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German Pages 701 Year 1997
Ordnungskonforme Wirtschaftspolitik in der Marktwirtschaft Festschrift für Prof. Dr. Hans-Rudolf Peters zum 65. Geburtstag
Volkswirtschaftliche Schriften Begründet von Prof. Dr. Dr. h. c. J. Broermann t
Heft 474
Ordnungskonforme Wirtschaftspolitik in der Marktwirtschaft Festschrift für Prof. Dr. Hans-Rudolf Peters zum 65. Geburtstag
I1erausgegeben von
Sylke Behrends
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ordnungskonforme Wirtschaftspolitik in der Marktwirtschaft : Festschrift für Prof. Dr. Hans-RudolfPeters / hrsg. von Sylke Behrends.Berlin : Duncker und Humblot, 1997 (Volkswirtschaftliche Schriften; H. 474) ISBN 3-428-08519-1
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1997 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0505-9372 ISBN 3-428-08519-1 Gedruckt auf aIterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Vorwort Unter dem Titel "Ordnungskonforme Wirtschaftspolitik in der Marktwirtschaft" versammelt diese Festschrift Beiträge, die dem Universitätsprofessor Dr. Hans-Rudolf Peters, Ordinarius der Volkswirtschaftslehre, zur Vollendung seines 65. Lebensjahres gewidmet sind. Der Titel der Festschrift weist auf das Grundanliegen von Professor Peters hin, das sein wissenschaftliches Werk von der Promotion bis heute maßgebend geprägt hat. Mit ihren Beiträgen möchten die Verfasser den Jubilar als einen verdienten und wirtschaftspolitisch hoch engagierten Wissenschaftler und Kollegen sowie einen sehr geschätzten akademischen Lehrer ehren und ihre herzliche Verbundenheit zum Ausdruck bringen. Die in dieser Festgabe enthaltene Zahl der Artikel der mit Professor Peters in wissenschaftlichem Austausch und Kontakt stehenden Autoren und ihre thematische Vielfalt erforderten eine gewisse inhaltliche Zuordnung. Als Gliederungskriterium wurden die vier zentralen Bereiche volkswirtschaftlicher Forschung und Lehre von Professor Peters verwendet. Dabei erstreckt sich das Spektrum der Beiträge von dogmengeschichtlich respektive historisch über sektoral bis global orientierten Themenkomplexen bzw. -aspekten.
Im ersten Teil sind unter der Überschrift "Ordnungspolitik und Wirtschaftssystem" teilweise gewisse Themenblöcke enthalten. So beschäftigen sich zwei Abhandlungen mit der Sozialen Marktwirtschaft, die sowohl unter dogmengeschichtlichen Aspekten als auch in bezug auf die Europäische Gemeinschaft analysiert wird. In zwei weiteren Artikeln steht die ordnungspolitische Bewertung der Wohnungspolitik im Mittelpunkt der Analyse. Außerdem wird die Regulierungsproblematik der Agrarpolitik in der Marktwirtschaft beleuchtet und abschließend der ordnungspolitische Rückschritt in Serbien dargestellt. Der zweite Teil steht unter dem Titel "Theorie der Wirtschaftspolitik". Auch dieser Abschnitt beginnt mit einem dogmengeschichtlichen Beitrag in Form der ideengeschichtlichen Positionsbestimmung der beiden Volks- und Agrarwirte 1. H. von Thünen und K. Rodbertus-Jagetzow. Anschließend folgen vier global orientierte Beiträge. Zunächst beschäftigt sich ein Aufsatz mit Wachstumsverlusten bei dem Faktum grenzüberschreitender Rechtsunsicherheit. Sodann steht die Rolle der Spekulation bei der Enstehung ökonomischer Krisen im Mittel-
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Vorwort
punkt der Analyse. Des weiteren erfolgt die Darstellung der ordnungspolitischen Neuerung makroökonomischer Stabilitätspolitik in der Europäischen Währungsunion. Im Anschluß daran befaßt sich ein Essay mit Transformationsökonomien - Transformation und Innovation in östlichen Wirtschaften. Unter der Rubrik ,,Mesoökonomie und Strukturpolitik" im dritten Teil lassen sich sowohl industriepolitische Themenbereiche als auch spezifische Sektoralpolitiken subsumieren. So werden im Rahmen der Industriepolitik neben deren Beschäftigungswirkungen in der Bundesrepublik Deutschland auch ihre Ziele, Konzepte und Erfahrungen in Frankreich und Deutschland sowie ihre Stellung innerhalb der Europäischen Union dargestellt und kritisch beleuchtet. Zwei weitere Abhandlungen beinhalten energiepolitische Aspekte einerseits in ihrer regulierungs- und zukunftsorientierten Gestaltung und andererseits als Klimaschutzpolitik anband der exemplarischen Verdeutlichung der Kohlendioxid-Problematik. Anschließend beschäftigt sich ein Aufsatz mit der Privatisierung und Deregulierung der Deutschen Bundesbahn. Den Abschluß bilden Beobachtungen und Überlegungen aus der Praxis zu der Frage Strukturpolitik - mit welchem Ziel? Beiträge zu dem Themenkomplex "Neue Politische Ökonomie" prägen den vierten und letzten Teil. Einleitend befaßt sich der erste Essay mit Herkunft und Zukunft der Neuen Politischen Ökonomie. Im nächsten Aufsatz wird ausgehend von der Neuen Politischen Ökonomie die Frage nach der Realisierung ökologisch-orientierter Wirtschaftspolitik gestellt. Im Mittelpunkt der folgenden Abhandlung steht die demokratische Sozialpolitik mitteleuropäischer Volkswirtschaften. Ebenfalls aus Sicht der Neuen Politischen Ökonomie wird in einem weiteren Artikel die Kontroverse um die Höhe der Lohnnebenkosten in ihrer Bedeutung für den Standort Deutschland in seiner internationalen Wettbewerbsfähigkeit aufgegriffen. Außerdem erfolgt eine ausführliche Analyse wirtschaftspolitischer Institutionenbildung im Widerstreit der Interessen. Abschließend stellt ein Beitrag die Mesoökonomie als einen originären gruppenspezifischen Ansatz innerhalb der Neuen Politischen Ökonomie dar. In ihrer Gesamtheit spiegeln die Beiträge zur Festschrift die Intention der einzelnen Autoren wider, dem Postulat von Professor Peters nach ordnungskonform gestalteter Wirtschaftspolitik in der Marktwirtschaft zu folgen, wodurch sie zugleich den hohen wissenschaftlichen Wert ordnungspolitischer Analysen und Konzeptionen hervorheben. Die Herausgeberin dankt allen in diesem Band vertretenen Autoren für ihr großes Interesse und ihre Bereitschaft, sich mit einem wissenschaftlichen Artikel an der Festschrift für Professor Peters zu beteiligen sowie für die gute Zu-
Vorwort
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sammenarbeit. Durch die pünktliche Fertigstellung und ordnungsgemäße Ablieferung ihrer Beiträge haben sie wesentlich zu der termingerechten Erstellung der Festschrift beigetragen.
Oldenburg, im Mai 1997
Sylke Behrends
Inhaltsverzeichnis
Ordnungskonforme Wirtschaftspolitik in der Marktwirtschaft - Der Beitrag von Hans-Rudolf Peters Von Sylke Behrends, Oldenburg ................. ..........................................................
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Erster Teil
Ordnungspolitik und Wirtschaftssystem Die protestantischen Wurzeln der Sozialen Marktwirtschaft Von Hans G. Nutzinger, Kassel und Eckart Müller, Neuendettelsau ...................
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Über die zukünftige Bedeutung der nationalen Wirtschaftsordnung Soziale Marktwirtschaft in der Europäischen Gemeinschaft Von Ronald Clapham, Siegen ..............................................................................
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Sünden staatlicher Wohnungspolitik Von Walter Hamm, Marburg................................................................................
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Wohneigentum und Wohneigentumspolitik Von Lothar Hübl und Frank Dölle, Hannover ....................................................
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Regelungsdefizit der bäuerlichen Agrarverfassung in der Marktwirtschaft als Begründung für Agrarpolitik? Ein institutionenökonomischer Ansatz Von Konrad Hagedorn, Berlin............................................................................
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Inhaltsverzeichnis
Der Niedergang Serbiens oder der Preis des ordnungspolitischen Rückschritts Von Bruno Schön/eider, Freiberg........................................................................
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Zweiter Teil
Theorie der Wirtschaftspolitik J. H. von Thünen und K. Rodbertus-Jagetzow - Zur ideengeschichtlichen Positionsbestimmung zweier großer deutscher Theoretiker und Praktiker des 19. Jahrhunderts Von Werner Wilhelm Engelhardt, Köln ..............................................................
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Rechtsunsicherheit und Wirtschaftswachstum Von Helmut Wagner, Hagen................................................................................
227
Die Rolle der Spekulation bei der Entstehung ökonomischer Krisen Von Gerhard Aschinger, Fribourg ......................................................................
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Die Stabilitätspolitik in der Europäischen Währungsunion Von Franqois Bilger, Straßburg ..........................................................................
281
Wirtschaften im Umbruch: Ordnung, Unternehmer und Stil Von Jürgen Baclehaus, Maastricht.......................................................................
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Dritter Teil
Mesoökonomie und Strukturpolitik Beschäftigungswirkungen industriepolitischer Maßnahmen in der Bundesrepublik Deutschland Von Egon Görgens und Peter Thuy, Bayreuth ....................................................
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Inhaltsverzeichnis
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Industriepolitik in Deutschland und Frankreich: Ziele - Konzepte - Erfahrungen Von Hartmut Berg, Dortmund und Frank Schmidt, Bad Honnef........................
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Die Industriepolitik der Europäischen Union - Zweckmäßige Weiterentwicklung oder revisionsbedürftige Fehlentwicklung der europäischen Wirtschaftspolitik? Von Norbert Eickhof, Potsdam............................................................................
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Zukunftsfähige Energiepolitik Von WolJgang Pfaffenberger, Oldenburg............................................................
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Klimaschutzpolitik als umwelt- und ressourcenpolitisches Problem am Beipiel des Kohlendioxids Von WolJgang Sträbele, Münster ......................................... ...............................
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Privatisierung und Deregulierung der Deutschen Bundesbahn Von Fritz Rahmeyer, Augsburg...........................................................................
503
Strukturpolitik - Mit welchem Ziel? Beobachtungen und Überlegungen aus der Praxis Von Dirk WolJertz, Bad Homburg.......................................................................
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Vierter Teil
Neue Politische Ökonomie Herkunft und Zukunft der Neuen Politischen Ökonomie Von Manfred Groser, Bamberg...........................................................................
551
Die Realisierung ökologisch-orientierter Wirtschaftspolitik - eine Unmöglichkeit? Überlegungen aus Sicht der Neuen Politischen Ökonomie Von Friedrich Schneider, Linz und Jürgen Volkert, Tübingen ...........................
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Inhaltsverzeichnis
Democratic Social Policy in Economies ofMiddle-East Europe Von Hans Peter Widmaier, Regensburg..............................................................
591
Die Kontroverse um Lohnnebenkosten aus der Sicht der Politischen Ökonomie Von Horst Giseher, Magdeburg und Ulrich Teichmann, Dortmund ...................
605
Wirtschaftspolitische Institutionenbildung im Widerstreit der Interessen Von Karl-Heinz Waldow, Preetz .........................................................................
627
Mesoökonomie als gruppenstruktureller Ansatz innerhalb der Neuen Politischen Ökonomie Von Sylke Behrends, Oldenburg..........................................................................
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Schriftenverzeichnis von Prof. Dr. Hans-RudolfPeters.......................................
687
Autorenverzeichnis .................................................................................................
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Ordnungskonforme Wirtschaftspolitik in der Marktwirtschaft Der Beitrag von Hans-RudolfPeters Von Sylke Behrends, Oldenburg
Werk Wld Wirken eines Universitätsprofessors in ForschWlg Wld Lehre sind meist mit den Stationen seines wissenschaftlichen Wld beruflichen Werdegangs eng verknüpft. Dieses bestätigt sich auch an der Biographie des Jubilars dieser Festschrift. Hans-Rudolf Peters, der am 2. Mai 1932 in Stadtoldendorf (Niedersachsen) geboren wurde Wld das Abitur in BraWlschweig ablegte, studierte Volkswirtschaftslehre an den Universitäten Göttingen Wld Freiburg. Nach nur siebensemestrigem Studium bestand er 1956 mit Bravour die Diplomprüfimg fiir Volkswirte an der Universität Freiburg Wld war anschließend als ForschWlgsassistent am dortigen Verkehrswissenschaftlichen Institut tätig. 1958 wurde DiplomVolkswirt Peters von der Rechts- Wld Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg zum Dr. rer. pol. promoviert. In seiner Dissertation mit dem Titel ,,Der Verkehrsmarkt" wurde erstmals das modeme markt- Wld preistheoretische Instrumentarium der neoklassischen Wirtschaftstheorie auf den Sektor des Verkehrs angewandt. Dabei kam er Z\l dem fimdamentalen Ergebnis, daß der Verkehrssektor nicht von einem arteigenen Preisgesetz des Verkehrs wie von der damals vorherrschenden Verkehrstheorie behauptet - geprägt ist, sondern daß es sich nur um eine vermeintliche Besonderheit handelt, Wld das Markt- Wld Preisgeschehen des Verkehrssektors durchaus mit Hilfe der allgemeinen Markt- Wld Preistheorie erklärbar ist. Geprägt vom ordoliberalen Geist der Freiburger Schule der Nationalökonomie Wld fasziniert vom marktwirtschaftlichen Aufbauwerk Professor Ludwig Erhards trat Dr. Peters 1959 in den höheren Dienst des BWldesministeriums fiir Wirtschaft in Bonn ein. Nach Ablegoog der Prüfimg zur FeststellWlg der Befähigoog fiir den höheren allgemeinen VerwaltWlgsdienst 1964 Wld anschließender ErnennWlg zum RegierlUlgsassessor machte er relativ schnell Karriere im BWldeswirtschaftsministerium. So wurde er bereits 1965 zum RegierlUlgsrat, 1968 zum OberregierlUlgsrat Wld 1970 zum RegierlUlgsdirektor befördert Wld
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war in verschiedenen Referaten - insbesondere der wirtschaftspolitischen GrundsatzabteilWlg - tätig. Im Einklang mit der AuffassWlg von Professor Ludwig Erhard, bei dem Dr. Peters als Mitarbeiter von 1959 bis 1963 im BWldeswirtschaftsministerium tätig war, betrachtet er die Soziale Marktwirtschaft als freiheitliche Wld aus sich heraus sozial wirkende GesamtordnWlg, die aufgrood ihrer erfahrungsgemäß ökonomischen Effizienz "Wohlstand fiir alle" zu schaffen vermag Wld damit soziale Nöte weitgehend beseitigt. Deshalb kann Wld muß sich die Sozialpolitik Wlter ordnWlgspolitischen Aspekten in einer funktionsfähigen Marktwirtschaft auf die UnterstütZWlg der relativ kleinen Zahl tatsächlich sozial Bedürftiger beschränken. Nach seinem Verständnis ist es demnach nicht erforderlich, die wettbewerbsorientierte Marktwirtschaft zusätzlich durch eine umfassende Sozialpolitik fiir nahezu alle Bürger "sozial" zu gestalten. Die Großtat der Wettbewerbswirtschaft besteht darin, daß die Güterpreise bei funktionsfähigem Wettbewerb tendenziell auf die Kosten gedrückt werden Wld dadurch breiten Bevölkerungsschichten eine preiswerte Versorgoog mit Gütern Wld DienstleistWlgen einschließlich Versicherungen gegen bestimmte Risiken ermöglicht wird. Während seiner Zeit im BWldeswirtschaftsministerium hat Dr. Peters immer wieder erlebt, wie Produzentenverbände Wld andere Interessenorganisationen durch bewußte FehldeutWlg der Sozialen Marktwirtschaft Wld Wlter Hinweis auf die angebliche soziale ErgänZWlgsbedürftigkeit der Marktwirtschaft staatliche Regulierungen sowie wettbewerbsbeschränkende Branchen- Wld BerufsordnWlgen, ErhaltWlgssubventionen, Steuervergünstigoogen Wld EinkommensumverteilWlgen zugunsten der von ihnen vertretenen Interessengruppen gefordert Wld nicht selten im Zuge wahlopportunistischer Gruppenbegünstigoogspolitik auch erhalten haben. Basierend auf seinen reichhaltigen Erfahrungen aus der wirtschaftspolitischen Praxis beschäftigte er sich bereits während seiner ministeriellen Tätigkeit wissenschaftlich intensiv mit der ordnWlgspolitischen Problematik sektoraler Wirtschaftspolitiken, die als spezielle Branchenpolitiken mit meist wettbewerbsreduzierender WirkWlg zugoosten bestimmter Wirtschaftszweige gestaltet waren. Vielfältige staatliche Regulierungen - vor allem in der Energiewirtschaft, im Gütertransportgewerbe Wld in der Landwirtschaft - drohten die marktwirtschaftlich orientierte GesamtordnWlg auszuhöhlen. Bei seinen Analysen wies Dr. Peters immer wieder darauf hin, daß in einer wettbewerbsgesteuerten Marktwirtschaft kein Platz fiir ordnWlgsinkonforme Branchenschutz- Wld Gruppenbegünstigoogspolitiken ist, weil anderenfalls die freiheitliche GesamtordnWlg deformiert wird Wld Wachstums- sowie Beschäftigoogseinbußen zwangsläufig die Folge sind. Dieser zentralen Problematik widmete er mehrere Bücher Wld zahlreiche Fachaufsätze, die in der Fachwelt eine nachhaltig positive BeachtWlg gefunden haben.
1966 erlebte Dr. Peters im Pressereferat des BWldeswirtschaftsministeriums, das als Referat der LeitWlgsebene dem Minister Wlmittelbar zugeordnet war,
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nicht nur den Einzug eines neuen Chefs, sondern auch die Schöpfimg einer neuen wirtschaftspolitischen Konzeption. Bundeswirtschaftsminister Professor Karl Schiller erweiterte die von Ludwig Erhard geprägte wettbewerbszentrierte Marktwirtschaftskonzeption um eine konjunkturpolitische Globalsteuerung. Gemäß der Konzeption sollte die Steuerung der mikroökonomischen Relationen weiterhin den Marktkräften überlassen bleiben, während die gesamtwirtschaftliehen Kreislaufgrößen im makroökonomischen Bereich mittels konjunkturpolitischer Globalsteuerung beeinflußt werden sollten. Dabei wurde der Eindruck erweckt, daß Steuerungen von Makrogrößen die rnikroökonomischen Relationen und somit die marktwirtschaftliehe Ordnung unberührt lassen. Da sich jedoch volkswirtschaftliche Kreislaufgrößen - wie die Gesamtnachfrage oder das Investitionsvolumen - nicht direkt, sondern nur indirekt - beispielsweise über eine konjunkturpolitische Beeinflussung des Konsum- bzw. Investitionsverhaltens der Wirtschaftssubjekte - steuern lassen, waren auch intendierte prozeßpolitisehe Wirkungen im Mikrobereich zu erwarten, so daß möglicherweise die Markt- und Wettbewerbssteuerung durch die Konjunktursteuerung überlagert werden konnte. Es war also durchaus denkbar, daß die wettbewerbsorientierte Marktwirtschaftsordnung durch die Globalsteuerung beeinträchtigt wurde. Obwohl Dr. Peters sowohl die Ordnungskonforrnität der Globalsteuerung als auch die erhofften beschäftigungs- und wachstumssteigernden Effekte keynesianischer Nachfragesteuerung fiir zweifelhaft hielt, gehörte es zu seinen ministeriellen Aufgaben, den Journalisten, den Massenmedien und der Öffentlichkeit diese neue wirtschaftspolitische Konzeption verständlich und auch akzeptabel darzulegen. Der Zweifel an der Effizienz und Ordnungskonforrnität dieser neuen wirtschaftspolitischen Konzeption scheint auch ein wesentlicher Grund dafiir gewesen zu sein, daß Dr. Peters 1967 auf eigenen Wunsch in die wirtschaftspolitische Grundsatzabteilung zurückkehrte. In seinem wissenschaftlichen Beitrag mit dem Titel ,,Anmerkungen zu Karl Schillers wirtschaftspolitischer Konzeption der globalgesteuerten Marktwirtschaft", der in der Festschrift zu Karl Schillers 65. Geburtstag erschienen ist, hat Professor Peters dann die verschiedenen Einwände konzeptioneller, ordnungspolitischer, prognosetechnischer, institutioneller sowie verteilungspolitischer Art gegen das Konzept einer Globalgesteuerten Marktwirtschaft dargestellt. Seine skeptische Beurteilung der beschränkten Wirkungsmöglichkeiten einer konjunkturpolitischen Globalsteuerung einschließlich der in den euphorischen Zeiten der Konjunktursteuerung hochgepriesenen Konzertierten Aktion hat sich bald als realistisch erwiesen; denn trotz Stabilitäts- und Wachstums gesetz ist dessen vielfältiges Instrumentarium zur Beeinflussung der Konjunktur kaum noch angewandt und auch die relativ erfolglose Konzertierte Aktion nicht fortgeführt worden. Noch während seiner Zugehörigkeit zum Bundeswirtschaftsministerium habilitierte sich Dr. Peters 1971 an der Universität Marburg fiir das Fach Volkswirtschaftslehre, was ihm ab 1968 durch einen zweijährigen Sonderurlaub ohne Dienstbezüge und ein Habilitandenstipendium der Deutschen Forschungsge-
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meinschaft ennöglicht wurde. In seiner Habilitationsschrift mit dem Titel "Gnmdzüge sektoraler Wirtschaftspolitik", die von dem liberalen Ökonomen Professor Dr. Walter Hamm (Universität Marburg) betreut worden ist, analysierte er umfassend die ordnungs- und strukturpolitische Problematik sektoraler Wirtschaftspolitik aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive. Dabei zeigte er auch die Gefahren isolierter Branchenpolitiken auf, die insbesondere aus der Einflußnahme organisierter Interessengruppen auf den wirtschaftspolitischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß und aus dem interagierenden Verhalten wirtschaftspolitischer Entscheidungsträger und Interessenverbänden resultieren. Ein umfassendes Lösungskonzept zur Eindämmung allgemeinwohlgefährdender praktizierter Gruppenbegiinstigungspolitik rundet die unter ordnungspolitischen Aspekten kritisch dargestellte Untersuchung der sektoralen Wirtschaftspolitik optimal ab. Bereits 1971 fanden diese als avantgardistisch zu bezeichnenden wirtschaftspolitischen Erkenntnisse Eingang in die universitäre Lehre. Privatdozent Dr. Peters lehrte von 1971 bis 1973 Wirtschaftspolitik an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Philipps-Universität zu Marburg und nach seiner Umhabilitation an die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Rheinischen Friedrlch-Wilhelms-Universität Bonn dort von 1973 bis 1974 Wirtschaftliche Staatswissenschaften. Nach fiinfzehnjähriger Tätigkeit in mehreren Laufbahnpositionen - zuletzt als Regierungsdirektor - verließ er dann das Bundeswirtschaftsministerium, um einen universitären Lehrstuhl zu übernehmen. 1974 nahm Privatdozent Dr. Peters den Ruf an die Universität Oldenburg als Ordentlicher Professor fiir Volkswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Wirtschaftspolitik an. Als erster Hochschullehrer, der auf eine Eckprofessur fiir Volkswirtschaftslehre berufen war, engagierte sich Professor Peters beim Aufund Ausbau der 1973 gegründeten Universität Oldenburg. So war er u. a. Vorsitzender von Berufungskommissionen und Ausschüssen fiir Studien- und Prüftmgsangelegenheiten sowie Mitglied des Konzils und des Fachbereichsrates Gesellschaftswissenschaften. Der Beginn seiner Tätigkeit fiel noch in die Nachwirkungsphase der Studentenbewegung von 1968, die Oldenburg mit einer gewissen Zeitverzögerung erreichte und dort länger anhielt. In dieser hochschulpolitisch turbulenten Zeit verstand es Professor Peters, die manchmal ideologisch einseitig geprägten Studierenden sachkundig mit rivalisierenden Lehransätzen und Theorien vertraut zu machen und dadurch eine universale und objektiv detenninierte Wissensbasis zu vermitteln. Besonders sein als Lehrbuch konzipiertes Werk ,'politische Ökonomie des Marxismus - Anspruch und Wirklichkeit" (1980) hat sicher dazu beigetragen, daß mancher Studierende die marxistischen ,,Heilslehren" entweder relativierte oder insgesamt zur Lösung der anstehenden ökonomischen Probleme als ungeeignet erkannte. Mit dem Ausbau der wirtschaftswissenschaftlichen Studiengänge schwanden die ideologischen Scharmützel immer mehr und die ökonomische Sacharbeit beherrschte den Universitätsalltag. Nach seiner Wahl zum Dekan des Fachbereichs Wirtschafts- und
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Rechtswissenschaften übte Professor Peters 1988/89 die Dekanfimktion aus. Anschließend war er Geschäftsführender Leiter des Instituts fiir Volkswirtschaftslehre an der Universität Oldenburg. 1990 übernahm Professor Peters eine Gastprofessur an der Budapester Universität fiir Wirtschaftswissenschaften, in deren Rahmen er den ungarischen Studierenden besonders die Thesen seines Lehrbuches ,,Einführung in die Theorie der Wirtschaftssysteme" (1987 1, 1993 2 ) erläuterte. Inzwischen ist die dritte, vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage unter dem Titel "Wirtschaftssystemtheorie und Allgemeine Ordnungspolitik" 1997 erschienen. Im Laufe der Jahre hat Professor Peters seine wissenschaftliche Forschung auf dem Gebiet der Wirtschaftstheorie und -politik immer weiter ausgedehnt und fiir die Studierenden (und auch andere volkswirtschaftlich und wirtschaftspolitisch Interessierte) in mehreren Lehrbüchern sowie fiir die Fachwelt insgesamt in zahlreichen Fachbeiträgen - wie der Anhang der Veröffentlichungsliste ausweist - zugänglich gemacht. So stammen aus der Feder von Professor Peters neben dem bereits genannten Lehrbuch "Wirtschaftssystemtheorie und Allgemeine Ordnungspolitik" noch die weiteren Lehrbücher "Grundzüge sektoraler Wirtschaftspolitik" (1971 1, 1975 2), "Grundlagen der Mesoökonomie und Strukturpolitik" (1981), "Sektorale Strukturpolitik" (1988 1, 19962 ) und "Wirtschaftspolitik" (1992 1,1995 2). Im Mittelpunkt sämtlicher Ausführungen von Professor Peters steht die ordnungskonforme Wirtschaftspolitik in der Marktwirtschaft. Die Fragestellung, wie eine ordnungskonforme Wirtschaftspolitik in der Marktwirtschaft beschaffen sein muß, um eine optimale Allokation der Ressourcen erreichen und wohlfahrtssteigernde Wirkungen fiir breite Schichten der Bevölkerung entfalten zu können, durchzieht wie ein roter Faden das gesamte Werk von Professor Peters. Aus seinen wirtschaftspolitischen Erfahrungen vor Ort im Bundeswirtschaftsministerium sind ihm die Hemmnisse, denen eine ordnungskonforme wettbewerbsorientierte Wirtschaftspolitik begegnet, hinreichend bekannt. So läßt das rentensuchende Verhalten der organisierten Interessengruppen, das sich nicht selten mit den wahlopportunistischen Überlegungen der politischen Parteien sowie dem eigennutzorientierten Verhalten wirtschaftspolitischer Entscheidungsträger verbindet, die praktizierende Wirtschaftspolitik zu einer weitgehenden Gruppenbegünstigungspolitik degenerieren. Aufbauend auf seiner Habilitationsschrift, die sich mit der Praxis und den Fragwürdigkeiten der sektoralen Wirtschaftspolitik befaßt, hat er dann in sachlogischer Folgerichtigkeit die Grundlagen einer Mesoökonomie entwickelt. Die Mesoökonomie, deren wissenschaftlicher Standort zwischen Mikro- und Makroökonomie angesiedelt ist, dient primär der Erforschung struktureller Erscheinungen und Probleme von Gruppen, Branchen und Regionen - also mittleren Aggregaten zwischen Einzel- und Gesamtwirtschaft - sowie der Analyse von Interaktionen zwischen organisierten Interessengruppen und wirtschafts- respektive strukturpolitischen Entscheidungsträgern. Im Rahmen der Mesoökonomie entwarf Professor Peters insbesondere ein Instrumentarium - die Mesoökonomische Interaktionstheorie der Wirt2 Peters
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schaftspolitik -, um strukturtheoretische und -politische Erscheinungen und Handlungen zu analysieren; denn strukturtheoretische und -politische Hauptansatzpunkte sind weder die Einzelwirtschaften noch die Gesamtwirtschaft, sondern die Gruppen, Branchen und Regionen. Die Mesoökonomische Interaktionstheorie der Wirtschaftspolitik beschreibt das Zusammenwirken zwischen organisierten Interessengruppen und strukturpolitischen Entscheidungsträgem innerhalb der Wirtschaftspolitik. Unter Zuhilfenahme der markt- und preistheoretischen Erkenntnisse modellierte Professor Peters einen Markt fiir Strukturhilfen. Auf der Angebotsseite fungieren die strukturpolitischen Entscheidungsträger als Anbieter von Strukturhilfen in Form von Wettbewerbsbeschränkungen, Steuervergünstigungen und Subventionen, während auf der Nachfrageseite die Interessen- oder Verbandsorganisationen diese Strukturhilfen nachfragen. Es findet eine Art Tauschgeschäft statt, wobei Strukturhilfen gegen potentielle Wählerstimmen oder persönlichen Bedeutungszuwachs getauscht werden. Mit Hilfe der Mesoökonomie ist es unter anderem möglich, die größtenteils verdeckten strukturpolitischen Verhaltensweisen und Handlungen transparent zu machen sowie die ordnungspolitischen Grenzen dieses Handelns aufzuzeigen. Um die praktizierte Strukturpolitik, die überwiegend zu einer wachstumshemmenden Strukturwandelverzögerungs- und neomerkantilistischen Branchenschutzpolitik entartet ist, wieder zu einer ordnungskonformen marktwirtschaftlichen Strukturpolitik zurückzuführen, hat Professor Peters als einen weiteren originären Forschungsbeitrag die "Ordostrukturpolitische Konzeption der optimalen Strukturflexibilität" entwickelt, die geeignet ist, operationale Entscheidungshilfen fiir strukturpolitische Reformansätze zu liefern. Wirtschaftstheoretische Basis einer Konzeption der optimalen Strukturflexibilität ist die von ihm entworfene Theorie optimaler Strukturflexibilität. In einer Marktwirtschaft sollen sich die Wirtschaftsstrukturen möglichst ohne staatliche Hilfe flexibel an den ständigen Strukturwandel anpassen. Nur unter der Voraussetzung einer optimalen Strukturflexibilität, die durch eine hohe Mobilität der Produktionsfaktoren gekennzeichnet ist, kann dann der Strukturwandel zu bestmöglichen Strukturanpassungen mit einem höheren Wirtschaftswachstum und einer gesteigerten volkswirtschaftlichen Produktivität ohne langfristige Ungleichgewichte in Form von Überkapazitäten und Engpässen führen. Sofern sich jedoch schwerwiegende Anpassungsprobleme ergeben, ist es Aufgabe der Strukturpolitik, ausschließlich zur Herstellung optimaler Strukturflexibilitäten beizutragen. Unter ordnungskonformen Aspekten darf eine Strukturpolitik lediglich als temporär begrenzte Anpassungspolitik zur Anwendung gelangen, indem sie - falls notwendig - den produktivitäts- und wachstums steigernden Strukturwandel unterstützt sowie die erforderlichen Anpassungen der Wirtschaftssubjekte an den Strukturwandel fördert. Um das konzeptionelle Ziel der optimalen Strukturflexibilität zu erreichen und die vielfach praktizierte Politik unteroptimaler Strukturflexibilität zu beseitigen, hat Professor Peters als ordnungspolitische Schlußfolgerung neben der generellen Transparenz strukturpolitischen Handelns drei institutionelle
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Konzeptionselemente entwickelt: Rahmengesetz zur Strukturpolitik, Bildung eines Strukturfonds und Errichtung eines Wissenschaftlichen Strukturrates. Im Gegensatz zu den bisher unverbindlichen Grundsätzen der sektoralen Strukturpolitik als strukturpolitische Konzeption der Bundesregierung werden die wirtschaftspolitischen Entscheidungsträger in dem ordnungskonformen ,,Rahmengesetz zur Strukturpolitik" bei ihren strukturpolitischen Handlungen auf die Einhaltung bestimmter Ordnungsrnaßstäbe in Form konkreter Mindesterfordernisse und Eingriffsgrenzen verpflichtet. Zudem soll mittels eines Strukturfonds die Finanzierung eventueller Anpassungshilfen als Solidaraufgabe geregelt werden und zusätzlich ein Wissenschaftlicher Strukturrat die ordostrukturelle Kontrollund Beratungsfunktion übernehmen. Aufgrund der wissenschaftlich verdienstvollen Entwicklung strukturtheoretischer Grundlagen und operationaler Anwendungselemente fiir eine ordnungskonforme Strukturpolitik in marktwirtschaftlich orientierten Wirtschaftssystemen zählt Professor Peters zweifellos zu den international führenden Wirtschaftswissenschaftlern auf den Gebieten der ökonomischen Strukturtheorie und Strukturpolitik. Auch in dem zweiten Forschungsschwerpunkt von Professor Peters, Theorie und Vergleich von Wirtschaftssystemen, kommt der Ordnungspolitik eine wesentliche Bedeutung zu. Hauptsächliche Aufgabe der Allgemeinen bzw. wirtschaftssystembezogenen Ordnungspolitik ist es, neben den wirtschaftssystemprägenden gesellschaftlichen Ideensystemen und wirtschaftspolitischen Leitbildern insbesondere die konstitutiven Ordnungsprinzipien von Wirtschaftssystemen systemspezifisch zu gestalten. Dabei orientiert sich Professor Peters weder an den utopischen Wirtschaftssystemen idealtypischer Art in Form der reinen Marktwirtschaft und totalen Zentralverwaltungswirtschaft noch an den komplexen länderspezifischen Ausprägungen von Wirtschaftsordnungen, sondern entwickelt eine Klassifikation realtypischer Wirtschaftssysteme, indem er die gegenwärtig und in der Vergangenheit vorhandenen konstitutiven Ordnungselemente von Wirtschaftsordnungen erforscht und typisiert. Dadurch gelingt es ihm, den in der Realität vorkommenden Mischsystemen Rechnung zu tragen. Als entscheidendes Kriterium fiir die Typisierung eines gemischten Wirtschaftssystems gilt die jeweilige Dominanz der konstitutiven Ordnungselemente, zu denen die Verfiigungsgewalt über Produktionsmittel und Ertragsverteilung - also das Verfiigungssystem - sowie die komplexen Planungs- und Koordinierungssysteme zählen. Unter Zugrundelegung des Dominanzfaktorenansatzes als jeweils vorherrschende Art des Verfiigungssystems sowie dominierendem Planungs- und Koordinierungssystem erstellt Professor Peters eine universelle Klassifikation mit sechs realtypischen Wirtschaftssystemen. Mit Hilfe dieser relativ wenigen Grundtypen ist es möglich, die verschiedenen länderspezifischen Ausprägungen von Wirtschaftssystemen zu typisieren, deren Funktionsprobleme aufzuzeigen und effiziente Wirtschaftssystemvergleiche vorzunehmen.
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Um auch die Entwicklung und Transformation von realtypischen Wirtschaftssystemen instruktiv aufzeigen zu können, hat Professor Peters einen Herrschaftspolansatz konzipiert. Den Ausgangspunkt seiner Überlegungen bildet die Erkenntnis, daß sowohl Wirtschafts- als auch umfassende Gesellschaftssysteme von Herrschaftsphänomenen in Form von Herrschaftspolen mit unterschiedlicher Struktur geprägt sind. In allen Subsystemen des Gesellschaftssystems können Herrschaftspole als - zumeist institutionelle - Machtzusammenballungen in unterschiedlicher Intensität existieren, die entweder allein oder in Synthese mit den verschiedenen Subsystemen fähig sind, Individuen, Gruppen sowie Institutionen zu beherrschen. Generell differenziert Professor Peters zwischen drei Arten von Herrschaftspolen, wobei er in Analogie zur Marktformenlehre zwischen monozentrischen, oligozentrischen und polyzentrischen Herrschaftspolen unterscheidet. Jedes (realtypische) Wirtschafts- und Gesellschaftssystem ist überwiegend durch eine spezifische Art bestimmter Herrschaftspole determiniert. So finden sich regelmäßig in Marktwirtschaften und demokratisch-pluralistischen Gesellschaftssystemen größtenteils poly- aber auch vielfach oligozentrische Herrschaftspole. Je nach Dominanz und Bedeutung der polyoder oligozentrischen Herrschaftsstruktur entstehen dann unterschiedliche realtypische Marktwirtschaftssysteme. Zentralgesteuerte Planwirtschaften und sozialistische Gesellschaftssysteme dagegen werden fast ausschließlich von monozentrischen Herrschaftspolen geprägt. Ändern sich bestehende Herrschaftspolstrukturen innerhalb von realtypischen Wirtschaftssystemen oder auch innerhalb des Gesellschaftssystems, so bewirkt dieses entweder eine Reform des Wirtschaftssystems oder sogar die Transformation des gesamten Gesellschaftssystems und aufgrund der Systeminterdependenz auch der Subsysteme. Sofern sich Herrschaftspoländerungen nur in einigen Systembereichen zeigen, ergeben sich systemimmanente Reformen, wodurch sich weder das realtypische Wirtschaftssystem noch das Gesellschaftssystem mit den einzelnen Subsystemen grundlegend wandelt. Zur exemplarischen Verdeutlichung führt Professor Peters die realtypischen Marktwirtschaftssysteme an, die sich in einzelnen Ländern überwiegend aufgrund von partiellen Herrschaftspoländerungen im ökonomischen und politisch-staatlichen System in ihrer marktwirtschaftlichen Ausprägung geändert haben. Wandeln sich dagegen Herrschaftspolstrukturen, insbesondere im politisch-staatlichen System, ftmdamental, so wirkt sich dieses aufgrund der Systeminterdependenz auch auf das realtypische Wirtschaftssystem aus und es ergibt sich insgesamt eine Systemtransformation, wie jüngst bei der Transformation sozialistischer Gesellschaftssysteme und Zentralgesteuerter Planwirtschaften in ein demokratisches Gesellschaftssystem und ein marktwirtschaftlich orientiertes Wirtschaftssystem zu beobachten war. Im Gegensatz zu den herkömmlichen Entwicklungs- und Transformationstheorien von Wirtschaftssystemen ist es Professor Peters mit Hilfe des Herrschaftspolansatzes nicht nur gelungen, Entwicklungen, Reformen und Transformationen im Bereich realtypischer Wirtschaftssysteme zu erklären, sondern auch unter Berücksichtigung der von Walter Eucken erkannten Interdependenz der Ordnungen die
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Bedeutung der gesellschaftlichen Subsysteme - insbesondere das politisch-staatliche System - fiir die Ausgestaltung der Wirtschaftssysteme zu erkennen und analytisch miteinzubeziehen. Im Bereich der Transformationstheorien hat sich Professor Peters außerdem mit den typischen Transformationsanlässen von realtypischen Wirtschaftssystemen innerhalb der komplexen Gesellschaftssysteme beschäftigt. Durch die Konstruktion eines eigenen kombinierten system- und verhaltenswissenschaftlichen Ansatzes, der sowohl auf dem systemtheoretischen Transformationsansatz als auch auf dem verhaltenstheoretischen Ansatz des methodologischen Individualismus im Rahmen der Neuen Politischen Ökonomie basiert, ist es ihm möglich, beispielsweise die "friedliche Revolution" 1989 in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, die letztlich in eine Wirtschafts- und Gesellschaftssystemtransformation mündete, zu erklären. Wird dagegen lediglich einer der beiden Ansätze zugrunde gelegt, so können entweder nur die Phänomene, die aus dem System (und eventuell auch aus anderen Systemen) als Ganzes resultieren, oder die sich aus den persönlichen Motiven der Individuen ergebenden Transformationsanlässe aufgezeigt werden. Da jedoch sowohl Systemfaktoren als auch Handlungen individueller Akteure, die sich teilweise gegenseitig bedingen und in ihrer Wirkungskraft bei Systemtransformationen verstärken, als Auslöser von Systemumbrüchen eine wesentliche Bedeutung zukommt, ist es nach Ansicht von Professor Peters erforderlich, analytisch eine Synthese beider Ansätze zu verwenden.
Methodisch lassen sich die wirtschaftspolitischen Forschungsbeiträge von Professor Peters der Neuen Politischen Ökonomie zuordnen, die zugleich auch seinen dritten Forschungsschwerpunkt bildet. Als eigenen Beitrag erweitert Professor Peters die bisher mikroökonomisch fundierte Neue Politische Ökonomie um mesoökonomische Elemente, indem er als analytischen Verhaltensansatz nicht nur den methodologischen Individualismus, sondern teilweise auch den methodologischen Kollektivismus zugrunde legt. Denn sofern gruppenstrukturelle und -dynamische Verhaltensweisen wirtschaftspolitisch relevant werden, lassen diese sich nicht ausschließlich mit der individualistischen Methode erklären. So gibt es Gruppenphänomene und Verhaltensweisen von Gruppen, die nur unvollständig aus den Einstellungen sowie Verhaltensweisen der einzelnen Gruppenmitglieder bestimmt werden können. Beispielsweise kann Gruppendruck oder Masseneuphorie zu Abweichungen vom normalen Verhalten der Individuen führen, so daß zur Analyse dieser holistischen Verhaltensweisen die Einbeziehung des methodologischen Kollektivismus erforderlich ist. Auch im Bereich politisch-ökonomischer Modellbildung hat Professor Peters die Neue Politische Ökonomie - teilweise aufbauend auf seinem ursprünglichen Modell der Mesoökonomischen Interaktionstheorie der Wirtschaftspolitik - um ein politisch-mesoökonomisches Interdependenz- und Verteilungsmodell als
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Sylke Behrends
mesoökonomische Gruppenbegünstigungspolitik von Links- und Rechtsregierungen im Rahmen wahlorientierter Wirtschaftspolitik ergänzt. Im Gegensatz zu den makroökonomischen Modellen, die von der dominanten Bedeutung makroökonomischer Variablen bzw. der allgemeinen Wirtschaftslage in der Nutzenfunktion der Wähler und den angeblich politisch induzierten Konjunkturzyklen als Einflußgrundlage auf das Wählerverhalten ausgehen, bezieht das mesoökonomische Modell die Bedeutung des ökonomischen Strukturwandels für die Wahlentscheidung des einzelnen Wählers oder auch von Wählergruppen in die Analyse mit ein. Mit Hilfe des mesoökonomischen Verteilungsmodells ist es möglich, die in der Realität oftmals gleichartig praktizierte Gruppenbegünstigungspolitik sowohl von Links- als auch Rechtsregierungen zu erklären. Aufgrund seiner hohen wissenschaftlichen Qualifikation - insbesondere auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik und der Wirtschaftssysteme - wurde Professor Peters zum Mitglied in verschiedenen Forschungsausschüssen und -institutionen gewählt. So ist er Mitglied in drei Ausschüssen der Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften - Verein für Socialpolitik -, und zwar im Ausschuß für Wirtschaftssysteme, im Wirtschaftspolitischen Ausschuß sowie im Ausschuß für Industrieökonomik. Desweiteren hat er in den Fachgruppen Wirtschaftswissenschaft, Politische Wissenschaft und Entwicklungspolitik in der Gesellschaft für Deutschlandforschung mitgearbeitet. Seine ebenso umfangreiche wie erfolgreiche Tätigkeit zwischen Wissenschaft und wirtschaftspolitischer Praxis haben Professor Peters zu einem akademischen Lehrer werden lassen, der, auch manchmal die Grenzen der Disziplinen überschreitend, neue wissenschaftliche Fragen stellte und sich zugleich mit großem Erfolg seinem pädagogischen Auftrag widmete. Seine Lehrerfolge gründen sich nicht nur auf seine pädagogische Gabe, komplizierte Zusammenhänge anschaulich und gemeinverständlich darzustellen, sondern sind zugleich auf betonte Sachlichkeit seiner Gedankenfiihrung sowie auf seine wissenschaftliche Integrität zurückzuführen. Durch anspruchsvolles Niveau seiner wissenschaftlichen Lehrveranstaltungen, verbunden mit einer virtuosen Didaktik hat Professor Peters den Lehrerfolg in seinen zahlreichen Vorlesungen und Seminaren bis zu seiner Emeritierung aufrechterhalten können. V ortrefllich gelang es ihm, die Studierenden mit Humor und plastischen Beispielen aus seinem unerschöpflichen Fundus, dem sogenannten Nähkästchen des Bundeswirtschaftsministeriums, an die oft trockene und nüchterne Materie heranzuführen und durch seine exzellente Darstellungsgabe den Stoff zu vermitteln, wodurch seine Lehrveranstaltungen für viele Studierende zu einem wirklichen Erlebnis und Genuß wurden. Auch seinen gelegentlich ironischen Bemerkungen über mathematische Modellkonstruktionen als "Glasperlenspiele im ökonomischen Gewand" stimmten die Studierenden im allgemeinen begeistert zu. Professor Peters, der die ,,zunft der Professoren in Lyriker und Quantomanen" einteilt und sich selbst als "ökonomischen Lyriker" bezeichnet, zeigte oftmals, welchen hohen Abstrakti-
Ordmmgskonfonne Wirtschaftspolitik in der Marktwirtschaft
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onsgrad und geringen Nutzwert mathematisch hochgestochene Modellkonstruktionen aufweisen. Es war ihm meist möglich, denselben Sachverhalt verbal verständlicher und mit einem größeren Aussagewert darzustellen, ohne dabei das "griechische Alphabet in Formelsammlungen" zu pressen.
Im Rahmen des Projektstudiums praktizierte Professor Peters entsprechend der Humboldtschen Universitätsidee ,,Einheit von Forschung und Lehre" mit den Studierenden ,,forschendes Lernen". In diesen mitarbeitsintensiven Lehrveranstaltungen wurden relativ hohe Anforderungen gestellt. Insbesondere legte Professor Peters bei Seminararbeiten großen Wert auf eine logische Gliederung und klare Gedankenführung. Seine übliche professorale ,,Manöverkritik" an den Referaten der Seminarteilnehmer, die - trotz humorvoller Verpackung - manchen Betroffenen zunächst verschreckte, führte meist im Laufe der Diskussion auch zu kritischer Reflexion bei dem betreffenden Referenten. Bei der nächsten Seminararbeit profitierte er von der kritischen Beurteilung, so daß die Leistungen immer besser wurden. Wer Professor Peters als Prüfer wählte, konnte mit einer objektiven Beurteilung rechnen. Charakteristisch ist für ihn eine strenge, aber gerechte Bewertung. Studierende, die ein "befriedigend" erhielten, erbrachten bestimmt eine Leistung, die über dem allgemeinen Durchschnitt lag. Diejenigen, die die Note "gut" erzielten, besaßen die Qualifikation zu wirklich guten Ansätzen für die wissenschaftliche Arbeit. Wer ein seltenes "sehr gut" bekam, hatte bestimmt außergewöhnliche Begabungen und war fast schon habilitations geeignet. Gleichgültig, welche Note die Studierenden erhielten, alle haben mit Sicherheit gelernt, wie eine ordnungskonforme Wirtschaftspolitik gestaltet werden muß.
Erster Teil
Ordnungspolitik und Wirtschaftssystem
Die protestantischen Wurzeln des Konzepts der Sozialen Marktwirtschaft· Von Hans G. Nutzinger, Kassel und Eckart Müller, Neuendettelsau
A. Einleitung Unsere Thematik betrifft zwnindest drei zentrale Aspekte, die wir ZWlächst. kurz umreißen wollen. Erstens: Es geht hier um das theoretische Konzept der Sozialen Marktwirtschaft und nicht um seine wirtschaftspolitische Realisierung nach dem Zweiten Weltkrieg. Wir betrachten also Soziale Marktwirtschaft als theoretisches Konstrukt; dabei wollen wir seinen "protestantischen Wurzeln" exemplarisch anhand der Werke von Walter Euckenl , Alexander Rilstow und Alfred Müller-Armack nachgehen. Thre Überlegungen zur Sozialen Marktwirtschaft stehen daher im Zentrum dieses Beitrages. Diese drei Ökonomen waren davon überzeugt - dies ist der zweite Aspekt der Fragestellung -, daß sie - verglichen mit entsprechenden früheren Bemühungen der theoretischen Nationalökonomie - ein neues Ordnungskonzept entworfen haben, mit dem sie sich gegenüber anderen zeitgenössischen, aber auch zeitlich vorangehenden Strömungen innerhalb und außerhalb der akademischen Nationalökonomie abgrenzten; dies gilt insbesondere im Verhältnis zum klassischen Liberalismus einerseits und zum marxistisch-planwirtschaftlichen Denken andererseits. Gleichwohl und nahezu unvermeidlich sind auch ihre eigenen Theorien nicht im luftleeren, ideenfreien Raum angesiedelt, sondern sie sind vielfältig mit den geistes- und theoriegeschichtlichen Überlieferungen vor allem der deutschsprachigen Nationalökonomie verwurzelt. Daher ist auch ein kurzer Rekurs auf diese Traditionslinien geboten. Dabei zeigt sich eine gewisse Kontinuität (so·Wesentliche Teile dieser Arbeit beruhen auf der Dissertation ,,Die Konzeption der 'sozialen Marktwirtschaft' und die Möglichkeiten ihrer Rezeptionen durch die Evangelische Sozialethik", die Eckart Müller an der Augustana-Hochschule Neuendettelsau eingereicht hat I Eucken selbst verwendet diesen Begriff nicht; aber die von ihm entwickelte Ordnungskonzeption ist der Sozialen Markwirtschaft von Müller-Annack und Rüstow so ähnlich, daß es gerechtfertigt erscheint, ihn ebenfalls als einen der "Gründerväter" dieses Konzepts zu betrachten.
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zial-)staatlicher Modifikation freier Marktwirtschaft, die zweifellos auch einen ideen- und real geschichtlichen Hintergrund für die Entwicklung des Konzepts der Sozialen Marktwirtschaft bildet. Erst in Ansehung dieser beiden Aspekte kann sinnvoll ein dritter Gesichtspunkt in den Blick genommen werden; er hat mit der für unsere Thematik wesentlichen Frage zu tun, inwieweit es überhaupt Sinn macht, beim Konzept der Sozialen Marktwirtschaft von "protestantischen Wurzeln" zu sprechen. Um diesen Zentralaspekt des Themas behandeln zu können, wird zunächst die Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft, wie sie sich aus den Werken von Eucken, Rüstow und Müller-Armack ergibt, in ihren Grundzügen dargestellt. Dabei liegt der Schwerpunkt der Betrachtung auf dem sozialphilosophischen Hintergrund der Konzeption einerseits und auf den Bemühungen der drei Autoren andererseits, diesen Hintergrund in ein ordnungspolitisches Konzept umzusetzen. Im Anschluß an diese Darstellung wird dann erörtert, in welchem Sinne man von "protestantischen Wurzeln" des Konzepts der Sozialen Marktwirtschaft sprechen kann und sprechen sollte.
B. Traditionslinien in der deutschsprachigen Nationalökonomie I. Die sozialphilosophische Ausgangslage bei Adam Smith und ihre Rezeption in den deutschen Staatswissenschaften Adam Smith' Botschaft vom Wohlstand der Nationen (Wealth of Nations, 1776) fand auf dem Kontinent und insbesondere im deutschsprachigen Raum eine sehr interessierte, aber von theoretischen und praktischen Zweifeln keineswegs freie Aufnahme. In theoretischer Hinsicht stießen sich die deutschen Nationalökonomen vor allem an dem vermeintlichen Widerspruch zwischen der starken Betonung der "sympathy" in Smith' Theorie der ethischen Gefiihle (Theory ofMoral Sentiments, 1759) und der zentralen Rolle, die im Wohlstand der Nationen (1776) der "self-Iove" bei der Verwirklichung eines Systems der natürlichen Freiheit (system of naturalliberty) zukommt. Aus einer unterschiedlichen Akzentuierung bei Smith wurde so ein fundamentaler Widerspruch zwischen seinem moralphilosophischen und seinem nationalökonomischen Werk abgeleitet und als "das Adam-Smith-Problem" in die Liste angeblich fundamentaler Antinomien aufgenommen. 2
2 Vgl. hierzu Oncken, 1898; Hasek, 1925 sowie Nutzinger, 1991.
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Wichtiger waren dagegen die praktischen Vorbehalte, welche die kontinentalen Nationalökonomen gegen das "System der natürlichen Freiheit" und die Idee einer selbstregelnden unsichtbaren Hand (invisible hand) erhoben. Die Vorstellung, daß wir über den wechselseitig vorteilhaften Kauf und Verkauf ,,nahezu alle guten Dienste [erhalten], auf die wir angewiesen sind'.J und daß der einzelne "gerade dadurch, daß er das eigene Interesse verfolgt, ... häufig das der Gesellschaft nachhaltiger [fordert], als wenn er wirklich beabsichtigt, es zu tun,,4 , erschien den deutschsprachigen Vertretern einer staatswissenschaftlichen Betrachtung wirtschaftlicher Angelegenheiten ebenso einseitig wie Smith' Diktum: ,,Alle, die jemals vorgaben, ihre Geschäfte dienten dem Wohl der Allgemeinheit, haben meines Wissens niemals etwas Gutes getan"S . Natürlich drückte sich in diesen kontinentalen Vorbehalten auch die politische und wirtschaftliche Rückständigkeit der Staaten des Deutschen Bundes aus, aber zugleich wurde in den besten Vertretern deutschsprachiger Nationalökonomie jener Zeit deutlich, daß es um einen grundsätzlichen Dissens über die Reichweite des marktgesteuerten "Systems der natürlichen Freiheit" von Adam Smith ging. Ein typischer und für das Verständnis heutiger Sozialer Marktwirtschaft immer noch aufschlußreicher Vertreter dieser Kritik war der Heidelberger Nationalökonom Karl Heinrich Rau (1792-1870), der Wilhelm Roscher zufolge einen "vermittelnden Standpunkt" zwischen alter Kameralistik und moderner Nationalökonomie vertrat und der "Volkswirtschaftslehrer der gut regierten deutschen Mittelstaaten von 1815-1848 gewesen" sei. Im Prinzip stimmt er den Forderungen nach einem "System der natürlichen Freiheit" von Adam Smith zu, wenn er sagt: ,,Meistens weiß der einzelne Bürger besser, als die Regierung, was ihm den größten Vortheil verspricht, Wld er wendet die dazu erforderlichen Mittel gerne an, wenn ihm keine Hindernisse im Wege stehen.,,6
Aber diese Regel kennt zwei Ausnahmen: Zum einen kann es empirisch sein, daß die individuellen Bestrebungen zur Reichtumsmehrung sich als unzureichend erweisen; doch diesen Fall hält Rau für praktisch wenig bedeutungsvoll. Wichtiger dagegen ist sein zweiter Grund, daß nämlich privates Vorteilsstreben und Gemeinwohl (im Sinne gesellschaftlichen Reichtums) nicht wie bei Smith notwendig konform gehen, sondern aus systhematischen Gründen auseinander klaffen können. In deutlicher Abgrenzung zu früherer kameralistischer Praxis ist er auch hier vorsichtig optimistisch und meint: ,,Man kann auch die Fälle eines 3 Smith, 4
1978, S. 17.
Ebendort, S. 370f.
5 Ebendort, S. 371. 6 Rau,
1854, S. 4.
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Widerstreitens zwischen dem allgemeinen und dem Privatvortheil nicht für so häufig halten, als es bei der früheren Bevormundung der Volkswirthschaft vorausgesetzt wurde. ,,7 In seiner Auseinandersetzung mit dem "System der naürlichen Freiheit" - Rau spricht hier vom "System einer unbeschränkten Erwerbsfreiheit", das er "aus den Grundsätzen des physiokratischen und auch des smithschen System abgeleitet sieht"S - weist er zum einen auf Konsequenzen heutigen Handelns für künftige Zeiten und Menschen hin: ,,Ferner kann der augenblickliche Vortheil Einzelner wenigstens mit Besorgnissen oder gewissen Nachtheilen für die Zukunft verknüpft sein", und zum anderen benennt er ein Problem, das wir bei den "Gründervätern" der Sozialen Marktwirtschaft wieder als ,,Behinderungskonkurrenz" kennenlernen werden (gegenwärtig spricht man neudeutsch von ,,rent-seeking"), daß nämlich das individuelle Vorteilsstreben auf (Um-)Verteilung des Reichtums statt seine Vermehrung ausgerichtet sein kann. Schließlich sieht Rau auch noch das Problem der "vested interests", der "wohlerworbenen Rechte", deren Einschränkung aus übergeordneten Gründen des Gemeinwohls geboten sein kann (ein Gedanke, der sich in der Sozialbindung und der Möglichkeit der Enteignung nach den Artikeln 14 und 15 des Grundgesetzes wiederfindet), wenn er feststellt: " ... endlich können Rechte Einzelner im Fortgang der Zeit der Einführung oder Verbesserung von Pro ductions- oder Verkehrsmitteln in dem Grad hinderlich werden, daß eine Beschränkung der ersteren unvermeidlich wird. ,,9 Raus Fazit über das "System einer unbeschränkten Erwerbsfreiheit"IO bestimmt nun im 19. und auch im 20. Jahrhundert eine lange Tradition (sozial-) staatlicher Eingriffs- und Korrekturmöglichkeiten. Er folgert nämlich aus seiner Analyse: ,,Denmach ist auch das System einer unbeschränkten Erwerbsfreiheit ... , ob schon das leichteste, nicht zureichend. Man soll jedoch, weil jedes Zwangsmittel schon als solches ein gewisses Uebel ist ... , sich nicht ohne reifliche Abwägung der Vortheile und Nachtheile hiezu entschliessen.,,11
Der "Transport" dieser kritischen Bejahung des Smithschen Systems in den 1872 gegründeten "Verein für Socialpolitik" - die Vereinigung der von den Wirtschaftsliberalen als ,,Katheder-Sozialisten" geschmähten deutschsprachigen Nationalökonomen - ist unmittelbar erkennbar, da ein Schüler von Karl Hein7 Ebendort,
S. 4. S. 6f. 9 Ebendort, S. 5. 10 Zu einer Bewertung des Smithschen Systems aus der Sicht der ordoliberaIen "Gründerväter" siehe unten Abschnitt D. 11 Rau, 1854, S. 6. S Ebendort,
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rich Rau, der FinanzwissenschaftIer Adolph Wagner (1835-1917) - einer der Gründungsmitglieder dieser Vereinigung und auch einer der Aktivisten im ,,Evangelisch-Sozialen Kongreß" (vgl. dazu den folgenden Abschnitt B. 11.) die Neubearbeitung von Raus mehrbändigem ,,Lehrbuch der politischen Ökonomie" übernahm und insbesondere dessen dritten Band, die "Gnmdsätze der Finanzwissenschaft", den Rau in den Jahren 1832 und 1837 verfaßt hatte, zu einem völlig eigenständigen und in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts führenden finanzwissenschaftlichen Lehrbuch umarbeitete. Das Haupt der "Jüngeren Historischen Schule", Gustav von Schmoller, hat in den von ihm wesentlich begründeten und geleiteten Verein für Socialpolitik bewußt von Anfang an die Vertreter der Centrumspartei und der gemäßigten Sozialdemokratie in die sozialreformerischen Bemühungen der Vereinigung miteinzubinden versucht, und damit hat diese zwar von den Personen her protestantisch geprägte, aber in keinerlei kirchlichem Kontext stehende Vereinigung eine wichtige integrierende Wirkung entfaltet. So schreibt etwa Alfred Weber - einer der sozialpolitisch aktiven "Jungen" im Verein für SociaIpolitik, dessen langes Leben ihm persönlich eine Überlieferung dieser Tradition bis in die Zeit nach dem 2. Weltkrieg, nicht zuletzt an seinen Lehrstuhlnachfolger in Heidelberg, Alexander Rüstow, erlaubte - , daß es "gerade das Anwachsen der kathedersocialistisch inspirierten Stimmen im Deutschen Reichstag war, was den Umschwung [der katholischen Seite] der Jahre 1887 und 1890 zur Arbeiterschutzgesetzgebung herbeigeführt hat,,12. Gegen die von dem katholischen Sozialpolitiker Professor Franz Hitze beanspruchte Führungsrolle der katholischen Soziallehre bei den sozialreformerischen Bemühungen zum Ende des 19. Jahrhunderts wendet Alfred Weber ein: ,,Herr Professor Hitze behauptet, daß zwischen den 'Theoretikern' und 'Führern' des Centrums und den gemäßigten Kathedersocialisten keine nenneswerte Differenzen in der sozialpolitischen Richtung vorhanden seien und daß es keinen Unterschied zwischen 'ultramontaner' und 'kathedersocialistischer' Socialpolitik gäbe, und er hat damit, wenn er allein die gegenwärtige Situation im Auge hat, sicher recht, Aber die katholischen Socialpolitiker haben eine lange Entwicklung durchmachen müssen, ehe sie zu ihrer heutigen Übereinstimmung mit den Kathedersocialisten gelangt sind.,,13
Der ideologisch, aber auch konfessionell nicht gebundene Verein für Socialpolitik hat also eine wichtige Rolle für die Integration verschiedener wissenschaftlicher, politischer und religiöser Richtungen hin zu einer Art "Sozialstaatkonsens" gespielt. Zweifellos konnten die "Gründerväter" der Sozialen Marktwirtschaft - 50 Jahre und zwei Weltkriege später - immer noch auf diesen ge12 Weber, 1898, S. 735. 13Ebendort,S.735f
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seIlschaftlichen Grundkonsens zurückgreifen, als sie ihr Konzept der Sozialen Marktwirtschaft entwickelten. Bevor wir uns damit näher befassen, wollen wir noch kurz auf eine spezifisch protestantische Variante dieser sozialstaatlichen Refonnbemühungen, nämlich den Evangelisch-Sozialen Kongreß, eingehen.
n. Der Evangelisch-Soziale Kongreß Neben dem Verein für Socialpolitik und fast zwanzig Jahre später wurde 1890 der Evangelisch-Soziale Kongreß (ESK) als freie evangelische Vereinigung gegründet. Das ursprüngliche Ziel des Kongresses sah der Initiator Adolf Stöcker darin, eine sozialkonservative Sammelbewegung zur Abwehr der Sozialdemokratie zu bilden. 14 Doch diese apologetischen Absichten konnte Stökker ebensowenig verwirklichen wie das Bestreben, seine antisemitische Grundhaltung in den Kongreß hineinzutragen. 15 Stöcker sah sich von Beginn seiner Bemühungen an genötigt, die Vertreter der liberalen Theologie, u.a. Adolf von Harnack und M. Rade, sowie führende Ökonomen, so Adolph Wagner und Max Weber, mit an der Gründung des ESK zu beteiligen. Diese konnten die konservative Ausrichtung des Kongresses im Sinne Stöckers verhindern, der dann auch sechs Jahre später mit vielen Gesinnungsgenossen den ESK verließ. Im Jahre 1891 konnte die Zielsetzung des Kongresses in der Satzung fonnuliert werden: ,,Der Evangelisch-Soziale Kongreß hat es sich zur Aufgabe gestellt, die sozialen Zustände unseres Volkes vorurteilslos zu untersuchen, sie an dem Maßstab der sittlichen und religiösen Forderungen des Evangeliums zu messen und diese selbst für das heutige Wirtschaftsleben fruchtbarer und wirksamer zu machen als bisher.,,16
Damit hatte sich der Kongreß drei Arbeitsschwerpunkten gewidmet, die für die ganze Zeit seines Bestehens bis zum Jahre 1941 nie in Frage gestellt wurden. 17 Erstens wollte der ESK die sozialen Probleme, die sich aus der Industrialisierung und der Entstehung eines vierten Standes, der Arbeiterschaft, ergaben, in einer genauen Analyse darstellen. Damit war auch eine schrittweise Öffnung des Kongresses, der von seiner Mitgliederstruktur her durch das Bildungsbürgertum geprägt war, hin zur Sozialdemokratie und ihrer Gesellschaftsanalyse verbun14 15
Vgl. Pollmann, 1982, S. 647; vgl. auch Kretschmar, 1972, S. 10. Vgl. Strathmann-von Soosten, 1991, S. 26.
16 Zit.
nach Kretschmar, 1972, S. 21.
17 Vgl. Pollmann, 1982, S. 645.
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den. So hat der Kongreß im Jahre 1894 eine empirische Studie unter Fillrrung von Max Weber und Paul Göhre über die Situation der ostelbischen Landarbeiter verfaßt. In dieser setzte sich Weber u.a. für eine Koalitionsfreiheit der Landarbeiter ein und forderte in diesem Zusammenhang die Kirchen auf, auch den Gedanken des Klassenkampfes sowohl als gesellschaftsbestimmende Realität wie auch in seiner sittlichen Berechtigung anzuerkennen. 18 Zweitens sah der ESK seine Aufgabe darin, die so dargestellte gesellschaftliche Situation mit den sittlichen und religiösen Forderungen des Evangeliums in Verbindung zu bringen. 19 Seine dritte Aufgabe erblickte der Kongreß darin, die sittlichen und religiösen Forderungen des Evangeliums für das heutige Wirtschaftsleben fruchtbarer zu machen, als dies bisher geschehen ist. Auch diese Frage verfolgte der Kongreß in seiner Arbeit kontinuierlich. Bemerkenswert ist, daß er diese Forderung im wesentlichen als eine sozialpolitische Aufgabe verstand. So wurde auf fast jeder Jahrestagung auch ein sozialpolitisches Thema verhandelt. 20 Repräsentant des Gemeinwohls war bei vielen Theologen und Ökonomen des Kongresses der Staat, dessen Interessenneutralität sich in der Person des Kaisers verkörperte. Dieses monarchisch-bürgerliche Staatsverständnis trennte Kathedersozialisten wie Adolph Wagner auch von der Sozialdemokratie, deren positi18 Strathmann-von Soosten zitiert in diesem Zusammenhang Max Weber, der ausführt: "Der Klassenkampf ist da und ein integrierender Bestandteil der heutigen Gesellschaftsordnung - nur die Form steht zur Diskussion -, die Tatsache aber muß auch die Kirche anerkennen, und mit dieser Anerkennung allein ist der Klassenkampf für die heutige Gesellschaft auch vom Standpunkt der Kirche aus legalisiert" (zit. nach Strathmann-von Soosten, 1991, S. 29). Strathmann-von Soosten bemerkt dazu: "Mit den Ergebnissen der Landarbeiterenquete war das Einverständnis des Kongresses in Bewegung geraten. Hier zeigte sich nach meinem Verständnis die Stärke und Leistung des Kongresses, der Raum für derartige Einsichten bot: Das sozial-monarchistische Konzept wurde hinfällig" (Strathmann-von Soosten, 1991, S. 29; vgl. auch Kretschmar, 1972, S. 82). 19 Diese vor allem von den beteiligten Theologen zu bewältigende Aufgabe führte zu vielfältigen Auseinandersetzungen und Krisen innerhalb des Kongresses. Führende Theologen des ESK wie Friedrich Naumann machten große Wandlungen durch in der Beurteilung der Frage, wie denn die gesellschaftliche Situation auf die Forderungen des Evangeliums zu beziehen sei. 20 Die Aufgabe des Staates wurde dabei als eine doppelte gesehen: Einerseits sollte er den Verbänden (Gewerkschaften - Arbeitgeberverbänden) eine rechtlich geordnete Auseinandersetzung ermöglichen. Diese sollten dann ihre Streitpunkte in institutionalisierter Form, welche auch das Streikrecht miteinschloß, lösen (vgl. Jähnichen, 1991, S. 22). Von den daraus hervorgehenden Tarifverträgen erhoffte man sich die "Grundlage für den sozialen Frieden der ganzen Nation" (zit. nach Jähnichen, 1991, S. 22). Der Gedanke der Tarifautonomie als gesellschaftsstabilisierender Faktor war hier schon präsent. Andererseits sollte der Staat durch direktes sozialpolitisches Eingreifen diejenigen Gruppen der Gesellschaft stützen, die über keine Organisation oder Lobby verfügen. Beispiele dafür sind die Forderung nach einem Zehn-Stunden-Tag, die Beschränkung der Kinder-, Frauen- und Nachtarbeit sowie die Forderung nach staatlichen Arbeitsschutzgesetzen für die nicht organisierten Heimarbeiter (vgl. Jähnichen, 1991, S. 23). In diesem Zusammenhang wurde auch ausdrücklich eine durch Steuern finanzierte staatliche Umverteilung befürwortet.
3 Peter.
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ve Leistungen fiir die Entwicklung der Sozialpolitik er durchaus zu würdigen weiß. 21 Für die Zeit bis zum Ersten Weltkrieg kann gesagt werden, daß starke Kräfte im ESK in einem starken Staat die Gewähr dafiir sahen, daß die antagonistischen Interessen der einzelnen Gesellschaftsgruppen zusammengeordnet werden könnten. BrakelmannlJähnichen resümieren: ,,Mit diesem wnfassenden Reformprogramm, das in der Zeit des deutschen Kaiserreiches nur in wenigen Ansätzen ausgestaltet wurde, forderte der Evangelisch-Soziale Kongreß wesentliche Merkmale ein, die nach 1945 das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft näher umschreiben. ,,22
c. Die Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft I. Das protestantische Profil der "Gründerväter" Betrachtet man die Biographie der drei fiir das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft ganz entscheidenden Nationalökonomen Eucken, Rüstow Wld Müller-Armack, so kann man bei jedem von ihnen eine jeweils spezifische protestantische Prägung feststellen. Walter Eucken (1891-1950) hat seine ersten Kontakte mit der liberalen protestantischen Tradition in und durch sein Elternhaus erfahren. Sein Vater, Rudolf Eucken, Philosoph Wld Nobelpreisträger fiir Literatur (1908), beschäftigte sich schon früh mit religiösen Fragen. 23 Für die durchaus kirchenkritische protestantische Einstellung steht die von ihm verfaßt.e Schrift ,,Können wir noch Christen sein?" aus dem Jahre 1911. Dort schreibt Rudolf Eucken im Vorwort: "Die religiösen Probleme haben mich, wohl unter dem Eindruck trüber Lebenseindrücke, von früher Jugend an beschäftigt, aber zugleich konnte ich mich mit den Kirchen nicht befreunden, und ich habe nie daran gedacht, mich ihrem Dienste zu widmen." Etwas später fährt er fort: ,,zugleich bleibt das Problem, wie wir uns bei freieren Überzeugungen zum Christentum stellen können Wld sollen. ,,24 Diese protestantische und zugleich kirchenkritische Prägung, die Walter Eucken in seinem Elternhaus erfahren hat, entspricht seiner eigenen Einschätzung 21 "Ohne die scharfe Kritik der Sozialdemokratie wären wir nicht nur in den praktischen Maßnahmen viel weiter zurück, als wir es jetzt sind, sondern auch in der theoretischen Erkenntnis, im Verständnis der Erscheinungen, Bewegungen, Entwicklungen in der Volkswirtschaft" (zit. nach Strathmann-von Soosten, 1991, S. 27). 22 Brakelmann, Jähnichen, 1994, S. 21. 23 Vgl. Dürr, 1954, S. 11.
24 Eucken, 1911, S.
III.
Protestantische Wurzeln der Sozialen Marktwirtschaft
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des Christentums. In einem Brief an Rüstow fiilirt Eucken aus: "Ich aber könnte weder existieren noch arbeiten, wenn ich nicht wüßte, daß Gott existiert.,,2s Dabei standen ihm Person und Werk Luthers eher fern: ,,Mein Christentum ist das ... eines Leibniz oder Kant. ,,26 Diese Selbsteinschätzung Euckens deckt sich mit der von Brakelmann/Jähnichen ausgefiilirten These, daß zeitgenössische Schultheologien den "Gründervätern" eher fremd waren und sie den Protestantismus vor allem wegen seines kulturellen Hintergrundes schätzten. 27 Gleichwohl hat Eucken während des Dritten Reiches aktiv in kirchlich geprägten Kreisen des Widerstandes mitgearbeitet. Er war sich also durchaus seiner Bindungen auch zum kirchlichen Protestantismus bewußt, wenngleich diese wohl nicht so eng waren wie bei seinem Freiburger Kollegen Constantin v. Dietze. Für diese Deutung spricht Euckens Mitarbeit in Freiburger Widerstandskreisen wie der Arbeitsgemeinschaft ,,Erwin von Beckerath".28 Nach den Judenpogromen am 9.11.1938 konstituierte sich das ,,Freiburger Konzil", ein Kreis, zu dem neben Eucken andere Mitglieder der Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg, evangelische Pfarrer und auch katholische Christen gehörten. Ein engerer Zirkel des Konzils bildete später den sog. ,,Bonhoeffer-Kreis", an dessen Denkschrift Eucken maßgeblich beteiligt war. 29 Eucken war engagiertes Mitglied der Bekennenden Kirche und der Freiburger Christuskirchengemeinde, zu der auch v. Dietze gehörte. 30 Er verstarb überraschend während einer Vortragsreise in London am 20. März 1950. Alexander Rüstow wurde am 8. April des Jahres 1885 in Wiesbaden als erstes von fünf Kindern geboren. Seine Familie - der Vater war preußischer Offizier - war tief religiös und protestantisch geprägt, und es wird berichtet, daß seine Mutter dem Pietismus zugeneigt war. 31 Aus dieser Zeit resultiert auch seine "überaus emotionale Ablehnung des lutherischen Protestantismus".32 Seine Kritik an der "lutherischen Untertanenethik" hat hier ihre Wurzeln. Für seine protestantische Prägung spricht auch sein gleichwohl geäußerter Wunsch, Theologie studieren zu wollen. 33 2S Zitiert nach Lenel, 1991, S. 12.
26 Ebendort, S. 12. 27 Vgl. Brakelmann, Jähnichen, 1994, S. 36. 28 Vgl. Blumenberg-Lampe, 1979, S. 163; vgl. dazu auch den Ausstellungskatalog: ,,Der Frei-
burger Kreis", in dem die Arbeit der verschiedenen Widerstandskreise, in denen Eucken mitwirkte, gut dokumentiert ist. 29 Vgl. ebendort, S. 162. 30
Vgl. Jähnichen, 1994, S. 310.
31 Vgl. Rüstow, 1981, S. 369; vgl. auch Rüstow, 1987b, S. 101. 32 Meier-Rust, 1993, S. 17. 33 Vgl. Rüstow, 1987b, S. 101; vgl. auch Meier-Rust, 1993, S. 18.
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Hans G. Nutzinger und Eckart Müller
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Rüstow, trotz seiner schon damals deutlich werdenden kirchen- bzw. theologiekritischen Haltung, aktives Mitglied im Kreis der religiösen Sozialisten um Tillich und Heimann. Mit letzterem verband ihn, jenseits späterer fachlicher Differenzen, eine lebenslange Freundschaft. Seit dem Jahre 1919 war Rüstow Mitautor der "Sozialistischen Monatshefte".34 Im Blick auf seine religiöse Prägung während der Mitarbeit in diesem Kreis ist interessant, daß er sich dort offen als Atheist bekannte. 35 Rüstow selbst berichtete Jahrzehnte später, daß er in dieser Zeit seine ersten praktischen - und fiir ihn positiven - Erfahrungen mit dem Katholizismus gemacht habe. 36 Von direkten kirchlichen Kontakten Rüstows ist weder vor seiner Emigration noch danach etwas bekannt. Zeit seines Lebens blieb jedoch sein Interesse an religions geschichtlichen und theologischen Fragestellungen erhalten, was sich u.a. in zwei Aufsätzen "Von Abraham bis Paulus" und ,,Entos Ymon Estin. Zur Deutung von Lk. 17, 20-21" dokumentiert. 37 Als ein Zeichen fiir seine Kontakte zur evangelischen Theologie kann auch die Laudatio gelten, die der Theologe Helmut Thielicke anläßlich der Verleihung des ,,Freiherr von Stein-Preises" im Jahre 1962 hielt. 38 Diese Kontakte bestanden ungeachtet der Tatsache, daß Rüstow sich in seinem Hauptwerk, der "Ortsbestimmung der Gegenwart", sehr kritisch mit der Reformation und besonders mit Luther auseinandersetzt. 39 Rüstow starb am 30. Juni 1963 in Heidelberg. Alfred Müller-Armack wurde im Jahre 1901 in Essen geboren. Sein Vater Hermann Müller war Betriebsfiihrer bei Krupp, von seiner Mutter übernahm er den Doppelnamen Armack. 40 Aus seiner Jugend und der damit verbundenen 34 Vgl. Haselbach, 1991, S. 189. 35 Vgl. Hübner, 1993, S. 140. Dies entspricht auch der Einschätzung seines Sohnes Dankwart,
nach dem sich sein Vater oft als "dezidierten Nichtchristen" bezeichnete. Die geistigen Vorfahren seines Vaters sieht Dankwart in den Vorsokratikern und in den Aufklärern des 18. Jahrhunderts. "Wenn auch Alexander Rüstow aus einer radikal protestantischen Familie stammt, ... , so war er weder ein Protestant, noch ein 'kulturkatholischer Agnostiker' meiner Meinung nach. Im Gegenteil: Alexander Rüstow zitierte oft Goethe und bezog es auf sich, daß er ein 'dezidierter Nichtchrist' sei" (Rüstow, 1987a, S. 85). 36 Rüstow, 1955, S. 53.
37 Vgl. Meier-Rust, 1993, S. 84. 38 Vgl. ebendort, S. 85. 39 Vgl. Rüstow, 1950ff., Bd. n, 270ff. 40 Vgl. Haselbach, 1991, S. 286, Anm .5; vgl. auch Hoffmann, 1981, S. 374. Haselbach ist in
seiner Beobachtung zuzustimmen, daß die biographischen Erkenntnisse über Müller-Arrnacks leben, seinen familiären, religiösen Hintergrund sowie die entscheidenden Wendepunkte seines lebens begrenzt sind. Es gibt außer dem Versuch von Haselbach keine Arbeit, die sich wissenschaftlich mit dem Leben Müller-Arrnacks auseinandersetzt. Haselbach z.B. sieht die Ursache für die Zurückhaltung Müller-Arrnacks in der Interpretation seines Lebens darin, "daß wechselnde zeitgeschichtliche Konstellationen von ihm als Wissenschaftler wie als Politiker jeweils Loyalitäten ab-
Protestantische Wurzeln der Sozialen Marktwirtschaft
37
geistigen Entwicklung sind keine Einzelheiten bekannt. Zu vennuten ist, daß Müller-Armack in dieser Zeit seine protestantische Prägung erfahren hat, die er zeitlebens beibehielt. 41 Sein wissenschaftliches Interesse an religionssoziologischen Fragestellungen dokwnentiert sich eindrücklich in seinen Arbeiten, die er während des Dritten Reiches verfaßte und die in dem Sammelband ,,Religion und Wirtschaft" zusammengefaßt sind. Kurz nach dem Krieg veröffentlichte Müller-Armack die Werke ,,Das Jahrhundert ohne Gott" (1948) und ,,Diagnose unserer Gegenwart" (1949), in denen er sich intensiv mit der geistig-religiösen Situation in Deutschland auseinandersetzte. Aus der zweiten Schrift geht auch hervor, daß ihm die zeitgenössische Theologie etwa von Karl Barth nicht fremd war. 42 Nach dem Krieg war es u.a. der spätere Bundespräsident Gustav Heinemann, der dem Ökonomen vielfältige ökwnenische Kontakte vermittelte. Müller-Armack war ein Begründer der Evangelischen Akademie im Johannisstift bei Bielefeld und leitete seit 1950 eine Arbeitsgruppe, die sich regelmäßig im Evangelischen Studienzentrum Villigst traf. Ziel dieser und anderer Aktivitäten war die Arbeit "an einer neuen Gesellschaftsidee, für die die ökumenische Bewegung die Fonnel der 'verantwortlichen Gesellschaft' prägte".43 Zusammen mit evangelischen Theologen und anderen Sozialwissenschaftlern erarbeitete Müller-Armack die Schrift ,,Die heutige Gesellschaft nach evangelischem Verständnis Diagnose und Vorschläge zu ihrer Gestaltung" - ein Text, der jedoch nur durch private Vervielfältigung an die Öffentlichkeit gelangte. 44 Seit 1950 war er auch Vorsitzender der Arbeitsgruppe "Wirtschaft" des Deutschen Evangelischen Kirchentages. 45 Müller-Armacks Kontakte zu Vertretern der Evangelischen Kirche blieb zeitlebens erhalten. Er starb am 16. März 1978 in Köln.
forderten, die auch nachträglich nur schwer unter eine einheitliche biographische Sprachregelung zu bringen waren" (1991, S. 119). Haselbach spielt hier auf die seines Erachtens problematische Rolle von Müller-Armack im Dritten Reich an. Müller-Armack selbst macht in seinen Publikationen nur seiten biographische Andeutungen. Eine Ausnahme bildet sein Buch "Auf dem Weg nach Europa" mit einigen Angaben über wichtige Stationen seines Lebens. 41 Tuchtfeldt führt aus, daß die christlich-abendländische Tradition für Müller-Armacks ganzes Leben prägend gewesen ist (1981, S. 15). Dagegen betont Haselbach, daß Müller Armacks Studienzeit durch die Entdeckung und Rezeption der philosophischen Anthropologie geprägt war und nicht durch religiöse Aktivitäten (I 991, S. 119). 42 Müller-Armack, 1981d, S. 160.
43 Müller-Armack, 1971 a, S. 41; vgl. auch Jähnichen, 1994, S. 308. 44 Vgl. Müller-Armack, 1971 a, S. 42; vgl. derselbe, 19811, S. 113ff. 45 Vgl. Jähnichen, 1994, S. 313.
Hans G. Nutzinger und Eckart Müller
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n. Die Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft 1. Vorbemerkung
,,zwei großen sittlichen Zielen fühlen wir WlS verpflichtet, der Freiheit Wld der sozialen Gerechtigkeit. ,,46 Mit diesem Satz wnreißt Müller-Armack paradigmatisch die ZielsetzWlg seiner wirtschaftspolitischen Konzeption, der er im Jahre 1946 den Namen "Soziale Marktwirtschaft" gab. Ganz ähnlich wnschreibt Eucken die GrWldlagen seines wirtschaftspolitischen Denkens: ,,Für den Bereich der Wirtschaft ergibt sich die Frage: wie kann der modemen industriellen Wirtschaft eine funktionsfähige Wld menschenwürdige OrdnWlg gegeben werden?,,47 Er beschreibt diese bei den Charakteristika wie folgt: ,,Funktionsfähig Wld menschenwürdig heißt: In ihr soll die Knappheit an Gütern, die sich Tag fiir Tag in den meisten Haushalten drückend geltend macht, so weitgehend wie möglich Wld andauernd überwtmden werden. Und zugleich soll in dieser OrdnWlg ein selbstverantwortliches Leben möglich sein. ,,48 Diese CharakterisierWlg macht deutlich, daß die Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft aus einer bestimmten ethischen Tradition heraus formuliert worden ist Wld sich dieser ÜberlieferWlg verpflichtet fühlt. Ziel ist eine Synthese zwischen den ethischen Einsichten in die Verfaßtheit einer auf Freiheit Wld Menschenwürde gegründeten Gesellschaft Wld den ökonomischen Erkenntnissen über die Funktionsbedingtmgen moderner Volkswirtschaften. Doch wie setzen die "Gründerväter" der Sozialen Marktwirtschaft diesen Anspruch in der Konzeption selbst wn? Zur BeantwortWlg dieser Frage ist zunächst ein Blick auf den sozialphilosophischen Hintergrtmd notwendig, auf dem die Väter der Sozialen Marktwirtschaft ihre Konzeption entwickeln. Im Anschluß daran soll dann gefragt werden, wie die sozialphilosophische Grtmdlegtmg in der Konzeption wngesetzt wird. 2. Der sozialphilosophische Hintergrund
Bei einer systematischen Analyse des sozialphilosophischen Hintergrtmdes der Konzeption ist es sinnvoll, diesen Hintergrtmd in zwei Bereiche - nämlich anthropologisch-deskriptive FeststellWlgen einerseits Wld ethisch-normative Aussagen andererseits - zu Wltergliedern. ZWlächst sollen die beiden wesentlichen Aspekte herausgestellt werden, die nach Überzeugtmg der "Gründerväter"
46 Müller-Armack, 1981b, S. 90. 47 Eucken, 1990, S. 14. Nach Schlecht durchzieht diese Frage das ganze Werk Euckens, vgl.
Schlecht, 1990, S. 65. 48 Eucken, 1989, S. 240.
Protestantische Wurzeln der Sozialen Marktwirtschaft
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zur anthropologischen Konstitution des Menschen gehören Wld insofern als ethische ProblemstellWlg invariant sind. Dazu gehören vor allem die von allen drei Ökonomen festgestellten Freiheitsspielräume, die der Mensch hat Wld in verschiedener Weise ausfiillen kann. Der Mensch hat Freiheit, d.h. seine HandlWlgen sind weder instinktgebWlden seiner Umwelt verhaftet,49 wie das Verhalten der Tiere, noch ist das menschliche Zusanunenleben so von der Natur festgelegt, daß der Mensch keine HandIWlgsspielräume zur GestaltWlg dieses Zusanunenlebens hat. Müller-Armack spricht in diesem Zusanunenhang von der "exzentrischen Struktur des Menschen" Wld bezieht sich dabei auf die philosophische Anthropologie Plessners. 50 Demgegenüber rekurriert Eucken auf Kants Freiheitsbegriff Wld postuliert Freiheit im Sinne von Kant als MöglichkeitsbedingWlg des Sittlichen überhaupt. 5I Für Rüstow schließlich steht der Mensch seit Beginn der Geschichte vor der Wahl, ob er seine Lebensverhältnisse auf Freiheit oder auf Herrschaft gründet. Für Rüstow ist Freiheit eine soziologische Größe, nämlich die Unabhängigkeit von äußerer Herrschaft Wld Fremdbestimmtheit durch andere Mensehen. 52 Somit ist festzuhalten, daß alle drei Ökonomen Freiheit, d.h. äußere GestaltWlgsspielräume, verbWlden mit der Fähigkeit des Menschen zum reflexiven Denken, als MöglichkeitsbedingWlg des Menschen voraussetzen. Der zweite für die Gründerväter wesentliche anthropologische Aspekt ist die Bezogenheit des Menschen auf das Leben anderer. Der Mensch ist, wie schon Aristoteles sagte, ein "zoon politikon", d.h. ein Wesen, das nur im VerbWld mit anderen Menschen leben kann. 53 Diese Angewiesenheit steht nicht zur Disposition, darauf weist besonders Müller-Armack hin. 54 Rüstow geht hier noch einen Schritt weiter: Er beschreibt den Menschen nicht nur als "zoon politikon", sondern als ein auf Gemeinschaft ausgerichtetes Wesen. Gemeinschaft, d.h. das Gleichgewicht zwischen Freiheit Wld BindWlg, Individualität Wld Organisation, ist der menschlichen Natur gemäß. 55 Dabei kann auch für Rüstow Gemeinschaft 49 Vgl. Müller-Annack, 1932, S. 142f.; vgl. auch Plessner, 1975, S. 288. 50 Müller-Annack spricht in diesem Zusammenhang auch von der "aufgebrochenen Triebstruk-
tur des Menschen" (vgl. 1932, S. 143). 51 Vgl. Eucken, 1990, S. 176.
52 Deshalb wird sie im abschließenden Abschnitt D nochmals behandelt werden; vgl. Rüstow, I 950ff., Bd. I, S. 55. 53 Vgl. Müller-Annack, I 963f., S. 10; vgl. auch Plessner, 1975, S. 234.
54 Bei Müller-Annack folgt daraus freilich eine generelle Ablehnung aller vertragstheoretischen Gesellschaftsmodelle. Diese lassen sich aber durchaus dahingehend interpretieren, daß sie nicht das Zusammenleben als solches in Frage stellen, sondern sich um eine bestimmte Organisation dieses Zusammenlebens bemühen, nämlich um eine solche, in der die Freiheit des einzelnen gewahrt bleibt; vgl. I 963f., S. 11. 55 Vgl. Rüstow, 1949, S. 139.
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Hans G. Nutzinger und Eckart Müller
nur in Verhältnissen entstehen, die von äußeren Handlungsspielräumen geprägt sind und die Freiwilligkeit aller Beteiligten voraussetzen - insofern lassen sich seine Gedanken mit denen Müller-Annacks zwanglos kombinieren. 56 Gemeinschaft ist nach Rüstow eine Form des Zusammenlebens, die der Mensch auch verfehlen kann. Insofern sagt diese anthropologische Feststellung nichts darüber aus, wie das Zusammenleben von Menschen inhaltlich zu organisieren ist. Von diesen für die Gründerväter wesentlichen anthropologischen Aspekten sind die sozialphilosophischen Aussagen zu unterscheiden, die einen dezidiert ethischen Charakter aufweisen. Sie leiten sich nicht aus dem empirischen Befund der Wirklichkeit ab, sondern verdanken sich einem Grundverständnis von Welt und Mensch, das sich den Denkern als evident erschlossen hat. Hier ist allen drei Ökonomen gemeinsam, daß sie die Freiheit nicht nur als anthropologische Möglichkeitsbedingung des Menschen fassen, sondern ihr zugleich als Handlungsziel höchste Priorität einräumen. Die Ermöglichung, Bewahrung und Ausgestaltung der Freiheit, d.h. der äußeren Handlungsspielräume des Menschen, sind für Eucken, Rüstow und Müller-Annack das fundamentale Anliegen. Gleichfalls setzen alle drei Ökonomen zu dieser äußeren Freiheit von Wahlmöglichkeiten eine innere Freiheit des Menschen voraus, verstanden als die Befähigung, mit diesen Wahlmöglichkeiten rational umgehen zu können; freilich entfalten sie diese innere Freiheit in einem darstellenden Teil nicht näher. Eine Konsequenz dieses Gedankens ist die Ho p~ . Der gesamte Wohlfahrtsgewinn der Spekulanten und Nichtspekulanten wird durch die Fläche E~GE~E2 dargestellt. Die Spekulation in Abbildung 1 ist preisstabilisierend. Ohne Spekulation wäre der Preis des Gutes von PI auf P2 gestiegen - mit Spekulation jedoch nur von p~ auf p~, wobei PI < p~ < p~ < P2 . Wie man anhand von Abbildung 1 erkennt, hängt die Preiswirkung und der Nettowohlfahrtsgewinn der Nichtspekulanten wesentlich vom Ausmaß des spekulativen Engagements q ab. p
Abb. 2: Vollständig stabilisierende Spekulation
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In AbbildWlg 2 führt die Spekulation zu einer vollständigen Preisstabilisierung, d.h. p~ = pi. Der Nettowohlfahrtsgewinn der Nichtspekulanten steigt im Vergleich zu AbbildWlg 1, wobei die Spekulanten selbst keinen Gewinn machen.
AbbildWlg 3 illustriert den Fall der destabilisierenden Spekulation. Spekulanten überschätzen die zukünftige PreissteigefWlg Wld kaufen (verkaufen) in Periode 1 (Periode 2) eine zu große Menge q des Gutes. Die Nettowohlfahrt der Nichtspekulanten wird durch den gestiegenen Spekulationsbetrag q erhöht. 3 Die Spekulanten machen einen Verlust von q(pi - pD, der durch die Fläche E~HKB dargestellt wird. Absolut gerechnet, übersteigt der Verlust der Spekulanten den Gewinn der Nichtspekulanten, weshalb die Fläche E~GEiE2 ein Maß für den Nettoverlust aller Marktteilnehmer (Spekulanten und Nichtspekulanten) darstellt. 4 Die Preisschwankungen werden von PIP2 auf p~pi verstärkt, wobei pi < PI < P2 < p~, weshalb eine preisdestabilisierende Spekulation vorliegt.
Abb. 3: Destabilisierende Spekulation werden nur zwei Zeitperioden mit entgegengesetzten Spekulationsbeträgen, q> 0 bzw. als Spekulationsbetrag (für beide Zeitperioden) bezeichnet. 4 Üblicherweise werden bei der Spekulation nur die Wohlfahrtsveränderungen der Nichtspekulanten untersucht - die Wohlfahrt der Spekulanten wird jedoch meistens außer Acht gelassen. Wenn der Markt jedoch durch spekulative Anleger dominiert wird, kann dieser Aspekt beim Vorhandensein vieler (nicht gut informierter) Mitläuferspekulanten nicht mehr ignoriert werden. 3 Hier
-q, zugrundegelegt. Der Einfachheit halber wird q> 0
17'
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Gerhard Aschinger
Eine destabilisierende Spekulation kann entstehen, wenn die Spekulanten entgegen der üblichen Annahme im Durchschnitt keine bessere Voraussicht über das zukünftige Marktgeschehen besitzen als Nichtspekulanten. Dieser Umstand kann vor allem in Märkten mit hohem Spekulantenanteil auftreten, wenn viele Mitläuferspekulanten vorhanden sind, deren Erwartungsbildung sich nicht nach fundamentalen Zusammenhängen richtet, sondern durch die Marktentwicklung sowie Interaktionen mit anderen Marktteilnehmern bestimmt wird. Friedrnan (1953) ist der Meinung, daß destabilisierende Spekulanten stets Verluste machen, was fiir unser Modell durch Abbildung 3 illustriert wird. Dies trifft fiir die Gesamtheit der Spekulanten zu. Unterscheidet man zwischen Berufs- und Mitläuferspekulanten, so ist es durchaus denkbar, daß eine Minderheit gut informierter Spekulanten auf Kosten der Mitläuferspekulanten Gewinne machen kann. Unabhängig davon, ob eine stabilisierende oder destabilisierende Spekulation vorliegt, ziehen Nichtspekulanten stets einen Nutzen aus der Spekulation.
C. Eigenschaften der Spekulation Eine preisstabilisierende Spekulation erhöht die Effizienz der Märkte, weil die Spekulanten den intertemporalen Ausgleich durch den Kauf des Gutes bei tiefen Preisen und den Verkauf bei hohen Preisen ermöglichen. In dieser Situation erzielen Spekulanten Gewinne. Die Spekulation verbessert im Normalfall die Funktionsweise der Märkte, wodurch der Handel mit Gütern erleichtert wird. Dies ist der Fall, wenn der Anteil der Spekulanten im Markt relativ klein ist. Für die Marktteilnehmer (im wesentlichen Nichtspekulanten) wird dadurch das Preisrisiko reduziert. Eine wesentliche Leistung der Spekulation liegt somit in der Übernahme von Risiken, wobei der Gewinn eines Spekulanten dem Preis des eingegangenen Risikos entspricht. Unter Sicherheit bzw. bei vollständig antizipierten Erwartungen aller Marktteilnehmer könnte keine Spekulation auftreten, da sämtliche Gewinnrnöglichkeiten bereits ausgeschöpft wären. Damit die Spekulation preisstabilisierend wirkt, müssen die Spekulanten (wenn sie nicht aus dem Markt gedrängt werden) in der Lage sein, zukünftige Marktentwicklungen besser vorherzusehen als durchschnittliche Marktteilnehmer. Je nachdem, ob Spekulanten zukünftige Marktkonstellationen verläßlich antizipieren können, werden Preisfluktuationen gedämpft oder allenfalls verstärkt. Die Spekulation kann preisdestabilisierend wirken, wenn Spekulanten die Marktentwicklung nicht richtig einschätzen, d.h. wenn sich deren Preiserwartungen stark von den zukünftigen Preisen unterscheiden.
Spekulation und ökonomische Krisen
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Ein weiterer Grund fiir das Auftreten der Preisdestabilisierung liegt darin, daß gewisse Spekulanten andere Marktteilnehmer durch Fehlinfonnationen bzw. Manipulationen beeinflussen können. Selbsterfilliende Erwartungen induzieren Marktbewegungen, die zu Preisverzerrungen führen. Dieser Tatbestand kann auftreten, wenn sich Märkte in einer starken Hausse befinden, wodurch viele Mitläuferspekulanten angezogen werden, die über unzureichende Kenntnisse und Infonnationen verfügen und sich durch andere Marktteilnehmer beeinflussen lassen. In Märkten mit einem hohen Spekulantenanteil sind irrationale Beweggründe fiir die gewählten Strategien von entscheidender Bedeutung. Dieser Umstand kann durch massenpsychologische Phänomene (social dynamics) erklärt werden. Solche Entwicklungen konnten bei zahlreichen Finanzkrisen (z.B. Börsenkrach) beobachtet werden. 5 In einer solchen Situation können Berufsspekulanten selbst in einem Markt, der aufgrund rationaler Argumente keine vorteilhafte Spekulation erwarten läßt, unter Berücksichtigung des Verhaltens von Mitläuferspekulanten erhebliche Gewinne erzielen. Daher sollten Wirtschaftssubjekte nach Keynes, in Analogie zu einer Schönheitskonkurrenz, Anstrengungen unternehmen um herauszufinden, welche Erwartungen das Publikum im Durchschnitt aufweist. 6
D. Derivative Instrumente Die Spekulanten bevorzugen Märkte mit homogenen Gütern, deren Preise eine hohe Schwankungsbreite (=Volatilität) und geringe Transaktionskosten aufweisen. Finanzmärkte erfüllen diese Bedingungen. Mit der Einführung neuer Finanzmarktinstrurnente (Derivate) zu Beginn der 80er Jahre entstanden sehr effiziente Märkte. Derivate weisen eine hohe Hebelwirkung und geringe Transaktionskosten auf, weshalb sie bei vielen Operationen den Basistiteln vorgezogen werden.
5 Vgl.
Aschinger, 1995. professional investment may be likened to those newspaper competitions in which the competitors have to pick out the six prettiest faces from a hundred photographs, the prize being awarded to the competitor whose choice most nearly corresponds to the average preferences of the competitors as a whole; so that each competitor has to pick, not those faces which he himself finds prettiest, but those which he thinks Iikeliest to catch the fancy of the other competitors, all of whom are looking at the problem from the same point of view. lt is not a case choosing those which, to the best of one' s judgment, are really the prettiest, nor even those which average opinion genuinely thinks the prettiest. We have reached the third degree where we devote our intelligence to anticipating what average opinion expects the average opinion to be." Vgl. Keynes, 1936, Kap. 6
12.
...
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Derivate wnfassen Tenningeschäfte, Optionen und Swaps. Mit dem Übergang zu flexiblen Wechselkursen stieg die Nachfrage nach Absicherungsinstrumenten insbesondere bei Devisen-, Aktien- und zinsbezogenen Geschäften. Im Laufe der Deregulierung, sowie durch Fortschritte bei der Telekommunikation und den Computersystemen, wurden die Finanzmärkte zunehmend globalisiert, so daß ein Handel rund um die Uhr möglich wurde. Die rasante Entwicklung der Derivate führte zu einem starken Verbund der verschiedenen Finanzmarktsegmente. Das enorme Wachstum derivativer Instrumente wird durch die folgenden Zahlen belegt: während 1987 der Nominalwert ausstehender derivativer Kontrakte weltweit etwa 1,6 Bio. $ betrug, stieg dieser bis 1993 auf ca. 14 Bio. $. Die weltweite Integration der Finanzmärkte sowie die schnelle Übertragung von Informationen und Schocks haben die tägliche Volatilität der Finanzmarktpreise stark erhöht. Dies steht mit der Aussage, daß die monatlichen Schwankungen der Aktienkurse seit dem letzten Jahrhundert bis heute etwa demselben Muster entsprechen, nicht im Widerspruch. 7 Der Unterschied zwischen den monatlichen und täglichen Volatilitäten zeigt, daß die Wertschriftenpreise heute zunehmend schneller auf neue Informationen reagieren. Preisveränderungen, die sich früher im Laufe von Wochen oderMonaten einstellten, können heute im Verlauf von einigen Stunden beobachtet werden. Die Zunahme der täglichen Marktvolatilität braucht jedoch kein Indiz fiir Instabilität zu sein. Schnell reagierende Preise können neue Gleichgewichtspositionen aufzeigen. Die (schwache) Effizienzhypothese sagt aus, das sich alle öffentlich verrugbaren Informationen sofort in den Preisen niederschlagen, d.h. daß kein Anleger aufgrund solcher Informationen eine gewinnbringende Strategie bestimmen kann. Unter normalen Bedingungen sind die Finanzmärkte, wie viele Untersuchungen belegen, effizient. Es hat sich jedoch gezeigt, daß Finanzmärkte verschiedene Anomalien aufweisen, bei denen die Effizienzhypothese nicht zutrifft. 8 Fehlleistungen von Unternehmen, Wirtschaftsgruppen und staatlicher Politik werden durch effiziente Finanzmärkte schnell entdeckt und bestraft. Das Unbehagen politischer Instanzen gegenüber Marktsanktionen läßt den Ruf nach erneuter Regulierung und "Zähmung" der Märkte laut werden. Während Absicherungen mit Hilfe von Derivaten auf einfache Weise vorgenommen werden können, darf nicht übersehen werden, daß fiir jeden derivati-
7 Vgl.
Jones, Wilson, 1989.
8 Vgl.
LeRoy, 1990.
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ven Kontrakt eine Gegenpartei besteht, die bereit ist, die komplementären Risiken zu übernehmen. Im Gegensatz zur Reduktion unsystematischer Risiken durch Diversifikation werden systematische Risiken mit Hilfe von Derivaten verlagert, d.h. es handelt sich wn eine Nullsummen-Situation. Es bestehen je nach Kontrakt Wlterschiedliche VerteilWlgen des Risikos. Während für Termingeschäfte beide Parteien synunetrische Risiken eingehen, besteht bei Optionsgeschäften eine Risikoasynunetrie. Für den Käufer einer Option ist der mögliche Verlust auf den Optionspreis beschränkt, der Verkäufer trägt jedoch theoretisch ein Wlbeschränktes Risiko. Derivate beinhalten, analog zu anderen Anlageformen, verschiedene Risikotypen (z.B. Markt-, Kredit-, Durchfiihrungs- Wld juristische Risiken). Derivate sind aber im Vergleich zu traditionellen Instrwnenten schwieriger zu beurteilen Wld erfordern deshalb ein verbessertes Risikomanagement. Das rasante Wachstwn Wld die ZWlehmende Vielzahl dervativer Instrwnente wirft die Frage nach dem Systemrisiko auf. Als Systemrisiko wird der Umstand bezeichnet, daß der Zusammenbruch einer einzelnen Wirtschaftseinheit zu einer gesamtwirtschaftlichen Krise führen kann. Das Systemrisiko scheint bei derivativen Geschäften gestiegen zu sein. Folgende Gründe sind dafür verantwortlich: • Bei Derivaten besteht ein Informationsdefizit, da die komplexen Zusammenhänge oft nur für Spezialisten verständlich sind. Dies bezieht sich auf die RisikoeinschätZWlg bei einzelnen derivativen Instrwnenten sowie auf die Vielzahl neu angebotener Produkte Wld deren gegenseitige Abhängigkeiten. • Bei OTC-Geschäften bestehen erhöhte Risiken infolge der reduzierten liquidität, weshalb standardisierte börsliche Derivate vorzuziehen wären. 9 • Die wnfangreichen Transaktionen bei Derivaten sowie die starke Konzentration auf der Angebotsseite (geringe Anzahl Anbieter von Derivaten) erhöhen die Verlustmöglichkeiten. • Der Handel mit Derivaten findet zum Teil durch nichtregulierte Unternehmen statt. • Infolge des starken Wachstwns derivativer Produkte wird das Abwicklungsrisiko erhöht.
9 OTe = "over the counter" -Geschäfte sind bilaterale Kontrakte, die nicht standardisiert sind und nicht an einer Börse gehandelt werden.
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• Zudem könnenjuristische Risiken (etwa bei der Durchsetzung des "Netting") auftreten. • Die Spekulation kann infolge der hohen Hebelwirkung (leverage) und der geringen Transaktionskosten von Derivaten verstärkt werden. Dadurch wird die Entstehung einer destabilisierenden Spekulation begünstigt. • Bei derivativen Produkten besteht ein positiver Feedback, da eine Reduktion des Basispreises die Nachfrage nach dem Basisprodukt verringert, wodurch der Basispreis weiter sinkt. Dies kann zur Destabilisierung beitragen.
E. Finanzkrisen und destabilisierende Spekulation Zunächst muß zwischen einzelwirtschaftlichen und gesamtwirtschaftlichen Krisen unterschieden werden. Einzelwirtschaftliche Krisen beziehen sich auf einzelne Unternehmen bzw. Wirtschaftseinheiten, die aufgrund verschiedener Umstände in Liquiditätsschwierigkeiten geraten oder durch unvorsichtige Operationen hohe Kapitalverluste erleiden. Gesamtwirtschaftliche Krisen betreffen jedoch Volkswirtschaften als Ganzes. Eine einzelwirtschaftliche Krise kann sich unter Umständen fortpflanzen und weitere Bereiche erfassen, wodurch eine gesamtwirtschaftliche Krise entstehen kann. Dieser Tatbestand wird durch das Systemrisiko charakterisiert. Während fiir Krisen, die sich nur einzelwirtschaftlich auswirken, kein Handlungsbedarf des Staates besteht, kann eine drohende gesamtwirtschaftliche Krise eine staatliche Intervention notwendig machen. Ein vermuteter staatlicher Eingriff kann jedoch ein Trittbrettfahrerverhalten auslösen, da riskante Geschäfte infolge des "staatlichen Sicherheitsnetzes" attraktiver werden. Im weiteren kann man zwischen informationsbedingten und spekulativen Krisen unterscheiden.
Bei einer informations bedingten Krise treten neue negative Informationen auf, die z.B. den Ausbruch eines Krieges, ungenügendes Wissen und Fehlleistungen von Unternehmen, Mißwirtschaft im Staatssektor, Politikversagen, etc. beinhalten können. Diese schlagen sich schnell in fallenden Aktien- bzw. Obligationenkursen nieder. Eine informationsbedingte Krise fUhrt zu einer Neubewertung der Anlageformen, wobei die Marktmechanismen ein neues Gleichgewicht anpeilen (Rationalität). Daher besteht kein Marktversagen. Die Tatsache, daß die Finanzmärkte infolge von Derivaten kurzfristig volatiler geworden sind, spiegelt im Gegenteil eine verbesserte Effizienz wider. Informationsbedingte Krisen werden nicht durch Finanzmarktinstrurnente verursacht. Die Gründe dafiir liegen bei den negativ beurteilten Ereignissen. Die Spekulation wirkt in sol-
Spekulation Wld ökonomische Krisen
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chen Krisen preisstabilisierend, da ohne Spekulation stärkere Preisanpassungen stattfinden müßten. Anders verhält es sich bei spekulativen Krisen, die durch irrationale Verhaltensweisen gekennzeichnet sind. Eine einzelwirtschaJtliche, spekulative Krise, die auch als "Gambling-Krise" bezeichnet wird, ist auf ein Fehlverhalten betrieblicher Entscheidungsträger und nicht auf marktrelevante Veränderungen bzw. mangelnde Leistungsfähigkeit eines Unternehmens zurückzufiihren. Es handelt sich um ein Spielerverhalten von Verantwortlichen, die sehr gewagte Positionen eingehen, ohne die notwendigen Vorsichtsmaßnahmen und Zusammenhänge zu berücksichtigen. Ein solches Verhalten entspricht einem "Spiel gegen die Natur", welches mit dem Roulette eines Spielkasinos zu vergleichen ist. Diesem Umstand liegt ein irrationales Handeln zugrunde. Die "GamblingKrise" läßt sich durch eine destabilisierende Spekulation der betreffenden Wirtschaftseinheit charakterisieren, die deren Verlustrisiko stark erhöht. Spekulation in diesem Sinne ist ein mikroökonomisches Phänomen, welches keine unmittelbaren makroökonomischen Konsequenzen impliziert. Veduste aus "Gambling"Positionen haben Wertberichtigungen bei den Finanztiteln der betreffenden Unternehmen zur Folge. Kreditgeber solcher Unternehmen spielen mit und versuchen oft, in der Endphase eine drohende Pleite mit zusätzlichen Krediten abzuwenden.
GesamtwirtschaJtliche, spekulative Krisen haben eine Entstehungsgeschichte, die durch folgende Entwicklungsphasen charakterisiert werden können: Auslösung eines Booms, Zunahme der Spekulation, Entstehung einer Euphorie (Auftreten von Irrationalität und destabilisierender Spekulation), Verstärkung der Instabilität (zunehmende Diskrepanz zwischen den Finanzmarktpreisen und ihren Fundamentalwerten), Umkippen der Erwartungen, Panik und Crash. 10
10 Diese Entwicklungsphasen lassen sich wie folgt beschreiben, wobei gewisse Tatbestände auch gleichzeitig auftreten können: 1) Auslösung: Ein exogener Schock wirkt auf das makroökonomische System. 2) Entstehung eines Booms: Ist der exogene Schock genügend groß, so können zusätzliche volkswirtschaftliche Nutzen bzw. Kosten auftreten. Übersteigen die damit verbundenen Gewinne die Verluste, entsteht ein Anreiz zur Investitions- und Produktionssteigerung. Es bildet sich ein Boom. 3) Zunahme der Spekulation: Der Boom wird durch eine Kreditexpansion oder die Schaffung neuer Finanzrnarktinstrurnente, die eine erhöhte Hebelwirkung bzw. geringere Transaktionskosten aufweisen, alimentiert. Dadurch steigt die Nachfrage nach Gütern und finanziellen Aktiva. Bei beschränkten Angebotskapazitäten erhöhen sich die Preise, wodurch die Spekulation verstärkt wird. Zunächst wirkt die Spekulation infolge gestiegener Fundamentalwerte preisstabilisierend. 4) Destabilisierende Spekulation: Länger andauernde Preissteigerungen verstärken die optimistischen Erwartungen, wodurch die Spekulation immer weitere Bevölkerungskreise (vor allem Mitläuferspekulanten) erfaßt. Durch Übertreibungen wirkt die Spekulation zunehmend preisdestabilisierend. Es entsteht eine spekulative Blase.
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Im Verlaufe einer solchen Krise wird die Spekulation verstärkt, so daß immer neue Anlegerkreise (Mitläuferspekulanten) angezogen werden, die vor allem in der Schlußphase von den Preissteigerungen profitieren möchten. Dabei sind irrationale Beweggründe (social dynamics) von wesentlicher Bedeutung. Berufsspekulanten können sich durch Manipulationen auf Kosten der Mitläuferspekulanten zusätzliche Gewinne verschaffen. Beim darauffolgenden Einbruch der Preise wird das über längere Zeit bestehende Ungleichgewicht durch den Markt korrigiert. Im Gegensatz zu einer informationsbedingten Krise treten in der Schlußphase einer solchen Krise keine neuen relevanten Informationen auf, die den Preissturz rechtfertigen könnten. Vielmehr staut sich das ftmdamentale Marktungleichgewicht auf, das sich nach einer längeren Anpassungsverzögerung abrupt entlädt.
In der Anfangsphase spiegeln die Preise Veränderungen der Fundamentaldaten wider. Die Spekulation ist zunächst preisstabilisierend. Bei fortgesetzter Spekulation wird die Erwartungsbildung jedoch zunehmend von irrationalen Faktoren bestimmt, denen keine Veränderungen der Fundamentalvariablen entsprechen. Dadurch entsteht eine spekulative Blase, die einmal platzen muß, wodurch das latente Ungleichgewicht beseitigt wird. Die Effizienz der Finanzmärkte ist unter solchen Bedingungen nicht mehr gewährleistet, d.h. es handelt sich um eine Anomalie. Auch bei einer informationsbedingten Krise können Informationen mit Zeitverzögerungen behaftet sein, und es können Fehleinschätzungen auftreten, bei deren Korrektur starke Preisbewegungen entstehen. Doch sind solche "Unvollkommenheiten" nicht mit der Ignoranz ftmdamentaler Variablen in einer spekulativen Krise zu verwechseln. Im Vorfeld des Crashs 1987 war den meisten Anlegern die starke Überbewertung amerikanischer Aktien bekannt. Auch wenn Marktteilnehmer nur Vorstellungen über die "Größenordnung" von Fundamentalvariablen besitzen, können gewisse Diskrepanzen zwischen den Wertschriftenpreisen und ihren Fundamentalwerten erkannt werden.
5) Euphorie: Rationale Anlagemotive, die sich auf die Fundamentalwerte beziehen, werden zunehmend durch irrationale Beweggründe ersetzt. Daher sind massenpsychologische Verhaltensweisen (social dynamies) von Bedeutung. Mitläuferspekulanten können durch Manipulationen und Falschinforrnationen angelockt werden. 6) Panik: Während der langen Boomperiode verstärkt sich die Instabilität der Märkte und die Preisentwicldung weist einen exponentiellen Trend auf Die Erwartungen der Anleger sind fragil und können bei geringfügigen Veränderungen und unbedeutenden Neuigkeiten umkippen. Panikverkäufe führen zu einem abrupten Preissturz. Die spekulative Blase platzt und bringt die Preise mit ihren Fundamentalwerten wieder in Übereinstimmung.
Spekulation und ökonomische Krisen
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F. Die Beurteilung aktueller Finanzkrisen Seit den 80er Jahren sind verschiedene Finanzkrisen aufgetreten, die Wlterschiedliche Ursachen Wld ErscheinWlgsfonnen aufwiesen. Anband der in Abschnitt E gegebenen CharakterisieTWlg von Finanzkrisen sollen nWl einige aktuelle Krisen beschrieben werden. Tabelle 1 zeigt die ZuordnWlg der hier Wltersuchten Krisen auf die verschiedenen Typen von Finanzkrisen. Dabei ist es im allgemeinen nicht möglich, eine bestimmte Krise eindeutig einem reinen Krisentyp zuzuordnen, d.h. es können Mischfonnen auftreten. Tabelle 1 Typisierung von Finanzkrisen Krise
einzelwirtscbaftlicbe
informations bedingte
spekulative
(Rationalität)
(Irrationalität)
Krise der Metallgesellschaft (1994)
"Gambling"-Krisen: - Barings (1995) - Daiwa (1995) - Sumitomo (1996)
gesamtwirtscbaftlicbe
Mexiko-Krise (1995)
Börsenkrach 1987
I. Die Barings-Krise Im Februar 1995 ereignete sich bei ,,Barings" der größte Bankzusammenbruch in der Geschichte Englands infolge enonner Verluste (über 800 Mio f) bei Derivatgeschäften. Nick Leeson, ein Börsenhändler der NiederlassWlg in Singapur, spekulierte mit japanischen Indextenninkontrakten (stock index futures). Leeson kaufte eine große Menge von Nikkei-Index-Terminkontrakten in
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Gerhard Aschinger
der Hoffnung, daß der Index steigen würde. Dabei schätzte er die Preisentwicklung japanischer Aktien falsch ein, so daß der darauf folgende Einbruch des Nikkei-Indexes zu Nachschußzahlungen und erheblichen Verlusten fiihrte. Da die Futures-Kontrakte immer noch "offen" waren (sie wurden nicht durch Gegenpositionen kompensiert) bestand die Gefahr zusätzlicher Verluste in unbestimmter Höhe.
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Abb. 4: Nikkei 225 Kassaindex
Im Verlauf der Untersuchung zeigte sich, daß die Überwachung der Derivatgeschäfte und das Risiko-Management bei Barings sehr mangelhaft waren. Die anfanglieh erfolgreichen Operationen von Leeson fiihrten dazu, daß ihm zunehmend Freiheiten eingeräumt wurden, die mit dem Reporting-System und den Usanzen zur Verlustvermeidung (Handelslimiten) im Widerspruch standen. Leeson war sowohl für den Handel als auch für dessen Abwicklung zuständig, was ein Verstoß gegen elementarste Sicherheitsvorkehrungen darstellt. Zudem verfügte das Management der Barings-Bank nicht über die nötigen Kenntnisse im Derivatgeschäft, was eine Kontrolle solcher Handelsaktivitäten verunmöglichte. Die Gefahr eines Dominoeffekts (d.h. induzierter weiterer Zusammenbrüche) bestand bei der Barings-Krise jedoch nicht. Der Markt hat die Fehldispositionen der Barings-Bank bestraft und damit auch für andere Finanzinstitute Zeichen gesetzt.
Der Fall Barings ist ein Beispiel für eine .. Gambling "-Krise.
Spekulation und ökonomische Krisen
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11. Die Daiwa-Krise Im Zeitrawn von 1984-1995 führte Toshihide Iguchi, der bei Daiwa Bank Ltd. am Sitz New York in großem Ausmaß mit Staatstiteln (US-government bonds) handelte, über 30'000 nicht-autorisierte Transaktionen durch, wn Verluste zu decken. Diese erhöhten sich schließlich auf 1,1 Mrd. $. Bei Verlusten im Staatspapiergeschäft verkaufte Iguchi jeweils Obligationen aus dem Portefeuille von Daiwa bzw. ihrer Kunden und stellte Dokwnente aus, welche die Rechtmäßigkeit dieser Transaktionen belegen sollten. Iguchi hatte eine Doppelfunktion inne - er war für den Wertschriftenhandel sowie für dessen Buchführung (interne Berichterstattung) verantwortlich, was eine Verschleierung der Verluste möglich machte. Obwohl Iguchi hauptsächlich mit amerikanischen Staatstiteln handelte, betrieb er, laut Angaben der Daiwa Geschäftsleitung, auch Handel mit Derivaten, wobei die Unterlagen der Operationen einer anderen Geschäftsstelle zugewiesen wurden, wn die Regulierungsbehörde zu täuschen. Neben Iguchi waren am Rand noch weitere Händler in die Vertuschung von "Treasury bonds"-Verlusten involviert. Diese Verluste wurden jedoch nicht der New Yorker Niederlassung, sondern verschiedenen Off-Shore Tochtergesellschaften belastet.
Die Betrugsdelikte, welche Iguchi der Daiwa-Leitung im Juli 1995 gestand, wurden erst im September 1995 den US-Behörden mitgeteilt. Anfang November 1995 verhängte die amerikanische Regulierungsbehörde gegenüber der Daiwa-Bank ein generelles Verbot der Geschäftstätigkeit in den USA, welches binnen drei Monaten in Kraft trat. Auch die Daiwa-Krise entspricht einer" Gambling"-Krise.
m. Die Sumitomo-Krise Anfang Juni 1996 wurde bekannt, daß Yasuo Hamanaka, Chef des Kupferhandels beim japanischen Handelshaus Surnitomo, während zehn Jahren nichtautorisierte Kupferkontrakte gehandelt und verheimlicht hatte, wodurch etwa 2 Mrd. $ Verluste aufgelaufen waren. Hamanaka war, ähnlich wie Leeson bzw. Iguchi im Fall von Barings und Daiwa, sowohl für den Handel wie dessen Berichterstattung verantwortlich. Hamanaka wurden verschiedene betrügerische Tatbestände, wie z. B. das Einholen von Bestätigungen nicht stattgefundener Transaktionen bei Brokern, zur Last gelegt. Er verfügte über geheime Bankkonten, mit Hilfe derer die nicht in der Bilanz erscheinenden irregulären Handelsaktivitäten finanziert wurden. Bei Sumitomo versagten die interne Kontrolle und das Risiko-Management.
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Gerhard Aschinger 3'100
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Nov 95
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Jan 96
Feb 96
März 96 April96 Mai 96 Juni 96
Abb, 5: Kupferpreis
Sumitomo war mit ca, 5% Marktanteil sehr stark im Kupferhandel involviert und wickelte seine Geschäfte seit Jahren fast ausschließlich über den London Meta! Exchange (LME) mit Hilfe von Brokern ab, da Sumitomo kein Mitglied des LME ist. Sumitomo war durch die rege Handelstätigkeit Hamanakas zum Preisfiihrer im Kupfermarkt geworden. Im Laufe des Jahres 1995 stiegen die Kupferpreise zunächst stark an, wobei der Terminpreis fiir Kupfer gegenüber dem Kassapreis einen hohen Diskont (= backwardation) aufwies, Üblicherweise liegt der Terminpreis nahe beim Kassapreis oder leicht darüber (= contango), Die Preisanomalie wurde durch eine Verknappung des Angebots ausgelöst, wobei Hamanaka im Verdacht stand, große Mengen von Kupfer gekauft zu haben, um den Kupferpreis in die Höhe zu treiben, Wie bekannt wurde, hatten diese Marktmanipulationen jedoch, wie schon früher, zu Verlusten bei Sumitomo geführt, Bereits Ende 1995 waren am LME ungewöhnliche Preisausschläge am Kupfermarkt zu beobachten, Seit Mitte Mai 1996 schwächten sich die Kupfernotierungen bei gleichzeitig hoher Volatilität zunehmend ab, Die Enthüllungen im Zusammenhang mit den Sumitomo-Verlusten führten zu einem starken Preiszerfall. Auch wenn die Handelsaktivitäten von Hamanaka den Kupferpreis beeinflußt hatten, konnten, angesichts des geringen Handelsvolumens im Verhältnis Zu anderen Märkten, keine gesamtwirtschaftlichen Konsequenzen festgestellt werden,
Die Sumitomo-Krise kann daher annäherungsweise als eine "Gambling "Krise bezeichnet werden,
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Spekulation und ökonomische Krisen
IV. Die Krise der Metallgesellschaft
Anfang Januar 1994 gab die Metallgesellschaft A.G. (MG) einen Jahresverlust von 1,8 Mrd. DM bekannt, wobei die erwarteten zusätzlichen Verluste offener Positionen mit 1,5 Mrd. DM beziffert wurden. Die Verluste stammten aus dem Erdölgeschäft der amerikanischen Tochtergesellschaft Metallgesellschaft Refining and Marketing Corporation (MGRM), welche langfristige Öllieferverträge mit Hilfe von Erdöl-Futures und -Swaps absichern wollte. Die meisten Terminlieferkontrakte wurden im Sommer 1993 ausgehandelt, als die Ölpreise niedrig waren und eine fallende Tendenz aufwiesen. Großabnehmer hatten ein Interesse, die tiefen Erdölpreise in langfristigen Verträgen festzuschreiben, während die MGRM darin den Vorteil sah, ihre Kundenbeziehungen im Rahmen eines integrierten Ölgeschäfts auszubauen. Langfristige Erdöllieferverträge, die sich bis über 10 Jahre mit einer Gesamtmenge von ca. 160 Mio. Faß erstreckten, wurden zu festen Preisen vereinbart, die etwa 3 bis 5 $ über dem Spot-Preis beim Kontraktabschluß lagen.
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Abb. 6: Rohölpreis
Die Preisaufschläge (= mark-ups) waren unabhängig von der Dauer des Kontraktes. Die MGRM setzte sich durch die Verpflichtung, ihren Kontrahenten langfristig Erdöl zu festen Preisen zu liefern, dem Risiko steigender Erdölpreise aus. Um die eingegangenen Terminkontrakte abzusichern, kaufte die MGRM kurzfristige, revolvierende Öl-Futures (am New York Mercantile Exchange =
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Gerhard Aschinger
NYMEX) Wld OTC-Swaps der gleichen Gesamtmenge (160 Mio. Faß), was mengenmäßig eine 100%-AbsichefWlg bedeutete. ll Die MGRM paßte ihre derivativen Positionen jeden Monat an, wobei diese um den Betrag des gelieferten Erdöls im betreffenden Monat reduziert wurden. Die AbsichefWlgsstrategie beinhaltete drei Risikotypen: Das "rollover"-Risiko, das "Junding"-Risiko Wld das Kreditrisiko. Das ,,rollover"-Risiko stellte die möglichen Verluste bei der kurzfristigen AnpassWlg derivativer Positionen dar. Das "funding"-Risiko entsprach den zu leistenden Nachschüssen auf ,,long positions" von Derivaten infolge fallender Ölpreise. Das Kreditrisiko betraf den Umstand, daß die Kontrahenten der MGRM ihren langfristigen VerpflichtWlgen, Öl zu festen Preisen zu kaufen, nicht nachkommen könnten. Während des Jahres 1993 verharrten die Ölmärkte fast immer im "contango", was hohe ,,rollover"-Verluste zur Folge hatte. In der zweiten Hälfte des Jahres 1993 fielen die Erdölpreise so stark, daß bei den derivativen Positionen der MGRM Margennachschüsse im Umfang von über 1 Mrd. DM nötig wurden. Da der Wert der kurzfristigen Derivate Wld der Wert der Terminlieferkontrakte von verschiedenen Preisen (Spot-Preise bzw. Terminpreise) abhängen, fiihrte eine mengenmäßig 100%-AbsichefWlg nicht zu einem Ausgleich von Gewinnen Wld Verlusten auf diesen Positionen. Daher hätte eine andere AbsichefWlgsstrategie verfolgt werden müssen. Am besten wäre eine AbsichefWlg mit Derivaten über denselben Zeithorizont wie die zukünftigen Ölliefertermine gewesen. Solche Instrumente waren aber nicht verfügbar, Wld wären sie von OTC-Händlern angeboten worden, wären die Preise für die MGRM zu hoch ausgefallen. Die Verluste der Metallgesellschaft wurden vor allem durch den starken Fall der ÖI-Spot-Preise ausgelöst. In Presseberichten wurden die Verluste der Metallgesellschaft auf eine massive Spekulation mit Öl-Futures Wld OTC-ÖISwaps zurückgefiihrt. Verschiedene Analysen der Metallgesellschaft-Krlse kamen aber zum Schluß, daß die MGRM beim Erdölgeschäft komplexe Marketing- Wld AbsichefWlgsstrategien verfolgte. 12 Dabei wurden rollende AnpassWlgen mit Hilfe kurzfristiger derivativer Instrumente vorgenommen, um die langfristigen ÖllieferverpflichtWlgen abzusichern. Auch wenn die MGRM die EntwicklWlgen Wld Zusammenhänge auf den Märkten falsch einschätzte, konnte doch nicht von spekulativen Engagements gesprochen werden.
11 Bei OTC-ÖI-Swaps erhält man durch den Einsatz eines festen Geldbetrages Zahlungen, die von der Veränderung der Ölpreise im betrachteten Zeitintervall abhängen. 12 Vgl. Edwards, Canter, 1995.
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Spekulation und ökonomische Krisen
Die Krise der Metallgesellschaft kann somit am ehesten als eine einzelwirtschaftliche, informationsbedingte Krise bezeichnet werden. V. Die mexikanisehe Pesokrise
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Jun 94
Aug 94 Nov 94
Jan 95
AfJr 95
Jun 95
Sep 95 Nov 95
Jan 96
AfJr 96
Abb. 7: Wechselkurs des Mexikanischen Peso gegenüber dem US-$
Zwischen dem 19. Dezember 1994lUld dem 4. Januar 1995 fiel der Wert des mexikanischen Peso wn fast zwei Drittel gegenüber dem US-Dollar, worauf die mexikanische Aktienbörse einen starken Einbruch erlitt. Seit Mitte der 80er Jahre schlug sich der marktwirtschaftliche Konsolidiertmgskurs Mexikos in robusten FlUldamentaldaten der Wirtschaft nieder. Nach einer KonjtmkturabschwächlUlg im Jahr 1993 war 1994 eine ZlUlahme des Bruttoinlandsprodukts (BIP) wn 3% zu verzeichnen, wodurch der Wachstwnstrend seit Ende der 80er Jahre fortgesetzt wurde. Der Staatshaushalt war als Folge der strikten Ausgabendisziplin der vergangenen Jahre ausgeglichen. Mit Hilfe einer restriktiven Geldpolitik, dem Solidarpakt zwischen Unternehmen, Arbeitnehmern lUld dem Staat, sowie der Dereguliertmg lUld Liberalisiertmg der mexikanischen Volkswirtschaft wurde die Inflationsrate von über 160% im Jahr 1987 auf knapp 7% im Jahr 1994 reduziert. Seit 1989 wurde eine Wechselkurspolitik des crawlingpeg verfolgt.13 Da die Abwerttmgsschritte jedoch nicht ausreichten, wn das Inflationsdifferential gegenüber den USA auszugleichen, wertete sich der Peso \3 Beim "crawling-peg"-System kann sich die Parität einer Währung im Zeitablauf verändern, z. B. nach Maßgabe der Veränderung des Devisenbestandes der Zentralbank eines Landes.
18 Peters
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Gerhard Aschinger
seit 1989 real gegenüber dem US-Dollar kontinuierlich auf. Dadurch verschlechterte sich die Wettbewerbsfahigkeit Mexikos, was sich in einem steigenden Defizit der Leistwlgsbilanz niederschlug. Der inländische Konsum stieg stark an, wobei der Import von Konsumgütern erheblich zunahm. Die positive Wirtschaftsentwicklung, die Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sowie die NAFTA-Verhandlungen und der Beitritt Mexikos zur OECD fiihrten seit Anfang der 90er Jahre zu einem enormen Zuwachs der Auslandsinvestitionen in Mexiko. Vor allem nahmen die Portfoliokapitalströme (= Aktien und Wertpapieranlagen privater Investoren) seit 1990 gegenüber den Direktinvestitionen stark zu. Im Jahr 1993 verzeichnete Mexiko z.B. einen Nettoportfoliokapitalzufluss von 28 Mrd. US-$, wobei die Netto-Direktinvestitionen im gleichen Jahr nur 5 Mrd. US-$ betrugen. Der überwiegende Anteil der Nettokapitalzuflüsse Mexikos war kurzfristiges Portfoliokapital (= hot money), welches besonders schnell auf Vertrauens einbrüche und internationale Zinssatzänderungen reagiert. Das Vertrauen der Investoren wurde durch innenpolitische Spannungen und ungelöste soziale Probleme Mexikos geschwächt. Zusätzlich fiihrten Erhöhungen der US-Zinssätze zu einem kontinuierlichen Abzug von Portfoliokapital, worauf die mexikanische Zentralbank zu Beginn 1994 ebenfalls die Zinssätze erhöhte und den Peso gegenüber dem US-$ abwertete. Die Devisenreserven hatten sich seit Anfang 1994 bis Oktober 1994 stark verringert. Im November 1994 wuchsen die Befiirchtwlgen, daß das erhöhte Leistwlgsbilanzdefizit ohne Veränderung der Zinssätze bzw. des Wechselkurses nicht mehr finanzierbar sein würde. Als der mexikanische Peso daraufhin unter Abwertungsdruck geriet, stützte die Zentralbank den Peso erneut durch den Verkauf von US-$. Innenpolitische Schwierigkeiten, insbesondere die Vorgänge in der Region Chiapas sowie die Erhöhung des Interventionslimits beim Crawling-peg angesichts der geringen Devisenreserven, erschütterten das Vertrauen der Anleger und lösten heftige Spekulationen gegen den Peso aus, wodurch die mexikanische Währung gegenüber dem US-$ fast zwei Drittel ihres Wertes verlor. Zunächst wurden ausländische Anleger, die ihr Kapital aus Mexiko abzogen, fiir die Währungskrise verantwortlich gemacht. Eine Studie des IMF, die im August 1995 veröffentlicht wurde, kam jedoch zum Schluß, das die mexikanische Währungskrise nicht durch ausländische, sondern in erster Linie durch inländische Investoren, die vor der Freigabe des Peso-Kurses am 22. Dezember 1994 panikmäßig aus ihrer eigenen Währung flohen, verursacht wurde. 14
14 Vgl.
"Die Mexiko-Krise war hausgemacht", NZZ, 22. 8. 1995.
Spekulation und ökonomische Krisen
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Die IMF-Studie zeigte, daß die massive Flucht inländischer Anleger aus Peso-Anlagen die Regierung schließlich zur Kursfreigabe zwang und dadurch die Liquiditätskrise verursachte. Ausländische Investoren zogen jedoch erst im Februar 1995 namhafte Kapitalien aus Mexiko ab. Die IMF-Studie kommt zum Schluß, daß ausländische Anleger fiir Liquiditäts- und Spekulationskrisen in Entwicklungsländern weit weniger verantwortlich waren als inländische Anleger, die aufgrund ihrer besseren Information viel schneller auf innenpolitische Veränderungen reagierten. Der "freie Fall" des Peso entspricht einem "undershooting", was nicht als Ungleichgewicht interpretiert werden darf. Da sich die fundamentalen Ungleichgewichte der Leistungsbilanz durch Güterbewegungen erst längerfristig beseitigen lassen (J-Kurveneffekt), muß der Wechselkurs kurzfristig die volle Anpassungslast übernehmen. Die gegebenen Erklärungen deuten darauf hin, daß die mexikanische Währungskrise eine gesamtwirtschajiliche. informations bedingte Krise darstellt. VI. Der Börsenkrach 1987 Die 1981 beschlossenen Einkommenssteuersenkungen der Regierung Reagan fiihrten ab 1982, bei einem unveränderten Wachstumspfad der amerikanischen Staatsausgaben, zur Überwindung der im Zusammenhang mit dem Erdölpreisschock entstandenen Rezession. Seit 1983 erhöhten sich die Staatsbudget- und Handelsbilanzdefizite der USA zusehends. Die expansive Fiskalpolitik fiihrte, bei nicht ausgelasteten Kapazitäten, zunächst zu einem starken Wachstum des realen Sozialprodukts und der Beschäftigung. Der Dollar wertete sich infolge des steigenden Zinssatzdifferentials gegenüber den meisten Währungen der anderen Industrieländer auf. Da das reale Wachstum der USA jedoch zunehmend stagnierte, ging das FED seit 1985 zu einer expansiven Geldpolitik über, was starke Zinssatzsenkungen zur Folge hatte und eine kontinuierliche Abwertung des Dollars bewirkte. Auf den amerikanischen Aktienmärkten bildete sich seit 1982 eine Hausse, die sich bis 1987 verstärkte. Infolge der zunehmenden Kreditgewährung und der Einführung neuer Finanzmarktinstrurnente erhöhte sich die Spekulation, so daß sich seit 1985 die Diskrepanz zwischen den Aktienpreisen und ihren Fundamentalwerten verstärkte, worauf sich eine spekulative Blase bildete. Seit der Aufnahme des Handels von Aktienindextermingeschäften ("stock index futures") am Chicago Mercantile Exchange (CME) im Jahre 1982 erhöhte sich das Marktvolumen dieser Anlageform beträchtlich. "Stock index futures" (SIF) weiIS"
Gerhard Aschinger
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sen gegenüber Aktien geringe Margen Wld niedrige Transaktionskosten auf. Sie besitzen eine hohe HebelwirkWlg (leverage) Wld werden neben AbsichefWlgsgeschäften auch zur Spekulation verwendet. Das Ungleichgewicht auf den Finanzmärkten nahm zu Wld ftihrte bei starkem Zustrom von Mitläuferspekulanten zu einer Euphorie, in deren Verlauf die amerikanischen Aktienindizes exponentiell anstiegen.
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5%
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1988
Abb. 8: Dow Jones Industrial Index, Budget- und Handelsbilanzdefizit der USA in % des BIP
Seit Januar bis Ende August 1987 erhöhte sich der Dow Jones Index (DM) um mehr als 40%. Die starke ÜberbewertWlg der amerikanischen Aktienpreise war den Anlegern seit längerem bekannt, doch glaubten viele, daß ein rechtzeitiger Ausstieg ohne Verluste möglich sei. Aufgestaute Verkaufsaufträge von SIF, die am Freitag, den 16. Oktober 1987 nicht mehr durchgeftihrt werden konnten, verstärkten die BefiirchtWlgen eines Aktienpreiseinbruchs (Wochenendeffekt), so daß am Montag, den 19. Oktober 1987 massive SIF- Wld Aktienverkäufe erfolgten, nachdem der Handel am NYSE bei vielen Aktientiteln erst mit erheblicher VerspätWlg einsetzte. Neu eintreffende Informationen (z.B. die Aussage von Staatssekretär Baker, daß die USA den Dollar nicht stützen würden) stellten im Gegensatz zu den fundamentalen Ungleichgewichten (hohes Staatsbudget- Wld Handelsbilanzdefizit der USA) keine Ursache fiir den Crash dar. Solche Informationen entsprachen nur "dem Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte". Am 19. Oktober 1987 fiel der DM-Index um ca. 20%,
Spekulation Wld ökonomische Krisen
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während andere Börsenplätze unterschiedliche Indexreduktionen verzeichneten. 1S Im Gegensatz zu infonnationsbedingten Krisen war der Bärsenkrach ein Aufstauphänomen, bei dem die notwendige Kurskorrektur der Aktienpreise trotz längerer Überbewertung stark verzögert wurde. Das Auftreten irrationaler Verhaltensweisen aufgrund massenpsychologischer Faktoren führte zu Ineffizienzen der Finanzmärkte (Anomalien).
Beim Crash 1987 handelt es sich wn eine gesamtwirtschaftliche, spekulative Krise.
Vll. Lassen sich Finanzkrisen vermeiden? Informationsbedingte Krisen fUhren zu Wertberichtigungen finanzieller Anlagefonnen aufgrund bestimmter Vorkommnisse und Veränderungen. Die Spekulation ist dann preisstabilisierend und entwickelt keine Eigendynamik. Einzelwirtschaftliche Krisen haben keine unmittelbaren volkswirtschaftlichen Auswirkungen, da kein Systemrisiko vorliegt. Bei infonnationsbedingten und einzelwirtschaftlichen Krisen verhalten sich die Finanzmärkte effizient. Daher besteht kein staatlicher Regulierungsbedarf. Bei einer gesamtwirtschaftlichen, spekulativen Krise treten jedoch Markt-Ineffizienzen auf. Alle grossen Finanzkrisen der Vergangenheit sind diesem Typ zuzuordnen. Die Venneidung spekulativer Krisen, welche gesamtwirtschaftlich hohe Verluste nach sich ziehen, ist gleichbedeutend mit der Verhinderung der destabilisierenden Spekulation. Die neuen Finanzmarktinstrwnente (Derivate) werden neben Absicherungen zunehmend für Spekulationszwecke verwendet. Die Gefahr, daß die Finanzmärkte durch spekulative Geschäfte dominiert werden können, läßt sich nicht von der Hand weisen. Je höher der Spekulantenanteil in einem Markt, desto eher wird eine Preisdestabilisierung auftreten.
IS
Vgl. Aschinger, 1995, Kap. 6.
