Neuere Entwicklungen im Familienrecht: Symposion aus Anlaß des 80. Geburtstages von Günther Beitzke am 26. April 1989 [1 ed.] 9783428467907, 9783428067909


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Neuere Entwicklungen im Familienrecht: Symposion aus Anlaß des 80. Geburtstages von Günther Beitzke am 26. April 1989 [1 ed.]
 9783428467907, 9783428067909

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Neuere Entwicklungen im Familienrecht

Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 122

Neuere Entwicklungen im Familienrecht Symposion aus Anlaß des 80. Geburtstages von Günther Beitzke am 26. April 1989 Im Auftrage der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

herausgegeben von

Friedrich Wilhelm Bosch

Duncker & Humblot . Berlin

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Neuere Entwicklungen im Familienrecht. / Symposion aus Anlaß des 80. Geburtstages von Günther Beitzke am 26. April 1989. Im Auftr. d. Rechts- u. Staatswiss. Fak. d. Rhein. Friedrich-Wilhelms-Univ. Bonn. Hrsg. von Friedrich Wilhelm Bosch. - Berlin: Duncker u. Humblot, 1989 (Schriften zum Bürgerlichen Recht; Bd. 122) ISBN 3-428-06790-8 NE: Bosch, Friedrich W. [Hrsg.]; Symposion aus Anlaß des Achtzigsten Geburtstages von Günther Beitzke (1989, Bonn); Universität (Bonn) / Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät; Beitzke, Günther: Festschrift; GT

Alle Rechte vorbehalten © 1990 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz: Hagedornsatz, Berlin 46 Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 3-428-06790-8

Vorwort Die nachstehend abgedruckten Abhandlungen sind die überarbeiteten und z. T. erweiterten Referate, die von Mitgliedern der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bonn am 28. Apri11989 aus Anlaß der Feier des 80. Geburtstages von Professor Dr. D res h. c. Günther Beitzke (geboren am 26. Apri11909 in Freiburg i.Br.) gehalten worden sind. Nachdem viele andere Ehrungen und Würdigungen vorangegangen waren, glaubte die genannte Fakultät, den erwähnten Anlaß nicht ohne eine akademische Feierlichkeit in der Form eines fachwissenschaftlichen Symposion vorbeigehen lassen zu dürfen. Der derzeitige Dekan, Professor Dr. Bernd Baron von Maydell, hatte große Mühe aufgewandt, das Zustandekommen der Veranstaltung zu ermöglichen, war dann jedoch durch Krankheit verhindert, zugegen zu sem. Die Aufgabe der Eröffnung und Leitung des Symposion fiel daher der Vertreterin des Dekans, Frau Prodekan Professor Dr. Brigitte Knobbe-Keuk, zu. Sie ehrte den Jubilar - in Anwesenheit von Kollegen des In- und Auslandes zu Beginn durch eine kurze erneute Würdigung seiner Arbeit und legte dar, daß nur ein Schwerpunkt des wissenschaftlichen Wirkens von Günther Beitzke zum Gegenstand der Referate und des sich jeweils anschließenden Colloquiums gemacht werden könne: das in den letzten Jahrzehnten besonders stark in Bewegung geratene Familienrecht. Dabei wurde u. a. der große Erfolg des seit 1947 in 25 Auflagen erschienenen Beitzke'schen Lehrbuchs des Familienrechts unterstrichen und dessen mehrfache Zielsetzung hervorgehoben: die pädagogische Absicht im Hinblick auf die Studenten, die gründliche Orientierung der praktisch tätigen Juristen und die Aufrechterhaltung des ständigen Gesprächs mit den wissenschaftlich tätigen Kollegen. Die anderen vom Jubilar ebenfalls immer wieder bearbeiteten Rechtsgebiete, wie: Internationales Privatrecht, Rechtsvergleichung, Internationales Gesellschaftsrecht, Völkerrecht, Arbeitsrecht und die weiteren Teile des Bürgerlichen Rechts - so erklärte die Sprecherin -, müßten beim festlichen Symposion im wesentlichen außer Betracht bleiben. Die Fakultät meint auch rückschauend, in der geschehenen Form am sinnvollsten Dank und erneute Anerkennung für einen besonders verdienten Kollegen, der der Bonner Fakultät seit mehr als 30 Jahren angehört, aussprechen zu können - nun ergänzend in Gestalt dieser "Schrift zum Bürgerlichen Recht".

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Vorwort

Die gehaltenen Referate, in denen sehr häufig auch eine Auseinandersetzung mit Günther Reitzke erfolgt, werden - so hoffen wir - der Gesetzgebung, Wissenschaft und Rechtspraxis mancherlei fruchtbringende Anregung vermitteln. Im Auftrage der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät und ihres Dekans fiel es dem Unterzeichner als einem der fast gleichalterigen Kollegen des Jubilars zu, diese vorliegende Edition zu betreuen. Die Freude darüber, daß dies nach längeren Bemühungen gelungen ist, bewegt alle Beteiligten sehr. Dem Verlag Duncker & Humblot sei dafür gedankt, daß die Drucklegung relativ schnell durchgeführt werden konnte. Friedrich Wilhelm Rosch

Inhaltsverzeichnis Friedrich Wilhelm Bosch: Fragen des Eheschließungsrechts

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Herbert Fenn: Ehevereinbarungen - Wirkungsweise, Bindung, Folgen - .............. 37

Robert Battes: Ehegewinn und eheneutraler Erwerb - Eine Grundsatzfrage des gesetzlichen Güterrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 49

Wolfgang Freiherr Marschall v. Bieberstein: Rechtsvergleichende Überlegungen zu UnterhaltsanspTÜchen für Ausbildungskosten ....................................................... 63

(Die Erörterungen der Teilnehmer im Anschluß an die einzelnen Vorträge werden hier nicht abgedruckt.)

Fragen des Eheschließungsrechts Von Friedrich Wilhelm Bosch*

A. Einleitung Das familienrechtliche Lebenswerk von Günther Beitzke ist in einer Stunde sicher nicht voll zu erfassen, nicht einmal alle seine Bemühungen um das Eheschließungsrecht. Vom Sprecher wurde dieses Thema gewählt, weil gerade insoweit zwischen Günther Beitzke und dem Referenten zeitweilig Divergenzen entstanden waren und eine solche Veranstaltung wie heute vielleicht der Harmonisierung dienen könnte, auch deshalb ausgewählt, weil in diesen Fragen sicher noch eine Neuordnung bevorsteht; denn es wird niemand bestreiten, daß eine derart bedeutsame Materie - derzeit immer noch im Kontrollrats-Ges. N r. 16 geregelt - nicht auf die Dauer für deutsche Staatsbürger nur verbindlich sein kann in drei fremdsprachlichen Fassungen, die z. T. noch voneinander abweichen (wie es die KR-Direktive Nr. 11 vorschreibt).1 Zu den (meist unbekannten) Kuriositäten der gegenwärtigen Situation einige kurze Hinweise: Eine Unstimmigkeit besteht z. B. zu § 14 KR-EheG: Welch eine Verirrung, den Standesbeamten "im Namen des Rechts" aussprechen zu lassen, daß die bisherigen Verlobten "nunmehr rechtmäßig verbundene Eheleute seien"! Der französische "Urtext" formuliert dazu "au nom de la loi", der englische "in the name ofthe law", was in § 448 der Dienstanweisung an die Standesbeamten - nicht aber im deutschen Text des Gesetzes! richtig übersetzt wird: "im Namen des Gesetzes". Ferner ist der deutschsprachige Text des § 33 I EheG teilweise falsch I": Es sollte nach der Neufassung gerade nicht auf die "richtige Würdigung des Wesens der Ehe" - wie nach § 38 EheG 1938 -, sondern auf die "verständige Würdigung ... " ankommen. "Richtige" Deutung im Sinne der ns. Weltanschauung wurde bewußt abgelehnt und daher im französischen Text des § 33 EheG 1946 formuliert: " ... s'il avait fait une appreciation raisonnable de la nature du mariage ... "; und in der englischen Fassung heißt es ebenfalls eindeutig: " ... if, at the time of the marriage he was wilfully deceived regarding such circumstances which, had he known the state of affairs and intelligibly understood the essential meaning of marriage, would have deterred hirn from contracting the marriage."

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Erweiterte Fassung des Referats vom 28. April 1989. Kontrollrats-ABI S. 39. Gesetzestext des KR-EheG in drei Fremdsprachen und mit deutscher Übersetzung in KR-ABI S. 77ff. Ja Es handelt sich um die Eheaufhebung wegen arglistiger Täuschung. 1

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Friedrich Wilhelm Bosch

Diese Texte bedeuten ganz klar: bei verständiger Würdigung des Wesens der Ehe (wie es übrigens richtigerweise auch in § 32 des deutschen Textes des EheG heißt).

§ 58 I EheG 1946 ist gleichfalls falsch übersetzt oder bei der Übertragung des ehemals deutschen Textes in die Fremdsprachen und der Rückübertragung ins Deutsche eine Auslassung passiert. All dies haben die deutschen Juristen bisher gar nicht oder kaum bemerkt.'

An großen und Einzelthemen der Deutung vorhandener Texte oder Anregungen zu gesetzgeberischer Neuordnung fehlt es nicht; der Hinweis auf die Vorschläge der Eherechtskommission und eines Referentenentwurfs aus dem Bundesjustizministerium von 1972 belegen dies eindeutig. Auch ohne bereits erfolgte Gesamtgesetzesreform - nur einiges wenige wurde bereits novelliert 2 • - läßt sich unser Fragenkreis gewiß ebenfalls unter das Gesamtthema dieser Veranstaltung "Neuere Entwicklungen im Familienrecht" subsumieren. Angesichts der sehr begrenzten Zeit wird dieses Referat teilweise nur ein Bericht sein können, soll aber da und dort auch eigene Meinung wiedergeben. Es geht teilweise um das geltende Recht, teilweise um Reformüberlegungen. Das Internationale Privatrecht muß im allgemeinen - trotz seiner enormen Wichtigkeit - ausgespart bleiben.

B. Geltendes und künftiges Eheschließungsrecht (i. w. S.) I. Das Menschenrecht auf Ehe -

auch ein Recht auf Ehe bestimmten Typs?

Ausgangspunkt jedweder Erörterung muß das durch Grundgesetz (Art. 6 I) und internationale Abkommen (z. B. Art. 12 der Europ. MenschenrechteKonvention) bekräftigte Menschenrecht auf Ehe sein. Hierbei ist einerseits unbestreitbar, daß dieses Recht nicht ohne gewisse Einschränkungen bestehen kann, selbstverständlich auch die negative Freiheit, nicht zu heiraten, einschließt (evtl. i. Vbdg. m. Art. 2 I GG). Doch soll letzteres hier nicht zur Erörterung 2 Zu den Problemen der vorstehenden 5 Absätze s. etwa: Hans Dölle, Familienrecht (1964), 1236 bei Fn. 33/34 und I 333 hinter Fn. 286; zu § 58 I EheG: meine Abhandlung in DRZ 1947, 82ff. Im jranzös. Text fällt übrigens auf, daß die Franzosen offenbar den Terminus "Eheaufhebung" - begreiflicherweise - kaum richtig erfassen konnten. Es wird insoweit, also betr. die Eheaufhebbarkeit, formuliert: "L'annulation du mariage peut etre demandee ... ", während in bezug auf die Ehenichtigkeit (§§ 16ff., 23ff. EheG) von der "Nullite du mariage" und vom "Droit d'invoquer la nullite" gesprochen wird: Die Eheaufhebung soll aber nach geltendem Recht gerade nicht eine Annullierung der Ehe bedeuten, während die "Ehenichtigkeit" bekanntlich Vemichtbarkeit, Annullierbarkeit ist: vgl. §§ 23, 29 S. 2, 37 EheG 1946. Zum Problem der Eheaufhebung s. im übrigen unten B. VI. 2. Man denke z. B. an die Beseitigung der "Eheverbote" der illegitimen Schwägerschaft (§ 4 II EheG 1946) und des Ehebruchs (§ 6 EheG). Weiteres wird im Laufe dieses Berichtes noch erwähnt werden.

Fragen des Eheschließungsrechts

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gelangen, wohl aber folgende Zuatzfrage, die in den letzten Jahren immer häufiger aufgeworfen wird: Bedeutet das Recht auf Ehe auch ein Recht auf eine Ehe bestimmten Typs? Vor genau einem Jahr 3 wurde der erfrischende Bitburger Vortrag von Roman Herzog von Anfang 1987 veröffentlicht 4 . Darin heißt es u. a.: "Die Grundsatzfrage lautet: Könnte es sein, daß der Gesetzgeber gut beraten wäre, wenn er für die ganz unterschiedlich strukturierten Ehen, die es in unserem Lande sowohl nach den vermögensrechtlichen Gegebenheiten als auch nach den persönlichen Erwartungen gibt, auch unterschiedliche Eheformen zur Verfügung stellen würde?" Und ferner: "Meine Eheauffassung ist um einiges strenger [als das gegenwärtig geltende Ehescheidungsrecht], und ich sehe nicht ein, warum ich das gegenüber meiner Frau nicht verbindlich erklären kann. Hätte mir der Staat neben der heute üblichen Ehe eine strengere zur Auswahl gestellt, in der es etwa den § 1566 11 BGBs nicht gäbe, so hätte ich mich für diese entschieden ... So aber muß ich zum Standesbeamten gehen, ... um ein Eheband zu begründen, das meinen ethischen Vorstellungen nicht mehr im geringsten entspricht ... Ist das wirklich vom Grundgesetz so vorgeschrieben?" Er fügt noch hinzu, er behaupte nicht die Verfassungswidrigkeit des geltenden Eherechts, wolle aber bemerken, daß ihm "bei einem weiteren Auseinanderdriften der gesellschaftlichen Anschauungen in dieser Frage die einheitliche Eheform ... immer zweifelhafter wird". Ebenfalls für Ehevertragsfreiheit in umfassendem Sinne, auch für Abdingbarkeit oder sehr starke Einschränkbarkeit der Ehescheidung sowie gegen Typenzwang hat sich seit 1985 mehrfach Hans Hattenhauer geäußert 6 - von etlichen sehr kritisch beleuchtet, u. a. von Rolf Knütef7. Hattenhauer, der sich sehr stark auf das Gebot der Toleranz, auf den vorhandenen Pluralismus unserer Grundanschauungen beruft, meint u. a. April 1988. Vgl. den Abdruck des Vortrags "Ehe und Familie in der Verfassungsordnung" in: "Die neue Ordnung" 1988, 116ff., 121 f., sowie in "Bitburger Gespräche", Jahrbuch 1988, S. 15 ff., 20. S Es handelt sich um die "unwiderlegbare Vermutung" des Scheiterns der Ehe, "wenn die Ehegatten seit drei Jahren getrennt leben". 6 ZRP 1985, 200ff.; FamRZ 1989, 225ff., 232 (VII!.); fernerin: "Heiraten in Gottes Namen - Über christliche Ehe und weltliches Recht" (1988), S. 64ff., 68f., 123f., 132f. 7 R. Knütel, FamRZ 1985, 1089ff. Vgl. ferner: Reupke u. Finger, ZRP 1985, 287; Heinz, ZRP 1985, 336; Palandt/Diederichsen, BGB, 48. Aufl., Anm. 3 zu § 1564; RGRK/Graßhof, BGB, 12. Aufl., Rz. 21 fT. zu § 1564; Soergel/ Heintzmann, BGB, 12. Aufl., Rz. 44 zu § 1564; MünchKomm/ A. Wolf, BGB, 2. Aufl., Rz. 20ff. zu§ 1564, Rz. 80-82zu§ 1568; W. Jaeger, in: Johannsen / Henrich, Eherecht (Komm.), 1987, Rz. 35 - 39 zu § 1564 BG B; Berger/urth, Der Ehescheidungsprozeß, 7. Aufl. 1989, Rz. 55 und Rz. 348; ders., FamRZ 1989, 467 (Rez. zu Beitzke, FamR). Sämtliche Kritiker befassen sich nur mit Hattenhauer, kein einziger bisher mit R. Herzog. Ebenso neuestens A. Wolf, in: Festschr. f. Kurt Rebmann (1989), S. 703 ff. 3

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wörtlich 8 : "Es geht nicht an, daß die eine oder andere Ehelehre allein maßgeblich ist", maßgeblich im Rechtsbereich. Und er bezeichnet 9 den vertraglichen "Verzicht auf die Ausübung eines [ungehinderten] künftigen Gestaltungsrechts, auf den Scheidungsantrag", als nach geltendem Recht zulässig; desgl. die Vereinbarung eines Schiedsgerichts durch die Gatten - mit den entsprechenden Konsequenzen aus § 1027 a ZPO, falls trotzdem sogleich das Familiengericht angerufen würde lo , und aus § 1041 ZPO, falls das Schiedsgericht den Scheidungsantrag abweist 11 und hiergegen beim Familiengericht die Aufhebungsklage wegen Unvereinbarkeit des Schiedsspruchs "mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts" anhängig gemacht wird. l2 Peter Weimar hat sich ebenfalls für die Möglichkeit der gesetzlichen Zulassung mehrerer Ehe-Arten erklärt 13: Neben der" verrechtlichten" - wie er wohl meint: zu sehr verrechtlichten - Ehe, die wir derzeit haben und die in einer schweren Krise stecke, soll es von Gesetzes wegen auch eine "rechtsindifferente Ehe" geben: ohne gegenseitige Unterhaltspflichten, ohne Güterrecht, ohne Berufung zur Erbfolge usw., nur mit der Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft. Weimar hofft, bei Bereitstellung einer solchen anderen Art von Ehe würden manche Paare, die jetzt nur außereheliche Lebensgemeinschaft pflegen, diese Ehe eingehen: mit Beistands- und Treuepflicht, natürlich auch mit Scheidungsmöglichkeit. Er beruft sich übrigens auf alt-römische und germanische Vorbilder: die alt-römische gewaltfreie Ehe der Kaiserzeit und die germanische Friedelehe. Mazeaud 13 • hat für Frankreich ähnliche Wünsche wie jetzt bei uns Hattenhauer angemeldet. Die Motive der Reformbefürworter sind hiernach sehr verschieden. Zu diesen Erwägungen in Kürze folgendes: Es ist bezüglich der Ehe ein Unbehagen entstanden; einige reden bereits von "Ehedämmerung". Und es entsteht auch m. E. wirklich die Frage, ob eine Mehrheit der legislativen Körperschaften verbindlich den personen-rechtlichen Gehalt jeder Ehe, soweit es um die Scheidbarkeit geht, festlegen kann: auch für Minderheiten, die solche Inhaltsbestimmung nicht zu billigen vermögen 14 . ZRP 1985, 200, 203. FamRZ 1989, 232. 10 Dann so Hattenhauer - wegen der Einrede des Schiedsvertrages zunächst Abweisung des Antrags als unzulässig. 11 Da das Schiedsgericht sachlich über das Scheidungsbegehren gar nicht entscheiden kal1n! 12 Vgl. die o. a. beiden Abhandlungen von Hattenhauer (Fn. 6). 13 Z. B. in: "Neue Zürcher Zeitung", Fernausgabe, v. 7.4. 1984 S. 30 -; ders. in SchweizJurZ 1985 S.205ff. (209); ders., in: "Die nichteheliche Lebensgemeinschaft" (Rechts- u. Staatswiss. Veröffentlichungen der Görresgesellschaft, NF, Heft 47 -1985 -), S.96ff. 13. Zitiert von P. H. Neuhaus, Ehe und Kindschaft in rechtsvergleichender Sicht, 1979, S. 62 Fn. 172 (wo auch die "Travaux de la Commission de rHorme du Code civil", Annee 1947 -1948, S. 498ff., angeführt werden). 8

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Fragen des Eheschließungsrechts

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Indes, wenn man näher überlegt, wird man sich doch wohl eher gegen eine Ehetypen-Auswahlmöglichkeit aussprechen müssen 15. Wenn solche Auswahl konzediert würde, müßte wahrscheinlich ein Katalog der verschiedenen ehepersonenrechtlich möglichen Ehetypen im Gesetz erstellt und den Brautleuten vor Eheschließung vorgelegt werden 16, auf Wunsch vielleicht auch den längst Verheirateten I? Mich schreckt die Idee, daß gewisse Gruppen dann auch die Ehe polygamen (mohammedanischen) Typs vorschlagen könnten, andere eine "Ehe", die noch leichter scheidbar sein soll als nach gegenwärtigem Gesetz, vielleicht von vornherein nur auf Zeit eingegangen wird, wieder andere auflösungs-erschwerte eheliche Verbindungen als Typ benennen würden, wie es Herzog und Hattenhauer vorschwebt. Wann und wo soll die Reihe der auswählberen Ehe-Typen enden? Die gründlichste Untersuchung zu unserem Fragenkomplex, was Scheidungsausschlußvereinbarungen anbetrifft, stammt von Rolf Knütel 18 , und als Romanist zitiert er natürlich aus Justinians Gesetzeswerk (Cod. VIII 38.2.): "Libera matrimonia esse antiquitus placuit." Für das gegenwärtige deutsche Zivilrecht meint Knütel wohl zutreffend, die prinzipielle Scheidbarkeit der Ehe sei durch Art. 6 I GG garantiert; es könne jedoch auf ein bereits erwachsenes Scheidungsrecht verzichtet werden, und nur vorübergehend wirksame Ausschlußvereinbarungen - höchstens auf drei Jahre - könnten anerkannt werden.19 Der BGH20 hat sich dem 1986 im wesentlichen (wenngleich in noch etwas engerer 14 Die ethische Haltung, auf der insbesondere die Darlegungen von Herzog und Hattenhauer beruhen, wird von mir uneingeschränkt begrüßt und geteilt. 15 Die kritischen Stimmen zu Hattenhauer sind oben Fn. 7 erwähnt. Der neue Beitrag von A. Wolf erschien erst nach Fertigstellung dieser Abhandlung (s. dazu Fn. 23). 16 Wer es miterlebt hat, wird lebhaft an die Debatte um eine gesetzlich vorzusehende obligatorische Auswahl eines Güterstandes erinnert; vgl. etwa: J. Schreiber, FamRZ 1954, 125; ders., FamRZ 1955, 64; Spiritus, FamRZ 1955, 203; Maue, FamRZ 1955, 281. 17 Damit letztere ein ius variandi ausüben können! 18 s. o. Fn. 7. (Mit Herzog gab es bisher keine Auseinandersetzung, obwohl er Präsident unseres höchsten Gerichts ist.) 19 Wegen der exakten Thesen von Knütel s. FamRZ 1985, 1096 (E). Der genaue Text von Cod. VIII 38.2. lautet: Imperator Alexander A. Menophilo: "Libera matrimonia esse antiquitus placuit. Ideoque pacta, ne liceret divertere, non valere et stipulationes, quibus poenae inrogarentur ei qui divortium fecisset, ratas non haberi constat." Danach bestand schon damals der Rechtsgrundsatz, daß Verträge, mit denen die Ehescheidung ausgeschlossen werden sollte und demjenigen, der sie gleichwohl erreichte, Strafen auferlegt wurden, nicht als gültig zu erachten waren. Beitzke, FamRZ 1981, 1122, wählte als Überschrift seiner Abhandlung zum Eheschließungsrecht ebenfalls die Worte "Libera debent esse matrimonia". 20 BGHZ 97,304 = FamRZ 1986, 655. (Mit allen Einzelheiten der Abhandlung von Knütel brauchte sich der BGH nicht auseinanderzusetzen.) Zum BGH-Urteil s. auch Palandt/ Diederichsen, 48. Aufl., Anm. 3 zu § 1564 BGB.

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Begrenzung) angeschlossen. Gernhuber 21 erachtet die Scheidungsmöglichkeit als einen "notwendigen Schutz vor übermäßiger Selbstbindung" , und Beitzke 22 spricht von einem "Minimalkonsens über den Inhalt der Ehe", der zum Inhalt der Gesetzesordnung geworden sei und der den Partnern gleichwohl die Ausgestaltung zu unterschiedlichsten EhemodelIen gestatte - aber dann eben rechtlich (so darf man wohl ergänzen) ohne Verbindlichkeit oder jedenfalls nicht mit der Verbindlichkeit, wie wenn es im Gesetz oder in einer vom Gesetz ausdrücklich gestatteten Vereinbarung stündeP Um dies klarzustellen: Gemeint sind im Rahmen sämtlicher vorstehender Überlegungen nur ehe-personenrechtliche Vereinbarungen, Ehetypen-Auswahlmöglichkeiten der gekennzeichneten Art, also insbesondere betr. den Ehebestand. Verbindliche oder nicht verbindliche Vereinbarungen anderer Art gibt es - auch abgesehen vom Ehegüterrecht - unter Brautleuten oder Ehegatten ganz gewiß: etwa zur Frage, ob eine sog. Hausfrauen-Ehe oder eine Mitarbeits-Ehe oder eine Ehe mit beiderseitiger Erwerbstätigkeit geführt werden soll, ferner wohl Abreden in bezug auf den Ehenamen, über Unterhaltsverzicht für den Fall der Scheidung 24 , über Versorgungsausgleich 25 u.a.m.Aber dies alles liegt außerhalb dieses meines Referats.26 Das Anliegen der genannten Autoren (Herzog, Hattenhauer usw.) ist trotz alledem wichtig. Aber es läßt sich nicht privatautonom lösen, sondern nur durch Gesetzesänderung, insbesondere indem gegenüber den zuständigen Organen ständig die Forderung wiederholt wird, die Unwiderlegbarkeit der Zerrüttungsvermutungen gemäß § 1566 I und 11 BGB - nach Ablauf relativ kurzer Trennungsfristen - zu beseitigen und die positive Härteklausel in § 1568 BGB auszubauen, jedenfalls in der Rechtsprechung zu aktivieren. Ein bemerkenswerter Aufsatz des Bamberger Senatspräsidenten Alexander Papsthart 27 mit der Überschrift "Recht auf eheliches Glück?" beklagt, daß sich folgende Fälle Lehrbuch des Familienrechts, 3. Aufl., 1980, § 25,6, S. 276. Familienrecht, 25. Aufl. 1988, § 6 I - S. 32. 23 Im übrigen s. die anderen Autoren (oben Fn. 7 und 15). Die nachträglich erschienene Abhandlung von A. Wolf(s. Fn. 7 a. E.) setzt sich äußerst kritisch - m. E. viel zu kritisch - mit Knütel und dem BG H auseinander. Soweit Wolfvon Knütel und vom BGH abweicht, überzeugt er nicht (vgl. insbes. S. 711 ff., ganz abgesehen davon, daß die Darlegungen von W. da und dort ungenau oder unklar bleiben: etwa betT. ein angebliches "Herrschaftsrecht gegenüber dem anderen Ehegatten": S. 712; bezüglich des Versäumnisverfahrens: S. 719f.). Ausgerechnet einem hervorragenden Rechtshistoriker wie Knütel- S. 713 - vorzuwerfen, er habe keine "Kenntnis a11 der jahrhundertealten Argumente für die Zulässigkeit der Scheidung einer zerstörten Ehe", wirkt peinlich. Oft sollten Politiker und insbesondere Rechtspolitiker mehr von Geschichte wissen. 24 Vgl. Bosch, in: Festschr. f. W. J. Habscheid (1989), S. 23ff. 2S §§ 1408 11, 1587 0 BGB; dazu insbes. H. F. Gaul, FamRZ 1981, 1134ff.; SoergeljGaul, 12. Aufl. 1989, vor und zu § 1408 BGB. 26 Vgl. dazu H. Fenn, nachfolgend S. 37ff.; früher bereits Gernhuber, FamRZ 1979,193, und Lehrbuch (Fn. 21), § 18. 27 FamRZ 1989, 557f. 21

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häufen: Ein Ehepartner erkrankt sehr schwer; der andere trennt sich und begehrt Scheidung; Begründung: auch er (oder sie) habe ein "Recht auf eheliches Glück". Zusatz des Autors: Die derzeitige Härteklausel komme wohl nicht in Betracht. Ein vom Gesetz erlaubter Skandal? M. E. drängt die genannte Abhandlung dahin, die Verantwortung des gesunden Ehegatten und die Rechtspflicht zur Fortführung der "Ehe gerade im Unglück" zu bejahen. Soll dies nur ein ethisches Gebot oder wirklich eine Rechtspflicht sein?

