides the basis for the specific commandments which are the practical purpose of the letter. These begin with the negative injunction against circumcision in 5:2, which is complemented by the positive injunction of love in 5:14, followed by a synkrisis of the works of the flesh and the works of the spirit in 5:19–24, amplified in Paul’s pleonastic style, with additional pastoral commandments. There is a complex interlocking of topics such as circumcision, the flesh, and love“.110 Diese pauschale Abhandlung des Abschnittes läßt nicht erkennen, inwiefern Gal 5,1–6,10 „the point of the letter“111 ist, worin konkret die Pointe des Schlusses in thematischer und funktionaler Hinsicht besteht. So sehr die Auskunft von Kennedy über den Stellenwert des Schlußpassus zutreffen mag, sie ist in dieser Ausführung doch eher eine Behauptung als ein am Text aufgewiesener und plausibel gemachter Lösungsvorschlag.112 Zwei Positionen aus der Gruppe der Vertreter, die den Galaterbrief als deliberativ einstufen, möchte ich näher betrachten: die Auslegungen von Hall und Brucker. Beide gehen relativ ausführlich auf den Abschnitt ein, der hier zur Debatte steht. Da ihre Positionen sehr verschieden sind, sollen sie nacheinander betrachtet werden. 110 Kennedy, Interpretation 150 f. 111 Kennedy, Interpretation 146. 112 Auch unter thematischer Perspektive bleiben die Ausführungen bei Kennedy unbefriedigend. Er sieht die Absicht des Galaterbriefes darin, die Adressaten davon zu überzeugen, daß „(t)he Christian community should not observe the Jewish law and should not practice circumcision, which is now not only unnecessary, but wrong. Conversely, Christians should love one another and practice the Christian life“ (Interpretation 146). In dieser Formulierung werden zwei Themen genannt, „Gesetzesgehorsam und Beschneidung“ auf der einen Seite und „Nächstenliebe und Praktizieren des christlichen Lebens“ auf der anderen Seite. Worin die innere Verbindung beider Themen besteht, vermag das „conversely“ nicht hinreichend zu erklären. Inwiefern Liebe und das Praktizieren des christlichen Lebens ein sachliches Gegenstück zu Gesetzesgehorsam und Beschneidung darstellen, müßte näher erläutert werden. Daß offenbar mehrere Themen im Spiel sind, deren Verhältnis untereinander nicht geklärt ist, zeigt sich auch an der Formulierung: „There is a complex interlocking of topics such as circumcision, the flesh, and love“ (Interpretation 151 [Hervorhebung von mir]).

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4.3.2 Die Analyse von Gal 5 und 6 bei R.G. Hall Hall versteht den Brief insgesamt als „an exhortation, as every deliberative speech is.“113 Im Rahmen einer deliberativen Rede macht der Abschnitt 5,1–6,10 keinerlei Schwierigkeiten. Die Ermahnungen Gal 5,1; 5,16–26; 6,7–10 sind „direct descendents of the hortatory proposition of the letter: cleave to me and my gospel (Gal 1:6–9)“.114 Die propositio wird in zwei Argumentationssträngen abgesichert: in Gal 1,1 und 1,10–2,21 durch das Aufbauen eines Ethos des auserwählten Überbringers des Evangeliums und in 3,21–4,11 und 4,21–31 durch unterschiedliche Argumentationsgänge, die den Galatern zeigen, daß sie in Christus vom alten Äon befreit und in einen neuen versetzt sind (1,4) und daß ein Bleiben beim paulinischen Evangelium Freiheit bedeutet, das gegnerische Angebot jedoch Sklaverei. Die Abschnitte 3,1–14 und 5,4–5 zielen nach Hall auf den Gedanken: „To stand with him is to walk by the Spirit; to stand with them is to walk by the flesh.“115 Dieser zweite Argumentationsstrang wird in Gal 5,1; 5,16–26 und 6,7–10 in direkte Ermahnungen umgesetzt, die die propositio neu formulieren und „the logical and pathetic power of his earlier arguments“116 bündeln. „In the process, as the content of Paul’s gospel is fleshed out by the new imagery, the basic hortatory proposition gains much in moral force, making it all the more attractive to cleave to Paul and his gospel.“117 Daß die Ermahnungen sich besonders am Schluß des Briefes konzentrieren, ist im Rahmen der deliberativen Rede leicht zu erklären: „its concentration there (at the end of the letter; Verf.) is to be expected in a work whose primary goal from the beginning is exhortation.“118 In der von Hall vorgenommenen Gliederung des Galaterbriefes bildet der Schlußpassus einen Teil des Beweisganges, der den Abschnitt 1,10–6,10 umfaßt. Diese probatio sieht Hall seinerseits unterteilt in die narratio (1,10–2,21) und in „Further Headings (3:1–6:10)“.119 Diese „(f)urther headings, which show the excellence of standing in Christ and the foolishness of returning to the law, prepare for the strong exhortation to stand with Paul in Christ with which the proof concludes.“120

113 Hall, Outline 284; vgl. zur näheren Begründung seiner Klassifizierung des Galaterbriefes Outline 278 ff. 114 Hall, Outline 284 f. 115 Hall, Outline 284. 116 Hall, Outline 285. 117 Hall, Outline 285. 118 Hall, Outline 285. 119 Hall, Outline 287. 120 Hall, Outline 287.

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Zur thematischen und funktionalen Einheit Hall scheint es zu gelingen, den Brief als thematische und funktionale Einheit verständlich zu machen. Funktional dienen alle Abschnitte der einen Absicht, die Adressaten dazu zu bewegen, die Gegner und ihr falsches Evangelium zurückzuweisen und am paulinischen Evangelium festzuhalten.121 Thematisch besteht in der Darstellung von Hall eine direkte Verbindung zwischen dem Schlußpassus und den vorangegangenen Kapiteln des Briefes. Die Kapitel 5 und 6 bündeln die vorangegangenen, die propositio stützenden Argumentationsgänge, die den Kontrast zwischen dem paulinischen Evangelium und dem der Gegner aufzeigen wollen.122 Der Brief ist also durchgängig mit dem Thema „paulinisches Evangelium versus gegnerisches Evangelium“ befaßt. Obwohl die Analyse von Hall zunächst überzeugend wirkt, enthält sie dennoch Probleme. Der behauptete thematische Faden enthält eine Unstimmigkeit. Hall meint, die Schlußermahnungen bündelten die vorangegangenen Argumentationsgänge und machten diese nun als direkte Ermahnungen geltend. Gal 3,1–14 und 5,4–5 entfalten demnach argumentativ den Gedanken: „To stand with him is to walk by the Spirit; to stand with them is to walk by the flesh“123; Gal 5,16–26 und 6,7–10 formulieren ihn als Ermahnung: „Do not walk in the flesh, the principle of the old age, but walk in the Spirit, the principle of the new“.124 Diese thematische Übereinstimmung zwischen Gal 3,1–14; 5,4–5 einerseits und 5,16–26; 6,7–10 andererseits läßt sich jedoch so nicht finden: Die von Hall angenommene Aussage ist den Abschnitten 3,1–14 und 5,4–5 nicht ohne weiteres zu entnehmen. Im Abschnitt 3,1–14 stellt der Verfasser zwar in den Versen 3,1–5, speziell durch 3,3, eine Verbindung von Éx ôrgwn nímou mit sârx sowie von Éx åkoœ™ pùstew™ mit pneøma her, doch läßt sich kaum sagen, der Abschnitt 3,1–14 habe das Argumentationsziel: „To stand with him is to walk by the Spirit; to stand with them is to walk by the flesh“. Mit Gal 3,6–14 geht der Verfasser vielmehr der in 3,5 gestellten Frage

121 Vgl. Hall, Outline 283. Wenn Anderson gegen Halls Integration der exhortatio einwendet: „This is, however, no solution. Rhetorical theorists never discuss general exhortatio at all, whether the genre is deliberative or not“ (Anderson, Theory 131), so scheint mir dieser Einwand Hall nicht zu treffen. Dieser behauptet ja gar nicht, der Abschnitt 5,1–6,10 sei rhetorisch angemessen als exhortatio zu klassifizieren. Bei ihm fällt der Abschnitt vielmehr unter die Klassifizierung probatio (vgl. explizit Hall, Outline 285). In seinen Ausführungen über das keineswegs überraschende Vorkommen von Ermahnungen im deliberativen Genus (vgl. Outline 284 f) bezeichnet der Ausdruck „exhortations“ im Wechsel mit „summons“ (Outline 284) keinen rhetorischen Redeteil, sondern die Sprechhandlung, die vollzogen wird (vgl. Plett, Textwissenschaft 82; Ohmann, Style 124 f). 122 Vgl. Hall, Outline 284 f. 123 Hall, Outline 284. 124 Hall, Outline 284.

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nach der Herkunft des pneøma nach und legt dar, daß das pneøma nicht aus den Werken des Gesetzes kommt, sondern aus dem Glauben. Daß diese Betonung in Auseinandersetzung mit der gegnerischen Theologie erfolgt, sei unbestritten. Doch zielt der Abschnitt nicht auf die von Hall erhobene Aussage – einmal weniger, da das Stichwort sârx im Abschnitt 3,6–14 gar nicht vorkommt. Das gilt in noch deutlicherer Weise für 5,4–5, wo nur das Stichwort pneøma zu finden ist. Das Thema „Wandel nach dem Geist“ bzw. „nach dem Fleisch“ kommt explizit erst mit 5,16 ins Spiel. In den vorangegangenen Kapiteln findet sich keine Formulierung, die dem pne‹mati peripateûte vergleichbar wäre. Insofern läßt sich nicht sagen, die Ermahnungen formulierten denselben Sachverhalt, der zuvor argumentativ entfaltet wurde, nun in der Form direkter Ermahnung. Da der thematische Zusammenhang des Briefes sich nicht im Sinne von Hall bestimmen läßt, ist auch die Frage nach der konkreten funktionalen Kennzeichnung des Schlußabschnittes wieder offen: Welche Funktion haben die Ermahnungen im Dienste der Absicht, die Adressaten dazu zu bewegen, das gegnerische Evangelium zurückzuweisen und am paulinischen Evangelium festzuhalten125, wenn sie nicht dieselben Gedanken, die zuvor argumentativ entfaltet wurden, nun als direkte Ermahnungen geltend machen?

4.3.3 Die Analyse von Gal 5 und 6 bei R. Brucker Zu ganz anderen Ergebnissen kommt Brucker. Auch er sieht den Galaterbrief durchgängig vom Argumentationsmuster der rhetorischen Gattung „Beratungsrede“ bestimmt.126 Der Brief verfolgt die Strategie, die Adressaten zu einer Entscheidung zwischen zwei konträren Positionen und damit verbundenen Lebenspraxen zu bewegen – natürlich zugunsten der vom Verfasser empfohlenen.127 Mit dem Abschnitt 5,5–12 sind nach Brucker „die Erfordernisse des rhetorischen Schemas erfüllt; die ,Rede im Brief‘ ist zu einem effektvollen Abschluß gekommen.“128 Der noch folgende Abschnitt 5,13–6,10 ist unter rhetorischem Gesichtspunkt als „Exkurs“ zu verstehen. Gal 5,13–6,10 erfüllt die „Vorschriften für diesen ,Redeteil außerhalb des Schemas‘“.129 „Unverkennbar ist die Anknüpfung von 5,13 ff an bisherige Aussagen des Briefes . . . . Zugleich ist deutlich, daß 5,13–6,10 125 Vgl. Hall, Outline 284. 126 Vgl. Brucker, Rhetorik 225; zum einzelnen Nachweis der Zugehörigkeit des Galaterbriefes zur Gattung „Beratungsrede“ vgl. Rhetorik 220 ff. 127 Vgl. Brucker, Rhetorik 223. 225. 128 Brucker, Rhetorik 233. 129 Brucker, Rhetorik 233.

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nicht auf die akut anstehende Entscheidung der Angesprochenen bezogen ist, sondern seine Thematik (Wandel im Geist, nicht nach dem Fleisch) auf einer allgemeineren, grundsätzlicheren Ebene verhandelt“.130 Für einen solchen Abschnitt, „der das eigentliche Thema der Rede verläßt, hält die rhetorische Theorie den Begriff ,Exkurs‘ . . . bereit.“131 Einen solchen Exkurs „können nach Quintilian ,Ausführungen über Schwelgerei, Habgier, frommes Handeln und Pflichten‘ . . . bilden . . . . Nun ist Gal 5,13–6,10 in seinem Gesamtcharakter sicher ermunternde Mahnung (Paraklese bzw. Paränese) zum Christus-gemäßen Handeln, wie die zahlreichen Imperative mit allgemeiner Ausrichtung zeigen (5,13. 25 f; 6,1 f. 4. 6. 9 f), und befaßt sich (in Form einer katalogischen Aufzählung) mit Tugenden und Lastern (5,16–26).“132 Gal 5,13–6,10 sei demnach „im rhetorischen Aufbau des Gesamtbriefes“ am besten als Exkurs zu verstehen, der „bestimmte Motive aus der Argumentation aufgreift und unter allgemeineren Gesichtspunkten entfaltet.“133 Zur thematischen und funktionalen Einheit Der Vorschlag Bruckers vermag zwar dem Abschnitt unter rhetorischem Gesichtspunkt eine Rolle im Gesamtaufbau des Briefes zuzuweisen, die von den Rhetorikhandbüchern gedeckt ist. Dennoch gelingt es ihm nicht, den Galaterbrief als eine funktionale und thematische Einheit verständlich zu machen. Unter thematischem Gesichtspunkt stellt Brucker selbst fest, der Abschnitt verlasse „das eigentliche Thema der Rede“134, verhandle „seine Thematik (Wandel im Geist, nicht nach dem Fleisch)“135, die zwar an einzelne „Motive aus der Argumentation“136 anknüpfe, „auf einer allgemeineren, grundsätzlicheren Ebene“.137 Mit dieser Auskunft ist das Problem, wie der thematische Zusammenhang zwischen Schlußteil und dem Rest des Briefes zu bestimmen ist, den der Brief eindeutig signalisiert, eher benannt denn gelöst. Eine Bestimmung des funktionalen Zusammenhangs des Briefes findet sich bei Brucker nicht, mehr noch: Das Bestehen eines solchen Zusammenhangs wird mit der Auskunft ausgeschlossen, mit dem Abschnitt 5,5–12 seien „die Erfordernisse des rhetorischen Schemas erfüllt; die ,Rede im Brief‘ ist zu einem effektvollen Abschluß gekommen“138 und zudem sei es 130 131 132 133 134 135 136 137 138

Brucker, Brucker, Brucker, Brucker, Brucker, Brucker, Brucker, Brucker, Brucker,

Rhetorik Rhetorik Rhetorik Rhetorik Rhetorik Rhetorik Rhetorik Rhetorik Rhetorik

233. 233. 233 f. 234. 233. 233. 234. 233. 233.

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„deutlich, daß 5,13–6,10 nicht auf die akut anstehende Entscheidung der Angesprochenen bezogen ist“.139 Gal 5,13–6,10 steht demnach in keiner Verbindung mehr zu der im ganzen Brief sonst streng auf die Adressatensituation bezogenen Textstrategie, mit der der Verfasser seine Adressaten „für seine Position zurückgewinnen“ will.140 Damit erhebt sich die Frage, warum der Abschnitt überhaupt im Galaterbrief steht. Welchen Sinn soll ein solcher Exkurs haben, der zwar einzelne Motive der zwischen Verfasser und Adressaten anstehenden Thematik aufnimmt, jedoch nicht mehr auf die akut anstehende Entscheidung der Adressaten bezogen ist? Diese Frage bleibt bei Brucker unbeantwortet. Gal 5,13–6,10 wird zu einem unter funktionalem Gesichtspunkt bezugslosen Fremdkörper im Gesamtbrief. Obgleich die Auslegung von Brucker von einem rhetorischen Ansatz herkommt, trifft sie sich in diesem Punkt mit den Positionen des „dogmatischen“ Modells.141

4.4 Methodische Überlegungen zum rhetorischen Modell Der Gewinn der rhetorischen Analyse gegenüber der „dogmatischen“ Auslegung besteht darin, daß die Gestaltung von Texten zum Untersuchungsgegenstand wird.142 Der Text wird nicht in einseitiger Konzentration auf die Sachaussagen ausgelegt, sondern als ein Text in den Blick genommen, der den Erfordernissen der Kommunikationssituation entspricht, deren Teil er ist. Dennoch erweist keine der hier skizzierten Positionen zufriedenstellend den umstrittenen Abschnitt Gal 5,13–6,10 als einen integralen, thematisch und funktional mit dem Gesamtbrief verbundenen Bestandteil. Daß die Einbettung des Abschnittes in den Gesamtbrief unter funktionalem Gesichtspunkt nicht gelingt, erstaunt besonders angesichts dessen, daß doch von ihrem Ansatz her gerade die rhetorische Analyse dazu geeignet sein müßte, die pragmatische Textdimension zu analysieren.143 Diese auffällige Fehlanzeige hängt mit einer grundsätzlichen Eigenschaft der hier dargestellten rhetorischen Analyse zusammen. Diese untersucht die Einzeltexte unter dem Gesichtspunkt ihrer Zugehörigkeit zu einer Gattung. D. h. die ermittelte Funktion des Gesamttextes bzw. die Teilfunktio139 Brucker, Rhetorik 233. 140 Brucker, Rhetorik 223. 141 Vgl. o. unter I.3. 142 Vgl. Brucker, Rhetorik 226. 143 Vgl. zur Verwandtschaft der Fragen nach der rhetorischen Gestaltung eines Textes und nach der pragmatischen Dimension eines Textes Bickmann, Kommunikation 44 ff; Kern, Rhetoric 7 ff; Plett, Textwissenschaft 95 f.

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nen einzelner Abschnitte sind die gattungstypischen, nicht die individuellen eines konkreten Einzelexemplars dieser Gattung. Wenn der Galaterbrief z. B. der Gattung „apologetische Rede“ zugeordnet wird, dann ist damit zwar „das kommunikative Gesamtgefälle“144 des Gattungsexemplars Galaterbrief bestimmt. Wie jedoch die apologetische Textstrategie konkret ausfällt und im einzelnen gestaltet ist, ist damit noch nicht näher gefaßt. Die Funktionsbestimmungen, die sich mit Hilfe rhetorischer Analyse für einen Gesamttext bzw. seine einzelnen Abschnitte ergeben, bleiben notwendig allgemein, typisch, und geben noch keine Auskünfte darüber, wie der konkrete Text eine solche ermittelte Stoßrichtung genau ausfüllt. Der rhetorische Ansatz ist ein nur bedingt hilfreiches Analyseinstrument für die funktionale Einzelgestaltung eines Textes, wenn die Gattungsfrage die Wahrnehmung des Einzeltextes dominiert. Mag die Analyse von Brinsmead ein solches Vorgehen auch karikieren, so tendiert doch das Auslegungsverfahren der rhetorischen Analyse generell dazu, mit den Gattungsvorgaben an den Einzeltext zu gehen und nicht umgekehrt.145 Geht man diesen Weg von den Gattungsmerkmalen zum Text, besteht die Gefahr, den Text auf ein Muster hin abzufragen und über muster-konforme Textdaten kaum hinauszukommen. Entsprechend bleiben die Funktionsbestimmungen im allgemeinen gattungstypischen Rahmen. Zudem hilft dann dieses Ergebnis auch nicht in allen Fällen weiter. Um einen Text im einzelnen stimmig zu deuten, scheint es ja nicht auszureichen, Übereinstimmungen zwischen Einzeltext und antik-rhetorischer Theorie zu erheben.146 Das Problem des sperrigen Abschnittes des Galaterbriefes 5,13–6,10 löst sich 144 Bickmann, Kommunikation 18 f. 145 Vgl. Kern, Rhetoric 1; s. konkret z. B. das Argumentationsgefälle bei Brucker, das in folgender Formulierung ersichtlich wird: Mit dem Abschnitt Gal 5,1–12 sind „die Erfordernisse des rhetorischen Schemas erfüllt_; die ,Rede im Brief‘ ist zu einem effektvollen Abschluß gekommen“ (Rhetorik 233 [Hervorhebung von mir]). Oder: Einen Exkurs „können nach Quintilian ,Ausführungen über Schwelgerei, Habgier, frommes Handeln und Pflichten‘ . . . bilden . . . . Nun ist Gal 5,13–6,10 in seinem Gesamtcharakter sicher ermunternde Mahnung . . . und befaßt sich (in Form einer katalogischen Aufzählung) mit Tugenden und Lastern“ (Rhetorik 233 f). Diese Ausführungen wirken wie ein Abgleichen des Textes mit Gattungsvorgaben. 146 Das wird schon daran deutlich, daß aus dem Aufbau des Galaterbriefes als Rede noch nicht eindeutig abzuleiten ist, welchem Genus er zuzurechnen ist. Die Frage nach der funktionalen Gesamtstoßrichtung, die sich mit einer Genuszuordnung verbindet, ist also mit einem Aufweis rhetorischer Elemente allein noch nicht beantwortet; vgl. Lausberg, Handbuch § 65: „Die Reden der drei genera können natürlich Elemente der beiden anderen genera enthalten . . . . Es gibt also im genus iudiciale deliberative . . . und epideiktische . . . Elemente. Im genus deliberativum gibt es judiciale . . . und epideiktische . . . Elemente“; s. auch Lausberg, Handbuch § 261 zu den Redeteilen: „Als Modellfall wird die Rede des genus iudiciale gewählt . . . . Die an diesem Modellfall aufgezeigten Teile der Rede können analog auf die beiden anderen genera übertragen werden“; vgl. Hommel/Ziegler, KP 4, 1411/1412 f; Kern, Rhetoric 36 f; Witherington, Grace 35.

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noch nicht dadurch, daß man den Brief dem einen oder anderen Genus zuordnet oder in der rhetorischen Theorie einen Teil „Exkurs“ ausmacht. Es wird deutlich, daß die Probleme, vor die Gal 5 und 6 stellen, nicht einseitig von der rhetorischen Theorie her zu lösen sind. Es bedarf offensichtlich eines Verfahrens, das weitaus stärker als der rhetorische Ansatz die individuelle funktionale Gestaltung des Einzeltextes in den Blick bekommt.147

4.5 Die Einzelauslegung der exhortatio bei H.D. Betz: Betz als Vertreter des historischen Modells Weitgehend ausgeklammert blieb bisher die Einzelauslegung des umstrittenen Abschnittes bei Betz, dem „Vater“ der rhetorischen Analyse. Auf seine Auslegung von Gal 5,1–6,10 möchte ich nun ausführlich eingehen. Nach der oben bereits aufgezeigten dispositio des Briefes versteht Betz den Abschnitt 5,1–6,10 als exhortatio. Diese verfolgt konkret folgendes Ziel: Gal 5,1–12 ist als „Warnung vor der Annahme der jüdischen Tora“148 zu verstehen, 5,13–24 als „Warnung vor dem Verderben durch das ,Fleisch‘“149. Der Abschnitt 5,25–6,10 schließlich bringt „Empfehlungen in Form von sententiae bezüglich der ethischen Praxis“.150 Eine solche exhortatio ist aufgrund der Situation notwendig, in die das Schreiben gerichtet ist. Der Grund, der die Galater für die gegnerische „Forderung der Unterwerfung unter Tora und Beschneidung“151 empfänglich gemacht hat, liegt in einer ethischen Verunsicherung der Galater: „Nach einer Zeit des anfänglichen Enthusiasmus traten bei den Galatern Probleme auf, die sie 147 Erstaunlicherweise hat für eine Mehrzahl der Vertreter der rhetorischen Analyse diese Methode auch primär eine andere Funktion als die Erschließung der funktionalen Textgestaltung. Vgl. z. B. Brucker (Rhetorik 212), der sie als Bereicherung der historisch-kritischen Methode versteht, der es „um die Untersuchung antiker Texte in ihrem zeitgenössischen literaturtheoretischen Kontext“ geht (vgl. auch u. zu Betz S. 47 f; vgl. Kern, Rhetoric 1). Wie weit die rhetorische Analyse von einem Verfahren zur Erhellung der pragmatischen Textgestaltung entfernt sein kann, zeigt folgendes Zitat bei Anderson, das letztlich das zweckfreie Spiel mit rhetorischen Etiketten zum Programm erhebt: „The following analysis of the letter to the Galatians is restricted to the verses 1. 1–5. 12. The paraenetical section and epistolary closing are excluded, not because they are not necessarily integrally connected with the letter as such, but because they do not offer the same scope for an analysis with respect to ancient rhetorical theory“ (Theory 142 [Hervorhebung von mir]). Damit wird der konkrete Brieftext zu einer Art Testfeld der Applikation rhetorischer Kategorien (vgl. Theory 11), seine Auslegung steht nicht mehr im Mittelpunkt. 148 Betz, Galaterbrief 66; vgl. Galaterbrief 435. 149 Betz, Galaterbrief 67; vgl. Galaterbrief 453. 150 Betz, Galaterbrief 66 f; vgl. Galaterbrief 435 f. 151 Betz, Galaterbrief 43.

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nicht mit Hilfe der Weisungen lösen konnten, die sie durch die Lehren des Paulus kennengelernt hatten. . . . Die Gegner müssen den Galatern für die Probleme, die sie hatten, plausible Lösungen angeboten haben.“152 Die Verse 5,13. 16. 17. 19; 6,12. 13 legen nahe, „daß es sich um ein konkretes Problem im Hinblick auf das ,Fleisch‘ . . . handelte“.153 Es hat also in den eigenen Reihen ethisches Fehlverhalten, „,Übertretungen‘ gegeben, und der Anspruch, ,im Geiste‘ . . . zu leben, führte zum Konflikt mit den Realitäten des täglichen Lebens.“154 Das Problem, mit dem die Galater sich konfrontiert sahen, ist also dies: „(W)ie kann der ,Geistbegabte‘ . . . in seinem täglichen Leben mit ,Fehltritten‘ leben?“ (vgl. 6,1).155 Mit diesem Problem sahen die Galater sich von der Theologie des Apostels allein gelassen: „In seiner Theologie galten die vertrauten Mittel für den Umgang mit menschlichen Fehltritten nicht mehr. . . . Es gab kein Gesetz, das ihnen sagte, was richtig und falsch war. Es gab keine Rituale mehr, um Fehltritte zu korrigieren. Unter diesen Umständen wurde ihr tägliches Leben zu einem Drahtseilakt!“156 Aufgrund dieser haltlosen Situation waren die Galater für die Botschaft der Gegner empfänglich, da ihnen ein fester Gesetzeskodex wie die Thora Orientierung und Hilfe versprach. Nach Betz sieht Paulus aufgrund dieser Lage die Galater durch zwei Gefahren bedroht: zum einen durch die „Annahme der jüdischen Tora“, vor der er entsprechend 5,1–12 warnt, und durch die „Korrumpierung ihres Lebens durch das ,Fleisch‘“.157 Auf diese Gefahr gehen die Verse 5,13–24 ein: „Die Bedeutung des Abschnitts 5,13–24 liegt darin, daß Paulus erkennt, daß er mit bloßer Polemik gegen Beschneidung und Gesetz (5,2–12; bes. 2,15–5,12) den Schwierigkeiten der Galater nicht gerecht wird. Was not tut, ist ein positiver und konstruktiver Vorschlag, wie mit Fehlverhalten und Versagen, d. h. mit dem ,Fleisch‘, am wirksamsten umzugehen ist.“158 Die abschließenden Sentenzen 5,25–6,10 zielen auf eine Anleitung zur „Selbstprüfung und Selbstkritik . . ., um das ethische Bewußtsein auf einem hohen Niveau zu halten.“159 Zur thematischen und funktionalen Einheit Der Abschnitt 5,1–12 ist fraglos mit demselben Thema wie die vorangegangenen Kapitel des Briefes befaßt. Er führt die Auseinandersetzung mit 152 Betz, Galaterbrief 44 f. 153 Betz, Galaterbrief 45. 154 Betz, Galaterbrief 45. 155 Betz, Galaterbrief 45; zu 6,1 vgl. auch Galaterbrief 503: „Daß Paulus überhaupt Fehltritte zugibt, beweist, daß er den Kern der galatischen Probleme berührt.“ 156 Betz, Galaterbrief 46; vgl. Galaterbrief 466 f. 157 Betz, Galaterbrief 441. 158 Betz, Galaterbrief 467. 159 Betz, Galaterbrief 497.

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Beschneidung und Gesetzesgehorsam weiter, indem er noch einmal eindringlich davor warnt, „das Joch der Tora auf sich zu nehmen und sich dem Ritual der Beschneidung zu unterziehen“.160 Mit 5,13 jedoch ist in der Auslegung von Betz eine Themenverschiebung zu den vorangegangenen Kapiteln festzustellen. Dies wird schon deutlich durch die Formulierung: „Nach Ansicht des Paulus wird die christliche Freiheit der Galater von zwei Gefahren bedroht: (1) der Annahme der jüdischen Tora (5,2–12) und (2) der Korrumpierung ihres Lebens durch das ,Fleisch‘ (5,13–24).“161 Gal 5,13 ff geht also auf ein anderes Problem ein als der vorangegangene Brief. Diese beiden Themen werden zueinander in Beziehung gesetzt durch die Rekonstruktion der historischen Problemlage, die die Galater für die Forderung der Gegner, das Gesetz zu halten, empfänglich gemacht haben wird. Der Schlußteil wendet sich dem Problem zu, welches der vermutete Grund für die Übernahme des Gesetzes durch die Galater war – ihrer Verunsicherung im Umgang „mit menschlichem Versagen und Fehlverhalten“.162 Dieser Verunsicherung begegnet der Brief im Abschnitt Gal 5,13–24 mit seinem „konstruktive(n) Vorschlag, wie mit Fehlverhalten und Versagen, d. h. mit dem ,Fleisch‘, am wirksamsten umzugehen ist“.163 Das Thema ab Gal 5,13 verhält sich also zum Thema „Beschneidung und Gesetz“ aus den vorangegangenen Kapiteln 2,15–5,12 wie das Grundproblem zum Folgeproblem. Das ursprüngliche Problem der Galater ist ihre Verunsicherung im Umgang mit Fehltritten, was die Bereitwilligkeit nach sich zieht, Thora und Beschneidung anzunehmen.164 Die Themenverschiebung wird bei Betz durch die historische Adressatensituation plausibilisiert165, die die Behandlung dieser zwei verschiedenen, aber eben aufgrund der speziellen Adressatensituation aufeinander bezogenen Themen bedingt. Hinsichtlich der funktionalen Einheit wurde bereits oben auf das Problem hingewiesen, das eine exhortatio im Rahmen eines apologetischen Briefes darstellt: Apologetische Gesamtfunktion des Briefes und ermahnende Einzelfunktion des Schlußpassus weisen in verschiedene Richtungen. An der Einzelanalyse der exhortatio durch Betz ist aber etwas anderes auffällig, das möglicherweise noch entscheidender ist als die Frage, ob und wie Apologie und Ermahnung zusammenpassen: Im Unterabschnitt Gal 5,13–24 finden sich bei Betz zwei Funktionsbestimmungen, die miteinander 160 Betz, Galaterbrief 435; vgl. Galaterbrief 467: Gal 2,15–5,12 wird hier zusammenfassend als „Polemik gegen Beschneidung und Gesetz“ gekennzeichnet. 161 Betz, Galaterbrief 441 (Hervorhebung von mir). 162 Betz, Galaterbrief 467. 163 Betz, Galaterbrief 467. 164 Vgl. Betz, Galaterbrief 44 f. 467. 165 Zur Plausibilität dieser Rekonstruktion der historischen Adressatensituation vgl. u. I.5.2.

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konkurrieren. Die Funktion des Abschnittes 5,13–24 wird zum einen als „Warnung vor dem Verderben durch das ,Fleisch‘“166 und zum anderen als „positiver und konstruktiver Vorschlag, wie mit Fehlverhalten und Versagen . . . am wirksamsten umzugehen ist“167 bestimmt. Derselbe Abschnitt kann jedoch nur eine dieser beiden Funktionen haben. Diese zweifache Funktionsbestimmung korrespondiert mit einer Unklarheit in den Ausführungen von Betz zu dem Problem, mit dem der Abschnitt 5,13 ff umgehen will. Zu Gal 5,13 heißt es: „Zwischen den ,Indikativ‘ (V 13a) und den ,Imperativ‘ (V 13c) hat Paulus einen Satz eingeschoben (V 13b), der sehr wahrscheinlich den Schlüssel zu dem konkreten Problem enthält, dem sich die Galater gegenübersehen . . . . Mit diesem Wort als Angelpunkt wendet sich der Gedankengang des Briefes einem scharf dazu kontrastierenden Aspekt zu, nämlich der Gefahr des Mißbrauchs von Freiheit“.168 Paulus gehe hier auf das Problem ein, daß die christliche Freiheit zugunsten des Fleisches mißbraucht werden könne169, der Satz 5,13 laufe „auf das hinaus, was Paulus anderweitig ,Versuchung‘ nennt.“170 Dies bringt Betz mit der historischen Adressatensituation in Verbindung und erwägt, ob das offensichtliche Fehlverhalten, das für die Galater ein Problem war, sich nicht „aus einem gewissen ,Libertinismus‘“ ergeben haben könnte.171 Bei einer solchen Problemlage könnte der Abschnitt durchaus als „Warnung vor dem Verderben durch das Fleisch“ funktionieren – eine Verbindung, die Betz aber selber nicht explizit herstellt.172 Diese Problemlage und die damit verbundene Stoßrichtung des Abschnittes steht jedoch in Spannung zu der an anderen Stellen von Betz gezeichneten Situation.173 Demnach ist das Problem der Galater nicht drohender Mißbrauch von Freiheit zugunsten des Fleisches, sondern eine Situation des drohenden Verlustes von Freiheit174 aus Angst vor dem Fleisch. Gerade aufgrund eines sehr hohen ethischen Problembewußtseins175 wollen sie sich den ethisch-normierenden Bestim166 Betz, Galaterbrief 67 (Hervorhebung von mir). 167 Betz, Galaterbrief 467 (Hervorhebung von mir). 168 Betz, Galaterbrief 464 unter Verwendung eines Zitats von Burton (Galatians 291 [Hervorhebung von mir]). 169 Vgl. Betz, Galaterbrief 464–466. 170 Betz, Galaterbrief 465. 171 Vgl. Betz, Galaterbrief 466 mit Anm. 16. 172 Vgl. Betz, Galaterbrief 464; auf diese Ausführungen erfolgt erstaunlicherweise die Funktionsbestimmung des Abschnittes als „konstruktiver Vorschlag“ (Galaterbrief 467). Die Funktionsbestimmung als Warnung taucht nur in den Überschriften zu diesem Abschnitt auf (vgl. Galaterbrief 67. 463), wird aber an keiner Stelle des Kommentars näher erklärt oder begründet. 173 Vgl. Betz, Galaterbrief 45 f, aber auch Galaterbrief 466 f. 174 Vgl. Betz, Galaterbrief 440: „Die Gefahr, in der sich die Galater befinden, besteht darin, daß sie ihre Freiheit in Christus verlieren, wenn sie sie nicht gebrauchen.“ 175 Vgl. Betz, Galaterbrief 466 f: „Es ist nicht anzunehmen, daß die Galater Fehltritte auf

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mungen der Thora unterwerfen, da ihnen die Freiheit als gefährlich erscheint, weil sie ihnen keine Hilfe im Umgang mit der Bedrohung durch das Fleisch zu sein scheint.176 Zu dieser Situation paßt die Funktionsbestimmung des Abschnittes Gal 5,13–24 als „positiver und konstruktiver Vorschlag, wie . . . mit dem ,Fleisch‘ am wirksamsten umzugehen ist“177 – eine Verbindung, die Betz auch in diesem Fall nicht explizit herstellt.178 Eine Warnung vor dem Verderben durch das Fleisch ist jedoch in der so umrissenen Problemlage kaum sinnvoll: Adressaten, die offenbar ein sehr stark ausgeprägtes Sensorium für die Gefährdung durch das Fleisch haben, müssen wohl kaum vor dem Verderben durch dieses gewarnt werden. Die beiden Funktionsbestimmungen des Abschnittes 5,13–25 und die je unterschiedlich gezeichnete Problemlage, auf die der Abschnitt reagiert, stehen also jeweils in einem Entsprechungsverhältnis. In die Situation tendenziell libertinistischen Verhaltens paßt die Erörterung des Themas „Mißbrauch der Freiheit“ in Form einer „Warnung vor dem Verderben durch das Fleisch“. In die Situation der Verunsicherung aufgrund der Gefährdung durch das Fleisch paßt die Erörterung des Themas „Umgang mit dem Fleisch“ in der Form eines konstruktiven Vorschlags. Sie sind aber weder auf der Ebene der angenommenen Problemlage noch auf der Ebene der funktionalen Ausrichtung des Textes 5,13–24 miteinander zu vermitteln.179 Es konkurrieren hinsichtlich des Abschnittes 5,13–25 zwei funktionale Bestimmungen miteinander und entsprechend zwei postulierte unterschiedliche Problemlagen, auf die der Abschnitt reagieren soll. Diese Ungereimtheiten stellen eine Einheit des Briefes unter funktionalem Gesichtspunkt in Frage. Betz als Vertreter des historischen Modells An der gerade betrachteten Einzelauslegung von Gal 5,13–25 läßt sich exemplarisch ablesen, woraus Betz Aufschluß über die Funktion des Gesamtabschnittes 5,13–6,10 sowie seiner Unterabschnitte und Verse gewinnt:

die leichte Schulter nahmen. Sie müssen im Gegenteil in Sorge gewesen sein, daß solche Vorkommnisse ihre Hoffnung auf Erlösung in Christus zunichte machen könnten.“ 176 Vgl. Betz, Galaterbrief 46, bes. die Schilderung der Reaktion der Galater, die aus dieser Situation resultiert: „So war es durchaus verständlich, daß die Galater sich mehr oder weniger dazu entschlossen, sich die Empfehlungen der Gegner des Paulus zu Herzen zu nehmen, sich beschneiden zu lassen, die Tora gewissenhaft zu befolgen und dadurch ,Erben‘ der Sicherheit zu werden, die dies alles bedeutete“ (Galaterbrief 46 f [Hervorhebung von mir]). 177 Betz, Galaterbrief 465. 178 Vgl. nochmals Betz, Galaterbrief 464 f. 179 Vgl. Betz, Galaterbrief 466 f, wo die miteinander konkurrierenden Annahmen nebeneinander stehen und über das Stichwort „Verwirrung“ (Galaterbrief 466) miteinander verbunden werden – ein Stichwort, das im Blick auf die Annahme einer tendenziell libertinistischen Position m. E. aber wenig Sinn macht.

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letztlich aus der rekonstruierten historischen Adressatensituation. Sie ist die entscheidende Größe, auf die er sich bezieht und von der her er Funktion und beabsichtigte Wirkung des Textes bestimmt.180 Die Rekonstruktion der historischen Adressatensituation sichert also nicht nur die thematische Verbindung zwischen Hauptteil und Schlußpassus trotz zweier verschiedener Themen181, sie erklärt auch die funktionale Neuausrichtung des Briefes ab Kapitel 5 von Apologie zur Ermahnung und bedingt die Kennzeichnung der Einzelfunktionen des Abschnittes Gal 5,13–6,10 und seiner Teilabschnitte. Betz leitet die Funktionsbestimmungen des Schlußabschnittes 5,13–6,10 von einer textexternen Größe, der historischen Adressatensituation, ab.182 Die rhetorische Analyse verwendet Betz nicht als Instrumentarium zur Erhebung der Textstrategie, sondern als Analyse-Instrumentarium zur Erhebung der „Oberflächenstruktur des Briefes“, des „formale(n) Aufbau(s) 180 Vgl. zur Verdeutlichung z. B. die Ausführungen zu 6,1: Betz schließt aus dem Wortlaut des Textes, hier sei der „Kern der galatischen Probleme berührt“ und rekonstruiert von da aus die historische, dem Brief vorausliegende Situation: „Es ist nicht anzunehmen, daß diese Empfehlung schon vorher einmal gegeben worden war. Anscheinend waren die Galater nicht darauf vorbereitet, daß sie mit Fehltritten in ihrer Mitte konfrontiert werden würden. Erst jetzt, so scheint es, wird um Regeln gebeten, und Paulus gibt ihnen eine. Dies führt zu der Schlußfolgerung, daß unerwartet konkrete Beispiele von Fehlverhalten in den galatischen Gemeinden aufgetreten waren . . . . Dies würde auch erklären, warum die Galater die Einführung der Tora in Betracht zogen“ (Galaterbrief 503). Auf dem Hintergrund dieser rekonstruierten Situation skizziert Betz nun die Stoßrichtung des Verses: „In seiner Empfehlung schlägt Paulus andererseits vor, den Fehltritt in einer Weise zu behandeln, die keineswegs die Einführung des Gesetzes notwendig macht“ (Galaterbrief 503 [Hervorhebung von mir]). Der Vers wird also in Beziehung zur historischen Adressatensituation gesetzt und bekommt von daher seine Stoßrichtung und Funktion zugeschrieben. Daß der Vers eine Alternative („andererseits“) zur Einführung der Thora geltend machen will, ist nur zu ersehen, wenn man die rekonstruierte Situation mitdenkt. Eine solche Frontstellung gegen das Gesetz, und d. h. eine Funktionsbestimmung des Verses als alternative Empfehlung in Abgrenzung zum Gesetz, ist dem Vers an sich nicht zu entnehmen, denn dieser nennt das Stichwort „Gesetz“ gar nicht. Dieser Gedanke kommt erst durch die rekonstruierte Adressatensituation ins Spiel. 181 S. o. S. 43 f. 182 Daß Betz seine Anhaltspunkte für die von ihm rekonstruierte Situation dem Text entnimmt (vgl. Galaterbrief 44–47), soll mit dem Ausdruck „textextern“ nicht in Frage gestellt werden. Gemeint ist vielmehr, daß nicht ausschließlich die Textgestaltung analysiert wird, um die ihr innewohnende Stoßrichtung und Wirkabsicht zu erhellen, sondern bei der Erhebung der Funktion eine Größe (die historische Adressatensituation) bestimmend ist, die vom Text unabhängig ist, auch wenn sie aus ihm gewonnen ist. Text und Adressatensituation sind zwar aufeinander bezogen, insofern der Brief sich gezielt an historische Adressaten in ihrer konkreten historischen Situation richtet. Dennoch sind historische Adressatensituation und Textwelt als zwei „Welten“ voneinander zu unterscheiden. Insofern läßt sich der Weg über die historische Situation für die Ermittlung der Funktion des Textes als Weg über eine textexterne Größe bezeichnen (vgl. zur Verdeutlichung noch einmal das konkrete Vorgehen von Betz o. Anm. 180).

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I. Zur Forschungslage

und (der) Struktur“, um den Brief im Rahmen der „Konventionen der griechisch-römischen Rhetorik und der Kunst des Briefeschreibens“ verständlich zu machen.183 Seine rhetorische Analyse ist also primär an einem Aufweis dieser konventionellen Elemente des Briefes interessiert und weniger daran, die individuellen Merkmale seiner funktionalen Gestaltung zu erschließen.184 Daß beides nicht automatisch zusammenfällt, wird z. B. schon daran deutlich, daß der Aufweis der Disposition einer antiken Rede noch nicht über die Funktion des Textes als Gerichtsrede oder Beratungsrede entscheidet.185 Die genaue Funktion des Gesamttextes und seiner Einzelteile läßt sich nicht automatisch über formale Gliederungsmerkmale erheben. Entsprechend erhebt Betz die konkreten Textfunktionen auch anderweitig, erstaunlicherweise nun aber weitgehend unabhängig von der rhetorischen Gestaltung, aus der historischen Adressatensituation.186 Aufgrund des Befundes, daß Betz die Funktion des Abschnittes faktisch aus der Adressatensituation gewinnt, läßt sich seine Position strenggenommen nicht mehr zum rhetorischen Modell rechnen, sondern zu dem Auslegungstyp, den ich „das historische Modell“ nennen möchte.

183 Betz, Galaterbrief 57. 6. Ein vergleichbarer Umgang mit den Kategorien der antiken Rhetorik findet sich bei Becker in seinem neu überarbeiteten Kommentar: vgl. Beckers Erwägungen im Einleitungsteil Galater 9–12 und seine Einzelauslegung zum Schlußabschnitt Galater 83 ff. 184 Vgl. Snyman: „The emphasis in all these publications (der rhetorischen Analysen von Betz, Hester, Hübner, Berchman, Hall; Verf.) has been on the arrangement of material or the structure of the letter, the so-called dispositio. Questions often lacking were: What are the functions of the various parts . . .? Why does the text persuade? And especially: How does it persuade?“ (Persuasion 475). Bei Betz zeigt sich also dasselbe Phänomen, das bereits oben im Hinblick auf den antik-rhetorischen Ansatz herausgestellt worden ist (vgl. o. unter I.4.4). Vgl. auch noch einmal grundsätzlich Kern: „,(R)hetorical analysis‘ may be a new and improved approach to form criticism, attempting to describe textual shape and content by measuring its conformity to classical handbooks on rhetoric. This approach is concerned with neither the shape nor prehistory of the text merely for their own sake; . . . the question of what it can add to the discovery of meaning remains open, for it often addresses only matters peripheral to the text“ (Rhetoric 1 [Hervorhebung von mir]). 185 S. o. S. 41 Anm. 146. 186 Abgesehen von der Kennzeichnung der Gesamtfunktion des Briefes als Verteidigung gewinnt Betz keine der sonstigen Funktionsbestimmungen der Teilabschnitte aus einer konsequenten rhetorischen (d. h. textpragmatischen) Analyse der Abschnitte bzw. der Einzelverse. Vgl. auch Anderson: „As far as rhetorical analysis is concerned, however, apart from a rhetorically based forensic outline, Betz does not make much use of ancient rhetoric in the actual text of his commentary“ (Theory 129). Dagegen könnte der Abschnitt bei Betz geltend gemacht werden, in dem er im Anschluß an die formale Analyse des Briefes auf „einige Rückschlüsse auf seine Funktion“ (Betz, Galaterbrief 68) zu sprechen kommt (Galaterbrief 68 ff). Aber auch diese Ausführungen bleiben auf der Ebene der Gesamtfunktion des Galaterbriefes bzw. seiner Form „Brief“ (vgl. zu den Kennzeichnungen als „magischer Brief“ bzw. „himmlische[r] Brief[]“ Galaterbrief 70 f).

5. Das historische Modell

49 5. Da s historische Modell

5. Das historische Modell Unter dieser Bezeichnung lassen sich all die Auslegungen zusammenfassen, die unter Bezug auf die historische Adressatensituation Auskunft über Sinn und Funktion des Galaterbriefes bzw. seines Schlußpassus gewinnen wollen.187 Als exemplarische Position möchte ich diejenige von Barclay näher darstellen, der sich in starker Anlehnung an Betz ausschließlich auf die Frage nach dem paränetischen Schluß des Galaterbriefes konzentriert.188

187 In dieser Richtung suchen neben Barclay, dessen Position ausführlich dargestellt werden soll, auch Borgen (vgl. Paul 37–44) und Suhl eine Lösung des Problems (vgl. die methodischen Erwägungen Galaterbrief 3067 f). Suhl ist der Auffassung, die eigentliche Paränese beginne erst mit Gal 6,1 (vgl. Galaterbrief 3127). Bei dem Abschnitt Gal 5,13–25 handle es sich um „theologische Argumentation, welche die Verdächtigung gegen das paulinische Evangelium begründet zurückweist“ (Galaterbrief 3122), die Gal 2,17b zu entnehmen ist: „Ist Christus . . . nicht ein Diener der Sünde? Damit kann nach dem Wortsinn nur gemeint sein, daß Christus der Sünde aktiv Vorschub leistet. Nach dem Kontext ist das ziemlich eindeutig nur darauf zu beziehen, daß die Hinwendung zu ihm Preisgabe des Gesetzes bedeutet, und zwar auch für Judenchristen. Damit aber ist, so lautet der Vorwurf, das Gesetz in seiner Funktion, der Sünde zu wehren, preisgegeben und der Sünde damit Tor und Tür geöffnet“ (Galaterbrief 3108 f [vgl. auch Galaterbrief 3111]; zur Rekonstruktion dieses Vorwurfes im einzelnen vgl. Galaterbrief 3098 ff). Mit Gal 5,13b und c wird „positiv expliziert, was in der pointiert verkürzenden Argumentation 2,17b . . . gemeint war: Die Abkehr vom Gesetz als Heilsweg führt gerade nicht zu einer Beliebigkeit im Ethischen“ (Galaterbrief 3123; vgl. Bachmann [Sünder 69. 84. 119], der sich Suhl’s Position im wesentlichen anschließt, den Abschnitt Gal 6,1–10 jedoch nicht wie Suhl als übliche Paränese einstufen will [vgl. Sünder 118], wenngleich er meint, der Abschnitt stehe „dem paränetischen genus etwas näher“ als Gal 5,13–26 [Sünder 119]; s. auch Eckstein, Verheißung 248 f; Longenecker, Triumph 80). Bei Suhls Analyse zeigt sich eine ähnliche Dominanz textexterner Überlegungen gegenüber dem Text, wie sie oben im Blick auf Betz deutlich geworden ist (s. o. unter I.4.5) – in seinem Fall eine Dominanz der rekonstruierten Vorwürfe der Gegner gegen das paulinische Evangelium. Diese Vorwürfe steuern maßgeblich die Wahrnehmung der Stoßrichtung von Gal 5,13–26: Nach Suhl behandelt dieser Abschnitt die im Brief offengebliebene Frage, „ob das gesetzesfreie Evangelium wirklich nicht zum Sündigen verleitet“ (Galaterbrief 3122). Gal 5,13b „konkretisiert“ den Gedanken, „den Gal 2,17b mit der Sündendienerschaft Christi ausdrückte“ (Galaterbrief 3122), und „expliziert“ im Verbund mit Gal 5,13c „positiv . . ., was in der pointiert verkürzenden Argumentation 2,17b . . . gemeint war“ (Galaterbrief 3122 f). Diese Ausrichtung des Gedankengangs durch Gal 5,13 läßt sich ihm jedoch nur entnehmen, wenn man von der vorgängigen Rekonstruktion des Vorwurfes herkommt, den Suhl Gal 2,17b entnimmt. Der Vers selbst enthält keine terminologische Anknüpfung an Gal 2,17b, kein Textsignal, das eine Beziehung zu Gal 2,17b herstellte. Zu der Annahme, Gal 5,13 ff behandle das Thema „ethische Beliebigkeit“, s. u. die Auslegung von Gal 5,13 S. 82 ff, bes. S. 96 ff. 188 Im wesentlichen schließt sich Matera Barclay methodisch (vgl. Galatians 6) und inhaltlich an (vgl. Galatians 195).

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I. Zur Forschungslage

5.1 Eine programmatische Durchführung des historischen Ansatzes bei J. M. G. Barclay Methodisch favorisiert Barclay den Weg historischer Rekonstruktion gerade in Abgrenzung zur rhetorischen Analyse, die in der hier anstehenden Frage nach der Funktion des Schlußpassus zu keinem Ergebnis führe189: „(W)hat promised to be a relatively objective structural analysis of the letter has turned out to be of no value in our effort to determine the function of this section of the letter.“190 Für ihn folgt daraus: „It is clear that our questions can only be solved through careful exegesis and historical reconstruction.“191 Entsprechend beginnt seine Analyse mit einer Rekonstruktion der galatischen Situation, auf die der Galaterbrief reagiert. Diese habe zwei Seiten: „The issues at stake in the Galatian crisis were the identity of these Galatian Christians and their appropriate patterns of behaviour.“192 Zu dieser Schlußfolgerung kommt Barclay aufgrund folgender Überlegungen: Die gegnerischen Forderungen, so wie sie dem Brief zu entnehmen sind, zielen auf die Annahme der Beschneidung bzw. des Gesetzesgehorsams durch die heidenchristlichen Galater. Barclay stellt sich die Frage, was Heiden dazu bewogen haben könnte, sich für eine solche Forderung zu öffnen. Zum einen hatte der Beschneidungsritus für die Galater eine identitätstiftende Funktion. Ihre neue Situation als christliche Gemeinde bedeutete eine tiefgreifende Verunsicherung der Galater hinsichtlich ihrer (sozialen) Identität. Mit der Übernahme der Beschneidung konnten sie sich mit der örtlichen Synagoge identifizieren und so ihre Position innerhalb der Gesellschaft neu bestimmen.193 Zum anderen akzeptierten die Galater die Forderung nach Gesetzesgehorsam schon deswegen, weil sie ohne Einhaltung der Thora kaum mit der Akzeptanz der jüdischen Umwelt rechnen konnten.194 Zudem traf die Forderung, das Gesetz zu halten, aber auch auf eine Situation ethischer Verunsicherung der galatischen Gemeinden. Zu diesem Schluß kommt Barclay aufgrund folgender Überlegung: „If Gentiles were attracted to the Jewish law this was probably at least partly because of the detailed instruction it contained for the conduct of ordinary life. . . . By contrast, the

189 Vgl. Barclay, Truth 23 ff. 190 Barclay, Truth 26. 191 Barclay, Truth 26; vgl. auch Barclays methodische Überlegungen Truth 36 ff sowie seinen Aufsatz „Mirror Reading a Polemical Letter: Galatians as a Test Case“. 192 Barclay, Truth 73. 193 Vgl. Barclay, Truth 58–60. 194 Vgl. Barclay, Truth 70.

5. Das historische Modell

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Galatians must have felt themselves in a somewhat precarious and uncertain position.“195 Diese wurde noch geschürt durch die ausgebrochenen Streitigkeiten, die sich den Versen 5,15. 26 entnehmen lassen.196 Das jüdische Gesetz als umfassender Gesetzeskodex bot für sie eine Orientierung hinsichtlich ihrer alltäglichen Lebensführung197, die sie um so nötiger hatten, als Paulus dazu neigte, die Bedürfnisse seiner heidnischen Bekehrten nach moralischer Instruktion zu unterschätzen.198 Die galatische Krise, auf die der Brief des Paulus reagiert, betrifft also die Identität der Galater sowie ihre Verhaltensweisen.199 Entsprechend ist das durchgängige Thema des Briefes „the status and the obedience of Gentile believers“.200 Die ersten Kapitel des Briefes behandeln schwerpunktmäßig die Frage der Identität der Gemeinden.201 Im Abschnitt Gal 5,13–6,10 geht Paulus dann auf die Probleme der Lebensführung ein und „defends his policy and explains the sufficiency of the Spirit for moral behaviour“202: „(T)he Galatian crisis required him (Paul; Verf.) to draw out the ethical implications of living by faith and walking in the Spirit. . . . (T)he problem that lies behind these chapters is . . . moral confusion together with a loss of confidence in Paul’s prescription for ethics. It is precisely because of the Galatians’ attraction to the law that Paul has to demonstrate the sufficiency and practical value of his proposal for ethics“.203 Gal 5,13–25 zielt auf den Erweis der Hinlänglichkeit des Geistes. Der Abschnitt 5,26–6,10 füllt inhaltlich die Ausführungen vom „Wandeln im Geiste“ auf, die bis dahin abstrakt geblieben sind204, indem er den „(p)ractical (v)alue of the Spirit“205 herausstellt. Im Anschluß an die Analyse der beiden Textabschnitte schlägt Barclay den Bogen zurück zur eingangs rekonstruierten Adressatensituation und fragt, wie angemessen die paulinische Antwort auf das Problem der Adressaten ausgefallen ist: „Thus if, as we have suggested, one reason for Paul’s exhortation in 5,13–6,10 is to provide a clearer description of morality under the leading of the Spirit, we must conclude that it still falls short of what the Galatians may have been looking for in the Mosaic law. This indeed highlights the precariousness of Paul’s position with regard to ethics: 195 196 197 198 199 200 201 202 203 204 205

Barclay, Truth 70. Vgl. Barclay, Truth 71. Vgl. Barclay, Truth 72. Vgl. Barclay, Truth 71; s. auch Truth 218. Vgl. Barclay, Truth 73 f. Barclay, Truth 218. Vgl. Barclay, Truth 75 ff. Barclay, Truth 108; vgl. Truth 142 zu „defensive strategies“. Barclay, Truth 218. Vgl. Barclay, Truth 167. Barclay, Truth 146.

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he appears to be unwilling (or unable) to provide his Gentile converts with the detailed moral advice they often required.“206 Zusammengefaßt verfolgen die Kapitel 5 und 6 die Absicht: „a) . . . Gal 5.13–6.10 serves as an appeal to the Galatians to let their lives be directed by the Spirit. . . . b) 5.13–6.10 also functions as an assurance that the Spirit can provide adequate moral constraints and directions. . . . c) In another respect this passage operates as a warning against moral danger, defined here as ,the flesh‘. The misuse of freedom as an ,opportunity for the flesh‘ is a real threat and the possibility that the Galatians might end up ,sowing to the flesh‘ has to be treated as a serious danger. . . . Paul’s particular concern is with the ,fleshly‘ bickering and in-fighting currently prevalent in the Galatian churches. Moreover, on the basis of his previous association of ,law‘ and ,flesh‘, Paul is able to include in his warning against ,flesh‘ a further reprimand of the Galatians’ attraction to the law.“207 Zur thematischen und funktionalen Einheit Den Ausführungen von Barclay gelingt es nicht, den Galaterbrief als eine thematische und funktionale Einheit verständlich zu machen. Die thematische Einheit des Briefes scheint auf den ersten Blick sichergestellt, wenn Barclay formuliert: „Paul fights on only one front throughout the epistle and . . . throughout he is concerned with the status and the obedience of Gentile believers“.208 Aber schon an der Formulierung „status and obedience“ wird deutlich, daß zwei Themen vorliegen. Barclay rückt die beiden Themen „Identität“ und „Verhalten“ zwar so nah wie eben möglich zusammen: „These two cannot, of course, be separated.“209 Doch bleiben es zwei Themen, so daß zwischen den Kapitel 1–4 und 5–6 eine Themenverschiebung auszumachen ist. Diese plausibilisiert Barclay jedoch genauso wie Betz durch die rekonstruierte Adressatensituation.210 Unter funktionaler Perspektive fallen miteinander konkurrierende Funktionsbestimmungen auf. Der Schlußpassus hat nach Barclay gleichzeitig drei Funktionen: Er ist ein Appell, eine Zusicherung und eine Warnung.211 Ein und derselbe Abschnitt kann jedoch nicht gleichzeitig mehrere Funktionen erfüllen, die nicht in irgendeiner Weise zueinander in Beziehung

206 Barclay, Truth 170. 207 Barclay, Truth 219; vgl. Truth 210: Paulus will darauf hinaus, daß das Gesetz weit davon entfernt ist, die Galater von den Problemen des Fleisches zu befreien, sondern sie vielmehr immer weiter in die Sphäre des Fleisches verstrickt. 208 Barclay, Truth 218. 209 Barclay, Truth 73. 210 Zur Plausibilität dieser Rekonstruktion vgl. weiter u. unter I.5.2. 211 Vgl. noch einmal Barclay, Truth 219.

5. Das historische Modell

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gesetzt werden, was bei Barclay nicht geschieht. Bei ihm wird nicht deutlich, welches die Hauptstrategie und welches eine Teilstrategie des Textes ist.212 Auch hinsichtlich der Gesamtstoßrichtung des Abschnittes legt Barclay sich nicht fest: „This threefold analysis takes good account of the various factors which contributed to Paul’s construction of this complex passage. . . . It acknowledges the defensive tone of some of Paul’s statements here, without giving the whole passage a solely apologetic purpose.“213 Das Strategienbündel, das sich bei Barclay findet, macht den Text nicht als funktionale Einheit verständlich. Ein offenkundiger Einwand gegenüber der Position von Barclay ist bislang unberücksichtigt geblieben. Wie Barclay selber feststellt214, passen rekonstruierte historische Problemlage der Adressaten und Antwort des Briefes nicht zusammen: „If the Galatians were looking for anything like a comprehensive code of behaviour, they would surely have been disappointed with this!“215 Das fehlende Zusammenstimmen von Problemlage und Antwort lastet Barclay dem Unvermögen des Paulus an: „(H)e appears to be unwilling (or unable) to provide his Gentile converts with the detailed moral advice they often required.“216 Hier legt sich die Frage nahe, ob die festgestellte Dissonanz wirklich dem Autor bzw. seinem Text anzulasten ist oder nicht doch eher dem Interpreten Barclay und seiner Rekonstruktion der Situation, in die hinein der Brief angeblich verfaßt ist. Die von Barclay rekonstruierte Problemsituation ähnelt stark der von Betz angenommenen Adressatensituation. Beide sind sich darin einig, daß eine entscheidende Wurzel der galatischen Krise in einer fundamentalen ethischen Verunsicherung der Galater liegt. Aufgrund der Nähe der beiden Rekonstruktionen sollen sie im folgenden gemeinsam auf ihre Plausibilität hin befragt werden.

5.2 Zur Plausibilität der rekonstruierten historischen Adressatensituation bei Betz und Barclay Die Rekonstruktion von Barclay ist bei näherem Hinsehen problematisch. Er hat selbst Mühe, den Faktor „ethische Verunsicherung“ in seiner Re212 Damit steht die Einheit des Textes unter pragmatischer Perspektive in Frage; vgl. Plett, Textwissenschaft 84. 213 Barclay, Truth 220. 214 Vgl. noch einmal Barclay, Truth 170. 215 Barclay, Truth 169. 216 Barclay, Truth 170.

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I. Zur Forschungslage

konstruktion als Motiv für die Übernahme des Gesetzes durch die galatischen Gemeinden unterzubringen. Die Bereitschaft der Galater, das jüdische Gesetz zu akzeptieren, motiviert er zweifach. Zum einen konnten die Galater kaum anders, als das Gesetz zu übernehmen, wenn sie von der jüdischen Umwelt akzeptiert werden wollten.217 Zum anderen führt Barclay recht unvermittelt den zweiten Grund ein: Die Galater befanden sich in einer Situation ethischer Verunsicherung.218 Die Art und Weise, in der er zu diesem Ergebnis kommt, ist dabei mehr als fragwürdig. Er untersucht zeitgenössische Parallelen des jüdischen Diasporajudentums daraufhin, was Heiden dazu bewegt haben könnte, sich auf die Thora einlassen zu wollen:219 „If Gentiles were attracted to the Jewish law this was probably at least partly because of the detailed instruction it contained for the conduct of ordinary life.“220 Das bedeutet für die Galater, die ja Heiden sind: „By contrast, the Galatians must have felt themselves in a somewhat precarious and uncertain position.“221 Dieser Schluß kann kaum ernsthaft überzeugen und macht deutlich, in welch hohem Maße die Rekonstruktion der historischen Adressatensituation hypothetisch ist. Entscheidender jedoch als dieses zweifelhafte Rückschlußverfahren scheint mir die Frage zu sein, wie plausibel die von Barclay, aber auch von Betz angenommene Problemlage222 von seiten des Textes Gal 5,13–6,10 ist. Sowohl nach Betz als auch nach Barclay zielt der Abschnitt 5,13 ff darauf, die paulinische Ethik als tragfähiges Gegenkonzept zum Gesetzesgehorsam im Umgang mit dem Fleisch stark zu machen. Die Argumentation des Schlußabschnittes hat nach Betz folgende Stoßrichtung: „(D)er endgültige Prüfstein (der) Argumentation ist die paulinische Ethik, die ausführt, wie die Galater ihre Probleme mit der Freiheit lösen sollen . . . Die Ethik des Paulus ist im Grunde einfach. Der Christ wird aufgefordert, die ,Früchte des Geistes‘ Gestalt annehmen zu lassen. . . . Wo sie Gestalt annehmen, ist kein Gesetz erforderlich.“223 Barclay hält fest: „5.13–6.10 . . . 217 Vgl. noch einmal Barclay, Truth 69 f. 218 Vgl. Barclay, Truth 70 ff. 219 Vgl. Barclay, Truth 69 ff. 220 Barclay, Truth 70. 221 Barclay, Truth 70. 222 Die Rekonstruktion erfolgt bei Betz aus den Versen 5,13. 16. 17. 19 sowie 6,1 und 6,12. 13 (vgl. Galaterbrief 44–47 und 466). Zu der Unklarheit im Blick auf das konkrete galatische Problem, die das Stichwort „Mißbrauch von Freiheit“ im Zusammenhang mit der Einzelauslegung des Verses 5,13 (Galaterbrief 466 f) mit sich bringt, s. o. S. 45 f. Im Einleitungsteil (Galaterbrief 34 ff; s. bes. 44–46) sowie in den sonstigen Auslegungsteilen stellt Betz das Problem der Galater als eines ethischer Verunsicherung dar. 223 Betz, Galaterbrief 84. 85 f (Hervorhebung von mir). Vgl. auch folgende Aussagen von Betz über die Stoßrichtung der einzelnen Verse des Abschnittes 5,13–6,10: Zu 5,14 heißt es: „Warum greift Paulus . . . die Frage des Gesetzes an dieser Stelle wieder auf? . . . Wenn er seine Gemeinden zurückgewinnen will, kann er das Problem, das sie am meisten beschäf-

5. Das historische Modell

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functions as an assurance that the Spirit can provide adequate moral constraints and directions“.224 Nach Barclay muß Paulus sein ethisches Konzept stark machen gegenüber der Klarheit und Sicherheit eines schriftlichen und authorisierten Gesetzeskodex, wie ihn die Thora darstellt, und so das Vertrauen der Galater in die wegweisende Kraft des Geistes (zurück)gewinnen.225 Der Vers Gal 5,18 z. B. zielt in der Auslegung von Barclay auf den Gedanken: Der Geist macht den Gesetzesgehorsam überflüssig, da er vollkommen ausreicht, um mit der moralischen Gefährdung, der sârx, umzugehen.226 Zielte der Abschnitt tatsächlich darauf, die paulinische Ethik stark zu machen als tragfähiges Gegenkonzept zum Gesetzesgehorsam im Umgang mit dem Fleisch, dann müßte sich in Gal 5,13 ff folgende Konstellation der Größen „Geist“, „Gesetz“ und „Fleisch“ finden lassen: Geist und Gesetz stehen sich als zwei Größen gegenüber, die miteinander im Blick auf ihre Tauglichkeit im Umgang mit dem Fleisch konkurrieren. Im Text findet sich jedoch eine ganz andere Konstellation. Das beherrschende Gegensatzpaar im Abschnitt 5,13–26 ist Geist und Fleisch und nicht Geist und Gesetz:

tigt und das für die Theologie seiner Gegner von zentraler Bedeutung ist, nicht ignorieren. Es kann sein, daß sie von einem christlichen Begriff des ,Gesetzes‘, das sie vielleicht sogar ,das Gesetz Christi‘ . . . nennen, fasziniert sind. Daher muß die Argumentation des Paulus im paränetischen Abschnitt den Begriff der Tora so integrieren, daß einerseits das jüdische (judenchristliche) Verständnis der Opposition ausgeschaltet wird, andererseits jedoch die Galater mit ihren Sorgen in bezug auf ethische Probleme ernstgenommen werden“ (Galaterbrief 470). 5,18 zielt auf den Gedanken: „Wenn sie (die Galater; Verf) vom Geist getrieben sind, brauchen sie nicht unter der Tora zu sein“ (Galaterbrief 479 [Hervorhebung von mir]). 5,23 will darauf hinaus: Man „kann . . . ,Gutes‘ tun . . ., d. h. ethisch verantwortlich handeln, ohne ,dem Gesetz zu gehorchen‘. Im Hinblick auf die Situation, der sich die Galater gegenübersehen, meint Paulus, daß die Befähigung, mit ethischer Verantwortung zu handeln, wichtiger ist, als einen Gesetzeskodex einzuführen . . . . Mit anderen Worten, die Einführung der Tora in den galatischen Gemeinden würde nicht zu ethischer Verantwortung führen, solange die Menschen nicht ethisch motiviert und befähigt sind. Wenn sie jedoch motiviert und befähigt sind, ist die Tora überflüssig“ (Galaterbrief 491 f [Hervorhebung von mir]). Zu 6,1 schreibt Betz: „In seiner Empfehlung schlägt Paulus . . . vor, den Fehltritt in einer Weise zu behandeln, die keineswegs die Einführung des Gesetzes notwendig macht“ (Galaterbrief 503 [Hervorhebung von mir]). 224 Barclay, Truth 219. 225 Vgl. Barclay, Truth 106. 219. 226 Vgl. Barclay, Truth 116.

56 5,16 5,17 5,18 5,19 5,22 5,24 5,25

I. Zur Forschungslage pneøma sârx pneøma pneøma ôrga tœ™ sarkí™

– – – – –

sârx pneøma sârx ¡pó nímon227 karpó™ toø pne‹mato™

sârx –

pneøma.228

Der Text sperrt sich also allein aufgrund seiner formalen Struktur gegen die Annahme, er begegne einer durch Verunsicherung wegen des Fleisches verursachten Zuwendung der Galater zur Thora, indem er die Strategie verfolge, den Geist als ein ebenso taugliches Mittel im Umgang mit dem Fleisch wie die Einhaltung der Thora zu erweisen. Die Rekonstruktion der historischen Adressatensituation durch Betz und Barclay erscheint somit vom Text her als sehr unwahrscheinlich.229 Unwahrscheinlich ist zudem, daß bei der von Betz und Barclay angenommenen Problemlage der Verfasser den Großteil des Briefes auf das Folge_problem, nämlich die Gesetzesübernahme, verwandt hätte (Gal 2–5) und nur einen Bruchteil des Briefes auf das vermutete Grund_problem, die ethische Verunsicherung (Gal 5–6).230

227 Gal 5,18 scheint auf den ersten Blick Betz und Barclay recht zu geben und der Aussage zu widersprechen, der Abschnitt sei durchgängig vom Gegensatzpaar Geist und Fleisch bestimmt und nicht Geist und Gesetz. Doch zeigt sich auf den zweiten Blick, daß auch in Gal 5,18 nicht von einem Gegensatz zwischen Geist und Gesetz die Rede ist, sondern zwischen Geist und ¡pó nímon, was nicht dasselbe ist, wie sich später zeigen wird. Zudem ergibt sich aus der Gesamtstruktur des Abschnittes, daß ¡pó nímon in Gal 5,18 der Kategorie sârx zugeordnet und ihr nicht gegenübergestellt wird. Vgl. dazu die Auslegung des Verses u. S. 122 ff mit Anm. 313, wo noch einmal auf die Position von Betz und Barclay zu diesem Vers eingegangen wird. 228 Vgl. auch die explizite Wiederaufnahme des Gegensatzpaares pneøma – sârx in 6,8. 229 Derselbe Einwand läßt sich auch gegen die Position von Suhl geltend machen, der zwar die Betzsche Rekonstruktion der historischen Adressatensituation nicht teilt (vgl. Suhl, Geist 283), aber dennoch von derselben Stoßrichtung des Abschnittes Gal 5,13–24 ausgeht: „Paulus weist hier nach, daß es für die vom Geist geleitete Gemeinde des Gesetzes nicht bedarf. Das Gesetz ist überflüssig . . . . Zwar ist die Macht des Fleisches zur Verführung immer noch stark, aber die Glaubenden sind ihr nicht hilflos ausgeliefert; der eigentliche Gegner der Macht des Fleisches ist nämlich das Pneuma, das verhindert, daß das Begehren des Fleisches zur Vollendung kommt“ (Geist 284 [Hervorhebung von mir]; vgl. Bachmann, Sünder 119). Auch hier erscheinen Geist und Gesetz als zwei Größen, die miteinander im Hinblick auf den Umgang mit dem Fleisch konkurrieren. 230 Ganz deutlich wird m. E. auch nicht, welchen Sinn es hat, den letzten Abschnitt mit einer Reihe von Empfehlungen zu beschließen, die das Ziel haben, „zur Selbstprüfung und Selbstkritik anzuleiten, um das ethische Bewußtsein auf einem hohen Niveau zu halten“ (Betz, Galaterbrief 497). Die beabsichtigte Wirkung auf Adressaten, die bereits ein starkes ethisches Bewußtsein haben (vgl. Betz, Galaterbrief 466), wäre konkreter zu bestimmen; vgl.

5. Das historische Modell

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Damit läßt sich die Barclaysche Auslegung des Abschnittes nicht halten. Seine zuversichtliche Aussage: „It is clear that our questions can only be solved through careful exegesis and historical reconstruction“231 erweist sich zumindest im zweiten Teil als Irrtum. Für Betz fällt damit die Größe aus, über die er zum einen die thematische Verbindung zwischen Hauptteil und Schlußpassus trotz zweier verschiedener Themen herstellen will und die zum anderen die Kennzeichnung der funktionalen Ausrichtung des Abschnittes bedingen soll: Hauptteil und Schlußpassus haben unüberbrückbar zwei Themen, wenn sie nicht mehr über die historische Adressatensituation zusammengehalten werden. Die Funktion des Schlußpassus im Dienste der Gesamtwirkabsicht des Briefes ist somit wieder offen.

5.3 Methodische Überlegungen zum historischen Modell Auch der Ansatz des historischen Modells vermag den Galaterbrief nicht als thematische und funktionale Einheit zu erweisen. Dieser methodische Weg macht eine textexterne Größe232 zum Maßstab des Textverständnisses, nämlich die historische Adressatensituation. Diese bleibt, auch bei noch so sorgsamer Rekonstruktion, eine hypothetische Größe, über die kaum Sicherheit zu gewinnen ist. Sie zum entscheidenden Faktor der Auslegung zu machen, birgt die Gefahr in sich, den Text unter eine Perspektive zu rücken, die gar nicht die seine ist, d. h. ihn auf eine Situation antworten zu lassen, mit der der Text in weiten Teilen gar nicht zusammenpaßt. Zudem ist grundsätzlich zu bedenken, daß selbst bei einer absolut gewissen Kenntnis der Adressatensituation noch nicht die Frage beantwortet ist, wie sich der Text auf diese Wirklichkeit bezieht. Der historische Ansatz erweist sich also dann als fraglich, wenn der textexterne Faktor „historische Adressatensituation“ die Wahrnehmung des Textes dominiert, dieser also primär als Reaktion auf eine zuvor rekonstruierte Situation verstanden wird. Besonders deutlich wird ein solches Vorgehen bei Barclay.233 Bei der Ermittlung von Textaussage und -wirkabsicht können zwar textexterne Überlegungen eine Rolle spielen, doch dürfen diese nicht das Prae haben, da sonst die Gefahr besteht, Aussage und Wirkabsicht zu verzerren. auch Hübner, Galaterbrief 249; Becker, Galater 13 zur Auseinandersetzung mit der Position von Betz, ohne ihn jedoch explizit zu nennen. 231 Barclay, Truth 26. 232 Zu dem Ausdruck „textextern“ vgl. o. S. 47 Anm. 182. 233 Vgl. auch den Schlußpassus bei Borgen (Paul 44), an dem das Vorgehen von der Situation zum Text kurz und knapp vorgeführt wird.

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I. Zur Forschungslage

Die Probleme des historischen Ansatzes, wie er bei Barclay und Betz durchgeführt wird, weisen auf den Primat des Textes, wenn es um die Erhebung seiner Aussage und Wirkabsicht geht. Die Frage nach Textaussage und -funktion läßt sich kaum von außerhalb des Textes her beantworten; sichereren Boden unter den Füßen dürfte man mit einer Analyse des Textes selbst haben. 6. Zusammenfassung

6. Zusammenfassung Der Durchgang durch die verschiedenen Forschungspositionen zum Verständnis von Gal 5,13–6,10 läßt sich in folgenden Ergebnissen zusammenfassen: Erstens ist es keiner der exemplarisch dargestellten Positionen gelungen, die eingangs formulierten Fragen so zu beantworten, daß der Galaterbrief als thematische und funktionale Einheit zu fassen wäre. Die Fragen: Wie ist der thematische Zusammenhang zwischen Gal 5,13–6,10 und dem Rest des Briefes zu bestimmen? und: Welche Funktion hat der Abschnitt im Rahmen der Gesamtwirkabsicht des Briefes? sind weiterhin offen. Zweitens haben sich hinsichtlich eines methodischen Vorgehens zur Beantwortung dieser Fragen folgende Überlegungen ergeben: Das „dogmatische“ Auslegungsmodell hat erkennen lassen, daß der Erweis des Galaterbriefes als thematische und funktionale Einheit nicht über eine ausschließliche Konzentration auf die thematische Ebene des Textes gelingen kann. Der briefliche Charakter des Textes, d. h. seine Gestaltung als kommunikative Einheit, seine pragmatische Dimension bedarf einer eingehenden Analyse. Diesem Manko des „dogmatischen“ Modells will die rhetorische Analyse begegnen, da sie die Analyse des Briefes unter diese Perspektive rückt. Es hat sich jedoch gezeigt, daß die Art der Durchführung bei den exemplarischen Vertretern es nicht vermag, die spezifische pragmatische Gestaltung des individuellen Textes zu erheben. Die rhetorische Untersuchung ist zu stark am Gattungstypischen orientiert, die Analyse des Einzeltextes zu sehr von der Gattungsfrage dominiert. Das Problem von Gal 5 und 6 läßt sich mit diesem Vorgehen nicht zufriedenstellend lösen. Im Anschluß an den Durchgang durch die Positionen des „dogmatischen“ und des rhetorischen Modells zeigt sich im besonderen das Problem, wie der Frage nach der Funktion des Schlußabschnittes methodisch zu entsprechen ist. Gegen den von den Vertretern des historischen Modell

6. Zusammenfassung

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vorgeschlagenen Weg, die Textfunktion über die historische Adressatensituation zu ermitteln, spricht, daß er die Lösung für eine Frage der Textaussage und -gestaltung über eine textexterne Größe zu finden versucht. Dies Vorgehen operiert mit einer hypothetischen Zusatzannahme, die den Text zu dominieren droht, und verkennt vielfach, daß die Kenntnis der Situation, in die der Brief gerichtet ist, noch keinen direkten Aufschluß über das Verhältnis des Textes zur Wirklichkeit gibt. Damit ist die Gefahr, daß die Auslegung fehl geht, potentiell erhöht. Man dürfte besser beraten sein, auf diese Zusatzhypothese zu verzichten und sich ausschließlich auf den Text zu konzentrieren.234 Aus dem hier Dargelegten ergibt sich folgendes: Eine Antwort auf die Frage nach dem sachgemäßen methodischen Vorgehen bei der Erhebung der Funktion des Schlußabschnittes des Galaterbriefes wird am ehesten in Richtung des rhetorischen Modells zu suchen sein. Eine rhetorische Analyse erhebt die Gestaltung des Textes unter pragmatischer Perspektive zum expliziten Untersuchungsgegenstand. Der oben genannten Schwäche des rhetorischen Analyse-Ansatzes, stärker die gattungstypische als die individuelle Textgestaltung zu erheben, ist mit einer konsequenten textpragmatischen Analyse des Einzeltextes zu begegnen. Anstatt sich dem Einzeltext mit den Regeln des „Lehr-System(s) antiker Rhetorik“235 zu nähern, empfiehlt es sich, den Einzeltext in seiner individuellen pragmatischen Gestaltung zu analysieren.

234 Das dürfte auch so lange möglich sein, bis man auf derartige Schwierigkeiten im Text stößt, daß eine Lösung textimmanent nicht mehr gefunden werden kann. Unter methodischem Gesichtspunkt sind dann jedoch die textexternen Überlegungen weitaus kontrollierter an den Text gebunden als im Falle einer Textauslegung, die von vornherein von textexternen Faktoren her den Text erschließen will. 235 Der Ausdruck stammt von Brucker: Rhetorik 218.

1. II. Methodische Eine textpragmatische Vorbemerkungen Analyse vonzur GalAnalyse 5 und 6

II. Eine textpragmatische Analyse von Gal 5 und 6

Bei der folgenden textpragmatischen Analyse des Teiltextes Gal 5,13–6,10 sind die eingangs formulierten Fragen leitend, die bislang von der Forschung nicht zufriedenstellend beantwortet wurden: 1. Wie ist der thematische Zusammenhang zwischen Gal 5,13–6,10 und dem Rest des Briefes zu bestimmen? 2. Welche Funktion hat der Abschnitt im Rahmen der Gesamtwirkabsicht des Briefes?