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Um das Ausmaß der Spekulation zu beschränken, sollte die Verwendung von Derivaten für solche Zwecke erschwert werden. Es wäre daher notwendig, in den Finanzmärkten mehr ,,Reibung" einzuführen. Dies läßt sich am Beispiel mechanischer Systeme erklären: Im letzten Jahrhundert beobachtete man bei Dampflokomotiven infolge der Verbesserung von Radlagern eine zunehmende Instabilität beim Bewegungsablauf, was die Einfiihrung neuer Reibung notwendig machte. Übertragen auf die Finanzmärkte bedeutet dies, daß die Instabilität nur durch zusätzliche Reibung beseitigt werden kann - man müßte "Sand ins Getriebe" streuen. James Tobin hat die Einfiihrung einer Spekulationssteuer mit einem einheitlichen Satz von 0,5% des Transaktionswertes vorgeschlagen. Dies würde kurzfristige Transaktionen redimensionieren, längerfristige Transaktionen (investitionen) jedoch nicht beeinträchtigen. 16 Tobin ist der Meinung, daß dadurch die Devisenspekulation wirksam eingedämmt werden könnte, ohne längerfristige Auslandsinvestitionen zu behindern. Die Tobin-Steuer müßte weltweit und für sämtliche Finanztransaktionen mit dem gleichen Prozentsatz eingeführt werden, da sonst Umgehungen möglich wären. Diese Auflage dürfte aber nur schwer zu realisieren sein. Zudem würde die Liquidität der Märkte infolge abnehmender Transaktionen sinken, was die Volatilität erhöhen könnte. Eichengreen und Wyplosz schlugen für Geschäftsbanken obligatorische, nicht-zinstragende Einlagen bei der Zentralbank vor, die im Verhältnis ihrer Kredite an nicht im Inland niedergelassene Personen und Unternehmen aufgebracht werden sollten. 17 Dadurch könnten spekulative Attacken gegen bestimmte Währungen reduziert werden. Eine Neueinfiihrung von Devisenkontrollen ist jedoch abzulehnen, da die Marktkräfte dadurch unterdrückt würden. Zur Zeit wird eine Regulierung derivativer Instrumente in Erwägung gezogen, um Systemrisiken einzuschränken. Verschiedene Finanzkrisen (Barings, Daiwa, Sumitomo, Metallgesellschaft) haben gezeigt, daß dem Risikomanagement und der internen Kontrolle oft nicht die nötige Beachtung geschenkt wird. Regulierende Eingriffe bei Derivaten sollten, wenn überhaupt, nur gut dosiert, unter möglichster Wahrung der vorteilhaften Eigenschaften, vorgenommen werden. Schließlich muß betont werden, daß der tiefere Grund für eine Spekulation in der menschlichen Natur liegt und nicht bei den Mitteln (z.B. Derivaten) zu su-
16
Siehe Tobin, 1992.
17 Siehe
Eichengreen, Tobin, Wyplosz, 1995.
Spekulation und ökonomische Krisen
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chen ist. Die Attraktivität eines geeigneten Spekulationsmediwns kann jedoch das Auftreten einer Krise begünstigen. Gesamtwirtschaftliche, spekulative Finanzkrisen zeigten sich zu allen Zeiten, wie etwa die Tulpenmanie in Holland (1634), der Mississippi-Bubble in Frankreich (1719) und der South-Sea Bubble in England (1720).18 Finanzkrisen können auch in Zukunft auftreten. Das menschliche Verhalten bzw. die Erwartungsbildung der Anleger werden nicht direkt durch die Märkte bestimmt. Der Markt koordiniert die individuellen Entscheidungen - die Menschen bestimmen durch ihr Handeln die Marktergebnisse: Daher darf "Goethes Zauberlehrling nicht dem Besen die Schuld zuweisen".
Literaturverzeichnis Aschinger, G. (1995): Börsenkrach und Spekulation - eine ökonomische Analyse, München. Eichengreen, B. J.; Tob in, J.; Wyplosz, C. (1995): Two Cases for Sand in the Wheels of International Finance, in: Economic Journal, S. 162-172. Edwards, F. R.; Canter, M. S. (1995): The Collapse ofMetallgesellschaft: Unhedgeable Risks, Poor Hedging Strategy, or Just Bad Luck?, in: The Journal of Futures Markets, 15, S. 211-264. Hirshleifer, J. (1984): Price Theory and Applications, 3. ed., Englewood ClifIs, New Jersey. . Jones, C. 0.; Wilson, J. W. (1989): Is Stock Price Volatility Increasing?, in: Financial Analysts Journal, 45, S. 20-26. Keynes, J. M. (1936): The General Theory ofEmployment Interest and Money, London. LeRoy, S. F. (1990): Capital Market Efficiency: An Update, Economic Review of the Federal Reserve Bank of San Francisco, S. 29-40. Tobin, J. (1992): Tax the speculators, in: Financial Times vom 22.12.1992.
18 Vgl. Aschinger, 1995, Kap. 3.
Die Stabilitätspolitik in der Europäischen Währungsunion Von Frant;ois Bi/ger, Straßburg
A. Einleitung Wenn am 1. Januar 1999, laut Maastricht-Vertrag, die Europäische Wähnmgsunion (EWU) in Kraft tritt, wird nicht nur, mit der Ersetzung mehrerer nationaler Wähnmgen durch den einheitlichen Euro, ein historischer Wechsel in der europäischen Wähnmgsgeschichte, sondern gleichzeitig auch ein gnmdlegender Wandel in der makroökonomischen Stabilitätspolitik der beteiligten Staaten stattfmden. Diese bedeutende ordnungspolitische Neuenmg fmdet ihren Niederschlag in den Art. 2 und 3a des neuen EG-Vertrags, wo die Ziele und allgemeinen Gnmdsätze gesetzt werden, und in den Art. 102a bis 109d des Titel VI sowie in zusätzlichen Protokollen, in denen hauptsächlich die Träger, Mittel und Instrumente beschrieben werden. 1 Die Neugestaltung der europäischen Wirtschafts- und Wähnmgspolitik, die wie das ganze Maastrichter Vertragswerk in Eile und ohne breite öffentliche Diskussion von den Regienmgen verabschiedet wurde, hat sofort die wirtschaftswissenschaftliche Kritik hervorgerufen? Es wurden mehrere Ungenauigkeiten und bedeutende Lücken hervorgehoben und die Regienmgen haben seitdem selbst die Notwendigkeit erkannt, das Werk zu vervollständigen. So werden gegenwärtig am Rande der Regienmgskonferenz, die sich mit der Revision anderer Aspekte des EG-Vertrags beschäftigt, mehrere Ergänzungen oder Klarstellungen (Stabilitätspakt, EWS 11, usw.) in den europäischen Gremien verhandelt und erarbeitet, über die im Dezember 1996 der Europäische Rat in Dublin entscheiden soll.
1 Vgl.
Europäische Gemeinschaft, 1992.
2 Vgl.
u. a. Bareis, Ohr, 1992; Sievert, 1992; INSEE 1993; Kenen, 1993; Jochimsen, 1994.
282
Fran90is Bilger
Trotz dieser angekündigten Verbesserungen hält aber die öffentliche Wld wirtschaftswissenschaftliche Diskussion an. Es geht hauptsächlich um die grundsätzliche Funktionsfähigkeit Wld Effizienz der vorgesehenen globalen Steuerung der Gesamtnachfrage im Hinblick auf ihre zwei großen Aufgaben, die Sicherung der Preisniveaustabilität sowie die KonjWlktur- Wld BeschäftigWlgsstabilisierung. Wie üblich drückt diese Diskussion die weiterhin bestehenden Wlterschiedlichen wirtschaftspolitischen Zielpräferenzen der europäischen Länder Wld ganz besonders Deutschlands Wld Frankreichs aus. Während in Deutschland Wld in den nordeuropäischen Ländern vor allem befürchtet wird, daß die Geldwertstabilität nicht genügend garantiert sei, ist man in Frankreich Wld in den südeuropäischen Ländern hauptsächlich um die BeschäftigWlgsentwicklWlg besorgt. Solche teilweise gegensätzlichen BefürchtWlgen könnten nahelegen, daß das Maastrichter Werk ein ausgewogener Kompromiß zwischen den beiden stabilitätspolitischen Zielen darstellt. Sie könnten aber auch bedeuten, daß es sich um ein fragwürdiges, unstabiles Wld nicht funktionsfähiges Konzept handelt. Bevor diese grundSätzlichen stabilitätspolitischen Fragen erörtert werden, sollen zuerst die neuen wirtschafts- Wld währWlgspolitischen BestimmWlgen des Maastricht-Vertrages kurz präsentiert werden.
B. Die Neuordnung der Wirtschafts- und Währungspolitik Die künftige OrdnWlg der Wirtschafts- Wld WährWlgspolitik beruht nicht etwa auf wirtschaftswissenschaftlichen Studien Wld Vorschlägen, sondern, wie im europäischen Integrationsprozeß meist üblich, auf sachlichen Zwängen Wld politischen Kompromissen. 3 Sie ist einerseits die logische Folge der GründWlg einer Europäischen WährWlgsunion Wld der gegenwärtigen ideologischen Wld praktischen Dominanz des deutschen stabilitästpolitischen Modells Wld andererseits ein politischer Kompromiß zwischen dem supranationalen EinigWlgsbestreben einiger Länder Wld dem noch bestehenden nationalen UnabhängigkeitsWld Souveränitätsanspruch anderer Länder. Mit der Einfiihrung der einheitlichen Euro-WährWlg erfolgt logischerweise die ÜbertragWlg der monetären Souveränität von den Mitgliedstaaten der EWU auf die europäische Ebene Wld gleichzeitig die Schaffung einer einheitlichen WährWlgspolitik. Dies ist die große wirtschaftspolitische Neuerung. Aber gemäß des im Maastricht-Vertrag gleichzeitig festgeschriebenen Subsidiaritätsprinzips (Art. 3b) verbleiben die anderen Bereiche der Wirtschaftspolitik in der
3 Vgl.
Gröner, SchüHer 1993; Peters, 1992.
Stabilitätspolitik in der Europäischen Währungsunion
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Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Dadurch entsteht eine neue und originelle wirtschaftspolitische Organisation, die sich hauptsächlich durch eine vertikale Teilung zwischen der zentralisierten Währungspolitik und der weiterhin dezentralisierten und konkurrierenden Wirtschaftspolitiken charakterisiert. Es ist also ein halb-föderales und ein halb-wettbewerbliches System der Wirtschaftspolitik. Und schließlich wird, gemäß den deutschen stabilitätspolitischen Bedingungen für die Aufgabe der D-Mark, eine institutionelle Verankerung der Priorität der Preisniveaustabilität und der Unabhängigkeit der Zentralbank gewährleistet und somit eine horizontale Teilung und Spezialisierung der Geldpolitik und der übrigen Politikbereiche hinzugefügt. Zusammenfassend kann man bemerken, daß die Organisation der Wirtschafts- und Währungspolitik verändert wird, aber nicht die Konzeption, die schon im EWS unter Führung der Bundesbank, wenigstens im ,,harten Kern", dominierend war. Konkret drücken sich diese Vereinbarungen im neuen EG-Vertrag wie folgt aus. Die einheitliche Währungspolitik ist hauptsächlich dem Europäischen System der Zentralbanken (ESZB), bestehend aus der Europäischen Zentralbank (EZB) und den nationalen Zentralbanken (NZB), anvertraut (Art. 106). Das ESZBwird von dem EZB-Rat (Entscheidendes Organ) und dem EZB-Direktorium (Ausführendes Organ) geleitet (Art. 109a). Die Direktoriumsmitglieder werden von den Staats- und Regierungschefs ernannt, ihre Amtszeit beträgt acht Jahre und eine Wiederernennung ist nicht möglich; die Präsidenten der NZB werden für wenigstens fünf Jahre mit Wiederbestellungsmöglichkeit ernannt. Das vorrangige Ziel der Währungspolitik besteht in der Gewährleistung der Preisniveaustabilität und, nur soweit es im Rahmen dieser prioritären Zielsetzung möglich ist, in der Unterstützung der allgemeinenWirtschaftspolitik in der Gemeinschaft (Art. 105). Die Hauptaufgaben des ESZB sind die Festlegung und Ausführung der Geldpolitik, die Durchführung der Devisenmarkttransaktionen, die Haltung und Verwaltung der Währungsreserven sowie die Förderung des reibungslosen Funktionierens der Zahlungssysteme (Art. 105). Die Entscheidungen über das Wechelkurssystem, Leitkursveränderungen oder allgemeine Orientierungen auf diesem Gebiet und eventuell sogar Kapitalverkehrsbeschränkungen sind jedoch einstimmig bzw. mit qualifizierter Mehrheit in der Zuständigkeit des Rates der Wirtschafts- und Finanzrninister (Ecofin). Sie sollen allerdings im Einvernehmen mit der EZB und stabilitätsgerecht getroffen werden (Art. 109). Der Präsident des Rates und ein Mitglied der Kommission können sich ihrerseits an den Sitzungen des EZB-Rats beteiligen, aber ohne Entscheidungsvotum (Art. I 09b). So ist eine gewisse Koordination zwischen Geld-und Wechselkurspolitik auf gemeinschaftlicher Ebene gewährt. Weiten Raum läßt die Satzung des ESZB dem EZB-Rat zur Wahl seiner geldpolitischen Strategie, zur Ausnutzung seiner Instrumente sowie zur zentralen oder eher dezentralen Umsetzung seiner geldpolitischen Entscheidungen, die noch zur Zeit im Rahmen des Europäischen Währungsinstituts erarbeitet werden. Die EZB sowie die
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NZB sind unabhängig. Sie und die Mitglieder ihrer Beschlußorgane dürfen keine Weisungen von den Institutionen der Gemeinschaft oder den nationalen Regierungen entgegennehmen (Art. 107). Die EZB und die NZB dürfen auch nicht den öffentlichen Institutionen Überziehungs-oder andere Kreditfazilitäten einräumen (Art. 104). Die EZB erstattet dem Europäischen Parlament, dem Ecotin-Rat, der Kommission sowie dem Europäischen Rat einen jährlichen Bericht über ihre Geldpolitik (Art. 109b). Die Wirtschaftspolitik bleibt in der Kompetenz der Mitgliedstaaten (nationale Regierungen, regionale und lokale Behörden, Sozialpartner). Ihre Ziele sind u. a. ein beständiges, nicht inflationäres und umweltverträgliches Wachstum und ein hohes Beschäftigungsniveau sowie ein hohes Maß an sozialem Schutz, einen hohen Grad an Konvergenz der Wirtschaftsleistungen, der wirtschaftliche und soziale Zusammenhalt und die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten (Art. 2 und 102a). Sie müssen diese Ziele unter Beachtung des Prinzips einer offenen Markwirtschaft mit freiem Wettbewerb und unter Wahrung stabiler Preise und gesunder öffentlicher Finanzen sowie einer dauerhaft finanzierbaren Zahlungsbilanz verfolgen (Art. 3a). Außerdem haben die Mitgliedstaaten ihre Wirtschaftspolitik als Angelegenheit von gemeinsamem Interesse zu betrachten und sie im Rat zu koordinieren (Art. 103 Abs 1). Dies war schon von Anfang an, im Rom-Vertrag, der Fall, aber in der neuen Version wird diese Verpflichtung etwas präziser gestaltet: der Ecotin-Rat erarbeitet gemeinschaftliche Grundzüge fiir die Wirtschaftspolitik, die er nach Erörterung im Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs als Empfehlungen an die Mitgliedstaaten weiterleiten kann (Art. 103 Abs 2). Um die in einer Wirtschaftsund Währungsunion erforderliche Konvergenz der makroökonomischen Politiken und Leistungen in den einzelnen Mitgliedstaaten zu fördern, wird das bereits bestehende System der ,,multilateralen Überwachung" weiter ausgebaut (Art. 103 Abs 3). Basierend auf den Angaben, die die Mitgliedstaaten der EGKommission zu wichtigen einzelstaatlichen Maßnahmen auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik zu machen haben, erstellt der Ecofin-Rat in regelmäßigen Abständen Gesamtbeurteilungen und notfalls diskrete oder sogar veröffentlichte Empfehlungen (Art. 103 Abs 4). Für diese diskretionäre Koordinierung erhält der Ministerrat die technische Unterstützung und Beratung eines Wirtschaftsund Finanzausschusses, bei dem jeweils zwei Mitglieder von jedem Mitgliedstaat, der Kommission und der EZB ernannt werden (Art. 109c). Die Wahl und Ausnutzung der Instrumente der einzelstaatlichen Wirtschaftspolitik werden nicht weiter vorgeschrieben, aber alle öffentlichen Haushalte (Gemeinschaft, Staaten, Regionen, Lokalitäten, andere Körperschaften) werden verschiedenen Begrenzungen und Regeln unterworfen: Verbot direkter oder indirekter Zentralbankkredite, Ausschluß jeglicher Haftung fiir die Verbindlichkeiten (,,no bailing out" Klausel), Beachtung der zwei oberen Grenzen des Staatsdefizits von 3% und der nationalen Gesamtverschuldung von 60% des Bruttoinlandsprodukts
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und mögliche Sanktionen bei Überschreitung dieser Grenzen (Art. 104 bis 104c). Bei dieser konkreten Gestaltung der künftigen Wirtschafts- und Wähnmgspolitik rallt auf, daß diese nicht nur durch eine doppelte, sowohl vertikale als auch horizontale Teilung, sondern zusätzlich noch durch eine dreifache Asymmetrie zwischen den Zielen, Mitteln und Trägem der bei den Politikbereiche charakterisiert ist. Die Preisniveaustabilität hat Vorrang gegenüber den anderen wirtschaftspolitischen Zielen des ,,magischen Vierecks" (angemessenes Wachstum, hoher Beschäftigungsstand und außenwirtschaftliches Gleichgewicht). Die einheitliche Wähnmgspolitik hat ein einziges oberes Ziel und die freie Wahl ihrer Instrumente, während die einzelstaatlichen Finanzpolitiken verschiedenen Verpflichtungen und Begrenzungen unterworfen sind. Und schließlich steht der vergemeinschafteten supranationalen Europäischen Zentralbank keine gleichrangige wirtschaftliche Gesamtautorität gegenüber. Weder der zwischenstaatliche Ministerrat noch die supranationalen Organe (Parlament und Kommission) können diese Rolle übernehmen. Diese bedeutendsten Merkmale der künftigen wirtschaftspolitischen Ordnung in der EWU unterscheiden sie von allen nationalen und sogar von allen herkömmlichen Modellen der Wirtschaftspolitik. Die Unterschiede sind besonders auffallend mit den Gegebenheiten in zentralistischen Staaten, wie z. B. Großbritannien, in denen die Zentralbank weder unabhängig noch föderalistisch gestaltet ist, die wirtschaftspolitischen Instrumente und Haushalte der regionalen und lokalen Behörden sehr begrenzt und äußerst kontrolliert sind und gleichzeitig alle wirtschaftspolitischen Ziele durch ein variables Policy Mix optimiert werden. Auch in Frankreich bestehen noch solche organisatorischen Differenzen, obwohl seit 1983 die Preisniveaustabilität Vorrang hat und die Zentralbank seit 1994 unabhängig ist. Die Unterschiede sind wesentlich kleiner bei den Institutionen der föderalistischen Staaten, wie die Bundesrepublik, in welcher die Zentralbank seit jeher unabhängig und dezentralistisch gestaltet ist und die unteren Gebietskörperschaften relativ bedeutsame wirtschaftspolitische Kompetenzen und haushaltspolitische Mittel besitzen. Aber selbst gegenüber den deutschen Gegebenheiten sind die Unterschiede bemerkenswert. Die europäische Notenbankverfassung ist in mancher Hinsicht noch präziser und verbindlicher als das Bundesbankgesetz und sie hat eine noch festere rechtliche Grundlage, da sie nur durch einstimmig ratifizierte internationale Änderungsverträge und nicht durch ein einfaches nationales Gesetz verändert werden kann. Und was die Finanzpolitik betrifft, sind sehr deutliche Differenzen festzustellen. Während die zentralen Bundesfinanzen über 30% des BIP ausmachen und demzufolge große AIlokations-, Stabilisations- und Redistributionsmöglichkeiten aufweisen, hat die Europäische Gemeinschaft keine eigene Steuerkompetenz und verfügt über ein zentrales Budget von z. Z. nur 1,2% des BIP. Hinzu kommt noch, daß in der
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der Preisniveaustabilität in der öffentlichen Meinung überall aufgewertet worden ist, bleiben die wirtschaftspolitischen Präferenzstrukturen noch ziemlich heterogen. Besonders im Falle eines großen exogenen Schocks oder ansteigender massiver Arbeitslosigkeit und anhaltenden Finanzierungsschwierigkeiten der öffentlichen Haushalte, könnten sich solche unterschiedliche Gewichtungen bei den nationalen Notenbankgouverneuren bemerkbar machen und zu einer wenigstens vorübergehenden Auflockerung der stabilitätsorientierten Geldpolitik der EZB fUhren (EWIl995) und dies um so leichter, als kein präziser Grenzwert fiir die Preisniveaustabilität und auch keine persönlichen Sanktionen fiir das Verfehlen dieses Ziels im Vertragstext vogesehen sind. 5 Andererseits kann man auch argumentieren, daß nur solche Staaten in die Währungsunion aufgenommen werden, in denen die währungspolitischen Behörden schon seit Jahren ihr Stabilitätsbewußtsein unter Beweis gestellt oder zu einer fiiiheren stabilitätsgerechten Tradition zurückgefunden haben. Zum Beispiel hatte Frankreich während des ganzen 19. Jahrhunderts und bis zum Zweiten Weltkrieg eine auf diesem Gebiet sehr tugendhafte private Zentralbank, die sogar noch zwischen 1930 und 1936 im "Goldblock" mit sechs anderen europäischen Staaten eine sture und vernichtende Stabilitätspolitik verfolgte, während die Reichsbank eine eher abenteuerliche monetäre Geldversorgung praktizierte. Traditionen können sich also im Laufe der Zeit verändern. Unabhängig von den jeweiligen nationalen Präferenzen gibt es auch eine spezifische Stabilitätskultur aller Notenbankgouverneure, die meistens nur unwillig anders gerichteten Weisungen ihrer jeweiligen Regierungen folgen, wie man es öfters z. B. in Großbritannien beobachten kann. Kleider machen Leute. Auf jeden Fall sieht man nicht ein, warum die Vertreter der nationalen Zentralbanken ihre traditionelle und spontane Haltung verändern sollten, nachdem sie unabhängiger geworden sind und in einer noch unabhängigeren supranationalen EZB mit ihren Kollegen zusammenarbeiten werden. Die gegenwärtige sehr harmonische Zusammenarbeit aller europäischer Notenbankgouverneure im Europäischen Währungsinstitut ist schon ein positives Zeichen in dieser Hinsicht fiir die Zukunft. Bereits aus rein technischen und psychologischen Gründen müßten die leitenden Gremien des EZBS jahrelang eine äußerst stabilitätsbewußte Geldpolitik verfolgen, um die Glaubwürdigkeit und die Reputation der EZB auf den Devisen- und Kapitalmärkten erst einmal zu schaffen. Es ist höchst wahrscheinlich, daß aus diesem Grunde wenigstens am Anfang die kurzfristigen Zinsen über dem Gleichgewichtsniveau fixiert sein werden. Später wird es vermutlich im ESBZ, wie im Federal Reserve System, sowohl ,,Falken" als auch "Tauben" geben, aber mit dem großen Unterschied, daß sich in Europa die Falken auf die gesetzliche Pri-
5 Vgl.
Vaubel 1992.
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orität der Preisniveaustabilität stützen können, während dies bei der amerikanischen Zentralbank nicht der Fall ist. Die Chancen der Preisniveaustabilität wären natürlich bei einem noch präziseren gesetzlichen Auftrag und bei automatischen Sanktionen erhöht, aber eine zu große Rigidität der Vorschriften könnte bei außergewöhnlichen exogenen Gleichgewichtsstörungen, wie die Ölpreisschocks, zu unzumutbaren Produktions- und Beschäftigungszusammenbrüchen führen. Es wäre sicherlich gefahrlich, in solchen Situationen zu versuchen, sofort Preisniveaustabilität um jeden Preis zu erzwingen. Eine gewisse kurzfristige Flexibilität der Geldpolitik widerspricht übrigens nicht der mittelfristig potentialorientierten Strategie und das dazu gehörende unvermeidliche Risiko muß in Kauf genommen werden. Dieses Risiko wird aber wahrscheinlich nicht so bedeutend sein wie man es manchmal, ganz besonders in Deutschland, befürchtet. Die Erfahrung im EWS hat schon einmal übertriebene deutsche Besorgnisse in dieser Hinsicht dementiert. 6 Hingegen sind die Bedenken in bezug auf mögliche stabilitätswidrige Entwicklungen anderer Wirtschaftspolitiken sehr ernst zu nehmen, denn sie können die Effizienz der Geldpolitik in nicht unbeträchtlichem Maße verringern oder sogar überfordern. ,,zweifellos sind der vertraglich festgelegte vorrangige Stabilitätsauftrag und die geldpolitische Unabhängigkeit des ESZB notwendige Bedingungen einer wirksamen Geldpolitik. Hinreichend sind sie aber nicht".7 Selbst in Deutschland hat die jahrzehntelange Glaubwürdigkeit der Bundesbank nie solche Fehlentwicklungen verhindert, eine Tatsache, die übrigens die praktische Bedeutung dieses psychologischen Faktors ziemlich relativiert. Dies gilt zuerst für die andere gemeinschaftliche Wirtschaftspolitik, die Wechselkurspolitik. Selbst wenn der Ecofin-Rat zu einer systematischen Abstimmung mit der EZB und zur vorrangigen Einhaltung der Preisniveaustabilität verpflichtet ist, bleibt ihm die Letztzuständigkeit auf diesem Gebiet, was auch auf nationaler Ebene zugunsten der Regierungen üblich ist. Die mögliche Einbindung der europäischen Währung in ein nichtstabilitätsorientiertes Festkurssystem in Europa oder sonstige Interventionsverpflichtungen bei Wechselkurszielzonen im Rahmen der G7 -Vereinbarungen könnten Inflationspotentiale durch nicht sterilisierbare Liquiditätseffekte schaffen. Der vertraglich festgelegte vorrangige Auftrag der inneren Stabilität der Währung könnte auf diese Weise aus handelspolitischen oder anderen politischen Gründen zugunsten der äußeren Stabilität aufgegeben werden. Die Gestaltung des neuen Europäischen Währungssystems, das künftig die Währungen der "Ins" und "Outs" verbinden
6 Vgl.
Currie, Levine, Perlman, 1992. 1994.
7 Jochimsen,
19 Peler.
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soll, wird ein erster und sehr entscheidender Schritt auf diesem Gebiet sein. Andere könnten auf weltweiter Ebene, z. B. im Rahmen des G7, folgen. Je nach diesen Vereinbarungen könnte die dauerhafte außenwirtschaftliche Absicherung der Geldpolitik und der Preisniveaustabilität gefährdet sein. Allerdings könnte die EZB, bei gefährlichen politischen Entscheidungen oder wirtschaftlichen Entwicklungen, immer noch auf die freundliche Beihilfe der internationalen Finanzmärkte zählen (nicht alle Spekulationswellen sind ganz spontane Erscheinungen!) und - in letzter Instanz - sich weigern, stabilitätsgefährdende Interventionen auf den Devisenmärkten durchzuführen. In Anbetracht des Wortlauts des Art. 109 wäre eine solche Verweigerung durchaus gerechtfertigt und sie würde, bei einer eventuellen juristischen Kraftprobe mit dem Ministerrat, der EZB wahrscheinlich die Oberhand geben. So wie es zur Zeit aussieht, wird der Euro vermutlich künftig die gleiche Stellung wie die D-Mark einnehmen, d. h. eine unabhängige und dominierende Rolle als Ankerwährung im EWS und eine konkurrierende und eher starke Stellung gegenüber dem Dollar, eventuell nach einer vorübergehenden Abschwächung. Wenn dies so kommt, ist die Gefahr fiir die Preisniveaustabilität im neuen EWS nicht größer als fiir die D-Mark im aktuellen EWS und der Euro wird auch einerseits gegenüber den anderen europäischen Währungen tendenziell unterbewertet und andererseits gegenüber den außereuropäischen Währungen tendenziell überbewertet sein.
D. Auf nationaler Ebene Eine zweite Gefahr fiir die stetige Sicherung der Preisniveaustabilität könnte durch die möglicherweise stabilitätswidrige Wirtschaftspolitik in den Mitgliedstaaten entstehen. Allerdings sollen diese Politiken, genau so wie die Wechselkurspolitik des Rates, unter Wahrung stabiler Preise, gesunder öffentlicher Finanzen und stabiler Zahlungsbilanz geführt werden. Auf diesem Gebiet hat die EZB jedoch nicht die gleiche unmittelbare Abwehrmöglichkeit, die sie durch das grundsätzliche Verbot der monetären Alimentierung der Staatsfinanzen verloren hat. Auch die Vorschrift, die Wirtschaftspolitik als eine Angelegenheit von gemeinsamem Interesse zu betrachten, läßt jedem Staat große Interpretationsmöglichkeiten und die zwischenstaatliche Koordination, die gemeinschaftlichen Empfehlungen sowie die Überwachung der nationalen Wirtschaftspolitiken sind, in Anbetracht aller möglichen Ziele und Akteure der nationalen Wirtschaftspolitik, kaum verbindlich und jedenfalls nicht zwingend genug. Für die öffentliche Haushaltspolitik bestehen allerdings verschiedene Begrenzungen gegen stabilitätswidriges Verhalten. Zuerst der Ausschluß der gemeinschaftlichen Haftung; dieser ist aber kaum glaubwürdig und die eventuellen Risikoprämien auf die Staatstitel haben noch nie große Schuldenberge verhindert. Zweitens die Verpflichtung der Vermeidung übermäßiger Defizite und
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Schuldenstände; die Höchstgrenzen sind jedoch im Vertrag hoch angelegt, der Interpretationsspielrawn ist groß, das Verfahren langwierig und die Sanktionen schwerfällig, wenig abschreckend und dazu noch kawn wahrscheinlich, wenn mehrere Mitgliedstaaten betroffen wären8 und die anderen Regierungen naturgemäß mehr den realen Stimulierungseffekt als den nominalen Destabilisierungseffekt solcher Verhalten betrachten würden und negative wirtschaftliche Rückwirkungen effektiver Sanktionen befürchten könnten. Die horizontale und vertikale Unabhängigkeit zwischen den Trägem, Zielen und Mitteln der Wirtschafts- und Geldpolitik zeigt hier ihre Schwäche; sie erzwingt keine Stabilitätspolitik aus einem Guß. Diese bedeutende Lücke des neuen EG-Vertrages hat die deutsche Regierung dazu veranlaßt, als Ergänzung zwn Vertrag die Abschließung eines zusätzlichen Stabilitätspaktes zwischen den an der EWU teilnehmenden Staaten vorzuschlagen, die die dauerhafte Sicherung der Haushaltsdisziplin als unverziehtbare Grundlage für die Unterstützung einer stabilitätsorientierten Geldpolitik gewährleisten soll: höchstens 1 % Defizit als tnittelfristiges Ziel und präventiv wirkende automatische Sanktionen für Überschreitung des 3 % Defizits durch unverzinsliche Einlagen. Dieser Vorschlag ist von dem europäischen Rat in Madrid im Dezember 1995 grundsätzlich angenommen worden und er wird gegenwärtig ausgearbeitet. Man muß natürlich seine präzise Ausgestaltung abwarten wn feststellen zu können, ob er geeignet ist, die Geldpolitik und die Preisniveaustabilität tatsächlich gegen eventuelle haushaltspolitische Gefahren abzusichern. Schließlich besteht noch das Risiko einer Überforderung der Geldpolitik durch die Tarifpolitik. Die Fixierung der Löhne ist in den europäischen Staaten den Sozialpartnern, meistens auf sektoraler oder regionaler Ebene, und den Marktkräften überlassen. Die künftige Entwicklung des allgemeinen Lohnniveaus müßte, wn stabilitätsgerecht zu sein, an den tnittelmäßigen Fortschritt der Arbeitsproduktivität gebunden sein. Dies ist aber, wie die Erfahrung lehrt, nur ausnahmsweise der Fall. Mit der Währungsunion verschwindet die Geldillusion und dadurch entsteht die zusätzliche Gefahr der Forderung einer von der relativen nationalen, regionalen oder sektoralen Produktivitätsentwicklung losgelösten Lohnangleichung. Mit der 1994 in der EG entschiedenen und allmählich im nationalen Recht der Mitgliedstaaten übernommenen Einführung von zentralen Betriebsräten in den multinationalen europäischen Großunternehmen ist diese Gefahr gestiegen. Es ist auch nicht auszuschließen, daß die Währungsunion zu einer allmählichen europäischen Konzentration der Gewerkschaften fUhrt, was wiederwn eine Angleichungs- oder Nachahmungstendenz begünstigen könnte.
8 Vgl. 19*
Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft, 1994.
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Durch eine auf diese Weise verfehlte Nivellierung der Löhne würde einerseits eine stabilitätswidrige allgemeine Lohnerhöhung gefördert und andererseits ein kosteninduzierter Kompetitivitätsverlust und eine erhöhte Arbeitslosigkeit in den peripheren weniger entwickelten Ländern provoziert. Bei schwacher internationaler Mobilität der Arbeitskräfte müßten diese Fehlentwicklungen durch staatliche Senkung der Lohnnebenkosten und Erhöhung der Sozialeinkommen und schließlich notwendigerweise durch ausgleichende europäische Transferleistungen kompensiert werden. In bei den Fällen wäre die Preisniveaustabilität unmittelbar oder mittelbar gefährdet. Gegen diese möglichen Entwicklungen ist im EU-Vertrag nichts vorgesehen. Entgegen der Finanzpolitik bestehen auf diesem Gebiet keine allgemeinen Vorschriften und Grenzwerte und der vorgeschlagene Stabilitätspakt sieht auch keine Limitierung der Tarifautonomie der Sozialpartner vor, die also sowohl die Preisniveaustabilität als auch das räumliche Gleichgewicht und die regionale Kohäsion beeinträchtigen können. Allerdings gibt es auch, außer der Formulierung des sehr vagen Ziels der "Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts" (Art. 2) und der schon bestehenden Strukturfonds, die aber hauptsächlich auf Staaten konzentriert sind, die nicht von Anfang an der EWU angehören werden und auf jeden Fall zu notdürftig wären, keine rechtlichen Grundlagen für einen innereuropäischen Finanzausgleich. Offensichtlich vertrauen auf diesem Gebiet die Regierungen auf die Vernunft der Sozialpartner, auf die steigende Tendenz zu betriebsspezischen Tarifverhandlungen, auf den Druck des intensivierten internationalen Wettbewerbs bei den Unternehmen sowie der schon bestehenden hohen Unterbeschäftigung und der Angst vor der Arbeitslosigkeit bei den Lohnempfängern und schließlich auf das klare Interesse der Mitgliedstaaten im europäischen Kampf um die Arbeitsplätze, um stabilitätsgerechte und den relativen Produktivitätsunterschieden konforme Tarifabschlüsse zu gewährleisten. Wenn aber aus irgend einem Grund diese Rechnung nicht aufgehen würde, könnte die Tarifpolitik auch eine Überforderung der Geldpolitik darstellen. Zusammenfassend kann man feststellen, daß die Maastrichter Vereinbarungen nicht alle nötigen Grundlagen geschaffen haben, damit die Währungsunion eine dauerhafte Stabilitätsgemeinschaft wird. Nur wenn ein effizienter Stabilitätspakt beschlossen wird und ein gut konzipiertes europäisches Festkurssystem zustande kommt, stehen die Chancen für eine dauerhafte Preisniveaustabilität deutlich besser, selbst wenn dann noch etliche Gefahren von der Tarifpolitik ausgehen können. Allerdings heißt globale oder durchschnittliche Preisniveaustabilität nicht nationale Preisniveaustabilität. Gegen länderspezifische Inflationstendenzen wäre
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die einheitliche zentrale Geldpolitik naturgemäß ohne Wirkung, selbst wenn sie organisatorisch dezentralisiert gefiihrt würde. Asymmetrische Preisbewegungen sind aus mehreren Gründen möglich: kosteninduzierende Lohn- oder SteuererhöhWlgen, nachfragestimulierende Haushaltsdefizite oder Handelsüberschüsse. Der endgültige Wegfall der Wechselkurse wird notwendigerweise die realen Disparitäten Wld die HandelsbilanzlUlgleichgewichte vergrößern. Der importierten Inflationsgefahr ist ein Land wie Deutschland, das - bei fixen Wechselkursen - steigende Leistungsbilanzüberschüsse erzeugt, besonders ausgesetzt Wld dies umso mehr, als es die strukturelle Wettbewerbsfahigkeit seiner Industrie verstärkt. Der Abbau der nationalen Geld- Wld Wechselkurspolitik erlaubt natürlich nicht mehr eine währungspolitische Bekämpfimg solcher spezifischer Inflationstendenzen. Die nationalen wirtschaftspolitischen Mittel müssen dann einspringen: Korrekturen der Fiskalpolitik, soweit diese nicht selbst für die Inflation verantwortlich ist, oder einkommenspolitische Maßnahmen, sofern diese trotz der Autonomie der Tarifpolitik durchsetzbar sind. Bei hausgemachten Inflationen trägt auch normalerweise der internationale Wettbewerb Wld die VerSChlechteTWlg der unsichtbaren Handelsbilanz zur relativ schnellen Preisberuhigung bei Wld kann sogar die relative PreissteigeTWlg rückgängig machen. Aber bei einer importierten Inflation, besonders wenn sie strukturelle Ursachen hat, wie ein dauerhafter Leistungsbilanzüberschuß, ist die nationale Bekämpfimg der PreissteigeTWlg viel schwieriger. Die Fiskalpolitik kann eventuell durch Haushaltsüberschüsse die zusätzliche importierte Geldmenge einige Zeit sterilisieren, aber je besser ihr das gelingt, desto mehr erhöht sich der Außenbeitrag. Der Kampf ist also auf lange Sicht aussichtslos. Der Inflationsimport ist in diesem Falle in Wirklichkeit ein automatischer Bilanzausgleichsmechanismus, der schon früher von Ricardo im Rahmen des Goldstandards beschrieben wurde. Die ErhöhWlg der absoluten Preise im Überschußland Wld ihre symmetrische Senkung oder wenigstens StabilisieTWlg in den Defizitländern wirken wie Auf- Wld AbwertWlgen, die allmählich zur WiederherstellWlg des internationalen Gleichgewichts fiihren müßten. Man kann in diesem Fall von einer stabilisierenden Inflation sprechen. Dieser Mechanismus kann allerdings Jahre brauchen, wenn er durch andere strukturelle EntwicklWlgen, wie Agglomerations- oder SpezialisieTWlgseffekte oder durch eine effiziente Strukturpolitik, konterkariert wird. Es ist also durchaus möglich, daß nationale Inflationen DauererscheinWlgen bleiben, selbst bei durchschnittlicher europäischer Preisniveaustabilität.
D. Die Konjunktur- und Beschäftigungsstabilisierung Gegenüber der Preisniveaustabilität ist das Ziel der Konjunktur- Wld BeschäftigungsstabilisieTWlg noch weniger durch das Maastrichter Vertragswerk
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gesichert, es ist sogar grundsätzlich gefährdet. Dies hängt an der schon erwähnten dreifachen Asymmetrie zwischen den Zielen, Instrwnenten und Trägem der Wirtschafts- und Währungspolitik. Aus dem vertraglich festgelegten Vorrang der Preisniveaustabilität folgt logischerweise, daß das Ziel der Beschäftigungsstabilisierung untergeordnet ist und daß es in Konfliktfallen wenigstens kurzfristig dem prioritären Ziel geopfert werden könnte. Wenn die Preisveränderungsrate so klein und konstant wie möglich gehalten werden soll, müssen folgerichtig die Wachstumsrate und die Beschäftigungsquote variabel sein. Die Gewährung einer Preisniveaustabilitätsgarantie schließt eine Beschäftigungsstabilitätsgarantie aus. Neben dieser grundsätzlichen Beeinträchtigung verstärkt die Asymmetrie der Instrwnente noch dieses Risiko. Während die Geldpolitik schon naturgemäß das hauptsächliche und wirksamste Instrwnent der Wirtschaftspolitik und noch dazu das einzige, das zentralisiert, einem einzigen Träger anvertraut und unabhängig von jeder Anweisung und Beschränkung ist, sind die anderen Instrwnente der Wirtschaftspolitik, die im Prinzip hauptsächlich das Beschäftigungsziel verfolgen sollten, auf viele nationale, regionale und sektorale Träger verteilt, wenig untereinander koordiniert und dem geldpolitischen Rahmen sowie anderen rechtlichen oder faktischen Beschränkungen unterworfen. Hinzu kommt die schwache Abstimmung mit der Geldpolitik. Wenn von außergewöhnlichen Situationen abgesehen wird, kann und darf die Geldpolitik eine expansive Finanzpolitik nicht unterstützen. Meistens ist sie im Gegenteil gezwungen, sie schon frühzeitig zu konterkarieren. Und wenn sie es nicht tut, sind es die internationalen Finanzmärkte. Aber ohne eine geldpolitische Akkomodierung hat eine Haushaltspolitik nur geringe Chancen, ihr konjunkturpolitisches Ziel zu erreichen. Schließlich besteht gegenüber der unabhängigen Zentralbank keine gleichrangige wirtschaftliche Gesamtautorität, die in der Lage wäre, ihr spezifisches Ziel oder wenigstens eine gewisse gesamtwirtschaftliche Koordinierung der beiden stabilitätspolitischen Ziele durchzusetzen. Aus all diesen Gründen sind also die Chancen der Konjunktur- und Beschäftigungsstabilisierung äußerst gering und dies sowohl auf nationaler als auch auf globaler Ebene.
I. Auf nationaler Ebene Obwohl die europäischen Volkswirtschaften durch alle Liberalisierungs- und Harmonisierungsmaßnahmen gegenwärtig in einem einheitlichen Binnenmarkt eng integriert und verflochten sind, gibt es eine hohe Wahrscheinlichkeit, daß aus strukturellen Gründen (relative Spezialisierung, geographische Lage, gesellschaftliche oder politische Entwicklung) oder aus gelegentlichen Ereignissen (politische oder soziale Unruhen, Naturkatastrophen, sogenannte asymmetrische oder spezifische Schocks) die langfristige Entwicklung und die kurzfristige Konjunktur in den verschiedenen Staaten öfters unterschiedlich sein können.
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Diese Unterschiede könnten sich im Rahmen der EWU noch vennehren und sogar vergrößern, einerseits durch die steigenden Handelsbilanzungleichgewichte und die daraus folgenden realen Disparitäten, die der endgültige Wegfall der Wechselkurse allmählich verursachen wird, und andererseits durch die Unterschiede der realen Zinsraten bei einheitlichen nominalen Zinsen aber divergierenden nationalen Preisniveaubewegungen. Es ist also höchst wahrscheinlich, daß gewisse Staaten nicht nur kurzfristig, sondern auch langfristig eine deutlich gegenüber der durchschnittlichen europäischen Konjunktur nach oben oder unten abweichende Wachstums- und Beschäftigungsrate verzeichnen werden. Solche Unterschiede sind in den USA geläufig. Natürlich treten dann mit dem intensivierten internationalen Wettbewerb automatisch private Ausgleichsmechanismen auf, wie zusätzliche Exporte oder Importe, Kapitalbewegungen, Unternehmungsverlagerungen und Arbeitswanderungen, aber solche Mechanismen sind nicht notwendigerweise prompt und ausreichend. 9 Das Argument, daß nach Einfiihrung der Einheitswährung die peripheren Regionen ihren wichtigsten Wettbewerbsvorteil- niedrige Lohnkosten - unbeeinflußt von der Wechselkursunsicherheit und dem Risikozinszuschlag einsetzen könnten lO , ist nicht notwendigerweise treffend, weil immer noch andere europäische und außereuropäische Regionen noch niedrigere Lohnkosten aufweisen können.
In den f6deralistischen Staaten, wie die USA, mit denen die EU gut vergleichbar ist, werden solche Unterschiede in einem großen Maße und relativ schnell durch öffentliche automatische Stabilisatoren und eventuell diskretionäre Transfers zusätzlich kompensiert. Man hat errechnet, daß fast 40% der Kosten von Produktions- und Beschäftigungsschwankungen in den amerikanischen Staaten schon durch die automatischen Steuererleichterungen und Transferleistungen des fOderalen Haushalts kompensiert werden. I I Durch diese mechanische Vergemeinschaftung eines bedeutenden Teils der einzelstaatlichen Schocks wird nicht nur Solidarität gegenüber den Mitgliedstaaten ausgeübt, sondern gleichzeitig auch eine gemeinschaftliche Versicherung gegen negative externe Effekte der nationalen Schwankungen auf die supranationale Nachfrage eingestellt. Nichts dergleichen ist in der EWU vorgesehen. Bei einem zentralen Haushalt von gegenwärtig nur 1,2% des europäischen BIP, bei starrer Steuerund Ausgabenprogrammierung, sind die automatischen Stabilisatoren so unbedeutend und die diskretionären Hilfen so begrenzt, daß die notwendige kurzfristige Solidarität nicht gewährleistet ist. Der gemeinschaftliche Stabilisierungseffekt liegt zur Zeit bei 3%.12 Nur bei außergewöhnlichen exogenen Schocks, wie
9 Ygl.
Bilger, 1993. IOYgl. Mathes, 1992. 11 Ygl. Sachs, Sala-i-Martin, 1991. 12 Ygl. Costello, 1993.
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Naturkatastrophen, ist im Art. 103a des EG-Vertrages eine gemeinschaftliche Hilfe für Mitgliedstaaten vorgesehen. Man hat schon vor Jahren errechnet, daß der EG-Haushalt bis zu 5-7% des HIP ausgeweitet werden müßte, um mit einer Währungsunion vereinbar zu sein. 13 Davon ist er noch weit entfernt. Die Abwesenheit eines solchen gemeinschaftlichen konjunkturellen Stabilisierungsmechanismus stellt eine bedeutende Lücke der Maastrichter Vereinbarungen dar, weil dieser der natürliche Ersatz für den engültigen Verzicht der Staaten auf die zwei bedeutendsten wirtschaftspolitischen Mittel - Wechselkurs und Zins - dargestellt hätte. Wegen dieser Lücke obliegt also hauptsächlich die nationale Konjunktur- und Beschäftigungsstabilisierung den einzelstaatlichen Finanzpolitiken. 14 Da die Staatshaushalte in den europäischen Staaten einen relativ größeren Umfang haben als in den bestehenden foderalistischen Staaten und selbst automatische Stabilisatoren enthalten, kompensieren sie auch auf nationaler Ebene 30 bis 40% der Schocks des privaten Sektors. 15 Aber das makroökonomische Ergebnis ist keinesfalls mit dem der zwischenstaatlichen Transfers vergleichbar, da die Umverteilung lediglich auf nationaler Ebene stattfmdet. Es gibt also nur eine nationale und intertemporale, aber keine internationale und solidarische Umverteilung. Sie ändert nichts an der spezifischen und einseitigen nationalen Belastung und am internationalen Ungleichgewicht, das sich nur vom nationalen Güter- auf den supranationalen Kapitalmarkt verlagert. Man kann übrigens nicht ausschließen, daß solche Stabilisierungsmechanismen die Grenzwerte der öffentlichen Defizite und Schuldenlasten überschreiten und dann durch prozyklische Maßnahmen neutralisiert werden, wenn die Staaten diese Grenzwerte berücksichtigen wollen oder dazu von ihren Partnern gezwungen würden. Schon während der 80er Jahre haben die meisten europäischen Staaten eher prozyklische als antizyklische Fiskalpolitiken betrieben. 16 Die nationalen automatischen Stabilisatoren könnten einen Rückgang der Aktivität teilweise kompensieren und dämpfen, aber sie könnten ihn nicht umkehren. Aus diesem Grunde müßten in gewissen konjunkturellen Lagen zusätzliche finanzpolitische Stimulierungsmaßnahmen eingesetzt werden, wie es z. B. letztlich in Japan der Fall war, um aus einer Liquiditätsfalle herauszukommen. Theoretisch wären solche einzelstaatlichen haushaltspolitischen Maßnahmen in der EWU leichter zu verwirklichen als im gegenwärtigen EWS, weil der dop-
13
Vgl. Mac Dougall, 1977.
14 15
Vgl. Cordier, Jaillet, Plihon, 1993. Vgl. Muet, 1995.
16
Vgl. Brociner, Muet, 1994.
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pelte Verdrängungseffekt zusätzlicher öffentlicher Finanzierung durch Wechselkurs- und Zinsveränderungen in der EWU deutlich reduziert oder sogar verschwinden würde. Aber praktisch ist der Spielrawn auf diesem Gebiet durch die vielen rechtlichen Beschränkungen der Ausgaben, der Einnahmen, des Saldos und des Schuldenstands sehr eingeengt, obwohl normalerweise der Verlust der Währungspolitik zu einer größeren Freiheit in der Fiskalpolitik hätte fUhren sollen. Auch die Kontrolle der Finanzmärkte und die eventuelle Verschlechterung der Bonitäts- oder Solvenznote der Staaten, die immer mehr den Unternehmen gleichgestellt sein werden, werden - entgegen manchen Behauptungen - wegen der möglichen politischen Folgen schlechter Bewertungen für die regierenden Parteien einen großen Abschreckungseffekt ausüben. Aber es sind nicht so sehr diese rechtlichen und faktischen Beschränkungen - die in Wirklichkeit einen genügenden stabilisierungspolitischen Spielrawn lassen - sondern vor allem die ökonomischen Mechanismen, wie die Verringerung des Multiplikatoreffekts und die Vergrößerung des Verflüchtigungseffekts, die in einer total geöffneten und eventuell stark spezialisierten Wirtschaft diesen staatlichen Interventionen sehr enge Wirkungsgrenzen setzen. Eine einseitige nationale Nachfragestimulierung kann sowohl den ausländischen Handelspartnern als auch den heimischen Unternehmen zugute kommen. Selbst wenn das einzelstaatliche außenwirtschaftliche Gleichgewicht in der EWU nicht mehr eine zwingende Aufgabe der Wirtschaftspolitik darstellt, verbleibt es doch eine permanente Bedingung der wirtschaftlichen Entwicklung auf nationaler Ebene. Die ungünstige Relation zwischen supranationalen Nutzen und nationalen Kosten hat übrigens schon seit langem die europäischen Staaten davon abgehalten, nachfragestützende Maßnahmen in großem Umfang zu ergreifen, obwohl die Beschäftigungslage diese eventuell gerechtfertigt hätten. Seit dem deutschen Ankurbelungsprogramm von 1979 und dem noch bedeutenderen französischen von 1981 hat es in Europa, wenn man vom deutschen Programm für den Aufbau des Ostens absieht, kein ähnliches keynesianisches Experiment mehr gegeben. Das "fine tuning" ist zugunsten der kurzfristigen automati5.chen Stabilisierung und der mittelfristigen potential orientierten Konsolidierung aufgegeben worden. Es ist also kawn zu erwarten, daß die europäischen Staaten sich in Zukunft in noch ungünstigeren Bedingungen und bei der gegenwärtigen und wahrscheinlich künftigen miserablen Lage der öffentlichen Finanzen zu überkommenen keynesianischen Methoden verleiten lassen werden. Das wohl verstandene Interesse der Staaten wird sie bei konjunkturellen Schwierigkeiten eher dazu fUhren, im Rahmen der Fiskalpolitik angebotsorientierte Maßnahmen zu privilegieren, die sowohl kurz- als auch langfristig allein die gebietsansässigen Unternehmen begünstigen. Sie werden also hauptsächlich bestrebt sein, die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Unternehmen und die Attraktivität des nationalen Territoriwns durch Kostensenkungen aller Art und durch Verbesserungen der strategischen Wachstumsfaktoren zu erhalten und zu
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erhöhen und ein - in Hinsicht auf Wettbewerbsfähigkeit und Attraktivität - optimales Verhältnis zwischen unumgänglichen öffentlichen Ausgaben und dazu notwendigen öffentlichen Entnahmen zu gestalten. Im Rahmen des Binnenmarkts und des intensiven europäischen und weltweiten Wettbewerbs wird ein System- und Politikwettbewerb der Staaten weiter geführt werden, insbesondere auf dem Gebiet der Steuern und der Sozialabgaben. Das Risiko eines übermäßigen Wettbewerbs ist - in Abwesenheit von gemeinschaftlichen Minima - nicht unwesentlich für die Besteuerung mobiler Unternehmen, Faktoren und Personen, selbst wenn heute der Deregulierungsbedarf noch groß iSt. 17 Die Taxation der Kapitalanlagen wurde schon in der jüngeren Vergangenheit deutlich gesenkt und in einigen Staaten sogar ganz beseitigt. Auf jeden Fall wird die nationale Wirtschaftspolitik, wie es schon heute üblich ist, die Sicherung des Wachstums und der Beschäftigung eher durch angebots- als durch nachfrageorientierte Maßnahmen verfolgen. Nur im Falle von spezifischen nationalen Inflationen würden, wie schon erwähnt, globale nachfrageorientierte Maßnahmen ergriffen werden, in diesem Falle jedoch restriktive Maßnahmen. Aus diesen vorgetragenen Gründen scheint es höchst wahrscheinlich, daß die einzelstaatliche Finanzpolitik bei kurz- oder sogar längerfristigen Produktionsund Beschäftigungsschwankungen automatische Stabilisatoren wirken lassen, aber trotz der hohen Arbeitslosigkeit sicherlich keine diskretionäre Unterstützung der nationalen Nachfrage betreiben wird. Selbst ohne die gesetzlichen Beschränkungen des Stabilitätspakts würde dies der Fall sein, mit ihnen wird es noch sicherer sein. Allerdings ist nicht auszuschließen, daß - bei anhaltend schwachen Wachstumsraten und trotz der freiwilligen und gesetzlichen Beschränkungen - die öffentlichen Finanzen sowohl aus technischen als auch aus ökonomischen Gründen (automatische Stabilisatoren, Fortschritte der medizinischen Techniken usw) doch ständig mit defizitären Tendenzen zu kämpfen haben werden, was permanente Konsolidierungsmaßnahmen erfordern und noch mehr die Finanzpolitik als konjunkturpolitisches Instrument ausschalten würde. Die nationale Konjunktur- und Beschäftigungsstabilisierung müßte dann grundsätzlich anderen Instrumenten überlassen werden. Den entscheidenden Beitrag könnte dann nur die Tarifpolitik der Sozialpartner erbringen. Diese ist in der Tat die einzige im Prinzip ganz flexible Wirtschaftspolitik, und ihre Gestaltung ist für die Konjunktur- und Beschäftigungsstabilisierung noch wichtiger als für die Preisniveaustabilität. In der EWU wird schließlich nach Wegfall des Wechselkurses und des Zinses entweder die Lohnoder die Beschäftigungsentwicklung den hauptsächlichen internationalen Anpassungsmechanismus darstellen. Nur eine systematische Zurückhaltung der
17 Vgl.
Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministeriwn für Wirtschaft, 1994.
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Lohnentwicklung kann also sowohl kurz- als auch langfristig die Beschäftigung in einem Mitgliedstaat - im Wettbewerb mit den anderen - sichern. In dieser Hinsicht wären entweder eine effiziente Einkommenspolitik oder ordnungspolitische Reformen des Arbeitsmarkts und der Tarifabschlüsse sehr hilfreich. Auf diesem Gebiet ist schon wegen der allgemeinen hohen Arbeitslosigkeit langfristige Stabilität geboten. Es ist aber immer zu berücksichtigen, daß der Lohn gleichzeitig ein Kosten- und ein Nachfragefaktor ist und daß eine regelmäßige Lohnzurückhaltung auch das Wachstum und auf diese Weise die Beschäftigung selbst beeinträchtigen kann, besonders wenn der internationale Wettbewerb auf diesem Gebiet auch zu systematischer Unterbietung führt. Die gleiche Feststellung gilt für alle struktur- oder ordnungspolitischen Maßnahmen, die auf der Angebotsseite die Wachstums- und Beschäftigungschancen langfristig verbessern können, besonders wenn sie einen komparativen Vorteil darstellen und solange sie nicht verallgemeinert sind, aber auf der Nachfrageseite meistens - wenigstens kurzfristig - einen rezessiven Effekt ausüben. 18 Der große Nachteil des Wettbewerbs der nationalen Wirtschaftspolitiken, der im Prinzip positiv ist, besteht gerade in der systematischen Bevorzugung des nationalen Angebots und der systematischen Dämpfung der nationalen Nachfrage. Dadurch könnte auch allmählich das Risiko einer internationalen Deflation in der EWU entstehen. Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß die Mitgliedstaaten kein Instrument besitzen, das sie systematisch in den Dienst der Konjunktur- und Beschäftigungsstabilisierung stellen könnten und möchten. Im nationalen Alleingang ist diese Aufgabe nicht zu bewältigen. Nur eine global europäische Wirtschaftspolitik wäre dazu geeignet. In der Tat müßte und könnte theoretisch auf globaler Ebene eine wirksamere nachfrageorientierte Sicherung der Konjunktur und der Beschäftigung unternommen werden. D. Auf gemeinschaftlicher Ebene Die Notwendigkeit einer gemeinschaftlichen Intervention auf diesem Gebiet beruht auf zwei Gründen. Der erste Grund ist, daß neben nationalen Schocks auch globale Schocks gelegentlich die ganze Währungszone betreffen können. Die Ölpreisschocks von 1973 und 1979 oder die internationale Börsenkrise von 1987 sind bekannte historische Beispiele solcher globalen Störungen, die alle Länder fast gleichermaßen getroffen haben. Internationale politische oder militärische Spannungen, Währungs- oder Kapitalmarktturbulenzen, große Rohstoflknappheiten, außergewöhnliche Deregulierungsmaßnahmen der internationalen Wirtschaftsbeziehungen, überraschende Kurswechsel der zentralen Geld-
18 Vgl.
Peters, 1996.
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politik sind mögliche Ereignisse, die die gesamtwirtschaftliche Entwicklung der Produktion und der Beschäftigung auf verschiedene Weise und eventuell kumulativ beeinträchtigen können. Der Einzelstaat hat bei solchen Schocks noch weniger als bei nationalen Störungen die Möglichkeit, die notwendigen finanzoder anderen wirtschaftspolitischen Maßnahmen zu ergreifen. Der zweite Grund fiir eine gemeinschaftliche Intervention ist die hohe und wahrscheinlich in der EWU steigende Interdependenz der Wirtschaften der Mitgliedstaaten. Aus dieser Interdependenz entsteht das Risiko der Übertragbarkeit der Folgen eines nationalen Schocks oder einer nationalen Wirtschaftspolitik, besonders wenn sie bedeutend sind und einen großen Mitgliedstaat betreffen, auf die anderen Volkswirtschaften der Zone. Über die vereinheitlichten Güterund Faktormärkte würden dann externe Effekte auf die Nachfrage, die Produktion, die Beschäftigung, das Einkommen, die Preise, den Zins und den Wechselkurs der anderen Staaten im Verhältnis zu dem Gewicht des betroffenen Landes in der Zone übertragen. Mit den mechanischen oder psychologischen Mechanismen (Multiplikatoreffekt, Verdrängungseffekt, Antizipationseffekt usw.) könnten dann sogar kumulative Schwankungen und negative Trends der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung der Zone entstehen. Theoretisch könnte man erwarten, daß die verschiedenen nationalen Konjunkturschwankungen und wirtschaftspolitischen Entscheidungen in vielen Fällen antisymmetrisch sein und sich also kompensieren würden und dadurch die gesamtwirtschaftliche Entwicklung relativ gleichgewichtig und stabil bleiben würde. Da aber, wie oben erwähnt, alle Staaten im Rahmen ihres System- und Politikwettbewerbs bemüht sein werden, vor allem ihr Angebot zu verbessern und ihre Nachfrage zu dämpfen, ist zu erwarten, daß keine automatische Kompensation zwischen nachfragestimulierenden und nachfragedämpfenden Staaten zustandekommt, sondern sich eher ein langfristiger rezessiver Trend zeigen wird. Der Einzelstaat kann nicht alle diese externen Effekte seiner Geschehnisse und seiner Entscheidungen und noch weniger die globale Interaktion seiner eigenen und der anderen wirtschaftspolitischen Maßnahmen auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung der Zone genau abschätzen. Sein spontanes und normales Ziel besteht übrigens bei solchen Ereignissen und Entscheidungen darin, nur seinen eigenen nationalen Verlust (oder Gewinn) zu minimieren (bzw. zu maximieren) und nicht das allgemeine gemeinschaftliche Wohl zu erhöhen: Bei dem ständigen Wettbewerb mit den anderen Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Kompetitivität seiner Unternehmen und der Attraktivität seines Raums ist er sogar spontan veranlaßt, einen maximalen Nutzen aus den anderen Wirtschaftspolitiken fiir seine Wirtschaft zu ziehen und einen minimalen Beitrag zugunsten der Wirtschaften der anderen Mitgliedstaaten zu leisten, ja diesen sogar gelegentlich Schaden zuzufügen. Logischerweise führt dies, wie schon erwähnt, zu
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einer einseitigen Angebotspolitik und zu einer systematisch restriktiven Nachfragedämpfung und gelegentlich zu einem Trittbrettfahrer-Verhalten. In einem föderalistischen Bundesstaat, wie die USA, sind solche wettbewerblichen und nicht kooperativen Verhaltensweisen der Staaten bei globalen Schwierigkeiten auch üblich, aber ihre gesamtwirtschaftlichen Folgen werden einerseits durch die automatischen und diskretionären Transfers teilweise gemeinschaftlich kompensiert und andererseits durch eine globale und kohärente Wirtschafts- und Währungspolitik der foderalen Regierung und der Zentralbank, die beide gleichsam Wachstum und Preisniveaustabilität verfolgen, korrigiert. Dank diesem ausgewogenen Policy Mix und namentlich der geschickten und flexiblen Geldpolitik der amerikanischen Notenbank erleben übrigens die USA seit zehn Jahren einen regelmäßigen und inflationsfreien Aufschwung, im Gegensatz zum schwachen und unstetigen Wachstum in der EU. Auch in der künftigen EWU wird aus mehreren Gründen die Lage sehr verschieden sein. Der schwache und programmstarre europäische Haushalt ist seiner globalen Aufgabe noch weniger als der Unterstützung der nationalen Nachfrage gewachsen. Er kann weder die notwendigen automatischen und diskretionären Transfers durchführen, noch eine zentrale Wirtschafts- und Finanzpolitik verfolgen und dadurch eine Mindestsicherung der globalen Nachfrage garantieren. Allerdings ist für diese Aufgabe die zwischenstaatliche Koordination der nationalen Wirtschaftspolitiken vorgesehen, aber diese stellt einen wenig erfolgversprechenden Ersatz einer fmanzpolitischen supranationalen Gesamtautorität dar, denn sie hängt zu sehr vom guten Willen der Mitgliedstaaten ab und diese haben, wie schon erwähnt, kein unmittelbares und garantiertes Interesse am Erfolg solcher Vereinbarungen. Sowohl auf weltweiter (zwischen den G7-Länder) als auch auf europäischer Ebene (im Rahmen der EG) hat die zwischenstaatliche wirtschaftspolitische Koordinierung ihre Grenzen oder Mißerfolge deutlich belegt.19 Auch in der im Maastricht-Vertrag geplanten Prozedur, die schon aus technischen Gründen ziemlich langwierig und kompliziert sein wird, werden die Staaten mehr bedacht sein, ihren nationalen Nutzen zu verteidigen, als das gemeinschaftliche Wohl zu fordern. Die sichere Minimierung ihres spezifischen Beitrags wird mehr zählen, als die unsichere Maximierung ihres Anteils an der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Welcher Staat wird bereit sein, gegebenenfalls die Rolle der europäischen Lokomotive zu übernehmen? Die Entscheidungsfähigkeit sowie der mögliche Spielraum und die Entschlossenheit zur Verwirklichung der gemeinschaftlichen Orientierungen zwischen dauerhaft konkurrierenden Staaten werden also sehr begrenzt sein und lassen kaum Hoffnung auf Erfolgschancen zu. Schon aus diesem ersten Grund
19 Vgl. Kantzenbach, 1990.
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ist eine zentrale und effiziente Konjunktur- und Beschäftigungsstabilisienmg äußerst problematisch. Ein anderer Gnmd kommt hinzu. Da in der EWU das Wachstum nicht wie in den USA ein gesetzlich gleichrangiges Ziel wie die Preisniveaustabilität für die Zentralbank darstellt und dadurch keine spontane Abstimmung der Wirtschaftsund der Geldpolitik entsteht, müßte wnso mehr eine bewußte Koordination der beiden Politikbereiche organisiert werden. Aber dadurch, daß eine verläßliche und effiziente ex ante-Koordination der nationalen Wirtschaftspolitiken kawn zustande kommen kann, ist die Möglichkeit eines richtigen Policy Mix zwischen der Wirtschafts- und der Geldpolitik im Hinblick auf die beiden großen Ziele äußerst gering. Ohne verbindliche Eckdaten für die Entwicklung des Umfangs, der Struktur und des globalen Saldos der öffentlichen Haushalte und natürlich ohne Leitlinien für die durchschnittliche Lohnentwicklung kann keine effiziente Abstimmung zwischen der Wirtschafts- und der Geldpolitik entstehen. Diese Unsicherheit wird die EZB zwingen, einen noch behutsameren und restriktiveren Kurs zu verfolgen als den, den sie schon aus ihrer vorrangigen Verpflichtung zur Preisniveaustabilität anzunehmen hat. Durch den auf diese Weise erhöhten Zins und gesteigerten Wechselkurs wird natürlich das Ziel der Konjunktur- und Beschäftigungssichenmg noch mehr beeinträchtigt. Genauso wie die Wirtschaftspolitik stabilitätswidrig sein kann, kann sich also die Währungspolitik als wachstumswidrig erweisen. Dieses Risiko haben in letzter Zeit internationale Gremien immer mehr hervorgehoben?O In der EWU wird dieses Risiko bei einer asymmetrischen Zielsetzung, die der nominalen Stabilität Vorrang gegenüber der realen Stabilisienmg gibt, und bei einem asymmetrischen Mitteleinsatz, der die Effizienz der Wirtschafts- und Finanzpolitik vermindert und sie der Geldpolitik unterordnet, deutlich erhöht. Es besteht also die Gefahr, daß kurzfristig - bei bedeutenden globalen Schwankungen oder Stönmgen (sogenannte symmetrische Schocks) - die realwirtschaftliche Gesundung problematisch und auf jeden Fall langwierig sein wird und sich langfristig das Wachstum und die Beschäftigung in der Zone nicht optimal und sogar deutlich suboptimal entwickeln werden. Wenn die EWU in Kraft tritt, wird sie schon einen hohen Arbeitslosigkeitssockel (11 % der Erwerbsbevölkenmg) erben. Es ist zu befürchten, daß sie diesen und gleichzeitig seine hohen wirtschaftlichen und sozialen Kosten durch neue Wachstums- und Beschäftigungseinbußen noch regelmäßig erhöhen wird. Daß eine solche sehr unbefriedigende Entwicklung nicht nur möglich, sondern höchst wahrscheinlich ist, hat sich schon im voraus und seit Jahren im
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Vgl. Bank for International Settlements, 1996; OECD, 1996.
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Rahmen des EWS erwiesen. 2 I Die am Wechselkursmechanismus teilnehmenden Staaten praktizieren bereits seit langem de facta das künftige Modell der europäischen Wirtschafts- und Währungspolitik. Unter der Leitung der Bundesbank und später unter dem Druck der Maastrichter Konvergenz- und Stabilitätskriterien haben sie volens nolens der Preisniveaustabilität und einer gleichgestimmten Währungspolitik den Vorrang gegeben und ihre Wirtschafts-, Finanzund Tarifpolitik allmählich angepaßt. In diesem strikten währungspolitischen Rahmen mit relativ hohem Zins und hohem Wechselkurs haben sie logischerweise eine große Stabilität der Preise erreicht aber gleichzeitig ein schwaches Wachstum und eine steigende Arbeitslosigkeit hinnehmen müssen. Gegen diese Verschlechterung der gesamtwirtschaftlichen Lage waren weder die nationalen Wirtschaftspolitiken noch die europäische Kooperation erfolgreich. Auf nationaler Ebene haben die betroffenen Staaten zuerst die fmanz- und sozialpolitischen Stabilisatoren agieren lassen, aber die positiven Einkommenseffekte dieser Mechanismen wurden bei entgegengesetzter Geldpolitik durch ihre negativen Haushalts- und Zinseffekte neutralisiert, so daß sich die Defizite verstetigt haben und die gesamtwirtschaftliche Entwicklung verschlechtert hat. Die Staaten haben sich seit kurzem für eine Umkehrung des Policy Mix entschieden, d. h. für drastische haushaltspolitische Konsolidierungsmaßnahmen und eine Lockerung der Geldpolitik, aber es besteht das Risiko, daß die positiven Zinseffekte durch die negativen Einkommenseffekte und Beschäftigungserwartungen neutralisiert werden. Auch die strukturellen Wachstums- und Beschäftigungsprogramme haben kaum nennenswerte Wirkungen gezeigt. Auf europäischer Ebene kam nie, trotz der allgemeinen desolaten Lage, eine effiziente Kooperation zustande. Bei der deutschen Wiedervereinigung von 1990, die alle europäischen Länder wenigstens indirekt betraf, konnte man die rationale und kooperative Lösung der DM-Aufwertung nicht durchsetzen und bei der Europäischen Wachstumsinitiative von 1993 scheiterte die Verwirklichung an den unterschiedlichen nationalen Finanzierungsvorstellungen. In Anbetracht dieser Erfahrungen ist leider zu befürchten, daß die EWU, die in bezug auf die wirtschaftspolitische Konzeption die getreue Nachfolgerin des EWS ist, aus der Euro-Zone wie schon der DM-Zone eine Stabilitäts- aber auch eine Unterbeschäftigungsgemeinschaft machen wird. Nun weisen in der anhaltenden Diskussion um die Währungsunion die Studien der Kommission sowie die Erklärungen der Regierungen immer wieder auf die positiven Wachstums- und Beschäftigungseffekte dieser ordnungspolitischen Innovation: verringerte Transaktionskosten, beseitigte Wechselkursschwankungen, steigende F aktormobilität und höhere Wettbewerbsintensität. 22
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Vgl. Bilger, 1993; Oberhauser, 1996. Vgl. EU-Kommission, 1990.
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Diese optimistischen Vorraussagen erinnern aber zu sehr an die genauso positiven Prognosen, die bei der Beseitigung anderer Handelsschranken im Projekt 1992 formuliert 23 , aber durch die tatsächliche Entwicklung ganz dementiert wurden. Während der Verwirklichung des Binnenmarktes verringerte sich die europäische Wachstumsrate von Jahr zu Jahr um schließlich 1993 sogar negativ zu werden. Die positiven mikroökonomischen Angebotseffekte (Kosten- und Preissenkungen) wurden anscheinend durch die negativen makroökonomischen Nachfrageeffekte deutlich übertroffen. Eine ähnliche Entwicklung bedroht die Währungsunion, wenn nur auf die mikroökonomischen Ergebnisse dieser ordnungspolitischen Reform auf der Angebotsseite gezählt wird und die makroökonomischen Nachfragebedingungen, um aus einem erhöhten potentiellen Wachstum ein effektives Wachstum zu gestalten, systematisch vernachlässigt werden.
In Anbetracht dieser Gefahr werden zur Zeit verschiedene Reformen erwägt. Schweden und die Kommission haben vorgeschlagen, daß die Maastricht-Folgekonferenz das Ziel der Beschäftigung im Vertrag stärker betonen und ein Wachstums- und Beschäftigungspakt den schon vorgesehenen Stabilitätspakt ergänzen soll. Es ist aber noch unklar, was ein solcher Pakt enthalten würde. Wenn es sich nur um eine aktualisierte Version des Weißbuches fiir Wachstum, Kompetitivität und Beschäftigung von 1993 handele4 , dann wäre ein solcher Pakt der Lage nicht gewachsen. Dieser Policy Mix von systematischer mikroökonomischer Angebotsstimulierung und systematischer makroökonomischer Nachfragedämpfung, der in Wirklichkeit schon seit Jahren die europäische Praxis inspiriert, hat seine schwache Effizienz schon bewiesen. Die französische Regierung setzt ihrerseits in dieser Hinsicht auf eine verstärkte Koordination der nationalen Fiskalpolitiken untereinander und mit der Geldpolitik der EZB im Rahmen eines informellen "Stabilitätsrats" und hauptsächlich auf die Gestaltung des Wechselskurses und die Entwicklung der Auslandsnachfrage durch eine bessere Regelung einerseits des neuen EWS (gegenüber den "Outs" der EU) und andererseits der internationalen Währungsbeziehungen (gegenüber den Drittländern). Das neue EWS sollte künftig stabile Wechselkurse zwischen dem Euro und den anderen EU-Währungen etablieren und vor allem kompetitive Abwertungen, notfalls durch Kürzung gemeinschaftlicher Hilfen aus den Strukturfonds, verhindern. Auf internationaler Ebene sollten Vereinbarungen mit den USA und Japan auch relativ stabile Währungsrelationen, eventuell durch die Bestimmung von Zielzonen, schaffen und vor allem die systematische Unterbewertung des Dollars gegenüber den europäischen Währungen beseitigen, die - den Berechnungen der Kommission zufolge - seit
23 Vgl. dieselbe, 1988. 24 Vgl. dieselbe, I 993a.
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fünf Jahren jährlich ein Prozentpunkt Wachstum gekostet hätte. Die Neugestaltung des EWS ist schon im Prinzip beschlossen, aber ihre praktische Verwirklichung gibt Anlaß zu Meinungsverschiedenheiten. Und was die künftige Beziehung zwischen Euro und Dollar angeht, ist die weitere Entwicklung noch ungewisser. Sicher ist, daß auf diesem Gebiet ein sensibler Widerstreit zwischen den Zielen der Preisniveaustabilität und der Konjunkturstabilisierung entstehen könnte. Wenn der Wechselkurs durch europäische und internationale Absprachen, im Rahmen des Art. 109 des EG-Vertrages, stark stabilisiert werden sollte, dann würde die Preisniveaustabilität de facta ihre Zielvorrangigkeit zugunsten der Wechselkursstabilität verlieren. Eine solche Entwicklung wäre aber, wie schon erwähnt, mit dem Wortlaut der Art. 3a und 109 nicht vereinbar, sie würde auch vom guten Willen der USA und der internationalen Finanzmärkte abhängen und scheint deshalb kaum wahrscheinlich. Von wirtschaftswissenschaftlicher Seite wurde schließlich vor allem vorgeschlagen, einen automatischen Stabilisator in den Zentralhaushalt der EU einzubauen, der nicht sehr aufwendig sein würde (0,2% des europäischen BIP), den betroffenen Staaten solidarische Hilfe bringen könnte und gleichzeitig eine Art gemeinschaftlicher Versicherung gegen die Verbreitung von Konjunktur-und Beschäftigungsschwankungen in der EWU darstellen würde. 25 Gegen diesen Vorschlag wurde hauptsächlich eingewandt, daß er die Staaten zu einem unverantwortlichen Moral-Hazard-Verhalten verleiten könnte und einen systemwidrigen Anreiz zur Unterlassung notwendiger Strukturanpassungen darstellen würde. Aber man könnte erwidern, daß das Risiko solcher Verhaltensweisen durch die technische Gestaltung des Systems begrenzt werden könnte und daß es sogar bei selbstverschuldeten Beschäftigungsschwankungen immer im Interesse der Gemeinschaft liege, die negativen spill-over-Effekte dieser Schwankungen wenigstens teilweise zu neutralisieren. Die öfters kumulative Abschwächung und die systematischen Rückgänge der europäischen Konjunktur seit zwanzig Jahren haben schon gezeigt, wie die Abwesenheit einer automatischen gegenseitigen Unterstützung für die europäischen Staaten von Nachteil ist, die alle so stark von der europäischen Nachfrage abhängen. Indem er für eine gewisse einzelstaatliche und gleichzeitig gemeinschaftliche Konjunktur- und Beschäftigungsstabilisierung sorgen würde, die wenigstens kurzfristig nicht automatisch durch die privaten Marktkräfte oder die öffentlichen Finanzpolitiken gesichert werden kann, entspräche ein internationaler Stabilisator - genauso wie die nationale Sozialhilfe - einem im allgemeinen Interesse gut verstandenen Altruismus. Für die dauerhafte Sicherung gegen die Gefahr einer langfristig allgemeinen rezessiven Entwicklung und noch mehr für die in Anbetracht der gegenwärtigen
25 Vgl. Italianer, Pisani-Ferry, 1992; EU-Kommission, 1993b. 20 Peters
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massiven Arbeitslosigkeit notwendige trendmäßige Erhöhung des Wachstwns wäre allerdings ein automatischer finanzpolitischer Stabilisator nicht ausreichend. Selbst eine effizientere und zwingendere Koordination der nationalen Fiskalpolitiken wäre in dieser Hinsicht nicht erfolgversprechend, zumal die Zins- und Wechselkursentwicklung ihre Effizienz automatisch beeinträchtigen würde. Gegen den deflationistischen Bias der Währungspolitik, der das effektive Wachstwn systematisch unter das potentielle drückt, kann auf Dauer kein anderes wirtschaftspolitisches Instrument erfolgreich sein.
E. Schluß Das allgemein anerkannte Ideal der Stabilitätspolitik besteht darin, sowohl die Preisniveaustabilität als auch die Beschäftigungsstabilisierung zu sichern. Dieses Ideal ist seit langen Jahren in den meisten europäischen Ländern und in der Europäischen Union als Ganzes entgegen den anderen entwickelten Regionen der Welt nicht mehr erreicht worden, weil die Stabilitätspolitik, die im Rahmen des EWS praktiziert wurde, zu einseitig der Preisniveaustabilität absolute Priorität und größere Mittel als der Beschäftigungsstabilisierung gegeben hat. Nur bei außergewöhnlichen Ereignissen, wie der Ölpreissturz von 1986, die Börsenkrlse von 1987 und die deutche Wiedervereinigung von 1990, erhielt die europäische Wirtschaft vorübergehende Impulse. Ansonsten blieb die Konjunktur immer zu schwach und die Beschäftigung immer zu labil. Mit der EWU wird eine neue und originelle Organisation der Stabilitätspolitik eingeführt, die sich durch eine horizontale und vertikale Teilung und eine dreifache Asymmetrie der Ziele, Träger und Instrumente charakterisiert. Somit wird aber die gleiche einseitige Konzeption der Stabilitätspolitik übernommen, die sie langfristig gegen die Inflation aber nicht gegen die Depression - das eigentliche gegenwärtige und künftige Problem - rüstet. Mit einer zentralisierten und zielgebundenen Währungspolitik, einer dezentralisierten und regelgebundenen Finanzpolitik und einer faktisch sehr disziplinierten Lohnpolitik könnte die Stabilitätspolitik in der EWU sogar noch rigoroser als im EWS werden. Es ist also zu befiirchten, daß sie weiterhin eine hohe Preisniveaustabilität aber gleichzeitig ein schwaches Wachstwn und eine steigende Unterbeschäftigung verursachen wird. Sie ist alles andere als ein an die globalen Probleme der europäischen Wirtschaft gut angepaßtes Rezept. Es ist schon besorgniserregend, daß die EU und selbst die geplante kleinere EWU weder den natürlichen noch den politischen Bedingungen eines optimalen Währungsraumes entsprechen und daß also die verfrühte Einfiihnmg einer einheitlichen Währung mit großen strukturellen Risiken behaftet ist. Wegen diesen möglichen Gefahren wäre eine gut konzipierte Stabilitätspolitik besonders un-
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entbehrlich. Aber mit der geplanten eher deflatorischen Währungs- und Wirtschaftspolitik werden diese Risiken noch deutlich erhöht, weil bei einer schleppenden Konjunktur die notwendigen Strukturanpassungen, die Konvergenz der Leistungen und die Kohäsion der Union viel schwieriger erreichbar sind. Das Maastrichter Vertragswerk ist also auch aus diesem Gesichtspunkt äußerst diskutabel und die vorgesehenen Ergänzungen ändern nichts an diesen schwerwiegenden Mängeln. Es ist nicht auszuschließen, daß diese Mängel allmählich zu einem Sprengsatz fiir die EWU und vielleicht sogar fiir die ganze EU werden könnten. Nach zwei Jahrzehnten chronischer Inflation und zwei Jahrzehnten permanenter Arbeitslosigkeit müßte es doch heute klar sein, daß genauso wie eine staatliche Vollbeschäftigungsgarantie zwangsläufig zu dauerhafter und steigender Inflation führt, eine öffentliche Preisniveaustabilitätspriorität Gefahr läuft, zu dauerhafter und allmählich steigender Arbeitslosigkeit zu führen. Nur bei bestimmten und außergewöhnlichen Bedingungen ist eine Stabilitätspriorität automatisch auch eine Wachstums- und Beschäftigungsgarantie. Da diese Bedingungen vielleicht in Deutschland, aber keinesfalls in ganz Europa gegeben sind, kann nur ein goldener Mittelweg auf Dauer wirklich befriedigend sein. Es ist kein Zufall, wenn die USA, die fiir die EU wahrscheinlich das weltweit beste Vorbild darstellen, seit jeher eine ausgewogene stabilitätspolitische Konzeption angenommen haben, in der die hauptsächlichen Träger der Wirtschaftspolitik, der politische und der technische, unabhängig voneinander aber gleichzeitig die doppelte Zielsetzung der realen und der nominalen Stabilität zu gewährleisten haben. Das amerikanische Modell ist sicher nicht perfekt, aber es kommt bestimmt einem fiir Europa optimalen Konzept der Stabilitätspolitik näher und es könnte bei dem geplanten finanzpolitischen Stabilitätspakt möglicherweise in der EWU noch funktionfähiger als in den USA sein.
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Wirtschaften im Umbruch: Ordnung, Unternehmer und Stil· Von Jürgen Backhaus , Maastricht
A. Einleitung Dieser Essay beschäftigt sich mit Transformation Wld Innovation in östlichen Wirtschaften, also den sogenannten Transformationsökonomien. Der SchwerpWlkt liegt auf der BetonWlg von Strukturen Wld Wirtschaftsformen, die den WlS bekannten Wlähnlich sind. Um diese Unterschiede herauszuarbeiten, wird auf drei traditionelle Konzepte in den Wirtschaftswissenschaften zurückgegriffen, die OrdnWlg, den Unternehmer Wld den Wirtschaftsstil. Es handelt sich in allen drei Fällen um heute Wlgebräuchliche Konzepte, die jedoch, so der Tenor des Essays, die östlichen Volkswirtschaften in ihrem Umbruch sehr viel besser verständlich machen. Das verwendete empirische Material beruht auf einer umfänglichen AuswertWlg der internationalen Wirtschaftspresse.
B. Von der Anteils- zur Kontrollwirtschaft Die Wirtschaften in Zentral- Wld Osteuropas, die sich nach der Welle der Revolutionen von 1989 im Umbruch befinden, stellen den Volkswirt immer wieder vor Rätsel. Wer den Statistiken Glauben schenken möchte, kann sich nur WWldern, warum trotz hoher Arbeitslosigkeit Wld Produktionseinbrüchen dennoch von HWlgersnöten, Seuchen, Massenkrawallen Wld einer allgemeinen politischen RadikalisiefWlg, alles Zeichen tiefer wirtschaftlicher Krisen, kaum die Rede ist. Wo die Staatswirtschaft abbröckelt, aber die Marktwirtschaft noch
·Das in diesem Aufsatz ausgebreitete Gedankengut entspringt vor allem langen Diskussionen mit Richard E. Wagner (George Mason University). Die Arbeit wurde anIäßlich der Sitzung des Ausschusses zum Vergleich von Wirtschaftssystemen des Vereins für Socialpolitik vom 25. bis 27. September 1994 in Jena ausführlich diskutiert. Insbesondere danke ich den Herren Kollegen Cassei, Engelhardt, Klinkmüller, Schüller, Tuchtfeldt und Wagner für wertvolle Hinweise und Kritik.
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nicht besteht, wird dennoch gewirtschaftet.! Es gibt Anzeichen unternehmerischer Initiative, und es gibt Anzeichen von Kapitalbildung, obwohl Finanz- und Kapitalmärkte weitgehend fehlen. In diesem Aufsatz wird versucht, den vielfältigen Strukturen gerecht zu werden, die uns in der internationalen Wirtschaftspresse, die über die östlichen Wirtschaften im Umbruch berichtet, dargestellt werden, die sich aber nicht gut in das Schema von Markt- und Planwirtschaft einfiigen lassen. Wenn wir das Wirtschaftsgeschehen nicht in unsere Denkvorstellungen oder ,,Modelle" einfügen können, können wir uns kaum eine Vorstellung davon machen, wie diese Wirtschaften heute funktionieren und wie sie eventuell morgen aussehen könnten. Um die Modellwelt anzureichern, greife ich auf drei klassische heute aber weitgehend vergessene analytische Kategorien zurück: den Unternehmer und den Wirtschaftsstil; daneben steht das Konzept der Ordnung, das im Werk des Jubilars den zentralen Platz einnimmt. Die wirtschaftsanalytischen Probleme, die die Entwicklung der neuen östlichen Wirtschaften aufwirft, sind nicht auf diese begrenzt. Auch die Unterschiede zwischen westlichen Wirtschaften lassen sich nicht in das Schema Marktwirtschaft - Planwirtschaft pressen. Zum Beispiel beginnt die Wirtschaftsjournalistin Judith Balenty ihren Vergleich zwischen Großbritannien und Italien mit den folgenden Worten: "The European Union dreams of the day its sorted nations will be joined into one big, happy national market. However, differences in national personalities and economic characteristics make it unlikely that a single model can apply to all. Britain and Italy - two countries of nearly equal population - provide one of the starkest contrasts. Britain has followed a text book free market model. It sold nationalised companies to the private sector, slashed the govemment jobs and phased out loss producing industries, particularly in the coal and steel sectors. ltaly, on the other hand, remains top heavy with state supported industries. Plagued by political scandals, it has yet to take some of the difficult economic steps that Britain did. Yet neither country can be characterized as better offthan the other, because each has continuing - and quite different - horne grown economic problems to solve.,,2
Die Autorin fUhrt ferner aus, inwiefern sich die beiden europäischen Mitgliedsländer unterscheiden, nicht nur im Hinblick auf das Ausmaß des erwerbstätigen öffentlichen Sektors, sondern im Hinblick auf das Sparverhalten der Bevölkerung, die Existenz mittelständischer Betriebe und so weiter. Was umständlich mit nationalen Persönlichkeiten und wirtschaftlichen Charakteristiken um-
!
Für Deutschland vgl. literarisch den Beitrag von Lenz, 1964. 1983, R 8.
2 Balenty,
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schrieben wird, errinnert an das alte Konzept des Wirtschaftsstils, welches feiner gefächert als das Konzept des Wirtschaftssystems eine genauere wirtschaftsvergleichende Analyse möglich machen sollte. Die zentral- und osteuropäischen Wirtschaften, auf die hier das Stilkonzept angewendet wird, werden oft als Transfonnationsökonomien bezeichnet. Dahinter steht "implizit oder explizit" die Vorstellung, diese Wirtschaften machten einen Transfonnationsprozeß von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft mit. Tatsächlich wissen wir nur, daß sich diese Wirtschaften im Umbruch befinden, keineswegs aber in welche Richtung hin sie sich entwickeln. Es ist keineswegs sicher, daß alle östlichen Wirtschaften sich dem anglo-amerikanischen Marktmodell fügen werden, ebensowenig, wie die westeuropäischen Wirtschaften demselben Modell folgen. Deshalb wird im folgenden konsistent von "Wirtschaften im Umbruch" gesprochen, und zwar .mit dem geographischen Attribut "östlich", um deutlich zu machen, um welche Wirtschaften es sich handelt und auch, daß der Aspekt des Systemwandels im Vordergrund steht, nicht jener der wirtschaftlichen Entwicklung. 3 In den letzten Jahren läßt sich in den entwickelten Demokratien westlicher Prägung ein eigenartiges Phänomen beobachten. Durchaus im Gegensatz zu den damals vielbeachteten Ausführungen John Kenneth Galbraiths, der 1958 in seinem "The Affluent Society" überschriebenen Buche beredte Klage über das parallele Auftreten privaten Reichtums und öffentlicher Annut führte, läßt sich ein Sinken der Wachstumsraten in den genannten Volkswirtschaften bei gleichzeitigem, zum Teil atemberaubendem Anstieg der Staatsquote beobachten. 4 Einerseits sieht sich die Privatwirtschaft einer steigenden Belastung durch sowohl klassische Besteuerung in direkter wie indirekter Fonn als auch durch in stets neuen Variationen und kumulativ auftretende administrative und politische Steuerung ausgesetzt. Dies führt dazu, daß, obwohl in einigen Bereichen die Gewinnlage der privaten Wirtschaft durchaus gut bis exzellent ist, allgemein die Aussicht niedriger Wachstumraten nicht mehr alarmierend wirkt. Wenn ein großer Teil der Bevölkerung ernsthaft "Nullwachstum" erwägt oder sogar propagiert, dann bezieht sich dies stets auf den privaten Sektor. Was immer mit diesem Begriff im einzelnen gemeint sein mag, so steht doch dahinter die Vorstellung, die Rationalität der Marktprozesse finde ihre Grenze dort, wo übergeordnete Erwägungen einer anderen, politischen Rationalität folgend, neue Ziele weisen, neue Fonnen der sozialen Entscheidungsfmdung verlangen und neue
3 In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, daß Richard Portes zufolge sich die Wirtschaftsberatung der östlichen Regierungen durch die westliche Wirtschaftsberatung im wesentlichen an der amerikanischen Erfahrung orientiert. Ygl. Portes, 1994. 4 ygl. Rühle;Yeen, 1979.
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Regeln für das Wechselspiel zwischen Wirtschaft und Politik nötig erscheinen lassen. Derartige übergeordnete Erwägungen zeigten sich natürlich besonders im Rahmen des politischen Einigungsprozesses der beiden deutschen Staaten, etwa bei der Art und Weise, wie Eigentums- und Währungsfragen entschieden wurden. Auch in den anderen Transfonnationsökonomien steht der wirtschaftliche und strukturelle Wandel unter einem politischen Primat, da andererseits sein Ablauf nicht gewährleistet sein könnte. Die entsprechende Diskussion in der östlichen Literatur hat einen anderen Schwerpunkt, ist aber gleichwohl vergleichbar. Schon vor dem zweiten Weltkriege hatte Fritz Karl Mann davon gesprochen, der Anteilsstaat (oder, wie sich Schwnpeter ausdrückte, der Steuerstaat) habe sich zwn Kontrollstaat gewandelt. Die hinter dieser Entwicklung liegende Tendenz einer Strukturveränderung, begleitet von einer Veränderung der legitimatorischen Gewichte des politischen Prozesses einerseits, des Marktgeschehens andererseits, paßt präziser als das Schlagwort vom ,,Nullwachstum", da es nicht wn "das Ende des Wachstums" der Potentiale zur Bedürfnisbefriedigung allgemein geht, sondern wn eine Verschiebung der Gewichte zwischen Markt und Politik. Denn, und dies erscheint nur als Kehrseite derselben Sache, öffentliche Organisationen wachsen und blühen in zwn Teil barocker Fülle. Die eingangs zitierte Einschätzung Galbraiths mag faktisch widerlegt sein. Sie spiegelt aber eine andere Einschätzung über die richtige Verteilung der Gewichte zwischen Wirtschaft und Politik wider, die zwn Teil sicherlich auch die breite Zustimmung erklärt, die der Autor insbesondere außerhalb seiner Disziplin, den Wirtschaftswissenschaften gefimden hat. 5 Selbst im Hinblick auf eine wirtschaftswissenschaftliche Analyse der hier nur skizzenhaft und impressionistisch umrissenen Strukturveränderung ist zunächst festzuhalten, daß sie keineswegs ein Schrwnpfen des traditionellen Gegenstandes der Wirtschaftswissenschaft, das heißt der Analyse wirtschaftlicher Prozesse bedeuten kann. Wirtschaftliche Prozesse sind ja solche, die Allokation und Verteilung von Gütern, also Waren und Dienstleistungen im weitesten Sinne, bewältigen. Keineswegs werden heute seltener Entscheidungen über Allokation und Verteilung einer zudem auch nicht geminderten Anzahl ökonomischer Güter getroffen. Im Gegenteil! Die Veränderung liegt lediglich in den Verfahren, durch die diese Entscheidungsprozesse geregelt sind. Wo früher die Verteilung der Einkommen (und Vennögen) sich als gleichsam natürliche Folge des Marktgeschehens bei als legitimiert angesehenen (oder doch wenigsten akzeptierten)
5 Vgl.
besonders markant die Kritik bei Gäfgen, 1974; Hayek, 1967; Monissen, 1975.
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Ausgangspositionen ergab, lenkt heute der Sozialstaat dieselben Verteilungsprozesse mit großem Aufwand. Verwaltungsentscheidungen mehr noch als Marktentscheidungen, lenken die Allokation von Waren und Leistungen. Baugenelunigungen, die Festlegung kassenärztlicher Gebührensätze, Genelunigungen von Versicherungsprämiensstaffeln, Agrarmarktordnungen und Stützungspreise, Mindestreserven und Diskontsätze so wie die vielfältigen Auflagen und Regelungen, etwa auf dem Bereich des Wohnungswesens, die den volkswirtschaftlichen Umbruch in den östlichen Wirtschaften begleiten, sind nur einige zufällig herausgegriffene Beispiele. Der Maastrichter Vertrag hat diese Tendenz noch verstärkt. ,,Marktversagen" wird von den Autoren des Vertrages und den ihn tragenden Politikern auch als Versagen der Politik zugerechnet. Diese Überzeugung wirkt stark und stilprägend. Nicht nur die drastischen Haushaltsmaßnahmen in allen Mitgliedstaaten, die der europäischen Währungsunion beitreten wollen, sondern auch die weniger oft und offen besprochenen Verfassungsänderungen, vor allem auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Haushaltsverfassung, wirken stilveränderend. Das Werk unseres Jubilars deutet diese Aspekte häufig an, vertieft sie aber mangels lehrbuchmäßig darstellbarer aktueller Literatur nur gelegentlich. Aus dieser theoretischen und empirischen Sicht ergibt sich als Folgerung für die Strategie der ökonomischen Analyse, daß sich der Analytiker neuartigen Anforderungen stellen muß. Wenn weiterhin die Entscheidungsprozesse über Allokation und Verteilung Gegenstand der ökonomischen Theorie bleiben sollen, so muß sich diese Theorie nunmehr mit politischen und administrativen Prozessen vermehrt beschäftigen. Mehr noch: Die Verschiebung von marktlichen zu politischen Prozessen der Allokation und Verteilung rechtfertigt nicht nur eine vermehrte, vielmehr sogar eine schwerpunktmäßige Beschäftigung mit diesen im Vergleich zu den Marktprozessen noch relativ unerforschten politischen Abläufen und Koordinationsverfahren. Wenn mehr als die Hälfte des Sozialproduktes in politischen Verfahren alloziert und verteilt wird, dann darf die ökonomische Analyse dieser politischen Prozesse nicht ein Nebengebiet der Volkswirtschaftslehre bleiben, das Beachtung allenfalls in modischen Zyklen verdient. 6 Die wirtschaftliche Strukturverschiebung aus dem privaten in den öffentlichen Bereich, dies können wir resümierend festhalten, stellt neue Anforde-
6 Entsprechendes dürfte, wie mir scheint, auch für die Betriebswirtschaftslehre zutreffen. Nicht nur in der klassischen, öffentlichen oder privaten Unternehmung werden Produktionsfaktoren im Interesse der Leistungserstellung zusammengeführt. Wirtschaftlich werthafte Leistungen, also ökonomische Güter, erstellen auch Schulen, das Militär, das Sozialversicherungssystem, oder das Bauplanungsamt, ohne daß eine Betriebswirtschaftslehre dieser von der klassischen Unternehmung strukturell verschiedenen Organisationen bereits ausgeformt vorläge.
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nmgen an die Wirtschaftswissenschaften. Betraf dies Relevanz und Gegenstand dieses Aufsatzes, so bedarf auch die Methode eines Wortes vorab: Eine wirtschaftstheoretische Beurteilung und Bewertung dieser Strukturverschiebungen und Umbruche ist vorab durchaus nicht möglich. Fraglos läßt sich im Rahmen einer Partialbetrachtung Funktionsversagen der Verwaltung einer alternativen Marktlösung gegenüberstellen und wohlfahrtstheoretisch bewerten. Dasselbe gilt für den umgekehrten Fall, in dem Marktversagen durch bestimmte politische Verfahren gegebenenfalls geheilt werden kann. Der Schritt von der Partial analyse zur Totalanalyse aber eröffnet die Möglichkeit, daß sich normativ die Vorzeichen ändern. Ähnliches ist aus der second best-Analyse in der Ökonomie seit langem bekannt. Im vorliegenden Fall bedarf es dann eines Strukturvergleiches, der mit dem anerkanntesten Kriterium der Wohlfahrtstheorie, dem Paretoprinzip nur bedingt möglich ist. 7 Auf dieser Ebene erscheint lediglich die Formulienmg bestimmter Anfordenmgen an die Verfassung einer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung als das äußerste, das mit den Mitteln der volkswirtschaftlichen Wohlfahrtstheorie geleistet werden kann. 8 Gegen eine voreilige Bewertung des wirtschaftlich-sozialen Strukturwandels spricht jedoch noch eine zweite Erwägung. Jener Strukturwandel läßt sich einigermaßen gleichförmig in allen entwickelten Demokratien mit Markt- oder Staatswirtschaften beobachten, und zwar je ausgeprägter, desto älter und ungebrochener die demokratische Verfassung. 9 Es handelt sich also nicht um einen oktroiierten Wandel, sondern um einen eigenständig ablaufenden historischen Prozeß. Über die Bestimmungsgrunde dieses Prozesses verfügen wir soweit ersichtlich nur über Vermutungen, die stark von den bisherigen wirtschaftstheoretischen Auffassungen geprägt sind. Wenn etwa Olson die auffällig niedrigen Wachstumsraten der ,,reifen" Demokratien mit den akkumulierten Langzeitwirkungen verbandlichen, auf Protektion gerichteten Lobbyismus in Beziehung bringt - der bekanntlich zu einer Benachteiligung der Konsumenten führt und bei Akkumulation zu einem gesellschaftlichen Suboptimum - so drängt sich doch die Frage auf, warum nicht durch politischen Entscheid eine Umkehnmg des Prozesses zustandekommt, da doch das Mehrheitswahlrecht den Konsumenten die entscheidenden Karte in die Hand gibt und sich eine Wahlplattform unschwer vorstellen läßt, die bei Verfassungsändenmg das Freerider-Problem neu-
7
Vgl. Badehaus, 1978, m.
8 Dem
gegenüber, und durchaus im Hinblick auf die Analyse östlicher Wirtschaften im Umbruch, will Richard Portes, da es keine allgemeine Theorie der Transformation gäbe, sich vor allem auf die "tools of supply and demand in a general equilibrium context" verlassen, obwohl doch diese Wirtschaften im Umbruch keineswegs als gleichgewichtig oder an Gleichgewichten orientiert beschrieben werden können. Vgl. Portes, 1994. 9 Vgl. DIson, 1978 mit umfangreichen Berechnungen.
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tralisiert. Auffällig ist aber, daß trotz gelegentlicher Unmutsäußerungen gegen einzelne Erscheinungsweisen des verwaltenden Staates mit weitreichenden Reprivatisierungsforderungen nur in Ausnahmefällen politischer Erfolg zu erzielen ist, wobei das Kalifornische Steuerreferendum Proposition 13 als Ausnahme gelten mag, die vor mehr als einem Jahrzehnt die Regel bestätigt hat. 10 Die Folge dieser Erwägung ist, daß wir, ehe nicht die Bestimmungsgriinde des Strukturwandels bekannt sind, diesen mit Mitteln der ökonomischen Theorie auch nicht beurteilen können. Ehe wir nicht über eine Analyse seiner Dynamik verfUgen, muß jede Kritik des Strukturwandels sich vorhalten lassen, daß die Unmöglichkeit der Entfaltung gegenläufiger Kräfte nicht überzeugend dargelegt ist. 11 Solange aber das Verfahren offen ist, Aktion und Reaktion gleiche Chancen haben, ist es nicht offensichtlich, warum nach Ablauf des Prozesses ein sich einstellendes Gleichgewicht nicht auch ein Optimum darstellen kann. Gemeint ist ein Optimum im Pareto-Sinne derart, daß eine Besserstellung einer Partei nur auf Kosten einer SchlechtersteIlung mindestens einer anderen Partei möglich ist. Nur eine Analyse der Bestimmungsgriinde des gesellschaftlichen Wandels kann uns auch in die Lage versetzen zu beurteilen, ob ein bestimmter Entwicklungsprozeß noch im Gange ist und in sich die Chance seiner eigenen Umkehrung enthält, oder ob individuelle, auf Besserstellung gerichtete Einzelentscheidungen die Richtung eines gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses bereits eindeutig festlegen. Da die normative Beurteilung des Strukturwandels, der den Ausgangspunkt unserer Überlegungen bildet, unweigerlich im Spekulativen enden muß, soll es insoweit mit diesen Bemerkungen auch sein Bewenden haben. Der Rest meiner Ausfiihrungen gilt ausschließlich der Möglichkeit einer ökonomischen Analyse im Rahmen der positiven Theorie. Die Frage lautet daher: Wie wird im wirtschaftlichen Bereich und wie wird im politischen Bereich Bewegung erzeugt? Insbesondere: wo liegt das Bewegungselement im politischen Sektor, das diesem zu so unerwartet starker Blüte verhilft und einen Transformationsprozeß ermöglichen kann? Die Frage setzt zunächst voraus, daß der Referenzzustand zur Bewegung, die Ruhe, definiert wird. In der Ökonomie haben wir es daher mit dem Begriff des Gleichgewichts zu tun als einem Begriff, der der Klärung bedarf, weil er in der Volkswirtschaftslehre sehr unterschiedlich verwendet wird.
10 Zu den üblichen Verfahren, die Bereitstellung öffentlicher Güter über den politischen Prozeß zu organisieren, gehören unter anderem Referenden, Volksbegehren und dergleichen. Vgl. die Beiträge in der Sonderausgabe von Kyklos, 1974. 11 Das Problem wird angesichts der nach wie vor offenen Frage nach den Bestimmungsgrunden des Wachtums der öffentlichen Haushalte und Ausdehnung der Funktionen öffentlicher Körperschaften (Wagners Gesetz) besonders deutlich. Für einen Überblick vgl. Borcherding, 1977.
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Der Gleichgewichtsbegriff gehört als zentrale Kategorie der Nationalökonomie zu jenen Konzepten, die sich als Folge einer intensivierten theoretischen Bemühung insoweit verselbständigt haben, als sie dem Außenstehenden nicht mehr verständlich sind. Zum Beispiel arbeitet die allgemeine Gleichgewichtstheorie mit stark formalisierten Konzepten und gibt Gleichgewichtsbedingungen an, die sich nicht mehr ohne weiteres umgangssprachlich übersetzen lassen. 12 Wenn im folgenden von "Gleichgewicht" die Rede ist, so wird damit nicht auf die technischen Gleichgewichtsbedingungen, etwa im Sinne des Arrow-DebreuModells abgestellt, noch auf spieltheoretische Formulierungen, sondern auf deren gemeinsamen politisch-ökonomischen Hintergrund, so wie er weniger auf Walras als aufPareto zurückgeht. Ich möchte dies anhand von drei Zitaten verdeutlichen. ,,Der Gleichgewichtszustand eines Systems ist dann gegeben, wenn sich das System in einem Zustand befindet, in dem die Regeln, die die Wirkungsweise des Systems und damit die Tranformation von Inputs und Outputs bestimmen, dazu fiihren, daß der Zustand erhalten bleibt. ,,13 Insofern bezieht sich Weintraub auch auf nicht marktliehe Systeme. Oder Weintraub in Anlehnung an Hicks "Wenn ein Gleichgewicht 'stabil' sein soll, dann muß sich das zeitweilige Gleichgewicht einer Periode an jenes der nächsten bruchlos anschließen, so daß alle Märkte die Entscheidungen der verschiedenen wirtschaftlichen Entscheidungsträger aufeinander abstimmen können. Da es keine perfekten Zukunftsmärkte geben kann, gibt es keine Lösung, die ein fiir allemal gültig ist. Statt dessen bilden das Geld, die Kapitalgüter und die Finanzaktiva die einzigen Bindeglieder über den Zeitablauf hinweg, zum Beispiel, wenn die Entscheidung in der ersten Woche Geld zu erhalten das Einkommen sicherstellt, das in der zweiten Woche ausgegeben werden kann. Die Mechanismen, die die intertemporalen Strukturen der Entscheidungen bestimmen, beruhen durch und durch auf Erwartungen. Preiserwartungen hängen aber von historischen und zeitgenössischen Preisen ab und aus diesem Grunde bewirkt jede Preisänderung eine Änderung in den Preiserwartungen und auf diese Weise auch eine Veränderung des temporären Gleichgewichts. Mehrere aufeinanderfolgende Änderungen fiihren mit der Zeit zu einer Beruhigung, oder sie tun dies nicht, je nach den Eigenschaften des Geldes und der Wertpapiere, jener sonderbaren Dinge, die man nicht um ihrer selbst willen nachfragt, sondern nur deshalb, um in der Zukunft Güter dafiir zu erwerben".14 Diese Definition gilt fiir Wirtschaften im Umbruch nur bedingt, da sie nur eingeschränkt mit Geldwährung arbeiten. Öffentliche Haushalten mit weichen Rahmenbedingungen fallen außerhalb diese Bestimmung des Gleichgewichtes. 12 Der vorgegangene Satz wird aber durch den Einfilhrungsaufsatz von Schwödiauer, 1978 Lügen gestraft. VgI. dort insbesondere die Teile 1 und IV. 13 Weintraub, 974, 1 I. 14 Weintraub 1979, S. 57 mit Bezug auf Hieks 1939, S. 259.
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Als drittes Beispiel mit noch begrenzterer Anwendungsfähigkeit kann uns Krelles Definition der statischen Duopol-Lösung gelten: ,,Die Paretomenge ist die Menge derjenigen Auszahlungen, bei deren Realisierung es nicht nötig ist, durch irgendeine Koordination Strategien für irgendeine Firma eine höhere Auszahlung zu erreichen, ohne die Auszahlung für zumindest eine Firma zu verringern.,,15 Für unsere Fragestellungen kommt es nun darauf an, herauszufinden, wie es kommt, daß wirtschaftliche und politische Systeme nicht regelmäßig vorhersehbar funktionieren, warum die auf Anderungen reagierende Erwartungsbildung so wesentlich ist bzw. wie der Impuls in der Erklärung zu fassen ist, der die Auszahlungen verändert und Firmen vom vorherigen Marktgleichgewicht sich entfernen läßt. Dieser Motor des Wandels, der in einer am Gleichgewicht orientierten Analyse denkbarerweise nicht vorkommen kann, dieses Bewegungselement wird in der ökonomischen Theorie Unternehmer genannt. Entsprechend soll das Bewegungselement des politischen Prozesses mit dem Begriff politischer Unternehmer bezeichnet werden. Der Prozeß fmdet notwendigerweise in einer Ordnung statt. Der erste Abschnitt der nachfolgenden Ausführungen soll einen Überblick über den Begriff der Ordnung geben, der zweite ist dem Unternehmer in der ökonomischen Theorie gewidmet. Der dritte gilt dem Versuch einer verfahrenstheoretischen Interpretation der Funktion des Unternehmers in Prozessen der Allokation und Verteilung. Das sind wirtschaftliche Verfahren. Der vierte Abschnitt betrifft den Zusammenhang zwischen der Unternehmerfunktion und der Möglichkeit, daß wirtschaftliche Verfahren zu Gleichgewichtszuständen fUhren, die wohlfahrtstheoretisch als optimal bezeichnet werden können. Mit diesen Ausführungen wird also der Versuch gemacht, sich den normativen Problemen, die wirtschaftlicher Wandel unweigerlich mit sich bringt, wenigstens insofern zu stellen, als dies die volkswirtschaftliche Theorie erlaubt. Wie erwähnt, muß eine Gesamtbeurteilung des Prozesses gesellschaftlichen Wandels durch den Theoretiker abgelehnt werden, was aber nicht ausschließt, daß notwendige Bedingungen für ein Wohlfahrtsoptimum genannt werden können. Aufgrund dieser Ausführungen versuche ich im fiinften Abschnitt, skizzenhaft Elemente einer Theorie des politischen Unternehmers zusammenzutragen. Teil sechs ist dem Wirtschaftsstil als analytischer Kategorie gewidmet. Der siebte Teil enthält die Anwendungen auf Probleme der "Transformationsökonomien", also jener östlichen Wirtschaften, die sich seit der "Wende" von 1989 im Umbruch befmden,
15 Krelle, 1976, S. 390.
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ohne daß der Endzustand auf den hin sie sich entwicklen, nun sich schon deutlich abzeichnete. Eine Fülle von der Wirtschaftspresse entnommenen Einzelskizzen wird in das zuvor aus den Kategorien Unternehmer und Stil entworfene Raster projiziert. Die wirtschaftlichen Anwendungen auf Innovation und Kapitalbildung stehen bei dieser Projektion im Vordergrund. Dieser Versuch wird im achten Abschnitt noch einmal kritisch hinterfragt.
c. Die Ordnung in der politisch-ökonomischen Theorie Der wirtschaftliche Wandel in den östlichen Transformationsländern ist augenblicklich deshalb so schwer zu beurteilen, weil es keinen Ordnungsrahmen gibt, in den wir ihn stellen können. Es ist ja wie gesagt nicht zu erwarten, daß sich diese Wirtschaften in Marktwirtschaften verwandeln so, wie wir sie etwa in Nord-Amerika, Großbritannien oder Frankreich kennen. Dies ist schon deshalb nicht möglich, weil diese drei genannten Länder unterschiedliche Wirtschaftsstile entwickelt haben, und die Wirtschaftspolitiker auch von unterschiedlichen Ordnungsvorstellungen geleitet sind. Um den Begriff der Ordnung so, wie er der Wirtschaftspolitik unterliegt deutlich zu machen, greife ich auf eine Episode aus der deutschen Wirtschaftspolitik nach dem Kriege zurück, in der der Begriff der Wirtschaftsordnung eine wesentliche Rolle gespielt hat. Ich beziehe mich auf die Mitbestimmung, und insbesondere auf die endgültige Festschreibung der Mitbestimmung durch das Gesetz von 1976, das auf breiter politischer Grundlage ruhend doch von vielen Theoretikern der Wirtschaftspolitik unter dem Aspekt der Marktkonformität mit Zurückhaltung betrachtet wurde. Viele Kritiker der Mitbestimmung sahen einen Konflikt zwischen der Wirtschaftsordnung und den Mitbestimmungsinstitutionen. Dieses Argument hat in seinem rechtlichen Gewand eine erhebliche Rolle vor dem Bundesverfassungsgericht gespielt. Unter Rückgriff auf die Erörterungen oben wird in diesem Abschnitt geklärt, in welcher Hinsicht das volkswirtschaftliche Konzept der Wirtschaftsordnung in einem Falle wie der Mitbestimmung staatsrechtliche und damit wirtschaftspolitische Bedeutung gewinnen kann. In ihrer Verfassungsbeschwerde gegen das Mitbestimmungsgesetz vom 4. Mai 1976 fiihrten die Beschwerdeführer unter Rückgriff auf das Kölner Gutachten16 aus, die erweiterte Mitbestimmung sei an den normativen Garantien des institutionellen Zusammenhangs der Wirtschaftsverfassung zu messen. Sie trete in einen Widerspruch zu verfassungsrechtlichen Gewährleistungen und zu dem
16 Vgl. Badura, Rittner, Rüthers, 1977.
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Ordnungs- und Schutzzusammenhang, der aus den Grundrechten für die Wirtschafts- und Arbeitsverfassung des Grundgesetzes entnommen werden könne. 17 Dagegen führten diejenigen Stellungnahmen, insbesondere das Frankfurter Gutachten l8 , die das Mitbestirnrnungsgesetz mit dem Grundgesetz für vereinbar hielten, aus, die verfassungsrechtliche Würdigung seiner Auswirkungen könne nicht von einer Wirtschaftsverfassung ausgehen. Eine solche habe das Grundgesetz nicht geschaffen, sondern es sei insoweit bewußt offengehalten worden, und gerade auf dem Gebiet der Wirtschaftsordnung erfreue sich der Gesetzgeber eines weiten Gestaltungsspielraums. Diese Gestaltungsfreiheit umfasse die Prärogative des Parlaments bei der Prognose der Auswirkungen eines wirtschafts- und sozialpolitischen Gesetzes. Sie könne nicht mit Hilfe einer Argumentation aus dem Ordnungs- und Schutzzusammenhang der Grundrechte eingeschränkt werden. 19 Das Verfassungsgericht selbst äußerte sich über den Problemkomplex dahingehend, das Mitbestirnrnungsgesetz regele einen Ausschnitt komplexer, schwer übersehbarer Zusammenhänge und bewirke wesentliche Veränderungen der Wirtschaftsordnung. 2o Die Prüfungsmaßstäbe eines "institutionellen Zusammenhanges der Wirtschaftsverfassung" und eines "Schutz- und Ordnungszusammenhanges der Grundrechte" aber fänden im Grundgesetz keine Stütze,21 sodaß diese auch nicht als verfassungsrechtliche Argumente gegen das Mitbestimmungsgesetz eingewandt werden könnten. Diese Stellungnahme der Verfassungsrichter ist an und für sich nicht besonders überraschend; denn sie steht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung. 22 Überraschend ist vielmehr, daß die Beschwerdefiihrer in ihrer verfassungsrechtlichen Argumentation auf das Konzept der Wirtschaftsordnung überhaupt zurückgegriffen haben. Man könnte diese Frage für wenig zweckmäßig oder von allenfalls historischem, prozeßstrategischem Interesse halten, wenn es sich bei der juristischen Doktrin von der Wirtschaftsverfassung lediglich um ein von
17 Vgl.
Bundesverfassungsgericht (BVerfGE), 1979, S. 307.
Vgl. Kübler, Schrnidt, Simitis, 1978 ("Frankfurter Gutachten"). Das Gutachten war von der Bundesregierung, vertreten durch den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, in Auftrag gegeben und dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt worden. Das Frankfurter Gutachten geht auf das Kölner Gutachten bereits ausführlich ein. 19 V9l. Bundesverfassungsgericht (BVerfGE), 1979, S. 314. 20 Vgl. ebendort, S. 333. 18
21 Vgl. ebendort, S. 336.
22 Vgl. bereits Bundesverfassungsgericht (BVerfGE), Vol. 4 (Investitionshilfe), S. 17ff. Eine ausführliche Erörterung des Zusammenhanges findet sich z. B. bei Badehaus, I 980a, S. 128 ff. Mit weiteren Nachweisen.
21
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der Rechtslehre entwickeltes staatsrechtliches Konstrukt handelte, das vor dem Verfassungsgericht keinen Bestand hatte und infolgedessen auch seine faktische Bedeutung einbüßte. Insofern steht ganz außer Frage, daß die Doktrin von der Wirtschaftsverfassung nur noch staatsrechtshistorisches Interesse beanspruchen kann. Die juristische Doktrin von der Wirtschaftsverfassung aber ist ihrerseits ein etwas eigenwilliger, von Ernst Rudolf Huber ins Rechtspolitische gewendeter Ableger einer staatsphilosophischen Lehre, die als Handlungsethik auf theoretisch ökonomischen Fundamenten ruht. Sie ist sozusagen ein Ableger der Freiburger Schule der Nationalökonomie, die ja traditionell ethische und volkswirtschaftliche Belange miteinander verknüpft hat. Sie ist eine abstrakte Theorie sozialer Ordnungen, nicht eine staatsrechtliche, auf eine bestimmte Verfassung bezogene. Auch gibt es keinen Hinweis im Grundgesetz, daß die Väter dieser provisorischen Verfassung sich hätten die staatsrechtlichen Auffassungen der Freiburger Schule zu eigen machen wollen. Dieser juristische Ableger einer volkswirtschaftlichen Lehre hat allerdings niemals Gelegenheit gehabt, sich zu vollem Wuchs zu entfalten und Blüten zu treiben, da er immer wieder vom Verfassungsgericht zurückgeschnitten wurde, gleichwohl ein üppiges Blattwerk unermüdlich ausbreitet. Dies hat seinen guten Grund. Der Staatsrechtslehre fehlt bislang eine Theorie, die wirtschaftliche lnterdependenzeffekte in den Blick rücken könnte. Die Lehre von der Wirtschaftsverfassung vermag dies, ist aber aus normativen Gründen nur mit Einschränkungen akzeptabel. Die Diskussionslage ist theoretisch besonders pikant, weil eine, wie wir oben sahen, in sich schlüssig ausformulierte Rechtstheorie, die auf methodisch volkswirtschaftlicher Grundlage beruht, nun staatsrechtspraktisch auf verfassungsrechtliche Probleme angewandt werden soll, insoweit aber von der Verfassungsrechtsprechung nicht honoriert wird. Da es sich bei dieser Lehre aber von vornherein nicht um eine bestimmte Verfassung interpretierende staatsrechtliche Doktrin, sondern um eine philosophische (genauer ethische) Gesellschaftstheorie auf ökonomischer Grundlage handelt, geht die Kompetenz eines Verfassungsgerichtes freilich auch nur soweit, die Anwendung der Lehre auf eine bestimmte Verfassung und ihre Umarbeitung in eine staatsrechtliche Doktrin zu verwerfen. Damit ist aber über die Gültigkeit der Gesellschaftstheorie, aus der - wie wir jetzt wissen, unwirksam - eine staatsrechtliche, auf das Grundgesetz bezogene, Doktrin entwickelt worden ist, überhaupt nichts gesagt. Im Gegenteil müssen wir, da diese philosophische Gesellschaftstheorie auf erfahrungswissenschaftlicher, nämlich volkswirtschaftlicher Grundlage beruht, mit einem Spannungsverhältnis zwischen verfassungsgerichtlichen Verdikt und (im Prinzip) empirisch testbaren Aussagen rechnen, die Falsifikationsversuchen standhalten. Um
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diesen gordischen Knoten aus politisch-ökonomischen und staatsrechtlichen Argwnentations- und Theoriesträngen nicht auf Alexandrische AIf3 zu zertrennen, sei im folgenden zunächst einer einfacheren und sehr viel konkreteren Variante derselben staatsphilosophischen Richtung nachgegangen; nach Diskussion der Argwnentation von Nozick,24 die, weil weniger komplex fiir unsere Zwecke beinahe klarer ist, wird unter Hinweis auf die Anwendung von Lachmann, erörtert, wie die Konstruktion von Hayek im einzelnen auf das Problem der Wirtschaftsordnung angewandt werden kann. I. Nozick
Nozick setzt sich im achten Kapitel (d. h. im zweiten, den Minimalstaat begründenden Teil) seines Werkes ,,Anarchie, Staat und Utopie" unter anderem mit Mitbestimmungsfragen auseinander. Dies ist fiir einen amerikanischen, an der Harvard University lehrenden praktischen Philosophen durchaus überraschend. Gleichwohl hat Nozick durchaus prägnant die wesentlichen Einwände zusarnmengefaßt, die in der Diskussion zur Wirtschaftsordnung im Mitbestimmungskontext vorgetragen werden. Die Auseinandersetzung kann ich hier auf drei Probleme konzentrieren, die in gebotener Kürze wörtlich wiedergegeben werden können.
(1) Sub optimales Investitionsvolumen25 : Wenn Entscheidungen von den Arbeitern einer Fabrik getroffen werden, dann fUhrt das dazu, daß in eine bestimmte Art von Projekten zu wenig investiert wird. Es handelt sich um diejenigen Investitionsvorhaben, deren Erträge später anfallen, sodaß die Arbeiter, die heute darüber entscheiden, davon einen zu geringen Nutzen haben als daß sie nicht das Geld lieber heute verteilten; das kann daran liegen, daß sie später nicht mehr in dieser Fabrik arbeiten werden, oder auch daran, daß sie nur noch wenige Jahre vom Ruhestand trennen. (2) Suboptimales Beschäftigungsniveau26 : Die Arbeiter, und damit der gesamte Betrieb, haben einen starken Anreiz, die Durchschnittsgewinne (Gewinne pro Arbeiter) statt der Gesamtgewinne zu maximieren. Dann beschäftigen sie aber weniger Personen als ein Betrieb, der alle jene anstellt, deren Arbeit überhaupt noch einen Gewinn abwirft.
23
Z. S. durch bloße Äußerung eines Ideologieverdachtes.
24
Vgl. Nozick, 1974.
25 Vgl. Nozick, 1974, 26
21"
S. 251 (meine Übersetzung - 1. S.).
VgI. ebendort, S. 251 (meine Übersetzung - J. S.).
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(3) Legitimationsdefizie7 : Am wichtigsten ist festzustellen, daß es stets möglich ist, Arbeiterselbstverwaltung auf freiwilliger Basis einzuführen, als freiwillige Handlung von Bürgern in einer freien Gesellschaft. Damit sind die wesentlichen Probleme angesprochen: Investitions- und Wachstwnsverfall, Unterbeschäftigung, Mitbestimmungsoktroi. Der letzte, von Nozick hervorgehobene Punkt, entzieht der Legitimation einer legislativen Reform des Unternehmensrechts im Interesse der Partizipation der Arbeitnehmer jede Basis; also auch insbesondere die Legitimationsbasis für die Einfiihrung der Mitbestimmung durch den Gesetzgeber. Die beiden erstgenannten Argumente sind aus der theoretischen volkswirtschaftlichen Literatur wohl bekannt. Immer dann, wenn Eigentwnsrechte so spezifiziert sind, daß die Verfiigungsberechtigten nicht das Eigentwn, sondern nur den Nießbrauch haben, ist der Investitionshorizont künstlich beschnitten. Statt über den Gegenwartswert der Sache selbst, etwa hier des Betriebes, können die Verfiigungsberechtigten nur über zeitlich bedingte Nutzenströme aus dieser Sache verfUgen. Daraus folgt zweierlei. Zum einen ist der zeitlich beschränkte Nießbrauch in der Regel weit weniger wert als die Sache selbst; diese - individuell korrekte - niedrigere Wertschätzung liegt dann auch den Handlungen mit der Sache zugrunde. Zweitens wird aber derjenige, der den Nießbrauch statt das Eigentwn hat, auch die Ertragsströme so zu manipulieren suchen, daß sie in die Zeit seines Nießbrauchs fallen, nicht aber in einen anderen Zeitabschnitt, insbesondere danach. 28 Deshalb gewinnt dieses Argument besondere Bedeutung im Zusammenhang mit dem dritten; denn - so wird oft argumentiert - der Gesetzgeber ist versucht, solche Gesetzgebungsvorhaben zu entwickeln und in die Tat umzusetzen, deren Nutzen in der Gegenwart oder unmittelbaren Zukunft, deren Kosten aber in der ferneren Zukunft liegen, wobei er die Höhe dieser Kosten tendenziell vernachlässigen kann. Ich verweise aber hier auf meine modellhaften Überlegungen, die diese pauschalen Ansichten doch erheblich relativieren. 29 In der arbeiterkontrollierten Unternehmung wird manches Investitionsvorhaben unterbleiben, weil die Ertragsstruktur nicht gegenwartsnah genug ist. Desinvestition ist ebenfalls nicht ausgeschlossen. Auch das Problem des Einsatzes des Faktors Arbeit ist aus der Theorie der Genossenschaften wie aus der jener nachgebildeten Theorie der sozialistischen (illyrischen) Unternehmung geläufig. 3o 27 Vgl.
ebendort, S. 252 (meine Übersetzung - J. B.). Die Konsequenzen dieses Grundsatzes lassen sich besonders augenfällig für den politischen Sektor dokumentieren. Vgl. z. B. Wagner, 1977, S. 395ff. 29 Vgl. Backhaus, 1989, S. 23ff. 30 Vgl. einen Überblick bei Backhaus, 1979, Kap. 7. 28
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Das Ergebnis beruht aber auf der von Nozick nicht mitgeteilten, für das Ergebnis aber wesentlichen Annahme der gleichmäßigen EntlohnWlg aller Arbeiter; hier sind andere Strukturen denkbar Wld auch vorgeschlagen worden. 31 Auch im erstgenannten Fall ist es möglich, die durch das Auseinanderfallen von Eigentum Wld Verfiigungsmacht (Verkürzung des Eigentums auf den Nießbrauch) hervorgerufene GefährdWlg der volkswirtschaftlichen Effizienz zu beseitigen. Verlangt ist aber nur das Zusammenfallen von Eigentum Wld Verfiigungsmacht; während AnforderWlgen an die Identität des Eigentümers nicht gestellt werden. Daraus folgt fiir Nozick die Ausstattilllg des Partizipationsrechts mit der Übertragbarkeit Wld die Notwendigkeit, eine Austauschinstitution (Markt oder Börse) fiir diese übertragbaren Partizipationsrechte herzustellen. Diese Korrekturvorschläge freilich weichen in charakteristischer Weise von den in der Literatur im VordergrWld stehenden, nach dem Vorbild demokratischer AbstimmWlgen ausgestalteten, partizipativen Institutionen (im Vorschlag, in der GesetzgebWlg, oder auch in der Praxis erprobt) ab. Deshalb stellt sich fiir Nozick die Frage nach der Legitimität gesetzgeberischer Wirtschaftsreformmaßnahmen, die Teile der WirtschaftsverfassWlg ändern, grWldsätzlich nicht nur politisch, sondern auch aus volkswirtschaftlicher Sicht. Dies ist aber überraschend; die Volkswirtschaftslehre wird von der nichtakademischen Öffentlichkeit ebenso wie von Vertretern anderer Disziplinen typischerweise nicht als eine Wissenschaft angesehen, die politische EntscheidWlgsträger begriindet mit normativen Sätzen konfrontiert. Aussagen zur Legitimität wirtschaftspolitischer Maßnahmen aber haben jedenfalls den Anschein des Normativen Wld fordern dazu heraus, denjenigen, die solche Aussagen vortragen, nWl ihrerseits die Frage nach der politischen oder gesellschaftlichen Legitimation zu stellen. Tatsächlich ist aber bei genauerem Hinsehen diese Frage ebenso wie der Anschein, der sie herausforderte, Wlbegriindet. Es handelt sich nämlich bei den in Frage stehenden wirtschaftstheoretischen Aussagen, jedenfalls so weit wie die BegriindWlgsbasis trägt, nicht um normative, sondern um positive Aussagen, die freilich auch einen etwas anderen Inhalt als den bei Nozick dargestellten haben.
n. Lachmann Da in diesem Schrifttum, auf das ich mich hier beziehe, wegen der Nähe der Thematik zu verfassWlgspolitischen Auseinandersetzungen der Grat zwischen normativen ErörterWlgen Wld positiver Analyse schmal ist, lohnt sich eine präzise Rekonstruktion der Argumentation umso mehr, als habhafte Früchte einer volkswirtschaftlichen Analyse, die erfahrWlgswissenschaftlichen Kriterien
31
Vgl. Meade, 1972, S. 402ft'.
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standhalten, rar und deshalb begehrt sind. Die von Noziek verkürzt vorgetragene und zur politisch philosophischen Argumentation gewirkte gedankliche Kette fmdet sich bei Lachmann in Anwendung auf die Fortentwicklung der Institution der Mitbestimmung. 32 Diese Gesetzgebung, und er bezieht sich insbesondere auf das Gesetz von 1976, sei deshalb zu kritisieren, weil sie nicht den Prinzipien des Unternehmensrechts folge, die sich ihrerseits aus einer Analyse der marktlichen Ordnung als einer natürlichen Ordnung, d.h. in diesem Kontext einer Katallaxie folgern lassen. Zwar sei das Unternehmensrecht selbst nicht eine natürlich gewachsene Ordnung, da es seinerseits Produkt gesetzgeberischer Akte und insofern nicht spontan entstanden sei. Aber33 das Gesellschaftsrecht ist, kurz gesagt, die gemeinsame Schöpfung sowohl der Marktkräfte als auch legislativer Handlungen, die ihrerseits Ideen verwirklichen, die zur Marktordnung zählen; das ist so das Endprodukt eines langen Interaktionsprozesses zwischen den Geschäftsleuten und den Rechtsgelehrten, die ihre Erfahrung, ihren Geist, und ihre Geschicklichkeit in seine Entwicklung investiert haben ( ... ) Wie oft in der Geschichte haben wir es hier mit einer Institution zu tun, die deutliches Zeugnis vom Geist ihrer Schöpfer gibt; auch wenn diese längst das Feld geräumt haben. Eine derart blumige Sprache verleitet dazu, dahinter lediglich in romantischer Tradition Mystifizierung des Überkommenen in vehementer Opposition zu gesellschaftlichem Wandel zu vermuten. Tatsächlich hat aber der Status Quo, abgesehen von der pragmatischen Erwägung, daß er notwendiger Ausgangspunkt sowohl jedweden gesellschaftlichen Wandels, Fortschritts und Rückschritts, als auch der einzige Punkt möglichen Beharrens ist, daruberhinaus fiir sich, jedenfalls dann ein relatives Optimum darzustellen, wenn er Ergebnis einer langen Entwicklungsgeschichte einzelner Schritte ist; die Chance, daß Gelegenheiten zu Paretianischen Verbesserungen, die mindestens einen besser stellen ohne andere zu beeinträchtigen, ausgelassen wurden, ist umso geringer, je länger die Entwicklungsgeschichte dauerte, vorausgesetzt, diese Entwicklungsgeschichte war reich an offenen Situationen, die gesellschaftlichen Wandel schlechterdings erlaubten. Aus dieser Erwägung freilich folgt nicht ein Plädoyer gegen Veränderungen, wie es von Anhängern der neu-österreichischen Richtung wohl manchmal vorschnell vorgetragen wird, sondern - was auch Hayek ausdrücklich betont - die Forschungsstrategie einer auf theoretisch wirtschaftswissenschaftlicher Grundlage vorzunehmenden Rechtsanalyse der (gewachsenen oder als Ergebnis eines interaktiven Prozesses zwischen Gesetzgebung und Rechtsfortbildung) entstandenen Rechtsinstitutionen - gegebenenfalls sogar im
32
Vgl. Lachmann, 1977, S. 69ff.
33
Vgl. Lachmann, 1977, S. 73 (meine Übersetzung - 1. B.).
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Interesse einer Wirtschaftsrefonn. Die Bedeutung des Konzepts der Wirtschaftsordmmg als einer positiven Analyse zugänglichen wirtschaftswissenschaftlichen Kategorie liegt nicht in der Legitimation des Status Quo, auch nicht in der Brücke zwischen Staatsrecht und auf staatsrechtliche Konfliktfragen angewandter Wirtschaftstheorie. Wirtschaftsordnung ist eine Kategorie der ökonomischen Rechtsanalyse und damit Baustein fiir eine erfahrungswissenschaftliehe Theorie der Institutionen, in denen "Wirtschaften" stattfindet. Damit entbehrt die Kategorie nonnativer Implikationen, insbesonderer solcher, die sich fiir die Legitimation bestinunter, sei es vorgefundener oder vorgeschlagener, Institutionen in Anspruch nehmen lassen; abgesehen natürlich von jenen Legitimationen, die auf positive Erfahrungswissenschaft Rekurs nehmen. Auf die Mißverständnisse, die bei der Rezeption ordnungstheoretischer Analysen auftreten können, und denen vielleicht einige Analytiker auch nicht mit der notwendigen Sorgfalt vorbeugen, ist schon frühzeitig von prominenter Seite in eindringlichen Worten hingewiesen worden. Stellvertretend auch fiir andere Kritiker möchte ich hier Lord Robbins in Anspruch nehmen, der 1961 in seiner Rezension von Hayeks "Verfassung der Freiheit" ausfiihrte: 34 Während ich im großen und ganzen der Betonung der Bedeutung des nicht rationalen Elementes in sozialen Gebräuchen und Institutionen nur beipflichten kann, vermag ich gleichwohl eine gewisse Furcht nicht zu verhehlen, daß manche, die weniger differenziert denken, diese Betonung kurzerhand in Hinnahme und Bewunderung ummünzen werden.
Dies freilich hieße, die ordnungstheoretische Analyse ad absurdum fUhren. Die Idee der spontanen Ordnung, der spontanen Entwicklung von Organisationen, die die Geschichte eines Wettbewerbs relativer Fähigkeiten und technischer Vorteile und insofern ein Verfahren zur Nutzung und Entwicklung des Erbes menschlichen Wissens ist, das in dieser Komplexität dem (gesetzgeberisehen) Design nicht zugänglich ist,3S ist als Kette unbewußter evolutionärer Experimente36 anzusehen. Sozialwissenschaftliehe Experimente aber beanspruchen, wie Experimente überhaupt, wissenschaftliches Interesse nur im Zusammenhang mit einer Analyse, die erfahrungswissenschaftliehe Sätze ableitet, die sich ihrerseits in weiteren Experimenten zu bewähren haben. Unter unterschiedlichsten Entwicklungsbedingungen entstandene und sich wieder und wieder reproduzierende gleichförmige Strukturen, die ggfs. auch gegen die erklärten Absichten und Handlungen auf sozialen Wandel bedachter Gesetzgeber rekurrent auftreten, lassen bei genügender Häufigkeit und GleichfOrmigkeit den Schluß 34 Vgl. Robbins, 1961, S. 70. 3S Vgl. v. Hayek, 1945, S. 519ff.
36 Vgl. derselbe, 1973, S. 2.
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auf ihre Effizienz zu. Damit bezeichnet aber Wirtschaftsordmmg nicht spezielle Anforderungen an institutionelle Strukturen, speziell etwa im Sinne einer Entsprechung zwischen Ordnungselementen einer Staatsverfassung mit gesellschaftsrechtlichen Strukturen, sondern es handelt sich um allgemeine Prinzipien, die einer Katallaxie entsprechen. Dem allgemeinen Charakter dieser Strukturen übrigens entspricht auch eine Folgerung hinsichtlich der Regelbarkeit der Strukturen. Da die Komplexität einer realisierten Ordnung typischerweise Kenntnisstand und Informationsverarbeitungskapazität einzelner Handelnder, Wirtschaftspolitiker eingeschlossen, übersteigt, sind diese, wenn sie mit ihren Handlungen reale Erfolge statt zeremonielle oder symbolische Gesten beabsichtigen, im wesentlichen auf ordnungspolitische Maßnahmen verwiesen. 37 Dieses Regelungsproblem nun stellt den Gesetzgeber vor ein rechtspolitisches Problem: daß nämlich Rechtspolitik objektiven rechtsinstitutionellen Schranken unterworfen ist. Nicht aus normativen, sondern aus rechtspragmatischen Gründen im Interesse des rechtspolitischen Erfolges muß sich der Gesetzgeber Beschränkungen unterwerfen, die sich aus der bereits verwirklichten - ob durch Gesetzgebung oder rechtsinstitutionelle Entwicklung bleibt unerheblich Rechtsordnung ergeben: Es ist der ganze Komplex von Regelungen, die tatsächlich in einer bestimmten Gesellschaft beobachtet werden, die ihrerseits festlegen, welche spezielle Regelung aus Gründen der Rationalität durchgesetzt werden kann oder sollte. 38 "Sollte" hat hier nicht normative, sondern ausschließlich pragmatische Bedeutung und ist am rechtspolitischen Erfolg orientiert. Offensichtlich ist aber dieser rechtspolitische Grundsatz alles andere als spezifisch. Er gibt fiir verfassungspolitische Auseinandersetzungen über konkrete gesetzgeberische Vorhaben gar nichts her, wenn er mehr sein soll als das Motto einer Rechtsanalyse, die ihrerseits die rechtstatsächlichen Bedingungen herausarbeitet, denen die Rechtspolitik unterliegt. Diese Ausfiihrungen decken sich genau mit der Ansicht des Bundesverfassungsgerichtes, das, aus der Pflicht des Gesetzgebers zur Schaffung funktionsfähiger Ordnungen konkret doch nur Sorgfaltspflichten im Gesetzgebungsverfahren und ein Korrekturgebot fiir den Fall folgerte, daß sich die gesetzgeberische Prognose über die Gesetzgebungsfolgen nicht bewahrheiten sollte. Wir haben es hier nicht mit einem prinzipiellen Defizit der Ordnungstheorien zu tun, sondern mit einem Merkmal ihres gegenwärtigen Entwicklungsstandes, das bei untauglichen Versuchen der Theorieanwendung deutlich hervortritt. Die theoretischen Aussagen halten sich derzeit, was angesichts des Umfanges der bis heute vorliegenden Forschung auch nicht verwundern kann, noch im allgemeinen, worauf auch in der englischsprachigen
37 38
Vgl. derselbe, 1976. Vgl. ebendort, S. 51.