11. Voraussetzungen der Eheschließung Etliches von dem, was hier erfaßt werden soll, kann systematisch auch als "Ehehindernis" eingeordnet werden. Es sei gleichwohl gestattet, einiges schon hier vorwegzunehmen. a) Die Verschiedengeschlechtlichkeit - zum Wesen der Ehe gehörig 28 b) die Ehemündigkeit 29 sollen hier nicht näher betrachtet werden.

und

c) Dagegen sehr wohl die Geschäftsfähigkeit (§ 2 EheG 1946). Sie ist Voraussetzung gültiger Eheschließung (§ 18 EheG); besser gesagt: bei Geschäftsunfähigkeit i. S. des § 104 BGB ist die dennoch eingegangene Ehe nichtig. Beschränkte Geschäftsfähigkeit ist derzeit bekanntlich ebenfalls ein wichtiges Problem: im Falle des Eheschließenden, der noch minderjährig ist (§ 3 EheG) oder der gemäß §§ 6 und 114 BGB nicht wegen Geisteskrankheit, sondern aus anderem Grund entmündigt ist. Die Problematik der §§ 3 und 30 EheG - für minderjährige Eheschließende kaum änderungsbedürftig - braucht hier nicht dargelegt zu werden. In diesem Bereich der Geschäftsfähigkeit bringt der Entwurf eines Betreuungsgesetzes 30 (BtG) vom 1.2./11. 5. 1989-vom Bundesrat i. wes. approbiert 31 - eine Fülle von Neuerungen. Zum Inhalt dieses Gesetzes in Stichworten: 3la Abschaffung beider Arten von Entmündigung und auch der - weithin an deren Stelle in praxi getretenen - Gebrechlichkeitspflegschaft des § 1910 BG B. Daher Streichung des 28 s. Beitzke (Fn. 22), § 6 11; Neuhaus (Fn. Ba), S. 25ff.; Michael Coester, StAZ 1988, 122, 124; KG, FamRZ 1958, 60f. Zur Geschlechtsumwandlung: Johannsen in: Johannsen/Henrich, Eherecht, Rz. 7 vor § 16 EheG, und viele andere. 29 s. Beitzke (Fn. 22), S. 45; Neuhaus (Fn. Ba), S. 20ff.; Bosch, FamRZ 1982, 868 (IILa.); ders., FamRZ 1973,489, 502ff.; Bedenken wegen der Ehemündigkeit der Frau erst mit Vollendung des 16. Lebensjahres bei Löwisch, NJW 1975, 16. 30 Bundesrats-Drucks. 59/89 v. 1. 2.1989; nun BT-Drucks. 11/4528 v. 11. 5.1989. 31 Drucks. (Beschluß) des Bundesrats v. 10.3. 1989; s. jetzt ferner S. 203ff. der BTDrucks. 11/4528. 310 Zum Inhalt des Entwurfs eines Betreuungsgesetzes neuestens sachlich ausgezeichnet, klar und beifallswert: Dieter Schwab in: Festschr. f. K. Rebmann (1989), S. 685 ff. (Die Abhandlung wurde mir erst wesentlich später, etwa Anfang Juni 1989, also nach der Fertigung meines Manuskriptes, bekannt.) Vgl. außerdem das sehr gehaltvolle Referat von D. Schwab im Sitzungsbericht des 57. DJT (1988), K 8 ff.

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§ 6 (Entmündigungsgründe), des § 104 Ziff. 3 und der§§ 114,115 BGB (Geschäftsunfähigkeit oder beschränkte Geschäftsfähigkeit infolge Entmündigung). Statt eines Vormundes oder Pflegers ggf. Bestellung eines Betreuers durch das Vormundschaftsgericht 32 mit der Möglichkeit, zusätzlich einen "Einwilligungsvorbehalt" betr. bestimmte Rechtsgeschäfte zu verfügen, dies letztere dann, wenn erhebliche Gefahr für den Betreuten abgewendet werden soll.33

Ein solcher Einwilligungsvorbehalt soll sich aber "nicht erstrecken [können] auf Willenserklärungen, die auf Eingehung einer Ehe gerichtet sind" (sowie auf Verfügungen von Todes wegen) (§ 1903 11 BGB i. d. F. des Entwurfs). Ergebnis: Eine nur beschränkte Geschäftsfähigkeit volljähriger Personen mit der eherechtlichen Konsequenz aus § 3 und § 30 EheG wird es künftig überhaupt nicht mehr geben. Eine Einwilligung oder Genehmigung des Betreuers zur Eheschließung des Betreuten (bisher § 3 EheG bei nur beschränkter Geschäftsfähigkeit) wird rechtlich gegenstandslos.

Eine eherechtlich erhebliche volle Geschäftsunfähigkeit Volljähriger kommt nur noch als sog. "natürliche" - wegen tatsächlichen Vorliegens krankhafter Störung der Geistestätigkeit und Ausschlusses der freien Willensbestimmung in bezug auf die geplante Ehe - i. S. des § 104 Ziff. 2 BGB in Betracht. Wenn ein solcher Tatbestand - auch bloß partielle Geschäftsunfähigkeit 34 - bei Eingehung der Ehe vorlag, aber nicht beachtet wurde, wird auch künftig solche Ehe nichtig (i. S. von vernichtbar) sein (§ 18 EheG). Da ganz bewußt eine konstitutive allgemeine Feststellung der Geschäftsunfähigkeit und damit der Eheunfähigkeit künftig nicht mehr erfolgen soll, hat der Standesbeamte im konkreten Fall demnächst wohl öfter selbst zu prüfen, ob beide Nupturienten geschäftsfähig sincf 4a • Größte Vorsicht ist insoweit natürlich geboten, zumal ein Führungszeugnis - in dem bisher auf Grund der Eintragung im Bundeszentralregister die Entmündigung vermerkt war - keine Auskunft mehr wird geben können. Nach § 691 FGG i.d. F. des Entwurfs soll das Vormundschaftsgericht die von ihm getroffenen "Entscheidungen" zwar ggf. auch dem Standesamt mitteilen, um "eine erhebliche Gefahr ... abzuwenden"34b. Aber wer stellt sicher, daß das richtige Standesamt damit erreicht wird? Sicher ist gleichwohl, daß der Standesbeamte sich in jedem Falle von der Geschäftsfähigkeit überzeugen muß, z. B. auch, wenn seine Mitwirkung bei der 32 §§ 1896ff. BGB i. d. F. des Entwurfs (Fn. 30). 33 § 1903 I BGB i. d. F. des Entwurfs. Vg\. auch Bienwald, FamRZ 1988, 1012ff.; Bürgle, NJW 1988, 1881, 1883f. 34 Dazu s. W. Flume, Allg. Teil des Bürger\. Rechts, Teil II: Das Rechtsgeschäft, 3. Aufl. 1979, S. 184,186; ferner BGHZ 18, 184ff. = FamRZ 1955, 358 Nr. 414 (zur EheprozeßUnfähigkeit). 34. S. 64/65 der Begründung des Entwurfs (Fn. 30: BT-Drucks. 11 /4528); D. Schwab [Fn. 31a], S. 689. 34b s. BT-Drucks. 11/4528, S. 181/182.

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Eheschließung "in articulo mortis" verlangt wird 3s und der oder die Verlobte schon bisher gewisse Auffälligkeiten gezeigt hat. Oft wird der Beamte kaum anders können, als nach § 45 11 PStG die Entscheidung des Amtsgerichts einzuholen. Wirkt er mit, ohne daß alles Erforderliche geprüft ist, besteht - wie schon angedeutet - die, Gefahr einer ggf. postmortalen Nichtigerklärung der Ehe wegen Geschäftsunfähigkeit. § 24 EheG gibt dem Staatsanwalt ein entsprechendes Klagerecht. Ob die vorgesehene Regelung des BtG, die einen grundlegenden Wandel des Eheschließungsrechts in diesem Bezirk mit sich bringt, nicht doch noch einmal überdacht werden sollte? Holzhauer hat in seinem dem Deutschen Juristentag 1988 erstatteten Gutachten vorgeschlagen 36 , den Einwilligungsvorbehalt auch auf die Eheschließungserklärung des Betreuten zu erstrecken - wenn es angezeigt ist -, dem Vormundschaftsgericht jedoch die Befugnis zur Ersetzung der fehlenden Einwilligung des Betreuers zuzuerkennen. Die zuständige Abteilung des DJT hat indessen mit großer Mehrheit den Vorschlag des Entwurfs befürwortet (Abschn. 11. 8. der Beschlüsse 37 ). M. E. genügt der Hinweis des Entwurfs 38 darauf, daß die unter Gebrechlichkeitspflegschllft stehende Person nach geltendem Recht ebenfalls in puncto Eheschließung keiner Einschränkung unterliege, nicht, von der Richtigkeit der Vorschläge des Entwurfs zu überzeugen. Es mag richtig sein, wie erfahrene Sozialfürsorger berichten, daß es oft zum Heil des Behinderten ist, wenn er in einer guten Ehe lebt. Man denke aber auch an jene Fälle, wo etwa beide Partner nach geltendem Recht unter Vormundschaft oder Pflegschaft stehen und demnächst dann beide "betreut" werden müssen. Eheschließung und die damit verbundene Möglichkeit einer Ehescheidung sowie deren Folgen sind oft durchaus riskante Tatbestände, vor allem wenn wir dabei bleiben, daß auch die Ehenichtigerklärung grundsätzlich Scheidungsfolgen auslösen so1l39. Dieter Schwab 39a hat sich mittlerweile mit Recht äußerst kritisch zu den Vorschlägen des Entwurfs betr. die Ehefähigkeit des "Betreuten" ausgesprochen und dabei auf vorangegangene Äußerungen von H. Holzhauer 36 , A. Dieckmann, G. Zenz u. a. verwiesen 39b . Dem Gesetzgeber der Bundesrepublik Deutschland 35 Vgl. meine Anm. zu OLG Nürnberg, FamRZ 1988, 1046, 1048ff.;jetztBGH, FamRZ 1989, 1048ff., mit ausführlich krit. Anm. Bosch sowie die demnächstige Ergänzung dazu. 36 Heinz Holzhauer, Gutachten B zum 57. DJTag (1988), S. B 75 ff., 114. 37 Beschluß 11. 8., abgedruckt in NJW 1988, 2999. 38 s. BR-Drucks. S. 448ff., 457, auch S. 187ff., 198ff., 202ff.; BT-Drucks. 11 /4528 S. 136, 138f., 63ff. 39 s. § 26 des geltenden EheG und Referentenentwurf des BUridesjustizministeriums v. 1982, Begründung S. 17/18; Beitzke (Fn. 22), S. 62; ferner hier unten Abschn. VI. 39. D. Schwab (Fn. 31a), S. 688ff. 39b A. Dieckmann, JZ 1988, 794f.; G. Zenz/B. von Eicken/ E. Ernst/C. Hofmann, Vormundschaft und Pflegschaft für Volljährige, 1987 (Verlag des Bundesanzeigers), S. 54f. ("Einen Lösungsansatz bietet die österreichische Regelung.").

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ist hiernach zu raten, bezüglich der Ehefähigkeit des Betreuten nicht den Vorschlägen des Entwurfs zu folgen, sondern sich eher den Regelungen des österreichischen Sachwaltergesetzes v. 1983 anzuschließen, also hinsichtlich der Eheschließung des Betreuten ebenfalls einen Einwilligungsvorbehalt vorzusehenmit der Möglichkeit der Ersetzung der Einwilligung des Betreuers durch das Vormundschaftsgericht _39c. d) Gesundheit (im übrigen) ist gewiß keine unentbehrliche Voraussetzung der Eheschließung. Dieser Fragenkreis kann hier nur angedeutet werden. M. E. sind insoweit die Vorschläge der Eherechtskommission 40 viel zu schwach: Die lediglich empfohlene Übergabe eines Merkblatts über die Zweckmäßigkeit des Austauschs von Gesundheitszeugnissen bei Anmeldung der Eheschließung genügt nicht, zumal auch noch andere Hinweisblätter ebenfalls ausgehändigt werden sollen (betr. die Grundzüge des Ehegüter- und Ehegatten-Erbrechts, der sozialen Sicherung, die Bedeutung der Eheberatung usw.). Beitzke spricht 41 von einer "gründlichen Aufklärung über ansteckende und vererbliche Krankheiten", neuestens insbesondere auch hinsichtlich der Aids-Problematik 42 • Und die Rechtsanwältin Inge Karin Tiedemann 43 meint, bei einer weiteren Verbreitung dieser Krankheit sei insoweit an eine Ehehindernis-Regelung zu denken. Als Minimum sei der Vorschlag wiederholt 44 , der Standesbeamte solle vor Erlaß des Aufgebots den Nachweis darüber, daß Gesundheitszeugnisse unter den Verlobten ausgetauscht worden sind, verlangen müssen. Ein neues Ehehindernis - in welcher Begrenzung? - wäre wohl derzeit noch zu hart. Aufklärung über geistige Defekte könnte bei dieser Gelegenheit evtl. ebenfalls verschafft und ein großes Risiko vermieden werden.45 e) Eine Bestimmung des Ehenamens als Voraussetzung der Heirat wird m. E. dann eingeführt werden müssen, wenn die Regelung des derzeitigen § 1355 11 S. 2 BGB - mangels gegenteiliger Bestimmung "ist Ehename der Geburtsname des Mannes" - verfassungsgerichtlicher Prüfung nicht standhalten sollte 46 • Mit 39c D. Schwab (S. 698) spricht von der "Weisheit des österreichischen Gesetzgebers", sieht also offenbar die Wiener Regelung als das minus malum an. Dazu vgl. weiter die Referate von D. Schwab und H. Hopf auf dem 57. DJTag (1988), K 8ff. und K47ff. (zur Ehefähigkeit in Österreich: K 60/61). 40 Vorschläge Bd. III S. 62fT. 41 Beitzke (Fn. 22), S. 57. 42 Wie Fn. 41. 43 NJW 1988, 729ff., 730. 44 s. Dölle (Fn. 1), § 7 II; Neuhaus (Fn. Ba), S. 49; Bosch, FamRZ 1982, 869; Coester (Fn. 28), S. 125. 45 In diesem Sinne äußerte sich auch die Rechtsanwältin Dr. Fettweis in der Eherechtskommission. 46 BVerfGE 78, 38ff. = FamRZ 1988, 587ff., m. Anm. Bosch, ebd. S. 591 und 809. § Ba I EheG i.d.F. v. 1976 unterstreicht, daß es sich hier um ein Eheschließungsproblem handelt.

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Beitzke 47 möchte ich erneut die Notwendigkeit eines einheitlichen Familiennamens betonen, vor allem damit der Familienname auch der Kinder feststeht 48 • f) Das Aufgebot (§ 12 EheG, § 3ff. PStG) könnte an sich wohl bedenkenfrei durch eine bloße Anmeldung des Heiratswunsches beim Standesamt und eine kurze Wartefrist abgelöst werden - wenn es nicht, worauf Beitzke49 und Neuhaus so des öfteren aufmerksam gemacht haben, das UN-Übereinkommen v. 10. 12. 1962 über die Erklärung des Ehewillens, das Heiratsalter und die Registrierung von Eheschließungen gäbeSt. Die bevorstehende Eheschließung wäre allerdings - wenn es beim Aufgebot bleiben sollte - besser in Tageszeitungen, statt durch Aushang am Rathaus, bekanntzugeben, würde allerdings dann auch die Kosten der Heirat weiter steigern.

g) Das Ehefähigkeiszeugnis für Ausländer (§ 10 EheG) - beileibe kein Eheverbot, wie es im EheG qualifiziert ist, sondern eine Voraussetzung der Eheschließung S2 - sollte beibehalten werden, natürlich auch die Möglichkeit der Befreiung von dieser Voraussetzung (m. E. am besten wie bisher durch den Oberlandesgerichtspräsidenten)S3. Vorschläge betr. Verdrängung des Präsidenten durch eine Behörde der inneren Verwaltung S4 haben mich bisher nicht überzeugt. Die Einheitlichkeit der Handhabung der Befreiungspraxis ist durch § 29 EGGVG garantiert, vor allem dann, wenn man in Fällen der Verletzung der dort vorgesehenen Pflicht des OLG-Senats zur Vorlage an den BGH einen weiteren Rechtsbehelf zuließe ss . h) Ein wirklich schwieriges Problem ist das der Ernstlichkeit der geplanten Eheschließung, anders ausgedrückt: die Frage der aus den verschiedensten Gründen häufig gewünschten Scheineheschließung, ohne daß ein ernster Wille 47 (Fn. 22), S. 66: "Jeden Ehegatten den bisherigen Familiennamen weiterführen zu lassen, würde der Einheit der Familie wiedersprechen." Auf S. 67 spricht Beitzke ferner von der "wünschenswerten Namenseinheit in der Familie". 48 Der Vorschlag von Frau Dobberthien in: Informationen f. d. Frau 1988, Heft 7/8, S. 7, muß m. E. als unpraktikabel sowie aus anderen Gründen abgelehnt werden; ebenso dieselbe Autorin ebd., 1989, Heft 5, S. 3ff. Wesentlich ist überhaupt nur die Frage des Familiennamens der Kinder. Wie die Ehegatten heißen, ist völlig gleichgültig. 49 In: Festsehr. f. Y. J. Hakulinen (Helsinki 1972), S. 60ff., 63f. 50 (Fn. 13a), S. 43ff. 51 Dort ist von "Aufgebot" weiter die Rede; es bleibt aber die Frage, was man darunter zu verstehen hat. Vgl. dazu auch den Bericht III der Eherechtskommission S. 56f.; Coester (Fn. 28), S. 124f. 52 Beitzke (Fn. 22), § 10 II 5 S. 57 -; Eherechtskommission III 77ff. (dort war die wohl einhellige Meinung die, daß es sich hier nicht um ein "Eheverbot" handele). Vgl. ferner Dälle (Fn. 1), § 13. 53 Mit Kontrolle durch einen Zivilsenat des OLG gemäß den §§ 23ff. EGGVG. 54 So die Eherechtskommission III 77 ff. 55 Nicht-Vorlage-Beschwerde? Evtl. als Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung des Prinzips des gesetzlichen Richters. Dazu s. Michael Rodi, Vorlageentscheidungen, gesetzlicher Richter und Willkür, DÖV 1989, 750ff.; auch W. Leisner, NJW 1989, 2446ff.

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zur ehelichen Lebensgemeinschaft vorhanden ist. Eine Lösung wie die des kanonischen Rechts, das bekanntlich in solchen Fällen generell ein matrimonium null um bejaht (und daher die Vorprüfung des ernsten Ehewillens vorschreiben muß)S6, kann für unser Zivilrecht kaum in Frage kommen, obwohl - wie Fritz Sturm und Michael Coester eindrucksvoll geschildert haben 57 - in jüngerer Zeit u.a. die Schweiz (Art. 120 Nr. 4 ZGB) wenigstens für den Fall der Umgehung der Einbürgerungsvorschriften und das italienische Zivileherecht (Art. 123 Ce ital.) generell für Fälle der "simulazione" die Nichtigerklärung vorgesehen haben. Dem schweizerischen Vorbild ist das liechtensteinische EheG v. 1973 in Art. 38 gefolgt. Es gibt für uns wohl zwei Wege, dem Übelstand wenigstens partiell entgegenzutreten, solange der Gesetzgeber nicht tätig wird 58. Einmal den Weg möglicher Abkoppelung der Ehefolgen vom Ehestatus, deutlicher gesagt: Man bejaht die Möglichkeit, trotz formell gültig zustande gekommener Ehe öffentlich-rechtliche und ggf. sogar privatrechtliche Folgen des Ehestatus zu versagen, falls später eine Scheinehe konstatiert wird. Beispiele: Versagung der Aufenthaltserlaubnis gegenüber dem Schein-Ehepartner eines Deutschen und anschließende Abschiebung gemäß dem Ausländergesetz (§§ 7, 13 AuslG) - so das BVerwG im Urteil v. 23. 3. 1982 59 - ; Verneinung erbrechtlicher Folgen bei Tod des deutschen Ehegatten; Ablehnung der üblichen Scheidungsfolgen, falls es zur Scheidung der Scheinehe kommt (Unterhalt, Zugewinn- und Versorgungsausgleich). Coester M nennt solche Verbindungen "Ehen zweiter Klasse" und neigt offenbar seinerseits mehr zur Nichtigerklärung derartiger Ehen praeter legern. Der andere Weg ist der einer Prüfung des Ehewillens durch den Standesbeamten vor der Heirat, soweit - ohne ein Inquisitionsverfahren! - Anlaß besteht, am Vorhaben der Nupturienten bezüglich Herstellung einer Lebensgemeinschaft zu zweifeln (etwa dann, wenn diese sich sprachlich überhaupt nicht verständigen können). Mit Beitzke 61 , F. Sturm 62 und einigen Gerichtsentscheidungen 63 meine ich: "Mißbräuchliche Eheschließungen sollten tun liehst von 56 s. can. 1101 CIC/1983 (abgedruckt u. a. in meiner Schrift "Staatliche und kirchliche Eheschließung", 1988, S. 132; dazu Erläuterungen ebd. S. 51). 57 F. Sturm, in: Festschr. Ferid (1988), S. 519ff.; Coester (Fn. 28), S. 126f. 58 Vgl. insbes. Coester (wie Fn. 57); Neuhaus (Fn. 13a), S. 71 f.; Beitzke (Fn. 22), § 6 I 4; ders., StAZ 1983,2; Spellenberg, StAZ 1987, 33; Sturm (wie Fn. 57); MünchKomm / MüllerGindullis, 2. Aufl., Rz. 11-13 zu § 13 EheG; Soergel/ Heintzmann, 12. Aufl., Rz. 40 zu § 1564 BGB und Rz. 7 zu § 13 EheG; Bosch, FamRZ 1982, 872f. und NJW 1987, 2624; neuestens G. Otte, JuS 1989, 599, 603; weiter folgende Gerichtsentscheidungen: BayObLG, FamRZ 1982,601,603; OLG Karlsruhe, FamRZ 1982, 1210f.; OLG Hamburg, FamRZ 1983, 64f. 59 FamRZ 1982, 593. 60 s. Fn. 57. 61 (Fn. 22), S. 33; StAZ 1983, 2; m. w. N. 62 s. Fn. 57. 63 s. Fn. 58.

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vornherein verhindert, d. h. vom Standesbeamten abgelehnt werden." Sturm 64 nennt dies "in fraudem legis agere" und zitiert Gaius: "Simulatae nuptiae nullius momenti sunt". Kommt es zu einer solchen Verhinderung der formellen Eheschließung nicht, bleibt wenigstens noch die andere (schon erwähnte) Möglichkeit der Versagung von Ehefalgen, evtl. praeter legern scriptarn doch die Ehenichtigerklärung. Die Frage sollte vor Beschlußfassung über ein neues Eheschließungsrecht sehr gründlich erwogen, auch rechtsvergleichend geprüft und jedenfalls nicht einfach - WIe 1m Referentenentwurf v. 1982 - mit Stillschweigen übergangen werden. 65

III. Ehehindernisse Diese frühere Bezeichnung sollte wiederhergestellt werden und das härtere Kommando-Wort "Eheverbot" - das erst 1938 eingeführt wurde - verdrängen. a) Das Ehehindernis der nahen Verwandtschaft (§ 4 I EheG) bleibe hier i. wes. unerörtert. Wichtig ist immerhin, daß insoweit die biologische und die rechtliche Verwandtschaft gemeint sind, also z. B. der Scheinvater - dessen Vaterschaft nicht angefochten worden ist - die Tochter T seiner verstorbenen Frau und eines anderen Mannes, die während der Ehe geboren wurde, nicht heiraten kann. (Nach Ehelichkeitsanfechtung bliebe die T übrigens mit dem "Muttergatten"66) verschwägert 67 .) s. Fn. 57. s. Bosch, FamRZ 1982, 872 re. Sp. (g), m. w. N. M. E. verdient Coester (Fn. 28), S. 128, Zustimmung, wenn er formuliert: "Die zivilrechtliche Gültigkeit von Scheinehen gefährdet die Rechtssicherheit langfristig stärker als eine rechtliche Fehlerhaftigkeit von Scheinehen." Äußerst interessant ist der Entscheid des ÖsterrOGH v. 24. 11. 1988, JBl1989, 306f.: § 23 EheG 1938 betr. die Namens- und Staatsbürgerschafts-Ehe gilt in Österreich weiter und wird vom OGH über seinen Wortlaut hinaus sogar analog angewendet auf den Fall der Eheschließung einer Österreicherin mit einem Ausländer, die bestimmt war von der Absicht, dem ausländischen Manne mittels Eheschließung mit der Österreicherin "den Erwerb der Staatsbürgerschaft zu ermöglichen". [Dieser Fall des ausländischen Mannes war im Gesetz nie geregelt!] Mit Recht meint der OGH, es sei "gesetzgeberisches Ziel" der fraglichen Norm, "jenen eherechtlichen Formalerklärungen die Rechtswirksamkeit zu nehmen, die als übereinstimmende Scheinerklärungen der Partner nicht auf eine Begründung der ehelichen Lebensgemeinschaft, sondern mindestens vorwiegend darauf zielen, einem der Partner den Erwerb der Staatsbürgerschaft zu ermöglichen, die der andere bereits hat". Eherechtliehe ..reine Formalerklärungen" sollten auch in der BR Deutschland praeter legern - dem Vorbild unseres Nachbarlandes entsprechend - eingeordnet werden. Juristen schulden dem Rechtsrnißbrauch, der als solcher erkannt ist, keine Anerkennung. Ähnlich neuestens Otte, JuS 1989, 599ff., 603f. 66 Ein von Hans Dölle - - auch in seinem Familienrechtslehrbuch (s. etwa II 67ff.)häufig benutzter Ausdruck. 64

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b) Problematisch und äußerst umstritten ist das Ehehindernis der Schwägerschaft in gerader Linie (§ 4 I, III EheG)68. Wie mehrfach von mir dargelegt, sollte insoweit keine grundsätzliche Änderung eintreten, also ein dispensables Ehehindernis bestehen bleiben. Dieses impedimentum gehört zu den sittlichen Grundlagen des Eherechts; anders ausgedrückt: Stieftöchter und Schwiegertöchter um die hauptsächliche Problematik anzusprechen - sollten für den Stief- oder Schwiegervater sexuell tabu sein, im allgemeinen gar nicht der Gedanke an eine legale Verbindung aufkommen können - von Ausnahmefällen abgesehen, die über eine verständige Dispenspraxis zu lösen sind. Beitzke 69 hat dazu schon vor längerem vorgetragen, man solle die Befreiungsgründe präzisieren; dann sei dieses "Ehehindernis mit Erlaubnisvorbehalt" verfassungsgemäß. Beeindruckend erscheint, daß das Schweizer ZGB unter der Überschrift "Ehehindernis der Verwandtschaft" in Art. 120 auch die Verbindung zwischen Schwiegereltern und Schwiegerkindern sowie zwischen Stiefeltern und Stiefkindern erfaßt, und zwar ohne Dispensmöglichkeit. Diese Kategorien von Verschwägerten gehören eben im weiteren Sinne zur Verwandtschaft! Dem "allmählichen Verblassen moralischer Wertgefühle"70 sollte im .Einklang mit anderen europäischen Rechtsordnungen im Rahmen des Möglichen entgegengetreten werden 71 . c) Das Ehehindernis der bestehenden Ehe (oder "der Doppelehe") -§ 5 EheG - ist in mancherlei Hinsicht interessant, wie u. a. die Beratungen der Eherechtskommission 72 erneut ergeben haben -, aber im Grundsatz nicht umstritten. Eine wichtige Teilfrage - von Beitzke mindestens seit 1952 immer wieder erörtert13 - geht dahin, ob die bigamische und daher zunächst vernichtbare Zweitehe dadurch konvalesziert, daß die Erstehe später durch Tod des Partners 67 Dazu s. nachstehenden Unterabschnitt b). Zum Ehehindernis der Verwandtschaft s. ferner Neuhaus (Fn. 13a), S. 35f. 68 Dazu s. Dölle (Fn. 1), § 8 B, und bereits meine Darlegungen in FamRZ 1980, 851; 1982, 869f.; 1986,806 (Anm.); NJW 1987,2624 (bei Fn. 112). 69 (Fn. 22), § 10 II 1 b S. 53f.70 Gernhuber (Fn. 21), S. 98. 71 Das Argument, bei Aufrechterhaltung dieses Ehehindernisses würden die Beteiligten eben das Konkubinat vorziehen (so etwa die Eherechtskommission, III. Bericht S. 80f.), ist kein Argument. In dieser Kommission waren übrigens etliche Sprecher (leider nicht die Mehrheit) für die Beibehaltung der Regelung. Andere Rechtsordnungen - so die der Schweiz, Frankreichs und Italiens (dazu s. Bosch, FamRZ 1982, 870 Fn. 107) - kennen das Hindernis ebenfalls, z. T. sehr viel strenger. Anders leider Österreich seit 1983. Unhaltbar: MünchKomm/ Müller-Gindullis, 2. Aufl., Rz. 10-11 zu § 4 EheG, soweit dort die Grundgesetzwidrigkeit des Ehehindernisses behauptet wird. Äußerst liberal: KG, FamRZ 1986, 806, m. krit. Anm. Bosch; KG, FamRZ 1986, 993. n III.Bericht S. 74ff. Vgl. ferner Dölle (Fn. 1), § 9. 73 MDR 1952, 388ff.-Zum Problem der Bigamie ferner Beitzke(Fn. 22), § 10 II 2aS. 54f. - und § 11 III 2 a, III 3 - S. 60f. -.

