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German Pages 379 Year 1992
HEIKE STINTZING
Nichteheliche Lebensgemeinschaft und rechtliche Regelung - ein Widerspruch?
Schriften zum Internationalen Recht Band 61
Nichteheliche Lebensgemeinschaft und rechtliche Regelung - ein Widerspruch? Eine konzeptionelle Betrachtung des deutschen und australischen Rechts unter besonderer Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Problematik
Von
Heike Stintzing
Duncker & Humblot . Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Stintzing, Heike: Nichteheliche Lebensgemeinschaft und rechtliche Regelung ein Widerspruch? : Eine konzeptionelle Betrachtung des deutschen und australischen Rechts unter besonderer Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Problematik / von Heike Stintzing. - Berlin : Duncker und Humblot, 1992 (Schriften zum internationalen Recht; Bd. 61) Zug!.: Konstanz, Univ., Diss., 1991/92 ISBN 3-428-07609-5 NE:GT
Alle Rechte vorbehalten © 1992 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin 65 Printed in Germany ISSN 0720-7646 ISBN 3-428-07609-5
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 1991/92 von der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Konstanz als Dissertation angenommen. Das Manuskript wurde im Dezember 1991 abgeschlossen. Rechtsprechung und Literatur sind bis zu diesem Zeitpunkt berücksichtigt. Zu der Arbeit wurde ich im Verlaufe meiner Rechtspraktikantenzeit in Neuseeland und Australien angeregt. In diesen beiden Ländern lernte ich die im Verhältnis zum deutschen Recht bestehenden Unterschiede im Familienrecht und insbesondere den grundlegend anderen, innovativen Ansatz der rechtlichen Behandlung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft kennen. Die Bearbeitung der rechtsvergleichenden ThemensteUung wurde mir durch ein Stipendium der Graduiertenförderung des Landes Baden-Württemberg ermöglicht. Meinem Doktorvater, Herrn Prof. Stein, danke ich für seine Hinweise und Gespräche, die insbesondere die Auseinandersetzung mit den verfassungsrechtlichen Aspekten dieser Arbeit wesentlich gefördert haben. Ebenso danke ich Herrn Prof. Hausmann für die Übernahme des Zweitgutachtens. Die Bearbeitung des Themas führte mich auch für einige Monate nach Australien. Hier gilt mein Dank Prof. Snyman, der in Brisbane den Kontakt zu vielen anregenden Diskussionspartnern an der Queensland Law School herstellte. In dankbarer Erinnerung bin ich vor allem dem Australian Institute of Family Studies in Melboume verbunden. Dort erleichterten mir die Mitarbeiter Margaret, Belinda, George, Andrew, Catherine, Katie, Carol ... mit zahlreichen wertvollen Hinweisen das Zurechtfinden in der Literatur des unvertrauten Rechtssystems. Die Teilhabe auch am "social life" des Instituts ließen diesen Forschungsaufenthalt zu einem kulturell und persönlich bereichernden Erlebnis werden. Dank ebenso an J udy, die mich durch ihre herzliche Aufnahme in ihrem Haus rasch in Melboume heimisch werden ließ und damit optimale Voraussetzungen für das Gelingen meiner Arbeit schuf. Konstanz, im August 1992
Heike Stintzing
Inhaltsverzeichnis A. EiDleituug. • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •
19
B. Die nichteheliche Lebeosgemeimchaft in der Geseßsdtaft •
21
I. Deutschland
• • • • • • • • • • • • • • • • • •
1. Soziologische Daten zur nichtehelichen Lebensgemeinschaft a) Ergebnis • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • 2 Entwicklungsfaktoren der nichtehelichen Lebensgemeinschaft in der Gesellschaft • • • • • • • a) Die Stellung der Frau
21 21 27 27 27
aal Der Wandel des Eheverständnisses
28
bb) Die Industrialisierung •
29
ce) Politische Rechte
••
29
dd) Geburtenkontrolle und Wandel der Sexualität
30
ee) Auflösbarkeit der Elle
31
ff)
31
Der Wandel der Lebensbedingungen.
gg) Ergebnis • • • . • • • b) Weitere Entwicklungsfaktoren
31 32
aal Änderung des Rollenverständnisses
32
bb) Geburtenkontrolle • • •
33
cc) Wandel der Gesellschaft
34
dd) Veränderung der Lebensphasen •
35
ee) Wandel des Partnerschaftsverständnisses
36
ff)
Scheidungsverfahren • . • • • • •
38
gg) Etablierung einer zweiten Lebensform
38
hh) Gesellschaftliche Akzeptanz •
39
ii)
Wandel der Familienstruktur •
40
c) Ergebnis • • • • • • • • • • •
41
8
Inhaltsverzeichnis 11. Australien
•
•
42
•
1. Soziologische Daten zur nichtehelichen Lebensgemeinschaft •
42
•.•
42
b) Angaben zur nichtehelichen Lebensgemeinschaft
42
a) Sozio-geographische Gegebenheiten •
aa) Trial Cohabitation
44
bb) Liberal Cohabitation
45
ce) De Facto Cohabitation
45
c) Eheliche und nichteheliche Lebensform.
46
d) Ergebnis
46
2. Entwicldungsbedingungen der nichtehelichen Lebensgemeinschaft in der Gesellschaft
• •
47
a) Die Stellung der Frau
47
aa) Historische Entwicldung
47
bb) Ablösung der Farmerkultur und Einfluß der Industrialisierung •
48
cc) Politisches Mitspracherecht
49
dd) Wandel der Einstellung zur Frau
49
ee) Emanzipationsbewegung
50
ff)
50
Eingewanderte Frauen
b) Weitere Entwicklungsfaktoren aa) Die Anfangszeit der Kolonie
51
bb) Die letzten beiden Jahrzehnte.
53
(1) Gesellschaftliche Akzeptanz
53
(2) Der Zusammenhang zwischen traditioneller Rollenverteilung und wirtschaftlicher Lage der Partner
54
(3) Gemeinsame Kinder
56
(4) Berufstätigkeit
58
_
(5) Realisierung der mit der nichtehelichen Lebensgemeinschaft verknüpften Erwartungen d) Ergebnis
c.
51
Chlll1lkterisdka und Definition der nidttehe6clten Lebenscemeimdtaft
60
62 62
I. Deutschland 11. Australien
59
•
64
Inhaltsverzeichnis
9
1. Voraussetzungen der nichtehelichen Lebensgemeinschaft
64
2. Hintergründe und Erklärung der Definition •
65
3. Zusätzliche Qualifizierungsmerkmale
68
4. Beurteilung
71
• • • • • • • • • •
D. Vergleich der sozialen Erscheinungsbilder VOll Ehe und oichteheUcher Lebemgemeinschaft •• • • • • •
I. Deutschland und Australien 1. Otarakteristika beider Lebensformen
73 73
74
2. Terminologie
75
3. Funktionen
76
4. Farnilienstruktur
77
5.
78
Gesellschaftliche Akzeptanz
6. Weitere Aspekte
78
7. Historische Entwicklung
79
8. Ergebnis
81
E. Die verfassungsrechtlidte Stellung der oichteheUchen Lebemgemtimchaft
83
• • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •
83
1. Staatliche Einflußnahme und die Freiheitsrechte des Individuums •
83
I. Deutschland
2. Die Darstellung der h.M. zur verfassungsrechtlichen Einordnung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft
90
a) Art. 6 I GG (Ehe)
90
b) Art. 2 I GG • • •
91
3. Die nichteheliche Lebengemeinschaft als Schutzgut des Art. 6 I GG •
91
a) Allgemeine Zulässigkeit des Verfassungswandels •
92
aa) Art. 79 GG • • • • • • • • • • • • • •
92
bb) Bestimmung der Grenzen, in denen ein Verfassungswandel zulässig ist b) Zulässigkeit des Verfassungswandels in Art. 6 I GG •
95
98
aa) Normbereich •
98
bb) Normprograrnm
100
cc) Ehebegriff • •
101
dd) Schutzgut des Art. 6 I •
103
10
Inhaltsverzeichnis (1) Rechtliches Instrumentarium •
103
(2) Zu berücksichtigende Faktoren
106
ee) Ergebnis • • • • • • • . • • •
109
c) Voraussetzungen eines Verfassungswandels
109
d) Bedeutungswandel • • • • • • • • • •
110
aa) Zur h.M. in Bezug auf einen Bedeutungswandel
110
bb) Begründung des Bedeutungswandels •
112
ce) Ergebnis • •
117
e) Schlußfolgerungen
118
11. Australien • • . • • •
119
1. Section 51(xxi). (xxii) Constitution
120
2. Anti-Discrimination Acts
123
3. Ergebnis
125
F. SoU die nichtme6che Lebensgemeioschlllt eine ndltHche Regelung erfahren?
126
••••
126
1. Rechtliche Wirkung
126
2. Vertragliche Vereinbarungen der Partner.
129
3. Regelungsbedilrfnis
134
I. Deutschland
4. Ergebnis
••••
5. Rechtliche Einordnung.
138 140
a) Die Nonnen des Eherechts
140
b) Das Verlöbnisrecht •
143
c) Vertragsrecht • •
145
aa) Typenzwang
145
bb) Sittenwidrigkeit
147
ce) Der Vertragsschluß •
147
dd) Ergebnis • • • • •
154
d) Die Lebensgemeinschaft.
155
e) Reziprozitätsverhältnis
156
11. Australien • • • • •
158
1. Regelungsbedilrfnis
159
lDhaitsverzeichnis
11
2. Ausgestaltung der rechtlichen Konsequenzen •
162
3. Der De Facto Relationships Act, 1984 (NSW)
166
4. Vertragliche Vereinbarungen
168
• • • • • • •
a) Vertragliche Vereinbarungen im Common Law
aa) Eine Besonderheit gilt in Western Australia b) Vertragliche Vereinbarungen im Oe Facto RelationshiIB Act, 1984 (NSW)
168 170 170
aa) Darlegung der Regelung
170
bb) Schutzmechanismen • '.
175
(1) Doctrine of unconscionability gern. s. 46
176
(2) Sdlutz vor Übereilung • • . . . • •
177
Möglidlkeit der gerichtlichen Überprüfung gern. s. 49 Oe Facto Relationships Act
(3)
178
cc) Kritik •
179
dd) Ergebnis
181
G. Die Stellung der nichtehelichen EItem .
183
I. Oeutsdlland
• • • • • • • • •
1. Erörterung der Problemstellung
2 Verfassungsrechtliche Aspekte a) Beurteilung der §§ 1705, 1711 BGB
183 183 193 194
aa) Verfassungsmäßigkeit der redltlichen Zuordnung zur Mutter
194
bb) Die biologische Bindung als Differenzierungskriterium
198
b) Das Sorgerecht des nichtehelidlen Vaters • • • • • • • •
199
aa) Gleidle Entwicklungsbedingungen für eheliche und nichtehelidle Kinder (Art. 6 V 00). . • • • • . • • • • • • • • . . •
199
bb) Auswirkungen der formlosen Auflösbarkeit der nichtehelichen Lebensgemeinschaft • • • • • • • • • •
200
cc) Primat von Ehe und Familie (Art. 6 I 00)
202
dd) Das Elternrecht des Vaters und die Wächterrolle des Staates (Art. 611
00)
.........
ee) Zusammenspiel der Aspekte • • • • • • • • • • • • • • ••
ff)
205 207
Differenzierung zwischen nichtehelicher Mutter und nidltehelichem Vater in Bezug auf das Sorgerecht (Art. 3 GG). • • • • • • • •
208
gg) Differenzierung zwisdlen nichtehelichen und verheirateten Vätern •
211
12
Inhaltsverzeichnis
hh) Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 07.05.1991
213
3. Kindeswohl und neue Bindung des socgeberechtigten Elternteils
216
4. &gebnis
216
11. Australien •
217
1. Die Staaten. die der Übertragung der Gesetzgebungslrompetenz an das Commonwealth zugestinum haben
219
a) Socgerecht • •
219
b) Umgangsrecht •
223
2. Western Australia und Queensland
223
a) Western Australia
223
b) Queensland
224
3. Beurteilung
226
4. &gebnis
227
H. Unterhaltsrechte und -pflichten zwischen nichtehelichen Lebeuspartnem I. Deutschland
•••••••••••••••••
228 228
1. Unterhalts ansprüche bei bestehender Gemeinschaft
228
2. Postkonkubinatäre U nterhaltsanspriiche
230
a) § 1969 BGB
230
b) Vertragliche Vereinbarung
232
c) Das Risiko der nichtehelichen Lebensgemeinschaft
232
aa) &gebnis • • • • . •
237
d) Kollision mit dem Eherecht
238
e) Reformansätze
239
aa) Unterhaltsanspruch bei gemeinsamen Kindern
239
§ 16151 BGB • • • • • • • . • • •
239
(2) Gesetzlich normierter Unterhaltsanspruch
241
(1)
bb) Unterhaltsanspruch zur Wiedereingliederung in das Erwerbsleben
242
cc) Umstrukturierung des Unterhaltsrechts
244
3. &gebnis
11. Australien •
246
247
1. Common Law
248
2. Die Unterhaltsregelung des De Facto Relationships Act. 1984 (NSW)
251
Inhaltsverzeichnis
13
3. Bewertung von ss 26. 27 De Facto Relationships Act •
256
4. Ergebnis
260
•• • • • • • • • • • • • • • • • •
J. Die Auswirkungen einer nachfolgenden nichteheHchm Lebensgemeinsdud't auf eine vorangegangene Ehe I. Deutschland
.
261 261
1. Auswirkungen auf Unterhaltsanspriiche
a) In Rechtsprechung und Lehre vertretene Ansichten
261 261
aa) Leben in einer nichtebelibben Lebensgemeinschaft
262
bb) Tatsächlich erfolgte Unterhaltsleistungen
264
ce) Dienstleistungen •
265
dd) Leistungsfähigkeit
266
ee) Zusammenwirken der Aspekte
267
268
b) Beurteilung • 2. Auswirkungen auf Unterhaltsverpflichtungen •
273 274
II. Australien
274
1. Unterhalt
a) Nach vorangegangener Ehe geht der Unterhaltspflichtige eine nichteheliehe Lebensgemeinschaft ein. • • • • • • • • • • . • • • • •
274
b) Nach vorangegangener Ehe geht der Unterhaltsberechtigte eine nichteheliehe Lebensgemeinschaft ein. • • • • • • • • • • • • • • • •
279
c) Der nichtehelichen Lebensgemeinschaft ging eine andere nichteheliche Lebensgemeinschaft voran • • • • • • • • • • • • • . • . • •
282
2. Vor dem Eingeben der Ehe lebten die Partner in nichtehelicher Lebensgemeinschaft
282
3. South Australia •
283
4. Ergebnis
284
• • •
K. Die vermögensrechtHche Auseinandersetzung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft
I. Deutschland
286 286
1. Die grundsätzliche Anerkennung vermögensrechtlicher postkonkubinatärer
Ausgleichsansprüche
•••••••••••••••••••••
286
a) Die Ansichten von Rechtsprechung und Literatur und ihre Beurteilung
287
b) Anforderungen an einen Vermögensausgleich • • • • • • • • • •
295
Inhaltsverzeichnis
14
aa) Wirtschaften aus einern Topf •
297
bb) Bemessung
299
c) Ecgebnis • • • 2. Die Anwendung geltender Rechtsnormen a) Schenkungsrecht • • • • • • • • •
301 302 302
aa) Zuwendungen zum Bestreiten des Lebensunterhalts •
303
bb) Zuwendungen, die über die Deckung des täglichen Lebensbedarfes hinausgehen • • • • •
304
ce) Zuwendungsversprechen
305
dd) Schenkungswiderruf
306
ee) &gebnis • •
307
b) Gesellschaftsrecht.
