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German Pages 309 [313] Year 2015
Karl-Peter Krauss (Hg.)
Normsetzung und Normverletzung Alltägliche Lebenswelten im Königreich Ungarn vom 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts
Geschichte Franz Steiner Verlag
Schriftenreihe des Instituts für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde
Normsetzung und Normverletzung
Schriftenreihe des Instituts für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde Band 19
Sammelbände – Bd. 3
Karl-Peter Krauss (Hg.)
Normsetzung und Normverletzung Alltägliche Lebenswelten im Königreich Ungarn vom 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts
Franz Steiner Verlag
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2014 Druck: Laupp & Göbel, Nehren Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-10941-3
INHALTSVERZEICHNIS Karl-Peter Krauss Von der Normverletzung zur Norm? Zur Annäherung an alltägliche Lebenswelten im Königreich Ungarn vom 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts: Akteure und Instanzen ................
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Alexander Schunka Normsetzung und Normverletzung in Einwanderungsgesellschaften der Frühen Neuzeit ............................................................................................
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I. KONSTITUIERUNG UND KOMMUNIKATION VON NORMEN Zoltán Gőzsy Ebenen und Phasen der kirchlichen Normenkommunikation in Transdanubien und in Slawonien im 18. Jahrhundert ...................................
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Karl-Peter Krauss Etablierung und Instrumentalisierung von Normen in Eheangelegenheiten in deutschen Siedlungsgebieten Südungarns ....................................................
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Barna Mezey Das Gefängnis im ungarischen Vormärz Zur Rolle der Kerkerstrafe in der Patrimonialgerichtsbarkeit im 18. und frühen 19. Jahrhundert ...................................................................................... 115 II. NORMVERLETZUNG UND ALLTAGSPRAXIS Judit Pál Staatsbeamter oder Klient? Ein „Vermittler“ aus Ostungarn zwischen verschiedenen sozialen Normen .... 125 Dániel Bárth Normverletzungen eines katholischen Priesters im 18. Jahrhundert in Siebenbürgen................................................................................................. 143 Peter Šoltés Die Konfessionsgrenze im Ehebett Reverse in matrimonia mixtae religionis im Königreich Ungarn ..................... 165
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Inhaltsverzeichnis
Norbert Spannenberger Kalkulierte kollektive Normverletzung als Partizipationsinstrument Der „Bauerntumult“ von 1766 im Esterházyschen Distrikt Ozora ................... 205 Marin Popan Privilegierung und Emanzipation Eingaben der rumänischen Vorstadtbevölkerung an den Bistritzer Stadtrat in der spättheresianischen und josephinischen Zeit, 1770–1784 ...................... 233 Márta Fata Normverletzung als Auswanderungsgrund, oder: Warum man Kolonist in Ungarn sein wollte Der Fall zweier Betrüger in der Batschka 1785/86 ........................................... 247 Daniela Deteşan Außereheliches Zusammenleben im ländlichen Raum in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts am Beispiel der Siebenbürger Rumänen ......................... 263 Personenregister ................................................................................................ 285 Ortsregister........................................................................................................ 291 Autorenverzeichnis ........................................................................................... 297
VON DER NORMVERLETZUNG ZUR NORM? Zur Annäherung an alltägliche Lebenswelten im Königreich Ungarn vom 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts: Akteure und Instanzen Karl-Peter Krauss Der vorliegende Sammelband ist unter anderem das Ergebnis einer Tagung unter dem Titel „Normsetzung und Normverletzung. Alltägliche Lebenswelten im Königreich Ungarn vom 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts“, die vom Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde in Tübingen veranstaltet wurde.1 Die Begriffe „Normsetzung“ und „Normverletzung“ stellen die Analysekategorien für eine Annäherung an die alltäglichen Lebenswelten im Königreich Ungarn dar.2 Während der grundlegende Beitrag von Alexander Schunka den großen Rahmen von „Normsetzung und Normverletzung in Einwanderungsgesellschaften der Frühen Neuzeit“ vorstellt, geht es hier um das räumliche Segment der Länder der Stephanskrone. Bezugsrahmen ist der Wandel einer Ständegesellschaft traditionellen Zuschnitts hin zu den Anfängen einer bürgerlichen Gesellschaft. Im besonderen Fokus stehen dabei die vielschichtigen Lebenswelten deutscher Ansiedler innerhalb des ethnokonfessionellen Mosaiks in ihren regionalen Ausprägungen und Verflechtungen. Der zeitliche Rahmen wird markiert durch die deutsche Ansiedlung im 18.
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Die Tagung fand vom 3. bis 5. November 2011 statt. Den Begriff „Lebenswelt“ definierte Rudolf Vierhaus als „wahrgenommene Wirklichkeit […], in der soziale Gruppen und Individuen sich verhalten und durch ihr Denken und Handeln wiederum Wirklichkeit produzieren.“ Für ihn ist es das Ziel der kulturhistorischen Forschung, dass „durch die Rekonstruktion der Lebenswirklichkeit konkreter Menschen in der Vergangenheit ihr Verhalten versteh- und erklärbar“ gemacht wird. Dabei betont er, dass diese Lebenswelt nicht „statisch“ verharrt, sondern einem „Wandel durch äußere Einwirkungen und innere Entwicklungen“ unterworfen ist, siehe: Vierhaus, Rudolf: Die Rekonstruktion historischer Lebenswelten. Probleme moderner Kulturgeschichtsschreibung. In: Wege zu einer neuen Kulturgeschichtsschreibung. Mit Beiträgen von Rudolf Vierhaus und Roger Chartier. Göttingen 1995, 7–28, hier 13. Der Beitrag ist auch abgedruckt in: Vierhaus, Rudolf: Vergangenheit als Geschichte. Studien zum 19. und 20. Jahrhundert. Göttingen 2003, 98–111. Allgemein zur Lebenswelt der Unterschichten in der Frühen Neuzeit: Friedeburg, Robert von: Lebenswelt und Kultur der unterständischen Schichten in der Frühen Neuzeit. München 2002. „Lebenswelt“ bildet weiterhin einen Schwerpunkt in den jüngsten wissenschaftlichen Veröffentlichungen über die Frühe Neuzeit. Beispiele sind: Krauss, Jirko: Ländlicher Alltag und Konflikt in der späten Frühen Neuzeit. Lebenswelt erzgebirgischer Rittergutsdörfer im Spiegel der kursächsischen Bauernunruhen 1790. München 2012; Friedeburg, Robert von: Lebenswelt und Kultur der unterständischen Schichten in der Frühen Neuzeit. München 2010; Grundsätzlich: Haumann, Heiko: Lebenswelten und Geschichte. Wien-Köln-Weimar 2012.
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Jahrhundert bis zur Zäsur der Grundentlastung in der Mitte des 19. Jahrhunderts.3 Da alle Beiträge in diesem Band auf einer Kenntnis der normsetzenden Akteure und Instanzen im damaligen Ungarn beruhen, finden diese hier eine besondere Beachtung. Eine erste Bestandsaufnahme macht erhebliche Forschungsdefizite gerade in Bezug auf eine Annäherung an den so schwer fassbaren „Alltag“ der „kleinen Leute“ innerhalb ihrer regional diversifizierten Lebenswelten im Königreich Ungarn offenkundig. Da bilden deutsche Ansiedler keine Ausnahme. Diesem Mangel liegen wohl zwei Hauptursachen zugrunde: Zunächst einmal standen die „spektakulären“ Jahrhunderte der Migrationen und Zwangsmigrationen, das 18. und das 20. Jahrhundert, die Zeit der Ansiedlungen und die der Aussiedlungen und Vertreibungen im Vordergrund.4 Hinter diesen Ereignissen in jenen „lauten“ Jahrhunderten treten die „leisen“ Akkulturations-, Adaptions-, Innovations- Konsolidierungsund Binnenkolonisationsprozesse in den Hintergrund. Doch erst diese sich gegenseitig beeinflussenden, überlappenden, sich ergänzenden und sich verstärkenden oder einander zuwider laufenden Prozesse formten die gesellschaftliche und ethnokonfessionelle Struktur des Königreichs mit ihren vielfältigen Lebenswelten und ihren soziokulturellen Spezifika. Eine weitere Ursache für die Zurückhaltung gegenüber einer historisch-anthropologischen Annäherung5 liegt an den schwerer zugänglichen oder fehlenden Quellen. Ein Zugang aus der Perspektive der Untertanen scheitert häufig an den selten
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Einen Ausblick über dieses Zeitfenster hinaus bietet der Beitrag in diesem Band von DeteŞan, Daniela: Außereheliches Zusammenleben im ländlichen Raum in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts am Beispiel der Siebenbürger Rumänen. Für die Übersetzung dieses Beitrags aus dem Rumänischen bin ich Frau Dorothea Wolf, München, zu besonderem Dank verpflichtet. Der gegenwärtige Forschungsstand wird zusammengefasst in dem kürzlich erschienenen umfangreichen und zweibändigen Werk von Seewann, Gerhard: Geschichte der Deutschen in Ungarn. Bd. 1: Vom Frühmittelalter bis 1860, Bd. 2: 1860–2006. Marburg 2012. Grundlegend über die Zwangsmigrationen der Deutschen: Beer, Mathias: Flucht und Vertreibung der Deutschen. Voraussetzungen, Verlauf, Folgen. München 2011: Zu den Deutschen in Ungarn: Tóth, Ágnes: Rückkehr nach Ungarn 1946–1950. Erlebnisberichte ungarndeutscher Vertriebener. München 2012. In Bezug auf Planungen zur Marginalisierung der deutschen Minderheiten siehe die neueste Publikation von Gonda, Gábor / Spannenberger, Norbert (Hgg.) unter Mitarbeit von Robert Pech: Minderheitenpolitik im „unsichtbaren Entscheidungszentrum“. Der „Nachlass László Fritz“ und die Deutschen in Ungarn 1934–1945. Stuttgart 2014. Zur Diskussion um die Einordnung der Historischen Anthropologie siehe: Medick, Hans: Quo vadis Historische Anthropologie? Geschichtsforschung zwischen Historischer Kulturwissenschaft und Mikro-Historie. In: Historische Anthropologie 9 (2001), 78–92. In diesem Zusammenhang sei auf zahlreiche Diskussionsbeiträge im Forum „Historische Anthropologie: Standortbestimmungen im Feld historischer und europäisch ethnologischer Forschungs- und Wissenspraktiken“ verwiesen: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/index.asp?id=1819&pn =texte (17.10.2013). Jedenfalls zeigt sich bei der Charakterisierung der Historischen Anthropologie „die ungeheure Komplexität von Lebenswelten und der ´lived experience´ zumindest theoretisch“, ebd. von Jens Wietschorke, 15.06.2012. Grundlegend: Dülmen, Richard van: Historische Anthropologie. Entwicklung, Probleme, Aufgaben. 2. durchges. Aufl. Köln-Wien 2001.
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überlieferten Selbstzeugnissen.6 Ohne Zweifel erfahren autobiographische Quellen in der Geschichtsforschung insbesondere im Hinblick auf historisch-anthropologische Studien eine besondere Beachtung. In Bezug auf die Geschichte der Deutschen in Ungarn wurden Selbstzeugnisse bislang nicht in adäquatem Maße zur Forschung herangezogen.7 Selbst bei der Masse der noch vorhandenen Briefe von Auswanderern handelt es sich in aller Regel um Korrespondenz, die für die Forschung nur deshalb erhalten blieb, weil sie amtlichen Charakters war oder ihr ein solcher zugeschrieben wurde.8 Außerdem waren viele Aspekte des Verhaltens so unspektakulär, dass sie nicht für Wert erachtet wurden, aufgezeichnet zu werden. Hinzu kommt, dass es vor allem die normativen Quellen der Rechts- und Institutionengeschichte sind, auf denen die Geschichtsschreibung basiert: Deren Kenntnis und Norm muss aber keineswegs zwangsläufig einen Rückschluss auf das „alltägliche“ Verhalten ergeben.9 6
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Zum Forschungsstand: Krusenstjern, Benigna von: Was sind Selbstzeugnisse? Begriffskritische und quellenkundliche Überlegungen anhand von Beispielen aus dem 17. Jahrhundert. In: Historische Anthropologie. Kultur. Gesellschaft. Alltag 2 (1994), 462–471; Greyerz, Kaspar / Medick, Hans / Veit, Patrice: Von der dargestellten Person zum erinnerten Ich. Europäische Selbstzeugnisse als historische Quellen (1500–1850). Köln-Weimar u. a. 2001; Peters, Jan: Mit Pflug und Gänsekiel. Selbstzeugnisse schreibender Bauern. Eine Anthologie. Köln, Weimar 2003; Rutz, Andreas: Ego-Dokument oder Ich-Konstruktion. Selbstzeugnisse als Quellen zur Erforschung des frühneuzeitlichen Menschen. In: Zeitenblicke 1, 2002, Nr. 2. http://www.zeitenblicke.de/2002/02/rutz/index.html (26.12.2013). Neuerdings siehe: Henning, Eckart: Selbstzeugnisse: Quellenwert und Quellenkritik. Berlin 2012. Der Autor dieses Kompendiums reflektiert den neuesten Forschungsstand und nimmt einen Vergleich der verschiedenen Selbstzeugnisse (Tagebücher, Autobiographien, Memoiren, Briefe) vor. Das ungebrochene Interesse an der Erforschung von Zeugnissen findet seinen Ausdruck in der von Alf Lüdtke, Hans Medick, Claudia Ulbrich sowie Kaspar von Greyerz herausgegebenen Buchreihe „Selbstzeugnisse der Neuzeit“. Beispiele für neuere Forschungen sind: Wolf, Marionela: Alte und neue Heimat. Briefe südwestdeutscher Banat-Auswanderer des 18. Jahrhunderts. In: Kulturraum Banat. Hg. v. Walter Engels. Essen 2007, 85–140; Dies.: „…hab in Freudenthal eine bibel gekauft, eine evangelische“. Selbstzeugnisse württembergischer Auswanderer ins Banat (1791). In: Banater Kalender 2009. Erding 2008, 86–94. Allerdings wurden schon in den von Jakob Bleyer gegründeten Deutsch-Ungarischen Heimatsblättern immer wieder Selbstzeugnisse veröffentlicht, siehe etwa: Selig, Theodor: Die Beziehungen ausgewanderter Schwaben in Ungarn zur alten Heimat. In: Deutsch-Ungarische Heimatsblätter, 1 (1929), 214–219. Briefe von Ungarnauswanderern aus Lothringen sind veröffentlicht bei: Hiegel, Charles: Répression de l´émigration lorraine en Hongrie au XVIIIe siècle dans les baillages de Bitsch et de Sarreguemines. In: Annuaire de la société d’histoire et d’archéologie de la Lorraine, 70 (1970). Metz 1970, 101–168; Ders.: Répression dans les baillages de Boulay, Bouzonville, Dieuze et Lixheim de l´émigration lorraine en Hongrie au XVIIIe siècle. In: Annuaire de la société d’histoire et d’archéologie de la Lorraine, 71 (1971), 83–116. So wurde z. B. die Mehrzahl der „Auswandererbriefe“ nur deshalb aufbewahrt, weil sie innerhalb der Akten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit, d. h. hier Verlassenschaftsakten, von amtlicher Relevanz wurden. Reinhard, Wolfgang: Freunde und Kreaturen. Historische Anthropologie von Patronage-Klientel-Beziehungen. In: Freiburger Universitätsblätter, H. 139, 37. Jg. (März 1998), 127–141, hier 129.
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Das Forschungsdefizit tritt ebenso deutlich in Bezug auf den in der Mikrogeschichte inzwischen etablierten Ansatz der Auswertung von nicht intendierten, gerichtlichen Akten über Personen zutage.10 Diese Quellen subsumierte Winfried Schulze unter dem Begriff „Ego-Dokumente“.11 Aufgrund der sehr breit gefassten Definition hat sich dieser Begriff für die „Selbstzeugnisse“ (Autobiographien, persönliche Tagebücher und Briefe) als Dokumente bewusster und freiwilliger Selbstwahrnehmung nicht durchgesetzt. Die Methodik, das Außeralltägliche als Zugang zum „Normalen“, „Alltäglichen“ zu nehmen,12 setzt entsprechende Quellen voraus, die nicht immer vorliegen.13 Neben der mangelnden Überlieferungsdichte in einzelnen Regionen liegt das auch an der Multilingualität der Quellen und an der terminologische Spezifika aufweisenden lateinischen Verwaltungssprache Ungarns bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Schließlich kommt die traditionelle Staatszentriertheit der Erforschung von Migrationsvorgängen hinzu, die zu einer Verzerrung des von komplexen Interferenzen gekennzeichneten Bildes zugunsten griffiger Mythen führten. In diesem Zusammenhang sei nur an die das Geschichtsbild bis heute prägenden Begriffe von den „drei Schwabenzügen“ und dem Mythos der „creatio ex nihilo“ erinnert.14 Die Kolonisten wurden so als „Kulturträger“ dargestellt, die vor Akkulturationsprozessen weitgehend gefeit gewesen wären.15 METHODISCHER ZUGANG UND QUELLEN Mit der Verletzung und Sanktionierung von Normen werden diese wieder in Erinnerung gerufen und ihre Gültigkeit bestätigt. Damit aber tragen sie zur Stabilisierung einer Gesellschaft bzw. einer Gruppe bei. Da die „alltäglichen“ Lebenswelten 10
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Kriminalitätsgeschichte, die Erforschung der Kriminalität und der Strafjustiz haben sich seit über 20 Jahren etabliert und erfreuen sich weiterhin eines großen Interesses, wenngleich sich Forschungsinhalte zunehmend von der Frühen Neuzeit hin zur neueren Geschichte verlagert haben. Eine Einführung in die umfangreiche Thematik gibt: Schwerhoff, Gerd: Historische Kriminalitätsforschung. Frankfurt am Main u. a. 2011. Schulze, Winfried (Hg.): Ego-Dokumente. Annäherung an den Menschen in der Geschichte. Berlin 1996, 11–30. Siehe Schunka, Normsetzung und Normverletzung. Gleichwohl zeigt das ungebrochene derzeitige Interesse an der Historischen Kriminalitätsforschung das bedeutende Erkenntnispotenzial, das sich auch in Bezug auf den Raum des Königreiches Ungarn öffnet. Seewann, Gerhard: Siebenbürger Sachse, Ungarndeutscher, Donauschwabe? Überlegungen zur Identitätsproblematik des Deutschtums in Südosteuropa. In: Ders. (Hg.): Minderheitenfragen in Südosteuropa. München 1992, 139–157. Dazu weitere Verweise bei Krauss, Karl-Peter: „Mit einem Bündel sind sie gekommen“? Geldtransfer aus dem Deutschen Reich nach Ungarn. In: Seewann, Gerhard / Krauss, Karl-Peter / Spannenberger, Norbert (Hgg.): Die Ansiedlung der Deutschen in Ungarn. Beiträge zum Neuaufbau des Königreiches nach der Türkenzeit, 125–172, hier 126, 127. Die „creatio ex nihilo“ geht von dem Axiom aus, die Ansiedler hätten aus dem „Nichts“ heraus eine blühende Kulturlandschaft geschaffen. In Bezug auf die Region stimmt diese Annahme nicht, wogegen dies auf der Mikroebene in der Tat häufig zutrifft. Ebd., 127, 128.
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mit ihrem Normengefüge sowie die darin implizierten Veränderungsprozesse aufgrund mangelnder Quellen nur schwer fassbar sind, liegt es nahe, sich an die Alltagspraxis über den Umweg des Außeralltäglichen bzw. eine Annäherung an die Normen über die Normverletzung und damit eine definitorische „Mitte“ über die „Peripherie“ anzustreben. Diese Methodik gilt inzwischen als etabliert. Normverletzungen können so wenigstens in Teilbereichen konstitutiv für die Rekonstruktion von Normen sein.16 Dabei geht es nicht um die vermeintliche Konstanz und fehlende Dynamik des Alltäglichen, um pure Deskription, um den „barfüßigen“, „biederen Hirsebrei“ der „Alltagsgeschichte“, um Sozialromantik und Idyll, sondern um das Ausleuchten von verschiedenen Abstraktionsebenen.17 Es geht um Untertanen innerhalb ihrer vielschichtigen sozialen Differenziertheit, um gesellschaftliche, soziale und religiöse Prägemuster, um dynamische Prozesse. Auch um das keinem statischen Verharren ausgesetzte Verhältnis zwischen Untertanen und ihren weltlichen und kirchlichen Obrigkeiten sowie der Frage nach sich öffnenden Handlungsspielräumen und ihrer Wahrnehmung bzw. Überschreitung durch Akteure vor Ort.18 Das legt immer wieder die analytische Verknüpfung und Interaktion zwischen Mikro- und Makrostrukturen nahe. Dazu gehört die „dichte Beschreibung“ von Abläu-
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Dabei werden Normen und Normvorstellungen nie vollständig von den Normadressaten umgesetzt, da es sich um Idealvorstellungen handelt: Lamnek, Siegfried: Theorien abweichenden Verhaltens I. Klassische Ansätze. 8. überarb. Aufl. Paderborn 2007, 23. Die Zitate sind der polemisch anmutenden Kritik von Hans-Ulrich Wehler an der Alltagsgeschichte entnommen, die nur aus dem Kontext der damaligen Polarisierung zwischen Vertretern der Historischen Sozialwissenschaft und der Alltagsgeschichte nachzuvollziehen ist. Dabei wurden einige seiner Postulate im Fortgang der Forschung durchaus eingelöst, andere „Vorhersagen“ wie „In ein paar Jahren ist die Stimmung, von der die Alltagsgeschichte heute lebt, vermutlich ohnehin verflogen“ haben sich weit von der realen Entwicklung entfernt. Wehler sprach von „Barfußhistorikern“; seine Kritik gipfelte in dem Satz „Wenn das Erbe der gewaltigen historischen Leistung der okzidentalen Modernisierung und Rationalisierung gegen den biederen Hirsebrei der Alltagsgeschichte „von innen“ und „von unten“ und der sie tragenden Ideologien verkauft werden soll, ist das intellektuell die naive Zumutung eines Verzichts auf manche bewährten Rationalitätsstandards, politisch aber ist es in der gegenwärtigen Situation ein billiger Defätismus gegenüber den längst nicht überholten Errungenschaften des eigenen Kulturkreises.“ Siehe Wehler, Hans-Ulrich: Alltagsgeschichte. Königsweg zu neuen Ufern oder Irrgarten der Illusionen? In: Aus der Geschichte lernen? Essays. Hg. v. Dems. München 1988, 130–151, hier 150, 151. Inzwischen sind die forschungspolitischen Kontroversen längst sachlichen Auseinandersetzungen gewichen. Thomas Winkelbauer zeigt den zunehmend regulierenden und reglementierenden Zugriff am Beispiel des Gundaker von Liechtenstein in seinen Grundherrschaften eindrucksvoll für das frühe 17. Jahrhundert: Winkelbauer, Thomas: Gundaker von Liechtenstein als Grundherr in Niederösterreich und Mähren. Normative Quellen zur Verwaltung und Bewirtschaftung eines Herrschaftskomplexes und zur Reglementierung des Lebens der Untertanen durch einen adeligen Grundherrn sowie zur Organisation des Hofstaats und der Kanzlei eines „Neufürsten“ in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Wien-Köln-Weimar 2008. Allgemein zum gegenwärtigen Forschungsstand hinsichtlich des Verrechtlichungs- und des Bürokratisierungsprozesses in der Frühen Neuzeit siehe die Beiträge in: Hochedlinger, Michael / Winkelbauer, Thomas (Hgg.): Herrschaftsverdichtung, Staatsbildung, Bürokratisierung. Verfassungs-, Verwaltungsund Behördengeschichte der Frühen Neuzeit. Wien 2010.
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fen mit ihrer Kontextualisierung, was jedoch entsprechende Quellen voraussetzt.19 Es geht um Fragen, wie Wahrnehmung konstruiert ist und wie sie möglicherweise als sozialdisziplinatorisches Herrschaftsinstrument manipuliert wird. Auch, wie individuelles Erinnern und Reproduzieren sowie kollektives Gedächtnis von Normen konstituiert und instrumentalisiert werden und welche Semiotik sich darin äußert. Schließlich, in welcher Form Normen von „einfachen Leuten“ kommuniziert werden, welche Kommunikationskanäle verwendet werden und welche informellen Botschaften zugrunde liegen. Es liegt nahe, die Projektionsrichtung von Untersuchungen nicht nur von „oben“ nach „unten“ zu richten und nicht nur auf die Durchführung und Wirkung von sozialdisziplinatorischen Maßnahmen zu achten, sondern auch entgegengesetzte Dynamiken im Auge zu behalten. Hier geht es um die Stichworte Selbstregulierung und Selbstdisziplinierung.20 Häufig wurden so die Untertanen selbst zu Impulsgebern für Postulate, die zu Normmodifizierungen führten. Gerade diese Interaktion von Prozessen, die mitunter auf unterschiedlichen Strategien, Wertemaßstäben, Handlungsmustern und Brüchen basieren, bietet einen vielschichtigen Raum für eine Annäherung. Im Fokus eines solchen methodischen Zugangs stehen in diesem Band insbesondere Gerichtsakten verschiedener Provenienzen aus dem Königreich Ungarn. Insgesamt finden sich Überlieferungsfenster mit einer sehr guten Aktenlage, auch wenn viele Verluste zu konstatieren sind. Die nicht-intendierten oder auf der Grundlage von Zwängen entstandenen gerichtlichen Akten sind wichtige Quellen zur Erforschung jener illiterater Schichten, die sonst kaum archivalische Spuren hinterlassen hätten. Gerichtsakten unterschiedlicher Instanzen (Straf-, Zivilgerichtsakten, Freiwillige Gerichtsbarkeit, kirchliche Untersuchungs- und Gerichtsakten) vermitteln mitunter kurze Einblicke in Lebensabschnitte von Akteuren, die wegen Normverletzungen ans Licht gezerrt wurden, bevor diese wieder im durch keine Akten erhellten Dunkel des „Alltags“ verschwinden. Oft stehen dabei weniger die Verfahren selbst als vielmehr die herangezogenen Beilagen wie Zeugenaussagen, Attestate, Klagen, Briefe im Mittelpunkt des Interesses. Es sind Dokumente, die den Alltag in unterschiedlichem Ausmaße konstruieren und auch manipulieren. Aber gerade innerhalb dieser Argumentationskonstrukte lassen sich immer wieder Rückschlüsse auf das Normen- und Wertesystem der Befragten und Stellung Nehmenden ziehen.21 Ganz besonders dann, wenn solche Argumentationskonstrukte aufeinanderprallen, schimmern Normen- und Wertesysteme von Angeklagten, Klägern und Zeugen hindurch. 19 20
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Geertz, Clifford: Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme. Übersetzt von Brigitte Luchesi und Ralf Bindemann. Frankfurt am Main 1987. Für eine methodische Offenheit plädiert Schilling, Heinz: Disziplinierung oder „Selbstregulierung der Untertanen“? Ein Plädoyer für die Doppelperspektive von Makro- und Mikrohistorie bei der Erforschung der frühmodernen Kirchenzucht. In: Historische Zeitschrift, Bd. 264 (1997), 675–691. Behringer, Wolfgang: Gegenreformation als Generationenkonflikt oder: Verhörprotokolle und andere administrative Quellen zur Mentalitätsgeschichte. In: Ego-Dokumente. Hg. v. Schulze, 275–293, hier 293.
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Aus der Vielzahl der ordentlichen, außerordentlichen, kirchlichen wie profanen, städtischen Gerichte und Kameralgerichte, Berggerichte, der Militärgerichtsbarkeit u. a. seien wenige Gerichtsinstitutionen angeführt, die in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung sind, wobei für das territorialstaatlich vom Königreich Ungarn bis 1778 losgelöste Banat diese Ausführungen erst durch die Reinkorporation in das Königreich Ungarn zutreffen. Es liegt nahe, dass die Akten erstinstanzlicher Gerichte für historisch-anthropologische Fragestellungen eine besondere Rolle spielen. Hierfür kommen insbesondere die Akten von Patrimonialoder Herrengerichten (sedes dominales) in Frage, die teilweise die Blutgerichtsbarkeit (ius gladii) ausübten.22 Sie standen unter dem Vorsitz des Grundherrn oder eines Stellvertreters bzw. eines seiner Beamten.23 Zugegen mussten allerdings auch der Stuhlrichter (judex nobilium) und der Jurassor des Komitats sowie weitere Rechtskundige sein. Die Herrenstühle waren zugleich Appellationsinstanz für Angelegenheiten, die vor dem Dorfgericht entschieden worden waren. Doch auch sonstige Bestände der herrschaftlichen Familienarchive bieten Zugänge zu der Fragestellung einer Annäherung an die Norm über die Normverletzung.24 Eine Appellation vom Herrengericht war gemäß Gesetzartikel 29 aus dem Jahre 1765 an das Komitatsgericht (Sedria Comitatus)25 und von dort auch an die königliche Septemviraltafel, der obersten und letzten Instanz möglich.26 Des Weiteren enthalten auch die Akten der verschiedenen Instanzen der Kameralverwaltung (Kameraladministrationen, Ungarische Hofkammer, Wiener Hofkammer) manche Aktenfaszikel über
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Einen Überblick über die Kerkerstrafe in der Patrimonialgerichtsbarkeit bietet in diesem Band: Mezey, Barna: Das Gefängnis im ungarischen Vormärz. Zur Rolle der Kerkerstrafe in der Patrimonialgerichtsbarkeit im 18. und frühen 19. Jahrhundert. Besonders markantes Quellenmaterial über Patrimonialgerichte siehe in den Beständen: Baranya Megyei Levéltár (BML) [Archiv des Komitats Baranya], Pécs, VI, A Batthyány-Montenuovo család bólyi levéltára [Das Bólyer Archiv der Familie Batthyány-Montenuovo], Úriszéki iratok [Herrenstuhlakten]; Tolna Megyei Önkormányzat Levéltára (TMÖL) [Archiv der Komitatsselbstverwaltung Tolna], Apponyi család iratai [Akten der Familie Apponyi], Úriszéki perek [Herrenstuhlprozesse]. Virozsil, Anton von: Das Staats-Recht des Königreichs Ungarn vom Standpunkte der Geschichte, und der vom Beginn des Reiches bis zum Jahre 1848 bestandenen Landes-Verfassung. Drei Bde. Pest 1865–1866, hier Bd. 3, 145. Hier sei an den Beitrag im Band verwiesen von: Pál, Judit: Staatsbeamter oder Klient? Ein „Vermittler“ aus Ostungarn zwischen verschiedenen sozialen Normen. Dieses Fallbeispiel zeigt die ganze Komplexität vielfältiger Normenstrukturen. Hierzu auch der Beitrag in diesem Band von Spannenberger, Norbert: Kalkulierte kollektive Normverletzung als Partizipationsinstrument. Der „Bauerntumult“ von 1766 im Esterházyschen Distrikt Ozora. Beide Beiträge nehmen Vorgänge in einer Privatherrschaft in den Fokus. Entsprechend bieten Komitatsakten immer wieder eine Fülle von gerichtlichen Akten. Hiervon waren nur Gesuche um Begnadigung von zum Tode Verurteilten ausgenommen. Virozsil, Das Staats-Recht des Königreichs, 129, 148; Rosenmann, Stephan: Staatsrecht des Königreichs Hungarn nach der heutigen Verfassung dieses Reichs bearbeitet. Wien 1792, 378. Eine Gesamtübersicht in Hinsicht auf die Quellen und die Literatur zur Privatrechtsgeschichte Ungarns im 19. Jahrhundert siehe: Zlinszky, János: Wissenschaft und Gerichtsbarkeit. Quellen und Literatur der Privatrechtsgeschichte Ungarns im 19. Jahrhundert. Frankfurt am Main 1997.
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Normverletzungen.27 Königliche Privilegien verliehen den königlichen Freistädten ebenfalls die Jurisdiktion. Das Stadtgericht setzte sich aus dem Stadtrichter und den Geschworenen zusammen und war für die Bürger der Stadt zuständig.28 Schließlich spielen die Kirchenstühle der römisch-katholischen Kirche und der griechisch-orthodoxen Kirche in Sachen der Ehegerichtsbarkeit und in Testamentsfragen der Untertanen eine Rolle.29 Appellationsinstanzen waren für die katholische Kirche die jeweiligen erzbischöflichen Stühle sowie in der dritten Instanz der erzbischöfliche Stuhl von Gran (Esztergom), während sich dieser wiederum an den erzbischöflichen Stuhl von Kalocsa wandte.30 Eheangelegenheiten der protestantischen Kirche wurden bei Mischehen nach der Resolutio Carolina (1731) der katholischen Kirche zugewiesen; allerdings auf der Grundlage des augsburgischen oder helvetischen Kirchenrechts.31 Bei gerichtlichen Auseinandersetzungen war die weltliche Gerichtsbarkeit zuständig, die sich jedoch stark an die Praxis katholischer Ehegerichte anlehnte. Doch unabhängig von diesen für Verfahrensfragen wichtigen Instanzen bieten trotz großer Lücken noch manche Pfarrarchive eine Fülle von Dokumenten bzw. Abschriften in Bezug auf Normverletzungen der „Pfarrkinder“. Das trifft insbesondere auf Eheprozesse zu, aber auch in Bezug auf vielerlei Klagen der Gemeindemitglieder.32 Selbst wenn diese mangels weiterer Akten relativ wenig aussagekräftig sind, so geben sie doch wertvolle Hinweise in Bezug auf die Ausprägung einer für die Normgebung im Ort akzeptierten Deutungsinstanz des Pfarrers.33 Eine Schlüs27 28 29
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Siehe insbesondere den Beitrag in diesem Band von Fata, Márta: Normverletzung als Auswanderungsgrund, oder: Warum man Kolonist in Ungarn sein wollte. Der Fall zweier Betrüger in der Batschka 1786/87. Siehe das Fallbeispiel in diesem Band von Bistritz bei Popan, Marin: Privilegierung und Emanzipation. Eingaben der rumänischen Vorstadtbevölkerung an den Bistritzer Stadtrat in der spättheresianischen und josephinischen Zeit, 1770–1784. Kirchliche Gerichtsakten, insbesondere die der Ehegerichtsbarkeit, sind für entsprechende Fragestellung besonders ergiebig, was in diesem Band in mehreren Beiträgen einen Niederschlag gefunden hat: Bárth, Dániel: Normverletzungen eines katholischen Priesters im 18. Jahrhundert in Siebenbürgen; Šoltés, Peter: Die Konfessionsgrenze im Ehebett. Reverse in matrimonia mixtae religionis im Königreich Ungarn; DeteŞan, Daniela: Außereheliches Zusammenleben im ländlichen Raum in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts am Beispiel der Siebenbürger Rumänen sowie Krauss, Karl-Peter: Etablierung und Instrumentalisierung von Normen in Eheangelegenheiten in deutschen Siedlungsgebieten Südungarns, wobei hier auch Akten des Komitats und der Kameralämter herangezogen wurden. Ebd., 153. Kuzmány, Karl: Praktische Theologie der evangelischen Kirche augsb[urgischer] und helvet[ischer] Confession. Bd. 1: Lehrbuch des Kirchenrechtes. Bd. 2: Urkundenbuch zum österreichisch-evangelischen Kirchenrecht. Wien 1855, 1856, hier Bd. 2, 134. Eine insgesamt gute Überlieferungslage für Ehegerichtsakten bieten zum Beispiel: Kalocsai Főegyházmegyei Levéltár [Erzdiözesanarchiv von Kalocsa], I. Érseki Levéltár [Erzbischöfliches Archiv], 2., Kalocsai Érseki Főszentszék [Erzbischöflicher Heiliger Stuhl Kalocsa], a., Feudális kori iratok [Schriften aus dem feudalen Zeitalter], aber auch Akten einzelner Pfarreien des Archivum Dioecesanum Timisoarensis sowie des Pécsi Püspöki Levéltár [Diözesanarchiv Pécs]. Krauss, Karl-Peter: Frauen in Not. Das Ehegericht in der Batschka im Prozess der Konsolidierung und Disziplinierung. In: Bendel, Rainer / Spannenberger, Norbert (Hgg.): Kirchen als
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selstellung für entsprechende Fragekomplexe bieten die in steter Regelmäßigkeit periodisch durchgeführten Kanonischen Visitationen. Sie vermitteln Informationen über das Pfarrvolk aus der Sicht des Pfarrers und des Visitators. Das betrifft insbesondere die Kapitel über die Beschwerden des Pfarrers. Aber auch die Kapitel über die Ehe, über die Schulen und manche Hinweise in „vermischten Angelegenheiten“ und „dem Leben und Sitten“ der Pfarrangehörigen ermöglichen Zugriffe.34 Liegen dann noch diese Fragestellungen berührende, komplementäre Akten aus Gemeindearchiven oder Komitatsbeständen vor, kristallisiert sich ein Bild nicht nur mit größerer Tiefenschärfe, sondern auch aus verschiedenen Abstraktionsebenen heraus. Schließlich sind es die in der bisherigen Forschung wohl wegen ihres Inhalts und relativ gleichförmigen Aufbaus fast vollständig vernachlässigten Protokollbücher der Pfarreien. Der Überlieferungsgrad dieser Bücher ist recht gut und vermittelt zudem, welche wichtige Funktion gerade den Pfarreien insbesondere in der josephinischen Zeit bei der Normenkommunikation und Normendurchsetzung beigemessen wurde. Denn es waren die Pfarrer, denen es oblag, die zahlreichen Edikte und Rundschreiben der Gemeinde in der Kirche zu vermitteln.35 NORMSETZENDE INSTITUTIONEN UND AKTEURE Das Vorwort seines umfangreichen mehrbändigen Werkes über das „Staats-Recht des Königreichs Ungarn“ begann der Budapester Professor und mehrmalige Dekan der juristischen Fakultät Anton (Antal) von Virozsil (1792–1868) mit dem vieldeutigen Zitat: „Nur der vollkommen Unerfahrene könnte die Schwierigkeiten verkennen, welche das Feld des ungarischen Staatsrechts darbietet.“ Zugleich verwies er
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Integrationsfaktor für die Migranten im Südosten der Habsburgermonarchie im 18. Jahrhundert. Berlin 2010, 163–192, hier 183,184. GŐzsy, Zoltán / Szabolcs, Varga (Hgg.): Visitatio Canonica Dioecesis Quienqueecclesiensis. 1738–1742. Egyházlátogatási jegyzőkönyvek a pécsi egyházmegyébe. 1738–1742 (Visitationsprotokolle in der Diözese Fünfkirchen. 1738–1742) Bd. 1. Pécs 2009. Dazu: GŐzsy, Zoltán: Die Canonicae Visitationes als Quelle zur Eingliederung der Kolonisten in der Diözese Fünfkirchen. In: Seewann, Gerhard / Krauss, Karl-Peter / Spannenberger, Norbert (Hgg.): Die Ansiedlung der Deutschen in Ungarn. Beiträge zum Neuaufbau des Königreiches nach der Türkenzeit. München 2010, 195–210. Siehe auch die verschiedenen, vom früheren Direktor des Državni arhiv u Osijeku [Staatsarchiv Osijek], Stjepan Sršan, ins Kroatische übersetzten und herausgegebenen zweisprachigen Kanonischen Visitationen Slawoniens, beginnend mit den beiden Bänden über die Baranya: Sršan, Stjepan (Hg.): Visitationes Canonicae, Baranya, Liber I. (1729–1810). Osijek 2003 sowie Sršan, Stjepan (Hg.): Visitationes Canonicae, Baranya, Liber II. (1829–1845). Osijek 2004. In Bezug auf die Batschka waren Akten dieser Provenienz nicht immer leicht zugänglich, weil schon die Bausubstanz vieler Kirchen und der Räumlichkeiten, in denen die Archive untergebracht sind, sanierungsbedürftig ist. Das ist bedauerlich, da gerade die Pfarrarchive von wesentlicher Bedeutung für eine Annäherung an die Mikroebene sind. Dank der Bemühungen von Boris Mašić sind die Akten verschiedener katholischer Pfarrarchive des Raumes Apatin in der Batschka im Adam-Berenz-Haus in Apatin (Vojvodina) zugänglich und konnten ausgewertet werden. Weitere überlieferte Protokollbücher befinden sich darüber hinaus z. B. in den Kirchenarchiven Apatin und Bačka Palanka.
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darauf, dass das „Wesen der ungarischen Verfassung“ selbst den privilegierten Ständen „nur nothdürftig“ bekannt, hingegen für Auswärtige eine „wahre terra incognita“ sei.36 Hierzu gehört zweifellos die Komplexität der Dualität königlicher und ständischer Verwaltung mit den daraus resultierenden Konfliktfeldern zwischen gesamtstaatlicher und ständischer Interessenlage. Diese Dualität ist ein verfassungsrechtliches Kontinuum Ungarns im Habsburgerreich im 18. und frühen 19. Jahrhundert.37 Auf der einen Seite standen die Zentralisierungsbestrebungen des frühmodernen Staatswesens mit der einhergehenden wachsenden Bürokratisierung, mit rechtlichen Verdichtungsprozessen, mit einer ständig steigenden Flut von Edikten, Verordnungen und Bestimmungen, die das Land verfassungsrechtlich in Richtung des westlichen Mitteleuropa zerrten. Auf der anderen Seite waren die Stände bemüht, ihre Interessen und Rechte zu wahren. Dieser Dualismus war eine der Wurzeln des Modernisierungsdefizits. Das Königreich Ungarn war bis zur Revolution 1848 eine „ständisch-repräsentative Monarchie mit einer eigenen, ungeschriebenen Verfassung“.38 Verfassungsrechtlich wies das Land durchaus Strukturmerkmale der polnischen Adelsrepublik auf, deren Schicksal in den drei polnischen Teilungen (1772, 1793 und 1795) schließlich besiegelt worden war.39 In einem gewissen Gegensatz zur Entwicklung Ostmitteleu36 37
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Zit. nach Virozsil, Anton von: Das Staats-Recht des Königreichs Ungarn vom Standpunkte der Geschichte, und der vom Beginn des Reiches bis zum Jahre 1848 bestandenen LandesVerfassung. Drei Bde. Pest 1865–1866, hier Bd. 1, III. Dazu in der deutschsprachigen Literatur: Haselsteiner, Horst: Das Widerstandsrecht der Stände in Ungarn. In: Österreichische Osthefte, 16 (1974), 123–136; Kessler, Wolfgang: Stände und Herrschaft in Ungarn und seinen Nebenländern im 18. und frühen 19. Jahrhundert. In: Stände und Landesherrschaften in Ostmitteleuropa in der Frühen Neuzeit. Hg. v. Hugo Weczerka. Marburg 1995, 171–191; Fallenbüchl, Zoltán: Verwaltung und Beamtentum in Ungarn zur Zeit Maria Theresias 1740–1780. In: Die Verwaltung 14 (1981), 329–350; Barcsay, Ákos: Herrschaftsantritt im Ungarn des 18. Jahrhunderts. Studien zum Verhältnis zwischen Krongewalt und Ständetum im Zeitalter des Absolutismus. St. Katharinen 2002; Heppner, Harald: „Aufgeklärter Absolutismus“ und Südosteuropa. In: Der aufgeklärte Absolutismus im europäischen Vergleich. Hg. von Helmut Reinalter / Harm Klueting. Wien-KölnWeimar 2002, 207–219; Bérenger, Jean / Kecskeméti, Charles: Parlement et vie parlementaire en Hongrie 1608–1918. Paris 2005; Mat’a, Petr / Winkelbauer, Thomas: Einleitung: Das Absolutismuskonzept, die Neubewertung der frühneuzeitlichen Monarchie und der zusammengesetzte Staat der österreichischen Habsburger im 17. und frühen 18. Jahrhundert. In: Die Habsburgermonarchie 1620 bis 1740. Leistungen und Grenzen des Absolutismusparadigmas. Hg. von Dens. Stuttgart 2006, 7–42; Pálffy, Géza: Zentralisierung und Lokalverwaltung. Die Schwierigkeiten des Absolutismus in Ungarn von 1526 bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts. In: Die Habsburgermonarchie 1620 bis 1740, 279–299; Glósz, József: Grundlage und Mittel adeliger Machtentfaltung in Ungarn 1711–1848. In: Adel und Politik in der Habsburgermonarchie und den Nachbarländern zwischen Absolutismus und Demokratie. München 2011, 139–150, 129–138. Szijárto, István M.: Komitatsadel und Landtag in Ungarn in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. In: Adel und Politik in der Habsburgermonarchie und den Nachbarländern zwischen Absolutismus und Demokratie. München 2011, 139–150. Csáky, Moritz: Von der Aufklärung zum Liberalismus. Studien zum Frühliberalismus in Ungarn. Wien 1981, 39. Kessler, Stände und Herrschaft, 176.
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ropas wurden die Stände in Ungarn im Sinne einer strafferen, zentral gesteuerten Zentralverwaltung nicht entmachtet. So vollzog sich in Ungarn eine andere Entwicklung als in Böhmen, das auch Teil der „Monarchia austriaca“ war. Vielmehr verstanden es die Stände, ihre Standesinteressen als dem Interesse des Landes dienend darzustellen und sie mit wechselhaftem Erfolg zu behaupten. Die aus der Entwicklung eines spätmittelalterlichen Ständesystems hervorgegangene Verfassung Ungarns entsprach dabei nicht mehr der Verfassungsentwicklung West- und Mitteleuropas.40 Doch Joachim Bahlcke hat mit Recht darauf hingewiesen, dass eine „dichotomische Vereinfachung“ zwischen „absolutem Staat“ und „ständischer Freiheit“ durch sich ändernde „Handlungsspielräume“, politische Konstellationen, „häufig wechselnde Fronten“ der komplexen Problematik kaum gerecht wird.41 Gerade die Dynamik in diesen Prozessen mit ihren wechselvollen Kollisions- und Konformitätsebenen der verschiedenen Akteure macht Untersuchungen über normgebende Instanzen lohnenswert. Organe der zentralen, königlichen Verwaltung waren am Ende der Regierungszeit von Maria Theresia (1740–1780) die drei wesentlichen Regierungsorgane (Dikasterien):42 Die Königliche Ungarische Hofkanzlei (Cancellaria Regia Hungarica oder Cancellaria Aulica Hungarica), der Königliche Ungarische Statthaltereirat (Consilium Regium Locumtenentiale Regni Hungaricae) und die Königliche Ungarische Hofkammer (Camera Regia Hungarica oder Camera Hungarica Aulica).43 Diese drei Behörden wurden nach dem in der Frühen Neuzeit üblichen Prinzip der kollegialen Geschäftsführung geleitet. Die Königliche Ungarische Hofkanzlei war das zentrale Verwaltungs- und Aufsichtsorgan sowie die „rechte Hand“ des Regenten, ihr Sitz war in Wien. Die Zahl ihrer Beamten wuchs von 24 im Jahre 1724 auf 75 im letzten Jahr der Regierung von Maria Theresia (1780). Die Hofkanzlei war dem Herrscher in Fragen der Verwaltung, Gesetzgebung und der Jurisdiktion zugeordnet.44 Hier wurden Verordnungen und Dekrete erlassen, sie war zugleich die letzte Instanz auf dem Gnadenweg bei Rechtsfällen. Unter Joseph II. (1765/1780– 1790) wurde die Ungarische Hofkanzlei mit der Hofkanzlei des Großfürstentums Siebenbürgen zusammengelegt, jedoch unter Leopold II. (1790–1792) wieder getrennt. 40
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Péter, László: Die Verfassungsentwicklung in Ungarn. In: Die Habsburgermonarchie 1848– 1918, Bd. VII, Verfassung und Parlamentarismus, 1. Teilband: Verfassungsrecht, Verfassungswirklichkeit, Zentrale Repräsentationskörperschaften. Wien 2000, 239–540, hier 258, unter Verweis auf: SzekfŰ, Gyula: Magyar történet [Ungarische Geschichte], 5 Bde. Budapest 1935, hier IV, 319 f. Bahlcke, Joachim: Hungaria eliberata? Zum Zusammenstoß von altständischer Libertät und monarchischer Autorität in Ungarn an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert. In: Die Habsburgermonarchie 1620 bis 1740, 301–315, hier 307. Im Rahmen dieser Einführung kann nur eine knappe und gestraffte Übersicht über die wesentlichen Strukturmerkmale und Entwicklungslinien der dualen Hauptstrukturen im Königreich Ungarn gezeichnet werden. Fallenbüchl, Zoltán: Verwaltung und Beamtentum, 1981, mit weiteren Informationen über Herkunft und Stand des Beamtenkörpers der königlichen Verwaltungseinrichtungen. Ebd., 340 f.; Schwartner, Martin von: Statistik des Königreichs Ungern. Ein Versuch, Bd. 2 und 3. Ofen 1811, 222–227.
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Höchste Behörde in Ungarn und zugleich Exekutivorgan war der Statthaltereirat, der während der Regierungszeit von Karl VI. (In Ungarn Karl III., regierte von 1711–1740) 1723 eingerichtet worden war. Hier wurden die Reichsgesetze vollzogen und die königlichen Anordnungen durch Intimata45 bekannt gemacht. 1780 arbeiteten im Statthaltereirat bereits 122 Beamte. Im Rahmen der Verwaltungsreformen von Joseph II. wurde der Statthaltereirat 1783 von Pressburg nach Ofen46 verlegt und dieser 1785 mit der Ungarischen Hofkammer vereinigt. Doch diese Reform wurde 1790 wieder rückgängig gemacht.47 In den Raum wirkten der Statthaltereirat mit der Funktion des Provinzialkommissars (provincialis commissarius) und dessen Stellvertreter (substitutus provincialis commissarius). Die Provinzialkommissare waren jeweils für mehrere Komitate zuständig. Die Königliche Ungarische Hofkammer bestand schon seit 1526 und war damit die älteste Behörde Ungarns. Sie war für die Einkünfte des Königreiches aus den Regalien (Zölle, Salzwesen, Bergbau) zuständig und verwaltete die Kammergüter. Diese Landesbehörde war unabhängig von den anderen Hofstellen. Von 1740 bis 1780 wuchs die Zahl ihrer Beamten von 55 auf 167 Personen. Hinzu kam eine wesentlich höhere Zahl an Beamten in den Dreißigstämtern (Zollwesen) und Salzämtern in den verschiedenen Territorialgebieten. Ihr unterstellt waren auch die Kameraladministrationen, die zugleich Kontaktstellen mit den in die Kameralgebiete Ungarns im 18. Jahrhundert strömenden Siedler waren. Die Beamten der Ungarischen Hofkammer waren am ehesten gewillt, königliche Direktiven auch gegen ständische Interessen zu vertreten und durchzusetzen. So konnten ständische Einflussnahmen innerhalb der drei bedeutenden Dikasterien hier am wenigsten geltend gemacht werden, was sicher auch damit zusammenhing, dass viele „Ausländer“ (extranei) aus den österreichischen und böhmischen Erbländern, aber auch aus dem Reich, hier dienten.48 Auch die Königliche Hofkammer war im Jahre 1784 von Pressburg nach Ofen verlegt worden. Die ständische Repräsentation fand ihren verfassungsrechtlichen Ausdruck im Reichstag. Dieser war geteilt in die obere Tafel der Magnaten und Bischöfe sowie in die untere Tafel. Letzterer gehörten der mittlere Adel, der Kleinadel, die königlichen Freien Städte sowie der niedere Klerus an.49 Da der hohe katholische Klerus und die königlichen Freien Städte nur über ein votum curiatum verfügten, lag die eigentliche Macht der Stände beim hohen und niederen Adel.50 Das verfassungsrechtlich geringe Gewicht der Städte war von der ungarischen politischen Elite 45 46 47 48 49 50
Von lat. intimare, mitteilen, berichten. Daher wurden die Reskripte des Statthaltereirats entsprechend bezeichnet. Ung. Buda. Schwartner, Statistik, Bd. 2 und 3, 231. Zu den Verwaltungsreformen von Joseph II.: Szántay, Antal: Regionalpolitik im Alten Europa. Die Verwaltungsreformen Josephs II. in Ungarn, in der Lombardei und in den österreichischen Niederlanden 1785–1790. Budapest 2005. Schwartner, Statistik, Bd. 2 und 3, 231; Neueste statistisch-geographische Beschreibung des Königreichs Ungarn, Croatien, Slavonien und der ungarischen Militärgrenze. Leipzig 1832, 143 f. Generallandtage fanden in Ungarn in den Jahren 1708, 1712/15, 1722/23, 1726/29, 1741, 1751, 1764/1765, 1790/91 statt. Fallenbüchl, Verwaltung und Beamtentum, 335.
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durchaus gewollt und wurde in den Aushandlungsprozessen des ungarischen Reichstags immer wieder marginalisiert. In diesem Zusammenhang ist ein Reisebericht aus dem Jahr 1785 bezeichnend: „Mittelstand giebts in Ungarn wenig. Dieser Stand ists doch, welcher in andern Ländern die brauchbarsten, nützlichsten, geschicktesten arbeitsamsten Menschen liefert. Der Bürgerstand ist verachtet […] Edelmann seyn, giebt in Ungarn Wert und Verdienst und Vorrecht; geschikt und bloß Bürger seyn, ist ohne allen Betracht, beynahe ohne allen Schutz der Willkühr Jedes unterworfen.“51 Hinzu kommt, dass Handwerker in Ungarn im ausgehenden 18. Jahrhundert rein quantitativ nicht einmal die Hälfte der Zahl an Adligen ausmachten. Nach der josephinischen Volkszählung 1787 wurden 90 Prozent der Bevölkerung von Bauern und städtischen Unterschichten repräsentiert, die verfassungsrechtlich jedoch ohne Relevanz waren.52 Seine maßgebliche Verwirklichung fand der Ständestaat jedoch in der Selbstverwaltung der Komitate; sie waren zugleich Verwaltungs-, Selbstverwaltungs- und Rechtssprechungsorgane und konnten so zu lokalen Schauplätzen des Widerstands gegen die Zentralmacht avancieren.53 In den Komitaten entwickelten sich starke Elemente ständischer Autonomie. Oberster Repräsentant des Komitats war der Obergespan (comes supremus), wobei es erbliche und vom König unmittelbar ernannte Obergespane gab.54 Doch obwohl schon Maria Theresia 1752 und 1768 Instruktionen an die Obergespane erließ, mit dem Ziel, diese zu königlichen Beamten zu machen, blieb die Wirkung weitgehend aus, zumal die im Gesetzartikel 56:1723 festgelegte Verpflichtung für die Obergespane, den Komitaten in publicis et in judiciariis vorzustehen und den Komitatssitzungen beizuwohnen, nur unvollkommen Beachtung fanden.55 Das stärkte die Stellung des Vizegespans (vicecomes comitatus), der ohnehin die Hauptlast der Verwaltungsarbeit zu tragen hatte und den Vorsitz im Komitatsgericht hatte. Er und sein Stellvertreter (substitutus vicecomes), die Stuhlrichter (judex nobilium oder judlium) sowie die Geschworenen (juratis assessor, jurassor) wie auch die weiteren Komitatsbeamten wurden von der Generalversammlung des Komitats (congregatio generalis) gewählt. Damit aber konnten sie eine weitgehende Unabhängigkeit gegenüber der königlichen Zentralverwaltung bewahren, zumal ihr Einkommen durch ihren Grund- und Gutsbesitz oder durch die Komitatskasse gewährleistet war. Zudem waren die Komitate willens, das von ihnen postulierte ius inertiae des passiven Widerstands anzuwenden.56 51 52 53 54
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Lehmann, Johann: Johann Lehmanns Reise von Preßburg nach Hermannstadt in Siebenbürgen. Dünkelspiel-Leipzig 1785, 35. Die Zahlen wurden Kessler, Stände und Herrschaft, 175, entnommen. Barna, Atilla: Der wahre Diener des Staates – Verwaltungsreformen von Joseph II. in den ungarischen Komitaten. Budapest 2006, 3–5. Bahlcke, Joachim: Ungarischer Episkopat und österreichische Monarchie. Von einer Partnerschaft zur Konfrontation (1686–1790). Stuttgart 2005, 308–323, mit zahlreichen weiteren Verweisen auch auf die ungarische Fachliteratur; Fallenbüchl, Zoltán, Verwaltung und Beamtentum, 338. Ebd., 335. Csáky, Moritz: Von der Aufklärung zum Liberalismus. Studien zum Frühliberalismus in Ungarn. Wien 1981, 31.
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Die eigentliche Machtbasis der Komitate und des Komitatsadels stellte neben der lokalen Verwaltung die lokale Gerichtsbarkeit dar, weil die königliche Administration im lokalen Apparat nicht repräsentiert war. Die von den Grundherren dominierte und vom Komitat seit dem Jahre 1723 überwachte Patrimonialgerichtsbarkeit spielte hierbei als normsetzende Kontaktzone zu den Untertanen eine entscheidende Rolle.57 Diese Selbstkontrolle vom Komitatsadel durch den Komitatsadel musste in den allermeisten Fällen zuungunsten der Untertanen ausfallen. Dabei wurden die Komitate in wachsendem Maße von den wirtschaftlich besser gestellten Kleinadligen, den sog. bene possessionati, dominiert. Sie profitierten von der insbesondere seit den vierziger Jahren des 18. Jahrhunderts an Dynamik gewinnenden Agrarkonjunktur. Gleichzeitig zeigten sie seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine zunehmende politische Partizipation durch ihre Instruktionen für die Abgeordneten des Komitats in der Unteren Tafel. Ebenso waren sie durchaus bereit, ihrem eigenen Interesse zu dienen und sich der Willensmeinung von Ober- und Vizegespan zu widersetzen.58 Für Joseph II. war damit die Stoßrichtung seiner Verwaltungsreformen offensichtlich. Hatte Maria Theresia eine Reformierung im Rahmen des Systems angestrebt, so war er davon überzeugt, dass eine zentralisierte, modernisierte Umorganisation der Landesverwaltung nur dann Erfolg haben würde, wenn er die ständische Lokalverwaltung zerschlug. Noch nach Einführung der neuen Bezirksverwaltung äußerte er seinen Unmut über das seitherige System: „Ist der gröste Fehler der Verfaßung, daß alles durch General Congregationen, seye es in Politicis, Publicis, Oeconomis auch zum Theil Justialibus behandelt wurde, und daß immer die sogenannte Communitas sich die Untersuchung, Kritisirung, und Aufhaltung aller Sachen anmaßte, und also ein jeder Komitat für sich ein Land und die General Versammlung einen confusen Landtag deßelben vorstellt.“59 Ebenso konsequent im Sinne moderner Reformen des aufgeklärten und frühmodernen Staates war die 1786 erfolgte Einführung eines neuen Gerichtssystems. Ziel war die Trennung von Verwaltung und Rechtssprechung. Joseph II. hatte es zwar gewagt, die Komitatsverfassung umzugestalten, zu reformieren und die Selbstverwaltung der Komitate aufzuheben, doch mit der Aufhebung seiner durchgepeitschten Reformen am 26. 57
58 59
Szijárto, Komitatsadel und Landtag, 140–143. Umfassend zur Patrimonialgerichtsbarkeit, mit der die Untertanen in Gerichtsangelegenheiten konfrontiert waren: Kállay, István: Úriszéki bíráskodás a 18–19-században (Patrimonialgerichtsbarkeit im 18. bis 19. Jahrhundert). Budapest 1985. Siehe auch den Beitrag in diesem Band von: Mezey, Barna: Das Gefängnis im ungarischen Vormärz. Zur Rolle der Kerkerstrafe in der Patrimonialgerichtsbarkeit im 18. und frühen 19. Jahrhundert. Szijárto, Komitatsadel und Landtag, 143–150. Magyar Nemzeti Levéltár – Magyar Országos Levéltár (MOL) [Ungarisches Nationalarchiv – Ungarisches Landesarchiv], A 39, 1785/5996, fol. 4, Resolution Josephs II. auf den Vortrag der Ungarischen Hofkanzlei, Wien, 5. März 1785. zit. n. Szántay, Regionalpolitik im Alten Europa, 85. In welchen Formen in Ungarn gegen das Toleranzedikt Widerstand geleistet wurde, geht aus der zeitgenössischen Schrift hervor: Schreiben eines Wieners an einen im heiligen römischen Reiche wohnenden Ungarn, darinnen das Toleranzwesen in dem Königreich Ungarn, dessen Fortgang und Hindernisse beurtheilet werden. [Wien] 1783.
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Januar 1790 trat das alte System wieder in Kraft. Auch als in den deutschen Erbländern der Österreichischen Monarchie am 1. Januar 1812 die Einführung des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB) erfolgte, betraf dies nicht das Königreich Ungarn. Eine weitere Schlüsselrolle in Bezug auf das komplexe Normensystem spielte das Nebeneinander verschiedener christlicher Kirchen. Trotz energischer Rekatholisierung insbesondere in der entscheidenden Phase der Konfessionalisierung im 17. Jahrhundert blieb die Multikonfessionalität des Landes bestehen.60 Gleichzeitig wäre die zentrale Rolle der römisch-katholischen Kirche ohne staatliche Unterstützung bei der Reorganisation der Kirche und beim Aufbau des Landes nicht denkbar gewesen.61 Dabei war das Verhältnis zwischen Hof und Episkopat in der Zeit nach der osmanischen Herrschaft von „loyaler Kooperation“ gekennzeichnet.62 Gleichwohl wurde diese Loyalität durch politische Dissonanzen, zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Josephinismus, erschüttert. Dabei wirkte die Kirche nicht nur im spirituellen Bereich, sondern war zugleich Akteur im politischen, verwaltungstechnischen und ökonomischen Raum. Eine besondere Herausforderung stellte neben der Multikonfessionalität zudem die Multiethnizität des Landes dar.63 Gerade in den Neoacquistica-Gebieten lässt sich ablesen, welch bedeutende gesellschaftliche und soziopolitische Rolle der Kirche bei der Setzung von Normen im Rahmen der Wieder- und Neubesetzung von Pfarreien zukam.64 Ein Spiegel dieses Prozesses sind die Kanonischen Visitationen (visitationes canonicae).65 Eine wesentliche Scharnierfunktion zwischen der Bevölkerung hatten die Pfarrer vor Ort, entscheidend für ihren Einfluss war es, ob sie zur akzeptierten Deutungsinstanz für die Bevölkerung wurden. Die Untertanen sahen sich mit diesem nur unvollkommen und holzschnittartig gezeichneten Raster kongruenter und diskongruenter Normenvorstellungen verschiedener Akteure konfrontiert, was ihnen durchaus Handlungsspielräume bieten konnte. Gleichwohl können die geschilderten Rahmenbedingungen nicht darüber hinweg täuschen, dass Prozesse auf der Mikroebene oft eine eigene Dynamik aufwiesen, bei denen örtliche Spezifika sowie die Untertanen eine nicht zu unterschätzende Rolle spielten.66 Das heißt, es ergaben sich durchaus erhebliche Diskrepanzen zwischen der Untertanenpolitik des Herrschers und der Alltagspraxis.
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Eine Übersichtsdarstellung bietet: Fata, Márta: Ungarn, das Reich der Stephanskrone, im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Multiethnizität, Land und Konfession 1500 bis 1700. Münster 2000. Bahlcke, Ungarischer Episkopat, 151, 152. Ebd., 352. Bendel/Spannenberger (Hgg.), Kirchen als Integrationsfaktor, Einführung, 6. Siehe den Beitrag in diesem Tagungsband von Gőzsy, Zoltán: Ebenen und Phasen der kirchlichen Normenkommunikation in Transdanubien und in Slawonien im 18. Jahrhundert. Siehe in diesem Band: Krauss, Karl-Peter: Etablierung und Instrumentalisierung von Normen in Eheangelegenheiten in deutschen Siedlungsgebieten Südungarns. Bendel/Spannenberger (Hgg.), Kirchen als Integrationsfaktor, Einführung, 5.
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RECHTLICHE RAHMENBEDINGUNGEN Die Entwicklung des Rechtssystems von Ungarn war teilweise losgekoppelt von Entwicklungssträngen in den westlichen Nachbarländern. Die spezifischen Züge der Rechtskultur, die Eigendynamik und der Reformstau in der Zeit der Aufklärung erklären sich teilweise aus dem Gegensatz zwischen Ständen und König. Erst im späten 19. Jahrhundert, nach dem österreichisch-ungarischen Ausgleich 1867, wurde ein differenziertes ungarisches Gesetzesrecht geschaffen, freilich mit starkem Einfluss von deutschen und österreichischen Gesetzgebungen.67 Schon zuvor, in der neoabsolutistischen Ära unter Alexander Freiherr von Bach wurde das ABGB 1852 in Ungarn und ein Jahr später in Siebenbürgen eingeführt, das bis 1860 in Kraft war. Dieses 1812 für die Erbländer der österreichischen Monarchie eingeführte Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch (ABGB) hatte bis dahin keine Geltung für Ungarn. In das Gesetzeswerk waren Erkenntnisse des Codex Theresianus, des Josephinischen Gesetzbuches und des Westgalizischen Gesetzbuches eingeflossen. Der Widerstand des ungarischen Adels gegen die Übernahme kodifizierten Rechts aus den habsburgischen Erbländern ergibt sich aus der Vorstellung, dass das „Ungarische Recht“ als Säule der Eigenständigkeit des Königreichs betrachtet wurde.68 Das schloss vielfältige Einflüsse von Rechtsvorstellungen und Rechtsnormen aus dem westlichen Reichsteil nicht aus.69 Ohne Zweifel spielten hier viele Städte Ungarns mit ihrem deutschen Bürgertum eine besondere Rolle. Dabei basierte das „althergebrachte“, „feudalistische“ ungarische Recht sehr stark auf der consuetudo. Das Gewohnheitsrecht war in gewisser Hinsicht Ausdruck des ständischen und regionalen Partikularismus; unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen (Stände) waren einem unterschiedlichen Recht unterworfen.70 Um hier eine stärkere Vereinheitlichung anzustreben, gab István Werbőczi 1517 das sog. Tripartitum heraus, das aber vom König nie als offizielles Gesetzbuch anerkannt und ratifiziert wurde.71 Später erschienen erweiterte und verbesserte Gesetzessammlungen. Mit der 1696 erschienenen Gesetzessammlung in der Ausgabe von Márton Szentiványi erhielt die Sammlung den Namen Corpus Iuris Hungarici.72 Der Mangel dieser über lange Zeit entstandenen Gesetzessammlungen lag indes daran, dass unterschiedliche Interpretationen bestanden, sich Gesetze mitunter widersprachen bzw. unterschiedlich interpretiert wurden oder Gesetzeslücken vorhanden waren. Diese Tatsache 67 68 69 70 71 72
Mezey, Barna: Ungarische Rechtsgeschichte – Europäische Rechtsgeschichte. In: Europäisierung des Rechts. Deutsch-Ungarisches Kolloquium Budapest 2007. Hg. v. Werner Heun / Volker Lipp. Göttingen 2008, 11–27, hier 13. Zlinszky, János: Wissenschaft und Gerichtsbarkeit. Quellen und Literatur der Privatrechtsgeschichte Ungarns im 19. Jahrhundert. Frankfurt am Main 1997, 1–3. Grundlegend dazu insbesondere: Gönczi, Katalin: Die europäischen Fundamente der ungarischen Rechtskultur. Juristischer Wissenstransfer und nationale Rechtswissenschaft in Ungarn zur Zeit der Aufklärung und im Vormärz. Frankfurt am Main 2008. Mezey, Barna: Ungarische Rechtsgeschichte, 13. Tripartitum opus iuris consuetudinarii inclyti regni Hungariae. Das Corpus Iuris Hungaricis wurde 1899 von Dezső Márkus als Milleniumsausgabe (Editio millennaria memorabilis) herausgegeben.
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öffnete zugleich den Weg, Gesetzesnormen aus dem westlichen Habsburgerreich in das Corpus Iuris Hungarici zu integrieren.73 So findet der beschriebene Dualismus zwischen königlicher und ständischer Gewalt ein gewisses Spiegelbild in der Gesetzgebung des Landes. Auf der einen Seite sahen die Stände im hergebrachten Recht einen Grundpfeiler der ständisch repräsentativen Monarchie, auf der anderen Seite nutzten die Habsburger als ungarische Könige die Reputation der Gesetzessammlungen, diese durch neue rechtliche Regelungen in Form von Patenten bzw. Dekreten zu ergänzen.74 Zu dieser Strategie gehörte es, die ständische Gesetzgebung dadurch auszuhebeln, indem keine Reichstage mehr einberufen wurden. Joseph II. war es, der diesen Weg konsequent ging, indem er in seiner Regierungszeit keinen einzigen Reichstag einberief.75 Insbesondere dem josephinischen Bestreben, einheitliche Rechtsnormen durchzusetzen, wurden erhebliche Widerstände seitens der Stände entgegengesetzt, was schließlich seinen Ausdruck darin fand, dass er fast alle seine Patente kurz vor seinem Tod zurückziehen musste. Die Polarisierung zeigt sich auch in der zeitgenössischen Publizistik. Der dem aufgeklärten Monarchen Joseph II. zugeneigte protestantische Publizist, Rechtswissenschaftler und Nationalökonom Gregor (ung. Gergely) von Berzeviczy (1763–1822), der u. a. bei August Ludwig von Schlözer in Göttingen studiert hatte,76 hoffte darauf, dass in Ungarn zunehmend gut ausgebildete Juristen herangezogen würden, die in der Lage wären, „ihre Nase über das Corpus Iuris Hungarici hinaus, aber wenns nöthig ist, auch hinein zu steken“ und bedauerte „das ewige Brüten über dem Corpus Iuris Hungarici“ als einen „ewigen Riegel“, den „man vorschiebt.“77 An anderer Stelle wird er noch deutlicher, indem er den Ständen vorwarf, „sich selbst zum Mittelpunkt des Ganzen“ zu machen. Damit unterstützte er die Position der Politik der habsburgischen Herrscher.78 „SOZIALDISZIPLINIERUNG“, „SELBSTREGULIERUNG“ UND „SELBSTDISZIPLINIERUNG“ AUF DER MIKROEBENE Der Blick auf die Prozesse der „Sozialdisziplinierung“, „Selbstregulierung“ und „Selbstdisziplinierung“ erfolgt aus verschiedenen Perspektiven und bietet damit die Möglichkeiten des Vergleichs und der Einordnung. Im Vordergrund steht dabei der Zweck, den „namenlosen“ Untertanen Konturen zu verleihen. 73 74 75 76 77 78
Mezey, Barna: Ungarische Rechtsgeschichte, 16. So die Explanatio Leopoldina 1691, die Resolutio Carolina 1732, das Urbarium 1767, die Ratio Educationis 1777, den Ordo Judicarius 1769, den Ordo Criminalis 1787; siehe: Mezey, Barna: Ungarische Rechtsgeschichte, 19 f. Ebd. Zu den Beiträgen in den Göttingischen Gelehrten Anzeigen über Ungarn siehe: Futaky, István / Schwamm, Kristin: Die Ungarn betreffenden Beiträge in den Göttingischen gelehrten Anzeigen 1739–1839. Budapest 1987. Politisch-kirchliches Manch-Haermeon von den Reformen Kayser Josephs überhaupt, vorzüglich in Ungarn, mit nüzlichen Winken zur Richtung der Gesinnungen des Adels, der Geistlichkeit und des Volks auf den nächst bevorstehenden Reichstag in Ungarn. 1790 o. O., 127. Ebd., 129.
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Wie hoch die Bedeutung der Sozialdisziplinierung seitens der untersten kirchlichen Ebene, der Pfarrer, durch staatliche Stellen eingeschätzt wurde, zeigt spätestens die Strategie unter Joseph II. Er machte sich die kirchlichen Kommunikationsstränge gezielt und effizient für staatliche Zwecke nutzbar.79 So kann einem Bericht der Temeswarer Kameraladministration 1787 an die Statthalterei entnommen werden, dass diese den Antrag des evangelischen Pfarrers von Liebling im Banat auf höhere Einkünfte unterstützte. Als Begründung führte sie an, dass „die evangelischen Pfarrer überhaupt einen sehr starken Einfluß auf die Gemüther ihrer Pfarrkinder haben, [sie] zur guten Wirtschaft und Aufführung ermahnen, von welchem Erfolge eben der Ort Liebling das überzeugendste Beyspiel gebe, welches von allem seit 1784 erbauten Kolonisten Dörfern die gesittesten, ruhigsten und wirtschaftlichen Haußwürthe habe, auch in einigen Jahren gewiß den Absichten des Monarchen vollkommen entsprechen werde.“80 Ein Spiegel staatlicher Instrumentalisierung der Pfarreien sind auch die zahlreichen, in den Protokollbüchern der Pfarreien niedergelegten Rundschreiben, die von der Statthalterei veranlasst und über die zuständigen Bistümer weitergeleitet wurden.81 Oft waren es mehrere Schreiben in der Woche, was natürlich die Gefahr in sich barg, dass die Wirkung schnell verblasste.82 Schließlich wirkten auf die Mikroebene neben der Kirche und dem deren Kommunikationspotential nutzenden Staat, wie weiter oben dargelegt, auch die Komitate ein. Sie waren den Interessen der Stände verpflichtet, sieht man von den wenigen Jahren nach der josephinischen Verwaltungsreform nach 1785 einmal ab. Gerade für die deutschen Kolonisten in den Kameralgebieten spielten zudem die der Hofkammer unterstellten Kameraladministrationen mit den untergeordneten Rentämtern eine nicht zu unterschätzende Rolle. Sie waren für die Ansiedlungsorganisation und die 79
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Siehe dazu: GŐzsy, Zoltán: Grenzen und Wirkungsradius der Rekatholisierung in Südtransdanubien nach der Osmanenzeit. In: Bendel/Spannenberger, Kirchen als Integrationsfaktor, 43–63; Gnant, Christoph: „Jede Diöces ist nicht anders als ein Teil des Landes…“ Ausgewählte Fragen der josephinischen Diözesanregulierung und ihrer Auswirkungen auf Reich und Reichskirche. In: Der aufgeklärte Absolutismus im europäischen Vergleich. Hgg. von Helmut Reinalter / Harm Klueting. Wien-Köln-Weimar 2002, 245–262 MOL, E 125, Magyar kincstári levéltárak [Ungarische Kammer], Impopulationalia, Fons 41, 1. Oktober 1787, o. fol., Mikrofilm 22259. Zum Beispiel die Protokollbücher der Pfarrei Hodschag (ung. Hódság, serb. heute Odžaci) im Komitat Bács-Bodrog, beginnend im Jahr 1772 mit dem Band „Protocollum Actorum Districtus Inferioris Bacsiensis Inchoatum Die Prima Januarii Anni 1772di Per Mathiam Szloboda V. Archi-Diaconum.“ Kirchenarchiv Hodschag, Adam-Berenz-Haus, Apatin. So erließ die königlich ungarisch Statthalterei am 2. Januar 1787 ein Rundschreiben an die Bischöfe, dass besonders der in illyrischen Dörfern zu beobachtende Missbrauch eingestellt werden solle, dass Sterbende und Verstorbene scharenweise von trauernden Angehörigen und Freunden aufgesucht würden, darunter stillenden Müttern und auf diese Art und Weise Krankheiten verbreitet würden. Am 9. Januar 1787 erfolgte eine Warnung vor betrügerischen Wahrsagereien, am 16. Januar 1787 wurde mitgeteilt, dass von Herrschaften ausgestellte Losbriefe bei Kolonisten für den Erwerb eines Passes nicht genügen würden, wobei noch zwei weitere Rundschreiben in diesem Januar ergingen. Im Februar 1787 folgten wieder rund ein Dutzend teilweise seitenlange Verordnungen. Protokollbücher der Pfarrei Hodschag.
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Durchführung der damit verbundenen Maßnahmen verantwortlich. Für die Untertanen in den Privatgrundherrschaften erwies sich die Herrschaft oft nicht als monolithischer Block, da sie häufig von einem Verwalter, einem Provisor oder Präfekten repräsentiert wurde. Und diese nutzten Handlungsspielräume nicht selten zu ihren Gunsten, weshalb Untertanen in sich öffnende Konflikte gerieten, aber gleichzeitig Möglichkeiten des Agierens sahen.83 Umso mehr ging es den Grundherren um „das Seelenheil ihrer Wirtschaftsbeamten […] im Sinne einer religiösen Konformität.“84 Schließlich darf die sich zunehmend etablierende und damit auch Normakzente setzende Dorfobrigkeit nicht außer Acht gelassen werden. Auch wenn Gemeindeautonomie und Kommunalisierungsprozesse in Ungarn nicht in dem Maße ausgeprägt waren wie etwa in süddeutschen Territorialstaaten,85 so spielte der Dorfvorstand doch eine nicht zu unterschätzende Rolle.86 83
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Dazu in diesem Band: Pál, Judit: Staatsbeamter oder Klient? Ein „Vermittler“ aus Ostungarn zwischen verschiedenen sozialen Normen; Vári, András: Gnade und Kontrakt. Die Emanzipationsbestrebungen der Herrschaftsbeamten auf dem ungarischen Großgrundbesitz im 19. Jahrhundert. In: Historische Anthropologie, 5 (1997), 229–244; Ders.: Der Großgrundbesitz als Konfliktgemeinschaft. Herrschaftsbeamte ungarischer Großgrundbesitzer im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert. In: Gutsherrschaftsgesellschaften im europäischen Vergleich. Hg. v. Jan Peters. Berlin 1997, 253–273; insbesondere die gerichtsanhängigen Auseinandersetzungen zwischen Grundherren und ihren der Korruption verdächtigen Verwaltern sind mitunter höchst ergiebig, da Beweismaterial für den Prozess beschlagnahmt wurde. Als Beispiel sei angeführt: Der Prozess 1785 und 1786 zwischen dem ehemaligen Präfekten der Herrschaft Futok (ung. Futak, serb. Futog) der Familie von Hadik, Franz Xaver Weber gegen seinen Grundherrn, den berühmten Feldherrn Andreas Graf von Hadik (1710–1790) und dessen Frau Franziska von Lichnowsky († 1787) mit umfangreichem Aktenmaterial im Arhiv Vojvodine (AV) [Archiv der Wojwodina], F 2, Bačko-Bodroška Županija (BBŽ) [Komitat Bács-Bodrog], BBŽ I, 1785, Nr. 1708; Nr. 1711; Nr. 1716; 1786, Nr. 51; 1786, kut. 110, Nr. 674. Eine Vielzahl von Auseinandersetzungen spielte sich in der Herrschaft Valpovo in Slawonien zwischen Freiherr Josef Ignaz (1748–1816) Hilleprand von Prandau und seinen Pächtern ab. Die Akten befinden sich im Državni Arhiv u Osijeku (HRDAOS) [Staatsarchiv Osijek), 476, Popis spisa Valpovačkog vlastelinstva II [Akten der Herrschaft Valpovo], Archivum dominale. In beiden Fällen lebten die Grundherren im fernen Wien, was den Verwaltern eine Fülle an Möglichkeiten bot, sich selbst zu bereichern oder zumindest eigene Interessen wahrzunehmen. Grundsätzlich hierzu: Brakensiek, Stefan: Verwaltungsgeschichte als Alltagsgeschichte. Zum Finanzgebaren frühneuzeitlicher Amtsträger im Spannungsfeld zwischen Sozialdisziplinierung und Mitunternehmerschaft. In: Hochedlingerl/Winkelbauer (Hgg.): Herrschaftsverdichtung, Staatsbildung, Bürokratisierung, 271–290. Vári, Gnade und Kontrakt, 233. Siehe dazu: Blickle, Peter: Kommunalismus. Skizzen einer gesellschaftlichen Organisationsform. Bd.1 Oberdeutschland. Oldenburg 2000. Die Wahl der Ortsrichter erfolgte so, dass mindestens drei geeignete Personen von der Grundherrschaft vorgeschlagen wurden, aus denen dann von den Einwohnern des Ortes einer gewählt wurde, während die Geschworenen und die Kleinrichter ohne herrschaftlichen Vorschlag von der Gemeinde gewählt wurden. Der jährliche Wechsel der Dorfoberen brachte zwar ein Kontinuitätsproblem mit sich, führte jedoch zur Etablierung einiger die dörfliche Politik stützender und prägender Familien. In Bezug auf verfassungsrechtliche Fragen siehe hierzu etwa: Preyer, J[ohann] N[epomuk]: Des ungrischen Bauers früherer und gegenwärtiger Zustand, nebst einer Darstellung der Folgen und Wirkungen desselben. Pesth 1838. Johann Nepomuk Preyer (1805–1888) wurde in Lugosch (ung. Lugos, rum. Lugoj) geboren und war von 1844 bis 1858 Bürgermeister der Stadt Temeswar.
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Welche säkulare Sozialdisziplinierung die Kameraladministrationen in den Kameralgebieten bzw. die Grundherrschaft in den verschiedenen Grundherrschaften ausübten, lässt sich anhand einer Fülle von Vorgängen dokumentieren. So liegt aus der Kameraladministration Sombor eine „Specification deren fleißigen, als nachläßigen neu angesiedelten Kolonisten wie zu sehen“ vor.87 Der Fiskal der Herrschaft Bóly, Johann Nepomuk Strázsay (1784–1852), schrieb 1808 pointiert, aber mit der klaren Intention, die „Nachlässigen“ auf den „rechten“ (herrschaftlichen) Weg zu bringen: „Nach Verschiedenheit der Ortschaften, Localität, Nation ist auch der Fleiss und Cultivation des Bodens sehr verschieden. Die teutschen Unterthanen cultivieren wie schon ist gesagt worden mit vieler Thätigkeit und Fleiß ihre Äcker und Felder, sie fechsen Kukurutz, Flachs, Weitzen, Haber, Wein und alle möglichen Producte. Die ungarischen Unterthanen bezeigen hierin eine mindere Thätigkeit, die Raitzen hingegen verpachten ihre Felder und Wiesen (meistens wenn sie solche ausser Sessional Competenz als Ausrottingen so wie in Racz Töttös besitzen) an die Teutschen, versäumen die Cultivation des Bodens und vertreiben ihre Zeit mit Borstvieh Handel […].“88 Alle diese Beispiele zeigen den „Zugriff“ von oben. Doch gerade bei der mikrohistorischen Perspektive geht es indes auch um „individuelle Strategien“ der Akteure.89 Im Falle von Kolonisten zudem in der Phase eines Adaptionsprozesses an eine gegenüber dem Herkunftsraum veränderte Normenlage. Hinzu mussten sich die Neuansiedler an ein neues soziokulturelles Umfeld in ihrer Gemeinde anpassen, das anderen Regeln unterworfen war und in dem Siedler aus anderen deutschen Territorialstaaten veränderte Wertemaßstäbe anlegten. Welche Eigendynamik das Agieren von Untertanen haben konnte, äußert sich in zahlreichen Berichten verschiedener Kameraladministrationen, aber auch in den Kanonischen Visitationen. Nicht selten zeigt sich das in Klagen über die Neusiedler oder in Übergriffen zur Durchsetzung von Ordnungsmustern, die den Siedlern unbekannt oder unverständlich waren. So beklagte sich Rentmeister Hury am 29. Oktober 1785 bitter darüber, dass „die Gerichte der neüen Kolonisten besonders in Cservenka90 sehr partheilich sind und denen lüderlichsten Colonisten […] die besten Zeügniße […] ausfertigen.“91 Ähnlich schwierige Anpassungsprozesse lassen sich in dem Beschwerdeschreiben 87
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MOL, E 125, Magyar kincstári levéltárak [Ungarische Kammer], Impopulationalia, Fons 6–29, undatiert [Januar 1788], o. fol., Mikrofilm 22262. Es handelt sich um eine namentliche Auflistung der Kolonisten eines Ortes, von denen u. a. ihr Besitz an Pferden, Kühen und Schweinen aufgelistet war. Im Vordergrund stand jedoch, ob sie die neu übergebene Session schon bewirtschafteten mit Charakterisierungen wie „hat zur Wintersaat die ausgemessenen Felder besäet ganz“ oder „hat angebauet halb“ oder aber auch „hat angebauet nichts“. Strázsay, Johann Nepomuk: Geographisch Oeconomische Beschreibung der Herrschaft Bóly. Pécsi Tudományegyetem Könyvtár [Universitätsbibliothek Pécs], Klimo-Bibliothek, Handschriftensammlung. Dafür plädiert Gérald Chaix. Hier zitiert nach Schilling, Heinz: Disziplinierung oder „Selbstregulierung der Untertanen“? Ein Plädoyer für die Doppelperspektive von Makro- und Mikrohistorie bei der Erforschung der frühmodernen Kirchenzucht. In: Historische Zeitschrift 264 (1997), 675–691, hier 681. Tscherwenka, ung. Cserwenka, serb. Crvenka. MOL, E 125, Magyar kincstári levéltárak [Ungarische Kammer], Impopulationalia, Fons 216– 217, 30. Dezember 1785, o. fol., Mikrofilm 22244.
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des Kolonisten Carl Gottfried Krauß in der Kameralherrschaft erahnen, der in der Herrschaft Mislye92 als Schreiber und Registrator herangezogen wurde und sich 1786 über den Verwalter beklagte, der sich dahingehend geäußert habe, „daß ihm ein Schlowak lieber seye, als alle teütsche aufgebrachte Familien.“93 Auch in den Kanonischen Visitationen sind für die Anfangsjahre zahlreiche solcher Klagen über die Neuansiedler formuliert.94 Jedenfalls sollte der soziale Anpassungsdruck seitens der (sich konstituierenden) Dorfgemeinden nicht unterschätzt werden. So wandte sich der Neukolonist Adam Hoffmann aus dem protestantischen Ansiedlungsort Tscherwenka 1786 an die Kameraladministration Sombor. Er teilte mit, dass er mit seiner Familie den römisch-katholischen Glauben angenommen habe, doch nun bat er um eine Umsiedlung, denn er würde sich in dem Ort nicht mehr getrauen „aus Religions Haß […] weiters mehr zu verbleiben“.95 Diese Umsiedlung wurde ihm auch zugesagt. Auf der anderen Seite waren es die Dorfbewohner, die bald Regulierungen anmahnten und sich aktiv an die zuständigen Obrigkeiten wandten. Gerade in Umbruchsphasen, in Zeiten tatsächlicher oder vermeintlicher Rechtsverschlechterung zeigte sich ein erhebliches Potenzial an Mobilisationskraft, Organisationsfähigkeit, kollektiver Willensbildung und organisierter Postulate durch die Untertanen. Dies wandte sich nicht nur gegen die „Obrigkeit“, sondern vermochte wesentliche Impulse der Selbstregulation zu verleihen. So kann Heinz Schilling nur zugestimmt werden, der für die frühmoderne Sozialdisziplinierung konstatierte, dass diese nicht nur von „oben“, durch staatliche, kirchliche, grundherrliche Institutionen, sondern auch von „unten“ gesteuert wurde.96 Damit erfolgte in gewisser Weise eine „Zangenbewegung“, die auch durch „Mechanismen“ der Selbstkontrolle und „Selbstregulierung“ gekennzeichnet war. So handelt es sich bei diesem Band um den Versuch einer ersten Annäherung an alltägliche Normsetzungen über den Weg der Normverletzungen mit dem besonderen Fokus auf die Einwanderungsgesellschaften der deutschen Ansiedler im anvisierten Zeitfenster im Königreich Ungarn.97
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Slowak. Myslina. Schreiben an die königliche Kameraladministration Kaschau, MOL, E 125, Magyar kincstári levéltárak [Ungarische Kammer], Impopulationalia, Fons 331–355, 13. Juli 1786, o. fol., Mikrofilm 22250. Siehe in diesem Band Krauss, Karl-Peter: Etablierung und Instrumentalisierung von Normen in Eheangelegenheiten in deutschen Siedlungsgebieten Südungarns. MOL, E 125, Magyar kincstári levéltárak [Ungarische Kammer], Impopulationalia, Fons 216– 217, 29. März 1786, o. fol., Mikrofilm 22244. Schilling, Disziplinierung oder „Selbstregulierung der Untertanen“, 680. Für die strukturellen und inhaltlichen Hinweise und Ratschläge danke ich Herrn Dr. Mathias Beer, Herrn PD Dr. Norbert Spannenberger sowie Herrn Josef Wolf M. A. Ich danke auch allen Autorinnen und Autoren für Ihre Bereitschaft zur Mitarbeit an diesem Band. Meiner Wissenschaftlichen Hilfskraft Kristina Matković sei für ihre wertvolle Hilfe bei der Vorbereitung zur Drucklegung ebenfalls gedankt. Die ursprünglich geplante zeitnahe Herausgabe des Tagungsbandes war leider wegen der retardierten Abgabe einzelner Tagungsbeiträge nicht möglich, auf andere Beiträge musste trotz fest zugesagter Abgabe schließlich gänzlich verzichtet werden.
NORMSETZUNG UND NORMVERLETZUNG IN EINWANDERUNGSGESELLSCHAFTEN DER FRÜHEN NEUZEIT Alexander Schunka NORMIERUNG UND ORDNUNGSSTIFTUNG IN FRÜHNEUZEITLICHEN GESELLSCHAFTEN Es ist Markenzeichen und mittlerweile Binsenweisheit mikrogeschichtlicher und historisch-anthropologischer Forschung der Frühen Neuzeit, dass gerade über den Ausnahmefall die Normalität vergangener Lebenswelten sichtbar wird.1 Der Blick in normative Dokumente wie Policeyordnungen und Edikte, aber auch in Gerichtsakten, Visitations- oder Konsistorialprotokolle, wo sich Verbote und Sanktionen gegenüber Normverletzern niederschlagen, macht rasch deutlich, welch bunte, farbenprächtige, lebensfrohe, aber auch gefahrvolle Epoche die Frühe Neuzeit war. Je nach konfessioneller und regionaler Prägung umfassten sanktionswürdige Normverstöße übermäßiges Trinken, Feiern, Tanzen, Musikdarbietungen, Schaustellerei, auffällige Kleidung, Karnevals- und Charivaribräuche, Fluchen, magische Praktiken und vieles andere mehr. Innerhalb einer spezifisch vormodernen „Spannung des Lebens“ (Johan Huizinga)2 stehen dieser scheinbaren Opulenz und Lebenslust freilich auch distinkte Gefahren gegenüber, denen sich die Abweichler von Normen aussetzen: Einzelne, denen eine Normverletzung rasch zum Schaden an ihrem Ruf, an auskömmlicher Nahrung, kirchlichen Bindungen oder gar an Leib und Leben gereichen konnte; Gruppen, die bei Normverletzungen mit göttlichen Strafgerichten wie Seuchen, Naturkatastrophen oder der Invasion von Feinden rechnen zu müssen glaubten; Gesellschaften, die in der Erwartung des Jüngsten Gerichts zu gottesfürchtigem Leben angehalten waren; schließlich die Herrschenden, die bei Normübertretungen in Konflikt mit allgemeinen Vorstellungen gottgegebener Regierung geraten konnten und Widerstand ihrer Untertanen bis hin zu Aufständen und Revolten riskierten. Ordnung und Abweichung bilden ein zentrales Spannungsverhältnis innerhalb frühneuzeitlicher Gesellschaften, worauf schon der seit dem 16. Jahrhundert expo1 2
So unter Berufung auf einen Ausspruch von Edoardo Grendi v. a. Medick, Hans: Mikro-Historie. In: Sozialgeschichte, Alltagsgeschichte, Mikrohistorie. Eine Diskussion. Hg. v. Winfried Schulze. Göttingen 1994, 40–53, hier 47. Huizinga bezieht sich freilich auf das ausgehende Mittelalter. Den immer noch besten Überblick über die frühneuzeitliche Lebenswelt bietet Münch, Paul: Lebensformen in der Frühen Neuzeit, 1500–1800. Frankfurt a. M.-Berlin 1992.
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nentiell ansteigende Ausstoß von Edikten, Mandaten, Gesetzen, Verordnungen, von Ratgeberliteratur sowie von Verwaltungs- und Gerichtsakten verweist. Die historische Forschung hat in Auseinandersetzung mit dem Paradigma der „Sozialdisziplinierung“ lange dazu tendiert, die in den überlieferten Quellen relativ leicht fassbare Ebene der Normen mit der sozialen Praxis vergangener Zeiten gleichzusetzen und ist dabei oft zumindest implizit von einer tatsächlichen Wirkmächtigkeit postulierter Normen ausgegangen. Erst in jüngerer Zeit sind obrigkeitliche Normvorstellungen kritischer auf ihre Reichweite in der frühneuzeitlichen Lebenswelt überprüft worden, ebenso wie die Annahme kritisiert worden ist, dass die Durchsetzung von Norm und Disziplin primär ein herrschaftlich gesteuerter Prozess gewesen sei.3 Neuere Untersuchungen zu frühneuzeitlichen Verwaltungsabläufen und politischer Kultur haben demgegenüber insbesondere die sozialen Hintergründe und Interaktionsprozesse bei der Produktion von Normen rekonstruiert oder sich etwa der Genese politischer Verfahren gewidmet.4 Damit sind der Konstruktcharakter von Normen und die Praktiken der Normproduktion in den Fokus des Interesses gerückt. Es ist dementsprechend mittlerweile üblich, nicht nur die obrigkeitlich festgeschriebenen Normen und ihre Durchsetzung in den Blick zu nehmen, sondern nach lebensweltlichen Mechanismen der Normproduktion und der sozialen Kontrolle zu suchen, aber auch danach, unter welchen Umständen Normpostulate überhaupt auf Akzeptanz stießen. Das führt zum Problem, inwiefern eigentlich nicht nur Herrschende und ihre Verwaltungen, sondern die lokale Bevölkerung selbst zu gesellschaftlicher Disziplinierung und Ordnungsstiftung beigetragen haben. Inzwischen ist man der Meinung, dass sich konkrete Sanktionspraktiken und selbst größere Normgebungsprozesse im frühneuzeitlichen Europa oft mit den Interessen einzelner Bevölkerungsgruppen verbanden und dass die lebensweltlichen Kontrollmechanismen bisweilen wirkmächtiger waren als etwa ein obrigkeitlicher Mandatsausstoß.5 In vielen Fällen ist nachweisbar, dass Normierungsprozesse im engen Dialog mit den sogenannten ‚Beherrschten‘ oder sogar auf deren Betreiben hin initiiert wurden. Dies unterstreicht, dass alle gesellschaftlichen Schichten ein großes Interesse an einem funktionierenden, geordneten Gemeinwesen hatten, wenngleich sie dafür gelegentlich unterschiedliche Wege einschlagen konnten.6 Konkurrierende Normen(-systeme) waren unter Umständen die Folge. 3
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Dinges, Martin: Frühneuzeitliche Armenfürsorge als Sozialdisziplinierung? Probleme mit einem Konzept. In: Geschichte und Gesellschaft 17 (1991), 5–29. Ogilvie, Sheilagh: „So that Every Subject Knows How to Behave“. Social Disciplining in Early Modern Bohemia. In: Comparative Studies in Society and History 12 (2005), 38–78. Siehe u. a.: Information in der Frühen Neuzeit. Hgg. v. Arndt Brendecke / Markus Friedrich / Susanne Friedrich. Berlin u. a. 2008. Vermessen, Zählen, Berechnen. Die politische Ordnung des Raums im 18. Jahrhundert. Hg. v. Lars Behrisch. Frankfurt a. M.-New York 2006. Herstellung und Darstellung von Entscheidungen. Verfahren, Verwalten und Verhandeln in der Vormoderne. Hgg. v. Barbara Stollberg-Rilinger / André Krischer. Berlin 2010. behrisch, Lars: Sozialdisziplinierung. In: Enzyklopädie der Neuzeit 12. Hg. v. Friedrich Jaeger. Stuttgart 2010, 220–229. Holenstein, André: Introduction, Empowering Interactions. Looking at Statebuilding from Below. In: Empowering Interactions. Political Cultures and the Emergence of the State in Eu-
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Damit ist das Problem berührt, dass Normen nur dann umfassende Gültigkeit beanspruchen können, wenn sie auf breiterer gesellschaftlicher Akzeptanz beruhen. Nach Zedlers Universallexikon aus dem 18. Jahrhundert ist eine Norm denn auch schlicht eine „vorgeschriebene Regel“.7 In jüngerer Zeit sind Normen definiert worden als „Gründe für Handlungen, die den Anspruch erheben, verbindlich zu sein“. Nicht allein der Normgeber muss sie sich also zu eigen gemacht haben, sondern auch der Adressat – auch wenn er sie gegebenenfalls übertritt. In diesem Fall aber hat er mit Sanktionen zu rechnen, die wiederum nicht willkürlich sind, sondern auf die jeweiligen Normen verweisen.8 Normen berühren nahezu jeden Aspekt des Zusammenlebens: Menschliche Gesellschaften umgibt gleichsam ein „Geflecht von rechtlichen, ökonomischen, moralischen, ethischen und pragmatischen, kulturellen, religiösen und weltdeutungsrelevanten“ Normen oder Werten bzw. „sozialen Konventionen, ausgehandelten Kompromissen und habitualisierten Lebensformen“.9 Idealiter steht hinter der Akzeptanz von Normen also ein breiter gesellschaftlicher Konsens. Wer Normen befolgt, entspricht den gesellschaftlichen Erwartungen innerhalb eines Gemeinwesens; wer sie übertritt, schadet sich selbst, der Gesellschaft und gegebenenfalls auch der göttlichen Ordnung. Mit Blick auf die Vormoderne, deren politische, soziale und mediale Verfasstheit sich von der heutigen Zeit in einiger Hinsicht deutlich unterscheidet, stellt sich die Frage nach spezifischen Techniken und Abläufen nicht nur bei der Produktion von Normen, sondern auch bei der Herstellung von Normakzeptanz und der Verhinderung von Normkonkurrenz. Dies betrifft etwa die argumentative Logik normativer Texte – entlang welcher Konsensvorstellungen mussten Gesetze und Verordnungen argumentieren, um von konkreten Zielgruppen verstanden und umgesetzt zu werden? – und außerdem die Problemkreise, welche Gruppen an Normierungsprozessen beteiligt waren, an wen sich Normen richteten und auf welche Weise sie kommuniziert wurden. Von Bedeutung ist darüber hinaus auch die demonstrative Legitimierung von Macht- und Normierungsansprüchen als performative Herrschaftsakte: Nicht allein was in einem obrigkeitlichen Mandat stand und ob seine Begründung breiteren gesellschaftlichen Konsensvorstellungen entsprach, war für die Rezipienten manchmal entscheidend, sondern wer es unter welchen Umständen bekannt gab und wie oft er dies wiederholte.10 Zieht man in Betracht, dass etwa
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rope 1300–1900. Hgg. v. Wim Blockmans / André Holenstein / Jon Mathieu. Farnham 2009, 1–31. Vgl. auch Robisheaux, Thomas W.: Rural Society and the Search for Order in Early Modern Germany. Cambridge 1989. Artikel Norma. In: Grosses vollständiges Universal-Lexikon Bd. 24. Hg. v. Johann Heinrich Zedler. Halle-Leipzig 1740, 1311. Forst, Rainer / Günther, Klaus: Die Herausbildung normativer Ordnungen. Zur Idee eines interdisziplinären Forschungsprogramms. Normative Orders Working Paper 01/2010. In: http://www.normativeorders.net/en, urn:nbn:de:hebis:30–80730, 8. (05.06.2013). Ebd., 12. Schlumbohm, Jürgen: Gesetze, die nicht durchgesetzt werden. Ein Strukturmerkmal des frühneuzeitlichen Staates? In: Geschichte und Gesellschaft. Zeitschrift für historische Sozialwissenschaft 23 (1997), 647–663; Schunka, Alexander: Die Visualisierung von Gerechtigkeiten in Zeugenaussagen des 16. und 17. Jahrhunderts. In: Justiz und Gerechtigkeit. Historische Bei-
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frühneuzeitliche Policeyordnungen über Jahrzehnte hinweg immer wieder in sehr ähnlicher Form wiederholt wurden, dass Gesetze häufig in gewissem Abstand kaum verändert neu erlassen bzw. publiziert wurden oder dass Huldigungszeremonien und andere performative Herrschaftsakte strengen, althergebrachten Schemata folgten, so legt dies nahe, dass Normierungsprozesse in der Vormoderne auf Wiederholung und Wiederholbarkeit angelegt waren und eine gewisse Gleichförmigkeit und Verlässlichkeit demonstrieren sollten. Was aber, wenn die gesellschaftliche Ordnung plötzlich hinterfragt wurde, ins Wanken geriet, akzeptierte Normensysteme auf den Prüfstand gestellt wurden oder konkurrierende Normensysteme in Widerstreit traten? Kriege, Herrschaftswechsel, Naturkatastrophen oder Aufstände konnten für eine Erschütterung von Ordnungsvorstellungen sorgen, in besonderer Weise aber auch Migrationsvorgänge. Migrationen waren in der Vormoderne vermutlich der normalste aller möglichen Ausnahmefälle, wenn man bedenkt, dass Schätzungen zufolge etwa ein Drittel bis die Hälfte aller Bewohner Europas ein- oder mehrmals in ihrem Leben ihren Wohnort wechselten.11 Neben einer kaum zu unterschätzenden kontinuierlichen Mobilität von Menschen kam es darüber hinaus allerdings zu bestimmten Zeiten zu größeren Aus- und Einwanderungsvorgängen, von denen binnen weniger Jahre viele tausend Menschen betroffen sein konnten. Angesichts der Allgegenwart räumlicher Mobilität betrafen Migrationsbewegungen freilich nicht nur die Migrierenden, sondern auch die Sesshaften. Zu vermuten ist, dass Migrationen in der einen oder anderen Form akzeptierte gesellschaftliche Vorstellungen von Ordnung und Stabilität wenn nicht empfindlich stören, so doch zumindest die hergebrachten Normvorstellungen hinterfragen konnten. Dies gilt nicht nur für die Gesellschaft der Sesshaften, deren Normensysteme auf den Prüfstand geraten konnten: Auch für Migranten konnten die bekannten Weltbilder und mitgebrachten Normensysteme ihre Gültigkeit verlieren. Daran schlossen sich neue Prozesse des Aushandelns von Normen an, der Vergewisserung über gesellschaftliche Konsensvorstellungen, die entweder längerfristig zu gesamtgesellschaftlicher Stabilität oder zu einer Fragmentierung im Sinne einer Etablierung distinkter Gruppen mit unterschiedlichen Normsystemen beitrugen. Nicht unbedingt wäre zu erwarten, dass sich im migrationsbedingten Zusammenprall unterschiedlicher Normsysteme immer eine Seite völlig durchsetzte und es zu Assimilationsvorgängen in die eine oder andere Richtung kommen musste. Es ist auch unter vormodernen Bedingungen kaum vorstellbar, dass die Integration von Zuwanderern in ein bestehendes Normengefüge einer Aufnahmegesellschaft gleichsam geräuschlos vor sich ging und entsprechende Verschmelzungsprozesse die Normalität waren. Ähnlich wie sich dies im Rahmen aktueller Migrationsvorgänge beobachten lässt, ist nicht so sehr von klaren Gewinnern auszugehen als vielmehr von Situationen kreativer Hybridität.
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träge (16.–19. Jahrhundert). Hgg. v. Andrea Griesebner / Martin Scheutz / Herwig Weigl. Innsbruck 2002, 95–114. Hochstadt, Steve: Migration in Preindustrial Germany. In: Central European History 16 (1983), 195–224.
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Es ließe sich annehmen, dass das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Normensysteme in einer Einwanderungsgesellschaft konkrete Auswirkungen auf Ansiedlung, Sozialverhalten und Integrationsmechanismen von Zuwanderern hatte, ja dass es möglicherweise die Ausprägung bestimmter migrantischer Milieus und Eigenkulturen förderte. In diesem Zusammenhang ist freilich zu berücksichtigen, dass gerade von außen, d. h. jenseits der eigenen Gruppe definierte oder propagierte Normen erst konkrete Abweichungen konstruieren können, wobei die jeweiligen Gruppenmitglieder selbst ihr eigenes Verhalten gleichzeitig durchaus als legitim und als Ausdruck einer bewusst eingesetzten Andersartigkeit verstehen bzw. instrumentalisieren.12 Dem Widerspiel zwischen Normierung, Normakzeptanz, Normkonkurrenzen und Strukturen lebensweltlichen Eigensinns im Kontext frühneuzeitlicher Migrationsvorgänge gehen die folgenden Überlegungen nach. INSZENIERUNG VON NORMVERSTÖSSEN? EIN FALLBEISPIEL Bei der Analyse des Verhältnisses von Norm und Alltagspraxis vor dem Hintergrund von Einwanderungsprozessen sieht man sich mit dem Problem konfrontiert, ob nicht eine konflikthafte Infragestellung von Normen durch Neuankömmlinge in gewisser Weise erst ein Konstrukt der Ortsansässigen ist. Die Vermutung liegt nahe, dass unterschiedliche Praktiken zu Normkonflikten stilisiert werden und dass Zuwanderer in diesem Zusammenhang als Projektionsfläche für allgemeinere gesellschaftliche Verunsicherungen und Konfliktlagen dienen. Probleme bei der Ansiedlung und Integration würden dann auf eine grundsätzliche Infragestellung gesellschaftlicher Konsensvorstellungen durch Zuwanderer zurückgeführt; die Migranten selbst würden aber gleichzeitig weitgehend im Rahmen ihrer eigenen Normvorstellungen agieren bzw. gar in Abgrenzung zu einer ‚Mehrheitsgesellschaft‘ bestimmte eigenkulturelle Praktiken zur Norm erheben. Zahlreiche aktuelle Beispiele für dieses Phänomen könnte man der mitteleuropäischen Tagespresse der letzten Jahre entnehmen – ein bekannteres wäre der Kopftuchstreit.13 Eine solche Instrumentalisierung oder gar Inszenierung von Normkonflikten zwischen Zuwanderern und Einheimischen ist allerdings kein neues Phänomen: Auch in der Vormoderne sind solche Fälle keineswegs rar, und analog zu aktuelleren Beispielen führen sie häufig in das Kontakt- und Konfliktfeld zwischen unterschiedlichen ethnisch-kulturellen, religiösen bzw. konfessionellen Kulturen. Stereotype Zuschreibungen gegenüber Fremden finden sich nicht nur in den bekannten 12
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Ebertz, Michael N.: Nonkonformismus. In: Lexikon für Theologie und Kirche, Freiburg 1998, 3. neu bearbeitete Auflage [11930–1938], 898. Schwerhoff, Gerd: Institutionelle Ordnungen und die Konstruktion von Devianz. Konzeptuelle Überlegungen und frühneuzeitliche Beispiele. In: Normes culturelles et construction de la déviance. Accusations et procès antijudaïques et antisémites à l’époque moderne et contemporaine. Hgg. v. Juliette Guilbaud / Nicolas Le Moigne / Thomas Lüttenberg. Paris 2004, 7–26. Der Kopftuchstreit ist mittlerweile Gegenstand wissenschaftlicher Analysen geworden, siehe z. B. Amir-Moazami, Schirin: Politisierte Religion. Der Kopftuchstreit in Deutschland und Frankreich. Bielefeld 2007.
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Völkertafeln des frühen 18. Jahrhunderts oder im gelehrten Kontext eines entstehenden frühneuzeitlichen ‚Nationalismus‘ und ‚Rassismus‘,14 sondern berühren auch eine lebensweltliche Ebene, etwa wenn man im frühneuzeitlichen Sachsen die aus dem Nachbarland eingewanderten Böhmen am liebsten zu ihren „Knödlein“ zurückgeschickt hätte15 oder wenn anderswo der „liederliche Frantzosen-Geist“ hugenottischer Refugiés für die Verderbnis der guten deutschen Sitten verantwortlich gemacht wurde.16 Ein Beispiel aus der kaiserlichen Residenzstadt Wien mag die gesellschaftliche, ökonomische, politische und vor allem konfessionelle Relevanz einer Instrumentalisierung und Inszenierung von Normkonflikten zwischen Zuwanderern und Einheimischen verdeutlichen: Aus den dreißiger Jahren des 18. Jahrhunderts ist eine Beschwerde des Wiener Fürstbischofs Sigismund Graf Kollonitz (1677–1751) an Kaiser Karl VI. überliefert, in der der Bischof die sogenannten „Freiheiten“ der zahlreichen Fremden in der Stadt beklagt und die daraus erwachsenen Schäden und Gefahren für Staatswesen und Religion in drastischen Farben ausmalt.17 Demnach hatten sich in Wien und seinen Vorstädten, immerhin dem Zentrum des habsburgischen Barockkatholizismus, auswärtige Protestanten samt ihren Familienangehörigen in großer Zahl niedergelassen. Die meisten besaßen kein Bürgerrecht. Viele lebten von Manufakturarbeit, andere übten Handwerk und Gewerbe aus, und zwar so öffentlich und ungeniert „wie in den protestantischen Städten“. Im Vorort Schwechat hatte sich gar eine eigenständige Kolonie lutherischer Fabrikarbeiter gebildet. Mittlerweile hatten sich auch schon Protestanten in die Wiener Zünfte eingeschlichen und verhinderten, dass dort die althergebrachten religiösen Bräuche ausgeübt werden konnten. Falls man die protestantischen Zuwanderer in ihre Schranken weisen wollte, verließen diese einfach die Zunft und suchten sich Arbeit innerhalb der Strukturen ihrer migrantischen Schattenwirtschaft. Lehrjungen und Gesellen wurden teils aus dem Ausland nachgeholt, teils aber auch, was fast noch schlimmer war, aus bedürftigen katholischen Wiener Familien angelockt. Diese katholischen Lehrlinge hielten dann keine Feiertage mehr ein und übernahmen nach und nach die „schändlichsten“ religiösen und gesellschaftlichen Prinzipien. Doch damit nicht ge14
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Stanzel, Franz K.: Europäischer Völkerspiegel. Imagologisch-ethnographische Studien zu den Völkertafeln des frühen 18. Jahrhunderts. Heidelberg 1999; Schulze, Winfried: Die Entstehung des nationalen Vorurteils. Zur Kultur der Wahrnehmung fremder Nationen in der europäischen Frühen Neuzeit. In: Menschen und Grenzen in der Frühen Neuzeit. Hgg. v. Wolfgang Schmale / Reinhard Stauber. Berlin 1998, 23–49; Demel, Walter: Wie die Chinesen gelb wurden. Ein Beitrag zur Frühgeschichte der Rassentheorien. In: Historische Zeitschrift 255 (1992), 625–666; Torres, Max S. H.: Rassismus in der Vormoderne. Die Reinheit des Blutes im Spanien der Frühen Neuzeit. Frankfurt a. M.-New York 2006. Lehmann, Christian: Historischer Schauplatz derer natürlichen Merckwürdigkeiten in dem Meißnischen Ober-Erzgebirge […]. Leipzig 1699, 11. Der Teutsch-Französische Moden-Geist. Wer es lieset, der verstehets. Geyersberg 1689. Zit. bei Niggemann, Ulrich: Immigrationspolitik zwischen Konflikt und Konsens. Die Hugenottenansiedlung in Deutschland und England (1681–1697). Köln-Weimar-Wien 2008, 399. Acta Historico-Ecclesiastica. Oder gesammlete Nachrichten von d. neuesten Kirchen-Geschichten 8 (1737), 177–206. Die im Folgenden aus diesem Text verwendeten wörtlichen Zitate werden nicht mehr gesondert belegt.
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nug: Viele katholische Familien beschäftigten selbst lutherische oder reformierte Dienstboten und Hausangestellte. All dies führte dazu, so der Bischof, dass die ansässigen Katholiken aufgrund mangelnder Arbeitsperspektiven immer mehr verarmten und ihr rechtmäßiges Stückchen Brot „fremden protestantischen Freyheitsgenossen“ überlassen müssten. Die wirtschaftliche Gefahr, die von den Zuwanderern ausging, war freilich nur die eine Seite, denn nach Ansicht des Bischofs nahmen sich die Zuwanderer auch in religiöser Hinsicht Freiheiten heraus, die ihnen niemals zugestanden worden waren. Entgegen aller Verbote besuchten sie Gottesdienste in den Gesandtenresidenzen auswärtiger Mächte, wo die protestantischen Diplomaten dank ihres besonderen völkerrechtlichen Status über eigene Geistliche verfügten.18 Von Seiten der Gesandtschaften wurden die Wiener Protestanten angeblich wider alle Abmachungen regelrecht zur Teilnahme ermuntert. Dies führte nach Meinung des Fürstbischofs dazu, dass sich inzwischen auch immer mehr Katholiken aus „Einfalt“ oder „Fürwitz“ in die protestantischen Gottesdienste verirrten. Da sich die protestantischen Gesandtschaften sehr aktiv um den Schutz und die Unterstützung ihrer Glaubensangehörigen kümmerten, überschritten sie in gravierendem Maße ihre Befugnisse. So ging das Gerücht, dass die Gesandtschaften arme und naive katholische Wienerinnen und Wiener in sogenannte „mitternächtige Länder“,19 also in die nördlichen, protestantischen Gebiete Europas überschickten, wo jene dann aus wirtschaftlichen Gründen von ihrem Glauben abfielen. Außerdem reichten protestantische Prediger sogar Einheimischen privat das Abendmahl, insbesondere wenn diese kurz vor dem Tod standen. Jenseits einer solchen Proselytenmacherei führten Protestanten seit einigen Jahren Unmengen an verbotenen Büchern nach Wien ein, die man inzwischen gleichsam überall kaufen könne. Abnehmer dieser Schriften sei vor allem die Wiener Jugend in ihrer Versessenheit auf schändliche Literatur, die sie unter dem Deckmantel von Bildung und Gelehrsamkeit konsumierte. Doch selbst die eingesessenen Katholiken ließen sich inzwischen solche Bücher kistenweise kommen. Nur rund ein Viertel aller Buchhändler sei überhaupt noch katholisch. Der Glaube, dass Gelehrsamkeit aus dem Luthertum und dem Calvinismus entspringe, erweise sich jedoch als ein gefährlicher Irrtum, so wie es überhaupt eine Schande sei, dass man trotz entsprechender Gesetzesgrundlagen gegen derartige Umtriebe nicht entschieden vorgehe.
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Zu den Gesandtschaftsgottesdiensten im frühneuzeitlichen Europa: Kaplan, Benjamin J.: Embassy Chapels and the Toleration of Religious Dissent in Early Modern Europe. In: Journal of Early Modern History 6 (2002), 341–361; Schunka, Alexander: Konfessionelle Liminalität. Kryptokatholiken im lutherischen Territorialstaat des 17. Jahrhunderts. In: Migration und kirchliche Praxis. Das religiöse Leben frühneuzeitlicher Glaubensflüchtlinge in alltagsgeschichtlicher Perspektive. Hgg. v. Joachim Bahlcke / Rainer Bendel, Köln-Weimar-Wien 2008, 113–131. Tatsächlich wurden offenbar Wiener Protestanten nach Halle in die Franckeschen Anstalten übersandt. Zu diesem Vorwurf und den Hintergründen siehe die Korrespondenz des dänischen Gesandtschaftspredigers, Christian Kortholt, mit Gotthilf August Francke: Archiv der Franckeschen Stiftungen Halle, Hauptarchiv, C 522:4 (13.2.1737).
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Begonnen hatte alles Übel nach Meinung des Fürstbischofs damit, dass man aus schnöden wirtschaftlichen Erwägungen heraus einige protestantische Spezialisten ins Land geholt hatte, denen man aber keine eigene Haushaltsgründung zugestanden hatte. Inzwischen schien die Situation freilich unbeherrschbar, und der protestantischen „Seuche“ waren Tür und Tor geöffnet. Würde man nicht bald etwas unternehmen, dann müsse der Kirchenmann sich wegen Verletzung seiner Amtspflichten vor Gott verantworten. Durch Stillschweigen und Nichtstun dagegen vergrößere er seine Schuld. Abhilfe könnten allein umfassende Rekatholisierungsmaßnahmen, mithin ein konzertiertes Eingreifen staatlicher und kirchlicher Behörden schaffen – womit Kollonitz sich in die Tradition einer habsburgischen Politik gegenreformatorischer Härte seit dem 17. Jahrhundert stellte. So wie der Bischof die Wiener Situation angesichts der zahllosen Normverstöße durch protestantische Zuwanderer schilderte, standen die öffentliche Ordnung, das religiöse Leben und auch die wirtschaftliche und soziale Stabilität in der kaiserlichen Residenzstadt unmittelbar vor dem Zusammenbruch. Schlagwortartig ausgedrückt ging es um einen bunten Strauß an Übertretungen allgemein akzeptierter Regeln: um Menschenschmuggel, Lohndumping, unkontrollierten Familiennachzug, illegale Missionstätigkeit sowie subversive Propaganda durch Migranten und diplomatische Vertretungen des Auslandes. Die Einwanderung von Protestanten ins katholische Wien schien zudem manche gesellschaftlichen Verunsicherungen der Einheimischen schmerzvoll offenzulegen: Generationenkonflikte, ein wirtschaftliches Süd-Nord-Gefälle oder ein Unterlegenheitsgefühl der katholischen Barockgelehrsamkeit gegenüber der protestantischen Aufklärung. Aus der Einwanderung resultierte jedenfalls, so die Diagnose von Kollonitz, ein breiter Verfall von Sitten, Traditionen und religiösen Werten innerhalb der ortsansässigen Gesellschaft. Dem Fürstbischof ging es bei seiner Klage nicht um einen Beitrag zur Diskussion um Einwanderung und Integration, sondern um den Schutz des Katholizismus und der Bewohnerschaft in der Residenzstadt Wien vor schädlichen äußeren Einflüssen – der Hauptstadt eines Territoriums, wo zur selben Zeit einerseits Migration und Kolonisation im Osten gefördert wurde (wie etwa in Ungarn) und wo andererseits staatliche Organe die Deportationen von Protestanten organisierten und unterstützten (wie im Fall der berüchtigten „Transmigrationen“ aus Kärnten nach Siebenbürgen).20 Das Wiener Beispiel verweist auf die Instrumentalisierbarkeit von Normdiskursen vor dem Hintergrund von Immigration und demographischen Veränderungen, gleichzeitig aber auch darauf, dass bestimmte migrationssoziologische Strukturen und kollektivpsychologische Ängste oft keine zeitspezifischen, sondern epochenübergreifende Phänomene sind. Die stadtgeschichtlichen, demographischen und konfessionspolitischen Verhältnisse Wiens zur Zeit des Fürstbischofs Kollonitz können an dieser Stelle nicht
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Steiner, Stephan: Reisen ohne Wiederkehr. Die Deportation von Protestanten aus Kärnten 1734–1736, Wien 2007; Seewann, Gerhard / Krauss, Karl-Peter / Spannenberger, Norbert (Hgg.): Die Ansiedlung der Deutschen in Ungarn. Beiträge zum Neuaufbau des Königreiches nach der Türkenzeit. München 2010. Siehe ferner die Beiträge des vorliegenden Bandes.
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weiter verfolgt werden.21 Die Zustandsbeschreibung durch den Wiener Kleriker bietet allerdings angesichts ihres zeitgenössischen Plausibilitätsgehalts Einblicke in den normalen Ausnahmefall frühneuzeitlicher Zuwanderung und daraus resultierender Normkonflikte. Selbst wenn der Bischof in polemischer Absicht übertrieb, so bot die Stadt Wien gleichzeitig schon aufgrund ihrer Größe und Infrastruktur in einiger Hinsicht besondere Voraussetzungen für illegale Immigration, die recht typische Phänomene der Alltagsorganisation nach sich zog. Auch in anderen Großstädten im Alten Reich und außerhalb lassen sich ähnliche migrantische Substrukturen finden, wie sie der Bischof geißelte. Für die Infragestellung der Norm des Monokonfessionalismus in frühneuzeitlichen Staatswesen machte man insbesondere Migranten verantwortlich – Lutheraner im katholischen Wien ebenso wie im reformierten Genf; Reformierte im lutherischen Württemberg oder Katholiken im lutherischen Sachsen.22 Zuwanderer konnten sich dabei in wirtschaftlicher, sozialer und konfessioneller Hinsicht aufgrund ihrer Kontaktnetze und Untergrundstrukturen manchmal recht deutlich von der Aufnahmegesellschaft abgrenzen. Gleichzeitig aber, und darauf verweist der Wiener Fall ebenfalls, waren sie in anderen gesellschaftlichen Teilbereichen ausgesprochen gut integriert. Zeitgenössische Beobachter diagnostizierten aus derartigen Verhältnissen die Aushöhlung von Normen und Werten einer Gesellschaft. Umgekehrt lässt sich daraus auch auf eine beachtliche Flexibilität und ein breites Spektrum an Möglichkeiten der Lebensbewältigung für frühneuzeitliche Migranten schließen. MIGRATION UND FRÜHNEUZEITLICHE EINWANDERUNGSGESELLSCHAFTEN Eine recht banal anmutende Grundannahme, die es dennoch zu betonen gilt, ist die Tatsache, dass Migration eine epochenübergreifende Konstante menschlicher Gesellschaften darstellt und nicht nur unsere Zeit, sondern gleichermaßen die Vormoderne geprägt hat. Dieses Faktum ist lange nicht in seiner Bedeutsamkeit gewürdigt worden, ging man doch von einer relativ hohen Statik vormoderner Gesellschaften aus, unterbrochen allenfalls durch einzelne kurzzeitige migratorische Sonderfälle. Die Ständeordnung ebenso wie die persönlichen Bindungen großer Teile der Bevölkerung an feudale Herrschaftsstrukturen, der allgemeine Bildungshorizont und die vergleichsweise schlechte Infrastruktur sind Faktoren, von denen aus man auf eine geringe geographische und soziale Mobilität geschlossen hat. Auch wenn man in 21 22
Zur Einwanderung nach Wien in der hier relevanten Zeit vgl. u. a. Steidl, Annemarie: Auf nach Wien! Die Mobilität des mitteleuropäischen Handwerks im 18. und 19. Jahrhundert am Beispiel der Haupt- und Residenzstadt. München 2003. Koch, Ernst: Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Genf und der Gothaer Hof. In: Kommunikationsstrukturen im europäischen Luthertum der frühen Neuzeit. Hg. v. Wolfgang Sommer. Gütersloh 2005, 51–69; Schunka, Konfessionelle Liminalität, passim; Asche, Matthias: Hugenotten und Waldenser in Württemberg. Immigration – Privilegien – Kirchenwesen – Identität – Integration. Ein Vergleich. In: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 110 (2010), 81–135.
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Bezug auf die Frühe Neuzeit nicht von einer Freizügigkeit im heutigen Sinn sprechen kann und regionale sowie zeitliche Unterschiede berücksichtigen muss, so existierten doch zahlreiche Möglichkeiten oder Notwendigkeiten für Ortswechsel. Für manche Bevölkerungsgruppen korrespondierten sie mit einer bestimmten biographischen Spanne oder mit saisonalen Rhythmen – etwa im Rahmen berufsständischer Migrationen wie Gesellenwanderungen, Studienaufenthalten oder Wanderarbeit –, für andere bedeuteten sie eine Auswanderung für immer. So sind etwa im 18. Jahrhundert abertausende Mitteleuropäer nach Russland, aber auch nach Ungarn, Siebenbürgen oder Nordamerika emigriert. Mindestens ebenso häufig fanden Migrationen allerdings im unmittelbaren Nahbereich weniger Kilometer statt: Angesichts der Kleinräumigkeit mitteleuropäischer Herrschaftsstrukturen wurden dabei gleichfalls administrative Grenzen überschritten, persönliche Abhängigkeiten mussten abgelöst und konfessionelle Bindungen oft neu ausgehandelt werden.23 All dies war für die betroffenen Individuen nicht einfach, aber zweifellos fast immer möglich. Wenn man vor diesem Hintergrund von Einwanderungsgesellschaften unter vormodernen Bedingungen spricht, dann war strenggenommen jede frühneuzeitliche Gesellschaft eine Einwanderungsgesellschaft: eine Gesellschaft, in die man einwandern konnte und in der man sich mit Wanderungsphänomenen auseinandersetzen musste. Der Begriff der Einwanderungsgesellschaft ist recht schwammig und wird heute gern in tagespolitischen Zusammenhängen verwendet. Manchmal ist damit eine mehr oder weniger abgeschlossene Gesellschaft einzelner Einwanderergruppen gemeint,24 also etwa die ‚türkische‘ oder ‚italienische‘ Gesellschaft in Deutschland oder eine bunte, multikulturelle Gesellschaft von Minderheiten – in Abgrenzung zu einer postulierten Mehrheitsgesellschaft von Ortsansässigen. Diese Vorstellung suggeriert eigenständige und einheitliche Milieus von Einwanderern, die mit der Außenwelt nur in geringem Maße verbunden seien. Was bereits im Blick auf heutige Zusammenhänge allenfalls eingeschränkt vorstellbar ist, das trifft auf die Frühe Neuzeit mindestens ebenso wenig zu. In der Vormoderne war eine strikte Abschottung von Migranten kaum möglich, weil man in einer Face to Face-Gesellschaft und in einer Epoche, als deren Signum jüngst die „Vergesellschaftung unter Anwesenden“25 postuliert worden ist, in hohem Maße auf persönliche Kommunikationsbeziehungen über die eigene Kleingruppe hinaus angewiesen war. Dies gilt 23
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Überblicke: Moch, Leslie P.: Moving Europeans. Migration in Western Europe since 1650. 2. Auflage [11992]. Bloomington 2003; Hoerder, Dirk: Cultures in Contact. World Migrations in the Second Millennium. Durham-London 2002. Enzyklopädie Migration in Europa. Vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Hg. v. Klaus J. Bade u. a. 3. durchgesehene Auflage [12007]. Paderborn 2010; Schunka, Alexander: Konfession und Migrationsregime in der Frühen Neuzeit. In: Geschichte und Gesellschaft 35 (2009), 28–63. Dies suggerieren ohne weitergehende Definitionsversuche: Motte, Jan / Ohliger, Rainer: Geschichte und Gedächtnis in der Einwanderungsgesellschaft. Einführende Betrachtungen. In: Geschichte und Gedächtnis in der Einwanderungsgesellschaft. Migration zwischen historischer Rekonstruktion und Erinnerungspolitik. Hg. von Dens. Essen 2004, 7–17. Schlögl, Rudolf: Kommunikation und Vergesellschaftung unter Anwesenden. Formen des Sozialen und ihre Transformation in der Frühen Neuzeit. In: Geschichte und Gesellschaft 34 (2008), 155–224.
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für jüdische Viertel in europäischen Städten genau wie für die „Deutsche Vorstadt“ in Moskau, für süd- und mitteldeutsche „Exulantenstädte“ ebenso wie für die brandenburgischen „Kolonien“ von Hugenotten oder Böhmen: Sie bildeten jeweils keinen Staat im Staate, sondern waren vielfältig mit ihrer Umgebung vernetzt.26 Der Begriff der Einwanderungsgesellschaft lässt sich freilich auch allgemeiner fassen. So spricht etwa der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration unter dem Vorsitz von Klaus J. Bade in seinem Jahresgutachten 2010 von „beiden Seiten der Einwanderungsgesellschaft“ und meint damit die Gesellschaft, die sich in der Interaktion von Migranten und Nichtmigranten bildet.27 Einwanderungsgesellschaft, so könnte man dies auf den Punkt bringen, findet dort bzw. dann statt, wo bzw. wenn Migranten mit Nichtmigranten interagieren. Sie wäre gewissermaßen ein „dritter Ort“,28 d. h. ein Zwischenraum oder ein liminaler Zusammenhang, der so lange besteht, bis sich Zuwanderer in bestimmte Rollen eingerichtet bzw. mit der anderen Seite über Normen verständigt haben. Eine solche kommunikationsbasierte Perspektive mag, wenn man sie nicht zu dichotomisch versteht, durchaus Anschlüsse an die Migrationsforschung der Frühen Neuzeit aus den letzten Jahren bieten, die sich den Interaktionen von Zuwanderern und Aufnahmegesellschaften im Alltag gewidmet hat.29 Wenn nun mit Einwanderungsgesellschaft mehr gemeint ist als nur ein Gesellschaftsfragment von segregierten Einwanderern, wenn sie vielmehr auf den Interaktionen zwischen Migranten und Nichtmigranten beruht, dann hat dies Auswirkungen auf das damit verknüpfte Verständnis von Produktion und Geltungskraft sozialer Ordnungsansprüche. Man wird nicht umstandslos die Normen gleichsam mit den Sesshaften identifizieren und den Migranten eine Rolle zuschreiben können, aus welcher heraus sie die bestehenden Normen annehmen oder hinterfragen
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27 28 29
Aus den umfangreichen Forschungen seien hier nur in recht willkürlicher Auswahl erwähnt: für die ‚Außenkontakte‘ im frühneuzeitlichen Judentum Davis, Natalie Zemon: Mit Gott rechten. Das Leben der Glikl bas Judah Leib, genannt Glückel von Hameln. 2. Auflage [12003]. Berlin 2010. Für die Deutsche Vorstadt (Немецкая слобода) in Moskau: Dönninghaus, Victor: Die Deutschen in der Moskauer Gesellschaft. Symbiose und Konflikte (1494–1941). München 2002, 35–58. Als Beispiel für die Außenkontakte einer Exulantenstadt: Schunka, Alexander: „St. Johanngeorgenstadt zu kurfürstlicher Durchlaucht unsterblichem Nachruhm“. Stadtgründung und städtische Traditionsbildung in der Frühen Neuzeit. In: Neues Archiv für sächsische Geschichte 74 (2004), 175–205. Für Brandenburg: Jersch-Wenzel, Stefi: Juden und „Franzosen“ in der Wirtschaft des Raumes Berlin-Brandenburg zur Zeit des Merkantilismus. Berlin 1978 oder den Überblick bei Schunka, Alexander: Migranten und kulturelle Transfers. In: Friedrich der Große in Europa. Geschichte einer wechselvollen Beziehung. Hgg. v. Bernd Sösemann / Gregor Vogt-Spira, Bd. 1–2. Stuttgart 2012, hier Bd. 2, 80–96. Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration: Jahresgutachten 2010. In: http://www.svr-migration.de/content/wp-content/uploads/2010/11/svr_jg_2010.pdf, 6 (08.06.2013). Vgl. Bhabha, Homi K.: Die Verortung der Kultur. Tübingen 2000. Stellvertretend hier nur: Kuijpers, Erika: Migrantenstad. Immigratie en sociale verhoudingen in 17e-eeuws Amsterdam. Hilversum 2005. Migration und kirchliche Praxis. Das religiöse Leben frühneuzeitlicher Glaubensflüchtlinge in alltagsgeschichtlicher Perspektive. Hgg. v. Joachim Bahlcke / Rainer Bendel. Köln-Weimar-Wien 2008.