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("Nr. 1") oder durch Scheidung wegfällt. Gegen eine Heilung ex nunc ist wohl nichts einzuwenden, dagegen es doch als äußerst bedenklich anzusehen, wenn eine Heilung ex tune angenommen oder gar gesetzgeberisch beschlossen werden sollte (wie es leider, allerdings in sehr bescheidenem Umfang, bereits in § 20 11 EheG i.d.F. vom 13.6. 1980 74 geschehen ist).

d) Die aufschiebenden Ehehindernisse der § § 7 -9 EheG. Hierzu erübrigen sich -

mindestens derzeit -

längere Darlegungen.

1. Was speziell das Ehehindernis der Adoption (§ 7 EheG) anbetrifft, so existiert dies auch in uns nahe verwandten Rechtsordnungen, und zwar als trennendes Ehehindernis (bei Übertretung mit Nichtigkeitsfolge: Art. 100 Nr. 1, 120 Nr. 3 schweiz. ZGB). Auf Grund ähnlicher Erwägungen wie bezüglich des Ehehindernisses der Schwägerschaft sollte auch die Adoptivverwandtschaft - mindestens diejenige in gerader Linie - zu einer strengeren Norm ausgebaut werden. 75

2. Das Ehehindernis der Wartezeit, der "Frauenwartefrist" (§ 8 EheG), kann wohl ohne besondere Bedenken gestrichen werden. 76 3. Das Anliegen, das dem Hindernis des noch fehlenden Zeugnisses des Vormundschaftsgerichts über die Auseinandersetzung mit Kindern oder Enkeln (§ 9 EheG) zugrunde liegt, läßt sich gewiß in anderer Weise als bisher bewältigen, vor allem wenn man gleichzeitig auf die Neuregelung in § 1683 11, 111 BGB blickt?? Es genügt, daß das Vormundschaftsgericht mit dem Anliegen "Schutz des Kindesvermögens" befaßt wird. IV. Normativ-faktische Behinderungen des Zugangs zur Zivilehe In diesem Abschnitt geht es nicht um i. e. S. verbotene Eheschließungen, um Ehehindernisse, wie man sie bisher verstanden hat. Vielmehr handelt es sich um gesetzliche Regelungen, die durch Androhung gewichtigster Nachteile eine Heirat vor dem Standesbeamten völlig unzumutbar machen, oft dadurch, daß eine wirtschaftliche Katastrophe eintritt oder doch nahe ist, falls die Zivilehe BGBI 1980 I 677 (im Rahmen des Prozeßkostenhilfegesetzes!). Die Befreiungsmöglichkeit gemäß § 7 II EheG in bezug auf eine nur durch Adoption begründete Verwandtschaft in der Seitenlinie oder Schwägerschaft wäre beizubehalten. 76 Von "Frauenwartefrist" spricht das schweiz. ZGB in Art. 103. De lege ferenda zum deutschen Recht: Dölle (Fn. 1), § 11 A VI; Beitzke (Fn. 22), § 10 II 2 c - S. 55; Eherechtskommission, III. Bericht, S. 82; C. Böhmer, StAZ 1975, 8. Schon nach geltendem Recht wird in der Regel durch den Standesbeamten von diesem Ehehindernis gemäß § 7a PStG Befreiung erteilt. Charakteristisch ist die Regelung in § 14 der AusfVO z. PStG v. 1977: "Der Standesbeamte soll die Befreiung von dem Ehehindernis der Wartezeit nur versagen, wenn ihm bekannt ist, daß die Frau von ihrem früheren Mann schwanger ist." Österreich hat dieses Ehehindernis 1983 gestrichen. 77 Vgl. hierzu Eherechtskommission, III. Bericht, S. 82; Beitzke (Fn. 22), § 10 II 4 S. 56; Dölle (Fn. 1), § 11 B; Bosch, FamRZ 1982, 869. 74 7S

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gewagt wird: um "Ehestrafen" (könnte man auch sagen), die des eigentlichen Grundes entbehren, um eheschließungs-bedingte Rechtsbeeinträchtigungen, die i. d. R. auf tradierten Vorstellungen beruhen, die als nicht mehr zutreffend angesehen werden können. Vor allem sei hier auf die "Heiratswegfallklauseln" des Sozial- und Beamtenrechts verwiesen, denen die Idee zugrunde liegt: Wer heiratet oder (als Verwitweter) wiederheiratet, ist durch Ehe versorgt. Ein Teil dieser Heiratswegfallklauseln ist bekanntlich durch Entscheidungen des BVerfG beseitigt worden 7B; ein Teil erhebt weiter den Geltungsanspruch, wenngleich seit den 50er Jahren einige Milderungen verfügt worden sind 79. Derselbe Gedanke beherrscht auch Teile des Ausbildungsförderungsrechts, insofern dort jener Student, der außerehelich mit seiner "Braut" zusammenlebt, hinsichtlich seines Anspruchs auf BAföG-Mittel keine Reduktion erleidet, wenn seine Partnerin gut verdient oder Vermögen hat. Heiraten die beidenjedoch, ist zwar manchmal keine wirtschaftliche Katastrophe zu befürchten, aber doch oft eine u. U. immense Herabsetzung oder Streichung der Studienförderungsmittel.Bo Ergebnis: Man heiratet also nicht.

Desgl. heiratet die Witwe mit Witwengeld- oder Sozialrentenansprüchen zu allermeist den neuen Partner nicht - aber man lebt dennoch zusammen. Warum eigentlich das Damoklesschwert über der neuen Zivileheschließung? Hätte die Witwe als Resultat ihrer ersten Ehe nicht die genannten Versorgungsansprüche, sondern z. B. ererbtes Vermögen, so bliebe ihr dies alles bei erneuter Heirat erhalten 80a. Und eine geschiedene Frau, die durch Zugewinn- und Versorgungsausgleich als Ergebnis ihrer früheren Ehe Vermögen akkumuliert hat, braucht davon ebenfalls bei neuer Ehe nichts aufzugeben. 78 Vgl. BVerfGE 28, 324ff. = FamRZ 1970, 470ff., m. Anm. (betr. Waisenrenten der sozialen Rentenversicherung); BVerfGE 29, Hf. = FamRZ 1970, 480ff., m. Anm. (betr. Kinderzuschläge zum Beamtengehalt); BVerfGE 29, 57ff. = FamRZ 1970, 539ff. (betr. Waisenrenten im Kriegsopferversorgungsrecht); BVerfGE29, 71 ff. = FamRZ 1970, 542ff. (betr. Kindergeld gemäß Bundeskindergeldgesetz). 79 Insbes. kommt der Wegfall der Witwen- (und Witwer-)renten bei Wiederverheiratung in Betracht: § 61 I Nr. 2 BeamtVG sowie § 1291 I RVO = § 68 I AVG. Die "Milderungen" seien nicht übersehen (kleine Abfindung aus Anlaß der Wiederverheiratung des oder der Verwitweten) sowie Aussicht auf Wiederaufleben des AltRentenanspruchs bei Auflösung der Neuehe (s. dazu §§ 21,61 III BeamtVG; §§ 1291 11- IV RVO = § 68 lI-IV AVG, § 1302 RVO = § 81 AVG). Die rentenversicherungsrechtliche Abfindung aus Anlaß der neuen Heirat ist ab 1985 erheblich reduziert worden (vgl. Bosch - wie Fn. 56 -, S. 32f., in und bei Fn. 111). 80 s. BAföG §§ 11, 24, 25. BOa Testamentarische Wiederverheiratungsklauseln sollen hier natürlich nicht näher erörtert werden.

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Es sind dies - wohlgemerkt - nicht die einzigen Regelungen, die de facto als Ehestrafen fungieren 81 • Sie wirken, solange sie gelten, auch dann, wenn sie nicht einmal allen, die es angeht, bekannt sind; sie wirken mit in der Richtung, daß eine Ehefeindschaft immer mehr um sich greift. Bei solchen Risiken "heiratet man eben nicht mehr". Entschließt sich der Gesetzgeber nicht bald zur Änderung der einschlägigen Normen, wird die Verfassungswidrigkeit der ehefeindlichen Regelungen - im Einklang mit etlichen Stimmen im Schrifttum 82 - vom BVerfG festgestellt werden müssen. Für den Fall, daß keine Normenkontrollklage angestrengt werden sollte, habe ich vor kurzem bereits einen Aufruf erlassen: 83 a) Gesucht wird der bedürftige Student, der seine etwas wohlhabendere Braut heiratet, dadurch seine BAföG-Ansprüche ganz oder teilweise einbüßt und anschließend beim Verwaltungsgericht Klage auf Weiterzahlung wie vor der Eheschließung erhebt. b) Gesucht wird ferner die Witwe mit gemäß erster Ehe erworbenen Versorgungsansprüchen, die ihren neuen Verlobten heiratet und anschließend auf mindestens Teil-Weiterentrichtung der früheren Versorgungsansprüche klagt. Entweder durch Aussetzungs- und Vorlagebeschluß84 oder durch Verfassungsbeschwerde 85 werden dann die Rechtsfragen zum BVerfG gelangen. 8s • Im übrigen würde die Streichung oder wenigstens stärkste Abmilderung der erwähnten Klauseln die öffentlichen Haushalte kaum stärker belasten: Wenn nicht geheiratet wird, werden die Staatsleistungen weiter erbrach~ werden; fallen die Klauseln weg, geschähe dies gen au so oder ähnlich bei erneuter Eheschließung. Ein vorläufiger Ausweg - zunächst wohl nur relativ wenigen bekannt - ist in dieser Situation die Eingehung einer nur kirchlichen Ehe: nicht in der Bundesre81 Auf meine Nachweise in der Monographie (wie Fn. 56), S. 36, sei verwiesen. Es geht insbes. um Beeinträchtigungen des Verheirateten im Prozeßkostenhilferecht sowie gemäß dem U nterhaltsvorschußgesetz. 82 Vgl. Pirson in: Bonner Komm., 2. Bearb., Rz. 38 ff. zu Art. 6 GG, insbes. Rz. 44-46; Axel Frhr. v .. Campenhausen. in: Veröff. der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Bd. 45 -1986(87, S. 27(28, S. 52 (LS. 9: "Zölibatsklauseln und Heiratswegfallklauseln verletzen dieses Grundrecht" gemäß Art. 6 I GG; und dies ist "ein Abwehrrecht gegen staatliche Ein- und Übergriffe"). Im Zusammenhang mit (früheren) gesetzlichen Regelungen der Arbeitslosenhilfe spricht das BVerfG (E 67, 198 = FamRZ 1984, 1208, 1211) sehr deutlich von einer .. Diskriminierung der Ehe gegenüber eheähnlichen Lebensgemeinschaften". 83 s. Bosch in: Festschr. f. W. Geiger (1989), S. 378 ff., 393 f. 84 Art. 100 I GG. 85 Art. 95 Nr. 4a GG; §§ 90ff. BVerfGG. 85. Erste Klärungen könnten vielleicht schon die Vorlegungsbeschlüsse der VerwGe Hannover und München (FamRZ 1988, 1328) bewirken.

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publik Deutschland, sondern in einem Staat, der wie wir den Grundsatz der obligatorischen Zivilehe kennt, aber die kirchliche Voraustrauung nicht (mehr) mit Sanktionen gemäß oder analog unserem (ehemaligen) § 67 PStG belegt. Auf Österreich sei deutlich hingewiesen 86. Ein keineswegs empfohlener Ausweg; aber er wird von Kundigen bereits beschritten. Eine nur kirchliche Eheschließung in der Bundesrepublik Deutschland kommt nach den Ereignissen von 1954/1957 87 im allgemeinen nicht in Frage. Dies alles drängt wohl dahin, in Ausführung des Art. 26 des Reichskonkordats von 1933 bald in bezug auf das Eheschließungsrecht in Verhandlungen mit dem Hl. Stuhl zu treten 88 - analog natürlich auch mit den anderen großen Religionsgemeinschaften. Um es noch einmal zu unterstreichen: Die nur kirchliche Eheschließung Deutscher in Österreich ist keine Lösung des vielschichtigen Problems, weil diese Ehe nicht hindert, daß einer der Partner vor dem Standesbeamten sich anderweit verheiratet.

v. Die Form der Eheschließung a) Entgegen früheren Darlegungen bin ich seit einiger Zeit mit Beitzke 89 für die Beibehaltung des Grundsatzes der obligatorischen Zivileheschließung eingetreten: ohne Konsenserklärungen vor dem Stundesbeamten keine Zivilehe. Folgende Zusätze des "Bekehrten" sollten allerdings ebenfalls beachtet werden: Die sog. Trauformel des Standesbeamten - derzeit in § 14 EheG sehr ungut gefaßt (der Beamte "soll im Namen des Rechts aussprechen, daß sie nunmehr rechtmäßig verbundene Eheleute seien") - ist i. S. des § 1318 BGB a. F. von 1896 zu revidieren, also dahin zu ändern, daß die beiden "kraft des Bürgerlichen Gesetzbuches nunmehr rechtmäßig verbundene Eheleute sind"90. Ferner: Der standesamtliche Vorgang ist, wie von vielen seit langem angeregt worden ist 91 , nur auf Wunsch "feierlich" (kultisch oder quasi-kultisch) zu gestalten, wozu angemerkt sei, daß § 8 PStG betr. die feierliche Form auf die Fassung von 1937 Im einzelnen s. dazu meine Monographie (wie Fn. 56), S. 71f., 93f., 108f., 112. Dazu s. meine Monographie (wie Fn. 56), S. 24ff., 31 ff. 88 s. Monographie (wie Fn. 56), S. 21f., 100ff., 117. 89 (Fn. 22), § 1 I 3 und § 7 I. Hierzu nun meine Monographie (wie Fn. 56), S. 29, 103, 115, 121. 90 Selbstverständlich soll der Ausspruch der Trauformel durch den Standesbeamten wie bisher nur deklaratorische Bedeutung haben, nicht ein konstitutives Element des Eheabschlusses darstellen (dazu s. meine Monographie - wie Fn. 56 -, S. 102,115). 91 H. A. Dombois, in: Weltliche und kirchliche Eheschließung (hrsg. v. Dombois u. F. K. Schumann), Gladbeck 1953, S. 111; Dölle (Fn. 1), § 16 III 3; W. Müller-Freien/eIs, Ehe und Recht, 1962, S. 116; Neuhaus (Fn. 13a), S. 77; ders., FamRZ 1972, 67; Coester (Fn. 28), S.128; meine Monographie (Fn. 56), S. 115f. 86

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zurückgeht 92 . Außerdem sollte die Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf den bereits erwähnten Art. 26 des Reichskonkordats von 1933 ihre Bereitschaft zur Fortsetzung von Vertragsverhandlungen über eherechtliche Fragen mit dem Hl. Stuhl erklären und selbstverständlich ebenfalls zu Abkommen mit allen dies wünschenden anderen Religionsgemeinschaften bereit sein.93 Am Rande sei hierzu notiert: Auch seitens prominenter Vertreter der katholischen Theologie ist die Antinomie "Hie kirchliche, dort staatliche Eheschließung" einem deutlichen Streben nach Harmonisierung gewichen, was z. B. in der Schrift von Walter Kasper, "Zur Theologie der christlichen Ehe"94 besonders deutlich wird. (Seitens des Kanonisten Hubert Müller 95 wurde ich darauf vor kurzem erneut aufmerksam gemacht.) Walter Kasper bezeichnet das Verhältnis Staat-Kirche zu Recht als "partnerschaftliches Verhältnis" und meint, der frühere Streit um die Ehe sei "anachronistisch" geworden. Weiter finden sich dort Worte wie "Mehrdimensionalität des einen Eheabschlusses" sowie "Bürgerliche und kirchliche Trauung sind ein gestrecktes Ganzes". Schon ohne die genauere Kenntnis dieser Äußerungen war mein früherer Standpunkt betr. die notwendige Ablösung der obligatorischen Zivilehe durch die Kritik von G. Beitzke 96 erschüttert worden. Er verwies s. Zt. darauf, wenn die mit Zivilrechtswirkung ausgestattete Traubefugnis den großen christlichen Religionsgemeinschaften - und natürlich auch den jüdischen Gemeinden -, falls diese es wünschen, zuerkannt werden sollte, müßten "alle Weltanschauungsgemeinschaften" , "sämtliche weltanschaulichen Organisationsgemeinschaften"97 dieselbe Befugnis erhalten, was verfassungsrechtlich sicher vertretbar oder wahrscheinlich sogar unabweisbar ist. Also kämen z. B. auch Freidenkerverbände, die Gewerkschaften, vielleicht die politischen Parteien und viele sonstige Gruppen in Betracht. Dieser Gedanke von Beitzke ist so überzeugend und in seinen Wirkungen so schrecklich zugleich - selbst wenn man mit Scheuner 98 die Besonderheiten der großen Religionsgemeinschaften herausstel92 Die "Feierlichkeit" i. S. des § 8 PStG v. 1937 wurde S.Zt. noch dadurch unterstrichen, daß jedem neuverheirateten Paar Adolf Hitlers Buch "Mein Kampf' überreicht wurde. 93 Dazu s. meine Monographie (Fn. 56) wie obige Fn. 88 -. 94 Walter Kasper- mittlerweile Bischofvon Rottenburgj Stuttgart-, "Zur Theologie der christlichen Ehe" (Mainz 1977), S. 84 ff. 95 Ordinarius des Kirchenrechts in Bonn. 96 s. o. Fn. 89. Beitzke äußerte sich zu diesem Problem immer wieder, auch in der Eherechtskommission. 97 So wörtlich Beitzke in einer Sitzung der Eherechtskommission. Ebenso: Henrich, RabelsZ 73, 243; Gernhuber (Fn. 21), § 11 12. 98 In: Recht Staat - Wirtschaft, Bd. IV, S. 88ff., S.114 (Düsseldorf 1953). Zum Besonderen der Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts s. ferner Scheuner, Wandlungen im Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland, in: U. Scheuner, Schriften zum Staatskirchenrecht (1973), S. 237ff., S. 257ff.

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len könnte -, daß es in der Bundesrepublik Deutschland bei der wohlgeordneten standesamtlichen Eheschließung für alle bleiben muß: sei es als reiner (und dennoch sehr wichtiger) Formalakt für die einen, sei es als auch feierlicher Tatbestand für die anderen. Dazu kommt die Erwägung, daß es optisch besser ist, das ggf. erforderlich werdende Scheidungsurteil des Familiengerichts betr. eine Ehe, die vor dem Standesbeamten in Bonn und im Bonner Münster oder in der Evang. Kreuzkirche geschlossen ist, zu tenorieren dahin, daß die am ... standesamtlich begründete Ehe aufgelöst wird, statt - im Falle der Einführung der fakultativ nur-kirchlichen Eheschließung - zu formulieren: "Die im Bonner Münster (oder in der Kreuzkirche) am ... geschlossene Ehe der Parteien wird geschieden". Es ließe sich dies letztere - etwa nach italienischem Vorbild auch anders tenorieren (etwa: "Die beim Standesamt unter Nr. ... registrierte Ehe wird geschieden", oder: "Die zivilrechtlichen Wirkungen werden der Ehe der Parteien ... aberkannt")99. Aber es ist zu befürchten, daß solche liberalen Lösungen wie in Italien in Deutschland nicht durchsetzbar sein würden. 99. b) Sonderformen der Eheschließung:

Solche haben sich in der Vergangenheit - und wohl in allen Eherechtsordnungen - immer wieder als Notlösungen in besonderen Situationen, als erforderliche Ausnahmen herausgestellt. 1. Die uns aus den Zeiten des II. Weltkrieges bekannte "Ferntrauung" bekanntlich i. wes. nur eine Befreiung vom Erfordernis der gleichzeitigen Anwesenheit der Verlobten vor dem Standesbeamten - sollte in normalen Zeiten nicht praktiziert werden. Sie war übrigens keine deutsche Erfindung 100 • 2. Großzügiger sollte man in bezug auf die Eheschließung durch einen "Stellvertreter" - einen procurator cum mandato speciali -, die sog. Handschuhehe, sein: Warum nicht auch bei uns, wie in etlichen anderen Staaten, in besonderer Lage gestatten, daß ein Verlobter beim formellen Akt der Begründung der Zivilehe durch einen speziell Beauftragten repräsentiert wird? In Wirklichkeit handelt es sich hier natürlich nicht um echte Stellvertretung, sondern um eine Art Botenschaft101 . 99 Vgl. das italienische Gesetz v. 1. 12. 1970, n. 898, geändert mit Ges. v. 1. 8.1978, n. 436: "Disciplina dei casi di scioglimento dei matrimonio", wo es in Art. 2 bezüglich der religiös begründeten und ins Zivilregister transkribierten Ehe heißt: " ... il giudice ... pronuncia la cessazione degli effetti civili conseguenti alla trascrizione dei matrimonio"; das heißt: In Fällen religiöser Eingehung der Ehe hat der staatliche Richter ggf. nur auszusprechen, daß die zivilen Folgen der Ehe, die sich aus der Überschreibung (auch) in das staatliche Register ergeben, aufhören (für die Zukunft beendet sind). Insoweit wird weder von "divorzio" (Scheidung) noch von "scioglimento dei matrimonio" (Auflösung der Ehe) gesprochen. Dies erscheint als eine wirklich liberale Gesetzgebung. 99. Zum Grundsatz der obligatorischen Zivilehe s. neuestens G. Olte, JuS 1989, 600f. 100 Hierzu Dölle, Familienrecht I, 1964, § 18 B II 4 S. 214/217 - und § 20 I S. 241 ff.; ferner Neuhaus (Fn. 13a), S. 78; ders., FamRZ 1972, 67. Für das deutsche innerstaatliche Recht ablehnend Gedoch nicht überzeugend): Eherechtskommission, III. Bericht S. 61.

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3. Die sog. postmortale Eheschließung - "mariage posthume" - ist etwas diskreditiert durch die Handhabung in den Jahren ab 1941 102 , aber schließlich durch das Bundesgesetz v. 29.3.1951 103 rechtsstaatlich dahin geordnet worden, daß solchen Tatbeständen der Vergangenheit gewisse Eherechtswirkungen zukommen sollten. Die französische "Lex Frejus" v. 31. 12. 1959 - Art. 171 Code civil n. F. - beweist, daß auch in normalen Zeiten ein Bedürfnis gegeben sein kann, einem verlobten Paar, das alle offiziellen Schritte zwecks demnächstiger Heirat getan hatte, aber wegen Todes des einen Partners nicht mehr die Zivilehe-Willenserklärungen abgeben konnte, gewisse Ehefolgen zuzuerkennen104 • Christof Böhmerios hat empfohlen, ein solches Rechtsinstitut auch für Deutschland bereitzustellen, und bemerkte dazu: "Macht den Staat humaner!" Überspitzt ausgedrückt: Besteht wirklich ein essentieller Unterschied zwischen dem Fall des Todes eines Verlobten auf dem Wege zum Standesamt und dem Fall des Todes auf dem Rückweg vom Standesamt? 4. Ein ähnliches Problem ist das der sog. Notklerikal-Ehen l06 , die in § 67 PStG - als Ausnahmen vom Grundsatz des zeitlichen Vorrangs der Zivilehe - in zwei Varianten ausdrücklich gestattet sind: Der eine Fall, geregelt seit 1896/1900, ist der der lebensgefährlichen Erkrankung eines Verlobten l07 , der andere Fall, im Reichskonkordat v. 1933 (Art. 26) vorgesehen und nicht unumstritten gewesen 108, der des "schweren sittlichen Notstandes", "dessen Vorhanden sein durch die zuständige bischöfliche Behörde bestätigt sein muß". Mindestens seit Martin Wolffs Lehrbuch des Familienrechts lO9 wird immer wieder gefordert, in diesen besonderen Fällen dem Tatbestand der nur kirchlichen Ehebegründung Wirkungen auch des Zivilrechts beizulegen, gerade dann, wenn die standesamtliche Eheschließung (z. B. wegen des Todes eines Partners) nicht mehr erfolgen konnte 110 • Selbstverständlich würde hier ein 101 Dazu s. wiederum Neuhaus (wie Fn. 100); zur "Vertreter-Eheschließung" und deren weiter Verbreitung im ausländischen Recht s. Dölle (Fn. 100), § 18 B II 4 - S. 214ff. 102 Der diesbezügliche "Führererlaß" v. 6.11.1941 und der dazu ergangene Runderlaß des Reichsministers des Innern v. 15. 6. 1943 sind abgedruckt in: Massfeller (Böhmer, Das gesamte Familienrecht, 2. Bd.: Eherecht, Abschn. 2.6. Vgl. ferner Dölle (Fn. 100), § 20 11. 103 BGBI I 125. 104 Dazu s. u.a. Bosch, FamRZ 1982, 872. Ablehnend hierzu äußerte sich die Eherechtskommission, III. Bericht, S. 59. 105 StAZ 1975, 8. Vgl. ferner Beitzke, StAZ 1966, 93ff. (Zur "postmortalen Ehe eines Deutschen in Frankreich"). 106 Hierzu s. Bosch, FamRZ 1982, 872; Dölle (Fn. 100), § 20 II S. 244ff. 107 Vgl. den Text in meiner Monographie (Fn. 56), S. 125 (Fn.). 108 s. meine Monographie (Fn. 56), S. 216 (Text) und S.19ff. (Darstellung); zum Konflikt der 50er Jahre: ebd. S.26, S. 31 f. 109 Martin Wolff, in: Kipp ( WoljJ, Familienrecht, 7. Bearb. 1931, § 2 Fn.27 (S. 14); Dölle (Fn. 100), § 16 III 3 a. E. llO s. Bosch, FamRZ 1982, 872, insbes. auch Fn. 128a; Monographie (Fn. 56), S. 19, 116, 123.