307
aa) Genereller Anwendungsbereich •
307
bb) Abschluß des Gesellschaftsvertrags
311
ce) DerGeseilschaftszweck •
312
dd) Bewertung • •
314
c) Gemeinschaftsrecht •
316
d) Bereicherungsrecht •
322
e) Wegfall der Geschäftsgrundlage.
325
f) Ergebnis
326
11. Australien • •
327
1. Cornrnon Law
a) Resulting and Constructive Trust
328 329
aa) Presurnption of Advancement of Property •
329
bb) Resulting Trust •
330
cc) Constructive Trust
331
(1) Cornmon Intention.
333
(2) Baurngartner v. Baumgartner (1987) 62 AlJR 29
334
(3) Der Begriff des Beitrags im Law of Trust •
337
2. Property Law Act, 1958 (Vic) • • • • •
340
3. De Facto Relationships Act, 1986 (NSW)
343
a) Beiträge im Sinne des De Facto Relationships Act, 1984 (NSW)
348
Inhaltsverzeichnis
15
b) Bewertung von s. 20 des Acts
351
c) Ergebnis
353
L. Zusammenfassung
354
1. Voraussetzungen einer vergleichenden Betrachtung •
354
11. Inhaltliche Ergebnisse
356
1. Das deutsche Recht
356
2. Das australische Recht
357
3. Zu den Anforderungen an eine rechtliche Normierung
358
4. Vorschläge
361
Literaturveneidmis .
• • • • • • • • • • • • • • • • •
364
Abkürzungsverzeichnis A.C. AcP
ACf APRC AlFS
AUR AllER Amn.
England Law Reports Appeal Cases Archiv für die civilistische Praxis Australian Capital Territory Australian Family Research Conference Australian Institute of Family Studies Australian Law Journal Reports All England Law Report Anmerkung
BGB BGH BGHZ BMJFG BSG BVerfG BVerfGE
Bundesarbeitsgericht Bundesfinanzhof Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Entscheidungssammlung des BGH in Zivilsachen Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit Bundessozialgericht Bundesverfassungsgericht Entscheidungssammlung des BVerfG
C.L.R. Cth
Conunonwealth Law Report Conunonwealth of Australia
DAR DFC
Deutsches Autorecht Australian De Facto Relationships Law Cases
EMRK
Europäische Menschemechtskonvention
Fam.L.R. FamRZ
FN
Family Law Report Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Australian Family Law Cases Fußnote
GG GoA
Grundgesetz Geschäftsführung ohne Auftrag
h.M.
herrschende Meinung
J.
Judge Juristische Arbeitsblätter
BAG
BFH
FLC
JA 2 Stintzing
•
18
Abkürzungsverzeichnis
JuS JZ
Juristische Schulung Juristen-Zeitung
L.R.
LAAMS
Law Reports, Equity Cases Legal and Accounting Management Seminars Pty Ltd.
MDR
Monatsschrift für Deutsches Recht
neL NSW NSWLR NT
nichteheliche Lebensgemeinschaft New South Wales New South Wales Law Reports Northern Territory
OLG
Oberlandesgericht
Q.B.
Queens Bench Queensland Reports
Rz.
Rdnr.
Randnummer Randzahl
s. SA ss
section South Australia sections
Tas
Tasmania
Vic VR VVDStRL
Victoria Victorian Reports (Law) Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer
WA
Western Australia Western Australian Law Report Zeitschrift für Wohnungswirtschaft und Mietrecht
Qd.R.
WLR WM ZBIJugR ZUR
ZPO ZRP
Zentralblatt für Jugendrecht und Jugendwohlfahrt Zeitschrift für das gesamte Uandels- und Wirtschaftsrecht Zivilprozeßordnung Zeitschrift für Rechtspolitik
A. Einleitung Die nichteheliche Lebensgemeinschaft ist ein gesellschaftliches Phänomen, das sich während der letzten beiden Jahrzehnte in den verschiedensten Formen und Ausgestaltungen immer stärker entwickelt und ausgebreitet hat. Die vorliegende Arbeit befaßt sich mit einem Vergleich der rechtlichen Behandlung dieser Form des Zusammenlebens in der Bundesrepublik Deutschland und Australien. Maßgebend für die Wahl Australiens als Vergleichsland waren folgende zwei für einen Vergleich wichtige Faktoren: Einerseits handelt es sich um ein Land des westlichen Kulturkreises, dessen gesellschaftliche Strukturen somit mit denen der deutschen Gesellschaft vergleichbar sind; andererseits aber unterscheidet sich die dortige rechtliche Regelung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft von der Rechtslage im deutschen Recht grundlegend; ein Vergleich erscheint somit sinnvoll. Die gravierendsten Unterschiede beider Regelungen bestehen auf den Gebieten des Verfassungsrechts, der Unterhaltsansprüche, der postkonkubinatären! Auseinandersetzung, des Verhältnisses von einer Ehe zu einer nachfolgenden nichtehelichen Lebensgemeinschaft sowie der rechtlichen Stellung nichtehelicher Eltern. Das australische Recht läßt auf diesen Gebieten die Folgen einer rechtlichen Anerkennung der nichtehelichen Lebensform deutlich hervortreten. Die an die nichteheliche Lebensgemeinschaft in anderen Rechtsgebieten geknüpften Konsequenzen stellen häufig eine Folge der in den oben genannten Gebieten vorgenommenen Einordnung nichtehelicher Lebensgemeinschaften dar. Die unterschiedliche Behandlung dieser Lebensform in den beiden Rechtssystemen spiegelt in den oben genannten Gebieten die grundsätzlich unterschiedliche Einstellung zu der Frage wider, welche rechtliche Beurteilung der nichtehelichen Lebensform angemessen ist. Die ausgewählten Rechtsgebiete umfassen die Problemkreise, die für eine derartige persönliche und wirtschaftliche Beziehung grundlegend und spezifisch sind. Daher wird sich die vorliegende Bearbeitung auf diese zentralen und entscheidenden Gebiete beschränken.
Dieser Begriff bezieht sich auf Ansprüche. die nach dem Ende der nichtehelichen Lebensgemeinschaft zwischen den Partnern bestehen können.
20
A. Einleitung
Ziel der Arbeit ist weniger eine detaillierte deskriptive Darstellung der unterschiedlichen rechtlichen Konstruktionen zur Lösung der Probleme einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, als vielmehr die Prüfung, inwieweit Lösungsansätze des australischen Rechts auf das deutsche Recht übertragbar sind. Dabei ist nicht eine Erörterung der Probleme beabsichtigt, die sich aus den Unterschieden zwischen dem kodifizierten deutschen Recht und dem angelsächsisch geprägten australischen Case Law ergeben. Im Vordergrund steht vielmehr die Untersuchung der Übertragbarkeit der gedanklichen Konzeptionen, die den australischen Regelungen zugrundeliegen. In den einzelnen Kapiteln werden jeweils Fragestellungen und rechtliche Lösungen des deutschen und des australischen Rechts einander gegenübergestellt. Zuvor aber werden in den folgenden beiden Kapiteln die relevanten gesellschaftlichen Aspekte erörtert, um im Zusammenhang mit der rechtlichen Diskussion der nachfolgenden Kapitel ein umfassendes Verständnis des Phänomens der nichtehelichen Lebensgemeinschaft in beiden Ländern zu ermöglichen. Die Ergebnisse der Gegenüberstellung werden im letzten Kapitel dargestellt.
B. Die nichteheliche Lebensgemeinschaft in der Gesellschaft Gesellschaftliche Faktoren nehmen Einfluß auf rechtliche Bedingungen und Entwicklungen. Dies gilt in besonderem Maße für einen Lebenssachverhalt wie die nichteheliche Lebensgemeinschaft. Da das Recht sich nicht losgelöst von den gesellschaftlichen Faktoren entwickelt, sind diese in die Überlegungen einzubeziehen.
J. Deutschland 1. Soziologische Daten zur nichtehelichen Lebensgemeinschaft
Zunächst soll versucht werden, Motive, Vorstellungen und die Situation der nichtehelichen Lebensgemeinschaft in der Gesellschaft an Hand einiger soziologischer Daten zu verdeutlichen. In Deutschland nahm im Zeitraum von 1972 - 1982 die Anzahl der in nichtehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Personen insgesamt um 277 % zu, wobei sich die Zahl der unter 24 Jahre alten Partner verzehnfacht hat l . Allein in den Jahren 1983 - 1985 steigerte sich die Gesamtzahl nochmals um 1/3 2• In absoluten Zahlen ausgedrückt ergibt dies nach einer Hochrechnung der Mikrozensusdaten von 19723 eine Zahl von 273.000 Partnern, die in nichtehelicher Lebensgemeinschaft zusammenleben, während es 1985 schon 1.372.000 Personen waren. Für das Jahr 1989 gehen die Schätzungen von vier Millionen Menschen aus, die diese Lebensform wählten 4 • Demgegenüber nimmt das Statistische BundesamtS auf der Grundlage von Schätzungen, die auf Ergebnissen des Mikrozensuses beruhen, für 1988 nur 1.640.000 Personen an, die nichtehelich zusammenleben. Diese divergierenden Zahlen sind auf eine mangelnde Definition dessen zurückzuführen, was als nichteheliche Lebensgemeinschaft zu verstehen ist. Zudem werden die Zahlen zur Verbreitung der nichtehelichen BMJFG 1985, S. 8. Lieb 1988 S. A 14. 3 Dabei sind diese Zahlen auf Grund der Fehlerpotentiale der Mikrozensusbefragung ungenau und eher höher anzusetzen (vgl. Höhn 1988, S. 1 f). 4 O.V. in DM 1990, S. 34; vgl. Kap. B.II.3. m Australien. Statistisches Bundesamt 1990, S. 58. 2
22
B. Die nichteheliche Lebensgemeinschaft in der Gesellschaft
Lebensgemeinschaft häufig aus Sekundärangaben der Betroffenen abgeleitet, während die direkte Frage nach dieser Lebensform vermieden wird. Einigkeit herrscht jedoch darüber, daß die Anzahl der nichtehelichen Paare steigt. Die nichteheliche Lebensgemeinschaft findet heute eine weite Verbreilung in allen Schichten6, während sie friiher auf Grund historischer Hindernisse (Heiratsverbote, Zustimmungserfordernis des Dienstherrn, wirtschaftliche Voraussetzungen) eine Erscheinung der Unterschicht darstellte 7, bzw. als Protest der Mittelschicht und akademischen Jugend angesehen wurde 8• Regional ist ihre Verbreitung in Großstädten nur unwesentlich größer als auf dem Land9 •
Von den nichtehelichen Lebenspannern sind - 35 %: 18 - 24 Jahre - 26 %: 25 - 30 Jahre - 21 %: 30 - 39 Jahre - 17 %: 40 und mehr Jahre alt10• Abb. 1: Altersverteilung bei nichtehelichen PaarenIl
Diese Zahlen zeigen den bedeutungsvollen Wandel an, der sich in Bezug auf die gesellschaftliche Stellung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft vollzog: Während 1972 noch die über 56-jährigen die größte Gruppe der nichtehelichen Lebenspartner darstellten, veränderte sich dies bis 1982 derartig, daß nun die Mehrzahl der nichtehelichen Lebenspanner unter 35 Jahre alt ist l2• Die deutliche Verlagerung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft in den Altersgruppen rührt daher, daß zunächst die nichteheliche Lebensform in Form der sogenann6 Tyrell in BMJFG 1985. S. 112; BMJFG 1985. S. 29; Skwirblies 1990. S. 14; Balloff 1991. S. 191; bei altersgemäßer Aufschlüsselung übersteigt das Bildungsniveau nichtehelicher Lebenspaare das gleichaltriger Ehepaare (Höhn 1988. S. 5). Hierzu trägt wohl in erheblichem Maß bei, daß Ehen erst bei gesicherter beruflicher Existenz eingegangen werden. während für die Zeit der Ausbildung die nichteheliche Lebensform auf Grund ihrer geringeren Verpflichtungen bevorzugt wird. 7 Tyrell in BMJFG 1985. S. 110. S Tyrell in BMJFG 1985. S. 112. BMJFG 1985. S. 25; Skwirblies 1990. S. 15. 10 1 % ist jünger als 18 Jahre. n BMJFG 1985. S. 29. 12 Win. delHuffmann 1986. Rz. 11.