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bzw. gegebenfalls übertreten. Vielmehr muss gerade das normbildende Potential der Interaktionen zwischen Zuwanderern und Aufnahmegesellschaft in den Mittelpunkt rücken. Faktisch bedeutet dies auch, dass in einer Einwanderungsgesellschaft die Normvorstellungen beider Seiten auf dem Prüfstand stehen und Veränderungen unterworfen sind. Geht man davon aus, dass kultureller Austausch erst dann stattfinden kann, wenn innerhalb kultureller Austauschbeziehungen eine grundsätzliche Übereinstimmung über entsprechende Normen und Codes herrscht,30 dann wäre im Kontext einer Einwanderungsgesellschaft zum einen danach zu fragen, wie solche Übereinstimmungen hergestellt und wie die Gültigkeit von Normen zwischen Migranten und Einheimischen im Migrationszusammenhang ausgehandelt werden. Zum anderen aber stellt sich das Problem, ob und wie sich im Lichte spezifischer Migrationserfahrungen – seitens der Migranten und seitens der Sesshaften im Umgang mit Zuwanderern – neue Herausforderungen und Konflikte gestalteten und möglicherweise zu unterschiedlichen Lösungsstrategien führten. Ohne dass dies zu Abschottung, Segregation oder Ghettobildung führen muss, kann etwa die fachliche, sprachliche oder geographische Expertise von Migranten die Besetzung spezifischer Berufsfelder und die Ausprägung bestimmter Rollenbilder fördern. Beides hat wiederum Auswirkungen auf eine migrantische Traditionsbildung, die sich nicht nur von der Mehrheitsgesellschaft, sondern auch von ‚Heimattraditionen‘ durchaus unterschiedlich entwickeln kann: Schweizer Bauern in der frühneuzeitlichen Mark Brandenburg, hugenottische oder ‚welsche‘ Kaufmannsfamilien in Mitteleuropa, britisch-katholische Soldaten in europäischen Armeen, Tiroler Bergleute oder böhmische Weinhändler und Fuhrleute in Sachsen wären zu nennen, die teilweise in der Fremde recht eigenständige, manchmal mehr erfundene als ‚authentische‘ Gruppenidentitäten ausprägten.31 Das heuristische Potential des Begriffs Einwanderungsgesellschaft für die historische Analyse könnte unter anderem darin liegen, dass es sich bei einer Einwanderungsgesellschaft gleichsam um einen Schauplatz handelt, auf dem nicht nur die Zuwanderer die Gültigkeit eigener Normvorstellungen überprüfen müssen oder diese durch die Normen der Aufnahmegesellschaft verändert werden („Assimilation“), sondern auf dem sich eine durch Mobilität bedingte Veränderung der Gesellschaft in Norm und Praxis greifen lässt. Das würde bedeuten, nicht nur nach dem längerfristigen Erfolg oder Misserfolg von Migration und Sesshaftwerdung, von 30 31
Greenblatt, Stephen: Cultural Mobility. A manifesto. New York 2010, 10. Zu den einzelnen genannten Gruppen vgl. die jeweiligen Artikel in: Enzyklopädie Migration, passim. Zur Ausprägung von Gruppentraditionen vgl. Niggemann, Ulrich: Hugenotten. KölnWien 2011, 99–108; Schunka, Alexander: Forgotten Memories – Contested Representations. Early Modern Bohemian Migrants in Saxony. In: Enlarging European Memory. Migration Movements in Historical Perspective. Hgg. v. Mareike König / Rainer Ohliger. Ostfildern 2006, 35–46; Reves, Christiane: Vom Pomeranzengängler zum Großhändler? Netzwerke und Migrationsverhalten der Brentano-Familien im 17. und 18. Jahrhundert. Paderborn 2012. Vgl. aus aktueller Perspektive: Foroutan, Naika / Schäfer, Isabel: Hybride Identitäten. Muslimische Migrantinnen und Migranten in Deutschland und Europa. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 5 (2009), 11–18.
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Integration und Kulturtransfer zu fragen, sondern nach einem spezifischen gesellschaftlichen und kulturellen Pluralisierungs- und Veränderungspotential in historischen Einwanderungsgesellschaften und nach dessen kreativem, innovatorischem Charakter.32 DIMENSIONEN FRÜHNEUZEITLICHER MOBILITÄT Bei allen Schätzungen zu Migrantenzahlen oder auch zum Umfang einzelner, herausstechender Wanderungsvorgänge wie der österreichischen, böhmischen, französischen oder niederländischen Emigration ins Alte Reich und selbst der Auswanderung nach Nordamerika, Russland oder Ungarn wird leicht übersehen, dass eine flächendeckende demographische Verzeichnung der Einwohnerschaft eines Territoriums in der Frühen Neuzeit allenfalls in Ansätzen existierte – auch wenn sich die Zeitgenossen zumindest seit dem 17. Jahrhundert durchaus über die Bedeutung von Bevölkerungspolitik und -wissenschaft für ein funktionierendes Staatswesen einig waren.33 Die Ungenauigkeit und Unvollständigkeit statistischer Angaben hängt mit den Strukturbedingungen frühneuzeitlicher Staatlichkeit zusammen: Erst im 18. Jahrhundert fanden aufgrund entsprechender administrativer Interessen und personeller Voraussetzungen häufiger genauere Erhebungen von Bevölkerungszahlen statt, die auch über die Mobilität der Menschen Auskunft gaben. Mangels belastbaren Zahlenmaterials waren zeitgenössische Angaben ausgesprochen leicht in die eine oder andere Richtung instrumentalisierbar. So ging es auch dem Wiener Fürstbischof Kollonitz in seiner eingangs dargestellten Klage über die Zuwanderung von Protestanten nach Wien darum zu zeigen, dass die Hauptstadt des Reiches von protestantischen Fremden nur so überrannt wurde. Bei allem nachweisbaren Wachstum von Städten wie Wien im 18. Jahrhundert34 lässt sich die Einschätzung des Bischofs freilich nicht weiter quantifizieren. Die existierenden Bevölkerungslisten, Untertanenverzeichnisse oder Exulantenlisten der Epoche sind oft deshalb unvollständig oder allenfalls punktuell aussagekräftig, weil sie sich auf ganz konkrete Rechtszusammenhänge beziehen, aus denen heraus sie entstanden sind. Sie erheben einen größeren normativen Anspruch, 32
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Sachverständigenrat: Jahresgutachten 2010, 16: „Ergebnis ist die vielen modernen Einwanderungsgesellschaften gemeinsame Erfahrung eines beschleunigten und viele Zeitgenossen scheinbar überfordernden Wandels von Strukturen und Lebensformen […]. Der ethnonationale Traum von der Rettung einer ohnehin nur gefühlten Homogenität durch vermeintlich ‚echte Integration‘ (im Sinne einseitiger Assimilation der Zuwanderer ohne Veränderung der ‚Aufnahmegesellschaft‘) wird damit endgültig zur Illusion […]. Heterogenität und Differenz als Normallage ertragen zu lernen wird damit zur Hauptaufgabe der Sozialisation in der Einwanderungsgesellschaft, deren vielgestaltiger Wandel umso mehr auf eine gemeinsame Basis von Werten und Normen angewiesen ist.“ Dazu jetzt: Nipperdey, Justus: Die Erfindung der Bevölkerungspolitik. Staat, politische Theorie und Population in der frühen Neuzeit. Göttingen 2012. Zu diesem allgemeinen Trend siehe Rosseaux, Ulrich: Städte in der Frühen Neuzeit. Darmstadt 2006, 11. Wien verdoppelte seine Einwohnerschaft zwischen 1700 und 1800.
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auch wenn sie jeweils nur eine bestimmte Auswahl an Menschen zu einem eher zufälligen Erhebungszeitpunkt verzeichnen: etwa nur Männer bzw. Haushaltsvorstände, nur Steuerzahler, nur Inhaber des städtischen Bürgerrechts oder nur Almosenempfänger. Lässt sich auf diese Weise schon das Zuwanderungsgeschehen nur rudimentär in seiner quantitativen Dimension erfassen, so gilt dies umso mehr für Rück-, Weiter- und Abwanderungen. Sie entsprachen in der Regel weder den Wünschen der Verwaltung noch dem Selbstbild von Migrantengruppen und sind deshalb oft nur indirekt und über verstreute Angaben zu eruieren. Ein geistlicher Chronist des 17. Jahrhunderts konnte lobend die gut vierzig glaubensfesten protestantischen Auswanderer aus seinem Dorf erwähnen, zu denen er selbst gehörte, um dann den Mantel des Schweigens auszubreiten über die vermutlich deutlich höhere Zahl der „Anderen“, weniger Standhaften, die zum Katholizismus abgefallen und deshalb nicht emigriert waren. Als sich aber die Geschicke in seiner Heimat wendeten und die Katholiken vertrieben wurden, ging er darauf nicht weiter ein.35 Die begrenzte Reichweite belastbarer Aussagen macht es somit problematisch, von Begriffen wie Minderheit und Mehrheit zu sprechen. Auch zeitgenössische Quantifizierungsversuche und die jeweiligen Erfassungspraktiken reagierten auf konkrete Bedürfnisse nach Normsetzung, sie sind gleichzeitig aber Ausweis der Konstruiertheit solcher Normen angesichts der Allgegenwart räumlicher Mobilität in der frühneuzeitlichen Lebenswelt. Interessant ist dabei, dass Migrationsphänomene im Lauf der Vormoderne selbst immer stärker den geltenden Normen zu widersprechen schienen. Aus den Ergebnissen der Policeyforschung kann man schließen, dass Sesshaftigkeit immer stärker als verbindlicher gesellschaftlicher Standard definiert wurde, weil Mobilität aus Sicht des werdenden Staats in rechtlicher, wirtschaftlicher und fiskalischer Hinsicht immer weniger wünschenswert war.36 In diesem Zusammenhang lässt sich etwa seit dem 18. Jahrhundert auch ein erhöhter Mandatsausstoß und Verwaltungsaufwand feststellen, der letztlich etwa zur Entwicklung eines modernen Passwesens führte. In der Praxis bedeutete dies aber keineswegs, dass die Menschen weniger mobil waren – ganz im Gegenteil. Gleichwohl verbessert sich damit die Quellenbasis für Historiker, weil im Rahmen der zunehmenden Aktenproduktion neuzeitlicher Verwaltungen sich zusammen mit den Normen auch deren Übertretungen in immer höherem Maß niederschlugen. Wenn sich aus Sicht frühneuzeitlicher Verwaltungen Ortsfestigkeit zur Norm entwickelte, dann trat dies mit den tatsächlichen Mobilitätsphänomenen in ein immer stärkeres Spannungsverhältnis. Die Praktiken von Berufsmigranten verweisen in dieser Hinsicht auf migrantische Normensysteme, die mit den Ansprüchen von Staatlichkeit konkurrieren und konfligieren konnten – man denke nur an Strukturen von Wanderarbeit oder an Handwerkermobilität. Konkret scheint es daher frucht35 36
Dietwar, Bartholomäus: Leben eines evangelischen Pfarrers im früheren markgräflichen Amte Kitzingen von 1592–1670, von ihm selbst erzählt. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte des 30jährigen Kriegs in Franken. Hg. v. Volkmar Wirth. Kitzingen 1887, 90. Härter, Karl: Recht und Migration in der frühneuzeitlichen Ständegesellschaft. Reglementierung – Diskriminierung – Verrechtlichung. In: Zuwanderungsland Deutschland. Migrationen 1500–2005. Hg. v. Rosemarie Beier-De Haan. Berlin 2005, 50–71.
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bar, anhand solcher Konkurrenz- und Konfliktbereiche die Interaktionen im Alltag, das Spiel mit Norm und Praxis in Einwanderungsgesellschaften, also zwischen Migranten und Nichtmigranten und ihren jeweiligen institutionellen Vertretern genauer in den Blick zu nehmen, aus denen dann bestimmte Strategien der Herstellung von Normakzeptanz zu eruieren sind. Versucht man innerhalb der frühneuzeitlichen Lebenswelt zu konkretisieren, wo eigentlich Migranten auf Nichtmigranten trafen, dann treten bestimmte räumliche, administrative und soziale Gefüge in den Vordergrund. Dazu gehört der Bereich frühneuzeitlicher Infrastruktur, namentlich Straßen, Poststationen, Gasthäuser und Stadttore, außerdem Orte wirtschaftlicher Interaktion wie Märkte und Messen, kirchliche Einrichtungen – vom sonntäglichen Gottesdienst über Fremdengemeinden bis zu Konsistorien –, administrative und rechtliche Institutionen – vom Amtshaus über den Magistrat einer Stadt bis hin zu Rechtsprechungsorganen –, dörfliche und städtische Gemeinschaftsanlagen wie Brunnen oder Allmenden, schließlich Fürstenhöfe und Stätten höherer Bildung wie Gymnasien, Universitäten und gelehrte Gesellschaften. In solchen und anderen Kontexten erhält Einwanderungsgesellschaft in der frühneuzeitlichen Lebenswelt eine konkret erfahrbare Relevanz. AUSHANDELN VON NORMEN IN EINWANDERUNGSGESELLSCHAFTEN Welche Normen und Normverletzungen spielten im Alltag frühneuzeitlicher Einwanderungsgesellschaften eine Rolle – und worin liegt der spezifische Beitrag von Migrationen und Migranten der Vormoderne für die Infragestellung und das Aushandeln von Normen einer Gesellschaft? Um die Vielfalt möglicher empirischer Untersuchungsfelder, Befunde und Beispiele etwas zu systematisieren, werden nun in typologisierender Absicht drei Bereiche herausgegriffen, anhand derer das Gefüge von Norm und Praxis innerhalb frühneuzeitlicher Einwanderungsgesellschaften thesenhaft verdichtet wird – unter besonderer Berücksichtigung einer aktiven, normbildenden Rolle von Migranten. 1. Infragestellung und Außerkraftsetzung gesellschaftlicher Normen durch Migranten Die neuere historische Migrationsforschung hat sogenannten „Migrationsregimen“ vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt. Damit sind insbesondere die politischen bzw. obrigkeitlichen Strategien in der Erfassung und Beeinflussung von Migrationsprozessen, Formen zentraler Ansiedlungspolitik und einer Lenkung von Migrantenströmen gemeint.37 Eine solche Perspektive ist auf die Epoche der Frühen Neuzeit 37
Migrationsregime bezeichnet nach der relativ offenen Definition Jochen Oltmers spezifische „migrationspolitische Prinzipien, Regeln, Entscheidungsprozeduren und institutionelle Rahmungen, die das Handeln von Akteuren prägen“; Oltmer, Jochen: Migration im 19. und 20. Jahrhundert. München 2010, 8.
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nur eingeschränkt übertragbar: Würde sich der Blick des Historikers vordringlich auf entsprechende Gesetze und Mandate, auf Verordnungen und Ansiedlungsprivilegien beschränken, dann ließe sich mancherorts an eine zentrale Lenkung der Einwanderungspolitik glauben, die eine Infragestellung gesellschaftlicher Normen in gewisser Hinsicht gleichsam von vorne herein unterbunden hätte. Tatsächlich allerdings ist es ein Spezifikum vormoderner Verwaltungen, dass eine an Zuwanderer gerichtete Gesetzgebung oft weder durchsetzbar noch sanktionierbar war. Deutlich wird dies an einem frühneuzeitlichen Einwanderungsterritorium par excellence: Brandenburg-Preußen. Gerade im Gefolge des Dreißigjährigen Krieges wurden durch die Staatsverwaltung massive Anstrengungen unternommen, die entvölkerten Provinzen wieder zu peuplieren. Dazu gehörten Ansiedlungsbemühungen auf dem Land genauso wie eine monarchische Privilegienpolitik, die sich auf die Städte auswirkte. Konkret verlief die Peuplierung in Brandenburg-Preußen nicht selten äußerst schleppend, und ein Blick auf die Mikroebene zeigt, dass viele Menschen trotz entsprechender Lockangebote überhaupt nicht nach Brandenburg-Preußen kamen oder dass sie kamen, aber nicht lange blieben. Menschen entschieden sich gegen eine dauerhafte Ansiedlung, weil es trotz obrigkeitlicher Versprechen von Steuerbefreiungen und Unterstützungsmaßnahmen schwierig war, an ausreichende Ressourcen zu gelangen (von Bauholz bis zu Krediten), weil sie Sorge haben mussten, entgegen der ihnen angebotenen Enrollierungsfreiheit gegen ihren Willen zur Armee eingezogen zu werden oder weil sie nicht die nötigen Kompetenzen in Bezug auf lokale Wirtschaftsweisen mitbrachten. Mit dem „Entlaufen“ von Migranten hatten dann die Behörden vor Ort zu kämpfen. Sie durften aber wiederum nicht zu viele Fehlschläge an die Zentrale melden, weil dies die Verhältnisse vor Ort in ein schlechtes Licht gerückt hätte.38 Wo es tatsächlich zu dauerhaften Ansiedlungen kam, entstanden nicht selten Ressourcenkonflikte mit Einheimischen über eine vorgebliche Sonderbehandlung der Zuwanderer. Vieles an dieser angeblich so erfolgreichen Peuplierungspolitik oder, in der Terminologie der neueren Migrationsforschung gesprochen, am brandenburgischpreußischen Migrationsregime, scheint sich bei genauerem Hinsehen mithin als Mythos zu entpuppen. Viel häufiger ist im frühneuzeitlichen Alltag von eher ungeregelten Zuständen auszugehen, die darauf verweisen, dass sich Migrationsverhältnisse nur bedingt steuern ließen. So stand etwa im Kursachsen des 17. Jahrhunderts die Stadt Pirna zeitweise vor dem demographischen Kollaps, da sie innerhalb kürzester Zeit von böhmischen Exulanten gleichsam überrannt wurde. Mehrere tau38
Motsch, Christoph: Grenzgesellschaft und frühmoderner Staat. Die Starostei Draheim zwischen Hinterpommern, der Neumark und Großpolen (1575–1805). Göttingen 2001, 194–208; Asche, Matthias: Neusiedler im verheerten Land. Kriegsfolgenbewältigung, Migrationssteuerung und Konfessionspolitik im Zeichen des Landeswiederaufbaus. Die Mark Brandenburg nach den Kriegen des 17. Jahrhunderts. Münster 2006, 410 f.; Schmoller, Gustav: Die ländliche Kolonisation des 17. und 18. Jahrhunderts [1886]. In: Moderne Preußische Geschichte 1648–1947. Eine Anthologie. Hgg. v. Otto Büsch / Wolfgang Neugebauer. Berlin-New York 1981, 911–950, hier: 924; Walz, Rainer: Die Ansiedlung der Salzburger Emigranten in Ostpreußen. In: Probleme der Migration und Integration im Preussenland vom Mittelalter bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts. Hg. v. Klaus Militzer. Marburg 2005, 105–140.
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send Zuwanderer ließen sich nicht ohne Weiteres unterbringen und ernähren. Die Folge waren Versorgungsschwierigkeiten, Wohnungsnot und konfessionell-soziale Konflikte, die zu entsprechend stereotypen Feindbildern führten. Noch Jahre später erzählte man sich unter den Einwohnern Pirnas, böhmische Kollaborateure aus der Migrantenschaft seien schuld daran gewesen, dass die Schweden die Stadt 1639 in Schutt und Asche gelegt hatten.39 Ein anderes, noch dramatischeres Beispiel für die Überforderung von Verwaltung und Einwohnern angesichts ungeregelter Migrantenströme verweist nach Großbritannien. Im Jahr 1709 trafen in London innerhalb weniger Wochen etwa 11.000 Deutsche aus dem Ober- und Mittelrheingebiet ein, die aufgrund fehlerhafter Informationen in der Hoffnung auf eine kostenlose Weiterfahrt in die amerikanischen Kolonien nach Großbritannien aufgebrochen waren. An eine solche Ansiedlung in Nordamerika war allerdings seitens der britischen Behörden schon angesichts der hohen Kosten für die Überfahrt nicht zu denken. Die Neuankömmlinge waren bitterarm und wurden zunächst in Lagern zusammengepfercht, wo sie an den Wochenenden von schaulustigen Londonern besichtigt wurden. Einheimische Politiker und Kirchenleute hofften darauf, dass es sich bei den sogenannten „Poor Palatines“ im Einklang mit der britischen Konfessionspolitik doch wenigstens um protestantische Glaubensflüchtlinge handeln möge, für die sich ein entsprechender humanitärer Einsatz vor Gott rechtfertigen ließe. Genauere Nachforschungen ergaben freilich, dass ein großer Teil der Migranten katholisch war und damit als Gefahr für das anglikanisch-protestantische Staatskirchentum angesehen wurde. Die „Poor Palatines“ dienten den Politikern aus der Partei der Tories als günstiges Argument dafür, eine gerade erfolgte Liberalisierung des britischen Staatsbürgerrechts wieder rückgängig zu machen.40 Und ein deutscher Augenzeuge, der seit Jahren als Geistlicher in einer der Londoner Fremdengemeinden wirkte, stellte die Ankunft der Pfälzer in London in den Kontext der Völkerwanderung der Antike; er verglich den Ansturm seiner Landsleute mit dem Vordringen barbarischer Horden auf Rom. Der Beobachter verwendete für diesen Vorgang den durchaus abwertend gemeinten Begriff „Migration“ – ein sehr früher Beleg für diese Wortform in der deutschen Sprache.41 Faktisch sollte es Jahre dauern, bis man die Pfälzer angemessen untergebracht oder teils auch wieder auf das europäische Festland zurückgeschickt hatte.
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Bobková, Lenka: Die Gemeinde der böhmischen Exulanten in der Stadt Pirna 1621–1639. In: Herbergen der Christenheit 27 (2003), 37–56; Schunka, Alexander: Gäste, die bleiben. Zuwanderer in Kursachsen und der Oberlausitz im 17. und frühen 18. Jahrhundert. Münster u. a. 2006, 161. Otterness, Philip: Becoming German. The 1709 Palatine migration to New York. Ithaca 2004. Statt, Daniel: Foreigners and Englishmen. The Controversy over Immigration and Population, 1660–1760. Newark 1995; Dickinson, H. T.: The Poor Palatines and the Parties. In: English Historical Review 82 (1967), 464–485. O’Reilly, William: The Naturalization Act of 1709 and the Settlement of Germans in Britain, Ireland and the Colonies. In: From Strangers to Citizens. The Integration of Immigrant Communities in Britain, Ireland and Colonial America, 1550–1750. Hgg. v. Charles Littleton / Randolph Vigne. London 2001, 492–502. Schunka, Konfession und Migrationsregime, 32 f.
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Diese Beispiele zeigen, wie wenig sich frühneuzeitliche Migrationen unter bestimmten Umständen steuern ließen und dass das Normgefüge einer Gesellschaft durch Zuwanderung an seine Grenzen kommen konnte. Während es sich hier jedoch in gewisser Weise um regionale Ausnahmefälle handelte, bestand das Problem unkontrollierter Mobilität im Bereich gesellschaftlicher Randgruppen und Unterschichten fast permanent.42 Dieser Personenkreis wurde oft nur dann überhaupt aktenkundig, wenn jemand explizit mit dem Gesetz in Konflikt kam. Ansonsten ließen sich Unterschichtsangehörige durch frühneuzeitliche Verwaltungsorgane nur unzureichend erfassen: sie waren hochmobil, arbeiteten als Tagelöhner, wechselten die Orte, schlichen sich an den Stadtwachen vorbei in die Städte zum Betteln und waren fast überall ganz selbstverständlicher Teil der frühneuzeitlichen Gesellschaft. Innerhalb dieser Gruppen wurden Mobilität und Armut gleichsam selbst zur Norm, gepaart mit Strategien der Lebensbewältigung am Rande oder jenseits der Legalität. Die Dimension individueller Normbrüche wird freilich dann sichtbar, wenn man die Perspektive wechselt und sich den dahinter stehenden Biographien nähert. Auch wenn die meisten Wandernden sich von einem Ortswechsel ihre Überlebenssicherung bzw. eine Verbesserung ihrer aktuellen Umstände erhofften, enthüllen die Lebensentwürfe mobiler Unterschichten ein großes Spektrum sozialer Abstiege. Unter den mobilen Bettlern waren häufig Menschen, die in eine Position außerhalb ständischer Sozialnetze und Fürsorgestrukturen geraten waren: deren Bürgerrechtsaufnahme gescheitert war, die keinen Zugang zu Handwerkszünften erhalten hatten oder deren Familien zerbrochen waren; außerdem Pfarrer, die keine Anstellung finden konnten und einige Jahre als Bettler umherzogen, „Arme vom Adel“, die nur noch durch Almosen überleben konnten, Kriegsversehrte, Konvertiten, alleinstehende Frauen, die sich als „Witwen“ ausgaben: dies umreißt das Spektrum derer, die sich – in der Regel keineswegs freiwillig – am Rand der Gesellschaft durch ihr Leben schlugen.43 Bedürftige und bettelnde Menschen stellten zwar gleichsam ein Strukturphänomen der frühneuzeitlichen Ständegesellschaft dar, aber der Einzelne war üblicherweise nicht als Bettler geboren worden, sondern geriet erst später in eine Situation der Bedürftigkeit, die ihm dann zur Lebensbewältigung eine hohe räumliche Mobilität abverlangte. Soziale Mobilität ging oft mit räumlicher Mobilität einher; Abstiege sind in den Quellen allerdings weit schwerer zu greifen als entsprechende soziale Aufstiege. Die Schicksale mobiler Unterschichten unterstreichen dabei deutlich, dass eine Infragestellung gesellschaftlicher Normen durch Migranten nicht immer auf freiwilligen Entscheidungen beruhte.
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Siehe neben anderen: Roeck, Bernd: Außenseiter, Randgruppen, Minderheiten. Fremde im Deutschland der frühen Neuzeit. Göttingen 1993; Rheinheimer, Martin: Arme, Bettler und Vaganten. Überleben in der Not 1450–1850. Frankfurt a. M. 2000. Minderheiten, Obrigkeit und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit. Integrations- und Abgrenzungsprozesse im süddeutschen Raum. Hgg. v. Mark Häberlein / Martin Zürn. St. Katharinen 2001. Beispiele bei Schunka, Gäste, 270–351.
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2. Normbildungspotential von Migrationen innerhalb der Einwanderungsgesellschaft Dass Migranten sich bestimmten Vorgaben der Aufnahmegesellschaft anzupassen hätten, ist ein Gemeinplatz in den aktuellen Debatten um Integrationspolitik. Die Forschung (und in zunehmendem Maße die mediale Öffentlichkeit) interessiert sich demgegenüber aber auch dafür, inwieweit eigentlich Migrationen eine Einwanderungsgesellschaft verändern. Solche Fragen lassen sich durchaus auch im Blick auf Normsetzungsprozesse in frühneuzeitlichen Kontexten mit Gewinn stellen. Im Fall der schon erwähnten Pfälzer Einwanderung nach Großbritannien im Jahr 1709 führte etwa der plötzliche Zuzug von Migranten nicht nur zu einer Regierungskrise, sondern vielmehr zu einer Änderung des britischen Staatsangehörigkeitsrechts, wenngleich zu Ungunsten künftiger Immigranten. Doch auch längerfristige Prozesse verweisen darauf, dass Migrationen zum Auslöser für die Veränderung von Normen werden können. In sozioökonomischer Hinsicht betrifft dies etwa Siedlungs- und Erwerbsverhältnisse, die auch Einfluss auf die lokalen Familien- und Geschlechterordnungen haben konnten. Für die sächsische Oberlausitz im 18. Jahrhundert ist die These vertreten worden, dass die Einwanderung böhmischer Landbewohner und Kleinhandwerker die ländliche Lebenswelt dergestalt beeinflusste, dass sich die Siedlungsstrukturen vom „Bauerndorf zum Weberdorf“ entwickelten.44 Dieser Prozess hatte allerdings nicht nur Auswirkungen auf die Dorfarchitektur, sondern auch auf die Geschlechterrollen innerhalb der dortigen Einwohnerschaft. Längerfristig haben sich hier aus der Verbindung von Frondienst und Weberhandwerk neue Möglichkeiten weiblicher Erwerbsarbeit ergeben; zugleich wurde die durch böhmische Migranten etablierte Weberei aber immer mehr als Frauenarbeit stigmatisiert.45 In kirchlicher, kultureller oder sprachlicher Hinsicht stellten Migrationen vielerorts eine postulierte Homogenität der Einwanderungsgesellschaft in Frage. Vermittlungsinstanzen zwischen Zuwanderern und der Lokalgesellschaft waren häufig bestimmte Kirchgemeinden, deren Geistliche in eine besondere Rolle als Integrationsfiguren hineinwuchsen und nicht nur die sprachlichen und rituellen Formen des Gottesdienstes und das Sozialgefüge der Gemeinden prägten, sondern zugleich wichtige Ansprechpartner der örtlichen Verwaltungen darstellten. So dienten Kirchgemeinden als sprachliche, soziale und kulturelle Schmelztiegel, die gleichzeitig eng mit den territorialkirchlichen Strukturen verknüpft waren. In den böhmischen Gemeinden in Sachsen, bei französischen Refugiés in Brandenburg-Preußen, in den Fremdengemeinden Londons und anderswo lässt sich bei aller Eigenständigkeit der Kirchenstrukturen der Grad der Zusammenarbeit des Kirchenpersonals mit lokalen Obrigkeiten nachweisen.46 44 45 46
Kunze, Arno: Vom Bauerndorf zum Weberdorf. In: Oberlausitzer Forschungen. Beiträge zur Landesgeschichte. Hg. v. Martin Reuther. Leipzig 1961, 165–192. Quataert, Jean H.: Survival Strategies in a Saxon Textile District during the Early Phases of Industrialization, 1780–1860. In: European Women and Preindustrial Craft. Hg. v. Daryl M. Hafter. Bloomington–Indianapolis 1995, 153–178. Zu den böhmischen Kirchenstrukturen in Sachsen siehe Schunka, Gäste, 159–180. Zu den Kirchenstrukturen der Refugiés siehe Niggemann, Immigrationspolitik, 439–535.
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In London existierten seit dem 16. Jahrhundert zahlreiche Fremdengemeinden (deutsch, französisch, schwedisch, italienisch, niederländisch u. a.), die sich mit vernakularsprachlichen Gottesdiensten an eine bestimmte Klientel aus Migranten, Reisenden und Kaufleuten richteten und sich teilweise über die Jahre auch innerhalb ihrer ethnischen Gruppe nochmals aufspalteten: Um 1700 waren daraus annähernd zwanzig französische und vier deutsche Kirchengemeinden geworden. Die französischen standen entweder der Church of England nahe oder den Presbyterianern, deutsche Gemeinden waren um das Jahr 1700 pietistisch, lutherisch-orthodox bzw. reformiert ausgerichtet und spiegelten damit die Spaltungen innerhalb des heimatlichen Protestantismus wider. Bisweilen kooperierten die Kirchgemeinden auch untereinander und bildeten ein recht stabiles Netz migrantischer Infrastruktur, das trotz sprachlicher und kultureller Traditionswahrung freilich keineswegs gegenüber der Lokalgesellschaft abgeschlossen war, wie etwa die Eheschließungen der Gemeindemitglieder zeigen.47 Fremdenkirchen, die nicht nur in Großbritannien, sondern auch im Zarenreich, in den Niederlanden, der Eidgenossenschaft oder an vielen Orten des Heiligen Römischen Reichs existierten, bildeten gleichermaßen Orte der Zuflucht, der Vermittlung und der Traditionsbildung von Migranten und waren häufig Ausgangs- und Kristallisationspunkte einer gesellschaftlichen und kulturellen Pluralisierung der Einwanderungsgesellschaften. Im Umfeld solcher Kontaktzonen entstanden ‚dritte Räume‘, die weder mit den Ausgangs-, noch mit den Aufnahmekulturen völlig deckungsgleich waren. So wurden etwa die sogenannten Kolonien von Hugenotten und Böhmen in Brandenburg-Preußen, die über einen spezifischen rechtlichen Status und meist über eigenständige Wirtschafts-, Sozial-, Bildungs- und Kirchenstrukturen verfügten, im Lauf der Jahre immer stärker zu Anziehungspunkten für Nichtböhmen bzw. Nichtfranzosen, mit oder ohne Migrationshintergrund.48 Noch unzureichend erforscht sind in dieser Hinsicht die sich daraus ergebenden Formen sprachlich-kultureller Kreolisierung49 oder etwa Hybridisierungen in der Kunst.50
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Gwynn, Robin: Huguenot Heritage. The History and Contribution of the Huguenots in Britain. 2. Auflage [11985]. Brighton 2001, 118–139. Zu den deutschen Gemeinden Englands siehe Steinmetz, Susanne: Deutsche Evangelische Gemeinden in Großbritannien und Irland. Geschichte und Archivbestände. Hannover 1998. Zu den Fremdengemeinden in London im 16. und 17. Jahrhundert klassisch: Pettegree, Andrew: Foreign Protestant Communities in Sixteenth Century London. Oxford 1986; Grell, Ole Peter: Dutch Calvinists in Early Stuart London. The Dutch Church in Austin Friars, 1603–1642. Leiden-Boston 1989. Schunka, Migranten und kulturelle Transfers, 88. Zum Sprachwechsel bei hugenottischen Refugiés: Böhm, Manuela, Sprachenwechsel. Akkulturation und Mehrsprachigkeit der Brandenburger Hugenotten vom 17. bis 19. Jahrhundert. Berlin-New York 2010. Zum Gesamtproblem vgl. auch Mühleisen, Susanne: From Humboldt to Bickerton. In: The Fuzzy Logic of Encounter. New Perspectives on Cultural Contact. Hgg. v. Gesa Mackenthun / Sünne Juterczenka. Münster 2009, siehe auch die Beiträge in: Stolz, Christel (Hg.): Unsere sprachlichen Nachbarn in Europa. Die Kontaktbeziehungen zwischen Deutsch und seinen Grenznachbarn. Bochum 2009. Zuletzt: Kern, Margit: Übersetzungsprozesse in der religiösen Kunst der Frühen Neuzeit. Die Mission in Neuspanien. In: Religion und Mobilität. Zum Verhältnis von raumbezogener Mobi-
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Auch in der Einführung bzw. Etablierung bestimmter Ideen und Techniken schlägt sich das normbildende Potential von Migrationen nieder. Die Übernahme neuer Wirtschaftsformen oder Verwaltungspraktiken kann bisweilen auf entsprechende Migrationsvorgänge und kulturelle Transfers zurückgeführt werden. Einiges deutet auch darauf hin, dass die immer genauere demographische Erfassung der Bevölkerung, die vermehrte Verwendung von Tabellen und Listen in der Staatsverwaltung und die Frühformen von Bevölkerungsstatistik mit den konkreten Anforderungen frühneuzeitlicher Migrationen verbunden waren.51 Wie stark Migranten und ihre Nachfahren selbst an migrationspolitischen Normierungsprozessen beteiligt waren, lässt sich beispielhaft anhand der preußischen Staatsverwaltung illustrieren. So fand nicht nur die Privilegierung französischer Refugiés im Umfeld des Edikts von Potsdam 1685 unter enger Mitwirkung betroffener Hugenotten statt, sondern auch die Organisation der französischen Kolonie lag weitgehend in den Händen der Migranten.52 Und im späteren 18. Jahrhundert wurde in BrandenburgPreußen in gewisser Weise Migrationspolitik von Migranten für Migranten betrieben – von den gelehrt-theoretischen Entwürfen in der Berliner Akademie über die konkrete Staatsverwaltung bis hin zur Ansiedlungspraxis im Oderbruch. Zahlreiche mit Migrations- und Ansiedlungsfragen befasste Angehörige der politisch-administrativen Ebene im Hohenzollernstaat verfügten über einen unmittelbaren oder mittelbaren Migrationshintergrund, namentlich Süßmilch, Haarlem, Brenkenhoff und Euler.53 Es wäre lohnend, am Beispiel Preußens das Verhältnis von Migrationshintergrund und Migrationspolitik einmal genauer zu untersuchen, weil man dann Aufschlüsse darüber erhielte, wie weit frühneuzeitliche Migranten auf die territoriale Normgebung eingewirkt haben. Migrationsvorgänge, Ansiedlungen und die damit einhergehenden Normierungsprozesse waren somit nie nur von den Aufnehmenden gelenkt, sondern wurden direkt oder indirekt von Migranten beeinflusst und strahlten innerhalb der Einwanderungsgesellschaften auf die sesshafte Bevölkerung aus. Migrantische Gestaltungsmöglichkeiten zeigen sich bei nordamerikanischen Siedlern ebenso wie in Brandenburg-Preußen, sie umfassen spezifische Eigenlogiken beim Nahrungserwerb, der Überlebenssicherung, der Traditionsbildung und der Generierung ‚dritter Räume‘ an den Zuwanderungsorten, die vor dem Hintergrund von Fragen nach Integration und Assimilation der Migrantenschaft in eine Mehrheitsgesellschaft zu oft übersehen worden sind.
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lität und religiöser Identitätsbildung im frühneuzeitlichen Europa. Hgg. v. Henning P. Jürgens / Thomas Weller. Göttingen 2010, 265–291. Zum Verhältnis von Bevölkerungstheorie und Bevölkerungspolitik siehe jetzt Nipperdey, Erfindung, insb. 441–609. Niggemann, Immigrationspolitik, 92–95, 101–104 unter Berücksichtigung der umfangreichen, einschlägigen Literatur. Schunka, Migranten und kulturelle Transfers, 90–92.
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3. Bewahrung und Konstruktion migrantischer Normen Ein letzter hier anzusprechender Aspekt ist die Bewahrung oder gar Stärkung eigenständiger migrantischer Normen in der Einwanderungsgesellschaft, einschließlich einer Traditionsbildung von Minderheiten und der Ausprägung spezifischer Rechtfertigungsnarrative, die auf Absonderung von einer Mehrheitsgesellschaft und Konstituierung einer spezifischen Gruppenidentität abzielen. Solche Narrative verweisen in der Regel auf eine gemeinsame Vergangenheit oder auf die Zugehörigkeit zu einer besonderen Schicksalsgemeinschaft und berühren häufig den religiösen Bereich. Unter dem Eindruck der Vertreibungen zu Beginn der Neuzeit formierte sich etwa im sephardischen Judentum gleichsam ein doppeltes Diaspora-Narrativ, das aufbauend auf traditionellen jüdischen Vertreibungsvorstellungen eine gemeinsame sephardische Identität über große geographische Distanzen hinweg ausprägte.54 In ähnlicher Weise bemühten sich die Gemeinschaften hugenottischer Refugiés in Europa und Nordamerika55 oder die katholischen Jakobiten56 um die Wahrung einer traditionsstiftenden Eigenkultur. Das habsburgische bzw. böhmische Exil des 17. Jahrhunderts wiederum brachte zahlreiche politisch-historische Darstellungen hervor, die auf eine gemeinsame, bisweilen eher imaginierte Vergangenheit rekurrierten.57 Innerhalb des religiösen Exils der Frühen Neuzeit lassen sich verschiedentlich bestimmte Auserwähltheitsvorstellungen feststellen, die von Heinz Schilling als Beiträge zu einer „Exulantentheologie“ angesehen werden:58 Häufige Rekurse auf Leidensfähigkeit, Martyrium und Standhaftigkeit implizierten, dass die wahren Bekenner der christlichen Kirche diejenigen waren, die Vertreibung, Armut und Gefahren erdulden mussten.59 Zwischen den einzelnen Konfessionsgruppen, die an54 55 56 57
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Ray, Jonathan: After Expulsion. New York 2013, v. a. 135–155. Lachenicht, Susanne: Renaissance in der Diaspora? Hugenottische Migration und Identität(en) im „Refuge“. In: Religion und Mobilität, 169–182. Vgl. in Umrissen: Szechi, Daniel: The Jacobites. Britain and Europe, 1688–1788. Manchester 1994, 126–135. Bahlcke, Joachim: Kollektive Freiheitsvorstellungen aus den Erfahrungen konfessioneller Migration. Das Beispiel Böhmen. In: Kollektive Freiheitsvorstellungen im frühneuzeitlichen Europa (1400–1850). Hgg. v. Georg Schmidt / Martin van Gelderen. Frankfurt a. M. u. a. 2006, 381– 396; Kersken, Norbert: Geschichtsschreibung im Exil. Historiker und ihre Texte im Kontext erzwungener Migration. In: Glaubensflüchtlinge. Ursachen, Formen und Auswirkungen frühneuzeitlicher Konfessionsmigration in Europa. Hg. v. Joachim Bahlcke. Berlin 2008, 27–59. Zuletzt z. B. Schilling, Heinz: Peregrini und Schiffchen Gottes. Flüchtlingserfahrungen und Exulantentheologie des frühneuzeitlichen Calvinismus. In: Calvinismus. Die Reformierten in Deutschland und Europa, Ausstellungskatalog. Hgg. v. Ansgar Reiss / Sabine Witt. Dresden 2009, 160–168. Kritisch zum Konzept einer „Exulantentheologie“: Jürgens, Henning: Die Vertreibung der reformierten Flüchtlingsgemeinden aus London. Jan Utenhoves „Simplex et fidelis narratio“. In: Religion und Mobilität, 13–40, hier 38 f. Schunka, Alexander: Constantia im Martyrium. Zur Exilliteratur des 17. Jahrhunderts zwischen Humanismus und Barock. In: Frühneuzeitliche Konfessionskulturen. Hgg. v. Thomas Kaufmann / Anselm Schubert / Kaspar von Greyerz. Gütersloh 2008, 175–200. In Kürze Ders.: Migranten als Glaubenszeugen und Vermittler. Zum Verhältnis von religiösem Exil und protes-
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sonsten durchaus auf die Wahrung eigenständiger Traditionen achteten, ergeben sich hinsichtlich der Struktur und der Topoi ihrer traditionsbildenden Narrative zahlreiche, oft überraschende Ähnlichkeiten.60 Es liegt in der Natur solcher Rechtfertigungserzählungen, dass sie zur Selbstvergewisserung und Identitätsbildung ständig wiederholt und aufgefrischt werden müssen, um nicht ihre Gültigkeit zu verlieren. Daher spiegeln sie sich in Form entsprechender biblischer Bezüge oder in plakativen Verweisen auf Armut, Standhaftigkeit, Leiden und Erlösung, lebenslange Wanderschaft u. a. in Predigten, historischen Werken und Liedern, auf Bildern, Gedenkmünzen oder Grabsteinen wider.61 Die ältere historische Forschung hat den Konstruktcharakter derartiger Narrative für die Identitätsstiftung von Migrantengruppen unter den Bedingungen der Einwanderungsgesellschaft bzw. in Abgrenzung zu ihr nicht immer erkannt und hat stattdessen von derartigen Normpostulaten manchmal recht unvermittelt auf die sozialen Realitäten der Einwandererschaft geschlossen. Mit dem sozialhistorisch fassbaren Migrationsgeschehen hatten derartige Großerzählungen gleichwohl wenig zu tun, wohl aber mit der Herstellung von Gruppenkohärenz. Solche traditionsstiftenden und identitätsbildenden Maßnahmen setzten gleichzeitig innerhalb von Migrantengruppen einen gewissen Normierungsdruck gegenüber Gruppenangehörigen frei, der auf Normverletzungen mit Sanktionen reagierte. Zu entsprechenden Normübertretungen gehörte alles, was die Zugehörigkeit zur Gruppe in Frage stellte: religiöse Abweichung, Rückwanderung, Konversionen oder das Erschleichen von Vergünstigungen durch Menschen, die sich unrechtmäßig als standhafte Glaubensflüchtlinge ausgaben. An solchen Techniken der Herstellung von Gruppenkohärenz wird deutlich, dass Normgebung und Normdurchsetzung nicht allein auf Sanktionsdrohungen beruhen, sondern auch auf einem System von Belohnungen:62 Die Belohnung lag in der Zugehörigkeit zu den Auserwählten (und ggf. im Zugriff auf entsprechende Unterstützungs- und Versorgungsmaßnahmen); Sanktionen wurden in verbaler Form ausgeübt, sie konnten aber auch in der Einschränkung des Zugangs zu bestimmten Ressourcen oder im ostentativen Ausschluss aus der Gruppe resultieren. Aus solchen gruppeninternen Normen und Inklusionspraktiken folgten konkrete Techniken, mit denen der Status als Angehöriger einer Minderheit instrumentalisiert werden konnte. Man sieht dies nicht zuletzt in Selbstbeschreibungen und Selbstmarkierungen als Flüchtling und Exulant, wie sie sich in Bittschriften, Kollektenbüchern, Einträgen in Almosenlisten oder in Stammbüchern niedergeschlagen haben, aber auch an der Struktur migrantischer Unterstützernetzwerke. Auch
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tantischer Kommunikation seit der Reformationszeit. In: Entfaltung und zeitgenössische Wirkung der Reformation. Hgg. v. Irene Dingel / Ute Lotz-Heumann. Gütersloh (i. V. für 2015). Vgl. Janssen, Geert H.: Quo vadis? Catholic Perceptions of Flight and the Revolt of the Low Countries, 1566–1609. In: Renaissance Quarterly 64 (2011), 472–499. Siehe u. a. Marsch, Angelika: Die Salzburger Emigration in Bildern. Weißenhorn 1977; Dittrich, Raymond: Die Liederdrucke der Salzburger Emigration von 1732. In: Migration und kirchliche Praxis, 145–180. Vgl. Hering Torres, Max Sebastian: Artikel Soziale Wertesysteme. In: Enzyklopädie der Neuzeit 12, 257 f.
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hier waren häufig die Geistlichen entscheidende Propagatoren ‚exulantischer‘ Idealvorstellungen. Wo die Quellen entsprechende Einblicke erlauben, findet sich ein entsprechendes Gruppenbewusstsein in Kirchenbräuchen, Handelspraktiken, Essgewohnheiten und selbst in der Kleidung wieder. Minderheitsbewusstsein und Stärkung gruppeninterner Normen schlugen sich bisweilen in ostentativer Abgrenzung gegenüber einer Mehrheitsgesellschaft nieder, was gleichzeitig aber eine Partizipation an deren lebensweltlichen Strukturen keineswegs ausschloss. SCHLUSS: NORMENKOMMUNIKATION UND DIE LOGIK VON BEGRÜNDUNGEN Um breite Akzeptanz zu finden, müssen Normen plausibel begründet werden. Plausible Begründungen bauen wiederum auf Konsensvorstellungen zwischen Begründer und Adressat auf. Der Logik von Normbegründungen im Migrationszusammenhang gelten die abschließenden Überlegungen, die wieder zur anfangs ausführlich dargestellten Klage des Fürstbischofs Kollonitz über die protestantischen Zuwanderer der Residenzstadt Wien zurückführen. Der Historiker Charles Tilly unterscheidet in seinem Buch mit dem Titel Why? vier verschiedene verallgemeinerbare Muster, nach denen Begründungen funktionieren.63 Dazu gehören erstens Konventionen. Laut Tilly müssen Konventionen nicht weiter ausgeführt werden. Wer seine Begründung auf Konventionen aufbaut, der geht davon aus, dass diese vom Gegenüber einfach akzeptiert werden. Wendet man Tillys Beobachtungen auf die Invektive des Erzbischofs Kollonitz an, so fungieren als nicht hinterfragbare Konventionen beim Bischof etwa der Verweis auf die Bürde seines Amts, die ihn zu seiner Klage veranlasst habe, oder die für ihn und den Empfänger kaum hinterfragbare Tatsache, dass es sich beim Protestantismus um einen gleichsam krankhaften Irrglauben handele. Ein zweites Muster von Begründungen stellen laut Tilly Narrative dar. Narrative vereinfachen, sind auf Memorierbarkeit ausgerichtet und enthalten häufig Wertungen. Kollonitz entfaltet in Form einer narrativen Begründung die historische Tradition und räumliche Ausbreitung des katholischen Glaubens, die zu dessen Verteidigung Anlass geben muss, außerdem die traditionelle Rolle der Habsburgerkaiser als Verteidiger der Papstkirche – von Ferdinand II. bis Leopold.64 Daraus folgt in der Logik des Fürstbischofs, dass auch der aktuelle Kaiser Karl VI. noch entschiedener an diese historische Tradition anknüpfen und die protestantischen Umtriebe bekämpfen müsse. 63 64
Tilly, Charles: Why? Princeton–Oxford 2006, 15–19. Die beste aktuelle Übersicht über die Habsburger Monarchie im Konfessionellen Zeitalter ist sicherlich Winkelbauer, Thomas: Österreichische Geschichte 1522–1699. Ständefreiheit und Fürstenmacht, Länder und Untertanen des Hauses Habsburg im konfessionellen Zeitalter, Bd. 1–2. Wien 2003. Siehe aber auch immer noch Evans, Robert J. W.: Das Werden der Habsburgermonarchie 1550–1700. Gesellschaft, Kultur, Institutionen. 2. Unveränderte Auflage [11986]. Wien 1989.
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Eine dritte Form von Begründungen bilden nach Charles Tilly sogenannte Codes. Ähnlich wie Konventionen stehen Codes eher für sich selbst und müssen nicht lange hinterfragt oder narrativ entwickelt werden. Codes entsprechen inhaltlich wohl am Ehesten dem, was man als Normen bezeichnen würde. Entscheidende Bereiche berühren das Recht und Fragen der Religion. Beides findet sich auch in der Klage des Fürstbischofs wieder. Er beruft sich mehrfach auf ein Völkerrecht, konkret auf die Westfälische Friedensordnung, darüber hinaus aber auch auf Landesgesetze. Kollonitz argumentiert mit den Beschlüssen des Trienter Konzils und, im Einklang mit der jesuitischen Aristotelesrezeption seiner Zeit, mit einer „Disciplina moralis“. Nichts davon muss dem Empfänger seiner Beschwerde näher erklärt werden – evident scheint, dass diese normativen Codes durch die protestantischen Zuwanderer massiv in Frage gestellt wurden. Der vierte von Tilly angeführte Bereich an Begründungsmustern lässt sich vielleicht am ehesten mit „Expertenwissen“ umschreiben.65 Auch dies findet sich immerhin ansatzweise bei Fürstbischof Kollonitz. Seine Erkenntnisse, die ihn (und nur ihn) zu dieser Beschwerde veranlassen (können), beruhen auf besonderer Kennerschaft und auf Kontakten, die er von Amts wegen mit Diplomaten und Politikern pflegt. Hinzu kommt seine spezifische Amtspflicht, die er mit Beispielen aus den Kirchenvätern belegt. Sein Amt lässt ihn Gott gegenüber in besonderer Weise rechenschaftspflichtig werden, wenn er nicht entschieden gegen die Missstände in Wien vorgeht oder sich für deren Abstellung und die Rückkehr zur akzeptierten gesellschaftlichen Ordnung einsetzt. Es sind somit nicht nur die objektiv messbaren und farbenprächtig beschriebenen Missstände, sondern letztlich die Argumentation, die die bischöfliche Klage plausibel macht. In diesem Rahmen erwies sich der Fürstbischof als treuer Zuarbeiter eines habsburgischen Barockkatholizismus, der die enge Verbindung von Kirche und Monarchie, freilich unter kaiserlicher Prärogative, zum Kennzeichen erhoben hatte. Ein solches, über unterschiedliche Formen von Begründungen hergestelltes Kommunikationsverhältnis entspräche Charles Tillys epochenübergreifend zu verstehender Hypothese, dass Sozialbeziehungen und gesellschaftliche Ordnung insbesondere über Begründungslogiken ausgehandelt werden. Was anhand der Klage des Fürstbischofs Kollonitz als eines Repräsentanten der Aufnahmegesellschaft exemplifiziert wurde, lässt sich genauso gut auf die Migrantenperspektive übertragen. Bittschriften bieten hierfür reiches Anschauungsmaterial.66 Unzählige Zuwanderer der Frühen Neuzeit haben mit Hilfe von Suppliken ihre neuen Obrigkeiten um Fürsprache, Ansiedlung oder materielle Unterstützung angesucht. Auch in einer frühneuzeitlichen Bittschrift lassen sich typische, immer wie65
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Gemeint sind eigentlich technische Zusammenhänge von Ursache und Wirkung. Tilly, Why, 18 f. Gerade die Wissenschaftsgeschichte der letzten Jahre hat, nicht zuletzt im Gefolge Bruno Latours, die kulturelle und soziale Bedingtheit ‚wissenschaftlicher Wahrheiten‘ betont, vgl. stellvertretend zahlreiche Beiträge in: Ansichten der Wissenschaftsgeschichte. Hg. v. Michael Hagner. Frankfurt a. M. 2001. Schunka, Alexander: Pragmatisierung konfessioneller Autorität. Zuwanderer im Kursachsen des 17. Jahrhunderts im Spiegel des Supplikenwesens. In: Glaubensflüchtlinge, 235–256.
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derkehrende Begründungsmuster feststellen, die im Einklang stehen mit dem Raster Charles Tillys: Es gehörte zu den Konventionen eines migrantischen Bittstellers, den Monarchen als Schützer der Verfolgten anzuflehen; als narrative Begründung diente die oft ausführliche Beschreibung der außergewöhnlichen Lage, in die der Absender geraten war, die ihn also in persönliche Not und Bedürftigkeit geführt und ihn zu seiner Bittschrift motiviert hatte. Codes aus dem rechtlichen (Abzugsrecht, Auslieferungsschutz, Völkerrecht) oder religiösen Bereich (‚Glaubensflucht‘ in all ihren möglichen begrifflichen Facetten) untermauerten seine Bitte weiter, die der Supplikant bisweilen durch Expertenwissen, etwa im Sinne seiner besonderen Zeitzeugenschaft oder berufsständischer Expertise plausibilisierte. Um Normenkommunikation zu analysieren, muss man somit die Strategien zur Plausibilisierung der jeweiligen Argumentationen und Begründungen ernst nehmen, gerade innerhalb von Einwanderungsgesellschaften, wo unterschiedliche Normensysteme und Begründungslogiken aufeinander treffen konnten. Die angeführten Beispiele verweisen darauf, dass sich vormoderne Gesellschaften in vielfältiger Weise mit räumlicher Mobilität und ihren Folgen auseinandersetzen mussten. Nach dem bisher Dargestellten haben sich nicht nur die Praktiken der Zeitgenossen als äußerst flexibel und adaptionsfähig erwiesen, sondern auch die zugrundeliegenden Normen ebenso wie die Prozesse, die vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Pluralisierung durch Migration und Mobilität zu einer Erneuerung, Modifizierung oder Aktualisierung dieser Normen führten.67 Es ist deutlich geworden, dass Migrationen weder auf die Verletzung von Normen der Sesshaften noch auf deren uneingeschränkte Akzeptanz hinauslaufen mussten, sondern dass das Zusammentreffen von Migranten und Ortsansässigen in einer Einwanderungsgesellschaft oft ein Spiel um Normen und ein Aushandeln kultureller Codes auf Basis plausibler Begründungen bedeutete. Die Kommunikation von Normen folgte dementsprechend bestimmten zeitgenössischen, aber auch überzeitlichen Begründungslogiken. Die Klage des Wiener Erzbischofs Kollonitz aus dem 18. Jahrhundert über das Einschleichen protestantischer Einwanderer liegt als gedruckte Veröffentlichung vor: publiziert ausgerechnet in einer protestantischen Zeitschrift im sächsischen Weimar.68 Dem Leser sollte sie vermutlich weniger das Schreckensszenario der Verletzung katholisch-kaiserlicher Normen durch protestantische Zuwanderer demonstrieren, sondern viel eher das geschickte Reagieren der Protestanten auf katholische Intoleranz. Die Tatsache, dass dieser Bericht den Weg in eine protestantische Propagandazeitschrift fand, deutet auch darauf hin, dass deren Herausgeber damit gerade nicht die Gefahren protestantischer Expansion in das Zentrum der katholi67 68
Vgl. Jaritz, Gerhard: Norm und Praxis in Alltag und Sachkultur des Spätmittelalters. „Widerspruch“ und „Entsprechung“. In: Norm und Praxis im Alltag des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Hg. v. Dems. Wien 1997, 7–19. Zur konfessionspolitischen Funktion von Zeitschriftenpublizistik im 18. Jahrhundert, insbesondere unter Berücksichtigung der hier in Rede stehenden Acta Historico-Ecclesiastica der Weimarer Herausgeber Coler und Bartholomaei, siehe Brachwitz, Peter: Die Autorität des Sichtbaren. Religionsgravamina im Reich des 18. Jahrhunderts. Berlin 2011, 35–59.
Normsetzung und Normverletzung in Einwanderungsgesellschaften der Frühen Neuzeit
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schen Habsburgermonarchie beschworen, sondern die protestantische Zuwanderung als Erfolg feierten. Als lutherische Stimmen im Konfessionskampf verweisen derartige, häufig von Geistlichen organisierte Publikationen darauf, dass im frühneuzeitlichen Mitteleuropa auch für die Zeitgenossen ein inhärenter Zusammenhang zwischen Religionsbeschwerden, Migrationen und Normkonflikten bestand.69 Jenseits des Unterhaltungswerts für protestantische Leser illustriert die Darstellung des Bischofs Kollonitz aber auch den Eigensinn von Migranten, das bisweilen subversive Potential von Mobilität sowie die Tatsache, dass Normen nur dann wirksam sind, wenn man sie mit Hilfe guter Argumente propagieren und allgemeine Gültigkeitsvoraussetzungen für sie schaffen kann.
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Siehe etwa die vielfältigen Verhandlungen am Corpus Evangelicorum des Reichstags, deren Ergebnisse dokumentiert sind in Vollständige Sammlung alle Conclusorum, Schreiben und anderer übriger Verhandlungen des Hochpreißlichen Corpus Evangelicorum. Bd. 1–3. Hg. v. Eberhard Christian v. Schauroth. Regensburg 1751–52.
I. KONSTITUIERUNG UND KOMMUNIKATION VON NORMEN
EBENEN UND PHASEN DER KIRCHLICHEN NORMENKOMMUNIKATION IN TRANSDANUBIEN UND IN SLAWONIEN IM 18. JAHRHUNDERT* Zoltán Gőzsy ZUR RELEVANZ KIRCHLICHER NORMENKOMMUNIKATION Die Untersuchung der Funktionen verschiedener Normen und deren Kommunikation für das 18/19. Jahrhundert ist sehr wichtig, da die Forschung in diesem Zusammenhang nur über ein vereinfachtes, grobes Bild im Spiegel der Argumentation der Aufklärung verfügt. Andererseits sind für die Erforschung der Normen beinahe ausschließlich Gerichtsakten herangezogen worden, die ein einseitiges, (vorrangig) auf Konflikte fokussiertes1 und profan akzentuiertes Bild vermittelt.2 Bisherige Untersuchungen, vornämlich Fallstudien beschränkten sich vor allem auf zwei Ebenen und dadurch auf zwei verschiedene Quellen: Einerseits auf Gesetze, Verordnungen, die eher selten auf lokalen Statuten basierten und andererseits auf die Verletzung dieser Normen und Regeln, auf Verbrechen bzw. auf deren pekuniärer Vergeltung.3 Doch die Problematik ist viel komplexer, es müssen mehr Aspekte berücksichtigt * 1
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Dieser Aufsatz wurde durch das Forschungsstipendium „János Bolyai“ [Bolyai János Kutatási Ösztöndíj] (BO/00561/11/2) gefördert. Vgl. Mályusz, Elemér: A barokk kora [Das Zeitalter des Barock]. In: Mályusz, Elemér: Magyarország története a felvilágosodás korában. Hg. v. István Soós. Budapest 2002, 10–59; Bucsay, Mihály: A protestantimus története Magyarországon 1526–1945 [Die Geschichte des Protestantismus in Ungarn 1526–1945]. Budapest 1985; Brandt, Juliane: Konfessionelle Existenz in einem rechtlich abgestuften Raum und Religionsausübung als Raumerfahrung. Ungarn im späten 17. und im 18. Jahrhundert. In: Formierung des konfessionellen Raumes in Ostmitteleuropa. Hg. v. Evelin Wetter. Stuttgart 2008, 297–319. Am Beispiel des Komitats Somogy: Ladányi, Sándor: 1721. évi vallásügyi vizsgálat Somogy vármegyében [Konfessionelle Untersuchung 1721 im Komitat Somogy]. In: Somogy Megye Múltjából. Levéltári Évkönyv 3, 1972, Hg. v. József Kanyar, 91–118; in Deutschland: Beck, Rainer: Der Pfarrer und das Dorf. Konformismus und Eigensinn im katholischen Bayern des 17/18. Jahrhunderts. In: Armut, Liebe, Ehre. Studien zur historischen Kulturforschung. Hg. v. Richard van Dülmen. Frankfurt am Main 1988, 107–143. Vgl. in Ungarn: Herger, Csabáné: Rekatolizáció eszköztára Magyarországon a 16–18. században [Das Instrumentarium der Rekatholisierung in Ungarn im 16–18. Jahrhundert]. Századok, 2001, IV., 885–887; über diese Frage siehe ausführlich: Greschat, Martin: „Die Aufklärung“: Ein Prozeß gegen das Christentum? Kerygma und Dogma. Zeitschrift für theologische Forschung und kirchliche Lehre. 22 (1976), 299–316. Eine umfassende Sammlung der Fallstudien zu dieser Frage: Hajdu, Lajos: Bűntett és büntetés Magyarországon a XVIII. század utolsó harmadában [Das Verbrechen und die Strafe in Ungarn im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts]. Budapest 1985.
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werden, um die Funktionalität und den Mechanismus des Normensystems näher beschreiben zu können. Die Differenzierung dieses Bildes ist durch eine intensivere und mehr Aspekte berücksichtigende Quellenforschung zu erreichen.4 Nicht berücksichtigt werden sollte Normenkommunikation als kulturgeschichtliches Phänomen im Spiegel des Bildungswesens, bzw. der Literaturwissenschaften.5 Der Beitrag konzentriert sich auf die Inhalte und die Vermittler der Normenkommunikation. Bei den Vermittlern geht es um den dahinter stehenden Verwaltungsapparat und die jeweiligen geistigen Zentren, die der Aufgabe nachkamen, die Normen zu vermitteln, die aber zugleich als Multiplikatoren diese Normen teils selbst definierten.6 Aufgrund der damaligen Gegebenheiten waren in Ungarn des 18. Jahrhunderts solche geistigen Zentren in erster Linie die verschiedenen Einrichtungen der katholischen Kirche. Der staatliche Verwaltungsapparat zählte nämlich vor allem auf diese kirchlichen Institutionen als Akteurspartner.7 Daher soll aufgezeigt werden, durch welche Kanäle, mit welchen Methoden und mit welchen Inhalten die katholische Kirche in Transdanubien und Slawonien im 18. Jahrhundert Normen vermittelt hat.8 Hierbei sollen drei größere, chronologisch zu bestimmende Phasen unterschieden und deren Funktionen in der Normenkommunikation untersucht werden. Dabei soll neben den Veränderungsprozessen auch die Kontinuität dieser Vorgänge Berücksichtigung finden.9
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Ein gutes Beispiel: Krauss, Karl-Peter: Einfache Leute. Eine Annäherung an Lebensabschnitte von Deutschen in Ungarn durch Gerichtsakten. In: Minderheiten und Mehrheiten in ihren Wechselbeziehungen im südöstlichen Mitteleuropa. Festschrift für Gerhard Seewann zum 65. Geburtstag. Hg. v. Zsolt Vitári. Pécs, 2009, 47–69. Siehe dazu als Beispiel: Hölvényi, György: Katholische Aufklärung in Ungarn. In: Katholische Aufklärung und Josephinismus. Hg. v. Elisabeth Kovács. Wien 1979, 93–100. Siehe Plongeron, Bernard: Was ist katholische Aufklärung? In: Katholische Aufklärung und Josephinismus. Hg. v. Elisabeth Kovács. Wien 1979, 48. Wolfgang Reinhard hat zurecht darauf hingewiesen, dass sich Kirchen nur mit Hilfe des Staates durchzusetzen vermögen, während der Staat zunächst einmal bei noch ziemlich fehlender Subalternbürokratie auf dem Lande die Pfarrer benutzen konnte, um bis zum letzten Untertanen nach unten durchzugreifen. Reinhard, Wolfgang: Sozialdisziplinierung – Konfessionalisierung – Modernisierung. Ein historiographischer Diskurs. In: Die Frühe Neuzeit in der Geschichtswissenschaft. Forschungstendenzen und Forschungserträge. Hg. von Nada Boškovska Leimgruber. Paderborn 1997, 47. Zum Kontext der Konsolidierungspolitik in der Region siehe: Spannenberger, Norbert: Immigrationspolitik und interkonfessionelles Zusammenleben im 18. Jahrhundert in Süd-Transdanubien. In: Kirchen als Integrationsfaktor für die Migranten im Südosten der Habsburgermonarchie im 18. Jahrhundert. Hgg. v. Rainer Bendel / Norbert Spannenberger. Berlin 2010, 29–42. Vgl. Frank, Isnard W.: Spätmittelalterliches und josephinisches Kirchenverständnis. In: Katholische Aufklärung und Josephinismus. Hg. v. Elisabeth Kovács. Wien 1979, 164–167. Hier eine anspruchsvolle Zusammenfassung über die Kirchengeschichte des Zeitalters: Katus, László: A magyar katolicizmus a 18–19. században [Der ungarische Katholizismus im 18–19. Jahrhundert]. In: Ecclesia semper reformanda et renovanda. Katus László egyháztörténeti tanulmányai és cikkei. Hgg. von Zoltán GŐzsy / Szabolcs Varga / Lázár Vértesi. Pécs 2007, 25–43.
Ebenen und Phasen der kirchlichen Normenkommunikation
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ASPEKTE IN DER KONSOLIDIERUNGSPHASE BIS 1740: INFRASTRUKTUR UND AKTEURE Unter der ersten Phase sind die ersten vier Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts zu verstehen, die für eine allgemeine Konsolidierung der Region stehen. Ein Schlüssel zum besseren Verständnis dieser Phase ist der vorherrschende Anspruch auf Konsolidierung der Lebensverhältnisse. Dieser Anspruch wurde durch den Strukturwandel (Transformationen) nach der Osmanenherrschaft, an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert, ferner durch die Türken- und Kuruzzenkriege und die verheerenden Auswirkungen der Pestepidemien hervorgerufen und verstärkt.10 Die Spiritualität, das lokale kirchliche System, das innere Ausgeglichenheit und Regeln schuf, bekam eine recht bedeutende Rolle im Leben der sich gerade entwickelnden oder neu organisierten Gesellschaft. Die herangezogenen Quellen zeigen, dass sich in erster Linie die Gemeinden um deren Gestaltung und Ausstattung bemühten. Mit dem Aufbau des lokalen katholischen Institutionennetzwerks schienen die Grundherren im ersten Viertel des Jahrhunderts ziemlich zurückhaltend gewesen zu sein, was vor allem damit zu erklären ist, dass sie um diese Zeit die Akzente auf die ökonomische Stabilisierung gelegt hatten. Die Grundherren sahen in erster Linie darin die Garantie für die Konsolidierung der Gesellschaft. Zugleich warben sie in konkreten Fällen durchaus um geeignete Priester. Die Wahl, Einweihung und Vorstellung der Pfarrer wurde deswegen sehr oft von den Gutsherren, beziehungsweise ihren Verwaltern vollzogen.11 Vom Pfarrer wurde erwartet, dass er sich wie ein Seelsorger verhält, um einen stabilen modus vivendi herbeizuführen, sowie als Vorbild und Multiplikator die gewünschten Normen zu vermitteln. Die Lehrfunktion der Kirche basierte in erster Linie auf der Seelsorge (cura animarum), wodurch sie der Konsolidierung und Stabilisierung der Gesellschaft diente. Hierbei gingen entscheidende Impulse vom Herrscher aus, der mit Nachdruck für den institutionalisierten Aufbau der cura animarum eintrat.12 Die Effizienz bestand darin, dass sowohl die Gemeinden, als auch die Kirche, wie auch die Grundherren sich für die Entwicklung und Funktion dieses Systems engagierten. Einerseits war es in ihrem Interesse, den Pfarrer zu behalten, für dessen Existenzsicherung gesorgt wurde und andererseits nahmen sie für die Ausarbeitung der kirchlichen Infrastruktur viele Opfer auf sich. Die bedeutenden (und manchmal übertriebenen) Opfer der Bevölkerung waren deshalb nicht unproblematisch, weil diese einerseits das Einwurzeln 10
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Zur Neuorganisierung siehe ausführlich: GŐzsy, Zoltán / Varga, Szabolcs: Kontinuitás és reorganizáció a pécsi egyházmegye plébániahálózatában a 18. század első évtizedeiben [Kontinuität und Reorganisation im Pfarreinetz der Diözese Fünfkirchen in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts]. In: Századok 143, 5 (2009), 1123–1163. Siehe ausführlich: GŐzsy, Zoltán: Grenzen und Wirkungsradius der Rekatholisierung in SüdTransdanubien nach der Osmanenzeit. In: Kirchen als Integrationsfaktor für die Migranten im Südosten der Habsburgermonarchie im 18. Jahrhundert. Hgg. v. Rainer Bendel / Norbert Spannenberger. Berlin 2010, 43–65. Siehe dazu ausführlich: GŐzsy, Zoltán / Spannenberger, Norbert: Kirchliche Infrastruktur als Instrument der Konsolidierungspolitik. Die Conscriptiones parochorum in comitatu Baranyensi et Tolnensi anno 1733. Manuskript.
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Abb.1: Der Brief von Johann Pálffy (Oberster Landesrichter) an Anton Kasimir Thurn, Bischof von Fünfkirchen, in dem Pálffy den Bischof auffordert, ihm die Konskription über die gesamten Güter der Diözese zuzusenden, 07. 09. 1734. PPL 1734. No. 24
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und die Integration der Bevölkerung erschwerten, und andererseits aber auch die Steuerkraft der Gläubigen verminderten. Das Ziel des Herrschers war es, die Grundherren sowohl auf direktem Wege (z. B. durch eine Verordnung), als auch in indirekter Weise (durch beispielgebendes Handeln) dazu zu veranlassen, dass sie als Patronatsherren zur Versorgung der Pfarrer und Lehrer wesentlich beitrugen. Karl der III. (Kaiser Karl VI.) entfaltete jene Überzeugung auf verschiedenen Foren, dass in dieser Frage positive und nachahmenswerte Beispiele notwendig seien, die den zu gehenden Weg ausleuchten (praelucere valeat – eigentlich „vorleuchten“) könnten. Dementsprechend erwartete er von Imre Esterházy, dem Erzbischof von Gran – wie es zu einem fleißigen Hirten passen würde (sedulum et zelosum animarum pastorem decet) –, dass er dementsprechend handeln sollte und dass er konkret angeben sollte, mit welcher finanziellen Unterstützung und mit wie vielen neu eingerichteten Pfarreien er zum Erfolg dieses Konzeptes beitragen würde. Der Herrscher strebte dabei komplexe Lösungen an: Neben der Erweiterung der Pfarreien rechnete er mit ausgebildeten Pfarrern, wozu er die infrastrukturelle Entwicklung vorantrieb und hierzu unter anderem Priesterseminare gründete. In Bezug auf die Bildungsstruktur der Seminare unterbreitete er verschiedene Vorschläge. Der König erwartete zudem, dass die Seminare in allen Diözesen Ungarns eingerichtet wurden. Entsprechend den konzeptionellen Ideen des Königs legte die Ungarische Hofkanzlei im Jahre 1732 eine Vorlage zur Vermehrung der Anzahl der Pfarrstellen vor. Neben dem Streben nach Bildung musste es den Pfarrern ermöglicht werden, dass sie sich mit dem gebotenen Zeitaufwand und der nötigen Energie mit den Gläubigen beschäftigen konnten, weshalb sie von finanziellen Problemen freigestellt wurden. Nach dieser Vorbereitung richtete Karl III. am 7. März 1733 eine allgemeine Kasse für Pfarrer (Cassa Generalis Parochorum) in Pressburg ein, deren Aufgabe es war, dass der Lohn der Pfarrer in allen Pfarreien 150 Gulden umfassen sollte. Die in der Diözese Fünfkirchen im Jahr 1714 zusammenberufene Diözesansynode verfasste die Umrisse der Entwicklungen. In den Texten wird die Rolle der
Staat
Die erste Phase: Ziel: Konsolidierung der Gemeinde durch einen moralischen Konsens Schwerpunkt: In der unteren Ebene
Komitate
Die Grundherren Verwaltung der Grundherren (Wahl, Einweihung und Verwaltung der Pfarrer)
Verdienst (Cassa Parochorum)
Diözese
Pfarrer: Instrument der Normenkommunikation als Vorbild, Multiplikator und Mediator
Cura animarum
Bildung Visitation
Gemeinde:
Engagement im Aufbau und der Gestaltung
Abb. 2: Schematische Darstellung der Konsolidierungsphase der ersten Jahrzehnte
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Zoltán Gőzsy
kirchlichen Lehrmeister in der Normenkommunikation dargelegt und begründet.13 Als Erwartung wurde explizit formuliert, dass es Ziel sei, eine größere Breitenwirkung der Lehrer zu erreichen.14 Für die Verwirklichung dieser Ziele bedeutete das Modell des Tridentiner Konzils eine ideale Grundlage, da dieses großen Wert auf die Stärkung lokaler Gemeinschaften legte. Der Umsetzung diente auch das vom Tridentinum geschaffene neue Pfarrerideal: Ein im Seminar der Diözese geschulter, sich den örtlichen Ansprüchen anpassender, die Gemeinschaft kennender und verstehender Pfarrer.15 Die Konsolidierung der Gemeinden erreichte ein Pfarrer einerseits als Seelsorger, durch tägliche Präsenz (assiduitas), andererseits durch eine kontinuierliche Betreuung, durch die Lehre in den Predigten und durch Instruktionen jeglicher Art im Alltag („doceant frequenter gregem suum per Praedicationem, seu per conciones sacras, sive catecheses, aliosque instructionis modos“).16 Die Instruktionen waren in erster Linie moralischer Natur, die Pfarrer konnten den Anspruch auf Konsolidierung jedoch mit ihrer moralischen Integrität einlösen. Gleichzeitig war ein wichtiger Aspekt, dass die Predigten inhaltlich nützlich und geistlich begeistert sein sollten.17 Am Ende der Transformationszeit erlebten die Geistlichen ihre diesbezügliche Tätigkeit als eine Art „Volksaufklärung“. Die Grundlage für dieses Konsolidierungssystem waren damit gut ausgebildete, willige und engagierte Pfarrer. Nach den zwischen 1738 und 1742 angefertigten Canonicae Visitationes entsprach die Mehrheit der Pfarrer den Bedingungen des Tridentinums; ihre Sprachkenntnisse und ihre Ausbildung nach dem Fragekatalog der Kanonischen Visitationen machten sie für ihren Aufgabenbereich geeignet. In den Charakterisierungen der Pfarrer tauchen die Begriffe Eifrigkeit, Fleiß (zelosus, sedulus), Frömmigkeit (pius), bzw. Bildung (doctus, studiosus) vermehrt auf, die als unentbehrlich für einen erfolgreichen Seelsorger angesehen wurden. Aus den Kanonischen Visitationen geht unmissverständlich hervor, dass durch das Fehlen der notwendigen Gelehrsamkeit des Pfarrers dessen Untauglichkeit bewiesen sei.18 In dieser multiethnischen Region war es von besonderer Bedeutung, dass der Pfarrer über die entsprechenden Sprachkenntnisse verfügte. Es war eine Voraussetzung dafür, dass er die Probleme der Bevölkerung reflektieren konnte. Das erwähnte Visitationsprotokoll beschäftigte sich mit der sprachlichen Kompetenz der Pfarrer: 13 14 15 16 17 18
„Verbum Dei praedicet, sacramenta administret, populum concionibus, rudes cathecesis instruat.“ Pécsi Káptalani Levéltár (PKL), Fasc. XIV. No. 14. 8. [Kapitelarchiv Fünfkirchen] „Non tantum populum sibi commissum, verum alios quoque verbo, vel exemplo probos efficiat, justosque in disciplina virtutum conservet, ac promoveat.“ PKL, Fasc. XIV. No. 14. 9. Siehe ausführlich: Gárdonyi, Máté: A papi élet reformja a Tridenti Zsinat korában [Reform des priesterlichen Lebens zur Zeit des Konzils von Trient.] Budapest 2001. Bärnkopf, Ignatius: Methodus recte gubernandi parochiam et dirigendi animas in sancti tribunali. Tyrnaviae 1803, 196. „Item conciones…utiles, zelosas…faciat.“ Pécsi Püspöki Levéltár (fortan PPL) [Diözesanarchiv Fünfkirchen] 1730. 6. GŐzsy, Zoltán / Varga, Szabolcs: Papi műveltség a pécsi egyházmegyében a 18. század első felében [Die priesterliche Bildung in der Diözese Fünfkirchen in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts]. In: Jelenkor 5 (2011), 509–515, hier 513.
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41 Prozent der Pfarrer sprachen oder zumindest verstanden vier Sprachen, 33 Prozent drei Sprachen, 14 Prozent zwei, 12 Prozent sogar fünf Sprachen.19 Bei der Fixierung der Normen bekam die Bildung eine wichtige Rolle. Im Zusammenhang damit ist die Einstellung des Veszprémer Bischofs Ottó Volkra (1665–1720)20 zur Lehre von der Interessengleichheit des Staates mit der Kirche von Interesse. Volkra wollte verhindern, dass der Bildung wieder eine weniger bedeutende Rolle beigemessen wurde. Er befürwortete deshalb die Einstellung von „geeigneten und scharfsinnigen“ („idonei et capaces“)21 katholischen Lehrern, um „die heranwachsenden Kinder nicht nur in die Wissenschaften einzuführen, sondern ihnen auch die Grundlagen des katholischen Glaubens beizubringen. Durch dieses Wissen sollten sie zu für den König und das Vaterland nützlichen, frommen, tapferen, unschuldigen Bürgern erzogen werden, die von ihrer Kinderzeit an über jene Moral verfügten, welche sich die kämpfende katholische Kirche zu eigen gemacht hatte.“22 Die Quellen zeigen, dass die Kirche und ihre Organisation in Transdanubien bis zu den 1740er Jahren konsolidiert waren. Dank des Beitrags der Gemeinden und der Unterstützung der Behörden entstand eine Struktur, die als Grundlage dafür dienen konnte, die Normen zu „kommunizieren“ und zu vermitteln, welche die Akteure akzeptierten und für nötig hielten. Die Normenkommunikation der Pfarrer konnte damals hauptsächlich nur durch die bischöflichen Visitationen kontrolliert werden, doch diese fanden meist nur selten statt.23 Gleichzeitig spielten die Domherren eine wichtige Rolle. Sie kontrollierten die lokalen Verhältnisse und den Vollzug der Normen. Mathias Domsics als Domherr24 und als Ausführender der Cano-
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Ebd., 509–515. Ottó Volkra wurde am 28. Mai 1710 von Joseph I. ernannt. Siehe: Körmendy, József: Gr. Volkra Ottó Ker. János veszprémi püspök élete és munkássága 1665–1720 [Leben und Wirken des Wesprimer Bischofs Graf Otto Volkra 1665–1720]. Veszprém 1995. „Capax“ bedeutet in diesem Fall ein schnelles Auffassungsvermögen und die Fähigkeit, dieses Wissen auch rasch zu erweitern bzw. Geschick und Tapferkeit. „…qui succrescentem prolem non tam primis imbuerent eruditionis rudimentis, quam catholicis fidei instituerent principiis, quos tandem eruditio capaces regi et patriae educaret cives, et pii, probi et intaminati, a iuventute suscepti mores in catholica militante ecclesia“, siehe: Tölcséry, Ferenc: A kegyes tanítórendiek vezetése alatt álló veszprémi róm. kath. főgymnasium története 1711–1895 [Die Geschichte des vom gnädigen Lehrorden geleiteten röm.-kath. Hauptgymnasiums zu Veszprém 1711–1895]. Veszprém 1895, 12–13. Siehe: GŐzsy, Zoltán / Varga, Szabolcs: Kontinuitás és reorganizáció a pécsi egyházmegye plébániahálózatában a 18. század első évtizedeiben [Kontinuität und Reorganisation im Pfarreinetz der Diözese Fünfkirchen in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts]. In: Századok 143 (2009), 1123–1163. Die Ernennung von Domsics erfolgte am 17. September 1728, dazu: Merényi, Ferenc: Domsics Mátyás egyházlátogatása (Canonica Visitatio) Baranyában 1729-ben. [Der Kirchenbesuch (Canonica visitatio) von Mátyás Domsics in der Branau 1729]. Pécs 1939, 23; Fedeles, Tamás: A pécsi székeskáptalan és kanonokjai a 18. század első felében [Das Domkapitel und die Mitgliedschaft des Domkapitels in Fünfkirchen in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts]. In: A pécsi egyházmegye a 17–18. században. Hgg. v. Tamás Fedeles / Szabolcs Varga. Pécs 2005, 225.
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nica Visitatio ist gegen das Unterlassen von Sanktionen fest und konsequent aufgetreten.25 INTENSIVIERUNG DER MEDIATORENROLLE DER KIRCHE AUF DER MESOEBENE Die zweite Phase umfasst die Jahre zwischen 1740 und 1780. Diese Periode brachte mit der Zielsetzung, die Gesellschaft zu verbessern und zu rationalisieren, in mehrerer Hinsicht Veränderungen auf dem Gebiet der katholischen Normenkommunikation. Einerseits wurde die Mediatorentätigkeit der Kirche intensiver, andererseits lassen sich auch inhaltliche Modifikationen feststellen. Nachdem die Zeit der Konsolidierung zu Ende war, ging es darum, sowohl von Seiten des Staates, als auch der Kirche die Ausgestaltung der Ordnung vorzunehmen. Dabei differierten zwar die Vorstellungen von „Ordnung“, basierten jeoch auf einem übereinstimmenden Wertesystem. In den 1740–1750er Jahren waren die aktiven Bischöfe im Vergleich zur Konsolidierungsphase weniger auf Kompromisse angewiesen. Die Ansprüche des Staates, die kirchlichen Strukturen für seine Zwecke zu nützen, veränderten sich und wurden immer größer, denn die kirchliche Struktur fungierte auch als Kommunikationskanal, zum Teil war sie eine Gesellschaftsorganisation von Relevanz, teilweise fungierte sie als Kontrollfaktor. Maria Theresia sah in der Verstärkung der mittleren Ebene der weltlichen und kirchlichen Verwaltung die Möglichkeit, ihre politischen Ziele und die ins Auge gefassten, bevorzugten Normen des Staates durchzusetzen. In diesem System wurde den Bischöfen und Obergespanen, in ihrer Funktion als Vertraute des Herrschers, eine wichtige Rolle zugewiesen.26 Es ist kein Zufall, dass sich Anfang der 1750er Jahre durch die Unterstützung der Kirche und des Staates eine Idealvorstellung betreffend Bischof und Obergespan herausgebildet hatte. Der Herrscher hat beide als Multiplikator bzw. als Exekutoren der Staatsgewalt eingesetzt, durch die er die Verwaltung und die Rechtspflege rationalisieren und effektiver machen konnte, wodurch auch die Integration und die Modernisierung der Gesellschaft in die neue Ordnung des aufgeklärten Absolutismus gefördert werden konnte. Die Königin dachte an solche Obergespane, die die Befehle des Herrschers verstanden, und in dessen Sinne vermittelten und umsetzten.27 Die Ämterkumulierung, dass nämlich Bischöfe zugleich als Obergespane eines Komitats fungierten, bot für die Ausübung solcher Funktionen eine 25 26
27
Pécsi Káptalani Levéltár [Domkapitelarchiv Fünfkirchen]. Fasciculus CLII. Numerus. 51. 1729. 12–13. Siehe ausführlich: GŐzsy, Zoltán: Szempontok Klimó György püspöki és főispáni kinevezéséhez, tevékenységéhez [Aspekte der Ernennung und Tätigkeit von György Klimo als Bischof und Obergespan]. In: Klimo György püspök és kora. Egyház, művelődés, kultúra a 18. században. Hgg. v. Éva Pohánka / Mariann Szilágyi. Pécs 2012, 144; PPL, 1752/59. 1–2. Gatz, Erwin: Einleitung. In: Pfarr- und Gemeindeorganiastion. Studien zu ihrer Entwicklung in Deutschland, Österreich und der Schweiz seit dem Ende des 18. Jahrhunderts. Hg. v. Ders. Paderborn u. a. 1987, 7–11, hier 8.
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Ebenen und Phasen der kirchlichen Normenkommunikation
Staat
Die zweite Phase: Ziel: Rationalisierung, Integration, Verbesserung Schwerpunkt: In der mittleren Ebene
Bistum - Obergespan und Konsistorium Seminar, Visitation
Instruktionen Stuhlrichter
Hauptdekanat Pfarrer
Inquisitionen
Gemeinde
Abb. 3: Schematische Darstellung der Phase der Rationalisierung, Integration und Verbesserung zwischen 1740 und 1780
ideale Konstellation, da diese nicht nur in den Adelskongregationen zentrale Regelungen durchsetzen, sondern auch durch die Priester und die Netzwerke der Pfarrei die Bevölkerung des Komitats und der Pfarrgemeinden erreichen und dadurch die vom Staat gewünschten Normen vermitteln konnten.28 Zur effektiveren Vermittlung der Normen führte der zunehmende Ausbau des Verwaltungs- und Rechtssystems, das auch der Sicherung der Kommunikation diente. Diese Herrschaftsverdichtung verwirklichten die Bischöfe dieses Zeitalter in ihren Bistümern. Im Folgenden soll durch die Tätigkeit des Pécser Bischofs György Klimó (1710–1777)29 dieser Prozess vorgestellt werden. Klimó verstärkte zunächst die obere Leitungsebene. Er schuf das bischöfliche Konsistorium, mit dessen Hilfe die in Pécs aktiven, leitenden Würdenträger in ein Forum konzentriert wurden, in dem die personellen Angelegenheiten der Seelsorger und deren Disziplinierung besprochen werden konnten (facilius consuleremus).30 Dieses Forum beschäftigte sich hauptsächlich mit juristischen Fragen. Da der Bischof und Obergespan als tatsächlicher Leiter des Komitats dessen Regierungsgeschäfte übernahm, wurde der Bevölkerung schnell klar, dass sie sich in moralischen, ethischen und juristischen Fragen an das Konsistorium wenden konnten. Dieses Organ wurde in kürzester Zeit ein Forum der Auseinandersetzung in Bezug auf die Probleme hin28 29 30
„benignarum Resolutionum Regiarum ratio semper habeatur, et in earum conformitate Decisiones fieri oporteat.“ PPL, 1752/59. 2. Bischof in Pécs seit 1751. „…quoddam Tribunal Ecclesiasticum,seu e viris Ecclesiastica dignitate non minus, quam eruditione conspicuis, atque e religiosis quoque Ordinibus, quos sat frequentes in Civitate hac Episcopali habemus, delectum institueremus Consistorium, quo cum juxta normam aliarum Diaecesium, solicitudinem nostram Pastoralem dividentes, et animarum saluti, cui cum Judicii Divini formidine intendere inprimis debemus, facilius consuleremus.“ PPL, 1752/59. 2.
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sichtlich von Normen und ihrer Durchsetzung im Kreis des Bistums wie des Komitats, und immer mehr Gläubige suchten dieses wegen juristischer Fragen auf.31 Zudem behandelte das Konsistorium die Klarstellung der verschiedenen Fälle gründlich, es erfolgten systematische Überprüfungen, es berief Zeugen und protokollierte deren Aussagen und versuchte vor Ort die moralischen und juristischen Fragen zu klären. Das Resultat war, dass es in den Augen einiger Gemeinden und Personen evident wurde, dass moralische Fragen auch offiziell von der Kirche behandelt wurden und örtliche Normenübertretungen Konsequenzen nach sich zogen. Es ist kein Zufall, dass in den Komitaten Transdanubiens die Überprüfungen der örtlichen und moralischen Fragen sich in den 1740er, 1750er Jahren vermehrt haben (inquisitio). Die das alltägliche Leben betreffenden Fragen drängten sich in den Mittelpunkt des Konsistoriums. 1731 erließ König Karl VI. die Verordnung der Carolina resolutio, die sich mit der Ehe, der Aufhebung der Ehe und dem Gerichtsstand der Bischöfe beschäftigte. Papst Benedikt XIV. veröffentlichte 1741 die Bulle Dei miseratione, mit der er das juristische Vorgehen für die Aufhebung einer Ehe vorschrieb. Das verstärkte weiterhin die Rolle der bischöflichen Behörden. Dem Konsistorium wurden immer mehr Fälle der Ehescheidung vorgelegt, die zu entscheiden waren.32 Parallel dazu intensivierte Bischof Klimó die mittlere Führungsebene seiner Diözese. Die Dekane wurden mit tatsächlichen Aufgaben versorgt, dadurch schuf er ein über den Pfarrern stehendes Kontrollsystem. Da die Diözesansynoden im 18. Jahrhundert in den Hintergrund geraten waren, fiel die Rolle den Dekanen zu.33 In dieser Zeit organisierten sie die Dekanate gründlicher und die Dekane bekamen verschiedene Instruktionen. Die Dekane wurden zu einem wichtigen Teil der einheitlichen Kommunikation und der Normenvermittlung. Die ersten zwei Punkte der sie betreffenden Instruktion betonten, dass die verschiedenen Veranlassungen, Verfügungen in relativ kurzer Zeit weitergegeben und veröffentlicht werden sollten. Die weiteren Punkte bezogen sich auf die Kirchenfunktionen. In dem klimoischen Normen-Vermittlungssystem haben die Pfarrer, bzw. lokale kirchliche Personen die unterste Ebene vertreten. Um den erwarteten Normen gerecht zu werden und diese zu vermitteln, mussten drei Voraussetzungen erfüllt werden: Erstens musste die 31 32 33
PPL, 1752/59. 3–8. PPL, 1757/58. Die Ehescheidungen gehörten in diesem Zeitalter zum Zuständigkeitsbereich der katholischen Kirche, daher waren bei Konflikten innerhalb der Familie meistens kirchliche Institutionen zuständig. Aus diesem Grund haben solche kirchlichen Foren eine zunehmende Bedeutung gewonnen, die geeignet waren, verschiedene Instruktionen zu übermitteln und die kirchlichen Tätigkeiten zu beaufsichtigen. Tihamér Vanyó erwähnte in diesem Zusammenhang die Hirtenbriefe, die Statuten, die Visitationen, die Konsistorien und Bezirkssitzungen. Vanyó, Tihamér: Püspöki jelentések a Magyar Szent Korona országainak egyházmegyéiről [Die Diözesenberichte über die Bistümer der Länder der Heiligen Ungarischen Krone] 1600–1850. Pannonhalma 1933, XXVIII; vgl. Vértesi, Lázár: A pécsi egyházmegyei körlevelek forrásértékéről [Zum Quellenwert der Rundbriefe der Diözese Fünfkirchen]. In: A 20. század egyház- és társadalomtörténetének metszéspontjai. Tanulmányok a pécsi egyházmegye 20. századi történetéből. Hg. v. Gábor Bánkuti / Szabolcs Varga / Lázár Vértesi. Pécs 2012, 39–57.
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Lebensweise der Pfarrer ein moralisches Vorbild (Exemplar) sein, zweitens mussten sie engagiert in den Alltag eingreifen und drittens mussten sie in der Lage sein, diese mit Hilfe geeigneter Sprachkenntnisse zu kommunizieren. In diesem Zusammenhang ist es verständlich, dass in dieser Zeit die Rolle der Pfarrer bereits höher eingeschätzt wurde. Der Bischof legte darauf großen Wert und erhöhte das Niveau der Bildung innerhalb seines Seminars.34 Auf Anordnung des Bischofs wurden potentielle Kandidaten nur dann in das Priesterseminar aufgenommen, wenn er von den drei bevorzugten Sprachen (Ungarisch, Deutsch, Kroatisch) mindestens zwei beherrschte. So ist es kein Zufall, dass unter den Pfarrer-Idealen die affabilitas erscheint, mit dem ein nahes Verhältnis zur Gemeinschaft gemeint ist und zwar in dem Sinne, dass man mit dem Pfarrer leichter sprechen und kommunizieren kann.35 Die Ausbildungszeit wurde auf vier Jahre erhöht, es wurden neue Fächer eingeführt, so z. B. die kirchliche Rhetorik.36 Trotzdem kam es vor, dass nicht geeignete Priester geweiht worden sind, welche nicht den Vorstellungen der Bischöfe entsprachen. Die Bischöfe dieses Zeitalters führten einen schweren Kampf gegen dieses Phänomen. Einerseits legten sie größeren Wert auf die Auswahl der Pfarrer und verwickelten sich dabei in eine Art Investitur-Kampf mit den Grundherren. Diese empfanden es weiterhin als selbstverständlich, sich im Fall einer Pfarrervakanz selbst um einen neuen Pfarrer zu kümmern und dessen Einsetzung zu vollziehen. Klimó machte aber die Grundherren darauf aufmerksam, dass es Probleme mit den durch weltliche Instanzen ausgewählten, oft aus anderen Bistümern kommenden Pfarrern, gab. Die moralischen Fragen sollten zuerst behandelt werden, denn nur so könnten die Pfarrer ein Vorbild sein (bonum exemplum), was wiederum die Verwaltungsbeamten des Staates oder der Grundherrschaften nicht beurteilen könnten. Nur nach dem Akt einer Vertrauensbildung kann der Pfarrer sich darum bemühen, Seelen zu gewinnen (animos … magisque demeri satagent). Mit den durch die Domänenverwalter ausgewählten Pfarrern gab es auch das Problem, dass sie von diesen als ihre eigenen Angestellten betrachtet wurden und solche Pfarrer zudem wiederum von der Gemeinde nicht als ihre eigenen Seelsorger angesehen wurden. Ein gutes Beispiel hierfür bietet der Fall des Pfarrers in Ozora, Anton Nitsch. Nitsch ist durch den Gutsherren in die Gemeinde gekommen, aber der Verwalter, András Illés verprügelte ihn und brachte ihn dadurch in eine unwürdige Situation. Der Verwalter hatte daraufhin auf Anordnung des Bischofs eine Spende an die Kirche zu entrichten, doch Nitsch, der nach Pécs bestellt und dort gepflegt wurde, kam trotzdem nicht mehr nach Ozora zurück. In diesem Fall ist bemerkenswert, dass der Gutsherr, Graf Miklós Esterházy, bei der Auswahl des Pfarrers dem Bischofsamt 34 35 36
Dieses Phänomen soll betont werden, weil in den Priesterseminaren in Westeuropa andere Erfahrungen gesammelt wurden. Vgl. Roegiers, Jan / Kovács, Elisabeth: Diskussion. In: Katholische Aufklärung und Josephinismus. Hg. v. Elisabeth Kovács. Wien 1979, 104–105. Bärnkopf, Methodus recte gubernandi parochiam, 405–406. GŐzsy 2012, Szempontok Klimó György, 150; Borsy, Károly: A XVIII. század második felének két püspöke. Klimó György és Eszterházy Pál László [Zwei Bischöfe der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. György Klimó und Pál László Eszterházy]. In: Egyháztörténeti tanulmányok I. Tanulmányok a pécsi egyházmegye történetéből. Pécs 1993, 282.
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gegenüber andeutete, dass es ihm gelungen sei, einen gebildeten Pfarrer zu finden, der bestimmt den Ansprüchen Klimós gerecht würde.37 Nachdem sich die Ansprüche gegenüber den Pfarrern erhöht hatten, traten die Bischöfe gegenüber den ungeeigneten Personen entschiedener auf. Die Beschwerden über die Pfarrer waren meistens ethisch begründet. Meistens beklagten die Gläubigen die Lebensweise des Pfarrers, aber es gibt auch ein Beispiel dafür, dass der weniger akzeptierte Pfarrer sich mit moralischen Beschuldigungen auseinandersetzen musste, wissend, dass dies mit großer Wahrscheinlichkeit Konsequenzen nach sich ziehen würde. Die Quellen zeigen, dass das Konsistorium nach gründlicher Überprüfung gegenüber Pfarrern, die dem zu befolgenden moralischen Muster der Gemeinde gegenüber nicht entsprachen, hart vorgegangen ist. Klimó versuchte in strittigen Angelegenheiten die Unschuld der Geistlichen zu beweisen, doch wenn offensichtlich moralische Regeln verletzt worden waren, intervenierte der Bischof rasch. Dies zeigt der Fall von Pál László Egervári, der im Oktober 1760 als Pfarrer nach Tolna kam. Dort verhalf er zusammen mit den Franziskanermönchen eine vor der Hinrichtung stehenden Frau, die ihr Neugeborenes umgebracht hatte, zur Flucht aus dem Gefängnis. Doch nach diesem Ereignis wurde der Pfarrer sofort abberufen.38 Zugleich traten auch solche Beschwerden auf, die den Mangel an Sprachkenntnissen des Pfarrers betonten. In erster Linie suchten ungarische Einwohner den Bischof mit der Bitte auf, ihnen einen solchen Pfarrer (oder Kaplan) zu geben, der in Lage sei, in ihrer Sprache zu kommunizieren. In der Stadt Paks, wo ungarische und deutsche Bewohner zusammenlebten, setzten die Grundherren in erster Linie deutsche Pfarrer ein. Außerdem lebten südslawische Mönche im Kloster der bosnischen Franziskaner. Die ungarischen Gläubigen mussten sich damit zufrieden geben, dass es keine ungarischsprachige Messe gab. Auf der Beerdigung des ziemlich erfolgreichen Pfarrers Johann Mannhalt 1761 hielt der Pfarrer aus Pincehely eine zweisprachige Grabrede (ungarisch und deutsch), welche die ungarischen Gläubigen sehr positiv aufnahmen. Als sie erfuhren, dass die Grundherren wieder einen deutschen Pfarrer eingesetzt hatten, der in diesem Fall aus Bonyhád kam, wandten sie sich mit ihrer Forderung an den Bischof, einen zweisprachigen, auch ungarisch sprechenden Pfarrer in die Stadt zu holen.39 Die bischöflichen Aktivitäten in Bezug auf die slawischen Pfarreien sind ein gutes Beispiel dafür, welche Veränderungen die verschiedenen Ziele und Herausforderungen innerhalb der kirchlichen Normenkommunikation mit sich brachten. Klimó wurde in einer großen Krise, in der Zeit des slawonischen Bauernaufstandes, zum Administrator des Komitats Virovitica40 ernannt.41 Maria Theresia wollte hier 37 38 39 40 41
PPL, 1761/55; Brüsztle, Josephus: Recensio Universi Cleri Dioecesis Quinque Ecclesiensis. I-IV. Quinque-Ecclesiis 1874–1880, IV., 93. PPL, 1761/65; Brüsztle, Recensio Universi, IV., 728. „Dass man nicht mehr durch einen Dolmetscher mit dem Pfarrer reden muss…sowohl wir, als auch unsere Kinder das Heil der Seele suchen können“. PPL, 1761/29; Brüsztle (wie Anm. 33), IV. 121–122. Ung. Veröce. Bahlcke, Joachim: Ungarischer Episkopat und österreichische Monarchie. Von einer Partnerschaft zur Konfrontation (1686–1790). Stuttgart, 2005. 142. Klimo benutzte den Titel „Admi-
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ein Konsolidierungsprogramm durchführen, worin sie für den Bischof eine Führungsrolle vorsah,42 und durch ihn auch für die Pfarrer und Lehrer als Vermittler des Normensystems. Die Königin betonte in ihrem Brief vom 15. März 1756, dass sie von den in den slawischen Dörfern aktiven Pfarrern und Lehrern erwarten würde, die Pfarrkinder fleißig zu erziehen, zu lehren und dadurch die Lebensweise der Gemeinschaften in Ordnung zu bringen.43 Klimó ließ ausarbeiten, wo man neue Pfarreien errichten konnte,44 und er ernannte für zahlreiche Pfarreien neue Pfarrer, die schon anderswo ihre Eignung bewiesen und Erfahrungen gesammelt hatten (die Priester der Franziskaner wurden hiervon ausgeschlossen).45 Die neuen Pfarrer wurden von den Repräsentanten des Bischofs in den Dörfern eingeführt. Ein gutes Beispiel dafür ist der Fall des Georgius Nicolaus Bistjan, der in Slawonien, in Eszék46 geboren wurde, im Pécser Seminar ausgebildet wurde und danach im Pécser Bistum aktiv war. Von hier hat ihn Márton Padányi Biró deswegen nach Perkáta, das zum Gebiet des Veszprémer Bistums gehörte, berufen, um dort ab 1752 die Pfarrei zu übernehmen, die bislang von kroatischen Franziskanern betreut worden war. Danach rief ihn der Pécser Bischof zurück, damit er im slawonischen Cerna als Seelsorger arbeiten könnte.47 Diese Maßnahmen bildeten den Auftakt für den vom Staat eingeleiteten Konsolidierungsprozess in der Region Slawonien. Diese Zeit der Transformation ist
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nistrator des Komitats Virovitica“ auch in der Versammlungen der Komitate Tolna und Baranya am Ende des Jahres 1755. Tolna Megyei Levéltár [Komitatsarchiv Tolna], IV. 1. a. Protocollum 10 (ab anno 1754 usque 1761), 230. Provisionale Urbarium ad regulandos interimales Regni Croatiae subditos; PPL, 1755/52; „Unde quemadmodum Nobis subjecti populi salutem praeprimis cordi habemus, atque ideo etiam velimus: ut is in rebus fidei, probitate vitae, et genere morum Christianis convenientium per illos, quibus ejus rei cura incumbit, omni meliori modo erudiatur, ita in zelo, et industria fidelitatis Vestrae Pastorali plene confidimus, eandem hac in parte in gremio Diaecesis suae id facturam, quo idcirco nihil a se desiderari patiatur. Quodipsum etiam dum fidelitati Vestra benigne committimus, una a tempore etiam posterius submissae relationis de statu partium illarum religionis, an, et ubi communitatis Parochis, et Ludi magistris provisae sint? Anve, et quam sedulo populo cathechetica tradantur? Circa populum Sclavoniae, velut admodum rudem in rebus fidei omni meliori modo erudiendum.“ PPL 1756. 17. Regno Slavonicae Conscriptio Neo erigendarum in Inclyto Regimine Slavonico Brodensi sitarum Parochiarum secundum normam ab Excelso Consilio Locumtenentiali Regio transmissam. PPL, 1755. 46. PPL, 1757. 64. Osijek. Brüsztle, Recensio Universi, II., 372. Das Verdrängen der Mönche war ein kontinuierliches Phänomen im 18. Jahrhundert. Diese Tendenz hat sich zu Beginn der Regierungszeit von Joseph II. verstärkt. Dies ist besonders im slawonischen Raum festzustellen, der davon stark betroffen war. Für die Mönche war damit eine wichtige Zäsur verbunden, denn sie galten jetzt nicht mehr als Vorbilder; in der Wahrnehmung von Joseph II. verursachten sie hingegen zahlreiche Probleme, da sie sich den neuen Normen nicht anpassten. Der Kaiser behauptete, dass der Staat ehrenvolle und gebildete Pfarrer und keine barfüßige, herabgekommene Bettler benötigen würde. FejtŐ, Ferenc: II. József [Joseph II.]. Budapest 1997, 278.
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gekennzeichnet durch bedeutendere gesellschaftliche Veränderungen, in denen der Staat Normen zu vermitteln suchte.48 Klimó regulierte detailliert die spirituellen und liturgischen Aktivitäten der Pfarrer, betonte den kontinuierlichen und intensiven Kontakt mit seiner Pfarrbevölkerung sowie die Verwurzelung der moralischen Regeln. Im Verlauf des slawonischen Konsolidierungsprozesses mussten die Pfarrer ziemlich tief in das System der Gewohnheiten und Normen eingreifen. Der Bischof schrieb unter anderem das Feiern der lokalen Feste vor, erstellte eine Friedhofsordnung und schrieb zum Beispiel vor, dass eine Hochzeitsfeier nicht mehr als zwei Tage dauern durfte und darüber hinaus, wer daran teilnehmen durfte. Diese zweite Phase ist dadurch gekennzeichnet, dass die Kirche gegen alle die Moral verletzenden Taten viel stärker auftrat, zugleich verbot sie aus rationellen Gründen das als abergläubisch (superstitio) angesehene religiöse Verhalten. So verbot Bischof Klimó zum Beispiel schon in der Mitte des Jahrhunderts die in Pécs übliche Tradition, in der Nacht vor Allerheiligen jede Stunde zu läuten und den Gang der Stadtbevölkerung zur Allerheiligen-Pfarrei, um dort die Gebeine ihrer Vorfahren herauszuholen und mit ihnen zu beten.49 „INSTRUMENTALISIERUNG“ DER KIRCHE AUF DER MIKROEBENE ALS SOZIO-POLITISCHE EXEKUTIVE Als dritte Phase ist das josephinische Zeitalter einzustufen. Es gehörte zur Strategie von Kaiser Joseph II., unter Nutzung der kirchlichen Infrastruktur eine erfolgreiche Kommunikation aufzubauen, mit deren Hilfe er seine den Staat betreffenden Verordnungen erklären und durchsetzen lassen wollte. Daher machte er die Kanäle und Schauplätze der Kommunikation überprüfbarer und überschaubarer, andererseits setzte er seinen Schwerpunkt auf die Ebene der örtlichen Pfarrei. Den Schlüssel seiner Kommunikationsstrategie stellte der untere Klerus dar. Die Pfarrer konnten die gesetzten Ziele nur verwirklichen, wenn sie mit dem Willen des Herrschers übereinstimmten. Das förderte die Zentralisierung der Pfarrerausbildung.50 Ziel des Kaisers war es, einen katholischen Klerus heranbilden zu lassen, der in der Lage war, den sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt voranzutreiben.51 So hat Franz Stephan Rautenstrauch in seinem Entwurf zur Einrichtung der Generalseminare
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Maria Teresia betonte in Verordnungen und in Erlässen die Rolle des Pfarrers und des Lehrers. PPL, 1756. 17. PPL, 1763. 75 Franz Stephan Rautenstrauch hat die Lage exakt beschrieben: „Joseph machte die Bildung des künftigen Geistlichen zu einem unmittelbaren Staatsgeschäfte.“ Rautenstrauch, Franz Stephan: Entwurf zur Einrichtung der Generalseminarien in den k. k. Erblanden. Wien 1784, 8. Winter, Eduard: Barock, Absolutismus und Aufklärung in der Donaumonarchie. Wien 1973, 223; zum weiteren Kontext siehe: Reinalter, Helmut: Einleitung. Der aufgeklärte Absolutismus – Geschichte und Perspektiven der Forschung. In: Der aufgeklärte Absolutismus im europäischen Vergleich. Hgg. von Helmut Reinalter / Harm Klueting. Wien, Köln, Weimar 2002, 11–20, hier 14.
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Staat
Die dritte Phase: Ziel: Anstrebung einer neuen Denkweise, um nützliche, gut wirtschaftende und Steuern zahlende Untertanen zu erhalten Schwerpunkt: Auf der Ebene der örtlichen Pfarrei
Geistliche Kommission Religionsfond Generalseminare
Diözese
Diözese
Pfarrer Gemeinde
Aufklärende, instruierende Funktionen
Abb. 4: Schematische Darstellung der Phase der Utilisierung des Steuer zahlenden Untertanen
hervorgehoben, dass es vordringlichstes Anliegen sei, die Bildung der „Volkslehrer“ und „Volksführer“ zu heben.52 Nicht nur auf die Bildung der Pfarrer wurde großer Wert gelegt, sondern auch eine große Erfahrung galt als unbedingt erstrebenswert. In dem System des Kaisers waren die kompetentesten Vertreter der Einführung einer neuen Gesellschaftspolitik die ausgebildeten Pfarrer. Es war der gebildete und erfahrene Pfarrer, der in der Lage war, kurz, verständlich und inhaltsreich die neuen Konzeptionen zu übermitteln und, so hoffte der Kaiser, die Impulse für eine praktische Umsetzung theoretischer Vorgaben vermitteln konnte. Es war Joseph Csáky, Ratsmitglied der Staatshalterei, der dem Bischof von Pécs in seinem Erlass vorgeschlagen hat, dass man möglicherweise auf die vakanten Pfarreien solche Pfarrer setzen sollte, die schon mehrere Jahre mit einem Studium verbracht hatten. Diese Pfarrer sollen über ein umfassendes Wissensgut verfügen und viele Beispiele (Exemplares) kennen, die sie während ihrer Lehrtätigkeit und in ihren Predigten als praktisches Wissen (practica scientia) übermitteln könnten.53 Mit der intensiveren Einbeziehung des unteren Klerus in die Kommunikation etablierte die Staatsgewalt einen direkteren Zugriff zur Bevölkerung. Dadurch wurden die Diözesanleitungen übergangen. Dies hatte zwei Gründe. Einerseits waren nach Meinung des Herrschers die Bischöfe weniger in der Lage, die Mitteilungen des Herrschers, die Erwartungen der Staatsmacht, die neuen Regeln und Zielsetzungen zu vermitteln. Deswegen verlangte Joseph II. diese Rechte für sich. Andererseits war zugleich in manchen Bistümern die mittlere Führungsebene bereits
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Rautenstrauch, Entwurf, 11–12. Vgl. Pranzl, Rudolf: Das Verhältnis von Staat und Kirche/ Religion im theresianisch-josephinischen Zeitalter. Begriffliche Vorbemerkungen. In: Josephinismus als aufgeklärter Absolutismus. Hg. von Helmut Reinalter. Wien 2008, 17–52, 40. PPL, 1785, 164.
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eingerichtet und so musste nur die untere noch gestärkt werden.54 Für die Pfarrgemeinden sah man eine instruierende Rolle vor, wodurch im Unterschied zur früheren Periode ein neues Pfarrerideal etabliert wurde. Der Fleiß war gleichfalls eine wichtige und erforderte Eigenschaft, daneben trat jetzt die aufklärende, instruierende Funktion. Die Statthalterei forderte die Bischöfe auf, dafür Sorge zu tragen, dass die Pfarrer nicht nur allein in den Sonntagsmessen, sondern jeden Tag in der Woche die Jugendlichen zu instruieren hätten. Diese Tendenz zeigte sich auch darin, dass man bei der Normenkommunikation eine Art Neuordnung feststellen kann. Neben moralischen Inhalten bekamen Staatstugenden wie Gehorsam gegenüber der Obrigkeit und die sorgsame Entrichtung von Steuern etc. eine wachsende Bedeutung. Die Kirche vereinnahmte und integrierte solche praktischen Ratschläge zur Lebensweise der Untertanen in ihrer Argumentation, um eine „aktive“ christliche Botschaft auszustrahlen. Ziel war es, die Gläubigen zu nützlichen, gut wirtschaftenden, Steuern zahlenden Staatsbürgern zu machen. Zum neuen Pfarrerideal gehörte die Gründung der sozial nützlichen Stiftungen aus eigenen Mitteln (ex proprio impendebat)55 bzw. die Entwicklung der lokalen kirchlichen Infrastruktur.56 Anhand von zwei Beispielen sei dies dargestellt: Antonius Domacsinovics in Petrijevci (Slawonien) war 42 Jahre lang, von 1781 bis 1823 Pfarrer dieses Ortes. Während dieser Zeit förderte er systematisch die Kirche (Orgel, Beichtstuhl, Glocke usw.), das Pfarrhaus, die Schule (Gebäude, Bücher, Mappen), daneben opferte er auch den Filialgemeinden (z. B. Satnica) Geld.57 Im Interesse seiner Ziele unterhielt er regen Kontakt sowohl mit dem Komitat, mit der Diözese als auch mit dem Grundherrn.58 Er versuchte, dem Kaplan, einem ehemaligen Franziskaner, geeignete Lebensumstände zu sichern.59 Der andere Pfarrer, Michael Winkler, der an seinen unterschiedlichen Wirkungsorten die Pfarrinfrastruktur intensiv förderte, initiierte aus gesellschaftlicher Sicht wichtige Stiftungen und gründete bedeutsame Armenhäuser, Krankenhäuser und Schulen. Winkler war stolz auf seine Rolle als Organisator, als Instruktor und in seiner Funktion als Erzieher, aber auch darauf, dass er bei den Beichten und Predigten streng war.60 54
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Über die Diözesanregulierung siehe ausführlich: Gnant, Christoph: „Jede Diözes ist nichts anders als ein Teil des Landes…“ Ausgewählte Fragen der josephinischen Diözesanregulierung und ihrer Auswirkungen auf Reich und Reichskirche. In: Der aufgeklärte Absolutismus im europäischen Vergleich. Hgg. von Helmut Reinalter / Harm Klueting. Wien, Köln, Weimar 2002, 245–262. Brüsztle, Recensio Universi, IV., 201. Das Bekenntnis von Bischof von Königgrätz, Leopold Hay (1735–1794): „Wir brauchen Bürgerpriester…gebildet für einen vernünftigen Kult, eine reine und aufgeklärte Moral, einen standhaften Patriotismus…Sittlichkeit, Gerechtigkeit, Charitas, das sind meine Prinzipien.“ Zitiert nach Winter, Eduard: Barock, Absolutismus und Aufklärung in der Donaumonarchie. Wien 1971, 201; Frank, Spätmittelalterliches und josephinisches Kirchenverständnis, 169. Brüsztle, Recensio Universi, IV., 201. PPL, 1785. 26. b. PPL, 1785. 26. b. Glaube und Kirche in der Schwäbischen Türkei des 18. Jahrhunderts. Aufzeichnungen von Michael Winkler in den Pfarrchroniken von Szakadát, Bonyhád und Gödre. Zusammenge-
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Für die zunehmend konzentrierte und erfolgreiche Kommunikation sollten die Kommunikationsräume erweitert werden. Deswegen wurden in großer Anzahl Kirchen erbaut, zugleich wurden die paraliturgischen Handlungen eingeschränkt, die einerseits weniger überprüfbar waren, und in mehreren Fällen in die Kategorie des Aberglaubens fielen.61 Die Konzentration auf die Predigt sollte auf dem Verordnungsweg gesteigert werden, zumal die Geldsammlung (Kollekte) in der Bedeutung vor die Predigt getreten war.62 Die Verwurzelung der neuen Normen verlief selbstverständlich nicht reibungslos. Vor allem verursachten jene Neuerungen und Reformationen Probleme, die radikale Veränderungen gegenüber früheren Situationen brachten und in vertraut gewordene alte Gewohnheiten eingriffen und die das puristische und rationale Kirchenbild von Joseph II. verkörperten.63 Daher wurden gegenüber der Diözese ziemlich viele Klagen vorgebracht, wovon sich ein bedeutender Teil auf Beerdigungen bezog, andererseits aber sich gegen die verstärkten fiskalischen Zugriffe und die streng rationalen Anschauungsweisen richtete. Da die Neuerungen von den Pfarrern erklärt werden mussten und diese für ihre Umsetzung verantwortlich waren, ergaben sich dadurch Spannungen und Konflikte zwischen den Pfarrern und der Gemeinde oder einzelner Mitglieder bzw. verschiedenen Gruppen der Gemeinde. Der vorher erwähnte Michael Winkler hat in seiner Pfarrchronik geschrieben, welche Debatten er mit der Gemeinde wegen der Gewohnheiten in Bezug auf Beerdigungen geführt hatte. So verbot ausschließlich aus finanziellen und rationalen Überlegungen jene Praxis, dass junge Mädchen den Sarg eines Kindes zum Grab brachten und an der Totenwache teilnahmen, weil dadurch „ihren Eltern unnötige Auslagen“ entstanden. Winkler wollte im Jahr 1791 „diesem Brauch ein Ende machen“, und er ordnete an, „daß zum Tragen des Sarges nur ein Mädchen eingeladen werden soll“. Aber die Mädchen der Gemeinde hätten diese Anordnung umgehen können“.64 Diese Beispiele veranschaulichen plastisch, dass die obrigkeitlich induzierten Erwartungen und neuen Ideale oft keineswegs mit den Vorstellungen der Gemeinden kongruierten. Diese bestanden weiterhin auf den traditionellen Werten und sympathisierten wenig mit den neuen, josephinischen Vorstellungen, was Konfliktpotential im Verhältnis zu den Pfarrern in sich barg.65 Für die Gemeinden war ein
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stellt, aus dem Lateinischen übersetzt und eingeleitet von Franz Galambos. München 1987. Über die Stiftungstätigkeit: GŐzsy, Zoltán: Adalékok a 18. századi Somogy megyei egészségügy strukturális fejlődéséhez. Orvosi ellátás, ispotályos ház, gyógyszertár [Beiträge zur strukturellen Entwicklung des Gesundheitswesens im Komitat Somogy im 18. Jahrhundert]. Somogy Megye Múltjából. Levéltári Évkönyv 41, (2011), 33–39. Vgl. Hermann, Egyed: A katolikus egyház története Magyarországon 1914-ig [Die Geschichte der katholischen Kirche in Ungarn bis 1914]. München 1973, 373–374. „Hinc inde Bursula…verum ante contionem circumferatur“; PPL, 1785. 184. Vgl. FejtŐ, II. József, 277. Winkler, Glaube und Kirche in der Schwäbischen Türkei, 157. Eine Untersuchung dieser Aspekte ist von wesentlicher Bedeutung, da so vielerlei Animositäten und Vorbehalte gegenüber dem Kaiser und der Kirche erklärt werden können. Zu dieser Frage siehe Hollerweger, Hans: Die Reform des Gottesdienstes zur Zeit des Josephinismus in Österreich. Regensburg 1976, 115–301.
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Pfarrer, der „lediglich“ ein Vorbild war, wichtiger als ein Normen und Instruktionen unmittelbar vermittelnder Kirchenmann. Dies zeigt sich sehr gut in einem Brief, der von den Bewohnern von Bölcske66 an den Bischof von Pécs geschrieben wurde. Die Gemeinde und die Grundherren wandten sich im Jahr 1785 an den Bischof Pál László Eszterházy (1730–1799)67 mit der Bitte, einen geeigneten Pfarrer zu ernennen. Mit diesem Vorstoß verbanden sie den Wunsch nach einem Seelenhirten, der fleißig und vorbildlich sei,68 denn diese Qualität hätte nämlich bis dahin gefehlt.69 Sie betonten, dass ein rechter Pfarrer zugleich auch ein Vorbild sein solle.70 Die Argumentation der Gemeinde ist bemerkenswert: Wenn der Bischof in dieser Frage nicht helfen könnte, dann möge er den Bewohnern des Dorfes die Möglichkeit verschaffen, ihren Pfarrer frei wählen zu dürfen.71 Diese Haltung leitet über zum Standpunkt von Ignatius Bärnkopf. Denn in dieser Zeit etablierte sich gegen das josephinische Pfarrerideal ein „retridentisierender“ Geist, der die josephinischen, aufklärerischen Instruktionen und die tridentinische spirituale Attitüde synthetisierte. Ignatius Bärnkopf war der erste Rektor des 1805 gegründeten Zentralseminars in Buda. Er empfahl in seinem 1803 in Tyrnau72 erschienen Werk „Methodus recte gubernandi parochiam et dirigendi animas in sancti tribunali“ das tridentinische Pfarrerideal.73 Nach Bärnkopf war der größte Lohn für einen Pfarrer die „cura animarum“ („Curator animarum“). Das Fundament seiner Gedanken war, dass der Pfarrer als Mitglied der Gemeinschaft für die Gemeinschaft leben muss und damit lehnte er zugleich jede Art von Sonderstellung in der Gemeinschaft der Gläubigen ab. Die Zunahme kirchlicher Amtsträger auf der unteren Ebene brachte allerdings nicht automatisch nur positive Ergebnisse. So verursachte die Zunahme der Kapläne in den 1780er Jahren Probleme. Diese Zunahme ist teils dem Programm der Pfarreientwicklung, teils der Versetzung von ehemaligen Mönchen zu verdanken. Einzelne Quellen zeigen, dass neu ernannte Kapläne in einigen Fällen weder mit der Gemeinde, noch mit dem Pfarrer kooperieren konnten. Denn die neuen Erwartungen, Verfahren, Anforderungen und Normen brachten eine Veränderung des Modus vivendi mit sich und störten damit die vormalige Einheit. So klagte Mattheus Illinics, der Pfarrer des Dorfes Vörösmart74 in Slawonien im Jahre 1785 gegen den neuerdings versetzten Kaplan, der mit Worten und Taten die Ruhe der anvertrauten Filiale verstören würde und dessen Neuerungen die Mitglieder der Gemeinde em66 67 68 69
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Komitat Tolna. Bischof von Pécs von 1781–1799. „Parochia haec Bölcskensis…si Pastore zeloso, et exemplari regeretur.“ In Bölcske wechselten die Pfarrer ziemlich häufig. Diese mangelnde Kontinuität machte das Erreichen wesentlicher und dauerhafter Erfolge in der Betreuung der Gemeinde nicht gerade einfach. Unter diesem Aspekt sind die von der Gemeinde formulierten Erwartungen und Ansprüche zu verstehen. Vgl. Brüsztle, Recensio Universi, II., 343–349. „Parochia haec sacerdotem verum et exemplarem requirit.“ PPL, 1785. 27. Slowak. Trnava. Bärnkopf, Methodus recte gubernandi parochiam. Kroat. Zmajevac.
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Abb. 5: Innenumschlag des Buches von Ignatius Bärnkopf, Methodus recte gubernandi parochiam et dirigendi animas in sancti tribunali. Tyrnaviae 1803
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pören würden.75 Es liegt nahe, dass die Übermittlung neuer Normen und Werte der josephinischen Zeit ganz besonders dann problematisch sein musste, wenn der Kaplan diese neuen Maßstäbe vertrat, während der Pfarrer ein Anhänger traditioneller Werte war. So war Illinics fast 20 Jahre lang Pfarrer in Vörösmart. Er galt als „angenehmer und gastfreundlicher Mann“.76 Doch trotz entsprechender funktionaler Störungen fungierte die Kirche in der Normenkommunikation als Vermittlungsinstanz ersten Ranges. Sowohl die Staatsgewalt als auch der Apparat der Grundherrschaften bzw. der geistlichen Institutionen wussten sie für ihre Zwecke zu nutzen. Dabei war nicht ihre Funktion als Vermittlungsinstanz, wohl aber das Zusammenspiel mit weiteren Akteuren hinsichtlich der inhaltlichen Konfiguration phasenweise gewissen Änderungen unterworfen.
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„Populum totum conturbavit.“ PPL, 1785. 35. „Fuit vir jucundus et hospitalis.“ Brüsztle, Recensio Universi, IV., 880.
ETABLIERUNG UND INSTRUMENTALISIERUNG VON NORMEN IN EHEANGELEGENHEITEN IN DEUTSCHEN SIEDLUNGSGEBIETEN SÜDUNGARNS Karl-Peter Krauss LEOPOLD VON MÁRFFY, SEINE GELIEBTE UND DIE UNTERTANEN 1803 wandten sich die deutschen Untertanen von Tscheb1 im Komitat Bács-Bodrog an den Erzbischof von Kalocsa, Ladislaus von Kollonitsch.2 Sie empörten sich über ihren Grundherrn Leopold von Márffy. Dieser würde ein „schandhaftes“ und „wider die Befehle Gottes“ gerichtetes Leben mit der Frau seines Verwalters, Anna von Kliegl, treiben. Außerdem hätte „die Grund Herrschaft mehrmahl in Gegenwarth unsers mehrern unbillige, schandthafte Ausprüche gehabt über unsern Geistlichen Herrn.“ Sie forderten am Ende des Briefes, dass der Pfarradministrator nicht versetzt werden solle und falls dies doch geschehe, würden sie ihm „gewiss nachfahren.“ Denn sie seien „mit einem so lobwürdigsten Herrn Pfarrer und Seel Sorger belohnt“, der in allem und seinen Predigten ein „wahrer Spiegel“ sei.3 So solle der Erzbischof das „schandhafte Leben“ ihres Grundherrn nicht dulden, „damit daß arme Volck dadurch nicht verderben soll.“ Auch der Pfarradministrator von Tscheb, Franz Szuhányi,4 sah sich veranlasst, ein Schreiben an das Domkapitel in Kalocsa zu senden. In diesem Brief berichtete er, dass Márffy seine skandalöse Lebensweise unverändert fortsetze. Auch bestätigte er die Aussagen der Untertanen, denn es seien am 3. Februar 1803 mehrere hoch angesehene Bürger bei ihm gewesen, die gefordert hatten, dass er dem Skandal mit Frau Kliegl ein Ende setze.5 Als er dann beim Grundherren vorgesprochen hätte, habe jener in rasender Wut seine Haiducken gerufen. Diese sollten ihn hinauswerfen, doch hätten sie nicht gewagt, ihn anzurühren. Ihn und das ganze Dom1 2 3
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Serb. Čib, ung. Dunacséb, heute Čelarevo, Gemeinde Bačka Palanka, Bezirk Južna Bačka [Süd-Batschka], AP Vojvodina, Serbien. Erzbischof von 1787 bis 1817. Kalocsai Főegyházmegyei Levéltár (KFL) [Erzdiözesanarchiv Kalocsa], I. 2., Kalocsai Érseki Főszentszék [Erzbischöflicher Heiliger Stuhl Kalocsa], a., Feudális kori iratok [Schriften aus dem feudalen Zeitalter], Dunacséb Josef Kliegl – Anna Kliegl, o. fol. Der Brief ist undatiert. Aktenprovenienz und Kontext legen nahe, dass der Brief zu Beginn des Jahres 1803 verfasst wurde. Franz Szuhányi war der erste Pfarradministrator der 1802 gegründeten Pfarrei und wirkte in den Jahren 1802 und 1803, vgl.: Lakatos, Andor (Hg.): A Kalocsa-Bácsi Főegyházmegye történeti sematizmusa 1777–1923. Schematismus historicus cleri Archidiocesis Colocensis et Bacsiensis 1777–1923. Kalocsa 2002, 180. Ebd.
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kapitel beschimpfte Márffy so: „Ihr seid alle gleich, schmutzige, fahle Esel, mit eurem ganzen Kapitel und mit jenem schmutzigen Ochsen“, womit er den Erzbischof selbst meinte.6 Auch würde Márffy und seine Konkubine alle Handlungen und Zeremonien der römischen Kirche kritisieren und sich auch an den Fastentagen immer von Rindfleisch ernähren.7 Die darauf eingeleitete Untersuchung mit Zeugenverhör unter Vorsitz des Generalvikars (vicarius generalis) des Erzbischofs, Dr. Martin Takáts,8 ergab zudem, dass sich Márffy und seine Geliebte Anna Kliegl in ihren seltenen Kirchenbesuchen unterhalten und gelacht hatten und zwar so, „dass man nicht ein ehrliches Vaterunser beten kann“ wie der befragte Bauer Nikolaus Kristlhuber aussagte. Auch andere Zeugen bestätigten, dass man deshalb nicht beten könne. Nach weiteren Skandalen und Auseinandersetzungen mit dem Grundherrn bat Szuhányi am 27. November 1803 schließlich resigniert um seine Versetzung. Doch auch der vorläufige Beschluss des erzbischöflichen Konsistorialgerichts vom 5. Juni 1804, dass Anna von Kliegl wieder zu ihrem Mann zurückkehren musste, änderte nichts an der Konfliktlage. Anna von Kliegl weigerte sich, auch wenn das kirchliche Gericht ihrem Mann das Versprechen abgenommen hatte, dass er für ihre Sicherheit garantieren würde, sie kein Unrecht erleiden und er nicht gegen sie wüten werde. Lieber „wolle sie entweder sich oder ihn töten“ als zu ihrem Mann gehen, den sie in einem Brief an das Ehegericht als „tyrannisch“, „gewalttätig“ und mit einem „ruchlosen Gewissen“ ausgestatteten „wohlgemästetten Tyger“ bezeichnete.9 In den folgenden Jahren entzogen sich Márffy und seine Geliebte Anna Kliegl durch die Verlegung des Hauptwohnsitzes nach Pest dem verstärkten Zugriff des Erzbistums. Im Jahre 1811 griff Franz I.,10 Kaiser von Österreich und König von Ungarn schließlich persönlich ein und verlangte gegenüber dem Erzbischof, dass die Beziehung abgebrochen werde.11 Doch erst 1812 ergab sich eine blutige Lösung des Konflikts, von dem die Pressburger Zeitung am 6. Oktober berichtete: „MariaTheresiopel12 den 21. Sept. Gestern ereignete sich bei Cséb in unsrem Komitate ein trauriger Fall, der aus mehreren Rücksichten Aufmerksamkeit erregen muß. Herr v. Márfi, ehemaliger Ober-Notär des Batscher Komitats, und Grundbesitzer des Gutes Cséb, wurde, als er eben von Pest auf dieses Gut reiste, an der Gränze desselben von einigen auf den Kukurutzfeldern auflauernden Bauern erschossen.“13 Das Verbrechen geschah am Abend des 20. September 1812. Die Bauern hatten den ster-
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Im lateinischen Originaltext: „Omnes vos aequales estis, smucidi, luridi, asini, cum vestro toto capitulo, et cum vestro illo smucido bove.“ KFL, I. 2. a. Dunacséb Josef Kliegl – Anna Kliegl, o. fol. So die Schreibweise in den Quellen, eigentlich ung. Takács. KFL, I. 2. a. Dunacséb Josef Kliegl – Anna Kliegl, o. fol. Franz Joseph Karl von Habsburg-Lothringen (1768–1835). KFL, I. 2. a. Causa Marfiana, o. fol. Ung. Szabadka, serb. Subotica, Bezirk Severna Bačka [Nord-Batschka], AP Vojvodina, Serbien. Preßburger Zeitung, Ausgabe 28, Dienstag, 6. Oktober, S. 388.