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formelles Verfahren der Prüfung auf zivilrechtliche Ehehindernisse und "Anerkennung als Ehe" erforderlich werden. Ein Vorbild könnte insoweit mindestens teilweise das Gesetz zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Ehe-Unrechts v. 23. 6. 1950 sein (offiziell als "Gesetz über die Anerkennung freier Ehen rassisch und politisch Verfolgter" bezeichnet)l11. Noch in einem jüngst erschienenen großen Aufsatz über Eheschließungsfragen 112 ist die Nicht-Anerkennung der Not-Klerikalehen zutreffend als "kleinlich" bezeichnet worden. 5. Überlegenswert erscheint endlich, ob nicht in gewissen Situationen Unerreichbarkeit des Standesbeamten bei Lebensgefahr für einen Verlobtenauch die Eheschließung nur vor Zeugen gestattet und mit Zivilrechts folgen ausgestattet werden sollte. 113 Brasilien erlaubt in solcher Lage die Heirat vor nur sechs Zeugen: Nach Erledigung gewisser Formalitäten durch die Zeugen und Eintragung im Heiratsregister ist dies eine vollgültige Eheschließung 114. Auch dem kanonischen Eheschließungsrecht ist eine derartige Notform der Ehe, die nur vor Zeugen begründet wird, seit langem bekannt (früher can. 1098 eIe 1917, jetzt can. 1116 eIe 1983).115 6. Soweit eine derartige Ausnahmeregelung wie vorstehend erwähnt nicht existiert und auch praeter legern eine solche "Noteheschließung" nicht anerkannt wird, entsteht in besonderen Situationen notwendigerweise das Problem "Nichtehen und deren etwaige Heilung" - ein Fragenkreis, der insbesondere von P. H. Neuhaus und seinem Schüler H.-F. Thomas gründlich dargestellt worden

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Die Fülle der nach dem Ende des 11. Weltkriegs hierzu ergangenen Gerichtsentscheidungen ist beeindruckend und beweist, wie bedeutsam gerade auch dieses Thema ist 1l7 .

So mein wiederholter Vorschlag. Zum Bundesgesetz v. 23.6. 1950 s. Dölle (Fn. 100), § 20 III - S. 249ff. 112 Co ester (Fn. 28), S. 126 bei Fn. 52. 113 s. Neuhaus (Fn. 13a), S. 80ff. 114 Art. 199f. des brasil. ZGB. 115 Text in meiner Monographie (Fn. 56), S. 134. 116 Dazu s. Neuhaus (Fn. 13a), S. 100ff.; ders., in Festschr. f. F. Schwind, 1978,S. 223 ff.; F?mRZ 1972, S. 68; Hans-Friedrich Thomas, Formlose Ehen, 1973. Zur Garantie des "ungehinderten Zugangs zur Ehe" und der Nicht-Gefährdung der Eheschließung --- Art. 6 I GG - s. BVerfGE 29, 166ff., 175ff. Für "Abbau übertriebener Formerfordernisse" und zur "ausschlaggebenden Bedeutung" des "kreativen Ehewillens" vgl. ferner v. Schwind, RabelsZ 37 (1973) S. 217 ff.; zum Thema "Nichtehe und nichtige Ehe" außerdem Henrich, ebd., S. 230ff. 117 Die - meist in FamRZ abgedruckten Entscheidungen werden von Neuhaus und Thomas (Fn. 116) angeführt. Zur Problematik der "Formfehler" bei Eheeingehung s. ferner Coester (Fn. 28), S. 128 f. 111

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VI. Mangelhafte Eheschließungen Dieses (vorletzte) Kapitel darf nicht fehlen, zumal sich G. Beitzke 118 gerade auch damit stets erneut beschäftigt und Wesentliches dazu ausgesagt hat. a) Derzeit unterscheiden wir, wie geläufig, die absolute Nicht-Ehe (matrimonium non existens), die "nichtige" oder (besser formuliert) "vernichtbare" Ehe und die aufhebbare (früher - bis 1938 - anfechtbare) Ehe: Absolute Nicht-Ehe etwa bei nicht-standesamtlicher Eheschließung 119 oder bei nachträglicher Feststellung der Gleichgeschlechtlichkeit jener Partner, die da erschienen waren "Nichtige" Ehe insbesondere bei Mißachtung wichtigster Voraussetzungen der Eheschließung (z. B. der Geschäftsfähigkeit: § 18 EheG)120 oder bei Übertretung sog. trennender Ehehindernisse (also bei Doppelehe - § 20 _121, bei Verwandten- oder Verschwägerten-Ehe - § 21 _122, soweit solche verboten ist) Aufhebbare Ehe, falls die eine oder andere Eheschließungswillenserklärung mangelhaft war (insbesondere infolge Irrtums, Täuschung oder Drohung, aber auch bei Fehlen der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters - §§ 28-34 EheG-). Hierbei wird stets vorausgesetzt, daß im einen Falle die Vernichtbarkeit, im anderen die Aufhebbarkeit geltend gemacht worden ist (§§ 23, 29 EheG). Die prozessualen Fragen und die ggf. eintretenden Folgen der Ehenichtigerklärung (§§ 23-26 EheG) oder der Eheaufhebung (§§ 29, 35-37 EheG) seien, soweit es sich um das geltende Recht handelt, zunächst nur durch die Nennung der Gesetzesbestimmungen angedeutet. Daß die Folgenregelung insbesondere durch das 1. EheRG v. 1976 wesentlich verändert worden ist, sei erwähnt, aber zunächst ebenfalls nicht näher behandelt l23 : Es ging darum, auch für die jetzt erörterten Eheauflösungstatbestände - mindestens optisch und verbal - den Gedanken einer "schuldhaften" Herbeiführung der Auflösung zu eliminieren. l24 118 (Fn. 22), § 11 - S. 57ff.; auch bereits in DRZ 1946, 137 (Il. 1.); ders. in: Festschr. f. A. Knur (1972), S. 39ff.; ders., FamRZ 1971, 1122ff.; s. ferner Dölle (Fn. 100), §§ 22-28; Werner Molls, Das Institut der Eheaufhebung (Diss. Bonn 1972). 119 Zur Frage der "Heilung" s. Neuhaus und Thomas (Fn. 116). 120 Zur Frage der Geschäftsfähigkeit bei Eheschließung s.o. Abschn. B. Il. c) (hinter Fn.29). 121 Zu § 5 EheG s. o. Abschn. III. c) (bei Fn. 72-74); ferner Dölle (Fn. 100), § 9, § 22 I 3. 122 Zum Ehehindernis der Schwägerschaft s. o. Abschn. IIl. b). 123 Vgl. dazu neben den Darlegungen von Beitzke (Fn. 118) besonders die bedeutende Abhandlung von D. Schwab in: Festschr. f. Beitzke (1979), S. 357ff. 124 Die Texte vor Inkrafttreten des 1. EheRG §§ 26 und 37 Il EheG - hoben sehr stark auf das" Verschulden an der Eheaufhebung" ab. Gemäß § 17 der 1. DVO z. EheG (= § 16 der AVO BritZ) war die Aufhebungsschuld von Amts wegen in der Urteilsformel auszusprechen.

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Im übrigen wurde die Regelung des EheG v. 1938 darin beibehalten, daß im Prinzip auch bei Nichtigerklärung oder Aufuebung die gleichen vermägensrechtlichen Folgen wie bei Ehescheidung eintreten sollen (§§ 26 11, 37 11 EheG n.F.)124a. b) Eine der Grundfragen etwaiger Neuordnung der Materie ist begreiflicherweise die, ob die Figur der Eheaufhebung mit Wirkung nur ex nunc et in futurum - falls gerichtliche Aufuebung erfolgt - beibehalten werden oder diese Ehemangeltatbestände nicht besser wieder in den Katalog nichtiger (vernichtbarer) Ehen einbezogen werden sollten, wie esja im Prinzip vor dem EheG v. 1938 ebenfalls geregelt war; denn § 1343 I S.l BGB a. F. bestimmte: "Wird die anfechtbare Ehe angefochten, so ist sie als von Anfang an nichtig anzusehen" 125 . Sowohl die Eherechtskommission 126 als auch der Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums v. 1982 127 schlugen die "Aufuebung der Eheaufuebung" und die Umwandlung der meisten Fälle in solche der Ehenichtigkeit vor, beide jedoch mit der Maßgabe, daß der Irrtum über persönliche Eigenschaften des anderen Gatten (derzeit § 32 EheG) künftig als besonderer Tatbestand überhaupt wegfallen soll oder - besser gesagt - nur noch im Rahmen eines Scheidungsprozesses wegen "Scheiterns" soll geltend gemacht werden können. c) Zunächst zu letzterem: Es dürfte Fälle des Eigenschaftsirrtums ab initio geben, WIe etwa die Feststellung nach Eheschließung, daß der Partner impotent (vielleicht nur relativ impotent) oder bisexuell veranlagt ist, und ähnliche mehr, Fälle, die eine eigene Regelung erheischen 127a. Zugegeben: oft liegt in solcher oder ähnlicher Situation arglistige Täuschung vor; und diese soll ja nach den erwähnten Vorschlägen zur Ehevernichtung führen können. Aber gerade dieses Problem: Eigenschaftsirrtum soll für sich allein irrelevant sein, arglistige Täuschung dagegen bleibe erheblich, würde fast notwendigerweise sich dahin entwickeln, daß arglistige Täuschung häufiger als bisher bejaht wird und - deutlicher gesagt - vor allem die vorehelichen Offenbarungspflichten zu sehr gesteigert würden (um eine Täuschung durch arglistiges Verschweigen bejahen zu können 128 ). Es erscheint 124. Zu den derzeitigen Folgen der Ehenichtigerklärung s. u. a. auch meine Anm. in FamRZ 1986, 1205ff. 125 Zu § 1345 BGB a. F. als Sondernorm s. u. hinter Fn. 134. 126 III. Bericht, S. 87 f. 127 Begründung zum Entwurf v. 1982 (ungedruckt), S. 13 ff. 127. Art. 31 des liechtensteinischen EheG v. 1973 bezeichnet die Ehe, wenn ein Partner von Anfang an die Ehe nicht vollziehen kann, als "ungültig". 128 Charakteristisch ist insoweit etwa der "Oberst-Fall": FamRZ 1958, 314ff. = NJW 1958, 1290 (homosexuelle Veranlagung des Mannes: Eheaufhebung wegen Eigenschaftsirrtums und / oder arglistiger Täuschung; der BGH bejahte eine voreheliche Offenbarungspflicht des Mannes). Interessant ist ferner der Fall des AmtsG Krefeld, FamRZ 1987, 815ff., m. Anm. Bosch

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daher doch wohl angezeigt, den Irrtum des einen Partners über wirklich ehewesentliche Eigenschaften des anderen Partners als einen besonderen Tatbestand anfänglicher Mangelhaftigkeit beizubehalten 129. d) Im übrigen: Ob man das hier anstehende Thema als "Anfechtbarkeit", "Aufhebbarkeit" oder "Nichtigerklärung" bezeichnet, ist fast gleichgültig. Das BGB hat mit "Anfechtung" wohl den angemessensten Terminus gewählt - und daran die Nichtigerklärung geknüpft -. Mir scheint, man sollte im Grundsatz zu dieser alten Ordnung zurückkehren, also die (d.h. alle) derzeitigen Eheaufhebungsfälle in solche der durch Anfechtung herbeigeführten Ehenichtigkeit zurückverwandeln. Eine Eheschließung, die an wirklich gewichtigen Willensmängeln leidet, hat im Sinne des Konsensprinzips keinen gültigen - unanfechtbaren - Ehetatbestand begründet. Das Geschwätz, eine "gelebte Ehe" könne nicht rückwirkend ausgelöscht werden, richtet sich selbst; rechtliche Bewertung und Fakten, die eingetreten waren, sind zweierlei 130. e) Äußerst wichtig bleibt natürlich die Frage, welche Folgen künftig die Nichtigerklärung in Fällen der heiden Gruppen mangelhafter Eheschließungen - bei erfolgreicher Nichtigerklärung oder erfolgreicher Anfechtung mit Nichtigkeitsfolge - herbeiführen soll. Völlig verfehlt ist es - ohne daß es insoweit noch einer Begründung bedarf -, auch in besonders gewichtigen oder gar schlimmen Fällen, wie Doppelehe, arglistige Täuschung oder rechtswidrige (ebenfalls eine Eheaufhebung sowohl wegen Eigenschaftsirrtums als auch wegen arg!. Täuschung). Vg!. ferner Dölle (Fn. 1), § 26 B 11 - S. 331 ff.; auch § 26 B 14 - S. 320ff. 129 Zu den einschlägigen Fragen vg!. insbes. - neben der Arbeit von W. Molls (Fn. 118) und Th. Ramm, FamR I: Recht der Ehe, 1984, § 53 III, § 57 lI-IV - auch die Bonner Dissertation von Ilse Schmidt-Dalhoff, "Auswirkungen von Willensmängeln bei Eingehung der Ehe nach bisherigem und künftigem Recht" (1986). Sehr deutlich für Relevanz eines Irrtums über persönliche Eigenschaften vor allem ferner Beitzke, FamRZ 1981, 1123f.; Ramm, a.a.O., § 57 II-S. 475ff. M. E. nicht überzeugend in diesem Punkt: Schmidt-Dalhoff, a.a.O., S. 150ff., S. 155ff.; P. Finger, JZ 1983, 125ff., 131. 130 S. Amt!. Begründung zum EheG 1938 in DJ 1938, 1102ff., 1106; auch abgedruckt bei Massfeller, Das neue Ehegesetz, 1938, vor § 33, und bei V. Scanzoni, EheG-Komm., 3. Aufl., 1943, vor § 33. Treffend: W. Müller-Freienfels, Ehe und Recht, 1962, S.99: "Die Rückwirkung [der Eheanfechtung] will nicht die Vergangenheit umändern. Sie will nur besagen, daß in Zukunft die Vergangenheit anders als bisher bewertet wird." Die Begründung des EheG V. 1938 stellt insoweit m. E. typisch nationalsozialistisches Geschwätz zu Rechtsfragen dar - wie wir Älteren es des öfteren erleben mußten -. Ein Satz sei wörtlich zitiert: "Willensmängel bei Eingehung der Ehe können grundsätzlich nicht die durch die Eheschließung begründete tatsächliche Lebensgemeinschaft der Ehegatten nachträglich aus der Welt schaffen." Als ob irgendjemand je versucht hätte, tatsächlich Geschehenes wieder ungeschehen zu machen! Offensichtlich war der damalige Gesetzgeber nicht willens oder nicht fähig, Faktizität und Rechtsprob1ematik zu unterscheiden. Hierzu treffend: Schmidt-Dalhoff (Fn. 129), S. 66ff., 171ff.; Molls (Fn. 118), S. 34ff.; Ramm (Fn. 129), § 57 IV. Dagegen m. E. nicht überzeugend: H. Brox, Die Einschränkung der Irrtumsanfechtung (1960), S. 225 - 227 (der weiter für die Eheaufhebung ex nunc eintritt). 3 Bosch

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Drohung - sagen wir es mit Beitzke l3l deutlich: sogar in bezug auf Heiratsschwindler -, im kommenden Gesetz ohne jede besondere Einschränkung stets nur die Scheidungs folgen zu dekretieren, also ggf. lebenslängliche Unterhaltspflichten gegenüber dem Schwindler, außerdem zu seinen Gunsten Zugewinnund Versorgungsausgleich etc. zu bejahen. Auch der Bigamist ist, wie bereits § 26 III EheG i. d. F. v. 1976 belegt, nicht immer "der Scheidungsfolgen würdig". Lösungsvorschlag: Im Prinzip sollte sowohl das Ehenichtigkeitsurteil i. e. S. als auch die auf Eheanfechtung beruhende Nichtigkeitsentscheidung nicht nur das Eheband rückwirkend wieder auslöschen, sondern auch - abgesehen von Problemen des Kindschaftsrechts - die Folgen einer Ehe ex tune beseitigen.

Dazu noch dreierlei zusätzlich: 1. Die Rückabwicklung von gewährten Unterhaltsleistungen während des Zusammenlebens sollte hier grundsätzlich ebenso unterbunden werden wie bei Beendigung einer "nichtehelichen Lebensgemeinschaft"132 (anders nur bei Vorliegen einer unerlaubten Handlung: §§ 82311, 826 BGB)133.

2. Der Ehenichtigkeits-Richter sollte die Möglichkeit erhalten, auf Grund der Gegebenheiten des einzelnen Falles gewisse relativ geringfügige Folgen des "Eherechts" anzuordnen, so etwa dann, wenn aus der nichtig erklärten Verbindung ein Kind hervorgegangen ist, eine Unterhaltsberechtigung des das Kind betreuenden Partners - ähnlich wie in Fällen des § 1570 BGB - verfügen können (um des Kindes willen!).l34 3. Darüber hinaus wäre zu überlegen, ob nicht zugunsten des einseitig redlichen Partners - ähnlich wie es bereits in den §§ 1345-1347 BGB a.F. v. 1896 vorgesehen war - noch einige weitere Konsequenzen der für nichtig erklärten Ehe zu bejahen wären (falls es von diesem Partner gewünscht wird).

Allgemein ausgedrückt: Grundsätzlich sollten Nichtigkeits/olgen eintreten, nur ausnahmsweise Ehescheidungs/olgen (umgekehrt, wie es derzeit vorgesehen ist und auch de lege ferenda überwiegend vorgeschlagen wird). Zu allem weiteren und vielen Einzelheiten muß auf die stets überaus gründlichen Darlegungen von G. Beitzke verwiesen werden, insbesondere auch auf seine Stellungnahmen im Kreise der Eherechtskommission. 135 131 S. o. Fn. 118; Beitzke in: Festschr. Knur, S. 42; ders., FamRZ 1981, 1123f.; SchmidtDalhoff(Fn. 129), S. 112, S. 162ff. 132. Dazu vgl. betr. die nichteheliche Lebensgemeinschaft Soergel/ Hermann Lange, BGB-Komm., 12. Aufl., Anhang zum 1. Halbband des Familienrechts, "Nichtehel. Lebensgemeinschaft", Rz. 91. 133 Zum Problem von Deliktsansprüchen unter (ehemaligen) Ehegatten s. etwa BGHZ 48, 82 = FamRZ 1967, 562ff., m. Anm. Bosch (auch zum Eheaufhebungsproblem); BGHZ 80, 235ff. = FamRZ 1981, 531ff. 134 Natürlich über den Umfang, wie in § 1615 I BGB vorgesehen, hinaus. Ebenso: Schmidt-Dalhoff (Fn. 129), S. 177. 135 Beitzke (wie oben Fn. 118). Seine Darlegungen in der Eherechtskommission können hier leider nicht im einzelnen angeführt werden.

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Der Standpunkt, der in Äußerungen evangelischer Gremien zum Referentenentwurf v. 1982 niedergelegt wurde: dieser Entwurf spreche zwar von Nichtigerklärung, lasse indes gar keine oder nur sehr wenige Nichtigkeitsfolgen zu, er sei mithin in sich widersprüchlich, muß m. E. ungeteilte Zustimmung finden. Das Kommissariat der deutschen katholischen Bischöfe hat sich übrigens damals entsprechend erklärt,136 f) Zum Verfahren der Ehenichtigerklärung usw. gibt es einige kleinere (keineswegs unwichtige) Themen, etwa zur Klagebefugnis und zur Klagefrist Getzt § 24 und § 35 EheG). Dazu, daß nach geltendem Recht eine Nichtigkeitsklage z. B. wegen Bigamie nicht mehr erhoben werden kann, wenn beide Partner der fraglichen Doppelehe verstorben sind, wäre z. B. einiges zu bemerken.137 VII. Wiederverheiratung eines Ehegatten nach irriger Toterklärung des anderen Ehegatten

Ein im Moment kaum aktuelles Thema, das indessen trotzdem eine verständige gesetzliche Regelung erfordert, ein Grundsatz-Thema, das im gegenwärtigen Ehegesetz kaum befriedigend geordnet ist. Zu diesen Fragen wird Ende 1989 in einer Festschrift eine gründlichere Abhandlung erscheinen, deren Erwägungen hier nicht vorweggenommen werden sollen 137'. Ein anderweit nicht gründlicher betrachteter interessanter Aspekt: Mindestens zwei europäische Rechtsordnungen, die schweizerische 138 und die griechisehe 139, gestatten die Wiederheirat des zurückgebliebenen Ehegatten nicht allein auf Grund der rechtskräftigen Toterklärung des verschollenen Partners (wie u. a. § 38 des deutschen KR-EheG), fordern vielmehr zusätzlich, daß die mit dem Toterklärten geschlossene Ehe zuvor durch gerichtliches Urteil aufgelöst (geschieden) worden iSt. 14O Die Frage, wer hier zu verklagen ist, wenn als Voraussetzung der Toterklärung "höchste Wahrscheinlichkeit" des Todes des Abwesenden gefordert wird, ist offensichtlich nicht gründlicher geklärt 141. Zur Rechtsstellung des gutgläubig gewesenen Gatten nach Ehenichtigerklärung, desgl. auch zu Rechtsfolgen bei beiderseitiger Gutgläubigkeit s. insbes. ferner Schmidt-Dalhoff (Fn. 129), S. 175, S. 176. (Es handelt sich insgesamt um eine m. E. vortreffliche Arbeitabgesehen von der Ansicht, die Problematik des Eigenschaftsirrtums solle total über das Ehescheidungsrecht gelöst werden; dazu s. oben Fn. 129 a. E.). Beachtliche Erwägungen finden sich ferner bei Müller-Freienfels (Fn. 91), S.98ff.; Finger (Fn. 129), S. 131f. 136 Die Äußerungen der kirchlichen Gremien liegen dem Verfasser vor. 137 Dazu s. etwa Bosch, FamRZ 1982, 874, m. w. N. 137. Vgl. die Festschrift für Paul Mikat (1989), S. 793. 138 Art. 102 schweiz. ZGB. 139 Art. 1440 griech. ZGB Ld.F. v. 1983. 140 Das schweiz. Gesetz spricht von "Auflösung", das griechische in der deutschen Übersetzung - von "Scheidung". Richtigerweise dürfte es sich nicht um Ehescheidung, sondern um eine besondere Art der Eheauflösung handeln. 3*

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Unter Ablehnung einer solchen Problemlösung bejaht der Verfasser am bezeichneten anderen Ort die Beibehaltung der gemäß § 38 KR-EheG bestehenden Möglichkeit der Wiederverheiratung des Zurückgebliebenen allein auf Grund des Umstandes, daß der abwesende Ehepartner rechtskräftig für tot erklärt ist, desgl. die seit langem im deutschen Recht vorgesehene Auflösung der Erst-Ehe durch Eingehung der Zweit-Ehe (für den seltenen Fall, daß der Verschollene noch lebt). Geprüft werden ferner die - bisher nicht näher geregelten - Wirkungen der Auflösung der Erst-Ehe für den Rückkehrer und die grundlegend änderungsbedürftigen Normen (§ 39 EheG) bezüglich der Auflösbarkeit der Zweit-Ehe.

VIII. Schlußbemerkung Der sehr unvollständige Teil-Bericht muß abgebrochen werden. In anschließender Diskussion mag er Fortsetzung und die notwendige Erweiterung finden. Zweierlei wurde wohl schon jetzt deutlich: Einmal: Das auch interdisziplinär bedeutsame Thema "Eheschließungsrecht" ist immer wieder der wissenschaftlichen Erörterung wert, wie nicht zuletzt Günther Beitzke dargetan haP42 Unser Dank dafür ist ihm gewiß. Zum anderen: Eheschließung sollte auch durch die Legislative und die Juristen wieder attraktiver gestaltet werden 143.

141 Rückfragen in Griechenland und in der Schweiz haben bisher noch keine endgültige Klärung gebracht. Die Schriften von Hans HinderUng, Das schweiz. Ehescheidungsrecht (3. Aufl. 1967, S.4), und Hans Frei, Verschollenheit als Eheauflösungsgrund nach kanonischem und schweizerischem Recht (Diss. Bern 1951, S. 99ff.), geben auf die Verfahrensfrage ebenfalls keine Antwort. - Nach einer Mitteilung meines Schülers und Kollegen W. J. Habscheid (Zürich) vertritt Max Guldener in seinem Werk über die (schweiz.) Freiwillige Gerichtsbarkeit (1954) die zutreffende Auffassung, es handele sich mangels eines präsenten Gegners um ein Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit. 142 Zu den Problemen der "fehlerhaften Ehen" insbes. in § 11 des Lehrbuchs (Fn. 22), m. w. N. und vielen zusätzlichen Anregungen. 143 Dazu s. meine mehrfach erwähnte Monographie (Fn. 56).

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Ehevereinbarungen Wirkungsweise, Bindung, Folgen Von Herbert Fenn

I. Das BGB war von Anfang an zurückhaltend mit der Formulierung dessen, was den Inhalt einer bürgerlich-rechtlichen Ehe ausmacht. § 1353 I verpflichtet die Ehegatten zur ehelichen Lebensgemeinschaft, ohne näher festzulegen, was alles zum Inhalt dieser Pflicht zählt. Trotz dieser gesetzlichen Inhalts- und Sprachlosigkeit dürfte über den Kernbereich der ehelichen Lebensgemeinschaft Einigkeit herrschen: "Treue, Achtung und Rücksichtnahme, Geschlechtsgemeinschaft, Teilnahme an den Interessen des anderen, Sorge für die gemeinschaftlichen Kinder und Sorge für Person und Vermögen des anderen Ehegatten; auch häusliche Gemeinschaft gehört zum ehelichen Leben" - so liest man es bei Beitzke 1 , und dem wird niemand widersprechen. "Über die Ausgestaltung des gemeinschaftlichen ehelichen Lebens haben beide Ehegatten gemeinschaftlich zu bestimmen; sie müssen sich darüber einigen." Auch dieser Satz steht bei Beitzke 2 , und auch dieser Satz ist richtig. Mit seiner Tragweite soll sich das Folgende beschäftigen. Dabei geht es mir in allererster Linie um Absprachen zwischen Ehegatten über ihr gemeinschaftliches Eheleben, also um die "einvernehmliche Regelung" nichtvermögensrechtlicher Angelegenheiten. Für sie wird im folgenden gefragt, wann solche Absprachen vorliegen, welche Anforderungen man also an sie zu stellen hat und wie sie ermittelt werden, ferner welche rechtliche Bedeutung den festgestellten Absprachen zukommt, insbesondere welche Bindungswirkung sie entfalten, wie man sie also wieder beseitigen kann, und schließlich, was passiert, wenn ein Ehegatte gegen getroffene Eheabsprachen verstößt. Das ist ein zugegebenermaßen entschieden zu weit gestecktes Programm. Deshalb werden im folgenden auch eher Andeutungen als fertige Lösungen geliefert werden können. Auch das in den Fußnoten nachgewiesene Material istganz knapp ausgewählt, alles andere als umfassend.

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Familienrecht, 25. Aufl. 1988, § 12 III 2 vor a. (Fn. 1), § 12 III 2 a.