23
I. Deutschland
ten "Rentenkonkubinate" oder "Onkelehen" Verbreitung fand, während sie nun in der Hauptsache von der jüngeren Altersgruppe gewählt wird l3 • Aus einem Vergleich mit der Altersstruktur von Eheleuten ergibt sich, daß die nichteheliche und eheliche LebensfOlID von den Betroffenen in unterschiedlichen Altersstufen gewählt werden. Die nichteheliche Lebensgemeinschaft wird vorwiegend von jüngeren Partnern bevorzugt. Ehepaare
neL Männer
Frauen
%
%
%
%
34
49
3
7
25 - 29 Jahre
32
20
8
12
30 - 39 Jahre
21
16
25
24
40 - 59 Jahre
9
10
43
47
60 Jahre und älter
4
5
22
11
Alter
18 - 24 Jahre
Männer
Frauen
Abb. 2: Altersstruktur der nichtehelichen Lebensgemeinschaften und der Ehepaarel4
Die Dauerls nichtehelicher Lebensgemeinschaften ist im Zusammenhang mit diesen Angaben zur Altersstruktur zu sehen: - 15 % der nichtehelichen Lebensgemeinschaften bestehen seit einem Zeitraum von 0 - 1 Jahr; - 41 % bestehen seit 1 - 3 Jahren; - 42 % bestehen seit mehr als 3 Jahren. Auf Grund des jungen Alters der meisten Partner können die Gemeinschaften in der Regel noch keine Partnerschaften von langer Dauer aufweisen. Daraus läßt sich keine Instabilität nichtehelicher Lebensgemeinschaften ablesen. Wie sich insbesondere auch aus dem Vergleich der Altersstruktur ehelicher und nichtehelicher Lebensformen ergibt, bedeutet die Entscheidung für die nichteheliche Lebensgemeinschaft in jüngerem Alter der Partner keine prinziStopfer 1988, S. 42; Skwirblies 1990, S. 12 ff. BMJFG 1985, S. 26. IS BMJFG 1985, S. 29 Oeider erfolgt keine weitere Aufschlüsselung der 42 %, die angeben, länger als 3 Jahre zusammenzuleben). 13
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B. Die nichteheliche Lebensgemeinschaft in der Gesellschaft
pielle Entscheidung gegen die Ehe. Die nichteheliche Lebensgemeinschaft muß nicht durch Trennung aufgelöst werden, sondern kann auch durch Eheschließung der Partner beendet werden l6: - 33 % haben Heiratsabsicht mit diesem Partner - 39 % Heiratsabsichten noch unklar - 28 % wollen diesen Partner nicht heiraten 9 % lehnen die Ehe grundsätzlich ab, dabei ist das Verhältnis der Männer : Frauen = 6 : 4. Nur 9 % der nichtehelichen Partner lehnen die Ehe als Institut ab. Bei allen anderen klingt in ihren Äußerungen zur Heiratsabsicht das Übergangsstadium der nichtehelichen Lebensgemeinschaft an. Dies bestätigt die Annahme, den nichtehelichen Lebenspaaren seien die eherechtlichen Normen (noch) zu verpflichtend. In der Mehrheit lehnen sie jedoch keineswegs die Ehe im Ganzen ab und schließen sie auch für sich selbst nicht aus. Für die Einschätzung der rechtlichen Relevanz dieses Umstands ist es erforderlich, den konkreten Grad der Heiratsabsicht in die Betrachtung einzubeziehen 17: Von 33 % der Partner mit fester Heiratsabsicht wollen heiraten: -
17 %: im Laufe von 12 Monaten 19 %: in 1-2 Jahren 16 %: in 2-3 Jahren 11 %: noch später 63 %: nicht bestimmbar. 18
Die Hochzeit wird also bei der überwiegenden Mehrzahl noch nicht in absehbarer Zukunft geplant. Die nichteheliche Lebensgemeinschaft ist daher, 16
BMJFG 1985. S. 13 f; vgl. zu den Charakteristika der einzelnen Gruppen: BMJFG 1985,
S. 13 f. 17 BMJFG 1985, S. 29 f (Die Zahlen beziehen sich auf die Frage, in welchem Zeitraum die bestehende Heiratsabsicht realisiert werden soll). 18 Der Unterschied zu Australien besteht bei diesem Aspekt schon in einer anderen Ausgangslage: Ca. (:1),7 % der nichtehelichen Lebenspartner bejahten die Frage, ob sie beabsichtigten, irgendwann die Ehe einzugehen. Zwar ähnelt der Grad der Konkretisierung dieser Absicht der deutschen Situation, da nur ca. 56 % derjenigen Partner mit Heiratsabsicht diese in den nächsten zwei Jahren verwirklichen wollen. während ca. 44 % einen mehr als drei Jahre entfernt liegenden Zeitpunkt nannten (Sarantakos 1984. S. 83 ff; Khoo 1986, S. 18 ff); doch lassen diese Zahlen deutlich werden. daß australische nichtehe1iche Lebensgemeinschaften häufiger als deutsche schon während des Bestehens der Lebensgemeinschaft eine Eheschließung in Betracht ziehen und von deren Eintritt ausgehen. Entsprechend der unterschiedlichen Motive für das Eingehen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft hegen die Jüngeren eher Heiratsabsichten als die Älteren (Sarantakos 1984. S. 83 ff; Khoo 1986. S. 18 ff): Mehr als 80 % der unter 25-jährigen und 60 % der 25 - 34-jährigen streben die Ehe an.
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selbst wenn sie von den Partnern als Übergangsstadium zur Ehe angesehen wird. als stabile Lebensform anzusehen, die nicht nur auf kurze Dauer angelegt ist. Auffällig ist, daß 52 % der Partner, die hinsichtlich des gegenwärtigen Partners keine Heiratsabsicht hegen 19, mit diesem schon länger als 3 Jahre in nichtehelicher Lebensgemeinschaft leben, während Teenager und Twens nur 1/3 dieser Gruppe ausmachen 20• Dies deutet auf die Stabilität der nichtehelichen Beziehung hin. In dieser Gruppe sind Partner höheren Alters stark repräsentiert, die aus fmanziellen oder familiären Gründen 21 die nichteheliche Lebensform wählen. Zudem wird die nichteheliche Lebensgemeinschaft von Partnern gewählt, die mit der Ehe schlechte Erfahrungen machten: 18 % der Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft haben Scheidungserfahrung 22• Sie ziehen aus diesem Grund die nichteheliche Lebensgemeinschaft der Ehe vor. In diesen Fällen wird die nichteheliche Lebensgemeinschaft häufig als Alternative zur Ehe gesehen. Diese Ergebnisse sind im Zusammenhang mit den Gründen zu sehen, die die nichtehelichen Partner für die Wabl ihrer Lebensform bzw. deren Beendigung durch Eheschließung angeben: -
Einstellung gegen die Ehe aus Prinzip; eine Heirat wird (noch) nicht als nötig betrachtet; die Unabhängigkeit soll bewahrt werden; die Partner halten sich noch für zu jung, um den Schritt in die Ehe zu wagen; mit der Ehe wird ein größeres Verantwortungsbewußtsein verknüpft; - vor einer möglichen Eheschließung soll zunächst die eigene oder gemeinsame Existenz gesichert sein 23 •
Insgesamt 28 % der nichtehelichen Lebensgemeinschaft (BMJFG 1985, S. 13 f). BMJFG 1985. S. 32. 21 Erhalt des Rentenanspruches, Rücksicht auf die Familie, Vermeidung von Erbschaftsstreitigkeiten. 22 BMJFG 1985. S. 29. 23 Für Australien wird dies durch folgende Zahlen verdeutlicht (Khoo 1986, S. 18): 70 % der berufstätigen oder studierenden Männer beabsichtigen. später zu heiraten. Dahingegen hegen von den Arbeitslosen nur 40 % diese Absicht. Desgleichen: 75 % derjenigen mit einem sicheren Arbeitsplatz streben die Ehe an, wohingegen dieses Ziel nur von 58 % derjenigen mit einem unsicheren Arbeitsplatz verfolgt wird. 19
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B. Die nichteheliche Lebensgemeinschaft in der Gesellschaft
Gründe für das Eingehen einer Ehe: -
es tritt der Wunsch nach Kindern auf; Erwartung eines größeren Zusammengehörigkeitsgefühls; Abschluß der Ausbildung; Erreichen eines gesicherten Arbeitsplatzes.
Die Vorteile der nichtehelichen Lebensform werden überwiegend in folgenden Umständen gesehen: -
die persönliche Freiheit ist größer; man genießt eine weitgehendere Ungebundenheit; es besteht eine leichte Trennungsmöglichkeit; es besteht die Möglichkeit, unverbindlich zu prüfen, ob man mit diesem Partner auf Dauer zusammenleben kann 24 •
Dabei werden von den Partnern folgenden Aspekten besonderes Gewicht für die nichteheliche Gemeinschaft zugemessen: - die jederzeitige Auflösbarkeit; sie wird von 57 % der befragten nichtehelichen Lebenspartner geschätzt; - die offene Auseinandersetzungsmöglichkeit; sie wird von 88 % als wichtig angesehen; - die sexuelle Treue der Frau; sie wird von 80 % als grundlegend angesehen; ein Verstoß dagegen stellt einen Trennungsgrund dar; - die sexuelle Treue des Mannes; sie wird von 77 % als grundlegend angesehen; ein Verstoß gilt als wichtiger Trennungsgrund2S; - gleiche Hobbies werden von 80 % für wichtig gehalten; - 71 % schätzen die eigene Entfaltungsmöglichkeit; - 67 % meinen, daß eine adäquate Bildung der Partner für die Gemeinschaft wichtig sei 26•
24 BMJFG 1985, S. 15; wie relevant dieser Aspekt ist, wird dadurch deutlich, daß immerhin 46 % der Befragten, die schon einmal in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft lebten, sich aber von ihrem Partner getrennt haben, angaben, die Trennung sei erfolgt, weil man nicht miteinander ausgekommen sei (Sarantakos 1984, S. 147). 2S Ähnlich ist die Haltung der australischen Partnerinnen einer nichtehelichen lebensgemeinschaft: Für 43 % von ihnen wäre eine Affäre des Partners ein Trennungsgrund; 19 % würden Rat bei der Eheberatung suchen; nur 25 % würden dem Partner verzeihen oder einfach darüber hinwegsehen (o.V. in Tbe Herald, 04.08.1987, S. 9). Dies bestätigt die Ergebnisse Sarantakos' (in AFRe 1984, S. 261), der die nichteheliche Lebensgemeinschaft als "sexually excJusive and nonpromiscuous" bezeichnet und sexuelle Treue als einen Grundpfeiler der Beziehung ansieht. 26 BMJFG 1985, S. 51.
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a) Ergebnis Dieser Rahmen soziologischer Daten weist die nichteheliche Lebensgemeinschaft als eine Zusammenlebensform aus, die die Partner aus verschiedenen Gründen und mit unterschiedlichen Zielsetzungen wählen. Im Verhältnis zur Ehe wird sie als "Ehe auf Probe", aus Ablehnung zur Ehe oder aus sonstigen Gründen als Alternative zur Ehe gesehen. Sie stellt eine Lebensform dar, die in der Regel auf Stabilität und Dauer der Beziehung ausgerichtet ist und in der die Partner partnerschaftliche Werte und Ziele verfolgen. Nach diesen Angaben zur soziologischen Einordnung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft in der Gesellschaft sollen im folgenden die wichtigsten Faktoren dargestellt werden, die die Ausbreitung und Entwicklung dieser Lebensform beeinflussen. 2. EntwickluJapCaktoren der nichtehelichen Lebemgemeinschaft in der Gesellschaft
a) Die Stellung der Frau Ein wesentlicher Aspekt der Entwicklung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft liegt im Wandel der Stellung der Frau in unserer Gesellschaft ~nd damit verknüpft - auch im Rechtsleben. Bedingt durch die herausragende Bedeutung der Mutter-Kind-Beziehung in frühen Kulturen bildete die Frau in diesen - häufig matriarchalischen - Kulturen den Mittelpunkt der Sippe und war im Rechtsleben gleichberechtigt27• Erst durch den männlichen Jahwe-Kult der Juden wurde die Frau als minderes Wesen immer stärker zurückgedrängt28 • Das Christentum übernahm diese Einstellung zur Frau und setzte sie auch in Deutschland durch. Die Entwicklung kulminierte in der kirchlichen Darstellung der Frau als der Versuchung und des Bösen, da sie für die Vertreibung aus dem Paradies die Verantwortung trug. Tragischen Höhepunkt dieser Einstellung stellte die Zeit der Hexenprozesse dar29. Noch 1761 schrieb ein Coburger Amtsrichter im Vorwort zu seinem Lexicon über den Betrug: "Der Fürst der Welt und Urheber des Betruges legte sein erstes Meisterstück an unser aller Mutter, der Eva ab ... "30. Kunigk 1978, S. 24. Kunigk 1978, S. 24 f; in einigen patriarchalisch strukturierten karibischen Kulturen, die sich auf kannibalische Weise ernährten, zeigt sich die minderwertige Stellung der Frau in einer gewaltsamen Unterbrechung der Mutter-Kind-Beziehung. Die Daseinsberechtigung einiger Frauen beruhte - im Gegensatz zum Fortpflanzungsgedanken - darin, Kinder zu produzieren, die dem übrigen Stamm sodann als Nahrung dienen konnten (Sarantakos 1984, S. 8). 29 Kunigk 1978, S. 25. 30 Hönn 1950, Vorrede. 27
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B. Die nichteheliche Lebensgemeinschaft in der Gesellschaft
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Angesichts dieser die Gesellschaft prägende frauenfeindliche und frauenverachtende Einstellung der christlichen Sittenlehre sieht Kunigk das Auftreten der Emanzipationsbewegung als eine zwingende Reaktion und gesellschaftliche Folgeentwicklung an31 . Der gesellschaftliche Wandel der Stellung der Frau wurde von folgenden Faktoren beeinflußt:
aa) Der Wandel des Eheverständnisses Das Element von gegenseitiger Liebe und Zuneigung, wie es heute generell als wesentliche Grundlage für eine Ehe angesehen wird, floß erst seit der Zeit der Aufldärung in das Verständnis von Ehe ein 32• Bis dahin stellte die Ehe einen Vertrag dar, der in der Regel zwischen den Familien de~ Bräutigams und der Braut abgeschlossen wurde und neben der Begründung von Rechten und Pflichten in der Hauptsache Vermögensvereinbarungen und Vermögenstransaktionen enthielP3. So diente die Ehe als Instrument zur Konzentration von Macht und Besitz für die Familie. Dieser wirtschaftliche Hintergrund wird treffend von AndruplBuchhoferfZiegert34 formuliert: "A wedding is thus the institutional securing of an economic balance in the exchange relations between two initially unrelated groups of relatives (lineages), fmally leading to the marriage community of the members of these different groups of relatives .... Matrimony was a family concept and not the individual decision of the partners. It is further to be stressed that, with the institutionalizing of extra-linear relations between family groups ... , the husbandlfather gained influence and power over the procreative potential of the woman: 'cattle beget children'!" Demgegenüber spielt heute die Familie bei der Wahl des Ehepartners keine große Rolle mehr3S . Die Ehe stellt vor allem eine persönliche Beziehung zwischen den beiden Ehepartnern dar, an der die Frau durch ihre eigene Entscheidung ebenso beteiligt ist wie der Mann.