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Abb.1: Das Kreuz auf der Turmspitze der alten katholischen Kirche von Tscheb (1802–1822) in der 1822 erbauten neuen Kirche. Foto: Krauss
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benden Grundherrn aus dem Wagen gezogen und ihn dann mit Stichen und Schlägen noch übel zugerichtet.14 Eine erste Analyse des Vorganges scheint vordergründig einfach zu sein: Auf der einen Seite der despotische Grundherr, mehrmals Obernotar im Komitat BácsBodrog sowie Abgeordneter im ungarischen Reichstag. Er hatte eklatant und in aller Offenheit gegen den Moralkodex verstoßen. Auf der anderen Seite die um Sitte und Moral besorgten Untertanen von Tscheb, die Angst hatten, das Volk könne durch diesen schlechten Lebenswandel verdorben werden. Doch diese euphemistische Hypothese bedarf einer Verifizierung. Im Kirchenarchiv von Tscheb befinden sich noch Aufzeichnungen des Pfarradministrators Anton Himmelberg15 vom 11. Februar 1813. Wenige Jahre nach den Klagen der Untertanen über ihren Grundherrn zeichnete Himmelberg ein differenzierteres Bild über die ihm anvertraute Gemeinde. So bat er den Richter und die Geschworenen der Gemeinde zu sich und ersuchte sie der „Ausgelassenheit der Jugend in der Kirche im Geschwätz, Stoßen und Plaudern ein Einhalt zu thun und Ordnung zu thuen, damit selbes verhindert werde, weil ich dieß allein nicht thuen kann noch weniger der Kirchenvatter, der mit dem Klingelbeutel herumgehen muß.“ Auch beklagte er, dass sich die jungen Ehemänner nicht bei den Predigtstühlen befänden wie die anderen Männer, sondern hinter dem Altar und um diesen herum stünden.16 Hatten die Untertanen nun vom Grundherrn die Beachtung von Normen verlangt, die sie selbst nicht einzuhalten oder von sich aus durchzusetzen gewillt waren? Oder waren Normen, von deren Kenntnis sie wussten, gezielt instrumentalisiert worden, um dem verhassten und übermächtigen Grundherrn im Wissen um die Sanktionsmacht der Kirche in der Ehegerichtsbarkeit dort zu schaden, wo er verwundbar war? ZUR MIKROHISTORISCHEN RELEVANZ VON NORMEN UND KONFLIKTEN Normen werden dann in Erinnerung gerufen, wenn ihre Verletzung sanktioniert wird. Auf diese Weise wird ihre Gültigkeit bestätigt und allgemein akzeptierte Normen aktiviert.17 Nonkonformes Verhalten nimmt damit für eine Gesellschaft auch eine integrative, funktionale und die Normen bestätigende Aufgabe wahr. Unterbleibt eine Sanktionierung oder ein korrigierender Eingriff, wird die Norm in Frage
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Magyar Nemzeti Levéltár – Magyar Országos Levéltár (MOL) [Ungarisches Nationalarchiv – Ungarisches Landesarchiv], Kancelláriai Levéltár [Archiv der Ungarischen Hofkanzlei], Magyar Királyi Kancellária [Archiv der Königlich-Ungarischen Hofkanzlei], Acta generalia, A 39, 1816/392, S. 13, 13a. Für die kompetente Recherche dieser Akten und wertvolle Hinweise bin ich Frau Dr. Krisztina Kulcsár vom Magyar Országos Levéltár zu großem Dank verpflichtet. Ab 1823 bis 1832 wirkte Himmelberg als Pfarrer von Tscheb. Kirchenarchiv Tscheb, o. Sign., o. fol. Bullasch, Ute: Rechtsnorm und Rechtssystem in der Normentheorie Emile Durkheims. Frankfurt am Main u. a. 1987, 97.
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gestellt.18 Die Beobachtung des Zusammenhangs zwischen Norm, Normverletzung und Sanktion ist besonders in Gesellschaften lohnenswert, bei denen sich allgemein oder breit anerkannte Normen erst heranbilden, etablieren und festigen mussten. Gerade in Einwanderungsgesellschaften von Menschen aus verschiedenen Herkunftsterritorien mit differierenden Normen, die noch dazu im Zielgebiet auf andere Rechts- und Normentraditionen stießen, waren Angleichungs- und Adaptionsprozesse unvermeidlich.19 Mangelnde soziale Kontrolle durch neu sich formierende Gesellschaften über längere Zeitperioden konnte verstärkt zu abweichendem Verhalten (Devianz) verleiten bis dieses stigmatisierende Verhalten einer stärkeren Kontrolle und Sozialdisziplinierung unterworfen war. Als Ursache hierfür kann die mangelnde „Bindung des Individuums an die Gesellschaft“ gesehen werden.20 Diese Transformationsprozesse sollen am Beispiel von Eheangelegenheiten in ausgewählten Regionen der Neoacquistica, der neu von den Osmanen erworbenen Gebiete, untersucht werden. Dabei geht es nicht allein um die Etablierung von Normen, sondern auch um deren Instrumentalisierung, denn eine solche setzt deren hinreichende Kenntnis voraus. Es sind Teilaspekte eines Prozesses, der unter den Stichworten „Herrschaftsverdichtung“, „Verrechtlichung“ und „Staatsbildung“ Eingang in die Fachliteratur gefunden hat.21 Der Untersuchung liegen insbesondere Akten der Ehegerichtsbarkeit der Erzdiözese Kalocsa und des Bistums Fünfkirchen22 zugrunde. Ergänzend dazu wurden Akten der in Eheangelegenheiten für die Protestanten zuständigen Komitatsgerichtsbarkeit und Gerichtsakten aus dem Temeswarer Banat herangezogen. Diese Akten vermitteln oft eine mikrogeschichtliche „Nahaufnahme“ mit einer hohen Tiefenschärfe und schaffen so einen historisch-anthropologischen Zugang zu den Akteuren. Gleichwohl kann es sich nur um Momentaufnahmen nicht alltäglicher Lebensabschnitte handeln, die einen kurzen Einblick in das Leben von Betroffenen ermöglichen, bevor sie die „Bühne“ der Überlieferung wieder verließen und in der Anonymität verschwanden. Wie aber ließe sich eine wünschenswerte Balance zwischen einer Mikrogeschichte und einer makrohistorisch verorteten Analyse erreichen, die es ermöglicht, die Transformationsprozesse zu kontextualisieren? Um 18 19 20 21
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Hassemer, Winfried: Die neue Lust auf Strafe. Bundesverfassungsrichter Winfried Hassemer über das wachsende Bedürfnis nach Sicherheit und Kontrolle und die allmähliche Veränderung des Strafrechts. In: Frankfurter Rundschau, 20.12.2000, 16. Häberlein, Mark: Vom Oberrhein zum Susquehanna. Studien zur badischen Auswanderung nach Pennsylvania im 18. Jahrhundert. Stuttgart 1993, 125–205. Ortmann, Rüdiger: Abweichendes Verhalten und Anomie. Entwicklung und Veränderung abweichenden Verhaltens im Kontext der Anomietheorien von Durkheim und Merton. Freiburg im Breisgau 2000, 8. Siehe Brakensiek, Stefan: Herrschaftsvermittlung im alten Europa. Praktiken lokaler Justiz, Politik und Verwaltung im internationalen Vergleich. In: Ergebene Diener ihrer Herren. Herrschaftsvermittlung im alten Europa. Hgg. v. Stefan Brakensiek / Heide Wunder. Köln-Weimar-Wien 2005, 1–21. Zur Dynamik der Machtausübung in ungarischen Komitaten siehe: Vári, András: Ergebene Diener ihrer Herren. Wandel der Machtausübung im Komitatsleben und in der privaten Güterverwaltung im Ungarn des 18. Jahrhunderts. In: Ebd., 203–231. Ung. Pécs.
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eine Verortung zu erreichen und dem Dilemma einer singularisierten Darstellung von aus dem Zusammenhang gerissenen Einzelfällen zu entgehen, werden die Kanonischen Visitationen in einer subsidiären Analyse herangezogen. Sie bieten eine komplementäre Ergänzung durch eine Sicht der Longue durée. Auf dieser Schiene lassen sich die punktuellen Ereignisse in die Transformationsprozesse der Etablierung, Konsolidierung und Sozialdisziplinierung, freilich aus dem Blickwinkel der Kanonischen Visitatoren einordnen. Bildlich dargestellt erinnern die kurzen Zeitschnitte einzelner Vorgänge an die Ausgangslage in der Dendrochronologie. Bei dieser Datierungsmethode in den Geowissenschaften anhand von Baumringen stellen die „Schnittstellen“ zwischen den einzelnen Untersuchungsobjekten die entscheidenden Module für die Datierung und damit der Einordnung auf dem erwünschten Längsschnitt dar. Eine solche Verknüpfung zwischen Einzelfällen und den Kanonischen Visitationen als Widerlager wird angestrebt. Hier sollen die gerichtlichen Akten mit ihren Zeugenaussagen, Briefen, Klagen verortet sein. Dabei handelt es sich bei diesen Dokumenten nicht um „Selbstzeugnisse“, denn es ist davon auszugehen, dass es sich um Konstruktionen von „Wirklichkeit“ handelt und diese in wechselnder Intensität manipulieren. Denn schon bei den „klassischen“ Selbstzeugnissen handelt es sich angesichts der vorausgegangenen Selbstreflektionen des Verfassers um „Ich-Konstruktionen“, in denen das eigene „Ich“ nicht unverfälscht oder unmaskiert zum Ausdruck kommt.23 Umso mehr aber trifft dies auf die nicht-intendierten Quellen über Personen zu, die Winfried Schulze in einer weit gezogenen Definition als „Ego-Dokumente“ bezeichnet.24 Wolfgang Behringer wies darauf hin, dass „in der Dramaturgie des Verhörs […] die Psychologie der Akteure unverfälschter zutage“ tritt als in den eigentlichen Selbstzeugnissen.25 Jedenfalls ist es eine zentrale Aufgabe, die Quellen einer sorgfältigen Analyse zu un23
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Zu „Selbstzeugnissen“ siehe insbesondere: Krusenstjern, Benigna von: Was sind Selbstzeugnisse? Begriffskritische und quellenkundliche Überlegungen anhand von Beispielen aus dem 17. Jahrhundert. In: Historische Anthropologie. Kultur, Gesellschaft, Alltag, Heft 3, (1994), 462–471. Greyerz, Kaspar / Medick, Hans / Veit, Patrice (Hgg.): Von der dargestellten Person zum erinnerten Ich. Europäische Selbstzeugnisse als historische Quellen (1500–1850). Köln, Weimar u. a. 2001; Peters, Jan: Mit Pflug und Gänsekiel. Selbstzeugnisse schreibender Bauern. Eine Anthologie. Köln, Weimar u. a. 2003; Rutz; Andreas, Ego-Dokument oder Ich-Konstruktion. Selbstzeugnisse als Quellen zur Erforschung des frühneuzeitlichen Menschen. In: Zeitenblicke 1, Nr. 2, (2002). In: http://www.zeitenblicke.de/2002/02/rutz/index.html (12.02.2013). Diese Definition blieb nicht ohne Widerspruch. Gleichzeitig schien diese Kritik die personenbezogene Forschung zu erschweren, denn Winfried Schulze betont zu Recht die vielfachen „Möglichkeiten und Perspektiven“ dieser Quellen, wobei er hier insbesondere die Zeugenverhöre im Auge hat. Siehe: Schulze, Winfried: Ego-Dokumente: Annäherung an den Menschen in der Geschichte? Vorüberlegungen für die Tagung „Ego-Dokumente“. In: Ego-Dokumente. Annäherung an den Menschen in der Geschichte. Hg. von Winfried Schulze. Berlin 1996, 11–30. Eine zusammenfassende Darstellung der Kritik bei: Rutz, Ego-Dokument, 3–9. Behringer, Wolfgang: Gegenreformation als Generationenkonflikt oder: Verhörprotokolle und andere administrative Quellen zur Mentalitätsgeschichte. In: Schulze, Ego-Dokumente, 275–293, hier 293. Dabei betont Behringer, wie wichtig die gebotene methodische Sorgfalt beim Umgang mit Verhörprotokollen ist: Ebd., 281–288.
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terziehen, ihr Zustandekommen zu hinterfragen und sie anhand ergänzender Quellen auf Widersprüche und Ungereimtheiten zu überprüfen und zu bewerten, um hinreichend verlässliche Aussagen zu erhalten. So geht es für die Makrogeschichte um die Verifizierung des Konzeptes „Sozialdisziplinierung“. Die mikrohistorische Perspektive steht indes für die „individuelle Strategie“ der Akteure.26 In den Fokus gerät auch die Frage nach der „Belastbarkeit“ der Akten über die Normverletzung im Sinne der Fragestellung. Ausgangspunkt ist die Hypothese, dass die Migration einen Bruch markierte und dass es eines Adaptionsprozesses an die veränderte Normenlage bedurfte. Bei der Quellenanalyse kann die Funktion von Zeichen (Semiotik) bei der Kommunikation im sozialen Raum wertvolle Hinweise geben.27 So wird etwa die abends rechtzeitig abgeschlossene Haustür zur Metapher für die Autorität des Hausherrn, für die „Anständigkeit“ der heiratswilligen Kinder, Mägde und Knechte im Haus. DIE EHEGERICHTSBARKEIT Noch vor wenigen Jahren bestand im deutschen Sprachgebiet eine gewisse Dichotomie in der Forschungslage.28 Einerseits lagen zahlreiche Forschungsergebnisse aus evangelischen und reformierten Regionen vor.29 Andererseits bestanden relativ wenige Untersuchungen über katholische Ehegerichte.30 Doch darin hat sich eine 26
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So Chaix, Gérald: Die schwierige Schule der Sitten – christliche Gemeinde, bürgerliche Obrigkeit und Sozialdisziplinierung im frühneuzeitlichen Köln. In: Kirchenzucht und Sozialdisziplinierung im frühneuzeitlichen Europa. Hg. v. Heinz Schilling. Berlin 1994, 199–217, hier 217, zit. nach Schilling, Heinz: Disziplinierung oder „Selbstregulierung der Untertanen“? Ein Plädoyer für die Doppelperspektive von Makro- und Mikrohistorie bei der Erforschung der frühmodernen Kirchenzucht. In: Historische Zeitschrift 264 (1997), 675–691, hier 681. Sottong, Hermann / Müller, Michael: Zwischen Sender und Empfänger. Eine Einführung in die Semiotik der Kommunikationsgesellschaft. Bielefeld 1998, 11. Dieses Kapitel beruht im Wesentlichen auf dem hier überarbeiteten Beitrag: Krauss, Karl-Peter: Frauen in Not. Das Ehegericht in der Batschka im Prozess der Konsolidierung und Disziplinierung. In: Kirchen als Integrationsfaktor für die Migranten im Südosten der Habsburgermonarchie im 18. Jahrhundert. Hgg. von Norbert Spannenberger / Rainer Bendel. Berlin u. a. 2010, 163–192, hier 172–174. Beispielhaft: Burghartz, Susanna: Jungfräulichkeit oder Reinheit? Zur Änderung von Argumentationsmustern vor dem Basler Ehegericht im 16. und 17. Jahrhundert. In: Dynamik der Tradition. Hg. v. Richard van Dülmen. Frankfurt am Main 1992, 13–40. Eine umfassende Darstellung bietet: Burghartz, Susanna: Zeiten der Reinheit – Orte der Unzucht. Ehe und Sexualität in Basel während der Frühen Neuzeit. Paderborn u. a. 1999. Jüngere Veröffentlichungen sind: Frassek, Ralf: Eherecht und Ehegerichtsbarkeit in der Reformationszeit: Der Aufbau neuer Rechtsstrukturen im sächsischen Raum unter besonderer Berücksichtigung der Wirkungsgeschichte des Wittenberger Konsistoriums. Tübingen 2005; Lutz, Alexandra: Ehepaare vor Gericht: Konflikte und Lebenswelten in der Frühen Neuzeit. Frankfurt am Main 2006; Grünenfelder, Lukas: Das Zürcher Ehegericht. Eheschließung, Ehescheidung und Ehetrennung nach der erneuerten Satzung von 1698. Zürich 2007. Beispielhaft: Becker, Peter: Leben und Lieben in einem kalten Land. Sexualität im Spannungsfeld von Ökonomie und Demographie. Das Beispiel St. Lambrecht 1600–1800. Frank-
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Modifikation ergeben, auch in Bezug auf Vergleichsstudien.31 In Ungarn werden Untersuchungen über die Ehegerichte eher als Forschungsanliegen der Rechtsgeschichte und der Volkskunde betrachtet.32 Doch die Erforschung einschlägiger Aktenbestände könnte gerade bei sich konsolidierenden gesellschaftlichen und kirchlichen Strukturen einen wichtiger Beitrag zur Sozial-, Alltags- und Kirchengeschichte leisten, zumal der Ehe als konstitutives gesellschaftliches Element eine bedeutende Rolle beigemessen wurde. In seiner Arbeit über den Ehebruch in Halas in der überwiegend reformierten Großen Tiefebene im 17. und 18. Jahrhundert stellt Attila Melegh fest, dass, abgesehen von einigen wenigen Forschern, in Ungarn der Versuch nicht unternommen wurde, systematisch die moralischen, kulturellen, sexuellen, kirchlichen, politischen und strafrechtlichen Aspekte der Ehe im 18. Jahrhundert zu untersuchen.33 Seine Studie mit weiteren Hinweisen zum Forschungsstand befasst sich mit der reformierten Gemeinde Halas und zeigt, wie hart und unnachgiebig entdeckter Ehebruch34 geahndet wurde und wie stark die Stigmatisierung der Betroffenen war, denn Fehlverhalten wurde in den Matrikelbüchern festgehalten.35 Kam es zu gerichtlichen Auseinandersetzungen innerhalb einer Ehe, so lag die Zuständigkeit für die reformierten und lutherischen Gemeinden in Ungarn gemäß der „Carolina Resolutio“ seit 1731 bei der katholischen Ehegerichtsbarkeit bzw. bei der weltlichen Gerichtsbarkeit. Damit hatte sich der reformierte
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furt, New York 1990; Beck, Rainer: Frauen in Krise. Eheleben und Ehescheidung in der ländlichen Gesellschaft Bayerns während des Ancien régime. In: Dynamik der Tradition. Hg. v. Richard van Dülmen. Frankfurt am Main, 1992, 137–212. Eine ansprechende Diplomarbeit über die Ehegerichtsakten des Konsistoriums von Brixen erstellte: Terzer Anegg, Ute: „bey unserer beysam wohnung kein daurhafter ehefrieden anzuhoffen…“ Die katholische Ehescheidungsvariante der Trennung von Tisch und Bett im Spiegel von Ehegerichtsakten des Konsistoriums von Brixen 1750–1800. Diplomarbeit. Innsbruck 2003. Für das vorreformatorische Ehegericht: Schmugge, Ludwig: Ehen vor Gericht. Paare der Renaissance vor dem Papst. Berlin 2008; Deutsch, Christina: Ehegerichtsbarkeit im Bistum Regensburg (1480–1538). Köln-Weimar-Wien 2005; Ihli, Stefan: „Ein eigenes Ehegericht besteht hier nicht“. Bd. 1: Einleitung – Darstellung des Hintergrundes und der Quellen, Bd. 2: Quellenedition – Schluss, Quellen- und Literaturverzeichnis, Anhang. Tübingen 2007; Behrisch, Lars: Protestantische Sittenzucht und katholisches Ehegericht. Die Stadt Görlitz und das Bautzner Domkapitel im 16. Jahrhundert. In: Stadt und Religion in der frühen Neuzeit. Soziale Ordnungen und ihre Repräsentationen. Hgg. von Vera Isaiasz u. a. Frankfurt/Main 2007, 33–66. Grundsätzlich zur Geschichte der Zivilehe: Herger, Eszter Cs.: Tradition und Modernisierung der Zivilehe in Ungarn. In: Kontinuitäten und Zäsuren in der europäischen Rechtsgeschichte, 196. Hg. von Andreas Thier u. a. Frankfurt am Main 1999, 275–282. Melegh, Attila: Házasságtörés Halason a 17–18. században [Ehebruch in Halas im 17.–18. Jahrhundert]. In: Történeti demográfiai évkönyv 2000, 266–291, hier 266. Insgesamt fanden sich in Halas seit 1690 289 eingetragene Fälle von Ehebruch und Beischlaf vor der Ehe, was jährlich bei relativ gleichmäßiger Verteilung ungefähr drei bis sechs Fälle ergab. Melegh, Házasságtörés Halason, 273. Noch 1720 wurde gegenüber einer Frau die Todesstrafe wegen Ehebruchs verhängt. Mitte des 18. Jahrhunderts mussten sich die Delinquenten auf den Schandstein stellen. Hier zeigt sich die unterschiedliche Behandlung von Frauen und Männern. Letztere wurden bis zur zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts kaum als Ehebrecher deklariert. Oft mussten sie nur versprechen, dass sie den Ehebruch nicht mehr begehen würden, siehe: Melegh, Házasságtörés Halason, 276–277.
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oder evangelische Pfarrer an die zuständigen Komitate zu wenden. Anders als in vielen protestantischen deutschen Territorialstaaten war die gemäß der „Carolina Resolutio“ zugewiesene Ehegerichtsbarkeit für Protestanten formal stark an die Praxis katholischer Ehegerichte angelehnt. Schon seit der Gegenreformation hatte sich der Zugriff der katholischen Kirche in allen Ehefragen verstärkt. Die Positionierung war eine Antwort auf die protestantische Haltung, die eine Ehe neben ihrem geistlichen Stand bis zu einem gewissen Grade, wie Luther es ausdrückte, als „weltlich Ding“ ansah und den Sakramentscharakter der Ehe bestritten hat. Im „ius canonicum“ war die Ehe ein Sakrament.36 Das führte zum Anspruch der katholischen Kirche, allein über Form und Inhalt dieser göttlichen Institution zu entscheiden. Ein wichtiger Meilenstein war das 1563 abgeschlossene Konzil von Trient. Neue Normen intensivierten die Überwachung der Heiraten und Ehen. Die streng katholische Ehe etablierte sich, die unauflösbar war oder weniger euphemistisch ausgedrückt, aus der es kein Entrinnen gab. Diese Unauflösbarkeit setzte sofort mit dem Beginn der „copula carnalis“ ein. Die Akten gewähren einen Einblick in die von „Überlebensimperativen“ aus wirtschaftlichen und sozialen Zwängen geprägten ehelichen Gemeinschaften der einfachen Leute, bei denen Gefühle, Betroffenheit, Liebe hinter dem harten Pragmatismus alltäglichen Überlebens kaum offenbar werden.37 Und dennoch gab es Möglichkeiten, aus einer unhaltbar gewordenen Ehe zu entfliehen. Dazu gehörte die „Separatio a thoro et mensa“, eine „Trennung“ oder „Scheidung“ von Tisch und Bett auf Zeit oder auch die lebenslange Trennung, die „separatio perpetua“. Dabei wurde der Ehebruch in Ungarn nach dem Kirchenrecht nur dann als trennendes Hindernis betrachtet, wenn entweder die Ehe jemandem versprochen, oder einem Partner sogar nach dem Leben getrachtet wurde.38 „Ex capite saevitiei“,39 wegen Grausamkeit wurden die Ehepartner nicht „ad tempus indefinitum“, sondern nur auf ein Jahr getrennt. Bei einer „separatio“ war das „vinculum matrimonii“, das Band der Ehe nicht aufgehoben, denn eine Wiederverheiratung war nicht möglich. Anders stellte es sich dar, wenn eine Ehe rückwirkend für „null und nichtig“ erklärt wurde. Das war etwa der Fall, wenn „die eheliche Beiwohnung“ nicht erfolgte.40 Hinsichtlich der rechtlichen Situation in Ehefragen bildete die Regierungszeit Josephs II. auch für Ungarn eine Zäsur. Die neue utilitaristische Kirchenpolitik Josephs II., das aufgeklärte Staatskirchentum, brachte die Kirche unter weitgehende staatliche Kontrolle.41 1786 hatte Joseph II. gegen starken kirchlichen Widerstand 36 37 38 39 40 41
Allgemein zur Ehe nach dem kanonischen Recht: Fahrner, Ignaz: Geschichte des Unauflöslichkeitsprinzips und der vollkommenen Scheidung der Ehe im kanonischen Recht. Freiburg im Breisgau 1903. Beck, Frauen in Krise, 138. Gustermann, Anton Wilhelm: Österreichisches Kirchenrecht in den teutschen, ungerischen und galizischen Erbstaaten. Wien 1807, 59. Aus Gründen der Grausamkeit, bei Misshandlung des Ehepartners. Das war einer der zentralen Gründe für Frauen, sich an das Ehegericht zu wenden. Gustermann, Österreichisches Kirchenrecht, 72–73. Csáky, Moritz: Von der Aufklärung zum Liberalismus. Studien zum Frühliberalismus in Ungarn. Wien 1981; Adriányi, Gabriel: Beiträge zur Kirchengeschichte Ungarns. München 1986, 18, 19.
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durch ein Reskript die Angelegenheiten der Ehe auch in Ungarn in die Kompetenz des Staates verwiesen.42 Schon drei Jahre zuvor ließ Joseph II. Eheversprechen für unwirksam erklären mit der Begründung: „Da die Verlobnisse weder für den Staat, noch für den Privaten nützlich, sondern vielmehr für beide in Rücksicht auf die gezwungenen Ehen schädlich sind“. Falls doch noch eines verfasst werden würde, hätte dieses „[…] nicht die mindeste rechtliche Wirkung“.43 Diese Verordnung machte die ungarische Statthalterei am 19. September 1783 den Komitaten kund.44 Der josephinische Eingriff in die bisherige kirchliche Gerichtsbarkeit wirkte sich auf die Anzahl der kirchlichen Eheprozesse aus. Während für das Jahr 1785 15 Verfahren in Kalocsa überliefert sind und anhängig waren, waren es 1787 vier und 1788 nur noch zwei Verfahren. Nach Josephs Tod stiegen die Prozesse wieder sprunghaft an. Denn sein Nachfolger Leopold II. überließ die Ehestreitigkeiten wieder den Konsistorien. Er ließ das josephinische Reskript durch eine Verordnung vom 20. April 1790 wenigstens in Teilen aufheben.45 Auch die Eheversprechen wurden in Ungarn wieder erlaubt und hatten rechtliche Wirkungen.46 Dieser Tatbestand unterschied sich von der Rechtslage in Österreich. So konnte nach einem vorher erfolgten Eheversprechen auch die Schwängerung einer Frau durch einen anderen Mann das verbindliche Eheversprechen nicht lösen. Das erklärt, warum es zahlreiche Prozesse zur Thematik „sponsalia“ im Archiv in Kalocsa gibt. Auch für die folgenden Jahrzehnte war es ein Kontinuum in Ungarn, dass die weltliche Gerichtsbarkeit die kirchliche Zuständigkeit in Ehegerichtsfragen akzeptierte. Die weltliche Gerichtsbarkeit war hingegen für zivil- und strafrechtliche Fragen zuständig, was auch im südungarischen Raum während des Bestehens der „Wojwodschaft Serbien und Temescher Banat“ (1849–1860) der Fall war.47 Sowohl die Akten der Ehegerichte von Kalocsa und Pécs als auch Ehegerichtsakten der Komitate dokumentieren nur einen Ausschnitt und die Spitze des Eisberges. Denn die zentrale Schlüsselfigur und erste Anlaufstelle vor Ort war der Pfarrer. Nur in den relativ wenigen Fällen, bei denen vor Ort keine Lösung des Konfliktes gefunden werden konnte, wurde das Konsistorium eingeschaltet, oft vom Pfarrer selbst. In 42 43 44
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Dies betraf sowohl die Eheangelegenheiten der Katholiken des lateinischen und griechischen Ritus, wie der nicht unierten Griechen, Gustermann, Österreichisches Kirchenrecht 125. Ebd., 25. Zitiert nach: Gustermann, Österreichisches Kirchenrecht, 29: „[…] quod S. M. S. visum fuerit contractus sponsalisticos, quemadmodum in omnibus ditionibus caesareo – regiis germaniciis, ita etiam in regno Hungariae, et partibus annexis penitus aboliendos, et abrogandos decernere. Benignam hancce resolutionem […].“ Gustermann, Österreichisches Kirchenrecht, 94. Ebd., 29. Auch bei Zivilklagen wegen Ehestreitigkeiten um Geld und Besitz wurde auf die kirchliche Gerichtsbarkeit Rücksicht genommen. So heißt es in einer gegenüber dem Bezirksgericht Sombor eingereichten Klageschrift des Forstingenieurs Maximilian Stanovits [Stanović] vom 18. Oktober 1856 wegen einer Körperverletzung und wegen Geldstreitigkeiten: „Hingegen meine Tochter hat bereits unter den 8. September des Jahres ihre Scheidungs Klage dem hochwürdigsten Karloviczer Archidiecesan Consistorio schriftlich unterbreitet, wozu der consistorial Spruch abzuwarten komme.“ Istorijski Arhiv Sombor (IAS), [Historisches Archiv Sombor], 34, Kraljevski Sreski Sud [Königliches Bezirksgericht] Sombor, kutija 5, ohne fol.
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Kalocsa wurden in zweiter und dritter Instanz auch Fälle aus anderen Diözesen entschieden und das Urteil gesprochen. Der Heilige Stuhl (Sacra Sedes) in Kalocsa mit dem Namen Metropolitanum Officium Vicariale et Sacra Sedes Consistorialis war mit zahlreichen Aufgaben betraut, so auch mit der Ehegerichtsbarkeit. Generalvikar (Vicarius et causarum auditor generalis) zur Zeit des Falles von Márffy war von 1789 bis 1818 Martinus Takács. Der Verteidiger des Ehebandes (Defensor vinculi matrimonialis et religiosae professionis) war von 1794 bis 1803 P. Georgius Rakovszky und nach kurz wechselnden Funktionsträgern Josephus Bernátfy de Olovátz (1809– 1817).48 Die Aufgabe des Defensor vinculi war gemäß dem Kirchenrecht, Gründe zu finden, die für das Fortbestehen des Ehebandes sprachen. Der Pfarrer war nicht unbedingt an der Einschaltung des Offizialats interessiert, denn er war gezwungen, dem Konsistorium alle notwendigen Dokumente und Beweisstücke vorzulegen – was mit einigem Aufwand verbunden sein konnte. Es war oft auch im Sinne des Konsistoriums, dass der Pfarrer einen Fall selbst löste. Falls dies nicht möglich war, drohte eine Vorladung der Beteiligten nach Kalocsa. ETABLIERUNG EINES NORMENKANONS IN DEN NEOACQUISTICA-GEBIETEN Die gemäß dem Kirchenrecht durchgeführten Kanonischen Visitationen spiegeln langjährige Prozesse in der Entwicklung von Kirchengemeinden. Gleichwohl bedürfen viele Ausführungen einer kritischen Analyse, Einordnung und Interpretation. Da die Visitationen einem inquisitorischen Zweck dienten, sind die Darstellungen nicht frei von Manipulationen, indem die Befragten gegenüber den Visitatoren Tatbestände beschönigten, verstärkten, selektiv darlegten oder verschwiegen und nicht selten ihre Antworten persönlichen, gemeindlichen oder kirchenpolitischen Intentionen dienten.49 Als vornehmstes Ziel der Visitation galt die Hinführung zur rechtgläubigen Lehre (doctrina ortodoxa). Diesem Ziel sind damit auch die hier besonders interessierenden Fragen über die Ehen, zu den Dorfrichtern, Schulmeistern, über Leben und Sitten der Bevölkerung, nach den Beschwerden des Pfarrers verpflichtet. Es liegt nahe, dass die Kanonischen Visitationen für den Raum der Neoacquistica-Gebiete eine besonders wertvolle Quelle darstellen, denn sie können Hinweise auf langjährige Transformations- und Akkulturationsprozesse in einem sich etablierenden und konsolidierenden multiethnisch und multikonfessionell geprägten Raum auf der Ebene der Kirchengemeinden geben. Die deutschen Ansiedler in diesen Räumen waren zudem Adaptionsprozessen unterworfen. Es liegt nahe, dass sich zumindest Andeutungen und Hinweise auf diese Vorgänge in den Visitationsakten finden. Schließlich kamen die Kolonisten aus verschiedenen deutschen Territorialstaaten mit differierenden Normensystemen, womit ein multipler Normentransfer erfolgte. 48 49
Lakatos, A Kalocsa-Bácsi Főegyházmegye történeti sematizmusa, 69–72. Die latinisierten Namen der Funktionsträger wurden gemäß der Quellen und ihrer entsprechenden Nennung im Schematismus beibehalten. Visitationsakten. In: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 10. Freiburg im Breisgau 1965.
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Bildhafter Ausdruck einer gewissen Diversität waren etwa die Trachten der Ansiedler. Johann Eimann, dessen narrative Chronik über die Ansiedlung eines Betroffenen einzigartig und von großem Stellenwert für die Forschung ist, bewertete diese Unterschiede so: „In Ansehung der Kleidertracht: Die Verschiedenheit in derselben war auch lächerlich.“50 So ist es wenig wahrscheinlich, dass die beschriebenen Prozesse keinen Niederschlag in den Visitationen fanden. Ganz besonders, wenn die Neusiedler von einheimischen Pfarrern betreut wurden, ist in den ersten Jahren mit erheblichen Irritationen und einer Verunsicherung beider Seiten zu rechnen. Auch dann, wenn Verwandte, Freunde und Bekannte mit ausgewandert waren, brach doch ein Teil des familiären und sozialen Netzwerkes der Herkunftsgebiete weg. Dies und die Konfrontation mit veränderten Normen waren wohl ein fruchtbarer Boden für Normverletzungen. Vielleicht aber wuchs in dieser Situation auch die Sehnsucht nach einem wieder für alle in der Kirchengemeinde verbindlichen Normensystem als vertrautes und innerlichen Halt bietendes Gerüst.51 Die Migration war auch im familiären Umfeld mit erheblichen Brüchen verbunden. In den meisten deutschen Ansiedlungsorten gab es eine initiale demographische Krise mit einem über Monate oder Jahre andauernden erheblichen Sterbeüberschuss.52 Das führte dazu, dass viele Eheschließungen zwischen verwitweten Partnern das Entstehen zahlreicher und oft komplexer Patchworkfamilien bewirkte. Hinzu kamen auch Adaptionsprozesse etwa an das Heiratsverhalten in Ungarn. Denn schon wenige Jahre nach der Ansiedlung sank das Heiratsalter der Kolonisten augenfällig.53 Auch in der Selbstwahrnehmung der Kolonisten wurde diese Adap-
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Eimann, Johann: Der deutsche Kolonist oder die deutsche Ansiedlung im Bácser Komitat. Neudruck nach der ersten Auflage vom Jahre 1820. Crvenka 1928, 63. Zu den zunächst zerrütteten Strukturen im Ungarn des 18. Jahrhunderts und die Konsolidierungsmaßnahmen der Kirchenhierarchie siehe den Beitrag in diesem Band von Zoltán GŐzsy: Ebenen und Phasen der kirchlichen Normenkommunikation in Transdanubien und in Slawonien im 18. Jahrhundert. Siehe auch: GŐzsy, Zoltán: Grenzen und Wirkungsradius der Rekatholisierung in Südtransdanubien nach der Osmanenzeit. In: Spannenberger/Bendel, Kirchen als Integrationsfaktor, 43–63. Dazu siehe: Krauss, Karl-Peter: Die Kinder der Kolonisten. Ansiedlung und demographische Krise im Königreich Ungarn. In: Migrationen nach Ost- und Südosteuropa im 18. und 19. Jahrhundert. Hg. v. Mathias Beer. München 2014 (im Druck). Auf das Phänomen unterschiedlicher Heiratsmuster in Europa (European Marriage Pattern) wies erstmals Johan Hajnal hin. Er stellte fest, dass westlich einer Linie von St. Petersburg bis Triest sowohl das durchschnittliche Erstheiratsalter höher lag (in der Regel bei Frauen höher als 24, bei Männern höher als 26 Jahren) als auch der Anteil lebenslang lediger Personen relativ hoch (bei über zehn Prozent) lag. Östlich dieser Linie sank das Erstheiratsalter auf unter 22 Jahren bei Frauen und unter 24 Jahren bei Männern, während der Anteil der lebenslang ledigen Personen unter fünf Prozent der Bevölkerung blieb. Ursachen für diese differierenden Heiratsmuster sind in unterschiedlichen Sozialstrukturen zu suchen. Dazu siehe: Hajnal, John: European Marriage Patterns in Perspective. In: Population and History. Hgg. von David Victor Glass / David Edward Charles Eversley. London 1965, 101–145. Auch Häberlein, Vom Oberrhein zum Susquehanna, 147, verweist auf das gesunkene Heiratsalter bei Auswanderern in Pennsylvania und führt weitere diesbezügliche Studien an. Zu ähnlichen Ergebnissen des deutlich gesunkenen Heiratsalters deutscher Kolonisten kam Dmytro Myeshkov bei den
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Abb. 2: Brief von Peter Stemmler aus Oroszló im Komitat Baranya an den Vormund seines zurückgelassenen Vermögens mit dem Satz „aber meine lieben Freünde, in Ongerlant heirath man wen eins 14 oder 15 Jar alt ist“. Landesarchiv Speyer, F 29, Ausfautei Waldmohr, Nr. 16 II, o. fol.
Schwarzmeerdeutschen: Myeshkov, Dmytro: Die Schwarzmeerdeutschen und ihre Welten 1781–1871. Essen 2008, 178–179.
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tion registriert. So stand in einem am 14. Februar 1788 verfassten Brief aus Oroszló im Komitat Baranya an die Verwandten in Münchweiler:54 „Aber meine liebe Freünde, in Ongerlanth55 heirath man wen eins 14 oder 15 Jar alt ist.“56 Gerade in den ersten Jahren und Jahrzehnten nach der Ansiedlung brandmarkten die Visitatoren häufig das Verhalten der neu angesiedelten Bewohner. Beispielhaft werden hier einige Auszüge aus Orten der Batschka aufgeführt. Für die Anfangszeit bezeichnend sind Charakterisierungen der Kolonisten wie in der ersten Kanonischen Visitation von Batschsentiwan57 1767: „Wir haben erfahren, daß ihre Lebensführung […] zu keiner Zeit empfehlenswert [ist].“ In der Kirche würden die Ehebrecher erst gar nicht erscheinen und an den Sonntagen würden sich die Leute verhalten wie an den Werktagen. Sonntags seien die Wirtshäuser während der heiligen Messe für jedermann offen. Auch die Richter und Geschworenen würden gegen Exzesse nicht einschreiten.58 In Bezug auf Bukin59 war 1756 über „Streit und Zwist zwischen Eheleuten“ zu lesen und dass die Richter dabei dem Pfarrer nicht beistanden.60 Allgegenwärtig waren die Klagen über nächtliche Trinkgelage und nächtliches Herumstreunen: „In dieser Pfarrgemeinde treten besonders stark nächtliche Trinkgelage auf, sowohl der Männer als auch der Frauen, dann auch Diebstähle, die wenn sie auch gefasst werden, oft nicht bestraft werden“61 bzw. „In dieser Pfarrgemeinde werden auch oft nächtliche Herumstreunereien von Jugendlichen vorgefunden, die recht oft durch den Pfarrer verboten, nicht stattfinden sollten.“62 Fast resigniert kam der Pfarradministrator zu dem Schluss, dass er in der geforderten Ausübung seines Amtes die allergrößten Schwierigkeiten habe, auch weil der Notar sich immer in die Kirchenangelegenheiten einmischte und mit Anderen für einen Skandal sorgt.63
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Der Ort heißt (auch) offiziell seit 1885 Glan-Münchweiler, heute Landkreis Kusel, RheinlandPfalz. Ungarland, Ungarn. Landesarchiv Speyer, F 29, Ausfautei Waldmohr, Nr. 16 II, o. fol. Ung. Bácsszentiván, serb. Prigrevica, Gemeinde Apatin, Bezirk Zapadna Bačka [WestBatschka], AP Vojvodina, Serbien. Zitiert nach der Übersetzung in: Batschsentiwan. Kirchenchronik St. Johannes der Täufer 1788–1988. Kirchengeschichte einer ehemaligen donauschwäbischen katholischen Großgemeinde im Batscherland (Batschka). Hg. von der Heimatortsgemeinschaft. Gaggenau-Freiolsheim 1989, 48–50. Ung. Dunabökény, serb. Mladenovo, Gemeinde Bačka Palanka, Bezirk Južna Bačka [SüdBatschka], AP Vojvodina, Serbien. Dantur etiam in hac parochia rixae et discordiae inter conjugatos, et si parochus punire vellit Judex non asistit aut plane nihil curat. Kanonische Visitation Bukin des Jahres 1756. In hac parochia maxime vigent compotationes nocturnae tum virorum, tum mulierum, tum furta quae etiam si depraehendantur saepie non puniuntur. In hac parochia reperiuntur etiam vagationes nocturnae Juvenum saepe saepius per Parochum prohibitae non currantur. In debita executione sui ministerii habet maximas difficultates quod Notarius loci cum aliquibus aliis semper se in rebus Ecclesiasticis imisceat, et aliis bonis Schandalo praeerit, quod nunc jam utcumque derelinquit.
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Nach 177664 machte der Pfarrer von Apatin65 eine Eingabe an den Erzbischof Adam Patatich,66 in der er toposhaft beklagte, dass früher „über 300 Burschen mit der gleichen Zahl leichtfertiger Mädchen sich allen tierischen und fleischlichen Lüsten bis zum Überdruß hingaben“ und so seien „ganze Nächte hindurch Saufereien, Tanz […] Gotteslästerungen, Fluchen, Hurereien und Deflorationen sogar auf offener Straße durchgeführt“ worden. Vor dieser „Schamlosigkeit“ „waren selbst fremde Ehefrauen nicht mehr sicher.“ So seien diese Frauen bedrängt worden, „indem man die Haustore aufbrach oder die Fenster einschlug. Ging aber der Ehemann, um sie zur Vernunft zu bringen, hinaus, schlug man diesen mit kräftigen Hieben zu Boden und verlangte von ihm, ihnen die Frau zu überlassen.“67 Welche Intention dieser Darstellung zugrunde lag, lässt sich leicht ermessen, denn der ihn beratende Exjesuit Ambrosius Gabler und der Pfarrer konnten so leicht ihre Erfolge in der Sozialdisziplinierung der Apatiner verkünden, indem sie stolz berichteten, „daß jenes Sodom von einst plötzlich in ein himmlisches Jerusalem umgewandelt erscheint.“68 Das mag Zweifel am Wahrheitsgehalt des Berichts schüren. Dennoch wird dadurch deutlich, wie das Verhalten der Bewohner Apatins in der Anfangszeit in der Wahrnehmung der Pfarrer gesehen wurde. Weitere, wenn auch weniger drastische Niederschriften über das Verhalten in den Kolonistendörfern ließen sich mühelos anführen. So ist in der Pfarrchronik von Nadasch69 im Komitat Baranya zu lesen, dass die Tanzunterhaltungen an Sonn- und Feiertagen bis in die späte Nacht andauerten und „dabei sind sie [die Leute] so ungezügelt und erlauben Augen, Ohren und Händen allerlei verbotene Dinge. Die Vertraulichkeit wird immer intimer […]. Dasselbe geschieht im Winter in den Spinnstuben. Die Burschen kommen daher wie der Adler aufs Aas.“70 Den deutschen Siedlern von Mutsching71 wurde „kein Sinn für Gemeinschaft, kein Mitgefühl mit Bedürftigen, kein Gespür für öffentliche Ordnung, umso mehr Abneigung gegenüber den Gesetzen […]“ attestiert.72 In Apatin wurde in der Visitation von 1766 der Untertan Josef Oberauer namentlich genannt. Er sei im Konkubinat und Ehebruch so verstockt und unverbesserlich, dass er, nachdem ihn der Herr Dechant wiederholt ermahnt hatte, dieser ihn bei der Herrschaft verklagen musste. Dennoch 64
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Zur Datierung: Selgrad, Anton (Hg.): Kanonische Visitationen der Apatiner Pfarrei im 18. und 19. Jahrhundert. Straubing 1979, 102, Anm. 41. Das Schreiben fällt in die Amtszeit von Ambrosius Gabler, der von 1773 bis 1780 Kaplan war und in die Periode, als Graf Josef von Batthyány (1727–1799) Fürstprimas war (1776–1799). Bezirk Zapadna Bačka [West-Batschka], AP Vojvodina, Serbien. Baron Adam Patachich de Zajezda (kroat. Patačić, ung. auch Patacsics), (1717–1784), Erzbischof von Kalocsa von 1776–1784. Zit. nach der Übersetzung in: Selgrad, Kanonische Visitationen, 49. Ebd., 51. Ung. Mecseknádasd, Komitat Baranya. Historia Parochiae Nadasdensis, S. C3, zit. nach: Glaube und Kirche in der Schwäbischen Türkei des 18. Jahrhunderts. Aufzeichnungen von Michael Winkler in den Pfarrchroniken von Szakadát, Bonyhád und Gödre. Zusammengestellt, aus dem Lateinischen übersetzt und eingeleitet von Franz Galambos. München 1987, 17, Anm. 46. Mucsi, Komitat Tolna. Historia Parochiae Mucsiensis, S. 21, zit. nach: Winkler, Glaube und Kirche, 17, Anm. 47.
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hat er sich wieder nicht gescheut, für sich seine eigene Ehefrau ein Kebsweib und Beischläferin suchen zu lassen.“73 Ein ähnlicher Wahrnehmungshorizont ist bei Pfarrer Michael Winkler festzustellen. Er bezeichnete die in Sagetal74 in Südtransdanubien angesiedelten deutschen Kolonisten nach seiner dortigen Ankunft 1759 als „Halbbarbaren“. Er beklagte, dass im Gotteshaus jede Ehrfurcht fehlte und prangerte das unsittliche Treiben an wie etwa, dass die „Mädchen und Burschen […] die ganze Nacht hindurch im Freien blieben.“ Blieb das Vieh im Stall, hätten die Mädchen „ihre Schlafstatt in Ställen, Scheunen und auf offenen Veranden. Die Burschen konnten daher ohne Wissen der Eltern diese Mädchen aufsuchen.“ Wurden die Eltern hierauf angesprochen, meinten diese nur: „Auch wir haben es in unserer Jugend nicht anders gemacht.“75 Winkler beklagte auch, dass die Kirchgänger in der Kirche im „betrunkenen Zustand, wenn der Priester den Kelch erhob, auch ihre Becher in die Höhe“ gehoben hätten.76 Die migrationsbedingt mangelnde Sozialkontrolle und Entwurzelung bot Möglichkeiten zur Normverletzung. Gleichzeitig konnte die Migration zum Ventil für Normverletzungen werden. So hatte der kurbayerische Kolonist Konrad Weber seine 70jährige Ehefrau zurückgelassen und dafür die junge Magd mitgenommen. Die Kameraladministration Neutra versuchte, ihn gütlich von der Frau zu trennen, mit der er inzwischen ein Kind hatte, aber er weigerte sich.77 Manchen Kolonisten drohte bei Bigamie die Todesstrafe. So wurde Margaretha Peterson aus Almasch78 1791 wegen Bigamie festgenommen. Sie hatte in dem Kolonistendorf Adam Buckmüller ein halbes Jahr, nachdem sie ihren ersten Ehemann verlassen hatte, geheiratet. Fünf Jahre lang lebte sie mit ihm zusammen und bekam in dieser Zeit drei Kinder. Vermutlich wäre ihr Vergehen nie ans Tageslicht gekommen, doch etwa sechs Jahre nach der Eheschließung mit ihrem ersten Mann tauchte dieser in Ungarn auf. Die Befragung der 24jährigen Frau ergab keinen Einblick in ihre Motive, aber der Verteidiger plädierte darauf, die Anklage abzuschwächen, da sie nur wenige Wochen mit ihrem ersten Mann zusammen gewesen war und behauptete, dass die Ehe vom ersten Mann nicht vollzogen worden sei und keine Kinder da wären.79 Tatsächlich war eine harte Bestrafung kaum im Sinne der an der Besiedlung interessierten Stellen, weshalb die Verfahren meist glimpflich ausgingen. Auch Juliana Marzloff aus Eschburg80 im Elsass klagte, dass ihr Mann Jakob Roth sie verlassen 73 74 75 76 77 78 79 80
Zit. nach der Übersetzung in: Selgrad, Kanonische Visitationen, 36. Szakadát, Komitat Tolna. Winkler, Glaube und Kirche, 49–50. Ebd., 49. MOL, Magyar Kincstári Levéltárak [Archive der Ungarischen Kammern], E 125 Impopulationalia, Gehorsamster Bericht der königlichen Kameraladministration Temeswar vom 1. Oktober 1787, Mikrofilm 22259. Bácsalmás, Komitat Bács-Kiskun. Arhiv Vojvodine (AV) [Archiv der Wojwodina], F 2, Bačko-Bodroška Županija I (BBŽ) [Komitat Bács-Bodrog], kutija [Schachtel] 249, o. fol. Ein Urteil liegt den unvollständigen Akten nicht bei. Frz. Eschbourg, Département Bas-Rhin.
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habe und 1.500 fl. mitgenommen hätte. Er wurde schließlich in Neu-Schowe81 in der Batschka ausfindig gemacht. Umgekehrt beklagte sich ein Kolonist von Karawukowo,82 dass ihm sein Eheweib mit 400 fl. „durchgegangen“ sei.83 Dies waren keinesfalls Einzelfälle. So berichtete der Assessor Julius von Weißenbach 1784 an die Kameraladministration in Sombor, dass „auch viel mit einander herabkommen, welche bereits mit anderen in Deutschlan[d] verheurathet sind, und ihre Ehe-Genossen verlassen haben.“84 Wenige Jahrzehnte nach der Ansiedlung indes änderten sich die Bewertungen in den Kanonischen Visitationen. Über die erwähnten Pfarrkinder von Batschsentiwan liest man schon 1816: „Es sind gute Menschen, gemischt mit Bösen.“85 1828 stand in den Antworten im Abschnitt „Beschwerden des Pfarrers“ entweder „non sunt“ oder „nihil“. Bei Bukin hieß es 1803 „Vita et mores legibus christianis conformes“,86 es gab auch kaum noch Klagen über die Ehen. In der Kanonischen Visitation von Apatin stand 1828: „Der Pfarrer hat keine besonderen Beschwerden.“87 Entsprechend fiel der Kommentar in der Visitation von Neudorf von 1791 aus: „Leben, Sitten und Gebräuche sind wahrhaft christlich“88 oder „weder Schwierigkeiten noch Gravamina.“ 89 Die Pfarrkinder von Hodschag lebten schon 1791 „gemäß den christlichen Gesetzen“,90 es gab „keine erwähnenswerte Schwierigkeiten“.91 Hatte sich hier eine disziplinierte, etablierte Gesellschaft gebildet? War dies die Folge einer Sozialdisziplinierung oder einer „Selbstregulierung der Untertanen“?92 Waren die initialen Konflikte Zeichen eines schwierigen und schmerzhaften Adaptionsprozes81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92
Ung. Újsóvé, serb. Ravno Selo, Gemeinde Vrbas, Bezirk Južna Bačka [Süd-Batschka], AP Vojvodina, Serbien. Ung. Bácsordas, serb. Karavukovo, Gemeinde Odžaci, Bezirk Zapadna Bačka [West-Batschka], AP Vojvodina, Serbien. MOL, E 125, 18. Oktober 1785, Nr. 56, o. fol., Mikrofilm 22244. . MOL, Magyar Kincstári Levéltárak [Archive der Ungarischen Kammern], E 67, 4. cs., fol. 414 ff. zit. nach Feldtänzer, Oskar: Joseph II. und die donauschwäbische Ansiedlung. Dokumentation der Kolonisation im Batscherland 1784–1787. München 1990, 279. „Sunt boni, mixti malis“. Kanonische Visitation Bukin vom 11. Oktober 1803. Selgrad, Kanonische Visitationen, 88. „Vita, mores, et consuetudo vero christiana“. Kanonische Visitation Neudorf (ung. Bácsújlak, serb. Bačko Novo Selo) vom 9. Oktober 1791. Ebd.: „Neque difficulttates, neque Gravamina“. Kanonische Visitation Hodschag vom 30. September 1791. Ebd. Siehe dazu: Schilling, Disziplinierung oder „Selbstregulierung der Untertanen“, 675–691; Schmidt, Heinrich Richard: Sozialdisziplinierung? Ein Plädoyer für das Ende des Etatismus in der Konfessionalisierungsforschung. In: Historische Zeitschrift 265 (1997), 639–682. Schon Peter Blickle betonte den Beitrag der Untertanen, die er nicht einfach nur instrumentalisiert im Dienste herrschaftlicher Interessen sah: Blickle, Peter: Kommunalismus. Begriffsbildung in heuristischer Absicht. In: Landgemeinde und Stadtgemeinde in Mitteleuropa. Ein struktureller Vergleich. Hg. v. Peter Blickle. München 1991, 5–38; Ders.: Kommunalismus, Parlamentarismus, Republikanismus. In: Historische Zeitschrift 242, 1986, 529–556. Dabei muss die unterschiedliche Rechtsstellung der Untertanen in den südwestdeutschen Territorialstaaten und in Ungarn, die ebenfalls keineswegs einheitlich war, berücksichtigt werden.
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ses, einer aufgelösten Divergenz zwischen Kirche und Bevölkerung? Oder wurde der Widerstand gegen oktroyierte Normen nur vom öffentlichen in den verborgenen Raum verlegt, da das Normensystem zunehmend verinnerlicht worden war und man mit dieser Kenntnis in der Lage war, die Normen zu instrumentalisieren? Zudem stellt sich die Frage, ob die in den Kanonischen Visitationen dargestellten Klagen keine „klassischen“ Topoi sind, die in dieser oder einer ähnlichen Form auch in deutschen Territorialstaaten zu beobachten waren. Charakterisierten diese Stereotype nicht mehr den beurteilenden Geistlichen als die zu beurteilende Gemeinde? So berichten bayerische Pfarrer des 17. und 18. Jahrhunderts immer wieder von ähnlichen Vorkommnissen: „Die Bauernmenscher93 gehen zu den Buben und Knechten ins Bad hinein und baden miteinander, was vor Sachen vorbey gehen ist nit zu sagen und wissen und gedulden die Bauern und Hausväter.“94 Diese und zahlreiche Beispiele lassen deutliche Parallelen zu den Verlautbarungen aus der Anfangszeit in den deutschen Ansiedlungsgebieten in Ungarn erkennen. Gleichwohl kann davon ausgegangen werden, dass die Berichte aus den Neoacquistica-Gebieten Prozessabläufe zeigen, die zwar nicht linear ohne Kontinuitätsbrüche verliefen, aber schließlich doch in eine wachsende Konsolidierung mündeten und von Sozialdisziplinierung, Autoregulation und Umerziehung im „Zeitraffer“ gekennzeichnet waren. Die Unterschiede zu den Herkunftsgebieten der Kolonisten zeigen sich wohl in der Dynamik hinsichtlich der veränderten Einschätzung der Pfarrkinder seitens der Visitatoren und des gemeinsamen Streben von Dorfobrigkeit und Pfarrer nach verbindlichen Regularien.95 EHE UND EHESCHEIDUNG: ANNÄHERUNG AN DIE ALLTAGSPRAXIS Auf dieser Schiene langjähriger Prozesse werden im Folgenden einzelne Fallbeispiele zu den Themen „voreheliche Schwängerung“, „Eheanbahnung“, „Autorität des Familienoberhauptes“, „Gewalt in der Ehe“ sowie „Dorfobrigkeit und sozialer Raum“ herausgegriffen und verortet. Es handelt sich zumeist um kurze Zeitfenster, die eine Annäherung an Lebensabschnitte von Personen aus der Sicht von Ehegerichtsakten sowie anderen Gerichtsakten ermöglichen.96 Zunächst zur Thematik „voreheliche Schwängerung“: Im Dezember 1820 wandte sich der Vater von Anna
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Mägde, Mädchen. Dieser Bericht eines Benefiziaten aus Prittriching (Gericht Landsberg) ist entnommen: Beck, Rainer: Der Pfarrer und das Dorf. Konformismus und Eigensinn im katholischen Bayern des 17./18. Jahrhunderts. In: Armut, Liebe, Ehre. Hg. v. Richard van Dülmen. Frankfurt am Main 1988, 107–143, hier 133. Beck zitiert aus zahlreichen diesbezüglichen Berichten. Hier spielte die Sprachkompetenz, aber auch die seelsorgerische Kompetenz der Pfarrer eine große Rolle, siehe: GŐzsy, Grenzen und Wirkungsradius, 43–63, bes. 52–59. Dabei gestattet die beschränkte Anzahl an Ehegerichtsverfahren für die fokussierten Ansiedlungen mit deutschen Siedlern selbst aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts keine breite Quellenbasis. Die Zitate aus den Orten der Batschka sind den nach Ortschaften geordneten Akten des Ehegerichts der Erzdiözese Kalocsa entnommen: KFL, I.2., a., Feudális kori iratok (Schriften aus dem feudalen Zeitalter).
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Maria Müller aus Tschonopel97 in der Batschka an das bischöfliche Konsistorium. Johann Preisich sollte seine Tochter heiraten, denn von ihm sei sie schwanger. Er wollte die „Schande“ seiner Tochter verdecken. Er griff zu diesem letzten Mittel, denn Pfarrer Georg Paul98 hatte keine „Satisfaction“ geleistet. Sein Appell endete mit dem Satz: „Wän solche Unzucht gar so unbestraft bleiben solte, so werden die Jünglinge so ausgelaßen, das wir unsere Kinder immer an der Kette zu halden genötighet werden […].“ Insbesondere die Reaktion des Pfarrers hatte den Vater aufgebracht, weil dieser meinte, „daß viele große Hegschaften in solche Fähle gerathen und machen kein solchen Lärm“ und ihn nach Hause geschickt habe. Offensichtlich war die voreheliche Schwängerung somit kein singuläres, sondern ein fast alltägliches Ereignis. Es entsprach auch einer in Mitteleuropa bis ins 18. Jahrhundert geduldeten Alltagspraxis, den Coitus anticipatus zu dulden, sofern die Beziehung in eine spätere Ehe mündete. Die Normverletzung bestand damit in der Verweigerung der Hochzeit durch Johann Preisich, der sich nicht an den dörflichen Sittenkodex hielt. Der Fall eskalierte, denn Preisich legte „Zeugenaussagen“ vor, die das Mädchen und die Familienehre noch mehr belasteten. Doch das Konsistorium zwang ihn schließlich zur Heirat. Dabei wandte sich die in der „Ehre“ benachteiligte Partei bewusst in den öffentlichen sozialen Raum, so durch die Aussage: „Dieses kan das ganze Dorf bestättigen […], dieses Kind siehet dem Johann Preiss gleich und er kann es nicht lau[g]nen.“99 Ein Argumentationsmuster, eine Instrumentalisierung von „Gerücht“, das über die konfessionellen Grenzen hinweg angewandt wurde, was auch aus Klagen an den Herrenstuhl der Familie Apponyi hervorgeht. So führte Ludwig Rohr aus Kleintormasch100 1812 in seiner Klage an den Herrenstuhl aus: „Ein Knabe wurde […] geboren, der schon jetzt das Bild seines bezeugten Vaters behauptet.“101 Selbst Pfarrer Michael Winkler empörte sich 1777 in einem Schreiben an den Bischof György Klimó (1751–1777) von Pécs nicht über die Schwängerung der Magd Margaretha Libovsky, die er sich bei der Untersuchung des Falles genau beschreiben ließ, sondern dass sich der Jakob Tanner aus Bonyhád weigerte, die Magd zu heiraten, um diese und das Kind „zu legitimieren.“102 Gerichtsakten der Banater Landesadministration vermitteln einige Einblicke, wie sich ein „braves“ Mädchen bei der Eheanbahnung zu verhalten habe. Zugleich zeigt sich hier der Stellenwert des Rufes einer Familie als Gradmesser für die damit verbundenen wachsenden oder sinkenden Heiratschancen.103 Anfang 1767 verfasste die 97 Ung. Csonoplya, serb. Čonoplja, Gemeinde Sombor, Bezirk Zapadna Bačka [West-Batschka], AP Vojvodina, Serbien. 98 Georg Paul, Pfarrer von 1811–1833, siehe: Lakatos, Schematismus historicus, 172. 99 KFL, I.2. a., Csonoplya, Johann Preisich – Anna Maria Müller 1820–1821. 100 Ung. Kistormás, Komitat Tolna. 101 Tolna Megyei Önkormányzat Levéltára (TMÖL) [Archiv der Komitatsselbstverwaltung Tolna], Apponyi család iratai [Akten der Familie Apponyi], Úriszéki perek [Herrenstuhlprozesse], 70. doboz [Schachtel], cs. 2049, 1818, o. fol. 102 Pécsi Püspöki Levéltár (PPL) [Diözesanarchiv Pécs], 1777, Nr. 91. 103 Österreichisches Staatsarchiv (ÖStA), Finanz- und Hofkammerarchiv (fortan FHKA), Neue Hofkammer (NHK), Kamerale Ungarn, Jüngere Banater Akten (1757–1778), 163, Kriminalund Zivilprozesse, Malversationen (1757–1767), fol. 567–603.
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behauste Inwohnerin104 Cäcilia Müller aus Werschetz105 im Temeswarer Banat eine an die Kaiserin adressierte Klagschrift. Sie glaubte im Namen der „sammentlichen armen Inwohner“106 zu sprechen, als sie die aus ihrer Sicht ungerechte Besteuerung insbesondere durch die Portion (Kriegssteuer) der weniger bemittelten Kleinhäusler im Ort anprangerte. Da ihre Klagen kein Gehör fanden, bezeichnete sie den Schulzen und die Gerichtsmänner schließlich als „Schelme“ und „Diebe“. Da sie diese Meinung auch außerhalb von Werschetz lautstark vertrat und ein „loses Maull“ hatte, eskalierte die Situation. Dafür ließ sie der Schulz Johann Pittermann einige Stunden in den Kerker werfen. Besonders demütigend empfand sie die Tatsache, dass dies durch den Ortswachtmeister „auf öfentlicher Gaßen zu jedermaniglichen Erbarmen und Ärgernus bis zu der Temnicz,107 welcher ein Schandorth und nur für jene ist, welche des Ausspeüens würdig sind, grausamb, auch ohnerhört erschröklich briglen108 und einspörren gelassen“ geschah. Auch habe der Schulz ihren „zu sich berufenen Ehe-Mann unter mancherley erschröcklichen Betrohungen auf eine einem Schultzen gar nicht wohlanständige Arth dergestalten schimpflich und spöttlich tractiret.“ Jedenfalls sah sie sich gezwungen, wegen dieser Schande mit Mann und vier Kindern nach Temeswar zu gehen und die zwei ältesten Töchter im Haus („auf der Wirtschaft“) zurückzulassen. Durch diesen „Schandfleck“ ihrer Behandlung sei ihre älteste Tochter des Eheglücks beraubt worden. Die von der Ministerialbancodeputation109 am 5. April 1767 veranlasste Untersuchung verlangte gegenüber der Banater Landesadministration, die Klägerin keineswegs zu kränken. Mit der Untersuchung des Falles wurde Johann Hubert Franckh, k. k. Rat der Buchhalterei und Cassa Direktion beauftragt. In seinem Bericht berief er sich auf Aussagen von Cäcilia Müller, die dargelegt hatte, dass der Schulz von ihrem Mann verlangt habe, „auf seine gros erwachsenen Töchter bessere Obsorge und Aug“ zu haben, „anerwegen durch den beständigen Ein- und Ausgang so vieller jungen Mannsleüthen leichtlich geschehen möchte, daß dieselben in einen bösen Argwohn und übles Geschreü gerathen.“ Auch habe der Schulz gedroht, „daß alle jene, welche in ihr Hauß gehen, mit ihr halten und diese noch beßer als sie bestrafen werde, auch ihren Mann vorgehalten, daß die Leuthe bey ihme ausund ein gingen und seye schad, daß seine hübsche Künder in einen üblen Argwohn oder Geschrey kommen müsten.“ Daraufhin sei ihr Mann zum Paten des an der ältesten Tochter Barbara interessierten Thomas Seemayer gegangen und habe ausrichten lassen, wenn er gesinnt sei, die Barbara zu heiraten, dann könne er sie zur Frau nehmen, wolle er dies nicht, habe er sein Haus zu meiden. Als der Pate Sebastian Groß dann anlässlich der Untersuchung des Falles befragt wurde, nahm er die älteste Tochter von Cäcila Müller, Barbara, ausdrücklich in Schutz, sie sei „ein praves und arbeithsames Mägdl“ und sie würde jederzeit „um 9 Uhr die Manns Leuthe, welche sich bis 104 Kleinhäuslerin oder lat. Inquilina. 105 Ung. Versec, serb. Vršac, Bezirk Južni Banat (Süd-Banat), AP Vojvodina, Serbien. 106 ÖStA, FHKA, NHK, Jüngere Banater Akten, (1757–1778), 163, Kriminal- und Zivilprozesse, Malversationen (1757–1767), fol. 602. 107 Von slow. temnica, Kerker. 108 Prügeln. 109 Das Banat war seit 1759 an die Ministerialbancodeputation verpfändet.
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dahin im Hauße befunden, abschaffen und die Thüre“ zusperren.110 Welchen sozialen Stellenwert es hatte, die Kinder „anständig“ zu verheiraten, verdeutlichte auch seine Aussage, „daß die Mutter des Seemayers zwar eine Wittib, doch aber wohl vermögend seye und schon zwey Töchter und einen Sohn alhier verheyrathet habe.“111 Welche semiotische Schlüsselrolle die „Tür“ spielte, zeigte sich im Fall der Katharina Bauer aus Tschatali.112 Sie wurde der „zügellosen, berüchtigten, schamlosen und schrecklichen Liebschaften“ bezichtigt. Ihr Ruf war so schlecht, dass die Mutter eines ihrer Liebhaber, Josef Bischof, ihr angeboten hatte, wenn sie von der eingeforderten Ehe zurücktreten würde, erhielte sie dafür Schmuck. Josef Schmidt aus Waschkut,113 bei dem Katharina Bauer für vier Wochen im Dienst war, verfasste als Zeuge ein „Jurament Zeigniß“, in dem er u. a. anführte, dass sie „ohne mein Wißen und Erlaubniß alle Nächte in allen Wirtshäusern herum flangirt. Ich sagte zu ihr, das Herum Laufen leude114 ich von Dir nicht, den mein Haus darf mir nächtlicher Zeit nicht unaufgespert nicht aufstehen, so gab sie mir zur Antwort, mein Weib hätte sie zu ihrer Mutter geschikt und zuletzt hat sie den Vortheil gefunden und ihre Thüre zum Fenster hinaus gemacht nur daß Sie zu ihren Unzucht Sachen hat kommen können.“ Wer dagegen verstieß, musste, wie diese Dienstmagd damit rechnen, dass sie „mehr als 100 mal mit der Korváts115 von der Gassen, wo sie bey schlechter Komerathschaft geweßen ist, zu Haus“ getrieben wurde. Die Hebamme Katharina Brunner aus Gara116 gab zu Protokoll, dass sie bei Johann Feiss nur drei Tage im Dienst gestanden hätte, dann aber von der Ehefrau aus dem Haus geschafft worden wäre, weil sie „immer eine schlechte Ehe gemacht“ habe. Besonders schwer wog für das Ehegericht, „daß sie den Mansbilder noch solche Lehre gegeben hat, daß Sie Ihren mänlichen Saamen zurück halten sollen, so bekomt sie kein Kind und hat sich niemandt zu befürchten.“117 Wirtschaftszentriertes Denken spielte bei der Eheanbahnung eine zentrale Rolle. Die konditionierende Strategie, eine „gute Partie“ einzugehen, kommt etwa in Testamenten zum Ausdruck, in denen es heißt, dass das Kind das als Erbe bekommt, was der zukünftige Partner mitbringt.118 Nikolaus Johann aus Apatin wollte von seinem Eheversprechen mit dem Argument zurücktreten, er hätte geglaubt, 110 ÖStA, FHKA, NHK, Kamerale Ungarn, Jüngere Banater Akten (1757–1778), 163, Kriminalund Zivilprozesse, Malversationen (1757–1767), fol. 586. 111 Ebd. 112 Ung. Csátalja, Komitat Bács-Kiskun, KFL.I.2.a. Csátalja, Katharina Bauer u. a., 1823. 113 Ung. Vaskút, Komitat Bács-Kiskun. 114 Dulde. 115 Von ung. korbács, Riemenpeitsche. 116 Komitat Bács-Kiskun. 117 Hierin allerdings hat sich Katharina Bauer getäuscht, denn zum Zeitpunkt dieser Aussage war sie bereits schwanger, was den unmittelbaren Anlass für die Untersuchung durch die Hebamme auf Veranlassung des Ehegerichts gab. 118 So heißt es in dem am 13. Januar 1819 abgeschlossenen Ehevertrag zwischen Johann Bäck und Gertrud Hauser: „Solte ein Kind heurathen, so bekommt ein jedes Kind zur Hochzeit, was der Gegentheil giebt.“ Baranya Megyei Levéltár [Komitatsarchiv der Baranya], VI, A BatthyányMontenuovo család bólyi levéltára [Das Bólyer Archiv der Familie Batthyány-Montenuovo], Fasz. 191, o. fol.
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seine Braut sei reich: „Man hat mir gesagt, sie sey mit einem sehr großen Reichthume ausgerüstet, und als ich mich aber näher erkundigte, so habe ich erfahren daß sie nichts hat, und daß sie nicht einmal ein ehelich erzeugtes Kind sey, welches auch bewiesen ist. So habe ich eingesehen, daß daraus keine glückliche Ehe entstehen könne; so bin ich mit meinem Versprechen wieder zurückgegangen.“119 Seine wirtschaftlichen Ausführungen werden dann mit dem Hinweis auf die uneheliche Geburt seiner Braut untermauert, weil er sich dadurch eine Unterstützung durch das Ehegericht versprach. Doch gerade die wirtschaftlich induzierten Eheschließungsstrategien führten häufig zu schweren Ehezerwürfnissen und zu Gewaltexzessen in der Ehe und rufen in Erinnerung, dass die Ehen in aller Regel arrangiert waren. So klagte die mit 16 Jahren an einen gebildeten ungarischen Adligen verheiratete Anna Hofmann, dass sie für ihn „nicht das mindeste fühlte“, denn sie hatte „keinen Willen, oder durfte wenigstens keinen haben“, was dann „schröckliche Folgen eines ungerechten Zwanges nach sich zog.“120 Auch in der Ehe der Margaretha Wolf aus Bulkes121 entstanden bald die „heftigsten Uneinigkeiten“. Alle „Zurechtweisungen“ des evangelischen Ortspfarrers Joseph Spannagel blieben „fruchtlos“, bis sie „endlich durch einen Purschen zu Fall gebracht“ wurde.122 Als Ursache gab sie an, dass man sie zur Ehe gezwungen habe und dass sie hart behandelt werde. Ein Maßstab für die wachsende Selbstregulierung der Untertanen, oft im Verbund mit den grundherrschaftlichen und kirchlichen Autoritäten, zeigt sich in den Fällen, bei denen die Dorfobrigkeit bei Ehestreitigkeiten in Form von Stellungnahmen eingriff oder aber um solche seitens des Komitats gebeten wurde. Es zeigt sich hier, dass die Ehe auch auf dieser Ebene als eine besonders schützenswerte und stabilisierende Institution galt. Dies machte es Frauen nicht einfach, aus für sie unhaltbar gewordenen Eheverhältnissen auszubrechen; oft blieben sie bei Übergriffen ihrer Ehemänner schutzlos. Als Christina Mutter aus Apatin 1811 Klage beim Herrenstuhl des Komitats einreichte, weil ihr Mann Kaspar Mutter gegen sie und die Kinder „schreckliche und verabscheuungswürdige Beschimpfungen“ (blasphaemiae) ausstieß, dass die Frau mit ihren Kindern gezwungen war, sich bei Nachbarn zu verbergen und zu schlafen, erhielt sie von der Dorfobrigkeit keinerlei Unterstützung. Diese relativierte in einer Stellungnahme ihre Äußerungen und nahm ihren Ehemann in Schutz, er würde sich „noch nicht forthwährend und meistens in den Wirthshäußern aufhalten, sondern auch [!] seiner Wirthschaft vorstehn“, vielleicht wegen seines „allgemein anerkannten zänkischen Weibes“. Außerdem wäre er ein gehorsamer Untertan.123 Dabei hatte Christina Mutter in ihrer Klageschrift geschickt argumentiert, indem sie darlegte, dass ihr Mann „keinerlei Menschlichkeit, keinen Respekt gegenüber der Obrigkeit“ habe und er habe behauptet, „dass es keinen Gott gebe“. Doch ein weiteres Dokument des Ortsvorstandes von Batsch119 KFL.I.2.a. Apatin, Nikolaus Johann, 1828. 120 KFL.I.2.a. Futak, Imre Nandori – Anna Hoffmann. 121 Ung. Bulkeszi, serb. Maglič, Gemeinde Bački Petrovac, Bezirk Južna Bačka [Süd-Batschka], AP Vojvodina, Serbien. 122 AV, F 2, BBŽ I, kut. 511, o. fol. 123 AV, F 2, BBŽ I, kut. 443, fol. 62–67.
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sentiwan lässt zudem einen Einblick in die wirtschaftlichen Verhältnisse von Kaspar Mutter zu. Er hatte dort erst kürzlich ein Haus und eine Landmühle für 3.705 fl. verkauft und diese stattliche Geldsumme nach Apatin mitgenommen. Dieser Umstand mag den Richter und die Geschworenen von Apatin mild gestimmt haben und gestattet wiederum Einblick in ihr gesellschaftliches Wertesystem. Wurde Frauen schlechte Haushaltung und „ausschweifende Lebensart“ vorgeworfen, waren sie bei Misshandlungen ohne Schutz durch die Dorfobrigkeit. So wurde Anna Maria Lebkücher vom Tscheber Pfarrer mehrmals zu ihrem Mann zurück „getrieben“, obwohl ihr Mann sie „mit unmenschlichen Schlägen traktierte“. Doch auch hier hatte der Gemeindevorstand von Neštin,124 wo das Paar zuvor lebte, zugunsten des Mannes eingegriffen, indem er begutachtete, dass sich der Müllermeister „friedsam, und in allem gebührend verhalten habe, daß mann wirklich ein sattsames Vergnügen schöpfen konnte. Hingegen aber dessen Ehe Gemahlin durch ihre ausschweifende Lebens Art […] nicht nur ihren Mann gekräncket, sondern um so viel mehr die Ruhe ihres in Zufriedenheit, und größten Vergnügen gemeßenen Ehestandes stöhrte, und größte Unruhe stiftete.“125 Erst dann, wenn die Männer neben der Misshandlung ihrer Frauen auch schlecht wirtschafteten und Schulden machten, konnten ihre Ehefrauen auf maßgebliche Unterstützung durch den Ortsvorstand zählen. So kam das Ortsgericht von Apatin 1817 im Falle der Ehefrau von Anton Horner, der die Witwe geheiratet hatte, in einer Eingabe an den Herrenstuhl im Komitat zu einem völlig anderen Ergebnis. Horner war schon einmal wegen „seines höchst liederlichen Lebenswandels in den herrschaftlichen Arrest abgeliefert“ worden, er sei „dem Saufen ganz ergeben“ und würde seine Frau mit grausamen Schlägen behandeln und sie oft fortjagen und sei dabei, sie um ihren Besitz und an den Bettelstab zu bringen. Dabei hätten die Nachbarn bestätigt, dass sie „immer eine sorgfältige Hauswirthin gewesen und hat sich, als sie Anton Horner ehelichte, mit ihrer Wirthschaft in guten Umständen befunden“ und habe ihren Hausgarten „in gutem Stand.“ Das war auch bei Johann Georg Brück der Fall, als er das königliche Tschatader126 Rentamt in einer Eingabe um Entlassung aus dem Arrest bat. Er hätte seine Frau, nachdem er im Gasthaus ein Glas Wein getrunken, erst geschlagen, nachdem sie mit dem Schimpfen und Lästern nicht mehr aufgehört habe. Mit einem „schlagbaren Instrument“ habe er sie nicht geschlagen, sondern nur gedroht „nun werd ich erst ein Strick hollen und dir Deine Bosheit aushauen.“ Immerhin meinte er, dass er die ihm zugedachte Stockstrafe zu seiner „Warnung und Besserung demüthigst“ annehmen werde.127
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Gemeinde Bačka Palanka, Bezirk Južna Bačka [Süd-Batschka], AP Vojvodina, Serbien. KFL.I.2.a. Dunacséb, Dietrich Lebkücher – Anna Maria Lebkücher, 1823. Csatád, heute Lenauheim im Banat, Kreis Timiş, Rumänien. AV, F 11, Torontalska Županija (TOŽ) [Komitat Torontál], kutija 207, Nr. 1166, 17.09.1795, o. fol.
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ÖFFENTLICHER RAUM UND KONFLIKTAUSTRAGUNG Der öffentliche Raum spielte bei Normverletzungen und ihren Sanktionierungen in der Ehe eine zentrale Rolle. Das zeigt sich an einem späten Fallbeispiel aus der Mitte des 19. Jahrhunderts besonders eindrücklich. In den vielseitigen Ehegerichtsakten befinden sich auch einige Protokolle von Zeugenbefragungen, die dadurch verschiedene Perspektiven auf den Fall öffnen.128 1840 heiratete die erst 15 Jahre alte Maria Lebenthal aus Karawukowo in der Batschka den wesentlich älteren Arzt Michael Hauswirth. Die Ehe blieb 18 Jahre lang kinderlos. Doch dann bekam Maria Hauswirth geb. Lebenthal in rascher Folge drei Kinder. Das zunehmende Misstrauen des Arztes wurde bei der dritten Schwangerschaft fast zur Gewissheit, denn er hatte wegen eines Jagdunfalls mit ihr „während dieser Zeit keinen Umgang“ gehabt. Daraufhin stellte er seine Frau zur Rede, doch diese schwor zunächst „Himmel und Hölle“, dass seine Vermutung nicht stimme, denn sie sei selbst krank und würde an „Blähungen“ leiden. Doch als die Schwangerschaft offensichtlich nicht mehr abzustreiten war, gestand sie ihm, was zu diesem Zeitpunkt nicht nur schon im Haus, sondern auch in öffentlichen Räumen, im Wirtshaus und im Dorf bekannt war: Nicht er, sondern sein angestellter Kutscher Anton Petsić (Pečić) war der Vater seiner drei Kinder. Michael Hauswirth hatte zunächst versucht, „alles zu verbergen, was der Außenwelt Anlass zum Spott oder Gelächter bieten könnte“. In einem Schreiben an das Ehegericht schilderte der Arzt, dass er seiner Gattin den Vorschlag gemacht habe, „sie möge vor der Welt als meine Gattin im Hause verbleiben, wobei ihr Wohnzimmer, ihr Essen und alle ihre Bedürfnisse durch mich bestritten werden würde, und ihr nichts anderes als die Sorge um das leibliche Bedürfniß ihrer Kinder obliegen würde. Ihre Schwester würde das Hauswesen führen. Als Bedingung machte ich noch den Umstand geltend, daß sie mir ihre Entbindung einige Zeit früher anzeigen möchte, und ich sie nach Zombor129 oder auf eine benachbarte Ortschaft zum Entbinden senden würde, damit dem Skandal im Ort“ keine neue Nahrung gegeben würde. Doch der Fall eskalierte, denn die „verworfene Gattin“ hätte ihre Zuflucht zum „Trotz“ genommen und versucht, sich weiterhin mit ihrem „liederlichen Liebhaber“ zu treffen. Dass der Fall öffentlich bekannt geworden war, war auch dem unvorsichtigen Prahlen des Liebhabers der Arztfrau zu verdanken. Die Zeugenaussage eines Gastwirtes aus Sombor hatte ergeben, dass er dort in seiner, später auch in des Müllermeisters Gegenwart „öffentlich“ erklärte hätte, dass er sieben Jahre zur Gattin seines „früheren Brotherrn“ Michael Hauswirth ein Verhältnis gehabt habe und alle ihre Kinder Folgen dieses Verhältnisses seien. Er hätte auch angegeben, vom „Vermögen dieses alten Spitzbuben, wie er Hauswirth“ bezeichnete, viel „verputzt“130 zu haben und dass er diesen „erschlagen“ wolle, „um so in Besitze von dessen Vermögen und Gattin zu gelangen.“ Es ist durchaus bemerkenswert, welche bedeutende Rolle der Begriff „öffentlich“ in der Argumentation vieler Befragter spielte. Dieses Argument hatte nicht nur 128 KFL, I. 2. a. Bácsordas Michael Hauswirth – Maria Lebenthal, o. fol. 129 Serb. Sombor. 130 Ausgegeben.
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der Gastwirt in Sombor geltend gemacht: Sogar mehrere Verwandte von Maria Hauswirth empörten sich, dass diese „ihren schnöden Lebenswandel öffentlich mit höchst schamloser Frechheit“ trieb. Dazu sahen sie sich trotz ihrer Verwandtschaft „als Christen und im Interesse der Wahrheitsliebe veranlaßt“, weil sie sich dieser Verwandtschaft schämten. Dabei hatten sie sich gescheut, den Ehemann rechtzeitig auf das Verhalten seiner Frau wegen dessen „blinder Harmlosigkeit“ aufzuklären. Auch Michael Hauswirth verwendete den Begriff mehrmals, so etwa dann, als er darlegte, dass seine Frau zum „öffentlichen Aergernisse“ beigetragen und die „ewige Brandmarkung der unschuldigen Kinder verursacht“ hätte. Selbst die beklagte Ehefrau wandte dieses Argumentationsmuster an, indem sie ausführte, dass „die Kinder verdorben sind beweiset hinlänglich, daß sie mich öffentlich eine ‚kurva‘131 nennen.“ Die Normverletzung wurde so durch das Hineintragen in den öffentlichen Raum als besonders verwerflich und sanktionswürdig empfunden. Die Zeugenaussagen dokumentieren zudem, welche Auffassung die Zeugen vom angenommenen Normenverständnis durch die kirchliche Obrigkeit hatten. Sie spiegeln damit nicht zwingend die Meinung der Befragten, sondern auch eine zur Schau getragene Normenkonformität gegenüber der Kirche. So sagte die zum Dienstpersonal des Hauses gehörende Zeugin Apollonia Recher über die Entwicklung der Kinder, seit sie Michael Hauswirth, eigentlich der Stiefvater, dem Einfluss der Mutter entzogen hatte: „Daß die Kinder jetzt besser erzogen werden, erhället daraus, daß früher, wenn wir waschen sind kommen, sie uns die Röcke aufgehoben haben,132 was jetzt nicht geschieht; vielmehr sehen wir die Kinder mit zusammen gelegten Händen täglich beten.“ Hier ist offenkundig, dass auch im Sinne der kirchlichen Normenerwartung argumentiert wird, um so den eigenen Positionen und Interessen eine verstärkte Legitimation zu verschaffen. Die dargestellten Vorgänge machen jedenfalls deutlich, dass gerade die Normverletzung im öffentlichen Raum normierend auf die Alltagspraxis wirkte, deren Sanktionierung aber besonders stark eingefordert wurde. SOZIALDISZIPLINIERUNG UND SELBSTREGULIERUNG Der Berliner Historiker Heinz Schilling diagnostizierte, dass die frühmoderne Sozialdisziplinierung funktional nicht nur von „oben“, durch staatliche, kirchliche, grundherrliche Institutionen, sondern auch von „unten“ gesteuert war.133 Er sprach von einer Art „Zangenbewegung“ und „Mechanismen“ der Selbstkontrolle und „Selbstregulierung“. Damit waren die „Objekte der Disziplinierung zugleich deren Subjekte“. Tatsächlich können Spannungen in Gesellschaften zu einem „treibenden Element“ für eine „Regulierung“ und „Reglementierung“ „von unten“ werden. Dieses Phänomen scheint sich in den hier analysierten Ehegerichtsakten und weiterer Gerichtsakten zu bestätigen. Es liegen zwar quantitativ gesehen relativ wenige 131 Ung. Hure. 132 Das heißt dann nackt dastanden. 133 Schilling, Disziplinierung oder „Selbstregulierung der Untertanen“, 680.
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Einzelfälle vor, noch dazu topographisch aus verschiedenen Orten und aus verschiedenen Jahrzehnten. Doch die für einen Längsschnitt geeigneten Kanonischen Visitationen spiegeln aus einem anderen Blickwinkel heraus den Adaptionsprozess einer zunächst heterogenen Gesellschaft in eine Gemeinschaft, die auch „von unten“ selbstregulierend und mit den kirchlichen, grundherrlichen und staatlichen Obrigkeiten interagierend disziplinierend wirkte. Insbesondere wohl die geistlichen Autoritäten wurden in diesem Prozess zur akzeptierten Deutungsinstanz, denn sie wirkten vor Ort, nahmen die Beichte ab, waren bekannt und hatten unmittelbaren Bezug zu ihrer Kirchengemeinde. Ihr Normenverständnis wurde nicht nur bis zu einem gewissen Grade als verbindlich wahrgenommen, sondern sie wurden an den von ihnen postulierten Normen auch gemessen, was zur Folge hatte, dass an sie aus der Praxis des dörflichen Alltags wieder Erwartungen herangetragen wurden. Unmittelbar nach der Ansiedlung deutscher Kolonisten sind in zahlreichen Kanonischen Visitationen eine Fülle von Klagen und Konflikten dargestellt. Doch wenige Jahrzehnte später nahmen diese Klagen deutlich ab. Hingegen wurde das christlichkonforme Verhalten der Bewohner häufig lobend hervorgehoben.134 Es stellt sich dabei die Frage, ob diese Diagnose der Entwicklung einer Konflikt- zu einer Konsensgesellschaft im Zeitfenster von der Ansiedlung bis in das frühe 19. Jahrhundert durchgängig realitätsnah ist oder ob die Untertanen im Wissen um die Normen gegen diese verstärkt im verborgenen Raum agierten. Zusätzlich scheinen sich die Konfliktlinien verändert zu haben. Während in vielen frühen Kanonischen Visitationen von den Pfarrern und Visitatoren beklagt wurde, dass sie keine Unterstützung durch den Richter und die Geschworenen oder den Notar erhielten und von diesen und dem Lehrer sogar in ihrer Autorität untergraben wurden, so verschoben sich diese Konfliktlinien. Hierbei zeigt sich auch, dass die Herrschenden auf die Kooperationsbereitschaft wenigstens eines Teils der Untertanen angewiesen waren.135 Jetzt lagen die Konfliktscharniere entsprechend der zunehmenden sozioökonomischen und sozialen Ausdifferenzierung der Untertanen auch zusätzlich innerhalb der Untertanengesellschaft. In diese Entwicklung passen die seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert zahlreich überlieferten Gutachten und „Zeugnisse“ von Richtern und Geschworenen im Dienst der staatlichen, grundherrlichen und kirchlichen Autoritäten. Sie spiegeln den Prozess der „Zangenbewegung“ von „oben“ und „unten“, verdeutlichen aber auch die verstärkte institutionelle Verzahnung und wohl auch gegenseitigen Respekt zwischen der Herrschaft und Teilen der Untertanen. Viele der schriftlichen Stellungnahmen von Richtern und Geschworenen erfolgten aus der Kenntnis der Lage vor Ort wenigstens bis zu einem gewissen Grade aus eigenem Antrieb, was dafür spricht, dass die Untertanen eine Normierung einforderten. Sie zeugen aber auch von der wachsenden Konformität der Dorfelite und
134 Das war gerade eine Folge des Zusammenspiels weltlicher und geistlicher Obrigkeit, die zudem einem offensichtlich wachsenden Bedürfnis zumindest von Teilen der dörflichen Gemeinschaft nach klaren Strukturen nachkam. Das Zusammenfügen dieser Strukturen in eine Ganzheit im Ausgang des 18. Jahrhunderts ist auch ein Beleg für den Erfolg des Josephinismus. 135 Brakensiek, Herrschaftsvermittlung, 1.
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der sie tragenden Untertanen mit der Obrigkeit.136 Offensichtlich handelt es sich um eine „Kontrolle mit Konsens.“137 Bezeichnend ist die erwähnte Notiz des Pfarradministrators Anton Himmelberg von Tscheb aus dem Jahr 1813, der die Unterstützung der Dorfobrigkeit bei der Disziplinierung der Jugend während der Messe lobend erwähnte: „Ich habe gestern ein ehrsames Gericht, Richter und Geschworene, ersuchet, die Ausgelassenheit der Jugend in der Kirche im Gespräch, Stoßen und Plaudern ein Einhalt zu thuen und Ordnung zu treffen, damit selbes verhindert werde, weil ich dieß allein nicht thuen kann, noch weniger der Kirchenvatter, der mit dem Klingelbeutel herumgehen muß […]. Mit Freuden sah ich schon gestern Nachmittag die Erfüllung meines Anersuchens […].“ Damit schien das in der Kanonischen Visitation vom Oktober 1813 angesprochene Problem beseitigt zu sein.138 Hier zeigt sich die Kluft zur Kanonischen Visitation im Nachbarort Bukin aus dem Jahr 1767, als der Visitator über Richter und Notar bemerkte, dass sie den Pfarrer nicht unterstützen würden und ihr Leben und Charakter „schändlich“ sein sollen. Im Katechismusunterricht würden einige Erwachsene sich öffentlich dem Pfarrer widersetzen, die Lehre verlachen und dann andere zu ebensolchem Verhalten anhielten, weil sie ja ohnehin straflos blieben. Dadurch würden auch die Kinder die Kirche gering schätzen.139 Welche Bedeutung die staatlichen Stellen der disziplinierenden Funktion der Pfarrer beimaßen, geht aus einem Bericht der Temeswarer Kameraladministration 1787 an die Statthalterei hervor. Die Kameraladministration unterstützte den Antrag des evangelischen Pfarrers von Liebling im Banat auf höhere Einkünfte, weil „die evangelischen Pfarrer überhaupt einen sehr starken Einfluß auf die Gemüther ihrer Pfarrkinder haben, [sie] zur guten Wirtschaft und Aufführung ermahnen, von welchem Erfolge eben der Ort Liebling das überzeugendste Beyspiel gebe, welches von allem seit 1784 erbauten Kolonisten Dörfern die gesittesten, ruhigsten und wirtschaftlichen Haußwürthe habe, auch in einigen Jahren gewiß den Absichten des Monarchen vollkommen entsprechen werde.“140 Wie „funktionierte“ nun „Sozialdisziplinierung“ und „Selbstregulierung“ im Falle von Ehescheidungen, welche nonverbalen „Botschaften“ vermittelten die Mechanismen solcher seltenen Fälle auf die Bevölkerung? Hierzu wird der Fall einer Ehescheidung aus einem evangelisch-lutherischen Ort der Batschka vor dem Komitatsgericht des Komitats Bács-Bodrog herangezogen. Es geht um Anna Maria Por-
136 Zweifellos konnte sich dies schnell ändern, wenn die Untertanen glaubten, ihrer hergebrachten Rechte beraubt zu sein. Siehe dazu: Krauss, Karl-Peter: Deutsche Auswanderer in Ungarn. Ansiedlung in der Herrschaft Bóly im 18. Jahrhundert. Stuttgart 2003, 232–238. 137 Johann, Anja: Kontrolle mit Konsens. Sozialdisziplinierung in der Reichsstadt Frankfurt am Main im 16. Jahrhundert. Frankfurt am Main 2001. 138 Kanonische Visitation Dunacséb vom 20. Oktober 1813: „Nullas difficultates speciales habet, proles in Ecclesia sub divinis inquietae et gatullae, a devotione alios interdum abstrahunt“ (Er [der Pfarrer] hat keine bestimmten Schwierigkeiten, die Kinder sind in der Kirche beim Gottesdienst unruhig und geschwätzig und halten die anderen bisweilen von der Andacht ab). 139 Kanonische Visitation Bukin vom 28. August 1767. 140 MOL, E 125, Fons 41, 1. Oktober 1787, o. fol., Mikrofilm 22259.
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Abb. 3: Philipp Sehne aus Klein-Ker bestätigt, dass er niemals die „ehliche Pflicht“ erfüllt hat, 1817. Arhiv Vojvodine, F 2, Bačko Bodroška Županija I [Komitat Batsch-Bodrog], kut. 536, krivicni sud [Strafgericht], Nr. 37, o. fol.
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pus und Philipp Sehne aus Klein-Ker,141 die seit dem 15. November 1813 miteinander verheiratet waren. Aktenkundig wurde das Ehepaar durch ein Gutachten des Ortspfarrers Samuel Hajnotzy vom 14. April 1817. Darin vermerkte er, dass er „alle möglichen und erlaubten Mittel“142 angewendet hätte, um die Beiden zu ehelichem Frieden und zur Eintracht zu führen. Aber wegen der Impotenz143 des Ehemanns und der folgenden Frigidität und Vernachlässigung gegenüber der Ehefrau sei die Disharmonie zwischen den beiden von Tag zu Tag noch gewachsen. So würde er den Fall einem „kompetenten“ Gremium zur Auflösung der Ehe übergeben. Damit war die Komitatsgerichtsbarkeit gemeint, die gemäß den Bestimmungen der Resolutio Carolina von 1731 zuständig war. Doch diese klare Willensäußerung genügte keinesfalls für die Auflösung der Ehe. Dies bedurfte einer medizinischen Verifizierung. Zunächst musste Philipp Sehne am gleichen Tag, dem 14. April 1817, durch Handzeichen eine Erklärung unterzeichnen, in dem er in Gegenwart des Pfarrers, des Richters Kaspar Berlet, der Geschworenen Daniel Glaar, Georg Sohl, Friedrich Herth und Georg Schneyder144 bezeugte, dass er „niemahls die eheliche Pflicht des Beyschlafs aus Schwachheit meiner Kräften erfüllet habe.“ Daraufhin hatte er sich auf Vorladung des Komitatsgerichts am 22. April zu einem Gerichtstermin im Haus des Notars zu einer Befragung einzufinden. Am 14. Juni 1817 wurde er vom Komitatschirurgen in Gajdobra145 untersucht. In dessen Untersuchungsbericht („Zeigniß“) stand, dass ihm vom Stuhlrichter Benedikt Pinkovits (Pinković) der Auftrag erteilt worden war, die Geschlechtsteile des Philipp Sehne zu untersuchen, um den Grund zu ermitteln, warum dieser seiner ehelichen Pflicht seit der Eheschließung vor drei Jahren nicht nachgekommen sei.146 Medizinisch fand er keinen Grund, denn die „mänliche Ruthe ist gutt gebiltet“. Vielmehr hätte Sehne einen „schwächlichen Körper Bau“, ein „abgestumpftes Nerven Sistem“ durch „periotisch eintretenden Wahnsinn“. Außerdem hätte er in seinen Jünglingsjahren „ohne allen Zweifel“ die „Onony“147 geübt. Doch das genügte für die Beweiserhebung keineswegs. Denn auch Anna Maria Porpus musste sich 13. Juni 1817 durch die ortsansässige Hebamme einer gründlichen Untersuchung stellen, die vom Pfarrer mit Unterschrift
141 Ung. Kiskér, serb. Bačko Dobro Polje, Bezirk Južna Bačka [Süd-Batschka], AP Vojvodina, Serbien. 142 „Omnia prohibita et licidia remedia.“ 143 „Propter impotentiam.“ 144 Die Schreibweise der Namen richtet sich nach dem Dokument. 145 Ung. Szépliget, serb. Gajdobra, Gemeinde Bačka Palanka, Bezirk Južna Bačka [Süd-Batschka], AP Vojvodina, Serbien. 146 Solche Untersuchungen zum Nachweis der Unfähigkeit, eine Ehe zu vollziehen, wurden gerade von Katholischen Ehegerichten eingefordert. Die Untersuchungsgutachten lassen an Genauigkeit nichts zu wünschen übrig. So attestierte Ignatius Quaeissar (Kaiser), Arzt am bischöflichen Hof in Fünfkirchen, dem Gregor Vita am 28. Februar 1760, „dass der sehr kleine Penis sich kaum vom Aussehen und Größe her von dem eines einjährigen Kindes unterscheidet“ und „widernatürliche Hoden, die kaum die Größe einer Nuss aufweisen.“ PPL, 1760, Nr. 9. 147 Onanie.
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Abb. 4: Untersuchungsbericht des Komitatschirurgen über die Untersuchung der „Geschlechts Theille“ von Philipp Sehne, Gajdobra, 1817. Arhiv Vojvodine, F 2, Bačko Bodroška Županija I, kut. 536, krivicni sud [Strafgericht], Nr. 37, o. fol.
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Abb. 5: Bericht der Hebamme von Klein-Ker über die Untersuchung der Anna Maria Porpus, 1817. Arhiv Vojvodine, F 2, Bačko Bodroška Županija I, kut. 536, krivicni sud [Strafgericht], Nr. 37, o. fol.
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und Siegel bestätigt und autorisiert wurde. Die Hebamme148 gab zu Protokoll, dass sie „die Jungfrauschaft unverlezt angetroffen habe.“149 Erst nach zwei Gerichtssitzungen am 8. und 9. Juni 1818, nach fast fünf zermürbenden Jahren, wurde die Ehe entsprechend der Gesetzeslage aufgelöst. Verzögert wurde der Fall auch dadurch, dass der vom Komitat beauftragte Verteidiger der Ehe geltend machte, dass eine einzige Untersuchung der betreffenden Eheleute keineswegs genüge, es müssten mehrere medizinische Experten herangezogen werden. So müsste ein adäquaterer Beweis einer fortwährenden Impotenz erstellt werden. Die Jungfräulichkeit der Ehefrau wurde trotz des Gutachtens der Hebamme angezweifelt, denn die Frau hätte diese ja auch vor der Ehe verlieren können, eine Argumentation mit wenig Überzeugungskraft. Folgende Personen waren schließlich durch Gutachten, Attestate, als Zeugen und durch schriftliche Stellungnahmen in den Fall involviert: Auf der dörflichen Ebene waren dies der Pfarrer, der Richter, die vier Geschworenen und die Hebamme, hinzu kamen der Stadtchirurg von Sombor, der Distrikts- und der Komitatschirurg, schließlich Schreiber und Juristen des Komitats bis zum Vizegespan. Besonders für die dörfliche Ebene lässt sich leicht ermessen, wie stark dieser Fall in die Öffentlichkeit gezerrt wurde und welchen Gerüchten er ausgesetzt war. Hier zeigt sich der durchgängige disziplinierende Strang von der Spitze der Komitatsgerichtsbarkeit bis zur dörflichen Führungsebene. Deren Einbindung war zugleich geeignet, den Fall dem Dorfgeschwätz preiszugeben und dadurch andere Ehepaare abzuhalten, sich an das Ehegericht zu wenden. Die Einbindung von Richter und Geschworenen, ein alle Jahre wechselndes Gremium, gab zudem Impulse zur Selbstregulierung auf relativ breiter Basis. INSTRUMENTALISIERUNGSMECHANISMEN VON NORMEN UND WERTEN Die Kenntnis des etablierten tatsächlichen bzw. vermeintlichen oder postulierten Normenkanons der (kirchlichen) Obrigkeit öffnet sie für eine Manipulation und Instrumentalisierung bis zu einem gewissen Grade. Aussagen wurden getroffen, von denen man annahm, dass sie vor Gericht so gehört werden wollten und ihre Wirkung entfalteten. Darstellungen wurden so „verpackt“ und die wahren Motive manipuliert. Doch gerade solche Aussagen geben Hinweise auf den Erwartungshorizont der Obrigkeit und ihr tatsächliches oder nach außen postuliertes Normenverständnis.150 Das verweist wieder auf die eingangs geschilderte Reaktion der Un148 Der Nachname ist wegen des darauf gesetzten Archivstempels unleserlich, mit Vornamen hieß sie Margaretha. 149 Der Fall Anna Maria Porpus und Philipp Sehne findet sich in den Komitatsakten: AV, F 2, BBŽ I, kut. 540, o. fol. 150 Dass die angemahnten Normen oft keineswegs in Einklang mit der Realität standen, ist anzunehmen. Besonders drastisch ist dies einem Reisebericht nach Südungarn zu entnehmen. So schrieb Friedrich Baudri über die Batschka, dass „Unglaube und Unmoralität“ dort „sehr verbreitet“ sei und man darin „nur dem Klerus die Schuld beimessen“ könne. Denn es gebe eine „Unzahl von Geschichten […] teils von der Habsucht geldgieriger Pfaffen, teils von ihrer
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tertanen von Tscheb, die im Wissen um die Normen die Verstöße ihres Grundherrn beim Erzbischof anprangerten.151 Vielleicht war dies der einzige Hebel, um den Grundherrn Leopold Márffy in die Knie zu zwingen. Denn gegen das für eine Korruption anfällige Patronagenetzwerk der Komitatsgerichtsbarkeit waren sie machtlos. Prügelexzesse gegen Untertanen, Manipulationen und Erpressungen von zu hohen Abgaben, sexueller Missbrauch, die Aneignung von Urbarialgrund durch den Grundherrn – nichts hatte eine Sanktion bewirkt. Wer Formulierungen wie „schändlicher Lebenswandel der Gattin“152 verwendete oder sich für die „Sittenreinheit“ von Angehörigen verbürgte, die „moralische Versunkenheit“ des Anderen anprangerte, die „sich des Ebenbildes unseres Schöpfers“ nicht würdig erwiesen,153 wer den Partner stigmatisierte, „keinerlei Menschlichkeit, keinen Respekt gegenüber der Obrigkeit“154 und Gott zu haben, dem war bewusst, welchen Erwartungshorizont die Gerichtsbarkeit hatte. Auch Sophia Kroh argumentierte 1805 durchaus geschickt, indem sie um Trennung von ihrem, der griechisch-orthodoxen Religion angehörigen Mann bat, „damit ich eines theils von der so üblen Behandlung befreyet, andern theils aber das Fluchen über Glauben und Religion nicht mehr hören muß.“155 Bezeichnend ist ihre Darstellung, dass er nicht nur ins Wirtshaus ging, sondern „mit seinen Religions Verwandten so lange nicht aus dem Wirtshaus [geht], bis alles Geld entweder versoffen, oder durch Hurerey durchgebracht ist.“ Im Wissen um die Überzeugungskraft des Argumentierens im Sinne kirchlicher Normenvorstellungen wandte sich der Fleischhacker Franz Schmid aus Hajosch156 1812 in einem undatierten Brief an das Konsistorium:157 „Ein hochleiblisches158 Consisterium.159 Bittsteller anersucht dieweilen das Shükschall160 mir betrofen hat und ich als ein unglüglicher Mann von meinem Weib geworden bin, und so viel Beschwerte habe, mich und meine Kinder in das gröste Unglük zu stürsen161 und sie von mir entwichen ist, mit einem Millitars Mann mich zu hintersetzen, so bitte ein hoch-löbliches Consistorium mir eine gaüdige162 Behülflichkeit zu erleisten bereit sein wollen. Indeme ich meine Wirthschaft mit [größ]ten163 Schweiß erhalten
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Nachlässigkeit in der Seelsorge und besonders von den ärgerlichen Verhältnissen, unter welchen sie mit den Haushälterinnen leben, die häufig den Männern entlaufene Eheweiber sind.“ Baudri, Friedrich: Reise nach Südungarn 1837–1840. Ein Tagebuch. Hg. von Ludwig Gierse. München 1989. Siehe oben. KFL, I. 2. a. Bácsordas, Michael Hauswirth – Maria Lebenthal, o. fol. Ebd. AV, BBŽ 443, fol. 62–67. KFL, I. 2. a. Titel, Simon Bukovcsanin – Sophia Kroh, 1805, o. fol. Ung. Hajós, Komitat Bács-Kiskun. Die folgenden Zitate sind diesen Akten entnommen: KFL.I.2.a. Hajós, Franz Schmidt – Josepha Sukovitz, 1812, o. fol. Hochlöbliches. Konsistorium. Schicksal. Stürzen. Gütige. Dokument ist beschädigt.
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Abb. 6: Einer der Liebesbriefe des Reitersoldaten Joseph Stiasny an Josepha Schmid aus Hajosch. Kalocsai Főegyházmegyei Levéltár [Erzdiözesanarchiv Kalocsa], I. 2., Kalocsai Érseki Főszentszék [Erzbischöflicher Heiliger Stuhl Kalocsa], a., Feudális kori iratok [Schriften aus dem feudalen Zeitalter], Hajós 1812.
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habe, und sie mit Schlederting164 zu Grund gericht hat, ist erstlich, das sie mir von andern Leuden Geld herausflatiert hat und mit den Millitars Mann angewendet, nicht genung an diesen, sontern auch Hemeder165 wie auch Kleidungsstüke mit sich genohmen, sogar das Heilige Hochwürdige Sakrament des Ehestandes vor eitel haltet. So bitte ich ein fußfälliger Diener, mir armen und betrangter166 Mann gnädig [Hilfe] zu leisten. Bittsteller Franz Schmid, Fleischaker Meister.“ Trotz aller Unbeholfenheit im Schreiben verstand es der Fleischhacker meisterhaft, die Verfehlungen seiner Ehefrau so anzuprangern, dass es kaum mehr ein Entziehen aus dieser Argumentationskette gab: Er habe seine Wirtschaft mit großer Mühe erhalten, sie richtet sie mit Schlendrian zugrunde und macht Schulden, um das Geld für den geliebten Reitersoldaten auszugeben. Dabei ist der letzte Satz der entscheidende, dass seine Frau Josepha sogar das Sakrament des Ehestandes nicht ernst nimmt. Tatsächlich hatte diese mehrere Monate ein Verhältnis mit dem in Hajosch stationierten Reitersoldaten Joseph Stiasny gehabt. Davon zeugen elf Liebesbriefe, die der Soldat seiner Geliebten und Frau des Fleischhackers geschrieben hatte. Offensichtlich wurden sie aufgefunden und als Beweismittel dem Konsistorium zugeleitet. Jedenfalls war der Fall eindeutig: Das Konsistorium handelte schnell und effizient. Am 20. Oktober 1812 bat es um die Versetzung des Soldaten. Schon einen Tag später antwortete der Rittmeister und Kommandeur der Einheit, er werde diesen Umgang „bestmöglichst“ beseitigen. Das neue Eheglück fand Erfüllung in der Geburt einer Tochter: Am 16. Oktober 1813 wurde Theresia Schmidt getauft.167 Doch die Spuren der Familie verlieren sich. Offensichtlich konnte sich das Paar nur so der weiteren gesellschaftlichen Stigmatisierung entziehen. AUSBLICK Die in diesem Beitrag vorgenommene Verzahnung von mikrogeschichtlicher Tiefenschärfe anhand von Fallbeispielen und Kontextualisierung sowie Verortung durch serielle Quellen zwingt gleichwohl zur Zurückhaltung im Rahmen der Fragestellung. Denn die Quellenlage eröffnet den Blick immer nur in Segmente und einzelne Ebenen der Etablierung und Instrumentalisierung von Normen in Eheangelegenheiten, noch dazu in verschiedenen Orten. Zudem ist der abstrahierende Rückschluss auf die Norm angesichts der Dramatik und Eigendynamik mancher Normverletzung nicht einfach zu bewerkstelligen. So wird man der Heterogenität eines multikonfessionellen und multiethnischen Raumes nur in Ansätzen gerecht. Selbst eine Annäherung an das gewiss vorhandene heterogene Normenverständnis der deutschen Migrantengesellschaften ist nur punktuell möglich. Hinzu kommen die temporäre Dynamik und die schwer fassbaren „leisen“ Adaptions- und Akkultura164 165 166 167
Schlendrian. Hemden. Bedrängten. Archiv des Instituts für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde (AIdGL), Kirchenbuch Hajosch, Taufregister.
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tionsprozesse. Doch eine Annäherung an die „Norm“ über den Umweg der Normverletzung ist angesichts des Mangels an Quellen zur Alltagspraxis alternativlos. Nur so lässt sich wenigstens ein Teil des Normenverständnisses und der entsprechenden Semiotik erfassen. Zugleich vermitteln die Fallbeispiele die zunehmende Interaktion und Komplementarität zwischen „oben“ und „unten“, zwischen „Sozialdisziplinierung“ und „Selbstregulierung“ der Untertanen innerhalb des Prozesses von Herrschaftsvermittlung und Herrschaftsverdichtung. Auch zeigt sich die Funktion der Kirche als Deutungs- und Vermittlungsinstanz, die zudem verstärkt neben der sakralen eine gesellschaftliche Funktion einnahm und so bestimmend zur Sozialdisziplinierung beitrug. Dabei verlaufen die Entwicklungsprozesse nicht immer linear, sind von Brüchen gekennzeichnet und fügen sich der Hypothese der Entwicklung von der Konflikt- zur Konsensgesellschaft keineswegs widerspruchslos ein. Zudem konnten Veränderungen von lokalen, regionalen oder landesweiten gesellschaftlichen und sozioökonomischen Rahmenbedingungen erneute Paradigmenwechsel einleiten. Immerhin ergaben sich bei der gewählten Verknüpfung, einzelne Ehegerichtsakten und serielle Kanonische Visitationen heranzuziehen, deutliche Hinweise für eine solche Entwicklung.
DAS GEFÄNGNIS IM UNGARISCHEN VORMÄRZ Zur Rolle der Kerkerstrafe in der Patrimonialgerichtsbarkeit im 18. und frühen 19. Jahrhundert Barna Mezey DIE FREIHEITSSTRAFE IN UNGARN Die Freiheitsstrafe im modernen Sinne wurde in der ungarischen strafgerichtlichen Praxis erst recht spät angewandt. Dabei war das Einsperren als Strafe keineswegs völlig unbekannt, aber seine Anwendung kam ziemlich selten vor. Auch in Ungarn wurde die Gefängnisstrafe als Leibesstrafe angesehen. Da über Angehörige des Adels aber weder Leibes- noch Ehrenstrafen verhängt werden durften, war ihre Anwendung gegenüber Adeligen grundsätzlich ausgeschlossen. In den Verfahren vor den Patrimonialgerichten, in denen die Verurteilten überwiegend Leibeigene waren, bestand bis zum 18. Jh. die wichtigste Aufgabe darin, den unmittelbarsten materiellen Interessen des Gutsherrn zu dienen. Dementsprechend war „die wichtigste Bestimmung des Patrimonialgerichts, aus dem Leibeigenen die möglichst größte Geldmenge auszupressen, um die unersättlichen Ansprüche des Gutsherrn zu befriedigen… Auch die Urteile sind diesem Ziel angepasst… Der ewig wiederkehrende Tenor der Urteile lautet also Bußgeld.“1 Denn es hätte keinen Sinn gehabt, über die Verurteilten eine kostspielige Gefängnisstrafe zu verhängen, weil sie dadurch dem Frondienst und somit der Wertschöpfung durch ihrer Hände Arbeit entzogen worden wären. Die Freiheitsstrafe war zwar in der Stadt präsent war, doch dieser Tatbestand hatte keine Wirkung auf die ständische Gesellschaft. Doch Ende des 18. Jahrhunderts zeichnete sich ein Paradigmenwechsel durch veränderte sozioökonomische Prozesse ab. In der Wirtschaft der herrschaftlichen Güter spielte die Warenproduktion, bedingt auch durch eine in Fahrt gekommene Agrarkonjunktur, eine immer größere Rolle. Dadurch veränderte sich für die Grundherren auch der Stellenwert der Untertanen. Diese strebten einerseits immer entschlossener nach Emanzipation bei der Bewirtschaftung des Urbarialgrundes, andererseits verloren Bauern ohne Land an Bedeutung. Diese Prozesse bewirkten im Kontext staatlicher Liberalisierungsbestrebungen eine erhebliche Änderung des Strafsystems. Bußgelder wurden plötzlich durch Leibesstrafen abgelöst, und die
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Varga, Endre (Hg.) Úriszék. XVI-XVII. századi perszövegek [Patrimonialgericht. Prozesstexte aus dem 16 bis zum 17. Jahrhundert]. Budapest 1958, 21–22.
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Forschung berichtet über eine zunehmende Überfüllung der Gefängnisse.2 Hintergrund dieser Erscheinung war die häufiger werdende Anzahl von Verurteilungen auf Gefängnisstrafe, die sowohl befristet als auch unbefristet sein konnten. Die Haftdauer war dabei sehr unterschiedlich: Diese konnte nur einige Stunden dauern und sogar bis zu acht Jahren umfassen. In der Praxis der Patrimonialgerichte lagen die gewöhnlichen „Strafsätze“ bei zwei bis fünf Tagen, ein bis drei Wochen bzw. auch Monate, sechs Monaten sowie bei ein, zwei, drei oder sechs Jahren, ausnahmsweise auch 8 Jahre.3 Kontext dieser Entwicklung waren Reformbemühungen des Strafrechts und der Strafjustiz in der Zeit des aufgeklärten Absolutismus. Diese Reformen zielten auf eine Rationalisierung ab und waren zugleich bemüht, einheitliche und effiziente Verfahren zu erreichen. Gleichzeitig strebte man nach einem stärkeren staatlichen Einfluss in der Strafjustiz.4 Der Herrscher, der die Thesen der Aufklärung verinnerlicht hatte und damit sein Volk beglücken wollte, sah insbesondere im Strafrecht den Ansatz für umfangreiche Reformen und spektakulären Eingriffen. Dabei sei insbesondere die Aufhebung der Tortur oder der Todesstrafe benannt, was zugleich einen Angriff gegen jahrhundertealte Rechtstraditionen bedeutete. Mit den Reformen war auch die Einschränkung der Patrimonialgerichtsbarkeit verbunden, sofern sie über das ius gladii verfügte. Die fachlichen Argumente, die für die Anwendung der Freiheitsstrafe sprachen, sind allgemein bekannt, aber Lajos Hajdú hob hervor, dass die Beweggründe im aufgeklärten Absolutismus einer anderen Motivation entsprachen. Nach seiner Überzeugung „verfolgten solche Regierungssysteme in erster Linie das Ziel, den Staat wirtschaftlich zu stärken.“5 Joseph II. war von der Nutzlosigkeit der Todesstrafe überzeugt und bekannte sich dazu, dass Verbrecher, die am Leben gelassen wurden, bei einer Verurteilung zu schweren gemeinnützigen Arbeiten einen gesellschaftlichen Nutzen erbrachten. Damit wurde die Strafjustiz auch zum Instrument utilitaristischer Überlegungen. Hajdú ist der Meinung, dass sowohl Maria Theresia als auch Joseph II. von diesem Gedanken zur Milderung der Strafpraxis geleitet wurden. Denn schließlich hatte schon Maria Theresia die Grundlagen für eine Kodifizierung des Zivil- und Strafrechtes gelegt. Sicher spielten diese Motive auch beim Adel eine gewisse Rolle, die zu einer verstärkten Akzeptanz der Gefängnisstrafe und der Verbreitung der von ihm für auffällig mild gehaltenen Gnadenstrafen führten.6 Dieser Prozess wurde auch dadurch unterstützt, indem die Gefängnisstrafe von den Leibesstrafen bis zur ungarischen Reformzeit getrennt wurden und so auch auf Adelige leichter anwendbar wurde. In der 2 3
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Eckhart, Ferenc: A földesúri büntetőbíráskodás a XVI-XVII. században [Patrimonialgerichtsbarkeit vom 16. bis zum 17.Jahrhundert] Budapest 1954, 91. Kállay, István: Úriszéki bíráskodás a XVIII-XIX. században [Patrimonialgerichtsbarkeit vom 18. bis zum 19.Jahrhundert] Budapest 1985, 298–299; Hajdú, Lajos: Bűntett és büntetés Magyarországon a XVIII. század utolsó harmadában [Verbrechen und Strafe in Ungarn im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts]. Budapest 1985, 136. Siehe dazu: Härter, Karl: Policey und Strafjustiz in Kurmainz. Gesetzgebung, Normdurchsetzung und Sozialkontrolle im frühneuzeitlichen Territorialstaat. Frankfurt am Main 2005, 185. Hajdú 1985, Bűntett és büntetés Magyarországon, 133. Ebd., 134.
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zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und im 19. Jh. kann schon eine allgemeine Präsenz der Freiheitsstrafe im Strafsystem festgestellt werden. Dabei diente der Vollziehung der Freiheitsstrafe in Ungarn ein einziger Ort: Der Kerker. DIE GESCHICHTE DES KERKERS IN UNGARN Die Geschichte des Kerkers in Ungarn reicht bis zur Zeit der christlichen Staatsgründung Ungarns zurück. Der carcer ist schon in den Gesetzen der ersten ungarischen Könige vorzufinden. Er diente zur gelegentlichen Verwahrung, und ab und zu auch als Ort der Vollziehung von Freiheitsstrafen, die jedoch zweifellos nicht die vorherrschende Strafart darstellten.7 Das Einsperren und der carcer sind damit eines der ältesten Elemente der ungarischen Strafrechtsprechung. Der Kerker als Einrichtung findet daher seit den Dekreten von Stephan I. (dem Heiligen, 969–1038)8 und Ladislaus I. (dem Heiligen, 1048–1095) sowohl im geschriebenen Recht als auch in der Praxis der Rechtsprechung Erwähnung. Wie in der europäischen Rechtsgeschichte, so können wir den Kerker auch in Ungarn in den verschiedensten Funktionsvarianten antreffen. Er erfüllte – wie im Laufe der Entwicklung auch anderswo in Europa – zahlreiche Aufgaben: Er diente als Aufbewahrungsort nach einer vorläufigen Festnahme, wurde für die Sicherheitsverwahrung verwendet, war ein Mittel der privaten Forderungseintreibung und hatte die Funktion des Strafvollzugs. Diese Vielfalt an Funktionen erhielt die Institution des Gefängnisses in Ungarn aufrecht, sogar in Jahrhunderten, in denen der Kerker im Strafsystem nicht gebraucht, sondern eher abgelehnt wurde. Denn der Kerker war in diesen Zeitphasen nicht der einzige Ort des Vollzugs von Freiheitsstrafen, denn zur Zeit der ersten Árpáden-Könige stellte auch die Knechtschaft eine Art Freiheitsstrafe dar und unter den Habsburgern kam die Galeerenstrafe auf. Unter Joseph II., der von 1780 bis 1790 Alleinherrscher war, wurde als Ersatz für die Todesstrafe das Schiffziehen, das Treideln eingeführt. In den Jahrhunderten, als der Kerker keine entscheidende Rolle im Strafvollzug spielte, entwickelten sich gleichwohl die für den Kerker kennzeichnenden Eigenschaften, welche nachher bis zu den bürgerlichen Revolutionen und den damit verbundenen Umwälzungen und darüber hinaus bestanden und wirkten. Von den ersten Versuchen zur Einrichtung von Zuchthäusern im 18. Jahrhundert über die Bewegungen für eine Verbesserung des Gefängniswesens in der Reformzeit und bis zu den ersten Reformgefängnissen waren Einfachheit und Einfallslosigkeit bei den Gefängnissen augenfällig. Der Kerker mit seinen vielfältigen Funktionen war dabei nicht einmal der maßgeblichste Teil des Strafvollzugs, und auch die charakteristischen fachlichen Zielsetzungen entfalteten sich nur schleppend. In Ermangelung des Vollzugscharakters dominierten allgemeine Gesichtspunkte, wie z. B. etwa die 7 8
Mezey, Barna: Kerker und Arrest (Anfänge der Freiheitsstrafe in Ungarn). Budapest 1995, 3. István I. Kapitel 9. Es ist verboten, an Fastentagen Fleisch zu essen; István II.10: „Wer am Freitag, welcher Tag im gesamten Christentum eingehalten wird, Fleisch isst, soll eine Woche eingesperrt fasten.“
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Verwahrungssicherheit. Andere Argumente wie etwa Aspekte der Gesundheit der Gefangenen, ihre Betreuung durch Seelsorger, ihre Beschäftigung mit Arbeit sowie Fragen der Gesundheit, also insgesamt Themen der Resozialisierung der Betroffenen, tauchten im ungarischen Kerkerwesen nur vereinzelt auf. Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts begannen diese Fragen eine stärkere Rolle zu spielen. Hier vertrat die Wiener Regierung mit ihren von der Aufklärung geprägten Vorstellungen einen radikaleren Standpunkt. Doch ihre Versuche scheiterten zumeist am Widerstand der Stände, der sich in den Komitaten entwickelte, denn die Komitate waren die Betreiber des Kerkernetzes. ZUR KERKERTERMINOLOGIE In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts beherrschte der Begriff „Kerker“ für das „Gefängnis“ die terminologische Praxis. Dieser Begriff war in der Sprache der Rechtsprechung schon im 12. Jh. bekannt und wurde in der Bedeutung „carcer“, in der heutigen Terminologie „Gefängnis“, verwendet. Noch 1868 waren die Wörter und Ausdrücke „Kerker, einkerkern, in Kerker schließen, zum Kerker verurteilen“ als Synonyme zu Gefängnis und Arrest gebräuchlich.9 In der Wirklichkeit kam das achthundert Jahre alte Schlüsselwort des ungarischen Strafvollzugs erst mit dem Vollzug10 des Gesetzes über die richterliche Unabhängigkeit,11 mit der Einrichtung der Staatsanwaltschaften12 und mit dem ersten ungarischen Strafgesetzbuch13 gewissermaßen in die „Rumpelkammer“ nicht mehr gebräuchlicher Begriffe.14 Doch das zähe Überleben dieses Wortes ist auch daran zu erkennen, dass es erst in unseren Tagen endgültig als veraltet gilt.15 Der heutige Leser findet im offiziellen Wortgebrauch der Komitate und Patrimonialgerichte in der Reformzeit eine ziemlich einheitliche Terminologie. Für das Gebäude, in dem die Insassen verwahrt wurden, gab es zwei gleichwertige Wörter: „Gefangenenhaus“ und „Kerker“. Die beiden Termini waren mit keinerlei weiteren Inhalten behaftet, und ihre Anwendung war weder an formelle noch an inhaltliche Gesichtspunkte gebunden. Im offiziellen Wortgebrauch der Komitate und Patrimo9 10 11 12 13 14 15
Ballagi, Mór (Hg.): A magyar nyelv teljes szótára [Gesamtwörterbuch der ungarischen Sprache]. Pest 1868, 657. 1871:31. tc. az első folyamodású bíróságok rendezéséről [Gesetz 1871:31. über die Regelung der Amtsgerichte]. 1869:4. tc. a bírói függetlenségről [Gesetz Nr. 1869:4. über die richterliche Unabhängigkeit]. 1871:33. tc. a királyi ügyészségről [Gesetz Nr. 1871:33. über die königliche Staatsanwaltschaft]. 1878:5. tc. a magyar büntetőtörvénykönyv a bűntettekről és vétségekről. 20. § A büntetések [Gesetz Nr. 1878:5. über das ungarische Strafgesetzbuch über Straftaten und Vergehen. § 20. Die Strafen]. Mezey, Barna: A magyar polgári börtönügy kezdetei [Die Anfänge des ungarischen Gefängniswesens]. Budapest 1995, 190. Zaicz, Gábor (Hg.) Etimológiai szótár. Magyar szavak és toldalékok eredete [Etymologisches Wörterbuch. Ursprung der ungarischen Wörter und Endungen]. Budapest 2006, 860.
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nialgerichte findet man keine Spuren einer semantischen Differenzierung oder in Bezug auf eine soziale oder gesellschaftliche Stigmatisierung dieser Orte. Für die Bezeichnung von Komitats- bzw. Herrschaftskerkern wurde nur ein Wort verwendet. Im Komitat Zala hießen das neu erbaute Arbeitsgebäude und das Gebäude, das zur Unterbringung von zu langjähriger gemeinnütziger Arbeit Verurteilter verwendet wurde, jeweils „Kerker“, ein Begriff, der auch für die in der Burg befindliche Komitatsinstitution Verwendung fand. Gleichermaßen wurde dieses Wort auch von den Patrimonialgerichten im Komitat gebraucht.16 Nach dem Zeugnis der Versammlungsprotokolle und anderer Unterlagen des Komitats Vas erschien das Wort „Gefängnis“ erst im Jahre 1840. Bis dahin sprach man im Allgemeinen von „Gefangenen“, von den „Sachen der Gefangenen“ und von der „Kapelle der Gefangenen“. Der andere, allgemein gebräuchliche Ausdruck „Kerker“ bedeutete weniger das ganze Gebäude, sondern eher den Verwahrungsort. Der Grund für diese sprachliche Praxis war, dass der Kerker als Teil des Komitatshauses funktionierte. Das „Selbstständigwerden“ der Bezeichnung geht einher mit dem Bau von Gebäuden, die allein dem Zweck der Verwahrung von Gefangenen dienten. Von da an war der „neue Kerker“ ein Synonym für das neue Gebäude, obwohl in den Dokumenten auch der Ausdruck „neu zu erbauende neue Kerker“ belegt ist. Der Plan, Arbeitshäuser zu bauen, brachte neue Farben in den Strafvollzug. Von da an bezeichnet man diese Häuser am häufigsten als „Arbeitshäuser“, obwohl auch die Begriffe „Arbeitsinstitut“, „züchtigendes Arbeitsinstitut“, „Komitatsarbeitshaus“ oder „Arbeitshaus der Gefangenen“ vorkommen. So wurden die mit dem Kerker verbundenen Werkstätten, das Werkstatthaus bezeichnet.17 Diese unsichere und unbeständige Terminologie zeugt davon, dass der Wortgebrauch und auch die Praxis ihren Platz noch nicht gefunden hatten. DER NACHLASS DES MITTELALTERLICHEN KERKERS Neben dem carcer, der an unterschiedlichsten Stellen von Burgen und Festungen, meistens im Keller, im Wachtturm, in der Burgmauer, unterm Tor, im Burggraben oder an sonstigen besonderen Stellen eingerichtet wurde, waren alle Gebäude als Kerker geeignet, die geeignet waren, eine sichere Verwahrung zu gewährleisten. So entsprachen auch herrschaftliche Schlösser oder sonstige Gebäude diesem Zweck. Im 18. Jahrhundert verfügten schon die größeren Grundherrschaften wie auch die Komitate über ein eigenes Gefängnis. In den Dörfern hielt man die Festgenommenen in Ermangelung eines Besseren beim Haus des Richters fest. Gegen Ende des 18. Jh. bestanden eine kurze Zeit lang auch einige Landeseinrichtungen. Doch diesen verschiedenen Gefängnissen war gemeinsam, dass sie sich in Kellern oder anderen unterirdischen Verliesen und Räumlichkeiten befanden; es herrschte schlechte Luft, es bestanden ungesunde Verhältnisse und der völlige Mangel an Sauberkeit, auch als Folge eines Strebens, die Gefangenen möglichst billig 16 17
Zala Megyei Levéltár (ZML, Komitatsarchiv Zala), IV. 1. b. 1826. Nr. 1157. Vas Megyei Levéltár (VaML, Komitatsarchiv Vas), IV. 1. a. 1838. 2106.
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zu unterbringen. Unter diesen Umständen wird verständlich, warum keine „Vollzugsstufen“ entstanden waren und entstehen konnten. Aus der Forschungsarbeit von István Kállay ist bekannt, dass es eine Differenzierung nicht einmal in der Praxis der Patrimonialgerichte im 19. Jh. gab. Ferenc Kölcsey beschrieb sehr anschaulich den Komitatskerker des 19. Jahrhunderts, in dem Gefangene, Verurteilte und noch nicht Abgeurteilte in einem Raum „in fäulniserregender Feuchte und in quälenden Dämpfen zusammengepfercht“ bewacht wurden und ihrer Befreiung harrten.18 Die Städte mit ihren spezifischen architektonischen Gegebenheiten kamen den Bedürfnissen der Rechtsprechung eher entgegen und so kam es hier zu einer gewissen Differenzierung der Gefängnisse. Hier kam es zu einer Unterscheidung zwischen Arrest und Kerker entsprechend des unterschiedlichen Vollzugsortes: Die Verwahrung erfolgte entweder in der sogenannten „Bürgerstube“ oder aber im Keller des Komitatshauses „hinter Schloss und Riegel“. Der Arrest war dabei die für „redliche Bürger“ vorbehaltene Institution, die der Ehre des Gefangenen keinen Schaden zufügte. Tatsächlich konnten diese nach der verbüßten Strafe mit unbefleckter Würde in ihren Familienkreis und zu ihrer Arbeit zurückkehren. Im Gegensatz zu diesem eher westlichen Unterbringungsmuster waren im Kerker die unterschiedlichsten Gemeinverbrecher, vom Dieb bis zum Mörder, zusammengepfercht verwahrt. Auch der Arrest, das „redliche Einsperren“ zeigt den Unterschied zur westlichen Entwicklung. Gleichzeitig wurde eine eindeutige Funktionszuweisung über längere Zeit durch die Strafpraxis der ständischen Gesellschaft verhindert, denn sie erwartete vom Strafvollzug grundsätzlich eine verstärkte abschreckende Wirkung. Diese Erwartungshaltung rückte den Kerker in die Nähe der Leibesstrafen. Die Verhältnisse in den Kerkern veranschaulichen die Härte der Strafpraxis. Die baulichen Begebenheiten des Kerkers und die daraus resultierenden Lebensumstände der Gefangenen entsprachen durchaus den Sanktionen mit Leibesstrafen. In diese Richtung weisen auch die Tatsachen, dass die Folter Einzug in die Gefängnisse hielt und dass die Henker, die zugleich Fachleute der Tortur waren, in den Kerkern Einzug hielten, da diese ja auch prozessualen Zwecken dienten. Folter und Misshandlungen in den Kerkern machten die Freiheitsstrafe für viele Jahrhunderte zu einer schweren Strafe. Für die Beurteilung der Gefängnisstrafe ist bezeichnend, dass die ungarischen Behörden eine über neun Monate währende Kerkerstrafe als eine „todesähnliche Strafe“ betrachteten.19 Gezielt wurde versucht, die Gefangenschaft durch verschiedene Maßnahmen hart zu gestalten und dem bloßen Eingesperrtsein dadurch einen noch wirksameren Strafcharakter zu verleihen. Die wichtigsten Mittel dazu waren das Quälen, Misshandeln und Schinden des Körpers etwa durch Hungern, in dem den Gefangenen die Nahrung periodisch entzogen wurde, sie bei Wasser und Brot einsitzen mussten bzw. sonstige einseitige Ernährung zu erdulden hatten. Hierzu gehörte aber auch das Schlagen der 18 19
Kölcsey, Ferenc: Vadászlak[Jägerhütte]. In: Kölcsey Ferenc összes művei [Gesamtwerke von Ferenc Kölcsey]. Budapest o. J., 240. Kállay, Úriszéki bíráskodás, 298.