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11. Über Ehevereinbarungen wird heute mehr diskutiert als früher. Noch in der letzten Bearbeitung des Familienrechts-Lehrbuchs von Enneccerus / Kipp / Wolff findet man außer dem dürren Satz, daß die Pflicht zur ehelichen Lebensgemeinschaft vertraglich nicht wegbedungen werden kann 3 , kein Wort über die Rechtswirkungen von Absprachen betreffend das gemeinsame Eheleben. Heute werden zu diesem Thema ganze Habilitationsschriften vorgelegt 4 . Das hat gute Gründe. Denn Dispositionsspielraum über das Eheleben hat früher im Grunde überhaupt nicht existiert. Heute dagegen stehen weite Bereiche für Absprachen offen, ja sie bedürfen sogar einvernehmlicher Regelung. Das Eheleitbild des BGB war ursprünglich patriarchalisch und gab dem Ehemann das alleinige Sagen. Der Grundnorm über die gegenseitige Verpflichtung der Ehegatten zur ehelichen Lebensgemeinschaft (§ 1353 I a.F.) folgte unmittelbar das Entscheidungsrecht des Mannes "in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten" (§ 1354 I a. F.) mit der Konsequenz einer "Folgepflicht" 5 der Ehefrau bis zur Grenze des Rechtsmißbrauchs (§ 135411 a.F.). Martin Wolffsieht sich im Zusammenhang mit dem Entscheidungsrecht des Ehemanns zu der Bemerkung veranlaßt, daß gemeinsame Angelegenheiten von beiden Gatten zunächst gemeinsam zu besprechen seien und erst, wenn dabei eine Einigung nicht gelinge, gebe die Stimme des Mannes den Ausschlag - so stehe es schon im Preußischen ALR (§ 18411 1), und es sei nicht anzunehmen, daß das insoweit schweigende BGB sachlich hinter das ALR "zurückgeschritten sei".6 Daß angesichts dieser zugunsten des Ehemannes getroffenen Grundentscheidung für eine Problematisierung von Absprachen zwischen Ehegatten kein Raum war, versteht sich. Selbst wenn die Ehegatten bei der von Martin Wolff propagierten gemeinsamen Besprechung zu einer Einigung gekommen waren, lag eine Bindung des Mannes mit Zukunftswirkung außerhalb der Vorstellungskraft von Familienrechtlern. Das jederzeitige Abrücken von der getroffenen Entscheidung- sei es durch Widerruf oder auch nur durch schlichte gegenteilige "Anordnung" - beherrschte die Szene.7 3 Martin Wolf! in: Enneccerus j Kipp j Wolff, Das Familienrecht, 7. Bearb. 1931, § 31 IV 4. 4 Hepting, Ehevereinbarungen, 1984; Lipp, Die eherechtlichen Pflichten und ihre Verletzung, 1988. 5 Ausdrücklich Martin Wolf! (Fn. 3), § 31 V. 6 a.a.O. mit Fn. 29. 7 Vgl. für die Fälle der Änderung einer zunächst einvernehmlich getroffenen Bestimmungdes ehelichen Wohnsitzes etwa RG, 15. 10. 1900, JW 1900, 778; RG, 7.10.1901, JW 1901, 781 (783); RG, 21. 12. 1922, LZ 1923, 395. Allgemein zur zwingenden Rechtsnatur des § 1354 I a. F. Martin Wolff(Fn. 3), § 31 V zu Fn. 27; PlanckjUnzner, BGB, 4. Aufl. 1928, § 1354 Anm. 11; StaudingerjEngelmann, BGB, 9. Aufl. 1926, § 1354 Anm. 5. Anders lediglich Jacobi, Das persönliche Eherecht, 1899, S. 66, der Vereinbarungen, soweit sie nicht unsittlich waren, für gültig und bindend hielt.

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Die Detailausgestaltung des früheren Eherechts macht diese einseitig verlaufende Struktur vom "Befehlsrecht des Mannes" zur "Gehorsamspflicht der Frau"B noch deutlicher und zeigt - insbesondere in Gegenüberstellung zum heutigen Familienrecht -, daß die klare, eindeutige, praktikable und rechtssichere Sicht der Dinge von einst gewichen ist und einem verschwommenen, definitorisch nur schwer abzusteckenden und in seinen Rechtswirkungen dunklen Dispositionsfreiraum der beiden Ehegatten Platz gemacht hat. 1. Wohnort und Wohnung bestimmte früher der Ehemann kraft seines Entscheidungsrechts "insbesondere" (§ 1354 I a.F.), und die Ehefrau "teilte" den Wohnsitz des Mannes (§ 10 I 1 a. F.). - Heute müssen die beiden Ehegatten den gemeinschaftlichen Wohnsitz bestimmen, müssen sich also darüber einigen 9 • Jeder Ehegatte kann aber auch jederzeit diesen Wohnsitz selbständig (selbst ehewidrig) aufgeben und zugunsten eines eigenen Wohnsitzes eintauschen; das kann selbst ein noch minderjähriger Ehegatte (vgl. § 8 11 n. F.).

2. Die Ehefrau erhielt früher durch Heirat schlicht den Familiennamen des Mannes (§ 1355 a. F.). - Seit dem 1. EherechtsG bestimmen beide Ehegatten einen ihrer Geburtsnamen zum gemeinsamen Familiennamen; sie müssen sich also zuvor einigen und diese Einigung gegenüber dem Standesbeamten bei der Eheschließung erklären (§ 1355 I, 11 1 n. F.). Lediglich für den Fall, daß die Ehegatten keine Bestimmung treffen, wird der Geburtsname des Mannes zum Ehenamen (§ 1355 11 2 n. F.) - letztes und verfassungsrechtlich zweifelhaftes Relikt eines früheren Automatismus mit patriarchalischer Schlagseite 10. 3. Eigene Rechte für die Ehefrau begründete allein § 1356 I a. F.: Hiernach war sie berechtigt (freilich zugleich verpflichtet), "das gemeinschaftliche Hauswesen zu leiten". Daß die Befugnisse, die ihr auf diesem Gebiet zuwuchsen, nicht gerade himmelstürmend waren, belegen freilich die einschlägigen Beispiele bei Martin Wolf.f1: Die Frau habe "z. B. für die Zubereitung der Mahlzeiten, für Wäsche und Zimmerreinigung zu sorgen". Außerdem behielt der Ehemann auch hier sein "der weiblichen Leitung übergeordnetes Entscheidungsrecht" 12 - wie das Gesetz mit der undeutlichen Wendung "unbeschadet der Vorschriften des § 1354" unterstrich. - Dieses Entscheidungsrecht des Mannes fiel zwar dem Gleichberechtigungsgesetz zum Opfer; seit 1958 führte die Frau den Haushalt "in eigener Verantwortung" (§ 1356 I 1 in der Fassung des GleichberG). Aber: den Haushalt führte sie kraft dieser gesetzlichen Eheleitbildbestimmung eben immer noch, und ihre durch das Gleichberechtigungsgesetz erstmals überhaupt Vgl. Martin Wolff(Fn. 3), § 31 V zu Fn. 28. BGH, 11. 2. 1987,LM, Nr. 26 zu § 1353 BGB = NJW 1987,1761 = FamRZ 1987, 572; Beitzke (Fn. 1), § 12 III 2 b. 10 Berechtigte verfassungsrechtliche Zweifel klingen an in BVerfG, 8.3. 1988, NJW 1988,1577 (1578) = FamRZ 1988, 587, 808 (Anm. Bosch) = JZ 1988,451 - dort freilich nur obiter dictum -; eingehend Grasmann, JZ 1988, 595ff. 11 (Fn. 3), § 31 V zu Fn. 31. 12 Martin Wolff(Fn. 3), a.a.O. nach Fn. 31. 8

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anerkannte Befugnis, erwerbstätig zu sein, wurde unter den Vorbehalt der Vereinbarkeit "mit ihren Pflichten in Ehe und Familie" gestellt (§ 1356 I 2). Erst das 1. EherechtsG hat diese Situation grundlegend verändert. § 1356 11 n. F. ordnet an, daß die Ehegatten die Haushaltführung "im gegenseitigen Einvernehmen" regeln. Das zwingt sie zu autonomer, durch kein gesetzliches Eheleitbild vorgeprägter Entscheidung mittels Einigung über die Funktionsverteilung in der Ehe. Für da,s Zustandekommen dieser Einigung gibt das Gesetz auch keine Hilfestellung ---.:. anders als etwa Art. 172 Schweizer ZG B für eheliche Angelegenheiten allgemein, wonach ein Gericht um autoritative Entscheidung angerufen werden kann.

111. Die notwendigen Absprachen über Funktionsverteilung, Wohnsitz, Namen und sonstigen (disponiblen) Eheinhalt müssen die beiden Ehegatten treffen. Das zwingt sie zur Einigung. Denn in der Zweierbeziehung entfallen Mehrheitsentscheidungen. Für die Einigung gibt es auch keinen Ersatz. Der frühere Stichentscheid des Ehemannes (§ 1354 I a. F.) war zwar noch im Referentenentwurf zum Gleichberechtigungsgesetz vorgesehen und mit abendländischer Tradition begründet worden. In der endgültigen Gesetzesfassung ist er aber zu Recht ersatzlos gestrichen. Das Gegenbild im Bereich der elterlichen Sorge ist auch eindeutig: Nach § 1628 I n. F. können die Ehegatten als Eltern, falls sie sich in einer Kindesangelegenheit "von erheblicher Bedeutung" nicht einigen, das Vormundschaftsgericht anrufen, das so dann die Entscheidung einem der Elternteile überträgt. Genau diese Möglichkeit besteht bei Streit über gemeinschaftliche Eheangelegenheiten nicht. Fehlende Einigung der Ehegatten bedeutet freilich nicht stets einen rechtsfreien Raum in der Ehe. Stellt sich nach Eheschließung heraus, daß beide Ehegatten weiterhin berufstätig sein, also nicht den Haushalt führen wollen, so gibt es zwar niemanden, der den Haushalt nach § 1356 I 2 eigenverantwortlich führt. Aus der Pflicht zur ehelichen Lebensgemeinschaft (§ 1353 12) folgt aber, daß beide Ehegatten dafür sorgen müssen, daß der Haushalt nicht verkommt. Insofern kann auch der ungeregelte Zustand eine "Regelung" sein. - Aber das hilft nicht immer weiter. Einigen sich beispielsweise die Ehegatten nicht über die Begründung eines gemeinsamen Wohnsitzes - sei es, weil beide Seiten beachtliche Gründe für die Beibehaltung ihres bisherigen Wohnsitzes haben, sei es, daß keiner der Ehegatten zum Nachgeben oder Verzicht bereit ist -, dann hat es, wie der BGH13 kürzlich in einem solchen Fall knapp und klar entschieden hat, "dabei sein Bewenden": Es existiert sodann kein gemeinschaftlicher Wohnsitz, und er läßt sich auch nicht aus § 1353 I 2 herleiten. - Entsprechendes gilt 13 11. 2. 1987, LM, Nr. 26 zu § 1353 BGB 572 (574).

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NJW 1987, 1761 (1762)

=

FamRZ 1987,

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übrigens bei der Bestimmung des Familiennamens, falls sich § 1355 11 2 für verfassungswidrig erweist 14: Einigen sich die Ehegatten nicht auf einen gemeinsamen Familiennamen, so kann ihnen weder das Gesetz noch ein außenstehender Dritter (ein Richter) Hilfestellung leisten.

IV. Ausdrückliche Abreden über die Ausgestaltung des Eheinhalts, gar solche in förmlichen Eheverträgen, dürften selten sein. Am ehesten werden sie sich dort finden, wo die Ehe bereits in der Krise und das Eheende nahe ist: nämlich in Form von Trennungsverträgen, also Vereinbarungen über die Abkehr von ehelicher Lebensgemeinschaft l5 . "Im übrigen erfolgt die Ausgestaltung des ehelichen Lebens vielfach durch faktisches übereinstimmendes Verhalten, ohne daß bei den Eheleuten ein förmliches rechtsgeschäftliches Erklärungsbewußtsein festzustellen wäre. Das eheliche Einvernehmen über die gemeinsame Lebensführung ist ein fortwährender, sich wechselnden Situationen anpassender Integrationsprozeß" - so die zutreffende und lebensnahe Beschreibung von Beitzke l6 . Aus ihr folgt zum einen, daß auch bloßes "faktisches übereinstimmendes Verhalten" der Eheleute ein "gegenseitiges Einvernehmen" im Sinne der einschlägigen Vorschriften (bes. §§ 1356 11 und 1627) enthalten kann. Zum zweiten folgt daraus, daß auch über sonstige einer einvernehmlichen Regelung zugängliche Eheinhalte auf diese Weise Absprachen getroffen werden können. Dem Gesetzgeber selbst haben - wie die Gesetzesmaterialien insbesondere zu § 1356 zeigen 17 - solche "schlicht gelebten" Ehevereinbarungen als Muster vorgeschwebt. Es fragt sich, ob man bezüglich der Bindungswirkung von Ehevereinbarungen zwischen den unterschiedlichen Arten ihres Zustandekommens unterscheiden muß. Ist also eine Bindungswirkung von ausdrücklichen Absprachen höher einzustufen als die von "schlicht gelebten" Funktionsverteilungen? Dem Arbeitsrechtler sind solche Unterscheidungsversuche aus dem Bereich der betrieblichen Übung geläufig. Länger dauerndes Arbeitgeberverhalten, das bei den Arbeitnehmern die Erwartung weckt, das Verhalten werde auch in Zukunft fortgesetzt, beeinflußt in Form von betrieblicher Übung die Arbeitsverträge und ändert sie entsprechend ab 18. Ob die Bindungswirkung freilich ebensoweit in die Zukunft reicht wie bei ausdrücklichen Vertragsabsprachen, ist zweifelhaft. Vgl. oben zu und in Fn. 10. Richtig Wacke in: MüKo, 2. Aufl. 1989, § 1353 Rn. 7. 16 (Fn. 1), § 12 III 2a. 17 Vgl. BT-Drucks. 7/650, S. 98: Tatsächliche Handhabung in der Ehe reicht aus. 18 Vgl. nur BAG, 30. 10. 1984, BAGE 47, 130 (133) = AP, Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Betriebliche Übung (Anm. Hromadka) = SAE 1986, 1 (Anm. Beitzke); BAG, 4. 9.1985, BAGE 49,290 (295f.) = AP, Nr. 22 zu § 242 BGB Betriebliche Übung = SAE 1986, 281 (Anm. Hromadka), je mit weit. Nachw. 14

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Anknüpfend an den Satz Flumes 19 , daß man nur denjenigen beim Wort nehmen kann, der es auch gegeben hat, ließe sich durchaus eine weniger weitreichende Bindung rechtfertigen, eine Bindung, die bereits durch ein einseitiges Widerrufsrecht des Arbeitgebers - freilich nur aus sachlichen Gründen - aus dem Weg geräumt werden kann. Das BAG hat in der Tat früher solche Thesen verfochten 20 • Es hat sie freilich in den letzten Jahren aufgegeben und tritt nunmehr mit Nachdruck für eine deckungsgleiche Bindung bei ausdrücklichen Vertragszusagen und bei solchen aus betrieblicher Übung ein 21 • Beitzke, der bekanntlich nicht nur Familienrecht betreibt, sondern sich auch sehr sachkundig mit dem Arbeitsrecht beschäftigt, hat dieser Entwicklung in der Rechtsprechung ausdrücklich Beifall gezollt 22 . In der Tat muß diese Sachfrage einheitlich entschieden werden. Das gilt auch im Bereich des "gegenseitigen Einvernehmens" im Eherecht. Es gibt keinen überzeugenden Grund, der es gebietet, ausdrückliche, konkludente oder bloße "schlicht praktizierte" Eheabsprachen mit unterschiedlich weitreichenden Bindungswirkungen auszustatten. Insbesondere der Umstand, daß ausdrückliche Vereinbarungen über den Eheinhalt Seltenheitswert haben, sollte kein Anlaß sein, sie aus der Masse der übrigen Absprachen herauszustreichen. Vertrauen als Basis für eine Bindung mit Zukunftswirkung können gelebte Funktionsverteilungen in der Ehe in gleichem Maße erzeugen wie ausdrückliche, schriftliche oder notariell beurkundete Verträge. Der Ehemann, der jahrelang ohne Murren den Haushalt geführt und die Kinder betreut hat, bringt seine Ehefrau mit dem plötzlichen Wunsch nach eigener Erwerbstätigkeit und nach Übernahme der Betreuungsfunktion für den Haushalt durch die Ehefrau in exakt die gleichen Planungsschwierigkeiten, unabhängig davon, ob die Rollenverteilung zuvor schriftlich festgelegt war, wie in dem Fall, in dem sie schlicht jahrelang so praktiziert wurde. - Und der studierende Ehemann, dessen Ehefrau absprachegemäß beruflich, haushaltführend und kinderbetreuend tätig ist, wird in seiner Studienplanung durch Änderungswünsche der Frau gewiß nicht weniger in dem Fall betroffen, in dem ein Schriftstück über die Funktionsverteilung existiert, wie in dem Fall, in dem sich diese Funktionsverteilung aus der Lebensplanung eben gerade so ergeben hat 23 . Allgemeiner Teil II: Das Rechtsgeschäft, 3. Aufl. 1979, § 10, 5 (S. 132). Vgl. vor allem BAG, 23. 4.1963, BAGE 14, 174ff. = AP, Nr. 26 zu § 611 BGB Gratifikation (Anm. Isele) = SAE 1963,210 (Anm. Brox). 21 Ausdrücklich gegen die Fn. 20 zit. Entscheidung BAG, 4.9. 1985, BA GE 49,290 (296) = AP, Nr. 22 zu § 242 BGB Betriebliche Übung = SAE 1986, 281 (Anm. Hromadka); zuletzt BAG, 10.8. 1988, NZA 1989, 57. 22 Anm. SAE 1986, 3 (4). 23 Vgl. zur letzteren Konstellation die interessante Entscheidung des BGH, 22. 2.1982, NJW 1983, 814 = FamRZ 1983, 140. Dort hatte der Ehemann (Verwaltungsbeamter) nach Absprache mit der Ehefrau seinen Beruf aufgegeben und Jura studiert. Die Frau (Sekretärin) sollte weiterarbeiten und in der Zwischenzeit die Familie ernähren. Als die 19

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v. Die spannendste Frage klang bereits an: die nach der Tragweite der Bindung von getroffenen Ehevereinbarungen nämlich. Anders gewendet: unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Mitteln kommt man von getroffenen Absprachen über den Eheinhalt wieder los? Die literarische Diskussion dieser Frage nimmt breiten Raum ein. Rechtsprechungsmaterial fällt freilich nur spärlich an. In der Diskussion wird häufig der Fall der Funktionsverteilung in der Ehe, also der Regelungsgegenstand des § 1356 I zum Ausgangspunkt gewählt. Sonstige Absprachen über disponible Eheinhalte müssen aber nach dem gleichen Lösungsraster entschieden werden. Trotz des gewaltigen literarischen Aufwandes, der zu dieser Frage betrieben wird, sind die erarbeiteten Ergebnisse mager und merkwürdig undeutlich. 1. Am weitesten gehen diejenigen in der Annahme einer Bindungswirkung, die Ehevereinbarungen als Verträge einstufen und damit den schuldrechtliche Verträge beherrschenden Grundsatz "pacta sunt servanda" auch in das Eherecht übernehmen 24. Gernhuber verficht diese Idee jedenfalls insoweit, als es um Grundentscheidungen der Ehegatten geht, die ihre Ehe "modellieren" und damit Rahmenentscheidungen für künftiges Verhalten schaffen 25 . Bei dieser Sicht der Dinge liegt es nicht fern, die Bindungswirkung von Eheabsprachen weil sie in die Zukunft weisen und auf Dauer angelegt sind - an Dauerschuldverhältnissen auszurichten. Das läuft darauf hinaus, daß eine einseitige Lösung von Ehevereinbarungen nur in Form einer Kündigung aus wichtigem Grund, also lediglich unter der Voraussetzung möglich wird, daß die Fortsetzung des ehelichen Lebens im bisherigen (vereinbarten) Rahmen unzumutbar erscheint und daß zudem die Kündigung nicht zur Unzeit geschieht (ausgerichtet an den Voraussetzungen der §§ 626 I, 723 I BGB)26. Paradigma einer hiernach zulässigen einseitigen Auflösung ist der Fall, daß die Ehegatten für einige Jahre eine Doppelverdienerehe verabredet haben und sich bei der-Frau unerwartet eine Geburt ankündigt.

Frau ein zweites Kind bekam, klagte sie - erfolgreich - auf Sozialhilfe. Der Rückgriff der Stadtgemeinde gegen den Ehemann wegen der gezahlten Sozialhilfe blieb erfolglos. Der BGH stufte die einvernehmlich getroffene Aufgabenverteilung als rechtlich zulässig ein. Auch die Lebensstellung (§ 1610 I) und damit die Unterhaltsansprüche der Kinder wurden hiervon erfaßt; auch die Kinder mußten sich "die Vereinbarung innerhalb der Schicksalsgemeinschaft Familie entgegenhalten lassen". Der Abbruch des Studiums wurde als unzumutbar, weil unwirtschaftlich und unvernünftig eingestuft. Frau und Kinder hatten also keine (überleitbaren) Unterhaltsansprüche gegen den Ehemann! 24 Gernhuber, FamRZ 1979,193 (200); Reinhart, JZ 1983, 184 (191), dort weit. Nachw.; auch Diederichsen, NJW 1977, 217 (219). 2S FamRZ 1979, 196 und 198. 26 So Gernhuber, FamRZ 1979, 200; unter Rückgriff auf die Regeln der BGBGesellschaft ähnlich Reinhart, JZ 1983, 191.

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Das Kündigungsrecht aus wichtigem Grund paßt zwar insofern in das vorgegebene Raster, als es lediglich die getroffene Abrede beseitigt. Damit fällt die Ehe in den früheren ungeregelten Zustand zurück, und beide Ehegatten sind gezwungen, nunmehr eine eigenständige und autonome Regelung vorzunehmen. - Es fragt sich indessen, ob mit einer Bindung der Eheleute an ihr "gegenseitiges Einvernehmen" der ins Auge gefaßte Vorgang sinnvoll erfaßt und sachgerecht geregelt wird. Seine Besonderheit liegt schließlich allein darin, daß Eheleute durch Einvernehmen ihre eheliche Lebensgemeinschaft verwirklichen. Wird wirklich der Tatbestand des Vertrages und damit vertragliche Bindung diesem Lebenssachverhalt gerecht? Läßt sich eheliches Leben in der Tat sinnvoll durch rechtsgeschäftlich begründete Verpflichtungen erfassen? Dagegen sprechen sowohl theoretische wie praktische Gründe. Im Regelfall von schlicht gelebtem "gegenseitigem Einvernehmen" über Eheinhalte fehltwie schon Beitzke 27 richtig unterstrichen hat - das "förmliche rechtsgeschäftliche Erklärungsbewußtsein" . Rechtsgeschäft ist ein Akt privatautonomer schöpferischer Rechtsgestaltung durch Parteiwillen, d. h. ein Handeln, "gerichtet auf die Hervorbringung eines rechtlichen Erfolges, der nach der Rechtsordnung deswegen eintritt, weil er gewollt ist"28. Genau daran fehlt es bei dem Tatbestand, der allein dazu dient, die eheliche Lebensgemeinschaft zu verwirklichen. Gernhuber hat schon früher den vom BGH erfundenen sog. stillschweigenden Ehegatten-Innengesellschaften entgegengehalten, daß Ehegatten im allgemeinen nicht in Form von Willenserklärungen miteinander zu verkehren pflegen 28>. Er hat genau diesen Satz auch für das "gegenseitige Einvernehmen" des neuen Eherechts als richtig aufrechterhalten 29 . Dem ist beizupflichten; der Satz trifft um so eher zu auf Vereinbarungen zwischen Ehegatten, die nicht ihre vermögensrechtlichen Beziehungen zueinander regeln, sondern die allein die Ausformung ihres ehelichen Zusammenlebens zum Gegenstand haben 30 • Auch praktische Bedenken weisen in die gleiche Richtung. In jeder Dauerbeziehung, noch dazu in einer auf Lebenszeit konzipierten (§ 1353 I 1), kann sich sowohl die objektive Situation verändern, auf die die Einigung der Ehegatten bezogen ist, als auch die subjektive Einstellung der Ehegatten hierzu: Was in jungen Jahren spontan in einem bestimmten Sinn entschieden und bejaht wurde, kann später zu einer unerträglichen Last werden, auch ohne daß die Voraussetzungen für eine Kündigung aus wichtigem Grund vorzuliegen brauchen 31 • Der Gesetzgeber selbst, der sich kaum Gedanken über die Rechtsnatur des ehelichen (Fn. 1), § 12 III 2a; vgl. ausführlich das Zit. oben bei Fn. 16. So die bekannte Formulierung der Verfasser des ersten Entwurfs des BGB (Mot. I, S. 126 = Mugdan I, S.421). 28. FamRZ 1958, 243ff.; im gleichen Sinn Fenn, FamRZ 1968, 291 ff. 29 "Der alte Satz, daß Ehegatten nicht in Willenserklärungen miteinander verkehren, bleibt richtig" (so Gernhuber, FamRZ 1979,193 [201]). Vgl. auch Hepting (Fn. 4), S. 120; Lipp (Fn. 4), S. 86 Fn. 100. 30 Zutr. Lipp (Fn. 4), S. 99. 31 Ramm, Familienrecht I: Recht der Ehe, 1984, § 14 II 4a. 27

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Einvernehmens gemacht hat, wollte nicht einer starren rechtsgeschäftlichen Bindung an getroffene Funktionsabsprachen das Wort reden. Einmal im "gegenseitigen Einvernehmen" getroffene Regelungen über die Haushaltführung - so liest man in der gesetzlichen Begründung zu § 1356 32 - seien nicht unabänderlich, sondern müßten bei einer Änderung der Verhältnisse den neuen Anforderungen der ehelichen Lebensgemeinschaft angepaßt werden. Dieses Prinzip beherrscht in der Tat weitaus mehr die Szene als der Satz "pacta sunt servanda". 2. Andere ziehen die Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage heran 33 - eine Lösung, die der BGH jedenfalls bei vermögensrechtlichen Vertragsabsprachen zwischen Ehegatten eindeutig favorisiert 34 •

Die Umschreibung der Tatbestandsvoraussetzungen für einen Wegfall der Geschäftsgrundlage - gemeinsame Vorstellungen der Ehegatten, auf denen ihr Geschäftswille beruht, müßten sich so verändern, daß Treu und Glauben (§ 242 BGB) es verbieten, an der Abrede weiterhin festzuhalten 35 -, läßt schon Zweifel aufkommen, ob diese Definition in ihrem materiellen Kern nicht nahe, allzu nahe bei einer Kündigung aus wichtigem Grund eingeordnet werden muß und bereits von daher den oben zu 1. ausgebreiteten Bedenken ausgesetzt ist. Das mag aber hier offenbleiben. - Denn jedenfalls ist die beim Wegfall der Geschäftsgrundlage normalerweise greifende Rechtsfolge bei Ehevereinbarungen ganz unpassend. Denn "die Anwendung der Grundsätze über den Geschäftsgrundlagen-Wegfall führt nur ausnahmsweise zur völligen Beseitigung des Vertragsverhältnisses; in aller Regel ist der Vertrag nach Möglichkeit aufrechtzuerhalten und lediglich in einer den berechtigten Interessen beider Parteien Rechnung tragenden Form der veränderten Sachlage anzupassen."36 BT-Drucks. 7/650, S. 97. Brühl, FamRZ 1982, 649 (650); Rolland, 1. EheRG (Kommentar), 2. Aufl. 1982, § 1353 Rn. 36. Für den Fall einer einvernehmlichen Wohnsitzbestimmung auch BGH, 11. 2. 1987, LM, Nr. 26 zu § 1353 BGB = NJW 1987, 1761 (1762) = FamRZ 1987, 572 (574): "Nachdem sich herausstellte, daß (der Ehemann nicht in absehbarer Zeit in den Justizdienst des Landes Y überwechseln konnte), entfiel eine wesentliche Voraussetzung für die getroffene Wohnsitzwahl mit der Folge, daß keine Partei die andere an der früheren Regelung noch festhalten durfte ... Entfällt die bindende Wirkung einer einvernehmlich geplanten Wohnsitzbegründung infolge einer wesentlichen Änderung der dafor maßgebenden Umstände, müssen sich beide Ehegatten weiterhin im gegenseitigen Einvernehmen um eine Lösung der (wieder offenen) Wohnsitzfrage bemühen". 34 Vgl. nur BGH, 22.11. 1981, BGHZ 82, 227 = NJW 1982, 1093 = FamRZ 1982,246; BGH, 22. 4.1982, FamRZ 1982, 778; BGH, 8. 7. 1982, BGHZ 84, 361 (365) = NJW 1982, 2236 = FamRZ 1982, 910; BGH, 15.2. 1989, NJW 1989, 1986 (1987); zuletzt die beiden Urteile des BGH vom 5.4. 1989,FamRZ 1989, 834 (835) und 835 (836). 35 Zur allgemein üblichen Definition der Geschäftsgrundlage vgl. statt weiterer BGH, 14.7.1953, LM, Nr. 18 zu§ 242 (Bb) BGB = NJW 1953, 1585 = JZ 1953, 735; BGH, 8.2. 1984, NJW 1984, 1746 (1747). 36 BGH, 8.2. 1984, NJW 1984, 1746 (1747), mit weit. Nachw.; vgl. auch die Zuwendungen unter Ehegatten betreffende Entscheidung des BGH, 5.4. 1989, FamRZ 1989, 834 (835). 32 33

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Genau diese durchweg propagierte Rechtsfolge beim Wegfall der Geschäftsgrundlage führt aber bei Ehevereinbarungen in die Irre. Genau diese richterliche Vertragshilfe sieht das Eherecht nämlich nicht vor. Seine Entscheidung gegen Vertragshilfe und für autonome Regelung allein durch die Ehegatten selbst in Form von "gegenseitigem Einvernehmen" ist auch sachgerecht (vgl. schon oben 11. a. E. und 111.). Denn wenn es nicht mehr in der Kraft der Ehegatten steht, den notwendigen Inhalt ihrer Ehe durch autonome Absprachen zu ordnen, dann ist ihre Ehe eben gescheitert. Der Weg zum Scheidungsrichter liegt dann näher als der Gang zum Familienrichter mit dem durchweg untauglichen Versuch, durch eine autoritative Entscheidung in eine solche "Ehe" hineinzuregieren. 3. Was übrig bleibt, sind diejenigen, die einer rechtlichen Bindung für die Zukunft skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen 37 . Ihnen ist in der Tat Beifall zu spenden. Denn jede Zukunftsbindung für Ehegatten führt notwendigerweise in eine richterliche Kontrolle der Ehevereinbarungen, und genau diese wollte der Gesetzgeber nicht, und genau diese wäre auch nicht sachgerecht.