1. Methodische Vorbemerkungen zur Analyse Aufgrund der beiden Leitfragen sowie der methodischen Überlegungen im Rahmen des Forschungsüberblicks ergibt sich folgendes grundsätzliche Vorgehen bei der Analyse von Gal 5 und 6: Der Schlußpassus des Galaterbriefes wird rein textintern, allein auf die „Welt“ des Textes bezogen1, untersucht. Nicht in Frage steht dabei die Grundannahme, daß es sich bei dem Galaterbrief um einen Kommunikationsakt zwischen einem realen Verfasser und realen Adressaten handelt. Die Untersuchung blendet die Realien jedoch aus2 und analysiert ausschließlich den Text als das Kommunikationsgeschehen zwischen dem realen Verfasser und den realen Adressaten, der einer Analyse zugänglich ist und allein zuverlässig Auskunft geben kann über die Funktion dieser Kommunikation. Rückschlüsse auf die historische Verfasser- und Adressatensituation bedürften eines weiteren Analyseschrittes, der hier nicht mehr durchgeführt werden soll.3 Die Konzentration auf den Text bedeutet für die konkrete Auslegung, daß die Bezeichnungen „Verfasser“ und „Adressaten“4 den Verfasser, die Adressa1 Vgl. zum Ausdruck „textextern“ o. S. 47 Anm. 182. 2 Vgl. dazu grundsätzlich den Exkurs „Zur Frage der Relevanz von ,Autor` und ,Rezipient` für die ,Text`-Analyse“ bei Titzmann, Textanalyse 330–334; Eco, Autor 75–98. 3 Vgl. zum Verhältnis dieser Arbeitsschritte Reichert, Gratwanderung 9–12. 71–75. 4 Es wird durchgängig in männlicher Form von „den Adressaten“ die Rede sein, denn „the implied readers of Galatians are undoubtedly male“ (Lieu, Circumcision 369). Obgleich Gal 3,28 programmatisch jeglichen Unterschied zwischen männlich und weiblich aufhebt, „the rhetoric of Galatians remains unaffected by the last clause of that confession“ (Lieu, Circumcision 369) und ist ganz auf die Männer betreffende Frage nach Beschneidung konzentriert. Auf der Textebene kommt die Frage nicht vor, ob und wie die Ausführungen

1. Methodische Vorbemerkungen zur Analyse

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ten im Text meinen, also die Kommunikationspartner, so wie der reale Verfasser, Paulus, sie sprachlich präsentiert.5 Die rein textimmanente Untersuchung erfolgt so, daß die Schlußkapitel des Galaterbriefes Vers für Vers unter thematischer und pragmatischer Perspektive analysiert werden. Dabei sollen die thematische und pragmatische Analyse des Textes so gut wie möglich voneinander getrennt durchgeführt werden. Jeder Vers wird zum einen danach befragt, was er sachlich transportiert, und zum anderen danach, wie dieser Sachgehalt sprachlich gestaltet ist und welche Wirkung er auf die Adressaten haben soll. Eine völlige Trennung der beiden Perspektiven ist weder angestrebt noch wäre sie durchführbar, da sich der Textsinn erst im Zusammenspiel der Textdimensionen ergibt.6 Für die analytische Betrachtung eines Textes ist es jedoch sinnvoll, seine Dimensionen weitestgehend zu trennen, um den Text so vollumfänglich wie möglich beschreiben zu können. Die getrennte Fokussierung erlaubt es, Beobachtungen, die unter der einen Perspektive gewonnen sind, mit Beobachtungen der jeweils anderen Betrachtungsweise gegenzulesen und diese so aufeinander bezogen wahrzunehmen, daß möglichst umfassend Aussage und Wirkabsicht des Textes formuliert werden können.7 Frauen betreffen. Entsprechend gibt die Untersuchung, die sich ausschließlich auf die „Textwelt“ konzentrieren will, ihren androzentrischen Charakter wieder (ist dennoch mitunter von den Leserinnen bzw. Hörerinnen des Briefes die Rede, so trägt diese Formulierung dem Umstand Rechnung, daß es natürlich Frauen in den galatischen Gemeinden gegeben haben wird, die bei der Bekanntgabe des Briefes anwesend waren). Eine selbstverständliche Inklusion von Frauen scheint mir angesichts des „phallozentrisch(en)“ Charakters der Ausführungen (Kahl, Unbehagen 604) unsachgemäß und würde m. E. das bestehende Problem eher verschleiern als lösen. Es bedarf anders ausgerichteter Untersuchungen, um der historischen Frage nachzugehen, was Beschneidung als soteriologische Symbolhandlung für Jüdinnen bzw. ihre Außer-Kraft-Setzung für Christinnen bedeutete, und um die theologischen Sachaussagen des Briefes systematisch auf ihren Aussagegehalt speziell für Frauen hin zu befragen. In dieser Untersuchung soll weder das eine noch das andere geleistet werden (vgl. z. B. aber zu ersterem die Überlegungen bei Lieu, Circumcision 358–370, zu letzterem die Ausführungen bei Kahl, Unbehagen 603–611 sowie die grundsätzlichen Erwägungen bei Schüssler Fiorenza, Rhetoric 149–173). 5 Beziehe ich mich auf die realen Adressaten, den realen Verfasser, mache ich dies entsprechend kenntlich. Das über Verfasser und Adressaten Gesagte gilt natürlich in gleicher Weise für die Gegner. 6 Vgl. o. S. 24 ff mit Anm. 62 und 65. Die syntaktische Dimension bleibt selbstverständlich nicht unberücksichtigt. Ihre Analyse wird jedoch nicht gesondert behandelt, sondern begleitet die semantische und pragmatische Untersuchung. 7 Jede Interpretation ist „eine Theorie/ein Modell eines ,Textes`“ (Titzmann, Textanalyse 26). Gegenüber alternativen Modellen wird man einer solchen Theorie den Vorzug geben, die möglichst viele Textbeobachtungen integrieren kann. So ist eine möglichst breite Erhebung von Textdaten unter verschiedenen Perspektiven und deren Korrelierung sinnvoll, da sich auf diese Weise ein zunehmend kohärentes und damit plausibles Textverständnis gewinnen läßt.

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II. Eine textpragmatische Analyse von Gal 5 und 6

Das satzweise Vorgehen der Analyse trägt dabei dem Umstand Rechnung, daß der Sinn von Texten sich in kontinuierlicher Lektüre von ihrem Beginn zu ihrem Ende erschließt. Die Analyse-Form entspricht also dem Lese- bzw. Hörprozeß und versucht, die Steuerung des Sinnerschließungsprozesses, die durch die Gestaltung des Textes erfolgt, analytisch nachzuzeichnen.8 Konkret bedeutet das bei der Interpretation eines Verses, daß immer dessen Stellung im Ablauf des Textes berücksichtigt und für sein Verständnis jeweils ausschließlich der vorangegangene Kontext als relevant angesehen wird.9 Ziel der textpragmatischen Analyse, so wie ich sie hier skizziert habe10, ist es, den individuellen Text in seiner spezifischen fortlaufenden Themaentfaltung und Adressatenlenkung zu erfassen. Mit diesem Vorgehen soll methodisch das Postulat umgesetzt werden, das am Ende des Forschungsüberblickes stand. 8 Vgl. grundsätzlich zum Textverstehen und seinen Bedingungen Vater, Textlinguistik 120–153. Will man nicht davon ausgehen, daß Texte und ihr Verständnis ausschließlich vom Leser konstruiert werden (vgl. z. B. von Foerster, Wirklichkeit 40: „Die Umwelt, so wie wir sie wahrnehmen, ist unsere Erfindung“ [vgl. ausführlicher von Foerster, Wirklichkeit 39–60] oder Rorty, Fortschritt 99–119), sondern davon, daß der reale Verfasser die Sinnerschließung durch die realen Rezipienten vermittels der Textgestaltung zu steuern versucht, dann lassen sich im Text Spuren dieser Lenkung ausmachen; vgl. Scherner: „Ein ,Text` ist . . . die materiell gegebene und daher wahrnehmbare ,Spur` eines sprachlichen Kommunikationsereignisses“ (Spurenlesen 319). Die Untersuchung wird sich auf diese Spurensuche im Text beschränken. Zu der Frage, ob und wie auch die Sinnerschließung durch die (realen) Adressaten methodisch geregelt erhoben werden kann, vgl. z. B. die Darstellung verschiedener Positionen bei Bickmann, Kommunikation 36 f. 9 Das bestreitet nicht, daß sich der Sinn eines Textes vom hinteren Kontext her klärt und präzisiert oder daß einzelne Aussagen auch korrigiert werden. Nur läßt sich eine solche Klärung, Präzisierung oder Korrektur erst als solche wahrnehmen, wenn man „von vorne“ kommt, d. h. wenn die Reihenfolge gewahrt bleibt, in der die Gedanken entwickelt werden. – Zu den konkreten Problemen eines alternativen Vorgehens, Verse ungeachtet ihrer Stellung im Ablauf des Textes zusammengefaßt zu analysieren und den hinteren Kontext zur Sinnerschließung eines Verses hinzuzuziehen, vgl. z. B. u. zu Gal 5,13 S. 96 ff. 10 Die Untersuchung reiht sich in die Versuche ein, die, ausgehend vom Verständnis des Textes als sprachlichem Zeichen, versuchen, die drei semiotischen Dimensionen für die Exegese fruchtbar zu machen (vgl. grundsätzlich zum Zeichenmodell Egger, Methodenlehre 74 ff [vgl. auch zur Texttheorie 27 ff]; Plett, Textwissenschaft 38 ff; Sanders, Stiltheorie 116 ff). Das Schwergewicht in dieser Arbeit liegt auf der pragmatischen Perspektive. Ähnlich ausgerichtete praktische Durchführungen einer solchen Analyse finden sich z. B. zum Römerbrief bei Reichert (Gratwanderung) und zum 1. Thess bei Bickmann (Kommunikation [Bickmann bietet zudem ausgehend von der Sprechakttheorie eine methodische Grundlegung zur Erfassung von antiken Briefen: vgl. Bickmann, Kommunikation 32–88]); vgl. auch Johanson (Brethren) zum 1. Thess und Wünsch (Brief) zum 2. Kor, deren Analysen jedoch stärker als diese Untersuchung an den antik-rhetorischen Vorgaben orientiert sind; zu einem Erzähltext s. Löning, Geschichtswerk. – Die pragmatische Textdimension ist auch bei Mitternacht von Bedeutung; dieser hat jedoch ein anders gelagertes Erkenntnisinteresse und entwickelt einen anderen methodischen Zugang (vgl. Forum 61 ff).

1. Methodische Vorbemerkungen zur Analyse

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Strenggenommen müßte bei den leitenden Fragestellungen eine detaillierte Textanalyse des gesamten Galaterbriefes erfolgen. Die Funktion des Teiltextes Gal 5 und 6 im Rahmen der Gesamtwirkabsicht des Briefes zu betrachten, setzt voraus, diese Gesamtwirkabsicht zu kennen. Ebenso erfordert die Frage nach dem thematischen Zusammenhang die Benennung des Themas der vorangegangenen Kapitel des Briefes. Im Rahmen dieser Untersuchung ist eine vollständige Analyse des Galaterbriefes jedoch nicht zu leisten. Eine solche detaillierte Einzelanalyse, die ebenfalls die Kapitel 1–4 umfaßt, erscheint jedoch auch nicht notwendig. Denn es dürfte Einigkeit darüber bestehen, daß Paulus sich in seinem Brief in erster Linie mit einem Gesetzesgehorsam und Beschneidung fordernden „anderen Evangelium“ (Gal 1,6) auseinandersetzt, in der Absicht, seine Adressaten für sein gesetzesfreies Evangelium zurückzugewinnen.11 Diese relativ grobe Bestimmung von Thema und Funktion des Briefes reicht (zunächst) aus, um der Frage nach der Funktion des hier zu betrachtenden Einzelabschnittes sowie nach seinem Zusammenhang mit dem Thema der vorangegangenen Briefabschnitte nachzugehen. Schließlich noch ein Wort zur Textabgrenzung: Wie bereits im Zusammenhang mit dem „dogmatischen“ Modell erwähnt, ist der Umfang der sogenannten Paränese umstritten. Einigkeit besteht darüber, daß sie mit dem Vers 6,10 endet, für ihren Beginn stehen jedoch die Verse Gal 4,12; 4,21; 5,1; 5,2; 5,7 oder 5,13 zur Debatte.12 Mir geht es bei der Frage nach der 11 Diese Thema- und Funktionsbestimmung des Galaterbriefes läßt sich jenseits aller ansonsten in der Forschung strittigen Fragen festhalten, d. h. ungeachtet der Differenzen bei der Beantwortung der Frage nach dem genauen Profil der gegnerischen Botschaft, mit der Paulus sich auseinandersetzt, und der Frage nach dem konkreten argumentativen Vorgehen, der (rhetorischen) Einzelstrategie, mit der Paulus sein Ziel verfolgt. Vgl. die oben im Forschungsüberblick genannten exemplarischen Vertreter des „dogmatischen“, rhetorischen und historischen Modells: Becker, Galater (1976) 2–6; Mußner, Galaterbrief 24 („Sicher läßt sich sagen, daß Paulus den entscheidenden Gegensatz zu ihnen [den Gegnern; Verf.] in ihrem ,gesetzlichen` Evangelium, zu dem vor allem die Beschneidungsforderung gehörte, gesehen hat; denn die Frage nach der Heilsbedeutung des Gesetzes bildet einen Hauptinhalt des Briefes“); Hall, Outline 287; Brucker, Rhetorik 223. 225; Betz, Galaterbrief 42 f („Dies Evangelium hatte irgendwie mit der Unterwerfung unter die jüdische Tora und dem Ritual der Beschneidung zu tun“; vgl. Gal 2,15–21; 3,3–5; 4,21; 5,2–12; 6,12–17: Betz, Galaterbrief 43 mit Anm. 38); Barclay, Truth 45 f. 60–68. 75 ff. Vgl. ferner z. B. Dunn, Galatians 12–20; Lührmann, Galater 11. 104–108; Schlier, Galater 24; Suhl, Geist 284; Vouga, Galater 7–9. 12 Vgl. Merk, Beginn 83 ff. Die Diskussion konzentriert sich im wesentlichen auf die Verse 5,1 oder 5,13; vgl. Kremendahl, Botschaft 249. Nach Betz (Galaterbrief 433), Ebeling (Wahrheit 323), Harnisch (Einübung 285 mit Anm. 20) umfaßt die exhortatio den Abschnitt 5,1–6,10. Barclay (Truth 106 ff), Dunn (Galatians 284 ff), Becker (Galater 83 ff), Martyn (Galatians 468), Mußner (Galaterbrief 364 ff), Kremendahl (Botschaft 249), Lührmann (Galater 85 ff), Vouga (Galater 127) sehen in 5,13–6,10 den paränetischen Abschnitt. Longenecker (Galatians 186 f) hingegen plädiert für 4,12 als Beginn der exhortatio, die sich in zwei Abschnitte unterteilt, die sich gegen unterschiedliche Probleme wenden: In Gal

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II. Eine textpragmatische Analyse von Gal 5 und 6

Abgrenzung des Textes nicht darum, eine Entscheidung über den genauen Umfang der Paränese zu fällen, sondern darum, einen Einschnitt im Text auszumachen, bei dem sinnvollerweise mit einer textpragmatischen Analyse eingesetzt werden kann.13 Unstrittig ist bei allen Auslegern, daß mit Vers 5,13 ein neuer Abschnitt bzw. Unterabschnitt beginnt.14 Die Analyse wird also auf jeden Fall den Abschnitt 5,13–6,10 umfassen.15 Unstrittig ist zudem, daß der Vers 5,13 einen deutlichen Rückbezug zu 5,1 herstellt.16 Von daher erscheint es, vor allem unter textpragmatischem Gesichtspunkt, angezeigt, den Abschnitt 5,1–12 in die Analyse mit einzubeziehen, um den Rückbezug, den 5,13 herstellt, interpretieren zu können. In der Forschung gilt der Vers 5,1 mitunter nicht als Beginn eines neuen Abschnittes, der von 5,1 bis 5,12 reicht, sondern wird zum vorangehenden, mit 4,12 beginnenden Abschnitt gezogen.17 Dafür, daß 5,1 einen neuen Abschnitt eröffnet, sprechen jedoch folgende Überlegungen: Der Vers 4,31 zieht mit dem einleitenden dií die Konsequenz aus der vorangegangenen Belehrung aus dem Gesetz.18 Gal 4,31 ist weitgehend parallel zu 4,28 gestaltet, dem Vers, mit dem die aus der Schrift gewonnene Erkenntnis (4,22–27) für die Galater aktualisiert wird.19 Beide Verse sprechen die Adressaten direkt an (ådelfoù) und nehmen in einer eRnai-Formulierung eine Zuordnung der Adressaten zu einer der beiden in der Schrift ausgemachten Gruppen vor20: Die Formulierung tìkna tœ™ Éleuhìra™ in 4,31 entspricht dabei katä šIsaäk Épaggelùa™ tìkna in 4,28. Die nochmalige

4,12–5,12 „Paul deals . . . with the immediate problem posed by the judaizing threat“, in Gal 5,13–6,10 „with the continuing problem of libertine tendencies“ (Longenecker, Galatians 187). 13 Aussagen über den Stellenwert des Abschnittes im Briefganzen sind m. E. erst im Anschluß an eine eingehende Analyse des Abschnittes möglich. 14 Auch diejenigen, die den Beginn der Paränese vor 5,13 ansetzen, sehen mit 5,13 einen Einschnitt gegeben; vgl. Betz, Galaterbrief 435 f; Ebeling, Wahrheit 323 f; Longenecker, Galatians 186 f. 15 Zur Abgrenzung gegenüber dem vorderen und hinteren Kontext s. u. S. 82 und S. 195. 16 Das ist auch bei denen festgehalten, die meinen, mit 5,13 beginne ein neuer Abschnitt: vgl. z. B. Becker, Galater 85; Lührmann, Galater 66; Vouga, Galater 127–129. Zu der Parallelität der beiden Verse im einzelnen vgl. u. S. 83 ff. 17 Diese Abgrenzung nehmen z. B. Kremendahl (Botschaft 230 ff), Martyn (Galatians 467 f), Vouga (Galater 113 ff) vor. – Zum Neueinsatz mit Gal 5,1 vgl. u. a. Becker, Galater 74 f; Dunn, Galatians 261; Longenecker, Galatians 220 ff; Mußner, Galaterbrief 333 f. 342 ff; Schlier, Galater 228 f. 18 Vgl. z. B. Betz, Galaterbrief 431; Mußner, Galaterbrief 333. 19 Zum Gedankenfortschritt von Gal 4,28–31 gegenüber 4,21–27 vgl. Vouga, Galater 115. 118. 20 Während Vers 4,28 den Adressaten in der 2. Person Plural zusagt, Kinder der Verheißung zu sein, ist der Vers 4,31 in der 1. Person Plural formuliert, was die direkt angesprochenen Adressaten (ådelfoù) in eine größere Gruppe integriert, in die Gemeinschaft der Christusgläubigen; vgl. Vouga, Galater 119.

1. Methodische Vorbemerkungen zur Analyse

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Gegenüberstellung paidùskv™ tìkna – tìkna tœ™ Éleuhìra™ in 4,31 nimmt die die Schriftauslegung leitende Alternative (4,22 f) auf und bleibt dabei ganz im Rahmen der Terminologie, die durch die Schriftstelle vorgegeben ist (Éle‹hera, paidùskv, tìkna).21 Demgegenüber verläßt 5,1 die Terminologie der Schriftauslegung und führt nur noch das Stichwort Éleuherùa weiter, welches nun neu gegenüber 4,21–31 christologisch verankert wird: Christus ist der Urheber der Freiheit.22 Die Analyse des Textes kann demnach begründet mit dem Vers 5,1 einsetzen. In der Forschung wird Gal 5,1–6,10 in der Regel in die Abschnitte Gal 5,1(2)–12 und Gal 5,13–6,10 untergliedert. Je nach Einschätzung der Funktion der beiden Teiltexte wird dabei Gal 5,1(2)–12 entweder zum vorangegangenen Abschnitt gerechnet, so daß mit Gal 5,13 ein neuer Hauptteil des Briefes beginnt23, oder dieser neue Hauptteil beginnt bereits mit Gal 5,1.24 Ich möchte meiner Analyse keine Grobgliederung des Abschnittes voranstellen, sondern an möglichst kleinen Teiltexten orientiert vorgehen.25 Eine Zusammenfassung der kleinen Texteinheiten zu größeren Abschnitten läßt sich m. E. erst im Zuge eines solchen Durchganges plausibel machen.

21 Die Rückbezüglichkeit des Verses spricht auch gegen die ebenfalls vertretene Auffassung, der neue Abschnitt beginne mit 4,31; so z. B. Cosgrove, Cross 31. 104; Lagrange, Galates 132. 22 Vgl. Mußner, Galaterbrief 334. Kremendahl argumentiert für den Abschluß des Abschnittes 4,21 ff mit 5,1 mit dem klaren Verweis des Verses 5,1 auf 4,9. Mit 5,1 schließe eine von drei Ringkompositionen und damit der letzte Abschnitt der argumentatio. Der „Imperativ mÀ pâlin zugã douleùa™ Énìceshe (5,1)“ ist „eine direkte Antwort auf die bestürzte Frage zu Beginn der probatio: p™ Épistrìfete pâlin Épÿ tä åshenœ kaÿ ptwcä stoiceûa, oQ™ pâlin ënwhen doule‹ein hìlete (4,9). Pâlin und mÀ pâlin sowie doule‹ein und douleùa™ verweisen hier gegenseitig aufeinander“ (Kremendahl, Botschaft 240; vgl. auch Witherington [Grace 339 f. 359], der ebenfalls den Abschnitt 4,21 ff mit 5,1 beendet sieht). Diese ohne Frage deutlich bestehende Parallele zwischen 4,9 und 5,1 muß jedoch nicht im Sinne einer den vorangegangenen Gedankengang abschließenden Ringkomposition verstanden werden. Es ist genauso gut denkbar, daß 5,1 in rückbezüglicher Anspielung auf 4,9 einen neuen Gedankengang eröffnet (zu diesem Verständnis vgl. die Auslegung u. S. 66 ff), der das hier zuerst genannte „Joch der Knechtschaft“ inhaltlich präzisieren soll. Durch den deutlichen Rückbezug auf 4,8 würden dann dieses Joch der Knechtschaft bzw. seine inhaltlichen Konkretionen sogleich mit den in 4,8 genannten stoiceûa parallelisiert. 23 So z. B. bei Becker, Galater 74 ff; Dunn, Galatians 260. 272; Lührmann, Galater 79 ff; Mußner, Galaterbrief 342 ff; Vouga, Galater 127. 24 So bei Betz, Galaterbrief 451. 25 Die Begründung für die Abgrenzung dieser Texteinheiten erfolgt jeweils zu Beginn des entsprechenden Unterabschnittes.

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II. Eine textpragmatische Analyse von Gal 5 und 6 2. Textanalysen

2. Textanalysen 2.1 Gal 5,1–6 Gal 5,1 eröffnet einen gegenüber Gal 4,21–31 neuen Gedankengang, der bis 5,6 reicht.26 Gal 5,7 spricht die Galater auf ihre Vergangenheit an, das Stichwort ålŒheia zeigt ein gegenüber 5,1–6 modifiziertes Thema an. Eine Rahmung erhält der Abschnitt 5,1–6 durch „Wir“-Aussagen. Gal 5,5 knüpft mit dem pointiert vorangestellten Ãmeû™ erneut an 5,1a an. Gal 5,1 beginnt mit einer Aussage über die Vergangenheit. Wie bereits erwähnt, nimmt der Vers 5,1a das entscheidende Stichwort „Freiheit“ aus dem vorangegangenen Abschnitt christologisch-soteriologisch gewendet auf27: Christus ist der Urheber der Freiheit, die den Seinen zugute kommt. In der Formulierung ×m¢ß Cristó™ Õleuhìrwsen wird diese Befreiung ausgesagt für eine Gruppe, die die Adressaten und den Verfasser (bzw. die christliche Glaubensgemeinschaft) zusammenschließt. Die Adressaten, die in 4,28 noch gesondert angesprochen wurden (¡meû™ dì, ådelfoù), werden wie schon mit Vers 4,31 in ein gemeinchristliches „Wir“ integriert.28 An diese Aussage von 5,1a schließen sich zwei Imperative an: Der Imperativ 5,1b will die Adressaten dazu bewegen, dauerhaft in dem Stand der von Christus Befreiten zu bleiben, d. h. Teil des gemeinchristlichen „Wir“ zu sein.29 Der Imperativ 5,1c zielt auf den Ausschluß der Option, sich erneut in Knechtschaft zu begeben, sich mit dem Joch der Knechtschaft belasten zu lassen. Das sachliche Gegensatzpaar Freiheit (nun verbunden mit Christus) und Knechtschaft, das bereits den Abschnitt 4,21–31 leitete, wird als Strukturierungsmerkmal beibehalten. Es erhält nun ab 5,2 eine inhaltliche, auf die Adressatensituation bezogene Konkretisierung. Mit Gal 5,2 warnt der Verfasser die Adressaten zum ersten Mal im Brief direkt vor der Möglichkeit, sich beschneiden zu lassen.30 Diese Möglichkeit schließt sie vom gemeinchristlichen „Wir“ aus. Das bringt unmißverständlich die im Text (Gal 5,2a) vollzogene Auflösung des Zusammenschlusses von Verfasser und Adressaten in ein deutliches Gegenüber von Verfasser (ÉgÊ Paølo™) und Adressaten (¡mûn) zum Ausdruck. Dem Ausschluß vom 26 Vgl. Dunn, Galatians 260. 272 f; Longenecker, Galatians 222. 27 Vgl. Becker, Galater 75; Betz, Galaterbrief 436 mit Anm. 16; Lührmann, Galater 80; Mußner, Galaterbrief 334. 342. 28 Vgl. Vouga, Galater 9 sowie o. zu Vers 4,31 S. 64 f mit Anm. 20. 29 Zum Indikativ Präsens vgl. BDR § 335; § 336.1. 30 Vgl. Matera, Circumcision 84 (vgl. Matera, Galatians 17). Der Bedingungssatz Éän peritìmnvshe bezeichnet „das unter Umständen zu Erwartende“, mit Futur im Nachsatz den eventuellen Fall: BDR § 373.1 mit Anm. 2; vgl. Vouga, Galater 122.

2. Textanalysen

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gemeinchristlichen „Wir“ korrespondiert auf der sachlichen Ebene folgendes: Sich beschneiden zu lassen stellt die Adressaten in ein Gegenüber zu Christus und damit in ein Gegenüber zur Freiheit, die das gemeinchristliche „Wir“ bestimmt (Gal 5,1), d. h. in erneute Knechtschaft. Gal 5,2 benennt also eine Konkretisierung des Jochs der Knechtschaft, das nach 5,1 für die Adressaten ausgeschlossen sein soll. „Sich beschneiden zu lassen“ ist eine Form, „sich erneut das Joch der Knechtschaft auflegen zu lassen“. Gal 5,3 verläßt die gezielte Anrede an die Adressaten und stellt als allgemeine Aussage die sachliche Verbindung von Beschneidung und Gesetzesgehorsam fest. Für jeden Menschen gilt: Beschneidung und Gesetzesgehorsam bilden einen unlösbaren Zusammenhang. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben.31 Es gilt unabhängig von der Frage, ob der Inhalt dieser Feststellung den Galatern bereits bekannt war oder ob sie zwar die Beschneidung akzeptieren, aber nur Teile des jüdischen Gesetzes halten wollten, so daß ihnen das hier Gesagte neu wäre32: Die allgemeingültige Formulierung läßt den Adressaten keinen Spielraum irgendeiner Modifikation der hier getroffenen Aussage. Die von der Beschneidung bestimmte Existenz ist eine gänzlich vom Gesetz bestimmte Existenz.33 Der Vers Gal 5,4 spricht wieder gezielt die Adressaten an34 und stellt ihnen die Konsequenzen des Versuches vor Augen, Én ním gerecht werden zu wollen.35 Er löst sie aus der Verbindung mit Christus, läßt sie aus dem 31 Zu der Frage nach dem Verhältnis dieser Aussage zum jüdischen Verständnis vgl. Betz, Galaterbrief 443 ff; Mußner, Galaterbrief 347 f. Zum Verständnis der Wendung Ñlo™ ú nímo™ vgl. u. zu Gal 5,14 S. 104. 32 Vgl. zu diesen Möglichkeiten Betz, Galaterbrief 445 f. 33 Vgl. Vouga, Galater 122. 34 Einige Ausleger meinen, mit Gal 5,4 ändere sich der Kreis der Angesprochenen: vgl. z. B. Martyn, Galatians 471: „Having addressed the warning of v 2 to those Galatians who are thus far only tempted to embrace the Teachers’ message, and having directed the instruction of v 3 to all, Paul now speaks to the majority, those who have already fallen under the spell of the Teachers“ (vgl. auch Vouga, Galater 123). Die Annahme einer Ausdifferenzierung der Adressatenschaft zwischen Gal 5,2 und Gal 5,4 ist jedoch vom Text her nicht zwingend geboten. Der Relativsatz o¢tine™ Én ním dikaioøshe läßt sich als konditionaler Relativsatz auffassen (vgl. BDR § 380.1a) und verstehen im Sinne von: „sofern ihr im bzw. durch das Gesetz gerecht werden wollt“. Die Aoriste können als „proleptische oder konstatierende Aoriste“ verstanden werden (vgl. Moulton, Sprache 218; Mußner, Galaterbrief 349 Anm. 42): „Was sie ansagen, wird Tatsache, wenn die Galater wirklich ihr Heil im gesetzlichen Leben suchen sollten“ (Mußner, Galaterbrief 349). Gal 5,4 spricht dann parallel zu 5,2 die Galater auf die Konsequenzen ihres möglichen Tuns an. – Möglich ist es auch, daß der Verfasser Gal 5,4 bewußt mehrdeutig formulierte, so daß verschiedene Situationen in einer Formulierung angesprochen sind: die Situation derer, die den entscheidenden Schritt zu Beschneidung und Gesetzesgehorsam im Sinne von Martyn u. a. bereits vollzogen haben, und die Situation derer, die sich diesen Schritt überlegen. 35 Zum Verständnis des Präsens als Präsens de conatu vgl. BDR § 319 mit Anm. 2.

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II. Eine textpragmatische Analyse von Gal 5 und 6

Bereich der Gnade fallen.36 Sachlich stehen sich in diesem Vers Christus bzw. Gnade und Én ním dikaioøshe gegenüber. „Im Gesetz gerecht werden zu wollen“ bringt die Adressaten in ein Gegenüber zu Christus, d. h. in den Bereich der Knechtschaft, wie der Rückbezug über den sachlich parallelen Vers 5,2 zu Gal 5,1 deutlich macht: Én ním dikaioøshe ist wiederum eine Konkretisierung dessen, was es heißt, „sich erneut das Joch der Knechtschaft auflegen zu lassen“. Die Verse 5,2–4 sind also Konkretisierungen des in 5,1c genannten Jochs der Knechtschaft, sie entfalten die Option, die die Adressaten laut 5,1c ausschließen sollen. Das Begriffspaar Freiheit – Knechtschaft, das der Verfasser im Abschnitt Gal 4,21–31 eingeführt hat, wird im Abschnitt 5,1–4 inhaltlich präzisiert: Während Freiheit mit Christus assoziiert wird, erhält Knechtschaft den Bedeutungsgehalt „Beschneidung“ (5,2) und „Gesetzesgehorsam“ (5,4). Die folgenden Verse Gal 5,5–6 entfalten nun Gal 5,1a und b. Sie konkretisieren die Situation der von Christus Befreiten, die Situation, in der die Adressaten laut 5,1b fest stehen sollen. Gal 5,5 knüpft mit dem vorangestellten Ãmeû™ wieder an die Aussage von 5,1a an. Vers 5,6 spricht im Gegensatz zu 5,5 nicht mehr adressatenorientiert, sondern in verobjektivierender Form von dem, was in Christus generell gilt. Sachlich bieten die Verse 5 und 6 eine Art Kurzformulierung des Selbstverständnisses der von Christus Befreiten. Sie fassen das zusammen, was der Verfasser in den vorangegangenen Argumentationsgängen ausführlich dargelegt hat.37 Hier finden sich die entscheidenden Stichworte aus den vorangegangenen Briefteilen: Das Stichwort pneøma (Gal 5,5: pne‹mati) ist seit Gal 3,2. 5 das die Argumentation bestimmende Leitthema (vgl. Gal 3,2. 5 als einleitende Frage; vgl. 3,14; 4,6. 29). Der Gegensatz von Ék pùstew™ (5,5) zu Én ním durchzieht die Argumentation des Briefes seit Gal 2,15 ff (vgl. 2,16; 3,2. 4. 10, wo Én ním mit Éx ôrgwn nímou wechselt; vgl. 2,19. 21 [diä nímou] oder 4,5. 21 [¡pó nímon]). Das Stichwort dikaios‹nv (Gal 5,5) und das damit verbundene Wortfeld bestimmt den Abschnitt 2,15–21 sowie die mit 3,2. 5 eingeführte Argumentation (vgl. Gal 3,6; den Argumentationsgang 3,10–14; 3,21. 24). Gal 5,6 stellt mit der Formulierung Én Cristã šIvsoø sowie der oõteoõte-Formulierung einen Rückbezug zu 3,26–28 her.38 Der dort benannte 36 Vgl. Mußner, Galaterbrief 448 f. 37 Vgl. Betz, Galaterbrief 447 f. 38 Der Abschnitt 3,26–28 ist gerahmt durch die Formulierung Én Cristã šIvsoø (3,26. 28) und strukturiert durch o«k ôni . . . o«dì, was in Gal 5,6 variiert ist durch oõte . . . ti Üsc‹ei . . . oõte. Zum Rückbezug des Verses vgl. auch Becker, Galater 78; Lührmann, Galater 82; Mußner, Galaterbrief 352; Vouga, Galater 124.

2. Textanalysen

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Gegensatz von šIoudaûo™ und ÙEllvn wird hier ersetzt durch peritomŒ und åkrobustùa. Diesem Gegensatz, der als in Christus erledigt angezeigt wird, setzt der Verfasser die pùsti™ entgegen als allein gültiges Merkmal der Christusgläubigen. Die Bedeutung der pùsti™ wurde in den Abschnitten Gal 2,15–21; 3,1–4,6(7) klar herausgestellt. Neu in diesem bekannten Gegensatz ist der Zusatz zu pùsti™, den 5,6 nennt: diš ågâpv™ Énergoumìnv. Das Satzelement „der Glaube, der sich durch die Liebe wirksam erweist“39 ist durch die oõte-oõte-ållâ-Struktur des Verses besonders hervorgehoben. Mit der Liebe ist ein neues Thema benannt, das als konstitutives Kennzeichen des Glaubens geltend gemacht wird. šEnergoumìnv läßt als Partizip Präsens der pùsti™ die Bestimmung diš ågâpv™ Énergoumìnv „stets gleichzeitig sein, d. h., ohne die so formulierte Bestimmung ist die rechtfertigende pùsti™ gar nicht das, was sie ihrem Wesen nach sein muß.“40 Diese mit Gal 5,5 und 6 gegebene Zusammenfassung des Selbstverständnisses der von Christus Befreiten ist mit gâr an den Vers 5,4 angeschlossen, also als Begründung für die vorangegangenen Verse gekennzeichnet: Begründet werden die zuvor getroffenen Aussagen, daß diejenigen, die im Gesetz gerecht werden wollen, sich aus der Verbindung mit Christus lösen (5,4)41, sowie die Warnung, daß im Fall der Beschneidung Christus nichts nützen wird (5,2). D. h. sie begründen sachlich die zuvor getroffenen theologischen Urteile über die in Galatien akute Lage: Beschneidung und Gesetzesgehorsam führen zur Lösung von Christus, weil in Christus eben nicht der Weg über Gesetz und Beschneidung gilt, sondern allein der Glaube von Gewicht ist (5,5 f). Für die Beurteilung der Adressatensituation verwendet der Verfasser zuvor breit entfaltete, somit bekannte theologische Kategorien, die er nun aktualisierend geltend macht. Die Kurzformulierung des Selbstverständnisses der von Christus Befreiten, präsentiert der Verfasser im „Wir“-Stil. Wie dieses „Wir“ zu verstehen ist, ist in der Forschung umstritten. Folgende Annahmen werden vertreten: 1. Mit dem „Wir“ sind Paulus und der Teil der Galater gemeint, der dem Evangelium treu geblieben ist. Paulus nimmt also eine Differenzierung innerhalb der Adressatenschaft vor, trennt diejenigen, die bereit sind, sich 39 „šEnergeûshai ist nicht transitiv und passiv (der Glaube, der durch die Liebe des Gottessohnes gewirkt wird . . .), sondern medial-intransitiv (der Glaube, der durch Liebe handelt . . .)“ aufzufassen (Vouga, Galater 124; vgl. Mußner, Galaterbrief 353 f; Betz, Galaterbrief 450 mit Anm. 93). Der Glaube zeigt sich in der Liebe, kommt in dieser zur Wirkung (vgl. Dunn, der die Wendung pùsti™ diš ågâpv™ Énergoumìnv mit „faith . . . operating effectively [we might translate ,energizing`; cf. ii.8 and iii.5] through love“ übersetzt [Galatians 270; im Original teilweise hervorgehoben]). 40 Mußner, Galaterbrief 353. 41 Vgl. Mußner, Galaterbrief 349.

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II. Eine textpragmatische Analyse von Gal 5 und 6

beschneiden zu lassen und das Gesetz zu befolgen, von denen, „who, with himself, remain in Christ“.42 Das „Wir“ ist demnach ein Hinweis auf eine Gruppe innerhalb der Adressatenschaft, die „noch auf dem rechten Weg“ ist, also weder den Forderungen der Gegner bislang nachgekommen ist noch mit dem Gedanken spielt, auf sie einzusteigen. Gegen diese Annahme spricht, daß eine „dem Evangelium treu geblieben(e)“ Gruppe innerhalb der Adressatenschaft des Briefes43 weder im Text explizit als solche angesprochen noch eindeutig greifbar zum Gegenstand der Reflektion gemacht wird. Eine solche Teilgruppe gewinnt im Text kein Profil, so daß diese Sicht wenig plausibel ist.44 2. Das „Wir“ meint „Paulus und seine Glaubensgenossen (s. die Brüder von Gal 1,2a)“.45 3. Das „Wir“ ist als apostolisches „Wir“ (1,8) zu verstehen und meint Paulus.46 Bei diesen beiden Lösungsvorschlägen stellt sich die Frage, ob der Bezugspunkt für das „Wir“ nicht zu weit zurückliegt, um noch verständlich zu sein. Vor allem aber spricht gegen sie, daß Rückbezugspunkte in unmittelbarer Nähe übersprungen werden, nämlich Gal 5,1 bzw. Gal 4,31. Es ist nicht anzunehmen, daß die Hörer und Hörerinnen des Galaterbriefes47 dieses „Wir“ in derselben Struktureinheit unbeachtet lassen und es im Rückgriff auf 1,8 bzw. 1,2a füllen.48 So spricht alles dafür, das „Wir“ in 5,5 wie in 5,1 als gemeinchristliches „Wir“ zu verstehen, wie es in der Forschung auch vorgeschlagen wird: 4. Das „Wir“ sind „alle jene, die sich, wie der Apostel selbst, als Christen für das Gnadenprinzip entschieden haben“.49 42 Martyn, Galatians 472 (Hervorhebung von mir). Auch Vouga geht davon aus, daß Paulus eine Opposition aufbaut zwischen den „Geschwistern, die weiterhin ,im Geiste` wandeln, und Paulus auf der einen Seite, und auf der anderen Seite jenen Brüdern, die bereit sind, sich beschneiden zu lassen“ (Vouga, Galater 9). Er sieht diese Opposition jedoch erst ab 5,12 gegeben, und geht, soweit ich sehe, auf diese Feststellung bei der Einzelanalyse des Abschnittes 5,12 ff nicht mehr ein. 43 So die Wiedergabe der Position von Martyn bei Vouga, Galater 123. 44 Zudem müßte bei dieser Annahme deutlicher werden, welche Funktion ein Rekurs auf eine evangeliumstreue Gruppe innerhalb der Adressatenschaft haben sollte. Eine solche Strategie ist zwar theoretisch denkbar, etwa in der Weise, daß diese als Vorbild dargestellt würde. Sie hat jedoch wenig Aussicht auf Erfolg, wenn diese Gruppe derart versteckt ins Spiel gebracht wird, nämlich in einem „Wir“ mitgemeint, wie es hier der Fall wäre. 45 Vouga, Galater 123. 46 So die von Vouga favorisierte Deutung: vgl. Galater 123. 47 Das Hören des Briefes dürfte der Normalfall gewesen sein: vgl. Conzelmann/Lindemann, Arbeitsbuch 225; Vielhauer, Geschichte 67. 48 Selbst wenn man wie Vouga Gal 5,1 nicht zur Struktureinheit hinzurechnen will (vgl. Galater 120), bleibt 5,1 das nächstliegende „Wir“, und es müßte ein Grund geltend gemacht werden, warum es für eine inhaltliche Füllung des „Wir“ in 5,5 nicht in Frage käme. 49 Mußner, Galaterbrief 349; vgl. auch Becker, Galater 77.

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Jedoch ist dieser Verständnisvorschlag zu modifizieren: Das „Wir“ meint ein gemeinchristliches „Wir“ inklusive, nicht exklusive50 der Adressaten. Denn Gal 5,5 nimmt das „Wir“ aus 4,31 bzw. 5,1 wieder auf, das die Adressaten mit eingeschlossen hatte: „The final stage of inclusion is reached when the second person pronoun is subsumed under the first and any textual distance between the apostle and his followers is eliminated: ,Therefore brothers, we are not children of the slave woman, but of the free woman` (4:31).“51 Mit Gal 5,5 stellt der Verfasser erneut dieses gemeinsame „Wir“ zwischen sich (bzw. der christlichen Glaubensgemeinschaft) und seinen Adressaten her, das nach Gal 4,31 und 5,1 aufgelöst worden war in eine pointierte Gegenüberstellung von Verfasser und Adressatenschaft (5,2–4). Das „Wir“ ist in Gal 5,5 wie in Gal 5,1 zu verstehen als „Einbeziehung der Adressaten . . . in das bekennende ,Wir` des Apostels und seiner Glaubensgenossen“52, als „pragmatische Verstärkung() . . . der Gemeinschaft“53. Eine solche Wiedereinbeziehung des Adressaten in das „Wir“ ist nach der harschen Kritik der Verse 5,2 und 5,4 überraschend. Unter pragmatischem Gesichtspunkt läßt sie sich jedoch als Textstrategie verstehen: Dadurch, daß der Verfasser die Adressaten nicht im Gegenüber zu sich und dem gemeinchristlichen „Wir“ beläßt, sondern erneut in das „Wir“ integriert, geschieht in den Versen 5 und 6 mehr als eine Verstärkung der Kritik an ihnen. Ihnen wird nicht noch einmal gesagt, daß sie auf dem falschen Weg sind, weil sie sich im Gegenüber zur christlichen Glaubensgemeinschaft bewegen. Das haben bereits die Verse 5,2 und 5,5 deutlich getan.54 Ihre Position „an der falschen Stelle“ wird nicht festgeschrieben, sondern vielmehr verändert: Die Adressaten werden im Text neu positioniert im Ge-

50 Mußner schließt aus, daß die Galater in der „Wir“-Formulierung mitangesprochen sind, wenn er auf die Frage, warum „jene, die ihre Rechtfertigung im Gesetz suchen, von Christus weggetan“ werden, antwortet: „Weil . . . ,wir` – und dazu gehörten bisher auch die Galater – aufgrund des G n a d e n prinzips . . . das kommende Heil zu erlangen hoffen“ (Mußner, Galaterbrief 349 f [Hervorhebung von mir]). In dieselbe Richtung geht auch die Formulierung bei Becker: „Indem er (Paulus; Verf.) alle Christen, die dem Gesetzesweg entsagen, in einem ,Wir` zusammenschließt, formuliert er deren gemeinsames Heilsziel aufgrund ihres gemeinsamen Heilsweges“(Becker, Galater 77). 51 Lategan, Instructions 174; vgl. auch noch einmal o. zu Gal 4,31 S. 64 f mit Anm. 20. 52 Vouga, Galater 9 (jedoch nicht zu Gal 5,5). Erstaunlich ist, daß Vouga diesen Schluß hinsichtlich 5,5 nicht zieht, da er ja selber feststellt, daß die Strategie einzelner Teile des Briefes darin besteht, die Adressaten im Gegenüber zu den Gegnern „in das bekennende ,Wir` des Apostels und seiner Glaubensgenossen“ einzubeziehen und in diesem Zusammenhang den Abschnitt 4,21–5,1 nennt. 53 Vouga, Galater 119 zu dem Vers 4,31, auf den sich Gal 5,5 über Gal 5,1 zurückbezieht. 54 So würde der Satz funktionieren, wenn das „Wir“ weiterhin als eine Formulierung im Gegenüber zu den Adressaten verstanden würde: also bei den oben erwogenen Bedeutungsmöglichkeiten für das „Wir“ 1.–3.

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II. Eine textpragmatische Analyse von Gal 5 und 6

genüber zu ihrem Standort in 5,2 und 5,4. Der Verfasser stellt seine Adressaten hier in 5,5 an den Ort, an dem er sie sehen will, indem er sie in die Gemeinschaft der Christusgläubigen integriert. Mit dem „Wir“ konstruiert der Verfasser die Gemeinsamkeit zwischen sich (bzw. der christlichen Glaubensgemeinschaft) und seinen Adressaten, die er mit seinem Brief allererst wiederherstellen will.55 Mit der Reintegration der Adressaten in das gemeinchristliche „Wir“ werden die Adressaten in eine kritische Distanz zu sich selbst gebracht, so wie sie in 5,2 und 4 erscheinen. Der Verfasser läßt seine Adressaten sich selber entgegentreten. Die vom Verfasser „konstruierte“ Adressatenschaft als Teil des gemeinchristlichen „Wirs“ (5,5) tritt der „real existierenden“ Adressatenschaft in den Versen 5,2 und 4 gegenüber, die aus dieser Gemeinschaft zu fallen droht. In den Versen 5 und 6 präsentiert der Verfasser ihnen das Selbstverständnis, das das ihrige sein sollte, mehr noch: auch nur das ihrige sein kann, insofern es das einzig mögliche ist für von Christus Befreite. Daß die Adressaten dem Verfasser als solche gelten, daran läßt Gal 5,1 keinen Zweifel. Wenn diese Aussage auch für die realen Adressaten gelten soll, dann hängt damit aber unweigerlich dieses in 5,5 f skizzierte, nämlich das gemeinchristliche, Selbstverständnis zusammen. Dann kann für sie nur das gelten, was für alle Christusgläubigen gilt: Freiheit durch Christus und Glaube und damit (theologisch begründete) kritische Distanz zu Beschneidung und jedem Versuch, aus dem Gesetz Gerechtigkeit zu erlangen. Wollen die Adressaten sich als zur Christusgemeinschaft zugehörig betrachten, dann müssen sie ihre eigene gegenwärtige Situation theologisch begründet kritisieren und ihren derzeitigen Standpunkt aufgeben zugunsten des theologisch „richtigen“ gemeinchristlichen Standpunktes von Gal 5,5 f. Einen solchen Wiedereinstieg in das gemeinchristliche Selbstverständnis und die damit verbundene Distanzierung von Beschneidung und Gesetzesgehorsam legt die vom Verfasser gewählte „Wir“-Formulierung von Gal 5,5 den Adressaten mehr als nahe. Sie werden für das in Gal 5,5 f genannte gemeinchristliche Selbstverständnis vereinnahmt und dadurch beinahe dazu „genötigt“, sich dieses (erneut) zu eigen zu machen. Zusammenfassend läßt sich für den Abschnitt 5,1–6 festhalten: Sachlich bringt der Abschnitt das in Galatien aktuelle Thema „Gesetzesgehorsam und Beschneidung“ in Zusammenhang mit der Negativkategorie „Knechtschaft“. Als Positivkategorie steht ihr „Freiheit“ entgegen, 55 Dies gilt auch für die „Wir“-Formulierungen von Gal 4,31 und Gal 5,1 sowie für die ungebrochene Anrede der Adressaten mit „Brüder“ (vgl. u. a. 4,31. 28; 4,12): Der Verfasser konstruiert in seinem Brief die Wirklichkeit, die er mit ihm wieder herstellen möchte. D. h. das „Wir“ hat die Funktion, Wirklichkeit zu konstruieren und nicht tatsächliche Gegebenheiten abzubilden.

2. Textanalysen

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die mit „Christus“, „Geist“ und „Glaube“ verbunden wird, also mit Leitbegriffen, die die vorangegangenen Argumentationsgänge bestimmten. Unter pragmatischer Perspektive versucht der Verfasser in diesem Abschnitt auf das Vorhaben der Adressaten, Gesetzesgehorsam und Beschneidung zu akzeptieren, direkten Einfluß zu nehmen: Die Adressaten werden zum einen ausdrücklich gewarnt. Zum anderen sollen sie durch eine Reintegration in das gemeinchristliche „Wir“ dazu bewogen werden, den Überzeugungen dieses „Wirs“ (erneut) zuzustimmen, was sie in eine kritische Distanz zu ihrem Vorhaben bringt.

2.2 Gal 5,7–12 Mit Gal 5,7 läßt sich ein Einschnitt gegenüber 5,1–6 ausmachen.56 Nachdem der Verfasser in den Versen 5,5 und 6 seine Adressaten für das allgemeinchristliche Selbstverständnis vereinnahmt hat, spricht er sie nun wieder direkt an und zwar zunächst auf ihre Vergangenheit (Gal 5,7a). Das in 5,5 f skizzierte einzig denkbare Selbstverständnis der von Christus Befreiten war auch einmal das ihre: „Ihr liefet so gut!“ Diese Weiterführung des Textes verstärkt die rhetorische Kraft des in Gal 5,5 f geltend gemachten „Wirs“: Mit dem allgemeinchristlichen Selbstverständnis der Verse 5,5 f wurde den Adressaten kein neues, unbekanntes Identifikationsmodell nahe gelegt, sondern eine vertraute Identität. Die mit 5,5 f postulierte Gemeinsamkeit zwischen dem Verfasser (bzw. der christlichen Glaubensgemeinschaft) und den Adressaten, die zur Zeit der Abfassung des Briefes faktisch nicht gegeben ist, hat einen Haftpunkt: die Vergangenheit, in der es dieses „Wir“ und die gemeinsamen Überzeugungen gegeben hat. Die „Wir“-Formulierung in 5,5 ist also nicht generell kontrafaktisch, sondern nur beim derzeitigen Stand der Dinge. Sie stimmte für die Vergangenheit, stimmt nicht in der Gegenwart, was den Brief notwendig macht. Im Rückgriff auf die Vergangenheit soll sie wieder für die Zukunft geltend gemacht werden. Der Verfasser „erfindet“ also die Gemeinsamkeit zwischen sich und den Adressaten nicht neu, sondern kann sie rückbinden an die Vergangenheit, an die er in 5,7a beschwörend appelliert. Die anschließende rhetorische Frage (5,7b) nimmt Gal 3,1 wieder auf.57 Sie „drückt . . . seine ganze Verwunderung über die Vorgänge in Galatien aus und enthält zugleich einen Appell an die Galater, sich doch im Lauf nicht ,aufhalten` zu lassen.“58 Tù™ ist wie in 3,1 „ein anonymer Hinweis auf 56 Zur Textabgrenzung s. o. S. 66. 57 Vgl. Mußner, Galaterbrief 355; Vouga, Galater 124. 58 Mußner, Galaterbrief 355; vgl. Betz, Galaterbrief 452.

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II. Eine textpragmatische Analyse von Gal 5 und 6

die ,judenchristlichen` Lehrer, die in Gal 1,7 als tinì™ dargestellt worden sind“.59 Der Abschnitt wendet sich also den Gegnern zu. Der gesamte Abschnitt Gal 5,7–12 hat deutliche Parallelen zum Eingangspassus 1,6–960: Ék toø kaloønto™ (5,8) entspricht der Formulierung åpó toø kalìsanto™ in 1,661, ú tarâsswn (5,10) nimmt oÖ tarâssonte™ (1,7) wieder auf.62 Das Stichwort krùma (5,10) gehört zum selben Wortfeld wie ånâhema in Gal 1,8. 9.63 Zudem zeigen sich deutliche Verbindungslinien des ganzen Abschnittes Gal 5,1–12 zur Schilderung des Apostelkonzils sowie des antiochenischen Zwischenfalls in Gal 2,1–14. 15–21. Den Abschnitt 5,1–12 durchzieht dasselbe semantische Geflecht wie 2,1 ff: Éleuherùa (2,4. 14; 5,1), douleùa bzw. doule‹ein (2,4 [katadoulÈsousin]; 5,1), peritomŒ bzw. peritìmneshai (2,3. 7. 8. 9; 5,2. 3. 6)64, ålŒheia (2,14; 5,7), trìcein bzw. ñrhopodeûn (2,14; 5,7)65. In beiden Abschnitten findet sich dieselbe Szenerie des Konfliktfalles. Zwei Gruppen stehen sich im Streit um die Wahrheit des Evangeliums gegenüber: zum einen die Pseudobrüder und Paulus samt der Seinen (2,4) bzw. Petrus unter dem Einfluß einiger åpó šIakÈbou und Paulus (2,11 ff), zum anderen die Gegner und die Adressaten, die vom Verfasser beraten werden (5,7 ff).66 Jeweils dreht sich der Konflikt um Beschneidung und Übernahme des Gesetzes, um Freiheit und Knechtschaft (2,3–5; 2,12. 14; 5,1. 2. 4. 6. 11).67 In beiden Abschnitten werden Verurteilungen konstatiert (kategnwsmìno™ rn [2,11]; bastâsei tó krùma [5,10]). Des weiteren findet

59 Vouga, Galater 124. Anders bezieht Betz das tù™ auf den Satan: vgl. Galaterbrief 452. Gegen diese Auffassung spricht der deutliche Rückbezug auf 3,1 (wo Betz zudem selbst die Frage auf die Gegner bezogen sieht; vgl. Galaterbrief 240 f) sowie die deutlichen Verbindungslinien des Abschnittes 5,7–12 zum Abschnitt 1,6–9 (s. dazu o. die unmittelbar folgenden Ausführungen), der die galatische Situation thematisiert, die durch die Gegner entstanden ist. Vgl. auch Mußner, Galaterbrief 355. 60 Vgl. Lührmann, Galater 83. 61 Vgl. Vouga, Galater 124. 62 Vgl. Mußner, Galaterbrief 358; Vouga, Galater 125: Die Wendung Ñsti™ Éän ó „zeigt, daß der Sg. generell ist“ und „niemanden anderes als tinì™ von Gal 1,7 bzw. tù™ von Gal 3,1; 5,7 meint.“ Zu alternativen Vorschlägen vgl. Vouga, Galater 125. 63 Vgl. Longenecker (Galatians 221), der eine „inclusio“ ausmacht; s. zu einzelnen Verbindungslinien Becker, Galater 79; Longenecker, Galatians 221 f; Lührmann, Galater 82; Synofzik, Gerichts- und Vergeltungsaussagen 33. 64 Vgl. Betz, Galaterbrief 442. 65 Vgl. Bachmann, Sünder 80. 66 Der Verfasser taucht in Gal 5,7–12 nicht als expliziter Konfliktpartner auf, wenngleich er im Text sehr präsent ist (vgl. am deutlichsten die pointierten ÉgÈ-Aussagen in 5,10 und 5,11). Er nimmt massiv Einfluß auf die eine Konfliktpartei, die Adressaten, jedoch von außerhalb des Konfliktes her (vgl. zur Wirkabsicht o. die folgenden Ausführungen). 67 Zu der Verwandtschaft sowie dem Unterschied zwischen der Position der Gegenpartei in 2,1 ff und der Position der Gegner in Galatien vgl. Vouga, Galater 52.

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sich eine ähnliche Kennzeichnung einer der beiden Konfliktparteien (oÖ dokoønte™ eRnaù ti [2,6; vgl. 2,2. 9]; Ñsti™ Éän ó [5,10]). Der Abschnitt 5,7–12 setzt durch seine semantischen Verbindungslinien sowohl zu 2,1–14. 15–21 als auch zu 1,6–9 Apostelkonzil bzw. antiochenischen Zwischenfall und die gegenwärtige galatische Krise zueinander in Beziehung: Das Apostelkonzil und der antiochenische Zwischenfall erscheinen als eine Art historischer Modellfall, als Präzidenzfall für die Beurteilung der galatischen Situation. Mit Gal 5,1–12 positioniert der Verfasser die gegenwärtigen Konfliktpartner in Entsprechung zum historischen Modellfall: Die Gegner werden auf die Seite der Pseudobrüder bzw. des Petrus nach der Ankunft einiger åpó šIakÈbou gestellt. Diese „Platzanweisung“ ergibt sich aus der parallelen Gestaltung der Situationen: Die Pseudobrüder (2,4) bzw. Petrus, Barnabas sowie die mit ihnen „heuchelnden“ übrigen Judenchristen (2,13) stellen im Präzidenzfall die Wahrheit des Evangeliums auf die Probe (2,4. 14). Im gegenwärtigen galatischen Konflikt sind es die Gegner, die die Galater daran hindern, der Wahrheit des Evangeliums gehorsam zu sein (5,7). Zudem spielt der Zusatz Ñsti™ Éän ó (5,10), der sich hier auf die Gegner bezieht, auf die Bezeichnung der gegnerischen Partei als oÖ dokoønte™ eRnaù ti an, die den ganzen historischen Modellfall durchzieht (vgl. 2,2. 6. 9).68 Die Gegner in der gegenwärtigen galatischen Konfliktsituation und Petrus verbindet zudem eine sie jeweils treffende Verurteilung (bastâsei tó krùma [5,10]; kategnwsmìno™ rn [2,11]). Die Adressaten plaziert der Verfasser mit Gal 5,7 an der Stelle, an der im Modellfall er selbst stand: auf die Seite der „Wahrheit“69. Der Verfasser delegiert die Fortsetzung des Kampfes um die Wahrheit des Evangeliums an die Adressaten. Er drängt sie in die „Rolle“, die Wahrheit gegen Angriffe zu verteidigen, jeglichem Verhalten entschieden entgegenzutreten, das diese in Frage stellt, so wie der Verfasser dies im Präzidenzfall gegen das Agieren der Pseudobrüdern (2,4 f) tat und gegenüber dem Verhalten des Petrus (2,11 ff).

68 Auch wenn beim Apostelkonzil die entscheidende Unruhe von den Pseudobrüdern ausgeht (2,4) und im Ergebnis der Verhandlungen zwischen Paulus und den drei Säulen Einigkeit erzielt wird, so sind Jakobus, Johannes und Petrus dennoch schon beim Apostelkonzil eine Gruppe im deutlichen Gegenüber zu Paulus, was nicht zuletzt die Bezeichnung oÖ dokoønte™ ausdrückt, die unzweifelhaft „das Moment der Distanzierung“ enthält (Vouga, Galater 41). Im antiochenischen Zwischenfall lösen Petrus und einige von Jakobus den Konflikt aus, also im Falle von Petrus eine Person, die zu den oÖ dokoønte™ gehört, im Falle der tùne™ åpó šIakÈbou ein Kreis, der einer der weiteren Säulen nahesteht, so daß eine Verbindung zwischen den Konfliktpartnern des Paulus im antiochenischen Zwischenfall und beim vorangegangenen Apostelkonzil besteht. 69 Der Vers 5,7b bestimmt das Konzentrat christlichen Selbstverständnisses von Vers 5,5 f nun als „Wahrheit“.

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II. Eine textpragmatische Analyse von Gal 5 und 6

Gal 5,8 untermauert, warum es richtig ist, in der gegenwärtigen Situation den angewiesenen Platz auf seiten der „Wahrheit“ im Gegenüber zu den Gegnern einzunehmen. Der gegnerische Überredungsversuch70 kommt nicht von dem, der die Galater berufen hat (5,8), was andersherum bedeutet: Der Widerstand gegen die gegnerischen Forderungen, den der Verfasser bei ihnen bewirken will, steht im Einklang mit dem Gott, der sie berufen hat. Das allgemeingültige Sprichwort in Gal 5,9 signalisiert den Adressaten, daß die Lehre der Gegner in ihrer zerstörerischen Wirkung nicht zu unterschätzen ist71 und entsprechend unverzüglicher und kompromißloser Handlungsbedarf besteht.72 Das Sprichwort hat einen appellativen Unterton, der die Adressaten dazu drängen soll, die ihnen angetragene „Rolle“, die Wahrheit des Evangeliums gegenüber der gegnerischen Botschaft zu verteidigen, ohne Verzug auszufüllen.73

70 Zum Verständnis von peismonŒ im Sinne von „Überredung“ und zum Bezug auf die Gegner vgl. z. B. Betz, Galaterbrief 452 f; Mußner, Galaterbrief 356; Oepke, Galater 160. 71 Zum Bezug des Sprichwortes auf die Lehre der Gegner vgl. Mußner, Galaterbrief 356; Oepke, Galater 169; Schlier, Galater 237; Lührmann, Galater 82. Zahn bezieht das Sprichwort auf die geringe Zahl der Gegner: vgl. Zahn, Galater 256. Mußner erwägt im Anschluß an Lietzmann eine noch konkretere Ausdeutung des Sprichwortes: „mikrä (z‹mv) im Sprichwort könnte in der konkreten Situation in Galatien . . . besagen, daß die Gegner von den christlichen Galatern ,nur die Beobachtung einiger Hauptgebote` des Gesetzes und nicht ,das gesamte Zeremonialgesetz` verlangt haben. Der Apostel lehnt aber auch eine solche Beschränkung des gesetzlichen Lebens ab; der Irrlehre darf nach ihm nicht der geringste Raum gegeben werden“ (Mußner, Galaterbrief 356 f; ähnlich Eckert, Verkündigung 44). Die konkreten Deutungsvorschläge bei Zahn, Lietzmann, Mußner, Eckert können alle durch das Sprichwort abgedeckt sein, zwingend ist jedoch keiner. Durch die Wahl eines Sprichwortes, das seinem Wesen nach Allgemeingültiges benennt, will der Verfasser gar nicht auf eine konkrete Festlegung hinaus. Er stellt vielmehr die den Einzelfall überschreitende „Erfahrungsregel“ (Mußner, Galaterbrief 356) in den Vordergrund, die in diesem Fall lautet: „Kleine Ursachen, große Wirkungen“ (Mußner, Galaterbrief 356). Eine ähnlich offene Auslegung findet sich bei Longenecker (Galatians 231). Daß diese Erfahrungsregel jedoch auf die Gegner und ihre Lehre zu beziehen ist, legt der Kontext nahe. So erstaunt die Auffassung von Betz, eine Identifizierung des Sauerteigs mit der Lehre der Gegner sei eine unzulässige Allegorisierung: „Paulus allegorisiert . . . nicht, sondern zitiert lediglich das Sprichwort“ (Betz, Galaterbrief 455 Anm. 126). Das Sprichwort steht in Gal 5,9 „ohne weitere Interpretation; durch den Zusammenhang spricht es für sich selbst“ (Betz, Galaterbrief 454 f). Unbefriedigenderweise bleibt bei Betz offen, was es denn für sich selbst sagt, wenn es nicht im Briefzusammenhang gedeutet werden darf. 72 Zum appellativen Charakter des Verses vgl. Zahn, Galater 256. Die Erfahrungsregel „Kleine Ursachen, große Wirkungen“ hat demnach die appellative Färbung eines „Wehret den Anfängen“; vgl. Becker, Galater 79. 73 Vgl. die ähnliche Funktion der Verse 4,29 f; vgl. dazu Mußner, Galaterbrief 357 Anm. 96 und seine Auslegung z. St.

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Gal 5,10 konstatiert die zu erwartende Verurteilung der Gegner74 in deutlicher Parallele zum historischen Modellfall: Dort nötigte die „Wahrheit“ des Evangeliums den Verfasser zu der Einsicht in die Verurteilung des Petrus (kategnwsmìno™ rn) und zu dem daraus resultierenden Widerstand gegen ihn (2,11. 14 ff). Parallel nötigt in der aktuellen galatischen Situation die „Wahrheit“ des Evangeliums zu der Einsicht in die kommende Verurteilung der Gegner. Hinsichtlich dieser Einsicht drängt der Verfasser in 5,10a massiv auf ein Einvernehmen zwischen sich und den Adressaten.75 An einem solchen Einvernehmen hängt faktisch die Distanzierung der Adressaten von den Gegnern.76 Der Zusatz Én kurù verleiht der zunächst an den Verfasser gebundenen Vertrauensbekundung (°gê pìpoiha eÜ™ ¡mé™) die Autorität gemeinchristlicher Glaubensüberzeugung.77 Die Wendung Én kurù nimmt Én Cristã šIvsoø aus Vers 5,6 wieder auf.78 Das, was in Jesus Christus gilt (5,5 f), kann die Adressaten zu keinem anderen Ergebnis kommen lassen, als zu dem, welches der Verfasser ihnen präsentiert. Die Gleichgesinntheit der Adressaten mit der vom Verfasser vorgetragenen Ansicht fordert dieser nicht mit persönlicher Autorität ein, sondern mit der Autorität gemeinchristlich geteilter Grundüberzeugung, der „Wahrheit“ des Evangeliums. Dazu paßt, daß in Gal 5,10 nicht der Verfasser selbst die Gegner verurteilt, sondern ihre zu erwartende Verurteilung lediglich konstatiert. Diese Auffälligkeit findet sich in gleicher Weise im historischen Modellfall Gal 2,11 sowie bei dem ånâhema des Eingangspassus (1,8. 9), auf das der Vers 5,10 ebenfalls anspielt.79 In beiden Fällen ist nicht der Verfasser die verurteilende bzw. verfluchende Instanz: In Vers 1,8 bindet dieser den Fluch ganz an die Autorität des Evangeliums. Selbst er unterläge dem ånâhema, predigte er etwas anderes als das von ihm zuvor verkündigte 74 Zum Rückbezug auf Vers 1,7 sowie zur singularischen Formulierung vgl. o. S. 74 mit Anm. 62. 75 Zur pragmatischen Funktion der Wendung pìpoiha eÜ™ vgl. Dunn, Galatians 277. Vgl. auch Vouga, der mit diesem Vers einen textpragmatischen Einschnitt gegeben sieht: Der Vers „führt eine Wende in der Argumentation ein, indem der in Gal 1,6 f; 3,4 f; 4,17; 5,2–6,7 f implizierte Kommunikationszusammenhang umstrukturiert wird. Vorausgesetzt ist nicht mehr der Wille der Adressaten, sich der Position der ,Judenchristen` anzuschließen, . . ., sondern umgekehrt eine grundsätzliche Übereinstimmung der Galater mit der paulinischen Sichtweise“ (Vouga, Galater 125). Diese Umstrukturierung ist jedoch keineswegs erst mit dem Vers 5,10 gegeben, sondern bereits mit 4,31, wie oben gezeigt (vgl. S. 64 f mit Anm. 20 und S. 66). 76 Vgl. Becker, Galater 79; Dunn, Galatians 277; Vouga, Galater 125. 77 Zum Bezug der Wendung auf pìpoiha vgl. Mußner, Galaterbrief 357. 78 Diese ersetzt ihrerseits pne‹mati. Zum Verständnis dieser Wendungen als Bereichs- bzw. Sphärenangaben s. u. S. 89 Anm. 136 und S. 147 Anm. 416. 79 Vgl. Morland, Curse 167. Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund des ånâhema vgl. Morland, Curse 21 ff.

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Evangelium.80 Die Wiederaufnahme des ånâhema in 1,9 bleibt trotz des nun deutlichen Bezuges auf die Gegner81 weiterhin unpersönlich formuliert: „der sei verflucht“ (ånâhema ôstw). Der Verfasser spricht den Fluch zwar aus, ist aber nicht handelndes Subjekt des Fluches.82 In gleicher Weise stellt der Verfasser in 2,11 die bereits erfolgte Verurteilung des Petrus lediglich fest (Ñti kategnwsmìno™ rn) und agiert ihr entsprechend, indem er Petrus zur Rede stellt (2,11. 14 ff). Die Verurteilung selbst hat wiederum ein anderes Subjekt als den Verfasser: „Nach dem Maßstab der Wahrheit des Evangeliums hat sich Petrus durch sein Verhalten verurteilt“.83 Entsprechend werden die Adressaten in 5,10 auch nicht zu einer Verurteilung der Gegner aufgefordert oder zu einem Einstimmen in eine Verurteilung gedrängt, die vom Verfasser stammt. Gal 5,10 zielt vielmehr auf ein Einvernehmen mit der Einsicht in die zu erwartende göttliche Verurteilung der Verwirrer84, die thetisch angesagt wird. Das Drängen auf Distanzierung von den Gegnern in 5,10 stellt der Verfasser als von höherer Instanz getragen und veranlaßt dar. Er verlagert die Autorität für dieses Drängen ganz in den göttlichen Bereich: Wenn die Adressaten die Verurteilung der Gegner anerkennen, stimmen sie nicht Paulus persönlich zu, sondern erkennen ein göttliches Urteil an und sind darin der Wahrheit des Evangeliums gehorsam. Das Ich des Verfassers (ÉgÊ pìpoiha eÜ™ ¡mé™ Én kurù) spricht hier quasi stellvertretend für die Wahrheit des Evangeliums, in göttlicher Autorität, was die rhetorische Kraft des Appells an die Adressaten erhöht: Nicht Paulus drängt auf Distanzierung von den Gegnern, sondern Gott selbst. Gal 5,11 kommt mit betontem ÉgÊ dì und erneuter Anrede der Adressaten auf das Ich des Verfassers zu sprechen. Hier tritt dieser nicht mehr wie in 5,10 hinter die Autorität der Wahrheit des Evangeliums zurück, was 80 Vgl. Mußner, Galaterbrief 60 f. Die Form der hier verwendeten „bedingte(n) ,Selbstverfluchung`“ vermeidet zudem „das ausführliche Verfluchen anderer“ (Betz, Galaterbrief 112). 81 Der Vers geht im Bedingungssatz in den Realis über (zu eÜ mit Indikativ vgl. BDR § 371. 372), ti™ bezieht sich zurück auf tine™ in 1,7, was die Gegner bezeichnet; vgl. Mußner, Galaterbrief 61. 82 Vgl. Mußner, Galaterbrief 61: „Das Evangelium ist . . . für den Apostel eine unantastbare, geheiligte Sache. Wer sich an ihm vergreift, verfällt dem Fluch Gottes. Den Fluch spricht der Apostel zwar aus, aber Gott macht ihn wirksam“ (vgl. auch Synofzik, Gerichtsund Vergeltungsaussagen 33). 83 Vouga, Galater 53; vgl. Mußner, Galaterbrief 137 mit Anm. 16. Möglich wäre es m. E. auch, hinter dieser unpersönlichen Formulierung ähnlich wie in 1,8. 9 göttliche Autorität als Verurteilungsinstanz zu sehen: Er war in dieser Sache von Gott bereits verurteilt. 84 Vgl. Betz, Galaterbrief 457; Mußner, Galaterbrief 358; Vouga, Galater 125. Vouga (Galater 142) weist zu Recht darauf hin, daß die Verurteilung der Gegner nicht zwingend auf das endzeitliche Gericht zu beziehen ist (so aber z. B. Mußner, Galaterbrief 358).

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dort der Zusatz Én kurù deutlich machte, sondern macht sich vielmehr selbst zum Thema.85 Mit 5,11 zeichnet der Verfasser ein Bild seiner selbst im Gegenüber zu den Gegnern: Er stellt sich als Repräsentanten der Wahrheit des Evangeliums dar, der um dieser Wahrheit willen verfolgt wird. Das Stichwort peritomŒ, die Botschaft der Gegner, ist in 5,11 Angelpunkt der Selbstdarstellung des Verfassers. PeritomŒ verweist zurück auf den Vers 5,6, der zusammen mit 5,5 die Kurzformulierung des christlichen Selbstverständnisses bietet, die in 5,7 als ålŒheia bezeichnet wird.86 PeritomŒ ist dort das Negativum, von dem das, was in Christus gilt, positiv abgesetzt wird. Entsprechend ist in 5,11 peritomŒ das Negativum, welches Paulus in den Mittelpunkt stellt, um sich entschieden von ihm abzugrenzen, was ihn auf die Seite der Wahrheit des Evangeliums stellt: Er und seine Verkündigung entsprechen dem skândalon des Kreuzes (5,11b), dem, was in Christus gilt (5,6). Die Präsentation seiner selbst in Abgrenzung gegen die gegnerische Botschaft ermöglicht dem Verfasser, gleichzeitig etwas über sich und etwas über die Gegner auszusagen: Er, der die Beschneidung nicht (mehr87) predigt88 und verfolgt wird89, macht das skândalon des Kreuzes nicht zunich85 Vgl. Betz, Galaterbrief 457; Oepke, Galater 161. 86 S. dazu noch einmal o. S. 75 mit Anm. 69. 87 Das ôti ist am sinnvollsten wie in Gal 1,10 zeitlich aufzufassen: Paulus bezieht sich auf seine vorchristliche Zeit; vgl. Longenecker, Galatians 233; Lührmann, Galater 82; Vouga, Galater 125; anders Mußner, Galaterbrief 358 f; Martyn (Galatians 476 f), der sich Mußner anschließt. 88 Die Wendung peritomÀn kvr‹ssein ist als polemische Bildung des Paulus als „Antithese zur Wendung ,Christus verkündigen`“ zu verstehen (Becker, Galater 79; vgl. auch Betz, Galaterbrief 459; Vouga, Galater 125), die „den Inhalt der gegnerischen Verkündigung im Kontrast“ zur Verkündigung des Verfassers kennzeichnen will (Becker, Galater 79 f). Eine apologetische Abzweckung des Verses „gegen eine Behauptung“, die der Apostel „als Vorwurf empfindet“ (Schlier, Galater 238), läßt der Vers nicht ohne weiteres erkennen. Zu der mit dieser Einschätzung verbundenen historischen Rückfrage, ob die Gegner vielleicht das Gerücht verbreitet haben, Paulus predige noch immer die Beschneidung vgl. z. B. Schlier, Galater 239; Betz, Galaterbrief 458 f. Für das Verständnis des Verses ist diese Frage jedoch nicht entscheidend; vgl. auch Vouga, Galater 125. 89 Ein Rückschluß auf die Identität der Verfolger (vgl. z. B. Mußner [Galaterbrief 359 mit Anm. 115], der als Verfolger die Gegner ausmacht) bzw. gar auf die historische Situation der Gegner (sie treten für die Beschneidung ein, damit sie nicht verfolgt werden; so z. B. Becker, Galater 80; vgl. Oepke, Galater 162) ist m. E. aufgrund dieser spärlichen Information nicht möglich. Es wäre durchaus denkbar, daß Paulus gar nicht auf eine konkrete Gegebenheit im Umfeld der galatischen Situation anspielen will, sondern ganz allgemein auf seine Verfolgung als Signum des Apostels Christi hinweist (vgl. Mußner, Galaterbrief 362 mit Anm. 131 im Anschluß an Güttgemanns’ Verständnis vom leidenden Apostel als Epiphanie des Gekreuzigten [vgl. Güttgemanns, Apostel 195–198]). Dafür spricht, daß der Text an dieser Stelle offen und unbestimmt formuliert ist. Dem Verfasser liegt primär daran, das Daß seines Verfolgtwerdens geltend zu machen und nicht das konkrete Wie. Der Vers ist also auch verständlich ohne Kenntnis der „Dinge, die sowohl den Galatern als auch ihm

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te.90 Er ist derjenige, der auf der „richtigen“ Seite steht. Damit sagt er zugleich: Die Gegner, die die Beschneidung verkündigen und nicht verfolgt werden, setzen das skândalon des Kreuzes außer Kraft. Sie kommen auf der „falschen“ Seite zu stehen, in Opposition zur Wahrheit des Evangeliums. Diese Aussage über die Gegner untermauert zum einen das in 5,10 angekündigte Urteil. Sie werden ihr Urteil tragen, weil sie mit ihrer Verkündigung die Christusbotschaft zerstören. Zum anderen verstärkt der Vers die „Rollenzuweisung“ an die Gegner, die sich durch die Analogie zum historischen Präzidenzfall ergibt: Mit dem Stichwort peritomŒ werden sie nahe an die Pseudobrüder von 2,4 herangerückt, deren Agitation gegen die christliche Freiheit in engstem Zusammenhang mit der Beschneidung steht (2,3). Der Angriff auf die Gegner, den der Vers 5,11 darstellt, ist jedoch nur die implizite Aussage des Verses, nicht jedoch seine primäre Zielaussage: Im Vordergrund steht die Aussage über den Verfasser. Mit Vers 5,11 entwirft der Verfasser seine eigene „Rolle“ als Berater der Adressaten in der gegenwärtigen Konfliktsituation: Er steht auf der Seite der Freiheit, der Wahrheit, die sich mit der Christusverkündigung, der Kreuzesverkündigung verbindet (vgl. auch Gal 3,1). Im Rückblick auf den historischen Modellfall nimmt er also dieselbe Position wie schon damals ein (vgl. noch einmal 2,4 f. 14). So präsentiert er sich als einer, der durchgängig Anwalt der Wahrheit des Evangeliums war und ist, was seine Autorität gegenüber den Adressaten stärkt: Die Beratung der Adressaten bei der Auseinandersetzung mit der Botschaft der Gegner führt hier jemand, der ein authentischer und standhafter Vertreter der Wahrheit des Evangeliums ist, wofür seine Verfolgung Zeugnis ablegt. Sich dessen Urteil gegenüber zu sperren, hieße, sich gegen die Wahrheit des Evangeliums zu stellen. (Paulus; Verf.), nicht aber uns, bekannt sind“ (Betz, Galaterbrief 457). Zu der Vermutung, daß der Verfasser sich selbst und seine Gegner im deutlichen Gegenüber stilisiert, s. u. S. 196 ff mit Anm. 38. 90 Diese Sachaussage läßt sich dem Vers jenseits seiner speziellen Gestaltung entnehmen. Zur grammatischen Konstruktion des Verses: EÜ mit Indikativ ist als Irrealis aufzufassen (vgl. den ähnlichen Fall in Gal 2,2; vgl. Mußner, Galaterbrief 358 Anm. 106; Oepke, Galater 161; Vouga, Galater 125). Die Konstruktion mit ëra und Indikativ in 5,11b ist ebenfalls im „Sinne eines Irrealis“ zu verstehen (Vouga, Galater 126; vgl. wiederum die Parallele in Gal 2,21). Zu den beiden Möglichkeiten, den ëra-Satz zu beziehen, vgl. z. B. die ausführlichen Überlegungen bei Mußner (Galaterbrief 359 f), dessen Lösung einleuchtet: „Näher liegt es . . ., ihn (den ëra-Satz; Verf.) auf den eÜ-Satz zurückzubeziehen: Wenn Paulus in der Tat die Verkündigung des Evangeliums mit der Beschneidungsforderung verbindet . . ., dann ist ,folglich` das Ärgernis des Kreuzes für immer beseitigt, und auch die Verfolgung wird aufhören: zwei ineinanderhängende Folgen, die eine als Fragesatz formuliert, die andere als Folgerungssatz“ (Mußner, Galaterbrief 360; vgl. ähnlich Vouga, Galater 125). Zum Verständnis des Hinweises auf die Verfolgung vgl. Anm. 89.

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Mit Gal 5,12 schließt der Verfasser den gegen die Gegner gerichteten Abschnitt mit einem sarkastischen Wunsch91 ab. Er überzieht Beschneidung und damit die Gegner, die sie propagieren, mit beißendem Spott und Hohn.92 Die Schärfe des Spotts „liegt möglicherweise darin, daß das åpokípteshai einerseits im Judentum den Ausschluß aus der Gemeinde Gottes bedeutete . . . und daß es andererseits im Kybelekult u. a. auch in Galatien rituell ausgeübt wurde.“93 Ob solche Anspielungen mitschwingen oder nicht: Die Beschneidung wird bereits allein dadurch zur Karikatur ihrer selbst, daß sie mit der Kastration in Verbindung gebracht wird.94 Der Vers dient dazu, Beschneidung und die sie fordernden Gegner zu diskreditieren.95 Auch wenn der Vers seinen Spott über die Beschneidung gegen die Gegner richtet, trifft er in gleicher Weise auch die Adressaten, die mit dem Gedanken spielen, sich beschneiden zu lassen. Ihr sicher ernsthaftes Anliegen wird durch die grobe „Karikatur des jüdischen Rituals der Beschneidung“96 ins Lächerliche gezogen. Zusammenfassend ist für den Abschnitt 5,7–12 festzuhalten: Thematisch wendet der Abschnitt sich direkt der aktuellen galatischen Krise bzw. den Gegnern zu. Unter pragmatischer Perspektive verfolgt der Abschnitt folgende Strategie: Während der Abschnitt 5,1–6 darauf zielte, die Adressaten für das rechte christliche Selbstverständnis zurückzugewinnen, wird dieses allgemeinchristliche Selbstverständnis, die Wahrheit des Evangeliums, nun aufgeboten, um die Adressaten zu einer entschiedenen Distanzierung von den Gegnern zu bewegen. Um dieses zu erreichen, stellt der Verfasser eine Analogie zwischen der aktuellen Adressatensituation und einer modellhaft bewältigten Situation in der Vergangenheit her, dem Apostelkonzil und dem antiochenischen Zwischenfall. Diese vergangene Situation fungiert als eine Art historischer Präzidenzfall, der den Adressaten in ihrer aktuellen Situation Orientierung und Handlungsanweisung gibt. Die Adressaten wer91 Unerheblich ist, ob der Wunsch als erfüllbar (so z. B. Dunn, Galatians 282; Mußner, Galaterbrief 363; vgl. BDR § 359 Anm. 2) oder unerfüllbar gedacht ist (so Betz, Galaterbrief 461 f; Vouga, Galater 126 im Anschluß an Krämer, Bedeutung 377 f): Der Verfasser wird kaum damit gerechnet haben, daß die Gegner tatsächlich seiner „Empfehlung“ (Becker, Galater 80) nachkommen. 92 Vgl. Betz, Galaterbrief 461 f; von Campenhausen, Witz 190 f; Schlier, Galater 240; Nikolakopolous, Ironie 205 f; Lietzmann, Galater 38 f. 93 Vouga, Galater 126 (mit entsprechenden Belegen); vgl. auch Becker, Galater 80; Betz, Galaterbrief 461; Lührmann, Galater 83; Mußner, Galaterbrief 363 f; Oepke, Galater 163 ff. 94 Vgl. Betz, Galaterbrief 462; Lietzmann, Galater 38 f. 95 Vgl. z. B. Betz, Galaterbrief 462; Longenecker, Galatians 234; Vouga, Galater 126. Die Annahme, Paulus wolle „die Gegner in ihrem Ehr- und Selbstgefühl treffen“ (so Mußner, Galaterbrief 363), leuchtet nicht ein, da die Gegner nicht die Adressaten des Briefes sind. 96 Betz, Galaterbrief 462.