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Rezeption hingewiesen wird, ohne daß damit eine Einschränkung der Bedeutwlg dieser ForschlUlgsrichtwlg beabsichtigt wäre. 39 Der ordnlUlgstheoretische Ansatz ist also als AuffordeflUlg zu - letztlich empirisch orientierter - ökonomischer Rechtsanalyse aufzufassen, gänzlich lUltauglieh für LegitimationsbemühlUlgen mit Bezug auf bestehende oder vorgeschlagene Rechtsinstitutionen. WirtschaftsordnlUlg ist insofern eine positive erfahflUlgswissenschaftliche Kategorie. Anders als im Staatsrecht hat sie in der Volkswirtschaftslehre keine normativen Implikationen. ill. Nozicks Beispiele
Wir können dies anhand des von Nozick gewählten Beispiels demonstrieren. Wie erinnerlich verlangt die vertragstheoretische Sicht der UnternehmlUlg, die die UnternehmlUlg als Organisation kennzeichnet, in der mehrere Inputeigentümer zusammenarbeiten, daß eine Partei, die nicht selbst IDputeigentümer zu sein braucht, für alle Inputeigentümer zentraler Vertragspartner sein muß lUld über ein Bündel von Rechten verfUgt. Dieses Bündel besteht aus: 40
A. Usus 1. Kontrolle der Inputs lUld Outputs 2. BestimmlUlgsrecht über die ZusammensetZlUlg der Gruppe oder des "Teams" der Produzenten 3. ZusammenfasslUlg der Verträge mit allen Inputfaktoreigentümern in einer Hand
B. Usus Fructus 4. Dem Recht auf den Ertrag lUld
39 "Ehe ich diesen Fragen in den nachfolgenden Abschnitten im einzelnen nachgehe, möchte ich doch kurz einen Aspekt der Hayekschen Darstellung gesellschaftlicher Regeln erwähnen, der auch die Grenzen seines Ansatzes illustriert. Hayek sagt, daß die gesamte Ordnung nicht unbedingt daraus entsteht, daß einzelne Individuen Regeln gehorchen. Individuelle Antworten auf besondere Umstände werden nur dann eine Gesamtordnung ergeben, wenn die Individuen solchen Regeln gehorchen, die eine derartige Ordnung konstituieren. Aber wir wissen im voraus nie, welche Regeln eine Ordnung konstituieren werden. Hayek sagt, daß diejenigen Gruppen, die Bestand haben und sich ihrer Umgebung besser anpassen als andere, dies genau deshalb tun, weil sie sich das beste Regelungssystem gegeben haben. Es ist aber offensichtlich, daß wir nur im nachhinein wissen, welche Regeln für das Überleben am besten sind, wenn wir uns nämlich diese Gruppen ansehen." Barry, 1979, S. 82 (meine Übersetzung - J. B.). 40 Vgl. Alchian, Demsetz, 1972, S. 777ff.
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C.Abusus 5. Dem Recht, die Organisation zu verkaufen oder aufzulösen. Nozick war nun davon ausgegangen, die Arbeiter hätten in der Unternehmung nur das Recht vier, ggfs. auch eines der drei ersten Rechte, auf jeden Fall aber nicht das fünfte Recht, die Unternehmung als ganze zu verkaufen oder aufzulösen. Nehmen wir also in Nozicks Beispiel an, daß der Gesetzgeber eine Unternehmensstruktur vorschlägt, der zufolge die Kapitaleigentümer die Rechte eins bis drei sowie fünf erhalten, die Arbeiter aber das Recht vier. In diesem Fall können wir davon ausgehen, daß in der Unternehmung kein Ertrag mehr anfällt; daß vielmehr die Kapitaleigentümer durch geeignete Re-Kontrahierung mit anderen Inputfaktoreigentümern die Firma so leiten werden, daß ihre Gewinne als Erträge eines der Inputfaktoreigentümers auftauchen, z. B. als Zinsen des Kapitals. Diese Form ist z. B. in Konzernen durchaus gebräuchlich und sie impliziert keine wesentlichen Restriktionen ffir die effiziente Organisation und Führung der Unternehmung. Wenn andererseits die Arbeitnehmer keinen Lohn erhalten, sondern ihr Recht auf den Ertrag an die Stelle des Lohnes gesetzt wurde, so können wir davon ausgehen, daß der den Arbeitnehmern zufließende Ertrag grosso modo ihren Grenzwertprodukten entsprechen wird. Das ganze System wäre dann zwar etwas ungewöhnlich, und man würde davon ausgehen müssen, daß die Unternehmung so zu fUhren wäre, daß ein möglichst konstanter Ertrag erwirtschaftet werden kann. Denn Arbeitnehmer ziehen in der Regel sichere Einkommen unsicheren (und eventuell sogar im Erwartungswert höheren) Einkommen vor. Auch diese Form ist gebräuchlich, z.B. bei großen Publikumsgesellschaften mit einem Mehrheitsaktionär, der, um ungünstige Bewegungen am Aktienmarkt zu vermeiden, eine stetige Dividendenpolitik durchsetzt, unabhängig von den tatsächlichen Erträgen der Unternehmung. Die stetige Dividende wird durch entsprechende Reservenbildung und Inanspruchnahme dieser Reserven ermöglicht. Diese beiden ersten hypothetischen Beispiele gesetzgeberischer Eingriffe erweisen sich deshalb als unschädlich, weil deren negative Konsequenzen von den Unternehmenseigentümern ausgeglichen werden können. Radikalere Folgen hätte ein Gegenbeispiel, etwa so, daß den Arbeitnehmern die Rechte eins bis drei und fünf übertragen würden, während die Gesellschafter das Recht vier behalten. Dieses Recht alleine ist praktisch wertlos; die Folge einer solchen gesetzgeberischen Maßnahme muß aber nicht sein, daß die Kapitaleigner hinfort in die Unternehmung nicht mehr investieren. Die Kapitaleigner kennen die Unternehmung, ihre Chancen und Schwächen, und in Berechnungen des Nettogegenwartswertes spielt die Größe "Groll" keine Rolle. Investitionen können aber nur erwartet werden, wenn die Arbeitnehmereigentümer entweder haften oder eine (glaubhafte) Ertragsgarantie abgeben oder aber Direktivrechte über Orga-
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nisation und Produktion abtreten. Alle drei Alternativen bedeuten, daß die vom Gesetzgeber geschaffene Rechtskonstellation keinen Bestand hat. Haftung bedeutet eine Einschränkung von Recht fünf, Ertragsgarantie eine Umformung des Rechtes vier, und die Einräumung unternehmens interner Kompetenzen eine Veränderung der Rechte eins bis drei. Wie wichtig das fünfte Recht ist, zeigt sich, wenn eine Konstellation vom Gesetzgeber gewählt wird, die die Rechte eins bis vier den Arbeitnehmern gibt, das fünfte Recht aber ausschließt oder staatlichen Organisationen vorbehält. Die Nichtverfügung über das Recht, die Organisation zu verkaufen oder aufzulösen, führt dazu, daß Haftungsmöglichkeiten stark eingeschränkt werden. Dies bedeutet andererseits, daß es schwer sein wird, Kapital in die Unternehmung einzuwerben, denn das Recht vier auf den Ertrag kann nicht als Sicherung hingegeben werden, da es nicht sehr viel Sicherheit bietet; die Arbeiter können zwar an der Substanz der Unternehmung zehren, behalten über diesen Prozeß jedoch die Kontrolle, so daß die Investition nicht durch Substanzwerte gesichert werden kann. Die Folge ist entweder, daß der Kapitalgeber neben dem Recht vier noch weitergehende Befugnisse aus den Rechten eins bis drei erhält, oder aber der Staat, wenn er das Recht fünf sich vorbehalten hatte, zum faktischen Eigentümer der Unternehmung wird. Das deutsche Mitbestimmungssystem teilt das erste Recht, während es die Rechte zwei bis fünf voll bei den Gesellschaftern beläßt. Das heißt, die Überwachung der Inputfaktoren wird verstärkt. Zwar besteht die Gefahr, daß sie gleichzeitig diffus wird, jedenfalls insofern, als die Repräsentanten eines Inputfaktors dessen Überwachung mit übernehmen; insgesamt ist diese Gefahr aber eher gering, da die Kapitaleigentümer, indem sie das fünfte Recht behalten, Gefahren von ihrem Eigentum abwenden können und dadurch, daß sie die Rechte zwei bis drei behalten und hinsichtlich des ersten noch ein Übergewicht wahren, die Organisation der Unternehmung so bewerkstelligt werden kann, daß Kollusion zwischen Überwachenden und Überwachten nicht im Interesse der beiden Parteien ist. IV. Ein Ergebnis Wir können nunmehr als Ergebnis festhalten: Der staatsrechtliche Begriff der Wirtschaftsordnung stimmt mit dem volkswirtschaftlichen nicht überein. Er ist im übrigen als Folge der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts für Grundgesetzfragen irrelevant und kann daher auch von den Volkswirten unbeachtet bleiben. Im übrigen ist der Beitrag, den der Volkswirt zu den im Staatsrecht vorrangigen normativen Fragestellungen leisten kann, als relativ geringfügig einzuschätzen.
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Dagegen ist der rechtstheoretische OrdnWlgsbegriff, der oben anhand der einschlägigen Schriften von Hayeks entwickelt wurde, für das Grundgesetz Wld rechtspolitische EntwicklWlgen im GeltWlgsbereich seiner RechtsordnWlg von BedeutWlg. Er ist aber ein sehr abstrakter Begriff. Die konkreten FolgefWlgen, die wir aus der ihm zugehörigen Rechtstheorie gezogen haben, stehen weder im Gegensatz zur MitbestimmWlgsgesetzgebWlg noch zur RechtsprechWlg des VerfassWlgsgerichtes. Das MitbestimmWlgsgesetz ist kein Maßnahmegesetz, vielmehr integraler Teil einer historischen EntwicklWlg, stellt keinen Wlausweichlichen Oktroi dar Wld steht im übrigen als Folge der RechtsprechWlg des Gerichtes Wlter einem empirisch gefaßten Korrekturgebot. Für die neuer Wirtschaftssysteme ergibt sich so ein weiter, aber nicht Wlbegrenzter legislativer Wld wirtschaftspolitischer Ermessensspielraum. Versucht man endlich, WirtschaftsordnWlg noch konkreter als empirisch zugängliche Kategorie der Theorie wirtschaftlicher Rechtspolitik zu verwenden, Wld dem diente der Versuch einer Kombination der Kriterien von Alchian Wld Demsetz Wld der Kritik von Nozick, so besteht MitbestimmWlg als Institution diesen einigermaßen stringenten Test glänzend. Die konkreten MitbestimmWlgsinstitutionen widersprechen den so gefolgerten wirtschafts-ordnWlgstheoretischen Kriterien durchaus nicht. Das Konzept der WirtschaftsordnWlg kann damit für die Theorie der Wirtschaftspolitik in der Tat fruchtbar gemacht werden.
D. Der Unternehmer in der ökonomischen Theorie Der Ökonom stößt mit dem Versuch, den Unternehmer zum Gegenstand seiner Theorie zu machen, auf eine Schwierigkeit, die mit der Methode der ökonomischen TheoriebildWlg selbst zusammenhängt. Die ökonomische Theorie arbeitet ja mit Idealtypen41 , die nicht einzelnen, bestimmbaren Individuen entsprechen Wld deren HandlWlgsweise auch durchaus nicht getreu abbilden sollen. Der Homo oeconomicus ist eine theoretische Konstruktion Wld Abstraktion, die Gleichförrnigkeiten massenhaft auftretender individueller EntscheidWlgen in einem Modell integriert, von den Besonderheiten der Wlverwechselbaren Identität einzelner Individuen, ihren Beweggriinden Wld EntscheidWlgen aber absieht, weil Wld soweit sie im Gesamtprozeß nicht zum Tragen kommen. NWl ist eine solche Theorie, wie Schumpeter42 in klassischer Weise dargelegt hat, inhärent statisch. Eine Theorie der wirtschaftlichen EntwicklWlg aber muß gerade jene
41 42
Vgl. Weber, 1904. Vgl. Schumpeter, 1912, I.
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Besonderheiten individueller Handlungsweisen einfangen, die vom Durchschnittlichen abweichen und wirtschaftlichen Wandel initiieren. Abstrakt gesprochen heißen diejenigen Individuen, die ein solches initiierendes Verhalten zeigen, Unternehmer. In frühen Darstellungen der volkswirtschaftlichen Theorie wird der Unternehmer noch anders definiert. Hier erscheint er uns, etwa noch bei Pierstorff im achten Band der dritten Auflage des Handwörterbuchs der Staatswissenschaften (1911) als Mitglied " ... einer Klasse selbständiger Produzenten ( ... ), die unter Einsetzung eigenen Kapitalvermögens, in der Regel aber auch eigener Tätigkeit, ferner - soweit Bedürfnis und Möglichkeit gegeben sind - unter Heranziehung und Verwertung fremder Produktionsmittel oder Kapitalvermögensteile und fremder Arbeitskräfte die Produktion wirtschaftlicher Güter und Dienstleistungen auf eigene Rechnung und Gefahr betriebsmäßig organisieren und leiten, um in dem Überschuß der in verkehrsmäßiger Verwertung der produzierten Sachgüter und Dienstleistungen erzielten Erlöse Einkommen für sich zu erzielen.,,43 .
Pierstorff hält an dieser Definition fest, obgleich er sich bereits auf Arbeiten Schmollers, Portes, Sombarts und Wiedenfelds (sämtliche Nachweise dort) stützt, die freilich im Rahmen der historischen Schule der Nationalökonomie sehr nachdrücklich auf die Besonderheiten der Unternehmerfunktion fiir die wirtschaftliche Entwicklung hingewiesen hatten. 44 Die Definitionselemente, die Pierstorff aufzählt, sind nämlich sämtlich nicht fiir die Charakterisierung des Unternehmers und seiner Funktion in der wirtschaftlichen Entwicklung wesentlich. Auf jedes einzelne kann verzichtet werden. Der Unternehmer muß nicht selbständig sein, um Wandel zu erzeugen. 45 Er muß der Organisation, zum Beispiel der Unternehmung, die ihm zur Durchsetzung seiner Vorstellungen dient, nicht einmal juristisch verbunden sein. Er kann zum Beispiel wirtschaftslenkender Beamter sein. Er muß nicht Produzent sein, so daß er im eigentlichen Sinne wirtschaftlich werthafte Güter herstellte. Der Kriegsunternehmer fällt schwerlich in diese Kategorie, ist aber als Motor des wirtschaftlichen Wandels von entscheidender Bedeutung. 46 Der Unternehmer muß nicht eigenes Kapital einsetzen. Schumpeter ging sogar davon aus, er finanziere sich ausschließlich mit Fremdkapita1. 47 Er muß das Unternehmen,
Pierstorff, 1911, S. 95. Weitere Nachweise dazu bei Pütz, 1935, S. 12. 45 Vgl. Redlich, 1964, S. 103, passim. 46 Vgl. derselbe 1956; 1964, S.65; Soltow, 1968, S.87. 47 Vgl. Schumpeter, 1912, S. 208; 1934, S. 104; 1928, S. 485; 1929, S. 313. 43
44
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durch das der Wandel herbeigeführt wird, nicht selbst ins Werk setzen, sondern (nur) bestimmen und lenken. 48 Er muß nicht auf eigene Rechnung und Gefahr produzieren; Pareto etwa geht von der'Regel aus, daß der Unternehmer das Risiko seiner Unternehmungen abwälzt. 49 Die materielle Motivation kann völlig nebensächlich sein. 50 Insbesondere im Hinblick auf die Theorie des Unternehmergewinns ist die Feststellung wesentlich, daß Unternehmer und Kapitalgeber durchaus nicht identisch sein müssen. Sehr präzise liest man das bei Pareto: 51 Einige Autoren haben, und sie bestehen auch heute noch darauf, wenn von ,,Kapitalisten" die Rede ist, zwei ganz verschiedene Bedeutungen dieses Begriffes fortwährend erwechselt:
1. Eigentümer von Ersparnissen und solche Personen, die von den Zinsen aus ihrem Vermögen leben und 2. diejenigen, die in Unternehmen alles in Bewegung halten: die Unternehmer. Diese Verwechslung ist nun wirklich ein großes Hindernis für das Verständnis wirtschaftlicher Sachverhalte, und sogar noch ein größeres Hindernis für das Verständnis allgemein gesellschaftlicher Prozesse. Tatsächlich verfolgen nämlich diese beiden verschiedenen ,,Kapitalisten" oft diametral entgegengesetzte Interessen. Der Gegensatz ihrer Interessen kann sogar noch größer sein als der traditionelle Klassengegensatz zwischen "dem Proletariat" und "den Kapitalisten". Vom wirtschaftlichen Standpunkt aus ist es für den Unternehmer nur von Vorteil, wenn die Zinsen für die Ersparnisse und das Kapital, das er sich borgt, so gering wie möglich sind. Aus der Sicht der Sparer sollten sie so hoch wie möglich sein. Der Unternehmer profitiert davon, wenn die Preise seiner Produkte steigen, während Preissteigerungen anderer Produkte ihn oft wenig berühren, weil er sie durch eigene Preissteigerungen auffangen kann. Aber alle diese Preissteigerungen schaden dem Sparer. Steuern und Abgaben auf die Güter, die der Unternehmer produziert, schaden ihm auch wenig - manchmal nutzen sie ihm sogar, weil sie die Konkurrenz abschrecken. Aber sie schaden stets dem Konsumenten, dessen Einkommen aus Kapitalerträgen besteht. Im allgemeinen kann der Unternehmer die Kostenerhöhungen überwälzen, die drückende Steuern bei ihm verursachen. Derjenige, der nur von Kapitalerträgen lebt, kann dies nicht. Auch sind Lohnsteigerungen für den Unternehmer, der eine Fabrik betreibt, nur für eine bestimmte Übergangszeit unerfreulich, solange er an bestehende Verträge gebunden ist. Schließlich können sie durch spätere Preissteigerungen wieder ausgeglichen werden. In diesen Fällen haben die Unternehmer dieselben Interessen wie ihre Angestellten, und beide stehen in Konflikt mit den Kapitaleignern. Das gleiche Ygl. Redlich 1964, S. 158 ff., passim. 1935, § § 2232, 2316. 50 Ygl. Saumol, 1968, S. 68, passim; Schumpeter 1911, 172 ff
48
49 ygI. Pareto,
51
Ygl. Pareto, 1935, § 2231 (meine Übersetzung - 1. S.)
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gilt fiir Unternehmer und Beschäftigte in Sektoren, die sich staatlicher Protektion erfreuen ...
Abgesehen von diesen aus heutiger Sicht nur allzu geläufigen Koalitionen, deren Herausarbeitung Paretos ökonomische Gesellschaftstheorie charakterisiert, ist der Unterschied zwischen dem Unternehmer einerseits, dem Manager andererseits wesentlich, den Pareto und Schumpeter etwa zu gleicher Zeit unterstrichen. 52 Der Unterschied besteht darin, daß der Unternehmer als derjenige, der die Statik aufhebt und Änderungen der gegebenen Verhältnisse herbeifiihrt, sich grundlegend von dem Manager unterscheidet, der im Rahmen der bestehenden Verhältnisse versucht, so effizient wie möglich zu verfahren. 53 Technisch gesprochen handelt es sich darum, daß der Unternehmer die Produktionsmöglichkeiten neu gestaltet und bestimmt, während der Manager versucht, an die Grenze der Produktionsmöglichkeiten so nah wie möglich heranzukommen. Der Unternehmer gestaltet durch die ,,DurchSetzung neuer Kombinationen die vorhandenen wirtschaftlichen Möglichkeiten".54 Die neue Gestaltung der Produktionsmöglichkeitsgrenze erfolgt durch den Unternehmer in dessen Dispositionsfunktion, durch die Tätigkeit des Unternehmers, nämlich, ,,richtige Dispositionen" zu treffen,55 etwa im Rahmen der neuartigen Kombination von Produktionsfaktoren56 • Die Zitate und Verweise zeigen deutlich, worauf es bei einer Theorie des Unternehmers ankommt. Der Unternehmer ist der Typus eines wirtschaftliche Akteurs, durch den Dynamik erzeugt wird, durch dessen Handlungen sich Rahmenbedingungen verändern, der neue Kombinationen und Strukturen verwirklicht und so die Voraussetzung fiir Wachstum schafft, sei dies in wirtschaflicher oder politischer Hinsicht. Diese DefInition freilich hat eine Konsequenz, an der viele Wirtschaftstheoretiker vor allem in der Auseinandersetzung mit Schumpeter Anstoß genommen haben. Wenn man das Prinzip jenes Unternehmers, der das Bestehende in Frage stellt und das Neue verwirklicht, das sich schließlich nur durchsetzen kann, wenn es als besser akzeptiert und von den Managern bis ins letzte perfektioniert wird, zu Ende denkt, dann schafft der Unternehmer als Typus die Voraussetzung dafiir, daß seine Funktion irgendwann überflüssig werden muß. Dies fiihrte Schumpeter im zwölften Kapitel seines Buches "Capitalism, Socialism and Democracy" zu pessimistischen Einschätzungen der langfri-
52 Der Begriff des "Managers" freilich ist neueren Datums. Schumpeter unterschied in seiner Definition den Unternehmer als den "Mann der Tat auf wirtschaftlichem Gebiete" und den scheinbaren Leiter einer Unternehmung, den statischen "Wirt" (1911, S. 172). 53 Vgl. ebendort, S. I 58ff.
54 Ebendort, S. 158.
55 56
Vgl. ebendort, S. 178. Vgl. ebendort, S. 175.
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stigen EntwicklWlgsmöglichkeiten kapitalistischer Systeme57. Offensichtlich handelt es sich hierbei wn eine langfristige Spekulation in Bezug auf die strukturellen EntwicklWlgschancen eines ganzen Systems, nicht aber wn die apokalyptische CharakterisiefWlg einer bestimmten Gruppe wirtschaftlicher Akteure Wld gar eines einzelnen Berufsstandes. 58 Die VorstellWlg, eine Kette wirtschaftlicher oder sozialer VerbessefWlgen führe eines Tages dazu, daß ein optimum supremum erreicht sei, von dem aus weitere VerbessefWlgen nicht mehr möglich sind, setzt eine abgeschlossene Wld von Außeneinflüssen abgeschottete Gesellschaft voraus, die ihre eigene Identität wegen der Kontinuität der in ihr lebenden Individuen bewahrt Wld auch die Bewertilllgsmaßstäbe, nach denen ein solches Optimwn zu beurteilen wäre, nicht ändert. Ähnlich argwnentierte auch vor zwei Jahrzehnten Galbraith (1967, 88), der den Unternehmer als Apis mellifera bezeichnete. Er befruchte, indem er sich selbst vernichte. Dieser rhetorisch zu wertende Hinweis diente Galbraith dazu, auf seine EinschätZWlg hinzuweisen, derzufolge die ökonomische Funktion des Unternehmers nicht mehr bei einzelnen Persönlichkeiten, sondern im industrlel57 Das Kapitel trägt die bezeichnende Überschrift "Die Wände zeigen Risse" (Crumbling
Walls).
58 Die Möglichkeit eines solchen Mißverständnisses zeigt sich sehr deutlich bei Pütz, 1934. Da entsprechende Vorstellungen immer wieder anklingen, sei hier dem Wortlaut nach zitiert.
"Infolge der Konkurrenz hat der Unternehmergewinn diese Tendenz, sich selbst, das heißt seine volkswirtschaftliche Funktion und Bedeutung, zu beseitigen. Wir kommen also zu dem bemerkenswerten Ergebnis: Hohe Unternehmergewinne sind ein Zeichen für volkswirtschaftlich unfruchtbare Gliederung der Produktivkräfte. Da die sogenannte volkswirtschaftliche Funktion des Unternehmers sich in nichts unterscheidet von der Funktion des Gewinns, dürfen wir sinngesetzlich folgern: Der Unternehmer dient der Volkswirtschaft, indem er sich selbst beseitigt und überflüssig macht. In einer höchst produktiv geordneten Volkswirtschaft gibt es keine Unternehmer!, sondern nur Leiter von Betrieben, die sich ökonomisch nicht wesentlich von Arbeitern unterscheiden. Merkwürdig: Das ökonomische Wesen der Unternehmer liegt in der Selbstaufhebung zugunsten höchster volkswirtschaftlicher Produktivität. Diese sonderbare Folgerung deckt sich sinngemäß mit unserer früheren Feststellung, daß jene Spezies Mensch, die wir im Wirtschaftsleben Unternehmer zu nennen pflegen, "wesenlos" ist, wenn wir sie als ökonomische Funktion zu begreifen suchen. An dieser Stelle wird wieder einmal deutlich, wie tief die von Ricardo begründete Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsanschaung mit der kollektivistisch-sozialistischen Anschaung insbesondere Marxens zusammenhängt. Man denke: Der Unternehmer ist in seinem ökonomischen Wesen "eigentlich" unproduktiv, und in einer richtig gegliederten Volkswirtschaft gibt es für ihn keinen Raum - er wird zum Arbeiter. Nennen wir den Unternehmer "Kapitalist", dann haben wir hier den reinen Marx". (Pütz, 1934, S. 10 f.). Jedwede ökonomische oder gesellschaftliche Verbesserung (Pareto improvement) bedingt natürlich, daß, wenn sie durchgesetzt ist, die Aufgabe damit beendet ist und es sich darum handelt, an anderer Stelle oder auf dieser Verbesserung aufbauend weiter zu verbessern.
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len Zeitalter in der Technostruktur liege. Eine derartige funktionalistische Dichte vertritt auch Albach (1979). Albach versucht mit dieser Konzeption, wirtschaftspolitisch Aufschluß über die Analyse (wünschbarer) Unternehmensstrukturen zu gewinnen. Anders Galbraith, dessen Konzept der Technostruktur sich als methodisch problematisch, weil kaum präzise bestimmbar erwies. 59 Galbraiths Argumentation beruht auf der Vermengung der beiden Funktionen des Unternehmers einerseits, des Managers andererseits. 60 Dieselbe konzeptionelle Mischung der Funktionen beobachten wir bei den Begründern der jüngeren Chicago- oder Property-Rights-Schule der volkswirtschaftlichen Theorie der Unternehmung. Hier ist der Unternehmer zwar noch einerseits durch die in der Firma, die ein Spezialtypus der Unternehmung ist61 , bewirkte Koordinationsleistung der Produktionsfaktoren gekennzeichnet; er gestaltet eine Unternehmung als Organisation, die Kommunikation zwischen Produzierenden und die Koordination der Produktionsfaktoren besser zu leisten in der Lage ist als dezentrale marktliche Interaktion. 62 Andererseits sieht dieselbe Schule den Unternehmer als das Oberhaupt einer Hierarchie, dessen hierarchische Position ihm erlaubt, Produktionsprozesse effizient zu steuern, da die Chance, sich das Residuum anzueignen, ihn dazu beflügelt, nicht nur Prozesse optimal zu gestalten, sondern auch Untergebene effizient zu kontrollieren so, daß maximale Leistung (durch Kontrolle) sichergestellt wird. 63 Beide Ansätze nun sind aber ineinander verzahnte Elemente derselben volkswirtschaftlichen Theorie der Firma, in deren Begründungszusammengang wechselweise teils auf den Unternehmer (schwerpunktmäßig bei Coase), teils auf den Manager (schwerpunktmäßig bei Alchian & Demsetz) abgehoben wird, ohne daß diese Funktionen stets voneinander unterschieden würden. Die Konsequenz dieser Unterscheidung bestünde darin, daß der Alchian-Demsetzschen Variation die allokationstheoretische Begründung für die hierarchische Organisationform entzogen wäre, die alsdann nur noch auf einer Motivationstheorie beruhen könnte, die ökonomisch nicht ausreichend abgesichert und psychologisch energisch bestritten bleibt. 64 Die Grundlage für diese konzeptionelle Vermengung war bereits bei Frank Knight (1921) gelegt. Unsicherheit führe zu einer Spezialisierung ökonomischer Funktionen aufgrund vierer Tendenzen, deren enge Beziehung zueinander "of-
59
Vgl. Gäfgen, 1974b.
Vgl. insbesondere Galbraith, 1967, S. 92. Vgl. Backhaus, 1979,1. 62 Vgl. Coase, 1937. 60 61
63
Vgl. A1chian; Demsetz, 1972.
64
Vgl. auch Backhaus, 1979, II. 4.
22 Peters
338
Jürgen Backhaus
fensichtlich,,65 sei. Diese Tendenzen sind erstens eine Anpassung des Menschen an bestimmte Beschäftigungen aufgrund ihrer speziellen Kenntnisse und ihres Urteilsvennögens; zweitens eine ähnliche Auswahl aufgrund ihrer Fähigkeit, Entwicklungen richtig vorauszusehen, da einige Arten von Tätigkeiten diese Fähigkeiten dringend erforderten, während sie für andere nicht bedeutsam seien; hier ist das oben bereits angesprochene Problem der Erwartungsbildung zentral; drittens eine Spezialisierung innerhalb produktiverer Gruppen, die dazu führe, daß Personen mit überlegenen administrativen Fähigkeiten (managerial ability), konkretisiert als richtige Voraussicht und die Fähigkeit, andere zu kontrollieren, zur Leitung einer Gruppe berufen seien, die dann ihren Anweisungen folge; sowie viertens eine Spezialisierung zur Risikoübernahme aufgrund der Fähigkeit, Vertrauen in das eigene Urteil zu setzen und hinter eigenen Entscheidungen auch so zu stehen, daß sie durchgesetzt werden. Auch auf den folgenden Seiten wird Management und Unternehmentum wechselweise synonym gebraucht. 66 Das "offensichtliche" Zusammenfallen der Charakteristika, die teils typisch für Management, teils typisch für Unternehmertum sind, bleibt unbegründet.
Paretos Konzeption dagegen trennte Unternehmer und Manager scharf aufgrund einer Feinklassification psychischer Dispositionen - hier insoweit methodisch ähnlich zu Knight. Psychische Dispositionen heißen bei Pareto ,,Residuen" (da sie sich einer ökonomischen Erklärung verschließen). Unternehmer sind durch die erste Klasse von Residuen gekennzeichnet, in der Elemente zusammengefaßt sind, die allesamt darauf hinauslaufen, daß die Bildung von Kombinationen von vorher nicht zusammengehörigen Einzelerscheinungen die besondere Fähigkeit der so Charakterisierten alli1macht, also Kombinationen von Ideen, Fakten, Sachverhalten etc., während die Manager eine zum Teil mit Risikoscheu gepaarte Beharrlichkeit (Residuum der Klasse 11: Persistenz) kennzeichnet. 67 Diese Versuche, den Unternehmer in der ökonomischen Theorie zu bestimmen, sind sämtlich klassifikatorischer Art. Sie sind empirisch nur teils punktuell68 , teils systematisch im Wege von Einzelstudien69 abgesichert, aber es kann nicht davon gesprochen werden, daß es sich um eine ökonomische Theorie im modernen empirisch positiv verstandenen Sinne handele. Erhärtete Hypothesen betreffen Entwicklungstendenzen, sind aber nicht ohne weiteres zum Beispiel ökonometrisch überprüfbar. Dies hängt mit den eingangs dargelegten methodi-
65 Knight, 1971, S. 270. Vgl. ebendort, S. 282, passim. Vgl. Pareto, 1935, § 2233; Sarnuels, 1974, S. 67 ff. 68 Vgl. Pareto, 1935. 69 Vgl. Redlich, 1964. 66 67
Ordnung, Unternehmer und Stil
339
schen Schwierigkeiten aufs engste zusammen. Dagegen bieten diese Ansätze Möglichkeiten des Verständnisses der Bestimmungsgründe fiir die Dynamik wirtschaftlicher - und gesellschaftlicher - Abläufe. Im folgenden Abschnitt sollen diese Abläufe näher untersucht und einer verfahrenstheoretischen Interpretation unterzogen werden.
E. Kombination und Informationsübertragung: eine verfahrenstheoretische Interpretation Die moderne Wirtschaftswissenschaft hat sich von einer Theorie des Marktes, zu der alsbald eine Theorie der plangesteuerten Ökonomie hinzutrat, allgemein zu einer Theorie der Entscheidungsverfahren zweckgerichtet handelnder Individuen entwickelt. Da Entscheidungen allemal Kommunikation voraussetzen, schließt dies eine (komperative) Theorie der Kommunikations- und Entscheidungsverfahren ein. 70 Im Mittelpunkt stehen solche Verfahren, deren Ergebnis über Allokation und Verteilung von Gütern entscheidet. Güter sind in allgemeiner Definition Handlungsalternativen, die Individuen positiv bewerten in dem Sinne, daß sie es vorziehen, über diese Handlungsalternativen zu verfügen im Gegensatz zu der Situation, in der ihnen diese Handlungsmöglichkeiten nicht offenstehen. Eigenartig an dieser Theorie ist freilich, daß sie zwar eine Theorie über Verfahren ist, daß Verfahren selbst aber nicht zum Gegenstand der Analyse gemacht werden. Damit soll gesagt werden, daß zwar die Struktur des Verfahrens, die Bedingungen seines Ablaufs etc. Gegenstand der Analyse sind, nicht aber der Ablauf des Verfahrens selbst. Diesen Zustand hat u. a Kirzner (1978) fiir die Markttheorie kritisiert und zum Ausgangspunkt seines Vorschlages gemacht, die Lücken durch die Einfiihnmg des Idealtyps "Unternehmer" auszufüllen. In Anlehnung an die durch Schumpeter und Pareto begründete Tradition, unter starker Einbeziehung vor allem aber auch des Schrifttums von Mises' erscheint der Unternehmer als Motor jener Abläufe, an deren Endpunkt die wirtschaftliche Neuerung steht. So erscheint der Unternehmer wieder als Motor des wirtschaftlichen Fortschritts. Diese personalistische Sicht wird in letzter Zeit verstärkt kritisiert, zum Beispiel von Albach (1979). Er sieht - wie übrigens auch Schwödiauer (1980) nicht den Unternehmer, sondern die Unternehmung als Ort, an dem analystisch der Motor des Wandels festzumachen ist. ,,Das moderne innovative Unternehmen weicht ( ... ) in allen Punkten von dem Bild des dynamischen Unternehmers ab, das Schumpeter gezeichnet hat. Der Ruf nach dem "Schumpeter-Unternehmer" in der Wirtschaftspolitik ist daher sowohl auf nostalgische Verklärung der ge-
70
22'
Vgl. Badehaus, 1977.
340
Jürgen Backhaus
sellschaftlichen Bedingungen des neunzehnten JahrhWlderts als auch auf mangelnde Kenntnis der Innovationsprozesse in der modemen UnternehmWlg zurückzufiihren".71 Stattdessen gibt Albach sieben Bedingungen als Merkmale des innovativen Unternehmens an72 Wld gelangt damit wiederum zur BeschreibWlg der Strukturen, in denen Innovationen stattfinden. Diese Bedingungen sind: Gegenüber dem personalistischen Ansatz der neu-österreichischen Schule hat Buchanan kritisch eingewandt, die Rolle des Unternehmers sei keineswegs stets eindeutig positiv aus ökonomischer Sicht bestimmbar. Buchanan Wlterscheidet den wahren Wld den neuen Unternehmer (newand true entrepeneur). Diese UnterscheidWlg kann für Wirtschaften im Umbruch besonders wichtig sein. Um den Unterschied zu demonstrieren, konstruiert Buchanan einen Fall, in dem die RegierWlg einmal Geldwertstabilität erhält, zum anderen nicht. Beide Unternehmer zeichnen sich nWl dadurch aus, daß sie Gewinnchancen entdecken Wld realisieren. Der "wahre" Unternehmer tut dies in der gewohnten Weise, so daß nWl eine neue wirtschaftliche Kombination erprobt wird, die sich alsdann als VerbesserWlg erweist. Der ,,neue" Unternehmer dagegen wird als eine Person charakterisiert, die die WirkWlgen einer wirtschaftspolitischen Maßnahme der RegierWlg richtig antizipiert Wld daraus einen wirtschaftlichen Gewinn zieht. In dem von Buchanan diskutierten Fall wird eine SteigerWlg der Inflationsrate durch Spekulation mit Realwerten zur Einnahmequelle. Buchanan erkennt hier besorgt die Möglichkeit, daß bei Nichtidentität des "wahren" mit dem ,,neuen" Unternehmer sich die relativen Anreize zu Lasten des "wahren" Wld zugWlSten des ,,neuen" Unternehmers verschoben haben. Während der "wahre" Unternehmer der Wirtschaft reale Wachstumspotentiale eröffnete, tut dies der ,,neue" Unternehmer nicht, der vielmehr bestimmte Schwachstellen der politischen WirtschaftssteuerWlg eigenwirtschaftlich ausnutzt. Die negative BeurteilWlg beruht aber darauf, daß ein neuer Akteur, die RegierWlg, eingefiihrt wurde, auf deren Verhalten der ,,neue" Unternehmer reagiert. Tatsächlich beruht das Beispiel auf der Interdependenz politischer Wld wirtschaftlicher EntscheidWlgsprozesse, die von einem Unternehmer genutzt wird. Durch politische Aktion werden wirtschaftliche Daten verändert. Auf diese VeränderWlg der Umstände reagiert der ,,neue" Unternehmer so, daß sich ein neues Gleichgewicht einstellt. Zur BeurteilWlg Wlter wirtschaftlichen Gesichtspunkten vergleiche man beide Fälle:
71 Albaeh, 1979, S. 547. 72
Vg1. ebendort, S. 546f.
Ordnung, Unternehmer und Stil
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a) Die Regienmg erhöht die Inflationsrate unbemerkt und b) die Erhöhung der Inflationsrate wird vom ,,neuen" Unternehmer realisiert und entsprechend ausgenutzt.
Im ersten Fall herrscht beim Publikum Geldillusion aufgnmd einer relativ zu hohen Bewertung der mittlerweile vermehrten (und daher im Wert gesunkenen) Geldbestände. Im zweiten Fall dagegen korrigiert der ,,neue" Unternehmer durch sein Verhalten die Preisverhältnisse zwischen Geld- und Realwerten. Die Spekulation des ,,neuen" Unternehmers führt dazu, daß die Preise der Realwerte entsprechend der Vermehnmg der Geldmenge nach oben angepaßt werden, daß also das Austauschverhältnis zwischen Geld- und Realwerten wieder in Richtung auf das alte Austauschverhältnis hin angepaßt wird. Vorausgesetzt, das ursprüngliche Austauschverhältnis entsprach den Bewertungen der Wirtschaftssubjekte unter korrekter Einschätzung der verfiigbaren Mengen, wird durch das Verhalten des ,,neuen" Unternehmers das ,,richtige" Austauschverhältnis wieder hergestellt. Diese unternehmerische Leistung ist volkswirtschaftlich wertvoll und begrenzt im übrigen die Wirksamkeit der von Buchanan kritisierten Regienmgspolitik. Auch im Tranformationsprozeß spielt der ,,neue" Unternehmer eine wichtige Rolle, die je nach Standpunkt natürlich sehr unterschiedlich bewertet werden kann. Der ,,neue" Unternehmer ist ein politischer Unternehmer in dem Sinne, daß er eine Brücke zwischen Wirtschaft und Politik schlägt. Die Ergebnisse der politischen Entscheidungen werden in ihrer Wirkung auf die Wirtschaft erkannt und der ,,neue", politische Unternehmer reagiert dem Funktionsprinzip der Wirtschaft entsprechend in der politisch-ökonomischen Interdependenz
Exkurs: Umsetzung von Wirtschaftstheorie in Wirtschaftspolitik Auf einen Spezialfall politischen Unternehmertums sei hier eigens eingegangen, weil er in unmittelbarem Zusammenhang mit der Bewertung politischer Aktion durch die Wirtschaftstheorie und die Theorie der Wirtschaftspolitik steht. Diese Bewertung schließlich gab ja Buchanan Anlaß zu seiner negativen Einschätzung des ,,neuen" oder "politischen" Unternehmers. Buchanans Unternehmer war aufgnmd seiner Brückenfunktion zwischen wirtschaftlichem und politischem Bereich wirksam. Einen anderen Fall des Überlappens politischer und wirtschaftlicher Prozesse beobachten wir dort, wo die Wirtschaftstheorie mit der Wirtschaftspolitik in Beruhnmg gerät. Die Wirtschaftswissenschaft selbst läßt sich als ein kommunikatives System auffassen, dessen Ergebnisse unter Wettbewerbsbedingungen intern determiniert werden. Soweit sie empirisch
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Jürgen Backhaus
ausgerichtet ist, reagiert die Wissenschaft als kommunikatives System auf die beobachtete Realität der Wirtschaft, die ihrerseits teilweise von der Wirtschaftspolitik gesteuert wird. Nun beruht die Chance einer wirkungsvollen Politiksteuerung auf der Kenntnis der wirtschaftlichen Abläufe und der Determinanten dieser Prozesse. Diese Kenntnis wird in der Wirtschaftswissenschaft hergestellt. Wissenschaftspolitische Unternehmer rezipieren diese Kenntnis und vermitteln sie wirtschaftspolitischen Akteuren, die sie ihrerseits umsetzen und das wirtschaftliche Gefüge dadurch verändern. Durch Rückkoppelung kann daraufhin wieder eine andere Wirtschaftstheorie, die entsprechend von wissenschaftspolitischen Unternehmern weitergetragen wird, entstehen, USW. 73 Wiederum handelt es sich um einen Fall, in dem Unternehmer als Brücke zwischen kommunikativen Systemen Wandel erzeugen, einen Wandel, der sich unter dem Gesichtspunkt der Funktionenweise je eines einzelnen Systems nicht ohne weiteres einer Beurteilung erschließt. In diesem Fall ist zum Beispiel die Beurteilung der wirtschaftspolitischen Eingriffe einer demokratischen Regierung wirtschaftstheoretisch ebenso strittig wie die Beurteilung des Verhaltens der wissenschaftspolitischen Unternehmer unter dem Blickwinkel einer praktischen Wissenschaftstheorie oder Wissenschaftsethik. Unzweifelhaft ist aber, daß an Punkten des Überlappens kommunikativer Systeme Unternehmer Aktionschancen erkennen und Wandel zu erzeugen vermögen. 74 Dieser Fall des Beraters als Unternehmer zeigt deutlich, welche Rolle dem Unternehmer nicht nur in der Ökonomie, sondern allgemein in der Gesellschaft zukommt: Völlig im Einklang mit Leibensteins Definition: 75 ,,By N-entrepeneurship we rnean the activities necessary to create or carry on an enterprise where not all the rnarkets are weil established or clearly defined and/or in which the relevant parts of the production function are not cornpletely known. In both cases the entrepeneur co-ordinates activities that involve different rnarkets; he is an intermarket operator. But in the case of N-entrepeneurship not all the rnarkets exist or operate perfectly and the entrepeneur, ifhe is to be successful, rnust iill in for the market deficiencies...76
73 Richard Portes wies in dem oben zitierten Jena Vortrag (1994) daraufhin, daß viele der Berater der Regierungen östlicher Wirtschaften im Umbruch vor allem Anglo-Amerikanischer Herkunft als Referenz ihre Beratererfahrung in Latein-Amerika gebrauchen; das heißt, hier wird der kategoriale Fehler gemacht, Wirtschaften im Umbruch mit solchen in der Entwicklung "bei im Prinzip gleichem Wirtschaftssystem" zu verwechseln. 74 Vgl. Frey, 1979.
75 Leibenstein, 1968, S. 73. 76 Die Bezeichnung N-Unternehmer steht im Gegensatz zu R-Unternehmer; dies ist in Leibensteins Terminologie die Unterscheidung zwischen Manager (R-Unternehmer) und Unternehmer (NUnternehmer).
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erscheint WlS der Unternehmer als tätiges Bindegleid zwischen zwn Teil nur unvollkommen arbeitenden Verfahren. Dies gilt nicht nur fiir die Handlungen des Unternehmers in der Wirtschaft als Mittler zwischen verschiedenen Märkten; sondern allgemein fiir die Tätigkeit des politischen Unternehmers in der Gesellschaft. Hier verknüpft er in sich abgeschlossene Teilsegmente mit jeweils eigener Interaktion und wirkt damit sowohl als Brücke zwischen verschiedenen Verfahren als auch als Motor gesellschaftlichen Wandels.
F. Gleichgewicht und Wohlfahrt In der politischen Ökonomie gehört die Vorstellung von einem zunächst wirtschaftlichen, dann aber auch politisch-sozialen Gleichgewicht zu den tragenden Konzeptionen. Solange nicht ein Gleichgewicht erreicht ist, ist damit zu rechnen, daß zwn Teil sich gegenseitig bedingende sowie - durch Aktion und Reaktion - erzeugende Anpassungsprozesse fortlaufen bis zu genau jenem Punkt, in dem wiederum ein Gleichgewichtszustand erreicht wird. Die theoretische Schwierigkeit mit dieser Gleichgewichtskonzeption besteht darin, daß sie eine sowohl positiv-empirische als auch eine normative Interpretation besitzt. 77 Empirisch gesehen erfreuen sich die Teilnehmer an einem Verfahren, also etwa Akteure am Markt, Wettbewerber im politischen System etc. eines Nutzenmaximums in dem Sinne, daß eine Möglichkeit der Nutzensteigerung durch Bewegungen fort von diesem Gleichgewichtszustand unmöglich ist, ohne daß nicht einzelne, genauer mindestens ein anderer, Teilnehmer an dem Verfahren schlechter gestellt würden. 78 Dieses Gleichgewicht bliebe im Prinzip auch erhalten, wenn sich nicht - und solange, wie sich nicht - Änderungen ergeben, die neue Bewegungen möglich machen. Diese Möglichkeit ist wiederum empirisch zu verstehen als die Chance, daß sich einzelne Mitglieder des betrachteten Systems - oder Teilnehmer an dem betrachteten Verfahren - durch Veränderung besserstellen können, ohne daß andere benachteiligt werden. Es erscheint mir nun wesentlich festzuhalten, daß diese sich sozusagen praktisch von selbst realisierenden Möglichkeiten grundsätzlich zu unterscheiden sind von rein hypothetischen Möglichkeiten. In den bisherigen Ausfiihrungen
77 Richard Portes zum Beispiel interpretiert in demselben Jena Vortrag Stabilität im Umbruchsprozess als positiven Wohlfalutsindikator. Alternativ könnte man davon sprechen, die Apathie der erst und dann an Staatswirtschaften gewöhnten Bürger sei bedrohlich im Hinblick auf die Entwicklung von Freiheit, Demokratie und Marktwirtschaft, die Initiative, selbständiges Denken und Unternehmertum verlangen. Beide Interpretationen sind natürlich plakativ, und nur eine an Einzelheiten orientierte Analyse wird zu einem deutlicheren Bild führen können. 78 Vgl. Pareto, 1971, VI § 33.
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JÜfgen Backhaus
war der Nutzenbegriff eine rein empirische Kategorie, der mehr das Ergebnis eines individuellen Kalküls über Wünschbares und Mögliches faßbar machte, statt Interessen und Chancen ihrer Durchsetzung. Statt Nutzen kann man Interesse lesen. Dieser Nutzenbegriff hat keinerlei normativen Gehalt. Denn es handelt sich um eine begrenzte Interessendokumentation. Aus der Sicht eines bestimmten Systems, etwa im Bereich der Wirtschaft, kann ein Nutzenmaximum in Gestalt eines Interessenausgleichs, der zu einem Gleichgewicht gefiihrt hat erreicht sein, ohne daß, wenn man Kriterien aus anderen Verfahren, etwa die Ergebnisse politischer Abstimmungen, als Maßstab daran heranträgt, von einem Nutzen- (oder Wohlfahrts-)Maximum gesprochen werden könnte. 79 Folglich unterschied Pareto im Rahmen seiner Gleichgewichtsanalyse "tatsächliche" Bewegungen als Bewegungen fort vom Gleichgewicht, die in dem genannten Sinne zu einer Verbesserung führen, von ,,möglichen" Bewegungen, die zwar als Ergebnis und Konsens aus anderen kommunikativen Verfahren, etwa als politischer Entscheid, als wünschbare Verbesserung einer bestimmten Gleichgewichtssituation angegeben werden können, sich aber nicht in dem paretianischen Gleichgewichtssinne verwirklichen lassen, daß durch KaldorlHicks Bewegung niemand schlechter aber mindestens eine Person bessergestellt wird. Da nun über die Funktionsweise der Wirtschaft relativ viel, über die Funktionsweise anderer Prozesse dagegen relativ wenig bekannt ist, hielt es Pareto fiir richtig, sich zunächst auf das ökonomische Gleichgewicht zu beschränken (Pareto-Kriterium), auf die anderen Qualifikationen hinzuweisen, sie aber des weiteren nicht mehr zu beachten. Diese Unterscheidung sei auf die Charakterisierung der Funktion des Unternehmers angewendet. Seine Funktion besteht darin, um noch einmal die Worte Leibensteins (1968) zu paraphrasieren, in unvollkommen funktionierenden Verfahren das Unvollkommene zu überwinden und voneinander getrennt ablaufende Verfahren miteinander zu verknüpfen, etwa verschiedene Teilmärkte oder auch verschiedene gesellschaftliche Sub-Systeme, etwa Politik und Wirtschaft. Auf den Märkten besteht die Funktion des erfolgreichen Unternehmers darin, bei Marktversagen durch eigene Organisationsleitung ein besseres Ergebnis zu erzielen. Hier kann illustrativ auf die Ausführungen Coases noch einmal verwiesen werden. Auf die unternehmerische Entscheidung geht schließlich die Gründung eines Unternehmens zurück, das dann entsteht, wenn an bestimmten Punkten Marktversagen (öffentliche Güter, externe Effekte, zunehmende Skalenerträge, usw.) auftritt und im Rahmen einer geeigneten Organisation, hier im Rahmen eines Unternehmens, behoben werden kann, vorzugsweise so, daß der faktische Eigner der Organisation daraus einen Vorteil ziehen kann. Die Funk-
79
Vgl. im einzelnen Badehaus, 1980b, II, m.
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tion des Unternehmers besteht also darin, den Kranz der tatsächlichen Bewegungsalternativen um weitere anzureichern, die aus dem Bereich des rein Möglichen und Vorstellbaren in den Bereich des im Rahmen dieses Verfahrens Faßbaren und Verwirklichbaren gerückt werden. Stellt sich in einem Verfahren das paretianische Gleichgewicht sozusagen von selbst ein, so geschieht hier etwas neues: die von Unternehmern verwirklichten Lösungen sind solche, die sich nicht von selbst einstellen, weil sie zuvor nicht zum Kranz des Denkbaren, Möglichen und im Rahmen dieses Verfahrens Verwirklichbaren gezählt wurden. So erweitert der Unternehmer durch seine unternehmerische Initiative den Möglichkeitsraum und er schafft auf diese Weise die Voraussetzung für stets weitere Nutzenverbesserungen. Die unternehmerische Initiative ist Voraussetzung für Wohlfahrtssteigerungen. Auch hier begegnet uns übrigens wiederum das Paradoxon der Selbstzerstörung des unternehmerischen Tätigkeitsbereiches. So wie Verfahrensversagen durch eine bestimmte Organisation (etwa: Gründung einer Unternehmung) geheilt, neue Alternativen bekannt und mögliche BewegUngen zu tatsächlichen Bewegungen geworden sind, etabliert sich ein neues Gleichgewicht wiederum "von selbst". Der Unternehmer hat hier seine Aufgabe verwicklicht, es ist nun Aufgabe des Managers oder, in Schumpeters Terminologie: des "Wirts", die neugestalteten Möglichkeiten voll auszuschöpfen und an die Grenze der nunmehr neu gestalteten Möglichkeiten zu gehen. Diese Ausführungen gingen davon aus, daß in einer Gesellschaft verschiedene Sub-Systeme verfahrensmäßig organisiert sind, in denen Entscheidungen getroffen werden, die über Allokation und Verteilung von "Gütern" (im ökonomischen Sinne von "Opportunitäten") befmden. Der Unternehmer ist die Person (oder Gruppe von Personen), die entweder in einzelnen Verfahren Verfahrensmängel überwindet, oder aber verschiedene, voneinander getrennt ablaufende Verfahren miteinander verknüpft. Diese Verknüpfung freilich bleibt nur partial und führt regelmäßig nicht zur völligen Integration der so verknüpften Verfahren. Das hat vor allen Dingen die Konsequenz, daß durch Verfahrensverknüpfung um neue, tatsächlich zu verwirklichende Alternativen angereicherte Teilverfahren ihrerseits nicht "von selbst" ein allgemeines, umfassendes gesellschaftliches Optimum (Optimum supremum) verwirklichen, sondern lediglich durch marginale Bewegungen fortentwickelte Teiloptima. Hier findet auch die Chance des Unternehmers, durch seine Initiative die Voraussetzung für Wohlfahrtsverbesserungen zu schaffen, ihre Grenze. Entscheidungen über allgemeine gesellschaftliche Optima können nur im Rahmen von konstitutionellen Entscheidungen getroffen werden, durch die jene Verfahren geschaffen werden, in denen sich Optima "von selbst" einstellen und deren Versagen und mangelnde Integration dann ihrerseits von Unternehmern partial und inkremental überwunden werden kann.
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G. Politische Unternehmer Einleitend waren politische Unternehmer als Bewegungselement des politischen Prozesses bezeichnet worden. Der politische Prozeß wird hier vor allem im Gegensatz zwn Marktgeschehen definiert als all jenes interaktive Handeln, das wir im politischen Bereich beobachten können. Es ist also nicht nur von geregelten Abstimmungsverfahren, wie zwn Beispiel Wahlen, die Rede, und wir beschränken uns auch nicht auf das Verhalten von bzw. in bestimmten zuvor ausgewählten und abgegrenzten Institutionen. Dann müßten wir nämlich befürchten, definitorisch etwas ausgeschlossen zu haben, das sich später als der Ort erweist, an dem die Dynamik politischer Abläufe erzeugt wird. In der Volkswirtschaftslehre ist es üblich, den politischen Prozeß dichotomisch dem Marktprozeß gegenüberzustellen. Während der Marktprozeß die Allokation privater Güter regelt, wird der politische Prozeß als ein analoges Verfahren geschildert, das über die Allokation öffentlicher Güter entscheidet. Öffentliche Güter sind bekanntlich jene, die die angenehme Eigenschaft haben, daß ihr Konsum durch einen Bürger den gleichzeitigen Konsum durch einen anderen nicht ausschließt. Diese Eigenschaft hat aber noch eine unangenehme Kehrseite. In großen Gruppen, in denen die einzelnen Gruppenmitglieder einander nicht persönlich bekannt sind und sich auch nicht an ihre Pflichten gegeneinander erinnern können, ist es nicht immer sicher, daß öffentliche Güter in ausreichender Menge oder überhaupt bereitgestellt werden. In der Regel ist es so, daß, wenn der Konsum durch einen Bürger den Konsum durch einen anderen nicht ausschließt, der andere von diesem Konsum auch nicht ausgeschlossen werden kann. Das hat aber zur Folge, daß sich jeder Bürger die Frage vorlegen wird, ob er seinen Anteil an den Kosten der Bereitstellung des öffentlichen Gutes tragen will. Schließlich kann er auch dann konsumieren, wenn er seinen Beitrag nicht bezahlt hat, da er - wie angenommen - vom Konsum nicht ausgeschlossen werden kann. Auf diesem Zusammenhang beruht Olsons (1965) Überlegung, daß es in großen Gruppen zwn Angebot öffentlicher Güter nur dann kommen wird, wenn man entweder die einzelnen Gruppenmitglieder zu ihrem Beitrag zwingen kann oder aber die Mitgliedschaft in einer Organisation, die das öffentliche Gut bereitstellt, durch den Verkauf spezieller privater Güter oder Dienstleistungen an die Mitglieder sichergestellt wird, aus deren Erlösen dann die Produktion des öffentlichen Gutes finanziert wird. Man kann sagen, daß diese Analyse und die darauf gründende Beurteilung von der Mehrzahl der interessierten Wissenschaftler geteilt wird. Sie liefert unter anderem die Begründung für so unterschiedliche Institutionen wie das staatliche Steuerprivileg oder das Closed Shop-System, das die Gewerkschaftsmitgliedschaft in einem bestimmten Betrieb zur Regel macht, weil - und solange - diejenigen Arbeitnehmer, die nicht Gewerkschaftsmitglieder sind, von den gewerkschaftlich ausge-
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handelten Lohnsteigenmgen, einem öffentlichen Gut fiir die gesamte Gruppe, nicht ausgeschlossen werden können. Diese Analyse beruht auf der - in der Regel nicht besonders ausgeführten Vorstellung, eine bestimmte Aktivität finde gleichsam im unstrukturierten politischen Raum statt und es bedürfe zur Organisation der Bereitstellung eines bestimmten öffentlichen Gutes zunächst einer Organisationsleistung so, daß die Gruppe der Nutznießer zusammengefaßt werden müsse. Da dies insbesondere fiir große (latente) Gruppen schwierig sei, unterbleibe auch deren Organisation mit der Folge ihrer Unterversorgung mit öffentlichen Gütern; so die Analyse Olsons (1965). Ähnliche Vorstellungen wiederholen sich allenthalben in der Literatur, etwa bei Frohlich, Oppenheimer und Young (1971) oder Eschenburg (1965). Dies ist umso erstaunlicher, als sich die beiden letztgenannten Arbeiten gerade mit dem Aspekt der Bereitstellung öffentlicher Güter durch einen politischen Unternehmer beschäftigen. Bei Frohlich, Oppenheimer und Young wird dies so dargestellt, als errichte der politische Unternehmer eine Organisation, und mit Hilfe dieser Organisation das erstrebte Ziel der Bereitstellung eines öffentlichen Gutes zu verwirklichen. Im Laufe der Analyse wird dann freilich die Organisation selbst wichtiger als der Unternehmer, von dem uns verschiedene Typen erscheinen80 , deren Charakteristika sich in der Kostenfimktion der Unternehmung in einem Verhaltensausdruck (the behavioral term b) niederschlagen, dessen Wert im wesentlichen die Dynamik (aber auch Risikonähe) des Managers der Unternehmung bezeichnet. Bei Rolf Eschenburg (1975) geht es zunächst um die Suche nach einem ,,Koordinations-Mechanismus fiir das Problem der gemeinsamen Produktion öffentlicher Güter,,81 , also wiederum eine Organisation, die von einem "politischen Unternehmer" als initiativem Organisator82 instituiert wird. Der Unternehmer ist auch hier der Schöpfer einer Organisation, eines politischen Unternehmens, in dem die Bereitstellung eines öffentlichen Gutes organisiert wird. Das Anreiz-Beitragsproblem wird in dieser Organisation durchaus im Rahmen der Olsonschen Bedingungen gelöst, die verlangten, daß entweder ein einzelnes Mitglied zum Beitrag gezwungen werden müsse oder aber durch Kauf eines privaten Gutes zur Produktion des öffentlichen beitragen. Frohlich, Oppenheimer und Young (1971) formulieren auf dieser Basis ein politisches Organisationsmodell, das zudem noch freiwillige Leistungen einschließt. Dann gibt es offensichtlich einen Irade off zwischen dem Dringen auf freiwillige Leistungen und Anwendung von - auf Gebühren gerichtetem - Zwang bei der Optimienmg
80 ygl. Frohlich, Oppenheimer, Young, 1971, S. 46ff. 81 Eschenburg, 1975, S. 286 (meine Hervorhebung - 1. S.). 82 Ygl. ebendort, S. 289.
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des Einsatzes des Lock-Droh-Potentials. Im Grundsatz ist die Analyse aber die gleiche. Sie bleibt auf Organisationen (Unternehmen) gerichtet, die der Bereitstellung öffentlicher Güter dienen. Die Frage, die wir uns eingangs vorgelegt hatten, lautete aber nach den Bestimmungsgründen des Wachstums von Organisationen im politischen Sektor, dessen Zeuge wir in den letzten Jahren zunehmend geworden sind. Wo sind die dynamischen Elemente, die dieses Wachstum erzeugen? Es fällt uns schwer zu glauben, eine Vielfalt neuer Organisationsformen könne das Wachstum bewirkt haben. Einen Lösungshinweis finden wir wieder bei Schumpeter83 , der in seiner "anderen Demokratietheorie" darauf hinwies, daß politische Unternehmer, eine bestimmte Idee verwirklichend, ein Problem schaffen, und mit diesem Programm eine Organisation, Unternehmung oder Partei übernehmen; daß ihnen diese Organisation gleichsam zufällt, wenn - und nachdem dem Unternehmer mit seinem Programm Erfolg zuteil geworden ist. 84 Hier setzte auch Richard E. Wagner in seiner Kritik an Mancur Olsons Logik des kollektiven Handeins an. Er schlug folgendes Gedankenexperiment vor. Vorausgesetzt, jede Bereitstellung eines öffentlichen Gutes erfolge über die Organisation einer bestimmten Gruppe, einer Interessengruppe. Was geschieht, wenn diese fortfällt? Nach einem gesetzlichen Verbot solcher Gruppen müßten wir einen merklichen Unterschied feststellen. Insbesondere breite Gruppen mit Organisationsnachteil erleiden - so müssen wir beobachten - eine relative Unterversorgung mit öffentlichen Gütern. Ist dieses Ergebnis wahrscheinlich? Im Gegenteil: Es ist damit zu rechnen, daß politische Unternehmer in die Bresche springen. Diese Erwartung ergibt sich aus der Beobachtung, daß es große Gruppen gibt, die, obwohl nicht oder nur schwach organisiert, gleichwohl beträchtliche öffentliche Güter auf sich vereinigen. Wie ist dies möglich? Um dies zu erklären, ist es sinnvoll, wieder an die Ausführungen über den Unternehmer in der ökonomischen Theorie anzuknüpfen. Dort war es unter anderem darum gegangen darauf hinzuweisen, daß der Unternehmer nicht unbedingt in einem von ihm gegründeten, oder von ihm betriebenen Unternehmen tätig sein muß. Es ist durchaus denkbar und auch nicht selten, daß ein Unternehmer außerhalb eines Unternehmens tätig ist, und nur ihm zu Gebote stehende Mittel dazu einsetzt, Neues zu strukturieren und Wandel zu gestalten. Eine Sicht, die den Unternehmer mit der Organisation der Unternehmung ver83
Vgl. Schumpeter, 1946, XII.
Vgl. ebendort, S. 276 ff., mit Beispielen aus der politischen Geschichte des ausgehenden 19. Jahrhunderts. 84
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schmelzt, verstellt den Blick auf das eigentlich wesentliche Element des Dynamischen, des Wandels. Was für die ökonomische Theorie galt, gilt ebenso für die Politik. Auch hier sind Unternehmer tätig, die in Institutionen wirken, die lange vor ihnen schon bestanden haben. Abgeordnete schaffen nicht einen besonderen Wahlkreis, Ausschußvorsitzende sind nicht Väter der Idee, diese Ausschüsse zu gründen, Oppositionsführer verfügen über Einfluß mehr trotz als wegen ihrer Rolle als Chef einer bestimmten Organisation, Kandidaten müssen noch nicht einmal aufgestellt sein, um bereits politisch zu wirken, oder bei Erfolg können sie gleichwohl systematisch von der Regierungsverantwortung ferngehalten werden, ohne deshalb ihren Einfluß einbüßen zu müssen. Weniger nicht-wettbewerbliche Prozesse, die mit Drohung und Zwangarbeiten, als wettbewerbliche Prozesse sind es, die in Wirtschaft wie Politik politischen Unternehmern die Möglichkeit geben, Wandel zu erzeugen. 85 Diese wettbewerb lichen Prozesse halten in der Politik wie in der Wirtschaft Prämien bereit, in der Politik den politischen Profit. Der politische Profit besteht in Stimmen, die den Zugang zu Ämtern gewähren, die ihrerseits Einfluß eröf'fuen, der zu weiteren politisch gestaltenden Maßnahmen verwendet werden kann. Es ist, worauf ursprünglich Schumpeter86 hinwies, ein Charakteristikum der Demokratie als politischer Organisationsform, daß sie einen Wettbewerbsprozeß organisiert, der zur Auslese Einzelner führt, die dann für die Menge entscheiden. Dieser Prozeß selbst enthält kein Element des Zwangs, Stimmen werden weder durch Zwang noch durch Drohung - regelmäßig - angezogen. Die Chance der Besteuerung, die natürlich in einem technischen Sinne mit der Möglichkeit der Bereitstellung öffentlicher Güter unzertrennlich verknüpft ist, hat mit diesem Prozeß zunächst wenig zu tun, da in jenem Fall die repräsentative Entscheidung für ein Kollektiv dem politischen Unternehmer Gestaltungsräume eröf'fuet, die er gemäß seinen eigenen Absichten nutzen kann. Er kann dies im Rahmen der Institutionen, die er vorfindet und denen er den einen oder anderen Wandel hinzufügen mag, durchaus in unterschiedlicher Weise tun, nicht jede Bereitstellung eines öffentlichen Gutes verlangt nach der Erhebung von Steuern. In einer heterogenen Gesellschaft kann die Bereitstellung eines öffentlichen Gutes für eine Gruppe genau das Gegenteil für eine andere sein. Ein der zweiten Gruppe verpflichteter politischer Unternehmer stellt für seine Wählerschaft ein öffentliches Gut bereit, wenn er die Bereitstellung des öffentlichen Gutes für die erste Gruppe verhindert. Offensichtlich müssen in diesem Fall
85 86
Vgl. Wagner, 1966, S. 165. Vgl. 1946, XIT.
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keine weiteren Steuern erhoben worden, sondern allenfalls welche eingespart. Auch dies ist nicht notwendig. In modemen Industriegesellschaften erschöpft sich Staatlichkeit keineswegs mehr im Privileg der Besteuerung. Quasi-Besteuerung nimmt einen immer weiteren Raum ein. Aus öffentlichen Ämtern heraus kann man Auflagen machen oder mildem, Genehmigungen erteilen oder verweigern, Anträgen stattgeben oder sie verwerfen, in Vorgesprächen Anträge verändern. Verwaltungsgeschäfte (sogar in den Privatbereich hinein) verlagern und dafiir Vergünstigungen gewähren, Projekte lancieren, initiieren und fördern, auch ohne in ihnen selbst aufzutreten, Projekte verhindern, verändern oder vernichten, ohne sich von einer wie auch immer gestalteten Öffentlichkeit rechtfertigen zu müssen. Betriffi: dies den Mikrobereich zwischen Markt und Staat, so kann der politische Unternehmer auch an den Hebeln der Wirtschaftspolitik unternehmerisch tätig sein, Steuervergünstigungen fiir bestimmte Gruppen (definiert über absetzbare Tätigkeiten) gewähren durch Steuern, Gebühren, Marktordnungen und Zölle, politische Gruppen fördern oder benachteiligen, eine auf Beschäftigung gerichtete Politik - global im Hinblick auf abgrenzbare Großgruppen mit Teilorganisation - oder sektoral oder gar (wahl)bezirksweise betreiben, oder eine auf Geldwertstabilität gerichtete Politik durchsetzen, den Außenhandel industriebezogen oder bürokratiebezogen als Export- oder Entwicklungspolitik fördern oder behindernetc. In allen diesen Beispielen kommt es nicht darauf an, zur Bereitstellung eines öffentlichen Gutes eine Organisation zu gründen, sondern es kommt darauf an, neue Formen, das heißt Programme zu (er)finden, unter deren Schirm die Begünstigungen als öffentliche Güter möglich sind. Je größer die Vielfalt dieser politisch-ökonomischen Möglichkeiten, desto größer ist auch der Anteil des politischen Elements in der rein wirtschaftlichen Kalkulation; das heißt desto größer ist auch fiir die rein wirtschaftlich orientierte Unternehmung die Bedeutung der auf Politik gerichteten Aktion; und desto größer ist die Chance des politischen Unternehmers, wirtschaftliche Chancen und politische Möglichkeiten in neuen Gestaltungsformen zu verknüpfen und zu nutzen.
H. Der Wirtschaftsstil Der Wirtschaftsstil ist ein Konzept der wirtschaftlichen Staatswissenschaften, das seit dem Zerfall der Einheit der Gesellschaftswissenschaften und der zunehmenden Spezialisierung der Volkswirtschaftslehre etwas aus der Mode gekommen ist. Augenblicklich wird er eigentlich nur immer wieder von Bertram Sche-
OrdnWlg, Unternehmer Wld Stil
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fold ins Spiel gebracht. Schefold unterläßt den Hinweis auf Sombart, der bei Spiethoff zentral ist87 • Die deutlichste Auseinandersetzung mit dem Konzept des Wirtschaftsstils finden wir nach wie vor bei Spiethoff(1933), und diese soll deshalb auch im Wortlaut zitiert werden: "Gehen wir zur Merkmalsbestimmung der Stile über, so ist kein Wort darüber zu verlieren, daß das bei weitem vollkommenste Unternehmen das von Sombart ist, auf dem allein weiter gebaut werden kann. In welcher Richtung soll das geschehen? (1) Die Merkmale des Systems sind durch die Grundauffassung bestimmt, daß die "den Begriff der Wirtschaft bildenden Grundbestandteile" seien: die Wirtschaftsgesinnung, die Ordnung und die Technik. Weiter ist es nicht bedeutungslos, daß neben den Systemen" die Ordnung des Wirtschaftslebens noch von zwei anderen Seiten her umschrieben" wird. Hierdurch sind die Systeme grundsätzlich umrissen. Es d\irlte aber notwendig sein, diesen Kreis zu durchbrechen. Deshalb ist es nicht Willkür oder Ausfluß einer billigen Neuerungssucht, wenn wir nicht von Wirtschaftssystemen, sondern von Wirtschaftsstilen sprechen und nicht einzelne Systeme, sondern Stile unterscheiden. (2) In mancher Beziehung hat Sombart wertvolles Erbgut unterbewertet und beiseite gelassen. (3) Manche seiner Erkenntnisse könnten vielleicht noch geschickter merkmalsmäßig gefaßt werden. Die Knappheit des zur Verfiigung stehenden Raums macht die notwendig umfangreiche Begründung der Einzelheiten an dieser Stelle unmöglich. Es kann nur kurz das Ergebnis mitgeteilt werden. l. Wirtschaftsgeist: 1. Sittliche Zweckeinstellung. Das Reich Gottes wird erstrebt; wirtschaftliche Erfolge werden erstrebt als Zeichen göttlicher Erwählung; die Belange der Allgemeinheit werden als Richtschnur genommen; das höchste irdische Glück der einzelnen wird erstrebt. 2. Die seelischen Antriebe zum wirtschaftlichen Handeln: Furcht vor Strafe, religiös-sittliche Beweggründe (Nächstenliebe, Pflichtgefühl, Trieb zum sittlichen Handeln), teilweise sittliche Beweggründe (Ehrgefühl, Drang zur Betä-
87 Vgl.
z. B. Schefold, 1981, S. 105ff.
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tigung, Freude an der Arbeit), selbstischer Beweggnmd (Streben nach dem eigenen wirtschaftlichen Vorteil), Persönlichkeitsdrang und Machtstreben. Verfolgt wird je nach der Stärke des Antriebes ein Nahrungs- oder ein Erwerbsziel. 3. Die geistige Einstellung. Gewohnheitsmäßige oder neuernde Einstellung, daraus folgend Verschiedenartigkeit der Technik. 11. Natürliche und technische Grundlagen:
4. Bevölkerungsdichte. 5. Natürliche Bevölkerungsbewegung. Stillstehend, langsam, mäßig, schnell wachsend. 6. Güterherstellung ohne und mit Arbeitsteilung. 7. Geistige und Handarbeit vereint oder geteilt. 8. Organische oder anorganisch-mechanische Durchfiihrung der Technik. III. Gesellschaftsverfassung:
9.
Die Größe des wirtschaftlichen Gesellschaftskreises.
10. Das gesellschaftliche Verbundensein. Blutzusammenhang, Zwang, Vertrag. 11. Die gesellschaftliche Arbeitsteilung und die gesellschaftliche Zusammensetzung. IV. Wirtschaftsverfassung:
12. Eigentumsverfassung. Für Erzeugungsgüter, bei freiem Eigentum an Genußgütern, entweder freies oder Staats- oder gesellschaftliches Eigentum. Für Genußgüter (und Erzeugungsgüter) gesellschaftliches Eigentum. 13. Verfassung der Gütererzeugung. Bedarfsdeckungswirtschaft: Erzeugung des Bedarfes unter einheitlicher Leitung. Geregelte Markterzeugung: Gütererzeugung in Selbstwirtschaften unter Regelung der Erzeugung und der Preisbildung durch gesellschaftliche Organe aus Unternehmern, Arbeitern,
Ordnung, Unternehmer und Stil
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Verbrauchern bestehend (Planwirtschaft), oder durch politische Organe, Freie Markterzeugung: Gütererzeugung in Selbstwirtschaften frei nach der Marktlage. 14. Verteilungsverfassung. Allgemeines Entgelt, geregeltes besonderes Entgelt, freies besonderes Entgelt, Nächstenliebe. 15. Arbeitsverfassung. Genossenschaftlich, zwangsweise oder vertraglich herrschaftlich. Je nach der Verbindung dieser Möglichkeiten unter Nr. 12 bis 15 stellt sich die gesamte Wirtschaftsverfassung dar als: planvolle Leitung, oder als geregelte freie Verfassung, oder als freie Verfassung. V.
Wirtschaftslauf
16. Der Wirtschaftslauf. Ständige Wirtschaft, fortschreitende Wirtschaft, Wirtschaftsablauf im Wechsel von Aufschwung und Stockung." Nach Sombart und Spiethoff haben auch andere Volkswirte mit dem Begriff des Stils gearbeitet. Zu nennen sind Eduard Heimann, Hans Ritsch!, in gewissem Sinne selbst Heinrich von Stackelberg, und insbesondere nach dem Kriege Gerhard Weisser und Alfred Müller- Armack, der, was bereits bei Sombart angelegt war, betonte daß "Wirtschaftsstile häufig auch von Glaubensüberzeugungen der Wirtschaftssubjekte geprägt werden.,,88 Eindrucksvoll ist die noch heute gültige Breite des Fächers, kein genanntes Kriterium ist heute unbedeutend. Hinzugetreten sind sicherlich nach den Marktreformen und der sozialen Marktwirtschaft die Sozialverfassung sowie die davon gar nicht wegzudenkende Steuerverfassung. Außerdem wird man im Hinblick auf die Einbindung einzelner Wirtschaftssysteme in größere Zusammenhänge, zum Beispiel in Zusammenhang mit der europäischen Einigung, die internationale vertragliche Einbindung eines Landes nicht außer Betracht lassen wollen, auch deshalb, weil internationale Verträge wie die Konvention über Menschenrechte bis tief in den Alltag hineinwirken. So ergeben sich statt der sechzehn Aspekte des Wirtschaftsstils, so wie wir sie bei Spiethoff gefunden haben, nunmehr deren neunzehn.
88 Weisser, 1965, S. 278, weitere Nachweise dort. 23 PeteTs
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I. Der neue Osten Die neunzehn Stilelemente sind mm: 1. Sittliche Werte 2. Seelische Antriebe 3. Geistige Einstellung 4. Bevölkenmgsdichte 5. Bevölkenmgsbewegung 6. Arbeitsteilung 7. Geistige und Handarbeit 8. Organische/anorganische Durchfiihrung der Technik 9. Größe des wirtschaftlichen Gesellschaftskreises 10. Gesellschaftliches Verbundensein: Blut, Zwang, Vertrag 11. Gesellschaftliche Arbeitsteilung 12. Eigentumsverfassung 13. Verfassung der Gütererzeugung 14. Verteilungsverfassung 15. Arbeitsverfassung 16. Wirtschaftslauf 17. Sozialverfassung 18. Steuerverfassung 19. Internationale Verankenmg in Bündnissen und Vertragswerken
Ordnung, Unternehmer und Stil
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In den ehemals zentral verwalteten Ländern Mittel- und Osteuropas89 spielen sich Transfonnationsprozesse ab, die im einzelnen sehr unterschiedlich ablau-
fen, deren Richtung im Hinblick auf eine neue Wirtschaftsordnung sehr uneinheitlich ist und die sich im einzelnen einer mit den herkömmlichen Kernbegriffen arbeitenden wirtschaftlichen Analyse, die sich etwa am Sozialprodukt, der Arbeitslosigkeit, der Geldentwertung etc. orientiert, kaum erschliessen. Es soll sich nun zeigen, ob mit dem Stilbegriff interessante Einsichten gewonnen werden können.
J. Ordnung, Unternehmer und Stil Wenn wir uns vor Augen führen, daß viele jener Erfahrungen, die wir in den amtlichen Statistiken niedergeschlagen finden, mit den Erfahrungen der Menschen, die wirtschaftliche Entscheidungen treffen, nicht übereinstimmen, so fragen wir uns, ob nicht andere Möglichkeiten bestehen, die wirtschaftlich wesentlichen Ereignisse aufzuzeichnen und der Analyse zugänglich zu machen. Diesem Zweck diente das Konzept des Wirtschaftsstils, das Spiethoff entwickelt hatte, da er das Sombartsche Systemkonzept als unzureichend ansah. Jenes hatte zuvor bereits Aufsehen erregt insofern, als es als eine beinahe untheoretische Sammlung vielfaItiger Eindrücke aufgefaßt worden war. Dieser Absatz ist nun ganz und gar dem Zweck gewidmet, das Stilkonzept zu erproben in der Absicht, mit den verschiedenen Facetten ein Bild zu zeichnen, das dem wirtschaftspolitisch interessierten Beobachter einen anderen Eindruck vermittelt als jenes, das allein aufgrund von amtlichen Statistiken erstellt worden ist. Ich gehe deshalb von den Spiethoffschen Stilcharakteristica aus, und prüfe diese im Hinblick auf ihre Relevanz jeweils anhand eines Beispiels. Kritisch kann eingewandt werden, daß ein Beispiel nicht genüge; es handelt sich aber um einen illustrativen Versuch. Außerdem kann kritisch eingewandt werden, daß die pauschale Kritik an den amtlichen Statistiken unbegründet sei. Ein Kollege hat mir vorgehalten: geben Sie mir doch eine Handlungsanweisung, die anders ausfallen würde, wenn ich mich nicht auf die amtlichen Statistiken berufen würde, sondern auf Ihre stilistischen Eindrücke. Diese Einwände sind ernst zu nehmen, aber sie sind auch in dem Sinne ungerechtfertigt, als die Stilelemente natürlich den statistischen Infonnationen zur Seite treten. Ist es nicht erstaunlich, möchte ich fragen, daß eine gewinnorien89Vgl. auch die neueren Zeitschriften Convergiance und Central European Econornic Review, die beide vom Wall Street Journal Europe lanciert worden sind. 23'
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tierte Unternemmmg, Dow Jones Inc., die unter anderem das Wall Street Journal und das Wall Street Journal Europe betreibt, vor allem aber im chemischen Sektor tätig ist, doch einen von zwei Teilen Ihrer Publikation nicht den quantitativen sondern den qualitativen Informationen widmet, sogar den ersten? Nun möchte ich den Leser einladen, den neunzehn Stilaspekten seine Aufmerksamkeit zu schenken. 1. Ein eindrucksvolles Beispiel fiir die Bedeutung sittlicher Werte im Transformationsprozeß wird immer wieder durch Alexander Solzhenitsyn gegeben, der nicht müde wird daraufhinzuweisen: 90 "Having visited many of Russia's regions, having met with hundreds of people and having received thousands of letters' he said 'I have an impression our population is discouraged, that people are stupefied, in shock from their hurniliation and shame because of their weakness. People doubt that the govemment's policy and reforms are in the interests of the people'''. ''He also repeated his criticism of the use of foreign currency in Russia and the purehase of foreign grain, and railed against the sale of farmland of any kind. Auction sales of land to the nouveau riche means the sale of Russia itself, he said, sarcastically expressing doubt that a single of the 450 deputies 'is a peasant, actually growing grain'."
Solzhenitsyns Appell wird durch den Fall Kholodov unterstrichen: "According to Mr. Kholodov's editors, the reporter had been investigating illegal arms sales within the Western Army Group, the Red Army forces that completed their withdrawal from Germany last month. The editors said he had also uncovered a secret military training facility near the city ofRyazan, south ofMoscow, where Russian special forces allegedly have been training mafia hit men in the art of murder. Mr. Kholodov's investigations led him directly to the top: to Matvei Burlakov, former commander in chief of the forces in Germany; to the GRU (military intelligence); and to Defense Minister Grachev."
2. Ungewöhnlicher unternehmerischer Drang bahnt sich oft im Transformationsprozeß an. Berlin bietet ein Beispiel, aber wir finden auch einen interessanten Fall fiir China, Frau Kader: 91 "At the time, Beijing didn't permit private enterprise. Moreover, Muslim culture looks down on women working outside the home. So when Mrs. Kader was caught by authorities, "my husband was so ashamed, he asked me to leave, she says". 90 Erlanger, 91
1994, S. 1.
ehen, 1994, S. 1.
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3. Die geistige Einstellung wandelt sich zur Betonung der Rechenhaftigkeit, wie es auch Sombart als Charakteristikum des modemen Kapitalismus (typischerweise in der Aufbruchsfase ) hervorgehoben hat. Ein Ausschnit unter vielen kann dies illustrieren. 92 "Alles soll kallrulierbar sein. Die alten Bilder sind entwertet. Das über Jahrzehnte obligate und in stets gleichbleibend schlechter Druckqualität reproduzierte Bild von der Piketing Une oder vom Arbeitslosen im Rinnstein ist, seit man weiß, daß es sie wirklich gibt, überflüssig geworden. 'Wall Street', einmal der Inbegriff von Macht, taucht jetzt neben den Notierungen der Moskauer Börse auf. Die Shows, auf die man scharf war, solange man sie nicht zu sehen bekam, inszeniert man jetzt selber - bis man auch sie satt hat. Das russische Woodstock findet in Lushniki statt. Die neuen Moskauer Reichen machen Urlaub in Miami Beach, während der gewöhnliche Moskauer seinen Urlaub innerhalb der Grenzen seines Landes verbringt, das noch immer ein Kontinent für sich ist - wie der gewöhnliche Amerikaner auch."
Einen Zusammenhang zwischen geistiger Einstellung und der Verfassung bestimmter Märkte (Geld, Waffen, Drogen) stellt Peter Handke in seinem, als literarisch zu wertenden Beitrag und als Serbien Essay bezeichneten Werk zur Diskussion. Er behauptet: 93 "Vier Banditen ist es gelungen, der ganzen Welt die kriminellen Bedürfnisse einer Kaste als eine geostrategische Notwendigkeit unterzujubeln, die für den Frieden auf dem Planeten unerläßlich sei, und ein auf Verbrechen und Ausrottung gegründetes Ungleichgewicht als Stabilisierung einzuschmuggeln."
4. Bevölkerungsdichte in ländlichen Gebieten. Das Reproduktionsverhalten der
Bevölkerung in Transformationsländern während des Transformationsprozesses kann die Vorhaltung von Infrastrukturleistungen seitens staatlicher Anbieter ernstlich in Frage stellen. Diese sekundäre Transformation kann ihrerseits neue Problemlagen erzeugen, für die eine Lösung nicht ohne weiteres im Bereich des Modellhaften liegt:94 ''Manschnow, Germany - Willi Stellmacher is desperately seeking babies. For each infant born here, he pays the parents a bounty of 1,000 marks, or about $640. Mr. Stellmacher, the worried mayor ofthis village of 1,600 people near Germany's border with Poland, conceived of the baby-bonus program as a way of staving off local demographie disaster. 'Back in the 1980s, we had as many as 33 babies born each year,' he says. But since Communism fell in East Germany in 1989, Manschnow's baby tally has tumbled to as low as seven. There is no noticeable influx here of population
92 Schlögel, 1994. 93 Polaczek, 1996. 94 Benjamin, 1994, S. I.
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from western Germany. Other villages have it even worse. 'A dead village'. The decline is imperiling the future of Manschnow's day-care center and school. 'And a village without those,' Mr. Stellmacher insists, 'is a dead village' . At the moment, though, Manschnow doesn't look particularly siek. Indeed, the $260 billion that Germany has pumped into eastern Germany is much in evidence here, and people generally are considerably more prosperous that they were under the communists. Outside Mr. Stellmacher's office, crews are paving dirt roads and laying sewer lines. Several houses are enjoying their first coats of paint in half a century, and new terra-cotta roofs shine in the summer sun. The paradox of Manschnow is the paradox of eastern Germany, where the birthrate has slid 65% since the summer of 1990. Babies are being born here now at an annual rate of five per thousand men, women and children in the population. That is less than a third the rate in the D.S."
5. Aus Wlterschiedlichen Gründen fUhrt der Transfonnationsprozeß zu BevölkerWlgsbewegungen in verschiedenen Ländern. Das Motiv der KapitalerhaltWlg Wld Kapitalflucht ist ein Aspekt: 95 "Happy Returns. Russians are buying into some of Europe's richest and sexiest property markets, places where Russians haven't been seen in nearly 80 years. Real estate agents on Spain's Costa deI Sol claim they've sold million-dollar villas and penthouse appartrnents to Russians eager for a place in the sun. Central London is another area where Russians lurk behind an increasing number of 'sold' signs. One international real-estate executive says they're buying up Cypres. The real-estate world virtually buzzes with talk about Russians and the prospect of a new wave of super-rich clients to replace the exhausted fortunes of the Arabs, Japanese and Europe's old-line aristocracy. Hard numbers don't exist, but a sampling of real-estate agents, developers and lawyers around Europe turned up hundreds of Russian buyers in the last year or so - sometimes paying $1 million or more. Thousands more have looked at hornes, appartrnents, timesharers or even shops."
Ein anderer Grund liegt in dem Bestreben sicherer HumankapitalbildWlg: 96 "Life can be rotten for rich kids in Russia, even with bananas. They can get roughed up at school. They can get kidnapped. They can get mixed up in crime. Some don't dare step out at night. So a few of their rich parents, who make lots of money one way or another, are sending them away from all that - to the warm, safe, civilized hayen of a British boarding school."
6. Der Zusammenbruch der marktlichen Versorgung kann zur Rückkehr zur Selbstversorgungswirtschaft führen. Der natürliche Drang zu einer fortwäh-
95 Coleman, 1995, S. 96 Newrnan, 1994,
1. S. 1.
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renden Entwicklung der Arbeitsteilung wird so gehemmt, oft zurückgeschraubt: 97 "Yaroslavka, Ukraine - Feodor Adaminko long ago gave up believing that the state would ensure hirn a happy and secure retirement. So this year, the 52-year-old former subway worker decided to try an experiment at his dacha. 'My wife and I did real weil with potatoes and such last year. So now I want to see ifwe can raise livestock. If the pig gets big enough, she should provide enough meat to get us through the winter,' he says, perhaps a bit optimistically. What gardens are to the British, dachas are to the Ukrainians. But while most Britons plow and furrow for the hoe of it, Ukrainians garden to survive."
7. Sanierungskonkurse gehören zu den Elementen geistiger Arbeit, die für einen erfolgreichen Transformationsprozeß unerläßlich sind. Ein Beispiel mag dies illustrieren: 98 ''Belyaikovo, Russia - The only phone at the Zvezda cutlery factory has gone dead, leaving Aleksei Kuptsov puffing steam in the unheated main office. 'How can I work on marketing or anything else with this phone problem,' the 25-year-old plant boss grumbles. The phone snafu is the least of Mr. Kuptsov's - or Zvezda's - problems. The trim, blond former engineering student has taken on the job of court-appointed director for the reorganization and management ofthe bankrupt factory. Since Russia passed a bankruptcy law in March, Zvezda is the country's first concern ever to undergo a Chapter lI-style proceeding, which in U.S. law protects a firm from creditors while allowing it to continue operating and work out debts. Russian govemment officials hope Zvezda will become an exarnple that helps break the taboo surrounding bankruptcy, thereby easing the way for thousands of such cases waiting in the wings. The issue is crucial because ofthe potential for mass unemployment and social unrest if companies simply go belly up.'We wanted to show that it's possible, with good consultation, to build a program so the company gets another chance,' says Vasily Kozlov, deputy governor of Nizhny Novgorod, which selected Zvezda as a test case ofthe bankcruptcy law."
8. Erstaunlich viele handwerkliche Tätigkeiten erweisen sich als unerläßlich im Transformationsprozeß. Diese handwerklichen Tätigkeiten liegen nicht mehr im ursprünglichen handwerklichen Bereich. Es gibt eigentlich keinen Mangel an Schuhen, aber es gibt einen Mangel an Investitionsplänen, Marketingplänen und derartigen Produkten, die doch auf eine sehr handwerkliche Art und Weise erstellt werden können und werden: 99 97 Feduschak, 98 Rubinfien, 99 Ignatius,
1993, S. 1. 1993, S. 1.
1993, S. 1.
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''Better Read than Red. When Mr. Zotov and his co11eagues came to Moscow State, the Soviet Union was still intact. The study of economics was a moribund exercise valued largely because it provided a path to Communist Party leadership. It focused nearly exc1usively on Marxist texts. The freewheeling capitalism now emerging seemed unthinkable. These days, Moscow State's economics department is flooded with applicants clamoring to get out of the sciences and into the equivalent of an MBA program. It accepted about 60 such transfers last year. 'When I entered school, my goal was to join the Communist Party elite, and I figured I'd need economics for that,' says Mr. Zotov. He had seen his father, a prominent physicist, sent to the fields to harvest potatoes. 'They never asked the party elite to do that,' he says. Today, the party nomenc1ature is gone, but Mr. Zotov is still obsessed with power. A day earlier, he drew up three loan agreements totaling $10 million, forwarding them to the bank's top officials for approval. 'The guys at the top make the decisions because they have more information,' he says. 'That's my biggest aspiration: to have access to that information.' Within 10 years, he predicts with quiet confidence, '1'11 be on the board.'''
9. Die Größe des wirtschaftlichen Gesellschaftskreises kann von jener des politischen abweichen, diese AbweichlUlg kann zu erheblichen SpannlUlgen lUld Friktionen führen, selbst zu militärisch ausgetragenen Gegensätzen. Um den Auswüchsen des Transformationsprozesses entgegenzuwirken, fordert Alexander Solzjenitsin deshalb eine StärklUlg der lokalen demokratischen Institutionen. Solzjenitsin plädiert für die WiederbeleblUlg der Institution Zemstvo, die im vorigen JahrhlUldert bestand. 10. Gesellschaftliche VerblUldenheit kann auch aufgfW1d einer auf Zwang beruhenden gemeinsamen ErfahrlUlg wirksam werden. An diese Erlebniswelt knüpft ein lUlgewöhnliches Produkt an, das Gesellschaftsspiel "Ostalgie":loo ''Bonn - Your neighbour has joined the Communist Party, tricked and bribed his way into getting a phone and a Trabbi, and now is poised to reach the ultimate goal: Wandlitz, the leafy Berlin suburb where East Germany's party bosses resided in white villas far from the sorrows of the masses. That's when you reveal yourself to be a member ofthe state security apparatus - and send your neighbor straight to prison. Such are the joys of a hot new board game in Germany. It's called Ueberholen ohne Einzuholen, which translates into 'Overtaking without catching up' - and that's just one of the historical jokes involved."
100
Rohwedder, 1996.
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11. Auch die gesellschaftliche Arbeitsteilung unterliegt im Transformations-
prozeß einem tiefgreifenden Wandel, der sich durchaus einer quantitativen Erfassung entziehen kann. 101 "'The country is supposed to be in a deep economic crises, but the trafiic jams in Moscow get bigger and bigger,' a foreign diplomat conunented sardonical1y. Which is the 'real' Russia - that ofthe great depression or the ernerging rnarket?"
12. Ein wesentliches Problem bietet die Eigentumsverfassung. Für Rußland etwa wird berichtet: 102 'The distance Russia has to go to develop a modem market economy is highlighted when one considers the conunon features that underlie the many different 'brands' of capitalism around the world. One is a competitive price system; a second is a system of agreed-upon 'rules of the game'. The latter extend from general values, such as that the market should not be a corrupter, to specific laws and regulation. They also include norms - for instance, a dispute over a contract should not be settled by murder but by a court. And a market system is embedded in a legal, cultural, and institutional context that supports its workings. By these criteria, Russia has a long way to go on the road to a mature market system. This is what Russians mean when they say that what they have is 'a bazaar, not an economy'. A body of rules and laws is yet to be written. Even lawyers are in short supply and good independent judges are even more scarce. The concept or property, fundamental to a market system, is far from worked out."
Die unsichere Eigentumsverfassung in Rußland hat zu einer Kapitalflucht geführt, die den Entwicklungsprozeß unweigerlich hemmt: 103 ''Limassol, Cyprus - Many Russian business tycoons are worrled about a Conununist comeback in June's presidential election. But not Alexander V. Skorynin. Once a prominent factory owner in the Volga River city of Saratov, Mr. Skorynin says he long ago grew disenchanted with Russia's high taxes, bureaucratic headaches and violent crimes against executives. So three years ago, he decided to follow thousands of other rich countrymen to Russian capitalism's horne away from horne, the Mediterranean island of Cyprus. He now not only manages his Russian textile company from here, but publishes a Russian-Ianguage newspaper for his fellow exiles. And it is here that he is building his Xanady, a lavish mansion on a Cyprus hillside. Russian expatriates like Mr. Skorynin are insuring themselves against the uncertain politics in their homeland. Using Cyprus as a place to manage their money and keep
101
Gustafson, 1994, S. Iff.
102
Ebendort, S. Iff., 10. 1996.
103 Nelson,
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up their trade and business contacts with the rest of the world, these Russians operate a dynamic and growing economy free of many of the constraints that plague business people back home."
Andererseits zeigt die Erfahrung etwa in der Ukraine, daß selbst wenn eine dysfunctionale Eigentumsordnung oktroiert wird, sich eine alternative eventuell infonnelle Ordnung bilden kann: 104 ''Kiev, Ukraine - Forget about the dreary business statistics pouring out ofUkraine: The country is thrlving, thanks to a vibrant underground economy. In Kiev, kids in Reeboks dash through streets snarled with Jeeps and shiny Mercedes. Swanky convenience stores offer late-night snackers bottles ofDom Perignon at $140 a pop. This prosperity belies official statistics that show gross domestic product contracting by a belt-tightening 52% since the break from Moscow in 1991. But factor in about $30 billion a year, or what the World Bank estimates to be 48.9% or 1995 GDP, in unreported cash and the crisis looks much worse on paper that it is in reality. To keep growth humming along and get their fiscal house in order, though, officials must get all this activity on the books. Last year, the government lost out on some $12 billion in tax receipts, or a little less than its total 1996 budget. 'It's crucial that government create conditions that will allow businesses to operate in the open,' says Daniel Kaufmann, the World Bank's resident head ofmission."
13. Die Verfassung der Gütererzeugung kann sich im Transfonnationsprozeß schnell ändern: los ''Most businesses this side of the Berlin Wall spent the past few decades specializing in the production of one thing: junk. But now, more and more companies in Central and Eastern Europe, no longer content to make shoddy autos and secondrate textiles, are rapidly raising the quality of their products to Western standards. Their success suggests that these countries - especially Poland, Hungary and the Czech Republic - are rejoining the West more quickly than many people expected. Their gains could serve as a waming to Western producers. Industry in Central and Eastern Europe, prodded by Western investors and competition from Western imports, is combining its old advantage of cheap labor with newly upgraded merchandise to pose a more serious export threat. The Czech Republic, for example, has increased exports to the West to 70% oftotal exports from 31 % in 1989."
14. Die Verteilungsverfassung im Transfonnationsprozeß stößt immer wieder auf Befremden. Die folgende Beschreibung ist dafür typisch: 106
104 Brzezinski,
lOS
1996. Milbank, 1994, S. 1.
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''From Crisis to Fortune. For Russia's bravest entrepreneurs, the country's crises amount to new ways to make a fortune. It isn't for the skittish; much of the fast money is in traditionally volatile markets like real estate, and some of these entrepreneurs could lose everything as quickly as they made it. Long-term investment is rare. Still, Russia's chaotic economy has created astonishing opportunities for instant weaIth. '1 like a volatile market,' says Roman Miagkikh, a self-styled Russian financier and Mel Gibson lookalike who favors expensive Italian fashions. 'It creates an environment for superprofits. 'Mr. Nersesyan, casually stylish in Levis and a tweed jacket, raised a few eyebrows when he decided to plunge into the restaurant trade. For years, he had been a typical intellectual. Quiedy dissatisfied with the Soviet system, he toiled in the literary world at a fixed state salary and did English translations on the side to eam pocket money. When the system collapsed, Mr. Nersesyan watched as several friends launched primitive, but successful, business careers. With $30,000 borrowed from friends and banks, he finally took the plunge himselflast year. Mr. Nersesya quickly leamed to profit from the sorry condition of Russia's former state-run sector. He was able to pry prime space away from agrand turn-of-the-century theater that relied on subsidies and that now is in dire need of cash. Besides paying rent and utilities, Mr. Nersesyan agreed to provide 50 free meals a day to the theater's cast - in retum for a storefront space on Moscow's relatively upscale Tverskaya Street. He didn't need to spend much to fix up the restaurant, either. For the requisite combination of Texan-Mexican ambience, he hired a construction crew - former Soviet rocket designers desperate for extra cash - to build a reasonably authentie swinging saloon door, and he had a Western piano-bar tableau painted on the wall. He found some sombreros and put an oversize blow-up bottle of Mexico's Corona beer in the window. 'Business is like theater,' says Mr. Nersesyan, who also manages an international theatrical exchange program. 'You put in a few touches like the saloon door, and people think you must have spent a million dollars.'"
15. Während mitbestimmte Aufsichtsräte in Deutschland darauf achten müssen, daß die Vorstände Gewinn erwirtschaften, kann das Entstehen von Gewinnen in der Arbeitswelt im Transforrnationsprozeß Probleme aufwerfen: 107 "Soon after the Petrodvorets Watch Co. went private in 1990, a terrlble thing happened: It started turning a profit. While the notion is central to capitalism, it was so new and strange that workers and managers at this former state-owned watch factory started coming unwound. Squabbles broke out over how to use profits. Squabbles broke out over how much profit was actually necessary. Managers who managed for profits were accused of profiting from the misery of workers. Miffed, some lifetime employees wandered off into the free market to make watches for the competition. This drove managers crazy. Fear of Succes. Larisa Almiz, Petrodvorets's chief doctor, noticed a disturbing trend: Hundreds of employees were flocking to the factory clinic complaining of sleeplessness. Scores more were so distraught they 106 Ignatius,
1994, S. 1.
107 Raghavan,
1993, S. 1.
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suffered nervous breakdowns. Profit making was mandating a whole new way of thinking requiring sudden and radical change. 'People were scared,' says Dr. Almiz. People still are, though they are getting used to profits and the change they bring. They have to; Petrodvorets seems destined for success."
16. Eine eigenartige Beziehung zwischen der Vervollständigung der europäischen Währungsunion stellt ein Beitrag in der New York Times mit dem Wirtschaftslauf in Mittel- und Osteuropa her. In dem Artikel wird behauptet, daß der Übergang zur Währungsunion weniger entwickelten Staaten in Mittel- und Osteuropa in eine chronische Rezession stürzen wird: 108 "'If a monetary union is launched on schedule,' predicted Jan Krzysztof Bie1ecki, the former Prime Minister ofPoland, 'it will touch off achain reaction that will halt integration.' This is not an entirely new thought, but it is particularly relevant as the deadline for locking together at least a handful ofEurope's currencies nears. Economists of varying ideological stripe have long worrled that the transition to monetary union may trap some less-advanced nations into chronic recession, much the way single currencies handcuffed efforts to develop Canada's Maritime Provinces and 1taly's poor southem region."
17. Die Transformation verändert auch die Sozialverfassung tiefgreifend: 109 'The workers of the state-owned Porcelana china factory went on strike in 1980 against the evils of communism and in favor of political liberation. In 1993, the workers of the privately owned Porce1ana china factory went on strike against the evils of capitalism and in favor of women's liberation. The first strike took a decade to show results. The second might take longer. Communism was no picnic, but it gave women standing at work and securlty at horne. Now they've got stress at work and strife at horne. Poles are so aggrieved at how capitalism has been thrust on them that in September they voted the old order's descendants back into power. Polish women have reason to feel more aggrieved than most." "Hard Choice. So Mrs. Bartinowska has a choice: She can try to get by, and go back to work in a year. Or she can quit, get $75 on the dole for 18 months, and lose her job for good. Her husband, a repairman, eams $160 a month. Porcelana no longer pays for day care; that's $35 a month. Mrs. Bartinowska would do better to work nights and care for the children herself during the day. 'I'm taking a risk,' she says. 'I hope I fmd a night job. Anyway, it's good to be with your child. I'm not saying that capitalism is bad. But in my case, it isn't working very well.'"
\08
Passell, 1996.
109 Newman,
1993, S. 1.
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18. Im Transfonnationsprozeß zählt die Steuerverfassung zu den Kernproblemen: 110 "Wie überall in Rußland ist das sichtbarste Zeichen der Öffnung neben regelmäßigen Auftritten von Predigern amerikanischer Sekten die Flut von billigen Importwaren, die in jedem Geschäft die einheimische Produktion zu verdrängen drohen. Auf dem Hauptplatz der Stadt, wo die sowjetische Parteifiihrung einst Paraden abnahm, wurden die fest montierten kommunistischen Parolen einfach umfunktioniert zu Werbetafeln für die neuen Investmentfonds, die an die höchst bourgeoisen 'Ideale' von Auto und Eigenheim appellieren. Wie überall im Land bewegt die neue Unternehmerklasse von Wolgograd vor allem die unerträgliche Steuerlast. Seit drei Jahren trete er auf der Stelle und könne sich nicht vergrößern, sagte Nikitin, weil der Fiskus neunzig Prozent seiner Gewinne abschöpft. Die Region zieht eine jeweils einprozentige Steuer ein für Straßenbau, Bildungswesen und Polizei, nach Moskau gehen Gewinn- und Eigenturnssteuer. Besonders absurd erscheint es Nikitin, daß er seine Einnahmen auch vorausschätzen und im voraus versteuern muß; wenn er sich dabei irrt, muß er nicht nur die Differenz, sondern obendrein eine Strafe zahlen. Vom Eigentum werden nicht nur Immobilien und Kraftwagen ver-. steuert, sondern auch Büromöbel, das Geld auf dem Konto und insbesondere Devisen, weil sie inflationsbeständiger sind als der Rubel."
19. Die internationale Einbindung in wirtschaftliche und politische Bündnisse ist eine weitere Quelle des Wandels, die den Aufbau der Institutionen einer Marktwirtschaft erlaubt: 111 "A battle for influence is raging across the new market economies of Eastern Europe as the V.S. and Germany slug it out over corporate law, management principles and shareholders rights. The contest pits continental Europe's Napoleonic civilcode traditions against the common law of the Anglo-Saxons; German banks against the big Anglo-American investment houses; Germany's conservative boardroom culture against America's rough-and-tumble capitalism of proxy fights, hostile takeovers and junk bonds. And while the battle isn't over, the Germans, who have exerted influence over Eastern Europe for many centuries, are often - but not always - ahead. Take the former Soviet republic of Georgia. For months, a team of German experts headed by a Bremen University law professor and funded by the German government helped the Georgian draft commercial legislation much Iike Germany's. It would have made ho stile takeovers almost impossible and allowed managers to all but ignore shareholders. "
110 Holm, 111
1994.
Nelson, 1995.
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K. Nutzen und Anwendungsmöglichkeiten einer ökonomischen Theorie der Ordnung, der politischen Unternehmer und der Wirtschaftsstile im Hinblick auf die Probleme der Transformationsökonomie Ich habe versucht, Gnmdzüge einer Antwort auf die eingangs gestellte Frage nach den dynamischen Ursachen des Strukturwandels, der in der Einleitung geschildert wurde, zu fmden. Es wurde vorgeschlagen, den Blick dabei auf den politischen Unternehmer zu konzentrieren, der der Motor dieses Wandels ist. Außerdem ist das Umfeld des Unternehmens zu berücksichtigen, das mit der Wirtschaftsordnung und dem Wirtschaftsstil gekennzeichnet werden kann. Wie weit kann eine solche Theorie fUhren? Einschränkend ist zu sagen, daß wir bislang nur über Elemente einer solchen Theorie verfUgen. Auch in diesem Aufsatz habe ich sie nicht bis zu dem Punkt formuliert, an dem Hypothesen sich klar abzeichnen würden, die man alsdann empirisch mit modernen Methoden testen könnte. Dies ist in Teilbereichen aber möglich. Positiv dagegen scheint es zu Buche zu schlagen, daß eine Fülle von Einzelphänomenen, die man mit einer dem politisch-ökonomischen Wandel der letzten Jahrzehnte zugrundeliegenden Tendenz verknüpfen kann, mit dem Begriff des politischen Unternehmers neu organisiert und so zu einem verständnisleitenden Konzept zusammengefUgt werden können. Mit dieser Arbeit stehe ich erst am Anfang. Aber ich hoffe, deutlich gemacht zu haben, daß der Unternehmer sowohl in der Wirtschaft (D) als auch in der Politik (E) eine genaue und bestimmbare Rolle spielt, daß diese Rolle im Rahmen der Institutionen, in denen sie gespielt wird, als dynamisch und im normativen Sinne wünschenswert zu bewerten ist in dem Sinne, daß auf Freiwilligkeit aller Beteiligten beruhende Bewegung zustandekommt, die zu partiellen Besserstellungen fUhrt. Der Unternehmer kann neu gestalten stets nur im Rahmen einer bestehenden allgemeinen Ordnung, einer Verfassung; die Neugestaltungen sind - normativ gesprochen stets nicht schlechter als die Verfassung, die sie zuläßt. Die Verfassung selbst freilich ist, obwohl dauerndem Wandel unterworfen, gegebenenfalls Gegenstand eines eigenständigen Beurteilungsprozesses. Die gesamte Einschätzung der Rolle eines Unternehmers beruht auf einer Sicht, die ihn als das konstitutive Element kommunikativer Verfahren begreift. Derartige Verfahren sind sowohl der Markt, politische Prozesse, als auch andere Verfahren, in denen Entscheidungen zustan.de kommen. Diese Verfahren setzen sämtlich voraus, daß neue Ideen formuliert und in habhafte Programme umgesetzt werden. Dies ist die Rolle des Unternehmers, in der Wirtschaft wie in der Politik.
Ordnung, Unternehmer und Stil
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L. Schluß Abschließend können wir meines Erachtens den Schluß ziehen, daß die Konzepte der Ordnung, des Unternehmers und des Stils in Threm Zusammenspiel sehr wohl eine aufschlußreiche Erklärung wirtschaftlicher Wandlungsvorgänge, z. B. jener in den Transfonnationsländern, erlauben, die auch der Wirtschaftspolitik zu Gnmde gelegt werden können. Der Wandel umfaßt ja mehr als nur die Wirtschaft und stärker als im Tagesgeschäft der Wirtschaftspolitik kommt es auf die Schaffung einer Ordnung an, in der unternehmerisches Handeln möglich wird und auch gefördert. Daruberhinaus aber zeigt sich deutlich, daß nicht von einem Tranfonnationsprozeß die Rede sein kann. Sehr unterschiedliche Systeme unterliegen dem Wandel, und sie werden sich auch auf sehr unterschiedliche Systeme hin transformieren, die mit dem Stilbegriff sinnvoll beschrieben werden können, ohne daß die Kategorien zu holzschnittartig geraten.
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Dritter Teil
Mesoökonomie und Strukturpolitik
Beschäftigungswirkungen industriepolitischer Maßnahmen in der Bundesrepublik Deutschland Von Egon Görgens und Peter Thuy, Bayreuth
A. Problemstellung Obwohl sich die (Wirtschafts-)Politiker jeglicher Couleur in der Bundesrepublik Deutschland schon seit gerawner Zeit grundsätzlich, wenn auch mit unterschiedlicher Intensität, zwn marktwirtschaftlichen System bekennen, haben Zahl und Umfang staatlicher Eingriffe in das Marktgeschehen seither nicht ab-, sondern tendenziell eher noch zugenommen. Auch ohne den wirtschaftspolitischen Sonderfall der Wiedervereinigung ist eine Reihe von Feldern auszwnachen, wo nach wie vor aus unterschiedlichsten Gründen staatliche Unterstützung für nötig befunden wird, wn einem Wirtschaftszweig oder einer Region hilfreich "unter die Arme zu greifen". Der Industriepolitik "wird vor allem von der EU, aber auch für den ,,Aufbau Ost" eine strategische Bedeutung als wirtschaftspolitisches Instrwnent zur Schaffung von Wohlstand, zur Verminderung von Arbeitslosigkeit und zur Verstärkung der politischen Integration zugesprochen."! Explizit oder unausgesprochen stehen in all diesen Fällen Beschäftigungswirkungen ganz oben auf der Agenda staatlicher Zielsetzungen. Ob und in welchem Umfang die staatliche Industriepolitik das halten kann, was sich die Entscheidungsträger in Bund und Ländern von ihr versprechen, soll im Rahmen der folgenden Abhandlung überprüft werden. Zu diesem Zweck ist zunächst abzuklären, welche wirtschaftspolitischen Maßnahmen unter dem Begriff ,,Industriepolitik" zusammengefaßt werden sollen, ehe auf die theoretischen Zusammenhänge, welche einer so gearteten wirtschaftspolitischen Konzeption zu Grunde liegen, eingegangen werden soll, bedarf Industriepolitik doch, wie jede Art staatlichen Eingriffs in das Marktge!
Blum, 1994, S.99.
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Egon Görgens und Peter Thuy
schehen, einer speziellen Rechtfertigung. Auf dieser Grundlage soll schließlich dargestellt werden, wie die Industriepolitik in der Bundesrepublik konkret ausgestaltet ist und welche Beschäftigungswirkungen mit diesem Vorgehen erzielt werden sollen. Schließlich muß überprüft werden, ob und inwieweit Anhaltspunkte dafiir existieren, daß Beschäftigungserfolge erzielt werden konnten, ob Industriepolitik also ein wirksames Konzept zur Beschäftigungssteigerung in einer Volkswirtschaft darstellt oder nicht.
B. Industriepolitik - Begriff und Instrumente Dabei besteht nicht einmal Einigkeit darüber, wie der Terminus Industriepolitik überhaupt abgegrenzt werden soll, welche Inhalte, Ziele und Instrumente er umfaßt. Ein Konsens ist einzig darüber zu erzielen, "daß eine Industriepolitik mit Staatsinterventionen zur Beschleunigung neuer oder Konservierung alter Strukturen verbunden ist, und daß es ein Ziel industriepolitischer Konzepte ist, aktiv in den Prozeß der Ressourcenallokation einzugreifen.'a Sie kann damit als besondere Ausprügung oder Unterform der sektoralen Wirtschaftspolitik charakterisiert werden. 3 Mit dieser Abgrenzung werden letztlich alle Maßnahmen erfaßt, die auf eine Förderung des Wirtschaftswachstums, eine Steigerung der Produktivität und zu einer Erhöhung der internationalen Konkurrenzfähigkeit fUhren. 4 Eine Eingrenzung dieser Definition fUhrt zur spezifischen Förderung vorab definierter Empfänger. Diese können Unternehmen, Branchen oder bestimmte Produktions- und Dienstleistungsbereiche sein. 5 Sehr weit gefaßt kann Industriepolitik als die Summe aller staatlichen Maßnahmen, die auf die Gestaltung industrieller Strukturen gerichtet sind,6 bezeichnet werden. Sie zielt also darauf ab, die Ressourcenallokation in Branchen zu lenken, in welchen die entsprechenden Einsatzfaktoren ohne industriepolitische Interventionen nicht zum Einsatz kämen. 7 Je nach Charakteristik der zu fördernden Wirtschaftszweige wird dabei zwischen defensiver und offensiver Industriepolitik unterschieden. Während die defensive Variante in schrumpfenden Branchen zum Einsatz kommt und eher den Charakter von Strukturerhaltungs- oder Stukturanpassungspolitik aufweist, ist offensive Industriepolitik auf die Förderung von als Wachstumsbranchen oder Schlüsselindustrien charakterisierten Wirtschaftsbe-
Conrad, 1987, S. 5. Peters, 1971, S. 21. 4 Siehe v. Hauff, 1991, S. 102. 5 Vgl. Conrad, 1987, S. 23. 6 Vgl. Curzon Price, 1986, S. 201. 7 Vgl. Stolpe, 1993, S. 361. 2
3 Vgl.
Beschäftigung und Industriepolitik
379
reichen ausgerichtet,8 denen besondere Relevanz bei der Schaffimg zusätzlicher Arbeitsplätze zugeschrieben wird. InstnunenteIl steht den industripolitischen Entscheidungsträgern eine große Maßnahmenvielfalt zur Verrugung. ,,In der Bundesrepublik - und das gilt auch fiir die EG - wurde bisher aber immer vennieden über Investitionsanreize hinausgehende Lenkungsmaßnahmen einzusetzen, wie sie etwa mit dem kurzlebigen Versuch der Wirtschaftsplanung durch ein Department of Economic Affairs in Großbritannien in den 60er Jahren unter der ersten Regierung Wilson oder mit der französischen Nationalisierungspolitik nach 1981 verbunden waren.,,9 Den industriepolitischen Schwerpunkt bilden hierzulande direkte monetäre Angebote wie Subventionen, Steuererleichterungen, Kreditgewährungen oder staatliche Investitionen und Regierungsaufträge. Daneben können zur Gestaltung industrieller Strukturen aber auch direkte nicht-monetäre Angebote, wie die Beratung von Unternehmen oder technologiepolitische Maßnahmen sowie indirekte nicht-monetäre Angebote, wie sie die Bereitstellung einer leistungsfähigen Infrastruktur darstellt, herangezogen werden. 10 Gemeinsam mit der Technologieförderung werden die beiden letztgenannten Bereiche auch als generelle Industriepolitik bezeichnet, im Gegensatz zur spezifischen Industriepolitik, die sich der monetären Anreize bedient. 11 Faßt man den Begriff Industriepolitik noch weiter, dann werden darunter "sämtliche staatlichen Maßnahmen im Rahmen der Wirtschafts-, Gesellschfts-, Rechts- und Sozialordnung verstanden, die allgemein den industriellen Sektor tangieren, ohne ihn jedoch spezifisch zu regeln.,,12 Eine solch weite Definition, die Industriepolitik faktisch mit Wirtschaftspolitik gleichsetzt, entzieht diese freilich einer spezifischen Beurteilung.
C. Theoretische Rechtfertigung staatlicher Eingriffe Wie jeder Eingriff in das marktwirtschaftliche System bedarf auch die Industriepolitik einer theoretischen Rechtfertigung als Grundlage. Es gilt daher festzustellen, "ob es auch in marktwirtschaftlichen Ordnungen eine Notwendigkeit gibt, kraft direkten Eingriffs der öffentlichen Hand unternehmerische Entscheidungen in bestimmte Richtungen zu lenken.,,13 Nur wenn die Kräfte des Marktes allein nicht oder nicht mehr dazu ausreichen, das zu suchen, zu finden und
8 Siehe
Hununel, 1993, S. 5.
9 Stunn, 10 Zu
1991, S. 16f.
dieser Systematik siehe Stunn, 1991, S. 17. Siehe zu dieser Klassifikation Hununel, 1993, S. 3f.
11 12 Hölzer, 1994, S. 8. 13 WestphaI, 1986, S. 6.
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Egon Görgens und Peter Thuy
zu verwirklichen, was in der Volkswirtschaft vonnöten ist, sind staatliche Eingriffe zu legitimieren. In allen anderen Fällen stellen sie einen ordmmgsinkonfonnen Eingriff in das Wettbewerbsgeschehen dar, der gesamtwirtschaftlich in der Regel mehr Schäden hervorruft als Nutzen erbringt. Aus diesem Grunde darf Industriepolitik - wie jede andere Variante der Strukturpolitik auch - die Marktsteuerung nicht außer Kraft setzen, "sondern sie soll im Gegenteil die marktwirtschaftlichen Funktionsbedingungen durch Erhöhung der Mobilität der Produktionsfaktoren und Förderung der strukturellen Anpassungsfähigkeit erhöhen. ,,14 Strukturerhaltungsziele und indikative Wirtschaftsplanung gehören von daher eigentlich nicht in den Zielkatalog von Industriepolitik.
I. Marktversagensargumente Als zentrales Argument zu Gunsten industriepolitscher Maßnahmen gilt das Marktversagen. Im wesentlichen werden drei Marktversagensargumente unterschieden. Zum einen wird Marktversagen darm unterstellt, wenn die private Bereitschaft zur Übernahme von Risiken geringer ist, als volkswirtschaftlich wünschenswert eingeschätzt wird. 15 Als Beispiele können hier die Förderung der friedlichen Nutzung der Kernenergie oder das europäische Flugzeugprojekt Airbus angeführt werden, deren gesamtwirtschaftlicher Nutzen angesichts der Forschungsruine in Kalkar und der insgesamt wohl eher geringen gesellschaftlichen Akzeptanz der Atomenergie allerdings fragwürdig erscheint. Ein beredtes Zeugnis darüber, daß der Markt wohl doch über ein besseres Infonnationssystem verfügt als staatliche Entscheidungsträger liefert das zweite Beispiel, ist doch Airbus Industries bis heute nicht in der Lage zu konkurrenzfähigen Bedingungen Flugzeuge zu produzieren, so daß der Zeitpunkt, zu dem die Subventionierung dieses Unternehmens durch die beteiligten Staaten eingestellt werden karm, wohl nie mehr kommen wird. Die Gründe für diese Rechtfertigung der Industriepolitik sind oft auch weniger in wirtschaftlichen Zusammenhängen als vielmehr im politischen Raum zu suchen. Nicht zuletzt können nämlich Autarkiebestrebungen und Imagegründe als Determinanten für den Einsatz industriepolitischer Maßnahmen genarmt werden. 16 Die Verfechter dieses Arguments führen an: " Investitionen und Innovationen, die vom Markt her, weil sie uninteressant oder zu riskant sind, nicht realisiert werden, können im nationalen und europäischen Interesse so bedeutend sein, daß sie durch staatliche Intervention an die Rendite- und Risikoschwelle herangeführt werden müssen. Dies rechtfertige ihre finanzielle und ideele Unterstützung und eine entsprechende staatliche
14 Peters,
1988, S. 430. Streit, 1987, S. 137. 16 Vgl. hierzu ausführlich Peis1, 1992, S. 10. 15 Siehe
Beschäftigun~
und Industriepolitik
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Intervention auch in einer solchen Ordnung, die sich zur Marktwirtschaft bekennt.,,17 Aus diesem Grund werden Wirtschaftszweige wie Weltraumfahrt, Flugzeugbau, Mikroelektronik oder Rüstungsindustrie gefördert, neuerdings aber auch Branchen, die man für unverzichtbar hält, etwa Biotechnologie, Gentechnik oder Informations- und Kommunikationstechnologie. Hervorgehoben werden muß bei diesem Argument ausdrücklich, daß ökonomische Notwendigkeiten zum Staatseingriff weder vorliegen noch ins Feld gefiihrt werden. Vielmehr handelt es sich um ein ausschließlich politisches Argumentationsmuster, die Auswahl der Branchen erfolgt entsprechend diskretionär und ohne ökonomische Begründung. Warum Atom- und nicht Solarenenergie, warum Flug- und nicht Schienenverkehr sich staatlicher Unterstützung erfreuen sollen, kann mit diesem Argumentationsstrang freilich auch nicht ergründet werden. Zum zweiten tritt Marktversagen dann auf, wenn externe Effekte zu Tage treten und private Anstrengungen deshalb geringer ausfallen als mit Förderung. Aus diesem Grund könnte aus gesamtwirtschaftlicher Sicht ein suboptimales Niveau des technischen Fortschritts realisiert werden, wodurch Beschäftigungspotentiale in zweierlei Hinsicht ungenutzt blieben. Zum einen kann es zu Einkommensentgängen kommen, die ihrerseits zusätzliche Beschäftigung verhindern. Zum anderen werden Wachstumsmöglichkeiten verschenkt, was wiederum negative Beschäftigungskonsequenzen nach sich zieht. 18 Allerdings bleibt bei dieser auf Arrow19 zurückgehenden Argumentation völlig unklar, wie und warum angesichts der Möglichkeit zur Internalisierung durch Patente externe Effekte entstehen können, wenn der Patentschutz gut ausgebaut ist und den Innovatoren die Möglichkeit eröffnet, die bei der Entwicklung neuer Produkte oder Verfahren anfallenden Kosten während der Laufzeit des Patentes exklusiv zu vereinnahmen. Ist dies nicht der Fall, so liegt keinesfalls Marktversagen vor, sondern vielmehr Politikversagen in Form falscher, d.h. unzureichender Gesetzgebung. Wird dieser Fehler korrigiert, erübrigen sich diskretionäre Eingriffe in das Marktgeschehen. Dies gilt im übrigen auch dann, wenn die Forschungsergebnisse geeignet sind, positive Extemalitäten auf anderen Märkten hervorzurufen und Wachstum und Beschäftigung dort positiv zu beeinflussen. Zwar kann dann der Einsatz staatlicher FuE-Förderung begründbar sein, doch rechtfertigt dies apriori ,,nur einen gleich hohen Fördersatz für alle Branchen, eine Begünstigung einzelner Branchen wäre nur sinnvoll, wenn deren FuE-Aufwendungen überdurchschnittlich hohe externe Effekte hervorbringen. Solche Wirtschafts-
17 WestphaI,
1986, S. 13, der sich jedoch ausdrücklich gegen diese Ansicht wendet. Klodt, 1987, S.7. 19 Arrow, 1962, S. 609-625.
18 Vgl.
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Egon Görgens und Peter Thuy
zweige sind aber bisher noch nicht eindeutig empirisch identifiziert worden. ,.10 Zudem dürften häufig gegenseitige Externalitäten zwischen Märkten vorliegen. Zum dritten wird Marktversagen beim Vorliegen von Unteilbarkeiten in den Bereichen Forschung und Entwicklung unterstellt, wenn deren finanzieller Aufwand die Fähigkeiten einzelner Unternehmen übersteigt.21 Auch hier werden Kernkraft und Luftfahrtindustrie als Beispiele angefiihrt. 22 Neben den bereits angefiihrten Negativ-Beispielen sprechen auch einige theoretische Argumente gegen eine diskretionäre Förderung einzelner Wirtschaftszweige. So kann nur schwer begründet werden, warum manche kapitalintensiven Branchen gefordert werden müssen, während andere mit gleich großem oder sogar höherem Kapitalbedai"f sich auch ohne staatliche Unterstützung am Kapitalmarkt refinanzieren können. Als Beispiele können hier die Chemische oder die Automobilindustrie angefiihrt werden. 23 Überdies können über Fusionen oder Kooperationen Handlungseinheiten hergestellt werden, welche die vermeintlichen Größennachteile einzelner Unternehmen auszugleichen vermögen. 24 Darüber hinaus erfordern diskretionäre Förderungsstrategien ein derart hohes Wissen, wie es von staatlichen Instanzen gemeinhin nicht erwartet werden kann. Aus beschäftigungpolitischer Perspektive ist allen drei Argumenten gemeinsam, daß Branchen gefordert werden sollen, die mit Förderung stärker wachsen als ohne finanzielle Zuwendungen durch den Staat. Entsprechend blieben in diesen Fällen Beschäftigungspotentiale ungenutzt, die durch industriepolitische Eingriffe aktiviert werden können. 11. Strategische Handelspolitik In jüngerer Zeit wurde vor allem in den USA das Argument der strategischen Handelspolitik 25 zu Gunsten der Berechtigung industriepolitischer Eingriffe bemüht. Dabei wird von der Existenz von Skalenerträgen ausgegangen, so daß Vorteile für den ersten im Markt befmdlichen Anbieter entstehen, da er die Kostendegressionseffekte als erster realisieren kann. ,,Bei unvollständigem Wettbe-
20 Keller, 1992,S. 184.
21 Kritisch hierzu Streit, 1987, S. 138f. 22 Vgl. Deutscher Bundestag, 1984, S. 10.
23 Vgl. Eickhof, 1993, S. 206. 24 Vgl. Donges, Schmidt, 1988, S. 72. 25 Einen Überblick liefert Siebert, 1988, S. 549-584.
Beschäftigung und Industriepolitik
383
werb auf international umkämpften Märkten könnte film ein Land seine nationale Wohlfahrt auf Kosten anderer Länder erhöhen, wenn es ihm gelänge, dafiir zu sorgen, daß solche Monopol- und Oligipolgewinne nicht bei ausländischen, sondern bei heimischen Unternehmen anfallen. ,.26 Unter bestimmten Umständen können so ausländische Unternehmen vom Eintritt in umkämpfte Märkte abgehalten werden,27 so daß es zu einer UmlenkWlg von Gewinnen ins Inland (,,rent shifting") oder dem Aufbau vollkommen neuer Industriezweige kommt (,,rent creation,,).28 Beide Verfahren sollen der SicherWlg oder (Wieder-)Herstellung der internationalen Wettbewerbsflihigkeit einer Volkswirtschaft dienen,29 wobei entweder eine Imitationsstrategie gewählt, d.h. das Industriepolitik betreibende Land setzt auf die FörderWlg der gleichen Wirtschaftszweige wie das Ausland, oder auf die FörderWlg alternativer Industriezweige vertraut werden kann. Auch wird in Verbindung mit diesem Argument häufig auf die internationale Subventionskonkurrenz hingewiesen, die dafiir verantwortlich sei, daß auch die inländische Industrie zum Ausgleich von Nachteilen, die durch die staatlichen Beihilfen fiir ausländische Konkurrenten entstehen, finanzielle Mittel durch den Staat zugewiesen bekommen müsse. In manchen Branchen, z.B. dem Schiffbau, ist diese Begründung bereits als eigenständiges Subventionsmotiv angeführt. 30 Als problematisch erweist sich freilich auch hier das Informationsdefizit des Staates bezüglich der Verhaltensweisen von Marktteilnehmern und anderen Volkswirtschaften. So ist zu erwarten, daß diese auf eine SubventionierWlg einzelner Wirtschaftszweige mit Vergeltungsmaßnahmen in Form von Begiinstigungsmaßnahmen fiir ihre eigene Industrie reagieren, was letztlich zu einer Situation führt, in der sich alle Volkswirtschaften schlechter stellen als ohne SubventionierWlg. Zudem hängt der Einsatz der richtigen industriepolitischen Instrumente vom Verhalten der Marktteilnehmer ab. ,,Besitzen RegierWlgen aber keine genauen Informationen über die Verhaltensweisen der Oligopolisten - und warum sollten diese sie preisgeben - so ist ein rationaler Instrumenteneinsatz nicht möglich und damit auch nicht die angestrebte WohlfahrtssteigerWlg durch ,,rent shifting" sichergestellt.,,31 Selbst wenn die von der strategischen Handelspolitik herausgestellten Vorteile (rechnerisch) existieren sollten, ist keineswegs sichergestellt, daß sie unter dem industriepolitischen Schutzschild auch reali-
26
Kösters, 1992, S. 51.
27 Siehe ausführlich Brander, Spencer, 1983, S. 707-722. 28 Siehe Kösters, 1992, S. 51. 29 Siehe z. B. Oberender, 1987a, S. 127f. 30 Siehe z. B. Weilepp, 1989. 31 Kösters, 1992, S. 54.
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siert werden. Mit anderen Worten: Die mögliche Verhaltensändenmg durch strategische Handelspolitik darf nicht ignoriert werden. Neben der Furcht, die eigene wirtschaftliche Unabhängigeit zu verlieren steht hinter all diesen Rechtfertigungs- und Gestaltungsvarianten das Ziel, die Beschäftigung im Inland in schrumpfenden Branchen zu sichern oder das Beschäftigungsniveau in Wachstumsbranchen zu erhöhen.
D. Elemente einer industriepolitischen Konzeption in der Bundesrepublik Deutschland Das industriepolitische Konzept der Bundesrepublik Deutschland steht in der Tradition der traditionellen Strukturpolitik, eine eigenständige industriepolitische Konzeption ist nur schwer zu identifizieren. Dies liegt nicht zuletzt daran, daß die Bundesrepublik Deutschland keine industriepolitische Tradition wie in Frankreich32 oder Japan33 aufzuweisen hat. Geprägt von den Wirtschaftsministern Ludwig Erhard, aber auch Karl Schiller setzte die Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik Deutschland tendenziell mehr auf den Markt als auf Strukturplanung. "Gesteuert werden sollte lediglich die gesamtwirtschaftliche Entwicklung im globalen Maßstab, wobei davon ausgegangen wurde, daß es der Industrie quasi nachwüchsig gelingen würde, erfolgreiche Wettbewerbspositionen aufzubauen und zu erhalten.,,34 In dieser Phase, die Streit als eklektischen Interventionismus bezeichnet, wurden überwiegend Altindustrien gefördert, also strukturerhaltend eingegriffen. Darüber hinaus wurden gemäß der Gnmdsätze sektoraler und regionaler Strukturpolitik einzelne Regionen oder Technologien gefOrdert. Abgesehen von einer kurzen Diskussion über die Eignung der Investitionslenkung rückte die Forschungs- und TechnologiefOrdenmg Mitte der siebziger Jahre in den Mittelpunkt der nun als vorausschauend bezeichneten Industriepolitik. Seit 1983 stellt die Industriepolitik einen wichtigen Aspekt positiver Anpassungspolitik dar. In diesem Zusammenhang wird die Sichenmg eines Ordnungsrahmens, der die Autonomie der Unternehmen schützt, Auswüchse und Mißbräuche aber verhindert. 35
32
Vgl. Neumann, Uterwedde, 1986.
33 Vgl. 34
kurz Oberender, Daumann, 1995, S. 26-32.
Sturm, 1991,S. 14.
.
35 Siehe Sesters, 1988, S.
53.
Beschäftigung und Industriepolitik
385
I. "Strukturerhaltung"
Verfolgt werden im Rahmen dieser AnpassWlgsstrategie zwei Wlterschiedliche Optionen. Zum einen in AnlehnWlg an die StrukturerhaltWlgspolitik FördefWlg von Branchen, die dem Wettbewerbsdruck nicht mehr Stand halten können. Dieser Zweig der Industriepolitik wird überwiegend aus den Wlter B. angeführten VersorgWlgszielen abgeleitet. Es soll ein politisch defIniertes VersorgWlgsniveau erreicht werden, das sich in diesem Umfang Wlter WettbewerbsbedingWlgen nicht einstellen würde. 36 Landwirtschaft Wld Bergbau sind hier zwei Bereiche, deren Subventionsvolumen mittlerweile sogar ihren Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt übersteigt.37
11. "Strukturanpassung"
Darüber hinaus werden Subventionen zur "sozialen AbfedefWlg" des Strukturwandels an Branchen verteilt, um die Folgen des - durchaus als notwendig erachteten - Strukturwandels für die Betroffenen abzumildern. So werden Übergangshilfen dann als zulässig erachtet, "wenn bei plötzlich auftretenden Strukturproblemen das freie Spiel der Marktkräfte zu Überreaktionen führt Wld in benachbarten Branchen ganze Insolvenzketten entstehen könnten. ,,38 Ihrer BeStimmWlg folgend müssen diese industriepolitischen Maßahmen freilich zeitlich begrenzt ausgereicht Wld degressiv ausgestaltet werden. Nur so kann ein Anreiz gesetzt werden, die erforderlichen AnpassWlgsmaßnahmen auch tatsächlich in die Tat umzusetzen. "Tatsächlich ist jedoch das Produktionsniveau in den meisten Wlter AnpassWlgsdruck stehenden Branchen über viele Jahre hinweg anhaltend hoch geblieben, Wld das Auslaufen der AnpassWlgshilfen ist eine seltene Ausnahme Wld keineswegs die Regel. ,,39 ,,Mit welcher Intention die staatlichen Hilfen auch immer gegeben wurden, im Ergebnis haben sie [... ] den Charakter von ErhaltWlgssubventionen gehabt. Sie dienten dazu, daß die relative Einkommensposition der Erwerbstätigen in diesen Wirtschaftszweigen auf einem Niveau gehalten wurde, das bei der gebotenen Palette von Gütern Wld Diensten Wld dem Umfang der gezeigten Anpassungsaktivitäten nicht hätte gehalten werden können. ,,40 Zurecht stellt in diesem Zusammenhang Nienhaus die Frage, ob die HoffnWlg auf die Durchführung von AnpassWlgsmaßnahmen von vorneher-
36 Siehe Gerstenberger, 1988, S. 229. 37 Zur Subventionspraxis im Bergbau siehe ausführlich Peters, 1988a, S. 161f. 38 Görgens, 1994, S. 410. 39 Nienhaus, 1989, S. 354. 40 Gerstenberger, 1984, S. 192.
25 Pelers
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Egon Görgens und Peter Thuy
ein gerechtfertigt erscheint,41 angesichts der Tatsache, daß die betroffenen Unternehmen einerseits unter dem allmählich gewachsenen Druck des Marktes nicht reagiert haben und andererseits der Anpassungsdruck durch die Beihilfen ein Stück weit von den Krisenbranchen genommen wird,42 das unbedingte Erfordernis zur Reaktion also nicht mehr mit ganzer Härte zu Tage tritt. Unter dem Beschäftigungsaspekt sind sowohl Erhaltungssubventionen als auch Anpassungshilfen auf den ersten Blick positiv zu bewerten, da sie den Verlust von Arbeitsplätzen verhindern und die Beschäftigung in den betroffenen Unternehmen aufrecht erhalten helfen. ,,Es fragt sich aber, ob ausgerechnet 'angeschlagene' Unternehmen besonders geeignet sind, durch notwendige (aber bisher versäumte) Produktivitätssteigerungen und/oder den Aufbau neuer Produktionsrichtungen alte Arbeitsplätze dauerhaft zu sichern oder neue Dauerarbeitsplätze zu schaffen. [... ] Es gibt aus ökonomischer Sicht eigentlich kein überzeugendes Argument, warum man Mittel, die der Schaffung neuer Dauerarbeitsplätze in einer bestimmten Region dienen sollen, ausgerechnet jenen Unternehmungen überläßt, denen es in der Vergangenheit gerade nicht gelungen ist, sich rechtzeitig an neue Marktdaten anzupassen...43 Überdies muß berücksichtigt werden, daß die Finanzierung der gewährten Subventionen entweder über die Erhebung von Steuern oder durch eine Finanzmittelaufnahme am Kapitalmarkt finanziert werden muß. Beides wirkt sich aber insgesamt gesehen negativ auf Wachstum und Beschäftigung aus. Höhere Steuern schmälern den Gewinn der Unternehmen und damit die Rendite des eingesetzten Kapitals, wodurch Investitionen im Auslan~ attraktiver gemacht werden. Dorthin wandert mit dem Kapital dann aber auch die Beschäftigung ab. Erfolgt die Subventionsfmanzierung über den Kapitalmarkt, so fUhrt dies zu einem Anstieg des Zinsniveaus, was gleichfalls negativ auf Investitionstätigkeit und Beschäftigung zurückschlägt. Somit werden nicht nur Arbeitsplätze in den geförderten Industrien nicht erhalten, es wird auch das Beschäftigungswachstum in anderen Bereichen der Wirtschaft behindert, so daß per saldo kaum ein positiver Beschäftigungseffekt resultieren dürfte. Hinzu kommt, daß durch die Subventionierung ein Verdrängungseffekt am Arbeitsmarkt dergestalt zu beobachten ist, daß das Lohnniveau in den altindustriellen Branchen gegen den Markt hoch gehalten werden kann und so anderen, potentiell leistungsfähigeren Unternehmen diese Arbeitskräfte vorenthalten werden. Überdies sorgt der Umstand, daß tendenziell eher Großunternehmen in den Genuß von Erhaltungs- und An-
41 Vgl. Nienhaus, 1989, 354f. 42 Siehe Besters, 1988, S. 53-69. 43 Nienhaus, 1989, S. 356f.
Beschäftigung und Industriepolitik
387
passungsbeihilfen kommen, weil sie eher als kleinere Wettbewerber in der Lage sind, politisch Druck auszuüben, dafiir, daß der Druck zwn Ausscheiden oder zur Beschäftigungsreduzierung von Groß- auf Kleinunternehmen verlagert wird, wodurch einerseits unter wirtschaftlichen Kalkülen sichere zugunsten staatlich alimentierter Arbeitsplätze geopfert werden und andererseits das Beschäftigungsniveau tendenziell sinken wird. 44
ill. Förderung zukunftsträchtiger Branchen und Unternehmen Aus diesen Gründen wandte sich die Industriepolitik spätestens Mitte der achtziger Jahre von dieser Strategie ab und konzentrierte sich stärker auf die Förderung von 'Zukunftsindustrien'. ,,Dieser Zielsetzung liegt das Gestaltungsprinzip zugrunde. ,,45 Der industriepolitische Eingriff erfolgt hier im voraus, mit dem Ziel der Erschließung von Expansionspotentialen. Hierzu ist freilich erforderlich, staatlicherseits expansionsträchtige Branchen zu identifizieren und sie dann zu fördern. Dazu wurden vor allem die Forschungs- und Entwicklungsförderung ausgebaut. In Ermangelung solchen Wissen verlegt sich der Staat hier auf die relativ undifferenzierte Förderung von Forschung und Entwicklung, sowie die Unterstützung von als Schlüsseltechnologien bezeichneten Produktionsbereichen. 46 Damit, so hofft man, wird die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland gestärkt, was sich letztlich beschäftigungserhöhend auswirken soll. Abgeleitet wird dieses Konzept aus dem Argument der Existenz externer Effekte sowie aus dem Umstand, Forschungsausgaben zur Weiterentwicklung von Schlüsseltechnologien seien zu hoch, um von einzelnen Unternehmen allein getragen werden zu können. Neben der faktischen Unmöglichkeit der Identifikation beschäftigungsträchtiger Zukunftsbranchen sieht sich die vorausschauende Industriepolitik vor dem Dilemma, daß sich die verschiedenen Industrieländer bei ihrer Förderpraxis auf die gleichen Industriebereiche und Güterklassen konzentrieren. ,,Die intensive Förderung identischer "sunrise industries" in allen Ländern könnte ähnliche Wirtschaftsstrukturen und Überkapazitäten in den neuen Industrien bewirken,,47 wie wir sie bereits bei einer Reihe anderer Branchen beobachten konnten. Die Industriepolitik steht somit in der Gefahr, sich ihre Sorgenkinder von morgen selbst heranzuzüchten. Daß dem so ist, dafiir gibt es eine Reihe von Anhaltspunkten. So scheinen alle Länder über eine identische Auflistung von vermeint-
44 Siehe Streit, 1987, S. 134f. 45 Vgl. v. Hauff, 1991, S. 109. 46 Siehe HarteI, 1987, S. 13. 47 Gerstenberger, 1989, S. 33. 25'
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Egon Görgens Wld Peter Thuy
lichen Zukunftsindustrien zu verfiigen,48 wie die hohe Korrelation der branchenmäßigen Ausgaben für die Förderung von Forschung und Entwicklung in den großen Industriestaaten deutlich vor Augen führt. 49 Dabei ist es häufig mehr das technische Faszinosum als ökonomischer Kalkül, der das Wachstumsund Beschäftigungspotential von Hochtechnologiebranchen oft größer erscheinen läßt, als es tatsächlich ist. so Auch kann nicht ausgeschlossen werden, "daß sich die teilweise massive staatliche Forschungs- und Entwicklungsförderung einzelner Großunternehmen bestimmter Branchen lediglich in einer Art Dividendenaufbesserung infolge ersparter unternehmenseigener Forschungsaufwendungen niedergeschlagen hat und somit von einer induzierten Strukturwandelbeschleunigung keine Rede sein kann."SI In diesem Falle bleiben selbstredend auch die intendierten Beschäftigungswirkungen aus.