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Gefangenen durch regelmäßig verabreichte Stockhiebe. Ebenso wurden Schmerzen zugefügt, indem die Insassen in unnatürliche Haltungen gezwängt wurden, was durch das Fesseln an Armen und Beinen, durch die Halsgeige oder durch das Anketten und in Eisen schlagen bewirkt wurde. Aber auch die erhebliche Gesundheitsgefährdung durch die Unterbringung in ungelüfteten, dunklen, kalten, feuchten und schmutzigen Räumlichkeiten gehörte in diese Kategorie. Schließlich galt selbst der Zwang zur gemeinnützigen Arbeit in dieser Zeit als ein Mittel der Erschwerung der Strafe. Die Art und Weise des Strafvollzugs war vom Sündenbild dieser Zeit geprägt. Die Beurteilung der Sünde wurde durch die religiöse Ethik beeinflusst; die Verletzung der weltlichen Ordnung wurde lange Zeit als ein Angriff auf die göttlichen Gesetze interpretiert. Dadurch betrachtete man es als erforderlich, das Maß der Sanktion dem Ausmaß der Verletzung göttlicher Ordnungen anzupassen. Da nach dieser Auffassung eine Beleidigung göttlicher Gesetze kaum messbar ist, so konnte folgerichtig auch die Strafe ins Unendliche gesteigert werden. Gemäß der herrschenden Auffassung war der Straftäter zugleich ein Feind der Gesellschaft und der Gemeinschaft, der durch seine die Norm verletzenden Taten die für die Gemeinschaft wichtigen Werte angriff und sie vernichtete. Das Ablehnen der Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens führte dadurch zugleich zu einer Ächtung des Täters, weil dieser durch seine Straftat die Gemeinschaft und damit auch die durch sie gewährten Rechte und den Rechtsschutz zurückwies. Obwohl der Einfluss der religiösen Ethik gegen Ende des 18. Jahrhunderts allmählich zurückging, so blieb diese Rechtsauffassung doch nicht ohne Spuren für den Vergeltungsgedanken einer zunehmend von der religiösen Ethik losgelösten Justiz. Jedenfalls wird dadurch erklärbar, weshalb diese unmenschlichen Verhältnisse in den Kerkern herrschten. Aus diesem Blickwinkel betrachtet, erklärt sich die weitgehend barbarische Behandlung von Verbrechern im Kerker. Da verurteilte Gefangene oder auch ohne Urteil Inhaftierte außerhalb der Gesellschaft standen, scherten sich Behörden und Öffentlichkeit Jahrhunderte lang nicht darum, was mit ihnen geschah, wie sie versorgt und behandelt wurden. Auch die Lage der gesellschaftlichen und sozialen Stellung der Inhaftierten wirkte sich auf die Erschwerung der Verhältnisse in den Kerkern aus. Dadurch nämlich, dass die Adeligen bis zur Jahrhundertwende zum 19. Jahrhundert von dieser Strafe als einer die Ehre entziehenden Sanktion in der Praxis völlig ausgeschlossen waren, wurde der Kerker in Ungarn zur Strafe der armen Bevölkerung. Diese Verhältnisse waren zwar einem Wandel unterworfen, doch nicht einmal veränderte gesellschaftliche Wahrnehmungen und Beurteilungen sowie die im Westen Europas und in den Vereinigten Staaten von Amerika aufkommenden Reformen des Gefängniswesens führten zu grundlegend anderen Beurteilungen. Dieser Tatbestand vereitelte zahlreiche fortschrittliche Versuche zur Verbesserung und Modernisierung des Gefängniswesens. Offensichtlich untermauert dies die These, dass in Gesellschaften nur jene Sanktionsarten entstehen, die den Anschauungen, den wirtschaftlichen Möglichkeiten und den Werturteilen der Zeit entsprechen. In dem untersuchten Zeitraum gab es in den verschiedenen Kerkern keine verbindlichen und einheitlichen Regeln. Die Kerkerordnungen, falls es überhaupt sol-
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che gegeben hat, waren von Herrschaft zu Herrschaft, von Burg zu Burg unterschiedlich. Auch dadurch waren die Gefangenen der willkürlichen Behandlung durch die Gefängniswärter ausgesetzt, von deren Lust und Laune sie abhängig waren. Diese Aussage trifft folgerichtig auch auf den Vollzug zu. So waren die Verhältnisse in den Kerkern abhängig von drei Hauptfaktoren: Dem Ort der Gefangenschaft, von der Forderung nach einer erschwerten Haft und der allgemeinen gesellschaftlichen Bewertung. Die dargelegten Verhältnisse in den Kerkern erlaubten auch keine Differenzierung unter den Gefangenen. Ein zeitgenössischer Bericht beschrieb die Umstände in den Kerkern im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts folgendermaßen: „Gewohnheitstäter und Anfänger in Übeltaten der unterschiedlichsten Herkunft, bei unüberlegten Handlungen erwischte Jugendliche und Wahnsinnige wurden ohne Unterschiede an einem Platz zusammengeschlossen… Mit vollem Recht konnte man ihn [den Kerker] als die am ehesten zweckgerichtete Schule betrachten, in der die Lehrer und die ehemaligen Anführer die zukünftigen Schüler der unterirdischen Klasse ständig lehren.“ Die Freiheitsstrafe wurde somit in der ständischen Strafpraxis zu einer kombinierten Sanktionsart mit wechselnden Anteilen an Freiheitsentzug, Leibesstrafe und Arbeitsstrafe. Die Geschichte des Kerkers in der Patrimonialgerichtsbarkeit dauerte bis zur ungarischen „verfassungsrechtlichen Revolution.“ Im Jahr 1848 wurden die Patrimonialgerichte vom ungarischen Landtag abgeschafft und die Kerker der Patrimonialgerichte wurden an das Gefängnisnetz der Komitate angeschlossen.
II. NORMVERLETZUNG UND ALLTAGSPRAXIS
STAATSBEAMTER ODER KLIENT? Ein „Vermittler“ aus Ostungarn zwischen verschiedenen sozialen Normen* Judit Pál HERRSCHAFTSVERDICHTUNG UND DISZIPLINIERUNGSPROZESSE Der absolutistische Staat der frühen Neuzeit wurde lange Zeit als „Polizeistaat“ charakterisiert. Der Prozess der Etablierung staatlicher Souveränität trat gerade im 18. Jahrhundert in seine entscheidende Phase, und der Polizey-Begriff1 begann sich erst in dem absolutistischen Staat – mit dem Anspruch auf ein Gewaltmonopol – „zu einem quasi physisch-materiell anstehenden Sachverhalt herauszukristallisieren“.2 Bürokratisierung galt als einer der Haupterscheinungsformen der frühneuzeitlichen „Sozialdisziplinierung“. In den Österreichischen und Böhmischen Ländern waren früher die Grundherren wichtige Agenten und Betreiber des Sozialdisziplinierungs- und Konfessionalisierungsprozesses, sie traten sogar als Konkurrenten des frühmodernen Staates auf.3 Der säkulare Prozess der Sozialdisziplinierung wurde nach diesem Modell von dem Konfessionalisierungsprozess begleitet und galt als ein „Katalysator des gesellschaftlichen Wandels“.4 An der Peripherie der * 1
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Die Forschung wurde von der Volkswagen-Stiftung im Rahmen des Projektes „Institutionen in ihrem sozialen Kontext. Praktiken lokaler Justiz, Politik und Verwaltung im internationalen Kontext“ gefördert. Für die Entwicklung des Begriffs siehe: Nitschke, Peter: Von der Politeia zur Polizei. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte des Polizei-Begriffs und seiner herrschaftspolitischen Dimensionen von der Antike bis ins 19. Jahrhundert. In: Zeitschrift für Historische Forschung, Bd. 19, Heft 1 (1992), 1–27. In Ungarn jedoch wurde der Begriff „Polizey“ nicht verwendet, obwohl der Begriff „rendészet“ eine ähnliche Bedeutung hat. Nach Béla Szabó’s Meinung liegt das Fehlen von Polizei-Forschung in Ungarn daran, dass die ungarische Verwaltungsgeschichte der Frühen Neuzeit sich überwiegend mit der Entwicklung der Verwaltungsorgane und ihrer Kompetenzen befasst. Szabó, Béla: Polizei in Ungarn und Siebenbürgen im 16–18. Jahrhundert. In: Polizey in Europa der Frühen Neuzeit hg. v. Michael Stolleis, unter Mitarbeit von Karl Härter / Lothar Schilling. Frankfurt am Main 1996, 377–406, hier 377. Übrigens wurde in Europa die Etablierung einer „guten Ordnung“ in einem Gemeinwesen nicht überall mit dem Begriff „Polizey“ belegt. Iseli, Andrea: Gute Polizey. Öffentliche Ordnung in der frühen Neuzeit. Stuttgart 2009, 11–16. Nitschke, Von der Politeia zur Polizei, 17. Thomas Winkelbauer spricht sogar über einen „grundherrlichen Absolutismus“ im Zusammenhang mit der Kommerzialisierung der Dominien. Winkelbauer, Thomas: Sozialdisziplinierung und Konfessionalisierung durch Grundherren in den Österreichischen und Böhmischen Ländern im 16. und 17. Jahrhundert. In: Zeitschrift für Historische Forschung, Bd. 19, H. 3 (1992), 317–339. Schilling, Heinz: Die Konfessionalisierung im Reich. Religiöser und gesellschaftlicher Wandel in Deutschland zwischen 1555 und 1620. In: Historische Zeitschrift, Jg. 246 (1988), 1–45, hier 6.
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Habsburgermonarchie war diese Herrschafts- und Machtverdichtung deutlich weniger ausgeprägt; auch die Herstellung konfessioneller Homogenität stieß in Ungarn auf den erbitterten Widerstand des protestantischen Adels. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie es für die Wiener Zentrale im 18. Jahrhundert möglich war, sich gegen die selbstregulierenden Traditionen des ungarischen Adels durchzusetzen und sich dabei sogar die Kräfte des Adels „dienstbar zu machen“? In den Augen der Westeuropäer galt das „alte Ungarn“ noch am Anfang des 18. Jahrhunderts, nach dem Kuruzzenkrieg, nicht nur als eine „fremde“, sondern auch eine „wilde“ Gegend mit „barbarischen Sitten“. Nach der Befreiung der osmanisch besetzten Gebiete gelangte Ende des 17. Jahrhundert ganz Ungarn unter habsburgische Herrschaft, aber die Eingliederung und „Zivilisierung“ des Landes war ein schwieriger Prozess. Die Reaktion gegen das Vordringen des Absolutismus und die Rekatholisierungswelle waren ein Aufstand der ungarischen Stände und dann der Kuruzzenkrieg gegen die Habsburger. Die Niederschlagung des Aufstands trug – wie vorher 1620 nach der militärischen Niederlage der oppositionellen böhmischen Stände – zur „Disziplinierung“ des ungarischen Adels bei und führte allmählich zur Herausbildung einer loyalen, die Herrschaft stützenden Elite auch im protestantischen Osten des Landes. Trotz der Ausdehnung der zentralen Staatsgewalt verblieb aber noch ein großer Autonomiespielraum für intermediäre Gewalten und einzelne Amtsträger.5 Im 18. Jahrhundert zeigt sich auch im Reich der Habsburger ein Vorrücken von Bürokratie. Dabei handelte es sich um einen äußerst langwierigen, in sich widersprüchlichen Prozess, der von vielfältigen Patronagebeziehungen auf allen Ebenen und durch verschiedene Spielarten der Korruption begleitet war. So vertrat Wolfgang Reinhard die Meinung: „Nicht nur in Polen und Ungarn, sondern auch in den meisten anderen Ländern lag die Lokalmacht so weitgehend bei den örtlichen Eliten, dass die zentrale Kontrolle von Regionen bloß durch die Institutionen eines Verwaltungsapparats nicht zu gewährleisten, sondern nur mittels dessen Ergänzung durch informelle Verfahren möglich war, das hieß in erster Linie Einbindung jener Eliten in Klientelverbände der Zentrale.“6
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Stefan Brakensiek stellt diesbezügliche die (rhetorische) Frage: „Handelte es sich (…) wie es der Begriff ‚frühmoderner Staatsbildungsprozess‘ nahelegt, überhaupt um Staaten?“ Die territorialen Verwaltungen trugen ja „bis ans Ende des Ancien Régime bestimmte Merkmale ihrer patrimonialen Herkunft“. Brakensiek, Stefan: Verwaltungsgeschichte als Alltagsgeschichte. Zum Finanzgebaren frühneuzeitlicher Amtsträger im Spannungsfeld zwischen Stabsdisziplinierung und Mitunternehmerschaft. In: Herrschaftsverdichtung, Staatsbildung, Bürokratisierung. Verfassungs-, Verwaltungs- und Behördengeschichte der Frühen Neuzeit. Hgg. v. Michael Hochedlinger / Thomas Winkelbauer. Wien-München 2010, 271–290, hier 290. Reinhard, Wolfgang: Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart. München 32002, 205.
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PATRONAGE UND KLIENTELBEZIEHUNGEN: DIE HAUPTAKTEURE In der Folge wird anhand eines Fallbeispiels dargelegt, wie dieses Wechselspiel aus rivalisierenden Normen, allgemein wachsenden Ansprüchen an die formale Korrektheit von Amtshandlungen und den Gravitationskräften regionaler Macht aus der Perspektive der damaligen Menschen am Anfang des 18. Jahrhunderts in Ostungarn funktionierte. Patronage und Klientelbeziehungen wurden als wichtige Herrschaftstechniken betrachtet, aber die Erforschung dieser Phänomene lag vornehmlich in den Zusammenhängen mit dem Hof.7 In den komplexen Gesellschaften kamen den lokalen Amtsträgern als den Vermittlern von Herrschaft wichtige kommunikative Funktionen zu, schon aufgrund beträchtlicher räumlicher und kultureller Distanzen.8 In dieser Hinsicht sind besonders die Schnittstellen zwischen verschiedenen Herrschaftssphären interessant. Die lokalen Beamten von Staaten, aber auch die Amtsträger großer Adelsherrschaften waren wichtige Makler von Informationen, Macht und Ressourcen.9 Werfen wir zuerst einen Blick auf den Schauplatz und die Akteure. Vor 1700 war Sathmar10 eine priviligierte königliche Mediatstadt11 in Ostungarn, die durch die Grenzlage und die Festung eine wichtige strategische Rolle spielte. Den Titel und die Privilegien einer königlichen Freistadt erwarb die Stadt nach dem Kuruzzenkrieg12 im Konflikt mit dem Grafen Sándor Károlyi, der mächtigste Herr der Region und Obergespan des Komitats Szatmár sowie mit dem adligen Komitat.13 Das ist nicht verwunderlich, bescherte doch die neu errungene „Freiheit“ der Stadt 7
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„Court patronage, now fully confessionalized, continued to be a main technique of Habsburg government. In fact, we cannot understand how the early modern Habsburg state functioned without recognizing the central role of patronage in co-opting and co-ordinating elites.“ MacHardy, Karin J.: War, Religion and Court Patronage in Habsburg Austria. The Social and Cultural Dimensions of Political Interaction, 1521–1622. Houndmills Basingstoke 2003, 213. Siehe auch Hengerer, Mark: Kaiserhof und Adel in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Eine Kommunikationsgeschichte der Macht in der Vormoderne. Konstanz 2004. Brakensiek, Stefan: Herrschaftsvermittlung im alten Europa. Praktiken lokaler Justiz, Politik und Verwaltung im internationalen Vergleich. In: Ergebene Diener ihrer Herren? Herrschaftsvermittlung im alten Europa. Hgg. von Stefan Brakensiek / Heide Wunder. Köln-WeimarWien 2005, 4. András Vári erforschte die lokalen Netzwerke im Komitat Sathmar in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts: Vári, András: Ergebene Diener ihrer Herren. Wandel der Machtausübung im Komitatsleben und in der privaten Güterverwaltung im Ungarn des 18. Jahrhunderts. In: Brakensiek/Wunder, Ergebene Diener (s. o.), 203–231. „Lokale Netzwerke umspannten die Herrschafts- und Komitatsverwaltung einerseits, die adeligen und bürgerlichen Lokaleliten anderseits.“ Ebd., 231. Die Aufsätze des oben zitierten Bandes zeigen einige gute Beispiele dafür. Ung. Szatmárnémeti, rum. Satu Mare, heute Rumänien. Eigentlich handelte es sich um zwei Zwillingstädte, Szatmár und Németi, die erst nach dem Erwerb des Titels einer königlichen Freistadt vereinigt wurden. So wurde der zwischen den Jahren 1703 und 1711 vom Fürst Ferenc Rákóczi II. geführte Aufstand genannt. Pál, Judit: Der Preis der Freiheit. Die freie königliche Stadt Szatmárnémeti am Anfang des 18. Jahrhunderts. In: Brakensiek/Wunder, Ergebene Diener ihrer Herren?, 123–143.
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den kollektiven Adelsstatus und damit die Befreiung aus dem Zuständigkeitsbereich der Komitatsorgane. Zugleich verlor auch der Obergespan des Komitats, Graf Károlyi, seine unmittelbaren Eingriffsrechte in die Geschicke der Stadt. Freilich mischte sich im Verlauf des 18. Jahrhunderts die Staatsgewalt zunehmend in die inneren Angelegenheiten der ungarischen Städte ein.14 Das bedeutete im Fall des überwiegend von Protestanten bewohnten Sathmar zunächst vor allem eine gewaltsame Parteinahme für die Sache des Katholizismus. Die zentrale Figur dieser Darstellung, der Zoll- und Steuerverwalter Gábor Erős ist in mehreren Hinsichten interessant: Wie anderswo in Europa setzte die staatlich-administrative Erfassung und Erschließung des Landes auch in Ungarn im Bereich der Finanzverwaltung ein. So ist es beileibe kein Zufall, dass zu Beginn des 18. Jahrhunderts in Sathmar der Finanzbeamte Gábor Erős praktisch der einzige Repräsentant der Zentralmacht vor Ort war. Verglichen mit den Bediensteten der gräflichen Herrschaftsverwaltung konnte er unabhängiger agieren, denn seine Stellung hing nicht unmittelbar vom Wohlwollen des Magnaten ab. Und doch stand er in bestem Einvernehmen mit Sándor Károlyi, ja er machte sich ihm unentbehrlich. Denn im östlichen Ungarn waren, wie andernorts auch, persönliche Beziehungen zu den regionalen und lokalen Granden von außerordentlicher Bedeutung, wenn ein Amtsträger im Dienste der entstehenden Staaten erfolgreich agieren wollte. Mit den Worten Wolfgang Reinhards: „Frühneuzeitliche Patronage-Klientel-Beziehungen stellen ein System von sozial etablierten und ethisch fundierten mikropolitischen Verhaltensmustern dar, das inzwischen als der Inbegriff der politischen Kultur des frühneuzeitlichen Europa gelten darf.“15 Ende des 17. Jahrhunderts repräsentierte Gábor Erős16 einen der Hauptprotagonisten im Konflikt zwischen der reformierten Bevölkerungsmehrheit und den gegenreformatorischen Kräften, die eine Rekatholisierung der Stadt betrieben. Dabei stand er in enger Allianz mit den Jesuiten. Dieser Streit zog sich mehrere Jahre hin; im Jahr 1697 wurden sogar Truppen eingesetzt, um die Forderungen der Katholiken gegenüber der reformierten Kirche durchzusetzen. Das weitere Vordringen der Katholiken und die Einmischung der Krone in das städtische Leben wurden dann vom Rákóczi-Aufstand für eine Zeit unterbrochen.
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Németh, István H.: Várospolitika és gazdaságpolitika a 16–17. századi Magyarországon (A felső-magyarországi városszövetség) [Städtepolitik und Wirtschaftspolitik in Ungarn in der Frühen Neuzeit im 16. und 17. Jahrhundert. (Der Oberungarische Städtebund)], Bd. 1. Budapest 2004, 495–528. Reinhard, Wolfgang: Freunde und Kreaturen. Historische Anthropologie von Patronage-Klientel-Beziehungen. In: Freiburger Universitätsblätter Heft 139, 1, Jg. 37 (März 1998), 127– 141. Über seine Herkunft wissen wir wenig; es ist aber sicher, dass er Adliger war und die ErősFamilie schon im 16. Jahrhundert Grundbesitz im Komitat Sathmar besaß. Im 17. Jahrhundert heirateten die Mitglieder der Erős-Familie die bedeutendsten Familien des Komitatsadels.
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GÁBOR ERŐS: KARRIERE IM SPANNUNGSFELD LOKALER UND REGIONALER MACHTGRAVITATION IN ZEITEN DES UMBRUCHS Gábor Erős tauchte am Ende des 17. Jahrhundert als Angestellter der Zipser Kammer17, zunächst als Kanzlist, dann als Schreiber, in den Quellen auf.18 Um die Jahrhundertwende (von 1694 bis 1703) amtierte er als königlicher Hofrichter (Provisor) in Sathmar, also als Verwalter der dortigen Kammergüter, zugleich als Provisor der Krongüter in Großwardein19. Wie die meisten Adligen der Region nahm er an dem von Ferenc Rákóczi II. geführten Aufstand teil. Und wie viele andere auch, schwenkte er beizeiten ins kaiserliche Lager um, so dass er zwischen 1711 und 1723 erneut als Hofrichter der Krongüter im Komitat Szatmár fungierte, zugleich auch als Stellvertreter des sogenannten Tricesimators20, danach (nach 1718) als dessen Nachfolger. Erős hatte damit eine fast charakteristische Laufbahn. Bei den Kammern waren im 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts die meisten Beamten Adlige, obwohl es zwischen ihnen auch Beamte bürgerlicher Herkunft gab. Die Möglichkeiten des Aufstiegs waren ziemlich beschränkt, so konnte zum Beispiel der Schreiber der Zipser Kammer nie Ratsmitglied werden. Meistens endete die Laufbahn mit der Bekleidung eines Dreißigstamtes, wie auch im Falle von Erős.21 Das Amt eines Tricesimators war mit wichtigen Kompetenzen verbunden, der Erhebung von Zöllen, der Kontrolle des Handels, aber auch mit verschiedensten allgemeinen administrativen Aufgaben. Um die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert hatten die Dreißigstämter neben den Kammern die zahlreichste Belegschaft. Die Beamten wurden neben der Kontrolle oft auch mit politischen Aufgaben beauftragt. An den meisten Stellen vertraten sie die Zentralmacht und widersetzten sich manchmal auch den aristokratischen Gutsherren aus der Umgebung. Sie waren die Eigentümer ihrer Ämter, sie mussten hierfür eine Kaution hinterlegen und hafteten mit dem eigenen Gut. Dieser Tatbestand könnte erklären, weshalb das Alter des 17 18
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Die Zipser Kammer war für die nordöstlichen ungarischen Komitate (heute Slowakei) zuständig. Formell war sie zwar der Ungarischen Kammer untergeordnet, aber in der Praxis war sie direkt von der Hofkammer abhängig. Zwischen 1690–91 war er Kanzleibeamter, zwischen 1690–93 Schreiber an der Zipser Kammer, zwischen 1694–1703 Hofrichter (Provisor) in Sathmar, also der Verwalter der dortigen Besitzungen der Kammer und Provisor der Großwardeiner Krongüter. Fallenbüchl, Zoltán: A szepesi kamara tisztségviselői a XVII–XVIII. században [Die Beamten der Zipser Kammer im 17. und 18. Jahrhundert]. In: Levéltári Közlemények, Jg. 38 (1967) Heft 2, 219–234; Fallenbüchl, Zoltán: Állami (királyi és császári) tisztségviselők a 17. századi Magyarországon [Staatliche (königliche und kaiserliche) Beamten in Ungarn im 17. Jahrhundert]. Budapest 2002, 89. Ung. Nagyvárad, rum. Oradea. Auch Dreißiger, Dreißigsteinnehmer, Steuereinnehmer. Es handelt sich um einen königlichen Steuerbeamten (tricesimator regius). Die Zollstationen wurden nach alter ungarischer Tradition als „Dreißigstämter“ bezeichnet. Der Name „Dreißigst“ kam von der ursprünglichen Einhebung vom „dreißigsten Teil“ des Wertes einer Ware als Zollgebühr. Über diese Ein- und Ausfuhrzölle verfügte der König ohne Zustimmung der Stände. Fallenbüchl, Állami (királyi és császári) tisztségviselők, 16.
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Tricesimators beim Amtsantritt mit 40 bis 50 Jahren ziemlich hoch war.22 Erős musste also 1711 über ein bestimmtes Vermögen verfügen, um das Dreißigstamt zu erwerben, obwohl er um jene Zeit als Vertreter des Königs, nicht als königlicher Beamter betrachtet wurde. Nach dem Rákóczi-Aufstand wurde die Zipser Kammer neu organisiert, denn während des Freiheitskampfes war ihre Tätigkeit eingestellt worden; aus der Zeit vor dem Aufstand war kaum jemand von der Belegschaft geblieben.23 Auch Erős mußte seine Beziehungen neu aufbauen und seine Karrierre neu begründen, was ihm nach einer längerer Phase der Unsicherheit schließlich auch gelang, denn spätestens seit 1720 kann man ihn als Leiter der königlichen Finanzverwaltung in Sathmar bezeichnen. Das Prestige dieser Position war ungefähr vergleichbar mit der eines Stuhlrichters im Komitat, und das, obwohl ein Tricesimator zur Subordination gegenüber der Kammer verpflichtet war, was Erős oftmals beklagte. Gleichwohl galt dieses Staatsamt sogar als erstrebenswerter als die mit größerer Autonomie versehenen Komitatsämter, zum einen, weil es einträglicher war,24 zum anderen, weil man in Konflikten von der Kammerverwaltung Rückenwind organisieren konnte, was Gábor Erős geschickt nutzte, um aus einer gefestigten Machtposition heraus als Vermittler aufzutreten. Wie rentabel das Dreißigstamt war, zeigt sich am Beispiel von Mihály Skottka, der Vorgänger von Erős war. Skottka wurde im Komitat Zemplén in einer Hörigenfamilie geboren; er selbst hat zwei seiner Geschwister aus der Hörigkeit losgekauft.25 Über seine Laufbahn ist wenig bekannt, nicht einmal wie er sich selbst aus der Hörigkeit loskaufte und wie er einen Adelsbrief erwarb. Nach Sathmar kam er vermutlich 1685 als Domänenverwalter; er diente bis 1704 als Tricesimator von Sathmar. Seine Frau, Mária Boros, kam aus dem Komitat Sathmar. Nach der Erwerbung des Adelbriefes bemühte sich Erős, neben dem Haus in Sathmar auch ein Landgut zu erwerben. Die Familie besaß schließlich in mehreren Siedlungen in den Sathmarer und Marmaroscher Komitaten (Vasvár, Batiz, Szinérváralja usw.) kleineren Grundbesitz sowie Hörige und nahm auch Weingärten in Pfand. Obwohl sie während des Kuruzenkrieges große Verluste erlitten hatte, war ihr Vermögen an Bargeld bedeutend, was für jene Zeit und in jener Region als besonders beachtlich betrachtet werden kann. Über die Summen, die sie verliehen hatten, ist aus den Jahren 1704 und 1705 eine Liste überliefert, aus der hervorgeht, dass diese Gelder den beachtlichen Betrag von über 12tausend ungarische Gulden ausmachten. So 22 23 24
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Ebd., 17–23. Fallenbüchl, A szepesi kamara tisztségviselői, 219–234. Die Hofkammer wurde gerade bei der Zeit des Amtsantritts von Erős von einem Korruptionsfall erschüttert: Der Präsident der Hofkammer, Graf Ludwig Sinzendorf, wurde wegen Korruption angeklagt und entlassen. Siehe: Körbl, Hansdieter: Die Hofkammer und ihr ungetreuer Präsident. Eine Finanzbehörde zur Zeit Leopolds I. Wien-München 2009 (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Bd. 54). Er kaufte sie 1689 von Gräfin Éva Forgách für 100 Taler los. Magyar Nemzeti Levéltár – Magyar Országos Levéltár (MOL) [Ungarisches Nationalarchiv – Ungarisches Landesarchiv], P 1564, Archiv der Toldy-Familie, Paket 2, Titel 13, Die Urkunden von Mihály Skottka und seiner Frau.
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gelangte die einzige, am Leben gebliebene Tochter durch ihre Heirat in eine der berühmten Gutsbesitzerfamilien dieses Raumes. Ein Teil des Vermögens konnte gerettet werden, weil die Witwe von Mihály Skottka nach dem Sathmarer Frieden ein Darlehen gab. 1712 streckte sie der Stadt Sathmar 2.000 Gulden vor. Wahrscheinlich benutzte die Stadt auch diese Summe für die Erwerbung des Ranges einer freien königlichen Stadt.26 PATRON UND KLIENT: DAS BEZIEHUNGSGEFLECHT ZWISCHEN ERŐS UND KÁROLYI Die ungeschriebenen Regeln innerhalb der königlichen Kammerverwaltung erklären den Verlauf der Karriere des Gábor Erős nur teilweise. Denn es kommt ein weiterer Umstand hinzu; er gehörte zu den erprobten, treuen Gefolgsleuten von Sándor Károlyi. Während der Kuruzzenkriege amtierte er als dessen Zivilkommissar (Militärintendant) und war für die Versorgung der aufständischen Truppen zuständig. Wie üblich kann man auch in seinem Falle keine säuberliche Scheidung zwischen amtlichen und privaten Funktionen erkennen. So beauftragte der Kuruzzengeneral Károlyi auch seinen Commissarius Erős einen Tag mit einer Besichtigung der Truppen und einer Revision der Regimentskassen und am nächsten Tag mit eigenen Geldangelegenheiten.27 Nach dem Frieden von Sathmar (1711) bat Károlyi in Wien um Gnade für mehrere seiner Gefolgsleute, darunter auch für Erős, der ihm lebenslang ergeben blieb.28 So bewegte sich Gábor Erős gleichzeitig auf mehreren Ebenen, zum einen innerhalb der habsburgischen Steuerverwaltung, zum anderen innerhalb der Stadtgesellschaft, in die er allerdings nur durch seine amtlich-geschäftlichen Beziehungen eingebunden war, und nicht zuletzt innerhalb des regionalen Machtgefüges, das von Sándor Károlyi dominiert wurde. Sein Wohnort befand sich mit dem Frieden von Sathmar im Jahr 1711 erneut in einer prekären Lage. Während der Kämpfe wurde auch ein Teil der ärarischen Güter zerstört. Das Ausmaß der Zerstörung kann anhand der Konskriptionen von 1696 und 1712 ermessen werden. Nach diesen Steuerlisten gab es in Sathmar einen ärarischen Maierhof, wo auch der Provisor wohnte, eine Brauerei, daneben ein Wirtshaus, eine herrschaftliche Fleischerei, zwei Mühlen am Somesch29, wovon eine bis 1712 vernichtet wurde sowie ein Landgut und einen Weingarten im Stadtgebiet. Die Wirtshäuser erzielten dabei zweifellos die bedeutendsten Einkünfte. In den beiden Städten (Szatmár und Németi) sowie in der Burg gab es insgesamt 7 Wirtshäuser; ein Teil davon gehörte der Stadt, aber auch so warfen die Wirtshäuser dem Krongut
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Skottka selbst war irgendwann zwischen 1707 und 1710 gestorben. Das ist im Tagebuch von Károlyi aus den Jahren 1706–1707 ersichtlich. Szalay, László (Hg.): Gróf Károlyi Sándor Önéletírása és naplójegyzetei [Autobiographie und Tagebuch vom Graf Sándor Károlyi]. Pest 1865, 157, 189. Kovács, Ágnes: Károlyi Sándor. Budapest 1988, 136. Ung. Szamos, rum. Someş.
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einen jährlichen Gewinn von 2.100 Gulden ab.30 So waren es nicht primär die ärarischen Güter, deren Wertschöpfung beträchtlich war, sondern die sog. kleineren königlichen Nutznießungen oder Bannrechte (iura regalia minora, d. h. Wirtshaus, Mühle, Zoll usw.) sorgten für erhebliche Gewinne. Es gab jedoch auch andere Akteure, die von entsprechenden Engagements profitierten. Der bemerkenswerteste davon war zweifellos Sándor Károlyi. Doch nicht nur Károlyi besaß ein gutsherrliches Wirtshaus, sondern auch der ehemalige Festungskommandant Gückel.31 Wie begehrt die angeführten Rechte waren, erkennt man auch daran, dass Sándor Károlyi sie sich im Jahr 1708 von Fürst Rákóczi als Pfandbesitz übertragen ließ und er Pächter der königlichen Güter in Sathmar war.32 Nach dem Friedensschluss von 1711 war ihm wahrscheinlich klar, dass er einen Besitz, den er aus den Händen des Anführers der Rebellen empfangen hatte, nicht ohne weiteres gegenüber konkurrierenden Ansprüchen der Kammerverwaltung bzw. der Stadt verteidigen konnte. So überließ Károlyi in einem klugen Schachzug die Schenke dem Tricesimator Gábor Erős, weil er wusste, dass der Magistrat den „Mann der Kammer“ nicht belästigen würde, denn dieser konnte der Stadt großen Schaden zufügen. Erős bewirtschaftete für eine gewisse Zeit auch das Wirtshaus des Grafen Károlyi und dank seines Amtes ließen ihn die Stadtbewohner auch in Ruhe. Denn um Gábor Erős führte kein Weg herum: So etwa als sich die Stadt um Erwerbung des Ranges einer freien königlichen Stadt bemühte, als ihn die Zipser Kammer mit der Ermittlung des Wertes der Krongüter beauftragte, die der Magistrat für die Stadt erwerben wollte.33 Der Stadt gelang die Ablösung der sogenannten „ärarischen Güter“ und die Erwerbung von Bannrechten. Damit war auch die Liquidierung der Wirtshäuser von Károlyi und Gückel in der Stadt verbunden. Tatsächlich versuchte die Stadt alles, um ihr Ziel zu erreichen. Die Erwerbung des Ranges einer freien königlichen Stadt erwies sich dann, trotz des anfänglichen Widerstandes seitens Károlyi, als eine ziemlich einfache Sache. Viel komplizierter war das Erreichen der anderen beiden Ziele. Die Stadt hat für die ärarischen Güter und die kleineren königlichen Nutznießungen 20.000 Gulden geboten. Allerdings zog sich die Ermittlung des Wertes und die Umsetzung dieses Zieles sehr hinaus. Im Herbst 1712 schrieb Erős seinem Patron, dass er an der Konskription der ärarischen Güter arbeite. Er werde ihn über das Ergebnis informieren und auch über die Auseinandersetzungen mit der Stadt in der Wirtshaus-Angelegenheit auf dem Laufenden halten.34 Anscheinend trieb er ein zweifach doppeltes Spiel, denn er 30 31 32 33
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Bagossy, Bertalan: Szatmár-Németi története [Geschichte der Stadt Szatmárnémeti]. In: Szatmár-Németi sz. kir. város. Hg. v. Samu Borovszky. Budapest, o. J., 232–233. Pál, Der Preis der Freiheit, 126–127. Károlyi bekam im Jahre 1708 von Fürst Rákóczi die ärarischen Güter von Sathmar, wahrscheinlich als Pfandbesitz. Kovács, Károlyi Sándor, 198. MOL, E 158 Urbaria et Conscriptiones, Nr. 47:20, Konskription vom 13. Juli 1712. Die Brauerei und das Wirtshaus waren abgebrannt, auch die Mühle war im schlechten Zustand, doch in der Burg befand sich ein intaktes Wirtshaus, es gab zudem ein allodiales Ackerfeld und einen Weingarten. MOL P 398, Archiv der Familie Károlyi, Missiles, Brief von Gábor Erős an Sándor Károlyi, Sathmar, 22. Sept. 1712.
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versprach auch der Stadt seine Unterstützung, berücksichtigte dabei aber nicht nur die Interessen der Kammer, sondern auch jene von Károlyi. Aufmerksam verfolgte er die von den Stadtbewohnern unternommenen Schritte und benachrichtigte seinen Patron darüber, mehr noch, anscheinend versuchte er sogar den Magistrat zu behindern: „Ich weiß nicht, ob Eure Exzellenz davon weiß, dass die Stadtbewohner dort oben [gemeint ist in Wien] daran arbeiten, dass euer Wirtshaus verboten werde“, schrieb er und versicherte dem Grafen, dass er die Erklärung des ehemaligen Verwalters, das Károlyi-Wirtshaus sei vor dem Kuruzzenaufstand abgeschafft gewesen, nicht bestätigt habe.35 Dieses Entgegenkommen geschah nicht ohne Bitte um Gegenleistung: Mit gleichem Schreiben bat er Károlyi, bei der Einquartierung von Truppen die Dörfer zu verschonen, in denen seine eigenen Besitzungen lagen. Ein Jahr später, im Herbst 1713, benachrichtigte Gábor Erős den Grafen, dass die Stadt Sathmar die örtlichen ärarischen Güter erhalten hätte. Obwohl er die Durchführung des Befehls zu verzögern versucht hätte, sei ihm das nicht gelungen, da die Stadtbewohner so nachdrücklich auf die Umsetzung drängten.36 In diesem Brief betonte Erős einerseits, dass er auf Befehl der Kammer „in dieser Sache nach Recht und Gesetz verfahren werde“, andererseits rühmte er sich: „Mit großer List … habe ich die Stadt überzeugt, dass sie mir das Gegenstück des Briefes, den die Kammer an sie geschrieben hat, aushändigt; ich lege das Schreiben Eurer Exzellenz bei.“37 Im gräflichen Archiv finden sich sogar die Eingaben der Stadt in dieser Sache. Es gelang Károlyi demnach, wahrscheinlich mit der Hilfe von Erős, sich diese zu verschaffen. Der Tricesimator beruhigte übrigens den General: „Die Stadt beanspruchte und begehrte von mir das Károlyi-Stammhaus nicht; ich habe auch heute nicht bemerkt, daß sie sich annähern möchte…, auch das Wirtshaus geht weiter, wie ich es erfuhr“.38 Erős sorgte gleichzeitig auch für seinen eigenen Vorteil: Feldmarschall János Pálffy, der Vertraute von Károlyi, hatte auch Versprechungen in Bezug auf die Angelegenheiten von Erős hinsichtlich Dreißigstamtes und anderer Angelegenheiten gemacht; in dieser Hisicht bat er um Károlyis Hilfe und bermerkte, dass er mit der nächsten Post seine Papiere und Gesuche schicken werde.39 Das war aber nicht genug: Angeblich führten die Sathmarer in dem baufälligen Haus, das einst von Károlyis Vogt errichtet wurde, ein Wirtshaus. Er wurde darauf aufmerksam und bat Károlyi, dass „ihm für das baufällige Haus und für ein Stück Hecke ein Mandat gegeben würde, dass ich sie von dort wegtragen lasse; es wäre wahrscheinlich für einen Stall geeignet.“40
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MOL P 398, Archiv der Familie Károlyi, Missiles, Brief von Gábor Erős an Sándor Károlyi, Sathmar, 12. Febr. 1713. Ebd., Brief von Gábor Erős an Sándor Károlyi, Sathmar, 18. Sept. 1713. MOL, P 392 Archiv der Familie Károlyi, Fach 18, Lad. 17. Nr. 147. Brief von Gábor Erős an Sándor Károlyi, Sathmar, 1. Nov. 1713. MOL, P 392 Archiv der Familie Károlyi, Grundfond, Fach 18, Lad. 17. Nr. 147. Brief von Gábor Erős an Sándor Károlyi, Sathmar, 1. Nov. 1713. Ebd. Ebd.
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LOYALITÄTSKONFLIKTE, LOYALITÄTSGRENZEN UND GESTALTUNGSSPIELRÄUME Gewiss empfand Gábor Erős keinerlei Loyalität gegenüber der Stadt, es gab jedoch auch eine Grenze seiner Verpflichtung gegenüber Károlyi, denn einen amtlichen Befehl seiner Vorgesetzten konnte oder wollte er nicht einfach ignorieren. Anscheinend lavierte er geschickt zwischen den Parteien, denn im Herbst 1713 wurde er für seine Dienste vom Sathmarer Rat mit zwei Grundstücken belohnt:41 „Als Anerkennung für die geeignete Überlegung des wohledlen Herrn Gábor Eröss, die er in der Ablösung der königlichen Fiskale gegenüber unserer edlen Stadt bewiesen hat“, gab der Rat ihm und seinen Erben zwei Grundstücke „von der Hälfte des allodialen Grundstückes, das vom Fiskus abgelöst wurde“, „dass Sie es titulo juris civilis frei besitzen und benutzen und darauf ein Gebäude errichten können“.42 Das Verhalten des Magistrats hinterlässt zumindest eine gewisse Ratlosigkeit. Doch wahrscheinlich waren die Ratsmitglieder keineswegs so naiv, sondern es handelte sich bei dieser großzügigen Schenkung vermutlich um eine Zukunftsinvestition, denn wenig später, im Jahr 1715, verhielt sich Gábor Erős bei der Frage, wie man die Kammerverwaltung dazu bewegen konnte, das Wirtshaus des ehemaligen Stadtkommandanten Gückel abzuschaffen, ganz im Sinne der Stadt. Gábor Erős sei gut gesinnt, „kommunizierte mit uns und sammelte von uns über das Wirtshaus gründliche Informationen und schickte sie an die löbliche Zipser Administration“, schrieb der Rat von Sathmar an seine Gesandten in Wien.43 Die Beziehung von Gábor Erős zu den Bürgern von Sathmar kann bestenfalls als ambivalent bezeichnet werden. Aus mehreren Briefen wird ersichtlich, dass er über die Stadtbewohner geringschätzig urteilte und sich als Teil des weit überlegenen Komitatsadels betrachtete. Die amtliche Stellung als örtlicher Vertreter des königlichen Fiskus, seine katholische Konfessionszugehörigkeit und seine enge Bindung an Sándor Károlyi prädestinierten ihn geradezu für die Rolle des Antagonisten gegenüber jedwedem Autonomiestreben von Magistrat und Bürgerschaft. Gábor Erős vertrat gegenüber der Stadt somit die Interessen der Krone und im Zweifelsfall, wenn es zum Konflikt zwischen dem Magistrat und Károlyi kam, stand er loyal 41
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Die Annahme von Schmiergeld und Geschenken wurde mehrmals geregelt, zuerst für das Hofpersonal. Bereits in der Hofordnung Kaiser Maximilans I. wurde die Annahme von Schmiergeld verboten. Nach der Hofordnung von 1537 wurde das Verbot eingeschränkt; Lebensmittel und Ehrengeschenke waren weiterhin erlaubt. Ende des 17. Jahrhunderts kam es wieder zu einer Neuregelung. Nach dem Prozess gegen den Hofkammerpräsidenten Sinzendorf wurde dem gesamten Personal der Hofkammer selbst die Annahme von Viktualien und Ehrengaben untersagt. Hengerer, Kaiserhof und Adel, 307–308, 317: „Geld untergräbt langfristige Patronagebeziehungen, weil saldierende Punkt-zu-Punkt-Beobachtungen möglich werden.“ Arhivele Naţionale ale României, Direcţia Judeţeană Cluj (SJAN Cluj) [Rumänisches Nationalarchiv, Kreisdirektion Klausenburg], F 20 Archiv der Stadt Satu Mare/Szatmárnémeti, Nr. 8, Protocollum Magistratuale Ci(vi)t(a)tis Szatthmár Anno 1704 usque 1724. Eintrag vom 29. Okt. 1713. SJAN Cluj, F 20, Nr. 1715/509. Der Brief des Rates an die Gesandten Ladányi und Erdődi, 9. Juni 1715.
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zu seinem Patron. Und doch entspannte sich sein Verhältnis zur Stadt Sathmar zusehends. Wir wissen nicht, wie viel das Geschenk dazu beitrug, bei den Ratswahlen des Jahres 1715 war er jedenfalls zwar als Kameralkommissar anwesend, griff jedoch nicht ein, so dass diese ohne Konflikt in der althergebrachten Weise stattfinden konnten. Außerdem gewährte Erős dem Magistrat einen größeren Kredit. Aus sporadisch überlieferten Daten wird ersichtlich, dass er dafür einen Teil der städtischen Wirtshäuser als Pfand erhielt. Um diese Schulden zu begleichen, beschloss der Rat im Jahr 1725 andernorts ein Darlehen aufzunehmen, das unter anderem dazu genutzt wurde, den Pfandbesitz des Gábor Erős an den profitablen Wirtshäusern abzulösen.44 Wo waren aber die Grenzen seiner Loyalität bzw. was machte Gábor Erős noch für seinen Patron interessant? Wie bereits dargestellt, konnte er mit wertvollen Informationen aus der Stadt Sathmar dienen, aber auch mit Hinweisen über die Vorhaben der Kammerverwaltung bis hin zum Verrat von Dienstgeheimnissen. Für Károlyi waren diese Informationen, zu denen Erős dank seiner amtlichen Funktion Zugang hatte, von hoher Bedeutung. Er wurde zum Beispiel darüber in Kenntnis gesetzt, wann die Zipser Kammer welche Güter konskribieren lassen wollte. Bei diesem Verfahren wurden die Besitzrechte an einem Gut ermittelt, sein Wert bestimmt und die Steuerpflichten der darauf befindlichen Hörigen festgelegt. Zu Ostern 1719 verständigte Erős den Grafen „sub manu“, dass der Besitzer eines Gutes ermittelt werden solle, an dem Károlyi unmittelbar interessiert war.45 Darüber hinaus konnte Erős seinem Patron im Rahmen seiner Stellung als Diener der Krone unmittelbar von Nutzen sein, indem er Amtshandlungen „passend“ ausführte. Hierbei war freilich Vorsicht geboten, denn wenn er den Bogen überspannte, konnte bei seinen Vorgesetzten leicht der Eindruck von Illoyalität entstehen. So entstanden ernste Schwierigkeiten, als er im Jahre 1715 die Herrschaft Erdőd, die Károlyi gehörte, im Auftrag der Kammer taxierte. Die Angelegenheit war besonders pikant, weil der Graf diesen bedeutenden Güterkomplex, der ursprünglich zur Krondomäne gehört hatte, im Jahr 1708 aus den Händen des Fürsten Rákóczi als Belohnung für seine militärischen Verdienste in der Kuruzzenarmee erhalten hatte. Erst im Jahr 1720 gelang es Károlyi, den Besitz an der Herrschaft Erdőd durch einen königlichen Donationsbrief endgültig gegenüber konkurrierenden Ansprüchen zu behaupten.46 Auftragsgemäß ermittelte Gábor Erős für das Gut einen ausgesprochen niedrigen Wert, wurde dann jedoch bei der Kammer angezeigt, was ihn zu dem brieflichen Seufzer veranlasste: „Es gibt viele Neider, aber Gott wird Euer Exzellenz helfen“. Und er fuhr fort: „Ich habe der edlen Kammer geschrieben, wenn bezüglich der Konskription, et per consequens auch in der Wert44 45 46
Diese letztere Summe betrug 1.200 ungarische Gulden. SJAN Cluj, F 20, Nr. 11, Eintrag vom 9. Apr. 1725. Ebd., Brief vom 4. Apr. 1719. MOL, E 158, 8:18. Károlyi bekam die Herrschaft von Erdőd, die damals im Besitz des Ärars war, im Jahre 1708 von Fürst Rákóczi. Es ist ihm dabei gelungen, die Herrschaft auch nach dem Frieden von Sathmar zu behalten, aber er bekam den königlichen Donationsbrief erst 1720 gegen die Summe von 2.625 rheinischen Gulden; Kovács, Károlyi Sándor, 198.
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schätzung, Zweifel entstanden sind, dann hätte man jemanden anderen beauftragen müssen“. Seiner Meinung nach sei seine Wertermittlung völlig korrekt, er habe freilich bei den Einnahmen „die unsicheren Vagabunden ausgelassen“.47 Die Kammer bezweifelte jedoch weiterhin die Richtigkeit seiner Konskription und setzte den Wert der Herrschaft deutlich höher an, „vor allem deshalb, als ob ich falsch konskribiert hätte“.48 Später schrieb er an Károlyi: „Ich bin erstaunt, dass Erdőd auf so viele Tausende geschätzt wurde.“49 Unter Verletzung seiner Geheimhaltungspflicht schickte er dem Grafen die vorläufigen Ergebnisse der erneuerten Konskription zu und legte ihm nachdrücklich ans Herz, dass „dieses geheim gehalten werden soll, da die edle Kammer in Zorn geraten würde, denn uns ist die Aushändigung solcher Gegenstücke (gemeint sind Abschriften) verboten.“50 Später, im Jahr 1721, stellte sich ein ähnliches Problem bezüglich des Dorfes Réztelek51, in der Nachbarschaft von Sathmar gelegen, das der Graf als sein Eigentum reklamierte, dessen Besitzverhältnisse aber verworren waren. Erős überprüfte den Sachverhalt in den Akten und zeigte sich auch diesmal hilfsbereit: „Über die Art, wie ich den Teilbesitz in Réztelek… auf- und zusammenschreiben soll, erwarte ich die Anweisungen Eurer Exzellenz“.52 Gábor Erős wurde für den Grafen aber auch auf Feldern tätig, die mit seinem Amt überhaupt nichts zu tun hatten, von kleinen Gefälligkeiten bis hin zur Erledigung anspruchsvoller Aufträge. In Sathmar erteilte er Aufträge an verschiedene Handwerker, erledigte Einkäufe, prüfte die Rechnungen des gräflichen Hofrichters und ging auf Károlyis Anweisung hin einem Streit zwischen dem Stadtrat und dem Militär auf den Grund. Auch der Gräfin Károlyi erwies er immer wieder kleinere Dienste. So stimmte er der weiteren Nutzung eines alten Scheffels in ihrer Mühle zu, obwohl die Zipser Kammer grundsätzlich die Verwendung des Kaschauer Scheffels vorgeschrieben hatte. Im Juli 1712 untersuchte er in ihrem Auftrag einen Streitfall zwischen den Bierbrauern und dem Hofrichter.53 Mangels entwickelter administrativer Strukturen wurden Klienten multifunktional, zum Teil auch ohne fachliche Eignung eingesetzt; eine klare Abgrenzung von Kompetenzen ist nirgends erkennbar. Auch Gábor Erős schien sich auf den ersten Blick den Befehlen des Patrons vollständig unterzuordnen, auf den zweiten Blick nimmt man freilich einen ziemlich großen Gestaltungsspielraum wahr, der sich durch eine eigenständige Interpretation von Anordnungen ergab. Mehr noch, Erős zeichnete ein deutlich höheres Maß an Autonomie aus, da er gegenüber dem Grafen jederzeit entschuldigend auf anders lautende Befehle seiner Vorgesetzten in der Kammerverwaltung bzw. auf die Gesetzeslage verweisen konnte. Er griff in Bereiche aus, die sich dem unmittelbaren Einfluss des Grafen entzogen. Erős ging mit de jure autonomen, de facto zumindest teilautonomen Instanzen um, mit dem städti47 48 49 50 51 52 53
MOL P 398, Brief von Gábor Erős an Sándor Károlyi, Sathmar, 27. Januar 1715. Ebd., Brief vom 25. April 1715. Ebd., Brief vom 3. April 1715. Ebd., Brief vom 6. Juni 1716. Rum. Tătăreşti. Ebd., Brief vom 5. Dezember 1720. MOL, P 397 Archiv der Familie Károlyi, Acta oeconomica, Fasz. 100.
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schen Magistrat, der Komitatsversammlung und der Kammerverwaltung. Dadurch stellten sich seine Aufgaben als gräflicher Klient besonders anspruchsvoll dar, so dass er nicht einfach austauschbar war. Schließlich war Erős auch in die Geldgeschäfte des Sándor Károlyi involviert, dem er mehrfach mit eigenem Geld oder mit der Vermittlung von Krediten aushalf. Auch wenn die Anstrengungen des Gábor Erős nicht immer von Erfolg gekrönt waren, vielleicht auch deshalb, weil er nicht in allen Fällen in dem Maße engagiert war, wie er dies in seinen Briefen darlegte, so ist doch nicht zu bezweifeln, dass er seinem Patron in vielfältiger Weise zu Diensten war. Was aber konnte er von Sándor Károlyi erwarten? Auch hier ist ein Gemenge aus kleinen Vergünstigungen und fundamentalen Unterstützungsleistungen zu erkennen. Die Basis bestand in der gemeinsamen Erfahrung, die existenziellen Gefahren während des Kuruzzenkrieges und in der prekären Phase des Wechsels ins Habsburgische Lager gemeistert zu haben. Erős war ehrlich und dauerhaft dankbar dafür, dass ihn der Graf in dieser Situation geschützt hatte. Auch nach Abschluss des Friedensvertrags von Sathmar im Jahre 1711 war seine berufliche Situation zunächst nicht gesichert, denn die Dreißigstämter wurden reorganisiert. 1718/19 wandte sich Erős erneut an die Kammer, um seine Ernennung zum ordentlichen Tricesimator durchzusetzen. Bei diesen Bemühungen brauchte er die Patronage von Károlyi. In dieser Zeit „umwarb“ er brieflich den starken Mann an der Spitze der Kammerverwaltung, Ludwig Albert Thavonath. Im Frühjahr 1719 erinnerte er seinen Patron an seine beruflichen Sorgen, bedankte sich „tausendstmal“ für Károlyis Fürsorge und versicherte ihm, dass „ich auch weiterhin in der Gunst Eurer Exzellenz lebe und sterbe“. Er erwähnte, dass das „patronieren und rekommendieren weiterhin nützlich sein wird“, zumal er wusste, dass Thavonath ein „gönnender Freund“ des Grafen war.54 Ob es Károlyis Empfehlung, den Beziehungen zum Vorsitzenden der Zipser Kammerverwaltung oder der „discretio“ (d. h. dem Schmiergeld) zu verdanken war, ist ungewiss; jedenfalls wurde Erős 1720 endlich zum Dreißiger ernannt.55 Klient des Grafen zu sein, half aber nicht nur bei solch schwerwiegenden Problemen, es betraf die gesamte Existenz. Manchmal wandte sich Gábor Erős an Károlyi mit der Bitte um kleinere materielle „Wohltaten“, worunter etwa die Lieferung von Dielen für den Hausbau oder aber die Erlaubnis der Eichelmast für seine Schweine in den gräflichen Wäldern zu verstehen war. Auch wenn es um geplante Investitionen in Sathmar ging, war der Informationsvorsprung des Patrons Gold wert: Wiederholt erkundigte sich Erős bei Károlyi, ob die Festung in der Stadt, die während des Rákóczi-Aufstandes zerstört worden war, wieder errichtet werden solle. Er hatte auf dem Gelände ein größeres Grundstück erworben, und wollte dort sein neues Haus errichten lassen. Kurz vor Baubeginn im Jahr 1715 fragte er nach, ob ein Festungsneubau geplant sei, „weil ich mich nicht traue, mein Haus so zu bauen, wie ich es vorhabe.“56 1719 verbreitete sich erneut das Gerücht, dass die Festung doch noch errichtet werden solle, sicherlich wüsste Károlyi „dort oben“ 54 55 56
MOL, P 398, Brief von Gábor Erős an Sándor Károlyi, Sathmar, 28. März 1719. Ebd., Brief vom 8. November 1720. Ebd., Brief vom 3. April 1715.
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mehr darüber.57 Man erkennt, dass es auch für einen in nachrangiger Stellung in der Provinz wirkenden Amtsträger von hohem Nutzen war, über Verbindungen in die politische Entscheidungssphäre in Wien zu verfügen. Dazu eine weitere Episode: Irgendwann während der Kuruzzenkriege hatte Erős, wie er schrieb, „den in Not geratenen Truppen seiner Majestät“ mit „vielen Rindern, Rossen umsonst“ ausgeholfen. Nun versuchte er, dafür beim Kriegsrat eine nachträgliche Bezahlung zu erreichen. Er konnte zwar Empfehlungsschreiben von mehreren Generälen ins Feld führen, seine Akten blieben aber bei Hofe stecken. Deshalb bat er Károlyi, ihn bei seinen Gönnern im Kriegsrat zu empfehlen, „vor allem dem allerhöchsten Eugenius“ (Prinz Eugen von Savoyen).58 Wegen seiner schweren Krankheit verordnete die Zipser Kammer am 1. Mai 1725 die Konskription der Güter von Erős. Daraus wird ersichtlich, was für ein Vermögen ein Tricesimator, der Vertraute von Károlyi, sammeln konnte. In Sathmar besaß er in einer vorteilhaften Lage, in der Nachbarschaft des Marktplatzes, ein Grundstück mit einem einstöckigen, gut unterkellerten und mit Schindeln bedecktes Haus, das über alle notwendigen Nebengebäude verfügte, wobei hinter dem Haus noch ein kleiner Gemüsegarten war. Auf dem Grundstück befanden sich schließlich noch ein Holzgebäude mit zwei Zimmern, in dem die Diener wohnten und ein Stall für 20 Pferde. Auf der dem Marktplatz zugewandten Seite wurde ein frei stehendes Holzgebäude errichtet; es handelte sich um das Amtsgebäude des Tricesimators. Der Verfasser der Konskription vermerkte hierbei: Da er keine Dokumente zur Verfügung hatte, hätte er nicht feststellen können, ob das Grundstück für Geld erworben worden wäre oder der Magistrat der Stadt dieses umsonst überlassen hätte. Des Weiteren besaß Erős an der Stelle der zerstörten Sathmarer Burg ein größeres Grundstück, das sorgfältig umfriedet worden war, wo Gemüse und Mais angebaut wurden. Erős reichte dem Kaiser ein Majestätsgesuch ein, in dem er bat, dass sein Erbeigentumsrecht über dieses Grundstück bestätigt werde, erhielt aber von der Kanzlei bis zu jenem Zeitpunkt keine Antwort. Außer dem Sathmarer Grundstück besaß oder benutzte er unter verschiedenen Titeln Güter oder Anteilländereien mit mehreren Hörigen in einigen Orten des Komitats; es handelte sich um mehrere Fronhöfe mit Maierhofbauten, Ackerfelder, Wiesen, Gemüse-, Obst- und Weingärten sowie einer Mühle.59 Die oben dargestellte Aufzählung ist ein hinlänglicher Hinweis darauf, dass Erős seine Zeit nicht mit Müßiggang verbrachte, sondern seine Position und die damit verbundenen Netzwerke dafür nutzte, Güter zu erwerben. Er war dabei nicht wählerisch, sondern schätzte auch weniger bedeutenden Besitz. So besaß er in einigen Ortschaften nur ein bis zwei Grundstücke. Zu seiner Strategie gehörte auch der Erwerb von beschlagnahmten Gütern, er vergrößerte seinen Besitz aber auch durch Schenkungen, Pacht und natürlich Kauf. Aufgrund seiner erfolgreichen Politik der Besitzakkumulation gelang es seinen Kindern und Enkeln, ihre Stellung im Kreis des Besitzeradels im Komitat Sathmar zu befestigen; wir finden diese unter den Amtsträgern auf Komitatsebene. 57 58 59
Ebd., Brief vom 4. April 1719. Ebd., Brief vom 9. November 1723. MOL, E 156, Nr. 47:30. 15. Februar 1729.
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Die Beziehung zwischen Erős und Károlyi kann als eine vielseitige, auf mehreren Ebenen funktionierende Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit verstanden werden. Sie waren geschäftlich eng miteinander verbunden, so bei der Pacht des Zehnten oder von Wirtshäusern, bei Grundstücks- und Kreditgeschäften. Dabei gerieten sie manchmal auch in Situationen, in denen sich ihre Interessen widersprachen, vor allem wenn durch bestimmte Transaktionen die Stellung von Erős gegenüber der Kammerverwaltung gefährdet war. So machte er den Grafen mehrmals auf die Zahlung von Steuerrückständen aufmerksam oder klärte ihn über Missbräuche seiner Gutsverwaltung auf, da sich seine Verwalter einfach auf das Ansehen ihres Herrn verließen und dabei Vorschriften offen missachteten. In einem seiner Briefe schrieb er erbittert: „Gott weiß, dass ich nur dann Eurer Exzellenz nicht diene, wenn es irgendwie unmöglich ist, ich weiß aber nicht, auf wessen Anregung die Leute von den Gütern Eurer Exzellenz ruhig verkaufen, erwerben, treiben; beim Dreißigstzoll machen sie sich selten beliebt“.60 Er bat darum, Károlyi möge seinen Schwager, den Stuhlrichter Pál Dersőffy, mit der Erhebung der Rückstände beauftragen. Schließlich stellt sich zuletzt die zentrale Frage: Wo lag die Grenze zwischen Gesetz und Loyalität, zwischen den amtlichen Vorschriften und den Forderungen bzw. Verpflichtungen, die sich aus der Beziehung zu Károlyi ergaben? FORSCHUNGSSTAND UND DIE VERORTUNG DES FALLES ERŐS In den letzten Jahrzehnten hat es in der Forschung wesentliche Veränderungen ergeben, das Absolutismus-Paradigma ist in eine Krise geraten. Die Neuansätze der Forschung haben den Absolutismusbegriff relativiert. Die detaillierte Forschung der verschiedenen lokalen Quellen zeigte, dass „in der alteuropäischen Gesellschaft Gesetze und Mandate nur einen Potentialis darstellten, eine Möglichkeit der Verwirklichung, nicht aber den Realis einer verbindlichen Norm“.61 Jürgen Schlumbohm veröffentlichte 1997 die These, dass der Widerspruch zwischen der vom frühmodernen Staat produzierten Flut von Verordnungen einerseits und ihre eingeschränkte Umsetzung andererseits, also die „Gesetze, die nicht durchgesetzt werden“ ein „Strukturmerkmal des frühneuzeitlichen Staates“ sei.62 Er war der Meinung, dass die Normgebung, das Erlassen von Gesetzen „seinen Sinn in sich selbst“ hatte.63 Wichtiger als die Umsetzung der Gesetze war ihre symbolische Funktion, die „demonstrative Zurschaustellung von Macht und Herrschaft“. In Bezug auf die Funktion der Gesetze lässt sich die These von Schlumbohm durch die Forschung 60 61
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Ebd., Brief vom 14. April 1719. Schubert, Ernst: Arme Leute, Bettler und Gauner im Franken des 18. Jahrhunderts. Neustadt a. d. Aisch 21983, 249, 250, zit. nach Holenstein, André: Die Umstände der Normen – die Normen der Umstände. Policeyordnungen im kommunikativen Handeln von Verwaltung und lokaler Gesellschaft im Ancien Régime. In: Policey und frühneuzeitliche Gesellschaft. Hg. v. Karl Härter. Frankfurt am Main 2000, 1–46, hier 40. Schlumbohm, Jürgen: Gesetze, die nicht durchgesetzt werden – ein Strukturmerkmal des frühneuzeitlichen Staates? In: Geschichte und Gesellschaft, Jg. 23 (1997), 647–663. Ebd., 659.
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nicht bestätigen,64 die Durchsetzung der Normen war aber tatsächlich ein langwieriger und komplizierter Prozess. Die gruppenspezifischen Ordnungen entwickelten in der Frühen Neuzeit eine weitaus größere alltagsprägende Kraft als die obrigkeitlichen Vorstellungen guter „Polizey“. Nach André Holensteins Meinung waren die frühneuzeitlichen Gesetze „keine autoritativen Regelungen mit einem Anspruch auf allgemeine und gleichförmige Geltung und Anwendung in der Gesellschaft“, sondern sie können eher „als verhandelbare und formbare Grundsätze und weniger als absolut zwingende Normen strictu sensu aufgefasst wurden“.65 Die neuere Forschung hat ein Kommunikationsmodell erarbeitet, in dem die „Normdurchsetzung“ als kommunikativer Prozess zwischen Obrigkeit und die Untertanen verstanden wird.66 In diesem Hinsicht sind die Thesen von Andreas Würgler relevant und teilweise können sie auch als Antwort auf Schlumbohm’s Überlegungen betrachtet werden, obwohl sie früher erschienen sind: Die staatliche Gesetzgebung war zu einem erheblichen Teil „bloße Reaktion“ auf Desideria und Suppliken der Landstände und Untertanen. Die „hektische Verordnungspraxis braucht aber nicht nur ein Indiz für die massiven Vollzugsprobleme der Verordnungen zu sein; sie kann auch als Zeichen für eine flexibel auf schnell wechselnde Problem- und Stimmungslagen der Untertanen eingehende Politik gedeutet werden“.67 Achim Landwehr hat sogar den Begriff „Normdurchsetzung“ vermieden, weil er seiner Meinung nach zum Legalismus und juristischen Positivismus führt: „Eine obrigkeitlich erlassene Norm, die gegenüber Normadressaten ‚durchgesetzt‘ wird, duldet keinen Widerstand und keine Abweichung von den gesetzlichen Vorgaben.“68 Er bevorzugt deshalb Begriffe wie Anwendung oder Implementierung von Normen, oder bevorzugt es, „von einer Ein64
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Andreas Würgler spricht von einem „Wunsch nach Ordnung“ der Untertanen in Hessen-Kassel, bestätigt auch von Sigrid Schieber für Wetzlar: „Die Zeitgenossen waren sich bewusst, dass das Erlassen von Verordnungen alleine noch keine Veränderung bewirkte, sondern dass es nötig war, diese Verordnungen auch durchzusetzen.“ Würgler, Andreas: Desideria und Landesordnungen. Kommunaler und landständischer Einfluß auf die fürstliche Gesetzgebung in HessenKassel 1650–1800. In: Gemeinde und Staat im Alten Europa. Hg. v. Peter Blickle. München 1997, 207; Schieber, Sigrid: Normdurchsetzung im frühneuzeitlichen Wetzlar. Normdurchsetzung zwischen Rat, Bürgerschaft und Reichskammergericht. Frankfurt am Main 2008, 392. Holenstein, André: Die Umstände der Normen – die Normen der Umstände. Policeyordnungen im kommunikativen Handeln von Verwaltung und lokaler Gesellschaft im Ancien Régime. In: Policey und frühneuzeitliche Gesellschaft. Hg. v. Karl Härter. Frankfurt am Main 2000, 1–46, hier 8, 19. Z. B. Blickle, Einführung. Mit den Gemeinden Staat machen. In: Gemeinde und Staat. Hg. v. Peter Blickle, Gemeinde und Staat im Alten Europa, 1–20. Blickle ist der Meinung, dass es sich im Fall des frühmodernen Staates „um einen Prozeß der Kommunikation von Untertanen und Obrigkeiten, Gemeinden und Fürsten“ handelt; Ebd., 20. Holenstein, André: Bittgesuche, Gesetze und Verwaltung. Zur Praxis „guter Polizey“ in Gemeinde und Staat des Ancien Régime am Beispiel der Markgrafschaft Baden(-Durlach). In: Ebd., 325–357; Brakensiek, Stefan: Akzeptanzorientierte Herrschaft. Überlegungen zur politischen Kultur der Frühen Neuzeit. In: Die Frühe Neuzeit als Epoche. Hg. v. Helmut Neuhaus. München 2009, 395–406. Würgler, Desideria und Landesordnungen, 149–207, hier 206–207. Landwehr, Achim: Polizey im Alltag. Die Implementation frühneuzeitlicher Polizeyordnungen in Leonberg. Frankfurt am Main 2000 (Studien zu Polizey und Polizeywissenschaft), 4.
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setzung von Normen in bestimmte gesellschaftliche, politische, wirtschaftliche und kulturelle Verhältnisse zu sprechen“.69 Die Herausbildung einer Bürokratie, die eine effiziente lokale Machtausübung ermöglichte, steckte im Habsburgerreich allgemein und in Ungarn in Speziellen am Anfang des 18. Jahrhunderts noch in den Kinderschuhen. Durchgreifende Erfolge erzielte man erst infolge der josephinischen Reformen.70 In einer Zeit, in der die Zentralmacht lokal nur schwach präsent war, hatte der fast einzige Repräsentant dieser Zentralmacht eine außerordentliche Stelle inne. Der Ausbau des Staatsapparates erfolgte in der Habsburgermonarchie zwar zögerlicher als im Westen, aber die Finanzen stellten überall einen der wichtigsten Aspekte des modernen Staatsbildungsprozesses dar. Die persönlichen Beziehungen waren jedoch auch in der Amtstätigkeit wichtig. Als Teil der ungarischen Adelsgesellschaft, als Klient Károlyis und als Staatsbeamter bewegte sich Erős zwischen verschiedenen Normensystemen, um verschiedene, manchmal gegensätzliche, Erwartungen zu erfüllen. Wie Valentin Groebner für das Spätmittelalter festgestellt hat, bildete die Differenz zwischen Normen und Praktiken „kein Defizit, keine Kluft und keine Lücke, sondern jenen Raum, in dem sich die Amtspersonen als Personen bewegen und den sie für ihre eigenen Logiken verwenden“. Die frühmoderne Administration beruhte geradezu auf informellen Beziehungsnetzen und einem System des Schenkens und des Beschenktwerdens.71 Aus Wolfgang Reinhard’s Sicht einer verhaltensorientierten politischen Anthropologie das Klientelismus hat es sich um keinen ‚Abgrund von Korruption‘, „sondern ganz einfach um eine notwendige und durchaus funktionale und zweckmäßige Entwicklungsstufe auf dem Weg zum modernen Staat gehandelt.“72 Erős versuchte sich innerhalb des noch schwach ausgebauten bürokratischen Feldes zu bewegen und dabei die Lücken zwischen den nicht genau abgegrenzten Kompetenzen der verschiedenen Behörden zu erkennen und für die eigenen Inter-
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Landwehr meint, dass die obrigkeitlichen Erlasse „normative Korridore“ gelegt hätten, die neue Handlungsspielräume für den Normempfänger boten; ebd., 325. Ebd., 4–5. Seine kulturhistorisch fundierten Überlegungen haben weitgehende Konsequenzen auch für die Phänomene „Herrschaft“ und „Staat“ in der Frühen Neuzeit. „Herrschaft – und insbesondere die Implementation von Normen – wird demnach nicht als Zustand, sondern als Vorgang begriffen, nicht als theoretisches Konstrukt, sondern als soziale Praxis“; ebd., 6. Das war kein Einzelfall. „Für die Masse der Bevölkerung, die auf dem Lande lebte, wurde der an eine funkionierende Verwaltung gebundene aufgeklärte Absolutismus – wenn wir diese an sich fragwürdige Vokabel beibehalten wollen – erst langsam während des 19. Jahrhunderts zur Realität.“ Siehe: Schubert, Arme Leute, Bettler und Gauner im Franken, 330. Nach Groebner beruhte der Aufstieg frühmoderner Staatlichkeit und Verwaltung im Wortsinn auf Geschenken. Dadurch habe man einen Ausgleich der Interessen, Kohäsion und Konsens innerhalb der einflussreichen Gruppen verwirklichen können. Groebner, Valentin: Angebote, die man nicht ablehnen kann. Institution, Verwaltung und die Definition von Korruption am Ende des Mittelalters. In: Institutionen und Ereignis. Über historische Praktiken und Vorstellungen gesellschaftlichen Ordnens. Hgg. v. Reinhard Blänkner und Bernhard Jussen. Göttingen 1998, 163–184, hier 168–169, 183. Zur Neubewertung von Klientelismus und Korruption vgl. Reinhardt, Freunde und Kreaturen, 127–141, hier 140.
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essen zu nutzen. Als Teil der (adligen) Lokalgesellschaft richtete er sein Verhalten in erster Linie nach deren Ordnung aus. Der Rollenkonflikt stellte ihn vor eine schwere Aufgabe; eine vollkommene und umfassende Durchsetzung der amtlichen Vorschriften war damit zum Scheitern verurteilt.
NORMVERLETZUNGEN EINES KATHOLISCHEN PRIESTERS IM 18. JAHRHUNDERT IN SIEBENBÜRGEN Dániel Bárth EINLEITUNG Die vorliegende Studie interpretiert und analysiert eine „zufällig“ aufgefundene Quelle aus dem 18. Jahrhundert. Seit etlichen Jahren schon galt mein Interesse dem folkloristischen, mentalitäts- und kirchengeschichtlichen Fragenkomplex der frühneuzeitlichen kirchlichen Exorzismuspraxis,1 als ich im Sommer 2004 im Karlsbur1
Das Teufelsbild des christlichen Kulturkreises, sowie – teils davon abhängig, teils unabhängig – die Teufelsaustreibung, als kirchliches Heilmittel der dämonischen Besessenheit verfügt über eine unglaublich breite und vielfältige wissenschaftliche Literatur. Dies lässt keinen Zweifel daran, dass es sich hier im eigentlichen Sinne des Wortes um ein interdisziplinäres Forschungsfeld handelt. Auch wenn die immer wieder aktuellen Gegenwartsbezüge des Themenkreises außer Acht gelassen werden, kann ein diesbezügliches Interesse vieler Fachdisziplinen registriert werden (Theologie, Religionswissenschaft, Kirchen- und Liturgiegeschichte, Kunstgeschichte, Kulturgeschichte, historische Psychologie usw.), zum Beispiel: Levack, Brian P. (Hg.): Possession and Exorcism. New York-London 1992; Almond, Philip C.: Demonic possession and exorcism in early modern England. Contemporary texts and their cultural contexts. Cambridge 2004; Ernst, Cécile: Teufelaustreibungen. Die Praxis der katholischen Kirche im 16. und 17. Jahrhundert. Bern 1972; Zutt, Jürg (Hg.): Ergriffenheit und Besessenheit. Ein interdisziplinäres Gespräch über transkulturell-anthropologische und -psychiatrische Fragen. Bern-München 1972. Die volkskundlich-folkloristischen Untersuchungen nehmen natürlich sowohl in der ungarischen als auch in der internationalen Fachliteratur der Teufels- und Teufelsaustreibungsproblematik einen vorrangigen Platz ein, so zum Beispiel: Katona, Lajos: XVII. századbeli ördögűző könyvecske [Exorzismusbüchlein aus dem 17. Jh.]. In: Ethnographia XIII. (1902) 60–70, 103–111; Pócs, Éva: Démoni megszállottság és ördögűzés a középkelet-európai népi hiedelemrendszerekben [Dämonische Besessenheit und Exorzismus in den Aberglaubensystemen von Ostmitteleuropa]. In: Demonológia és boszorkányság Európában. Hg. v. Éva Pócs. Budapest 2001, 137–198; Szacsvay, Éva: Az ördögűzés református szabályozása 1636-ban (I.) [Die kalvinistische Ordnung der Teufelsaustreibungen]. In: Test, lélek, természet. Tanulmányok a népi orvoslás emlékeiből. Köszöntő kötet Grynaeus Tamás 70. születésnapjára. Hgg. v. Gábor Barna und Erzsébet Kótyuk. Budapest-Szeged 2002, 79–92; Petzoldt, Leander: Kleines Lexikon der Dämonen und der Elementargeister. München 1990; Daxelmüller, Christoph: Exorzismus. In: Enzyklopedie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung. IV. Hgg. v. Kurt Ranke et alii. Berlin-New York 1984, 664–674. Diese gehen neuerdings Hand in Hand mit den frischen Wind bringenden geschichtswissenschaftlichen Trends (Historische Anthropologie, Mentalitätsgeschichte, Mikrogeschichte), und wenden ihre Methoden und Ergebnisse im Sinne der historischen Folkloristik an. Hier einige wichtige einschlägige Werke: Clark, Stuart: Thinking with Demons. The Idea of Witchcraft in Early Modern Europe. Oxford 1997; Levi, Giovanni: Egy falusi ördögűző és a hatalom [Original: L’heredita immateriale]. Budapest 2001; Dinzelbacher, Peter: Angst
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ger2 Erzdiözesanarchiv eine allgemeine Quellenerschließung unternahm. Während des chronologischen Überblicks der Schriften des ehemaligen Bischöflichen Ordinariats stieß ich unerwartet auf die beiden Aktenbündel des hier zu erörternden Csíkszentgyörgyer3 Falles. Es ist durchaus nachvollziehbar, warum dieser Fall als priesterliches Vergehen interpretiert und er so diesen Akten zugeordnet worden war. Die Teufelsaustreibung ohne Genehmigung war im Auge der zeitgenössischen kirchlichen Leitung zweitrangig hinter dem mutmaßlichen sexualen Aspekt. Insofern erwies sich dieser Fall eines römisch-katholischen Exorzismus, durchgeführt in den Jahren 1726 und 1727 in Csíkszék (historischer Stuhlbezirk Csík) als sehr spannender Fund. Im Laufe der Bearbeitung des Textes stellte es sich heraus, dass wohl auch der „erotische Faden“ keine unbedeutende Rolle unter den Dutzenden von Fällen priesterlicher „Fehltritte“ aus dieser Zeit spielte. Insofern erschien es zweckmäßig, beide ansonsten in der Forschung isoliert betrachteten Aspekte in diesem Fall zusammenzuführen und gleichrangig zu behandeln. Zunächst geht es bei der Studie um eine Rekonstruktion des Ablaufs des Fallbeispiels anhand der Originaltexte. Dabei soll der von wissenschaftlichen Paradigmen geprägte Interpretationsrahmen minimiert werden, damit die zeitgenössischen Quellen nicht nachträglich im Sinne konzeptioneller Theorien instrumentalisiert werden. Es geht darum schon in der Darlegung der „Ereignisgeschichte“, die Quellen und deren Darsteller zu Wort kommen zu lassen und eine Geschichte von innen zu erstellen. Dabei erscheint es wichtig, dass der Forscher keineswegs mit dem Anspruch der Ausschließlichkeit auftritt. Er behauptet nicht, die damaligen – in diesem Fall nahezu drei Jahrhunderte zurückliegenden – Geschehnisse so geschildert zu haben, wie sie sich in der Wirklichkeit ereignet hatten, zumal allen Quellen ein Interpretations- und Deutungsspielraum inhärent ist. Daraus resultiert auch der Umstand, dass in solchen Ereignisgeschichten zahlreiche eingestandene und reflektierte Fragezeichen bleiben: Der Historiker lässt sie bewusst offen und versucht sie nicht etwa mit Hilfe seiner Fantasie oder immer zur Verfügung stehender „Analogien“ zu beantworten.4 so wird im fragezeichenreichen Epilog dieser Geschichte näher auf die unmittelbaren Analysenrahmen und Interpretationsmöglichkeiten ein-
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im Mittelalter. Teufels-, Todes- und Gotteserfahrung: Mentalitätsgeschichte und Ikonographie. Paderborn-München-Wien-Zürich 1996. Als Zwischenstation meiner ähnlich ausgerichteten Forschungen befasse ich mich in dieser Studie mit der frühneuzeitlichen ungarländischen Praxis der Behebung dämonischer Besessenheit im Spiegel einer konkreten Exorzismus-Geschichte. Meine Forschungen in diesem Themenkreis wurden mit dem Stipendium Bolyai János (Bolyai János Kutatói Ösztöndíj) von der Ungarischen Akademie für Wissenschaften (und im Rahmen des Forschungsprojekts OTKA K 78551) unterstützt. Ich bedanke mich bei János Bednárik für die deutsche Übersetzung meines Originaltextes. Gyulafehérvár, rum. Alba Julia. Rum. Ciucsângeorgiu. Von der Renaissance der Ereignisgeschichte in neuer Form, vom wissenschaftsphilosophischen Hintergrund des „linguistic turn“ in der Geschichtsschreibung siehe: Burke, Peter: History of Events and the Revival of Narrative. In: New Perspectives on Historical Writing. Hg. v. Peter Burke. Second Edition. Cambridge 2001, 283–300.
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gegangen. Die „Dichte“ des untersuchten Falles ermöglicht jedenfalls eine vielfältige Kontextualisierung. Damit versteht sich die vorliegende Studie primär um einen Versuch des Historikers, dem Dokumente zu einem unikalen Ereignis vorliegen, dabei einzig die erhalten gebliebenen Texte analysiert, und, mangels entsprechender Kontrollquellen, die Hintergrundinformationen bezüglich der biographischen Angaben und Motivationen der Akteure sowie kultureller und gesellschaftlicher Rahmenbedingungen des Schauplatzes weitgehend entbehren muss. Ergibt es damit Sinn und ist es legitim, in diesem Fall ein nolens volens vages Bild einzublenden? Kann eine derartige Fallbeschreibung zu den mit Recht erwarteten Verallgemeinerungen führen? DOKUMENTE EINES SKANDALÖSEN EXORZISMUS In der hier untersuchten Geschichte, die im 18. Jahrhundert im Szeklerland5 spielt, geht es nicht um eine Skandalisierung des Exorzismus, sondern eher der aus kirchlicher Sicht durchaus verdächtigen Umstände. Aus den Dokumenten, die im Zusammenhang mit dem Fall entstanden sind,6 ist nicht genau zu ersehen, wann und durch welche Informatoren die Tätigkeit des Csíkszentgyörgyer7 Pfarrers die Aufmerksamkeit der höchsten Würdenträger der Gyulafehérvárer8 Diözese erweckten. Allerdings ist bekannt, dass der Pfarrer mit dem Namen György Ferenczi das Exorzisieren einer bestimmten Frau mit dem Vornamen Kata im Advent 1726 begann.9 Aus einer späteren Aussage ist bekannt, dass die Teufelsaustreibung am 8. Dezember des erwähnten Jahres bereits in vollem Gange war.10 Eine Station der sich monatelang hinziehenden Prozedur war der Ort Csíksomlyó11, wohin man die für besessen gehaltene Frau am 23. März 1727 hingebracht hatte.12 Möglicherweise steht dieses Ereignis schon in Zusammenhang mit der im Frühjahr begonnenen kirchlichen Untersuchung, wozu zwei Priester beauftragt worden waren, um die Besessenheit der Frau vor Ort zu überprüfen. Márton Szépvízi, Pfarrer zu Kisasszony13 und Tamás Bertalan, damals Pfarrer zu Kászon14, 5 6
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Székler, von ung. Singular székely. Die Schilderung der Ereignisse erfolgt aufgrund zweier nebeneinander registrierten Akten, die sich im Gyulafehérvárer Erzdiözesenarchiv: Gyulafehérvári Érseki Levéltár (GYÉL) befinden: GYÉL I. Püspöki Levéltár [Bischöfliches Archiv] 1. Püspöki Hivatal Iratai [Schriften des Bischöflichen Ordinariats], 8/1727, 9/1727. Rum. Ciuscsângeorgiu. Rum. Alba Iulia, dt. Karlsburg. Der Pfarrer schrieb, sich gegenüber dem Bischof rechtfertigend, die ersten Erfolge in der Teufelsaustreibung am Tag St. Andrä (30. Nov.) erreicht zu haben. GYÉL, I. 1. 8/1727. Zeugenaussage von József Ferenczi. Rum. Şumuleu Ciuc. GYÉL, I. 1. 8/1727. Zeugenaussage von Andrásné Dobondi. Die ehemalige Kirchengemeinde Kisasszony besteht heute aus vier Dörfern: Csíkrákos (rum. Racu), Göröcsfalva (rum. Gârciu), Vacsárcsi (rum. Vǎcǎreşti) und Madéfalva (Siculeni). Rum. Caşin Nou.
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stellten in ihrem Bericht15 nicht nur die Unwahrheit der Besessenheit fest, sondern sie wiesen auch auf die sexuellen Ausschreitungen während des Exorzismus hin, so dass die Angelegenheit vor das höchste Forum, den Gyulafehérvárer Bischof kam. Oberhirt János Antalfi ließ zunächst ab April die in der Angelegenheit mehr oder weniger betroffenen Priester der Gegend aufgrund eines Fragebogens (deutrum) ausfragen, danach erfolgte am 28. Juni die Vernehmung der Zeugen aus dem gemeinen Volk von Csíkszentgyörgy16, durchgeführt von drei beauftragten Geistlichen.17 Die Lateinische Protokollausfertigung, die alle diese Zeugenaussagen zusammenfasste, wurde schließlich am 13. Oktober 1727 beim Bischof eingereicht.18 Die wichtigsten Quellen für die sich über ein Jahr hinziehende Prozedur sind neben den Briefen und Zeugnissen der Geistlichen verständlicherweise die Dokumentationen der Zeugenvernehmungen. Glücklicherweise sind auch die vorgegebenen Fragen erhalten geblieben, die eine bereits ausgeformte Anklagekonzeption beinhalten.19 Von der Vernehmung der beiden zentralen Personen, des Pfarrers György Ferenczi und der „besessenen“ Frau sind keine Dokumente überliefert, sofern eine solche überhaupt stattgefunden hat. Vom Geistlichen selbst enthalten die Akten nur noch einen einzigen Brief.20 Bis jetzt konnte das Urteil, das über den Ausgang der Untersuchung unterrichten würde, nicht aufgefunden werden. So können Rückschlüsse auf das weitere Schicksal der Hauptakteure aufgrund des vorliegenden Quellenmaterials nur indirekt gezogen werden. Von den 19 Zeugenaussagen stammen acht von Geistlichen der umliegenden Ortschaften (aus Csík und Háromszék).21 Sie trafen im Winter 1726–27 zu unterschiedlichen Zeitpunkten in Csíkszentgyörgy ein und wurden Zeugen oder sogar Teilnehmer des Exorzismus. Die andere große Gruppe der Zeugen bilden elf Einwohner von Csíkszentgyörgy (zehn Männer und lediglich eine Frau).22 Unter den Zeugen waren hinsichtlich ihrer Rechtsstellung vier primipili („lófő“ – eine Art Ad-
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Der Bericht ist nicht erhalten geblieben, von der Mission der beiden Priester wissen wir dank ihrer eigenen Aussagen Bescheid: GYÉL, I. 1. 9/1727. Rum. Ciucsângeorgiu. Von diesen priesterlichen Geständnissen sind fünf – als einzelne Briefe – im Frühjahr 1727 (April-Mai) zum Bischof eingelaufen; GYÉL, I. 1. 8/1727. GYÉL, I. 1. 8/1727. Zeugenverhörprotokoll in ungarischer Sprache, die am 28. Juni 1727 in Csíkszentmárton (rum. Sânmartin) aufgenommen worden ist, mit Unterschriften von Mihály Cseh, Pfarrer von Torja und István Andrássi, Pfarrer von Kisasszony. Die vorformulierten Fragen bezogen sich auf drei Hauptthemen, etwa darauf, wie die „Besessene“ nach Csíkszentgyörgy gelangte; wie der seltsame Exorzismus begann und ablief; welche Visionen die Frau hatte, und unter welchen Umständen die Eucharistie durchgeführt oder auch eventuell entheiligt wurde; GYÉL, I. 1. 9/1727. GYÉL, I. 1. 8/1727. Namensverzeichnis der Geständnis ablegenden Pfarrer: Ferenc Bodó (Csíkszentmiklós, rum. Nicoleşti), Ferenc Csató (Csíkszentimre, rum. Sântimbru), Antal Zsigmond (Kászonújfalu, rum. Caşinu Nou), József Ferenczi (Csíkszentlélek, rum. Leliceni), Mihály Barto (Csíkszentsimon, rum. Sânsimion), Márton Szépvízi (Kisasszony), János Zachariás (Csíkkozmás), Tamás Bertalan (Kászon, später Kézdiszentlélek, rum. Poian); GYÉL, I. 1. 9/1727. Andrásné Dobondi (45 jährige, colona). – GYÉL I. 1. 9/1727.
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liger bei den Szeklern), sechs coloni (Bauern) und ein libertinus (Freier);23 es waren mehrheitlich junge Männer im Alter zwischen 20 und Ende der dreißiger Jahre, die die „Besessene“ bei Tag und Nacht bewachten. Auf die offensichtlich tendenziösen Fragen legten die Zeugen aus der Sicht des angeklagten Priesters fast alle belastende Geständnisse ab, die offensichtlich auch untereinander abgesprochen waren. DIE HAUPTAKTEURE Wer war nun dieser szekler Pfarrer im 18. Jahrhundert, der zur Hauptfigur des untersuchten Falles avancierte? Die spärlichen Informationen, die über ihn überhaupt bekannt sind, stammen aus den Visitationsakten des Vikars Márton Demeter aus dem Jahre 1721.24 Ferenczi war zu diesem Zeitpunkt bereits Pfarrer in Csíkszentgyörgy, im 31. Lebensjahr und im dritten Jahr seines Priestertums. Wie die meisten seiner priesterlichen Kollegen, die als Vorkämpfer der katholischen Erneuerung Siebenbürgens angesehen werden können, absolvierte auch er in Nagyszombat25 sein Theologiestudium. Außer dieser wortkargen Aufzeichnung liegen so gut wie keine Informationen über den Pfarrer vor: Sein Geburtsort, sein Vorleben, seine Ausbildung sowie die Zeit seiner Szentgyörgyer Tätigkeit bleiben im Dunkeln. Anhand seines Briefs und der Zeugenaussagen zeichnet sich das Bild eines selbstsicheren, stolzen Priesters ab, der die kirchliche Hierarchie weniger als gewohnt respektierte. Diese charakterlichen Eigenschaften hätten wohl früher oder später zu einer Konfrontation mit den höheren Behörden geführt, auch wenn es nicht zu einer Begegnung mit der „besessenen“ Frau gekommen wäre. Über die „verteufelte“ Kata, die andere zentrale Person des Falles, ist noch weniger bekannt. Vergeblich sind die Fragen nach der Herkunft der Frau, ebenso nach den Umständen ihres Kommens nach Szentgyörgy;26 kein einziger Zeuge konnte oder wollte diese Frage beantworten.27 Aus den Formulierungen geht indes eindeutig hervor, dass die Frau ursprünglich nicht aus Szentgyörgy kam. Die Akten legen auch nahe, dass sie in einem fertilen Lebensalter war. 23
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Namensliste der männlichen Zeugen: József Keresztes (34jähriger primipilus), György Ferencz (37jähriger primipilus), András Kovács (24jähriger colonus), György István (50jähriger primipilus), Ferenc Oláhfalvi (37jähriger libertinus), András Szekeres (29jähriger colonus), Pál János (25jähriger primipilus), János Dobondi (27jähriger colonus), István Dobondi (30jähriger colonus), Mihály Kádár (30jähriger colonus); GYÉL, I. 1. 9/1727. Zur Interpretation der erwähnten gesellschaftlichen Kategorien der Szekler bezüglich der Epoche vgl.: Imreh, István / Pataki, József: Kászonszéki krónika 1650–1750 [Chronik von Kászonszék 1650–1750]. Budapest-Bukarest 1992, 41–91. GYÉL, I. 6. Visitatio Canonica 1720/21, 4. März 1721. Siehe noch Ferenczi, Sándor: A gyulafehérvári (erdélyi) főegyházmegye történeti papi névtára [Historisches Schematismus der Erzdiözese Gyulafehérvár]. Budapest-Kolozsvár 2009, 242. Tyrnau, slowak. Trnava. „An sciat, viderit, aut audiverit pro testimonio convocatus, quo modo, et qualiter quaedam energumena sit profecta, aut ducta in Csik Szent György ad exorcizandum? Quis primus eam incepit exorcizare? Cujus ex mandato? Qua obedientia?“ GYÉL, I. 1. 9/1727. Eine Ausnahme ist Pfarrer Ferenc Bodó, der einen schwachen Hinweis dahingehend machte, dass die besessene Frau selber nach Csíkszentgyörgy kommen wollte; GYÉL, I. 1. 8/1727.
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Eine gewisse Koketterie sowie eine verstärkte Begierde nach jeglicher Art körperlicher Genüsse sind ihr nicht abzusprechen. Von Zeit zu Zeit hatte sie Krampfanfälle, die den Grund für die Verdächtigung der dämonischen Besessenheit lieferten. DIE BEZEUGUNG DER „POSSESSIO“ Die vorliegenden Quellen geben keine Auskunft darüber, wie György Ferenczi sich von der Besessenheit der Frau überzeugte, vielmehr erfahren wir, wie entschlossen er später diese Tatsache für die zweifelnden Mitpriester und Dorfbewohner zu beweisen suchte.28 Viele wollen gehört haben, als Ferenczi gesagt hatte: „wer nicht daran glaubt, dass in Kata der Teufel steckt, der wird verdammt werden“.29 Die außergewöhnliche Entschlossenheit des Pfarrers kommt nicht nur aus den Zeugenaussagen,30 sondern auch aus seinem eigenen Brief zum Vorschein, in dem er schreibt: Die für besessen gehaltene Frau habe selber, „die Eucharistie in der Hand haltend geschworen“, von Dämonen besessen worden zu sein.31 Nach Meinung des Pfarrers habe dabei sogar nicht sie selbst, sondern der böse Geist in ihr gesprochen. Um seinen Mitpriestern den entscheidenden Beweis für die Besessenheit der Frau liefern zu können, stellte Ferenczi der Frau Fragen in lateinischer Sprache zu verschiedenen theologischen Themen. Ferenc Bodó, Pfarrer von Szentmiklós beschreibt detailliert, wie eine dieser Befragungen in der Kirche ablief. So fragte der Priester die Frau auf lateinisch, ob die Jungfrau Maria ohne die Erbsünde empfangen worden sei. Darauf erwiderte die Frau auf ungarisch: „ganz, sie ist nämlich so keusch, wie Christus“. In der nächsten Frage wollte er wissen, ob in Christus die unio hypostatica32 zustande käme. Hierauf war die Antwort wieder positiv: „ganz“. Schließlich wollte der Geistliche wissen, wer diese letztere Aussage unterrichten würde. „Die Jesuiten“ klang die richtige Antwort. Gegenüber den umstehenden Zeugen argumentierte Ferenczi so, dass nicht einmal manche Priesterbrüder über diese Kenntnisse verfügen würden. Gleichermaßen setzten die Fragen bezüglich der Unterschiede der Anbetungsformen des Gottes, der Heiligen Jungfrau und der Heiligen (cultus latriae, hyperduliae, duliae) ein solides theologisches Wissen voraus.33 Ferenc Csató, Pfarrer zu Csíkszentimre, soll mit den eigenen Ohren gehört haben, als sein Kollege die Frau unter anderem über die Engel und das Purgato28 29 30 31 32 33
GYÉL, I. 1. 8/1727. Zeugenaussagen von András Kovács, György Ferencz, Ferenc Oláhfalvi und Mihály Kádár. GYÉL, I. 1. 8/1727. Zeugenaussage von Ferenc Csató. Laut des Geständnisses in lateinischer Sprache von Csató hätte sich Ferenczi sogar dazu geäußert, dass ein solches Wunder seit Anbeginn der Welt noch nicht erfolgt sei, und nicht einmal unser Herr Christus so etwas vollzogen habe; GYÉL, I. 1. 9/1727. GYÉL, I. 1. 8/1727. Nämlich die persönliche Vereinigung der göttlichen und menschlichen Natur. An die Fragen wurde hier schon herangeführt. Es ist allerdings merkwürdig, dass die Antwortende die sonst den Heiligen gebührende „duliae“-Verehrung der Heiligen Jungfrau, die zu dieser gehörende „hyperduliae“-Verehrung zu den Heiligen zugeordnet hat. Der Irrtum wurde ohne Anmerkung protokolliert; GYÉL, I. 1. 9/1727.
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rium, sowie über die Vergangenheit und den größten Feind des Teufels fragte.34 Csató ließ sich schließlich von der raffinierten Antwort überzeugen, die die Frau auf eine Frage bezüglich der Prädestination gegeben hatte. Die Antwort wird zwar nicht zitiert, für Csató schien aber damit die Besessenheit der Frau bewiesen gewesen zu sein, da so etwas nur vom Teufel kommen könne.35 DER „NUTZEN“ DER BESESSENHEIT: WAHRSAGEREI UND TOTENBESCHWÖRUNG Für die Besessenheit der Frau waren neben den theologischen fundierten Antworten ihre Wahrsagungen, Visionen und Divinationen, sowie ihre Äußerungen bezüglich toter Personen von überzeugender Kraft in den Augen ihrer sie umgebenden Personen. „Kata hat auch gesagt, sie spreche mit Gott, und was sie gesagt hat, dem wurde großer Glaube geschenkt“36 oder „Auch ihre Wahrsagereien habe ich genug gehört, der Pater und viele andere haben auch aufgezeichnet, was sie gesagt hat“ sagte ein Szekler aus Szentgyörgy.37 Ferenc Bodó, Pfarrer zu Szentmiklós berichtete, dass die Frau sich sowohl über Lebende, als auch über Tote geäußert habe. So behauptete sie zum Beispiel über den verstorbenen Mihály Mikes und seine Frau38, diese seien im Purgatorium39 und nur nach 12 Jahren, „durch 100 Messen“ würden sie befreit werden, „und ihre Befreiung wird durch große Zeichen erfolgen, da sie weiß gekleidet erscheinen werden, aber niemand sollte sich erschrecken“.40 Im Nachhinein scheint es so, dass die „Besessene“ vermutlich in Trancezustand, als Quasi-Totenbeschwörerin tätig war. Ferenczi befragte sie auch öfters zu anderen Hingeschiedenen und beim Lesen der heiligen Messen verfuhr er nach den Anweisungen der Frau.41 Im Zusam34 35
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GYÉL, I. 1. 8/1727. Zeugenaussage von Ferenc Csató. GYÉL, I. 1. 9/1727. Später – wie er selber gesteht – wurden Pfarrer Csató die häufigeren geheimen Gespräche des Priesters und der Besessenen verdächtig; er will den Schwindel geahnt haben (so interpretierte er zumindest die Geschehnisse, indem er sich im Nachhinein rechtfertigte). Nachdem er den Csíkszentgyörgyer Pfarrer verließ, schrieb Letzterer zunächst flehende Briefe an ihn, später überhäufte er ihn indes mit seinen Flüchen. Angeblich soll ihn auch die Besessene verflucht haben: „Damnatus es in aeternum. Quia me deseruisti, cum ordinatus fueris a Deo penes me.“ (Sei ewig verdammt! Warum hast du mich verlassen, als Gott dich dazu bestimmt hat, dass du bei mir stehst?); GYÉL, I. 1. 9/1727. GYÉL, I. 1. 8/1727. Zeugenaussage von Ferenc Csató. Den zweifelnden Csató wollte man mit dem Beispiel seiner Vorfahren überzeugen. Über seine Großmutter behauptete die Besessene, dass sie schon aus dem Purgatorium befreit sei, sein Großvater sei aber noch immer dort; GYÉL I. 1. 9/1727; Csató Ferenc vallomása. GYÉL, I. 1. 8/1727. Zeugenaussage von József Keresztes. Aus einer früheren Visitation wissen wir, dass Graf Mihály Mikes am 11. Februar 1721 beigesetzt worden ist; GYÉL, I. 6. Visitatio Canonica 1720/21. Lat. Fegefeuer. Die Frau fügte noch hinzu, dass ihr Erscheinen bei ihrem Grab zu erwarten ist („loco ubi sepulti sunt erunt magna signa“); GYÉL, I. 1. 9/1727. GYÉL, I. 1. 8/1727. Zeugenaussagen von Ferenc Bodó und Ferenc Csató. Hinzuzufügen ist, dass die Messlesungen für Ferenczi natürlich auch einen durchaus handgreiflichen materiellen Gewinn mit sich brachten.
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menhang mit den Lebenden enthüllte die Frau vor allem deren Sünden.42 In anderen Fällen disponierte sie auch in finanziellen Angelegenheiten.43 Die verblüffenden religiösen Antworten, sowie die Wahrsagungen und Totenbeschwörungen konnten allerdings nur zeitweilig und auch dann nicht für jedermann die Besessenheit der Frau beweisen. Vielmehr waren es gerade diese Aussagen, die Kata und auch den Pfarrer Ferenczi in den Augen der Geistlichen verdächtig machten.44 Das Getuschel zwischen den beiden und ihre heimlichen Gespräche konnten sie jedenfalls nicht anders bewerten; sie nahmen so an, dass die Antworten und Aussagen bei diesen Befragungen vom Pfarrer hinterbracht worden waren.45 Diese Unterstellung erhält bereits das Anklagekonzept des deutrums.46 Darüber hinaus beging der Csíkszentgyörgyer Geistliche mit dem Forcieren der Wahrsagerei und mit der Beteuerung ihrer Glaubwürdigkeit eine grundsätzliche Regelwidrigkeit. Die nach dem Rituale Romanum (1614) herausgeformten Exorzismus-Rituale verboten es den Priestern ausdrücklich, der trügerischen und weitverzweigten Plauderei des Teufels, auch wenn sie sich auf zukünftige oder geheime Dinge bezieht, jegliche Aufmerksamkeit zu widmen.47 QUALVOLLE WOCHEN Für viele Zeugen lag es nahe, dass die „Besessenheit“ von Kata eine Folge ihrer körperlichen Anfälle war.48 Sie verfügte bei diesen Gelegenheiten über eine ungewöhnliche körperliche Kraft. Der Pfarrer drückte es in seinem Brief so aus: „die Dämonen quälen sie bei Tag und Nacht, als ob sie die arme Kató zerreißen wollten.“ Er schrieb auch, dass man wegen dieser Qualen „jederzeit 4 Männer bei ihr stehen lassen“ müsste.49 Darüber hinaus ist noch zu erfahren, dass außer den Wächtern Ferenczi und noch ein weiterer Geistlicher ständig bei der Frau bleiben mussten. 42 43 44 45 46
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Manche bezeichnete sie als Hurereitreiber, manche als trunksüchtig usw. („alios fornicarios, alios ebriosos etc. vocitando“); GYÉL, I. 1. 9/1727. GYÉL, I. 1. 8/1727. Zeugenaussage von György István. GYÉL, I. 1. 9/1727. Zeugenaussagen von Ferenc Csató, Mihály Barto und János Zachariás. GYÉL, I. 1. 8/1727. Zeugenaussage von Zsigmond Antal. „Quales quaestiones et interrogationes tum de vivis, tum vero de mortuis ab exorcistis eidem propositae etc. etc. … Quam et qualem conversationem cum illa, die ac nocte habuerunt? … Occulte instruxerunt ne obsessam, quae et qualiter ad interrogata respondeat?“ GYÉL, I. 1. 9/1727. „Exorcista ne vagetur in multiloquio, aut supervacaneis, vel curiosis interrogationibus, praesertim de rebus futuris, et occultis, ad suum munus non pertinentibus…“ – Rituale Strigoniense, seu formula agendorum in administratione Sacramentorum, ac caeteris Ecclesiae publicis functionibus. Jussu, et authoritate illustrissimi ac reverendissimi Domini Petri Pazmany, ArchiEpiscopi Strigoniensis. Nunc recenter editum. In Aula Archiepiscopali. Posonii 1625, 265. GYÉL, I. 1. 8/1727. Zeugenaussage von József Keresztes. Die plastische Beschreibung der dämonischen Besessenheit (possessio) erinnert stark an die Erscheinungsform des Phänomens, wie sie aus den Aberglaubentexten (hiedelemszövegek), gesammelt im 20. Jahrhundert, bekannt sind. Vgl.: Pócs, Démoni megszállottság; Pócs, Éva: Megszállottságjelenségek, megszállottságrendszerek. Néhány közép-kelet-európai példa [Be-
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Diese Anweisung sei direkt vom bösen Geist gekommen. Nicht nur der Dekan, auch der Bischof bekamen eine ähnliche, drohende Mitteilung: „Wenn er keinen Priester zu dir ordnet, ewige Verdammnis sei sein Platz, wenn wegen ihm diese obsessa verloren geht.“50 Der Dämon, der aus der Frau merkwürdigerweise gerade bezüglich seiner Austreibungen Instruktionen verteilte, benannte sogar den Geistlichen, der zu Hilfe gerufen werden sollte.51 Mihály Barto, Pfarrer zu Szentsimon, wie auch sechs andere Mitpriester hat der Versuchung schließlich nachgegeben und beteiligte sich eine zeitlang am dauernden Exorzismusrituale. Dabei ist nicht bekannt, wie stark die Loyalität des Priestertums der Umgebung gegenüber Ferenczi war und wie weit dieses ihm auch sonst folgte. So wollte der Pfarrer von Csíkszentgyörgy auch durch die Kraft der nicht vor Ort anwesenden Priester die Effektivität der Teufelsaustreibung steigern indem er seine Kollegen darum bat, exorzisierende Messen zu lesen.52 Ein ungewöhnlicher Umstand des Csíkszentgyörgyer Exorzismus war auch seine äußerst lange Dauer. So wurde während der Vernehmungen ein Zeuge befragt, der die Besessene insgesamt sieben Wochen lang bewacht hatte.53 Die Verzögerung begründete Ferenczi mit der unheimlich hohen Zahl der auszutreibenden Dämonen, aber auch mit dem Unverständnis der kirchlichen Behörden. Die Zahl der bösen Geister hätte man mit Mühe und Not von den ursprünglich circa 17 Millionen (!) auf sechzig reduzieren können,54 doch den vollen Erfolg des Exorzisten hätte gerade der Bischof verhindert, als er die Priesterkongregation zusammenkommen ließ. Dies hätte zumindest der Geist hinsichtlich der Frage, warum sich die Austreibung so in die Länge zöge, behauptet.55 DAS ARSENAL DES EXORZISTEN Die sich über Wochen und Monate hinziehende Prozedur des Exorzismus ermöglicht einen Einblick in die Instrumentarien aus der „Waffenkammer“ des Exorzisten. Nachdem das mehrfache Beten der rituellen Texte56 wirkungslos geblieben
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sessenheitsphänomene, Besessenheitssysteme. Einige Beispiele aus Mittel-Osteuropa]. Népi kultúra – Népi társadalom XXI. (2003), 211–271, hier 230. GYÉL, I. 1. 8/1727. GYÉL, I. 1. 8/1727. GYÉL, I. 1. 8/1727. GYÉL, I. 1. 8/1727. Zeugenaussage von József Keresztes. GYÉL, I. 1. 8/1727. GYÉL, I. 1. 8/1727. Die Akten dieser Angelegenheit und die zeitgenössischen Visitationen geben keine ausreichende Information darüber, welche Rituale genau an der Pfarrei im Gebrauch waren. Die Visitation von 1731 erwähnt nur, dass es in Csíkszentgyörgy vier solche Rituale gab („Ritualia 4.“); Kovács, András / Kovács, Zsolt: Erdélyi római katolikus egyházlátogatási jegyzőkönyvek és okmányok I. 1727–1737 [Katholische Visitationsakten aus Siebenbürgen I. 1727–1737]. Kolozsvár 2002, (Erdélyi Művelődéstörténeti Források 1), 141. Anhand von Vergleichsquellen ist es wahrscheinlich, dass es sich hier um die verschiedenen Ausgaben des Graner Rituale (Rituale Strigoniense) aus dem 17. Jahrhundert bzw. aus dem Jahre 1715 handelt. Zur Bibliographie siehe: Bárth, Dániel: Asszonyavatás [Einsegnung der Wöchnerinnen]. In: Ethnogra-
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war, griff der exorzisierende Pfarrer zu verschiedenen Sakramentalien, Gegenständen und Praktiken. Davon jedoch kommen nur wenige in den offiziellen Exorzismusritualen vor.57 Die überwiegende Mehrheit der besonderen, offiziell nicht gebilligten Verfahren und Techniken waren teilweise einer mittelalterlichen, alternativen Tradition verpflichtet, teilweise sind sie vermutlich als eine „eigene“ Methode des Pfarrers anzusehen.58 So ist es keineswegs zu bewundern, dass sich der Geistliche während der Teufelsaustreibung öfters des Weihwassers und geweihter Öle bediente.59 Der schon erwähnte Ferenc Csató meinte in seiner Aussage ironisch, Ferenczi hätte das Pfarrhaus so gründlich mit Weihwasser besprüht, dass man sich gefreut hätte, nicht nass geworden zu sein.60 Das von ihm geweihte Olivenöl schmierte er auf die Schläfe, die Augen, die Brust, die Sohle und an den Nabel der Kranken, nach einigen Aussagen sogar auf ihre „Scham“, womit er den Teufel von Körperteil zu Körperteil
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phia 110 (1999), 359–398. Die Exorzismusverordnungen des erstmals von Péter Pázmány herausgegebenen Rituale Strigoniense, 263–292, entsprechen weitgehend dem Text des im Sinne des Tridentinums erneuerten römischen Rituale (Rituale Romanum, 1614). Der Exorzismus-Ordo der römischen und demgemäß der ungarischen Rituale erwähnen außer dem Weihwasser, des Kreuzzeichens und der Stola keine weiteren Gegenstände und Verfahren. Wichtigste Waffe des Exorzismus ist gemäß den Handbüchern das ausgesprochene Wort. Es ist damit kein Zufall, dass die meisten Gebete die Worte der Heiligen Schrift zitieren. Vgl.: Rituale Strigoniense, 263–292. Mangels zeitgenössischer Bücherinventare von Pfarreien ist es schwierig, genau zu bestimmen, welche „alternativen“ Handbücher Ferenczi neben dem offiziellen Diözesanrituale hätte benutzen können. Gewisse, im Späteren erörterte Methoden und Verfahren legen jedoch die Vermutung nahe, dass der Szentgyörgyer Pater das zweibändige Exorzismus-Handbuch von Girolamo Menghi oder dessen Auszug kannte (Menghi, Girolamo: Flagellum daemonum, exorcismos terribiles, potentissimos et efficaces, remediaque probatissima, ac doctrinam singularem in malignos spiritus expellendos, facturasque et maleficia fuganda de obsessis corporibus complectens, cum suis benedictionibus, et omnibus requisitis ad eorum expulsionem. Accessit postremo pars secunda, quae Fustis daemonum inscribitur… Venetiis 1697; Menghi, Girolamo: Fustis daemonum, adjurationes formidabiles, potentissimas et efficaces in malignos spiritus fugandos de oppressis corporibus humanis. Ex sacrae apocalypsis fonte, variisque sanctorum patrum auctoritatibus haustus complectens… Venetiis 1697). Das Handbuch des Franziskaners Menghi galt als das wichtigste Exorzismus-Manual in der ganzen Frühen Neuzeit. Vgl.: Franz, Adolph: Die kirchlichen Benediktionen im Mittelalter, I–II. Freiburg im Breisgau 1909, II., 585, 3. Anmerkung. Zur Entstehung und Wirkung des Werks: Petrocchi, Massimo: Esorcismi e magia nell’Italia del cinquecento e del seicento. Napoli 1957; Probst, Manfred: Besessenheit, Zauberei und ihre Heilmittel. Dokumentation und Untersuchung von Exorzismushandbüchern des Girolamo Menghi (1523–1609) und des Maximilan von Eynatten (1574/75–1631). Münster 2008. Neben der allgemein bekannten Weihwassernutzung gibt es etwas weniger Parallelen für die Anwendung von geweihtem Öl. Das Flagellum daemonum bietet allerdings mehrere Ölsegen zum Zweck der Teufelsaustreibung an; Menghi, Flagellum daemonum, 180–182, 188–189. Der Fustis daemonum schreibt dieselbe für die Heilung der durch Verwünschung gehemmten Eheleute vor. Er rät entweder das Beschmieren des Körpers, oder das Trinken des Öls: Menghi: Fustis daemonum, 215–216. Allgemein zur Hintergrund der Ölweihe: Franz, Die kirchlichen Benediktionen, I. 335–361. GYÉL, I. 1. 9/1727. Zeugenaussage von Ferenc Csató.
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austreiben wollte, der sich auf ihrem Körper in Form von Wülsten sichtbar gemacht hätte.61 Der Pfarrer von Csíkszentgyörgy griff zu einer allgemein bekannten, aber offiziell nicht empfohlenen Exorzismusmethode, als er auf die Rauchpfanne nicht nur den Weihrauch sondern auch Schwefel62 und verschiedene intensiv duftende Pflanzen legte.63 Im Zusammenhang mit der Räucherung wandte Ferenczi auch ein ziemlich sonderbares Dämonenaustreibungsmittel64 an, als er die Frau die Dämonen zeichnen ließ, und das Bild dann auf die Glut legte, damit die Macht des Teufels auf diese Weise verschwände, während die Zeichnung langsam in Rauch aufging.65 Auf einen elementaren Gedanken geht die Praktik zurück, als der Pfarrer Ruten weihte, „um ihn damit aus dem Haus auszutreiben, auszufegen, also herauszustaupen“.66 Laut Ferenczis Anweisung wurden Haus, Fenster, Herd und alle Räumlichkeiten mit den geweihten Ruten ausgefegt.67 Der Geistliche segnete 61
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„Mit geweichtem Öl hat der Pater ihren bloßen Leib beschmiert, wo sie nur gesagt hat, dass dort der Teufel stecke, sogar ihre Scham“ (letzte Platzbestimmung wurde später durchgestrichen und auf lateinisch entschärft: „etiam in locis secretis“); GYÉL, I. 1. 8/1727. Zeugenaussage von Ferenc Oláhfalvi. Das offizielle Rituale schlägt vor, die Durchbrechungen und Wülste, die der im Körper sich bewegende Teufel verursacht, durch Besprühen mit Weihwasser und durch Kreuzzeichnung zu behandeln. – Rituale Strigoniense, 265. Nach der Vorschrift des Flagellum daemonum soll man den Patienten an folgenden Orte salben: Augen, Stirn, Ohren, Brust in der Herzgegend, Puls am Unterarm und am Fuß, Hand. Währenddessen sollen folgende Worte gesprochen werden: „Ego ungo te N. hoc oleo benedicto, et per istam unctionem absolvo † te ab omnibus maleficiis, incantationibus, ligaturis, signaturis et facturis tibi arte diabolica factis. In nomine Pa†tris, et Fi†lii, et Spiritus†Sancti. Amen.“ Menghi, Flagellum daemonum, 188. Parallelen dazu sind u. a. im I. Exorzismus des Fustis daemonum zu finden: „Si autem exire noluerit, suppone ignem cum sulphure ardentem, prius benedictis ante patientem; et fac illum profumigari…“ Menghi, Fustis daemonum, 64. Ebenda im III. Exorzismus: „…si noluerint dicere veritatem, fac suffumigationem ex rebus foetentibus, puta sulphure, camphora, asa foetida, et similibus…“ Menghi, Fustis daemonum, 116. Zum Gebrauch des Weihrauchs (meistens mit Gold und Myrrhe kombiniert), sowie zur Anwendung verschiedener Gewürze und Pflanzen (Raute, Lavendel, Rose usw.) beim Exorzisieren vgl.: Menghi, Flagellum daemonum, 189–191, 211, 232–236. Zu den frühneuzeitlichen Zusammenhängen all dieser Benediktionen: Bárth, Dániel: Benedikció és exorcizmus a kora újkori Magyarországon [Benediktion und Exorzismus im frühneuzeitlichen Ungarn]. Budapest 2010. Die Parallele des Verfahrens siehe im VI. Exorzismus des Flagellum daemonum: „Hic exorcista habeat imaginem pictam illius daemonis, qui opprimit obsessum, cum ejus nomine scripto super caput ipsius imaginis praeparatam, et conjurando ignem similiter praeparatum, dicat sequentem conjurationem.“ Menghi, Flagellum daemonum, 134. GYÉL, I. 1. 8/1727. Zeugenaussage von Zsigmond Antal. Antal fügte in seiner lateinsprachigen Aussage – quasi als Erklärung zum Verrauchen des Abbildes – noch hinzu: „…donec quasi spiritus in ipso deficeret.“ GYÉL, I. 1. 9/1727. GYÉL, I. 1. 8/1727. Zeugenaussage von Ferenc Csató. Zeugenaussage von Ferenc Csató. Der Exorzist bediente sich hier des eliminatorischen (entfernenden) Ritus des „Herausfegens“, der laut der religionsphänomenologischen Kategorisierung Heilers eine in zahlreichen Religionen verbreitete sakrale Handlung ist; Heiler, Friedrich: Erscheinungsformen und Wesen der Religion. Stuttgart 1961.
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darüber hinaus auch mehrere krumme Stäbe, mit denen man den Rücken und den Kopf der Frau schlug.68 Es erscheint auffällig, dass angeblich die Besessene selber diese Methode empfohlen hatte.69 Den Erfolg des Exorzismus suchte man nicht nur mit solchen äußeren Mitteln sicherzustellen: Der Pfarrer segnete auch die Speisen und Getränke der Frau.70 Den Zeugen aus dem gemeinen Volk war es vor allem auffällig, dass Kata nicht alles aß.71 „Im Essen war sie überaus wählerisch, so dass Kata in dieser Frage sogar befahl.“72 „Fleischspeisen mochte Kata besonders, alles aß sie ja gar nicht, lieber Honigpogatschen und Met oder Wasser mit Honig dazu.“73 Zu den kulinarischen Genüssen gesellte sich auch die Verwöhnung des Körpers. Aus verschiedenen vorher gesegneten Pflanzen und Gewürzen bereitete man für sie Bäder,74 die nach dem Zeugnis der Handbücher eine Dämonen austreibende Wirkung haben sollten.75 Nach den Aussagen mehrerer Zeugen aus Szentgyörgy ließ man Kata sogar „in Wein baden“.76 DER ZWECK HEILIGT DIE MITTEL? In den höheren kirchlichen Kreisen erregten vor allem die unsachgemäße und unrichtige Verwendung kirchlicher Gegenstände, Mittel und sogar Sakramente wie der Eucharistie Ärgernis. So waren anlässlich der Szentgyörgyer Teufelsaustreibung viele Teile der priesterlichen Garderobe irgendwie an die „besessene“ Frau geraten. Zwar genehmigt das Rituale bei Exorzismen die Anwendung der Stola,77 aber es schien doch etwas übertrieben zu sein, dass während der in die Länge gezogenen Prozedur mehrere Stolen (zwei bis drei Stück) zerrissen und sogar etliche 68 69 70 71 72 73 74 75
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GYÉL, I. 1. 9/1727. GYÉL, I. 1. 8/1727. Zeugenaussage von Ferenc Csató. Unter den Benediktionen des Flagellum daemonum gibt es wohl auch die Brot-, Wein- und die allgemeine (nicht näher spezifizierte) Getränkesegnung; Menghi, Flagellum daemonum, 182– 188, 191–194, 207–211. GYÉL, I. 1. 8/1727. Zeugenaussage von András Szekeres. GYÉL, I. 1. 8/1727. Zeugenaussage von Andrásné Dobondi. GYÉL, I. 1. 8/1727. Zeugenaussage von György Ferencz. Dem Pfarrer Ferenc Csató ist es aufgefallen, dass sogar die Zusammensetzung des Bades von der Frau bestimmt wurde; GYÉL, I. 1. 8/1727. Siehe dazu beispielsweise die Badsegnung einer populären Benediktionensammlung: Manuale benedictionum, rituumque ecclesiasticorum tam intra, quam extra Ecclesias occurrentium. Ex ritualibus Romano, Constantiensi, aliarumque Dioecesium. Pro parochorum et sacerdotum omnium commodiore usu collectum. Editio tertia. Typis monasterii Einsidlensis 1685, 417–419. GYÉL, I. 1. 8/1727. Zeugenaussage von György Ferencz. Im Graner Rituale geht es im Zusammenhang mit der Stola nicht um Fesselung. Laut den Vorschriften soll der Priester mit einem Teil der Stola den Hals des Besessenen umschlingen (wohl so vorsichtig wie etwa die Hände der Braut und des Bräutigams bei der Trauung), die andere Hand auf seinen Kopf tun und folgendes Gebet zu sagen: „Deinde muniens se et obsessum signo crucis, circumposita parte stolae ad collum ejus, dextera manu sua capiti ejus imposita, constanter et magna cum fide dicat ea, quae sequentur.“ Rituale Strigoniense, 270.
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Messgewänder (alba, superpelliceum) geschädigt worden waren.78 Denn in keinem offiziellen Rituale kommt es vor, dass die besessene Person mit der Alba79 bekleidet werden sollte oder sogar darin schlafen oder baden sollte.80 Besonders streng wurde die Dämonen austreibende Anwendung der Eucharistie beurteilt.81 Der Pfarrer verstieß außerdem gegen die Regel, als er das Sakrament in seinem Haus und nicht in der Kirche lagerte.82 Dazu gab Ferenczi die Monstranz in die Hand der Frau, um sie und ihre Dämonen damit zu zwingen, die Wahrheit zu sagen.83 Dieses Vorfahren hat zwar mittelalterliche Parallelen, doch dabei legte man nach den Vorschriften die Hostie auf den Kopf der Besessenen.84 In Szentgyörgy hingegen wurde nach übereinstimmenden Zeugenaussagen noch weiter gegangen, indem man ein Stückchen der Hostie „in ein kleines Tuch genäht ständig um Katas Hals gehängt gehalten“ hatte.85 Zum Exorzisieren benutzte der Priester auch die pixis86 (kleinförmige Monstranz), das ciborium (Kelch zum Kommunizieren) und die Monstranz. Manchmal legte er auch das Kruzifix auf die Brust und den Bauch der Frau.87 Damit gerieten diese sakralen Gegenstände in physika78 79 80
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GYÉL, I. 1. 8/1727. Zeugenaussage von József Keresztes. Weißes Kleid, das von den geistlichen Ständen unter dem Messgewand getragen wird, dies als Symbol der Reinheit des Herzens. Dieses Moment gibt es bereits in der vorformulierten Fragenliste: „Alba pro sanctissimo missae sacrificio celebrando adhiberi solita die aut nocte illam induerunt ne?“ GYÉL, I. 1. 9/1727. Die meisten Zeugen stimmen in ihrer Anwendung überein; GYÉL, I. 1. 8/1727. Zeugenaussage von Ferenc Bodó. Derselbe zeugte davon, dass Ferenczi den Kopf der Frau mit dem velum (kirchliches Decktuch zu verschiedenen Zwecken) bedeckte. Es sind Beispiele aus dem westeuropäischen Mittelalter bekannt, wo der Besessene während des Exorzismus von Zeit zu Zeit entkleidet und in eine Wanne gesetzt wurde und man wickelte ihm den Hals, die Lenden und die Oberschenkel mit der Stola um; Franz, Die kirchlichen Benediktionen, II. 571–572. Die dritte Gruppe der vorgegebenen Fragen bezog sich ausschließlich auf diesen Themenkreis: „Quomodo et qualiter venerabile sacramentum tractarunt, dederunt ne ad manus obsessae in templo, domo, aut in balneo? etc. Ita, ut hoc cessisset in prostitutionem venerabilis sacramenti? Illud venerabile sacramentum servarunt ne in domo? Si ita, ubi? Qualiter et cur? Quis modus orandi obsessae ante venerabile sacramentum praescriptus? Ut post absolutam orationem, et post quaesita, et interrogata a venerabili sacramento, prophetaret obsessa, quis voluit aut mandavit?“ GYÉL, I. 1. 9/1727. Der diesbezügliche Passus des Graner Rituals betont im Allgemeinen, dass bei der Benutzung heiliger Dinge (res sacrae) zum Zweck des Exorzismus besonders vorsichtig vorgegangen werden soll. Im Falle der Eucharistie untersagt es sogar jegliche Anwendung: „Sanctissima vero Eucharistia super caput obsessi, aut aliter ejus corpori non admoveatur ob irreverentiae periculum.“ Rituale Strigoniense, 265. GYÉL, I. 1. 8/1727. Zeugenaussage von Ferenc Csató. GYÉL, I. 1. 8/1727. Zeugenaussage von Ferenc Bodó. József Ferenczi will die patina in der Hand des Szentgyörgyer Pfarrers gesehen haben, umwickelt mit dem purificatorium. Die Eucharistie wurde manchmal durch Reliquien ersetzt; Franz, Die kirchlichen Benediktionen, II. 570. GYÉL, I. 1. 8/1727. Zeugenaussage von József Keresztes. GYÉL, I. 1. 8/1727. Zeugenaussage von Ferenc Csató. „…saepius etiam pectori, ventri applicabat crucifixum et pyxidem venerabile sacramentum continentem…“ GYÉL, I. 1. 9/1727. Nach dem Graner Rituale kann man das Kreuz in Griffnähe zum Besessenen oder vor seinen Augen halten: „Habeat prae manibus, vel in conspectu crucifixum“; Rituale Strigoniense, 265.
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lischen Kontakt mit der Frau und damit mittelbar oder unmittelbar mit ihrem Genitale88, was auch den Verdacht ihrer Entheiligung nahelegte. VOM GETUSCHEL BIS ZUM GESCHLECHTSAKT: STUFEN DER EROTIK Zum Hauptmotiv des ausgebrochenen Skandals wurde indes der erotische Aspekt, der im Verborgenen des Exorzismus in Csíkszentgyörgy unzweifelhaft eine Rolle spielte. Die meisten vernommenen Zeugen legten hinsichtlich dieser Frage übereinstimmende, den Pfarrer sowie im Hinblick auf diesen Aspekt weitere verdächtige Personen, belastende Aussagen ab. Sie gingen manchmal auch auf Details ein. Diese kleinen Anmerkungen über Gesten und Attitüden sind nicht etwa deswegen interessant, weil sie von den Begierden und Schwächen eines römisch-katholischen Geistlichen vor drei Jahrhunderten zeugen, sondern vielmehr, weil diese in den Augen der damaligen Zeitgenossen verschiedene Stufen eines Liebes- und sexuellen Verhältnisses darstellten. Grund für den Verdacht war der unbestreitbare Tatbestand, dass der Pfarrer Nächte hindurch in engster Nähe zur mutmaßlichen Besessenen schlief.89 Mehrere Personen wollen dabei ihr „Geflüster“ gehört haben.90 „Ich habe den Pater mit der obsessa unter einer Decke gesehen“, sagte zum Beispiel Pfarrer Ferenc Bodó aus.91 Derselbe beschrieb auch einen konkreten Fall, als er Ohrenzeuge einer nächtlichen Geschichte wurde. Er hielt sich in Csíkszentgyörgy auf und Ferenczi wollte auch ihn neben der Frau schlafen lassen. Nachdem er dies zurückgewiesen hatte, legte er sich weiter entfernt von ihnen auf dem ausgebreiteten Stroh nieder, befand sich aber noch im gleichen Raum. Dabei hörte er, dass die Frau einem der Wächter, die neben ihr lagen, ins Ohr geflüstert hatte: „Berühre meinen Busen, schau, wie drin die Dämonen reiben!“ Als der Mann dies getan hatte, begann der Ohrenzeuge zu schnarchen, um Schlaf vorzutäuschen. Die Frau erbat nun weiter den Mann, auch ihren Nabel zu berühren, wo die bösen Geister ausströmen würden. Danach flehte sie ihn an, sie auch weiter unten zu berühren. Der Zeuge schlief, laut eigener Aussage, bei diesem Punkt ein. Er behauptete aber fest, dass der Priester währenddessen an der anderen Seite der Frau lag.92 Für die Augenzeugen schienen es auch unerlaubte 88
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„Non semel, sed pluries intra pedes obsessae exiguo infra genitalia pressit ciborium sacratissimum continens sacramentum, et quidem publice; supra tamen vestes muliebres.“ GYÉL, I. 1. 9/1727. Zeugenaussage von Ferenc Csató. Denselben Fall bekräftigte auch Pfarrer Zsigmond Antal. Laut seinem Bericht war die Frau nicht nackt, als der Priester die Monstranz „zwischen ihre Beine reinließ…“ GYÉL, I. 1. 8/1727. Kein Zufall, dass unter den vorgegebenen Fragen auch auf die nächtlichen Umstände der Frau eingegangen wird: „Qualiter et ubi jacere illam jusserunt?“ GYÉL, I. 1. 9/1727. GYÉL, I. 1. 8/1727. Zeugenaussage von András Kovács. Das „Geflüster“ wurde eindeutig als Zeichen der Intimität beurteilt; GYÉL, I. 1. 8/1727. Zeugenaussage von György István. GYÉL, I. 1. 8/1727. Dasselbe bekräftigte ebenda die Zeugenaussage von János Zachariás. „Ardente adhuc lucerna audio semel mulierem insusurrare auribus cujusdam viri jacentis ex una parte ad latus mulieris … haec formalia: Tange inquit pectus meum, qualiter contriverint daemones; ubi vir tetigisset, ego incepi roncos trahere fingens interim me dormire, mulier ulte-
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Berührungen und unangemessenes Betasten gewesen zu sein, als der Pater den Körper der Frau mit Öl einschmierte, da er glaubte, in ihren „Wülsten“ die Manifestation des Teufels zu erwischen.93 Vollends unmissverständlich und eindeutig wurde dann die Situation empfunden, als die Frau lachend auf dem Schoß des Pfarrers sitzend gesehen wurde.94 Dechant József Ferenczi nahm im Szentgyörgyer Pfarrhaus mit großem Befremden diese Szene wahr: Der Pfarrer saß am Tisch, als sich die Frau plötzlich auf die Ellenbogen stützte, sich über den Tisch hinüberbeugte und mit ihrem nackten Bein das Bein des Priesters berührte. Dieser saß währenddessen regungslos da.95 Auch die öffentlichen Umarmungen96 und Liebkosungen konnte Ferenczi nur schwer mit der nötigen Tröstung rechtfertigen.97 Als Zeichen großer Vertrautheit und Intimität wurde auch interpretiert, dass der Pfarrer den Kopf in den Schoß der Frau beugte und „sie in seinem Kopf und Bart suchen ließ“.98 Zweifellos hatten auch die Bäder eine erotische Konnotation. Das nasse, an dem Frauenkörper klebende Messhemd war jedenfalls kein Anblick für priesterliche Augen.99 Jemand bemerkte sogar: „Pater Ferenczi hat sich in ihrem Badewas-
rius obsecrat, ut etiam umbilicum tangeret, ubi evagantur maligni spiritus; imo cogit precibus etiam inferius tangere. Haec ubi inaudivi verecundia perfusus operante Deo optimo mox obdormivi. Quid ex post factum est, ignoro. Verum tamen certum est, reverendum patrem Ferenczi alia ex parte ad latus mulieris jacuisse, sub eodemque centone illa nocte cum obsessa dormivisse.“ GYÉL, I. 1. 9/1727. 93 Nach Aussagen von Ferenc Bodó und Zsigmond Antal soll der Pfarrer am Busen, am Bauch und an den Beinen, auch „über ihrem Knie“, nackt, „auch näher zum Schamort“ gefummelt haben; GYÉL, I. 1. 8/1727. Ferenc Csató schilderte die Szene in seiner lateinischen Aussage durchaus lebhaft, er zitierte sogar die Dialoge: „Ad partes foemorum etiam pudendis proximiores sub vestibus mulieris manum attollebat pater frequentius currentes sub cute (ut ajebat obsessa) capere nitens, et palam hisce ex illa quaerebat, est ne hic, est ne hic daemon? Illa respondente: ibi, ibi, tunc extraxit manum, et denuo sciscitabatur his formalibus: Extraxi ne? cui mulier, omnino extraxit…“ GYÉL, I. 1. 9/1727. Laut manchen Aussagen soll dies alles in der Kammer, ohne Augenzeugen, vorgegangen sein; GYÉL, I. 1. 8/1727. Zeugenaussage von Pál János. 94 „…sie saß auch oft auf dem Schoß des Paters“; GYÉL. I. 1. 8/1727. Zeugenaussage von András Kovács. „Ich habe gesehen, dass die Frau auf den Knien des Paters saß und ihn küsste…“ GYÉL, I. 1. 8/1727. Zeugenaussage von István Dobondi. 95 GYÉL, I. 1. 8/1727., 9/1727. Zeugenaussage von József Ferenczi. 96 „Oft hat sie gezeigt, dass die Teufel sie im Inneren quälen, sie ging zum Pater, damit er sie an sich drückt, der Pater hat sie ja an sich gedrückt.“ GYÉL, I. 1. 8/1727. Zeugenaussage von Andrásné Dobondi. 97 „Amplexabantur etiam subinde se invicem, et oscula dabat pater mulieri saepius.“ GYÉL, I. 1. 9/1727. Zeugenaussage von Ferenc Bodó. „…sie saß auch auf dem Schoße des Paters, sie küssten sich“; GYÉL; I. 1. 8/1727. Zeugenaussage von Ferenc Oláhfalvi. 98 „Ipse pater caput suum in sinum Catharinae reclinavit, et sic (fors pediculos) uti et in barba quaeri curavit publice quidem frequenter.“ GYÉL, I. 1. 9/1727. Zeugenaussage von Ferenc Csató. Die Entlausung als eklatante Ausdrucksform des Liebesverhältnisses kommt auch in anderen zeitgenössischen Quellen vor. 99 GYÉL, I. 1. 8/1727. Zeugenaussage des Pfarrers Zsigmond Antal.