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den dazu angehalten, ihren Platz auf der Seite der Wahrheit des Evangeliums einzunehmen, was sie dazu nötigt, sich den Gegnern und ihrer Beschneidungsforderung zu widersetzen. Die Beschneidung wird hier nicht nur erneut in schroffen Gegensatz zur Wahrheit des Evangeliums gesetzt, sondern zudem den Adressaten gegenüber drastisch abqualifiziert. 2.3 Gal 5,13–15 Mit Gal 5,13 beginnt ein Teiltext, der zunächst bis 5,15 reicht. Gal 5,14 und 15 sind von 5,13 abhängig und dienen seiner Erläuterung (gâr [5,14], eÜ dì [5,15]). Gal 5,16 markiert durch das vorangestellte lìgw dì einen erneuten Einschnitt. 2.3.1 Gal 5,13 Gal 5,13a richtet sich in engem Anschluß an das Vorangegangene (gâr) nachdrücklich an die Adressaten, wie das vorangestellte ¡meû™ und die direkte Anrede zeigen. Der Verfasser sagt ihnen erneut ihre Berufung zur Freiheit zu. War in Vers 5,12 von den Gegnern die Rede, so setzt 5,13a die Adressaten nun pointiert von diesen ab. Der Vers 5,12 endete bereits mit einer Gegenüberstellung von Gegnern (o¹ ¦nastatoÓnteß ¡mé™) und Adressaten (oÖ ånastatoønte™ Ím¢ß). An dieses distanzierende ¡mé™ knüpft ¡meû™ in Gal 5,13a unmittelbar wieder an97 und verfestigt die Distanz zwischen Gegnern und Adressaten durch die jetzt gemachte Sachaussage Épš Éleuherù⁄ ÉklŒhvte. Das Verb kaleûn weist zurück auf Gal 5,8 (Ék toø kaloønto™). Dort brachte der Verfasser die gegnerische „Überredung“ in einen Gegensatz zu Gott (ú kalÂn). Gal 5,13 nimmt den Gedanken der Berufung wieder auf und gibt ihm positiv die inhaltliche Füllung: Die göttliche Berufung ist eine Berufung zur Éleuherùa.98 Freiheit ist das entscheidende Stichwort aus dem vorangehenden Abschnitt (4,21–31) 5,1–12. Mit diesem Stichwort schwingt alles mit, was der Abschnitt Gal (4,21–31) 5,1–12 mit diesem Wort verbunden hat: „Christus“ (5,10. 5 f. 4. 2. 1), „Geist“ (5,5), „Glaube“ (5,6. 5), „Wahrheit“ (5,7), „skândalon des Kreuzes“ (5,11) im Gegensatz zu „Beschneidung“ (5,12. 11. 6. 3. 2) und „Gesetzesgehorsam“ (5,4. 3) als Ausdruck der Knechtschaft (5,1). Der Vers ist eine zusammenfassende Zwischenbilanz99, die den „Platz“ 97 Vgl. Burton, Galatians 291; Matera, Galatians 192; Reinmuth, Geist 56; Schlier, Galater 241. 98 „Die Präposition Épù gibt das Ziel an“ (Mußner, Galaterbrief 367); vgl. Oepke, Galater 169; Vouga, Galater 129. 99 „Die erste Vershälfte faßt . . . den Ertrag der ganzen bisherigen Erörterung zusammen“ (Oepke, Galater 168).

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der Adressaten noch einmal absichert, den der Verfasser mit 5,1–12 anweisen wollte: Ihr steht auf der Seite der Freiheit, der Wahrheit des Evangeliums und damit nicht auf der Seite der Gegner, der Beschneidung und des Gesetzesgehorsams. Eine enge Verknüpfung von Gal 5,13a mit 5,1–6. 7–12 ist nicht nur durch das ¡meû™ gegeben, sondern auch durch Éleuherùa und ÉklŒhvte. Zudem ist der Vers mit gâr angeschlossen. Es begründet rückbezüglich die in 5,7–10 „empfohlene“ richtige Haltung gegenüber den Gegnern und ihrer Botschaft: Die Distanzierung von den Gegnern und ihrer Beschneidungsforderung ist richtig, da sie, die Adressaten, auf der Seite der Freiheit stehen, die per definitionem die Beschneidung ausschließt.100 Der Versteil ähnelt in dieser Strategie Gal 5,5 f. Auch dort wurde die vorgängige Beurteilung der aktuellen galatischen Lage (5,2–4) mit dem „richtigen“ christlichen Selbstverständnis begründet, für das der Verfasser seine Adressaten erneut gewinnen will. Dieselbe Funktion hat auch der Vers Gal 5,13, obschon er zugleich den Gedankengang wesentlich voranbringt, wie sich an Gal 5,13b und c zeigen wird, er also einen deutlich vorwärts gerichteten Zug hat.101 Der Verfasser signalisiert jedoch zunächst mit dem ersten Teil von Gal 5,13 eine enge Verbindung des nun beginnenden Abschnittes mit den vorangegangenen Ausführungen. Das läßt es nicht angeraten sein, in Gal 5,13 eine tiefe Zäsur zu sehen, mit der ein „neue(r) Hauptteil“ eingeleitet wird.102 Gal 5,13a weist vielmehr darauf, das Folgende zu lesen als „Begründung der ganzen Abwehr jenes Kompromisses zwischen Gesetz und Glaube in den VV. 1–12 . . ., der den Galatern von den judenchristlichen Propagandisten zugemutet wird.“103 Wie bereits erwähnt, führt Gal 5,13a mit dem Stichwort Éleuherùa auf den Vers Gal 5,1a zurück. Vom Sinngehalt sind die Verse 5,1a und 13a fast 100 Vgl. Schlier, Galater 241; Mußner, Galaterbrief 366. 101 Dem trägt die Einschätzung von Betz Rechnung, mit Gal 5,13 beginne ein neuer Gesprächsgang, der durch das gâr angezeigt würde (vgl. Betz, Galaterbrief 464 unter Hinweis auf Bauer/Aland, s. v. gâr 4. 305). Eine doppelte Ausrichtung des Verses 5,13a, wie hier vorgeschlagen, sieht auch Schlier, Galater 241. 102 Becker, Galater 83; vgl. Dunn, Galatians 284; Lührmann, Galater 85; Mußner, Galaterbrief 364; Oepke, Galater 165; Schlier, Galater 241 (bei letzteren erstaunt, daß sie zwar die enge Verknüpfung zu 5,1–12 explizit festhalten [vgl. Oepke, Galater 169; Schlier, Galater 241], aber dennoch in 5,13–6,10 einen weiteren Hauptteil des Briefes sehen); Vouga, Galater 127. Auch diejenigen, die den Beginn eines neuen Hauptteils schon früher ansetzen (mit 4,12: vgl. Longenecker, Galatians 184; mit 5,1: vgl. Betz, Galaterbrief 433), bewerten 5,13 als deutliche Zäsur, mit der ein gegenüber 5,(1)7–12 weitgehend unabhängiger Abschnitt beginnt: vgl. Longenecker, Galatians 235; Betz, Galaterbrief 435. 463. 103 Schlier, Galater 241; vgl. Becker, Galater 85; Mußner, Galaterbrief 366; Vouga, Galater 128. Die enge Anknüpfung des Verses an den vorderen Kontext wird von allen festgehalten, hat jedoch keine Konsequenzen für ihre Textabgrenzung.

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identisch.104 Sie gleichen sich jedoch nicht nur in ihrem ersten Teil, sondern weisen im ganzen dieselbe Struktur auf. Gal 5,1 und 5,13 machen in ihrem ersten Teil eine Aussage über die Vergangenheit, dann folgen zwei Imperative. In 5,1 findet sich zunächst ein Imperativ, der positiv zu etwas auffordert (5,1b), und dann ein Imperativ, der etwas ausschließen will (5,1c). In 5,13 steht in chiastischer Umkehrung zunächst der Imperativ, der etwas ausschließen will (5,13b)105, und dann der Imperativ, der positiv zu etwas auffordert (5,13c). Der Vers 5,13 ist eine Neuformulierung des Verses 5,1. Dabei nimmt der Vers in seinem ersten Teil unverändert den Sachgehalt von 5,1a auf. In Gal 5,13b lautet der Imperativ von Gal 5,1c ungewohnt neu: An die Stelle des dortigen mÀ pâlin zugã douleùa™ Énìceshe tritt nun mínon mÀ tÀn106 Éleuherùan eÜ™ åformÀn tá sarkù. Im Abschnitt 5,2–4 hat der Verfasser klar gemacht, was er sachlich mit dem Joch der Knechtschaft im Blick auf die konkrete Situation der Adressaten meint: Gesetzesgehorsam und Beschneidung. Dieses Thema verläßt auch der Abschnitt 5,7–12 nicht. Er endet mit einer expliziten Bezugnahme auf das Thema „Beschneidung“ (5,11 f). Der Appell von 5,13b, der erneut vor dem Joch der Knechtschaft warnt, zielt also sachlich auf den Gedanken: „Sich mit dem Joch der Knechtschaft belasten zu lassen“, sich beschneiden zu lassen und im Gesetz gerecht werden zu wollen, ist nichts anderes als „der sârx Gelegenheit zu geben“. Mit dieser Neuformulierung bringt der Verfasser Beschneidung und Gesetzesgehorsam als Konkretionen von Knechtschaft mit der Kategorie sârx in Verbindung. Im unmittelbaren Anschluß an Gal 5,11 und 12 läßt

104 Vgl. Becker, Galater 85; Betz, Galaterbrief 463 f; Longenecker, Galatians 238; Lührmann, Galater 86; Matera, Galatians 196; Vouga, Galater 128 f. Kremendahl vertritt die Auffassung, „die Bezüge zwischen dem ersten Vers der Paränese (5,13) und dem letzten der argumentatio (5,1)“ seien „nicht ganz so eng, wie bisweilen behauptet wird“ (Botschaft 250; zu den Details s. Kremendahl, Botschaft 250 f). Dennoch kommt er zu dem Schluß: „Trotzdem bleibt die Substanz der Aussage erhalten; 5,13a zitiert gleichsam 5,1a“ (Kremendahl, Botschaft 251). – Das Verb ÉklŒhvte in 5,13a ergibt sich aufgrund von Ék toø kaloønto™ aus 5,8. 105 Auch ohne imperativische Verbform funktioniert der Teilvers als Imperativ. Ergänzt werden könnte ôcete (so BDR § 481 Anm. 1; vgl. Bauer/Aland, s. v. åformŒ, 255 f) oder eine Form von eRnai (vgl. BDR § 191 mit Anm. 4). Möglich ist es aber auch, ihn gar nicht als Ellipse aufzufassen, sondern hier „das abwehrende mŒ ohne Verb“ zu sehen (Schlier, Galater 242; vgl. Oepke, Galater 169; Betz, Galaterbrief 464 mit Anm. 8). 106 Der Artikel ist demonstrativ zu verstehen im Sinne eines pointierten Rückverweises auf 5,13a: „The article before Éleuherùan is demonstrative, referring to Éleuherùa of the preceding clause, and through it to that of 51 and the implication of the whole context“ (Burton, Galatians 292; vgl. Betz, Galaterbrief 464; Vouga, Galater 129). Der Teilvers ist also zu verstehen im Sinne von: „diese Freiheit, nämlich die, zu der ihr berufen worden seid“.

2. Textanalysen

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„Fleisch“ an Beschneidung denken, besteht doch eine Assoziationsbrücke von „Fleisch“ zu „Beschneidung am Fleisch“, nämlich zu „Vorhaut“.107 Der Vers liest sich so als Appell in unmittelbarer Bezogenheit auf das in Galatien anstehende Thema „Beschneidung und Gesetzesgehorsam“: „Nur nicht die Freiheit zur Gelegenheit für das Fleisch (indem ihr euch jetzt beschneiden laßt)!“108 Es liegt jedoch auf der Hand, daß mit der Assoziation „Beschneidung“ die Bedeutungsspanne des zentralen Stichwortes sârx nicht vollständig erfaßt ist. Sârx deutet auf weitaus mehr als auf Beschneidung(sfleisch). Das wird schon daran deutlich, daß sârx hier als personifizierte Größe im Gegenüber zur Freiheit vorgestellt wird, die handlungsfähig ist: Diese Größe kann ihre Gelegenheit ergreifen und die Freiheit für ihre Zwecke instrumentalisieren.109 Der Bedeutung von sârx in Gal 5,13 soll nun näher nachgegangen werden. Von dem Verständnis dieses Wortes hängt nicht unwesentlich ab, wie man die Gesamtstoßrichtung des umstrittenen Schlußpassus Gal 5,13–6,10 auffaßt. Das Stichwort sârx ist in der Forschung für viele ein Indiz dafür, daß der Apostel sich mit Gal 5,13 ethischen Fragen zuwendet.110 Das Wort taucht mit Vers 5,13 nicht zum ersten Mal im Galaterbrief auf. Im Sinne einer textpragmatischen Analyse ist es daher sinnvoll, die Stellen, an denen im vorderen Kontext bereits von sârx die Rede war, 107 Zu dieser Assoziation, die sich für jüdisches Bewußtsein mit sârx verbinden kann, vgl. Barclay, Truth 203 f (Barclay ist jedoch der Auffassung, Paulus bediene sich ihrer erst in Gal 6,12–13); Schweizer, ThWNT VII 108: In der Septuaginta wird „im Zshg. mit der Beschneidung gern von der sârx der Vorhaut gesprochen“ (vgl. Baumgärtel, ThWNT VII 106). – Aber auch für heidnische Ohren ist diese Assoziation ohne weiteres verständlich: Es dürfte keine große Kunst sein, bei der Kombination „Beschneidung“ und „Fleisch“, das einen „,Teil` am Leibe des Menschen“ bezeichnet (Sand, Fleisch 238; vgl. Schweizer, ThWNT VII 99–103), an die Vorhaut zu denken. 108 Wobei „sich beschneiden lassen“ Gesetzesgehorsam mit einschließt. Beschneidung bzw. Gesetzesgehorsam stehen jeweils pars pro toto für die jüdische Lebensweise. In Gal 5 bringt der Verfasser den galatischen Wunsch, jüdisch zu leben, verstärkt unter dem Stichwort „Beschneidung“ zur Sprache, wohingegen er ihn in den vorangegangenen Kapiteln unter dem Gesichtspunkt des Gesetzesgehorsams behandelt hat (zur erstmaligen Erwähnung der Beschneidung im Blick auf die aktuelle Adressatensituation s. o. zu Gal 5,2). Der Wechsel zum Stichwort „Beschneidung“ könnte seinen Grund darin haben, daß wegen der erwähnten Assoziationsbrücke die Verknüpfung von jüdischer Lebensweise mit der Kategorie sârx über „Beschneidung“ leichter zu vollziehen ist als über „Gesetzesgehorsam“. 109 Das Wort åformŒ kann den „Ausgangspunkt“, den „Ansatzpunkt“ bezeichnen (vgl. Bertram, ThWNT V 427 f), in militärischen Zusammenhängen den „Stützpunkt“, die „Operationsbasis“ (vgl. Betz, Galaterbrief 465; Vouga, Galater 129). Bei der Übersetzung mit „Gelegenheit“ schwingt also mit: „Gelegenheit, sich zu betätigen“ (vgl. Bauer/Aland, s. v. åformŒ 256). 110 S. dazu ausführlicher u. S. 96 ff.

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II. Eine textpragmatische Analyse von Gal 5 und 6

daraufhin zu befragen, welcher Bedeutungsgehalt des Wortes den Adressaten bereits nahegelegt worden ist.111

Exkurs: Zur Verwendung von sârx in Gal 1,1–5,12 Die erste Stelle, an der sich das Stichwort sârx findet, ist Gal 1,16 in der Wendung sârx kaÿ aQma. Sie steht synonym für ënhrwpo™.112 Diese Bedeutung ergibt sich aufgrund des Kontextes, in der die Wendung steht. Der Abschnitt 1,10 ff113 stellt die Unabhängigkeit des Verfassers und seines Evangeliums gegenüber menschlichen Instanzen heraus: Sein Evangelium ist weder katä ënhrwpon (1,11) noch parä ånhrÈpou (1,12), sondern diš åpokal‹yew™ šIvsoø Cristoø (1,12), also göttlichen Ursprungs. Gal 1,15 f führt diesen Grundgedanken weiter in einer Schilderung seiner Berufung.114 Diese erfolgte direkt durch Gott (1,15) in einer Offenbarung seines Sohnes (1,16a). Gal 1,16 knüpft mit dem Stichwort åpokal‹yai an 1,12 (diš åpokal‹yew™ šIvsoø Cristoø) an. Mit Gal 1,17 kommt der Verfasser auf die Unternehmungen zu sprechen, die im Anschluß an seine Berufung erfolgten. Eingeleitet wird diese Schilderung in Gal 1,16c. 17a mit der Bemerkung, diese Unternehmungen völlig unabhängig von menschlicher Beratschlagung durchgeführt zu haben. Hier findet sich also erneut der 111 Mir kommt es also im folgenden nicht darauf an, Bedeutungen von sârx im allgemeinen antiken Sprachgebrauch oder speziell bei Paulus zusammenzustellen. Dies ist bereits hinlänglich geschehen (s. dazu z. B. den Art. sârx ktl. von Schweizer, Baumgärtel, Meyer im ThWNT VII 98 ff; Bultmann, Theologie §22 oder auch das sehr informative 6. Kapitel bei Barclay, Truth 178 ff). Es geht vielmehr nur um die Frage, welche Bedeutungen sich im konkreten, an die Adressaten gerichteten Schreiben ergeben – anders formuliert, welche inhaltliche Füllung der Terminus im Ablauf des Briefes erhält. Bei der folgenden Analyse werde ich mich ausschließlich auf diese Frage konzentrieren und alles ausblenden, was nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit ihr steht. Die Ausführungen bieten also keine umfassende Auslegung der hier relevanten Textabschnitte. 112 Vgl. Barclay, Truth 204; Becker, Galater 30; Betz, Galaterbrief 146; Schweizer, ThWNT VII 128 (vgl. auch Behm, ThWNT I 172); Bultmann, Theologie 234; Mußner, Galaterbrief 89. 113 Zum Beginn eines neuen Abschnittes mit 1,10 vgl. Becker, Galater 25 ff; Mußner, Galaterbrief 62 ff; Vouga, Galater 25 ff. Anders grenzt Dunn (Galatians 38. 51) ab und läßt den neuen Abschnitt mit 1,11 beginnen. Für die Frage nach dem Zielgedanken des Abschnittes, in dem 1,16 steht, macht diese Differenz in der Textabgrenzung keinen Unterschied. Der Vorschlag von Betz, 1,12 eröffne einen neuen Abschnitt (vgl. Betz, Galaterbrief 57 f), leuchtet angesichts der engen Bezogenheit der Verse aufeinander nicht ein. Gal 1,12 begründet die in Gal 1,11 gemachte Behauptung und nimmt mit parä ånhrÈpou katä ënhrwpon wieder auf (vgl. Vouga, Galater 27). Mit 1,12 beginnt also kein neuer Gedanke. – Für die Fragestellung nach der Bedeutung von sârx in Gal 1,16 kann offenbleiben, wie weit der Teiltext reicht. 114 Vgl. Betz, Galaterbrief 146: In 1,16 „steht das gleiche Anliegen wie in 1,1. 11. 12 dahinter.“

2. Textanalysen

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Grundgedanke von 1,11 f: Der Verfasser steht und handelt in direkter Abhängigkeit von Gott und in vollkommener Unabhängigkeit von menschlichen Instanzen.115 Särx kaÿ aQma in 1,16 entspricht als Gegenpart zur göttlichen Offenbarung den Wendungen katä ënhrwpon bzw. parä ånhrÈpou in 1,11 f. Im Kontext des Abschnittes Gal 1,10 ff stehen katä ënhrwpon, parä ånhrÈpou, särx kaÿ aQma jeweils in Opposition zu Gott und seiner Offenbarung. Durch dieses Gegenüber erhält die eigentlich neutrale Wendung ënhrwpo™ und ihr Synonym särx kaÿ aQma die Wertung „nur menschlich (im Gegenüber zu Gott)“.116 Der zweite Beleg für sârx findet sich in der Rede des Paulus an Petrus in Gal 2,14b–21117. Dort heißt es in Vers 2,16c: Ñti Éx ôrgwn nímou o« dikaiwhŒsetai pésa sârx. Auch hier wird (pésa) sârx synonym zu ënhrwpo™ gebraucht.118 Der Teilvers 16c leitet den Gedanken zurück zu dem in 16a formulierten Grundsatz: (eÜdíte™ Ñti) o« dikaioøtai ënhrwpo™ Éx ôrgwn nímou Éän mÀ diä pùstew™ šIvsoø Cristoø. Der Vers 16c ist „eine unterstreichende Wiederholung dessen, was im Basissatz des V 16a schon gesagt wurde“.119 Zugespitzt wird die Aussage von 2,16a dabei auf den Modus, in dem es keine Gerechtsprechung gibt. Pésa sârx in 2,16c ersetzt syntaktisch ënhrwpo™ von 2,16a. Im Gegensatz zu Vers 1,16 bezeichnet sârx hier ohne irgendeine Wertung, also neutral, den Menschen. Noch im selben Abschnitt verwendet der Verfasser den Ausdruck (zœn) Én sarkù (Gal 2,20). Gemeint ist neutral das Leben als Mensch.120 Gal 2,20 ist im Zusammenhang mit Vers 19 zu sehen: „Der Terminus zœn in V 19 gab dem Apostel ein entscheidendes Stichwort, das vier Sätze mit demselben Term aus sich entläßt“.121 Der Vers 2,19a erklärt die Entbindung des 115 Der Vers 1,17a ist 1,16c syntaktisch gleichgeordnet und nennt eine Spezifikation der allgemeinen Aussage von 1,16c: Niemand wurde hinzugezogen, auch nicht die Apostel. Formal gesprochen: Särx kaÿ aQma bezeichnet die umfassende Gattung „Mensch“, die Apostel eine Gruppe spezieller „Gattungsexemplare“. 116 Vgl. Vouga, Galater 34. 117 Zur Textabgrenzung vgl. z. B. Vouga, Galater 55 ff. Der alternative Vorschlag, den Abschnitt mit 2,15 beginnen zu lassen (vgl. Betz, Galaterbrief 60; Mußner, Galaterbrief 167) macht inhaltlich Sinn, da die nun folgende grundsätzliche theologische Erörterung, die als Anrede an Petrus gestaltet ist, sich „in Wirklichkeit bereits an die Adressaten des Briefes, die ja das Thema dieser Darlegung persönlich angeht“, wendet (Mußner, Galaterbrief 145 f). Formal reißt diese Textabgrenzung jedoch die Rede des Paulus auseinander, die eindeutig mit 2,14b als direkte Ansprache einsetzt; vgl. zu dem Abschnitt auch u. S. 186 f mit Anm. 5. 118 Vgl. Barclay, Truth 206; Vouga, Galater 59; Betz, Galaterbrief 222; Schlier, Galater 57 f. Zur allgemeinen Verwendung des Ausdrucks pésa sârx vgl. Bultmann, Theologie 232 ff. 119 Mußner, Galaterbrief 175. 120 Vgl. Schlier, Galater 102; Oepke, Galater 96. Zur allgemeinen Verwendung vgl. Bultmann, Theologie 236 f. 121 Mußner, Galaterbrief 182; vgl. Vouga, Galater 61.

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II. Eine textpragmatische Analyse von Gal 5 und 6

paradigmatischen Ich122 vom Gesetz, der Vers 2,19b nennt die Zielbestimmung dieses „Sterbens“: ¢na heã zŒsw. 2,19c knüpft an den Gedanken des Sterbens an und stellt ihn in einen Zusammenhang mit dem Christusgeschehen: „(Z)uungunsten des Gesetzes“123 stirbt man, indem man am Kreuzesgeschick Christi partizipiert.124 Gal 2,20 führt den Gedanken des Lebens aus, das durch das Mitgekreuzigtsein mit Christus125 gewonnen ist. Vers 2,20a hat in seinen beiden Teilgedanken einen korrigierenden Sinn: „Richtiggestellt wird . . . die im vorausgehenden zŒsw sich aussprechende 1. Person“126: Subjekt der neuen christlichen Existenz ist nicht mehr das menschliche Ich (z dÄ o«kìti ÉgÈ), sondern Christus (zá dÄ Én Émoÿ Cristí™). Die Existenz ist nun ausschließlich von Christus bestimmt.127 Gal 2,20b führt aus, wie sich dieser Subjektwechsel im menschlichen Leben manifestiert: in der „Glaubensexistenz“.128 Das Én sarkù in 2,20b zeigt an, daß der Gedankengang sich dieser „irdisch-menschlichen“ Seite der neuen Existenz zuwendet. Vers 2,20a endete mit der Feststellung des Subjektwechsels im „Ich“. Gal 2,20b nimmt mit der 1. Person Singular (zÂ) wieder den Standpunkt des menschlichen „Ich“ ein, genauer des von Christus gelebten „Ich“ der neuen Existenz129, und formuliert die Konsequenz des Subjektwechsels für das irdisch-menschliche Leben. Das Én sarkù läßt sich also zutreffend mit „als Mensch“ übersetzen.130 Die nächste Verwendung von sârx findet sich Gal 3,3. Der Vers gehört in den Abschnitt Gal 3,1–5131, der seit Gal 1,6–9 zum ersten Mal die Adressaten und ihre derzeitige Situation explizit zum Thema macht.132 Bislang 122 Vgl. Betz, Galaterbrief 228; Vouga, Galater 60 f sowie Vougas Exkurs zum apostolischen Ich Galater 38–40; s. zu der Frage auch Mußner, Galaterbrief 179. 123 Mußner, Galaterbrief 182. 124 Vgl. Schlier, Galater 99. 125 Das Mitgekreuzigtsein ist bleibende Signatur dessen, der nun für Gott lebt. Das macht die Verwendung des Perfekts (sunesta‹rwmai) deutlich; vgl. auch Mußner, Galaterbrief 181; Weder, Kreuz 179 f. 126 Mußner, Galaterbrief 182. 127 Zu den unterschiedlichen Auffassungen darüber, ob hier das menschliche „Ich“ für tot erklärt wird oder nicht, vgl. z. B. Betz, Galaterbrief 230 ff; Vouga, Galater 61. 128 Zu den Sachfragen, die sich mit dieser Aussage ergeben, vgl. Betz, Galaterbrief 232; Mußner, Galaterbrief 182 f; Schlier, Galater 102; Vouga, Galater 61 f; Weder, Kreuz 175–182. 129 Das nøn „bezeichnet wie o«kìti V. 20a die Gegenwart in bezug auf den Augenblick der Veränderung V. 16“ (Vouga, Galater 62); vgl. Betz, Galaterbrief 232 Anm. 93. 130 Die Annahme, der Vers sei möglicherweise in polemischer Absicht gegen Enthusiasten geschrieben (so Betz, Galaterbrief 232 f), entbehrt eines eindeutigen Anhalts am Text. 131 Gal 3,1 ist gegenüber 2,21 deutlich durch die direkte Anrede der Adressaten abgesetzt. Mit 3,6 beginnt gegenüber 3,1–5 ein neuer Abschnitt: 3,6 verläßt die direkte Ansprache der Adressaten und beginnt mit der Schriftauslegung die Beantwortung der in 3,5 bzw. 3,2 gestellten Frage; vgl. Mußner, Galaterbrief 211. S. zu diesem Abschnitt auch u. S. 186 ff. 132 Vgl. Vouga, Galater 66.

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fand sârx Verwendung im Sinne von „(nur) menschlich“ bzw. als Synonym für „Mensch“. Mit 3,3 gewinnt der Ausdruck neue Bedeutungselemente. Zum einen wird sârx hier zum ersten Mal als Gegenbegriff zu pneøma gebraucht. Zum anderen erscheint sârx als personifizierte Größe. Schließlich wird die Wendung Éx ôrgwn nímou mit sârx in Verbindung gebracht, womit sârx einen neuen Bedeutungsinhalt gewinnt. Der Abschnitt 3,1–5 ist bestimmt von der rhetorischen Frage Gal 3,2, die Gal 3,5 in fast identischer Formulierung wiederholt. Der Verfasser fragt nach der Herkunft des pneøma mit den einander ausschließenden Alternativen133 Éx ôrgwn nímou oder Éx åkoœ™ pùstew™. Daß die Frage letztlich rhetorisch ist, auch wenn ihr der Apostel in 3,6 ff ernsthaft nachgeht134, ist aufgrund des vorangegangenen Kontextes deutlich. Der Abschnitt Gal 2,14b–21 hat bereits eine Antithese zwischen „Gesetzeswerken“ und „Glaube“ aufgebaut: Die dikaios‹nv, die der göttlichen Gnade entspricht, wird diâ bzw. Ék pùstew™ šIvsoø Cristoø erlangt und nicht Éx ôrgwn nímou (2,16). Pùsti™ ist bei dieser Gegenüberstellung sachlich mit Christus verbunden, mit der dikaios‹nv, Gott (2,19), dem Christusereignis (2,20), der göttlichen Gnade (2,21), wozu die ôrga nímou in unversöhnlichem Gegensatz stehen (2,16. 21). Von daher ist in Gal 3,2 klar, daß das göttliche pneøma keinesfalls Éx ôrgwn nímou stammen kann. Diejenigen, denen Christus als der Gekreuzigte vor Augen gemalt worden ist (3,1), können das pneøma nur Éx åkoœ™ pùstew™ empfangen haben.135 Pneøma und Éx ôrgwn nímou sind miteinander unvereinbar. Der Vers Gal 3,3 nennt einen Gegensatz zu pneøma: die sârx. Pneøma und sârx werden als personifizierte, die Adressaten bestimmende Größen vorgestellt.136 Sie stehen einander antithetisch gegenüber, was durch das Gegenüber von Vergangenheit und Gegenwart (Énarxâmenoi – nøn) sowie von Anfang und Vollendung (Énarxâmenoi – Épiteleûshe) unterstützt wird.137 Pneøma als Inbegriff der göttlichen Sphäre ist dabei die Positiv133 „Das ¶ ist hier als ausschließendes zu verstehen“ (Schlier, Galater 121). 134 Gal 3,5 führt zur Ausgangsfrage von 3,2 zurück, die in einem Argumentationsgang von 3,6–4,6(7) beantwortet wird; vgl. zum Rückbezug von 4,6 auf 3,2. 5 z. B. Mußner, Galaterbrief 276; Vouga, Galater 102; s. auch u. S. 187 f mit Anm. 11 und S. 193. 135 In Christus „sind sie ja dem Gesetz gestorben 2.19. 21 . . . vgl. sunesta‹rwmai v. 19“ (Lietzmann, Galater 17); vgl. auch Mußner, Galaterbrief 211. 136 Der Dativ kann instrumental („durch“ den Geist bzw. das Fleisch; vgl. BDR § 195) bzw. im Sinne einer Sphärenangabe („im“ Geist bzw. Fleisch; vgl. Kühner/Gerth II/1 § 426) aufgefaßt werden; vgl. Bauer/Aland, s. v. pneøma 5.d.b. 1359; Betz, Galaterbrief 244 f mit Anm. 56; Schlier, Galater 123; Lietzmann (Galater 18), der die Dative rein instrumental auffaßt. Beide Bedeutungselemente bringt m. E. die Formulierung von Mußner zutreffend zusammen: „(M)it den beiden Dativen sind verschiedene Bestimmungsweisen der . . . Existenz gekennzeichnet“ (Mußner, Galaterbrief 209; Mußner versteht den Dativ als Dativus qualitatis unter Verweis auf Mayser, Grammatik II/2 § 96). 137 Vgl. Betz, Galaterbrief 244 mit Anm. 51; Schlier, Galater 123 f.

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II. Eine textpragmatische Analyse von Gal 5 und 6

größe, sârx die Negativgröße. Inhaltlich ist sârx durch den vorangegangenen Kontext mit der Bedeutung „menschlich“ verbunden (vgl. 1,16; 2,16; 2,20). Noch deutlicher als in 2,16 erhält hier jedoch „menschlich“ eindeutig negativen Sinn: Sârx meint in Gal 3,3 „what is merely human, in contrast to the divine activity displayed on the cross and in the gift of the Spirit.“138 Sârx erhält in 3,3 darüber hinaus noch eine neue inhaltliche Füllung. Gal 3,2 fragte nach der Herkunft des pneøma mit der Alternative Éx ôrgwn nímou oder Éx åkoœ™ pùstew™. Unausgesprochen erfolgte dabei eine Zuordnung des Glaubens zum pneøma. Ebenfalls unausgesprochen vollzieht sich damit in Gal 3,3 eine Zuordnung der Alternative Éx ôrgwn nímou zur sârx.139 Dabei werden Éx åkoœ™ pùstew™ und pneøma bzw. Éx ôrgwn nímou und sârx nicht gleichgesetzt, sondern pneøma und sârx sind übergeordnete Größen, denen die jeweiligen Alternativen zugeordnet sind.140 Mit dieser Zuweisung klassifiziert der Verfasser die Werke des Gesetzes „als menschlich“ im Gegenüber zum Göttlichen. Anders formuliert: Die Kategorie sârx als Bezeichnung des „Nur-Menschlichen“ beinhaltet als ein Bedeutungsmerkmal „Werke des Gesetzes“.141 In Gal 4,13 und 14 verwendet der Verfasser das nächste Mal den Terminus sârx, einmal in der Wendung diš åshìneian tœ™ sarkí™ (4,13), zum anderen in der Formulierung ú peirasmó™ ¡mÂn Én tá sarkù mou (4,14). Bezogen sind beide Aussagen auf den Verfasser und sein Auftreten bei den Adressaten.142 In 4,13 f zeichnet der Verfasser ein Bild seiner selbst, das seine Schwachheit in den Vordergrund stellt. Der Verkündiger des göttlichen Evangeliums zeichnet sich durch menschliche Schwachheit143 aus (4,13): diš144 åshìneian tœ™ sarkí™ e«vgge-

138 Barclay, Truth 206. 139 Vgl. Barclay, Truth 85 f. 179; Russell, Conflict 123 f. 140 Bei einer Gleichsetzung gäbe die Frage von 3,2 keinen Sinn. Vgl. Mußner, Galaterbrief 209 zu Lietzmanns Gleichsetzung von pne‹mati und pùstei sowie sarkù und ním (Lietzmann, Galater 18); vgl. Burton, Galatians 148 f; Vouga, Galater 68 (s. aber dagegen Galater 132, wo Vouga auch vom „Äquivalent“ spricht, das „der Gegensatz pneøma/sârx . . . in der Gegenüberstellung Éx åkoœ™ pùstew™/Éx ôrgwn nímou erhält“; vgl. auch Galater 129). 141 Vgl. Vouga, Galater 68. 142 Zum tó príteron vgl. z. B. Betz, Galaterbrief 398 mit Anm. 48; Mußner, Galaterbrief 306 f; Schlier, Galater 209 f; Suhl, Paulus 136 ff. 143 Es ist nicht zwingend anzunehmen, der Apostel beziehe sich in 4,13 f auf eine physische Krankheit (so Becker, Galater 68; Betz, Galaterbrief 388 mit Anm. 49; Burton, Galatians 238; Jervell, Charismatiker 191 f; Longenecker, Christ 96. 101 f; Lührmann, Galater 74; Mußner, Galaterbrief 307; Oepke, Galater 142; Schlier, Galater 210; Suhl, Paulus 114; Suhl, Geist 272; vgl., wenn auch vorsichtiger als die anderen, Güttgemanns, Apostel 175). šAshìneia kann neben Krankheit (vgl. Bauer/Aland, s. v. åshìneia 1.a. 230) allgemein jede Art von Schwäche bezeichnen (vgl. Bauer/Aland, s. v. åshìneia 1.b.c. 230 f; Stählin, ThWNT I 489 f; vgl. auch den begriffsgeschichtlichen Überblick bei Krug, Kraft 51–69). Vouga

2. Textanalysen

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lisâmvn. So wie in Gal 1,16 werden auch hier Gott bzw. Göttliches (das e«aggìlion145) und Mensch gegenübergestellt. In Gal 4,13 sind die beiden Bereiche jedoch positiv aufeinander bezogen: Gerade in seiner menschlichen Schwachheit repräsentiert der Verfasser das göttliche Evangelium.

wendet gegen das Verständnis von åshìneia als Krankheit ein, åshìneia im Singular habe „bei Paulus immer die Bedeutung der menschlichen Schwachheit (Röm 6,19 diä tÀn åshìneian tœ™ sarkó™ ¡mÂn!; 8,26; 1 Kor 2,3; 15,43; 2 Kor 11,30; 12,9; 13,4 . . .), derer sich der Apostel des Gekreuzigten rühmen darf“ (Vouga, Galater 108). Die Verwendungen des Wortes in anderen Briefen können zwar keinen Aufschluß darüber geben, welchen Sinn die Adressaten des Galaterbriefes ihrer Textstelle entnehmen sollen, dennoch zeigen die parallelen Stellen, speziell Röm 6,19, daß åshìneia tœ™ sarkí™ durchaus den hier vorgeschlagenen unspezifischen Sinn haben kann. Entscheidend aber ist, daß der Kontext von Gal 4,13 f keinen unmittelbaren Anhalt gibt für eine spezielle Auffassung im Sinne körperlicher Erkrankung (vgl. z. B. Lk 5,15, wo åshìneia durch das Verb herape‹ein eindeutigen Sinn erhält). Einige Ausleger wollen diesen Anhalt Gal 4,15 entnehmen (vgl. Becker, Galater 69; Mußner, Galaterbrief 309; Schlier, Galater 211): Der Vers weise auf (hysterische? epileptische?) Sehstörungen des Apostels hin (zu Anamnese und Befund des Patienten vgl. bes. Becker, Galater 69; Borse, Galater 153 ff sowie die bei Betz, Galaterbrief 395 Anm. 87 angegebene Literatur zur abenteuerlichen Krankengeschichte des Paulus). Daß die Hyperbel (vgl. BDR § 4955) „selbstverständlich bildlich gemeint“ ist (Vouga, Galater 109) liegt auf der Hand (vgl. dazu vor allem Betz [Galaterbrief 393 ff], der den Vers im Rahmen eines literarischen Freundschaftstopos auslegt; vgl. auch Burton, Galatians 244; Oepke, Galater 142 f). Das Auge galt in der Antike als das Kostbarste, was ein Mensch hatte (vgl. die Belege z. B. bei Schlier, Galater 211 Anm. 5). Als Schlüssel zur Erkrankung des Paulus eignet sich der Vers nicht. 144 Umstritten ist, wie die Konstruktion diâ mit Akkusativ aufzufassen ist: als Angabe des Grundes, der Ursache (vgl. BDR § 222.2) oder des begleitenden Umstandes (vgl. Oepke, Galater 142; Vouga, Galater 108; Becker, Galater 68; Güttgemanns, Apostel 175). Ersteres Verständnis wird meist von den Vertretern der Krankheitsthese angenommen (vgl. Anm. 143; eine Ausnahme bildet Becker, Galater 68): Ihrer Auffassung nach benennt die diâ-Wendung die Krankheit des Apostels als den „eigentliche(n) Anlaß zur Missionsarbeit unter den Galatern“ (Mußner, Galaterbrief 307; vgl. Suhl, Paulus 114; Suhl, Geist 272; abgesehen von der grammatischen Frage gibt Oepke dazu zu Recht zu bedenken: „Inwiefern Krankheit den Grund zur Predigt bei den Galatern abgegeben haben sollte, ist schwer einzusehen“ [Galater 142]). Letzteres Verständnis wird in der Regel von den Auslegern vertreten, die sich gegen eine Krankheitsthese entscheiden, läßt sich jedoch grammatisch schwer belegen. Die Auffassung, Gal 4,13 bezöge sich nicht auf Krankheit, sondern auf Schwachheit als theologisch relevantes Signum des Evangeliumsverkündigers, läßt sich jedoch auch halten, wenn man diâ mit Akkusativ nicht als begleitenden Umstand auffaßt, sondern durchaus kausal, nämlich zur Angabe der Vermittlung (vgl. Kühner/Gerth, Grammatik § 434.II.2b): Paulus verkündigte das Evangelium „durch“ Schwachheit, „vermittels“ Schwachheit. Dies ließe sich auf der Linie Güttgemanns’ verstehen, der die Schwachheit des Apostels als Epiphanie des Gekreuzigten deutet (vgl. Güttgemanns, Apostel 185; s. u. S. 92 Anm. 147): Der Schwachheit des Apostels eignet selbst Mitteilungskraft; schon die Schwachheit des Verkündigers kündet vom Gekreuzigten. 145 Vgl. vor allem Gal 1,11 f.

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II. Eine textpragmatische Analyse von Gal 5 und 6

Diesen paradoxen Zusammenhang interpretierten die Adressaten zunächst richtig (4,14): Sie nahmen an seiner Erscheinung keinen Anstoß146, sondern erkannten in diesem durch Schwachheit Gekennzeichneten einen Engel Gottes, der der Botschaft von Jesus Christus, dem Gekreuzigten, entsprach: „In der Schwachheit des Apostels haben die Galater die Gegenwart des Gekreuzigten anerkannt.“147 Sârx bezeichnet hier also wieder neutral die menschliche Konstitution. Ein letztes Mal vor Gal 5,13 findet sich das Stichwort sârx in der sogenannten Sara-Hagar-Allegorie Gal 4,21–31148 in den Versen Gal 4,23 und 29. Der gesamte Abschnitt ist strukturiert durch Gegenüberstellungen.149 Gal 4,22 verweist auf die beiden Söhne Abrahams, der eine Ék tœ™ paidùskv™, der andere Ék tœ™ Éleuhìra™. Gal 4,23 qualifiziert die Geburt dieser beiden Söhne: Der Ék tœ™ paidùskv™ wurde katä sârka geboren, der Ék tœ™ Éleuhìra™ diš Épaggelùa™. Während die Verse 4,24–27 die Mütter 146 „Der Skandal, der den Galatern als Versuchung gegeben war . . ., bestand in der paradoxen Erscheinung des Predigers in der Form der Schwachheit“ (Vouga, Galater 108). Das Verb Ékpt‹ein ist parallel zu Éxouheneûn im übertragenen Sinne zu verstehen; vgl. Vouga, Galater 109; Mußner, Galaterbrief 308: „Ékpt‹ein heißt ,ausspucken als Zeichen widerwilliger Ablehnung . . . oder zur Abwehr böser Geister` (W. Bauer); dann hätte das Ausspucken vor dem Apostel den apotropäischen Sinn gehabt, den Krankheitsdämon, der in seinem Körper haust, abzuwehren. Es gibt freilich auch den übertragenen Sinn von Ékpt‹ein, so bei Plutarch, Mor. 328 . . .; es könnte auch gemeint sein, daß die Galater vor dem Evangelium, das ihnen Paulus verkündigt hat, nicht ,ausgespuckt`, d. h. dasselbe nicht zurückgewiesen haben.“ 147 Vouga, Galater 109 (vgl. auch 39 f); Mußner, Galaterbrief 308. Entscheidend ist die theologische Bedeutung der Schwachheit des Verkündigers des Evangeliums; vgl. Güttgemanns, Apostel 185: Paulus versteht „seine åshìneia als Epiphanie des Éstaurwmìno™“ (vgl. zur kritischen Auseinandersetzung mit Güttgemanns bei von Lips [Leiden 117–128, bes. 125], der auf weitere Literatur verweist); vgl. Garrett, Thorn 98 (zu 2 Kor 10–13): „By portraying himself as someone who is lowly and weak, Paul shows that he participates in Christ’s cross“ (vgl. grundsätzlich zur Verwendung von „cultural models“ zur Erfassung von Leiderfahrungen Garrett, Thorn 82 ff). – Der Funktion dieser Selbstdarstellung des Verfassers kann im Rahmen dieses Exkurses nicht weiter nachgegangen werden. Vgl. eine mögliche Antwort bei Betz, Galaterbrief 387 ff; Güttgemanns, Apostel 170–194. Eine Funktion der Selbstdarstellung könnte sich vielleicht am Ende des Briefes ergeben: In Gal 6,12 f zeichnet der Verfasser im Rückgriff auf Gal 4,13 f ein Bild der „starken“ Gegner, das in deutlichem Kontrast zum Bild des „schwachen“ Verkündigers des wahren Evangeliums steht (vgl. u. S. 196 ff mit Anm. 38). 148 Zu der Frage, ob hier eine Allegorie oder Typologie vorliegt, vgl. die Überlegungen bei Julius, Schrifttypologien 291–296; Koch, Schrift 204–211(bes. 209–211); Mußner, Galaterbrief 319 ff. Zu den Versen selbst vgl. z. B. Bachmann, Frau 126–158; Bouwman, Hagar-Sara-Perikope 3135–3155; Julius, Schrifttypologien 275–302; Koch, Schrift 204–211; Mußner, Galaterbrief 319–328; Stoltmann, Jerusalem 87–93; Sellin, Hagar 59–84 (der ausführlich den religionsgeschichtlichen Hintergrund bedenkt). – Zum Beginn eines neuen Abschnittes mit Gal 4,21 vgl. z. B. Becker, Galater 70; Betz, Galaterbrief 409 f; Oepke, Galater 147. Zur Abgrenzung des Textes gegenüber dem folgenden Kontext s. o. S. 64 f. 149 Vgl. Vouga, Galater 114 f.

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deuten, kommt der Vers 4,28 aktualisierend150 auf die Kinder zu sprechen und knüpft mit Vers 4,29 an die Klassifizierung von 4,23 an: ŠO katä sârka gennvheù™ nimmt ú Ék tœ™ paidùskv™ katä sârka gegìnnvtai in Vers 4,23 wieder auf, ú Ék tœ™ Éleuhìra™ diš Épaggelùa™ (4,23) wird umformuliert zu ú katä pneøma (gennvheù™). Sârx bzw. katä sârka wird hier wieder wie in Gal 3,3 verwendet. Sârx bezeichnet „what is merely human“151 als Gegenbegriff zum Göttlichen, zu Épaggelùa bzw. pneøma. Erneut sind sârx und pneøma personifizierte Größen, die die menschliche Existenz bestimmen. Gal 4,29 macht dies durch die Gegenüberstellung zweier Menschentypen deutlich.152 „Diese Typen stellen den Dualismus von Fleisch und Geist dar, wie er die beiden Arten von Menschen betrifft, nämlich die ,nach dem Fleisch` (katä sârka) und die ,nach dem Geist` (katä pneøma).“153 Sachlich hatte Gal 3,3 die „Werke des Gesetzes“ mit sârx in Verbindung gebracht. Durch Gal 4,22 und 4,29 erhält sârx als neues Bedeutungsmerkmal „Knechtschaft“. Gal 4,22 bezieht katä sârka und die Sklavin, die Unfreie, aufeinander. Diesen Gedanken baut die allegorische Auslegung von 4,24–27 aus: Der Bund, für den die paidùskv steht, ist durch Knechtschaft gekennzeichnet (eÜ™ douleùan [4,24]; doule‹ei gär metä tÂn tìknwn a«tœ™ [4,25]). Wenn Gal 4,29 erneut die Söhne gegeneinanderstellt, so klingt mit ú katä sârka „Unfreiheit“, „Knechtschaft“ an. Zusammenfassend läßt sich folgendes zur Verwendung von sârx in Gal 1,1–5,12 festhalten: Primär bezeichnet sârx den Menschen bzw. „das, was menschlich ist“ (Gal 2,16; 2,20; 4,13. 14). Im Gegenüber zum Göttlichen gewinnt sârx eine negative Bedeutung im Sinne von „what is merely human, in contrast to the divine activity“154 (Gal 1,16; 3,3; 4,24. 29). In Antithese zum Göttlichen erscheint sârx mitunter als personifizierte Größe, die die menschliche Existenz zu bestimmen vermag. Sârx ist dann das Negativum im Gegenüber zum Positivum, das durch pneøma repräsentiert wird (Gal 3,3; 4,29). Auffällig ist, daß im Laufe des Briefes Sachverhalte mit sârx assoziiert werden, die primär gar nichts mit dem semantischen Feld „Mensch – menschlich“ zu tun haben: Werke des Gesetzes (3,3) und Knechtschaft (4,23. 29). Diese Beobachtung ließ sich bereits im Blick auf Gal 5,13 machen, wo Beschneidung und erneut Gesetzesgehorsam mit sârx in Ver150 Vgl. Vouga, Galater 118; Betz, Galaterbrief 428; Mußner, Galaterbrief 328. 151 Barclay, Truth 206. 152 Vgl. Betz, Galaterbrief 428: „Es ist wichtig, daß Paulus nicht mehr den Namen Isaak und Ismael benutzt, sondern jetzt nur noch von den Typen spricht, die sie repräsentieren.“ 153 Betz, Galaterbrief 428 f. 154 Barclay, Truth 206.

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II. Eine textpragmatische Analyse von Gal 5 und 6

bindung gebracht werden.155 Der Terminus sârx fungiert semantisch als ein „umbrella-term“156, der unterschiedliche Sachverhalte und Dinge in sich fassen kann. Diese haben ursprünglich weder untereinander eine semantische Beziehung noch einen unmittelbar semantisch-logischen Zusammenhang zu der Sache, die durch sârx bezeichnet wird.157 Erst der Verfasser stellt einen solchen Zusammenhang her. Die Zuordnung der verschiedenen Sachgehalte zur übergeordneten Kategorie ergibt sich also nicht einfach aus diesen selbst, sondern sie wird vom Verfasser interpretatorisch vollzogen. Er verwendet sârx als eine Interpretationskategorie. Um die Art dieser Interpretationskategorie näher zu erfassen, ist folgende Beobachtung aufschlußreich: Als Interpretationskategorie verwendet der Verfasser sârx nur im Rahmen der sârx-pneøma-Antithese. Nur hier assoziiert er „Sachfremdes“ mit sârx (3,3; 4,23. 29).158 Die Kategorie sârx funktioniert in der sârx-pneøma-Antithese wie die Kategorie „schwarz“ in einem Schwarz-Weiß- bzw. wie „böse“ im Gut-Böse-Schema: Das Negative wird der Kategorie sârx zugeordnet, das Positive der Kategorie pneøma.159 Daß als Negativkategorie das „Nur-Menschliche“ dient, ist im theologischen Denken des Verfassers begründet. Von seinem Verständnis des Christusgeschehens her ergibt sich für ihn eine grundsätzlich neue Weltsicht160: Mit Christus ist der neue Äon im alten Äon angebrochen (vgl. Gal 155 S. o. S. 84 f. 156 Barclay, Truth 209. 157 Zur Verdeutlichung: Einen Elefanten und eine Giraffe unter die Oberkategorie „Tiere“ zu rechnen, leuchtet unmittelbar ein. Elefant und Giraffe haben Gemeinsamkeiten untereinander sowie einen unmittelbaren inhaltlichen Bezug zur Oberkategorie, da diese zentrale Gemeinsamkeiten von Elefant und Giraffe zusammenfaßt. Es ist demgegenüber nicht geradewegs einsichtig, warum z. B. menschliche Schwachheit und Gesetzesgehorsam unter der Oberkategorie sârx gefaßt werden. Menschliche Schwachheit und Gesetzesgehorsam haben primär keine semantischen Gemeinsamkeiten untereinander. Zudem läßt sich im Fall des Gesetzesgehorsams auch kein unmittelbarer semantischer Bezug ausmachen zur Oberkategorie „nur menschlich“. Die Oberkategorie sârx faßt also nicht einfach gemeinsame Eigenschaften der Sachverhalte zusammen, die unter sie subsumiert werden. 158 Zudem erscheint nur in diesem Fall sârx als personifiziertes, handlungsfähiges Gegenüber zu pneøma. 159 Vgl. Pretorius (Opposition 447), der hinsichtlich der rhetorischen Funktion der sârxpneøma-Antithese zu demselben Ergebnis kommt. Nicht zwingend ist es jedoch anzunehmen, „that the Galatian believers were already acquainted with both terms“ (vgl. ähnlich Russell, Conflict 202. 209). Pretorius schließt das aus der Art, wie Paulus die Antithese in Gal 3,3 einführt. Eine solche weitgehende Schlußfolgerung läßt sich dem Vers kaum entnehmen (zu einem möglichen Vorverständnis der realen Adressaten und Adressatinnen des Terminus sârx vgl. u. S. 98 Anm. 183). 160 Vgl. zu den Grundkategorien Vouga, Galater 7. Eine ausführliche Darlegung der paulinischen Weltsicht ist in diesem Zusammenhang nicht zu leisten; vgl. dazu die einschlägigen Darstellungen bei Becker, Paulus 395–478; Bultmann, Theologie 187–353; Sanders, Paulus 29 ff. Die knappe Charakterisierung des möglichen Denkhintergrundes dient lediglich dazu anzudeuten, in welchem sachlichen Rahmen die Antithese ihren Sinn gewinnt.

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1,4), was die alte Welt und das, was sie ausmacht, radikal verändert: „(I)n the light of the glory of God’s activity in the new age, all human achievements and traditions are put into the shade.“161 Von diesem Denkansatz her162 kann sârx zur Chiffre werden für alles, was nicht der göttlichen Initiative in Christus entspricht. Der Zusammenhang, den der Verfasser zwischen primär „Sachfremdem“ wie Gesetzesgehorsam oder Beschneidung und sârx herstellt, hat seinen sachlichen Grund also in dieser grundsätzlichen Strukturierung der Wirklichkeit durch den Verfasser.163 Nach diesem Durchgang durch die Stellen, an denen vor Gal 5,13 von sârx die Rede war, gewinnt die Verwendung von sârx in der Neuformulierung der Warnung vor dem Joch der Knechtschaft von Gal 5,13b ein klareres Profil. Gal 5,13b zielt sachlich darauf, Beschneidung und Gesetzesgehorsam der sârx, dem „Nur-Menschlichen“ zuzuordnen, also der Kategorie, die dem Göttlichen gegenübersteht. Vorbereitet ist diese Assoziation von Gesetzesgehorsam und Beschneidung mit sârx vor allem durch Gal 3,3 und 4,23. 29. In beiden Fällen erscheint sârx bereits als personifizierte Macht im Gegenüber zur göttlichen Sphäre, zum pneøma. In Gal 3,3 wurde schon eine Nähe der „Werke des Gesetzes“ zur sârx hergestellt, in Gal 4,23 und 29 sârx mit „Knechtschaft“ verbunden. In Gal 5,13b nutzt der Verfasser die (zunächst vordergründige) Assoziationsbrücke von Beschneidung(sfleisch) auf sârx, um nun explizit das Unternehmen der Adressaten, Beschneidung und Gesetzesgehorsam zu praktizieren, als „nur menschlich“ zu (dis)qualifizieren. Sachlich führt Gal 5,13b also bruchlos die Auseinandersetzung mit Gesetzesgehorsam und Beschneidung weiter. Diese gewinnt mit der Assoziation von Gesetzesgehorsam und Beschneidung mit sârx eine neue Qualität. Der Verfasser überführt die Auseinandersetzung auf eine grundsätzliche Ebene. Mit Gal 5,13b deckt er die tieferliegende Dimension des galatischen Konfliktes auf: Das gegenwärtige Verhalten der Galater, ihr Wunsch nach Beschneidung und Gesetzesgehorsam, ist nichts anderes als eine Gefährdung durch die sârx, die in den Bereich der von Christus ermöglichten Freiheit einzubrechen droht. Mit Gal 5,13b appelliert der Verfasser an seine Adressaten, dieser Gefahr nicht zu erliegen, der sârx nicht nachzu-

161 Barclay, Truth 208. 162 Vgl. Barclay, Truth 203 ff. Zur Frage nach dem Stellenwert apokalyptischer Elemente im Denken des Apostels vgl. Käsemann, Apokalyptik 119–131 (kritisch dazu Bultmann, Apokalyptik 476–482); Beker, Paul 135 f; Beker, Sieg 21–40; Martyn, Antinomies 111 ff; Vouga, Galater 127. 163 Diese grundsätzlichen Überlegungen zu sârx als Interpretationskategorie müssen sich im folgenden bei der Auslegung des Abschnittes Gal 5,13 ff bewähren, bei dem die sârxpneøma-Antithese erst richtig zum Zuge kommt.

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geben, was konkret heißt: sich nicht beschneiden zu lassen und dem Gesetz nicht gehorsam zu werden. Mit diesem Verständnis von Gal 5,13b ist eine entscheidende Weiche gestellt für die Einschätzung der Gesamtstoßrichtung des Abschnittes, der mit Gal 5,13 beginnt. Entgegen der gängigen Forschungsansicht eröffnet der Verfasser mit Gal 5,13 keinen neuen Abschnitt, der „sich nun ethischen Fragen“164 zuwendet und dem Problem ethisch-moralischer Beliebigkeit165 oder Verunsicherung166 als Folge der Freiheitsbotschaft des Apostels nachgeht. Für einen solchen Themenumschwung kann das Stichwort sârx nicht als Indiz geltend gemacht werden. Denn sârx bezeichnet in Gal 5,13b weder „moral danger“167, ethisches „Fehlverhalten und Versagen“168, „lieblose, sündhafte und irdische Neigungen“169 noch „krasse Selbstsucht“170, sondern eben die Sphäre des „Nur-Menschlichen“.171 Das Verständnis von sârx als ethisch-moralisch gefüllter Terminus verdankt sich einer Kombination aus unzutreffender Verhältnisbestimmung der Begriffe „Freiheit“, „Geist“, „Fleisch“ und „Gesetz“ und einem verfrühten Blick auf den nachfolgenden Kontext. Pretorius, dessen Position exemplarisch steht, sieht die Konstellation der Größen „Freiheit“, „Geist“, „Fleisch“ und „Gesetz“ folgendermaßen: „The problem addressed in the paraenesis, can be crudely defined as the ,vacuum` left between them (the Galatians; Verf.) and the sârx when the law had been removed from its place as the traditional hedge or shield between God’s people and the sinful nature, the evil inclination, or in short, ,the flesh`.“172 Die Kapitel 5 und 6 begegnen einem Folgeproblem der „Abschaffung“ des Gesetzes. Die Gefahr liegt „in the proclaimed situation of freedom itself. . . . If not understood and practiced properly, that is under the regimen of the Spirit, freedom may indeed cause a slide into the realm of the flesh.“173 Mit Gal 5,13 wird nach Pretorius folgende Problemlage eingeführt: Die Freiheit bedarf gewisser Reglimentierungen, eines „hedge or shield“174 gegenüber dem 164 Mußner, Galaterbrief 364. 165 So die Variante z. B. bei Becker, Galater 83 ff; Burton, Galatians 291 f; Lietzmann, Galater 39; Mußner, Galaterbrief 366–368; Oepke, Galater 167 f; Schlier, Galater 241 f; Suhl, Galaterbrief 3122 f. 166 So die Variante z. B. bei Betz, Galaterbrief 464. 466 ff; Barclay, z. B. Truth 218 (zu Betz und Barclay s. auch o. im Forschungsüberblick S. 42 ff und S. 50 ff); Dunn, Galatians 284–288; Wessels, Call 469 f. 167 Barclay, Truth 219, vgl. auch 110: „Paul describes what is evil and threatens the moral life as ,the flesh` (5.13)“. 168 Betz, Galaterbrief 467. 169 Borse, Galater 191; vgl. Witherington, Grace 377 f. 170 Oepke, Galater 169; vgl. Becker, Galater 86; Matera, Galatians 192; Schlier, Galater 242. 171 Vgl. in dieser Richtung Weder, Normativität 134. Weder legt jedoch den Vers nicht auf die Adressatensituation bezogen aus, so daß die Verbindung von Gesetzesgehorsam und Beschneidung zu sârx bei ihm nicht in den Blick gerät. 172 Pretorius, Opposition 444. 173 Pretorius, Opposition 446. 174 Pretorius, Opposition 444; zu der stärker freiheitsbeschränkenden Funktion von Gesetz bzw. Geist vgl. Opposition 451.

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Fleisch. Nach dem Wegfall des Gesetzes, das diese Rolle bislang innehatte, erfüllt der Geist die Aufgabe des Gesetzes.175 Formal betrachtet ergibt sich eine Dreierkonstellation: 1. Freiheit – 2. Geist bzw. Gesetz – 3. Fleisch. In dieser Konstellation haben Geist bzw. Gesetz den Status von Vermittlungsinstanzen in einem Konflikt zwischen Freiheit und Fleisch. Diese Konstellation findet sich so jedoch nicht im Text. Wie bereits im Zusammenhang mit der Position von Betz und Barclay dargestellt, erscheinen in Gal 5,13 ff Geist und Gesetz nicht als (theoretisch) alternative Vermittlungsinstanzen im Konflikt im Umgang mit dem Fleisch, das die Freiheit bedroht. Der Text ist durchgängig vom Gegensatzpaar Geist – Fleisch, nicht Geist – Gesetz bestimmt.176 Geist bzw. Gesetz stehen nicht zwischen den Konfliktgrößen, sondern sind ihnen zugeordnet. Das Verhältnis der Größen Freiheit, Geist, Fleisch und Gesetz ist eine Zweierkonstellation: 1. Freiheit/Geist – 2. Gesetz(esgehorsam)/Fleisch. Die Zuordnung von Geist und Freiheit hatte der Abschnitt 5,1–6 vollzogen.177 Hinsichtlich der Zuordnung von Gesetz und Fleisch ist zu differenzieren: Das Gesetz an sich wird dem Fleisch nicht zugeordnet178, wohl aber Haltungen, die mit dem Gesetz zusammenhängen. Gal 3,2–5 deutete eine sachliche Nähe von Éx ôrgwn nímou mit dem Fleisch an. Gal 5,13b vollzieht die Assoziation des Gesetzesgehorsams (Én ním dikaioøshai; Gal 5,4) mit der sârx. Das Gesetz ist mit Gal 5,13 also in gefährliche Nähe zur sârx gerückt und damit wohl kaum eine Alternative zum Geist, die zumindest theoretisch brauchbar wäre im Kampf gegen die sârx. Die Zuordnung der Größen im Sinne einer Dreierkonstellation ist vermutlich mitverursacht durch den verfrühten Blick auf den nachfolgenden Kontext. Sârx ist spätestens mit dem Lasterkatalog in Gal 5,19–21 mit ethisch-moralischem Fehlverhalten verbunden. Verfährt man wie Lührmann nach der Devise „Freiheit ist bedroht durch das ,Fleisch` – was das heißt, wird sich in V. 16–24 zeigen“179, ergibt sich fast zwingend eine Dreierkonstellation. Vom hinteren Kontext her auf die Spur ethischen „Fehlverhalten(s) und Versagen(s)“180, „lieblose(r), sündhafte(r)

175 Pretorius sieht die Grundkonstellation ganz ähnlich wie Betz und Barclay (vgl. dazu noch einmal o. im Forschungsüberblick S. 54 ff). Vgl. auch Bachmann, Sünder 119; Barrett, Freedom 71; Becker, Galater 83 ff; Bligh, Galatians 436; Bruce, Epistle 240; Buckel, Free 189 f; Burton, Galatians 291 f; Dunn, Galatians 284–288; Eckstein, Verheißung 249; Egger, Galaterbrief 37; Fee, Freedom 204; Lategan, Instructions 182; Légasse, Galates 402; Lietzmann, Galater 39; Longenecker, Galatians 236; Longenecker, Triumph 80 ff (bes. 82); Lührmann, Galater 86; Lull, Spirit 38 f; Matera, Galatians 196. 205 (vgl. auch Culmination 85); Mußner, Galaterbrief 366–368; Oepke, Galater 167 f; Pfeiffer, Einweisung 250 f; Schlier, Galater 241 f; Söding, Liebesgebot 213; Suhl, Galaterbrief 3109; Vollenweider, Freiheit 290. 314; Witherington, Grace 376. 385 f; Wessels, Call 469 f; Zahn, Galater 261 f. Sie sind alle der Auffassung, der Abschnitt wende sich gegen ein (mögliches) Mißverständnis der Freiheit im Sinne ethischer Unverbindlichkeit bzw. den Vorwurf oder die Sorge, das paulinische Freiheitsevangelium entlasse in ethische Beliebigkeit. 176 S. dazu noch einmal o. S. 55 f. 177 S. dazu noch einmal die Auslegung zu Gal 5,1–6 unter II.2.1, bes. S. 68 f sowie die Zusammenfassung S. 72 f. 178 Zu der Zuordnung des nímo™ vgl. u. die Auslegung zu Gal 5,14 S. 107 f. 179 Lührmann, Galater 86. 180 Betz, Galaterbrief 467.

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II. Eine textpragmatische Analyse von Gal 5 und 6

und irdische(r) Neigungen“181 gesetzt, können Gesetzesgehorsam und Fleisch kaum zusammengedacht werden. Vom Sinnerschließungsprozeß eines Textes her kann aber nur der vordere Kontext ausschlaggebend sein: Die realen Adressaten und Adressatinnen, die den Text lesen oder hören, können bei Vers 5,13 nicht wissen, was in Gal 5,16–24 kommen wird.182 Vom vorderen Kontext her ist sârx jedoch bislang keineswegs ethisch-moralisch gefüllt, sondern bezeichnet „das, was nur menschlich ist“183, wozu der Verfasser den Gesetzesgehorsam rechnet. Gal 5,13 nimmt also sachlich durchaus eine Gefährdung der Freiheit durch das Fleisch in den Blick, aber nicht die Gefahr ethisch-moralischer Beliebigkeit oder Verunsicherung, weil das Gesetz als Schutz vor dem Fleisch ausgefallen ist. Die Freiheit ist vielmehr gefährdet durch Gesetzesgehorsam und Beschneidung, hinter denen das Agieren des Fleisches sichtbar wird. Angedeutet findet sich dieser Gedanke bei einzelnen Auslegern, z. B. bei Dunn: „(T)o put oneself ,under the law`, to become a proselyte, to accept circumcision, is to think and act on the level of the flesh“.184 Dunn liest den Gesamtabschnitt aber dennoch als Antwort auf die Frage: „How could freedom be prevented from lapsing into licence, from falling into the new servitude of self-indulgence?“185 Auch bei Barclay findet sich folgende Aussage: „In another respect this passage (Gal 5,13–6,10; Verf.) operates as a warning against moral danger, defined here as ,the flesh`. . . . Moreover, on the basis of his previous association of ,law` and ,flesh`, 181 Borse, Galater 191. 182 Vgl. o. II.1 S. 62. 183 Es ist zu überlegen, ob nicht vielleicht die realen Adressaten und Adressatinnen bereits ein rein ethisch-moralisches Vorverständnis von sârx gehabt haben könnten, gegen das die paulinische Verwendung des Terminus im Ablauf des Briefes keine nennenswerte Chance gehabt hätte. Zugespitzt formuliert: Sie hätten so oder so sârx in ihrem Sinne verstanden, nämlich ethisch-moralisch. Ein solches Vorverständnis ist nicht grundsätzlich auszuschließen, zumal sich sârx im Zuge einer Popularisierung der Philosophie Epikurs durchaus mit ungebändigter Lust und jeglich erdenklichen sinnlichen Lastern verband (vgl. Sand, Fleisch 240 f; Schweizer, ThWNT VII 104; Liddell/Scott/Jones, s. v. sârx II. 1585). Daß Paulus sich jedoch gegen dieses Vorverständnis mit seiner Verwendung des Terminus im Sinne von „irdisch-menschlich“ nicht hätte durchsetzen können, ist nicht sehr wahrscheinlich, diente doch sârx ebenso zur Bezeichnung des menschlichen Körpers, der vergänglichen menschlichen Verfaßtheit (vgl. Sand, Fleisch 238 f; Schweizer, ThWNT VII 99–103; Liddell/Scott/Jones, s. v. sârx I.II.3. 1585). Der Verfasser versucht also nicht, einem Terminus mit fester Bedeutung einen anderen Sinn zu geben, sondern knüpft an eine durchaus gängige, wenn auch nicht einzig denkbare Bedeutung an (diese überschreitet er erst mit der Verwendung des Terminus als Interpretationskategorie, aber auch hier legt er dem Wort keinen grundsätzlich neuen Sinn bei). Die Bedeutung „irdisch-menschlich“ dürfte den Adressaten also durchaus bekannt gewesen sein. Das schließt zwar keine Assoziationen in ethisch-moralischer Richtung aus, macht es aber doch unwahrscheinlich, daß die paulinische Akzentuierung gänzlich an ihnen vorübergegangen sein wird. 184 Dunn, Galatians 301; vgl. auch Galatians 302. 155 f. 287; s. auch Matera (Culmination 87), der den Gedanken aber nicht näher ausführt. Vgl. zudem Fee (Freedom 206), der jedoch der Meinung ist, der Gesetzesgehorsam werde nicht unter die Kategorie sârx subsumiert, sondern sârx ersetze die „Werke des Gesetzes“ als leitendes Negativmotiv. Zudem gibt er, soweit ich sehe, keine eindeutige Auskunft darüber, was mit sârx inhaltlich bezeichnet wird. 185 Dunn, Galatians 285.

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Paul is able to include in this warning against ,flesh` a further reprimand of the Galatians’ attraction to the law“.186 Dieser Gedanke spielt in seiner ausführlichen Analyse des Textes187 jedoch keine Rolle. Wie bei Dunn bleibt diese Idee unvermittelt neben der von ihm herausgearbeiteten Hauptstoßrichtung des Abschnittes stehen. Howard ist der Auffassung, Gal 5,13 ziele auf den Gedanken, „that now that the Galatians are free they should not use their Christianity as a stepping stone into the law“188, „to be under the law is to live according to the flesh“189, „the thrust of his argument is the theological claim that to be under the law is to be under sin“.190 Howard versucht, diesen primär theologischen Gedanken damit zu vermitteln, daß mit Gal 5,13 eine „ethical section“191 beginne. Diese beiden Ebenen verbindet er in folgender Weise: „Paul’ arguments are based on the theology of the opponents which in his view leads to immoral conduct. Paul’s underlying thought is that which permeates his theology at his very core, namely, the law places one under sin. To attempt to keep the law ends in one’s being sold under sin and doing the desires of the flesh“.192 Nicht einsichtig ist bei dieser Konstruktion der Zusammenhänge, wie der Gesetzesgehorsam zu unmoralischem Verhalten führen kann. „Immoral conduct“ dürfte wohl das Letzte sein, was Gesetzesgehorsam mit sich bringt.193 In ähnliche Richtung weisen die Überlegungen von Esler: Mit Gal 5,13b „Paul is shocking his audience with the suggestion that if the abuse the freedom which, inter alia, serves to distinguish them from the dominant outgroup, they actually risk subjecting themselves to one of the worst features which characterise those outsiders – the immersion in the flesh. Paul is not saying that the Mosaic law and the flesh are exactly coincident; rather, he suggests that the law ensnares its adherents in the wider reality of the flesh“.194 Die Strategie des Abschnittes Gal 5,13 ff ziele darauf, „to stigmatise the world outside the congregations as the realm of ,flesh` (sârx) in

186 Barclay, Truth 219 (teilweise Hervorhebung von mir); zur Assoziation von sârx und Beschneidung bzw. Gesetzesgehorsam vgl. Barclay, Truth 203 f. 207 f. 212; zu der Vermutung, Paulus ordne das Gesetz an sich der sârx zu, vgl. aber bereits o. S. 97; ausführlicher u. S. 107). 187 Vgl. Barclay, Truth 106–177. 188 Howard, Crisis 14. 189 Howard, Crisis 13. Vgl. in ähnlicher Richtung auch Lull: „The freedom of the ,new creation` . . . is contrasted with nomistic existence, which, like life centered in the flesh, is slavish. Nomistic existence, which is life centered in ,works of the law`, is in fact presented as a life centered in ,works of the flesh . . .`“ (Spirit 129). Nach Lull hält Paulus die Werke des Gesetzes für nicht radikal genug, um gegen das Fleisch anzukommen (vgl. Spirit 129 f). Diese Überlegung leuchtet nicht recht ein, wenn man „Fleisch“ als primär ethische Kategorie versteht (vgl. Lull, Spirit 37 f): Wieso ist das jüdische Gesetz nicht imstande, mit „human weakness, error and failure“ (Spirit 379) umzugehen? 190 Howard, Crisis 14 (Hervorhebung von mir); vgl. im ganzen Crisis 12–14 mit Anm. 48. 191 Howard, Crisis 14 (Hervorhebung von mir). 192 Howard, Crisis 13. 193 Ein m. E. fruchtbarerer Hinweis zum Verhältnis von sârx und Gesetzesgehorsam findet sich bei Howard, Crisis 85 Anm. 48 (s. dazu auch u. zu Gal 5,15 S. 113 f). 194 Esler, Galatians 223 (Hervorhebung von mir); vgl. Esler, Galatians 227. 228 f; Esler, Boundaries 233.

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contrast to the Spirit-conditioned life within. In effect, he wants the Galatians to be able to define their identity with the assertion ,We are the people of the Spirit` as against all others, Jew first but also Gentile, who are people of the flesh.“195 Innerhalb des „intergroup conflict“ der Galater entspricht „the characterisation of the opposing groups as ,flesh`“196 einer Strategie, die Esler als „Stereotyping the Outgroup“ bezeichnet.197 Eslers Verständnis von der Kategorie sârx ähnelt dem hier vorgeschlagenen Verständnis von sârx als Interpretationskategorie, insofern Esler sârx ebenfalls als rhetorisch eingesetzte Negativkategorie versteht. Eslers Bestimmung der Funktion der Kategorie sârx ergibt sich jedoch relativ pauschal aus der Sozialtheorie, die seiner Auslegung zu Grunde liegt. Damit verbunden bleibt die Auskunft sehr formal, was sârx eigentlich meint, wie folgende exemplarische Auskunft über die Bedeutung von sârx zeigt: „No doubt sârx evokes here (Gal 3,3; Verf.) the spectre of circumcision and the works of the Jewish law . . ., but the word is capable of carrying a fuller meaning, to refer (by the process of stereotyping) the whole social order which beckons beyond the boundaries of the group“.198 Um den konkreten Text plausibel zu machen, fehlt Eslers Vorschlag eine Bestimmung des semantischen Gehalts des Terminus sârx und des inneren Zusammenhangs von Fleisch und Gesetzesgehorsam, was zu einer kurzschlüssigen Verbindung von sârx und den Gegnern bzw. des von ihnen vertretenen Gesetzesgehorsams führt. Besonders deutlich wird dies in Eslers Ausführungen zum Lasterkatalog: „Paul is employing the particular works of the sârx listed in vv. 19–20 to stereotype the rival forms of ethnic and religious identity on offer in Galatia and to warn his congregations that they should be shunned.“199 Ähnlich wie bereits bei Howard fragt man sich, wie gesetzestreue Juden(christen) ausgerechnet mit einem Lasterkatalog stereotypisch erfaßt werden sollen.200 Zudem mischt sich in Eslers Ausführungen die wohlbekannte Auffassung, mit Gal 5,13 ff begegne Paulus der Situation, „that his gentile converts were facing claims in Galatia that the law of Moses offered a collection of ethical norms to guide and regulate behaviour. Paul needs to counter this argument by establishing an alternative path to the moral life, although he does so within and as an aspect of his overall concern of identity.“201 Vermittelt werden die beiden Auffassungen zur Stoßrichtung des Schlußpassus, soweit ich sehe, nicht.202 195 Esler, Boundaries 231; vgl. Esler, Family 177. 196 Esler, Boundaries 229. 197 Esler, Boundaries 229; vgl. auch Boundaries 235; Esler, Family 177. Zu dem Stichwort „stereotyping“ s. auch Esler, Galatians 55 ff; vgl. grundsätzlich zu Eslers „Social-Scientific Approach“ bzw. zur Sozialtheorie, die seine Auslegung trägt: Esler, Boundaries 220–231; Esler, Families 157–162; Esler, Galatians 40–57. 198 Esler, Boundaries 232; vgl. auch Galatians 223; Family 177. 199 Esler, Boundaries 235 (Hervorhebung von mir). 200 Vgl. dazu auch u. beim Lasterkatalog S. 130 Anm. 347, wo sich Eslers Lösungsvorschlag für dieses Problem findet. 201 Esler, Galatians 225. Die letzte Bemerkung ist kritisch gegen Barclay gerichtet (vgl. Esler, Boundaries 228. 221). Die von Esler vorgeschlagene Integration von Normen in die umfassende Rubrik „Identität“ vermag jedoch das konkrete Problem von Gal 5,13–6,10 auch nicht zu lösen. 202 Vgl. schließlich auch Vouga (Galater 6. 8. 68. 127. 128. 129. 132), der sârx ebenfalls

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Dem Appell an die Adressaten, der Gefährdung durch die sârx nicht zu erliegen, folgt mit Gal 5,13c eine positive Aufforderung. Dieser Teilvers entspricht strukturell dem Imperativ von Gal 5,1b „steht nun fest (im Stand der Freiheit)“. Dieser Imperativ wird in 5,13c neu als Aufforderung zur wechselseitigen Liebe formuliert. Damit werden die Adressaten auf das wesentliche Kennzeichen des Glaubens verpflichtet, der nach Gal 5,5 und 6 das allein gültige Merkmal der Christusgläubigen ist.203 Sachlich findet sich in Gal 5,6 und in Gal 5,13c dieselbe Gegenüberstellung von Beschneidung (bzw. Gesetzesgehorsam) und Liebe. Gal 5,6 stellt der ågâpv, dem entscheidenden Charakteristikum des Glaubens, die peritomŒ entgegen, Gal 5,13c stellt der Liebe die sârx gegenüber, die als Akteurin hinter dem Wunsch sichtbar wird, Beschneidung und Gesetzesgehorsam zu akzeptieren. Gal 5,6 formulierte in verobjektivierender Form den Grundsatz christlichen Selbstverständnisses. In Gal 5,13 werden die Adressaten nun explizit dazu aufgefordert, dieses Selbstverständnis in die Tat umzusetzen, d. h. – ihrem Stand als von Christus Befreite gemäß (5,13a) – der Beschneidung (bzw. dem Gesetzesgehorsam) keine Bedeutung zukommen zu lassen (5,13b), sondern der wechselseitigen Liebe Geltung zu verschaffen (5,13c).204 mit Gesetzesgehorsam in Verbindung bringt: In Gal 5,13 werden die Adressaten aufgefordert, „im Geiste, das heißt nicht mehr nach der sârx (J. L. Martyn: Im apokalyptischen Szenario des Briefes ist die sârx eine kosmische Macht) bzw. unter dem Gesetz zu leben“ (Galater 127). Nicht eindeutig geklärt ist jedoch bei ihm, in welchem Verhältnis Gesetzesgehorsam und sârx stehen. Einmal findet sich die Auskunft, die beiden seien Äquivalente (vgl. Galater 129. 132), dann, Éx ôrgwn nímou sei nicht identisch mit sarkù, sondern „nur eine Form der Existenz unter der sârx“ (Galater 68). Im gleichen Zusammenhang setzt Vouga sodann sârx zur Bezeichnung dessen, was „zu dieser Welt gehört“, deutlich ab von dem Gebrauch von sârx in Bezug auf Beschneidung, ohne diese beiden Verwendungen desselben Wortes miteinander zu vermitteln (vgl. Galater 68; vgl. dazu auch Vougas Auslegung zu Gal 6,12: Galater 155). So kommt die Pointe einer Zuordnung von Gesetzesgehorsam und Beschneidung zur Kategorie sârx nicht stringent zum Zuge und die Stoßrichtung des Abschnittes Gal 5,13–6,10 bleibt eigentümlich in der Schwebe; vgl. folgende Aussagen Vougas miteinander: Aus dem Geistempfang folgt die Aufforderung, „im Geiste, d. h. ,aus dem Glauben`, und nicht ,nach dem Fleisch`, d. h. ,aus` bzw. ,unter dem Gesetz`, zu wandeln (Gal 5,2–6,10)“ (Galater 6); „(d)ie Adressaten haben den Geist empfangen, Gal 4,6, leben im Geiste, Gal 5,25a, könnten durch die sârx gesteuert werden, Gal 5,13. 16, und sollen deshalb im Geiste wandeln, Gal 5,25b, so daß sich ,im Geiste` und ,im Fleische` nicht ausschließen, sondern durch eine Dialektik zwischen Indikativ und Imperativ auseinandergehalten werden“ (Galater 7 [Hervorhebung von mir]); Gal 5,13–6,10 ist als „allgemeine() Paränese“ aufzufassen (Galater 142; vgl. 128. 143); Gal 5,13b–15 stellen eine Warnung dar „vor einem Mißverständnis“, einem „Mißbrauch der Freiheit“ (Galater 128 f); „(d)as Thema der Freiheit hat aber in Gal 5,1 u. 13a.b nur eine überleitende Funktion, indem es von der Problematik der Gerechtigkeit (und der Freiheit vom Gesetz, s. Gal 2,4) zur Definition der christlichen Existenz als Leben im Geiste . . . hinführt_“ (Galater 129 [Hervorhebung von mir]). 203 Auch hier wird deutlich, wie stark Gal 5,13 rückbezüglich zu verstehen ist. 204 Auffällig ist, daß der Verfasser die Aufforderung zur Liebe mit dem Verb doule‹ein

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2.3.2 Gal 5,14 Gal 5,14 fährt mit gâr anknüpfend in verobjektivierender Formulierung fort. Der Vers nimmt den Gedanken der Liebe auf und erläutert die Aufforderung zur Liebe durch die Aussage, das ganze Gesetz sei im Liebesgebot zur Erfüllung gekommen. Diese positive Bezugnahme auf das Gesetz „irritiert zunächst. Der Paulus, der gerade mit schärfster Polemik das Gesetz als christlich verbindliche Norm abgewehrt hat, begründet nunmehr das Liebesgebot mit der Tora (3. Mose 19,18)!“205 Der Vers stellt vor sachliche Probleme. Die von Becker benannte Irritation kann noch verstärkt werden. Mit Gal 5,13b rückte der Verfasser das Gesetz in gefährliche Nähe zur sârx, indem er den Gesetzesgehorsam mit diesem Bereich des Gegengöttlichen assoziierte. Diese Zuordnung geschah im Rückgriff auf Gal 5,3 f, wobei Gal 5,3 die Totalität der Beanspruchung durch den Gesetzesgehorsam festhielt, der unlösbar mit der Beschneidung verbunden ist.206 Gal 5,3 attestiert einem jeden, der sich beschneiden läßt, er sei verpflichtet, Ñlon tón nímon poiœsai. Gal 5,4 fährt fort, daß dieser

formuliert, das bislang nur „in negativem Sinn (vgl. 4,8. 9. 25)“ vorkam (Mußner, Galaterbrief 368). Betz erklärt die Verwendung des Verbes damit, daß „die notwendige Verpflichtung und die Schwierigkeiten, menschliche Beziehungen aufrecht zu erhalten“, Paulus dazu veranlaßt hätten, „die freie Ausübung der Liebe als eine Form gegenseitiger Versklavung zu beschreiben“ (Galaterbrief 468). Diese Vermutung erklärt aber nicht, warum der Verfasser für diese Aussage ausgerechnet das bislang uneingeschränkt negativ besetzte Verb doule‹ein verwendet. Barclay ist der Auffassung, mit dieser paradoxen Formulierung wolle Paulus klar machen, „that the ,freedom` he advocates has stringent moral obligations built into it – not the obligations of the law but the obligation of love“ (Truth 109). Dies läßt sich dem Text nur entnehmen, wenn man Gesetz und Geist als konkurrierende Größen auffaßt im Umgang mit der moralischen Gefährdung durch die sârx. Zu dieser Konstellation und inhaltlichen Füllung von sârx s. jedoch o. S. 96 ff. Mußner meint im Anschluß an Schlier (Schlier, Galater 243 f), Paulus wolle den „g e g e n s e i t i g e n D i e n s t d e r L i e b e “ gezielt als Sklavendienst bezeichnen, jedoch als einen, „der vom doule‹ein der vorher genannten Stellen radikal verschieden ist“ und ein besonderes Profil habe: „,(F)üreinander Sklave sein` ist, soziologisch-weltlich gesehen, eigentlich Unsinn und erst möglich durch Christi beispielhaftes Sklave-Sein (vgl. Joh 13,14–17; Luk 22,27). Seither gibt es einen ,gegenseitigen` Sklavendienst, eben aus der durch Gottes Tat in Christus möglich gewordenen Haltung der ågâpv heraus: das ganz für den anderen und für alle dasein!“ (Mußner, Galaterbrief 368 f). Ob sich solch sachlich weitreichende Schlußfolgerungen aus der Stelle ziehen lassen, sei dahingestellt. Näher liegt m. E. ein anderer Gedanke: Möglicherweise will der Verfasser mit der Verwendung von doule‹ein die Aufforderung von 5,13c mit einer gewissen Ironie versehen. In Gal 4,9 stellt der Verfasser die Bereitschaft der Adressaten, Beschneidung und Gesetzesgehorsam zu übernehmen, als Wille dar, sich versklaven zu lassen. Darauf könnte er in Gal 5,13c anspielen, so daß die Aufforderung folgenden Beiklang hätte: „Wenn ihr Euch schon versklaven lassen wollt, dann nicht durch Beschneidung und Gesetzesgehorsam, sondern durch die Liebe“. 205 Becker, Galater 86. 206 S. dazu noch einmal o. S. 67.