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Kunigk 1978, S. 21 f. Koch (in Landwehr 1978, S. 43) gibt das Eheverständnis um 1800 folgendermaßen wieder: "Die Ehe ist eine Lebensgemeinschaft, deren alleinige Basis das innigste Zusammenkommen von geistiger und sinnlicher Liebe ist." 33 Kunigk 1978, S. 26. 34 Andrup'BuchhoferfZiegert in EekelaarlKatz 1980, S. 36. 3S Skolnick 1981, S. 347. 32
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bb) Die Industrialisierung Die Industrialisierung führte auch zu einem ökonomischen Wandel der Stellung der Frau in der Gesellschaft. Die Familie als Produktionseinheit wurde durch die Produktionsstätte "Fabrik" zurückgedrängt. Losgelöst von ihrer Familie begann die Frau, dort ihre Arbeitskraft einzusetzen. Daraus resultierte mit der Zeit die gesellschaftliche Akzeptanz der berufstätigen Frau. Diese ist heute nicht mehr darauf angewiesen, durch eine Eheschließung und die damit verbundenen rechtlichen Regelungen wirtschaftliche Sicherheit zu suchen 36• Auf Grund von eigener Ausbildung und Berufstätigkeit sind die Frauen ökonomisch von den Männem unabhängiger geworden. Durch diesen Prozeß wurde mit der Zeit auch die früher fixierte Familienstruktur und Rollenverteilung in der Ehe erschüttert37• Hinzu kam in den letzten Jahrzehnten die Forderung nach einer Aufwertung der Hausfrauentätigkeit. Gesellschaftlich wirkte sich dies in einer Enlkoppelung der gesellschaftlichen Stellung von Mann und Frau aus. Die S teIlung der gesellschaftlich nicht in Erscheinung tretenden Hausfrau leitet sich nicht länger von der gesellschaftlichen Stellung des verdienenden Mannes ab, so wie es sich lange Zeit deutlich z.B. in der Bezeichnung "Frau Malermeister" für die Frau des Malers ausdrückte 38. Durch die Ausbreitung der Frauen in den Berufen und der Forderung nach der Aufwertung der Tätigkeit einer Hausfrau wurde somit eine autonome Stellung der Frau in der Gesellschaft und der Familie gefördert. ce) Politische Rechte Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu dieser gesellschaftlichen Selbständigkeit lag in dem Erreichen politischer Mitspracherechte (Wahlrecht) für die Frauen. Erst die Wahrnehmung dieser Rechte ermöglicht den Frauen die Vertretung und eigene Artikulation ihrer Interessen in der Politik, wobei diese Entwicklung durch den Wandel zu demokratischen Strukturen begünstigt wurde39 • Die hohe Bedeutung eigener Interessenwahrnehmung wird am Beispiel des Parlamentarischen Rates deutlich. Die heute geltende Form des Art. 3 11 GG, die das Gebot der umfassenden Gleichstellung von Mann und Frau begründet, wurde ausschlaggebend von den vier Frauen im Parlamentarischen Rat geprägt. Sie setzten die Formulierung "Männer und Frauen sind gleichberechtigt" durch. 36
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Crawley 1988, S. 96. Skolnick 1981, S. 344; vg!. Kap. B.I.2.b). Kunigk 1978, S. 46; Ohlenburger-Bauer 1976, S. 6. Skolnick 1981, S. 346.
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Die vorgesehene Übernahme des unverbindlicheren und auf die staatsbürgerlichen Rechte beschränkten Regelung aus der Weimarer Reichsverfassung scheiteJte40. Nachdem der Antrag auf die heutige Formulierung des Art. 3 11 GG von der Mehrheit des Parlamentarischen Rates mehrfach abgelehnt worden war, wurde die Fassung schließlich doch angenommen, als eine breite Mehrlleit der Frauen in der Bevölkerung sich aktiv für die Aufnahme des umfassenden Rechts auf Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen ins Grundgesetz einsetzten. dd) Geburtenkontrolle und Wandel der Sexualität Einen weiteren bedeutenden Faktor stellte die Ausbreitung empfangnisverllütender Methoden und die Möglichkeit der Abtreibung dar. Sie verschaffte Freiraum, den Zeitpunkt und die Anzahl der Kinder zu bestimmen und mit einer Berufstätigkeit in Einklang zu bringen. Durch die Möglichkeiten der Geburtenplanung kann verhindert werden, daß die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Frau durch Schwangerschaften und Kindererziehung wieder verlorengeht42. Weiterhin wurde dadurch ein Wandel in der Sexualität herbei-geführt, der die vorherige strenge sexuelle Kontrolle besonders der Frauen 43 erübrigt. Sie resultierte aus der moralischen Verurteilung nichtehelicher Kin-der, mit der diese gleichsam verllindert werden sollten. Diese Einstellung be-zweckte die Sicherung der männlichen Kontrolle über die wirtschaftlichen Ressourcen in einem System der Vater-Sohn-Erbfolge44: "For what else will remain safe in human society if license be to bring in by stealth the offspring of a stranger? To steal a name which may be given to spurious offspring? To transfer to them property taken away from lawful heirs?"45. Dieselbe Verknüpfung zwischen der Ehe und dem Erbrecht tritt bei der Formulierung Alciats aus dem Jahre 154246 zu Tage: "sed difficultas est in practica: nunquid quo ad successionem ftliorum qui inde procreati sunt"47.
Dertinger 1986. S. 41 ff. Dertinger 1986. S. 44 f. 42 Ohlenburger-Bauer 1976. S. 8; Evans-v.Krbek in EekelaarlKatz 1980. S. 343; Crawley 1988. S. 97; McDonald 1988. S. 44. 43 Skolnick 1981. S. 346. 44 Skolnick 1981, S. 347. 45 Skolnick 1981. S. 347. 46 Otto 1987. S. 8. FN 22. 47 Otto 1987. S. 8. 40 41
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Nachdem die gesellschaftliche Abwertung "gefallener Mädchen" sexueller Freiheit gewichen war, bedeutete dies für die Frau das Erreichen persönlicher Freiheiten. Es ist nicht mehr erforderlich, eine Ehe einzugehen, um die Ehre zu schützen. Auch berufstätige und alleinerziehende Mütter werden nicht länger stigmatisiert48 • Die Stellung der Mutter wurde durch Regelungen zum Mutterschutz (Mutterschaftsurlaub etc.) verbessert; Kindergärten und Vorschulen stellen sich auf die Bedürfnisse der nichtehelichen Mutter ein 49, so daß eine Eheschließung zur sozialen und wirtschaftlichen Absicherung nicht mehr unbedingt notwendig ist. ee) Auflösbarkeit der Ehe Ein bedeutender Faktor, der mit dem Wandel des Eheverständnisses einherging und gleichzeitig selbst das Eheverständnis veränderte, war die größer werdende Akzeptanz von Scheidungen und Wiederverheiratungen. Diese Entwicklung trug zur wachsenden Unabhängigkeit der Frau beiso. fO Der Wandel der Lebensbedingungen Begünstigend wirkte sich auch die steigende Lebenserwartung aus. Mehr und mehr übersteigt diese die für die Aufzucht der Kinder erforderliche Zeitspanne. Dadurch werden für die Frau Freiräume geschaffen, die sie mit anderen Dingen als Kindererziehung ausfüllen kann, was wiederum Berufstätigkeit und gesellschaftspolitisches Engagement der Frau begünstigt. gg) Ergebnis Als Ergebnis ist festzuhalten, daß die Entwicklung der Stellung der Frau zu mehr wirtschaftlicher, politischer, gesellschaftlicher und individueller Gleichberechtigung, Selbstbestimmung und Unabhängigkeit eine notwendige Voraussetzung für die Verbreitung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft ist. Mangels vorhandener Sicherungsfunktion für den schwächeren Partner ist für diese Lebensform in größerem Maße als bei der Ehe die annähernde Gleichberechtigung und - insbesondere wirtschaftliche - Unabhängigkeit der beteiligten Individuen von Bedeutung.
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so
Skolnick 1981, S. 345. Ohlenburger-Bauer 1976, S. 8. Skolnick 1981, S. 347; Crawley 1988, S. 97; McDonald 1988, S. 44.
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b)
Weitere Entwicklungs/aboren
Im folgenden werden jene Faktoren dargestellt, die neben dem Wandel der Stellung der Frau ebenfalls die Ausbreitung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft begünstigten. Als Grundlage dient dabei weitgehend die Untersuchung des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit, in der eine umfassende Befragung von Partnern nichtehelicher Lebensgemeinschaften ausgewertet wurde. Weitere und vor allem aktuellere empirische Untersuchungen liegen nicht vor51 • aa) Änderung des Rollenverständnisses Die nichteheliche Lebensgemeinschaft wird mit einem gewandelten Rollenverständnis innerhalb der Partnerschaft verknüpft. Die emanzipierte Frau lehnt die traditionelle Rollenverteilung ab. In der Vorstellung der Betroffenen wird diese in großem Maß immer noch mit der Ehe verbunden, was zur Ablehnung dieser Lebensform führt52• Die Frau scheut das traditionelle Hausfrauendasein nicht zuletzt wegen der unzureichenden gesellschaftlichen Anerkennung der Tätigkeit. Die Hausfrau muß immer noch eine durch mangelnde gesellschaftliche Kontakte verursachte geistige Isolation und seelische Verödung 53 fürchten, die ein Phänomen des Kleinfamilienzeitalters darstellt. Im Gegensatz dazu ist die Erwartung an eine Rollenverteilung, die sich vom traditionellem ehelichen Muster unterscheidet, unter den Partnern der nichtehelichen Lebensgemeinschaft sehr hoch: Mit 47 % glaubt fast jeder zweite Partner einer Lebensgemeinschaft ohne feste Heiratsabsicht, die Gefahr einer traditionellen Verteilung der gemeinschaftlichen Aufgaben sei bei der nichtehelichen Lebensform geringer als bei der Ehe. Selbst in nichtehelichen Lebensgemeinschaften mit fester Heiratsabsicht ist diese Ansicht noch mit 34 % recht häufig vertreten 54• Die Realität widerlegt diese Erwartungshaltung: Allein das Leben in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft bringt kein gleichberechtiges partnerschaftliches Verhältnis mit sich. Zwar werden größere SI Dies ist als großer Nachteil anzusehen, da sich der Wandel auf dem Gebiet der nichtehelichen Lebensgemeinschaft sehr rasch vollzieht. Rechtliche &örterungen, die häufig auf sozialen Kategorien beruhen, laufen daher leicht Gefahr, von den gesellschaftlichen Tatsachen schon überholt zu sein und eher die Vorstellungen der Autoren wiederzugeben. 52 CaldwelVCaldwelllBracherlSantow 1988 S. 9. 53 Kunigk 1978, 51.
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BMJFG 1985, S. 39.
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und wichtige Entscheidungen in der Regel partnerschaftlich getroffen 55, von einer egalitären Aufteilung der Hausarbeit sind die nichtehelichen Lebensgemeinschaften aber noch weit entfernt. Nur einzelne Hausarbeiten 56 werden bisher von den Partnern geteilt oder gemeinsam erledigt. Die typischen Aufgaben einer Hausfrau jedoch bleiben zum allergrößten Teil den Frauen überlassen57 • Auch ist es in der Regel die Frau, die zur Versorgung gemeinsamer oder von einem der Partner in die Gemeinschaft eingebrachter Kinder ihren Beruf aufgibt58 • Das ausschlaggebende Kriterium für eine Durchbrechung traditioneller Rollenverteilung scheint im Alter der Partner zu liegen. Die jüngeren Altersgruppen teilen die traditionellen Hausfrauentätigkeiten eher gleichberechtigt auf als die älteren59 • Dies scheint einen generellen Wandel der Geschlechter zueinander erkennbar werden zu lassen, der nicht an die Lebensform der nichtehelichen Lebensgemeinschaft gebunden ist. Es findet eine Depolarisierung des Verhältnisses der Geschlechter zueinander statt, die die Tendenz zur partnerschaftlichen Beziehung bei jüngeren Paaren verstärkt. Diese Entwicklung ist - in geringerem Maße als bei nichtehelichen Lebensgemeinschaften - auch bei Ehepaaren jüngeren Alters feststellbar 60• Zusammenfassend zeigt sich, daß der Wandel der traditionellen Rollenverteilung faktisch mit einer geänderten Haltung und Erziehung beider Partner zusammenhängt. Die nichteheliche Lebensgemeinschaft wird durch die Hoffnung der Partner begünstigt, in dieser Lebensform nicht in die von ihnen abgelehnte Rollenverteilung zu verfallen. bb) Geburtenkontrolle Die Verbreitung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft steht in Zusammenhang mit der Möglichkeit der Geburtenkontrolle. Dies läßt sich aus folgenden Zahlen ablesen: Empfangisverhütende Methoden wurden 1982 von 69,9 % der Ehefrauen - im Gegensatz zu 92,1 % der Partnerinnen einer nichtehelichen BMJFG 1985. S. 65. 50 - 60 % der nichtehelichen Lebensgemeinschaften gehen gemeinsam zum Einkaufen. säubern die Wohnung und spülen das Geschirr ab (BMJFG 1985. S. 62 ff). 57 Bettenmachen. Wäschewaschen. Bügeln. Kochen und das Organisieren des Haushalts (BMJFG 1985. S. 63 ff). 58 Deech in EekelaarlKatz 1980. S. 304. 59 "So wird z. B. bei den 18- bis 24- jährigen das Geschirrspülen zu 60 % und das Bettenmachen zu 42 % gemeinsam erledigt. bei den Befragten von 40 und mehr Jahren jedoch nur zu 29 % und 20 %" (BMJFG 1985. S. 65 f (mit weiteren Nachweisen». 60 Tyrell in BMJFG 1985. S. 122f. 55
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3 Stintzing