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ser gewaschen“100, nachdem die Frau mit dem Bad fertig war. Pfarrer Csató sah mehrmals mit seinen eigenen Augen, dass der Kollege Kata auch in die Kammer begleitete, wohin das Weib „ihr Bedürfnis zu verrichten“ ging.101 Womöglich sind die Hauptakteure in diesem Fall noch weiter gegangen, als sie sich während des Essens küssten und einen Bissen Brot mit den Zähnen entzweirissen, so dass die eine Hälfte der Pfarrer, die andere die Frau im Munde hielt.102 Neben diesen Intimitäten wiesen mehrere Zeugenaussagen darauf hin, dass es auch zur Vollendung des Beischlafs gekommen war. Wie ließen sich die festgestellten Bewegungen unter der Bettdecke auch anders erklären?103 Von Kata selbst soll ein Zeuge gehört haben, dass sie nicht nur mit dem Pfarrer, sondern auch mit einem Franziskanerbruder, den man auch öfters mit ihr schlafen sah,104 Geschlechtsverkehr hatte.105 Dabei können noch mehrere Personen für dieses Delikt in Frage kommen, wobei auch ihre Wärter in Betracht gezogen werden sollten106. Jedenfalls ist es kaum verwunderlich, dass Kata schließlich nicht wusste, von wem und wann sie schwanger wurde. Besonders die schon erwähnte Fahrt nach Csíksomlyó fiel in dieser Hinsicht unter Verdacht. Die einzige Zeugin, die die vermeintlichen Ereignisse der Somlyóer Fahrt in Abrede stellte, war Andrásné Dobondi, diejenige Frau von Csíkszentgyörgy, die in der Pfarrei aushalf. Sie hielt es schon deshalb für unmöglich, dass Kata während der Fahrt schwanger geworden war, weil sie „die Mo100 GYÉL, I. 1. 8/1727. Zeugenaussage von Zsigmond Antal. Zur lateinischen Version fügte er noch hinzu: „quod turpe est“; GYÉL I. 1. 9/1727. 101 Die Frau sagte, sie könne nicht ohne Priester reingehen, um „ihren Magen zu leeren“: „In cameram cum Catharina patrem ingredi saepius vidi ad exonerationem (salva venia) stomachi, dixit enim mulier, se solam sine sacerdote ingredi minime posse.“ GYÉL, I. 1. 9/1727. Zeugenaussage von Ferenc Csató. Die komische Tatsache, dass sie sich zu zweit in die Kammer zurückzogen, sollen mehrere Zeugen gesehen haben, in ihren Aussagen lassen sie jedoch den Zweck dieses Verhaltens im Dunkeln; GYÉL, I. 1. 8/1727. Zeugenaussage von Mihály Kádár. Der exorzisierende Pater hätte sich vielleicht mit der Erklärung entschuldigen können, dass er in den Exkrementen der Frau den handgreiflichen Beweis der Dämonenbesessenheit sucht. Dazu ermuntert auch das Graner Rituale (zwar freilich nicht um jeden Preis): „Iubeatque daemonem dicere, an detineatur in illo corpore ob aliquam operam magicam, aut malefica signa, vel instrumenta: quae si obsessus ore sumserit, evomat…“ Rituale Strigoniense, 266. Zur Durchsuchung des Stuhls der Besessenen siehe auch die Erfahrungen des Exorzisten aus dem 20. Jahrhundert: Amorth, Gabriele: Egy ördögűző tapasztalata [Original: Un esorcista racconta]. Budapest 2005, 140. 102 „Semel etiam vidi ad mensam unius offae panem in duas partes ab iisdem dividi, ita ut unum extremum Reverendus Pater dentibus, aliud vero mulier tenuerit, sic dentibus divisum panem manducaverunt.“ GYÉL, I. 1. 9/1727. Zeugenaussage von Ferenc Bodó. 103 GYÉL, I., 1. 8/1727. Zeugenaussage von Mihály Kádár. In der lateinischen Fassung: „sed vidi tamen infra tapetem patrem cum Catharina, satis se movisse“; GYÉL, I. 1. 9/1727. 104 GYÉL, I. 1. 8/1727. 105 GYÉL, I. 1. 8/1727. Zeugenaussage von János Dobondi. 106 „Oft hab ich gesehen, dass die Wächter mit Kata herumgeküsst haben“ – sagte József Keresztes aus, der zwei Wochen lang die Frau bewacht hatte; GYÉL I. 1. 8/1727. András Kovács benannte auch eine konkrete Person, namens Ferenc Falu, „der Wächter war bei Kata, er küsste Kata. Als wir Kata von Szentgyörgy nach Somlyó brachten, da in Somlyó hab ich einmal nachts auch eindeutig ihre Buhlerei gesehen.“ GYÉL, I. 1. 8/1727.
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natsblutung hatte, ich selber habe die Schande aus ihrem Hemd ausgewaschen“.107 Zu der Schwangerschaft wurden übrigens auch im bischöflichen Fragebogen ausdrücklich Fragen gestellt.108 Doch wahrscheinlich konnte man den Vater des Kindes nicht ermitteln. EPILOG UND KONTEXTUALISIERUNG Wie bereits erwähnt liegen vom Ausgang der Angelegenheit sowie vom weiteren Schicksal des György Ferenczi keine sicheren Informationen mehr vor. Sein Name findet sich in den zugänglichen späteren Visitationen nicht mehr. Doch es ist bekannt, dass er 1729 mit Sicherheit nicht mehr Pfarrer in Csíkszentgyörgy war.109 Auch verrät die summarische Beschriftung der Akte auf dem Deckblatt doch einiges über die Einschätzung und den Standpunkt der kirchlichen Leitung: „Berichte gegen György Ferenczi, Szentgyörgyer Pfarrer, der mit einer Besessenheit vortäuschenden Frau auf abscheuliche und gottlose Weise Missbräuche begangen hat.“110 Die Zeugenaussagen hatten die schwere Anklage nicht widerlegt, sondern sie im Gegenteil eher bekräftigt. Die Zweifel an der Besessenheit unterstrichen eindeutig die Bedeutung der dahinter stehenden sexuellen Motive. Dabei müssen diese Motive nicht zwingend einen dominierenden Charakter gehabt haben; es ist durchaus denkbar, dass sie sich erst im Ablauf des Geschehens entwickelt hatten. Denn es steht außer Zweifel, dass der Pfarrer, wenigstens eine zeitlang, wirklich an die Besessenheit der Frau geglaubt hatte. Charakteristisch dafür ist eine Situation, als er auch seine eigene Augenkrankheit einem teuflischen Fluch zugeschrieben hatte.111 Kata produzierte wahrhaftig „Symptome“, die nicht nur für den Pfarrer, sondern auch für seine Mitpriester und die Dorfbewohner ihre „Besessenheit“ eindeutig bewiesen. Denkbar ist auch, dass Ferenczi nur zeitweise während der sich über Wochen hinziehenden Prozedur und wegen der starken erotischen Ausstrahlung der Frau in die Geschlechtsbeziehung hineingezogen wurde. In seiner Verteidigung berief er sich immer wieder auf das Missverständnis der Geschehnisse. Bis zu einem gewissen Grad haben ja die beiden Erklärungsmöglichkeiten ihre Berechtigung. Es mag ja sein, dass die Frau tatsächlich die versteckten Dämonen im Haar des Pfarrers suchte und dieser die Frau „in die Kammer“ bloß deswegen begleitete, 107 GYÉL, I. 1. 8/1727. Zeugenaussage von Andrásné Dobondi. 108 „Fuit ne obsessa impregnata, aut est ne? Si est, a quo, etc. etc.“ GYÉL, I. 1. 9/1727. 109 In diesem Jahr ist im Zusammenhang mit einer anderen Csíkszentgyörgyer Angelegenheit schon Gergely Kiss als dortiger Seelsorger erwähnt; GYÉL I. 1. 1/1729. Demgegenüber wird in der Visitation von 1731 ein 34jähriger Priester, János Kiss, aufgeführt: Kovács/Kovács, Erdélyi római katolikus, 140. 110 „Relatoriae contra Georgium Ferenczi, parochum Szgyörgyiensem, muliere ficta obsessa, foede ac sacrilege abutentem“; GYÉL, I. 1. 8/1727. 111 Um die Austreibung des Teufels bat er seinen Mitpriester; GYÉL, I. 1. 8/1727. Zeugenaussage von Zsigmond Antal. Der Pfarrer zu Kászonújfalu fügte in der lateinischen Fassung seiner Aussage noch hinzu, dass er dies mit geweihten (d. h. wohl in Weihwasser getauchten) Fingern verrichtete („consecratos applicabam digitos“). GYÉL, I. 1. 9/1727.
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damit er verfluchte Gegenstände entdeckte. Doch seine zärtlichen Gefühle gegenüber ihr hätte er kaum leugnen können. Diese werden aus den Sätzen seines Briefes sowie aus zahlreichen Gesten offensichtlich.112 Es ist nicht bekannt, wie die Frau bestraft wurde. Sie wird in den Dokumenten an einer Stelle eine „äußerst verlogene und schlimme Gaunerin“113 genannt. Wegen bewiesener Hurerei fiel sie wahrscheinlich unter die in der Epoche gewohnte Beurteilung.114 Die Anerkennung des Betrugs befreite sie allerdings von einer noch schlimmeren Bezichtigung: Vom möglichen Verdacht der Teufelsbeziehung oder sogar der Hexenschaft. Zwar weisen einzelne Aussagen darauf hin, dass in der lokalen Gesellschaft auch solche Interpretationen verbreitet wurden, doch wurde diese ernste und für Kata gefährliche Version seitens der Behörden nicht formuliert. Um diese Einstellung der Szentgyörgyer Dorfbewohner zu veranschaulichen sei die Aussage eines Zeugen zitiert: „Die Leute, die Kata bewacht haben, die hat ja Kata anständig geküsst, woraufhin die gesagt haben: geh weg von hier, du Hexe.“115 In der Aussage des jungen Pfarrhausdieners András Kovács ist ein in dieser Hinsicht sonderbares und aufschlussreiches Narrativ erhalten geblieben: „Einmal kam die Schwester des Paters, Erzsébet, ins Haus des Paters hinein und sagte Kata: Oh weh, Kata, beim Zaun auf dem Holzstoß habe ich den Alp („lüdércz“) in der Gestalt eines großen roten Hahnes gesehen, sein Licht hat den ganzen Holzstoß erfüllt! Daraufhin hat sich der Pater erzürnt und seine Schwester aus dem Haus gejagt…“116 Das Wort lidérc/lüdérc ‚Alp‘ verfügt in der frühen Neuzeit über mehrere Bedeutungsnuancen.117 In diesem Text wird er als incubus-Dämon (aggressiver Liebespartner) erwähnt, der diesmal in Form eines Hahnes erschien.118 Der ungewöhnli112 Dieser Faden aus dieser Geschichte knüpft an einen breiteren Kontext an. Über das Alltagsleben und das lokale Beziehungssystem des niederen Klerus in Siebenbürgen im 18. Jahrhundert (einschließlich die Problematik der Liebesverhältnisse) gebe ich demnächst in einem anderen Aufsatz einen Überblick. 113 „…mendacissima et iniquissima deceptrix“; GYÉL, I. 1. 9/1727. Zeugenaussage von Márton Szépvízi. 114 Vgl.: Kiss, András: Boszorkányok, kuruzslók, szalmakoszorús paráznák [Hexen, Heckenärzte, Huren]. Bukarest-Kolozsvár 1998. 115 GYÉL, I. 1. 8/1727. Zeugenaussage von Andrásné Dobondi. Die Verknüpfung der Vorstellungen ‚teuflische Besessenheit‘ und ‚Hexenschaft‘ ist aus der Epoche gut und vielfältig dokumentiert. Vgl.: Clark, Thinking with Demons; Pócs, Démoni megszállottság, 166–174. 116 GYÉL, I. 1. 8/1727. Zeugenaussage von András Kovács. In der lateinischen Fassung der Aussage ist der Ort der Holzstoß beim Friedhof („penes caemeterium“), und das Wort „lüdérc“ (Alp) wird mit „spiritum incubum“ wiedergegeben; GYÉL, I. 1. 9/1727. 117 Die Vielfältigkeit dieser Gestalt bringt ein anderes Beispiel aus Csíkszentgyörgy plausibel zum Vorschein. Kaum zwei Jahre nach dem Exorzismus wird im Zusammenhang mit dem „lüdérc“ nicht seine erotische Funktion betont, sondern dass er als eine Art Hilfsgeist seinem Herrn ständig Geld „erzeugt“, GYEL, I.1.1/1729. 118 Die „Hilfsgeistgestalt“ ‚Hahn‘ (oder: Huhn, Schlange, Kröte usw.) als ihren Herr besetzendes und erotische Aggression ausübendes dämonisches Wesen ist im mitteleuropäischen Volksglauben wohlbekannt; Pócs, Démoni megszállottság, 154–155, 173. Die Gestalt des Alpgeliebten erscheint in einem Fall aus dem Jahr 1737, der sich mit einem Diener des Pfarrers von Csíkszentsimon, einem Nachbardorf zu Szentgyörgy ereignete; GYÉL, I. 1. 7/1737. Das kurze, zweiseitige Vernehmungsprotokoll der Angelegenheit legt die Vermutung nahe, dass Pfarrer
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che Protest des Pfarrers sollte vielleicht im Lichte der zeitgenössischen Vorstellung „Hexen-Hilfsgestalt-Alp (lidérc)“ interpretiert werden.119 In der damaligen kirchlichen Kultur und lokalen Gesellschaft waren nicht nur die dämonische Besessenheit und die Hexerei miteinander verbunden, sondern es war auch die Relation zwischen der Besessenheit und von Visionen „allgemein bekannt“.120 Nun ist es schwierig, im Nachhinein die Frage zu beantworten, ob die Visionen der Besessenen vom Csíkszentgyörgyer Pfarrer oder aber als vom Teufel eingegeben wahrgenommen wurden. Immerhin, die Möglichkeit der Jenseitsfahrt der in Trancezustand leidenden Frau hat niemand bezweifelt. Die Anmerkung „auch viele Andere haben aufgeschrieben, was sie gesagt hat“ ist aus dem Gesichtspunkt der gesellschaftlichen und kulturellen Einbettung her besonders vielsagend. Als Kata über die im Fegefeuer leidenden Seelen der für die Umstehenden wohlbekannten Hingeschiedenen sprach, erschien sie – wohl etwas übertrieben – aber doch quasi als ein Vorbild der Mediatorfigur bäuerlicher Geisterseher des 20. Jahrhunderts.121 Die Zeugenaussagen geben Auskunft darüber, dass Kata während der Untersuchung, d. h. im Frühling und Sommer des Jahres 1727, die Gastfreundschaft der Franziskanerbrüder zu Csíksomlyó genoss. Die Treue des Szentgyörgyer Pfarrers ihr gegenüber kommt dadurch zum Ausdruck, dass er ihr auch während dieser Zeit regelmäßig Essen schickte.122 Freilich ist es kein Zufall, dass die für besessen gehaltene Frau zum berühmten Somlyóer Wallfahrtsort gebracht wurde. Es genügt, an dieser Stelle auf das weitverbreitete Phänomen zu verweisen, dass Priester spätmittelalterlicher und frühneuzeitlicher Gnadenorte Exorzismus-Dienstleistungen anboten.123 Besonders wichtig ist hier die Tatsache selbst, dass nach dem Versagen des Pfarrers gerade die Klosterbrüder als Spezialisten zu Hilfe gerufen worden sind.
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Mihály Barto, der beim Csíkszentgyörgyer Exorzismus als Zeuge zitiert war, ein paar Jahre später auch selbst der Hurerei verdächtigt wurde. Ein merkwürdiges Detail ist, dass die besessene Frau Ferenczis Aufmerksamkeit damals besonders auf ihn gelenkt hatte. Zur Verbreitung des ‚lüdérc‘ in Siebenbürgen im 20. Jahrhundert sowie zu seiner Erscheinung als incubus-Dämon siehe: Keszeg, Vilmos: Történetek a lüdércről [Geschichten über Lüdércz]. In: Imádságos asszony. Tanulmányok Erdélyi Zsuzsanna tiszteletére. Hg. v. Judit Czövek. Budapest 2003, 146–167. In der europäischen Kulturgeschichte ist die Interpretation der Wahrsagerei als (göttliche oder teuflische) Besessenheit reichlich belegbar. Vgl. Pócs, Démoni megszállottság, 143, 166–167. Éva Pócs geht in ihrer umfassenden Studie über den Phänomenkreis ‚Trance und Vision‘ auch auf die Frage der Dämonenbesessenheit ein: Pócs, Éva: Transz és látomás Európa népi kultúráiban [Trance und Vision in der europäischen Volkskultur]. In: Extázis, álom, látomás. Vallásetnológiai fogalmak tudományközi megközelítésben. Hg. v. Éva Pócs (Tanulmányok a transzcendensről I.) Budapest 1998, 15–55. Dieses Zeugnis ist umso wertvoller, da die Forschung frühneuzeitliche Belege bezüglich dörflicher Geisterseher kaum aufweisen kann. Éva Pócs stellte in ihrer neusten Zusammenfassung fest, dass Tote bzw. sich über Tote erkundende Personen insgesamt in drei Hexenprozessen erwähnt werden: Pócs, Éva: Halottlátó [Totenseher]. In: Magyar Művelődéstörténeti Lexikon IV. Hg. v. Péter Kőszeghy. Budapest 2005, 21–22. „Auch jetzt schickt der Pater Essen nach Somlyó“; GYÉL, I. 1. 8/1727. Zeugenaussage von Ferenc Oláhfalvi. Pócs, Démoni megszállottság, 188–190.
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Es ist zwar nicht bekannt, wie sich die Franziskaner gegenüber der vermeintlichen Besessenheit der Patientin verhielten, aber es ist doch vielsagend, dass Kata monatelang im Somlyóer Kloster blieb. Die Franziskaner kamen mit Vorliebe den Ansprüchen „des Volks“ entgegen, und ihre Kompetenz im Bereich Exorzismus stellte (in diesen Jahren) nicht einmal die kirchliche Leitung in Frage. Die Bestrebungen, die Seelsorgepraxis der Franziskaner zurückzudrängen, gehen in Ungarn erst auf die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts zurück und erfolgten im Zuge der sogenannten kirchlichen Aufklärung. Eine beispielhafte Auseinandersetzung spielte sich gerade zwischen einem charismatischen Franziskaner von Zombor124 und dem Bischof zu Kalocsa Ende der 1760er Jahre ab.125 Dieses Ereignis lässt sich genau in den Prozess des – oft von lauten Skandalen begleiteten – europäischen kirchlichen (und weltlichen) Attitüdenwandels einordnen, der bezüglich der Dämonenbesessenheit und des Exorzismus zu registrieren ist.126 Es scheint, dass sich die Leitung der Siebenbürger Diözese in der Zeit des Jahres 1727, als sich der Fall ereignete, nicht wegen der Teufelsbeschwörungsprozedur des Csíker Pfarrers Sorgen machte, obwohl dies auch damals eine genehmigungspflichtige Tätigkeit war. Denn dieser „Regelverstoß“ hätte wohl noch nicht die Liquidation des Pfarrers nach sich gezogen. Anhand der europäischen Fachliteratur der kirchlichen Teufelsaustreibung ist festzustellen, dass die massenhafte Erscheinung der verschiedenen Anwendungen des Exorzismus (vor allem zu Heilzwecken) für das 16. und 17. Jahrhundert charakteristisch ist.127 Die großen Wellen der Teufelsaustreibung, die meistens in Verbindung mit dem Wirken eines charismatischen Priesters oder Mönchs stehen, klangen im ausgehenden 18. Jahrhundert so gut wie aus. In Deutschland sind zwar auch aus den 1770er Jahren größer angelegte Exorzismen bekannt, doch diese populären Fälle standen schon im Mittelpunkt von Zweifeln und Diskussionen, und die zentrale Figur des Johann Joseph Gaßner musste sich vehement gegen die von der weltlichen und kirchlichen Aufklärung initiierten Angriffe wehren.128 Ein Überblick der historischen Aspekte des Exorzismus in Ungarn – infolge der Vereinzeltheit der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Zeugnisse – lässt noch auf sich warten.129 Zur Zeichnung eines facettenreichen Bildes kann man am besten mit Fallstudien beitragen. Sie kristallisieren sich 124 Serb. Sombor. 125 Bárth, Dániel: A zombori ördögűző. Egy 18. századi bácskai ferences tündöklése és bukása I–II. [Der Exorzist von Sombor. Die Brillanz und der Fall eines Franziskaners aus der Batschka im 18. Jh.]. In: Bácsország. Vajdasági Honismereti Szemle 2009/3, 20–25; 2009/4, 78–81. 126 Vgl.: Midelfort, H. C. Erik: Exorcism and Enlightenment. Johann Joseph Gassner and the Demons of Eighteenth-Century Germany. New Haven-London 2005. 127 Thomas, Keith: Religion and the Decline of Magic. London 1971, 477–493.; Midelfort, H. C. Erik: Catholic and Lutheran Reactions to Demon Possession in the Late Seventeenth Century: Two Case Histories. In: Possession and Exorcism. Hg. v. Brian P. Levack. New YorkLondon 1992, 135–160, hier 136; Franz, Die kirchlichen Benediktionen, II. 514–585.; Pócs, Démoni megszállottság, 140–143, 187. 128 Johann Joseph Gassners Leben und Tätigkeit stellt unter diesem Aspekt eine unlängst erschienene hervorragende Monographie vor: Midelfort, Exorcism and Enlightenment. 129 Dazu ausführlicher: Bárth, Dániel: Papok és démonok viadala: exorcizmus a kora újkori Magyarországon [Der Kampf von Priester gegen Dämonen: Exorzismus im frühneuzeitlichen Un-
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meistens um verschiedene, damals für „skandalös“ gehaltene Ereignisse heraus, die man der Aufzeichnung würdig gehalten hat.130 Die Dokumente solcher Skandale sind äußerst wichtige Quellen, da sie Einblick in die Tiefenstruktur der untersuchten kulturellen Phänomene erlauben. Paradoxerweise geben diese Fälle trotz oder sogar dank ihrer Eigentümlichkeit Anlass dazu, aus ihnen allgemeingültige Folgerungen zu ziehen. Einen beträchtlichen Faktor stellt dabei die Problematik Norm und Normbruch dar. Der Fund neuer Quellen und die Analyse neuer „Vorfälle“ sind die Voraussetzungen für die Klärung des mentalitätsgeschichtlichen Wandels, der sich im Bereich Exorzismus in dieser Epoche abspielte. Bisher sind bloß die Endpunkte dieses Prozesses so gut wie bekannt. Es wäre jedenfalls aufschlussreich, diese Untersuchung entweder im lokalen (siebenbürgischen) Rahmen, oder nach der vertikalen Hierarchie der Kirche geordnet (vom Bischof bis zum niederen Klerus und Mönchtum) vorzunehmen. Eine solche Forschung darf sich natürlich nicht allein auf die teuflische Besessenheit und ihre kirchliche Heilmethode beschränken. Sie sollte einen breiteren Kontext berücksichtigen, ausgehend von den vielfältigen Phänomen kirchlicher Segens- und Fluchpraxis (Benediktion bzw. Exorzismus) bis hin zur Problematik der Wunder und Heilungen an Gnadenorten oder den komplizierten Wandelprozessen des Dämonenglaubens. So stellt sich die Frage: Wie ging es nach dem erwähnten Mentalitätswandel der Elitekultur weiter? Darauf bieten volkskundliche Forschungen – teils gerade aus Siebenbürgen – unterschiedliche Antworten an. Nachdem die „Austreibungsdienstleistung“ des römisch katholischen Priestertums erlosch, suchten sich die Leute in Besessenheitsfällen neue Lösungen. Einerseits erstarkte dadurch die Rolle der dörflichen Heiler, die vor allem durch ihre von kirchlichen Exorzismustexten stark beeinflussten Beschwörungsformeln einen beträchtlichen Teil der Dämonenaustreibungsverfahren weitertradierten. Neuere volkskundliche Erhebungen dokumentieren sogar die weit (auch über den Kreis der dörflichen Spezialisten hinaus) verbreitete populäre Benutzung solcher liturgischen Mittel, speziellen Werkzeuge und Sakramentalien (Weihrauch, Schwefel, geweihte Palmkätzchen, Weihwasser), die früher zum eigenartigen Instrumentarium der vortridentinisch-spätmittelalterlichen und später der alternativen frühneuzeitlich-kirchlichen Exorzismuspraxis gehörten.131 Andererseits existierte notwendigerweise weiterhin auch die als effektivste Heilmethode geltende kirchliche Dämonenaustreibung, allerdings nicht mehr von katholischen (oder protestantischen) Priestern durchgeführt. In den Kontaktzonen zwischen dem westlichen Christentum und der rumänischen Orthodoxie wurde es im 20. Jahrhundert von Forschern, die sich mit der Volksfrömmigkeit befassten, garn]. In: Démonok, látók, szentek. Vallásetnológiai fogalmak tudományközi megközelítésben. (Tanulmányok a transzcendensről VI.) Hg. v. Éva Pócs. Budapest 2008, 59–68. 130 Fallstudien im Zusammenhang mit Exorzismus wären aus der internationalen Fachliteratur reichlich zu zitieren, hier seien nur etliche Beispiele benannt: Midelfort, Exorcism and Enlightenment; Ernst, Teufelaustreibungen; Almond, Demonic possession and exorcism; Levi, Egy falusi ördögűző. 131 Pócs, Démoni megszállottság, 192.
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schon als eine selbstverständliche und prosperierende Praxis beschrieben, dass ungarische Gläubige bei Bedarf Exorzismusdienste rumänischer Priester und Kaludjer (orthodoxer Mönch) in Anspruch nahmen.132 Schließlich sei auf die anfänglichen Überlegungen verwiesen. Ich habe anhand der verfügbaren Dokumente das Bild des Falles skizziert – zwar nicht allzu reich an narrativen Wendungen, doch immerhin in Form einer „dichten“ Beschreibung, wobei etliche Interpretationsmöglichkeiten eingeblendet wurden. So bleibt die Frage, inwiefern dieses Fallbeispiel charakteristisch für ähnliche Fälle, für Entwicklungsprozesse ist und wie stark es zu verallgemeinert werden kann? Zweifelsohne birgt die untersuchte Quelle eine Menge an historisch-volkskundlichen Angaben. Vom Volksglauben (Dämonenglaube, Visionen, Geistersehen, Alpglaube133, Sakramentalien usw.) bis zu verschiedenen Bereichen der Sachkultur (Ernährung, Schlafkultur usw.) wäre es möglich gewesen, zahlreiche gewinnbringende Erkenntnisse herauszufiltern, um sie in thematischen Studien zusammen mit ähnlichen Daten anderer Quellen systematisch bearbeiten zu können. Es steht auch außer Zweifel, dass der vorgestellte Fall ein durchaus plastisches Bild über das Inventarium und die Praxis des Exorzismus bietet, und zwar aus einer quellenarmen Periode der ungarischen Exorzismusgeschichte. Wohl auch zur Geschichte der Sexualität liefert diese Quelle mehrere aufschlussreiche Informationen. Die Analyse der Dokumente trägt darüber hinaus definitiv zu einem bislang vernachlässigten Forschungsfeld der Kirchengeschichte bei, indem sie bedeutende Informationen zum Weltbild und Alltagsleben des frühneuzeitlichen niederen Klerus vermittelt.
132 Außer der bereits zitierten Literatur siehe noch Komáromis neueste Fallstudien: Komáromi, Tünde: Rontás és társadalom Aranyosszéken [Behexung und Gesellschaft in Aranyosszék]. Kolozsvár 2007. 133 Zum „Alp“ siehe: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Hg. v. Hanns BächtoldStäubli unter Mitw. v. Eduard Hoffmann-Krayer, Bd. 1, Aal – Butzemann. Unveränderter Nachdruck der Ausgabe von 1927–1942. Berlin-New York 1987, Artikel Alp, 282–305, bes. 296–300.
DIE KONFESSIONSGRENZE IM EHEBETT Reverse in matrimonia mixtae religionis im Königreich Ungarn Peter Šoltés EINFÜHRUNG Die konfessionell gemischten Ehen bieten für einen Historiker aus mehreren Gründen ein interessantes und inspirierendes Forschungsobjekt. Sie befanden sich im Spannungsfeld von verschiedenen Systemen von Normen, Vorstellungen und Zielen, welche einzelne Konfessionskirchen, der Staat, der Landesherr, eine lokale konfessionell gemischte Gesellschaft, sowie die konkreten Familien und Individuen getragen haben. Am Beispiel der Matrimonia mixtae religionis1 lassen sich Prozesse der Sozialdisziplinierung und Verrechtlichung im 18. und 19. Jahrhundert analysieren, sowie die Etablierung der jurisdiktionellen Normen und Formgebung von nicht kodifizierten sozialen Normen, ihre Perzeption und Auswirkungen in der Alltagspraxis. Auch für die Untersuchung von Formen und Intensität der interkonfessionellen Kommunikation im konfessionell gemischten Milieu sind die gemischten Ehen ein wichtiger sozialer Interaktionsraum. Bis zum Josephinismus waren die Vorstellungen und Ziele der Hauptakteure der Normsetzung, des habsburgischen Staates, der ungarischen politischen Elite und der katholischen Kirche im Einklang oder zumindest ohne deutlichere Diskrepanz. Die zivilen Rechtsnormen über die Bedingungen der Eheschließung, des konfessionellen Zusammenlebens der Eheleute und der religiösen Erziehung der Kinder haben die Bestimmungen der katholischen Kirche übernommen. Das Toleranzpatent und die darauffolgende aufgeklärte kirchliche Politik haben die Einstellungen des Staates und der katholischen Kirche gegenüber Mischehen auseinandergebracht. Die Frage der Reverse und der Kompetenz, Trauungen bei Mischehen vorzunehmen, standen im Mittelpunkt der heftigen Diskussion. In diesem Beitrag wird der Versuch unternommen, auf die Besonderheiten in der Alltagspraxis der gemischten Familien sowie auf ihre spezifische Rolle in den lokalen Gesellschaften hinzuweisen. Die Mischehen waren Orte der intensivsten interkonfessionellen Kommunikation. Ihr Wirkungsradius beschränkte sich nicht nur auf 1
Der Terminus „konfessionell gemischte Ehen“, lat. matrimoniae mixtae religionis, entstammt dem katholischen Kirchenrecht. Kanon 1124 CIC/1983 definiert ihn als eine zwischen zwei getauften Personen geschlossene Ehe, in der eine Person Mitglied der katholischen Kirche ist und die andere einer anderen Kirchengemeinschaft zugehörig ist, die nicht in voller Einheit mit der katholischen Kirche steht. Siehe: Evangelisches Kirchenlexikon. Internationale theologische Enzyklopädie. Dritter Band. Dritte Auflage (Neufassung), Göttingen 1992, 417–418; Lexikon für Theologie und Kirche. Sechster Band. Freiburg-Basel-Rom-Wien 1997, 238–240.
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die konkrete Familie, sondern betraf auch das breitere Milieu der Verwandtschaft, die Patenschaft, die Teilnahme an kirchlichen Festivitäten der „anderen“ Konfession usw. Ein wichtiger Faktor war auch die Frage der letzten Ruhestätte der konfessionsgemischten Ehepaare. Die Forderung, dass Ehegatten nebeneinander ihre letzte Ruhestätte fanden, brachte den Druck mit sich, die Friedhöfe gemeinsam zu verwenden. Bereits in der Vortoleranzperiode und noch intensiver nach 1781 waren verschiedene Formen der gegenseitigen Stigmatisierung und Diffamierung durch die engen und intensiven familiären sowie persönlichen Verbindungen geschwächt. NORMEN DER KATHOLISCHEN KIRCHE In der katholischen Kirche waren es die Beschlüsse des Tridentinums, die sowohl Form als auch die Bedingungen einer gültigen Eheschließung kodifizierten. Eine gültige Ehe musste vor einem katholischen Geistlichen geschlossen werden, das Brautpaar hatte vor dem Empfang des Ehesakraments auch die Sakramente der Buße und Kommunion entgegenzunehmen.2 Das Kirchenrecht kennt im Gegensatz zur weltlichen Gesetzgebung nur „eine“ Ehe, nicht verschiedene Arten von Ehen, wie z. B. die morganatische Ehe oder in Bezug auf Standes- und Vermögensrechte und die Stellung der Ehegatten sich unterscheidende Ehebande.3 Auf dem Tridentinischen Konzil sind zwar keine klaren und eindeutigen Regelungen über die gemischten Ehen angenommen worden. Die erneuerte Bestätigung des Dogmas de sacramento matrimonii, die Bedingung des Empfanges des Sakramentes der Buße und Kommunion vor der Ehe, zusammen mit den späteren Aussprüchen der Partikularsynoden haben die Religionsverschiedenheit in die aufschiebenden Ehehindernisse (impedimentum impendis proveniens ex jure communi) eingeordnet.4 Im 18. Jahrhundert hat die ursprünglich marginale Erscheinung immer mehr die Aufmerksamkeit der lokalen Kirchen und durch ihre Berichte auch die Römische Kurie beschäftigt. Papst Benedikt XIV. (1740–1758) war mit einem enormen Zuwachs der Gesuche um Dispensationen wegen unterschiedlicher Religionen konfrontiert. Die Berichte der niederländischen, deutschen und polnischen Bischöfe über das ständige Anwachsen der matrimonia mixtae religionis haben den Heiligen Stuhl bewogen, die Frage der Eheschließung zwischen Katholiken und Nichtkatholiken kirchenrechtlich eindeutig zu regulieren. In der Bulle Matrimonia quae in locis (4. November 1741) und in der Konstitution Magnae nobis (29. Juni 1748), die als Reaktion auf die Verhältnisse in den belgischen und polnischen Bistümern erlassen wurden, sowie in Breve Singulari nobis (9. Februar 1749) hat Benedikt XIV. die frühere rechtliche Praxis über die Nichtigkeit von Ehen zwischen konfes2 3 4
Roskovany, Augustinus de: De matrimonio in Ecclesia Catholica. Tomus I. De potestate Ecclesiae legislativa circa matrimonium. Augustae Vindelicorum 1837, 35–42. Schulte, Johann Friedrich: Handbuch des Katholischen Eherechts nach dem gemeinen katholischen Kirchenrechte und dem österreichischen, preussischen, französisches Particularrechte mit Rücksichtsnahme auf noch andere Civilgesetzgebungen. Giessen 1855, 399–400. Ebd., 243.
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sionell verschiedenen Eheleuten als feststehend angenommen.5 Gegen dieses Ehehindernis hatte nur der Papst das Recht zu dispensieren. Die Diözesanbischöfe konnten einen Dispens nur aufgrund der päpstlichen Delegation und unter folgenden Bedingungen erteilen: Es bestand keine Bedrohung, dass der katholische Ehepartner zur anderen Religion verführt würde, die Erziehung aller Kinder in der katholischen Religion musste sichergestellt sein und die Bemühung der katholischen Seite war gewährleistet, dass der protestantische Ehepartner zur katholischen Kirche gebracht würde.6 Für die spätere Entwicklung der Position der katholischen Kirche ist es noch wichtig anzuführen, dass laut des angeführten Breve auch ohne Revers geschlossene Ehen sowie vor dem protestantischen Priester eingegangene Ehen nach dem Kirchenrecht gültig waren. Im ganzen 19. Jahrhundert blieb die katholische Kirche in ihrer negativen Haltung gegenüber den gemischten Ehen konsequent. Der Hauptgrund für diese Position und die daraus folgende Forderung nach Kirchendisziplin bestand im Dogma „de una sola salvisica Ecclesia“. Papst Pius VII. (1800–1823) verteidigte trotz des zeitgenössischen politischen Druckes zu Zugeständnissen das kirchliche Verbot der gemischten Ehen. Bei seiner Begründung hatte er drei Hauptargumente hervorgehoben: 1. Deformation des religiösen Lebens in der Familie, 2. geistige Bedrohung und das Risiko des Abfallens des katholischen Ehegatten und der Kinder, 3. Frieden in der Familie, bei welchem, neben anderen Eigenschaften der Ehegatten, die Übereinstimmung in der bekennenden Religion besonders notwendig sei.7 Von den katholischen Seelsorgern hat Pius VII. erwartet, dass sie sich jedem Verhalten entsagen, was als Billigung von Mischehen hätte wahrgenommen werden können. Gleichzeitig aber sollten sie darauf verzichten, solche Ehen gewaltsam zu verhindern. Die Probleme um die kirchenrechtliche Validität der gemischten Ehen in einer immer größer werdenden Anzahl von Bistümern führten dazu, dass sich auch Papst Pius VIII. (1829–1830) zu dieser Frage erneut geäußert hatte. So erklärte er nicht nur die bereits bestehenden, sondern auch die in der Zukunft zu schließenden Mischehen für gültig. Dies war offensichtlich durch die anwachsende Tendenz motiviert, die Untrennbarkeit solcher Ehen in Frage zu stellen. Um die Trauung gemischter Ehen vor einem nichtkatholischen Priester zu unterbinden, hat es Pius VIII. gestattet, gemischte Ehen auch ohne Revers vor dem katholischen Pfarrer zu schließen. Diese Ehen, die zwar gültig waren, aber doch weiterhin unerlaubt geschlossen wurden, durften nur bei passiver Assistenz des katholischen Priester und „in loco non sacro et absque omni ritu catholico“ geschlossen werden.8 5
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Perronne, J. (Giovanni): Ueber die gemischten Ehen. Eine dogmatische Abhandlung. Aus dem Lateinischen übersetzt durch Joseph Maria Aringer. Augsburg 1840, 15–16. Kutschker, Johann: Die gemischten Ehen vom katholisch-kirchlichen Standpunkte betrachtet. Dritte, vermehrte Ausgabe. Wien 1846, 325–347. Ammon, Christoph Friedrich: Die gemischten Ehen namentlich der Katholiken und Protestanten nach den Ansichten des Christentums, der Geschichte, des Rechtes und der Sittlichkeit, mit besonderer Rücksicht auf das religiöse Zeitbedürfniß. Zweite Auflage. Dresden-Leipzig 1839, 246–247. Kutschker, Die gemischten Ehen, 267. Ebd., 376.
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Die Verhaltensregeln, nach welchen sich die katholischen Seelsorger und die Gläubigen bei der Schließung gemischter Ehe richten sollten, fasste Gregor XVI. (1831–1846) in seiner Enzyklika Summo iugiter studio (27. Mai 1832) zusammen. Die ursprünglich an die Bischöfe im Königreich Bayern gerichtete Enzyklika wurde später zu einem allgemein grundlegenden kirchlichen Dokument. Besondere Aufmerksamkeit galt den Fällen, bei denen die Bedingungen für die Erteilung des Dispenses nicht erfüllt wurden. Das war der Fall, wenn der katholische Seelsorger „… durch alles Zureden den katholischen Brauttheil von seinem Vorhaben nicht abbringen [konnte und…] ihn nicht einmal zum Ansuchen der kirchlichen Dispens und zur Berücksichtigung seines und des Heiles seiner Kinder [...bringen konnte], dann hat er seine Pflicht gethan, und von diesem Zeitpunkte an hat er mit der gemischten Ehe nichts mehr zu thun; er muß sich jeder Mitwirkung zu derselben enthalten, damit es einerseits nicht den Anschein bekomme, als wenn er eine von der katholischen Kirche verbotene Handlung billige, und damit er andererseits sich selbst nicht der Sünde der Mitwirkung zu einer fremden verbotenen That schuldig mache.“9 Bei der Schließung einer dispensierten gemischten Ehe sollte der Priester nur soviel von den durch das Tridentinum vorgeschriebenen Ehefeierlichkeiten zelebrieren, die zur Gültigkeit der Ehe notwendig waren, also ohne priesterliche Einsegnung der Ringe, der Ehegatten sowie die Messe. Erst in den 1820er Jahren hat der Heilige Stuhl die Segnung der dispensierten gemischten Ehen bewilligt. Erneut wurde auch die Frage geregelt, wer berechtigt ist, konfessionell verschiedene Brautleute zu dispensieren: Der Seelsorger sollte sich bei Dispensationen an seinen Bischof wenden, welcher, wenn ihm die dazu erforderliche Vollmacht verliehen worden war, den Dispens erteilen konnte.10 Doch die Alltagspraxis im Königreich Ungarn, aber auch in Bayern und anderen deutschen Staaten hat diesen Verordnungen in der Behandlung von Matrimonia mixtae religionis widersprochen. Dabei hat sich ein unterschiedlicher Usus herausgebildet: Der Verzicht auf eine Dispensation oder eine zusätzliche Erteilung durch die örtlichen Bischöfe.11 Im Laufe 1820er und 1830er Jahren sind sechs päpstliche Reskripte veröffentlicht worden, welche die gemischten Ehen und das Verhalten der Seelsorger bei denselben 9
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Kutschker, Die gemischten Ehen, 415. Lateinische Fassung Roskoványi, Augustinus: De matrimoniis mixtis inter catholicos et protestantes. Tomus II. Monumenta ad historiam matrimoniorum mixtorum spectantia complectens. Quinque-Ecclesiis 1842, 212. Etwas unterschiedliche deutsche Übersetzung siehe: Die neuesten Aktenstücke über die gemischten Ehen. Aus den katholischen Zeitschriften besonders abgedruckt. Augsburg 1825, 27: „Sollte es sich aber (was Gott verhüten wolle) hin und wieder ergeben, dass eure Ermahnungen und Warnungen fruchtlos blieben und der katholische Theil von seinem verkehrten Vorhaben abzustehen sich weigere, eine gemischte Ehe einzugehen, ohne vorher die kirchliche Dispense sich verschafft oder erhalten zu haben, oder mit Umgehung aller oder auch einer der erforderlichen Vorbedingungen; dann wird es Pflicht des Hirten seyn, nicht nur der Abschließung solcher Ehen seine Gegenwart zu entziehen, sondern auch die kirchlichen Verkündigungen zu unterlassen und die Ledigscheine zu verweigern. An euch aber, ehrwürdige Brüder, ist es, die Pfarrer, zu ermahnen und mit Nachdruck von Ihnen zu fordern, dass sie sich aller derlei Handlung enthalten.“ Kutschker 1846, Die gemischten Ehen, 479. Schulte, Handbuch des Katholischen Eherechts, 245–247.
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reguliert haben.12 Gerichtet waren sie vorwiegend an deutsche, niederländische und französische Bischöfe. Erst zu Beginn des Jahres 1840 hat der Heilige Stuhl auch in ungarischen Bistümern die Kompetenzen der katholischen Priester bei Mischehen geregelt. Die Auseinandersetzungen über die gemischten Ehen haben die Intervention der höchsten Autorität der Katholischen Kirche erfordert. Das Königreich Ungarn hatte bis dahin kein eigenes Eherecht. Die Schließung der Mischehen richtete sich daher völlig nach dem kanonischen Recht. Laut der Instruktion des Kardinals Lambruschini vom 22. Mai 1841 durfte keine gemischte Ehe ohne Ablegung der erforderlichen Bürgschaft eingesegnet werden. Falls die festgestellten Vorbedingungen hinsichtlich der Kindererziehung bei der katholischen Seite nicht in Erfühlung gingen, wurde dem katholischen Priester die sogenannte assistentia passiva angeordnet. Der Geistliche sollte nur die Proklamation vollziehen und „den Eheconsens außerhalb der Kirche und ohne alle priesterliche Mitwirkung seinerseits entgegennehmen […] und die Ehe in das Traubuch eintragen.“13 Es war damit das gleiche Modell, welches 1830 in der Erzdiözese Köln und 1832 auch in Bayern eingeführt wurde.14 Das Breve des Papstes Gregor XVI. und die Instruktion des Kardinals Lambruschini an das ungarische und siebenbürgische Episkopat vom 30. April 1841 haben auch die kirchenrechtliche Gültigkeit der vor dem evangelischen Geistlichen getrauten gemischten Ehen bestätigt.15 STAATLICHE NORMEN Vor dem 18. Jahrhundert entsprachen im königlichen Ungarn sowie in der Habsburger Monarchie alle gesetzlichen Normen betreffs der Ehesachen der katholischen Untertanen den Grundsätzen der Katholischen Kirche oder wurden von diesen abgeleitet. Im ungarischen Rechtssystem blieb die Frage, „wer soll Ehestandskandidaten verschiedener Religion kopulieren?“ lange Zeit nicht entschieden.16 Zum ersten Mal wurde sie im VII. Punkt der Resolutio Carolina (1731) bestimmt. Die Jurisdiktion über die Mischehen wurde in die Hände der katholischen Pfarrer gelegt. Konfessionell unterschiedliche Brautpaare in „tam in articularibus quam non articularibus locis“ durften nur vor dem örtlichen katholischen Pfarrer getraut werden und alle Kinder beiderlei Geschlechts waren in der katholischen Religion zu
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Kutschker 1846, Die gemischten Ehen, 359–360. Richter, Aemilius Ludwig: Lehrbuch des katholischen und evangelischen Kirchenrechts. Mit besonderer Rücksicht auf deutsche Zustände. Sechste Auflage. Leipzig 1867, 872. Roskovany, Augustinus de: De matrimoniis mixtis inter Catholicos et Protestantes. Tomus II. Monumenta ad historiam matrimoniorum mixtorum spectantia. Quinque-Ecclesiis 1842, 218– 220. Breve und Instruktion siehe: Ebd. 811–820. Anonym (Hajnóczy, Jozsef): Intoleranz des katholischen Klerus gegen die ungarischen Protestanten nach zuverläßigen Aktenstücken oder Ideen zur gebührenden Schätzung der Verdienste der beyden großen Kaiser Josephs und Leopolds um die protestantische Kirche in Ungarn, ein Pendant zum Manch-Hemäon. Gedruckt im protestantischen Deutschlande 1792, 107.
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erziehen.17 In das ungarische Rechtssystem wurden Reverse im Jahre 1749 eingeführt. Laut der königlichen Resolution vom 2. Januar 1749 waren alle Kinder aus gemischten Ehen in der römisch-katholischen Religion zu erziehen, was der nichtkatholische Gatte vor der Eheschließung schriftlich durch einen Revers zu bestätigen hatte.18 Doch offensichtlich waren diese Verordnungen in der Alltagpraxis schwer durchzuführen. Sie sind auf erhebliche Widerstände des verwurzelten sozialen Normensystems und des komplizierten Netzes lokaler Machtkonfigurationen gestoßen. Die königlichen Resolutionen vom 30. August 1756 und vom 29. Januar 1761 haben die Bestimmungen der ursprünglichen Resolution noch verschärft, indem sie ein Strafverfahren (Actio Fiscalis) verordneten.19 Die schwersten Konflikte entstanden bei Eheschließungen von Personen, die nach dem Gesetz und zudem bestätigt durch den Revers des nichtkatholischen Elternteils, zwar katholisch erzogen werden sollten, in Wirklichkeit dann aber evangelisch erzogen worden sind. Die Unfähigkeit der staatlichen und kirchlichen Behörden, die katholische Erziehung aller in Mischehen geborenen Kinder sicherzustellen, aber auch die häufigen Beschwerden durch die protestantischen Agenten beim Wiener Hof und beim Statthaltereirat haben schließlich zu Zugeständnissen durch den Staat geführt. Laut dem Intimat vom 12. Februar 1767 durften vor dem protestantischen Priester auch jene Brautpaare eine Ehe schließen, bei denen ein Partner oder beide Partner als Protestanten aufgewachsen sind, obwohl sie hätten katholisch erzogen werden müssen.20 Seit dem aufgeklärten Katholizismus geriet auch im Königreich Ungarn die jurisdiktionelle Regelung der Eheangelegenheiten in gemischten Ehen in das Spannungsfeld zwischen römisch-katholischer Kirche, absolutistischem Staat und den ungarischen Ständen. Das Monopol des Herrschers als der einzigen weltlichen und normsetzenden Institution wurde in religiösen Angelegenheiten zum ersten Mal durch den Landtag in den Jahren 1790/91 gebrochen.21 Bis in die vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts jedoch blieben der Einfluss des Königs und die durch ihn kontrollierten Dikasterien auch im Bereich der Regelung der Angelegenheiten gemischter Ehen weiterhin dominierend. In der Regierungszeit Maria Theresias kann man eine deutliche Strategie in der Politik des Staates gegenüber den konfessionell gemischten Ehen im königlichen Ungarn erkennen. In den Matrimonia mixtae religionis und in der Durchsetzung der Reversepflicht erkannte der Wiener Hof ein Instrument zur konfessionellen Homogenisierung. Die katholische kirchliche Hierarchie sah in den Mischehen die als 17 18 19 20
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Roskovány, De matrimoniis mixtis, 437. Ribini, Johannes: Memorabilia Augustanae Confesionis in Regno Hungariae. Band 2. Pressburg 1789, 241. Roskovány, De matrimoniis mixtis, 448. Ebd., 452–458. Kuzmány, Karl: Praktische Theologie der evangelischen Kirche augsb[urger] und helvet[etischer] Confession. Erster Band, III. Abth. Handbuch des allgemeinen und österreichischen evangelisch-protestantischen Eherechtes mit durchgängiger Berücksichtigung des Eherechtes anderer christlicher Confessionen. Wien 1860, 550, Fußnote 51. Irínyi, Josef: Geschichte der Entstehung des 26. Gesetzartikels von 1790/1 über die Religionsangelegenheit. Mit staatsrechtlichen Bemerkungen auf Grundlage des wiener und linzer Friedensschlusses. Pest 1857, 66, 131, 242–243.
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positiv wahrgenommene Möglichkeit, dass das katholische Element ein sonst geschlossenes protestantisches Milieu durchdringen kann.22 Die Einhaltung der Reversepflicht war dabei conditio sine qua non ihrer Akzeptanz. Heinrich Moritz Grellmann (1756–1804), Professor der Statistik an der Universität Göttingen, kritisierte in seinem 1795 gedruckten statistischen Werk über die josephinische Reformzeit den Proselytismus gegenüber den gemischten Ehen in der Vortoleranzperiode: „Mit diesen Reversen hatte es folgende Bewandniß. Man ließ es gerne zu, daß Personen von ungleicher Religion einander freyeten. Man suchte sogar ihrer Liebe Nahrung zu geben. Kam es einmal zum Versprechen, welches so bindend war, daß man es für unauflöslich, wenn es auch nur gleichsam im Scherze geschah, so wurden solche Personen unter keiner anderen Bedingung copuliert als unter der, wenn der protestantische Theil auf die Erziehung seiner Kinder beyderlei Geschlechts Verzicht that.“23 Diese Charakteristik könnte etwas übertrieben sein, sie widerspiegelt jedoch die äußerst negative Wahrnehmung der Reverse unter den protestantischen Intellektuellen. Bis zum Eintritt der Kaiserin Maria Theresia war in der Habsburger Monarchie (mit Ausnahme Siebenbürgens) das Kanonische Recht die einzige Richtschnur in den Angelegenheiten der katholischen und gemischten Ehen. In den darauf folgenden 50 Jahren verzeichnete die österreichische Gesetzgebung in Betreff der Eheschließung, insbesondere der Ehedispensation acht grundlegende Veränderungen.24 Einige von ihnen haben auch die Entwicklung in Ungarn beeinflusst. Maria Theresia hat es in den letzten Jahren ihrer Regierungszeit verboten (in Intimaten vom 27. September 1777 und vom 23. Januar 1778), sich in Angelegenheiten der Ehedispensation direkt nach Rom zu wenden, diese sollten unmittelbar an den Ordinarius gerichtet werden. Die Bischöfe hatten die Sache selbst zu entscheiden und sollten die Dispensation nur in Sonderfällen beim Heiligen Stuhle zu ersuchen. Joseph II. hat dann das Episkopat im Jahre 1781 beauftragt, in allen kanonischen Ehehindernissen das ihnen zustehende ursprüngliche Recht, Dispensationen zu erteilen, auszuüben.25 Das Toleranzpatent und der Gesetzartikel 26/1791 haben die Frage der Erziehung der Kinder in gemischten Ehen dann erneut geregelt. Das Toleranzpatent für Ungarn vom 25. Oktober 1781 im § 7 hat hinsichtlich der Reversen und der religiösen Erziehung der Kinder in Mischehen folgende Verordnung getroffen: „Hätte es von Ausstellung der bisher gewöhnlich gewesenen Reverse, bei den Heiraten von Seite der Acatholicorum, wegen Erziehung ihrer erzeugender Kinder, in der römisch-katholischen Religion, von nun an gänzlich abzukommen, da bey 22 23
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Roskovány, De matrimoniis mixtis, 470–472. Reflexiones quoad educationem religionariam prolium e mixtis connubiis, nomine Regio cum Archi- et Episcopis Colocensi, Vaciensi, Agriensi, Quinque-ecclesiensi, et Nitriensi. dd. 28. Dec. 1767 communicatae. Anonym [Molnár, János]: Politisch-kirchliches Manch-Hermaeon von den Reformen Kaiser Joseph in Ungern. In: Grellmann, H[einrich] M[oritz] G[ottlieb]: Aufklärung über wichtige Theile und Gegenstände der österreichischen Monarchie. Erster Band, Göttingen 1795, 229– 434, hier 253–254. Dolliner, Thomas / Grassl, Ignaz: Handbuch des österreichischen Eherechts. Zweiter Band, neue Ausgabe. Wien 1848, 60–64. Ebd., 61–62
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einem katholischen Vater alle Kinder in der katholischen Religion, sowohl vom männlichen als weiblichen Geschlechte, ohne Anfrage zu erziehen wären, welches als ein Praerogativum der dominanten Religion anzusehen sey. Wohingegen bei einem protestantischen Vater, und katholischer Mutter, sie dem Geschlechte zu folgen hätten.“26 Die männlichen Nachkommen eines protestantischen Vaters konnten dessen Glauben behalten, in allen anderen Fällen galt der staatlichen Religion der Vorzug. Die Reverse protestantischer Ehegatten verloren so ihre verbindliche Kraft. Aus der Sicht des Staates waren sie unnötig, da jetzt genau geregelt war, in welcher Konfession die Kinder in gemischten Ehen erzogen werden sollten. Der § 15 des Religionsartikels ordnete zugleich die Schließung der Mischehen durch einen katholischen Priester an. Gleichzeitig wurde es verboten, solche Ehen unter irgendeinem Vorwand zu verhindern. Diese Regelung widersprach indes den Grundsätzen der katholischen Kirche und ist daher, allerdings nicht nur aus diesem Grunde, auf eine dauerhafte Opposition beim katholischen Klerus gestoßen. Katholische Gläubige, die eine gemischtkonfessionelle Ehe eingehen wollten, befanden sich damit in einer Situation, in der sich eine Differenz zwischen kirchlichen und weltlichen Rechtsnormen ergab. Diese Tatsache barg für die spätere Entwicklung ein großes Konfliktpotenzial. Das durch das Toleranzpatent eingeführte Modell war gleichwohl keine Erfindung des Josephinismus, in einigen deutschen Staaten war dieses bereits seit mehr als zwei Generationen gebräuchlich. So sollten im Kurfürstentum Braunschweig-Lüneburg seit 1713 die Kinder, wenn der Vater katholisch war, je nach Geschlecht in verschiedenen Religionen erzogen werden, war der Vater Protestant, sollten alle Kinder seiner Konfession folgen – sofern kein Ehevertrag vorlag.27 In Siebenbürgen waren die Schließung von Mischehen und die religiöse Erziehung anders geregelt. Die gemischten Ehen sollten durch den Seelsorger der Braut getraut werden wobei sich die konfessionelle Zugehörigkeit der Kinder nach dem Geschlecht richtete.28 In der Zeit nach dem Toleranzpatent hat sich die rechtliche Regelung der Eheangelegenheiten im Österreichischen Kaiserstaate unterschiedlich entwickelt. In Ungarn blieb für rein protestantische Ehen das josephinische Ehepatent vom Jahre 1783 die Grundnorm. Dies blieb so bis zum 1. Mai 1853, als das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch auch in Ungarn eingeführt wurde. Die Entscheidung über die Kognition der protestantischen Ehen lag bei den bürgerlichen Gerichten. Die Jurisdiktion über die gemischten Ehen ging wieder an die römisch-katholische Kirche.29 In den so genannten deutschen Provinzen des Österreichischen Kaiserstaates hat das Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch aus dem Jahre 1811 die Ehesachen reguliert. Im § 140 enthielt es die Bestimmungen hinsichtlich der Erziehung der Kinder in 26 27 28 29
Barton, Peter F.: „Das“ Toleranzpatent von 1781. Edition der wichtigsten Fassungen. In: Ders. (Hg.) Im Zeichen der Toleranz. Aufsätze zur Toleranzgesetzgebung des 18. Jahrhunderts in den Reichen Joseph II., ihren Voraussetzungen und Folgen, Wien 1981, 152–202, hier 181. Linde, Justin, Timotheus: Ueber religiöse Kindererziehung in gemischten Ehen und über Ehen zwischen Juden und Christen. Gießen 1847, 22. Kuzmány Handbuch des Eherechtes, 416–417. Über die Situation in Siebenburgen und in anderen österreichischen Provinzen siehe: Ebd., 70, 76–80.
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gemischten Ehen. Darin war auch geregelt, in welchem Alter ein Kind in eine andere Konfessionskirche konvertieren durfte.30 Der Diskurs in Ungarn hat auch die Entwicklung in anderen Ländern, vor allem in den deutschen Staaten reflektiert. In der napoleonischen Zeit (zwischen 1806 und 1809) wurden in etlichen deutschen Ländern die gesetzlichen Normen in Betreff der Kindererziehung in gemischten Ehen neu gestaltet. Eine zweite Welle erfolgte in den 1820er und 1830er Jahren. In mehreren Ländern waren die rechtlichen Normen in der Zeit des Vormärz in Bezug auf die religiöse Erziehung der Kinder in Mischehen durch konfessionelle Symmetrie gekennzeichnet. In Württemberg galt seit 1831 ein Gesetz, nach welchem alle Kinder in Mischehen den Eltern nach dem Geschlechte folgen sollten. Die gleiche Regelung galt für Mischehen auch in den ehemals polnischen Provinzen in Russland. In Bayern wurde bei gemischten Ehen seit 1838 ein Privatvertrag der Ehepartner zur Richtschnur, sofern beide Partner bei ihrer Konfession blieben. In dem Falle wenn kein Ehevertrag abgeschlossen worden war, sollten die Kinder den Eltern nach dem Geschlecht folgen.31 Hinzu kam in den ersten beiden Dekaden des 19. Jahrhunderts das oft thematisierte Problem des moralischen Verfalls und des religiösen Indifferentismus, zu welchem die Mischehen nach der allgemein verbreiteten Meinung wesentlich beigetragen hatten. So sollten die katholischen Geistlichen dem Unterricht derjenigen jungen Leute, die mit Akatholiken eine Ehe schließen wollten, und der religiösen Erziehung der Kinder aus Mischehen sowie der Überwachung und Überprüfung von protestantischen Konvertiten eine besondere Aufmerksamkeit widmen. Auf der ungarischen Nationalsynode im Jahre 1822 führte das Episkopat als Hauptursache des Sittenverfalls und die Entkräftung der Religiosität unter allen Schichten unter anderem auch den „…Umgang mit den Protestanten und Nichtkatholiken in matrimoniae mixtae religionis“ an.32 Die Zugeständnisse des Toleranzediktes haben im Lande der Stephanskrone zum Anwachs der gemischten Ehen deutlich beigetragen. Hand in Hand damit ist auch das Ausmaß der Streitigkeiten um die religiöse Erziehung der Kinder und ihrer Religionszugehörigkeit angewachsen. Der Staat reagierte darauf in den folgenden
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Barth-Barthensheim, Johann Ludwig: Oesterreich’s geistliche Angelegenheiten in ihren politisch-administrativen Beziehungen. Wien 1841, 782. Ebd., 400. Über die rechtlichen Normen in Betreff der Legitimität oder Gesetzwidrigkeit der Mischehen in deutschen Staaten siehe: Linde, Ueber religiöse Kindererziehung, 15–19. Eine Übersicht der deutschen Literatur (mit einigen Titeln aus dem österreichischen Milieu) über die gemischten Ehen siehe bei Schulte, Handbuch des katholischen Eherechts, 226–227, Fußnote 1. Zu Entwicklung der Gesetzgebung über die religiöse Erziehung der Kinder in matrimonia mixtae religionis mit besonderer Aufmerksamkeit für Bayern siehe: Die religiöse Erziehung der Kinder aus gemischten Ehen. Eine geschichtlich-rechtliche Erörterung. Aus dem „Katholiken“ besonders abgedruckt. Speyer 1837. Szokolszky, Bertalan: Százéves Kassai püspökség 1804–1904. Kassa 1904, 36–38. Čižmár, Marián: Dejiny Košického arcibiskupstva IV. Pásli im zverené stádo. Košickí biskupi v rokoch 1804–2004. [Geschichte des Kaschauer Erzbistum IV. Kaschauer Bischöfe in den Jahren 1804– 2004] Prešov 2006, 93.
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Jahren in Form von etlichen Intimaten, die die Bestimmungen des Toleranzpatents modifiziert haben. Wegen der besseren Aufsicht über die in Mischehen erzogenen Kinder wurde im Intimat vom 23. Juni 1793 den Pfarrern in Ungarn angeordnet, besondere Matrikeln zu führen, „damit sie über die Kinder vermischter Ehen in ihren Pfarren, und Filialen, welche katholisch erzogen werden müssen, zur gehörigen Zeit wachen können.“33 Besonders häufig kamen die Zerwürfnisse im Falle eines legitimen Übertrittes eines oder beider Ehegatten vor. Die gesetzlichen Normen haben auch hier das „Praerogativum der dominanten Religion“ befolgt. Falls beide nichtkatholischen Eltern zum Katholizismus konvertierten, hatten sie nach dem § 8 des Toleranzedikts für Ungarn das Recht, ihre „nicht zum Entscheidungsalter gelangten Kinder hinüberzuziehen“ und zwar der Vater die Kinder beider Geschlechter, die Mutter allein die Töchter.34 Im Laufe der Zeit wurde die Frage, bis zu welchem Alter die Kinder der elterlichen Religion zu folgen hatten, neu geregelt. In Ungarn mussten gemäß der Verordnung vom 14. September 1785 bei der Konversion beider Eltern zur katholischen Kirche alle Kinder unter zwölf Jahre und diejenigen, die noch nicht die Sakramente der Buße und der Eucharistie aufgenommen haben, der Religion der Eltern folgen. Bei der Konversion zum Protestantismus durfte nur der Vater seine Söhne unter 12 Jahren mitnehmen. Die älteren Kinder bis zum 18. Lebensjahr blieben außerhalb der väterlichen Macht und standen unter katholischer Aufsicht.35 Bei der Konversion der Mutter zum Protestantismus sollten alle Kinder weiterhin katholisch erzogen werden. Das Intimat vom 6. September 1838 reduzierte das Alter der zum Protestantismus übertretenden Kinder auf sieben Jahre.36 Eine andere als die gesetzlich verbindlich festgelegte Regelung der religiösen Erziehung war untersagt. Das öffentliche Versprechen oder Reverse über die religiöse Erziehung ihrer Kinder zugunsten einer anderen als der katholischen Konfession wurden gesetzlich mehrmals verboten.37 Es versteht sich von selbst, das diese Verordnungen ein großes Konfliktpotenzial in die interkonfessionelle Beziehungen brachten und in machen Gebieten zu dramatischen Zwischenfällen führten. Die meisten Streitigkeiten entstanden weiterhin bei der Trauung von Personen, die evangelisch erzogen wurden, obwohl sie de jure Katholiken werden sollten. Nach dem Intimat vom 7. August 1798 durften diejenigen Personen, die gesetzwidrig bis zu ihrem 18. Lebensjahr als Protestanten aufgewachsen sind, beim Bekenntnis ihrer Religion bleiben und durch den protestantischen Priester getraut werden. Sie brauchten nur einen formalen, feierlichen Übertritt absolvieren. Es ging dabei um die Bestätigung eines älteren Intimats vom 12. Februar 1767. Bereits zwei Monate später (16. Oktober 1798) wurde aber ein anderes Intimat erlassen, in welchem 33 34 35 36 37
Gustermann, Anton Wilhelm. Oesterreichisches Kirchenrecht in den teutschen, ungerischen, und galizischen Erbstaaten. Erster Band, Wien 1812, 115–116. Schulte, Johann, Friedrich: Ueber gemischte Ehen vom Standpunkte der Parität in besonderer Beziehung auf die deutsch-slawischen Kronländer Oesterreichs. Prag 1862, 11. Kuzmány, Handbuch des Eherechtes, 449–450. Ebd., 401–402. Ebd., 416. Intimat vom 26. Juli 1808 und 12. Oktober 1817.
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die Streitfälle wiederum anders geregelt waren. In den Fällen, bei denen Zweifel über die Legitimität der evangelischen Erziehung bestand, sollte das Brautpaar seine Ehe unbedingt vor dem katholischen Pfarrer schließen. Sonst drohte die Nichtigkeitserklärung der vor dem evangelischen Priester getrauten Ehe. Es handelte sich um ein Gesetz, das nur beschränkt durchgesetzt werde konnte. Das ergibt sich schon aus der Tatsache, dass im Verlauf der nächsten acht Jahre fünf Intimate in diesem Sinne erschienen sind.38 Im Jahre 1806 wurden zwei Intimate herausgebracht, welche die Schließung von Mischehen geregelt haben. Nach dem ersten dieser Intimate vom 1. Juli 1806 durften konfessionell unterschiedliche Brautleute erst dann getraut werden, wenn die fragliche Person eine Bestätigung ihrer Mitgliedschaft zur protestantischen Kirche aufweisen konnte. Das zweite Intimat vom 26. August 1806 hat dann die Recopulation gemischter, vor einem protestantischen Priester geschlossenen Ehen angeordnet. Dem die Norm verletzenden Priester drohte bei Nichtbeachtung die Enthebung seines Amtes. Diese Verordnung zeigt deutlich, wie weit die Vorstellungen des Staates und die alltägliche Realität voneinander entfernt waren. Im gleichen Geist wurden in den nächsten fünf Jahren bis zum Dezember 1812 weitere sechs Intimate veröffentlicht. Offensichtlich ohne größeren Erfolg, denn am 16. Januar 1826 wurde wiederum eine solche Verordnung im Hofdekret publiziert.39 Die Eltern in gemischten Ehen haben verschiedene Strategien herausgebildet, wie sie dem disziplinierenden Druck des Staates entfliehen konnten. Oft haben sie ihre Kinder vor den Behörden verheimlicht. Die Reaktion der Staatsmacht kam in Form von neuen Verordnungen sehr schnell. Die Intimate vom 9. November 1813 und vom 24. August 1819 bestätigten das o. g. Verbot. Den katholischen Seelsorgern wurde verordnet, Verzeichnisse von Kindern aus gemischten Ehen, welche katholisch zu erziehen waren, zu verfassen. Diese Elenchi sollten die katholischen Pfarrer den protestantischen Seelsorgern „zur Darnachachtung einhändigen“. Falls jener diese Elenchi nicht respektiereen und die problematischen Personen weiterhin seelsorgerisch betreuen würde, drohte ihm ein Fiskalprozess mit Geldstrafen.40 Auf diese Verschärfung durch vermehrte Kontrolle hat die kirchliche Hierarchie beider protestantischen Konfessionen mit großer Beunruhigung reagiert. Diese wandte sich an die kaiserlich königliche Majestät mit einer Reihe von Bittschriften, in welchen sie die Aufhebung der dem Religionsgesetz 26/1791 widersprechenden Norm forderten.41 Die staatliche Politik verfolgte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Bezug auf die Mischehen zwei Hauptziele. Einerseits war es die Aufrechthaltung des Praerogativum der dominanten Religion, auf der anderen Seite die Sicherstellung der Loyalität ihrer nichtkatholischen Bürger. Diese Politik widerspiegelt sich auch in der Normsetzung dieser Zeit. Einerseits wurden Intimate erlassen, nach welchen die Kinder in Mischehen, die evangelisch erzogen werden sollten, doch veranlasst 38 39 40 41
Ebd., 307. Ebd., 307–308. Ebd., 418. Berzeviczy, Nachrichten über den Zustand der Evangelischen, 134.
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wurden, in die römisch-katholische Kirche zu gehen, aber wiederum weiterhin beim Bekenntnis dieser Konfession bleiben durften. Dem evangelischen Seelsorger wurde der religiöse Unterricht solcher Kinder untersagt.42 In Hofdekreten aus den Jahren 1809, 1813 und 1817 wurde anbefohlen, „die Proselytenmacherei von der Seite des evangelischen Theiles strenge zu ahnden.“43 Auf der anderen Seite sind mehrere Intimate erlassen worden, in welchen die Aufhebung der Reversepflicht bestätigt wurde und sowohl Strafmaßnahmen und aller Zwang gegen diejenigen Personen, die Reverse nicht gehalten haben, untersagt. Zugelassen waren damit nur freiwillige Verspechen (Kontrakte, Reverse).44 Besonders während der napoleonischen Kriege ist die Tendenz, die Spannungen zwischen den Konfessionsgemeinden zu vermindern, gestärkt worden. In den Jahren 1803 und 1806 erlassene Intimate haben wiederum genehmigt, dass die Kinder, die bis zu ihrem 18. Jahr evangelisch erzogen wurden, bei ihrer Konfession verbleiben durften und sich vom protestantischen Geistlichen trauen lassen konnten, obwohl sie den Gesetzen nach katholisch zu erziehen waren.45 In demselben Sinne wurde noch ein Intimat vom 2. August 1838 veröffentlicht.46 Im katholischen Diskurs setzte sich allmählich die Meinung durch, dass ein schriftliches Versprechen der Erziehung aller Kinder in der katholischen Konfession kein Revers sei. Denn ein Revers als gesetzliche Bedingung zur Schließung einer Mischehe sei etwas anderes als ein freiwilliges Versprechen, ganz abgesehen davon, ob man nun ein solches Dokument als Kontrakt oder Revers bezeichnet. Nach Karl Kuzmány, der in den 1830er und 1840er Jahren evangelischer Pfarrer zu Sohl47 und Neusohl48 war, haben katholische Pfarrer weiterhin die Reverse als Vorbedingung einer Trauung bei gemischten Ehen gefordert. Doch er äußerte sich dahingegen so: „Die Aufhebung der Reverse wurde je weiter je schwächer aufrechterhalten, bis sie ganz aufhörte. Die Intimate und Hofdekrete sprechen dann von Fernhaltung des Zwanges und der Drohungen die Trauung zu verweigern, und lassen das freiwillige Versprechen, die freiwilligen Reverse zu.“49 Die Haltung der Katholischen Kirche gegenüber den gemischten Ehen blieb also trotz der Zugeständnisse in der Religionspolitik des Staates unverändert. In einem anonymen Druck aus dem Jahre 1841 mit dem vielsagendem Titel „Verletzt der katholische Clerus Ungarns den §. 15 des Artikels 26. von 1790/91, wenn er die gemischten Ehen nicht einsegnen will?“ wurde diese Haltung ganz eindeutig formuliert: „Denn obwohl in Ungarn die gemischten Ehen nach dem Landesgesetze gesetzlich erlaubt sind, so hören sie dennoch da nicht auf, kirchlich unerlaubt zu sein, daher kann der katholische Pfarrer in Ungarn alles thun, durch was solche 42 43 44 45 46 47 48 49
Kuzmány, Handbuch des Eherechtes, 418. Intimate für Ungarn vom 13. Dezember 1796, 13. August 1805, 25. August 1807, 28. März 1808, 27. Februar 1816. Kuzmány, Handbuch des Eherechtes, 416. Ebd., 416. Intimate aus den Jahren 1808, 1811, 1817, 1821 und 1825. Ebd., 418. Intimate vom 5. April 1803, 1. Juli 1806. Ebd., 308. Slowak. Zvolen. Slowak. Banská Bystrica. Ebd., 416.
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gemischte unbedingte Ehen bürgerlich gebilligt werden; aber nie dasjenige, durch was solche Ehen den Anschein einer kirchlichen Billigung bekämen.“50 Die Aufhebung der Reversepflicht und ihre Beibehaltung nur in Form eines fakultativen Versprechens hat ein wichtiges Disziplinierungsinstrument in den Händen der katholischen Kirche wesentlich abgestumpft. Infolge dessen ist ein anderes „Mittel“ in den Vordergrund geraten – die Einsegnung der Ehe. Der Wortlauf des Gesetzes 26/1791 „matrimonia mixta semper coram Parochis catholicis inuenda erunt“ betraf den Kern der Auseinandersetzungen. Die katholische Seite erklärte es als Anwesenheit des Pfarrers beim Akt der Eheschließung. Der katholische Priester war bei Eheschließungen ein vom Staat qualifizierter Beamte, nicht als Diener der katholischen Kirche präsent. Dazu erklärte die protestantische Seite, dass die katholischen Pfarrer unbedingt verpflichtet seien, solche Ehen einzusegnen.51 Die „Segnung“ der Eheleute bestand aus der Messe für die Eheleute und aus den darin enthaltenen Trauungszeremonien. Die katholische Kirche forderte zur gültigen Schließung der Ehe (auch der gemischten Ehe) lediglich die gegenseitige freiwillige Einwilligung in der Gegenwart des zuständigen Pfarrers und von zwei oder drei Zeugen. Die priesterliche Einsegnung der Braut und der Eheleute, das Wechseln der Ringe, der feierliche Zug in die Kirche, alles das waren aus der Sicht der katholischen Kirche „Sollennitates accidentales“, die unwesentlichen Feierlichkeiten.52 Was aber aus der Anschauung der Kirche nur „lobenswerter Gebrauch“ und für die Gültigkeit der Ehe bedeutungslos war, hat in der Volksreligiosität offensichtlich große Bedeutung gehabt. Von protestantischer Seite sind oft Beschwerden erhoben worden, dass die Weglassung dieser „unwesentlichen Feierlichkeiten“ viele gemischtkonfessionelle Brautpaare von ihrem Vorhaben abschreckt haben. Eine Trauung vor dem katholischen Pfarrer, aber ohne Revers und mit priesterlicher Einsegnung, das war die Vorstellung der protestantischen Stände über die Form der Trauung von Mischehen, welche sie in Komitatsversammlungen und auf dem Landtag postulierten. Für den katholischen Klerus waren diese Forderungen nicht akzeptabel. Der anonyme Autor des zitierten Werks äußerte es eindeutig: „Willigt also der katholische Ehegatte in die nichtkatholische Erziehung seiner Kinder, so gibt er dadurch zu erkennen, wie wenig er an seinem Glauben hält, oder wie wenig ihm das ewige Glück seiner Kinder am Herzen liegt. Im ersten Falle ist er ein gleichgültiger Katholik, im zweiten ein sorgloser Vater, oder eine sorglose Mutter; in beiden Fällen aber noch im Widerspruche mit der Natur und folglich mit den göttlichen Gesetzen.“53 In dem Falle, in dem der nichtkatholische Christ weder zum Katholizismus übertreten wollte, noch die Kindererziehung in der katholischen Religion versprach, durfte das Brautpaar keinen Dispens wegen Religionsverschiedenheit erhalten. Entschieden sich jedoch die Brautleute, eine gemischte Ehe zu schließen, musste diese vor dem 50 51 52 53
Verletzt der katholische Clerus Ungarns, 26. Ebd., 8. Ebd., 11; Fejér, Georgius: Rationes Ecclesiae catholicae adversus matrimonia mixta irrestricta. Augustae Vindelicorum 1840, 96. Ebd., 32.
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katholischen Pfarrer geschlossen werden, unter seiner passiven Assistenz als testis qualificatus. Der Priester konnte nicht im Ornate angezogen sein, er durfte das Paar nicht einsegnen und für sie öffentliche Gebete abhalten.54 Die katholischen Pfarrer haben an manchen Orten auch die passive Assistenz bei Schließung von Mischehen verweigert, mit dem Ziel, das Versprechen der katholischen Erziehung der Kinder zu erreichen. Es entstand eine komplizierte Situation. Einerseits war aus der Sicht der katholischen Kirche eine gemischte Ehe im Allgemeinen unerlaubt, gleichzeitig aber konnte ein Katholik mit Nichtkatholiken eine gültige Ehe schließen. Es bestand eine bedingte Duldung solcher Ehen, „um [einem] grosseren Uebel und Aergerniss zum Nachteile der Religion auszuweichen.“55 Die Bedingungen bestanden in der Sicherstellung der Katholizität des katholischen Teiles und aller erzeugter Kindern. Auf den letzten ungarischen Landtagen vor der Revolution war die Aufhebung der Reverse bei gemischten Ehen ein vielbesprochenes Thema der Sitzung. Bereits seit den 1820er Jahren bildeten in vielen Komitaten Ungarns die Religionsstreitigkeiten ein Drittel der Verhandlungen in den Dikasterien.56 Auf dem Landtag der Jahre 1840/41 wurden die Forderungen der Protestanten nach gänzlicher Abschaffung der bereits bestehenden und künftigen Reverse in der unteren Kammer anerkannt und darüber abgestimmt. Auch im Oberhaus überwog die Meinung, dass die Reverse ungesetzlich seien, doch die gemeinsame Resolution wurde gesetzlich nicht umgesetzt.57 Erst auf dem hektischen Landtag von 1843/4 wurde die Frage der Kompetenz über die Mischehen und Kindererziehung neu reguliert. Im Prinzip ging es nur um die Erweiterung und Modifizierung des Gesetzartikels 26/1791 durch 11 Paragraphen des III. Artikels. Im ersten Paragraphen wurde der freie Verbleib in der protestantischen Konfession für diejenigen garantiert, „welche bis zum erreichten 18. Jahresalter in der evangelischen Religion erzogen worden sind, die Frauenpersonen aber nach ihrer Verheiratung, auch wenn sie dieses Jahresalter noch nicht erreichten, weder selbst, noch ihre Nachkommen wegen der Religion zur Rechenschaft gezogen werden können.“58 Im § 2 wurden auch die vor dem evangelischen Seelsorger getrauten Mischehen für gesetzlich und gültig anerkannt. Im § 3 sind dann auch die gemischten Ehen, die seit dem 15. März 1839 bis zum 10. November 1844 „nicht durch einen römischkatholischen, sondern durch den Seelenhirten irgend einer der evangelischen Religion kopuliert wurden“, für rechtskräftig erklärt worden.59 In den folgenden Paragraphen wurde der Übertritt von der 54 55 56 57 58
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Kuzmány, Handbuch des Eherechtes, 333. Verletzt der katholische Clerus Ungarns, 14. Berzeviczy, Nachrichten über den Zustand, 203. Geschichte der evangelischen Kirche in Ungarn vom Anfange der Reformation bis 1850 mit Rücksicht auf Siebenbürgen. Mit einer Einleitung von Merle d’Aubigné. Berlin 1854, 582– 584. Autor der Schriften war Johann Georg Bauhofer. Gesetzartikel des ungarischen Reichstages 1843–1844. Aus dem Ungarischen nach der Originalausgabe übersetzt und mit den Zitaten der veränderten Gesetzartikel versehen von Dr. J. Zima. Tirnau 1844, 3–4 Etwas verschiedene deutsche Übersetzung siehe bei: Kuzmány, Urkundenbuch, 161–163. Ebd., 3
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römisch-katholischen zu einer der evangelischen Konfessionen vereinfacht, indem er seine Absicht in Gegenwart von zwei Zeugen vor dem örtlich zuständigen Pfarrer zweimal erklären sollte.60 „IM GLAUBEN ENTZWEYTE EHEN“ – SONDE IN DEN ZEITGENÖSSISCHEN DISKURS In der Vormärzperiode waren die konfessionell gemischten Ehen ein heikles und vielbesprochenes Thema in der ungarischen Gesellschaft. Im katholischen Diskurs hat die negative Wahrnehmung und Beurteilung der Mischehen überwogen.61 Neben den heimischen Autoritäten wie Augustin (Ágoston) Roskoványi, (1807–1892) oder György Fejér (1766–1850) wurde er durch die Autoren aus den deutschslawischen Provinzen und deutschen Staaten beeinflusst.62 Der erstgenannte Autor wurde im Jahre 1851 zum Bischof von Vác63 ernannt und von 1859 bis zum Jahre 1892 saß er auf dem Bischofsstuhl zu Neutra64. Fejér, bekannt vor allem als Historiker, war Kanoniker zu Grosswardein65 und Universitätsbibliothekar in Pest. Joseph Helfert (1791–1847), Professor des Römischen, Kanonischen und Privatrechts an der Wiener und Prager Universität hat in seinem oft zitierten Buch Die Rechte und Verfassung der Akatholiken in Oesterreich (1827) die Hauptargumente genannt, warum eine katholische Person die gemischte Ehen ablehnen sollte: Die ständige Gefahr des Abfalls vom katholischen Glauben, die Bedrohung der katholischen religiösen Erziehung ihrer Kinder und die Verschiedenheit der Religion zwischen Ehegatten welche „sehr leicht eine wechselseitige Zurückhaltung und Entfernung der Gemüther, oder wohl gar offenbare Streitigkeiten und Feindseligkeiten hervorbringt.“66 Helfert sprach von Übeln, welche gemischte Ehen immer mit sich bringen. An erster Stelle nennt er „übel verstandene Toleranz“, welche durch den
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62 63 64 65 66
Ebd., 3–4. Ungarländische juristische und polemische Literatur zum Thema gemischte Ehen den Jahren 1825–1841 ist dargestelt und kommentiert bei: Roskoványi, Augustinus: De matrimoniis mixtis inter catholicos et protestantes. Tomus I. Historia matrimonium mixtorum tam universalem, quam particularem Hungariae, Transilvaniae, et Austriae complectens. Quinque-Ecclesiiss 1842, 527–569. Aus etwa 50 Schriften sind die meisten im Jahre 1841 erschienen. Über die deutschsprachige Literatur zum Thema gemischte Ehen siehe: Schulte, Handbuch des katholischen Eherechts, 226–227, Fußnote 1. Fejér, Rationes Ecclesiae catholicae adversus matrimonia mixta irrestricta. Augustae Vindelicorum 1840. Dt. Waitzen. Slowak. Nitra. Rum. Oradea. Helfert, Joseph. Die Rechte und Verfassung der Akatholiken in dem Oesterreich. Die Rechte und Verfassung der Akatholiken in Oesterreich. Nach den k. k. Verordnungen zusammengestellt. Wien 1827, 97–98. Unveränderte Bewertung befindet sich auch in dritter Auflage. Ders.: Die Rechte und Verfassung der Akatholiken in dem Oesterreichischen Kaiserstaate. Dritte, sehr vermehrte und verbesserte Auflage. Prag 1843, 97.
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„immer mehr um sich greifenden religiösen Indifferentismus“ und „ganz ungebundene Freiheit der gemischten Ehen“ begleitet wird.67 Zum Problem der Mischehen haben sich in der Zeit des Vormärz sehr viele katholische Autoritäten aus dem Österreichischen Kaiserstaat und der deutschen Staaten geäußert. Nach Meinung der Rezensenten des vielbesprochenen Buches von Friedrich Kunstmann Die gemischten Ehen unter den christlichen Confessionen, die in der Zeitschrift Historisch-politische Blätter für das katholische Deutschland erschienen sind, seien gemischte Ehen „freilich das vielbesprochenste Thema der neusten Zeit“.68 Ein wichtiger Autor, welcher in der Periode des Vormärz die Position der katholischen Kirche mitgeprägt hatte, war Johann Rudolf Kutschker (1810–1881). Er war Professor der katholischen Sittenlehre an der k. k. Universität in Olmütz, seit 1862 Wiener Weihbischof, im Jahre 1876 wurde er zum Erzbischof in Wien ernannt. In den Jahren 1837–1839 publizierte er in der Neuen theologischen Zeitschrift (Nr. 7, 8, 9) seinen Aufsatz Die gemischten Ehen von dem katholischen Standpunkte aus betrachtet. Im Vorwort zur Buchausgabe aus dem Jahre 1846 zitiert Kutschker Carl Ludwig von Haller, der im 5. Bande seiner Restauration der Staatswissenschaft über die Mischehen geschrieben hat (1837): „…daß die gemischten, d. h. im Glauben entzweyten Ehen entweder die Gleichgültigkeit gegen Religion, den moralischen Tod befördern, oder die häusliche Ruhe zerstören, wechselseitige Abneigung, Streit, Verwirrung bewirken, den Hausgenossen zum Ärgernisse dienen, und die gute Erziehung der Kinder erschweren, oft zum Abfalle und zur Verzweiflung führen, daher die Kirche zu allen Zeiten diese gemischten Ehen mißbilliget und zu verhüten gesucht hat.“69 Die letzten zwei Kapitel mit dem Titel Verhalten des katholischen Seelsorgers gegen Brautleute gemischter Religion, wenn diese sich den kirchlichen Anordnungen fügen und Ingleichen, wenn diese sich den kirchlichen Anordnungen nicht fügen repräsentieren die Haltung der katholischen Eliten in der Donaumonarchie gegenüber den gemischten Ehen im Vormärz.70 Nach Kutschker bestehen drei Gefahren, die einem Katholiken in einer gemischten Ehe drohen: Die Kälte der Gatten gegeneinander in der religiösen Beziehung, im Indifferentismus und in der Gefahr der Apostasie:71 „Der Katholik ist mit dem Akatholiken zwei in Einem Fleische geworden, er hat Vater und Mutter verlassen, um seinem Gatten anzuhängen; wie leicht ist ihm da der Gedanke: Vielleicht liegt denn doch nicht so viel an der Religion […], man muß ein gutes Leben führen, und dann ist es ziemlich gleich, was Mensch glaubt. So wird nach und nach derjenige Zustand vorbereitet, welchen man den religiösen Indifferentismus nennt. Dieser Indifferentismus ist die Quelle, aus welcher die gemischten Ehen hervorge67 68 69 70 71
Helfert, Die Rechte und Verfassung der Akatholiken, 1843, 97–99. Die gemischten Ehen unter den christlichen Confessionen, geschichtlich dargestellt von Dr. Friedrich Kunstmann. In: Historisch-politische Blätter für das katholische Deutschland. Vierter Band, München 1839. 22–35, hier 22. Kutschker, Die gemischten Ehen, Vorwort, 1; siehe: Haller, Carl Ludwig: Restauration der Staatswissenschaft oder Theorie des natürlichen-geselligen Zustands der Chimäre des künstlich-bürgerlichen entgegengesetzt. Band 5. Winterthur 1837, 201. Ebd., 473–510. Ebd., 436.
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hen […]. Um die gemischten Ehen verteidigen zu können, streitet man das Dogma de Ecclesia un sola salvifica an, welches ein Gräuel ist in den Augen der Indifferentisten […]“72 Diese eindeutige Stellungnahme, begleitet durch selbstbewusste und oft auch odiöse Äußerungen traf im protestantischen Diskurs einen empfindlichen Nerv. Im Rekurs eines Teiles des ungarischen katholischen Episkopats wurde die Forderung gestellt, „aus allen gemischten Ehen müssten die Kinder katholisch seyn, weil sonst der katholische Theil sein Kind dem Teufel und der ewigen Verdammniß übergebe“.73 Die protestantische kirchliche Elite hat ihre negative Einstellung gegenüber Mischehen, trotz einer gewissen Verbesserung der rechtlichen Lage nichtkatholischer Ehepartner, auch nach dem Toleranzpatent beibehalten. Grund dafür war nicht allein die deutliche Asymmetrie in der Frage der Erziehung der Kinder. Die Diskriminierung der nichtkatholischen Seite bestand darin, dass im Prinzip nur ein Viertel der Kinder (Söhne eines protestantischen Vaters) in dessen Konfession erzogen werden durften. Ein zeitgenössisches Zeugnis über die Denkungsart der protestantischen Geistlichen hinterließ im Jahre 1817 ein evangelischer Pfarrer zu Oberbotzen74 namens Krystyan Fornet in seinem handschriftlichen Werk Warnung vor der Ehe verschiedener Religionen.75 Allein der Titel indiziert die Haltung des Autors zu diesem Problem. Als Motivation für die Entstehung seiner Warnung nennt er die Tatsache, dass nach den Religionsreformen von Joseph II. die Zahl der Mischehen deutlich angewachsen sei. Der „Verderb und Schaden“ für die evangelische Kirche bestünde darin, dass aufgrund des Toleranzpatents die „Zahl unseres Volkes sich von Tag zu Tag mehr und mehr verknappen wird und sich die der gegnerischen Partei dagegen vermehren muß.“76 Im ersten Teil der Schrift präsentiert Fornet die Argumente aus dem Alten und Neuen Testament, die gegen die Schließung von gemischten Ehen zwischen Juden und Heiden, Christen und Nichtchristen sprechen. Hier werden die theologischen Begründungen der Schädlichkeit von Mischehen nicht thematisiert, vielmehr seien die empfohlenen sozialen Strategien und Verhaltensweisen für die jeweiligen Akteure fokussiert: Die künftigen Ehegatten, die Eltern und jene protestantischen Gläubigen, die eine Mischehe bereits geschlossen hatten. Neben der Vertiefung seines Glaubens und der Festigung in der „allein rechten und alleinseligmachender Religion“, der Gehorsamkeit gegenüber den Eltern und den ehrwürdigen Gliedern der Kirchengemeinde sollte der junge Evangelische die Kontakte zu Personen anderer Religion meiden. Falls er sich mit einem Nichtevangelischen treffen muss, so „soll er ihn immer für den verbotenen Baum im Paradies halten, ihn nie berühren oder sich von ihm berühren lassen.“77 72 73 74 75 76 77
Kutscher, Die gemischten Ehen, 441. Berzeviczy, Gregor: Nachrichten über den jetzigen Zustand der Evangelischen in Ungarn. Leipzig 1822, 61. Slowak. Vyšná Boca. SNK-Archív literatúry a umenia. Sign. J 2736, Dejiny cirkvi. Wystraha pred Manželstwjm rozdjlného Naboženstwj zepsana skrz Krystyana Fornet na Bocy Roku 1817. Ebd., 1 Ebd., 12.
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Die heilige Pflicht der Eltern bestand in der sorgfältigen religiösen Erziehung ihrer Kinder, in der steten Festigung ihres konfessionellen Selbstbewusstseins durch die Betonung der Tatsache, dass sie gottgesegnet und alleinseligmachend ist und durch die Hinweise auf die Irrtümer und die Schädlichkeit der anderen Religionen. Sie sollten „soweit es möglich ist, ihre Kinder von dem Treffen und Kennenlernen mit Leuten anderer Religion fernhalten. Sie sollten deswegen weder im Dienst, noch zum Erlernen eines Gewerbes ihre Kinder zu solchen Leuten [geben], besonders aber sollen sie verhindern, daß sie unter ihnen untergebracht werden.“78 Die Stigmatisierung der Kontakte mit Andersgläubigen nicht nur im Kinderalter, sondern auch hinsichtlich der übrigen sozialen Kontakte war eine Reaktion auf die ständig wachsende interkonfessionelle Kommunikation. Eine gänzliche Absonderung war jedoch unter den neuen und veränderten Bedingungen infolge der steigenden Mobilität und der bestehenden Rechtsnormen nicht zu halten. Und was hat Krystyan Fornet denjenigen empfohlen, die „…so unglücklich geworden sind, daß sie verbunden mit den Personen unterschiedlichen Religion leben müssen? […] Man kann keinen besseren Ratschlag geben als diesen: 1. Sie sollen ihren großen Fehler erkennen und mit herzlicher Reue anerkennen, dass sie sehr gesündigt haben, und zwar nicht nur gegen Gott und gegen ihre Kinder, sondern gegen unsere ganze Kirche. 2. Sie sollen in tiefer Demut den Gott im Himmel bitten, dass er ihnen ihre Schuld vergibt und ihren Fehler, welchen sie gemacht haben, in seiner Weisheit und Güte, soweit es möglich ist, wiedergutmacht. 3. Sie sollen auf sich immer emsig und wachsam achtgeben, damit sie ihren Glauben und ihr gutes Gewissen nicht verlieren oder in seiner Religion nicht halbherzig werden. 4. Damit sie ihre Kinder, die sie in seiner Religion behalten dürfen, vor dem Verführen auf verschiedene Art warnen und in Furcht und Ermahnung erziehen. Denjenigen Kindern, die einer anderen Religion folgen müssen, auf eine unschuldige Weise zeigen, was und wie sie über unsere Religion denken sollen, damit sie diese auf keine Weise schmähen würden. Sie sollen für sie bei beim Herr Gott brünstig beten, damit Er sie durch den heiligen Geist erleuchte und später auf den wahren Weg zu bringen beliebe.“79 Fornet richtete seine Aufmerksamkeit auch auf die Probleme in der alltäglichen Praktizierung der Religion, auf unterschiedliche Gottesdienste und Gebete. Auch in den Fällen, in denen laut Gesetz die Söhne in der evangelischen Religion des Vaters erziehen werden konnten, würde dies dem Vater sehr schwer fallen, denn er muss dann alleine in den Gebeten und im rechten Glauben an Gott unterrichten. Außerdem könne er nie sicher sein, „ob die Mutter, welche gewöhnlich mit den Kindern in ihrem jungen Alter die meiste Zeit verbringt, unsere Religion nicht verekelt und von ihr nicht abgebracht werden, auch was geschieht, wenn der Vater früher als die Mutter stirbt.“ 80 Die wichtigere Rolle der Mutter in der Kindererziehung wurde auch im katholischen Diskurs akzentuiert, da die Mutter in den ersten Jahren der Kindheit die meiste Zeit mit ihren Kindern verbringt und dadurch ohne Rücksicht auf das Ge78 79 80
Ebd., 13. Ebd., 14–15. Ebd., 9–10.
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schlecht des Kindes die Grundlage der Religiosität vermittelt. Im bereits angeführten Werk von J. Kutscher wird auf die bessere Lage der Mutter bei der Vermittlung ihrer Religion sehr eindeutig hingeweisen: „Die Mutter ist es, welche zuerst den Blick des Kindes zu dem Vater richtet, sie lehrt es bethen. Die Erfahrung lehrt, wie sehr die Mütter auf die Religiosität der Kinder Einfluss nehmen können, so zwar, dass es gar viel braucht, um in späteren Jahren die in der Jugend erhaltene Eindrücke wieder zu verwischen. […] gewöhnlich betreten die Kinder an der Hand der Mutter zum ersten Male das Haus Gottes, in Begleitung der Mutter verrichten sie die ersten religiösen Übungen.“81 Es bestand allgemeines Einverständnis darüber, dass die Gefahr des Abfallens der Kinder, trotz der gesetzlichen Bestimmungen viel größer bei Ehen mit einer nichtkatholischen Mutter als bei Ehen mit einem protestantischen Vater war. Auf den großen Einfluss der Frauen wies der Autor am Beispiel der alttestamentarischen Männer Adam, Salomon oder Achab hin „weil das weibliche Geschlecht eine Menge Reizmittel besitzt, durch welche ein Mann gar oft bethört wird, und gegen seine bessere Überzeugung handelt.“82 Die Problematik der Mischehen haben auch die Autoren von zwei der wichtigsten Werke über die Lage des Protestantismus in Ungarn, Gregor Berzeviczy und Ferdinand Friederich erörtert. Im Jahre 1822 veröffentlichte Gregor Berzeviczy seine Nachrichten über den jetzigen Zustand der Evangelischen in Ungarn (1822). Er stützte sich dabei auf Beschwerden, die in den ersten zwei Dezennien des 19. Jahrhunderts an die Königliche Majestät eingereicht wurden. Gemischte Ehen, konfessionelle Übertritte, religiöse Zugehörigkeit der umstrittenen Kinder waren zu dieser Zeit drei der wichtigsten Ursachen der Konflikte. In der Hauptbeschwerde der Evangelischen in Ungarn aus dem 17. Juli 1799 befanden sich Belege über die Gewalttätigkeiten in den Fällen des sogenannten Transitus. Es handelte sich um die unerlaubte Konversion zu einer protestantischen Konfession, wobei es in meisten Fällen um die Ehepartner und Kinder aus gemischten Ehen ging. Die häufigsten Gewalttaten, zitiert aus der Gravamina bestanden in: „Das Fangen gewöhnlich bey Nacht, das Binden der Eltern, der Kinder, das Wegführen ins zweyte, dritte Comitat. Jahre lang werden die Kinder in der sogenannten Instruktion auf Unkosten der Eltern fest gehalten, und dort als Starrsinnige, Verruchte, Boshafte, dies sind die Ausdrücke dafür, behandelt. Rettet sich so ein Kind durch Flucht, so wird der Vater oder Mutter, gewöhnlich der evangelische Theil des Elternpaares, gefangen gesetzt, auf so lange bis das Kind zum Vorschein kommt; dies dauert nicht selten mehrere Jahre.“83 Berzeviczy berief sich dabei auch auf andere Gravamina vom 5. Januar 1819 und führte konkrete Vorfälle der gewaltsamen Entfernung der Kinder von ihren Familien an, welche gesetzwidrig in evangelischer Konfession erzogen wurden.84 Die Beschwerde appellierte an den bereits erwähnten Intimat aus dem 7. August 1798, welcher zur Beruhigung der interkonfessionellen Konflikte erlassen worden waren. Er trat dafür ein, dass jene Personen, welche katholisch erzogen 81 82 83 84
Kutschker, Die gemischten Ehen, 458. Ebd., 353–354. Berzeviczy, Nachrichten über den jetzigen Zustand, 94–95. Ebd., 105, 118.
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werden sollten, von ihrer Kindheit an bis zu ihrem 18. Lebensjahr aber in der evangelischen Religion aufgewachsen sind, bei ihrem Bekenntnis gelassen werden sollten.85 Eine andere Norm, welche die konfessionell gemischten Ehegatten tief betroffen hat, war die Verordnung über die Rekopulation der ohne Revers getrauten Paare. Berzeviczy bezeichnete sie als „eine neue Erfindung und sehr kränkend für die Evangelischen.“86 Sie war ein Teil des komplexen Problems der Legitimität gemischter Ehen. Ihre Gültigkeit wurde in Frage gestellt und die erzeugten Kinder für illegitim erklärt. Eine andere Beschwerde, die am 22. Juni 1820 im Distriktualkonvent der Theißer Superintendenz in Leutschau87 entstand, forderte die Abschaffung der Verordnung, welche die regelmäßige Erstellung der sogenannten Elenchen von in gemischten Ehen erzogener Kinder verordnete. Es wurde argumentiert, dass „diese neuerfundenen Elenchi, die Reversales, Fiskalactionen, Bekehrungen durch Heiduken, Einkerkerungen, Entreissungen der Kinder von Eltern, der Ehegatten von einander, und alle solche Gewalthätigkeiten…“ unwürdig für das neue Zeitalter sind.88 Die Erziehung der Kinder aus Mischehen sollte so geregelt werden, dass die Eltern bis zum 16. Lebensjahr ihrer Kinder frei über deren religiöse Erziehung entscheiden könnten. Nach diesem Alter sollten diejenigen, auf welche die katholische Kirche Anspruch erhebt, den vorgeschriebenen sechswöchigen Unterricht beim örtlichen katholischen Pfarrer absolvieren. Diejenigen, die sich weiterhin für die evangelische Konfession entschieden, sollten ungehindert dabei gelassen werden. Gregor Berzevicy hat die rechtliche Stellung der evangelischen Bevölkerung Ungarns nach dem Religionsgesetz so beschrieben, dass es „durch unzählige Explikationen, Modifikationen, Resolutionen, Intimationen in solche Verwirrung gebracht ist, daß es nur auf dem Papiere da ist.“89 Die häufigen Beschwerden und Klagen blieben ohne Erfolg, weil sie gegen den katholischen Klerus und die Dikasterien gerichtet waren, also gegen diejenigen, die gleichzeitig die „Beklagten und Richter“ waren. Bei Berzeviczy finden wir die protestantische Auffassung der Reverse im Vormärz. „Die Reversales sind ihrer Natur nach ungültig; denn woher können die Aeltern das Recht haben den Glauben, die Ueberzeugung, die Seelenfreiheit ihrer Kinder für immer zu fesseln? Die Reversales sind durch das Religionsgesetz abgeschaft – und doch hergestellt, durch das Sophism, daß man sie nicht geben müsse, wohl aber geben könne.“90 Die protestantische kirchliche Hierarchie hat wiederholt gefordert, die Aufsicht über die Angelegenheiten der Mischehen und konfessionellen Übertritte der unmittelbaren Aufsicht der königlichen Majestät unterzuordnen. Friederich, ähnlich wie Berzeviczy, benennt einige Vorfälle, in welchen die Verletzung der ungerechten gesetzlichen Bestimmungen über die religiöse Zugehö85 86 87 88 89 90
Ebd., 113, 122. Ebd., 74. Slowak. Levoča. Ebd., 140–141. Ebd., 143. Ebd., 74. Hervorhebung durch G. Berzeviczy.
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rigkeit der Kinder große Streitigkeiten und Zwiespalt in Familien und Gemeinden verursacht hatten.91 Die beste Lösung wäre nach seiner Meinung die Überlassung der Frage der religiösen Erziehung in Mischehen nur durch die Verabredung der Eltern. In den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts verlief auch im Königreich Ungarn eine rege Diskussion über die gemischten Ehen. Sie war ein Bestandteil der Bestrebung der protestantischen Konfessionen nach der völligen rechtlichen Emanzipation. Inspiriert durch die gleichzeitig stattgefundenen Prozesse in den Ländern des Deutschen Bundes haben auch einige Vertreter der protestantischen Elite ihre negative Beurteilung der gemischten Ehen überbewertet. Die Gleichberechtigung beider Partner in konfessionell gemischten Ehen, die Abschaffung jeder Form von Reversen und die Überordnung des zivilen Rechtes über die kanonischen Vorschriften der katholischen Kirche wurden gewissermaßen zu den letzten Herausforderungen auf dem langen Weg zur vollkommenen Rechtsgleichheit der anerkannten Konfessionskirchen. ALLTÄGLICHE LEBENSWELTEN Im Gegensatz zu den vorgestellten kirchlichen und weltlichen Normen war die Alltagspraxis in vielen Lokalgesellschaften bereits in der Vortoleranzzeit durch eine Pluralität in Ehesachen geprägt. In allen Bereichen, von der Eheschließung, der religiösen Erziehung und der Zugehörigkeit der Kinder zur Konfession bis zum Ort der letzten Ruhestätte, haben sich verschiedene soziale Normen etabliert. Der Disziplinierungsdruck des Staates ist hierbei auf einen unterschiedlich starken Widerstand der auf den traditionellen Konventionen beharrenden Lokalgesellschaften gestoßen.92 Dies betraf auch die Reversepflicht, welche der Staat als Vorbedingung für die Trauung einer gemischten Ehe im Jahre 1749 eingeführt hat. In der gemischten Ehe strebten beide Ehehälften und ihre Herkunftsfamilien nach einem Konsens, der mitgeprägt wurde durch die lokale Machtkonfiguration, die soziale Stellung der Ehepartner, die Kirchengemeinde und den örtlichen Landesherrn. Weitere Faktoren ergaben sich noch durch die Entfernung von der katholischen und protestantischen Pfarrei, die seelsorgliche Aktivität und das Prestige der örtlichen Geistlichen. Vor der Einführung der Reversepflicht bestanden die meisten Normverletzungen in matrimonia mixtae religionis in der Eheschließung vor einem protestantischen Priester und in der Erziehung der Kinder in einer nichtkatholischen Religion. Die Zugeständnisse an die protestantische Seite haben insbesondere in Orten mit einer starken Position der protestantischen Kirchengemeinden, nicht selten zur Konversion des katholischen Partners (Apostasie) geführt. So hat zum Beispiel der katholische Pfarrer in der Pfarrei Olaszliszka im Zempliner Komitat im Jahre 1749 91 92
Friederich, Ferdinand: Vertraute Briefe über die äussere Lage der evangelischen Kirche in Ungarn. Leipzig und Groitzsch 1825, 125–131. Šoltés, Peter. Tri jazyky, štyri konfesie. Etnická a konfesionálna pluralita na Zemplíne, Šariši a Spiši, [Drei Sprachen, vier Konfessionen. Ethnische und konfessionelle Pluralität in Komitaten Zemplen, Scharosch und Zips] Bratislava 2009, 123–128.
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bei der Visitation achtzehn Apostaten gemeldet. Olaszliszka zählte zu dieser Zeit 753 Einwohner. Der Nachbarpfarrer in Erdőbénye mit etwas mehr als 1000 Dorfbewohner hatte in seinem Matrikelbuch 22 Konversionen zur reformierten Konfession angeführt.93 Erst seit den 1750er Jahren standen die paria Conjugum diversae religionis unter konsequenter Kontrolle und bei den Visitationen führte man darüber eine besondere Rubrik. Man untersuchte die Einhaltung der Reverse und die tatsächliche religiöse Zugehörigkeit der Kinder in diesen gemischten Ehen. Noch zwanzig Jahre nach der Einführung der Reversepflicht war jedoch das Ausmaß ihrer Akzeptanz, besonders in Lokalgesellschaften mit einer starken Position der protestantischen Gemeinden sehr niedrig. Im Zempliner Markflecken Mád mit dem Filialdorf Zombor hat sich im Laufe der großen Migration eine ethnisch und konfessionell heterogene Bewohnerstruktur herausgebildet. Im Visitationsprotokoll hat man die Gläubigen so charakterisiert: „Populus mixti ritus, diversae Religionis, ungaricae et schlavonicae gnarus, in matre ungaricae praevalet.“ In Zombor „…ejus populus constat ex collone profugorum, subditorum ex variis Regni partibus confluentium mixtus, ex Graeci ritus, qui praevalet, Catholicus et Helveticus. Linguae majorim parte Schlavonicae.“94 Der Pfarrer Joseph Kerekes führte dabei neben zwei Konvertiten aus der reformierten Kirche vier „paria conjugum diversae religionis“ an. Das erste Paar waren Michael Pándi (ref.) und Elisabetha Molnár (r. kath.) und wurde im Jahre 1747 durch den vorherigen Pfarrer kopuliert. Die Frage der religiösen Erziehung hatten die Eltern so gelöst, dass „masculae proles in Calvinismo, fenelae in Catholica fide educantur.“ Das zweite Ehepaar waren Andreas Csende (r. kath.) und Elisabetha Németh (ref.); es war 1754 durch den reformierten Priester aus Szerencs getraut worden, freilich ohne Revers. Von ihren Kindern wurden „proles masculae in religione catholica educantur, puella senior in secta Matris“. Adamus Takács (luth.) und Anna Sztrell (r. kath.) hatten ihre Ehe in Schlesien geschlossen und alle ihre Kinder wurden in katholischer Religion erzogen, ähnlich wie die Kinder von Georgius Klima (luth.) und Elisabetha Sipos (r. kath.).95 Bei den Reversen handelte es sich formal um schriftlich verfasste Deklarationen, in welchen sich der nichtkatholische Verlobte oder auch beide Brautleute verpflichtet hatten, das katholische Glaubensbekenntnis des Partners und die katholische Erziehung aller Kinder zu bewahren. Die konkrete Fassung variierte in Abhängigkeit von dem sozialen Status. Je niedriger die betroffene Person in der gesellschaftlichen Hierarchie stand, desto ausdrucksstärkere Formulierungen wurden verwendet („lutherische Sekte“, „alleinselligmachende katholische Religion“, usw.)96 93 94 95 96
Arcibiskupský archív v Košiaciach (Erzbischöfliches Archiv in Kaschau, weiter AACass), Districtualia, vol. 3, fasc 2. Protocollum Canonicae Visitationis 1749, Comitatus Zempliniensis, Districtus Submontanus et Ujhelyiensis (nicht paginiert). AACass, Districtualia, vol. 4, fasc. 1, Protocollum Canonicae Visitationis 1772, Comitatus Zempliniensis. Ebd. Ung. Liptó.
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Abb. 1: Revers von Martin Bieleny (römisch-katholisch) und Susana Misowie (evangelisch-lutherisch), 1772, Pfarrei Svätý Kríž (Erzbistum Gran, seit 1775 Zipser Bistum, Komitat Liptau96)
In diesem Zusammenhang folgt noch ein Beispiel eines Revers aus dem Jahre 1772, welchen Martin Bieleny (r. kath.) und Susana Misowie (luth.) aus der Pfarrei Svätý Kríž, (Liptauer Komitat, Graner Erzbistum, seit 1775 Zipser Bistum) abgelegt haben (siehe Abb. 1): „Wir, unten Unterschriebene, vor den glaubwürdigen auch unterschriebenen Zeugen in den Ehestand eintretend, der katholischen und lutherischen Religion, verpflichten uns laut dem gnädigen königlichen Befehl, daß wir unsere Kinder beides Geschlechts in dem erlösenden, römisch-katholischen Glaube bilden und üben wollen, und damit sie sich in diesem römisch-katholischen Glauben besser üben könnten, verbinden wir uns, daß wir sie zum R. Kath. Pfarrer gründlich und sorgsam zuleiten werden, und zwar, bis sie ihr siebtes oder achtes Lebensjahr erreichen. Außer der von der königlichen Hoheit bestimmten Strafe, bezahlen wir zwölf Rheinische Gulden an die Kirche in Svätý Kríž, und zwölf Rheinischen Gulden dem berühmten Liptauer Komitat. Dieses Strafgeld soll uns Judices nobilium zuerkennen, falls wir auch nach Verlauf von fünfzehn Tagen nach der Vermahnung des Herrn Pfarrers, unsere Pflicht weiterhin vernachlässigen sollten.“97 97
Archív rímskokatolíckej farnosti Svätý Kríž (Römisch-katholisches Pfarrarchiv Svätý Kríž), ungeordnete Schriften. Reversales Martin Bieleny cum Susana Misowie, 1775.
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Abb. 2: Revers von Michael Rajtuch (römisch-katholisch) und Maria Hulek (evangelisch-lutherisch) 1793, Pfarrei Svätý Kríž (Zipser Bistum, Komitat Liptau)
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Die Reverse, in welchen die Pflichten der Eltern und die Strafe im Falle ihrer Nichteinhaltung eingeführt wurden, verweisen auf die Notwendigkeit, strengere Disziplinierungsmittel einzusetzen. Die allgemein formulierten Reverse nahm der katholische Klerus als ungenügende Garantie der Katholizität wahr. Die Strafe für eine Missachtung der Reverse war jedoch nicht einheitlich festgelegt. Sie bewegte sich vor allem in Abhängigkeit von den konkreten ökonomischen Verhältnissen des Ehepaars und konnte 20, 50, 80 aber auch100 rheinische Gulden betragen. Das angeführte Strafgeld hatten die Eltern bei jeder Reversverletzung, also für jedes in nichtkatholischer Religion erzogene Kind zu bezahlen. In den Reversen aus der Nachtoleranzzeit wurde ein besonderer Akzent auf die katholische Erziehung aller Kinder, ohne Rücksicht auf ihr Geschlecht gelegt. Das Toleranzpatent und der Gesetzartikel 26/1791 haben die ältere Praxis, wenn die Söhne eines nichtkatholischen Vaters seiner Religion gefolgt sind, sanktioniert. Im Jahre 1796 haben Michael Rajtuch (r. kath.) und Marina Hulek (luth.) folgenden Revers unterzeichnet (siehe Abb. 2): „Unten Unterschriebene, ich, Michael Rajtuch aus Straňany, gehörend zur Pfarrei in Svätý Kríž, ein Katholik, und ich, Marina Hulek, Tochter des Matej Hulek aus Kraľovany, eintretend in den Ehestand, geben wir von uns diesen Revers aus, daß laut dem Artikel 26 des Landtages im Jahre 1791, weil der Vater ein Katholik ist, wollen wir alle Kinder, mit welchen uns der allmächtige Gott segnen wird, in dem alleinwahren katholischen Glauben erziehen. Dem Herr Pfarrer, wenn sie zum Verstand kommen, werden wir sie ohne alle Verzögerung zur Erziehung bringen. Worüber wir für alle Sicherheit diesen Revers ohne jede Gewalt von uns ausgeben und, weil wir nicht schreiben können, mit eigener Hand durch ein Kreuz bestätigen.“ 98 Die Aufhebung der Reversepflicht in der zivilen Gesetzgebung hat die formale Seite wenig betroffen. Die Unterschiede bestanden vor allem darin, dass im Wortlaut des Reverses die Freiwilligkeit und Absenz jedes Zwanges betont wurden und die eventuelle Strafe nur allgemein festgehalten wurde. Im Jahre 1819 hat Mathias Holéci einen Revers mit einem Kreuz unterzeichnet, in welchem er sich verpflichtete (siehe Abb. 3): „…freiwillig und ohne jede Nötigung und Gewalttätigkeit, alle Kinder beiden Geschlechts, die Jungen sowie die Mädchen, die uns der Herr Gott schenkt, im katholischen Glauben zu erziehen und zu belassen. Ich werde ihnen keine Hindernisse tun, wozu ich mich unter Strafe, welche mir die weltliche sowie die geistliche Obrigkeit auferlegt, bei Anwesenheit der glaubwürdigen Zeugen verpflichte.“99 Das Ausmaß der Einhaltung oder Missachtung von Reversen variierte in Abhängigkeit von mehreren Umständen. An erster Stelle sind lokal bedingte soziale Normen zu nennen, das heißt Normen, welche sich innerhalb einer Lokalgesellschaft, einer Kirchengemeinde bzw. einer Landesherrschaft herausgeformt haben. Die Wahl des Lebenspartners unterlag in der Vormoderne festen Regeln und war nur mit Zustimmung der Eltern (insbesondere des Vaters) legitim. Die Stellung der Ehepartner in der Familie und damit auch der durch ihnen repräsentierten Konfession haben auch seine persönlichen Eigenschaften mitgeprägt. Zu verstehen sind darunter verschiedene Konfigurationen: Ob der Partner in die Ehe ledig oder ver98 99
Ebd. Reversales Michaelis Rajtuch et Marina Hulek, 1793. Ebd. Reversales Mathias Holeci Lutheranus, 1819.
190
Peter Šoltés
Abb. 3: Revers von Matej Holéci, (evangelisch-lutherisch) und der Witwe Ewa Dewecka (römisch-katholisch), 1819, Pfarrei Svätý Kríž (Zipser Bistum, Komitat Liptau)
witwet trat, ob er Ortsbewohner oder Zuwanderer (Etablierter oder Außenseiter) war, seine physische Dispositionen, das Ausmaß der individuellen Religiosität usw. Bei Übertretung der konfessionellen Grenzen waren andere Beweggründe, Motive und Grenzen wichtiger als die konfessionelle Zugehörigkeit. An erster Stelle war die Auswahl des Lebenspartners durch ein geographisches Limit und die For-
Die Konfessionsgrenze im Ehebett
191
derung nach der Kompatibilität des sozialen Status des Ehepartners eingeschränkt. Auf dem Lande war der Druck der Grundherren und der Gemeinde zur Endogamie im Rahmen einer Herrschaft, einer Pfarrei oder eines Dorfes stärker als in Städten. Bis zur Aufhebung der Leibeigenschaft im Jahre 1785 war vor der Eheschließung die Zustimmung der Grundherren erforderlich. Auf der einen Seite stand also die Forderung nach konfessionell homogenen Ehen, die vor allem von den örtlichen Geistlichen und der Kirchengemeinde immer wieder gestellt wurde, auf der anderen Seite stand das Streben nach dem gleichen sozialen Status der Brautleute und die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Familie. In Bezug auf andere Faktoren ist auch die Perzeption der örtlichen geistlichen Elite (Pfarrer, Ordensbrüder, bzw. Lehrer) zu erwähnen. Die Priester waren im Rahmen der lokalen Gesellschaften allgemein, oder zumindest was die eigene Konfession anbelangte, respektierte Deutungsinstanzen, welche die kirchlichen und staatlichen Normen verkündet, aber auch interpretiert haben. Im Visitationsprotokoll des Erlauer Bischofs Karl Eszterházy vom Jahre 1773 wurde der Pfarrer im Tokayer Markflecken Tarczal als Hauptursache der unzufriedenen Verhältnisse charakterisiert: „Der Pfarrer ist friedselig, er mag keine Gewalt und lässt zu, dass viele die Gesetze übertreten. Die nichtkatholische Bevölkerung ist hier sehr zahlreich; aufgrund der Friedfertigkeit des gegenwärtigen Pfarrers ist sie sogar im Senat vertreten. Die Autorität der Kirche geht zugrunde, insgesamt sind schon 18 (Leute, P. Š.) abgefallen.“100 Tatsächlich ist nachgewiesen, dass in Tarczal gemischte Ehen oft vor dem reformierten Priester geschlossen wurden. Die Visitationen hatten bei der Etablierung von neuen staatlichen Rechtnormen und ihrer Überwachung durch Kontrolle einen wesentlichen Anteil. Bei den „alten“, vor 1750 getrauten Ehen, war die Beständigkeit gegenüber den neuen Normen am stärksten. Im Zempliner Marktflecken Michalovce101 berichtete der Seelsorger, dass es in seiner Pfarrei etliche alte Ehen gibt, in welchen „proles mascula sequenter patres foemula matres in religione“. In der Pfarrei Zemplínsky Branč102 berichtete der Pfarrer den Visitatoren, dass in der letzten Zeit von etlichen gemischten Ehen 27 Personen zur katholischen Kirche konvertiert sind. Nur einer alten Mischehe zwischen Stefan Boka (ref.) und Susanna Mislikowski (kath.) wurde besondere Aufmerksamkeit gewidmet, denn die Kinder beiderlei Geschlechts hätten die kalvinistische Schule besucht. Erst unter Drohung einer Strafe von 100 Gulden hätte der Vater während der kanonischen Visitation versprochen, die Sache wiedergutzumachen.103
100 AACass, Districtualia, vol. 4, fasc. 1, Protocollum Canonicae Visitationis 1772, Comitatus Zempliniensis. 101 Ung. Nagy Michály. 102 Ung. Barancs. 103 Ebd.
192
Peter Šoltés Tabelle1: Konfessionelle Struktur in ausgewählten Pfarreien des Komitats Zemplin104 in den Jahren 1749, 1773 und 1842. Tabellarische Übersicht.
1749 Bracovce (Bracócz)
1773
Römisch katholisch
57
69
84
Griechisch katholisch
64
62
101
Evangelisch A. B.
55
66
98
Reformiert
37
43
131
Juden
13 1749
Horovce (Hór)
1773
1842
Römisch katholisch
48
124
324
Griechisch katholisch
36
29
91
Evangelisch A. B.
16
58
53
Reformiert
50
74
158
5
7
Juden 1749 Kvakovce (Kvakócz)
1842
1773
1842
Römisch katholisch
51
189
186
Griechisch katholisch
45
93
44
Evangelisch A. B.
70
86
95
Reformiert Juden
18 1749
Laškovce (Laskócz)
1773
4
23
98
Griechisch katholisch
27
36
108
Evangelisch A. B.
13
6
55
Reformiert
10
41
40
Juden
13 1749
Moravany (Morva)
1773
1842
Römisch katholisch
73
97
302
Griechisch katholisch
87
143
287
Evangelisch A. B.
58
81
100
Reformiert
28
33
349
11
115
Juden
104 Ung. Zemplén.
1842
Römisch katholisch
193
Die Konfessionsgrenze im Ehebett
1749 Nižný Žipov (Magyar Iszep)
1773
Römisch katholisch
89
168
136
Griechisch katholisch
253
281
96
Evangelisch A. B.
49
20
8
Reformiert
102
131
386
Juden
72 1749
Sečovce (Galszécs)
1773
1842
Römisch katholisch
277
298
873
Griechisch katholisch
504
522
844
Evangelisch A. B.
64
80
47
Reformiert
77
64
167
32
848
Juden 1749 Višňov (Visnyó)
1842
1773
1842
Römisch katholisch
47
77
Griechisch katholisch
37
60
41
Evangelisch A. B.
58
18
100
Reformiert
11
47
8
Juden
269
6
Bislang blieb ein wichtiger Aspekt unbeachtet. So sollte auf der Mikro- und Mesoebene zwischen jenen lokalen Gesellschaften und Gebieten unterschieden werden, in denen die konfessionell gemischten Ehen als ein akzeptierter Bestandteil der Alltagspraxis wahrgenommen wurden und solchen, in denen die gemischtkonfessionellen Ehen als verwerfliche, marginale Erscheinungen nur selten vorkamen. Zu der erstgenannten Gruppe gehörten konfessionell heterogene Überlappungsräume an der nordöstlichen Peripherie des Königreichs, was eine Folgeerscheinung von Depopulation und Migrationsbewegungen im 18. und 19. Jahrhundert war. Eine grafische Darstellung dieser Verhältnisse (Abb. 4) illustriert die konfessionelle Heterogenität in einigen Ortschaften des Zempliner Komitats. Diese Gespanschaft gehörte zusammen mit den Komitaten Scharos105, Abaujwar106 in die 1804 errichtete Kaschauer Diözese, bis dahin zum Erlauer Bistums. Es war gewissermaßen eine demographische Notwendigkeit und eine Überlebensstrategie, wenn sich in den Lokalgesellschaften mit einer relevanten Vertretung von drei oder vier Konfessionskirchen und einem Netz komplexer Vermögensverhältnisse wie auch einem starken Druck zur Endogamie ein häufiges Vorkommen von matrimonia mixtae religionis ergab. 105 Ung. Sáros. 106 Ung. Abaúj-Torna.
194
Peter Šoltés Anzahl der Mitglieder (Bracovce/Bracócz)
500
Römisch katholisch Griechisch katholisch Evangelisch A.B. 400
Reformiert 84
Juden
300
101
69
200
98
57 62
64
100 66
55
43
37
0
1749
131
1773
13
1842
Jahr
Abb. 4.1: Konfessionelle Struktur in ausgewählten Pfarreien des Komitats Zemplin in den Jahren 1749, 1773 und 1842: Bracovce (ung. Bracócz) Anzahl der Mitglieder (Horovce/Hór)
700
Römisch katholisch Griechisch katholisch 600
Evangelisch A.B. Reformiert Juden
500 324
400
300 91 124
200
53 29
48
100
58
36
158
16
74
50
1749
7
5
0 1773
1842
Jahr
Abb. 4.2: Konfessionelle Struktur in ausgewählten Pfarreien des Komitats Zemplin in den Jahren 1749, 1773 und 1842: Horovce (ung. Hór)
Die Konfessionsgrenze im Ehebett
195
Zu den Gebieten, in welchen die Mischehen ein bedeutsamer Faktor der interkonfessionellen Kommunikation und der demographischen Entwicklung der betroffenen Konfessionskirchen waren, gehörte auch die Zipser Diözese. Sie erstreckte sich an der nördlichen Peripherie von Ungarn und wurde im Jahre 1775 zusammen mit zwei anderen oberungarischen Bistümern in Neusohl und in Rosenau107 errichtet.108 Eine Rolle spielte dabei das Streben nach einer besseren seelsorgerischen Betreuung in den Gebieten mit einem starken Anteil von Protestanten. Der erste Zipser Bischof Karl de Salbeck (1776–1785, vorher Weihbischof des Anton Migazzi zu Vác) hat in seinem ersten Bericht an den Heiligen Stuhl aus dem Jahre 1780 seine besondere Aufmerksamkeit den gemischten Ehen gewidmet. „Ängstlich und schmerzhaft ist die Tatsache, daß die Ehen zwischen Personen unterschiedlicher Religion nicht in meiner Macht liegen, weil sie durch die königliche Autorität und Gebräuche eingewurzelt sind. […] Etliche von Katholiken und Nichtkatholiken geborene Kinder sind in die Häresie verführt. Selbst die Katholiken sind in die Untreu verfallen. Viele tragen umsonst den Namen eines Katholiken, denn seine Taten versündigen sich unter dem Einfluss des häretischen Ehepartners. Zum Beispiel die Kinder eines häretischen Vaters werden von der Belehrung über die katholischen Sakramente abgelenkt und die katholische Mutter kann es nicht verhindern. […] Diejenigen, die den Namen Katholiken nicht würdig sind, jedes Mal, wenn sie aus reiner Gewohnheit vor dem Gericht der Reue vortreten, bereiten sie den Beichtvätern unvorstellbare Beängstigungen und Schwierigkeiten. Falls die Beichtväter den Unwürdigen die heilige Absolution zu erteilen zurückweisen, drohen sie, daß sie zu den lutherischen Predigern übergehen, von welchen sie die Absolution bekommen.“109 Salbeck wurde mit den komplizierten interkonfessionellen Verhältnissen konfrontiert. In der Alltagspraxis trafen die Katholiken auf die ökonomisch, politisch und in vielen Orten auch zahlenmäßig stärkeren Protestanten. Dies spiegelte sich natürlich auch im Umfang der gemischten Ehen, in der Perzeption und der Beachtung oder Verletzung der weltlichen und kirchlichen Rechtsnormen wider. Neben der matrimonia mixtae religionis war Salbeck in seiner Diözese mit der Verletzung einer anderen Norm konfrontiert, nämlich mit Eheschließungen innerhalb der Verwandtschaft in einem verbotenen Grade. Bei einfachen Gläubigen auf dem Lande und bei den Stadtbewohnern, besonders bei den unteren Schichten, hat der Bischof dabei den Dispens willig erteilt. Bei Adeligen war er hinsichtlich seiner Bereitschaft zu Zugeständnissen weniger offen. Bei den Bauern standen hinter dieser Strategie die wirtschaftlichen Motive, vor allem die Armut und der Mangel an Ackerboden. In den Städten und Marktflecken war dagegen für den Bischof das 107 Slowak. Rožňava. 108 Die konfessionelle Struktur des Zipser Komitats aus dem Jahre 1842: römisch-katholisch 95939, griechisch-katholisch 2493, evangelisch a. B. 32228, Juden 1960. Universalis schematismus Ecclesiasticus venerabilis cleri Romano- et Graeco-Catholici saecularis et regularisinclyti Regni Hungariae partiumque eidem adnexarum nec nonmagni Principatus Transilvaniae. Redactus per Aloysium Reesch de Lewald pro Anno 1842/3. Budae 1843, 860. 109 Bouydosh, Ernest: The quadrennial reports of the bishops of Spiš and Banská Bystrica to Rome. In: Slovak Studies 16 (1976), 221–317, hier 248–249.