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Gesetzesgehorsam aus der Verbindung mit Christus reiße, aus der Gnade fallen lasse. Die mit Gal 5,14 gemachte positive Aussage über das Gesetz steht also in provokantem Gegensatz zu der in Gal 5,13 gipfelnden negativen Aussagenreihe über den Gesetzesgehorsam. Zunächst ist danach zu fragen, wie das gâr aufzufassen ist, mit dem Gal 5,14 an Gal 5,13 anknüpft. Gâr läßt sich begründend („denn“, „weil“), aber auch erklärend („nämlich“) verstehen.207 Im ersten Fall würde die Motivation des Verhaltens genannt, zu dem Vers 5,13c auffordert, und die Liebe durch den Verweis auf das Liebesgebot begründet. Die Aufforderung zur Liebe würde also im Gesetz verankert.208 Im zweiten Fall diente der Hinweis auf das Gesetz der erklärenden Erläuterung der vorangegangenen Aufforderung zur Liebe. Folgende Überlegungen sprechen dafür, das gâr erläuternd und nicht begründend aufzufassen: Die Aufforderung zur Liebe in Gal 5,13c ist bereits durch Gal 5,6 plausibilisiert. Die Adressaten werden auf die Liebe verpflichtet, da diese das konstitutive Charakteristikum des Glaubens ist, der die von Christus Befreiten kennzeichnet.209 Dieses Charakteristikum entspricht der Heilstat Christi, die ihrerseits wesentlich durch Liebe bestimmt ist. Gal 2,20 faßt die Heilstat Christi aus der Perspektive des glaubenden Ichs folgendermaßen zusammen: Én pùstei z tá toø uÖoø toø heoø toø ¦gapÕsantÁß me kaÿ paradínto™ Åautón ¡pÄr Émoø. Die Liebe als Kennzeichen des Glaubens ist also von Gal 2,20 her christologisch verankert210 und bedarf keiner weiteren Begründung. Daher liegt es näher, das gâr erläuternd im Sinne einer Zusatzinformation211 zu verstehen, da sonst eine Doppelbegründung vorläge.212 Für ein Verständnis von Gal 5,14 im Sinne einer Erläuterung und nicht einer weiteren Begründung der Aufforderung zur Liebe spricht zudem, daß der Vers nicht als Handlungsanweisung an die Adressaten formuliert ist, sondern als Aussage über das Gesetz.213 207 Vgl. Bauer/Aland, s. v. gâr 1. 2. 304 f. 208 So Finsterbusch, Thora 98. 106. 209 Vgl. dazu noch einmal o. S. 68 ff. 210 Vgl. Longenecker, Galatians 241. 211 Vgl. Barclay, Truth 142 Anm. 119. 212 Dieses Argument allein ist noch nicht zwingend, da eine Doppelbegründung theoretisch denkbar ist. Doch im Verbund mit den folgenden Überlegungen gewinnt dieses Verständnis von gâr an Plausibilität. 213 Vgl. Westerholms Beobachtung im Blick auf den gesamtpaulinischen Befund: An den Stellen, an denen Paulus von der Erfüllung des Gesetzes durch die Christen spricht (Röm 8,4; 13,8–10; Gal 5,14), „Paul is describing, not prescribing, Christian behaviour“ (Westerholm, Law 201). Vgl. Longenecker, Galatians 243; Vollenweider, Freiheit 313; Witherington, Grace 381; Koch: „Paulus führt Lev 19,18b und Dtn 5,17–21 in Röm 13,9 bzw. Gal 5,14 nicht anstelle einer eigenen paränetischen Weisung an, sondern sie folgen auf die von ihm

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Jenseits der Frage, wie das gâr aufzufassen ist, besteht das oben skizzierte sachliche Problem, das in der positiven Bezugnahme auf das Gesetz besteht. Folgende Besonderheiten in der Formulierung des Verses 5,14 im Gegenüber zu Gal 5,3 verdienen Beachtung: In Gal 5,14 ist von der Erfüllung des Gesetzes die Rede (plvroøn), während der Verfasser in Gal 5,3 vom Tun des Gesetzes spricht (poieûn). In Gal 5,3 heißt es Ñlo™ ú nímo™, in Gal 5,14 ú pé™ nímo™. Zunächst zum letzteren Unterschied: Pé™ in der Wendung ú pé™ nímo™ steht attributiv zwischen Artikel und Nomen. Bei dieser Verwendung von pé™ „steht das Ganze oder die Gesamtheit dem Teil entgegen“.214 ŠO pé™ nímo™ „ist das gesamte Gesetz, im Gegensatz zu seinen einzelnen Anordnungen“.215 Damit ist in Gal 5,14 etwas geringfügig anderes bezeichnet als mit der Wendung Ñlo™ ú nímo™, die das ungeteilte Gesetz meint, d. h. das Gesetz mit all seinen Anforderungen.216 Mit der Formulierung von Gal 5,14 blickt der Verfasser nicht so sehr auf die Fülle der Gesetzesgebote, sondern auf seine Gesamtheit im Sinne seiner Gesamtstoßrichtung, seiner Intention. Gegenüber Gal 5,3 ist in Gal 5,14 nicht vom „Tun“, sondern vom „Erfülltsein“ des Gesetzes die Rede.217 Dabei steht das Verb im Perfekt (peplŒrwtai). Das Perfekt bezeichnet in der Regel „einen Zustand als Resultat einer vergangenen Handlung“.218 D. h. die Aussage, daß das Geselbst formulierte prinzipielle Aufforderung zum doule‹ein diä tœ™ ågâpv™“ (Schrift 296 [Hervorhebung von mir]). Sie bestätigen nicht nur das von Paulus Gesagte, „sondern dienen auch der Klärung des sachlichen Verhältnisses zwischen Dekalog, Gesetz als Ganzem und ågâpv“ (Schrift 296). 214 BDR § 274.3. In dieser Stellung kommt Ñlo™ nie vor. 215 Mußner, Galaterbrief 370; vgl. Witherington, Grace 380. S. auch Hübner, der aus dieser Auffälligkeit jedoch den Schluß zieht, Paulus meine in Gal 5,14 nicht das mosaische Gesetz: „D a s g a n z e G e s e t z d e s M o s e ist gerade n i c h t i d e n t i s c h m i t d e m , g a n z e n ` G e s e t z , das für die Christen gilt“ (Hübner, Gesetz 38). Gegen Hübner macht Barclay zu Recht geltend: „Since nímo™ has meant ,the Mosaic law` all the way up till this point in Galatians and continues to bear this reference four verses later in 5.18, and since 5.14 itself contains a quotation from the Mosaic law . . ., it is extremely unlikely that ú pé™ nímo™ can mean anything other than the whole Mosaic law“ (Truth 137; vgl. Sanders, Law 96 f; Witherington, Grace 380). Obgleich nímo™ in Gal 5,14 nichts anderes als das mosaische Gesetz meinen kann, scheinen mir die unterschiedliche Formulierungen in Gal 5,3 und Gal 5,14 dennoch eine Nuance auseinander zu liegen und nicht vollkommen bedeutungsgleich zu sein, wie Barclay meint (vgl. Barclay, Truth 139; vgl. auch Vouga, Galater 129). 216 Vgl. Bauer/Aland, s. v. Ñlo™ 2.a. 1144 f. 217 Den Unterschied zwischen poieûn und plvroøn heben besonders Betz (Galaterbrief 470), Barclay (Truth 139 f), Vollenweider (Freiheit 313) sowie Westerholm (Law 203 ff) hervor. – Barclay hält in einem Vergleich mit der Septuaginta und anderer griechischer Literatur fest, daß Paulus mit der Kombination von plvroøn mit nímo™ „is using vocabulary unprecedented in the Jewish tradition“ (Truth 138; vgl. seinen Nachweis Truth 138). Vgl. Finsterbusch (Thora 99 Anm. 8), die jedoch gegenüber Barclay zu völlig anderen Ergebnissen kommt (vgl. Finsterbusch, Thora 103 ff). 218 BDR § 318.4.

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setz im Liebesgebot erfüllt ist, ist keine zeitlose Feststellung über das Wesen des Gesetzes, sondern wird vielmehr von einem bestimmten Punkt der Vergangenheit her gedacht, der sie bedingt. Das Verb plvroøn trägt zudem den Bedeutungsgehalt einer Veränderung: „etw. noch Unvollkommenes“ wird „zur Vollendung“ gebracht, „etw. Unfertiges fertig“ gemacht.219 Das verstärkt die Annahme, der Verfasser wolle darauf hinaus, daß das Gesetz eine Veränderung erfahren hat, die durch ein vergangenes Ereignis bedingt ist und dieses nun bleibend bestimmt.220 Die Wortwurzel plvr- findet sich im vorhergehenden Brieftext noch in Vers 4,4, in dem von der Sendung des Sohnes die Rede ist: „als das plŒrwma der Zeit kam“. Diese Angabe ist eine „eschatologische Zeitangabe“.221 Von Gal 4,4 her bekommt das Verb plvroøn in Gal 5,14 eine eschatologische Färbung: „The verb . . . implies the total realization and accomplishment of the law’s demand, . . . the total realization of God’s will in line with the eschatological fullness of time in the coming of Christ.“222 D. h. der Vers bringt eine Redefinition des Gesetzes223 ins Spiel, die sich vom eschatologischen Ereignis des Christusgeschehens her ergibt: Jetzt, seit dem Kommen Christi, findet das Gesetz im Liebesgebot seine Erfüllung. In ihm kommt es zur Vollendung, weil die Liebe das dem Christusgeschehen entsprechende Verhalten im neuen Äon ist. Das Gesetz in seiner Totalität, in seiner Intention, erfüllt man seit dem Kommen Christi, indem man einander wechselseitig liebt. Gal 5,14 zielt also sachlich auf den Gedanken: Die Liebe ist das dem Christusgeschehen angemessene Verhalten und in diesem erfüllt sich die Thora als Ausdruck göttlichen Willens, ohne daß die Gesetzeserfüllung das erklärte Ziel ist.224 219 Bauer/Aland, s. v. plvríw 3. 1349 (im Original teilweise hervorgehoben). 220 Ein Verständnis des Perfekts als gnomisch ist grammatisch ebenso denkbar; vgl. Betz, Galaterbrief 469; Söding, Liebesgebot 207; Mußner, Galaterbrief 370 Anm. 26: „(D)as Gesetz ist immer dann erfüllt, wenn das Liebesgebot erfüllt wird“. Läßt man die folgenden Überlegung (s. o.) gelten, daß der Verfasser eine Redefinition des Gesetzes im Lichte des eschatologischen Heilsgeschehens in Christus vornimmt, ist es jedoch wahrscheinlicher, daß das Perfekt eine (bleibende) Veränderung des Gesetzes anzeigen will (vgl. Longenecker, Galatians 243; Martyn, Galatians 505 und Martyn, Event 245 [s. zu Martyns Auslegung u. S. 107 Anm. 238]). 221 Vouga, Galater 101; vgl. Becker, Galater 63; Betz, Galaterbrief 360 f. 222 Barclay, Truth 139 f; vgl. Witherington, Grace 381. 223 Barclay spricht im Blick auf die Wendung „das Gesetz des Christus“ in Gal 6,2 von „the law redefined through Christ_“ (Truth 134); vgl. ähnlich Longenecker, Triumph 86 ff; Vollenweider, Freiheit 312. 224 Vgl. Longenecker, Galatians 243; Witherington, Grace 381; s. Westerholm zum Argumentationsgefälle der paulinischen Rede von der Erfüllung des Gesetzes: „For Paul it is important to say that Christians ,fulfill` the whole law, and thus to claim that their conduct . . . fully satisfies the ,real` purport of the law in its entirety . . . Christians serve God . . . not in the old way where conduct is prescribed by the law’s ,letter`, but in the new way of the Spirit . . . . Paradoxically, the results (not the requirements!) of the ,old way` are said to be

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II. Eine textpragmatische Analyse von Gal 5 und 6

Die Redefinition des Gesetzes, die der Verfasser in Gal 5,14 vornimmt, geht über eine Reduktion der Thora auf das Liebesgebot oder eine Verhältnisbestimmung von Thora und Liebesgebot hinaus: Der Vers zielt nicht primär auf den Gedanken, die „Bestimmungen des ganzen Gesetzes“ würden einfach, wenn auch „radikal auf das Liebesgebot reduziert“225, die Thora würde durch das Liebesgebot ersetzt226 oder das Liebesgebot zum Maß für andere Thorabestimmungen erklärt.227 Mit Gal 5,14 interpretiert der Verfasser vielmehr den ganzen Gesetzesbegriff um. In Gal 5,14 ist von einer „elementare(n) Wandlung im Gesetz selbst“ die Rede: „Dieses bleibt so wenig wie diejenigen, die es befolgen, dem Äonenumbruch gegenüber invariant, sondern erfährt durch Kreuz und Auferstehung Christi hindurch eine fundamentale Transformation“.228 Der Verfasser definiert den nímo™ in Gal 5,13c. 14 so grundlegend neu, daß außer der gleichbleibenden Bezeichnung, dem Gedanken, daß das Gesetz Gottes Willen enthält, sowie dem Berührungspunkt zwischen Thora und redefiniertem „Gesetz“ in der Liebe wenig Gemeinsames bleibt mit dem jüdischem Verständnis von Thora.229 Von daher läßt sich erst recht die Interpretation von Finsterbusch nicht halten, Paulus stelle die Gültigkeit der Thora für Christen gar nicht in Frage230: Gal 5,14 sei als „positive Anführung der Thora (nach den im Brief bislang abgrenzenden Ausführungen)“ zu verstehen, die „den Galatern erklären will, daß die Thora und wie die Thora für sie gültig bleibt“.231 Gal 5,14 sei auf der Linie vergleichbarer Aussagen in der rabbinischen Literatur zu verstehen, wie z. B. bSchab31232, dessen Aussage nicht auf die Aufhebung oder Relativierung der übrigen Thoragebote ziele, sondern das Wesentlichste der Thora zusammenfasse „zwecks Einübung in die ganze Thora“.233 In diesem Sinne sei auch die paulinische Äußerung aufzufassen: „In Gal 5,13–15 . . . limitiert Paulus die Geltung der Thora . . . nicht auf die Erfüllung des Liebesgebotes. Das Liebesgebot wird in Gal 5,16–6,10 durch sinful passions, transgressions of the law, and death (Rom. 7:5; 2 Cor. 3:6; Gal. 3:19). Paradoxically again, the ,fruit` (but not the requirement!) of the ,new way` is the ,fulfillment` of the law“ (Law 205). 225 Mußner, Galaterbrief 370; vgl. Räisänen, Paul 27. 226 Vgl. Esler, Boundaries 233; Wischmeyer, Gebot 185–187; Vouga, Galater 130. 227 Vgl. Reinmuth, Geist 56 f; Söding, Liebesgebot 208 f; Schrage, Ethik 223 f. 213 (s. auch Schrage, Einzelgebote 268 ff. 231 f); vgl. in ähnlicher Richtung Bultmann, der von der Freiheit spricht, „innerhalb des überlieferten Gesetzes zu unterscheiden zwischen dem seinem Inhalt nach Gültigen und Ungültigen“ (Theologie 342; s. auch Bultmann, Ethik 51), den Charakter des Liebesgebotes jedoch anders einschätzt als z. B. Schrage (vgl. Schrage, Ethik 268 ff zu Bultmann, Gebot 229 ff). 228 Vollenweider, Freiheit 312; vgl. zu Gal 5,14 aber auch die traditionsgeschichtlichen Überlegungen bei Vollenweider (Freiheit 306–308), die seine Interpretation von S. 312 m. E. zu verwässern drohen. 229 An dieser minimalen, aber bleibenden Verbindung scheint dem Verfasser aber wiederum gelegen: s. dazu u. S. 107 mit Anm. 238 und zu Gal 6,2 S. 153 ff mit Anm. 437. 230 Vgl. auch Burchard, Summe 171 f. 175. 182 f; Dunn, Galatians 288–291. 231 Finsterbusch, Thora 106 f. 232 Vgl. die am häufigsten genannte Vergleichsstelle bSchab31 sowie die Zusammenstellung bei Finsterbusch, Thora 103 ff; s. auch Martyn, Galatians 515–518; Wischmeyer, Gebot 162 ff. 233 Theißen/Merz, Jesus 342; vgl. Finsterbusch, Thora 104 f; Burchard, Liebesgebot 16 f.

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weitere Weisungen zur Gestaltung der Gemeinschaft erläutert, die also als ausgelegte Thora gelten müssen“.234 Der Text weise „klar darauf hin, daß der Apostel die Thora für die Gemeinden als Basis, von der her Handeln bestimmt wird, ansieht“.235 Gegen diese Auslegung spricht nicht nur der oben genannte Gedanke, daß der Verfasser mit Gal 5,14 eine radikale Uminterpretation des Gesetzesbegriffs vornimmt. Fraglich ist diese Deutung auch angesichts dessen, daß Gal 5,14 gar nicht das Thoragebot Lev 19,18 als Handlungsanweisung an die Adressaten einführt236, so daß die folgenden Ausführungen als eine Thoraauslegung erscheinen könnten. Die Aufforderung zur Liebe erfolgt in Gal 5,13c und hat christologische Gründe. Die Bezugnahme auf das Liebesgebot der Thora hat den Stellenwert einer zusätzlichen „Information“ im Anschluß an die Aufforderung zur Liebe. Von ihr geht also keine Handlungsmotivation oder -begründung aus, so daß die Thora kaum „als Basis, von der her Handeln bestimmt wird“237, in Erscheinung tritt.

Mit der Erläuterung der Aufforderung zur wechselseitigen Liebe durch den Hinweis auf das Liebesgebot als Erfüllung des Gesetzes trennt der Verfasser das Gesetz an sich vom Versuch, im Gesetz gerecht werden zu wollen (Gal 5,4), von den Werken des Gesetzes (Gal 3,3). Er entnimmt das Gesetz der negativen Aussagenreihe über den Gesetzesgehorsam, die in Gal 5,13 mit der Zuordnung jüdischer Lebensweise zur sârx gipfelt, und reiht es in die Positiv-Reihung Freiheit – Geist – Glaube – Liebe ein, die mit Christus verbunden ist. Das Gesetz, das mit Gal 5,13c in so gefährliche Nähe zum gegengöttlichen Bereich der sârx rückte, wird mit Gal 5,14 pointiert für den göttlichen Bereich reklamiert und in ihn „hinübergerettet“238: Das Gesetz als Ausdruck göttlichen Willens gehört nicht in den Bereich des „Nur-Menschlichen“, sondern in die göttliche Sphäre. Mit der Redefinition des Gesetzes verortet der Verfasser die zwischen sich und seinen Adressaten so umstrittene Größe „Gesetz“ im Christusbereich. Im Blick auf die Adressaten hat dies folgende Funktion: Gal 5,14 macht ihnen deutlich, daß der Ort des Gesetzesgehorsams, um den es ihnen geht, ein anderer ist als der, an dem sie ihn suchen. Im Bereich des Christus, in der wechselseitigen Liebe, findet das Verhalten statt, das dem göttlichen Willen entspricht, und nirgendwo anders, also nicht im Geset234 Finsterbusch, Thora 186; vgl. auch Thora 99. 235 Finsterbusch, Thora 107. 236 Vgl. Westerholm, Law 201. 237 Finsterbusch, Thora 107. 238 Dieses Interesse des Paulus, die Thora nicht gänzlich an das „Nur-Menschliche“ preiszugeben, scheint auch Martyn zu spüren, wenn er annimmt, in Gal 5,14 käme „the voice of the original, pre-Sinaitic Law that articulates God’s own mind“ zur Sprache (Galatians 506). Dennoch erscheint es mir angesichts der starken Situationsbezogenheit des Verses fraglich, ob Paulus tatsächlich systematisch zwischen „two voices“ des Gesetzes unterscheiden will: „the voice of the Sinaitic Law that curses and enslaves“ und „the voice of the original, pre-Sinaitic Law“ (Galatians 506; vgl. auch Event 235 ff).

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II. Eine textpragmatische Analyse von Gal 5 und 6

zesgehorsam als Tun der Einzelgebote, so wie es die Adressaten anstreben (Gal 5,3). Dem göttlichen Willen, der sich im Gesetz kund tut, ist man seit dem Kommen Christi gehorsam dadurch, daß man im Glauben einander durch die Liebe dient. Alles andere führt in den sârx-Bereich.

2.3.3 Gal 5,15 Bildete Gal 5,14 eine Erläuterung zu Gal 5,13c, so knüpft Gal 5,15 chiastisch an Gal 5,13b an. Es wird soziales Fehlverhalten benannt, das unter die Kategorie „dem Fleisch Gelegenheit geben“ fällt und in deutlichem Gegensatz zur Liebe steht, zu der Gal 5,13c.(14) aufforderte. Mit ållŒlou™ (5,15a) und ¡pš ållŒlwn (5,15b) bezieht sich Gal 5,15 auf den Vers 5,13c zurück, der mit ållŒloi™ endet.239 Die Wiederaufnahme des Reziprokpronomens erhöht die Kontrastwirkung des Bildes massiver Gemeinschaftszerstörung in Gal 5,15 zu der eben eingeforderten Gemeinschaft, die von wechselseitiger Liebe geprägt sein soll. Gal 5,15a vergleicht das „Zerstören der Gemeinschaft“240 mit „dem Verhalten von wilden Tieren.“241 Die Verben dâknein und kateshùein (5,15a) stellen eine semantische Beziehung zu sârx her. Der Verfasser verwendet das Bild „of carnivorous animals, ripping the flesh from one another and ending up devouring one another. Indeed a meaty scene to illustrate a fleshly attitude!“242 Als Konsequenz eines solchen „fleischlichen“ Verhaltens stellt Gal 5,15b „restlose() Vernichtung“ in Aussicht.243 Sachlich vermittelt Gal 5,15b: Mit Streitereien und sozialem Fehlverhalten „dem Fleisch Gelegenheit zu geben“, wohnt rettungsloser Untergang inne. Formuliert ist dieser Gedanke als Warnung an die Adressaten. Auch Gal 5,15a ist adressatenbezogen formuliert. Die Frage, ob der Verfasser auf faktische Gegebenheiten in den galatischen Gemeinden Bezug nimmt244 oder eher hypothetisch-theoretisch245 spricht, läßt sich nicht ein239 Auch Vouga (Galater 130 f) sieht diesen Bezug. 240 Becker, Galater 87. 241 Schlier, Galater 246; vgl. Betz, Galaterbrief 472: Vergleiche von „schlechtem Benehmen mit dem Benehmen wilder Tiere waren in der Literatur der Diatribe weit verbreitet.“ 242 Pretorius, Opposition 457; vgl. Nikolakopoulos, Ironie 207 (Nikolakopoulos macht in dem Vers die rhetorische Figur der Ironie aus [vgl. Ironie 195–199]). 243 Bauer/Aland, s. v. ånalùskw 112. 244 So Barclay, Truth 71; Fee, Freedom 205. 209 f; Schlier, Galater 246. 245 So Becker, Galater; Betz, Galaterbrief 472 f; Mußner, Galaterbrief 373 f; Oepke, Galater 170 f; Wessels, der in den Streitigkeiten „the most pressing ethical problem in Galatia“ sieht (Call 467), dem Paulus antizipierend begegnet (vgl. Call 474). Betz (Galaterbrief 472 f) betont den in Gal 5,15a verwendeten Realis, weist die Vermutung jedoch zurück, der Verfasser dächte hier „an konkrete Beispiele solchen Benehmens.“ Sein Argument, die Sprache sei „mit Absicht hyperbolisch“ (Galaterbrief 472), kann jedoch nicht überzeugen. An

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deutig entscheiden.246 Sie kann offenbleiben, denn in beiden Fällen ist zu fragen, warum der Verfasser seinen Adressaten gegenüber auf das Thema „gemeinschaftszerstörendes Verhalten“ zu sprechen kommt und sie nachdrücklich vor den Konsequenzen warnt.247 Diejenigen Exegeten, die die Streitigkeiten in irgendeinem Zusammenhang mit der galatischen Situation sehen248, sind der Auffassung, der Verfasser bezöge sich auf Streitigkeiten, die entweder Folge oder Ursache des derzeitigen Konfliktes um die Geltung von Gesetz und Beschneidung darstellen bzw. darstellen könnten. Mußner z. B. erwägt, ob der Verfasser prophylaktisch vor Entwicklungen warnen wolle, „zu denen die Hinwendung der Galater zum Judaismus führen könnte. Denn ein kasuistischer Legalismus zerstört nur allzuleicht die ågâpv und macht ein wahres christliches Gemeinschaftsleben unmöglich.“249 Barclay auf der anderen Seite sieht in den angesprochenen Konflikten einen Teil der Ursache dafür gegeben, warum der Gesetzesgehorsam für die Galater so attraktiv wurde. In einer Situation, die eh schon durch ethisch-moralische Verunsicherung geprägt sei, hätten Streitigkeiten innerhalb der Gemeinden ihr übriges getan: „Another factor contributing to their uncertainty in this area may have been the onset of divisions and disputes in the Galatian churches. Such difficulties seems to be indicated by Paul’s warning in 5.15 against ,biting and devouring one another`“.250

der sprachlichen Gestaltung läßt sich die Frage nicht entscheiden, ob Paulus auf faktische Gegebenheiten anspielt oder nicht. Der Verfasser könnte doch eine faktisch gegebene Situation bewußt überzeichnen, um sie so zugespitzter kritisieren zu können. 246 Vouga (Galater 131) weist mit Recht daraufhin, daß sich keine eindeutigen Hinweise aus der Konstruktion eÜ mit Indikativ Präsens noch aus der „konventionell fantastische(n) Übertreibung der Bilder“ entnehmen lassen. 247 Es ist also nichts mit einer Auskunft gewonnen, wie sie sich bei Oepke findet: Paulus spiele nicht auf konkrete Zustände in den Gemeinden an, sondern wolle „nur das Motiv ,Unfriede verzehrt` variieren“ (Galater 171; vgl. auch Becker, Galater 87). Auch in diesem Fall muß die Frage beantwortet werden, was diese Variation vor den Ohren der Adressaten bedeuten und bewirken soll. Zudem stellt sich bei Oepke die Frage, wie sich diese Einschätzung zu der zuvor bei ihm gemachten verhält, die „Realform des Bedingungssatzes deutet an, daß Paulus nicht mit bloßen Möglichkeiten, sondern mit sehr ernsten Wirklichkeiten rechnet“ (Galater 170). 248 Ohne jeglichen Berührungspunkt mit der galatischen Situation verstehen Becker (Galater 87) und Oepke (Galater 171) den Vers. 249 Mußner, Galaterbrief 374. Vgl. auch Dunn, der sich nicht festlegt, ob Paulus auf bereits bestehende Konflikte anspielt oder theoretisch spricht, aber festhält: „(T)he teaching of the other missionaries must have cause tension and considerable disagreement within the Galatian churches“ (Galatians 293). 250 Barclay, Truth 71 (vgl. 154); vgl. dann aber Truth 168. 208, wo Barclay die Streitigkeiten in ähnlicher Weise beurteilt, wie unten von mir vorgeschlagen, jedoch ohne Bezugnahme auf Gal 5,15.

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Doch stellen faktische oder theoretische Streitigkeiten in den Gemeinden gar kein eigenständiges Thema neben dem galatischen Grundkonflikt um Gesetzesgehorsam und Beschneidung dar. Das die Gemeinschaft zerstörende Verhalten, das in Gal 5,15 angesprochen wird, ist vielmehr Ausdruck der einen theologischen Krise, die sich mit Gesetzesgehorsam und Beschneidung verbindet: Gesetzesgehorsam und Beschneidung als „ethnischsoziale Trennmauer()“ grenzt Gruppen gegeneinander hierarchisch ab.251 Diese Hierarchisierung zerstört die in Christus gegebene Einheit der christlichen Gemeinschaft. Wenn Mußner sagt, Paulus wolle vor Entwicklungen warnen, „zu denen die Hinwendung der Galater zum Judaismus führen könnte“, vermutet er in richtiger Richtung, um was es dem Verfasser geht. Doch stellt nicht „ein kasuistischer Legalismus“, der „nur allzuleicht . . . ein wahres christliches Gemeinschaftsleben unmöglich“ macht252, das Problem dar. Dieses besteht vielmehr darin, daß die Anerkennung von Gesetzesgehorsam und Beschneidung die „egalitäre() Gemeinschaft“253 der Christusgläubigen zunichte macht. Diese Gemeinschaft ist sichtbares Zeichen der Herrschaft Christi in dieser Welt und somit unlösbar mit dem Christusgeschehen verbunden.254 Das Christusgeschehen hat für die Christusgläubigen eine soziale Dimension, die der Abschnitt Gal 3,26–28 programmatisch formuliert. Mit Gal 3,26–28 steht der Abschnitt Gal 5,13–15 über Gal 5,6 in Verbindung. Der Vers 5,13, auf den 5,15 chiastisch bezogen ist, verweist zurück auf die Gegenüberstellung von Beschneidung (bzw. Gesetzesgehorsam) und dem Glauben, der sich in der Liebe als wirksam erweist (5,6). Gal 5,6 bezieht sich seinerseits zurück auf Gal 3,26–28.255 Dort wird festgehalten: Der Glaube an Christus, der Vollzug der Taufe stellt in eine Gemeinschaft, in der alle diskriminierenden „menschlichen“, d. h. innerweltlichen Unterscheidungen außer Kraft gesetzt sind. Das dreimalige o«k 251 Strecker, Theologie 359. Zur sozialen Bedeutung von Thoraobservanz und Beschneidung als identity bzw. boundary marker vgl. grundlegend Dunn, Perspective 107 ff; Dunn, Paulus-Perspektive 39 ff; kritisch Esler (Boundaries 223 f), der bei Dunn eine unsachgemäße Engführung ausmacht (vgl. ausführlich Esler, Boundaries 220–231). – Vgl. zum Vers Wessels (Call 473), der die Verbindung zwischen Störung des sozialen Miteinanders und Einführung von Thora und Gesetzesgehorsam klar herausstellt, jedoch nicht die theologische Tragweite geltend macht. 252 Mußner, Galaterbrief 374. 253 Strecker, Theologie 359. 254 An ihr zeigt sich, daß und wie Gott seine Schöpfung unter seine Herrschaft zurückholt; vgl. dazu grundlegend Käsemann, Anthropologie 42 ff. 255 Vgl. dazu noch einmal o. S. 101 und S. 68 f. Gal 3,36–28 bildet innerhalb des Abschnittes Gal 3,23–29 eine in sich abgerundete Einheit, die durch die pânte™-Formulierungen gerahmt wird (vgl. Paulsen, Einheit 77). Zu der Frage, ob hier eine vorpaulinische (Tauf-) Tradition vorliegt vgl. z. B. Becker, Galater 59 f; Betz, Galaterbrief 320–327; Meeks, Image 180 ff; Mell, Schöpfung 306 ff; Paulsen, Einheit 77 ff; Strecker, Theologie 351–353.

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ôni . . . o«dì bzw. o«k ôni . . . kaù (Gal 3,28) erklärt die Aufhebung dreier fundamentaler Unterscheidungsmerkmale, die hierarchische Gruppenkonstellationen etablieren. šIoudaûo™ und ÙEllvn nimmt eine ethnisch-religiöse Unterscheidung in den Blick, doølo™ und Éle‹hero™ eine soziale, ërsen und hœlu eine grundlegend anthropologische Differenzierung. Diese universalen Abgrenzungskriterien sind im Herrschaftsbereich Christi bedeutungslos. Mit dem „Anziehen“ des Christus realisiert sich der „neue Status der Gemeindeglieder“256, die unterschiedslose Einheit aller jenseits der innerweltlichen „Rollen- und Rangunterschiede“257. Die Aussagen von Gal 3,26–28 sind auf die konkrete soziale Realität der christlichen Gemeinschaft bezogen. Sie sind nicht „rein religiös“258 aufzufassen, d. h. sie erstrecken sich nicht allein auf den soteriologischen Status des Einzelnen ungeachtet seiner Sozialbezüge. Eine solche „soteriologisch-heilsindividualistische Deutung“259 bringt Mußner folgendermaßen auf den Punkt: „Der Apostel will . . . selbstverständlich nicht sagen, daß derartige Unterschiede äußerlich nicht mehr bestehen . . ., a b e r s i e h a b e n j e g l i c h e H e i l s b e d e u t u n g v o r G o t t v e r l o r e n .“260 Gegen dieses Verständnis sprechen folgende Überlegungen: Zunächst ist festzuhalten, daß der Abschnitt durchgängig von Pluralformulierungen bestimmt ist. Diese schließen aus, daß primär das gläubige Individuum im Mittelpunkt der Ausführungen steht.261 Der Abschnitt zielt vielmehr auf eine ekklesiologische Aussage. Zudem setzt die Auffassung, den Unterschieden werde die Heilsbedeutung abgesprochen, voraus, diese hätten ursprünglich eine gehabt. Die Abgrenzung von Juden und Heiden ist in der jüdischen Tradition zwar durchaus so verstanden worden, „doch nirgendwo . . . ist von einer Heilsrelevanz der Differenz zwischen Sklaven und Herren die Rede. Entsprechendes gilt für die Unterscheidung der Geschlechter.“262 Da die drei Gegensatzpaare in Gal 3,28 gleichgeordnet sind, muß die Aufhebung der Unterschiede so verstanden werden, daß sie in gleicher Weise für alle drei Gegensatzpaare zutrifft. Die Auffassung, die Aufhebung der Unterschiede sei als Aberkennung ihrer Heilsbedeutung zu verstehen, macht jedoch nur im Blick auf ein Gegensatzpaar Sinn und trifft die

256 Vogel, Erwägungen 454; vgl. Betz, Galaterbrief 333; Strecker, Theologie 195 f. 257 Vogel, Erwägungen 454. 258 Oepke, Galater 126; vgl. Schlier, Galater 174 f. 259 Strecker, Theologie 355. 260 Mußner, Galaterbrief 264; vgl. Burton, Galatians 206 f; Oepke, Galater 126; Schlier, Galater 174 f. Vgl. in ähnlicher Richtung auch Matera, Galatians 147 sowie Becker (Galater 60), der den Gedanken der Eingliederung in eine neue Gemeinschaft dennoch stark hervorhebt. 261 Vgl. bes. die pointierte Voranstellung von pânte™ in 3,26 und 3,28d. Zudem nennt Gal 3,28 grundlegende Sozialbezüge und keine individuellen Verfaßtheiten. Des weiteren stößt die Pointe in Gal 3,28d ins Leere, wenn man Gal 3,26–28 auf das Individuum bezogen liest. Die Aussage, alle bildeten eine Einheit (vgl. Bauer/Aland, s. v. eQ™ 1.b. 465) macht nur Sinn, wenn eine Vielheit der Einheit gegenübergestellt wird und nicht ein Individuum der Einheit. 262 Strecker, Theologie 355.

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II. Eine textpragmatische Analyse von Gal 5 und 6

anderen beiden nicht. Des weiteren stellt sich unter Annahme der soteriologischheilsindividualistischen Deutung folgende Frage: Diese geht davon aus, daß die Unterscheidungen Jude – Grieche, Sklave – Freier, männlich – weiblich weiterhin äußerliche Gültigkeit haben, also nach wie vor im Alltag ihre gewohnte Rolle spielen. Wie erklärt sich aber dann die scharfe Verurteilung des Verhaltens Petri im antiochenischen Zwischenfall (Gal 2,11 ff)? Wenn es bei der Aufhebung der Unterscheidung von Jude und Grieche nur darum ginge, um ihre Irrelevanz hinsichtlich des Heils zu wissen, dürfte es keinen derartigen Skandal bedeuten, daß Petrus die Tischgemeinschaft mit den Heidenchristen ablehnt. Dieses Verhalten entspräche doch dann durchaus der paulinischen Auffassung, der Unterscheidung käme coram Deo zwar keine Bedeutung zu, spielte jedoch im alltäglichen Zusammenleben unverändert eine Rolle.263 Dagegen könnte der Verfasser kaum die Wahrheit des Evangeliums aufbieten, wie er es jedoch in Gal 2,14 tut. Entgegen der soteriologisch-heilsindividualistischen Auffassung macht der Abschnitt Gal 2,10 ff gerade deutlich, wie alles am Vollzug der unterschiedslosen Gemeinschaft hängt.264 Für die „sozial-ekklesiologische Deutung“265 von Gal 3,26–28 spricht weiterhin die „pointierte Verwendung des Präsens o«k ôni (= o«k ônestin), das einen dauerhaften Zustand anzeigt“.266 Der Verfasser spricht „nicht von utopischen Idealen oder ethischen Forderungen . . ., sondern von vollendeten Tatsa-

263 D. h. man äße zwar nicht miteinander, wüßte aber, daß die Unterscheidung, die der Tischgemeinschaft im Wege steht, heilsirrelevant ist. Dies ist eine kaum vorstellbare Haltung, erst recht nicht in der Welt des 1. Jh. n. Chr., die eine Trennung von sozialer Welt und Religion nicht kennt (vgl. Malina, Religion 97; Strecker, Theologie 355). 264 Das Problem besteht für Paulus weniger in der Inkonsequenz des Petrus bzw. der fragwürdigen Motive seines Handelns (vgl. z. B. Betz, Galaterbrief 206 f, Wehnert, Reinheit 124 f). Der Protest gegenüber Petrus gründet vielmehr in der grundsätzlichen theologischen Überzeugung des Paulus, daß alle Christusgläubigen, egal ob Juden- oder Heidenchristen, der Thora nicht mehr unterstehen. D. h. ihre Tischgemeinschaft ist Zeichen der Einheit der Gläubigen. Diese Grundüberzeugung des Verfassers ist nicht aus den Vereinbarungen des Apostelkonzils (vgl. zur historischen Rekonstruktion z. B. Wehnert, Reinheit 118 f) ableitbar (vgl. Vouga, Galater 52; zu dieser Spannung vgl. auch Conzelmann/Lindemann [Arbeitsbuch 552], deren Schlußfolgerung jedoch angesichts des theologischen Stellenwerts, den der Verfasser der gelebten Gemeinschaft zwischen Juden- und Heidenchristen zuweist, fraglich erscheint [vgl. dazu näher u. S. 113 ff; vgl. auch u. S. 163 ff]). Doch zielt die Darstellung des antiochenischen Zwischenfalls durch Paulus auch gar nicht auf den Punkt fehlender Konformität mit den Beschlüssen von Jerusalem: „Das Thema ist nicht: Petrus hätte sich nach Gal 2,6–10 richten sollen, sondern: Das Evangelium . . . bedeutet . . ., daß die Abgrenzungen zwischen Juden(christen) und Heiden(christen) wegfallen . . ., weil nicht mehr die Antinomien der alten Ordnungen herrschen, sondern die neue Schöpfung Gottes“ (Vouga, Galater 52 f). – Einen Zusammenhang zwischen dem antiochenischen Zwischenfall und der Grundsatzerklärung von Gal 3,26–28 sieht auch Burton (Galatians 206 f), der jedoch zu einer etwas sonderbaren Formulierung kommt, da er den Passus streng heilsindividualistischsoteriologisch versteht: „Yet that the principle had its indirect social significance is shown in the implications of the Antioch incident“ (Burton, Galatians 207 [Hervorhebung von mir]). Was man sich unter solcher „indirect social significance“ vorstellen soll, bleibt unklar. 265 Strecker, Theologie 357. Vertreten wird sie u.a von Betz (Galaterbrief 333 ff), Meeks (Image 166 f. 182 f), Roloff (Kirche 94 f) und Schrage (Ethik 230). 266 Strecker, Theologie 357; vgl. Roloff, Kirche 94.

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chen.“267 Diese Sprechform läßt nicht zwingend auf „eine reale Erfahrung schließen“268, sondern kann auch als „a solemn ritual pronouncement“269 aufgefaßt werden, hinter der eine faktische Realisierung in den galatischen Gemeinden schwer auszumachen ist. Aber auch im zweiten Fall zielt die Proklamation auf die Realisierung des Proklamierten, erhebt also den Anspruch gelebter Wirklichkeit und nicht den eines lediglich religiösen Bewußtseins.270

Die unterschiedslose Gemeinschaft aller in Christus wird durch die Anerkennung von Gesetzesgehorsam und Beschneidung zerstört, da diese erneut eine hierarchische Gruppenkonstellation etabliert. Die mit Gal 5,15 angesprochene Zerstörung der Gemeinschaft spielt also nicht auf Streitigkeiten an, die als ein weiteres Problem neben dem Thema „Gesetzesgehorsam und Beschneidung“ bestünden. Die Gemeinschaftsschädigung ist vielmehr zwangsläufige Äußerung einer Anerkennung der Thoraobservanz und entsprechend theologisch ernst zu nehmen.271 Denn die Zerstörung der Einheit in Christus negiert die Gültigkeit des Handelns Gottes in Christus, dessen 267 Betz, Galaterbrief 333. 268 Strecker, Theologie 357; vgl. Roloff (Kirche 94), der vom „Indikativ der Erfahrung“ spricht. 269 Meeks, Image 182. 270 Vgl. Meeks, Image 182 f. Vgl. Betz, Galaterbrief 334 f. Mit Betz ist festzuhalten: „Es kann keinen Zweifel darüber geben, daß die Aussagen des Paulus soziale und politische Implikationen von geradezu revolutionärer Tragweite haben“ (Galaterbrief 334). Auch wenn Paulus kaum gesamtgesellschaftlich gedacht haben wird, so drängt das hier formulierte Programm einer „Kontrastgesellschaft“ dennoch über den gemeindlichen Binnenraum hinaus. Als Signum der Herrschaft Gottes in dieser Welt teilt die Gemeinschaft der Christusgläubigen „den Richtungssinn von Gottes Erbarmen, das alle ergreifen will“ (Reichert, Heilswille 94). Sie ist also in Dienst genommen für die Durchsetzung des universalen Heilswillens Gottes (vgl. ausführlicher zur Sache Reichert, Heilswille 93 ff; Käsemann, Anthropologie 42 ff, bes. 58). Wenig hilfreich ist angesichts dieses Sachzusammenhangs die Unterscheidung bei Paulsen zwischen einer „strikt theologisch(en)“ Argumentation des Textes und einem Drängen „auf eine unvermittelte, gesellschaftliche Veränderung“ (Einheit 88 [vgl. auch 94 f]; Paulsen vertritt jedoch keine „rein religiöse“ Auffassung, sondern geht durchaus davon aus, daß die Aussage von Gal 3,26–28 „konkrete Folgerungen aus sich herausgesetzt hat“ [Einheit 88]). Diese Unterscheidung macht eine Alternative auf, die angesichts der leiblichen Inanspruchnahme der Gläubigen in dieser Welt schwer verständlich ist. 271 Sieht man diesen Zusammenhang, wird es m. E. möglich, Erkenntnisse der „New Perspective on Paul“ und der „klassischen“ Paulusexegese miteinander fruchtbar in Verbindung zu bringen. Soviel sei dazu angedeutet: Eine Revision der „klassischen“ Position hinsichtlich einer individualistischen Engführung ist sachlich gefordert (eine Forderung, die jedoch nicht nur von seiten der „New Perspective“ erhoben worden ist; vgl. z. B. Käsemanns Auseinandersetzung mit Bultmann [Käsemann, Anthropologie 24 ff]). Die Vertreter und Vertreterinnen der „New Perspective“ betonen ganz zu Recht die soziale Dimension des Rechtfertigungsgeschehens. Die „klassische“ Position hingegen kann die „New Perspective“ darauf aufmerksam machen, daß an ihrer soziologisch-ethnischen Sichtweise weitaus mehr Theologisches hängt, als bei ihnen mitunter sichtbar wird (vgl. zu den einzelnen Positionen der „New Perspective“ und den Hauptdifferenzen zur traditionellen Paulusexegese den grundlegenden Aufsatz von Strecker, Paulus 3–18); vgl. auch u. S. 163 ff.

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sichtbares Zeichen gerade diese egalitäre Gemeinschaft ist. Damit gehört die Zerstörung der Einheit in den Bereich der sârx.272 Die gemeinschaftszerstörende Wirkung, die der erneuten In-Kraft-Setzung von Beschneidung und Gesetz innewohnt, ist bereits vor Gal 5,15 Thema des Briefes. In der Schilderung des antiochenischen Zwischenfalls (Gal 2,10 ff), der als „historischer Modellfall“ für die galatische Situation fungiert, kommt der Verfasser auf dieses sachimmanente Problem der Wiedereinführung jüdischer Lebensweise zu sprechen. In Gal 2,12 nennt der Verfasser als Vergehen des Petrus, dieser habe sich von der Tischgemeinschaft mit den Heidenchristen zurückgezogen und abgesondert: ¡pìstellen kaÿ åfÈrizen Åautín. Sein Vergehen besteht also in Aufkündigung der Gemeinschaft. Sein Verhalten wird nach den Grundsatz von Gal 3,26–28 zensiert, was die scharfe Verurteilung rechtfertigt (Gal 2,11). Der gegenwärtige galatische Konflikt trägt in der Darstellung des Verfassers dieselben Züge. Im Abschnitt Gal 4,12–18 thematisiert er die aktuelle Situation. Sie ist geprägt von Feindschaft dem Apostel gegenüber: Íste Échró™ ¡mÂn gìgona ålvhe‹wn ¡mûn; (4,16). Die Aktionen der Gegner zielen auf die Aufhebung von Gemeinschaft: Ékkleûsai ¡mé™ hìlousin (4,17).273 272 Vgl. Howards Andeutung dieses Sachverhalts: „The point is: ,If you Gentile Galatians accept the law, you are saying that only Jews can be saved. This discrimination against the ethnic distinctiveness of the Gentiles brings an enslavement to the flesh`“ (Howard, Crisis 85 Anm. 48). Zu Howards Bestimmung der Gesamtstoßrichtung des Abschnittes vgl. o. S. 99. 273 Eine sachliche Verbindung zwischen Gal 2,12; 4,17 und 3,28 sieht auch Barclay (vgl. Truth 168; vgl. auch später im Zusammenhang mit Gal 5,20 Truth 208). Das hier vertretene Verständnis trifft m. E. den Sachverhalt; es bleibt bei Barclay jedoch isoliert neben der Auslegung stehen, die sonst von ihm stark gemacht wird (s. dazu o. S. 109). – Zu Ékkleûsai vgl. Bauer/Aland, s. v. Ékkleùw 485. Was mit diesem knappen Hinweis gemeint sein könnte, wird unterschiedlich beurteilt. Mußner bezieht die Aussage auf die „bisherige() Gemeinschaft mit dem Apostel“ (Galaterbrief 311), Schlier erwägt folgende Möglichkeiten: šEkkleûsai könnte sich auf den „Ausschluß aus der Ékklvsùa“ beziehen, mit dem die Gegner drohten, auf „die Abtrennung von Paulus und ,allen anderen Einflüssen`“ (vgl. hierzu Oepke, Galater 144) oder auf den „Ausschluß von der Gnade oder der Freiheit . . . bzw. von Christus (54)“ (Schlier, Galater 212 f). Eine theologische Interpretation lehnt Betz ab, der den Ausdruck im Rahmen des antiken Freundschaftstopos versteht: Die in Gal 4,17 verwendete Sprache weise darauf hin, daß Paulus sich „rhetorischer Topoi und sonstiger Mittel bedient, um seine Gegner eher emotionell als ,theologisch` in Mißkredit zu bringen“ (Galaterbrief 399). Der Ausschluß, von dem Gal 4,17 spricht, sei „das gerade Gegenteil wahrer Freundschaft und ebenso das Gegenteil einer fruchtbaren Lehrer-Schüler-Beziehung“ (Galaterbrief 399). „The motif of the excluded lover“ erkennt Smith in Gal 4,17 (vgl. Smith, Motif 481 ff). Da der Vers ohne nähere Festlegung formuliert ist, kommt es m. E. nicht darauf an, den Ausdruck konkret zu füllen. Entscheidend ist die Zuschreibung von Gemeinschaftsstörung an die Gegner, die sie von Gal 3,26–28 her als solche disqualifiziert, die die Einheit aller in Christus angreifen. Sollte Gal 4,17 den Versuch der Gegner im Blick haben, die Galater von Paulus trennen zu wollen, so ist auch in diesem Fall der Gedanke der Aufhebung der Einheit in Christus entscheidend. Die Beziehung zwischen dem Verfasser und seinen Adressaten ist keine Privatbeziehung, sondern steht im Rahmen der christlichen Gemeinschaft

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Auf dem Hintergrund von Gal 3,26–28, der Darstellung des antiochenischen Zwischenfalls sowie der gegenwärtigen Konfliktsituation läßt sich nun die Frage beantworten, warum der Verfasser in Gal 5,15 auf das Thema „gemeinschaftszerstörendes Verhalten“ zu sprechen kommt: Es ist wesentlicher Bestandteil der theologischen Krise, die das Bestreben der Galater auslöst, sich Gesetzesgehorsam und Beschneidung zu unterwerfen. Deutlich wird auch, warum die Gemeinschaftszerstörung mit der sârx assoziiert wird: Als Implikat der Anerkennung von Gesetzesgehorsam und Beschneidung greift sie die göttliche Initiative in Christus an und gehört damit der widergöttlichen, „nur menschlichen“ Sphäre an. Die Ansage restloser Vernichtung in Gal 5,15b bezieht sich also nicht nur auf die innere Dynamik sozialen Fehlverhaltens, sondern stellt auch die zwingende Konsequenz eines Verbleibens im widergöttlichen sârx-Bereich in Aussicht (vgl. auch Gal 5,2. 4). Unter pragmatischer Perspektive spricht der Verfasser seine Adressaten direkt auf diesen Aspekt ihrer derzeitigen Situation an (5,15a) und warnt sie ausdrücklich vor dem Untergang (5,15b). Daß er die Situation als real gesetzt zeichnet (5,15a), erklärt sich daraus, daß die Gemeinschaftszerstörung mit der Akzeptanz von Beschneidung und Gesetzesgehorsam zwangsläufig gegeben ist.274 Die hyperbolische Überzeichnung der Situation erhöht die abschreckende Wirkung auf die Adressaten.275 Für den Abschnitt Gal 5,13–15 ist folgendes zusammenzufassen: Unter thematischer Perspektive wird das Thema „Gesetzesgehorsam und Beschneidung“ auf eine grundsätzliche Ebene überführt. Gal 5,13 assoziiert Gesetzesgehorsam und Beschneidung mit der sârx, dem Bereich des „NurMenschlichen“. In einer Redefinition des Gesetzes (Gal 5,14) trennt der Verfasser das Gesetz an sich vom Gesetzesgehorsam und bindet es über die Liebe als wesentliches Merkmal des Christusglaubens (Gal 5,6) an den Christusbereich. Dieser Liebe kontrastiert er mit Gal 5,15 das Verhalten, welches der Anerkennung von Gesetzesgehorsam und Beschneidung zwangsläufig innewohnt: die Zerstörung der egalitären Gemeinschaft aller Gläubigen, die in Christus gegeben ist und die nur als Gemeinschaft wechselseitiger Liebe denkbar ist. aller (in diesem Rahmen hat sie wiederum eine ganz spezielle Bedeutung, da es sich um die Beziehung der apostolischen Mutter zu ihrer Gemeinde handelt [Gal 4,19]). Gegen Betz ist festzuhalten, daß der Verfasser mit Gal 4,17 die Gegner sehr wohl „theologisch“ und nicht rein rhetorisch „in Mißkredit bringen will“ (Galaterbrief 399). 274 So läßt sich die Konstruktion eÜ mit Indikativ Präsens sinnvoll erklären. Ob die Gemeinschaftszerstörung bei den Galatern faktisch schon Platz gegriffen hat, hängt davon ab, ob man historisch betrachtet davon ausgeht, daß sie sich bereits haben beschneiden lassen oder nicht. 275 Vgl. noch einmal o. S. 108 Anm. 245 zu Betzs Einschätzung des Verses als „hyperbolisch“ (Galaterbrief 472).

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II. Eine textpragmatische Analyse von Gal 5 und 6

Unter pragmatischer Perspektive hat Gal 5,13 eine „aufklärende“ Funktion, insofern den Adressaten die tieferliegende Dimension ihres Vorhabens aufgedeckt wird. Zugleich nimmt der Verfasser durch die Wahl imperativischer Rede direkt auf die Adressaten Einfluß. Er drängt sie zur Distanzierung von ihrem Vorhaben (Gal 5,13b) und zur Übernahme der allein dem Christusglauben angemessenen Haltung, der Liebe (Gal 5,13c). Verstärkt wird dieser Appell durch die „Auskunft“ von Gal 5,14, in der Liebe erfülle sich das Gesetz. Das vermittelt den Adressaten, daß sie mit der Übernahme jüdischer Lebensweise an „falscher Stelle“ dem göttlichen Willen gehorsam sind. Wenn es ihnen um Gehorsam gegenüber dem göttlichen Willen und in diesem Sinne um Gesetzesgehorsam geht, dann müssen sie dem Appell des Verfassers Folge leisten und nicht die Thora übernehmen, sondern allein der Liebesforderung nachkommen. Gal 5,15a stellt ihnen die Alternative vor Augen: Sofern sie bei ihrem Vorhaben bleiben, gleicht ihre Gemeinschaft einer sich zerfleischenden Tierhorde – ein Zustand, der in rettungsloser Vernichtung enden wird. Diese krasse Zeichnung führt den Adressaten ihre Situation überzogen und darin eindeutig vor Augen. Mit dieser Überspitzung und der nachdrücklichen Warnung vor dem rettungslosen Untergang (Gal 5,15b) will der Verfasser die Adressaten dazu bewegen, es nicht so weit kommen zu lassen, d. h. konkret: sich von Gesetzesgehorsam und Beschneidung zu distanzieren.

2.4 Gal 5,16–26 Mit Gal 5,16 erfolgt ein textpragmatischer Einschnitt. Der Verfasser setzt mit lìgw dì neu an. Der folgende Abschnitt reicht bis Gal 5,26. Strukturiert ist er vom Gegensatzpaar pneøma – sârx.276 Der Vers Gal 5,25 rundet den Abschnitt ab, indem er Gal 5,16 entsprechend erneut zum Wandel im Geiste auffordert.277 Gal 5,26 zieht eine Konsequenz aus dieser Aufforderung, die noch zum Abschnitt 5,16–25 gehört278 und keinen neuen Ab276 Zur Strukturierung des Abschnittes s. o. im Forschungsüberblick S. 56. 277 Vgl. Matera (Galatians 211) und Mußner (Galaterbrief 391), die von einer „inclusio“ sprechen; vgl. auch Longenecker, Galatians 265 (zu den Unterschieden der Reformulierung der Aufforderung von Gal 5,16 in Gal 5,25 vgl. u. die Auslegung von Gal 5,25 S. 139). Barclay (Truth 149), Becker (Galater 91), Betz (Galaterbrief 435 f. 496), Dunn (Galatians 317), Lührmann (Galater 95), Martyn (Galatians 541 f), Schlier (Galater 268) und Vouga (Galater 144) sehen bereits in Gal 5,25 den Beginn des neuen Abschnittes. Bei dieser Textabgrenzung wird jedoch das letzte pneøma-Element aus der pneøma-sârx-Struktur herausgelöst, die den Text ab Gal 5,16 durchgängig bestimmt. 278 Vgl. Burton, Galatians 290. 323 f. 325; Longenecker, Galatians 265 f; Matera, Galatians 198 f. 211 f.

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schnitt einleitet.279 Dieser beginnt erst mit der pointierten Anrede ådelfoù in Gal 6,1.280 Mit dem einleitenden lìgw dì in Gal 5,16 fordert der Verfasser von seinen Adressaten besondere Aufmerksamkeit. Es folgt ein Imperativ (pne‹mati peripateûte) und die Formulierung der Konsequenz, die sich aus der Befolgung der Aufforderung ergeben wird (kaÿ Épihumùan sarkó™ o« mÀ telìsvte). Der Vers nimmt Gal 5,13 wieder auf.281 In beiden Versen wird die sârx als eine personifizierte, handlungsfähige Größe thematisiert, die das menschliche Verhalten bestimmen kann.282 Wurde in Gal 5,13b die sârx als Macht vorgestellt, der der Mensch Gelegenheit geben kann, so spricht Gal 5,16b von der Begierde dieser Macht, die der Mensch vollbringen kann. Auch die Aufforderung zur wechselseitigen Liebe in Gal 5,13c findet in der Aufforderung zum Wandel im Geist seine sachliche Entsprechung (Gal 5,16a).283 Gal 5,16a ist gegenüber Gal 5,13c lediglich grundsätzlicher formuliert, indem er vom Dienste der Liebe, der ein wesentliches Merkmal des Seins im pneøma (Gal 5,5 f) ist, nun allgemein auf das Sein im pneøma zu sprechen kommt.284 Mit Gal 5,13b hatte der Verfasser die Thematik „Gesetzesgehorsam und Beschneidung“ auf eine grundlegende Ebene überführt, indem er diese unter die fundamentale Negativkategorie sârx faßte. Im Positiven wird mit Gal 5,16 nun ebenfalls die grundsätzliche Kategorie pneøma erreicht. Die Liebe, die mit Gal 5,6 und 5,13 f in den Vordergrund gestellt worden war, geht in Gal 5,16 wieder in der allgemeinen Bestimmung auf (pne‹mati).285 Trotz des unverkennbaren Rückbezuges von Gal 5,16 auf Gal 5,13 fällt ein entscheidender Unterschied auf. Gal 5,13b appellierte an die Adressaten, dem Fleisch keine Gelegenheit zu geben286, sondern in der 279 So Mußner, Galaterbrief 395. Gegen diese Abgrenzung spricht, daß Gal 5,26 die 1. Person Plural von Gal 5,25 fortführt, was einem Auseinanderreißen der Verse widerrät. Zudem kommt erst hier die pneøma-sârx-Struktur zu einem vorläufigen Ende (vgl. dazu Anm. 277). 280 Vgl. Longenecker, Galatians 265. 281 Vgl. Becker, Galater 88; Schlier, Galater 247. 282 Zum Machtcharakter der sârx vgl. z. B. Betz, Galaterbrief 474 f; Mußner, Galaterbrief 375 sowie die Ausführungen o. im Exkurs: Zur Verwendung von sârx in Gal 1,1–5,12. 283 Vgl. Oepke, Galater 174. 284 Zum Verständnis des Dativs pne‹mati vgl. o. S. 89 Anm. 136. 285 Die Liebe wird in Gal 5,5 f als entscheidendes Merkmal christlichen Glaubens hervorgehoben, der das Sein im Geiste ausmacht: Ãmeû™ gär pneËmati Ék pùstew™ ktl. Nicht einleuchtend ist demnach die Auffassung von Becker, Gal 5,16 bestimme das Gegensatzpaar von Gal 5,13 „Freiheit – Fleisch neu als Geist und Fleisch“ (Becker, Galater 88 [Hervorhebung von mir]). Die Verbindung von Freiheit, Liebe und Geist besteht bereits seit Gal 5,1. 5 f. 286 Zum imperativischen Charakter von Gal 5,13b trotz fehlender Verbform vgl. noch einmal o. S. 84 Anm. 105.

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II. Eine textpragmatische Analyse von Gal 5 und 6

Liebe einander zu dienen. Formal gesprochen fordert der Vers dazu auf, x zu lassen und y zu tun. Demgegenüber fordert Gal 5,16 dazu auf, y zu tun, was x ausschließt_: O« mŒ mit Konjunktiv ist die „bestimmteste Form der verneinenden Aussage über Zukünftiges“.287 Sachlich wird die Exklusivität der beiden Größen „Fleisch“ und „Geist“ explizit herausgestellt. Unter pragmatischer Perspektive werden die Adressaten nicht mehr zu einer Wahl zwischen den Alternativen zugunsten der einen aufgefordert, sondern auf die eine der beiden Alternativen verpflichtet, was den definitiven Ausschluß der anderen mit sich bringt. Sie werden zum Wandel im Geiste gedrängt, was automatisch ausschließt, daß sie vom Fleisch bestimmt sind, konkret, daß sie sich Gesetzesgehorsam und Beschneidung unterwerfen.288 Mit dieser Aufforderung drängt der Verfasser seine Adressaten in eine Richtung, die ihr aktuelles Vorhaben definitiv unmöglich macht.289 Wozu der Imperativ pne‹mati peripateûte auffordert, ergibt sich von Gal 5,5–7 her. Mit dem Verb peripateûn greift Gal 5,16 über Gal 5,13 hinaus auf Gal 5,7 zurück: Étrìcete kal™. Beide Verben gehören zum selben Wortfeld. In Gal 5,7 beschwor der Verfasser die Vergangenheit der Adressaten in der Absicht, sie für ihren ursprünglich eigenen Standpunkt 287 BDR § 365. 288 Daß sârx hier „moral threat“ meint (Barclay, Truth 111; vgl. Betz, Galaterbrief 473–472. 44 ff), gibt Gal 5,16 nicht her. Vom vorderen Kontext her bezeichnet sârx noch immer Gesetzesgehorsam und Beschneidung als Bedeutungselement der umfassenden Kategorie „das, was nur menschlich ist“. Auch von Gal 5,15 her ließe sich nicht argumentieren. Das hier benannte „ethische Fehlverhalten“ ist als Bestandteil der theologischen Krise in den Blick genommen, die sich mit Gesetzesgehorsam und Beschneidung ergibt. Damit fällt es zwar unter die Kategorie sârx, ersetzt aber nicht dessen grundlegende Bedeutung „das, was nur menschlich ist“. Daß bei der Position von Betz, Barclay u. a. die semantische Füllung des Terminus vom hinteren Kontext her erfolgt (s. noch einmal o. zu Gal 5,13 S. 96 ff), läßt sich gut bei Betz sehen, wenn er zu Gal 5,16b schreibt: „Das Fleisch ist aktiv, eine Kraft, die Absichten in die Tat umsetzt – böse Absichten natürlich. Dies meint der Apostel mit der ,Lust des Fleisches` (Épihumùa sarkí™). Wenn der ,Lust des Fleisches` nachgegeben wird, manifestiert sich dies in den ,Werken des Fleisches` . . ., die in 5,19–21 aufgezählt sind. In diesen ,Werken des Fleisches` erfüllen sich die Ziele des Fleisches“ (Galaterbrief 474 [Hervorhebung von mir]; vgl. auch Mußner, Galaterbrief 376). 289 Betz sieht in Gal 5,16b ein „Versprechen“ (Galaterbrief 474), Barclay eine „assurance in the moral safeguard he (Paul; Verf.) proposes“ (Truth 111; vgl. Witherington, Grace 393 f). Doch ein solches Verständnis ergibt sich nicht zwingend aus der Formulierung o« mŒ mit Konjunktiv Aorist. Diese zeigt zunächst nur eine „Folge“ an (Schlier, Galater 248). Die von Betz und Barclay genannte Bestimmung der Pragmatik des Verses ergibt sich aufgrund der textexternen Rekonstruktion der angeblichen Gesprächssituation sowie aufgrund der Annahme, sârx bezeichne „what is evil and threatens the moral life“ (Barclay, Truth 110; vgl. auch Betz, Galaterbrief 44 ff); zu letzterem vgl. Anm. 288, zu ersterem s. o. I.5.2. Aber auch die Einschätzung, Gal 5,16b bezeichne eine „Verheißung“ (Schlier, Galater 248; Vouga, Galater 133), liegt nicht ohne weiteres auf der Hand und bedürfte einer näheren Erklärung.

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zurückzugewinnen, den er in Gal 5,5 f in konzentrierter Form skizziert hatte, und sie von ihrem aktuellen Vorhaben abzubringen.290 In Gal 5,16 fordert er sie nun explizit auf, gegenwärtig in Übereinstimmung mit dem allgemeinchristlichen Standpunkt von Gal 5,5 f, gemäß der Wahrheit (Gal 5,7) bzw. im Geiste zu wandeln (Gal 5,16)291, mit der Konsequenz, sich nicht beschneiden zu lassen und dem Gesetz gehorsam zu werden.292 Unter pragmatischer Perspektive wird der Verfasser also von Gal 5,5–7 über Gal 5,13 immer direkter in seiner Aufforderung an die Adressaten. Zugleich wird er sachlich immer grundsätzlicher. Daß es dem Verfasser tatsächlich um die Vergrundsätzlichung des galatischen Konfliktes geht, zeigt der folgende Vers Gal 5,17. Dieser bestimmt grundlegend das Verhältnis von sârx und pneøma. Gegenüber Gal 5,13 und Gal 5,16 sind sârx bzw. pneøma nicht mehr nur logisches, sondern auch grammatisches Subjekt. Der Mensch tritt ganz hinter diese Größen zurück, die nun als die eigentlichen Handlungsträger erscheinen.293 Der galatische Konflikt geht auf in der kosmischen Auseinandersetzung zwischen göttlicher Macht und der widergöttlichen Macht des „Nur-Menschlichen“.294 Gal 5,17 knüpft mit gâr an den vorangegangenen Vers an und begründet die Sachaussage von Gal 5,16, der Wandel im Geiste schließe das Vollbringen der Begierde des Fleisches definitiv aus. Der Grund für die Ex290 Vgl. dazu noch einmal die Auslegung zu Gal 5,7 o. S. 75. 291 Daß „im Geiste“ gleichbedeutend ist mit „gemäß der Wahrheit“, ergibt sich aufgrund von Gal 5,5–7. Das Konzentrat christlichen Selbstverständnisses von Gal 5,5 f wird mit Gal 5,7 als Wahrheit bezeichnet (s. o. S. 75 mit Anm. 69). Zentrales Merkmal dieses Selbstverständnisses ist die Bestimmung pne‹mati (Gal 5,5). 292 Auch dieser Rückbezug macht deutlich, daß sich der Verfasser nach wie vor mit der Akzeptanz von Gesetzesgehorsam und Beschneidung auseinandersetzt. Gal 5,5 f. 7 sind vom Interesse geleitet, die Adressaten von Gesetzesgehorsam und Beschneidung abzubringen (vgl. noch einmal o. S. 70 ff). Gal 5,6 sagt ganz explizit, Beschneidung (bzw. Gesetzesgehorsam) gelte nicht Én Cristã šIvsoø, wobei Én Cristã šIvsoø gleichbedeutend ist mit pne‹mati (Gal 5,5). An diesen Gedankengang knüpft Gal 5,16 an. Er wendet sich also nicht einem neuen Thema „ethisch-moralische Gefährdung“ oder „allgemeinchristliche Lebensführung“ zu. 293 Vgl. Mußner, Galaterbrief 375 f; Schlier, Galater 249. 294 Von Gal 3,3 über 4,29, Gal 5,5 und 5,13 bis 5,16 tritt zunehmend der transpersonale kosmische Machtcharakter von pneøma und sârx hervor (vgl. Martyn, Galatians 485 f mit Anm. 48. 495; grundsätzlich Barclay, Truth 202 ff; Käsemann, Anthropologie 49 ff). – Daß der Verfasser den aktuellen galatischen Konflikt in kosmischer Dimension sieht, kann nicht erstaunen, wenn man bedenkt, daß sich für ihn an jeder Frage des menschlichen Lebens entscheidet, welchem Herrn der Mensch untersteht und d. h. zugleich, wem die Erde gehört (vgl. Käsemann, Anthropologie 48. 52; zum Zusammenhang von Anthropologie und Kosmologie vgl. Anthropologie 52 ff). Es gibt also keine menschliche Lebensäußerung, die neutral wäre: „Die Welt ist nicht neutraler Raum, sondern Kampfplatz und jeder ist Parteigänger“ (Käsemann, Anthropologie 46 [vgl. auch 53 f]).

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II. Eine textpragmatische Analyse von Gal 5 und 6

klusivität der Größen liegt in dem Kampfverhältnis, in dem sie zueinander stehen.295 Gal 5,17c „führt eine anthropologische Perspektive ein“.296 Dabei kann offen bleiben, ob hier primär eine Konsequenz oder das Ziel des Kampfverhältnisses von sârx und pneøma benannt wird. Grammatisch läßt sich die Frage nicht eindeutig entscheiden.297 Für die Aussage von Gal 5,17c macht eine Entscheidung dieser Frage jedoch keinen wesentlichen Unterschied, da sich aus der Perspektive des Menschen, die der Vers einnimmt, der Sachverhalt in beiden Fällen gleich darstellt. Ob es gezielte Absicht der Mächte ist oder Konsequenz des Kampfverhältnisses, der Mensch befindet sich in der Lage, daß der Zusammenhang seines Wollens und Tuns zerrissen wird. Die Sachaussage von Gal 5,17c kann doppelt verstanden werden: „Es ist entweder vom Standpunkt des pneÓma aus gesprochen: das pneÓma kämpft gegen die s£rx, damit der Mensch nicht das tut, was er und d. h. die s£rx will; oder vom Gesichtspunkt der s£rx aus: die s£rx kämpft gegen das pneÓma, damit der Mensch nicht das tut, was er eigentlich will, nämlich das, was auch das pneÓma will“.298 Anders formuliert: Der Mensch steht im Kampfbereich von pneøma und sârx299, zweier Mächte, die die eigentlichen Willensträger sind. Eine „Beliebigkeit“ des menschlichen Handelns ist damit in dem Sinne ausgeschlossen, daß das Bestimmtsein von einer Macht jeweils ein gewisses Tun ausschließt: Mit dem Bestimmtsein durch das pneøma schließt sich ein solches Tun aus, dessen eigentlicher Willensträger das Fleisch ist. Dieses wird vom Geist blockiert bzw. verhindert, indem er nicht zuläßt, daß dieses Wollen ausgeführt wird. Und andersherum: Mit dem Bestimmtsein durch die sârx schließt sich ein solches Tun aus, dessen eigentlicher Willensträger der Geist ist. Das Fleisch blockiert die Umsetzung dieses Wollens ins Tun. Diese beiden Möglichkeiten stehen sachlich hinter der Formulierung von Gal 5,17c.300 295 Vgl. Barclay, Truth 112; Oepke, Galater 174; Mußner, Galaterbrief 375. 296 Vouga, Galater 133. 297 Das ¢na fassen konsekutiv auf Martyn (Galatians 494) und Oepke (Galater 175; vgl. BDR § 391.5). Ein finales Verständnis vertreten Bultmann (Christus 46 Anm. 6), Burton (Galatians 302), Dunn (Galatians 299), Longenecker (Galatians 246), Mußner (Galaterbrief 377), Schlier (Galater 249) und Vouga (Galater 133). 298 Bultmann, Christus 46 Anm. 6; vgl. Longenecker, Galatians 246. 299 Die Annahme, der Kampf fände im Menschen statt (vgl. Betz, Galaterbrief 477–479; Dunn, Galatians 299; Dschulnigg, Überlegungen 24 f mit Anm. 28; so wohl auch Mußner, Galaterbrief 377) trägt dem Umstand zu wenig Rechnung, daß pneøma und sârx als transpersonale kosmische Mächte erscheinen (vgl. o. S. 119 Anm. 294). 300 Dieses Verständnis von Gal 5,17 unterscheidet sich von dem, das Barclay vorschlägt, auch wenn er ebenfalls die Beliebigkeit menschlichen Handelns thematisiert sieht und den Grundgedanken festhält: „Warfare excludes some options and necessitates others“ (Barclay, Truth 112; vgl. in ähnlicher Stoßrichtung, wenn auch mit Unterschieden zur Position Bar-

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Die Aussage von Gal 5,17 zielt also nicht auf den Gedanken einer völligen Blockade des Menschen bzw. des Christen, wie Betz meint: Das menschliche Ich könne seinen Willen nicht in die Tat umsetzen, „weil es durch diese dualistischen Mächte in seinem Inneren gelähmt ist“.301 Gegen diese Deutung spricht, daß ein Appell an die Adressaten keinen Sinn macht, wenn der Verfasser ihnen gegenüber lediglich die gänzliche Handlungsunfähigkeit des Menschen festhalten wollte.302 Die Aufforderungen von Gal 5,13 und 5,16 sind ja nur dann verständlich, wenn der Verfasser erwartet, daß die Adressaten ihnen auch nachkommen können. Gal 5,17 spricht aber auch nicht von der menschlichen Entscheidungsfreiheit, der „echte(n) Wahlfreiheit zwischen Gut und Böse“, wie Mußner meint.303 Gegen diese Auffassung spricht, daß sârx und pneøma in Gal 5,13. 16 und 17 als die eigentlichen Handlungsträger des menschlichen Verhaltens benannt werden. Der Mensch ist den Mächten gegenüber keineswegs frei, sondern arbeitet ihnen lediglich zu, wie die Formulierungen „der sârx Gelegenheit geben“ (Gal 5,13) bzw. „die Begierde der sârx vollbringen“ (Gal 5,16b) deutlich machen. Ein tragfähiges Verständnis menschlicher Existenz im Kampfbereich der Mächte findet sich m. E. bei Käsemann.304 Ihm gelingt es, am Gedanken der Mächte festzuhalten, die den Menschen wesentlich bestimmen, ohne damit die Annahme verbinden zu müssen, der Mensch sei gänzlich paralysiert. Der Schlüssel liegt in seinem Verständnis der Mächte als „Herrschaftsbereich“305 und des Menschen als „Projektion einer Welt, die sich von andern, gleichzeitig existierenden oder einander ablösenden, unterscheidet“.306

clays, Suhl, Galaterbrief 3124–3126). Barclays Überlegungen gehen in eine andere Richtung. Er ist der Auffassung, die Galater befürchteten, „Paul’s talk of ,freedom` and ,following the Spirit` will leave them without moral direction in a structureless existence . . . doing whatever they want“ (Barclay, Truth 115). Dieser Sorge begegne Gal 5,17, indem Paulus ihnen versichere, in dieser gefährlichen Situation seien sie gar nicht: „If they walk in the Spirit they are caught up into this conflict (between flesh and Spirit; Verf.), which means that they are not free to do whatever they want – ¢na mÀ ê Éän hìlvte taøta poiœte (5.17). Such conflict ensures that their freedom is not absolute, for their walk in the Spirit will set them against the flesh and thus define the moral choices they must make“ (Truth 112 [vgl. 115]). Der wesentliche Unterschied zum oben vorgeschlagenen Verständnis besteht in der Sicht der Stoßrichtung des Verses. Der Satz enthält keine eindeutigen Signale, daß er als Versicherung den Adressaten gegenüber funktioniert. Er ist vielmehr als Aussage formuliert. Eine Aussage kann zwar pragmatisch als Versicherung funktionieren, so daß die von Barclay vorgeschlagene Pragmatik des Verses theoretisch denkbar ist. Sinn an dieser Stelle macht sie jedoch nur unter der Prämisse der von ihm rekonstruierten Adressatensituation, die sich aber aus unterschiedlichen Gründen nicht halten läßt (s. o. I.5.2; vgl. auch o. S. 96 ff). Damit wird dann auch inhaltlich fraglich, ob im Vers der Gedanke im Vordergrund steht, die Freiheit sei nicht absolut. 301 Betz, Galaterbrief 477; vgl. auch Galaterbrief 478 f. 302 Vgl. Mußner, Galaterbrief 377 f. 303 Vgl. Mußner, Galaterbrief 378. 304 Vgl. Käsemann, Anthropologie 43–57. 305 Käsemann, Anthropologie 53. 306 Käsemann, Anthropologie 46.

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Mit Gal 5,17 will der Verfasser jedoch nicht primär eine seiner „grundlegenden anthropologischen Lehren“307 mitteilen und entfalten. Der Vers zielt nicht auf eine Aussage über den Menschen allgemein, sondern über die Adressaten.308 Gal 5,17c ist in der 2. Person Plural formuliert: ¢na mÀ ê Éän h−lvte taøta poiÔte.309 Zudem zeigt der Fortgang des Gedankengangs, daß es dem Verfasser nicht um eine ausgewogene Entfaltung der theoretischen Möglichkeiten geht, die hinter Gal 5,17c stehen. Er fährt lediglich an der pneøma-Variante orientiert fort (eÜ dÄ pneËmati ëgeshe; Gal 5,18a) und dies wiederum bezogen auf die Adressaten (eÜ dÄ pne‹mati ©geshe, o«k °st® ¡pó nímon). An den „Ihr“-Formulierungen der Verse Gal 5,17c. 18 zeigt sich, daß die grundlegende Thematisierung der Auseinandersetzung von sârx und pneøma im Dienste der Analyse der konkreten galatischen Situation steht. Gal 5,17c hält sachlich für die Adressaten fest: Das Kampfverhältnis von Geist und Fleisch zerreißt den Zusammenhang ihres Wollens und Tuns. Der konkrete Bedeutungsgehalt bleibt hier noch offen. Die Zuspitzung auf ihre konkrete Situation bringt Gal 5,18. Mit dem Bedingungssatz Gal 5,18a spricht der Verfasser vom Standpunkt des pneøma aus. Mit Gal 5,18b nimmt er das konkrete Wollen der Adressaten in den Blick, dessen eigentliche Triebfeder das Fleisch ist und dessen Umsetzung in die Tat vom Geist blockiert wird: Der Geist blockiert die Umsetzung des vom Fleisch gesteuerten Willens der Galater, unter dem Gesetz sein zu wollen.310 Der Geist, auf den der Verfasser die Adressaten verpflichten will, stellt sich ihrem Vorhaben entgegen und vereitelt es, sofern sie sich auf ihn einlassen. Daß die Ausführung von Gal 5,17 f auf dieses konkrete Wollen der Adressaten zielt, zeigt nicht nur die adressatenbezogene Formulierung der Verse Gal 5,17c. 18. Gal 5,17 f nimmt zudem in terminologischer Übereinstim307 Betz, Galaterbrief 475. 308 Gemeint ist mit dieser Differenzierung nicht, Gal 5,17c enthalte keine grundlegende anthropologische Aussage. Diese ist aber nicht das, was primär und explizit mitgeteilt werden soll; vgl. Martyn, Formula 275 f. 309 Beachtung findet diese Beobachtung bei Barclay (Truth 112. 115), Longenecker (Galatians 246), Martyn (Formula 275 f; vgl. auch Martyn, Galatians 495 f), die den Vers jedoch in anderer Stoßrichtung interpretieren; vgl. auch Dunn, Galatians 300 f; Vouga, Galater 133. Verdeckt wird die Beobachtung bei Mußner, wenn er schreibt: „Zunächst ist festzustellen, daß das Subjekt in dem ¢na-Satz die Adressaten, allgemein: die Getauften sind“ (Mußner, Galaterbrief 377). Gänzlich unbeachtet bleibt die Formulierung in der 2. Person Plural bei Becker (Galater 88 f), Betz (Galaterbrief 475–479), Lietzmann (Galater 40), Lührmann (Galater 89), Oepke (Galater 176), Schlier (Galater 250). 310 Sachlich steht demnach die pneøma-Variante im Sinne von Bultmann im Vordergrund – jedoch in konkreter Zuspitzung auf die Adressaten: „(D)as pneÓma kämpft gegen die s£rx, damit (die Adressaten) nicht tu(n), was (sie wollen) und d. h. die s£rx will“ (Bultmann, Christus 46 Anm. 6 [Abänderungen des Zitats von mir]).