IV. Strategische Handelspolitik Das Instrument der strategischen Handelspolitik gehört zwar traditionell nicht in den Zielkatalog der in der Bundesrepublik praktizierten Industriepolitik, doch partizipiert Deutschland in nicht unerheblichem Maße an der Förderung des Flugzeugbaus in der EU, am Airbus-Projekt. Dieses Unternehmen bewegt sich auf einem Markt, wo die Lemkurveneffekte besonders groß sind und zudem ein hoher Fixkostenanteil festzustellen ist, so daß mit steigender Produktionszahl die Fixkostendegression besonders groß ausfällt. Gleichwohl hat die Subventionierung von Airbus Industries, wie eine entsprechende Untersuchung von Baldwin und Krugman gezeigt hat, nicht den gewünschten Erfolg erbracht. s2 Zwar sind die beabsichtigten Wohlfahrtsverluste für die USA eingetreten, doch konnten die frei werdenden Renten nicht nach Europa umgelenkt werden. Vielmehr sind diese von Drittländern und deren Fluglinien und Passagieren durch sinkende Preise vereinnahmt worden.
E. Empirischer Befund Versucht man die Beschäftigungwirkungen industriepolitischer Maßnahmen abzuschätzen, so muß auch hier zwischen den beiden Zweigen industriepolitischen Vorgehens unterschieden werden. 48 Siehe ausführlich Faust, Schedl, 1984. 49 Ausführlich K1odt, 1986.
so Siehe Gerstenberger, 1989, S. 33. SI S2
Peters, 1988b, S. 432. Siehe ausführlich Baldwin, Krugman, 1987.
389
Beschäftigung Wld Industriepolitik Tabelle 1 Struktur der Finanzhilfen und Steuervergünsögungen des Bundes 1970 bis 1996" Bezeichnung
1970
1980
1990
1996
Land- Wld Forstwirtschaft
34,0
15,0
19,5
10,7
Gewerbliche Wirtschaft
26,5
37,5
49,1
54,9
Verkehr
6,5
10,1
6,7
3,4
WohnWlgswesen
9,4
15,8
15,6
24,0
19,3
15,7
4,1
1,3
4,3
5,9
5,1
5,6
Sparf6rderung Wld VennögensbildWlg Sonstige Finanzhilfen Wld SteuervergünstigWlgen
"Gemessen als Anteil am Gesamtvolumen; Angaben in Prozent. Quelle: Deutscher Bundestag, 1995, S. 12f.
Dabei ist ZWlächst festzustellen, daß zwischen 1970 und 1996 eine deutliche Verschiebung in der Struktur der Finanzhilfen des Bundes zu beobachten ist. Neben einer deutlichen Verringerung des Anteils der Beihilfen für die Landwirtschaft,53 die eindeutig als Erhaltungssubventionen charakterisiert werden können, ist zu beobachten, daß im Zeitraum von 1970 bis 1996 eine kontinuierliche Zunahme der im engeren Sinne als industriepolitische Maßnahmen zu klassifizierenden Subventionen stattgefunden hat. Während zu Beginn des Betrachtungszeitraumes nur rund ein Viertel der Finanzhilfen an die gewerbliche Wirtschaft gingen, waren es 1996 mehr als die Hälfte. 54 Im gleichen Zeitraum
53 Aus der Tatsache, daß die Bundessubventionen für die Landwirtschaft seit 1970 tendenziell gesunken sind, darf keinesfalls geschlossen werden, daß die Subventionierung in dieser Branche insgesamt zurückgegangen sei. Vielmehr kommt dieser Effekt durch eine Verlagerung der Subventionierung von den Nationalstaaten auf die Europäische Union zustande. 54 Die nachfolgende Betrachtung beschränkt sich auf diese Beihilfen, obwohl auch die Vergünstigungen für Verkehr und Wohnungswesen unter den Oberbegriff Industriepolitik gefaßt werden könnten, da auch hier die Begünstigung einzelner Wirtschaftszweige erreicht wird. Da die Zielsetzung dieser finanziellen Hilfen in der Regel jedoch nicht industriepolitischer Natur ist, bleiben sie in der weiteren Betrachtung ohne Berücksichtigung.
Egon Görgens und Peter Thuy
390
erhöhte sich der für industriepolitische Zwecke eingesetzte Betrag von 3,7 Mrd. DM im Jahre 1970 auf 23,5 Mrd. DM im Jahr 1996. 55 Tabelle 2 Finanzhilfen und Steuervergünstigungen des Bundes an die gewerbliche Wirtschaft (in Mrd. DM)
1970
1980
1990
1996
532
2587
3323
10000"
19
278
199
45
150
527
534
674
Schiffbau
23
254
381
442
Luftfahrt
150
372
1134
239
0
49
0
0
2051
4249
7157
8319
772
847
1806
3733
3702
9163
14534
23452
Bergbau Energie- und Rohstoffe Technologie- und Innovationsförderung
Stahlindustrie Regionale Strukturmaßnahmen allgemeine Vergünstigungen Gesamt
"Anstieg bedingt durch die erstmals 1996 in Höhe von 7,5 Mrd. DM gewährten Verstromungshilfen. Quelle: Deutscher Bundestag, 1995, S. 12f.
Von besonderem Gewicht sind in diesem Zusammenhang vor allem die Hilfen für unterentwickelte Regionen. Diese flossen ZWlächst im Rahmen der Grenzland- und der Berlinförderung in die Bereiche, von denen man angenommen hatte, sie litten ökonomisch besonders unter der deutschen Teilung. Nach der Wiedervereinigung schloß sich nahtlos die Förderung der neuen Länder an. Diesem Zweck dienen auch die unter "allgemeine Vergünstigungen" zusam55
Deutscher Bundestag, 1995, S. 12f.
Beschäftigung und Industriepolitik
391
mengefaßten Mittel, die überwiegend zur Mittelstandsf6rderung in den neuen Ländern bestimmt sind. Was die Beschäftigungswirkung von strukturerhaltenden und strukturanpassenden Maßnahmen angeht, so kann zwar festgestellt werden, daß Wirtschaftszweige wie die Landwirtschaft, der Bergbau oder die Werften ein Beschäftigungsniveau aufrecht erhalten können, das sie im Winde des internationalen Wettbewerbs nicht aufrechtzuerhalten in der Lage wären, so daß vordergründig ein positiver Beschäftigungseffekt konstatiert werden kann. Freilich wird dieser vermeintliche Erfolg durch eine Reihe von Nachteilen erkauft. 56 So müssen die finanziellen Mittel, die zur Unterstützung siechender Branchen und Unternehmen aufgewendet werden, von erfolgreich wirtschaftenden Unternehmen aufgebracht werden, was sich dort als ein Beschäftigungshemmnis erweist und der Verschwendung von Arbeit und Kapital Vorschub leistet. Überdies sorgt die Strukturerhaltung dafür, daß die Arbeitskräfte nicht in ertragreichere Verwendungen gelenkt werden, wodurch prospektiv expandierende Unternehmen an der Ausdehnung der Beschäftigung gehindert werden. Ist das Lohnniveau in subventionierten Branchen überdies so hoch wie im Bergbau, so wirkt dieser Lohn für andere Wirtschaftszweige in der Region als Lohnuntergrenze und behindert die Beschäftigungsausweitung dort auch auf diese Weise. Zum anderen werden durch diese Spielart der Strukturpolitik tendenziell Großunternehmen begünstigt, da diese in besonders hohem Maße von staatlichen Beihilfen profitieren, das gesamtwirtschaftliche Beschäftigungswachstum in den vergangenen Jahren aber nur unterdurchschnittlich getragen haben. Tabelle 3
Subventionen des Bundes nach Wirtschaftszweigen je Erwerbstätige (nur alte Länder)
1970
1980
1985
1990
1992
Land- und Forstwirtschaft
2102
2618
3964
5793
8765
Steinkohlebergbau
2130
14052
9603
25511
30778
368
4379
3148
10583
17343
Schiffbau
Quelle: Deutscher Bundestag, 1995, S. 17.
56 Siehe
hierzu grundsätzlich und ausführlich Streit, 1987, S. 134-136.
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Egon Görgens und Peter Thuy
Schließlich fällt auf, daß die Subventionen pro Kopf in den vergangenen 25 Jahren kontinuierlich zugenommen haben, woraus geschlossen werden muß, daß der Anpassungsprozeß entweder subventionsbedingt nicht in Gang gekommen ist oder die Gewährung von Beihilfen kein geeignetes Instrument zur Erleichterung von Strukturanpassungsprozessen darstellt. Dennoch stellen Anpassungs- und Erhaltungssubventionen auch 1994 noch den Löwenanteil der Betrieben oder Wirtschaftszweigen gewährten Subventionen. Im Jahre 1994 belief sich der Anteil der Erhaltungshilfen auf 31,9 % dieser Größe, während die Anpassungshilfen 56,9 % ausmachten. 57 Dies ist umso erstaunlicher, als Strukturerhaltungsmaßnahmen unter Bezug auf deren wachstumsbeeinträchtigende Wirkungen in den offiziellen wirtschaftspolitischen Zielvorstellungen ausdrücklich abgelehnt werden. 58 Im Bereich der Förderung fürderhin vermeintlich oder tatsächlich erfolgreicher Unternehmen(szweige) erweist sich die empirische Überprüfimg der Förderungsanstrengungen schon deswegen als schwierig, weil nicht eindeutig identifiziert werden kann, welcher Teil der zur Verfügung gestellten Gelder Mitnahmeeffekten zum Opfer fielen. Zudem fehlt es an theoretisch fimdiertem Wissen darüber, welche Branchen künftig einen besonders hohen Beschäftigungszuwachs versprechen. So kommt es zu einer willkürlichen, zumeist an politischen Wünschen ausgerichteten Auswahl einzelner Branchen. Daß die politischen Entscheidungsträger dabei nicht immer eine glückliche Hand haben, zeigen Projekte, wie die einseitige Förderung der Kernenergie, der entgegen alle wirtschaftliche Vernunft durchgesetzte Bau der Magne~schwebebahn Transrapid,59 wo ein geringer Beschäftigungseffekt mit immerhin 6 Milliarden DM erzwungen werden soll oder die Förderung der Luft- und Raumfahrtindustrie, die - wie die jüngere Vergangenheit gezeigt hat - ohne einen großen Anteil an Verteidigungsaufträgen nicht selbständig überlebensfähig sind. Erkennbare Beschäftigungseffekte in diesen Branchen können empirisch nicht festgemacht werden, da subventionierte und nicht subventionierte Bereiche in der Beschäftigungsstatistik gemeinsam ausgewiesen werden.
57 Eigene Berechnungen auf Grundlage der Daten aus Quelle Deutscher Bundestag, 1995,
S.24.
58 Siehe Peters, 1988b, S. 430. 59 Siehe hierzu die ausführliche Analyse von Göske, 1995.
Beschäftigung und Industriepolitik
393
F.Fazit Zusammenfassend muß der Industriepolitik moderner Prägung ein ähnlich schlechtes Zeugnis ausgestellt werden, wie es in der Vergangenheit bereits die sektorale Strukturpolitik erhalten hat. 60 Den vordergründigen Beschäftigungserfolgen industriepolitischer Maßnahmen stehen Beschäftigungseinbußen andernorts und Fehlallokation von Produktionsfaktoren gegenüber, welche die positiven Wirkungen konterkarieren und die positve Beschäftigungsentwicklung in den geforderten Branchen durch Beschäftigungsverluste in anderen Wirtschaftszweigen verringern, ausgleichen oder sogar übertreffen. Zudem entwickelt sich in einer von Subvention und staatlicher Unterstützung geprägten Umwelt eine Rent-Seeking-Society, in der das Verhalten der Wirtschaftssubjekte eher auf das ,,Abgreifen" von Subventionen als auf die Entdekkung von Marktlücken gerichtet ist. 61 Die praktizierte Industriepolitik gestattet weiterhin die Sozialisierung von Verlusten, während das mit jeder Unternehmung verbundene Risiko auf die Gesellschaft abgewälzt, also sozialisiert werden kann. 62 All dies erscheint kaum geeignet, diskretionäre industriepolitische Maßnahmen als Instrument der Beschäftigungssicherung oder -erhöhung in marktwirtschaftlichen Systemen fiir die ZukurIft zu empfehlen. Vielmehr kommt es darauf an, durch das Setzen geeigneter Rahmenbedingungen ein investitionsfreundliches Klima zu erzeugen, in dem der marktdeterminierte Strukturwandel möglichst ohne kostenintensive Reibungsverluste vonstatten gehen kann. Sollte darüber hinaus gleichwohl die Notwendigkeit staatlicher Eingriffe festgestellt werden, so erscheinen allgemeine, die Wirtschaft als Ganzes begünstigende Maßnahmen allemal erfolgversprechender als die gezielte Förderung von ohne ausreichende theoretische Fundierung lediglich aufgrund von Plausibilitätserwägungen ausgewählten Wirtschaftszweigen und Betrieben.
60 Siehe
beispielhaft Thuy, 1996.
61
Vgl. auch Oberender, 1987a, S. 520.
62
Siehe Streit, 1987, S. 136.
394
Egon Görgens und Peter Thuy
Literaturverzeichnis Arrow, K. (1962): Economic Welfare and the A1location ofRessources for Intervention, in: National Bureau ofEconomic Research (Hrsg.): The Rate and Direction ofInventive Activity, Princeton, S. 609-625. Baldwin, R. E.; Krugman, P. R. (1987): Industrial Policy and International Competition in Wide-bodied Aircraft, in: Baldwin, R. E. (Hrsg.): Trade Policy Issues and Empirical Analysis, Chicago. Besters, H. (1988): Neue Industriepolitik oder Rückkehr zur Ordnungspolitik, in: Klaus, J.; Klemmer, P. (Hrsg.): Wirtschaftliche Strukturprobleme und soziale Fragen, Analysen und Gestaltungsaufgaben, Berlin, S. 53-69. Blum, U. (1994): Industriepolitik - Traum oder Trauma ?, in: derselbe (Hrsg.): Wettbewerb und Unternehmensfiihrung, Stuttgart, S. 99-125. Brander, J. A; Spencer, B. J. (1983): International R&D Rivalry and Industrial Strategy, in: Review ofEconomic Studies, Vo1.50, S.707-722. Conrad, M. (1987): Industriepolitik als wirtschaftspolitische Option in der Sozialen Marktwirtschaft, Hamburg. Curzon Price, V. (1981): Industrial Policies in the European Community, London. - (1986): Industrial and Trade Policy in aPeriod of Rapid Structural Change, in: Außenwirtschaft, H. 2/3, S. 201-223. Deutscher Bundestag (1984): Sicherung vorhandener und Schaffung neuer Arbeitsplätze durch eine aktive Industriepolitik, in: Bundestags-Drucksache 10/2630, Bonn. - (1995): Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung der Finanzhilfen des Bundes und der Steuervergünstigungen gemäß § 12 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft (StWG) vom 8. Juni 1967 für die Jahre 1993 bis 1996 (Fünfzehnter Subventionsbericht), in: BT-Drucksachen, Nr. 13/2230 v. 1.9.1995. Donges, J.; Schmidt, K.-D. (1988): Mehr Strukturwandel für Wachstum und Beschäftigung, Tübingen. Eickhof, N. (1993): Zur Legitimation ordnungspolitischer Ausnahmeregelungen, in: ORDO - Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft, Bd,44, S. 203222. Faust, K.; Schedl, H. (1984): Internationale Wettbewerbsflihigkeit und strukturelle Anpassungserfordernisse, München.
Beschäftigung und Industriepolitik
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Industriepolitik in Deutschland und Frankreich: Ziele - Konzepte - Erfahrungen Von Hartmut Berg, Dommmd und Frank Schmidt, Bad Honnef
A. Einleitung: Industriepolitik im Widerstreit der Meinungen Durch die Beschlüsse von Maastricht sind der Europäischen Gemeinschaft neue Befugnisse zuerkannt worden. Art. 3 EGV enthält nun einen Passus, der zur "Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie der Gemeinschaft" verpflichtet (Art.3 lit. I). Dieser Auftrag hat zumindest fonnal den gleichen Rang wie die in Art. 3 lit. g fonnulierte Aufgabe, ein System zu schaffen, "das den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarktes vor Verfälschungen schützt". Ebenfalls neu in den Vertrag aufgenommen wurde der Art. 102 a. Dort heißt es: ,,Die Mitgliedstaaten und die Gemeinschaft handeln im Einklang mit dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb, wodurch ein effizienter Einsatz der Ressourcen gefOrdert wird." Schließlich ist an Art. 110 EGV zu erinnern, in dem die Gemeinschaft sich verpflichtet, durch ihre Handelspolitik "zur harmonischen Entwicklung des Welthandels ... beizutragen." Industriepolitik will auf die gesamtwirtschaftliche Angebotsstruktur und auf den Prozeß des Strukturwandels Einfluß nehmen. Gestaltende "vorausschauende" Industriepolitik zielt darauf ab, Unternehmen ausgewählter Branchen durch staatliche Hilfe und möglicherweise auch durch staatlichen Schutz zu befähigen, in neue Märkte einzutreten. Dadurch sollen Absatzpotentiale erschlossen werden, die die gesamtwirtschaftliche Wachstumsdynarnik fOrdern und ein Mehr an Beschäftigung ennöglichen. Durch Unternehmenszusammenschlüsse soll heimischen Anbietern jene Größe verschafft werden, die für erforderlich angesehen wird, um im "globalen Wettbewerb" bestehen zu können.
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Protektion wird zugestanden, um heimische Unternehmen so lange vor überlegener Irnportkonkurrenz zu schützen, wie sie benötigen, um Leistungsschwächen und EntwicklungsTÜckstände zu beseitigen. Schließlich fördert der Staat als Finanzier oder auch als Auftraggeber Großprojekte, vornehmlich solche der Kategorie ,,high technology", vor deren Kapitalerfordernissen oder vor deren Risiken private Investoren zurückschrecken. Industriepolitik im Sinne der von uns verwendeten Definition liegt auch vor, wenn der Staat in Marktprozesse eingreift, um den Strukturwandel zu verzögern. Ziel ist es, den Anpassungsdruck abzuschwächen, der dort zu schaffen macht, wo Branchen hartnäckig unter Nachfragemangelleiden - sei es, weil ihre Sortimente Gefahr laufen, durch überlegene Substitute verdrängt zu werden, sei es, weil neue Anbieter (etwa aus ;jungen" Industrienationen) Kosten- und damit Preisvorteile nutzen können, die nicht durch überlegene Qualität, besseren Service oder andere "special skills" ausgeglichen werden können. Industriepolitik in derart von Strukturkrisen heimgesuchten Branchen will den Kapazitätsabbau zeitlich strecken, das abrupte Fortfallen einer großen Zahl von Arbeitsplätzen vermeiden und soziale Härten mildem. Industriepolitik kann sowohl mit dem Ziel eines "unverfälschten Wettbewerbs im Binnenmarkt" als auch mit dem "Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb" in Konflikt geraten. Auch kann Industriepolitik mit der Verpflichtung kollidieren, zur ,,harmonischen Entwicklung des Welthandels beizutragen". Diese möglichen Antinomien sind vor allem in Deutschland Anlaß zu Besorgnissen und Kritik. I Kann man darauf vertrauen, daß die Europäische Gemeinschaft künftig vornehmlich nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen geordnet und fortentwickelt wird? Oder ist zu erwarten, daß die Prinzipien einer Wettbewerbswirtschaft im Integrationsraum durch staatlichen Interventionismus und zunehmende Regulierung mehr und mehr eingeschränkt werden? Soweit diese Fragen am Beispiel der Industriepolitik und ihrer möglichen Konflikte mit den Geboten einer Wettbewerbsordnung diskutiert werden, ist eine gesicherte Antwort noch nicht möglich; denn eine auf Strukturgestaltung zielende europäische Industriepolitik gibt es erst in eher zaghaften Ansätzen. Ein solider empirischer Befund steht hier noch aus. Die Befiirworter einer strikt marktwirtschaftlichen Ordnung müssen sich folglich zunächst damit begnügen, Besorgnisse vorzutragen, Warnungen zu äußern und auf mögliche Zielkonflikte
I
Vgl. Issing, 1986; Siebert, 1992; Streit, 1992; Berthold, 1993; Möschel, 1992, 1993.
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hinzuweisen. Die Anhänger einer forciert betriebenen Industriepolitik verzichten zumeist auf den (wohl auch schwer zu fiihrenden) Nachweis der marktwirtschaftlichen Unbedenklichkeit ihrer Absichten. Sie stützen sich vornehmlich auf das Argument, die Europäische Gemeinschaft werde im Wettbewerb auf fiir Wachstum und Beschäftigung unverzichtbaren ,,zukunftsmärkten" mehr und mehr zurückfallen, wenn der Staat hier weitgehend untätig bleibe? Industriepolitische Programme, die auf Gemeinschaftsebene entwickelt werden, müssen stets ein Kompromiß auf der Grundlage zunächst divergierender Vorstellungen sein. Erfolge hängen folglich nicht zuletzt davon ab, ob es gelingt, aus unterschiedlichen ,,Philosophien" der Mitgliedstaaten eine schlüssige Konzeption zu entwickeln. Deutschland und Frankreich gelten in der, Europäischen Gemeinschaft als Vertreter konträrer industriepolitischer Konzeptionen: Während in der Bundesrepublik Eingriffe in den Marktmechanismus nach ordoliberalem Credo als grundSätzlich problematisch gelten, unterstellt man der französischen (Wirtschafts-)Politik häufig eine starke Neigung, umfassend und nachdrücklich auf die Gestaltung der Wirtschaftsstruktur einzuwirken. Die Befunde empirischer Analysen zeigen jedoch, daß diese Vorstellungen der Differenzierung bedürfen. 3 Ziel unseres Beitrages ist es, diese Differenzierung noch einmal deutlich zu machen und dadurch der Gefahr einer "terrible simplification" auch in der Diskussion über das Pro und Contra von industriepolitischen Engagements entgegenzuwirken.
B. Frankreich: Umfassendes industriepolitisches Engagement I. Nachkriegsjahre: Industrialisierungsrückstand, "planification", Verstaatlichung
Industriepolitik hat in Frankreich eine Tradition, die sich bis in das 17. Jahrhundert zurückfUhren läßt. Damals wurde von Jean B. Colbert (1619 - 1683), dem einflußreichen Kanzler von Ludwig XIV., jene Politik betrieben, die seither als Merkantilismus bezeichnet wird. Der Staat hat in diesem Konzept nicht nur eine leistungsfähige Infrastruktur zu schaffen, also in der damaligen Zeit vor allem Straßen und Kanäle zu bauen; es obliegt ihm vielmehr auch, die Gründung von Unternehmen zu fördern, die Qualität der angebotenen Sortimente zu
2 Vgl.
3 Vgl.
Seitz, 1990, Neumann, Uterwedde, 1986; Franzmeyer, u, a., 1987; Kokalj, Albaeh, 1987.
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verbessern, den heimischen Manufakturen Absatzmöglichkeiten zu erschließen und sie vor ausländischer Konkurrenz zu schützen. Noch heute bestehen in Frankreich Banken, Versicherungen und Industrieunternelunen, deren Gründung auf das Betreiben von Colbert zurückgeht. Nach dem Zweiten Weltkrieg zielt das staatliche Engagement zunächst vor allem darauf ab, die durch Kriegszerstörungen schwer getroffene Wirtschaft wieder aufzubauen. Erschwerend kommt hinzu, daß Frankreich gegenüber anderen westlichen Industrieländern einen erheblichen Entwicklungsrückstand aufweist. Die Zahl der in der Landwirtschaft Tätigen übersteigt noch 1945 die der Industriebeschäftigten. Die industrielle Produktion ist an wenigen Standorten konzentriert, während der übrige Teil des Landes wesentlich durch die Landwirtschaft geprägt wird. Zudem sind die meisten Industriebetriebe in eher traditionellen Bereichen wie etwa der Grundstoffindustrie tätig, während die Investitionsgüterhersteller nur ein geringes Gewicht aufweisen: Ihr Anteil an der Bruttowertschöpfung beläuft sich 1960 lediglich auf 6 Prozent, in der Bundesrepublik beträgt der vergleichbare Wert im betrachteten Zeitraum der ersten Nachkriegsjahre etwa das Doppelte. Eine große Zahl von Betrieben ist zudem veraltet, die Kapitalausstattung ist zumeist unzureichend, den Sortimenten mangelt es häufig an Attraktivität, modeme Vertriebssysteme sind eher die Ausnahme. Ziel staatlicher Strukturpolitik kann es somit nicht sein, die Struktur der Vorkriegszeit wieder herzustellen; es gilt vielmehr, einen umfassenden Modernisierungsprozeß einzuleiten. Von Bedeutung ist dabei auch der militärische Zusammenbruch im Jahre 1940. Er führt zu der Einsicht, daß die zuvor betriebene Politik eines "gebremsten Strukturwandels" Frankreich nicht nur ökonomisch, sondern auch militärisch und außenpolitisch geschwächt hat. In den Jahren 1944-1946 kommt es zu Verstaatlichungen, insbesondere in der Energieversorgung und im Verkehr. Die Nationalisierung des Bankensystems und des Versicherungswesens ermöglicht eine weitgehende staatliche Kontrolle über die Kapitalversorgung der Wirtschaft. Staatsunternelunen dienen auch dazu, die Ziele durchzusetzen, die im Rahmen der "planification" verwirklicht werden sollen. Schwerpunkt des ersten Planes (1946-1952) ist der Wiederaufbau der Grundstoffindustrien, der als notwendige Voraussetzung für die beabsichtigte Umgestaltung der französischen Wirtschaft angesehen wird. Die für die geplanten Investitionen notwendigen Mittel werden direkt aus dem Öffentlichen Haushalt oder vom staatlich kontrollierten Fonds für die Modernisierung der Ökonomie (FME) bereitgestellt.
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u. Förderung der Unternehmenskonzentration, Zahlungsbilanzprobleme, Protektion
In der zweiten Planungsperiode (1953-1957) werden die Zielvorgaben auf das gesamte Verarbeitende Gewerbe ausgedehnt. Um das Nutzen von Skalenerträgen zu ermöglichen, werden Unternehmenszusammenschlüsse angestrebt und auch finanziell gefördert. Schwerpunkt der Forschungspolitik sind Projekte zur zivilen und militärischen Nutzung der Kernenergie. Begleitet werden beide Rahmenpläne von einer protektionistischen Handelspolitik, die ausländischem Angebot den Zugang zum französischen Markt weitgehend verwehrt. Um die Absatzchancen der Exportwirtschaft zu erhöhen, wird der Franc mehrfach abgewertet. Erst mit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft beginnt Ende der 50er Jahre eine allmähliche, zunächst sehr vorsichtig betriebene Liberalisierung der französischen Außenwirtschaftsbeziehungen. Die Öffnung des heimischen Marktes fUr das Angebot der integrationspartner läßt rasch erkennen, daß die Wettbewerbsposition der französischen Industrie nahezu durchweg schwach ist. Die Unternehmen sind traditionell auf den französischen Binnenmarkt und auf die Belieferung der Kolonien ausgerichtet. Importkonkurrenz haben sie zuvor dank hoher Handelshemmnisse kaum fUrchten müssen. Es fehlt ihnen folglich an attraktiven Sortimenten, an modemen Produktionstechniken und an geeigneten Unternehmensstrategien, um dem Vordringen ausländischer Konkurrenten auf dem heimischen Markt angemessen begegnen und im Gegenzug ihre Exporte in die Märkte der Integrationspartner steigern zu können. So kommt es im Zuge der Handelsliberalisierung zu kräftig steigenden Importen, die bei weniger rasch wachsenden Exporten immer wieder zu Leistungsbilanzdefiziten fUhren. Die Wettbewerbsfähigkeit der französischen Industrie und das Aufholen des Industrialisierungsrückstandes werden folglich zu vordringlichen Anliegen der Wirtschaftspolitik. Hinzu kommt in der Ära de Gaulle das Streben nach außen- und sicherheitspolitischer Autonomie. Gefördert werden Branchen, die, wie die Nuklearwirtschaft und die Elektronikindustrie, militärische Schlüsselprodukte herstellen. Hilfen erhalten jedoch auch Sektoren, die, wie der Schiffbau und die Textilindustrie, unter Strukturkrisen leiden. Großunternehmen sollen die angestrebten Produktivitätsfortschritte erzielen und neue Exportmärkte erschließen. ,,National champions", die im Inland zumeist MarktfUhrer oder gar Monopolist sind, werden als die idealen Partner fUr ehrgeizige technologische Großprojekte angesehen. Gelegentlich wird auch Ko-
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operation mit ausländischen Partnern betrieben, wenn die eigenen Mittel und Möglichkeiten für den Erfolg nicht auszureichen scheinen. 4 Neben gezielten, strukturbeeinflussenden Interventionen bestehen jedoch auch Ansätze zu einer Liberalisierung: Lohnindexierungen werden mit Ausnahme des staatlich garantierten Mindestlohnes abgeschafft. Die nach wie vor erstellten Wirtschaftspläne enthalten zwar weiterhin qualitative und quantitative Vorgaben; diese werden aber mehr und mehr als unverbindlicher Orientierungsrahmen interpretiert, so daß sich ein größerer Raum für unternehmerische Dispositionen ergibt. Hinzu kommt die bereits erwähnte schrittweise liberalisierung des Außenhandels im Rahmen der neugegriindeten Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Ausländische Direktinvestitionen werden jedoch weiterhin einer strikten Kontrolle unterworfen.
m. Industriepolitik im Konflikt von Strukturkonservierung und Modernisierung Die Förderung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und das Erreichen der Autarkie bei militärisch bedeutsamen Schlüsseltechnologien bleiben bis in die 70er Jahre für die Ausrichtung der französischen Industriepolitik bestimmend. Zugleich werden erhebliche Mittel in Krisenbranchen gebunden. So hätte etwa die Eisen- und Stahlindustrie die Mitte der 60er Jahre beginnende Stahlkrise aus eigener Kraft vermutlich nicht überstehen können. Die Regierungen unter Giscard bemühen sich allerdings, die Subvet:ltionen an notleidende Branchen oder in Schwierigkeiten geratene Großunternehmen allmählich einzuschränken. Die angestrebte Konzentration der staatlichen Fördermaßnahmen auf wenige, zukunftsorientierte Schlüssel industrien gelingt jedoch nicht. Der Staat bleibt in zahlreichen Branchen präsent, ohne daß die strukturellen Probleme der französischen Wirtschaft gelöst werden können: Die Konsumgüterindustrie sieht sich wachsender Konkurrenz aus der EWG und den Schwellenländern ausgesetzt. Die Automobilindustrie ist nur mit Einschränkungen wettbewerbsfähig. Prekär ist auch die Position der Luft- und Raumfahrtindustrie. Erhebliche Schwächen zeigen sich schließlich im Maschinenbau und in der Elektrotechnischen Industrie. Die nach den bei den Ölkrisen weltweit einsetzende Rezession fUhrt in Frankreich zu einem raschen Anstieg der Arbeitslosigkeit und zu einer hohen Inflationsrate. Zugleich müssen immer wieder Handelsbilanzdefizite hingenom-
4 Vgl.
Berg, Mammen, 1981; Berg, Tie1ke-Hosemann, 1988.
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men werden, die belegen, wie schwach es wn die internationale Wettbewerbsposition der französischen Exportwirtschaft letztlich noch immer bestellt ist. Die Regienmgsübernahme durch die Sozialisten fUhrt seit 1981 zu Modifikationen der industriepolitischen Strategie, ohne daß es indes zwn Bruch mit den interventionistisch geprägten Traditionen der französischen Wirtschaftspolitik kommen würde. Im Gegenteil: Die Stahlindustrie - schon zuvor teilweise in öffentlicher Hand - wird nwunehr vollständig verstaatlicht. Ziel der Sozialisten ist es, die Wettbewerbsfähigkeit der französischen Industrie auf breiter Front zu stärken. Dies bedeutet eine Abkehr von der unter Giscard verfolgten "Nischenstrategie", nach der nur Branchen gefordert werden sollten, die sich dem Ziel internationaler Wettbewerbsfähigkeit schon weitgehend angenähert hatten. Gegen diese Praxis wird nwunehr der Vorwurf erhoben, traditionelle Industriezweige vernachlässigt und die zugehörigen Märkte ausländischer Konkurrenz preisgegeben zu haben. Das als Alternative propagierte ,,Produktionskettenkonzept" versucht die Interdependenz verschiedener Sektoren zu berücksichtigen. Ziel dieser umfassenden Modernisienmgsstrategie ist es, Marktanteile zurückzugewinnen. Die Fördenmg von Spitzentechnologien bleibt ein zentrales Element der Industriepolitik. Die verstärkten Erhaltungsmaßnahmen für Krisenbranchen erweisen sich als äußerst kostspielig. Die aus diesem Engagement resultierenden Belastungen wachsen, nachdem Maßnahmen zur Fördenmg der Konjunktur kawn Erfolg haben und schließlich von einem Konsolidienmgsprogramm (initiiert vom damaligen Wirtschaftsminister Jacques Delors) abgelöst werden. Damit wird der Versuch aufgegeben, in von Strukturkrisen betroffenen Bereichen einen Kapazitätsabbau zu vermeiden. Die damit unausweichlichen Entlassungen werden jedoch durch Sozialprogramme begleitet. In der zweiten Hälfte der 80er Jahre wird der Staatseinfluß unter der bügerliehen Regienmg Chirac wieder zurückgenommen. s Es kommt zur Privatisienmg vormals verstaatlichter Unternehmen. Auch in der Industriepolitik erfolgt eine Neuorientienmg. Man hat einsehen müssen, daß die angestrebten Ziele im Rahmen der nationalen Möglichkeiten vielfach nicht hatten erreicht werden können. Diese Einsicht fördert die Bereitschaft, der Europäischen Gemeinschaft zusätzliche Kompetenzen zuzugestehen. Gemeinschaftsprojekte unter angemessener Beteiligung französischer Unternehmen und nach Möglichkeit auch unter Anerkennung einer fiilirenden Rolle Frankreichs sollen jetzt dafür sorgen, daß die Europäische Gemeinschaft und damit nicht zuletzt auch die französische Wirt-
5 Vgl. Passeron, 1993; Uterwedde, 1993. 26*
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schaft im Wettbewerb mit den anderen Mitgliedern der Triade, also mit den USA und mit Japan, nicht mehr und mehr ins Hintertreffen gerät. Zieht man ein Resümee und fragt man nach den Erfolgen der französischen Industriepolitik, so ergibt sich ein doch wohl eher enttäuschender Befund: Dies gilt vor allem fiir den ehrgeizigen Versuch, auf rasch wachsenden Märkten der Kategorie ,,high technology" einen ,,national champion" zu kreieren und diesen durch Subvention und Protektion international wettbewerbsfähig zu machen. Das Verfehlen der angestrebten starken Wettbewerbsposition in den dazu geförderten Branchen erklärt vermutlich, warum es wiederholt zu einer strategischen "Neu-Positionierung" der französischen Industriepolitik gekommen ist. Das Vertrauen auf die Befähigung eines starken Staates zur Gestaltung der gesamtwirtschaftlichen Angebotsstruktur und zur gezielten, wachstumsfördernden Einflußnahme auf den Prozeß des Strukturwandels - dieses Vertrauen und damit die merkantilistische Tradition der französischen Wirtschaftspolitik - erscheint indes noch immer ungebrochen zu sein.
C. Deutschland: Dominanz verzögernder Strukturpolitik I. Ausgangslage: Zerstörung, Besetzung, Teilung Bei Kriegsende ist die einheitliche Wirtschaftsorganisation des Deutschen Reiches zusammengebrochen. Die zentrale ,,Kommandowirtschaft" der Kriegsjahre ist nicht mehr funktionsfähig. Die industrielle Produktion in den Westzonen beträgt 1946 nur noch 33 Prozent des Standes von 1938. Die Verkehrswege weisen durch Bombardierung und Sprengungen erhebliche Schäden auf: 17.000 Weichen, 3.150 Eisenbahnbrücken und 3.450 km Schienenwege sind zunächst außer Betrieb; 70 Prozent der über Wasser fiihrenden Eisenbahnbrücken liegen in der Tiefe und blokkieren dadurch sowohl die Bahn als auch die Schiffahrt. Allein im Rhein müssen 1.700 Schiffe gehoben werden. Es besteht ein drastischer Mangel an Lokomotiven und Güterwagen. Vom Wohnungsbestand der Vorkriegszeit sind 20 Prozent völlig vernichtet. Jeder 3. Haushalt verfügt über keine Wohnung. Die meisten Großstädte sind durch Bombenangriffe und Kampfhandlungen so stark zerstört, daß ein Wiederaufbau zunächst von vielen fiir unmöglich erachtet wird. Das Produktionspotential der deutschen Wirtschaft ist durch Bombenangriffe nicht unerheblich reduziert. Hinzu kommen die Demontagemaßnahmen der ersten Nachkriegsjahre. In das Gebiet der späteren Bundesrepublik Deutschland strömen nach Kriegsende etwa 6 Mio. Vertriebene und Flüchtlinge. Bis 1961, dem Jahr des Baus der Mauer, verdoppelt sich diese Zahl vor allem durch Zuwanderungen
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aus der DDR. Die verfügbaren Arbeitsplätze reichen zunächst bei weitem nicht aus, wo einen hohen Beschäftigungsstand zu ermöglichen. Noch 1950 beträgt die Arbeitslosenquote 9,5 Prozent Die Angebotsknappheit und die zunehmende Funktionsunfähigkeit des Bewirtschaftungssystems fUhren zur Bildung von Schwarzen Märkten, auf denen die Reichsmark durch rasch steigende Preise mehr und mehr an Wert verliert, bis sie schließlich durch Ersatzwährungen (,,zigarettenwährung") weitgehend verdrängt wird. Die Reichsmark kann die typischen Geldfunktionen als allgemein anerkanntes Tauschmittel, als Wertmaßstab und als Mediwo der Vermögenshaltung nicht mehr erfüllen. Eine Währungsordnung besteht nicht mehr. Auch verfügt das Deutsche Reich bei Kriegsende nicht mehr im nennenswerten Umfange über Gold- und Devisenbestände. Die internationale Zahlungsfähigkeit ist nicht mehr gegeben.
11. Währungsreform und "Soziale Marktwirtschaft" Die wichtigste wirtschaftspolitische Maßnahme in den Westzonen ist die am 20. Juni 1948 vorgenommene Währungsreform. Jeder Deutsche erhält eine Kopfquote von 40 Deutscher Mark (DM), später noch einmal 20 DM. Reichs,mark-Guthaben werden im Verhältnis 10:1 wogesteIlt. Der Sachwertbesitz bleibt erhalten. Die Öffentliche Hand wird von allen Verbindlichkeiten befreit. Der für die Bizone errichtete Wirtschaftsrat wird unmittelbar nach der Währungsreform befugt, die bestehenden Preis- und Bewirtschaftungsvorschriften aufzuheben. Dadurch ergibt sich die Chance, die überkommene ,,Kommandowirtschaft" mit ihrer zentralisierten Verwaltungs- und Planungsbürokratie durch eine marktwirtschaftliche Ordnung abzulösen. Die neue Ordnungskonzeption der "Sozialen Marktwirtschaft" wird von der ersten Bundesregierung unter Konrad Adenauer zum wirtschaftspolitischen Leitbild erhoben. Besondere Verdienste wo die Durchsetzung des damit zu verwirklichenden Programms kommen Ludwig Erhard zu, dem populären ersten Wirtschaftsminister der neu gegründeten Bundesrepublik. Die Währungsreform des Jahres 1948 hat zur Folge, daß zuvor gehortete Warenbestände auf den Markt drängen, wo sie dort gegen die knappe und entsprechend begehrte neue Währung einzutauschen. Es kommt zu einem Angebotsschub. Die Arbeitslosigkeit wird dadurch jedoch vorerst nicht fühlbar vermindert. Da die Löhne noch fixiert bleiben als zahlreiche Preise bereits freige-
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geben sind, rufen die Gewerkschaften aus Protest im November 1948 zu einem Generalstreik auf, der jedoch scheitert. Anfang 1950 gelingt es in der Bundesrepublik, nach einer schweren Zahlungsbilanzkrise einen wirtschaftlichen Aufschwung in Gang zu setzen, der in den folgenden Jahren eine außerordentlich starke Dynamik aufweist und zu so spektakulären Erfolgen fUhrt, daß man von einem "deutschen Wirtschaftswunder" spricht. Zwischen 1950 und 1969 beträgt die Wachstumsrate des realen Bruttosozialprodukts im Durchschnitt 6,3 Prozent pro Jahr. Sie ist damit doppelt so hoch wie im Deutschen Reich der Periode 1871-1913. Mit dieser Wachstumsdynamik übertrifft die Bundesrepublik mit Ausnahme Japans alle anderen hochentwickelten Industrieländer. Seit 1950 weist die deutsche Handelsbilanz regelmäßig Überschüsse auf, die nahezu kontinuierlich ansteigen. Die Währungsreserven der Bank deutscher Länder und ihrer Nachfolgerin, der Deutschen Bundesbank, nehmen rasch zu. Die Inflationsrate bleibt durchweg gering. Die Beschäftigung kann von Jahr zu Jahr kräftig gesteigert werden. 1960 ist die Zahl der offenen Stellen mit 465.000 erstmals höher als die der Arbeitslosen (271.000): Das Ziel "Vollbeschäftigung" ist überzeugend verwirklicht. Mitte der 60er Jahre ist die Arbeitslosenquote auf 0,5 Prozent abgesunken.
m. Ursachen des "deutschen Wirtschaftswunders" Die Ursachen des "deutschen Wirtschaftswunders" sind zahlreich. Die ihnen jeweils zukommende Gewichtung ist umstritten. Über ihre grundsätzliche Relevanz besteht jedoch weitgehend Konsens: (1) Der Übergang von einer weitgehend zentralisierten Planungsbürokratie zur Marktwirtschaft eröffnet Chancen zur Entfaltung von unternehmerischer Initiative und begründet auch fiir die Arbeitnehmer wirksame Leistungsanreize. Die Dezentralisierung der Entscheidungskompetenzen, die eine marktwirtschaftliche Ordnung kennzeichnet, gewährleistet ein hohes Maß an Anpassungsflexibilität. Wettbewerb zwingt zur Bereitstellung eines marktgerechten Angebots. Er ist der Garant kostengünstiger Produktion. Er begünstigt die rasche Durchsetzung von technischem Fortschritt und die Einfiihrung neuer Produkte. (2) Die politische Stabilität, die die Bundesrepublik Deutschland in den 50er und 60er Jahren aufweist, und die Dominanz einer konservativen Regierungs-
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partei fördern das Vertrauen der Unternehmer in das Fortbestehen fiir sie günstiger Rahmenbedingungen. Das erhöht ihre Investitionsbereitschaft. (3) Die geringe Wahrscheinlichkeit eines Regierungswechsels vennindert fiir die Unternehmer das Risiko einer abrupten Umgestaltung der Wirtschaftspolitik. Auch dadurch wird ihr Investitionsrisiko verringert. (4) Die Gewerkschaften betreiben bis Mitte der 60er Jahre eine sehr maßvolle Lohnpolitik. Sie hat zur Folge, daß die Lohnerhöhungen nahezu durchweg Jahr fiir Jahr deutlich hinter dem Produktivitätszuwachs zurückbleiben. Das führt auch bei nur wenig ansteigendem Preisniveau durch sinkende (Lohn-) Stückkosten zu einer Verbesserung der Unternehmergewinne. Hohe Gewinne fördern die Investitionsneigung und verbessern die Investitionsmöglichkeiten. Konsequenz einer ausgeprägten Investitionsneigung und ausreichender Finanzierungsspielräume ist eine hohe Investitionsquote. Bei gegebener Kapitalproduktivität bestimmt die Höhe der Investitionsquote die Zuwachsrate des gesamtwirtschaftlichen Produktionspotentials. Bei voller Nutzung der verfügbaren Produktionskapazitäten ist die Höhe der Wachstumsrate des realen Sozialproduktes bei gegebener Kapitalproduktivität folglich abhängig von der Höhe der Investitionsquote. (5) Die Produktivität der Investitionen ist hoch. In den ersten Nachkriegsjahren genügen vielfach relativ geringe Investitionen zur Beseitigung von partiellen Kriegsschäden, um hohe Kapazitätseffekte zu erzielen, da diese ausreichen, um umfangreiche Anlagen und Ausrüstungen wieder voll in Betrieb nehmen zu können. Auch zeigt sich, daß der volkswirtschaftliche Sachkapitalstock durch Kriegseinwirkungen weniger geschmälert worden ist, als man zunächst angenommen hat. Vor allem ist die Infrastruktur (Straßen, Rohrleitungen, Kabelnetze, Wasserstraßen, Schienenwege) entweder weitgehend intakt geblieben oder rasch wieder nutzbar zu machen. (6) Die hohe Investitionsquote hat zur Folge, daß der neugebildete Sachkapitalstock einen hohen Anteil moderner und entsprechend leistungsfähiger Anlagen und Ausrüstungsgüter aufweist. Die Demontage älterer und vielfach im Krieg auch weitgehend verschlissener Anlagen in den ersten Nachkriegsjahren durch die Alliierten erweist sich somit im nachhinein fiir die deutsche Wirtschaft als Vorteil. (7) Bis Ende der 50er Jahre ist ein ausreichendes Angebot an qualifizierten Arbeitskräften verfügbar, da aus der DDR bis zum Bau der Mauer immer wieder
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gut ausgebildete Fachkräfte das Angebot auf dem Arbeitsmarkt der Bundesrepublik ergänzen. (8) Die Wirtschaftspolitik reagiert auf die Zahlungsbilanzkrisen der ersten Nachkriegsjahre nicht mit der Abwertung der Deutschen Mark, sondern mit einer restriktiven Geldpolitik, die ein hohes Maß an Preisniveaustabilität herbeifiihrt und gewährleistet. Die daraus resultierenden Wettbewerbsvorteile der deutschen Exportwirtschaft haben zur Folge, daß die D-Mark zwn geltenden offiziellen Wechselkurs sehr bald unterbewertet ist. Diese Unterbewertung wird nicht durch eine Aufwertung der Inlandswährung korrigiert. Sie bleibt vielmehr bis weit in die 60er Jahre hinein bestehen und verschafft dem deutschen Exportsortiment einen erheblichen Wettbewerbsvorteil. Gleichzeitig verhindert das Festhalten an einem "falschen", nämlich die heimische Währung zu niedrig bewertenden Wechselkurs das verstärkte Wirksamwerden von Importkonkurrenz. (9) Die Steuerpolitik begünstigt die Kapitalbildung und die Investitionstätigkeit. Sie fiihrt dadurch zwar zu einer zunehmenden Ungleichverteilung der Einkommen und Vermögen zu Gunsten der Kapitaleigner. Sie schafft aber auch eine wesentliche Voraussetzung dafiir, daß die hohe Investitionsquote durch eine entsprechend hohe Sparquote "finanziert" werden kann. Gewerkschaften und Arbeitnehmer sind bereit, diese Politik zu tolerieren; denn das kräftige Einkommenswachstum, das sich aus dem raschen Zuwachs des realen Sozialproduktes und aus dem damit verbundenen Mehr an Beschäftigung ergibt, ermöglicht es ihnen, auch bei lohnpolitischer Zurückhaltung einen kontinuierlich steigenden Lebensstandard zu erreichen. (10) Die Haushaltspolitik gewährt Investoren zwar zahlreiche Erleichterungen, sie ist jedoch insgesamt eindeutig restriktiv angelegt. Über einen längeren Zeitraum hinweg kommt es Jahr fiir Jahr zur Bildung von Haushaltsüberschüssen. Nur so ist Preisniveaustabilität zu gewährleisten, weil bei kräftig steigenden Staatsausgaben, hohen Investitionen und expansiver Auslandsnachfrage das Produktionspotential rasch überfordert worden wäre. (11) Weltwirtschaftlieh fällt der Beginn der Phase des "deutschen Wirtschaftswunders" zusammen mit dem ,,Korea-Boom". Der Beginn des Korea-Krieges beansprucht in den USA Produktionskapazitäten. Es kommt auf den Weltmärkten zu Angebotsverknappung und steigenden Preisen. Das verschafft deutschen Produzenten erheblich verbesserte Absatzchancen. Der Anteil der Bundesrepublik am Weltexport steigt. Ein attraktives Exportsortiment, eine geringe heimische Inflationsrate und das Festhalten an einem Wechselkurs, der die Deutsche Mark zunehmend zu niedrig bewertet, haben einen Nachfragesog aus dem Aus-
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land zur Folge. Zunehmende Handelsbilanzüberschüsse und ein rasches Ansteigen der Währungsreserven dokwnentieren diese Entwicklung. Sie ist eine sehr wesentliche Ursache der hohen Wachstwnsdynamik, die die deutsche Wirtschaft in den 50er und 60er Jahren kennzeichnet. IV. Gelöste und ungelöste Anpassungsprobleme Ende der 50er Jahre kommt es erstmals in zwei Branchen zu einer Strukturkrise. Im Bergbau ist es vor allem die Substitution der Steinkohle durch das Heizöl, die hier zu erheblichen Absatzproblemen fiihrt. In der Bekleidungsindustrie läßt das verstärkte Wirksamwerden von preisgünstigen Importen aus weniger entwickelten Volkswirtschaften mit sehr niedrigem Lohnniveau zahlreiche mittelständische Unternehmen unter Druck geraten. Während dem Steinkohlenbergbau durch Subventionierung und Protektion umfassend Hilfe und Schutz gewährt wird, überläßt man die Lösung der Anpassungsprobleme in der Bekleidungsindustrie weitgehend den Marktkräften. Durch das Ausscheiden zahlreicher Betriebe, durch den Übergang zu kapitalintensiven Verfahren, durch das Verlagern von Produktion in das Ausland, vor allem aber auch durch Innovationen und ein neu konzipiertes Marketing gelingt es in dieser Branche, nach einem Anpassungsprozeß, der sich über einen Zeitraum von etwa zehn Jahren erstreckt, die zuvor verlorengegangene Wettbewerbsfahigkeit zurückzugewinnen. Nicht nur im Inland kann der Absatz aufs neue gesteigert werden; auch das Exportgeschäft prosperiert. Ein Vergleich der Strukturkrise im Steinkohlenbergbau und in der Bekleidungsindustrie ist auf mehrfache Weise aufschlußreich. Zum einen ist der Befund bedeutsam, daß die Anpassungsprobleme in der Bekleidungsindustrie nach vorwiegend marktwirtschaftlicher Manier in einem überschaubaren Zeitraum überzeugend gelöst werden konnten. Am Ende dieses Prozesses, in dessen Verlauf zahlreiche Anbieter aus dem Markt ausschieden und Arbeitsplätze in großer Zahl verloren gingen, war die Bekleidungsindustrie leistungsfahiger als zu Beginn ihrer Schwierigkeiten: Ihre Sortimente waren attraktiver, ihre Anlagen und Ausrüstungen moderner geworden. Es war gelungen, die Anpassungsflexibilität zu erhöhen und die Innovationsrate zu steigern. Im Steinkohlenbergbau ist ein Ende der Strukturkrise nach einem Zeitraum von nahezu vierzig Jahren dagegen noch immer nicht in Sicht: Unverändert bestehen hier Überkapazitäten, unverändert müssen immer wieder Zechen stillgelegt und Arbeitskräfte freigesetzt werden. Der Subventionsbedarf ist höher als je zuvor. Er beläuft sich mittlerweile jährlich auf mehr als 10 Mrd. DM. Jeder Arbeitsplatz "unter Tage" wird gegenwärtig mit etwa 130.000 DM (!) p. a. subventioniert.
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Zwn anderen belegt ein Vergleich beider Branchen die Tauglichkeit der "Neuen Politischen Ökonomie" zur Erklärung des Handeins von Politikern. In der Bekleidungsindustrie dominierten die kleinen und mittleren Betriebe. Räwnlich war die Produktion viel stärker gestreut als die des Steinkohlenbergbaus. Weder die Unternehmer noch die in der Bekleidungsindustrie Beschäftigten verfUgten über eine schlagkräftige Interessenvertretung. Das waren fiir die Politik Gründe, sich hier mit Subventionierung und Protektion zurückzuhalten. Im Bergbau bestand dagegen eine ganz andere Situation. Massenarbeitslosigkeit in einem so großen Bundesland wie Nordrhein-Westfalen konnten weder die Bundes- noch die betroffene Landesregierung zulassen, ohne sich der Gefahr auszusetzen, bei der nächsten Wahl gestürzt zu werden. Die Bergarbeiter waren zu nahezu hundert Prozent gewerkschaftlich organisiert. Die IG Bergbau verhandelte zwar flexibel und durchaus mit einem Blick fiir das Machbare, das hinderte sie jedoch nicht, gegebenenfalls durch Protestmärsche, Streiks und andere Formen der Drohung Druck zu erzeugen. Auch die Unternehmen des deutschen Steinkohlenbergbaus verfUgten über eine einflußreiche Lobby. Zudem deckten sich die Interessen der Arbeitgeber weitgehend mit denen der Gewerkschaft: Beide wollten Subventionen, wn im Wettbewerb mit dem Heizöl eine Chance zu haben; beide forderten Protektionismus, wn die Bedrohung durch weit überlegene Importkonkurrenz abzuwenden. V. Wachstumsgunst und Wachstumsschwäche In den 60er Jahren gelingt es, das ,,magische Dreieck" der Wirtschaftspolitik weitgehend zu "entmagisieren" (Karl Schiller). Bei hohem Beschäftigungsstand und ansehnlichen Wachstwnsraten des realen Bruttosozialprodukts bleibt das Ausmaß der Geldentwertung gering. Auch in dieser Zeit kommt es jedoch in einzelnen Branchen zu Absatzproblemen, die nicht lediglich als vorübergehend ,,konjunkturell", sondern als hartnäckig "strukturell" zu befinden sind. Betroffen sind vor allem die Stahlindustrie und der Schiffbau. Auch fiir diese Branchen läßt sich die Vermutung geltend machen, daß das staatliche Intervenieren hier die Probleme nicht gelöst, sondern nicht selten sogar eher verstärkt hat. Für den Schiffbau hat zuletzt die Monopolkommission den Nachweis gefiihrt, daß der Staat an die großen, weniger leistungsfähigen Werften Subventionen gezahlt hat, die es ermöglichten, den effizienter arbeitenden kleinen Betrieben durch rigoroses Unterbieten Aufträge streitig zu machen. In der Stahlindustrie ist es dagegen weniger die deutsche Bundesregierung als die Politik der Europäischen Gemeinschaft fiir Kohle und Stahl, die hier erforderliche Anpassungsprozesse immer wieder verzögert und ein dauerhaftes
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Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage bis heute nicht zustande gebracht hat. Mit dem Eintreten in die 70er Jahre beginnt sich das wirtschaftliche Wachs-
tum in der Bundesrepublik deutlich zu verlangsamen. Wesentliche Ursache dafiir ist die neue Qualität, die der "Standort Bundesrepublik" erfährt, als mit dem
Übergang zu (grundsätzlich) flexiblen Wechselkursen die zuvor bestehende Unterbewertung der Deutschen Mark korrigiert, ja zeitweilig sogar "überkorrigiert" wird. Die deutsche Exportgüterindustrie verliert damit die versteckte Subventionierung, die ihr zuvor durch einen falschen, nämlich die D-Mark zu niedrig bewertenden Wechselkurs gewährt worden war. Aufgehoben wird auch die "Steuer", die inländische Unternehmen zuvor gleichsam zu entrichten hatten, wenn sie bei einem überbewerteten Dollar Direktinvestitionen im Ausland tätigten. Gestrichen wird ferner der "Schutzzoll", der bei falschem Wechselkurs denjenigen westdeutschen Unternehmen zugute kam, die auf dem Inlandsmarkt mit ausländischem Angebot konkurrierten. Schließlich entfällt die Prämie, die ausländischen Investoren bei einem Engagement in westdeutsches Sachkapital durch die Unterbewertung der D-Mark zuvor gezahlt worden war. Die westdeutsche Wirtschaft erweist sich als zu "exportlastig": Thre Produktionsstruktur ist kräftig verzerrt. Auslandsmärkte werden in zu hohem Maße durch Exporte bedient. Direktinvestitionen wurden vernachlässigt. Die Neubewertung der D-Mark im Zeichen eines ,,managed floating" macht zudem deutlich, was zuvor verborgen geblieben war: Die westdeutsche Volkswirtschaft hat eines der höchsten Lohnniveaus der Welt. Anbieter, die hier mit relativ arbeits- oder rohstoffintensiven Verfahren ,,low technology products", also weitgehend standardisierte, in Erzeugung und Vertrieb "problemlose" Produkte herstellen, sehen sich folglich bei marktgerechtem Wechselkurs in ihrer Wettbewerbsfähigkeit massiv bedroht. Entwicklungsländer, die die erste (vor allem auf Versorgung des Inlandsmarktes gerichtete) Phase ihres Industrialisierungsprozesses beendet haben, beginnen, diese Produkte, die sie in vergleichbarer Qualität kostengünstiger herstellen können, nun selbst mit Erfolg auf dem Weltmarkt anzubieten. Der Wachstumsspielraum der westdeutschen Wirtschaft wird in den 70er Jahren auch dadurch eingeschränkt, daß "Umwelt", die zuvor als freies Gut behandelt wurde, sich jetzt durch entprechende gesetzliche Auflagen zum knappen Produktionsfaktor wandelt. Länder mit geringerer Umweltbelastung oder weni-
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ger strenger Kostenzurechnung gewinnen dadurch Standortvorteile fiir Produktionen, die diesen Produktionsfaktor relativ stark beanspruchen. Die Folgen des damit in seinen wesentlichen Ursachen aufgezeigten, massiv und abrupt wirksam werdenden Anpassungszwanges sind bekannt: Traditionelle Standorte büßen an Attraktivität ein. Bestehende Kapazitäten können vielfach nicht mehr ausreichend genutzt werden. Bewährte Sortimente sehen sich in ihren Absatzchancen durch das Auftreten neuer Wettbewerber zunehmend beschränkt. Das durchschnittliche Investitionsrisiko steigt. Gewinne (und Investitionen) geraten nicht nur ,,konjunkturell", sondern auch "strukturell" unter Druck. Ein "Wachstumspessimismus" wird populär, der verunsichert und der dazu veranlaßt, sich beim Engagement in Sachkapital zurückzuhalten und dafiir Finanzanlagen zu bevorzugen. Die Wachstumsdynamik der deutschen Wirtschaft wird in den 70er Jahren auch dadurch geschmälert, daß die Angebotsbedingungen durch die ,,Langzeiteffekte" der seit 1967 betriebenen "fiscal policy" (post-) keynesianischer Lesart und durch die Kostenbelastungen eines forciert ausgeweiteten Systems der sozialen Sicherheit deutlich verschlechtert wurden. Die Folgen dieser Politik sind ein zunehmender Interventionsbedarf durch "Sperrklinkeneffekte" und ,,moral hazard", eine rasch steigende Staatsquote, ein Eskalieren der Staatsverschuldung, "crowding out" und eine erhebliche Belastung der Faktorproduktivität. VI. Industriepolitische Passivität und erste Engagements
Daß in den 50er und 60er Jahren in Deutschland keine Industriepolitik betrieben wird, die eine Stärkung der internationalen Wettbewerbsfahigkeit zum Ziele hat, kann nicht erstaunen. Es sind sicherlich nicht so sehr ordnungspolitische Skrupel, die erklären, warum es hier nicht zu Engagements ähnlicher Art kommt, wie sie in dieser Zeit in Frankreich und Großbritannien immer wieder eingegangen werden. Es entfällt in der Bundesrepublik vielmehr der Anlaß fiir ein derartiges Tätigwerden. Die Forderung, die starke Exportdynamik durch industriepolitische Aktivitäten zusätzlich zu stimulieren, macht keinen Sinn; sie wird auch nur gelegentlich erhoben, vor allem dort, wo Branchen geltend machen, anderenfalls im internationalen Subventionswettlauf nicht mithalten zu können. Luft- und Raumfahrt sowie Elektronische Datenverarbeitung bilden die hier relevanten Beispiele.
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In den 70er Jahren wächst die Bereitschaft, direkte Fördenmg zuzugestehen. Beleg dafiir ist die deutsche Beteiligung am Projekt ,,Airbus". Als Industriepolitik läßt sich auch die Konstruktion und der Bau von Kernkraftwerken durch öffentliche Aufträge verstehen. Schließlich fOrdert das Bundesministeriwn fiir Forschung und Technologie (BMFT) seit 1972 im Rahmen des Projekts "Transrapid" mit der Magnetbahn ein neues Verkehrssystem, fiir das man sich Absatz vor allem auf dem Weltmarkt erhofft (siehe Abschnitt D. 11.). VII. Deutsche Vereinigung: Neue Probleme - Ungenutzte Chancen
Nachdem der "Ölpreis-Schock" der Jahre 1979/80 die Weltkonjunktur und damit auch die Konjunktur der deutschen Wirtschaft schwer belastet hat, kommt in der Bundesrepublik im 1. Halbjahr 1982 ein neuer Aufschwung in Gang wesentlich induziert durch eine expansive Geld(mengen-)politik und wirksam unterstützt durch eine zurückhaltend betriebene Lohnpolitik. Im Zeitrawn 1983-1990 gelingt es, bei durchweg niedriger Inflationsrate einen Wachstwnsprozeß zu durchmessen, der ein hohes Maß an Stetigkeit aufweist und der zudem auch in großem Umfang neue Arbeitsplätze einträgt. Dies ist zweifellos wesentlich Folge des mittlerweile weitgehend praktizierten Verzichts auf konjunkturpolitischen ,,Aktionismus" und einer generellen Verbessenmg der Angebotsbedingungen, die in diesem Zeitrawn zustande kommt. Die deutsche Leistungsbilanz, die in den Jahren 1979 und 1980 ein Defizit aufwies, kann bald wieder ausgeglichen werden und zeigt ab 1982 wieder die "traditionelle" Tendenz zu hohen Überschüssen.
Trotz der in den 80er Jahren wiedergewonnenen Wachstwnsdynamik bleiben gewichtige Strukturprobleme ungelöst. Die Wirtschaftspolitik propagiert zwar ,,Deregulienmg" und ,,Mehr Mut zum Markt"; tatsächlich ist jedoch bislang keiner der zahlreichen Ausnahmebereiche (Versicherungswirtschaft, Verkehr, Energie, Landwirtschaft, Gesundheitswesen, Handwerk, Bildung) konsequent den marktwirtschaftlichen Spielregeln überantwortet worden; auch hat die Bundesregierung entgegen anderslautender Versicherungen das Ausmaß der gewährten Subventionen nicht reduziert, sondern sogar noch gesteigert. Eine "Wende" in der Strukturpolitik hat somit ohne Zweifel bislang nicht stattgefimden. Die deutsche Vereinigung hätte hier zur Chance werden können. Die Transfers, die über einen langen Zeitrawn hinweg von West nach Ost fließen, haben zu hohen Haushaltsdefiziten gefiihrt. Die zunehmende Größenordnung dieser Defizite und der durch sie ansteigenden Staatsverschuldung haben die Forderung nach einem Abbau der bisher gewährten Subventionen verstärkt. Noch ist
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der Zwang zur Konsolidienmg nicht groß genug, wn zu entsprechendem Handeln zu veranlassen. Doch scheint der Widerstand der Politiker, Subventionen für künftige Perioden festzuschreiben oder neue Hilfen zu gewähren, größer geworden zu sein. Dies gilt zumindest für Fordenmgen, die von Unternehmen und Gewerkschaften in den alten Bundesländern erhoben werden. Im Beitrittsgebiet glaubt man offensichtlich, aus beschäftigungspolitischen und sozialen Gründen nicht alle Hilfeersuchen abschlägig bescheiden zu können. Der Fordenmg, "altindustrielle Kerne" zu erhalten, wird man ungeachtet aller ordnungspolitischen Einwände, die hier nun wahrlich nicht von der Hand zu weisen sind, zumindest als Ausnahme von der Regel entsprechen.
D. Deutsche und französische Industriepolitik im Vergleich: "Magnet-Schnellbahn Transrapid" und "TGV" Alle Parteien, die in der Bundesrepublik bislang Regienmgsverantwortung getragen haben, bekennen sich in ihren Programmen zur Ordnungskonzeption "Soziale Marktwirtschaft". Aus diesem Leitbild ergeben sich erhebliche Einwände gegen staatliches Handeln, das auf die gesamtwirtschaftliche Angebotsstruktur gestaltend Einfluß nehmen will. In der politischen Praxis hat sich das Argwnent fehlender Ordnungskonformität indes nicht als hinreichend wirksam erwiesen, wn zum Verzicht auf industriepolitische Engagements zu veranlassen. Auch in der Bundesrepublik hat sich mittlerweile eine industriepolitische Tradition herausgebildet. Ein Vergleich der hier bisher entfalteten industriepolitischen Aktivitäten mit denen der französischen Wirtschaftspolitik ergibt zwar Unterschiede in Art, Umfang und Ambition staatlicher Eingriffe; doch zeigen sich auch Gemeinsamkeiten. Sie belegen, daß industriepolitische Engagements einen typischen Verlauf aufweisen, der weitgehend "sytemneutral", also vom jeweils gewählten wirtschaftspolitischen Leitbild unabhängig sein dürfte. Ein Vergleich der Projekte ,,Magnetschnellbahn Transrapid" und "TGV" soll dafür als Beleg dienen.
I. Projekt"Transrapid" 1969 gibt das Bundesrninisteriwn für Verkehr (BVM) eine ,,Hochleistungschnellbahnen-Studie" in Auftrag. Sie soll von der dazu gegründeten ,,HSB-Studiengesellschaft" erstellt werden. Ihr gehören die Bölkow KG, die Strabag Bau AG und die Deutsche Bundesbahn an. Es sollen die technischen Möglichkeiten
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von HSB-Systemen erkundet und für mögliche Alternativen Kosten und Nutzen abgeschätzt werden. 6 Anlaß dieser Initiative ist das Zurückfallen der Eisenbahn im Wettbewerb mit dem Individualverkehr und dem Güterkraftverkehr. Man hofft, der Eisenbahn dadurch einen größeren Anteil an einem annahmegemäß stark wachsenden Transportaufkommen verschaffen zu können, daß die durchschnittliche Reisegeschwindigkeit im Personenverkehr von damals 80-90 km/h deutlich gesteigert wird. Die Studiengemeinschaft soll alle technisch sinnvollen Möglichkeiten berücksichtigen, die für ein Schnellbahnsystem bestehen. Analysiert werden mehrere Alternativen, nämlich - das fortgeschrittene Rad-Schiene-System (Anwendung eines Linearmotors und eines Gasturbinenantriebs), - die Luftkissentechnik, - die Magnetschwebetechnik und - die in den USA entwickelte Röhrenbahn. 1972 beginnt das neu errichtete Bundesministerium für Forschun~ und Technologie (BMFT) die zuvor vom BVM finanzierten Arbeiten zu fOrdern. Neben der Schwebetechnik wird gleichzeitig auch ein fortgeschrittenes Rad-SchieneSystem unterstützt. Ergebnis dieser Initiative ist schließlich der Intercity Express ICE, der von der Deutschen Bundesbahn erstmals 1991 eingesetzt wird. Erheblich mehr Mittel fließen jedoch dem Vorhaben einer Magnet-Schnellbahn zu. Für das BMFT ist das verkehrspolitische Ziel einer gesteigerten Attraktivität des öffentlichen Personenverkehrs dabei von eher geringer Relevanz. Die Magnetbahn gilt vor allem als ein Projekt, durch das die ,,Modernisierung" der Volkswirtschaft bewirkt und ,,zukunftssicherung" betrieben werden kann. 1977 wird ein sogenannter Systementscheid getroffen: Das BMFT beschließt, die weitere Förderung auf das Projekt eines elektromagnetischen Schnellbahnsystems zu beschränken. Die bis dahin als Alternative diskutierte elektrodynamische Schwebetechnik wird als ungeeignet verworfen. 1978 bilden Messerschmitt-Bölkow-Blohm, BBC, Thyssen-Henschel, AEG, Siemens, KrausMaffei sowie Dyckerhoff und Widmann das Konsortium ,,Magnetbahn Transrapid". Ziel ist es, eine Teststrecke einzurichten, auf der Ver-
6 Vgl.
Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesminister für Verkehr, 1992; Rath, 1993.
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suchsfahrzeuge erprobt werden können. Die Finanzierung übernimmt nahezu vollständig das BMFT. Im Jahr 1984 wird der Versuchsbetrieb auf der Transrapid-Versuchsanlage Emsland (TVE) aufgenommen. Verfügbar ist ein geschlossener Kurs mit einer Streckenlänge von 31,5 km. Der Betrieb wird organisiert und ausgewertet durch die Versuchs- und Planungsgesellschaft für Magnetbahnsysteme mbH (MVP). Gesellschafter sind die Deutsche Bundesbahn, die Deutsche Lufthansa und die Industrieanlagenbetriebsgesellschaft IABG. Im Bundesverkehrswegeplan wird das neue Verkehrsmittel erstmals 1985 als mögliche Option berücksichtigt. Doch zum Bau einer Anwendungsstrecke kommt es zunächst nicht. Die Deutsche Bundesbahn und die Deutsche Lufthansa stehen dem Vorhaben eher reserviert gegenüber, da die Magnetbahn die Attraktivität der ICE-Verbindungen und der Inlandsverbindungen der Lufthansa schmälern könnte. Die Industrie fordert, daß der Bund den größten Teil der Kosten übernimmt. Die Politik wiederum drängt die Unternehmen, sich auch finanziell in beachtlicher Größenordnung zu engagieren; doch diese weigern sich. Bis zu diesem Zeitpunkt sind für das Vorhaben rd. 1,8 Mrd. DM an öffentlichen Mitteln aufgewendet worden. Das Projekt ,,Magnetbahn Transrapid" droht zu scheitern. Im Mai 1994 beschließt die Bundesregierung nach langem Zögern, Hamburg und Berlin durch eine Magnetbahntrasse zu verbinden. Die Kosten des Fahrwegs, die mit 5,6 Mrd. DM veranschlagt werden, trägt zum größten Teil der Bund. Begründet wird die Entscheidung mit der Chance, die das neue Verkehrssystem im Exportgeschäft biete, mit der Notwendigkeit, hier der japanischen Konkurrenz zuvorzukommen und mit der Absicht, die deutsche Industrie im Wettbewerb auf ,,high technology"-Märkten künftig stärker als bisher zu fördern. Zudem will man unter dem Druck der Rezession und des Wahljahres 1994 "ein Zeichen setzen".7 Doch das Projekt bleibt kontrovers. Die von den Befiirwortern des Projekts vorgelegten Wirtschaftlichkeitsrechnungen werden als wenig glaubwürdig befunden. Ein ,,Ausstieg" der Bundesregierung aus dem Vorhaben ist nach wie vor denkbar.
11. Projekt "TGV" Kapazitätsengpässe auf der 512 km langen Strecke Paris-Dijon-Lyon sind der Anlaß, einen "Train a Grande Vitesse" (TGV) zu entwickeln. Ein vierspuri-
7 Gieseke, 1996; Göske, 1996a.
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ger Ausbau der Strecke, der zur Bewältigung des Verkehrsaufkommens erforderlich wäre, ist topographisch nicht möglich. Die französische Eisenbahngesellschaft SNCF schlägt der Regierung deshalb 1969 den Bau einer Schnellbahntrasse vor; 1971 wird dieser Plan gebilligt. 1981 wird der TGV erstmals im Fahrplanverkehr eingesetzt. Bis dahin hat das Projekt Investitionen von etwa 3,5 Mrd. DM erfordert. Nutznießer des ersten Auftrags sind die Unternehmen Alsthorn Atlantique und Materielle de Traction Electrique, die den neuen Zugtyp gemeinsam entwickelt haben. Die Regierung drängt die für den Bau des TGV ausgewählten Unternehmen zur Fusion. A1catel Alsthorn wird zum alleinigen Anbieter. 1989 geht dieses Unternehmen mit der britischen General Electric Company ein ,joint venture" ein. Man gründet gemeinsam das Unternehmen GEC-Alsthom, das nunmehr den Bau des TGV betreibt. Der Erfolg des TGV auf der 430 km langen Strecke zwischen Paris und Lyon veranlaßt zum Bau und zur Planung weiterer Trassen. Gegenwärtig kann der TGV auf Strecken von insgesamt 830 km Länge eingesetzt werden. In den nächsten zwei Jahrzehnten soll ein Netz von insgesamt 4700 km Streckeniänge geschaffen werden. Veranschlagt wird ein Investitionsbedarf von 62 Mrd. DM. Ob alle vorgesehenen Trassen einen rentablen Betrieb ermöglichen, gilt als zweifelhaft. Von den gegenwärtig befahrenen Routen hat sich bislang nur die Verbindung Paris-Lyon als auch kommerziell erfolgreich erwiesen. 1991 erteilt die SNCF dem Unternehmen GEC-Alsthom einen Auftrag über 100 TGV -Einheiten. 45 Exemplare werden fest bestellt, für 55 Einheiten wird eine Option eingegangen. Damit die Auslastung der Kapazitäten des TGV-Bauers nahezu bis zum Jahre 2000 gesichert. Da sich die SNCF mit der Finanzierung eines Auftrages dieser Größenordnung überfordert sieht, werden LeasingVereinbarungen getroffen. In der französischen Presse wird die Vermutung geäußert, die Regierung habe die SNCF zu einem Auftrag dieses ungewöhnlich großen Umfangs zu einem Zeitpunkt gedrängt, zu dem die Verpflichtung noch nicht wirksam geworden war, öffentliche Aufträge auszuschreiben. So sei die Möglichkeit ausgeschlossen worden, hier unter Umständen auch Unternehmen der Partnerstaaten zum Zuge kommen zu lassen. Durch die Untertunnelung des Ärmelkanals kann der TGV auch in Großbritannien eingesetzt werden. Schließlich gibt es intensive Bemüungen, das franzöische Schnell bahnnetz mit entsprechenden Trassen auch anderer EG-Partner zu verknüpfen. Dadurch erhofft man sich ergiebige Exportchancen.
27 Peters
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III. Kritische Würdigung
Vergleicht man das deutsche und das französische Engagement, so ergeben sich keine grundsätzlichen Unterschiede. Das Projekt "Transrapid" ist nicht etwa ,,marktwirtschaftlicher" als das Projekt "TGV"; es ist allenfalls teurer. Der TGV war leichter durchzusetzen, da er als Weiterentwicklung eines bereits bestehenden Verkehrsmittels die Schwierigkeiten vermeiden konnte, die sich fiir die Magnetbahn ergeben, wenn sie in das bestehende Verkehrssystem integriert werden soll. Mit der französischen Eisenbahngesellschaft wurde schon früh ein Pilotkunde gewonnen, der fiir den "Transrapid" in der Deutschen Bundesbahn nicht gefunden werden konnte, da diese von Beginn an den "Intercity Express" (leE) favorisierte. Auch war der Bau einer neuen Trasse in Frankreich offensichtlich leichter durchsetzbar als in der föderalistisch strukturierten Bundesrepublik. Großaufträge ermöglichten es dem TGV -Hersteller, frühzeitig Skalenerträge zu nutzen. Ob der "Transrapid" jemals in größerer Stückzahl gebaut werden wird, ist dagegen ungewiß. Es wird vielfach bezweifelt, daß in Deutschland jemals ein rentabler Betrieb des "Transrapid" möglich sein wird. Die Kosten-Nutzen-Abwägungen, die dem Beschluß der Bundesregierung zugrunde lagen, gehen durchweg von Annahmen aus, die viel zu optimistisch sein dürften. Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesminister fiir Verkehr hat hier mehrfach erhebliche Einwände und Bedenken geltend gemacht, die jedoch unberücksichtim blieben. Auch die Wachstumspotentiale, die sich durch das neue Transportsystem im Ausland erschließen lassen, werden zumeist eher skeptisch beurteilt. Als Überzeugendes Beispiel gelungener Industriepolitik kann auch der TGV nicht angesehen werden. Um im Exportgeschäft zum Zuge zu kommen, werden sehr weitgehende Konzessionen gemacht. Rentabilität lassen diese Engagements wohl kaum erwarten. Sie erbringen Prestige und schaffen Beschäftigung; da diese letztlich aber ohne Subventionierung nicht auskommt, ist sie als Beleg einer gelungenen industriepolitischen Initiative wenig tauglich.
E. Vier Jahrzehnte Industriepolitik in Europa Lehren für die Zukunft? Der Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft verlieh den Organen der Gemeinschaft keine allgemeine industriepolitische Entscheidungskompetenz. Lediglich fiir einzelne Sektoren wurden ihnen - dann allerdings umfassende - Befugnisse zuerkannt. Für den Montanbereich galt das
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Sonderregime des EGKS-Vertrages. Strukturpolitische Ziele konnte die Kommission im Rahmen der Gemeinsamen Handelspolitik verfolgen. Durch die Beihilfeaufsicht erlangte sie Einfluß auf die Subventionspraxis der Mitgliedstaaten. Im Bereich der Forschungsförderung versuchte die Kommission, eigene Projekte zu initiieren. Von Bedeutung war hier vor allem das Programm ESPRIT. Mit der Einheitlichen Europäischen Akte wurde die Technologiepolitik in den Rang einer Gemeinschaftsaufgabe erhoben. 1989 wurde die europäische Fusionskontrolle geschaffen. Die Möglichkeit, dabei auch industriepolitische Aspekte zu berücksichtigen, hat zu ordnungspolitischen Bedenken veranlaßt. 8 Diese wurden verstärkt, als durch die Beschlüsse von Maastricht in den Art. 3 EGV das Ziel der industriellen Wettbewerbsfähigkeit aufgenommen wurde. Durch den neu formulierten Art. 130 sind die Befugnisse von Rat und Kommission erheblich ausgeweitet worden. Die Kommission hat seither mehrfach betont, die neuen Kompetenzen vor allem zur generellen Verbesserung der Wachstumsbedingungen nutzen zu wollen. Einzelne Branchen sollen nur dort gefördert werden, wo dies für ein wettbewerbsfähiges Angebot auf "strategisch" unverzichtbaren Märkten für ,,high technology" erforderlich ist. Gerade Frankreich dürfte auf eine aktiv gestaltende Interpretation des Art. 130 drängen. Das entspricht der Tradition der französischen Wirtschaftspolitik. Zugleich hofft man, die wettbewerbspolitische Fessel der Fusionskontrollverordnung lockern zu können. Das deutsche Votum im Rat galt bisher als Gewähr dafür, daß interventionistische Tendenzen begrenzt werden konnten. Ob dies so bleiben wird, kann bezweifelt werden. Die Probleme des wirtschaftlichen Umbruchs in den östlichen Bundesländern könnten auch in Deutschland dem Leitbild eines gelenkten Strukturwandels Akzeptanz verschaffen. Mit der Anerkennung des Beitrittsgebiets als strukturschwache Region ist die Bundesrepublik erstmals in nennenswertem Umfang zum Empfänger von Mitteln aus den Fonds der Europäischen Gemeinschaft geworden. Eine Währungsunion nimmt den Mitgliedern die Option der Wechselkursänderung. Das wird zu Forderungen nach Hilfen zum Strukturwandel veranlassen. Dabei werden es vor allem die weniger entwickelten Mitglieder der Gemeinschaft sein, von denen derartige Wünsche zu erwarten sind. Der Kohäsionsauftrag des EG-Vertrages stärkt ihre Argumente.
8
27'
Vgl. Berg, 1992.
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Unklar ist, mit welchen Mitteln die Kommission versuchen wird, industriepolitische Ziele durchzusetzen. Man will den Struktur- und den Kohäsionsfonds aufstocken. Der Umfang dieser Mittel bleibt aber vorerst eher gering. Die prekäre Haushaltslage der meisten Mitgliedstaaten wird es ihnen schwer machen, der Kommission in den nächsten Jahren neue Mittel zuzuweisen. Sie ist bei ausgabenwirksamen Programmen folglich auch weiterhin auf die Kooperation der Mitgliedstaaten angewiesen. Sie kann diese jedoch nach Art. 130 mit größerem Nachdruck einfordern. Der Kommission bietet sich die Möglichkeit, industriepolitische Ziele auch in anderen Politikfeldern zu berücksichtigen. Dies gilt für die Wettbewerbspolitik; es gilt auch für die Gemeinsame Handelspolitik. So verfolgt das Abkommen zur "freiwilligen" Beschränkung japanischer Automobilexporte das Ziel, den europäischen Herstellern Zeit und Möglichkeit zu verschaffen, ihre Wettbewerbsnachteile zu beseitigen. 9 Diese Argumente kann die Kommission künftig auch in anderen Branchen geltend machen. Befürchtet werden muß folglich Protektionismus, der dem Schlagwort von der ,,Festung Europa" zu neuer Relevanz verhelfen könnte. lo Dies gilt vor allem für den Handel mit ,,high-tech"-Produkten, soweit europäische Hersteller hier als (potentielle) Anbieter tätig sind, es gilt aber auch für ,,reife" Branchen, so etwa für die Automobilindustrie, die Elektrotechnik und den Maschinenbau. In Sektoren, die durch strukturelle Probleme gekennzeichnet sind, ist die Gemeinschaft bemüht, Drittlandsangebot vom Binnenmarkt fernzuhalten. So wurden mit den ehemaligen RGW-Mitgliedern Mittel- und Osteuropas zwar Assoziierungsabkommen abgeschlossen, die diesen Ländern Zollpräferenzen einräumen, ausgenommen wurden aber gerade jene Erzeugnisse, bei denen sie vermutlich über komparative Kostenvorteile verfügen - so etwa Agrarprodukte, Stahl und Textilien. Geschützt werden also Branchen, in denen in der Gemeinschaft Überkapazitäten bestehen und in denen verstärkter Wettbewerbsdruck als unerwünscht gilt. Auch im Rahmen des GATT zeigt die Gemeinschaft wenig Neigung, den Zugang zu diesen als "sensibel" geltenden Bereichen zu erleichtern. Dies belegen die mühsamen Verhandlungen zum Abschluß der Uruguay-Runde, der durch den Agrar-Streit zwischen der EG und den USA immer wieder verzögert wurde. Neben diesen Risiken eröffnet eine ,,Europäisierung" strukturpolitischer Kompetenzen jedoch auch Chancen. Dies gilt vor allem dann, wenn es gelingt, die Wachstumspotentiale des europäischen Binnenmarktes zu nutzen. Noch bestehende Handelshemmnisse sind zu beseitigen. Die gegenseitige Anerkennung
9
ygl. BIetschacher, K1odt. 1992a; 1992b; Berg, 1994.
10 Ygl.
Streit, Yoigt, 1991; Kösters, 1992.
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nationaler Vorschriften und europäische Nonnen ennöglicht gesteigerte Losgrößen. Dadurch können die Anbieter im Integrationsraum Skalenerträge realisieren, die für ein Mithalten im globalen Wettbewerb vielfach unverzichtbar sind. Gleiches gilt, wenn das öffentliche Auftragswesen liberalisiert und die Beihilfeaufsicht konsequent ausgeübt wird. Staatliches Engagement in der Grundlagenforschung ist ordnungspolitisch kaum umstritten. Die Gemeinschaft muß dazu jedoch nicht in großem Umfang eigene Mittel bereitstellen. Es reicht aus, wenn sie koordinierend tätig wird. Sie kann die Kooperation von Forschungsinstituten erleichtern, für eine zügige Verbreitung der Forschungsergebnisse sorgen und die Wissenschaftsgemeinschaft festigen, indem sie die Mobilität der etablierten Forscher, aber auch die des wissenschaftlichen Nachwuchses und der Studierenden fOrdert. Fraglich ist allerdings, ob durch direkte Förderung auch dem Problem der unzureichenden oder zu langsamen Umsetzung von Inventionen in hmovationen beizukommen ist. Das Durchsetzen von Innovationen ist genuine Aufgabe der Unternehmen. 11 Sie verfügen über die notwendigen Infonnationen und Anreize, um als Pioniere neue Märkte zu schaffen oder als "schnelle Zweite" in sie einzutreten. Mangelnde Größe kann durch Kooperation, etwa im Rahmen "strategischer Allianzen", wettgemacht werden. 12 Solange diese Zusammenarbeit im vonnarktlichen Bereich stattfindet, ist sie wettbewerbspolitisch unbedenklich, falls durch sie Wettbewerb in späteren Phasen der Marktentwicklung nicht ausgeschlossen wird. Kooperation ist in der Regel nicht auf Dauer angelegt, sie erfordert keinen bürokratischen Überbau und sie wird bei ausbleibendem Erfolg rasch beendet. Der Binnenmarkt erfordert eine Politik, die den Wettbewerb vor Beschränkungen schützt. Die Instrumente dafür sind vorhanden. Vor einer starken Gewichtung der industriepolitischen Passagen der Fusionskontrollverordnung ist zu warnen. Die Erfahrung lehrt, daß funktionsfähiger Wettbewerb die besten Voraussetzungen für eine dynamische Wirtschaftsentwicklung bietet. Auch muß die These verworfen werden, nur Großunternehmen könnten eine befriedigende Rate des technischen Fortschritts gewährleisten. Die bei Forschung und Entwicklung in manchen Bereichen zweifellos erforderliche Größe und Finanzkraft kann oftmals effizienter durch fallweise Kooperation als durch Fusionen erreicht werden.
11 12
Vgl. Starbatty, 1987; Oberender, Rüter, 1988. Vgl. Berg, 1996.
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Die Wettbewerbspolitik ist durch eine liberale Außenhandelspolitik abzusichern Wld in ihrer Wirksamkeit zu steigern. Für irrig halten wir die VorstellWlg, man müßte europäische Unternehmen vor Konkurrenten aus Drittländern einstweilen schützen, wn ihnen die Gelegenheit zu geben, international wettbewerbsfähig zu werden. ErfahrWlgsgemäß führt nicht zuviel, sondern zuwenig Wettbewerbsdruck dazu, daß Unternehmen an Wettbewerbsfähigkeit einbüßen Wld die Wachstwnsdynamik einer Volkswirtschaft geschwächt wird. Protektionismus provoziert zudem Reaktionen des Auslands, die Wohlfahrtsgewinne, wie sie etwa die Theorie der "Strategischen Handelspolitik" in Aussicht stellt, rasch zur Illusion werden lassen können. Zu fordern ist demnach für Europa keine "Neue Industriepolitik", sondern konsequent marktwirtschaftlich betriebene OrdnWlgspolitik. Sie muß einen Binnenmarkt schaffen, den Wettbewerb vor BeschränkWlgen schützen, regulierte Bereiche in eine europäische WettbewerbsordnWlg integrieren Wld die Märkte der Gemeinschaft für Anbieter aus Drittländern offenhalten. Diese Politik gebietet weder neue Kompetenzen für die Europäische Kommission noch fordert sie eine AufstockWlg der Gemeinschaftsfonds. Sie muß "lediglich" die bereits im Vertrag von Rom niedergelegten Ziele Wld Prinzipien verwirklichen. Die in Maastricht getroffenen Beschlüsse sind in hohem Maße interpretationsfähig. Sie bergen folglich nicht Wlerhebliche Risiken. Kommt es tatsächlich zu einer Industriepolitik, die versucht, Marktprozesse durch staatliche Intervention zu substituieren, wird sich die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft nicht verbessern - sie mag sich vielmehr in bedeutendem Maße verschlechtern.
Literaturverzeichnis Berg, H. (1992): Die EG-Zusammenschlußkontrolle im Spannungsfeld von Wettbewerbs- und Industriepolitik: Der Fall ,,Aerospatiale-Alenia/De Havilland", in: WiSt Wirtschaftswissenschaftliches Studium, 2l.Jg., S. 322-326. -
(1994): Zur Problematik ,,Freiwilliger" Selbstbeschränkungsabkommen: Anlässe, Ziele und Konsequenzen der Begrenzung japanischer Automobilimporte durch die Europäische Gemeinschaft, in: Hasse, R.; Schäfer, W., (Hrsg.): Weltwirtschaft vor neuen Herausforderungen, Göttingen, S. 139-157 ..
- (1996): Marktphasen, Zeitwettbewerb und Strategische Allianzen: Die Beispiele ,,Mikroelektronik" und ,,Personal Computer", in: Kruse, J.; Mayer, O. G. (Hrsg.): Aktuelle Probleme der Wettbewerbs- und Wirtschaftspolitik, Baden-Baden, S. 195-222.
Industriepolitik in Deutschland und Frankreich
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Die Industriepolitik der Europäischen Union Zweckmäßige Weiterentwicklung oder revisionsbedürftige Fehlentwicklung der europäischen Wirtschaftspolitik? Von Norbert Eickhof, Potsdam
A. Vorbemerkungen Der Vertrag von Maastricht, der am 1.11.1993 in Kraft trat I , hat unter den deutschen Wirtschaftswissenschaftlern in zweifacher Hinsicht eine gewisse Unruhe ausgelöst. In erster Linie gilt das hinsichtlich der in dem Vertrag weiter konkretisierten Reformen im monetären Bereich. Das entsprechende Stichwort lautet: Europäische Währungsunion. Nur in abgeschwächter Form gilt das hinsichtlich der beschlossenen Änderungen der realwirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Das Stichwort lautet nun: Europäische Industriepolitik. Es ist zu erwarten, daß sich in nächster Zeit die Diskussion ohnehin noch stärker auf Fragen der Währungsunion konzentrieren wird. Daher wollen wir uns im folgenden allein der Industriepolitik zuwenden. Zunächst sollen die industriepolitischen Neuregelungen des Maastrichter Vertrages untersucht werden. Sodann geht es um die Frage, ob die europäische Industriepolitik erst mit diesem Vertrag oder vielleicht schon früher eingeführt worden ist. Danach kann der Begriff der Industriepolitik vor dem Hintergrund der geltenden Regelungen präzisiert werden. Im Anschluß daran sollen die wichtigsten Maßnahmen der europäischen Industriepolitik vorgestellt und zu einzelnen industriepolitischen Strategien zusammengefaßt werden. Sodann erfolgt eine kritische Würdigung dieser Strategien aus volkswirtschaftlicher Sicht. Abschließende Gedanken enthält das Fazit.
I
Vgl. Vertrag über die Europäische Union vom 7.2.1992.
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Norbert Eiclrnof
B. Die industriepolitischen Neuregelungen Die industriepolitischen Neuregehmgen des Maastrichter Vertrages haben im Art. 3, vor allem jedoch im völlig neugefaßten Art. 130 des EG-Vertragei ihren Niederschlag gefunden. Die mit diesen Neuregelungen verbundenen Auswirkungen werden allerdings keineswegs einheitlich prognostiziert. So meinen die einen, der Vertrag von Maastricht breche mit der wettbewerbspolitischen Konzeption des EWG-Vertrages von 19Si. Denn mit dem Maastrichter Vertrag werde die "Industriepolitik zum zentralen Instrument der (europäischen) Wirtschaftspolitik,,4 aufgewertet. Ja, sie könne "sogar in den Rang eines Führungsinstrumentes der Wirtschaftspolitik aufrücken". Vor allem im neuen Art. 130 des EG-Vertrages wird eine "Wendemarke" der bisherigen, am deutschen Ordoliberalismus ausgerichteten Ordnungspolitik der Gemeinschaft gesehen. Andere glauben dagegen, daß sich die neuen Vorschriften "offensiv marktwirtschaftlich interpretieren und zur Stärkung des wirksamen dynamischen Wettbewerbs handhaben"s lassen. Oder noch deutlicher: Befürchten die einen eine revisionsbedürjtige Fehlentwicklung, so diagnostizieren die anderen eine zweclcmäßige Weiterentwicklung der europäischen Wirtschaftspolitik. Was beinhalten die neuen industriepolitischen Regelungen jedoch im einzelnen? I. Die Regelungen des Art. 130 Abs. 1
Zunächst fällt auf, daß der Begriff "Industriepolitik" im Vertrag von Maastricht überhaupt nicht auftaucht6 . Statt dessen heißt es im Abs. 1 des Art. 130, daß die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten dafür sorgen, "daß die notwendigen Voraussetzungen für die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie der Gemeinschaft gewährleistet sind." Europäische Industriepolitik zielt also auf die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie durch den Staat. Letzterer begnügt sich nun nicht mehr gemäß dem bisherigen ordnungspolitischen Leitbild damit, den Wettbewerb vor 2 Vgl. Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft i. d. F. vom 7.2.1992.
Art. 3, 85 - 94 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 5.3.1957. 4 Dieses Zitat wie auch die beiden folgenden finden sich in F Al, 1994, S. 13. S Starbatty, 1994, S. 13, unter Hinweis auf Otto Schlecht. 3 Vgl. hierzu vor allem
6 Auf diese Weise sollten "schwierige Definitionsprobleme" vermieden werden, Hellmann, 1994, S. 9.
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Verfälschungen bzw. die Wettbewerbsfreiheit der Marktteilnehmer vor ungerechtfertigter Beschränkung zu schützen. Vielmehr will er nunmehr die Wettbewerbsfähigkeit seiner Unternehmen sichern. Konkret geht es auch nicht um die Wettbewerbsfähigkeit erfolgversprechender Unternehmen bzw. Branchen, sondern um die "der Industrie der Gemeinschaft". Damit ist der größte Bereich der europäischen Volkswirtschaften ohne interne Differenzierung quasi als ein Block angesprochen, der nach Auffassung der Europäischen Kommission im Kampf mit den beiden anderen Blöcken, nämlich Amerika und Japan, staatlicherseits fit gemacht werden müsse 7 • Gemäß Abs. 1 des Art. 130 soll die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie der Gemeinschaft auch nicht nur gefördert oder verbessert werden, sondern die notwendigen Voraussetzungen dafür seien zu gewährleisten. Fragt man schließlich, wie die Träger der Wirtschaftspolitik die industriepolitische Aufgabe verwirklichen wollen, so werden teils ordoliberale, teils weniger wettbewerbsfreundliche Positionen deutlich. Alle Maßnahmen haben "einem System offener und wettbewerbsorientierter Märkte" zu entsprechen. Konkret zielen sie jedoch auf die ,,Erleichterung der Anpassung der Industrie an die strukturellen Veränderungen" sowie auf die Förderung eines "günstigen Umfelds" gerade für kleine und mittlere Unternehmen sowie für die Zusammenarbeit zwischen den Unternehmen. 11. Die Regelungen des Art. 130 Abs. 2 und 3
Ein ähnliches Bild ergibt sich, wenn die Abs. 2 und 3 des Art. 130 betrachtet werden. Auf der einen Seite kann die Europäische Kommission "alle Initiativen ergreifen", die der Koordinierung der industriepolitischen Maßnahmen der Mitgliedstaaten ,,förderlich sind". Ferner hat die Gemeinschaft durch die Maßnahmen, die sie aufgrund anderer Bestimmungen des EG-Vertrages durchführt, zur Erreichung der industriepolitischen Ziele beizutragen. Schließlich kann der Ministerrat sogenannte "spezifische Maßnahmen zur Unterstützung der in den Mitgliedstaaten durchgeführten Maßnahmen im Hinblick auf die Verwirklichung der (industriepolitischen) Ziele ... beschließen". Auf der anderen Seite müssen derartige Beschlüsse "einstimmig" erfolgen. Und unabhängig davon bieten diese Regelungen ,,keine Grundlage dafür, daß 7 Vgl. auch Starbatty, 1994, S. 13. Zur Entwicklung dieser Strategie vgl. Reichardt, Wimmers, 1992, S. 14 fT.
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die Gemeinschaft irgendeine Maßnahme einfiihrt, die zu Wettbewerbsverzerrungen fiihren könnte." Gerade derartige Formulierungen sind es, die deutsche Ökonomen auch zu einer positiven Beurteilung des Art. 130 kommen lassen8 • Gleichwohl sollte auch jetzt die bereits beim Abs. I vorhandene Uneinheitlichkeil nicht übersehen werden: Das Recht, in einem bestimmten Kontext "alle Initiativen ergreifen" zu können, eröffnet der Europäischen Kommission einen relativ großen Handlungsspielraum. Dieser wird durch das Kriterium, daß die Initiativen "förderlich" zu sein haben, nicht nennenswert eingeschränkt. Eine relativ starke Einschränkung des Handlungsspielraums des Ministerrates stellt dagegen die erforderliche Einstimmigkeit dar, derer die bereits erwähnten spezifischen Maßnahmen der Gemeinschaft bedürfen. Jedes Mitglied hat somit ein Vetorecht gegen derartige spezifische Maßnahmen der Gemeinschaft. Darunter sind Maßnahmen zu verstehen, die nicht generell, sondern speziell wirken, oder mit anderen Worten: die einzelne Unternehmen bzw. Branchen begünstigen und insofern, worauf noch zurückzukommen sein wird, den gesamtwirtschaftlichen Wettbewerbsprozeß verzerren. Dieses Vetorecht sollte allerdings auch nicht überbewertet werden. So ist zu beachten, daß im Ministerrat häufig sogenannte Pakete geschnürt werden, in die alle Mitgliedsländer die fiir sie besonders wichtigen Punkte einbringen9 • Das läuft jedoch leicht darauf hinaus, daß spezifische Maßnahmen auch von jenen Mitgliedstaaten die notwendige Zustimmung erfahren, die diese Art der Wirtschaftspolitik eigentlich ablehnen, im Interesse der Verabschiedung des Gesamtpakets ihre Einwände jedoch zurückstellen. Als nicht weniger problematisch erweisen sich andere Zusammenhänge. Zu denken ist beispielsweise an die Verpflichtung, daß alle Maßnahmen, die die Gemeinschaft aufgrund anderer Bestimmungen des EG-Vertrages durchfiihrt, zur Verwirklichung der industriepolitischen Ziele beizutragen haben. Das läßt fortan durchaus übliche Konflikt- und selbst Neutralitätsbeziehungen zwischen industriepolitischen und anderen, beispielsweise wettbewerbspolitischen Zielen nicht mehr zu. Daraus kann wiederum eine Dominanz der Industriepolitik im Rahmen der europäischen Wirtschaftspolitik abgeleitet werden. Vor diesem Hintergrund ist jedoch der Grundsatz, wonach die Gemeinschaft keine Maßnahme einfiihren darf, "die zu Wettbewerbsverzerrungen fiihren könnte", skeptisch zu bewerten. Denn so lange spezifische Maßnahmen erlaubt sind und durchgefiihrt werden, kann es, wie ja bereits angedeutet, gar nicht ausbleiben, daß Wett-
8 Vgl. Fn. 5. Ähnliche Bewertungen finden sich auch bei Bi1ger, 1994; Eh1ennann, 1994; Hellmann, 1994. Als entschiedener Befürworter einer europäischen Industriepolitik äußert sich schließlich Seitz, 1990. 9 Vgl. auch Westerhoff, 1993, S. 161.
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bewerbsverzerrungen auftreten. In diesem Zusammenhang ist nicht nur eine Uneinheitlichkeit, sondern sogar ein klarer Widerspruch festzustellen.
m. Abschließende Beurteilung Inzwischen dürfte deutlich geworden sein, daß die industriepolitischen Neuregelungen des Vertrags von Maastricht keiner einheitlichen, widerspruchsjreien ordnungspolitischen Linie folgen, sondern eine Kette von politischen Kompromissen darstellen. Hatte vor allem Frankreich einen stärkeren, dirigistischinterventionistischen Einfluß des Staates auf die Marktprozesse durchsetzen wollen, war insbesondere Deutschland bemüht, die im ursprünglichen EWGVertrag von 1957 festgelegte, eher ordoliberale Wettbewerbskonzeption aufrechtzuerhalten. So konnte die deutsche Unterschrift unter den Vertrag von Maastricht erst nach einigen Anderungen der Vertragsentwürfe erzielt werden 10 • Hierzu zählte unter anderem, daß die soeben angesprochenen spezifischen Maßnahmen nicht bereits mit qualifizierter Mehrheit, wie in einem Vertragsentwurf von 1991 vorgesehen, sondern nur einstimmig beschlossen werden können. Ferner wurde im Maastrichter Vertrag darauf verzichtet, daß diese Maßnahmen "insbesondere zugunsten zukunftsträchtiger Industrien" durchgeführt werden, wie es ebenfalls in dem Vertragsentwurf von 1991 noch hieß. Angesichts dieser Entstehungsgeschichte kann es eigentlich nicht überraschen, daß in Maastricht auch offenkundiger Nonsens beschlossen worden ist. Unter diesem Aspekt sei auf eine Zielsetzung gemäß Art. 130 Abs. 1 verwiesen, wonach eine bessere Nutzung "des industriellen Potentials der Politik in den Bereichen Innovation, Forschung und technologische Entwicklung" zu fördern ist. Leider bleibt es völlig unklar, worin das industrielle Potential der Politik besteht und wie bzw. von wem dessen bessere Nutzung gefördert werden soll 11 • Halten wir also fest, daß die industriepolitischen Neuregelungen des Maastrichter Vertrages nicht nur als weitgehend uneinheitlich und zum Teil auch als widersprüchlich, sondern stellenweise sogar als konfus zu bezeichnen sind. Gleichwohl ist zu beachten, daß die Industriepolitik mit diesem Vertrag einen neuen, hervorragenden Stellenwert in Europa erhalten hat. Das gilt zum einen fiir die Ebene der Europäischen Union, auf der neben die traditionelle wettbewerbspolitische Zielsetzung "Schutz des Wettbewerbs vor Verfälschungen" die neue industriepolitische Zielsetzung "Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der
10 Zur Entstehungsgeschichte dieses Vertrages vgl. Westerhoff, 1993, S. 158 ff.; Hellrnann, 1994, S. 14 f., 24 ff.~ Bilger, 1994, S. 204 ff. 11 Vgl. auch Starbatty, 1994, S. 13.
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Industrie" getreten ist l2 . Das gilt zum anderen aber auch für die Ebene der Bundesrepublik wie der anderen Mitgliedstaaten, die ja mit Art. 130 des EG-Vertrages explizit zur Industriepolitik verpflichtet worden sind l3 . Bereits jetzt zeichnet sich ab, daß dieser Artikel möglichst bald überarbeitet werden sollte. Doch selbst wenn dabei die industriepolitischen Neuregelungen gestrichen würden, wäre damit nicht die gesamte rechtliche Basis der europäischen Industriepolitik beseitigt.
C. Frühere rechtliche Grundlagen der europäischen Industriepolitik Interessant ist, daß die europäische Industriepolitik nicht erst mit dem Vertrag von Maastricht, sondern schon früher eingefiihrt und im EWG-Vertrag verankert worden ist. Allerdings hat sie damals nicht die gleiche Aufmerksamkeit wie mit dem Maastrichter Vertrag erlangt. Damit ist die sogenannte Einheitliche Europäische Akte von 1986 14 angesprochen, deren Unterabschnitt über ,,Forschung und technologische Entwicklung" dem EWG-Vertrag mit den Art. 130 f - q hinzugefügt worden ist. Ähnlich wie der nach Maastricht neuformulierte Art. 130 zielt bereits Art. 130 f auf die Förderung der Wettbewerbsflihigkeit der europäischen Industrie. In diesem Zusammenhang wurden schon 1986 Klein- und Mittelbetriebe sowie Kooperationsbestrebungen explizit angesprochen. Darüber hinaus wurde bereits damals der Europäischen Kommission das Recht eingeräumt, "alle Initiativen" zu ergreifen, die der Koordinierung der einzelstaatlichen Maßnahmen "förderlich sind,,15 . Im Gegensatz zum später hinzugekommenen Art. 130 beschränken sich die Art. 130 f - q jedoch nur auf den Bereich der Forschung und technologischen Entwicklung (FuT). Deshalb gelten diese Artikel auch als Grundlage der europäischen FuT-Politik. Ferner wenden sie sich allein an die Gemeinschaft, ohne etwa den Mitgliedstaaten neue Aufgaben zuzuweisen. Und schließlich beinhalten sie konkrete Handlungsanweisungen, wozu vor allem die Aufstellung mehrjähriger Rahmenprogramme zählt. In diesen werden alle FuT-Aktionen der Ge12
Vgl. Art. 3 EGY. Vgl. hierzu auch Streit, 1993, S. 409 ff.
Streit verweist darauf, daß die Industriepolitik in der Bundesrepublik seit Maastricht "sogar Verfassungsrang (genießt), da das im EWGV verankerte primäre Gemeinschaftsrecht vorrangiges Verfassungsrecht ist" (I 992, S. 4). 14 Vgl. Einheitliche Europäische Akte vom 28.2.1986. 15 Art. 130 h EWGV. 13
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meinschaft zusammengefaßt, die ihrerseits verschiedene spezifische Programme enthalten l6 • Mit dem Maastrichter Vertrag ood der Einheitlichen Europäischen Akte sind wohl die wichtigsten, aber keineswegs alle rechtlichen Gnmdlagen der europäischen Industriepolitik angesprochen. Zu erwähnen wären beispielsweise noch einige andere Artikel des EG-Vertrages, die Fusionskontroll-Verordnung von 1989 17 , der Euratom-Vertrag von 195i 8 sowie der Montanunion-Vertrag von 1951 19 . Auf die Darstelloog dieser Vorschriften soll hier jedoch verzichtet werden20 . Statt dessen wollen wir oos nWlffiehr der PräzisierWlg des Begriffs der Industriepolitik zuwenden.
D. Der Begriff der Industriepolitik Der Begriff der Industriepolitik wird in der Literatur keineswegs einheitlich verwandt21 . Nach Westerhoffist er ,,national wie international nach wie vor 00geklärt,.22 . In Anlehnoog an die beiden näher betrachteten rechtlichen Gnmdlagen der europäischen Industriepolitik soll im folgenden ooter dieser Politikvariante die Erzieloog ood ErhaltWlg, kurz: die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie durch den Staat verstanden werden. Wann könnte jedoch ein entsprechender staatlicher Handloogsbedarf groodsätzlich gegeben sein? Probleme der Wettbewerbsfähigkeit einer Branche treten vor allem in den frühen sowie in den späten Entwickloogsphasen auf. In den frühen Phasen kommt es darauf an, daß die jeweiligen Unternehmen attraktive Güter anbieten, Nachfrager von anderen Märkten weglocken ood den sektoralen Strukturwandel im eigenen Interesse verändern. In den späten Phasen müssen die Unternehmen dagegen versuchen, eine AbwanderWlg ihrer Nachfrager zu den Substituten ood damit eine VerschlechterWlg ihrer Position im gesamtwirtschaftlichen Wettbewerbsprozeß bzw. beim sektoralen Strukturwandel zu verhindern. Hilft ihnen der Staat bei diesen Aufgaben, liegt sowohl Industriepolitik als auch sektorale 16 Vgl. Art. 130 i, k EWGV.
17 Vg1. Verordnung (EWG) Nr. 4064/89 vom 21.12.1989. 18
Vgl. Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft vom 25.3.1957.
19 Vgl. Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vom
8.4.1951. 20 Zu den Entwicklungslinien der europäischen Industriepolitik vgl. auch Starbatty, Vetterlein, 1990, S. 19 ff.; Berg, Schmidt, 1994, S. 97 ff. 21 Vgl. auch Winter, 1994, S. 16 f.; Berg, Schmidt, 1994, S. 3 ff.; Oberender, Daumann, 1995, S. 3 ff. 22 Westerhoff, 1993, S. 150.
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Strukturpolitik vor. Konkret schließt der Begriff der Industriepolitik den der sektoralen Strukturpolitik mit den drei üblichen Unterfallen Strukturerhaltungs-, Struktur anpassungs- und Strukturgestaltungspolitik mit ein23 • Ein Sonderfall liegt vor, wenn der Staat den sektoralen Strukturwandel forcieren will, dazu sogenannte zukunftsträchtige Industrien zu identifizieren versucht und diese bei bestimmten Forschungs- und Entwicklungs-(FuE-)Projekten unmittelbar fördert. Jetzt sind sowohl die sektorale Strukturgestaltungs- und damit wiederum die Industriepolitik als auch die direkte FuE-Förderungspolitik angesprochen. Von Industriepolitik kann aber auch dann gesprochen werden, wenn der Staat die FuE-Aktivitäten der Industrieunternehmen nicht-projektbezogen, sondern nur allgemein und mittelbar fördert, also eine indirekte FuEFörderungspolitik betreibt24 • Bemüht sich der Staat dagegen, die Wettbewerbsflihigkeit der Unternehmen im sekundären Sektor durch Herbeiführung einer bestimmten Marktstruktur zu fördern, ist die Marktstrukturpolitif5 als weiterer Unterfall der Industriepolitik anzusehen (vgl. Abb. 1).
Marktstrukturpolitik
Sektorale Strukturpolitik ~------------r------------I------------
I
Erhaltung
I I I
I
I I I
Anpassung
I ··..............................................-..
i·
i.
I I Gestaltung I ' , ____bE!:, ____ '
I I I I
direkte FuE-F.-Pol. indirekte FuE-F.Pol.
Abb. 1: Definition der Industriepolitik
23 Zum Begriff und zu den Arten der sektoralen Strukturpolitik vgl. Peters, 1996b, S. 13 ff., 137ff. 24 Zu dieser Zweiteilung vgl. auch Bundesregierung, 1993, S. 94 ff., 560 f.; Rahmeyer, 1995, S. 56 ff. 25 Hierfür wird auch der Begriff "Unternehmensgrößen-" bzw. "unternehmensgrößenbezogene" bzw. "Unternehmens-Strukturpolitik" verwandt. Vgl. Eickhof, 1992, S. 178, 181; Schmidt, 1995, S. 972 f.; Peters, 1996b, S. 138.
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Der Begriff der Industriepolitik wird im folgenden also recht weit gefaßt. Er umfaßt, bezogen auf den sekundären Sektor, die sektorale Strukturpolitik mit den Varianten Strukturerhaltungs-, Strukturanpassungs- und Strukturgestaltungspolitik, die Marktstrukturpolitik sowie die indirekte FuE-Förderungspolitik, wobei zu berücksichtigen ist, daß die direkte FuE-Förderungspolitik mit der sektoralen Strukturgestaltungspolitik gleichgesetzt werden kann und insofern bei der Definition bereits erfaßt ist. Worin besteht die Industriepolitik der Europäischen Union jedoch im einzelnen?
E. Die Maßnahmen der europäischen Industriepolitik I. Ein erster Überblick
Industriepolitik ist nicht gesamtwirtschaftlich, gelegentlich einzelwirtschaftlieh, insbesondere jedoch mesoökonomisch26 orientiert. Ihre Maßnahmen sind entweder finanzieller oder wettbewerbs beschränkender Art. Im ersten Fall hilft der Staat einzelnen Branchen finanziell, indem er ihnen Subventionen gewährt. Darunter sind bekanntlich FinanzhilJen und Steuervergünstigungen zu verstehen. Ähnliche finanzielle Hilfen zugunsten heimischer Branchen gehen aber auch von Importzöllen auf Drittlandsprodukte oder von Sondersteuern auf Substitutionsgüter aus. Im zweiten Fall profitieren einzelne Branchen dagegen von Wettbewerbsbeschränkungen, die den übrigen Branchen nicht ermöglicht werden. Dabei können die sektoralen Wettbewerbsbeschränkungen entweder von den Privaten des jeweiligen Bereichs aufgrund besonderer, staatlicher Privilegien durchgefiihrt werden oder unmittelbar auf Staatsaktivitäten zurückgehen. Setzt der erste Unterfall eine staatliche Erlaubnis zu privaten Wettbewerbsbeschränkungen voraus, so handelt es sich im zweiten um direkte staatliche Wettbewerbsbeschränkungen27 •
Für all diese industriepolitischen Maßnahmen lassen sich in der Bundesrepublik Beispiele finden. Etwas anders verhält es sich in der Europäischen Union. Einige industriepolitische Maßnahmen sind hier weit verbreitet, andere dagegen völlig unbekannt.
26
Zu diesem Begriffvgl. insbesondere Peters, 1971, S. 217; 1981; 1996b, S. 24 ff
27
Vgl. Eickhof, 1993, S. 204 f.
28 Peters
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11. Finanzielle Maßnahmen
Bezüglich der industriepolitischen Subventionen wird die EU in zweifacher Weise aktiv. Zum einen gewährt sie Finanzhilfen aus eigenen Mitteln, zum anderen übt sie eine Aufsicht über die Beihilfen der Mitgliedstaaten aus. 1. Finaozhilfen und Beihilfenaufsicht
Industriepolitische Finanzhi/fen aus EU-Mitteln werden hauptsächlich im Bereich der Forschung und technologischen Entwicklung vergeben. Wie bereits erwähnt, stellt die Europäische Kommission mehrjährige Rahmenprogramme auf, in denen alle FuT-Aktionen der Gemeinschaft zusammengefaßt werden. Bemerkenswert ist das rasche Wachstum dieser Programme. Belief sich das 1. Rahmenprogramm für die Jahre 1984-1987 noch auf3,75 Mrd. ECU, so beträgt das 4. Rahmenprogramm für die Zeit von 1994-1998 bereits 13,1 Mrd. ECU28 • Damit hat sich das finanzielle Volumen dieser industriepolitischen Programme in nur 10 Jahren fast auf das Vierfache erhöht. Ca. 80 % der Mittel des 4. Rahmenprogramms entfallen auf die finanzielle Förderung von Forschungsprojekten, die von Unternehmen, aber auch von Forschungsinstituten und Hochschulen in sogenannten spezifischen Programmen durchgefiihrt werden29 • Die Liste dieser Programme ist inzwischen relativ lang. Deren Bezeichnungen klingen so vielversprechend, daß Zweifel an ihrer Effizienz fast unerlaubt erscheinen. Die Programme lauten bzw. lauteten u. a. ESPRIT, DRIVE und RACE, BRIDGE und MAST, SPES und AlM, VALUE und REWARD, BRITE, DELTA, EURET und EUROTRA, DOSES, JOULE, TELEMAN und SCIENCE, FLAlR und ECLAlR30 • Die entsprechenden Forschungsprojekte richten sich auf Informations- und Kommunikationsmärkte, industrielle Modernisierung, biologische Ressourcen, Energie, Wissenschaft und Technik sowie wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit in Europa. Bei all
28 Darin ist das Rahrnenprograrnrn für Forschung und Ausbildung gemäß Euratom-Vertrag enthalten. Hinzu kommt noch die Möglichkeit einer Aufstockung des 4. Rahrnenprograrnrns auf insgesamt 13,8 Mrd. ECU. 29 Damit sind die "indirekten" Aktionen angesprochen. Daneben führt die EU noch "direkte" Aktionen in eigenen Forschungszentren durch, deren Ergebnisse auch der europäischen Industrie zugute kommen, die jedoch nicht zur Industriepolitik im hier verwandten Sinne gerechnet werden können. Schließlich wird Forschungsförderung noch mittels "horizontaler (flankierender)" und "konzertierter" Aktionen betrieben, die ebenfalls nicht zur Industriepolitik zu zählen sind. Zu den einzelnen Rahrnenprograrnrnen und Aktionen vgl. Starbatty, Vetterlein, 1990, S. 65 ff.; Winter, 1994, S. 109 ff. 30 Vgl. Starbatty, Vetterlein, 1990, S. 80 f., 152 ff.
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diesen Projekten übernimmt die EU in der Regel 50 % der entstehenden Kosten, wenn Partner aus mindestens zwei Mitgliedstaaten beteiligt sind. Von besonderem Interesse ist, daß die Europäische Kommission gerade mit ihrem jüngsten Rahmenprogramm eine VerschiebWlg der FördefWlg von der marktfernen GnmdlagenforschWlg zugunsten der marktnahen angewandten ForschWlg sowie eine Konzentration der Mittel auf sogenannte Schlüsseltechnologien anstrebt. Dazu werden mikroelektronische Bauteile, Software-EntwicklWlg, Molekularbiologie Wld umweltschonende Automobiltechnik gerechnee 1 • Eine weitere Quelle industriepolitischer Finanzhilfen bilden die EU-Strukturjonds 32 • Diese sind primär fiir regional-, sozial- Wld agrarpolitische Zwecke eingerichtet worden. Allerdings bieten sie auch die Möglichkeit der Verfolgoog industriepolitischer Ziele, wie beispielsweise der Einsatz von Mitteln des Sozialfonds fiir die Gemeinschaftsinitiative ADAPT zeigt, die u. a. bestimmte Unternehmen bei der ErhöhWlg ihrer Wettbewerbsfähigkeit Wlterstützen so1l33. Angesichts der ZWlehmenden Haushaltsprobleme ist das rasante Wachstum der Strukturfonds bemerkenswert. Betrug ihr finanzielles Volumen 1986 noch fWld 5 Mrd. ECU, so wuchs es in den folgenden 7 Jahren aufmehr als das Vierfache an. Im Rahmen der Beihilfenaufsicht durch die Europäische Kommission geht es nicht mehr um industriepolitische Finanzhilfen der Gemeinschaft, sondern um vorwiegend sektorale Subventionen der Mitgliedstaaten an ihre Unternehmen. Derartige Subventionen sind Wlter bestimmten VoraussetZWlgen von seiten der Kommission zu genehrnigen34 . Dabei hat die Kommission bislang in den meisten Fällen eine relativ restriktive Position vertreten35 . Allerdings ist zu befiirchten, daß diese Position nach Maastricht immer schwerer aufrechterhalten werden kann36 .
31 Vgl. Klodt, Stehn u. a., 1992, S. 102, ferner HeIIrnann, 1994, S. 73 ff.; Starbatty, Vetterlein, 1994, S. 50 ff. 32 Vgl. Oberender, Daumann, 1995, S. 52 ff.
33 Vgl. Europäische Konunission o. 1., S. 15. 34 Vgl. Art. 92 ff. EGV, ferner Klodt, Stehn u. a., 1992, S. 166 ff.; Winter, 1994, S. 101 ff.;
HeIIrnann, 1994, S. 65 f. 35 Vgl. Ehlennann, 1994, S. 109, 114 ff., 121 ff.
36 Vgl. auch Wissenschaftlicher Beirat beim BMWi, 1994, S. 37.
28'
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Norbert Eickhof 2. Sonstige finanzielle Maßnahmen
Die Wettbewerbsfähigkeit einer Industrie kann gefördert werden, indem dieser Subventionen gewährt werden, die andere Branchen, insbesondere jedoch eventuell vorhandene ausländische Konkurrenten, nicht erhalten. Die gleiche Wirkung läßt sich erreichen, wenn die ausländischen Konkurrenten gezielt benachteiligt werden, beispielsweise durch einen relativ hohen Importzoll im Rahmen differenzierter Zolltarife. Beispiele für diesen industriepolitischen Ansatz stellen der besondere Zollschutz zugunsten von Textilien, Bekleidung und Schuhen, aber auch der zugunsten von Mikroprozessoren und Unterhaltungselektronik dar37 • Seit einiger Zeit haben allerdings hnportzölle gegenüber nichttarifären Handeishemmnissen an Bedeutung verloren38 • Gerade letztere sind seitdem als wichtiger Bestandteil der Industriepolitik anzusehen, worauf noch näher eingegangen wird. Sektorale Steuervergünstigungen zugunsten einzelner Branchen oder Sondersteuern zu Lasten von Substitutionsgütem spielen dagegen in der europäischen Industriepolitik keine Rolle, hat die EU doch keine Steuerkompetenz.
m. Wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen Beginnen wir mit den privaten Wettbewerbsbeschränkungen aufgrund staatlicher Erlaubnis. 1. Private Wettbewerbsbeschränkungen
Anders als das deutsche Wettbewerbsrecht kennt der EG-Vertrag keine kartellrechtlichen Branchenfreistellungen, d. h. Freistellungen ganzer Branchen von generellen Wettbewerbsvorschriften. Allerdings ermöglicht Abs. 3 des Art. 85 Freistellungen vom grundsätzlichen Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen gemäß Abs. 1, wenn diese Vereinbarungen u. a. "zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen". Auf diese Weise können Einzel- und Gruppenfreistellungen erreicht werden. Sogenannte Gruppenfreistellungs-Verordnungen erlauben zur Zeit beispielsweise FuE-Kooperationen39 , Spezialisierungskooperationen40 sowie Technologietransfer-
Vgl. Vgl. 39 Vgl. 40 Vgl. 37 38
Winter, 1994, S. 154 ff.; World Irade Organization, 1995, S. 52. Wede1-Parlow, 1995, S. 257 ff. Verordnung (EWG) Nr. 418/85 vom 19.12.1984. Verordnung (EWG) Nr. 417/85 vom 19.12.1984.
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Vereinbarungen41 , die die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie verbessern sollen. Industriepolitisch relevant ist auch die wettbewerbsrechtliche Sonderbehandlung der Automobilwirtschafl:. Indem zugunsten dieser Branche ein selektives Vertriebssystem legalisiert worden ist42 , wird potentiellen Konkurrenten aus Drittländern der Eintritt in den europäischen Binnenmarkt erschwert, sind letztere doch nun gezwungen, eigene, kostspielige Vertriebssysteme zu errichten. Europäische Industriepolitik kann schließlich im Rahmen der Fusionskontrolle 43 durchgefiihrt werden. Im Gegensatz zum deutschen Wettbewerbsrecht kennt die europäische Fusionskontroll-Verordnungjedoch lediglich ein einstufiges Prüfverfahren, bei dem die Kommission nicht nur die Aufrechterhaltung und Entwicklung wirksamen Wettbewerbs, sondern auch "die Entwicklung des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts,,44 zu berücksichtigen hat. Auf diese Weise kann im industriellen Bereich relativ leicht die Entstehung von Großunternehmen ermöglicht werden, von denen ja nicht selten wegen angeblicher Größeneffekte auch eine größere Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Konkurrenten aus Drittländern erwartet wird45 • 2. Staatliche Wettbewerbsbeschränkungen
Wettbewerbsbeschränkende Aktivitäten im Bereich der Industriepolitik können nicht nur von den Privaten, sondern auch vom Staat durchgefiihrt werden. Damit ist der Bereich der staatlichen Regulierung angesprochen. Unter industriepolitischen Aspekten interessieren vor allem Markteintritts-, aber auch Preis- und Mengenregulierungen. Mit Hilfe staatlicher Markteintrittsregulierungen soll in der Regel Konkurrenten aus Drittländern der Eintritt in den europäischen Binnenmarkt erschwert werden. Entsprechende Maßnahmen sind nichttarifäre Handelshemmnisse wie Importquoten und freiwillige Selbstbeschränkungsabkommen, aber auch bestimmte Normensysteme: Importquoten werden vornehmlich zum Schutze alter Branchen festgelegt. Ein besonders langlebiges Beispiel stellt das Quotensystem
41
Vgl. Verordnung (EG) Nr. 240/96 vom 9.2.1996.
42 Vgl. Verordnung (EWG) Nr. 123/85 vom 12.12.1984; Verordnung (EG) Nr. 1475/95 vom
28.6.1995. 43 Vgl. hierzu auch Schrnidt, 1990, 1995, S. 978 ff.; Klodt, Stehn u. a., 1992, S. 182 ff.; Kerber, 1994. 44 Art. 2 Abs. 1lit. b FKVO. 45 Vgl. auch Schrnidt, 1995, S. 976.
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zugunsten der europäischen Textilindustrie dar46 • Jüngere Beispiele bilden die Importquoten für Stahl aus einigen GUS-Staaten sowie für bestimmte Verbrauchsgüter aus China47 • - Freiwillige Selbstbeschränkungsabkommen zielen dagegen unmittelbar auf die Exportaktivitäten von Drittländern. Diese Abkommen spielen seit einiger Zeit in der europäischen Industriepolitik eine wichtige Rolle, wobei das Attribut ,,freiwillig" nicht wörtlich genommen werden sollte, müssen diese bilateralen Abkommen doch als Alternative zu ansonsten drohenden einseitig erlassenen Importquoten oder ähnlichen Maßnahmen angesehen werden. In den Jahren 1990/91 gab es nicht weniger als 36 Selbstbeschränkungsabkommen der Gemeinschaft mit Drittländern. Die meisten bezogen sich auf Textilien, Stahl, Elektronikgüter, Maschinen und Kraftfahrzeuge48 • In den folgenden Jahren ist die Zahl dieser Abkommen allerdings deutlich gesunken49 • - Unabhängig davon wird potentiellen Konkurrenten aus Drittländern der Eintritt in den europäischen Binnenmarkt durch Normen, Richtlinien und Standards erschwert, deren Erfiillung mit relativ hohen spezifischen Kosten verbunden ist. Selbst die geltenden Basisnormen technischer, sozialer und umweltpolitischer Art liegen teilweise auf einem Niveau, das von einem Großteil der Drittländer lediglich unter Verlust ihrer preislichen Wettbewerbsfähigkeit erreicht werden kann50 • Staatliche Preis- und Mengenregulierungen sind im industriellen Bereich der Gemeinschaft nur auf der Basis des Montanunion-Vertrages möglich. Nach Art. 58 und 61 kann die Kommission in der Kohle- und Stahlwirtschaft neben Importquoten auch Höchst- und Mindestpreise sowie Produktionsquoten für die einzelnen Unternehmen festsetzen, um Überproduktionen und politisch unerwünschte Preisentwicklungen auszuschalten. Allerdings verzichtet die Kommission auf diese Befugnisse in der Kohlewirtschaft, so daß Preis- und Mengenregulierungen allein in der Stahlwirtschaft vorkommen51 • Schließlich ist zu beachten, daß Preiskontrollen nicht nur bestimmte Unternehmen der Gemeinschaft, sondern auch Anbieter aus Drittländern erfassen. Damit ist die europäische Antidumping-Politik angesprochen, von der relativ
46
Vgl. Hellmann, 1994, S. 165; Großmann, Koopmann, Michaelowa, 1994, S. 257 f.
47
Vgl. World Trade Organization, 1995, S. 58 f.
48 Vgl. Winter, 1994, S. 180. 49 Die tatsächliche Anzahl der Selbstbeschränkungsabkommen einschließlich vergleichbarer Aktivitäten dürfte in aUen Jahren jedoch erheblich höher als die offiziell ausgewiesenen Größen gewesen sein. Den Beschluß der Uruguay-Runde, diese Abkommen bis 1999 ersatzlos auslaufen zu lassen, bezeichnet Koopmann daher auch als "realitätsfern" (1996, S. 24). 50 Vgl. Stehn, 1995, S. 15.
51 Zur europäischen Stahlpolitik vgl. K1odt, Stehn u. a., 1992, S. 115 ff.; Conrad, 1994.
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häufig Gebrauch gemacht wird52 • Bei dieser scheint es jedoch weniger um die Vermeidung volkswirtschaftlicher Schäden durch betriebswirtschaftlieh ungerechtfertigte Preise als vielmehr um den Schutz europäischer Produzenten vor unliebsamer Konkurrenz und Strukturanpassung zu gehen53 • IV. Die industriepolitischen Strategien der EU Der Überblick über die wichtigsten praktizierten Maßnahmen der europäischen Industriepolitik macht deutlich, daß die EU vor allem zwei unterschiedliche industriepolitische Strategien verfolgt: Zum einen hat die gemeinsame FuT-Politik eine große Bedeutung erlangt, wie die Entwicklung der FuT-Rahmenprogramme zeigt. Hier wiederum dominiert die finanzielle Förderung konkreter Forschungsprogramme und -projekte. Im Verhältnis zu dieser auch als direkte Projektf6rderung oder als Strukturgestaltungspolitik bezeichneten Strategie spielt die indirekte FuT-Förderung, wie sie zum Beispiel mit Hilfe der wettbewerbsrechtlichen Erlaubnis von FuE-Kooperationen durchgefiihrt wird54 , lediglich eine untergeordnete Rolle. Zum anderen kommt im Rahmen der europäischen Industriepolitik den Maßnahmen der Strukturerhaltungspolitik nach wie vor eine große Bedeutung zu. Zu ihnen gehören grundSätzlich der besondere Zoll schutz zugunsten bestimmter Branchen, nichttarifare Handelshemmnisse wie Importquoten, freiwillige Selbstbeschränkungsabkommen und bestimmte Normensysteme, aber auch staatliche Preis- und Mengenregulierungen sowie die Antidumping-Politik der Gemeinschaft. Von besonderem Interesse ist aber auch die in jüngerer Zeit relativ häufig anzutreffende Kombination aus Strukturerhaltungs- und Forschungsf6rderungspolitik zugunsten sogenannter Schlüsselindustrien. Ein gutes Beispiel stellt die
52 So waren Ende 1994 156 entsprechende Maßnahmen in Kraft. vgl. World Trade Organization, 1995, S. 63. Dominierten früher Preisvereinbarungen, so geht seit Ende der 80er Jahre der Trend zu Antidumping-Zöllen. Daher wird auch behauptet, die Zollpolitik sei durch die Antidumping-Politik ersetzt worden. Vgl. Böttcher, 1995, S. 250 f. 53 Vgl. Freytag, 1995, S. 141; Möbius, 1996, S. \19 ff.; Peters, 1996a, S. 297 ff. Eine andere Auffassung vertritt Böttcher, 1995, S. 250 ff. 54 Die wettbewerbsrechtliche Erlaubnis angeblich fortschrittsfördernder Fusionen im Rahmen der europäischen Fusionskontrolle ist dagegen nach der obigen Definition der Industriepolitik zur Marktstrukturpolitik zu rechnen. Obgleich diese eine zunehmende Bedeutung hat, soll auf sie im folgenden nicht gesondert eingegangen werden, sind doch die meisten gegen die Strukturgestaltungspolitik vorzubringenden Einwände auch für sie relevant. Zu dieser Zuordnung vgl. auch Peters, 1996b, S. 164 f.
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Automobilwirtschaft dar, die einerseits mit Hilfe protektionistischer Selbstbeschränkungsabkommen und eines wettbewerbsbeschränkenden Vertriebssystems geschützt und andererseits über FuT -Projekte aus dem entsprechenden Rahmenprogramm gefördert wird. Ein anderes Beispiel ist die Mikroelektronikindustrie. Sie gehört nicht nur zu den Hauptbegünstigten des FuT-Rahmenprogramms, sondern kann auch handelspolitischen Schutz durch erhöhte Zollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs sowie durch im Rahmen der AntidumpingPolitik erlassene Zölle zu Lasten EU-externer Konkurrenten genießen. Gewissermaßen zwischen der Strukturerhaltungs- und Strukturgestaltungspolitik steht die Strukturanpassungspolitik, die vornehmlich auf eine Erleichterung der Anpassung von Überkapazitäten an rückläufige Nachfrageentwicklungen zielt 55 • Diese industriepolitische Strategie spielt auf EU-Ebene allerdings nur eine untergeordnete Rolle. Sie wird vor allem im Rahmen der Brüsseler Beihilfenaufsicht über die nationalen Subventionspolitiken durchgeführt. Strenggenommen verbleiben also zum einen die Strukturerhaltungspolitik und zum anderen die direkte FuT-Färderungs- bzw. Strukturgestaltungspolitik als zentrale Strategien der europäischen Industriepolitik. Wie sind diese Strategienjedoch aus volkswirtschaftlicher Sicht zu beurteilen?
F. Volkswirtschaftliche Würdigung I. Strukturerhaltungspolitik
Die volkswirtschaftliche Beurteilung der Strukturerhaltungspolitik fällt relativ einhellig aus 56 • Diese Politikvariante zielt darauf, den Strukturwandel zu verlangsamen, wenn nicht sogar zu verhindern. Traditionelle, nicht mehr wettbewerbsfähige Verfahren, Güter, Anbieter und Märkte werden begünstigt; neue, konkurrenzfähige Prozesse, Produkte und Unternehmen werden diskriminiert, die Präferenzen der Kunden ignoriert. Das Wirtschaftswachstum geht zurück, und die mögliche Zunahme der gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrt bleibt aus. Von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, wird die Strukturerhaltungspolitik daher aus volkswirtschaftlicher Sicht abgelehnt. Etwas komplizierter verhält es sich mit der volkswirtschaftlichen Beurteilung der FuT-Politik und ihrer Unterfälle. Im einzelnen sind nun die FuT-Politik allgemein sowie die FuT-Politik als Strukturgestaltungspolitik, als Bestandteil ei-
55
VgL Eickhof, 1982, S. 20.
56
Zum folgenden vgl. auch ebendort, S. 18 ff.
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ner strategischen Handelspolitik und als spezifisch europäische Herausforderung zu unterscheiden. 11. FuT-Politik allgemein 1. Begründungen
Die FuT -Politik wird ganz allgemein mit bestimmten Marktmängeln begründet. Vor allem vier angebliche Mängel werden häufig genannt57 : Erstens sei die Bereitschaft der Privaten, die Risiken der Neuerungsaktivitäten zu übernehmen, volkswirtschaftlich suboptimal. Zweitens wiesen zahlreiche Neuerungsprojekte Mindestgrößen bzw. Untei/barkeiten auf, die fiir einzelne Unternehmen existenzgefährdend werden könnten. Drittens seien die meisten FuE-Aktivitäten mit positiven externen Effekten verbunden, so daß mangels finanzieller Gegenleistung das Ausmaß dieser Aktivitäten volkswirtschaftlich zu gering bleibe. Viertens würden viele Ergebnisse der FuE-Aktivitäten öffentliche Güter darstellen, d. h. Güter, von denen keiner ausgeschlossen werden kann, wenn sie erst einmal existieren, so daß erwerbswirtschaftliche Unternehmen kein Interesse daran haben, sie hervorzubringen. Angesichts dieser Probleme sei staatliches Handeln unverzichtbar. Konkret müsse der Staat mit Hilfe von Subventionen, eventuell um Wettbewerbsbeschränkungen ergänzt, • die private Risikobereitschaft erhöhen, • unteilbarkeitsbedingte Existenzgefährdungen verringern, • positive Externalitäten abgelten sowie • öffentliche Güter finanzieren.
57 Vgl. auch Ewers, Fritsch, 1987, S. 112 ff.; Streit, 1992, S. 2; Rahmeyer, 1995, S. 39 ff; Klodt, 1995, S. 5 ff.
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2. Kritische Überprüfung
Die ersten drei dieser vier Argumente halten allerdings einer kritischen Überprüfung kawn stand58 : Erstens ist nicht einzusehen, wieso die privaten Unternelunen nur eine suboptimale, die staatlichen Instanzen dagegen die optimale Risikobereitschaft aufweisen sollen. Hinzu kommt, daß die individuelle Risikobereitschaft als psychische Konstante betrachtet werden muß, die weder durch Subventionen noch durch Wettbewerbsbeschränkungen erhöht werden kann. Zweitens können unteilbarkeitsbedingte Existenzgejährdungen wohl am effizientesten durch gezielte Kooperation mehrerer, sich ergänzender Unternelunen bekämpft werden. Dementsprechende kartellrechtliche Kooperationserleichterungen sind daher jetzt zweckmäßiger als relativ undifferenzierte finanzielle oder wettbewerbsbeschränkende Aktivitäten des Staates. Drittens ist zu berücksichtigen, daß Externalitäten bei allen Tätigkeiten und damit auch bei den Neuerungsaktivitäten ubiquitär sind. Will der Staat diese Effekte finanziell abgelten, muß er wissen, welche Unternelunen welche Externalitäten verursachen und wem diese Effekte mit welchen Werten zugute kommen. Damit sind jedoch unlösbare Informationsprobleme verbunden. Günstiger erscheint es daher, das Patentrecht so auszugestalten, daß relevante Ergebnisse der FuE-Aktivitäten hinreichend lange privat genutzt werden können. Durchaus tragfähig erscheint dagegen das vierte Argument. Denn es ist zu konstatieren, daß öffentliche Güter in der Tat Marktversagen verursachen. Sollen diese Güter gleichwohl hergestellt werden, muß der Staat ihre Produktion subventionieren oder selber durchführen, wobei er von nichterwerbswirtschaftlichen Institutionen unterstützt werden kann. Von allen vier Argumenten läßt sich also lediglich das letztgenannte relativ problemlos zur Begründung der FuT-Politik allgemein heranziehen59 . Nicht 58 Vgl. insbesondere Streit, 1992, S. 2, ferner auch Ewers, Fritsch, 1987, S. 112 ff.; Berthold, 1994, S. 123; Kösters, 1994, S. 120; Dunn, 1995, S. 170; Rahrneyer, 1995, S. 46 ff. 59 Zu diesem Ergebnis kommen auch Rahrneyer, 1995, S. 48, sowie Ewers, Fritsch, 1987, insbesondere S. 112 f - Rahrneyers diesbezüglicher Folgerung ("Daraus resultiert dann die Frage nach Art und Umfang einer ergebnisorientierten, strukturgestaltenden staatlichen Innovationsförderung ... ", ebendort) ist allerdings nicht zuzustimmen. Darauf wird im nächsten Abschnitt noch näher eingegangen. - Aber auch die Vorgehensweise von Ewers, Fritsch ruft Kritik hervor. Nach einer Verwechslung von Wettbewerbsfunktionen und Marktfunktionen entscheiden sie sich für eine Definition des Marktversagens, die nicht ohne explizite "politische Wertung" auskommt (ebendort, S. 112). Eine Diskussion dieses Ansatzes und eine Alternative hierzu finden sich bereits bei Eickhof, 1986, S. 469 ff.