196
Peter Šoltés Anzahl der Mitglieder (Kvakovce/Kvakócz)
400
Römisch katholisch 350
Griechisch katholisch Evangelisch A.B. Reformiert
300
Juden 189
250
186
200
150
51
100
44
93
45 95
50
86
70
18
0 1749
1773
1842
Jahr
Abb.: 4.3: Konfessionelle Struktur in ausgewählten Pfarreien des Komitats Zemplin in den Jahren 1749, 1773 und 1842: Kvakovce (ung. Kvakócz) Anzahl der Mitglieder (La škovce/Laskócz)
350
Römisch katholisch Griechisch katholisch 300
Evangelisch A.B. Reformiert Juden
98
250
200
108
150
100
23 55 36 4
50
6
27
0 1749
40
41
13 10
13
1773
1842
Jahr
Abb.: 4.4: Konfessionelle Struktur in ausgewählten Pfarreien des Komitats Zemplin in den Jahren 1749, 1773 und 1842: Laškovce (ung. Laskócz)
Die Konfessionsgrenze im Ehebett
197
Hauptargument für die Erteilung der Dispense die Überzahl der Protestanten. In seinem Bericht schrieb er: „Die katholischen Bräute können kaum darauf hoffen, einen katholischen Bräutigam zu finden. […] Wenn wir also in unserer Seele mit der Verbindung von Verlobten durch den Dispens zustimmen, denken wir so deswegen, den wir halten es für besser, als wenn einer von ihnen auf das ganze Leben in die Gemeinschaft der unterschiedlichen Religion überführt werden sollte.“110 Die Einhaltung einer Norm war unter bestimmten Umständen nur durch die Verletzung einer anderen, sozialen oder jurisdiktionellen Norm zu erreichen. Es konnte um die Übertretung der lokalen oder sozialen Endogamie oder auch das Ehehindernis der Verwandtenehe in einem verbotenem Grade u. a. gehen. Aus den analysierten Visitationsprotokollen der vorjosephinischen Periode im untersuchten gemischtkonfessionellen Raum (1746, 1749, 1772/73)111 ergibt sich eine deutliche Tendenz: Von den Katholiken beider Riten haben bei gemischten Ehen die Griechisch-katholischen eine stärkere Tendenz zu Kompromissen, nicht selten zu Konversionen aufgewiesen. In der Stadt Tokaj verzeichnete die kanonische Visitation des griechisch-katholischen Munkatscher Bischofs aus dem Jahre 1750 sechs Apostaten in Mischehen mit einer reformierten Ehehälfte, in der Nachbarstadt Szerencz fünf. Auch in etlichen kleinen Dörfern vermerkten die Visitatoren einen oder zwei Konvertiten.112 Die Ursache der niedrigeren Resistenz gegenüber dem Druck des Ehepartners und der Lokalgesellschaft ist vor allem in der sozialen Asymmetrie zu suchen. Die soziale Stellung der griechisch-katholischen Ruthenen war noch lange Zeit nach ihrer Einsiedlung in neuen Ortschaften niedriger als bei den Mitgliedern der etablierten Kirchengemeinden.113 Sie bildeten die unteren Schichten der Lokalgesellschaft: Viertelbauern, Kleinhäusler (Inquilini), Tagelöhner (Subinquilini), Mägde, Knechte usw. Die unvollständige soziale Struktur der griechisch-katholischen Kirche, die Absenz des Adels und der Bürgerschicht bewirkte, dass ihr soziales Kapital viel kleiner war als bei anderen Konfessionskirchen.114 In Lokalgesellschaften, wo die Griechisch-katholischen als Minderheitsgruppe mit einem anderem Kirchenkalender und Feiertagen zu anderen Terminen sowie unterschiedlichen Fastentraditionen konfrontiert waren, blieben sie in Mischehen weiterhin eher für Normverletzungen empfänglich als die Katholiken des lateinischen Ritus. In den jährlichen tabellarischen Berichten aus den 1820er Jahren 110 Ebd., 248–249. 111 AACass, Conscriptio Ecclesiarum et Parochiarum in inclyto comitatu Abaujvariensi per Districtum Cassoviensem peractae. Anno Domini 1746; Districtualia, vol. 3, fasc 2. Protocollum Canonicae Visitationis 1749, Comitatus Zempliniensis; Districtualia, vol. 4, fasc. 1, Protocollum Canonicae Visitationis 1772, Comitatus Zempliniensis, Comitatus Sarosiensis, Comitatus Abaujvariensis. 112 ΓΑДЖΕΓΑ, Василий. Додатки до исторії русинов и руских церквей в був. жупе Земплинской [Beiträge zur Geschichte der Ruthenen und ruthenischen Kirchen im Zempliner Komitat]. In: Науковый Зборник Товариства Просвита 11 (1935), 17–182, hier 104, 164. 113 Zum Konzept Etablierten – Außenseiter siehe: Elias, Norbert / Scotson, John: Etablierte und Außenseiter. Frankfurt am Main 2000, 9–11. 114 Zum Konzept des sozialen Kapitals siehe: Bourdieu, Pierre / Passeron, Jean-Claude: Grundlagen einer Theorie der symbolischen Gewalt. Frankfurt am Main 1973, 13–64.
198
Peter Šoltés Anzahl der Mitglieder (Moravany/ Morva) 1200 Römisch katholisch Griechisch katholisch 1000
Evangelisch A.B.
302
Reformiert Juden
800 287
600 100
400 97 73
200
349
143
87 81
58 28
0 1749
115
33 11
1773
1842
Jahr
Abb.: 4.5: Konfessionelle Struktur in ausgewählten Pfarreien des Komitats Zemplin in den Jahren 1749, 1773 und 1842: Moravany (ung. Morva) Anzahl der Mitglieder (Nižný Žipov/Magyar Iszep)
800
Römisch katholisch 700
Griechisch katholisch Evangelisch A.B. Reformiert
600
136
Juden 168
96
500
8
89
400
300
281
253
386
200 20
49
100 131
102
72
0 1749
1773
1842
Jahr
Abb.: 4.6: Konfessionelle Struktur in ausgewählten Pfarreien des Komitats Zemplin in den Jahren 1749, 1773 und 1842: Nižný Žipov (Magyar Iszep)
199
Die Konfessionsgrenze im Ehebett Anzahl der Mitglieder (Sečovce/Galszécs)
3000
Römisch katholisch Griechisch katholisch 2500
Evangelisch A.B. Reformiert
873
Juden 2000
1500
844
47 167
1000 298
277
500
522
504
80 64 32
64 77
0 1749
848
1773
1842
Jahr
Abb.: 4.7: Konfessionelle Struktur in ausgewählten Pfarreien des Komitats Zemplin in den Jahren 1749, 1773 und 1842: Sečovce (ung. Galszécs) Anzahl der Mitglieder (Višňov/Visnyó)
500
Römisch katholisch Griechisch katholisch Evangelisch A.B. 400
Reformiert Juden
300
269
200 77 41
47
100
60
37
100
18 58
47
11
0 1749
1773
8 6
1842
Jahr
Abb.: 4.8: Konfessionelle Struktur in ausgewählten Pfarreien des Komitats Zemplin in den Jahren 1749, 1773 und 1842: Višňov (ung. Visnyó)
200
Peter Šoltés
befinden sich Belege aus dem Borschoder, Zempliner und Scharoscher Komitat, dass die protestantischen Väter ihre Söhne aus der Mischehe mit einer Ruthenin, anstatt in der griechisch-katholischen in der römisch-katholischen Religion erziehen ließen.115 Seit den 1770er Jahren und besonders in der josephinischen Dekade schritt der Prozess der Disziplinierung in der griechisch-katholischen Kirche und ihrer sozialer Emanzipation wesentlich voran. Besonders im Vormärz verschärfte sich die Kontrolle der Einhaltungen von Bestimmungen über die religiöse Erziehung der Kinder in Mischehen. Laut dem Intimat aus dem Jahre 1819 hatten die katholischen Pfarrer der beiden Riten jährlich einen Bericht über die örtlichen Mischehen zu erstellen. Diese wurden jährlich an die Dechanten und dann weiter an das Bistum gesendet, welche dadurch eine Übersicht über das Ausmaß der Normverletzungen bekamen (siehe Abb. 5). An einigen Pfarreien sei illustriert, welche Folgen für die demographische Entwicklung der konfessionell heterogenen Lokalgesellschaften das häufige Vorkommen von gemischten Ehen haben konnte. Im Jahre 1827 berichtete der Parochus Stephanus Groffik aus Pfarrei Okružná116 im Scharoscher Komitat über elf gemischte Ehen, zwei mit lutherischen, neun mit griechisch-katholischem Ehegatten. Von den 26 Kindern aus diesen Ehen waren 12 Jungen und 14 Mädchen. Vier Söhne protestantischer Väter wurden in der väterlichen Religion erzogen, alle anderen Kinder sind nach dem Bericht des Pfarrers katholisch erzogen worden.117 In der Zempliner Pfarrei Parchovany118 verzeichnete der Pfarrer Joseph Kovács im Jahre 1836 48 gemischte Ehen. Von 107 Kindern waren nur sieben Jungen und ein Mädchen in einer nichtkatholischen Religion erzogen worden. Von 48 Mischehen bestanden 14 aus einem römisch-katholischen Vater und einer lutherischen Mutter, fünf aus einem römisch-katholischen Vater und einer reformierten Mutter, 18 aus einer lutherischen Mutter und einem römisch-katholischen Vater sowie elf aus einem reformierten Vater und einer römisch-katholischen Mutter. Zwanzig Jahre später berichtete Pfarrer Gejza Szentleléky über 37 gemischte Ehen in Parchovany, in welchen alle 54 Kinder in der katholischen Religion erzogen worden sind. Sehr ausgeglichen war die Verteilung der Eheleute nach der Konfession und dem Geschlecht. Nach dem Stand aus dem Jahre 1836 bestanden 19 Ehepaare aus einem römisch-katholischen Vater (davon waren zehn Mütter evangelische nach dem Augsburger Bekenntnis und neun reformiert) und 18 von einem nichtkatholischen Vater (acht evangelisch und zehn reformiert).119
115 Archív gréckokatolíckeho arcibiskupstva v Prešove [Erzbischöfliches Archiv Preschau] (AGAP), Bežná agenda, 1824, Inv. Nr. 340, Sign. 97; 1827, Inv. Nr. 343, Sign. 42, 296; 1828, Inv. Nr. 344, Sign. 142. 116 Ung. Körösfő. 117 AGAP, Bežná agenda, 1828, Inv. Nr. 244, Sign. 167. Tabella exhibens mixtae Religionis Matrimonia pro 1827. Parochia Körösföensi Districtu er Dioecesi Eperessiensi reperibilia. 118 Ung. Parnó. 119 AACass, Diecézny tribunál (Pars antiqua), oddelenie Matrinoniae mixtae, Informatio De Statu educationis Prolium ex mixtae Religionis Matrimoniis intra ambitum Parochiae Parnoviensis progenitarum pro Anno 1835/6.
Die Konfessionsgrenze im Ehebett
Abb. 5: Auszug aus dem Protokoll über die gemischten Ehen in der Pfarrei Ruské Pekľany (Komitat Scharosch120) aus dem Jahre 1810 120
120 Ung. Sáros.
201
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Peter Šoltés
In lokalen Gesellschaften mit drei oder vier zahlenmäßig gleichstarken Kirchengemeinden waren die Mischehen noch in den 1830er Jahren relativ gleichmäßig verteilt. Im Laufe der nächsten Jahrzehnte hat sich eine neue Strategie der Eheschließung entwickelt. In der Pfarrei Trhovište121 gab es im Jahre 1856 nur zwei gemischte Ehen mit einer protestantischen Ehefrau (eine evangelisch und eine reformiert), aber 46 Mischehen, welche ein nichtkatholischer Vater (18 evangelisch und 28 reformiert) mit einer römisch-katholischen Mutter geschlossen hat. Von 96 Kindern gab es 47 Mädchen, wovon 30 in der römisch-katholischen, 12 in der reformierten und fünf in der evangelischen Religion erzogen wurden und 49 Jungen, wovon 15 in der römisch-katholischen, 24 in der reformierten und zehn 10 in der evangelischen Konfession erzogen worden sind.122 Dieselbe Strategie setzte sich auch in den größten Städten Košice123 und Prešov124 durch. Im Jahre 1856 gab es in Prešov mit etwa 7.000 Einwohnern 92 gemischte Ehen, davon war in 66 Fällen der Vater protestantisch (63 evangelisch und drei reformiert).125 Eine besondere Gruppe bildeten die Mischehen zwischen Adeligen. Ihre Resistenz gegenüber dem disziplinierenden Druck des Staates und der katholischen Kirche war dank ihrer Privilegien größer als bei anderen Schichten der Gesellschaft. Auf dem Landtag 1790/1791 haben die protestantischen Stände ihre Stellung gegenüber der religiösen Erziehung in gemischten Ehen in der sogenannten Repräsentation aus dem 2. Dezember 1790 zusammengefasst. Hierbei kann man sich eine Vorstellung über das Ausmaß der Einhaltung der Normen in Eheangelegenheiten im Milieu des Adels machen. Im Dokument wurde gegen die vorgeschlagene Regelung damit argumentiert, dass bisher in gemischten Ehen der Gebrauch herrschte, die Kinder religiös nach dem Geschlechte der Eltern zu erziehen, soweit sich beide Teile vor der Eheschließung nicht anders verabredet hatten.126 ZUSAMMENFASSUNG Die lokalen Normen in vielen Lokalgesellschaften waren schon in der Vortoleranzzeit durch eine Pluralität der Lösungen bei der Erziehung der Kinder in Mischehen gekennzeichnet. Beide Partner strebten bei der religiösen Erziehung ihrer Kinder nach einem Konsens, der einer Prägung durch den örtlichen Usus, die lokale Machtfiguration, die soziale Stellung der Ehepartner und ihrer Familie in der Lokalgesellschaft sowie der Konfession des Landesherrn unterworfen war. Das reichte von der
121 Ung. Vasárhely. 122 Ebd., Informatio de statu educationis prolium ex mixtae religionis matrimoniis progenitarum intra ambitum parochiis Vásarhelyiensis pro Anno 1856 praestita. 123 Dt. Kaschau, ung. Kassa. 124 Dt. Preschau, ung. Eperies. 125 AACass, Diecézny tribunál (Pars antiqua), oddelenie Matrinoniae mixtae, Informatio de Statu educationis prolium e mixtis Religionis Matrimoniis intra ambitum Parochiae L. R. Civitatis Eperies progenitarum pro Anno 18555/6 praestita. 126 Irínyi, Geschichte der Entstehung des 26. Gesetzartikels, 25–40.
Die Konfessionsgrenze im Ehebett
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Erziehung aller Kinder in der nichtkatholischen Religion über die konfessionell unterschiedliche Erziehung von Töchtern und Söhnen bis hin zur Erziehung des ältesten oder mindestens eines Sohns in der Religion des Vaters. Manche Eltern haben die Reverspflicht noch spektakulärer umgangen: Sie ließen ihre Kinder nur taufen während alle anderen Sakramente (Kommunion, Firmung, Konfirmation usw.) auf die Zeit nach der Volljährigkeit verlegt wurden, damit die Kinder selbst die Entscheidung treffen konnten, welcher Konfessionskirche sie angehören wollen. Der Disziplinierungsdruck des Staates ist in den konfessionell heterogenen Gebieten auf den Widerstand der lokalen sozialen Normen gestoßen. Die in gemischten Ehen lebenden Partner haben spezifische Strategien entwickelt, um ihm auszuweichen. Der Umfang, bis zu welchem die kirchlichen und staatlichen Normen akzeptiert und eingehalten wurden, hing vorerst davon ab, durch welche Mittel und in welchem Ausmaß der bürokratische Staatsapparat und die Repräsentanten und Machtträger der katholischen Kirche in der Lage waren, Verstöße zu sanktionieren. Die Verordnungen des josephinischen Toleranzpatentes waren einerseits ein Schritt vorwärts auf dem Weg zu einer rechtlichen Emanzipation, auf der anderen Seite haben sie ein Modell kodifiziert, das für die Funktionsfähigkeit einer Familie etliche Komplikationen und potentielle Konfliktsituationen bedeutete. Die Mutter und ihre Töchter gingen in eine andere Kirche als die männliche Hälfte der Familie, beide Teile verehrten verschiedene Frömmigkeitsformen, die Kinder besuchten unterschiedliche Kirchenschulen. Differenzen im Kirchenkalender hatten zur Folge, dass an bestimmten Tagen ein Teil des Hauses feierte, während der andere einem gewöhnlichen Werktag nachging. Weitere Konflikte entstanden bei der Abgabe der Kirchenzehnten, auf die zwei Pfarrer Anspruch erhoben. Die Neugestaltung des gesetzlichen Rahmens für die Mischehen im Josephinismus hat die Einstellung der einzelnen Akteure hinsichtlich der Normsetzung gegenüber Mischehen in unterschiedlichem Maße beeinflusst. Am deutlichsten revidierte der katholische Episkopat und Diözesanklerus seine Haltung. Denn infolge der neuen Regelung der religiösen Erziehung der Kinder und durch die Aufhebung des obligatorischen Reverses konnten matrimonia mixtae religionis nicht mehr als effektives Instrument zur Veränderung der demographischen Struktur im konfessionell gemischten Milieu akzeptiert werden. Die Beschränkungen des bisherigen Monopols der katholischen Kirche in den Aufsichts- und Kontrollkompetenzen zugunsten des Staates und teilweise auch der Konkurrenzkirchen führten andererseits zur Verschärfung der Kontrolle über die Mischehen, besonders nach den napoleonischen Kriegen. Der Staat hat die josephinische Politik der Versöhnung der akzeptierten Kirchen allmählich korrigiert. Im öffentlichen Diskurs hat sich die Meinung etabliert, dass die gemischten Ehen zur Erweiterung religiöser Lauheit und zum Verfall der Moral beigetragen haben. Die Mischehen waren ein wichtiger sozialer Interaktionsraum. Infolge der intensiven Kontakte zwischen den Vertretern verschiedener Konfessionen haben sie zur Relativierung der Konfessionsgrenzen und zu ihrer leichteren Durchlässigkeit beigetragen. In manchen konfessionellen Überlappungsräumen kann man über Ek-
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lektizismus in der Volksreligiosität oder Transkonfessionalität sprechen.127 Damit ist auch die Frage nach der Wahrnehmung der „Mischfamilien“ in den Lokalgesellschaften verbunden. In Abhängigkeit von der konkreten Konfiguration variierte sie zwischen der Vorstellung der Perspektive eines relativ einfach zu erschließenden Missionsraums, welcher besonders vor den josephinischen Reformen für die katholische Kirche präsent war und der Wahrnehmung der Mischehen als „Achilles Ferse“ im Rahmen der betroffenen Kirchengemeinde. Die Kinder wurden als potentielle Proselyten und die durch konfessionell unterschiedlichen Ehen entzweiten Familien als Raum für die Verbreitung des religiösen Indifferentismus wahrgenommen.128
127 Šoltés, Peter: Migration und konfessionelle Pluralität an der nordöstlichen Peripherie des Königreichs Ungarn im 17. und 18. Jahrhundert. Zwischenräume und Migration. Über die Entgrenzung von Kulturen und Identitäten. (Eds.) Marinelli-König, Getraud / Preisinger, Alexander. Bielefeld, 2011, 157–176, hier 173–175. 128 This work was supported by the Slovak Research and Development Agency under the contract No. APVV-0628–11.
KALKULIERTE KOLLEKTIVE NORMVERLETZUNG ALS PARTIZIPATIONSINSTRUMENT Der „Bauerntumult“ von 1766 im Esterházyschen Distrikt Ozora Norbert Spannenberger ZUR RELEVANZ BÄUERLICHEN WIDERSTANDES Der große Vertreter des aufklärerischen Eudämonismus in Ungarn und evangelischer Pastor, Samuel Tessedik, zeichnete in seinen Memoiren eine für die Familientradition bemerkenswerte, schon beinahe verklärte Geschichte auf: „Meine Großeltern, Georg Tessedik und Esther Nedeczky, die mit Webermeisterfamilien aus Böhmen und Mähren nach Ungarn gezogen waren, konkret in die Gemeinde Puhó im Komitat Trentschin, waren als protestantische Untertanen einem solchen Druck ausgesetzt, dass sie ihr Haus verließen und sich an Kaiser Karl VI. um Schutz und Hilfe wandten. […] Die Namen und den Charakter ihrer Verfolger verschweige ich. Doch ein Ereignis kann ich nicht verschweigen, in dem die göttliche Vorsehung allzu deutlich wird. Als die drei Tessedik-Brüder, nämlich Georg, Elias und Johann mit dem Wanderstab in der Hand gen Wien durch einen Wald zogen […] da berieten sie mit traurigem Herz, was sie unternehmen würden, sollte der Kaiser nicht in Wien weilen und sie lange auf ihn warten müssten. Während dieser Beratung fiel eine verschmutzte Geldmünze auf ihr ausgebreitetes Kleidungsstück. Sie schauten am Baum hinauf und erblickten einen Vogel, der gegen den Baum klopfte und es fiel erneut eine Münze heraus. Daraufhin kletterte einer der Brüder auf den Baum und entdeckte ein Loch, in dem er insgesamt 300 Gulden vorfand. Erleichtert und mit guter Hoffnung setzten sie ihren Weg nach Wien fort, wo der Kaiser tatsächlich sein Protektorat gelten ließ. Wer könnte nach all dem an der göttlichen Vorsehung zweifeln?“1 In einem Land, wo konfessionelle Auseinandersetzungen den Alltag dominierten, macht diese Geschichte einen wichtigen Aspekt deutlich: Das Bild von erstarrten Konfliktlinien und von Akteuren, die nach vorherbestimmten Modellen agierten, lässt sich nicht bestätigen. Denn der katholische Kaiser war ein vertrauenswür1
Hier zitiert nach Tessedik, Sámuel / Berzeviczy, Gergely: A parasztok állapotáról Magyarországon [Zur Lage der Bauern in Ungarn]. Hg. v. Gábor Zsigmond. Budapest 1979, 27–28; Samuel Teschedik, ungarisch Tessedik, slowakisch Tešedik (1742–1820), evangelischer Geistlicher, Pädagoge, Publizist. 1763 studierte er an der Universität Erlangen. Ab 1767 wirkte er als Pfarrer in Szarvas, wo er als Philantrop den Bauernkindern auch landwirtschaftliche Kenntnisse vermittelte. Dank seiner publizistischen Aktivität wurde er in ganz Europa bekannt. Als Anerkennung seiner Arbeiten erhielt er von Kaiser Josef II. am 2. September 1782 eine Auszeichnung; am 17. Februar 1809 erhob ihn Kaiser Franz I. in den Adelsstand.
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diger Ansprechpartner für seine protestantischen Untertanen. Tessediks Familientradition ist keine Ausnahme, die die Regel bestätigt, sondern sie ist viel mehr eine durchaus gängige Geschichte, die im 18. Jahrhundert sehr wohl als „normal“ galt: Untertanen wussten sich mit Erfolg gegen Herrschaftspraktiken zu wehren, sie entwickelten diverse Strategien zur Verteidigung der eigenen Interessen und setzten diese auch in die Praxis um. Mit Recht weist auch die moderne Forschung über die ruralen Gesellschaften auf das gleiche Phänomen im Zusammenhang mit den bäuerlichen Untertanen hin: Diese verstanden sich keineswegs als passive Objekte im alltäglichen Austarieren von Herrschaftspraxis, wie dies etwa veraltete oder die marxistische Historiographie beteuert(e), sondern der Untertan agierte im weitesten Sinne als homo politicus mit einem Bedarf an spirituellen Bindungen und Deutungskoordinaten in einem festen sozialen Gefüge. Genau diese Handlungsweise und die Hintergründe des Handelns – und weniger die strukturellen Rahmenbedingungen – stehen deshalb im Fokus der Forschung.2 Angehörige der bäuerlichen Schicht verstanden sich also nicht (ausschließlich) als Untertanen, die im weitesten Sinne bei ihrer Interessenvertretung zur Passivität gezwungen waren, sondern vielmehr als aktive Gestalter ihres politischen, sozialen und ökonomischen Umfeldes. Die Untertanen konnten sehr wohl in der Lage sein, „politische Netzwerke“ zur Interessenwahrung aufzubauen. Solche entstanden allerdings nur teils und eher außerhalb der formellen Strukturen, man nutzte eher selbst aufgebaute, informelle Kanäle. Bäuerliche Untertanen agierten also im 18. Jahrhundert nicht reaktiv, sondern proaktiv,3 und dies gilt nicht nur für die deutschsprachigen Länder, sondern auch für das Königreich Ungarn. Denn bäuerlicher Widerstand wurde als legitimes und probates Mittel der Interessenwahrung eingesetzt, in vielfacher Hinsicht erprobt und im Alltag angewandt. Mit der Verrechtlichung der Beziehungen zwischen Dominien und Untertanen wurden spezielle Formen der resistentia legitima entwickelt und praktiziert. Mit der Forcierung prozessualer Widerstandsformen war der Adel gezwungen, anstatt die via facti nunmehr die risikoreiche via juris zu gehen. Die quantitative Zunahme der Sitzungen der Herrschaftsstühle, der sedes dominalis, belegt genau diese Entwicklung.4 2 3
4
Siehe dazu ausführlich Prass, Rainer: Bäuerliche Bevölkerung und Transformationen der Landwirtschaft. Die Entwicklung der agrarischen Produktion von 1650–1880. In: GUW 1 (2010), 28–57, hier besonders 28. Als Forschungsergebnis bezüglich des Altreiches siehe Vorwort. In: Aufruhr und Empörung? Studien zum bäuerlichen Widerstand im Alten Reich. Hgg. v. Peter Blickle / Peter Bierbauer / Renate Blickle und Claudia Ulbrich. München 1980, IX-XI.; ausführlicher Blickle, Peter: Auf dem Weg zu einem Modell der bäuerlichen Rebellion – Zusammenfassung. In: Ebd., 298–308, hier 298 ff.; Trossbach, Werner: Bauernbewegungen in deutschen Kleinterritorien zwischen 1648 und 1789. In: Aufstände, Revolten, Prozesse. Beiträge zu bäuerlichen Widerstandsbewegungen im frühneuzeitlichen Europa. Hg. v. Winfried Schulze. Stuttgart 1983, 233–260, hier 233 und 252. Siehe etwa die Protokolle der Esterházyschen Dominien in Südtransdanubien, Magyar Nemzeti Levéltár – Magyar Országos Levéltár (MOL) [Ungarisches Nationalarchiv – Ungarisches Landesarchiv], P 150.
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In konkreten Fällen galt sogar der Aufstand, also der gewaltsame Widerstand, als ultima ratio. Die Forschung wertet dabei bäuerliche Untertanen nicht mehr prinzipiell als fortschrittsfeindlich, sondern ihr Handeln wird im Zusammenhang ihres Interesses für die Sicherung der Nahrungsgrundlage ihrer Familie verortet.5 Dennoch werden Empörungen und Widerstandsformen mit Recht nicht mehr in erster Linie als Reflexe auf wirtschaftliche Mehrbelastung gewertet, sondern der Interessenshorizont bäuerlicher Untertanen als umfassender verstanden, da nicht allein ökonomische Streitfragen – wie etwa Steuern – das Gleichgewicht des Zusammenlebens zwischen Herrschaft und Bauern zu gefährden vermochten.6 Es ging vielmehr um das Austarieren der mutua et reciproca obligatio im weitesten Sinne, bei dem unterschiedliche Abstufungen der Mittel zwecks Interessenswahrung als legitim erschienen. Wenn aber bäuerliche Gemeinden nicht ausschließlich defensiv agierten und lediglich den Status quo zu verteidigen wissen wollten, stellt Peter Blickle mit Recht die Frage nach den „aggressiv-dynamischen“ Komponenten von solchen Konflikten.7 Denn „die agrarische Revolte ist für den Historiker so untrennbar mit der Grundherrschaft verbunden wie der Streik mit den großen kapitalistischen Unternehmen“ – beteuerte Marc Bloch pointiert.8 Der Bauernaufstand von 1766 in Ungarn ist von besonderer Relevanz, da es sich um den ersten großen, transregionalen Aufstand seit der Vertreibung der Osmanen handelte und eine Zäsur in der Ansiedlungsgeschichte unter den Habsburgern bildete.9 Der sog. „manifeste Widerstand“10 bildete von dem sog. Großen Türkenkrieg (1683–1699) bzw. der daraufhin eingeleiteten Wiederbesiedlung in Ungarn bis zu diesem Aufstand einen integralen Bestandteil der Ansiedlungs- und Konsolidierungsprozesse: Seitens der Dominien wurden neue und günstige Ansiedlungsverträge gewährt und auf Druck der Siedler auch andere günstige Konzessionen zugestanden, wie etwa die kollektive Verpachtung von Wiesen an die Kommune zu vorteilhaften Konditionen. Wenn die Aushandlungen ins Stocken gerieten, drohten die Untertanen oft mit der Abwanderung, was bis etwa 1740–50 tatsächlich ein probates Mittel war, danach aber wegen der Bodenknappheit und des Mangels 5 6 7 8 9
10
Prass, Bäuerliche Bevölkerung, 29. Welche interpretatorischen Engpässe die Anwendung des sogenannten Challange-responseModells in sich birgt, machen dessen Kritiker deutlich. Vgl. dazu pars pro toto Bierbrauer, Bäuerliche Revolten, 1–20. Vgl. Blickle, Auf dem Weg, 297. Bloch, Marc: Charaktères originaux de l’historie rurale française. Bd. 1. Paris 1952, 175. Hier zitiert nach Schulze, Winfried: Bäuerlicher Widerstand und feudale Herrschaft in der frühen Neuzeit. Stuttgart-Bad Canstatt 1980, 69. Der „Bauernaufstand“ von Pera Jovanović Segedinac im April 1735 war eine regional isolierte Angelegenheit mit starken Bezügen auf die serbischen Privilegien. Dies gilt, obwohl viele ungarische Bauern sich diesem Aufstand anschlossen. Vgl. dazu http://www.rubicon.hu/magyar/ oldalak/1735_aprilis_27_kirobban_a_szegedinac_pero_fele_felkeles (10.08.2013). Als manifesten Widerstand definiert Winfried Schulze den Prozess vom stillen zum öffentlichen Widerstand, um den Konflikt aus dem herrschaftlich-untertänigen Dualismus heraus auf eine neue Ebene der politischen Öffentlichkeit herauszuheben. Insgesamt konstatiert Schulze, dass dieser Problemkomplex nur „unzureichend erforscht“ sei. Schulze, Bäuerlicher Widerstand, 95.
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an freien Bauernsessionen nicht mehr zu praktizieren war. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war deshalb der gewaltsame Widerstand eine logische, wenn auch nicht unvermeidbare Konsequenz. Doch es fehlte zugleich an einer „Widerstandstradition“ mit Gewaltanwendung seitens der bäuerlichen Untertanen. Der letzte große Bauernaufstand hatte 1514 stattgefunden und war blutig niedergeschlagen worden. Er lebte zwar in der Erinnerungskultur des Adels als Schreckensgespenst sehr wohl fort, nicht aber in der bäuerlichen. Von manifesten Widerständen wissen wir aus der Osmanenzeit (1526– 1699) nichts, wohl aber von latenten, etwa in der Form der Steuer- bzw. Robotverweigerung, die allerdings ebenfalls mit Waffengewalt vergolten wurden. Die sogenannten „Haiduckengänge“, also das Eintreiben der Steuerrückstände von bewaffneten Ordnungshütern, hatten in der Osmanenzeit keinen Seltenheitswert. Auch in der Übergangsphase von der Osmanen- in die Habsburgerherrschaft wurden diese Sanktionen praktiziert, wobei die Konsolidierungsprozesse solche offenen Machtdemonstrationen seitens der Dominien schnell in die Schranken wiesen.11 So entwickelten die Untertanen Strategien, die auch in West- und Mitteleuropa praktiziert wurden. Dabei nahmen die „alten Kontrakte“ im Bewusstsein der Bauerngemeinschaften eine zentrale Rolle ein: Bei der Kodifizierung der Rechte und Pflichten nach der Osmanenherrschaft wurden diese durchaus berücksichtigt. Wurden dann neue Ansiedlungskontrakte verfasst, so stellten die „alten Kontrakte“ ein Argumentationspotential seitens der Untertanen dar: Als ab 1767 im Rahmen der sogenannten theresianischen Urbarialregulierung die einzelnen Gemeinden nach ihrer kodifizierten Rechtslage befragt wurden, galten die Berufungen auf die „alten“, mitunter oft „inzwischen verschwundenen“ Kontrakte als Orientierungsbasis mit Verbindlichkeit für beide Parteien. Während also diese „praktischen Freiheiten“, die auch einklagbar waren, einen festen Platz im Rechtsverständnis der bäuerlichen Untertanen einnahmen, lebte zugleich jener imaginäre Traum von „der alten Freiheit“ fort, die keinen Standesunterschied kannte und unterschwellig ein utopistischer Leitfaden für Konfliktaustragungen war.12 Doch weniger die Herrschaftsverwaltungen als Institutionen, sondern vielmehr die sozioökonomische Entwicklung differenzierte solche multipolaren Konflikt11
12
Eine besonders blutige Geschichte wurde aus dem Jahre 1699 auch ausführlich überliefert. Die serbische Gemeinde von Döbrököz im Komitat Tolna verweigerte die Abführung der festgelegten Steuern, woraufhin der Grundherr, Palatin Paul Esterházy, bei der Komitatsverwaltung eine „Exekution nach der türkischen Tradition“ beantragte. Die quellenfundierte, narrative Darstellung siehe bei Kammerer, Ernő: A döbröközi eset 1699 [Der Fall Döbrököz 1699]. In: Tolnavármegye vom 25. Dezember 1908 und 3. Januar 1909; zum Kontext Holub, József: Az újjáépítés megindulása Tolna megyében a török kiűzése után 1686–1703-ig [Der Beginn des Wiederaufbaus im Komitat Tolna nach der Vertreibung der Osmanen 1686 bis 1703]. In: Tanulmányok Tolna megye történetéből X (1974), 5–124, hier 25. Zu diesem imaginären „Alten Recht“ und dessen Relevanz als Mobilisierungskraft in den deutschen Ländern siehe Bierbrauer, Peter: Bäuerliche Revolten im Alten Reich. Ein Forschungsbericht. In: Aufruhr und Empörung? Studien zum bäuerlichen Widerstand im Alten Reich. Hg. v. Peter Blickle / Peter Bierbauer / Renate Blickle und Claudia Ulbrich. München 1980, 1–68, hier 57 ff.
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konstellationen und machte dem klar trennbaren Bild von „Oben“ und „Unten“ in der sozialen Hierarchie ein Ende. Mit der Forcierung der Immigration und der darauf folgenden Konsolidierungsprozesse wurde die Subsistenzwirtschaft mittelfristig von einer marktorientierten Erwerbswirtschaft abgelöst, die grundlegende Veränderungen generierte: Während in der Osmanenzeit noch eine bäuerliche Kollektivwirtschaft praktiziert wurde und Wiesen oder das Gemeindeland nicht geteilt wurden, wurde in der zweiten Jahrhunderthälfte die individualisierte Landwirtschaft weitgehend durchgesetzt. Dies spiegelte sich auch in der Besteuerung wider: Während in der ersten Form die Gemeinde ihre Steuern kollektiv entrichtete, war die Umstellung auf die individuelle Besteuerung infolge der Wirtschaftstransformation unumgänglich. Dieser Prozess wurde von den ungarischen Untertanen als eine permanente Verschlechterung wahrgenommen, während Immigranten aus dem Ausland erstens die erste Phase als Dauerzustand in der Regel gar nicht kannten und zweitens die kollektive Besteuerung lediglich als schnelllebige Konzession zwecks Integration kennen lernten. FUNKTIONSWANDEL DES HERRSCHERS UND DES FRÜHMODERNEN STAATES ALS RAHMENBEDINGUNG Das 18. Jahrhundert brachte auch in der Habsburgermonarchie den großen Wandel in der Landwirtschaft mit sich, in dem die Bodennutzung forciert wurde. Der „gottgegebene Zyklus“ von schlechten und guten Ernten, wie er etwa im Alten Testament mit den sieben mageren und fetten Jahren geschildert wird, sollte einer rationalen Gestaltung der Agrarwirtschaft weichen. Der Rückgang von kriegerischen Auseinandersetzungen sicherte dabei die ruhigen, friedlichen Rahmenbedingungen auch in den ehemals osmanischen Gebieten Ungarns, zumal diese Entwicklung mit dem Ausklingen von Epidemien und großen Hungersnöten einherging. Der Kaiser wurde demnach seitens der Untertanen als „Quelle der Gerechtigkeit“ wahrgenommen, als eine external power, die als politische Potenz außerhalb der Konfliktkonstellationen stand.13 Doch es ging nicht um eine sentimentale Verklärung der Machtverhältnisse: Wien galt nicht etwa als „Ort der Gerechtigkeit“, sondern als die Alternative, den Konflikt aus der Enge des Dominiums heraus zu bringen und reichspolitisch zu relativieren. So verfolgte der Herrscher natürlich andere Ziele als das Dominium mit seinen stark auf ökonomische Erfolge konzentrierten Intentionen. Die Berufung auf den Kaiser oder auf dessen Erlasse und Schreiben schufen aus der Sicht der Untertanen eine neue Legitimationsbasis, neue Kraft und letztlich einen Handlungsspielraum für die Vertretung der eigenen Interessen.14 Insgesamt ging es seitens des Untertanen mit der Forcierung der prozessualen Form darum, die intermediäre Rolle des Adels zurückzudrängen, was einer 13 14
Schulze, Bäuerlicher Widerstand, 98. So genoss auch die vorderösterreichische Regierung in Oberschwaben ein ähnliches Vertrauen wie die in Wien. Vgl. ebd. Verhielt sich der Herrscher aber nicht nach dieser Wunschvorstellung, so verlor er auch schnell seine sakrosankte Aura.
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Beschneidung adeliger Funktionswahrnehmung gleichkam. Zudem kam es auch insgesamt zum Funktionsverlust der Dominien, indem die Schutzfunktion auf den frühmodernen Staat mit allen steuerpolitischen Konsequenzen überging und sich die Eingriffe zentraler Instanzen in das Verhältnis zwischen Grundherren und Untertanen verstärkten.15 Eine neue Konstellation der mutua et reciproca obligatio kristallisierte sich heraus, indem ein Dreieck in diesem Beziehungsgeflecht entstand: Das traditionelle Beziehungsnetz zwischen Herrschaft und Untertanen wurde durch den Herrscher als Akteur erweitert.16 Dieses gewandelte Rollenverständnis des Herrschers erfolgte in einem längeren Prozess. Schon der Kameralist Johann Jakob Becher sah in „Bauernrebellionen“ den schlimmsten Feind des Friedens und hielt diese für gefährlicher als „10 äußere Feinde“. Damit rezipierte er den Engländer Francis Bacon, der in seinen Ausführungen On Sedition and Troubles davon ausging, dass der frühmoderne Staat präventiv zu handeln habe, um Unruhen zu vermeiden.17 Vorbeugende Maßnahmen der Ratio dienten der Sicherung gesellschaftlicher Ruhe, wobei der Herrscher Kontrolle, Disziplinierung und Kriminalisierung von Unruhestiftern gleichermaßen zu verantworten hatte. Mit der Zentralisierung der Rechtsordnung konnte der Herrscher diese Rolle auch übernehmen. In den ostmitteleuropäischen Ländern jedoch wurde dieser Prozess infolge der starken Stellung der Stände verzögert. Destabilisierende Folgen des Spanischen Erbfolgekrieges (1701–1714) oder des Rákóczi-Aufstandes (1703–1711) führten in Wien zu Überlegungen, die repräsentativen Institutionen neu zu beleben, und Stände wie den „gemeinen Mann“ zur Stabilisierung der Monarchie heranzuziehen.18 Der niederösterreichische Hofkammerrat, Christian Schierl von Schierendorf, empfahl schon 1705 unter Umständen unter den böhmischen und ungarischen Bauern Revolten anzustiften, um den Adel zur Minderung der Untertanenlasten zu bewegen.19 Die Ambivalenz ist offensichtlich: Mithilfe von „Rebellion“ sollte eine ex-lex-Situation „von Oben“ herbeigeführt werden, um eine Konsolidierungspolitik einzuschlagen und somit Aufständen vorzubeugen. Bäuerlicher Widerstand galt somit als regulatives Instrument für die Ausübung adeliger und staatlicher Herrschaft. Dieser Gedanke wurde von Johann Heinrich Gottlob von Justi (1717–1771) mit Vehemenz vertreten. Er forderte 1767 die Anstiftung von „bäuerlichen Tumulten“, um die von Wien propagierte Reformpolitik gegen den Adel durchzusetzen. Schon die Kameralisten erachteten die Frondienste als onera odiosa und plädierten für die Verbesserung der Lasten bäuerlicher Untertanen. Justi war wie auch Friedrich II. 15 16
17 18 19
Vgl. Schulze, Bäuerlicher Widerstand, 98 f. und 66. In einem Punkt irrten sich allerdings die Untertanen, was auch unsere Fallstudie belegen wird: Sie gingen davon aus, dass die Partizipierung des Herrschers als höhere Instanz zur Reduzierung der Steuer führen würde. Stattdessen war die Intention des frühmodernen Staates von vornherein, die Steuern zu „optimieren“, also letztlich zu erhöhen. Hier zitiert nach Schulze, „Geben Aufruhr…“, 269 ff. Zu diesem Wandel siehe Vocelka, Karl: Glanz und Untergang der höfischen Welt. Repräsentation, Reform und Reaktion im habsburgischen Vielvölkerstaat. (Österreichische Geschichte 1699–1815). Wien 2001, 281–293. Vgl. Schulze, „Geben Aufruhr…“, 284.
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von Preußen überzeugt, dass die wichtigste Aufgabe der Regenten sei, auf der einen Seite die Untertanen glücklich zu machen, während auf der anderen Seite das bestehende Heer zugleich die effektive Sozialkontrolle im frühmodernen Staat ermöglichte. Der Siebenjährige Krieg (1756–1763) bestätigte die Ansicht am Kaiserhof, dass speziell das Königreich Ungarn mehr Potential hätte, dessen gründliche Ausnützung im Krieg womöglich zu einem anderen Ende geführt hätte.20 Die Politik der quieta non movere gegenüber Ungarn wurde in Wien als verfehlt eingestuft.21 Als Königin Maria Theresia 1761 in ihrem Schreiben den beklagenswerten Stand der ungarischen Getreideproduktion konstatiert hatte, erwiderte die Ungarische Hofkanzlei selbstbewusst, dass die ungarische Landwirtschaft durchaus mit der in den Erbländern mithalten könne, und das Hauptproblem bestünde lediglich darin, dass die Absatzmöglichkeiten zu gering seien.22 Die Ungarische Hofkanzlei ignorierte in ihrer Antwort elegant die Tatsache, dass noch im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts nur 30 bis 40 Prozent des Bodens intensiv landwirtschaftlich bearbeitet wurden, in Südungarn sogar teilweise nur 10 bis 15 Prozent.23 Doch die Herrscherin ließ sich zunächst vom Widerstand nicht beirren: Sie verstand ihre Rolle nicht mehr als die der verständnisvollen Landesmutter der Stände, sondern als Hüterin der Interessen der Krone, die als institutionelle Schutzeinrichtung der Steuer zahlenden Untertanen gegenüber dem Adel fungierte.24 So verfolgte der Hof eine doppelte Strategie: Er scheute sich nicht vor einer Konfrontation mit dem Adel als Vermittlungsinstanz zwischen zwei Konfliktparteien und forcierte zugleich im eigenen Interesse ein ganzes Bündel von agrarreformerischen Maßnahmen.25 Der eigentliche Motor in der Analyse der ungarischen Bauernproblematik war Geheimrat Egyd Freiherr von Borié, der davon ausging, dass der allgemeine Wohlstand nur mit der Minderung der Abgabenlasten der misera contribuens plebs und der Beseitigung der Steuerfreiheit des ungarischen Adels zu erreichen sei.26 Er fand es empörend, dass die Bauern über die vorkommenden Missstände hinaus auch die Besoldung und Ausgaben der Komitatsbeamten, das nobile officium, zu tragen hat20 21 22 23 24 25 26
Vgl. Vermes, Gábor: Tradicionalizmus és a modernitás hajnala a 18. századi Magyarországon [Traditionalismus und die Morgenröte der Modernität in Ungarn im 18. Jahrhundert]. In: Aetas 20/1–2 (2005), 213–230, hier 218. Ember, Győző: Mária Terézia úrbérrendezése és az államtanács [Die Urbarialregulierung von Maria Theresia und der Staatsrat]. Budapest 1936, 3. Eckhart, Ferenc: A bécsi Udvar gazdasági politikája Magyarországon Mária Terézia korában [Die Wirtschaftspolitik des Wiener Hofes in Ungarn unter Maria Theresia]. Budapest 1922, 25. Vgl. Kaposi, Zoltán: Magyarország gazdaságtörténete 1700–2000 [Wirtschaftsgeschichte Ungarns 1700–2000]. Budapest-Pécs 2002, 71. Vgl. dazu ausführlich H. Balázs, Éva: Die Lage der Bauernschaft und die Bauernbewegungen (1780–1787). Zur Bauernpolitik des aufgeklärten Absolutismus. In: Acta historica Academiae Scientiarum Hungariae 3 (1956), 293–327. Vgl. Eckhart, A bécsi Udvar, 24 und 38. Borié, Egyd Freiherr von (1719–1793); Sohn des markgräflich badischen Geheimrates Johann Franz Egyd Beaurieu. 1739 Dienst beim Fürstbischof von Bamberg und Würzburg, Graf Karl von Schönborn. 1755 Reichshofrat am Wiener Hof, 1764 Auszeichnung mit dem Commandeurkreuz des königlich-ungarischen St. Stephansordens, 1770 Geheimrat.
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ten. Mit Recht stellte er fest, dass der Bauer in den bestehenden Verhältnissen gar kein Interesse an der Verbesserung seiner Technologie habe, denn davon profitiere nur der Grundherr. Das sei auch die Ursache für die fortbestehende Abwanderungsbereitschaft, die wiederum die Vermehrung der Untertanen verhindere. So empfahl er zunächst gegen die Abwanderung der Bauern keinerlei gesetzliche Regelungen zu verabschieden, um die ungarischen Grundherren in Schach halten zu können. Viel mehr befürwortete er Verbesserungen hinsichtlich der Lage der Bauern, denn so „würden endlich beständige und nahrhafte Unterthanen angezogen“.27 Nach dem erfolglosen Reichstag von 1764/65 erfolgte eine Flut von Bauernbeschwerden, insbesondere aus Transdanubien. Borié setzte aus Misstrauen gegenüber den etablierten Behörden durch, dass all diese Beschwerden über die Komitate, die Statthalterei und die Hofkanzlei zur Herrscherin gelangten, die diese dem Staatsrat vorlegen ließ. Das war der Höhepunkt jener Konstellation, die die Urbarialprozesse zwischen Untertanen und Grundherren vom juristischen Weg auf die Verwaltungsebene verlagerten, denn das letzte Wort sprach nunmehr nicht ein Ständegericht, sondern die Herrscherin selbst.28 Zudem brachen Aufstände zunächst in den westungarischen Komitaten Eisenburg und Zala aus, danach auch in den südtransdanubischen Komitaten. Die ungarischen Behörden gingen dagegen mit Waffengewalt vor. Im Januar 1766 wurde in Wien eine Kommission zwecks Urbarialregulierung gebildet, deren Präsident Blümegen, und deren Mitglieder die Kanzleiräte Vizekanzler Fekete, Borié, Stupan, Végh und Farkas, die Kammerräte Cothmann und Kempelen sowie der Statthaltereirat Balogh waren. In deren Auftrag suchten Kommissäre die einzelnen Komitate auf, und schickten die einzelnen Urbarien dem Staatsrat zu, wo sie von Borié überprüft wurden. Die zwischendurch stattgefundenen „Tumulte“ in den Komitaten Zala, Eisenburg, Baranya, Tolna und Pest wirkten offensichtlich motivierend für den Eudämonismus habsburgischer Reformpolitik. DYNAMISIERUNG DER DOMINIEN-UNTERTANEN-KONFLIKTE BEI DEN ESTERHÁZYS Nach der Vertreibung der Osmanen 1699 und dem Ende des Rákóczy-Kuruzzenaufstandes 1711 begann eine intensive Ansiedlungspolitik auch in den Esterházyschen Dominien in Südtransdanubien.29 Das Austarieren von Konzessionen, Rechten, Pflichten und Abgaben war stets eine komplexe Angelegenheit, wobei die Neusiedler – aber auch die alteingesessene Bevölkerung – stets einen großen Spielraum hatten, für sich günstige Konditionen auszuhandeln. Seitens der Herrschaft wurden 27 28 29
Ember, Mária Terézia, 7. Vörös, Károly: Az úrbérrendezés [Die Urbarialregulierung]. In: Magyarország története 1686–1790. Hgg. v. Győző Ember / Gusztáv Heckenast. Bd. 2. Budapest 1989, 926–931, hier 927. Siehe dazu ausführlich Spannenberger, Norbert: Zur Siedlungspolitik der Fürstenfamilie Esterházy im 18. Jahrhundert. In: Specimina Nova (2005), 121–142.
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allerdings die Ansiedlungskontrakte stets als temporär gedacht, und mit zunehmender Konsolidierung einer Gemeinde wurde auch die Strategie der Herrschaft straffer, wie die „Einnahmen vermehret werden könnten“.30 Zugleich sandte die Zentralverwaltung immer wieder Inspektoren in die Dominien, um jenseits der offiziellen Berichte der Herrschaftsbeamten an zuverlässige Informationen von Vertrauensmännern zu gelangen. Inspektor Egry berichtete etwa 1714, dass die Untertanen in den Dominien Ozora, Dombóvár und Kaposvár „lamentierten“, weil sie Neuntel, Arenda, Robot und „besonders die langen Fuhren“ geben mussten. Die langen Fuhren betrafen vornehmlich die Getreideernten, die mangels Absatzmöglichkeiten in die westungarischen Herrschaften der Esterházys transportiert werden mussten. Egry betonte jedoch, sollte der sich im Bau befindliche Getreidespeicher fertig gestellt werden, würden auch die Robotarbeiten deutlich zurückgehen. Er wurde darüber informiert, dass sich die Untertanen mit ihren Beschwerden direkt an den Grundherrn wandten, um ihrer Klage Gehör zu verschaffen.31 Dies empfand der Inspektor indiskret und unangebracht, denn für die Konfliktschlichtung waren nach seinem Verständnis die Herrschaftsbeamten zuständig. Allerdings war der Vorgang legitim, wobei die Untertanen nach Einschätzung von Egry damit allerdings bis zur Grenze des Zumutbaren gingen. Während solche Fälle vereinzelt durchaus vorkamen, nahmen sie ab den 1740er Jahren rapide zu. Dies hing mit der wachsenden und optimierten Herrschaftsadministration zusammen, aber auch mit der sichtbaren Konsolidierung der Gemeinden bzw. der Dynamisierung deren ökonomischer Leistungsfähigkeit. Die Erhöhung der Einnahmen wurde zum wichtigsten Imperativ für die auf Effizienz abgestimmte Herrschaftsverwaltung der Esterházys, wobei Antrieb, Kontrolle und Überwachung stets von der Zentrale in Eisenstadt ausgingen. Immer wieder wurden die vorhandenen Kontrakte und Urbarien einer Revision unterzogen und die Privilegien der Untertanen beschnitten. Dies führte zu immer heftigeren Auseinandersetzungen – semantisch wie argumentativ. Die Untertanen der Gemeinden Kónyi und Szokoly z. B. betonten in ihrer Kollektivklage, dass sie als „freie Menschen sich niedergelassen“ und als solche einen Kontrakt unterzeichnet hatten, um dessen Bestätigung sie den Fürsten Paul II. Anton (1711–1762) baten.32 Die radikale Erhöhung ihrer Abgaben bestätigten auch die Gemeinden Bedeg und Tengőd, obwohl es dort keine nennenswerte Zuwanderung gab und somit auch keine Vermehrung der Steuerzahler stattfand. Nach der Eingabe von Bedeg wurde bis 1734 bereits zweimal, in je dreijährigem Zyklus die Arenda angehoben, wobei die Differenz über 400 Prozent (sic!) ausmachte: Zuvor betrug sie noch 150 fl., nunmehr 750 fl. und zudem wurden die Untertanen zu den kostspieligen Langen Fuhren verpflichtet, in dem sie vom 30
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Zu diesen Prozessen siehe Spannenberger, Norbert: „Quo ita cicures ac industriosi evaderent“. Agrarmodernisierungen und ethnische Veränderungen als komplementäre Entwicklungsprozesse in Südtransdanubien. In: Agrarreformen und ethnodemographische Veränderungen. Südosteuropa vom ausgehenden 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Hg. v. Karl-Peter Krauss. Stuttgart 2009, 69–85. MOL, P 108. Rep. 35. Mikrofilm 14473, fol. 105. Egrys Schreiben vom 14. Februar 1714. MOL, P 150. Fasz. 226, fol. 127 und 131. Ozora 1717–1739.
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herrschaftlichen Speicher in Ozora 300 Metzen Weizen nach Kaposvár oder Földvár zu transportieren hatten. Die weitgehend unkonsolidierten Zustände verdeutlicht der Hinweis der Untertanen, dass sie „mit unserem Blut“ die fürstlichen Äcker gegen die Nachbarn verteidigen müssten und stellten die allzu bekannte Drohung in Aussicht, sie würden abwandern und sich in den Dienst einer anderen Herrschaft stellen.33 Was die Gründe für die oft nicht exakt definierten Abgaben und Leistungen und die daraus resultierenden Spannungen zwischen Grundherrn und Untertanen waren, wurde durchaus auch von den übergeordneten Behörden analysiert. Zunächst, so konstatierten die Komitatsbehörden, gab es oft gar kein Urbarium, sondern die Untertanen leisteten ihre Abgaben nach dem „Gewohnheitsrecht“. Im Rahmen des großen „Reformreichstags“ 1722/23 wurde im Gesetzartikel 18/1723 festgehalten, dass die Grundherren die Untertanen nicht über das Urbarium hinaus belasten durften. Diese Regelung aber wurde schon deshalb missachtet, weil in dem Gesetz lediglich jene Dörfer thematisiert wurden, die über ein Urbarium verfügten. Die nach dem Gewohnheitsrecht zahlenden Gemeinden dagegen waren weitgehend den Grundherren ausgeliefert. Zwar gab es einen Rechtsweg: Im ersten Schritt hätten die betroffenen Untertanen ihre Klage dem Komitat vorlegen sollen. Die Komitatsbehörden aber rekrutierten sich aus dem ortsansässigen Adel, der nicht selten mittels dieser Behörden seine eigenen Interessen durchzusetzen suchte. Erst wenn diese Instanz keine zufriedenstellende Lösung präsentierte, wäre der Fall vor der Statthalterei beziehungsweise der Ungarischen Kanzlei behandelt worden.34 Umso heftiger entlud sich der Konflikt, als nach der harten Rodungsarbeit die Abgaben erhöht wurden, indem der Grundherr seinerseits den Interimskontakt für nichtig erklärte und den Rechte- und Pflichtenkatalog der Untertanen neu definierte. Dabei waren die ersten Verträge der Esterházys in Südtransdanubien durchaus attraktiv. 1733 erbat z. B. genau deshalb Hans Georg Herolt aus Tolnau die Niederlassung mit etwa 60 Weggefährten in Dalmand und Kistoba. In der schriftlichen Verhandlung mit Graf Erdődy betonte Herolt: „Von gnäd[iger] Herrschaft einen güthig, wie eben die angränzenten Örther gleich lautenten Contracts zu erwarten. Undt zwahr disen auf ewig [sic!].“35 Doch genau diese „Ewigkeit“ sollte sich als trügerische Illusion entpuppen. Großzüge Konzessionen und Rechtssicherheit auf Dauer wurden zwar von den Kolonisten erwartet, diese Erwartungen wurden aber so nicht erfüllt. Was aus den Berichten der Beamten zwar nicht explizit betont wurde, liegt indes doch sehr nahe: Die Erhöhung der Abgaben erfolgte im Spiegel des steigenden Wohlstandes der Bauern, indem erstens für bisher nicht bezahlte Nutzungen etwa von Wiesen Abgaben erhoben und zweitens der Abgabenkatalog der Leistungskraft angepasst wurde. Deshalb wurden auch die bestehenden Urbarien und Interimskontrakte seitens der Herrschaftsverwaltung modifiziert beziehungsweise ganz abgeschafft. 33 34 35
Ebd., fol. 135. Vgl. Ember, Győző: Mária Terézia úrbérrendezése és az államtanács [Die Urbarialregulierung von Maria Theresia und der Staatsrat]. Budapest 1936, 20 und 28. MOL, P 108. Mikrofilm 14473, fol. 645.
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Die Auseinandersetzung zwischen der Gemeinde Ozora und der Herrschaft belegt exemplarisch diesen Prozess. In einer Eingabe von 1724 betonte die Gemeinde, dass vor dem „vergangenen unglücklichen Krieg“, sprich dem Rákóczi-Aufstand, zu „unserer Vermehrung“ Palatin Paul Esterházy einen günstigen Vertrag genehmigt hatte, indem die Gemeinde pauschal 100 Rheinische Gulden Arenda bezahlte. Dieser Kontrakt soll irrevocabiliter erfolgt sein. Während des Kuruzzenkrieges zogen die Raitzen ausnahmslos ab, lediglich die fünf ungarischen Familienoberhäupter blieben zurück, die jedoch den Vertragsbedingungen nachkommen mussten: Sie hatten die Steuern der Geflohenen zu übernehmen. Dies führte zu großer Armut und Belastung der Zurückgebliebenen. Nach dem Rákóczi-Krieg vermehrte sich die Gemeinde „per Dei gratiam aus der ungarischen Nation“, doch der Kontrakt wurde für nichtig erklärt und de novo die Arenda nach Besitzgröße verteilt: Bauern (mit einer Session) zahlten drei Gulden und „Niedrigere“, also Kleinhäusler und unbehauste Kleinhäusler, zwei Gulden. Zudem verlangte die Gemeinde „initum Contractum, eo Jure“ die weitere Benutzung der umliegenden Puszten. Sollte die Herrschaft nicht entgegenkommend sein, könne sie nicht mehr „subsistieren“ und drohte mit der kollektiven Abwanderung.36 Diese Drohung war im Laufe der Zeit immer weniger glaubwürdig, und die Herrschaft nahm sie auch nicht ganz ernst. Die Privilegien von Ozora waren ohnehin großzügig, und die quantitative Größe der Gemeinde machte einen kollektiven Abzug fast unmöglich. Eher funktionierte der geschlossene Umzug bei einem kleinen Dorf. Dennoch war der Abzug, sofern er tatsächlich erfolgte, für die Herrschaft ein Albtraum: Im März 1743 z. B. berichtete Christoph Armbruster aus Ozora, dass „von Szakcs schon etliche Inwohner, die meisten aber Lengyelische Unterthanen weggegangen, und die Häuser leer stehen lassen“.37 Die Korrelation zwischen Abwanderungspraxis der Untertanen und Konzessionsbereitschaft der Herrschaft lag durchaus auf der Hand. Je mehr die Konsolidierung des Dominiums und die Herrschaftsstrukturen des Komitatssystems sich festigten und die Möglichkeiten der Binnenmigration abgebaut wurden, desto brutaler wurden auch Konflikte zwischen Herrschaft und Untertanen ausgetragen. Die Auseinandersetzungen führten nicht selten zur Gewaltanwendung. Darüber beschwerten sich die Untertanen. So gaben 1731 drei Untertanen aus Töttös in einer Sammelklage zu Protokoll, dass sie von zwei Haiducken „hart verprügelt“ und zwei aus Vásárosdombó auf der Prügelbank so gequält worden seien, dass sie fünf Wochen das Bett hüten mussten. Auch Andere seien „gottlos gequält“ worden, so dass ein 60-jähriger Mann an den Folgen starb, zwei Bauern aus Gerényes wurden angeschossen usw.38 Der Beamte von Dombóvár soll laut Klageschrift der Untertanen die Deputierten der Gemeinden, die ihre Beschwerden
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MOL, P 150, Fasz. 226, fol. 114–115. MOL, P 150, Fasz. 277, fol. 219–220, 1740–1750. Bericht Armbrusters vom 09. März 1743. Ebd., fol. 78–80.
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vor herrschaftlichen Gremien vorbringen wollten, „unter unsäglichem Fluchen in Ketten gelegt und eingesperrt“ haben.39 Die Schmerzgrenze seitens der Herrschaft wurde in dem Moment erreicht, als die Untertanen ihre Beschwerden nicht mehr nur innerhalb der Dominieninfrastruktur vorbrachten, sondern vor die Öffentlichkeit trugen. 1743 reichten die Untertanen von Vásárosdombó, Töttös, Gerényes, Nagyág, Vázsnok, Jágónak und Tékes eine Klage mit acht Punkten beim Komitat Baranya ein. Das Komitat wandte sich daraufhin an den Esterháyzischen Präfekten Gaál, und nachdem dieser auch noch ein Schreiben vom Obergespan, dem Fünfkirchner Bischof Sigismund Berényi erhalten hatte, in dem er zur Freilassung der eingekerkerten Untertanen ermahnt worden war, versprach er eine Sedria der Herrschaft und die Untersuchung aller Beschwerden.40 Doch zugleich ließ Gaál die Zentralverwaltung in Eisenstadt wissen, daß er die Untertanen des Dominiums Dombóvár ermahnt hatte, daß sie künftig von solchen „inhaltslosen Beschwerden“ Abstand nehmen sollen. Sollten sie sich ungerecht behandelt fühlen, empfahl er ihnen, sich an den Grundherrn zu wenden.41 Offensichtlich war diese Institutionalisierung der Konflikte für die Herrschaftsbeamten unangenehm, da sie nur bedingt kalkulierbar war: Zwar war eine gewisse Solidarität seitens der Komitatsbeamten zu erwarten, zumal sie selbst Adelige mit Untertanen waren, und die Interessenkongruenz nicht von der Hand zu weisen war. Auf der anderen Seite konnte der Obergespan weisungsgebunden im Auftrag der Statthalterei handeln, womit der Wiener Hof als Akteur eingebunden war. Genau dies wollte man in den Dominien vermeiden. In diesem Fall versuchten die Esterházyschen Herrschaftsbeamten Muskeln zu zeigen und mit Autorität vorzugehen. Christoph Armbruster ließ neben dem Gespan die Haiducken aufmarschieren, um die „Ozoraer zur Roboth antreiben [zu] wollen“, woraufhin die Bauern sich im Pfarrhaus versammelten und „opponierten“. Hier erklärten sie, dass sie das Urbarium nicht annehmen werden. Als Antwort ließ Armbruster im Januar 1744 „einige Corifaeos in das Arest […] setzen“.42 Das eigentliche Problem bestand nicht darin, dass einzelne Vertragspunkte willkürlich oder mit der Durchsetzung des Urbariums geändert worden waren. Viel mehr erweckte diese Entwicklung in den Untertanen das Gefühl der Rechtsunsicherheit und der Willkür, was jedoch noch Anfang des Jahrhunderts etwa vom Gutachter der Esterházyschen Domänen in Südtransdanubien als die Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Neubesiedlung genannt worden war.43 Eine besonders drastische Variante bildete der Vorgang, als die Herrschaft eigenwillig den Kontrakt 39
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„Utóllyára pedig, hogy nála megjelentünk, akkor nagy Istentelen káromkodásokra fakadván megvasaltatott és ugy Aristomban vetetett bennünket.“ Tolna Megyei Önkormányzat Levéltára (TMÖL) [Archiv der Komitatsselbstverwaltung Tolna], Urbarialia. 1. 6:1–68. Kollektivklage der sieben Gemeinden aus der Herrschaft Dombóvár. MOL, P 155. Mikrofilm 43493, fol. 4. Schreiben vom 09. März 1743. Ebd. Schreiben Gaáls vom 21. Juni 1743. MOL, P 150, Fasz. 227, fol. 310–311, 1740–1750. Bericht von Armbruster vom 21. Januar 1744. MOL, P 150, Fasz. 226, fol. 31–36. Repraesentationes Oeconomicae in Bonis infra Lacum Balaton situat. Ohne Verfasser und Jahresangabe.
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wegnahm oder ihn für ungültig erklärte, und die Untertanen zu Urbarialisten „degradierte“. So brachte Anfang der 1750er Jahre die Esterházysche Gemeinde Tamási eine Klage vor, wonach sie „in den vor 17 Jahren gehaltenen Sede Dominali wider ihre alte Privilegien sie auf einen Urbarial Contract seyend reduciret“ und „seye Ihnen vor 8 Jahren eine Wiesen Hoszu Gomb genant, welche sie von unerdencklichen Jahren genossen haben, benohmen worden“.44 Das war kein Einzelfall: In den Komitaten Baranya, Tolna und Pest wurden viele der bis dahin gültigen Verträge annulliert und die Leistungen der Untertanen neu definiert, aus deren Standpunkt insgesamt zu ihren Ungunsten.45 Im Komitat Tolna war in 17 Gemeinden dieser Prozess zu beobachten, nämlich in Berény, Czikó, Öcsény, Gerjén, Grábóc, Hidegkút, Högyész, Kakasd, Kis-Vejke, Lápafő, Majos, Mucsi, Nána, Paks, Szakadát, Szárazd und Varsád.46 Diese Dörfer wurden mit einem Kontrakt durch deutsche Kolonisten besiedelt, doch im Laufe der Zeit kamen die Originalurkunden auf unterschiedliche Art und Weise abhanden. Meist nahm die Herrschaft den alten Kontrakt einfach weg, in Gerjén und Varsád erklärte der neue Grundherr, dass der Kontrakt nicht mehr verbindlich sei, und in Kakasd, Lápafő und Paks wurde dieser durch ein Urbarium ersetzt. Grábóc und Szakadát nahmen einfach resigniert hin, dass ihr Vertrag weggenommen wurde. In den Dominien Ozora und Dombóvár handelte es sich aber um eine Rechtsnivellierung beziehungsweise um eine Angleichung der Leistungen der Gemeinden. 1750 wurde ein einheitliches Urbarium pro Dominio Ozora et Dombóvár für die Gemeinden Keszi, Szokoly, Pincehely, Regöly, Kónyi, Ertény, Tengőd, Bedegh, Pári, Dombóvár, Gyula, Szakcs, Szakály, Kurd, Kocsola, Német-Pulya, Kozár, Mekényes, Tófő und Döbrököz erlassen. Es handelte sich in allen Fällen um Kontraktualistendörfer, die nach 1711 mit günstigen Konditionen neu besiedelt worden waren. Unter Punkt zehn wurden besonders die Robotleistungen geregelt, die ebenfalls normiert und nivelliert wurden mit der Option, dass die Fahrten zur Donau durch Handrobot abgelöst werden konnten.47 Auf jeden Fall führte dieses einheitliche Urbarium kurzfristig zur Erhöhung der Einnahmen der Herrschaft. Die 1739 besiedelte Gemeinde Német-Pulya z. B. zahlte nach der Einführung des Urbariums nicht mehr eine Pauschalsumme, obwohl die Ackerfelder nicht nach Sessionen aufgeteilt waren, sondern ein Paar Zugvieh wurde mit 1,50 fl. Arenda besteuert, hinzu kamen für den Bauern 12 Tage Zug- oder Handrobot und drei Tage Heufuhren, zudem Neuntel von allen Viktualien. Dombóvár, Döbrököz, Kozár wurden genauso besteuert. Im Falle von Sásd bedeutete die Einführung des Urbariums eher eine Nivellierung der Abgaben, denn sie zahlten ante inductionem urbarii 2 fl., nunmehr nur noch 1,50 fl. Arenda, doch ihre bisherigen 44 45 46
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MOL, P 151. Mikrofilm 43402, fol. 570–572, Nr. 430. Az úrbéres birtokviszonyok Magyarországon Mária Terézia korában [Die urbarialen Besitzverhältnisse in Ungarn zur Zeit Maria Theresias]. Hg. v. Ibolya FelhŐ. Budapest 1970, 29. Lukács, Zsófia: A szerződéses jobbágyok helyzete hazánkban a XVIII. század folyamán a Mári Terézia-féle úrbérrendezésig [Die Lage der kontraktualen Untertanen in unserem Heimatland im 18. Jahrhundert bis zur Maria Theresianischen Urbarialregulierung]. Budapest 1937, 25. MOL, P 108, Rep. 35. Mikrofilm 14471, fol. 325–328.
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sechs Tage Robot erhöhten sich auf 12 Tage. Szakály und Gyula jedoch zahlten pro omnibus reditibus 1.500 fl. beziehungsweise 2.000 fl., d. h. sie wurden nicht nach der Anzahl des Zugviehs gemäß des Urbariums belastet.48 Die Einführung dieses einheitlichen Urbariums wirkte schon im Frühjahr 1750 explosiv: Schon dessen Durchsetzung konnte nur mit Gewalt erfolgen, die Herrschaft setzte zur Executio insgesamt 126 Haiducken ein. Diese weilten z. B. zwei Wochen in der Gemeinde Gyula, griffen die Bevölkerung tätlich an, indem sie Männer verprügelten, zusammentraten oder mit einer Streitaxt auf sie einschlugen. Allein für deren Versorgung musste die Gemeinde mit 247 Gulden aufkommen, in Döbrököz mit 53 Gulden. Daraufhin erklärten sich die Gemeinden einzeln vom 10. bis zum 13. März 1750 zur Annahme des Urbariums und stellten einen Reversalis aus.49 Doch auf einem anderen Feld waren die Untertanen erfolgreich. Sie unternahmen einen wichtigen Schritt, um die Konfliktkonstellation öffentlich zu machen und von ihrer bipolaren Natur zu befreien: Sie wandten sich an die Statthalterei, um so Druck auf die Herrschaft auszuüben. Daraufhin wandte sich Fürst Paul II. Anton in einem emotionalen Schreiben an den Wiener Hof. Er bestritt nicht, dass er im Vergleich zu seinen Vorgängern ein härteres Regime einführte, gab aber zu bedenken, dass er lediglich den Abgabenkatalog auf „die alten Gegebenheiten“ vor der Zeit der Ansiedlungen „zurückgeführt“ habe.50 Dies wiederum wurde vom Komitat geprüft und gutgeheißen. Auch „die Untertanen“ seien damit einverstanden, beteuerte der Fürst, lediglich „einige Unruhige“ reichten eine Petition wegen dieser Entwicklung ein. Damit wollte er eine homogene Haltung der Untertanen abstreiten und diese polarisieren, indem er zwischen „Loyalen“ und „Illoyalen“ unterschied und Letztere kriminalisierte. Wie wirksam der Weg der Untertanen war, sich direkt an den Herrscher bzw. an die Statthalterei zu wenden, belegt auch der ungewöhnlich konfrontative Ton des Fürsten gegenüber dem Souverän: Er warf der Herrscherin vor, dass er selbst weder um eine Anhörung in dieser Angelegenheit ersucht hatte noch tatsächlich vom Hof bzw. von der Statthalterei angehört wurde, während sich seine Untertanen mit den Klagen sehr wohl Gehör verschaffen konnten. So erklärte er sich bereit, persönlich in Wien zu erscheinen und verwies auf den alternativen Rechtsweg vor den Komitatsbehörden, die allerdings zweifelsohne ihm Recht geben würden. Da der Konflikt mit Fürst Paul II. Anton bis zu seinem Tode 1762 nicht beigelegt werden konnte und keine Ruhe im Dominium Dombóvár einkehrte, wandten sich die Untertanen erneut mit einem Memorandum am 19. Juli 1766 an die Herrscherin in Wien. In insgesamt 16 Punkten wurden die Missstände aufgezählt und ob
48 49 50
MOL, P 150, Fasz. 232, 1775, fol. 115–118. Bericht von Andreas Nagy aus Dombóvár vom 27. Juli 1761. MOL, C 59, Depart. Urbariale, Fasz. 18. Lad. D.; Fasz. 5. Siehe hier auch die einzelnen Bestätigungen. „[…] Iuraque Dominalia et Obligationem subditorum ad certas species reduxit et stabilivit.“ Ebd.
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der Härte der Lage eine Intervention sowie die „Mütterliche Barmherzigkeit“ von Maria Theresia erbeten.51 Die einzelnen Beschwerdepunkte lauteten: 1. Die Untertanen sagten aus, dass zur Zeit des Fürsten Paul I., also Anfang des Jahrhunderts, die Herrschaft insgesamt soviel pflügen musste wie heute ein einziges Dorf. 2. Beim Bau der herrschaftlichen Brauerei musste jeder Bauer mit Zugvieh 12 Klafter Holz anliefern, davor je Wirtschaft nur zwei Klafter. 3. Für die Herrschaftsbeamten musste für Weihnachten Brennholz geliefert werden. Früher aber ließen diese Ersatz durch ihre eigenen Knechte beschaffen. 4. Die Robotleistungen machten in der Praxis inzwischen wöchentlich vier Tage aus: Nominell nur zwei Tage, aber je ein ganzer Tag musste für die An- und Abreise angerechnet werden. 5. Für die Arenda mussten inzwischen alle Untertanen drei Gulden entrichten, auch die ärmsten. 6. Das Bauholz wurde von der Herrschaft noch im Wald verkauft, während die Untertanen ganze Baustämme in Robot transportieren mussten. Wegen dieser Mehrbelastung krepierten immer wieder Tiere der Untertanen. 7. Die Langen Fuhren machten jährlich etwa das Drei bis Vierfache des Vereinbarten aus, denn selbst wenn jemand drei Wochen lang unterwegs war, wurde dies nur mit zwei Tagen berechnet. 8. Bei der Errichtung des herrschaftlichen Wildparks wurde den Untertanen Gehalt versprochen, doch nie gezahlt. 9. Getreideneuntel und -zehnt wurde von der Herrschaft gleichermaßen einbehalten. 10. Lamm- und Bienenneuntel, Zensus in der Höhe von 20 d. sowie Eichelgeld mussten gleichfalls entrichtet werden. 11. Jeder fünfte Eimer Wein wurde als Steuer einbehalten, zudem „penaticum“ (Hühnergeld). 12. Zehntgetreide und -heu mussten über die Robotleistungen hinaus gratis eingeliefert werden. Die Arbeiten am Damm bei Dombóvár mussten neben den Robotleistungen zusätzlich erbracht werden. 13. Die Arenda machte bisher einen Gulden aus, nunmehr vier Gulden und zwei Eimer Schnaps. 14. Bei der Ablieferung des Weinneuntels verschwanden die Fässer der Untertanen. 15. Wer zur Robot nicht erschien, erhielt Prügel und wer floh, wurde mit Hunden geschnappt und so gefoltert. 16. Die Knappheit an Ackerland ist nunmehr eine Existenzfrage, sie gefährdet das Überleben der Untertanen. 51
Baranya Megyei Levéltár (BML) [Komitatsarchiv der Baranya], IV. 1. i. Urbarialakten, Fasz. 20. Titel 372. 8. Penes Instantias colonorum Dominii Dombóvár fir dispositio: ut, sive apellet e Sede Dominali res urbarialis, seu non per Sedriam tamen revideri, et Exc. Consilio R. debeat submitti. 19. Juli 1766, Coloni contra Dominium suum Terrestrale conquerantur.
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Die Herrschaft ging allerdings zu dieser Zeit nicht zu Unrecht davon aus, dass die Klagen der Untertanen ob deren schlechter wirtschaftlicher Situation oft geheuchelt waren. Ja, ausgerechnet die ökonomische Konsolidierung und Expansion bot den Untertanen den Anlass, selbstbewusste Forderungen an die Herrschaft zu stellen und als Initiator von Konflikten zu agieren. Die Gemeinde Ozora z. B. verweigerte einfach die „Exarrendierung“. Stattdessen verlangte sie weitere Privilegien, die über die zeitgenössischen Konzessionen hinausgingen. „Wir genießen den reichen Segen Gottes im Weinanbau“ teilten diese Untertanen mit und verlangten das Recht auf Weinschank für das ganze Jahr gegen 80 Gulden. Dies „obwohl wir dank der besonderen Güte der wohllöblichen Kommission das Recht auf Schnapsverkauf haben“, doch nach Abführung der dafür vorgesehenen Arenda „dürfte vermutlich [sic!] nur wenig übrig bleiben“.52 Auch der Wohlstand der Untertanen führte damit zum Konflikt, wenn auch hierbei der Ton und die emotionale Argumentation anders klangen als bei einer (vermeintlichen) Unterdrückung und Not. Dies zeugt von einem ausgeprägten Selbstbewusstsein der Untertanen, das von einem trügerischen Gefühl der Stärke nicht ganz frei war. Neben der Verschärfung der administrativen Mittel wie der diversen Kontrollen trachtete nämlich die Herrschaft meist nach einem adäquaten Umgang mit Sanktionsmitteln. Unerlaubter Anbau von Viktualien konnte nicht besteuert werden, aber es gehörte zu den bekannten Methoden der Bauern, unter Umgehung der Herrschaftsbeamten zusätzliche Einkünfte zu erzielen, die somit „steuerfrei“ blieben.53 Doch selbst bei solch einer „Steuerhinterziehung“ griff die Herrschaft nicht sofort zu drakonischen Maßnahmen, was die Untertanen veranlasste, stets ihre Grenzen neu zu erproben. DIE BAUERNREVOLTEN IN DEN DOMINIEN DOMBÓVÁR UND OZORA 1766 Die Radikalisierung von internen Unmutsäußerungen innerhalb der Grundstruktur bäuerlichen Widerstandes, nämlich der Gemeinde, bis hin zu offenen Revolten und damit einer Institutionalisierung außerhalb der Gemeinde, macht deutlich, dass der Konflikt seitens der Untertanen bewusst öffentlich gemacht werden sollte. Dieser demonstrative Effekt hatte das Ziel, die „Schwelle des Ungehorsams zu überschreiten“, und mit diesem provokativen Akt den rechtlichen Schutz zu erwirken.54 Diese Wende vom „stillen“ zum „öffentlichen Widerstand“ war letztlich die Suche nach 52 53 54
MOL, P 150, Fasz. 226, fol. 112. MOL, P 151. Mikrofilm 43402, fol. 25. So wurden Georg Gruber und Stephan Windisch 1752 ermahnt, dass ihnen „zum letzten Mal“ die angedrohte Strafe wegen unerlaubten (unversteuerten) Tabakbesitzes (Tabakanbaus) nachgelassen werde. Vgl. Schulze, Winfried: Bäuerlicher Widerstand und feudale Herrschaft in der frühen Neuzeit. Stuttgart-Bad Canstatt 1980, 89. So unterscheidet er zwischen einem „latenten Widerstand“, solange die Grenzen der Gemeinde noch nicht gesprengt werden, und einem „manifesten Widerstand“, wenn der Konflikt Gegenstand rechtlich-politischer Bemühungen wird. Ebd., 101.
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einer neuen Ebene der Konfliktbeilegung – mit dem königlichen Hof als unanfechtbare Autorität und Vermittlungsinstanz letzten Grades. Die Bauern schalteten bewusst diesen Machtfaktor als „refugium et asylum innocentium“ ein.55 Sie haben dabei keine Gerechtigkeit erwartet, sondern wollten den Konflikt aus der Enge des Kleinterritoriums herausbringen, um die einfache Gewaltanwendung seitens des Dominiums unmöglich zu machen. Die Lage der Bauern war den Behörden in Ofen und Wien bestens bekannt, und der ungarische Hofkammerrat, Anton Cothmann, äußerte sich auf der Sitzung des Staatsrates 1761 wenig schmeichelhaft über diese Zustände: „Allermasen in keinem Land in Europa der Unterthan so hart und sclavisch als in Ungarn gehalten, und eben dadurch die Cultur und Population behinderet wird.“56 Es wurde registriert, dass die Migration der Bauern nicht nachließ, die Abwanderung – insbesondere in Siebenbürgen – erschreckende Ausmaße erreicht hatte und ein Aufstand zu befürchten war. Gleich nach dem – aus der Sicht des Wiener Hofes – misslungenen Reichstag von 1764/65 entsandten Bauern aus den westungarischen Komitaten Vas, Zala und Somogy ihre Deputierten nach Wien, um ihre Beschwerden persönlich vorzutragen. Ihre Hauptklage lautete dahingehend, dass die Grundherren ihre Lasten ungerecht und bis zur Unerträglichkeit gesteigert hätten.57 Bald danach trafen auch die Vertreter der südtransdanubischen Batthyányschen Herrschaften dort ein, ihnen folgten die Sprecher und Beschwerdebriefe anderer Herrschaften, wie z. B. der Esterházys, und trugen im Prinzip die gleichen Klagen vor. Zugleich brachen 1766 Rebellionen im Komitat Zala und Pest sowie in Südtransdanubien aus. Darüber berichtete die englische Gesandtschaft aus Wien nach London: „For these two or three years last past, the Peasants in may parts of Hungary have complained most loudly of the opressive [sic!], and hard Services imposed on them by their Lords, contrary, as they say, to the Laws and Constitutions of that Kingdom. Since the last Diet they have in more than on Comitatus assembled themselves in a tumultuous manner, and in considerable Numbers, to demand Redress. They however have usually, either by force or fair promises, been dispersed, without being guilty of any other Outrages, exsept [sic!] a little Waste and pilfering but notwithstanding have continued in many places, to refuse to submit to the Services that were exacted of them.“58 Auch die Esterháyzschen Gemeinden Dombóvár, Döbrököz, Szakcs, Gyula, Szakál, Nak und Pula wandten sich 1766 an den Wiener Hof, wie dies weiter oben schon gezeigt wurde. Es zeugt von einem gesteigerten Selbstbewusstsein, dass die Gemeinden kollektiv Klage erhoben und als geschlossene Interessengemeinschaft auftraten. Man ersuchte auch nicht mehr die Beseitigung einzelner Missetaten, sondern es wurde eine ganze Reihe von kodifizierten Rechtsverletzungen angeprangert 55 56 57 58
Hier zitiert nach Schulze: Bäuerlicher Widerstand, 97. Hier zitiert nach Ember: Mária Terézia, 14. Vgl. Rúzsás, Lajos: A baranyai parasztság élete és küzdelme a nagybirtokkal 1711–1848 [Leben und Kampf des Bauerntums in Baranya mit dem Großgrundbesitz 1711–1848]. Budapest 1964, 64. The National Archives (TNA), London, SP 80, 203. Bericht aus Wien vom 28. Mai 1766.
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und deren restlose Beseitigung verlangt. Die Klagenden beteuerten, dass sie seitens des Komitats mit Waffengewalt gezwungen worden waren, ihren Kontrakt von 1725 einzuhalten und ihre Abgaben zu leisten. Den Pflichten und Urbarien kamen sie demnach „ohne Aufruhr“ nach, doch diese Entwicklung habe insgesamt zur „Verarmung“ der Gemeinden geführt. Der Missbrauch seitens der Herrschaft erreichte demnach solche Dimensionen, dass „wir nicht nur die Abgaben Eurer Majestät nicht mehr aufbringen, sondern auch nicht genügend Brot kaufen können“. Sie betonten, dass zurzeit von Palatin Paul das ganze Dominium so viel gepflügt hätte wie jetzt ein einziges Dorf.59 Doch viel relevanter als die Klagen über Lasten und Abgaben war der geschickte Schachzug, die Legitimität der Herrschaft und der Herrschaftsbeamten, aber auch sonstiger Instanzen, wie etwa der Komitatsbehörden, abzustreiten.60 Daran hielten sich die Untertanen auch dann, als sie vor dem Herrenstuhl der Herrschaft vom 22. bis zum 24. Mai 1766 ihre Klagen vorzubringen hatten. Doch sie steuerten die Entwicklung bewusst dahingehend, dass hierbei keine Lösung erzielt werden konnte, um die höchste Instanz daran zu beteiligen. Abgesehen von geringfügigen Widersprüchen, die für den Gesamtverlauf ohne Relevanz sind, lässt sich der Ablauf dieser Auseinandersetzung anhand der zwischen dem 23. und 28. Juli durchgeführten Inquisitiones der Herrschaft rekonstruieren. Unter dem Vorsitz des Vizegespans des Komitates Somogy, Graf Ludwig Festetich, forderte der Herrenstuhl auf Ersuchen der Gemeinden die Deputierten und Geschworenen der schollengebundenen Untertanen auf, pünktlich zu erscheinen. Das Behördensystem des Komitats setzte sich also ungewöhnlich schnell in Gang, sobald es die Interessen der Stände gegenüber den Untertanen zu wahren galt.61 Doch im Gegensatz zu dieser Einladung machten sich auch Arendierte in großer Anzahl auf den Weg, sammelten sich bei dem Wirtshaus des Prädiums Tüske und schworen sich, gemeinsam aufzutreten und zu handeln. Diese Ritualisierung des Widerstandes bildete eine wichtige, auch von anderen Bauernaufständen bekannte psychologische Komponente. Danach zogen sie zum Haus des Gemeinderichters, namens József Tűrő, von dem sie verlangten, dass aus jeder Gemeinde je zwei Vertreter zugelassen werden.62 Stellvertretend für alle schworen wiederum einige Deputierte, dass die Versammelten während der Sitzung der sedria das Haus der Herrschaftsverwaltung nicht betreten werden. Zugleich erklärte das versammelte Volk, dass es sich nicht auflösen werde, solange keine Entscheidung fiel. Die 59 60 61
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Rúzsás: A baranyai, 66. „Das arme Volk wird nicht nur von seinem Grundherrn, sondern auch von dessen Verwaltern gequält“ – betonten die Esterházyschen Untertanen in ihrer Eingabe. TML, Urbarialia. 1. 6:1– 68. Eingabe von Döbrököz, Kocsola und Szakál 1766, fol. 5. Kosáry, Domokos: A tétényi „tumultus“ 1766-ban [Der Tumult in Tétény 1766]. In: Magyarország társadalomtörténete a 18.–19. században. Hg. v. Tamás Faragó. Budapest 2004, 399– 415, hier 400. Interessanterweise brach hier, in Tétény im Komitat Pest, fast auf den Tag genau wie in Dombóvár am 20. Mai 1766 ein „Tumult“ aus. Esterházysches Archiv Forchtenstein Acta Varia, Inquisitio Possessionis Dombóvár Fasc. 134. Aussage von József Tűrő vom 28. Juli 1766. Die Untersuchung wurde unter der Leitung von Mihály Zombori durchgeführt.
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kollektive Disziplinierung war offensichtlich eine Schlüsselfrage seitens der Organisatoren, mit Erfolg zu handeln. Welche Relevanz Gerüchte und die daraus abgeleitete Emotionalisierung der Konflikte hatten, belegten die Ereignisse danach: Zwei Vertreter der Gemeinde Nak sollen mitunter die Wortführer gewesen sein, die erklärten, dass sie persönlich in Wien in der königlichen Kanzlei vorgesprochen und die Zusicherung erhalten hatten, dass „bis zum Tag des Heiligen Georg dem Vizegespan Dőry die Wahrheit zur Kenntnis gebracht und zugeleitet“ werde. Da ein solches Schreiben der Kanzlei vom Herrenstuhl nicht präsentiert worden war, vermuteten die Versammelten, dass ihnen der Vizegespan dieses einfach vorenthalten wollte. Die Atmosphäre war ohnehin vergiftet, nachdem sich das Gerücht verbreitet hatte, Vizegespan Graf Festetich drohte den geladenen Gemeindevertretern, er würde diese „rupfen lassen wie man es mit den Gänsen macht“. Noch vor dem Haus des Richters erklärten sie, bevor Festetich sie schlagen lässt, würden sie ihn im Fluss Kapos ertränken.63 Grundsätzlich gingen die Versammelten davon aus, dass Festetich gekommen war, um ihnen noch größere Lasten aufzubürden. Hier war ein Fundamentalirrtum auszumachen: In der Wahrnehmung der Untertanen war der Herrscher die Garantie für die Einschränkung weiterer Lastenerhöhungen, während die Herrschaft und die Komitatsbehörden als die Verkörperung einer Rechtsverschlechterung galten. Ein imaginärer Gerechtigkeitskodex war in der Argumentation der Untertanen der Leitfaden: Grundsätzlich verweigerten die Deputierten die Robot- und sämtliche Steuerleistungen für die Herrschaft, und Mihály Kovács sagte dem Regenten, dem höchsten leitenden Herrschaftsbeamten, unverblümt, dass schon die Neuntelabgaben längst ausreichen würden, mehr würde der Herrschaft gar nicht zustehen.64 Die Gemeinde Nak präzisierte diese Aussage dahingehend, dass sie keine Robot leisten würde, bis nicht die eigenen Arbeiten erledigt sind, da sie eh schon „zu viel“ Neuntel zahlte. Zugleich gaben die Sprecher der Gemeinden auch bekannt, dass sie gegenseitig Vertreter und Kurrentbriefe geschickt hätten, um eine Delegation nach Wien zusammenzustellen und ihre Instanzen direkt dem Kaiser zu überreichen.65 63
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Ebd. Aussage des Gemeindenotars János Brassai. „[…] hogy az elmult napokban azt izente volna, meg koporlak benneteket mind a ludakat, fönt emlétett Biró házánál e végett meg ésküttek, hogy elöbb mindsem megkopasztassanak Tekintetes Festetics Urat az Kapos vizében megáztassák elsőben.“ Ebd. Aussage des Gemeinderichters József Tűrő. Das ist ein markanter Unterschied zu anderen Revolten. In Tétény ging es nicht um die prinzipielle Verweigerung, sondern um die genaue Regelung der Robotleistungen, die nach Auffassung der Untertanen nicht mehr unter Kontrolle war. Sie erbrachten nämlich diese Leistungen nach „Usus“, da sie weder ein Urbarium noch einen Kontrakt hatten. Vor den Unruhen machten diese bei Bauern mit vier Ochsen einen Tag, mit zwei Ochsen zwei Tage und bei Handrobot drei Tage in der Woche (!) aus. Trotz mehrmaliger Vorsprache bei den Herrschaftsbeamten erfolgte keine Revision dieser Zustände. Kosáry: A tétényi, 403. Besonders interessant ist in diesem Protokoll, dass alle Zeugen vom „Kaiser“ und nicht vom „König“ sprechen, was darauf deuten lässt, dass im 18. Jahrhundert die „patriotische Unterscheidung“ zwischen dem „Kaiser in Wien“ und dem „ungarischen König“ nicht bekannt war.
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Das Volk verlangte unter großem Lärm, dass die Sitzungsleiter aus dem Gebäude herauskommen und ihren Standpunkt coram publico vortragen sollten. Die interne Sitzung wurde daraufhin unterbrochen, die Menge bewegte sich Richtung Eingang und nach Aussage des Haiducken Mihály Horváth gaben Lukács Szabó aus Nak und Mihály Tabler sowie Miklós Szabó aus Szakály die Parole aus: „Raus mit dem Hundesohn!“ Vizegespan Festetich floh daraufhin ins Hinterzimmer, und als die Haiducken zu seinem Schutz die Tür zumachen wollten, riss sie eine Menge von sieben Burschen aus ihrem Rahmen. Mit der Mütze auf dem Haupt als Zeichen des Ungehorsams erstürmten die aufgebrachten Untertanen das Gebäude. Jemand nahm ein an der Wand hängendes Gewehr zu sich, und Istók Bók Deli aus Töttös sowie János Törő aus Vázsnok – „stramme Burschen von Hengstgestalt“ – ergriffen auch Festetich, doch auf Zureden ihrer Gefährten ließen sie ihn wieder los.66 Der Metzger aus Berki wurde dagegen verprügelt und ins Wasser geworfen. Der Regent, Josef Hartwig, löste aber schließlich den Tumult auf. Nach einer Alternativversion waren János Nagy aus Nak und Istók Bíró aus Vásárosdombó jene, die die Menge besänftigt hatten.67 Die Revolten widerspiegeln ein klassisches Bild bäuerlichen Widerstandes – von den dezentralisierten Unruhen bis hin zu Koordinierungsversuchen unter den einzelnen Gemeinden. Allerdings scheint die begrenzte Solidarität lediglich innerhalb einer Herrschaft funktioniert zu haben. Der Gemeinderichter von Kocsola z. B. sagte aus, dass – obwohl seine Gemeinde ebenfalls nicht geladen worden war – sechs Vertreter gewählt wurden, um die königliche Antwort zu erfahren und kundzutun, dass sie mit der Robot und den Steuern unzufrieden waren. Wie in allen Dörfern der Umgebung erschienen auch hier Sprecher der Gemeinden Jováncza, Szakcs und Szakály, und erklärten öffentlich, dass bis zum Eintreffen des königlichen Urbariums und der „Verkündung der Wahrheit“ niemand irgendwelche Leistungen erbringen dürfte. Diese „Wahrheit“ wurde auch schriftlich verfasst, und in die Nachbargemeinden geschickt.68 Formell legte zwar die Gemeinde keinen Schwur ab, ließ aber den herrschaftlichen Müller, Haiducken und die Wirte vereidigen, dass sie nichts davon der Herrschaft verraten würden, was sie sahen und hörten. Im Gegensatz zu Dombóvár wurde hier der Herrschaft viel Schaden zugefügt. Auf der Puszta Dalmand ließ der herrschaftliche Schäfer die Herden weiden. Gerüstet mit Stöcken und „Bauernwaffen“ wurde das Nutzvieh der Herrschaft weggetrieben, die Getreideernte teilten die Revoltierenden unter sich auf, fünf Lämmer wurden geschlachtet und verzehrt, die Haiducken eingeschüchtert und die Gemeinde Döbrököz ermuntert, ihrem Beispiel zu folgen und im Wirthaus den eigenen Wein auszuschenken. Die eigene Ernte wurde schnell beiseite geschafft, um
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„Derék csődör termetű legények.“ Ebd. Aussage des Haiducken Mihály Horváth. – Ebd. Aussage des Soldaten József Szabados. Ebd. Aussage des Soldaten József Szabados. AF Acta Varia, Fasz 134. Inquisitio Possessionis Kocsola. Aussage des Richters Márton Horváth vom 23. Juli 1766.
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kein Neuntel bezahlen zu müssen.69 Auch wenn die Eintracht der Einwohner stets beschworen wurde, musste diese von den Akteuren doch erzwungen werden. Nach der Aussage des Gemeindenotars nämlich trieben drei berittene Männer die Gemeinde zusammen, gaben die Richtlinien heraus, organisierten den Widerstand und verbaten den Einwohnern, außerhalb ihrer Kontrolle sich Versammlungen anzuschließen. Schließlich zwangen sie den Notar, Forderungen schriftlich zu verfassen und diese „Kurrentbriefe“ in die Nachbargemeinden zu verschicken.70 Gewalt gegen die herrschaftlichen Beamten wurde in der Gemeinde Kurd schon geplant angewandt. Hier befahlen die Geschworenen, den Richter György Szverlak samt den Beamten in Ketten zu legen und drei Tage lang so gefangen zu halten, um ihre Teilnahme am Herrenstuhl zu verhindern. Die Geschworenen waren danach auch die Organisatoren des Widerstandes: Nach einem regen Briefwechsel mit den revoltierenden Nachbargemeinden wurden von ihnen sämtliche Robot- und Steuerleistungen für ungültig erklärt und den Bauern verboten, diese der Herrschaft zu geben. Um ein Exempel zu statuieren, wurde der Richter mit 24 Gefährten zu 12 Stockschlägen verurteilt.71 Ermuntert von diesem Machtwechsel schworen auch die sozial geächteten Hirten, alle Leistungen der Herrschaft zu verweigern und die Revolte zu unterstützen. Zielstrebig suchte man die Kollaboration u. a. mit den Gemeinden Jováncza oder Döbrököz, um den Anschein des Einzelganges zu vermeiden. Sprecher wurden gegenseitig entsandt, um zu demonstrieren, dass „man mit geeintem Willen die Wahrheit suchen will“.72 Doch sowohl die Herrschaft als auch das Komitat zeigten Härte, entsprechend der Situation in Westungarn: Die Anführer wurden von Soldaten in Ketten gelegt und ins Gefängnis geworfen. Den Höhepunkt der Revolten bildete die Sitzung des Herrenstuhls in Ozora, die unmittelbar nach den Ereignissen in Dombóvár stattfand. Die Geschichte von Dombóvár war hier – dank dem regen Nachrichtenverkehr unter den Gemeinden – bestens und in allen Details bekannt. Wie in Dombóvár waren sich auch hier die Untertanen sicher, dass der Regent die bestehenden Leistungen weiter erhöhen wollte. Hartwig besuchte zunächst die Dominien im Komitat Baranya und Somogy. Seine Reise wurde von den Untertanen der Dörfer aufmerksam registriert, indem die einzelnen Stationen seines Aufenthaltes durch einen dafür errichteten Kurierdienstes als wichtige Information weitergeleitet wurden. Als Standardforderung wurde auch in Ozora artikuliert, alle Steuer- und Robotleistungen zu verweigern beziehungsweise entweder 12 Tage Robot zu leisten ohne die Arenda-Zahlung, oder aber Arenda zu zahlen ohne eine zusätzliche Robot-Leistung. Doch die Gewaltbereitschaft hatte nunmehr eine Eigendynamik entwickelt: Die Gemeinde Nagyszokoly etwa drohte der Bevölkerung von Ozora, sollte sie doch von dieser Richtlinie abweichen, so würde man die Gemeinde niederbrennen. Diese Drohung war nicht grundlos,
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Ebd. Aussage von Márton Horváth und György Börsönyi. Ebd. Aussage des Notars György Börsönyi. AF Acta Varia, Fasz 134. Inquisitio Possessionis Kurd. Aussage des Gemeinderichters György Szverlák vom 28. Juli 1766. Ebd. Aussage von Pál Fabian.
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weil in Ozora selbst die Unzufriedenheit zunächst nur von einer kleinen Minderheit artikuliert worden war.73 Am 4. Mai lud der Richter die Sprecher der Unzufriedenen zu sich ein, damit sie ihre Einwände schriftlich niederlegen konnten. Doch diese konnten nicht verfasst werden, weil nur Wenige zu dieser Versammlung erschienen waren, und so wurde ein neuer Termin für den 12. Mai einberaumt. In diesen Tagen entfalteten Initiatoren eine rege Agitationstätigkeit unter den Bauern, so dass für den zweiten Termin schon eine Menge organisiert werden konnte, die aber hinsichtlich der Forderungen keineswegs homogen war. Jenseits von ökonomischen Streitpunkten kristallisierten sich zwei Parteien heraus, die sich entlang der Machtelite gruppierten: Die eine unterstützte sogar die Herrschaftsbeamten, die andere jedoch wurde vom Pfarrer angeführt und agitierte gegen die Herrschaftshierarchie. Doch die Wut richtete sich gegen den Regenten, der am 24. Mai in Ozora eintraf. Gerüchte wurden in die Welt gesetzt, wonach er vor der Rache der Bauern aus Dombóvár fliehen musste, und auch hier würde er nicht länger bleiben. Die Wirkung der Mundpropaganda erwies einen guten Dienst für die Akteur des Bauernwiderstandes: So wurde erklärt, dass der Regent mit der Intention käme, sie wieder in die Leibeigenschaft zu versetzen, und er für seine gelungene Mission 3.000 Gulden erhalten würde.74 Erneut lud der Richter die Geschworenen und die reichsten, dem Ton angebenden und die öffentliche Meinung bildenden Bauern zu sich ein, um die Eingaben fertig zu stellen, doch nunmehr kam eine große – und ungeladene – Menge. Diese konstatierte den vom Richter vorgelesenen Text der Instantia mit Genugtuung, doch schenkte dem königlichen Urbarium für die Komitate Vas und Zala keinen Glauben, dessen offizielle Fassung vom Richter gleichsam vorgelesen worden war. Der Richter verstand seine Aufgabe als Schlichter und bat die Menge, die provokative Aussage aus dem Text herauszulassen, wonach sie keine Leistung mehr der Herrschaft erbringen würden, und unbedingt die Bereitschaft zu signalisieren, auf Vertragsbasis doch 12 Tage im Jahr Robot zu leisten. Er griff zu einem Trick und drohte der Bevölkerung damit, sollten ihnen die Forderungen der Herrschaft als inakzeptabel erscheinen, so würde diese deutsche Kolonisten nach Ozora bringen, womit die Ozoraer letztlich den Kürzeren ziehen würden. Dieses Argument saß und zeigte seine Wirkung – die rebellierenden Untertanen lenkten ein!75 Dies macht einen interessanten Aspekt deutlich: Die deutschen Siedler wurden offensichtlich als besonders gehorsame und konfliktscheue Untertanen wahrgenommen. Eingaben von deutschen Gemeinden der Esterházys machen aber deutlich, dass auch ihnen sehr wohl die Rechtsverschlechterung bewusst war, doch sie versuchten ausschließlich via juris, nämlich durch die Instanzen des Dominiums und der Komitatsbehörden ihrem Anliegen Abhilfe zu verschaffen. Zudem empfanden die deutschen Kolonisten die Dynamisierung von Robotleistungen weniger 73 74 75
Hadnagy, Albert: Tanulmányok Tolna megye parasztságának XVIII. századi történetéből [Studien zur Geschichte des Bauerntums im Komitat Tolna im 18. Jahrhundert]. In: Sárköz IIIIV. (1956), 30–36, hier 31. Ebd., 33. Ebd., 32.
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dramatisch als ungarische Gemeinden, die an eine andere Tradition von Privilegien gewöhnt waren. Letztere erhielten nach den Türkenkriegen bzw. teils nach dem Rákóczy-Aufstand sehr attraktive Kontrakte, die für sie weiterhin als Idealmaßstab galten, während offensichtlich viele deutsche Siedler von vornherein auf lediglich interimistische Konzessionen eingestellt waren. Obwohl die Herrschaft in Dombóvár inzwischen hart durchgegriffen hatte und worüber der dortige Gemeinderichter die Ozoraer auch schriftlich benachrichtigte, glaubten die Anführer in Ozora eher der Mundpropaganda, wonach sich die Bauern überall erfolgreich gegen die Obrigkeit zur Wehr gesetzt hätten. Da die Gemeinde noch immer nicht einheitlich hinter den Revoltierenden stand, wurden Zwangsmaßnahmen beschlossen: So sollten z. B. die Straßen an der Dorfgrenze gesperrt werden, damit Einwohner sich nicht auf den Markt nach Pinczehely begeben konnten anstatt die Revolte zu unterstützen. Tatsächlich wurde Gewalt gegen diese Abweichler angewandt, ebenso wurden die Unentschlossenen zur aktiven Beteiligung gezwungen. Für den 25. Mai wurde eine neue Versammlung vor dem Haus des Richters beschlossen und die Geschworenen unter Morddrohungen ermahnt, geschlossen aufzutreten. Nach der Heiligen Messe erstürmten die Bauern die Burg und beschlagnahmten den von der Herrschaft konfiszierten Wein und Schnaps. Sie drangen ins Schlafzimmer des Regenten ein und ließen ihn wissen, dass sie nie mehr irgendwelche Abgaben erbringen würden. Die Gewalt eskalierte währenddessen im Dorf: Der Haiducke wie der Kerkermeister der Herrschaft wurden zusammengeprügelt, und die konfiszierten Wein- und Schnapsdepots von den Rebellen konsumiert. Mit der Mütze auf dem Kopf drangen die Männer ins Zimmer des Verwalters ein, und setzten sich an dessen Tisch. Danach wurde der Verwalter öffentlich verprügelt, genauso jene Dorfbewohner, die sich an der Revolte nicht beteiligten oder versuchten hatten, der Gewalt Einhalt zu gebieten. Schließlich wurde der Regent beinahe totgeschlagen und, um ihn zu demütigen, seiner Kleider beraubt. Nach ihm wurden alle Herrschaftsbeamten und -angestellten ebenso brutal geschlagen.76 Gewaltdrohungen wurden bereits vor diesen Exzessen geäußert. Der Bauer János Németh z. B. erklärte im Wirtshaus, er sei ein Kuruzze, und werde nicht nur mit dem Verwalter, sondern auch mit den Juden in Ozora abrechnen. Wenn diese wüssten, was sie erwartet, würden sie sofort die Flucht ergreifen. Und im Rausch der Gewalt rief Ferenc Vörös aus: „Wir haben die Beamten verprügelt, lasst uns jetzt den Richter und die Geschworenen schlagen, und danach lasst uns die Deutschen suchen und diese alle töten, damit wir keinen von diesen in Ozora mehr haben!“77 Die wenigen Deutschen von Ozora waren an den Revolten tatsächlich nicht beteiligt, deshalb wurden sie wie die Herrschaftsbeamten Opfer der Gewalt. Ob die Deutschen generell als „Streikbrecher“ galten und deshalb eine ethnisch definierte Konfliktlinie gezogen werden kann, wie das Hadnagy beteuert, muss angezweifelt werden. Interessant ist natürlich der Hinweis, dass man die Unruhen damit besänftigen konnte, dass man den Aufständischen die Zusiedlung von deutschen Kolonis76 77
Ebd., 33. Ebd., 35.
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ten angedroht hatte. Offensichtlich konnte man doch wirksame Ressentiments ins Spiel bringen.78 Den Revolten machten schließlich Soldaten ein Ende, die in wenigen Tagen die Anführer verhafteten. Insgesamt wurde gegen 123 Bauern ein Gerichtsverfahren des Komitatsgerichts eingeleitet, das ein Exempel statuieren wollte und deshalb strenge Urteile fällte. Die Angeklagten wurden in neun Kategorien erfasst und insgesamt 49 Personen schnell verurteilt, 24 aber wieder freigelassen. Die sieben Hauptangeklagten wurden zum Tode, fünf andere zu je zehn Jahren Gefängnis und Zwangsarbeit, und 37 zu Strafen zwischen acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die anderen kamen mit 25 bis 32 Stockschlägen davon. Die Statthalterei ließ das Komitat am 29. Dezember 1766 wissen, dass ihrerseits die Urteile revidiert und deutlich mildere Strafen verhängt wurden. Die Todesstrafen wurden z. B. zu Gefängnis und Zwangsarbeit zwischen zwei und zehn Jahren modifiziert.79 Dennoch war der Aufstand in den Esterházyschen Dominien – verglichen mit den anderen Herrschaften in dieser Region – eher gemäßigt. Verglichen mit der Siklóser Herrschaft der Batthyánys im Komitat Baranya lässt sich feststellen, dass auch dort die Herrschaft über die Robotleistungen hinaus für Lange Fuhren oder sonstige Arbeiten die kostenlose Arbeitskraft der Untertanen in Anspruch genommen hatte, was neben anderen Faktoren Anlass der Unruhen werden sollte. Im Juli erstürmten 3.000 bewaffnete Bauern die Stadt Fünfkirchen, wo die Herrschaft Unruhestifter hatte einsperren lassen. Am 31. August drangen 600 Bauern in Siklós ein, und schon am nächsten Tag standen etwa 9.000 Bauern aus diversen Herrschaften des Komitates Baranya geschlossen da. Die Lage eskalierte, und zwölf Bauern wurden vom Militär erschossen. Auch hier übten die Anführer einen enormen Druck auf die anderen Bauern aus, indem sie ihnen Tod und Vernichtung ihres Bauerngutes in Aussicht gestellt hatten, wollten sie sich nicht an dem Aufstand beteiligen.80 Die personelle Verquickung bei anderen Unruhen belegt, dass Ferenc Faddi an den aufrührerischen Tumulten in Ozora aktiv beteiligt war, weshalb er fliehen musste und beim Altrichter der Gemeinde Hidor (Batthyánysche Herrschaft) Unterschlupf fand. Schon am 01. September aber marschierte er mit den Hidorer Untertanen gegen Siklós.81 Die Aufstände in den Dominien der Batthyánys und der Esterházys hatten Initialwirkung in der Region und auch die Untertanen des Fünfkirchner Bischofs schlossen sich den Unruhen an. Das Beispiel der Dombóvárer Ereignisse ermutigte die Bauern im ganzen Komitat, weil die Aufständischen die Obrigkeit angegriffen und deren Legitimität in Frage gestellt hatten. Zugleich beklagte das Komitat gegenüber der Statthalterei, dass die Feldarbeiten vernachlässigt, die Steuern verweigert und die Tiere dem Krepieren überlassen worden seien.82 78 79 80 81 82
Ebd. Ebd., 34. Siehe dazu ausführlich Krauss, Karl-Peter: Deutsche Auswanderer in Ungarn. Ansiedlung in der Herrschaft Bóly im 18. Jahrhundert. Stuttgart 2003, 235–237. Rúzsás: A baranyai, 69. Vgl. ebd., 67.
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Während in den Batthyányschen Herrschaften die Deutschen eine maßgebliche Rolle bei den Aufständen spielten, hielten sich die Deutschen bei den Esterházys auffallend zurück. Wie beim großen deutschen Bauernkrieg 1525 und dem Aufstand in der vorderösterreichischen Herrschaft Hauenstein im 18. Jahrhundert argumentierten auch die Deutschen aus Bohl damit, dass in der Bibel nichts vom Neuntel stünde, so dass diese Leistung illegitim sei.83 Nicht anders war es in den westungarischen Komitaten, wo sowohl die Deutschen als auch die Kroaten eine führende Rolle an den Aufruhrbewegungen spielten, nicht so aber die Wallachen oder die Juden.84 Warum kam es zu diesen divergierenden Strategien? Die deutschen Dörfer im Distrikt Ozora waren auf Rodungsland aufgebaut, abseits von herrschaftlichen Zentren, wo die Majoratswirtschaft in diesen Jahrzehnten zugenommen hatte. Eine signifikante Zunahme der Robotleistungen war hier also nicht der Fall. Zweitens waren die Abgaben der deutschen Dörfer von vornherein höher, so dass sie den gesamten Prozess der Rechtsverschlechterung subjektiv weniger radikal wahrnahmen. Das war jedoch nicht der Fall bei den wohlhabenden ungarischen Dörfern. Zudem waren die Anführer oft sogenannte Kurialadelige, also verarmte Adelige, deren Rechtsstatus nach 1711 zunehmend verschlechtert worden war und diese sich in erster Linie als Verlierer des Transformationsprozesses sahen.85 ZUSAMMENFASSUNG Vordergründig handelte es sich also um die klassische Konfliktkonstellation, wonach die Herrschaft angeblich die Steuern einseitig zu erhöhen im Begriff war. Gerüchte spielten dabei eine Schlüsselrolle, deren Genese nicht mehr rekonstruierbar ist. Tatsächlich instrumentalisierte der absolutistische Staat Bauernrevolten für seine Staatszwecke, denn mithilfe dieser konnten die Dominien zur Durchsetzung einer von oben verabschiedeten Urbarialregulierung gezwungen werden. Eine direkte Infiltration durch den Wiener Hof als einzige Ursache auszumachen, wäre aber aus vielen Gründen falsch: Auch wenn seit dem ersten Drittel des 18. Jahrhunderts Kanäle zwecks Werte- und Normvermittlung initiiert und ausgebaut wurden, waren diese keineswegs so effizient, mit Erfolg im Interesse des Hofes eingesetzt zu werden.86 Tumulte setzten aber das Vorhandensein „politischer Gemeinden“ voraus, also einer politisch aktiven und intakten Öffentlichkeit, die zu agieren und konkrete
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Krauss: Deutsche Auswanderer, 238. Kropf, Rudolf: Der Bauernaufstand von 1765/66 in der Herrschaft Schlaining. In: Burgenländische Heimatblätter 31/3 (1969), 121–143, hier 142. Vgl. Rúzsás: A baranyai, 22. Zu diesem System siehe GŐzsy, Zoltán / Varga, Szabolcs: A pécsi egyházmegye plébániahálózatának újjászervezése a 18. század első felében [Die Reorganisierung des Pfarreinetzes der Diözese Fünfkirchen in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts]. In: Katolikus megújulás és a barokk Magyarországon, különös tekintettel a Dél-Dunántúlra (1700–1740). Hgg. v. Zoltán GŐzsy / Szabolcs Varga / Lázár Vértesi. Pécs 2009, 225–264.
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Ziele zu artikulieren bereit und in der Lage war.87 Diese konnten wiederum herrschaftsendogene wie auch –exogene Ursachen für sich nutzen. Auf jeden Fall erhoben auch in unserem Fall die Bauern den Anspruch auf Mitgestaltung der Herrschaftsverhältnisse, in denen sie lebten. So lehnten die Sprecher der Tumultbewegungen nicht allein die angeblichen Steuererhöhungen ab, sondern stellten teils die gesamte soziale Ordnung in Frage und reklamierten eine weitgehende politische Emanzipation für ihre bäuerliche Interessengemeinschaft. Hierbei gingen die Wortführer nur partiell abstrakt vor, sie konkretisierten ihre Vorstellungen im Rahmen herrschaftsendogener Verhältnisse. Die Revolte als kollektive Normverletzung war seitens der bäuerlichen Initiatoren kalkuliert und wurde bewusst als Instrument im Aushandeln politischer Partizipation eingesetzt. Eindeutig sind die Folgen dieser Tumulte nachzuzeichnen, und zwar nicht allein auf der Ebene von Rechtskodifikationen: Indem der Wiener Hof mit Hinweis auf die Bauernunruhen Druck auf die ungarischen Stände auszuüben vermochte, konnte die Urbarialregulierung mit Erfolg durchgesetzt werden. Neuere Forschungen weisen aber darauf hin, dass dies nicht unbedingt zu einer flächendeckenden Verbesserung der Lage der Bauern führte – im Gegenteil! Dort, wo nach Usus gedient wurde, bedeutete die dezidierte Festlegung der Pflichten oft eine gravierende Rechtsverschlechterung. Insofern war diese Regelung eine weitere Entfernung von den Wunschvorstellungen der Bauern, die auf eine Rechtsverbesserung abzielten.88 Zudem forcierte die Urbarialregulierung die Individualisierung bäuerlicher Wirtschaftspraxis: Gezielt wurden die letzten Reste bebaubarer, bislang brach liegender Felder (superfluitas) gemessen und aufgeteilt, womit auch der bäuerliche Wettbewerb gefördert wurde. Gerade durch die Binnenkolonisation der nach sozialem und wirtschaftlichem Aufstieg strebenden Kleinhäusler sollten diese bevorzugt und flexibel für andere, arbeitsintensivere Kulturen eingesetzt werden, womit die meist Monokultur betreibenden Großbauern mittelfristig unter enormen Druck gesetzt wurden. Da die deutschen Untertanen aufgrund ihres Erbsystems bereit waren, sich solchen Bedingungen zu stellen, waren sie langfristig Profiteure dieser Veränderungen.89 Welche Gründe könnten dafür sprechen, dass die deutschen Kolonisten in den Esterházyschen Dominien nicht an diesem Aufstand beteiligt waren? Die folgenden Überlegungen sind zwar nicht einzeln, doch als kombiniertes Bündel mit hoher Wahrscheinlichkeit die Erklärung dafür: 87 88
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Vgl. Blickle: Aufruhr und Empörung?, 298. Siehe dazu ausführlich Horváth, Zita: Úrbéres viszonyok Zala megyében 1686–1848 [Urbarialverhältnisse im Komitat Zala 1686–1848]. In: Zala megye évszázadai. Hg. v. László Vándor. Zalaegerszeg 2001, 119–123.; Dies.: Paraszti vallomások. A Mária Terézia-féle úrbérrendezés kilenc kérdőpontos vizsgálata a történeti Zala megye három járásában [Bäuerliche Zeugnisse. Die Neunpunktebefragung der theresianischen Urbarialregulierung in den drei historischen Kreisen des Komitates Zala]. Zalaegerszeg Bd.I. 2001, Bd. II. 2006. Siehe dazu ausführlich Spannenberger, Norbert: Vermittlung und Rezeption agrarreformerischer Ideen in Ungarn im späten 18. Jahrhundert. In: Auflösung historischer Konflikte im Donauraum. Festschrift für Ferenc Glatz zum 70. Geburtstag. Hg. v. Arnold Suppan. Budapest 2011, 219–228.
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1. Eine wichtige Rolle spielte zweifelsohne die Tatsache, dass die Deutschen um diese Zeit quantitativ nur einen geringen Anteil in den beiden Dominien ausmachten; in nur etwa fünf bis sechs Siedlungen waren sie in größerer Anzahl vertreten und lebten dazu noch voneinander isoliert. 2. Diese Streulage der Siedlungen machte eine Kommunikation unter den deutschen wie auch mit den ungarischen, slowakischen etc. Dörfern zwar nicht unmöglich, aber erschwerte diese doch erheblich. 3. Die Konsolidierungsprozesse der deutschen Kolonistendörfer, die ausnahmslos auf Rodungsland entstanden waren, waren noch nicht abgeschlossen. Da diese Gemeinden somit als die „jüngsten“ in den Dominien galten, waren sie auch ökonomisch noch schwach und waren mit der „Selbstbehauptung“ beschäftigt. 4. Natürlich praktizierten diese zwar auch Widerstand, setzten aber auf die via juris. Die Kultur der Aushandlungsprozesse mit den Herrschaftsbeamten und -einrichtungen als Ergebnis des sogenannten „latenten Widerstands“ erschien ihnen offensichtlich als effizienter und zielführender. 5. Dies wiederum erklärt sich damit, dass die Kolonistenkontrakte entweder noch immer gültig waren oder aber seitens der Herrschaft kein barscher Paradigmenwechsel in der Form der Aufzwingung eines Urbariums erfolgt war, wie dies bei den „älteren“ ungarischen etc. Siedlungen durchaus geschehen konnte.
PRIVILEGIERUNG UND EMANZIPATION Eingaben der rumänischen Vorstadtbevölkerung an den Bistritzer Stadtrat in der spättheresianischen und josephinischen Zeit, 1770–1784 Marin Popan EINLEITUNG Für die Erforschung der Herrschaftsverhältnisse und der Beziehungen zwischen ethnokonfessionellen Gruppen im frühneuzeitlichen städtischen Raum stellen Eingaben und Bittschriften (Suppliken) eine ergiebige Quelle dar. Die frühtheresianischen Reformen und die Formierung der Siebenbürgischen Militärgrenze haben auch im Bistritzer Distrikt1 eine Verschiebung der Machtverhältnisse zugunsten der Wiener Zentralstellen herbeigeführt. Die Reaktion der siebenbürgischen Stände schlug sich in zahlreichen Eingaben nieder. Von den frühen 1760er Jahren und bis zum Ende der josephinischen Regierungszeit ist eine kontinuierliche Zunahme der Bittschriften festzustellen.2 In der Regel in lateinischer oder deutscher Sprache verfasst,3 waren Sie von Distrikts-, Stadt- oder Kirchenverwaltung,4 aber auch von Vertretern des Adels an die siebenbürgische Provinzial- und/oder an die Wiener Zentralverwaltung gerichtet. Nicht selten wandten sich die Bittsteller direkt an den kaiserlichen Hof, an Maria Theresia5 oder Joseph II.6 Das Rechtsinstrument der Eingaben wurde schließlich auch von der rumänischen Bevölkerung herangezogen, um ihren Anliegen in den Auseinandersetzungen mit der Bistritzer Distrikts- und Stadtverwaltung Nachdruck zu verleihen. Schon Mitte des 18. Jahrhunderts setzte sich der Beamte Peter (Petru) Dobra für die griechisch-katholische unierte Bevöl1 2
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Rum. Districtul Bistriţa Arhivele Naţionale ale României, Direcţia Judeţeană Bistriţa-Năsăud (SJAN Bistriţa-Năsăud) [Rumänisches Nationalarchiv, Kreisdirektion Bistritz-Nassod], Oficiul consistorial districtual evanghelic C. A. [Evangelisch-lutherisches Konsistorialamt des Distrikts Bistritz-Nassod, Bestand 146 Bistriţa. Ebd. Der Bestand 146 enthält zahlreiche Eingaben und Berichte. Die meisten Aktenstücke sind auf Latein verfasst, eine geringere Anzahl in deutscher oder ungarischer Sprache. In rumänischer Sprache verfasste Schriftstücke liegen nicht vor. Ebd., fol. 473, Bittschrift des Hermannstädter Stadtpfarrers Daniel Filtsch an den Kaiser wegen des Kirchenzehnten, 1776; fol. 471 ff.; Bittschrift an die Kaiserin Maria Theresia in Bezug auf den Kirchenzehnten des Pfarrers von Wermesch (rum. Vermeş), 1780. SJAN Bistriţa-Năsăud, Bestand 146, fol. 659 ff. Konzept der Bittschrift an die Kaiserin wegen widerrechtlichen und gewaltsamen Verfahrens des Fiskus. Arhivele Naţionale ale României, Direcţia Judeţeană Cluj (SJAN Cluj) [Rumänisches Nationalarchiv, Kreisdirektion Klausenburg], Fondul Primaria Oraşului Bistrita, (POB) [Fond des Magistrats der Stadt Bistritz], Reihe IIa, Fasz. 40, fol. 203.
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kerung ein und hielt deren Beschwerden (gravamina) in Klageschriften fest.7 Dabei ging es meistens um die Aufrechterhaltung der rumänischen Kirchenunion mit Rom. Dagegen befassten sich weitere Suppliken mit der Rechtslage der Rumänen in der Stadt Bistritz. Diese strebten eine Verbesserung ihrer Stellung gegenüber der Stadt an.8 Die Eingaben vertraten die rumänische Bevölkerung auf dem Bistritzer Stadtkollektiv gegenüber der mehrheitlich von Sachsen bewohnten Stadt.9 Die folgenden Vorgänge spielten sich im Kontext der Emanzipationsbestrebungen der rumänischen Bevölkerung in Siebenbürgen ab.10 Die herrschende Oligarchie wurde von den drei Ständenationen – Szekler, (ungarischer) Adel und Sachsen – repräsentiert. Die Sachsen konnten ihren privilegierten Status auf dem Gebiet des Königsbodens (im Mittelalter terra regis bzw. fundus regis) aufrechterhalten. Im Jahre 1571 erhielt das siebenbürgische Ständesystem auch ein konfessionelles Korrelat, in dem vier Kirchen als anerkannt (rezipiert) bezeichnet wurden – die katholische, lutherische, kalvinische (reformierte) und unitarische Kirche. Wenngleich toleriert, so waren die griechisch-orthodoxen Rumänen nicht als verfassungsmäßige Kirche anerkannt und als nichtständische Bevölkerung auch von der Teilhabe an den Distrikts- und Stadtprivilegien ausgeschlossen. Den Bestrebungen des Wiener Hofes zur Vereinheitlichung der Verwaltung lag ein Konfliktpotential inne, das sich die aufkommende rumänische Führungsschicht zunutze machte. Dies stand im Widerspruch zur ständischen Verfassung Siebenbürgens. Die absolutistische Zentralisierungspolitik wurde im josephinischen Reformismus nicht nur fortgesetzt, sondern der Druck auf die siebenbürgischen Stände forciert und die ständischen Rechte weiter eingeschränkt. So gab es schon im Zusammenhang der mariatheresianischen Reformbestrebungen Pläne, das ausschließliche Bürger- und Besitzrecht 7 8 9
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Die von ihm verfassten diesbezüglichen Schriftstücke mit Bistritzer Bezug bilden einen eigenen Faszikel im Bestand; SJAN Cluj, POB, Reihe IIa, Fasz. 111, fol. 329–330. Die besorgte Stellungsnahme zum Schutz der Kirchenunion unter den Bistritzer Rumänen war auf Zustimmung des siebenbürgischen Guberniums wie auch der Siebenbürgischen Hofkanzlei in Wien gestoßen. Poschner, Gottfried: Gegenreformatorische Bestrebungen in Bistritz im 18. Jahrhundert. In: Programm des Evangelischen Obergymnasiums A. B. und der damit verbundenen Lehranstalten, dann der Evangelischen Mädchenschule A. B. zu Bistritz. 1884, 3–51, hier 24. Hier wird auf ein 1743 vom siebenbürgischen Gubernium erlassenes Dekret verwiesen, das den unierten Rumänen das Pfründerecht und den Kirchenbau einräumt, in dem darauf verwiesen wird, dass dort, wo unierte Walachen wohnen, diesen der notwendige Grund für Kirchen und Pfarrhäuser zugestanden werden soll: „Fundus seu locus internus in quolibet pago ubi valachi uniti resident pro ecclesiis et domibus parochialibus si numerus unitorum valachorum id exigat et ejusmodi fundum vel nullum vel minus exiguum haberent convenienti in quantitate rescindatur et assignetur“. Zum Kontext: Bernath, Mathias: Habsburg und die Anfänge der rumänischen Nationsbildung. Leiden 1972. Zum gegenwärtigen Forschungsstand siehe: Szegedi, Edit: Geschichtsbewusstsein und Gruppenidentität: Die Historiographie der Siebenbürger Sachsen zwischen Barock und Aufklärung. Köln u. a. 2002; MureŞan, Florin Valeriu: Satul românesc din nord-estul Transilvaniei la mijlocul secolului al XVIII-lea [Das rumänische Dorf im Nordosten von Siebenbürgen in der Mitte des 18. Jahrhunderts]. Cluj-Napoca 2005; Miron, Greta-Monica: Biserica Greco-Catolică din comitatul Cluj în secolul al VXIII-lea [Die griechisch-katholische Kirche im Komitat Kolozs im 18. Jahrhundert]. Cluj-Napoca 2007.
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der Sachsen auf dem Königsboden einzuschränken und aufzuheben. Der Gubernator Samuel von Brukenthal (1777–1787), konnte dies noch verhindern. Am 4. Juli 1781 erließ Joseph II. das Konzivilitätsreskript, demgemäß nicht nur die privilegierten Nationen, sondern auch Angehörige anderer „Nationen“ Grundbesitz auf dem Königsboden erwerben konnten. Gleichwohl war die Verleihung des Bürgerrechts in den Städten bis und nach 1781 vom Willen des Magistrats abhängig. Der Bewerber musste frei und qualifiziert sein, doch nach 1781 genügte eine Ablehnung des Bewerbers nicht mehr, wenn er die „freie deutsche Herkunft“11 nicht nachwies. Zudem war eine willkürliche Ablehnung angesichts der Beobachtung durch die Regierung in Wien nicht mehr ohne weiteres möglich. Vor diesem politischen Hintergrund sahen sich die „Walachen“ in ihren Protesten und ihrem Selbstbewusstsein gestärkt; der Anspruch der Siebenbürger Sachsen, alleine über Grund und Boden auf dem Königsboden zu entscheiden, wurde in Frage gestellt. Weiteres Konfliktpotenzial ergab sich durch die zunehmenden Differenzen zwischen Städten und Vorstädten. Letztere sahen sich durch Verordnungen seitens der städtischen Magistrate in ihren Rechten eingeschränkt.12 Ihr beständiges Wachstum wurde von den Städten schließlich als Bedrohung wahrgenommen. DIE EINGABEN – ENTSTEHUNGSKONTEXT UND INHALTE Die vorliegende Studie basiert im Wesentlichen auf drei in lateinischer Sprache verfassten Aktenstücken. Zunächst geht es um eine am 10. Juni 1783 an Kaiser Joseph II. gerichtete Supplik der im ländlichen Umland der Stadt Bistritz wohnenden Rumänen (villani Valachici Bistricienses), die im Kontext des knapp zwei Jahre zuvor, am 4. Juli 1781 veröffentlichen Konzivilitätsedikts für Siebenbürgen13 zu betrachten ist.14 11 12 13
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Schaser, Angelika: Josephinische Reformen und sozialer Wandel in Siebenbürgen. Die Bedeutung des Konzivilitätsreskripts für Hermannstadt. Stuttgart 1989, 121. Siehe hierzu in Bezug auf Hermannstadt: Ebd., 108, 109. Schaser, Angelika: Reformele iozefine în Transilvania şi urmările lor în viaţa socială: importanţa edictului de concivilitate pentru oraşul Sibiu [Josephinische Reformen und sozialer Wandel in Siebenbürgen. Die Bedeutung des Konzivilitätsreskripts für Hermannstadt]. Trad. de Monica Vlaicu. Sibiu 2000, 74. Es handelt sich um die vom Kaiser Joseph II. selbst revidierte Fassung der ersten Version des Konzivilitätsediktes, in der die zivile Gleichberechtigung der Rumänen (Walachen) ausdrücklich erwähnt worden ist: „Fluit exinde quod mutua haec compossessionis facultas ad tres duntaxat Nationes receptas et lege iam unitas restringi nequeat verum generaliter ad omnes M[agnum] Transilvaniae Principatum inhabitantes cives et incolas consequenter etiam et Valachos dummodo praevie personali qualificatione ad possessionem acquirendam pro diversitate fundorum necessaria et in legibus aut Statutis praescripta praediti fuerint tam in Fundo Regio quam in Comitatibus et Sedibus extendi debeat.[....].“ Für die Städte bedeutete dieses Edikt, dass Rumänen oder auch Ungarn das Recht zugesprochen wurde, sich auch innerhalb der Stadtmauern niederzulassen. Insgesamt wurde das ausschließliche Besitz- und Bürgerrecht der Siebenbürger Sachsen für den Königsboden aufgehoben. Das Aktenstück befindet sich im Archivalienbestand SJAN Cluj, POB, Reihe IIa, Fasz. 40, fol. 203.