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mung Bezug auf Gal 4,21, wo explizit vom Wollen der Adressaten die Rede ist: lìgetì moi, oÖ Íp nÁmon h−lonteß eRnai, tón nímon o«k åko‹ete; In ähnlicher Weise spricht auch Gal 4,9 die Adressaten auf ihr gegenwärtiges Vorhaben an: p™ Épistrìfete pâlin Épÿ tä åshenœ kaÿ ptwcä stoiceûa oQ™ pâlin ënwhen doule‹ein h−lete_;311 Mit Gal 5,18 wertet der Verfasser die grundsätzliche Ausführung über das Kampfverhältnis von sârx und pneøma für die Adressatensituation aus: Das pneøma stellt sich der Umsetzung des Wunsches der Adressaten entgegen, unter dem Gesetz sein zu wollen.312 Mit dieser Sachaussage entspricht Gal 5,18 dem Vers Gal 5,16. Beide Verse sind parallel aufgebaut. Pne‹mati ëgeshe (5,18a) entspricht der Wendung pne‹mati peripateûte, das o«k ÉstÄ ¡pó nímon nimmt Épihumùan sarkó™ o« mÀ telìsvte wieder auf.313 Der Indikativ in Gal 5,18b (o«k 311 Zur sachlichen Parallelisierung von Versklavung unter den stoiceûa und Versklavung ¡pó nímon vgl. z. B. Betz, Galaterbrief 372; Vielhauer, Gesetzesdienst 543 ff; Vouga, Galater 104 f; zur viel diskutierten Frage, was unter den stoiceûa toø kísmou zu verstehen sei, vgl. Rusam, Belege 119 ff. 312 Nichts scheint mir in Gal 5,17 f auf eine verzweifelte Lage der Adressaten hinzuweisen: vgl. Vouga: „Wenn sich die Adressaten durch den Geist führen lassen . . ., werden sie gerade dadurch von der Verzweiflung der Existenz, die im Geiste lebt und sich zugleich unter das Gesetz stellen will, befreit werden“ (Galater 133 [Hervorhebung von mir]). Auch in den Augen des Verfassers kann eine solche Lage nicht bestehen, da eine „Spaltung der Existenz, die den Geist empfangen hat und unter die Macht des Fleisches und des Gesetzes zurückkehrt“ (Vouga, Galater 133), gar nicht denkbar ist. Vom Grundgedanken der einander ausschließenden Mächte her kann es nur eine Existenz geben, die entweder ausschließlich vom Geist bestimmt ist oder ausschließlich vom Fleisch, eine irgendwie geartete Existenz zwischen den Mächten ist nicht möglich (vgl. Taeger, Paulus 101). – Martyn bezieht Gal 5,17c und 18 ebenfalls auf die konkrete Adressatensituation, doch in anderer Weise als hier vorgeschlagen: Mit Gal 5,17c bezöge Paulus sich auf das in Gal 5,15 genannte Problem der Gemeinschaftsstörung: „From the context . . . one can surmise that in the last clause of 5:17 the Galatians will have heard Paul referring to their failure to cease their internal strife“ (Martyn, Formula 276). Gal 5,17 ziele auf den Gedanken: „When you wish, that is, to end the dissensions that plague your communities, you succeed only in intensifying them. Why? Because, even though you have received the perfectly potent Spirit . . ., you are now turning to the Law for your guidance. But, unlike the Spirit, the Law is impotent to provide the guidance that actually curbs the Flesh, and that impotence leads to the continued discord in your churches“ (Formula 278). Dieser Deutungsvorschlag ist zum einen nicht zu halten, da er die schon mehrfach problematisierte Auffassung propagiert, der Abschnitt Gal 5,13 ff wolle den Geist gegenüber dem Gesetz als das geeignetere Instrumentarium im Kampf gegen das Fleisch erweisen: vgl. dazu o. S. 96 ff. Zum anderen spiegelt er die Auffassung wider, die Gemeinschaftsstörung sei ein eigenständiges Thema neben der Akzeptanz von Gesetzesgehorsam und Beschneidung: s. dazu aber o. S. 109 ff. Darüber hinaus ist nicht unmittelbar einleuchtend, worin die Impotenz des Gesetzes im Umgang mit sozialem Unfrieden eigentlich bestehen soll (vgl. in ähnlicher Richtung wie Martyn auch Fee, Freedom 207. 206) 313 Vgl. Vouga, Galater 133. Die Parallelität übergehen Barclay (vgl. seine Analyse von Gal 5,16–18 Truth 110–119 [bes. 115 f] sowie die sonstigen Stellen, an denen er auf den Vers eingeht), Becker (Galater 89), Lietzmann (Galater 40), Lührmann (Galater 89), Martyn

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°st® ¡pó nímon), der die Folge der Geistführung benennt, entspricht ganz der in Gal 5,16 festgehaltenen Sachlogik. Fleisch und Geist stehen in einem exklusiven Verhältnis zueinander. Daher schließt der Wandel im Geist automatisch aus, vom Fleisch bestimmt (Gal 5,16b) bzw. unter dem Gesetz zu sein (Gal 5,18b). Der Unterschied zwischen Gal 5,16b und Gal 5,18b besteht darin, daß Gal 5,16b grundsätzlich, Gal 5,18b konkret formuliert ist. Mit Gal 5,18b führt der Verfasser die Ausführung der grundlegenden kosmischen Dimension, die er mit dem gesamten Abschnitt Gal 5,13–17 aufgerissen hat, zum konkreten Ausgangspunkt zurück, nämlich auf die Frage nach Gesetzesgehorsam und Beschneidung, die bei den Adressaten ansteht.314 Stimmt also Gal 5,18 sachlich mit Gal 5,16 überein, so führt der Vers unter pragmatischer Perspektive einen entscheidenden Schritt weiter: Mit Gal 5,16a forderte der Verfasser seine Adressaten dazu auf, im Geiste zu wandeln: pne‹mati peripateûte. Mit Gal 5,18a setzt er das als gegeben, wozu er mit Gal 5,16a drängt: eÜ dÄ pne‹mati ëgeshe. Die Konstruktion eÜ mit Indikativ „assumes the reality of the statement“.315 Der Verfasser setzt also in Gal 5,18a voraus, daß die Adressaten dem Appell von Gal 5,16 Folge leisten. Er sieht sie rhetorisch bereits an der Stelle, an die er sie mit (Galatians 495 f) und Mußner (Galaterbrief 378). Betz (Galaterbrief 479 mit Anm. 84), Burton (Galatians 302), Dunn (Galatians 300 f), Longenecker (Galatians 246), Oepke (Galater 176) stellen lediglich die Wiederaufnahme von Gal 5,16a mit Gal 5,18a fest, die Parallelität zwischen Gal 5,16b und Gal 5,18b wird nicht gesehen. – Gal 5,18 ist eine Kernstelle für die bereits mehrfach abgewiesene Auslegung von Gal 5,13 ff als Verteidigung des Geistes gegen den Vorwurf, keine hinreichende ethisch-moralische Führung zu geben: Gal 5,18 zielt im Sinne dieser Auslegung darauf, „to show that a life-style determined by the Spirit gives them all they need and more. No external constraint or rule-book is capable of countering ,the desire of the flesh` adequately“ (Dunn, Galatians 300; vgl. Barclay 115 f; Betz, Galaterbrief 479; Longenecker, Galatians 247). Daß diese Auslegung den Text nicht treffen kann, zeigt die Struktur von Gal 5,18. Gal 5,16b und Gal 5,18b entsprechen einander genauso wie Gal 5,16a und Gal 5,18a. D. h. o«k ÉstÄ ¡pó nímon (Gal 5,18b) ersetzt Épihumùan sarkó™ o« mÀ telìsvte (Gal 5,16b), womit ¡pó nímon der sârx zugeordnet wird. Gesetz und Geist sind also nicht zwei miteinander konkurrierende Größen im Umgang mit der sârx, wie die exemplarisch von Betz und Barclay vertretene Auslegung annimmt (s. noch einmal o. S. 54 ff und S. 96 ff). 314 Mit Blick auf den gesamten Abschnitt Gal 5,13–18 läßt sich sehen, daß der Verfasser mit Gal 5,13 Gesetzesgehorsam und Beschneidung mit der kosmischen Größe sârx in Verbindung bringt und so die gegenwärtige Adressatensituation in den grundlegenden kosmischen Konflikt einzeichnet, der dann über Gal 5,16 in Gal 5,17 zum expliziten Thema wird. Gal 5,18b führt nun wieder zurück zum Konkretum, zu Gesetzesgehorsam (und Beschneidung). 315 Longenecker, Galatians 246; vgl. BDR § 371. Der Vers ist nicht imperativisch formuliert, wie Lietzmann ihn wiedergibt: „(D)er Christ soll sich nicht vom Fleisch, sondern vom Geist ,treiben lassen`“ (Lietzmann, Galater 40 [Hervorhebung von mir]). Er benennt vielmehr indikativisch eine Bedingung.

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Gal 5,16a allererst versetzen will.316 Mit Gal 5,18b benennt er dann die notwendige Folge, die sich unter dieser Voraussetzung für sie ergibt: Sie sind nicht unter dem Gesetz, d. h. sie setzen ihr derzeitiges Vorhaben nicht in die Tat um. Diese Konsequenz wird für die Adressaten assertorisch festgehalten.317 Seine rhetorische Kraft gewinnt der Vers dadurch, daß er die Adressaten vor vollendete Tatsachen stellt. Nach der Auswertung der Ausführung über die Mächte sârx und pneøma für die konkrete Adressatensituation führt Gal 5,19 den Gedanken zurück auf die grundsätzliche Ebene. In verobjektivierter Formulierung wendet sich der Verfasser eingehender der grundlegenden Kategorie sârx zu. Gal 5,19–21a thematisieren die ôrga tœ™ sarkí™, also das sichtbare Tun, das die sârx als bestimmende Macht beim Menschen hervorbringt.318 Damit knüpft Gal 5,19 sachlich an Gal 5,17c an. Die Formulierung ôrga tœ™ sarkí™ nimmt den vorangegangenen Gedankengang von 5,17 in sich auf: Wie in 5,17 ist auch in 5,19 die sârx grammatisches und logisches Subjekt. Das Substantiv ôrga trägt das Bedeutungselement „Handeln“ bzw. „Tun“, womit es zum selben Wortfeld wie poieûn in 5,17c gehört. Gal 5,19 zeigt, wie die ungebrochene, d. h. vom Geist „ungestörte“ Umsetzung des von der sârx gesteuerten Willens in die Tat aussieht. Der Aufweis geschieht in Form eines „traditionellen“ Lasterkataloges (Gal 5,19b–21a).319 Das Zentrum bilden acht Laster, die „unter dem Oberbegriff des gemeinschaftszerstörenden Verhaltens“ stehen320: ôchrai, ôri™, zœlo™, humoù, Ériheûai, dicostasùai, aÖrìsei™, fhínoi. Gerahmt werden sie von sittlichen (porneùa, åkaharsùa321, åsìlgeia, mìhai, kÂmoi) bzw. kultischen (eÜdwlolatrùa, farmakeùa) Vergehen.322 Mit der Reihe der genannten Verhaltensweisen rei-

316 Die pragmatische Funktion des Bedingungssatzes geht also über das hinaus, was Oepke als Funktion bestimmt: Der Bedingungssatz tritt für den „zu erwartenden Imp. . . . ein. Der Zweck ist deutlich. Um der Mahnung (von Gal 5,16; Verf.) Nachdruck zu geben, sagt der Apostel, was durch deren Erfüllung erreicht oder doch gesichert wird: die Freiheit vom Gesetz“ (Oepke, Galater 176). Der Bedingungssatz hat nicht dieselbe Funktion wie der Imperativ. Es wird mit ihm keine erneute Ermahnung ausgesprochen. Seine rhetorische Kraft ist weitaus stärker, indem er die Befolgung dieser Ermahnung als bereits gegeben voraussetzt. 317 Ihr sachliches Recht bezieht sie aus den grundsätzlichen Überlegungen der Verse Gal 5,16 und 17. 318 Vgl. Betz, Galaterbrief 482 f. 319 Vgl. zur Form der Laster- und Tugendkataloge die Untersuchungen von Kamlah, Form; Vögtle, Tugend- und Lasterkataloge; Wibbing, Tugend- und Lasterkataloge. 320 Becker, Galater 90; vgl. Barclay, Truth 153; Mußner, Galaterbrief 381; Schlier, Galater 251. 252; Vouga, Galater 136. 321 Zur Zuordnung von åkaharsùa zu sittlichen Lastern vgl. Mußner, Galaterbrief 381; Hauck, ThWNT III 431 f. 322 Vgl. Mußner: Mìhai und kÂmoi könnten „auch unter der ersten Gruppe stehen“ und wirken „wie eine inclusio im ganzen Katalog“ (Galaterbrief 381); vgl. Becker, Galater 90.

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chert der Lasterkatalog die Interpretationskategorie sârx semantisch an. Die Kategorie wird konkretisiert. Eingestreut in diesen „traditionellen“ Lasterkatalog finden sich Laster, die Verbindungen zum vorangegangenen Brief haben: So erinnert eÜdwlolatrùa (5,20) an die Bezugnahme des Verfassers auf die heidnische Vergangenheit der Adressaten in Gal 4,8 f. Das Stichwort farmakeùa (5,20) läßt an Gal 3,1 denken: tù™ ¡mé™ Ébâskanen;323 Das Verb baskaùnein bedeutet „behexen, bezaubern“324 und gehört damit zum selben Wortfeld wie farmakeùa („Zauberei“, „Magie“325). Die deutlichsten Bezüge lassen sich im Zentrum des Lasterkataloges ausmachen, der Reihung der Laster, die gemeinschaftszerstörendes Verhalten benennen. Mit diesem Cluster326 wird das Thema abgerufen, das der Verfasser seinen Adressaten in Gal 5,15 vor Augen geführt hatte327: die „Gemeinschaftszerfleischung“, die mit der Akzeptanz von Gesetzesgehorsam und Beschneidung einhergeht, in deren Licht der Verfasser die aktuelle Situation sieht (Gal 4,16 f) und die den entscheidenden Punkt im antiochenischen Zwischenfall darstellt (Gal 2,11 f).328 Daß auf dieses Thema Bezug genommen wird, läßt sich zum einen daran erkennen, daß einige Laster gerade das Problem der Gruppenbildung akzentuieren. Dicostasùai und aÖrìsei™, vermutlich auch Ériheûai bezeichnen primär Gruppenkonflikte und weniger individuelles gemeinschaftszerstörendes Verhalten.329 Diese 323 Vgl. Longenecker, Christ 95 f. 324 Vgl. Bauer/Aland, s. v. baskaùnein 274; Delling, ThWNT I 595 f. 325 Vgl. Bauer/Aland, s. v. farmakeùa 1702. 326 Mit „Cluster“ meine ich eine Ballung von Wörtern, die semantisch nahe beieinanderliegen, deren Bedeutungen sich mitunter auch überschneiden und die in dieser Anhäufung einen Gesamteindruck erzeugen. Entsprechend kommt es nicht darauf an, jede genannte Form des sozialen Fehlverhaltens inhaltlich exakt von der anderen abzugrenzen; vgl. Becker, Galater 90. 327 Auf die Verbindung zu Gal 5,15 und damit auf die akute galatische Lage weisen explizit hin z. B. Barclay (Truth 153), Breytenbach (Provinz 138), Schweizer (Gottesgerechtigkeit 466) und Vögtle (Tugend- und Lasterkataloge 30). Die „Streitigkeiten“ bleiben bei ihnen aber dann neben dem Thema „Gesetzesgehorsam und Beschneidung“ stehen (vgl. dazu noch einmal o. S. 109 ff). Den inneren Zusammenhang von Gemeinschaftszerstörung und Anerkennung von Gesetzesgehorsam und Beschneidung erklärt auch noch nicht die folgende Formulierung bei Breytenbach: „Der Streit um die Beschneidung führt zum innergemeindlichen Streit“ (Provinz 138). 328 Vgl. dazu noch einmal o. S. 114. 329 AÖrìsei™ bezeichnet „Parteiungen“ (vgl. Bauer/Aland, s. v. a¢resi™ 1.c. 44), „Gruppenbildungen in der Gemeinde . . ., die der Einheit der Kirche als der öffentlich-rechtlichen Versammlung des Volkes Gottes wesentlich widersprechen“ (Schlier, Galater 254; vgl. auch Schlier, ThWNT I 181 f). Das Wort dicostasùa hat politische Bedeutung und meint den „(politische[n]) Aufstand, die Parteiempörung“ (Schlier, ThWNT I 511; vgl. Betz, Galaterbrief 484 Anm. 115; Vouga, Galater 137). Im NT bezeichnet es die „objektive Uneinigkeit in der

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Akzentuierung des Kataloges korrespondiert mit dem sich aus Gesetzesgehorsam und Beschneidung ergebenden Problem, Gruppen hierarchisch voneinander abzugrenzen und damit die egalitäre Gemeinschaft in Christus zu zerstören. Zum anderen bestehen semantische Verbindungslinien zu Gal 4 und Gal 2 über åforùzein (Gal 2,12) und Ékkleûsai (Gal 4,17).330 Schließlich beziehen sich zwei Laster in direkter terminologischer Übereinstimmung auf die in Gal 4 angesprochene Adressatensituation.331 Das Stichwort ôchrai verweist zurück auf Gal 4,16.332 Dort nahm der Verfasser auf die gestörte Gemeinschaft zwischen sich und seinen Adressaten Bezug: Íste °chrÂß ¡mÂn gìgona ålvhe‹wn ¡mûn; Das Stichwort zœlo™ steht mit Gal 4,17 in Verbindung. Der Verfasser formuliert hier seinen Angriff auf die Gegner unter Verwendung des Verbs zvloøn: zvloøsin ¡mé™ o« kal™, ållä Ékkleûsai ¡mé™ hìlousin, ¢na a«to›™ zvloøte.333 Der Lasterkatalog hebt also gerade in seinem Zentrum stark auf die aktuelle galatische Situation ab.334 Gemeinde“, in Gal 5,20 „zwischen Ériheûai und aÖrìsei™ allgemeine Parteibildungen innerhalb der Gemeinde“ (Schlier, ThWNT I 511). Wahrscheinlich ist auch Ériheûai in diesem Zusammenhang zu verstehen (vgl. zu dem nicht „eindeutig festgelegte(n) Begriff“ Büchsel, ThWNT II 658). Mußner weist darauf hin, das Wort sei „vor dem NT nur bei Aristoteles nachweisbar und meint bei ihm das Buhlen um Parteiengunst“ (Mußner, Galaterbrief 382; vgl. Schlier, Galater 253; Vouga, Galater 137). Schlier hält hinsichtlich dieser Begriffe fest: „Bemerkenswert ist . . ., daß die drei . . . Begriffe des Lasterkataloges, die jene Gesinnungen und Äußerungen charakterisieren, die sich gegen die Einheit der Kirche richten, einen politischen Klang haben“ (Galater 254). 330 Vgl. noch einmal o. S. 114. 331 Vgl. Barclay, Truth 208 mit Anm. 82. 332 Vgl. Longenecker, Christ 97 f. 333 Zœlo™ ist an sich neutral, wie die positive Bezugnahme im folgenden Vers 4,18 zeigt (vgl. zu den grundsätzlichen Bedeutungsmöglichkeiten Bauer/Aland, s. v. zœlo™ 683; Stumpff, ThWNT II 879 ff). Seine Negativwertung bekommt zvloøn in Gal 4,17 durch die Ausrichtung des Eifers darauf, die Adressaten auszuschließen (Ékkleûsai), d. h. die Einheit aller in Christus anzugreifen. Als solche Leidenschaft, die der Gemeinschaft schadet, kommt zœlo™ auch im Lasterkatalog vor. Diese Bedeutung gewinnt zœlo™ hier durch die Einbettung in die Reihung der Laster, die Gemeinschaftszerstörung benennen. Über den Sinngehalt des mehrdeutigen zœlo™ in Gal 5,20 entscheidet Stumpff ebenfalls aufgrund des Kontextes und kommt zu dem Schluß, hier sei ein Eifer bezeichnet, „der, in irgendeiner Form, nicht am Aufbau des Nächsten, sondern an seiner S c h ä d i g u n g arbeitet“ (ThWNT II 884 [Hervorhebung von mir]; vgl. auch Mußner [Galaterbrief 382], der sich dieser Deutung anschließt). Bei dieser Zuspitzung auf das Individuum geht jedoch der Gemeinschaftsaspekt verloren, den der Kontext nahelegt. Die zœlo™ umgebenden Laster lassen eher an einen Eifer denken, der an der Schädigung der Gemeinschaft arbeitet. 334 Vgl. in dieser Richtung Dunn, Galatians 302. Daß der Lasterkatalog auf die aktuelle Situation zugeschnitten ist, zeigt sich auch bei einem Vergleich mit entsprechenden Passagen anderer paulinischer Briefe (vgl. die Tabelle bei Breytenbach, Provinz 138). Gerade die Untugenden aus dem Zentrum des Kataloges sind im Galaterbrief singulär: „ôchrai, dicostasùai and aÖrìsei™ are used nowhere else in vice-lists“ (Barclay, Truth 153 Anm. 30; vgl. Vögtle, Tugend- und Lasterkataloge 30; Vouga, Galater 135).

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Sachlich wird die Zuordnung des gemeinschaftszerstörenden Verhaltens als Aspekt der Akzeptanz jüdischer Lebensweise zur sârx-Kategorie bekräftigt.335 Schon Gal 5,15 vollzog diese Assoziation durch die Wahl des Bildes sowie die Kontraststellung zur Liebe336, Gal 5,19–21a teilt sie nun explizit und verobjektiviert mit. Unter pragmatischer Perspektive haben die Verse in ihrer verobjektivierten Redeweise zunächst Informationscharakter. Die Äußerungen des Herrschaftsbereichs sârx bekommen für die Adressaten ein konkretes Profil. Der Lasterkatalog stellt ihnen zugleich die Tragweite ihrer derzeitigen Situation vor Augen, indem er ihnen den Horizont dafür eröffnet, in wessen Herrschaftsbereich sie sich mit ihrem Wunsch nach Beschneidung und Gesetzesgehorsam begeben: unter die Herrschaft einer Macht, deren Erscheinungsform diese Laster sind. Durch das Einstreuen von Verhaltensweisen der Gegner bzw. der Adressaten in den traditionellen Lasterkatalog wird den Adressaten sodann implizit aufgedeckt, daß sich bei ihnen Einbruchstellen dieser Macht ausmachen lassen. Der Einfluß der sârx, der sich in ihrem Wunsch nach Gesetzesgehorsam und Beschneidung zeigt, ist an diesem Verhalten offen sichtbar (fanerâ337). Die Verse Gal 5,19–21a haben also eine mit Gal 5,13 vergleichbare „aufklärende“ Funktion. Gal 5,13 deckte die tieferliegende Dimension ihres Vorhabens auf: Es läßt erkennen, daß sie von der sârx bestimmt werden. Gal 5,19–21a zeigt den Adressaten entsprechend auf, daß und wie sich das Bestimmtsein durch die sârx sichtbar bei ihnen manifestiert. Im Unterschied zu Gal 5,13 ist Gal 5,19–21a jedoch nicht direkt adressatenbezogen formuliert, sondern in lehrhaftem Stil gehalten. In Gal 5,19–21a verwendet der Verfasser ein allgemein akzeptiertes Negativ-Modell menschlicher Existenz bzw. Gemeinschaft.338 Die allgemeine Akzep335 Vgl. Dunn, Galatians 301. 302. Besonders folgende Formulierung kommt dem Sachverhalt nahe: „(T)he Galatians were in danger of surrendering to the power of the flesh precisely as a result of the agitators’ insistence on another fleshly requirement – circumcision“ (Galatians 302). Dunn sieht jedoch nicht den inneren sachlichen Zusammenhang zwischen Streitigkeiten und der Akzeptanz der Beschneidung. Er deutet die Zusammenstellung unter der Kategorie sârx vielmehr so: „Paul does not hesitate to press the logic of his argument strongly“ (Galatians 301). 336 Vgl. noch einmal o. S. 108. 337 Fanerâ meint nicht „die eschatologische Enthüllung wie etwa 1Kor 3,13–15“ (Kamlah, Form 19 Anm. 5), sondern ist im Sinne von „sichtbar, offensichtlich, deutlich, klar, kenntlich, bekannt“ zu verstehen (vgl. Bauer/Aland, s. v. fanerí™ 1. 1699 f): das Folgende kann „leicht beobachtet werden“ (Betz, Galaterbrief 482; vgl. Mußner, Galaterbrief 379). Die Laster sind die leicht erkennbare und allgemein sichtbare Außenseite der Gemeinschaft, die vom Fleisch bestimmt ist, so wie die Einheit, die durch Liebe geprägt ist, das nach außen hin offensichtliche Zeichen der Gemeinschaft derer ist, die zu Christus gehören. 338 Ein solches Modell übersteigt per definitionem eine konkrete Situation, ist jedoch ganz

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tanz, also auch die der Adressaten, sichert der Verfasser in der Einführung und im Ausklang des Kataloges ab. Mit dem einleitenden fanerâ (5,19) signalisiert er sogleich, daß er an allgemein geteilter Einsicht anknüpft.339 Am Ende der Auflistung läßt die Wendung kaÿ tä Ñmoia to‹toi™ (5,21a) die Aufzählung ins Unbestimmte auslaufen. Dieser Abschluß erzeugt den Eindruck, die Adressaten wüßten schon, was der Verfasser meinte. Diese Gestaltungselemente suggerieren gemeinsames Wissen um die hier angesprochene Sache.340 Der Einsatz eines solchen Modells hat folgende Funktion: Mit ihm kann der Verfasser seine Adressaten nicht nur ihres falschen Vorhabens überführen, sondern sie sogleich in kritische Distanz zu ihm versetzen. Diese Art der kritischen Überführung legt sie nicht auf ihr Verhalten fest, was eine explizite Kritik mit sich brächte. Eine solche Festschreibung der Adressaten im Einflußbereich der sârx wäre auch rhetorisch nach Gal 5,18 nicht mehr denkbar. Dort sah der Verfasser sie ja bereits im pneøma-Bereich und nicht mehr im Einflußbereich der sârx.341 Entsprechend präsentiert er ihnen seine Kritik in Form eines unstrittigen Negativ-Modells, das ihm ermöglicht, sie rhetorisch umgehend von den Verhaltensweisen zu distanzieren, die sie bei sich selber diagnostizieren müssen. Seine besondere rhetorische Kraft gewinnt der Einsatz dieses NegativModells jedoch dadurch, daß der Verfasser sich der Zustimmung der realen Adressaten bedienen kann hinsichtlich der Negativwertung des genannten Verhaltens. Dies gilt nicht nur in dem Sinne, daß sie die generelle Ablehnung solchen Verhaltens teilen, sondern dies gilt sehr speziell: Gerade als mit dem Gesetzesgehorsam Liebäugelnde werden die Adressaten sofort zustimmen, daß hier entsetzliches Fehlverhalten vorliegt, das auf jeden Fall zu verhindern ist: „Paul’s intention was evidently to compile a list to which his readers could not help but give assent.“342 Auf diese Zustimmung zielt besonders die Auswahl der Laster beim Beginn der Aufzählung. Hier nennt der Verfasser Verirrungen, die typische Laster aus jüdischer bzw. judenchristlicher Sicht darstellen: Vor allem eÜdwlolatrùa, aber auch farmakeùa, porneùa und åsìlgeia sind typische heidnische Laster und gehören zum oder in Teilen auf diese applizierbar. Letzteres soll hinsichtlich der aktuellen Adressatensituation bei eÜdwlolatrùa, farmakeùa sowie dem Cluster von gemeinschaftszerstörendem Verhalten im Zentrum des Kataloges erfolgen. 339 Vgl. noch einmal Bauer/Aland, s. v. fanerí™ 1. 1699 f. 340 Der Verfestigung dieses Eindrucks dient auch der Teilvers ê prolìgw ¡mûn, kahÊ™ proeûpon (5,21b; s. dazu weiter u. z. St.). Der Relativsatz leitet zwar in erster Linie den Ñti-Satz (5,21b) ein. Dennoch ist er über den relativischen Anschluß mit dem Vorangehenden verbunden, so daß auch die Lasteraufzählung an der Aussage partizipiert, daß der Verfasser auf Bekanntes Bezug nimmt (kahÊ™ proe¶pon); vgl. ähnlich Betz, Galaterbrief 485. 341 Vgl. o. S. 124 f. 342 Dunn, Galatians 302.

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„geläufigen Topos jüdisch-hellenischer Polemik und Apologetik“.343 Der Verfasser nimmt also eine gemeinsame Perspektive mit seinen Gegnern und den von ihnen beeinflußten Adressaten ein.344 Er kann damit rechnen, daß die Adressaten, die nun jüdisch leben wollen, diese Perspektive teilen, sie vielleicht sogar mit dem Eifer von Konvertiten besonders radikal vertreten. Der Verfasser setzt die eigenen Überzeugungen seiner Adressaten geschickt ein: Mit der Auflistung der Rahmenlaster, die ohne Bezug zur galatischen Situation sind, will er Zustimmung zur Richtigkeit des Gesagten bewirken, um seinen Adressaten dann im Mittelteil des Kataloges den Spiegel vorzuhalten. Die Adressaten, die bei Beginn des Lasterkataloges dem Gesagten ohne Zögern zustimmen müßten, da es ihren eigenen Überzeugungen entspricht, sollen im Laufe der Aufzählung erschrocken feststellen, daß ihre derzeitige Situation von den „Werken des Fleisches“ bestimmt ist. Schon eÜdwlolatrùa und farmakeùa spielen auf die aktuelle Lage an345, also gerade die beiden Laster, „which were particulary hateful to Jews“346 bzw. Judenchristen. Daß der Verfasser sie ausgerechnet im Vorgehen der judenchristlichen Gegner aktualisiert sieht (Gal 3,1) sowie im galatischen Unternehmen, die jüdische Lebensweise anzunehmen (Gal 4,8), ist hochgradig polemisch. Geballt treten die Übereinstimmungen der Laster mit dem Verhalten der Adressaten dann im Zentrum des Kataloges auf. Wer dem Gesetz gehorsam leben will, wird als Täter von Untugenden überführt – und das gerade als Gesetzesgehorsamer. Wer Werke des Gesetzes tun will, tut „Werke des Fleisches“.347 Der Katalog endet mit Lastern, die 343 Vögtle, Tugend- und Lasterkataloge 98; vgl. die Übersicht „Der Lasterspiegel der Heiden in jüd.-hellen. Literatur“ bei Vögtle, Tugend- und Lasterkataloge 99; vgl. Barclay, Truth 153; Becker, Galater 89 f; Schweizer, Gottesgerechtigkeit 467. Zu eÜdwlolatrùa vgl. Berger, Formgeschichte 148; zu eÜdwlolatrùa und farmakeùa vgl. Dunn, Galatians 302. 304; Vouga, Galater 136; zu porneùa Witherington, Grace 398. 344 Vgl. Ebeling, Wahrheit 345; vgl. Brinsmead: „Thus the paraenesis is dialogical; and the task becomes that of determining both tradition and contextuality –_– the place where Paul is echoing the readers’ sentiment, and the place where he has turned that sentiment firmly against them. In these terms, too, the refutatio is the destruction of the opponents’ case, denying an ethos attributable to their theology in terms of norms to which the opponents must agree“ (Response 54 [Hervorhebung teilweise von mir]). Auch wenn seine Auslegung in eine ganz andere Richtung weist und sich aus unterschiedlichen Gründen nicht halten läßt (s. o. im Forschungsüberblick S. 33), sieht er dennoch den einen Punkt, auf den es mir hier ankommt: Paulus nimmt die Überzeugungen der Adressaten bzw. der Gegner direkt auf (wenn auch nur hier beim Lasterkatalog und auch nicht, um ihre Ethik anzugreifen, so wie Brinsmead meint [vgl. auch noch einmal Brinsmead, Response 164], sondern um sie im Rahmen seiner Strategie einzusetzen). 345 S. noch einmal o. S. 126. 346 Dunn, Galatians 302. 347 Auf die ironische Parallelbildung von ôrga tœ™ sarkí™ zu ôrga nímou (vgl. Gal 2,16; 3,2. 5. 10) weisen Esler (Boundaries 234), Dunn (Galatians 301) und Fee (Freedom 208) hin. – Gemeint ist nicht, daß Gesetzesgehorsam und Beschneidung zu „immoral conduct“

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für die aktuelle Situation unspezifisch sind, womit der Verfasser seine Aufzählung wiederum einvernehmlich mit den Ansichten der realen Adressaten abschließt: „By ,topping and tailing` his list with items which he could be sure his Galatian audiences would echo warmly, his hope no doubt was that the items in the heart of the list directed more at them themselves would strike home with greater impact.“348 Mit diesem Verfahren verfolgt der Verfasser das Ziel, die Adressaten von den „Werken des Fleisches“ zu distanzieren, die er bei ihnen ausmacht. Dies funktioniert vermittels der Modell-Strategie, die den Adressaten suggeriert, daß sie durchgängig alle genannten Laster ablehnen, also auch diejenigen, die bei ihnen in den Augen des Verfassers aktuell sind.349 Diese Distanzierung wird verstärkt durch den Einsatz der eigenen Überzeugungen der realen Adressaten, auch wenn diese bei ihnen in einem anderen Zusammenhang eine Rolle spielen. Der Verfasser reißt diese Überzeugungen aus dem Bezugsrahmen der Adressaten und macht sie für sein eigenes Anliegen nutzbar, indem er sie kritisch gegen sie einsetzt. Mit Gal 5,21b führt der Verfasser den Gedanken sachlich weiter und nennt die Folge des im Lasterkatalog genannten Tuns. Eingeleitet wird dieser führen (so aber Howard, Crisis 13; vgl. ausführlicher zu Howards Position o. S. 99). Weiter hilft auch nicht die Auskunft von Esler: „Paul is not suggesting that the works of the law are themselves works of the flesh, rather that those who rely on the law cannot escape the sway of the flesh (cf. Gal. 3:10) . . . (T)he fact that ,vices` similar to those in Gal. 5:19–21 have been found in a Jewish text such as 1 QS and attributed to other Jews who were purportedly living in accordance with the law of Moses strengthens the otherwise strong case that Paul primarily presents his list as (allegedly) constituting pathological dimensions of the Judaism . . . . Thus Paul suggests that the Jewish law, as advocated by the Galatian troublemakers, will plunge those who adopt it into the realm of ,flesh`“ (Boundaries 234 f; vgl. Esler, Galatians 223. 227–229). Auch diese Auskunft versucht, moralische Laster und jüdischen Gesetzesgehorsam, in diesem Fall in seiner Perversion, in einen direkten Konnex zu bringen, was letztlich einer Quadratur des Kreises gleichkommen muß, da beides nicht unmittelbar zusammengeht. Gesetzesgehorsam und Gemeinschaftszerstörung, die aus dessen Akzeptanz resultiert, kommen neben den sonstigen moralischen Lastern unter der Oberkategorie sârx zu stehen. Untereinander haben die Laster sittlicher Ausschweifung (Trinkgelage, Unzucht usw.) und die Gemeinschaftszerstörung aufgrund der theologischen Entscheidung für die jüdische Lebensweise keinen Zusammenhang. Dennoch stehen sie gleichwertig nebeneinander, insofern sowohl Gemeinschaftszerstörung als auch sittliche Ausschweifung „nur menschlich sind“, also Konkretionen dessen, was sârx meint. Hier zeigt sich deutlich, daß und wie der Verfasser sârx als Interpretationskategorie verwendet (vgl. o. S. 93 ff). 348 Dunn, Galatians 306. 349 Wie schon in Gal 5,2–6 entsteht unter pragmatischer Perspektive die Situation, daß die im Text konstruierte Adressatenschaft gegen die realen Adressaten aufgeboten wird (s. o. unter II.2.1 z. St.), was die Adressaten in kritische Distanz zu sich selbst bringen soll. Im Unterschied zu Gal 5,2–6 erhöht der Verfasser hier jedoch die Plausibilität der Position der rhetorisch konstruierten Adressatenschaft durch den Rekurs auf die Überzeugungen der realen Adressaten.

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Gedanke durch einen Hinweis darauf, daß das Folgende ein Wissen benennt, das den Adressaten keineswegs neu ist: ê prolìgw ¡mûn, kahêß proe¶pon.350 Der Verfasser erinnert diese an die „ursprüngliche() Übereinkunft, auf Grund derer Paulus die Gemeinden gegründet hatte“, an einen schon einmal erreichten Erkenntnisstand hinsichtlich der zuvor genannten Laster sowie der Folge eines solchen Tuns.351 Sachlich reißt Gal 5,21b den eschatologischen Horizont des Bestimmtseins durch die sârx auf. Die Existenz im Einflußbereich der sârx schließt vom eschatologischen Heil aus: oÖ tä toiaøta prâssonte™352 basileùan heoø o« klvronomŒsousin.353 Gal 5,21b benennt das ganze Ausmaß der gegenwärtigen Adressatensituation. Sachlich expliziert der Teilvers die bereits in Gal 5,15b angesagte Aussicht restloser Vernichtung, die dem Verbleiben im sârx-Bereich innewohnt.354 Dies geschieht jedoch in Gal 5,21b unter pragmatischer Perspektive signifikant anders. Gal 5,15b ist adressatenbezogen als direkte Warnung formuliert, Gal 5,21b verobjektivierend, im Stil einer generellen Belehrung über solche, die diese Dinge tun. Gal 5,21b funktioniert ebenfalls als Warnung an die Adressaten355, jedoch wiederum in derselben indirekten Art und Weise wie der vorangegangene Lasterkatalog. Der Verfasser stellt ihnen die Konsequenzen ihres Tuns vor Augen, ohne ihnen diese katastrophale Aussicht 350 Zu der Funktion, die dieser Teilvers im Blick auf den vorangegangenen Lasterkatalog übernimmt s. o. S. 129 Anm. 340. – Prolìgw bzw. proeûpon kann sowohl die Bedeutung „voraussagen“ als auch „schon früher einmal gesagt“ haben (vgl. Bauer/Aland, s. v. proeûpon 1411 f; Bauer/Aland, s. v. prolìgw 1418). Eine eindeutige Festlegung des Sinngehalts (vgl. Vouga, Galater 138) scheint mir weder möglich noch nötig. Der Verfasser spielt offenbar mit beiden Bedeutungen. 351 Betz, Galaterbrief 487 (vgl. 485). Warum Betz diese Bemerkung dennoch für „dunkel“ hält (Galaterbrief 484), bleibt seinerseits dunkel. – Dem Vers läßt sich nicht zwingend entnehmen, Paulus habe in seiner Missionspredigt bei den Galatern bereits gegen die „Werke des Fleisches“ gesprochen (vgl. Borgen, Paul 38), eine Annahme, auf der Borgen seine sehr weitgehende historische Rekonstruktion der gegnerischen Botschaft gründet (vgl. Paul 38 ff). Das Stichwort sârx kann der Verfasser auch ohne weiteres erst mit seinem Brief eingebracht haben. 352 Prâssein steht nicht „in Spannung mit dem Begriff ,Werke des Fleisches`“ (so Betz, Galaterbrief 486). Es bezieht sich vielmehr über ôrga tœ™ sarkí™ zurück auf das poieûn von Gal 5,17c und steht damit im Einklang mit dem schon dort bestimmenden Gedanken, daß die Mächte die eigentlichen Handlungsträger sind, was das menschliche Tun jedoch nicht ausschaltet (vgl. Gal 5,17c. 13). Entsprechend nimmt oÖ prâssonte™ diese menschliche Perspektive ein, nachdem mit Gal 5,19 der Gedanke im Vordergrund stand, daß die Macht die Führung hinsichtlich dieses Verhaltens hat. 353 Die Aussage muß nicht ausschließlich endzeitlich-eschatologisch verstanden werden: „Basileùa heoø ist in Gal 5,21 zwar eschatologisch, d. h. vor bzw. als von Gott gegeben gedacht, aber genausowenig endzeitlich wie fhorâ in Gal 6,8 zu verstehen“ (Vouga, Galater 142; s. auch u. zu Gal 6,8 S. 173 f mit Anm. 531). 354 S. o. S. 108 und S. 115 f. 355 Vgl. Mußner, Galaterbrief 383; Vouga, Galater 138.

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explizit auf den Kopf zuzusagen. Auch hier legt er die Adressaten nicht auf diese Konsequenz fest, sondern bringt sie rhetorisch in Distanz zu der prophezeiten Position, die unweigerlich die ihrige werden wird, wenn sie auf ihrem Vorhaben beharren. Diese Distanzierung funktioniert vermittels der verobjektivierenden Redeweise. Rhetorisch befördert wird sie durch die Reaktivierung des Wissens, die die Wendung ê prolìgw ¡mûn, kahÊ™ proeûpon bewirken soll. Diese „Erinnerung“ spricht die Adressaten daraufhin an, daß sie sich außerhalb der „Gefahrenzone“ befinden könnten und sollten, da sie um die Zusammenhänge wissen. Sie hat die rhetorische Wirkung eines „Ihr wisst es eigentlich besser“ und appelliert daran, sich diesem besseren Wissen entsprechend zu verhalten, d. h. von ihrem Vorhaben, das sie Werke des Fleisches tun läßt, Abstand zu nehmen und zu den Überzeugungen zurückzukehren, die einmal die ihrigen waren.356 Dann wird sie die Aussicht, die ihnen Gal 5,21b vor Augen stellt, auch nicht betreffen. Nachdem der Verfasser mit den Versen Gal 5,19–21 seine Adressaten „kritisch“ über ihre derzeitige Situation „aufgeklärt“ hat, wendet er sich mit Gal 5,22 dem zu, was ihre Gemeinschaft positiv ausmachen sollte. Dem Negativ-Modell von Gal 5,19–21b stellt er in Gal 5,22–23a ein Positiv-Modell entgegen, einen traditionellen Tugendkatalog.357 Als Pendant zum Lasterkatalog ist dieser zugespitzt auf gemeinschaftsförderndes Verhalten: šAgâpv, eÜrŒnv, crvstítv™358, ågahws‹nv359, pùsti™360 und praštv™ sind allesamt Verhaltensweisen, die erst dadurch zur Tugend werden, daß sie gegenüber anderen gelebt werden.361 Angeführt wird die 356 Diese Strategie entspricht dem Vorgehen in Gal 5,5–7, wo der Verfasser ebenso versucht, die Adressaten für ihre ursprüngliche, die allgemeinchristliche, Überzeugung zurückzugewinnen (s. o. unter II.2.1 und 2.2 z. St.). 357 Eingeleitet wird er mit der Wendung ú dÄ karpó™ toø pne‹matí™ Éstin. Die Verwendung des Substantivs karpí™ hat vermutlich seinen Grund darin, daß „der Ausdruck ôrga toø pne‹mato™ wegen des Parallelismus mit ôrga nímou mißverstanden werden könnte“ (Vouga, Galater 139; vgl. Barrett, Freedom 77; Longenecker [Galatians 259], der sich Barrett anschließt). Dafür spricht, daß der Verfasser bereits ôrga tœ™ sarkí™ (Gal 5,19) parallel zu ôrga nímou gebildet hat (s. o. S. 130 Anm. 347) und damit ôrga negativ besetzt ist. 358 Crvstítv™ bezeichnet „die Vorzüglichkeit einer Person oder ihres Charakters, ihre Güte und ihre Freundlichkeit“ (Vouga, Galater 140; vgl. Bauer/Aland, s. v. crvstítv™ 1767). Zum Ausdruck kommt diese Eigenschaft erst in Anwendung gegenüber anderen. 359 šAgahws‹nv überschneidet sich in der Bedeutung mit crvstítv™ (vgl. Burton, Galatians 316; Vouga, Galater 140; vgl. Bauer/Aland, s. v. ågahws‹nv 6). 360 Aufgrund der Einreihung in zwischenmenschliches Verhalten kann pùsti™ hier nur „Treue“ und nicht „Glauben“ meinen; vgl. Betz (Galaterbrief 490 mit Anm. 156), der auf den allgemeinen Forschungskonsens in dieser Deutung hinweist. 361 Makrohumùa bezeichnet zwar in erster Linie eine persönliche Haltung, die „Beständigkeit der Seele trotz des äußeren Druckes“ (Vouga, Galater 139), „Geduld“, „Ausdauer“, „Standhaftigkeit“ (vgl. Bauer/Aland, s. v. makrohumùa 1. 990). Diese Eigenschaft kann sich jedoch auch auf den Umgang mit anderen beziehen im Sinne von „Langmut gegen andere“ (Bauer/Aland, s. v. makrohumùa 2. 990 [im Original teilweise hervorgehoben]; vgl. Burton,

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II. Eine textpragmatische Analyse von Gal 5 und 6

Aufzählung durch die ågâpv. Sie ist das wesentliche Kennzeichen christlichen Glaubens und das Verhalten, das der Einheit aller in Christus entspricht (Gal 5,6362). Zur ågâpv hatte der Verfasser seine Adressaten in Gal 5,13c bereits explizit gedrängt. So wie der Lasterkatalog verobjektivierend den adressatenbezogen formulierten Gedanken von Gal 5,15 aufnahm363, so knüpft der Tugendkatalog an Gal 5,13c an und überführt den direkten Appell in die Modell-Rede. Der Verfasser forderte die Adressaten in Gal 5,13c also zu nichts anderem auf als dazu, das Allgemeinchristliche zu realisieren. Dem Tugendkatalog folgt in Gal 5,23b parallel zu Gal 5,21b ein Kommentarsatz. Auffälligerweise nennt dieser aber nicht in Entsprechung zu 5,21b die eschatologische Konsequenz für die, die im Herrschaftsbereich der Geistes sind. Der Verfasser spricht vielmehr noch einmal das Thema „Gesetz“ an: katä tÂn toio‹twn o«k ôstin nímo™. TÂn toio‹twn ist auf die zuvor genannten Tugenden zu beziehen. Dafür spricht die Parallelität des Satzes zu Gal 5,21b, wo tä toiaøta die zuvor genannten Verhaltensweisen meint und nicht die Täter der Laster.364 Inhaltlich hält der Teilvers fest: Gegen die gerade genannten Eigenschaften, gegen dieses Verhalten ist das Gesetz nicht. Der Kommentarsatz „spricht eigentlich eine Selbstverständlichkeit aus“365, so daß sich zu Recht die Frage stellt: „Why should Paul need to point out that there is no law against ,love, joy, peace` etc.?“366 Der Kommentarsatz hat die Funktion, die in Gal 5,14 erfolgte „Assoziation“ des Gesetzes mit dem göttlichen Geistbereich367 noch einmal betont abzusichern. Der Hinweis auf das Gesetz erfolgt hier in demselben Koordinatensystem Geist – Liebe – Gesetz wie in Gal 5,13 Galatians 315; Mußner, Galaterbrief 387). Diese Bedeutung legt sich hier nahe aufgrund des Kontextes, in dem makrohumùa steht. Makrohumùa ist in eine Reihe gestellt mit eÜrŒnv und crvstítv™, ågahws‹nv, pùsti™, praštv™, wodurch bei makrohumùa stärker der Aspekt der Ausübung dieser Tugend gegenüber anderen betont wird. – Die abschließende Nennung von Égkrâteia könnte dadurch bedingt sein, daß Égkrâteia sachlich mìhai und kÂmoi korrespondiert, den zuletzt genannten Lastern des Lasterkataloges (vgl. Burton, Galatians 318). šEgkrâteia hätte dann wie carâ keine spezielle Funktion hinsichtlich der aktuellen Situation, sondern würde die Liste mit immer Richtigem auffüllen, so daß die Aufzählung Modellcharakter gewinnt. 362 Vgl. zum Bezug von Gal 5,6 zu Gal 3,26–28 o. S. 68 f. 363 S. o. S. 128. 364 Vgl. Barclay, Truth 122; Betz, Galaterbrief 491; Dunn, Galatians 313; Mußner, Galaterbrief 389; Schlier, Galater 262 f; unentschieden bleibt Vouga (Galater 141), ähnlich Oepke (Galater 183). 365 Mußner, Galaterbrief 389; vgl. Barclay, Truth 122 f; Oepke, Galater 183; Schlier, Galater 262. 366 Barclay, Truth 122. 367 Vgl. noch einmal o. die Auslegung zu Gal 5,14 S. 107 f.

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und 14.368 Das Gesetz ist in Gal 5,22 f wiederum der Seite des Geistes zugeordnet und erscheint im Zusammenhang mit der Liebe, dem zentralen Merkmal des Glaubens bzw. des Geistbereichs. Wie in Gal 5,13 f wird im Aussagegefälle von Geist und Liebe herkommend das Gesetz zum Thema. Parallel zu Gal 5,13 f gibt Gal 5,23b eine Zusatzinformation369, die das Gesetz in einen Zusammenhang mit der Frucht des Geistes bringt. Der Teilvers zielt auf den Gedanken, daß ein Einklang besteht zwischen den genannten Tugenden und dem Gesetz. Anders formuliert: Der Tugendkatalog nennt Werte, die auch vom Gesetz geteilt werden. Diese Aussage ist sachlich tatsächlich selbstverständlich: Natürlich steht das Gesetz nicht gegen die Frucht des Geistes, schon gar nicht nach der Aussage von Gal 5,13 f. Wenn das Gesetz in der Liebe zur Erfüllung gekommen ist, dann kann es kaum etwas gegen die Liebe und die weiteren Tugenden einzuwenden haben, die unter diesem Zeichen stehen.370 Der Vers Gal 5,23b hat genau die Funktion, diese Selbstverständlichkeit auszusagen. Der Verfasser wiederholt pointiert die Sachaussage von Gal 5,13 f: Das Gesetz mit seiner Intention ist in der Frucht des Geistes, der Liebe, zu seiner Erfüllung gekommen. Damit wird die Verbindung des Gesetzes an sich mit dem pneøma-Bereich bekräftigt.371 Notwendig ist diese erneute Absicherung dieses Gedankens aufgrund des Verses Gal 5,18.372 Nachdem Gal 5,13 f Gesetzesgehorsam und Gesetz an sich voneinander dissoziiert 368 Das Stichwort „Geist“ findet sich in Gal 5,22 und implizit in Gal 5,13c. Daß es sich in 5,13c um eine Aufforderung handelt, sich dem pneøma-Bereich entsprechend zu verhalten, ist deutlich über den Rückbezug des Teilverses auf Vers 5,6, der noch an der Bestimmung pne‹mati von Gal 5,5 partizipiert. Das Stichwort „Liebe“ kommt in Gal 5,22 sowie in Gal 5,13c. 14 vor. Das „Gesetz“ findet sich in Gal 5,23b und in Gal 5,14. 369 So wie in Gal 5,13 f die Aufforderung zur Liebe nicht durch den Hinweis auf das Gesetz begründet wurde (vgl. o. S. 103), so wird auch hier nicht der Tugendkatalog durch das Gesetz legitimiert, so daß der Teilvers Gal 5,23b darauf zielte, die vorangegangenen Tugenden durch das Argument zu stützen: „Das alles gilt, weil das Gesetz das auch so sieht.“ Gal 5,23b bietet vielmehr parallel zu Gal 5,13 f eine Erläuterung des Tugendkataloges durch einen Hinweis auf das Gesetz. 370 Die Vermutung, Paulus denke hier „an das Gesetz von Gal 3,19“ (Vouga, Galater 141; vgl. ähnlich Fee, Freedom 210), erstaunt. Auch wenn nímo™ hier ohne Frage nicht irgendein beliebiges anderes Gesetz (vgl. Vouga, Galater 140 f) meint, sondern die jüdische Thora, wird nicht deutlich, warum Gal 5,23b sich auf diesen weit zurückliegenden Vers beziehen soll. Übergangen wird damit die Pointe von Gal 5,23b, die darin besteht, daß erneut von dem redefinierten Gesetz aus Gal 5,14 die Rede ist (s. o. zu Gal 5,14 S. 104 ff). 371 Der Vers hat nicht das „Anliegen, auch hier die Freiheit vom Gesetz als letzten Gedanken vor die Galater hinzustellen“ (so Eckert, Verkündigung 158; vgl. 141), indem festgehalten wird: „Das Pneuma, nicht das Gesetz, ,treibt` den Christen zu diesen Tugenden“ (Mußner, Galaterbrief 389; vgl. auch Oepke, Galater 183; Schlier, Galater 262 f). Gal 5,23b betont doch gerade die Übereinstimmung des Gesetzes mit den zuvor genannten Tugenden und deutet in nichts an, dieses habe mit solchen Verhaltensweisen nichts zu tun (vgl. zudem zur Bedeutung von nímo™ in Gal 5,23b Anm. 370). 372 Zum Rückbezug auf Gal 5,18 vgl. Dunn, Galatians 313.

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II. Eine textpragmatische Analyse von Gal 5 und 6

hatte, kommt Gal 5,18 auf das Thema „Gesetzesgehorsam“ zurück, auf das ¡pó-nímon-Sein, das der sârx-Seite zugehört.373 Danach sichert der Verfasser in Gal 5,23b ab, daß die Dissoziation von ¡pó nímon und nímo™ bei den Adressaten auch angekommen ist, indem er diese explizit wiederholt und einschärft: Gegen diese Dinge hat das Gesetz nichts, denn in ihnen kommt es gerade zur Erfüllung.374 Unter pragmatischer Perspektive zieht der Satz gerade durch seine inhaltliche Selbstverständlichkeit Aufmerksamkeit auf sich. Obwohl als Aussage formuliert, fordert seine Negativformulierung einer rhetorischen Frage vergleichbar die Zustimmung der Adressaten heraus. Auch hier kann der Verfasser erneut die Überzeugungen der realen Adressaten einsetzen. Der Satz ist nicht nur selbstverständlich im Blick auf das in Gal 5,13 f modifizierte Verständnis von Gesetz. Auch im Verstehenshorizont der realen Adressaten können diese dem Verfasser nur Recht geben: Die genannten Tugenden stehen ohne Frage im Einklang mit der jüdischen Thora. Wie schon beim Lasterkatalog löst der Verfasser die Überzeugungen der Adressaten aus dem Zusammenhang, in dem sie für die Galater stehen, und macht sie für seine eigene Sache nutzbar. Die realen Adressaten können sich der Zustimmung zu dem in Gal 5,23b Gesagten kaum entziehen. Sie stimmen jedoch einer ganz anderen Sache zu als der ihrigen.375 373 S. noch einmal o. S. 122 ff. 374 Gestützt wird diese Auslegung durch eine Beobachtung von Barclay zur Einleitung des Tugendkataloges durch ú dÄ karpó™ toø pne‹mato™ (Gal 5,22). Barclay sieht in dem Bild der Frucht eine Anspielung auf die prophetische Tradition des AT (Jes 32,15 f; Joel 2,18–3,2; Jes 27,2–6; 37,30–32; Jer 31,27 f u. ö.; vgl. die ausführliche Zusammenstellung bei Barclay, Truth 120 f mit den Anm. 41–44): „Paul’s reference to the ,fruit of the Spirit` may . . . be intended to evoke the prophetic statements on Israel and the promise of her future: such fruit is what God has always demanded of his people and what was promised for the ,age to come`“ (Truth 121). Paulus will nach Barclay darauf hinaus, daß jetzt, „in ,the fulness of time` (Gal 4.4) as ,the Spirit is poured out from on high` (Is 32.15), the people of God are able to produce the ,fruit` which was expected of them“ (Truth 121). Trifft diese Anspielung zu, dann findet sich in Gal 5,22 f eschatologisch gefärbte Terminologie, so wie in Gal 5,13 f. Beide Textstellen sprechen dann übereinstimmend von der eschatologischen Erfüllung göttlichen Willens im Christusbereich. 375 Vgl. Barclay, der ebenfalls die Nähe der Aussage zur Überzeugung der realen Adressaten geltend macht, jedoch zu einer ganz anderen Aussage über die pragmatische Abzweckung des Verses kommt: „Paul’s statement is entirely correct and must have been calculated to have some persuasive force in inducing the Galatians to entrust themselves to the leading of the Spirit“ (Truth 124). Der Vers teilt also die apologetische Stoßrichtung, die Barclay aufgrund der von ihm rekonstruierten Adressatensituation ausmacht (s. o. im Forschungsüberblick S. 50 ff): „Paul uses such a list to commend the morality of life in the Spirit as compatible with the law“ (Truth 125; vgl. Betz, Galaterbrief 491 f; Dunn, Galatians 313). Für sich genommen paßt der Vers gut in eine solche Gesprächslage. Diese müßte jedoch durchgängig an der Gestaltung des ganzen Abschnittes Gal 5,13 ff aufgewiesen werden, da ein Teilvers nicht isoliert funktioniert (eine solche durchgängige Analyse findet sich

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Gal 5,24 führt den belehrenden Stil fort, der seit Gal 5,19 vorherrscht. Der Verfasser kommt auf das Thema sârx zurück und spricht in verobjektivierender Weise über das Verhältnis der Christusgläubigen zur sârx. Er macht eine feststellende Aussage über die Vergangenheit: Die des Christus haben die sârx mit ihren Begierden und Leidenschaften bereits gekreuzigt. Für die im pneøma-Bereich Lebenden hat sich die sârx mitsamt ihren Erscheinungsformen erledigt. Sachlich ist die Exklusivität der Bereiche sârx und pneøma bestimmend, die der Verfasser seit Gal 5,16 geltend macht.376 Gal 5,18 hatte die Konsequenz für eine konkrete Erscheinungsform der sârx im Blick auf die Adressaten gezogen: Wenn sie vom Geist bestimmt sind, dann schließt es sich automatisch aus, unter dem Gesetz zu sein.377 Mit Gal 5,24 formuliert der Verfasser dieses Verhältnis verobjektivierend und grundsätzlich: Die, die vom Geist bestimmt sind, haben die sârx-Herrschaft hinter sich gelassen. D. h. Gesetzesgehorsam und Beschneidung (Gal 5,18) sowie das gemeinschaftszerstörende Verhalten, das ihrer Akzeptanz innewohnt (Gal 5,19–21a), ist für die Christusgläubigen definitiv ausgeschlossen. Mit dieser Formulierung siedelt der Verfasser die Christusgläubigen jenseits des Konflikts zwischen Fleisch und Geist auf der Seite des pneøma an. Für sie ist dieser Konflikt längst zuungunsten der sârx entschieden. Entsprechend erscheint die sârx hier nur noch als Objekt des Handelns derer, die des Christus sind.378 jedoch weder bei Barclay noch bei Betz). Zu den Gründen, warum die angenommene Gesprächslage, die eine apologetische Ausrichtung des Teilverses Gal 5,23b bzw. des Gesamtabschnittes bedingt, nicht plausibel zu machen ist, vgl. noch einmal zu Gal 5,16 S. 118 Anm. 288 und Anm. 289 sowie grundsätzlich S. 96 ff. 376 S. o. zu Gal 5,16 S. 117 f; vgl. Vouga, Galater 141. 377 S. o. zu Gal 5,18 S. 122 ff. 378 Daß die Christusgläubigen als aktiv Handelnde erscheinen, bedeutet nicht die Aufhebung des Grundgedankens aus dem vorangegangenen Gedankengang, daß die eigentlichen Akteure die Mächte sind. Denn solch Handelnde sind die Gläubigen nicht aus sich heraus, sondern als oÖ toÓ CristoÓ. Sie sind es als solche, die Christus zur Freiheit befreit hat (Gal 5,1), die des Christus sind (Gal 3,29: eÜ ¡meû™ Cristoø), weil sie auf ihn getauft sind und ihn angezogen haben (Gal 3,27), als die, die mit Christus mitgekreuzigt worden sind, damit Christus in ihnen lebt (Gal 2,19 f; vgl. zu den Bezügen Betz, Galaterbrief 492; zu Gal 2,19 f Vouga, Galater 141; Weder, Kreuz 198 ff). Handelndes Subjekt der Christusgläubigen ist also Christus. Nicht sachgemäß ist es daher, das aktivische Ésta‹rwsan dahin gehend zu verstehen, es hebe „das Moment der Entscheidung hervor: die Glaubenden haben sich für das Pneuma und gegen das Fleisch entschieden“ (Mußner, Galaterbrief 390) bzw. es betone die menschliche Verantwortung, „a responsibility actively to participate in the killing off of the flesh“ (Dunn, Galatians 315). Der Vers bleibt sachlich bei der menschlichen Fremdbestimmung, er spricht jedoch an dieser Stelle nicht von den Mächten her, sondern nimmt die menschliche Perspektive ein und beschreibt das Handeln derer, die von Christus bestimmt werden. Die Spannung zwischen aktivischer Formulierung (Ésta‹rwsan) und dem Gedanken, daß das eigentliche Subjekt dennoch Christus ist, löst sich auch hier, wenn man vom „Herrschaftsbereich“ her denkt (vgl. o. S. 121).

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II. Eine textpragmatische Analyse von Gal 5 und 6

Unter pragmatischer Perspektive stellt der Verfasser seinen Adressaten modellhaft die christliche Existenz vor Augen. Damit zwingt er sie in eine klare Alternative: Wollen die Adressaten sich als oÖ toø Cristoø verstehen, so schließt sich für sie Gesetzesgehorsam und Beschneidung definitiv aus. Wollen sie bei ihrem Standpunkt bleiben, dann spricht ihnen der Vers ab, noch weiter die des Christus zu sein. Denn eine Synthese zwischen Gesetzesgehorsam und Christusglauben ist eine „unmögliche Möglichkeit“, ein Widerspruch in sich. Welche Entscheidung die Adressaten nach Auffassung des Verfassers fällen sollen, macht der folgende Vers Gal 5,25 deutlich. Der Verfasser kehrt zu einer adressatenorientierten Aussage zurück und spricht sie in Gal 5,25a als solche an, die sich mit dem Modell von Gal 5,24 identifizieren. Durch die „Wir“-Formulierung schließt er sie mit sich und der christlichen Glaubensgemeinschaft zusammen. Damit sieht er sie konform mit dem allgemeinchristlichen Standpunkt von Gal 5,5 f. Gal 5,25 nimmt die 1. Person Plural wieder auf, die mit Gal 5,7 in ein Gegenüber von Adressaten und Verfasser aufgelöst wurde, das den Gedankengang bis Gal 5,24 bestimmte. Zu Gal 5,5–7 bestehen über Gal 5,16 noch weitere Verbindungen: Die Bestimmung pne‹mati findet sich sowohl in Gal 5,25 wie in 5,16a und 5,5. An allen drei Stellen finden sich Verben, die zum selben Wortfeld gehören: stoiceûn379 (Gal 5,25), peripateûn (Gal 5,16), trìcein (Gal 5,7).380 379 Das Verb stoiceûn ist ursprünglich ein militärischer Ausdruck und bedeutet „sich in einem stoûco™, in einer Reihe befinden“ (Delling, ThWNT VII 666; vgl. Betz, Galaterbrief 499; Mußner, Galaterbrief 391; Vouga, Galater 144), wobei stoûco™ „von steùcw marschieren, in einer Reihe gehen“ abzuleiten ist (Delling, ThWNT VII 666 Anm. 1). In übertragenem Sinne meint es „übereinstimmen“, „in Einklang sein“ (Delling, ThWNT VII 667; vgl. Mußner, Galaterbrief 391; Vouga, Galater 144). Die Parallelität zu Gal 5,16 legt nahe, stoiceûn in Gal 5,25b so zu verstehen, daß die ursprüngliche Bedeutung mitklingt. Paulus fordert die Adressaten auf, „alle in Reih’ und Glied hinter dem Geist als Führer herzumarschieren“ (Betz, Galaterbrief 499; vgl. ähnlich Barclay, Truth 155; Burton, Galatians 322; Oepke, Galater 186; Schlier, Galater 268 f). Mußner (Galaterbrief 391) lehnt im Anschluß an Delling (ThWNT VII 668) diese Bedeutung mit dem Argument ab, stoiceûn sei nicht synonym zu peripateûn in Gal 5,16 (vgl. auch Weder, Normativität 144; s. ferner Pfeiffer [Einweisung 243–249], der für seine Entscheidung zugunsten der Bedeutung „im Einklang sein“ Gal 5,16 jedoch unberücksichtigt läßt). Das oben vorgeschlagene Verständnis von stoiceûn setzt jedoch gar keine Synonymität im engeren Sinne mit peripateûn voraus, sondern nimmt lediglich eine semantische Verwandtschaft zwischen beiden Verben an, die über das Bedeutungselement „gehen, marschieren, wandeln“ besteht. Stoiceûn hat gegenüber peripateûn einen eigenen Akzent, indem das Moment der geschlossenen Gefolgschaft unter der Leitung einer Autorität im Vordergrund steht. Die Vorstellung der Bewegung steht aber dennoch im Hintergrund, so daß eine Verwandtschaft der Aussage von Gal 5,25 mit Gal 5,16a durchaus gegeben ist (vgl. Schlier, Galater 268 f; Oepke, Galater 186). 380 Die Verbindung zwischen Gal 5,25 und Gal 5,16 thematisieren Betz (Galaterbrief 499), Barclay (Truth 155), Burton (Galatians 322), Dunn (Galatians 317), Mußner (Galaterbrief

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Schon mit Gal 5,5–7 hatte der Verfasser die Adressaten dazu bewegen wollen, die allgemeinchristliche Sicht zu übernehmen und sich damit von ihrem derzeitigen Unternehmen zu distanzieren. Rhetorisch setzte er dort die „Wir“-Formulierung sowie den Hinweis auf die Vergangenheit der Adressaten ein (Étrìcete kal™).381 Mit Gal 5,16 drängte der Verfasser seine Adressaten explizit zur (erneuten) Übernahme des gemeinchristlichen Standpunktes (pne‹mati peripateûte).382 Mit Gal 5,25a sieht der Verfasser seine Bemühungen von Gal 5,5–7 und Gal 5,16 rhetorisch als erfolgreich an383 und spricht die Adressaten gegenwärtig als solche an, die die allgemeinchristliche Sicht teilen: eÜ zèmen pne‹mati (Gal 5,25a).384 Diese Konstatierung der Wiedereingliederung der Adressaten in die christliche Glaubensgemeinschaft bildet die Protasis für die folgende Aufforderung. Dadurch erscheint sie als selbstverständliche Voraussetzung. Der Verfasser thematisiert die Reintegration der Adressaten gar nicht mehr eigens, sondern setzt sie als gegeben voraus. Dieses Vorgehen erhöht die rhetorische Kraft der Wiedereingliederung: Sie wird als unstrittige Tatsache präsentiert. Die mit Gal 5,25b folgende Aufforderung (pne‹mati kaÿ stoicÂmen) ist dieser Reintegration entsprechend als Selbstaufforderung an die Gemeinschaft der Christusgläubigen als ganzer gestaltet. Die Adressaten werden nicht mehr als „Abtrünnige“ ermahnt, sondern im Rahmen einer Ermahnung, die allen Christusgläubigen gilt, dazu aufgefordert385, in dem Stand dauerhaft386 zu bleiben, der der ihrige ist.387 Inhaltlich fordert Gal 5,25b 391) und Vouga (Galater 144). Betz, Burton und Vouga machen zudem auf die Parallelität der Formulierungen von Gal 5,25b; 5,18a und 16a aufmerksam (zur sachlichen Übereinstimmung von Gal 5,18 und Gal 5,16 sowie zum spezifischen Unterschied hinsichtlich ihrer jeweiligen Pragmatik vgl. o. S. 123 ff). Der Rückbezug des Verses zu Gal 5,5–7 wird bei keinem der genannten Ausleger gesehen. 381 S. o. S. 69 ff. 382 S. o. S. 117 f. 383 Vgl. in dieser Richtung schon Gal 5,18a (s. o. S. 124 f). 384 Den Realis der Aussage betonen Burton (Galatians 321 f), Martyn (Galatians 545), Mußner (Galaterbrief 391), Schlier (Galater 268) und Vouga (Galater 144). 385 Vgl. Suhl, Galaterbrief 3127. 3128. Dieses Charakteristikum übergeht Dunn in seiner Auslegung: „Paul . . . does not see the Spirit as an anarchic power disruptive of all order, and continues to warn against treating the freedom given by the Spirit as a licence of self-indulgence“ (Dunn, Galatians 318 [Hervorhebung von mir]). Bei diesem Verständnis bewegt sich die Mahnung des Apostels in Gal 5,25 seit Gal 5,13 unverändert in denselben Bahnen. Der unter pragmatischer Perspektive erfolgende Fortschritt des Textes, der mit Gal 5,25 in der Reintegration der Adressaten ins gemeinchristliche „Wir“ gipfelt, kommt dabei nicht in den Blick. Bei den meisten Auslegern bleibt die pragmatische Besonderheit des Verses unbeachtet; vgl. z. B. die Auslegung des Verses bei Betz (Galaterbrief 498–500), Mußner (Galaterbrief 391) und Vouga (Galater 144). 386 Zum Imperativ Präsens vgl. BDR § 336. 387 Der Sinn des mit Gal 5,25 gegebenen Verhältnisses von Indikativ und Imperativ er-

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II. Eine textpragmatische Analyse von Gal 5 und 6

zu einem Leben nach Maßgabe des allgemeinchristlichen Standpunktes auf, wie er in Gal 5,5 f formuliert ist. In unmittelbarem Anschluß an den Tugendkatalog (Gal 5,22–23a) bedeutet das konkret, dem Glauben Ausdruck zu verleihen in gemeinschaftsförderndem Verhalten unter dem Zeichen der Liebe. Gal 5,26 führt die gemeinchristliche Selbstaufforderung von Gal 5,25 weiter. Der Vers benennt ein Verhalten, das durch den geforderten Wandel im Geiste ausgeschlossen sein soll: mÀ ginÈmeha kenídoxoi. Mit kenídoxoi bringt der Verfasser ein neues Stichwort ins Spiel. Kenídoxo™ bezeichnet jemanden, „der sich ein unbegründetes Ansehen (kenÀ díxa) zu verschaffen weiß oder zu verschaffen sucht“388, jemanden, der durch „leeren Ruhm, hohles Ansehen“ gekennzeichnet ist.389 Spezifiziert wird diese Eigenschaft in Gal 5,26 durch die untergeordneten Partizipien prokalo‹menoi und fhonoønte™. Die Verben nehmen noch einmal das Thema „Gemeinschaftszerstörung“ auf. Das Verb prokaleûn spielt auf die Verhaltensweisen an, die das Zentrum des Lasterkataloges bilden (Gal 5,20–21) und das Gal 5,15 in bildhafter Überzeichnung benennt. Fhoneûn bezieht sich in terminologischer Übereinstimmung zurück auf fhínoi (Gal 5,21). Das gemeinschaftszerstörende Verhalten, das im Rahmen des Lasterkataloges zu den „Werken des Fleisches“ gerechnet wurde, deutet der Verfasser mit Gal 5,26 als Ausdruck der kenodoxùa. Damit rechnet er zum einen kenodoxùa ebenfalls zum sârx-Bereich.390 Zum anderen faßt er das schließt sich m. E. stimmig mit der von Käsemann vorgeschlagenen Formel: „Bleibe bei dem dir gegebenen Herrn und in seiner Herrschaft“ (Käsemann, Gottesgerechtigkeit 188). Eine ausführliche Diskussion des Ansatzes paulinischer Ethik und der zu dieser Frage vertretenen Forschungspositionen ist im Rahmen dieser Arbeit nicht zu leisten (vgl. als Überblick über die Problemlage Eckert, Indikativ 168 ff [dazu das Koreferat von Zeller, Indikativ 190 ff]; Körtner, Rechtfertigung 93 ff; Schrage, Ethik 175 ff; Schulz, Ethik 380 ff sowie die neben Käsemann „klassischen“ Bestimmungen des Indikativ-Imperativ-Verhältnisses bei Bultmann [Theologie 334 f; Problem 36 ff] und Bornkamm [Taufe 34 ff, bes. 44 ff]). 388 Oepke, ThWNT III 662. 389 Oepke gibt kenídoxo™ mit „großsprecherisch, prahlerisch, ehrgeizig“ wieder (ThWNT III 662). Denkbar ist auch eine Übersetzung von gùneshai kenídoxo™ mit „ruhmsüchtig sein“ (vgl. Vouga, Galater 145), „ruhmredig sein“ (Oepke, Galater 185), „eitler Ehre nachjagen“ (Becker, Galater 91; Betz, Galaterbrief 495; Vouga, Galater 143). Mir erscheint eine Übersetzung mit „hohles Ansehen haben“, „leerrühmig sein“ (vgl. Dunn [Galatians 318], der von „empty glory“ spricht) den beiden Bestandteilen des Wortes am besten Rechnung zu tragen: kení™ bedeutet „leer, ohne Inhalt“, „hohl, nichtig“ (Oepke, ThWNT III 659), díxa „d. Ruhm, d. Ansehen“ (Bauer/Aland, s. v. díxa 3. 410 [im Original hervorgehoben]). 390 Die starke Rückbezogenheit des Verses legt es nahe, mit dem Vers keinen neuen Abschnitt beginnen zu lassen (so Mußner, Galaterbrief 395 f). Von Gal 5,26 her erscheint es auch nicht ratsam, den mit Gal 5,16 beginnenden Abschnitt bereits mit Gal 5,24 beendet zu sehen (so Barclay, Truth 149; Becker, Galater 91; Betz, Galaterbrief 435 f. 496; Dunn,

2. Textanalysen

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Thema „Gemeinschaftszerstörung“ als Ausdruck von kenodoxùa unter einem neuen Aspekt ins Auge. Mit Gal 5,15 und Gal 5,19–21b brachte er Gemeinschaftszerstörung als Verhalten zur Sprache, das der Anerkennung von Gesetzesgehorsam und Beschneidung zwangsläufig innewohnt. Sie zerstört die Gemeinschaft aller in Christus durch eine erneute hierarchisierende Gruppenbildung. Damit ist die soziale Dimension der gegenwärtigen theologischen Krise benannt.391 Ihr entspricht als individuelle Dimension die Einschätzung, „Ansehen zu haben“. Beides, soziale und individuelle Dimension, gehört sachlich zusammen. Der Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die als anderen überlegen gilt, entspricht das Selbstverständnis, mit dieser Zugehörigkeit ein gewisses Ansehen zu haben. Oder anders formuliert: Das Überlegenheitsgefühl der Gruppe speist sich aus dem Selbstverständnis derer, die diese Gruppe konstituieren, dem Verständnis, besonderes Ansehen zu haben.392 Diese Dimension des Konfliktes um Gesetzesgehorsam und Beschneidung ist wiederum nicht neu im Brief. Angedeutet findet sie sich bereits im Zusammenhang mit dem „historischen Modellfall“ für die galatische Situation (Gal 2,1–14. 15–21). Die Probleme werden hier ausgelöst durch Gruppen bzw. Einzelpersonen dieser Gruppen, die ein bestimmtes Ansehen Galatians 317; Lührmann, Galater 95; Martyn, Galatians 541 f; Schlier, Galater 268; Vouga, Galater 144). Gal 5,25 und 5,26 bilden noch jeweils ein pneøma- bzw. sârx-Element innerhalb der durchgängigen pneøma-sârx-Struktur des Gesamtabschnittes Gal 5,16 ff (zur Frage der Textabgrenzung vgl. noch einmal o. S. 116 f mit Anm. 277). 391 Vgl. o. zu Gal 5,15 S. 110 ff. 392 Die Verbindung zwischen der Haltung der kenodoxùa und dem vorgängigen Thema der Gemeinschaftszerstörung, die Paulus in Gal 5,15 und 19–21b anspricht, benennen Barclay (Truth 156), Martyn (Galatians 545), Mußner (Galaterbrief 396), Vouga (Galater 144 f); vgl. auch Betz (Galaterbrief 501) und Dunn (Galatians 318), die jedoch vager bleiben. Den inneren Zusammenhang zum Thema „Gesetzesgehorsam und Beschneidung“ sehen sie jedoch nicht. Allenfalls erwägen einige Ausleger, wie bereits im Zusammenhang mit Gal 5,15, einen Bezug zur aktuellen Situation, der darin besteht, daß die Auseinandersetzungen mit den Gegnern zu Konflikten innerhalb der Gemeinden geführt haben, die nun ein zusätzliches Problem neben dem theologischen Streit um die Geltung des Gesetzes darstellen (vgl. Baumert, Gewinn 80; Barclay, Truth 156; Burton, Galatians 323; Martyn, Galatians 545; s. dazu o. S. 109 ff). – Ein anderes Verständnis des Verses 5,26 schlägt Esler vor: Gal 5,26 „raises a somewhat different issue. What we have here is virtually a summary of Mediterranean man, always seeking to provoke others who were not kin to social contests of challenge and response in order to win honour“ (Esler, Boundaries 236; vgl. Esler, Galatians 230). In 5,26 Paulus „may have in his sights a general problem posed by the social environment more than the particular issue raised by Judaism“ (Esler, Boundaries 236). Diese Deutung ist deswegen nicht recht überzeugend, da es keinen Anlaß gibt, davon auszugehen, Paulus überschreite nun den Rahmen seiner Auseinandersetzung mit dem Judentum. Der Vers signalisiert keine solche Perspektiverweiterung und das Problem, das 5,26 benennt, läßt sich genausogut, wenn nicht gar besser, als eines verstehen, das durch „the particular issue raised by Judaism“ (Esler, Boundaries 236) gestellt ist.

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II. Eine textpragmatische Analyse von Gal 5 und 6

haben: oÖ dokoønte™ (eRnaù ti: Gal 2,2. 6), oÖ dokoønte™ støloi eRnai (Gal 2,9).393 In der Verwendung der Bezeichnung oÖ dokoønte™ schwingt deutlich „das Moment der Distanzierung“394 des Verfassers von diesem Anspruch der Gruppe mit, das er im parenthetischen Einschub in Gal 2,6a expliziert und mit einer Begründung versieht: úpoûoù pote rsan o«dìn moi diafìrei˚ príswpon ú heó™ ånhrÈpou o« lambânei.395 Dieses Thema deutet sodann Gal 5,10 im Blick auf die aktuelle Situation der Adressaten an. Die Urteilsankündigung an die Gegner ergänzt der Apostel durch den kleinen Nachsatz Ñsti™ Éän ó. Mit Gal 5,26 bringt der Verfasser dieses Thema aus der Sicht des gemeinchristlichen „Wir“ zur Sprache. Das Ansehen, das sich mit Zugehörigkeit zur hierarchisch höherstehenden Gruppe verbindet, entlarvt er mit Gal 5,26 als hohl und leer. Die Annahme eines besonderen Status, der sich mit der Akzeptanz jüdischer Lebensweise verbindet, ist eine Fehleinschätzung. Es ist ein falscher Ruhm, der sich lediglich in Gemeinschaftszerstörung äußert. Er gründet auf irdisch-menschlicher Unterscheidung und Hierarchisierung und gehört deswegen in den Bereich der sârx. Dieser leere Ruhm, der sich in Gemeinschaftszerstörung äußert, soll für die Adressaten als Teil des gemeinchristlichen „Wir“ ausgeschlossen sein. Das gilt untereinander, aber auch in Bezug auf den Verfasser, der sich durch die „Wir“-Formulierung in die Aufforderung mit einbezieht. Der Vers zielt also auch auf die Befriedung des Verhältnisses zwischen Verfasser und Adressanten. Daß dies nötig ist, zeigt der Vers Gal 4,16, in dem Paulus die Feindschaft zwischen sich und den Adressaten benennt. Die Beziehung Verfasser – Adressaten ist ein exemplarischer Fall der umfassend notwendigen Wiederherstellung von Gemeinschaft. An ihr hängt mehr als persönliche Sympathie oder Antipathie oder die gekränkte Eitelkeit des Apostels. Sie hat theologische Bedeutung. Sie ist um der Einheit in Christus willen nötig.396

393 Vgl. o. S. 74 f (vgl. auch S. 114). 394 Vouga, Galater 41. 395 Vgl. Vouga, Galater 46 f. Der Vers ist als „eine theologisch-kritische Relativierung“ von Geltung und Ansehen zu verstehen (Vouga, Galater 46 [s. auch 43]; vgl. Betz, Galaterbrief 178 mit Anm. 321). Das Imperfekt rsan unterscheidet nicht Vergangenheit und Gegenwart (so z. B. Schlier, Galater 75; vgl. zu den unterschiedlichen Überlegungen, worauf der Vers dann hinaus will, die Übersicht bei Betz, Galaterbrief 178 ff; Mußner, Galaterbrief 112 ff), sondern „bezieht sich auf die Zeit der erzählten Geschichte“ (Vouga, Galater 46). Der Zusatz potì hat dementsprechend „nicht den Sinn von ,damals`, ,einst`, gehört vielmehr verallgemeinernd zu úpoûoi“ (Mußner, Galaterbrief 114; vgl. Bauer/Aland, s. v. potì 3. 1393). 396 Vgl. noch einmal o. zu Gal 5,15 S. 114 mit Anm. 273.

2. Textanalysen

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Zusammenfassend ist für den Abschnitt Gal 5,16–26 festzuhalten: Unter thematischem Gesichtspunkt läßt der Verfasser den galatischen Konflikt aufgehen in den kosmischen Kampf zwischen sârx und pneøma (Gal 5,17). Mit Hilfe eines Lasterkataloges präzisiert er die grundlegende Kategorie sârx in ihrer Auswirkung auf das menschliche Handeln (Gal 5,19–21a). Diese Kategorie füllt er primär mit gemeinschaftszerstörendem Verhalten und stellt denen, die solches tun, den Ausschluß vom eschatologischen Heil in Aussicht (Gal 5,21b). Entsprechend präzisiert er die Kategorie pneøma durch die Nennung primär gemeinschaftsfördernden Verhaltens (Gal 5,22–23a) und bindet erneut das redefinierte Gesetz eng an den pneøma-Bereich (Gal 5,23b). Schließlich klärt der Verfasser grundsätzlich das Verhältnis der Christusgläubigen zu den Bereichen sârx und pneøma: Für sie ist der sârx-Bereich mit all seinen Äußerungen endgültig erledigt (Gal 5,24), sie leben im pneøma-Bereich (Gal 5,25). Diesem Stand zu entsprechen, bedeutet Absage und Überwindung der Gemeinschaftszerstörung und der sich damit verbindenden falschen Statuseinschätzung (Gal 5,26). Obwohl die Mächte sachlich in gleicher Ausführlichkeit dargestellt und erläutert werden, läßt sich dennoch im Ablauf des Textes die Tendenz erkennen, daß der Verfasser im Blick auf die Adressaten zunehmend an der pneøma-Variante interessiert ist. Unter pragmatischer Perspektive entfernt er seine Adressaten rhetorisch immer weiter vom sârx-Bereich und assoziiert sie immer stärker mit dem pneøma-Bereich. Mit Gal 5,16 verpflichtet der Verfasser sie explizit auf den Wandel im Geiste, was eine unüberbrückbare Distanzierung zum sârx-Bereich zur Folge hat. Daß die Adressaten diesem Appell tatsächlich nachkommen, läßt der Verfasser mit Gal 5,18a rhetorisch „real“ werden. Mit Gal 5,25 sind die Adressaten für den pneøma-Bereich wiedergewonnen, in das gemeinchristliche „Wir“ reintegriert.397 Im Dienste dieser Rückgewinnungsstrategie steht die Modell-Rede, die der Verfasser in Form des traditionellen Laster-und Tugendkataloges (Gal 5,19–21a. 22–23a) sowie der verobjektivierenden Belehrung (Gal 5,21b. 24) einsetzt. Diese Art der Rede ermöglicht es ihm, die Adressaten über ihre derzeitige Lage so „aufzuklären“, daß sie nicht auf das Kritisierte festgelegt, sondern in Distanz zu ihm gesetzt werden.