Das bedeutet freilich nicht, daß jeder Ehegatte jederzeit und ohne Aufklärung über die Gründe von getroffenen oder gelebten Eheabsprachen abrücken könnte. "Kein Partner ist gehindert, sich aus einer gemeinsam gewählten Gestaltungsweise der Lebensgemeinschaft zurückzuziehen, aber er ist gehalten, die rechtlich geschützten Interessen seines Partners zu achten. Diese Verpflichtung knüpft mit § 1353 I am Rechtsbegriff der Ehe ... an. Sie erhellt aus dem Status der Ehegatten, nicht aus rechtsgeschäftlichem Willen. "38 Die Generalklausel von der Pflicht zur ehelichen Lebensgemeinschaft enthält genug materiellen Gehalt, um gegenseitige Pflichten zur Rücksichtnahme, zur verständnisvollen Erörterung der Gründe mit dem anderen, gegen Änderungsverlangen zur Unzeit und für ausreichende Gelegenheit zu schadensgeringhaltenden Umdispositionen zu gewähren. Diese Prinzipien von gegenseitiger Verantwortung, Toleranz und Rücksichtnahme vereinigen sich in einem Abwägungskonzept mit verschiedenen Variablen, bei dem je nach den Umständen des Einzelfalles auch der gemachte finanzielle Aufwand und das Stadium der Umsetzung der Planung zu berücksichtigen sind. Nur: Zukunfts bindung im Sinn von "pacta sunt servanda" vermögen diese Umstände nicht zu erzeugen.

VI. Verstöße gegen abgesprochene Eheinhalte sind freilich trotz fehlender Zukunftsbindung denkbar, so etwa, wenn ein Ehegatte willkürlich oder gar heimlich von einer getroffenen Regelung abweicht. Der vom BGH39 für eine 37 Jauernig / Schlechtriem, BGB, 4. Aufl. 1987, § 1356 Anm. 2a; Lipp (Fn.4), S.99; Ramm (Fn. 31), § 14 II 4b; Wacke in: MüKo (Fn.15), § 1353 Rn. 7 und 8, alle mit Nachw.; ebenso schon E. Wolf, NJW 1968, 1496 (1498). 38 Zutr. Lipp, (Fn. 4), S. 99.

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nichteheliche Lebensgemeinschaft entschiedene Fall, daß die Partnerin entgegen einer getroffenen Abrede heimlich die Pille absetzt und ein Kind zur Welt kommt, ist natürlich in gleicher Weise in der Ehe vorstellbar. Hierin läge unterstellt, die Abrede über die Kinderlosigkeit sei zulässig 40 - gewiß ein Verstoß gegen die Pflicht zur ehelichen Lebensgemeinschaft (§ 1353 I 2). Sinnvolle Rechtsfolgen an solche Verstöße anzuknüpfen fällt aber schwer. Die mögliche Herstellungsklage ist im speziellen Fall sinnlos, wenn die Frau durch das Absetzen der Pille bereits schwanger geworden ist. Generell haben Herstellungsurteile nur Appellfunktion. Sie sind nämlich nicht vollstreckbar (§ 888 11 ZPO), weshalb ihnen nur geringe praktische Bedeutung zukommt.41 Was bleibt, ist allein die Frage nach möglichen Schadensersatzansprüchen.42 Über sie ist mit der obigen Stellungnahme gegen eine Bindungswirkung von Eheabsprachen gleichfalls bereits Stellung bezogen. Verstöße gegen Ehevereinbarungen können nicht als schuldrechtliche Leistungsstörungen in Schadensersatzansprüche umgemünzt werden. Wen keine Zukunfts bindungen , sondern nur Rücksichts-, Aufklärungs- und Toleranzpflichten treffen, der bleibt bei Verstößen sanktionsfrei 43 . Auch Vertragsstrafenversprechen zur Sicherung von "einvernehmlichen Regelungen" begegnen deshalb Bedenken; ihre Wirksamkeit scheitert nach überwiegender Ansicht an § 1381 44 • Was erwogen werden kann, ist allenfalls ein Anspruch auf Ersatz von Vertrauensschaden; wenn das Vertrauen auf getroffene Absprachen oder auf schlicht gelebte Eheleitbilder alleinige Basis für eine Bindung darstellt, so ist die Zuerkennung von Vertrauensschaden bei enttäuschtem Vertrauen nur konsequent 45 . - Im übrigen haftet jeder Ehegatte dem anderen wie jedermann nach allgemeinem Deliktsrecht 46 . Deshalb kann im angeführten Beispielsfall wohl der "betrogene" Mann 39 17.4.1986, BGHZ 97, 372ff. = NJW 1986, 2043 = JZ 1986, 1008 (lesenswerte Anm. Ramm) = FamRZ 1986, 77. 40 Die Frage ist streitig. Abreden über Kinderlosigkeit halten für zulässig: Gernhuber, Familienrecht, 3. Aufl. 1980, § 18 V 7; Henrich, Familienrecht, 3. Aufl. 1980, § 3 II; Streck, Generalklausel und unbestimmter Begriff im Recht der allgemeinen Ehewirkungen, 1970, S. 87 ff.; Wacke in: MüKo (Fn. 15), § 1353 Rn. 31; Wiethölter, Rechtswissenschaft, 1968, S. 210. Für Unzulässigkeit dagegen BGH, 17.4. 1986, BGHZ 97, 372 (379) = NJW 1986, 2043 = JZ 1986,1008 (Anm. Ramm) = FamRZ 1986, 773, und die wohl immer noch h. M. im Schrifttum; vgl. etwa Hepting (Fn. 4), S. 211 ff.; Soergelj Lange, BGB, 12. Aufl. 1989, § 1353 Rn. 11. 41 Vgl. nur Beitzke (Fn. 1), § 12 III 3; Wacke in: MüKo (Fn. 15), § 1353 Rn. 43. 42 Bejahend (wegen Vertragsbruchs) Diederichsen. NJW 1977, 219. 43 Hepting (Fn. 4), S. 215. 44 Wacke: in MüKo (Fn. 15), § 1553 Rn. 4. Differenzierend, im Ergebnis aber gleichfalls zurückhaltend Hepting (Fn. 4), S. 113ff. Vgl. auch die Wertung des § 1297 II sowie OLG Hamm, 24.3. 1987, NJW 1988, 2474 = JZ 1988, 249 (Anm. Finger): Vertraglich festgelegte Abfindung für den Fall des Scheiterns einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft verstößt gegen die guten Sitten. 45 Vgl. Wacke in: MüKo (Fn. 15), § 1353 Rn. 9. 46 Vgl. Fehn, JuS 1988, 602 (605); Ramm, Anm. JZ 1986, 1011 (1012).

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durchaus wegen seiner Unterhaltspflichten gegenüber dem Kind sich bei der Frau über § 826 schadlos halten 47 . Ersatzansprüche vertraglicher oder vertragsähnlicher Natur wegen Verstoßes gegen eine Ehevereinbarung stehen ihm aber nicht zu.

VII. Am Schluß sei auf meine Eingangsbemerkung (oben 11. vor 1.) zurückverwiesen: Im Patriarchat waren die hier aufgeworfenen Fragen einfach und klar zu beantworten: Dem Mann fiel stets das Letztentscheidungsrecht zu; die Rechtslage war eindeutig und rechtssicher. Man wußte stets, woran man war. - In der Ehe zweier gleichberechtigter Partner hingegen ist die Bestimmung des Eheinhalts schwierig, sind die Rechtswirkungen von Absprachen hierüber nur schwer zu fassen, ist der Dispositionsfreiraum nur verschwommen zu definieren. Man weiß nie so genau, woran man ist. Aber - und hier spreche ich aus langjähriger Erfahrung in einer von mir als glücklich eingeschätzten Ehe - so schwierig ist nun einmal das Leben in einer gleichberechtigten Ehe.

47 Richtig Ramm, a.a.O. (Fn. 46); zust. Wacke in: MüKo (Fn. 15), § 1353 Rn. 31. Anders freilich BGH, 17.4.1986, BGHZ 97,372 = NJW 1986, 2043 = JZ 1986, 1008 = FamRZ 1986, 773.

Ehegewinn und eheneutraler Erwerb Eine Grundsatzfrage des gesetzlichen Güterrechts Von Robert Battes

A. Die wachsende Bedeutung des Problems im In- und Ausland Beginnend mit der Lottogewinnentscheidung von Ende 1977 1 hat der BGH in den letzten Jahren mehrfach zu der Frage Stellung genommen, ob es außerhalb des § 1374 11 BGB Fälle geben kann, in denen ein Vermögenserwerb während der Ehe dem Zugewinnausgleich nicht unterliegen sollte 2 • Wie die Stellungnahmen führender Familienrechtler 3 zeigen, geht es hier um eine Grundsatzfrage, die man folgendermaßen umschreiben könnte: Läßt sich das Prinzip der Verteilung des "Ehegewinns" derart in Vorschriften fassen, daß deren Tatbestandsmerkmale sowohl exakt formuliert als auch in der Praxis leicht zu handhaben sind, und stellt das Prinzip überhaupt eine für die Mehrzahl der Ehen brauchbare Basis des Vermögensausgleichs dar? Das Problem stellt sich auch in Rechtsordnungen zahlreicher anderer Staaten, da sich die unserem Gleichberechtigungsgesetz zugrundeliegenden güterrechtlichen Prinzipien in den letzten Jahrzehnten weltweit mehr und mehr durchgesetzt haben. So ist die reine Gütertrennung vielerorts durch Regelungen abgelöst worden, die eine Beteiligung jedes Ehegatten am Ehegewinn zum Ziel haben: Italien hat eine besondere Form der Errungenschaftsgemeinschaft eingeführt 4 ; Griechenland ist von der Gütertrennung zu einer abgeschwächten Art der Zugewinngemeinschaft übergegangen 5. Gesetzlicher Güterstand der Schweiz ist seit 1988 die "Errungenschaftsbeteiligung", die in den Grundzügen mit der Zugewinngemeinschaft des BGB verwandt ist 6 • FamRZ 1977, 124. S. etwa BGHZ 80, 384 = FamRZ 1981, 755; BGHZ 82, 145 = FamRZ 1982, 148 (Schmerzensgeld); BGHZ 61, 385 = FamRZ 1974, 83 (Wertsteigerungen); weitere Nachweise unten. 3 D. Schwab, FamRZ 1984, 429-436 und 525-534; Gernhuber, FamRZ 1984, 10531062. 4 Artt. 177ff. Codice civile i.d.F. vom 19. 5. 1975. 5 Artt. 1397, 1400ff. ZGB i.d.F. vom 18. 2.1982. 6 Artt. 18Hf. ZGB i.d.F. vom 5. 10. 1984, s. insbesondere Artt. 201 (getrennte Zuordnung und Verwaltung) und 210 Abs. 1, 215 Abs. 1 (Verteilung des Ehegewinns). Zu Österreich vgI. Bosch, FamRZ 1988, Hf., insbes. S. 5,6. 1

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Auch in England 7 und SchottlandS ist die Notwendigkeit gesehen worden, das System der reinen Gütertrennung zu modifizieren; allerdings kommt es hier nach wie vor im Scheidungsfall keineswegs schlechthin zur Verteilung aller Vermögensvermehrungen, die ein Ehegatte während der Ehe erzielt hat. In den USA hat die Errungenschaftsgemeinschaft unter dem Namen "Community Property" in einigen Staaten bereits eine lange Tradition 9 ; diese geht überwiegend auf spanischen, in Louisiana auf französischen Einfluß zurück 10. Die übrigen Staaten, üblicherweise unter dem Namen "Common-Law-Staaten" zusammengefaßt, hatten lange als gesetzlichen Güterstand die Gütertrennung 11 • In dem vom American Law Institute erarbeiteten Entwurf zu einem allgemeinen Scheidungsgesetz ist eine Art Zugewinnausgleich vorgesehen; der Vorschlag wurde, wenn auch mit Abwandlungen, in einem neueren Gesetz des Staates Illinois übernommen 12. In Canada ist der Staat Ontario zu einer Regelung übergegangen, die die Verteilung des Ehegewinns vorsieht 13 . Schließlich darf nicht vergessen werden, daß das Prinzip der Verteilung des Ehegewinns auf eine lange, schon im frühen Mittelalter beginnende Tradition zurückblicken kann 14 • Spanien 15 und eine große Anzahl lateinamerikanischer Länder 16 haben bisher keinen Anlaß gesehen, von dieser Tradition abzugehen. Nach dem 11. Weltkrieg haben alle sozialistischen Staaten Europas die Errungenschaftsgemeinschaft eingeführt 17 . Gesetzlicher Güterstand in Frankreich war lange Zeit die Fahrnis- und Errungenschaftsgemeinschaft 1s ; wenn die Reform der 60er Jahre das GesamtS. dazu Bromley j Lowe, Bromley's Family Law, 7th ed. 1987, S. 502ff. Family Law (Scotland) Act 1985; s. dazu Sutherlandin (26) J. Farn. L. (1987) 175-186 (179f.) (lnt. Society on Family Law, Annual Survey 1986, Vol. 10). 9 Zum Güterrecht in den USA s. Bondzio, Zum internationalen Ehegüter- und Erbrecht der Vereinigten Staaten von Amerika 1964, S. 5 - 52 (in Einzelheiten durch die neuere Gesetzgebung überholt); Bürsch, Unterhalt und Vermögensteilung nach Scheidung, Bonner Diss. 1980; RheinsteinjGlendon, Interspousal Relations, Vol. IV chap. 4 der International Encyclopedia of Comparative Law 1980, S. 68ff. und 194ff. 10 S. dazu de Funiakj Vaughn, Principles ofCommunity Property 2nd ed. 1971 S. 44f., und Rheinstein j Glendon (Fn. 9), S. 68 ff.; Bondzio (Fn. 9), S. 32 ff. 11 S. auch dazu Bondzio (Fn. 9), S. 5ff., u. Rheinsteinj Glendon (Fn. 9) S. 134ff.; Krause, Family Law, 2nd ed. 1983, S. 553ff. 12 Zum UM DA (Uniform Marriage and Divorce Act) s. Krause (Fn. 11), S. 564ff.; Rheinstein j Glendon (Fn. 9), S. 138 f.; zu IIIinois s. IIIinois Marriage and Dissolution of Marriage Act (IMDMA), in Kraft seit dem 1. 10. 1977, abgedr. in Smith-Hurd, IIIinois Annotated Statutes eh. 40, §§ 101- 802. 13 Family Law Act 1986 (Statutes of Ontario, chap. 4), s. 5 (1). 14 Die Errungenschaftsgemeinschaft wird auf den Westgotischen Fuero Juzgo von 693 zurückgeführt; Text abgedruckt bei de Funiakj Vaughn (Fn. 10). IS Artt. 1361ff. C6digo civil i. d. F. von 1981. 16 Überblick bei Rheinstein j Glendon (Fn. 9), S. 61. 17 Für die DDR s. §§ 13ff. und 39ff. FGB; im übrigen RheinsteinjGlendon (Fn. 9), S.73ff. 7

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gut nunmehr auf die Errungenschaft beschränkt 19 , so zeigt dies, daß man auch in Frankreich die Verteilung des Ehegewinns als brauchbares Prinzip für den Vermögensausgleich ansieht. Auch in Staaten, die an der Tradition der allgemeinen Güterg~meinschaft festhalten, zeigen sich Tendenzen, am Ende der Ehe unter gewissen Voraussetzungen nur das während der Ehe Hinzuerworbene zu verteilen: Die Niederlande und die skandinavischen Staaten halten zwar grundsätzlich an der Verteilung des gesamten beiderseits vorhandenen Vermögens ohne Rücksicht auf Zeit und Grund des Erwerbs fest 20 . Norwegen 21 und Schweden 22 kennen inzwischen Ausnahmen. Die Niederlande haben die Zugewinngemeinschaft als Wahlgüterstand eingeführt 23 . Auch das für unsere Zugewinn-"Gemeinschaft"24 geltende Prinzip der getrennten Zuordnung und Verwaltung des beiderseitigen Vermögens während der Ehe bestimmt in den letzten Jahrzehnten die Reformgesetze vieler Staaten, in denen bisher aus dem während der Ehe Erworbenen ein Gesamtgut zu bilden war 25 , wie beim Wahlgüterstand der Errungenschaftsgemeinschaft in der bis 1958 geltenden Fassung des BGB26. Das Prinzip der getrennten Verwaltung und Verfügungsbefugnis gilt z. B. in dem Community-Property-Staat Texas 27 sowie in Argentinien 28 . In Frankreich wurde 1965 ein Wahlgüterstand eingeführt, der in vielem unserer Zugewinngemeinschaft ähnelt, ohne allerdings dem Gleichberechtigungsgesetz in allem zu folgen 29 . Überall dort aber, wo die Verteilung des Ehegewinns vorgesehen ist, muß notwendigerweise auch die Abgrenzung zu einem etwaigen "eheneutralen Erwerb" zum Problem werden. Deshalb kann der Vergleich hier zur Klärung beitragen.

Artt. 1400ff. Code Civil in der bis zum 1. 2. 1966 geltenden Fassung. Artt. 1400ff. Code Civil Ld.F. vom 13. 7. 1965. 20 Niederlande: BW Boek 1, artt. 93 ff., heutige Fassung in Kraft seit dem 1. 1. 1970; zu den skandinavischen Staaten s. den Überblick bei Rheinstein/Glendon (Fn. 9), S. 100ff. 21 Lov om Ektefellers formuesforhold (Gesetz über die Vermögensverhältnisse der Ehegatten) in der seit dem 25.5.1973 geltenden Fassung, § 37 11; s. dazu Schmidt-Horix, Das eheliche Güterrecht in Deutschland und Norwegen, Diss. Münster 1981. 22 Äktenskapsbalken (Ehegesetz) in der seit dem 1. 1. 1988 geltenden Fassung, 12:1:1. 23 BW Boek 1, artt. 132ff. 24 Kritisch zu dieser Bezeichnung u. a. Beitzke, Familienrecht, 25. Aufl. 1988, S. 107; anders urteilt Bosch, FamRZ 1958, 289-298 (294, 296). 25 Dazu sogleich unten bei Fn. 27 ff. 26 §§ 1519ff. BGB in der bis zum 30. 6. 1958 geltenden Fassung. 27 Family Code § 5.22 (a), abgedruckt in Vernon's Texas Statutes, 1970 Supplement S. 1695. 28 Art. 1276 I C6digo civil in der seit dem 1. 7. 1968 geltenden Fassung. 29 "Participation aux acquets": Artt. 1569ff. Code civil i.d.F. vom 13.7. 1965. 18

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B. Ratio und technische Ausgestaltung der Verteilungsregeln I. Rechtstechnische Modelle

Wenn man am Ende der Ehe nur den "Ehegewinn" verteilen will, muß man das zu Beginn des Güterstandes vorhandene Vermögen aus der Verteilung heraushalten. Dem zu Beginn vorhandenen wird regelmäßig zudem noch alles Vermögen hinzugerechnet, das ein Ehegatte während der Ehe durch Schenkung oder von Todes wegen erworben hat 30 . Technisch gibt es dazu verschiedene Wege: Bei uns wird der Ausgleich durch einen schuldrechtlichen Anspruch herbeigeführt, der sich nach dem Wertzuwachs der beiderseitigen Vermögen bestimmt 31 • Der Zugewinn ist dadurch zu ermitteln, daß das "Anfangsvermögen" vom "Endvermögen" abgezogen wird 32 . Je größer das Anfangsvermögen, desto geringer ist demgemäß der Zugewinn. Auf der Grundlage dieses Berechnungsverfahrens hält das BGB Gegenstände dadurch aus der Verteilung heraus, daß es deren Zurechnung zum Anfangsvermögen anordnet 33 . Rechte, nach denen ein Gesamtgut gebildet wird, können die Frage durch eine Zuordnungsregellösen: Was nicht in die Verteilung einbezogen werden soll, fällt auch nicht in das Gesamtgut 34 . Getrennte Zuordnung und Verwaltung des beiderseitigen Vermögens muß jedoch nicht notwendig dazu führen, den Ausgleich wie bei uns auf einen Wertvergleich zu gründen: Das neue gesetzliche Güterrecht der Schweiz zeigt vielmehr beispielhaft 35 , daß auch hier zum Zweck des Ausgleichs eine konkret umschriebene Verteilungsmasse gebildet werden kann, aus der dann von vornherein alle Gegenstände ausscheiden, die zu Beginn des Güterstands schon vorhanden waren oder durch Schenkung und von Todes wegen hinzugekommen sind.

30 Zu Spanien s. Artt. 1346 ff. C6digo civil; zur Community Property in den USA s. Bondzio (Fn.9), S. 36f.; insbesondere zu Texas s. § 5.01 (a) (2) Family Code; zum französischen Recht Art. 1405 Code civil; zum schweizerischen Recht Art. 198 Nr. 2 ZGB; zum Recht der DDR § 13 II FGB. 31 S. §§ 1378 I, 1373, 1376 I und 11 BGB. 32 §§ 1378 I, 1373 BGB. 33 § 1374 II BGB. 34 Gegenstand der Teilung sind z. B. nach italienischem Recht nur die in die "comunione" fallenden Gegenstände: artt. 194 Abs .. 1, 177 Codice civile. 35 Artt. 197, 198 ZGB unterscheiden gegenständlich zwischen "Eigengut" und "Errungenschaft"; der gemäß Art. 215 Abs. 1 zu verteilende "Vorschlag" wird nur aus dem Gesamtwert der "Errungenschaft" errechnet: Art. 210 Abs. 1.