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Bei dem zweiten, auf den 27. Juli 1784 datierten Aktenstück handelt es sich um die Antwort der Bistritzer Obrigkeit auf die Bittschrift vom Juni 1783,15 die im Rathaus von Bistritz ausgefertigt wurde und die Unterschriften der Repräsentanten der Stadt trägt. Die späte Antwort des Bistritzer Stadtrats auf die Eingabe stützt die Annahme, dass dem Schreiben ein langwieriger Entscheidungsprozess vorausgegangen war. Jedenfalls ist auf der Rückseite des Dokumentes vermerkt, dass sich das Antwortschreiben im Gefolge der Beratungen in öffentlicher Sitzung ergeben hat.16 Die Entgegnung der Stadt Bistritz nimmt auf alle Punkte der Gravamina der rumänischen Vorstadtbewohner vom 10. Juni 1783 Bezug. Darüber hinaus werden in der Retorsio alle drei Forderungen der Bittschrift ausführlich beantwortet. Das Schreiben endet mit der Willensbekundung, dass alle Verfasser der Eingabe einer verdienten Strafe unterzogen werden sollten, denn ihre Forderungen würden nicht gänzlich der Wirklichkeit entsprechen.17 Schließlich dient ein weiteres Aktenstück als Ergänzung für den lokalen historischen Kontext. Zunächst handelt es sich um einen vom Oberrichter (Iudex Primarius) von Bistritz unterschriebenen Brief.18 Das in einem gehobenem Latein verfasste Schreiben19 ist an das Gubernium des Großfürstentums Siebenbürgen mit dem Sitz in Hermannstadt gerichtet und erbittet die kaiserliche Intervention bzw. die Unterstützung der siebenbürgischen Hofkanzlei wegen der Nutzung einer sich innerhalb der Stadtmauern von Bistritz befindlichen, ungenützten Kirche durch die griechisch-katholischen Vorstadtbewohner.20 Das Aktenstück steht in Zusammenhang mit der 1783 erhobenen Forderung der rumänischen Bewohner nach einem besseren Kirchengrundstück zur Errichtung einer neuen griechisch-katholischen Kirche.21 Das Datum der Abfassung des Schreibens lässt sich nicht ermitteln, doch 15 16 17
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SJAN Cluj, POB, Reihe IIa, Fasz. 40, fol. 202–204, hier fol. 203. Diese relativ lange Antwortpause seitens der zuständigen Behörde legt die Vermutung nahe, dass die Beschwerde der Bistritzer Rumänen von der siebenbürgischen Hofkanzlei oder von Joseph II. an den Bistritzer Stadtrat zurückgeschickt worden ist. Ebd., fol. 204–206, Succinta Civitatis Bistriciensis querelarum Villanorum suorum Suae Majestati S[a]c[ra]t[issm]ae sub10ma Junii Anno 1783 porrectae Retorsio: „E quibus quidem promissis cum enormis Villanorum malitia satis superque prodiret ratio autem et circumstantiae quibus Cives cum Villanis suis conectuntur animadversionis necessitate vel maxime involvant supplicat Civitas haec humillime quatenus iidem promeritae Poenae subjiciantur […].“ Die Bezeichnung der Quelle auf der Kopie ist unleserlich. Eine Einsichtnahme in das Original war wegen Umstrukturierungsmaßnahmen nicht möglich. Die Quelle befindet sich im gleichen Bestand. Hierauf weist u. a. die Verwendung entsprechender Termini wie auch die Satzstellung hin. SJAN Cluj, POB, Reihe IIa, fol. 844, Consignatio Parochialis Bistriciensis Catholicae Diocesis Albae Carolinensis cum suis Filialibus Anno 1782 prima Julii facta. Die Anzahl der Katholiken in der Stadt Bistritz und in den Vorstädten (Suburbien) muss laut einer vom damaligen Superior des Piaristenordens und Verwalters der Pfarrei, Felix Lengyel, unternommenen Seelenbeschreibung recht bescheiden gewesen sein. Die Zählung hat 47 katholische Familien mit 167 Seelen ergeben, davon lebten in den Vorstädten 39 Familien mit 137 Seelen. Dabei bleibt ungeklärt, ob es sich bei den Katholiken in den Suburbien tatsächlich um Katholiken oder um Angehörige der griechisch-katholischen unierten Kirche handelte. Zum Standort der Kirche liegt folgende Aufzeichnung vor: „Später, um das Jahr 1750, haben die wenigen Bistritzer Rumänen eine kleine Holzkirche aus Cuşma als Geschenk bekommen,
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sein Inhalt legt es nahe, dass dieses der Bittschrift vom 10. Juni 1783 vorausgeht. Das Schreiben nimmt Bezug auch auf den Tumult des Nassoder22 Militärgrenzdistriktes aus dem Jahre 1760. Das Schreiben hat eine Stellungnahme des Bistritzer Oberrichters (judex primarius) zur Absicht der rumänischen Bewohner, eine Kirche intra muros benutzen zu wollen, veranlasst. Tatsächlich wird dadurch deutlich, dass der Bau einer neuen griechisch-katholischen Kirche ein Problem darstellte, das über Jahrzehnte virulent war und das schon zu früheren Suppliken geführt hatte. Das hatte zu Spannungen zwischen der sächsisch-lutherischen Stadtobrigkeit23 und den rumänischen Bewohnern24 geführt.25 Ein weiterer Brief der Bistritzer Rumänen wurde an den griechisch-katholischen Bischof von Blasendorf26 gerichtet. Den 140 Supplikanten unter Führung von Kissmihai Daraban ging es hauptsächlich um die Ernennung eines neuen Pfarrers an Stelle des alten Seelsorgers Popa Lup, dem sie vorwarfen, seinen geistlichen Auftrag durch sein Verhalten nicht gemäß den kanonischen Vorschriften auszuführen. Diese Ausführungen der Rumänen an den griechisch-katholischen Bischof ma-
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die auf der „Rube“ genannten Gemarkung aufgestellt wurde, dort wo Mitru Bilegan Ziegel schlug. Heutzutage existiert nichts mehr von diesem Kirchlein, auch keine Spuren über irgendeinen Pfarrer sind zu finden, weil in der damaligen Zeit keine Kirchenmatrikeln geführt wurden.“ SJAN Bistriţa-Năsăud, Bestand 153, Oficiul parohial greco-catolic Bistriţa [Griechischkatholisches Pfarramt Bistritz] Nr. 355, fol. 19. Rum. Năsăud. Der Brief des Oberrichters an das Gubernium von Siebenbürgen deutet darauf hin, dass die rumänische Gemeinde schon vorher den Kauf der sich intra muros befindlichen Kirche beim Gubernium beantragt hatte. Das ergibt sich aus folgendem Textauszug: „Ergo nullum et praedictis Valachis, quo toleratis tantum Inquilinis vel ad expressum tempus conductis vagabundis Civium Villanis competere videmus firmum aut legale quoddam jus ad occupandum quocumque Civitatis nostrae Templum. Quo semel obtento nihil eveniret certius quam id quod effrenatus hicce popellus in magnum illibatae per tot secula puritatis detrimentum ad emendas quoque domos civicas impudentem caperet appetitum non explorando qualiter vi peculiarum a Divis Regibus Nationi Saxonicae collatorum Privilegiorum et receptis duabus Inclytis Nationibus in quacumque Saxonum Civitate nullum indulgetur jus ad minimae tantum domus comparationem. Quid praeterea dicamus de nondum audito simili praejudicioso nimis exemplo.“ Selbst der Kauf eines kleinen Hauses „ad minimae tantum domus comparationem“ sei den Ständenationen, womit der (ungarische) Adel und die Szekler gemeint waren, nicht gestattet. SJAN Cluj, Reihe II, o. fol. Ebd. Die Bistritzer Rumänen hätten den Mut aufgebracht gegenüber der sächsischen Obrigkeit auf Konfrontationskurs zu gehen, obwohl es sich um keine große Gemeinde handelte: „quae [?] qua constans et fidelis Augustissimae Domus Austriae infracto semper toleravit aeque ac tolerabit animo flexis orando genibus dignetur Excelsum Regium Gubernium praemissis Clementer pensitatis omniquo in conservandis Patris juribus et Privilegiis indiscriminatim fertur affectu Gratiosum Ejusdem Patrocinium ac Favore Paterne contestari ne jurisdictioni nostrae subjecti Valachi jam promiscue tam Superbam ferocem nobis ostentare valeant frontem.“ Die Bittschrift vom 10. Juni 1783 erwähnt die Existenz mehrerer früherer Suppliken, die jedoch unbeantwortet blieben: „Quodsi dubium id M[aies]t[a]ti Vestrae mittere illuc qui videat quo in loco sacrificium sacerdos celebret ad hoc usque tempus dedimus literas in quibus hoc idem significavimus a quibus ut opinamur a M[aies]t[a]ti V[e]strae datum est licet nos hic nullum acceperimus.“ SJAN Cluj, POB, Reihe IIa, Fasz. 40, fol. 203. Rum. Blaj.
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chen deutlich, dass die Gemeinde der Bistritzer Rumänen nicht nur mit dem baulichen Zustand des Kirchengebäudes und der Lage der Kirche,27 sondern auch mit dem Verhalten des Pfarrers unzufrieden gewesen sein muss. Ergänzende Informationen vermittelt der Brief des Grafen Joseph Czerny vom 12. Juli 1784 an den Bistritzer Richter. 28 Hier wird Bezug genommen auf die Forderung der griechischkatholischen Gemeinde nach einer Kirche innerhalb der Stadtmauern und die bistritzer Obrigkeit wird gebeten und dazu gedrängt, eine Lösung in Bezug auf die am 10. Juni 1783 vorgebrachten Gravamina zu finden.29 KONFLIKTLAGE UND VERHALTEN DER STADT BISTRITZ Zu der am 10. Juni 1783 an Kaiser Joseph II. gerichteten Eingabe liegt kein Antwortschreiben vor, auch nicht seitens des siebenbürgischen Guberniums. Gleichwohl gewinnt man anhand der Eingabe und der offiziellen Antwort der Stadt Bistritz einen Einblick in die Konfliktlage und das Rechtsverständnis der Stadt. Schon am Anfang der Beschwerde kommt zum Ausdruck, dass die unterschiedliche Rechtslage der rumänischen Einwohner in den vorstädtischen Siedlungen im Vergleich zu den Stadtbürgern von Bistritz beklagt wird. Auch würden sie unter Vernachlässigung ihrer Arbeit für Dienste in Pflicht genommen, die ihnen nicht obliegen. Ebenso würden sie trotz der unterschiedlichen Rechtslage die gleichen Abgaben wie die Bürger der Stadt entrichten.30 Tatsächlich bestätigte die Stadt Bistritz in ihrer Antwort, dass die rumänischen Bewohner die gleiche Kontribution leisten wie die Bürger der Stadt. Ebenso wären mehr als 200 von ihnen auf den Höfen der Bistritzer Bürger ansässig, und würden die entsprechende Abgabenlast übernehmen.31 Doch die Übernahme von Abgaben und Diensten sei keineswegs übertrieben und durchaus angemessen. Denn keiner der Supplikanten sei Leibeigener und damit 27
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Mit dem Wohlwollen des Bistritzer Stadtrates besaßen die Rumänen ein gemietetes, gottesdiensttaugliches Bethaus („conductum Oratorium“): „Dirum et impurgabilem proinde comitteremus errorem, si predictis vagabundis tantum Villanis Valachicis per templi pretensi cessionem intra Civitatis moenia plus adnueremus, quam perfidum hoc genus hominum in Suburbiis nondum obtinuit ; sed conductum egregium et satis amplum habent Oratorium, quod ceremoniarum publicarum audiendae liturgiae causa pro lubitu frequentare potest.“ SJAN Cluj, POB, Reihe IIa, Fasz. 40. Der Brief des Grafen Joseph Czerny an den Oberbürgermeister sowie an den Magistrat der Stadt vom 12. Juli 1784 forderte eine alsbaldige Behandlung der Beschwerdepunkte der rumänischen Bewohner von Bistritz. Dieses Schreiben steht in engem Zusammenhang mit der Entgegnung des Bistritzer Rates vom 27. Juli 1784. SJAN Cluj, POB, Reihe IIa, Fasz. 40, fol. 201. Ebd. Der Brief enthält eindeutig eine höfliche Mahnung an die Stadtobrigkeit, zu handeln. „Nam in domo Civium in Suburbio habitamus, alienas res promovemus et nostras jacere sinimus tamen id quod ad vectigal pertinet quantum Cives pendunt tantum nos tribuimus ac denique ad omnia peragenda eodem modo impellimur ac omnia communi modo fluunt.“ SJAN Cluj, POB, Reihe IIa, Fasz. 40, fol. 203. Ebd., fol. 204–206: „Primo Se ultra 200 in Civium hujatum domibus habitantes resque non suas verum Civium promoventes tam quoad onera penes Civitatem occurentia quam quoad Contributionis praestationem eisdem Civibus aequiparari.“
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gezwungen, die Arbeiten zu leisten.32 Vielmehr würde es sich um einen Privatvertrag zwischen den Bürgern und den rumänischen Bewohnern handeln, denn die villani rumänischer Sprache müssen freie Menschen sein.33 Der am 22. August 1785 für Siebenbürgen verkündete kaiserliche Erlass über die Abschaffung der Leibeigenschaft schuf aus der Sicht der rumänischen Vorstadtbewohner eine neue Rechtslage. Auch bis dahin betrachtete die Bistritzer Stadtobrigkeit den Rechtsstatus der in den Vorstädten lebenden Rumänen als privilegiert, verglichen mit der auf Komitatsboden lebenden Bevölkerung. Andererseits beklagten sich die rumänischen Vorstadtbewohner bei der Stadtobrigkeit, dass sie gemeinsam mit den Stadtbürgern zu Diensten und Handarbeiten gedrängt werden würden.34 Die Stadt Bistritz nahm auf Klagen dieser Art in ihrem Antwortschreiben keine Rücksicht, sie behandelte die von den Rumänen geleiteten Fronarbeiten als eine privatrechtliche Angelegenheit. Schließlich verweist die Eingabe vom 10. Juni 1783 noch auf eine städtische Verordnung, die es den rumänischen Bewohnern verbietet, mehr als zwei Ochsen zu halten. Das drei Jahre zuvor erlassene Verbot würde ihre Lebensgrundlage einengen.35 Der Tatbestand erhält dadurch einen besonderen Stellenwert, dass der Ochse als wichtigstes Zugvieh der rumänischen Bevölkerung als Triebkraft agrarwirtschaftlichen Wachstums galt. Die Stadt stellte die Existenz der Verordnung nicht in Frage und begründete sie auch: Die Anzahl der Ochsen und Pferde der Vorstadtbewohner sei wegen des zunehmenden Gewinnstrebens stark angestiegen, was dazu geführt habe, dass die Kühe und Pferde der Bistritzer Bürger und die Ochsen der Vorstadtbewohner nicht überleben könnten.36 Aufgrund des ständischen Rechtsverständnisses stand den Sachsen das alleinige Besitz- und Bürgerrecht auf dem sogenannten Königsboden zu. Das führte dazu, dass viele rumänische Vorstadtbewohner kein Eigentumsrecht besaßen. In ihrem Antwortschreiben betonte die Stadt Bistritz, dass auch Bistritzer Bürger aufgrund ihrer Notlage nur noch eine Kuh oder auch zwei Kühe halten würden, wobei viele Einwohner auch Pferde hätten. Darauf sei das Verbot für die rumänischen Bewohner, nicht mehr als zwei Ochsen halten zu dürfen, zurückzuführen. Denn eine übermäßige Vermehrung von Ochsen hätte die beanstandete Entwicklung verursacht und damit den sächsischen Bürgern (cives) und Einwohnern (incolae) Schaden zugefügt. Aufgrund der lokalen Interessenlage scheinen die josephinischen Verordnungen, die die Zucht von Ochsen unterstützten, in Bistritz wenig beachtet worden zu sein.37 32 33 34 35 36 37
Ebd.: „Nullus quaerulantium Principali suo, cuius Domum incolit jugo Jobbagyonali obstrictus est hincque prout nullus vi ad subeundas Villani vices obstringitur.“ Ebd.: „nullus quaerulantium…jugo jobbagyonali obstrictus est.“ Ebd.: „Nam ad labores Civitatis una cum Civibus qui locum habent urgemur.“ Ebd.: „Nam Decretum ante 3 annos ediderunt Cives quo ultra 2 boves servare non licet ac denique id volunt ut omnibus rebus ad vitam necessariis privemur.“ Ebd., fol. 204–206: „Contigit admodum quod Villani […] lucri causa tot bobus Territorium implere consueverint ut vaccae et equi Civium necnon boves Incolarum Territorii Possessorum subsistere haud potuerint.“ Im Kontext der leopoldinischen Restitutionen sind mehrere Streitschriften erschienen, die sich mit der Rechtslage der siebenbürgisch-sächsischen Ständenation auseinandersetzten; siehe u. a.
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Die Argumentationsstrategie der ersten, an Kaiser Joseph II. gerichteten Quelle vom 10. Juni 1783, war so aufgebaut, dass der wichtige dritte Punkt am Ende des Textes stand: Hier ging es um den Erwerb eines neuen Grundstücks für die Kirche. Denn die Bistritzer Rumänen waren Angehörige der griechisch-katholischen, unierten Kirche, weshalb es zugleich um einen Konflikt zwischen der confessio dominans, nämlich der Konfession des Kaiserhauses, und der rezipierten Konfession der sächsischen lutherischen Stadtbürger ging. Der Zustand des Gebäudes, das als Kirche benutzt wurde und zugleich als Lagerraum für Getreide Verwendung fand, wurde bewusst an das Ende der Aufzählung von Desiderata gebracht, um dem Anliegen einen besonderen Nachdruck zu verleihen.38 Der Kaiser sollte durchaus davon unterrichtet sein und wissen, was der Zustand des Ortes sei, an dem Gott gelobt wird: „Gravierend ist die Tatsache, dass wir keinen Ort haben, an dem wir das Allerheiligste verehren können, einen Platz, wo wir unsere Gedanken an Gott richten können, so dass wir nur in einem dürftigen Lagerraum den Glauben pflegen, dort wo man Ziegel produziert. Wenn diese Kirche auch kleinräumig ist, so bezahlen wir dennoch zuviel dafür, nämlich 10 fl. im Jahr.“39 Und wenn der Kaiser diese Umstände nicht glauben könne, so müsse er einen Gesandten an Ort und Stelle schicken, damit er sich mit der Situation vertraut machen könne.40 Der Stadtmagistrat hingegen argumentierte im Sinne der Interessen der sächsischen „Nation“: Falls ein Grundstück für eine neue Kirche extra muros gefunden und zugeteilt werden würde, so würde dies den Gesetzen und Privilegien der sächsischen Nation widersprechen41 und würde den Interessen der ganzen Bistritzer sächsischen Gemeinde schaden. Die Rumänen seien als Siedler (inquilini)42 zu betrachten, das heißt als Einwohner ohne das Recht, Land zu besitzen und Bürger-
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Gräser, Daniel: Der Verfassungszustand der sächsischen Nation in Siebenbürgen. Hermannstadt 1790 sowie Müller, Jakob Aurelius: Die Siebenbürger Sachsen. Eine Volksschrift, herausgegeben bey Aufhebung der für erloschen erklärten Nation. Hermannstadt 1790. Siehe dazu auch: Gündisch, Konrad / Gyémánt, Ladislaus: Repertoriul actelor polemice săseşti din epoca Supplexului (1790–1792) [Repertorium der polemischen Schriften der Siebenbürger Sachsen in der Zeit der Supplex Libellus Valachorum]. In: Cultură şi societate în epoca modernă [Festschrift für Prof. Pompiliu Teodor zum 60. Geburtstag]. Hgg. v. Nicolae BocŞan / Nicolae Edroiu / Aurel RĂduȚiu. Cluj-Napoca 1990, 97–107. Hier sei auf die Verwendung von Hyperbata (Trennung syntaktisch zusammengehörender Wörter), von pathetischen Wiederholungen (quo in loco…quo in loco), verwiesen, die einen Akzent auf die Dringlichkeit der dargestellten Forderungen setzen sollten: „quo in loco Sacratissimum Numen adoremus quo in loco nostras cogitationes Deo offeramus“ oder es sei auf das wiederholt angewandte „hisce in rebus“ verweisen: „ut misereatur n[ost]ri & hisce in rebus auxilium ferat, hisce in rebus […].“ SJAN Cluj, POB, Seria IIa, fol. 203. Ebd. Schaser 2000, Reformele iozefine, 49 zitiert den von dem Historiker und Staatsrechtler August Ludwig von Schlözer (1735–1809) in lateinischer Sprache angegebenen Begriff des territorium clausum als für das Weiterbestehen der deutschen Identität in Siebenbürgen gedachtes Fundament. Siedler, Kleinhäusler, die kein Urbarialland besaßen und Landwirtschaft als Zuerwerb betrieben.
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rechte erlangen zu können.43 Als Begründung wurde angeführt, dass der Bau sowie die Nutzung einer aus Stein erbauten Kirche innerhalb der Stadtmauern der Stadt Bistritz durch eine griechisch-katholische rumänische Gemeinde gegen das historische Recht der Privilegien der Siebenbürger Sachsen verstoßen würde, das von den ungarischen Königen gewährt und garantiert wurde.44 Diese Privilegien müssten selbst der (ungarische) Adel45 oder die Angehörigen der kalvinischen Kirche respektieren. Sieht man von der Stadt Klausenburg ab, so war es auch diesen Gruppen nicht möglich, auf dem Königsboden intra muros neue Kirchen zu bauen.46 Dabei standen die Bemühungen um den Bau einer griechisch-katholischen Kirche vor den Toren von Bistritz oder innerhalb der Stadtmauern schon seit einigen Jahrzehnten im Raum.47 BEWERTUNG UND POLITISCHER KONTEXT Angesichts der josephinischen Reformen, die 1784 in die Aufhebung der Landesverfassung mündeten, mit dem Ziel der Auflösung der ständischen Verwaltungseinteilung, hatten die rumänischen Bewohner der Vorstädte einen durchaus günstigen Zeitpunkt für ihre Eingabe genutzt. Denn das Schreiben des Oberrichters (judex primarius) an das Siebenbürgische Gubernium dokumentiert, wie sehr man in dieser Bedrängung um Hilfe durch das Gubernium ersuchte, um das Gesuch nach einer griechisch-katholischen Kirche abzuwehren. Offensichtlich sah man die lange verteidigten Privilegien durch diese Eingabe in größter Gefahr. Diese Sorge kam in dem Schreiben deutlich zum Ausdruck, denn man würde einen schrecklichen und nicht zu entschuldigenden Irrtum begehen, wenn die nur als Umherziehende (vagabundi) bzw. vorübergehend ansässig betrachteten Rumänen das Zugeständnis erhielten, eine Kirche innerhalb der Stadtmauern zu erhalten. Denn sie hätten ein ausreichendes und genügend großes Oratorium, das sie jederzeit besuchen könnten, um die liturgischen Zeremonien zu hören.48
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SJAN Cluj, POB, Seria IIa: „Ergo nullum et praedictis Valachis, qua? Toleratis tantum Inquilinis, vel ad expressum tempus conductis vagabundis Civium Villanis competere videmus firmum aut legale quoddam jus ad occupandum quodumque Civitatis nostrae Templum.“ Müller, Georg Eduard: Die ursprüngliche Rechtslage der Rumänen im Siebenbürger Sachsenlande. In: Archiv des Vereins für siebenbürgische Landeskunde. N. F. 38. Hermannstadt 1912, 85–314, zit. n. Schaser, Reformele iozefine, 64. Im 1774 abgehaltenen siebenbürgischen Landtag bestanden die Siebenbürger Sachsen auf ihren Privilegien gegenüber der rumänischen Bevölkerung. Ebd., 53, 55, 57, 58, 59. Die erste ungarische, aus Stein errichtete Kirche im siebenbürgisch-sächsischen Hermannstadt wurde erst nach dem Ausgleich im Jahre 1867 erbaut. SJAN Cluj, POB, Reihe IIa, Fasz. 40, fol. 204: „in arbitrio Villanorum fuit ac est.“ SJAN Cluj, POB, Reihe IIa: „Quid praeterea dicamus de nondum audito simili praejudicioso nimis exemplo: Dirum et impurgabilem proinde comitteremus errorem, si predictis vagabundis tantum Villanis Valachicis per templi pretensi cessionem intra Civitatis moenia plus adnueremus, quam perfidum hoc genus hominum in Suburbiis nondum obtinuit ; sed conductum egre-
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Der Erwerb einer Kirche49 wurde schon deshalb als problematisch angesehen, weil dies ein Anlass wäre, der dafür ausgenützt würde, Häuser der Stadtbürger durch die rumänischen Vorstadtbewohner aufzukaufen, was dem sächsischen Recht zuwider stünde. Daher sei das Gubernium in der Pflicht, die Gesetze des Fürstentums zu beachten. Das Gubernium wurde schließlich ersucht, alle für notwendig angesehenen Maßnahmen gegen die rumänischen Bewohner zu ergreifen, die unter der Jurisdiktion der bistritzer Bürger standen und die es gewagt hatten, diesen Bürgern die Stirn mit ihrer Eingabe zu bieten. AUSBLICK Die analysierten Quellen zeigen ein breites diversifiziertes und heterogenes Spektrum Norm setzender und Norm vermittelnder Instanzen, was Ausdruck einer von widerstrebenden Interessen gekennzeichneten politischen Lage war. Auf der einen Seite stand Kaiser Joseph II., dessen Streben danach gerichtet war, ständische Partikularinteressen zugunsten einer einheitlichen Verwaltung zu brechen und dadurch das „Territorium clausum“ der Sachsen in Frage stellte und schließlich aufhob. Das verdeutlicht, dass sich die rumänischen Bewohner in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt und die Vorrechte der sächsischen Nation auf dem Königsboden zunehmend als anachronistisch betrachtet wurden. Maßgebend waren jedoch auch die Gesetze des Fürstentums Siebenbürgen in ihrem, den verschiedenen Ständen gerecht werdenden komplexen Gefüge. Schließlich sei auf den Einfluss des Guberniums als höchster Verwaltungsbehörde des Landes verwiesen (excelsum consilium regium guberniale intimum). Dieses, unter einem königlichen Gubernator stehende Gremium bestand aus einer identischen Anzahl von Räten der drei Nationen, Ungarn, Szekler und Sachsen sowie Vertretern der vier rezipierten Religionen (katholisch, reformiert, evangelisch-lutherisch und der unierten griechisch-katholischen). Damit sahen sich die die Bevölkerungsmehrheit repräsentierenden griechisch-orthodoxen Rumänen ausgeschlossen. Das Gubernium war zugleich Hüter der hergebrachten, sorgfältig austarierten Interessen der „Nationen“. Eine lokale, allerdings in Rückzugsgefechte verwickelte Autorität war der Magistrat von Bistritz, der für
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gium et satis amplum habent Oratorium, quod ceremoniarum publicarum audiendae liturgiae causa pro lubitu frequentare potest.“ Dahinten, Otto: Geschichte der Stadt Bistritz. Aus dem Nachlass hg. von Ernst Wagner. Köln-Wien 1988, 303, 304: „In den Rechnungsbüchern der Stadt erscheint es meistens unter dem Namen des Oberen Klosters, im Gegensatz zu dem der Dominikaner, das ja im unteren Stadtteil gelegen war. […] In dieser Form hat die Kirche dann bis zum Jahre 1788 als katholische Pfarrkirche gedient. Dann mußte sie ihren Rang an die neue Pfarrkirche abtreten und verlor damit ihre frühere Bedeutung. Infolgedessen begann sie langsam zu verfallen, so dass im Jahre 1847 eine neue größere Reparatur durchgeführt werden musste. Damals wurde an der Westwand die Inschrift angebracht: „Renovata 1847“. In der Folgezeit aber wurde die Kirche nur selten benutzt und kam in völlig ruiniertem Zustande im Jahre 1893 durch Kauf um den Preis von 35.000 Gulden in den Besitz der griechisch-katholischen Kirchengemeinde, die Kirche und Kloster wieder in Stand setzen ließ und die Kirche als Gotteshaus benutzte.“
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die Verwaltung der Stadt zuständig und zugleich die untere Rechtsinstanz repräsentierte. Der Magistrat pochte auf die althergebrachten Rechte der (sächsischen) Bürger in der Stadt, denen das Bürgerrecht und der Grundbesitz allein vorbehalten waren. Die Supplik der rumänischen Vorstadtbewohner erfolgte innerhalb dieser vielschichtigen Interessenlage. Sie ist zugleich ein Dokument des sich anbahnenden Prozesses ihrer sozialen Emanzipation. Ihr Bemühen wurde nachhaltig unterstützt von der von Joseph II. verstandenen Vorstellung eines modernen Staatswesens mit einheitlicher Verwaltung. Gleichwohl war die Zeit offensichtlich noch nicht reif, dass eine Kirche innerhalb der Stadtmauern zugestanden wurde. Das zeigen sowohl die Reaktionen des Rates der Stadt Bistritz als auch des Guberniums. QUELLENANHANG Bistritz, 1783 Juni 10. Die Bittschrift der rumänischen Vorstadtbewohner von Bistritz an Kaiser Joseph II.50 SJAN Cluj, Fondul Primăria Bistriţa, Reihe II, Fasz. 40, fol. 203. Augustissime Imperator, Nos villici homines Valachi amplius 200 hasce supplices literas Augustissimo Imperatori offerimus in quibus misericordiam M[aies]t[a]ti V[e]strae Sacratissimae imploramus ut nobis quoque modum quemdam honeste vivendi faciat. Nam in domo Civium in Suburbio habitamus alienas res promovemus et nostras jacere sinimus tamen id quod ad vectigal pertinet quantum Cives pendunt tantum nos tribuimus ac denique ad omnia peragenda eodem modo impellimur ac omnia communi modo fluunt. Nam ad labores Civitatis una cum Civibus qui locum habent praestandos urgemur. Quare rogamus Augustissimum Imperatorem ut cum omnibus nationibus felix et prospera vita per V[es]tram Ma[ies]t[a]tem Suam datur nobis quod ad felicitatem pertinet quoque tribuatur. Scimus enim Augustissimum Imperatorem fautorem omnium gentium esse maximum nullo modo praeterire possumus quin supplicibus precibus nostris fatigemus. Nam Decretum ante 3 annos ediderunt Cives quo ultra 2 boves servare non licet ac denique id volunt ut omnibus rebus ad vitam necessariis privemur et quod maximum est nec id habemus quo in loco Sacratissimum Numen adoremus quo in loco nostras cogitationes Deo offeramus sed in exili quodam horreo Templum servamus penes quod tegulas conficiunt quod Templum licet exile fit multum tamen pro eo solvimus nam 10 Rfl. quolibet anno pendimus. Quodsi dubium id M[aies]t[a]ti Vestrae videtur dignetur unum e fidellisimis Maiestatis Vestrae mittere illuc qui videat quo in loco sacrificium sacerdos celebret ad hoc usque tempus dedimus literas in quibus hoc idem significavimus a quibus ut opinamur a M[aies]t[a]ti V[e]strae datum est licet nos hic nullum acceperimus. Quibus rationibus supplices ad Ma[ies]t[a]tis V[e]strae Sa[c]r[atissi]mae pedes 50
Auf dem Deckblatt ist oben rechts ein weiteres Datum, wohl das des Ausgangs des Schreibens, 25. Juni, vermerkt.
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prostati venimus et auxilium opemque ardentius imploramus ut misereatur n[ost]ri & hisce in rebus auxilium ferat, hisce in rebus adjumento fit maximo. Quibus rebus nos favori Ma[ies]t[a]ti V[es]trae Sa[cratissi]mae comendantes manemus. Humilimi perpetuique fideles Subditi Bistricienses Vilici. Signatus Bestercze Die 10a Junij 1783. Bistritz, 1784 Juli 27. Entgegnung der Stadt Bistritz auf die Beschwerden der rumänischen Bewohner an Kaiser Joseph II. SJAN Cluj, Fondul Primăria Bistriţa, Reihe IIa, fol. 204–206. Succinta Civitatis Bistriciensis querelarum Villanorum suorum Suae Majestati S[a] c[ra]t[issim]ae sub 10ma Junii Anno 1783 porrectae Retorsio. Tria praecipue Villanorum hujatum quaerelae involvunt momenta: exponunt enim quaerulantes: Primo: Se ultra 200 in Civium hujatum domibus habitantes resque non suas verum Civium promoventes tam quoad onera penes Civitatem occurentia quam quoad Contributionis praestationem eisdem Civibus aequiparari. Secundi: Se vivendi mediis per Cives vel ex eo privari quod ultra 2 boves tenere sibi interdixissent. Tertio denique: Se locum ubi Sacris interesse possint non habere hincque pro horreo 10 ? annuatim pendere necessitatos esse. Quoad ad primum: Haec quaerulantium Expositio tantum involvit ac si eidem in quaestionem vocarent an Principalis mercenario seu Dominus terrestris Inquilini Servitio praestare teneatur vel vice versa. Nullus quaerulantium Principali suo cuius Domum incolit jugo Jobbagyonali obstrictus est hincque prout nullus vi ad subeundas Villani vices obstringitur sic nec in alteratione conditionis [?] vel habitationis suae impeditur verum patet cuique [?] liber in quascumque Principatus partes discessus et ubicumque placuerit domorum et fundorum propriorum sua via fienda acquisitio quibus fixo pede insistere ac proprias res suas promovere possent, nisi otio [?] ab51 deditorum rem alterius per devias sibi appropriandi consuetudo52 quam habuisset.53 Onera Civitatis communia quod adtinet cum Cives Villas suas bono eoque proprietario Jure possideant qua lege ipsi ratam etiam Villanorum suorum quos in sui sublevamen tamquam mercenarios penes conventiones suscipiunt supportari obstricti fuit non videtur. Quae denique ratione Contributionis inter Cives et Villanos sub54 distinctio. Ipsae Tabellae tributariae demonstrant, siquidem Civis non solum pro toto Civitatis
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Es folgt ein unleserliches Wort. Ebenso. Habuisset [?] Wortteil unleserlich.
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territorio quo ipsi etiam querulantes nutriuntur verum etiam Capite [?] 7 Villan[orum] autem 3 tantum Quod ad secunda querelarum momentum: ipsimet querulantes se ultra 200 esse dicunt nec falsa hac in parte referunt. Adsunt praeterea in suburbiis totidem ferme Incolae Saxones qui domos et fundos proprios possident ac nihil nisi oeconomiam ruralem exercent. Sunt denique inter Cives ultra 300 qui inevitabili necessitate ducti vel unam vel duas vaccas aut totidem im[m]o et quattor equos tenent. Contigit admodum quod Villani qui ut superius memoratum est ne55 obolum56 quidem contributionis pendunt lucri causa tot bobus Territorium implere consueverint ut vaccae et equi Civium necnon boves Incolarum Territorii Possessorum subsistere haud potuerint unde factum est quod boum Villanorum qui alioquin Vaccas etiam non panias57 tenent numerus quottanis circa tempus Conscriptionis et inflictionis Contributionis vel venditione vel alio subdu[xionis] medio diminuebant ad duos restrictus [?] exstitit. Quodsi restrictio haec facta non fuisset vel facta non subsistere tanta mox pecorum illorum summa emergentque exinde pro Civibus et Incolis damnum prodiret ut iure? Contributionem pro Territorio seu Fundis suis praestant ratio deficeret. Quod Tertium In arbitrio Villanorum fuit ac est de praesenti etiam an in horreo civitatis ad ipsorum preces erga annuam taxam non in RS 10 verum in 8 tantum et 20 confitentem ipsis concesso sacra celebrare voluerunt nec contravertit? civitas hoc ut templum pro quo Fundum anno adhuc praeterito Magistratus hujas designavit sibi aedificari inirent. E quibus quidem praemissis cum enormis Villanorum hujatum malitia satis superque prodiret ratio autem et circumstantia quibus Cives cum Villanis suis connectuntur, animadversionis necessitate vel maxime involvant, supplicat Civitas haec humillime quatenus iidem promeritae Poenae subjiciantur ac si eo inviendus, quo debitaeque obedientiae suae limites transgredi sinant Propositorum? Suorum Constitutiones, commune bonum prae se ferentes, tantopere dismembrare ac ventilare praesumant. Civitas Bistriciensis, Bistricii, die 27 Julii 1784 Bistritz, undatiert.58 Schreiben des Oberrichters der Stadt Bistritz an das Gubernium des Großfürstentums Siebenbürgen. SJAN Cluj, Fondul Primăria Bistriţa, Fondul Primăria Bistriţa II a passim.. Per tumultuarios Districtus Valachici motus inde nimium Vexati nolenter protraximus considerationes procul dubio fundatissimas pro nunc ad reiteratam Excelsi Regii Gubernii Commissionem ratione Templi quod in usum Villanorum Valachicorum intra Civitatis hujus moenia temerario pretenditur ausu breviter omni qua tenemur devotione punctatim allegatas Generalem in Tran[silva]niae Principatu Valachorum exclusionem quocumque Civitatis jure continet ipsa Lex Patriae; signanter 55 56 57 58
Es folgt ein unleserliches Wort. Ebenso. Ebenso. Das Schreiben wurde wahrscheinlich in den 1770er Jahren verfasst.
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Approbatarum Constitutionem Pars 1ma Tit.: 8 Art: 1ma. Atqui templorum intra moenia Civitatum habitorum legitima possesio primariis adnumeratur Civium possesssionatorum libertatibus haud incassum acquisitis. Ergo nullum et praedictis Valachis, quo toleratis tantum Inquilinis vel ad expressum tempus conductis vagabundis Civium Villanis competere videmus firmum aut legale quoddam jus ad occupandum quocumque Civitatis nostrae Templum. Quo semel obtento nihil eveniret certius quam id quod effrenatus hicce popellus in magnum illibatae per tot secula puritatis detrimentum ad emendas quoque domos civica impudentem caperet appetitum non explorando qualiter vi peculiarum a Divis Regibus Nationi Saxonicae collatorum Privilegiorum et receptis duabus Incl[itis] Nationibus in quacumque Saxonum Civitate nullum indulgetur jus ad minimae tantum domus comparationem. Quid praeterea dicamus de nondum audito simili praejudicioso nimis exemplo. Dirum et impurgabilem proinde comitteremus errorem si praedictis vagabundis tantum Villanis Valachicis per templi praetensi cessionem intra Civitatis moenia plus adnueremus quam perfidum hoc genus hominum in Suburbiis nondum obtinuit; sed conductum egregium et satis amplum habet Oratorium quod ceremoniarum publicarum audiendae liturgiae causa pro lubito frequentare potest. Reliqua nunc praetereuntes ad comprobandam levem praedictorum Valachorum fidem hoc breviter adjicimus quo pacto se non pauci per consuetum ipso[rum] trangressum in Moldaviam publicis frequenter subtrahere solent oneribus: quae [?] constans qua et fidelis Augustissimae Domus Austriae infracto semper toleravit aeque ac tolerabit animo flexis orando genibus dignetur Excelsum Regium Gubernium praemissis clementer pensitatis omniquo in conservandis Patris juribus et Privilegiis indiscriminatim fertur affectu Gratiosum Ejusdem Patrocinium ac Favore Paterne contestari ne jurisdictioni nostrae subjecti Valachi jam promiscue tam superbam ferocem nobis ostentare valeant frontem. Qui a Reliquo decenti Venerationis cultu permanemus indesinenter. Excelsi Regii Tran[silva]niae Gubernii Devoti humillimeque Servi, Judex Primar[ius].
NORMVERLETZUNG ALS AUSWANDERUNGSGRUND, ODER: WARUM MAN KOLONIST IN UNGARN SEIN WOLLTE. Der Fall zweier Betrüger in der Batschka 1785/86 Márta Fata NORMVERLETZUNG ALS AUSWANDERUNGSGRUND IN DEN QUELLEN Die europaweit geführte Migrationsdebatte der letzten Jahrzehnte brachte zahlreiche Erkenntnisse auch über die Gründe der Migrationsbewegungen. Mittlerweile herrscht ein allgemeiner Konsens darüber, dass die Migration „auf wirtschaftliche, politische, humanitäre oder familiäre Zwangslagen zurückgehen [kann], aber auch, wie bei den Migrationen von hochqualifizierten Fachkräften, auf den Wunsch nach persönlicher Verwirklichung. Somit ist nicht nur von ‚einer‘ Migration, sondern einer Vielzahl von Migrationssituationen auszugehen.“1 Diese und ähnliche Feststellungen amtlicher Stellen fassen die wichtigsten Auswanderungsgründe zusammen, weisen aber zugleich auf nicht erfassbare persönliche Gründe der Migranten hin. Einer dieser persönlichen Gründe kann z. B. die Normverletzung sein, die freilich nicht in den amtlichen Unterlagen und folgerichtig auch nicht in den Statistiken des Aufnahmelandes erscheint, weil sie ein ausgesprochenes Hindernis für die Aufnahme von Migranten wäre und daher mit einem anderen, im Aufnahmeland akzeptierten Migrationsgrund verschleiert wird. Normverletzungen gehörten, wie historische Beispiele zeigen, immer schon zu den Auswanderungsgründen. Klein- und Schwerkriminelle wurden entweder zur Auswanderung gezwungen oder wanderten freiwillig in der Hoffnung auf einen Neuanfang aus. Auch die Abschiebung von Sträflingen aus den deutschen Gebieten begann nicht erst zur Zeit der Massenauswanderung nach Amerika im 19. Jahrhundert, als die amtlichen Stellen diese mit finanziellen oder juristischen Argumenten fortgeschafft haben.2 In der frühen Neuzeit gab es neben Armen und Vaganten stets auch Gesetzesbrecher, denen der Landesverweis als Strafe auferlegt wurde, 1 2
Beiträge zur Lage der Migrationsfamilien und Empfehlungen der Eidgenössischen Koordinationskommission für Familienfragen. Bern 2002, 13. Nach Ansicht der Behörden konnten mit dieser Maßnahme einerseits die Kosten für die Verbesserungsanstalten reduziert, andererseits eine Möglichkeit für die Straftäter geschaffen werden, eine angemessene Beschäftigung zu suchen und ein rechtschaffenes Leben in einem neuen Milieu zu führen. Vgl. dazu stellvertretend die Lage im Fürstentum Braunschweig bei Pohlmann, Cornelia: Die Auswanderung aus dem Herzogtum Braunschweig im Kräftespiel staatlicher Resonanz 1720–1897. Stuttgart 2002, 110–120.
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auch wenn man durchaus erkannte, dass dieses System nicht sinnvoll war, da die verschiedenen Territorien ihre Straftäter im Prinzip nur austauschten.3 Gerade deshalb erschien im 18. und 19. Jahrhundert die transkontinentale Abschiebung als eine mögliche Lösung, wobei diese erzwungene Migration in den amtlichen Akten oft gar nicht festgehalten wurde.4 Die Spurensuche im Fall von freiwilligen Migranten, die mit ihrer kriminellen Vergangenheit brechen wollten und deshalb die Auswanderung als Ausweg wählten, ist noch schwieriger. Denn ihr Auswanderungsmotiv wurde nur dann aktenkundig, wenn sie zufällig ins Blickfeld der Behörden geraten waren, wie im folgenden Fallbeispiel. Am 4. Mai 1785 setzte sich im südungarischen Apatin ein Sondergericht zum Verhör von zwei Tatverdächtigen zusammen. Den Vorsitz führte der Hofkammeradministrator des Somborer Kameralbezirkes Michael von Ürményi im Beisein des Stuhlrichters des Komitates Batsch-Bodrog, Anton von Neszmér, und des Stuhlgeschworenen Andreas von Tomcsányi. Diese ungewöhnliche und hochrangige Besetzung des Gerichts galt zwei deutschen Siedlern. Die im Februar 1785 angekommenen Einwanderer verfügten noch nicht über das ungarische Staatsbürgerrecht, das erst nach einem zehnjährigen Aufenthalt im Land in Kraft trat, deshalb war für die beiden Kolonisten nicht das Komitatsgericht, sondern die Ungarische Hofkammer zuständig, der die Durchführung der 1784 von Joseph II. in den ungarischen Kameralbezirken eingeleiteten staatlichen Siedlungsmigration oblag. Die zwei zunächst im Dorf Prigrevica-Szentivány5 provisorisch einquartierten Kolonisten wurden wegen Geldunterschlagung verhört – einer Tat, welche die aus dem unterfränkischen Schwanfeld im Kreis Klingenberg des Hochstifts Würzburg stammenden Männer allerdings nicht in Ungarn, sondern noch in ihrer Heimat verübt hatten. Michael Zimmermann und Joseph Bauer hatten „auf falsche Obligationen Geld erhoben“,6 wie es in der Anklage hieß, und damit dem Hochstift erheblichen Schaden zugefügt. Dadurch wurde die Angelegenheit zu einem diplomatischen Fall zwischen der fürstbischöflichen Regierung in Würzburg und der kaiserlich-königlichen Regierung in Wien. Dieser Tatsache ist es zu verdanken, dass wir Einsicht in das Verhörprotokoll, in die Aufzeichnungen der zuständigen ungarischen Stellen sowie in den Notenwechsel zwischen der geheimen kaiserlich-königlichen Hofund Staatskanzlei und der Ungarisch-Siebenbürgischen Hofkanzlei in Wien nehmen können, auch wenn diese Sicht wegen der weitgehend fehlenden Akten der würzburgischen Regierung einseitig bleiben muss. Die Dokumente sind jedoch auch in ihrer lückenhaften Form von besonderer Bedeutung, weil sich darin die zeitgenössische Vorstellung über Strafzweck und Strafform des frühneuzeitlichen Staates zu einer Zeit widerspiegelt, in der die Grenze zwischen einem den normati3 4 5 6
Schnabel-Schüle, Helga: Überwachen und Strafen im Territorialstaat. Bedingungen und Auswirkungen des Systems strafrechtlicher Sanktionen im frühneuzeitlichen Württemberg. Köln-Weimar-Wien 1997, 134. Vgl. Pohlmann, Die Auswanderung aus dem Herzogtum Braunschweig, 118. Dt. Batschsentiwan. Magyar Nemzeti Levéltár – Magyar Országos Levéltár (MOL) [Ungarisches Nationalarchiv – Ungarisches Landesarchiv], Budapest, E 125, Bü 6, Nr. 1551, Abschrift des Verhörprotokolls vom 4. Mai 1785.
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ven Vorgaben der Gesellschaft entsprechenden und einem die Normen verletzenden Lebensmilieu der Menschen besonders fließend war. Die Frage richtet sich deshalb darauf, wie die Obrigkeit in der alten und der neuen Heimat der Migranten mit dieser Tatsache umgehen konnte bzw. wollte. DAS FÄLSCHUNGSDELIKT IM KONTEXT DER ZEIT Das Vermögensdelikt, das die beiden Kolonisten ihrem Geständnis nach begangen hatten, war über eine längere Zeit verübt worden. Michael Zimmermann gab zu, dass er zusammen mit seinem Schwager Johann Kuhn, dessen Verwandten Joseph Bauer und einem weiteren Bekannten namens Mathias Haus beraten hatte, wie sie falsche Obligationen auf Liegenschaften anderer Leute in den Ämtern Klingenberg und Werneck anfertigen und mit solchen Schuldscheinen zu Geld aus der Kasse der reichen geistlichen Stifte in Würzburg, namentlich des Chorherrenstifts Haug und des Kollegiatstifts Sankt Burkard, sowie des Würzburger Domkapitels kommen könnten. Dem Plan war rasch die Tat gefolgt. Die vierköpfige Gruppe stellte Schuldverschreibungen her und besorgte die notwendigen Amtssiegel von verschiedenen Urkunden und Akten, indem sie diesen die Siegel abrissen und auf die fälschten Schuldscheine klebten. Die von den Stiften und dem Domkapitel für den Kredit erhobenen Hypothekzinsen hatten die vier Männer bis Ende September 1784 termingerecht bezahlt7 und deshalb konnten sie ihr Fälschergeschäft vier Jahre lang unbehelligt betreiben. Sie betrogen die beiden Stifte um etwa 4.800 Gulden und das Domkapitel um 200 Gulden. Zimmermann gestand während des Verhörs, aus dieser Summe insgesamt 1.400 Gulden erhalten zu haben, wovon er schon einiges verzehrt und verschenkt habe, so dass er nur noch 600 Gulden nach Ungarn mitgebracht hatte. Joseph Bauer wiederum gab zu Protokoll, lediglich bei der Abholung der Obligationen behilflich gewesen zu sein. Bei der Ausarbeitung der Pläne und der Anfertigung der Obligationen sei er zwar anwesend, aber nie daran beteiligt gewesen, zumal er weder des Lesens noch des Schreibens kundig sei. Sein Anteil betrug nach eigener Aussage ungefähr 770 Gulden. Nachdem er seine Schulden beglichen hatte, seien ihm noch etwa 600 Gulden übrig geblieben, die er bei seiner Auswanderung nach Ungarn mitführte.8 Der Geldtransfer erfolgte allerdings illegal, denn wie die Eintragung über die Manumissio in Bauers Fall zeigt, gab er bei der Auswanderung lediglich 70 Gulden Eigenkapital an.9 Der Tatbestand war ein klarer Fall für das Gericht. Die Männer hatten die gültige Rechtsnorm verletzt, indem sie Ämter vorsätzlich irregeführt und sich somit illegal Geld beschafft hatten. Wegen der nicht unerheblichen Summe galt die betrügerische Handlung als schwerwiegend, doch durch die Fälschung amtlicher Urkunden hatten die Männer auch das Hoheitsrecht des Hochstifts Würzburg verletzt, 7 8 9
Staatsarchiv Würzburg (StA Wü), Würzburger Domkapitel, Protokolle 1785, 990–992. MOL, E 125, Bü 6, Nr. 1551, Abschrift des Verhörprotokolls vom 4. Mai 1785. Pfrenzinger, Alfons: Mainfränkische Auswanderung nach Ungarn und den österr[eichischen]. Erbländern. Wien 1941, 154.
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weshalb die Würzburger Regierung die Auslieferung der steckbrieflich gesuchten Delinquenten ex capite delicti, also wegen Kapitalverbrechens, verlangte. Die Urkundenfälschung galt schon im Sinne des ersten gesamtdeutschen Strafgesetzbuchs, der Constitutio Criminalis Carolina von 1532, als kein geringes Delikt, sondern als eine Verletzung des Monopols des Souveräns bzw. der Herrschaft,10 auch wenn es bis ins 18. Jahrhundert keine eindeutige Hierarchie der einzelnen Straftatbestände gab. Die Hof- und Staatskanzlei in Wien war wegen des schwerwiegenden Tatbestands ohne Auflagen bereit, der „Willfahrung dieser Auslieferung zu wechselseitiger Befestigung der bürgerlichen Sicherheit“ nachzukommen.11 Hinter der bereitwilligen Hilfeleistung verbarg sich nicht nur die kaiserliche und königliche Oberhoheit der Habsburger über das würzburgische und das ungarische Territorium als verbindendes Element,12 sondern auch die allgemeine Bestrebung des frühneuzeitlichen Staates, seine Untertanen zu formen, zu bestimmen und zu reglementieren. In diesen Bestrebungen wie auch im Ziel der inneren Staatssicherheit gab es einen Konsens unter den Staaten, der die Grundlage einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit legte. Zum Zweck des dauerhaften Schutzes der Untertanen wurden im frühmodernen Staat bestimmte Aufgaben von der grundherrschaftlichen und kommunalen Obrigkeit übernommen und zugleich eigene Institutionen der inneren Staatssicherheit ausgebaut.13 Dieser Prozess der Verstaatlichung ging in den deutschen Territo10
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So heißt es im Artikel 112 der Constitutio Criminalis Carolina: „Item welche falsch siegel, brieff, instrument, vrbar, renth oder zinßbücher, oder register machen, die sollen an leib oder leben, nach dem die feischung vii oder wenig boßhafftig vnd schedlich geschicht, nach radt der rechtuerstemdigen, oder sumst als zu ende diser ordnung vermeidet, peinlich gestrafft werden.“ Zit. nach Peinliche Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V. (Constitutio Criminalis Carolina. von 1532), www.llv.li/pdf-llv-la-recht-1532_peinliche_halsgerichtsordnung_carolina_.pdf, letzter Zugriff am 18. Juli 2012. Zur Bewertung der Urkundenfälschung in der Geschichte vgl. Sieverts, Rudolf/Schneider, Hans Joachim (Hgg.): Handwörterbuch der Kriminologie. Ergänzungsband. 2. völlig neu bearb. Aufl. Berlin 1979, 207 f. Österreichisches Staatsarchiv (ÖStA), Haus-, Hof- und Staatsarchiv (HHStA), Wien, Staatskanzlei, Noten von der Ungarischen Hofkanzlei 1785–1787, Karton 32, Nr. 6755, Note des siebenbürgischen Gubernators György Graf Bánffy, 6. Juni 1785. Im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation hatte sich schon seit dem 16. Jahrhundert eine vertraglich und gesetzlich geregelte überterritoriale Strafverfolgung entwickelt. Doch das Königreich Ungarn, lediglich durch die Person des Herrschers mit dem Reich verbunden, lag außerhalb der Reichsgrenzen und somit waren die dort vereinbarten Auslieferungsvereinbarungen etwa für Deserteure, Vagabunden oder Diebe nicht gültig. Aber bis ins 19. Jahrhundert klaffte zwischen Theorie und Praxis eine große Kluft. Eines der Hindernisse für die Auslieferung von geflüchteten Verbrechern war die populationistische Politik der Staaten. Vgl. dazu Lammasch, Heinrich: Auslieferungspflicht und Asylrecht. Eine Studie über Theorie und Praxis des internen Strafrechts. Leipzig 1887, 6; Härter, Karl: Asyl, Auslieferung und politisches Verbrechen während der „Sattelzeit“: Modernität und Kontinuität im Strafrechtssystem. In: Schneider, Ute / Raphael, Lutz: Dimensionen der Moderne. Festschrift für Christoph Dipper. Frankfurt am Main u. a. 2008, 481–502. Auch beim Erlassen von Gesetzen ist diese Tendenz festzustellen, obgleich Jürgen Schlumbohm in einem seiner Artikel von 1997 mit Recht darauf hingewiesen hat, dass Gesetze häufig nicht durchgeführt werden konnten und dass „Gesetze, die nicht durchgeführt werden, ein
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rialstaaten im 18. Jahrhundert – bei anhaltendem Bevölkerungswachstum und immer knapper werdenden Ressourcen – mit dem Auftreten der Armut als Massenerscheinung einher.14 Von Armut waren nicht nur Unterschichten und soziale Randgruppen betroffen, sondern auch städtische und bäuerliche Schichten, die zwar über einem Existenzminimum lebten, aber nach den Maßstäben der Gesellschaft als verarmt galten.15 So gerieten auch sesshafte Unterschichten infolge ihrer Lebensumstände besonders leicht mit dem Gesetz in Konflikt.16 Gegen Ende der Ständegesellschaft nahmen Raub, Diebstahl und Betrug, also die Verletzung von Eigentums- und Vermögensrecht, zuvor unbekannte Ausmaße an. Die Forschung ist sich heute darüber einig, dass das Eigentumsdelikt neben Unzucht die am häufigsten auftretende Deliktgruppe in der frühen Neuzeit war und dass zwischen Bevölkerungsvermehrung und Preisentwicklung einerseits, Eigentums- und Vermögensdelikten andererseits eine Korrelation bestand,17 auch wenn der Nachweis der Kausalität zwischen Krise und Delikten immer einer konkreten Kontextanalyse bedarf. In den Gerichtsakten spiegelt sich nämlich nicht einfach die Zahl der Delikte wider, sondern zugleich die Bewertung der einzelnen Deliktarten durch die Gesellschaft. Unzuchtsfälle waren bis Ende des 18. Jahrhunderts die vielleicht am vehementesten verfolgten und daher auch stets gerichtsrelevanten Kriminaldelikte, während andere, in der frühneuzeitlichen Gesellschaft als Bagatellen erachtete Delikte erst gar nicht Aufnahme in die Akten fanden.18 Auch wenn generelle Aussagen über die Bewertung der Deliktgruppe Raub, Diebstahl und Betrug
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Strukturmerkmal des früheneuzeitlichen Staates“ sind, das zugleich die Grenzen der Sozialdisziplinierung markiert. Vgl. Schlumbohm, Jürgen: Gesetze, die nicht durchgesetzt werden – ein Strukturmerkmal des frühneuzeitlichen Staates? In: Geschichte und Gesellschaft 23, Nr. 4 (1997), 647–663. Vgl. dazu auch Ammerer, Gerhard: „…keine andere Wirkung gehabt, als grosse und unnütze Kosten…“. Strukturelle und mentale Problemlagen bei der Verfolgung von Bettlern und Vaganten im Österreich des Ancien Régime. In: Das achtzehnte Jahrhundert und Österreich, Bd. 16. Wien 2001, 9–21. Vgl. Abel, Wilhelm: Massenarmut und Hungerkrisen im vorindustriellen Deutschland. 3. Aufl. Göttingen 1986; Kluge, Ulrich: Hunger: Armut und soziale Devianz im 18. Jahrhundert. Hungerkrisen, Randgruppen und absolutistischer Staat in Preußen. In: Freiburger Universitätsblätter 26 (1987), Nr. 96, 61–91; Hippel, Wolfgang von: Armut, Unterschichten, Randgruppen in der frühen Neuzeit. München 1995. Ebd. Zum Armutsbegriff vgl. u. a. Bräuer, Helmut: Armut. In: Enzyklopädie der Neuzeit. 15 Bde. Hg. v. Friedrich Jaeger. Stuttgart-Weimar 2005–2012, hier Bd. 1, 2005, Sp. 665–671; Ders.: Armut in der frühen Neuzeit – Sachsen und Österreich im Vergleich. In: Armut und Reichtum in der Geschichte Österreichs. Hg. v. Ernst Bruckmüller. Wien-München 2010, 32–57, hier 36–38. Wettmann-Jungblut, Peter: „Stelen inn rechter hungersnodtt“. Diebstahl, Eigentumsschutz und strafrechtliche Kontrolle im vorindustriellen Baden 1600–1850. In: Verbrechen, Strafen und soziale Kontrolle. Hg. v. Richard van Dülmen. Frankfurt am Main 1990, 133–177; Kappl, Claus: Die Not der kleinen Leute. Der Alltag der Armen im 18. Jahrhundert im Spiegel der Bamberger Malefizamtsakten. Bamberg 1984. Dietrich, Elisabeth: Übeltäter, Bösewichte. Kriminalität und Kriminalisierung in Tirol und Vorarlberg im 19. Jahrhundert. Innsbruck-Wien 1995, 24 f. Vgl. dazu Härter, Karl: Policey und Strafjustiz in Kurmainz. Gesetzgebung, Normdurchsetzung und Sozialkontrolle im frühneuzeitlichen Territorialstaat. Frankfurt am Main 2005, 536 f.;
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im frühneuzeitlichen Europa nach wie vor nicht möglich sind,19 kann diese Gruppe aufgrund ihrer Häufigkeit mit Recht als „frühneuzeitliches Basisdelikt“20 bezeichnet werden. Dieser Ansicht waren auch die Menschen der Zeit selbst. Das vom Coburger Juristen und Amtmann Georg Paul Hönn (1662–1747)21 1721 veröffentlichte und 1730 ergänzte „Betrugs-Lexicon“22 betonte in jeder Ausgabe: „Die Betrügereyen unter denen Menschen wachsen von Tage zu Tage.“23 Die im Lexikon aufgezählten Beispiele zeigen, dass die unter dem Begriff Betrug subsumierten kleineren und größeren Eigentums- und Vermögensdelikte keineswegs nur von professionellen Dieben und Fälschern verübt wurden. Hönn beschreibt über 300 soziale und Berufsgruppen von Abgesandten über Bäcker, Ehemänner, Hof- und Regierungsräte, Journalisten, Mönche, Nachtwächter, Professoren, Regenten und Totengräber bis hin zu Zwirnhändlern, die den Missbrauch „dem rechten Gebrauch“ vorzuziehen bereit waren. Viele Menschen galten als Gelegenheitsbetrüger und nicht wenige führten sogar ein Doppelleben, indem sie ihren Lebensunterhalt nicht allein aus den Einnahmen ihres sonst ehrbaren Berufs bestritten, sondern zusätzlich aus den Erträgen regelmäßiger kleiner Delikte. Hönns Absicht war, sowohl eine Warnung für Betrüger auszusprechen als auch den Betrogenen Aufklärung zu geben und beide Seiten fühlten sich anscheinend gleichermaßen durch sein Buch angesprochen, denn wie ein zeitgenössischer Chronist berichtete, war die erste Auflage von 2.000 Exemplaren rasch ausverkauft und es wurde sofort eine neue Auflage gedruckt.24 Im 18. Jahrhundert erschienen vier Auflagen und zahlreiche Raubdrucke der Veröffentlichung. Das Buch leitete eine Diskussion über den Betrug im Kreis von Aufklärern, Juristen und Amtmännern ein. Nicht wenige von ihnen warfen Hönn sogar vor, mit
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vgl. auch Scheutz, Martin: Alltag und Kriminalität. Disziplinierungsversuche im steirischösterreichischen Grenzgebiet im 18. Jahrhundert. Wien 2001, 53. Griesebner, Andrea: Verbannung statt Todesstrafe? Diebstahl-Prozesse aus dem Erzherzogtum Österreich unter der Enns im 18. Jahrhundert. In: WerkstattGeschichte 42. Essen 2006, 5–24, hier 6. Blasius, Dirk: Sozialgeschichte der Kriminalität. In: Kleines Kriminologisches Wörterbuch. Hgg. v. Günther Kaiser u. a. 3. Aufl. Heidelberg 1993, 490–459, hier 492. Nach juristischen Studien in Altdorf, Groningen und anderen Städten in den Niederlanden, England, Frankreich und Italien (1678–1684) promovierte Hönn in Altdorf zum Dr. jur. und wurde kurze Zeit später in Coburg Hofadvokat und Archivar. Er machte in Coburg als Verwaltungsbeamter Karriere. Vgl. dazu Frey, Edmund: „So lange noch die Creatur auf besseres Leben hofft“: Georg Paul Hönn (1662–1747) zwischen Pietismus und Aufklärung. In: Coburg aus dem „Dintenfas“. Literarische Streifzüge durch vier Jahrhunderte. Hgg. v. Edmund Frey / Reinhard Heinritz. Bucha bei Jena 2006, 107–114. Das Buch erregte eine ebenso große Aufmerksamkeit wie es Anfeindungen auf sich zog. In Böhmen wurde es konfisziert, an manchen Orten sogar verbrannt. Vgl. Franck, Jakob: Hönn, Georg Paul. In: Allgemeine Deutsche Biographie. Hg. v. Rochus Wilhelm von Liliencron. 56 Bde. Leipzig 1875–1912, hier Bd. 13, 1881, 72–74. Hönn, Georg Paul: Das Lexikon der Betrügereien aller Stände im 18. Jahrhundert. Reprint der Ausgabe von 1773. Paderborn 2007, 5. Frey, „So lange noch die Creatur auf besseres Leben hofft“: Georg Paul Hönn, 109.
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seiner Schrift Ratschläge für Betrüger und angehende Betrüger zu erteilen. Doch Hönn betonte, dass die Pflicht eines jeden Christen die Warnung der Mitmenschen vor dem Betrug sei, wobei er zugab, dass dieses Mittel nicht ausreiche und die Territorialherrschaften mehr für den Schutz der Menschen sorgen müssten.25 Die Diskussion über Ausmaß und Bewertung des Betrugs fand auch in der wichtigsten deutschsprachigen Enzyklopädie der Zeit Eingang, dem Universal-Lexicon des Johann Heinrich Zedler: „Der Betrug nun, in engerem Verstande genommen, ist keineswegs zu billigen, sondern als eine Sache, die wider die Liebe des Nechsten läuft, gäntzlich zu verwerffen.“26 Die Urkundenfälschung, die schon seit dem Mittelalter als eine qualifizierte Sonderform des Betrugs galt,27 wurde im Lexikon besonders ausführlich behandelt. Nicht nur wurde beschrieben, was alles unter den Tatbestand der Urkundenfälschung fiel, sondern auch Maß und Form der Strafe im Fall dieses Delikts erörtert. Aus dem Artikel geht zugleich hervor, dass sich die Juristen Mitte des 18. Jahrhunderts über das Strafmaß keineswegs einig waren.28 Da es zu dieser Zeit noch kein gesetzmäßig bindendes kohärentes Strafrecht gab, unterlagen Strafmaß und Strafform dem willkürlichen Ermessen der Richter in den einzelnen Territorien, so konnte z. B. die Urkundenfälschung mit Strafen vom Staupenschlag über die Landesverweisung bis zur Todesstrafe im besonders schwerwiegenden Fall belegt werden.29 Die diskursive Auseinandersetzung mit den häufigen Formen der Devianz diente einerseits der Vereinheitlichung von Strafmaß und Strafform und vor allem der genauen Bestimmung der Straftat. Das Delikt Betrug wurde z. B. erst im 19. Jahrhundert einheitlich als ein „geläufiger strafrechtlicher Tatbestand der Täuschung mit schädigender Wirkung und Bereicherungsabsicht“ definiert.30 Anderer25
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So schrieb Hönn: „Allein wer weis nicht, daß der rechte Gebrauch dem Mißbrauch vorzuziehen und dieser jenen nicht aufhebet. Der Herr, bei welchem kein Betrug jemalen zu finden gewesen lasse diese Entdeckung denen Betrügern zur Reue und Nimmerthun, denen Betrogenen zu künftiger besserer Vorsichtigkeit, denen Unbetrogenen zu einem Kennzeichen, sich vor solchen Fallstricken zu hüten, gereichen, die Gegen-Mittel aber, besonders bei Herren und Obern, zur Abstell- und Vorbeugung solcher Betrügereyen gesegneten Ingreß finden, und verleihe übrigens, daß Treue, Aufricht- und Redlichkeit einander, so lange noch die Creatur auf besseres Leben hofft, auf Erden begangen und küssen mögen.“ Hönn, Das Lexikon der Betrügereien, 10. Johann Heinrich Zedlers Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste. 64 Bde. Halle-Leipzig 1732–1754, hier Bd. 3, 1732, Sp. 1559. Kienapfel, Diethelm: Urkunden im Strafrecht. Frankfurt am Main 1967, 20–38. Vgl. dazu ausführlich Janssen, Heinrich: Der Diebstahl in seiner Entwicklung von der Carolina bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts. Diss. Göttingen 1969. Zedlers Grosses vollständiges Universal-Lexicon, Bd. 51, Sp. 302–305. Ammerer, Gerhard: Heimat Straße. Vaganten im Österreich des Ancien Régime. Wien-München 2003 (Sozial- und Wirtschaftshistorische Studien 29), 446. Ammerer spricht in diesem Zusammenhang sogar von einem „Gummiparagraphen“. Vgl. auch Deutsch, Andreas: Fälschungsdelikte. In: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. Hgg. von Albrecht Cordes u. a. 2. völlig überarb. u. erw. Auflage. Berlin 1971–1998, hier Bd. 1, Sp. 1489–1496. Zur Diskussion und Definition in Ungarn vgl. Madai, Sándor: A csalás tényállása a Csemegi-kódex és az I. büntető novella tükrében [Der Tatbestand des Betrugs im Spiegel der ersten Strafnovelle des Csemegi-Kodex]. In: Jog. Történeti Szemle 2008, Nr. 4, 21–32.
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seits förderten die Diskussionen die „Verrechtlichung“ der gesellschaftlichen Normen insgesamt, die dadurch eine wichtige gesellschaftliche Ordnungsfunktion erfüllten.31 DIE DELINQUENTEN ZIMMERMANN UND BAUER UND IHRE MOTIVE Im Geständnis der beiden Männer zeigt sich die allgemeine Not der fränkischen Kleinbauern im 18. Jahrhundert. Der 45-jährige Zimmermann hatte einen Bauernhof mit 6 ha zu Hause zurückgelassen, wobei er noch zusätzlich eine Erbschaft erwartete, deren Wert sich nach der Versteigerung auf etwa 800 Gulden belaufen sollte. Er gehörte damit scheinbar nicht zu denjenigen, die von der Hand in den Mund leben mussten. Doch Zimmermann, der in zweiter Ehe verheiratet war und vier Kinder zwischen neun und 19 Jahren hatte, sagte aus, dass „im Würzburgischen sehr hart und schlecht zu leben“ sei.32 Sein Hof, mit 6 ha Ackerfeld in drei Fluren geteilt, gehörte in der Tat zu den eher unrentablen Bauernhöfen, denn eine positive Rendite konnte im Fränkischen im Fall eines fruchtbaren Bodens erst ab einer Hofgröße von mindestens 8 ha erwirtschaftet werden.33 Im Hochstift Würzburg waren die Bauernhöfe infolge der raschen Zunahme der Bevölkerung im 18. Jahrhundert nicht nur verkleinert, sondern durch die Realerbteilung auch stark zerstückelt und dazu in Gegenden mit starker Hofparzellierung hoch verschuldet.34 Im Amt Klingenberg wuchs die Bevölkerungszahl von 1.754 im Jahre 1720 auf 3.878 im Jahre 1795 und trotz der Auswanderung führte die Realerbteilung stellenweise zu Landmangel. Wegen der immer knapperen Ressourcen dauerte die bereits 1724 begonnene Auswanderung nach Ungarn während des ganzen Jahrhun-
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Vgl. u. a. Dinges, Martin: Normsetzung als Praxis? Oder: Warum werden die Normen zur Sachkultur und zum Verhalten so häufig wiederholt und was bedeutet dies für den Prozess der „Sozialdisziplinierung“? In: Norm und Praxis im Alltag des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Internationales Round-Table-Gespräch Krems an der Donau, 7. Oktober 1996. Wien 1997 (Forschungen des Instituts für Realienkunde des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Diskussionen und Materialien 2), 39–53; Schnabel-Schüle, Helga: Rechtssetzung, Rechtsanwendung und Rechtsnutzung. In: Devianz, Widerstand und Herrschaftspraxis in der Vormoderne. Studien zu Konflikten im südwestdeutschen Raum (15.–18. Jahrhundert). Hg. v. Mark Häberlein. Konstanz 1999, 293–315. Zu den Diskussionen über die Vermögensdelikte in der Habsburgermonarchie vgl. besonders Ammerer, Gerhard: Das Ende für Schwert und Galgen? Legislativer Prozess und öffentlicher Diskurs zur Reduzierung der Todesstrafe im Ordentlichen Verfahren unter Joseph II. (1781–1787). Wien 2011, 272–275. MOL, E 125, Bü 6, Nr. 1551, Abschrift des Verhörprotokolls vom 4. Mai 1785. Vgl. dazu Schubert, Ernst: Arme Leute, Bettler und Gauner im Franken des 18. Jahrhunderts. Neustadt an der Aisch 1983, 40. Ebd., 37–41; Feineis, Dieter Michael: Übersichten zur Finanz- und Wirtschaftsgeschichte des Hochstiftes Würzburg im 18. Jahrhundert. In: Würzburger Diözesangeschichtsblätter 67 (2005), 205–229; Ders.: Untersuchungen zur Wirtschafts- und Finanzgeschichte des Hochstiftes Würzburg im 18. Jahrhundert. Würzburg 1996.
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derts an.35 Nachdem Joseph II. die Siedlungsmigration 1782 nach Galizien und 1784 nach Ungarn eingeleitet hatte, erreichte die Auswanderung aus dem Hochstift einen erneuten Höhepunkt.36 Das Dorf Schwanfeld im Amt Klingenberg, in dem Zimmermann und Bauer bis zu ihrer Auswanderung lebten, gehörte mit seinem schweren und lehmigen Boden nicht zu den ärmsten Ortschaften. Die Bewohner ernährten sich von Ackerbau und Weinanbau recht gut, einige von ihnen waren sogar wohlhabend.37 Auch Zimmermann gehörte dort zu den Bessergestellten, wurde aber anscheinend durch die Krankheit seiner ersten Frau, welche große Unkosten verursacht hatte, finanziell ruiniert. Denn die in der Regel hohen Kosten für medizinische Versorgung brauchten die minimalen Rücklagen schnell auf, was zu hypothekarischer Belastung von Haus und Hof führen und schließlich die Subsistenz selbst gefährden konnte.38 Zimmermann war also sicherlich einer von jenen ehrbaren Personen, die unverschuldet in eine Krisensituation geraten waren, die aber das Absinken in die real drohende Armut nur durch „Geldherauslügen“ verhindern konnten. Zu diesem Betrugsgeschäft hatte er in seinem Schwager und seinen Bekannten die geeigneten Komplizen gefunden. Auch der 32-jährige Bauer, der sich schon vor Jahren in Schwanfeld eingekauft hatte, besaß einen klein bemessenen Grund, denn er konnte vor der Auswanderung sein Haus und seinen Hof nach eigener Aussage für 280 Gulden und seinen in zwei Stücken liegenden Weingarten für 68 Gulden versteigern.39 Aus dem Protokoll des Würzburger Domkapitels geht allerdings hervor, dass Bauer sein Haus auf Kredit gekauft und diesen bis zum Zeitpunkt seiner Auswanderung noch nicht zurückgezahlt hatte, weshalb er es dem Kreditgeber vor seiner Auswanderung an Zahlungs statt überlassen hatte.40 Sein Hof hatte demnach nicht genug abgeworfen, um seine Frau und seine zwei Kinder mit zwei und fünf Jahren ausreichend ernähren zu können. Vielleicht war er als gelernter Bäcker aber auch nicht in der Lage, eine Bauernwirtschaft erfolgreich zu führen. Als Grund für seine Tat nannte er lediglich „die äußerste Not“, in der er mit seiner Familie hatte leben müssen.41 Aus den Geständnissen geht des Weiteren hervor, dass die beiden Verhörten ein Doppelleben geführt hatten, von dem nur ihr engster Familien- und Freundeskreis 35 36 37 38
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Zu den Angaben vgl. Selig, Robert: Räutige Schafe und geizige Hirten. Studien zur Auswanderung aus dem Hochstift Würzburg im 18. Jahrhundert und ihre Ursachen. Würzburg 1986, 153–165. Pfrenzinger, Mainfränkische Auswanderung. Geographisches Statistisch-Topographisches Lexikon von Franken oder vollständige alphabetische Beschreibung aller im ganzen Fränkischen Kreis liegenden Städte […] mit genauer Anzeige […]. 6 Bde. Ulm 1799–1804, hier Bd. 5, 1802, Sp. 232. Allgemein zum Absinken in Bedürftigkeit und der Folgen vgl. u. a. Dinges, Martin: Aushandeln von Armut in der Frühen Neuzeit: Selbsthilfepotential, Bürgervorstellungen und Verwaltungslogiken. In: WerkstattGeschichte 10 (1995), 7–15. Zu Schwierigkeiten in Krankheitsfällen vgl. Jütte, Robert: Ärzte, Heiler und Patienten. Medizinischer Alltag in der Frühen Neuzeit. München 1991. MOL, E 125, Bü 6, Nr. 1551, Abschrift des Verhörprotokolls vom 4. Mai 1785. StA Wü, Würzburger Domkapitel, Protokolle 1785, 990–992. MOL, E 125, Bü 6, Nr. 1551, Abschrift des Verhörprotokolls vom 4. Mai 1785.
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wusste, weswegen sie auch lange nicht ertappt wurden. Außerdem verfügten alle vier Beteiligten anscheinend über eine gewisse kriminelle Intelligenz. Sie mussten gute Kenntnisse über die Verwaltungsstruktur und die Vorgänge in den Ämtern besitzen, sonst hätten sie eine in der Verwaltungspraxis vorhandene Lücke nicht entdecken und die Obligationen nicht „ordnungsgemäß“ fälschen können. Als eigentlichen Kopf der kleinen Gruppe nannten die beiden Angeklagten Johann Kuhn. Dieser hatte nach Zimmermanns Aussage die Obligationen verfasst, unterschrieben und gesiegelt. Doch auch die anderen drei, welche die Obligationen vorgezeigt und das Geld kassiert hatten, müssen eine charismatische Ausstrahlung und Überzeugungskraft besessen haben, um bei der Abholung des Kredits und der Bezahlung der Zinsraten nicht enttarnt zu werden. Wie die Gruppe schließlich entlarvt wurde, geht aus den Unterlagen nicht hervor. Doch die Männer, die den Beamten der Stifte und des Domkapitels scheinbar mit offenem Visier gegenübergetreten waren, wurden von der Regierung in Würzburg ab dem 18. April 1785 steckbrieflich gesucht. Mathias Haus, der nicht offen agierte, war den Ämtern nicht bekannt und lebte laut Zimmermann noch immer unbehelligt in Schwanfeld. Kuhn konnte vor einer Gefangennahme fliehen, stellte sich jedoch bald nach der Ausschreibung der Fahndung.42 Zimmermann und Bauer wanderten dagegen im Februar 1785 noch vor der Ausschreibung der Fahndung aus und wollten mit ihrer alten Lebensweise als Betrüger brechen. Sie wünschten einen Neuanfang in der Ferne. Dass diese Entscheidung aufrichtig war, geht schon daraus hervor, dass sie bei der Würzburger Regierung einen Antrag auf Auswanderung gestellt hatten und, wie die Ungarisch-Siebenbürgische Hofkanzlei anhand der Einwanderungsakten ersehen konnte, mit ordnungsgemäß ausgestellten Entlassungspässen der Würzburger Regierung in Wien angekommen waren und von den ungarischen Stellen im Februar 1785 für die Ansiedlung angenommen wurden.43 Allerdings hatte Zimmermann seinen Wohnort Schwanfeld heimlich verlassen und sich nach Würzburg begeben, um dort nach eigener Aussage „mit listigem Vorwand“ einen Auswanderungspass zu erhalten.44 Dagegen hatte Bauer den legalen Weg der Auswanderung gewählt und vor seinem Weggang alle Schulden zu Hause beglichen.45 DIE ZWISCHENSTAATLICH AUSGEHANDELTE STRAFE Die beiden Männer wurden in Ungarn schnell gefasst, was nicht zuletzt der Tatsache zu verdanken war, dass die in überregionalen kaiserlichen Zeitungen abgedruckte Fahndung auch in der Batschka gelesen wurde. Ein Gerichtsschreiber in Sombor, Karl von Heimbucher, wurde auf beide verdächtige Kolonisten aufmerk42 43 44 45
StA Wü, Würzburger Domkapitel, Protokolle 1785, o. fol. ÖStA, HHStA, Staatskanzlei, Noten von der Ungarischen Hofkanzlei 1785–1787, Karton 32, Nr. 4400, Note des ungarischen Kanzlers Karl Graf Pálffy vom 18. April 1785. MOL, E 125, Bü 6, Nr. 1551, Abschrift des Verhörprotokolls vom 4. Mai 1785. Ebd.
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sam und spürte sie schnell auf, wofür unter anderem die von der würzburgischen Regierung in Aussicht gestellte Belohnung ausschlaggebend war. Er ließ sie gefangen nehmen und das bei ihnen gefundene Bargeld von 1.596 fl. beschlagnahmen. Außerdem war er derjenige, der die beiden Kolonisten „zu einem gutwilligen Geständniß ihrer That“ überredete,46 was mit Sicherheit auch die Aufklärung der beiden Männer über die ungarischen Rechtsverhältnisse und über ihre Chancen bei einem Schuldbekenntnis beinhaltete. In der Tat waren beide Kolonisten bereit, die direkte mündliche Kommunikation mit ihrer Obrigkeit,47 vertreten durch die Repräsentanten der ungarischen Behörden, strategisch zu nutzen. Besonders Zimmermann, der sich als einer der Anfertiger der falschen Obligationen herausstellte und deshalb bei einer Auslieferung nach Würzburg mit der Todesstrafe rechnete, war gewillt, die Tat zu schildern, um eine Strafmilderung auszuhandeln. Er war auch sofort bereit, den verursachten Schaden durch Verzicht auf sein ausstehendes Erbe und den Erlös seiner Immobilien zu Hause zu ersetzen.48 Seine Beteuerung, dass er das aus dem Betrug übrig gebliebene Geld von 600 Gulden der würzburgischen Regierung zurückschicken wollte, nachdem er erfahren hatte, „dass mann hierlandes als Colonist aus Gnade Sr. Mayestät so viel bekomt, wovon mann ehrlich leben könne“,49 war dagegen eine Verlegenheitserklärung, aber sie zeigte das Bemühen Zimmermanns, als Kolonist in der Batschka bleiben zu wollen. Den gleichen Wunsch hatte auch Bauer vor dem Gericht geäußert. Das Gericht hatte beiden Tatverdächtigen die gleichen fünf Fragen gestellt, aus denen hervorgeht, dass man in Ungarn zwar um die Feststellung des Tatbestands, vor allem der Komplizenschaft der Männer sowie der Herkunft und Höhe des Geldbetrags bemüht war, sich aber nicht für das Tatmotiv und eine genaue Beschreibung des Hergangs der betrügerischen Handlung interessierte. Auch wurde die Tat durch das Gericht nicht bewertet. Nach dem offiziellen Verhör arretierte man die beiden Delinquenten in Sombor und der Kameralbezirk wartete auf weitere Anweisungen der obersten ungarischen und Wiener Behörden, die ihrerseits das Entscheidungsrecht in die Hände der Regierung in Würzburg legten. Die Antwort aus Würzburg ließ jedoch monatelang auf sich warten. Ein Grund dafür war höchstwahrscheinlich die von der Ungarisch-Siebenbürgischen Hofkanzlei abgegebene Stellungnahme zu dieser Angelegenheit, die von der Staatskanzlei in Wien nach Würzburg weitergeleitet wurde. Am 6. Juni 1785 empfahl nämlich die Ungarisch-Siebenbürgische Hofkanzlei auf Vorschlag der Ungarischen Hofkammer, die Nichtauslieferung der beiden Männer nach Würzburg in Betracht zu ziehen. Die Ungarisch-Siebenbürgische Hofkanzlei machte sich damit den Standpunkt der Kameralbehörden zu eigen, die zwar den Standpunkt vertraten, dass die beiden unter Verdacht geratenen Män46 47
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MOL, E 125, Bü 6, Nr. 1882, Bittschrift des Gerichtsschreibers an den Statthalterrat, 20. Juli 1786. Zu kommunikativen Motiven und Mechanismen des Geständnisses vgl. u. a. Niehaus, Michael: „Wirkung einer Naturkraft“. Das Geständnis und sein Motiv in Diskursen um 1800. In: (Hg.): Sozialgeschichte des Geständnisses. Zum Wandel der Geständniskultur. Hgg. v. Jo Reichertz / Manfred Schneider. Wiesbaden 2007, 43–73. MOL, E 125, Bü 6, Nr. 1551, Abschrift des Verhörprotokolls vom 4. Mai 1785. Ebd.
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ner „in der Stille ohne Gerausch, noch Aufsehen in Verhaft [zu] nehmen, sie behörig, und ordentlich über das ihnen zur Last legende verhören [zu] seien“,50 doch wollten sie eine Auslieferung der beiden Kolonisten vermeiden. Im Schreiben der Ungarisch-Siebenbürgischen Hofkanzlei am 6. Juni wird auch der Grund genannt, dass nämlich, „bei erfolgenden Auslieferung dieser Leute, welche sich während ihres Aufenthalts in disseitigen Staaten wohlverhalten haben, unter den übrigen neu angesiedelten Kolonisten (die sich etwa eines gleichen oder noch grösseren Verbrechens schuldig wissen, mithin auch ein gleiches Schicksall, dem sie entgangen zu seyn glaubten, zu befürchten hätten) Gährungen entstehen würden, und daher zum Theil ihre Entweichung zu besorgen stünde.“51 Offenbar war also der Fall der beiden Kolonisten, die nach einem Delikt in der Auswanderung einen Ausweg aus ihrer verfahrenen Lage sahen, keineswegs eine Ausnahme. Die ungarischen Behörden waren sich dessen bewusst, dass die Auswanderung für jene Menschen, die sich von der Kriminalität lossagen und ein neues Leben führen wollten, eine einmalige Chance war. Frühneuzeitliche Staaten, die aus politischen oder ökonomischen Gründen die Einwanderung förderten, waren wiederum gewillt, diese Möglichkeit anzubieten. Auch das Königreich Ungarn war bereit, nicht am Vorleben von Einwanderern zu rühren, die gegen das Gesetz in ihrer Heimat verstoßen hatten, solange diese sich in Ungarn an die gültigen Rechtsnormen hielten. Die Denkweise der ungarischen Behörden war von utilitaristischen und fiskalischen Gesichtspunkten bestimmt. Die Einwanderung von in der Landeskultivierung versierten Arbeitskräften wurde im Ungarn des 18. Jahrhunderts als eines der wirksamsten Mittel betrachtet, um die dringend erforderlichen Transformationsprozesse in Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur durchzuführen. Deutsche Bauern und Handwerker wurden dazu gezielt eingeladen. Zweck der Strafe im Fall der beiden Kolonisten war somit weder Verurteilung noch Abschreckung, sondern vielmehr die Aufrechterhaltung der Ruhe und der Sicherheit unter den neuen Ansiedlern bei gleichzeitiger Bewahrung der potenziellen Arbeitskraft und Arbeitsfähigkeit der beiden von den Normen abweichenden Kolonisten. Aus dem Schriftwechsel der ungarischen Behörden geht hervor, dass sie bestrebt waren, im Interesse beider Parteien nicht nur den eigenen Spielraum, sondern auch den diplomatischen Weg zu nutzen, um die beiden Arretierten auf freien Fuß zu setzen und sie in Ungarn zu behalten.52 Nicht zufällig wurde der Wunsch der beiden Delinquenten im Verhörprotokoll festgehalten, in Ungarn als Kolonisten bleiben zu wollen. Für sie hätte diese Lösung Strafmilderung bedeutet, für die ungarischen Kameralbehörden wiederum Vermeidung eines finanziellen Verlustes. Denn allein die Fahrt der sechsköpfigen Zimmermannschen Familie hatte die Ungarische Hofkammer 50 51 52
ÖStA, HHStA, Staatskanzlei, Noten von der Ungarischen Hofkanzlei 1785–1787, Karton 32, Nr. 4400, Note des ungarischen Kanzlers Karl Graf Pálffy, 18. April 1785. Ebd., Karton 32, Nr. 6755, Note des siebenbürgischen Gubernators György Graf Bánffy, 6. Juni 1785. Zur Aushandlung von Sanktionen in den deutschen Territorialstaaten vgl. Härter, Karl: Strafverfahren im frühneuzeitlichen Territorialstaat: Inquisition, Entscheidungsfindung, Supplikation. In: Kriminalgeschichte. Beiträge zur Sozial- und Kulturgeschichte der Vormoderne. Hgg. v. Andreas Blauert / Gerd Schwerhoff. Konstanz 2000, 459–480.
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24 Gulden, die der vierköpfigen Bauerschen Familie 16 Gulden Reisegeld gekostet, von den Versorgungsausgaben für die insgesamt 10 Personen ganz zu schweigen. Das tägliche Verpflegungsgeld war von der Hofkammer mit zwei Kreuzern für Erwachsene und mit einem Kreuzer für Kinder angesetzt.53 Als Ende 1785 noch immer keine Antwort der Regierung in Würzburg vorlag, wandte sich der Somborer Kameralbezirk am 17. Januar 1786 an den Statthalterrat und erinnerte noch einmal an den Fall der beiden Kolonisten, die sich schon seit neun Monaten in Arrest befanden. Der Zeitpunkt der erneuten Beschäftigung des Kameralbezirks mit der Angelegenheit der beiden Kolonisten war nicht ganz zufällig gewählt, denn nach der ungarischen Strafpraxis setzten die Behörden eine Kerkerstrafe über neun Monate mit der Todesstrafe gleich.54 In diesem Fall handelte es sich allerdings lediglich um ein Gefangensetzen im Arrest, dennoch drängte der Kameralbezirk auf eine baldige Entscheidung. Dabei argumentierte er nicht zuletzt damit, dass die tägliche Verpflegung der beiden mit 17 Kreuzern pro Person aus der beschlagnahmten Summe beglichen und somit der für die würzburgische Regierung zu überweisende Betrag von Tag zu Tag vermindert werde. Doch der Kameralbezirk betrachtete die Angelegenheit der Kolonisten weder als einen rein juristischen noch einen bloßen finanziellen Fall. Es ging schließlich um zwei noch unversorgte Familien, denn solange die beiden Männer arretiert waren, konnte keine Ansiedlung ihrer Familien auf einem Bauernhof erfolgen und für ihre Verpflegung musste die Kameraladministration aufkommen. Der Kameralbezirk war nicht zuletzt besorgt, dass die Familienväter im Arrest „bei dem ständigen Sizen [sic!] ihre Gesundheit einbüssen“ und ihre Arbeitskraft verlieren könnten, wodurch ihre Familien zum dauerhaften Versorgungsfall werden würden.55 Dass diese Sorge nicht grundlos war, zeigte sich, als Zimmermanns Frau bald darauf im Kindbett starb und nun fünf Kinder auf Kosten der Hofkammer versorgt werden mussten.56 Die Ungarisch-Siebenbürgische Hofkanzlei wandte sich am 13. Februar 1786 erneut an die Staatskanzlei.57 Diese beauftragte den kaiserlichen Vertreter beim Fränkischen Reichskreis, Ferdinand Graf von Trauttmannsdorff, die Angelegenheit in Würzburg zu beschleunigen, „um diese Leute durch längere Vorenthaltung eines Verdienstes nicht ganz der drohenden Armuth auszusetzen.“ Am 16. März 1786 traf schließlich die erwünschte Antwort aus Würzburg bei der Staatskanzlei in Wien ein.58 Darin verzichtete die fürstbischöfliche Regierung auf die Auslieferung der 53 54 55 56 57 58
ÖStA, FHKA, Hungarische Resolutionsbücher, Bd. 16, fol. 208–210. Vgl. dazu Mezey, Barna: Der Kerker und die Freiheitsstrafe im Strafsystem. Der symbolische Ausdruck der Funktionen der Freiheitsstrafe. In: Strafzweck und Strafform zwischen religiöser und weltlicher Wertevermittlung. Hgg. v. Reiner Schulze u. a. Münster 2008, 89–103, hier 93. MOL, E 125, Bü 6, Nr. 428, Schreiben des Leiters des Kameralbezirks Michael von Ürményi an den Statthalterrat, 17. Januar 1786. MOL, E 125, Bü 6, Nr. 1551, Schreiben des Leiters des Kameralbezirks Michael von Ürményi an den Statthalterrat, 19. Juni 1786. ÖStA, HHStA, Staatskanzlei, Noten von der Ungarischen Hofkanzlei 1785–1787, Karton 32, Nr. 1517, Note des ungarischen Kanzlers Karl Graf Pálffy vom 13. Februar 1786. Das Antwortschreiben wurde von Christian Johann Baptist von Wagner angefertigt, der als Hofrat und Mitglied des geheimen Referendariats des Fürstbischofs eine Zeit lang für alle
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beiden Verbrecher und ersuchte lediglich um die Überweisung des beschlagnahmten Betrags und des Verhörprotokolls, um weitere beschädigte rechtmäßige Eigentümer wenigstens teilweise entschädigen und weitere an der Tat Beteiligte ausfindig machen zu können.59 Obwohl der Entschluss der Regierung in Würzburg nicht näher erläutert wird, ist doch anzunehmen, dass diese nicht gegen die eigenen Prinzipien handelte. Außerdem war Fürstbischof Franz Ludwig von Erthal ein überzeugter Anhänger des Naturrechts und als solcher zu Reformen auch der Strafrechtspflege in seinem Land entschlossen. Seit 1781 griff er deshalb zunächst korrigierend in das Begnadigungs- und Bestätigungsrecht ein.60 Mit der allgemeinen Verbreitung der Naturrechtslehre im 18. Jahrhundert veränderte sich die Auffassung über das Wesen des Menschen, wonach dieser als ein vernünftig handelndes Individuum und als solches als erziehbar galt. So waren die wichtigsten Methoden zur Kriminalitätsbekämpfung neben der Bestrafung nun Erziehung und Aufklärung bzw. Abschreckung. Das Verbrechen wurde außerdem nicht mehr als Ausnahmezustand, sondern als Teil der gesellschaftlichen Realität betrachtet, wobei zwischen Berufs- und Alltagskriminalität scharf unterschieden wurde. Gauner, die vom regelmäßigen Übertreten der Gesetze lebten und etwa vom schwäbischen Theologen Johann Ulrich Schöll als „politische Blutigel“ und „Pest“ bezeichnet wurden,61 galten als Bedrohung der gesellschaftlichen Ordnung.62 Dagegen begann man gerade ausgehend von der Naturrechtslehre über Eigentumsdelikte aus Hungersnot zu diskutieren63 und erwog in der Jurisprudenz auch eine eigene Behandlung dieser De-
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Justiz- und Policeygegenstände zuständig war. In seiner Autobiografie notierte er die sehr zeitaufwendige Arbeitsmethode des Bischofs, weil alle Angelegenheiten dem Bischof vorgelegt werden mussten. Vgl. Autobiographie des Staatsrats Christian Johann Baptist von Wagner. In: Archiv des historischen Vereins von Unterfranken und Aschaffenburg 47 (1905), 1–124, hier 33. ÖStA, HHStA, Staatskanzlei, Noten von der Ungarischen Hofkanzlei 1785–1787, Karton 32, Nr. 5335, Copia der Abschrift der Hofkanzlei für den Ungarische Statthalterrat, 18. Mai 1786. Wagner schrieb dazu, der Fürstbischof „schaffte die Tortur und alle Gattungen derselben ganz ab, ging auch schon mit dem Gedanken um, ein eigenes peinliches Gesetzbuch für die beiden Länder Bamberg und Würzburg aufzustellen.“ Autobiographie des Staatsrats Christian Johann Baptist von Wagner. In: Archiv des historischen Vereins von Unterfranken und Aschaffenburg 47 (1905), 1–124, hier 32. Vgl. auch Flurschütz, Hildegunde: Die Verwaltung des Hochstifts Würzburg unter Franz Ludwig von Erthal (1779–1795). Würzburg 1965, 33–65; Schütz, Hans: Die Kriminalgesetzgebung des Fürstbischofs Franz Ludwig von Erthal. In: Franz Ludwig von Erthal, Fürstbischof von Bamberg und Würzburg 1779–1795. Hg. v. Renate Baumgärtel-Fleischmann. Bamberg 1995, 318–323, hier 319. Schöll, Johann Ulrich: Abriss des Jauner und Bettelwesens in Schwaben nach Akten und andern sichern Quellen. Stuttgart 1793, Vf. Vgl. dazu Becker, Peter: Der Verbrecher zwischen Dämonisierung und Normalisierung. Überlegungen zur Kriminologie des 19. Jahrhunderts. In: Normierte Lebenswelten. Hgg. v. Margareth Lanzinger / Martina Scheutz. Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit 4, H. 1 (2004), 53–78; Diese Form des Diebstahls gehörte zur alltäglichen Praxis in Europa und wurde in den Gemeinden und also auch in den ungarischen Dörfern nicht als Delikt geahndet. Als Eigentumsdelikt aus Hungersnot galt, wenn etwa eine schwangere Frau Lebensmittel gestohlen oder ein Fremder, um seinen Hunger zu stillen, in den Weinbergen oder Obstgärten Früchte entwendet hatte.
Normverletzung als Auswanderungsgrund
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likte.64 Dass Zimmermann und Bauer zu den Menschen gehörten, die aus Hungersnot zu Verbrechern wurden, muss verneint werden. Aber mit Sicherheit gehörten sie nicht zu den Berufsverbrechern und auch nicht zu den aus Sicht der Behörden als gefährlich geltenden vagabundierenden Verbrechern. So fiel es der würzburgischen Regierung, der die sichergestellte Restsumme des unterschlagenen Geldes überwiesen wurde, wahrscheinlich nicht schwer, auf die Auslieferung der beiden Delinquenten zu verzichten und die Strafform den ungarischen Behörden zu überlassen. Am 18. Mai 1786 wies die Ungarisch-Siebenbürgische Hofkanzlei den Statthalterrat in einem Schreiben an, die Angelegenheit der beiden Kolonisten im Sinne der würzburgischen Regierung abzuschließen, das beschlagnahmte Geld, nach Abzug der Verwaltungskosten insgesamt 1.334 fl. 57 x, zu überweisen und die beiden Kolonisten, „welche über den bereits ausgestandenen Arrest noch jeder ins besonderen mit 12 Stockstreichen zu bestrafen, und sowohl ohne weiteren jedoch mit genauer Aufsicht auf ihre künftiges Betragen Verwendung und Fleiß auf freyen Fuß zu setzen.“65 Neben der im Arrest abgesessenen Zeit und der Konfiszierung der Barschaften war die Stockstrafe ein eher symbolischer Abschluss des Verfahrens. Die Stockstrafe, die in Ungarn in der Regel nur bei Bauern angewandt und öffentlich durchgeführt wurde, gehörte zu den häufigsten Strafformen.66 Sie war zwar schmerzhaft und zugleich auch schandvoll, gehörte sie doch zu den Ehrenstrafen,67 aber sie beeinträchtigte die Arbeitskraft der Bauern nicht. RESÜMEE Am Beispiel des Vorgehens der beiden Regierungen werden Strafzweck und Strafform klar erkennbar. Das Hochstift Würzburg verfolgte anfangs ein repressives Modell, als es die Auslieferung der beiden Delinquenten verlangte, um sie nach eigenen Landesgesetzen abzustrafen. Eine Rückkehr in die alte Heimat hätte für sie eine härtere Strafe und den Verlust jeder Lebensgrundlage bedeutet. Die Folge davon wäre für beide Familien ein Leben auf der Straße und somit die Kriminalisie-
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Vgl. dazu Tárkány Szücs, Ernő: Magyar jogi népszokások [Ungarische Rechtsvolksbräuche]. Budapest 1981, 783 f. Dorn, Franz: „Not kennt kein Gebot“. Der Notdiebstahl (‚Stehlen in rechter Hungersnot‘) in der frühneuzeitlichen Strafrechtsdogmatik. In: Arme und ihre Lebensperspektiven in der Frühen Neuzeit. Hg. v. Sebastian Schmidt. Frankfurt am Main 2008, 207–236. ÖStA, HHStA, Staatskanzlei, Noten von der Ungarischen Hofkanzlei 1785–1787, Karton 32, Nr. 5335, Copia der Abschrift der Hofkanzlei für den Ungarische Statthalterrat, 18. Mai 1786, Nr. 10040, Note von Pálffy, 4. September 1786. Czizmadia, Andor / Kovács, Kálmán / Asztalos, László: Magyar állam- és jogtörténet [Staats- und Rechtsgeschichte Ungarns]. 5. Aufl. Budapest 1991, 260, 270; Hajdu, Lajos: Bűnözés és büntetésbíráskodás a XVIII. század hetvenes éveinek Magyarországában [Verbrechen und Strafgerichtsbarkeit in den 1770er-Jahren in Ungarn]. Budapest 1996, S. 153. Die verurteilte Person verlor bei dieser Strafe in der Regel ihr gesellschaftliches Ansehen. Im damaligen Ungarn gehörte die Stockstrafe allerdings zum Alltag. Vgl. zum Thema auch Kubiciel, Michael: Shame Sanctions – Ehrenstrafen im Lichte der Straftheorie. In: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 118 (2006), 44–75.
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rung gewesen. Dagegen verfolgten die ungarischen Stellen die Taktik einer Entkriminalisierung. Ihre Rechts- und Ordnungsvorstellung war in den Kameralgebieten mit ihren neuen Ansiedlern vom Ziel der Bevölkerungsvermehrung geleitet. Das grundlegend populationistisch-utilitaristisch geprägte Ziel erforderte besondere Maßnahmen. Diese sollten nicht nur die allgemeine „policeyliche“ Ordnung in den Kameralgebieten sichern, wo innerhalb von wenigen Jahren mehrere Tausend Menschen eingewandert waren, die ihre neue Existenz in einem für sie fremden sprachlichen, sozialen und kulturellen Milieu suchten, was unvermeidbar zu Spannungen zwischen Alteingesessenen und Einwanderern führte. Auch mussten diese Maßnahmen die bäuerliche Arbeit regeln, um das Ziel der Landeserschließung und Landeskultivierung erfüllen zu können. Einst begangene Verbrechen und Sünden waren unter diesem Aspekt irrelevant und sollten gewissermaßen durch die schwere Arbeit als Kolonist abgegolten werden. Der Fall der beiden Betrüger bestätigt somit die Feststellung Karl Härters, dass im 18. Jahrhundert nicht nur juristische Gesichtspunkte die Intentionen, Zwecke, Formen und Höhe der Strafen bestimmten, sondern auch außerjuristische, wie etwa ökonomische oder soziale Faktoren.68 So gesehen ist auch nicht die Bewertung der Normverletzung oder der vorhandene Unterschied zwischen den strafrechtlichen Normen in der alten und der neuen Heimat ausschlaggebend, zumal die Entscheidungs- und Strafpraxis sowohl auf der einen als auch auf der anderen Seite auf einer Pluralität strafrechtlicher Normen beruhte. Vielmehr war der Strafzweck durch den Staatszweck bestimmt. Im Königreich Ungarn war die Ackerbauwirtschaft eines der das ganze 18. Jahrhundert lang verfolgten großen Reformziele. Dementsprechend wurde die Rolle der Landbevölkerung, insbesondere der Kontribution zahlenden und das Land kultivierenden Bauern, aufgewertet und bäuerlichen Einwanderern der Neuanfang bei Gewährung zahlreicher Begünstigungen eingeräumt. Die Taktik der Ungarischen Hofkammer ging auf. Nach der Entlassung der Kolonisten aus dem Arrest am 18. Juli 1786 wurden beide Familien in Kula mit allen den Kolonisten zustehenden Benefizien und Begünstigungen angesiedelt.69 Zwar stehen uns über die Familie Bauer keine weiteren Informationen zur Verfügung, aber Zimmermanns Fall zeigt, dass er zu gesellschaftlicher Normalität zurückfand: Er zog mit seinen Kindern bald nach Batschsentiwan, wo er bereits im September 1786 eine Kolonistenwitwe heiratete.70 Die immer größer werdende Sippe Zimmermann ist in den Matrikeln von Batschsentiwan und Kula bis zum Zweiten Weltkrieg zu finden.
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Härter, Karl: Praxis, Formen, Zwecke und Intentionen des Strafens zwischen Aufklärung und Rheinbundreformen (1770–1815). Das Beispiel Kurmainz/Großherzogtum Frankfurt. In: Schulze (Hg.), Strafzweck und Strafform, 217. MOL, E 125, Bü 6, Nr. 1882, Meldung des Kameralbezirks an den Statthalterrat, 31. Juli 1786. Schuy, Jakob / Scherer, Paul: Ortssippenbuch Batschsentiwan 1763–1827. Lappersdorf 1992, 536 f.
AUSSEREHELICHES ZUSAMMENLEBEN IM LÄNDLICHEN RAUM IN DER ZWEITEN HÄLFTE DES 19. JAHRHUNDERTS AM BEISPIEL DER SIEBENBÜRGER RUMÄNEN1 Daniela Deteşan PROBLEMATISIERUNG Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts breitete sich auch in Siebenbürgen das außereheliche Familienmodell aus. Paradoxerweise verstetigten sich inmitten einer mehrheitlichen, in Tradition und Religion verankerten, ländlichen Bevölkerung die so genannten „Konkubinate“ (rum. concubinaje), das „illegale Zusammenleben“ (convieţuiri ilegale), die „sündhaften Bindungen“ (legăminte păcătoase), „wilde Ehen“ (căsătorii sălbatice), „unverzeihlichen Liebesbeziehungen“ (relaţii de amor neiertat) und „schmutzigen und schändlichen Ehen“ (căsătorii murdare şi nelegiuite), obwohl von der Kirche verdammt und vom Staat missbilligt. Das außereheliche Zusammenleben skandalisierte die Gemeinden und wurde als ein „abscheuliches Laster“ (viciu urât) betrachtet, als ein unannehmbares Umkippen hergebrachter Werte und eine für die Moralität schwerwiegende Gefahr. Das anome Verhalten und die Gleichgültigkeit gegenüber gesellschaftlichen Normen erfasste Arm und Reich, Jung und Alt, Eingesessene und Zugewanderte, Dienstpersonal und Herrschaften, Gläubige und Pfarrer. Die Zeitquellen potenzieren und verschärfen die Dimensionen dieser Erscheinung: Soldaten, die mitten in der Nacht Jungfrauen verführen und entführen und von einem Ort zum anderen und von einer Pfarrei zur nächsten wechseln, mit diesen wie mit Ehefrauen zusammenleben, Jugendliche, die unvermählt mit Mädchen und Frauen zusammen wohnen, Ehemänner, die ihre Ehegatinnen verlassen und mit anderen Frauen Konkubinate eingehen, beurlaubte Soldaten, die sich in schändlicher und verbrechericher Art und Weise mit Frauen verbinden und das Sakrament der Ehe verletzen.2 Mit anderen Worten: Exzesse, widerrechtliches Verhalten, Normverstöße, Dekadenz, Missbrauch, ein allgemeines Übel und gänzliches Zugrunderichten wesentlicher Moralgrundsätze, dem nur durch das „Strafgericht von Sodom und Gomorra“ entgegnet werden konnte.3 1 2 3
Für die Übersetzung dieses Beitrags aus dem Rumänischen ist der Herausgeber Frau Dorothea Wolf, München, zu großem Dank verpflichtet. Arhivele Naţionale ale României, Direcţia Judeţeană Cluj (SJAN Cluj) [Rumänisches Nationalarchiv, Kreisdirektion Klausenburg], Fond Episcopia greco-catolică de Cluj-Gherla (FECG) [Bestand Griechisch-katholische Diözese Cluj-Gherla], 556/1858, 633/1858. Retegan, Simion: Reglementări oficiale şi reacţii populare privind vârsta maritală la românii din Transilvania la mijlocul secolului al XIX-lea (1850–1870) [Amtliche Reglementierungen
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Im ausgehenden 19. Jahrhundert nahmen die illegitimen Geburten zu und führten im Untersuchungsraum zu einem Anstieg des unehelichen Fertilitätsindexes,4 für den vom European Fertility Project ein hoher, mit einigen Gegenden Österreichs – Kärnten5 beispielsweise – oder mit Schweden,6 Island,7 Schottland8 oder dem nordöstlichen Frankreich9 vergleichbarer Wert (Ih = 0,10) ermittelt wurde.10 Die negativ konnotierten, unvorteilhaften Bezeichnungen der außerhalb der Ehe geborenen Kinder sind aufschlussreich für die Schmach und Schande, die auf ihnen lastete. Die heutzutage überwundene Begrifflichkeit des 19. Jahrhunderts verweist unmissverständlich auf soziale Stigmatisierung: „Verunreinigt(e)r“ (rum. spuriu), Bastard (bitang), oder „in schändlichem Bett geboren“ (născut din pat nelegiuit). Aus dem amtlichen Diskurs ist zweifelsohne auf einen Niedergang traditioneller Verhaltensweisen zu schließen. Auf welche Faktoren ist diese Entwicklung zurückzuführen? Waren es Ursachen, die nur für Siebenbürgen oder auch für andere euro-
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und Reaktionen der unteren Bevölkerungsschichten bezüglich des Heiratsalters bei den Siebenbürger Rumänen Mitte des 19. Jahrhunderts, 1850–1870]. In: Populaţia României. Trecut, prezent, viitor [Die Bevölkerung Rumäniens. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. Hg. v. Traian Rotariu / Sorina Paula Bolovan / Ioan Bolovan. Cluj-Napoca 2006, 205. Der Indikator ‚Fertilitätsindex‘ gibt die prozentuale Abweichung der Geburten je Frau vom Durchschnittswert eines Bezugsraumes wieder. Sumnall, Catherine: Micro-Geographies of Illegitimacy and Social Change in The Gurk Valley, 1870 to 1960. In: Families in Europe between the 19-th and 21-st centuries. From the Traditional Model to the Contemporary PACS. Hg. v. Antoinette Fauve-Chamoux / Ioan Bolovan. Cluj-Napoca 2009, 251–289. MatoviĆ, Margareta R.: The Stockholm Marriage. Family formation and choise of partners in Stockholm, 1850–1890. Stockholm 1984; Dies.: Illegitimacy and marriage in Stockholm in the nineteenth century. In: Bastardy and its Comparative History. Studies in the history of illegitimacy and marital nonconformism in Britain, France, Germany, Sweden, North America, Jamaica and Japan. Hg. v. Peter Laslett / Karla Oosterveen / Richard M. Smith. London 1980, 336–345. Gardarsdóttir, Ólöf: The implications of illegitimacy in the late nineteenth-century Iceland. The relationship between infant mortality and the household position of mothers giving birth to illegitimate children. In: Continuity and Change 15, H. 3 (2000), 435–461. Blaikie, Andrew: Of illegitimacy, sex and society: Northeast Scotland, 1750–1900. Oxford 1993; Ders.: Motivation and motherhood. Past and present attributions in the reconstruction of illegitimacy. In: Sociological Review, 43, H. 4 (1995), 641–657; Ders.: Scottish Illegitimacy: Social Adjustment or Moral Economy? In: Journal of Interdisciplinary History XXIX (1998), 221–241. Fauve-Chamoux, Antoinette: Family formation, marital cohabitation and house system in a changing socio-economic context. In: Transylvanian Review XVIII (2009), Supplement 1, 2009, 133–146; Brunet, Guy / Pinol, Jean-Luc: Vulnerable and unsteady: life histories and changes of residence of unwed mothers in Lyon at the end of the nineteenth century. In: Continuity and Change 25, H. 2 (2010), 263–284. Shorter, Edward / Knodel, John / de Walle, Etienne: The Decline of non-marital fertility in Europe, 1880–1940. In: Population Studies 25, H. 3 (1971), 387; Lee, William Robert: Bastardy and the socio-economic structure of south Germany. In: Journal of Interdisciplinary History 7, H. 3 (1977), 403–425; Kok, Jan: Passion, reason and human weakness. The European marriage pattern and the control of adolescent sexuality. In: Marriage and the Family in Eurasia. Perspectives on the Hajnal hypothesis. Hg. v. Theo Engelen / Arthur P. Wolf. Amsterdam 2005, 343–367.
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päische Regionen spezifisch waren? Handelt es sich etwa um klassische Zwänge wirtschaftlicher, rechtlicher, demografischer und sozialer Natur oder um den zügellosen Zeitgeist und die Erschlaffung moralischer Normen und Werte vor dem Hintergrund der geschichtswissenschaftlich längst geklärten „sexuellen Revolution“? Was war der tatsächliche Umfang des Phänomens? War dieses Familienmodell ein Ergebnis gesellschaftlicher Verletzlichkeit? Welche Rolle spielte die steigende räumliche und soziale Mobilität der Gesellschaft? Inwieweit und warum hat die siebenbürgische Gesellschaft dem Modell des unehelichen Zusammenlebens Verständnis entgegengebracht? Wie verhielt sie sich gegenüber außerehelichen Geburten? Das Großfürstentum Siebenbürgen (rum. Transilvania, Ardeal, ung. Erdély) oder das so genannte engere, „historische Siebenbürgen“ stellte einen stark individualisierten geographischen Raum dar, der im Jahre 1850 eine Fläche von 60.700 km2 einnahm11 und zwei Jahre zuvor 2,2 Milionen Einwohner zählte.12 Im Osten und Süden von den Karpaten umgeben, hebt sich die Provinz von den benachbarten Gebieten durch spezifische Entwicklungsmerkmale ab. Ein Mosaik verschiedener Ethnien (Rumänen, Ungarn, Deutsche, Juden, Armenier, Zigeuner, Slowaken, Ruthenen, Kroaten, Serben) und unterschiedlicher Konfessionsangehöriger (Orthodoxe, Griechisch-Katholische oder Unierte, Reformierte, Evangelisch-Lutherische, Unitarier, Israeliten), die mehr nebeneinander als miteinander lebten und der Provinz eine eigenartige Prägung verliehen. Die Sprachen- und Konfessionenvielfalt findet sich in der kulturellen und institutionellen Komplexität des Landes wieder. Unter diesen Gesichtspunkten entspricht der Untersuchungsraum dem neoabsolutistischen Jahrzehnt (1849–1860), der „deutschen Zeit“ (rum. vremea nemţilor), wie sie häufig bezeichnet wurde, der als „wunderbare Jahre“ (anii mirifici) apostrophierten liberalen Übergangszeit (1860–1867) und der Ära, die mit dem Ausgleich angebrochen ist und mit dem Zusammenbruch der Doppelmonarchie zu Ende ging (1867–1918). Die ländliche Bevölkerung bildet die Zielgruppe der Untersuchung. Die Berufsstruktur der Provinzbevölkerung war dominant landwirtschaftlich geprägt, wobei vor allem die orthodoxe und unierte rumänische Mehrheitsbevölkerung einen ausgesprochen ländlichen Charakter hatte. Damit sind im klassischen Verständnis Ackerbau betreibende Landwirte gemeint. Ihre Schichtung weist in groben Zügen fünf Kategorien auf: Bauernadel (rum. ţăranii nobili), ehemalige Leibeigene (rum. iobagi), Tagelöhner (ung. zsellérek, rum. curialişti), auf dem Fundus Regius13 lebende Bauern und ehemalige Wehrbauern – die Grenzer der 1851 aufgelösten Siebenbürgischen Militärgrenze.14 11 12 13 14
Bolovan, Ioan: Transilvania între Revoluţia de la 1848 şi Unirea din 1918 [Siebenbürgen in der Zeit zwischen der Revolution von 1848 und der nationalstaatlichen Einigung 1918]. ClujNapoca 2000, 32. Istoria Transilvaniei [Geschichte Siebenbürgens]. Hg. v. Ioan-Aurel Pop / Thomas Nägler / András Magyari. Bd. III: De la 1711 până la 1918 [Von 1711 bis 1918]. Cluj-Napoca 2008, 58. Königsboden, ung. Királyföld, rum. Fundul Regesc, Pământul Crăiesc, Pământul Saşilor (Sachsenboden), Scaunele Săseşti ([Siebenbürgisch-]Sächsische Stühle). Gazeta Transilvaniei [Siebenbürgische Zeitung], XXV (1862), Nr. 94, 373–374; Nr. 95, 377– 378.
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Die durch den Gesetzesartikel der ungarischen Revolutionsregierung vom 18. Juni 1848 und das kaiserliche Patent vom 21. Juni 1854 eingeleitete Urbarialregulierung hat einen neuen Typus von Grundbesitz geschaffen. In der „Welt nach der [Bauern]Befreiung“15 (rum. lumea de după slobozenie) wurde Grund und Boden frei und käuflich, unterlag dem Tausch, der Nachfrage und dem Angebot. Auf der Grundlage der Warenwirtschaft, des Kapitalkreislaufs und der Mobilität der Arbeitskraft entstanden neue sozioökonomische Beziehungen. Die Urbanisierung setzte relativ spät ein und die statistischen Zahlen belegen den beträchtlichen Nachholbedarf Siebenbürgens: Im Jahre 1850 lebten nur 8,8 Prozent der Bevölkerung in der Stadt. Bis 1870 sollte der Anteil der Stadtbevölkerung auf 9,1 Prozent ansteigen, um 1910 bescheidene 12,5 Prozent zu betragen.16 Das Leben außerehelicher Partner war von den rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen abhängig. Die außereheliche Praxis war insbesondere eine Folge von konjunkturellen, in Zusammenhang mit den Besonderheiten und der Tradition einer Subregion stehenden Faktoren oder der individuellen, persönlichen Situation der Betroffenen. Ethnisch markierte Verhaltensdispositionen können zum Verständnis der Unterschiede im außerehelichen Zusammenleben von Rumänen, Ungarn, Deutschen oder Zigeunern beitragen. Die Situation kompliziert sich noch mehr, wenn innerhalb bi- oder multikonfessioneller Ethnien hinsichtlich des Umfangs außerehelicher Bindungen zusätzlich auch Unterschiede zwischen den Konfessionen bestehen. So war bei der im nordwestlichen Siebenbürgen lebenden rumänischen Bevölkerung außereheliches Zusammenleben häufiger bei den Orthodoxen als bei den Unierten anzutreffen.17 Weil die Stolgebühren, die das Brautpaar dem orthodoxen Pfarrer zu entrichten hatte, zwei- bis dreimal so hoch waren wie jene, die auf unierte Brautleute zukamen, kann daraus geschlossen werden, dass vor allem orthodoxe Glaubenszugehörige ihre Heiratsgebühren nicht bezahlten und häufiger ungetraut zusammen lebten als die Griechisch-Katholischen. Eine weitere Folge dieser Wirklichkeit war der Konfessionwechsel, insbesondere von Orthodoxen.18 Die Annahme von Arbeitshypothesen, die das außereheliche Zusammenleben in einen ethnischen oder konfessionellen Kontext stellen, muss sich jedoch einer quellengestützten Überprüfung stellen. Dabei handelt es sich um Quellen, die mehrere Fachdisziplinen ansprechen. Nur unter der Voraussetzung einer soliden Dokumentationsgrundlage, die der rumänischen Geschichtsfor15 16 17 18
Bäuerliche Bezeichnung für die Zeit nach der Aufhebung der Leibeigenschaft und Grundentlastung, die von dem Klausenburger Landtag am 18. Juni 1848 – dem Dreifaltigkeitssonntag (rum. Duminica Sfintei Treimi) im kirchlichen Kalender – verabschiedet wurde. Istoria Transilvaniei, 486. Brie, Mircea: Familie şi societate în nord-vestul Transilvaniei (a doua jumătate a secolului XIX – începutul secolului XX) [Familie und Gesellschaft im nordwestlichen Siebenbürgen in der zweiten Hälfte des 19. und frühen 20. Jahrhundert]. Oradea 2008, 360 und 367. Siehe den Fall der Dorfgemeinschaft Ripa de Sus aus dem Erzdechanat (protopopiat) Reghin (Sächsisch-Regen) bei Covaci, Diana Maria: Relaţii interconfesionale reflectate în documentele protopopiatelor ortodox şi greco-catolic Reghin în cea de-a doua jumătate a secolului XIX [Zwischenkonfessionelle Beziehungen in der Spiegelung der Akten des orthodoxen und unierten Erzdechanats (Sächsisch-)Regen]. In: Revista Bistriţei XIX, (2005), 223.
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schung zur Zeit nicht zur Verfügung steht, kann eine Tiefenanalyse auf der lokalen und regionalen Ebene unternommen werden. Unzureichend reflektiert erweist sich aus dieser Perspektive die ausschließliche Verbindung der Variationsbreite von Illegitimität in Siebenbürgen mit der ethnischen und konfessionellen Struktur des Landes.19 Der vorliegende Aufsatz setzt sich zum Ziel, die Umstände zu rekonstruieren, die die rumänischen Bauern dazu bewogen haben, das Modell des außerehelichen Zusammenlebens anzunehmen. Die Untersuchung und Deutung der Vergangenheit kann Antworten hinsichtlich der zahlenmäßigen und räumlichen Verteilung, der demographischen Merkmale der Lebenspartner, ihrem bürgerlichen Stand, dem sozioökonomischen Status, Alter, Religion und gesellschaftlichen Wahrnehmung dieser Lebensform liefern. Unter den heutigen Gegebenheiten des rapiden Anstiegs konsensueller Verbindungen als gesamteuropäisches, wenn nicht als globales Phänomen, kommt historischen Erklärungsmodellen eine große Bedeutung zu. Der Blick auf die französische Entwicklung fördert das Verständnis der tiefgreifenden Veränderungen. Der 1999 begründete Pacte civile de solidarité (Ziviler Solidaritätspakt) verleiht allen unverheirateten Paaren, ob heterosexuelle oder homosexuelle, einen gesicherten Rechtsstatus. Inwischen ist der „zivile Solidaritätspakt“ zu einer normalen Form des Zusammenlebens geworden, der immer mehr die traditionelle Ehe ersetzt. ARCHIVISCHE DOKUMENTATIONSGRUNDLAGE Die vorliegende Untersuchung beruht hauptsächlich auf unedierten Quellen in Bezug auf die griechisch-katholischen und orthodoxen Rumänen in Siebenbürgen, die aus folgenden Aktensammlungen stammen: 1. Der im Staatsarchiv Klausenburg (Arhivele Statului din Cluj) verwahrte Bestand des Griechisch-katholischen Bistums Klausenburg-Neuschloss (Fondul Episcopia greco-catolică Cluj-Gherla)20 enthält ca. 140 themenbezogene Aktenstücke (250 Blatt) aus dem Zeitraum 1857–1895, mitsamt Bescheinigungen, Entwürfen und von Pfarrern erstellten Verzeichnissen außerehelicher Paare, bischöflicher und 19
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Bolovan, Sorina Paula / Bolovan, Ioan: Ilegitimitatea în Transilvania în a doua jumătate a secolului al XIX-lea: contribuţii statistico-demografice [Illegitimität in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Statistisch-demografische Beiträge]. In: Populaţia României. Trecut, prezent, viitor [Die Bevölkerung Rumäniens. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft]. Hg. v. Traian Rotariu / Sorina-Paula Bolovan / Ioan Bolovan. Cluj-Napoca 2006, 229. Die griechisch-katholische Diözese Klausenburg-Neuschloss (episcopia greco-catolică de Cluj-Gherla) war die zweitgrößte in Siebenbürgen, nach jener von Alba Iulia (Karlsburg) und Făgăraş (Fogarasch). Die Päpstliche Bulle Ad Apostolicam Sedem vom 26. November 1853 verlegte ihren Sitz nach Gherla. Ihr waren 38 Erzdechanate mit 633 Pfarreien und Filialen zugeordnet, die insgesamt 381.397 rumänische Gläubige zählten. Siehe CrihĂlmeanu, Floretin: Primele menţiuni despre eparhia de Armenopoli în documente [Frühe Akteninformationen über die eparhia de Armenopoli]. In: Studia Universitatis Babeş-Bolyai, Series Theologia Catholica XLIX, H. 1 (2004), 127.
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Verordnungen des Ministeriums für Kultus und Bildung über entlassene und außerehelich lebende Soldaten, amtliche Untersuchungen über den Stand der Sittlichkeit der Bevölkerung, kanonische Visitationen der griechisch-katholischen Bischöfe, die das Moralverhalten ihrer Gläubigen festhalten. 2. Der Bestand des Rumänisch-orthodoxen Erzdechanats Bistritz (Fondul Protopopiatul ortodox român Bistriţa)21 im Staatsarchiv Bistritz bezieht sich auf die orthodoxen Gläubigen. Ausgewertet wurden ca. 90 Aktenstücke (130 Bl.), die Sittlichkeitsbescheinigungen für Gläubige enthalten, Berichte der Pfarrer über Konkubinate in nachgeordneten Pfarreien, Ehedispense aufgrund verschiedener Ursachen der kirchlichen Ehehindernisse (natürliche Verwandtschaft bis zum 4. Grad, geistige Verwandtschaft aufgrund der Taufe, die drei obligatorischen kirchlichen Verkündigungen, Unkenntnis der kirchlich vorgeschriebenen Gebete, Konfessionsunterschiede) und statistische Jahresberichte über außereheliche Paare. 3. Aus dem Bestand des Griechisch-katholischen Pfarramts Bichigiu, 1880– 1914 (Fondul Oficiul parohial greco-catolic Bichigiu, 1880–1914) im Staatsarchiv Bistritz-Nassod22 wurden ca. 45 Dokumente (78 Bl.) mit folgenden Themenschwerpunkten ausgewählt: Berichte der Ortspfarrer über den sittlich-religiösen Zustand ihrer Pfarreien oder über den Seelenstand sowie Ab- und Zuwanderungen, Amtskorrespondenz mit dem greichisch-katholischen Vikariat in Rodna in standesehelichen (Konkubinate, Scheidungen, Sterbefälle) und kirchenstatistischen (Bevölkerungszahl und -bewegung, bürgerlicher, religiöser und moralischer Zustand der Bevölkerung, Erhebungen zum materiellen und finanziellen Zustand der Gläubigen) Fragen, Verzeichnisse der im Ort vollzogenen standesamtlichen Ehen. 4. Aus dem Bestand des orthodoxen Pfarramts Josenii Bârgăului (Fondul Oficiul parohial ortodox Josenii Bârgăului), 1848–1911, im Staatsarchiv Bistritz-Nassod wurden ca. 50 Aktenstücke (85 Bl.) herangezogen, bestehend aus bischöflichen Rundschreibem und Dechanatsverordnungen über Soldatenehen, Verzeichnisse unverehelichter Paare nach Jahren, Korrespondenz und periodische Berichte über die Sittlichkeit der Bevölkerung wie auch über Konfliktsituationen zwischen Pfarrern und unverehelichten Lebenspartner, Maßnahmen der Pfarrer gegen unvermählte Paare. Ergänzt wurden diese Quellen mit der dokumentarisch wertvollen Veröffentlichungsreihe „Studia Censualia Transilvanica“, die mannigfaltige demographische Informationen für die in den Jahren 1851, 1857, 1869, 1880, 1900 und 1910 durchgeführten Volkszählungen enthält. Außerdem wurde das von dem Königlichen Un21
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Dem orthodoxen Erzdechanat Bistritz (Protopopiatul Ortodox Bistriţa) waren im Zeitraum 1793–1804 26 Pfarreien, im Jahre 1838 25 Pfarreien, und 1884 29 Pfarreien mit 14.152 Gläubigen zugeordnet. Der Sitz der kirchlichen Verwaltungseinheit wurde um 1900 von Josenii Bârgăului nach Bistritz verlegt. Dadurch sind ihm die Pfarreien der Städte Bistritz und Năsăud (Nassod) zugefallen. Siehe Îndrumător Arhivele Naţionale Bistriţa-Năsăud, Fond Protopopiatul Ortodox Român Bistriţa [Archivführer des Rumänischen Nationalarchivs für den Kreis Bistritz-Nassod, Bestand Rumänisch-orthodoxes Erzdechanat Bistritz]; UilĂcan, Iosif: Biserica în perioada comitatului Bistriţa-Năsăud (1876–1918) [Die Kirche im Komitat BistritzNassod, 1876–1918]. In: Revista Bistriţei XXI, H. 2 (2007), 31. Rum. Bistrița-Năsăud.
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garischen Zentralamt für Statistik (Magyar kir. Központi Statisztikai Hivatal) im Zeitraum von 1866 bis 1918 in den Publikationsreihen Magyar Statisztikai Évkönyv (Ungarisches Statistisches Jahrbuch) und Magyar Statisztikai Közlemények (Ungarische Statistische Mitteilungen) veröffentlichte Zahlenmaterial verwendet, das Daten über die Illegitimität in Siebenbürgen von 1876 bis 1889 wie auch über deren Schwankungen im ländlichen und städtischen Raum und den Illegitimitätsindex für Siebenbürgen in den Jahren 1885–1889 enthält. EHERECHTLICHE RAHMENBEDINGUNGEN Die duale Machtstruktur prägte die gesamte Ehe- und Familiengesetzgebung in Siebenbürgen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Weltliche und kirchliche Macht bestimmten eher miteinander als gegeneinander den Rechtsrahmen für das außereheliche Zusammenleben. Beide Mächte verurteilten die kirchlich nicht sanktionierte Lebensform. Die bestehenden Verordnungen vom 30. Oktober 1789, 10. Dezember 1807, 26. Juni 1811 und vom 2. November 1828 wurden für die Griechisch-Katholischen mit der im Gefolge des Ausgleichs verabschiedeten ungarischen Kirchengesetzgebung (1868) ergänzt. Hinsichtlich der Konkubinate fanden die im „Îndreptarul practic pentru păstorii sufleteşti“ (Praktischer Leitfaden für Seelsorger) enthaltenen Reglementierungen Anwendung,23 ebenso wie die griechisch-katholischen Synodalbeschlüsse aus den Jahren 188924 und 190625, vor allem die Prozedurnormative zur Abschaffung der Konkubinate. Richtungsweisend für das Verhalten des orthodoxen Klerus und der Gläubigen waren die Artikel wider das Konkubinat des unter dem Metropoliten Andrei Şaguna erarbeiteten und 1868 veröffentlichten „Organischen Statuts der Rumänischen Griechisch-orientalischen Kirche in Siebenbürgen“ (Statutul Organic al Bisericii Greco-Orientale Române din Transilvania şi Ungaria) wie auch die in den Protokollen der erzbischöflichen Synoden aus den Jahren 1883, 1886, 1891, 1896, 1898, 1902 und 1904 enthaltenen Bestimmungen.26 Für Armeeangehörige galten weitere Verordnungen: Das Militär23
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Legislaţia ecleziastică şi laică privind familia românească din Transilvania în a doua jumătate a secolului al XIX-lea [Die kirchliche und weltliche Gesetzgebung zur rumänischen Familie in Siebenbürgen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts]. Textedition, Einleitung und Anmerkungen von Ioan Bolovan / Diana Covaci / Daniela DeteŞan / Marius Eppel / Crinela Elena Holom. Cluj-Napoca 2009, 839. Verfasser des „Leitfadens“ war der unierte Vikar der Maramarosch (Maramureş) Tit Bud. Ebd., 862–863. Deciziunile sinodului arhidiecezei greco-catolice de Alba-Iulia şi Făgăraş ţinut în reşedinţa arhiepiscopească din Blaj la 10–12 mai 1904 şi continuat în 22–23 novembrie 1906 [Die Beschlüsse der Synode der griechisch-katholischen Erzdiözese von Karlsburg und Fogarasch, abgehalten am erzbischöflichen Sitz in Blasendorf am 10.–12. mai 1904 und fortgesetzt am 22.–24. November 1906]. Blaj 1908, 9–12. Vgl. die von Valeria Soroştineanu für das rumänisch-orthodoxe Milieu in Siebenbürgen unternommene Untersuchung: SoroŞtineanu, Valeria: The discourse on marriage, concubinage and illegitimate children in the Transylvanian orthodox ecclesiastical environment after 1894. In: Romanian Journal of Population Studies VI, H. 1 (2012), 66–79.