397 Von hierher erklärt sich auch die Beobachtung, die Dschulnigg wiederholt herausstellt: Im Abschnitt 5,16–25 findet sich „die größte Dichte der Geistaussagen im Gal“ (Überlegungen 27; vgl. Überlegungen 15. 23. 32). Das hat jedoch nichts mit einer sachlichen Akzentuierung zu tun, nämlich der, daß „gerade im Bereich des ethischen Handelns . . . dem Geist entscheidende Bedeutung zukommt“ (Dschulnigg, Überlegungen 32), sondern mit der Textstrategie.

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II. Eine textpragmatische Analyse von Gal 5 und 6

2.5 Gal 6,1–6 Mit Gal 6,1 erfolgt ein textpragmatischer Einschnitt. Der Verfasser setzt mit pointierter Anrede der Adressaten ein (ådelfoù) und löst die „Wir“Formulierung erneut in ein Gegenüber von Adressaten und Verfasser auf. Der Abschnitt reicht bis 6,6.398 Mit 6,7 setzt der Verfasser textpragmatisch neu ein (mÀ planéshe) und knüpft wieder an die sârx-pneøma-Terminologie an, die im Abschnitt Gal 6,1–6 in den Hintergrund tritt. Mit der vorangestellten Anrede ådelfoù in Gal 6,1 erzeugt der Verfasser Aufmerksamkeit. In einem Éân-Satz entwirft er einen Fall (Gal 6,1a), für den er in Gal 6,1b eine Handlungsanweisung gibt und in Gal 6,1c eine Zusatzbestimmung beifügt.399 Der Fall, den der Verfasser in Gal 6,1a zeichnet, ist allgemein gefaßt400: Éän kaÿ prolvmfhá ënhrwpo™ ôn tini paraptÈmati. Jemand aus der Gemeinschaft der Christusgläubigen401 wird bei einem parâptwma402 angetroffen.403 398 Vgl. Becker, Galater 91; Dunn, Galatians 316; Mußner, Galaterbrief 395 f; Oepke, Galater 185; Vouga, Galater 143 f (sie bestimmen jedoch den Beginn des Abschnittes mit Gal 5,26 bzw. 5,25; s. dazu o. S. 116 Anm. 277). Lietzmann (Galater 40. 42), Burton (Galatians 334) und Borse (Galater 212) sehen den Abschnitt mit Gal 6,5 beendet. Barclay (Truth 149 f), Betz (Galaterbrief 495), Longenecker (Galatians 267 f), Martyn (Galatians 541) und Schlier (Galater 268) fassen den Abschnitt bis 6,10. 399 Vgl. Betz, Galaterbrief 502; Vouga, Galater 145; vgl. auch 146 (Vouga sieht jedoch im letzten Glied eine Begründung; s. dazu weiter u. S. 149 Anm. 420). 400 Vgl. Betz, Galaterbrief 502 f. 401 ÛAnhrwpo™ ist am sinnvollsten in unbestimmtem, allgemeinen Sinne aufzufassen: „jemand“ (vgl. Longenecker, Galatians 272; Bauer/Aland, s. v. ënhrwpo™ 3. 136). Daß es sich dabei um jemanden aus der christlichen Gemeinschaft handelt, ergibt sich aus dem Kontext (vgl. Vouga, Galater 145; vgl. auch Barclay, Truth 157 Anm. 38; Burton, Galatians 325; Longenecker, Galatians 272; Mußner, Galaterbrief 396 f; Schlier, Galater 270; unklar formuliert Oepke: „(E)s sei ,wesentlich` an Gemeindeglieder gedacht“ [Galater 187 [Hervorhebung von mir]). 402 Zur Bedeutung von parâptwma in diesem Zusammenhang vgl. weiter u. S. 145 ff. 403 Zur Übersetzung von prolvmfhá mit „angetroffen werden“ vgl. Mußner, Galaterbrief 395. Die Bedeutung von prolambânein „ist nicht klar“ (Betz, Galaterbrief 502). Meist wird es wiedergegeben mit „ergreifen“ (vgl. Bauer/Aland, s. v. prolambânw 2.b. 1418), „überraschen“ (vgl. Delling, ThWNT IV 15; Burton [Galatians 325] übersetzt „overtake“ [s. weiter u. in derselben Anm.]), „ertappen“ (vgl. Baumert, Gewinn 66; Oepke, Galater 185; Vouga, Galater 143; Dunn [Galatians 318] übersetzt mit „detect“). Nicht eindeutig ist zudem, ob ausgesagt werden soll, daß jemand von anderen bei einem Übertritt überrascht wird oder ob jemand in die Situation des Übertritts gerät. Mit dieser Frage hängt zusammen, ob das mit prolambânein verbundene Én lokal oder instrumental aufzufassen ist. Grammatisch läßt sich das nicht eindeutig entscheiden (vgl. Mußner, Galaterbrief 397). Bei lokalem Verständnis thematisiert der Vers primär den Vorgang der Feststellung eines Übertritts durch andere:

2. Textanalysen

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Das kaù in der Einleitung der Fallbeschreibung Éän kaù „betont das unmittelbar folgende Wort“404: „wenn trotzdem jemand angetroffen wird bei einem parâptwma“. Damit knüpft der Teilvers an Gal 5,25 und 26 an. Nach der Aufforderung zum Wandel im Geiste, spricht der Verfasser nun den Fall an, daß nicht alle dieser Aufforderung nachkommen bzw. ihr dauerhaft entsprechen: Paulus „now deals with the case of one who should nevertheless fail to obey this injunction“.405 Dies kann ganz unterschiedlich aussehen, weswegen der Verfasser den allgemeinen Terminus parâptwma verwendet. Parâptwma bezeichnet ganz umfassend ein „Danebenfallen“406, im vorDiese Deutung vertreten u. a. Betz (Galaterbrief 495), Dunn (Galatians 319), Oepke (Galater 187), Schlier (Galater 270) und Vouga (Galater 143). Bei instrumentaler Auffassung liegt das Schwergewicht der Aussage auf dem Täter und seiner Tat. Für den letzteren Fall entscheiden sich Burton (Galatians 327; er will „overtake“ im Sinne von „to seize unawares“ verstanden wissen), Delling (ThWNT IV 15), Longenecker (Galatians 272) und Becker (Galater 91; er übersetzt mit „übereilt werden von“). Für die erstere Deutung spricht jedoch, daß der Vers gerade den Umgang der anderen mit der Situation des Übertritts eines Mitglieds der Gemeinschaft anspricht und der Übertritt an sich nicht im Mittelpunkt des Interesses steht („Paul is more concerned with how to deal with the problem than with the parâptwma itself“ [Barclay, Truth 157; vgl. Betz, Galaterbrief 503]). Entsprechend erscheint es auch nicht wahrscheinlich, daß Paulus gezielt mit der Verwendung des Verbs prolambânein den Übertritt herunterspielen will, wie u. a. Delling meint (vgl. ThWNT IV 15; vgl. Burtons Übersetzung von prolambânein mit „to seize unawares“ [Galatians 327]), oder daß Paulus den Übertritt als absichtlich herausstellen will, wie Dunn annimmt (vgl. Galatians 319). Die Formulierung zielt gar nicht auf eine spezielle Aussage darüber, wie unbewußt oder willentlich der Täter seine Tat begeht oder wie „mehr oder weniger zufällig“ er bei dieser ertappt wird (vgl. Becker, Galater 92). – Etwas weiteres wäre noch zu erwägen: Durch die Vorsilbe pro- hat das Verb eine temporale Grundbedeutung: „hervornehmen und vorhernehmen“ (Delling, ThWNT IV 15), „vorwegnehmen“ (vgl. Bauer/Aland, s. v. prolambânw 1.a. 1418; vgl. die ausführlichen Belege bei Burton, Galatians 326 f). Prolambânein kann in Gal 6,1 möglicherweise auch im Sinne eines vorwegnehmenden „Antreffens“ vor dem tatsächlich erfolgten Übertritt verstanden werden. 404 Vouga, Galater 145; so auch Longenecker, Galatians 272; vgl. die ausführliche Begründung bei Burton, Galatians 326. Konzessiv fassen die Wendung Betz (Galaterbrief 502) und Mußner (Galaterbrief 395; vgl. 397: „wenn sogar“) auf (vgl. Bauer/Aland, s. v. Éân 3.a. 426). Gegen diese Lösung wendet Burton zu Recht ein: „(T)he clause as a whole is not oppositional“ (Burton, Galatians 326). Reichlich viel entnehmen Oepke und Schlier dem kaù, wenn sie meinen, es unterstreiche den „erschwerenden Umstand(), daß jemand auf einem Fehltritt in flagranti ertappt wird“ (Oepke, Galater 187) bzw. betone „die Eindeutigkeit des parâptwma und das Erregende der Situation“ (Schlier, Galater 270). 405 Burton, Galatians 326; vgl. Matera (Galatians 213), Witherington (Grace 420 f) und Vouga (Galater 145), die jedoch den Vers in anderer Richtung verstehen, als unten vorgeschlagen. 406 Vgl. Burton (Galatians 327) und Longenecker (Galatians 272), die die Auffassung teilen, daß der Ausdruck hier allgemein „a fall beside“ (Burton, Galatians 326) bezeichnet. Die meisten Ausleger sind der Meinung, parâptwma bezeichne den „moralischen Fehltritt“ im engeren Sinne (vgl. u. S. 146 Anm. 411). Zur Grundbedeutung von parapùptein bzw. parâptwma vgl. Michaelis, ThWNT VI 170: Parapùptein kann „danebenfallen, auf die Seite

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II. Eine textpragmatische Analyse von Gal 5 und 6

liegenden Kontext ein Herausfallen aus dem Bereich des pneøma, den Übertritt vom pneøma- in den sérx-Bereich: „(I)n the present passage there is an intended antithesis to stoicÂmen“.407 Es ist also jegliches Verhalten gemeint, das von der Leitung des Geistes abweicht, aus dem Stand im pneøma-Bereich herausführt. Konkretisieren kann sich dieser Übertritt im „einzelne(n) Fehltritt“408, für den der Lasterkatalog Beispiele nennt (Gal 5,19–21a).409 Aber schon im Zusammenhang mit dem Lasterkatalog wurde deutlich, daß es dem Apostel um mehr geht als nur um die Abwehr unsittlichen Treibens. Es geht ihm um die entscheidende Frage, welcher Herrschaft der Mensch in all seinen Lebensbezügen untersteht: der Herrschaft des „Nur-Menschlichen“, der sârx, oder der Herrschaft Gottes, des pneøma.410 Diese Herrschaft zeigt sich im konkreten menschlichen Handeln, sie geht aber nicht in ihm auf. Entsprechend bezeichnet parâptwma in Gal 6,1a auch mehr als die moralische Einzelsünde.411 fallen“, „vorbeigeraten, abirren“ bedeuten. Bei parapùptein und parâptwma ist „urspr die Vorstellung die . . ., daß jemand zur Seite abirrt“ (Michaelis, ThWNT VI 173 Anm. 13). Parapùptein kann auch „einen Fehler begehen“ meinen, wobei „an ein zufälliges, entschuldbares Versehen gedacht“ wird (Michaelis, ThWNT VI 170). Parâptwma bezeichnet dann entsprechend das „Versehen“, den „Irrtum“ (Michaelis, ThWNT VI 170). Diese Bedeutung käme der Position entgegen, die mit Gal 6,1 den Fall gegeben sieht, daß jemanden versehentlich in die Situation des Übertritts gerät (vgl. Delling, ThWNT IV 15; Burton, Galatians 327 sowie S. 144 Anm. 403). Jedoch weder Delling noch Burton beziehen sich auf diese mögliche Bedeutung von parâptwma. Dafür nimmt Oepke die Annahme auf, die Delling und Burton ins Spiel gebracht haben, Paulus wolle den genannten Fall herunterspielen. Seiner Meinung nach wählt Paulus mit parâptwma „das mildeste Wort für Sünde, das ihm zu Gebote steht . . . und dämpft es durch das hinzugefügte tinù noch besonders ab“ (Oepke, Galater 187; die von Delling und Burton vorgeschlagene Bedeutung von prolambânein stuft Oepke als grammatisch nicht abgedeckt ein [vgl. Galater 187]). Eine solche Einschätzung läßt sich nur aus einem Vergleich mit dem sonstigen Sprachgebrauch bei Paulus gewinnen (einen anderen Schluß aus dem Vergleich mit anderen Paulusstellen als Oepke zieht Michaelis [ThWNT VI 173 mit Anm. 13]: Paulus verwende parâptwma synonym zu àmartùa). Für die Bedeutung in Gal 6,1 ausschlaggebend ist jedoch, ob der Text selbst Andeutungen daraufhin enthält, daß parâptwma relativierend gemeint ist. Oepke macht das tinù geltend (vgl. Bauer/Aland, s. v. tÿ™, tÿ 2.b. 1635; vgl. auch Schlier, Galater 270), was aber auch als Hinweis auf die Unbestimmtheit des parâptwma verstanden werden kann (vgl. Bauer/Aland, s. v. tÿ™, tÿ 2.a. 1635). Entscheidend ist, daß der vordere Kontext (vgl. u. S. 147 f) auf die Bedeutung „Herausfallen“ in ganz unabgeschwächtem Sinn weist. 407 Burton, Galatians 327; vgl. Longenecker, Galatians 272. 408 Schlier, Galater 270. 409 Zum Bezug zu Gal 5,19–21b vgl. Betz, Galaterbrief 502 f; Vouga, Galater 145. 410 S. o. S. 128 und S. 143. 411 Die meisten Ausleger beschränken die Bedeutung von parâptwma an dieser Stelle auf die moralische Einzelsünde: vgl. Bachmann, Sünder 121 f; Barclay, Truth 157. 131; Becker, Galater 92; Betz, Galaterbrief 502 f; Dunn, Galatians 319; Klein, Werkruhm 205 f (Klein sieht dieses moralische Verständnis jedoch mit Gal 6,2 entschränkt); Martyn, Galatians 546; Mußner, Galaterbrief 397 mit Anm. 10; Schlier, Galater 270; Vouga, Galater 145. – Für Betz enthüllt Gal 6,1 den eigentlichen galatischen Konflikt: Paulus gibt zu, „daß es ,Fehltritte`

2. Textanalysen

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Parâptwma meint hier alles, was einen „Herrschaftswechsel“412 vom Geist zum Fleisch darstellt. Im Zusammenhang des Briefes und im Anschluß an den Abschnitt Gal 5,13–26 läßt parâptwma vor allem an die Akzeptanz von Gesetzesgehorsam und Beschneidung denken.413 Daß die Akzeptanz jüdischer Lebensweise einen Übertritt in den sârx-Bereich bedeutet, hat der Verfasser ausführlich im Abschnitt Gal 5,13 ff dargelegt. Der Gedanke des „Danebenfallens“, des Herausfallens aus dem eigentlich zugedachten Stand, ist nicht neu im Brief, sondern findet sich schon in Gal 5,4: katvrgŒhvte åpó Cristoø, o¢tine™ Én ním dikaioøshe, tÔß c£ritoß °xep−sate. Der erste Teil der Aussage ist wiederzugeben mit: „Ihr seid aus der Verbindung mit Christus weggetan, aus dem Wirkungsbereich herausgenommen; ihr habt die Gemeinschaft mit ihm verloren“.414 Tœ™ cârito™ Éxepìsate bedeutet „ein ,Herausfallen` aus jenem Bereich, in dem das Gnadenprinzip . . . gilt.“415 Das Verb Ékpùptein gehört in seiner wörtlichen Bedeutung „herausfallen“416 demselben Wortfeld an wie parâptwma. von Gemeindemitgliedern geben kann und vermutlich gegeben hat“. Das „beweist, daß er (Paulus; Verf.) den Kern der galatischen Probleme berührt“ (Galaterbrief 503): „(W)ie kann der ,Geistbegabte` . . . in seinem täglichen Leben mit ,Fehltritten` leben?“ (Galaterbrief 45; vgl. Näheres o. im Forschungsüberblick S. 42 ff). Neben den schon oben dargelegten Einwänden (s. o. S. 44 ff. 53 ff und S. 96 ff), spricht von Gal 6,1 her gegen diese Deutung zweierlei: Erstens bezeichnet parâptwma nicht eindeutig und ausschließlich den ethisch-moralischen „Fehltritt“, wie Betz annimmt (vgl. Galaterbrief 502 f mit Anm. 34). Zweitens steht der Fehltritt an sich gar nicht im Zentrum des Verses Gal 6,1, sondern vielmehr die Frage, wie die anderen mit ihm umgehen (s. o. S. 144 f Anm. 403). Es wäre zumindest ungewöhnlich, wenn der Verfasser auf das angeblich brennendste Thema der galatischen Gemeinden in dieser indirekten Weise zu sprechen käme (vgl. Barclay [Truth 157 mit Anm. 40], der darauf aufmerksam macht, daß Betz selbst diese Beobachtung macht und damit seine eigene These in Frage stellt [vgl. Betz, Galaterbrief 503: „Überraschenderweise scheint Paulus sich wegen des Fehltritts selbst gar nicht übermäßig viel Sorgen zu machen“]). 412 Der Ausdruck stammt von Käsemann: z. B. Anthropologie 55. 413 Das ist schließlich auch das Thema, das Paulus vom menschlichen Fehlverhalten in Gal 5,19–21a sprechen läßt; vgl. o. S. 125 ff. 414 Mußner, Galaterbrief 348. 415 Mußner, Galaterbrief 349; vgl. Martyn, Galatians 471; Oepke, Galater 157; Schlier, Galater 232. 416 Vgl. Bauer/Aland, s. v. Ékpùptw 491; Michaelis, ThWNT VI 168 f. Michaelis schließt jedoch diese wörtliche Bedeutung für Gal 5,4b aus: „(D)ie Gnade hier als einen Bereich anzusehen, aus dem man u U herausfallen kann, würde voraussetzen, daß die Gnade auch sonst als ein Bereich vorgestellt wäre, in dem man z B stehen kann. Aber die Wendung in der Gnade stehen hat keine paul oder nt.liche Unterlage“ (ThWNT VI 169 Anm. 9). Daß die Gnade in 5,4b jedoch gerade als Bereich vorgestellt wird, liegt aufgrund des Kontextes nahe. Michaelis selbst macht auf die Parallelität der Formulierung zu Gal 5,4a aufmerksam: „Das vorangehende par katvrgŒhvte åpó Cristoø enthält . . . den Gedanken: sich von etwas fortbewegen, aus dem Wirkungsbereich entnommen werden“ (ThWNT VI 169 Anm. 9 [Hervorhebung von mir]). Zudem ist die Vorstellung von einem „Bereich . . ., in dem man z B stehen kann“ mit Gal 5,1 explizit gegeben: tá Éleuherù⁄ Ãmé™ Cristó™ Õleuhìrwsen˚ stÕkete

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II. Eine textpragmatische Analyse von Gal 5 und 6

Verursacht ist dieses Herausfallen aus dem Bereich Christi, der Gnade, durch den Versuch, durch das Gesetz gerecht werden zu wollen. Gal 5,4 bringt also schon hier den Zusammenhang auf den Punkt, den Gal 5,13–26 dann näher ausführt und auf den Gal 6,1a anspielt. Die Situation, die der Verfasser in Gal 6,1a vor Augen stellt, ist jedoch nicht auf diese konkrete Situation zugespitzt, obschon diese zweifellos auch gemeint ist. Gal 6,1a ist allgemein und unspezifisch formuliert, d. h. es wird pauschal die Situation des Übertritts eines Mitglieds der Gemeinschaft aus dem pneøma- in den sârx-Bereich angesprochen. Entsprechendes gilt für die folgende Handlungsanweisung in Gal 6,1b: Auch sie ist grundsätzlich und ohne jedes Detail formuliert. Der Grundsatz für solche Situationen heißt „Reintegration“: katartùzete tón toioøton Én pne‹mati praštvto™. Katartùzein bedeutet „in den gehörigen Zustand versetzen“, „wieder zurechtbringen“, „in den alten Stand setzen“.417 Dieser „alte Stand“ ist von Gal 5,25 her der Stand im pneøma. Geschehen soll diese Wiedereingliederung in den pneøma-Bereich im Geist der Sanftmut.418 Praštv™ nimmt ein Stichwort aus dem Tugendkatalog wieder auf (Gal 5,23) und steht pars pro toto für die gemeinschaftsfördernden Tugenden, die den Wandel im Geiste nach Gal 5,22–23a bestimmen. Geschehen soll die Reintegration also nach den Regeln, die im pneøma-Bereich gelten: „The Galatians’ manner of life in the community, including the treatment of offenders, must be an outworking of their obedience to the Spirit.“419 oÔn. An diesen Gedanken knüpft Gal 5,4 an. Die Aussage von Gal 5,4a (katvrgŒhvte åpó Cristoø) wiederholt der Verfasser in Gal 5,4b: tœ™ cârito™ Éxepìsate. Der Wirkungsbereich Christi wird also in Gal 5,1 als Bereich der Freiheit und in Gal 5,4b als Bereich der Gnade bezeichnet. Gal 5,5 bezeichnet ihn schließlich als Bereich des pneøma (vgl. hier die Parallelität von pne‹mati zu Én Cristã in Gal 5,6). Vom Kontext her spricht also einiges für die wörtliche Bedeutung von Ékpùptein im Sinne von „herausfallen aus einem Bereich“. 417 Bauer/Aland, s. v. katartùzw 1.b.a. 849 (im Original hervorgehoben); vgl. Dunn, Galatians 320 f. 418 Der Ausdruck Én pne‹mati praštvto™ „bezieht sich sowohl auf den göttlichen als auch den menschlichen Geist“ (Betz, Galaterbrief 505 Anm. 46). Anders Burton (Galatians 328), Mußner (Galaterbrief 398), Oepke (Galater 187), Vouga (Galater 146), die den Ausdruck ausschließlich auf die menschliche Gesinnung beziehen. Göttlicher und menschlicher Anteil dessen, was mit Én pne‹mati praštvto™ gemeint ist, läßt sich jedoch nicht so auseinanderdividieren, wie Burton, Mußner und Vouga vorschlagen. Vgl. Mußner selbst: Pne‹mati bezieht sich „nicht auf das heilige Pneuma . . ., sondern auf die ,Gesinnung` der Sanftmut, die freilich nach Gal 5,23 selber eine Frucht des Geistes ist“ (Galaterbrief 398 [Hervorhebung von mir]). Beschrieben wird eine menschliche Haltung, die ganz durch die göttliche Sphäre bestimmt ist (vgl. die Verstehensvariante, die Burton erwägt, wenn auch ablehnt: „pneøma . . . refer(s) to the Holy Spirit . . .(,) praštvto™ is a genitive of connection denoting the effect of the presence of the Spirit . . . and Én marks its object as the sphere in which the action takes place and by which its character is determined“ [Galatians 328]). 419 Barclay, Truth 157; vgl. Betz, Galaterbrief 505.

2. Textanalysen

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Mit Gal 6,1c erweitert Paulus die Handlungsanweisung um eine Zusatzbestimmung, die er an jedes Gemeindemitglied richtet.420 Der Wechsel in die 2. Person Singular erhöht die Eindringlichkeit.421 Mit der Reintegration des „Übertreters“ soll eine kritische Selbstprüfung jedes einzelnen Gemeindemitglieds422 einhergehen (skopÂn seautín). Diese soll verhindern, der Versuchung zu erliegen, selbst den Herrschaftsbereich des pneøma zu verlassen (mÀ kaÿ s› peirashá™).423 Der Teilvers qualifiziert jedes mögliche

420 Nicht ohne weiteres einsichtig ist die Einstufung der Partizipialkonstruktion als „Begründung“ für die vorangegangene Aufforderung (so Vouga, Galater 145. 146 [bei ihm bleibt diese Aussage unerklärt]). Vgl. ähnlich Mußner, Galaterbrief 397: „Gerade gegenüber einem fehlenden Bruder ist die kenodoxùa am wenigsten am Platz . . . . Den Grund für solches Verhalten nennt erst die Schlußaussage des Verses: skopÂn seautín, mÀ kaÿ s› peirashá™.“ Einen Grund für die Aufforderung in Gal 6,1b gibt Gal 6,1c nur dann an, wenn man das Partizip skopÂn überspringt, von dem der mit mŒ eingeleitete Teilsatz abhängig ist. Auffällig ist zudem, daß beide Ausleger skopÂn in ihrer Übersetzung gar nicht kausal an Gal 6,1b anbinden, sondern das Partizip dem Verb katartùzete modal beiordnen (vgl. Vouga, Galater 143; Mußner, Galaterbrief 396 [vgl. auch 397 Anm. 12]), so wie es die meisten Ausleger tun (vgl. z. B. Becker, Galater 91; Betz, Galaterbrief 495; Dunn, Galatians 316; Oepke, Galater 185). 421 Vgl. Burton, Galatians 328 („The change to the singular after the plural ådelfoù . . . serves to make the exhortation more pointed“); Barclay, Truth 158; Vouga, Galater 146. 422 Der Formulierung ist kaum eine Einschränkung des Adressatenkreises auf „den einzelnen Christen“ zu entnehmen, „dessen Aufgabe es ist, den ,Fall` zu behandeln“ (Betz, Galaterbrief 506; vgl. Dunn, Galatians 321. 319 f; vorsichtiger Barclay, Truth 158; s. dazu auch u. zur Bezeichnung der Adressaten als pneumatikoù S. 151 Anm. 427). Auch läßt sich dem Vers kaum entnehmen, der „Fall“ solle im Rahmen eines Gemeindeverfahrens quasi rechtlich geregelt werden (vgl. so Betz, Galaterbrief 505. 507). 423 Vgl. ähnlich Burton, Galatians 329. „MÀ ktl. warnt entweder vor der Selbstgerechtigkeit oder vor eigenen Fehltritten, die durch die Seelsorge veranlaßt werden können“ (Vouga, Galater 146; vgl. Barclay, Truth 158; Betz, Galaterbrief 507). Den Teilsatz mÀ kaÿ s› peirashá™ verstehen im ersten Sinne Mußner (Galaterbrief 397), Schlier (Galater 271), im letzteren Dunn (Galatians 321) und ähnlich Oepke (Galater 187). Longenecker verbindet beide Aspekte: „What Paul . . . warns his converts about is their own vulnerability to such moral failings as they seek to correct in others, so that they do not become self-righteous and look down on those they are attempting to restore“ (Galatians 274). Aufgrund der unspezifischen Formulierung des Verses 6,1 erscheint es trotz der unmittelbaren Nähe zu Gal 5,26 (vgl. Mußner, Galaterbrief 397) nicht sinnvoll, die Versuchung inhaltlich eindeutig auf die Versuchung festzulegen, selbstgerecht zu sein. Demgegenüber bleibt die zweite Variante inhaltsoffener, so daß sie vorzuziehen ist. Aber auch sie ist zu modifizieren. In Entsprechung zu Gal 6,1a ist der „eigene Fehltritt“, vor dem Gal 6,1c warnt, nicht moralisch verkürzt zu verstehen (vgl. so vor allem Dunn, Galatians 321; vgl. auch 319 f), sondern als jede erdenkliche Form des Übertritts in die sârx-Sphäre, also auch in Form der Akzeptanz jüdischer Lebensweise (s. o. zu parâptwma S. 145 ff). Bei diesem Verständnis wird zudem deutlicher, inwiefern eine Versuchung zum eigenen „Übertritt“ besteht: Wenig einsichtig ist, daß jemand versucht sein sollte, denselben moralischen Fehler zu begehen, den ein anderer gerade begangen hat (vgl. Dunn, Galatians 321; Barclay, Truth 158; Longenecker, Galatians 274). Einleuchtender ist die Überlegung, daß sich jemand den „guten Argumenten“ derer anschließt, die der Auffassung sind, zum Heil gehöre die Gesetzesobservanz.

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II. Eine textpragmatische Analyse von Gal 5 und 6

Einschwenken auf die Linie des „Abtrünnigen“ als Versuchung. Dadurch soll die Standhaftigkeit der Gemeindemitglieder gefestigt werden. Die Anweisungen von Gal 6,1 sind Grundregeln, die auf die Wiederherstellung einer Gemeinschaft aller im pneøma-Bereich zielen. Das Gemeindemitglied, das sich aus der Gemeinschaft löst, soll zurückgewonnen werden. Die kritische Selbstprüfung jedes Einzelnen zielt darauf, die individuelle Standfestigkeit im pneøma-Bereich zu stabilisieren. Diese Grundsätze sind jedoch auch applizierbar auf die aktuelle Adressatensituation. Der in Gal 6,1 skizzierte Fall beschreibt zutreffend die Lage, wie sie in Galatien besteht: Gemeindemitglieder treten in den sârx-Bereich über, indem sie Gesetzesgehorsam und Beschneidung akzeptieren wollen. Mit Gal 6,1b gibt Paulus die Handlungsanweisung, die „Übergetretenen“ zurückzugewinnen für ihren „alten Stand“ unter der Herrschaft des pneøma.424 Zugleich fordert er jeden Einzelnen dazu auf, sich kritisch selbst zu prüfen. Diese Ermahnung soll verhindern, daß weitere Gemeindeglieder bei dem Versuch, die „Abtrünnigen“ zurückzugewinnen, selbst „übertreten“, d. h. sich der Position der „Übertreter“ anschließen und Gesetzesgehorsam und Beschneidung anerkennen.425 Die unspezifische Grundsätzlichkeit des Verses, die für eine Applikation auf die aktuelle Adressatensituation offen ist, diese aber nicht erzwingt, ist als textstrategisches Mittel zu verstehen. Paulus führt die Modellrede weiter, die er bereits im vorangegangenen Abschnitt begonnen hat. Ab Gal 5,19 erlaubte sie ihm, die Adressaten zugleich zu kritisieren und umzuprägen, d. h. sie zurückzugewinnen für den pneøma-Bereich. Mit Gal 6,1 nun ermöglicht sie ihm, seinen Adressaten Anweisung in ihrer aktuellen Situation zu geben und sie zugleich im pneøma-Bereich zu prägen, d. h. auf Grundregeln zu verpflichten, die sie zukünftig und dauerhaft als Gemeinschaft im pneøma-Bereich erhalten sollen. Diese Verschiebung der Funktion der Modellrede hat mit dem rhetorischen Ort der angesprochenen Adressaten zu tun. Mit Gal 5,25 ist das Ziel der Modellrede, die ab Gal 5,19 einsetzte, erreicht: Die Adressaten sind wieder eingegliedert in das gemeinchristliche „Wir“. Sie sind rhetorisch für die göttliche Sphäre zurückgewonnen, aus der sârx-Sphäre zurückgeholt unter die Herrschaft des pneøma.426 In Gal 6,1b spricht der Verfasser seine

424 Eine Alternative wäre der Ausschluß des „Übertreters“ aus der Gemeinschaft. Dieses Verfahren schlägt Paulus gegenüber den Gegnern vor (vgl. zu Gal 4,30 u. S. 188 ff mit Anm. 17 und zu Gal 5,7–12 o. S. 73 ff). – In welcher Weise die „Abtrünnigen“ zurückgewonnen werden sollen, hat Paulus in seinem Brief bereits vorgemacht. 425 Wie der Verfasser die Standfestigkeit seiner Adressaten einschätzt, zeigt vor allem Gal 1,6 (vgl. auch Gal 5,9). 426 S. noch einmal o. S. 138 f.

2. Textanalysen

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Adressaten nun konsequent als die an, zu denen sie im Verlauf des Textes geworden sind – als Pneumatiker: ¡meû™ oÖ pneumatikoù.427 Gal 6,1 ist die erste und einzige Stelle des Briefes, an der er dies tut.428 Mit Gal 6,1 ist der Verfasser also rhetorisch jenseits der aktuellen galatischen Situation angekommen.429 Mit diesem erreichten Stand der Dinge macht er Ernst und vollzieht mit Gal 6,1 einen Perspektivwechsel gegenüber dem vorangehenden Abschnitt Gal 5,13 ff. Dort sprach er seine Adressaten als solche an, die im Konfliktbereich zwischen sârx und pneøma stehen, zunächst in deutlicher Nähe zur sârx-Sphäre, dann in zunehmender Nähe zum pneøma-Bereich. Mit Gal 6,1 spricht er sie als Gemeinde im pneøma-Bereich an und betrachtet den Fall eines möglichen Übertritts ganz aus der Innenperspektive der Gemeinschaft heraus, die tatsächlich im pneøma lebt. Entsprechend hat die Modellrede nun nicht mehr die Funktion, die Adressaten implizit zu kritisieren, sondern implizit anzuweisen, wie sie mit ihrer augenblicklichen Situation nach Vorstellung des Verfassers umgehen sollen.

427 Pneumatikoù bezeichnet die Gesamtheit der Adressaten (vgl. Barclay, Truth 157; Betz, Galaterbrief 504; Mußner, Galaterbrief 398; Schlier, Galater 270; Vouga, Galater 146) und keine besondere Gruppe innerhalb der Adressatenschaft (vgl. Oepke: Es sind die gemeint, „bei denen der Geist Gottes stärkeren Einfluß auf die sittliche Lebensführung gewonnen hat als bei den Strauchelnden“ [Galater 187]; Dunn: „Paul has particularly in mind those who happened to catch the person in the act“ [Galatians 319; vgl. seine ausführliche Darlegung und Differenzierung dieser Aussage Galatians 319 f]; Lietzmann, Galater 41). Der vordere Kontext, speziell Gal 5,25, betont doch gerade, daß alle Adressaten als Teil des gemeinchristlichen „Wir“ durch den Geist bestimmt sind (vgl. Mußner, Galaterbrief 398; zur engen Verbindung von Gal 6,1 zu Gal 5,25 vgl. Barclay: „pneumatikoù expresses the indicative [cf. eÜ zÂmen pne‹mati 5.25] which grounds and necessitates the imperative, katartùzete Én pne‹mati praštvto™ [cf. pne‹mati stoicÂmen 5.25]“ [Truth 157]). Von Gal 5,25 her kommend schließt sich auch die Annahme einer ironischen Anrede aus (so versteht Lietzmann die Anrede [Galater 41]: „ihr, die ihr euch als pneumatikoù aufspielt“; vgl., wenn auch vorsichtiger, Schlier, Galater 270). – Aus der Anrede der Adressaten als pneumatikoù lassen sich zudem kaum historische Rückschlüsse auf eine mögliche Selbstbezeichnung der Galater ziehen (so Betz, Galaterbrief 504; Schlier, Galater 270 [er erwägt eine mögliche „Ironisierung ihrer Selbstbezeichnung“]). Die Anrede ist viel zu stark von der Textstrategie bestimmt, als daß sich zuverlässig hinter ihr eine historische Realität ausmachen ließe. – Die hier vertretene Auffassung zur rhetorischen Funktion der Anrede berührt sich mit Überlegungen von Burton (Galatians 327), Barclay (Truth 157) sowie mit den von Dunn unter (5) und (6) vorgeschlagenen Deutungsmöglichkeiten (vgl. Dunn, Galatians 320). Burton, Barclay und Dunn stellen jedoch nicht den rhetorischen Erfolg der Bezeichnung gegenüber den realen Adressaten heraus (zudem teile ich nicht Dunns Auffassung, mit Vers 6,1 versuche der Apostel eine Gruppe zu definieren, die imstande sei, mit der heiklen Situation des Fehltritts angemessen umzugehen [vgl. Galatians 320]; s. dazu o. in derselben Anm.). 428 Vgl. Betz, Galaterbrief 504 Anm. 38; Légasse, Galates 447; Mußner, Galaterbrief 398. 429 Ein erneutes bzw. eindeutiges Aufrollen ihres Falles in Gal 6,1 wäre unangemessen, denn damit ginge der Verfasser weit hinter das zurück, was er bereits rhetorisch erreicht hat. Eine explizite Bezugnahme auf die akute Adressatensituation ist schon seit Gal 5,18a ausgeschlossen (vgl. o. S. 124 f).

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II. Eine textpragmatische Analyse von Gal 5 und 6

Diese Modellrede setzt der Verfasser im folgenden Vers Gal 6,2 fort. Erneut richtet er eine Grundregel für den wechselseitigen Umgang in der Gemeinde an die Adressaten: ållŒlwn tä bârv bastâzete (Gal 6,2a). Gal 6,2b stellt die damit verbundene Folge in Aussicht: kaÿ o»tw™ ånaplvrÈsete tón nímon toø Cristoø. Der Vers bezieht sich auf Gal 5,13c. 14 zurück. Die Wiederaufnahme des Verbs plvroøn (Gal 5,14) durch ånaplvroøn (Gal 6,2), das Stichwort nímo™ (Gal 5,14; 6,2) sowie das Reziprokpronomen ållŒlwn (Gal 5,13c; 6,2) stellen eine klare Verbindung zwischen den Versen her.430 Durch diese terminologische Anknüpfung erscheint Gal 6,2a als Neuformulierung der Aufforderung zur wechselseitigen Liebe.431 Diese Reformulierung deckt sich inhaltlich mit Gal 5,13c und behält dieselbe Grundsätzlichkeit bei432, sagt jedoch den Sachgehalt zugespitzt auf problematische Situationen aus. Tä bârv ist dabei so umfassend zu verstehen wie in Gal 5,13c à ågâpv. Die Lasten meinen allgemein jegliche Form von „Beschwerendem“, ohne etwas Spezifisches zu bezeichnen.433 Diese Varia430 Vgl. Barclay, Truth 131. 159. 431 Vgl. Barclay, Truth 159. Die enge Rückbindung von Gal 6,2 an Gal 5,13c. 14 läßt die Deutung von Burchard als unwahrscheinlich erscheinen, nímo™ toø Cristoø drücke unter Rückbezug auf Gal 3,13 „substantivisch“ aus, „daß die Tora fordert, daß Christus um unserer Sünden willen am Kreuz sterben mußte“ (Summe 180; vgl. ausführlicher Summe 172–182). Vom Kontext her stehen keine christologischen Ausführungen im Vordergrund, sondern Handlungsanweisungen an die Adressaten. Zudem läßt sich nur mühsam erklären, wie das wechselseitige Lastentragen durch die Adressaten (Gal 6,2a) auf die Thora zielen kann (Gal 6,2b), „die bestimmt, daß Christus um der Sünder willen sterben mußte“ (Burchard, Summe 181 [vgl. 181 f]). 432 Vgl. Barclay, Truth 159: „(T)his verse echoes Paul’s injunction in 5. 13–14.“ 433 Vgl. Barclay, Truth 159; Betz, Galaterbrief 508 Anm. 59; Schrenk, ThWNT I 553; Vouga, Galater 146; s. zu den Grundbedeutungen des Wortes Schrenk, ThWNT I 551 ff. – Jede Festlegung der Bedeutung von tä bârv auf Konkretes bedeutet, das Angesprochene zu verengen, was durch den Text nicht abgedeckt ist. Einen aparten Vorschlag in dieser Hinsicht macht Strelan, der meint, tä bârv bezeichne „a financial burden“ (Burden-Bearing 270). Gal 6,2a sei „an exhortation to each Christian to shoulder his share of a common financial obligation“ (Burden-Bearing 275; vgl. zu denkbaren Konkretionen Burden-Bearing 275 f). Diesen spezifischen Sinn ringt Strelan jedoch dem Text so mühsam ab (vgl. zu den Vergleichen mit der sonstigen Verwendung des Wortes bâro™ sowie der Argumentation im einzelnen Burden-Bearing 266 ff), daß fraglich ist, ob die Adressaten überhaupt eine Chance gehabt haben könnten, dem Text diesen Sinn zu entnehmen. Zu fragen ist zudem, warum der Apostel sich so verschwommen und geheimnisvoll ausgedrückt haben sollte, wenn es ihm tatsächlich um diesen konkreten Sachverhalt gegangen wäre. – Eine solche Engführung stellt aber auch die Auffassung von Mußner dar, von Gal 6,1a her zeige sich, „welche ,Lasten` . . . gemeint sind, . . . nicht irgendwelche, sondern d i e S ü n d e n , in die man geraten ist“ (Mußner, Galaterbrief 399). Dieses Verständnis lebt davon, den in Gal 6,1a geschilderten Fall auf ein besonderes ethisch-moralisches Vergehen festzulegen, eine Festlegung, der sich der Vers Gal 6,1a jedoch entzieht (s. o. S. 145 ff mit Anm. 406). Die nähere Einschränkung der Lasten durch Mußner ist damit fraglich. Andersherum läßt sich auch nicht sagen, mit Gal 6,2 weite sich die Perspektive gegenüber dem vermeintlich konkreten Fall von Gal 6,1a (so Barclay, Truth 159: Paulus „resumes . . . the theme of v. 1a, the support of fellow-Chri-

2. Textanalysen

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tion des Liebesgebotes als Aufforderung zum wechselseitigen Lastentragen ergibt sich aus dem Anschluß an die Problemsituation, die Gal 6,1a skizzierte, die Situation des „Übertritts“ aus der Gemeinschaft der Pneumatiker in die Sphäre der sârx. In solchen gemeinschaftsgefährdenden Situationen äußert sich die Liebe als wechselseitiges Lastentragen. Der erneute Verweis auf das Liebesgebot als Aufforderung zur „gegenseitigen Unterstützung“434 stellt den Appell von 6,1b(c) in den Rahmen des Verhaltens, das dem Sein in Christus entspricht. Die Reintegrationsforderung (Gal 6,1b) ist Ausdruck des Lastentragens bzw. des wechselseitigen Dienstes durch die Liebe. Mit Gal 6,2b sagt der Verfasser den Adressaten zu, daß sie sich ihrem Sein in Christus gemäß verhalten, wenn sie der Aufforderung zur gegenseitigen Unterstützung nachkommen: kaÿ o»tw™ ånaplvrÈsete435 tón nímon toø Cristoø. Sachlich wiederholt der Teilvers den Gedanken von Gal 5,14. Die Wendung nímo™ toø Cristoø bringt die dort erfolgte Redefinition des Gesetzes auf den Punkt.436 Die Rede vom Gesetz des Christus hält den Gedanken fest, daß der nímo™ grundlegend vom Christusgeschehen her uminterpretiert worden ist. Daß vom Gesetz des Christus gesprochen wird, hält den Gedanken fest, daß der nímo™ an sich als Ausdruck göttlichen Willens mit der göttlichen Sphäre verbunden bleibt im Gegensatz zum Gesetzesgehorsam.437 Das Gesetz, die umstrittene Größe des ganzen Brie-

stians, while the focus probably broadens to include any kind of physical, moral or spiritual burden“; vgl. Burton, Galatians 329; Dunn, Galatians 321 f; Oepke, Galater 187; Klein, Werkruhm 205; Schrenk, ThWNT I 553; Schlier, Galater 271). Beide Verse sind durch dieselbe allgemeine und umfassende Perspektive charakterisiert. 434 Vouga, Galater 146; Betz, Galaterbrief 508. Das Verb bastâzein bedeutet hier „mehr als ,tolerieren` und beinhaltet auch wirksame Hilfe und Erleichterung“ (Betz, Galaterbrief 508; vgl. Vouga, Galater 146; vgl. zur Grundbedeutung Büchsel [ThWNT I 596 f], der Gal 6,2 im Sinne von „ertragen“ versteht, dies jedoch nicht näher begründet). 435 Gut bezeugt ist auch die Lesart ånaplvrÈsate, für die sich z. B. Burton (Galatians 330) entscheidet. Sie wird bezeugt von a A C D Y 0122 33 1739 1881 sowie Ù, den Text bieten ℘46 (der Papyrus liest allerdings åpoplvrÈsete) B F G 323 sowie einige griechische Handschriften, die lateinische und koptische Überlieferung. Für ånaplvrÈsete spricht jedoch die Parallelität zum Indikativ in Gal 5,14a. Die Imperativform läßt sich dann als „Angleichung an den vorausgehenden Imperativ bastâzete“ erklären (Mußner, Galaterbrief 399 Anm. 23). Die Lesart ånaplvrÈsete bevorzugen die meisten Ausleger; vgl. neben Mußner z. B. Betz, Galaterbrief 508 mit Anm. 62; Dunn, Galatians 316 mit Anm. 4; Vollenweider, Freiheit 313 Anm. 147; Vouga, Galater 146. – Das Futur ist m. E. am besten als logisches aufzufassen (die von Mußner [Galaterbrief 399] konditional aufgelöste Konstruktion Imperativ mit kaù und Futur ist zwar denkbar, aber nicht zwingend; vgl. BDR § 387). 436 Zum Verständnis von Gal 5,14 als Redefinition vgl. o. S. 104 ff sowie Barclay, Truth 135 ff; Westerholm, Law 201–205; zur Wendung nímo™ toø Cristoø in diesem Sinne Barclay, Truth 133 f. 139; Vollenweider, Freiheit 313 f. 437 Daß Paulus die Bedeutung des Gesetzes als Ausdruck der Zuwendung und des Willens

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II. Eine textpragmatische Analyse von Gal 5 und 6

fes, wird damit abschließend und eindeutig für den Christusbereich reklamiert.438 Gegenüber Gal 5,14 besteht unter pragmatischem Gesichtspunkt jedoch ein entscheidender Unterschied: Gal 5,14 sprach verobjektiviert von der Erfüllung des Gesetzes durch die Liebe, zu der die Adressaten zuvor mit Gal 5,13c aufgefordert worden waren. Gal 6,2 hingegen fordert zwar in gleicher Weise zur Liebe auf (6,2a), spricht dann aber von der Gesetzeserfüllung durch die Adressaten (6,2b). In Gal 5,14 stand demnach primär das Gesetz im Mittelpunkt der Aussage, in Gal 6,2 sind es die Adressaten und ihre Gesetzeserfüllung. Diese Gesetzeserfüllung kann nur Pneumatikern zugesprochen werden. Der Verfasser bleibt in 6,2 also auf dem mit 6,1 rhetorisch erreichten Level: Die Adressaten werden als Pneumatiker angesehen und angesprochen. Für Pneumatiker ist das in Gal 6,2b Gesagte nach Gal 5,14 und 5,23 sachlich eine Selbstverständlichkeit. Ihnen gegenüber bedeutet Gal 6,2b somit nichts anderes als eine Bestätigung ihrer Ansichten und ihres Tuns. Den realen Adressaten gegenüber wirkt Gal 6,1 jedoch nochmals wie Gal 5,14: Ihnen wird vor Augen gestellt, daß der Ort des Gesetzesgehorsams nicht dort ist, wo sie ihn suchen. Wenn sie das Gesetz halten wollen, dann müssen sie es so tun, wie es allein möglich ist, nämlich, indem sie einander lieben und die Lasten tragen. Denn nur so erfüllen sie das „Gesetz“ in Wahrheit und eben nicht im Befolgen der Thora. Mit dem Einsatz der Wendung nímo™ toø Cristoø bedient sich der Verfasser einer rhetorischen Strategie, die vergleichbar ist mit der, die er beim Lasterkatalog und in Gal 5,23 anwandte: Er setzt die Werte der Gottes nicht gänzlich preisgeben will trotz aller Polemik und radikaler Uminterpretation des Sachgehalts von nímo™ (vgl. zu Gal 5,14 o. S. 107 f mit Anm. 238), zeigt sich in Gal 6,2 deutlich daran, daß Paulus mit der Bezeichnung des redefinierten „Gesetzes“ als nímo™ eine semantische Beziehung zur jüdischen Thora aufrecht erhält. Vgl. Schlier, der die Sache m. E. trifft, wenn er schreibt: „(D)as Gesetz Christi“ ist „in neuer Weise das ursprüngliche Gesetz, das ja ,heilig` und ,pneumatisch`, Röm 712. 14, ist“ (Galater 272); vgl. auch Suhl, Galaterbrief 3123 zu Gal 5,14; Söding (Liebesgebot 206–210), der jedoch die Überschneidungsfläche zwischen jüdischer Thora und umdefiniertem nímo™ größer ansetzt als hier vorgeschlagen (vgl. Liebesgebot 206. 208 f mit Anm. 104; s. auch o. S. 106 f). 438 Die Wendung nímo™ toø Cristoø ist als eine „gewollte Antithese gegen den judaistischen nímo™-Begriff“ zu verstehen (Lietzmann, Galater 41; vgl. Oepke, Galater 188; anders Mußner, der unverständlicherweise feststellt, im Kontext sei vom Gesetz des Mose nicht die Rede, und die Antithese an anderer Stelle ausmachen will [vgl. Galaterbrief 399]). Doch liegt die Pointe der Antithese nicht darin, daß das „Gesetz des Christus“ gegen etwas gewendet wird, schon gar nicht gegen „eine formalistische judaisierende Gesetzlichkeit“ (Lietzmann, Galater 41; vgl. ähnlich Oepke, Galater 188). Sie liegt vielmehr darin, daß die Wendung das Gegensätzliche vereinnahmt, nämlich das Zentrum jüdischen Selbstverständnisses für den Christusglauben. Der Verfasser macht die für seine Adressaten wichtige Sache, das Gesetz, für seine eigene, für den Christusglauben, geltend. Der Christusglaube schließt jedoch den Gesetzesgehorsam im Sinne der realen Adressaten aus (s. zur pragmatischen Wirkung o. die folgenden Ausführungen).

2. Textanalysen

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realen Adressaten bzw. Gegner ein, um sie für seine Sache zu nutzen.439 Mit Gal 6,2b versichert der Verfasser seine realen Adressaten genau dessen, um was es ihnen derzeit geht: der Erfüllung des Gesetzes – nur daß es sich um ein radikal uminterpretiertes Gesetz handelt, das sie zudem nur dann erfüllen, wenn sie erneut zu Pneumatikern werden.440 Versteht man Gal 6,2b in dem hier vorgeschlagenen Sinne, erweisen sich folgende Überlegungen in der Forschung zur Wendung nímo™ toø Cristoø als problematisch: Es ist höchst zweifelhaft, ob sich hinter dieser Formulierung die Substanz des paulinischen Ethik-Programms ausmachen läßt, wie z. B. Dodd, Davies und Schürmann annehmen. Schürmann meint: „Paulus baut in theologischer Zusammenschau der sittlichen Forderungen einen Weisungstitel auf, den er ,das Gesetz des Christus` . . . nennen kann“.441 Schürmann sieht in „Jesu Verhalten und Wort“ die „letztgültige sittliche Norm nach Paulus“.442 Dodd und Davies sind der Auffassung, der nímo™ toø Cristoø beinhalte konkret u. a. „traditional Sayings of Jesus“.443 Gegen die Annahme, nímo™ toø Cristoø verweise auf Jesu Wort bzw. Verhalten, spricht, daß die Aufforderungen im Kontext von Gal 6,2 keine eindeutigen Bezüge zu Handlungsanweisungen Jesu erkennen lassen.444 Der entscheidende Einwand ergibt sich jedoch aus der Einsicht in den rhetorischen Charakter der Wendung: Trifft dieser zu, dann hat der Ausdruck nímo™ toø Cristoø seine Stoßrichtung gar nicht in ethischer Richtung, d. h. er verweist nicht auf ein christlich fundiertes ethisches „Alternativprogramm“ zur jüdischen Thora, gleich welchen Inhalts. Die Wendung zielt sachlich vielmehr auf den einen Gedanken, daß das Verhalten in Christus nach dem Maßstab der Liebe die Intention des Gesetzes vollkommen erfüllt, der nímo™ also als Ausdruck göttlicher Zuwendung mit dem göttlichen Bereich verbunden bleibt. Den pointierten Ausdruck nímo™ toø Cristoø, mit dem der Verfasser diesen Gedanken vermittelt, wählt er offensichtlich um der rhetorischen Wirkung auf die Adressaten willen. Dann ist es aber unmöglich, der Wendung irgendwelche Auskünfte über ein ethisches Programm des Verfassers zu entnehmen, da es ein solches gar nicht in sich birgt.445 439 S. o. S. 128 ff und S. 136. 440 Daß die Formulierung nímo™ toø Cristoø einen ironischen Beiklang hat, ist somit sehr wahrscheinlich: vgl. Hays (Christology 266), der den Vers jedoch in anderer Weise auffaßt (s. u. S. 156); vgl. auch die Erwägung einer Parodie bei Betz, Galaterbrief 510. 441 Schürmann, Gesetz 53. 442 Schürmann, Gesetz 53 (vgl. ausführlicher Gesetz 53 ff), dem Dunn (Galatians 323 f) sich im wesentlichen anschließt; s. auch Longenecker, Galatians 275 f. 443 Dodd, ÛEnnomo™ 148 (Dodd macht eine Nähe von Gal 6,1–5 zu Mt 18,15–20 aus; vgl. ÛEnnomo™ 146 f); vgl. Davies, Paul 143 f sowie Davies, Setting 366; zur ausführlichen Darlegung der These Davies, Setting 341–366; s. auch Brinsmead, Response 174; Witherington, Grace 424 sowie die Andeutung bei Oepke, der „Nomos Christi“ sei „nicht auf einzelne überlieferte Herrenworte zu beschränken“ (Galater 188). 444 Vgl. Dodd (ÛEnnomo™ 146 f), der einen solchen Aufweis für Gal 6,1–5 durchzuführen versucht; s. dazu aber kritisch Barclay, Truth 129. Vgl. Barclay, Truth 129 zu der grundsätzlichen Schwierigkeit, eine solche Abhängigkeit aufzuweisen, da Paulus sich nur recht selten explizit auf Herrenworte beruft. 445 Ähnliches ließe sich ebenfalls im Blick auf die parallele Formulierung ônnomo™ Cristoø

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II. Eine textpragmatische Analyse von Gal 5 und 6

Auch eine Deutung von nímo™ toø Cristoø ist unwahrscheinlich, die ein Verständnis von nímo™ jenseits der jüdischen Thora favorisiert: So versteht z. B. Hays nímo™ in Gal 6,2 im Sinne von „Regel“, „Norm“446: „The sentence is intelligible within the context of Galatians only if the word nomos is invested with a different meaning: not the torah of Moses, not a body of rules, but a regulative principle or structure of existence“.447 Nach Mußner hebt nímo™ „den e i n S o l l e n f o r d e r n d e n Charakter“ des Geistgesetzes Christi hervor.448 Durch den Genitiv toø Cristoø erhalte ú nímo™ „seine semantische Valenz, die total verschieden ist von jener in dem Syntagma ,Gesetz des Mose`“.449 Gegen das Verständnis von nímo™ ohne Berührung mit der Bedeutung „jüdische Thora“ spricht entscheidend das Vorkommen des Wortes im Ablauf des Briefes vor Gal 6,2. In allen Fällen bezeichnete nímo™ zuvor die jüdische Thora.450 Ein plötzlicher Bedeutungswechsel des Wortes von „jüdische Thora“ zu „regulative principle“451 ist nicht nur unwahrscheinlich, sondern ohne eindeutiges Signal nicht erkennbar.452 Entsprechend ist gegen Mußners Deutung einzuwenden, daß der Genitiv toø Cristoø kaum genügen dürfte, um den Adressaten zu erkennen zu geben, daß das Wort nímo™ mit einem Male nicht mehr „Thora“ bedeutet, sondern den fordernden Charakter des neuen Geistgesetzes bezeichnen soll.453 Gegen diese Deutung spricht zudem aus der Sicht des rhetorischen Verständnis von nímo™ toø Cristoø, daß der entscheidende Clou von Gal 6,2b verloren geht, wenn man den Bezug von nímo™ auf die jüdische Thora tilgt. Die Pointe besteht ja gerade darin, daß der Verfasser den nímo™, die jüdische Thora, für den Christusbereich reklamiert und die Adressaten der Erfüllung des „Gesetzes“ versichert, also die Erwartungen und in 1 Kor 9,21 überlegen. Auch hier ist der Kontext nicht eindeutig ethisch ausgerichtet, so daß die Wendung sich keineswegs auf einen ethischen Gegenentwurf zur jüdischen Thora beziehen muß, sondern eine Existenzweise im pointierten Gegensatz zur Existenz ënomo™ bzw. ¡pó nímon bezeichnen könnte (vgl. in dieser Richtung Schrage, 1 Kor 344 f). Für die Frage nach der Bedeutung von nímo™ toø Cristoø in Gal 6,2 ist 1 Kor 9,21 jedoch ohne Relevanz, da die Wendung allein im Rahmen des Galaterbrief ihre hier maßgebende semantische Füllung erhält. 446 Vgl. Bauer/Aland, s. v. nímo™ 2. 1097. 447 Hays, Christology 276 (Hervorhebung von mir); vgl. Becker, Galater 93; Räisänen, Paul 80; Witherington, Grace 424 f; nicht ganz eindeutig Lambrecht, Admonition 45. Esler meint, die Wendung bezeichne nicht die jüdische Thora oder eine irgendwie geartete Redefinition derselben, sondern der Ausdruck „represents Paul’s most daring inversion of the position of the Israelite outgroup . . . . Suggesting that the members of his congregations also have a law further serves in his ascription to them of a fictive ethnic identity . . ., they also have their own equivalent to the law, albeit only metaphorically“ (Galatians 231 f). 448 Mußner, Galaterbrief 285. 449 Mußner, Galaterbrief 399 (Hervorhebung von mir); ähnlich Burton, Galatians 329. 450 Vgl. Barclay, Truth 137; Martyn, Galatians 555 sowie o. zu Gal 5,14 S. 104 ff mit Anm. 215. Daß nímo™ mit Gal 5,14 eine Uminterpretation erfährt, ändert nichts daran, daß das Wort weiterhin die Verbindung zur jüdischen Thora hält; s. dazu o. S. 107 f und S. 153 f mit Anm. 437. 451 Hays, Christology 276. 452 Vgl. Barclay, Truth 134 Anm. 89. 453 Hätte der Apostel wirklich gehofft, das könne ihm vermittels des Genitivs gelingen, bewiese dies höchstens sein schlechtes Gespür für Wortwahl und deren Wirkung.

2. Textanalysen

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Wertungen der realen Adressaten einsetzt, die diese mit der jüdischen Thora verbinden.454

Mit Gal 6,2 bezieht der Verfasser die Aufforderung zur Reintegration der „Abtrünnigen“ (Gal 6,1b) auf das Liebesgebot, das er in einer Variante als Gebot zum wechselseitigen Lastentragen darbietet. Dieses schärft er seinen Adressaten ein als Grundregel für den wechselseitigen Umgang in der Gemeinde. Der Appell zu Reintegration als wechselseitiges Lastentragen wird verstärkt durch den Hinweis darauf, damit den göttlichen Willen zu erfüllen. Wie schon in Gal 6,1 kann die Aufforderung von Gal 6,2a auch als Anweisung für die aktuelle galatische Situation verstanden werden, einer Situation, die ohne Frage problematisch ist. Angesichts des Gemeinschaftsleben, das durch die Akzeptanz von Gesetzesgehorsam und Beschneidung belastet ist, fordert Gal 6,2a dazu auf, die Wiederherstellung der Gemeinschaft als Anwendung des Liebesgebotes zu verstehen und die Belastungen gemeinsam zu tragen, die die augenblickliche Situation ausmachen. Im Verbund mit Gal 6,1b zielt die Grundregel Gal 6,2a darauf, Gemeinschaft erneut herzustellen und zu bewahren. Mit Gal 6,3 geht der Verfasser wieder zur unpersönlichen Rede über und wendet sich dem Thema „Einschätzung des eigenen Status“ zu, das er bis Gal 6,5 entfaltet. Damit knüpft er an Gal 5,26 und das dort ins Spiel 454 Schließlich müssen angesichts der stark rhetorisch motivierten Verwendung des Ausdrucks nímo™ toø Cristoø auch historische Rückschlüsse auf das Verständnis des realen Verfassers bzw. die Botschaft der Gegner fragwürdig bleiben: So läßt sich nicht eindeutig sagen, ob Paulus mit der Formulierung nímo™ toø Cristoø an jüdisch-eschatologische Erwartungen einer neuen „Thora des Messias“ anknüpfen wollte (vgl. Davies, Setting 109–190, bes. 188–190; Oepke, Galater 188; vorsichtig Schlier, Galater 272; Schürmann, Gesetz 65; von „endzeitliche[r] ,Zionstora_` “ spricht Stuhlmacher [Gesetz 142; vgl. zu seiner traditionsgeschichtlichen Analyse Gesetz 139 ff]). Schon die Frage ist umstritten, ob und wie von einer messianischen Thora gesprochen werden kann (vgl. Schäfer, Torah 27 ff; Matera, Galatians 219 f; speziell zu Davies Barclay, Truth 127 f; Mußner, Galaterbrief 285). Es ist zwar nicht gänzlich auszuschließen, daß eine solche Vorstellung zu den Denkvoraussetzungen des Verfassers gehört haben könnte (vgl. Vouga, Galater 147: Dies könnte für die Vorstellung einer endzeitlichen Veränderung der Thora gelten [vgl. Schäfer, Torah 38–42]). Zum primären Mitteilungsinhalt wird eine Traditionsaufnahme in Gal 6,2 jedoch nicht. – Betz erwägt, ob Paulus an dieser Stelle „einen Schlüsselbegriff aus der Theologie der Gegner übernommen“ hat (Galaterbrief 511; vgl. Brinsmead, Response 175). Einer solchen Vermutung ist mit ähnlicher Zurückhaltung zu begegnen. Diese Annahme kann nicht mit letzter Gewißheit ausgeschlossen werden, doch gibt Barclay zu bedenken: „Since Paul himself can use a similar phrase in 1 Cor 9.21, it does not seem inconceivable that he should coin such paradoxical terminology himself; and . . . it is probably easier to believe this than that he has taken the risk of employing a phrase which the Galatians would have heard used in a very unPauline sense“ (Barclay, Truth 130; vgl. Martyn, Galatians 557 mit Anm. 46). Die rhetorische Abzweckung läßt in der Tat eher eine paulinische Prägung plausibel erscheinen als eine Übernahme gegnerischer Terminologie.

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II. Eine textpragmatische Analyse von Gal 5 und 6

gebrachte Stichwort kenodoxùa an.455 Als kenodoxùa entlarvte der Verfasser die Einschätzung, ein besonderes Ansehen zu haben, das der Zugehörigkeit zu einer hierarchisch höherstehenden Gruppe korrespondiert und sich in Gemeinschaftszerstörung äußert.456 Diesen Gedanken nimmt Gal 6,3 mit der Formulierung eÜ gär dokeû ti™ eRnaù ti wieder auf. Das Verb dokeûn stellt eine terminologische Verbindung zum Substantiv díxa in kenodoxùa her. Über kenodoxùa hinaus nimmt eÜ gär dokeû ti™ eRnaù ti Bezug auf die Stellen, an denen sich bereits zuvor im Brief das Thema „Ansehen und Status“ andeutete: auf Gal 5,10, wo von den Gegnern die Rede ist (Ñsti™ Éän ó), sowie in identischer Formulierung auf Gal 2,6, wo der Verfasser beim historischen Modellfall von oÖ dokoønte™ eRnaù ti spricht (vgl. Gal 2,2. 9).457 Mit Gal 6,3 macht Paulus die individuelle Dimension des Konfliktes um Gesetzesgehorsam und Beschneidung explizit zum Thema. Gal 5,26 ließ das Thema mit dem Stichwort kenodoxùa kurz anklingen, die Verse 6,3–5 führen es nun aus. In beiden Fällen spricht der Verfasser vom Standpunkt des gemeinchristlichen „Wir“ aus.458 Die Beurteilung der Statusfragen bezieht sich auf das Miteinander derer, die des Christus sind. Sachlich hält Gal 6,3 fest: Die Einschätzung, etwas zu sein (eÜ gär459 dokeû ti™ eRnaù ti), ist eine Selbsttäuschung (frenapatÉ Åautín), weil in Christus niemand etwas ist (mvdÄn Ïn460). Vor Gott gibt es kein Ansehen 455 Den Bezug registrieren Barclay (Truth 159), Dunn (Galatians 324), Longenecker (Galatians 276) und Mußner (Galaterbrief 400), ohne jedoch den Zusammenhang des erneut angesprochenen Themas zum Problem in Galatien zu sehen. 456 Die Gemeinschaftsstörung ist Inbegriff der kenodoxùa, nicht ihre Folge (so Kuck, Burden 291). 457 Vgl. noch einmal o. zu Gal 5,26 S. 141 f. Auf diesen Rückbezug verweisen Oepke (Galater 189), Matera (Galatians 221), Martyn (Galatians 549), Longenecker (Galatians 276), Vouga (Galater 147), zögerlich Barclay (Truth 159) und Dunn (Galatians 324). Einen Bedeutungsunterschied zwischen Gal 2,2. 6 und Gal 6,3 machen Oepke und Longenecker aus: In Gal 2,2. 6 bedeute dokeûn „,to be esteemed (by others) to be important` whereas here (Gal 6,3; Verf.) it means ,to think oneself to be important`“ (Longenecker, Galatians 276; vgl. Oepke, Galater 189). Diese eindeutige Festlegung der Bedeutung von dokeûn in Gal 2,2. 6 läßt sich jedoch nicht zwingend erweisen. In Gal 2 stehen vielmehr gerade beide Bedeutungsmöglichkeiten offen. Man kann verstehen: „die, die Ansehen haben“ oder aber auch „die, die meinen, etwas zu sein“. Damit signalisiert der Verfasser bereits, daß Ansehen zu haben bzw. Ansehen zugesprochen zu bekommen in seinen Augen nicht unproblematisch ist (vgl. zum ironisch-kritischen Spiel mit dokeûn auch Vouga, Galater 43; Klein, Werkruhm 207 Anm. 61 [Klein spricht von einem „unüberhörbar sarkastischem Unterton“ des eRnaù ti in 2,6]; zum rhetorischen Stilmittel der doppelten Ironie in Gal 2,6 vgl. auch Nikolakopoulos, Ironie 202–204). 458 Zu Gal 5,26 s. o. S. 142; zur Perspektive von Gal 6,1 vgl. o. S. 150 f. 459 Gär ist wohl anknüpfend und fortführend aufzufassen; vgl. Bauer/Aland, s. v. gâr 4. 305. 460 Das Partizip Ïn ist konzessiv aufzulösen; vgl. Oepke, Galater 189; s. dort auch seine Erwägungen zu der theoretisch möglichen Auffassung, Paulus nähme nur den Fall der Selbstüberschätzung in den Blick (vgl. in dieser Richtung Barclay, Truth 159; Synofzik, Gerichts- und Vergeltungsaussagen 44).

2. Textanalysen

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der Person (Gal 2,6461), in Christus gilt der gleiche Status aller Gläubigen (Gal 5,6; Gal 3,26–28462).463 Mit Gal 6,3 formuliert Paulus eine Grunderkenntnis in Christus, die mit den Grundregeln zur Gemeinschaftswiederherstellung und -erhaltung von Gal 6,1 und 6,2 in Verbindung steht. Die Wiederherstellung und Erhaltung der egalitären Gemeinschaft in Christus hängt wesentlich mit der Einschätzung des individuellen Status durch die Gemeindeglieder zusammen. Wer meint, etwas zu sein, sprengt die Gemeinschaft der Christusgläubigen, die auf Gleichheit basiert.464

461 Vgl. zu diesem Vers o. S. 141 f mit Anm. 395. 462 Das einzige „Statusmerkmal“ in Christus ist der Glaube, der sich in der Liebe als wirksam erweist, also ein Merkmal, das sich nicht von menschlicher Seite als besondere „Eigenschaft“ geltend machen läßt. 463 Es geht in Gal 6,3 nicht um die Mitteilung einer allgemein-menschlichen Erkenntnis, man trage „des anderen Last leichter, wenn man einsieht, daß man selbst nichts ist“ (Schlier, Galater 273) oder um einen Hinweis auf die „typisch menschliche Schwäche“ der „unkritische(n) Selbstbeurteilung“ (Becker, Galater 93; vgl. Barclay, Truth 159 f). Auch wenn die hier verwandte Formulierung einen „Standard-Topos der Diatribe-Philosophie“ darstellt (Betz, Galaterbrief 512; s. zu den Belegstellen Betz, Galaterbrief 511 f), benennt Paulus mit ihr in seinem Zusammenhang eine theologisch-christologische Erkenntnis, die grundlegend für das Miteinander der Christusgläubigen ist. Die Aufnahme des Themas „Selbsteinschätzung“ verdankt sich also nicht in erster Linie der „allgemeinen Menschenkenntnis des Apostels“ (Oepke, Galater 186), die ihm sicher zu attestieren ist, sondern dem Zusammenhang, in dem die Selbsteinschätzung mit der Akzeptanz von Gesetzesgehorsam und Beschneidung steht. An der richtigen Einschätzung des eigenen Status innerhalb der Gemeinschaft der Christusgläubigen entscheidet sich die Frage, in wessen Herrschaftsbereich man lebt. – Barclay und Lambrecht erwägen, ob Paulus sagen wollte, „everybody is worth nothing, so that every self-opinion is false“ (Barclay [Truth 159], der dieses Verständnis vage ablehnt; vgl. Lambrecht, der den Ausdruck als „exaggerated language“ einstuft und festhält: „Yet, Christians are more than ,nothing`“ [Admonition 46]). Dieses Verständnis ist aus zweierlei Gründen unwahrscheinlich: Zum einen verkennt es, daß Gal 6,3 eine theologisch-christologische Einsicht formuliert und keine allgemein-anthropologische, gar psychologische Aussage. Zum anderen trifft der Vers eine Aussage über die Bewertung des eigenen Status in bezug auf andere und nicht über den Wert des Einzelnen an sich. – Betz legt Gal 6,3 in Anwendung auf Gal 6,1 aus und meint, Paulus wolle sagen: „(W)enn ihr euch für ,Geistbegabte` haltet, es aber nicht seid, gebt ihr euch einer gefährlichen und grotesken Illusion hin“ (Galaterbrief 512). Doch diese Auslegung ist fraglich, wenn die Anrede pneumatikoù in Gal 6,1 ohne Einschränkung ernst gemeint ist (was auch Betz selbst in seiner Auslegung von Gal 6,1 nahelegt [vgl. Galaterbrief 504]). 464 Diesen Zusammenhang zeigte bereits der historische Modellfall für die galatische Situation (Gal 2,1–14. 15–29; s. dazu noch einmal o. S. 141 f). – Von Gal 6,3 her fällt ein interessantes Licht auf das in Gal 6,2 gewählte Bild vom wechselseitigen Lastentragen. Eine Haltung der Überlegenheit ist für den unmöglich, der die Last anderer auf seinen Schultern hat. Sie verhindert, sich dem anderen gegenüber „aufzurichten“. Das Bild könnte Paulus also durchaus gezielt im Blick auf das Thema „Selbsteinschätzung des eigenen Status“ gewählt haben.

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II. Eine textpragmatische Analyse von Gal 5 und 6

Gal 6,4 thematisiert im Gegenüber zu Gal 6,3 positiv die Art der Selbsteinschätzung, die dem „Status in Christus“ angemessen ist: eÜ™ Åautón mínon tó ka‹cvma465 æxei kaÿ o«k eÜ™ tón æteron (6,4b).466 Sie basiert auf der Prüfung des eigenen Werkes: tó dÄ ôrgon Åautoø dokimazìtw ækasto™ (6,4a). Die in Christus angemessene Selbsteinschätzung besteht in der Beschränkung auf das Eigene. Das stellt die gehäufte Verwendung des Reflexivums Åautoø467 heraus, das pointiert vorangestellte eÜ™ Åautín, das zudem durch mínon verstärkt ist468, sowie die abschließende Abgrenzung kaÿ o«k eÜ™ tón æteron (6,4b). Ruhm ergibt sich „nur in Hinsicht auf ,sich selbst` (eÜ™ Åautín)“, „nicht aus dem Vergleich mit anderen“.469 Der Ausschluß des „vergleichenden Blick(s) auf andere“470 untergräbt die hierarchisierende Einteilung in Unterlegene und Überlegene, die die egalitäre Gemeinschaft in Christus zerstört. „Selbstbezogener“ Ruhm ergibt sich aufgrund einer Prüfung des „eigenen Werkes“ (6,4a).

465 Auch wenn der Unterschied zwischen ka‹cvma und ka‹cvsi™ nicht ganz scharf ist, so bezeichnet ka‹cvma doch eher „das zum Ruhm Gesagte“ oder den „Gegenstand, dessen man sich rühmt, auf den man stolz ist“, während ka‹cvsi™ „das Rühmen als Akt“ meint (Bultmann, ThWNT III 649 Anm. 35; vgl. Bauer/Aland, s. v. ka‹cvma 1. 2. 866; Bauer/Aland, s. v. ka‹cvsi™ 1. 866 f). 466 Vgl. Lambrecht, Admonition 47: „V. 4 is the opposite parallel to v. 3“. – Die Auskunft, der Vers setze sich mit dem Thema „Selbstruhm“ auseinander (vgl. Heckel, Kraft 184; Klein, Werkruhm 210 f; Mußner, Galaterbrief 401 im Anschluß an Bultmann [vgl. Bultmann, ThWNT III 650 f]), erscheint mir insofern irreführend, als in Gal 6,4 doch nicht Selbstruhm das Problem ist, sondern der Ruhm, der im Vergleich mit anderen profiliert wird; vgl. dazu o. die folgenden Ausführungen. 467 ŠEautoø fungiert in der Wendung tó ôrgon Åautoø als betonter Genitiv (vgl. BDR § 284, 2). 468 Vgl. Burton, Galatians 332. 469 Betz, Galaterbrief 514; vgl. Baumert, Gewinn 69 f; Bultmann, ThWNT III 651. Zu der Konstruktion von ka‹cvma mit eÜ™ vgl. Klein, Werkruhm 208 f; Barclay, Truth 160 f; Dunn, Galatians 325; Martyn, Galatians 550; Lambrecht, Admonition 49. Anders versteht Longenecker ka‹cvma eÜ™ im Sinne von „basis for boasting in himself“ (Galatians 276 [Hervorhebung von mir]) bzw. „in someone else“ (Galatians 277 [Hervorhebung von mir]). Gegen dieses Verständnis spricht, daß eÜ™ die Richtung angibt, auf die hin der Ruhm geltend gemacht wird, also den „für den Ruhm maßgebliche(n) Relationszusammenhang“ benennt (Klein, Werkruhm 209; Klein versteht eÜ™ im Sinne von „vor“, Lambrecht u. a. im Sinne von „in respect to“ [vgl. Lambrecht, Admonition 49]). Beim Longeneckerschen Verständnis wäre die sonst bei Paulus übliche Konstruktion mit Én zu erwarten (vgl. vor allem Klein, Werkruhm 208 f). Mußner versteht die Wendungen so, daß gesagt sein solle, der Gegenstand des Ruhmes könne „nur für ihn sprechen . . ., nicht für den anderen“ (Mußner, Galaterbrief 401). Der Vers hebt aber nun wirklich nicht darauf ab, stellvertretend – ob erfolgreich oder generell aussichtslos – Ruhm für andere geltend zu machen. 470 Bultmann, ThWNT III 651. Longenecker (Galatians 277) schränkt tón æteron ein auf „a particular wrong-doer“ oder „a general class of wrong-doers“. Dafür gibt der Text jedoch keinen Anhalt, der im Gegenteil generell spricht, ohne jegliche Einschränkung.