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Lebensgemeinschaft - angewandt61 • Vor allem die Partnerinnen nichtehelicher Lebensgemeinschaften legen auf die Möglichkeiten der Geburtenplanung besonderen Wert62: Eine unerwartete Schwangerschaft würden 54 % von ihnen als Katastrophe empfmden; 20 % fänden "es nicht weiter schlimm", und nur 23 % würden sich darüber freuen 63 • Diesen Zahlen entspricht umgekehrt, daß die Mehrzahl der nichtehelichen Lebenspartner sich bei der - auch unerwarteten - Geburt eines Kindes zur Heirat entschließen würde 64• Generell stellt der Wunsch nach Kindern einen wesentlichen Grund zur Eheschließung daf65. Die deutlich hervortretende Korrelation von Geburtenkontrolle und nichtehelicher Lebensgemeinschaft hängt nicht allein mit dem Wunsch der Frau zusammen, einer eigenen Berufstätigkeit nachzugehen oder Unabhängigkeit zu bewahren. Wesentlich ist zum einen vielmehr auch der Aspekt, daß die nichteheliche Lebensgemeinschaft als eine im Gegensatz zur Ehe weniger verpflichtende und somit unsicherere Beziehung angesehen wird66; zum anderen wird auf Grund der bislang defIZitären Rechtsposition des nichtehelichen Vaters 67 die nichteheliche Lebensgemeinschaft weitgehend als eine kinderlose Lebensform angesehen, was die Möglichkeit der Geburtenplanung in den Vordergrund rücken läßt. ce) Wandel der Gesellschaft Die Furcht vor einer lebenslangen Bindung wächst in der modemen Gesellschaft. Dazu trägt auch die wachsende gesellschaftliche Mobilität bei. Jedes Individuum lernt eine Vielzahl anderer Leute kennen und genießt eine um vieles größere individuelle Gestaltungsfreiheit, als dies früher der Fall war. Früher stammten die Ehepartner in der Regel aus demselben soziokulturellen Umfeld und hatten ähnliche Auffassungen. Ehen zwischen Partnern unterschiedlicher Bildung und sozialer Herkunft waren sehr selten, weshalb der äußere Erfolg der Ehe wahrscheinlicher waf68. Demgegenüber treffen sich Tyrell in BMJFG 1985, S. 127. BMJFG 1985, S. 75. 63 BMJFG 1985, S. 75; dabei lassen die Statistiken die Tendenz erkennen, daß die Zahl derjenigen nichtehelichen Paare abnimmt, die eine Schwangerschaft als Katastrophe ansehen (HöhnlSchulz 1987, S. 149). 64 BMJFG 1985, S. 77, 37. 65 BMJFG 1985, S. 15. 66 Tyrell in BMJFG 1985, S. 109. 67 Vg1. Kap. G.I.; es steht zu erwarten, daß sich dies in Zukunft ändern wird, da sich die Rechtsposition des nichtehelichen Vaters durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12.06.1991 entscheidend veränderte. 68 Kunigk 1978, S. 146. 61
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heute angesichts der erwähnten Mobilität der Bevölkerung nicht unbedingt Partner mit homogenen Ansichten. Die sozialen Schranken sind durchlässiger geworden; die Partner können sogar aus unterschiedlichen Kulturkreisen stammen69 • Zudem kennt die modeme Gesellschaft in der Regel keine Lebens- und Berufstraditionen mehr70• So kann die nichteheliche Lebensgemeinschaft - zumindest in der Form der "Ehe auf Probe" - als adäquate Antwort auf die mobile modeme Gesellschaft erscheinen. Dem kommt das Streben der nichtehelichen Lebensgemeinschaft nach möglichst weitgehender rechtlicher Unverbindlichkeit entgegen. Doch sollte die Gefahr, die diese Mobilität birgt, nicht übersehen werden: Angesichts der jederzeitigen Auflösbarkeit könnten sich in negativer Fortentwicklung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen der Mobilität und Flexibilität sozusagen "Lebensabschnittsgemeinschaften" bilden. Ihnen würde das Element der Stabilität fehlen. Dies müßte zu einer völligen Umstrukturierung der Gesellschaft führen, da die Familieneinheit nicht mehr einer der wesentlichen Bausteine der Gesellschaft darstellen würde. Diese Entwicklung wäre insbesondere bei einer Überbetonung der Individualität und der eigenen Karriere durch die einzelnen Partner zu befürchten. Im Unterschied zur Lebensabschnittsgemeinschaft ist jedoch der nichtehelichen Lebensgemeinschaft in der vorliegend diskutierten Form das Element einer stabilen Partnerschaft wichtig 71 • Sie weist keine Anzeichen für eine Entwicklung zu Lebensabschnittsgemeinschaften auf7 2• dd) Veränderung der Lebensphasen Die Lebensphase, die in einer partnerschaftlichen Beziehung gelebt werden kann, hat sich ausgeweitet: Das Elternhaus wird früher verlassen, wobei jedoch gleichzeitig eine feste eheliche Bindung länger hinausgeschoben und somit das Jugendalter verlängert wird73• Bedeutsam ist insbesondere die frühere und weitergehendere Unabhängigkeit der Frau vom Eltemhaus74• Gleichzeitig erfolgt die Familiengründung in einem höheren Lebensalter als früher 75: 1970 wiesen noch die Frauen im Alter von 20-25 Jahren die höchste Geburtenrate auf, wähKunigk 1978, S. 146. Maus 1984, S. 19. 71 Vgl. Kap. B.l.l. und C. 72 Vgl. Kap. B.l.l. 73 Tyrell in BMJFG 1985, S. 120 f; dies spiegelt sich im späteren Zeitpunkt von Heirat und Ecstgeburt (bei den Frauen) wider (HöhnJSchulz 1987, S. 147). 74 Tyrell in BMJFG 1985, S. 126. 75 Höhn 1990. 69
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rend seit Mitte der 70er Jabre bei Frauen im Alter von ca. 30 Jabren die meisten Geburten zu verzeichnen sind76. Das Alter, in dem die meisten Frauen ihr erstes Kind bekommen, hat sich von der Altersspanne der 20 - 25-jährigen auf die Altersgruppe der ca. 30-jährigen verschoben 77 • Zudem ist die durchschnittliche Lebenserwartung gestiegen. Die Partnerschaft endet beispielsweise nicht nach der Aufzucht der Kinder, sondern erstreckt sich auch auf ein länger werdendes Seniorenalter, das mit neuen Interessen und Funktionen ausgefüllt werden muß. Da viele verwitwete Senioren mit Rücksicht auf den verstorbenen Ehegatten, die Familie und aus finanziellen Erwägungen eine weitere Eheschließung scheuen, ziehen sie für eine neue Partnerschaft die nichteheliche Zusammenlebensform vor. So kann sich sowohl vor als auch nach der Familienphase die nichteheliche Lebensform etablieren. ee) Wandel des Partnerschaftsverständnisses
Das Verständnis von einer Partnerschaft hat sich gewandelt. Insbesondere die in nichtehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Frauen erwarten sich ein partnerschaftliches und gleichberechtigtes Verhältnis zwischen Mann und Frau78 • Daraus resultieren Vorbehalte gegen die Ehe, da diese noch immer mit tatsächlichen Nachteilen und Vorurteilen der Vergangenheit belastet ist. Insbesondere Frauen stehen den Wertvorstellungen, die eng mit der traditionellen bürgerlichen Ehe verbunden sind, skeptisch gegenüber. Die Ehe birgt im Vergleich zur nichtehelichen Lebensgemeinschaft noch immer eine größere Gefabr der Unterdrückung und ist noch immer mit der Vorstellung der "male-dominated legal institution"79 verbunden. Dies resultiert zum Teil daraus, daß sich die Veränderung der Rollenverteilung noch nicht generell durchgesetzt hat. Als grundsätzlich unzeitgemäßHO wird die Ehe jedoch nur von 47 % der befragten nichtehelichen Partner angesehen, die sich noch nicht mit konkreten Heiratsabsichten tragen 81 • Von den Partnern, die schon Heiratsabsichten haben 82, 76
Will, deIHuffmann 1986, Rz. 11. Höhn 1990. 78 BalloffI99I,S.193. 79 Deech in EekelaarlKatz 1980, S. 302; dies sehen auch EvattIWatson und McKenzie (in EekelaarlKatz 1980, S. 399) als einen Grund für die Ablehung der Ehe und das Eingehen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft an. HO Dies ist nicht mit einer Ablehnung der Ehe gleichzusetzen. 81 Dies sind 66 % aller befragten nichtehelichen Lebensgemeinschaften (vgl. BMJFG 1985, S.29). 82 Dies entspricht 33 % aller nichtehelicher Lebensgemeinschaften (vgl. BMJFG 1985, s. 29). 77
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wird diese Ansicht nur von 9 % geteilt83• Die unterschiedliche Einschätzung je nach Vorllandensein einer Heiratsabsicht läßt sich auch bei weiteren Aspekten deutlich erkennen84• Eine positive Einstellung zur Ehe ist bei denjenigen Lebenspartnern offenkundig, die konkret die Eheschließung erwägen. Die noch nicht auf eine Ehe abzielenden nichtehelichen Lebenspartner befürchten bei einer Eheschließung das Auftreten folgender nachteiliger Faktoren: - Ehepaare würden leichter in einen Ehetrott verfallen. Wie viele "Vorbild"Ehen8s zeigten, führe dieser zu Kommunikationslosigkeit und belaste die Beziehung. Die Ehe erhebe einerseits den Anspruch auf Dauerhaftigkeit und könne aber andererseits nach Ansicht der Befragten gerade dadurch das Hemmnis für die Beständigkeit darstellen 86• Das Gefühl, sich des Ehepartners sicher sein zu können, führe zu einer Ermüdung der Beziehung. Diese Entwicklung wird durch den Druck struktureller Rollenzwänge insbesondere begünstigt. - Die Ehe wird nicht als Bereicherung, sondern als Aufgabe der Individualität aufgefaßt87 • 35 % der nichtehelichen Lebenspartner ohne und 21 % derjenigen mit Heiratsabsicht befürchten, durch eine Ehe den Kontakt zu Freunden zu verlieren88 • Im Gegensatz zur Ehe ist die nichteheliche Lebensgemeinschaft mit der Vorstellung verknüpft, einen vom Partner unabhängigen Freundeskreis und Hobbies pflegen zu können, nicht zwangsweise überall als Paar auftreten zu müssen und allein ausgehen zu können. Die Ehe wird als einengend angesehen, während man in der nichtehelichen Lebensgemeinschaft meint, seinen Freiraum besser gewährleisten und ausleben zu können. - Es wird davon ausgegangen, die nichteheliche Lebensgemeinschaft sei frei
von (der Ehe zugeschriebenen) Besitzansprüchen. An die Stelle der Dominanz eines Partners trete ein gleichberechtigtes Verhältnis89•
All diese mit der jeweiligen Lebensform verknüpften Vorstellungen der Befmgten lassen die unterschiedlichen Erwartungshorizonte in Bezug auf nichteheliche und eheliche Lebensgemeinschaften erkennen. Die Diskrepanz zwi-
83 84
8S 86
87 88 89
BMJFG 1985, S. 39. BMJFG 1985, S. 39. Wie z.B. die der Eltern. BMJFG 1985, S. 40. BMJFG 1985, S. 41. BMJFG 1985, S. 39. BMJFG 1985, S. 60 f.
38
B. Die nichteheliche Lebensgemeinschaft in der Gesellschaft
schen Erwartung und Realisierung dieser Ideen wurde am Beispiel der Rollenverteilung ausführlich dargestellt90•
co Scheidungsverfahren Trotz genereller Akzeptanz der Auflösbarkeit der Ehe ist ein Scheidungsverfahren immer noch sehr "langwierig und kräfteraubend" 91. Daraus entwickelt sich eine Zurückhaltung gegenüber der Eheschließung. Zudem kennt die nichtehelicbe Lebensgemeinschaft dagegen keinen gesetzlich fIxierten Zwang, die Gemeinschaft als lebenslang anzusehen und den Partner zu ertragen. gg) Etablierung einer zweiten Lebensform Auf Grund der gewandelten Moralvorstellungen bietet die nichteheliche Lebensgemeinschaft eine gute Möglichkeit, im Rahmen eines informellen Zusammenlebens die Beziehung sozusagen unverbindlich zu prüfen. Die nichteheliche Lebensgemeinschaft ist frei von traditionellen religiösen und rechtlichen Bindungen der Ehe92• Für die meisten Partner drückt die Wahl der nichtehelichen Lebensform keine grundsätzliche Ablehnung einer späteren Eheschließung aus. Die Partner gehen vielmehr davon aus, "daß man sich eines Tages verheiraten wird"93. Schirmef94 nimmt an, daß ca. 75 % der nichtehelichen Lebensgemeinschaften als Ehe auf Probe geführt werden. Dies unterstützt die Ansicht, der Rückgang der Heiratsquote bedeute keine Verweigerung, sondern nur eine zeitliche Verschiebung der Lebensphasen und somit der Eheschließung95 . Kennzeichnend für die heutige Situation der nichtehelichen Lebensgemeinschaft als Übergangsphase ist die Aussage der meisten befragten jüngeren Partner, sich das Alter ohne Ehe nicht vorstellen zu können. Dies läßt eine Änderung der Gewichtungen im Laufe des Lebens erkennen: Das Bedürfnis nach Individualität, Flexibilität und Unabhängigkeit weicht dem Vorzug für Sicherheit und Geborgenheit in einer Ehe. Daraus läßt sich die Tendenz ableiten, daß die nichteheliche Lebensgemeinschaft die Ehe nicht verdrängt, sondern für Le90
91
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95
Vgl. aa). Kunigk 1978, S. 52. Skolnick 1981, S. 344. BMJFG 1985, S. 40. Schirmer 1988, S. 291. Festy in EekelaarlKatz 1980, S. 8.
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bensabschnitte relevant wird, in denen die traditionellen Werte der Ehe für die Betroffenen nicht von vordringlicher Wichtigkeit sind96• Umgekehrt sehen ältere Partner die nichteheliche Lebensgemeinschaft häufiger als Alternative zur Ehe an als die jüngeren Paare97; sie haben häufig schon Eheerfahrungen und Scheidungen hinter sich und wurden von der ehelichen Lebensgemeinschaft enttäuscht. Insofern ist die nichteheliche Lebensgemeinschaft als zweite Lebensform neben die Ehe getreten; das Monopol der Ehe für das Zusammenleben von Mann und Frau besteht nicht mehf98. hh) Gesellschaftliche Akzeptanz Die gesellschaftlichen Vorbehalte gegen die nichteheliche Lebensform sind gesunken. Die Befürchtung, soziale Diskriminierungen zu erfahren 99, ist inzwischen weitgehend unbegründet. Die nichteheliche Lebensgemeinschaft wird von der überwiegenden Bevölkerung nicht mehr als moralisch verwerflich und damit sittenwidrig angesehen. Auf Grund einer solchermaßen gestiegenen Akzeptanz der neuen Lebensform in der Gesellschaft konnten nur rund 10 % der befragten nichtehelichen Partner bestätigen, zu Beginn der Beziehung tatsächlich auf Schwierigkeiten gestoßen zu sein. Diese sind neben dem Vermieter in der Hauptsache von Eltern und Verwandten ausgegangen. Dies deutet darautbin, daß die nichteheliche Lebensgemeinschaft als Lebensform zwar abstrakt durchaus anerkannt sein kann, eigene traditionelle Werte und Moralvorstellungen die Akzeptanz aber erschweren, wenn ein solcher Fall in der eigenen Familie auftritt 100. Dabei spielt für das familiäre Verhalten neben eigenen Einstellungen auch die Prägung der Umgebung eine Rolle: In ländlichen Gebieten mit kleinen Ortschaften wird die nichteheliche Lebensgemeinschaft noch zu 68 % von der 96 Auch v. Münch (in BattislSchultz 1990, S. 28 f) geht davon aus, daß sich die nichteheliche Lebensgemeinschaft als Zusammenlebensform neben der Ehe entwickelt. Der Ansicht Skwirblies' (1990. S. 19) von der "Abkehr von der Ehe und der Einkehr in die nichteheliche lebensgemeinschaft" kann daher so nicht gefolgt werden. 97 Skwirblies 1990, S. 21 ff. 98 Nave-Herz in Nave-Herz 1988, S. 66. 99 BMJFG 1985. S. 15. 100 In Australien stehen einer generellen Akzeptanz durch 66 % der Bevölkerung 44.5 % gegenüber, die diese Lebensform für sich selbst akzeptieren könnten. Nur 38 % stehen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft ihrer Kinder positiv gegenüber, die vor einer Eheschließung als "Ehe auf Probe" geführt wird. Falls die Kinder diese Lebensform als Alternative zur Ehe wählen sollten. sinkt die Akzeptanz sogar auf 22 % (Sarantakos 1984, S. 158 f).