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vergessen werden darf jedoch in diesem Zusammenhang, daß die EU gerade mit ihrem 4. FuT-Rahmenprogramm eine Verschiebung der Förderung anstrebt, und zwar weg von der Grundlagenforschung, deren Ergebnisse gewöhnlich weder patentierbar sind noch temporäre Monopolrenten ermöglichen und insofern typischerweise die Merkmale öffentlicher Güter aufweisen, hin zur angewandten Forschung und Entwicklung, die viel eher erwerbswirtschaftlich nutzbare Resultate liefert und insoweit ohne staatliche Hilfe auskommt. Damit vermindert sich natürlich die Rechtfertigungsbasis der europäischen FuT-Politik allgemein.
m. FuT-Politik als Strukturgestaltungspolitik 1. Das Hauptargument
Wie ebenfalls schon ausgeführt, dominiert im Rahmen der gemeinsamen FuT-Politik die direkte Projektf6rderung bzw. die Strukturgestaltungspolitik. Sie basiert vor allem auf dem Argument, der Markt sei blind fiir die zukünftig erforderliche Wirtschaftsstruktur. Setze man allein auf ihn, unterblieben wichtige, zukunftsweisende Produktionen60 • Ja, es drohe eine technologische Lücke zwn Ausland, insbesondere zu den USA und Japan. Soll diese Entwicklung jedoch abgewendet werden, müsse der Staat aktiv werden und die zukunftsträchtigen Projekte, Produkte und Branchen gezielt f6rdern, oder mit anderen Worten: eine sektorale Strukturgestaltungspolitik durchfiihren61 • Gegen diese Argumentation sind indes schwerwiegende Einwände zu erheben. 2. Der zentrale Einwand
Der zentrale Einwand lautet, daß der Staat keineswegs bessere Informationen über die Zukunft besitzt als die Summe der Unternehmen. Die prominentesten Zeugenfiir diesen Einwand heißen Wiederaufbereitungsanlage, Schneller Brüter, Hochtemperaturreaktor, deutscher Großrechner und britisch-französische Concorde. Diese und andere Beispiele zeigen, daß der Staat eher am wenigsten darüber informiert ist, was der technische Fortschritt demnächst ermöglicht und die Nachfrager zukünftig wünschen. Wenn er das Gegenteil behauptet, betreibt er ,,Anmaßung von Wissen,,62. Das gilt in gleicher Weise fiir nationale 60
Vgl. etwa Hauff, Scharpf, 1975, S. 45.
Bereits 1969 betonte die Bundesregierung die ,,Notwendigkeit, dazu beizutragen, daß ... für den gesarntwirtschaft1ichen Fortschritt wichtige zukunftssichemde Produktionen entwickelt werden (Zukunftssicherung)". 62 Hayek, 1975, vgl. auch Starbatty, Vetterlein, 1990, S. 126 ff. 61
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wie supranationale Entscheidungsträger, und selbst dann, wenn sich diese mit Experten, mit Zukunftsräten und mit sonstigen Einflußträgern umgeben. Im letztgenannten Fall kommt übrigens noch die Gefahr hinzu, daß die privaten Einflußträger bewußt oder unbewußt die Interessen bestimmter Unternehmen bzw. Branchen vertreten. Allenfalls im Hinblick auf Produkte, die der Staat selber nachfragt, hat er ein den anderen Akteuren überlegenes Informationsniveau. Gleichwohl ist die direkte Förderung selbst derartiger Projekte für die Unternehmen wie für den Staat mit erheblichen Unsicherheiten verbunden, wie zum Beispiel die jüngste Entwicklung der Luft- und Raumfahrtindustrie zeigt. 3. Marktwirtschaftliehe Konsequenzen
Ein zweiter Einwand bezieht sich auf die marktwirtschaftlichen Konsequenzen der direkten Projektförderung. Begünstigt der Staat einzelne Unternehmen, so verzerrt er die Wettbewerbsbeziehungen dieser Unternehmen zu allen nicht bzw. weniger begünstigten in- und ausländischen Konkurrenten. Gleiches gilt, wenn einzelne Branchen gefördert bzw. stärker gefördert werden als andere 63 . Auf diese Weise passiert es immer wieder, daß weniger effiziente, aber staatlich begünstigte Unternehmen oder Branchen durchaus effizientere, aber nichtgeförderte Marktteilnehmer verdrängen. Neben der Wettbewerbsverzerrung ist davon auszugehen, daß die direkte Projektförderung die Konzentration verstärkt, da durch sie vor allem die Größtund Großunternehmen begünstigt werden64 • Diese sind, bezogen auf ihre Größe, zwar eher weniger neuerungsaktiv als ihre mittleren und kleinen Konkurrenten65 , aber dafür besser in der Lage, eigene Abteilungen zur Akquirierung staatlicher Forschungsmittel zu unterhalten66 • Nicht zuletzt wegen der damit einhergehenden Professionalisierung arbeiten die staatlichen Forschungsbürokratien auch relativ gern mit ihnen zusarnmen67 • Diese Überlegungen gelten sowohl für die nationale als auch für die supranationale Ebene wie die der EU. Für Großunternehmen ist es schließlich zweckmäßig, einen Teil ihres Personals nicht mehr in der FuE-Abteilung, sondern als Lobbyisten zu beschäftigen. Diese werden dann weniger an schnellen Prozeß- und Produktinnovationen als Vgl. Vgl. 65 Vgl. 66 Vgl. 67 Vgl. 63
64
auch WiIlms, 1995, S. 401. Rahmeyer, 1995, S. 57. Eickhof, 1992, S. 178 ff. Freytag, 1995, S. 48. auch Ewers, Fritsch, 1987, S. 128.
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vielmehr an einer möglichst langen Dauer "ihrer" FuE-Projekte interessiert sein68 • Auf diese Weise kommt es vor allem zur Zunahme von Mitnahmeeffekten und zur Ausbreitung der Rent-seeking-Mentalität. 4. Wirtschaftspolitische Konsequenzen
Ein dritter Einwand bezieht sich auf die wirtschaftspolitischen Konsequenzen der direkten Projektförderung. Fehlentscheidungen eines Unternehmens belasten allein dieses Unternehmen. Fehlentscheidungen im Rahmen der sektoralen Gestaltungspolitik benachteiligen dagegen nicht die dafiir Verantwortlichen 69 • Ferner wird nun von einer einzigen Fehlentscheidung leicht eine ganze Branche betroffen. Dann aber dürfte die Bereitschaft des Staates, auch weiterhin zu helfen, relativ groß sein. Reichen neue Subventionen nicht aus, greift er gern zu protektionistischen Maßnahmen. Bleibt auch diesen der angestrebte Erfolg versagt, droht inländischen Substituten eine Beschränkung ihrer Wettbewerbsmöglichkeiten und letztlich den heimischen Verbrauchern ein Verlust an Konswnfreiheit. Die direkte Projektförderung bzw. die Stukturgestaltungspolitik ist also mit gravierenden Problemen und Konsequenzen verbunden. Insofern ist es mehr als bedenklich, daß die EU mit ihrem laufenden FuT-Rahmenprogramm eine Konzentration der Mittel auf die direkte Projektfärderung bei sogenannten zukunjtsorientierten Schlüsseltechnologien anstrebt, also ihre sektorale Strukturgestaltungspolitik ausbauen will. Sind die obigen Einwände nicht völlig verfehlt, liegt eine revisionsbedürjtige Fehlentwicklung vor.
IV. FuT-Politik als Bestandteil der strategischen Handels- bzw. Industriepolitik 1. Der Ansatz
Die bisherige Argumentation zur Begründung der FuT- bzw. Industriepolitik bezog sich auf vermeintliche und tatsächliche Mängel des Marktes, die fiir eine suboptimale Neuerungsaktivität verantwortlich seien und deshalb durch kompensatorische Maßnahmen des Staates bekämpft werden müßten. Darüber hinaus wird in jüngerer Zeit aber auch auf Chancen des Marktes verwiesen, die durch strategische Maßnahmen des Staates erschlossen werden sollten. Konkret
68 Willms verweist darauf, daß es keinen Zusammenhang zwischen der FuE-Förderung sowie den Prozeß- und Produktinnovationen gibt (1995, S. 401). 69 Zu diesen und weiteren Unterschieden vgl. Eekhoff, 1994, S. 75 f.
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geht es um die Erzielung von Stückkostenvorteilen durch Nutzung von Skalenund Lernkurveneffekten infolge einer strategischen Handels- bzw. Industriepolitik. Letztere basiert auf der merkantilistischen Vorstellung, die Wohlfahrt eines Landes könne auf Kosten der Wohlfahrt des Auslandes erhöht werden. Dazu sei eine Schwächung der Wettbewerbsposition ausländischer Anbieter bei gleichzeitiger Förderung des Auf- und Ausbaus neuer inländischer Industrien erforderlich. Vor allem die Behinderung von Importen und die Förderung von Exporten fUhre zu der erhofften Gewinnumlenkung auf sowie Gewinnschaffimg bei inländischen Unternehmen70 . Dieser Ansatz hat allerdings vielfaltige Kritik hervorgerufen. Nur ein Kritikpunkt sei hier kurz erwähnt. 2. Ein Kritikpunkt
So verlockend die Aussicht auf Wohlfahrtsgewinne durch Importbehinderung und Exportf6rderung aus der Sicht eines einzelnen Landes auch sein mag, so muß dafiir doch zumindestens gewährleistet sein, daß das Ausland nicht mit Vergeltungsmaßnahmen reagiert. Kommt es jedoch zu gleichgerichteten Gegenmaßnahmen, kann schnell ein Zustand erreicht sein, in dem die Wohlfahrt in allen Ländern erheblich niedriger ausfallt als bei Freihandel7l . Und in der Tat sollte mit Retorsionsmaßnahmen des Auslands gerechnet werden. Die strategische Handels- bzw. Industriepolitik dürfte bei globaler Betrachtung also eher zu Wohlfahrtsverlusten als zu Wohlfahrtsgewinnen fUhren. Wichtig ist nun in diesem Zusammenhang, daß die EU mit der in jüngerer Zeit nicht selten anzutreffenden Kombination aus Strukturerhaltungs- und Forschungsförderungspolitik zugunsten einzelner Branchen72 eine strategische Handels- bzw. Industriepolitik betreibt. Bereits aus den genannten Gründen dürfte dieser Politik jedoch kein Erfolg beschieden sein.
70 Vgl. vor allem Brander, Spencer, 1983, 1985; ferner Siebert, 1988, S. 55011; BIetschacher, Klodt, 1991, S. 5 ft'., 1992, S. 9ft'. 71 Vgl. Kösters, 1994, S. 121, 1992, S. 56; Klodt, 1995, S. 86f., ferner auch Berthold, 1994, S. 130 f.; Berg, Schmidt, 1994, S. 13 ft'. 72 Vgl. die obigen Ausführungen zu E. IV.
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V. FuT-Politik als spezifisch europäische Herausforderung Bislang sind industriepolitische Argumente untersucht worden, die eine generelle Geltung beanspruchen und sich insofern auf die Ebene der EU, aber auch auf die der Mitgliedstaaten beziehen. Davon lassen sich schließlich industriepolitische Argumente unterscheiden, die speziell auf die Gemeinschaftsebene zielen und somit nur hinsichtlich einer europäischen Industriepolitik gelten. Drei derartige Argumente seien abschließend berücksichtigt. 1. Vermeidung der Doppelforschung in der EU
Ein erstes Argument besagt, erst eine europäische FuT-Politik ermögliche die Vermeidung der Doppelforschung auf europäischer Ebene 73 • Auf diese Weise könnten knappe Forschungsressourcen eingespart und die FuE-Produktivität erhöht werden. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß eine exklusive Zuweisung von Forschungsaufgaben den leistungssteigernden Wettbewerb in der Forschung beseitigen und der jeweils begünstigten Forschergruppe eine ejJizienzmindernde Monopolstellung auf ihrem Gebiet verschaffen würde74 • Zwar wäre es sicherlich zweckmäßig, eine größere Transparenz hinsichtlich der erzielten Forschungsergebnisse herzustellen, so daß bereits bekannte Zusammenhänge nicht noch einmal erforscht werden. Die Möglichkeit der parallelen, konkurrierenden Forschung auf den einzelnen Gebieten sollte jedoch grundsätzlich nicht beschnitten werden75 • 2. Anwendung des Subsidiaritätsprinzips
Ein zweites Argument für eine europäische FuT-Politik basiert auf dem Subsidiaritätsprinzip, das nach Maastricht als Art. 3b dem EG-Vertrag hinzugefiigt worden ist. Kurz formuliert, soll nach diesem Prinzip die Gemeinschaft nur dann tätig werden, wenn und soweit sie bestimmte Aufgaben besser erledigen kann als die Mitgliedstaaten76 • Dann aber müsse, so zahlreiche Politiker und
73 Ygl. Reichardt, Wimmers, 1992, S. 23. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch folgende Prämisse der europäischen FuT-Politik: ".. nimmt man wie die Kommission an, daß sich die Bereiche zentraler Innovationsbedeutung prognostizieren lassen, so scheint es gerechtfertigt, daß sich die Kommission als Ort, wo alle Informationen zusammenlaufen, fiir die ideale informations- und Koordinationsinstanz der technologischen Entwicklung Europas halt" (ebendort, S. 16). 74 ygl. Kerber, 1991. 75
Ygl. auch Dunn, 1995, S. 172 ff.
76
Ausführlicher vgl. hierzu MOschel, 1995; Bartling, Hemmersbach, 1995, S. 348 ff.
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Wirtschaftswissenschaftler77 , auch die FuT-Politik wegen der zu erwartenden EjJizienzgewinne gemeinschaftlich durchgeführt werden. Dieses Argwnent hält jedoch einer kritischen Überprüfung nicht stand. Eine völlige oder teilweise Verlagerung der FuT-Politik von den Mitgliedstaaten auf die Gemeinschaft bringt in der Regel weder steigende Erträge noch sinkende Aufwendungen: Zunächst einmal ist festzustellen, daß bereits die Frage der Zielsetzung hinsichtlich der gemeinsamen FuT -Politik zu grundlegenden Konflikten innerhalb der EU führt. So sind die hochentwickelten Mitgliedstaaten vor allem an der Förderung der Spitzenforschung interessiert, um im globalen Wettbewerb mit Amerika und Japan besser bestehen zu können. Demgegenüber vertreten die weniger entwickelten Mitgliedstaaten die Auffassung, die gemeinsame FuT -Politik habe vorrangig die technologischen Lücken innerhalb der EU zu schließen78 • Auf diese Weise kommt es letztlich - wie bereits oben erläutert - zu einer großzügigen Förderung all ermöglichen Programme und Projekte. Da die Mitgliedstaaten ferner keineswegs auf eine eigene FuT-Politik verzichten, lassen sich Überschneidungen zwischen nationalen und gemeinsamen Aktionen nicht verhindern79 • Die europäische FuT -Politik führt somit weniger zur eigentlich angestrebten Vermeidung als vielmehr zur Ausweitung der Doppelforschung. EjJizienzmindernd wirken sich vor allem die Kosten fiir Personal und Gutachter der europäischen Forschungsbürokratie, die vielfältigen Abstimmungsprozesse und die komplizierten Entscheidungsstrukturen aus 80 . Die hiermit verbundenen Schwierigkeiten bei den Antragstellern lassen sich leichter von Großunternehmen als vom Mittelstand bewältigen81 • Somit ergibt sich eine Verschärfung der bereits einzel staatlich inkriminierten Wettbewerbsverzerrungsund Konzentrationsjörderungseffekte 82 • Angesichts der organisatorischen Kom-
77
Vgl. hierzu auch Winter, 1994, S. 227.
Dieser Zielkonflikt spiegelt sich auch innerhalb der EU-Kommission wider: Verfechten jene Generaldirektionen, denen die Verwirklichung des FuT-Rahmenprogramms obliegt, die erstgenannte Position, so präferiert die für Regionalpolitik zuständige Generaldirektion die zweitgenannte. 79 Vgl. K1odt, Stehn u. a., 1992, S. 109 ff. 78
80 Vgl. hierzu ausführlich Starbatty, Vetterlein, 1990, S. 91 81
ff.
Vgl. hierzu auch Reichardt, Wimmers, 1992, S. 49, 107.
82 In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, daß die EU nicht zuletzt mit Art. 130 EGV ja eigentlich eine Förderung der kleinen und mittleren Unternehmen sowie eine Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen erreichen will. Vgl. die obigen Ausführungen unter B.I. und TI.
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plexität, aber auch infolge mangelnder Interessen bereitet schließlich die Effizienzkontrolle der europäischen FuT-Politik relativ große Probleme83 • Eigentlich kann es daher nicht überraschen, daß eine Untersuchung des Europäischen Parlaments zu einem relativ negativen Urteil über die europäische FuT-Politik gekommen ist: Die beiden letzten Rahmenprogramme hätten keineswegs die Entwicklung neuer Technologien angestoßen. Allenfalls die Diffusion bereits vorhandener Technologien sei verstärkt worden84 • 3. Das Prinzip der fiskalischen Äquivalenz
Ein drittes und letztes Argument für eine europäische FuT -Politik basiert auf dem Prinzip der fiskalischen Äquivalenz. Nach diesem Prinzip sollte der Kreis der Nutznießer einer öffentlichen Maßnahme mit dem der Kostenträger übereinstimmen 85 • Da die Ergebnisse der nationalen FuT-Politik weitgehend öffentliche Güter oder externe Effekte darstellen, die an den jeweiligen Landesgrenzen nicht halt machen, müsse die FuT-Politik von der nationalen Ebene auf die der Gemeinschaft verlagert werden. Allerdings ist es zunächst einmal fraglich, ob die EU das richtige Gebiet für die angestrebte fiskalische Äquivalenz darstellt. Zahlreiche FuE-Ergebnisse haben nach wie vor lediglich nationale Bedeutung, während andere relativ schnell weltweit genutzt werden. Dann aber erscheint die EU in der Tat als recht willkürlich gewählte Region für die gewünschte fiskalische Äquivalenz. Schließlich ist noch einmal daran zu erinnern, daß die EU derzeit eine Verschiebung ihrer Förderung anstrebt, und zwar weg von der Grundlagenforschung, deren Resultate typischerweise öffentliche, also nicht-marktfähige Güter darstellen, hin zur angewandten Forschung, deren Ergebnisse ja verhältnismäßig günstig zu privatisieren sind und die deshalb nur mit Einschränkungen der staatlichen Hilfe bedarf. Es dürfte deutlich geworden sein, daß die speziellen Argumente zur Begründung einer europäischen FuT-Politik in der Regel nicht tragfähig sind86 •
83
Vgl. Vetterlein 1991; Klodt, Stehn u. a., 1992, S. 111.
84
Vgl. HWWA, 1995, S. 1 f., ferner auch BIetschacher, Klodt, 1992, S. 173 ff.; Bilger, 1994,
S. 214 f. 85
Vgl. Klodt, Stehn u. a., 1992, S. 12 ff., 106 ff.
Zu einem ähnlich restriktiven Ergebnis kommen auch Bartling, Hemmersbach, 1995, nach denen für eine europäische FuT-Politik allenfalls zwei Aufgabenbereiche in Frage kommen, und zwar "das Patentwesen" (S. 350) sowie "nur ausnahmsweise" die direkte Projektförderung von Spitzentechnik "etwa bei der Erforschung von Weltraum- und Militärtechnologien" (S. 354). Zum 86
29 Peter.
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G.Fazit Die Industriepolitik der EU setzt sich vor allem aus zwei unterschiedlichen Strategien zusammen, und zwar aus der Strukturerhaltungs- und aus der FuTPolitik. Von diesen stößt die Strukturerhaltungspolitik aus volkswirtschaftlicher Sicht auf allgemeine Ablehnung. Aber auch die allermeisten Argumente für die FuT-Politik erweisen sich als nicht stichhaltig. Das gilt sowohl für die generellen als auch für die speziellen, allein auf die Gemeinschaftsebene zielenden Argumente. Lediglich zugunsten der Grundlagenforschung, die typischerweise zur Produktion öffentlicher Güter fUhrt, ist eine Forschungsförderungspolitik grundsätzlich gerechtfertigt. Allerdings zieht sich die EU gerade aus diesem Bereich schrittweise zurück. Damit nimmt das Ausmaß der strittigen, wenn nicht gar ungerechtfertigten Aktionsfelder zu. Vor allem die Strukturgestaltungspolitik sowie die strategische Handels- bzw. Industriepolitik erweisen sich als ordnungspolitische Sündenfalle, die ähnlich wie die Strukturerhaltungspolitik fatale volkswirtschaftliche Konsequenzen haben können. In diesem Zusammenhang darf nicht vernachlässigt werden, daß jede industriepolitische Maßnahme zugunsten der Mitglieder einer Branche von anderen Unternehmen oder Haushalten getragen werden muß. Das gilt besonders anschaulich für die Gewährung von Subventionen an ein Unternehmen, was die Erhebung von Steuern bei anderen Wirtschaftssubjekten erforderlich macht. Das gilt aber auch fiir den Schutz einer Branche vor dem freien Wettbewerb, unter dem in den meisten Fällen nicht nur die ausländische Konkurrenz, sondern auch die vor- und nachgelagerten Marktstufen zu leiden haben. Kurzfristig betrachtet, stehen somit jedem Gewinner Verlierer gegenüber. Allerdings handelt es sich dabei nicht um ein Nullsummenspiel, verursachen die beteiligten staatlichen Instanzen doch auch selber erhebliche Kosten. Wird die hohe Mißerfolgsquote industriepolitischer Maßnahmen berücksichtigt, gilt ferner, daß die erhoffte Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit einiger Unternehmen die sichere Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit anderer voraussetzt. Und wird die europäische Industriepolitik einschließlich ihrer strategischen Variante im weltweiten Kontext gesehen, zeigt sich schließlich, daß sie geeignet ist, die Wohlfahrt aller zu vermindern. Damit ergibt sich letztlich die Frage, wie die volkswirtschaftlich ungerechtfertigten und schädlichen Aktionsfelder der europäischen Industriepolitik in Zukunft vermieden werden können. In diesem Zusammenhang ist Starbatty zuzustimmen, wenn er daraufhinweist, daß die deutsche Seite auch in Zukunft nichts zweitgenannten Aufgabenbereich vgl. unter industriepolitischen Aspekten aber auch die obigen Einwände unter F. m.
Die Industriepolitik der Europäischen Union
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verhindern wird, solange sie abzulehnende industriepolitische ,,Programme erst nach deren VerabschiedWlg blockieren will,,87. Günstiger sei es, "wenn die BWldesregierWlg ihren blockierenden Einfluß eine Phase früher geltend macht bei der politischen AbstimmWlg über die einzelnen Programme Wld bei deren finanzieller Dotierung". Allerdings ist es fraglich, ob sich die BWldesregierung zukünftig in der empfohlenen Weise verhalten wird. Starbatty selbst verweist auf ein zentrales Gegenargument: "Warum sollte bei konkreten Aktionen mit Nein gestimmt werden, wenn man eine industriepolitische Initiative zwar ablehnt, der daraus resultierende Schaden aber geringer als die Vergiftung des allgemeinen VerhandlWlgsklimas wiegt?" Günstiger als EmpfehlWlgen zur Veränderung eigennützig rationalen Verhaltens erscheint die Berücksichtigoog des institutionellen Rahmens der EU. Unter diesem Aspekt ist vor allem folgendes zu beachten: Der Vertrag von Maastricht ist mit der heißen Nadel gestrickt. Das gilt nicht zuletzt fiir den industriepolitischen Art. 130. Aus volkswirtschaftlicher Sicht wäre es daher angezeigt, diesen Artikel möglichst bald gründlich zu überarbeiten oder gar ersatzlos zu streichen88 • Darüber hinaus müßten aber auch die gemeinsame Struktur-, FuT- sowie Handelspolitik in der hier erläuterten Weise rejormiertwerden. Konkret bedeutet das einen weitgehenden Verzicht auf die staatliche Förderung der marktnahen angewandten ForschWlg Wld EntwicklWlg, auf die direkte Projektförderung, auf nichttarifäre Handelshemmnisse sowie auf die meisten Antidumping-Maßnahmen. Angesichts des rasanten Wachstums der FuT-Rahrnenprogramme sowie der Strukturfonds ist schließlich Wlbedingt davon abzusehen, der EU eine eigene Steuerhoheit zu gewähren89 • Nur solange die Gemeinschaft finanziell abhängig von den Mitgliedstaaten bleibt, kann sich in ZukWlft ein Druck auf eine effizientere Verwendung der EU-Mittel ergeben.
87 Dieses Zitat wie auch die beiden folgenden finden sich bei Starbatty, 1994, S. 13. 88 Vgl. auch Wissenschaftlicher Beirat beim BMWi, 1994, S. 39. Zu den Chancen einer Vertragsrevision vgl. Hellmann, 1994, S. 28; Ehlermann, 1994, S. 112 f. 89 Hierzu wie auch zu weiteren institutionellen Änderungsmöglichkeiten in der EU vgl. Freytag, 1995, S. 196, 184 ff.
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Zukunfts fähige Energiepolitik Von Wolfgang Pfaffenberger, Oldenburg
A. Einleitung Das Thema Energieversorgtmg wird in der Gesellschaft im Hinblick auf viele Aspekte kontrovers diskutiert. Diese Diskussion ist häufig von den Zukunftsvisionen einzelner Technologiesparten und deren Interessenvertreter geprägt (,,Auf dem Wege in das Wasserstoffzeitalter", "Unsere Zukunft liegt in der Sonnenenergie", ,,Kernenergie löst das Energieproblem" etc.). Auf der anderen Seite unterliegen Import, Erzeugtmg, Verteilung und Nutzung von Energieträgern in unserer Wirtschaftsordnung einer Vielzahl von Regulierungen, die an einzelnen Stellen weit über das übliche hinausgehen (so gibt es etwa eine staatliche Preisaufsicht). Wie ist diese Regulierungsintensität zu begründen? Trägt die vorhandene Regulierung zu einer besseren Bewältigtmg des strukturellen Wandels im Energiesektor bei? Verhilft sie zu einer tragfahigen Zielfindung angesichts divergierender Zukunftsvisionen? Der folgende Beitrag bezieht die heute in der Theorie der Wirtschaftspolitik definierten Handlungsbedarfe fiir wirtschaftspolitische Eingriffe auf den Energiesektor und leitet den fiir diesen Sektor notwendigen Handlungs- und Eingriffsbedarf ab. Es erfolgt dann eine Konfrontation mit der deutschen Energiepolitik und es wird gefragt, inwieweit diese den Ansprüchen einer zukunftsorientierten Gestaltung genügt.
B. Energieproblem und Zukunft Die Entstehung unserer Industriegesellschaft ist eng mit dem Energieproblem verbunden. Unsere Lebensweise erfordert einen Zustrom von Energie in verschiedenen Formen und hat dieses Problem bisher dadurch gelöst, daß die Bestände vergangener Sonnenenergieeinstrahlung in der Form von fossilen Brenn-
458
Wolfgang Pfaffenberger
stoffen verfügbar gemacht wurden.) Die Entwicklung dieser Ressourcen selbst und all ihrer Nutzungstechniken war ein Entwicklungsimpuls von erheblichem Ausmaß. 2 Durch die Energiezufuhr ist eine weitgehende Entkopplung des menschlichen Lebens von natürlichen Beschränkungen möglich. Wärme-Kühlungsdienstleistungen ermöglichen modemes Produzieren und Wohnen bei weitgehender Unabhängigkeit von den klimatischen Bedingungen, Energieanwendungen verschiedener Art bilden die Grundlage für die Mobilität und schließlich schafft die allgemeine Verfügbarkeit von Elektrizität als Basis von Kraftantrieben, Beleuchtung und auch Wärmedienstleistungen die Möglichkeit unabhängig vom Standort zu produzieren, zu wohnen und zu kommunizieren. Die mit dieser Entwicklung früher verbundene Euphorie ist heute vielfach in Skepsis oder Kritik umgeschlagen: Das Verbrennen großer Mengen fossiler Energieressourcen in kurzer Zeit wirkt auf die Natur durch die Verbrennungsrestprodukte zurück und beeinträchtigt die Lebensbedingungen. Auch stellt sich die Frage, in welchem Umfang die gegenwärtige Generation das Recht hat, diese Bestände nicht emeuerbarer Ressourcen zu verbrauchen und die dabei entstehenden Abfallstoffe als Hypothek an zukünftige Generationen weiterzugeben. Damit verbunden ist die Frage nach der möglichen Energiezukunft bei verringerter Ressourcenverfügbarkeit. Ohne Zweifel ist das Energieproblem eine gewaltige Herausforderung für die Steuerungsmechanismen unserer Gesellschaft. Der traditionelle Politikstil des kurzfristigen Austarierens unterschiedlicher Interessen ist dadurch ebenso in Frage gestellt wie der unkorrigierte Marktmechanismus, wenn die Folgekosten kurzfristiger Entscheidungen nicht berücksichtigt werden. I. Das Ressourcenproblem
Betrachten wir zunächst das Ressourcenproblem: Ressourcenbestände können wie ein Finanzvermögen interpretiert werden. So wie ein Finanzinvestor seine Anlagen dann veräußert, wenn dies unter Renditegesichtspunkten günstig erscheint, wird ein Inhaber fossiler Ressourcen diese nur verkaufen, wenn er damit eine ihm angemessen erscheinende Rendite für sein Ressourcenvermögen erlösen kann. Halten alle ihr Angebot zurück, steigt der Preis, die Rendite wächst und es wird ein Ressourcenangebot erfolgen. Unter normalen Marktbedingungen werden gerade soviel Ressourcen angeboten, daß der Ressourcenbestand sich mit dem normalen Zinssatz verzinsen kann. Dies hat aber zur Folge,
) Zum Knappheitsbegriff im Zusammenhang mit Energieressourcen vgl. Peters, 1981. ist dies z. B. eindrucksvoll beschrieben bei Yergin, 1991.
2 Für die Olindustrie
459
Zukwlftsfähige Energiepolitik
daß der Preis fossiler Ressourcen in sehr langer Sichtweise mit dem allgemeinen Zinssatz als Wachstwnsrate ansteigen muß. Die Abbildung veranschaulicht einen solchen modellhaften Preispfad an erschöpfbaren Ressourcen. 3 Da es Ersatzmöglichkeiten fiir fossile Energieträger gibt, erzwingt die Preissteigerung irgendwann einen Übergang auf die Ersatzmöglichkeit. Das Ergebnis solcher ressourcenökonomischen Betrachtungen ist eigentlich eher optimistisch: Die Möglichkeit von traditionellen Energienutzungssystemen und Ressourcen auf andere umzusteigen, stellt die Lösung des Energieproblems dar. Dabei muß allerdings darauf hingewiesen werden, daß Ersatzenergie nicht in beliebigen Mengen zur Verfügung steht, denn die Einstrahlung der Sonnenenergie auf die Erdoberfläche ist begrenzt und es besteht im Hinblick auf die Flächennutzung eine erhebliche Konkurrenz der Nutzung fiir Energieerntezwecke mit anderen Nutzungsmöglichkeiten der Flächen.
Strukturwandel Ressourcenseinsatz
Preis 250 200
Preispfad fossile 150 100
Energie Nichtfossiler Ersatz
50
o ~______~______~__'L-__~______~______~ 10
20
Zeit
30
40
50
Einfiihnmgszeit Abb. 1: Strukturwandel Ressourceneinsatz
In der gesellschaftlichen Diskussion umstritten ist die Frage, inwieweit wir nun in Ruhe den von Märkten vorgezeichneten Übergangszeitpunkt abwarten können, d. h. relativ preiswerte fossile Energie solange weiternutzen, wie sie 3 Zu
den ressourcenökonomischen Grundlagen vgl. Common, 1988.
460
Wolfgang Pfaffenberger
verfügbar ist oder Vorbereitungen treffen müssen, um auf Ersatzmöglichkeiten umzusteigen. Das Fazit des kurzen Ausflugs in die Ressourcenökonomie ist eigentlich klar: Aus ressourcenökonomischer Sicht allein gibt es keinen Grund, den Zeitpunkt des Übergangs vorzuverlegen. Nur in Parenthese sei hinzugefügt, daß dies auch gar nicht so einfach wäre: Denn es ist mit Gegenstrategien von Seiten der Ressourcenanbieter zu rechnen. 4
n. Emissions- und Risikoprobleme Ergibt sich entgegen der landläufigen Ansicht aus der Ressourcenbeschränkung kaum ein aktueller Handlungsbedarf, so ist dies auf der Umweltseite der Energieprozesse gänzlich anders zu bewerten. Die deutsche Umweltpolitik hat zunächst mit großem Erfolg auf gesetzliche Standards für Abgasreinigung gesetzt. Dieser Ansatz stößt jedoch heute auf Grenzen: Es kann nicht sichergestellt werden, daß verschiedene Aktivitätsbereiche durch die Standards in gleicher Weise erfaßt werden: Was nützt es der Umwelt, wenn Stickoxyde in Kraftwerken vermieden und dafür von Kraftfahrzeugen ausgestoßen werden? Zum anderen versagt der traditionelle Ansatz, insbesondere bei dem nicht rückhaltbaren Kohlendioxyd. Die auf der Tagesordnung stehende Reduktion von Kohlendioxyd kann durch eine Ersetzung kohlenstoffreicher Brennstoffe durch kohlenstoff'ännere oder kohlenstofflose ebenso wie eine Ersetzung von fossiler Energie überhaupt durch nicht energetische Produktionsfaktoren (Energieeffizienzsteigerung) geschehen. Was davon an welcher Stelle der Volkswirtschaft am besten einzusetzen ist, ist eine Frage, die primär durch die einzelnen Agenten selbst zu entscheiden ist. Eine erfolgreiche Reduktionspolitik setzt immer voraus, daß die Akteure für sich selbst Erfolgsbedingungen formulieren können, in die das umweltpolitische Erfordernis mit eingeht. Dies erfordert entgegen der landläufigen Me~ung nicht mehr Regulierung seitens der Politik, sondern mehr Freiraum für die Unternehmen, da nur ein solcher Freiraum als Nährboden für das Entstehen neuer Lösungen wirken wird. Nur wenn Unternehmen ihre individuelle Erfolgsplanung mit dem gesellschaftlichen Umwelterfordernis in Einklang bringen können, werden sie aktiv zur Lösung des Strukturwandels im Sinne der Umwelterfordernisse beitragen können.
4 Vgl. Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, 1996, S. 338
f.
Zukunftsfähige Energiepolitik
461
Dies erfordert ein Umdenken in der Umweltpolitik, die sich in dieser Frage viel stärker der marktwirtschaftlichen Instrumente bedienen sollte. 5 Zur Kernenergie
Es ist erfreulich zu konstatieren, daß die früher zu beobachtende Dichotomisierung der Energiediskussion auf die Frage Kernenergie: 'ja oder nein' sich heute wieder weiter geöffilet hat. Wir müssen allerdings akzeptieren, daß die Bewertung des Kernenergierisikos letztlich keine wirtschaftliche Frage ist. Bei der Kernenergie stehen nicht die alltäglichen Emissionen und deren Vermeidung im Vordergrund des Interesses, sondern es geht um die Frage der Risiken. In der Marktwirtschaft steht hierfür grundsätzlich der Versicherungsmechanismus zur Verfügung. Daß eine marktwirtschaftliche Lösung bei der Kernenergie ausscheidet, kann man ganz nüchtern daran erkennen, daß eine solche Versicherungslösung völlig ausgeschlossen ist. In der Prognos-Studie für den Bundeswirtschaftsminister hieß es dazu: ,,Damit steht bei der Internalisierungsdebatte im Zusammenhang mit Kernschmelzunfällen nicht die Pfennigumlage eines statistisch ermittelten Erwartungswerts, sondern der Umgang mit dem Phänomen Risiko selbst im Vordergrund.,,6 Die Kernenergie kann zwar wichtige Beiträge für eine COrarme Energieversorgung leisten. Wenn sie als eine solche Zukunftsoption zur Verfügung stehen soll, so erfordert dies allerdings eine deutlich sichtbare und allgemein akzeptierte Risikoreduktion und dies wiederum setzt eine weitgehende Einbeziehung der gesellschaftlichen Gruppen in den Willensbildungsprozeß voraus. 7 Ohne einen Grundkonsens ist dies nicht möglich, da die Anlagen des Brennstoffkreislaufs in vielfältiger Weise in die materielle und institutionelle Infrastruktur der Gesellschaft eingebunden sind. Hier stellt sich dann weniger die Frage nach der Funktionsfähigkeit des Marktmechanismus als vielmehr die Frage, ob das politische System in der Lage ist, die Koordinationsaufgabe der Koordinierung der unterschiedlichen Zukunftsvisionen im Hinblick auf gemeinsame Zielvorstellungen zu leisten. Zwischen der Feinregulierung, die in Deutschland im Energiesektor betrieben wird und dieser Aufgabe klaffi eine unausgefüllte Lücke. Es spricht vieles dafür, daß für die Aufgabe der langfristigen Zielfindung eine institutionelle Struktur fehlt. Diese müßte die Aufgabe leisten, in offener Weise auf die Zusammenführung 5 Vgl.
Hansmeyer, 1993, S. 63ft'. Wolft', Keppler, 1992, S. 121. 7 Die Kernenergiedebatte ist in hohem Maße von "informal constraints" im Sinne von North geprägt. Diese sind für die Politikfmdung hoch bedeutend. Vgl. North, 1990, S. 36 ft'. 6 Masuhr,
462
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unterschiedlicher Zukunftsvisionen im Hinblick auf die energiepolitischen Prioritätensetzung hinzuwirken. In einer puristischen Sicht der Marktwirtschaft kommt die Koordinationsaufgabe von Politik nicht vor. Dabei sind ihre Chancen wirtschaftlich besser als die kurzfristiger Intervention: Eine kurzfristige Koordinierung von Interessengruppen muß immer davon ausgehen, daß diese Gruppen aufgrund ihrer bereits getätigten Investitionen in die Soft- und Hardware geplanter Projekte das staatliche Forum als Basis für ihre Absatzinteressen verstehen. Langfristig ist die Flexibilität dagegen weit höher, da nur in geringerem Umfang bereits Vorleistungen getätigt sind. Eine Langfristkoordination kann auf der anderen Seite nicht das Problem der fehlenden Zukunftsinformationen lösen. Dem muß bei der Ausgestaltung Rechnung getragen werden. Nach Ueberhorst wird es "angesichts der konkreten Vielfalt und Widerspruchlichkeit unzähliger energiepolitischer Positionen nur dann zu einer gemeinsamen Beantwortung dieser Frage (der Frage nach einer gemeinsamen politischen Willensbildung, WP) kommen können, wenn die energiepolitischen Akteure im Hinblick auf die Interpretation von bearbeitungsbediirftigen Aufgaben gemeinsamen Kriterien folgen und diese bei ihrem Engagement auch dann beachten können, wenn sie damit mehr tun müssen, als ihre jeweilige Konzeption zu vertreten. Unsere Diskussion über einen Energiekonsens ist damit eine Diskussion über aufgabenadäquate Politikformen und Verhaltensweisen, die längerfristige Verständigungen zwischen VertreterInnen strategischer Alternativen ermöglichen. ,,8 Wie aber sehen solche Politikformen aus? Ueberhorst vergleicht hier einen positionellen Politikstil mit einem diskursiven: "Ein positioneller Politikstil ist durch Denk- und Verhaltensweisen sowie Argumentationsformen bestimmt, die an einer bestimmten Position und ihrer strategischen Einbettung sowie dem Versuch ihrer maximalen Durchsetzung orientiert sind", während eine diskursive Politik "offen und einladend für verschiedene Kontexte ist, offen auch für die Überwindung bisher eingenommener Positionen.. Sie versucht die Bereitschaft aller Kontrahenten zu fördern, kontroverse Positionen in einen kooperativen Prüf-, Bewertungs- und Konsensfmdungsprozeß einzubringen. Damit werden zuerst ein besseres gemeinsames Verständnis der strategischen Optionen und gemeinsame Maßstäbe zu ihrer Bewertung gesucht, wobei von bisher nicht erkannten Konsenschancen ausgegangen wird. ,,9
8 Ueberhorst,
1993, S. 14
9 Ebendort, S. 14
f.
Zukunftsfähige Energiepolitik
463
Für die institutionelle Ausgestaltung eines solchen Konsensfindungsprozesses gibt es viele Optionen, die hier nicht erörtert werden sollen.
c. Zur Begründung wirtschaftspolitischer Intervention Grundsätzlich gilt im Rahmen der Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik ebenso wie in der Europäischen Union, daß Wirtschaftsprozesse (abgesehen von Ausnahmen) dezentral privat organisiert werden sollen. Dieses Vorrangprinzip der Märkte verlangt eine besondere Begründung fiir staatliche Interventionen. Generell kann man davon ausgehen, daß eine solche Begründung gegeben ist, wenn bestimmte Bereiche nur in eingeschränktem Maße marktfahig sind, d. h. also, wenn nicht davon ausgegangen werden kann, daß Märkte dafiir geeignet sind, in diesem Bereich fiir ein hinreichendes Angebot von Gütern und Leistungen zu sorgen. So populär auch dieses ,,Marktversagen" im engen Sinne in der wirtschaftspolitischen Literatur als Begründung fiir wirtschaftspolitische Eingriffe geworden ist 10 , so sehr bedarf es fiir die Analyse spezifischer wirtschaftspolitischer Handlungsbereiche der Konkretisierung, weil diese Form des Marktversagen bei flexiblen institutionellen Gestaltungsmöglichkeiten kaum ein relevantes Phänomen beschreibt. 11 Für den Bereich der Energiewirtschaft läßt sich feststellen, daß die Marktfahigkeit der verschiedenen Produkte und Leistungen weitestgehend gegeben ist, auch wenn viele besondere Probleme auftreten, die sich aus der Tatsache ergeben, daß im Rahmen der leitungsgebundenen Energieversorgung viele Nutzer durch die Verteilung der Leistungen über ein Netz indirekt miteinander verbunden sind und damit ihr Verhalten auf engere Weise miteinander interagiert als dies auf vielen anderen Märkten der Fall ist. Dies stellt jedoch nicht die Marktfahigkeit dieser Güter in Frage, sondern wirft die Frage auf, ob sich eine dieser Problemstellung angemessener Vertrags- und Preisgestaltung quasi von alleine herstellt oder durch besondere staatliche Regulierung und Intervention herbeigeführt werden muß. Wir kommen darauf zurück.
Im folgenden haben wir sechs verschiedene Begründungen fiir wirtschaftspolitische Eingriffe zusammengestellt (vgl. Abbildung 2), die im wesentlichen auf der theoretischen Arbeit von Streit basieren. 12 Dieser Ansatz geht davon aus, \0 Zur Kritik der wohlfahrtstheoretischen Begründung des Marktversagens als Basis wirtschaftspolitischer Eingriffe vgl. Streit, 1991, S. 21. 11 Ausführlich wird Marktversagen analysiert in Fritsch, Wein, Ewers, 1996. Die theoretischen Grundlagen der Strukturpolitik werden ausführlich beschrieben bei Peters, 1996, Teil 3: Regulierungs-, gruppen- und interaktionstheoretische Grundlagen, S. 57 ff. 12 Vgl. Streit, 1991.
464
Wolfgang Pfaffenberger
daß eine Marktwirtschaft durch Koordinations- und Transaktionskosten gekennzeichnet ist, die aus dem Wunsch der Akteure entspringen, ihre in die Zukunft gerichteten Handlungen, die immer und logisch notwendig bei unvollkommener Information stattfinden müssen, gegen diese Informations- und Kostenrisiken abzusichern.
Verringerung der Substitutionskosten
Regulierung der Umweltnutzung
Abb. 2: Begründungen für wirtschaftspolitische Interventionen
I. Substitutions- und Transaktionskosten
Der Markt im Sinne des mikroökonomischen Lehrbuchs als Treffpunkt von Angebot und Nachfrage und als logisches Konstrukt zur Ableitung von Gleichgewichtsbedingungen muß vom realen Markt als Teil der Koordinationsstruktur einer Volkswirtschaft unterschieden werden. Wirtschaftspolitik muß aus den Bedingungen realer Märkte abgeleitet werden. Auf realen Märkten gibt es niemals eine vollständige Anpassung an ein mögliches Gleichgewicht, weil Märkte sich in einem Prozeß permanenter Veränderung befmden und die Akteure nur unvollständige Informationen besitzen. Weiterhin sind wirtschaftliche Strukturen durch einen hohen Grad von Vernetzung gekennzeichnet, die in vielfältigen
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Fonnen spezifischer Vereinbarungen zum Ausdruck kommen. Daraus ergeben sich zwingend Abhängigkeiten der Akteure voneinander. \3 Aus all diesen Gründen werden nicht alle Möglichkeiten der Neuorientierung der Produktstruktur und des Faktoreinsatzes bei den Wirtschaftseinheiten genutzt. Es ergeben sich vielmehr "Substitutionshemmnisse", die in vielfältiger Weise den Marktmechanismus in seiner Wirkung retardieren können. Auch spielt in diesem Zusammenhang das Phänomen Macht und Abhängigkeit eine große Rolle, das keineswegs aufmarktbeherrschende Positionen beschränkt ist, sondern ein inhärentes Merkmal von Vereinbarungen auf der Basis der Spezialisierung und Arbeitsteilung darstellt. 14 Jede erfolgreiche wirtschaftliche Situation fUhrt bei den Beteiligten zu einem gewissen Maß an Zufriedenheit, die den Wunsch nach Aufrechterhaltung der Strukturen erzeugt. Daraus kann sich eine Retardierung oder sogar Verhinderung von strukturell notwendigen Veränderungsprozessen ergeben. Auf spezialisierten Märkten mit hohem Abhängigkeitsgrad ergeben sich hier auch Verkettungseffekte. Eine marktorientierte Wirtschaftspolitik soll solche strukturellen Anpassungshemmnisse verringern helfen. Wirtschaftspolitische Aufgabe ist dann, den Wandel von Produkt- und Faktoreinsatzstrukturen zu unterstützen. Dazu kommen je nach Sachbereich unterschiedliche Instrumente in Frage. Substitutions hemmnisse im Energiesektor
Besondere Hemmnisse sind im Energiesektor in sachlicher Hinsicht bei der sogenannten Energieeinsparung und zeitlicher Hinsicht bei der Ressourcenproblematik (s.o.) festzustellen. Aus vielen technologieorientierten Untersuchungen ist bekannt, daß in vielen Anwendungsbereichen von Energie nicht das optimale Einsatzverhältnis von Energie und Kapital realisiert wird, viele Wirtschaftssubjekte nicht über hinreichende Infonnationen verfUgen und es an Finanzierungsmöglichkeiten mangelt, weil technisch organisatorische Barrieren gegeben sind. Energiesysteme sind technisch gut funktionsfiihig, so daß ein hohes Maß an technischer Zufriedenheit gewährleistet ist. Auf der anderen Seite finden wir auf vielen Energiemärkten eine monopolartige Stellung von Anbietern. Dies verhindert nun eine wirksame Konkurrenz zwischen Mitteln zur Energieeffizienzsteigerung auf der einen Seite und dem Kauf von Energieträgern oder Energiedienstleistungen auf der anderen Seite. Daraus resultiert die wirtschaftspolitische Aufgabe der För-
13 14
Eine grundlegende Analyse dazu bei StützeI, 1972. Vgl. Williarnson, 1990.
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denmg der Energieeffizienz bzw. des Abbaus von Hemmnissen, die sich einer Effizienzverbessenmg in den Weg stellt. Die Unzufriedenheit mit der nicht genügenden Verbessenmg der Energieeffizienz, insbesondere bei privaten Konsumenten auf der einen Seite, und die staatlich fixierten Monopolstellungen der Energieanbieter von leitungsgebundener Energie auf der anderen Seite sind nicht unabhängig voneinander. Wir kommen deshalb im folgenden Abschnitt auf diese Frage zurück. Aus der Ressourcenproblematik ergibt sich die Anfordenmg an die Politik durch Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen, den Übergang vorzubereiten. Weiterhin sind Markteinfiihrungsprogramme fiir neue Technologien gestaltbar. Wir bei allen strukturpolitischen Maßnahmen besteht allerdings das Problem der richtigen mengenmäßigen und vor allem zeitlichen Dosienmg. Wie oben gezeigt wurde, ist die Verfügbarkeit von Energieressourcen weniger bindend als die Folgeprobleme fiir die Umwelt aus dem Einsatz fossiler Energie. Die Regulienmg der Umweltnutzung kann sich jedoch gerade der Mittel zur Fördenmg der Substitution bedienen, die auch fiir die Angebotsseite von Bedeutung sind. 11. Wettbewerbsförderung
Wettbewerb wird in der wirtschaftspolitischen Literatur unterschiedlich gesehen. Auf der einen Seite stehen Begründungsvers,:,che, die in einem ordnungspolitischen Gesamtrahmen dezentralen Steuenmgsmomenten die Rolle zuweisen wollen, im Gesamtrahmen die Aufgabe zu übernehmen, fiir die dem Wettbewerb unterliegenden Bereiche die Koordination zu übernehmen. Auf der anderen Seite wird Wettbewerb als ein autonomer Prozeß gesehen, dem nicht Aufgaben zugewiesen werden können, da dieser Prozeß selbständig neue Ziele und damit verbundene Erfüllungsmöglichkeiten erzeugt. Eine Selbststeuenmg von Teilbereichen von Wirtschaft und Gesellschaft kann danach nicht als Mittel der Steuenmg eingesetzt werden, da fiir den Wettbewerbsprozeß offen bleibt, wohin die Reise gehen wird. In wesentlichen Teilen des Energiesektors ist bisher Wettbewerb im weiteren Sinne nicht zugelassen. Die strategischen Aktionsparameter der Unternehmen Investitionen und Preise unterliegen einer staatlichen Aufsicht oder sind zumindest nur eingeschränkt autonom einsetzbar. Entstanden sind diese Festlegungen in einer Entwicklungsphase dieser Wirtschaftsbereiche, in der ein allgemeiner Zugang zu diesen Netzen fiir die Bevölkenmg ermöglicht werden sollte. Der Ausschluß von Wettbewerb im Sinne konkurrierender Leistungsangebote war
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der Preis, der für den flächendeckenden Zugang entrichtet wurde. Die durch staatliche Rahmengesetzgebung verankerte Monopolstellung von Anbietern in diesem Bereich erklärt sich also aus dem in Leistungen dieses Sektors beigemessenen Infrastrukturcharakters. Die Abgrenzung von Infrastrukturgütern von anderen enthält jedoch einen großen Beliebigkeitsspielraum. Die Leistungen der leitungsgebundenen Energieversorgung sind zu geringen Kosten gut individuell abgrenzbar und erfiillen damit die Voraussetzungen eines privaten Gutes. Der Infrastrukturcharakter besteht also nicht in der öffentlichen Guteigenschaft, sondern in der Bedeutung, die der Zugang zu der Energieleitung für damit verbundene andere wirtschaftliche Leistungen besitzt. Zum anderen hängt die Beurteilung von der Verfiigbarkeit von Substitutgütern ab. Bei der leitungsgebundenen Energieversorgung ist im wesentlichen die Elektrizität in vielen Anwendungsbereichen ohne Substitut. Die staatlich gesicherte MonopolsteIlung bedeutet, daß in weitgehendem Umfang auf die Vorteile einer inneren Koordination dieses Sektors durch Preissignale verzichtet werden muß. Dies ist aber überhaupt nicht notwendig, um den infrastrukturähnlichen Charakter zumindest der Ware Elektrizität zu sichern. Der Verzicht auf den Preis als Koordinationsfaktor und das hohe Maß an Absatzsicherheit, von dem die Unternehmen ausgehen können, fUhren dazu, daß der Innovationsdruck, der sich aus dieser institutionellen Struktur ergibt, relativ niedrig ist. Damit ist aber auch die Funktionstüchtigkeit des wirtschaftspolitischen Eingriffes mit der Außerkraftsetzung der normalen Wettbewerbsmechanismen in Frage gestellt: Zwar kann mit den gewählten Instrumenten die flächendeckende Bereitstellung infrastrukturähnlicher Leistungen gesichert werden, nicht gesichert ist jedoch die Anpassungsfähigkeit dieses Systems an neuere Entwicklungen. Dies ist nur zu gewährleisten, wenn ein Ordnungsrahmen gewählt wird, innerhalb dessen den Preisen eine größere Koordinationsaufgabe zukommt, was andererseits einen höheren Grad von Autonomie von Anbietern und Verbrauchern voraussetzt. 15 Auch die dauerhafte Durchsetzung der infrastrukturpolitischen Zielsetzungen, die auf diesem Sektor eine Rolle spielen können, erfordern also eine Marktöffnung in diesem Bereich. Das häufig in der Literatur vorgefundene Argument, der Infrastrukturcharakter der Leistungen dieses Sektors würde Marktlösungen ausschließen, erweist sich damit als Trugschluß. 16
15 Zur Deregulierung vgl.
auch v. Weizsäcker, 1994. dargestellt sind die vielfältigen Irnplikationen des Wettbewerbsgedankens für die Energiebranche in Oesterwind, Pfaffenberger, Hasse, 1996. 16 Ausführlich
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Damit wird auch die Konkurrenz zwischen Energiesubstituten und Energieträgern im Sinne einer Energieeffizienzverbesserung auf eine bessere Grundlage gestellt. Derzeit setzen die Regulierer große Hoffnungen auf regulatorische Auflagen zur Unterstützung der Energieeinsparung (,,Demand Side Management"). Die Erfahrungen mit diesen Konzepten aus den USA sind jedoch nicht überzeugend. 17 Eine Marktöffnung im Bereich der leitungsgebundenen Energieversorgung könnte im Zusammenhang mit der Verbesserung der rechtlichen infrastrukturen könnte hier bessere Wirkungen entfalten, weil sie das Entstehen neuer Märkte fiir Energiedienstleistungen begünstigen würde. Dienstleistungsanbieter könnten Energie, Kapital und andere Produktionsfaktoren zu Energiedienstleistungen kombinieren und verkaufen, ohne durch das Monopol von Energieanbietern behindert zu werden.
m. InfrastrukturbereitsteUung Wie oben gezeigt wurde, kann die Bereitstellung von Energieleistungen in einem gewissen Maß als Teil der volkswirtschaftlichen Infrastruktur betrachtet werden. Andererseits verlangen alle Energiemärkte eigenständige infrastrukturen (im materiellen Sinne) fiir ihre Funktionsfähigkeit. Zum Teil sind diese Infrastrukturen sehr spezifisch (ÖI-, Gas- und Stromtransportleitungen etc.). Bei einem hohen Grad von Spezifik sind auch spezifische Institutionen erforderlich, die die Bereitstellung und Nutzung dieser Infrastrukturen innerhalb der Sektoren regeln und einen ökonomischen Umgang damit ermöglichen. In der marktorientierten Mineralölwirtschaft in Deutschland haben sich dafiir kooperative Lösungen (gemeinsame Nutzung von Pipelines etc.) herausgebildet, während fiir die leitungsgebundene Energiewirtschaft eine hochgradige vertikale Integration charakteristisch ist. In diesem Bereich bedeutet das, daß die infrastruktur des Systems fiir bestimmte Teilregionen im allgemeinen im Eigentum eines einzelnen Unternehmens liegt. Die vom Gesetzgeber eigentlich fiir den Endverbrauchsbereich konstruierte regionale Monopolstellung (allein versorgendes Energieversorgungsunternehmen) hat sich damit aber auf das gesamte System ausgeweitet und insbesondere auch die Infrastrukturen des Systems mit einbezogen. Im Ergebnis hat sich damit ein System herausgebildet, das auf der Basis der vom Gesetzgeber gewollten Alleinversorgung auch die vom Endverbraucher entfernten Strukturen des Systems nach dem Prinzip des Regionalmonopols aufgebaut hat.
17 Vgl. Joskow, Marron, 1992, S. 41ff.
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Dies ist mit den wettbewerbspolitischen Zielen nicht vereinbar. Ohne einen Eingriff in gewachsene Unternelunensstrukturen sind aber durchaus Veränderungen möglich, wenn einheitliche Zugangsregelungen für die Infrastrukturen der leitungsgebundenen Systeme geschaffen werden und für diese nach allgemeinen Regeln Preise für die Inanspruchnalune von Netzleistungen definiert werden. Hier fehlt es bisher an einer rechtlichen Infrastruktur, die allerdings nicht zwingend vom Staat bereitzustellen ist.
IV. Regulierung der Umweltnutzung Das Marktversagen im Bereich der Umweltgüter ist in der Literatur sehr intensiv diskutiert worden. 18 Diese Frage ist für den Energiebereich von besonders großer Bedeutung, weil ein erheblicher Teil, insbesondere der luftbezogenen Emissionen bei der Umwandlung von Energie in Nutzenergieleistungen oder Sekundärenergieträger anflillt. Grundsätzlich bestehen hier aber keine anderen Eingriffskriterien als für andere Sektoren, so daß eine spezifische Begründung für diesen Sektor nicht geliefert werden muß. Häufig wird die Frage gestellt, ob eine wettbewerbliche Öffnung wie oben angesprochen nicht im Sinne der Umweltziele kontraproduktiv ist. Insbesondere wird unterstellt, daß in der leitungsgebundenen Energiewirtschaft tätige Unternelunen aufgrund ihrer regionalen Monopolstellung mehr Aufwand in Richtung Umweltschutz treiben können, da sie diesen an ihre Abneluner weitergeben können. Zweifellos muß die Umweltpolitik im Hinblick auf eine Öffnung der Energiemärkte umgestaltet werden. Bisher hat sie sich im wesentlichen des Mittels der Umweltstandards bedient, wobei den Unternelunen angesichts der Primärenergieeinsatzgebote (Kohlevorrang) wenig Spielraum blieb, diese Standards möglichst kostengünstig zu erfiillen, denn dies hätte eine freie Primärenergieträgerwahl vorausgesetzt. Bei der Regulierung der Umweltnutzung muß jedoch berücksichtigt werden, daß umweltgünstige Lösungen eine Resultante von Entscheidungen von sowohl
18 Theoretische Grundlagen bei Endres, 1994. Anwendung auf den Energiesektor in Friedrich, Greßmann, Krewitt, Mayrhofer, 1996.
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der Angebots- wie der Nachfrageseite darstellen. Die bessere Lösung kann daher nur gefunden werden, wenn hier ein offener Suchprozeß möglich ist.
v. Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung Generelle wirtschaftspolitische Aufgabe ist es, die Weiterentwicklung der Volkswirtschaft zu fördern. Dies geschieht einerseits durch die Förderung des Wettbewerbs (s. oben), andererseits durch Bereitstellung von Mitteln für Bereiche, in denen mit einer gewissen Zukunftsrendite gerechnet wird. Im Energiesektor handelt es sich dabei in erster Linie um die Sicherung der Verfiigbarkeit von Ressourcen auch in der Zukunft. Wir sind oben bereits darauf eingegangen.
VI. Förderung der Integration Die bisher behandelten Eingriffskriterien liegen auf der Sachebene der Analyse des Wirtschaftsprozesses und der Möglichkeiten seiner Beeinflussung. Auf der anderen Seite müssen diese Sachebenen mit dem Prozeß der politischen Willensbildung und der in diesem Prozeß stattfindenden Wahrnehmung und Wertung vermittelt werden. Diese Aufgabe ist in den letzten Jahren auch unter dem Stichwort "Sozialverträglichkeit" behandelt worden, wobei darunter sowohl die Akzeptanz bei der Bevölkerung gefaßt wird wie auch die Akzeptabilität unter Zugrundelegung einer normativen Betrachtung. Wir sind bei der Behandlung der Zukunftsprobleme oben darauf eingegangen. Auf die Energieproblematik bezogen ist Sozialverträglichkeit kaum in operationale Kriterien zu fassen, wie sich daran zeigen läßt, daß Akzeptanz und Akzeptabilität zwischen Ländern erheblich variieren. Es erscheint deshalb richtig, den Gedanken der Sozialverträglichkeit als Notwendigkeit einer Politikkoordination im oben dargestellten Sinne zu verstehen.
D. Bestandsaufnahme der Energiepolitik I. Altlasten Energiepolitik in Deutschland schleppt eine Reihe von Altlasten mit sich, die eine vorwärtsschauende strukturelle Orientierung stark erschweren. Hierzu zählt der veraltete ordnungspolitische Rahmen ebenso wie die gesamte primärenergieträgerbezogene Politik im Bereich der Kohle.
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1. Das ordnungspolitische Korse~
Zwischen diesen beiden Bereichen besteht eine starke Korrelation. Die Tatsache, daß wir im Bereich der leitungsgebundenen Energieversorgung einen Marktausnahmebereich definiert haben, hat einerseits während der Aufbau- und Wachstwnsphase nach dem Zweiten Weltkrieg stabilisierend gewirkt und damit den Aufbau einer leistungsfähigen Energieversorgung ermöglicht, andererseits wirkt diese Struktur heute doch eher als Fessel fiir den Sektor insgesamt und es ist an der Zeit, eine Öffnung der Märkte herbeizufiihren. Unser heutiges leitungsgebundenes Energiesystem fußt auf einer Reihe von Rechtsinstitutionen, die sich teilweise überlebt haben, und es ist an der Zeit, durch eine größere Strukturreform eine solche Öffnung herbeizufiihren. Ein Teil der Rechtsinstitutionen, die die heutige Struktur prägen, ist auf die kommunale Rolle der leitungsgebundenen Energieversorgung bezogen. Stellen wir uns vor, ein ausländischer Beobachters versucht bei der Analyse des deutschen Systems systematische Gründe fiir folgende Fragen zu finden: Warum ist die Verteilung von Strom kommunal, die Verteilung von Telefongesprächen dagegen nicht, warum ist die Verteilung von Briefen zentralstaatlich, die von Paketen dagegen privat, warum ist das Abholen von Hausmüll im engeren Sinne kommunal, das Abholen von bestimmten anderen Abfällen dagegen nicht?
Meine Antwort an den ausländischen Beobachter lautet: Versuchen Sie nicht eine logische Systematik hinter Strukturen zu finden, die nur aus der Tradition heraus zu verstehen sind. Daß das kommunale Wegerecht fiir Energieleitungen im Gegensatz etwa zu dem von Telekommunikationsleitungen nie verstaatlicht wurde, erklärt sich aus den politischen Kräfteverhältnissen zwischen Gemeinden, Ländern und Zentralstaat und nicht so sehr aus einer wirtschaftlichen Logik. Insbesondere spielt eine Rolle, daß durch die Energieversorgung Finanzeinnahmen erzielt werden, die fiir andere kommunale Aufgaben dringend erforderlich sind. Dies ist kein Plädoyer gegen kommunale Energieversorgung: Kommunale Unternehmen können die Aufgaben der Energieverteilung und -erzeugung erfolgreich bewältigen. Worum es hier aber geht ist, daß durch den gesetzlichen Rahmen vorgegeben ist, daß der Aktionsradius einzelner kommunaler Unternehmen immer genau durch das Gemeindegebiet abgegrenzt ist. Dies ist fiir eine unternehmerische Wirtschaft völlig ungewöhnlich und fiir eine erfolgreiche kommunale Energieversorgung auch eher hinderlich. Was den kommunalen Unternehmen also als Vorteil erscheinen mag, nämlich der gesetzliche Schutz ihres Handlungsrahmens, ist doch gleichzeitig die ihnen angelegte Fessel: Im gegenwärtigen Ordnungsrahmen haben es insbesondere Unternehmen der Stromwirt-
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schaft sehr schwer, ihr Absatzgebiet durch eigene Erfolgsanstrengungen zU entwickeln. Dies hängt mit dem zweiten Ansatzpunkt der gegenwärtigen Marktordmmg zusammen: Da die leitungsgebWldene Energieversorgung durch den § 103 des Kartellgesetzes als Marktausnahmebereich definiert ist, hat sich im Zusammenhang mit der kommWlalen Rolle bei der KonzessioniefWlg von VersorgungsWlternehmen eine Struktur entwickelt, die eine vollständige vertragliche Abschottung des gesamten Gebiets der BWldesrepublik zur Folge hat. Unternehmerischer Erfolg definiert sich in einem solchen System anders als auf echten Märkten. Wir wissen heute aufgfWld vielfältiger wissenschaftlicher Diskussionen Wld aufgfWld der ErfahrWlgen in anderen Ländern mit deren Reformen, daß die technischen Wld wirtschaftlichen Notwendigkeiten der leitungsgebWldenen Energieversorgung viel mehr ordnWlgspolitische Optionen erlauben als dies früher angenommen wurde. 19 Reine Modelle kann man nur in politischen Ausnahmesituationen realisieren. Eine solche Ausnahmesituation gab es in Großbritannien, da die NeuordnWlg mit der PrivatisiefWlg der vorher staatlichen Stromversorgung zusammenfiel. Bei WlS sind kleinere ordnWlgspolitische Schritte Wld allmähliche VerändefWlgen nötig. Die Amerikaner, die ähnliche Strukturen in der Stromversorgung haben wie wir, zeigen uns seit fast 20 Jahren, wie dies gemacht werden kann. Nur ein Teil dieser Aufgaben liegt beim Gesetzgeber, ein Teil könnte von den Unternehmen selbst in Gang gebracht werden. Insbesondere die kommWlalen Erzeuger müßten eigentlich ein großes Interesse daran haben, durch AusschreibWlgs- Wld PoollösWlgen besser auf die VerbWldressourcen zugreifen zu können. 2. Kohlevorrang
Die zweite große Altlast der deutschen Energiepolitik liegt in der Kohlevorrangpolitik. Die Kohlevorrangpolitik gilt seit langem als Musterbeispiel einer falschen, weil strukturerhaltenden Wld nicht strukturanpassWlgsfördernden Wirtschaftspolitik. Die Zahl der Begünstigten ist relativ klein, die aufgewandten Mittel sind relativ hoch, auch wenn dies die Politik bisher wenig belastet hat, da die Beträge außerhalb der öffentlichen Haushalte aufgebracht wurden. Energie-
19 Pionierarbeiten auf diesem Gebiet waren Gröner, 1975 und Schu1z, 1979. Für die neueren Entwicklungen vgl. Schu1z, Klopfer, 1993.
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politisch sind die Konsequenzen dieser Politik dramatisch negativ: Die Tatsache, daß anstelle individueller Suchprozesse der Unternehmen eine gesellschaftspolitisch bestimmte Abstimmung getreten ist, hat Innovations- und Kreativitätspotentiale von dem Bereich, in den sie eigentlich gehören, nämlich den Kernbereich der Produktpolitik von Unternehmen, in die Bereiche der politischen Abwehr und Verteidigung gelenkt, wo sie' keinerlei Zukunftsrenditen erbringen können.
11. Neue Bereiche der Energiepolitik Die Energiepolitik ist einer Reihe von Impulsen ausgesetzt, die sich aus der Veränderung der internationalen Rahmenbedingungen ergeben. Zu erwähnen ist hier einerseits der europäische Binnenmarkt, dessen wie auch immer reduzierte Herausbildung doch das Denken in Deutschland verändert hat. Zum anderen gehört dazu auch die Öffnung der osteuropäischen Märkte, die neue Handlungsfelder eröffnet. Innerhalb unseres Landes gab es eine energiepolitische Innovation durch die Förderung von erneuerbarer Energie mit Hilfe des Einspeisegesetzes, es wird über Energiesteuern diskutiert und eine mir wesentlich erscheinende und zukunftsweisende Innovation durch die Entwicklung der Energieagenturen, die neue Politikmuster prägen können. 1. Europäischer Binnenmarkt
Zu Beginn der Debatte um die Gestaltung des Europäischen Binnenmarktes
fiir die leitungsgebundene Energieversorgung wurde eine spezielle Richtlinie
gefordert, die den Besonderheiten des Sektors Rechnung trägt und mit deren Hilfe eine selbstlaufende Umsetzung des Wettbewerbspostulats des EG-Vertrages evtl. auch unterstützt durch entsprechende Gerichtsurteile verhindert werden sollte. Grundsätzlich gilt das Wettbewerbspostulat fiir alle volkswirtschaftlichen Bereiche, da aber faktisch in vielen Ländern die leitungsgebundene Energieversorgung vom Wettbewerb ausgenommen ist, hätten sich Diskrepanzen zwischen Realentwicklung und nationaler Gesetzgebung entwickeln können. 20 Annäherung der Verhältnisse kann Ergebnis ähnlichen Problemdrucks und ähnlicher Grundstrukturen sein und vollzieht sich dann selbstgesteuert, wenn vorgegebene Marktstrukturen hinreichende Spielräume zur Anpassung lassen. Dies ist in vielen Ländern im Bereich der leitungsgebundene Energieversorgung nicht der Fall. Annäherung kann auch das Ergebnis politischer Gestaltung sein, wenn der Ordnungsrahmen durch den Gesetzgeber verändert wird. Idealerweise 20 Vgl.
Lukes, 1988.
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sollte der Gesetzgeber mit seiner Festlegung die vorher in einem autonomen Marktprozeß sich entwickelnden Regeln (,,Innere Institutionen") festschreiben und sie damit zu äußeren Institutionen machen. 21 Angesichts des natürlichen Monopols von Teilbereichen der leitungsgebundenen Energieversorgung verbleibt allerdings eine Gestaltungsaufgabe, die nicht nur aus der Unterstützung der Eigenentwicklung der Energieversorgung abzuleiten ist, sondern darilberhinausgehende eigenständige Gestaltungselemente erfordert. Vor diesem Hintergrund ist die jetzt geplante Öffnung der Grenzen für den Handel mit leitungsgebundener Energie ein Schritt, der dazu geeignet erscheint, eine Anpassungdynamik in Gang zu setzen. Die Marktordnung der Stromwirtschaft ist in den verschiedenen Ländern der Europäischen Union recht unterschiedlich. Die Bandbreite reicht heute von der zentralistisch-staatlichen Organisationsform in Frankreich bis zum liberalisierten Modell in Großbritannien. In den meisten Ländern liegen Mischmodelle vor, jedoch sind geschlossene Versorgungsgebiete und häufig auch vertikal integrierte Unternehmen in den meisten Ländern die Grundlage der Organisation der leitungsgebundenen Energie. Die Europäische Kommission als supranationale Einrichtung hat sich die Aufgabe gestellt, aufbauend auf diesen heterogenen Strukturen einen Vorschlag zu entwickeln, der in Richtung einer Angleichung der Verhältnisse wirken kann, ohne in die durch nationales Recht und nationale politische Institutionen geschützten Belange hineinzureichen. Dabei ist die Kompetenzabgrenzung durchaus nicht unstrittig. Die Kommission stützt sich auf das dem Europäischen Vertrag zugrunde liegende Wettbewerbsgebot, das sie auf die Besonderheiten der leitungsgebundenen Energieversorgung übertragen möchte. In jüngerer Zeit wird andererseits die nationale Autonomie in der Gestaltung von Wettbewerbsausnahmebereichen stärker betont. Insbesondere schützt der Art 90,2 EGV besondere nationale Regulierungen von Wirtschaftsbereichen, bei denen dies im allgemeinen Interesse liegt.22 Eine Vereinheitlichung, die in die inneren Strukturen der einzelnen Länder hineinreicht, ist dann allerdings ausgeschlossen.
21
Zur Bedeutung von Regeln im Wettbewerb vgl. Richter, 1996, S. 314f. hierzu ausführlich Jarass, 1996, S. 85 ff.
22 Vgl.
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Die Bausteine der Refonn sind: 23 1. Liberalisienmg des Kraftwerks- und Leitungsbaus Dies ist die VoraussetZWlg fiir die Schaffimg von Erzeugerwettbewerb. Freier Kraftwerksbau ennöglicht den Marktzugang gebietsfremder oder bisher branchenfremder Akteure und freiere Leitungsbau ennöglicht Anbietern oder Verbrauchern von Elektrizität eigenständige Netzzugänge und erhöht damit Möglichkeiten der Aushandlung von Durchleitungsverträgen. 24 2. Unbundling Vertikal integrierte Unternehmen sollen ihre Erzeugungsaktivitäten, Transport-Nerbundaktivitäten und Verteilungsaktivitäten trennen. Da eine volle eigentumsmäßige Trennung durch die Kommission nicht vorgeschrieben werden kann, wird eine getrennte Rechnungslegung der verschiedenen Abteilungen vertikal integrierter Unternehmen verlangt. Mithilfe des "unbundling" soll erreicht werden, daß die Kosten der Netz- und Verteilungsaktivitäten sichtbar von den Erzeugungskosten getrennt werden können, um eine höhere Transparenz bei der Berechnung von Preisen fiir Netz- und Verteilungsdienstleistungen zu erzielen. 3. Netzbetreiber Für Versorgungsgebiete sollen fiir das Übertragungs- und Verteilungsnetz Netzbetreiber benannt werden. Die Netzbetreiber haben die Aufgabe, in dem jeweiligen Gebiet den Netzbetrieb sicherzustellen, die Koordination mit anderen Netzen durchzufiihren, den Kraftwerkseinsatz nach Kostenminimienmgsregeln festzulegen und den Netzzugang Dritter zu ennöglichen. 2s 4. Netzzugang Dritter Stromverteiler und bestimmte Stromverbraucher sollen den direkten Zugang zum Netz erhalten, um sich den fiir sie günstigsten Lieferanten aussuchen zu können. Mit dem Netzzugang fiir Verteiler entsteht wie in den USA ein Großhandelsmarkt, mit dem Netzzugang Dritter (Verbraucher) entstehen Ele-
23 Gemeinsamer Standpunkt des Rates vom 25.7.96 betreffend gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitatsbinnenmarkt. Nach positiver Stellungnahme des Parlaments ist die Richtlinie inzwischen in Kraft getreten. Die Umsetzung in die nationale Gesetzgebung muß innerhalb von zwei Jahren erfolgen. 24 Zur Bedeutung der Netzkosten und -preise vgl. Shuttleworth, 1996 2S Bei reinen Verteilungsnetzen entfällt die Aufgabe der Regelung des Kraftwerkseinsatzes.
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mente eines Verbrauchermarktes fiir Strom. Die Bedingungen des Netzzugangs sollen dabei zwischen den Parteien ausgehandelt werden, wobei allgemeine Regeln zu beachten sind. Der Kompromiß zwischen Ländern mit einer zentralistischen Organisation und solchen, die eine Marktöffnung vorsehen, soll durch das "single buyer Konzept" gelöst werden. Spezifizierte Großkunden sollen danach das Recht zum Einkauf von außerhalb der Grenzen des Versorgungsgebietes haben. Die Abwicklung erfolgt jedoch durch das einheitliche Versorgungsunternehmen (single buyer), das die Vorteile des Bezugs an den Verbraucher weitergeben soll. Angesichts der geringen Transparenz von Preisen und Kosten bei einem einheitlichen Monopol verfügt das Zentralmonopol dabei über deutlich mehr Aktionsparameter zur Verhinderung von echtem Wettbewerb als einzelne disintegrierte Unternehmen in einem offeneren Markt, daher wird in diesem Fall die Veröffentlichung allgemein gültiger Netzpreise vorgeschrieben. Für die deutsche Energieversorgung ist charakteristisch, daß es niemals in der Geschichte zu einer vollständigen einheitlichen Gestaltung des gesamten Sektors durch den Gesetzgeber gekommen ist. Teile der notwendigen Regelsetzungen sind immer im autonomen Regelungsbereich der Unternehmen verblieben. So ist z.B. die Deutsche Verbundgesellschaft, die ja wichtige Aufgaben des Gesamtsystems übernimmt, eine aus dem Zusammenwirken der Unternehmen entstandene Institution, die keiner politischen Regulierung unterliegt. Von einer europäischen Regelung ist mit Recht zu erwarten, daß sie nicht hinter eine solche Art von Offenheit zurückfallt. 2. Osteuropa
In den osteuropäischen Ländern ist eine große ordnungspolitische Aktivität
zur Umgestaltung der Rahmenbedingungen auch in der leitungsgebundenen
Energiewirtschaft zu beobachten. Die Ergebnisse solcher von widerstreitenden Interessen geprägter Auseinandersetzungen sind in vieler Hinsicht offen. Für die deutsche Energiepolitik scheint mir von besonderer Bedeutung, sich auf diese Öffnung und Offenheit einzustellen. Die längerfristig wünschenswerte Integration der osteuropäischen Länder gibt Deutschland aufgrund der geographischen Lage und auch der Größe unseres Landes eine besondere Bedeutung. In uns werden große Erwartungen gesetzt. Wie anders als durch eine größere Marktöffnung bei uns selbst sollten wir darauf antworten?
Während die Entwicklung des westeuropäischen Marktes, die viele Jahre lang in Deutschland in der leitungsgebundenen Energiebranche als Schreckge-
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spenst diskutiert wurde, eigentlich angesichts des Entwicklungsstandes der Energieversorgung in den beteiligten Ländern und der Festlegung vieler Strukturen kawo große Veränderungspotentiale enthielt, ist dies auf der osteuropäischen Seite anders, da hier noch viele grundlegende Entwicklungen bevorstehen. Dies ist Grund genug, wo über die innere Marktstruktur der leitungsgebundenen Energiewirtschaft in Deutschland bei uns intensiver als bisher nachzudenken. 3. Einspeisegesetz
Eine der energiepolitischen Innovationen der letzten Jahre war die Verabschiedung des Einspeisegesetzes fiir erneuerbare Energie. Dieses Gesetz sieht einen Einspeisezwang fiir bestimmte definierte Energieprodukte auf der Basis erneuerbarer Energie zu gesetzlich festgelegten Mindestpreisen vor. Es steht außer Zweifel, daß im Bereich der regenerativen Energie Entwicklungsimpulse notwendig sind, wo die Produktentwicklung und Markteinfiihrung zu verstärken. Hier handelt es sich wo Zukunftsinvestitionen. Auf der anderen Seite ist das Gesetz sicherlich eine ordnungspolitische Fehlkonstruktion. 1. Da die erneuerbaren Energien, die durch das Gesetz gefordert werden sollen, entsprechende ihrem natürlichen Vorkommen (wie bei Wasserkraft und Wind etc.) regional ungleich verteilt sind, werden diejenigen Regionen am stärksten belastet, in denen die Einspeisung am höchsten ist. Die Verringerung der Umweltbelastung, die allen zugute kommt, wird also von den Anbietern der erneuerbaren Energieträger bezahlt. Sicherlich eine falsche Anreizkonstruktion. 2. Die im Gesetz vorgesehenen festen Einspeisevergütungen sind willkürlich festgesetzte Subventionen. Häufig wird zu ihrer Begründung darauf verwiesen, daß konventionelle Energieträger mit ihren externen Kosten belastet werden müßten, wo einen fairen Vergleich zwischen konventioneller und alternativer Energie durchfUhren zu können. Dieser Gedanke ist zwar richtig, läßt sich aber auf das Einspeisegesetz nicht anwenden. Die externen Kosten einer aus fossiler Energie erzeugten Kilowattstunde sind völlig unabhängig davon, von welcher erneuerbaren Energie sie ersetzt werden. Insofern sind gerade nicht die externen Kosten der konventionellen Energie der Maßstab fiir die Einspeisevergütung, vielmehr wurden hier Beträge festgelegt, die als ausreichend erachtet wurden, wo bestimmten Optionen erneuerbarer Energie eine wirtschaftliche Basis zu geben.
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Gerade aufgrund der Wirksamkeit des Gesetzes selbst haben sich die Marktbedingungen, zwn Beispiel bei der Windenergie, verändert. Es scheint nicht angemessen, daß der Gesetzgeber Einspeisebeträge festsetzt, die dann weniger die Marktverhältnisse als die Lobbyingstärke unterschiedlicher Gruppen widerspiegeln werden. Notwendig ist daher, die Einspeisevergütung zu dynamisieren, dies kann auch durch Ausschreibungsverfahren geschehen. In diesem Zusammenhang ist die in Großbritannien geübte Praxis von hohem Interesse. Bei einer wettbewerblichen Öffnung des Strommarktes wirken regional ungleiche Kosten für die Einspeisung erneuerbarer Energie wettbewerbsverzerrend. Darüber hinaus gibt es in diesem Fall keinen Alleinversorger mehr, der die Abnahmepflicht hat. Es liegt deshalb nahe, die Einspeisepflicht an das Verteilunsgnetz zu binden und die Förderbeträge regional gleichmäßig durch einen Aufschlag auf die Preise der Netzleistungen zu erheben. Ein weitergehender konsequenterer Weg würde aus einem vollständigen Rückzug des Staates aus der Detailregulierung bestehen. In diesem Fall müßten den Stromverteilern Mengenauflagen für den Einsatz erneuerbarer Energie gemacht werden. Analog zu einem Markt für Umweltzertifikate könnten die Unternehmen diese Quoten untereinander handeln. Damit würde sichergestellt, daß die Quoten kostengünstig da erfiillt werden, wo die technisch/natürlichen Bedingungen am günstigsten sind. 26 4. Energiesteuer
Die Besteuerung von Energie wird heute als eine Möglichkeit diskutiert, fiskalische Notwendigkeiten einzusetzen, um eine effektivere Ausnutzung von Energie bei den Anwendern anzuregen. Verbrauchssteuern gelten in der allgemeinen Steuersystematik nicht als besonders gut geeignete Instrumente, da sie besonders wenig neutral wirken. Im Rahmen einer ökologischen Steuerreform wäre allerdings gerade diese ,,Nichtneutralität" erwünscht, da ja die Steuer Anreizwirkungen in Richtung von weniger Verbraucn entfalten soll. Die Diskussion um diese Frage ist eingebettet in die allgemeine wirtschaftspolitische Diskussion um die Höhe der Staatsquote. In dieser Hinsicht wäre eine Energiebesteuerung akzeptabel, wenn Steuersenkungen an anderer Stelle erfolgen, so daß die gesamte Steuerbelastung sich nicht ändert.
26
VgI. hierzu ausführlich Pfaffenberger, 1997.
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Schwieriger ist die Frage der internationalen Wettbewerbsverzerrungen, die nur ausgeschaltet werden könnten, wenn ein vollständiger Grenzausgleich vorgesehen würde. Eine solche Fordenmg ist aber bei Verbrauchssteuern utopisch, da der Ausgleich sichja vor allem auf die indirekte, in den Produkten enthaltene Energie beziehen müßte. Dies ist administrativ nicht lösbar. Es verbleibt dann nur die Möglichkeit, ausschließlich Endverbraucher mit der Steuer zu belasten. Aufgnmd einiger jüngerer Gutachten verbinden sich mit einem Umsteuern in Richtung von weniger Energieverbrauch durch effektivere Nutzung und alle damit verbundenen Umstrukturienmgsvorgänge Hoffnungen auf erheblich positive Arbeitsmarkteffekte. 27 Eine insgesamt aufkommensneutrale Besteuenmg von Energie kann z. B. durch Kompensationszahlungen bei den Arbeitgeberbeiträgen zur Sozialversichenmg erreicht werden. Dabei steigen die Kosten in den Wirtschaftszweigen, in denen der Energieeinsatz pro Beschäftigten überdurchschnittlich hoch ist, während die Kosten in Wirtschaftszweigen mit geringerem Energieeinsatz pro Beschäftigten aufgnmd der überdurchschnittlichen Kompensation fallen. Die Grundstoflbereiche Chemie, Metallerzeugung und Bau, Steine, Erden würden stark belastet, während das verarbeitende Gewerbe und insbesondere der Dienstleistungsbereich entlastet würden. Weiterhin würden die Konsumenten im Bereich des privaten Kraftfahrzeugverkehrs und bei der Raumheizung belastet. Die Abbildung 3 zeigt exemplarisch die Belastungswirkungen einer solchen Steuer, die mit Hilfe des makroökonomischen Infonnationssystem Ikarus (MIS)28 ermittelt wurde. Die Be-lEntlastung wird als Anteil der Wertschöpfung der Sektoren ausgedrückt. Deutlich zeigt sich die Asymmetrie der Belastungsund Entlastungswirkungen. Während in den entlasteten Sektoren nur eine sehr geringe relative Entlastung entsteht, ist die relative Belastung in den belasteten Bereichen teilweise sehr hoch. •
Es ist schwer mit Hilfe von quantitativen Modellen in einer solchen Situation den Nettoeffekt auf die Beschäftigung abzuschätzen. Es entstehen positive wie negative Beschäftigungsimpulse. Angesichts der Schwierigkeit des Grenzausgleichs könnten durchaus die negativen Effekte überwiegen, wenn in belasteten Bereichen eine Kapitalflucht entsteht.
• Wenn in Sektoren mit hohem Energieeinsatz der Energieverbrauch gesenkt wird, so verringert dies die Entlastungswirkung für die entlasteten Sektoren, da das Steueraufkommen sinkt. Damit könnte aufgnmd der erwünschten Sub-
27
Vgl. Bach, Kohlhaas, Meinhardt, Praetorius, WesseIs, Zwiener, 1994.
28 MlS ist beschrieben in Pfaffenberger, Ströbele, 1995.
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stitutionsvorgänge ein Wechselbadeffekt entstehen, der strukturpolitisch unsinnig ist. • Auch durch noch so hohe Substitutionsanstrengungen kann die Steuer immer nur zwn Teil vennieden werden. Dies liegt aber nicht im Sinne der Umweltzielsetzungen. Um diese unerwünschte Wirkung zu vermeiden, müßten Freibeträge eingeführt werden. Insofern wäre ein Instrumentarium, das auf Emissions- oder Energieverbrauchszertifikaten evtl. in Kombination mit einer Abgabe beruht, einer reinen Steuerlösung vorzuziehen und würde insbesondere die strukturpolitischen Verzerrungseffekte vermeiden. • Eine systematisch bessere Grundlage fiir ein solches Instrumentarium sind nicht vermeidbare Emissionen, insbesondere etwa CO 2•
Energiesteuer mit Kompensation (in % der Bruttowertschöpfung)
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20010 CI)
Energiesteuer von 0,01 DM/kWh Endenergie.
----j_ _- - j
Nichtenergetischer Energieeinsatz unbesteuert. Anpassungsreaktionen z.T. berücksichtigt.
15%
~ ;F. 10010 +---____- - - -
-~J-----------~-----
5%~------~~--
Quelle: Eigene Berechnung mit dem makroökonomischen Inforrnationssystem Ikarus (MIS)
5. Energieagenturen
In den letzten Jahren haben alle Bundesländer Energieagenturen gegründet, die zwn Teil unterschiedlich konstituiert wurden und auch eine verschiedene
Zukunftsfähige Energiepolitik
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Bandbreite von Zielen erfolgen. Allen gemeinsam ist d;er Gedanke, daß die Umsetzung von Energieeffizienzverbesserungen Wld anderen Formen des Strukturwandels, insbesondere auf der Energienachfrageseite, auf eine große Zahl von Hemmnissen trifft. Im Verhältnis zur Angebotsseite besteht dadurch fiir die Nachfrageseite ein struktureller Nachteil, insgesamt wird daher das volkswirtschaftliche Optimum von Energieeffizienz einerseits Wld Energieangebot andererseits nicht getroffen. Durch VermittlWlg von Informationen, Überbrückung von Finanzproblemen u. v. a. soll hier außerhalb des lUlmittelbaren staatlichen Rahmens Abhilfe geschaffen werden. Die Erfolge dieser BemühWlgen liegen nach meinem (begrenzten) Kenntnisstand hier noch im kleinen. Der Ansatz als solcher ist aber von hohem Interesse, denn in diesen Agenturen hat sich ein neuer Politikstil konstituiert, der zukWlftsprägend sein könnte. Außerhalb ordnWlgsrechtlicher BestimmWlgen Wld ohne direkte staatliche Intervention versuchen die Agenturen Kristallisationskerne fiir strukturellen Wandel zu bilden, ohne die Berücksichtigoog wirtschaftlicher Notwendigkeiten durch politische Bekenntnisse zu ersetzen. 29
E. Zusammenfassende Bewertung Folgende HandlWlgsbedarfe im Bereich der Energiepolitik haben sich ergeben: 1. Forderung der Substitutionsprozesse im Bereich des Ressourcenangebots Wld der Energieeffizienz. 2. ÖfInWlg des OrdnWlgsrahmens zur ErmöglichWlg von mehr Wettbewerb Wld BereitstellWlg einer rechtlichen Infrastruktur fiir einen geänderten OrdnWlgsrahmen. 3. Überprüfung der Umweltpolitik im Hinblick auf diesen OrdnWlgsrahmen. 4. EntwicklWlg einer Politikkoordination zur Integration der ZukWlftsvisionen Wlterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen. Die Energiepolitik in Deutschland weist sowohl Momente der Förderung des Strukturwandels auf wie Momente der Beharrung. Angesichts des starren OrdnWlgsrahmens haben die Beharrungsmomente noch ein zu großes Gewicht. Im
29 Eine ausführliche Analyse der Arbeit der niedersächsischen Energieagentur in Heese, Pfaffenberger, Winkler, 1995.
31 Peter.
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Wolfgang Pfaffenberger
Rahmen des europäischen Binnenmarktes kann ist mit einer Öffuung des Ordnungsrahmens zu rechnen. Daraus ergibt sich ein gewisser Druck zur Verstärkung der Förderung des Strukturwandels. Auf der anderen Seite wird durch eine wettbewerbliche Öffuung die Energiepolitik nicht überflüssig. Sie sollte sich verstärkt der Aufgabe zuwenden, Koordinationsinstrurnente zu entwickeln, die eine Verständigung der gesellschaftlichen Gruppen über die langfristigen Ziele der Energiepolitik ennöglichen. Nur so scheint es möglich, die hemmende Wirkung der ,,infonnal constraints" abzubauen.
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Zukunftsflihige Energiepolitik
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31*
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Wolfgang Pfaffenberger
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Klimaschutzpolitik als umwelt- und ressourcenpolitisches Problem am Beispiel des Kohlendioxids Von Wolfgang Ströbele*, Münster
A. Das CO2-Problem aus umweltökonomischer Sicht I. Der Schadstoff CO 2 Der empirisch beobachtete Anstieg des CO2 - Gehalts der Atmosphäre von 280 ppmv in der vorindustriellen Zeit auf 355 ppmv im Jahr 1991 und die parallel dazu beobachtete mittlere Erwärmung wird seit einigen Jahren zwn Anlaß für Warnungen vor einer langfristig drohenden ,,Klimakatastrophe" genommen. Die Besonderheit des "Schadstoffs" CO 2 besteht nun darin, daß er in den normal vorkommenden Konzentrationen in der Atmosphäre völlig harmlos ist und sogar für die Pflanzen neben Licht, Wasser und Mineralien lebensnotwendiger Wachstwnsfaktor ist. Der Umweltschaden durch CO 2 ist anders als bei S02, NOx oder Lärm nicht anband beobachtbarer Folgen an Gebäuden oder Lebewesen erfaßbar, sondern wird als Langfristprognose über eine Veränderung der Klimagleichgewichte im wesentlichen in komplexen Computer-Modellen generiert. Damit entstehen zwei besondere Probleme, die alleine für sich bereits die umweltpolitischen Interventionen erschweren: • Die Bereitschaft von betroffenen Bürgern, sich für Emissionsverringerungen einzusetzen, ist dort am höchsten, wenn direkt eine Beeinträchtigung der Lebensqualität durch die Immissionen resultiert. Bei CO 2 ist eine derartige Betroffenheit nicht festzustellen, da die in den Modellrechnungen prognostizierten Schäden frühestens in 50 - 80 Jahren, eher sogar nach über 100 Jahren, gravierend wirksam werden können.
·Vom Wintersemester 1981/82 bis 30.9.1995 Universitätsprofessor für Volkswirtschaftslehre in Oldenburg, seither in Münster. Ich verdanke dem Kollegen Hans-Rudolf Peters manch anregende Diskussion zur Rolle mathematischer Methoden in der Volkswirtschaftslehre.
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Wolfgang Ströbele
• Komplexität der naturwissenschaftlichen Zusammenhänge erleichtert es, den immer begründeten Skeptizismus gegenüber Computer-Modellrechnungen als Ausrede für die Ablehnung jeglicher Umweltpolitik zu benutzen. Dies wird sogar durch die Medien verstärkt, die im Zusammenhang mit CO2 häufig unsinnige Formulierungen wie ,,Klimakiller CO 2 " benutzen, was im Umkehrschluß eine verständliche Gegenreaktion der Leser auslöst: "So schlimm kann es ja nun nicht sein!". Fakt ist dagegen: Durch die Emission und laufende Kumulation von CO 2 (neben einer Reihe von weiteren Treibhausgasen) ergibt sich eine Verstärkung des (ansonsten lebensnotwendigen) Treibhauseffekts. CO 2 hat derzeit einen Beitrag von rund 50 % an den gesamten zusätzlichen anthropogenen für den Treibhauseffekt relevanten Gasemissionen. I Diese Verstärkung des natürlichen Treibhauseffekts fUhrt nicht zu einer globalen ,,Katastrophe", sondern bewirkt über einen Zeithorizont von über 100 - 150 Jahren, daß Klimazonen sich verändern können, daß Niederschlagsmuster sich verschieben etc. Dabei wird es Länder geben, die zu den Verlierern gehören werden und andere, die sich sogar Vorteile ausrechnen können. Beispielsweise werden gravierende Verluste bei denjenigen Inselstaaten auftreten, deren Landmasse nur wenige Meter über dem Meeresspiegel liegen. Aber auch Volkswirtschaften mit einem hohen Anteil an Tourismus oder Landwirtschaft werden durch regionale Klimaveränderungen eher verlieren. In großräumigen und durch hohe Mobilität gekennzeichneten Volkswirtschaften wie den USA werden eher Ausweichstrategien möglich sein als in kleinen Ländern wie der Schweiz. Auch wenn die Verteilungswirkungen der Klimaveränderungen unterschiedlich ausfallen, spricht einiges dafür, dieses irreversible Experiment nicht fahrlässig zu unternehmen. Dies bedeutet, daß Maßnahmen zur Reduzierung der COrEmissionen über einen längeren Zeithorizont erforderlich werden. In einer solchen Konstellation ist der Ökonom allerdings zu dem Hinweis gezwungen: Wirtschaftliche Effizienz verlangt, daß alle Treibhausgase betrachtet werden. Eine isolierte Verminderung der Emissionen nur eines Treibhausgases und Ignorierung der potentiellen Beiträge anderer ist mit hoher Wahrscheinlichkeit eine sehr kostenungünstige und auch ökologisch fragwürdige Strategie.
Wegen der bei der Verbrennung unvermeidlich entstehenden COr Emissionen haben die fossilen Brennstoffe jetzt auch ein Entsorgungsproblem: Die bisherige (kostenlose) Nutzung der Atmosphäre als Deponie ist langfristig nicht fortsetzbar. Da aber derzeit rund 90 % der kommerziellen Weltenergieversor-
1 Vgl.
beispielsweise Bundestags-Enquete-Kommission, 1992.
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gung auf fossilen Brennstoffen beruht, sind lange rierungskosten in Rechnung zu stellen. 2
Br~mswege
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und Umstruktu-
Die folgenden Besonderheiten des Schadstoffs CO2 sind in der Politikdiskussion zu beachten: • Es ist filr CO 2 praktische keine Rückhaltetechnik verfügbar. Somit gibt es zu vertretbaren Kosten keine Filtertechnik wie bei der GroßfeuerungsanlagenVerordnung filr Schwefel- oder Stickoxide als Ausweg. • Es verbleibt nur eine Strategie der Substitution durch Kapital (,,Energieeinsparung"), COz-ännere oder -freie Energieträger als Vermeidungsoption. • CO 2 ist ein global wirkender Schadstoff, der keine akuten Schäden anrichtet, sondern seine Wirkung über Kumulation langfristig als veränderte Bestandsgröße entfaltet, wobei diese innerhalb von mehreren Jahrzehnten unabhängig vom Ort und Zeitpunkt der ursprünglichen Emissionen entsteht. • Es gibt keine sogenannte "Hot Spot" - Problematik, d. h. keine lokale oder regionale geballte Beeinträchtigung von normalen Konsum- und Produktionsprozessen durch Schadstoflkonzentrationen. Dies ist umweltpolitisch filr bestimmte marktwirtschaftliche Instrumente eher ein Vorteil. • Die Langfristeffekte sind nur model/mäßig abschätzbar. Dies gilt einerseits filr die eher naturwissenschaftlich beschreibbaren Folgen wie Klimaveränderungen oder Meeresspiegelanstieg, andererseits filr die sozioökonomischen Folgenabschätzungen wie erforderliche Verlagerungen von Landwirtschaftsflächen, Deicherhöhungen, Häufigkeit von Wirbelstünnen etc. Für eine Nutzen-Kosten-Analyse haben der verwendete Zeithorizont und die gewählte Abdiskontierungsrate große ökonomische Konsequenzen. • Durch die eindeutige Zuordnung fossile Energieträger -+ CO] gibt es eine einfache Ersatzbemessungsgrundlage filr zugehörige COz-Emissionen, was filr Besteuerung oder Zertifikate die institutionelle Ausgestaltung grundsätzlich erleichtert.
2 Als ,,kommerzielle Energie" bezeichnet man die in Form von Energieträgern gehandelte Energie. Die in landwirtschaftlichen Gesellschaften außerdem auch übliche Form der Nutzung von Holz oder Dung als Brennstoff oder die indirekte Form der Krafterzeugung über den Einsatz von Zugtieren u. a. wird in den Energiebilanzen wegen der unlösbaren Abgrenzungsprobleme nicht umfassend ausgewiesen.
Wolfgang Ströbele
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Die bei sauberer Verbrennung entstehenden CO 2-Emissionen sind in der Tabelle 1 wiedergegeben. Tabelle 1 Emissionsfaktoren fdr CO z BrennstofflEnergieträger
kg C02lkg SKE
Gichtgas
7,72
Braunkohle Großkraftwerk
3,23
FtuhI-SteÜlkohle
2,73
Ftohöl
2,19
Heizöl ELlDieselkraftstoff
2,16
Erdgas
1,64
Ftaffineriegas
1,56
Quelle: Birnbaum, Pauls, Wagner, Walbeck, 1991, S. 11.
International ist auch die Bezugsgröße Kohlenstoff-Emission üblich. Der Umrechnungsfaktor ergibt sich aus der Gleichung i kg C = 3,67 kg CO 2•
n. Realistische Ziele der Umweltpolitik für C01 Die Zielsetzungen fiir eine anzustrebende COrReduzierung auf einer globalen Ebene sind wegen der letztlich nur in der Kumulation wirkenden Schadstoffeffekte vielfiiltig ableitbar. Es scheint aber unter der Vielzahl der grundsätzlich mit einem langfristig einigermaßen stabilen Klima kompatiblen Energienutzungspfade einige relativ robust identifizierbare Pfade zu geben, die an den heutigen Strukturen mit immerhin rund 90 % Anteil fossiler Energieträger an der Weltenergieversorgung hinreichend gut anschließen. Wenn man über die nächsten 200 Jahre blickt, wären dazu etwa die folgenden Restriktionen zu beachten: 3 Als erstes müßten die laufenden COrEmissionen über die nächsten 100 Jahre auf einen Gesamtwert von maximal von jährlich rund 6 - 7 Mill t C 3 Persönliche Mitteilung von Prof. Dr. Hasselmann, einem der führenden naturwissenschaftlichen Klimaforscher vom Max Planck Institut für Meteorologie in Hamburg.
Klimaschutzpolitik als umwelt- und ressourcenpolitisches Problem
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(bzw. 22 - 25 Mill t CO 2 ) beschränkt werden. Die zweite Restriktion setzt eine Obergrenze auf die insgesamt (kwnulativ) freisetzbaren COz-Mengen über die kommenden 200 Jahre: Obwohl eine genaue Zahl nicht angebbar ist, wird dafür eine Gesamtmenge von etwa 2500 Milliarden Tonnen CO2 geschätzt, was wiederum heißt, daß sehr langfristig ein Jahresemissionswert etwa auf der Hälfte der derzeitigen Emissionen noch vertretbar wäre. Diese beiden Restriktionen wären zu konfrontieren mit den heutigen Verbrauchszahlen und den Möglichkeiten, in absehbarer Zeit die Verbrennung fossiler Energieträger weltweit zu stabilisieren sowie den Gesamtvorräten an fossiler Energie und den darin (noch) gespeicherten potentiellen Emissionsmengen. Bereits ein einfacher Blick auf die Situation der Vorräte an fossiler Energie zeigt dabei ein verblüffendes Bild: Die Verbrennung der kostengünstigen Reserven an Erdöl und Erdgas, beides Kohlenwasserstoffe mit relativ niedrigen COzEmissionen pro Einheit Energie, über die nächsten 100 Jahre setzt rund 700 Mrd. t CO 2 frei. COrEmissionen aus den nachgewiesenen Kohlereserven tragen weitere 1900 Mrd. t bei. Da aber der Prozeß der Exploration und Neuerschließung fossiler Energieträger weltweit anhält, ist ein weiterer Anstieg der Reservezahlen von relativ kostengünstig zu fordernden ÖI- und Gasvorräten zu erwarten. 4 Bei Fortdauer dieser aus ressourcenökonomischer Perspektive durchaus positiv zu bewertenden erfolgreichen Exploration ist der naheliegende Schluß gegeben: Die Menschheit darf über die kommenden 200 Jahre offensichtlich nicht alle fossilen Energieträger einsetzen, die sie derzeit schon nachgewiesen kennt bzw. die noch in den kommenden Jahrzehnten durch Exploration hinzukommen. Eine möglicherweise naheliegende Hoffnung, daß sich das Klimaproblem quasi automatisch über zunehmende Verknappung der fossilen Energieträger von der Ressourcenseite her lösen wird, ist also nicht gerechtfertigt. Die Einbeziehung einer neuen umweltpolitischen Restriktion, nämlich daß die Deponiekapazität der Atmosphäre beschränkt ist, führt dann de facto dazu, daß alle relativ teuer zu fördernden Stein- und Braunkohlevorräte entgegen den bisherigen Produzentenerwartungen keinerlei Knappheitsrente erwirtschaften können, ja daß ein Teil sogar am besten niemals gefordert wird. Dies bedeutet in letzter Konsequenz einen Regimewechsel mit einer Teilenteignung der Renteneinkommen für die Anbieter fossiler Energieträger. Institutionell verlangt dies die Einbeziehung der Knappheit der Deponie ,,Atmosphäre" in die Kalküle der Energieproduzenten und -verbraucher in Form der Verankerung einer Emissionsabgabe. Spätestens seit der sogenannten ,,Russischen Revolution" 1917 4 Aus einer Perspektive, mehr Kohlenwasserstoffe zu finden mit einem niedrigen spezifischen COrEmissionsfaktor als Stein- oder Braunkohle, sollte man sogar eine erfolgreiche Öl- und Gasexploration begruBen.
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Wolfgang Ströbele
weiß man, daß abrupte Regimewechsel auch mit hohen sozialen und politischen Folgekosten behaftet sind. Eine wirklich effektive Klimaschutzpolitik steht deshalb vor großen Herausforderungen bezüglich der Ausgestaltung der erforderlichen Institutionen. Daß alleine deswegen Staaten mit einem hohen Anteil an fossilen Energievorräten einer massiven Klimaschutzpolitik eher zögerlich gegenüber stehen, ist für einen Ökonomen nicht mehr überraschend. 5
ID. Umweltpolitische Probleme einer CO 2 -Reduktionsstrategie Wegen der globalen Wirkung sind die typischen Free-Rider Anreize zu erwarten. Jedes einzelne Land, jede Branche und jedes einzelne Wirtschaftssubjekt weist zurecht daraufhin, daß ohne eine international koordinierte allgemeine Reduzierungsstrategie der jeweils individuelle Beitrag zu den gesamten Emissionen vernachlässigbar gering sei, so daß eine kostenträchtige Verminderung ohne flankierende internationale Zusammenarbeit nicht akzeptiert wird. Dies wirft die Frage auf, inwieweit internationale Kooperation beispielsweise über eine Kollektivorganisation oder ein weltweites Klimaschutz-Abkommen erreichbar ist. Bislang sind solche internationalen Abkommen mehrfach erreicht worden: Toronto, Stockholm, Rio de Janeiro haben bisher teils lediglich Absichtserklärungen erzeugt, haben aber immerhin das Verdienst, einen Prozeß der Problemerörterung und gegenseitigen Einbindung begonnen zu haben. 6 Im Kern scheitern bislang derartige internationale Anläufe an den höchst komplexen Verteilungsproblemen, die einerseits mit den zu tragenden Anpassungslasten verbunden sind und die andererseits jeweils mit dem Vorschlag einer konkreten institutionellen Ausgestaltung eines Instrumentariums verbunden sind. Da es Nationalstaaten sind, die derartigen Übereinkommen zustimmen müssen, geht es letztlich um ein Herunterbrechen einer globalen Restriktion auf eine Partition selbständiger Staaten, wobei diese wiederum intern das Problem einer jeweils nationalen Klimaschutzpolitik bewältigen müßten.
5 Auf der Konferenz in Berlin im Frühjahr 1995 waren es vor allem einige Ölstaaten, die unter der Führung Saudi-Arabiens am offensten ihren Widerstand artikulierten. Aber auch die deutsche Position sieht nur scheinbar gut aus: Bevor Bundeskanzler Kohl in Berlin eine Verschärfung der deutschen Klimaschutzabsichten um jährlich 40 Mill t CO z bis zum Jahr 2005 ankündigte, hatten sich die deutschen Braun- und Steinkohleinteressen wirkungsvoll ihre mittelfristigen Produktionszahlen gesichert. 6 Vielleicht kann ein Vergleich mit der KSZE hilfreich sein: Bei ihrem Beginn konnte man nicht absehen, daß die dort festgelegten Rechte und institutionellen Regelungen im Prozeß der mittel- und osteuropäischen Bewegungen Ende der 80er Jahre derart wichtig sein konnten.
Klimaschutzpolitik als umwelt- Wld ressourcenpolitisches Problem
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Die bislang vorgeschlagenen Schlüssel zur Aufteilung anzustrebender COr Reduzierungen auf Staatenebene haben gravierende Effizienz- Wld/oder VerteilWlgsnachteile:
• Einheitliche %-Reduzierungen der laufenden (künftigen) Emissionen berücksichtigen nicht die Wlterschiedliche relative Leichtigkeit zur EmissionsreduziefWlg in den einzelnen Staaten. Länder wie Norwegen oder Frankreich könnten dann zurecht auf ihre bereits niedrige Ausgangsposition hinweisen, die auf dem hohen Anteil an Wasserkraft bzw. Kernenergie in der Stromerzeugoog beruht. Der dort nach wie vor bestehende hohe CO2 - Emissionswert im Verkehr ist wegen der naturgeographischen Gegebenheiten eher als "berechtigt" oder Wlvermeidlich anzusehen. • Eine Emissionsberechtigoog (Wld damit spiegelbildlich auch: eine ReduziefWlgsverpflichtWlg) nach scheinbar plausiblen Kriterien wie Bevölkerung7 oder Bruttoinlandsprodukt fiihrt zu sehr Wlterschiedlichen KlimaschutzverpflichtWlgen Wld ist zudem wegen der Wlterschiedlichen ebenfalls "gut be-· gründeten" EnergiebedarfsbegründWlgen fiir HeiZWlg in kalten Zonen oder Verkehr in großräumigen Volkswirtschaften stets angreifbar. • Es ist offen, ob die Emissionsberechtigoogen als laufende jährliche Emissionsrechte oder als kumulative Rechte zugewiesen werden sollen, wobei dann die Frage der AnrechnWlg bereits erfolgter Emissionen der letzten Jahrzehnte oder JahrhWlderte gestellt wird. Unabhängig davon sind die einzusetzenden Instrumente wegen der speziellen EntstehWlgsprozesse fiir CO2 durch eine Vielzahl dezentraler EnergienutZWlgen gegenüber den gewohnten ordnWlgsrechtlichen Instrumenten mindestens zu erweitern: • Das Ordnungsrecht kann vorwiegend über das Setzen von technischen Standards fiir energieverbrauchende oder -umwandelnde Geräte wie Kühlaggregate, Kraftwerksanlagen oder Automotoren eingesetzt werden.
• Eher marktwirtschaftliche Steuerungsinstrumente lassen eine flexiblere AufteilWlg zu: - COrSteuern, wobei ökologische Treffsicherheit, hohes Mittelaufkommen bei wirkWlgsvollen Anrizen mit der Frage nach geeigneter Kompensation fiir bestimmte Gruppen bzw. VerwendWlg der Mittel Probleme aufwerfen. 7 Etwa
nach dem Motto: "One man, one C02 - right !"
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- Handelbare Zertifikate, fiir die die Fragen nach der Erstausstattung, den institutionellen Umsetzungskosten und schließlich Überwachung jeder energieverbrauchenden Aktivität zu klären sind. - Kompensationsmodelle, die früher unter dem Etikett ,~oint implementation" gefiihrt wurden, heute verstärkt als "Activities jointly implemented" bezeichnet werden und fiir die die konkrete Umsetzung samt einem Anrechnungsmodus zu regeln sind. Bei dieser Vielzahl der unterschiedlich gut begriindbaren Schlüssel sind natürlich auch Aufteilungen und instrumentelle Ausgestaltungen denkbar, die fiir einige Volkswirtschaften den Ruin bedeuten würden: Ein Zertifikatssystem, das CO 2 - Emissionsrechte beispielsweise nach der Bevölkerung gratis zuweist und diese Zertifikate handelbar machte, würde die OECD-Staaten offensichtlich derart benachteiligen, daß sie dem niemals zustimmen könnten. 8 Ein ähnlicher Effekt würde auftreten, wenn die bisherige kumulativen CO 2 - Beiträge als Maßstab fiir künftig noch gratis nutzbare Deponiekapazitäten genommen würden: Die OECD-Länder hätten ihr freies CO 2 - Konto bereits überzogen, wenn man 150 Jahre zurückrechnet. Umgekehrt wäre eine Gratis-Zuweisung von CO2 - Emissionsrechten anteilig zum aktuellen Bruttoinlandsprodukt eine Belohnung fiir die bereits reichen Länder, der die Länder der Dritten Welt nicht zustimmen könnten. IV. Anpassung anstelle von COz - Minderung Im Sinne einer Nutzen-Kosten-Abwägung wird bei entsprechend kurzem Zeithorizont auch eine Anpassungsstrategie vorgeschlagen:
• Das Erhöhen von Deichen kann billiger sein als CO 2 -Minderung. • CO 2-Senken anzulegen wie Aufforstungsprogramme oder Düngung von Meeresalgen kann zumindest mittelfristig hohe Beiträge zur CO 2 - Reduzierung in der Atmosphäre bringen. • Neuorientierung von Tourismus- oder Landwirtschaftsgebieten wird gegenüber CO 2 - Reduktionen als kostengünstiger gerechnet.
8 Wenn dann noch die jeweils aktuelle Bevölkerung als Bezugsgröße genommen wäre, hätte man sogar jeglichen Anreiz für eine wirkungsvolle Bevölkerungspolitik in den Staaten der Dritten Welt eliminiert, was die ökologische Wirksamkeit gravierend beeinträchtigen müßte.
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Auch hier sind offensichtlich Verteilungsfragen angesprochen: Für Länder mit kurzer Küstenlinie und relativ hoch gelegener Landmasse ist die Strategie, die Deiche zu erhöhen, durchaus effektiv und kostengünstig. Für einige der sogenannten AOSIS-Staaten ist sie schlicht undurchfiihrbar, für andere wie Bangla Desh unbezahlbar und wäre wohl auch ökologisch problematisch. Es gibt allerdings bisher noch keine weltwnspannende Ermittlung der Kosten eines solchen Anpassungsprogramms. In jedem Fall wären mit einer Anpassungsstrategie erhebliche Strukturverschiebungen zwischen und innerhalb der Volkswirtschaften erforderlich: Es hilft einem Schweizer Hotelier nichts, daß in der Summe eine Anpassungstrategie billiger ist, wenn wegen der milderen Winter und der fehlenden Pulverschneedecke die Touristen jetzt in den Ural fahren. Ein mögliches Kompensationsmodell müßte an den bürokratischen Umsetzungsproblemen scheitern.
V. Zum Stand der Diskussion Die folgende qualitative Verdeutlichung der Nutzen-Kosten-Argumente zeigt, wanun bestimmte aktuelle Diskussionen zwn Klimaschutz häufig unergiebig verlaufen: • Es gibt einen Bereich der COrReduktion für sogenannte .. no-regret-strategies" dadurch, daß die bisherigen Energienutzungssysteme in praktisch allen Volkswirtschaften der Erde extrem ineffizient betrieben werden: Durch Abbau von Energiesubventionen, bessere Information, Installierung besserer (längst verfiigbarer) Techniken etc. lassen sich sogar Effizienzgewinne erzielen. Darüber hinaus gehende Reduktionen kosten dann aber ansteigend "Wohlfahrt" in Form entgangenen Konsums. • Je nach unterstelltem Zeithorizont und Abdiskontierungsrate für Schäden läßt sich grundSätzlich ein Grenzschadensverlauf konstruieren. Wenn gilt: ,,Kleine Ursachen lösen kleine Veränderungen aus", ist eine Abwägung von Nutzen und Kosten konzeptionell gut möglich. • Wenn in einer Verhandlung jede Seite die möglichen Verteilungswirkungen eines eventuell resultierenden Instrumentes oder Reduktionszieles wie in einem Schachspiel mehrere Züge im voraus planend in Rechnung stellt, kann es zu einer völligen Blockade in den Verhandlungen kommen. • Da jeder Diskutant auch Mitglied einer bestimmten politischen und kulturellen Gruppe oder Gesellschaft ist, fließen bestimmte Meinungen über die eigenen erfahrenen oder eingeschätzten Nutzen-Kosten-Größenordnungen und
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Wolfgang Sträbele
Wertvorstellungen über die "gerechten" Reduktionsziele und die Verantwortungsreichweite in zeitlicher und räwn1icher Perspektive unvermeidlich ein. Aus dieser Vielzahl verschiedener Aspekte lassen sich beliebig inkonsistente, aber in der Tagespolitik dennoch nützliche Argwnentationen aufbauen: Wenn man beispielsweise einerseits eine kurzfristige Perspektive hinsichtlich der CO 2 - Vermeidungs seite, wo es dann viele Free lunches gibt, anlegt, aber eine langfristige Perspektive bezüglich der Klimaschäden und gleichzeitig hohe Vorsorgemaßstäbe verwendet, ist eine Stellungnahme sehr einfach, daß es reines Politikversagen sein muß, wenn zuwenig Klimaschutzpolitik betrieben wird. Umgekehrt kann eine Überbetonung der langfristig unbestreitbar hohen CO2 Reduktionskosten in Kombination mit einem hinreichend kurzen Zeithorizont bezüglich der Klimaschäden einen Verzicht auf jegliche Klimaschutzpolitik nahelegen. Beide Argwnente, obgleich sie in der Debatte oft in einer solchen Form auftreten, sind aber inkonsistent abgeleitet. Da im folgenden eine einfache ökonomische Modellogik benutzt werden soll, um die Wechselwirkung von umwelt- und ressourcenpolitischer Perspektive am Beispiel von CO 2 aufzuzeigen, wird fiir die Schadensseite eine relativ einfache - durchaus von den Naturwissenschaften gestützte - Perspektive verwendet. Neuere Einschätzungen von Klimatologen deuten auf die Gefahren aus Umkipp-Mechanismen (Golf-Strom, großräumige Windsysteme, ... ) einer globalen Temperaturerhöhung, so daß eine Obergrenze für die gesamte zulässige Menge CO2 in der Atmosphäre als eine mögliche gut begründete und ökonomisch zu akzeptierende Größe als eine zweite Möglichkeit zu betrachten ist. Diese Variante soll im folgenden zur analytischen Vereinfachung unterstellt werden.
B. Das CO2-Problem aus ressourcenökonomischer Sicht I. Preisbildung ohne C01-Restriktion 9 Die Theorie der Preisbildung fiir fossile Brennstoffe ist ein eigenes komplexes Gebiet. \0 Als Einstieg soll zunächst die Hotelling-Logik fiir eine nicht-erneuerbare Ressource als langfristiges Gleichgewichtskonzept benutzt werden. Aus einem Ressourcenbestand S ("ÖI") wird laufend eine Förderung C entnom9 Um die Erwartungen meines früheren Kollegen Hans-Rudolf Peters bezüglich der Rolle mathematischer Methoden nicht zu enttäuschen, folgt jetzt ein bißchen mathematische Modellierung. 10 Vgl. beispielsweise Ströbele, 1987.
Klimaschutzpolitik als umwelt- Wld ressourcenpolitisches Problem
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men, die auf dem Umweg über einen nicht modellierten Produktions- und Umwandlungsssektor Nutzen U stiftet. Alternativ kann diese kostenlos zu fördernde Ressource auch durch ein Substitut Z, das allerdings konstante Produktionskosten k pro Einheit aufweist: Ein fiktiver Ressourcenmanager stehe vor dem Problem, über einen unendlichen Zeithorizont das "Wohlbefinden" der Menschheit zu maximieren. Er löst dann eine Aufgabe der folgenden Art:
max ]e-a ·[U(C+Z)-k.Zjdt o NB.
S=-C So > 0 k>O
RandbedingWlg:
Ressourcenbestand gegeben, S ~ 0 gegebene Backstopkosten (,,Leasmg-Modell")
R ST=O,f.iT=k
Wie aus der Ressourcenökonomik bekannt ist!! , wird dieses (rechnerische) gesamtwirtschaftliche Optimum (vgl. Abb. 1) auf idealen Wettbewerbsmärkten getroffen. In der Realität der Energiemärkte wird diese perfekte Gleichgewichtslösung modifiziert durch die folgenden Einflußfaktoren: • Unmöglichkeit, künftige Nachfrager realiter zu beteiligen, • Reservenvergrößerungen in Abhängigkeit vom Ressourcenpreis,
11
Vgl. ebendort.
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Wolfgang Ströbele
• unvollkommene Kapitalmärkte, die eine Vorfinanzierung zukünftiger Öleinnahmen nicht wie im Modell erlauben, • Unsicherheit über die langfristigen Backstop-Parameter k, • Marktstrukturen mit oligopolistischem Kern und wettbewerblichem Rand, unterschiedlichen Interessenlagen der einzelnen Ressourcenanbieter (Highversus Low Absorber im Ölmarkt, bewußte Inkaufnahme ineffizienter Lösungen wegen regionalpolitischen Zielsetzungen in den Industriestaaten). Trotz dieser Probleme auf realen Ressourcenmärkten kann man approximativ davon ausgehen, daß die wohlverstandenen Eigeninteressen der Ressourcenanbieter zumindest einen "ähnlichen" Pfad generieren wie in dieser Modellogik.
l1(C+Z)
t k
II
lf(C+Z)
I
I
C+Z
_1
Co
Z
Phase I
I
..... _ ...... t
Phase 11
Abb. 1: Preispfad mit Übergang auf eine Backstop-Technik ohne CO-Restriktion
D. Preisbildung mit COrRestriktion Aus der Sicht eines Planers ergibt sich durch die zusätzliche Berücksichtigung einer kumulativ geltenden CO2 - Obergrenze folgendes neues Optimierungsproblem:
Klimaschutzpolitik als umwelt- und ressourcenpolitisches Problem
max NB
497
00
Ie-8t .[U(C+Z)-k.Z]dt o • s=-C • M=-y· M+C
Ressourcenbestand = S Bestand akkumuliertes CO 2
'"
=M
gegeben, M ~ M, S~0 gegebene Backstop Kosten
Die Hamilton-Ftmktion dieses modifizierten Optimierungs-Problems liefert:
Oll -0' {K:-'
Die graphische Darstellung der Optimallösung gibt Abbildung 2. Dabei ist m gegeben durch m = U'(C"') mit c'" = Y . M"'.
U'(C+Z)
R ~o
-
'~:~~IIIIIIIIIIIIIIIt~~~__~______~____~~__
S'"
Abb. 2: Preispfad mit Berücksichtigung einer Knappheit der Deponiekapazität der Atmosphäre 32 Peters
Wolfgang Ströbele
498
Sobald die Atmosphäre als Deponiekapazität ,,knapp" ist (d. h. der Schattenpreis für die Deponiekapazität -A ::f. 0), wird sich eine Veränderung des Wertes der Ressourceneinheiten in situ JlK ergeben: Der zu bezahlende Endpreis der Energieverbraucher beinhaltet jetzt eine Deponieabgabe, was im Gleichgewicht zwar den Ressourcenwert der Produzenten nach unten drückt, den am Markt zu bezahlenden Preis aber erhöht. Die Botschaft dieser einfachen Modellüberlegung lautet somit: Eine wie auch immer geartete CO r Verminderungsstrategie wird den Gleichgewichtspreispfad der Ressourcenanbieter verändern müssen und den reinen Knappheitspreis aus einer Situation ohne CO2 - Restriktion nach unten drücken. Diese im Grunde sehr einfache Erkenntnis ist in den bisherigen die internationale Diskussion dominierenden Modellen (wie bspw. Edmonds-ReilleyBarns, Manne-Richels, GREEN) nur rudimentär bzw. überhaupt nicht berücksichtigt worden. Am besten schneidet in dieser Hinsicht noch das Modell der OECD "GREEN" (als EDV-Programm publiziert im Sommer 1994) ab. Im Vergleich der beiden obigen einfachsten Modelle besteht die Rückwirkung auf die Energiepreise der Ressourcenanbieter darin, daß der in situ Wert einer Ressourceneinheit um JlRo - Jl\ verringert wird. In einer regional diff'erenzierten Welt ohne "UNO-Planer" wird diese Gefahr einer Teilenteignung durch eine COrVerminderungsstrategie der OECD-Staaten (z. B. durch eine COr Steuer) eine strategische Gegenreaktion der Ressourcenanbieter nahelegen.
m. Gegenreaktion der Ressourcenanbieter? Modelliert man die Ressourcenanbieter für fossile Brennstoffe in drei einfache Gruppen:
• Nicht-OPEC-Anbieter für Öl und Gas (Wettbewerbsrand) • OPEC-Anbieter für Öl und Gas (potentiell stabiles Kartell bzw. Koalition) • Anbieter von Stein- und Braunkohle (Wettbewerb,(forder-)kostenorientierte Preisbildung), so gilt für die Marktstrukturen: Heute herrschen Wettbewerbsverhältnisse zwischen allen drei Gruppen, und innerhalb dieser Gruppen gibt es keine Kollusion. Unter diesen Bedingungen
Klimaschutzpolitik als umwelt- und ressourcenpolitisches Problem
499
wird eine CO 2-Steuer zu einer Senkung der Produzentenpreise führen: Öl und Gas werden zu Lasten der Kohle Marktanteile gewinnen. Schätzungen reichen bei Öl und Erdgas bis zu einem Rentenabsenkungeseffekt in einer Größenordnung von 50 % einer Steuer. Die sogeannnten Leakage-Effekte, die durch Abwanderung von Industrien bzw. neue Gewichtung von wettbewerbsrelevanten Standortfaktoren in den nicht-teilnehmenden Staaten der Dritten Welt entstehen, werden dadurch bedeutend sein. Um den angestrebten Klimaschutzeffekt dennoch zu erreichen, ist demzufolge eine sehr viel höhere Steuer mit einem entsprechend hohen Aufkommen in den OECD-Staaten anzusetzen. 12 In naher Zukunft bereits bis 2010 werden absehbar einige OPEC-Anbieter weniger relevant sein (bspw. Indonesien), einige NICHT-OPEC-Anbieter werden ihre Förderung nicht aufrecht erhalten können (Nordsee, USA, ... ), so daß fiir eine Konstellation nach dem Jahr 2010 ohne weiteres eine Konstellation denkbar ist, in der die arabischen Nahost-Staaten und Venezuela gemeinsam eine Zusammenarbeit fi1r Öl und Gas durchsetzen (Koalition innerhalb der OPEC mit Zielsetzung Hochpreispolitik). Hier ist dann mit dem instrumentarium der Spieltheorie zu fragen, ob es sich fiir einen einzelnen OPEC-Anbieter ,)ohnt", in eine Koalition einzutreten, die gemeinsam gegenüber den Energienachfragern und den übrigen Wettbewerbern (Nicht-Koalitionsmitglieder, Kohleanbieter) eine Strategie durchsetzt, die der Teilenteignung durch eine eigene präventive Preispolitik entgegenwirkt. Dies würde die Kohlemengen zulasten von Öl/Gas erhöhen, also erneut dem Klimaschutz entgegen wirken. Die dafiir erforderliche Spie/theorie ist deshalb sehr komplex, - weil es sich realiter um ein dynamisches Spiel handelt, - das nur noch mit numerischen Algorithmen lösbar ist, - das zudem eventuell Zeitkonsistenzprob/eme aufwirft, weil nach dem Leeren eines Ressourcenvorrats durch einen AnbieterlKoalitionär er gleichzeitig auch als Anbieter ausscheidet. Danach können sich fiir die verbleibenden Anbieter neue optimale Koalitionen ergeben.
12 Natürlich wirft dieser Effekt die Frage auf, ob es nicht andere Lenkungsinstrurnente gibt als eine Steuer, die die letztlich unvermeidbare "Restverschrnutzungsmenge" voll kostenwirksarn werden läßt.
32"
500
Wolfgang Ströbele
c. Zusammenfassung I. Analyse der Wirkungen verschiedener Instrumente
Das CO 2- Thema als Spiegelbild eines Energieproblems verlangt nach einer integrativen Behandlung durch Umwelt- und Ressourcenökonomen, wobei zusätzlich energiewirtschaftliche Einsichten hilfreich sein können. Unter den derzeitigen Marktstrukturen würde eine CO2-Steuer (eingefiihrt durch die OECD-Staaten oder eine supranationale Behörde) den Produzentenpreis senken, was wiederum unter Klimaschutzaspekten eine höhere PigouSteuer verlangt, als wenn diese Reaktion ausbliebe. Dieser Effekt ist bislang nur im GREEN-Modell der OECD berücksichtigt. Je glaubwürdiger die OECD-Staaten eine COz-Minderungsstrategie ankündigen, desto lohnender wird eine kollusive (Hochpreis-) Strategie der starken OPEC-Anbieter, um der drohenden Enteignung zu entgehen. Um diese Antwort der ÖI- und Gasproduzenten abzuwehren, ist eventuell eine teilweise Kompensation auch für die ,,reichen" OPEC-Staaten aus dem Aufkommen einer COz-Steuer vorzusehen (Wechsel zu einem kooperativen Spiel mit Einbeziehung der Anbieter). Dadurch werden dann aber die scheinbar so interessanten fiskalischen Aspekte einer COz-Steuer (Ökosteuer-Reform) problematisch. Die bislang in vielen Modellrechnungen perfekt ausgewiesenen "Schattenpreise" einer CO2 - Restriktion sind nicht einfach zu übersetzen in einen entsprechenden CO 2 -Steuersatz. Die Analyse der Wirkungen verschiedener Instrumentarien zur Klimaschutzpolitik steht erst am Anfang und bedarf noch mancher analytischen Durchdringung und empirischen Untersuchung. ll. Klimaschutzpolitik in den kommenden 10 Jahren
Die naheliegende Forderung heute kann deshalb an die Politik gerichtet nur lauten: - Die internationalen Klimaschutzkoriferenzen müssen auch in schwierigen Zeiten durch eine Politik der kleinen Schritte das Langfristziel im Auge behalten. Zu harte Forderungen könnten die Kooperationsbereitschaft von Ländern wie Saudi-Arabien oder USA gefährden.
Klimaschutzpolitik als umwelt- und ressourcenpolitisches Problem
501
- Die Vielzahl der" Free lunches" für rationellere EnergieverwendlUlg können zumindest mittelfristig erhebliche CO 2_VerringeflUlgen erlauben, ohne daß der politische Widerstand wegen zu hoher Kosten diese Schritte abblockt. Die bereits erfolgreichen Politiken nach den Ölpreisschocks 1973/74 lUld 1979/80 können wiederbelebt werden. Insbesondere im Verkehrsbereich, dessen CO 2..Emissionen inzwischen über die der gesamten Industrie gestiegen sind, sind deutliche Preis- lUld Steuersignale geboten, wn das berühmte Drei-Liter-Auto auch marktfähig zu machen. 13 - Ein einseitiges Fixieren auf scheinbare ,,Königswege" mit einer hohen CO 2Steuer lUld gleichzeitigen Wohltaten durch RückerstattlUlgsmodelle verkennt die komplexen Mechanismen auf den Energiemärkten lUld die naheliegende Strategie der vor allem betroffenen Grundstoff- lUld Produktionsgüterindustrie, die dann in Drittländer ohne eine solche Steuer abwandert: Anstelle einer "doppelten Dividende" erführe die Volkswirtschaft dann einen" doppelten Verlust" in Form verlorener Arbeitsplätze lUld Steueraufkommen lUld gleichzeitig ökologischer Fehlanreize, da die Gesamtmenge der (globalen lUld lokalen) Schadstoffe bei Produktion in den Drittländem eher ansteigt.
Literaturverzeichnis (Auswahl aus einer Vielzahl von inzwischen über 1000 Titeln zum Thema) Birnbaum, K. U.; Pauls, R.; Wagner, H.-I., Walbeck, M. (1991): Berechnung sektoraler Kohlendioxidemissionen fiir die Bundesrepublik Deutschland, in: Jülich (2530), Reihe Angewandte Systemanalyse, Beitrag Nr. 62. Blank, 1. E. (1994): Marktstrukturen und Strategien auf dem Weltölmarkt - Spieltheoretische Betrachtungen, Münster. Bundesministerium fiir Wirtschaft (1994): Energiedaten '95 und jeweils aktuelle Ausgabe (enthält gute Datenübersicht). Enquete-Kommission "Schutz der Erdatmosphäre" des 12. Deutschen Bundestages (1992): Klimaänderung gefahrdet globale Entwicklung, Zukunft sichern - jetzt handeln, Bonn, Karlsruhe.
13 Die derzeitige rein fiskalisch motivierte steuerliche Diskriminierung von Diesel-Pkws für Autofal!rer mit durchschnittlicher Jal!reskilometerleistung ist deshalb ökologisch betrachtet kontraproduktiv.
502
Wolfgang Ströbele
OECD (1991): Greenhouse Gas Emissions, The Energy Dimension, Paris. - (1993): The Costs of Cutting Carbon Emissions, Paris, enthält Stand der Diskussion! Literatur bis Frühjahr 1993.
Ströbele, W. (1987): Rohstoffökonomik, München. The Energy Journal (1991): Special Issue on Global Warming, Vol. 12, Nr. 1: enthält mehrere ,,Basis"-Artikel. - (1994): Special Features mit CO2-Themen, Vol. 15, Nr. 1 und Nr. 2,
Privatisierung und Deregulierung der Deutschen Bundesbahn Von Fritz Rahmeyer, Augsburg
A. Die Eisenbahnen als Teil der Verkehrswirtschaft Die Verkehrswirtschaft ist ein volkswirtschaftlicher Leistungsbereich und umfaßt alle Vorgänge und Einrichtungen, die der räumlichen Übertragung von Personen, Gütern und Nachrichten dienen. 1 Der Transport und die zugehörigen kommerziellen Tätigkeiten sind ein Mittel der Raumüberwindung und eine notwendige Voraussetzung der arbeitsteiligen Wirtschaftsweise, eine Basisfunktion der gesamtwirtschaftlichen Produktion. Hierzu gehören die Wachsturns- und Integrationseffekte der Verkehrswirtschaft, die regionalen Beschäftigungseffekte in der Bauphase der Infrastruktureinrichtungen und Einkommenseffekte durch den Einsatz öffentlicher Finanzmittel. Die Leistungsfähigkeit des Verkehrs bestimmt die Höhe der Transportkosten und damit die Intensität der räumlichen Arbeitsteilung. Produktionsbereiche der Verkehrsträger sind der Bau und die Instandhaltung der Verkehrswege und Verkehrsstationen (Infrastruktur) und die Produktion von Verkehrsleistungen auf den Verkehrswegen (Unterscheidung von Schiene, Straße, Binnenwasserstraße als landgestützte Verkehrswege). Träger der Infrastruktur sind in der Regel öffentliche Gebietskörperschaften, Träger der Erbringung von Verkehrsleistungen sind private und öffentliche Verkehrsunternehmen. Die Folge unterschiedlicher Trägerschaft können Wettbewerbsverzerrungen zwischen den einzelnen Verkehrsbereichen sein, z. B. bei den Wegekosten. Einen einheitlichen Verkehrsmarkt gibt es nicht. Die Eisenbahn ist innerhalb des Verkehrssystems ein spur- bzw. schienengebundenes Verkehrsmittel. Thre Eignung im Vergleich zu den anderen Verkehrsträgem ist vor allem dann gegeben, wenn größere Mengen von Personen oder
1 Vgl.
Willeke, 1985, S. 674 f.
Fritz Rahmeyer
504
Gütern zwischen wenigen Verkehrsstationen mit hohem Verkehrsaufkommen befördert werden. 2 In Anlehnung an die (technischen, ökonomischen und institutionellen) Merkmale der Infrastrukturinvestitionen weist die Leistungserstellung der Eisenbahnen folgende Merkmale aue Hoher Anteil der fixen Kosten an den Gesamtkosten mit der Folge sinkender Durchschnittskosten bei steigender Kapazitätsauslastung, Verbundvorteile im Mehrproduktunternehmen, geringe Preiselastizität der Nachfrage nach Verkehrsleistungen, relative Starrheit des Leistungsangebots bei Nachfrageschwankungen. 4 Tabelle 1 und Tabelle 2 enthalten empirische Angaben über die Struktur und den Strukturwandel des Güter- und des Personenverkehrs als Teilbereiche des Verkehrssektors. Der Strukturwandel auf dem Verkehrsmarkt zeigt folgende Ergebnisse für die einzelnen Verkehrsträger: • Rückgang des Anteils der Eisenbahnen am Güterverkehr zugunsten des Straßenverkehrs, d. h. auch des Individualverkehrs. Die Eisenbahnen sind im Güterverkehr zu einem Massenverkehrsträger für spezielle, weiträumige Gütertransporte geworden. Im Straßengüterverkehr werden weitgehend hochwertige Güter transportiert (Güterstruktureffekt), weniger dagegen traditionelle und eisenbahnaffine Güter (Montanprodukte, Rohstoffe, u. ä.). • Rückgang des Anteils der Eisenbahn am Personenverkehr ebenfalls zugunsten des Individualverkehrs.
2 Vgl. Harnrn 1980, S. 247. 3
Vgl. Willeke 1966, S. 314; 1985, S. 677.
4 Zu
weiteren ,,Besonderheiten" der Verkehrswirtschaft im Überblick vgl. Peters 1966, S. 11 f; Werner 1988, S. 154 tI
Privatisierung und Deregulierung der Deutschen Bundesbahn
505
Tabelle 1
Struktur des Personenverkehrs, Verkehrsleistung Personenkilometer (in v. H.)
Eisenbahnen·
öffentlicher Verkehr
Individualverkehr
Luftverkehr
1950b
36,4
64,5
35,0
0,1
1960
16,1
35,9
63,8
0,6
1970
8,6
22,8
76,8
1,4
1980
6,8
21,0
78,6
1,8
1990
5,8
16,7
83,0
2,4
1993
6,2
17,0
82,7
2,3
a
einschließlich S-Bahnverkehr
b
ohne Saarland und Berlin-West
Quelle: Verkehr in Zahlen 1991 (Verkehrsentwicklung 1950-1990), 1995. Hrsg. Der Bundesminister für Verkehr.
Tabelle 2
Struktur des Güterverkehrs (ohne Straßengüternah- und Luftverkehr), Verkehrsleistung, Tonnenkilometer (in v. H.)
a
Eisenbahnen
Binnenschifffahrt
Straßengüterfernverkehr
1950·
62,3
26,4
11,3
-
1960
44,2
33,6
19,7
2,5
1970
39,9
27,3
23,4
9,4
1980
30,8
24,4
38,0
6,8
1990
24,9
21,8
48,0
5,3
1993
23,0
20,2
51,3
5,6
Rohrfernleitungen
ohne Saarland und Berlin
Quelle: Verkehr in Zahlen 1991 (Verkehrsentwicklung 1950-1990), 1995, Hrsg. Der Bundesminister für Verkehr.
506
Fritz Rahmeyer
Insgesamt ist der Verkehrsmarkt neben dem Güterstruktureffekt durch einen Substitutionseffekt zwischen den Verkehrsträgern gekennzeichnet. Die spezifischen Merkmale der Infrastruktur fUhren zu systematischen Funktionsstörungen, genauer zu Allokationsmängeln,des marktwirtschaftlichen Koordinationssystems und damit zu unerwünschten Marktergebnissen. Sie können staatliche Eingriffe in den Marktprozeß begründen. Ein ökonomisches Referenzmodell, das die Marktergebnisse des statischen und dynamischen Wettbewerbs erklärt und prognostiziert, damit zugleich das mögliche Bestehen von Marktfehlern, liegt nicht vor. Das Marktmodell muß um das Erfahrungswissen über Marktprozesse (Marktstruktur, Marktverhalten, Marktergebnis) ergänzt werden. Für die Eisenbahnen sind insbesondere technische Unteilbarkeiten, verbunden mit einem durch den Bau des Schienennetzes bedingten hohen Anteil der fixen Kosten an den Gesamtkosten, und die Möglichkeit der ruinösen Konkurrenz auf Märkten mit dauerhaften Überkapazitäten , hohen fixen Kosten und preisunelastischer Nachfrage als Marktfehler zutreffend. 5 Erstere fUhren zur Kostendegression über einen weiten Produktionsbereich im Ein- und/oder Mehrproduktunternehmen und können ein natürliches Monopol begründen, den ,,klassischen" Fall eines allokativen Marktfehlers.
B. Natürliches Monopol und Marktregulierung Als natürliches Monopol wird eine Marktform bezeichnet, bei der auf der Angebotsseite die unternehmensinterne Kostendegression im Vergleich zur gegebenen Marktgröße so erheblich ist, daß nur ein Unternehmen im Wettbewerb überleben würde bzw. wenn ein Unternehmen den Markt kosten- und preisgünstiger bedienen kann als zwei oder mehrere. 6 Technische Merkmale des natürlichen Monopols sind • die Subadditivität der Kostenfunktion und • die Irreversibilität der Kosten. Subadditivität der Kostenfunktion bedeutet: Die Produktionskosten des Output X einer Unternehmung sind kleiner als wenn die Produktion der gleichen Menge durch zwei oder mehrere Unternehmen erfolgte.
5 Vgl. Müller, Vogelsang, 1979, S. 36 ff.; Laaser, 1991, S. 58; auch Wemer, 1988, S. 154 ff. 6 Vgl.
u. a. Müller, Vogelsang, 1979, S. 36; zum Überblick Waterson, 1987, S. 61ff.