2. Textanalysen

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Auf den ersten Blick mag es erstaunen, daß Paulus hier positiv vom ôrgon spricht, nachdem er „Werk“ im vorangegangenen Brief in den Wendungen ôrga tœ™ sarkí™ und ôrga nímou in negativer Wertung verwendet hat. Es zeigt sich jedoch bei näherem Hinsehen, daß das semantische Feld, zu dem ôrgon gehört, an sich neutral ist.471 Die jeweilige Wertung ergibt sich erst aus dem Kontext. Zum einen findet sich der Plural ôrga in Kombination mit einer Näherbestimmung, so bei ôrga nímou (2,16; 3,2. 5. 10) und ôrga tœ™ sarkí™ (5,19). Seine Negativwertung erhält ôrgon durch die Näherbestimmung im Genitiv bzw. durch die Zuordnung zur Negativkategorie „nur menschlich“.472 Zum anderen findet sich in Gal 2,8; 3,5 und 5,6 das Verb Énergeûn, das zu demselben semantischen Feld wie ôrgon gehört.473 Diese Aussagen sind durchgängig mit der Positivkategorie Gott bzw. Glaube verbunden. In Gal 2,8 und Gal 3,5 wird Gott explizit als ú ÉnergŒsa™474 bzw. (ú) ÉnergÂn bezeichnet. In Gal 5,6 ist Énergeûn nicht nur durch pùsti™ und ågâpv positiv konnotiert, sondern das Verb selbst läßt schon an göttliche Macht denken aufgrund der vorangegangenen Kennzeichnungen Gottes in Gal 2,8 und Gal 3,5. ÛErgon ist also prinzipiell offen für eine negative wie auch positive Bedeutung. Insofern kann der Verfasser in Gal 6,3 das Wort ôrgon jenseits der negativ besetzten ôrga nímou bzw. ôrga tœ™ sarkí™ verwenden.475

An diesem Werk zeigt sich, welcher Macht der sich Prüfende untersteht.476 Angemessenes ka‹cvma begründen kann nur ein Werk, das sich als Frucht des Geistes (Gal 5,22)477, als Liebe erweist, denn in ihr drückt sich der Glaube aus (Gal 5,6).478 Positiver Ruhm ergibt sich letztlich aufgrund einer 471 Vgl. Mußner, Galaterbrief 400 Anm. 29. 472 Vgl. dazu o. im Exkurs: Zur Verwendung von sârx in Gal 1,1–5,12. 473 Vgl. Barclay (Truth 161), der die Verbindung zu Gal 5,6 benennt. 474 Das finite Verb in 2,8 ist ebenfalls eine Form von Énergeûn. 475 Vgl. Betz, Galaterbrief 513 Anm. 94. 476 Auch wenn Paulus in Gal 6,4 offenbar wiederum eine verbreitete Einsicht hellenistischer Philosophie aufnimmt (vgl. Betz, Galaterbrief 513), gewinnt sie innerhalb seines Briefkontextes ihren spezifischen Sinn. Im Anschluß an seine grundsätzlichen Aussagen über die Mächte als Handlungsträger menschlichen Verhaltens (Gal 5,17) und die Kategorisierung von Verhaltensweisen nach „Werken des Fleisches“ und „Frucht des Geistes“ (Gal 5,19– 21a. 22–23a) steht hinter der Frage nach dem menschlichen „Werk“ die Frage, von welcher Macht dieses Verhalten bestimmt ist. 477 Die Singularformulierung, die gegenüber dem sonstigen Vorkommen des Substantives auffällig ist, könnte möglicherweise auf den Singular „Frucht des Geistes“ (Gal 5,22) im Gegenüber zum Plural „Werke des Fleisches“ (Gal 5,19) anspielen. 478 Vgl. die semantische Verbindung zwischen ôrgon (6,4) über Énergeûn (5,6) zu (ú) ÉnergÂn (Gal 3,5); vgl. zum gemeinsamen Wortfeld die Ausführungen o.; s. auch Matera, der ôrgon vergleichbar auf „the work or project of the Christian life“ bezieht (Galatians 221), jedoch ohne weitere Begründung. – Isoliert betrachtet legt sich die unspezifische Formulierung von Gal 6,4 nicht fest auf diese positive Variante von „Werk“ und das aus ihm resultierende ka‹cvma. Theoretisch kann die Selbstprüfung auch zu einem negativen Ergebnis, zur Erhebung der Werke des Fleisches führen, was ebenso zu einem ka‹cvma führt: „Dem Text zufolge stellt sich . . . nach dem dokimâzein in jedem Fall das ka‹cvma ein“ (Klein, Werkruhm 208). In beiden theoretisch denkbaren Fällen ist das Ergebnis ein ka‹cvma, das auf das Eigene bezogen ist und sich nicht dazu eignet, gegen andere profiliert zu werden, wenn

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II. Eine textpragmatische Analyse von Gal 5 und 6

„Lebensführung“479, deren eigentlicher Handlungsträger nicht der Mensch selber ist, sondern das pneøma. Dieses Verständnis von „Ansehen“ sprengt die übliche Vorstellung von Ansehen und Ruhm.480 „Ruhm“ und „Ansehen“ in Christus gründen nicht auf Eigenschaften, die der Mensch hat, die er (anderen) vorweisen und auf die er sich als „Habe“ berufen kann. Sie haben ihren Grund vielmehr in der Macht Gottes, der seine Herrschaft des Geistes aufgerichtet hat unter denen, die des Christus ist. Vom „leeren und hohlen Ruhm“, der kenodoxùa, unterscheidet sich das angemessene ka‹cvma dadurch, daß er nicht auf irdisch-menschlichen Eigenschaften oder Unterscheidungen basiert, sondern sein Fundament in der göttlichen Sphäre hat. Es ist ein Ruhm, der sich eines Anderen rühmen muß, denn das „eigene Werk“, auf dem er beruht, verdankt sich wesentlich dem pneøma.481 Dieses ka‹cvma eignet sich nicht dazu, einen Anspruch gegenüber den Mitmenschen geltend zu machen. Auf zweifache Weise korrigiert der Verfasser in Gal 6,4 also irdisch-menschliches Status-Denken482: Zum einen wird der Gegenstand auch aus unterschiedlichen Gründen: Ergibt sich das Ergebnis, dem Fleisch zu unterstehen, läßt sich darauf nach dem, was im vorangegangenen Brief gesagt worden ist, kaum Ansehen gründen. Ergibt sich, vom Geist bestimmt zu sein, wird der Ruhm zum Ruhm eines Anderen (s. o. die folgenden Ausführungen), so daß auch in diesem Fall Ruhm gegenüber anderen ausgeschlossen ist. Insofern läßt sich die Überlegung, der Selbstprüfung folge „in jedem Fall das ka‹cvma“ (Klein, Werkruhm 208), nicht gegen die Annahme richten, ôrgon bezöge sich auf die Frucht des Geistes (so Klein, Werkruhm 208 Anm. 67). Theoretisch sind beide Varianten denkbar, in Gal 6,4 steht jedoch die positive Variante der Selbstprüfung und ihres Ergebnisses im Vordergrund. Die Zuspitzung auf eine der beiden theoretischen Möglichkeiten ergibt sich aufgrund des Kontextes. Spätestens seit Gal 6,1 hat der Verfasser ausschließlich die Binnenperspektive der Gemeinschaft der Christusgläubigen eingenommen, d. h. er instruiert mit Gal 6,4 Pneumatiker (s. dazu noch einmal o. S. 150 f), und skizziert gegenüber Gal 6,3 ihre angemessene Statuseinschätzung in Christus. 479 Betz gibt ôrgon m. E. passend mit „Lebensführung“ (Galaterbrief 513) wieder. 480 „Prestige und Geltungsbedürfnis spielen in der sozialen Dynamik der meisten Gesellschaften eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Sozialhistorische und kulturanthropologische Studien haben jedoch gezeigt, daß der Zuteilung von Ehre und Schande in der Kultur des Mittelmeerraumes in Gegenwart und Vergangenheit eine Schlüsselrolle zukommt“ (Strecker, Theologie 279 f). Die für die paulinischen Briefe einschlägigen Forschungsergebnisse hat Strecker in seinem Exkurs „Ehre und Schande in der antiken mediterranen Kultur“ (Theologie 279–287) zugänglich gemacht; vgl. dort auch die reichlichen Literaturverweise; vgl. auch Esler, Galatians 218 ff. Zur traditionsgeschichtlichen Einordnung der paulinischen Rede vom Sich-Rühmen vgl. Zeller, Selbstbezogenheit 40 ff. 481 Vgl. im späteren Verlauf des Briefes Gal 6,14, der diesen Gedanken explizit auf den Punkt bringt. – Vgl. Schlier, Galater 274: „Der Blick auf sich selbst hält den Prüfenden an dem fest, was von ihm gefordert ist, und läßt ihn die Gnade erkennen, die ihm für sein Tun und Leben gewährt wird. In ihm entdeckt er auch einzig ,Ruhm`. Denn der ,Ruhm` ist ja, sofern er nicht Selbsttäuschung ist, allein ,in Christus` gegeben.“ 482 Gal 6,4 zielt auf eine solche Korrektur des Statusdenkens innerhalb der Gemeinschaft der Gläubigen und nicht auf den Aufweis der grundsätzlichen Unmöglichkeit jeglichen Ruhmes, wie z. B. Klein meint (Werkruhm 209 [vgl. auch 211]; s. in vergleichbarer Richtung

2. Textanalysen

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des Ruhmes, der Status begründet, als dem menschlichen Zugriff weitgehend entzogen vor Augen gestellt, zum anderen hebelt der Verfasser jegliche Erhebung des Ruhms durch den Vergleich mit anderen aus.483 Die Auseinandersetzung mit dem Rühmen steht im Galaterbrief in unmittelbarem Zusammenhang mit Fragen des innerweltlichen sozialen Status der Christusgläubigen. Somit ist Strecker darin recht zu geben, daß die paulinische Kritik am Rühmen „auf den Wettstreit um Ehre und Privilegien . . . innerhalb der Gemeinschaft der Christusgläubigen“ zielt.484 Diese Position, die exemplarisch die „New Perspective on Paul“ wiedergibt, grenzt sich entschieden von der Deutungstradition ab, die sich wesentlich mit Bultmanns Verständnis von kaucéshai verbindet.

auch Mußner, Galaterbrief 401). Diese Sicht übergeht, daß Gal 6,4 im Gegenentwurf zu Gal 6,3 positiv die Form des Ansehens profiliert, die für die Christusgläubigen angemessen ist. Klein ist darin recht zu geben, daß von Gal 6,3 her ein „frommes eRnaù ti . . . allemal imaginär“ (Werkruhm 209) bleibt. Gal 6,4b wiederholt diesen Gedanken jedoch nicht, sondern setzt positiv den selbstbezogenen Ruhm gegen diesen imaginären Ruhm, der sich dem Vergleich mit anderen verdankt. Mit der pointierten Gegenüberstellung von eºß ¯autÂn mÁnon tó ka‹cvma æxei ka¸ oÎk eºß tÂn ±teron zielt Gal 6,4 auf die Unterscheidung zweier Arten von Ruhm: dem, der beim Eigenen bleibt, und dem, der auf Kosten von anderen profiliert wird. Die Pointe des Satzes ist noch nicht mit dem ersten Teil der Schlußfolgerung erreicht (eÜ™ Åautón mínon tó ka‹cvma æxei), so wie es Kleins Auslegung nahelegt, sondern erst damit, daß ihm der Ruhm entgegengestellt wird, der im Vergleich zu anderen profiliert wird (dieser knüpft an den Gedanken von Gal 6,3 an, nicht aber die zuerst genannte Ruhmvariante). Kleins Verständnis hängt mit der Einschätzung zusammen, Gal 6,4 nehme weder die Situation coram deo in den Blick noch den Ruhm coram hominibus, sondern führe das Rühmen in ironischer Weise ad absurdum (vgl. Werkruhm 209 f). Der Kontext von Gal 6,4 macht jedoch deutlich, daß es nicht um das Rühmen an sich geht, sondern um zwischenmenschlichen Ruhm, der die innerweltliche Gemeinschaft der Christusgläubigen zu destruieren vermag. Dafür, daß Gal 6,4 nicht jeglichen Ruhm zerschlägt, spricht ferner, daß Paulus auch das zulässige Sich-Rühmen des Gekreuzigten (vgl. Klein, Werkruhm 210) als ka‹cvma bezeichnet, wie sich im weiteren Verlauf des Briefes Gal 6,14 zeigen wird. Zudem zielt Gal 3,26–28, die programmatische Auskunft in dieser Sache, nicht auf die komplette Statuslosigkeit, sondern auf eine radikale Neudefinition von Status im Gegenüber zu den irdisch-menschlichen Vorstellungen. Eine ironische Verwendung von ka‹cvma (vgl. Klein, Werkruhm 209 mit Anm. 75; vgl. auch Mußner, Galaterbrief 401) liegt somit kaum nahe. 483 Vgl. Barclay (Truth 160), der jedoch nicht von einer Relativierung des eigenen Werkes im oben vorgeschlagenen Sinne ausgeht. – Wie radikal diese paulinische „Korrektur“ ist, zeigt sich angesichts der fundamentalen Bedeutung von Ehre und Schande für das soziale Miteinander in der antiken mediterranen Welt: „Ehre und Schande bilden . . . gleichsam den primären Referenzrahmen, innerhalb dessen Personen, Handlungen und Situationen beurteilt werden“ (Strecker, Theologie 280; vgl. Esler, Galatians 218 ff). Dabei sind die Kategorien Ehre und Schande näherhin zu verstehen als „relationale Größen, das heißt, sie werden einer Person primär durch andere Menschen . . . vermittelt. Zwar spielt auch der Aspekt der Selbsteinschätzung eine gewisse Rolle, doch ist für den Besitz und Erwerb von Ehre die soziale Anerkennung und Bestätigung durch andere konstitutiv“ (Strecker, Theologie 281 [letztere Hervorhebung von mir]). Der Grundsatz von Gal 6,5 unterminiert also diese gesellschaftliche Grundfeste antiker mediterraner Welt. 484 Strecker, Theologie 361.

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II. Eine textpragmatische Analyse von Gal 5 und 6

Nach Bultmann weist Paulus das Rühmen deswegen zurück, weil sich in ihm das sündige Selbstrechtfertigungsstreben des Menschen zeigt: Im kaucéshai findet „die sündig-eigenmächtige Haltung“ des Menschen ihren „höchsten Ausdruck“.485 Beide Positionen sind keineswegs miteinander unvereinbar486, sondern müssen vielmehr sogar zusammengesehen werden, will man den Stellenwert des Rühmens im Galaterbrief angemessen einschätzen. Es ist das Verdienst der „New Perspective“, die irdisch-soziale Perspektive aufzuzeigen, in der die Frage nach dem ka‹cvma steht. Das soziale Miteinander der Christusgläubigen ist von zentraler Bedeutung für die paulinischen Ausführungen. Die für die „New Perspective“ typische Konzentration dieser Thematik auf das Verhältnis von Juden und Heiden487 scheint jedoch zu kurz zu greifen. Bereits Gal 3,26–28 zeigt, daß der Grundgedanke einer egalitären Gemeinschaft die Grenze eines primär am Ethnischen orientierten Interesses des Verfasser überschreitet und auf jegliche Form hierarchisierender Gemeinschaftsstrukturierung zielt.488 Die Behandlung der Status-Fragen geht nicht auf in dem Bemühen, einen „jüdischen Ethnozentrismus“ abzuwehren.489 Noch entscheidender ist jedoch, daß das Thema „Status und Ruhm“ die soziologische Dimension übersteigt, wie eng oder weit man es auch fassen will. Paulus ist an gemeinschaftszerstörendem Rühmen aus letztlich theologischen Gründen interessiert. Die irrige Meinung, Ansehen zu haben, das einen Anspruch gegenüber anderen begründen soll, ist Ausdruck des Vertrauens auf nur „IrdischMenschliches“, Vertrauen auf die sârx – also durchaus Inbegriff der Sünde im Bultmannschen Sinne.490 Eine Zuspitzung des Sich-Rühmens auf eigenmächtiges Selbstrechtfertigungsstreben gegenüber Gott ist jedoch zumindest im Blick auf den Galaterbrief, und speziell auf Gal 6,4, unzutreffend.491 Die Betonung liegt hier nicht auf der Selbstrechtfertigung vor Gott. Gal 6,4 reflektiert nicht die Gott-Mensch-, sondern die Mensch-Mensch-Beziehung.492 Die Fehleinschätzung des eigenen Status auf der zwischenmenschlichen Ebene stellt einen mittelbaren Angriff auf Gott und sein Heilshandeln dar, indem sie die radikale Neudimensionierung des eigenen Status und der zwischenmenschlichen Bezüge nicht anerkennen will, die die Christusherrschaft mit sich bringt. Kritisiert wird mit der Abwehr des falschen Rühmens also beides: „religiös-soziale Ausgrenzung“ (und darüber hinaus jegliche Hierarchisierung des Miteinanders der Christusgläubigen)

485 Bultmann, Theologie 242. 486 Vgl. dazu schon o. S. 113 Anm. 271. 487 Vgl. z. B. Stendahl, Apostel 21 ff; Dunn, Paulus-Perspektive 42 f. 488 Vgl. o. S. 110 ff. 489 Zum Ausdruck „jüdischer Ethnozentrismus“ s. Strecker, Paulus 12; zur Sache vgl. vor allem Dunn, Perspective 114 f (seltsamerweise legt Dunn in seinem Kommentar [Galatians 325] Gal 6,4 nicht in dieser Richtung aus); Stendahl, Apostel 22 f. 490 Vgl. Bultmann, Theologie 238. 233. 491 So Synofzik, Gerichts- und Vergeltungsaussagen 44; vgl. Bultmann, Theologie 242 f; Bultmann, ThWNT III 651. 492 Vgl. Klein (Werkruhm 209), der zeigt, daß der Vers nicht die Situation coram deo reflektiert, jedoch auch nicht der Auffassung ist, der Vers mache eine Aussage über die Situation coram hominibus (vgl. dazu o. S. 162 f Anm. 482).

2. Textanalysen

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und ein „sich im Rühmen verdichtendes falsches Existenzverständnis“.493 Beide Aspekte sind unlösbar aufeinander bezogen: Die Ignorierung der in Christus neugeschaffenen Sozial- und Statusstruktur gründet in einem falschen Existenzverständnis.

Unter pragmatischem Gesichtspunkt formuliert Gal 6,4 den Gedanken in Form eines Appells zur Prüfung des Eigenen (6,4a), die die Voraussetzung für die angemessene Selbsteinschätzung in Christus darstellt. Zu dieser Prüfung wird ausnahmslos jeder aufgefordert (dokimazìtw ækasto™).494 Gegenüber Gal 6,3 intensiviert sich damit die Gesprächssituation. Gal 6,4 führt zwar die unpersönliche Rede von Gal 6,3 weiter, die den Ausführungen ihre Allgemeingültigkeit verleiht. Gal 6,4a ist jedoch nicht wie Gal 6,3 beschreibend, sondern als direkte Ansprache gestaltet. Dadurch bekommt die Anweisung von Gal 6,4a besonderes Gewicht. Sie hebt das hervor, was bei entsprechender Befolgung zu dem Ziel führt, das der Verfasser erreicht wissen will. Dieses Ziel nennt Gal 6,4b.495 Die in Gal 6,4a geforderte Konzentration auf das Eigene führt zu einem ausschließlich (mínon) „selbstbezogenen“ Ruhm, der den „Ehrwettbewerb“496 mit anderen ausschließt. Mit ækasto™ knüpft Gal 6,5 an die Aufforderung von Gal 6,4a an. Der Vers begründet das Vorangegangene (gâr) und betont erneut das Eigene (tó ¥dion fortùon): Ein jeder wird die eigene Last tragen, für die er allein verantwortlich ist.497 Weil letztlich nur das Eigene zählt, ist es angeraten, die eigene Lebensführung auf sich allein bezogen zu prüfen und so die 493 So Streckers Zusammenfassung der Anliegen der beiden Auslegungsrichtungen: Theologie 362. 494 Diese umfassende Ansprache widerrät einer Deutung auf die Gegner und ihre Anhänger unter den Galatern (so Martyn, Galatians 550). 495 Vgl. Betz: „Formal besteht die Maxime aus zwei Teilen: (1) die eigentliche Maxime (V 4a) und (2) die Folgen, falls der Rat befolgt wird, d. h. implizit ein Grund für die Einführung der Maxime an dieser Stelle (V 4b)“ (Galaterbrief 512 f). – Das Futur æxei ist im Verbund mit kaÿ títe („und dann“; vgl. Bauer/Aland, s. v. títe 2. 1642) am besten logisch aufzufassen. Gegen ein eschatologisches Verständnis (vgl. Hübner, Gesetz 88; Mußner, Galaterbrief 401; Vouga, Galater 148 [Vouga faßt æxei logisch und eschatologisch auf]) spricht, daß Paulus mit Gal 6,3 das Thema „Status im irdisch-zwischenmenschlichen Bereich“ in den Blick nimmt. Gal 6,4 bildet zu Gal 6,3 das positive Gegenstück, so daß ein Wechsel von irdischer zu eschatologischer Perspektive zwischen 6,3 und 6,4 unwahrscheinlich ist (vgl. Kuck, Burden 294 Anm. 35). Heckel faßt das Futur „im Sinn eines Imperativs“ auf (Kraft 184 Anm. 213). Dagegen ist jedoch einzuwenden, daß bereits die Selbstprüfung, zu der Gal 6,4a auffordert, die Beschränkung des Ruhmes auf das Eigene in sich trägt, so daß zum angemessenen „Umgang mit dem Resultat der Selbstprüfung“ (Heckel, Kraft 184 Anm. 213) nicht mehr gesondert aufgefordert werden muß. 496 Strecker, Theologie 365. 497 Vgl. Barclay, Truth 162; zu der Frage, wie diese Verantwortung im Rahmen der Mächte-Konzeption zu denken ist, vgl. o. S. 121 und u. S. 175 f.

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II. Eine textpragmatische Analyse von Gal 5 und 6

angemessene Einschätzung des eigenen ka‹cvma zu gewinnen. Ein Ansehen, das aus dem Vergleich mit anderen gewonnen wird, hat keinerlei Bedeutung. Tó ¥dion fortùon nimmt tó ôrgon Åautoø wieder auf498, jedoch ins Negative gewendet.499 Das eigene Werk muß sich nicht als Ruhm erweisen, es kann auch eine Last darstellen. Die gesamte Formulierung tó ¥dion fortùon bastâzein erinnert über Gal 6,2 (ållŒlwn tä bârv bastâzete)500 hinweg an Gal 5,10: ú dÄ tarâsswn ¡mé™ bastâsei tó krùma, Ñsti™ Éän ó.501 Mit Gal 5,10 verbindet Gal 6,5 nicht nur die Formulierung mit bastâzein, sondern auch das Thema „Status“. Dieses deutet Gal 5,10 mit dem Zusatz Ñsti™ Éän ó an, Gal 6,3 benennt es explizit für die Verse 6,3–5 (eÜ gär dokeû ti™ eRnaù ti mvdÄn Ïn). Im Rückbezug auf Gal 5,10 bekommt Gal 6,5 einen drohenden Klang: Ein jeder wird dem Urteil nicht entgehen, das der Lebensführung entspricht. Dieses Urteil hatte in Gal 5,10 eindeutig nega498 Vgl. Kuck, Burden 294; Hübner, Gesetz 87; Weiß, ThWNT IX 88; Schlier, Galater 274. Anders versteht ein Großteil der Exegeten fortùon als Wiederaufnahme von tä bârv aus Gal 6,2: vgl. Betz, Galaterbrief 516; Burton, Galatians 334; Lambrecht, Admonition 50; Mußner, Galaterbrief 401 f mit Anm. 36; vgl. Klein, Werkruhm 209. Versteht man jedoch Gal 6,5 als eine Art Neuformulierung von Gal 6,2, dann besteht ein Widerspruch zwischen beiden Sachaussagen, der sich nicht recht durch einen Hinweis mildern läßt wie z. B.: „(D)ie gegenseitige Hilfe beim Tragen der Lebenslast“ schließt nicht aus, „daß jeder lernen muß, mit sich selber fertig zu werden“ (Betz, Galaterbrief 517; vgl. einen alternativen Vermittlungsversuch zwischen Gal 6,2 und 6,5 bei Klein, Werkruhm 209). Um einem möglichen Widerspruch zwischen Gal 6,5 und 6,2 zu entgehen, schlägt Baumert vor, fortùon im Sinne von „,Frucht`, ,Ware` und in der Landwirtschaft ,Ertrag, Produkt, Ernte`“ aufzufassen (Gewinn 71). Dieses Verständnis von fortùon ist zwar theoretisch denkbar (vgl. Liddell/Scott/Jones, s. v. fortùon 2.b. 1952), es handelt sich jedoch um eine eher entlegene Bedeutung (vgl. trotz der Beteuerung Baumerts, fortùon hieße „vor allem ,Frucht, Ware`“ [Gewinn 71 {Hervorhebung von mir}], die Fülle der Belege bei Liddell/Scott/Jones für fortùon im Sinne von „Last, Bürde“ gegenüber den vereinzelten Stellen, an denen fortùon im vorgeschlagenen Sinn vorkommt [vgl. Liddell/Scott/Jones, s. v. fortùon 1952]). Zudem gewinnt dieses Verständnis bei Baumert seine Plausibilität erst durch den hinteren Kontext Gal 6,8 ff (vgl. Baumert, Gewinn 72 f). Es ist fraglich, ob die Hörerinnen und Hörer, die vom vorderen Kontext her die Bedeutung des Verses erschließen, den Vers in diesem Sinne auffassen können. – Für das Verständnis von Gal 6,5 entscheidend ist seine Abhängigkeit von Gal 6,4: Gal 6,5 folgt Gal 6,4 begründend. Bezieht man Gal 6,5 entsprechend auf die individuelle Verantwortlichkeit, besteht kein sachlicher Widerspruch zwischen Gal 6,5 und 6,2. Die gemeinschaftsordnende Grundregel, einander die Lasten zu tragen (6,2), stößt sich nicht mit der gleichzeitigen Aufforderung, das eigene Werk zu prüfen (6,4), weil letztlich jeder unvertretbar verantwortlich ist für sein individuelles Werk (6,5). Beides ist zu unterscheiden, wenngleich auch beides eng aufeinander bezogen ist (vgl. o. S. 158 ff). 499 Vgl. Weiß, ThWNT IX 88: „Im Bild von der Last . . . scheint im Vergleich zu den anderen Texten das Negative betont zu sein.“ 500 Zu einem Ausgleich der prima facie bestehenden Spannung zwischen Gal 6,5 und Gal 6,2 vgl. Anm. 498. 501 Vgl. Baumert, Gewinn 71 (Baumert schlägt jedoch eine andere Deutung des Verses vor: s. o. Anm. 498); Kuck, Burden 296; Lambrecht, Admonition 50 Anm. 70.

2. Textanalysen

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tive Bedeutung: Mit diesem Vers kündigte der Verfasser die zu erwartende Verurteilung der Gegner an. Indem der Verfasser in Gal 6,5 vom Werk als Last spricht, wird diese mögliche Negativbilanz vor Augen gestellt: Das eigene Werk kann sich als Last erweisen, was einer Verurteilung gleichkommt.502 Bei dieser Last wird jeder unvertretbar behaftet.503 Unter pragmatischem Gesichtspunkt wird die Aufforderung zur Prüfung des Eigenen (Gal 6,4) durch Gal 6,5 nachdrücklich motiviert.504 Gerade der mögliche Negativbescheid, der den Einzelnen treffen könnte, soll die Bereitschaft verstärken, der Aufforderung von Gal 6,4 nachzukommen. Die in Gal 6,3–5 formulierten Einsichten und Aufforderungen haben grundsätzliche Bedeutung. Sie sind für jegliche Gemeindesituation, für alle Christenmenschen relevant. Erneut ist jedoch deutlich, daß sie auch applizierbar sind auf die aktuelle Situation der Adressaten. Das Thema „Status und Selbsteinschätzung“ ist für die galatische Krise hochaktuell. Die realen Adressaten werden angehalten, eine Einschätzung zu revidieren wie die, daß die Zugehörigkeit zu der Gruppe derer, die Gesetzesgehorsam und Beschneidung akzeptieren, das Ansehen mit sich brächte, etwas zu sein. Der Verfasser hat die grundlegende Belehrung über die rechte Selbstein502 Der Vers trägt die an sich neutrale Aussage in sich, daß jeder sein eigenes Werk trägt, d. h. für die eigene Lebensführung verantwortlich ist. Theoretisch kann das Werk vom pneøma oder von der sârx bestimmt sein, es kann sich als Ruhm oder als Last erweisen. In beiden Fällen ist es als das eigene zu tragen. Mit der Formulierung von Gal 6,5 fokussiert der Verfasser jedoch nur die negative Variante, also den Fall, bei dem die Lebensführung nicht vom Geist bestimmt ist und so das eigene Werk eine Last ist; vgl. in dieser Richtung auch Hübner, Gesetz 87. 503 Daß an das göttliche Forum gedacht ist, vor dem Rechenschaft abzulegen ist, liegt nahe (vgl. auch o. zu Gal 5,10 S. 78 mit Anm. 84). Nicht so eindeutig läßt sich m. E. jedoch entscheiden, ob sich Gal 6,5 auf das kommende göttliche Gericht bezieht. So versteht die Mehrzahl der Exegeten den Vers (vgl. u. a. Hübner, Gesetz 87; Kuck, Burden 289 ff; Martyn, Galatians 550; Mußner, Galaterbrief 401 f; Oepke, Galater 190; Synofzik, Gerichts- und Vergeltungsaussagen 43 f; Schlier, Galater 274; Weiß, ThWNT IX 88; Vouga, Galater 148). Uneschatologisch fassen ihn auf z. B. Betz (Galaterbrief 516 f), Klein (Werkruhm 209), Lambrecht (Admonition 50) und vorsichtig in dieser Richtung auch Dunn (Galatians 326). Für die eschatologische Deutung spricht das Futur bastâsei. Dennoch ließe sich der Vers auch ohne die Aussicht auf das Endgericht verstehen, das der Verfasser ja auch nicht explizit nennt (vgl. Vouga, Galater 142 [ungeachtet seiner eigenen endzeitlichen Interpretation von Gal 6,5]). Eine Bilanzierung und Beurteilung der Lebensführung muß nicht ausschließlich dem Tag des Endgerichts vorbehalten bleiben, sondern ist jederzeit denkbar. Das zeigt Gal 2,11. Die Verurteilung des Petrus läßt wie in Gal 6,5 und 5,10 an das göttliche Forum denken, sie wird jedoch keineswegs zukünftig gedacht (kategnwsmìno™ rn). Das Futur von Gal 6,5 wäre dann nicht eschatologisch, sondern gnomisch aufzufassen (vgl. BDR § 349.1). 504 Vgl. Kuck, Burden 294.

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II. Eine textpragmatische Analyse von Gal 5 und 6

schätzung des eigenen Status also ganz offensichtlich mit Blick auf diese aktuelle Situation entworfen.505 Wiederum hängt die Grundsätzlichkeit der Belehrung mit der rhetorischen Situation zusammen: Der Verfasser verständigt sich mit Pneumatikern über christliche Grundeinsichten hinsichtlich des Gemeinschaftsleben.506 Gal 6,6 nennt einen weiteren Grundsatz für das Miteinander innerhalb der Gemeinschaft der Christusgläubigen. Betz schreibt stellvertretend für manche Ausleger: „Die letzte Maxime ist sicher die rätselhafteste im ganzen Brief.“507 Mit dem seit Gal 5,26 dominierenden Thema „Gemeinschaftswiederherstellung und -erhaltung“ ist Gal 6,6 durch das pointiert vorangestellte koinwneùtw verbunden.508 Der Vers nimmt eine besondere Variante der Gemeinschaft in den Blick: die zwischen dem Unterweisenden und dem Unterwiesenen.509 Gal 6,6 stellt grundsätzlich die Verantwortung des Unterwiesenen für die positive Gemeinschaft mit dem Lehrer heraus. Die weitgefaßte Formulierung koinwneûn Én pésin ågahoû™ läßt sich dabei kaum auf eine konkrete

505 Daß der Abschnitt zu einer solchen Anwendung drängt, zeigt nicht nur Gal 5,26 mit der adressatenbezogenen Nennung des Stichworts kenodoxùa, sondern vor allem die bereits angedeutete Anwendung auf die galatische Situation in Gal 5,10. Dieser Vers ruft seinerseits den historischen Modellfall ab mit seiner „theologisch-kritische(n) Relativierung“ (Vouga, Galater 46) der Geltung derer, die Ansehen haben (Gal 2,2. 6. 9); vgl. o. zu Gal 5,10 S. 77 f. 506 S. dazu noch einmal o. S. 150 f. 507 Betz, Galaterbrief 517; vgl. Barclay, Truth 162; Becker, Galater 93; Dunn, Galatians 326; Longenecker, Galatians 278; Mußner, Galaterbrief 402. 508 Zum grundsätzlichen Verständnis von koinwneûn vgl. Hainz, Koinonia 76–79. – Eine direkte terminologische Verbindung von Gal 6,6 besteht zu Gal 2,9: oÖ dokoønte™ støloi eRnai, dexiä™ ôdwkan Émoÿ kaÿ BarnabÉ koinwn·aß (vgl. Barclay, Truth 163; Hainz, Koinonia 62). Neben dieser terminologischen Beziehung findet sich auch das Stichwort dokeûn. Daran zeigt sich, daß Gal 6,6 noch ganz im Rahmen des Themas steht, das die vorangegangenen Verse bestimmt. Diese Verbindung zum vorderen Kontext spricht auch gegen eine Textabgrenzung, nach der mit Gal 6,6 ein neuer Abschnitt beginnen soll (so Lietzmann, Galater 40. 42; Burton, Galatians 334; Borse, Galater 212; vgl. dazu auch o. S. 144 mit Anm. 398). 509 Es erscheint nicht unmöglich, aus der Bezeichnung ú katvcÂn bzw. ú katvco‹meno™ auf einen Berufsstand der Katecheten zu schließen (vgl. Beyer, ThWNT III 639; Betz, Galaterbrief 519; Burton, Galatians 335; Dunn, Galatians 328; Martyn, Galatians 552). Ein solcher Rückschluß muß jedoch fraglich bleiben, denn eindeutig ist katvceûn als „terminus technicus für den Katechumenenunterricht“ (Vouga, Galater 149) erst später, im 2. Clemensbrief, belegt (2 Clem 17,1; vgl. Vouga, Galater 149, aber auch Betz selbst Galaterbrief 519; zu 2 Clem 17,1 s. auch Beyer, ThWNT III 639). Von daher liegt es näher, Gal 6,6 unspezifisch aufzufassen. Der Verfasser meint generell jegliche denkbare Beziehung zwischen jemandem, der das Wort unterrichtet, und dem, den es gelehrt wird, ohne daß dieses Verhältnis zwingend institutionell gefaßt ist (vgl. Hainz, Koinonia 72; Oepke, Galater 191). Daß in Gal 6,6 christliche Unterweisung gemeint ist, ergibt sich aufgrund des Kontextes sowie durch den Zusatz ú lígo™ (ú katvco‹meno™ tón lígon); vgl. Burton, Galatians 337; Longenecker, Galatians 278.

2. Textanalysen

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Bedeutung festlegen.510 Durch die semantische Verbindung zu ågahws‹nv im Tugendkatalog (Gal 5,22) wird die Aufforderung zum Anteil-Geben an allem Guten als pneøma-gemäßes Verhalten qualifiziert.511 Unter pragmatischem Gesichtspunkt intensiviert der Verfasser mit Gal 6,6 erneut das Gespräch mit seinen Adressaten, indem er wie in Gal 6,4 den Vers nicht als Aussage gestaltet, sondern als unpersönliche Aufforderung. Auch im Falle dieser Anweisung ist zu sehen, daß sie unbeschadet ihrer Allgemeingültigkeit auf die aktuelle Adressatensituation anwendbar und offensichtlich auch auf diese hin entworfen ist. Bei Gal 6,6 handelt es sich nicht um eine unvermittelt eingeführte „Briefkonvention“512, noch will der Verfasser „ohne sachlich erkennbaren Zusammenhang zum Voranstehenden und ohne neue Motivation“ den allgemeinen Grundsatz mitteilen: „(Z)um geistlichen Leben der Gemeinde“ gehört „auch die Sorge um den Unterhalt der Lehrer.“513 Das in Gal 6,6 skizzierte Verhältnis von Unterweisendem und Unterwiesenem benennt vielmehr abstrahierend das Verhältnis zwischen den Adressaten und dem Verfasser selbst.514 Der Apostel ist

510 Tä ågahâ ist in gleicher Weise unspezifisch aufzufassen wie tä bârv und à ågâpv in Gal 6,2 bzw. Gal 5,13c (s. o. zu Gal 6,2). Von daher ist eine Festlegung auf materielle Unterstützung nicht vom Text nahegelegt. Solche kann gemeint sein, ist aber sicher nicht nur gemeint (vgl. Lietzmann, Galater 42; Longenecker, Galatians 278 f; Schlier, Galater 275 f; Vouga, Galater 149; vgl. den Versuch von Hainz [Koinonia 79–89], zwischen voller Gütergemeinschaft und gegenseitigem „Anteil geben an den jeweils mitteilbaren Gütern“ [Koinonia 89] zu differenzieren). Primär auf materielle Unterstützung deuten Gal 6,6 Becker (Galater 94), Borse (Galater 212–214), Matera (Galatians 222), Mußner (Galaterbrief 403), Dunn (Galatians 326–328), Strelan (Burden-Bearing 272), Betz (Galaterbrief 519) und Barclay (Truth 163 Anm. 61; letztere relativieren ihre Auffassung jedoch sogleich; vgl. ähnlich relativierend Lambrecht, Admonition 51). Unklar ist die Position von Burton, der zum einen davon ausgeht: „(I)t is a class of paid teachers to which the verse refers“ (Galatians 335 [Hervorhebung von mir]), für tä ågahâ jedoch dann eine Festlegung auf materielle Unterstützung ablehnt (vgl. Burton, Galatians 338). Oepke weist die Deutung auf Materielles grundsätzlich ab. Tä ågahâ bezieht sich s. M. nach auf „sittlich-religiöse Güter“ (Galater 192), so daß Gal 6,6 dazu auffordere: „Dem Wort und Vorbild des Lehrers folgend, strebe er (der Unterwiesene; Verf.) der Vollkommenheit nach!“ (Galater 193; vgl. in dieser Richtung, wenn auch vorsichtiger, Eckert, Verkündigung 146 f). Doch diese Auslegung legt tä ågahâ ebenso einseitig fest wie die rein materielle Deutung und ist deshalb ebenfalls abzulehnen zugunsten eines grundsätzlich offenen Verständnisses. 511 Vgl. Barclay, Truth 163. 512 So die Überlegung bei Betz, Galaterbrief 520. 513 Becker, Galater 93. 94. 514 Vgl. die in diese Richtung gehende Überlegung bei Oepke: „Der Satz läßt sich allenfalls auch generell verstehen, so daß z. B. auch das Verhältnis des Apostels zu den Galatern darunter fallen könnte“ (Galater 191 [Hervorhebung von mir]; vgl. Bachmann, Sünder 121). Vgl. auch Borse, der Paulus „an erster Stelle“ als „Lehrer der Gläubigen“ nennt, aber sogleich hinzusetzt, dieser denke „bei der Forderung der Gütergemeinschaft jedoch nicht an sich“ (Galater 213; vgl. zur weiteren Begründung Borse, Galater 213 f).

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II. Eine textpragmatische Analyse von Gal 5 und 6

derjenige, der den Adressaten das Evangelium verkündigt hat, der sie im Wort unterwiesen hat und dies gegenwärtig erneut tut in Form seines Briefes. In der konkreten Kommunikationssituation entspricht er dem Typus ú katvcÂn.515 Das Verb katvceûn faßt die Aspekte „Verkündigung“ und „Unterweisung“ in sich, wenngleich das Moment der Unterweisung im Vordergrund steht.516 Daß der Verfasser, der sich bislang eher als der Verkündiger des Evangeliums vorgestellt hat (vgl. Gal 1,11 [vgl. 1,8]; 1,16. 23; 3,1), sich hier in der Rolle des Unterweisenden präsentiert, hat seinen Grund darin, daß er nun auf das verweist, was er aktuell mit seinem Brief tut: Er belehrt die Adressaten noch einmal grundsätzlich über das, was allgemein in Christus gilt.517 Entsprechend bilden die Adressaten eine Konkretion des Typus ú katvco‹meno™ tón lígon. Sie sind diejenigen, die Verkündigung und Lehre empfangen haben bzw. gegenwärtig vermittels des Briefes empfangen. Guten Sinn macht die Anweisung von Gal 6,6 auf dem Hintergrund dessen, daß das Verhältnis zwischen dem Apostel als katvcÂn der Gemeinde und den Adressaten augenblicklich massiv gestört ist, wie der Brief im allgemeinen, Gal 4,16 im speziellen, zeigt. Aufgrund dieses konkreten Anhalts im Brief ist diese Applikation auch der Annahme vorzuziehen, ú katvcÂn sei auf „some members of the community devoted much of their time to the instruction of others and were dependent upon offerings from others for their livelihood“518, oder konkreter: Paulus wolle die Unterstützung der Lehrer erreichen, die noch das paulinische Evangelium vertreten und von den Gegnern ersetzt zu werden drohen.519 Diese Annahmen sind zwar theoretisch denkbar, es findet sich jedoch im Brief kein derart expliziter Hinweis auf eine solche Lage wie auf die Störung des Verhältnisses zwischen Verfasser und Adressaten. Die Befriedung dieser Beziehung hat, wie schon oben herausgestellt, theologische Bedeutung, insofern sie um der Einheit in Christus willen notwendig ist.520 Mit der Aufforderung von Gal 6,6 weist der Verfasser seinen Adressaten die Initiative zu, die Gemeinschaft zwischen ihnen wiederherzustellen. Sie, die Unterwiesenen, sind diejenigen, die gemäß der

515 Vgl. o. S. 168 Anm. 509. 516 Das Verb katvceûn hat die Grundbedeutungen „etwas berichten, mitteilen“ und „jemanden unterrichten, unterweisen, belehren“ (vgl. Beyer, ThWNT III 638; Burton, Galatians 336 f). Aufgrund dieser beiden Bedeutungen lassen sich Verkündigung und Unterweisung nicht strikt voneinander trennen. 517 Vgl. dazu auch u. S. 187 f (vgl. auch S. 192 ff). 518 Matera, Galatians 222. 519 Vgl. Martyn, Galatians 552; vgl. Longenecker, Galatians 278. 520 S. dazu o. zu Gal 5,26 S. 142; zu der zudem besonders qualifizierten Beziehung zwischen Apostel und Gemeinde vgl. o. S. 114 f Anm. 273.

2. Textanalysen

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Grundregel aufgefordert sind, ihm, dem Unterweisenden, Anteil zu geben an allem Guten. Für Gal 6,1–6 ist folgendes festzuhalten: Unter sachlicher Perspektive steht in diesem Abschnitt das Thema „Gemeinschaftswiederherstellung bzw. -erhaltung“ im Mittelpunkt. Der Verfasser nennt mehrere Grundsätze, die das irdisch-soziale Miteinander der Christusgläubigen regeln sollen. Die Grundregel der Reintegration (Gal 6,1) entspricht dem zentralen Liebesgebot, das in Gal 6,2a als Aufforderung zum wechselseitigen Lastentragen variiert wird. Den Gehorsam gegenüber diesem Gebot kennzeichnet der Verfasser als Gesetzeserfüllung (Gal 6,2). Mit Gal 6,2b ist die Reklamierung des Gesetzes als der umstrittenen Größe des Briefes für die göttliche Sphäre endgültig abgeschlossen und „Gesetzesgehorsam“ umdefiniert in „Befolgung des Liebesgebotes“. Mit Gal 6,3–5 wendet sich der Verfasser der individuellen Dimension des Themas „Gemeinschaftswiederherstellung bzw. -erhaltung“ zu, der Einschätzung des eigenen Status. In Christus gilt grundsätzlich der gleiche Status aller (Gal 6,3). „Ansehen“ gründet allein im Eigenen, das sich letztlich Gott verdankt (Gal 6,4. 5). Ein Anspruch gegenüber anderen ist nicht aus ihm ableitbar, womit jegliche Gemeinschaftsstruktur, die nach Maßgabe von Ruhm und Ansehen hierarchisch gestaltet ist, im Herrschaftsbereich Christi außer Kraft gesetzt ist. Gal 6,6 nimmt schließlich die besondere Gemeinschaftsvariante Unterweisender – Unterwiesener in den Blick und stellt die Verantwortung des Unterwiesenen für diese Gemeinschaft heraus. Die Form unspezifischer Grundsatzrede ist als textstrategisches Mittel aufzufassen, das mit der rhetorischen Situation zusammenhängt. Der Verfasser wendet sich an die Adressaten, die rhetorisch als pneumatikoù zurückgewonnen sind (Gal 6,1), und bietet ihnen ein Set allgemeingültiger Grundsätze an für den Umgang von Pneumatikern mit der Gestaltung ihrer Gemeinschaft.521 Das ermöglicht ihm, den realen Adressaten jenseits ihrer aktuellen Situation Leitlinien zur Wiederherstellung und -erhaltung ihrer Gemeinschaft im Sinne des Verfassers an die Hand zu geben. Alle genannten Grundregeln sind unmittelbar applizierbar auf die gegenwärtige Adressatensituation, d. h. in Entsprechung zu den aktuellen Problempunkten ausgewählt und gestaltet: Die galatische Situation ist geprägt durch Gemeinschaftszerstörung, die durch die Annahme gespeist wird, aufgrund der Akzeptanz von Gesetzesgehorsam und Beschneidung besonderes Ansehen zu haben. Entsprechend nennen Gal 6,1–6 Regeln und Einsichten, die spiegelbildlich die Adressaten an diesen neuralgischen Punkten positiv 521 Vgl. Matera, Culmination 86.

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II. Eine textpragmatische Analyse von Gal 5 und 6

prägen sollen: Gal 6,1–2 und 6,6 ordnen an, die Gemeinschaft wiederherzustellen, die Verse Gal 6,3–5 leiten zur angemessenen Einschätzung eigenen Ansehens an. Der Abschnitt Gal 6,1–6 dient also unter pragmatischer Perspektive dazu, die Adressaten – spiegelbildlich zu ihrer aktuellen Situation – positiv zu prägen.522

2.6 Gal 6,7–10 Mit Gal 6,7a erfolgt ein textpragmatischer Einschnitt. Der Verfasser spricht seine Adressaten wieder direkt an und warnt sie nachdrücklich vor einer Fehleinschätzung: mÀ planéshe, heó™ o« muktvrùzetai. Mit dieser Warnung stellt der Verfasser die vorangegangenen Grundregeln, die die irdische Gemeinschaft der Christusgläubigen betreffen, in unmittelbare Verbindung zu Gott. An der Akzeptanz oder Nichtakzeptanz der Grundregeln hängt mehr, als die Adressaten glauben könnten: nämlich Verachtung523 oder Verehrung Gottes. Die Verse Gal 6,7b–8 führen aus, was das anthropologisch gewendet bedeutet: eschatologisches Heil oder Unheil, Vergängliches oder ewiges Leben. Gal 6,7b nennt eine „elementare(), allgemein zugängliche() . . . Erfahrungsweisheit“524 in Form eines gängigen Sprichwortes: Was der Mensch sät, wird er ernten. Es besteht ein kausaler Zusammenhang zwischen Tun und Ergehen.525 Mit Gal 6,8a und Gal 6,8b reformuliert der Verfasser diesen Grundsatz von seinem Verständnis menschlicher Existenz her, die er bestimmt sieht von den alternativen Mächten sârx und pneøma.526 Dessen Sachaussage 522 Vgl. Esler, der meint, Paulus versuche in Gal 5,13 ff eine positive Gruppenidentität zu prägen, die sich besonders im Abschnitt Gal 6,1–10 „family imagery figures“ bediene (Esler, Family 175; vgl. kritisch zu der Familienterminologie van Henten, Family 185 ff): „The last section of the passage, Gal 6:1–10, is framed with the language of fictive kinship, since it begins with another address to brothers (6:1) and concludes with mention of the housemembers of the faith (6:10). In 6:1–6 he advices on ways of encouraging behaviour appropriate to the congregations and their identity“ (Esler, Family 179). Auch Eslers Auslegung stellt den rhetorisch prägenden Charakter des Abschnittes heraus. Gegenüber Esler vermag die hier vorgeschlagene Auffassung jedoch weitaus gezielter zu bestimmen, warum der Verfasser in gerade dieser Adressatensituation diese „Identität“ prägen will, die er in Gal 6,1–6 thematisiert. 523 Vgl. zu muktvrùzein Preisker, ThWNT IV 803; Betz, Galaterbrief 520 f; Vouga, Galater 150. 524 Stoevesandt, Säen 298. 525 Vgl. Becker, Galater 95; Betz, Galaterbrief 521; Vouga, Galater 150; zu den Parallelen vgl. vor allem Dunn, Galatians 329 f; Longenecker, Galatians 280. 526 Vgl. Betz, Galaterbrief 522; Dunn, Galatians 330; Dschulnigg, Überlegungen 28 f; Longenecker, Galatians 280.

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wird damit modifiziert. Durch den Rekurs auf die Mächte lenkt der Verfasser den Blick vom Säen und Ernten des Menschen, das in der allgemeinen Erfahrungsweisheit von Gal 6,7b im Mittelpunkt steht, auf den Bezugsrahmen, in dem Säen und Ernten stehen.527 Damit wird der Grundgedanke der früheren Ausführungen aufgenommen, daß der Mensch letztlich nicht eigenmächtig sät bzw. lebt528, sondern wesentlich von der Macht bestimmt ist, der er untersteht. Der Mensch kann ausgerichtet auf das Fleisch leben und handeln (eÜ™ tÀn sârka) oder auf den Geist (eÜ™ tó pneøma). Er kann aus dem Bereich der sârx heraus säen, handeln, leben und dann folgerichtig Ék tœ™ sarkí™ ernten oder aus dem Bereich des pneøma (Ék toø pne‹mato™).529 In Gal 6,8 richtet der Verfasser die Aufmerksamkeit auf die innere Dynamik der Machtbereiche, in denen sich der Mensch bewegt. Die Aussagen „zeigen . . . die eschatologische Konsequenz eines Lebens katä sârka bzw. katä pneøma auf.“530 Leben in der Bezogenheit auf die sârx führt zu Vergänglichem, was sich folgerichtig aus dieser Sphäre ergibt: Irdisch-Vergängliches kann nichts anderes aus sich entlassen als Irdisch-Vergängliches. Lebt der Mensch bezogen auf die Sphäre des „Nur-Menschlichen“, so verbleibt er auch gänzlich in ihr und dem, was sie ausmacht und zu bieten hat. Von IrdischVergänglichem läßt sich nur Vergängliches ernten, fhorâ531 (Gal 6,8a). 527 Vgl. ähnlich Synofzik, Gerichts- und Vergeltungsaussagen 73; Martyn, Galatians 553. 528 Auf der Linie des zuvor über die Mächte Gesagten übersteigt das Bild vom Säen den Bereich menschlichen Tuns im engeren Sinne und umfaßt nun die Gesamtausrichtung menschlicher Existenz. 529 Nicht zwingend erscheint es mir, Ék tœ™ sarkí™ bzw. Ék toø pne‹mato™ als präpositionale Ergänzungen ausschließlich zum Verb herùzein zu ziehen (vgl. so Becker, Galater 94 f; Betz, Galaterbrief 495. 522 f; Dunn, Galatians 328; Lietzmann, Galater 42; Longenecker, Galatians 280 f; Matera, Galatians 216; Martyn, Galatians 552 f; Mußner, Galaterbrief 404 f; Schlier, Galater 268. 277; Vouga, Galater 149. 151). So bezogen qualifiziert Ék tœ™ sarkí™ bzw. Ék toø pne‹mato™ das „Ackerland“, von dem geerntet wird (Becker, Galater 95; vgl. Betz, Galaterbrief 522 f; Mußner, Galaterbrief 405). Von der Stellung her lassen sich die Wendungen jedoch nicht nur zu herùzein ziehen, sondern können auch als weitere Umstandsbeschreibung des Partizips ú speùrwn verstanden werden. Dann benennen die aufeinander folgenden Präpositionalwendungen mit eÜ™ und Ék das Woraufhin und das Woraus des Säens bzw. des Lebens. Bei dieser Lösung steht stärker als bei der ersteren der Gedanke im Vordergrund, daß der Mensch sich bereits immer schon in einem Bereich vorfindet, aus dem heraus (Ék) und nach dessen Logik er handelt (eÜ™). Eine Entscheidung zwischen beiden Bezugs- und Bedeutungsmöglichkeiten ist m. E. weder möglich noch nötig. Beide Bedeutungsnuancen sind im Text selbst angelegt. 530 Synofzik, Gerichts- und Vergeltungsaussagen 73. 531 Da fhorâ im Zusammenhang mit sârx, dem Bereich des Irdisch-Vergänglichen, genannt wird, steht die Bedeutung „Vergängliches“ an dieser Stelle im Vordergrund (vgl. Burton, Galatians 342; Dunn, Galatians 330; Matera, Galatians 216; vgl. zu dieser Bedeutungsmöglichkeit von fhorâ Bauer/Aland, s. v. fhorâ 1. 1710 f; Harder, ThWNT IX 104 f; Baumert [Gewinn 74], der vom „innergeschichtlichen Verlust von Leben“ spricht). Diesen Zusammenhang zwischen sârx und fhorâ verdeckt die Wiedergabe von fhorâ mit „Ver-

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II. Eine textpragmatische Analyse von Gal 5 und 6

Demgegenüber gilt dem Leben in der Bezogenheit auf den Geist, Leben, das sich dem Geist verdankt, die Zusage ewigen Lebens (Gal 6,8b). Die in Aussicht gestellte Ernte muß nicht ausschließlich als Ernte beim eschatologischen Endgericht verstanden werden. Da bereits jetzt und diesseitig unter der Herrschaft des Fleisches oder des Geistes gelebt wird, kann sich auch die Ernte, Vergängliches oder ewiges Leben, bereits jetzt und diesseitig zeigen.532 derben“ (so Becker, Galater 94; Betz, Galaterbrief 523 [im Anschluß an Harder, ThWNT IX 105]; Mußner, Galaterbrief 405), „destruction“ (Longenecker, Galatians 280 f) oder „Untergang“ (vgl. Bauer/Aland, s. v. fhorâ 4. 1711; Schlier, Galater 277) und läßt vorschnell an das endzeitliche Geschick denken. Zu der Annahme, fhorâ und zwÀ aÜÈnio™ seien rein zukünftige Größen, die sich erst im endzeitlichen Gericht offenbaren, vgl. aber Anm. 532. – Nicht ganz deutlich ist mir Vougas Auskunft: „Der eschatologische Charakter der zwÀ aÜÈnio™ setzt nicht voraus, daß fhorâ auch eschatologisch gemeint ist“ (Galater 151; vgl. nämlich Galater 142, wo Vouga fhorâ offenbar eschatologisch versteht). Will er diesen Gedanken jedoch gegen die Annahme gesetzt wissen, fhorâ bezeichne „,nicht einfach das Erlöschen der physischen Existenz, sondern das ewige Versinken im Hades, ein hoffnungsloses Todesgeschick` . . ., sozusagen eine endlose Hinrichtung!“ (Oepke, Galater 195 unter Aufnahme von Oepke, ThWNT I 395 [Hervorhebung von mir]), dann ist ihm zuzustimmen: Es gibt keine Veranlassung von seiten des Textes, mit fhorâ ewige Höllenqualen zu verbinden, einmal weniger, wenn fhorâ auch die diesseitige, gegenwärtige Ernte bezeichnen kann. Der Ausdruck ist m. E. für Paulus gar nicht derart dramatisch aufgeladen, sondern zieht eher nüchtern die Konsequenz aus der Tatsache, daß der Mensch und die jetzige Welt vergänglich sind, was mit sich bringt, daß von ihnen auch nichts anderes als Vergängliches zu erwarten ist. (Zudem muß theoretisch auch nicht alles Vergängliche gleich schlecht sein, wie der Terminus sârx zeigt [vgl. o. den Exkurs: Zur Verwendung von sârx in Gal 1,1–5,12]. In Gal 6,8a ist fhorâ allerdings ohne Frage negativ konnotiert wegen des Gegensatzes zu zwÀ aÜÈnio™.) 532 Vgl. Stoevesandt: „Das ewige Leben ist . . . die göttliche Ratifikation der göttlichen Rechtfertigungstat. Es steht aber nicht abseits, in einem unerreichbar verschlossenen Jenseits dem gegenwärtigen Leben gegenüber. Im Umgang gewöhnlicher Menschen miteinander . . ., in, mit und unter ihrem . . . Tun läßt sich das ewige Leben schmecken und wird ihrem . . . Tun der Rang ewiger Bedeutung . . . zugesprochen, ohne daß unsereiner darauf den Finger legen könnte“ (Säen 310). In der Regel werden fhorâ und zwÀ aÜÈnio™ ausschließlich rein zukünftig eschatologisch verstanden und auf das Gericht Gottes bezogen (vgl. Becker, Galater 95; Betz, Galaterbrief 521 f; Hauck, ThWNT III 133; Mußner, Galaterbrief 405; Schlier, Galater 277; Synofzik, Gerichts- und Vergeltungsaussagen 73). Unzweifelhaft ist, daß diese endzeitliche „Ernte“ gemeint ist. Doch ist damit nicht ausgeschlossen, daß diese eschatologischen Größen bereits die Gegenwart bestimmen (vgl. Baumert, Gewinn 74; Stoevesandt, Säen 310; Vouga, Galater 151; Synofzik, Gerichts- und Vergeltungsaussagen 73 [Synofzik erwägt den gegenwärtigen Aspekt von fhorâ und zwŒ auf dem Hintergrund von Röm 8, versteht Gal 6,8 jedoch letztlich zukünftig eschatologisch]). Für diese Auffassung von Gal 6,8 spricht, daß zwÀ aÜÈnio™ an sich zwar „ein eschatologischer, aber nicht unbedingt endzeitlicher Begriff“ ist (Vouga, Galater 151 [vgl. 142 f]; vgl. Bultmann, ThWNT II 868–871). Das wichtigere Argument jedoch ist, daß der Text selbst sich keineswegs nur auf die rein endzeitliche Variante festlegen läßt: Explizit ist nicht vom endzeitlichen Gerichtstag die Rede. Aus dem Bild vom Säen und Ernten läßt sich die reine Zukünftigkeit auch nicht zwingend erweisen, da sich die „Vorstellung der göttlichen Vergeltung“, die sich mit der Metapher vom Säen und Ernten verbindet, sowohl „im Sinne immanenter Lebenserfahrung

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Die Sachaussage von Gal 6,8 zielt nicht darauf, den Menschen nun doch als letztlich allein verantwortlich für sein Heil hinzustellen, so wie einige Ausleger meinen: „Gott läßt den Menschen in seinen Taten sich sein Geschick selbst besorgen. Er gibt ihm die Freiheit zu säen, worauf er will, und also zu ernten, was er will“.533 Mit Stoevesandt „reibt (man) sich die Augen“534: Die Absolutheit, in der hier dem Menschen die alleinige Verantwortung für sein Heil zugeschrieben wird, stellt so ziemlich alles in Frage, was Paulus in seinem Brief entfaltet hat. Im Blick auf den konkreten Einzelvers wird dessen Sachaussage nur recht einseitig zum Zuge gebracht, wenn man ihn im oben genannten Sinne verstehen will. Die Auslegung übergeht, daß der Apostel das „erkennbare Gesetz der Entsprechung zwischen Saat und Ernte“, nach dem Gott am Ende der Tage Gerettete und Verdammte voneinander scheiden soll535, wesentlich modifiziert hat: Mit seiner „Interpretation mittels der Antithese Fleisch und Geist überschreitet Paulus den traditionellen Vergeltungsgedanken“.536 Durch die Reformulierung unter dem Gesichtspunkt der Mächte hat sich der Aussageschwerpunkt verschoben. Es geht nicht mehr primär um den Säenden und seine Tat, sondern um die Mächte und um die Endresultate, „die in dem Wirken von Fleisch und Geist beschlossen“ liegen.537 Daß die Herrschaftsbereiche im Mittelpunkt der Aussage stehen, zeigen nicht zuletzt die genannten Endresultate: Diese wohnen den Mächten inne und können nicht durch menschliches Tun erwirkt werden, wie besonders der Ertrag „ewiges Leben“ deutlich macht.538 Nach dem, was der Verfasser mit Gal 5,16 ff zur Herrschaft der Mächte über den Menschen gesagt hat, läßt sich Gal 6,8 schlecht abseits des für Paulus typischen Ineinanders von Eigenverantwortung und Fremdbestimmung verstehen.539 Eine Auslegung von Gal 6,8 wird schief, die den Machtaspekt ausblendet. Die entscheidende Sachfrage ist, wie groß man den Entscheidungsspielraum ansetzt, den der Mensch inmitten der Fremdbestimmung durch die Mächte hat.

oder eschatologischen Gerichtes“ verstehen läßt (Betz, Galaterbrief 521). Das Futur herùsei läßt sich ebenfalls nicht eindeutig auswerten, da es sich auch ohne weiteres logisch auffassen läßt (vgl. Baumert, Gewinn 75 f; auch der Hinweis auf Gal 6,9 hilft wenig weiter [vgl. Synofzik, Gerichts- und Vergeltungsaussagen 73 Anm. 87], denn zum einen läßt sich die Bedeutung eines Verses nicht von folgenden Versen her festlegen, und zum anderen stellt sich bei Gal 6,9 dasselbe Problem: Auch hier liegt kein eindeutig temporales Futur vor [vgl. dazu u. S. 179 mit Anm. 556]). Vgl. grundsätzlich zur Frage der Gegenwärtig- bzw. Zukünftigkeit ewigen Lebens im paulinischen Denken Klein, Aspekte 48 ff. 533 Schlier, Galater 277 (Hervorhebung von mir); vgl. Hauck, ThWNT III 133; Mußner (Galaterbrief 405 f), der sich Schliers Auffassung anschließt und vor allem den Aspekt der Entscheidungsfreiheit betont; vgl. in ähnlicher Richtung Betz, Galaterbrief 521 f; Barclay, Truth 165. 534 Stoevesandt, Säen 297. 535 Hauck, ThWNT III 133. 536 Synofzik, Gerichts- und Vergeltungsaussagen 73; vgl. Dschulnigg, Überlegungen 29. 537 Synofzik, Gerichts- und Vergeltungsaussagen 73; vgl. Baumert, Gewinn 85; s. auch o. S. 172 ff. 538 Vgl. dazu bes. Stoevesandt, Säen 310 f; s. auch Synofzik, Gerichts- und Vergeltungsaussagen 73. 539 Vgl. o. S. 119 ff.

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II. Eine textpragmatische Analyse von Gal 5 und 6

Mußner z. B. setzt ihn sehr groß an, so daß er von echter Wahlfreiheit ausgeht.540 Das ist jedoch in Anbetracht der Ausführungen von Gal 5,16 ff kaum einsichtig zu machen. Von hier legt es sich kaum nahe, daß der Mensch gänzlich frei zwischen Fleisch und Geist wählen und damit selbst über sein Geschick entscheiden kann, sondern es gilt wohl eher, was Käsemann festhält: „Der Mensch hat sich nicht in eigener Regie. Sein Heil und Unheil liegt in seinem jeweiligen Herrn“.541 Bei einem solchen Verständnis ist die Autonomie des Menschen so minim wie eben möglich anzusetzen, ohne jedoch die Grenze zum Determinismus zu überschreiten. Menschliche Verantwortung kann dann als die Aufgabe beschrieben werden, „treu erfunden zu werden und in der Profanität des Alltags Gott zu dienen“542, oder anders formuliert: die Herrschaft Gottes anzuerkennen, sich der göttlichen Macht zur Verfügung zu stellen und gegen den Angriff der widergöttlichen Macht beim gegebenen Herrn und in seiner Herrschaft zu bleiben.543

Mit Gal 6,7 und 6,8 stellt der Verfasser das in den Grundregeln benannte Verhalten der irdischen Gemeinschaft der Christusgläubigen (Gal 6,1–6) in den Horizont der konkurrierenden Mächte. Nachdem er sich mit Gal 5,25–6,6 ganz auf die Innenperspektive des pneøma-Bereiches konzentriert hat, weitet er die Perspektive und nimmt erneut wie in Gal 5,16 ff den grundsätzlichen Konflikt zwischen den beiden Mächte in den Blick, die um den Menschen ringen. Gegenüber Gal 5,16 ff formuliert er dabei aus der anthropologischen Innenperspektive, d. h. aus der Sicht des Menschen, der unter der Herrschaft der Mächte lebt und handelt (ú speùrwn).544 Die Wiederaufnahme der Antithese sârx – pneøma zeigt, daß Gal 6,7 und 6,8 über die Konzentration auf den pneøma-Bereich in Gal 5,25–6,6 hinaus die gesamten Ausführungen über die aktuelle galatische Situation im Spannungsfeld von sârx und pneøma kommentieren, die der Verfasser ab Gal 5,13 entfaltet hat.545 Das Vorangegangene wird unter der Perspektive der Machtbereiche gebündelt. Die Konkretisierungen der Kategorien sârx und pneøma in den Versen Gal 5,13 ff gehen wieder in ihren übergeordneten Kategorien auf: Die Konkretion der Herrschaft der sârx in der „Akzeptanz von Gesetzesgehorsam und Beschneidung“ (Gal 5,13b. 18) und des damit verbundenen „gemeinschaftszerstörenden Verhaltens“ (Gal 5,15. 19–21b. 26) wird 540 Vgl. Mußner, Galaterbrief 405. 541 Käsemann, Anthropologie 55; vgl. Taeger, Paulus 101. 108. 542 Käsemann, Anthropologie 57. 543 Vgl. Käsemann, Gottesgerechtigkeit 188. S. auch Klein, der die menschliche Antwort auf das göttliche Handeln „nicht als freie() Willensentscheidung eines autonomem Subjekts, sondern als abgenötigte (um nicht zu sagen: abgeschmeichelte) und jedenfalls zutiefst ins Dasein einschneidende Antwort auf Gottes schöpferischen Ruf“ beschreibt (Aspekte 59). 544 Das stellt nicht in Frage, daß der Mensch grundsätzlich von den Mächten bestimmt ist: Als grammatisches Subjekt ist ú speùrwn noch nicht autonom Handelnder. 545 Vgl. Barclay, Truth 164: „This final reference to flesh/Spirit sums up Paul’s exhortation, and, indeed, the message of the whole letter“; s. auch Burton, Galatians 340; Dunn, Galatians 330.

2. Textanalysen

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in dem Bild „Säen auf das eigene Fleisch“546 zusammengefaßt. Die Konkretisierung der Herrschaft des pneøma im gemeinschaftsfördernden Verhalten unter dem Zeichen der Liebe, das die egalitäre Gemeinschaft aller in Christus Gestalt gewinnen läßt (Gal 5,6. 13c. 22–23a; 6,1–6), findet im „Säen auf den Geist“ seinen zusammenfassenden Ausdruck. Das pointierte Aufzeigen der eschatologischen Ernte, die die Mächte aus sich entlassen, geht sachlich über die vorangegangenen grundsätzlichen Ausführungen über sârx und pneøma hinaus. Gal 5,15 und 5,21b deuteten zwar bereits an, was von der sârx zu erwarten ist, führten dies aber nicht aus.547 Ganz neu ist zudem das Stichwort zwÀ aÜÈnio™.548 Die Einleitung der Verse 6,7–8 mit mÀ planéshe (Gal 6,7a) verwandelt die verobjektivierte „Aufklärung“ über Dynamik und „Endprodukt“ der Herrschaftsbereiche in Gal 6,8 in eine Warnung an die Adressaten – eine Warnung, die sie in ihrer aktuellen Situation trifft. Die eschatologische Alternative, die ihnen vor Augen geführt wird, ist die ihre: Sie werden Vergängliches ernten, wenn sie Gesetzesgehorsam und Beschneidung akzeptieren, oder ewiges Leben, wenn sie sich (erneut) der Herrschaft des pneøma unterstellen. Verstärkt wird die Warnung noch dadurch, daß diese Alternative aus der Perspektive des menschlichen Subjekts (ú speùrwn) formuliert ist, was eine Distanzierung vom Gesagten nicht zuläßt. Sie sollen sich nicht täuschen lassen: Ewiges Leben ist nur zu gewinnen, wenn sie sich (wieder) dem pneøma unterstellen, so wie es der Brief von ihnen fordert. Entgegen ihrer eigenen Erwartung führt Beschneidung und Gesetzesgehorsam eben nicht zum ewigen Leben, sondern unter die Herrschaft der sârx. In diesem Bereich, geschieden von der göttlichen Sphäre, läßt die sârx sie verbleiben und nichts anderes als Vergängliches ernten.549

546 Vgl. Barclay, Truth 212. 164 mit Anm. 64; Betz, Galaterbrief 523; Dunn, Galatians 330; Vouga, Galater 151. Der Zusatz von Åautoø zu sârx in Gal 6,8a bringt weniger „die enge, egozentrische Beziehung zwischen Mensch und Fleisch zum Ausdruck“ (Oepke, Galater 195; vgl. Schlier, Galater 277), sondern ist vielmehr als Anspielung auf die Beschneidung zu verstehen (vgl. Dunn, Galatians 330; Martyn, Galatians 553; Vouga, Galater 151; Barclay, Truth 212; Longenecker [Galatians 281] will sârx hier auf libertinistisches Verhalten beziehen; vgl. dazu aber o. S. 96 ff). Der Abschnitt endet, wie er begonnen hat, mit einer Assoziation von sârx mit Beschneidung bzw. Beschneidung mit sârx (Gal 5,13b; vgl. o. S. 84 f). Zwischen diese Versen hat der Verfasser die Bandbreite dessen aufgespannt, was sârx bedeuten kann. 547 Vgl. o. zu Gal 5,15 II.2.3.3 und zu Gal 5,21b o. S. 131 ff. 548 Vgl. Betz, Galaterbrief 523; Longenecker, Galatians 281. 549 Daß der Verfasser die Adressaten nicht direkt warnt, hängt wiederum mit der rhetorischen Situation zusammen (s. o. S. 150 f).

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II. Eine textpragmatische Analyse von Gal 5 und 6

Mit den folgenden Versen bricht der Verfasser diese bedrohliche Perspektive für die realen Adressaten auf, indem er eine Ermunterung unter Pneumatikern an sie richtet. Gal 6,9 und 6,10 sind als gemeinchristliche Selbstaufforderungen formuliert, was die Adressaten sogleich auf die Seite derer zieht, die „auf den Geist säen“. Gal 6,9a fordert dazu auf, nicht müde zu werden, das Gute zu tun. Gal 6,9b motiviert diese Selbstaufforderung mit dem Hinweis auf die zu erwartende Ernte. Mit herùsomen nimmt Paulus den Gedanken von Gal 6,7b. 8 explizit wieder auf. Dadurch erscheint Gal 6,9a sachlich als Neuformulierung von Gal 6,8b: tó kalón poieûn ist „identisch“ mit eÜ™ tó pneøma Ék toø pne‹mato™ speùrein.550 Tó kalón poieûn bedeutet also, generell auf den Geist bezogen zu leben, d. h. im Geist zu wandeln (Gal 6,8b; Gal 5,25. 18a. 16), das zu tun, wozu das pneøma anstiftet.551 Konkreter heißt es, die Grundregeln gemeindlicher Existenz zu realisieren, d. h. der egalitären Gemeinschaft aller Christusgläubigen Gestalt zu geben im wechselseitigen Dienst der Liebe (Gal 6,2. 1; Gal 5,26. 22–23a. 13c). Diesem Tun gilt die Zusage der Ernte (Gal 6,9b). Sachlich ist die Ernte von Gal 6,8b her „ewiges Leben“, das wiederum nicht ausschließlich zukünftig-eschatologisch zu verstehen ist, sondern auch diesseitig und gegenwärtig.552 Doch auf diesem Aspekt der Ernte liegt kein Gewicht, sondern auf dem pointiert vorangestellten kairã Üdù sowie dem Zusatz mÀ Ékluímenoi. Kairã Üdù betont, daß die Zeit der Ernte menschlicher Verfügung entnommen ist. Sie wird sich zu ihrer, zur festgesetzten Zeit einstellen.553 MÀ Ékluímenoi nimmt mÀ ÉgkakÂmen wieder auf und verstärkt den Appell zum Durchhalten.554 550 Vouga, Galater 151; vgl. Schlier, Galater 277. Hier zeigt sich besonders gut, daß poieûn an sich ein neutraler Begriff ist ebenso wie ôrgon (vgl. o. S. 161). 551 Vgl. Betz, Galaterbrief 523. 552 Dem Wandel im Geiste, der wesentlich als Gestaltung der irdischen Gemeinschaft der Christusgläubigen verstanden wird, gilt die Zusage ewigen Lebens. D. h.: Die egalitäre Christusgemeinschaft kann Ort ewigen Lebens sein. 553 Vgl. Bauer/Aland, s. v. kairí™ 3. 801 f. Kairí™ ist nicht speziell endzeitlich aufzufassen (vgl. Baumert, Gewinn 85; Vouga, Galater 151; Bauer/Aland, s. v. kairí™ 3. 801 f; so aber Betz, Galaterbrief 524 f; Delling, ThWNT III 463; Mußner, Galaterbrief 406; Oepke, Galater 196; Synofzik, Gerichts- und Vergeltungsaussagen 73). Für eine offenere Deutung spricht entscheidend der Kontext, Gal 6,8, der sich nicht eindeutig endzeitlich festlegt (vgl. o. zu Gal 6,8 S. 173 f mit Anm. 532). Zudem ist der Ausdruck kairí™ nicht auf eine rein futurisch-endzeitliche Bedeutung festgelegt. Kairí™ meint nicht zwingend „d. Endzeit“ (Bauer/Aland, s. v. kairí™ 4. 802 [im Original hervorgehoben]), sondern kann generell „d. Zeit, sowohl d. Zeitpunkt wie d. Zeitabschnitt“ bezeichnen (Bauer/Aland, s. v. kairí™ 800 [im Original teilweise hervorgehoben]; vgl. Betz, Galaterbrief 524 Anm. 178; Delling, ThWNT III 460–463; vgl. in diesem Sinne auch Gal 4,10). 554 Zwischen den Verben Égkakeûn und Ékl‹eshai läßt sich kein wesentlicher Bedeutungsunterschied ausmachen; beide zielen auf den Gedanken des Nachlassens, des Müde-, Kraftlos-Werdens; vgl. Bauer/Aland, s. v. Égkakìw 1. 434; Bauer/Aland, s. v. Ékl‹w 489; Burton, Galatians 344 f; Schlier, Galater 277 f; Vouga, Galater 151. Anders Betz, der zwischen

2. Textanalysen

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Mit Gal 6,9 fordert der Verfasser dazu auf, am Tun des Guten, am Wandel im Geiste, dauerhaft festzuhalten.555 Die damit verbundene Ernte ist so sicher verbürgt (Gal 6,9b), wie sie dem Säen folgt (Gal 6,7b. 8).556 Sie wird sich einstellen zu ihrer Zeit und wird verpaßt, wenn man vom Tun des Guten abläßt, die Sphäre des pneøma verläßt. Unter pragmatischer Perspektive suggeriert der Vers die Vorstellung, daß die Adressaten bereits lange das Richtige getan haben und derzeit tun und entsprechend nur zu einem Durchhalten ermuntert werden müssen.557 Durch die inklusive Formulierung spricht er mit ihnen wie mit dauerhaften Weggefährten, die ihre wechselseitigen Probleme kennen. Damit geht der Verfasser rhetorisch noch einen Schritt weiter als in Gal 6,1 ff. Er stellt sie nicht nur als Pneumatiker vor, sondern als Pneumatiker mit ungebrochener Vorgeschichte, als solche, die lediglich in ihrem Weg bestärkt werden und nicht allererst dazu angehalten werden müssen, überhaupt das Richtige zu tun, wie es für die realen Adressaten zur Zeit gilt. Damit überspringt der Verfasser rhetorisch die gegenwärtige Konfliktsituation und bewegt seine Adressaten von sich selbst weg – zurück zu ihrem eigenen Ursprung. Mit Gal 6,10 zieht der Verfasser eine Schlußfolgerung (ëra oÔn) aus der in Gal 6,9b zugesagten Ernte, die in der erneuten Selbstaufforderung zum Tun des Guten besteht.558 šErgazÈmeha tó ågahín in Gal 6,10 wiederholt den Appell tó kalón poioønte™ mÀ ÉgkakÂmen von Gal 6,9.559 Der Wechsel

Égkakeûn und Ékl‹eshai eine „Steigerung“ ausmacht (Galaterbrief 525), doch erscheint die begründende Annahme nicht zwingend, Ékl‹eshai sei „unzweifelhaft ein eschatologischer Topos“ (so Galaterbrief 525; vgl. Galaterbrief 525 Anm. 179). – Bei der alternativen Lesart ÉkkakÂmen für ÉgkakÂmen handelt es sich vermutlich um eine sekundäre Korrektur (vgl. Bauer/Aland, s. v. Égkakìw 434; Bauer/Aland, s. v. Ékkakìw 484; Vouga, Galater 151; Betz, Galaterbrief 524 Anm. 176). 555 Zum Präsens vgl. BDR § 318. 556 Das Futur herùsomen ist auch hier am besten logisch aufzufassen (vgl. Baumert, Gewinn 85) und nicht temporal (so Synofzik, Gerichts- und Vergeltungsaussagen 73 Anm. 87). 557 Vgl. Betz (Galaterbrief 524), bei dem die Textstrategie vollen Erfolg hat. Er entnimmt dem Vers genau das, was der Verfasser ihm entnommen haben möchte: „Paulus geht davon aus, daß die Galater zur Zeit in der Tat das Gute tun. Das Problem besteht jedoch darin, daß sie in der Gefahr sind, müde zu werden.“ 558 Vgl. Burton, Galatians 345. Zu dem Versuch, Gal 6,9c trotz des ëra oÔn zu 6,10 zu ziehen, vgl. Baumert, Gewinn 76 ff. 559 Tó ågahín (Gal 6,10) und tó kalín sind Wechselbegriffe, poieûn und Érgâzeshai gehören zum selben Wortfeld, so daß kein wesentlicher Bedeutungsunterschied auszumachen ist; vgl. Oepke, Galater 196; Snyman, Persuasion 479 f. Snyman macht zudem auf das Stilmittel „(i)nverted parallelism()“ zwischen Gal 6,9 und 10 aufmerksam (tó kalín poioønte™ – kairã – kairín – ÉrgazÈmeha tó ågahín), das dazu dient „to strengthen the link between two exhortations with essentially the same meaning“ (Snyman, Persuasion 479). Anders Vouga: „Die letzte Empfehlung ist keine Wiederholung des Appells, auf den Geist zu säen (V. 9), sondern ihre Konsequenz (ëra oÔn)“ (Galater 151). Doch widerspricht die Einführung

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II. Eine textpragmatische Analyse von Gal 5 und 6

von tó kalín zu tó ågahín stellt wie schon Gal 6,6 eine Verbindung zu ågahws‹nv als „Frucht des Geistes“ her (Gal 5,22).560 Die Wendung Érgâzeshai tó ågahín sichert noch einmal den Gedanken, daß das Gute zu tun bedeutet, unter der Herrschaft des pneøma das „auszuführen“ (Érgâzeshai), wozu dieses anstiftet.561 Der Aufforderung vorangestellt ist ein temporaler Nebensatz: Ë™ kairón ôcomen562. Dieser betont die Gegenwart, die es zu nutzen gilt, indem er daran erinnert, daß Zeit nicht unbegrenzt zur Verfügung steht. Damit modifiziert der Verfasser die Aufforderung von Gal 6,9 zum Tun des Guten im Sinne eines „Laßt uns jetzt die Zeit nutzen, die wir haben“.563 Die beiden mit prí™ angefügten Wendungen nennen den Adressatenkreis, an den sich das Tun des Guten richtet. Neu gegenüber Gal 6,9 richtet der Verfasser mit der expliziten Nennung des Adressatenkreises den Blick nochmals auf die soziale Dimension christlichen Glaubens, die ab Gal 5,13 ff, speziell mit Gal 5,26–6,6, im Vordergrund stand. Das durch das pneøma bestimmte gute Handeln richtet sich an alle Menschen (pró™ pânta™)564, in besonderer Weise jedoch an die Schwestern und Brüder in

mit ëra oÔn nicht der Wiederholung des Appells von Gal 6,9 in Gal 6,10. ÛAra oÔn zieht die Konsequenz aus dem in Gal 6,9b formulierten Gedanken der zugesagten Ernte, die in der erneuten Aufforderung zum Säen, zum Tun des Guten (Gal 6,9a) besteht. 560 Vgl. Barclay, Truth 166; Burton, Galatians 346. 561 Zu der Wiedergabe mit „ausführen“ vgl. Bauer/Aland, s. v. Érgâzomai 2. 621. Das Verb Érgâzeshai partizipiert an dem positiv besetzten Bedeutungsstrang des Wortfeldes „Werk/Tun/Wirken“, der sich ausmachen läßt in Gal 6,4 (ôrgon), Gal 5,6 (Énergeûn), Gal 3,5 ([ú] ÉnergÂn; vgl. Gal 2,8); vgl. o. S. 161. 562 Schwer zu entscheiden ist, ob ôcomen oder ôcwmen die ursprüngliche Lesart ist (ersteres wird bezeugt von ℘46 A B [2. Korrektur] C D F G Y 1739 [suppl.] 1881 und Ù, letzteres von a B [urspr. Text] sowie den Minuskeln 6 33 104 326 614 und von Ù abweichenden Handschriften). „Für beide Möglichkeiten spricht etwa gleich viel“ (Betz, Galaterbrief 526 Anm. 185), ein wesentlicher Bedeutungsunterschied läßt sich nicht ausmachen; vgl. Betz, Galaterbrief 526 Anm. 185; Longenecker, Galatians 282; Oepke, Galater 196; Vouga, Galater 152. 563 Der Temporalsatz läßt sich nicht eindeutig zuspitzen auf einen Hinweis auf die Parusie bzw. das Endgericht (so z. B. Becker, Galater 95 f; Matera, Galatians 223; Mußner, Galaterbrief 407; Schlier, Galater 278), da von diesen Endpunkten der Zeit nicht explizit die Rede ist (vgl. Vouga, Galater 151 f). Daß die Zeit, in der jetzt Gutes getan werden kann, begrenzt ist, braucht zudem kein Wissen um ein Endgericht, sondern erschließt sich bereits vollumfänglich aus dem Wissen um die menschliche Sterblichkeit. Daß für den Verfasser die gegenwärtige Zeit eine besonders qualifizierte ist, sei damit nicht bestritten, doch erhält sie ihre Besonderheit nicht durch das am Ende stehende Gericht, sondern durch den schon erfolgten Einbruch des neuen Äons (vgl. o. S. 94 f). 564 Von dieser universalen Perspektive her erschließt sich möglicherweise auch der implizite Grund dafür, warum das pneøma-gemäße Verhalten der Gläubigen ausdrücklich gegenwärtig gefordert wird (Ë™ kairón ôcomen). Die Christusgläubigen sind von Gott in Anspruch genommen für sein Vorhaben, die Welt unter seine Herrschaft zurückzuholen (vgl. Käsemann, Anthropologie 54. 58). Die Gemeinde gilt als bereits von Gottes Herrschaft bestimmtes

2. Textanalysen

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der Gemeinschaft der Christusgläubigen (pró™ to›™ oÜkeùou™ tœ™ pùstew™). Mit oÜkeûoi führt Paulus ein neues Bild für die Gläubigen ein. Sie bilden ein Haus, eine Familie.565 Signum dieser communitas ist der Glaube.566 Mit der Herausstellung (mâlista dì) des innergemeindlichen Miteinanders schärft der Verfasser noch einmal pauschal die Bedeutung der Sorge um die Gemeinschaft der Christusgläubigen ein.567 Damit kommt das zentrale Thema des vorangegangenen Briefteils zu seinem Abschluß. Unter pragmatischem Gesichtspunkt bleibt die Form der inklusiven Selbstaufforderung bestehen. Beide Schlußverse lesen sich als Ermunterung unter Pneumatikern, bei dem zu bleiben, was sie ohnehin tun.568 Stellte „Weltsegment()“ (Reichert, Heilswille 93), das eine „der Welt kommunikativ zugewandte Seite“ hat (Reichert, Heilswille 94). Diese nach außen abstrahlende Seite der christlichen Gemeinschaft zielt auf „weiteren Raumgewinn“ der Gottesherrschaft in der Welt (Klein, Friede 340; vgl. Reichert, Heilswille 94; vgl. auch o. S. 110 mit Anm. 254 und S. 113 f mit Anm. 270). Um dieser Außenwirkung der Gemeinde willen als „Zeichen“ der Macht Gottes und „seines weltweiten Anspruchs“ (Käsemann, Anthropologie 54) betont Paulus das gegenwärtige Verhalten der Gemeinde, da diese zu erkennen geben soll, wessen Herrschaft sie untersteht. 565 OÜkeûo™ leitet sich von oÜke‹™ („Hausgenosse“ bzw. „Haussklave, Diener“: Michel, ThWNT V 136) ab und steht mit den Substantiven oRko™ bzw. oÜkùa in Verbindung (vgl. Michel, ThWNT V 136 f; Vouga, Galater 152). Seine Grundbedeutung ist „zu den Hausgenossen gehörig, in Beziehung stehend_“, sekundär „zum Haus gehörig“ (Michel, ThWNT V 136), bezeichnet also die „Mitglieder() des Haushaltes“, die „Familienglieder()“ (Bauer/Aland, s. v. oÜkeûo™ 1. 1129); vgl. zu dem Ausdruck Burton, Galatians 346; Dunn, Galatians 333 sowie die Auslegung des Gesamtabschnittes Gal 5,13–6,10 bei Esler (Family 175 ff), der dem Ausdruck oÜkeûo™ große Bedeutung beimißt (vgl. dazu o. S. 172 Anm. 522). 566 Der Genitiv tœ™ pùstew™ kann „die Art der Verwandtschaft“ anzeigen (Vouga, Galater 152; vgl. Burton, Galatians 346) oder aber auch im Sinne eines Genitivus auctoritas verstanden werden, so daß er den Urheber der Hausgenossenschaft angibt (vgl. BDR § 163 mit Anm. 1): Es ist der Glaube, der in diese neuen Bezüge stellt, da dieser durch die wechselseitige Liebe neue Verhältnisse schafft (Gal 5,6). Wenig wahrscheinlich ist dann die Annahme, pùsti™ bezeichne „das historische Phänomen des Christentums“ (Vouga, Galater 152; vgl. auch Schlier, Galater 278; ähnlich Betz, Galaterbrief 528). 567 Die Zuspitzung auf die Glaubensgenossen soll nicht den „Universalismus . . . widerrufen“, den pró™ pânta™ postuliert (Betz, Galaterbrief 528; vgl. ähnlich Oepke, Galater 197). Mâlista stellt die beiden genannten Adressatenkreise nicht in Konkurrenz zueinander, sondern hebt oÜkeûoi tœ™ pùstew™ als Teilmenge der pânte™ heraus (vgl. zu mâlista Bauer/Aland, s. v. mâlista 1. 992). Die Zuspitzung auf die Gemeinde ist nicht Ausdruck einer sachlichen Priorität im Sinne einer „Abstufung der Verpflichtung“ (Oepke, Galater 197; vgl. Barclay, Truth 166; Longenecker, Galatians 283). Sachlich begründet ist die Zuspitzung auf sie dadurch, daß die Gemeinde als Zeichen der Herrschaft Gottes eine alle erreichende Wirkung haben soll. Die universale Stoßrichtung des Handelns wird also vermittelt durch die Gemeindegestaltung. Die primäre Sorge hat demnach ihr zu gelten, da die Gemeinde sonst ihrer In-Dienst-Nahme nicht gerecht werden kann (vgl. Martyn, Galatians 554; s. o. Anm. 564). Zudem ist gerade dieser Punkt bei den Adressaten in desolatem Zustand, so daß sich die Pointierung des innergemeindlichen Miteinanders aus der Kommunikationssituation heraus erklärt. 568 Zu den Präsensformen der Verse vgl. BDR § 318.