B. Die nichteheliehe Lebensgemeinschaft in der Gesellschaft
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Bevölkerung abgelehnt. Demgegenüber wächst die Akzeptanz mit zunehmender Ortsgröße: In mittleren Ortschaften (10.000 und l00.()()() Einwohner) beträgt die Ablehnung nur noch 48 %; in Großstädten sinkt sie auf 31 % 101.
Im konfessionellen Hintergrund liegen keine nennenswerten Unterschiede begründet. Die Akzeptanz der nichtehelichen Lebensgemeinschaft ist bei Katholiken nur wenig geringer als bei Protestanten: Die Differenz beträgt maximal 5 %102. Ein größerer Unterschied scheint sich dagegen hinsichtlich der Konfessionslosigkeit abzuzeichnen. 5,5 % der Eheleute sind konfessionslos; dieser Zahl stehen 16,4 % der Männer und 11,1 % der Frauen einer nichtehe-liehen Lebensgemeinschaft gegenüber lO3 • Die Toleranz der BundesbÜfger differiert jedoch danach, ob die nichteheliehe Lebensgemeinschaft als "Ehe auf Probe" geführt wird oder ohne Heiratsabsicht bestehtlO4 • Das Führen einer Ehe auf Probe wird von 70 % aller BundesbÜfger begrüßt, während diese Quote bei dem Fehlen jeglicher Heiratsabsicht der Partner auf 51 % sinkt. Deutlich wird die Ehe bei Vorhandensein eines gemeinsamen Kindes als die vorzuziehende Lebensform angesehen. Diese Haltung geht von der Ansicht aus, die Ehe biete dem Kind ein besseres Familienleben l05 • Sobald zu der nichtehelichen Lebensgemeinschaft ein gemeinsames Kind hinzukommt, sinkt die Toleranz der BundesbÜfger gegenüber der Weiterführung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft beträchtlich. Die nichteheliche Lebensgemeinschaft ohne Heiratsabsicht, in der ein gemeinsames Kind vorhanden ist, wird hier nur noch von 29 % aller BundesbÜfger akzeptiert lO6• ü) Wandel der Familienstruktur
Die Formen des familiären Zusammenlebens haben sich in den letzten hundert Jahren grundlegend geändert. An die Stelle der Großfamilie ist die Kleinfamilie getreten, in der in der Regel nur noch ein bis zwei Generationen zusammenleben lO7 • Die Großfamilie gab auch der Zweierbeziehung der EheBMJFG 1985, S. 82. BMJFG 1985, S. 82. 103 Höhn 1988, S. 5. 104 Lieb 1988, A 20 (mit detaillierter Aufschlüsselung nach Alter und Bildungsstand der Befragten. Die Zahlen geben die Akzeptanz der nichtehelichen Lebensgemeinschaft in der Bevölkerung im Jahr 1981 wieder). 105 Diese Ansicht wird von den Partnern einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft mit Heiratsabsicht zu 54 % und von denen ohne Heiratsabsicht zu 32 % geteilt (BMJFG 1985, S. 38). 106 Lieb 1988, A 20. 107 Ohlenburger-Bauer 1976, S. 5. 10\
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partner Zusammenhalt und stellte eine Zweckgemeinschaft im Sinne einer Wirtschaftsgemeinschaft dar. Allein auf sich gestellt konnten die Mitglieder nicht überleben\(~. Demgegenüber sind institutionalisierte Bindungen heute für das Überleben des Einzelnen nicht mehr erforderlich lO9• Die Gesellschaft hat durch die Einrichtung von Kindergärten, Altenheimen, Versicherungssystemen u.ä. die Funktionen der Großfamilie übemommen l1O• Die Familie unterlag somit einem Funktionswandel. Die modeme Familie dient z.B. dem Freizeiterleben und der Etbolung von der Arbeitttt . Ihr kommt nach wie vor ein bedeutsamer gesellschaftlicher Stellenwert zu 112• c) Ergebnis
Die Ausbreitung 113 der nichtehelichen Lebensgemeinschaft ist auf eine Vielzahl von Faktoren zurückzuführen. Sie geht mit dem Wandel der Stellung der Frau in der Gesellschaft ll4 ebenso wie mit der Strukturveränderung und Funktionsverschiebung von Ehe und Partnerschaft einher1l5. Sowohl der Wandel der Sexualität als auch des Familienlebens spiegeln Entwicklungen und Trends wider, die während des gesamten 20 Jahrhunderts und auch schon davor existierten. Einerseits haben sich die ideellen Vorstellungen und Erwartungen der nichtehelichen Lebensgemeinschaft in den letzten Jahren immer stärker in den gesellschaftlichen Vordergrund gedrängt und zu einer generellen Akzeptanz dieser Lebensform in der Gesellschaft geführt l16• Andererseits wird auch deutlich, daß die Realität der nichtehelichen lebensgemeinschaft häufig hinter ihren anfänglichen (erwarteten) Postulaten zurückbleibt. Zudem ist diese Lebensform trotz ihrer Vorreiterrolle hinsichtlich des neuen Partner-schaftsverständnisses inzwischen nicht die einzige Form, die die Möglichkeit bietet, dieses neue Verständnis auch auszuleben: In immer größerem Maße wird es auch von jungen Ehepaaren angenommen. Ohlenburger-Bauer 1976, S. 5. Maus 1984, S. 18. 110 Maus 1984, S. 19. 111 AndruplBuchltoferlZiegert in EekelaarlKatz 1980, S. 35. 112 Morgan (1987, S. 23) hebt die Familieneinheit auch als Kern der heutigen modemen Gesellschaft hervor. 113 V gl. Kap. B.I.1. 114 V gl. Kap. B.1.2.a). ttS Skolnick 1981, S. 339 f. 116 Dies spiegelt sich auch in der zahlen mäßigen Ausbreitung der nichtehelichen lebensgemeinschaft wider, die in Kap. B.I.1. dargestellt ist. 108
109
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B. Die nichteheliche Lebensgemeinschaft in der Gesellschaft
D. Austraüen 1. Soziologische Daten zur nichtehelichen Lebensgemeinschaft
a) Sozio-geographische Gegebenheiten Bevor auf die soziologischen Daten eingegangen wird, die für die nichteheliche Lebensgemeinschaft spezifisch sind, soll zWlächst ganz kurz der soziogeographische Rahmen Australiens vorgestellt werden. Von den 15,6 Mio Einwohnern117 leben knapp 2/3 in den beiden Staaten New South Wales (5,4019 Mio = 34,6 %118) und Victoria (4,0195 Mio = 25,8 %). Die hohe Einwohnerzahl dieser beiden Industriestaaten, die zusammen nur ca. 13 %119 der Fläche Australiens einnehmen, ergibt sich in der Hauptsache durch die beiden Millionenstädte Melboume (2,6 Mio = 17,0 %120) und Sydney (3 Mio = 19,2 %121), während das Hinterland durch eine ländliche Struktur geprägt ist Das verbleibende Drittel an Einwohnern verteilt sich auf die Staaten Queensland (2,5873 Mio = 16,6 %); Western Australia (1,4069 Mio = 9,0 %), den mit ca. 33 %122 flächenmäßig größten Staat; South Australia (1,3459 Mio = 8,6 %), Tasmania (0,4364 Mio = 2,8 %), das Australian Capital Territory (0,2494 Mio = 1,6 %) und das Northern Territory (0,1548 Mio = 1,0 %)123. Die einzelnen Staaten sind in großem Maß autonom; doch ist es vor diesem sozio-geographischen Hintergrund erklärlich, daß NSW und Vic von besonderem Gewicht sind Wld die anderen Staaten in vielen Punkten den Veränderungen dieser beiden bevölkerungsreichsten Staaten folgen. Auch in Bezug auf rechtliche Entwicklungen kommt NSW und Vic die Bedeutung einer Vorreiterrolle ZU I24•
b) Angaben zur nichtehelichen Lebensgemeinschaft Im folgenden soll nun mit einigen Angaben ein Bild der gesellschaftlichen Situation der nichtehelichen Lebensgemeinschaft in Australien umrissen werden: Australian Bureau of Slatistics Der Bevölkerung. 119 Australian Bureau of Slatistics 120 Australian Bureau of S1atistics 121 Australian Bureau of Slatistics 122 Australian Bureau of S1atistics 123 Australian Bureau of Slatistics 124 VgI. z.B. Kap. G.II.2.b). 117
1988, S. 1.
118
1985, S. 1. 1988, S. 4. 1988, S. 4. 1985, S. 1. 1988, S. 2.
11. Australien
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Im Zeitraum von 1976 bis 1982 stieg der Anteil der in nichtehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Paare von 2,2 %12S auf 5 %126 aller zusammenlebender Paare. Nach dem Ergebnis des Census wuchs dieser Prozentsatz bis zum Jahr 1986 auf 6 % an 127, während die Zahl der Ehen im selben Zeitraum gesunken istl28 •
Die nichteheliche Form des Zusammenlebens ist in allen sozialen Schichten der Gesellschaft verbreitet1 29• Große Unterschiede gibt es zwischen den einzelnen ethnischen Gruppen. Die nichteheliche Lebensform wird von den asiatischen, arabischen und südeuropäischen Immigranten kaum angenommen, während sie in den übrigen Bevölkerungsgruppen eine große Verbreitung erfährt l30• Altersmäßig verteilen sich die nichtehelichen Lebenspartner auf folgende Gruppen\31: - 58 %: unter 30 Jahre, davon: 8 % im Alter von 15 - 19 Jahren und 50 % im Alter von 20 - 29 Jahren\32 - 34 %: 30 - 49 Jahre - 8 %: älter als 50 Jahre. Die Altersstrukturen der nichtehelichen Lebensgemeinschaften in Australien und der Bundesrepublik Deutschland sind somit vergleichbar\33. Auch in Australien steigt die Zahl der nichtehelich zusammenlebenden Paare bei den Jüngeren rascher als bei den Älteren l34 • In beiden Ländern ist die nichteheliche Lebensgemeinschaft in der Altersgruppe der 20 - 29jährigen mit Abstand am häufigsten vertreten. Dabei bestanden 60 % der von einer 1983 durchgeführten Umfrage erfaßten nichtehelichen Lebensgemeinschaften länger als 2 Jahre 135. In New South Wales lebten im Jahr 1982 50 % der nichtehelichen Lebenspaare länger als 2 125
Law Reform Commission 1983, S. 20.
126 Khoo 1987, S. 185; die Zahlen beruhen auf einer survey.
127 Eine Untersuchung im Rahmen des Australian Family Project's 1986-87 national survey ergab 8 % (CaldwelllCaldwelllBracherlSantow 1988, S. 17). 128 Kilmartin 1988, S. 37; vgl. Kap. B.I.1. zu den entsprechenden Angaben der BRD. 129 Sarantakos 1984, S. 50; auch die Bildungsstruktur zeigt eine gesellschaftlich übergreifende Verbreitung der nichtehelichen Lebensform (Sarantakos 1984, S. 46 O. 130 Khoo 1985, S. 32; Sarantakos 1984, S. 48 f; McDonald 1987, S. 3 Cf; Storer in Storer 1985, S. 1 Cf; Dyer 1988, S. 107 Cf; EnglishlKing 1983, S. 9; de LaceylPoole 1979, Preface; Harris in de LaceylPoole 1979, S. 23 Cf; Clyne in de LaceylPoole 1979, S. 119 Cf. 131 Law Reform Commission 1983, S. 26. 132 Law Reform Commission 1983, S. 41. \33 Vgl. die Zahlen der BRD in Abb. 1 in Kap. B.l.l. 134 Sarantakos 1984, S. 41. 135 Law Reform Commission 1983, S. 165.
44
B. Die nichteheliche Lebensgemeinschaft in der Gesellschaft
Jabre und 20 % länger als 5 Jabre zusammen 136. Für ganz Australien stellen sich die Zahlen zur Bestandsdauer nichtehelicher Lebensgemeinschaften folgendermaßen dar\37: -
39 % 38 % 13 % 8%
bestehen kürzer als 2 Jabre bestehen seit 2 - 5 Jahren bestehen seit 6 - 10 Jahren bestehen seit 11 - 33 Jabren.
Die nichtehelichen Lebensgemeinschaften lassen sich nach Kriterien, die von Sarantakos entwickelt wurden, in trial, liberal und de facto cohabitation aufteilen l38 • Seine Benennung der Gruppen stellt zwar keine sich generell durchsetzende Kategorisierung dar. In diesem Zusammenhang sollen Sarantakos' Bezeichnungen jedoch zur Verdeutlichung der Differenzierung und Verteilung der sich unterscheidenden Gruppen nichtehelicher Lebensgemeinschaften dienen139 • aa) Trial Cohabitation 96 % der nichtehelichen Lebensgemeinschaften in der Altersgruppe der unter 30-jährigen sind demnach als "trial cohabitation" zu qualifizieren. Sie sehen die Lebensgemeinschaft nicht als Alternative zur Ehe an 140, sondern leben sozusagen in einer "Ehe auf Probe", die später entweder in eine Ehe mündet oder durch Trennung beendet wird l41 • Doch hat in der Altersgruppe der 15-19jährigen, die in einer trial cohabitation leben 142, schon 1/4 der Frauen dieser Gruppe ein mindeIjähriges Kind zu versorgen. Die Paare dieser Gruppe wählen die Form der nichtehelichen Lebensgemeinschaft als "trial cohabitation" häufig deshalb, weil die fmanzielle Basis für eine Ehe fehlt In der Gruppe der trial collabitants sind VOll den 20 - 29jährigen überproportional viele Frauen berufstätig und haben keine Kinder. In dieser Altersgruppe wird die nichteheliche Lebensform mit Kinderlosigkeit und gegenseitiger wirtschaftlicher Unabhängigkeit verbunden l43 •
Rose 1988. S. 22. Law Reform Comrnission 1983. S. 27, 35. 138 Sarantakos 1984, S. 41. 139 Sarantakos 1984, S. 35. 140 Sarantakos 1984, S. 34. 141 Khoo 1987, S. 185. 142 Dies sind 8 % aller nichtehelichen Lebensgemeinschaften (Law Reform Comrnission 1983. S. 43). 143 Law Reform Comrnission 1983, S. 43. 136
\37
11. Australien
45
bb) Liberal Cohabitation Demgegenüber sehen nur 4 % der 31 - 54jährigen ihre Lebensgemeinschaft als "Ehe auf Probe". Diese Altersgruppe lehnt häufiger als andere die Ehe als Institution ab l44 und trägt zumindest nach außen hin eine sehr gelockerte Einstellung von Partnerschaft zur Schau. Sarantakosl4S bezeichnet nichteheliche Lebensgemeinschaften mit folgenden Einstellungen als "liberal cohabitation": -
Partner hegen keine gemeinsamen Zukunftspläne; sexuelle Treue ist für diese Gruppe am wenigsten wichtig; Partner haben häufig mindestens eine gescheiterte Ehe hinter sich; Kinderwunsch ist selten; die Partner sind wirtschaftlich unabhängiger voneinander als die Partner anderer Gruppen l46. cc) De Facto Cohabitation
In der Altersgruppe der 30 - 40jährigen ist die Gruppe stark repräsentiert, die dem Institut der Ehe zwar positiv gegenübersteht, eine Eheschließung jedoch aus praktischen und ökonomischen Erwägungen für sich ausschließt l47. Kennzeichen dieser Gruppe sind: -
Partner gehören häufig einer höheren Altersgruppe an; Partner haben häufig Eheerfahrung; es sind Kinder aus der vorangegangenen Ehe vorhanden; Partner haben sehr feste gemeinsame Zukunftspläne; sexuelle Treue ist sehr wichtig l48 .