Privatisierung und Deregulierung der Deutschen Bundesbahn K(Lxi)
0, dabei ist:
Lx; gesamte angebotene Menge X K (Lxi) Kosten des natürlichen Monopols,
K; (x;) Kosten einer Teilmenge X;
Sinkende Durchschnittskosten über den relevanten Produktionsbereich bzw. steigende Skalenerträge sind eine hinreichende, aber keine notwendige Bedingung für die BegründWlg eines natürlichen Monopols. Dieses kann auch bestehen, wenn die Durchschnittskosten an der Nachfragegrenze steigen. Voraussetzung für ein natürliches Monopol ist dann, daß die entsprechende Produktionsmenge dennoch von einem Unternehmen kostengünstiger als von zweien produziert werden kann (sogenanntes lokales natürliches Monopol). Im Falle eines EinproduktWlternehmens sind sinkende langfristige Durchschnittskosten das Ergebnis steigender Skalenerträge (bei VollauslastWlg der Produktionskapazitäten), bei gegebener Kapazität z. B. eines Schienennetzes sinken die Durchschnittskosten auch mit steigender AuslastWlg (Fixkostendegression). Insofern sind sinkende Durchschnittskosten die allgemeinere Eigenschaft eines natürlichen Monopols. Bei der Schätzung des Kostenverlaufes von MehrproduktWlternehmen muß zwischen produktspezifischen Größenvorteilen Wld VerbWldvorteilen Wlterschieden werden. Bei den Größenerspamissen wird nach der verwendeten Outputgröße getrennt : • "economies of firm size" bedeuten, daß große Unternehmen mit geringeren Durchschnittskosten produzieren als kleine (bei gegebener Netzgröße); •
"economies of length of haul" fiihren zu geringeren Durchschnittskosten auf langen im Vergleich zu kurzen Strecken;
•
"economies of density" zeigen an, daß bei einer gegebenen Streckenlänge die Durchschnittskosten mit steigender AuslastWlg des Netzes sinken. 7
7 Vgl.
Laaser, 1991, S. 64 und die dort angegebene Literatur; auch Barbera u. a., 1987, S. 237.
508
Fritz Rahmeyer
Im Falle eines Mehrproduktunternehmens, z. B. der Produktion von GüterlUld Personenverkehr auf einem Schienennetz durch die Eisenbahn, bestehen Kostenvorteile bei der gemeinsamen Produktion von zwei oder mehreren Gütern als wenn die Produktion getrennt erfolgen würde Goint production) (sogenannte economies of scope):8
K(Uj) < LK(xD im Mehrgüterfall (bei gegebenen Faktorpreisen) Das Ausmaß der Verbundvorteile ergibt sich durch
Die Kostenersparnis bei gemeinsamer Produktion ist produktionstechnisch durch die gemeinsame NutZlUlg von Inputfaktoren begründet, z. B. von FuE-Investitionen, bestehenden Vertriebswegen, eines Infrastrukturnetzes, zugleich auch durch organisatorische Vorteile bei der Produktion innerhalb eines einzelnen im Vergleich zur Produktion in mehreren Unternehmen lUld anschließender MarktkoordinierlUlg. Größenvorteile der Produktion insgesamt können dann auch bei konstanten oder abnehmenden produktspezifischen Skalenerträgen von Xl lUld X2 bestehen, wenn die VerblUldvorteile der Produktion genügend groß sind. Im Falle von gemeinsamer Produktion gibt das Unternehmen bei den einzelnen Produkten spezifische Größenvorteile zugilllsten von VerblUldvorteilen auf, wobei der letztere Effekt überwiegen muß (Vergleich von SpezialisierlUlgslUld VerblUldvorteilen). Die Kostenfunktion eines Mehrproduktunternehmens hängt also von der Höhe lUld von der Zusammens.etZlUlg der Produktion ab lUld begründet die Notwendigkeit einer disaggregierten Analyse zur BestimmlUlg einer subadditiven Kostenfunktion. Gleichzeitig sinkende durchschnittliche produktspezifische Kosten (average incremental costs)
8 Zu den Kostenkonzepten eines Mehrproduktuntemehmens vgl. Sharkey, 1982, S. 42 ff; Bailey, Friedlaender, 1982, S. I025ff
Privatisierung und Deregulierung der Deutschen Bundesbahn
509
eines jeden Produktionsfaktors und Verbundvorteile begründen stets eine subadditive Kostenfunktion. 9 Ohne Verbundvorteile der gemeinsamen Produktion kann ein natürliches Monopol im Mehrproduktunternehmen nicht bestehen. Irreversibilität als zweites Kostenmerkmal bedeutet einen Zustand, bei dem die Produktionsfaktoren eine spezifische Verwendung haben und ihre Mobilität in alternative Verwendungen ökonomisch eingeschränkt oder ausgeschlossen ist. IO Irreversible Kosten können versunkene Kosten darstellen. Diese liegen vor, wenn sich die für einen speziellen Markt benötigten Kapitalgüter im Produktionsprozeß nicht amortisieren und wenn der Liquidationserlös der Kapitalgüter bei Marktaustritt zu einem Wert fUhren würde, der geringer ist als die beim Marktzutritt zugrundegelegten Opportunitätskosten der in dieser bestimmten Verwendung gebundenen Ressourcen. Oder anders ausgedrückt: Versunkene Kosten sind diejenigen Kosten, die auch dann nicht abgebaut werden können, wenn die Produktion vollständig eingestellt und die Produktionsfaktoren liquidiert werden würden. Irreversible und versunkene Kosten bedeuten für potentielle Neueintreter in den Markt eine Markteintrittsschranke und für das bestehende Unternehmen eine Marktaustrittsschranke. Während sie, wenn einmal getätigt, für das bestehende Unternehmen für die weitere Produktion nicht mehr entscheidungsrelevant sind, muß der Neueintreter davon ausgehen, daß die etablierten Unternehmen aufgrund der absoluten Kostenvorteile zu einem niedrigeren Preis anbieten können (Deckung der reversiblen Kosten) als es ihm selbst möglich ist. Der Preisrückgang ist umso stärker möglich, damit die Markteintritts- bzw. die Marktaustrittsschranke umso höher, je größer der Anteil der irreversiblen Kosten an den Gesamtkosten ist. Im Falle von irreversiblen Kosten hat das natürliche Monopol einen dauerhaften Wettbewerbsvorteil (,,Resistenz"). Die beiden technischen Kriterien eines natürlichen Monopols (Subadditivität, Irreversibilität) begründen noch keinen Bedarf seiner wirtschaftlichen Regulierung. Zusätzlich müssen die Wettbewerbsverhältnisse auf dem betreffenden Markt einbezogen werden, um relevante Substitutionsmöglichkeiten für den gesamten Output eines Wirtschaftszweiges oder für einen Teilbereich einbeziehen zu können (potentielle Konkurrenz). So bedeutet der Bau eines Infrastrukturnetzes eine Irreversibilität der Kosten, die den Markteintritt von potentiellen Konkurrenten und damit Wettbewerb im Markt erschweren. Bei hinreichendem Wettbewerb um den MarktlI, d. h. um die Verkehrsleistungsproduktion, ist der
9 Vgl. \0
Willig, 1979, S. 349; auch Windisch, 1987, S. 51. Vgl. Kruse, 1985, S. 41 ff.
11
Zu dieser Unterscheidung vgl. Demsetz, 1968.
Fritz Rahmeyer
510
Regulienmgsbedarf des natürlichen Monopols nicht zwangsläufig, zwnindest nicht für den gesamten Produktionsbereich eines Unternehmens. Zusammenfassend besteht ein Regulienmgsbedarf des natürlichen Monopols nur dann, wenn sinkende Durchschnittskosten und irreversible Kosten zusammenfallen und wenn - für den Fall eines nicht "tolerierbaren" Wohlfahrtsverlustes bei Vollkostenpreisbildung - kein Substitutionswettbewerb besteht. 12 Irreversible Kosten z. B. eines Infrastrukturnetzes führen auch bei intennodalem Wettbewerb zur Resistenz des natürlichen Monopols im Bereich des Schienennetzes, d. h. zu Markteintrittsschranken. 13 In dynamischer Betrachtung braucht ein natürliches Monopol nicht dauerhaft zu sein, wenn sich z. B. die Marktnachfrage erhöht und/oder die Produktionstechnik verändert. Abb. 1 stellt ein globales natürliches Monopol graphisch dar, ebenso einige Fonnen der Preisbildung. P
k K'
p, _~ _ _ _
x,
K,=K" x
x
Abb. 1: Natürliches Monopol und Preisbildung (Lineare Gesamtkostenfunktion)
Der Grenzkostenpreis PK führt zu Verlusten in Höhe von DEFpK. Sie können durch eine Subventionienmg seitens der Gesamtheit der Steuerzahler ausgeglichen werden (,,first-best-Lösung"), Eine Steuerfinanzienmg der Subvention führt zu einem Wohlfahrtsverlust, so wie die Preisbildung zu Durchschnittskosten.
12
ygl. Knieps, 1988, S. 68; Kruse, 1989, S. 17.
13
Zu einer "policy 'roadrnap' for regulation" vgl. Braeutigam, 1989, S, 1307 f.
Privatisierung und Deregulierung der Deutschen Bundesbahn
511
Der Monopolpreis PM verringert die Marktversorgung gegenüber dem Grenzkostenpreis und fUhrt zu einem Gewinn in Höhe von p~BC. Zugleich entsteht ein Wohlfahrtsverlust in Höhe des Dreiecks AGF. Die Preisbildung auf der Basis der durchschnittlichen Gesamtkosten Pk sichert die Eigenwirtschaftlichkeit des Unternehmens und minimiert den Wohlfahrtsverlust im Vergleich zu PK (schraffierte Fläche) ("second-best-Lösung"). Bei Preisdiskriminierung (Pk, PK) deckt der Erlös von Pk die gesamten Kosten der Menge Xk und der Erlös von PK die variablen Kosten bzw. die Grenzkosten der Menge XK Xk. Die Produzentenrente ist gleich Null. Der marginale Nachfrager wird bedient (,,first-best-Lösung"). Unter Marktregulierung werden sektorspetifische und dauerhafte staatliche Interventionen vornehmlich in Form von Geboten und Verboten in den Marktprozeß verstanden. 14 Sie beziehen sich auf die Struktur, das Verhalten und das Ergebnis des Marktes und bedeuten eine Einschränkung der Gewerbe- und Vertragsfreiheit l5 , ebenfalls des Kartellverbots. Die Regulierung grenzt sich von der sektoralen Strukturpolitik ab, die temporäre Eingriffe in prinzipiell wettbewerblich organisierte Sektoren vornimmt (Erhaltung, Anpassung, Gestaltung) und eine geringere Eingriffsintensität aufweist. In der Systematik der allgemeinen Wirtschaftspolitik ist die Marktregulierung (wie die Wettbewerbspolitik) ein Teilbereich der Ordnungspolitik, wobei beide Formen der einzel- und gesamtwirtschaftlichen Koordinierung nicht streng voneinander getrennt sind, sondern auf unvollkommenen Märkten in Kombination auftreten. Die Regulierung orientiert sich vom Marktergebnis her nicht am Allokationsoptimum eines vollkommenen Konkurrenzmarktes, ihre normative Begründung sind vielmehr systematische Funktionsstörungen der Marktkoordinierung, wozu das Bestehen technischer Unteilbarkeiten mit der Folge eines natürlichen Monopols und die Neigung zu ruinöser Konkurrenz auf Verkehrsmärkten gehören. Zudem zieht sie in positiver Begründung auch politisch gesetzte Ziele des öffentlichen Interesses ein, z. B. die Daseinsvorsorge und das Gemeinwohl. 16 Regulierungsinstrumente sind: 17 • Preis- und Rentabilitätskontrollen, z. B. Höchst- und Mindestpreise. Sie dienen der Einschränkung der Marktmacht des Monopolisten, der Vermeidung
14 15
Vgl. Kruse, 1989, S. 5; zu weiteren Definitionen vgl. Wemer, 1988, S. 58 ft'. Vgl. Müller, Vogelsang, 1979, S. 19.
16 Zu den Fragestellungen der Marktregulierung vgl. NolI, 1989, S. 1254; Joskow, NolI, 1994, S.369. 17 Vgl. Kahn, 1988, S. 1:3; Spulber, 1989, S. 32ft'.
512
Fritz Rahmeyer
von Preisdiskriminierung und ruinöser Konkurrenz, der Sicherung einer fairen Rendite. • Qualitätskontrollen des angebotenen Produkts. • Kontrahierungszwang: Sicherung der Leistungserstellung in der Fläche, dadurch Notwendigkleit zur internen Subventionierung. • Markteintrittsschranken: Sicherung der Ausschöpfung von Größenersparnissen, Verhinderung von Doppelinvestitionen, Abwehr von ,,Rosinenpickern" bei Preisdifferenzierung.
C. Regulierung und Deregulierung der Eisenbahnen in den USA Die ursprüngliche Aufgabe der Regulierung der privaten Eisenbahngesellschaften in den USA durch die 1887 mit Unterstützung der Verlader und der privaten Eisenbahngesellschaften gegründete regulierungsunabhängige "Interstate Commerce Commission" (lCC) war es, die MonopolsteIlung der Eisenbahnen auf mittleren bis kurzen Strecken und ihre Verhaltensabstimmung bei der (monopolistischen) Preisbildung durch die Bestimmung von Höchstpreisen zu begrenzen, ebenfalls ihre Diskriminierungen gegenüber Personen, Verkehrsaufkommen und einzelnen ürten. Die Eisenbahnregulierung sah ihre Aufgabe darin, die Marktdominanz der Eisenbahnen im Interesse der kleineren Verlader, der Städte und Regionen mit nur einer Eisenbahnverbindung durch die Setzung von ,,reasonable and just rates" zu beschränken. 18 Zugleich sollte dadurch eine "angemessene" Kapitalverzinsung erreicht werden, um die Infrastrukturausstattung der Eisenbahnen zu ermöglichen. Mit Beginn der Weltwirtschaftskrise kam als neue Aufgabe die Verhinderung von ruinöser Konkurrenz zwischen den Eisenbahnen und zu den anderen Verkehrsträgern hinzu, ebenso die Kontrolle von Markteintritten in den Verkehrsmarkt. Dazu wurde die Regulierung auf andere Verkehrsträger ausgedehnt. Ziel war die Erlangung einer "gerechten" Allokation der Verkehrsleistung auf die einzelnen Verkehrsträger, insbesondere mit dem Straßengüterfernverkehr. 19 Die Höhe der Frachttarife orientierte sich an den Frachtsätzen konkurrierender Verkehrsträger, wobei die Kosten der Beförderungsleistung von zweitrangiger Be-
18
Vgl. Nelson, 1959, S. 112. S. 114.
19 Ebendort,
Privatisierung und Deregulierung der Deutschen Bundesbahn
513
deutung waren. 20 Kostenunterschiede zwischen den Verkehrsträgern konnten sich dadurch nicht wettbewerbswirksam auswirken, der Preiswettbewerb auf den Verkehrsmärkten wurde unterdrückt. Erschwerend kam hinzu, daß Strekkenneubau und Streckenstillegungen zustimmungspflichtig waren. Die Aufgabe der Marktregulierung war also anfangs die Monopolkontrolle, danach die Regulierung des Wettbewerbs auf den Verkehrsmärkten?\ Die Geschichte der Begründung und Entstehung der Eisenbahnregulierung zeigt, daß neben ökonomischen auch politische Faktoren (Interessengruppen und Bürokratien) hierfür bestimmend waren. Das konkrete Verhalten der Regulierungskommissionen können diese allerdings nicht erklären, ebenso nicht, warum einige Wirtschaftszweige reguliert wurden und andere nicht. 22 Charakteristisches Merkmal der Struktur der regulierten Tarife war es, daß sie neben der Höhe der langfristigen Grenzkosten23 auch von der (vermuteten) Höhe der Preiselastizität der Nachfrage der beförderten Güter bestimmt wurden ("value-of-service-pricing"). Produkte des verarbeitenden Gewerbes mit hoher Wertschöpfimg und entsprechend geringem Transportkostenanteil wiesen einen relativ hohen Kostenaufschlag, Agrarprodukte und Rohstoffe mit geringer Wertschöpfimg und höherem Transportkostenanteil wiesen einen relativ geringen Kostenaufschlag zur Aufteilung der fixen Kosten auf die Produktionsmenge auf. Für erstere Gütergruppe wurde eine geringe, für letztere eine hohe Preiselastizität der Nachfrage angenommen. Das Ergebnis ist eine Preisdiskriminierung von Gütern mit hoher und eine interne Subventionierung von Gütern mit geringer Wertschöpfimg, insbesondere von Agrarprodukten und Rohstoffen. Dadurch kann zusätzliches Transportaufkommen gewonnen werden, so daß sich die fixen Kosten über eine größere Verkehrsmenge verteilen mit der Folge niedrigerer Durchschnittskosten der Gesamtproduktion. Zugleich fiihrt sie zu einer internen Subventionierung des Transports auf wenig befahrenen Strecken und von Zügen mit geringer Transportlänge, ein Ergebnis der Entscheidung, gering
Vgl. Boyer, 1987, S. 259; Müller, 1988, S. 175f. Vgl. Müller, Voge1sang, 1979, S. 23; zu den Zielen der Eisenbahnregulierung vgl. auch Kahn, 1988, S. II:27; Kee1er, 1983, S. 21 f.; Winston et a1., 1990, S. Hf. 22 Zum kurzen Überblick zu den positiven Theorien der Regulierung vgl. Peltzman, 1989, S. 4ff. Die normative und die positive Theorie der Regulierung sind dabei aufeinander angewiesen. "Eine positive Theorie kann nicht den Einfluß vernachlässigen, der vom ökonomischen normativen Denken auf das staatliche Handeln ausgeht. Eine normative Theorie muß letztlich die politische Durchsetzbarkeit und deren Gesetzmäßigkeiten berücksichtigen" (v. Weizsäcker, 1982, S. 326). Im gleichen Sinne heißt es bei Keeler (1984, S. 120):" ... neither the public interest model ... can explain the various regulatory policies which have prevailed over the past decade or earlier. All industries have had important regulatory policies seerningly motivated by special- interest considerations .... On the other hand, many aspects of the regulatory policies and reforms can be explained only by public-interest considerations." 23 Zur Begründung vgl. Baumol et a1., 1962, S. 358 ff. 20
2\
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befahrene Strecken nicht stillzulegen. Die "bulk rates" durften nicht zu niedrig sein, wn nicht die fmanzielle Stabilität des Unternehmens zu gefahrden (Dekkung der kurzfristigen Grenzkosten). Die ,,high value rates" dagegen durften nicht zu hoch sein (Monopolpreisbildung), wn nicht Beförderungsleistungen an konkurrierende Verkehrsträger zu verlieren. 24 Eine einheitliche Tarifsetzung hätte zu einem Verlust an Beförderungsaufkommen geführt. 25 Das Ergebnis der Eisenbahnregulierung kann zusammenfassend als eine Kartellpreisbildung seitens der Regulierungskommission angesehen werden. 26 Das Gegenstück zur Werttarifierung stellt die kostenorientierte Preisbildung dar ("fully distributed cost pricing,,).27 Dabei wird fiir alle Verkehrsleistungen das gleiche Verhältnis von Tarifhöhe zu Produktionskosten bestimmt. Kostenbasis sind die langfristigen durchschnittlichen Gesamtkosten, nicht die Grenzkosten. Für die Preis bildung werden die fixen Kosten nach einem bestimmten Schlüssel auf die einzelnen Güter bzw. Verkehrsleistungen aufgeteilt. Basis der Zuteilung können die relative Höhe des Output, der Erlöse oder der variablen Kosten sein. Die Höhe der Nachfrage wird fiir die Preisbildung vernachlässigt, im Unterschied zwn value-of-service-pricing. Eine Preisdiskriminierung ist mit dem cost-based-pricing nicht verbunden. 28 Weisen die Eisenbahnen Überkapazitäten auf, so führt die kostenorientierte Preisbildung (auf der Basis der vollen Kapazitätsauslastung) zu Verlusten, wenn die Preise geringer als die durchschnittlichen Gesamtkosten sind. Um die Höhe der fixen Kosten zu verringern, müssen Überkapazitäten, vor allem im Streckennetz, stillgelegt werden. Eine Preisdifferenzierung wie im Fall der Werttarifierung führt dagegen zu geringeren Überkapazitäten. Die Regulierung führte zu finanziellen Problemen der Eisenbahnen bis hin zu Konkursen einzelner Gesellschaften. Thre Rentabilität war im Vergleich zur Industrie insgesamt unterdurchschnittlich hoch. 29 Die Folge war ein Qualitätsverfall des Schienennetzes, ein Rückgang insbesondere des Personenverkehrs aus Gründen der Kostenersparnis, aber auch Marktanteilsverluste im Güterverkehr (Substitutions- und Güterstruktureffekt). Wegen bestehender Genehmigungspflicht von Streckenstillegungen entstanden Überkapazitäten im Streckennetz und im rollenden Material, die zur unterdurchschnittlichen Rentabilität der Eisenbahnen beitrugen. Die fehlende wettbewerbsorientierte Preisbildung führte
24 Vgl. Fried1aender, 1969, S. 127f. 25 Vgl. Kahn, 1988, S. 1:156; Kee1er, 1983, S. 24, 69. 26 Vgl. Kahn, 1988, S. II:26 f.; Kee1er, 1983, S. 23. 27 Vgl. Braeutigam, 1989, S. 1313f.; Spu1ber, 1989, S. 129f. 28 Vgl. auch Fried1aender, 1969, S. 131 ff. 29 Vgl. Kee1er, 1983, S. 8ft'.
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dazu, daß die Unternehmen Produktivitätssteigenmgen Wld Innovationen vernachlässigten. 30 Vorliegende empirische Studien kommen übereinstimmend zu dem Ergebnis, daß die Regulienmg zu Wohlfahrtsverlusten geführt hat, wobei nach den AuswirkWlgen der Tarifregulienmg, der Überkapazitäten, der Qualität der DienstleistWlgen Wlterschieden wird. Dabei werden Wohlfahrtseffekte auf Spediteure, Eisenbahnen Wld Beschäftigte Wlterschieden. 31 Eine wesentliche Ursache fiir den finanziellen Niedergang der Eisenbahnen war der seit den zwanziger Jahren zunehmende intermodale Wettbewerb in der Verkehrswirtschaft insbesondere durch den Straßengüterverkehr bei gleichzeitiger Behindenmg der Konkurrenzfähigkeit der Eisenbahnen gegenüber anderen Verkehrsträgern durch die bestehende Tarifstruktur des (von der lee legalisierten) value-of-service pricing. Relativ hohe Frachtraten bei hochwertigen Gütern des verarbeitenden Gewerbes führten zu einem Verlust an Befördenmgsaufkommen an den Straßengüterverkehr. Die Preiselastizität der Nachfrage nach ,,high-value-commodities" war aufgnmd des intermodalen Preis- Wld Qualitätswettbewerbs höher als ursprünglich angenommen. Die beabsichtigte interne Subventionienmg des Transportes von Gütern mit geringer Wertschöpfung auf zugleich wenig befahrenen Strecken (verteilWlgs- Wld regionalpolitische Zielsetzungen) wurde dadurch erschwert. Die (wegen des bestehenden Überschußangebots ) festgesetzten Mindestpreise verhinderten, die bisherigen BefördenmgsleistWlgen zu erhalten oder zu erhöhen bei den Gütern, bei denen die Eisenbahnen der kostengünstigste Verkehrsträger waren. 32 Trotz veränderter Wettbewerbsverhältnisse auf den Verkehrsmärkten wurden die Tarife Wld die Streckenlänge der Eisenbahnen nicht angepaßt. Neben PreisWlterschieden zwischen den Verkehrsträgern trugen auch QualitätsWlterschiede zur Abnahme des Verkehrsanteils der Eisenbahnen zugoosten des Straßenverkehrs beL 33 Um die bestehende Tarifstruktur Wld die dadurch begründete interne Subventionienmg bei intermodalem Wettbewerb zu verteidigen, wurden der Straßengüterverkehr Wld die Binnenschiffahrt ab Mitte der dreißiger Jahre in die Verkehrsregulienmg durch die lee einbezogen. Zugleich wurde die bestehende Praxis der Kollusion der EinbahnWlternehmen sanktioniert, die Befördenmgspflicht der Eisenbahnen gelockert Wld die Mindestpreisregulienmg streng durchgeführt. Die Regulienmgspraxis der lee hat zusammenfassend gezeigt, daß Marktregulienmg notwendigerweise einen restringierenden Einfluß ausübt (VermeidWlg 30 Vgl. zu den Auswirkungen der Eisenbahnregulierung Müller, 1988, S. 191 f.; Boyer, 1987, S. 262 ff.; zusammenfassend Winston, 1993, S. 1269. 31 Vgl. Kee1er, 1983, S. 80ff.; Winston, 1985, S. 83; zu einer Übersicht über vorliegende Studien vgl. Hahn, Hird, 1991, S. 263f. 32 Vgl. Nelson, 1959, S. 111,135. 33 Vgl. Boyer, 1977, S. 496.
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des Mißbrauches von MonopoImacht), dagegen keinen aktiven Anreiz fiir Restrukturlerungen und Effizienzsteigerungen enthält. 34 Sie ist durch Protektionismus gekennzeichnet, wodurch bestehende Anbieter geschützt werden. Eine generelle und konsistente Politik hat die lee nicht entwickelt, ihre Entscheidungen fielen eher fallweise, weniger an einer Konzeption des Staates ausgerichtet aus. 35 Dadurch wurden ihre Entscheidungen fiir Einflüsse von Interessengruppen anfällig, ohne daß das öffentliche Interesse genügend Berücksichtigung gefunden hätte (Schiedsrichterrolle der Regulierungskommissionen). "... public policies toward the railroad industry have generated something considerably different from a normative optimum of economic efficiency or even from a second-best policy,,36 . Die Deregulierung der Eisenbahnen, d. h. " ... die Abschaffung staatlicher Interventionen, die Reduzierung ihrer Eingriffsintensität ... , die eine Stärkung marktlicher Mechanismen zur Folge haben,,37, vollzog sich in den USA in mehreren Schritten, beginnend 1973 bis zum Staggers Rail Act von 1980. 38 Sie erfolgte nicht vollständig, sondern die Regulierung blieb in den Verkehrsbereichen erhalten, in denen die Eisenbahnen eine monopolähnliche Stellung besitzen, z. B. im Transport von Kohle. 39 Die theoretische Grundlage der Regulierung ist nicht mehr die Marktform des natürlichen Monopols oder die ruinöse Konkurrenz, sondern der intermodale Wettbewerb zwischen den Verkehrsträgern. 40 Er soll dazu führen, daß eine generelle Tarifregulierung im Eisenbahnsektor nicht mehr notwendig ist. Hauptinhalt der Deregulierung war die Freigabe der Tarife innerhalb einer Spanne, die durch Höchstpreise (Aufschlag auf die durchschnittlichen variablen Kosten von bis zu 160 %) und Mindestpreise (durchschnittliche variable Kosten) begrenzt ist. Sie wurden im Anschluß daran bei Gütern mit preisunelastischer Nachfrage (relativ) angehoben, bei Gütern mit preiselastischer Nachfrage (relativ) gesenkt. Gehen die Transportpreise über die Höchstgrenze hinaus, so kann die lee in solchen Fällen Einspruch erheben, in denen die Eisenbahnen Marktdominanz besitzen. Die Preisfreigabe wurde durch die Erlaubnis zu Streckenstillegungen und zu Marktein- und -austritten ergänzt. Die Tarifobergrenze beim Transport von Kohle ergibt sich durch den höchstmöglichen Tarif, ohne daß Transportaufkommen an einen (hypothetischen) spezialisierten Konkurrenten abgegeben werden muß. Die Höhe dieses Tarifes soll 34 Vgl. Kahn, 1988; S. II:47f. 35 Ebendort, S. 22. 36 Keeler, 1983, S. 80. 37 Kruse,
1989, S. 10.
38 Vgl. zur Literatur Müller, 1988, S. S. 197ff.; Boyer, 1987, S. 275ff.; Keeler, 1983, S. 98ff.;
Braeutigam, 1992/93, S. 471. 39 Vgl. Braeutigam, 1992/93, S. 469. 40 Vgl. Keeler, 1983, S. 99; Bailey, Baumol, 1984, S. 125.
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zu höheren Erträgen fiihren und zugleich die Unternehmen, die von der Eisenbalm abhängig sind, vor Monopolpreisen schützen. Die Kosten einer möglichen Überkapazität fmden keine Berucksichtigung.41 Die Deregulierung der Eisenbalmen wurde neben den unbefriedigenden Marktergebnissen auch durch die Ergebnisse empirischer Studien zur Marktstruktur ausgelöst. 42 Danach bestehen "economies of finn size" eher bei kleineren Unternehmen mit einer geringen Streckenlänge als bei Unternehmen mit einem längeren Streckennetz (bei gegebener Verkehrsdichte). Dagegen ermittelten mehrere Autoren "economies of density" als Folge der Fixkostendegression eines gegebenen Streckennetzes bis zu einer relativ hohen Streckenauslastung, sowohl auf kurzen als auch auf langen Streckennetzen, also für Eisenbalmunternehmen unterschiedlicher Größe. Eine größere Streckenlänge geht dabei auch mit dem Verkehr längerer Züge einher, die zu sinkenden Durchschnittskosten fiihren. 43 Auf Strecken mit hoher Verkehrsdichte bestehen dagegen keine Größenersparnisse mehr. Die Höhe der ,,minimum efficient density" stellt die fundamentale Unteilbarkeit in der Kostenstruktur der Eisenbalmen und damit am ehesten die technische Eigenschaft eines natürlichen Monopols in einem Strekkenabschnitt dar. "In certain small shipment, short- hau! markets , railroads are, and probably always were, natural monopolies. Nevertheless, for many markets and for most traffic, railroads do not and did not have a natural monopoly".44 Als Ergebnis der Deregulierung hat sich die Rentabilität der Eisenbalmunternehmen erhöht. 45 Das Streckennetz und das rollende Material wurden abgebaut, ebenso die Zahl der Arbeitsplätze. Der Marktanteil am Güterverkehr hat sich seit Beginn der siebziger Jahre, auch als Folge der Tariffreigabe, stabilisiert. Das Güterverkehrsaufkommen wird allerdings vorwiegend vom Güterstruktureffekt bestimmt, also von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, weniger von sektorspezifischen Faktoren, z. B. der Tarifhöhe und Tarifstruktur. 46 Die realen Frachttarife sind im Zeitraum 1978- 1987 für nahezu alle Gütergruppen gesunken, pro Jahr im Durchschnitt um 15 v. H. 47 Nach Schätzung von Winston et a1. 48 hat die Deregulierung der Eisenbalmen zu Wohlfahrtsgewinnen für die Verlader, die Eisenbalmen und auch die Steuerzahler gefiihrt. Die Unternehmen 41 Vgl. Braeutigam, 1992/93, S. 478. 42 Zum Überblick Laaser, 1991, S. 62ff.; Keeler, 1983, S. 153ff. 43 Vgl. auch Barbera et a1., 1987, S. 241 mit Daten für 1979-1983, also nach der Deregulie-
rung.
44 Moore, 1986, S. 15. 45 Vgl. Müller, 1988, S. 200; Braeutigam, 1992/93, S. 472 ff. 46 Vgl. Müller, 1988, S. 215; Boyer, 1987, S. 262. 47 Vgl. Braeutigam, 1992/93, S. 473. 48 1990, S. 5; vgl. auch Winston, 1993, S. 1284f.
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haben durch die Anpassung der Kosten und der Technologie Wohlfahrsverluste vermieden. Trotz der Deregulierung und der Erhöhung der Rentabilität der Eisenbahnen ist die Verzinsung des eingesetzten Kapitals geringer als die Kosten der Kapitalbeschaffung. Die Eisenbahnen sind noch nicht ,,revenue adequate,,49 . Das Ergebnis muß ein (weiterer) Abbau der Kapazitäten sein, um die Rentabilität (weiter) zu erhöhen. Friedlaender, Berndt, McCullouch kommen bezüglich der zukünftigen wirtschaftlichen Aussichten der Eisenbahnen abschließend zu dem Ergebnis: " ... during the 1990s the railroads may finally be able to reach the elusive goal of achieving a fair rate of return while operating in the marketplace as competitive entities with the rest of American industry." 50
D. Staatliche Regulierung und Deflzitproblem der Deutschen Bundesbahn In der Bundesrepublik Deutschland verwaltete der Staat bis 1993 durch die Deutsche Bundesbahn als öffentliches Unternehmen das Eisenbahnvermögen des Landes. Öffentliche Unternehmen vorwiegend im Infrastrukturbereich sind ein Instrument zur Bereitstellung staatlich angebotener Leistungen, z. B. Transportleistungen, dabei verfolgen sie zugleich sektorale und gesamtwirtschaftliche Zielsetzungen, z. B. der Raumordnungs- und der Verteilungspolitik. 51 Aufgrund von (tatsächlichen oder behaupteten) Branchenbesonderheiten unterschiedlicher Art unterliegen sie staatlicher Regulierung durch Fachaufsichtsbehörden und sind von den Vorschriften des GWB freigestellt (Ausnahmebereiche des GWB). Verträge der Deutschen Bundesbahn waren vom GWB freigestellt, wenn die auf ihnen beruhenden Entgelte oder Bedingungen durch Verkehrsgesetze festgesetzt oder genehmigt waren. Sie bedurften keiner kartellrechtlichen Kontrolle, da sie der Aufsicht einer anderen Behörde unterlagen, z. B. dem Bundesministerium fiir Verkehr (§99,1 GWB). Die Regulierung in Form öffentlicher Unternehmen und auf Dauer ausgerichteter Bereichsausnahmen vom Wettbewerb fiihrte zu einer größeren politischen Einflußnahme und institutionellen Rigidität als im amerikanischen Fall der Kontrolle privatwirtschaftlicher Unternehmen durch Regierungskommissionen. Diese sind regierungsunabhängig, während die deutschen Fachaufsichtsbehörden gegenüber den Ministerien weisungsgebunden sind. Die regulierten Branchen in den USA unterliegen dem Antitrustrecht und sind fiir den Wettbewerb durchlässiger. 52
49 Braeutigam, 1992/93, S. 477. 50
1992, S. 104.
Zu den Zielen öffentlicher Unternehmen vgl. Grossekettler, 1989, S. 441f. 52 ygI. Kaufer. 1981, S. 173ff. 51
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Bei allen institutionellen Wld auch wirtschaftlichen. Unterschieden (SpezialisierWlg des Güterverkehrs amerikanischer EisenbahnWlternehmen auf Massengüter bei größeren Streckenlängen, Aufgabe des Personenverkehrs) bestehen zwischen beiden Ländern Gemeinsamkeiten bezüglich • der StrukturwandlWlgen auf dem Verkehrsmarkt mit entsprechenden Konsequenzen fiir die Eisenbahnen, • des zugrWldeliegenden Allokationsmodells auf dem Verkehrsmarkt (systematische FunktionsstörWlgen des Marktprozesses). In Deutschland waren Eisenbahnen ursprünglich privatwirtschaftlieh organisiert. Zusammen mit der Schwerindustrie bildeten sie einen ,,FührWlgssektor" der deutschen IndustrialisierWlg (sogenannte Vorwärts- Wld RückkoppelWlgseffekte).53 Für ihre VerstaatlichWlg (ab 1880) bestanden folgende Gründe: 54 • Effizienzgründe: Verkehrsmärkte wurden als nicht ftmktionsfähig angesehen. Eine flächendeckende VerkehrsbedienWlg ist aufgrWld des öffentlichen Gutscharakters Wld positiver externer Effekte des Schienennetzes nicht zu erwarten. Ferner kann ein einzelnes Unternehmen den Verkehrsmarkt mit einem schienengebWldenen Verkehrssystem kostengünstiger bedienen als mehrere in Konkurrenz. • Staatspolitische Gründe: Eisenbahnen galten als Bindeglied der Nation Wld dienten auch militärpolitischen Zielen. • VerteilWlgspolitische Gründe: Eisenbahnen hatten die Aufgabe der gemeinwirtschaftlichen VerkehrsbedienWlg, damit der SicherWlg der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Raum. • Fiskalische Zwecke: Einnahmen aus den Eisenbahnen waren ein Mittel staatlicher Einnahmenbeschaffimg in beträchtlicher Höhe.
Im VordergrWld der BegründWlg fiir die RegulierWlg der Bahn stand nach 1945 das Argument der gemeinwirtschaftlichen VerkehrsbedienWlg. 55 Einfluß auf die VerkehrsmarktordnWlg nahmen, vergleichbar zu den USA, auch verschiedene Interessengruppen mit allokations- Wld wettbewerbsfremden Argumenten. Deren Ziel war der Schutz der Eisenbahn vor intermodalem Wettbe53 Ygl. Tilly, 1990, S. 50ff. 54 ygl. Laaser, 1991, S. 120. 55 Ebendort, S. 150.
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werb. Die Bahn wurde zu einem Instrwnent staatlicher Sozial-, Regional- und Strukturpolitik. Die staatliche Regulierung des Eisenbahnverkehrs begründete ein Monopol der Deutschen Bundesbahn beim Güter- und Personenbetrieb auf ihrem Schienennetz (Markteintrittsbeschränkung). Sowohl ein Streckenneubau als auch Streckenstillegungen waren genehrnigungspflichtig (Marktaustrittsbeschränkung). Grundforderung der Preisregulierung war die Sicherung der Eigenwirtschaftlichkeit. Entsprechend der Belastbarkeit der Beförderungsleistung (gemessen an der Preiselastizität der Nachfrage) erhielten dazu hochwertige Güter einen (relativ) höheren Transportkostenaufschlag als geringwertige Güter (Werttarifierung). Sie trugen dadurch einen entsprechend höheren Anteil an den fixen Kosten der benötigten Verkehrswege. Das Ziel dieser Preisdifferenzierung war die möglichst hohe Auslastung der vorhandenen Transportkapazitäten durch die Gewinnung von Zusatzverkehr, um die Kostendegression auszunutzen (Deckung der fixen Kosten, Auslastung der Netzkapazität im Sinne der Grenzkostenpreisbildung). Aufgrund der Tarifeinheit im Raum galten die gleichen Tarife für gleiche Leistungen, unabhängig von den Kosten der Leistungserstellung auf unterschiedlich dicht befahrenen Strecken. Die Tarifpolitik der Eisenbahnen war lange Zeit grundlegend für das binnenwirtschaftliche Verkehrstarifsystem. Die Eisenbahn war faktisch Preisführer für die wichtigsten Verkehrsbereiche (Teilmonopolist). Erst mit zunehmender Substitutionskonkurrenz zwischen den Verkehrsträgern erfolgte eine Abkoppelung des Straßengüter- vom Eisenbahngütertarif. Die Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verkehrsbedienung, im einzelnen der Betriebs-, Beförderungs- und Tarifpflicht, bedeutete die Sicherung der Leistungserstellung in der Fläche, also auch in ländlichen Regionen (Güter- und Personenverkehr) und des Personenverkehrs in Ballungsgebieten. Sie konnte nicht zu kostendeckenden Tarifen erfolgen. Die verursachten Mehraufwendungen mußten durch die Tarifeinheit im Raum intern subventioniert werden, zugleich führten sie zu einem Ausgleichsanspruch gegenüber dem Staat. Von der Unternehmensverfassung her war die Deutsche Bundesbahn ein nicht-rechtsfähiges Sondervermögen mit eigenem Verwaltungsunterbau bei eigener Wirtschafts- und Rechnungsführung. Sie war wie ein Wirtschaftsunternehmen zu führen (Eigenwirtschaftlichkeit) und sollte in diesem Rahmen zugleich öffentliche Aufgaben übernehmen. Die Erfüllung ihrer Aufgaben war öffentlicher Dienst. Ihre Rechtsstellung und Aufgabenstellung war somit nicht klar definiert (,,Konflikt zwischen kaufmännischem Verhalten und staatlicher
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Einflußnahme"s6). Die Deutsche Bundesbahn war ein ". .. weitgehend fremdbestimmtes Unternehmen mit einem unklaren Unternehmensauftrag ... ,,57 Die Fremdbestimmung zeigte sich in der Rechtsaufsicht durch das Bundesministerium fiir Verkehr, der Genehmigungspflicht bei Tariferhöhungen durch das Bundesministerium fiir Wirtschaft, der Deckung des Fehlbetrages durch das Bundesministerium fiir Finanzen und durch das Informationsrecht der Bundesländer z. B. im Falle von Streckenstillegungen. Unterstützt wurde die Regulierung der Eisenbahnen durch die auch der anderen Verkehrsträger (Markteintrittsbeschränkungen und verbindliche Höchst- und Mindestpreise im Straßengüterfernverkehr, Beschränkung des Schienenparallelverkehrs mit Omnibussen, verbindliche Frachttarife im innerdeutschen Verkehr fiir die Binnenschiffahrt, Genehmigungspflicht im Luftverkehr fiir Tarife und Marktzutritte58 ). Trotz Regulierung der Verkehrsmärkte ist der Marktanteil der Eisenbahn an der Verkehrsleistung gesunken (vgl. Tab. 1 und Tab. 2). Als exogene Ursache 59 ist zunächst der Güterstruktureffekt zulasten der Eisenbahnen zu nennen60 , der diese im Güterverkehr auf den Transport von Massengütern beschränkt, deren Anteil am Beförderungsaufkommen - vergleichbar zu den USA - rückläufig ist. Desweiteren haben staatliche Maßnahmen der Infrastrukturpolitik die Verlagerung des Verkehrs auf die Straße sowohl bei Gütern als auch bei Personen begünstigt, da sie dem Straßenbau Vorrang gegenüber Ausbau und Modernisierung des Schienennetzes einräumten. Auch die unzureichende Anlastung negativer externer Effekte der Umweltnutzung durch die Verkehrsträger, wovon ebenfalls der Straßenverkehr profitiert hat, ist anzuführen. Die Bundesbahn paßte sich aufgrund zu geringer interner Effizienz des Bahnmanagements weder auf der Angebotsseite mit der Tarifhöhe und der Tarifstruktur noch auf der Produktionsseite mit der Höhe der Produktionskosten den Veränderungen auf den Verkehrsmärkten wettbewerbsgerecht an. 61 Trotz Substitutionswettbewerbs zwischen den Verkehrsträgern blieb die Relation der Verkehrspreisindizes im Zeitraum 1960-1980 in etwa konstant62 , ohne daß die Preisdeterminanten (Kosten, Produktivität, Nachfrage) diese Konstanz gerechtferigt hätten, so daß ein effizientes Verkehrspreissystem nicht erreicht wurde. Die Bereithaltung von Kapazität des Fuhrparks fiir Spitzenbelastungen als Folge der Beförderungspflicht und das Mitspracherecht der Bundesländer bei Streckenstillegungen führten zu 56
Aberle, 1988, S. 21.
57 Müller, 1987, S. 330; zur Kritik an der Unternehmensverfassung vgl. auch Ewers, 1994, S.
180f.
58 59
Vgl. Deregulierungskomrnission, 1991, S. 3Sff; Ewers, 1990, S. SOOff. Hierzu Brenck, 1993, S. 49ff.
60 So auch Baum, 1986, S. 190. 61
62
Vgl. Laaser, 1991, S. 22ff.; Brenck 1993, S. 49ff. Vgl. Baum, 1986, S. 113ff.
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Überkapazitäten im Schienennetz auf Nebenstrecken. Rund 85 v. H. der Verkehrsleistungen werden auf rund 40 v. H des Streckennetzes erbracht. 63 Die Folge ist ein geringes Produktivitätswachstwn im Vergleich zur Industrie, bedingt auch durch den hohen Personalstand als Folge des öffentlichen Dienstrechtes, eine geringe Innovationsdynamik bei neuen Transportangeboten und die Vernachlässigung des Ausbaus der Schienenverkehrswege. Die Folge der mangelnden Anpassung an den veränderten Wettbewerb auf den Verkehrsmärkten war ein (im Zeitablauf steigendes ) Defizit in der Bilanz der Deutschen Bundesbahn64 , trotz Bundesleistungen fiir die Abgeltung von gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen insbesondere im Schienenpersonennahverkehr, den Ausgleich von Wettbewerbsverzerrungen vor allem wegen überhöhter Versorgungslasten, fiir Eigenrumedeistungen des Bundes in Form von Investitionszuschüssen fiir jeweils bestimmte, vom Bund akzeptierte Vorhaben und von Liquiditätshilfen fiir die Bahnschulden. 65 Die Eisenbahnkrise und das Defizit in der Bilanz der Bundesbahn sind letztlich die Folge eines fehlkonstruierten Ordnungsgefüges, zu dem die Unternehmensverfassung (kein eindeutiges Unternehmensziel der Bahn), die Eigentwnsregelung (öffentliches Unternehmen), die Marktordnung (Regulierung der Eisenbahnen) und die Finanzbeziehungen zwischen Staat und Bundesbahn gehörten. 66
E. Elemente der Bahnstrukturreform Das Ziel der Bahnreform, die am 1.1.1994 in Kraft trat und auf dem Modell der Regierungskommission Bahn (Dezember 1991) beruhte, war die Reform der Marktordnung durch Deregulierung und der Eigentwnsregelung durch Privatisierung. Deregulierung bedeutet die Abschaffung der einzelwirtschaftlichen staatlichen Interventionen oder zumindest die Verringerung ihrer Eingriffsintensität fiir einzelne Wirtschaftsbereiche der Volkswirtschaft, insbesondere in den Bereichsausnahmen des GWB. 67 Sie erfolgt durch eine Reform der Verkehrsgesetze und des Grundgesetzes. Privatisierung bedeutet alle Prozesse, " ... die den Einflußbereich politischer Verfügungsrechte über ökonomische Güter zugunsten des Dispositionsraums privater Verfügungsrechte vermindern,,68 , insbesondere die Durchsetzung erwerbswirtschaftlicher Ziele in der Unternehmensver-
63 Vgl. Aberle, 1988, s. 38. 64
Vgl. v. Suntum, 1986, S. 132ff.
66
Vgl. Baum, 1985, S. 181.
65 Vgl. ebendort, S. 135f.
67 Vgl. Kruse, 1989, S. 10; Grossekett1er, 1989, S. 438; Ewers, 1994, S. 182. 68 Windiseh, 1987, S. 8.
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fassung. In bezug auf die Art wird zwischen ,,materieller" und ,,fonneller" Privatisierung unterschieden. 69 Unter ersterer wird die Eigentumsprivatisierung durch den Verkauf staatlicher Unternehmensbeteiligungen an Private verstanden, aber auch die Aufhebung der Bereichsausnahmen des GWB. Letztere bedeutet den Abbau staatlicher Einflußnahme auf unternehmerische Entscheidungen, z. B. durch die Umwandlung eines öffentlichen Unternehmens in eine Kapitalgesellschaft mit einhundertprozentiger Staatsbeteiligung. Zwischen Deregulierung und Privatisierung besteht somit ein enger Zusammenhang. Die folgenden drei Elemente kennzeichnen die Bahnrefonn: 70 1) Privatisierung der Eisenbahn bei Trennung von Fahrweg und Betrieb
Die Unternehmensorganisation der Deutschen Bundesbahn vor der Bahnrefonn bestand in einer vertikalen Integration der drei Ebenen des Eisenbahnverkehrs in Fonn eines staatlichen Monopolunternehmens: Angebot von Eisenbahnverkehr (Transportleistungen), Aufbau und Betrieb von Zugüberwachungssystemen (Bindeglied zwischen Angebot und Transportleistungen und Fahrweg), Aufbau und Betrieb von Schieneninfrastruktur (Gleisanlagen, Bahnhöfe).71 Grundlage des gewählten Bahnreformmodells ist die vertikale Desintegration der Ebene der Transportleistungen von den Ebenen des Zugüberwachungssystems und der Schieneninfrastruktur, im einzelnen die Überfiihrung der Bundeseisenbahnen in die bundeseigene Deutsche Bahn AG (DBAG) mit den organisatorisch getrennten Sparten Personennah- und -fernverkehr, Güterverkehr und Fahrweg. Eine interne Subventionierung zwischen den Verkehrsbereichen ist nicht zulässig, um Wettbewerbsverzerrungen gegenüber anderen Verkehrsträgern zu venneiden. Der neue Art. 87e GG (Eisenbahnverkehrsverwaltung) schützt sowohl öffentliche Belange (Gewährleistung des Allgemeinwohls bei Ausbau und Erhalt des Schienennetzes und des Verkehrsangebots auf dem Schienennetz) als auch private Interessen (Privatrechtliche Fonn der Eisenbahnen als Wirtschaftsunternehmen). Nach drei bis fiinf Jahren wird die DBAG in eine bundeseigene Holdinggesellschaft umgewandelt, wobei die einzelnen Unternehmenssparten selbständige Aktiengesellschaften werden. Die (nicht terminierte) letzte Phase der Bahnrefonn soll in der Auflösung der Holding und einer rechtlichen und institutionellen Trennung - nicht lediglich finanziellen Trennung wie bei der sogenannten Trennungsrechnung der Deutschen Bundesbahn der Sparten fiir den Güter- und Personenverkehr und den Fahrweg bestehen. Zusätzlich zu der zuvor nur organisatorischen Trennung von Fahrweg und Betrieb
69
Ygl. ebendort, S. 15.
70 ygl. Laaser, 1994, S. 5ff.; Ewers, 1994, S. 194. 71 Ygl. Knieps, 1996, S. 14.
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wird im Endstadium der Reform auch eine institutionelle Trennung angestrebt. Das Aktienkapital der Gesellschaften behält der Bund. Es kann - außer im Falle der Fahrweg AG - an Private veräußert werden (materielle Privatisierung). Eine Selbstbindung des Gesetzgebers hierfür fehlt allerdings. Es bedarf dazu einer eigenen gesetzlichen Regelung bei Zustimmungspflicht des Bundesrates. Die Fahrweg AG kann gegen Entgelte Benutzungsrechte für Schienentrassen an andere Eisenbahnunternehmen als die Personen- und Güterverkehrs-AG vergeben und damit intramodalen Wettbewerb auf dem Schienennetz zulassen. Die Nutzung des Schienennetzes muß für alle potentiellen Betreiber diskriminierungsfrei möglich sein. Die Verantwortung für Ausbau und Erhalt des Schienennetzes behält der Bund. Investitionen im unternehmerischen Interesse werden mit Hilfe von zinslosen Darlehen des Bundes fmanziert. Die Deutsche Bahn zahlt diese Darlehen in Höhe der jährlich anfallenden Abschreibungen zurück. Die Zinslast übernimmt der Bund. Die Infrastrukturverantwortung und das Sicherstellungsgebot richtet sich somit an den Staat, nicht an die Deutsche Bahn, die keinen eigenen gemeinwirtschaftlichen Pflichten mehr unterliegt. 2) Entschuldung der Deutschen Bahn Die Privatisierung und Deregulierung der Eisenbahn wird durch finanzielle Sanierungsmaßnahmen ergänzt. Hierzu gehören die Entschuldung und die Bilanzbereinigung72 der Bahnen mit dem Ziel der Reduzierung der Zinslast und der Abschreibungen, die Übernahme von Altlasten im Bereich der Materialund Personalkosten und die Entlassung der Deutschen Bahn aus dem öffentlichen Besoldungsrecht. Die bis 1993 angelaufenen Altschulden von Bundesbahn und Reichsbahn in Höhe von etwa siebzig Mrd. DM werden von der neu gegründeten Behörde ,,Bundeseisenbahnvermögen", einem Schattenhaushalt, übernommen. Die Tilgung der Altschulden soll innerhalb von dreißig Jahren erfolgen. 3) Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs Die organisatorische und finanzielle Verantwortung für den bisher gemeinwirtschaftlich erbrachten Schienenpersonennahverkehr der Bahn geht ab 1996 auf die regionale Ebene über, da diese die finanziellen Mittel bei Kenntnis der regionalen und örtlichen Besonderheiten effizienter einsetzen kann. Die Gebietskörperschaften (Länder und Kommunen) können als Auftraggeber für gemeinwirtschaftliche Leistungen auftreten, wobei deren Finanzierung nach dem
72 "Die DB hat in der Defensive eines nicht erfolgreichen Unternehmens in der Vergangenheit durch ,,BilanzsÜßden' ihr Ergebnis geschönt". Sie hat Verluste in die Zukunft verschoben. Vgl. Bericht der Regierungskommission Bundesbahn, Dez. 1991, S. 55.
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Prinzip der speziellen Entgeltlichkeit erfolgt. Als Ausgleich zahlt der BWld den Ländern ab 1997 12 Mrd. DM (bei DynamisierWlg entsprechend dem Mehrwertsteueraufkommen) aus dem Aufkommen der Mineralölsteuer. Zentrale Ergebnisse der DeregulierWlg Wld PrivatisierWlg der Eisenbahnen in Deutschland sind die organisatorische Wld institutionelle TrennWlg von Wegeinfrastruktur Wld der ErstellWlg der TransportleistWlg auf dem Schienennetz (wie bei anderen Verkehrsträgern auch) Wld die gleichzeitige ZulassWlg von konkurrierenden EisenbahnWlternehmen für den Netzbetrieb. ,,Die TrennWlg von Fahrweg Wld Betrieb bei der Bahn ist eine notwendige BedingWlg für Wettbewerb im Netz; zugleich scheint Wettbewerb im Netz eine notwendige BedingWlg dafür zu sein, daß die von einer TrennWlg erhofften Nettovorteile auch tatsächlich eintreffen".73 Diese Reformen beruhen auf der Erkenntnis, daß der Betrieb des Schienennetzes Wld damit die ErstellWlg der VerkehrsleistWlg im Wettbewerb erfolgen können, ein natürliches Monopol für den gesamten Eisenbahnbereich nicht besteht. Bei der vertikalen Desintegration von Fahrweg Wld Betrieb können zusätzliche Transaktionskosten durch die externe anstelle der internen KoordinierWlg Wld die TrennWlg von Rad Wld Schiene bei ForschWlg Wld EntwicklWlg für die Eisenbahnen entstehen. Empirische Ergebnisse über mögliche VerbWldvorteile der bisherigen Integration von Schienennetz Wld deren Betrieb durch die Deutsche BWldesbahn liegen nicht vor, so daß lediglich theoretische ÜberlegWlgen hierzu möglich sind. So wird darauf hingewiesen, daß Koordinationskosten auch zwischen den einzelnen Organisationseinheiten der bisherigen BWldesbahn bestanden haben, die nach der TrennWlg beider Verkehrseinheiten nicht notwendigerweise höher sein müssen. Auch der Koordinationsaufwand der ZugüberwachWlg als dem Bindeglied zwischen Fahrweg Wld Betrieb dürfte bei ZWlehmender Anzahl der Betreiber auf dem Schienennetz nicht ansteigen. 74 Demgegenüber werden von der TrennWlg Wld dem anschließenden Wettbewerb im Schienennetz Produktivitätsgewinne Wld neue Wahlmöglichkeiten in der TransportleistWlg erwartet. Eine generelle Abschätzung der Vor- Wld Nachteile der TrennWlg von Fahrweg Wld Betrieb ist nicht möglich, sie sind auch von der konkreten institutionellen AusgestaltWlg abhängig Wld müssen sich im Marktprozeß ergeben. 75 Die ZulassWlg von Wettbewerb im Schienennetz zwischen mehreren EisenbahnWlternehmen ist dadurch begründet, daß Dichtevorteile auf einem Schienennetz von gegebener Länge vorwiegend im Netzbereich bestehen, weniger
73
Laaser, 1991, S. 286. Knieps, 1992, S. 285.
74 Vgl.
75 Vgl. hierzu Laaser, 1991, S. 262ff.; 1994, S. 11f; Brenck, 1993, S. 16Off.; Ewers, 1994, S. 189f
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dagegen im Betriebsbereich. 76 Der Netzanbieter ist bei der Vermietung von Trassen an die Betreibergesellschaften ein Angebotsmonopolist. Er verfügt über Marktmacht und unterliegt dem Kartellrecht. Allerdings braucht er seine MonopolsteIlung nicht auszunutzen, da die Infrastrukturgesellschaft und die Verkehrsbetreiber gemeinsam das Verkehrsangebot in intermodaler Konkurrenz zu anderen Verkehrsträgern erstellen und beide an wettbewerbsfähigen Trassenpreisen interessiert sind. 77 Neben erhofften Produktivitätsgewinnen werden V orteile des Wettbewerbs im Schienennetz darin gesehen, daß über die Vergabe der Trassennutzung auf der Gnmdlage der Zahlungsbereitschaft der Nachfrager entschieden wird, damit auch über die räumliche und zeitliche Auslastung des Streckennetzes. Hierzu trägt auch die Möglichkeit der Spitzenlastpreisbildung bei ungleicher Netzauslastung bei. 78 Voraussetzung für Wettbewerb im Schienennetz ist die Unabhängigkeit von Netz- und Betriebsgesellschaft, bei der DBAG zwischen Fahrweg AG und den Betreiber- AG's. Die Personen- und Güterverkehrs- AG dürfen bei der Trassenvergabe nicht gegenüber konkurrierenden Betreibern bevorzugt werden (Gefahr der "Trassenresteverwertung"). Bis zur vollständigen, materiellen Privatisierung der Deutschen Bahn ist diese Bedingung für den diskriminierungsfreien Zugang zum Schienennetz für alle potentiellen Betreiber nicht erfüllt. Formen der Diskriminierung können die Preisdifferenzierung und die Geschäftsverweigerung sein. 79 Für die Bewertung der Nutzungsrechte von Bahntrassen ist ein Trassenpreissystem für das Netz der Deutschen Bahn für Güter- und Personenverkehr entwickelt worden. 80 Es unterteilt das Streckennetz einmal nach Verkehrspotentialen und Streckenkapazitäten in drei Gruppen und zum anderen nach Streckenqualitäten, gemessen an der erreichbaren Höchstgeschwindigkeit auf der Strecke. Aus der Kombination von Verkehrspotential und Streckenqualität ergeben sich zehn Streckenkategorien, die den Gnmdpreis der Trassen bestimmen. Hierin gehen auch Kosteneinflüsse aus der Zuglast und der Bauart der Züge und aus der Fahrplanqualität ein. Der so ermittelte Kostenpreis soll zur Eigenwirtschaftlichkeit des Schienennetzes führen (Durchschnittskostenpreisbildung). Durch Einführung von Mengen- und Zeitrabatte für Großkunden (Preisdifferenzierung) soll eine möglichst hohe Planungs- und Inv~stitionssicherheit des Netzinhabers erreicht werden, ohne zugleich kleinere Kunden diskriminieren zu wollen. Zum Kostenpreis der Trassennutzung können Marktzuschläge und -ab-
76
Vgl. Laaser, 1991, S. 286ff.
77
Vgl. Beuermann, Schneider, 1996, S. 45.
78
Vgl. Laaser, 1994, S. 13f.
79 Vgl.
80
Aberle, Hedderich, 1993, S. 16f.
Vgl. Aber1e, Brenner, 1994, S. 705ff.; Häusler, 1995, S. 79ff.
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schläge hinzukommen. 81 Dazu gehören Knappheitspreise bei Streckenengpässen, Abschöpfungspreise bei bahnaffinen Verkehrsleistungen mit komparativen Vorteilen gegenüber anderen Verkehrsträgern und Preisabschläge zur Vermarktung ungenutzter Kapazitäten. Ein Trassenpreissystem kann somit neben Kostenfaktoren auch Elemente der Preisdifferenzierung, der Grenzkosten- und der Spitzenlastpreisbildung einbeziehen. 82 Die Deutsche Bahn hat auf die Einfiihrung von Spitzenlasttarifen vorerst verzichtet. Eine flexible und effiziente Preisbildung ist dadurch erschwert. 83 Sie nimmt die Existenz von Engpässen auf langen Strecken im Durchschnitt als nicht gegeben an und will das Tarifsystem in der Einfiihrungsphase nicht zu sehr komplizieren. 84 Auch die Werttarifierung ist nicht Teil des Preissystems der Deutschen Bahn, da sie mit Wettbewerb auf dem Schienennetz nicht vereinbar ist. Das betriebswirtschaftliche Ziel der Trassenpreise ist die Koordinierung der konkurrierenden Trassenwünsche und die Verbesserung der Auslastung der vorhandenen Infrastruktur. Die Privatisierung und Deregulierung des Betriebs von Verkehrsleistungen muß durch eine Erhöhung der Leistungsfähigkeit des Streckennetzes im Personen- und Güterverkehr ergänzt werden, um dem steigenden Verkehrsaufkommen von der Angebotsseite her gerecht werden zu können. Beispiel dafür ist eine Vereinheitlichung der Zuggeschwindigkeiten auf dem Schienennetz, wozu dessen Trennung in Teilnetze mit harmonisierten Geschwindigkeiten fiir Hochgeschwindigkeits-, Güterund Kombiverkehr vorgeschlagen wird. 85
F. Beurteilung und erste Ergebnisse der Bahnreform Nach denbeiden ersten Jahren der Bahnreform kann der Deutschen Bahn ein zufriedenstelIender Beginn in ihrer neuen Organisationsform bescheinigt werden. Das Ziel, ein ausgeglichenes Ergebnis zu erlangen, wurde erreicht (bei vorangegangener Entschuldung und drastischer Herabsetzung des Anlagevermögens). Als umsatzstärkste Geschäftsbereiche zeigten sich der Personennah- und -fernverkehr mit jeweils einem Zuwachs an Personenkilometern. Im Güterverkehr stieg die Verkehrsleistung (tokm) ebenfalls, bei allerdings rückläufigen Umsätzen. 86 Eine generelle finanzielle Gesundung der Bahn und ein Abbau staatlicher Zuschüsse sind aber erst mittelfristig zu erwarten. So geht in den nächsten Jahren die Höhe der Personal ausgaben nur geringfügig zurück. Auf-
Vgl. Vgl. 83 Vgl. 84 Vgl. 85 Vgl. 86 Vgl. 81
82
I1gmann, Miethner, 1992, S. 221f. Aberle, Hedderich, 1993, S. 25. Aber1e, Brenner, 1994, S. 710. Häusler, 1995, S. 82f. I1gmann, Miethner, 1992, S. 208. Deutsche Bahn, 1995, S. 14f..
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gnmd des hohen Investitionsprogramms ab 1994, das zu höheren Abschreibungen und Zinsaufwendungen für aufgenommene Kredite führt, wird das zukünftige Unternehmensergebnis belastet. Dagegen sind die optimistischen Prognosen bezüglich der zukünftigen Entwicklung der Verkehrsleistung und der Produktivität als Folge der Bahnrefonn mit großer Unsicherheit verbunden. Das Haupthindernis für eine erfolgreiche Refonn der Eisenbahn ist die bisher lediglich fonnale Privatisierung der Deutschen Bahn. Eine Selbstbindung des Gesetzgebers für eine materielle Privatisierung besteht nicht, sie bedarf zudem der Zustimmung der Bundesländer. Eine größtmögliche Wirtschaftlichkeit ist aufgnmd des weiterhin bestehenden Staatseinflusses nicht gesichert. Vor allem aber erschwert die bisher nur organisatorische, noch nicht institutionelle Trennung von Fahrweg und Güter- bzw. Personenverkehr den diskriminierungsfreien Zugang potentieller Eisenbahnunternehmen als Betreiber zum Schienennetz. Eine Bevorzugung der Personenverkehrs- und Güterverkehrssparte der Deutschen Bahn bei der Trassennutzung könnte auf potentielle Wettbewerber abschreckend wirken und Wettbewerb im Schienennetz erschweren. Ein abschließendes Urteil über den möglichen Erfolg von Privatisierung und Deregulierung der Deutschen Bundesbahn ist noch verfrüht.
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Strukturpolitik - Mit welchem Ziel ? Beobachtungen und Überlegungen aus der Praxis Von Dirk WolJertz, Bad Homburg
Die Bitte, einen Beitrag zur Festschrift zu leisten, erreichte mich 15 Jahre, nachdem ich das Promotionsverfahren zum Dr.rer. pol. bei Herrn Prof. Dr. Hans-RudolfPeters abgeschlossen habe. Die Dissertation! beschäftigte sich der indikativen sektoralen Planung. Seither habe ich mich nicht mehr wissenschaftlich mit dem Thema der Strukturpolitik befaßt und möchte dieses auch im folgenden Beitrag nicht nachholen. Auch möchte ich nicht den Versuch unternehmen, einen Abgleich zwischen Theorie und Praxis herbeizufUhren und den Beobachtungen und Überlegungen eine definitorische Basis zu geben und jeweils die Frage zu stellen, ob dieses im eigentlichen Sinne als Thematik der Strukturpolitik eingeordnet werden kann. Vielmehr möchte ich hier die Gelegenheit benutzen, einen gewissen Teil meiner in der Zwischenzeit gesammelten praktischen Erfahrungen und Beobachtungen zu dokumentieren. Primärer Zweck ist es, Handlungsbedarf aufzuzeigen, weniger die notwendigen Lösungsvorschläge.
Im Rahmen einer mehrjährigen Tätigkeit als Unternehmensberater für das BMFT und später für das Stanford Research Institute (SRI International) CA, USA, konnte ich Erfahrungen gewinnen im Management von Hochtechnologien und deren praktischen Umsetzung in Form von betrieblichen Innovationen. Später kamen prägende Erfahrungen in verschiedenen leitenden Funktionen bei der AEG und im Daimler Benz Konzern hinzu. Die Neuausrichtung des Daimler Benz Konzerns und die Auflösung des Konzernverbundes AEG und der
1 Vgl. Wolfertz, Dirk (1983): Grundlagen und Probleme der indikativen sektoralen Planung in marktwirtschaftlich orientierten Systemen, Volkswirtschaftliche Schriften, Heft 332, Berlin.
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Verkauf der wesentlichen Arbeitsgebiete waren dort die letzten herausragenden Themen. Heute bin ich Sprecher der Geschäftsfiihrung eines mittelständisch strukturierten Konzerns mit 700 Mio. Umsatz, 3500 Mitarbeitern und Fertigungsstandorten weltweit. Herausragendes Ziel aller folgenden Argumentationen und Anregungen ist die strukturelle Erhaltung bzw. Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie und damit die Erhaltung und die Neuschaffung von Arbeitsplätzen. Die zugrundeliegende These hierbei ist, daß sich die Wettbewerbsfähigkeit auf einem nicht mehr zu leugnenden Abwärtspfad befindet und es außer wenigen grundsätzlichen diskutierten Ideen seitens der Wissenschaft oder der Politik bislang keine überzeugende Lösungspakete gibt.
A. Soziale und tarifliche Strukturpolitik Derzeit läuft eine intensive politische Diskussion über die Frage, ob die sozialen und tariflichen Besitzstände, die in den letzten 40 Jahren von der Politik bzw. von den Tarifvertragsparteien gesetzlich oder vertraglich entwickelt wurden, heute und in Zukunft überhaupt noch finanzierbar sind und ob diese nicht im internationalen Vergleich die Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft durch hohe Löhne und Lohnnebenkosten sowie in Punkten wie u. a. Inflexibilität, Förderung des Schwarzmarktes und den damit verbundenen negativen Folgen z. B. für die Sozialsysteme, stark beeinträchtigt hat. In der täglichen industriellen Praxis läßt sich dieses an wenigen Beispielen transparent machen. Um wieder im internationalen Vergleich wettbewerbsfähiger zu werden, werden derzeit in vielen Unternehmen in erheblichem Maße Mitarbeiter abgebaut. In vielen Fällen kommt es im Rahmen der derzeit laufenden Restrukturierungen in der Industrie sogar zu massiven Reduzierungen bis hin zu Schließungen und Totalverlagerungen ins Ausland. Dabei kostet dieses die Industrie enorme Summen. Der Aufwand, einen langjährig im Unternehmen tätigen Mitarbeiter abzubauen, hat einen Strukturaufwand von durchschnittlich einem Jahresgehalt zur Folge, in vielen Fällen sogar erheblich mehr. Dieser Betrag muß aufgewendet werden (früher natürlich einmal vom Unternehmen verdient worden sein), um in Deutschland auf einen konjunkturellen oder strukturellen Umsatzrückgang von ca. 200 TDM (dieses entspricht dem durchschnittlichen Jahresumsatz eines jeden Mitarbeiters) bzw. auf die Notwendigkeit einer Kostenreduzierung z. B. aufgrund veränderter Währungsparitäten oder aufgrund eines verstärkten Importdrucks reagieren zu
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können. Struktunnaßnahmen zwn Abbau von Kapaz~täten oder zur Verbesserung der Kosten können sogar in vielen Fällen bis zu 50 - 80 % eines Jahresumsatzes betragen. Die erheblichen Abfindungen, aus individueller Sicht wegen des Verlustes des Arbeitsplatzes nur allzu verständlich, verschlingen in vielen Fällen aber soviel finanzielle Ressourcen, daß fiir die eigentlichen gegensteuernden Maßnahmen wie z. B. die Entwicklung neuer Produkte und Verfahren, den Aufbau neuer Vertriebswege dann keine ausreichenden Ressourcen mehr verbleiben. So könnte bei einer Halbierung der Belegschaft ohne die Notwendigkeit derart hoher Abfindungen z. B. die F & E -/ oder Investitionsquote fiir 3-4 Jahre verdoppelt werden. Jeder kann sich vorstellen, daß dieses aus struktureller Sicht der richtigere Weg wäre, da er geeignet ist, in einem nächsten Schritt wieder Arbeitsplätze zu schaffen. Die meisten Sanierungen scheitern, weil nach dem ersten Schritt des Abbaus von Kosten die weiteren Ressourcen fiir die Entwicklung neuer Produkte und die Erschließung neuer Märkte in einem zweiten Schritt schlichtweg fehlen. Gerade habe ich gelesen, daß die deutsche Elektroindustrie in den letzten Jahren ca. 100000 Arbeitsplätze abbauen mußte. Unterstellt, jeder dieser Arbeitsverhältnisse ist mit einer Abfindung von 50000,- DM beendet worden, so hat dieser Prozeß der Branche in wenigen Jahren 50 Mrd. DM Ressourcen entzogen. Eine weitere Folge der hohen Inflexibilität ist, daß ein Unternehmen, welches einen Personalabbau mit erheblichen Abfindungen einmal durchgeführt hat, wahrscheinlich nie wieder in nennenswertem Maße neue Mitarbeiter einstellen wird, auch wenn der zweite Teil der Umstrukturierung erfolgreich sein sollte. Wenn überhaupt neue Arbeitsplätze entstehen, so wird dieses zwneist dann im Ausland sein. Die derzeitige Situation ist also eine Spirale nach unten bezogen auf die Zahl der Arbeitsplätze und bezogen auf die Wiedererlangung der Wettbewerbsfähigkeit in schwierigen Märkten. Auch sind ausländische Unternehmen wegen dieser fehlenden Flexibilität in Deutschland äußerst zurückhaltend bei Investitionen. In vielen Fällen habe ich erfahren müssen, wie das deutsche Kündigungsschutzgesetz ausländische Investitionen geradezu unmöglich machte. Ein anderes Thema sind die Lohnnebenkosten. So ist mir ein Fall bekannt, wo der Krankenstand 17 % betrug. Rechnet man noch die hinzu, die Urlaub oder sonstige Abwesenheitsgrüllde haben, so ist erkennbar, daß mit einer derartigen Kostenbelastung bei einem Unternehmen, welches sich in diesem Fall im
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harten Wettbewerb mit italienischen Anbietern befindet, die einen großen Vorteil aus der schwachen Lira haben, mit anderen als einschneidenden Maßnahmen keine Überlebenschance besteht. BemühWlgen, den Krankenstand z. B. durch Hausbesuche hefWlterzubringen, waren nur wenig erfolgreich. Auch werden flächendeckende Tarifverträge immer schwerer argumentierbar. Zum einen sind die Unterschiede zwischen den Branchen schon erheblich, dennoch orientiert sich ein Branchenabschluß am anderen. So geht es der Chemie momentan sehr gut, der Metall- Wld Elektrobranche schlecht. Auch innerhalb von Branchen differenziert sich das Bild immer mehr. Die WachstumsWlterschiede werden größer, die InternationalisiefWlg stellt sich sehr Wlterschiedlich dar, die Abhängigkeit von Wechselkursen ist sehr verschieden, die Möglichkeiten zur RationalisiefWlg sind Wlterschiedlich, die Wettbewerbsstruktur ist von Teilmarkt zu Teilmarkt verschieden Wld damit eng verbWlden die erzielbaren Preisqualitäten. Dennoch sind die meisten der Unternehmen in einer Tarifgemeinschaft. Wer beim dort definierten Durchschnitt nicht mithalten kann, ist in einer schwierigen Lage, alle über dem Durchschnitt verdienen dagegen kräftig. Das Beispiel eines Heizoogsbauers in Deutschland, wo zur Frage stand, über AnpassWlg der Tarife an das Machbare für das Unternehmen ein Überleben in Deutschland zu ermöglichen oder eine VerlagefWlg ins Ausland durchzufiihren Wld die damit einhergehende juristische Wld politische Auseinandersetzoog insbesondere mit den Gewerkschaften zeigt, wie starr das System derzeit ist Wld wie stark der strukturelle AnpassWlgsprozeß hierUnter leidet. Viele Unternehmen haben auch die Mittel nicht, um sich anzupassen oder zu sterben Wld schaden damit der gesamten Branche.
B. Kapitalmarkt Vom Potential her gesehen ist Deutschland ein Land mit viel ErfmdWlgsgeist Wld Innovationskraft. Woran es oft mangelt, sind die strukturellen Voraussetzoogen, dieses in wirtschaftliche Potentiale umzusetzen. Vor kurzem hat mich ein start up-Unternehmer gebeten zu prüfen, ob die Möglichkeit einer Übernahme seines kleinen Unternehmens besteht. Das Unternehmen selbst hat 5 Mitarbeiter Wld derzeit einen Umsatz von ca. 1 Mio. DM. Angeboten wird ein sehr innovatives Software-Systempaket mit erheblichem RationalisiefWlgspotential für die KWlden. Es bestehen gute Marktaussichten, das Unternehmen hat ein Patent auf dieses System. Die Möglichkeiten der eta-
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blierten Konkurrenz, daß Patent zu wngehen, sind begrenzt, ein erster größerer Auftrag ist allerdings noch nicht da. Das Unternelunen ist derzeit mit ca. 3 Mio. DM Gesellschafterdarlehen vom Unternelunensgründer privat finanziert. Die Ausweitung des Geschäftes, d. h. der Aufbau eines Vertriebes, die notwendigen Vorleistungen für die Anarbeitung der Aufträge, die Einstellung von Mitarbeitern erfordert allerdings neues Kapital. Es reicht in diesem Falle jedoch nicht, Aufwendungen z. B. in Form von Zuschüssen vom Staat finanziert zu bekommen. Vielmehr bedarf es der Darstellung einer erheblichen Finanzkraft in der Bilanz, zum einen wn die Kunden von der Durchhaltekraft bei größeren Projekten zu überzeugen, zum anderen aber auch in noch viel stärkerem Maße, wn Wettbewerber durch Abschreckung davon abzuhalten, Patentverletzungen zu begehen. Das Unternelunen braucht also haftendes Risikokapital Solches Risikokapital ist allerdings von deutschen Investoren nur schwer zu bekommen. Auch Banken sind auf einen derartigen Bedarf nicht vorbereitet, da das Unternelunen außer Chancen und Risiken und einem Patent, was zudem noch verteidigt werden muß, keinerlei Sicherheiten zu bieten hat. Im Ausland, insbesondere in den angelsächsischen Ländern, ist der Markt für die Finanzierung solcher Unternelunen viel stärker ausgebildet. Erfreulicherweise versuchen derzeit institutionelle Investoren aus dem Ausland, diese Marktlücke in Deutschland z. T. zu schließen.
Ähnliche Erfahrungen habe ich in mehreren Fällen selbst sammeln können. Alle Fälle, die nicht ,,normal" sind, sind mit Hilfe deutscher Banken oder Finanzierungsstrukturen nicht oder nur sehr schwer in Bewegung zu bringen. Dieses läßt sich auch am Beispiel von Börseneinfiihrungen aufzeigen. Für Unternehmen, die nicht mindestens einen Umsatz von 300 Mio. DM aufweisen, ist der Weg zum Kapitalmarkt versperrt. So wurde vor kurzem ein sehr profitables und expansives mittelständisches Unternelunen mit einem Umsatz von ca. 100 Mio. DM als erstes deutsches Unternelunen dieser Größenordnung in den USA an den Kapitalmarkt geführt. In Deutschland wäre dieses nicht möglich gewesen.
c. Währungs paritäten Großkonzerne mit einem stark einseitig dollarabhängigen Umsatz wie innerhalb der Luftfahrzeugbau-Industrie haben es schwer, Wechselkursverzerrungen kurzfristig aufzufangen. Auf der anderen Seite haben sie aber auch mehr Poten-
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tial, durch verstärkten Einkauf oder den Bau von Fabriken vor Ort das Risiko auszubalancieren. Mittelständler werden wahrscheinlich weniger einseitig abhängig sein, sie haben aber auch weniger Möglichkeiten, darauf zu reagieren. Zu spüren bekommen Mittelständler Wechselkursverschiebungen oft dadurch, daß ihre ausländischen Konkurrenten die Gelegenheit benutzen, durch Weitergabe ihres Vorteils in Fonn von Preissenkungen Marktanteile auf dem deutschen Markt zu gewinnen. In vielen Fällen wird der auf diese Art gewonnene Marktanteilsgewinn zwar nicht lange anhalten, die preisliche Situation wird sich aber zumeist nicht wieder erholen. Dieses kann Preiseinbrüche von bis zu 20 % p. a. zur Folge haben, ohne daß dieses einen Grund in der operativen Leistungsfähigkeit der Industrie hat. Die Vorteile dadurch erfährt der Konsument, der Bedarfsgüter Jahr für Jahr günstiger kaufen kann. Einer immer größer werdenden Möglichkeit zu kaufen stehen so immer weniger Arbeitsplätze in Ländern mit starken Währungen gegenüber. Auf diese Situation kann kurzfristig seitens der Industrie nur durch weitere Kostensenkungen reagiert werden, zumeist ausschließlich durch den Abbau von Arbeitsplätzen. Da die Regierungen aber Arbeitsplätze brauchen, findet derzeit bei vielen Ländern dieser Welt ein Abwertungswettlauf statt.
D. Strukturpolitik und Subventionen Nur ganz wenige Industrien sind frei von direkten oder indirekten strukturpolitischen Einflüssen, national und international. Der internationale staatliche Finanzierungswettlauf bei Großprojekten bestimmter Industrien oder die staatlichen Hilfen in den neuen Bundesländern sind Beispiele dafür. So werden mit Steuergeldern in den neuen Bundesländern derzeit über Verlustausgleich Unternehmen über Wasser gehalten und ausgebaut, in deren Industrien es seit Jahren erhebliche Überkapazitäten gibt. Diese Unternehmen verkaufen, um Markta,nteile zu gewinnen, zu nicht mehr rational zu erklärenden Preisen und haben damit einen erheblichen weiteren Arbeitsplatzverlust in den alten Bundesländern zur Folge. Eine noch nicht privatisierte Gruppe von Unternehmen in den neuen Bundesländern hat so, wie andere auch, mit Steuergeldern die Gebäude und Maschinen sehr stark modernisiert. Dagegen ist nichts einzuwenden. Daß aber darüber hinaus noch über Zuschüsse jeder Verlust über Jahre ausgeglichen wurde der dadurch entstand, daß
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dieses Unternehmen mit Preisen, die z. T. weit unter Kosten lagen, sich Marktanteile holte, ist dagegen eine wettbewerbliche Verzerrung mit erheblichen Konsequenzen. Folge davon ist, daß ein erheblicher Arbeitsplatzabbau in den alten Bundesländern in dieser Branche stattfinden mußte und ein Preisniveau in Deutschland erreicht wurde, bei dem trotz erheblich gestiegener Produktivität seit Jahren keiner der Anbieter mehr Gewinne erwirtschaftet. Vielmehr sind über Jahre erhebliche Verluste bei allen anfallen. Neben dem erheblichen Arbeitsplatzabbau sind als Folge davon zudem erhebliche Abwanderungstendenzen aus Deutschland zu erkennen. Ein internationaler Vergleich dieser Branche, in der seit Jahren in Deutschland kein Geld mehr verdient wird, zeigt in anderen Industrienationen eine sehr profitable und stabile Situation. Gerade habe ich vergleichbare Unternehmen in den USA besichtigt. Traditionell wird dort trotz erheblichen Wettbewerbs eine Umsatzrendite von zwischen 10 bis 20 % erzielt; eine für Deutschland seit vielen Jahren nicht mehr vorstellbare Situation. In den USA werden in den o. g. Unternehmen bei einem Wachstum von 5-10 % neue Arbeitsplätze geschaffen und erheblich investiert, in Deutschland ist dagegen in 1996 wiederum ein Preis- und Mengenverfall von ca. 20 % zu verzeichnen, bei einem Preisniveau, was bereits erheblich unter dem Niveau in den USA liegt. Auch wenn im o. g. Beispiel nach Abschluß dieses schmerzhaften Prozesses in den neuen Bundesländern dadurch Arbeitsplätze erhalten wurden, ist der Preis für die gesamte Industrie eindeutig zu hoch. Vielmehr hätten in einem solchen Fall, wenn überhaupt, wettbewerbsgestaltende Maßnahmen auf den dauerhaften Erhalt der gesamten Branche zielen müssen und nicht nur auf die Verfolgung eines einzelnen Zieles. Zweifellos ist es eine nationale Aufgabe, in den neuen Bundesländern Arbeitsplätze zu erhalten. Dieses sollte aber einhergehen mit der Zielvorstellung, daß es in Deutschland insgesamt danach mehr Arbeitsplätze gibt als vorher. Mehrere Beispiele dieser Art könnte man ausfUhren. Gemeinsam haben sie meiner Erfahrung nach, daß es bei derartigen Eingriffen immer wenige Begünstigte und viele Benachteiligte gibt und daß jeglicher auch durchaus positiv gemeinte Eingriff komplexere Folgen als erwartet aufweist und somit unter dem Strich insgesamt ein negativer Saldo verbleibt. Strukturelle Erfolge der deutschen Industrie, so das Wiedererstarken der Halbleiterindustrie, der Automobilindustrie und die weiterhin vorhandene Stärke der Chemie sind keine Erfolge staatlicher Strukturpolitik. Dagegen konnte die strukturelle Schwäche der deutschen Werftindustrie trotz erheblicher In-
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terventionsmittel nicht beseitigt werden. Vielmehr wurde der notwendige Anpassungsbedarf verzögert und hat nunmehr, auch bei den vielen Zulieferanten, um so schneller und einschneidender zu erfolgen.
E. Kartellrecht Meine vielfältigen Erfahrungen mit dem deutschen Kartellrecht gehen dahin, daß zum einen viele negativ einzuschätzende Konglomerationen wie z. B. im Einzelhandel durch die Kartellgesetzgebung nicht verhindert werden konnte. Zum anderen konnten aber vielfach strukturell sinnvolle Zusammenschlüsse zumeist aus Gründen der Bewertung aus rein nationaler Sicht nicht verwirklicht werden. Eine jüngste Erfahrung über eine geplante Zusammenfiihrung zwischen einem deutschen Unternehmen, welches auch in den USA tätig ist und einem amerikanischen Unternehmen, welches auch in Deutschland tätig ist, zeigt dieses wieder einmal sehr deutlich. Nach Meinung von Kartelljuristen würde ein solcher Zusammenschluß kein genehmigungspflichtiger Vorgang in den USA sein, dagegen jedoch in Deutschland. Beide Unternehmen zusammen aber haben einen Umsatz von nur ca 250 Mio. DM, eine geradezu verschwindend kleine Größe im Weltmaßstab. Hauptaufgabe beider Unternehmen ist es u. a., den asiatischen Markt zu erobern. So haben es beide Unternehmen allein trotz intensiver Bemühungen über viele Jahre bislang nur zu geringen Umsätzen gegen die japanischen Wettbewerber geschafft. Hier greift das deutsche Kartellrecht, indem es allein nach der Frage der möglichen Überschreitung bestimmter quantitativer Schwellen im deutschen Markt bemißt, eindeutig zu kurz. Die strategischen Herausforderungen sind größer und komplexer, als sie in Zukunft aus der deutschen und sogar aus der europäischen Perspektive beurteilen zu können. Gerade wurde mir ein nationaler Wettbewerber in einem Arbeitsgebiet zum Kauf angeboten. Ohne massive Unterstützung der Banken würde sofort der Konkurs eintreten. Die Frage besteht nun, ob es kartellrechtlich möglich ist, zumindest Teile dieses Unternehmens einzugliedern, um einen Teil der Arbeitsplätze und des Marktzugangs sowie das know hows gegen die internationale Konkurrenz zu sichern. In Deutschland würden sich allerdings erhebliche Marktanteile nach einem Zusammengehen ergeben und die Anbieterzahl der deutschen Anbieter von 4 auf 3 sinken. Dieses ist nun in Deutschland kartellrechlich ein schwieriger Fall. Unerheblich bei der Bewertung wird es wahr-
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scheinlich aber dabei sein, daß es in den USA ohnehin nur noch einen relevanten nationalen Wettbewerber gibt, und dieser ist zugleich der Weltmarktfiihrer.
F. Bildungswesen Ein wesentlicher Baustein der Erfolge der deutschen Volkswirtschaft in der Vergangenheit war das allgemeine und berufliche Bildungssystem. Meiner Beobachtung nach hat diese Rolle nennenswert nachgelassen. Der Ideendruck seitens der Universitäten ist geringer geworden, Hochschulabgänger sind auf direkte Funktionsfähigkeit ausgerichtet und sprechen auch bereits exakt die gleiche Sprache wie jemand, der schon seit vielen Jahren im Beruf ist. Die wesentlichen Impulse zur strukturellen und inhaltlichen Weiterentwicklung von Unternehmen kommen heute mehr aus dem Ausland. So ist es auf internationalen Management-Veranstaltungen immer wieder erstaunlich, daß fast keine renommierten Vertreter Deutschlands aus Wissenschaft und Wirtschaft auf dem Podium neben ihren Kollegen insbesondere aus den USA, England, Frankreich und Japan, sitzen. Auch im ingenieurwissenschaftlich/technischen Bereich vollzieht sich momentan nach meiner Beobachtung eine Desintegration von Unternehmen und Universitäten. Es hat mich in 15 Jahren Berufserfahrung an verantwortlicher Stelle immer wieder gewundert, wie wenig Universitäten daran interessiert sind, mit der Wirtschaft überhaupt in Kontakt zu treten. Wichtig wäre für mich, daß aus den Universitäten wieder ein inhaltlicher Druck entsteht, daß die Universitäten sich wieder vermehrt der Außenwelt öffuen und sich zugleich fragen, welches denn ihre Antwort auf die veränderten strukturellen Rahmenbedingungen ist.
G. Bürokratische Hemmnisse Erstaunlich ist immer wieder die Vielzahl der bürokratischen Hemmnisse, nicht nur die großen z. B. im Rahmen der Genehmigungsverfahren von industriellen Anlagen z. B., sondern vielmehr die vielen kleinen. Als ich für eine neugegründete GmbH mit handelsregisterlicher Eintragung in Düsseldorf und Tätigkeit in Frankfurt die Anmeldung eines Telefones in Frankfurt anstrebte, konnte dieses erstmals nur auf private Anschrift und Rechnung erfolgen, dementsprechend war auch kein Eintrag der Düsseldorfer GmbH in das Telefonbuch von Frankfurt möglich.
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Als es dann schließlich wn die AmneldWlg von 2 Finnenwagen für die Geschäftsführung in Frankfurt ging, war dieses mit den Vorschriften überhaupt nicht vereinbar. Eine AmneldWlg konnte nur in Düsseldorf erfolgen. So mußten beide Wagen nach Düsseldorf gebracht werden. Die AmneldWlg des ersten Wagens in Düsseldorfwar zudem deshalb erfolglos, weil zwar der Auszug aus dem Handelsregister vorgelegt werden konnte, die Gewerbeerlaubnis aber nicht mitgenommen wurde. Einem EinzelWlternehmer in einer GründWlgsphase stellt dieses erhebliche Barrieren zeitlicher, inhaltlicher Wld fmanzieller Art entgegen. Zusammen mit dem sehr schwierigen Steuerrecht, wn nur ein weiteres Beispiel zu nennen, ist dann vielfach schnell der Punkt erreicht, wo der eigentliche Zweck der UnternehmensgründWlg zeitlich Wld inhaltlich in den Hintergrund tritt. Wenn wir einen schnelleren Strukturwandel wollen, wenn wir neue Wachstwnsimpulse brauchen Wld wenn wir nicht neues Unternehmertwn im Ansatz ersticken wollen, müssen wir beim Abbau der Bürokratie gewaltige Fortschritte machen. Das System ist zu starr, viel zu viel Dinge sind reglementiert. Die Diskussion wn das Ladenschlußgesetz zeigt dieses sehr deutlich. Bei meinem Arbeitstag von 12 StWlden blieben mir nach dem alten Recht im Normalfall am Samstag nach einem längeren Ausschlafen gerade mal 3 StWlden zum Einkaufen. Richtiges Einkaufen, z. B. einmal mehrere StWlden in einem CD-Laden herwnzustöbern, mußte ich jeweils auf eine meiner Reisen in die USA vertagen. Der bürokratische Rahmen in Deutschland ist für das modeme Leben, seine Schnelligkeit, seine Vielfalt Wld seinen Wandel zu eng geworden. Bürokratie hat noch selten etwas bewegt, in der Mehrzahl der Fälle wird eben nur verhindert.
H. Managementkultur Wer die angelsächsischen Länder oder Asien kennt kommt nicht wnhin, Vergleiche zwischen den Managementkulturen anzustellen. Hier sind insbesondere die Unterschiede in der ErfolgsorientierWlg des Managements hervorzuheben. Viele Manager in Deutschland sind mit im internationalem Maßstab vergleichbar sehr niedrigen Renditen zufrieden. Oftmals ist sogar das Streben danach nicht an oberster Priorität.
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Folge davon ist, daß Deutschland als Markt in vielen Fällen ausschließlich aufgrund seiner Größe interessant ist, nicht aber wegen seiner Renditepotentiale. Ausländische Investitionen sind deshalb zurückhaltend und der Anteil des Aktienbesitzes im privaten Vennögen von Inländern ist an einer der letzten Stellen im Vergleich der Industrienationen. Auch die T -Aktie wird hieran nicht sehr viel ändern. So wirkte der Ausspruch von Herrn Schrempp von Daimler Benz, als er das oberstes Ziel des Konzerns mit ,,Profit, Profit und noch einmal Profit" beschrieb, wie ein Ungeist in der deutschen Sozial- und Unternehmenslandschaft. Außergewöhnliche Erfolge auch einzelner Personen rufen sogar Sozialneid hervor anstatt Freude über die in der Gesellschaft zur Verfiigung stehenden Chancen zu empfinden. Dabei ist die Hoffuung auf wirtschaftlichen Erfolg der treibende Motor fiir Investitionen und Risikoübernahme. Renditen von 30 % und mehr müssen bei entsprechenden Investitionen, bei Risikoübernahme und Erfmdergeist auch in Deutschland positiv akzeptiert werden. Die durchschnittliche Umsatzrendite vor Steuern in der Metall- und Elektrobranche aber beläuft sich derzeit auf gerade 1,5 % und bildet damit das Schlußlicht aller Industrienationen. Dieses ist kein Anreiz fiir unternehmerisches Handeln und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze.
I. Technologischer Fortschritt Deutschland soll das Land der Erfmder und Ingenieure sein. In der Tat haben wir ein erhebliches technologisches Potential aufzuweisen. Wenn aber die Liste der verpaßten Chancen betrachtet wird, ist dieses doch schon Anlaß zum Nachdenken. Die Olympia AG, damals noch mit dem Forschungszentrum in Braunschweig, war in den 60-er Jahren einer der fiihrenden Entwickler und Anbieter von Mikroprozessoren. Als die zukünftige Bedeutung dieser Technologie in Deutschland unternehmerisch als auch politisch noch nicht erkannt wurde, verkaufte man die Technologie an ein kleines Unternehmen in den USA, heute einer der Weltmarktfiihrer auf diesem Arbeitsgebiet. Die Olympia AG wurde dagegen Anfang der 90-er Jahre geschlossen, nachdem das Unternehmen nur noch mit der Herstellung von mechanischen Schreibmaschinen in Mexiko Ergebnis erwirtschaftete, in Deutschland insgesamt über 2 Mrd. Verluste einfuhr und die Schließungskosten einschließlich der Abfindungen weitere 1 Mrd. DM erforderten.
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Viele andere Technologien sind auf diese Weise abgewandert, z. B. die modemen Displaytechnologien lUld die Unterhaltungselektronik. Andere Technologien drohen zu versanden. Beispiel hier wäre der Transrapid. Angesichts der volkswirtschaftlichen Bedeutung dieser Technologie für die LÖSlUlg der eigenen Verkehrsprobleme als auch angesichts des enonnen Potentials im Weltmarkt, sind die vorgetragenen Bedenken beim Bau der ersten Strecke zwischen Hamburg lUld Berlin kaum verständlich. Sie sind nur zu vergleichen mit den Widerständen gegen den Bau der ersten Eisenbahn. Aufzuhalten ist der technische Fortschritt dadurch nicht, er findet nur woanders lUld ohne lUlS statt. Viele nehmen die Wohlstandsvennehrtmg durch den technischen Fortschritt gerne wie selbstverständlich hin, wollen sich aber nicht zum technischen Fortschritt bekennen lUld seine besonderen Anfordertmgen akzeptieren. Wenn einer generell gegen Sonntagsarbeit ist, ist er auch zugleich gegen die Produktion von moderner Mikroelektronik in Deutschland. Auf der anderen Seite steckt in jeder HiFi-Stereoanlage, die heute bereits zu Preisen incl. Radio, Cassettendeck lUld CD-Player von lUlter 130,- DM im Handel erhältlich ist, erheblich Sonntagsarbeit, Nachtarbeit lUld Billiglohn. Den Kauf solcher Produkte aber hat in Deutschland meines Wissens noch keiner boykottiert oder freiwillig darauf verzichtet.
J. Konsequenzen für die Strukturpolitik Die Liste von strukturellen Engpässen, Verwerfimgen lUld Verstopfimgen ließe sich beliebig fortsetzen. Dennoch ist es angebracht, zu Schlußfolgertmgen zukommen. Strukturpolitik sollte die Stärktmg der Wettbewerbsposition einer Volkswirtschaft, sozusagen deren innere strukturelle Stärktmg durch AnpasslUlg lUld Wandel, zum Ziel haben. Strukturpolitik in diesem Sinne wirkt sehr vielfältig lUld beeinflußt direkt oder indirekt viele soziale lUld wirtschaftliche Themen. Aus lUltemehmerischer Sicht beeinflußt sie die Vielzahl der Dinge lUld Verhältnisse, die über die betriebliche Einflußebene hinausgehen. Eine UnterscheidlUlg in Konjtmktur- lUld Strukturpolitik gibt es in dieser praxisorientierten Definition eigentlich dann nicht mehr, im lUltemehmerischen Umfeld ist die UnterscheidlUlg irrelevant. Was aus lUltemehmerischer Perspektive interessant ist, ist die Frage nach dem strukturellen Rahmengeflecht, lUlter denen lUltemehmerisches Handeln
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marktseitig, technologisch, kostenmäßig, sozial, flll,anziell, wnweltpolitisch, außenpolitisch usw. steht. Denn der größere Teil der auf ein Unternehmen wirkenden Bedingungen ist vom Unternehmen nur sehr eingeschränkt zu beeinflussen. In der Praxis regelt z. B. die Sozialpolitik die Rahmenbedingungen bei den Lohnnebenkosten und beim Personalabbau, regelt die Förderung der Unternehmen in den neuen Bundesländern in o. g. Beispiel, welcher Preisverfall eintritt, regelt die Umweltpolitik, wie effizient die Produkte sein müssen und wie produziert werden darf, regelt die Finanzpolitik, welche Finanzhilfen und welche Ausfallbürgschaften im Ausland gegeben werden und wie die Unternehmensbesteuerung erfolgt, regeln staatliche Institutionen die Vereinheitlichung der technischen Vorschriften, regeln Flächentarifverträge die wesentlichen Kostenpositionen, regelt der Gesetzgeber, wann produziert werden darf und wann verkauft werden darf, die Notenbank beeinflußt den Wechselkurs, die Außenpolitik regelt die Exportmöglichkeiten, die Forschungspolitik die Förderung bei Forschung und Entwicklung und die Steuerpolitik beeinflußt die Nachfrage, die Bildungspolitik regelt die Verfiigbarkeit von qualifiziertem Personal u. v. m. Viele Menschen sehen sogar eher einen stärkeren Regelungsbedarf als heute bereits zu verzeichnen ist. Und alle die o. g. Politikbereiche sollen neben dem gesellschaftlichen Allgemeinwohl auch noch koordiniert die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaft und die Sicherung und Schaffung neuer Arbeitsplätze, die Finanzierung der staatlichen Aufgaben und der Sozialsysteme sowie der Sicherstellung eines der gesellschaftlichen Entwicklung angepaßten Lebensstandards zwn Ziel haben. Dabei erhebt sich die Frage, ob die Politik mit dieser komplexen Aufgabe fertig wird oder werden kann. Meine Antwort ist klar. Es wird an Einzelaspekten zwn politischen Überleben laboriert wie z. B. der Lohnfortzahlung, es weiß keiner mehr, ob es sich bei der derzeitigen Steuerdiskussion wn Erhöhungen oder Senkungen handelt, es werden neue bürokratische Hürden auf europäischer Ebene aufgebaut und der politische Widerstand gegen die Strukturanpassung im Bergbau ist stark wie immer. Die Parameter des strukturellen Wandels sind so komplex geworden, daß sie sinnvoll und zielgerichtet zentralpolitisch nicht mehr als Ganzes gesteuert werden können. Wenn wir unseren Weg in das nächste Jahrtausend erfolgreich gehen wollen, dann muß Strukturpolitik dagegen wieder zwn Ziel haben, Flexibilität und Wandel zu fordern, indem immer wieder neue Freiräwne geschaffen werden. Vor diesem Hintergrund sollte es deshalb auch die vornehmliche Aufgabe staatlicher Strukturpolitik sein, auf die Auflockerung von Strukturen hinzuwirken. 35 Peters
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Dieses heißt in der Praxis eine stärkere Subsidiarität bei der Gestaltung struktureller Einflußgrößen. Die Politik sollte sich mehr aus direkter Einflußnahme heraushalten, sie wird nämlich in den meisten Fällen nur als Behinderung wirken. Der strukturelle Veränderungsdruck von unten muß wieder stärker werden. Dann wird auch unternehmerisches und soziales Handeln wieder mehr Dynamik zwn Vorteil aller entwickeln können. Dieses ist mitnichten ein Plädoyer fiir einen ungehemmten Liberalismus als vielmehr m. E. die einzig mögliche Antwort auf die Komplexität. Strukturpolitik sollte eigentlich nur noch die politischen Eckpunkte definieren. So wird es auch in Zukunft eine Vielzahl von politischen Rahmenvorgaben geben müssen und dieses ist auch sinnvoll und notwendig. Innerhalb dieser Rahmenvorgaben allerdings müssen sich die Strukturen freier entfalten können als bislang. Für ein Unternehmen in einer rezessiven Branche muß es wieder bezahlbar sein, zu sterben oder eine Sparte zu schließen, es ist auch nicht einzusehen, warum ein gut funktionierendes Unternehmen nicht mehr Löhne und Gehälter bezahlen soll als ein Unternehmen in einem Markt mit marginalen Gewinnen. Unternehmern, die nach vorne marschieren wollen, dürfen keine bürokratischen Hemmnisse in den Weg gestellt werden, sie müssen die Chance haben, außerordentliche Gewinne zu erwirtschaften, die Politik darf nicht mehr versuchen wollen, den Strukturwandel mit dem Ziel deI: Erhaltung der Arbeitsplätze über Subventionen zu behindern. Wenn wir dieses weiter zulassen, werden wir weiter an Wettbewerbsfähigkeit verlieren und Wachstumschancen verpassen. Für mich zeigt die Beobachtung allerdings auch einen hoffnungsvollen Aspekt. Es sind heute unterhalb der Ebene der Politik und der Tarifparteien Dinge möglich, die früher nicht möglich waren. Im Sinne der individuellen Arbeitsplatzerhaltung sind viele Arbeitnehmer heute sehr wohl bereit, sich an veränderte Bedingungen anzupassen. Auch hat spätestens die sonntägliche Brötchenproduktion und deren Verkauf an Tankstellen letztlich das Ladenschlußgesetz und das Gesetz über das Bäckereiwesen ad absurdmn gefiihrt. Die Praxis ist in diesem Sinne weiter als die Politik. Flexible internationale Risiko-Investoren zeigen in Deutschland, wie Unternehmen wieder flott gemacht werden können, nachdem den deutschen Banken viele ihrer Beteiligungen an Großunternehmen immer mehr zwn Verdruß werden.
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Das Ziel sollte also nicht ein mehr, sondern ein weniger an Strukturpolitik sein. Strukturpolitik sollte Entfesselung von verschlungenen Knoten sein, damit die Strukturen wieder einfach und übersichtlich werden und Wachstwn und Arbeitsplätze entstehen können. Vielleicht kann irgendwann einmal jemand, der sich in Deutschland morgens, ohne vorher Jura und Steuerrecht studiert zu haben, entscheidet, ein Unternehmen zu gründen, am nachmittag ein Unternehmen ins Handelsregister eintragen lassen, am Abend kann er dann auf dieses Unternehmen dann noch ein Telefon anmelden und am nächsten morgen einen Finanzpartner finden, der nicht zuerst nach Sicherheiten und nach einer Mehrjahresplanung unter Einbeziehung möglicher zukünftiger Sozialplan-Abfmdungen verlangt. Er wird wieder stolz darauf sein, neuen Mitarbeitern einen Arbeitsvertrag zu übergeben und sie nicht als Belastung empfinden und es ist ihm sogar einschließlich seiner Mitarbeiter erlaubt, zum Aufbaus des Unternehmens und zur Befriedigung seiner Kunden zu außergewöhnlichen Arbeitszeiten zu arbeiten, ohne mit der Gewerbeaufsicht in Konflikt zu geraten. Die beste Investition in Deutschland darf es nicht mehr länger sein, einen Mitarbeiter abzufmden und nach Hause zu schicken. Die beste Investition sollte wieder die sein, die zum Ziel hat, wettbewerbliche Differenzierungspotentiale herauszuarbeiten, neue Produkte und Technologien zu entwickeln, Kapazitäten auszuweiten oder neue Märkte zu erschließen. Wenn hierfür aber die notwendigen Rahmenbedingungen nicht wieder hergestellt werden, wird es auch keine neuen Arbeitsplätze in ausreichender Zahl wieder in Deutschland geben und die internationale Wettbewerbsfähigkeit wird relativ weiter sinken.
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Vierter Teil
Neue Politische Ökonomie
Herkunft und Zukunft der Neuen Politischen Ökonomie Von Manfred Graser, Bamberg
A. Einleitung Neue Politische Ökonomie (NPÖ) ist ein Produkt der Unzufriedenheit mit der herkömmlichen Theorie verbunden mit einem Reformanspruch. 1896 beklagte Wicksell die "Unzulänglichkeit der bisherigen Methoden der Finanzwissenschaft gegenüber der heutigen Entwicklung des politischen Lebens,,1 und entwickelte die Einstimmigkeitsregel als Prüfstein fiir die freiheitliche Gestaltung von Abstimmungsverfahren über Steuern und Staatsausgaben. 1994 bezog sich James M. Buchanan in einem Vortrag in Jena auf die dort veröffentlichte Dissertation des schwedischen Ökonomen und beschrieb sie als das Buch, das den größten Einfluß auf sein eigenes Werk ausübte und das er entdeckte bzw. wiederentdeckte 2 • Gibt es verschüttete Traditionen in der politischen Ökonomie und wie kam es in den fünfziger und sechziger Jahren zu jener Zusammenfiihrung von Fragestellungen, Methoden und Wissenschaftlern, die nur noch benannt werden mußte als ,,Neue Politische Ökonomie"? Hat diese Zusammenfiihrung Bestand oder löst sie sich auf? Als "New Political Economy" bezeichnete der amerikanische Politikwissenschaftier William C. Mitchell3 ein in Entstehung befindliches interdisziplinäres Gebiet, das den Gegenstand der Politikwissenschaft mit den Methoden und Theorien der Ökonomie verbinde. Zwar sei die rasch anwachsende Literatur den meisten Ökonomen und Politikwissenschaftlern noch unbekannt, aber bald würde Politische Ökonomie sich ihren Platz sichern. Mitchell hoffte, daß Politologen sich kooperativ an dem Unternehmen beteiligten und das Feld nicht den
I
Pitz-Boeder, 1977, S. 31.
2 V gl. Buchanan, 1994a, S. 7. 3 Vgl.
1968, S. 76.
Manfred Groser
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Ökonomen überließen. Schließlich sagte er der neuen Disziplin ein langes und fruchtbares Leben voraus. Seine Prognose ist eingetroffen. Neue Politische Ökonomie hat sich im angelsächsischen wie im deutschen Sprachraum rasch entwickelt und fest etabliert. An der Diskussion beteiligen sich Politologen und Soziologen ebenso wie Ökonomen, die Breite der Anwendungen hat sich beachtlich erweitert. Lehrbücher und Lehrbuchkapitel, Sammelbände, Übersichtsartikel, Beiträge in ökonomischen und politologischen Lexika, Autoren-Retrospektiven, Zeitschriften und ein Jahrbuch dokumentieren das Erreichte und weisen neue Wege.
B. Koordinatensystem Erklärungsschema und Problemauswahl sind die beiden Achsen im Koordinatensystem der Neuen Politischen Ökonomie. Beide erfordern einen kurzen Kommentar. Das Erklärungschema ist das der Ökonomie und läßt sich in einem Satz zusammenfassen: ,,Akteure reagieren rational und eigeninteressiert auf die situativen Anreizbedingungen".4 Die Annahme rationalen Verhaltens hat heuristischen Charakter und ist nur im Zusammenhang mit weiteren Annahmen über situative bzw. institutionelle Beschränkungen und den Bewertungen des verbleibenden Handlungspielraums sinnvoll interpretierbar. 5 Die Restriktionen charakterisieren den Handlungspielraum. Diese Eigenschilft hat weitreichende Konsequenzen fiir die Anwendung des ökonomischen Erklärungsschemas auf politische und soziale Zusammenhänge, wie sie die NPÖ anstrebt. Es könnte sein, daß die Ökonomie ihren Ruf als stringente, präzise und empirisch gehaltvolle Disziplin jenen Spezialfällen der Marktökonomik verdankt, in denen die Restriktionen so ausgeprägt sind, daß Marktteilnehmer, die die situativen Anreize mißachten, aus dem Spiel ausscheiden. Die Präferenzen werden fiir die Erklärung nicht mehr benötigt bzw. es genügt die Annahme einer Präferenz fiir das Überleben. In anderen Fällen, z. B. beim Monopol, werden eindeutige Aussagen nur noch über die Annahme bestimmter Präferenzen, z. B. Gewinnmaximierung, gewonnen. Mit Zintl (1986) vermuten wir, daß die fruchtbare Anwendung des ökonomischen Erklärungsschemas von der Ausprägung der Komponente "Überlebensdruck" abhängt.
4 Suchanek,
1994, S. 101.
5 Vgl. ebendort, S. 108.
Herkunft und Zukunft der Neuen Politischen Ökonomie
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Bei der Problemauswahl ist das von der konventionellen Ökonomie Weggelassene das für die NPÖ Interessante. Bedenkt man, daß die neoklassische Theorie sich auf Marktbeziehungen beschränkte und die interne Organisation von Unternehmen ebenso vernachlässigte wie die institutionellen Voraussetzungen von Märkten, dann gehören dazu auch die von der Neuen Institutionenökonomik bearbeiteten Probleme. Die Frage der Institutionenwahl wird von der NPÖ allerdings von der Mikroebene der Unternehmen, die sich zwischen marktlicher und hierarchischer Koordination entscheiden, in die politische Sphäre als Grundlage der Wirtschaftsordnung gehoben. 6 Hierher gehört auch die Frage, welche Kompetenzen der Staat an sich zieht. Sie läßt sich auf der Ebene des politischen Prozesses beantworten, aber auch auf der konstitutionellenEbene. Daß die Erklärung staatlichen Handelns zu den vordringlichsten Problemen der NPÖ gehört, ist eine von ansonsten sehr unterschiedlichen Strömungen geteilte Grundüberzeugung. Mit der Ausdehnung der Staatstätigkeit wurde sie immer wieder aufs neue bestätigt. Zugleich schien die Entwicklung der Wohlfahrtsstaaten stark durch die Aktivitäten organisierter Interessen geprägt. Eine Erklärung der Verbandsaktivitäten, von der Wahrscheinlichkeit ihrer Entstehung bis zur Einschätzung ihrer Wirkungen in Wirtschaft und Politik, war dringend. In Deutschland hatten diese Arbeitsschwerpunkte der NPÖ einen spezifischen ordnungstheoretischen Hintergrund. NPÖ verstand sich als Erneuerung der klassischen, auf den Dualismus von Marktwirtschaft und Zentralverwaltung fixierten Ordnungstheorie. Sie sollte die Vielfalt nicht-marktlicher Koordinationsverfahren in die Ordnungstheorie integrieren. Häufig anzutreffen ist ein historischer Bezugspunkt im Problemverständnis. Klassische Politische Ökonomie sei noch von der Einheit von Wirtschaft und Politik ausgegangen, Economics hätte diese Einheit zugunsten der Isolation von Marktphänomenen aufgegeben. Neue Politische Ökonomie stelle sie wieder her, indem sie die Wechselwirkungen zwischen Politik und Wirtschaft thematisiere, unter Nutzung der methodischen Fortschritte und mit Bezug auf den Wandel im Objektbereich. Konkretisiert wurden diese Vorstellungen von der Interdependenz dann u. a. in Modellen des politisch-ökonomischen Konjunkturzyklus, die in den Zeiten keynesianisch angeleiteter Wirtschaftspolitik eine Blüte erlebten. Sie belegen, wie stark NPÖ auf Veränderungen im wirtschaftspolitischen Problemverständnis reagierte, und ihre Ablösung durch Theorien über das Verhalten von Notenbanken und supranationale Akteure der Wirtschaftspolitik spricht für die Anpassungsfähigkeit und Offenheit der Disziplin.
6
Vgl. Schenk, 1981.
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Die Entwicklung von NPÖ wird durch das Wechselspiel von Methodik und Problemspektrum vorangetrieben. Die Erweiterung des Problemspektrums führt immer wieder auf die grundsätzliche Frage zurück: What Should Economists do? (Buchanan) Und die neuen Methoden machen bisher ausgeklammerte Probleme bearbeitbar. Aber wo bleiben bei dieser Erklärung die Akteure, die Neue Politische Ökonomie betreiben? Wäre es nicht konsequent, Vertreter der Neuen Politischen Ökonomie als rationale und eigeninteressierte Akteure zu betrachten, die unter den situativen Anreizbedingungen des wissenschaftlichen Wettbewerbs handeln? Das Ergebnis dieses individuellen Handelns ist der kollektive Zustand der Disziplin - von den isolierten Anläufen der ersten fiinfzig Jahre über die Verdichtung zum Paradigma bis zur möglichen Auflösung. Beginnen wir bei den Wegmarken der Disziplin, wie sie Pitz-Boeder (1977) freigelegt hat.
C. Tradition Im Rückblick erscheint es wenig überraschend, daß die ersten Ansätze zur Neuen Politischen Ökonomie in der Analyse der Finanzwirtschaft lagen und daß grundlegende Beiträge in den fünfziger Jahren daran anknüpften. Die öffentliche Finanzwirtschaft ist ex definitione nicht-marktlich organisiert. Wer als Ökonom finanzwirtschaftliehe Probleme bearbeiten wollte, hatte drei Möglichkeiten. Er konnte staatliches Handeln als unabhängige Variable betrachten, und die Wirkungen auf Märkte analysieren. Damit waren aber Probleme der Produktion kollektiver Güter nicht bearbeitbar. Er konnte staatliches Handeln zu erklären suchen, sich dabei aber fremder Methoden bedienen, etwa jener der organischen Staatstheorie oder einer Soziologie politischer Eliten. Und er konnte, drittens, versuchen, politische Bestimmungsfaktoren finanzwirtschaftlicher Tätigkeit nach demselben Muster zu untersuchen wie das Handeln auf Märkten. Dasselbe Muster bedeutet nicht denselben Kontext und die Übernahme des falschen Kontexts beeinträchtigt die Nützlichkeit des Musters bis zur Untauglichkeit. Wenn Emil Sax Ende des 19. Jahrhunderts versuchte, auf der Basis der Grenznutzentheorie die individuelle Nachfrage nach öffentlichen Gütern abzuleiten, so scheiterte dieser Versuch wegen der fehlenden Berücksichtigung der kollektiven Entscheidungssituation. Nicht das Rationalmodell war deplaziert, sondern die Abbildung der Situation und ihrer Anreize. Fortschritte setzten eine Erfassung der politischen Grundsituation voraus, die aber nicht aus dem ökonomischen Erklärungsschema herausführen durfte. Einen ersten Erfolg erzielte Wicksell, indem er an der politischen Entscheidung ansetzte und die maximale Freiheit der Individuen als Bedingung postulierte. Wicksell verknüpfte individuelle Präferenzen mit politischen Entscheidungen. Indem er den ersteren absoluten Vorrang einräumte, verwies er frei-
Herkunft Wld Zukunft der Neuen Politischen Ökonomie
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heitsliebende Individuen auf einen Diskurs über die Bereitstellung öffentlicher Güter, in dem kein Individuum überstimmt werden darf. Mit der berühmten Einstimmigkeitsregel, die bis heute die konstitutionelle Ökonomik dominiert, ist WiekseIl das erste Glied in einer langen Reihe von Freiheitsmaximierern in der NPÖ. Mit der Betonung der individuellen Freiheit wurden Märkte und politische Entscheidungsregeln auf eine Ebene gestellt und nach demselben Kriterium bewertbar. Daneben findet sich bei WiekseIl die Annahme eigeninteressierten Handelns der leitenden Staatsorgane, die sich deshalb für bestimmte Staatstätigkeiten interessieren, weil ihre eigene Existenz damit verknüpft ist. Damit waren wesentliche Formulierungen von Schumpeter, Herder-Dorneich und Downs vorweggenommen. Warum er seine steuerpolitischen Vorschläge z. T. unter Pseudonym veröffentlichte, wissen wir nicht. Vielleicht fürchtete er wie einer seiner Nachfolger, seine Theorien könnten als Verunglimpfung verdienter Politiker mißverstanden werden. Der raschen Rezeption seiner Theorien standen vor allem die antiindividualistischen Strömungen der deutschen Nationalökonomie (Historische Schule, Ganzheitsschule) entgegen. Dezidiert individualistische und liberale Ökonomen wie Buchanan knüpften zuerst an Wicksell und seine Einstimmigkeitsregel an. Wicksell argumentierte noch in einer Welt der konstitutionellen Monarchie, in der sich die Bedeutung allgemeiner demokratischer Wahlen erst ankündigte. Seine Nachfolger argumentierten auf der Grundlage des voll entfalteten Wahlmechanismus und begriffen eine als Mehrheitsherrschaft verstandene Demokratie als Gefährdung der Freiheit, die nur durch Einstimmigkeit zu sichern sei. Die zwanziger Jahre begründen die Tradition der politischen Standortmodelle und des politischen Tausches. Wähler positionieren sich entlang einer politischen Dimension und stimmenmaximierende Politiker orientieren ihr Angebot an der Wählerverteilung. Wie Pitz-Boeder7 zeigt, sind bei Rice alle Elemente des späteren Modells von Downs vorweggenommen. Rice war allerdings weniger an einem umfassenden Erklärungsmodell interessiert. Ihm ging es um die Einfiihrung von Meßverfahren in die Politikwissenschaft und das Quantitative in der Politik. Die Kritik am Theoriedefizit der Politikwissenschaft vereint ihn mit seinem Zeitgenossen Catlin. Catlin versucht explizit, dieses Defizit durch eine Anleihe bei der Ökonomie zu beheben. Die Analogie von ökonomischem und politischem Tausch ist der Schlüssel für die Nutzung der Erkenntnisse der analytisch fortgeschritteneren Disziplin. Die Verwandtschaft zwischen Ökonomie und Politikwissenschaft sah Catlin in einer bestimmten Beziehung oder Situation, die sich als Austausch in
7 Vgl.
1977, S. 48ff.
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einem Gleichgewichtsmodell darstellen läßt. Auf dem politischen Markt wird Sicherheit gegen Freiheit getauscht, wobei das politische Angebot durch das Machtstreben der Politiker analog zum Gewinnstreben der Unternehmer auf Märkten bestimmt wird. Maßeinheit beim politischen Tausch sind die Wählerstimmen als "politisches Äquivalent zum Geld"s. Die Wähler sind bereit, Freiheit zu opfern um Sicherheit zu gewinnen. In den Folgenmgen zeigt Catlin bereits Ansatzpunkte zu einer Analyse der politischen Bestimmungsfaktoren des Wohlfahrtsstaates auf, die über einen Zyklus von der Überproduktion von Sicherheit (sozialer Regulienmg) mit vermehrten Einschränkungen der Freiheit zu Kurskorrekturen führen, die infolge der Ungewißheit stärker ausfallen, als für das Gleichgewicht erforderlich (ebd.: 82). Weder der Beitrag von Rice noch der von Catlin wurde in der Fachdiskussion aufgegriffen und entsprechend gewürdigt, so daß sowohl die räumlichen Modelle a la Downs als auch die Tauschtheorien der Politik bei Schumpeter und Herder-Dorneich sich als Neuentwicklungen präsentierten. Die Zeit war noch nicht reif, stellt Pitz-Boeder9 fest und bezeichnet diese Einschätzung selbst als "black-box-Formulienmg". Wir können die black box öffnen und die negativen Anreize betrachten, die von den monopolisierten und isolierten Disziplinen Politikwissenschaft und Wirtschaftstheorie ausgingen. In der Politikwissenschaft dominierte die normative Betrachtungsweise. Als später der Bedarf an Theorie artikuliert wurde, wandte er sich primär an nicht-individualistische Erklärungsmuster, in den USA vor allem an die Soziologie Parsonsscher Prägung, auf dem Kontinent auch an die neomarxistische Politische Ökonomie. In der Ökonomik wurden die Standortmodelle erst durch einen Hinweis des Ökonomen Hotelling, auf den sich Downs beziehen konnte, rezipierbar. Ironischerweise sollte die mangelnde Rezeption des ökonomischen Denkstils in der Politikwissenschaft später der Ökonomik die Rechtfertigung liefern, selbst Erklärungen zu liefern, die mit den funktionalistischen und marxistischen Deutungen konkurrierten. Daß Arrow nicht das Schicksal des vergessenes Vorläufers ereilte, liegt wohl daran, daß er seinen Beitrag als Fortführung der .Tradition der Wohlfahrtsökonomik präsentierte, die in den dreißiger und vierziger Jahren einen Höhepunkt erreicht hatte, sich dabei aber in Aporien verstrickte. Die Auseinandersetzung mit diesen Aporien führte bei Arrow schließlich zum Abschluß der traditionellen Wohlfahrtsökonomie mit ihrem Glauben an die Möglichkeit einer allgemeinen Wohlfahrtsfunktion. Arrow konnte zeigen, daß kein Verfahren zur Aggre-
S Ebendort, 9 Vgl.
S. 79.
ebendort, S. 7.
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gation individueller Präferenzen denkbar ist, das bestimmten, von ihm als zustimmungsfähig präsentierten Bedingungen genügt. Zwn Erfolg Arrows mag beigetragen haben, daß die Durchfiihrung seines Forschungsprogramms den Kriterien der Eleganz und der Vollständigkeit logischer Ableitungen genügte, die die zünftige neoklassische Ökonomik stellte. Mit den Problemen der modemen Massendemokratie hatte die Beschäftigung mit direkten Abstimmungsverfahren eben so wenig zu tun wie die sehr ähnlichen, aber weniger wirksam gewordenen Modelle von Black. Aber Arrow lenkte den Blick auf den Entscheidungsmechanismus und betrachtete Markt und Abstimmung als Entscheidungsverfahren auf derselben Ebene. Die Realitätsfeme seiner Konstruktionen war kein Hindernis für die breite Zustimmung in der Ökonomie. Sie entsprach dem Bedürfnis nach Verallgemeinerung und fügte sich in die entscheidungslogische Tradition. Damit erwies sie sich als anschlußfähig und integrierbar, zwar nicht in die überkommene Wohlfahrtsökonomik, deren Abschluß sie bedeutete, wohl aber in eine Political Welfare Economics. Bei Schwnpeter ist die Massendemokratie der Ausgangspunkt. Einer fiktiven klassischen Theorie der Demokratie wird ein realistisches Modell gegenübergestellt, mit machtorientierten Politiker als Anbietern, wenig informierten Wählern als Nachfragern und dem Wettbewerb wn Wählerstimmen als entscheidendem Merkmal der Demokratie. Politik ist, hier folgt Schwnpeter Max Weber, zum Beruf geworden und fügt sich in ein allgemeines Modell gesellschaftlicher Arbeitsteilung ein. Nicht die Bürger stellen Politik her, sondern die Politiker. Der politische Wettbewerb sorgt dafür, daß sie dabei die Wählerinteressen nicht zu sehr aus den Augen verlieren. Schwnpeters Realismus und seine Souveränität gegenüber den Standards des ökonomischen Mainstream ging so weit, daß er zwar die Wettbewerbsanalogie nutzte, die neoklassische Annahme der vom Angebot unabhängigen Präferenzen der Nachfrager aber für die Wähler nicht übernehmen wollte. Mit seiner Theorie des dynamischen Unternehmers hatte er bereits erfolgreich den neoklassischen Rahmen gesprengt und genoß als Ökonom ebenso großes Ansehen wie als Soziologe. Downs und Herder-Dorneich sollten sich 1957 auf Schwnpeter berufen. In der Politikwissenschaft wurde seine Demokratietheorie als elitistisch eingeordnet und kritisiert. Sie stand der normativ und partizipatorisch ausgerichteten Richtung entgegen. Die historischen Entwicklungslinien zeigen, daß es lange Zeit ein risikoreiches Unterfangen war, den Gedanken der Politischen Ökonomie zu entfalten. Etablierte wie Schwnpeter betätigten sich als dynamische Unternehmer im Wissenschaftsbereich und setzten neue Kombinationen durch. Die Analogie von wirtschaftlichem Wettbewerb und politischem Wettbewerb war eine solche
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neue Kombination. Die Wirte, um in der Schumpeterschen Unternehmertheorie zu bleiben, folgten den hergebrachten Deutungsmustern und blieben als Ökonomen bei der Marktanalyse und als Politologen bei der normativen Betrachtungsweise. Die von Wicksell gesetzte Wegmarke blieb sichtbar, weil sie durch die Fahne eines konsequenten Individualismus und Liberalismus markiert wurde. Völlig isoliert blieben die Vorstöße der Politikwissenschaftler Rice und Catlin. Negative Anreize kamen vor allem aus der Dominanz konkurrierender Paradigmen und den Vorstellungen darüber, welche Themen ein ausgewiesener Ökonom oder Politologe behandeln durfte. Ambivalent wirkten ,,handwerkliche" Normen der Disziplinen. Arrow konnte erfolgreich Neuland betreten, weil seine Arbeiten in hohem Maße den handwerklichen Anforderungen der Zunft genügten. Dafiir tolerierten die Zunftgenossen die Bearbeitung nicht traditionell ökonomischer Fragestellungen.
D. Festigung Neue Politische Ökonomie als Paradigma konnte sich erst durch die Verbindung bisher isolierter Punkte entwickeln. Die Bedingungen dafiir hatten sich nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt und wirkten als positive Anreize auf potentielle Politische Ökonomen. Die Einflußfaktoren lagen gleichermaßen im politischen Umfeld wie im Wissenschaftssystem. Begünstigend wirkten die Veränderungen im politischen Kräftefeld und in der Problemwahmehmung. In den USA hatte der New Deal der dreißiger Jahre zu einem neuen Verständnis staatlicher Aufgaben geführt. Politik und Wirtschaft waren in der Wahmehmung der Öffentlichkeit näher aneinandergerückt. Mit dem Aufstieg des Keynesianismus zur dominanten ökonomischen Doktrin gelangte die Vorstellung einer konjunkturpolitischen Verantwortung des Staates zur weltweiten Geltung. Das Konzept der Globalsteuerung und der praktizierte Keynesianismus demokratischer Regierungen wirkten als Herausforderung zur ordnungspolitischen Bewertung und zur Erweiterung der Analyse durch Einbezug politischer Faktoren. Universal wie die Globalsteuerung der Wirtschaft schien die Ausdehnung sozialstaatlicher Sicherungen und die Korrektur der Einkommensverteilung als Aufgabe des Staates. Der Ausbau der Infrastruktur als Voraussetzung fiir wirtschaftliches Wachstum implizierte weitere Staatsaufgaben und -ausgaben. Und schließlich waren mit dem Rückgang der Agrarwirtschaft und der Zunahme des industriellen Sektors die Fragen des strukturellen Wandels und seiner Bewältigung auf die Agenda der Politik gerückt. Mit der Betonung makroökonomischer Ziele rückten auch die Akteure ins Blickfeld, die Entscheidungen außerhalb des Bereichs staatlicher Verantwortung mit weitreichenden Konsequenzen trafen, die Tarifparteien. Lohnbildung
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im Wechselspiel von politischen und wirtschaftlichen Kräften zu untersuchen und dabei die Bestimmungsfaktoren verbandlichen Handelns einzubeziehen, präsentierte sich als Aufgabe für Ökonomen. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Veränderungen Probleme aufwarfen, deren Bearbeitung für Ökonomen mit positiven Prämien verbunden war. Die Risiken der GreDZÜberschreitung zum Bereich des Politischen wurden kalkulierbar, zumal auch die völlige Vernachlässigung der Probleme nicht länger tragbar war. Im Wissenschaftssystem ist als scheinbar banaler Faktor die stark angestiegene Zahl von Ökonomen nennen, deren weltweite Kontakte eine weitergehende Spezialisierung ermöglichten und das Risiko, mit einem Vorstoß in der Isolation zu enden, verringerte. Mit der Entwicklung von Diskussionskreisen, der Zirkulation von unveröffentlichten Papieren etc. verdichteten sich die Kontakte der an NPÖ und ihrer Verbreitung Interessierten. Die Etablierung eines neuen Paradigmas ist ein Gruppengut, das sich mit den Mitteln der Kollektivgutökonomik analysieren läßt. Die zunächst kleine Gruppe läßt die Interdependenzen spürbar werden und der Beitrag des Einzelnen zum Gruppengut ist merklich. Auch ist es nicht unwahrscheinlich, daß bei Einzelnen der Nutzen, den sie aus der Förderung von NPÖ erfahren, die Kosten übersteigt. Gruppengründer treten als Politische Unternehmer auf, die Vorleistungen erbringen und die noch Außenstehenden zur Mitarbeit ermuntern. Die durch die Problemlagen angebotenen Themenfelder zur Bearbeitung sind so breit, daß sie die Kosten der Beteiligung niedrig halten. Die Chancen, durch Innovationen aufzufallen, sind größer als in den konventionellen Arbeitsfeldern. Zudem gilt das Gebot der Toleranz gegenüber dem ersten Versuch, dem methodische Schwächen eher nachgesehen werden als der tausendsten Arbeit in einem lange etablierten Gebiet. Bei den ersten Beiträgen zur Lösung eines Problems genügt es, Erklärungsskizzen zu liefern und die Restriktionen bzw. Präferenzen im Modell mit grobem Pinsel zu zeichnen. Die Kosten sind niedrig, wenn Wissenschaftler investiertes Wissenskapital nicht abschreiben müssen, wenn sie sich an dem neuen Paradigma beteiligen. Und die Nutzen sind hoch, wenn NPÖ die Verwertbarkeit erworbenen Wissens steigert, indem sie Anwendungsbereiche liefert, für statistische und ökonometrische Techniken, für Erfahrungswissen aus Politik und Verwaltung, für Detailkenntnisse in Politikfeldern, für die konsequente Verfolgung eines normativen Prinzips. Mit der wachsenden Anerkennung des Paradigmas sinken die Kosten, in der Zunft der Ökonomen als Außenseiter zu gelten und tendieren schließlich gegen Null, soweit ausreichend Distanz zu anderen Disziplinen gehalten wird. Dagegen wurden in der Politikwissenschaft, die von normativen, historischen,
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neomarxistischen und funktionalistischen Paradigmen bestimmt war, Versuche zur Übernahme ökonomischer Erklärungsschemata lange Zeit tabuisiert. In der Ökonomie wurde die Diskrepanz zwischen einer auf der individualistischen Sicht aufbauenden Markttheorie und einer kollektivistischen oder idealistischen Staatstheorie zunehmend erkannt. So trafen in der Neuen Politischen Ökonomie zwei Strömungen zusammen, die heute noch ihr Profil bestimmen: Ein Interesse an den Bestimmungsfaktoren der Staatstätigkeit, das eine empirisch gehaltvolle Theorie politischen Verhaltens einfordert. Und ein Interesse an der Grundsatzfrage, wie in einer Gesellschaft politische Entscheidungen getroffen werden können, ohne die Rechte freier Individuen zu verletzen. Mitte der sechziger Jahre hatten sich fiinf Schwerpunkte herausgebildet, die durch ,,Klassiker" repräsentiert wurden, deren Werke eine Forschungstradition initiierten. Erstens die Erklärung staatlichen Handelns durch den Parteienwettbewerb (Downs, Herder-Dorneich). Zweitens die Charakterisierung des Wohlfahrtsstaates als ein vielfach durch Märkte, Wahlen, Verbände und Verhandlungen gesteuertes System (Dahl-Lindblom, Herder-Dorneich, Olson). Drittens die Theorie der Verfassung als Begründung von Regeln und als Antwort auf die Frage, wie Freiheit in Kollektiven möglich ist (Buchananffullock). Viertens die Bürokratie als Entscheidungsträger mit eigenen Interessen und interner Differenzierung (Tullock, Downs). Fünftens die Fortfiihrung von Arrows Programms einer Axiomatik der Sozialwahl (Sen). Jede dieser Fragestellungen bot vielfältige Anknüpfungspunkte. Theorien des Parteienwettbewerbs konnten formal als Gleichgewichtsmodelle weiterentwikkelt oder in der Wahlforschung empirisch getestet werden. Die Voraussetzungen der einfachen Modelle konnten modifiziert, einfache Modelle mit anderen zu komplexeren verbunden werden. Neue Ideen, wie Hirschmans Darstellung von Abwanderung und Widerspruch als Reaktionen auf Leistungsverschlechterungen von Organisationen, verbanden sich nahtlos mit dem bereits kumulierten Wissen. Zur weiteren Festigung trug die Verknüpfung von Fragestellungen bei. Verbände interessierten zunächst im Hinblick auf die Unwahrscheinlichkeit ihres Zustandekommens, später unter dem Aspekt ihrer Wohlfahrtswirkungen. In der Economics of Rent Seeking lO , in der wieder Tullock als Klassiker auftritt, stehen die Opportunitätskosten von Sondervorteilen durch politische Aktivitäten im Zentrum. Sie werden mit Forderungen nach einer konstitutionellen Reform zu ihrer Eindämmung verbunden. Andere Autoren sehen Verbände nicht aus-
10 Vgl. Tollison, Congleton, 1995.
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schließlich als Rent Seeker, sondern als Träger vielfacher, auch produktiver Aktivitäten. Voraussetzung für die Festigung war, daß die grundsätzliche Vorgehensweise - die Übertragung des ökonomischen Erklärungsschemas auf NichtMarkt-Konstellationen - zumindest bei Ökonomen auf keine Bedenken mehr stieß. Die Finanzwissenschaft zählte zu den Gebieten, die zuerst vom Theorieschub in ihrem Status profitierten und sich von der Abhängigkeit von andereren Disziplinen lösten. Man mag darin einen Beitrag zur weiteren Emanzipation der Ökonomie sehen. Von größerer Tragweite ist die Festigung der NPÖ für die Praxis interdisziplinärer Wissenschaft. Viele hatten angenommen, die Ökonomie könnte ihre Erklärungkraft nur durch die Übernahme der Erkenntnisse der Nachbardisziplinen, vor allem der Soziologie und der Psychologie steigern. Nun erweiterte die Ökonomie mit einem im Kern unveränderten Erklärungsschema - Präferenzen und Restriktionen - ihren Erklärungsbereich. Als Imperialismus wurde dies von einigen kritisiert, in der Mehrheit aber als Erfolg angesehen, zumal die Nachbardisziplinen zunächst keine vergleichbar stringenten Erklärungen anzubieten hatten.
E. Ideendynamik Im Rückblick auf die Tradition des Paradigmas haben wir festgestellt, daß der Versuch Catlins, durch Analogie zwischen wirtschaftlichem und politischem Tausch die Politikwissenschaft weiterzuführen, gescheitert war. Ein zweiter Anlauf, diesmal von der Ökonomie ausgehend, war erfolgreicher und entwickelte eine eigene Dynamik. Herder-Dorneich (1992) stellt dar, wie sich die Erweiterung des ökonomischen Denkens vermittels der Denkstrategie der Analogie vollzog. Zunächst wurden Wirtschaft und Demokratie als analog aufgebaute soziale Systeme nebeneinander gestellt. Dies ließ sich dann auf andere soziale Systeme ausdehnen. ,,Es wurden Modelle von sozialen Mechanismen entwickelt, die zwei Aggregate, nämlich Anbieter und Nachfrager umfaßten, und die diese beiden Gruppen durch zwei Leistungsströme miteinander rückkoppelten, nämlich einerseits den Leistungsströmen der wirtschaftlichen Güter, der politischen Programme, der Verbandsleistungen und ähnlicher Leistungen und andrerseits die rückkoppelnden Steuerungsströme wie Geldströme, WahlstimmeilStröme, Beitritt und Austritt".!!
!! Herder-Domeich, 1992, S. 19. 36 Peters
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Im Tauschparadigma konnten sich die Wissenschaftler entfalten, die über spezifische Kenntnisse und Erfahrungen einer Tauschsituation verfügten. So schließt Peters (1996) die Lücke zwischen Mikro- und Makroökonomik durch die Entwicklung der Mesoökonomik und entwickelt dazu eine Tauschtheorie des Angebots und der Nachfrage von Strukturhilfen. Dazu muß er die politische Nachfrageseite modifizieren, denn neben den Wählern spielen in der Strukturpolitik die Branchenverbände eine zentrale Rolle. Mit der Einbeziehung der Strukturproblematik wird auch der Einfluß der Konjunkturpolitik auf das Wähler- und Regierungsverhalten neu gewichtet. Auf der Angebotsseite bietet Peters eine erfahrungsgesättigte Theorie der MinisterialbÜTokratie und bringt damit eine wichtige Organisationsvariable in die Theorie der Wirtschaftspolitik ein. Was für die Begründung von Neuer Politischer Ökonomie gilt, liefert auch eine Erklärung für ihre Dynamik. Bisher als Datum behandeltes und als nicht erklärungsbedÜTftig oder -fähig betrachtetes wird in den Erklärungsbereich hereingenommen. So unterstellt die Analyse des Parteienwettbewerbs und des Verbandseinflusses eine gegebene Verfassung. Werden die Ergebnisse des Parteienwettbewerbs und des Verbändepluralismus als wohlstandsmindemd und freiheitsgefährdend betrachtet, verschiebt sich das Problem auf die Gestaltung der Regeln auf der nächsthöheren Ebene. Die defizitäre und sich selbst gefährdende Demokratie wird als Verfassungsproblem bearbeitet. 12 Dabei ist es dem Neuen Politischen Ökonomen verwehrt, seine eigenen Bewertungen als Reformgrundlage einzuführen oder die Rolle des Beraters eines wohlwollenden Diktators einzunehmen. Er ist auf den Rekurs auf individuelle Präferenzen verwiesen. In der Entwicklung der NPÖ wechseln Phasen der Beschäftigung mit dem politischen Prozeß und Phasen der Beschäftigung mit ordnungspolitischen Grundsatzfragen. Kirsch13 weist daraufhin, daß in den Phasen, in denen die Institutionen hinreichend gut zu funktionieren scheinen, die Institututionenanalyse vernachlässigt wird. Werden die Institutionen in Frage gestellt, setzt eine ordnungstheoretische Debatte ein. Ein Vergleich zweier Auflagen eines bekannten Lehrbuches zeigt die Entwicklung neuer Themenschwerpunkte. Gegenüber der Auflage von 1983 sind in der Darstellung der Neuen Politischen Ökonomie von Guy Kirsch 1993 die folgenden Themen hinzugekommen: Gesellschaftliche Normen, individuelles Gewissen, Diktatur, außerparlamentarische Beteiligungsformen, Entstehung von KollektivbedÜTfnissen. Damit reagiert NPÖ einerseits auf Veränderungen in den
12
Vgl. Buchanan, 1984; 1994b.
13
V gl. 1993, S. 13.
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Problemlagen, reflektiert aber auch die bisherigen Lösungsversuche bis hin zur Problematisierung zentraler Annahmen. Gelegentlich wurde auch ein zu langsames Reagieren angemahnt; so hätte NPÖ zu spät der Bedeutung von Verbänden und Bürokratien Rechnung getragen. Die Gegenkritik wandte ein, daß auch einfache Modelle, die diese Faktoren nicht berücksichtigen, erklärungskräftig sein könnten. 14 Zusätzliche Ideendynamik wird in die NPÖ durch Entwicklungen an der Peripherie hineingetragen. Grenzgänger versuchen Entwicklungen in anderen Sozialwissenschaften, soweit sie mit dem methodologischen Individualismus vereinbar sind, aufzunehmen. Zunächst noch vereinzelt, tentativ und in Exkursen, werden Grundannahmen, wie die exogen bestimmten und konstanten Präferenzen, modifiziert. Schwierige Probleme stellen sich im Umgang mit Normen. Wirken sie wie Präferenzen zweiter Ordnung oder sind sie als Restriktionen zu behandeln? Warum gehen Individuen zur Wahl? Lassen sie sich dabei von der Norm eines guten Staatsbürgers leiten und wie entstehen solche Normen? Lassen sich manche Verhaltensweisen nur durch Ad-hoc-Annahmen erklären, wie die Annahme des Bürgersinns, oder gibt es ein allgemeineres Modell, in das sie als Spezialfall eingehen, z. B. als Gemeinschaftsorientierung bei niedrigen Kosten?