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II. Eine textpragmatische Analyse von Gal 5 und 6

der Verfasser die Adressaten mit Gal 6,9 rhetorisch an ihren Ursprungsort als christliche Gemeinde zurück, so wiederholt er diesen rhetorischen Schritt noch einmal in Gal 6,10, hier jedoch in besonderer Zuspitzung auf das aktuell in Galatien bestehende Problem der Gemeinschaftszerstörung. Dieses Problem gilt in Gal 6,10 rhetorisch bereits als überwunden, besser: als gar nicht existent. Gegenüber den realen Adressaten verstärkt sich dadurch der Appell, untereinander und zwischen sich und dem Apostel569 die Gemeinschaft wiederherzustellen und zu erhalten. Zusammenfassend ist für Gal 6,7–10 festzuhalten: Unter thematischem Gesichtspunkt stellt der Verfasser abschließend die Ausführungen zum Thema „Gemeinschaft“, das zentral mit der Frage nach Gesetzesgehorsam und Beschneidung verbunden ist, wieder in den Rahmen der um den Menschen konkurrierenden Mächte sârx und pneøma (Gal 6,7–8). Gegenüber Gal 5,16–26 betrachtet er jedoch diesen kosmischen Konflikt nun aus der anthropologischen Innenperspektive. Damit wird den Adressaten die eschatologische Alternative Heil oder Unheil, Vergängliches oder ewiges Leben vor Augen gestellt. Unter pragmatischem Gesichtspunkt warnt der Verfasser seine Adressaten nachdrücklich vor der eschatologischen Konsequenz ihres derzeitigen Vorhabens, Gesetzesgehorsam und Beschneidung zu akzeptieren. Mit den beiden Schlußversen (Gal 6,9–10), die sachlich nichts Neues bringen, spricht der Verfasser seine Adressaten unter Absehung des aktuellen Konfliktes als dauerhafte Weggefährten im Glauben an. Er suggeriert, daß sie diesen Weg ungebrochen gegangen sind und gehen, und ermuntert sie, ihn beharrlich fortzusetzen. Der aktuelle Konflikt wird damit rhetorisch aus der Geschichte der Adressaten gelöscht.

569 Der Wechsel von tó kalín (Gal 6,9) zu tó ågahín (Gal 6,10) liest sich wie eine Anspielung auf die Wendung Én pésin ågahoû™ in Gal 6,6 (vgl. Longenecker, Galatians 283).

1. III.Zusammenschau Ergebnis: Die Funktion des Textablaufes von Gal 5 undvon 6 im Gal Gesamtbrief 5,1–6,10

III. Ergebnis: Die Funktion von Gal 5 und 6 im Gesamtbrief

Die textpragmatische Analyse des Abschnittes Gal 5,1–6,10 erfolgte unter den beiden Leitfragen: 1. Wie ist der thematische Zusammenhang zwischen Gal 5,13–6,10 und dem Rest des Briefes zu bestimmen? und 2. Welche Funktion hat der Abschnitt im Rahmen der Gesamtwirkabsicht des Briefes? Bevor diese Fragen abschließend beantwortet werden sollen, möchte ich die Ergebnisse der textpragmatischen Analyse bündeln und den Ablauf des Textes Gal 5,1–6,10 zusammenfassend darstellen.

1. Zusammenschau des Textablaufes von Gal 5,1–6,10 Der Abschnitt Gal 5,1–6 faßt das Zentralproblem des Briefes „Beschneidung und Gesetzesgehorsam“ unter die Kategorie „Knechtschaft“ und warnt die Adressaten ausdrücklich vor der Übernahme der Beschneidung (Gal 5,1–4). In Gal 5,5 f bündelt der Verfasser die vorangegangenen Argumentationsstränge des Briefes in einer Kurzformel gemeinchristlichen Selbstverständnisses und versucht, seine Adressaten zur Übernahme dieses Selbstverständnisses zu bewegen, das sie in scharfen Kontrast zu Gesetzesgehorsam und Beschneidung stellt. Mit Gal 5,7–12 wendet der Verfasser die in Gal 5,5 f formulierte gemeinchristliche „Wahrheit“ auf die Beurteilung der Gegner an mit dem Ziel, die Adressaten von diesen zu distanzieren. Gal 5,13–15 bildet einen Knotenpunkt, insofern hier die Fäden der vorangegangenen Ausführungen zusammenlaufen und neu ausgerichtet werden: Zum einen verknüpft der Verfasser über die Assoziationsbrücke von „Beschneidung“ zu sârx Beschneidung (und Gesetzesgehorsam) mit der Interpretationskategorie sârx (Gal 5,13b). Damit deckt er die tieferliegende Dimension der galatischen Situation auf. Zum anderen reklamiert er mit Gal 5,14 über die „Liebe“, die das wesentliche Merkmal des Christusglaubens ist (Gal 5,6. 13c), die umstrittene Größe „Gesetz“ für den Christusbereich. Damit verlegt er den Ort des Gesetzesgehorsams in den pneøma-Bereich und definiert Gesetzesgehorsam neu als Befolgung des Liebesgebotes. Schließlich expliziert er mit Gal 5,15 das Thema „Zerstö-

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III. Ergebnis: Die Funktion von Gal 5 und 6 im Gesamtbrief

rung der egalitären Gemeinschaft in Christus“, die der Akzeptanz von Gesetzesgehorsam und Beschneidung innewohnt. Damit stellt er einen bislang nur angedeuteten Aspekt der Krise in den Vordergrund. Diese drei Fäden bestimmen miteinander verwoben die folgenden Ausführungen bis Gal 6,10: Gal 5,16–26 führt die mit Gal 5,13 begonnene Aufdeckung der tieferliegenden Dimension des galatischen Konflikts aus. Der galatische Konflikt wird eingezeichnet in den Machtkampf zwischen sârx und pneøma (Gal 5,16–18) und aufgewiesen an den Auswirkungen dieser Machtbereiche auf die zwischenmenschliche Gemeinschaft (im Lasterkatalog Gal 5,19–21a und im Tugendkatalog Gal 5,22–23a). In den Dienst dieses Aufweises stellt der Verfasser den bereits mit Gal 5,15 benannten Aspekt der Zerstörung der egalitären Gemeinschaft in Christus (Gal 5,19–21a), der der Akzeptanz jüdischer Lebensweise innewohnt. Positiv entspricht diesem Aspekt die dem Glauben innewohnende Gestaltung der egalitären Gemeinschaft unter dem Zeichen der Liebe (Gal 5,22–23a). Gal 5,23b bekräftigt die in Gal 5,14 vollzogene Reklamation des Gesetzes für den pneøma-Bereich über die Liebe. Daß die Adressaten sich in der kosmischen Auseinandersetzung zwischen sârx und pneøma bewegen, deckt der Verfasser nicht „objektiv-neutral“ auf, sondern rhetorisch gelenkt. Er entfernt seine Adressaten zunehmend vom sârx-Bereich und assoziiert sie immer stärker mit dem pneømaBereich. Diese rhetorische Umpositionierung wird an den Versen Gal 5,13b. 16. 18a. 25 greifbar. Mit Gal 5,13b konfrontiert der Verfasser die Adressaten unmittelbar mit der sârx-Sphäre und fordert sie auf zur Wahl zwischen sârx und pneøma zugunsten der pneøma-Variante. Mit Gal 5,16 verpflichtet der Verfasser sie explizit auf den Wandel im Geiste, was einer Distanzierung vom sârx-Bereich gleichkommt. Daß die Adressaten diesem Appell tatsächlich nachkommen, läßt der Verfasser mit Gal 5,18a rhetorisch „real“ werden. Mit Gal 5,25 schließlich stehen die Adressaten an dem vom Verfasser gewünschten Ort: im pneøma-Bereich. Mit Gal 5,25 sind sie dem Verfasser erneut Glaubensgeschwister. Als solche spricht er sie im folgenden an: ¡meû™ oÖ pneumatikoù (Gal 6,1). Im Ablauf des Textes Gal 5,13–25(26) spitzt der Verfasser den Gedankengang auf den pneøma-Bereich zu. Entsprechend konzentriert er sich im folgenden Abschnitt Gal (5,26) 6,1–6 ganz auf diesen und stellt die Gestaltung der egalitären Gemeinschaft unter dem Zeichen der Liebe in den Vordergrund. Gal 6,2 schließt die Verlegung des Gesetzesgehorsams in den pneøma-Bereich ab. Spiegelbildlich zur Gemeinschaftszerstörung, die dem Gesetzesgehorsam entspringt, entwirft der Verfasser eine Instruktion an die Pneumatiker, die dazu anleitet, die egalitäre Gemeinschaft (wieder)herzustellen und dauerhaft zu erhalten. Hier wird also die mit Gal 5,15 angesagte Zerstörung der egalitären Gemeinschaft in Christus zum

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2. Auswertung unter dem Gesichtspunkt der beiden Leitfragen

herausgehobenen Thema, jedoch in Form eines spiegelbildlichen Gegenentwurfes. Mit Gal 6,7–8 bricht Paulus diese Konzentration auf den pneøma-Bereich noch einmal auf, indem er erneut den kosmischen Horizont des Mächtekampfes vor Augen stellt, diesmal anthropologisch gewendet. Gal 6,7–8 rundet den Aufweis der Tiefendimension der aktuellen Adressatensituation, den Gal 5,13 begann und der in Gal 5,16–26 durchgeführt wurde, mit einer eschatologischen Warnung ab. Zugleich zielen die Verse im Verbund mit Gal 6,9–10 darauf, die rhetorisch mit Gal 5,25 bzw. Gal 6,1 erreichte Rückgewinnung der Adressaten für den pneøma-Bereich zu festigen. 2. Auswertung unter dem Gesichtspunkt der beiden Leitfragen

2. Auswertung unter dem Gesichtspunkt der beiden Leitfragen 2.1 Der thematische Zusammenhang zwischen Gal 5,13–6,10 und dem Rest des Briefes Unter thematischer Perspektive zeigt sich, daß der umstrittene Abschnitt Gal 5,13–6,10 das Gesamtthema des Briefes weiterführt. Keiner weiteren Erläuterung bedarf es, daß der nímo™-Faden, den Gal 5,14 neu ausrichtet, mit dem vorangegangenen Brief thematisch verbunden bleibt. Das prima facie neu erscheinende Thema des Miteinanders in der Gemeinschaft der Christusgläubigen bzw. der damit zusammenhängenden Statusfrage des Einzelnen erweist sich als ein Teilthema des Gesamtthemas „Gesetzesgehorsam und Beschneidung“, das zudem bereits die früheren Ausführungen des Briefes durchzieht (vgl. Gal 2,2. 6. 9. 12; Gal 3,26–28 und Gal 4,16. 17). Die Analyse hat schließlich gezeigt, daß der mit Gal 5,13b eingeleitete Übergang zur grundsätzlichen Darlegung des Kampfes zwischen sârx und pneøma keine Themaverschiebung mit sich bringt. Die grundlegenden Ausführungen erfolgen vielmehr im Dienste der Auseinandersetzung mit dem Thema „Gesetzesgehorsam und Beschneidung“. Ersichtlich ist dies vor allem an den Stellen des Abschnittes, die Gesetzesgehorsam und Beschneidung unmittelbar mit der Interpretationskategorie sârx verknüpfen: Der Anschluß von Gal 5,13b an Gal 5,12 bedient sich der Assoziationsbrücke von „Beschneidung“ auf „Fleisch“. Gal 5,18 weist ¡pó nímon der Kategorie sârx zu. Gal 6,8 spielt mit der Wendung ú speùrwn eÜ™ tÀn sârka Åautoø erneut auf die Beschneidung an. Daß der Verfasser mit Gal 5,13 ff die Tiefendimension der galatischen Krise aufdeckt, zeigt sich jedoch nicht allein am Einzelabschnitt Gal 5,13–6,10. Vielmehr benennt der Verfasser diese Tiefendimension zuvor im

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III. Ergebnis: Die Funktion von Gal 5 und 6 im Gesamtbrief

Brief. Bereits in Gal 3,3 verwendet der Verfasser die Antithese von sârx und pneøma als Interpretationskategorie für die galatische Krise. Der Vers ist die erste Stelle des Briefes, an der die Antithese vorkommt.1 Der Verfasser setzt sie ein, um die gegenwärtige galatische Situation zu deuten: nÓn sarkÿ Épiteleûshe; Sachlich wird die Kategorie sârx durch den unmittelbaren Kontext (Gal 3,2. 5) mit ôrga nímou gefüllt.2 D. h. schon hier teilt der Verfasser das Ergebnis seiner Analyse der tieferliegenden Ursachen für die galatische Krise mit, verknüpft er den Gesetzesgehorsam mit der Kategorie „nur menschlich“ und stellt sie der Positivkategorie pneøma gegenüber. Von der Struktur des Abschnittes Gal 3,1–5 her steht die Diagnose von 3,3 an exponierter Stelle. In Gal 3,2 fragt der Verfasser nach der Herkunft des pneøma mit der Alternative Éx ôrgwn nímou oder Éx åkoœ™ pùstew™. Diese Frage wiederholt er in 3,5 und geht ihr im folgenden nach. Dazwischen geschaltet findet sich die rhetorische Frage von 3,3, die den Gegensatz zum pneøma nennt: o»tw™ ånívtoù Éste, Énerxâmenoi pneËmati nøn sark¸ Épiteleûshe; Gal 3,3 bildet also einen Überschuß, einen Gedanken, der über das mit 3,2 Thematisierte hinausgeht, dann jedoch sogleich wieder zurückgestellt wird zugunsten der zuerst in Gal 3,2 gestellten Frage (Gal 3,5): 3,2 3,3 3,5

pneøma å æ Éx ôrgwn nímou vs Éx åkoœ™ pùstew™ pneÓma vs pneøma å æ Éx ôrgwn nímou vs Éx åkoœ™ pùstew™

s£rx

Aufgrund der hervorgehobenen Bedeutung der Abschnittes Gal 3,1–5 ist diese Auffälligkeit in der Struktur des Abschnittes von besonderer Wichtigkeit: Nach den Ausführungen über die Autorität des Apostels und seines Evangeliums (Gal 1,10–24)3 legt der Verfasser mit Gal 2,1–10. 11–21 den 1 Vgl. die Analyse unter thematischem Aspekt o. im Exkurs: Zur Verwendung von sârx in Gal 1,1–5,12. 2 Vgl. Russell, Conflict 123 f. 3 Es erscheint mir nicht zwingend, den Abschnitt als Verteidigung zu verstehen (vgl. Betz, Galaterbrief 122 ff; Becker, Galater 10; Mußner, Galaterbrief 62; Suhl, Galaterbrief 3088–3096). Das Herausstellen der eigenen Autorität durch Paulus muß nicht zwingend ein Reflex auf (tatsächlich) gegen ihn vorgebrachte Vorwürfe sein (Suhl rekonstruiert z. B. den Vorwurf der „A b t r ü n n i g k e i t von Jerusalem . . ., um mit seinem gesetzesfreien Evangelium Menschen zu gefallen“ [Galaterbrief 3094]; vgl. Betz’s vorsichtiges methodisches Vorgehen bei der Rekonstruktion [Galaterbrief 41; vgl. auch Galaterbrief 123] z. B. im Unterschied zu Mußner [Galaterbrief 62]). Der Einleitungsteil des Briefes könnte vielmehr dazu dienen, ohne apologetischen Hintersinn Autorität gegenüber den Adressaten aufzubauen,

2. Auswertung unter dem Gesichtspunkt der beiden Leitfragen

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„historischen Modellfall“ für die galatische Situation dar.4 Die Rede an Petrus in Gal 2,15–21 hat dabei die Funktion, sowohl den historischen Modellfall sowie die aktuelle Adressatensituation theologisch zu beurteilen.5 In Gal 3,1 markiert die pointierte Anrede der Adressaten (é ånívtoi Galâtai) einen Einschnitt. Zum ersten Mal seit Gal 1,6–10 spricht der Verfasser seine Adressaten direkt auf ihre derzeitige Situation an, die sein Schreiben motiviert.6 Mit Gal 3,1–5 konzentriert der Verfasser die Ausführungen auf die aktuelle Adressatensituation: „Paul could now at last begin to address the Galatian crisis directly, and thus to embark on the main section of his exposition.“7 Gegenüber Gal 1,6–10 ist mit Gal 3,1–5 nun die Stelle im Brief erreicht, an der der Verfasser sich explizit und ausschließlich dem galatischen Problem zuwendet. Gal 1,6 hatte zwar bereits das Grundproblem benannt, das nach Auffassung des Verfassers darin besteht, daß die Adressaten sich einem anderen Evangelium anschließen. In Gal 1,6–10 spricht jedoch lediglich Gal 1,6 die Adressaten direkt auf ihr Verhalten an: haumâzw Ñti o»tw™ tacìw™ metat·heshe åpó toø kalìsanto™ ¡mé™ Én câriti [Cristoø] eÜ™ æteron e«aggìlion. Anknüpfend an das Stichwort æteron e«aggìlion stellen Gal 1,7–10 dann sachlich die Frage nach „wahrem“ oder „falschem“ Evangelium und seinen Verkündigern in den Vordergrund. Gal 3,1–5 ist somit die erste Stelle des Briefes, an der die Adressaten und ihr Verhalten explizites Thema sind.

Formal betrachtet ist der Abschnitt eine Art Überschrift zu den Ausführungen der Kapitel 3–6. Der Abschnitt zeigt an, wie der Verfasser seine Auseinandersetzung mit der aktuellen Adressatensituation, den Hauptteil seines Briefes, gestalten wird.8 Der Verfasser kündigt zwei Gedankengänge die den Apostel als Repräsentanten des Göttlichen ausweisen soll. Dies hätte das Ziel, seinen Ausführungen den Rang göttlicher Belehrung beizulegen, was es den Adressaten erheblich erschwerte, sich gegen die im Brief vorgetragene Position zu entscheiden; vgl. in dieser Richtung Lyons, Autobiography 143 f. 4 Vgl. in dieser Richtung Betz, Galaterbrief 174. 178; Dunn, Galatians 150 (Dunn spricht von einem ersten und zweiten „test case“). 5 Unabhängig von der Frage, wie der Passus im einzelnen aufzufassen ist (so verstehen ihn einige Ausleger als propositio [vgl. z. B. Betz, Galaterbrief 212–215; Brucker, Rhetorik 229 f; Longenecker, Galatians 80 f; kritisch dazu Bachmann, Sünder 156 ff; Vouga, Galater 55 f]), besteht weitgehend Einigkeit darüber, daß die Rede des Paulus an Petrus im Blick auf die aktuelle Adressatensituation formuliert ist und theologische Grundüberzeugungen für diese Auseinandersetzung vorbringt (vgl. Barclay, Truth 76; Becker, Galater 41; Betz, Galaterbrief 213; Brucker, Rhetorik 229 f; Dschulnigg, Überlegungen 16; Mußner, Galaterbrief 145 f; Schlier, Galater 87 f; Suhl, Galaterbrief 3098; Vouga, Galater 55 ff). 6 Vgl. Cosgrove, Cross 39; Vouga, Galater 66. Die Anrede der Adressaten in Gal 1,13 kann hier unberücksichtigt bleiben (vgl. den Hinweis auf diese Stelle bei Dunn, Galatians 151; Vouga, Galater 66), da der Verfasser an dieser Stelle nicht mit der Adressatensituation beschäftigt ist, sondern mit der Entfaltung seines „Werdegangs“. 7 Dunn, Galatians 150; vgl. Cosgrove, Cross 28; Vouga, Galater 66. 8 Aufgrund der Funktion des Abschnittes, die Argumentation der folgenden Kapitel

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III. Ergebnis: Die Funktion von Gal 5 und 6 im Gesamtbrief

an: eine „Aufklärung“ über Herkunft und Anteilhabe am pneøma (Gal 3,2. 5) und eine Analyse der Gegenwart vermittels der Interpretationskategorie pneøma – sârx (Gal 3,3).9 Entsprechend sind die Kapitel Gal 3–6 von diesen beiden Säulen der Argumentation10 bestimmt: Gal 3,6–4,6(–11) führen die Belehrung über das pneøma aus.11 Die Gegenwartsdiagnose von Gal 3,3 entfaltet der Verfasser in Gal 5,13–6,10: Hier löst er den Überschuß, die schlaglichtartig präsentierte Analyse der aktuellen Adressatensituation, ein, indem er die galatische Situation in den grundlegenden Konflikt zwischen sârx und pneøma einzeichnet.12 In den Ausführungen über das pneøma (Gal 3,6–4,11) bleibt die Diagnose von Gal 3,3 unkommentiert. Die Antithese von sârx und pneøma tritt in den Hintergrund, die Aufmerksamkeit gilt ausschließlich dem pneøma, der Überschuß aus Gal 3,3 bleibt zunächst bestehen. In Gal 4,21–31 führt der Verfasser das Gegensatzpaar sârx – pneøma wieder ein, die Gegenwartsdiagnose von Gal 3,3 expliziert er jedoch erst mit Gal 5,13 ff, dem Abschnitt, in dem er die Tiefendimension der aktuellen Adressatenlage thematisiert. Gal 4,21–3113 nimmt zwar den Gegensatz von sârx und pneøma wieder auf, jedoch in anderer Weise als in Gal 3,3 und Gal 5,13 ff. Der Abschnitt 4,21–31 ist eine Belehrung aus dem Gesetz selbst, also aus der Größe, die zwischen Verfasser und Adressaten umstritten ist: oÖ ¡pó nímon hìlonte™ eRnai, tÂn nÁmon oÎk ¦koËete_; (Gal 4,21).14 Der Verfasser läßt diese Größe in Verbindung mit dem leitenden Gegensatz Knechtschaft – Freiheit die Unterscheidung der Existenzweisen katä sârka und katä pneøma einführen und macht von ihr her die Zugehörigkeit der Adressaten zur Freien, d. h. zum Typus ú katä pneøma geltend (Gal 4,28. 31).15

vorzustrukturieren, erscheint es mir ratsam, diesen nicht als den ersten Argumentationsgang aufzufassen (vgl. u. a. Barclay, Truth 83; Becker, Galater 45 ff; Betz, Galaterbrief 236; Cosgrove, Cross 31; Dunn, Galatians 150 ff; Vouga, Galater 65 ff), sondern ihn als eine Einheit zu betrachten, die den Argumentationsgängen der Kapitel 3 bis 6 vorgeschaltet ist. 9 Insofern läßt sich nicht sagen, Gal 3,2 stelle die „entscheidende Frage, die nachher ab V 3 nur noch variiert wird_“ (Dschulnigg, Überlegungen 17 [Hervorhebung von mir]). 10 Unter „Argumentation“ verstehe ich nicht eine logische Beweisführung im engeren Sinne, sondern eine jeweils thematisch bzw. pragmatische Einheit, mit der der Verfasser sein Anliegen gegenüber den Adressaten vorwärtsbringt. Eine solche Einheit kann wesentlich von Belehrung und Argumentation im engeren Sinne bestimmt sein (so z. B. Gal 3,6–4,7), aber es können auch Gedanken dargelegt werden, die kein primär logisch-argumentatives Interesse verfolgen (vgl. z. B. das Beschwören der gemeinsamen Vergangenheit in Gal 4,12–20); vgl. ähnlich Lategan, Instructions 172. 11 Die in Gal 3,2. 5 gestellte Frage wird in Gal 4,6(7) beantwortet (vgl. Cosgrove, Cross 2) und mit Gal 4,8–11 auf die aktuelle Situation hin ausgezogen. 12 Die Antithese zwischen sârx und pneøma, die Gal 3,3 einführt, ist eben nicht „quite different in chap. 5“ (so Burton, Galatians 148). 13 Vgl. auch o. im Exkurs: Zur Verwendung von sârx in Gal 1,1–5,12 z. St. 14 Vgl. Koch, Schrift 204; Vollenweider, Freiheit 286. 311. 15 Die Wendung ú katä pneøma (gennvheù™) in Gal 4,29 ersetzt ú Ék tœ™ Éleuhìra™ diš Épaggelùa™ (gegìnnvtai) aus Gal 4,23. Mag zwar der Leitgedanke „Freiheit“ in Gal 4,21–31

2. Auswertung unter dem Gesichtspunkt der beiden Leitfragen

189

Er verwendet also die Autorität, die das Gesetz gegenüber den Adressaten hat, zugunsten seiner eigenen Argumentation.16 Durch der Zuweisung der Adressaten zum Typus ú Ék tœ™ Éleuhìra™ diš Épaggelùa™ bzw. ú katä pneøma (gennvheù™) in Gal 4,28. 31 verweist der Gegentypus ú katä sârka gennvheù™ (Gal 4,29) auf eine Gruppe im Gegenüber zu den Adressaten. Hier liegt der Unterschied zu Gal 3,3, wo die Adressaten mit der Kategorie sârx in Verbindung gebracht werden. Gal 3,3 weist den Adressaten auf, wo sie sich faktisch bewegen. Mit Gal 4,21–31 läßt Paulus das Gesetz den theoretisch „richtigen“ Ort der Adressaten in bezug auf diese Existenzweisen anzeigen: Von Gesetz und Schrift her sind die Adressaten definiert als Kinder der Freien, als dem Bereich des pneøma Zugehörige. Von hier aus ergibt sich auch das in ihrer aktuellen Situation richtige Verhalten, nämlich die durch die Schrift angewiesene Trennung von den Gegnern (Gal 4,29. 30).17 Im Blick auf Gal 5,13 ff kann Gal im Vordergrund stehen (vgl. Koch: Das „Ziel des . . . Auslegungsverfahrens ist es, zu zeigen daß ,Ãmeû™‘ . . . tìkna tœ™ Éleuhìra™ sind (V 31)“ [Schrift 150]), so ist doch nicht zu übersehen, daß dieser Abschnitt bereits auf den grundlegenden Gegensatz von sârx und pneøma zusteuert; vgl. Vollenweider, Freiheit 286. 16 Vgl. Suhl, Galaterbrief 3121 (s. auch 3132). 17 Mit Gal 4,29 deutet der Verfasser die gegenwärtige Adressatensituation als Auseinandersetzung zwischen ú katä sârka und ú katä pneøma (Gal 4,29: o»tw™ kaÿ nøn). In Gal 4,30 läßt er die Schrift die Handlungskonsequenz ziehen für diejenigen, die zu der Freien gehören: ôkbale tÀn paidùskvn kaÿ tón uÖón a«tœ™ (zur Anpassung des Schriftzitats in 4,30b an die paulinischen Zwecke vgl. Koch, Schrift 149 f). Durch die Positionierung der Adressaten auf der Seite der Freien (Gal 4,28) gilt ihnen diese Handlungsanweisung, ohne daß die Aufforderung explizit an sie gerichtet würde. Die Anwendung auf die Gegenwart der Adressaten bleibt ihnen überlassen, genauso wie die Identifizierung der Größe „die Sklavin und ihr Sohn“ mit den Gegnern, eine Identifizierung, die ebenfalls unausgesprochen bleibt. Die Aufforderung zur Trennung von den Gegnern erhält ihre rhetorische Stärke dadurch, daß sie mit der Autorität der Schrift erfolgt. Nicht einleuchtend ist die Annahme, Gal 4,30 visiere gar keine Anwendung auf die aktuelle Situation an, mit der Begründung, es könne sich bei Gal 4,21–31 „um ein schon früher, unabhängig von der galatischen Krise entstandenes Überlieferungsstück handeln“ (Vollenweider, Freiheit 288 Anm. 16). Das erübrigt nicht die Frage, was dieses mögliche Traditionsstück im jetzigen Kontext bedeutet. In diesem Kontext läßt es sich kaum von der aktuellen Adressatensituation trennen. Auch nicht überzeugend ist die Auffassung, Gal 4,29 f ziele nicht auf einen „Hinauswurf etwaiger Verfolger“, sondern auf „eine viel grundsätzlichere Problemlösung“: Nicht der Verfolger wird hinausgeworfen, sondern „die Verfolgung insgesamt“ (Standhartinger, Freiheit 300). Mit der Entlassung der Magd hebt die Schrift „die dichotomische Grundordnung der Trennung zwischen Sklaverei und Freiheit auf. Weil es seit dem Rauswurf der Hagar keine Sklavin mehr gibt im Hause Abrahams, sind wir alle hinfort frei“ (Standhartinger, Freiheit 301). Gegen diese Deutung spricht der Vers 4,31, der noch immer mit der Größe „Magd“ (gleichbedeutend mit Knechtschaft) im Gegensatz zur „Freiheit“ rechnet, was nach der Auslegung von Standhartinger nicht mehr der Fall sein dürfte. Der Abschnitt zielt bis zum Schluß auf die scharfe Kontrastierung von Knechtschaft und Freiheit. (Zudem ist die Auslegung in sich nicht ganz stimmig: Hagar wird nicht konsequent als Chiffre für die Sache [Knechtschaft] verstanden, sondern kommt parallel als vertriebene Frau in den Blick [vgl. Standhartinger, Freiheit 301. 302]. Dadurch entsteht der Eindruck, die Lösung des Problems der Knechtschaft bestünde letztlich darin, doch die Unfreie und nicht die Unfreiheit zu entfernen – eine Lösung, die kaum gemeint sein dürfte.)

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III. Ergebnis: Die Funktion von Gal 5 und 6 im Gesamtbrief

4,21–31 als eine Art „Vorlauf“ gewertet werden, der die Interpretationskategorie sârx – pneøma mit dem Gesetz „legitimiert“18 und vom Gesetz her die „sachgemäße“ Verortung der Adressaten im pneøma-Bereich postuliert. Dieser Abschnitt knüpft jedoch noch nicht an den Gedanken von Gal 3,3 an, der das gegenwärtige Verhalten der Adressaten deutet. Dies geschieht erst mit Gal 5,13, wo der Verfasser die Adressaten wieder auf ihre faktische Nähe zum sârx-Bereich anspricht (mínon mÀ tÀn Éleuherùan eÜ™ åformÀn tá sarkù).

Die Kapitel Gal 3–6 sind von zwei Argumentationsgängen bestimmt, die Gal 3,1–5 vorspurt: von der Frage nach der Anteilhabe am pneøma (Gal 3,6–4,11) und von der Gegenwartsdiagnose mit Hilfe der Interpretationskategorie sârx – pneøma (Gal 5,13–6,10). Die zweite tragende Säule der Auseinandersetzung mit den Galatern nimmt man nicht wahr, wenn man den Hauptteil des Briefes, der mit Gal 3,1–5 eingeleitet wird, bereits mit Gal 4,(30)31 oder Gal 5,12 beendet sieht und Gal 5,13–6,10 als Abschnitt einstuft, der zur aktuellen Adressatensituation wenig bis gar nichts beizutragen hat.19

2.2 Die Funktion des Schlußabschnittes im Rahmen der Gesamtwirkabsicht des Briefes Unter funktionalem Gesichtspunkt hat die Analyse die starke rhetorische Adressatenlenkung herausgestellt, die in den Versen Gal 5,13. 16. 18a. 25 greifbar wird und in der Bezeichnung der Adressaten als pneumatikoù in Gal 6,1 ihren Höhepunkt findet. Als Gesamtwirkabsicht des Briefes war zu Beginn der Untersuchung der unstrittige Konsens der Forschung festgehalten worden: Paulus will mit seinem Brief seine Adressaten zurückgewinnen für sein gesetzesfreies Evangelium. Bezogen auf diese Gesamtwirkabsicht zeigt sich die zentrale Bedeutung des Schlußabschnittes: Mit Gal 5,13–6,10 erst vollzieht der Verfasser den entscheidenden Schritt der Rückgewinnung der Adressaten für sein Evangelium. In pragmatischer Hinsicht bildet Gal 5,13–6,10 somit den Höhepunkt des Briefes.20 Hier kommt die Rückgewinnungsstrategie zu ihrem rhetorischen Ziel. 18 Vgl. in dieser Richtung Vouga, Galater 114. 19 Zu den verschiedenen Einschätzungen der Funktion von Gal 5,13–6,10 vgl. o. den Forschungsüberblick I.; zu den unterschiedlichen Vorschlägen zur Textabgrenzung vgl. o. S. 63 ff mit Anm. 12. 20 Den „Höhepunkt“, „the culmination of Paul’s argument“, „the point of the letter“ sehen auch Suhl, Matera und Kennedy in Gal 5 und 6 (Suhl, Geist 284; Matera, Culmination 79; Kennedy, Interpretation 146). Suhl macht den Höhepunkt in Gal 5,13–25 aus (Geist 284; vgl. Galaterbrief 3122), Matera in Gal 5,13–6,10 (so Galatians 195) bzw. Gal 5,1–6,17 (so Culmination 79). Suhl und Matera verstehen den Abschnitt jedoch in anderer Stoßrichtung als hier vorgeschlagen (vgl. zu Suhl o. im Forschungsüberblick S. 49 Anm. 187; Matera

2. Auswertung unter dem Gesichtspunkt der beiden Leitfragen

191

Diese Einschätzung bestätigt sich durch einen Blick auf Gal 3,3. Die Diagnose plaziert die Adressaten in unmittelbarer Nähe zum sârx-Bereich: nøn sarkÿ Épiteleûshe; Schon an dieser Deutung der Gegenwart der Galater wird die rhetorische Absicht des Verfassers greifbar. Der Vers ist keine neutrale Feststellung, sondern bietet eine Diagnose in Form einer rhetorischen Frage, die durch die Einleitung (o»tw™ ånívtoù Éste) stark wertend ist: Das gegenwärtige Verhalten der Adressaten ist für den Verfasser Ausdruck „mangelnde(r) Einsicht“21 und fehlenden „Urteilsvermögens“.22 Im Verbund mit Gal 3,4 wird die gegenwärtige Situation, wie er sie in 3,3 deutet, jedoch nicht definitiv festgeschrieben, sondern offengehalten. Gal 3,4a stellt erneut eine rhetorische Frage (tosaøta Épâhete eÜká;)23, die mit dem Nachsatz e¥ ge kaÿ eÜká darauf zielt, die Unmöglichkeit der rhetorisch erwogenen Möglichkeit festzuhalten. Damit signalisiert der Verfasser, daß er die Rückkehr der Adressaten zu ihren Anfängen nicht ausschließt.24 Die Diagnose von Gal 3,3 hat also appellative Funktion. Sie zielt darauf, die Adressaten dazu zu bewegen, ihre derzeitige Situation zu ändern, ihren als Torheit gekennzeichneten Weg nicht weiterzugehen, sondern zur Anfangsbestimmung ihrer Existenz zurückzukehren, die Gal 3,3 nennt (Énarxâmenoi pne‹mati). Der Abschnitt Gal 5,13 ff nimmt diesen Appell an die Adressaten auf und führt ihn weiter. Gal 5,13b knüpft an die Positionierung der Adressaten in der Nähe des sârx-Bereichs wieder an und drängt sie explizit zur

versteht den Abschnitt ähnlich wie Barclay [vgl. Matera, Galatians 195 f]: „Paul explains how the Galatians, who are not under the law, can lead a good and moral life“ [Galatians 205; vgl. Culmination 85. 88]; s. zu dieser Stoßrichtung von Gal 5,13–6,10 jedoch o. S. 96 ff). Kennedy hingegen gibt nicht eindeutig zu erkennen, worin die Pointe des Schlußpassus konkret besteht (vgl. o. im Forschungsüberblick S. 34 f). 21 Mußner, Galaterbrief 206. 22 Vouga, Galater 66. Vgl. zu den Grundbedeutungen von ånívto™ Behm, ThWNT IV 959 f. 23 Zu der Wirkung der schnellen Folge rhetorischer Fragen vgl. Lategan, Instructions 176. 24 Vgl. Vouga, Galater 69: „Die Ellipse e¥ ge kaÿ eÜká . . . hat pragmatisch-appellative Funktion“. Doch will sie nicht ermutigen oder drohen (vgl. zu diesen Möglichkeiten Betz, Galaterbrief 247 mit Anm. 66; Schlier, Galater 124 f; Vouga, Galater 69). Sie gibt vielmehr der Zuversicht des Verfassers Ausdruck, daß mit der Diagnose von Gal 3,3 nicht das letzte Wort über die Galater gesprochen ist, sondern sich die Geistgabe als stärker erweisen wird als ihre augenblickliche Fehlorientierung (vgl. Dunn, Galatians 157: „Paul has still high hopes of preventing this catastrophe“; vgl. Mußner, Galaterbrief 210; Suhl, Geist 286). Oepke gibt die Wendung mit „Jawohl, umsonst!“ wieder (Galater 99), sieht mit ihr den „schwere(n) Ernst“ des ersten Umsonst in Gal 3,4a betont und hält fest: „Paulus fragt nicht, zwischen Furcht und Hoffnung geteilt, ob soviel Gnade umsonst sein könne, sondern er versichert streng: sie wird umsonst sein, wenn nicht noch in letzter Stunde das Steuer herumgeworfen wird“ (Galater 101). Unter pragmatischem Aspekt unterscheidet sich dieses Verständnis jedoch nur graduell von dem erstgenannten, denn in beiden Fällen zielen Gal 3,3 und 4 auf eine Veränderung der Adressatensituation zum Guten.

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III. Ergebnis: Die Funktion von Gal 5 und 6 im Gesamtbrief

Abkehr von der sârx. Auffällig ist der Vers Gal 5,16. Er stellt in terminologischer Übereinstimmung eine direkte Verbindung zu Gal 3,3 her.25 In beiden Versen finden sich die Antithese sârx – pneøma sowie eine Form des Verbs (Épi-)teleûn. Im Unterschied zu Gal 3,3 nimmt Gal 5,16b jedoch die Zukunft der Adressaten in den Blick, die die Position in der Nähe des sârx-Bereiches definitiv ausschließt_: kaÿ Épihumùan sarkó™ o« mÀ telìsvte.26 Gebunden ist diese Zukunft an den Wandel im Geiste, zu dem der Verfasser die Adressaten in Gal 5,16a auffordert (pne‹mati peripateûte). Hier wird seine Absicht offen sichtbar, die Adressaten vermittels des Briefes umzupositionieren, sie für den pneøma-Bereich zurückzugewinnen. Über Gal 5,18a und 5,25 verwandelt der Verfasser seine Adressaten schließlich rhetorisch zurück zu dem, was sie am Anfang waren: solche, die im Geist begonnen haben (Gal 3,3), pneumatikoù (Gal 6,1).

2.3 Die Textstrategie der Kapitel 3–6 Anhand der pragmatischen Linie, die sich von Gal 3,3 über Gal 5,13b. 16. 18a. 25 bis Gal 6,1 zieht, läßt sich die Strategie des Verfassers präzisieren, mit der er die Gesamtwirkabsicht seines Briefes verfolgt. Er will seine Adressaten für sein Evangelium zurückgewinnen, indem er sie wieder zu einer einheitlichen Gemeinde von Pneumatikern macht, sie zurückführt zu ihren eigenen Anfängen. Dazu vollzieht er ihre (erneute) Grundprägung als christliche Gemeinde im pneøma-Bereich.27 Diese Strategie der (Neu-) Prägung zeigt sich jedoch nicht nur im Schlußteil des Briefes, sondern bestimmt die gesamten Ausführungen von Gal 3–6. Gal 5,13–6,10 verfolgt also keine andere Strategie als die vorangegangenen Kapitel, sondern führt diese vielmehr erst zum rhetorischen Höhepunkt. Das Zusammenspiel der Kapitel 3–6 im Dienste der Gesamtwirkabsicht des Briefes läßt sich folgendermaßen nachzeichnen28: Nach der „Überschrift“ Gal 3,1–5 belehrt der Abschnitt Gal 3,6–4,6(7) die Adressaten 25 Auf diese Verbindung weist besonders Esler hin (vgl. Boundaries 324), deutet sie jedoch in anderer Richtung. Die meisten anderen Ausleger erwähnen sie eher beiläufig (vgl. z. B. Betz, Galaterbrief 473 f Anm. 52. 53. 56. 61; Dunn, Galatians 295–297; Vouga, Galater 132 f; Longenecker, Galatians 244 f). 26 Zu o« mŒ mit Konjunktiv als die „bestimmteste Form der verneinenden Aussage über Zukünftiges“ vgl. BDR § 365. 27 Vgl. Oepke, der den Brief, allerdings nur bis Gal 5,12, als „Neueinprägung“ des Evangeliums charakterisiert (Galater 29). 28 Eine ausführliche Analyse der Kapitel 3 und 4 ist in dieser Untersuchung nicht mehr zu leisten. Dennoch liegt mir daran, wenigstens skizzenartig aufzuzeigen, daß und wie die vorangegangenen Ausführungen von der Strategie der (Neu-)Prägung bestimmt sind und in welchem Verhältnis sie zu Gal 5,13–6,10 stehen.

2. Auswertung unter dem Gesichtspunkt der beiden Leitfragen

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grundsätzlich über das pneøma und den Stand derer, die in seinem Einflußbereich leben. Im Blick auf Gal 5,13–6,10 ist in diesem Abschnitt besonders wichtig die Deklaration der egalitären Gemeinschaft in Gal 3,26–28. Der Abschnitt 3,6–4,6(7) ist durchzogen von rhetorischen Lenkungen der Adressaten, die sie dazu bewegen sollen, die vorgetragenen Aussagen für sich gelten zu lassen: Gal 3,7 spricht die Adressaten direkt an, Gal 3,13 f. 23–25 schließt die Adressaten in das gemeinchristliche „Wir“ ein, Gal 3,26–29 sagt ihnen ihren neuen Status in Christus direkt zu, Gal 4,3–5 entfaltet der Verfasser wiederum im inklusiven „Wir“-Stil, um schließlich in 4,6 die in Gal 3,2. 5 gestellte Frage in der 2. Person Plural zu beantworten. Die Belehrung zielt also auf eine (Neu-)Prägung des Verständnisses der Adressaten als solche, die den Geist empfangen haben. Mit Gal 4,8–11 äußert der Verfasser auf dem Hintergrund des Entfalteten erneut sein Unverständnis über die aktuellen Bestrebungen der Adressaten. Dabei knüpft er an Gal 3,1–5 durch die Form der rhetorischen Frage (Gal 4,9) und durch das Stichwort eÜká (Gal 4,11) an. Der Abschnitt nimmt den Appell von Gal 3,3 f variiert wieder auf.29 Unter pragmatischer Perspektive ist Gal 4,12–20 ein auffallend intensives Briefstück.30 Der Verfasser spricht sie durchgängig direkt an. Er beschwört die gute Beziehung zwischen Verfasser und Adressaten in der Vergangenheit (Gal 4,13–15) und beklagt das gegenwärtig durch die Gegner gestörte Verhältnis (Gal 4,16–17) in der Absicht, die gute alte Beziehung wiederherzustellen. Durch die Anrede tìkna mou ist Gal 4,19 hervorgehoben. In diesem Vers teilt der Verfasser den Adressaten mit, 29 Vgl. Vouga, Galater 103. 105 f. 30 Zur Deutung des Abschnittes unter dem Gesichtspunkt rhetorischer Freundschaftstopoi vgl. Betz, Galaterbrief 382–409. Seine Einschätzung, es handle sich um einen „persönliche(n) Appell an die Freundschaft“, dessen „Beweiskraft . . . im Thema selber, den Bezeichnungen ,treue‘ und ,falsche‘ Freundschaft“ liegt (Galaterbrief 384 [Hervorhebung von mir]), ist jedoch m. E. zu korrigieren. Der Abschnitt übersteigt die Ebene der persönlichen Freundschaftsbeziehung. Die Beziehung zwischen Verfasser und Adressaten ist von theologischer Bedeutung, insofern sie im Rahmen der egalitären Gemeinschaft der Christusgläubigen steht (vgl. o. S. 142). Die Besonderheit dieses Verhältnisses tritt in dem Abschnitt selbst hervor, wenn Paulus in Gal 4,14 seine Aufnahme durch die Adressaten mit der Aufnahme Christi vergleicht (vgl. Betz, Galaterbrief 392: „Dies ist . . . mehr als eine bloße Übertreibung, da Paulus als Apostel und ,Nachahmer‘ Christi Christus repräsentiert“) und in Gal 4,19 davon spricht, er gebäre die Adressaten erneut, bis daß Christus in ihnen Gestalt annehme. Mag sich Paulus auch der klassischen Freundschaftstopoi bedienen, Paulus spricht hier dennoch nicht als Freund zu Freunden, sondern als Repräsentant Christi zu den Gläubigen, als apostolische Mutter zu ihren Kindern; vgl. Longenecker (Christ 102), der jedoch die theologische Pointe anders auffaßt: „Paul’s analysis of his cherished association with the Galatians is informed primarily by something other than the social codes of friendship; it is rooted instead in an underlying theological conviction about the nature of Christian social behavior (:) . . . the extraordinary reversal of values evident in the Galatians’ behaviour . . . evidenced the Spirit at work within them already when encountering Paul“.

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III. Ergebnis: Die Funktion von Gal 5 und 6 im Gesamtbrief

in welcher Rolle er sich gegenwärtig sieht. Dieser Vers ist unter textpragmatischer Perspektive von entscheidender Bedeutung, denn hier macht der Verfasser selbst die Strategie seines Briefes explizit: Abermals gebiert er seine Gemeinde. Er „arbeitet . . . ein zweites Mal . . . an der eschatologischen Geburt der Adressaten als Gotteskinder (vgl. Gal 3,23–29; 4,1–7)“, wiederholt ihre Bekehrung31, vollzieht (erneut) ihre Grundprägung als Gemeinde Jesu Christi. Mit Gal 4,21 setzt der Verfasser mit einem neuen belehrenden Teil ein, der zur zweiten Argumentationssäule überleitet, der Aufdeckung der Tiefendimension der aktuellen Situation. Mit Gal 4,21–31 führt der Verfasser in Verbindung mit dem leitenden Gedanken „Freiheit – Knechtschaft“ das in Gal 5,13 ff tragende Gegensatzpaar sârx – pneøma ein und läßt das Gesetz die Positionierung der Adressaten im Bereich der Freiheit bzw. des pneøma postulieren. Mit Gal 4,28–31 behandelt er vom Standpunkt der Schrift her die Gegnerfrage in „theoretischer“ Form. Gal 5,1–6 nimmt den Leitgedanken von Freiheit und Knechtschaft auf und bereitet die Assoziation von Beschneidung und Gesetzesgehorsam mit der Kategorie sârx vor. Mit Gal 5,5 f unternimmt der Verfasser einen ersten Versuch, die Adressaten für das christliche Selbstverständnis zu „vereinnahmen“, wie er es ihnen in Gal 3,6–4,7 dargelegt hat. Gal 4,21–31 und Gal 5,1–6 haben also die Funktion, den Schlußpassus vorzubereiten. Die Überleitung endet mit einer intensiven Ansprache an die Adressaten, die sie dazu bewegen will, sich von den Gegnern zu trennen (Gal 5,7–12). Mit Gal 5,13–6,10 kann der Verfasser nun seinen zweiten Argumentationsgang durchführen und die Assoziation der Adressaten mit dem pneøma-Bereich, die (Wieder-)Aneignung paulinischer Überzeugungen rhetorisch zum Ziel führen.

31 Vouga, Galater 112 (vgl. 107); vgl. dazu kritisch Cosgrove, Cross 78: „Paul’s ,birthgiving‘ is to be understood not as the reconversion of the community but as the goal of their maturation as believers“. Gegen die Deutung spricht jedoch das pâlin.

2. Auswertung unter dem Gesichtspunkt der beiden Leitfragen

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Zusammenfassend läßt sich folgender Aufbau der Kapitel 3–6 erkennen: Gal 3,1–5 als „Überschrift“: AG 132:

pneøma å æ Éx ôrgwn nímou vs Éx åkoœ™ pùstew™ (Gal 3,2)

AG 2:

pneÓma

vs

s£rx (Gal 3,3)

Ausführung in Gal 3,6–6,10: AG 1:

pneøma (Gal 3,5) â Gal 3,6–4,11 Gal 4,12–20 (Adressaten/Verfasser/Gegner)

AG 2: pneÓma vs s£rx ↓ ↓Gal 4,21–31 ↓Gal 5,1–6 Gal 5,7–12 (Adressaten/Verfasser/Gegner)

â Gal 5,13–6,10

Ausblick: Der Briefschluß Gal 6,11–18 Zum Abschluss soll skizzenartig aufgezeigt werden, wie der Verfasser sein Thema und seine Textstrategie in Gal 6,11–18, dem Gal 5,13–6,10 folgenden Kontext, zu Ende führt. Der Abschnitt setzt in Gal 6,11 neu ein mit einer „Ankündigung des autographischen Teils“.33 Dies geschieht in Form eines Appells an die Aufmerksamkeit der Adressaten: ¥dete pvlùkoi™ ¡mûn grâmmasin ôgraya tá Émá ceirù. Mit dem Hinweis auf die Größe der Buchstaben will der Verfasser die „Wichtigkeit dessen unterstreichen . . ., was er mit diesen letzten Worten sagen will.“34 32 AG = Argumentationsgang. 33 Vouga, Galater 154. 34 Betz, Galaterbrief 532; vgl. Burton, Galatians 347 f; Dunn, Galatians 335; Lagrange, Galates 162; Martyn, Galatians 569; Mußner, Galaterbrief 409 f; Schlier, Galater 279 f.

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III. Ergebnis: Die Funktion von Gal 5 und 6 im Gesamtbrief

Mit Gal 6,12–13 holt der Verfasser zu einem letzten Angriff auf die Gegner aus, der die Grundgedanken von Gal 5,13–6,10 gegen sie zuspitzt. In diesen Versen macht der Verfasser die Gedankenfäden von Gal 5,13–6,10 im Verbund gegen die Gegner geltend. In Gal 6,12–13 finden sich der Gedanke von der Beschneidung als Konkretion der sârx, das Thema „Ansehen“ bzw. „Ruhm“ (Gal 6,12a: Ñsoi hìlousin e«proswpœsai °n sark·, oÓtoi ånagkâzousin ¡mé™ perit−mneshai; Gal 6,13b: ållä hìlousin ¡mé™ perit−mneshai, ¢na °n tá Ímet−rü sark¸ kaucŒswntai) sowie das „Gesetz“ (Gal 6,13a: o«dÄ gär oÖ peritemnímenoi a«toÿ nÁmon fulâssousin). In diesen beiden Versen kann der Verfasser die gesamte Bandbreite des Stichwortes sârx gegen die Gegner ausspielen: Die Wendung e«proswpœsai Én sarkù bzw. Én tá ¡metìr⁄ sarkÿ kaucéshai läßt sich zunächst so verstehen, daß die Gegner ein gutes Ansehen „vor Menschen“ haben wollen (Gal 6,12a)35, das zudem auf anderen gründet (Gal 6,13c). Damit stehen sie in eklatantem Widerspruch zu dem, was in der Gemeinschaft der Christusgläubigen hinsichtlich Ansehen und Ruhm gilt (Gal 5,3–5). Durch die direkte Verknüpfung von sârx mit der Beschneidung klingt die spezielle Bedeutung „Beschneidungsfleisch“36 an: Die Gegner wollen sich derer rühmen37, die sie für die jüdische Lebensweise haben gewinnen können38, oder wortwörtlich verstanden: Die Gegner wollen ihren Ruhm 35 Vgl. Bauer/Aland, s. v. e«proswpìw 656; Lohse, ThWNT VI 779; Oepke, Galater 200. 36 Zu sârx als Bezeichnung des Beschneidungsfleisches s. o. S. 84 f mit Anm. 107. 37 Zu kaucéshai mit Én vgl. Klein, Werkruhm 208: „Gegenstand und Grund . . ., das Woraufhin des Ruhms (wird) vom Apostel . . ., solange er sich präpositionaler Wendungen bedient, in verbalem Sprachgebrauch durchweg mit Én, in substantivischem Gebrauch mit Én oder ¡pìr“ angezeigt. 38 Vgl. Becker, Galater 98; Dunn, Galatians 336. 339 f (Dunn will nur diese Deutung gelten lassen [vgl. Galatians 340]; vgl. zu dieser Ausschließlichkeit Anm. 39); Oepke, Galater 202; Schlier, Galater 281; Vouga, Galater 155 f. Als historischer Hintergrund dieses Bestrebens der Gegner wird im Anschluß an Gal 6,12b häufig der Gedanke geäußert, die Gegner wollten sich mit der Beschneidung gegen die Verfolgung durch die jüdischen Autoritäten schützen (vgl. z. B. Oepke: Die Gegner wissen: „(S)olange sie selber das Gesetz halten und es auch den Heidenchristen mit Erfolg auferlegen, wird man ihnen jüdischerseits ihren Messiasglauben und ihre Proselytenmacherei allenfalls zugute halten, und sie können im Schatten des Judentums als religio licita ruhig ihr Dasein fristen“ [Galater 200 f]; vgl. Becker, Galater 98 f; Betz, Galaterbrief 534–536; Jewett, Agitators 198 ff [bes. 206]; Martyn, Galatians 561 f; Schlier, Galater 280). Das muß jedoch als historische Rekonstruktion fraglich bleiben. Durch den ¢na-Satz Gal 6,12b kennzeichnet der Verfasser die Gegner als Opponenten des Kreuzes, der „Wahrheit“ des Evangeliums. Der Gedanke läßt den Gegenentwurf von Verfasser und Gegnern in Gal 5,7–11 anklingen (vgl. Matera, Culmination 83). Dort hatte sich der Verfasser selbst als Vertreter der Wahrheit des Evangeliums, des Kreuzes präsentiert, der Verfolgung erleidet. Die Gegner repräsentieren genau das Gegenteil, indem sie die Beschneidung verkündigen, der Verfolgung entgehen und damit das Kreuz verraten. Dem Verfasser scheint an einer Stilisierung der Gegner zu liegen als Vertreter des „GegenEvangeliums“ im Gegenüber zu sich selbst als Vertreter des wahren Kreuzesevangeliums (vgl. Gal 6,14). Mit einer mehr oder weniger wirklichkeitsnahen Wiedergabe ihrer theologischen

2. Auswertung unter dem Gesichtspunkt der beiden Leitfragen

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auf die Vorhaut (anderer) gründen.39 Bei all diesen Bedeutungsvarianten, die die Verse anklingen lassen, schwingt der Sinn von sârx mit, den der vorangegangene Abschnitt Gal 5,13–6,10 herausgestellt hat: sârx als der widergöttliche Bereich. Der Verfasser zeichnet seine Gegner in ihrer Orientierung an der sârx als gänzlich von dieser Macht bestimmt. Sie wollen gutes Ansehen haben im Fleisch. Das haben sie: Bezogen auf den widergöttlichen Bereich ist ihr Ansehen untadelig. Deutlicher können sie sich kaum als Repräsentanten des sârx-Bereiches erweisen, als sie es mit ihrer Verführung der Adressaten tun. Ihre sarkastische Schärfe gewinnt die Aussage aufgrund der semantischen Anreicherung des Begriffs sârx in Gal 5,13–6,10, durch die sârx theologisch aufgeladen wurde.40 Auch der Hinweis auf das Gesetz in Gal 6,13 dient dem Aufweis der Okkupation der Gegner durch die sârx.41 Nímo™ ist spätestens seit Gal 6,2 umdefiniert zum Liebesgebot: Dieses Gesetz42 befolgen die Gegner Position oder ihrer tieferen Beweggründe ist demnach nicht unbedingt zu rechnen; vgl. Mußner: Paulus „schreibt im Stil der ,Ketzerpolemik‘, aber er sieht alles im Licht seiner Kreuzestheologie und ihrer radikalen Logik“ (Galaterbrief 414 [vgl. 412]; etwas vage, aber offenbar auch in dieser Richtung Vouga, Galater 155 f; s. o. zu Gal 5,11 o. S. 78 ff mit Anm. 88 und Anm. 89). 39 Eine Pointe der Polemik gegen die Gegner scheint mir darin zu liegen, auf sârx im wortwörtlichen Sinn anzuspielen. Die groteske Vorstellung, sie wollten ihr Ansehen auf die Vorhaut gründen, stellt der Verfasser so dar, als entspräche sie dem Wunsch der Gegner (hìlousin [_¢na]; Gal 6,12a. 13b), als setzten sie alles daran (ånagkâzousin; Gal 6,12b). Damit gibt der Verfasser die Gegner der Lächerlichkeit preis; vgl. Martyn, Galatians 561; Jewett, Terms 96 (entgegen der Auffassung von Jewett, Gal 6,13c lasse nur diese Deutung zu und keine andere [vgl. dazu auch Anm. 38], bin ich jedoch der Meinung, daß die Formulierungen der Verse Gal 6,12 und 13 offen sind für weitere Bedeutungen, der Verfasser also bewußt den Text so angelegt hat, daß alle Bedeutungsvarianten für sârx anklingen, die der Brief präsentiert hat). 40 Diesen entscheidenden Punkt übersieht Weima, der die Bedeutung des Briefschlusses Gal 6,11–18 als „hermeneutical key“ für die Erschließung des Briefes zwar herausstellt (vgl. Key 106 f), dem Abschnitt Gal 5,13–6,10 jedoch im Allgemeinen, dem hier tragenden Gegensatz von pneøma und sârx im Besonderen, keine große Bedeutung beimißt (zum Stichwort sârx in 6,12 f vgl. Weima, Key 95 mit Anm. 12). 41 In Gal 6,13 verwendet der Verfasser sârx keineswegs „with a fairly neutral sense“ (Adams, World 231). 42 Vgl. in dieser Richtung Weder: Paulus „führt . . . ins Feld, daß es den Gegnern bei ihrer Beschneidungsforderung gerade nicht um das Halten des Gesetzes geht (V. 13a), das ja in der Liebe seine Erfüllung findet“ (Kreuz 204; s. auch Kreuz 204 Anm. 319). – Dafür, daß das umdefinierte Gesetz gemeint ist, spricht nicht nur entscheidend der vordere Kontext, sondern auch die adversative Gegenüberstellung von nímo™ und Beschneidung (o«dì . . . nÁmon fulâssousin ållä hìlousin ¡mé™ perit−mneshai; Gal 6,13). Bereits durch diese Struktur hält der Vers Gesetz und Beschneidung in der Sache auseinander, was wenig Sinn macht, wenn beide Ausdrücke die jüdische Existenzweise bezeichnen sollen (vgl. Betz, der die Schwierigkeit benennt: „Das adversative ållâ . . . gibt wenig Sinn, da V 13b zu V 13a nicht wirklich im Gegensatz steht“ [Galaterbrief 538]). Bezeichnet jedoch nímo™ das von Christus her umdefinierte Liebesgebot, erklärt sich die Gegenüberstellung ungezwungen. Gal 6,13

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III. Ergebnis: Die Funktion von Gal 5 und 6 im Gesamtbrief

wahrlich nicht, da sie mit der Einführung der Beschneidung die egalitäre Gemeinschaft der Christusgläubigen zerstören und damit der Liebe zuwiderhandeln, dem Verhalten, das einzig dieser Gemeinschaft entspricht.43 Mit Gal 6,12–13 zieht der Verfasser den Aufweis der Tiefendimension der aktuellen galatischen Krisensituation aus auf die Gegner, indem er diese im Konflikt zwischen den kosmischen Mächten auf der Seite der sârx verortet. In Gal 6,14 präsentiert der Verfasser sich selbst mit einem Gegenbild zu den Gegnern, das die Züge des christlichen Selbstverständnisses integriert, für das er seine Adressaten zurückgewinnen will. Gal 6,14 expliziert den Gedanken des einzig legitimen Ruhmes in Christus, den Gal 6,3–5 in Abwehr eines falschen Verständnisses thematisiert hat. Das Verb stauroøn bezieht sich zurück auf Gal 5,24, der Grundsatzerklärung über das Verhältnis der Christusgläubigen zur sârx.44 In Gal 6,15 begründet der Verfasser sein Selbstverständnis, das er in Gal 6,14 skizziert hat, mit dem Hinweis auf das allgemeinchristliche Selbstverständnis. Gal 6,15 reformuliert die Kurzfassung christlicher Glaubensüberzeugung in Gal 5,5 f, die die leitenden Gedanken des Abschnittes Gal 5,13–6,10 in nuce enthält.45 Die oõte-oõte-ållâ-Struktur in Kombination mit peritomŒ und åkrobustùa wiederholt Gal 5,6 und weist über diesen Vers zurück auf Gal 3,26–28.46 Mit kainÀ ktùsi™ bringt der Verfasser die egalitäre Gemeinschaft der Christusgläubigen, die Liebe als maßgebliche entspricht dann den Versen Gal 5,13b. c und 5,6, die ebenfalls mit ållâ adversativ Liebe bzw. das Liebesgebot mit der Beschneidung kontrastieren. 43 Folgende Auffassung trifft demnach den primären Gedanken des Verses nicht: Paulus wolle „den Gegner in seinem typisch jüdischen Unvermögen, das Gesetz zu erfüllen, karikieren“ (Eckert, Verkündigung 35; vgl. Betz, Galaterbrief 536 f; Mußner, Galaterbrief 413 f) bzw. dessen überführen, daß sie die jüdische Thora nicht streng genug einhalten (vgl. Howard, Crisis 15 f; Longenecker, Galatians 293; Martyn, Galatians 563; Schlier, Galater 281). Nicht ausgeschlossen erscheint mir zwar, daß der „Vorwurf“ durchaus beabsichtigt mitschwingen soll, die Gegner nähmen das jüdische Gesetz selbst nicht ernst. Wie schon zuvor spielt der Verfasser mit den Assoziationen seiner realen Adressaten, bei denen nímo™ eigene Vorstellungen abruft. Gal 6,13 zielt aber in erster Linie darauf, den Adressaten „mitzuteilen“, daß die Gegner das „Gesetz“ nicht so befolgen, wie es befolgt werden will, nämlich im Tun der Liebe, die dem Christusgeschehen entspricht (vgl. Gal 6,2; 5,13 f). 44 Vgl. Mußner, Galaterbrief 414; Vouga, Galater 156. Kísmo™ variiert dabei den Ausdruck sârx; vgl. Mußner, Galaterbrief 414; Vouga, Galater 157; grundsätzlich Sasse, ThWNT III 885. 893 f (vgl. auch Sasse, ThWNT III 894: „Die Welt ist Inbegriff der unerlösten Kreatur“) sowie die Modifikationen der Sicht Sasses bei Adams, World 240–242. – Über den Bezug auf Gal 5,24 hinaus besteht zudem eine deutliche Verbindung des Abschnittes zu Gal 2,19 f; vgl. Vouga, Galater 156. 45 Vgl. Oepke, Galater 203; s. o. zu Gal 5,5 f S. 68 f. 46 S. o. S. 68 f.

2. Auswertung unter dem Gesichtspunkt der beiden Leitfragen

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Handlungsnorm im pneøma-Bereich auf einen neuen Begriff.47 In der Präsentation seines Selbstverständnisses und dessen Begründung macht der Verfasser also die zentralen Gedanken des vorangegangenen Abschnittes Gal 5,13–6,10 in konzentrierter Form geltend.48 Unter pragmatischer Perspektive empfiehlt der Verfasser sich noch einmal als Repräsentant der „Wahrheit des Evangeliums“ und als Vorbild christlicher Identität, dessen Imitation den Adressaten nahegelegt wird. Die Segensformel von Gal 6,16 knüpft an das gemeinchristliche Verständnis von Gal 6,15 an. In verobjektivierter und konditionaler Form49 sagt der Verfasser denen Segen zu, die den Maßstab der neuen Schöpfung für sich gelten lassen „mit all dem, was allein in ihr Geltung besitzt“.50 Das Verb stoicŒsousin knüpft an den Vers Gal 5,25 an, der seinerseits zurückverweist auf Gal 5,16 (peripateûn) und 5,7 (trìcein). Damit steht Gal 6,16 in einer Reihe mit diesen an die Adressaten gerichteten Appellen. Unter pragmatischer Perspektive stellt der Verfasser durch die verobjektivierte und konditionale Form den Adressaten gegenüber den Segen, der ihnen zugedacht ist, unter einen Vorbehalt. Er gilt ihnen für den Fall, daß sie den Aufforderungen von Gal 5,7. 16. 25 tatsächlich nachkommen und sich zu dem bewegen lassen, was der Verfasser bei ihnen mit Hilfe des Briefes erreichen will: die Übernahme der in Gal 6,14 auf den Punkt gebrachten Überzeugung. Noch einmal appelliert der Verfasser gegenüber den realen Adressaten implizit daran, das rhetorisch bei ihnen mit Gal 5,25 Erreichte für sich gelten zu lassen.51 47 Zu diesem „sondersprachlichen Ausdruck“ (Hoegen-Rohls, Paulus 147) und seiner sprachlichen Wirkung vgl. die Ausführungen bei Hoegen-Rohls (Paulus 146–150 [bes. 149]), die den Vers einer Klang- und Stilanalyse unterzieht; zu der Frage, ob kainÀ ktùsi™ anthropologisch oder kosmologisch aufzufassen ist, vgl. Adams (World 226 ff), der die verschiedenen Positionen darstellt und die soziale Funktion der Antithese von kísmo™ und kainÀ ktùsi™ herausstellt (vgl. Adams, World 228. 239 ff); zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund vgl. Mell, Schöpfung 9–253 sowie seine Auslegung (Schöpfung 259–325) z. St. als „Annullierung des soteriologischen Privilegs der Synagoge“ (Schöpfung 303; zu dem hier angenommenen soteriologischen Vorrang des „jüd., zum Thorastudium befähigten freien Mann(es)“ [Schöpfung 314] vgl. aber o. S. 111 f). 48 Daß Gal 6,15 allein Gal 5,13–6,10 zusammenfasse, sei damit nicht behauptet (vgl. z. B. die Bezüge zu Gal 2,19 f; zu den vielfältigen Verbindungen zwischen Gal 6,11–17 und Gal 5,1–12 vgl. Matera, Culmination 83). In diesem Zusammenhang geht es mir jedoch wesentlich darum aufzuzeigen, wie stark der Schlußpassus von den Ausführungen des Abschnittes Gal 5,13–6,10 geprägt ist. 49 Vgl. Betz, Galaterbrief 543 f; Vouga, Galater 157. 50 Mußner, Galaterbrief 415. 51 Auf den umstrittenen Teilvers Gal 6,16b (kaÿ ôleo™ kaÿ Épÿ tón šIsraÀl toø heoø) kann ich in diesem Zusammenhang nicht ausführlich eingehen. M. E. macht er jedoch am meisten Sinn, wenn man ihn als zweiten Teil des Segensspruches versteht (vgl. zu alternativen Auffassungen zur Struktur Vouga, Galater 157), der sich auf das empirische Israel bezieht (vgl.

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III. Ergebnis: Die Funktion von Gal 5 und 6 im Gesamtbrief

Mit Gal 6,17 blickt der Verfasser in die Zukunft (toø loipoø): Zukünftig soll niemand den Apostel „belästigen“ (kípou™ parìcein).52 Mit dem Stichwort „belästigen“ wird die gegenwärtige Auseinandersetzung mit den Galatern implizit als lästiges Ärgernis abqualifiziert. Eine apostolische Intervention, so wie sie der jetzige Brief darstellt, soll in Zukunft ausgeschlossen sein und die Einigkeit mit dem Apostel ungestört bleiben.53 Noch einmal bietet der Verfasser für diesen Appell seine göttliche Autorität auf (6,17b): Die Einigkeit wird nicht mit Paulus persönlich eingefordert, sondern mit dem Repräsentanten des Evangeliums, dem Apostel, hinter dem der Gekreuzigte sichtbar wird. So belästigt derjenige, der den Apostel belästigt, mittelbar den gekreuzigten Jesus.54 Gal 6,17 ist der letzte explizite Appell des Briefes, der weitere Auseinandersetzungen mit dem Apostel unterbinden will. Die unpersönliche Formulierung läßt offen, wem der Appell gilt. Der Verfasser kann ihn nicht direkt an die realen Adressaten richten, will er nicht hinter ihren im Brief rhetorisch erreichten Stand als Pneumatiker zurückfallen. Die Offenheit der Aufforderung ist also wiederum rhetorisch bedingt. Der unpersönliche Appell signalisiert den realen Adressaten, daß der Verfasser die Diskussion mit ihnen als beendet betrachtet. Zugleich gibt er denjenigen, die sich der beabsichtigten Wirkung des Briefes entziehen bzw. in Zukunft vom Evangelium des Apostels abweichen wollen, zu verstehen, daß mit dem Erhalt des Briefes jeder Dissens mit dem Apostel des gesetzesfreien Evangeliums ausgeschlossen sein soll. Verstärkt wird dieser Appell sachlich durch den Gedanken von 6,17b, daß jeder Angriff auf den Apostel und seine Position mittelbar einen Angriff auf den Gekreuzigten bedeutet. in dieser Richtung Bachmann, Kirche 159–189; Lindemann, Israel 175 f; Mußner, Galaterbrief 416 f; Penna, Évolution 407 ff). Faßt man den Vers in diesem Sinne auf, dann empfiehlt der Verfasser Israel dem Erbarmen Gottes, inklusive derjenigen, gegen die der Verfasser jede Zeile seines Briefes gerichtet hat, weil sie für Beschneidung und Gesetzesgehorsam eintreten. Damit stellt er ihr Geschick jenseits seiner vehementen Abrechnung mit ihrer theologischen Position Gottes gnädigem Handeln anheim (vgl. in ähnlicher Richtung Dunn, Galatians 345; Bachmann, Kirche 172 [nicht einleuchtend erscheint mir jedoch die Annahme, Gal 6,12 f sei in einem „etwas milderen Ton“ formuliert als die vorangegangenen Auseinandersetzungen mit den Gegnern, besonders Gal 5,7–12 {Bachmann, Kirche 167}; vgl. dazu o. S. 196 ff zu den Versen Gal 6,12 f, die m. E. an Schärfe nichts zu wünschen übrig lassen]). Vgl. zu alternativen Auffassungen und zur Diskussion des Verses z. B. Betz, Galaterbrief 545 ff; Bachmann, Kirche 159–189; Dunn, Galatians 344–346; Martyn, Galatians 574–577; Roloff, Kirche 125 f; Vouga, Galater 157 f; Weima, Key 104 ff. 52 Zu dieser Bedeutung von kípou™ parìcein vgl. Vouga, Galater 158. 53 Vgl. Mußner, Galaterbrief 418; s. auch Betz, Galaterbrief 549. 54 Vgl. Güttgemanns, Apostel 134 (vgl. auch o. zu Gal 4,13 f S. 91 Anm. 144 und zu Gal 5,11 S. 79 Anm. 89; kritisch dazu Wolter, Apostel 535 ff [bes. 546–548]. Zu der Frage, wie man sich die stùgmata näherhin vorzustellen habe, s. z. B. die auf Güttgemanns zurückgreifende Zusammenstellung der verschiedenen Deutungsmöglichkeiten bei Mußner, Galaterbrief 418 ff.

2. Auswertung unter dem Gesichtspunkt der beiden Leitfragen

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Mit dem Gnadenspruch in Gal 6,18 empfiehlt der Verfasser abschließend den Geist der Adressaten der Gnade Christi. Tó pneøma ¡mÂn steht für die Adressaten selbst.55 Der Vers enthält den Wunsch, Christus möge den Adressaten die richtige „Gesinnung“, die richtige „Richtung des Wollens“ geben.56 Auffällig ist die Singularformulierung metä toÓ pneËmatoß ¡mÂn. Der Wunsch zielt auf eine gemeinsame Gesinnung, eine einheitliche Ausrichtung des Wollens der Adressaten, ganz wie es der unverzichtbaren Einheit in Christus entspricht. Daß der Verfasser am Ende seines Briefes die Adressaten mit der Wendung tó pneøma ¡mÂn anspricht, ist kein „(r)hetorisches Pathos“57, sondern rhetorische Strategie.58 Mit seinem Brief hat der Verfasser versucht, seine Adressaten als eine Gemeinde (neu) zu prägen, die vom göttlichen pneøma bestimmt und geleitet ist: als pneumatikoù. Gal 6,18 äußert den Wunsch, dieser Versuch möge erfolgreich sein: „Paul makes his penultimate word the request that God pour his free grace into the Galatians’ innermost parts, thoroughly affecting the whole of their beings.“59 Ihr pneøma möge sich im Einklang mit dem göttlichen pneøma befinden, was bedeutet, daß sie sich so verstehen und so leben, wie der Verfasser es ihnen in seinem Brief nahegelegt hat. Der Segensspruch verstärkt abschließend das rhetorische Ziel des Briefes im Namen göttlicher Autorität. Nach allen Appellen des Verfassers an seine Adressaten stellt dieser nun seine Bemühungen der Gnade Christi, Gott, anheim. Der Absicherung des Briefziels dient auch die letzte direkte Anrede der Adressaten als ådelfoù. Als Brüder sind die Adressaten dem Verfasser verbunden, insofern sie sich mit ihm zur Gemeinschaft der Christusgläubigen rechnen. 55 Vgl. Bultmann, Theologie 207; Schweizer, ThWNT VI 433. 56 Zu dieser Bedeutung von pneøma vgl. Bultmann, Theologie 207 f. 57 Bultmann, Theologie 207. 58 Die Besonderheiten, die der Schlußsegen gegenüber dem anderer Paulusbriefe aufweist, lassen sich auch nicht mit der Auskunft beiseite schieben, sie seien „darauf zurückzuführen, daß dies ein traditioneller Segensspruch ist, der nicht von Paulus selber formuliert wurde“ (Betz, Galaterbrief 551; der Schlußsegen fällt auf durch die direkte Anrede ådelfoù sowie durch die Wendung metä toø pne‹mato™ ¡mÂn; ersteres findet sich in keinem vergleichbaren Schlußsegen, letzteres nur in Phil 4,23 und Phlm 25). Eine solche Aussage enthebt nicht der Beantwortung der Frage, welchen Sinn ein solches Traditionsstück in seinem neuen Kontext gewinnt. Die Eigentümlichkeiten sind im Kontext des Briefes auf ihren speziellen Sinn hin zu befragen. Dieser Aufgabe entzieht sich auch Schlier, wenn er ein grundsätzliches Deutungsverbot der Auffälligkeiten im Rahmen des Briefes verhängt: „Aber man darf hinter dieser Formulierung (metä toø pne‹mato™ ¡mÂn; Verf.) keine Absicht vermuten und etwa an den doch auf einer ganz anderen Ebene liegenden Gegensatz von sârx und pneøma in unserem Brief denken“ (Galater 285 [Hervorhebung von mir]; ein solches Verbot verkennt prinzipiell, daß der Kontext die Bedeutungserschließung eines Satzes wesentlich steuert). 59 Martyn, Galatians 569. Vgl. den Rückbezug von câri™ über Gal 5,4 zu 1,6: Der Verfasser empfiehlt die Adressaten der Gnade dessen an, der sie berufen hat, der sie hinübergerettet hat aus dem gegenwärtigen bösen Äon in den pneøma-Bereich (Gal 1,4); vgl. Longenecker, Galatians 300.

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III. Ergebnis: Die Funktion von Gal 5 und 6 im Gesamtbrief

Diese Anrede ist „die letzte pragmatische Betonung der Gemeinschaft zwischen dem Apostel und seinen Adressaten, die durch die Argumentation des Briefes hergestellt wird.“60 Den Segenswunsch beendet der Verfasser mit einem åmŒn.61 Dieser Beschluß hebt die Dringlichkeit des Segenswunsches hervor, der das Anliegen des Briefes in gedrängter Form wiedergibt. Der Wunsch bedarf einer letzten Beteuerung: Es möge wirklich so sein, wie der Verfasser es den Adressaten nahegelegt hat. Zugleich zielt das åmŒn darauf, daß die Adressaten einstimmen in dieses Amen, es „laut und mit voller Zustimmung nachsprechen . . ., wenn ihnen der Brief . . . vorgelesen werden wird.“62 Zusammenfassend läßt sich sagen, daß der Abschnitt Gal 6,11–18 die Gedankenfäden von Gal 5,13–6,10 auszieht und die Textstrategie der Kapitel 3,1–6,10 bis zum Ende weiterführt. Auf den Ablauf der Kapitel 3–6 bezogen, entspricht der Abschnitt in seinem ersten Teil den Abschnitten, die das Verhältnis von Adressaten, Verfasser und Gegner betreffen, nämlich Gal 4,12–20 und Gal 5,7–12. So wie Gal 4,12–20 den ersten Argumentationsgang (Gal 3,6 ff) mit einer Auseinandersetzung mit den Gegnern beschließt und Gal 5,7–12 zum zweiten Argumentationsgang überleitet, so beendet Gal 6,11–14 den zweiten Argumentationsgang (Gal 5,13 ff) mit einem letzten Angriff auf die Gegner. Das Material dieser Polemik gewinnt er aus den Gedanken von Gal 5,13–6,10. Zugleich beendet der Abschnitt den Gesamtbrief. Die letzte Selbstpräsentation des Verfassers gleitet über in eine sachliche Gesamtzusammenfassung und eine letzte Absicherung des rhetorischen Ziels, das der Verfasser mit dem Brief erreichen will: die Rückgewinnung einer Gemeinschaft von Pneumatikern.

60 Vouga, Galater 159; vgl. Dunn, Galatians 347 f; Martyn, Galatians 569. 61 Es besteht wenig Anlaß zu der Vermutung, daß das åmŒn nicht vom Verfasser selbst stammt, sondern nachträglich eingefügt worden ist (vgl. Betz, Galaterbrief 552). Textkritisch ist es unstrittig als zum Text gehörig belegt. 62 Mußner, Galaterbrief 421; vgl. Dunn, Galatians 348; Martyn, Galatians 596 f.

Literatur Literatur

Literatur

Die Abkürzungen richten sich nach Schwertner, S.: Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, 2., überarb. u. erw. Aufl., Berlin/New York 1992. Die in den Anmerkungen verwendeten Kurztitel sind den jeweiligen bibliographischen Angaben hinzugefügt. In der Regel ergibt sich der Kurztitel aus einem signifikanten Hauptwort des vollständigen Titels; eine Ausnahme bilden die Lexikonartikel, die unter dem Lexikontitel angeführt werden. ADAMS, E.: Constructing the World. A Study in Paul’s Cosmological Language, Edinburgh 2000: World. ANDERSON JR., R. D.: Ancient Rhetorical Theory and Paul (Contributions to Biblical Exegesis and Theology 18), Rev. Ed., Leuven 1999: Theory. AUNE, D. E.: Rezension zu H. D. Betz: Galatians: A Commentary on Paul’s Letter to the Churches of Galatia (Hermeneia – A Critical and Historical Commentary on the Bible), Philadelphia 1979, RStR 7 (1981) 322–328: Rez. Betz. –: Rezension zu B. H. Brinsmead: Galatians – Dialogical Response to Opponents (SBL.DS 65), Chico 1982, CBQ 46 (1984) 145–147: Rez. Brinsmead. BACHMANN, M.: Die andere Frau. Synchrone und diachrone Beobachtungen zu Gal 4.21–5.1, in: Ders.: Antijudaismus im Galaterbrief? Exegetische Studien zu einem polemischen Schreiben und zur Theologie des Apostels Paulus (NTOA 40), Freiburg, Schweiz/Göttingen 1999, 127–158: Frau. –: Kirche und Israel Gottes. Zur Bedeutung und ekklesiologischen Relevanz des Segenswortes am Schluß des Galaterbriefes, in: Ders.: Antijudaismus im Galaterbrief? Exegetische Studien zu einem polemischen Schreiben und zur Theologie des Apostels Paulus (NTOA 40), Freiburg, Schweiz/Göttingen 1999, 159–189: Kirche. –: Sünder oder Übertreter. Studien zur Argumentation in Gal 2,15 ff (WUNT 59), Tübingen 1992: Sünder. BARCLAY, J. M. G.: Mirror Reading a Polemical Letter: Galatians as a Text Case, JSNT 31 (1987) 73–93: Mirror Reading. –: Obeying the Truth. Paul’s Ethics in Galatians, Minneapolis 1988: Truth. BARRETT, C. K.: Freedom and Obligation. A Study of the Epistle to the Galatians, London 1985: Freedom. BAUER, W./ALAND, K. und B.: Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der frühchristlichen Literatur, 6., völlig neubearb. Aufl., im Institut für neutestamentliche Textforschung/Münster unter bes. Mitwirkung v. V. Reichmann hg. v. K. Aland und B. Aland, Berlin/New York 1988: Bauer/Aland.

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Jesus’ Death in Early Christian Memory The Poetics of the Passion Novum Testamentum et Orbis Antiquus / Studien zur Umwelt des Neuen Testaments, Band 53. 2004. 202 Seiten, gebunden ISBN 3-525-53954-1 Vandenhoeck & Ruprecht/Academic Press Fribourg

Leiden und Tod Jesu sind Gegenstand poetischer und hymnischer Überlieferungen, die unabhängig von den Passionserzählungen der Evangelien entstanden. Diese Untersuchung des 1. Korintherbriefs, des 1. Petrusbriefs, des Hebräerbriefs und des Barnabasbriefs stellt eine Verbindung her zwischen den poetischen Passagen über Leiden und Tod Jesu und den Riten der frühchristlichen Gemeinden.

Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments Herausgegeben von Dietrich-Alex Koch und Matthias Köckert. Eine Auswahl.

205: Wolfgang Schrage

Kreuzestheologie und Ethik im Neuen Testament Gesammelte Studien 2004. 304 Seiten, Leinen ISBN 3-525-53889-8

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Between Moses and Plato Individual and Society in Deuteronomy and Ancient Greek Law 2003. X, 351 Seiten, Leinen ISBN 3-525-53888-X

Hanna Roose

Eschatologische Mitherrschaft Entwicklungslinien einer urchristlichen Erwartung

203: Esther Straub

Kritische Theologie ohne ein Wort vom Kreuz

Novum Testamentum et Orbis Antiquus / Studien zur Umwelt des Neuen Testaments, Band 54. 2004. 376 Seiten, gebunden ISBN 3-525-53955-X Vandenhoeck & Ruprecht /Academic PressFribourg

Zum Verhältnis von Joh 1-12 und 13-20 2003. 249 Seiten, Leinen ISBN 3-525-53887-1

Wahrscheinlich stellte schon der historische Jesus den Mitgliedern seines Zwölferkreises eschatologische Herrschaft in Aussicht (Mt 19,28/par LK 22,30). Die Erwartung eschatologischer Machtausübung spiegelt also ein Stück urchristlicher (Problem-)Geschichte, die in der vorliegenden Untersuchung erstmals im Zusammenhang anhand von neutestamentlichen und apokryphischen Texten des 1. und 2. Jh. n.Chr. nachgezeichnet wird.

Jesus als historische Gestalt

202: Gerd Theißen Beiträge zur Jesusforschung Zum 60. Geburtstag von Gerd Theißen herausgegeben von Annette Merz. 2003. VIII, 373 Seiten, Leinen ISBN 3-525-53886-3