Einerseits ist der Anteil fmanziell abhängiger Frauen in der Altersgruppe der über 50jährigen mit 50 % überproportional hoch; andererseits ist in dieser Altersgruppe ein größerer Anteil an Frauen berufstätig als in der Gruppe der vergleichbaren Ehefrauen l49. Sarantakos bezeichnet nur die Gruppe der über 50jährigen als tIde facto relationship" ISO.
51 % derjenigen, die der Ehe ablehnend gegenüberstehen, gehören dieser Altersgruppe an. Sarantakos 1984, S. 34. 146 Sarantakos 1984, S. 35. 147 Sarantakos 1984, S. 35; 51 % derjenigen, die diese Gründe angeben, gehören dieser Altersgruppe an (Sarantakos 1984, S. 41). 148 Sarantakos 1984, S. 35. 149 Law Reform Commission 1983, S. 44. ISO Sarantakos 1984, S. 34. 144 14S
B. Die nichteheliche Lebensgemeinschaft in der Gesellschaft
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Die Gesamtverteilung stellt sich entsprechend der erläuterten Begriffskategorien folgendermaßen dar: - 55 % aller nichtehelichen Lebenspaare leben in "trial cohabitation", d.h. in einer Ehe auf Probe; die nichteheliche Lebensgemeinschaft soll bei positiver Entwicklung der Beziehung in eine Ehe übergehen; - 17 % der nichtehelichen Lebensgemeinschaften sind als "liberal cohabitation" zu bezeichnen; - 28 % leben in einer "de facto relationship" .
c) Eheliche und nichteheliche Lebensform Eine prinzipielle Einstellung contra Ehe ist für nur 9 % der nichtehelichen Lebensgemeinschaften das Motiv für die Wahl ihrer Lebensform i51 • Dabei werden von den nichtehelichen Lebenspartnern der Ehe dieselben Befürchtungen wie in der Bundesrepublik entgegengebracht1 52• Abgesehen von den fmanziellen Vorteilen ähneln sich die an eine nichteheliche Lebensgemeinschaft gestellten Erwartungen und mit dieser Lebensform verknüpften Vorteile in der Bundesrepublik und Australien lS3 • Die Gründe für eine Beendigung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft durch eine Eheschließung ergeben sich überwiegend aus pragmatischen Erwägungen und realen Bedingungen des gesellschaftlichen Umfelds 1S4: - gesellschaftlicher, rechtlicher oder familiärer Druck; - Desillusionierung: Die in das Leben in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft gesetzten Erwartungen wurden enttäuscht; - Schwangerschaft; - auftretendes Bedürfnis nach rechtlicher Sicherheit; - Erwartung gesellschaftlicher Vorteile (convenience); - berufliche Situation.
d) Ergebnis Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die gesellschaftlichen Daten zur nichtehelichen Lebensgemeinschaft in Australien denen in Deutschland ähneln. 151 152 153 154
Sarantakos 1984, S. 83. Vgl. Kap. 8.1.2.; Sarantakos 1984, S. 83 f. Vgl. Kap. B.1.2.; Sarantakos 1984, S. 84. Sarantakos 1984, S. 144.
11. Australien
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Gravierender Unterschied für die Akzeptanz der nichtehelichen Lebensgemeinschaft ist der jeweilige ethnische Hintergrund der nichtehelichen Partner. Im folgenden ist nun zu untersuchen, welche gesellschaftlichen Faktoren diese Entwicklung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft in Australien herbeiführten oder beeinflußten. 2. Entwicldungsbedinguogen der oichteheHchen Lebensgemeinschaft in der Gewllsdtaft
a) Die Stellung der Frau Die Entwicklung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft in Australien ist ebenso wie in der deutschen Gesellschaft stark mit dem Wandel der Stellung der Frau in der Gesellschaft verknüpft. Viele Aspekte der Erörterung zur Situation in Deutschland sind daher übertragbar. Im folgenden soll deshalb nur noch auf die für die australische Gesellschaft spezifischen Umstände eingegangen werden.
aal Historische Entwicklung Die australische Kolonie wurde von der Regierung in Westminster bürokratisch geplant Abgesehen von der Funktion als Strafkolonie sollte sie als Militär- und Handelsstützpunkt dienen. In Australien konnten daher die sich bildenden Familienstrukturen nicht aus einer allmählichen und langjährigen Entwicklung hervorgehen. In diesem Punkt unterschied sich deshalb die Ausgangsbasis des Kontinents von Europa1S5 • Vorherrschend waren in der australischen Gesellschaft von Anfang an stark patriarchalische Strukturen I S6. Dies ergab sich aus folgenden Ausgangsbedingungen: Die Besiedlung und Urbarmachung des Landes erfolgte in der Hauptsache durch die Vergabe des Landes an Farmer. In einer solchen Farmersfamilie war die Frau zugleich sowohl Hausfrau und Mutter als auch vor allem ArbeitskraftlS1 • Dabei richtete sich die Auswahl der Ehefrau hauptsächlich nach deren vermutetem Arbeitspotential. Dies führte zu Mißständen der familiären Situa-
ISS IS6 IS1
Browne 1988, S. 2. Browne 1988, S. 3; de Lepervanche 1988, S. 4. Lake in GrimshawlMcConvilleIMcEwen 1985, S. 176; Browne 1988, S. 3.
48
B. Die nichteheliche Lebensgemeinschaft in der Gesellschaft
tion, gegen die sich die Frauen erst ab ca. 1920 wehrten und die Berücksichtigung einiger Rechte für die Frauen durchsetzten I58• Zu Beginn der Kolonialzeit trug die Politik der Kolonialherren maßgeblich zu dieser Entwicklung bei und beeinflußte auf diese Weise sowohl das Verhältnis der Geschlechter zueinander als auch die Stellung der Frau. Während die Kolonialherren glaubten, die als Sträflinge nach Australien verfrachteten Männer effektiv nur mit staatlicher Autorität, Ordnung und Institutionen kontrollieren zu können lS9 , waren sie der Meinung, bei verurteilten Frauen denselben Effekt durch eine Eheschließung erreichen zu können 160. Um Eheschließungen zu begünstigen, wurde die Ehe zwischen einer strafgefangenen Frau und einem freien Mann mit einem Statuswechsel der Frau verbunden. Sie konnte dann bei ihrem Mann leben, dieselben Freiheiten wie er genießen und durch ihn vermittelt sogar Eigentum erwerben l61 • Viele inhaftierte Frauen waren daher sehr daran interessiert, freie oder kurz vor der Entlassung stehende Männer zu heiraten l62 • Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, daß insbesondere in derartigen Ehen die Frau vor allem als billige und ersetzbare Arbeitskraft betrachtet wurde. Gewaltanwendung innerhalb der Familie blieb - abgesehen von Todesfalien - ohne Folgen. Die Familie wurde als Privatsphäre l63 angesehen, in der sich somit der Stärkere durchsetzte. bb) Ablösung der Fannerkultur und Einfluß der Industrialisierung Auf Grund der geringen Bevölkerungsdichte und der somit knappen Arbeitskraftressourcen des Landes wurde die Arbeitskraft der Frau insbesondere auch während der Industrialisierungsphase des Kontinents dringend benötigt. Dabei brachte die Industrialisierung in Australien auf Grund ihrer Ausrichtung auf Güter des Primärsektors viele Gelegenheits- und Saisonarbeiten mit sich 164. So zogen z.B. immer zur Erntezeit viele Männer als Arbeitskräfte auf entfernte Zuckerrohrplantagen. Die mit den Kindern am Wohnort verbleibenden Frauen mußten in diesen Monaten die Familien versorgen und die Verantwortung tra-
158
Lake in GrimshawlMcConvilleIMcEwen 1985, S. 185.
Atkinson in GrimshawlMcConvillelMcEwen 1985, S. 23. Atkinson in GrimshawlMcConvilleIMcEwen 1985, S. 21. 161 Das Recht der verheirateten Frau, eigenständig die Eigentfunerstellung einzunehmen, wurde erst durch eine Rechtsänderung in der zweiten Hälfte des 19. Jh. eingeführt (McDonald 1988, S. 44). 162 Atkinson in GrimshawlMcConvillelMcEwen 1985, S. 22. 163 Browne 1988, S. 3 f. 164 Browne 1988, S. 3; Grimshaw 1988, S. 9. 159
160
11. Austtalien
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gen. Dies brachte eine größere Selbständigkeit und somit auch Unabhängigkeit der Frauen mit sich. ce) Politisches Mitspracherecht Der Mangel an festeingefahrenen und traditionellen Familienstrukturen in der erst jungen Gesellschaft führte vor diesem Hintergrund dazu, daß sich bei den Frauen früher als in Europa ein politisches Bewußtsein entwickelte. Sie schlossen sich zu Vereinigungen zusammen, deren Ziel die Durchsetzung politischer Rechte für Frauen und die Verbesserung der sozialen bzw. gesellschaftlichen Bedingungen war. 1894 erhielten die Frauen in South Australia das Wahlrecht. Dem schlossen sich die übrigen australischen Staaten im Zeitraum bis 1908 an. Auf bundesstaatlicher Ebene erlangten die Frauen in Australien 1902 als zweitem Land der Welt nach Neuseeland (1893) das sowohl aktive als auch passive Wahlrecht l65. Diese frühe politische Aktivierung der Frauen trug wohl in Folge mit dazu bei, daß ihren Interessen in weitergehendem Maße Rechnung getragen wurde als in Europa. Doch führte das politische Mitspracherecht allein nicht zu einer grundsätzlichen Veränderung der patriarchalichen Gesellschaftsstruktur: Erst 1973 wurde für Frauen ein "supporting mother's benefit" eingeführt, wodurch der Frau der Status einer vom Mann unabhängigen Alleinerziehenden gewährt wurde l66. dd) Wandel der Einstellung zur Frau
Angesichts der geringen Bevölkerungszahl wurde die Stellung der Frau durch die Erwartung geprägt, Mutter möglichst vieler Kinder zu sein 167. Als Mutter war sie verantwortlich für ein moralisch gutes Leben der ganzen Familie HiB • In dem folgenden Zitat aus der Zeit Anfang des Jahrhunderts spiegelt sich deutlich die gesellschaftliche Stellung und Wertschätzung der Frau wider: "Only through her domesticity and motherhood does woman safeguard the whole nation, its ideals and social organisation. Outside this she has nothing to contribute to the work of human elevation. After a certain point a non-domestic and childless woman is a menace to social purity and national stabilityI69".
165 Smith n.n., S. 5I. 166 Lepervanche, de 1988, S. lI. 167 168
169
Lepervanche, de 1988, S. IOf. Lepervanche, de 1988, S. 9. Zitiert nach de Lepervanche 1988, S. 10.
4 Stintzing
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B. Die nichteheliche Lebensgemeinschaft in der Gesellschaft
Mit dem Funktionswandel der Ehe und der Veränderung des Ebeverständnisses 170 änderte sich allmäblich die Einstellung der Gesellschaft zur Frau. ee) Emanzipationsbewegung Ebenso wie in Europa spielte auch die Emanzipationsbewegung in Australien eine bedeutende Rolle. Durch das veränderte Rollenverständnis wurden Forderungen nach größerer Gleichberechtigung und Eigenständigkeit hervorgerufen l71 • Das Streben der Frauen nach sowohl größerer Autonomie in der Beziehung 172 als auch finanzieller Unabhängigkeit brachte einen Rückgang der Geburten und eine verstäIkte Berufstätigkeit der Frauen (selbst mit minderjährigen Kindern) mit sich l73 • Die ökonomische Unabhängigkeit führte zu einer stärkeren und eher gleichberechtigten Stellung innerhalb der Partnerbeziehung. Doch scheinen weder dies noch die postulierte Veränderung des Rollenverständnisses auch in der australischen Gesellschaft bisher zu einer größeren Gleichberechtigung bei der Verteilung der alltäglichen Hausarbeit geführt zu haben. Der Haushalt und die Kinder werden weiterhin in der Regel von der Frau versorgt; dies gilt "even when motbers are employed and fatbers are out of workforce" 174. ff) Eingewanderte Frauen Anders als die Stellung der in Australien, einem englischsprachigen oder kulturverwandten Land geborenen Frauen stellt sich die Situation vieler aus anderen Kulturkreisen eingewanderter Frauen dar175• Die meisten von ihnen kommen in Australien als vom Mann oder männlichen Verwandten abhängige Familienmitglieder an 176• Sie haben häufig eine geringe Schul- und Berufsausbildung und finden somit oft nur Beschäftigungen als ungelernte Arbeitskräfte, sind arbeitslos oder treten auf dem Arbeitsmarkt überhaupt nicht in Erschei-
Vgl. Kap. B.I. Crawley 1988, S. 97; McDonald 1988, S. 44. 172 McDonald 1988, S. 44. 173 McDonald 1988, S. 44,46. 174 Browne 1988, S. 6. 175 Vgl. zur Situation ethnischer Gruppen: Starer in Storer 1985, S. 1 ff; McDonald 1987; Dyer 1988, S. 107 ff; Harris in de LaceylPoole 1979, S. 23 ff; Clyne in de LaceylPoole 1979, S. 119 ff; EnglishlKing 1983. 176 Martin in Bottomley/de Lepervanche 1984, S. 111. 170
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nung!77. Da viele von ihnen auch nur über geringe Englischkenntnisse verfügen, ist ihre Möglichkeit, soziale Kontakte zu begründen, dementsprechend limitiert. Dabei fehlt ihnen gleichzeitig das soziale Beziehungsnetz des Heimatlandes, um die fehlenden sozialen Bindungen im neuen Land zu kompensieren l78 • Diese immigrierten Frauen gehören somit zu einer stark benachteiligten Bevölkerungsgruppe in Australien. Sie sind fmanziell und emotional weitaus abhängiger von ihren Familien als in Australien aufgewachsene Frauen und in demselben Maße gesellschaftlich isolierter. Für sie ist es daher viel schwerer, ihre Stellung in der Familie zu verbessern und traditionelle Strukturen zu verändern. Nicht-weiße Frauen spüren zusätzlich noch die Auswirkungen einer früher verfolgten Politik, die ein "weißes Australien" proklamierte und farbige Frauen daher - auch rechtlich - benachteiligte 179•
b) Weitere Entwicklungsfaktoren In Australien nehmen dieselben Faktoren Einfluß auf die Ausbreitung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft wie in der Bundesrepublik. An dieser Stelle sollen zum einen einige Aspekte dargestellt werden, die vergleichend den zur deutschen Gesellschaft gemachten Ausführungen l80 gegenüberstehen und zum anderen Unterschiede zur deutschen Situation aufgezeigt werden. aa) Die Anfangszeit der Kolonie In der Anfangszeit der europäischen Besiedlung (seit 1788) bis weit ins 19. Jahrhundert war die nichteheliche Lebensgemeinschaft die Zusammenlebensform der Mehrzahl der Paare: 1788 landeten mit der ersten Flotte 1035 Europäer in Australien. 40 davon waren Kinder. Bis 1806 wuchs die Kolonie in New South Wales auf 6980 Personen. Darunter befanden sich nur 360 verheiratete Paare, wohingegen über 1000 Paare nichtehelich zusammenlebten 181. 50 % der Kinder unter 19 Jahren waren nichtehelich, und es ist anzunehmen, daß ihre Eltern und somit eine sehr große Anzahl an Paaren in der Regel in
Lepervanche, de 1988, S. 11; Martin in Bottomley/de Lepervanche 1984, S. 111. Lepervanche, de 1988, S. 14. 179 Lepervanche, de 1988, S. 17. 180 V gl. Kap. B.l. 181 Sarantakos 1984, S. 14. 177 178
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B. Die nichteheliche Lebensgemeinschaft in der Gesellschaft
nichtehelicher Lebensgemeinschaft zusammenlebten 182. Der Grund für diese starke Ausbreitung der nichtehelichen Lebensform ist in der unterschiedlichen Entwicklung zu sehen, in der sich die Familienstruktur in einer künstlich angelegten und von der Kolonialmacht bürokratisch geplanten Strafgefangenenkolonie im Gegensatz zu Europa etablierte, wo die Strukturen Zeit hatten, sich im Laufe der Geschichte langsam herauszubilden l83 • Doch setzte sich diese Entwicklung nichtehelichen Zusammenlebens aus der Anfangszeit der Kolonie nicht kontinuierlich fort. Mit der Zeit erlangte die Kirche großen Einfluß. Zusammen mit der Regierung der Kolonie bemühte sie sich, dieser "unmoralischen" Lebensform entgegenzuwirken l84• Zudem veränderte sich die Bevölkerungsstruktur des Landes mit der Ankunft immer größerer Siedlergruppen, die aus politischen, religiösen oder wirtschaftlichen Gründen aus Europa emigriert waren. Mit ihnen hielten die traditionellen Vorstellungen von Ehe und Familie Einzug. Die nichteheliche Lebensgemeinschaft wurde zurückgedrängt. Infolgedessen setzte sich auch in Australien allmählich die Bewertung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft als sittlich verwerflich durch, die bis zum Zweiten Weltkrieg vorherrschend war 185• Es läßt sich daher keine stringent aufeinander aufbauende Entwicklung und Verbreitung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft seit Beginn der Besiedlung feststellen 186, die sich auf die heutige Rechtslage der nichtehelichen Lebensgemeinschaft hätte auswirken können.