F. Auflösung NPÖ verzweigt sich immer mehr in Fragestellungen, die nur noch lose zusanunengehalten werden. In einem umfassenden Lehrbuch ist der Druck, auseinanderstrebende Spezialismen zu verklanunern, besonders spürbar. So stehen BernholziBreyer (1994) mit vier Kapiteln zu formalen Wahlverfahren unverkennbar in der Arrow-Tradition. Dann gibt es aber auch ein weniger abstraktes Kapitel über Demokratie und Staatsfinanzen. Anwendungsbezogene Kapitel spiegeln die Breite wirtschaftspolitischer Probleme: Protektionismus, Globalsteuerung, Wettbewerbspolitik. In der Bewertung der Defizite der Demokratie folgen sie Buchanan mit der Begrenzung der Kompetenzkompetenz des demokratischen Systems durch die Verfassung. 15 Neueste Lehrbuchautoren wieder stellen einen Steuerungsmechanismus, den Parteienwettbewerb, ins Zentrum und untersuchen verschiedene Politikbereiche von der Steuer- bis zur Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik unter dem von Zohlnhöfer entwickelten Aspekt der Wählerbeweglichkeit. Dabei lassen sich Verbän-
14
15
36"
Vgl. Bernho1z, 1982. Vgl. Bernho1z, Breyer, 1994, S. 264.
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de und Bürokratien in ein Schema der Grob- und Feinsteuerung der Politik einbauen. 16 Zahlreiche Monographien entstehen nach dem Schema ,,Neue Politische Ökonomie und ... ,,17 und beziehen die grundlegenden Theoreme auf immer neue Anwendungsfelder von der Umwelt- bis zur Drogen- und Kriminalitätspolitik. Umgekehrt ist es selbstverständlich geworden, bei der Behandlung von Politikfeldern zumindest ergänzend auf die Perspektive der NPÖ zurückzugreifen. Wenn sie als alternatives Erklärungsmodell zu anderen Verfahren betrachtet wird, sind ihre Konturen am deutlichsten. Aus der Verzweigung, die die Arbeitsteilung auch im Bereich der NPÖ spiegelt, wäre noch keine Tendenz zur Auflösung abzuleiten. Aber wenn die Gebiete sich isolieren und die Kommunikationsbarrieren zu groß werden, ist die gemeinsame Bezeichnung nur noch ein Symbol. Mit der erfolgreichen Ausbreitung des Paradigmas verwischen auch die Konturen. Für die These von der beginnenden Auflösung von Neuer Politischer Ökonomie lassen sich die folgenden Entwicklungen ins Feld führen. Erstens ist der Erfolg der Neuen Politischen Ökonomie ein Bestimmungsfaktor ihrer Auflösung. Je mehr NPÖ die Problemwahrnehmung und -bearbeitung der traditionellen Ökonomie verändert, desto weniger ist sie als spezifische Perspektive erkennbar. Nachhaltige Wirkungen hatte die NPÖ auf die Lehre von der Wirtschaftspolitik, die sie von einem instrumentalen Ziel-Mittel-Verständnis zur Endogenisierung der Politik und zur Beurteilung von Regelsystemen führte. Mit dem Erfolg von NPÖ ist ihre Routinisierung verbunden, ihre Anwendung ist selbstverständlich und hat jeden reformerischen Impetus verloren. Zweitens sind die Widerstände geschmolzen, die NPÖ zur Identität verholfen haben. Mit dem Zusammenbruch der Zentralverwaltungswirtschaften hat der ordnungspolitische Dualismus seine letzte Grundlage verloren. Modeme Ordnungstheorien, die auf dem Tauschkonzept aufbauen, integrieren die Erkenntnisse der NPÖ und der Neuen Institutionenökonomik. In neueren Darstellungen erscheint die Institutionenökonomik als das breitere Paradigma, das NPÖ als ökonomische Theorie der Politik enthält. 18 Aber die Neue Institutionenökonomik ist in derselben Weise durch ihren Erfolg in ihrer Identität bedroht wie die NPÖ. Wenn alle Ökonomen sich als Institutionenökonomen verstehen und den Markt als Spezialfall betrachten, ist sie in der erneuerten Ökonomie aufgegangen und hat ihr Reformprogramm erfiillt. Zudem hat auch die Politikwissen-
16 ygJ. Franke,
1996. Horbach, 1992. 18 YgJ. Richter, Furubotn, 1996.
17 Ygl.
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schaft die Institutionen (wieder-)entdeckt, nun in analytischer Absicht und mit dem Ziel des Institutional Design. Drittens setzte NPÖ ein Gegenüber voraus, eine Ökonomie, die das Politische ausklammert und eine Politikwissenschaft, die nicht nach dem ökonomischen Erklärungsschema vorgeht. Beide Voraussetzungen sind brüchig geworden. Die Entwicklungen in den Nachbarwissenschaften Politologie und Soziologie wirken desintegrlerend auf die Paradigmengemeinschaft NPÖ. Beide bedienen sich zunehmend des Rational Choice Ansatzes und können sich dabei auf Poppers Rationalmodell und Situationslogik berufen. Damit sind die Barrieren, die mit der expliziten Übernahme fachfremden Argumentierens noch vorhanden waren, niedergerissen. Viertens wirkt die Beschäftigung mit einem Kernelement des ökonomischen Erklärungsschemas, der detaillierten Analyse der Restriktionen, zentrifugal auf die NPÖ. Die Diskussionzusammenhänge gruppieren sich nach dem Expertenwissen über Restriktionen. So argumentieren immer mehr Wahlforscher mit dem Rationalmodell, aber sie tun dies unter Wahlforschern, die sich als Experten fiir spezifische Restriktionen verstehen. Die Spezialisierung ergibt sich durch die Intimkenntnis der Restriktionen, während das Rationalmodell als Erklärungsgrundlage in den Hintergrund rückt. Ob Neue Politische Ökonomie diesen zentrifugalen Kräften erfolgreich entgegenwirken kann ist zweifelhaft. Eine Chance ergibt sich durch die Beschäftigung mit Grundsituationen, z. B. Dilemmata, die in unterschiedlichen Zusammenhängen als Restriktionen auftreten. Daß es neben den Spezialisten fiir Restriktionen in Zukunft auch mehr Spezialisten fiir Präferenzen geben wird, die die Möglichkeiten der Soziologie und Psychologie ausloten, trägt eher zur Fragmentierung und weiteren Auflösung von NPÖ bei als zu ihrer Festigung.
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- (1994a): Property as a Guarantor ofLiberty, in: Dokumentation 8 der Herbert Quandt Stiftung. München, S. 7-11. - (1994b): Politicized Economies in Limbo: America, Europe and the World, in: Dokumentation 8 der Herbert Quandt Stiftung, München, S. 18-23.
Franke, S. F. (1996): (Ir)rationale Politik? Grundzüge und politische Anwendungen der "Ökonomischen Theorie der Politik", Marburg. Herder-Dorneich, P. (1992): Neue Politische Ökonomie, Baden-Baden. Horbach, J. (1992): Neue Politische Ökonomie und Umwe!tpolitik, Frankfurt a. M. Kirsch, G. (1993): Neue Politische Ökonomie, 3. Aufl., Düsse!dorf. Mitchell, W. C. (1968): The New Political Economy, in: Socia! Research, Bd. 35, S. 76110. Peters, H.-R. (1996): Sektorale Strukturpolitik, 2. Aufl., München, Wien. Pitz-Boeder, A.-C. (1977): Wegmarken der Entwicklung der ökonomischen Theorie der Politik, Diss. Ruhr-Universität Bochum. Richter, R.; Furubotn, E. (1996): Neue Institutionenökonomik, Tübingen. Schenk, K.-E. (1981): Märkte, Hierarchien und Wettbewerb, München. Suchanek, A: (1994): Ökonomischer Ansatz und theoretische Integration, Tübingen. Tollison, R. D.; Congleton, R. D. (Hrsg.) (1995): The Economic Analysis ofRent Seeking, Aldershot (Gower). Zintl, R. (1986): Ökonomisches Rationalkonzept und normorientiertes Verhalten, in: Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, Bd. 5, S. 227-239.
Die Realisierung ökologisch-orientierter Wirtschaftspolitik - eine Unmöglichkeit? Überlegungen aus Sicht der Neuen Politischen Ökonomie· Von Friedrich Schneider, Linz und Jürgen Volkerf, Tübingen
A. Einleitung Neben der traditionellen ökonomischen Analyse der Auswirkungen ökologisch-orientierter Wirtschaftspolitik (z. B. Steuern auf (fossile) Energieträger oder auf schädliche (COr ) Emissionen) auf die Wirtschaft I ist die politischökonomische Analyse der konkreten Umsetzung (z. B. die Frage der Einfiihrung derartiger Ökosteuern im repräsentativen Demokratien) genauso unerläßlich. Das Ziel dieser Arbeit besteht darin, mit Hilfe der Neuen Politischen Ökonomie die Frage der Durchsetzbarkeit ökologisch-orientierter Wirtschaftspolitik in repräsentativen Demokratien zu analysieren. Hierbei wird insbesondere die Interaktion zwischen den Wählern, Politikern, Interessengruppen sowie der Bürokratie bezüglich ihrer eigennützigen Ziele im Hinblick auf eine ökologisch-orientierte Wirtschaftspolitik untersucht. Aus Sicht der Neuen Politischen Ökonomie ist es gerade in repräsentativen Demokratien nicht erstaunlich, daß beispielsweise eine Vielzahl von (aus ,,rein" traditioneller ökonomischer Sicht) wohldurchdachten Vorschlägen zur Einfiihrung von Ökosteuern bzw. der Ökologisierung des Steuersystems gemacht, jedoch kaum Konzepte mit ökologisch/ökonomischen Lenkungseffekten realisiert werden. Darüber hinaus wird in den meisten Studien die Frage vernachlässigt,
·Eine erste Fassung dieser Arbeit wurde auf der Ausschußsitzung für Umwelt- und Ressourcenökonomie im Verein für Socialpolitik, TU Dresden, 26.-27. -April 1996 und an den Universitäten Leipzig, Chernnitz und Magdeburg vorgetragen. I Hierzu gibt es mittlerweile eine Vielzahl von Studien über Österreich und Deutschland, auf die hier nicht naher eingegangen wird. Vgl. z. B. DIW, 1994; Schneider, 1993, 1994; Köppl, Kratena, Pichl, Schebeck, Schleicher, Würger, 1995 sowie Schneider, Stiglbauer, 1995.
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weshalb ungeachtet einer Vielzahl "ökonomisch sinnvoller (d. h. effizienter) Vorschläge" zur Weiterentwicklung des ökologischen Gehalts der Sozialen Marktwirtschaft ein noch immer sehr großes Vollzugsdefizit festzustellen ist, das sowohl durch Unterlassungen als auch durch einen aus Sicht der traditionellen Ökonomie ineffizienten Instnunenteneinsatz geprägt ist. 2 Damit die Erklärung "dieses Vollzugsdefizites" im Rahmen der politisch-ökonomischen Analyse gelingen kann, ist zwischen dem Verhalten von Wählern, Politikern bzw. Regierungen, Verbänden sowie der ausfiihrenden Verwaltung zu unterscheiden. Das Ziel dieses Beitrages besteht somit darin, mit Hilfe der Neuen Politischen Ökonomie zu erklären, warum unter den derzeitigen Voraussetzungen so wenig zur Ökologisierung des Wirtschafts-(Steuer-)systems geschieht bzw. durchgesetzt werden kann. In Kapitel B dieser Arbeit wird zunächst auf die Frage der Durchsetzbarkeit einer ökologisch-orientierten Wirtschaftspolitik bei den Wählern eingegangen, wobei zum einen der Konflikt mit anderen wirtschaftspolitischen Zielen (z. B. Beschäftigung) und zum anderen die Problematik des öffentlichen Gutes und des "Trittbrettfahrens" im Vordergrund der Analyse stehen. Kapitel C setzt sich dann mit der ökologischen Wirtschaftspolitik und deren Durchsetzungschancen aus dem Blickwinkel wiederwahl orientierter Politiker auseinander. Kapitel D und E beschäftigen sich mit der Beeinflussung einer ökologisch-orientierten Wirtschaftspolitik durch Interessengruppen und Verwaltung. Eine Zusammenfassung sowie ein kurzes Resümee in Kapitel F schließen die Arbeit ab.
B. Die Frage der Durchsetzbarkeit einer ökologisch-orientierten Wirtschaftspolitik bei den Wählern Unter dem Aspekt eines stark gestiegenen Umweltbewußtseins scheint die Möglichkeit, eine Wirtschaftspolitik der Nachhaltigkeit und innerhalb dieser eine ökologisch-orientierte Steuerpolitik bei allgemeinen Wahlen durch Mehrheitsentscheidungen durchzusetzen, nicht unrealistisch zu sein. Im Hinblick auf Wählerpräferenzen läßt sich beispielsweise feststellen, daß nach Meinung der österreichisehen und deutschen Bevölkerung eine Reihe von Umweltproblemen in den 80er und 90er Jahren für immer bedeutsamer gehalten und neben dem Problem der Arbeitslosigkeit ausnahmslos an vorderster Stelle bei Befragungen
2 Mit der Neuen Politischen Ökonomie und Umweltpolitik beschäftigen sich nach Kenntnis der Verfasser eine deutlich geringere Zahl von Studien, so z. B. Holzinger, 1987; Frey, 1992; Horbach, 1992; Frey, Kirchgässner, 1994; Weck-Hannemann, 1994; Gawel, 1995b; Kurz, Volkert, 1995, 1997.
Realisierung ökologisch-orientierter Wirtschaftspolitik
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genannt werden. 3 Man kann daher die Hypothese aufstellen, daß schon aus diesem Grund die Realisierungschancen einer ökologisch-orientierten Wirtschaftspolitik hoch sein sollten. Zu beachten ist jedoch, daß die dadurch erreichte Verbesserung der Umweltqualität bzw. die Vermeidung von Beeinträchtigungen der Umwelt für den einzelnen Wähler den Charakter eines öffentlichen Gutes aufweist und somit bei kurzfristig eigennützigem Verhalten des Wählers sehr wenig Anreize bestehen, die eigene Wählerstimme zugunsten eines solchen Maßnahmenkataloges abzugeben. Statt dessen legt das kurzfristig eigennützige Investitionskalkül des Wählers nahe, jene Partei(en) zu wählen, die für die eigenen Privatinteressen (z. B. Arbeitsplatzsicherung) stärker eintreten, und die Abstimmung zugunsten von Umweltverbesserungen als Trittbrettfahrer anderen Wählern zu überlassen. Damit konkurriert das zum Beispiel durch Öko-Steuern zu erreichende Umweltverbesserungsziel bei Wahlen mit anderen (wirtschafts-) politischen Zielen, die zumindest in geringer~m Maße den Charakter eines öffentlichen Gutes aufweisen. So wird beispielsweise die eigene Beschäftigungssituation Vorrang vor einer ökologischen (Wirtschafts-) Politik besitzen, die ja (naturgemäß) vielmehr der Allgemeinheit zugute kommt~ In der Tat ist festzustellen, daß beispielsweise in Regionen bzw. Städten mit relativ hoher Arbeitslosigkeit das Beschäftigungsproblem derart dominiert, daß signifikant weniger Stimmen für stark ökologisch ausgerichtete Parteien abgegeben werden. 4 Des weiteren zeigt Horbach (1992) in einer empirischen Untersuchung für die BRD, daß die Wahlchancen ökologisch-orientierter Parteien umso geringer sind, je bedeutender in der entsprechenden Region die Chemie- und Metallindustrie ist, deren Position durch eine stärker ökologisch orientierte Wirtschafts-(Steuer-)politik geschwächt würde. Zusammengefaßt kann festgestellt werden, daß die Abhängigkeit der Wahlergebnisse von wirtschaftlichen Strukturdaten (z. B. von der Arbeitsmarktlage, der Inflation und dem verfügbaren Einkommen) zumindest ein starkes Indiz für die Wirksamkeit des Eigennutzmotivs der Wähler darstellt,S das aber die Durchsetzung einer ökologisch orientierten Politik durch breite Wählerschichten hemmen kann. Der Charakter des öffentlichen Gutes einer ökologisch orientierten Wirtschaftspolitik ist jedoch nicht der einzige Grund, der eine größere, d. h. mehrheitsfähige Wählerzustimmung zugunsten einer solchen Politik erschwert. Vielmehr müssen auch die Komplexität und die zur Zeit schwer abschätzbaren Konsequenzen einer solchen Politik berücksichtigt werden, die ein relativ hohes Ausbildungsniveau des Wählers voraussetzen, um die für den ein3 Vgl. hierzu beispielsweise die in Osterreich in regelmäßigen Abstanden veröffentlichten Umfrageergebnisse des IMAS-Institutes - IMAS-report, 1995, 1996 in Lioz. Hinsichtlich der Entwicklung in Deutschland sei auf Horbach, 1992 verwiesen. 4 Vgl. hierzu für die BRD Horbach, 1992. 5 Vgl. hierzu Schneider, 1994 und Paldam, 1991.
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zeinen Wähler erkennbaren Auswirkungen der unterschiedlichen ökologischen Wirtschaftsprogramme der einzelnen Parteien sinnvoll kalkulieren zu können. Es ist daher nicht erstaunlich, daß nicht nur eine gute wirtschaftliche Leistungskraft einer Region (Stadt, Bundesland), sondern zugleich ein hohes Bildungsniveau der Wähler nachweislich positive Effekte auf die Wahlergebnisse stark umweltorientierter Parteien besitzen. 6 Die Unterstützung einer ökologischorientierten Wirtschaftspolitik setzt jedoch nicht nur ein hinreichendes Bildungsniveau der Wähler, sondern auch die Verfügbarkeit ausreichender Informationen über die ökologische Problemstellung voraus. Selbst dann ist jedoch keineswegs sicher, daß ein rationaler Wähler zugunsten einer ökologisch-orientierten Wirtschaftspolitik stimmt, da sein eigener Wahleinfluß in der Regel so gering ist, daß er seine Situation durch die Art der Stimmabgabe ohnehin nicht zu ändern vermag. Allerdings ist für die Wahlbeteiligung zudem ein sogenanntes Konsummotiv bedeutsam. 7 Schließlich stiftet die Stimmabgabe oftmals unabhängig vom Wahlausgang bereits deshalb Nutzen, weil dabei zum Beispiel im Einklang mit "staatsbürgerlichem Bewußtsein" gehandelt wird. Denkbar ist zudem, daß die Wahlbeteiligung auch eine individuelle Freude an der Teilnahme am politischen Prozeß zum Ausdruck bringt, ähnlich der die dazu führt, daß sich diese Wähler an politischen Diskussionen beteiligen oder das Bedürfnis empfinden, der Unterstützung bestimmter Politiker Ausdruck zu verleihen. 8 Wesentliche Bedeutung für ein solches Interesse an politischen Auseinandersetzungen, d. h. für einen relativ hohen Konsumnutzen des Wählens, besitzen auch hier der Bildungsgrad sowie der Informationsstand einzelner Bürger. Aufgrund des geringen individuellen Einflusses auf die Wahlentscheidung muß allerdings damit gerechnet werden, daß Wähler in der Regel nur wenig informiert sind und ihre Wahlentscheidung mit relativ wenig Sorgfalt vorbereiten. Sofern die Informationen von Wählern über Nachhaltigkeitsfragen verbessert werden, ist der Wahlmechanismus ein durchaus geeignetes Instrument zur Offenlegung von Präferenzen für entsprechende umweltpolitische Maßnahmen. Ursächlich hierfür sind die Unabhängigkeit des Konsumnutzenmotivs vom 6 Vgl.
hierzu Kurz, Volkert, 1997. gilt insbesondere, wenn der geringe Einfluß des einzelnen Wählers auf die Wahlentscheidung berücksichtigt wird, durch die der lnvestitionsnutzen erheblich verringert wird. Schließlich ist die hierbei entscheidende Wahrscheinlichkeit, den Wahlausgang durch die eigene Stimme zu beeinflussen, extrem niedrig. Die Betrachtung des lnvestitionsmotivs allein kann daher zu einem "Paradoxon des Nichtwählens" führen, das auch dann auftritt, wenn das Wahlergebnis von erheblicher Bedeutung für den Wähler ist. Hingegen ist der Konsurnnutzen unabhängig vom Wahlausgang, so daß durch Einführung des Konsurnmotivs des Wahlens auch dieses Nicht-Wahlparadoxon aufgelöst werden kann. Vgl. hierzu Volkert, 1996. 8Vgl. Brennan, Lomasky, 1983. 7 Dies
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Wahlausgang ebenso wie der relativ geringe Einfluß des einzelnen Wählers auf das Wahlergebnis. Gerade weil die Wählerstimme einen sehr geringen Einfluß auf das Wahlergebnis besitzt, können eigene Präferenzen "gefahrlos" enthüllt werden. So ist es einem Wähler möglich, seinen tatsächlichen Präferenzen entsprechend, für sehr einschneidende, kostenintensive Reformmaßnahmen zu stimmen, da sich aus der Stimmabgabe allein noch keine weiteren Konsequenzen, beispielsweise in Form höherer individueller Belastung ergeben. Voraussetzung hierfür ist jedoch, daß die theoretisch begriindbaren und empirisch festzustellenden Informationsdefizite von Wählern überwunden, und damit die Grundlagen eines allgemeinen Umweltbewußtseins geschaffen werden. Beispielsweise üben publizitätsträchtige umweltpolitische Aktivitäten, wie die des Club of Rome zu den Grenzen des Wachstums ebenso wie eine Thematisierung bestimmter umweltpolitischer Sachverhalte, etwa des Katalysatorautos oder auch der Waldschadensdiskussion einen empirisch nachweisbaren positiven Einfluß auf die Sensibilität der Bevölkerung für Umweltprobleme aus. Zudem besitzt eine solche höhere Wählersensibilität für Umweltprobleme einen signifikant positiven Einfluß auf das Ausmaß umweltpolitischer Maßnahmen, wobei sich diese Sensibilität in Deutschland in der Regel mit einer zeitlichen Verzögerung von etwa 3 Jahren auf die Gesetzgebungstätigkeit auswirkt. 9 Auf eine möglichst objektive, nicht einseitige Informationsbereitstellung ist daher größten Wert zu legen. Insgesamt kann man aus dem Rationalkalkül des Wählers die Schlußfolgerung ziehen, daß in vielen Situationen eine Mehrheit der Wähler nicht zugunsten von Umweltprogrammen abstimmen wird, deren Nutzen ihnen nur als öffentliches Gut zuteil wird.
C. Ökologische Wirtschaftspolitik aus dem . Blickwinkel wiederwahlorientierter Politiker Wechselt man die Betrachtungsweise vom Verhalten der Wähler zum Verhalten rational agierender (d. h. in bestimmten Zeitabständen primär an ihrer Wiederwahl interessierter) Politiker, so sind die Durchsetzungschancen einer ökologischen Wirtschaftspolitik ebenfalls als gering einzuschätzen. Für diese Hypothese spricht, daß eine ökologische Wirtschaftspolitik, die sich an langfristigen Grundsätzen zu orientieren versucht, sehr leicht in Widerspruch zur Präferenz wiederwahl orientierter Politiker gerät, die jene wirtschaftspolitischen Maßnahmen bevorzugen, die zumindest für einen Teil der Wähler einen unmittelbaren und deutlich spürbaren Nutzen und erst spätere Kosten bzw. Nutzen-
9
Vgl. Horbach, 1992.
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einbußen verursachen sollen. lo Es ist somit gerade der nur sehr langfristig spürbare Nutzen einer ökologisch orientierten Wirtschafts-(Steuer-)politik, der mit Blick auf zukünftige Generationen kaum aktuelle Wählerstinunen verspricht. Dazu kommt noch die Notwendigkeit, den derzeitigen Generationen bzw. Wählern möglicherweise beträchtliche steuerliche Lasten aufzuerlegen - ein Umstand, der dann zu einer noch geringeren Durchsetzbarkeit einer ökologischorientierten Wirtschaftspolitik im politischen Prozeß führt. Dies gilt um so mehr, als eine organisierte Wählerstinunenkampagne der Betroffenen absehbar ist, denen aufgrund einer solchen umweltpolitischen Strategie Steuerlasten und andere wirtschaftliche Nachteile (z. B. der Verlust des Arbeitsplatzes oder Konsumverzicht) auferlegt werden müßten. Hierbei ist insbesondere die Drohung mit dem Verlust bzw. dem Abbau von Arbeitsplätzen hervorzuheben, die beispielsweise von einer Koalition von Arbeitgebern und Arbeitnehmern der entsprechenden Produktionsbereiche vorgebracht wird. Gegen einen derartigen Pakt kann in der Regel eine aktive Umweltpolitik nicht durchgesetzt werden. Der Einfluß einer solchen Koalition verursacht bei Politikern häufig, aufgrund des bereits erörterten Zusammenhangs zwischen Arbeitslosigkeit bzw. Beschäftigungssituation einerseits und den Wählerpräferenzen für eine aktive Umweltpolitik andererseits, beträchtliches Zögern oder sogar eine Ablehnung einer ökologisch-orientierten Wirtschaftspolitik. Ein Indiz, wie wenig wiederwahlorientierte Politiker an Umweltfragen bzw. an nachhaltiger Wirtschaftsweise interessiert sind, ist in der Tatsache zu sehen, daß in der Umweltpolitik Wahlzyklen zwar festgestellt werden,l1 diese jedoch bedeutend schwächer ausfallen als in anderen wirtschaftspolitischen Bereichen, mit denen (z. B. durch zusätzliche Transfers für bestinunte Wählergruppen) offenbar sehr viel eher Wählerstimmen zu gewinnen sind als mit einer ökologischorientierten Wirtschaftspolitik. Im Hinblick auf die einzusetzenden Instrumente ist ferner festzuhalten, daß sich Politiker, die in rationaler Weise (d. h. eigennutz- bzw. wiederwahlorientiert) stark spürbare, d. h. "wählerwirksame" instrumente (z. B. Steuersenkungen vor Wahlen) bevorzugen,12 deren Nutzen auch den politisch Verantwortlichen sofort zugeschrieben wird, in vielen Fällen bei umweltpolitischen Anliegen eher fiir eine - aus Sicht der traditionellen Ökonomie - ,,ineffiziente" Instrumentenkombination entscheiden. Dies beruht darauf, daß die unter Wiederwahlaspekten sehr bedeutenden Kriterien hoher Merklichkeit und sofortiger Nutzenzurechnung und erst später sichtbar werdender Kosten bei Instrumenten wie ordnungsrechtlichen Vorgaben (z. B. Verbote) und in 10 Vgl. 11
Volkert, 1996.
Vgl. Horbach, 1992 und Frey, 1992.
12 Welche Instrumente zur Sicherung der Wiederwahl von eigennützig handelnden Politikern eingesetzt werden, wird ausführlich in Pommerehne, Schneider, 1983 sowie Schneider, 1994 erörtert.
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etwas geringerem Maß auch bei Subventionen für die staatliche Beseitigung von Umweltschäden eher erfiillt sind als beispielsweise im Fall von Umweltabgaben. Umweltabgaben oder Zertifikate werden von rational handelnden (d. h. an der Wiederwahl orientierten) Politikern schlechter, d. h. für ihre eigennützigen Ziele als ,,ineffizient" beurteilt, da der Nutzen solcher Maßnahmen nur teilweise, die deutlich spürbaren Kosten (der Belastung) dagegen zur Gänze der Regierung zugeschrieben werden. Die geringe Attraktivität einer ökologisch-orientierten Wirtschafts-(Steuer-)politik im Parteienwettbewerb um Wählerstimmen wird somit dazu führen, daß sie mit hoher Wahrscheinlichkeit keine politische Priorität genießt. Diese Tendenz wird zusätzlich dadurch verstärkt, daß die Ausdehnung von Staatsaktivitäten für umweltpolitische Belange sehr rasch an Finanzierungsgrenzen staatlicher Instanzen stößt. In dieser Situation ist es nur konsequent, daß Kürzungen von Subventionen oder Einschränkungen von Programmen durch rational entscheidende Politiker häufig bei Umweltvorhaben vorgenommen werden, da ihre Wiederwahlziele dadurch am wenigsten beeinträchtigt werden. Die Konsequenz aus einem derartigen Verhalten der Politiker ist, daß selbst dann, wenn es trotz aller absehbaren Schwierigkeiten gelingen wird, erste (bedeutende) Schritte in Richtung einer ökologischen Wirtschaftspolitik zu setzen, nach diesen Überlegungen der Neuen Politischen Ökonomie die Gefahr besteht, daß budgetäre Kürzungen insbesondere bei den Maßnahmen für eine ökologisch-orientierte Wirtschaftspolitik vorgenommen werden, weil diese Aktivitäten einen relativ geringen Beitrag zur Sicherung von Wiederwahlzielen leisten. Inwieweit solche Kürzungsmaßnahmen auch tatsächlich durchgesetzt werden können, hängt nicht zuletzt davon ab, inwieweit jene Gruppierungen, die Umweltinteressen vertreten, organisationstahig und darüber hinaus gegen die Gruppen potentieller Adressaten von Umweltschutzmaßnahmen durchsetzungstahig sind.
D. Der Einfluß von Interessengruppen auf eine ökologisch-orientierte Wirtschaftspolitik Die große Bedeutung organisierter, gut informierter Interessengruppen für die Durchsetzung einer ökologisch-orientierten Wirtschaftspolitik ergibt sich daraus, daß die Legislative bereits vor der Verabschiedung von ökologischen Gesetzesvorhaben aufgrund der Komplexität der ThemensteIlung auf eine Vielzahl von Sachinformationen angewiesen ist, die sie ohne Mitwirkung von organisierten Gruppen in der Regel nicht zu beschaffen vermag. Offen bleibt hierbei zunächst, ob diese Informationen von wissenschaftlicher Seite, von anderen staatlichen Institutionen, von Umweltbewegungen bzw. von den Verbänden der
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potentiellen Adressaten der Umweltschutzmaßnahmen bezogen werden. Welche dieser Gruppen ihre eigenen Informationen und damit ihren Einfluß am stärksten im politischen Wettbewerb zur Geltung bringen kann, hängt, bei vergleichbarer Glaubwürdigkeit der jeweiligen Informationen, zum einen vom Gelingen der Organisation der Eigeninteressen und zum anderen von der gruppenspezifischen Durchsetzungsfähigkeit ab. Hinsichtlich der Fähigkeit zur schlagfertigen Organisation von ökologischorientierten VerbändenIParteien ist zunächst festzustellen, daß es sich hierbei (meistens) um sehr große Gruppen handelt. Aus der ökonomischen Theorie der Verbände\3 ist bekannt, daß eine effiziente Organisation von Verbänden mit großer Mitgliederzahl, die darüber hinaus auch noch sehr heterogene Ziele (gerade in der ökologischen Bewegung) verfolgen, äußerst schwer zu erreichen ist, da die Kosten ihrer Organisationsfähigkeit mit der Gruppengröße und der Anzahl der Ziele stark steigen. Als weitere Schwierigkeit für diese ParteienIVerbände kommt hinzu, daß künftige Generationen als potentielle Interessenten und Hauptnutznießer einer ökosozialen oder nachhaltigen Politik in den ökologischökonomischen Maßnahmen zwar mitberücksichtigt werden müßten, sich aber (logischerweise) an der aktuellen Finanzierung solcher Kosten nicht beteiligen können, was die Organisations- und Durchsetzungskosten der in der Gegenwart an einer ökologisch-orientierten Wirtschaftspolitik Interessierten stark erhöht. Zudem sehen sich Umweltgruppenl-parteien häufig dem Problem ausgesetzt, zu Beginn ihrer Aktivitäten nicht über eine Infrastruktur zu verfügen, die für eine effiziente Interessenvertretung im politischen Wettbewerb genutzt werden kann. Häufig müssen hierbei erst Informationen ermittelt, bzw. Experten zu deren Auswertung gewonnen werden. Die relativ hohen Kosten der Interessenorganisation werden von einer Umweltgruppe nur dann in Kauf genommen, wenn sie zumindest deutlich hinter der erwarteten ,,Rendite" zurückbleiben, die die Gruppenmitglieder durch die Aktivitäten ihrer Lobby zu erzielen vermögen. Aus der Perspektive der ökonomischen Theorie der Politik ergeben sich jedoch weitere Probleme. Als zusätzliche Rendite aus ökologisch orientierter Wirtschaftspolitik ist nur jene Rendite anzusehen, die nahezu ausschließlich den Gruppenmitgliedern zugute kommt. Dies bedeutet, daß, selbst wenn es Umweltparteien gelingt, eine hocheffiziente Vertretung und Durchsetzung einer ökologischen Wirtschaftspolitik zu erreichen, der Nutzen aus dieser Politik der gesamten Gesellschaft, d. h. allen Bürgern in einem Staat zugute kommen. Somit bietet sich aufgrund des "öffentlichen Guteffektes" für das einzelne Gruppenmitglied kaum ein Anreiz, vehement für diese Politik einzutreten und erhebliche Kosten in Kauf zu nehmen, da häu-
13
Vgl. hierzu MuelJer, 1989; Schneider, 1985 und Olson, 1968, 1985.
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fig die gleichen positiven Wirkungen auch als Trittbrettfahrer erlangt werden können. Abschließend ist festzuhalten, daß aus der Perspektive der Neuen Politischen Ökonomie die Umweltgruppenl-parteien bei ihren Aktivitäten bezüglich dem sehr langfristigen Ziel ökologisch-orientierter Wirtschaftspolitik in der Gegenwart hohe Organisations- und Durchsetzungskosten in Kauf nehmen müssen, denen häufig erst in weiter Zukunft entsprechende GewinneINutzen gegenüberstehen, die überdies fiir den einzelnen den Charakter eines öffentlichen Gutes aufweisen. Blickt man dagegen auf die Seite der Produzenten, so hängt deren Einflußart und -intensität davon ab, in welchem Maße bereits ein Strukturwandel in Richtung einer ökologisch-orientierten Wirtschaftspolitik stattgefunden hat. Schließlich wurde von Horbach (1992) gezeigt, daß die Verabschiedung weitreichender Umweltschutzgesetze möglich wird, sofern Umweltschutzindustrien bereits einen größeren Anteil an der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung besitzen und eine bedeutsame Zahl von Arbeitskräften beschäftigen. Ein solchermaßen forciertes Tempo umweltpolitischer Aktivitäten läßt sich umso eher erreichen, wenn sich diese Industriezweige zu Interessengruppen zusammenschließen und ein Gegengewicht zu jenen Gruppierungen bilden, die eher ein Hemmnis fiir eine ökologisch-orientierte Wirtschaftspolitik darstellen. Aufgrund der nur sehr zögerlichen ersten Schritte in Richtung eines umweltverträglichen Strukturwandels sind die potentiellen Adressaten momentan jedoch in erster Linie "Gegner" einer ökologisch-orientierten Wirtschafts(Steuer-)politik, die darüber hinaus noch eine weit größere Organisationsfähigkeit als die Umweltgruppen aufweisen. Diesen "Gegnern", etwa Unternehmen einzelner Branchen, kommt insbesondere zugute, daß ihre Gruppengröße in den meisten Fällen weit geringer ist als die der Initiatoren einer ökologischen Wirtschaftspolitik bzw. der davon Begünstigten, so daß es zu geringeren Kosten einer Kontrolle von Trittbrettfahrerverhalten kommen wird. Darüber hinaus sind auch die Kosten der "allgemeinen Infrastruktur" fiir diese Interessenvertretungen niedriger, da von bereits lang existierenden Verbänden in der Regel vorhandene Einrichtungen benutzt werden können. Gelingt es diesen GruppenIVerbänden darüber hinaus als selektive Anreize Informationen (z. B. über Subventionsmöglichkeiten bei umweltverträglicher Politik, aber auch Strategien zur Reduzierung von Kostenbelastung durch Umweltpolitik) zur Verfiigung zu stellen, so liegt der Nutzen dieser Informationen fiir die einzelnen Mitglieder deutlich über dem ,,reinen Konsumnutzen" wie bei der Umweltbewegung und läßt sich statt dessen als Ertrag einer ,,Investition im politischen Bereich" interpretieren, dessen konkrete Höhe sich durch die hierdurch erzielten monetären Vorteile kalkulieren läßt.
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Daß die Gruppen der potentiellen Adressaten der Umweltpolitik, zu denen sowohl Arbeitgeber- als auch Arbeitnehmerinteressen gehören, nicht nur besser organisations- sondern auch durchsetzungsfähiger sind als Umweltbewegungen, kann mit Hilfe folgender vier Faktoren begründet werden: (1) Bei den entsprechenden Industrie- und Gewerbeverbänden bestehen im Vergleich zu den Umweltbewegungen in der Regel ausreichend finanzielle Mittel fiir eine unmittelbare und effiziente Interessetiartikulation und -durchsetzung; (2) Industrie- und Gewerbeverbände haben - durch eigene Publikationen aber auch mittels der Beeinflussung verschiedener Medien - oft beträchtlichen Einfluß auf die Öffentlichkeit; 14 (3) die Marktmacht dieser Gruppen (Verbände), die häufig einen wesentlichen und entscheidenden Faktor fiir die Durchsetzungsfähigkeit ihrer Gruppeninteressen im politischen Prozeß darstellt, besteht nicht nur auf dem Güter-, sondern auch auf dem Arbeitsmarkt, insbesondere in der Drohung, ihre Produktion ins Ausland zu verlagern; (4) hinzu kommt eine personelle Vertretung entsprechender Verbände in legislativen Institutionen (Parlamente und Ausschüsse), die nicht allein die Begrenzung bzw. Abwehr einer ökologisch-orientierten Wirtschafts-(Steuer)politik, sondern auch die Wahrnehmung einer Reihe weiterer Aufgaben ermöglicht, so daß umweltpolitische Belange gewissermaßen als Kuppelprodukt der sonstigen Interessenvertretung artikulierbar sind. Insbesondere mit Blick auf die personelle Vertretung ist festzuhalten, daß die Mitwirkung industrieller und gewerblicher Interessengruppen im umweltpolitisehen Bereich vor allem über institutionalisierte Anhörungs- und Beteiligungsverfahren bereits in der Initiativphase von Gesetzgebungsvorhaben erfolgt. Die im politischen Wettbewerb vergleichsweise hohe Durchsetzungstahigkeit potentieller Adressaten, gegen die sich eine ökologisch-orientierte Wirtschafts(Steuer-) Politik richtet und bei denen noch häufig eine starke Verbindung zu den legislativen Instanzen hinsichtlich detaillierter Informationen bei der Konzeption von Maßnahmen im Umweltbereich besteht, fiIhrt dazu, daß sehr häufig Vereinbarungen zwischen dem politisch-administrativen System und den Verbänden der privaten Wirtschaft getroffen werden. In Deutschland sind solche Arrangements inzwischen in mehr als 50 Branchenabkommen, ,,freiwilligen Selbstver14 Allerdings sei darauf hingewiesen, daß in Fragen der Öffentlichkeitsarbeit Umweltgruppen durch spektakuläre Aktionen (z. B. Greenpeace gegen Shell im Herbst 1995) zuweilen wesentlich besser in den Medien vertreten sind als die Verbände (Gruppen) der Umweltgegner.
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pflichtungen" (z. B. der Automobilindustrie zum Angebot eines ,,5-Liter-Autos") und mehreren hundert Gremien zur Deftnition des Standes der Technik sichtbar. 1s Selbst wenn grundlegende Entscheidungen formal bei der gewählten Legislative verbleiben, wird die Wirksamkeit umweltpolitischer Maßnahmen dadurch gemindert, daß einflußreichen Verursacherinteressen durch Modiftkationen entgegengekommen wird, die der "wirtschaftlichen Vertretbarkeit" dienen sollen. Hinter diesem Schlagwort verbirgt sich jedoch nicht selten eher ein politischer Vorwand als ein gesamtwirtschaftlich fundiertes Argument. 16 Insgesamt zeigt sich in repräsentativen Demokratien, daß Arrangements zwischen dem politisch administrativen System und den privaten Produzenteninteressen, die zunächst zumindest beiden Parteien (dem Staat und der Industrie) einen größeren Handlungsspielraum gewährleisten sollten, letzten Endes den Handlungsspielraum der industriellen und gewerblichen Interessengruppen mit Hilfe von weitgehend selbstdeftnierten Regelungsinhalten beträchtlich erweitern. Demgegenüber erweisen sich Arrangements zwischen dem politisch administrativen System und privaten Interessengruppen zugleich nicht selten als Ursache für eine starke Abhängigkeit politischer Instanzen von der Privatwirtschaft. Eine solche Abhängigkeit ist nicht nur deshalb problematisch, da hierdurch hemmende bzw. verzögernde Faktoren in der Umweltpolitik wirksam werden, sondern auch, weil die Verbände der Privatwirtschaft konsequenterweise eine starke Präferenz für einen Einsatz (zum Teil) ineffizienter umweltökonomischer Instrumente haben. Hieraus folgt, daß selbst dann, wenn in der politischen Sphäre Maßnahmen zugunsten einer ökologischen Wirtschafts(Steuer-) politik realisiert werden können, deren Wirkung unter dem Einfluß von Interessen der Privatwirtschaft abgeschwächt wird, da häuftg die Auswahl der instrumente nicht an gesamtwirtschaftlichen Effizienzüberlegungen, sondern an den engen Eigeninteressen der einzelnen Verbände erfolgt. Aus Sicht der Neuen Politischen Ökonomie ist für die von umweltpolitischen Maßnahmen direkt Betroffenen das Instrument der Auflagen anderen umweltökonomischen Instrumenten vorzuziehen, soweit sich umweltpolitische Regelungen nicht gänzlich verhindern lassen. Ein wesentlicher Grund für die Bevorzugung dieses Instrumentes besteht darin, daß bei umweltpolitischen Auflagen nur die bestimmte Emissionsgrenzen übersteigenden Verschmutzungen vermieden werden müssen, während die restlichen Emissionen, deren Umfang nicht IS Vgl. Maier-Rigaud, 1996. 16 Mit
Blick auf die Bundesrepublik Deutschland werden von Sandhövel, 1994a, insbesondere der Bund der Deutschen Industrie (BOI) sowie der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHT) als besonders einflußreiche Produzenteninteressen genannt. 37 Peters
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die Grenzwerte erreicht, kostenlos bleiben. Darüber hinaus ergeben sich für die beteiligten Unternelunen in der Realität häufig wirtschafts- und wnweltpolitische Spielräwne: So können bei speziellen technischen Auflagen Verhandlungen gefillrrt werden, die Ausnaluneregelungen für die betroffenen Finnen ermöglichen. Die bessere und einseitige Information der beteiligten Unternelunen über Vermeidungstechnologien und -kosten kann dazu führen, daß Vereinbarungen (Kompromisse) im überwiegenden Interesse der Privatwirtschaft (Produzenten) getroffen werden. Entsprechend können hierbei viel besser als bei anderen Instrwnenten (z. B. Ökosteuern) auch Ausnaluneregelungen durchgesetzt werden. Hinzu kommt, daß sich eine darüber hinausgehende Verschärfung von Auflagen in vielen Fällen als ungeeignet und wenig wirksam erweist, da die staatlichen Kontrollorgane Verstöße gegen die verschärften Auflagen nur unzureichend kontrollieren und ahnden können, so daß die tatsächlich anfallenden zusätzlichen Vermeidungskosten durch die Unternelunen wnso weniger steigen werden, je schwieriger die Kontrolle wird und je höher das Niveau von Umweltschutzmaßnalunen bereits ist. Ferner können strenge Auflagen wettbewerbsverzerrend und als Markteintrittsbarriere wirken, wenn potentielle Konkurrenten mit einer anderen Technologie produzieren, so daß sich Rent-Seeking Potentiale der Alt-Emittenten ergeben. Das Argwnent der Wettbewerbsverzerrung und der Markteintrittsbarriere gilt nur dann nicht, wenn neu eintretende Firmen in der Lage sind, das politisch administrative System so zu beeinflussen, daß sie ihre eigene Vermeidungstechnologie als neue Auflage anerkannt bekommen und daraufhin ineffiziente AltEmittenten vom Markt verdrängt werden. Diese Qberlegung kann jedoch nicht als Rechtfertigung für eine Auflagenlösung aus gesamtwirtschaftlicher Sicht dienen, da auch hier der Nachteil gegenüber Steuern/Abgaben und Zertifikatslösungen darin besteht, daß zwar der Wettbewerb nicht wie in anderen Fällen behindert wird, aber eine Wettbewerbsforderung nur durch gezielten politischen Lobbyismus, d. h. mit Hilfe zusätzlicher Rent-Seeking Kosten entsteht. Die politisch-ökonomisch gut begründbare (gesamtwirtschaftlich jedoch ineffiziente) Präferenz für administrative Umweltregelungen der potentiellen Adressaten einer Umweltpolitik zeigt sich auch in Umfragen unter den betroffenen Unternehmen. Horbach (1992) zufolge sprechen sich bei Befragungen fast zwei Drittel für Auflagen aus, während nur ein Drittel Abgaben präferiert. Hierbei ist die Einschätzung der befragten Unternelunen interessant, die argwnentieren, daß Umwelt-Auflagen eher erfiillbar seien und weniger Streitereien und Kosten verursachten als entsprechende Umweltabgaben. Auch diese Aussagen können als Indiz für erhebliche Verhandlungsspielräwne bei Auflagenlösungen gesehen werden, so daß eine Präferenz der Privatwirtschaft für administrative Umweltregelungen nicht erstaunlich wäre.
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Nicht nur der wesentlich geringere Verhandlungsspielraum bei der Umsetzung bzw. beim Vollzug von Abgaben und Steuern, sondern auch die Tatsache, daß für die gesamte Emissionsmenge Kosten entstehen, fUhren dazu, daß Umweltsteuern aus Sicht der Unternehmen politisch abgelehnt werden. Ähnlich kann der Widerstand von Produzenten gegen Zertifikatslösungen begründet werden. Zertifikate unterscheiden sich von den Auflagen darin, daß zwar Vermeidungskosten durch eine Emissionsobergrenze entstehen, daß jedoch bei der Zertifikatslösung zusätzliche Kosten für den Erwerb entsprechender Rechte in Kauf zu nehmen sind. Hinzu kommt, daß Alt-Emittenten bei der Umstellung von Umweltauflagen auf Umweltzertifikate insofern eine Besitzstandseinbuße hinnehmen müssen, als ihre bisher kostenlose Produktionsgenehmigung umgewandelt und durch Zertifikate ersetzt wird, die neu erworben werden müssen. 17
E. Möglichkeiten und Grenzen der Realisierung ökologischer Wirtschafts-(Steuer-)politik durch Verwaltungen Politischer Einfluß von Produzenteninteressen besteht jedoch nicht nur auf der legislativen sondern auch auf der Ebene der Exekutive des politisch administrativen Systems. Dieser ist um so bedeutender, als das Gewicht der öffentlichen Verwaltung, etwa in Deutschland, insbesondere im Verlauf der Entstehung eines umweltpolitischen Programms, durch Verlagerungen von Entscheidungskompetenzen in der Vergangenheit kontinuierlich zugenommen hat. Die Ministerialbürokratie erweist sich hierbei aufgrund eines Wissensvorsprungs, der auf intensiven Kontakten zu Wirtschaftsverbänden beruht, immer häufiger als Impulsgeber und Vermittler organisierter Gruppeninteressen. Bei der Legislative verbleibt dagegen mehr und mehr die Funktion, lediglich jene Programme formal zu legitimieren, die von der Verwaltung inhaltlich weitgehend vorstrukturiert wurden. Darüber hinaus besitzen auch nachgeordnete Umweltverwaltungsebenen wachsenden Einfluß auf die konkrete Ausgestaltung komplexer Umweltprogramme. In Deutschland haben hierbei insbesondere die Gewerbeaufsichtsämter und kommunalen Umweltämter einen erheblichen Bedeutungszuwachs im Rahmen der Genehmigung, Kontrolle, Dimensionierung und Sanktionierung umweltpolitisch relevanter Programme und Verhaltensweisen erfahren. 18 Daß es sich bei den zuständigen Umweltverwaltungen keineswegs nur um weisungsgebundene Vollzugsorgane handelt, die den Intentionen des Gesetzge17 Das Argument von Vaubel, 1996, deren Widerstand könne durch eine Gratisvergabe von Zertiftkaten an Altemittenten überwunden werden, ist zumindest dann nicht uneingeschrankt aufrechtzuerhalten, wenn, wie es im Rahmen einer ökologisch-orientierten Wirtschaftspolitik zumindest in manchen Bereichen erforderlich ist, die Anzahl der Lizenzen im Zeitveriauf reduziert wird. \8 Vgl. Gawel, 199580 sowie Horbach, 1992.
37"
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bers in vollem Umfang zu entsprechen versuchen, zeigen empirische Untersuchungen von Holzinger (1987), nach denen die Ziele "ökonomische Effizienz" und "volkswirtschaftliche Kostenoptimierung" für die Mitarbeiter deutscher Umweltbehörden nach deren eigenem Bekunden von nur untergeordneter Bedeutung sind. Hieraus läßt sich schließen, daß die Behördenmitarbeiter, unabhängig von gesamtwirtschaftlichen Erwägungen, eigene Ziele verfolgen. Umweltbehörden besitzen hierbei ein vitales Interesse an umweltpolitischen Maßnahmen, die arbeits- und ressourcenintensiv sind. Auf diese Art und Weise können Verwaltungen durch gezielte budgetäre Forderungen rasch wachsen, sie sind in der Lage mehr Mitarbeiter einzustellen und sie können jährlich über höhere Budgets verfügen. Daher werden auch Verwaltungen, die sich mit Umweltproblemen befassen, alles daran setzen, jene Umweltmaßnahmen vordringlich durchzuführen, die verwaltungsintensiv ausfallen. Wendet man die Bürokratietheorien von Niskanen (1971) sowie Migue und Belanger (1974) an, so kann man analysieren, welche Konsequenzen sich aus dem Streben der Umweltbehörden nach Budgetmaximierung bzw. diskretionärem Spielraum ergeben. Nach einer Untersuchung von Holzinger (1987) verlangen etwa 76 Prozent aller Mitarbeiter der befragten Umweltbehörden in der BRD eine Steigerung ihres Etats, verbunden mit zusätzlichen Zuständigkeiten. Dies deutet in der Tat auf die Verfolgung des Niskanenschen Ziels der Budgetmaximierung hin, wenngleich nicht übersehen werden darf, daß wachsende ökologische Probleme unabhängig von der Zielsetzung der Umweltverwaltung in vielen Fällen einen Ausbau von Budget und Zuständigkeit auch ökonomisch als gerechtfertigt erscheinen lassen. Inwieweit solche Budgetmaximierungsziele realisiert werden können, hängt jedoch auch vom Umfeld der jeweiligen Verwaltungseinheit ab. Auch Umweltverwaltungen können sich nur dann in der Konkurrenz um Mittelzuweisungen durch politische Instanzen gegen andere Verwaltungszweige durchsetzen, wenn dies den rational handelnden Politikern höhere Wählerstimmenanteile verspricht. Diese Bedingung ist zumindest dann nicht gewährleistet, wenn es sich um Kommunen handelt, in denen verbandlich gut organisierte Industrieunternehmen durch die Folgen umweltbürokratischen Handelns hohe Vermeidungskosten in Kauf nehmen müßten. Horbach (1992) hat dementsprechend empirisch gezeigt, daß die Umweltverwaltung besonders in jenen Städten unterstützt wird, in denen nur wenige Industrieunternehmen auftreten, die hohe Investitionen für Vermeidungstechnologien aufwenden müßten. Sofern das Ziel der Budgetmaximierung in einem gegebenen kommunalen Umfeld von den Umweltbehördenmitarbeitern nur schwer zu erreichen ist, ist nach Migue und Belanger (1974) die Erzielung diskretionärer Spielräume als weiteres Ziel der Beschäftigten zu erwarten. In der Tat sprachen sich beispielsweise 49 Prozent aller befragten Mitarbeiter einer deutschen Umweltbehörde
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dafür aus, daß seitens der politischen Instanzen möglichst wenig geregelt werden solle, um den Behörden einen großen Spielraum fiir eigene Entscheidungen zu belassen. Nur 36 Prozent waren der Meinung, Behörden sollten klare Vorgaben erhalten. 19
Diskretionäre Spielräume sind auch erforderlich, um jenen Verbandsinteressen Rechnung tragen zu können, fiir die die Fachreferate z. B. der bundesdeutschen Ministerien gerade im umweltpolitischen Bereich mehr noch als das Parlament einen wichtigen Ansatzpunkt darstellen. Auch hier zeigt sich, daß der Einfluß der verschiedenen potentiellen Interessengruppen äußerst asymmetrisch verteilt ist und sich speziell die "Öffentlichkeit" im Rahmen bürokratischer Entscheidungsprozesse kaum zu artikulieren vermag. Wesentliche Änderungen werden statt dessen vorwiegend von einflußreicheren Verbänden, unter ihnen der Bund der deutschen Industrie sowie kommunale Spitzenverbände, ausgelöst. In manchen Sektoren kommt es allerdings, ungeachtet der intensiven Kontakte, durchaus zu Konflikten. Beispielsweise verursachte bei fast 50 Prozent aller befragten Unternehmen in der Eisen- und Stahlindustrie die Kostenbelastung durch geplante Umweltschutzmaßnahmen Konflikte mit den Vollzugsbehörden. Derselbe Sektor schließt allerdings zugleich die meisten ,,Kompromisse pro Betrieb" mit den Umweltbehörden. 20 Diese Kompromisse werden jedoch durch die in der Regel vergleichsweise schwache Verhandlungsposition der Umweltverwaltungen geprägt. Schließlich bestehen zum einen auf Seiten der Umweltverwaltung selbst wenig Anreize, sich auf langwierige informelle und juristische Auseinandersetzungen mit Unternehmen und deren Verbänden einzulassen, da hierdurch Mittel gebunden werden, die fiir die individuellen Mitarbeiterziele nicht mehr zur Verfügung stehen. Zum anderen schränkt die - insbesondere in Regionen mit einem hohen Anteil umweltgefährdender Branchen auch aus der Perspektive der Neuen Politischen Ökonomie begründbare - zum Teil noch relativ schlechte Personalausstattung von Umweltbehörden deren Erfolgschancen in Verhandlungen mit gut organisierten Produzentenverbänden erheblich ein. Hiermit erklärt sich auch, weshalb nach Einschätzung der Mehrzahl befragter Behördenmitarbeiter die Adressaten von Umweltschutzmaßnahmen als ausgesprochen hemmend fiir die eigene Arbeit eingeschätzt wurden. Die asymmetrischen Kräfteverhältnisse in Verhandlungen zwischen Unternehmen und Umweltbehörden kommen zudem in zeitlichen Kompromissen bei der Errichtung von Umweltschutzanlagen und - von fast der Hälfte der in
19 Vgl. hierzu Gawel, 1994, 1995a. 20 Vgl.
Sandhövel, 1994b sowie Ullmann, 1982.
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Deutschland befragten Ämter gemachten - inhaltlichen Zugeständnissen bezüglich des Standes der Technik zum Ausdruck. Vergleichsweise seltene einseitige behördliche Sanktionen sowie die zudem relativ niedrigen Strafen sind ein weiteres Kennzeichen der schwachen Position von Umweltbehörden in (potentiellen) Auseinandersetzungen mit Produzenten. So werden in Deutschland nur gegen ca. 5 Prozent der Betreiber genehmigungspflichtiger Anlagen Sanktionen durchgeführt. Gründe hierfiir liegen nach Ansicht der Umweltverwaltungen keineswegs überwiegend in der weitgehenden Einhaltung bestehender Regelungen, sondern vielmehr in Beweisschwierigkeiten, hohem Verwaltungs aufwand bei Nachforschungen, dem Wunsch die Beziehungen zum Adressaten nicht zu beeinträchtigen sowie in der unzureichenden Ausstattung der Strafjustiz. Angesichts der ohnehin geringen Zahl der verfolgten Delikte ist die niedrige Höhe der verhängten behördlichen Sanktionen um so überraschender, gleichwohl mit der schwachen Position der Verwaltung durchaus zu erklären. In Kiel entfielen beispielsweise auf 714 verfolgte Ordnungswidrigkeiten im Bereich des Umweltschutzes nicht mehr als 59600 DM an Bußgeldern, d. h. 80 DM pro Fal1. 21 Daß es angesichts der schwachen Position der Umweltverwaltung überhaupt zu nennenswerten Maßnahmen kommen kann, läßt sich damit erklären, daß Konflikte zwischen den von umweltpolitischen Maßnahmen potentiell Betroffenen und den Verwaltungen vorwiegend mit Blick auf die Intensität von umweltpolitischen Maßnahmen entstehen, viel weniger jedoch hinsichtlich der Art der einzusetzenden Instrumente. Hierfiir ist die Anreizstruktur von Umweltbehörden ausschlaggebend, die deutliche Parallelen bezüglich des Instrumenteneinsatzes zu den entsprechenden Präferenzen der Unternehmensverbände aufweist. So ist beispielsweise die Tatsache, daß Umwelt-Auflagen in jedem Fall nur mit personal- und sachintensivem Aufwand erteilt werden können, aus Sicht der Umweltbehörden insofern positiv einzuschätzen, als hierdurch Spielräume fiir eine Ausdehnung des Verwaltungsbudgets aber auch diskretionäre Spielräume entstehen. Der vergleichsweise hohe diskretionäre Regelungsbedarf bei Auflagen, angefangen von einer genauen Definition des vorgegebenen umweltpolitischen Ziels unter Berücksichtigung des Standes der Technik, über die Sanktionsdrohungen bzw. Festsetzung von Mindestanforderungen bis hin zu den Kontroll- und Beobachtungsbefugnissen tragen dazu bei, daß sich ein Machtzuwachs fiir die Verwaltungen ergibt, der aus theoretischer Sicht durchaus mit den Präferenzen der Bürokratie übereinstimmt. Die von den Mitarbeitern der Umweltbehörden angestrebten Spielräume werden bei Auflagen gerade dann noch erhöht, wenn ·es zu Verhandlungen mit den betroffenen Unternehmen kommt. 21 Vgl. zur schwachen Position von Umweltverwaltungen, soweit nicht anders angegeben, Volkert, 1996 sowie die dort angegebenen Quellen..
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Darüber hinaus zeichnen sich Auflagen durch ein (bürokratisch erwünschtes, da Transaktionskosten senkendes) Maß an Rigidität aus, Wld erscheinen aus dieser Sicht aufgrWld der formalisierten Verfahren als praktikabel. Schließlich lassen sich mit dem sehr hohen Informationsbedarf, der beim Einsatz von Umweltauflagen häufig entsteht, weitere Budgetexpansionen begründen. Neben Auflagen, die aus bürokratietheoretischer Sicht sehr wohl im Interesse der Mitarbeiter von Umweltbehörden eingesetzt werden, bieten sich fiir die Umweltbehörden auch Subventionen als ein bevorzugtes umweltpolitisches instrument an - ein Instrument, das fiir Politiker ebenso attraktiv ist, da derartige Subventionen häufig sehr wählerwirksam eingesetzt werden können. Mit der Vergabe von Subventionen, über deren genaue Höhe die Umweltbehörde meistens (mit-) entscheidet, können Umweltschäden durch VergünstigWlgen statt Belastungen verringert werden, wodurch kostenintensive Konflikte mit den Betroffenen Wlter Umständen vermieden werden. Allerdings ist zu berücksichtigen, daß der Einsatz von Umweltsubventionen nur dann in größerem Umfang gelingen kann, wenn tatsächlich Ressourcen von anderen Verwaltungsbereichen abgezogen werden können oder zusätzliche Einnahmen zur VerfügWlg stehen. Die relativ geringe Attraktivität einer ökologisch-orientierten Wirtschafts(Steuer-)politik fiir wiederwahl orientierte Politiker wird jedoch dazu führen, daß dieses Instrument im Gegensatz zur AuflagenregelWlg keine dominierende Position einnehmen kann. Gänzlich anders fällt aus bürokratietheoretischer Perspektive die EinschätZWlg von UmweltabgabenlÖkosteuern seitens der Umweltbehörden aus. Während nämlich Auflagen aber auch Subventionen sehr häufig nur Wlter hohem Personal- Wld Sachaufwand fiir einzelne Unternehmen festgelegt werden können, besteht bei AbgabenlösWlgen sehr viel weniger Bedarf an diskretionären Eingriffen. Entsprechend ergeben sich bei Umweltsteuern auch bedeutend weniger VerhandlWlgsspielräume als bei individuell festzusetzenden Auflagen. Eine ZWlahme der Budgets bzw. Bedeutung der Umweltbehörden kann daher von LenkWlgsabgaben sehr viel weniger erwartet werden als von Auflagen. Darüber hinaus würden durch eine UmstellWlg derzeitiger Auflagen auf ein Abgabensystem als eher Wlvertrautes Instrumentarium hohe Flexibilitätsanfordenmgen Wld zusätzliche Transaktionskosten bei den Umweltbehörden entstehen - ein Umstand, der häufig gegen die traditionellen ZielvorstellWlgen der Verwaltungen verstieße. Nicht zu verkennen ist auch, daß die Konzipienmg optimaler Lenkungsabgaben erhebliche Mengen an Information über VermeidWlgskosten der Produzenten verlangen, die der Verwaltung Wlter Umständen nicht zur VerfügWlg stehen.
Im Gegensatz zur Abgaben- Wld AuflagenlösWlg ist der Informationsaufwand, der fiir eine Umweltbehörde durch Lizenz}ösWlgen erforderlich wäre,
584
Friedrich Schneider Wld Jürgen Volkert
deutlich geringer, da keine Infonnationen über betriebliche Grenzvenneidungskosten bekannt sein müssen. Lediglich die tolerierbare Gesamtbelastung und die daraus entwickelte ,,richtige" gesamte Emissionsmenge sowie unter Umständen die Abschätzbarkeit ökonomischer Auswirkungen von solchen Lizenzlösungen verlangen exakte Infonnationen aber auch eine sehr hohe Durchsetzungsfähigkeit der damit beauftragten Instanz. Für die Umweltbehörde ist dies aus bürokratietheoretischer Sicht jedoch kein Vorteil: Zum einen lassen die offensichtlich geringen Infonnationserfordernisse eine entsprechende (hohe) budgetäre Alimentierung als nicht erforderlich erscheinen; und zum anderen bestehen durch Lizenzen im Vergleich zu den bislang genannten Instrumenten sehr viel geringere Verhandlungsspielräume. Ähnlich wie bei AbgabenlÖkosteuern ist zudem fraglich, ob zusätzliche Finanzmittel überhaupt den Umweltverwaltungen zufließen. Ferner sei angemerkt, daß es sich bei den Zertifikaten um das am wenigsten bekannte bzw. etablierte Instrument in den deutschsprachigen Ländern handelt, bei dessen Anwendung auch fundierte Kenntnisse der Mitarbeiter bezüglich der Auflagenerteilung und der Kontrolle entwertet werden. Insbesondere hierdurch erklärt sich der Widerstand von Umweltbehörden gegen Lizenzen als häufig seitens der Ökonomie empfohlenes marktwirtschaftliches und umweltpolitisches Instrument. Bestätigt werden diese Überlegungen durch Befragungen, nach denen Zertifikate unter allen umweltpolitischen Instrumenten von den Mitarbeitern in deutschen Umweltverwaltungen am schlechtesten beurteilt werden. 22
F. Abschließende
Bemer~ungen
Insgesamt kann man aus diesen Ausfiihrungen erkennen, daß in repräsentativen Demokratien, in denen sowohl die politischen als auch die wirtschaftlichen Akteure nach dem Prinzip der Eigennutzmaximierung handeln - so wie dies die Neue Politische Ökonomie konsequent analysiert - eine aus der traditionellen ökonomischen Sicht effiziente ökologisch orientierte Wirtschafts(Steuer-)politik kaum Realisierungschancen hat. Es ist daher nicht erstaunlich, daß man ein beträchtliches Vollzugsdefizit beobachtet. Nur wenn es gelingt, die individuellen Präferenzen einer Mehrheit der Wähler immer stärker auf Umweltziele zu lenken und die sofort anfallenden Kosten als zukünftige "Umwelterträge" akzeptiert werden, dann wird auch der politische Druck groß genug sein, eine ökologisch orientierte Wirtschaftspolitik zu implementieren. Es verwundert nicht, daß, wie in den vorangegangenen Kapiteln gezeigt wurde, eine ökologisch orientierte Wirtschaftspolitik nicht eingefiihrt wird, sondern
22
Vgl. Holzinger, 1987 sowie Horbach, 1992.
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daß man, wie es 1996 etwa in Österreich "vorexerziert" wurde, zwn Beispiel die Öko steuern lediglich dazu verwendet, das entstandene Budgetdefizit zu verringern. Die Regierung nutzt hierbei die Öko-Illusion der Wähler fiir ihre eigennützigen Zwecke aus, indem man den Bürgern suggeriert, daß durch die Ökosteuern etwas fiir die Umwelt getan würde, die Steuern jedoch faktisch reinen Ertrags- und vernachlässigbaren Lenkungscharakter besitzen und fiir ganz andere Zwecke (etwa der Budgetsanierung) verwendet werden. Abschließend soll noch angedeutet werden, wie die in dieser Arbeit aufgezeigten Hindernisse (d. h. öffentlicher Gut-Effekt von Umweltmaßnahmen, Vorliebe der betroffenen Instanzen fiir die Auflagenlösung) zur Umsetzung einer ökologisch orientierten Wirtschaftspolitik überwunden werden können. Die folgenden Vorschläge stellen lediglich erste Ideen dar, die natürlich noch im Detail ausgearbeitet werden müssen: (1) Auch in der Umweltpolitik sollte das Subsidiaritätsprinzip viel stärker zur Anwendung kommen. In kleinen überschaubaren Einheiten können die Kosten/Nutzen vieler Umweltprobleme bzw. Umweltmaßnahmen viel besser lokalisiert und den Betroffenen zugerechnet werden. Dies ist auch deshalb unabdingbar, da die Umweltsituation, die Einstellung der Betroffenen zur Umwelt und die wirtschaftspolitischen Maßnahmen in den einzelnen Ländern und Regionen sehr verschieden sind. Insbesondere wenn Umweltpolitik sich auch nach den Präferenzen der Wähler/Steuerzahler richten soll, ist die stärkere Verwirklichung des Subsidiaritätsprinzips unbedingt erforderlich. (2) In repräsentativen Demokratien hat der einzelne Wähler/Steuerzahler viel zu wenig Möglichkeiten, ökologisch orientierte wirtschaftspolitische Maßnahmen direkt und unmittelbar zu beeinflussen. Mit Hilfe der direkten Volksabstimmung könnten diese Schwierigkeiten überwunden werden. Sie hätte auch den Vorteil, daß fiir umweltpolitische Anliegen eine Mehrheit der Abstimmenden gefunden werden müßte. Die handelnden Politiker hätten bei Annahme ihrer Vorschläge im Referendum eine wesentlich bessere Legitimation zur Umsetzung dieser Maßnahmen in der Hand. (3) Darüber hinaus bietet es sich an, die Position umweltbewußter Produzenten im Wettbewerb in möglichst effizienter Weise zu stärken. Überlegenswert ist, das Non-Affektationsprinzip im Bereich der (künftigen) Umweltabgaben aufzugeben und das entstehende Mittelaufkommen zugunsten umweltpolitischer Projekte einzusetzen. Beispiele hierfiir finden sich in den insbesondere in Frankreich, den Niederlanden sowie Skandinavien eingeführten
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SOr, NOx - sowie COrSteuern, 23 deren Aufkommen teilweise zugunsten von Umweltprojekten oder von Unternehmen mit fortgeschrittener Vermeidungstechnologie eingesetzt wird. Zugleich spiegelt jedoch auch die Ausgestaltung dieser zumeist neueren Steuern den Einfluß durchsetzungsflihiger Interessengruppen wieder, der in Form von steuerlichen Vergünstigungen für energieintensive Produzenten oder für bestimmte Branchen zum Ausdruck kommt. Falls die Voraussetzungen hierfür gegeben sind, wäre aus der Perspektive der Neuen Politischen Ökonomie daher der Einsatz von Zertifikaten vorzuziehen, die den Verursachergruppen keinen solch weitreichenden Verhandlungsspielraum belassen. (4) Sofern dies, angesichts der aufgezeigten Probleme, solche Umweltsteuern und Zertifikate politisch zu realisieren, nicht ausreichen sollte, um unerläßliche ökologische Fortschritte zu erzielen, ist als weitere Option die Lockerung des Non-Affektationsprinzips im Bereich der Einkommensteuer in Erwägung zu ziehen. So bestünde eine Möglichkeit zur Stärkung des Umweltbewußtseins darin, daß jeder Steuerzahler einen Teil (z. B. 20 Prozent) seiner abgeführten Steuern direkt für Umweltmaßnahmen zuordnen kann. Dies könnte auf allen föderalen Ebenen geschehen, wobei diese Zweckbindung der Mittel für eine ökologische Wirtschaftspolitik zugleich das Vertrauen in staatliche Institutionen, daß zumindest ein Teil der Steuermittel im Sinne des Bürgers/Steuerzahlers ausgegeben wird, wieder stärken könnte. (5) Falls auch dies, angesichts der nur unterdurchschnittlichen Informiertheit von Wählern und Steuerzahlern, noch nicht genügen sollte, um das öffentliche Gut einer ökologisch verträglichen Wirtschaftspolitik in Gang zu bringen, wäre die Errichtung einer autonomen Bundesumweltzentrale zu diskutieren, die - vergleichbar mit unabhängigen Zentralbanken und Wettbewerbsbehörden - filr Einzelbereiche der Bereitstellung dieses öffentlichen Gutes, unabhängig von Wahlterminen und Gruppeninteressen verantwortlich WÜTde?4 Es steht außer Zweifel, daß dieses Instrument beim derzeitigen Stand der Überlegungen noch zahlreiche Unwägbarkeiten aufweist. Gleichwohl sollte es als potentielle gesellschaftspolitische Innovation nicht vorschnell vernachlässigt werden, sofern sich die übrigen Ansätze als nicht hinreichend erweisen. Mit diesen Vorschlägen könnten möglicherweise einige der in dieser Arbeit aufgezeigten Schwierigkeiten der Durchsetzung ökologisch orientierter Wirtschaftspolitik (ansatzweise) überwunden werden.
23
Vgl. Cansier, Krumm, 1996.
24 Vgl. Kurz, Volkert, 1996 sowie Volkert, 1996.
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Democratic Social Policy in Economies ofMiddle-East Europe* Von Hans Peter Widmaier, Regensburg
The decision of the former socialist cOWlmes to join the world market and abandon a system of central planning entailed a gigantic shock. No paralieis exist in economic history for the disaster produced by socjalist planning. Most of the industrial and agricultural enterprises created Wlder socialism turned out to be non-competitive on the world market. A huge investment was devalued. Human capital investment (technical education and skills) likewise lost much of their value, since much of the training was not up to Western requirements. There is massive Wlemployment of a structural kind - not simply Wlemployment resulting from a recession. Reforms moreover required a strong and competent state machinery. Surprisingly enough, this did not exist in any of the formerly socialist states where only the ruling party and secret police had functioned efficiently. The position was made worse by massive ecological damage and by the "time bomb" represented by inefficient nuclear power installations, by huge Wlproductive armament industries, and by great accumulations of nuclear and conventional weapons. Psychologically, there was the legacy of nationalism and of the "unmastered" communist past. Comecon collapsed as a system. Privatization, in and of itself, was not an answer, as privatized industries did not necessarily become more efficient. Privatization did not, in and of itself, entail modernization of antiquated industries. Privatization did not, in and of itself, produce new capital.
·Lectures given as apart of a Visiting Professorship at the Hoover Institution on War, Revolution, and Peace, Stanford University, StanfordlCalifomia, 1995.
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Hans Peter Widmaier
The collapse of the Communist system was totally unexpected. No models existed for the transformation of a bankrupt socialist into a free social market economy. There were certain parallels regarding the problems ofreconstructing Western Europe after World War 11 and those which affected the CIS and former Warsaw Pact states after the breakup of the Communist empire. Nevertheless, there were also significant differences. The Western European countries at the time had suffered severe physical damage, but they possessed asolid economic infrastructure, reasonably efficient systems of administration, and a great reservoir of highly trained manpower. Exchange rates at the time were fixed. Massive U.S. aid was available. Deregulation proceeded slowly. Private property was established, and did not need to be restored through govemmental action. Thus no simple formula exists for rebuilding the shattered economies of the formerly socialist countries. Reconstruction entails the restoration of a strong and efficient state; the creation of an efficient tax system; reform of the legal system; encouragement ofprivate economic lobbies such as employers' organizations, trade associations, labor unions; and a democratic dialogue. Given the catastrophic condition which besets most industrial and farming enterprises; the disastrous extent of unemployment; the almost complete absence of an effective "social net", reform must be gradual. The formerly socialist economies cannot be integrated into the world economy all of a sudden, since none of them are internationally competitive at the moment. The formerly socialist countrles may have to maintain protective tarriffs for transitional periods of varying lengths. Enterprises may have to be run in a variety of different ways - on a purely private basis, or through partnerships between private entrepreneurs and public authorities. Barter agreements between different enterprises may be necessary until currencies are stabilized. Barter agreements may also have to be set up on a temporary basis between the formerly socialist countries. Flexibility will be essential in public policy. The practical problems of reconstructing the formerly socialist economies raise also complex theoretical questions conceming social needs.
A. Social needs: general considerations Social needs derive from the specific conditions of market economies regarding work, consumption, and leisure. Needs derive from requirements related to production and its conditions, as weIl as from a social demand. Social needs are normally met through political goods by collective action, democratic action,
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state action, para-statal action, and infonnal allocation (social and self-help movement). A theory of evolution of social needs within the context of the development of market economies and welfare states must be seen under two different perspectives: • The development of those social needs determined by the production of goods and services. They are preconditions for economic development, within the context of socia! problems created by and through economic development and its cyclical nature. • The development of social needs articulated by socia! policy action, i. e. as political demand directed towards interest groups, the state, the churches. Both perspectives directed towards social needs make clear the context in which social needs evolve. They develop within, and as a result of the production process. Socia! needs are also articulated as political demand within the political administrative system. In both ways social needs are the raw material for the production of social policy. Social policy is also a way of regulating economic and socia! institutions. In the past the development of new laws within the context of market development thus constituted an important instrument in the struggle against monarchy and the privileged landed aristocracy: Refonners replaced privileges by law, bureaucratic action, and freedom of contract. Social laws such as factory laws, labor laws, the laws concerning the work of women and children, the 10-hoursbill mediated the conflict between capital owners and workers. The systematic education and qualification of workers and employees for their roles in market economies are linked to social needs necessary for industrial production. The fonnation of human capital was one of the central social needs which created the preconditions for economic development. The fonnation of human capital was both a motor for state intervention in the educationa! sector, and a driving force in tenns of social policy. Any market society needs to assure the reproduction of labor. Insurance for health and unemployment are examples.
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B. Social needs and economic development The cyclical nature of economic development and its related turbulences produces changing social needs. Society must cope with the needs of poor peopie, the unemployed, sick, or injured workers, and of those thrown out of work by structural changes in industry. New social needs also derive from ecological and environmental problems. These cannot be met alone by mere quantitative economic expansion. The solution of these problems requires a wider interdisciplinary approach. This entails considerations of social stability and an examination of the various allocation mechanisms, their structure, and their ability to meet social needs within the context of a market economy.
Table 1 A Theory of Social Policy
ID ut
Sode Economic Sector Competition Division of Labor Differentiation Wage Labor Profit Orientation Institutionalization of Class Conflict monological Cultural Sector Education Social Issues Culture dialogical
Social needs as (I) a precondition and a consequence of economic development (2) a consequence ofthe long-term development of power structures (3) a consequence ofextemal shocks (wars, natural eatastrophies, change ofeconomie systems etc.)
Source: Widmaier, 1994.
PrOdUCtiOD 01
Social Poü
Political System
Political Goods
Dialogics of Collective Action
Bureaucracy oriented towards income policy production investment poIicy planning of Dialogics of De- Bureaucracy technical promocratic Action oriented towards gress social policy market organisation
- parties - pressure groupsllobbies - parliament
-
Dialogies of self-help and support groups
- solidarity
competition conflict centralization bureaucratization - monetarization
education health social welfare program ecologieal poliey soeial seeurity politieal wages Political Bads
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C. Collective action The fonnulation of social policy takes place within three different social contexts. These are co11ective action, democratic action, and bureaucracy. Multiple forms of co11ective action are possible. These comprise pluralism, countervailing power, rational co11ective action. The historical development of Europe showed a multiplicity of different co11ective actions. This diversity promoted the development of market economies. Bargaining between economic lobbies took the place of state economic policy. The state thus benefited by being able to delegate economic decisions to the bargaining process that linked different economic lobbies. Today the bargaining system makes positive contribution to social policy in Western European economies. This example might be transferable to the newly developing world in east central Europe and the CIS.
D. Democratic action Democracy means govemment by discussion, indeed democracy is a way of life. In Europe this concept as yet represents an ideal; in the V.S. it is a reality. How far can democratic concepts be transferred to the fonnerly Communist states? Attempts have been made on many planes, through political parties, social movements, and self-help groups. The transferability of democratic institutions needs to be tested on a11 three levels.
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Table 2
Typology of Allocation Methods in Sodal Policy Issues positional allocation
Type ofallocation methoda
political allocation
cooperative allocation
legal allocation
competitive allocation
allocation medium
voting, decisions
agreement, bargaining
constitusocializaprices tion,law, tion accorbureaucracy ding to stratification
solidarity
subsystems
parliament
intermediate systems of collective action
jurisdiction, public service organization
educational sector, family, place ofwork
selfhelp groups, self organization ofanonprofessional kind
units of action
central govemment, regional govemment
lobbies, parafisci, collectively owned units ofproduction and distribution
constitutional jurisdiction, social and workingjurisdiction, public services
social peda- firms and gogical pro- consumer fession, units families
markets
informal allocation
individuals, families and other consumer units
"The classification is to be seen as an analytical typology. Types of allocation are related to each other, such as bureaucracy as a medium of allocation of the legal allocation method also works within fmns as units of action of the market; within the type of political allocation law as an allocation medium of legal allocation has also a steering function, and so forth. Source: Widmaier, 1994.
E. The logic of bureaucracy Modem bureaucracy constitutes a differentiated and efficient system of allocation. Its rational character implies regulation, goal orientation, and the consideration of appropriate means to attain specific goals. In Western Europe bureaucracy acted as a solvent of feudalism. Bureaucracy destroyed structural forms of feudal social and economic power, and brought a new form of rationality to govemment.
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In the fonnerly communist countries this transition to rationality has not yet been accomplished. The fonner monopoly of the communist party entailed mismanagement, corruption, and inefficiency at every level of government. The transfer ofknowledge and experience from bureaucratic conduct in the Western countries would be of the greatest value in the ongoing transfonnation in EastCentral Europe and the CIS.
F. Unemployment as a central problem oftransformation Western countries' economic history has shown that exogenious shocks like the two oil crises resulted in a dramatic persistence of unemployment: Unemployment rose to a high level in West Gennany and remained at this level for a long period of time. Even more accentuated is the shock of system transfonnation in Middle and Eastern European countries. The change from Communism into an integration with the economy of the Western World resulted in a dramatic increase and persistence of unemployment in Middle and Eastern Europe, particularly in Poland, Hungary and the Republic of the Checks and of the Slovaks. The decision to enter international competition and to share international division of labor was the very shock which created this dramatic result of transfonnation. Unemployment was created to a large extent by the supply and demand shocks which resulted from the change in systems. Changes in exchange rates, the dramatic decrease of exports to fonner Communist countries and the decrease of exports to market-oriented countries should be mentioned here. International division of labor, international competition, international development of technology led to a massive devaluation of the existing capital stock. This devaluation was generated both economically and technologically. It reflects the low competitiveness of the products produced so far. Thus, the accompaning reduction in production led pari passu to a dramatic increase in unemployment. The persistence of this unemployment might be due to the long planning horizon for new investments, the long gestation period for a new capital stock and the necessary adaptation of the labor force to new technologies and new fonns of organization and the privatization of the means of production. Additionally harmful is the dramatic role back of the domestic dernand for goods and services due to losses in real incomes by inflation and unemployment and the accompaning decrease in social expenditures, another factor which creates unemployment and makes it persistent. Both these supply and demand factors add up to an economic situation which is far beyond the nonnal indicators of a recession. It is a social and psychological shock and it mirrors a general crisis which has no example in modern industrial development.
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I. Persistence and hysteresis of unemployment Most of the above mentioned factors determine the persistence and hysteresis of unemployment. This means a middle- and long-term unemployment rate at a high level. This unemployment rate at a high level is determined on the capital side by a devaluation of the capital stock which is irreversible. The capital stock is not only reduced in its value by a decrease of the demand, but also by an obsolete technology, obsolete organization ofthe production and distribution of goods and services and is related to the long planning horizons necessary for future investment processes. The capital stock can only be renewed by capital widening and deepening very slowly. Hopefully, the capital investment processes might be systematically linked to innovation; they might, however, be linked to labor substituting processes as weH. On the side ofthe hwnan capital factor the devaluation ofthe physical capital stock means also a devaluation of the hwnan capital stock to a considerable extent. Capital always is linked to the qualification of hwnan capital. An additional factor is that long-term unemployment decreases the value and quality of hwnan capital which is unemployed, with aH the accompaning social and psychological problems. Sectorspecific and regional disparities in unemployment as weH as low mobility of labor might increase the problem of persistence of unemployment at a high level. Which are the relevant policy mixes for the transformation period? This raises the problem which might be caHed the political hysteresis of countries in transformation. 11. Political hysteresis as a problem of transformation Hysteresis describes in general an asymmetry between gaines and losses. In the concrete situation of transformation from Socialism to Capitalism it describes the fact that the old structures might still be working in the new environment in a fimdamental way (erratic blocks). I would like to distinguish between positive and negative effects of the political hysteresis after the shock of joining the world economy: Positive elements could be the foHowing: The production for domestic markets, the industrialloci of industrial production and the low mobility of labor. In the case of Poland, it is certainly the structuring and conservative role of the
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Catholic church. It might be mentioned that in general the existing human capital is good and might be developed quickly. The use of democratic elements used in the past like rOWld table conferences, concerted actions, bargaining processes and so forth might be a positive element to be relied upon.
Negative elements of political hysteresis are already mentioned, like the devaluation ofthe capital stock, the deterioration ofthe environment and ecological issues in general. The persistence of old bureaucracies in the negative sense should not be Wlderestimated. This relates also to the old structures of the political and social processes, ,,nomenclatura" comes back again: all elements of a political hysteresis which results in a perverse asyrnmetry: only a small proportion of the population profits from transformation in the first rOWld, but a majority of people are made worse of. But it is this asyrnmetry which constitutes intervention by state and parastate bodies to overcome the elements of persistence and hysteresis. How to deal with Wlemployment? Full employment is a public good, Wlemployment is a public bad. The public goods' dilemma might be described as rationality trap: Although all workers are interested in work, income and economic development, and even the state and the managers of public and private firms are interested in an increase of income, the individual interests of all participants doesn't add up to a common product, namely full employment. But already in 19th century Europe this rationality trap was partly closed by solidarity and cooperation. Solidarity became a link between individuals, the groups and interest organizations like trade unions. They cooperate with the employers in bargaining systems. But at the level of organized groups the same trap opens again: although trade unions and employers' unions are interested in a positive economic development with higher income and higher profits, uncoordinated action of each individual group might harm in creating inflation and/ or Wlemployment. Again, the cooperation in bargaining situations is necessary: Both partners in the bargaining system must be cooperative and willing to cooperate. Cooperative and bargaining solutions are not market solutions. They substitute the market in favour of a new allocation system between the organized interest groups: cooperative allocation (see table 2). For a long time, the cost ofthe bargaining processes have been overstressed. Today, particularly in the transformation processes, a new valuation of cooperation is necessary. The long duration of the agreements reached, the possible regulations and standardizations of work situations and work programs, and
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other positive factors which might come out of the bargaining process should be evaluated carefully. Decentralized bargaining constitutes a general application of the principle of subsidiarity in social policy. Thus positive effects of the decentralization of decision making in the labor market must be compared with the negative effects of central planning in Socialist countries. ill. Demoeratie poliey and unemployment
Democratic policy must be successful particularly in the area of labor and especially at the local, regional, and central level. Each voter can bring its personal experience into the voting process. Nobody can rule against the working population, i. e. the majority of the voters. In addition, there is an interestclearing between local, regional, and supra-regional parliaments, and the democratic process is a continuous process. In the long run, it will be possible to develop a capital stock of trust within the new developing democratic parties. If this trust is lost, this can cost votes for the ruling parties and might introduce new parties into the arena. This will create new possibilities of coalition and the introduction of new perspectives in the political discussions. Again, it is the persistence of unemployment that full employment as a public good is at the top of the political preferences of the voters. IV. Publie versus private firms A central issue of the transformation period will be the organization of an efficient production, so that it can produce efficiently for the international competition. This does not necessarily imply a very quick privatization of public firms in the transforming countries. Economic history shows us the privatization of efficient public firms as weil as the socialization of efficient private firms. In general, the economic organization of a firm is a question of internal organization and not of markets. Modern discussions stress the point that the internal organization of a firm is only to a limited extent influenced by the price system and the market. The management of a firm has many facets of a public good. The new literature on the management problem is related to the principle agent problem, to team production, towards the horizontal and vertical integration and the motivation of labor. It has shown us that the question of private or public property is only one amongst other problems of organization. With some good reason, the internal organization of the firm has become more and more important in modern discussions before decisions are made to transform public frrms into private firms. Privatization is certainly not the king's road on the way
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towards an integration of Central-East cOlU1tries into the world economy. More important might be the right policy mix and the efficient organization of the fums within the transfonning economies. V. Allocation ofwork - a socio-economic problem The allocation problem of labor is a social problem far beyond the classical allocation problem of markets. Allocation as co operation in bargaining (cooperative allocation), allocation through democratic partizipation and voting (political allocation), allocation according to the social structure (positional allocation), and allocation through law and bureaucracy (legal allocation) - see table 2 - show us the different allocation processes in this area. ,,Allocation of labor - beyond the market and plan" is not just another utopia, but another look into the institutions of allocating labor with practical intention: Social policy reflections lead us to the classical question of the development of productive forces in a transforming economy and the practical allocation of work. Employment patterns relate to full employment as a political good and unemployment as a political bad.
G. Summary The IMF, the World Bank, and most other Western experts employ the neoclassical model in advising the fonnerly communist states. This model is relevant for the discussion of market processes. But the neo-classical approach takes inadequate account of the practical experience gained by the Western world in rebuilding Western Europe after World War 11. Western Europe's extraordinary success story hinged on the development of democratic, cooperative, and bureaucratic institutions. It was within the context of these institutions that the market economies developed with such stunning success. Our study entails an inter-disciplinary approach. Our central hypothesis assumes that historical, economic and social experiences can be transferred from the West to the fonnerly communist world. Such cultural transfers have frequently occurred in the past. Hopefully, they will prove equally practicable in future.
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Hans Peter Widmaier
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Die Kontroverse um Lohnnebenkosten aus der Sicht der Politischen Ökonomie Von Horst Giseher, Magdeburg und Ulrich Teichmann, Dortmund
A. Zur Einführung Die politische Tagesdiskussion in Deutschland wird seit geraumer Zeit wiederkehrend vom Streit um die Höhe der Lolmnebenkosten und die Zukunft des· heimischen Standortes beherrscht. Dabei werden von den unterschiedlichen Lagern sowohl düstere Schreckensszenarien entworfen als auch Beruhigungsformein verbreitet, so daß dem interessierten Außenstehenden die Einschätzung der tatsächlichen Situation keineswegs leicht fällt. Dies um so mehr, als sich die jeweils streitenden Parteien stets auf vorliegende Statistiken zu berufen pflegen und datiiber hinaus die wissenschaftliche Fundierung ihrer Position, besser gesagt: der daraus folgenden Handlungskonsequenzen, propagieren. Die ohnedies schwer durchschaubare Gemengelage aus Verbandsinteresse und nachvollziehbarer ökonomischer Notwendigkeit wird zusätzlich verschleiert durch die bisweilen strittige Verteilung der Entscheidungskompetenzen. Die Tarifvertragsparteien reklamieren ihre Zuständigkeit ebenso wie die Vertreter der Legislative, wodurch die verfassungsrechtliche Überprüfung getroffener Entscheidungen gleichsam vorprogrammiert ist. Den akademischen Ökonomen mangelt es indes an konsensfähigen Modellen und Theorien, um in der, nicht zuletzt ideologisch gefärbten, Auseinandersetzung überzeugend schlichten zu können. Die moderne Wohlfahrtstheorie verfügt trotz erheblicher Forschungsanstrengungen lediglich über das ,,Pareto-Kriterium", um über alternative Allokationen effizienzorientiert entscheiden zu können. Dieses Meßinstrument ist jedoch für Verteilungskonflikte ungeeignet, die nicht nur zukünftige Wertschöpfungserträge betreffen, sondern bereits die Anfangsausstattung der Beteiligten zur Disposition stellen wollen. Eine Umverteilung der bestehenden ökonomischen Lasten führt zwangsläufig zur Benachteiligung zumindest einer Gruppe, wodurch das Pareto-Kriterium explizit verletzt würde. Insofern gerät eine wissenschaftliche Analyse der Kontroverse über
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die mutmaßlich ,,richtige" Höhe der Lohnnebenkosten schnell in das Wlwegsame Gelände der Werturteile. 1 In einer Reihe von Arbeiten hat Peters vornehmlich strukturpolitische Probleme im Rahmen der im wesentlichen von ihm selbst geprägten Mesoökonomie2 analysiert. In diesem Ansatz wird die BedeutWlg von (mehr oder weniger homogenen) Interessengruppen für wirtschaftpolitische EntscheidWlgen herausgestellt. In der Tat dominieren Arbeitgeberverbände Wld Gewerkschaften neben den parlametarischen Parteien auch die Diskussion um die Lohnnebenkosten. Mithin kann beim Versuch, die aktuelle Debatte zu beleuchten, auch auf Bestandteile der mesoökonomischen Interaktionstheorie der Wirtschaftspolitik zurückgegriffen werden. Der vorliegende Beitrag will im folgenden versuchen, den ökonomisch strittigen Kern der Lohnnebenkostenkontroverse freizulegen, die in der Öffentlichkeit vorgeschlagenen Maßnahmen zu analysieren Wld die daraus folgenden Konsequenzen herauszuarbeiten. Den jeweils handelnden bzw. reagierenden Akteuren Wld ihren polit-ökonomischen Motiven wird besondere Aufmerksamkeit geschenkt.
B. Lohnkosten und Lohnnebenkosten: Begriffiiche und inhaltliche Konkretisierung Die in einem Unternehmen in Abhängigkeit vom Personaleinsatz anfallenden AufwendWlgen können zur Position der betrieblichen Lohnkosten zusammengefaßt werden. Die einzelnen Komponenten wiederum lassen sich Wlter verschiedenen Gesichtspunkten gliedern. 3 Die gesamten Lohnkosten setzen sich zusammen aus dem Direktlohn für die geleistete Arbeit sowie den Lohnneben- bzw. Lohnzusatzkosten. Der Direktlohn umfaßt den anfordeTWlgsabhängigen Entgeltsanteil (vornehmlich in Form des tariflichen GrWldentgelts), den leistWlgsabhängigen Anteil des Entgelts (z. B. Prämien oder Akkordzuschläge) sowie sonstige Entgeltsanteile (z. B. Schicht-, Nachtarbeits- Wld ÜberstWldenzuschläge). Diesen Positionen stehen WlIDittelbar zurechenbare LeistWlgen des Produktionsfaktors Arbeit gegenüber. Streng genommen bilden sie die ökonomisch re-
1 Die Einnahme von Positionen und die damit einhergehenden Fonnulierung von Zielen und Handlungsvorschlägen wird Wirtschaftswissenschaftlern von Teilen der Öffentlichkeit jedoch durchaus übel genommen, vgl. etwa Munsberg, 1996, S. 4. 2 Für einen Überblick vgl. exemplarisch Peters, 1981 oder 1986, S.I 56ff. 3 Wenn im weiteren der Begriff "Lohn" verwendet wird, so sollen hierunter zur Vereinfachung der Argumentation auch Größen subsumiert werden, die bei präziserer Charakterisierung "GehaJter" betreffen.
Lohnnebenkosten aus der Sicht der Politischen Ökonomie
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levante Basis fiir die Gegenüberstelhmg von (Arbeits-)Produktivitätszuwachs und Änderung der Lolmhöhe in der tarifpolitischen Auseinanderset~g. Die Lohnnebenkosten können zum einen in gesetzliche und zum anderen in tariflich bzw. betriebliche Personalzusatzkosten unterteilt werden. Bei gesetzlich festgelegten Zusatzkosten fallen vor allem die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung ins Gewicht, daneben spielen noch die bezahlten Feiertage sowie die Entgeltfortzahiung im Krankheitsfall eine nennenswerte quantitative Rolle. Bestandteile der tariflichen oder betrieblichen Nebenkosten sind vor allem der bezahlte Urlaub nebst Urlaubsgeld, die Sonderzahlungen (Gratifikationen, 13. Monatsentgelt u. ä.) sowie die betriebliche Altersversorgung. Die aktuelle Debatte stellt die (mutmaßliche) Entwicklung der Lohnzusatzkosten in den Mittelpunkt, mit der Konsequenz, daß vor allem von der Unternehrnensseite mehr oder weniger massive Forderungen nach Rückfiihrungsmaßnahmen gestellt werden, um die Arbeitgeberseite von - im Vergleich zur ausländischen Konkurrenz - unangemessen hohen Aufwendungen zu befreien. Bevor der Stichhaltigkeit dieser Argumentation nachgegangen werden soll, werfen wir einen Blick auf die Entwicklung der in Rede stehenden Positionen, um mögliche Strukturveränderungen zu erkennen. Abbildung 1 verschafft einen Eindruck von der Höhe der Personalzusatzkosten im Produzierenden Gewerbe. Zunächst fiillt ins Auge, daß die Lohnnebenkosten zu Beginn der Betrachtungsperiode, obwohl auf hohem Niveau befindlich, bis 1984 weiter gestiegen sind, um nach einem kurzfristigen Rückgang zwischen 1986 und 1992 bei rd. 84 v. H. des Entgelts fiir geleistete Arbeit zu verharren. Der erkennbare Rückgang der Zusatzkostenbelastung seit 1993 ist im wesentlichen auf eine Änderung der Arbeitskostenstatistik des Instituts der deutschen Wirtschaft zurückzuführen, womit die jüngsten Ergebnisse nur bedingt mit den Vorperioden vergleichbar sind. 4 Gleichwohl betrugen die zusätzlichen unternehrnerischen Aufwendungen fiir die im Produktionsprozeß eingesetzte Arbeit im Durchschnitt der Jahre mehr als 80 v. H. des Direktlohnes. S
4 Um die Vergleichbarkeit nicht zusätzlich zu beschränken, werden in den nachfolgenden Grafiken stets die Werte für Westdeutschland wiedergegeben. S Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund wird die Bezeichnung ,,zweiter Lohn" als Synonym für die Persona1zusatzkosten verstandlich.
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~ Insgesamt
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Zusatzk. O tar./betr. Zusatzk .
Abb. 1: Personalzusatzkosten im Produzierenden Gewerbe (in v. H. des Entgelts für geleistete Arbeit) Quelle: Institut der deutschen Wirtschaft, Zahlen zur wirtschaftlichen Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland, Ifde. Jge.
DaIiiber hinaus wird deutlich, daß die Variabilität der gesetzlichen Zusatzkosten relativ gering ist6 und ihre Höhe im Trend (leicht) ansteigt. Die tariflichen und betrieblichen Personalzusatzkosten hingegen lagen mit 40,1 v. H. in 1980 am niedrigsten, wn in Anschluß an den bisherigen Höchststand von 47,6 v. H. in 1988 wieder auf 43,9 v. H. in 1995 zurückzufallen.
6 Die
Werte schwanken lediglich zwischen 34,2 v. H. (1980) und 37,2 v. H. (1992).
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!;SI Entgeltfortz . • Sonstiges
Abb. 2: Gesetzliche Personalzusatzkosten im Produzierenden Gewerbe (in v. H. des Entgelts fiir geleistete Arbeit) Quelle: Institut der deutschen Wirtschaft, Zahlen zur wirtschaftlichen Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland, Ifde. Jge.
AbbildWlg 2 verdeutlicht die Gewichte der einzelnen Komponenten innerhalb der gesetzlichen Personalzusatzkosten. Sie werden dominiert von den Arbeitgeberbeiträgen zur gesetzlichen SozialversicherWlg, die weit mehr als die Hälfte der gesetzlichen Nebenkosten ausmachen, im Jahr 1995 sogar beinahe drei Viertel aller gesetzlichen Lohnzusatzkosten betragen. Relativ an Bedeutung verloren haben die bezahlten Feiertage7 Wld auch die AufwendWlgen für die EntgeltfortzahlWlg im Krankheitsfall sind im Vergleich zum Beginn des UntersuchWlgszeitraumes (relativ) geringer geworden. Grafik 3 offenbart, daß die strukturellen VerschiebWlgen innerhalb des Bereichs der tariflichen Wld betrieblichen Personalzusatzkosten wesentlich kräftiger gewesen sind. Zwar stellen die AufwendWlgen für den bezahlten Urlaub nebst dem damit verbWldenen Urlaubsgeld stets den größten Posten dar, doch
7 Dies ist nicht zuletzt auf die einheitliche Streichung des BuB- und Bettages als Kompensation für die Einführung der gesetzlichen Pflegeversicherung zurilckzuführen. 39 Pelers
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haben hier seit 1985 keine weiteren Erhöhungen mehr stattgefunden. Die rückläufige Tendenz bei der Lolmfortzahlung im Urlaub seit 1993 beruht im wesentlichen auf der bereits erwähnten Umstellung der Erhebungsmethode. Die betrieblichen Sonderzahlungen schwanken im Betrachtungszeitraum immerhin zwischen 8,2 v. H. (1980) und 10 v. H. des Direktlohnes in den Jahren 1989 bis 1992. Auch hier ist der anschließende Rückgang vornehmlich statistisch bedingt. Anders sind hingegen die offenkundigen Veränderungen bei der betrieblichen Altersversorgung einzuschätzen. Nach einem Anteil von 6,4 v. H. des direkten Entgelts fiir geleistete Arbeit in 1980 steigt diese Aufwandsposition auf immerhin 9,4 v. H. in 1988, geht jedoch in den Folgejahren wieder tendenziell zurück. Die relative Bedeutung der Vermögensbildung ist zwischen 1980 und 1995 gering sowie im Zeitablauf abnehmend. v.H.
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Abb. 3: Tariflichelbetriebliche Personalzusatzkosten im Produzierenden Gewerbe (in v. H. des Entgelts für geleistete Arbeit) Quelle: Institut der deutschen Wirtschaft, Zahlen zur wirtschaftlichen Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland, Ifde. Jge.
Aufschlußreich ist neben der Betrachtung der Entwicklung einzelner Komponenten der Lohnnebenkosten deren langfristige Entwicklung im Vergleich zum Direktentgelt. So nahmen die gesamten nominalen Lohnkosten der Verarbeiten-
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den Industrie in (West-)Deutschland (auf Stundenbasis) im Zeitraum zwischen 1970 und 1995 um jahresdurchschnittlieh 6,9 v. H. zu. 8 Differenziert man nach unterschiedlichen Teilperioden, so ergibt sich, daß der Anstieg der Lohnkosten zwischen 1970 und 1980 bei durchschnittlich 10,1 v. H. pro Jahr gelegen hat, während die Wachstumsrate der Arbeitskosten im Mittel der Jahre 1980 bis 1995 4,8 v. H. und zwischen 1988 und 1995 4,9 v. H. betragen hat. Die Aufschlüsselung in Direktentgelt und Personalzusatzkosten zeigt, daß die Lohnnebenkosten zwischen 1970 und 1995 um durchschnittlich 8,3 v. H. pro Jahr gestiegen sind, sich die durchschnittliche Wachstumsrate des Direktentgelts dagegen auf lediglich 6 v. H. belief. Vor allem im Zeitraum von 1970 bis 1980 sind die Zusatzkosten mit jahresdurchschnittlich 13,8 v. H. erheblich schneller angewachsen als die Direktentgelte (8,3 v. H.). Für die übrigen Teilperioden sind die Differenzen weniger gravierend. Zwischen 1980 und 1995 nahmen die Lohnnebenkosten im Durchschnitt um 5,1 v. H. zu, die Direktentgelte um 4,5 v. H., im Zeitraum zwischen 1988 und 1995 lagen die entsprechenden Wachstumsraten bei 5 v. H. (Direktentgelte) bzw. 4,9 v. H. (Nebenkosten). Man kann mithin als Zwischenergebnis festhalten, daß die Personalzusatzkosten in der Tat in den vergangenen 25 Jahren erkennbar schneller gestiegen sind als die Lohnsätze fiir die tatsächlich geleistete Arbeit, allerdings liegen die Ursachen der Diskrepanz im wesentlichen in den 70er Jahren, während sich Nebenkosten und Direktentgelte in den vergangenen Jahren weitgehend parallel entwickelt haben.
C. Steuerbelastung und Staatsquote:
Die Rolle der öffentlichen Haushalte
Die einzelwirtschaftliche Motivation zur Auseinandersetzung mit dem Problem der Lohnnebenkosten läßt sich auf wenige grundlegende ökonomische Zusammenhänge reduzieren. Geht man, sicher mit Recht, davon aus, daß Unternehmen dem Gewinnerzielungsinteresse verpflichtet sind, stehen - bei mutmaßlich unzureichenden Profiten - zwei Ansatzpunkte betriebswirtschaftlicher Maßnahmen zur Verfügung: Entweder man versucht bei (zunächst) unveränderten Kosten die Erlöse zu steigern oder, falls die Ergiebigkeit der Absatzmärkte als begrenzt angesehen wird, bei gegebenen Erlösen die Produktionskosten zu senken.
8 Die Zahlenangaben beruhen auf Daten des Instituts der deutschen Wirtschaft, die Autoren danken Herrn Christoph Schröder für die freundliche Bereitstellung.
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In hochentwickelten Industriestaaten tritt spätestens an dieser Stelle der Staat, repräsentiert durch ein mehr oder weniger überschaubares Spektrum an Gebietskörperschaften und Parafisci, auf den Plan. Werden die betrieblichen Anpassungsversuche mit einer Steigerung der Steuerlast beantwortet, geraten die Nettoeinkommen der Unternehmen erneut unter Druck. Nicht zuletzt aus diesem Grund wird die Debatte über das angemessene Volumen staatlicher Aktivitäten in einer Marktwirtschaft parallel zur Nebenkostendiskussion geführt. v.H.
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10 %Steuerquote [1] .Soz.Vers.Quote [2] .Einnahmenquote [3J
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Abb. 4: Kennziffern des öffentlichen Sektors Quelle: Deutsche Bundesbank, Monatsberichte der Deutschen Bundesbank, Ifde. Jge. [I] Steuereinnahmen in Relation zum nominalen BSP [2] Einnahmen der Sozialversicherungen in Relation zum nominalen BSP [3] Einnahmen aller öffentlichen Haushalte in Relation zum nominalen BSP
Abbildung 4 gibt die Entwicklung ausgewählter Kennziffern des öffentlichen Sektors wieder. Man erkennt, daß bis zur deutschen Wiedervereinigung keine nennenswerten Veränderungen der betrachteten Größen stattgefunden haben. Ein spürbarer Anstieg der Einnahmenquote sowie der Sozialversicherungsquote kann erst nach 1990 ausgemacht werden. Die Einnahmenquote ist von 1990 bis 1994 immerhin um rd. 5 Prozentpunkte angewachsen, wobei anzumerken ist, daß der Beitrag der neuen Länder zum gemeinsamen Bruttosozialprodukt erst ab 1991 berücksichtigt ist. Die Ursache des Anstiegs der Einnahmenquote liegt
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auch im Zuwachs der durchschnittlichen Sozialversicherungsbeiträge begründet, der im wesentlichen demographisch und konjunkturell bedingt ist. Die gegenwärtigen Konsolidierungsanstrengungen der öffentlichen Haushalte sowie die erneut angefachte "große" Steuerreformdiskussion gehen zwar aus unterschiedlichen Gründen durchaus in die richtige Richtung, sie zeugen aber auch von einer anhaltenden Unfähigkeit der Regierung, an den seit mehr als einem Jahrzehnt weitgehend unveränderten Belastungen der privaten Einkommen spürbare Korrekturen vorzunehmen. Insofern haben die wiederholten Klagen über den ausufernden Staatsanteil zweifellos ihre Berechtigung. Allerdings ist der angeprangerte Tatbestand keineswegs neu und die regierenden Politiker gehören seit Anfang der 80er Jahre denselben Parteien an. Die aktuelle Situation wird verschärft durch die Bestrebungen (insbesondere des Bundes), die Kriterien für die Einfiihrung der Europäischen Währungsunion zu erfüllen. Angesichts dauerhaft hoher Arbeitslosenzahlen und wenig erfreulicher (kurz- bis mittelfristiger) Wachstumsaussichten fallen die Versuche, die Staatsausgaben zu reduzieren, in eine Phase nichtausgelasteter Kapazitäten und stagnierender privater Nachfrage. Es besteht demnach die Gefahr, daß die Rückführung des Staatsanteils die Probleme des Arbeitsmarktes verstärkt und dadurch zusätzliche Belastungen im Bereich der Sozialversicherungen hervorruft. Gewonnen wäre damit gesamtwirtschaftlich wenig. Im Dilemma zwischen Sozialstaatsprinzip 9 und ökonomischen Finanzierungsgrenzen wird die Auslagerung sogenannter versicherungsfremder Leistungen aus dem Sozialversicherungssystem vorgeschlagen. lo Die grundsätzliche Idee dieses Ansatzes liegt in der Beteiligung zusätzlicher Personenkreise an der Finanzierung sozialer Aufgaben, um (im Idealfall) eine Senkung der Beitragssätze - und damit der Lohnnebenkosten - erreichen zu können. In der Praxis erweist sich dieser Weg indes als beschwerlich. Zum einen unterliegt die Klassifizierung einzelner Leistungen als "versicherungsfremd" durchaus einer gewissen Beliebigkeit. Zieht man etwa das Beitragsäquivalenzprinzipll als Abgrenzungskriterium heran, können beispielsweise eine Reihe von Positionen innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung als fehlfinanziert charakterisiert werden. Hierunter fällt als ergiebigster Aufwandsposten die beitragsfreie Familienversi-
9 Das Bekenntnis zum Sozialstaat Bundesrepublik Deutschland hat immerhin Verfassungscharakter (Art. 20 bzw. 28 GG), um so verwunderlicher erscheint es, daß über seine ..Abschaffung" mehr oder weniger unverhohlen diskutiert wird. \0 Als jüngere Belege seien Bertho1d, Thode, 1996, S. 350ff. oder Mayer, 1996, S. 341ff., angeführt. 11 Vgl. Bertho1d, Thode, 1996, S. 351.
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cherung, die dann konsequenterweise als staatlich initiierte Maßnahme der (allgemeinen) Sozialpolitik zu gelten hätte. Gegen eine derartige Vorgehensweise könnte jedoch eingewendet werden, daß die gesetzliche Krankenversicherung ohnedies dem (strengen) Versicherungsprinzip nur sehr unvollkommen entspricht. So besteht bei ihr, im Gegensatz zum reinen individualorientierten versicherungstechnischen Äquivalenzprinzip, auch kein Zusammenhang zwischen Beitragshöhe und Anspruchsumfang im Schadensfall. Selbst der (möglicherweise unterstellbare) Grundsatz der materiellen Leistungsfähigkeit bei der Prämienbemessung wird durch die Einführung der Versicherungspflichtgrenzen durchbrochen. Freiwillig Versicherte mit Einkommen oberhalb der Versicherungspflichtgrenze zahlen relativ geringere Beiträge als die gesetzlich verpflichteten Mitglieder der Krankenversicherung, wodurch das grundsätzlich begleitend geltende Motiv der sozialen Umverteilung fragwürdig erscheint. Zum anderen hätte die Befreiung der Sozialversicherungen von (vermeintlich) versicherungsfremden Leistungen zwar prinzipiell eine Reduzierung der notwendigen Beiträge nebst Rückführung der Lohnnebenkosten zur Folge. Sollen aber aus sozialpolitischen Gründen im Gegenzug diese Positionen nicht individualorientiert finanziert werden, bliebe (ceteris paribus) allenfalls das allgemeine Steueraufkommen als Deckungsquelle. Bei sonst unveränderten Ausgaben der öffentlichen Hand wäre eine Anhebung der durchschnittlichen Steuersätze 12 die notwendige Konsequenz. Bezogen auf die im Mittelpunkt stehenden Nettoeinkommen der Unternehmen (respektive ihrer Eigentümer), würden die Arbeitgeber einerseits von Lohnzusatzkosten befreit, trügen aber auf der anderen Seite durch die gestiegenen Steuern erneut zur Finanzierung sozialer Leistungen bei. Über das Ausmaß der unter Umständen entstehenden effektiven Entlastung der Unternehmen kann allerdings bestenfalls spekuliert werden. Soll auf Steuermehreinnahmen verzichtet werden, bliebe die Rückführung der staatlichen Ausgaben abseits der Sozialpolitik als Ausweg. In diesem Zusammenhang gilt die Subventionspolitik des Staates als erstrangige Korrekturposition. So sind zwischen 1990 und 1993 im Zuge der Wiedervereinigung nicht nur die absoluten Finanzhilfen und Steuervergünstigungen von mehr als 93 Mrd. DM auf 150 Mrd. DM gestiegen, sondern auch die Subventionsquote, gemessen als Subventionsvolumen in Relation zu den gesamten Steuereinnahmen, verzeichnet einen Zuwachs von 17 v. H. in 1990 auf 20 v. H. im Jahr 12 Man beachte allerdings, daß eine Anpassung des durchschnittlichen Steueraufkommens regelmäßig mit Veränderungen bei der Progression verbunden ist. Insofern kann eine allgemeine Steuertarifvariation letztlich nur dann aufkommensneutral sein, wenn sie zusätzliche leistungsfeindliche Progressionseffekte berücksichtigt bzw. (im Idealfall) vermeidet.
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1993. \3 Das heißt, jede fiinfte Mark aus Steuereinnahmen ist 1993 abseits jeglicher Marktleistung (kalkulatorisch) in die Kassen venneintlich bedürftiger Unternehmen geflossen. Besonders problematisch erscheint das Gebaren der öffentlichen Hand, wenn die Ziele der Subventionspolitik betrachtet werden. Mehr als 42 v. H. der gesamten Subventionen und 64 v. H. aller (direkten) Finanzhilfen sind 1993 in Westdeutschland (I) unter Erhaltungsgesichtspunkten gezahlt worden. Hier eröffnet sich ein ökonomisches Einsparungspotential, das den Rahmen der diskutierten Rückführung der Lohnnebenkosten bei weitem übertrifft. Im Abschnitt E wird daher zu überprüfen sein, warwn in der öffentlichen Auseinandersetzung die Personalzusatzkosten zur Disposition stehen, eine parallele Streichung von direkten und indirekten Finanzhilfen aber weitgehend ausgeklammert wird.
D. Der Standort Deutschland und die internationale Wettbewerbsf"ähigkeit Die Kontroverse um die Lohnnebenkosten ist eng verbunden mit der ebenso häufig beklagten Gefahr, die deutsche (Export-)Wirtschaft würde an internationaler Wettbewerbsfahigkeit einbüßen und der Wirtschaftsstandort Deutschland in gleichem Maße unattraktiv werden. Es wird gefolgert, daß eine spürbare (und dauerhafte) Rückführung der Lohnnebenkosten nicht nur zu höherem Sozialproduktswachstum und niedrigerer Arbeitslosigkeit führen könnte, sondern in gleichem Zuge der durchschnittliche private Konsum, verstanden als Maß für die induzierten Wohlfahrtseffekte, erkennbar zunehmen würde. 14 Freilich sind derartige Ergebnisse stets unter Vorbehalt zu beurteilen. Zunächst muß in Betracht gezogen werden, daß eine Senkung der Lohnzusatzkosten - wie beschrieben - nicht zwangsläufig zu einem Abbau von bisher gewährten sozialen Leistungen führt. Folglich stellt sich die Finanzierungsfrage erneut. Zudem schießen (wachstumsf6rdernde) Investitionen nicht aus dem Boden, sie bedürfen vielmehr der Planung und Vorbereitung. Solange bereits bestehende Kapazitäten nicht ausgelastet sind, werden zwar Rationalisierungsinvestitionen durchgeführt, aber Erweiterungen zurückgestellt. Der Arbeitsmarkt kann mithin trotz positiver gesamtwirtschaftlicher Entwicklung der Nachfrage beträchtliche Zeit unberührt bleiben, ein nachhaltiger Rückgang der Arbeitslosenquote wäre daher allenfalls mittelfristig erreichbar.
13 Die Angaben zur Subventionshöhe beziehen sich auf die Analyse von Stille, Teichmann, 1996, S. I06ff. 14 Vgl. beispielhaft Hansen, 1996, S. 167ff., insbesondere S. 178ff.
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Theoretische (Simulations-)Modelle stellen notwendigerweise eine Abstraktion von der Realität dar. Sie berücksichtigen in der Regel nicht die "weichen" Standortfaktoren, z. B. bürokratische Hemmnisse (man denke etwa an Bau- und Entsorgungsvorschriften), Flexibilität der Arbeitszeiten, Anfälligkeit fiir Störungen des Arbeitsfriedens (Streikhäufigkeit, betrieblicher Gewerkschaftseinfluß) und ähnliches mehr. Zieht man überdies die Verfügbarkeit von Arbeitskräften sowie deren Qualifikation in die Investitionsüberlegungen ein, relativiert sich u. U. der vermeintliche deutsche Standortnachteil. Dauerhafte Kundenbeziehungen sind u. a. durch die (terminliche) Zuverlässigkeit von Lieferungen und Leistungen geprägt. Vor diesem Hintergrund stellen die jahresdurchschnittlich 22 Streiktage je 1000 abhängig Beschäftigte in Westdeutschland seit 1980 einen gravierenden Pluspunkt dar 15 , welcher im Rahmen des Vergleichs der effektiven Aufwendungen fiir den Produktionsfaktor Arbeit nicht selten außer acht gelassen wird. v.H.
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-.- Relation
Abb. 5: Private Bruttoinvestitionen und Direktinvestitionen Quelle: Institut der Deutschen Wirtschaft, Zahlen zur wirtschaftlichen Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland, Ifde. Jge. Deutsche Bundesbank, Zahlungsbilanzstatistik, Statistisches Beiheft zum Monatsbericht, Ifde. Jge. 15 Zum Vergleich: Frankreich 40, USA 59, Großbritannien 101, Republik Irland 207 und Italien 314 Streiktage pro Jahr je 1000 abhängig Beschäftigte, vgl. in diesem Zusammenhang auch Franz, 1994, S. 258ff.
Lohnnebenkosten aus der Sicht der Politischen Ökonomie
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Als Indiz fiir die nachlassende Attraktivität des Standortes Deutschland wird u. a. die Abwanderung inländischer Unternehmen ins Ausland (Direktinvestitionen) sowie die Entwicklung der ausländischen Investitionstätigkeit im Inland angesehen. Im Vergleich zu 1986 hat sich in der Tat der Saldo der Direktinvestitionen 16 von 19,4 Mrd. DM auf 37,1 Mrd. DM in 1995 beinahe verdoppelt (vgl. Abbildung 5). Obgleich sich, wie in den vorhergegangenen Abschnitten gesehen, die Gesamtabgabenbelastung in Deutschland tätiger Unternehmen in diesem Zeitraum mehr oder weniger kontinuierlich verändert hat, weisen die Direktinvestitionen erhebliche Schwankungen auf. Es erscheint daher nur wenig überzeugend, die Auslandsengagements deutscher Unternehmen vornehmlich auf die Entwicklung der Lohn- bzw. Lohnzusatzkosten zurückzuführen. Stellt man den Saldo der Direktinvestitionen den gesamten privaten Bruttoinvestitionen der entsprechenden Jahre gegenüber, erhält man einen Eindruck vom Gewicht der unmittelbaren Aktivitäten im Ausland. Im Betrachtungszeitraum schwankte die Relation, wie in Abbildung 5 dargestellt, zwischen 3,6 v. H. und 7,5 v. H. und erreichte in 1995 nur knapp das Ausgangsniveau von 1986. Angesichts dieser Entwicklung verliert auch das Argument, die heimische Beschäftigungskrise sei durch "auswandernde" Unternehmen verursacht, erheblich an lTberzeugungskraft. Zur Beurteilung der internationalen Wettbewerbsfahigkeit des Standortes Deutschland ist die Gegenüberstellung der effektiven Aufwendungen fiir den Produktionsfaktor Arbeit erforderlich. Tabelle 1 (s. Seite 618) verschafft einen lTberblick auf der Basis von Arbeitskosten je geleisteter Stunde in der Verarbeitenden Industrie in DM. In den wiedergegebenen Zuwachsraten sind folglich die Wechselkurseffekte innerhalb des Betrachtungszeitraumes von 1970 bis 1995 bereits enthalten. Die Ergebnisse sind vor allem geeignet, die Veränderung der relativen Wettbewerbsposition in (West-)Deutschland tätiger Unternehmen zu beurteilen. Zu Beginn des ausgewählten Zeitraumes lagen die die gesamten Arbeitskosten in der Bunderepublik bei 8,61 DM pro geleistete Stunde und wurden innerhalb der Untersuchungsgruppe nur von den USA übertroffen (15,25 DM). Japan bildete 1970 mit 3,78 DM pro Arbeitsstunde das Schlußlicht. In 1995 stellt sich die Situation deutlich anders dar. In (West-)Deutschland wurden im Durchschnitt 45,52 DM pro geleistete Stunde an Arbeitskosten fällig, während die entsprechenden Aufwendungen in den USA lediglich 25,18 DM betrugen und damit innerhalb der betrachteten Ländergruppe nur von Großbritannien und Italien unterboten wurden. Japan rückte im gleichen Zeitraum immerhin auf den vierten Platz vor (35,48 DM pro Stunde). Die differen16 Definiert
land.
als Wert deutscher Anlagen im Ausland minus Wert ausländischer Anlagen im in-
Horst Gischer und Ulrich Teichmann
618
zierte Analyse nach Teilperioden und bezüglich der Komponenten der Lohnkosten liefern aufschlußreiche Resultate. So haben bei den gesamten Lohnkosten über die volle Betrachtungsperiode Belgien sowie (mit leichten Abstrichen) die Niederlande und Frankreich mit den Zuwächsen in Deutschland weitgehend Schritt gehalten. Die Kosten fiir die japanischen Arbeitnehmer sind dagegen jahresdurchschnittlich um rd. 2,5 Prozentpunkte schneller gestiegen als in der Bundesrepublik. Man erkennt darüber hinaus, daß die relative Verschlechterung der Lohnkostenposition in Deutschland nach 1980 stattgefunden hat. Die Aufschlüsselung nach den Bestandteilen offenbart überdies eine (auch im internationalen Vergleich) überproportionale Zunahme der Nebenkosten, die allerdings insbesondere bis 1980 durch moderatere Wachstumsraten des Direktentgeltes gleichsam ,,kompensiert" worden ist.
Tabelle
Jahre
D
F
B
r NL
GB
S
USA
J
LOHNKOSTEN INSGESAMT (JÄHRLICHER ZUWACHS IN v.H.)
70 - 95
6,89
6,71
6,32
70 - 80
10,14
12,61
10,52
80 - 95
4,77
2,95
3,60
88 - 95
4,92
4,28
2,87
1,09
5,43
5,34
6,34
4,34
9,42
8,27
11,25
2,85
3,43
3,18
4,74
2,74
DIREKTENTGELT (JÄHRLICHER ZUWACHS IN
2,03
9,37
8,24
1,62
10,77
1,83
2,30
8,44
0,69
0,41
6,09
v.H.)
70 - 95
6,00
5,92
5,64
4,84
5,05
5,89
3,17
1,51
9,18
70 - 80
8,26
11,23
9,54
7,98
8,41
10,32
5,60
0,77
10,68
80 - 95
4,52
2,52
3,12
2,80
2,87
3,05
1,58
2,00
8,18
88 - 95
4,85
4,39
2,93
0,88
- 0,55
3,22
0,70
- 0,13
5,63
3,65
9,70
PERSONALZUSATZKOSTEN (JÄHRLICHER ZUWACHS IN
v.H.)
70 -95
8,32
7,79
7,20
7,39
7,20
6,97
7,02
70 -80
13,34
14,64
11,91
14,35
11,91
12,63
14,70
4,51
10,98
80 -95
5,10
3,44
4,16
2,98
4,16
3,36
2,19
3,07
8,85
88 -95
5,01
4,16
2,78
2,82
2,78
2,83
0,69
1,83
6,79
"Die zugrundeliegenden Daten stammen vom Institut der deutschen Wirtschaft, die ausgewiesenen durchschnittlichen Zuwachsraten beruhen auf eigenen Berechnungen.
Lohnnebenkosten aus der Sicht der Politischen Ökonomie
619
Augenfällig ist in der langfristigen Perspektive der Strukturbruch bei der Lohnkostenentwicklung in Großbritannien. Seit 1980 sind die Zuwächse sowohl bei den Direktentgelten als auch bei den Nebenkosten erheblich niedriger ausgefallen als beispielsweise in Deutschland. Wenngleich die britische Wirtschaft in jüngerer Zeit durchaus den Anschluß an die internationale Spitze wiedergefunden hat, sind die ökonomischen Erfolge bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sowie beim gesamtwirtschaftlichen Wachstum im Mittel der vergangenen eineinhalb Jahrzehnte allenfalls durchschnittlich ausgefallen. Insofern bleibt die Frage nach der Kausalität des Zusarmnenhanges zwischen Wirtschaftswachstum und Lohnzuwachs weiterhin ungeklärt: Führt eine nachhaltige Lohnzurückhaltung zur erwünschten gesamtwirtschaftlichen Expansion oder sind niedrige Tarifabschlüsse nicht vielmehr die Folge unbefriedigender Prosperität?17 Fraglos belasten hohe Personalkosten die Unternehmensergebnisse und damit die potentielle Investitionskraft, allerdings sind unzureichende Gewinne (auch gesamtwirtschaftlich) mitnichten alleinige Folge unangemessener Personalaufwendungen. 18 Darüber hinaus belegt die jüngere Vergangenheit, daß die Mehrzahl der Unternehmen (relative) Entlastungen bei den Lohnkosten keineswegs mit der Schaffung neuer Arbeitsplätze bzw. zusätzlichen Investitionsprojekten beantwortet.
E. Polit-ökonomische Motive Nach der - ungeachtet ihres Umfanges - kursorischen Bestandsaufnahme wesentlicher Fakten und Entwicklungen relativiert sich die tatsächliche Bedeutung der Lohn- bzw. Lohnnebenkosten fiir die ökonomische Entwicklung Deutschlands. Um Mißverständnissen vorzubeugen: Es wird selbstverständlich nicht bestritten, daß niedrigere Aufwendungen fiir den Produktionsfaktor Arbeit den Handlungsspielraum und die Wettbewerbsposition deutscher Unternehmen (ceteris paribus!) verbessern könnten. Ebensowenig wird der Forderung nach einer streng an der Produktivitätsentwicklung orientierten Tarifpolitik der Gewerk17 Zweifellos gehört Deutschland zu den Spitzenreitern der Hochlohnländer, gleichwohl haben die Unternehmen den Lohnkostennachteil nicht (automatisch) mit Gewinneinbußen bezahlen müssen. Der weitgehend unreflektiert wiederholten Behauptung, niedrigere Lohnzuwächse hätten in den vergangenen Jahren das Wachstum und damit die internationale Wettbewerbsposition Deutschland verbessern können, fehlt (notgedrungen) jeder empirische Beleg, vgl. in diesem ZusanJmenhang auch HarteI, 1996, S. 382-383. 18 Hier sei etwa an einige spektakuläre Schieflagen namhafter Unternehmen wie der Daimler Benz AG oder der K1öckner-Humboldt-Deutz Ag erinnert, deren Probleme (und Milliardenverluste) unbestritten auf gravierende Managementfehler zurückzuführen sind. Allerdings fehlt es zahlreichen, vornehmlich mittelständischen, Unternehmen nicht zuletzt aufgrund erheblicher Lohnkostenbelastungen an der notwendigen finanziellen Substanz, um außergewöhnliche Ertragseinbußen ohne Insolvenzgefahr kompensieren zu können.
620
Horst Giseher und Ulrich Teichmarut
schaften widersprochen, wobei zur Unterstützung der Investitionsnotwendigkeiten über einen befristeten Zeitrawn hinter dem Produktivitätszuwachs zurückbleibende Lohnsteigerungen ohne Zweifel zweckmäßig und zumutbar sind. Zudem stimmen wir auch dem Erfordernis eines nachhaltigen und substantiellen Subventionsabbaus und der damit einhergehenden Rückfiihrung des Staatsanteils uneingeschränkt zu. Warum aber werden im politischen Tagesgeschäft stattdessen die seit Anfang der achtziger Jahre nicht nennenswert veränderten Lohnnebenkosten in den Mittelpunkt gestellt, alle anderen flankierenden oder alternativen wirtschaftspolitischen Korrekturen hingegen mehr oder weniger in den Hintergrund gerückt? Dies ist wnso überraschender, als die Relation zwischen Personalaufwand und Gesamtleistung aller im Rahmen der Jahresabschlußanalyse der Deutschen Bundesbank untersuchten Unternehmen in 1994 mit 19,7 v. H. noch nicht einmal das Niveau von 1971 erreicht hat und in der Zwischenzeit bestenfalls marginale Schwankungen aufwies. 19 Es besteht allerdings die Vermutung, daß der Anteil der Personalaufwendungen höher ausgefallen wäre, wenn deutsche Produktionsunternehmen in der Vergangenheit weniger vom (internationalen) Outsourcing Gebrauch gemacht hätten. Insofern sind im Materialaufwand, etwa fiir importierte Vorerzeugnisse, Personalkosten enthalten, die nicht hinreichend präzise statistisch erfaßt werden und somit die tatsächlichen Inputanteile der Produktionsfaktoren verzerren. Eine mögliche Ursache fiir das wiederkehrende Interesse an der Lohnnebenkostendiskussion liegt in der verbreiteten Tendenz zur korporatistischen Verbandsaktivität. 20 Sie beeinhaltet die zunehmende Integration in die Regierungsgeschäfte und stellt sowohl fiir die parlamentarische Demokratie als auch fiir die involvierten Verbände selbst ein nicht zu unterschätzendes Risiko dar. Zwar erhöhen sich die Chancen der Verbände, ihre individuellen Interessen in der Wirtschaftspolitik durchzusetzen. Allerdings geht (innerverbandlieh) die Distanz und Abgrenzung zu den Regierungsplänen (im engeren Sinne) verloren. Die Regierung ihrerseits will nicht nur vorbeugend mögliche Widerstände ausräwnen, sie hofft auch, daß die Verbände ihrer Klientel die in Abstimmung mit ihr getroffenen Entscheidungen begründen und fiir sie werben werden. Der begrifflich eindeutige Trennstrlch zwischen (inhaltlicher) Willensbildung und anschließender (formaler) Entscheidung ist in der politischen Realität nur selten deutlich gezogen. Gewählte Abgeordnete sehen sich wiederholt, besonders in Koalitionen, zum bloßen ,,Absegnen" aufgerufen, während zuvor in19 y9l. Deutsche Bundesbank, 1995, S. 33ff., insbesondere S. 37 bzw. Deutsche Bundesbank, 1993, S. 22. 20 Ygl. zum folgenden Teichmann, 1993, S. 42ff.
Lohnnebenkosten aus der Sicht der Politischen Ökonomie
621
fOlmell ,,in kleiner Runde" die Entscheidungen vorbereitet wurden, die, als ein bis ins Detail ausgewogener Interessenausgleich, nur als "geschnürte Pakete" zur Abstimmung gestellt werden. Dem parlamentarischen System drohen durch die Verbände insbesondere dann Gefahren, wenn diese durch ihren Informationsvorsprung den politischen Entscheidungsprozeß zu dominieren versuchen. Bezogen auf die Lohnnebenkostenproblematik ist die Analogie sowohl der konfliktträchtigen Ausgangssituation als auch der polit-ökonomisch handelnden Akteure zur mesoökonomischen Theorie der Strukturpolitik unverkennbar: ,,Im Falle der sektoralen Strukturpolitik wirken allein schon ihre branchen- und gruppenrnäßige Ausrichtung sowie die erfahrungsgemäß dadurch stark aktivierten Gruppendepressionen darauf hin, daß das Allgemeinwohl zugunsten von Partikularinteressen zurückgedrängt wird. Auch ist die sektorale Strukturpolitik als vorwiegende Gruppenbegünstigungspolitik zu Lasten Dritter ein Paradebeispiel für unheilige Allianzen zwischen politisch-staatlichen Instanzen und organisierten Gruppeninteressen. Erfahrungsgemäß versuchen auf dem weiten Feld der öffentlichen Strukturhilfen sowohl die strukturpolitischen Entscheidungsträger als auch die Strukturhilfen empfangenden Gruppen ihre partikularen Ressort- bzw. Gruppeninteressen zu verwirklichen, und zwar auch, wenn dem ein erkennbares Allgemeinwohl-Interesse entgegensteht,'UI
In der Personalzusatzkosten-Debatte dominiert der Umverteilungskalkül: Eine Senkung der Lohnnebenkosten führt zu einer (einseitigen) Entlastung der Unternehmenseinkommen, ohne daß diese an anderer Stelle durch arbeitgeberrelevante Zusatzaufwendungen kompensiert wird. Einsparungen bei den Nebenkosten ziehen beinahe zwangsläufig auch Abstriche bei den mit den Sozialbeiträgen finanzierten Leistungen nach sich. Diskutiert wird vornehmlich über die Einschränkung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Reduzierung der Regelleistungen bei Arbeitslosigkeit sowie die schrittweise Erhöhung des Rentenalters für Frauen nebst verminderter Anrechenbarkeit von Ersatz- oder Ausfallzeiten. Selbstverständlich können in einer dynamischen Wirtschaft nicht alle Segnungen des Sozialstaates ohne Einschränkungen dauerhaft garantiert werden. Gleichwohl verdeutlicht die Vorgehensweise der Akteure die mangelnde politische Handlungsfiihigkeit der Regierung. Der beklagte Zustand existiert, wie in den vorgehenden Abschnitten beschrieben, seit geraumer Zeit. Die parlamentarischen Mehrheiten haben sich seit 1982 nicht nennenswert verschoben. Die Entschlußkraft aber, gewünschte Korrekturen bei der Einkommensverteilung über eine konsequente Reform der Steuertarife herbeizuführen, fehlt den Regierungsparteien. Sie suchen vielmehr den Weg des geringsten (verbandlichen) 21
Peters, 1986, S. 165.
622
Horst Giseher und Ulrich Teichmann
Widerstandes, denn von der Reduzienmg der Lohnzusatzkosten profitieren alle Unternehmen, ohne daß einzelne, wie etwa bei Einschränkungen in der Subventionspraxis zu befürchten, durch Mindereinnahmen an anderer Stelle belastet werden. Auch das Risiko, bei den zukünftigen Wahlen die Regienmgsfähigkeit einzubüßen, ist derzeit gering einzuschätzen. Zum einen ist die zeitliche Distanz zum nächsten Wahltennin hinreichend groß, zum anderen kann die Opposition den letztendlich belasteten Arbeitnehmern keine auch nur annähernd überzeugende Alternative bieten: Die Aufrechterhaltung des sozialen Status quo erfordert unweigerlich einen weiteren Abgabenanstieg, eine Kürzung der bestehenden Leistungen käme den Regienmgsplänen gleich, eine Refonn im Gesundheitswesen zur Begrenzung der Krankenkassenbeiträge ist politisch kaum erreichbar und substantielle Ändenmgen bei der staatlichen Subventionspolitik würde eigene Interessen gefahrden (hier sei nur an die massiven Erhaltungssubventionen im Kohlebergbau erinnert). Was bleibt sind taktische Geplänkel im (oppositionsdominierten) Bundesrat, die Entscheidungen zwar verzögern, aber schlußendlich nicht verhindern können. Es bleibt fraglich, ob durch ein derartiges Procedere das Allgemeinwohl gefördert wird. Die ökonomische Ratio muß in einem derartigen Umfeld auf der Strecke bleiben. Ursachentherapie unterbleibt, Korrekturversuche betreffen allein die unmittelbar sichtbaren Symptome. 22 Die verstärkte Polarisienmg der ideologischen Lager verhindert nachhaltig von einer breiten, die Parteigrenzen übergreifenden Mehrheit getragene Lösungen. Diese sind zwar in einer repräsentativen Demokratie grundsätzlich kein erstrebenswertes Ideal, da sie bei wiederholter Realisienmg gleichsam ein Kartell gegen den Wähler darstellen würden: Seine Entscheidung für eine (und damit explizit gegen eine andere) Partei wäre durch die Bildung entscheidungsbezogener "großer" Koalitionen im nachhinein irrelevant. In einem parlamentarischen Zwei-Kammer-System deutscher Prägung mit abweichenden Mehrheitsverhältnissen in den jeweiligen Parlamenten bildet jedoch der (Minimal-)Konsens die einzige Geschäftsgrundlage, insbesondere in Situationen, in denen der politische Handlungsbedarf weitgehend unstrittig ist. Eine Senkung der Produktionskosten begünstigt zwar zunächst die Arbeitgeberseite, scham aber im nächsten Schritt Verteilungsspielräume, die entweder für Einkommenserhöhungen oder zusätzliche Arbeitsplätze genutzt werden können. Bei näherem Hinsehen müssen Zugeständnisse zur Reduzienmg des Pro-
22 Man denke in diesem Zusammenhang auch an den ökonomisch absurden Versuch, die Kostensteigerungen im Gesundheitswesen durch eine gesetzliche Obergrenze für die Krankenkassenbeiträge zu "verhindern",
Lohnnebenkosten aus der Sicht der Politischen Ökonomie
623
duktionsaufwandes nicht einmal zwangsläufig mit materiellen Einbußen erkauft werden. Die Flexibilisienmg der Arbeitszeiten sowohl im Dienstleistungssektor als auch im Produzierenden Gewerbe könnte den Maschinenbestand wesentlich besser auslasten und damit die kalkulatorischen Kapitalkosten senken. Die Einführung von betrieblichen Arbeitszeitkonten wird zwar - vornehmlich akademisch - diskutierr 3 , aber in der tarifpolitischen Praxis auch deshalb weitgehend ignoriert, weil die Gewerkschaften befiirchten, an Einflußmöglichkeiten zu verlieren, wenn unternehmensspezifische Regelungen an Bedeutung gewinnen. Dabei wird indes übersehen, daß die Interessen der Unternehmensseite im Konflikt über die Lohnzusatzkosten erheblich einfacher zu bündeln sind als im Lager der Arbeitnehmer. Letztere umfassen sowohl diejenigen Arbeitskräfte, deren Entlassungsrisiko relativ gering oder deren Einkommensniveau vergleichsweise hoch ist als auch abhängig Beschäftigte in geflihrdeten Unternehmen und Branchen bzw. mit unterdurchschnittlichen Einkommen. Fraglos betrachten die Geringverdienenden mit erheblichem Arbeitsmarktrisiko Einschränkungen in der sozialen Absichenmg weitaus kritischer als die Gruppe der besser verdienenden Beschäftigten, die Präferenzen dieser - nur grob differenzierten - Kategorien von Arbeitskräften werden folglich voneinander abweichen. Auch die bereits Arbeitslosen werden von Einsparungen bei der Sozialpolitik härter getroffen als die (noch) beschäftigten Arbeitnehmer. Darüber hinaus steigt einzelbetrieblich die Bereitschaft zu finanziellen Zugeständnissen bei der Gefahr der Insolvenz, während die (Einheits-)Gewerkschaft als Institution allen ihren Mitgliedern gleichsam uniforme Interessen unterstellt. Da durch verringerte Leistungszusagen ,,finanzierte" Abgabensenkungen die staatlichen Budgets unberührt lassen, besteht fiir eine prinzipiell arbeitgeberorientierte Regienmg kein Gnmd, sich den Umverteilungsbestrebungen ihrer Klientel dauerhaft zu verweigern. Inwieweit auch auf mittlere Sicht anhaltende und spürbare Kostenreduzienmgen beim Produktionsfaktor Arbeit realisiert werden können, ist apriori kaum abschätzbar. Nicht zuletzt die zukünftige Tarifpolitik kann einmal gewonnenes Terrain erneut zur Disposition stellen.
23
Vgl. exemplarisch Seifert, 1996, S. 442ff.
624
Horst Giseher und Ulrich Teichmann
F. Schlußfolgerungen Unsere AusfUhrungen haben zu belegen versucht, daß die Diskussion über die Personalzusatzkosten bei genauem Hinsehen eine allenfalls geringe ökonomische Substanz aufweist. Würde sie - auch in der Öffentlichkeit - konsequent als Verteilungspolitik bezeichnet, könnte der Versuch, wirtschaftstheoretische und empirische Belege für die (vermeintliche) Notwendigkeit zur deutlichen Senkung der Nebenkosten schnell aufgegeben werden. Verteilungsfragen verschließen sich der allgemein üblichen ökonomischen Methodik, sie gehören vielmehr in den Bereich der Werturteile, denen naturgemäß die Objektivierbarkeit fehlt. Allerdings können Verteilungsfragen nicht isoliert betrachtet werden. Inbesondere wenn Verteilungsentscheidungen Konsequenzen für die Wachstumsaussichten haben, ist die ökonomische Bewertung der Alternativen notwendig. 24 Die Verteilungspolitik bleibt stets an die Produktion der vergangenen Periode gebunden. Sie kann jeweils nur das verteilen, was in der vorangegangenen Periode geschaffen worden ist. Sie bestimmt aber auch infolge der aus den (realisierten) Gewinnen erwachsenden Investitionskraft die zukünftigen Angebotsmöglichkeiten. Der Nachrang des Strukturziels Verteilungsgleichmaß hinter dem Globalziel Wachstum wird zumeist damit gerechtfertigt, daß von der prinzipiell unbegrenzten Chance der Gewinn- und Einkommenssteigerung Leistungsanreize und eine entsprechende Investitionsbereitschaft ausgehen. Gleichzeitig kann die infolge der höheren Sparquote der ,,Besserverdienenden" gestiegene private Ersparnis die wachstumsnotwendigen Investitionen finanzieren. Die nachhaltige wirtschaftliche Expansion führt schließlich dahin, daß auch die anfangs benachteiligten Lohnempfänger über ein höheres Realeinkommen verfUgen als sie bei gleichmäßiger Verteilung hätten erreichen können. Der Verteilungskonflikt wird dadurch langfristig gemildert. Man könnte von einer Rechtfertigung der Verteilung aus der Verwendung (nämlich für einkommenssteigernde investitionen) sprechen. Es besteht jedoch die Gefahr, daß die (funktionale), tarifvertraglieh vereinbarte Primärverteilung durch staatliche Eingriffe wachstumsschädlich korrigiert wird. In der parlamentarischen Demokratie dominieren Mehrheiten. Einer amtierenden Regierung steht es frei, bestehende Einkommensverteilungen nach eigenem Gusto durch unterschiedlichste Maßnahmen zu verändern, solange die Legislative derartige Vorhaben alimentiert. Insofern ist die (krampfhafte) Suche
24
Vgl. zum folgenden ausführlich Teichmann, 1987, S. I 29ff.