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gesetz vom 18. März 1852,27 das kaiserliche Patent vom 29. September 1858,28 welches das Heiratsalter auf 22 Jahre festlegte oder der Gesetzesartikel XL/1868 (ungarisches Wehrgesetz), das den obligatorischen Wehrdienst von acht auf drei Jahre verringerte.29 Die Eheschließung hatte einen religiösen Charakter. Die Kirche war jene Institution, die den Heiratskonsens der Brautleute registrierte. Im ausgehenden 19. Jahrhundert verlor die Kirche die überlieferte Dominanz in Ehesachen an den Staat. Mit der Verabschiedung der zivilen Ehegesetzgebung (Gesetzesartikel XXXI, XXXII und XXXIII) 1894/95 wurde auch in Siebenbürgen die standesamtliche Trauung eingeführt. Die kirchlichen Würdenträger setzten sich in der Öffentlichkeit für die kirchliche Ehe ein und betrachteten zunächst die vor Staatsbeamten abgeschlossenen Zivilehen als ungültig. Paare, die nur standesamtlich getraut waren, galten als Konkubinen. Dies ist die Erklärung für den sprunghaften Anstieg außerehelicher Lebenspartner am Ende des 19. Jahrhunderts. Nicht selten anzutreffen waren Fälle fehlender Übereinstimmung von Staat und Kirche, wobei interkonfessionelle Ehen einen dauerhaften Konfliktstoff boten. Aus der brüchigen Zusammenarbeit des liberalen Staates mit den Kirchen ergaben sich unterschiedliche Sichtweisen der Herangehensweise und Lösung von Ehesachen. Wie schnell die veränderte weltliche und kirchliche Gesetzgebung auf der Pfarreiebene implementiert wurde, ist noch zu untersuchen. ILLEGITIMITÄT IM KLEINEN – FALLBEISPIELE Instruktionen und Gesetzesverordnungen brauchten drei bis vier Tage um die patriarchalischen, aus Bauern und Pfarrern bestehende und durch langsame Kommunikationsvorgänge gekennzeichnete Dorfgesellschaft zu erreichen. Telegrafendienste waren mit zusätzlichen Kosten verbunden. Der Ortspfarrer und der Dorfrichter (judele satului) bildeten die Schlüsselfaktoren in der Ausübung von Recht und Gesetz. Einige Pfarrer vertraten die Auffassung, dass die „Konkubinatsgetze sich als viel zu milde erwiesen haben“30 und nicht ausreichend harte Strafen vorsahen, was zur Verbreitung der Unsitte beigetragen habe. Auffällig ist, dass die kirchlichen Repräsentanten erst nach dem Scheitern ihrer Bemühungen, „abwegige“ Paare in die Kirche zurück zu führen, die Lösung des Problems der staatlichen Autorität überließen. Damit blieb die de facto Situation aufrechterhalten und die legale Eheschließung verzögerte sich weiterhin, manchmal bis zum herannahenden Lebensende. In Cuzdrioara beispielsweise haben mehrere außereheliche Paare erst nach jahrelangem Zusammenleben – 32, 25, 21, 20, 19, 11 und fünf Jahre – die kirchliche Trauung vollzogen.31 27 28 29 30 31
Legislaţia ecleziastică şi laică, 115. Ebd., 213–218. Ebd., 218–222. SJAN Cluj, FECG, 1496/1859. Zitiert nach Retegan, Simion: Drumul greu al modernizării. Un veac din istoria unui sat transilvănean: Cuzdrioara, 1820–1920 [Der beschwerliche Weg der Modernisierung. Ein Jahr-
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Andererseits erfreuten sich illegitime Kinder nicht der Rechte legitimer Kinder. Sie hatten weder das Recht, den Namen ihres Vaters zu tragen, noch den Adelstitel oder das dazugehörige Wappen, wie ihnen auch die diesbezüglichen Privilegien vorenthalten wurden. Bei der Geburt wurde ihnen der Namen der Mutter verliehen.32 Die gesetzlichen Bestimmungen beschränkten sich auf ein grundsätzliches vermögensabhängiges Anrecht auf Erziehung, Unterhalt und Bildung. Zum Unterhalt war der Vater verpflichtet und erst wenn er nicht für die Kosten aufkommen konnte, wurde die Mutter in die Pflicht genommen.33 Das illegitime Kind beerbte seine Mutter und nicht den Vater. Es war von der Erbfolge auf der väterlichen Linie ausgeschlossen, auf der mütterlichen Linie wurde es aber den anderen legitimen Kindern gleichgestellt.34 Weder bestand das Prinzip der Rechtsgleichheit legitimer und illegitimer Kinder, noch wurde es gewohnheitsmäßig praktiziert.35 Heiratstaxen, die Gebühren für bischöfliche Dispensen wie auch die hohen Kosten der Verlobungsfeier und vor allem des Hochzeitsfestes bildeten in der rumänischen Dorfgesellschaft wichtige Faktoren der Verstetigung von Konkubinatsverhältnissen, kurz: Ursachen wirtschaftlicher Natur. Das Konkubinat war ein Merkmal armer Menschen unterer Schichtzugehörigkeit. Für Arme stellte die Eheschließung einen puren Luxus dar, ein Luxus aufgrund fehlenden Geldes. Berücksichtigt man die Gebühren für die kirchliche Trauung (ca. 4 fl.) oder für den Ehedispens (ca. 5 fl.), so waren die Kosten der Eheschließung relativ hoch. Die Honorare waren von Pfarrei zu Pfarrei, von Dorf zu Dorf und von Pfarrer zu Pfarrer unterschiedlich, je nach der zwischen Gläubigen und Pfarrer erzielten Übereinkunft. Für die Prüfung der Brautleute wurden Gebühren nicht nur vom Dorfpfarrer, sondern auch vom Erzdechanten (1 fl.) erhoben. Die so genannten „Zettel der Erzdechanten“ (rum. „ţidule protopopeşti“) erschwerten die Eheschließung. Um einen legalen Verheiratetenstatus zu erhalten, sollte ein junges Paar orthodoxer Konfession aus Chintelnic, das seit drei Jahren unvermählt zusammen lebte und ein achtmonatiges Kind hatte, eine Vermählungstaxe von 20 fl. entrichten. Ein junges Paar aus Bistriţa Bârgăului, Verwandte dritten Grades, bezahlte der Erzdiözese Sibiu36 20 fl. für einen Ehedispens.37 Nach der Entrichtung einer Gebühr von 2 fl. wurde in einer griechisch-katholischen Pfarrei bei der Vermählung über die Unkenntnis der Gebete hinweggesehen.38 Drei in außerehelichen Beziehungen
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hundert aus der Geschichte eines siebenbürgischen Dorfes: Cuzdrioara, 1820–1920]. Cluj-Napoca 2011, 40. Siehe Art. 165 des Codul civil general austriac [Österreichisches bürgerliches Gesetzbuch], übersetzt von Ioan Corjescu. Bucureşti 1921, 57. Siehe Art. 167, ebd., 58. Siehe Art. 754, ebd., 202. Art. 155, ebd., 53. Dt. Hermannstadt. UilĂcan, Iosif: Biserica în perioada comitatului Bistriţa-Năsăud (1876–1918) [Die Kirche im Komitat Bistritz-Nassod, 1876–1918]. In: Revista Bistriţei XXI, H. 2 (2007), 50. Arhivele Naţionale ale României Direcţia Judeţeană Bistriţa-Năsăud (SJAN Bistriţa-Năsăud) [Rumänisches Nationalarchiv, Kreisdirektion Bistritz-Nassod], Oficiul parohial greco-catolic Gledin, 1857–1864 [Griechisch-katholisches Pfarramt Gledin], Signatur 33, f. 21.
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stehenden Paaren aus Dragu wurden 2 fl. für den Verzicht auf die dritte Verkündigung abverlangt.39 Bildhaft überzeugend und rechtfertigend brachte ein junger Mann aus Aghireş sein Konkubinatsverhältnis zum Ausdruck: Er „verkaufe seine Ziege und sein Schweinchen nicht für die Vermählung“.40 Wirtschaftlich verletzlich, mit geringen Geldeinkünften, zogen es die häufig abschätzig als „arme Schlucker“ (sărăntoci) bezeichneten Armen vor, „in verbotener Liebe mit Frauen zu verharren“. Ebenso flüchteten sich arme Mädchen ohne Aussteuer in die illegitime Liebe. Ohne Heiratsaussichten, wurden sie von wohlhabenden Familien als Dienstmägde angestellt, oft nur gegen Unterkunft und Verpflegung. Gerieten sie in Versuchung, konnte ihr Wunsch, Ersparnisse für Kleider und Aussteuer zurückzulegen, kaum in Erfüllung gehen. Exemplarisch ist die vom griechisch-katholischen Pfarrer am 25. Mai 1861 beschriebene Situation im Dorfe Luşca (districtul Năsăud/Distrikt Nassod), wo fünf unverheiratete Mädchen, allesamt Diensmägde, in Verruf geraten waren: Der einen wurde ein Verhältnis mit ihrem Dienstherr, dem Nassoder Perzeptor, nachgesagt, eine Achtzehnjährige lebte mit einem Soldaten zusammen, eine weitere mit einem jungen Gutsverwalter (june econom), die vierte mit dem Dorflehrer Ioan Chiţa, und die letzte mit ihrem israelitischen Dienstherr, in dessen Haushalt sie tätig war.41 Mit Beispielen dieser Art könnte man lange fortfahren. So zeugte ein Bauer aus Giurtelec mit seiner Dienstmagd ein Kind und wollte diese unter dem Vorwand, für das Kind zu sorgen, nicht entlassen.42 Ein Soldat aus Ilova rechtfertigte sein illegitimes Verhältnis mit seiner Dienstmagd mit der verzögerten Heiratserlaubnis der Militärbehörde, trotz des einjährigen Kindes, das aus der Beziehung hervorgegangen war.43 Im Distrikt Crasna lebte eine Witwe mit ihrem Knecht und dem gemeinsamen Kind zusammen.44 Statt der mit starken Emotionen verbundenen Heirat – ein Schlüsselereignis auf dem Lebensweg junger Mädchen –, führten soziale Hindernisse oder familiale Beziehungskonflikte zu ganz anderen Erfahrungen: Entführungen und Flucht aus dem Elternhaus. Der Vater eines entführten Mädchens versuchte erfolglos, seine Tochter mit Hilfe des Pfarrers ins Elternhaus zurückzuführen. Der Pfarrer wandte sich an die Gemeindevorstehung mit der Bitte, das Paar zu trennen. Die Trennung konnte jedoch nicht vollzogen werden, weil der Entführer dem Rat folgte, seine Auserwählte als Dienstmagd zu beschäftigen.45 Diese Strategie wurde vielfach von Soldaten angewandt, die das Recht hatten, Dienstmägde zu unterhalten. War ihnen die Eheschließung verwehrt, holten sie sich eine Dienstmagd, die sie ebenso wie eine legitime Ehefrau „mit allem“ bediente.46 Die Pfarrer legten jährlich Verzeichnisse mit den Namen entlassener Soldaten an, 39 40 41 42 43 44 45 46
SJAN Cluj, FECG, 321/1875, fol. 3. Ebd., 1743/1858, fol. 2. Ebd., 2223/1858, fol. 4. Ebd., 2483/1858, fol. 2. Ebd.. Ebd., 2597/1858, fol. 3. Ebd., 2483/1858. Ebd.
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die ihren Haushalt einer Dienstmagd anvertrauten und mit dieser zusammenlebten. Den Listen sind sorgenvolle Anmerkungen über den steigenden Sittenverfall des Armeepersonals beigelegt. Ins bürgerliche Leben nach vielen Jahren Wehrdienst entlassen, begann für ehemalige Armeeangehörige praktisch ein neuer Lebensabschnitt. Sie suchten sich Lebenspartnerinnen und waren auf Hilfe im Haushalt angewiesen. Während des Urlaubs hatten sie Sorge für ihre alten Eltern zu tragen, wie zwei „Urlauber“ aus Sânicoara, die im Dezember 1868 ihre gebrechlichen und hilfsbedürftigen Mütter47 wieder sahen. Beide wollten noch vor dem Ende der dreijährigen Wehrpflicht heiraten und beantragten bei Erzbischof Ioan Vancea einen Dispens.48 Heirat war mit mit einem hohen Aufwand, Prunk und Zeremoniell verbunden. Die zahlreichen Hochzeitsgäste begleiteten die Braut in das Haus des Bräutigams. Der Festzug wurde von Musikanten und jugendlichen Reitern eingeleitet, denen der Wagen mit der Brautaussteuer folgte – alles kostensteigernd. Dokumentarisch belegt ist die Veranstaltung gesetzeswidriger fiktiver Bauernhochzeiten. Der Vizedechant (vice-protopopul) Ioan Silaşi beschreibt 1871 eine solche Hochzeit, mit wehender Fahne und Karren. Der junge Bräutigam Grigore Rusu hatte einen Skandal ausgelöst, indem er seine Braut Elisabeta Struţu entgegen den kanonischen Bestimmungen in sein Haus geführt hat. Der Prälat verlieh seiner Hoffnung Ausdruck, dass „dieses Beispiel sich unter den zahlreichen ungehorsamen und ungestümen Jugendlichen nicht ausbreite“. Eltern sollten angewiesen werden, „solche Niedertracht und skandalöse Taten ihrer Söhne nicht zuzulassen“.49 Am 2. März 1887 hatten der achzehnjährige Sohn des Kirchenkurators aus Şoimuş und die Tochter des Mesners (rum. dial. făt) aus dem gleichen Dorf zu einer großen Heiratsfeier eingeladen, ohne jedoch kirchlich getraut zu sein: „Er hatte eine Hochzeit mit seltenem Festgeleit und drei Fiedlern, so dass das gesamte Dorf wegen der Musik und dem Jauchzen50 aufwallte, obwohl die Jugendlichen kein Recht hatten zu heiraten. Zu den Gästen zählten auch der Kirchenkurator und der Kantor. Ein größerer Skandal zur Verhöhnung der Religion konnte nicht in Szene gesetzt werden“.51 Was könnte dieser Beschreibung noch hinzugefügt werden? Was konnte dagegen noch unternommen werden, wenn selbst Leute, die auf dem Dorfe wahre moralische Vorbilder der Gemeinschaft darstellten, selbst an Ereignissen dieser Art teilnahmen? Kostspielig waren auch die Scheidungsprozesse. In Siebenbürgen waren die zahlreichen Wiederverheiratungen, wie zunächst auf den ersten Blick zu erwarten, nicht auf Scheidungen zurückzuführen, sondern auf den frühzeitigen Tod des Lebenspartners. Wenn Eheleute nicht mehr miteinander auskamen, gingen sie getrennte Wege und zogen das Konkubinat vor, ohne den Rechtsweg einzuschlagen. 47 48 49 50 51
Eine litt an entkräfteten Gliedern und konnte sich nicht mehr selbst waschen, die andere an Sehschwäche. SJAN Cluj, FECG, 33/1869, fol. 1. Ebd., 136/1871, fol. 1. Rum. chiuituri (pl.). Es handelt sich um beim Reigentanz (hora) schreiend gesungene Tanzverse. Ebd., 7772/1887.
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Scheidungen wurden in Siebenbürgen selten eherechtlich vollzogen; sie kamen das sich trennende Ehepaar auch teuer zu stehen.52 Die Honorare der Gerichtsassessoren, des Notars, der Gerichtsmitglieder wie auch des Erzdechanten erhöhten den Preis, der den eherechtlichen Instanzen zu bezahlen war. Die umfangreichen Scheidungsakten enthalten verschiedene Aktenstücke, beginnend mit den Anklageprotokollen über die Auszüge aus den Heiratsmatrikeln, den pfarramtlichen Bescheinigungen bis zu der Stellungnahme des vom Erzdechanten bestimmten eherechtlichen Verteidigers und dem Gerichtsurteil.53 Die Kosten einer Scheidung konnten sich von 25 fl.54 bis 47 fl.55 oder sogar 90 fl. erstrecken.56 Die rechtlichen Rahmenbedingungen haben zum Anstieg nichtehelicher Lebensgemeinschaften beigetragen. Einerseits legte die vom Österreichischen Bürgerrecht geprägte bürgerliche Gesetzgebung den Heiratswilligen bestimmte Voraussetzungen auf. Das Mindestalter für eine Eheschließung war auf 18 Jahre für Mädchen und 22 Jahre für Jungen festgelegt. Mädchen konnten durch Dispens das Heiratsalter auf 15 Jahre herabsetzen. Im Alter von 25 Jahren hatten sie schon mehrere Kinder, mit 35 Jahren konnten sie schon Großmütter und mit 55 Jahren Urgroßmütter sein.57 Weil er das Mindestalter noch nicht erreicht hatte, entführte ein Jugendlicher aus Vârşolţ eine Waisin aus dem Haus ihres Pflegers und lebte mit ihr zum Zeitpunkt der Berichterstattung seit einem Jahr und fünf Monaten außerehelich zusammen.58 Kindheit und Jugend der oft von Fremden adoptierten und von Stiefmüttern erzogenen Waisen verliefen häufig nicht gerade glücklich. Schon im Kindesalter wurden sie als Diener verdingt, um sich den Lebensunterhalt selbst zu erarbeiten. Um eine Ehe eingehen zu können, war sowohl das Einverständnis des erziehenden Elternteils – in der Regel die Mutter – wie auch des Vormunds einzuholen, damit die Heiratsgenehmigung vom Gerichtsstuhl erteilt werden konnte. Ein Bericht 52 53
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Zu der Gebührenordnung der Eheprozesse siehe Art. 244 des Îndreptarul dreptului bisericii catolice orientale realizat de Iosif Pop Szilagyi de Băseşti, 1880 [Leitfaden zu dem katholischorientalischen Kirchenrecht]. In: Legislaţia ecleziastică şi laică, 762. Arhivele Naţionale ale României Direcţia Judeţeană Alba (SJAN Alba) [Rumänisches Nationalarchiv, Kreisdirektion Karlsburg], Fond Mitropolia Română Unită, Tribunalul Matrimonial de a II-a Instanţă [Bestand Rumänisch-unierte Metropolie, Ehegericht in zweiter Instanz], 56/1870. SJAN Cluj, FECG, 121/1854, f. 12. Im Scheidungsfall Iuliana Germian gegen Ioan Pop, wurde dem Ehemann die Übernahme der Gerichtskosten und die Rückerstattung der Aussteuer auferlegt. Scheidungsfall des Nicolae Veştemean aus Porceşti; siehe Bolovan, Sorina Paula: Familia în satul românesc din Transilvania [Die Familie im siebenbürgisch-rumänischen Dorf]. Cluj-Napoca 1999, 171. Der in der reformierten Diözese Odorhei (Oderhellen) entrichtete Betrag entspricht dem durchschnittlichen Jahreseinkommen einer Person. Vgl. Kolumbán, Zsuzsánna: Societatea secolului al XIX-lea în dioceza reformată a Odorheiului [Die Gesellschaft des 19. Jahrhunderts in der reformierten Diözese Oderhellen]. Diss. an der Babeş-Bolyai-Universität. Cluj-Napoca 2010, 173. Legislaţia ecleziastică şi laică, 90; Retegan, Reglementări oficiale şi reacţii populare, 200. SJAN Cluj, FECG, 2483/1858, fol 2, 8.
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vom 6. August 1857 bezieht sich auf den Fall eines zwanzigjährigen elternlosen Jugendlichen, der „sich ein Mädchen ins Haus gebracht hat, die er als Ehefrau betrachtet, ohne mit ihr vermählt zu sein“.59 Das in Frankreich und anderen westlichen Regionen in der Jugendzeit praktizierte und der Eheschließung vorausgehende Zusammenleben ist ein Verhaltensmuster, das auf siebenbürgische Zustände nicht übertragen werden kann.60 Im vorliegenden Fall handelt es sich keinesfalls um die sogenannte „mariage à l’essai“ (Probeehe) als Vorstufe der Eheschließung.61 Für die Eheschließung war das Einverständnis der Eltern, in einigen Gegenden sogar jenes der Großeltern62 erforderlich. Lag dieses nicht vor, war ein Dispens die Lösung. Der Vater des Jugendlichen Teodor Strungariu verweigerte das Einverständnis für die Heirat seines Sohnes mit dessen Verlobten Ioana Galeşiu aus Ilva Mare im Nassoder Distrikt. Als Hinderungsgrund führte er die weit zurückreichenden Liebesbeziehungen und das daraus hervorgegangene Kind an. Der Ortspfarrer suchte gegen den Willen des Vaters um einen Heiratsdispens nach: Eine Dispensverweigerung würde den Heiratswilligen ins Unglück stürzen und ihn zur Heirat mit einer anderen Frau zwingen. Dies würde wiederum zu einem skandalösen Leben führen, das dem fleißigen, blonden und sich vorzüglich benehmenden Bräutigam nicht zuzumuten sei.63 Es gab Situationen, in denen nichteheliche Lebenspartner versuchten, die Heirat ihrer Geschwister zu verhindern. Die Schwester des zweiundzwanzigjährigen griechisch-katholischen Bräutigams Luca Boca hatte ein uneheliches Kind mit dem Bruder der ein Jahr älteren Anghilina Borza gleicher Konfessionszugehörigkeit. Die Brautleute wiesen jede Verantwortung für das sündhafte Verhalten ihrer Geschwister zurück und suchten um den Heiratsdispens wegen Verwandtschaft zweiten Grades wie auch um den Erlass der fälligen Gebühr von 2 fl. aus Armutsgründen an. Der griechisch-katholische Vikar Grigore Moisil leitete den Fall am 25. Juli 1884 an die Diözesanbehörden weiter: Damit die Ehe rechtens sei, habe der Bischof einen Dispens vom Heiligen Stuhl zu erwirken. Wenn auch der Hinderungsgrund von Dritten – nämlich von den Verwandten der Brautleute – verursacht wurde, konnte er nur auf dem Rechtsweg beseitigt werden.64 Die päpstliche Dispensgebühr für den zweiten Verwandtschafsgrad betrug 30 fl., und entsprach dem Preis eines Ochsen (20 bis 40 fl.) oder einer Kuh (12 bis 34 fl.). 59 60 61 62
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SJAN Cluj, FECG, 84/1857, fol. 7. Battagliola, Françoise: Mariage, concubinage et relations entre les sexes. Paris 1880–1890. In: Genèses, 18 (1995), Protections Sociales, 79. Fauve-Chamoux, Antoinette: Family formation, marital cohabitation and house system in a changing socio-economic context. In: Transylvanian Review XVIII (2009), Supplement 1. Cluj-Napoca 2009, 134. Siehe am Beispiel einiger Schweizer Kantone Head-König, Anne-Lise: Forced marriages and forbidden marriages in Switzerland. State control of the formation of marriage in catholic and protestant cantons in the eighteenth and nineteenth centuries. In: Continuity and Change, 8, H. 3 (1993), 452. SJAN Bistriţa-Năsăud, Fond Oficiul parohial Ilva Mare [Bestand Pfarramt Ilva Mare], 1865– 1884, cota 27, fol. 198. Ebd., fol. 206.
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Die restriktive Militärgesetzgebung wirkte sich auch auf Eheangelegenheiten aus. Das kaiserliche Patent vom 29. September 1858 legte die Dauer des Wehrdienstes auf acht Jahre fest, gefolgt von weiteren zwei Jahren Reservebereitschaft. Vorgeschrieben war auch das Heiratsalter der Rekruten – 22 Jahre. Diese Bestimmung hat zum Anstieg illegaler Heiraten von Jugendlichen unter dieser Altersgrenze und ohne die erforderliche Erlaubnis der Militärbehörden geführt. Es war eine der Desertionsursachen und führte dazu, dass sich viele weigerten, sich der Musterung zu stellen.65 Die langwierige Prozedur und die Anzahl der für die Eheschließung von Armeeangehörigen erforderlichen Antragsunterlagen – nicht weniger als zwölf Genehmigungen und Bescheinigungen66 – veranlasste die Betroffenen den Weg des außerehelichen Zusammenlebens zu beschreiten. Der Fall des Pfarrers George Bocşa, der am 1. Mai 1862 wegen der illegalen Vermählung mehrerer Husaren vom Amt suspendiert wurde, führte im Erzdechanat Gherla67 eine Spannungssituation herbei. Die Soldaten wurden ohne Beichte und Empfang des Altarsakraments wie auch ohne Heiratsgenehmigung und vorausgehende Verkündigung nächtlich und im Geheimen in einem Haus am Dorfrand vermählt. Der illegaler Amtshandlungen beschuldigte Pfarrer versah die Seelsorge des Ortes seit vier Jahren. Schon zwei Monate nach der Amtsübernahme soll er Amtsmissbrauch geübt haben. Der in einem fort fluchende und der Trunksucht verfallene Amtsdiener habe seine Ehegattin aus dem Haus gejagt und lebe mit Huren, mit denen er mehrere Kinder gezeugt habe. Die Prälaten befürchteten, dass die Dorfbewohner ein solches Verhalten nicht mehr hinnehmen werden. Damit „diese moralische Pest sich nicht gerade unter Priestern ausbreite, somit unter jenen, die lebendige Vorbilder für Tugendtaten sein sollten“, hat Bischof Ioan Alexi drastische Maßnahmen ergriffen. Die Kompromitierung des Priesterstands dürfe nicht hingenommen werden, die kirchliche Amtsdisziplin musste aufrechterhalten werden, um die Moralität insgesamt nicht zu beschädigen.68 Das amorale Verhalten einiger Seelsorger schockierte nicht nur Gläubige und bürgerliche Autoritäten, sondern vor allem die Kirchenführung. Auf Provinzebene liegen keine Zahlenangaben für Eheverstöße von Pfarrern vor, daher kann die Häufigkeit des Phänomens auch nicht bilanziert werden. Dennoch sollen hier einige Fallbeispiele angeführt werden. Der griechisch-katholische Pfarrer von Chereluş im Erzdechanat Şimand, lebte im Konkubinat und gab damit seinen Schäflein ein sündhaftes Beispiel an Lebensführung.69 In Sândominic hat der Ortspfarrer seinen Amtsbruder Gavriil Ciubota65 66
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Istoria Transilvaniei, 427–428. DeteŞan, Daniela / Retegan, Simion: Sub focul încrucişat al bisericii şi statului. Concubinajul la românii din Transilvania între 1850–1895 [Im Kreuzfeuer von Kirche und Staat. Das Konkubinat bei den Siebenbürger Rumänen, 1850–1895]. In: În căutarea fericirii. Viaţa familială în spaţiul românesc în sec. XVIII-XX [Auf der Suche nach dem Glück. Familienleben im rumänischen Raum vom 18. bis zum 20. Jahrhundert]. Hg. v. Ioan Bolovan / Diana Covaci / Daniela DeteŞan / Marius Eppel / Elena Crinela Holom. Cluj-Napoca 2010, 83–98. Dt. Neuschloss, Armenierstadt. SJAN Cluj, FECG, 536/1862, f. 1–7. Brie, Familie şi societate, 366.
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riu, Pfarrer in Ghimeş-Făget, des Konkubinats mit seiner Haushälterin Maria Vasi beschuldigt.70 Die von der Kirchenhierarchie angeordnete Untersuchung der Anschuldigungen wurde vom Verwalter des Erzdechanats Giurgeu Ioan Urzică durchgeführt, der den Fall durch Suspendierung des beschuldigten Pfarrers aus dem Amt des Dechanatverwalters von Ciuc löste. Der Sohn des Pfarrers aus Dumbrava, der mit einem „urlaubpass“71 in seinem Heimatort verweile, habe sich „mit einem ruchlosen Mädchen zusammengetan, mit dem er – öffentlichen Skandal hervorrufend – in Ausschweifung lebe“.72 Da das Pfarramt als ein moralisches Modell betrachtet wurde und Priester als Ratgeber und geistliche Instanzen der Gemeinden galten und sich eines hohen gesellschaftlichen Prestiges erfreuten, hatten Vorfälle dieser Art große Auswirkungen. Die siebenbürgischen Pfarreien waren in der Regel klein und dementsprechend war auch der Heiratsmarkt begrenzt. In vielen Klein- und Streusiedlungen waren die Bewohner mehr oder weniger miteinander verwandt. So waren zum Beispiel in der Gebirgsgemeinde Ilva Mare fast alle Bewohner durch Blutsverwandtschaft oder Verschwägerung miteinander verbunden73 und konsequenterweise auch gezwungen, einander zu heiraten. So erklärt sich die hohe Zahl der Dispensanträge wegen Konsanguinität dritten, sechsten (Vetter zweiten Grades) und siebenten Grades. Wenn diese Menschen nicht für die Dispensgebühren aufkommen konnten oder wollten, lebten sie in unehelichen Lebensgemeinschaften. Die Aufhebung der Leibeigenschaft nach der 1848er Revolution förderte die soziale und räumliche Mobilität der Bevölkerung. In den Städten vermehrten die Migranten die Anzahl eheloser Familien. Das Stadtleben gewann für viele Bauern, die sich neuen Berufen in Bergwerken und Salzgruben, in der Textil- und Holzverarbeitungsindustrie zuwandten, an Attraktivität. Auch die Dorfsiedlungen nahmen Zuwanderer auf, vor allem Saisonarbeiter und Erntehelfer. In der Pfarrei Bichigiu lebten die fremden Zuwanderer in Konkubinatsverhältnissen. Am 26. Januar 1898 vermerkte der Ortspfarrer, dass „sich in der Pfarrei mehrere außerehelich lebende fremde Zuzügler aufhalten, die illegitime Kinder zeugen, für die sie keine Sorge tragen“.74 In Şard mussten die von den Eingesessenen pejorativ als „Zugelaufene“ (venituri) bezeichneten Neuankömmlinge ebenfalls für normabweichendes Eheverhalten herhalten.75
70 71 72 73 74 75
PloŞnea, Nicoleta: Biserici, şcoli, comunităţi rurale româneşti din Covasna şi Harghita (1850– 1918) [Rumänische Kirchen, Schulen, Dorfgemeinden in Covasna und Harghita]. MiercureaCiuc 2012, 157. So und in Kleinschreibung das rumänische Lehnwort. SJAN Cluj, FECG, 661/1858, fol. 1–2. SJAN Bistriţa-Năsăud, Fond Oficiul parohial greco-catolic Ilva Mare [Bestand Griechisch-katholisches Pfarramt Ilva Mare], 1865–1884, cota 27, fol. 122. SJAN Bistriţa-Năsăud, Fond Oficiul parohial greco-catolic Bichigiu [Bestand Griechisch-katholisches Pfarramt Bichigiu, 1936/1880, f. 56. Cârja, Ion: Biserică şi societate în perioada păstoririi mitropolitului Ioan Vancea (1869–1892) [Kirche und Gesellschaft während der Amtszeit des Metropoliten Ioan Vancea, 1869–1892]. Cluj-Napoca 2007, 299.
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Der Kategorie der außerehelich zusammen lebenden Paare war auch eine weitere soziale Schicht, bestehend aus chronisch Kranken, körperlich oder geistig behinderten Menschen zugeordnet. Am 27. September 1882 wurde einem Jugendlichen aus Ilva Mare verboten, ein Mädchen mit einem gelähmten Bein zu heiraten. Der beantragte Dispens wurde ihm verwehrt, weil die Frau entsprechend den kanonischen Bestimmungen eine Verstümmelung aufweise. Der einzige Ausweg war, sich für ein uneheliches Zusammenleben mit seiner Auswerwählten zu entscheiden.76 Der Erzdechant von Bred erhielt am 19. August 1857 einen ausführlichen Bericht des Pfarrers von Guruslău über die Konkubinate in dessen Pfarrei. Zu diesen zählten „zwei mutige Blinde, die Frauen in ihr Haus bringen, mit denen sie unehelich zusammenleben“.77 Ein chronisch kranker Seelsorger aus Ghiolţ hatte eine Zigeunerin als Konkubine, die ihm den Haushalt verwaltete – Kochen, Waschen, Reinemachen, Anziehen u. v. m. Da er kränklich war, konnte er keine legitime Frau kriegen und hatte auch die Hoffnung auf ein besseres Glück aufgegeben. Er litt an einer schweren und gefährlichen Krankheit, Epilepsie (rum dial. stropşeala), und „gäbe es die Zigeunerin nicht, würde er ins Wasser oder Feuer stürzen“. Unter den gegebenen Umständen war er auf sie angewiesen, zumal seine legale Gattin mit den Soldaten das Weite gesucht habe.78 Wir haben es somit mit einem behinderten, verwundbaren und sozial benachteiligten Personenkreis zu tun, dessen Zugang zum Heiratsmarkt wegen körperlichen oder psychischen Mängeln beschränkt war. Ein taubstummer Mann mit drei Kindern, der bis zum Tode seiner Ehefrau 1856 eine kleine Gastwirtschaft (rum. dial. găzdăşag) in Maieru unterhielt, lebte seit einem Jahr mit einer sechsundvierzigjährigen Frau zusammen, die bis dahin fünfzehn Jahre lang die Konkubine eines Gefreiten gewesen war. Um heiraten zu können, beantragte das Paar aus Armutsgründen den Verzicht auf die vorgeschriebenen drei öffentlichen Verkündigungen. Es sah sich „außerstande, die hohen Kosten zu tragen, kann auch keine Schulden für die Hochzeit aufnehmen, um diese dann nicht zurückzubezahlen“.79 Dem Antrag konnte nicht leicht stattgegeben werden, da der Verkündigungsdispens nur in besonderen Umständen und vom Bischof selbst erteilt werden konnte. Eine andere Form von Devianzverhalten äußerte sich im vorübergehenden oder endgültigen Verlassen der ehelichen Gemeinschaft durch einen der Ehegatten. In Dorf Cean lebte ein Witwer mit einer verheirateten Frau zusammen, deren Ehemann wegen Todschlags zu lebenslanger Haft verurteilt war. Die Ortspfarrer haben der Verlobung zugestimmt und die Verkündigungen durchgeführt, aber der Protopope sprach sich gegen die Trauung aus, da der eingekerkerte Ehemann in den Genuss einer Amnestie kommen könnte. Bis dieser nicht für tot erklärt sei und die Frau keine „Todesbescheinigung“ vorzeigen konnte, war das Paar gezwungen, in 76 77 78 79
SJAN Bistriţa-Năsăud, Fond Protopopiatul Ortodox Român Bistriţa (FPORB) [Bestand Rumänisch-Orthodoxes Erzdechanat Bistritz], 673/1887, 590/1882. SJAN Cluj, FECG, 1743/1858. Ebd., 2414/1858, f. 24. SJAN Bistriţa-Năsăud, Fond Vicariatul Rodnei [Bestand Vikariat Rodna], 104/1857, f. 94.
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der Konkubinatsbeziehung zu verharren.80 Die kanonische Visitation verzeichnete 1874 in Vad (Vikariat Făgăraş/Fogarasch) zwei Konkubinenpaare. Rafira Simion Strâmbu wurde von ihrem Ehemann verlassen, welcher bis zum Heiligen Berg Athos gepilgert ist, dennoch konnte die legale Trennung von ihrem Ehemann nicht vollzogen werden. Die zweite von ihrem Ehemann verlassene Frau hatte keine Kenntnis über den Aufenthaltsort ihres Gatten.81 Wanderzigeuner lebten häufig unehelich zusammen. Die in den Akten als „neorustici“ (Neubauern), Goldwäscher (rum. băieşi) oder Goldsucher (căutători de aur) bezeichneten Zuwanderer ließen sich im nördlichen Siebenbürgen gleich nach der Revolution von 1848 nieder. Sie brachten neue, libertine Lebenseinstellungen mit, einschließlich im Bereich der Ehebeziehungen. Wir begegnen ihnen im Banat, im goldreichen Siebenbürgischen Erzgebirge im Umland von Alba Iulia82 aber auch im Szilágyer Komitat (comitatul Sălaj), wo unter den siebzehn Konkubinenpaaren zehn Zigeuner waren.83 Wegen instabilen Beschäftigungsverhältnissen und der erhöhten räumlichen Mobilität war es für diese Bevölkerungskategorie schwierig, ein Heiratsversprechen einzulösen, so dass für sie die vorteilhaftere Lösung in einer außerehelichen Beziehung bestand. Auch in gehobeneren Gesellschaftsschichten war amoralisches Verhalten gegenwärtig, auch hier kommen Entgleisungen aus dem „normalen“ Lebenspfad vor. Im vordergründig stillen dörflichen Lebensrahmen mit seinen überlieferten Gebräuchen und Traditionen entstanden unerahnte und emotionsbeladene Liebesbeziehungen, es wurde Ehebruch begangen, Familien wurden zerstört, anome – unsittliche und depravierende Verhaltensweisen – traten in Erscheinung, Exzesse und Laster; die kirchlichen und staatlichen Normen wurden verletzt. Ein negatives Beispiel von Dekadenz und Depravierung bot 1883 ein Lehrer aus Prundul Bârgăului im Rodnaer Gebirge. Nachdem ihn seine Ehefrau verlassen hatte, lebte er drei Jahre mit der Gattin eines Mitbürgers zusammen. Vom betrogenen Ehegatten barfuß und entkleidet in delicto ertappt, war er auf den Herd gestiegen und verteidigte sich mit einer Pistole, aus der er zehn Schüsse feuerte. Nach mehreren Handgreiflichkeiten festgebunden, hat er seine Freilassung ausgehandelt und eine Wiedergutmachung in Höhe von 100 bis 200 fl. in Aussicht gestellt. Kleider und Pistole wurden als Tatgegenstände konfisziert und der zuständigen Untersuchungsbehörde übergeben. Kurz nach dem inkriminierten Vorfall wurde auch die Bestrafung und Entlassung des Lehrers beantragt.84 Der Kirchendiener Timotei Albu wurde wegen Ehebruchs zunächst suspendiert und dann entlassen. Das Pfarreikomittee (comitetul parohial) aus Susenii Bârgăului hat dies aufgrund einer Anzeige von Macavei Bălan, der ihn in seinem Haus er-
80 81 82 83 84
SJAN Cluj, FECG, 2635/1858. Cârja, Biserică şi societate, 299, 403. Dt. Karlsburg. SJAN Cluj, FECG, 5701/1880. SJAN Bistriţa-Năsăud, FPORB, 599/1883, fol. 19–20.
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tappte, ihm die Hände fesselte und danach verprügelte, in der Sitzung vom 25. April 1876 beschlossen.85 Weitere Fälle außerehelichen Zusammenlebens wurden mit der Wahlfreiheit begründet. Die individuelle Option eines Mannes, der seine Frau auf Wunsch der Eltern heiratete, endete in einer Konkubinatsbeziehung mit seiner Auserwählten, für die er die größere Zuneigung empfand. Das Muster der von den Eltern arrangierten Ehe ist allgegenwärtig in der Aktenüberlieferung des Ehegerichts, vor allem in den Scheidungsakten. Rechtfertigende Aussagen wie „ich habe die Ehe aus Angst vor den Eltern oder aus Zwang und nicht aus wahrer Liebe geschlossen“ oder „mein Leben nach der Heirat war wie eine schwere Gefängnisstrafe“, bilden ein häufig wiederkehrendes Leitmotiv.86 Die zahlenmäßigen Veränderungen hinsichtlich der außerehelichen Paare sind mehr oder weniger signifikant und gehen auf die Bevölkerungsdynamik, Migration, natürliche Ursachen wie auch auf behördliche Maßnahmen gegen Konkubinate zurück. In der orthodoxen Gemeinde Josenii Bârgăului stellte sich die Situation zum Jahresende 1884 wie folgt dar: Es waren vier illegitime Paare bekannt, allesamt im Ort geboren und verwitwet.87 Im Jahr danach verringerte sich ihre Zahl auf drei Paare, ausnahmslos Witwer und Witwen.88 Im Jahre 1889 waren unter den 326 Familien im Ort nur drei Konkubinenpaare. Hinsichtlich des Bildungsstands attestierte die Erfassung 250 Männern und 100 Frauen von insgesamt 591 bzw. 601 die Lese- und Schreibfähigkeit.89 Bis 1897 war die Anzahl der Konkubinenpaare auf sechs angestiegen.90 Der orthodoxe Pfarrer aus Josenii Bârgăului, Ioan Buzduc, wurde zu einer schriftlichen Stellungnahme über die von ihm unternommenen Maßnahmen zur „Ausrottung amoralischen Zusammenlebens“ aufgefordert. Die am häufigsten getroffenen Maßnahmen waren Maßregelung, Rüge, Kenntnisnahme durch das Konsistorium und kirchliche Strafen: Verweigerung des Abendmahls (cuminecătură) bis zum Lebensende,91 Beerdigung ohne Glockenläuten und Kirchenfahnen, Nichtbespritzung des Hauses mit Weihwasser, Bestellung der Konkubine vor das Pfarrkomitee, ein Bußgeld von zehn Kronen, wenn die Vermählung bis zu einem bestimmten Termin nicht stattfinden sollte.92 85 86 87 88 89 90 91
92
Ebd., 526/1876, fol. 16. DeteŞan, Daniela: Matrimonial behaviours of the Transylvanian Romanian rurale elite (second half of 19-th century). In: Transylvanian Review XXI (2012), Supplement 4. Cluj-Napoca 2012, 333. SJAN Bistriţa-Năsăud, Fond Oficiul parohial ortodox Josenii Bârgăului (FOPOJB) [Bestand Orthodoxes Pfarramt Josenii Bârgăului], 1838/1902, fol. 181. SJAN Bistriţa-Năsăud, FOPOJB, 1838/1902, fol. 192. Ebd., 1838/1902, fol. 291. Ebd., fol. 402. Der orthodoxe Pfarrer von Şieu Sfântu hat am 14. Februar 1913 jenen, die außerehelich zusammenlebten, das Abendmahl verweigert. UilĂcan, Iosif: Biserica în perioada comitatului Bistriţa-Năsăud (1876–1918) [Die Kirche im Komitat Bistritz-Nassod, 1876–1918]. In: Revista Bistriţei XXI, H. 2 (2007), 52. Purcar-Rustoiu, Ioana: Concubinajul în protopopiatul Sebeş: Răspunsurile parohiilor la circularul din decembrie 1909 [Das Konkubinat im Erzdechanat Mühlbach. Die Antworten des Pfarrer auf das Rundschreiben von Dezember 1909]. In: Apulum XXXIX (2002), 465–467.
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Ein aus Pinticul Român stammender Mann hatte seine Ehefrau mit drei Kindern verlassen und lebte in Ocna Dejului mit einer Witwe zusammen. Mehrfache Versuche des Pfarrers, die Konkubinen zu trauen, scheiterten, der Betroffene quittierte sie mit Fluchausbrüchen. Die Bestrebungen kirchlicher und staatlicher Behörden stießen auf einen starken Widerstand seitens der außerehelich zusammen lebenden Paare. Am 12. Januar 1887 machte ein Konkubinenpaar den Mesner darauf aufmerksam, dass er sich nicht mehr einmischen solle, da ihnen niemand Befehle erteilen kann, auch habe er in ihrem Hause nichts mehr zu suchen.93 Zwei Jahre später wurde der orthodoxe Protopope von Bistritz in Kenntnis gesetzt, dass „Konkubine den Pfarrern unflätige Worte ins Gesicht schleudern, auch die Mitglieder des Pfarreikomitees seien verunsichert“94. Andererseits hatte der Pfarrer von Bistriţa Bârgăului 1886 einen Erfolg zu vermelden: Alle fünf illegal zusammenlebenden Paare haben sich unter Beachtung sämtlicher Formalitäten trauen lassen.95 Äußerst wichtig für die Kenntnis der Verbreitung des Phänomens sind die Berichte der orthodoxen und griechisch-katholischen Pfarrer. Leider sind nicht alle Pfarreien der Aufforderung, solche Berichte zu erstellen und an das Diözesanzentrum zu schicken, nachgekommen. In einigen Gegenden wurde das Verhalten der Dorfbewohner aufmerksam verfolgt, so in Bichigiu, wo der Pfarrer am 22. Januar 1896 eine Aufstellung mit den Konkubinen, die sich trauen lassen können, und solchen, denen die Eheschließung verwehrt blieb (Prostituierte, mit anderen Personen Verheiratete), erarbeitete.96 Die Protopopen wurden beauftragt, jährliche kanonische Visitationen in sämtlichen Pfarreien ihres Kirchensprengels durchzuführen und ein wachsames Auge auf das Benehmen und die Sittlichkeit der Priester, Lehrer und Gläubigen zu halten. Wichtig war, die Eltern zu überzeugen, ihre Kinder in die Schule zu schicken und mit Weisheit und Strenge sämtliche im Kirchenvolk herrschenden Sünden, wie Konkubinate und Trunksucht, zu bekämpfen.97 Bei der von Metropolit Ioan Vancea im Jahre 1889 einberufenen Kirchensynode wurde auch eine mögliche Bestrafung der im Konkubinat lebenden Paare besprochen: Die kirchliche Beerdigung sollte ihnen verwehrt werden oder das Glockenläuten.98 In diesem Sinne ist eine Handlungsanweisung zu verstehen, die der griechisch-katholische Pfarrer Matei Pop vom Bischöflichen Ordinariat verlangt hat. Dabei handelte es sich um die Frage, ob die Beerdigung eines unvermählten Mannes in An- oder Abwesenheit des Pfarres stattfinden soll, oder darüber, ob der Sündenerlass (dezlegare de păcate) vorgelesen werden soll oder nicht. Der Kirchendiener argumentierte damit, dass „es überhaupt nichts bringt, sich an die staatlichen 93 94 95 96 97 98
SJAN Bistriţa-Năsăud, FPORB, 673/1887, fol. 60. Ebd., 709/1889, fol. 39. Ebd., 673/1887, fol. 90. SJAN Bistriţa-Năsăud, Fond Oficiul parohial greco-catolic Bichigiu [Bestand Griechisch-katholisches Pfarramt Bichigiu], 1936/1880, fol. 36. Actele şi decretele conciliului provinciei bisericeşti greco-catolice de Alba-Iulia şi Făgăraş ţinut în Anul Domnului 1872 [Akten und Erlasse des Konzils der Griechisch-katholischen Kirchenprovinz Karlsburg und Fogarasch, abgehalten im Jahr des Herrn 1872]. Blaj 1882, 45. Cârja, Biserică şi societate, S. 299–300; Legislaţia ecleziastică şi laică, 80–81.
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Würdenträger zu wenden“.99 Eine Lösung, auf die sich die Repräsentanten beider Konfessionen einigen konnten, war der Erlass der Trauungsgebühren und der kostenlose Vollzug kirchlicher Handlungen, so dass „die Seelen von dem Untergang erlöst werden können“.100 Auch wurde vorgeschlagen, Trauungen nicht an Sonntagen vorzunehmen, sondern an Arbeitstagen frühmorgens, so wie es auch reiche Leute in den Städten zu tun pflegen. Die Heiratstaxe wie auch die Verwandtschaftsdispensgebühren sollten Armen erlassen werden.101 Die Spitze der Kirchenhierarchie, die rumänischen Bischöfe selbst, überlegten Lösungen zur Abschaffung der Ursachen, die das Zustandekommen außerehelicher Lebensgemeinschaften ermöglichten. Schnell stellte sich heraus, dass die Situation sich nur langsam verändern kann und dass zur Beseitigung „der Konkubinate und der Mängel der öffentlichen Sittlichkeit“ ein langer Atem erforderlich war. In Târnava Mare traute der Pfarrer Emanuel Pop im Jahre 1886 kostenlos acht Zigeunerpaare. Seiner Erklärung ist zu entnehmen, dass man mit einer positiven Bilanz erst nach einer mittelfristigen Entwicklung, etwa nach zehn Jahren, rechnen kann.102 Möglicherweise blieben einige Menschen alten Denkmustern und sozialen und moralischen Vorurteilen verhaftet. Ein Soldat ohne Heiratserlaubnis aus Lompirt, dessen Fall vom Crasnaer Erzdechanten an den Gerichtsstuhl und dann an die vorgesetzte Militärbehörde weiter geleitet wurde, war nach zweiwöchigem Arrest in Cluj103 heimgekehrt und lebte weiterhin mit seiner Konkubine zusammen.104 Verhaltenspraktiken ändern sich nämlich nicht schlagartig von einem Tag zum anderen. Das Phänomen der Illegitimität weist eine weite Variationsbreite auf, von Neugeborenen „aus schändlichem Bett“ (din pat nelegiuit), deren Mütter alleinstehend oder Konkubinatsbeziehungen eingegangen waren, bis zu Kindern, die aus einem Seitensprung oder aus einer Soldatenliebschaft hervorgegangen sind. Die höchste Dichte illegitimer Kinder weist das Szeklergebiet auf, wobei das Komitat Háromszék (comitatul Trei Scaune) eine Spitzenposition einnimmt. Weit niedriger hingegen war die Verbreitung der Illegimität in den ungarischen Komitaten. Ihr Umfang war vom Anteil der ungarischen Komitatsbervölkerung abhängig. Ganz anders stellt sich die Situation in den von Rumänen bewohnten Gebieten dar. Im Komitat Hunedaora (Hunyad), der sogenannten „Valachia Transylvanica“ (Siebenbürgische Walachei), wo die Rumänen einen Anteil von 94 Prozent an der Komitatsbevölkerung hatten, war die Zahl der illegitimen Kinder niedriger. Ähnlich war die Lage im Komitat Solnoc-Dăbâca (Szolnok-Doboka) oder im Fogarascher Distrikt.105 Klausenburg und Hermannstadt106 hingegen zeichneten sich durch höhere Verhältnis99 100 101 102 103 104 105 106
SJAN Cluj, FECG, 3144/1886, fol. 1–3. Legislaţia ecleziastică şi laică, S. 862–863. SJAN Bistriţa-Năsăud, FPORB, 968/1905, S. 40. SJAN Cluj, FECG, 112/1886, S. 1–3. Dt. Klausenburg. Ebd., 2483/1858, S 2. Siehe Abb. 1. Rum. Sibiu.
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zahlen aus, da in diesen Städten 20 Prozent der Geburten illegitim waren, Kronstadt107 hingegen wies nur halb so viele illegitime Geburten auf.108 Bei der Erbfolge wurden nicht nur legitime Kinder sondern auch illegitime als Erben eingesetzt. Dadurch fand eine späte Anerkennung der Vaterschaft statt und die bisher benachteiligten Kinder kamen in den Besitz des lebenslang hart erarbeiteten Vermögens. So zum Beispiel überließ Ion Glăvaşu aus Zlatna testamentarisch sein ganzes Vermögen seiner illegitimen Tochter – im Geburtenregister als Sofia Oprea, im Grundbuch hingegen als Sofia Glăvaşu eingetragen, wobei die Verheiratete eigentlich den Namen ihres Ehemannes Simion Danciu trug. Die Ehegattin des Verstorbenen akzeptierte die Entscheidung und verzichtete schriftlich auf ihre Ansprüche.109 Filimon Oul aus Ilva Mare vermachte am 8. Februar 1867 seinen vier, aus einer Konkubinatsbeziehung hervorgegangenen Kindern gleiche Anteile an Grundbesitz wie auch jeweils eine Kuh. Seine legitime Ehefrau, die ihn neun Jahre zuvor verlassen hatte, wurde von der Erbschaft ausgeschlossen. Außergewöhnlich ist, dass das letzte testamentarisch bedachte Kind seiner schwangeren Konkubine noch nicht geboren war und dennoch in den Genuss gleicher Erbschaftsrechte kam.110 SCHLUSSBEMERKUNGEN In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gehörten die zum nichtehelichen Zusammenleben veranlagten, in Vereinzelung lebenden und verletzlichen Personen eher den gesellschaftlichen Randkategorien an: An chronischen Krankheiten leidende Personen, Viehhirten, Tagelöhner, körperlich oder geistig behinderte Menschen. Dienstmägde und Soldaten führten „ein ruchloses und ausschweifendes Leben“ und verzögerten den Eintritt in den Stand der Ehe wegen rechtlichen Einschränkungen, wirtschaftlichen Faktoren oder vor dem Hintergrund gesteigerter Migrationsintensität. Häufig heirateten auch Zigeuner nicht legal. Während des Winters ließen sie sich in verschiedenen Dörfern nieder, im Sommer wanderten sie wiederum weiter. Die individuellen Umstände, die Besonderheiten der persönlichen Situation des Einzelnen bestimmten die Intensität illegitimen Zusammenlebens. Das Erklärungsmuster, nach dem das Modell der außerehelichen Familie ein Ergebnis der Frauenemanzipation und der Sexualrevolution sei, lässt sich auf Siebenbürgen nicht ohne Weiteres übertragen. Frauen waren in dieser Epoche noch nicht unabhängig im Verhältnis zu ihren Vätern wie auch zu ihren Lebenspartnern. 107 Rum. Braşov. 108 Transilvania II, H. 5 (1869), 54. 109 Arhivele Naţionale ale României, Direcţia Judeţeană Alba, Fond Notar Cândrea Mihály din Abrud [Rumänisches Nationalarchiv, Kreisdirektion Karlsburg, Bestand Notar Mihály Cândrea aus Großschlatten], 133/1887. 110 Testamente din districtul Năsăud (1861–1871) [Testamente aus dem Nassoder Distrikt, 1861– 1871]. Hg. v. Daniela DeteŞan / Adrian Onofreiu / Mircea Prahase / Claudia Septimia SabĂu. Cluj-Napoca 2011, 157.
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Das Modell der außerehelichen Familie beschränkte sich nicht auf den ländlichen Raum. Das städtische Zusammenleben ist als eine populäre Lebensform zu betrachten. Insbesondere im ausgehenden 19. Jahrhundert kam es zu einem Anstieg der Illegalität in städtischen Zentren. Ein langfristiges Forschungsziel könnte die räumliche Erweiterung der Dokumentationsbasis bilden, insofern archivalische Quellen dies erlauben. Die realen Ursachen der Entstehung dieses Familientyps sind für die ungarische und siebenbürgische Bevölkerung quellenmäßig noch zu eruieren.
4- 6% 6- 8% Sălaj Szilágy
Bistriţa-Năsăud Beszterce-Naszód
Solnoc-Dăbâca Szolnok-Doboka
>10%%
Cluj Kolozs
Mureş-Turda Maros-Torda
Turda- Arieş Torda-Aranyos
Alba de Jos Alsó-Fehér
Ciuk Csík
Odorhei Udvarhely
Târnava Mică Kis- /
Hunedoara Hunyad
8- 10%
Târnava Mare Nagy-Küküllő
Făgăraş Fogaras
Sibiu Szeben
Trei Scaune Háromszék Braşov Brassó
N 0
25
50
75
100
125 km
Abb. 1: Illegitimität in den siebenbürgischen Komitaten, 1880. Quellen: Magyar Statisztikai Évkönyv [Ungarisches Statistisches Jahrbuch], VI-XIX, Budapest, 1879–1891; Sorina Paula Bolovan, Sorina Paula / Bolovan, Ioan: Ilegitimitatea în Transilvania în a doua jumătate a secolului al XIX-lea. Contribuţii statistico-demografice [Illegimität in Siebenbürgen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts], in: Populaţia României. Trecut, prezent, viitor [Die Bevölkerung Rumäniens. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft], hg. v. Traian RotaRiu / Sorina Paula Bolovan / Ioan Bolovan. Cluj-Napoca 2006, 223–231.
PERSONENREGISTER Die kursiv gesetzten Zahlen beziehen sich auf die Fußnoten auf der entsprechenden Seite. Albu, Timotei 279 Alexi, Ioan, Bischof 276 Andrássi, István 146 Antalfi, János 146 Apponyi, ungarisches Grafengeschlecht 13, 97, 97 Armbruster, Christoph 215, 216 Bacon, Francis 210, Bade, Klaus J. 38, 39 Bahlcke, Joachim 17, 35, 39, 50 Bălan, Macavei 279, Bánffy, György, Graf 250, 258 Bärnkopf, Ignatius 64, 69, 76, 76, 77 Bárth, Dániel 143, 151, 153, 162 Barth-Barthensheim, Johann Ludwig 173 Bartholomaei, Wilhelm Ernst 54 Barto, Mihály 146, 150, 151, 161 Batthyány, ungarische Adels- und Magnatenfamilie 13,93,99, 228 Baudri, Friedrich 110, 111 Bauer, Joseph 248, 249 Bauer, Katharina 99, 99 Beaurieu, Johann Franz Egyd 211 Becher, Johann Jakob 210 Behringer, Wolfgang 12, 84, 84, Benedikt XIV., Papst 68, 166, Berényi, Sigismund (Zsigmond), Bischof von Fünfkirchen (Pécs) 216 Berenz, Adam 24 Berlet, Kaspar 107, Bertalan, Tamás 132, 145, 146 Berzeviczy, Gregor 23, 175, 178, 181, 183, 183, 184, 184, 205 Bieleny, Martin 187, 187 Bilegan, Mitru 237 Bíró, Istók 224 Bischof, Josef 99 Bistjan, Georgius Nicolaus 71 Bleyer, Jakob 9 Blickle, Peter 25, 95, 140, 206, 207, 207, 208, 230 Blümegen, Heinrich Kajetan von, Graf 212
Boca, Luca 275 Bocşa, George 276 Bodó, Ferenc 146, 147, 148, 149, 149, 155, 156, 157, 158 Boka, Stefan 191 Bolyai, János 59, 59,144 Borié, Egyd Freiherr von 211, 211, 212 Boros, Mária 130 Börsönyi, György 225 Borza, Anghilina 275 Brakensiek, Stefan 25, 83, 104, 126, 127, 140 Brassai, János 223 Brenkenhoff, Franz Balthasar Schönberg von 49 Brück, Johann Georg 101 Brukenthal, Samuel von 235 Brunner, Katharina 99 Buckmüller, Adam 94 Bukovcsanin, Simon 111 Buzduc, Ioan 280 Cândrea, Mihalyi 283 Chaix, Gérald 26, 85 Ciubotariu, Gavriil Coler, Johann Christoph 54 Cothmann, Anton von, Baron 212, 221 Csáky, Joseph 73 Csató, Ferenc 146, 148, 148, 149, 149, 150, 152, 152, 153, 154, 155, 156, 157, 158, 158 Cseh, Mihály 146 Csende, Andreas 186 Czerny, Joseph, Graf 238, 238 Danciu, Simion 283, Daraban, Kissmihai 237 Deli, Istók Bók 224 Demeter, Márton 147 Dersőffy, Pál 139 Deteşan, Daniela 8, 14, 263, 269, 276, 281, 283 Dewecka, Ewa 190 Dobondi, Andrásné 145, 146, 154, 157, 158, 159, 160 Dobondi, István 146, 157
286
Personenregister
Dobondi, János 146, 158 Dobra, Peter (Petru) 233 Domacsinovics, Antonius 74 Domsics, Mathias 65, 65 Dőry, Vizegespan 223 Egervári, Pál László 70 Egry 213, 213 Eimann, Johann 90, 90 Erdődi 134 Erdődy, Graf 214 Erős, Gábor 128, 129, 130, 130, 131, 132, 132, 133, 133, 134, 135, 136, 136, 137,137,138, 139, 141 Erthal, Franz Ludwig von, Fürstbischof im Hochstift Würzburg 260, 260 Esterházy de Galántha, Imre (Emmerich), Erzbischof von Esztergom und Primas von Ungarn Esterházy de Galantha, Miklós József (Nikolaus I. Joseph), Graf und später Fürst Esterházy de Galantha, Paul, Palatin Esterházy de Galantha, Paul II. Anton, Fürst Eszterházy, Pál László, Bischof von Fünfkirchen (Pécs) 69, 76 Eszterházy, Karl, Bischof von Erlau (Eger) 191 Euler, Leonhard 49 Eynatten, Maximilan von 152 Fabian, Pál 225 Faddi, Ferenc 228 Farkas 212 Fata, Márta 247 Feiss, Johann 99 Fejér, György 177, 179, 179 Fekete 212 Ferdinand II., römisch-deutscher Kaiser und ungarischer König 52 Ferencz, György 146, 148, 154 Ferenczi, György 145, 146, 147, 148,148 , 149, 149, 150, 151, 152, 152, 153, 155, 155, 156, 157, 157, 159, 159, 161 Ferenczi, József 145, 146, 155, 157, 157 Festetich, Ludwig, Graf 222, 223, 224 Filtsch, Daniel 233 Forgách, Éva, Gräfin 130 Fornet, Krystyan 181, 181, 182 Francke, Gotthilf August 35 Franckh, Johann Hubert 98 Franz II. bzw. Franz I. Joseph Karl, römischdeutscher Kaiser sowie österreichischer Kaiser und ungarischer König 80, 205
Friederich, Ferdinand 183 Friedrich II. von Preußen, König von Preußen 210 Gaál 216, 216 Gabler, Ambrosius 93, 93 Galeşiu, Ioana 275 Gaßner, Johann Joseph 162 Germian, Iuliana 274 Glaar, Daniel 107 Glăvaşu, Ion 283 Glăvaşu, Sofia 283 Gőzsy, Zoltán 15, 21, 24, 59, 60, 61, 64, 65, 66, 69, 75, 90, 96, 229 Gregor XVI., Papst 168, 169 Grellmann, Heinrich Moritz 171, 171 Grendi, Edoardo 29 Greyerz, Kaspar von 9, 84 Groebner, Valentin 141, 141 Groffik, Stephanus 200 Groß, Sebastian 98 Gruber, Georg 220 Gückel 132 Hadik, Andreas Graf von 25 Hadnagy, Albert 226, 227 Haerlem, Simon Leonhard von Hajdú, Lajos 116, 116, 261, 59 Hajnotzy, Samuel 107 Haller, Carl Ludwig von 180, 181 Härter, Karl 42,116, 125, 139, 140, 250, 251, 258, 262, 262, Hartwig, Josef 224, 225 Haus, Mathias 249, 256 Hauswirth, Michael 102, 102, 103, 111 Hay, Leopold 74 Heimbucher, Karl von 256 Helfert, Joseph 179, 179, 180 Herolt, Hans Georg 214 Herth, Friedrich 107 Hilleprand Prandau, Josef Ignaz, Freiherr von 25 Himmelberg, Anton 82, 82, 105 Hoffmann, Adam 27 Hofmann, Anna 100 Holéci, Mathias 189, 189, 190 Holenstein, André 30, 31, 139, 140, 140 Hönn, Georg Paul 252, 252, 253, 253 Horner, Anton 101 Horváth, Márton 224, 225 Horváth, Mihály 224, 224 Horváth, Zita 230
Personenregister Huizinga, Johan 29, 29 Hulek, Maria 188 Hulek, Marina 189, 189 Illés, András 69 Illinics, Mattheus 76, 78 István, György 146, 150, 156 János, Pál 157, 146 Johann, Nikolaus 99, 100 Joseph II., römisch-deutscher Kaiser und ungarischer König 17, 18, 18, 19, 20, 23, 24, 71, 72, 73, 75,87, 88, 95, 116, 117, 171, 172, 181, 233, 235, 235, 236, 238, 240, 242, 243, 244, 248, 254, 255 Justi, Johann Heinrich Gottlob von 210 Kádár, Mihály 146, 148, 158 Kállay, István 20, 116, 120, 120 Karl VI. (III.), römisch-deutscher Kaiser, ungarischer König 18, 34, 52, 63, 68, 205, Károlyi, Sándor, Graf 127, 128, 131, 131, 132, 132, 133, 133, 134, 135, 135, 136, 136, 137, 137, 138, 139, 141 Kata 145, 147, 148, 149, 150, 154, 155, 158, 158, 159, 160, 161, 162 Kempelen, Wolfgang von 212 Kerekes, Joseph 186, Keresztes, József 146, 149, 150, 151, 155, 158 Kliegl, Anna von 79, 80 Kliegl, Josef von 79, 80 Klima, Georgius 186 Klimó, György, Bischof von Fünfkirchen 66, 67, 68, 69, 69, 70, 70, 71, 72, 97 Kölcsey, Ferenc 120, 120 Kollonitsch, Ladislaus von, Erzbischof von Kalocsa 79 Kollonitz, Sigismund Graf, Fürstbischof 34, 36, 41, 52, 53, 54, 55 Komáromi, Tünde 164 Kortholt, Christian 35 Kovács, Àgnes 131 Kovács, András 146, 148, 151, 156, 157, 158, 160, 160 Kovács, Elisabeth 60, 69 Kovács, Joseph 200 Kovács, Kálmán 261 Kovács, Károlyi Sándor 132, 135 Kovács, Mihály 223 Kovács, Zsolt 151 Krauss, Jirko 7
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Krauss, Karl-Peter 7, 10, 14, 15, 21, 27, 36, 60, 79, 85, 90, 105, 213, 228, 229 Krauß, Carl Gottlieb Kristlhuber, Nikolaus 80 Kroh, Sophia 111, 111 Kuhn, Johann 249, 256 Kunstmann, Friedrich 180, 180 Kutschker, Johann Rudolf 167, 168, 169, 180, 180, 183 Kuzmány, Karl 14, 170, 172, 174, 176, 176, 178 Ladányi 134 Ladányi, Sándor 59 Ladislaus I. der Heilige, König von Ungarn 117 Lambruschini, Luigi, Kardinal 169 Landwehr, Achim 140, 140, 141 Latour, Bruno 53 Lebenthal, Maria 102, 102, 111 Lebkücher, Anna Maria 101, 101 Lebkücher, Dietrich 101 Lengyel, Felix 236 Leopold II., römisch-deutscher Kaiser und ungarischer König 17, 88 Libovsky, Margaretha 97 Lichnowsky, Franziska, Gräfin von 25 Liechtenstein, Gundaker von 11 Lüdtke, Alf 9 Lup, Popa 237 Mannhalt, Johann 70 Márffy, Leopold von 79, 80, 89, 111, Maria Theresia, römisch-deutsche Kaiserin, ungarische Königin 16, 17, 19, 20, 66, 70, 116, 170, 171, 211, 211, 214, 217, 219, 233, 233 Marzloff, Juliana 94 Mašić, Boris 15 Matković, Kristina 27 Maximilian I., römisch-deutscher Kaiser Medick, Hans 29, 84, 8, 9 Melegh, Attila 86, 86 Menghi, Girolamo 152, 153, 154 Mezey, Barna 259, 29, 13, 20, 22, 23, 115, 117, 118 Migazzi, Anton 195 Mikes, Mihály 149, 149 Mislikowski, Susanna 191 Misowie, Susana 187, 187 Moisil, Grigore 175 Molnár, Elisabetha 186
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Personenregister
Molnár, János 171 Müller, Anna Maria 97 Müller, Cäcilia 98 Mutter, Christina 100 Mutter, Kaspar 100, 101 Nagy, Andreas 218 Nagy, János 224 Nedeczky, Esther 205 Németh, Elisabetha 186 Németh, János 227 Neszmér, Anton von 248 Nitsch, Anton 69 Oberauer, Josef 93 Oláhfalvi, Ferenc 146, 148, 153, 157, 161 Olovátz, Josephus Bernátfy de 89 Oprea, Sofia 283 Oul, Filimon 283 Padányi, Márton 71 Pál, Judit 13, 25, 127 Pálffy, Karl, Graf, Kanzler der Ungarischen Hofkanzlei 256, 258, 259, 261 Pálffy von Erdőd, Johann (János), Feldmarschall 62, 133 Pándi, Michael 186 Patachich de Zajezda (Patačić / Patacsics), Adam, Baron, Erzbischof von Kalocsa 93 Paul, Georg 97, 97 Pazmany de Panasz, Petri (Péter), Erzbischof 150, 152 Peterson, Margaretha 94 Petsić (Pečić), Anton 102 Pinkovits (Pinković), Benedikt 107 Pittermann, Johann 98 Pius VII., Papst 167 Pócs, Éva 143, 150, 160, 161, 162, 163 Pop, Emanuel 282 Pop, Ioan 274 Pop, Matei 281 Popan, Marin 14, 233 Porpus, Anna Maria 107, 109, 110 Preisich, Johann 97, 97 Preyer, Johann Nepomuk 25 Rajtuch, Michael 188, 189, 189 Rákóczi II., Ferenc, Fürst 127,129 Rakovszky, P. Georgius 89 Rautenstrauch, Franz Stephan 72, 72, 73 Recher, Apollonia 103 Reinhard, Wolfgang 60, 126, 128, 141
Rohr, Ludwig 97 Roskoványi, Augustin (Ágoston) 168, 179, 179 Roth, Jakob 94 Rusu, Grigore 273 Şaguna, Andrei, Metropolit 269 Salbeck, Karl de, Zipser Bischof 195 Savoyen-Carignan, Eugen von, Prinz Schieber, Sigrid 140 Schierendorf, Christian Schierl von 210 Schilling, Heinz 12, 26, 27, 27, 50, 50, 85, 95, 103, 103, 125 Schlözer, August Ludwig von 240, 23 Schlumbohm, Jürgen 31, 139, 139, 140, 250, 251 Schmid, Franz 111, 111, 113 Schmid, Josepha 112 Schmidt, Josef 99 Schneyder, Georg 107 Schöll, Johann Ulrich 260, 260 Schönborn-Buchheim, Friedrich Karl von, Fürstbischof von Würzburg und Bamberg sowie Reichsvizekanzler 211 Schulze, Winfried 10, 10, 12, 29, 34, 84, 84, 206, 207, 209, 210, 220, 221, 262 Schunka, Alexander 7, 10, 29, 31, 35, 37, 38, 39, 40, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 53 Seemayer, Thomas 98 Segedinac, Pera Jovanović 207 Sehne, Philipp 106, 107, 108, 110 Silaşi, Ioan 273 Simion Strâmbu, Rafira 279 Sinzendorf, Georg Ludwig von, Graf 130, 134 Sipos, Elisabetha 186 Skottka, Mihály 130, 130, 131, 131 Sohl, Georg 107 Šoltés, Peter 14, 165, 185, 204 Spannenberger, Norbert 8, 10, 13, 14, 15, 21, 24, 27, 36, 60, 61, 85, 90, 205, 212, 213, 230 Stanovits (Stanović), Maximilian 88 Stemmler, Peter 91 Stephan I. der Heilige, erster König von Ungarn 117 Stiasny, Joseph 112, 113 Strázsay, Johann Nepomuk 26, 26 Strungariu, Teodor 275 Struţu, Elisabeta 273 Stupan von Ehrenstein, Anton, Freiherr 212 Sukovitz, Josepha 111 Süßmilch, Johann Peter 49 Szabados, József 224
Personenregister Szabó, Béla 125 Szabó, Lukács 224 Szabó, Miklós 224 Szekeres, András 146, 154 Szentleléky, Gejza 200 Szépvízi, Márton 145, 146, 160 Sztrell, Anna 186 Szuhányi, Franz 79, 79, 80 Szverlak, György 225, 225 Tabler, Mihály 224 Takács, Adamus 186 Takáts, Martin(us) 80, 80, 89 Tanner, Jakob 97 Tessedik, Elias 205 Tessedik, Georg 205 Tessedik, Johann 205 Tessedik (dt. Teschedik, slowak. Tešedik), Samuel 205, 205 Thavonath, Ludwig Albert 137 Thurn-Valsassina, Anton Kasimir von, Bischof von Fünfkirchen 62 Tilly, Charles 52, 52, 53, 54 Tomcsányi, Andreas von 248 Törő, János 224 Trauttmannsdorff, Ferdinand Graf von 259 Tűrő, József 222, 222, 223 Ulbrich, Claudia 9, 206, 208 Ürményi, Michael von 248, 259 Urzică, Giurgeu Ioan 277
289
Vancea, Ioan, Erzbischof 273, 277, 281 Vasi, Maria 277 Végh 212 Veştemean, Nicolae 274 Vierhaus, Rudolf 7, 7 Virozsil, Anton (Antal) von 13, 15, 16 Volkra, Otto Chrystophorus Johannes de, Bischof von Veszprém 65, 65 Vörös, Ferenc 227 Wagner, Christian Johann Baptist von 259, 260 Weber, Konrad 94 Wehler, Hans-Ulrich 11 Weißenbach, Julius von 95 Windisch, Stephan 220 Winkelbauer, Thomas 11, 16, 52, 125, 126 Winkler, Michael 74, 74, 75, 75, 93, 94, 94, 97 Wolf, Dorothea 8, 263 Wolf, Josef 27 Wolf, Margaretha 100 Würgler, Andreas 140, 140 Zachariás, János 146, 150, 156 Zedler, Johann Heinrich 31, 31, 253, 253 Zimmermann, Michael 248, 249, 254, 255, 256, 257, 259, 261, 262 Zsigmond, Antal 146, 150, 153, 156, 157, 158, 159 Zombori, Mihály 222
ORTSREGISTER Das Ortsregister enthält die Namen von Ländern, Regionen und Orten, nicht jedoch das Schlagwort Ungarn. Die heute amtlichen Ortsbezeichnungen sind, sofern sie nicht an erster Stelle stehen, unterstrichen. Die kursiv gesetzten Zahlen beziehen sich auf die Fußnoten auf der entsprechenden Seite. Abaúj-Torna s. Abaujwar-Tornau Abaujwar-Tornau (Komitat) 193 Abrud s. Großschlatten Aghireş 272 Alba Julia s. Karlsburg Almasch / Bácsalmás 94, 94 Altdorf 252 Amerika 121, 247 Apatin 15, 24, 92, 93, 95, 99, 100, 100, 101, 248 Ardeal s. Siebenbürgen Athos 279 Bačka Palanka 15, 79, 92, 101, 107 Bačko Dobro Polje s. Klein-Ker Bácsalmás s. Almasch Bács-Bodrog s. Batsch-Bodrog Bácsordas s. Karawukowo Bamberg 211, 251, 260, 260 Banat 9, 13, 24, 83, 88, 98, 98, 279 Banská Bystrica s. Neusohl Barancs s. Branč Batiz 130 Batsch-Bodrog / Bács-Bodrog (Komitat) 24, 25, 79, 82, 94, 105, 106, 248 Batschka 14, 15, 85, 92, 92, 95, 96, 97, 102, 105, 110, 162, 247, 256, 257 Batschsentiwan / Prigrevica / Bácsszentiván 92, 92, 95, 248, 248, 262, 262 Bayern 59, 86, 96, 168, 169, 173, 173 Bedeg 213, 217 Berény 216, 217 Berki 224 Bichigiu 268, 277, 277, 281, 281 Bistrița s. Bistritz Bistritz / Bistrițam 14,233, 234, 234, 235, 236, 237, 238, 238, 239, 241, 242, 242, 243, 244, 245, 268, 268, 278, 281 Bistriţa Bârgăului 271, 281 Bistriţa-Năsăud s. Bistritz-Nassod Bistritz-Nassod / Bistriţa-Năsăud 233, 268, 268, 271, 275, 278, 279, 280, 281, 282
Blaj s. Blasendorf Blasendorf / Blaj 237, 269 Bohl s. Deutschbohl Böhmen 17, 34, 39, 48, 50, 205, 252 Bölcske 76, 76 Bóly s. Deutschbohl Bonnhard / Bonyhád 70, 74, 93, 97 Bonyhád s. Bonnhard Bracócz s. Bracovce Bracovce / Bracócz 192, 194 Branč 191, 191 Brandenburg 39, 40, 44 Brandenburg-Preußen 44, 47, 48, 49 Braşov s. Kronstadt Braunschweig (Fürstentum) 247, 248 Braunschweig-Lüneburg (Kurfürstentum) 172 Bred 278 Buda s. Ofen Budapest 284 Bukin / Mladenovo / Dunabökény 92, 92, 95, 95, 105, 105, Bulkes / Maglič / Bulkeszi 100, 100 Bulkeszi s. Bulkes Cean 278 Cerna 71 Chereluş 276 Chintelnic 271 Ciuc 145, 277 Cluj-Gherla s. Klausenburg-Neuschloss Cluj-Napoca s. Klausenburg Coburg 252 Čonoplja s. Tschonopel Crasna 272 Crvenka s Tscherwenka Csatád s. Lenauheim Csátalja s. Tschatali Cséb s. Tscheb Cserwenka s. Tscherwenka Csík 144, 146, 284 Csíkkozmás 146
292
Ortsregister
Csíkrákos / Racu 145 Csíksomlyó / Şumuleu Ciuc 145, 145, 158, 161, Csíkszentdomonkos / Sândominic, 276 Csíkszentgyörgy / Ciucsângeorgiu 144, 144, 145, 145, 146, 146, 147, 147, 151, 151, 153, 156, 158, 159, 160 Csíkszentimre / Sântimbru 146, 148 Csíkszentlélek / Leliceni 146 Csíkszentmárton / Sânmartin 146 Csíkszentmiklós / Nicoleşti 146 Csíkszentsimon / Sânsimion 146, 160 Csonoplya s. Tschonopel Cuşma 236 Cuzdrioara 270, 270, 271 Czikó 217 Dalmand 214, 224 Deutschbohl / Bóly 26, 26, 105, 228 Deutschland 25, 33, 38, 40, 162, 180, 251 Döbrököz 208, 217, 218, 221, 224, 225 Dombóvár 213, 215, 216, 216, 217, 218, 218, 219, 219, 220, 221, 222, 224, 225, 226, 227 Donau 217, 254 Dragu 272 Dumbrava 277 Dunabökény s. Bukin Dunacséb s. Tscheb Eisenburg / Vas (Komitat) 212, 119, 119, 221, 226 Eisenstadt 213, 216, Elsass 94 England 34, 48, 48, 143, 252 Erdély s. Siebenbürgen Erdőbénye 186 Erlangen 205 Ertény 217 Eschbourg s. Eschburg Eschburg / Eschbourg 94, 94 Esseg / Osijek / Eszék 71, 15, 25, 71 Eszék s. Esseg Esztergom s. Gran Europa 30, 32, 35, 35, 50, 90, 117, 121, 128, 205, 221, 252, 260 Făgăraş s. Fogarasch Fogarasch / Făgăraş 267, 269, 279, 281, 284 Földvár 214 Frankreich 252, 264, 275 Fünfkirchen / Pécs 62, 63, 64, 66, 83, 107, 228 Futak s. Futok
Futog s. Futok Futok / Futog / Futak 25, 100 Gajdobra / Szépliget 107, 107, 108 Galizien 255 Galszécs s. Sečovce Gara 99 Genève s. Genf Genf / Genève 37, 37 Gerényes 215, 216 Gerjén 217 Gherla s. Neuschloss Ghimeş-Făget 277 Ghiolţ 278 Giurtelec 272 Gledin 271 Göröcsfalva / Gârciu 145 Grábóc 217 Gran / Esztergom 14 Groningen 252 Großbritannien 45, 47, 48, 48 Großschlatten / Abrud 283 Großwardein / Oradea / Nagyvárad 129, 129, 179 Guruslău 278 Gyula 217, 218, 221 Gyulafehérvár s. Karlsburg Hajós s. Hajosch Hajosch / Hajós 111, 111, 112, 113 Halas 86, 86 Halle an der Saale 35 Háromszék 146, 282, 284 Haug, Chorherrenstift 249 Hermannstadt / Sibiu 19, 236, 241, 271, 271, 282, 282, 284 Hidegkút 217 Hidor 228 Hódság s. Hodschag Hodschag / Odžaci / Hódság 24, 95, 95 Högyész 217 Hór s. Horovce Horovce / Hór 192, 194 Hradec Králové s. Königgrätz Hunedaora / Hunyad (Komitat) 282, 284 Hunyad / Hunedaora (Komitat) 282, 284 Ilova 272 Ilva Mare 275, 275, 277, 277, 278, 283 Island 264 Italien 252
Ortsregister Jágónak 216, Josenii Bârgăului 268, 268, 280, 280 Jováncza 224, 225 Južna Bačka / Süd-Batschka 79, 92, 95, 100, 101, 107 Južni Banat / Süd-Banat 98 Kakasd 217 Kalocsa 14, 79, 79, 83, 88, 89, 93, 96, 112, 162 Kapos 223, 223 Kaposvár 213, 214 Karavukovo s. Karawukowo Karawukowo / Karavukovo / Bácsordas 95, 95, 102, 102, 111 Karlsburg / Gyulafehérvár / Alba Julia 144, 145, 145, 267, 269, 274, 279, 281, 283 Kärnten 36, 36, 264 Kaschau / Košice 27, 186, 202, 202 Kászon / Caşin Nou 145, 145, 146 Keszi 217 Kézdiszentlélek / Poian 146 Kisasszony 145, 146 Kiskér s. Klein-Ker Kistoba 214 Kistormás s. Kleintormasch Kis-Vejke 217 Klausenburg / Cluj-Napoca 134, 233, 241, 263, 267, 282, 282, 284 Klausenburg-Neuschloss / Cluj-Gherla 263, 267, 267 Klein-Ker / Bačko Dobro Polje / Kiskér 106, 107, 107, 109 Kleintormasch / Kistormás 97, 97 Klingenberg 248, 249, 254, 255 Kocsola 217, 222, 224, 224 Königgrätz / Hradec Králové 74 Kónyi 213, 217 Körösfő s. Okružná Košice s. Kaschau Kozár 217 Kraľovany 189 Kronstadt / Braşov 283, 283, 284 Kula 262 Kurd 217, 225, 225 Kvakócz s. Kvakovce Kvakócz / Kvakócz 192, 196 Lacum Balaton / Balaton 216 Landsberg 96 Lápafő 217 Laskócz s. Laškovce Laškovce / Laskócz 192, 196
293
Lenauheim (früher Tschatad) / Csatád 101 Leutschau / Levoča 184, 184 Levoča s. Leutschau Liebling 24, 105 Liptau / Liptó (Komitat) 186, 187, 188, 190 Lompirt 282 London 45, 47, 48, 48, 221, 221 Lugoj s. Lugosch Lugos s. Lugosch Lugosch / Lugoj / Lugos 25 Luşca 272 Mád 186 Madéfalva / Siculeni 145 Maglič s. Bulkes Magyar Iszep s. Nižný Žipov Mähren 205 Maieru 278 Majos 217 Maramarosch / Maramureş 269 Maramureş / Maramarosch 269 Maria-Theresiopel / Subotica / Szabadka 80, 80 Mecseknádasd s. Nadasch 93 Mekényes 217 Michalovce 191 Mislye / Myslina 27, 27 Mladenovo s. Bukin Moravany / Morva 192, 198 Morva s. Moravany Moskau 39, 39 Mucsi s. Mutsching München 263 Münchweiler 92 Mutsching / Mucsi 93, 217 Myslina s. Mislye Nadasch / Mecseknádasd 93, 93 Nagyág 216 Nagy Michály s. Michalovce Nagyszokoly 225 Nagyszombat s. Tyrnau Nagyvárad s. Großwardein Nak 221, 223, 224 Nána 217 Németi 127, 131 Német-Pulya 217 Neštin 101 Neuschloss, auch Armenierstadt / Gherla 276 Neu-Schowe / Ravno Selo / Újsóvé 95, 95 Neusohl / Banská Bystrica 176, 176, 195, 195 Neutra / Nitra / Nyitra 94, 179, 179 Niederlande 18, 48, 252
294
Ortsregister
Nižný Žipov / Magyar Iszep 193, 198 Nordamerika 38, 41, 45, 50 Oberbotzen / Vyšná Boca 181, 181 Oberlausitz 45, 47 Ocna Dejului 281 Öcsény 217 Oderbruch 49 Odorhei (Odorhei Secuiesc) s. Oderhellen Oderhellen / Odorhei (Odorhei Secuiesc) 274, 284 Odžaci s. Hodschag Ofen / Buda, heute Budapest 18, 18, 76, 221 Okružná / Körösfő 200, 200 Olaszliszka 185, 186 Olmütz / Olomouc 180 Olomouc s. Olmütz Oradea s. Großwardein Oroszló 91, 92 Osijek s. Esseg Österreich 80, 88, 264 Ozora 13, 69, 205, 213, 213, 214, 215, 217, 220, 225, 226, 227, 228, 229 Paks 70, 217 Parchovany / Parnó 200, 200 Pári 217 Parnó s. Parchovany Pécs s. Fünfkirchen Perkáta 71 Pest (heute Budapest und Komitat) 80, 179, 212, 217, 221, 222 Petrijevci 74 Pincehely 70, 217 Pinticul Român 281 Pirna 44, 45, 45 Polen 126 Porceşti 274 Potsdam 49 Preschau / Prešov / Eperies 200, 202, 202 Prešov s. Preschau Pressburg 18, 63 Preußen 49, 211 Prigrevica-Szentivány s. Batschsentiwan Prittriching 96 Prundul Bârgăului 279 Puhó 205 Pula 221 Racz Töttös s. Töttös Ravno Selo s. Neu-Schowe Reghin s. Sächsisch-Regen
Regöly 217 Réztelek s. Tătăreşti Ripa de Sus 266 Rodna 268, 278 Rom 45, 171, 234 Rosenau / Rožňava 195, 195 Rožňava s. Rosenau Ruské Pekľany 201 Russland 38, 41, 173 Sachsen 34, 37, 40, 47, 47 Sächsisch-Regen / Reghin 266 Sagetal / Szakadát 94, 94, 217 Sălaj / Szilágy (Komitat) 279, 274, 284 Sândominic 145, 276 Sânicoara 273 Sankt Burkard, Kollegiatstift 249 Şard 277 Sáros s. Scharos (Komitat) Sathmar / Satu Mare / Szatmárnémeti 127, 127, 128, 128, 129, 129, 130, 131, 132, 132, 133, 134, 134, 135, 135, 136, 137, 138 Satnica 74 Satu Mare s. Sathmar Scharos / Sáros 193, 193, 201, 201 Schottland 264 Schwanfeld 248, 255, 256 Schwechat 34 Schweden 264 Sečovce / Galszécs 193, 199 Serbien 79, 80, 88, 92, 93, 95, 97, 98, 100, 101, 107 Severna Bačka / Nord-Batschka 80 Sibiu s. Hermannstadt Siebenbürgen 17, 22, 36, 38, 143, 147, 151, 160, 161, 163, 171, 172, 172, 221, 234, 235, 236, 237, 239, 240, 242, 245, 263, 264, 265, 266, 267, 267, 269, 269, 270, 273, 274, 279, 283, 284 Siebenbürgische Walachei / Valachia Transylvanica 282 Şieu Sfântu 280 Siklós 228 Şimand 276 Slawonien 15, 25, 59, 60, 71, 74, 76, 90 Sohl / Zvolen 176, 176 Şoimuş 273 Solnoc-Dăbâca / Szolnok-Doboka (Komitat) 282, 284 Sombor / Zombor 26, 27, 88, 95, 97, 102, 102, 103, 110, 162,162, 186, 256, 257 Someş s. Somesch
Ortsregister Somesch / Someş / Szamos 131, 131 Somogy (Komitat) 59, 221, 222, 225 Speyer 91, 92 St. Petersburg 90 Straňany 189 Subotica s. Maria-Theresiopel Südtransdanubien 94, 206, 212, 214, 216, 221 Südungarn 79, 110, 211 Susenii Bârgăului 279 Svätý Kríž 187, 187, 188, 189, 190 Szabadka s. Maria-Theresiopel Szakadát s. Sagetal Szakály 217, 218, 224 Szakcs 215, 217, 221, 224 Szamos s. Somesch 131 Szárazd 217 Szarvas 205 Szatmár (Stadt / Komitat) 127, 127, 129, 131 Szatmárnémeti s. Sathmar 127, 132, 134 Szépliget s. Gajdobra Szerencs 186 Szerencz 197 Szilágy / Sălaj (Komitat) 279, 284 Szinérváralja 130 Szokoly 213, 217 Szolnok-Doboka / Solnoc-Dăbâca (Komitat) 282, 284 Tamási 217 Tarczal 191 Târnava Mare 282, 284 Tătăreşti 136 Tékes 216 Temesvár s. Temeswar Temeswar / Timișoara / Temesvár 25, 94, 98 Tengőd 213, 217 Tétény 222, 223 Timiş (Kreis) 101 Timișoara s. Temeswar Tófő 217 Tokaj 197 Tolna s. Tolnau Tolnau / Tolna (Komitat / Stadt) 13, 70, 71, 76, 93, 94, 97, 208, 212, 214, 216, 217 Torja 146 Töttös 26, 215, 216, 224 Transdanubien 21, 59, 60, 65, 68, 90, 212 Transilvania s. Siebenbürgen Trentschin / Trenčín / Trencsén/ 205 Trhovište / Vasárhely 202, 202 Trient / Trento 87 Triest / Trieste 90
295
Trnava s. Tyrnau Tschatad s. Lenauheim Tschatali / Csátalja 99, 99 Tscheb / Čib, heute Čelarevo / Dunacséb 79, 79, 80, 81, 82, 82, 101, 105, 105, 111, 113 Tschonopel / Čonoplja / Csonoplya/ 97, 97 Tscherwenka / Crvenka / Cserwenka 26, 27 Tübingen 7 Tüske 222 Tyrnau / Trnava / Nagyszombat 76, 147, 147 Újsóvé s. Neu-Schowe Vác s. Waitzen Vacsárcsi / Văcăreşti 145 Vad 279 Valachia Transylvanica / Siebenbürgische Walachei 282 Valpovo 25 Varsád 217 Vârşolţ 274 Vas s. Eisenburg Vasárhely s. Trhovište Vásárosdombó 215, 216, 224 Vaskút s. Waschkut Vasvár (Komitat) 130 Vázsnok 216, 224 Vermeş s. Wermesch Verőce s. Virovitica Versec s. Werschetz Virovitica / Verőce 70, 70, 71 Višňov / Visnyó 193, 199 Visnyó s. Višňov Vojvodina 15, 79, 80, 92, 93, 95, 97, 98, 100, 101, 107 Vörösmart s. Zmajevac Vršac s. Werschetz Vyšná Boca s. Oberbotzen Waitzen / Vác 179, 179, 195 Waldmohr 91, 92 Waschkut / Vaskút 99, 99 Weimar 54 Wermesch / Vermeş 233 Werneck 249 Werschetz / Vršac / Versec 98, 98, Westungarn 225 Wetzlar 140 Wien 17, 25, 34, 35, 36, 37, 37, 41, 41, 52, 53, 131, 133, 134, 138, 180, 205, 209, 209, 210, 211, 212, 218, 221, 221, 223, 223, 234, 235, 248, 250, 250, 256, 257, 259
296
Ortsregister
Württemberg 37, 37, 173, 248 Würzburg (Stadt und Hochstift) 211, 248, 249, 249, 254, 256, 257, 259, 260, 260, 261 Zala (Komitat) 119, 119, 212, 221, 226, 230 Zapadna Bačka / West-Batschka 92, 93, 95, 97 Zemplén s. Zemplin
Zemplin (Komitat) 186, 191, 192, 194, 196, 197, 198, 199 Zlatna 283 Zmajevac / Vörösmart 76, 76, 78 Zombor s. Sombor Zombor (Okres Veľký Krtíš, Slowakei) 186 Zvolen s. Sohl
AUTORENVERZEICHNIS Dr. habil. Dániel Bárth, Eötvös-Loránd-Universität Budapest (Eötvös Loránd Tudományegyetem), Ungarn Dr. Daniela DeteŞan, Institut für Geschichte „George Bariţiu“ der Rumänischen Akademie (Institutul de Istorie „George Bariţiu“ al Academiei Române), Cluj-Napoca, Rumänien PD Dr. Márta Fata, Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde, Tübingen Dr. Zoltán GŐzsy, Universität Pécs (Pécsi Tudományegyetem), Ungarn Dr. Karl-Peter Krauss, Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde, Tübingen Prof. Dr. Barna Mezey, Rektor der Eötvös-Loránd-Universität Budapest (Eötvös Loránd Tudományegyetem), Ungarn Dr. habil. Judit Pál, Babeş-Bolyai Universität Cluj-Napoca (Universitatea BabeșBolyai), Rumänien Dr. Marin Popan, Kreismuseum Bistriţa-Năsăud (Muzeul Judeţean BistriţaNăsăud), Rumänien Prof. Dr. Alexander Schunka (Juniorprofessur), Forschungszentrum Gotha der Universität Erfurt Dr. Peter Šoltés, Slowakische Akademie der Wissenschaften (Slovenská akadémia vied), Katholische Universität Ružomberok (Katolícka univerzita v Ružomberku), Slowakei PD Dr. Norbert Spannenberger, Universität Leipzig
PERSONENREGISTER Die kursiv gesetzten Zahlen beziehen sich auf die Fußnoten auf der entsprechenden Seite. Albu, Timotei 279 Alexi, Ioan, Bischof 276 Andrássi, István 146 Antalfi, János 146 Apponyi, ungarisches Grafengeschlecht 13, 97, 97 Armbruster, Christoph 215, 216 Bacon, Francis 210, Bade, Klaus J. 38, 39 Bahlcke, Joachim 17, 35, 39, 50 Bălan, Macavei 279, Bánffy, György, Graf 250, 258 Bärnkopf, Ignatius 64, 69, 76, 76, 77 Bárth, Dániel 143, 151, 153, 162 Barth-Barthensheim, Johann Ludwig 173 Bartholomaei, Wilhelm Ernst 54 Barto, Mihály 146, 150, 151, 161 Batthyány, ungarische Adels- und Magnatenfamilie 13,93,99, 228 Baudri, Friedrich 110, 111 Bauer, Joseph 248, 249 Bauer, Katharina 99, 99 Beaurieu, Johann Franz Egyd 211 Becher, Johann Jakob 210 Behringer, Wolfgang 12, 84, 84, Benedikt XIV., Papst 68, 166, Berényi, Sigismund (Zsigmond), Bischof von Fünfkirchen (Pécs) 216 Berenz, Adam 24 Berlet, Kaspar 107, Bertalan, Tamás 132, 145, 146 Berzeviczy, Gregor 23, 175, 178, 181, 183, 183, 184, 184, 205 Bieleny, Martin 187, 187 Bilegan, Mitru 237 Bíró, Istók 224 Bischof, Josef 99 Bistjan, Georgius Nicolaus 71 Bleyer, Jakob 9 Blickle, Peter 25, 95, 140, 206, 207, 207, 208, 230 Blümegen, Heinrich Kajetan von, Graf 212
Boca, Luca 275 Bocşa, George 276 Bodó, Ferenc 146, 147, 148, 149, 149, 155, 156, 157, 158 Boka, Stefan 191 Bolyai, János 59, 59,144 Borié, Egyd Freiherr von 211, 211, 212 Boros, Mária 130 Börsönyi, György 225 Borza, Anghilina 275 Brakensiek, Stefan 25, 83, 104, 126, 127, 140 Brassai, János 223 Brenkenhoff, Franz Balthasar Schönberg von 49 Brück, Johann Georg 101 Brukenthal, Samuel von 235 Brunner, Katharina 99 Buckmüller, Adam 94 Bukovcsanin, Simon 111 Buzduc, Ioan 280 Cândrea, Mihalyi 283 Chaix, Gérald 26, 85 Ciubotariu, Gavriil Coler, Johann Christoph 54 Cothmann, Anton von, Baron 212, 221 Csáky, Joseph 73 Csató, Ferenc 146, 148, 148, 149, 149, 150, 152, 152, 153, 154, 155, 156, 157, 158, 158 Cseh, Mihály 146 Csende, Andreas 186 Czerny, Joseph, Graf 238, 238 Danciu, Simion 283, Daraban, Kissmihai 237 Deli, Istók Bók 224 Demeter, Márton 147 Dersőffy, Pál 139 Deteşan, Daniela 8, 14, 263, 269, 276, 281, 283 Dewecka, Ewa 190 Dobondi, Andrásné 145, 146, 154, 157, 158, 159, 160 Dobondi, István 146, 157
300
Personenregister
Dobondi, János 146, 158 Dobra, Peter (Petru) 233 Domacsinovics, Antonius 74 Domsics, Mathias 65, 65 Dőry, Vizegespan 223 Egervári, Pál László 70 Egry 213, 213 Eimann, Johann 90, 90 Erdődi 134 Erdődy, Graf 214 Erős, Gábor 128, 129, 130, 130, 131, 132, 132, 133, 133, 134, 135, 136, 136, 137,137,138, 139, 141 Erthal, Franz Ludwig von, Fürstbischof im Hochstift Würzburg 260, 260 Esterházy de Galántha, Imre (Emmerich), Erzbischof von Esztergom und Primas von Ungarn Esterházy de Galantha, Miklós József (Nikolaus I. Joseph), Graf und später Fürst Esterházy de Galantha, Paul, Palatin Esterházy de Galantha, Paul II. Anton, Fürst Eszterházy, Pál László, Bischof von Fünfkirchen (Pécs) 69, 76 Eszterházy, Karl, Bischof von Erlau (Eger) 191 Euler, Leonhard 49 Eynatten, Maximilan von 152 Fabian, Pál 225 Faddi, Ferenc 228 Farkas 212 Fata, Márta 247 Feiss, Johann 99 Fejér, György 177, 179, 179 Fekete 212 Ferdinand II., römisch-deutscher Kaiser und ungarischer König 52 Ferencz, György 146, 148, 154 Ferenczi, György 145, 146, 147, 148,148 , 149, 149, 150, 151, 152, 152, 153, 155, 155, 156, 157, 157, 159, 159, 161 Ferenczi, József 145, 146, 155, 157, 157 Festetich, Ludwig, Graf 222, 223, 224 Filtsch, Daniel 233 Forgách, Éva, Gräfin 130 Fornet, Krystyan 181, 181, 182 Francke, Gotthilf August 35 Franckh, Johann Hubert 98 Franz II. bzw. Franz I. Joseph Karl, römischdeutscher Kaiser sowie österreichischer Kaiser und ungarischer König 80, 205
Friederich, Ferdinand 183 Friedrich II. von Preußen, König von Preußen 210 Gaál 216, 216 Gabler, Ambrosius 93, 93 Galeşiu, Ioana 275 Gaßner, Johann Joseph 162 Germian, Iuliana 274 Glaar, Daniel 107 Glăvaşu, Ion 283 Glăvaşu, Sofia 283 Gőzsy, Zoltán 15, 21, 24, 59, 60, 61, 64, 65, 66, 69, 75, 90, 96, 229 Gregor XVI., Papst 168, 169 Grellmann, Heinrich Moritz 171, 171 Grendi, Edoardo 29 Greyerz, Kaspar von 9, 84 Groebner, Valentin 141, 141 Groffik, Stephanus 200 Groß, Sebastian 98 Gruber, Georg 220 Gückel 132 Hadik, Andreas Graf von 25 Hadnagy, Albert 226, 227 Haerlem, Simon Leonhard von Hajdú, Lajos 116, 116, 261, 59 Hajnotzy, Samuel 107 Haller, Carl Ludwig von 180, 181 Härter, Karl 42,116, 125, 139, 140, 250, 251, 258, 262, 262, Hartwig, Josef 224, 225 Haus, Mathias 249, 256 Hauswirth, Michael 102, 102, 103, 111 Hay, Leopold 74 Heimbucher, Karl von 256 Helfert, Joseph 179, 179, 180 Herolt, Hans Georg 214 Herth, Friedrich 107 Hilleprand Prandau, Josef Ignaz, Freiherr von 25 Himmelberg, Anton 82, 82, 105 Hoffmann, Adam 27 Hofmann, Anna 100 Holéci, Mathias 189, 189, 190 Holenstein, André 30, 31, 139, 140, 140 Hönn, Georg Paul 252, 252, 253, 253 Horner, Anton 101 Horváth, Márton 224, 225 Horváth, Mihály 224, 224 Horváth, Zita 230
Personenregister Huizinga, Johan 29, 29 Hulek, Maria 188 Hulek, Marina 189, 189 Illés, András 69 Illinics, Mattheus 76, 78 István, György 146, 150, 156 János, Pál 157, 146 Johann, Nikolaus 99, 100 Joseph II., römisch-deutscher Kaiser und ungarischer König 17, 18, 18, 19, 20, 23, 24, 71, 72, 73, 75,87, 88, 95, 116, 117, 171, 172, 181, 233, 235, 235, 236, 238, 240, 242, 243, 244, 248, 254, 255 Justi, Johann Heinrich Gottlob von 210 Kádár, Mihály 146, 148, 158 Kállay, István 20, 116, 120, 120 Karl VI. (III.), römisch-deutscher Kaiser, ungarischer König 18, 34, 52, 63, 68, 205, Károlyi, Sándor, Graf 127, 128, 131, 131, 132, 132, 133, 133, 134, 135, 135, 136, 136, 137, 137, 138, 139, 141 Kata 145, 147, 148, 149, 150, 154, 155, 158, 158, 159, 160, 161, 162 Kempelen, Wolfgang von 212 Kerekes, Joseph 186, Keresztes, József 146, 149, 150, 151, 155, 158 Kliegl, Anna von 79, 80 Kliegl, Josef von 79, 80 Klima, Georgius 186 Klimó, György, Bischof von Fünfkirchen 66, 67, 68, 69, 69, 70, 70, 71, 72, 97 Kölcsey, Ferenc 120, 120 Kollonitsch, Ladislaus von, Erzbischof von Kalocsa 79 Kollonitz, Sigismund Graf, Fürstbischof 34, 36, 41, 52, 53, 54, 55 Komáromi, Tünde 164 Kortholt, Christian 35 Kovács, Àgnes 131 Kovács, András 146, 148, 151, 156, 157, 158, 160, 160 Kovács, Elisabeth 60, 69 Kovács, Joseph 200 Kovács, Kálmán 261 Kovács, Károlyi Sándor 132, 135 Kovács, Mihály 223 Kovács, Zsolt 151 Krauss, Jirko 7
301
Krauss, Karl-Peter 7, 10, 14, 15, 21, 27, 36, 60, 79, 85, 90, 105, 213, 228, 229 Krauß, Carl Gottlieb Kristlhuber, Nikolaus 80 Kroh, Sophia 111, 111 Kuhn, Johann 249, 256 Kunstmann, Friedrich 180, 180 Kutschker, Johann Rudolf 167, 168, 169, 180, 180, 183 Kuzmány, Karl 14, 170, 172, 174, 176, 176, 178 Ladányi 134 Ladányi, Sándor 59 Ladislaus I. der Heilige, König von Ungarn 117 Lambruschini, Luigi, Kardinal 169 Landwehr, Achim 140, 140, 141 Latour, Bruno 53 Lebenthal, Maria 102, 102, 111 Lebkücher, Anna Maria 101, 101 Lebkücher, Dietrich 101 Lengyel, Felix 236 Leopold II., römisch-deutscher Kaiser und ungarischer König 17, 88 Libovsky, Margaretha 97 Lichnowsky, Franziska, Gräfin von 25 Liechtenstein, Gundaker von 11 Lüdtke, Alf 9 Lup, Popa 237 Mannhalt, Johann 70 Márffy, Leopold von 79, 80, 89, 111, Maria Theresia, römisch-deutsche Kaiserin, ungarische Königin 16, 17, 19, 20, 66, 70, 116, 170, 171, 211, 211, 214, 217, 219, 233, 233 Marzloff, Juliana 94 Mašić, Boris 15 Matković, Kristina 27 Maximilian I., römisch-deutscher Kaiser Medick, Hans 29, 84, 8, 9 Melegh, Attila 86, 86 Menghi, Girolamo 152, 153, 154 Mezey, Barna 259, 29, 13, 20, 22, 23, 115, 117, 118 Migazzi, Anton 195 Mikes, Mihály 149, 149 Mislikowski, Susanna 191 Misowie, Susana 187, 187 Moisil, Grigore 175 Molnár, Elisabetha 186 Molnár, János 171
302
Personenregister
Müller, Anna Maria 97 Müller, Cäcilia 98 Mutter, Christina 100 Mutter, Kaspar 100, 101 Nagy, Andreas 218 Nagy, János 224 Nedeczky, Esther 205 Németh, Elisabetha 186 Németh, János 227 Neszmér, Anton von 248 Nitsch, Anton 69 Oberauer, Josef 93 Oláhfalvi, Ferenc 146, 148, 153, 157, 161 Olovátz, Josephus Bernátfy de 89 Oprea, Sofia 283 Oul, Filimon 283 Padányi, Márton 71 Pál, Judit 13, 25, 127 Pálffy, Karl, Graf, Kanzler der Ungarischen Hofkanzlei 256, 258, 259, 261 Pálffy von Erdőd, Johann (János), Feldmarschall 62, 133 Pándi, Michael 186 Patachich de Zajezda (Patačić / Patacsics), Adam, Baron, Erzbischof von Kalocsa 93 Paul, Georg 97, 97 Pazmany de Panasz, Petri (Péter), Erzbischof 150, 152 Peterson, Margaretha 94 Petsić (Pečić), Anton 102 Pinkovits (Pinković), Benedikt 107 Pittermann, Johann 98 Pius VII., Papst 167 Pócs, Éva 143, 150, 160, 161, 162, 163 Pop, Emanuel 282 Pop, Ioan 274 Pop, Matei 281 Popan, Marin 14, 233 Porpus, Anna Maria 107, 109, 110 Preisich, Johann 97, 97 Preyer, Johann Nepomuk 25 Rajtuch, Michael 188, 189, 189 Rákóczi II., Ferenc, Fürst 127,129 Rakovszky, P. Georgius 89 Rautenstrauch, Franz Stephan 72, 72, 73 Recher, Apollonia 103 Reinhard, Wolfgang 60, 126, 128, 141 Rohr, Ludwig 97
Roskoványi, Augustin (Ágoston) 168, 179, 179 Roth, Jakob 94 Rusu, Grigore 273 Şaguna, Andrei, Metropolit 269 Salbeck, Karl de, Zipser Bischof 195 Savoyen-Carignan, Eugen von, Prinz Schieber, Sigrid 140 Schierendorf, Christian Schierl von 210 Schilling, Heinz 12, 26, 27, 27, 50, 50, 85, 95, 103, 103, 125 Schlözer, August Ludwig von 240, 23 Schlumbohm, Jürgen 31, 139, 139, 140, 250, 251 Schmid, Franz 111, 111, 113 Schmid, Josepha 112 Schmidt, Josef 99 Schneyder, Georg 107 Schöll, Johann Ulrich 260, 260 Schönborn-Buchheim, Friedrich Karl von, Fürstbischof von Würzburg und Bamberg sowie Reichsvizekanzler 211 Schulze, Winfried 10, 10, 12, 29, 34, 84, 84, 206, 207, 209, 210, 220, 221, 262 Schunka, Alexander 7, 10, 29, 31, 35, 37, 38, 39, 40, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 53 Seemayer, Thomas 98 Segedinac, Pera Jovanović 207 Sehne, Philipp 106, 107, 108, 110 Silaşi, Ioan 273 Simion Strâmbu, Rafira 279 Sinzendorf, Georg Ludwig von, Graf 130, 134 Sipos, Elisabetha 186 Skottka, Mihály 130, 130, 131, 131 Sohl, Georg 107 Šoltés, Peter 14, 165, 185, 204 Spannenberger, Norbert 8, 10, 13, 14, 15, 21, 24, 27, 36, 60, 61, 85, 90, 205, 212, 213, 230 Stanovits (Stanović), Maximilian 88 Stemmler, Peter 91 Stephan I. der Heilige, erster König von Ungarn 117 Stiasny, Joseph 112, 113 Strázsay, Johann Nepomuk 26, 26 Strungariu, Teodor 275 Struţu, Elisabeta 273 Stupan von Ehrenstein, Anton, Freiherr 212 Sukovitz, Josepha 111 Süßmilch, Johann Peter 49 Szabados, József 224 Szabó, Béla 125
Personenregister Szabó, Lukács 224 Szabó, Miklós 224 Szekeres, András 146, 154 Szentleléky, Gejza 200 Szépvízi, Márton 145, 146, 160 Sztrell, Anna 186 Szuhányi, Franz 79, 79, 80 Szverlak, György 225, 225 Tabler, Mihály 224 Takács, Adamus 186 Takáts, Martin(us) 80, 80, 89 Tanner, Jakob 97 Tessedik, Elias 205 Tessedik, Georg 205 Tessedik, Johann 205 Tessedik (dt. Teschedik, slowak. Tešedik), Samuel 205, 205 Thavonath, Ludwig Albert 137 Thurn-Valsassina, Anton Kasimir von, Bischof von Fünfkirchen 62 Tilly, Charles 52, 52, 53, 54 Tomcsányi, Andreas von 248 Törő, János 224 Trauttmannsdorff, Ferdinand Graf von 259 Tűrő, József 222, 222, 223 Ulbrich, Claudia 9, 206, 208 Ürményi, Michael von 248, 259 Urzică, Giurgeu Ioan 277
303
Vancea, Ioan, Erzbischof 273, 277, 281 Vasi, Maria 277 Végh 212 Veştemean, Nicolae 274 Vierhaus, Rudolf 7, 7 Virozsil, Anton (Antal) von 13, 15, 16 Volkra, Otto Chrystophorus Johannes de, Bischof von Veszprém 65, 65 Vörös, Ferenc 227 Wagner, Christian Johann Baptist von 259, 260 Weber, Konrad 94 Wehler, Hans-Ulrich 11 Weißenbach, Julius von 95 Windisch, Stephan 220 Winkelbauer, Thomas 11, 16, 52, 125, 126 Winkler, Michael 74, 74, 75, 75, 93, 94, 94, 97 Wolf, Dorothea 8, 263 Wolf, Josef 27 Wolf, Margaretha 100 Würgler, Andreas 140, 140 Zachariás, János 146, 150, 156 Zedler, Johann Heinrich 31, 31, 253, 253 Zimmermann, Michael 248, 249, 254, 255, 256, 257, 259, 261, 262 Zsigmond, Antal 146, 150, 153, 156, 157, 158, 159 Zombori, Mihály 222
ORTSREGISTER Das Ortsregister enthält die Namen von Ländern, Regionen und Orten, nicht jedoch das Schlagwort Ungarn. Die heute amtlichen Ortsbezeichnungen sind, sofern sie nicht an erster Stelle stehen, unterstrichen. Die kursiv gesetzten Zahlen beziehen sich auf die Fußnoten auf der entsprechenden Seite. Abaúj-Torna s. Abaujwar-Tornau Abaujwar-Tornau (Komitat) 193 Abrud s. Großschlatten Aghireş 272 Alba Julia s. Karlsburg Almasch / Bácsalmás 94, 94 Altdorf 252 Amerika 121, 247 Apatin 15, 24, 92, 93, 95, 99, 100, 100, 101, 248 Ardeal s. Siebenbürgen Athos 279 Bačka Palanka 15, 79, 92, 101, 107 Bačko Dobro Polje s. Klein-Ker Bácsalmás s. Almasch Bács-Bodrog s. Batsch-Bodrog Bácsordas s. Karawukowo Bamberg 211, 251, 260, 260 Banat 9, 13, 24, 83, 88, 98, 98, 279 Banská Bystrica s. Neusohl Barancs s. Branč Batiz 130 Batsch-Bodrog / Bács-Bodrog (Komitat) 24, 25, 79, 82, 94, 105, 106, 248 Batschka 14, 15, 85, 92, 92, 95, 96, 97, 102, 105, 110, 162, 247, 256, 257 Batschsentiwan / Prigrevica / Bácsszentiván 92, 92, 95, 248, 248, 262, 262 Bayern 59, 86, 96, 168, 169, 173, 173 Bedeg 213, 217 Berény 216, 217 Berki 224 Bichigiu 268, 277, 277, 281, 281 Bistrița s. Bistritz Bistritz / Bistrițam 14,233, 234, 234, 235, 236, 237, 238, 238, 239, 241, 242, 242, 243, 244, 245, 268, 268, 278, 281 Bistriţa Bârgăului 271, 281 Bistriţa-Năsăud s. Bistritz-Nassod
Bistritz-Nassod / Bistriţa-Năsăud 233, 268, 268, 271, 275, 278, 279, 280, 281, 282 Blaj s. Blasendorf Blasendorf / Blaj 237, 269 Bohl s. Deutschbohl Böhmen 17, 34, 39, 48, 50, 205, 252 Bölcske 76, 76 Bóly s. Deutschbohl Bonnhard / Bonyhád 70, 74, 93, 97 Bonyhád s. Bonnhard Bracócz s. Bracovce Bracovce / Bracócz 192, 194 Branč 191, 191 Brandenburg 39, 40, 44 Brandenburg-Preußen 44, 47, 48, 49 Braşov s. Kronstadt Braunschweig (Fürstentum) 247, 248 Braunschweig-Lüneburg (Kurfürstentum) 172 Bred 278 Buda s. Ofen Budapest 284 Bukin / Mladenovo / Dunabökény 92, 92, 95, 95, 105, 105, Bulkes / Maglič / Bulkeszi 100, 100 Bulkeszi s. Bulkes Cean 278 Cerna 71 Chereluş 276 Chintelnic 271 Ciuc 145, 277 Cluj-Gherla s. Klausenburg-Neuschloss Cluj-Napoca s. Klausenburg Coburg 252 Čonoplja s. Tschonopel Crasna 272 Crvenka s Tscherwenka Csatád s. Lenauheim Csátalja s. Tschatali Cséb s. Tscheb Cserwenka s. Tscherwenka
Ortsregister Csík 144, 146, 284 Csíkkozmás 146 Csíkrákos / Racu 145 Csíksomlyó / Şumuleu Ciuc 145, 145, 158, 161, Csíkszentdomonkos / Sândominic, 276 Csíkszentgyörgy / Ciucsângeorgiu 144, 144, 145, 145, 146, 146, 147, 147, 151, 151, 153, 156, 158, 159, 160 Csíkszentimre / Sântimbru 146, 148 Csíkszentlélek / Leliceni 146 Csíkszentmárton / Sânmartin 146 Csíkszentmiklós / Nicoleşti 146 Csíkszentsimon / Sânsimion 146, 160 Csonoplya s. Tschonopel Cuşma 236 Cuzdrioara 270, 270, 271 Czikó 217 Dalmand 214, 224 Deutschbohl / Bóly 26, 26, 105, 228 Deutschland 25, 33, 38, 40, 162, 180, 251 Döbrököz 208, 217, 218, 221, 224, 225 Dombóvár 213, 215, 216, 216, 217, 218, 218, 219, 219, 220, 221, 222, 224, 225, 226, 227 Donau 217, 254 Dragu 272 Dumbrava 277 Dunabökény s. Bukin Dunacséb s. Tscheb Eisenburg / Vas (Komitat) 212, 119, 119, 221, 226 Eisenstadt 213, 216, Elsass 94 England 34, 48, 48, 143, 252 Erdély s. Siebenbürgen Erdőbénye 186 Erlangen 205 Ertény 217 Eschbourg s. Eschburg Eschburg / Eschbourg 94, 94 Esseg / Osijek / Eszék 71, 15, 25, 71 Eszék s. Esseg Esztergom s. Gran Europa 30, 32, 35, 35, 50, 90, 117, 121, 128, 205, 221, 252, 260 Făgăraş s. Fogarasch Fogarasch / Făgăraş 267, 269, 279, 281, 284 Földvár 214 Frankreich 252, 264, 275 Fünfkirchen / Pécs 62, 63, 64, 66, 83, 107, 228
305
Futak s. Futok Futog s. Futok Futok / Futog / Futak 25, 100 Gajdobra / Szépliget 107, 107, 108 Galizien 255 Galszécs s. Sečovce Gara 99 Genève s. Genf Genf / Genève 37, 37 Gerényes 215, 216 Gerjén 217 Gherla s. Neuschloss Ghimeş-Făget 277 Ghiolţ 278 Giurtelec 272 Gledin 271 Göröcsfalva / Gârciu 145 Grábóc 217 Gran / Esztergom 14 Groningen 252 Großbritannien 45, 47, 48, 48 Großschlatten / Abrud 283 Großwardein / Oradea / Nagyvárad 129, 129, 179 Guruslău 278 Gyula 217, 218, 221 Gyulafehérvár s. Karlsburg Hajós s. Hajosch Hajosch / Hajós 111, 111, 112, 113 Halas 86, 86 Halle an der Saale 35 Háromszék 146, 282, 284 Haug, Chorherrenstift 249 Hermannstadt / Sibiu 19, 236, 241, 271, 271, 282, 282, 284 Hidegkút 217 Hidor 228 Hódság s. Hodschag Hodschag / Odžaci / Hódság 24, 95, 95 Högyész 217 Hór s. Horovce Horovce / Hór 192, 194 Hradec Králové s. Königgrätz Hunedaora / Hunyad (Komitat) 282, 284 Hunyad / Hunedaora (Komitat) 282, 284 Ilova 272 Ilva Mare 275, 275, 277, 277, 278, 283 Island 264 Italien 252
306
Ortsregister
Jágónak 216, Josenii Bârgăului 268, 268, 280, 280 Jováncza 224, 225 Južna Bačka / Süd-Batschka 79, 92, 95, 100, 101, 107 Južni Banat / Süd-Banat 98 Kakasd 217 Kalocsa 14, 79, 79, 83, 88, 89, 93, 96, 112, 162 Kapos 223, 223 Kaposvár 213, 214 Karavukovo s. Karawukowo Karawukowo / Karavukovo / Bácsordas 95, 95, 102, 102, 111 Karlsburg / Gyulafehérvár / Alba Julia 144, 145, 145, 267, 269, 274, 279, 281, 283 Kärnten 36, 36, 264 Kaschau / Košice 27, 186, 202, 202 Kászon / Caşin Nou 145, 145, 146 Keszi 217 Kézdiszentlélek / Poian 146 Kisasszony 145, 146 Kiskér s. Klein-Ker Kistoba 214 Kistormás s. Kleintormasch Kis-Vejke 217 Klausenburg / Cluj-Napoca 134, 233, 241, 263, 267, 282, 282, 284 Klausenburg-Neuschloss / Cluj-Gherla 263, 267, 267 Klein-Ker / Bačko Dobro Polje / Kiskér 106, 107, 107, 109 Kleintormasch / Kistormás 97, 97 Klingenberg 248, 249, 254, 255 Kocsola 217, 222, 224, 224 Königgrätz / Hradec Králové 74 Kónyi 213, 217 Körösfő s. Okružná Košice s. Kaschau Kozár 217 Kraľovany 189 Kronstadt / Braşov 283, 283, 284 Kula 262 Kurd 217, 225, 225 Kvakócz s. Kvakovce Kvakócz / Kvakócz 192, 196 Lacum Balaton / Balaton 216 Landsberg 96 Lápafő 217 Laskócz s. Laškovce Laškovce / Laskócz 192, 196
Lenauheim (früher Tschatad) / Csatád 101 Leutschau / Levoča 184, 184 Levoča s. Leutschau Liebling 24, 105 Liptau / Liptó (Komitat) 186, 187, 188, 190 Lompirt 282 London 45, 47, 48, 48, 221, 221 Lugoj s. Lugosch Lugos s. Lugosch Lugosch / Lugoj / Lugos 25 Luşca 272 Mád 186 Madéfalva / Siculeni 145 Maglič s. Bulkes Magyar Iszep s. Nižný Žipov Mähren 205 Maieru 278 Majos 217 Maramarosch / Maramureş 269 Maramureş / Maramarosch 269 Maria-Theresiopel / Subotica / Szabadka 80, 80 Mecseknádasd s. Nadasch 93 Mekényes 217 Michalovce 191 Mislye / Myslina 27, 27 Mladenovo s. Bukin Moravany / Morva 192, 198 Morva s. Moravany Moskau 39, 39 Mucsi s. Mutsching München 263 Münchweiler 92 Mutsching / Mucsi 93, 217 Myslina s. Mislye Nadasch / Mecseknádasd 93, 93 Nagyág 216 Nagy Michály s. Michalovce Nagyszokoly 225 Nagyszombat s. Tyrnau Nagyvárad s. Großwardein Nak 221, 223, 224 Nána 217 Németi 127, 131 Német-Pulya 217 Neštin 101 Neuschloss, auch Armenierstadt / Gherla 276 Neu-Schowe / Ravno Selo / Újsóvé 95, 95 Neusohl / Banská Bystrica 176, 176, 195, 195 Neutra / Nitra / Nyitra 94, 179, 179 Niederlande 18, 48, 252
Ortsregister Nižný Žipov / Magyar Iszep 193, 198 Nordamerika 38, 41, 45, 50 Oberbotzen / Vyšná Boca 181, 181 Oberlausitz 45, 47 Ocna Dejului 281 Öcsény 217 Oderbruch 49 Odorhei (Odorhei Secuiesc) s. Oderhellen Oderhellen / Odorhei (Odorhei Secuiesc) 274, 284 Odžaci s. Hodschag Ofen / Buda, heute Budapest 18, 18, 76, 221 Okružná / Körösfő 200, 200 Olaszliszka 185, 186 Olmütz / Olomouc 180 Olomouc s. Olmütz Oradea s. Großwardein Oroszló 91, 92 Osijek s. Esseg Österreich 80, 88, 264 Ozora 13, 69, 205, 213, 213, 214, 215, 217, 220, 225, 226, 227, 228, 229 Paks 70, 217 Parchovany / Parnó 200, 200 Pári 217 Parnó s. Parchovany Pécs s. Fünfkirchen Perkáta 71 Pest (heute Budapest und Komitat) 80, 179, 212, 217, 221, 222 Petrijevci 74 Pincehely 70, 217 Pinticul Român 281 Pirna 44, 45, 45 Polen 126 Porceşti 274 Potsdam 49 Preschau / Prešov / Eperies 200, 202, 202 Prešov s. Preschau Pressburg 18, 63 Preußen 49, 211 Prigrevica-Szentivány s. Batschsentiwan Prittriching 96 Prundul Bârgăului 279 Puhó 205 Pula 221 Racz Töttös s. Töttös Ravno Selo s. Neu-Schowe Reghin s. Sächsisch-Regen
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Regöly 217 Réztelek s. Tătăreşti Ripa de Sus 266 Rodna 268, 278 Rom 45, 171, 234 Rosenau / Rožňava 195, 195 Rožňava s. Rosenau Ruské Pekľany 201 Russland 38, 41, 173 Sachsen 34, 37, 40, 47, 47 Sächsisch-Regen / Reghin 266 Sagetal / Szakadát 94, 94, 217 Sălaj / Szilágy (Komitat) 279, 274, 284 Sândominic 145, 276 Sânicoara 273 Sankt Burkard, Kollegiatstift 249 Şard 277 Sáros s. Scharos (Komitat) Sathmar / Satu Mare / Szatmárnémeti 127, 127, 128, 128, 129, 129, 130, 131, 132, 132, 133, 134, 134, 135, 135, 136, 137, 138 Satnica 74 Satu Mare s. Sathmar Scharos / Sáros 193, 193, 201, 201 Schottland 264 Schwanfeld 248, 255, 256 Schwechat 34 Schweden 264 Sečovce / Galszécs 193, 199 Serbien 79, 80, 88, 92, 93, 95, 97, 98, 100, 101, 107 Severna Bačka / Nord-Batschka 80 Sibiu s. Hermannstadt Siebenbürgen 17, 22, 36, 38, 143, 147, 151, 160, 161, 163, 171, 172, 172, 221, 234, 235, 236, 237, 239, 240, 242, 245, 263, 264, 265, 266, 267, 267, 269, 269, 270, 273, 274, 279, 283, 284 Siebenbürgische Walachei / Valachia Transylvanica 282 Şieu Sfântu 280 Siklós 228 Şimand 276 Slawonien 15, 25, 59, 60, 71, 74, 76, 90 Sohl / Zvolen 176, 176 Şoimuş 273 Solnoc-Dăbâca / Szolnok-Doboka (Komitat) 282, 284 Sombor / Zombor 26, 27, 88, 95, 97, 102, 102, 103, 110, 162,162, 186, 256, 257 Someş s. Somesch
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Ortsregister
Somesch / Someş / Szamos 131, 131 Somogy (Komitat) 59, 221, 222, 225 Speyer 91, 92 St. Petersburg 90 Straňany 189 Subotica s. Maria-Theresiopel Südtransdanubien 94, 206, 212, 214, 216, 221 Südungarn 79, 110, 211 Susenii Bârgăului 279 Svätý Kríž 187, 187, 188, 189, 190 Szabadka s. Maria-Theresiopel Szakadát s. Sagetal Szakály 217, 218, 224 Szakcs 215, 217, 221, 224 Szamos s. Somesch 131 Szárazd 217 Szarvas 205 Szatmár (Stadt / Komitat) 127, 127, 129, 131 Szatmárnémeti s. Sathmar 127, 132, 134 Szépliget s. Gajdobra Szerencs 186 Szerencz 197 Szilágy / Sălaj (Komitat) 279, 284 Szinérváralja 130 Szokoly 213, 217 Szolnok-Doboka / Solnoc-Dăbâca (Komitat) 282, 284 Tamási 217 Tarczal 191 Târnava Mare 282, 284 Tătăreşti 136 Tékes 216 Temesvár s. Temeswar Temeswar / Timișoara / Temesvár 25, 94, 98 Tengőd 213, 217 Tétény 222, 223 Timiş (Kreis) 101 Timișoara s. Temeswar Tófő 217 Tokaj 197 Tolna s. Tolnau Tolnau / Tolna (Komitat / Stadt) 13, 70, 71, 76, 93, 94, 97, 208, 212, 214, 216, 217 Torja 146 Töttös 26, 215, 216, 224 Transdanubien 21, 59, 60, 65, 68, 90, 212 Transilvania s. Siebenbürgen Trentschin / Trenčín / Trencsén/ 205 Trhovište / Vasárhely 202, 202 Trient / Trento 87 Triest / Trieste 90
Trnava s. Tyrnau Tschatad s. Lenauheim Tschatali / Csátalja 99, 99 Tscheb / Čib, heute Čelarevo / Dunacséb 79, 79, 80, 81, 82, 82, 101, 105, 105, 111, 113 Tschonopel / Čonoplja / Csonoplya/ 97, 97 Tscherwenka / Crvenka / Cserwenka 26, 27 Tübingen 7 Tüske 222 Tyrnau / Trnava / Nagyszombat 76, 147, 147 Újsóvé s. Neu-Schowe Vác s. Waitzen Vacsárcsi / Văcăreşti 145 Vad 279 Valachia Transylvanica / Siebenbürgische Walachei 282 Valpovo 25 Varsád 217 Vârşolţ 274 Vas s. Eisenburg Vasárhely s. Trhovište Vásárosdombó 215, 216, 224 Vaskút s. Waschkut Vasvár (Komitat) 130 Vázsnok 216, 224 Vermeş s. Wermesch Verőce s. Virovitica Versec s. Werschetz Virovitica / Verőce 70, 70, 71 Višňov / Visnyó 193, 199 Visnyó s. Višňov Vojvodina 15, 79, 80, 92, 93, 95, 97, 98, 100, 101, 107 Vörösmart s. Zmajevac Vršac s. Werschetz Vyšná Boca s. Oberbotzen Waitzen / Vác 179, 179, 195 Waldmohr 91, 92 Waschkut / Vaskút 99, 99 Weimar 54 Wermesch / Vermeş 233 Werneck 249 Werschetz / Vršac / Versec 98, 98, Westungarn 225 Wetzlar 140 Wien 17, 25, 34, 35, 36, 37, 37, 41, 41, 52, 53, 131, 133, 134, 138, 180, 205, 209, 209, 210, 211, 212, 218, 221, 221, 223, 223, 234, 235, 248, 250, 250, 256, 257, 259 Württemberg 37, 37, 173, 248
Ortsregister Würzburg (Stadt und Hochstift) 211, 248, 249, 249, 254, 256, 257, 259, 260, 260, 261 Zala (Komitat) 119, 119, 212, 221, 226, 230 Zapadna Bačka / West-Batschka 92, 93, 95, 97 Zemplén s. Zemplin Zemplin (Komitat) 186, 191, 192, 194, 196, 197, 198, 199
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Zlatna 283 Zmajevac / Vörösmart 76, 76, 78 Zombor s. Sombor Zombor (Okres Veľký Krtíš, Slowakei) 186 Zvolen s. Sohl
s c h r i f t e n r e i h e d e s i n s t i t u t s f ü r d o n au s c h wä b i s c h e geschichte und l andeskunde
Franz Steiner Verlag
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ISSN 1611–2083
Hans-Heinrich Rieser Temeswar: Geographische Beschreibung der Banater Hauptstadt 1992. 197 S., geb. ISBN 978-3-515-08288-4 Mathias Beer Flüchtlinge und Vertriebene im deutschen Südwesten nach 1945 Eine Übersicht der Archivalien in den staatlichen und kommunalen Archiven des Landes Baden-Württemberg 1994. 414 S., geb. ISBN 978-3-515-08289-1 Mathias Beer (Hg.) Zur Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen im deutschen Südwesten nach 1945 Ergebnisse der Tagung vom 11. und 12. November 1993 in Tübingen 1994. 260 S., geb. ISBN 978-3-515-08290-7 Mathias Beer / Dittmar Dahlmann (Hg.) Migration nach Ost- und Südost europa vom 18. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts Ursachen, Formen, Verlauf, Ergebnis 1999. 470 S., geb. ISBN 978-3-515-08291-4 Márta Fata (Hg.) Die schwäbische Türkei Lebensformen der Ethnien in Südwest ungarn. Ergebnisse der Tagung des Instituts für Donauschwäbische Geschichte und Landeskunde in Tübingen vom 10. und 11. November 1994 1997. 290 S., geb. ISBN 978-3-515-08292-1 Hans Gehl (Bearb.) Wörterbuch der donau schwäbischen Bekleidungsgewerbe (Donauschwäbische Fachwortschätze, Teil 1) 1997. 608 S. mit 7 Ktn., geb. ISBN 978-3-515-08293-8 Hans Gehl (Bearb.) Wörterbuch der donau schwäbischen Baugewerbe
(Donauschwäbische Fachwortschätze, Teil 2) 2000. 589 S. mit 7 Ktn., geb. ISBN 978-3-515-08294-5 8. Horst Förster / Horst Fassel (Hg.) Kulturdialog und akzeptierte Vielfalt? Rumänien und rumänische Sprachgebiete nach 1918 1999. 288 S., geb. ISBN 978-3-515-08295-2 9. Andrea Kühne Entstehung, Aufbau und Funktion der Flüchtlingsverwaltung in Württemberg-Hohenzollern 1945–1952 Flüchtlingspolitik im Spannungsfeld deutscher und französischer Interessen 1999. 271 S., geb. ISBN 978-3-515-08296-9 10. Hans-Heinrich Rieser Das rumänische Banat: Eine multikulturelle Region im Umbruch Geographische Transforma tionsforschungen am Beispiel der jüngeren Kulturlandschaftsentwicklungen in Süd westrumänien 2001. 549 S., geb. ISBN 978-3-515-08297-6 11. Karl-Peter Krauss Deutsche Auswanderer in Ungarn Ansiedlung in der Herrschaft Bóly im 18. Jahrhundert 2003. 469 S. mit 4 Farb- und 101 s/w-Abb., geb. ISBN 978-3-515-08221-1 12. Hans Gehl Wörterbuch der donau schwäbischen Landwirtschaft (Donauschwäbische Fachwortschätze, Teil 3) 2003. 664 S. mit 7 Ktn., geb. ISBN 978-3-515-08264-8 13. Márta Fata (Hg.) Das Ungarnbild der deutschen Historiographie 2004. 335 S., geb. ISBN 978-3-515-08428-4
14. Hans Gehl Wörterbuch der donauschwäbischen Lebensformen (Donauschwäbische Fachwortschätze, Teil 4) 2005. 716 S. mit 38 Abb. und 8 Ktn., geb. ISBN 978-3-515-08671-4 15. Karl-Peter Krauss (Hg.) Agrarreformen und ethnodemographische Veränderungen Südosteuropa vom ausgehenden 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart 2009. 340 S. mit 20 Abb. und 8 Tab., geb. ISBN 978-3-515-09263-0 16. Márta Fata (Hg.) Migration im Gedächtnis Auswanderung und Ansiedlung im 18. Jahrhundert in der Identitätsbildung
der Donauschwaben 2013. 233 S. mit 2 Tab. und 18 Abb., geb. ISBN 978-3-515-10329-9 17. Gábor Gonda / Norbert Spannenberger (Hg.) Minderheitenpolitik im „unsichtbaren Entscheidungszentrum“ Der „Nachlass László Fritz“ und die Deutschen in Ungarn 1934–1945 2014. 317 S., geb. ISBN 978-3-515-10377-0 18. Mariana Hausleitner Die Donauschwaben 1868–1948 Ihre Rolle im rumänischen und serbischen Banat 2014. 417 S. mit 3 Ktn., geb. ISBN 978-3-515-10686-3
Ende des 18. Jahrhunderts bildeten Bauern sowie ländliche und städtische Unterschichten rund 90 Prozent der Bevölkerung im Königreich Ungarn. Sie waren jedoch ohne verfassungsrechtliche Relevanz. Wie sind Einblicke in deren alltägliche Lebenswelten im ethnokonfessionellen Mosaik des Königreichs im 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts möglich? Vor allem angesichts eines eklatanten Mangels an Selbstzeugnissen? Forschungsdefizite sind gerade in Bezug auf den so schwer fassbaren „Alltag“ der „kleinen Leute“ innerhalb ihrer regional
diversifizierten Lebenswelten im Königreich Ungarn offenkundig. Dies trifft auch auf den in der Mikrogeschichte inzwischen etablierten Ansatz der Auswertung von gerichtlichen Akten über Personen zu. Der Band setzt es sich zum Ziel, in Teilbereichen des Alltagslebens eine Annäherung an die „Norm“ über die „Normverletzung“ zu erreichen. Einen inhaltlichen Schwerpunkt der Publikation mit Autoren aus Rumänien, der Slowakei, Ungarn und Deutschland bilden alltagsgeschichtliche Themen aus den Lebenswelten deutscher Ansiedler im Königreich Ungarn.
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ISBN 978-3-515-10941-3