182 Browne 1988, S. 2; dies ist im Zusammenhang mit den herrschenden Rahmenbedingungen zu sehen: So war z.B. jedem Strafgefangenen, der sich bei der Ankunft in Australien als verheiratet registrieren ließ, eine erneute Eheschließung verwehrt. Viele Frauen hatten bei ihrer Ankunft in der Hoffnung auf mehr Sicherheit und eine bessere Stellung in der Kolonie sich einfach als verheiratet eintragen lassen. 183 V gl. zu der Ausgangssituation der nichtehelichen Lebensweise in der Anfangszeit der Kolonie: de Lepervanche 1988; Atkinson in GrimshawlMcConvillelMcEwen 1985; Browne 1988; Edgar in Khoo 1986; Sarantakos 1984. 184 Sarantakos 1984, S. 14; doch selbst 1828 waren nur 42 % der nach Australien transportierten "eligible" Frauen verheiratet. Erst später änderte sich dies nennenswert. 185 Sarantakos 1984, S. 153. 186 Vereinzelte Ausnahmen stellen nur rudimentäre Überbleibsel dar, wie z.B. die Möglichkeit, daß ein nichteheliches Kind den Zunamen des Vaters trägt oder der in s. 16 Maintenance Act, 1967 (ras) verankerte Unterhaltsanspruch der nichtehelich zusammenlebenden Frau.
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bb) Die letzten beiden Jahrzehnte (1)
Gesellschaftliche Akzeptanz
In der Entwicklung wäbrend der letzten beiden Jahrzehnte scheint sich die Akzeptanzrate der nichtehelichen Lebensgemeinschaft in Australiens Gesellschaft ähnlich der in der Bundesrepublik entwickelt zu haben: 1973 befürworteten 70 % der in einer Erhebung befragten Personen grundsätzlich die nichteheliche Lebensform. Eine Umfrage Anfang der 80-er Jahre l87 kam zu ähnlichen Ergebnissen: 66 %188 befürworteten oder tolerierten die nichteheliche Lebensgemeinschaft. Wie in Deutschland sinkt die Akzeptanzquote beträchtlich, sobald ein gemeinsames Kind vorhanden ist. Auch ist die Akzeptanz bis heute in den Fällen geringer, in denen den Paaren rechtlich die Möglichkeit einer Eheschließung offenstehtl89 • In diesen Fällen wird die Wahl der nichtehelichen Lebensform oftmals als einfacher Weg angesehen, eine eigentlich zu tragende Verantwortung zu umgehen. Da auch weiterhin noch die traditionelle Vorstellung von der Rolle der Frau vorherrschend ist, werden die weiblichen Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft für die Wabl dieser Lebensform stärker kritisiert als die männlichen. Auch läßt sich ein Altersgefälle bei der Akzeptanz dieser Lebensform feststellen, da jüngere Leute der nichtehelichen Lebensgemeinschaft häufiger positiv gegenüberstehen als ältere Leute. Die Befürwortung eines nichtehelichen Zusammenlebens ist bei Stadtbewohnem größer als auf dem Land 190• Selbst innerhalb der großen australischen Städte besteht ein aus der unterschiedlichen Struktur der Bevölkerung der Suburbs resultierendes Akzeptanzgefälle: So erfälut die nichteheliche Lebensgemeinschaft z.B. in den östlichen Suburbs (Vorstädten) von Sydney eine größere Akzeptanz und ist dort auch weiter verbreitet als in den westlichen Suburbs der Stadtl91 • Dieses Gefälle erklärt sich vor allem aus der unterschiedlichen ethnischen Struktur der Suburbs l92 • Sarantakos 1984, S. 154. Hier liegt eine im Verhältnis zum vorhergehenden Absatz andere Fragestellung zugrunde, weshalb aus der geringeren Zahl keine Abnahme der Akzeptanzquote abgeleitet werden kann. 189 Sarantakos 1984, S. 153. 190 Khoo 1986, S. 10. 191 Sarantakos 1984, S. 154 ff, 157. 192 Die östlichen Suburbs sind vor allem von Australiern und Europäern englischer und mitteleuropäischer Herkunft bewohnt, während in den westlichen Suburbs andere Kulturkreise vorherrschen, bei denen die nichteheliche Lebensgemeinschaft nur sehr selten als Form des Zusammenlebens gewählt wird. 187 188
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B. Die nichteheliche Lebensgemeinschaft in der Gesellschaft
(2) Der ZUsammenhang zwischen traditioneller Rollenverteilung und wirtschaftlicher Lage der Partner Die nichtehelichen Lebensgemeinschaften mit traditioneller Rollenverteilung, d.h. einer Hausfrau und einem Alleinverdiener, scheinen in Australien häufiger verbreitet zu sein als in Deutschland. Als Grund hierfür kommt der Umstand in Betracht, daß in Australien ein größerer Anteil der nichtehelichen Paare diese Lebensform nicht aus ideologischen, sondern aus fmanziellen Erwägungen wähltl93 • Generell sehen die Paare in der Sicherung der wirtschaftlichen Basis der Gemeinschaft eine wichtige - und sogar ausschlaggebende 194 Voraussetzung für eine Eheschließung l95 • Vor diesem Hintergrund wird die nichteheliche Lebensform von den Partnern in folgenden beiden Lebenssituationen gewählt: (1) Die Partner befinden sich noch in der Ausbildung oder am Anfang ihrer Berufstätigkeit; sie haben also noch keine finanziell gefestigte Basis 196, die ihrer Meinung nach eine Eheschließung erlauben würde l97 • Diese Paare sehen die nichteheliche Lebensgemeinschaft zumeist als vorübergehende Ehe auf Probe an. Dieses Motiv fmanzieller Sicherheit als Voraussetzung einer Eheschließung ist in der Bundesrepublik ebenso ein Grund für die Wahl der nichtehelichen Zusammenlebensform wie in Australien. (2) In Australien wird die nichteheliche Lebensform darüber hinaus von sozial schwachen Partnern als dauerhafte Lebensform gewählt, um fmanzielle Vorteile zu sichern. Im Gegensatz zu Deutschland, wo die Partner von der nichtehelichen Lebensform wirtschaftliche Nachteile und von der Ehe wirtschaftliche Vorteile erwarten 198, wird in Australien diese Lebensform wegen ihrer finanziellen Vorteile im Vergleich zur Ehe gewählt l99: 193 Z.B. soll eine Ehe erst bei einer gesicherten finanziellen Basis eingegangen werden oder soziale Leistungen sollen erhalten bleiben; vgl.: Law Reform Commission 1983, S. 43; Sarantakos 1984, S. 34; Khoo 1987, S. 185; Kap. B.II.2.b) und dieses Kapitel an späterer Stelle; finanzielle Erwägungen haben für die Wahl der nichtehelichen Lebensgemeinschaft in Deutschland weitgehend ihre Bedeutung verloren (Skwirblies 1990, S. 25). 194 Sarantakos 1984, S. 68, 72. 195 BMJFG 1985, S. 14,36; Khoo 1986, S. 18. 196 Khoo 1986, S. 11 f. 197 Khoo 1986, S. 12; die finanzielle Lage der nichtehelichen Lebensgemeinschaften ist in Australien im Durchschnitt schlechter als die vergleichbarer Ehen (Law Reform Commission 1983, S. 41 (toit Zahlenangaben». 198 BMJFG 1985, S. 14,36. 199 Sarantakos 1984, S. 72 ff.
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- das Behalten fmanzieller Privilegien, wie z.B. Pensionen, Renten, Sozialhilfe; - Vermeidung der Kosten einer Eheschließung; - Angst vor eventuellen Scheidungskosten.
In derartigen Lebensgemeinschaften sozial schwacher Partner ist die .. Alleinverdienerlebensgemeinschaft" weit verbreitet und die Frau häufiger wirtschaftlich vom Mann abhängig. Diese Abhängigkeit ist größer als in einer vergleichbaren Situation einer Ehe: Einerseits ist die Frau auf Grund von Kinderversorgung oder mangels Fähigkeiten bzw. Ausbildung nicht in der Lage, für sich selbst den Unterhalt zu bestreiten; andererseits hat sie aber in der Lebensgemeinschaft nicht die rechtlich gesicherte Position einer Ehefrau inne2°O. Angesichts dieses Sachverhaltes ist die traditionelle Rollenverteilung, bei der die Frau den Haushalt versorgt und der Mann Alleinverdiener ist. in dieser Gruppe der Lebensgemeinschaften weit verbreitet. Für die weiblichen Partner einer Lebensgemeinschaft ist auch das Differenzierungskriterium zu beachten, ob sie schon einmal verheiratet waren oder nicht. Eine vorangegangene Eheerfahrung stellt ein sozio-ökonomisch relevantes Merkmal dar: - Die Partnerinnen, die schon einmal verheiratet waren, weisen im Vergleich zu Ehefrauen einen geringen Bildungsstand auf2ol . Dagegen fällt der im Vergleich zu Ehefrauen hohe Bildungsstand lediger nichtehelicher Partnerinnen auf202 • - Schon einmal verheiratet gewesene Partnerinnen leben in ökonomisch schlechteren Verhältnissen als der Durchschnitt der nichtehelichen Lebensgemeinschaften. Sie sind mehr als doppelt so häufig von finanzieller Unterstützung durch die Familie oder den Staat abhängig als ledige Partnerinnen 203 • Sie sind weniger häufig berufstätig und haben - in Korrelation mit ihrem geringeren Bildungsstand - weniger gute Stellungen inne 204• Sarantakos in APRe 1984. S. 278. Bei zwei Dritteln von ihnen dauerte der Schulbesuch weniger als 11 Jahre und nur 6 % weisen eine "teniary education". wie z.B. ein Hochschulstudium. auf (Khoo 1986. S. 10). 202 40 % von ihnen haben "teniary education" und der Schulbesuch betrug nur für eine geringe Anzahl weniger als 11 Jahre (Khoo 1986. S. 10). 203 50 % der schon einmal verheiratet gewesenen nichtehelichen Lebenspattnerinnen sind auf die Unterstützung durch die Familie und Erziehungsgeld angewiesen. während nur insgesamt 20 % der ledigen Partnerinnen und Partner vom sozialen Netz durch den Bezug von Arbeitslosenhilfe abhängen (Khoo 1986. S. 14). 204 30 % der ledigen aber nur 8 % der schon einmal verheiratet gewesenen Partnerinnen haben gute Stellungen inne (Khoo 1986. S. 12). 200
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B. Die nichteheliche Lebensgemeinschaft in der Gesellschaft
Der Hintergrund für diese Situation ist zum Teil darin zu sehen, daß die schon einmal verheiratet gewesenen Partner ihre Eheerfahrung in sehr jungem Alter sammelten. Mehr als 1/3 der betroffenen Partnerinnen war mit 18 Jahren schon verheiratet und hat eine Scheidung hinter sich 205 • Dies wirkte sich möglicherweise negativ auf ihre Berufsausbildung und spätere Vermittelbarkeit aus. Die Schwierigkeit gerade dieser Bevölkerungsgruppe, eine Arbeit zu finden, begünstigt die traditionelle Rollenverteilung in der Beziehung. Dies steht einer Realisierung der mit der neuen Lebensform in Verbindung gebrachten Veränderung der traditionellen Rollenverteilung entgegen.
(3) Gemeinsame Kinder Auch in Australien besteht ein Zusammenhang zwischen dem Auftreten des Wunsches nach Kindern und einer Überführung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft in eine Ehe 206 • Die meisten Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft planen Kinder erst für die Zeit. nachdem die finanzielle Basis der Lebensgrundlage gesichert ist und sie dann auch eine Ehe in Betracht ziehen 2