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11. Zur Ratio der Verteilungsregeln 1. Der Meinungsstand in der Bundesrepublik Deutschland

Der BGH hat es wiederholt abgelehnt, in der Ehe erworbenes Vermögen über die in § 1374 II BGB geregelten Fälle hinaus dem Zugewinnausgleich zu entziehen. Vielmehr sollen dem Zugewinn nicht nur im Lotto gewonnenes Ge1d 36 und der Anspruch auf Schmerzensgeld 37 , sondern auch Wertsteigerungen solcher Gegenstände zuzurechnen sein, die im Anfangsvermögen zu berücksichtigen sind; dabei werden nur inflations bedingte Steigerungen des Nominalwertes herausgerechnet 38 . Gegen einen Teil dieser Entscheidungen hat D. Schwab eingewendet, daß der im Streit befindliche Vermögenszuwachs weder unmittelbar noch mittelbar auf der gemeinsamen Lebensleistung der Ehegatten beruhen könne 39 • Deshalb sei der Vermögenszuwachs hier als Anfangsvermögen i. S. des § 1374 II BGB zu behandeln und damit aus dem Zugewinnausgleich herauszunehmen. Nach der Ansicht von Gernhuber ist die pauschalierte Regelung des Zugewinnausgleichs schon im Ansatz mißlungen; auch die in § 1374 II BGB formulierten Ausnahmetatbestände seien verfehlt und rechtfertigten keine andere Beurteilung der geltenden Regelung 40 . Die Argumente der Gerichte gegen eine Ausdehnung des § 1374 II BGB setzen von zwei Seiten aus an: Einmal wird anhand der Besonderheiten einzelner Erwerbsvorgänge darauf abgestellt, daß es sich nicht um einen sogenannten "eheneutralen" Erwerb gehandelt habe: Der Lottogewinn sei nicht anders zu behandeln "als ein sonstiger Zuwachs aus gewinnbringender Vermögensverwertung"41; die Entschädigung für Verdienstausfall sei ebenso zu behandeln wie das entfallene Arbeitseinkommen selbst 42 usw. Zum anderen berufen sich die Gerichte auf Sinn und Entstehungsgeschichte des Zugewinnausgleichs: Immer wieder liest man in fast wörtlich gleichlautenden Formulierungen, der Gesetzgeber habe bewußt eine "typisierende", "pauschalierende", "schematische und starre" Regelung getroffen 43 . Nun sieht zwar § 1381 BG Bein Leistungsverweigerungsrecht für den Fall vor, daß "der Ausgleich ... nach den Umständen des Falles grob unbillig wäre". FamRZ 1977, 124. BGHZ 80, 384 = FamRZ 1981, 755; BGHZ 82, 145 = FamRZ 1982, 148. 38 BGHZ 61, 385 = FamRZ 1974, 83. 39 FamRZ 1984,429-436 und 525-534 (434f.). 40 FamRZ 1984, 1053-1062. 41 BGH, FamRZ 1977, 124 (1259). 42 BGH, FamRZ 1981, 239 (240). 43 BGHZ 46,343 = FamRZ 1966, 560 (563), m. Anm. Bosch; BGH, FamRZ 1977,124 (125); 1981,239 (240); BGHZ 80,384 = FamRZ 1981, 755; BGHZ 82, 149 = FamRZ 1982, 147. 36 37

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Diese Vorschrift haben die Gerichte jedoch von Anfang an sehr eng ausgelegt und ziehen sie zur Korrektur in den genannten Fällen jedenfalls nur sehr selten heran 44 . Sie betonen vielmehr, schon mit Rücksicht auf die "eheliche Lebensgemeinschaft" und die Gleichberechtigung erscheine die geltende Regelung als gerecht 4s . 2. Eigener Deutungsversuch

Daß der Gesetzgeber eine stark pauschalierende, schematische Regelung bewußt getroffen hat, läßt sich wohl nicht in Abrede stellen 46 : Man braucht dabei nicht einmal an die "erbrechtliche Lösung" des § 1371 BGB zu denken, die mit dem Grundgedanken des Zugewinnausgleichs anerkanntermaßen 47 kaum etwas zu tun hat. Vielmehr liegt es auf der Hand, daß auch der für den Scheidungsfall geltende Verteilungsschlüsseli: 1 im Einzelfall als unbefriedigend erscheinen kann. Manche Rechte überlassen deshalb die Bestimmung des Verteilungsschlüssels auch ganz 48 oder unter bestimmten Voraussetzungen 49 den Gerichten. Zu fragen bleibt, ob der Lösung des BGB wenigstens für die Mehrzahl der Fälle ein vernünftiger Sinn unterlegt werden kann. Entgegen einer auf den ersten Blick einleuchtenden Ansicht SO läßt sich aus dem Text des geltenden Gesetzes nicht entnehmen, daß die Mitwirkung eines Ehegatten an dem Vermögenszuwachs des anderen ausgeglichen werden soll. Wäre dies richtig, so müßte, ähnlich wie im neuen griechischen Güterrecht S1 , der 44 S. schon BGHZ 46, 343 = FamRZ 1966, 560 (564); ferner FamRZ 1970, 483; ausnahmsweise für einen Schmerzensgeldfall erwogen in BGHZ 82,145 = FamRZ 1982, 148. 45 BGH, FamRZ 1970, 483 (484); FamRZ 1977, 124 (125). 46 Allg. Ansicht, vgl. statt aller schon Maria Hagemeyer, Denkschrift über die zur Anpassung des geltenden Familienrechts ... erforderlichen Gesetzesänderungen, 11. Teil, Köln o. J.; Beitzke, Familienrecht, S. 107; Gernhuber, Lb. des Familienrechts, 3. Aufl. 1980, S. 457f., und FamRZ 1984, 1053 -1062 (1057); Müller-Freienfels, JZ 1957, 685-696 (689). 47 Kritisch dazu schon Beitzke, JZ 1952,744-746 (746), und Familienrecht (Fn. 46), S. 129; s. auch Gernhuber (Fn. 46), S. 531; D. Schwab, Familienrecht, 4. Aufl. 1986, Rdz. 249; Bosch, in: Archivum Juridicum Cracoviense, Vol. XXI, 1988,71-102 (95); differenzierend Müller-Freien/eis (Fn. 46), S. 686ff. 48 Ein flexibler Maßstab ist auch bei uns erwogen worden, s. Hagemeyer (Fn. 46), S. 19; ausländische Beispiele sind Illinois, IMDMA (Fn. 12) § 503 (d) (1)-(11); Texas Family Code (Fn. 27) § 3.63 und Eggemeyer v. Eggemeyer, 554 S.W. 2d 137 (1977); zum griechischen Recht s. unten bei Fn. 51; zum österreichischen Recht vgl. Bosch, FamRZ 1988, 5, 6. 49 So Norwegen ("Skjevdeling"), s. dazu Schmidt-Horix (Fn. 21) S. 131 ff.; DDR § 39 II FGB; Polen Art. 43 § 2 FVK (Familien- und Vormundschaftskodex). 50 Beitzke, Familienrecht (Fn. 24), S. 119; Schwab (Fn. 3), S. 434; dagegen der BGH in st. Rspr.: BGHZ 46,343 = FamRZ 1966, 560 (562); FamRZ 1970, 483 (484); BGHZ 65, 320 = FamRZ1976, 82(83); BGHZ 80, 384 = FamRZ 1981, 755(756); BGHZ82, 149 = FamRZ 1982, 147; FamRZ 1987, 791 (792).

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Ausgleich mindestens dann ganz oder teilweise entfallen, wenn ein Ehegatte zu dem Vermögenszuwachs auf der Seite des anderen nachweislich weder mittelbar noch unmittelbar beigetragen hat. Daß es nach unserem Recht demgegenüber nicht darauf ankommt, ob der Zugewinn eines Ehegatten auch auf das Verhalten des anderen zurückgeht, zeigt sich u. a. an § 1381 BGB: Abs. 1 schließt den Ausgleich nur unter der Voraussetzung "grober Unbilligkeit" aus. Abs. 2 nennt als einziges Beispiel für grobe U nbilligkeit die schuldhafte Verletzung der "wirtschaftlichen Verpflichtungen, die sich aus dem ehelichen Verhältnis ergeben". Die Vorschrift kommt also nicht zum Zuge, wenn ein Ehegatte zur Mitarbeit gar nicht in der Lage und deshalb auch nicht verpflichtet war. Sie bezieht sich ebensowenig auf den Fall, daß ein konkreter Vermögenszuwachs aus anderen Gründen nachweislich nicht auf die Mitwirkung des Ehegatten mit dem geringeren Zugewinn zurückzuführen ist. Zur Deutung der gesetzlichen Regelung des Zugewinnausgleichs und der im Anschluß daran ergangenen Entscheidungen des BGH könnte jedoch folgende Überlegung weiterhelfen: Schon seit längerer Zeit wird darauf hingewiesen, daß die Familie u. a. ihre Funktion als "Produktionsgemeinschaft" mehr und mehr verliere, nach wie vor aber typischerweise eine "Konsumgemeinschaft" bilde 52 . Wenn ich recht sehe, geht es hier um die Beobachtung, daß regelmäßig in der Kleinfamilie vorhandene Mittel für die Bedürfnisse der Ehegatten und der Kinder gemeinsam und gleichmäßig verwendet werden, und zwar ohne Rücksicht darauf, wie und von welcher Seite sie ihnen zugeflossen sind. Zwar geschieht dies nicht selten auch in nichtehelichen Lebensgemeinschaften. Eine Rechtspflicht zur ehelichen Lebensgemeinschaft wird aber nur durch die Eheschließung übernommen (§ 1353 12 BGB). Diese umfaßt auch die in § 1360 festgelegte Pflicht der Eheleute, "durch ihre Arbeit und mit ihrem Vermögen die Familie angemessen zu unterhalten". Sobald aber nun das Familieneinkommen ein gewisses Mindestmaß überschreitet und damit die Möglichkeit eröffnet, Einkünfte zu sparen oder in langlebige Güter wie ein Hausgrundstück oder eine Eigentumswohnung zu investieren, hängt es vom Lebenszuschnitt der Ehegatten ab, ob am Ende der Art. 1400 I des ZGB lautet i.d.F. v. 18.2.1982 wie folgt: "Wenn die Ehe aufgelöst oder für nichtig erklärt wird und das Vermögen eines Ehegatten sich seit der Eheschließung erhöht hat, ist der andere Ehegatte berechtigt, falls er zu dieser Erhöhung in irgendeiner Weise beigetragen hat, die Herausgabe des Teils der Erhöhung zu verlangen, der aus seinem Beitrag stammt. Es wird vermutet, daß sich dieser Beitrag auf ein Drittel der Erhöhung beläuft, es sei denn, ein größerer, kleinerer oder überhaupt kein Beitrag wird bewiesen." 52 S. statt aller Neidhard, Die Familie in Deutschland, 1971, S. 22-25; Murdock, Social Structure, 1949, S. 7 -12; Myrdal und Klein, Die Doppelrolle der Frau in Familie und Beruf, 3. Aufl. 1971, S. 30; Dölle, Familienrecht, Bd. I (1964), S. 39; Gernhuber, FamRZ 1958,243-251 (244), und Lb. des Familienrechts (Fn. 46), S. 3; Müller-Freienfels, Ehe und Recht, 1962, S. 39-43. 51

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Ehe noch etwas übrig ist 53 • Es bleibt ihrer freien Entscheidung überlassen, in welchem Umfang sie ihre Mittel zum Konsum verwenden oder langfristig investieren wollen. Folgt man nun dem BGH, so hat das Gleichberechtigungsgesetz durch die Gestaltung des Zugewinnausgleichs die Pflicht zur ehelichen Lebensgemeinschaft über § 1360 BGB hinaus ausgeweitet, auch wenn dies den Verfassern des Gesetzes nicht bewußt gewesen sein mag: Der Zugewinnausgleich hat demnach nicht nur der Verteilung des gemeinsam Erarbeiteten zu dienen. Er hat vielmehr auch sicherzustellen, daß die während der Ehe zur Verfügung stehenden Mittel auch insoweit beiden Partnern zugute kommen, als diese sie nicht zur Deckung der laufenden Bedürfnisse verwendet haben; wenn sie z. B. keine teuren Reisen gemacht, sondern ihr Geld angelegt oder in das einem Ehepartner allein gehörende Hausgrundstück investiert haben. Schon immer ist gesagt worden, der Zugewinnausgleich solle alles umfassen, was gemeinsam erarbeitet oder erspart worden sei 54. Dabei wird allerdings auch bei Ersparnissen eine "Leistung" unterstellt, die etwa in sparsamer Haushaltsführung oder bewußtem Konsumverzicht bestehen soll 55 . Der Hinweis des BGH auf die Pflicht zur ehelichen Lebensgemeinschaft und das Prinzip der Gleichberechtigung 56 meint aber wohl mehr: Es ist grundsätzlich schlechthin alles zu verteilen, was hätte ausgegeben werden können, aber nicht ausgegeben worden ist. Gegen diese Deutung ist zunächst der Einwand zu erwarten, daß ja auch Zuwendungen von Todes wegen und Schenkungen gemeinsam für die Zwecke der Familie verwendet werden können und häufig verwendet werden, das Gesetz aber durch § 1374 II BGB das unentgeltlich und von Todes wegen Erlangte dem Ausgleich entzieht. Ob dieser Einwand tragfähig ist, hängt jedoch davon ab, welche ratio der genannten Vorschrift zugrunde liegt. Vielfach wird gesagt, daß diese Vermögenswerte nicht gemeinsam erarbeitet worden seien und deshalb dem Ausgleich nicht unterworfen werden könnten 57. Es wurde aber schon gezeigt, daß es, anders als im neuen griechischen Recht, auf die Mitwirkung des einen Ehegatten am Erwerb des anderen nach dem Grundgedanken des Zugewinnausgleichs gerade nicht ankommt. Zu unbestimmt erscheint mir das Argument, der Erwerb von Todes wegen und durch Schenkung beruhe regelmäßig auf persönlichen Beziehungen 58. Eher So schon Beitzke, FamRZ 1954, 156-160 (158). So schon Beitzke in: Beitzke und Hübner, Die Gleichberechtigung von Mann und Frau, 1950, S. 39. 55 S. etwa die Formulierungen von Beitzke (vorige Fn.); D. Schwab, Familienrecht (Fn. 47), Rdz. 183. 56 S. oben Fn. 45. 57 S. oben Fn. 39 und 50. 53

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dürfte diese sogar in den Rechten des Ostblocks geltende Regelung zunächst auf das traditionelle Bestreben zurückgehen, Vermögen "in der Familie zu halten", d.h. es nur den eigenen Blutsverwandten zukommen zu lassen 59 . Jedenfalls ist im Regelfall anzunehmen, daß es dem Willen des Erblassers oder Schenkers nicht entsprechen würde, wenn der Empfänger das Empfangene im Scheidungsfall mit seinem Ehegatten teilen müßte. Im Gegensatz zum Zugewinnausgleich des alten deutschen Rechts 60 ist ja der Scheidungsfall praktisch der einzige Fall des Ausgleichs, während die frühere Regelung meist im Todesfall zum Zuge kam. So gesehen, ergibt sich die Regelung des § 1374 11 BGB nicht aus einem der allgemeinen Grundgedanken des Zugewinnausgleichs. Sie läßt sich vielmehr mit den Besonderheiten der entsprechenden Erwerbsvorgänge erklären und spricht daher nicht gegen das zuvor skizzierte Verständnis des Zugewinnausgleichs.

C. Zur Lösung einiger Zweifelsfälle I. Gewinne aus Glücksspielen Es erscheint wenig überzeugend, wenn die Einbeziehung in den Ausgleich hier damit begründet wird, daß der Einsatz aus dem laufenden und damit gemeinsam konsumierbaren Einkommen stamme 61 • Vielmehr dürfte die zuvor skizzierte Deutung des Zugewinn ausgleichs hier weiterhelfen: Es muß darauf ankommen, daß die im Glücksspiel erlangten Mittel sowohl gemeinsam konsumiert als auch erspart werden können. Soweit ersichtlich, wird denn auch der Erwerb aus Glücksspiel in keinem Recht von der Verteilung des Ehegewinns ausgenommen. Andererseits schreiben einige Rechte die Einbeziehung sogar ausdrücklich vor 62 .

11. Schmerzensgeld Für die Einbeziehung des Schmerzensgeldes ließe sich anführen, daß es neben der "Genugtuung" dem Verletzten auch als Ausgleich immaterieller Nachteile zusätzliche Konsummöglichkeiten eröffnen soll 63 . Diese dürften mittelbar oder 58 So aber der BGH, FamRZ 1977, 124(125); 1981,239(240); 1981, 755(756); 1987,791 (792). 59 S. dazu etwa Kipp j Coing, Erbrecht, 13. Aufl. 1978, § 5 I; Lange j Kuchinke, Lb. des Erbrechts, 2. Aufl. 1978, S. 157ff. 60 S. dazu Berent, Die Zugewinnstgemeinschaft der Ehegatten, Diss. Breslau 1915, S.88ff. 61 In dieser Richtung argumentiert D. Schwab, FamRZ 1984,429-436 (435). 62 Spanien: Art. 1351 C6digo civil i.d. F. von 1981; Bolivien: Art. 111, 3", C6digo de la Familia vom 6. 8. 1973; Philippinen: Art. 117 (7) Family Code vom 6.7. 1987. 63 S. statt aller Soergelj Zeuner, Rdz. 10ff. zu § 847.

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unmittelbar häufig auch dem Ehegatten des Verletzten zugute kommen. Andererseits schließen viele Rechte das Schmerzensgeld aus der Verteilung expressis verbis aus, so die Schweiz M , Texas 65 , Argentinien 66 , Polen 67 und Rumänien 68 • Auch der BGH hat in einem der Schmerzensgeldfälle ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 1381 I BGB erwogen 69 ,also nach einer Vorschrift, die er sonst nur selten zur Korrektur heranzieht. Daß das Schmerzensgeld tatsächlich manchmal auch dem Ehegatten zugute kommt, darf wohl nicht den Ausschlag geben. Sein Zweck ist in erster Linie die Entschädigung des Verletzten. Dieser besondere Zweck erfordert die Einbeziehung in das Anfangsvermögen. Herzuleiten ist dies aber ebenfalls nicht aus dem Grundgedanken des Zugewinnausgleichs. Während in den Fällen des § 137411 BGB der Wille des Zuwendenden den Ausschlag geben muß, entscheidet hier der Zweck, den das Gesetz mit der Gewährung eines Anspruchs verfolgt.

III. Anwartschaften Der oben skizzierte Grundgedanke des Zugewinnausgleichs läßt sich auch zur Lösung der Frage nutzbar machen, ob und unter welchen Voraussetzungen Anwartschaften in den Zugewinnausgleich einzubeziehen sind 70 • Wie bei gewöhnlichen Ersparnissen wird man darauf abstellen können, ob und inwieweit der Anwartschaft eine Verminderung des während der Ehe zur Verfügung stehenden Einkommens entsprochen hat. Die Lebensversicherung müßte demgemäß insoweit dem Zugewinnausgleich unterliegen, als die Anwartschaft durch Beitragsleistungen während der Ehe erworben worden ist 71 • (Allerdings gilt dies nur, wenn der künftige Anspruch auf eine Kapitalleistung gerichtet ist, da die auf Rentenzahlung gerichtete Anwartschaft unter den Versorgungsausgleich fällt 72 .) Wenn der BGHÜbergangsgebührnisse und Übergangshilfen der Zeitsoldaten aus dem Zugewinnausgleich heraushalten will 73 , so kann man dies demgemäß nur billigen, wenn diesen Ansprüchen keine Einkommensminderung während der Ehe entsprach. Genau dies bejahen aber sechs Oberlandesgerichte, die Art. 198 Nr. 3 ZGB i.d.F. vom 5.10.1984. Family Code, Seetion 5.01 (a) (3). 66 Belluscio, Manuel de derecho de familia, Tomo II, 4" edici6n 1986, S. 64; Borda, Tratado de derecho civil, Familia, tomo I, 7" edici6n 1984, S. 273. 67 Art. 33 Ziff. 7 FVK i.d.F. von 1964. 68 Art. 31 FGB von 1954. 69 BGHZ 82, 145 = FamRZ 1982, 148. 70 Die Frage soll hier nicht in allen Einzelheiten erörtert werden; eingehend dazu D. Schwab, FamRZ 1984, 429-436 (431 ff.) m. w. N. 71 So im Ergebnis BGHZ 67,262 = FamRZ 1977,41. 72 S. statt aller Palandt / Diederichsen, Anm. 2 a) zu § 1375. 64 6S

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BGH, FamRZ 1980, 39 und 1983, 881.

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jedenfalls die Anwartschaft auf die in einer Summe zu zahlenden ÜbergangshilJen dem Zugewinnausgleich unterwerfen wollten 74. Für die Ansicht dieser Oberlandesgerichte spricht, daß die Höhe der Anwartschaft mit jedem Dienstjahr anwächst1 5 • IV. Wertsteigerungen Schwierig wird es bei Wertsteigerungen solcher Gegenstände, die einem Ehegatten zu Beginn des Güterstandes schon gehört haben oder später durch Schenkung oder von Todes wegen hinzugekommen sind. Über sie wurde bereits im Zusammenhang mit den Zugewinngemeinschaften des früheren deutschen Rechts gestritten 76 • Wo die Errungenschaft einem Gesamtgut zugeordnet und nur dieses zum Gegenstand späterer Verteilung gemacht wird, können Wertsteigerungen des Eigengutes nur dann in die Verteilung einbezogen werden, wenn dies zusätzlich (gesetzlich oder vertraglich) bestimmt ist, da ja das Eigengut grundsätzlich der Verteilung nicht unterliegt. Nach spanischem Recht gehört zum Gesamtgut auch ein Anspruch auf den Betrag der im Eigengut eingetretenen Wertsteigerungen, sofern diese auf Investitionen aus dem Gesamtgut oder auf die Tätigkeit eines Ehegatten zurückgehen 77. Wertsteigerungen des Eigengutes, die ohne Zutun eines Ehegatten eingetreten sind, unterliegen der Verteilung also auch hier nicht. Das gleiche gilt im Ergebnis für die Regel des französischen Rechts, durch die Vermögensverschiebungen unter den Gütermassen ausgeglichen werden sollen: Danach besteht eine Verpflichtung zum Ausgleich einer im Eigenvermögen aufgetretenen Wertsteigerung nur dann, wenn diese mit Mitteln aus dem Gesamtgut bewirkt worden ist 78. Das italienische Recht sieht dagegen nur die Rückgewähr der jeweils aus einer Güterrnasse in die andere geflossenen Beträge vor 79 , berücksichtigt also Wertsteigerungen überhaupt nicht. In der französischen Variante der Zugewinngemeinschaft, dem Wahlgüterstand der "participation aux acquets", kommt es ebenfalls nicht zum Ausgleich von Wertsteigerungen solcher Gegenstände, die am Ende des Güterstandes noch 74 OLG Bremen, NJW 1971,1661; OLG Oldenburg, FamRZ 1976, 376; OLG Nürnberg, MDR 1977, 577; OLG Hamm, FamRZ 1978, 121; OLG Düsseldorf, FamRZ 1980, 51; OLG München, FamRZ 1982, 608. 7S SO mit Nachw. OLG Oldenburg (Fn. 74). In den von ihm entschiedenen Fällen argumentiert der BGH, daß die gesamten Anwartschaften noch keine gesicherte Erwerbsaussicht böten, da noch nicht feststand, ob der Zeitsoldat sich als Berufssoldat übernehmen lassen würde; das wiederum führt zum Wegfall des Anspruchs. Kritisch zu diesem Argument Soergel/ Lange, 12. Aufl., Rdz. 8 zu § 1375. 76 S. dazu Berent (Fn. 60) S. 88 ff. 77 Art. 1359 Abs. 2 C6digo civil. 78 Art. 1469 al. 3 Code civil i.d.F.vom 23.12.1985. 79 Art. 192 Codice civile i.d.F. vom 19. 5. 1975.

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unverändert vorhanden sind 80. In der Schweiz ist zum früheren Recht zwar eine uneingeschränkte Beteiligung an Wertsteigerungen vom Bundesgericht bejaht worden 81 ; doch hat sich dies im neuen Recht nicht durchgesetzt: Art. 206 ZGB sieht eine Beteiligung an Wertsteigerungen im Vermögen eines Ehegatten nur dann vor, wenn sie auf einen Beitrag des anderen zurückgehen 82. Ähnliches gilt in Texas 83 und Argentinien 84. In Illinois 85 ist neuerdings ausdrücklich bestimmt, daß die im Eigenvermögen eingetretenen Wertsteigerungen nicht in den Ausgleich einzubeziehen sind; doch gilt dies nach dem Wortlaut der Vorschrift vorbehaltlich eines Rückerstattungsanspruchs, wenn die Wertsteigerung auf Investitionen aus einer anderen Vermögensmasse zurückgeht. Der Blick über die Grenze hat also gezeigt, daß Wertsteigerungen im Eigenoder Anfangsvermögen eines Ehegatten, soweit ersichtlich, jedenfalls insoweit nirgends auszugleichen sind, als sie sich ohne jedes Zutun eines der Ehegatten ergeben haben. Nach unserem Recht dagegen fallen Wertsteigerungen eindeutig in den Zugewinnausgleich: § 1376 I BGB schreibt vor, das Anfangsvermögen mit dem Wert z. Zt. der Eheschließung oder des Erwerbs anzusetzen. Das Endvermögen ist dagegen auf den Zeitpunkt zu bewerten, zu dem der Güterstand endet. Da aber der Zugewinn sich aus der Subtraktion des Anfangsvermögens vom Endvermögen errechnet, stellen die Wertsteigerungen nach unserem Recht Zugewinn dar. Soweit es sich um Gegenstände handelt, die dem Ehegatten von Todes wegen oder durch Schenkung zugeflossen sind, ließe sich de lege ferenda für eine abweichende Regelung folgendes anführen: Wenn der Zuwendende schon den zugewendeten Gegenstand selbst nicht in den Ausgleich einbezogen sehen will 86 , widerspricht es auch seinem mutmaßlichen Willen, daß die Wertsteigerungen auszugleichen sind. Für die vom geltenden Recht abweichende Behandlung der übrigen Fälle spricht folgende Überlegung: Wird die Wertsteigerung in den Ausgleich einbezogen, so kann der Eigentümer genötigt sein, den Gegenstand zu veräußern oder jedenfalls zu belasten. Die Belastung kann über eine Zwangsversteigerung auch zum Verlust führen. Damit stellt die Einbeziehung in den Zugewinnausgleich einen Eingriff in die Dispositionsfreiheit des Ehegatten dar, .0 S. dazu noch näher unten bei Fn. 90.

BGE 88 II (1962) 142ff.; dazu Hinderling, m: Festgabe zum Schweizerischen . Juristentag 1963 (1963), S. 107 -125. 82 S. dazu Art. 206 ZGB und Botschaft über die Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches vom 11. 7. 1979, S. 123ff.; diese Einschränkung war wohl auch das Anliegen von Hinderling a.a.O. (Fn. 81) und in SchweizJZ 1965, 17-27. 83 Trevino v. Trevino 555 S.W. 2d 292. 84 Belluscio (Fn. 66), S. 61; Borda (Fn. 66), S. 269. 85 IMDMA (Fn. 12) § 503 (a) (7) in der seit dem 19. 8. 1983 geltenden Fassung. 86 S. dazu unter B II b) am Ende. 81

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dem z. B. das im Wert gesteigerte Grundstück zu Beginn der Ehe bereits gehörte. Das aber widerspricht dem Grundprinzip des Zugewinnausgleichs, der sich eben nur auf das in der Ehe Erworbene erstrecken und vorhandenes Vermögen nicht antasten soll. Ehegatten mit umfangreichem Grundbesitz vereinbaren daher heute vielfach durch Ehevertrag die Bewertung des Anfangsvermögens zum Endzeitpunkt 87 . Wer insofern an eine Neuregelung denkt, muß allerdings berücksichtigen, daß die Einbeziehung von Wertsteigerungen dann und insoweit berechtigt ist, als sie auf Leistungen des anderen Ehegatten zurückzuführen sind. Deshalb sieht etwa das neue schweizerische Güterrecht für diesen Fall einen besonderen Ausgleichsanspruch vor 88 . Die am 1. 1. 1988 in Kraft getretene Neuregelung der Schweiz eignet sich im übrigen aber wohl nicht als Vorbild für eine Reform des BGB in bezug auf die Wertsteigerungen: Trotz getrennter Zuordnung und Verwaltung während der Ehe unterscheidet das ZGB nämlich gegenständlich zwischen "Eigengut" und "Errungenschaft"89. Der Ausgleichsanspruch beruht also auf einer andersartigen dogmatischen Ausgestaltung des Zugewinnausgleichs. Sehr interessant ist dagegen die Regelung der participation aux acquets im französischen Recht, die mit unserer Zugewinngemeinschaft noch enger verwandt ist, in Frankreich allerdings nur als Wahlgüterstand eingeführt wurde. Der Code civil regelt die Frage über eine Bewertungsvorschrift: Anfangsvermögen wird grundsätzlich für den Zeitpunkt der Auflösung des Güterstandes bewertet. Das gilt aber nur insoweit, als sich Gegenstände des Anfangsvermögens noch in unverändertem Zustand befinden 90 . Ist also z. B. ein Hausgrundstück durch Investitionen während der Ehe im Wert gesteigert worden, so ist die auf der "Transformation" beruhende Wertsteigerung in den Ausgleich einzubeziehen. Dahinter steckt wohl der Gedanke, daß die Investitionen regelmäßig aus den während der Ehe angefallenen Einkünften und Ersparnissen finanziert sein werden. Eine Gesetzesänderung in diesem Sinne ließe sich in unseren § 1376 I BGB ohne Schwierigkeit einbauen. D. Zusammenfassung I Schluß 1. Nach der seit gut 30 Jahren geltenden Regelung unseres gesetzlichen Güterrechts ist ein Vermögenszuwachs auch dann grundsätzlich in den Zugewinnausgleich einzubeziehen, wenn er sich nicht auf die Mitwirkung des anderen

87 Persönl. Mitteilung aus dem Notariat.

88 Dazu und zu entsprechenden Regelungen in anderen Rechten schon oben bei Fn.77ff. 89 Artt. 197 und 198; dem Ausgleich unterliegt gemäß Art. 215 Abs. 1 nur der Vorschlag "desjeweils anderen Ehegatten", der wiederum aus dem Nettowert der " Errungenschaft " berechnet wird. 90 Art. 1571 Code civil i.d.F. vom 23.12.1985: "Les biens originaires sont estimes d'apres leur etat aujour du mariage ou de l'acquisition et d'apres leur valeur au jour ou le regime matrimonial est liquide ... " (Hervorhebungen vom Verf.)