Lolmnebenkosten aus der Sicht der Politischen Ökonomie
625
nach "Sach"-Argumenten in Verteihmgskonflikten streng genommen überflüssig, es sei denn, weniger infonnierten Unbeteiligten soll der wahre Kern des Problems vorenthalten bleiben. Vergleicht man hingegen die ökonomischen Vor- und Nachteile einer staatlich verordneten (und mit großer Wahrscheinlichkeit allenfalls vorübergehenden) Senkung der Lohnzusatzkosten mit denen einer konsequenten Reform der Steuer- und Ausgabenpolitik, wird das eigentliche Dilemma der Akteure offenbar: Nicht die Zweckmäßigkeit dominiert ihr Handeln, sondern das (indirekt demonstrierte) Eingeständnis, für ursachenorientierte Korrekturen keine Mehrheiten zu finden.
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40 Pelers
626
Horst Gischer Wld illrich Teichmann
Seifert, H. (1996): Arbeitszeitkonten - Modelle für mehr Zeitsouveränität oder absatzorientiertes Zeitmanagement?, in: WSI-MitteilWlgen, 49. Jg., S. 442-449. Stille, F.; Teichmann, D. (1996): Hohe Subventionen in Ostdeutschland - wenig Abbau in Westdeutschland, in: DlW-Wochenbericht, 62. Jg., S. 106-117. Teichmann, U. (1987): Grundlagen der Wachstumspolitik, München. - (1993): Wirtschaftspolitik. Eine Einführung in die demokratische Wld instrumentelle Wirtschaftspolitik, 4. Aufl., München.
Wirtschaftspolitische Institutionenbildung im Widerstreit der Interessen Von Karl-Heinz Waldow, Preetz
A. Einleitung Machlup beklagte 1958 in seinem Artikel über den Strukturwandel den exzessiven Gebrauch des Wortes "Struktur", der nur dazu führe, den Begriff aufzuweichen, ihn mit mehr oder weniger sinnvollen anderen Worten zu verknüpfen, aber ihn letztlich inhaltsleer werden zu lassen. Vergleichbares geschieht derzeit mit dem angelsächsischen Begriff "lean", der, als Adjektiv "schlank" übersetzt, Gesundheit, Fitness und Effizienz suggerieren soll. So sind beispielsweise lean production und lean management zu dem Synonym fiir effiziente Unternehmensstrategien geworden. Angesichts wachsender Friktionen im Staatsapparat, deutlich geworden in Form hoher Haushaltsdefizite, geringer wirtschaftspolitischer Manövriermöglichkeiten und halbherziger Reformansätze, erscheint es zumindest reizvoll, wenn nicht gar geboten, diese Strategien auch auf weite Teile der Administration und politischer Entscheidungsprozesse zu übertragen und anzuwenden. Kostensenkungen durch Personalabbau, Einstellungsstopps und Haushaltssperren gehörten dann genauso zum Instrumentarium, wie eine übertragene Variante des "outsourcing", d.h. der Rückbau staatlicher Leistungen. Damit soll keinesfalls dem Verschwinden von spezifischen Leistungen das Wort geredet werden, sondern nur die Möglichkeit, Leistungen nicht mehr in hoheitlicher, sondern in privatwirtschaftlicher Regie zu erbringen, in Betracht gezogen werden. Übersehen wird dabei vielfach, daß lean auch mit ,,mager" übersetzt werden kann und die Protagonisten eines schlanken Staates sich allerdings auch äußern müssen, welche staatlichen Dienstleistungen nur noch in abgemagerter Form angeboten werden sollen. Mit anderen Worten, welche Teile des gesamten, vielschichtigen Pakets hoheitlicher Aktivitäten einer Abmagerungskur zum Opfer fallen sollen und welche nicht. Insbesondere wäre es interessant zu prüfen, welchen Beitrag sie zu leisten bereit wären. Doch dazu später mehr.
40"
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Karl-Heinz Waldow
Zweifellos hat die Politik in den vergangenen Jahrzehnten nicht immer mit der im nachhinein gebotenen Voraussicht gehandelt, ja vielleicht gar nicht handeln können. Der myopische Charakter von Politikentscheidungen bedingt durch die Kürze der Legislaturperioden und deren wahlpolitischen Kalkül ist überaus evident geworden. Pauschalierend allgemeines Staatsversagen als Grund für die gegenwärtige Situation anzuführen oder allein den politischen Akteuren die Schuld zuzuschreiben ist attraktiv, bildet aber wohl nur einen Teil der Wahrheit. Überdies leugnet diese Sichtweise die Interdependenzen von Politik, Gesellschaft und Wirtschaft und schließt von vornherein die Möglichkeit aus, daß die gegenwärtige Situation das Ergebnis einer bedauerlichen Mesalliance von Interessenvertretern und Politikern ist.) Aber, und das sollte an dieser Stelle betont werden, diese Politik war und ist demokratisch legitimiert. "Voters vote for such things. Can we count this as a cost?" schreibt dazu Tullock2 , und wenn dem unzweifelhaft in einer Demokratie so ist, dann können die aus der Politik entstandenen Kosten nicht als gesellschaftlich schädlich deklariert werden. Geht man von diesem status quo aus und verwirft als Ideallösung den allumfassenden Leviathan Hobbesscher Provinienz als Gedankenexperiment ebenso, wie den Marxschen Idealtypus des Neuen Menschen, als auch die Idee eines anarchistischen Zustands, dann stellt sich die Frage nach einer neutralen, realtypischen Regelung des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Ein entsprechendes Regelungsgerüst umfaßt alle Subsysteme wie z.B. soziale, ökonomische und politische Strukturen, die sowohl die Binnen- wie auch die Außenbeziehungen regeln. Regeln, die nicht-diktatorisch ausgewählt, in freiwilliger Übereinkunft beschlossen und deren Einhaltung kontrolliert werden muß. Nicht-adäquate Regelungen behindern die Entfaltung oder begünstigen - schlimmstenfalls - den endgültigen Niedergang eines Gesellschaftssystems. Vergleichbar der Systemtheorie Manturanas kann und wird sich ein System nur fortentwickeln und bestehen können, wenn es sich den Umgebungsbedingungen anpaßt oder seine Umgebung in koevolutorischer Weise zu seinen Gunsten verändert. North unterscheidet daher zwischen dem institutional environment und dem institution al arrangement. "The institutional environment is the set of fundamental political, social and legal ground rules that establish the basis for production, exchange and distribution. Rules governing elections, property rights, and the right of contracts ... . An institutional arrangement is an arrangement between economic units that governs the ways in
) Siehe dazu auch Alemann, 1989; Beyme, 1980 oder Rey, 1990. S. 29.
2 1989,
Wirtschaftspolitische Institutionenbildung
629
which its members can cooperate ... or provide a mechanism that can effect a change in laws or property rights. ,,3
Art und Umfang der gegenseitigen Interdependenzen sind von den jeweils existierenden internen und externen Regelwerken, den Institutionen abhängig. Vergleichbar mit Peters konstitutiven und systemintegrierten Faktoren einer Gesellschaft4 fallen diese jedoch nicht wie ,,Manna vom Himmel", sondern sind das Ergebnis menschlicher Interaktion und somit gestaltbar. Zwar sollte vom Grundsatz her das institutional environment als sogenannter Überbau weniger Veränderungen unterliegen als die internen Arrangements, doch erfordert die Flexibilität eines Systems auch die gezielte Beeinflussung von Rahmenbedingungen. Mit der prinzipiellen Möglichkeit, die institutionellen Regeln zu manipulieren, sind gleichzeitig der Einflußmöglichkeiten auch jenen Partialinteressen Tür und Tor geöffnet, deren Ziele nicht notwendigerweise kongruent mit denen des Gesamtsystems sind. Die offenen und verdeckten Ziele bzw. public und private interests lassen sich im Zweifelsfall schwer identifizieren. Die optimistische Annahme uneigennützige Verhaltensweisen seien im Rahmen des politischen Entscheidungsprozesses dominant, ist weder theoretisch zu begründen noch empirisch zu beobachten. Ein vorsichtigeres weil pessimistisches Menschenbild bedingt letztendlich Kontrollmechanismen, die einerseits flexibel genug sind, um die Entfaltungsmöglichkeiten des Individuums so wenig wie möglich einzuschränken, andererseits aber strikt genug sind, um dem Gesellschaftssystem ein festes Gerüst zu geben. Idealerweise sollten diese Arrangements neutral formuliert, fiir alle gleichermaßen verbindlich und die Sanktionen antizipierbar sein. Der methodologische Individualismus Hobbesschen Ursprungs prägt denn auch die Argumentation Brennan und Buchanans. S ,,Institutionen sind die Spielregeln einer Gesellschaft oder, förmlicher ausgedrückt, die von Menschen erdachten Beschränkungen menschlicher Interaktion." Und weiter heißt es: ,,Der Hauptzweck von Institutionen in einer Gesellschaft besteht darin, durch die Schaffung einer stabilen (aber nicht notwendigerweise effizienten) Ordnung die Unsicherheit menschlicher Interaktionen zu vermindem.,,6
Während bei Brennan und Buchanan der (neoklassische) Effizienzgedanke vorherrscht, steht fiir North der Ordnungscharakter im Vordergrund. Gemeinsam ist beiden Richtungen, daß, wie auch in der Neuen Institutionenökonomik, eine (evtl. auch schlechte) Regelung immer einem regellosen Zustand vorgezogen wird und diese Institutionen von Individuen bewußt gestaltet werden. Auch
3 Lace, North, 1971, S. 6f. 4 Ygl. 1987, S. 36ff. SYgl. 1985. 6 North, 1992, S. 3ff.
Karl-Heinz Waldow
630
wenn z. B. Hayek mit seiner VorstellWlg einer sich selbst im Zeitablauf herausbildenden spontanen OrdnWlg7 einen anderen Blickwinkel hat, ist auch bei ihm die EinsparWlg von Transaktionskosten durch ein Regelgeflecht ein zentrales Thema. Ob Wld Wlter welchen BedingWlgen sich solch eine Struktur entwickelt kann hier nicht diskutiert werden. Fest steht für ihn nur, daß sich Regeln oder Institutionen allmählich Wld scheinbar Wlgesteuert aus den Marktprozessen oder allgemeiner, aus den Interaktionen aller Gesellschaftsmitglieder entwickeln. Mit anderen Worten: die Gesellschaftsmitglieder steuern Wld organisieren sich bewußt oder Wlbewußt selbst, wobei Ld.R. die Gleichheit aller Wlterstellt wird. Ohne eine GleichverteilWlg bezüglich der individuellen Stärke bestünde die Gefahr einer partiellen RegelWlgsdominanz, die quasi-homogenen Inseln gleich gegenüber dem Rest des Systems ihre Interessen bevorzugt durchsetzen könnte. Eine dem Evolutionsgedanken entgegengesetzte Position beinhaltet eine aufoktroyierte, von einer übergeordneten Instanz initiierte Organisation, was Williamson als legalen Zentralismus bezeichnet. 8
B. Der Handlungsrahmen Alle diese Varianten betonen Wlterschiedliche Aspekte ein Wld desselben Themas: der Schaffimg eines OrdnWlgsrahmens innerhalb dessen vorgegebener Regeln legal gehandelt werden darf. Indem wir uns für oder gegen die ErrichtWlg eines bestimmten institutionellen Rahmens entscheiden, engen wir gleichzeitig den möglichen HandlWlgsspielraum ein. Mit dem Entscheid haben wir bewußt oder Wlbewußt ein Alternativenset ausgeschlossen, das uns fortan nicht mehr Wlmittelbar zur VerfiigWlg steht. Die Wahl einer spezifischen wirtschaftspolitischen Institution oder die FordefWlg nach einer - in ökonomischen Kategorien gemessenen - effizienten AusgestaltWlg bedeutet somit automatisch eine GrenzziehWlg für die EntscheidWlgsträger, Wld die damit verbWldene BegünstigWlg oder BehindefWlg von zukünftigen EntscheidWlgen macht die BedeutWlg Wld die weitreichenden Konsequenzen deutlich. Unabhängig von der, später eintretenden, speziellen AusgestaltWlg der Politik dieser Institution bedeutet deren bloße Konstruktion bereits ein politisches Moment Wld ein Signal für Dritte. Will man nicht die Diskussion über diesen HandlWlgsrahmen wiederholen, haben sich später auszuhandelnde Wld auszugestaltende Regeln innerhalb dieses vorgegebenen legalen Netzes zu bewegen. Derartige juristische Wld ordnWlgspolitische Vorgaben bezüglich institutioneller
7 Vgl. 8 Vgl.
Hayek, 1983. Williarnson, 1985.
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Rahmenbedingungen präjudizieren einen erheblichen Anteil der Entscheidungen prozeßpolitischer Art. Folgt man dieser Einschätzung, so ist es aus positiver Sicht natürlich interessant, welchen Einfluß dieses ,,institutional framework" auf die sich realiter abzeichnende Wirtschaftspolitik hat. Besonderes Augenmerk muß daher weniger auf tatsächliche Politik gerichtet werden (sie kann wie oben dargelegt häufig nicht anders agieren), als auf die vorausgegegangenen Prozesse, die zu den institutionellen Schranken geführt haben. Ob und inwieweit die Entscheidungsträger sich der weitreichenden Konsequenzen ihrer Entschlüsse bewußt sind, ist nicht genau zu sagen. Fest steht jedoch, daß die Auseinandersetzungen im Vorfeld stets heftiger sind und länger andauern, als nach Errichtung der Institution. 9 Es kann daher bei der Analyse der Institutionenbildung nicht nur darum gehen, die wirtschaftspolitischen Entscheidungen und Verfahren zu beurteilen, die aufgrund eben dieser speziellen Regeln erfolgen, sondern um die im Vorfeld ablaufenden Prozesse, die den Rahmen erstellen. Weniger die "choice within constraints" sind interessant als die Analyse der "choice of constraints". Adaptieren wir das in der Neuen Politischen Ökonomie vorherrschende Konzept der "politics of exchange" dann kann davon ausgegangen werden, daß sich bei der Institutionenbildung dieselben Mechanismen wiederfinden, die bei marktwirtschaftlichen Transaktionen anzutreffen sind. Die Nachfrager nach dem spezifischen (öffentlichen?) Gut ,,Institution" werden dann und nur dann ihre Nachfrage auf dem Markt für Institutionen artikulieren und für sie kostenrelevante Aktivitäten enfalten, wenn die potentiellen Erträge aus der Errichtung der Institution größer sind als die Aufwendungen. Anders formuliert: die Befürworter bestimmter staatlicher Regelungen und Regelungsinstanzen erwarten in erster Linie individuelle Erträge und erst in zweiter Linie streben sie die Förderung des Gemeinwohls an. Gleiches gilt für deren Gegner die sich ebenfalls persönliche Gewinne oder zumindest die Vermeidung von Verlusten erhoffen. Nur diejenigen Personen, die nach Downs als "eIder statesmen" bezeichnet werden können10 , sind davor gefeit, das ihnen an-
9 Die Bedeutung institutioneller Arrangements wird besonders im Bereich der Umweltpolitik deutlich. Aus der Defmition und Festlegung der Eigentums- bzw. Verfügungsrechte folgen spezifische prozeßpolitische Alternativen. Ein weiteres klassisches Beispiel für die Bedeutung institutioneller Arrangements für die Ergebnissse ist das Condorcet-Paradox, dessen Regelwerk: Mehrheitsprinzip, paarweise Abstimmung, Ausscheiden abgewahlter Alternativen und Reihenfolge der Abstimmung das Ergebnis (beliebig) determiniert. 10 Downs, 1967.
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getragene Amt zu ihren Gunsten zu mißbrauchen und verfolgen primär an übergeordneten Zielen ausgerichtete "collective strategies".11 Wie Weidenfeld 12 konstatiert folgt das Reaktionsmuster bei der Errichtung der neuen Institution einem immer wiederkehrenden Schema. Einer zunächst dramatischen Überhöhung der Gefahren und Risiken folgt eine Phase der Relativierung und schließlich sogar eine Umkehrung ins Gegenteil. Für diesen typischen Verlauf gibt es zwei Erklärungsvarianten. Entweder wurden zu Beginn die möglichen Einkommenseinbußen oder Prestigeverluste zu hoch geschätzt und diese negativen Erwartungen im Zeitablauf korrigiert oder den Gegnern ist es im Verlauf der Diskussion gelungen, den ursprünglichen Entwurf abzuschwächen, zu Fall zu bringen oder gar zu ihren Gunsten zu nutzen. In der Tat ist es bei Kompromißlösungen im Nachhinein oft nicht einfach festzustellen, welche Partei obsiegt hat. Eine Untersuchung der "choice of constraints" erfordert also zum einen die Identiftkation der beteiligten Interessengruppen und zum anderen die ,,Demaskierung" der Ziele.
c. Die Europäische Zentralbank Betrachten wir echte wirtschaftspolitische Trägerlnstanzen wie sie durch Peters 13 deftniert werden, wie z. B. eine europäische Zentralbank, so läßt sich allein durch die Mitgliedsländer der Europäischen ,Union eine Untergrenze bei der bloßen Zahl möglicher Interessengruppen festlegen. Heterogene Gesellschaften sind wie die Interessen der supranationalen Instanzen genauso zu berücksichtigen, wie Wünsche von Regionalvertretern, Kapitaleignern und Gewerkschaften. Konfrontationen von ehemals Verbündeten (z. B. Frankreich und die Bundesrepublik) oder Koalitionen von im normalen politischen Tagesgeschäft entgegengesetzten Partnern (Frankreich und Großbritannien) tUhren zu einer unübersehbaren Zahl von möglichen Interessenkonstellationen. 14 Dabei geht es in der Diskussion um eine Europäische Zentralbank im wesentlichen nur um zwei Aspekte: a) dem Grad der Unabhängigkeit gegenüber Dritten, insbesondere den Regierungen und b) dem zukünftigen Sitz einer solchen Behörde.
Dunleavy, 1991, S, 174. 1990, S, 15. 13 VgL 1981, S 301. 14 Siehe u. a. Healy, Levine, Pearlman, 1994. 11
12 Vgl.
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Wer wäre Nutznießer einer starken unabhängigen Zentralbank und wem käme eine weisungsgebundene Institution entgegen? Profitieren würden zunächsteinmal die Vertreter der bundesrepublikanischen Zentralbank, die, bereits jetzt weitestgehend autonom, nicht nur keine Machtminderung sondern aufgrund der größeren europäischen Dimension einen Prestigezuwachs verzeichnen könnten. Mit der von Kritikern aufgeworfenen Frage: ,,From German Dominance to an EC Central Bank?,,15 werden im Gegenzug nationalstaatliche Empfindlichkeiten der Bevölkerung angesprochen, die seitens der Regierungen nicht einfach ignoriert werden können. Vaubel erinnert zu Recht an die wechselseitigen Auswirkungen von europäischen Beschlüssen auf den Ausgang einzel staatlicher Parlamentswahlen. 16 Verlierer wären in jedem Fall die alten national staatlichen Zentralbanken. Im einzelnen wird ihnen ein Tätigkeitsfeld genommen, die Mitglieder erleiden einen Status- oder Einkommensverlust und diejenigen, die sich bislang der Dienste (z. B. Geldmengensteuerung zu politischen Zwecken) der Zentralbank bedienen konnten wird ein wirtschaftspolitisches Instrument aus der Hand genommen. Weil" ... in den einzelnen EWS-Mitgliedsländern sowohl die Unabhängigkeit der Institution de facto und de jure als auch das entsprechende Rollenverständnis der leitenden Personen recht unterschiedlich ausgeprägt ist,,17 kommt der Frage der Ausgestaltung eine erhöhte Bedeutung zu. Alte Regelsysteme und "institutionelle Altlasten,,18 müssen beseitigt werden, um den Einfluß der Interessenvertreter zu minimieren. Dabei werden in der Öffentlichkeit selbstverständlich keine Stimmen laut, die sich über Einkommens- und Statusverluste beklagen, vielmehr werden über geeignete Zielformulierungen im Sinne der choice of constraints Positionen defmiert, zu deren optimaler Erreichung wiederum nur bestimmte Lösungen geeignet sind. Es wird versucht eine Kausalität herzustellen, die es unabdingbar macht, diese oder jene institutionelle Regelung zu verfolgen. Die politisch initiierte Forderung nach einem einheitlichen Währungsraum bedingt nur scheinbar auch eine einheitliche Zentralbank. Denkbar wäre auch die Konstruktion eines Zentralbanksystems unter Beteiligung aller bisherigen Zentralbanken. Die Lösung wäre praktikabel, minimierte die Widerstände der Pfründeinhaber und wäre vermutlich schneller zu verwirklichen als ein Modell nach bundesrepublikanischer Art. Einen entsprechenden konsensfahlgen Ansatz favorisieren denn auch die Vertreter von EU-Institutionen (Delors Ausschuß), denen eine zügige Übertragung der Rechte auf supranationale Organisationen ebenfalls entgegenkommt, da es einer Steigerung der Reputation entspräche.
15 Vgl. Welfens, 1991, S. 16 Vgl. 1996. 17 Biskup, 1990, S. 35. 18 Apolte, 1992, S. 154.
vii.
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Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft gewichtet die Vor- und Nachteile jedoch anders. Er sieht Interessenkollisionen bei der "Objektivierung" der monetären Versorgung und hegt ein tiefes Mißtrauen gegenüber einem Zentralbanksystem, in dem die heute noch bestehenden Zentralbanken zusammenwirken. 19 Institutionenbildung bedeutet also im allgemeinen zweierlei: einen Gewinn zusätzlicher Kompetenzen, Macht und Ressourcen, sowie die Aufgabe eines Teils von Souveränität und der persönlichen, d. h. ausschließlichen Entscheidungskompetenz. Insofern kann die entsprechende Formulierung eines Zentralbankgesetzes nicht sorgfältig genug vorgenommen werden, um einerseits ausreichend Autonomie zu gewährleisten und andererseits einen hohen Grad an Flexibilität zu erhalten, der zukünftige Veränderungen zuläßt. Bei der Umsetzung der Autonomieforderung wird jedoch übersehen, daß neben den beteiligten externen Interessengruppen auch die Zentralbank, d. h. die Institution selbst ein Interesse zur Selbsterhaltung und Ausweitung von Entscheidungskompetenzen hat, die nicht notwendigerweise mit den eigentlichen ökonomischen Zielen übereinstimmen müssen. Spätestens seit Niskanen20 wissen wir, daß Organisationen dazu tendieren, zusätzliche Aufgaben zu attrahieren, sich über das optimale Maß hinaus zu vergrößern und über die Errichtung von Zweigstellen und Nachfolgeorganisationen (Treuhand, BVS) den eigenen Fortbestand dauerhaft zu sichern. 21 Hasses "brisanter" demokratietheoretischer Einwand, daß sich eine autonome Institution der demokratischen Legitimation entzieht und eine konträre Politik verfolgen könne 22 , erweist sich allerdings bei näherem Hinsehen als weit weniger brisant. Läuft sein Argument doch genau auf eingangs aufgeworfene Frage hinaus, die es zu problematisieren gilt: der Schaffung von Institutionen und Regeln im Vorfeld der eigentlichen Initialisierung. Wenn also, seinerzeit die politische Mehrheitsverhältnisse derart waren, daß eine solche autonome Verfassung der Zentralbank verabschiedet wurde, dann ist selbstverständlich auch die Zentralbank demokratisch legitimiert. Auch wenn oder gerade weil sie sich temporär gegenüber der Exekutive widerborstig zeigt. Hasse selbst entkräftet das staatspolitische Argument wenn er feststellt, daß es kaum zu begründen sei: " ...
19 V9I . auch
1994.
20 VgI. 1971,1975. 21 Apoltes Vorschlag zur Entschllrfung der lnteressenkonflikte Standardtransformationen durchzuführen ist zwar theoretisch überzeugend, in diesem Zusanunenhang jedoch nicht anwendbar, da es sich um einen einmaligen Vorgang handelt. 22 Vgl. 1989, S. 122.
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wo das Demokratiedefizit liegt, wenn einer Institution per Gesetz ein Sonderstatus gewährt wird und dieser mit einfacher Mehrheit geändert werden kann.,,23 Man könnte zu anderen Schlußfolgerungen kommen, wenn das Gesetz eine Möglichkeit der Neuregelung für alle Zeiten ausschlösse, womit in der Tat diese Organisation dann ein nicht-demokratischer Fremdkörper wäre. Aufgrund des komplizierteren Gesetzgebungsverfahrens innerhalb der Gemeinschaft und einer potentiellen Ratifizierung des Zentralbankgesetzes muß man davon ausgehen, daß eine Änderung auf EU Ebene sehr viel schwieriger sein dürfte als auf nationaler Ebene. Ob sich aus der Dauer des parlamentarischen Verfahrens allein eine demokratische Legitimation ableiten läßt, darf bezweifelt werden. Zudem muß bei aller Betonung des Unabhängigkeitsaspektes beachtet werden, daß die Europäische Zentralbank immer integraler Bestandteil des Systems Europäische Union sein wird und somit Autonomie im Sinne eines unkontrollierten Fremdkörpers gar nicht erreicht werden kann.
D. Wettbewerb der Institutionen? Angesichts der vielschichtigen Probleme bei der Institutionenbildung wird die Forderung nach einem neutralen Auswahlmechanismus laut. Könnten nicht verschiedene Institutionen den bewährten Marktkräften ausgesetzt werden und sollte letztendlich nicht der Wettbewerb die beste, d. h. effizienteste Lösung herausfiltem? Vergleichbar dem Gresham'schen Gesetz wonach sich die härtere von zwei Währungen innerhalb desselben Territoriums automatisch, d. h. durch Wettbewerb durchsetzt, so könnte doch auch die zukünftige Entwicklung zeigen welche Organisationsform überlegen ist. 24 Wie könnte so ein Institutionenwettbewerb aussehen und welche Bedingungen müßten an das Marktergebnis geknüpft werden? Nehmen wir beispielsweise als Kriterium das Ziel der Geldwertstabilität und statten zwei gleichrangige Organisationen mit denselben Ressourcen und Kompetenzen aus. Unterschiedliche Vorstellungen hinsichtlich des Ziels oder auch nur des Zielerreichungsgrades hätten in diesem Fall jedoch fatale Auswirkungen. Die restriktive Geldpolitik der einen Institution würde durch die (expansivere) Politik der anderen konterkariert werden. Darüberhinaus hat das ,,Produkt" Geldwertstabilität alle Eigenschaften eines Öffentlichen Gutes, das zwar jeder für erstrebenswert hält, die Kosten der Erreichung dieses Ziels aber vorzugsweise auf andere abgewälzt se-
23 Ebendort, S. 124. 24 Siehe dazu auch Hechter, Opp, Wipp1er, 1990.
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hen möchte. Folglich wird zwnindest eine der Wettbewerbsparteien sich wie ein cheap rider verhalten. Ohne Kooperation und ohne Kontrollinstanz droht das klassische Gefangenendilemma mit dem denkbar schlechtesten Ergebnis aus gesamtwirtschaftlicher Sicht. Ob ein Reputationswettlauf ein stabiles Gleichgewicht darstellt wäre noch zu prüfen, aber nichtsdestotrotz wäre ein derartiger Zustand geringer Liquidität gleichermaßen unerwünscht. Schließlich würde der wettbewerbliche Prozeß in diesem konkreten Fall die effiziente Institution als Gestalt gewordener Imperativ des "survival of the fittest today" hervorbringen. Unabhängig davon wie realistisch dieses Szenario ist, bliebe die Frage offen, ob diese Institution noch zukünftigen Anforderungen gerecht werden kann, d. h. auch "the fittest of tomorrow" sein wird.
E. Schluß bemerkungen Die vorausgegangen Ausführungen haben deutlich gemacht, daß die Festlegung des Handlungsrahmens eine ungleich größere Bedeutung hat als die im nachhinein vorzunehmenden Prozeßregelungen. Mit dem Versuch kausale Zusammenhänge herzustellen erreichen die beteiligten Interessengruppen eine scheinbare Objektivität, die wesentlich zum Erfolg beiträgt. Vorwürfe anderer Gruppierungen man verfolge Partialinteressen und richte sich nicht an übergeordneten Zielsetzungen aus, können somit verhältnismäßig leicht wiederlegt werden indem auf die Notwendigkeit dieser Verfahren hingewiesen wird. Erst wenn es gelingt, an den vorgelagerten Entscheidungsprozessen zur Zielfindung, zum Handlungsrahmen und zur Aufgabenstellung teilzunehmen, steigen die Aussichten die - individuellen - Positionen einzubringen. Eine grundsätzliche Beseitigung dieses Dilemmas der Verfolgung von Partialinteressen erfolgt auch dadurch nicht, sondern wird nur auf vorgelagerte Stufen des Entscheidungungsprozesses verschoben. Auch die Einführung eines Quasi-Wettbewerbs, den man durch Hinzuziehung sehr vieler Interessen forcieren kann, dürfte nicht den erwünschten Erfolg haben, da auch in diesem Fall die Tendenz besteht, bereits im Vorfeld aktiv zu werden. Aufgrund der Tatsache, daß Standardprozeduren wegen der Einmaligkeit keine Anwendung finden können, dürfte die Einführung von mehr Transparenz bei den Entscheidungen und der Installation fester Kontrollmechanismen und Instanzen eher zur Sicherung der Verfolgung gesamtwirtschaftlicher Ziele beitragen. Daß hierbei letztlich dieselben Argumente zur Institutionenbildung Anwendung finden und es somit keine allgemein befriedigende Lösung gibt, ist zwar bedauerlich aber nicht zu umgehen.
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Karl-Heinz Waldow
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Mesoökonomie als gruppenstruktureller Ansatz innerhalb der Neuen Politischen Ökonomie Von Sylke Behrends, Oldenburg
A. Gründe für die Bildung der neuen Disziplin Mesoökonorilie I. K1assifikatorisches Defizit innerhalb der Volkswirtschaftslehre Üblich geworden ist es, die Volkswirtschaftslehre nach verschiedenen Analysearten zu klassifizieren. 1 Bei einer ersten Grobstrukturierung wird Wlterschieden, ob es sich bei der Analyse um rein ökonomische ErscheinWlgen Wld Zusammenhänge handelt oder ob die wirtschaftspolitische BeeinflussWlg des Wirtschaftsgeschehens berücksichtigt wird. Je nach der BetrachtWlgsweise läßt sich die Volkswirtschaftslehre in einen theoretischen Wld einen wirtschaftspolitischen Bereich einteilen. Als dominierende Klassifikation hat sich eine weitere AufspaltWlg nach dem Kriterium der BetrachtWlgsebenen wirtschaftstheoretischer Analyse Wld wirtschaftspolitischer GestaltWlg herauskristallisiert. Gemäß der konventionellen UnterscheidWlg der Volkswirtschaftslehre bis 1971 nach zwei Aggregationsebenen werden auf der niedrigstmöglichen Aggregationsebene das Verhalten einzelner Wirtschaftssubjekte Wld die WechselbeziehWlgen zwischen ihnen (Mikroökonomie) Wld auf der höchsten Aggregationsstufe das gesamtwirtschaftliche Verhalten aller Wirtschaftssubjekte oder die Größen, auf die sich ihre EntscheidWlgen beziehen (Makroökonomie), Wltersucht. In dieser Klassifikation besteht ein Defizit der mittleren Aggregationsebene zwischen Einzel- Wld Ge-
1 s.
z. B. den Überblick bei Tuchtfeldt, 1957, 52fT.
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samtwirtschaft. Zu diesem, zwischen den beiden extremen Aggregationsebenen der Volkswirtschaftslehre lokalisierten Bereich gehören die Probleme und Verhaltensweisen der größenmäßig ,,mittleren Aggregate von Wirtschaftssubjekten bzw. Analyseobjekten" wie "Gruppen, Branchen und Regionen,a bzw. Regionsrepräsentanten. Zur Beseitigung des Defizits der mittleren Aggregationsstufe ist von Hans-Rudolf Peters eine dritte volkswirtschaftliche Disziplin geschaffen und in Anlehnung an die traditionelle griechische Begriffsbildung (mikro = klein, meso = mittel, makro = groß) zur Bezeichnung verschiedener Aggregationsstufen innerhalb der Volkswirtschaftslehre von ihm Mesoökonomie3 genannt worden. Peters verdeutlicht präzise die Stellung der Mesoökonomie in der Systematik der Volkswirtschaftslehre, indem er beide erwähnten Klassifikationen, Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik sowie Mikro-, Meso- und Makroökonomie, miteinander kombiniert.
2 Peters, 1986, S. 172. 3 Seit
der erstmaligen Veröffentlichung im Rahmen seiner Habilitationsschrift 1971 (V gl. Peters, 1971, S. 217ff.) beschäftigt sich Peters intensiv mit diesem Forschungsbereich, was sich anhand zahlreicher inzwischen erfolgter Publikationen zeigt. Vgl. die umfangreichen Literaturangaben in Peters, 1992, S. 302f.; 1995, S. 329ft'.
Mesoökonomie und Neue Politische Ökonomie
Diszinlin Mikroökonomie
Ansatznunkte Unternehmungen Haushalte
Systembereicbe Mikroökonomik
Sacbbereicbe in der Wirtscbaftstbeorie • Theorie der Unternehmung - Kostentheorie - Produktionstheorie • Theorie des Haushalts - Konsumtheorie - Nachfragetheorie • Personelle Verteilungstheorie • Markt- und Preistheorie • Wettbewerbstheorie
Systembereicbe Mikropolitik
Sacbbereicbe in der Wirtscbaftsnolitik • Unternehmenspolitik • Verbraucherpolitik • Personelle Verteilungspolitik - Einkommenspolitik - Vermögenspolitik • Ordnungspolitik - Verfügungsrechte- und Eigentumspolitik - Wettbewerbspolitik - Administrative PIanabstimmungspolitik
Mesoökonomik
• Gruppenwirtschaftliche Theorie - Gruppen-, Genossenschafts- u. Verbändetheorie - Theorie des kollektiven Handeins - Mesoökonomische Interaktionstheorie • Sektorale Strukturtheorie - Sektorale Entwicklungstheorie - Theorie des Strukturwandels - Branchenregulierungstheorie - Indikative Strukturplanungstheorie • Regionale Strukturtheorie - Regionale Entwicklungstheorie - Standorttheorie - Infrastrukturtheorie - Umweltschutztheorie • Theorie des Wirtschaftskreislaufs • Theorie der volkswirtschaftlichen Gesarntrechnung • Konjunkrurtheorie • Arbeitsmarkttheorie • Außenwirtschaftstheorie • Geld- und Währungstheorie • Wachstumstheorie • Funktionelle Verteilungstheorie • Wirtschaftsplanungstheorie
Mesopolitik
• Gruppenspezifische Wirtschaftspolitik - Berufsordnungspolitik - Mittelstandspolitik - Industriepolitik
Markte
Mesoökonomie
Gruppen Branchen Regionen
Makro ökonomie
Volkswirtschaftliehe Kreislaufgrößen Gesamtwirtschaft
Makroökonomik
• Sektorale Strukturpolitik - Sektorale Entwicklungspolitik - Branchenregulierungspolitik - Indikative Strukturplanungspolitik • Regionale Strukturpolitik - Raumordnungspolitik - Gewerbeansiedlungspolitik - Entballungspolitik - Infrastrukturpolitik - Umweltschutzpolitik
Makropolitik
• Konjunktur- und Stabilitätspolitik - Geld- und Kreditpolitik - Antizyklische Fiskalpolitik • Beschäftigungspolitik - Arbeitsmarktpolitik - Lohnpolitik • Außenwirtschaftspolitik • Wachstumspolitik • Indikative Wirtschaftsplanungspolitik • Imperative VolkswirtschaftsplanunllSPolitik
Abb_ 1: Systematik der Volkswirtschaftslehre Quelle: Peters, 1997; ähnlich 1995, S. 12.
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11. Gruppenstrukturelle TheoriedefIZite innerhalb der Volkswirtschaftslehre
In welchem Ausmaß werden gruppenstrukturelle und -wirtschaftliche Phänomene innerhalb der vorherrschenden Theorien der Volkswirtschaftslehre miteinbezogen? Gruppenwirtschaftliche Sachverhalte finden innerhalb der traditionellen Mikroökonomie höchstens in Form von Kartellen, (Einzel-)Monopolen, Oligopolen, Großunternehmen und Trusts Berücksichtigung. Dabei bilden defmitionsgemäß die Mikrorelationen und der methodologische Individualismus die Grundlagen, auf denen die Untersuchung des Verhaltens dieser wirtschaftlichen Einheiten basiert. Zwar handelt es sich nach Kromphardt bei den Mikroeinheiten ,,meistens nicht um Individuen, sondern um handelnde Personengruppen (kollektive Akteure),,4 und oft wird die Mikroökonomik als Lehre, "welche sich mit der Untersuchung der wirtschaftlichen Handlungen von Personen und genau definierten Gruppen befaßt"S dargestellt, aber dennoch wird dem gruppenwirtschaftlichen Verhalten nicht die Bedeutung beigemessen, die ihm zukommt. Bezogen auf Gruppenerscheinungen bedeutet das, daß neben den einzelnen Wirtschaftssubjekten auch nur genau diese defmierten Gruppen untersucht werden, deren Verhalten exakt auf die Verhaltensweisen der in ihnen enthaltenen Gruppenmitglieder zurückführbar ist. Erforscht wird dann, wie sich diese individualistisch determinierten Gruppen in Form von Kollektivmonopolen respektive als Kartelle im Wirtschaftsprozeß verhalten und welche Auswirkungen dieses auf die Preise, Märkte und die Allokation der Ressourcen hat. Hierbei bleiben jedoch die wesentlichen Gruppenverhaltensweisen unanalysiert, wie Peters bemerkt und anhand des Kollektivmonopols exemplarisch verdeutlicht: ,,In der üblichen Mikroökonomik werden selbst bei der Aflalyse des Kollektivmonopols keine gruppenmäßigen Elemente problematisiert. So ist es bei dem statischen Modell der Monopolpreisbildung völlig gleichgültig, ob die Ableitung des Coumotschen Punktes am Kollektiv- oder Einzelmonopol erfolgt. Da das Monopol als gegebene Größe angenommen wird und nicht etwa die internen und externen Problematiken eines Kollektivmonopols analysiert werden, ist das abgeleitete Preis-Mengen-Resultat - unabhängig von der gewählten Bezeichnung des Modells als Kollektiv- oder Einzelmonopol - immer das gleiche. ,,6 Sofern organisierte Interessengruppen Eingang in die mikroökonomische Analyse finden, werden deren Verhaltensweisen nur rudimentär in Richtung auf eine ordnungspolitische Beeinflussung erforscht, während ihre strukturpolitische Einflußnahme völlig außer Ansatz bleibt. Peters konstatiert: ,,Bei ord-
4 Kromphardt,
1982, S. 905. B. bei Henderson, Quandt, 1983, S. 2. 6 Peters, 1995, S. 9. 5 Z.
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nungspolitischen Analysen (sind) - außer der Kartell- und Konzentrationsproblematik - kaum andere gruppenmäßige Aspekte thematisiert worden. So ist z. B. die Beeinträchtigung der Wettbewerbsordnung durch staatliche Regulierungen zugunsten bestimmter Wirtschaftszweige, denen oft ohne sachliche Notwendigkeit unter dem Druck von mächtigen Interessengruppen eine wettbewerbsmindernde Sonderordnung zugestanden wurde, zu wenig beachtet worden.,,7 Ebenso wie die Mikroökonomie wird auch die Makroökonomie der Erforschung wirtschaftlicher Gruppenphänomene nicht gerecht. Bei der Analyse der Bestimmungsgründe für die Höhe der gesamtwirtschaftlichen makroökonomischen Größen, wie das Volkseinkommen, die Beschäftigung, die volkswirtschaftliche Investitionsrate und die Gesamtnachfrage, bleiben gruppenwirtschaftliche Sachverhalte nahezu völlig unberücksichtigt. Zwar wird häufig eine Disaggregation in Richtung auf eine Zusammenfassung gesamtwirtschaftlicher Aggregate zu homogenen Gruppen, wie alle Haushaltungen und alle Unternehmungen, sowie Sektoren vorgenommen, aber nicht deren spezifischen gruppenstrukturellen Verhaltensweisen analysiert, sondern ausschließlich gleichartige Handlungsweisen unterstellt, obwohl gruppenspezifisches Verhalten durchaus für die gesamtwirtschaftliche Steuerung von Bedeutung sein kann, wie das Engelsche-Schwabesche Gesetz aufzeigt. Peters verdeutlicht diesen Sachverhalt wie folgt: ,,Beispielsweise ist bei Konjunkturprognosen angenommen worden, daß eine Erhöhung der Massenkaufkraft zu einer etwa gleich hohen Steigerung der volkswirtschaftlichen Konsumquote führt. Man weiß jedoch, daß der Konsum privater Haushalte höherer Einkommensklassen mit zunehmendem Einkommen keineswegs immer weiter steigt. Die Annahme einer positiven Korrelation zwischen wachsender Massenkaufkraft und Steigerung der Konsumquote die bei einem relativ hohen Lebensstandard breiter Bevölkerungsschichten zweifelhaft ist - kann sich als Fehleinschätzung und ein darauf basierender globaler Anregungsversuch der Gesamtnachfrage als Mißerfolg erweisen. ,,8 Organisierte Interessengruppen finden nur als Lohntarifvertragsparteien innerhalb der Makroökonomie Berücksichtigung. Untersucht wird überwiegend, welche Auswirkungen ihre Verhaltensweisen auf die gesamtwirtschaftliche Lohnhöhe und -struktur haben. Weitere spezifische Verhaltensweisen organisierter Interessengruppen werden nicht in die Analyse miteinbezogen, da von ihnen nur geringe oder überhaupt keine Auswirkungen auf die Konjunkturpolitik erwartet werden. Beim Einsatz konjunkturpolitischer Instrumentarien im Rahmen der Makro-Prozeßpolitik wird unterstellt, daß alle Wirtschaftssubjekte
7 Ebendort, S. 9. 8 Ebendort,
41'
S. 9.
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sofort auf diese Maßnahmen adäquat reagieren und sich dieses zielkonfonn auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung auswirkt. Aber verhalten sich alle Wirtschaftssubjekte in einer Gesamtwirtschaft tatsächlich dementsprechend oder gibt es abweichende Verhaltensweisen? Diese Abweichungen können sich z. B. zeigen, wenn bestimmte Gruppen sektorale Sonderordnungen entgegen den allgemeingültigen Ordnungsprinzipien errungen haben. Vennindern sich die erforderliche Mobilität der Produktionsfaktoren und die Flexibilität der sektoralen und regionalen Strukturen durch protektionistische und dirigistische Maßnahmen, so besteht für die einzelnen Branchen und Regionen kaum ein Anreiz, auf konjunkturpolitische Maßnahmen zu reagieren. Dadurch werden die Instrumentarien der Konjunktursteuerung in ihrer Wirksamkeit beeinträchtigt. Obwohl ein der Konjunkturpolitik entgegenwirkendes (Kollektiv-)Verhalten der Interessengruppen, Branchen und Regionen bestehen kann, findet es innerhalb der Makroökonomie keine Berücksichtigung. Deshalb würden nach Peters "die Hypothesen der Konjunktursteuerung ... manchmal plausibler und realistischer, wenn die spezifischen Verhaltensweisen von Bevölkerungsschichten und organisierten Gruppen einbezogen würden. Da jedoch häufig bei konjunkturpolitischen Rezepturen der gruppenspezifische Aspekt nicht beachtet und auch kaum mit antikonjunkturellen Querschlägen von Interessengruppen ... gerechnet wird, wirken diese oft zielinkonfonn,,9 . Gruppenstrukturelle Defizite zeigen sich ebenfalls innerhalb der Modelle der Neuen Politischen Ökonomie. Zwar finden wirtschaftspolitische Gruppen und deren Verhaltensweisen - in unterschiedlichem Ausmaß - Eingang in die einzelnen mikroökonomisch detenninierten Theorien, wie beispielsweise bei Anthony Downs lO die Gruppen der politischen Parteien und die Gruppen organisierter Interessenverbände, bei Mancur Olson ll als detaillierte Darstellung der Verhaltensweisen von Interessengruppen und in der Ökonomischen Theorie der Regulierung l2 durch die Konstruktion eines Marktes für Regulierungen mit der Gruppe der politischen Parteien als Anbieter und der Gruppe der Wirtschaftszweige sowie Berufsgruppen als Nachfrager. Aber die Seite der strukturpolitischen Entscheidungsträger bleibt weitgehend unanalysiert. Außerdem werden durch die Übernahme der neoklassischen Marktmodellannahmen innerhalb der mikroökonomisch orientierten Neuen Politischen Ökonomie auch das Modell des ausschließlich rational denkenden und handelnden Menschen (homo oeconomicus) sowie der methodologische Individualismus übertragen. Sofern je-
S. 9f. Downs, 1957. 11 Vgl. 01son, 1965. 12 Vgl. Stigler, 1971; Peltzman, 1976.
9 Ebendort, 10 Vgl.
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doch ein eigenständiges Gruppenhandeln existiert, werden diese implizit unterstellten Verhaltensannahmen fragwürdig. Auch in den makroökonomischen Theorien der Neuen Politischen Ökonomie werden gruppenwirtschaftliche Sachverhalte nur unzureichend thematisiert. In den Modellen politischer Konjunkturzyklen\3 sind organisierte Interessengruppen nicht enthalten. Es erfolgt lediglich eine Differenzierung nach Berufsgruppen mit niedrigem, mittlerem und höherem Einkommen, die sich zu links- und rechtsorientierten Wählergruppen formieren und von den jeweiligen Linksbzw. Rechtsparteien mit einer konjunkturpolitischen Partisan- respektive Klientelpolitik zu begünstigen versucht werden. Da es aber den wirtschaftspolitischen Instanzen erfahrungsgemäß relativ selten gelingt, die konjunkturpolitische Partisanpolitik wahlzeitgerecht zu steuern, bleiben diese Arten gruppenbegünstigender Politik - wie Peters erkennt - meist ,,nur theoretische Gedankenspiele. Viel eher als die allgemeine Konjunkturlage wahlzeitgerecht zu programmieren, vermag dagegen die Regierung strukturpolitische Hilfen in Form von Subventionen, Steuervergünstigungen oder Wettbewerbsbeschränkungen zugunsten bestimmter Wirtschaftszweige oder Gruppen zu planen und einzufiihren. Die tatsächlich oft praktizierte Politik gezielter Wahlgeschenke, die auf die verschiedenen Gruppen der Gesellschaft ausgerichtet worden ist, zeigt denn auch die weitaus stärkere Bedeutung meso ökonomischer Handlungsparameter,,14 , so daß diese Interaktionen zwischen gesellschaftlichen Gruppen und wirtschaftspolitischen respektive strukturpolitischen Entscheidungsträgern mit Hilfe der makroökonomisch determinierten Neuen Politischen Ökonomie nicht analysiert werden können.
m. Notwendigkeit eines spezifischen Instrumentariums zur Erforschung struktureller Gruppenphänomene
Wie die Ausfiihrungen darlegen, fehlte bei der bisher üblichen Mikro- und Makroanalyse sowie in den Theorien der Neuen Politischen Ökonomie eine in sich geschlossene und leistungsfähige Theorie zur Erforschung gruppenstruktureller Phänomene. So ist insbesondere die Neigung gesellschaftlicher Gruppen, zu ihren Gunsten Einfluß auf den wirtschaftspolitischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß zu nehmen und die Bereitschaft wirtschaftspolitischer Entscheidungsträger, bestimmten Gruppenforderungen nachzugeben, ein in der Realität ständig beobachtbares Phänomen. Als Ergebnis ergibt sich eine massive Begünstigungspolitik in Form von Strukturhilfen für bestimmte Wirtschafts-
13
Vgl. Nordhaus, 1975; Hibbs, 1977; A1esina, Sachs, 1988; A1esina, 1989.
14 Peters,
1986, S. 162; 1995, S. 165f.
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zweige, Berufsgruppen und Regionen, wie es sich anhand der Bereiche Landwirtschaft, Steinkohlenbergbau, Schiffbau, Verkehrs-, Elektrizitäts-, Wohnungsund Versicherungswirtschaft empirisch belegen läßt. Da diese gruppenwirtschaftlichen Erscheinungen, eine nicht zu unterschätzende Wirkung auf die Wirtschaftspolitik haben, war es erforderlich, einen wirtschaftswissenschaftlichen Theorieansatz zu finden, der den ökonomisch-politischen Erscheinungen und Verhaltensweisen von Gruppen, Branchen und Regionen Rechnung trägt. Nicht nur aus klassifikatorischen Gründen, sondern auch aufgrund gruppenstruktureller Theoriedefizite innerhalb der volkswirtschaftlichen Disziplinen hat es sich als notwendig erwiesen, die Volkswirtschaftslehre um einen mesoökonomischen Bereich zu erweitern. Im Rahmen der Mesoökonomie ist von Peters ein Instrumentarium - die Mesoökonomische Interaktionstheorie der Wirtschaftspolitik - entwickelt worden, um strukturtheoretische und -politische Erscheinungen und Handlungen auf der mittleren Aggregationsebene zu analysieren sowie ordnungsinkonformes strukturpolitisches Handeln offenzulegen. Da strukturtheoretische und -politische Hauptansatzpunkte weder die Einzelwirtschaften noch die Gesamtwirtschaft, sondern die Gruppen, Branchen und Regionen sind, erforscht die Mesoökonomische Interaktionstheorie der Wirtschaftspolitik mit teilweise arteigenen Instrumenten vor allem die strukturellen Phänomene auf Gruppenebene und die Interaktionen zwischen strukturpolitischen Entscheidungsträgern und Interessengruppen. I S
B. Mesoökonomische Elemente I. Der interdisziplinäre Ansatz
Wie die meisten Theorien benutzt auch die Mesoökonomische Interaktionstheorie der Wirtschaftspolitik Elemente aus anderen Theorien und baut damit sowie mit eigenen Bausteinen ein arteigenes Theoriegebäude. Bei der Grundsteinlegung der Mesoökonomie 1971 konnte deshalb bereits auf verschiedene Bausteine zurückgegriffen werden, die dann um arteigene mesoökonomische Elemente ergänzt und/oder durch sie modifiziert wurden. Da es sich bei der Mesoökonomischen Interaktionstheorie der Wirtschaftspolitik um einen Teilbereich der Volkswirtschaftslehre handelt, konnten wesentliche Determinanten aus dem eigenen Bereich der Volkswirtschaftslehre übernommen und zu einer mesoökonomischen Theorie ausgebaut werden, wie ins-
IS
ygI. derselbe, 1981, S. 31; 1995, S. 10.
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besondere einzelne Ansätze aus der mikroökonomisch fimdierten Neuen Politischen Ökonomie, der Deregulierungstheorie sowie einige Elemente der ökonomischen Strukturtheorie. 16 Darüber hinaus vereinigt die Mesoökonomie auch Bausteine nichtökonomischer Disziplinen in sich. Durch den primären Einbezug gruppenstruktureller Phänomene greift die Mesoökonomie auf Erkenntnisse aus der Soziologie zurück, die sich intensiv mit dem Forschungsobjekt Gruppe und dem Gruppenverhalten beschäftigt. Da die Gruppen meist in organisierter Form, z. B. als Wirtschaftsverbände, innerhalb des Wirtschaftsprozesses auftreten, macht sich die Mesoökonomie auch die Erfahrungen der Verbändetheorie zunutze. In der mesoökonomischen Lehre agieren die Wirtschaftsverbände nicht in einem wirtschaftspolitischen Vakuum, sondern sie sind aufgrund ihrer externen Funktionen bestrebt, die Interessen ihrer Mitglieder in der Wirtschaftspolitik durchzusetzen, indem sie den Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß der wirtschaftspolitischen Entscheidungsträger zu ihren Gunsten zu beeinflussen versuchen. Demnach werden außerdem Erklärungsansätze aus der Politologie, insbesondere die verschiedenen Stufen des (wirtschafts-)politisch determinierten Willensbildungs- und Entscheidungsprozesses der wirtschaftspolitisch relevanten Akteure, in die Analyse miteinbezogen. Zwischen den Interessengruppen und den wirtschaftspolitischen Instanzen besteht aber nicht nur eine einseitige Beziehung durch die Beeinflussungsversuche der Verbände, sondern es erfolgt auch eine Rückkoppelung durch bewußtes, aus Eigeninteresse resultierendes Handeln der wirtschaftspolitischen Akteure, so daß beide Seiten in Interaktion miteinander treten. ln der Mesoökonomischen Interaktionstheorie der Wirtschaftspolitik vereinigen sich dann verschiedene Bausteine der vorgenannten Theorien mit eigenen Ansätzen des Begründers der Mesoökonomie zur Analyse dieser Interaktionen.
n. Soziologische und sozialpsychologische Determinanten Prinzipiell existieren zwei unterschiedliche methodische Ansätze zur Analyse der Verhaltensweisen von Gruppen: der methodologische Individualismus und der methodologische Kollektivismus. In der soziologischen und sozialpsychologischen Forschung werden beide Ansätze fiir die Analyse von Gruppen und deren Verhaltensweisen verwendet. Sofern die Verhaltensweisen jedes einzelnen Gruppenmitgliedes von keinem spezifischen Gruppenverhalten bestimmt werden, kann der methodologische Individualismus zur Anwendung gelangen. Falls jedoch die Verhaltensweise der Gruppe von sozialen Faktoren beeinflußt wird, wie beispielsweise von spezifischen Gruppenstrukturen, Konformitätsdruck der Gruppe, Esprit de Corps respektive Gruppengeist oder gemeinnützi-
16 Vgl.
derselbe, 1977, S. 303; 1986, S. 160.
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gen Gruppenzielen, ist die individualistische Methode zur Analyse von Gruppen nicht geeignet. Gruppenstrukturen ergeben sich unabhängig von den jeweiligen Einzelpersonen in der Gruppe; es zeigt sich dann ein bestimmtes Gruppengefiige. Bilden eigenständige Gruppenprozesse das Untersuchungsobjekt, "ist das Individuum nur das Element, das in den Gruppenprozeß mit eingeht. Der Gruppenprozeß läßt sich aber nicht aus der Summation der Einzelprozesse erklären,,17. Demzufolge können soziale Gruppen Entitätscharakter annehmen. "Um das zu verstehen, braucht man gar nicht einmal auf einen so schwer faßbaren Begriff wie 'Gestalt' oder 'Wesenseigenschaft' zurückgreifen, denn eine Ansammlung von Teilen gewinnt schon dadurch Systemeigenschaften, daß die Teile zueinander in Beziehung treten. Es gibt Individuen, und es gibt die Beziehungen zwischen ihnen. Im Prinzip läßt sich aus diesen beiden Bestimmungsstücken alles ableiten, was in Gruppen vorgeht. Das, was 'Wesenseigenschaft' oder 'Gruppengeist' genannt wird, liegt in den Beziehungen der Teile zueinander.,,18 Zur Erklärung dieser Gruppenverhaltensweisen und -beziehungen ist der methodologische Kollektivismus notwendig. In zahlreichen Gruppenexperimenten19 mit Klein- oder Primärgruppen hat sich gezeigt, daß in jeder Gruppe eine gruppenspezifische Norm entsteht, die die Meinungen und Haltungen der einzelnen Gruppenmitglieder bestimmen kann. Generell bilden sich in (Klein-)Gruppen drei Rollendifferenzierungen heraus: die Außenseiterrolle, die Mitgliedrolle und die Führerrolle. 20 Der Außenseiter beteiligt sich nur in geringem Ausmaß an der Gruppeninteraktion. Er verhält sich zumeist passiv und wird höchstens aktiv, sofern er von anderen Gruppenmitgliedern direkt angesprochen wird. Die Mitgliedrolle ist charakteristisch fiir das typische Gruppenmitglied. Es paßt sich relativ leicht der Gruppenstruktur an und steht Gruppenkonflikten ablehnend gegenüber. In den meisten Gruppen zeigt sich auch eine Führerrolle, indem ein oder mehrere Gruppenmitglieder die Kontrollfunktion in der Gruppe übernehmen. Ob die Gruppenmitglieder dem Führer oder der Führer der Gruppe folgt, ist nicht eindeutig bestimmbar. Meist befindet sich der Führer bei der Ausübung seiner Kontrollaufgabe in einem Konflikt. Verfolgt er eine straffe, zielorientierte, eventuell auch gruppenabweichende Führung, kann das den Widerstand der Gruppe bewirken und seine Führungsposition gefährden. Deshalb wird er bestrebt sein, der Gruppe das Gefiihl zu vermittteln, einer von ihnen zu sein, was jedoch oftmals einen Verlust an Disziplin zur Folge hat. Sowohl Führer als auch Gefiihrte folgen also weitgehend der Gruppennorm. 17 Mueller, Thomas, 1974, S. 34, S. 31ff. und die dort angegebene Literatur. Vgl. Hili, Fehlbaum, Ulrich, 1989, S. 87ff., S. 93ff. und ebenfalls die dort aufgeführte Literatur. 18 Mueller, Thomas, 1974, S. 307. 19 Vgl. als richtungweisend Sherif, 1936; Festinger, 1950, 1954; Asch, 1956.
20
Vgl. Bales, 1950.
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Überwiegend paßt sich das einzelne Gruppenmitglied - oobewußt oder bewußt - der Gruppennonn an ood gibt einem eventuellen Gruppendruck nach. Die Gründe dafür können ooterschiedlicher Art sein. Entweder identifiziert sich der einzelne von vornherein willentlich oder oowillentlich mit den Gruppennormen. In diesem Fall empfindet er keinen Gruppendruck. Oder das einzelne Gruppenmitglied ändert seine Einstelloog, wn sich der Gruppenmeinoog anzuschließen, weil es einerseits von der Richtigkeit überzeugt worden ist oder andererseits nicht als Außenseiter gelten möchte. Diejenigen, die sich der Gruppennonn ood dem Gruppendruck nicht beugen, weil sie ihre eigene Meinoog ood somit ihre Individualität nicht aufgeben wollen, werden langfristig aus der Gruppe ausgeschlossen. Verfolgt eine Gruppe ein spezifisches Ziel, so bildet ein gleichförmiges Verhalten aller Mitglieder die VoraussetZWlg zur Zielerreichoog. Identifiziert sich ein Gruppenmitglied nicht mit der Gruppennonn ood macht er sie nicht zu seiner Nonn, besteht die.Gefahr, daß der Erhalt der Gruppe nicht mehr gegeben ist. Gleichfönnigkeit ist für den inneren Halt der Gruppe ooerläßlich. Vom individuellen Verhalten abweichende Handloogsweisen stehen auch im Mittelpunkt der Massenpsychologie21 • Zeigt der einzelne isoliert betrachtet überwiegend ein rational determiniertes ood kontrolliertes Verhalten, so ändert sich dieses im allgemeinen, sobald es zu einer Massenbildoog kommt. Massenhandeln ist tendenziell durch irrationales trieb- ood gefiihlsgeboodenes Spontanverhalten gekennzeichnet. In der Masse handelt der einzelne weniger bewußt ood verliert oftmals seine Individualität bzw. Ich-Identität, indem er seine persönlichen ErfahrWlgen, Meinoogen, Einstelloogen ood Werte ignoriert. Unter situativen Bedingmgen, die zumeist durch Anonymität ood/oder ein Übennaß an sensorischer StimulierWlg sowie emotionaler Erregbarkeit geprägt sind, entsteht eine deindividuierte unkontrollierte Verhaltensweise, die ooter rationalen Aspekten für Nichtbeteiligte ood nonnalerweise auch für die Mitwirkenden 00akzeptabel ist.
ill. Organisationssoziologische und -psychologische Determinanten Wirtschaftspolitisch bedeutsame Gruppen sind zumeist in Organisationen eingebooden. Da es sich bei Organisationen häufig wn mitgliederstarke soziale Gebilde handelt, bilden sich durch die Größenordnoog zwangsläufig organisatorische Untereinheiten heraus, die ooter bestimmten VoraussetZWlgen Gruppencharakter aufweisen können. Während beispielsweise verschiedene Abteiloogsarten (wie Hauptabteiloogen, Abteiloogen, Unterabteiloogen, Referate) Grup21 Vgl. z. B. Le Bon, 1895; Zimbardo, 1969; für einen Überblick z. B. Herkner, 1983, S. 517ft". und die dort angegebene Literatur.
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penstrukturen aufzeigen können, indem sie bei Sitzungen Gruppennonnen Wld -druck Wlterliegen, sind die im Organisationsplan offen ausgewiesenen Gruppen (wie Arbeitsgruppen, Arbeitskreise, Projektgruppen, Ausschüsse, Koalitionen, PlenarversammlWlgen, Gremien, interfraktionelle GruppieTWlgen) in der Regel genuin durch eine Gruppenstruktur geprägt. Die GruppenbildWlg in Organisationen resultiert einerseits aus den im Organisationsplan zu bestimmten Einheiten zusammengefaßten Positionen der Organisationstätigkeit, andererseits als Reaktion auf tatsächliche Schwachstellen im Organisationsplan bzw. -ablauf. Nach dem Kriterium im Organisationsplan offiziell enthaltene oder spontan gebildete Wlgeplante Gruppen bzw. Organisationseinheiten lassen sich fonnelle Wld infonnelle Gruppen22 bzw. Organisationseinheiten Wlterscheiden. F onnelle Gruppen innerhalb von Organisationen weisen - im Gegensatz zu freiwillig gebildeten Gruppen - einen relativ hohen FonnalisieTWlgs- Wld StrukturieTWlgsgrad auf. ,,Das besondere Kennzeichen betrieblicher Arbeitsgruppen ist deren starke Abhängigkeit vom Organisationsplan, der - im Gegensatz zu freiwilligen Wld ad hoc gebildeten Gruppen - eine Komponente des Zwangs zur Interaktion, oft auch eines Zwangs zur Kooperation in sich birgt.'.23 Innerhalb solcher Arbeitsgruppen können Individual- Wld Gruppen- bzw. Organisationsziele erheblich divergieren. ,,Die BildWlg von Gruppen in Organisationen ist nicht nur 'Privatsache' ihrer Mitglieder, sie dient keineswegs ausschließlich der individuellen Bedürfnisbefriedigoog, sondern beeinflußt auch stark das für das Erreichen der Organisationsziele bedeutsame Verhalten der einzelnen.• .24 Steht das Organisations- respektive Gruppenziel im MittelpWlkt, so wird der einzelne "instrumentiert", indem er zum Mittel zur ErreichWlg des Organisations-/Gruppenziels wird. IV. Neue Politische Ökonomie
Methodisch läßt sich die Mesoökonomische Interaktionstheorie der Wirtschaftspolitik hauptsächlich den Theorien der Neuen Politischen Ökonomie zuordnen. 2S Bei der UntersuchWlg der HandlWlgs- Wld Verhaltensweisen von Interessengruppen Wld strukturpolitischen EntscheidWlgsträgern sowie deren Interaktionen geht die Mesoökonomische Interaktionstheorie aber sowohl über den mikroökonomischen Ansatz als auch über die makro ökonomischen Modelle der Neuen Politischen Ökonomie hinaus. Insbesondere zielt die mesoökonomi22 VgI. Mayo, 1933; Roethlisberger; Dickson, 1939, insbesondere Kap. XXIII u. Kap. XXIV; Irle, 1963; v. Rosenstiel, 1978; v. Rosenstiel, Molt, Rüttinger, 1988. 23 Wiswede, 1991, S. 246f und die dort angegebene Literatur. 24 V. Rosenstiel, Molt, Rüttinger, 1988, S. 47. 25 VgI. Peters, 1983, S. 113ff; 1986, S. 16Off.; 1988, S. 83ff.; 1995, S. 129ff.
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sche Methodenkritik an einer rein mikroökonomisch fimdierten Neuen Politischen Ökonomie auf die Verabsolutierung des rational sowie individualistisch orientierten Verhaltensmodells, wie es sich durch die ausschließliche Anwendung des Instrumentariwns der neoklassischen Wirtschaftstheorie auf wirtschaftspolitische Strukturen und Prozesse sowie auf die wechselseitigen Beziehungen zwischen Politik und Wirtschaft ergibt. Werden beide zentralen Annahmen vorbehaltlos zugrunde gelegt, so moniert Peters, ist die generelle Anwendbarkeit Neuer Politischer Ökonomie relativ beschränkt. Im allgemeinen bestimmen sich die Verhaltensweisen einzelner als auch von Gruppen nicht nur durch rationales Handeln, sondern ebenso durch viele Irrationalismen, wie Peters anhand des Wahlverhaltens exemplarisch verdeutlicht. ,,Erfahrungsgemäß werden die Wahlhandlungen des einzelnen Wählers - selbst wenn er sie für rational hält - oft unbewußt oder bewußt durch ideologische Prägung, traditionelle Parteibindung oder momentane Begeisterung oder Verärgerung über ein bestimmtes Parteiverhalten mitgeprägt. ,,26 Auch bei Gruppen ,,(geben) nicht immer lediglich rationale Überlegungen den Ausschlag für ein bestimmtes Gruppenverhalten. Die Geschichte kennt viele Beispiele für irrationales Gruppenverhalten. Manche soziale, nationale oder religiöse Bewegung, die von Gruppen initiiert worden ist, war weniger durch nüchterne Kalküle von auf Eigennutz bedachten Individuen als vielmehr durch soziale Verantwortung, vaterländische Begeisterung, übersteigerten Nationalismus oder Religionsfanatismus geprägt. Man denke auch an Beispiele panikartigen oder überoptimistischen Gruppenverhaltens an der Börse oder in manchen Konjunkturzyklen, deren Anlässe mehr psychologisch als ökonomisch rational bedingt waren. ",27 Außer durch Irrationalismen können die Verhaltensweisen von Gruppen zudem durch eigenständige, vom individuellen Verhalten der einzelnen Gruppenmitglieder divergierende Gruppenprozesse gekennzeichnet sein. So können, wie Peters feststellt, ,Jdeologische, standesmäßige oder sonstige Gruppenzwänge ... zu abweichendem Verhalten von sonst typischen Verhaltensweisen der Individuen führen,a s . Im Gegensatz zu der mikroökonomischen Methode wird bei der mesoökonomischen Analyse gruppenstruktureller Verhaltensweisen nicht nur aggregiertes Individualverhalten als ein mögliches Gruppenverhalten untersucht, sondern auch deindividualisierte Verhaltensweisen miteinbezogen, indem die Frage gestellt wird: Gibt es ein Gruppenverhalten, das nicht aus dem individuellen Verhalten der einzelnen Gruppenmitglieder ableitbar ist? Ein bereits bekanntes Phänomen ist die Rationalitätenfalle individueller und kollektiver Rationalität. Kollektive Entscheidungsprozesse lassen sich in diesem Fall nicht aus
26 Derselbe,
1995, S. 106.
27 Ebendort,
S. 164.
2S
Ebendort, S. 28.
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der Aggregation individueller Rationalität exemplifizieren bzw. es ist nicht möglich, mit Hilfe des Reduktionismus von kollektiven auf individuelle Entscheidungsprozesse zu schließen. Zeigen sich vom individuellen Verhalten abweichende kollektive bzw. holistische Verhaltensweisen, so lassen sich diese Kollektiv- oder eigendynamischen Gruppenprozesse nicht mehr auf die Sichtweise des methodologischen Individualismus reduzieren. Zur Erklärung von holistischen Verhaltensweisen ist die Einbeziehung des methodologischen Kollektivismus notwendig. Analoge Überlegungen stellt auch Kirsch an, indem er fragt, "ob mit dem Wegfall des autonomen Individuums ... als Basiseinheit ... der methodologische Individualismus als einzige Vorgehensweise zu akzeptieren ist. Mit anderen Worten: ... ob neben die vom Individuum zu Kollektiven vorstoßende Analyse nicht eine Analyse zu treten hat, die Kollektive als nach außen und nach innen hin als eigenständige Entscheidungsträger behandelt,,?9 Kirsch gelangt zu dem Ergebnis "selbst wenn die Eigendynamik von Kollektiven 'in Wirklichkeit' die Resultante einer Vielzahl individueller Entscheidungen ist, so ist nicht zu übersehen, daß diese Entscheidungen auch von den in Kollektiven verfestigten Regeln, Ansichten, Hierarchien jeder Art abhängen. Es ist demnach legitim und - je nach der Fragestellung - zweckmäßig, die Entstehung von Kollektiventscheidungen nicht bis hin zu den einzelnen Mitgliedern zu verfolgen, sondern als Entscheidungen von Kollektiven zu betrachten.,,30 Jedoch unternimmt die Mesoökonomie nicht den fruchtlosen Versuch, die extreme Version des Holismus, d. h. den Totalitätsanspruch, auf die gesamte Gesellschaft und ihre Erscheinungen zu übertragen. Demnach werden als Untersuchungsobjekte z. B. nicht das Volk, der Staat oder der Kapitalismus als Verhaltensobjekte betrachtet, denn diese stellen in der Realität als Verhaltensobjekte eine reine Fiktion dar, weil sie keine eigenständige Existenz führen. Vielmehr bildet die gemäßigte Version des Holismus, nach der sich der Realitätscharakter von emergenten Eigenschaften in Gruppenverhaltensstrukturen aufgrund empirischer Überprüfbarkeit belegen läßt, die Grundlage. Diese Darstellung könnte zu der Schlußfolgerung führen, daß vom methodologisehen Individualismus vollkommen abstrahiert wird und der methodologisehe Kollektivismus an dessen Stelle tritt. Daß dieses nicht der Fall ist, verdeutlichen folgende Überlegungen: Gruppen setzen sich aus Individuen zusammen. Welche Verhaltensweisen, ob typisches Gruppenverhalten, das vom individuellen Verhalten der einzelnen Gruppenmitglieder abweicht, oder individuelles Verhalten der einzelnen Gruppenmitglieder sich bei einer Gruppenentscheidung durchsetzen wird, hängt von vielfältigen Faktoren ab, was nicht ex ante bestimmbar ist. Evident ist jedoch, daß es Situationen gibt, in denen sich das Indi-
29 Kirsch,
1974, S. 128.
30 Ebendort, S. 128.
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viduwn einem Gruppenzwang bzw. Gruppendruck beugen muß, weil der Einfluß der Gruppe (oder auch Externer) auf ihre Mitglieder diese zu einer Konformität veranlaßt, die ihren unbeeinflußten individuellen Entscheidungen widersprechen würden. Allerdings reicht es nicht aus, ein typisches Gruppenverhalten, das aus einem eventuellen Gruppenzwang bzw. Gruppendruck resultiert, zu beschreiben, denn falls diese kollektive Gruppenentscheidung von einem Gruppenführer vertreten wird, kann wieder das individuelle Verhalten des Repräsentanten miteinfließen und die Gruppenentscheidung zunichte machen. Als zentrale Problematik, die zu analysieren ist, ergeben sich drei Fragestellungen: • Gibt es ein typisches Gruppenverhalten, das vom individuellen Verhalten der in ihnen vertretenen Personen abweicht? • Gibt es ein individuelles Verhalten von Gruppenmitgliedern, das vom Verhalten der Gruppe als Ganzes abweicht, weil der Gruppenzwang bzw. Gruppendruck nicht wirksam wird oder werden kann? • Wie verhält sich ein Gruppenführer (Gruppenrepräsentant), der die Gruppenmeinung außerhalb der Gruppe vertreten soll: - Unterliegt er dem Gruppenzwang und vertritt er das Gruppenergebnis? oder - kann er sein individuelles Interesse, das von der Gruppenmeinung abweichen kann, durchsetzen? Durch die Vernachlässigung von eigenständigen Gruppenprozessen innerhalb der mikroökonomisch fundierten Neuen Politischen Ökonomie war es bisher nicht möglich, typische Verhaltensweisen von Interessengruppen und strukturpolitischen Entscheidungsträgern sowie deren Interaktionen zu erklären und transparent zu machen. Weil diese Sachverhalte durch eine ausschließlich individualistische Analyse nicht adäquat zu erfassen sind, hat sich innerhalb der Neuen Politischen Ökonomie eine mesoökonomische Fundierung als notwendig erwiesen, die neben den individualistisch determinierten Gruppenprozessen auch eigenständige Gruppenprozesse in ihre Untersuchungen miteinbezieht. Evident ist demnach, daß beide Sichtweisen, sowohl die atomistische bzw. der methodologische Individualismus als auch die holistische bzw. der methodologische Kollektivismus innerhalb der theoretischen Wirtschaftspolitik berücksichtigt werden müssen.
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Deshalb legt die Mesoökonomische Interaktionstheorie der Wirtschaftspolitik entgegen den mikroökonomisch fimdierten Ansätzen der Neuen Politischen Ökonomie nicht ausschließlich das am methodologischen Individualismus orientierte ökonomisch-rationale Menschenbild als genereller Erklärungsansatz menschlichen Verhaltens zugrunde, sondern sie versucht, durch eine Synthese verschiedener verhaltenswissenschaftlicher Modelle zu einer realitätsnahen Erklärung menschlichen Verhaltens zu gelangen. Dementsprechend bezieht die Mesoökonomische Interaktionstheorie der Wirtschaftspolitik auch die Erkenntnisse anderer Verhaltenswissenschaften, wie insbesondere der Soziologie, Sozialpsychologie, Organisationssoziologie, Verbändetheorie und Politikwissenschaften, in ihre Analysen mit ein, und verfällt nicht dem zunehmenden Imperialismus Neuer Politischer Ökonomie3 ! , indem sie die stringenten Prämissen des ökonomischen Verhaltensmodells ausschließlich zugrunde legt.
V. Ausbau zu einer Mesoökonomischen Interaktionstheorie
der Wirtschaftspolitik
Aufbauend auf verschiedenen zentralen Erkenntnissen sowohl neoklassischer als auch nichtneoklassischer Theorieansätze entwickelt Peters seine Mesoökonomische Interaktionstheorie der Wirtschaftspolitik als einen primär verhaltenswissenschaftlichen Ansatz innerhalb der Volkswirtschaftslehre, der die wechselseitigen Beziehungen zwischen Interessengruppen und wirtschaftspolitischen Entscheidungsträgern im Rahmen des wirtschaftspolitischen Prozesses auf strukturpolitischer Ebene darzustellen und kritisch zu analysieren versucht. Unter Zuhilfenahme der markt- und preistheoretischen Erkenntnisse modelliert er einen Markt für Strukturhilfen, der sich mit dem Tauschgut Strukturhilfe, der Marktstruktur sowie den Verhaltensweisen der Anbieter und Nachfrager beschäftigt. Die Verfahrensweise besteht darin, die Determinanten für das Verhalten der mesoökonomischen Akteure als Tauschpartner auf dem Strukturhilfenmarkt aufzuzeigen. Dadurch ist es möglich, Erklärungsmuster für strukturpolitische und gruppenspezifische wirtschaftspolitische Verhaltensweisen darzulegen. Wissenschaftlich wird das politisch-mesoökonomische Interaktionsmodell dem Anspruch einer Wirtschaftstheorie, die gemäß Popper32 dem Kriterium der Falsifizierbarkeit genügen muß, gerecht. Da die Mesoökonomische Interaktionstheorie empirisch aussagekräftig ise 3 , weil sie auf empirisch abgestützten
Vgl. Boulding, 1969, S. 1ft'. Ferner auch Johnson, 1968, S. 1ft'. Vgl. Popper, 1973, S. 48ft'. 33 Vgl. Peters, 1995, S. 167.
3!
32
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Verhaltensannahmen basiert Wld ihre Theorieelemente operational sind, erfüllt sie nicht nur die notwendige, sondern auch die hinreichende Bedingoog der Falsifizierbarkeit. Dagegen genügt eine ausschließlich mikroökonomisch determinierte Neue Politische Ökonomie gemessen am FalsifizierWlgsprinzip nicht dem nomologischen Theorieanspruch. Denn infolge der Übernahme von Denkweise sowie Methode neoklassischer Wirtschaftstheorie Wld AnwendWlg auf (wirtschafts-)politische Prozesse wird als generelle Verhaltensannahme Wleingeschränkt die auf dem Rationalprinzip basierende NutzenmaximierWlg als HandIWlgsmaxime Wlterstellt. Wenn jedoch menschliches Handeln prinzipiell als rational nutzenmaximierend bezeichnet wird Wld diese Aussage immer Wld ausnahmslos gültig ist, dann besitzt sie nur einen geringen analytischen Erkenntniswert. Alle aus dem Rationalprinzip deduzierten Sätze Wld SchlußfolgerWlgen sind empirisch leer, denn es besteht die Möglichkeit, sämtliche Verhaltensweisen ex post als rational nutzenbewertend zu deklarieren, wodurch die FalsifizierWlg Wlffiöglich wird.
c. Mesoökonomisches Grundmodell: Markt für Strukturhilfen
I. Das Marktgut Strukturhilfe Von der Vielzahl möglicher sektoraler Wld regionaler Strukturhilfen kommt denjenigen Strukturhilfen, die das Interesse der (organisierten) Gruppen an sektoraler EinkommenssicherWlg Wld BesitzstandserhaltWlg am ehesten befriedigen als Tauschobjekte auf dem Strukturhilfenmarkt die höchste Wertschätzung zu. Dazu zählen die sektoralen Staatshilfen in Form von Branchensubventionen als Finanzhilfen Wld Steuervergünstigoogen sowie Marktzugangs- und Wettbewerbsbeschränkungen als regulierWlgspolitische Maßnahmen für bestimmte Wirtschaftszweige oder Berufsgruppen. Thre Wirkungen bestehen im allgemeinen in einer StrukturerhaltWlg respektive StrukturwandelverzögerWlg. Oftmals formieren sich einzelne regulierende Strukturhilfen mit wettbewerbsreduzierender bzw. -ausschließender Wirkung auch zu kompakten Anbieterschutzordnungen, wie sie sich als einzelne Berufsordnungen (z. B. Approbation für Apotheker und Ärzte) oder als Sonderordnung für einzelne Branchen (z. B. Agrarmarktordnung, Energiewirtschaftsordnung, Güterverkehrsordnung) zeigen. Eine bedeutende Wesenseigenschaft strukturpolitischer Hilfen ist ihr Kollektivgutcharakter, der sich in zweifacher Hinsicht zeigt. Einerseits setzt sich der Empfängerkreis des Gutes Strukturhilfe generell aus einer spezifisch abgegrenzten Gruppe, einer Branche oder einer Region zusammensammen, so daß es nicht möglich ist, einzelne Mitglieder der zu begünstigenden Gruppe etc. von der Nutzung" des Strukturhilfengutes auszuschließen. Andererseits werden die
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aus der Strukturhilfenvergabe resultierenden sozialen Kosten als negative externe Effekte bestimmten Gruppen, wie insbesondere den Konswnenten, Steuerzahlern sowie eventuell der Substitutions- und Auslandskonkurrenz, aufgebürdet. Strukturhilfen weisen demnach als öffentliche Güter einen Doppelcharakter auf, indem sie sowohl bestimmte Gruppen begünstigen als auch benachteiligen, und sich kein Gruppenmitglied dieser positiven respektive negativen Effekte entziehen kann. 11. Marktstruktur von Angebot und Nachfrage Strukturhilfen sind politische Güter. illre Produktion erfolgt auf der Grundlage des wirtschaftspolitischen Prozesses und unterliegt dessen restriktiven Bedingungen. Generell richtet sich ihre Vergabe nach rechtlichen und fmanziellen Modalitäten, wobei den Strukturhilfenanbietern jedoch ein erheblicher Ermessensspielrawn zukommt und ordnungskonforme volkswirtschaftliche Aspekte meist unberücksichtigt bleiben. Im allgemeinen werden Strukturhilfen interessenorientiert produziert. illre Erstellung ist das Ergebnis eines Bargainingprozesses zwischen verschiedenen wirtschaftspolitischen Entscheidungsträgern und Interessengruppen. Je nach spezifischer Art weisen Strukturhilfen unterschiedliche Knappheitsgrade auf. Während Branchensubventionen als sichtbare Finanzhilfen im Bundeshaushalt ausgewiesen werden und gegebenenfalls aufgrund eingeschränkter finanzieller Mittel nur begrenzt zur Verfiigung stehen (Zwang zwn Budgetausgleich), werden die Regulierungen nicht budgetär erfaßt und können meistens langfristig in größeren Mengen zu geringen Produktionskosten angeboten werden. Zudem bleiben Regulierungen aufgrund ihres geringen Grades an Markttransparenz größtenteils von der Öffentlichkeit unbemerkt. Welcher wirtschaftspolitische Laie durchschaut die in Berufsordnungen, einzelnen Marktordnungen, Branchengesetzen und branchenbezogenen Rechtsverordnungen enthaltenen Wettbewerbsbeschränkungen zugunsten bestimmter Wirtschaftszweige, die sich bis zu Anbieterschutzordnungen ausweiten können? Diese regulierungspolitischen Vorteile machen sich beide Marktseiten zunutze. Deshalb ist das Angebot an regulierungspolitischen Maßnahmen zugunsten eines bestimmten Wirtschaftszweiges meist reichhaltiger bzw. umfangreicher als Steuervergünstigungen und Branchensubventionen. Marktmorphologisch ist der Strukturhilfenmarkt durch einen unvollkommenen Wettbewerb gekennzeichnet. Er weist entweder die Marktform des bilateralen Oligopols oder des Angebotsoligopols auf. Während die Angebotsseite des Marktes eindeutig durch wenige Strukturhilfenanbieter charakterisiert ist, zeichnet sich die Nachfrageseite durch zwei unterschiedliche Strukturen aus. So können sowohl einige wenige Branchen als auch viele Branchen mit jeweils unterschiedlicher Größe auf der Nachfrageseite agieren.
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m. Verhaltensweisen der Anbieter Auf der Angebotsseite fimgieren als einzelne Anbietergruppen die wirtschafts- respektive strukturpolitischen Entscheidungsträger auf Bundes-, Länder- und Kreis- bzw. Gemeindeebene. Dazu zählen die Regierung, die Parlamente und die jeweils sachlich zuständige öffentliche Verwaltung (Ministerialbürokratie), denen aufgrund der formalen Entscheidungsbefugnis, der faktischen Entscheidungsgewalt und Durchsetzungsmacht sowie der dauernden Einwirkungsmöglichkeit bzgl. wirtschaftspolitischer Maßnahmen eine wirtschaftspolitische Trägereigenschaft34 zukommt. Neben diesen direkten Anbietern existieren indirekte Strukturhilfenanbieter, zu denen die politischen Parteien gehören. Durch die Parteizugehörigkeit vieler wirtschaftspolitischer Entscheidungsträger - entweder politisch vorgegeben oder auf freiwilliger Basis - entsteht eine Einfluß- und Mitwirkungsmöglichkeit im wirtschaftspolitischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß. Jeder Anbieter und jede Anbietergruppe weist spezifische Verhaltensweisen auf, die mehr oder weniger den Prozeß der Strukturhilfenvergabe bestimmen. Um diese Verhaltensweisen darstellen zu können, ist es erforderlich, die Motivationen und Ziele sowie die Rahmenbedingungen und Restriktionen, die das Handeln und die Handlungen der Anbieter prägen, aufzuzeigen. Durch welche konkreten Motivationen werden die Verhaltensweisen der einzelnen Strukturhilfenanbieter bestimmt? 1. Ministerialbürokratie
Innerhalb des Prozesses der Strukturhilfenvergabe nimmt die Ministerialbürokratie des Bundes eine präponderante Stellung ein. Die klassische, nach dem Prinzip der Gewaltenteilung entstandene gleichgewichtige Arbeitsteilung zwischen der Regierung, dem Parlament und der Ministerialbürokratie hat sich schwerpunktmäßig zugunsten letzterer verschoben. Trat ursprünglich das Parlament bzw. der Bundestag mit seinen Ausschüssen, Fraktionen und Parteien als Initiator für die wirtschaftspolitische Programmentwicklung (Setzung und Auswahl) auf und beschränkte sich die Aufgabe der Ministerialbürokratie auf die Programmausarbeitung und -ausführung, so hat die Ministerialbürokratie im Laufe der Zeit einen Bedeutungszuwachs erfahren, indem sie zum eigentlichen wirtschaftspolitischen Programminitiator (Programmanstoß), -entwickler und -ausarbeiter geworden ist. Von primärer Bedeutung für strukturpolitische Staatshilfen ist das Bundesministerium für Wirtschaft, das für die sektorale und
34 Zur Abgrenzung wirtschaftspolitischer Träger und Kriterien der Trägereigenschaft vgl. Peters, 1995, S. 67ff.
42 Peters
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regionale Strukturpolitik zuständig ist. Andere Ministerien können je nach Sachlage strukturpolitische Relevanz erlangen, wie beispielsweise die BWldesministerien fiir Verkehr, Landwirtschaft Wld Forsten sowie der Finanzen. Innerhalb der Ministerien, die sich nach dem Prinzip der Hierarchie in eine Leitungsebene (Minister Wld Staatssekretäre), eine Führungszwischenschicht bzw. mittlere Leitungsebene (AbteilWlgsleiter Wld eventuell UnterabteilWlgsleiter) Wld eine Basisebene (Referatsleiter, Referenten Wld Sachbearbeiter) gliedern, ist die Referatsebene fiir strukturpolitische Maßnahmen Wld Programme am bedeutsamsten. Der eigentliche Prozeß der ProgrammentwicklWlg findet auf der Basisebene Wld konkret in den einzelnen Fachreferaten statt. Da jede Arbeit in einem Ministerium einem Referat zugeordnet ist, erlangen die einzelnen Referate ein Vorgangs- Wld Informationsmonopol, mit dessen Hilfe sie Programme (Ausarbeitung von Gesetzentwürfen Wld Gesetzesnovellen, EntwicklWlg von RechtsverordnWlgen Wld Verwaltungsvorschriften oder andere RegelWlgen) bearbeiten Wld eventuell dabei anstehende Probleme lösen bzw. LösWlgsvorschläge ausarbeiten. Daraus wird ersichtlich, daß bei den Referaten das Zentrum des ministeriellen Sachverstandes liegt, den sich auch die übergeordneten Ebenen aus Mangel an personeller Wld technischer AusstattWlg ZWlutze machen geZWWlgen sind. Der Referatsleiter ist weitgehend autonom, er verwaltet ein Referat in eigener Verantwortung. Alle Angelegenheiten in seinem Zuständigkeitsbereich, der nach dem GeschäftsverteilWlgsplan festgelegt ist, kann er nach seinem eigenen "pflichtgemäßen" Ermessen entscheiden; ihm kommt ein ErstentscheidWlgsrecht zu. In den Fachreferaten erfolgt aber nicht nur die Ausarbeitung von Programmen, sondern es finden dort auch die Mehrzahl der Programmanstöße Wld -initiativen statt. Diese dezentralen Programminitiativen können sowohl intern, aus dem einzelnen Referat selbst, als auch extern erfolgen. Externe Programminitiativen kommen im allgemeinen von den Strukturhilfennachfragern, also den Interessenverbänden Wld anderen Interessengruppen. Es stellt sich die Frage, welche Motive die einzelnen ministeriellen Strukturhilfenanbieter veranlassen, Strukturhilfen anzubieten. Nach den Erkenntnissen der Neuen Politischen Ökonomie versuchen die (wirtschafts-)politischen EntscheidWlgsträger, ihren eigenen Nutzen zu maximieren. In den von den Vertretern der Neuen Politischen Ökonomie konstruierten Modellen werden Wlterschiedliche EntscheidWlgsmotivationen zugrunde gelegt. Downs35 Wlterstellt in seiner Ökonomischen Theorie der Demokratie, daß die Inhaber von Regierungsämtern aus regierenden Parteien versuchen, ihre Wählerstimmen zu maximieren. Aber wieviele Ministerialbürokraten sind vom politischen Wahl ausgang betroffen? Außer der politischen Führung des Ministeriums Wld den AbteilWlgsleitern als politische Leitungsbeamte, die in ihrer Berufsfimktion Wlmittelbar
35
Vgl. Downs, 1968.
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vom Wahlausgang berührt werden, ist das Wahlergebnis fiir die Wlteren Hierarchieebenen meist von Wltergeordneter Bedeuttmg. In seiner Bürokratietheorie Wlterscheidet Downs36 fünf Typen von Amtsinhabern, die komplexe Zielbündel verfolgen, woraus sich Verhaltensweisen ergeben, die fiir eine bürokratische VerhaltensmodellbildWlg zu unstrukturiert sind. Niskanen geht in seiner Bürokratietheorie von der BudgetmaximiefWlg als Verhaltensmotivation der bürokratischen EntscheidWlgsträger zur indirekten Befriedigoog ihrer Eigeninteressen aus. Diese Verhaltensweise kann zutreffen, wenn die Ministerialbürokraten Strukturhilfen in Form von Subventionen anbieten. So bestätigt Peters die von Niskanen aufgestellte Verhaltenshypothese der BudgetmaximiefWlg fiir strukturpolitische Verwalter von Finanzhilfen aus seinen eigenen ErfahrWlgen im BWldesministerium fiir Wirtschaft. Es zeigte sich, "daß fast alle Fondsverwalter von sogenannten Strukturhilfen fiir bestimmte Branchen bestrebt waren, die Fonds von RechnWlgsjahr zu RechnWlgsjahr in die Höhe zu treiben,,37 . Als absoluter ErkläfWlgsansatz fiir die Analyse strukturpolitischen Bürokratieverhaltens ist Niskanens Theorie jedoch nicht geeignet, denn weder verwalten alle Referate Fonds, noch beschränken sich Strukturhilfen ausschließlich auf Finanzhilfen. Peters geht bei seiner Kritik an Niskanens verhaltenswissenschaftlichem Ansatz von der Überlegoog aus, daß eine Vielzahl der Leisttmgsprogramme von Bürokraten budgettmabhängig sind. Insbesondere im Bereich der Strukturpolitik sind lediglich die Subventionen als Finanzhilfen budgetabhängig, während die Steuervergiinstigoogen Wld ReguliefWlgsmaßnahmen keiner (direkten) Budgetrestriktion Wlterliegen. Welche Motive bestimmen das Verhalten der budgettmabhängigen Bürokraten? Peters differenziert bei den EntscheidWlgsmotiven zwischen den verschiedenen Hierarchien der Ministerialbürokratien. Je nach strukturpolitischer EntscheidWlgsebene sind Wlterschiedliche Motive ausschlaggebend. "Werden strukturpolitische EntscheidWlgen von Gewicht aufhoher politischer Ebene getroffen, so steht ... meist der Aspekt der StimmenmaximiefWlg im Mittelpunkt. Werden dagegen strukturpolitische Maßnahmen auf niedrigerer EntscheidWlgsebene von Beamten, deren Berufskarriere nicht WlIDittelbar vom Wahlausgang berührt wird, gestaltet, so steht als vorrangiges EntscheidWlgsmotiv die KompetenzoptimiefWlg im Vordergrood. ,,38 Peters hält die von Downs Wld Niskanen aufgestellten Verhaltenshypothesen (wirtschafts-)politischer EntscheidWlgsträger nicht fiir allgemeingültig. Beide Theorien mit ihren einseitigen Hypothesen der Wählerstimmen- Wld BudgetmaximiefWlg Wlter Zugroodelegoog individualistischer Verhaltensweisen bedürfen fiir die ErkläfWlg strukturpolitischen EntscheidWlgsverhaltens einer ErweitefWlg durch andere Verhaltensstrategien, wie die von Peters aufgezeigte KompetenzoptimiefWlg. Kompe-
36 Vgl. derselbe, 1974.
37 Peters, 1995, S. 144. 38 Ebendort,
42'
S. 189.
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tenzoptimierendes Verhalten kann bei vielen Bürokraten in Ministerialorganisationen beobachtet werden. Es läßt sich auch auf die in Downs' Bürokratietheorie klassifizierten Arntsinhabertypen übertragen. Die Berücksichtigung der vorrangigen Kompetenzinteresses statt der komplexen Ziele bzw. Zielbündel von Bürokraten trägt zu einer vereinfachten Analyse der Verhaltensweisen bei. Was bedeutet Kompetenzoptimierung konkret? Nach Peters bestehen die Interessen der Staatsbürokratie vorwiegend in der institutionellen und personellen Bedeutungsmaximierung, die im allgemeinen mit einer Beförderung erreicht werden kann, und dazu beiträgt, die persönlichen Interessen und Ziele, die sich in komplexer Art zeigen können, zu realisieren. Aber nicht jede Position in der ministeriellen Hierarchie ist mit einer Beförderungsmöglichkeit verbunden. Wie verhalten sich die Staatsbürokraten in diesem Fall? Beide Verhaltensweisen, die mit der Beförderungschance verbundene und die ohne Beförderungsmöglichkeit, lassen sich nach Peters mit der Kompetenzoptimierung39 , die sowohl Kompetenzerweiterungen als auch Kompetenzwahrung und Kompetenzabstoßungen beinhaltet, erklären. Kompetenzoptimierung in der Terminologie von Peters bedeutet Zuständigkeitsoptimierung, d. h. das Bestreben der einzelnen Bürokraten, entweder Aufgaben zu erweitern, den status quo zu erhalten oder Aufgabenzuweisungen einzuschränken, um ihre persönlichen oder beruflichen Interessen optimal zu befriedigen. Zur Verdeutlichung hat Peters die typischen Kompetenzinteressen der jeweiligen Ebenen in einem Tableau dargestellt. Methodisch unterteilt er die Entscheidungsträger der Basis- sowie Unterabteilungsund Abteilungsleiterebene jeweils in Beamte mit und ohne Beförderungsmöglichkeiten; bei der Leitungsebene unterscheidet er zwischen den Staatssekretären und dem Minister. In einem weiteren Schritt weist er jeder Entscheidungsträgereinheit das vorrangige Kompetenzinteresse zu.
39
Vgl. ebendort, S. 182ff.
Mesoökonomie und Neue Politische Ökonomie
Ministeriumsebene
EntscbeidunDtrlh!er
·
Fachbeamter ohne Aufstiegschancen
•
Fachbeamter mit Aufstiegschancen
Unterabteilungsebene
•
Leitungsbeamter ohne weitere Aufstiegschancen
(Ministerialdirigenten)
•
(politisierter) LeitW1gsbeamter mit weiteren Aufstiegschancen
Abteilungsebene
•
Politischer LeitW1gsbeamter ohne weitere Aufstiegschancen
Referatsebene (Beamte des höheren Dienstes bis einschließlich Ministerialräten)
(Ministerialdirektoren)
· Ministeriumsleitung
Politischer LeitW1gsbeamter mit Aufstiegschancen (zum Staatssekretär)
661
Vorranll:il!eS Kompetenzinteresse
· · ·
Kompetenzabstoßung von arbeits- W1d1oder kritikträchtigen Zuständigkeiten KompetenzerweiterW1g, besonders hinsichtlich prestigeträchtiger (die BefOrderungschancen verbessernder) Zuständiglceiten Kompetenzwahrung
•
KompetenzerweiteTW1g, auch in ErwartW1g von Personalzuweisungen für die EinrichtW1g neuer Referate mit politischer Außenwirkung
•
Kompetenzwahrung, aber eventuell auch Kompetenzverzicht auf besonders kritikträchtige Zuständigkeiten (um nicht infolge von Kritikhaufungen in den vorzeitigen Ruhestand versetzt zu werden)
·
KompetenzerweiterW1g, besonders hinsichtlich politisch bedeutsamer Zuständigkeiten, notfalls auch ohne Aussicht auf PersonaivermehrW1g (da die zusätzlichen Aufgaben ohnehin an die Referate der UnterabteilW1gen delegiert werden)
·
Staatssekretäre
•
prinzipiell Kompetenzausweirung, vor allem in ErwartW1g eines Prestigezuwachses innerhalb der RegierW1g
•
Minister
•
KompetenzausweitW1g aus gleichem GrW1d
Abb. 2: Kompetenzinteressen in einer Ministerialorganisation Quelle: Peters, 1995, S. 183.
Als Ergebnis zeigt sich, daß die Kompetenzinteressen auf allen hierarchischen Ebenen der Ministerialbürokratie feststellbar sind. So werden Ministerialbeamte ohne weitere Aufstiegschancen vorrangig ein kompetenzwahrendes, bei arbeits- und kritikträchtigen Aufgaben allerdings ein kompetenzabstoßendes Verhalten zeigen. Beamte mit Beförderungsaussichten werden überwiegend versuchen, ihre Kompetenz zu erweitern, um ihre Beförderungschancen zu verbessern und eventuell ihre personelle Bedeutung zu erhöhen. Nur bei karrierehemmendem Vorhaben werden sie sich kompetenzabstoßend verhalten. Die Leitungsebene ist ebenfalls an einer Kompetenzausweitung interessiert, insbesondere, um ihr Prestige innerhalb der Regierung zu erhöhen. Generell hat ein Ministerialbeamter sein individuelles optimales Kompetenzverhalten erreicht, wenn es ihm gelingt, prestigeträchtige Kompetenzen derart an sich zu ziehen bzw. kritikträchtige Kompetenzen dermaßen abzustoßen, daß er "seine Beförderungschancen erhöhen, seinen Berufsärger vermindern, seine Arbeitsfreude stei-
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gern und sein Prestigebedürfnis befriedigen,,40 kann. Gemäß Peters weist die ministerialbürokratische Behördenorganisation ein von Zuständigkeitsdenken geprägtes Organisationsschema auf. Kompetenzoptimierendes Verhalten kann als oberste Verhaltenshypothese für (wirtschafts-)politische Entscheidungsträger gelten. Auch die Motivationen der Stimmenmaximierung und der Budgetmaximierung lassen sich unter dem Oberbegriff der Kompetenzoptimierung subsumieren. Individuelles kompetenzoptimierendes Verhalten läßt sich allerdings nicht ständig durchsetzen, sondern es unterliegt auch Restriktionen. Diese können sich einerseits aus dem ministeriellen Prozeß heraus, andererseits aufgrund der Interdependenz mit den anderen, an der Strukturhilfenvergabe beteiligten Anbieter und Anbietergruppen ergeben. Aufgrund der unterschiedlichen Kompetenzinteressen der einzelnen Bürokraten können sich z. B. Kompetenzkonflikte zeigen41 , die es dem einzelnen unmöglich machen, sich ständig in seinem Sinne kompetenzoptimierend zu verhalten. Weitere Restriktionen resultieren aus der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien und den einzelnen Geschäftsverteilungsplänen, in denen u. a. der Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich der einzelnen organisatorischen Einheiten und die Beteiligung ressortinterner und -externer Einheiten an dem zur Bearbeitung anstehenden Progranunvorhaben neben dem federfiihrenden Referat geregelt sind. Insbesondere durch die vorgeschriebenen Verfahren der Beteiligung und Zustimmung von Referenten, deren Zuständigkeitsbereich von Progranunen tangiert werden, ergeben sich im bürokratieinternen Abstimmungsprozeß vielfältige Besprechungsspiralen, wie Hausbesprechungen und interministerielle Besprechungen. Wer setzt sich bei diesen Besprechungen durch? Solange das individuelle kompetenzoptimierende Verhalten der am Abstimmungsprozeß Beteiligten nicht beeinträchtigt wird, werden sie sich der Meinung des federfiihrenden Referenten bzw. Referats anschließen. Besteht jedoch die Gefahr der eigenen Kompetenzbeeinflussung, so werden sie ihren Aufgaben- und Zuständigkeitsbereich gegen die konkurrierenden Progranune verteidigen42 und zumindest versuchen, ihre Kompetenz durch Erhaltung des status quo zu wahren. Wessen Handlungsspielraum in den anschließenden Konfliktaustragungs- und Konsensbildungsprozessen eingeschränkt wird und wer sich bei diesen Besprechungen durchsetzt, ist ex ante nicht bestimmbar. So kann sich der federfiihrende Referent im Vorteil befinden, da er sich durch die ständige intensive Beschäftigung mit häufig wiederkehrenden angeblichen oder tatsächlichen Branchenproblemen zu einem Spezialisten im intra- und interministeriellen Progranunentwicklungsprozeß ent40 Ebendort, S. 182. 41 Vgl. ebendort, S. 183. 42 Diese Verhaltensmuster werden von Scharpf mit negativer Koordination umschrieben. Vgl.
Scharpf, 1973, S. 87.
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wickelt hat. Aufgnmd seiner Fachkenntnisse erlangt der federführende Fachreferent gegenüber den Referenten der Grundsatz-, Haushalts- oder RechtsabteiIWlg sowie auch gegenüber den übergeordneten Hierarchieebenen zuweilen eine bessere HandlWlgsposition. ,,Die feste ZuweisWlg spezialisierter Aufgaben ... führt zu jener Akkumulation von Fach- Wld Problemwissen, RoutinisiefWlg von Verfahrensweisen Wld LösWlgsmustern, StabilisiefWlg von ZielvorstellWlgen, OrientiefWlg an eingespielten Kontakt- Wld Kommunikationsnetzen, die als Funktionen Wld Folgen dauerhafter SpezialisiefWlg erwartet werden können.,,43 Möglich ist aber auch bei BesprechWlgen auf Referatsebene, daß beteiligte Referate einem Programm erst zustimmen, wenn sich das federführende Referat bereit erklärt, ÄndefWlgen - mehr oder weniger bedeutsamer Art - vorzunehmen. Kann in gemeinsamen Beratungen keine KompromißlösWlg erzielt werden, wird die nächst höhere Ebene, die UnterabteilWlgsleiter- oder AbteilWlgsleiterebene, zur autoritativen EntscheidWlg herangezogen. Wenn wiederum keine Einigwg stattfindet, weil die mittlere Leitungsebene in ihrem kompetenzoptimierenden Verhalten beeinträchtigt wird, schaltet sich die Ministeriumsleitung zur EntscheidWlgsfindWlg ein. In letzter Konsequenz wird durch die hierarchische Struktur der AbstimmWlgskonflikt, bei dem es sich vorwiegend um ein Kompetenzringen handelt, gelöst. Für viele Ressortvorlagen ist das BWldeskabinett das letzte EntscheidWlgsorgan. 2. Regierung
Die RegiefWlg wird in der strukturpolitischen EntscheidWlgsphase durch Beratungen der Minister Wlter Leitung des BWldeskanzlers im Kabinett mesoökonomisch tätig. Wodurch werden die Verhaltensweisen der RegiefWlg motiviert? Als politische FührWlgsinstitutionen sind der BWldeskanzler Wld indirekt auch die Kabinettsmitglieder von der politischen Wahl abhängig. Deshalb besteht ihre hauptsächliche Motivation in der Wiederwahl. Um dieses Ziel zu erreichen, streben sie eine MaximierWlg der Wählerstimmen an. Dabei verfolgen sie meist eine bestimmte Strategie der strukturpolitischen gruppenbegünstigenden Politik. Fakt ist, daß neben den parteigebWldenen Stammwählern die tatsächlichen Wechselwähler ausschlaggebend fiir eine bestimmte RegiefWlgsbildWlg sind. Deshalb wird eine wiederwahlorientierte RegiefWlg versuchen, ,,mittels einer einkommensrelevanten Gruppenbegünstigwgspolitik ihre Stammwählerschaft zu halten Wld Wechselwähler aus bisher unerreichten Wählerschichten Wld -gruppen zusätzlich zu gewinnen. ,,44 Demzufolge wird "sowohl eine Links- als auch eine RechtsregiefWlg eine VerteilWlgsstrategie verfolgen, welche die Einkommenssituation ihrer Stammwähler und bestimmter Zielgruppen aus dem 43 Ebendort, S. 80. 44 Peters, 1995, S. 318.
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Wechselwählerpotential verbessert. Dagegen werden sie versuchen, die eventuell dafür erforderlich werdenden Finanzierungsmittel über Steuer- und Abgabenbelastungen vorwiegend den Stammwählern der Gegenpartei aufzubürden.,,45 Wie die Ministerialbürokratie ist auch die Regierung im engeren Sinn in verschiedene Gruppenstrukturen eingebunden, wie beispielsweise in verschiedene Gruppen innerhalb der eigenen Partei oder in kabinettsinterne Gruppen. "Wer etwas im Kabinett durchbringen (will), der (sucht) Kontakt mit den anderen Kabinettsmitgliedern, (handelt) Konditionen und Zugeständnisse aus, und (bildet) so Koalitionen und Gruppen und eventuell Mehrheiten. Denn, wer ein Ressort hat, hat etwas, womit er handeln kann, was er anbieten kann, um so die Zustimmung eines anderen Ministers zu einem Vorhaben zu erhalten,,46 Zumeist verlagert sich der Entscheidungsprozeß des Kabinetts ohnehin in sogenannte Kabinettsausschüsse. In diesen speziellen Kabinettsgremien läßt sich im Gegensatz zu dem relativ großen Kabinett als Koordinationsorgan flexibler ressortübergreifende und konsensuale Politik praktizieren47 . Weitere Gruppenbesprechungen können auch im inneren Kabinettskreis erfolgen. Ein inneres Kabinett ist "eine informelle, kleine Gruppe von Vertrauten und Freunden des Kanzlers, meist mit den fUhrenden Vertretern der Koalitionspartner, zu dem auch die Fraktionsvorsitzenden zählen können, wie z. B. beim 'Kreßbronner Kreis' der Großen Koalition.... Das gemeinsame Auftreten dieser Führungsgruppe, mit einer einheitlichen Meinung im Kabinett, beeinflußte sehr stark die Diskussion im Kabinett zugunsten der vorgefaßten Meinung des inneren Kreises. Dies kann verstärkt dadurch geschehen, daß der Diskussionsverlauf und das Verhalten und die Rolle jedes Gruppenmitgliedes in der Kabinettssitzung im voraus besprochen wird. ,,48 Diese internen Gruppenentscheidungsprozesse sind schwer zu durchschauen und zu rekonstruieren. In Kabinettsausschüssen oder informellen Gruppen ausgehandelte Kabinettsvorlagen werden innerhalb des Kabinetts im allgemeinen von allen mitgetragen, so daß teilweise weniger der Kanzler als vielmehr "ein engerer Führungskern im Kabinett,,49 die Richtlinien der Politik bestimmt. Erfolgt die Richtlinienkompetenz nicht mehr - überwiegend - im Kabinett, sondern wird sie von informellen Insider-Zirkeln durch Partei- und Fraktionsvorsitzende aufgestellt, so degeneriert das Kanzlerprinzip zur ,,Handhabung der Netzwerke innerhalb der politischen Klasse,,50. Resümierend stellt 45 Ebendort, S. 320. Zu den verschiedenen verteilungspolitischen Instrumentarien von Rechtsund Linksregierungen vgl. ebendort, S. 320ft'. 46 Brauswetter, 1976, S. 114, S. 129ft'. 47 Vgl. Pilz, Ortwein, 1995, S. 142; Rudzio, 1972, S. 339ft'.; 1996, S. 268ft'. 48 Brauswetter, 1976, S. 115; vgl. auch Rudzio, 1996, S. 279ft'. 49 Hesse, Ellwein, 1992, S. 282. 50 Beyme, 1993, S. 295.
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Brauswetter fest: Das Kanzlerprinzip ist größtenteils durch ein ,,Aushandeln, ... Abwägen und Ausgleichen" bei der ,,Berücksichtigung der verschiedenen Gruppen und die daraus folgende Zusammenstellung des Kabinetts,,51 gekennzeichnet. 3. Politische Parteien
Politische Parteien bzw. Parteimitglieder partizipieren an der Strukturhilfenvergabe auf der Angebotsseite in ihrer Rolle als Abgeordnete bei der Ausübung ihrer parlamentarischen Funktion sowie auf Leitungsebene als kleine Führungszirkel bzw. -gruppen durch die Fonnulierung von Verteilungszielen mit spezifischen mesoökonomischen Instrumenten zugunsten ihrer jeweiligen Wählerklientel unter Maximierung positiver bzw. unter Minimierung negativer Nebeneffekte für die Wechselwähler in der Hoffnung, dadurch einen Wahlsieg zu erringen. Bei Wahlsieg setzt dann die Partei (bzw. die Parteien) ihre jeweiligen spezifischen mesoökonomischen Instrumentarien zur verteilungspolitischen Begünstigung ihrer Stamm- und Wechselwähler ein, um ihre Wiederwahl chancen zu erhöhen. 4. Parlament
Prinzipiell fungiert das Parlament in seiner Gesamtheit als mesoökonomischer Akteur in der Entscheidungsphase strukturpolitischer Gesetzgebung bei Branchen- und Detailgesetzen. Im allgemeinen wirken jedoch einzelne Parlamentarier und verschiedene innerparlamentarlsche Gruppierungen, wie die Ausschüsse und Arbeitskreise, Fraktionen und innerfraktionelle Gruppen, in allen Aktionsphasen strukturpolitischen Handelns indirekt mit. Oberstes Ziel fast eines jeden Abgeordneten ist ein politisch bedeutsames Amt, wobei je nach Persönlichkeit eine mehr oder weniger öffentlichkeitswirksame Stellung angestrebt wird. Seine Handlungsweisen werden demnach darauf ausgerichtet sein, dieses Ziel zu erreichen. Da der parlamentarische Entscheidungsprozeß überwiegend durch Gruppenentscheidungen gekennzeichnet ist, kann der einzelne Abgeordnete sein individuelles Interesse oftmals nur durch diese gruppenstrukturelle Nebenbedingung verwirklichen. Allerdings können sich die inner- und auch zahlreichen außerparlamentarischen Gruppenzwänge für ihn negativ auswirken, wenn er sich entgegen seiner Überzeugung und seines individuellen Interesses dem Gruppendruck beugen muß und diese gruppendetenninierte Verhaltensweise für seine Zielerreichung abträglich ist.
51 Brauswetter, 1976, S. 6. Vgl. auch Rudzio, 1996, S. 265ff.
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IV. V~rhaltensweisen der Nachfrager Strukturpolitische Akteure auf der Nachfrageseite sind hauptsächlich die Branchenverbände als Interessengruppen, in denen sich einzelne Branchenunternehmen zwecks optimaler Durchsetzung ihrer ökonomischen Interessen organisieren. Motiviert werden die strukturpolitischen Handlungsweisen der Branchenuntemehmen durch ein rentensuchendes Verhalten (rent seeking), indem sie mit Hilfe von Branchenverbänden wirtschaftliche Einkommensvorteile zu erlangen versuchen, die nicht auf ihrer produktiven Leistung basieren, sondern durch produktive Leistungen anderer Wirtschaftssubjekte finanziert werden. Im allgemeinen kann ein Branchenverband erst strukturpolitische Forderungen präsentieren, wenn er die notwendige Artikulations-, Aggregations- und Selektionsfunktion für die oftmals unterschiedlichen strukturpolitischen Interessen seiner Verbandsmitglieder erfiillt und zu einer einheitlichen Nachfragefunktion zusammengefaßt hat. Für den verbandlichen Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß kommt der hauptamtlichen Geschäftsfiihrung bzw. der Verbandsbürokratie eine große Bedeutung zu; sie bestimmen maßgeblich den Prozeß der Strukturhilfennachfrage. Denn ,,häufig sind nur sie aufgrund ihrer umfassenden Branchenkenntnisse sowie ihrer Verbindungen zu den wirtschaftspolitischen Entscheidungsinstanzen in der Lage, realistische Verbandsziele zu formulieren und Verbandsforderungen am Markt für Strukturhilfen gegen die Konkurrenz anderer Verbände durchzusetzen.,,52 Unter der Voraussetzung, daß die hauptamtlichen Verbandsfunktionäre primär bestrebt sind, ausschließlich im Interesse des Gesamtverbandes zu handeln, ist ihre relativ große Entscheidungskompetenz innerhalb des Verbandes nicht als problematisch zu bewerten. Weil die geschäftsfiihrende Verbandsleitung jedoch, wie jede andere Person, ein Eigeninteresse - beispielsweise an hohem Einkommen, Ämtern und Prestige - hat, besteht die Gefahr, daß sie ihre Interessen primär zu realisieren trachtet und die Befriedigung der Mitgliederinteressen nur sekundär erfolgt; und zwar höchstens als Mittel zur Erfiillung ihrer eigenen Zwecke. Beispielsweise - so Peters - ,,kann sie zwecks Erweiterung ihres eigenen Herrschaftsbereiches bewußt solche Strukturhilfen anstreben, deren verbandsseitige Verwaltung eine personal- und kostenmäßig größere Verbandsorganisation voraussetzt',53 . Generell sind sowohl die leitenden Verbandsfunktionäre als auch die Verbandsbürokratie bestrebt, diese Ziele langfristig zu sichern, um ständig größer und erfolgreicher zu werden. Oftmals erhält die Verbandsleitung bei ihrer Verbandspolitik auch von den großen Mitgliedsunternehmen Unterstützung, wie Huppert exemplifiziert: "Tatsächlich können
52 Peters, 1995, S. 172. 53 Ebendort, S. 172.
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die großen Mitgliedsfinnen in der Führung eines Verbandes ein Übergewicht gewinnen, das die Interes~en der anderen Mitglieder bedrohen kann. Die großen Unternehmen dominieren besonders dadurch relativ leicht, daß sie für den Vorstand befiihigte und aktive Vorstandsmitglieder und sonstige fachliche Experten bereitstellen können. ,,54 Aufgrund ihrer Größe ist es einigen Mitgliedsunternehmen möglich, zu ihren Gunsten Einfluß auf die verbandliche Willensbildung sowie die Strukturhilfenforderung zu nehmen. Ergeben sich insbesondere für die Verbandsfiihrung auch viele Möglichkeiten, ihre Eigeninteressen abweichend von den Gesamtverbandsinteressen durchzusetzen, so ist allerdings eine völlige Verselbständigung der VerbandsfUhrer bzw. Führungsgruppen nicht möglich. Denn "eine Interessen-Verbandsfiihrung, die eklatante Mißerfolge verursacht hat, (muß) immer damit rechnen, nicht wieder gewählt oder abgewählt (oder entlassen; S. B.) zu werden; besonders muß sie es dann, wenn neben den alten Führern potentielle, konkurrierende, neue Führungskräfte vorhanden sind, die entweder als Oppositionsgruppen wirken oder in untergeordneten Stellungen auf ihre Chancen warten,,55 . V. Marktmechanismus: InterdependenzmodeU Generell ist die Nachfrage nach Strukturhilfen grenzenlos. Auf dem Markt trifft sie auf ein begrenztes Angebot, wodurch sich ein Nachfrageüberhang und ein Verkäufermarkt ergibt. Da sich die Anbieter in der günstigeren Position befinden, werden sie sich die für ihre Bedürfuisbefriedigung optimalen Nachfrager aussuchen. Um in den Genuß von Strukturhilfen zu gelangen, verfolgen die Nachfrager bestimmte Strategien. ,,Eine Maxime jedes Branchenverbandes lautet, einen möglichst guten Kontakt zu dem fachlich korrespondierenden Bundesministerium und hier insbesondere zu dem zuständigen Fachreferat des betreffenden Ministeriums herzustellen und zu pflegen. ,,56 So versorgt der Branchenverband den Referenten mit notwendigen "Sach"informationen und erwähnt ,,nebenbei" die Probleme der Branche. Aus dem ständigen Kontakt ergibt sich meist eine gewisse Aflinität, wodurch bei dem Fachreferenten im Laufe der Zeit ein bestimmtes Verständnis für die - oftmals angeblichen - Probleme der Branchenverbände entsteht. In der praktizierten Regulierungspolitik fUhrt dieses oftmals dazu, daß sich die Bürokraten bzw. Regulatoren "schon nach relativ kurzer Zeit als Betreuer der Regulierten (bzw. ,,ihrer" Branchenverbände; S. B.) betrachten und sich mit deren Interessen weitgehend identifizieren", wie beispielsweise ,,in manchen Ländern mit ausgedehntem Agrarprotektionismus die Mini54 Huppert, 1973, S. 62. 55 V. Schmäde1, 1968, S. 72. S6
Peters, 1981, S. 325.
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sterien für Ernährung und Landwirtschaft in ihrer praktizierenden Politik faktisch zu 'Ministerien zur Ernährung der Landwirtschaft' geworden sind,,57 . Obwohl die Ministerialbürokratie bzw. die Fachreferate als vorherrschende Strukturhilfenanbieter gelten, sind auch die anderen politischen und parlamentarischen Anbieter im strukturpolitischen Entscheidungsprozeß von Bedeutung. Grundsätzlich sind die Branchenverbände bereit, alle ihnen zur Verrugung stehenden Mittel zur Produktion von adäquaten Gegenleistungen für die knappen Strukturhilfengüter anzubieten, wie beispielsweise Wahlbeeinflussung ihrer Mitglieder, Fachberatung der Ministerien, Prestigezuwachs und fmanzielle Unterstützungen. Oftmals scheuen sie sich aber auch nicht, zusätzlich Pressionsmittel zur Durchsetzung ihrer Gruppenforderungen anzuwenden, wie beispielsweise Unterstützung durch Massenmedien, Demonstrationen und Streiks. Deshalb "besteht (gelegentlich) die Gegenleistung für erlangte oder erpreßte Strukturhilfen auch nur darin, daß bestimmte Interessengruppen zumindest eine Zeitlang den von ihnen inszenierten öffentlichen Wirbel und die massiven Anschuldigungen der Regierung einstellen."s8 Durch die von den Nachfragern prinzipiell zu erbringenden adäquaten Gegenleistungen für die Strukturhilfenanbieter und die vielfältigen Sanktionsmöglichkeiten ,,(schafft sich) auf dem Markt für Strukturhilfen die Nachfrage häufig ein maßgeschneidertes Angebot".59 Die Aktivitäten der Anbieter und Nachfrager auf dem Strukturhilfenmarkt durchlaufen charakteristische Aktionsphasen, die jeweils durch eine bestimmte Fragestellung geprägt sind. Peters unterscheidet sechs Aktionsphasen, die den Prozeß von dem Auslösungsmoment bis zur Kontrolle wirtschafts- bzw. strukturpolitischen Handelns widergeben. Aktionsphase
Fragestellung
I. Initiativphase
Wodurch wird wirtschafts- bzw. strukturpolitisches Handeln ausgelöst? Wie wird das Handeln geplant? 2. Planungsphase 3. Koordinierungsphase Wie wird geplantes Handeln abgestimmt? 4. Entscheidungsphase Wie ist der Entscheidungsprozeß angelegt? Wie wird die Entscheidung verwirklicht? 5. Ausführungsphase Wie werden das Handeln und die Ausführung kontrolliert? 6. Kontrollphase Abb. 3: Aktionsphasen wirtschafts- bzw. strukturpolitischen Handeins Quelle: Peters, 1995, S. 174.
57 Derselbe, 1995, S. 171. 58 Ebendort, S. 173, 1981; S. 322ff., S. 328. S9 Derselbe,
1995, S. 173.
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Mesoökonomie und Neue Politische Ökonomie
Wie sich typischerweise interagierendes Verhalten zwischen strukturpolitischen Entscheidungsträgem und Interessengruppen in den einzelnen Aktionsphasen entwickelt, verdeutlicht Peters anband des folgenden Tableaus: Aktionsphasen
Anbieterseite: Aktionen der strukturpolitischen Entscheidungsträger
Nachfragerseite: Aktionen der Branchenverbände
Aktionsunterstützungl Verhandlungsergebnis
Initiativphase
• Keine Eigeninitiative der strukturpolitischen Instanz (Ministerium), aber grundsätzliche Bereitschaft des zuständigen F achreferats zur Unterstützung von Verbandsanliegen
• Vorfühlen von Lobbyisten bzw. Funktionären des Branchenverbandes A beim ministeriellen Fachreferenten zwecks Erkundung der Erfolgsaussichten für ein konkretes Verbandsanliegen
• Eventueller Vorstoß bei der Ministeriumsspitze von Parlamentariern, die dem Verband nahestehen und sich der Verbandssache annehmen • Fachreferent, dem die Parlamentarier-Eingaben von der Ministeriumsleitung zugeleitet wurden, hält die Realisierung des Verbandsanliegens für möglich und sichert Unterstützung zu
• Offizielle Verbandseingabe an das zuständige Ministerium, in welcher die Verbandsforderung (häufig unter Strapazierung des Gemeinwohls) begründet wird • Gegeneingabe des Bran- • Geharnischte Protestehenverbandes B an das schreiben gegen die ForMinisterium, in der darderung des Verbandes A gelegt wird, daß die von Parlamentariern, die Forderung des Brandern Verband B nahestechenverbandes A die hen und sich dessen ProExistenz der Mitgliedstest anschließen firmen des Verbandes B und damit viele Arbeitsplätze gefährde Planungsphase
• Interne überlegungen im federführenden Fachreferat über das weitere Vorgehen
• Konzertierte Aktionen mit den Aktionsunterstützern über weitere effektive Hilfsmaßnahmen
• Die mit den Branchenverbänden jeweils korrespondierenden Branchengewerkschaften unterstützen die Anliegen "ihres" Produzentenverbandes (in Erwartung von Lohnerhöhungsspielräumen und/oder Sicherung der Arbeitsplätze)
- Fortsetzung-
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Mesoökonomie und Neue Politische Ökonomie
- FortsetzungAktionsphasen
Anbieterseite: Aktionen der strukturpolitischen Entscheidungsträger
Planungsphase
• Besprechung zwischen • Stimmungsmache der dem federführenden und Branchenverbände für den mitbeteiligten Refeihre Sache bzw. ihren Standpunkt in den Verraten derselben Unterabbands- und Fachzeitteilung oder Abteilung des Ministeriums schriften und eventuell in der Öffentlichkeit
- Fortsetzung-
• Verbände-Hearing im zuständigen Ministerium
Koordinierungsphase
Nachfragerseite: Aktionen der Branchenverbände
• Branchenverbände A und B sowie weitere hinzugezogene Verbände tragen ihre jeweiligen (teils gegenteiligen, teils übereinstimmenden) Auffassungen vor
Aktionsunterstützungl Verhandlungsergebnis
• Die inzwischen aufmerksam gewordenen Massenmedien (Tageszeitungen, Rundfunk, Fernsehen) berichten über die Verbandsforderungen und spekulieren in Kommentaren über die möglichen Reaktionen der strukturpolitischen Entscheidungsträger
• Hausbesprechung unter • Beeinflussungsversuch • Häufig können sich die aller relevanten Referate Hinzuziehung aller verschiedene Aufgaben des zuständigen Miniwahrnehmenden Referasachlich berührten Referate des Ministeriums steriums durch die Verte des Ministeriums im bände ersten Anlauf nicht einigen. Besonders die Referate der Grundsatzabteilung machen meist ordnungspolitische Bedenken geltend • Erneute Hausbesprechung aufUnterabteilungs- oder Abteilungsebene im zuständigen Ministerium
• Versorgung der dem Verbandsanliegen am nächsten stehenden Ministerialbeamten mit neuen Argumenten
• Letztlich Einigung, meist auf dem Kompromißwege, und Bildung einer einheitlichen Hausmeinung, bei der oft nur Teile der ursprünglichen Verbandsforderungen berücksichtigt werden
• Interministerielle Ressortbesprechung unter Beteiligung aller sachlich berührten Ministerien
• Beeinflussungsversuche der Verbände mit dem Ziel, die anderen Ministerien für ihr Anliegen bzw. ihren Standpunkt zu gewinnen
• Beschlußfassung, eine Kabinettsvoriage zu erstellen
- Fortsetzung-
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Mesoökonomie Wld Neue Politische Ökonomie
- FortsetzungAktionsphasen
Anbieterseite: Aktionen der strukturpolitischen Entscheidungsträger
Nachftagerseite: Aktionen der Branchenverbände
Entscheidungsphase
• Beratungen der Minister • Resolutionen und Ap• Nochmalige Mobilisieunter Leitung des Bunpelle der Verbände an rung aller Verbandsden Regierungschef und hilfstruppen deskanzIers im Kabinett die Kabinettsmitglieder • Einbringen des vom Ka- • Versuch unzufriedener Verbände, die parIabinett verabschiedeten mentarische Opposition Gesetzentwurfs ins PardafiIr zu gewinnen, eilament nen Gegengesetzentwurf mit stärkerer Berücksichti~g bestimmter Brancheninteressen ins Parlament einzubringen
Aktionsunterstützungl Verhandlungsergebnis
• Gelingt meist nicht, weil die zunächst von den Verbänden übergangene Opposition nicht Lükkenbüßer spielen will
• Beratung des Gesetzent- • Massive Beeinflussungsversuche der Auswurfs in den zuständischußmitglieder durch gen Parlamentsausdie Verbände schüssen • Lesungen des Gesetzentwurfs im Parlament
• Intensive Versuche der Verbände, die Parlamentarier direkt und über die Parteien durch Androhung von Konsequenzen bei der nächsten Wahl zu beeinflussen
• Anzweiflung der Verfassungskonformität des zu verabschiedenden Gesetzes seitens von den Verbänden beauftragter Gutachter
• Demonstrationen und spektakuläre andere Aktionen von BranchenangehOrigen in der Öffentlichkeit mit dem Ziel, den Gesetzgeber für die Verbandsinteressen gefügig zu machen • Verabschiedung des Gesetzes im Parlament
• Gesetzliche Ermächtigung des zuständigen Ministers, die Details der Ausführung des Gesetzes durch Rechtsverordnung zu regeln
- Fortsetzung-
Mesoökonomie und Neue Politische Ökonomie
672 - Fortsetzung Aktionsphasen
Anbieterseite: Aktionen der strukturpolitischen Entscheidungsträger
Nachfragerseite: Aktionen der Branchenverbände
Ausführungsphase
• Erarbeitung eines Entwurfs für eine Rechtsverordnung im Ministerium
• Stellungnahmen der • Eventuelle UnterstütVerbände zum Referenzung des Vorwurfs der tenentwurf des zustänErmächtigungsüberdigen Ministeriums, schreitung durch "verwobei unter Umständen bandsnahe" ParIamentaseitens unzufriedener rier, die eine verbandsVerbände eine gerichtIifreundlichere Interpretache Nachprüfung wetion der gesetzlichen Ergen angeblicher Ermächtigung vortragen mächtigungsüberschreitung angedroht wird
• Aufstellung von Ausführungs- und VerwaItungsrichtlinien zur gesetzlichen Regelung im zuständigen Ministerium
• Versuche der Verbände, die Ausführungsrichtlinien durch Anzweiflung der Praktikabilität der vorgesehenen ministeriellen Regelung und durch eigene interessendurchwobene Vorschläge zu ihren Gunsten zu beeinflussen
Kontrollphase
• Erfolgs- bzw. Rechtfer- • Ausschlachtung aller tigungsberichte der ausArgumente der offizielführenden strukturpolitilen (Rechtfertigungs->Berichte, die zur Stütschen Instanz, meist aufgrund parlamentarizung und Durchsetzung der Verbandspolitik gescher Anfragen an die Regierung eignet erscheinen
Aktionsunterstützungl Verhandlungsergebnis
• Verteidigung des Regierungsberichtes durch den zuständigen Minister oder Staatssekretär im Parlament sowie von Parlamentariern der Regierungspartei(en) gegen die Angriffe der Opposition
• Beauftragung wissen• Infragestellung der Ana- • Herunterspielen eventueller negativer Aussagen schafUicher Institute, Iyseprämissen und Bedes Gutachtens seitens Gutachten über die Wirrechnungsgrundlagen der Regierung, falls das kung strukturpolitischer des Gutachtens von jeGutachtenergebnis allzu nen Verbänden, deren Maßnahmen, eventuell drastisch den Mißerfolg anhand von Kosten-NutMitglieder vom evenergriffener strukturpolizen-Analysen, anzufertituell vorgeschlagenen tischer Maßnahmen ofgen Abbau strukturpolitisch fenbart ziel widriger Hilfen oder begünstigender Regelungen bedroht sind
Abb. 4: Interaktionsschema Quelle: Peters, 1995, S. 175ff.
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Im allgemeinen geht die Initiative zu strukturpolitischem Handeln von einem Branchenverband aus, der "seinem" zuständigen Fachreferenten im Ministerium ein bestimmtes Branchenproblem vorträgt, die Realisienmgschancen fiir eine strukturpolitische Beseitigung oder Mindenmg eruiert und damit quasi den Anstoß zu einer strukturpolitischen Maßnahme gibt. Oftmals wendet sich der Branchenverband gleichzeitig an mit ihm verbandlich oder beruflich verbundene Parlamentarier, die ihrerseits die ministerielle Leitungsebene auf das Verbandsanliegen aufinerksam machen. Entweder erhält der Fachreferent dann die Petition der Parlamentarier von der Ministeriumsleitung oder - falls keine parlamentarische Unterstützung in Anspruch genommen worden ist - erfolgt vom Branchenverband eine offizielle Verbandseingabe. Sofern sich andere Branchenverbände von der strukturpolitischen Eingabe bedroht fühlen, indem ihre Mitgliedsunternehmen durch die eventuell spätere Maßnahme negativ beeinträcht werden, erfolgt eine Gegeneingabe. Auch diese Verbände wenden sich meistens an ,,ihre" Parlamentarier, um über die Ministeriumsleitung indirekt Druck auf den federführenden Fachreferenten auszuüben. In der Planungsphase erarbeitet der Fachreferent zuerst einen Entwurf fiir die Problemlösung. Dabei wird er sowohl von dem Branchenverband als auch gelegentlich von den entprechenden Branchengewerkschaften unterstützt. Oftmals bilden sich ,,Koalitionen zwischen Produzentenverbänden und Branchengewerkschaften .... So unterstützte die Branchengewerkschaft oft die Fordenmg ihres korrespondierenden Produzentenverbandes nach sektoralen Wettbewerbsbeschränkungen in der Erwartung, daß dadurch die Ertrags- und Beschäftigungslage der Unternehmen und somit auch ihre Chancen zur Durchsetzung von Lohnerhöhungen verbessert werden".60 In einem zweiten Schritt erfolgt dann eine Referatsbesprechung derselben Unterabteilung oder Abteilung. Zeitgleich versuchen die begünstigten wie die benachteiligten Verbände auf ihre Anliegen in der Öffentlichkeit aufinerksam zu machen. Abschließend findet ein Verbändehearing im federführenden Ministerium statt, bei dem die von der strukturpolitischen Maßnahme positiv und negativ tangierten Branchenverbände und weitere Verbände zugegen sind. Inzwischen berichten im allgemeinen auch die Massenmedien über die Angelegenheit. Die Abstimmung des geplanten Vorhabens erfolgt in der Koordinierungsphase zuerst als innerministerielle Hausbesprechung aller sachlich betroffenen Referate, wobei die Branchenverbände versuchen, ihren jeweiligen Einfluß geltend zu machen. In der Regel ergibt sich nicht sofort eine innerministerielle Einigung, da zumeist insbesondere die Gnmdsatzabteilung ordnungsinkonforme Maßnahmen moniert. Deshalb findet eine erneute Hausbesprechung statt. Weil
60 Ebendort, 43 Pelers
S. 171.
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Sylke Behrends
die Verbände befürchten, daß ihre Forderungen abgelehnt werden, wenden sie sich erneut mit weiteren Begründungen an den für ihr Anliegen maßgebenden Ministerialbeamten. Nach vielfliltigen Kompromissen und Gruppenverhandlungen entsteht schließlich eine einheitliche Hausmeinung, bei der jedoch zumeist nur noch einige Aspekte der Verbandsforderung erhalten geblieben sind. Die interministerielle Ressortbesprechung aller sachlich zuständigen Ministerien bildet den Abschluß der Koordinierungsphase. Auch hier versuchen die Verbände, nochmals auf die betreffenden Ministerien zu ihren Gunsten einzuwirken. Letztlich erfolgt eine Beschlußfassung als Verhandlungsergebnis, auf dessen Grundlage eine Kabinettsvorlage erstellt wird. Die Entscheidungsphase beginnt dann mit der Kabinettsberatung, die durch Resolutionen und Appelle der Verbände und ihrer "Verbandshilfstruppen", wie Branchengewerkschaft, Parlamentarier und eventuell Unterstützung durch die Öffentlichkkeit, begleitet wird. Nach der Beratung wird der vom Kabinett verabschiedete Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht. Jetzt versuchen enttäuschte und unbefriedigte Verbände, die parlamentarische Opposition zu einem Gegengesetzentwurf zu mobiliseren, in dem ihre Interessen besser vertreten werden. Diese Aktion ist jedoch im allgmeinen erfolglos, da die anfangs nichtberücksichtigte Opposition plötzlich nicht ,,Lückenbüßer spielen" will. Deshalb wird relativ schnell der Gesetzentwurf an die zuständigen Parlamentsausschüsse zur Beratung weitergeleitet, wobei auch hier die Verbände bestrebt sind, auf die Ausschußmitglieder einzuwirken. Sobald die Lesungen des Gesetzentwurfs im Parlament beginnen, sehen die Verbände eine weitere Einwirkungsmöglichkeit auf die Parlamentarier, indem sie mit einer Wahlpeeinträchtigung drohen und außerdem mittels öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen Aufmerksamkeit zu erregen versuchen, lUD somit den Gesetzgeber für ihre Interessen einzunehmen. Als letzte Möglichkeit ergibt sich die Beaufuagung eines Gutachters, der die verfassungsmäßige Richtigkeit des zu verabschiedenden Gesetzes in Frage stellt. Wird die Verfassungskonformität nicht angezweifgelt, so erfolgt die Verabschiedung des Branchengesetzes im Parlament und der zuständige Minister wird ermächtigt, die einzelnen Ausführungsbestimmungen des Gesetzes durch Rechtsverordnung zu regeln. Realisiert wird die strukturpolitische Entscheidung in der Ausführungsphase durch die Erarbeitung eines Entwurfs für eine Rechtsverordnung im Ministerium. Von den Branchenverbänden erfolgt dazu eine Stellungnahme, wobei benachteiligte Branchenverbände die Möglichkeit haben, eine gerichtliche Nachprüfung wegen mutmaßlicher Ermächtigungsüberschreitung zu fordern. Eventuell werden sie dabei auch durch von ihnen nahestehenden Parlamentariern unterstützt. Nach der Erarbeitung des Rechtsverordnungsentwurfs beginnt die Aufstellung von Ausführungs- und Verwaltungsrichtlinien zur gesetzlichen Regelung im federfiihrenden Ministerium. Von den Verbänden kann in dieser Pha-
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se die Praktikabilität der ministeriellen Regelung in Zweifel gezogen und möglicherweise zu ihren Gunsten geändert werden. Ist die strukturpolitische Entscheidung abgeschlossen, so unterliegt der gesamte strukturpolitische Handlungs- und AusfiJhnmgsprozeß einer Kontrolle in Form von Erfolgs- und Rechtfertigungsberichten der ausfiIhrenden strukturpolitischen Entscheidungsträger. In dieser Phase werden die begünstigten Branchenverbände zumeist durch Rechtfertigungsberichte unterstüzend tätig. Zusätzlich verteidigen auch der zuständige Minister oder Staatssekretär sowie die Parlamentarier der Regierungspartei( en) das Gesetz gegen kritische Meinungen. Außerdem werden wissenschaftliche Institute beauftragt, Gutachten über die Wirkung der strukturpolitischen Maßnahme zu erstellen. Diejenigen Verbände, deren Mitglieder durch diese strukturpolitische Maßnahme negativ betroffen werden, fordern ihrerseits erneut strukturpolitische Unterstützung. Sofern ein Gutachten negative Auswirkungen durch die strukturpolitische Maßnahme dokumentiert, ist die Regierung bestrebt, dieses zu bagatellisieren. Branchenverbände können also in allen Aktionsphasen strukturpolitischen Handeln tätig werden und mit mehr oder weniger Pressionen versuchen, zu ihren Gunsten Einfluß auf den strukturpolitischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß zu nehmen. Gewissermaßen ist jede Aktionsphase durch einen Austauschprozeß gekennzeichnet. Hier treten nicht nur einzelne Akteure sondern auch vielfiiltige Gruppen aufbeiden Marktseiten in interdependente Beziehungen, wie beispielsweise intra- und interministerielle (Fach-)Referate, Abteilungen sowie Leitungsebenen, Kabinett, Parlament mit Fraktionen, Ausschüssen, wie auch Arbeitskreisen, (Branchen-)Verbände und (Branchen-)Gewerkschaften mit ihren unterschiedlichen Entscheidungsgruppen. Sowohl die strukturpolitischen Entscheidungsträger als auch die Branchenverbände sind in verschiedene formelle und informelle Gruppen eingebunden, wobei sich Individual- und Gruppeninteresse ergänzen oder widersprechen können. Würde sich lediglich das Individualinteresse der beteiligten Marktakteure durchsetzen, ergäbe sich kaum eine Abweichung von der ursprünglichen Nachfrage und dem maßgeschneiderten Strukturhilfeangebot. Da jedoch "auf dem Markt für Strukturhilfen die Verhandlungen von Nachfragern und Anbietern bzw. zwischen Interessengruppen und strukturpolitischen Entscheidungsträgern ... kompliziert und langwierig (sind), ... enden sie oft mit einem Ergebnis, das von der erstrebten Nachfrage bzw. der gewünschten Strukturhilfe und/oder dem ursprünglichen Hilfsangebot beachtlich abweicht. Der wesentliche Grund liegt darin, daß die Abstimmung von Angebot und Nachfrage auf dem Strukturhilfen-Markt oft nur über Veränderungen der ursprünglichen Positionen der Nachfrager und Anbieter gelingt. So verändern sich dann gezwungenermaßen sowohl Nachfrage als auch Angebot im verschachtelten administrativ-hierarchischen und parlamentarischen
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Sylke Behren