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Ehegatten zurückführen läßt. Dies kann man mit der Überlegung plausibel machen, daß die den Ehegatten während der Ehe zufließenden Mittel meist auch gemeinsam konsumiert werden, daß es jedoch ihrer Entscheidung überlassen bleibt, wieviel konsumiert oder investiert wird. Was aber während der Ehe hätte konsumiert werden können, ist grundsätzlich zu verteilen, da sonst der Ehegatte mit dem geringeren Zugewinn für den Konsumverzicht bestraft würde. 2. Daß der unentgeltlich oder von Todes wegen erlangte Vermögenszuwachs

nicht auf die Mitwirkung des anderen Ehegatten zurückzuführen sei, kann dann

allerdings als Ratio für die Ausnahmevorschrift des § 137411 BGB nicht mehr angeführt werden. Diese Bestimmung dürfte aber auch anders zu erklären sein: Es widerspräche in aller Regel den Absichten des Schenkers oder Erblassers, wenn der Empfänger den erlangten Vermögenszuwachs im Fall der Scheidung mit dem anderen Ehegatten teilen müßte. 3. Die Einbeziehung des Schmerzensgeldes widerspricht den Zwecken, die das Gesetz mit dem Anspruch aus § 847 I 1 BGB verfolgt. Deshalb sollte es de lege ferenda dem Anfangsvermögen zugerechnet werden. 4. In gleicher Weise sollten Wertsteigerungen solcher Gegenstände behandelt werden, die gemäß § 1374 I und 11 BGB dem Anfangsvermögen zuzurechnen sind und sich im Endvermögen unverändert wiederfinden: Solche "reinen" Wertsteigerungen sollten bei der Verteilung des "Ehegewinns" unberücksichtigt bleiben; es würde nämlich dessen Grundgedanken widersprechen, wenn ein Ehegatte zur Deckung der Ausgleichsschuld die Substanz seines Anfangsvermögens angreifen oder durch Belastungen gefährden müßte. Als Vorbild für eine neu einzuführende Regel bietet sich die Lösung an, die das französische Recht für den Wahlgüterstand der "participation aux acquets" in Art. 1579 C.civ. gefunden hat. 5. Am Schluß darf der Hinweis nicht fehlen, daß die vorstehenden Überlegungen zwar (hoffentlich) zur Klärung einiger Ungereimtheiten und Zweifelsfragen des gesetzlichen Güterrechts beitragen werden; die Zugewinngemeinschaft ist und bleibt aber ein Güterstand, der sich nicht für jede Ehe eignet 91 : Die bei uns am weitesten verbreitete Arbeitnehmerehe mag damit in den meisten Fällen zurecht kommen; Unternehmer und Freiberufler haben mindestens den mit dem Zugewinnausgleich verbundenen Abfluß von Betriebskapital, oft unter Kapitalisierung zweifelhafter "Ertragswerte", zu fürchten. Ihnen ist der Abschluß eines Ehevertrages anzuraten, aber auch am ehesten zuzumuten, weil diese Berufsgruppen ohnehin regelmäßig Rechts- und Steuerberatung in Anspruch nehmen.

91 Zu einer möglichen Differenzierung nach "Ehetypen" s. Gernhuber, FamRZ 1955, 193-200 (197f.); ders., Neues Familienrecht, 1977, S. 104ff., und Lehrbuch des Familienrechts (Fn. 46), S. 431 ff.

Rechtsvergleichende Überlegungen zu Unterhaltsansprüchen für Ausbildungskosten Von Wolfgang Freiherr Marschall v. Bieberstein

A. Einführung Die Wahl eines unterhaltsrechtlichen Themas l ist veranlaßt durch die steigende Bedeutung der Unterhaltsansprüche bei uns 2 wie in anderen Ländern. Die zunehmende Bedeutung der Unterhaltsansprüche für Ausbildungskosten ist eine natürliche Folge der erheblichen Veränderungen im Ausbildungswesen, die in wohl allen entwickelten Ländern zu beobachten sind. Früher folgte für die meisten Jugendlichen nach einer etwa achtjährigen Schulzeit eine berufliche Ausbildung von wenigen Jahren, so daß sie in der Regel vor Erreichen der Volljährigkeit eine Berufstätigkeit aufnehmen und sich damit selbst unterhalten konnten. In den letzten beiden Jahrzehnten sind nicht nur die Ausbildungszeiten allgemein angestiegen, es werden auch in erheblich größerem Umfang höher qualifizierte Ausbildungsangebote wahrgenommen, insbesondere ist der Anteil der ein akademisches Studium wählenden Jugendlichen eines Geburtsjahrgangs auf ein Mehrfaches gestiegen. 1 Nur mit dem Namen des Verfassers evtl. mit zusätzlichem Stichwort - werden zitiert: Beitzke, Familienrecht (25. Aufl. 1988); Berner Kommentar zum schweizerischen Privatrecht, Bd. II Das Familienrecht, 2. Abt. Die Verwandtschaft, 1. Teilband: Das eheliche Kindesverhältnis, erl. von Hegnauer (3. Aufl. Bem 1964); Clark, Law ofDomestic Relations in the United States (St. Paul, Minn., 2d ed. 1980); Gernhuber, Lehrbuch des Familienrechts (3. Aufl. 1980); Grob, Die familienrechtlichen Unterhalts- und Unterstützungsansprüche des Studenten (Bem 1975); Hegnauer, Die Wirkungen des Kindesverhältnisses, in: Das neue Kindesrecht (Veröffentlichungen des Schweizerischen Instituts für Verwaltungskurse an der Hochschule St. Gallen, Bd. 10, 1977) S. 59-78; Krause, Child Support in America, The Legal Perspective (1981); Madden, Handbook of the Law of Persons and Domestic Relations (1931); MüKo/Köhler, Münchener Kommentar zum BGB, Bd.5 Familienrecht (2. Aufl. 1989), §§1601-16150 bearb. v. Köhler; Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch (48. Aufl. 1989), §§ 1297 -1921 bearb. v. Diederichsen; Reusser, Unterhaltspflicht, Unterstützungspflicht, Kindesvermögen, in: Das neue Kindesrecht (Bemer Tage für die juristische Praxis 1977) (Bem 1978) S. 61-83; Tuor / Schnyder, Das Schweizerische Zivilgesetzbuch (10. Aufl. Zürich 1986); Zürcher Kommentar zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch, II. Bd. Das Familienrecht, 2. Abt. Die Verwandtschaft Art. 252-359, kommentiert von Egger (2. Aufl. Zürich 1943). 2 Im Lehrbuch von Beitzke beansprucht das Unterhaltsrecht in der 25. Aufl. (1988) den dreieinhalbfachen Raum gegenüber der 13. Aufl. (1966); im Lehrbuch von Gernhuber wuchs die Darstellung des Unterhaltsrechts von der 2. Aufl. (1971) zur 3. Aufl. (1980) von 26 auf 40 Seiten.

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Die einzelnen Länder haben in recht verschiedener Weise auf die sich damit im Bereich des Kindesunterhalts stellenden Probleme reagiert. Insbesondere finden sich unterschiedliche Lösungen der Frage, ob und inwieweit Kinder nach ihrer Volljährigkeit Unterhalt für Ausbildungskosten beanspruchen können. Die folgende Untersuchung beschränkt sich darauf, einige Vergleiche zwischen der Bundesrepublik Deutschland, der Schweiz und den Vereinigten Staaten zu ziehen. Die besonderen Probleme bei nichtehelichen Kindern werden nicht behandelt.

B. Rechtsvergleichende Überlegungen I. Zur Rechtsgrundlage der Unterhaltsansprüche Deutliche Unterschiede zeigen sich zunächst in der Rechtsgrundlage für Unterhaltsansprüche eines Kindes. 1. Im Aufbau der Regelung des BGB erscheinen die Unterhaltsansprüche der ehelichen Kinder gegenüber ihren Eltern nur als ein Unterfall der allgemeinen Unterhaltsansprüche zwischen Verwandten (§§ 1601 ff.). Dies wird von Beitzke mit Recht als "wenig sachgerecht" kritisiert 3 • Immerhin sind dabei einige besondere Regelungen für die Rechte und Pflichten im Verhältnis der Eltern zu ihren minderjährigen unverheirateten Kindern getroffen worden (§§ 1602 Abs.2, 1603 Abs.2, 1609 Abs.1, 1611 Abs.2, 1612a). Die Ansprüche der nichtehelichen Kinder sind in einem besonderen Unterabschnitt (§§ 1615a16150) gesondert geregelt. 2. In der Schweiz wurde bei der auch hier als notwendig erachteten Reform familienrechtlicher Vorschriften dem Kindschaftsrecht die Priorität gegeben. In einer ersten Stufe trat am 1.4.1973 das neue Adoptionsrecht in Kraft (Artt. 264269 c ZG B)4. Ein Jahr später wurde ein Entwurf für eine Revision des ZG B für das eheliche und außereheliche Kindschaftsverhältnis vorgelegt 5 • Die Begründung der Vorschriften zum Unterhaltsrecht leitet der Entwurf mit dem naturrechtlich anmutenden Satz ein: "Qui fait l'enfant le doit nourrir"6. Nach eingehenaer Beratung wurde am 25. 6. 1976 das Bundesgesetz über die Änderung des ZGB hinsichtlich des Kindesverhältnisses verabschiedet, das am 1. 1.1978 in Kraft trat 7 . Als Grundkonzept derneuen Regelung ist der Gedanke Beitzke, § 24 I 1 (S. 226). Vgl. dazu Eichenberger, FamRZ 1975, 16-20. 5 Hegnauer, Grundgedanken des neuen Kindesrechts, in: Festschrift Max Guldener (Zürich 1973), S. 127 -150; Hanisch, Zur Reform des Rechts des Kindes, FamRZ 1975, 616. 6 Hanisch, FamRZ 1975, 6 (12). 7 Hegnauer, Das neue Kindesrecht, SchwJZ 1977,149-154 und 165-170; Das neue Kindesrecht (Veröffentlichungen des Schweizerischen Instituts für Verwaltungskurse an der Hochschule St. Gallen, Bd. 10, 1977, - mit Referaten von Schlegel, Hausheer, R. 3

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der Einheit des Kindesverhältnisses anzusehen; die überlieferte unterschiedliche Regelung des Rechts der ehelichen und außerehelichen Kinder wurde grundsätzlich aufgegeben. Dementsprechend ist im neuen 7. Titel des ZGB die Entstehung des Kindesverhältnisses für eheliche und für außereheliche Kinder und im Wege der Adoption geregelt (Artt. 252-269c). Es folgt ein 8. Titel mit Vorschriften über die Wirkungen des Kindesverhältnisses (Artt. 270-327). Im 2. Abschnitt dieses Titels finden sich die eingehenden Bestimmungen über die Unterhaltspflicht der Eltern (Artt. 276-295), die die bisherige recht spärliche Regelung (Artt. 272 und 328 - 330) ersetzen 8. Darin ist nun auch in Art. 279 ausdrücklich ein Klagerecht des Kindes gegen den Vater oder die Mutter vorgesehen. Der bisherige Gesetzestext hatte ausdrücklich nur ein Klagerecht gegen den außerehelichen Zahlvater erwähnt (Artt. 307, 319); die Gerichtspraxis hatte ein Klagerecht aber auch dem ehelichen Kinde nach seiner Mündigkeit gewährt 9 . 3. Schon der Ausgangspunkt des Unterhaltsrechts der nordamerikanischen Einzelstaaten 10 unterscheidet sich von den kontinental-europäischen Vorstellungen. Überwiegend wird davon ausgegangen, daß nach dem von England übernommenen Common Law eine Rechtspflicht des Vaters zum Kindesunterhalt nicht bestehe. Zwar hatte schon Blackstone in seinen Commentaries l l zu den Pflichten der Eltern gegenüber den Kindern bemerkt: "By begetting them, ... , they have entered into a voluntary obligation to endeavor, as far as in them lies, that the life which they have bestowed shall be supported and preserved." Das erinnert an die einleitende Bemerkung des Schweizer Entwurfs. Man sah die Pflicht der Eltern aber überWiegend als bloße "moral duty", also als eine sittliche und daher nicht einklagbare Verpflichtung an 12. Zunächst wurde dann in indirekter Weise eine Rechtspflicht angenommen. Wenn dritte Personen dem Kind den notwendigen Unterhalt, die "necessaries" gewährt hatten, wurde ihnen ein Anspruch gegen den Vater auf Erstattung ihrer Aufwendungen Kaufmann, Hegnauer und Näf, Bern 1978); Hegnauer, Grundriß des Kindesrechts (2. Aufl. Bern 1983). 8 Vgl. Hegnauer und Reusser (beide oben Fn. 1); Demberg, Ausgewählte Probleme des schweizerischen Unterhaltsrechts, in: Unterhaltsrecht in Europa, hrsg. v. Dopffel und Buchhofer (Tübingen 1983), S. 351- 372; Tuor I Schnyder, Das schweizerische Zivilgesetzbuch (10. Aufl. 1986), § 34 II (S. 304-314). 9 Hegnauer (oben Fn. 1), S. 68. 10 Clark (oben Fn. 1); Krause, Family Law in a Nutshell (2d ed. 1986); Krause, Family Law, Casebook (2d ed. 1983); Krause, Support (oben Fn. 1); Madden (oben Fn. 1); v. Marschall, Unterhaltsansprüche für Ausbildungskosten im nordamerikanischen Recht, in: FS Müller-Freienfels (1986) S. 451-465; Mockenhaupt, Neuere Entwicklungen im amerikanischen Kindesunterhalt (Diss. iur. Köln 1984). 11 Blackstone, Commentaries on the Laws of England, Book I, Chap. 16, p. 447 (zit. nach der annotierten Ausgabe von Th. N. Cooley, 3d ed. Chicago 1884). 12 Clark § 7.2 und § 18.1; Krause, Support S. 3. 5 Bo,eh

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gewährt 13 . Inzwischen sind in vielen Staaten durch die Gesetzgebung Unterhaltspflichten eingeführt worden, die im Wege einer Klage durchgesetzt werden können l4 . Eine weitere Besonderheit des nordamerikanischen Rechts besteht jedoch darin, daß diese Gesetze regelmäßig nur Unterhaltsansprüche für die Fälle eines Getrenntlebens oder nach einer Scheidung der Eltern gewähren. Wie insbesondere Krauseis hervorgehoben hat, bestehen de facto verschiedene Standards für die Unterhaltsansprüche von Kindern bei intakten und bei getrennten Ehen. Bei der intakten Ehe wird es fast völlig in das Ermessen der Eltern gestellt, welchen Unterhalt sie für angemessen halten. Es genügt, wenn sie einen Mindestunterhalt gewähren, der die bloßen "necessaries" umfaßt 16. Nach einer Trennung der Eltern gewähren die Gesetze der Einzelstaaten dagegen Unterhaltsansprüche, deren Umfang in ein recht weites Ermessen der Gerichte gestellt wird 17. Diese Unterschiede lassen sich wohl zunächst pragmatisch damit erklären, daß nach allgemeiner Erfahrung Unterhaltsansprüche von Kindern nach einer Trennung der Ehegatten und erst recht nach einer Auflösung der Ehe sehr gefährdet sind, weshalb hier im Unterschied zu einer intakten Ehe ein Regelungsbedarf gesehen wird. Bedeutsamer erscheint jedoch das verschiedentlich hervorgehobene Bestreben, so wenig wie möglich in Beziehungen zwischen Eltern und Kindern einzugreifen und erst bei einer Trennung der Eltern diese staatliche Zurückhaltung aufzugeben. In mehreren Urteilen wurde ausgeführt, daß diese unterschiedliche Behandlung der Unterhaltsansprüche bei intakten und bei getrennten oder aufgelösten Ehen mit der Verfassung vereinbar sei 18. 11. Zur Dauer der Unterhaltspflicht

Unterschiede zwischen den behandelten Rechtsordnungen zeigen sich auch in der Dauer der elterlichen Unterhaltsverpflichtung. 1. Am weitesten geht das deutsche Recht, das eine zeitliche Begrenzung nicht kennt und allein auf die Bedürftigkeit des Anspruchstellers und auf die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten abstellt (§§ 1602, 1603 BGB). Bis zur Beendigung einer Berufsausbildung wird allgemein von einer BedürftigMadden S. 384; Clark § 7.3. Krause, Support S. 4-5; Mockenhaupt (oben Fn. 10) S. 8. 15 Krause, The Child Support Obligation and its Enforcement, Summary Report for the 5th World Conference of the International Society on Family Law (Bruxelles 1985) (Msch. Manuskript); siehe auch Krause, Nutshell § 15.5 (S. 214f.). 16 Krause, Nutshell (oben Fn. 10) § 15.2 (S. 208-209). 17 Clark § 18.1; Krause, Nutshell § 15.2 (S. 208-210). 18 Vgl. als anschauliches Beispiel Kujawinski v. Kujawinski, 71 Ill. 2d 563, 376 N.E. 2d 1382 (1978), auch abgedruckt in Krause, Casebook (oben Fn. 10) S. 907. Nachweise bei Veron, Parental Support of Post-Majority Children in College: Changes and Challenges, 17 J. of Family Law 645-683 (1978-1979) (673-678) und Smith, Educational Support Obligations ofNoncustodial Parents, 36 Rutgers L. Rev. 588-643 (1984) (626-641). 13

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keit ausgegangen, da eine Erwerbstätigkeit zur Sicherung des eigenen Unterhalts hier nicht mit der Ausbildung vereinbar sei 19. Im Vergleich zu anderen Ländern, insbesondere zu den Vereinigten Staaten, erscheint es dabei nur schwer verständlich, daß dieser angemessene Grundsatz vielfach überdehnt wird mit der Ansicht, daß auch eine Arbeitstätigkeit in den Semesterferien oder während weniger Wochenstunden einem Studenten nicht zumutbar sei 20 • 2. Die bisherige Regelung des Schweizer ZGB (Art. 272) enthielt keine ausdrückliche Begrenzung der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern. Lehre und Rechtsprechung gingen aber, anders als im deutschen Recht, davon aus, daß mit Ende der elterlichen Gewalt und der elterlichen Nutzung des Kindesvermögens im Zeitpunkt der Volljährigkeit auch die Unterhaltsverpflichtung grundsätzlich ihr Ende finde 21 • Wenn die Eltern jedoch eine Berufsausbildung wählten oder eine Wahl des Kindes billigten, die mit der Mündigkeit noch nicht abgeschlossen war, wurde darin eine verbindliche Zusage des Unterhalts bis zu dem Zeitpunkt gesehen, zu dem ein Abschluß der Ausbildung zumutbar war 22 . In der neuen Fassung des ZGB ist dies nun ausdrücklich in Art. 277 geregelt. Nach dessen Absatz 1 endet die Unterhaltspflicht mit der Mündigkeit des Kindes. Wenn das Kind sich zu diesem Zeitpunkt noch in Ausbildung befindet, sieht Abs. 2 ein Fortbestehen der Unterhaltspflicht so lange vor, "bis diese Ausbildung ordentlicherweise abgeschlossen werden kann". Diese Formulierung wurde erst während des Gesetzgebungsverfahrens beschlossen, der Entwurf hatte noch eine feste Obergrenze von 25 Jahren vorgesehen 23. Die Unterhaltspflicht wird jedoch nur dann über die Volljährigkeit hinaus erstreckt, "soweit es ihnen (den Eltern) nach den gesamten Umständen zugemutet werden darf'. Daraus leitet die Rechtsprechung einen Ausnahmecharakter der Vorschrift her 24 • 3. In den Vereinigten Staaten wurde die (früher) mit Vollendung des 21. Lebensjahres eintretende Volljährigkeit als eine gewissermaßen "natürliche" Grenze der Unterhaltspflicht angesehen 25 . Das spielte kaum eine Rolle, so lange die zuerst in dem bekannten Urteil "Middlebury College v. Chandler" des Supreme Court von Vermont 26 im Jahre 1844 vertretene Ansicht anerkannt blieb, 19 Beitzke, § 24 12 (S. 227); MüKo I Köhler, § 160 Rdz. 11 b; Palandt I Diederichsen, § 1602 Anm. 2a bb. 20 Knorn, FamRZ 1964,618 (619); Staudinger I Gotthardt (11. Aufl. 1966) § 1602 Rdz. 26; Göppinger I Kindermann, Unterhaltsrecht (5. Aufl. 1987) Rdz. 1136. Der BGH teilt diese Ansicht allerdings nicht, vgl. BGH FamRZ 1980, 126 (127) = NJW 1980, 393 (395); BGH FamRZ 1983, 140 (141) = NJW 1983, 814 (815). 21 Berner Kommentar I Hegnauer, Art. 272 Rdz. 66; Zürcher Kommentar lEgger, Art. 272 Rdz. 4. 22 Berner Kommentar I Hegnauer, Art. 272 Rdz. 71-73; Zürcher Kommentar lEgger, Art. 272 Rdz. 5; Grob S. 57. 23 Tuor I Schnyder, § 34 II a 3 (S. 306); Hegnauer, SchwJZ 1977, 165 (166). 24 BGE 111 II 416; BGE 113 II 374 (376). 25 Krause, Support S. 9; Mockenhaupt (oben Fn. 10) S. 57-59. 26 Middlebury College v. Chandler, 16 Vt. 683, 42 Am. Dec. 537 (1844).

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daß nur eine "good common school education" zu den anerkannten "necessaries" eines Kindes gehöre, keinesfalls aber eine College-Ausbildung. Erst die zunehmende Verbreitung der College-Ausbildung nach dem H. Weltkrieg führte dazu, daß durch Gesetz oder Richterrecht minderjährigen Kindern Unterhaltsansprüche für die Zeit eines College-Besuches gewährt wurden 27 . Nun beansprucht ein College-Studium in der Regel die Zeit vom 18. bis zum 22. Lebensjahr. Die Bedeutung der Volljährigkeit als Grenze für Unterhaltsansprüche zeigt sich darin, daß fast alle Staaten die Unterhaltsansprüche mit diesem Datum enden ließen 28 • Nur in wenigen Staaten waren die Gerichte bereit, mit verschiedenen Begründungen in Einzelfällen weitere Ansprüche bis zur Vollendung des College-Studiums zu gewähren 29 • Die Situation änderte sich, als im Jahre 1971 das Wahlrechtsalter auf 18 Jahre herabgesetzt wurde 30 • Die meisten Einzelstaaten führten darauf diesen Zeitpunkt auch für die Volljährigkeit ein 31 • Das hatte zur Folge, daß in vielen Staaten die zuvor für einen College-Besuch gewährten Unterhaltsansprüche entfielen. Nur relativ wenige Staaten versuchten, dies Ergebnis auf verschiedenen Wegen zu vermeiden. Nach einer eingehenden Untersuchung von Smith hatten bis 1983 nur etwa 14 Staaten Unterhaltsansprüche für einen CollegeBesuch gewährt 32 . 4. Auch bei uns folgte der Gesetzgeber dem Zeitgeist und setzte 1974 das Volljährigkeitsalter auf ebenfalls 18 Jahre herab. Damit endet bei uns zwar nicht die Unterhaltspflicht, es wurden aber nun für die 18- bis 20jährigen Jugendlichen die Regelungen für Volljährige anwendbar 33 , was sich insbesondere bei der Frage auswirkte, inwieweit Unterhalt durch Geldleistungen statt in Natur im Hause der Eltern gefordert werden kann (§ 1612 BGB). 5. Die Schweiz hat in dieser Frage die ihr eigene Gelassenheit bewiesen. Die schon im Entwurf von Eugen Huber vorgesehene Mündigkeit mit dem 20. Lebensjahr wurde beibehalten. Daneben gilt weiter der wegen seiner prägnanten Formulierung berühmte Satz "Heirat macht mündig" (Art. 14 Abs. 2 ZGB). III. Einfluß der Eltern auf die Lebensführung des Kindes? Die Frage, ob Eltern ihre Leistung von Ausbildungsunterhalt an ein volljähriges Kind davon abhängig machen können, daß die Wahl des Faches und Vgl. Clark § 18.1, (S. 364-365); Smith (oben Fn. 18) S. 593-610. Smith (oben Fn. 18), S. 612. 29 Nachweise bei Smith (oben Fn. 18) S. 611-614. 30 Amendment XXVI zur Verfassung (USCA, Const. Amend. 26, sec. 1). 31 Übersicht bei O'Connor, 16 Suffolk Univ. L. Rev. 755 (763) (1982). 32 Smith (oben Fn. 18) S. 625-626. 33 Vgl. zu den damit verbundenen Problemen nach dem damaligen Recht Bosch, FamRZ 1973, 489 (497,1. Sp.) und FamRZ 1974, 169. Die Neufassung des § 1610 Abs. 2 hat diesen Bedenken Rechnung getragen, s. Bosch, FamRZ 1974, 364. 27 28

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des Ortes der Ausbildung ihren Wünschen entsprechen und ob sie auch sonst Einfluß auf die Lebensführung des Kindes nehmen können, hat Rechtsprechung und Lehre in allen behandelten Rechtsordnungen beschäftigt.

1. In den Vereinigten Staaten ist zunächst anerkannt, daß bei einer intakten Ehe die Entscheidung über die Gewährung von Ausbildungsunterhalt den Eltern vorbehalten ist und daß diese auch darüber bestimmen können, in welcher Art und Weise solcher Unterhalt gewährt werden soll34. Zur Begründung wurde vom Court of Appeals of New York 35 darauf hingewiesen, daß auch ein minderjähriges Kind keinen Unterhalt für eine die Wünsche der Eltern mißachtende Lebensweise verlangen könne. Die Ansicht ist nur verständlich unter der Voraussetzung, daß ein klagbarer Anspruch nicht besteht. Nach Trennung oder Scheidung der Eltern wird ein Unterhaltsanspruch zwar anerkannt, man geht aber davon aus, daß auch volljährige Kinder nur Unterhalt für eine den Wünschen der Eltern entsprechende Ausbildung verlangen können. So wurden Ansprüche einer Tochter für eine College-Ausbildung in Arkansas abgelehnt, weil sie ihre Studienpläne und die entstehenden Kosten nicht mit ihrem in Anspruch genommenen Vater besprechen wollte. Wenn sie ohne Beteiligung des Vaters die Wahl des Colleges selbst treffen wolle, brauche er auch nicht die Kosten zu tragen 36 . In Illinois wird es als hinreichend angesehen, wenn das Kind die Studienpläne mit einem der beiden getrennten Elternteile bespricht. So wurden Ansprüche gegen den Vater zuerkannt, wenn ein Kind seine Studienpläne mit der Mutter besprochen hatte, bei der es lebte. Es sei zwar gute Familientradition,daß ein Kind auch nach einer Trennung der Eltern sich mit beiden berate, eine solche Pflicht bestehe aber in Illinois nicht 37 • Soweit nach Eintritt der Volljährigkeit in den Vereinigten Staaten überhaupt noch Unterhalts ansprüche gewährt werden, wird einem in Anspruch genommenen Elternteil ein Einfluß auf die Lebensführung des Kindes zuerkannt. Dieser Gedanke, daß der Zahlungsverpflichtete auch bestimmen soll, wofür sein Geld verwendet wird, läßt sich wohl aus dem Gedanken erklären, daß es während einer Abhängigkeit von den Eltern noch an der völligen "emancipation" fehle 38 . Dieser "emancipation" wird auch heute noch vielfach größere Bedeutung 34 Krause, Support (oben Fn.1) S. 11; Krause, Nutshell (oben Fn. 10) § 15.5 (S. 208209); Srnith (oben Fn. 18) S. 589-590. 3S Roe v. Doe, 324 N.Y. 2(:1 71, 272 N.E. 2d 567, auch abgedruckt in Krause, Casebook

(oben Fn. 10) S. 910. 36 Riegler v. Riegler, 259 Ark. 203, 532 S.w. 2d 734 (1976), s. dazu Krause, Nutshell (oben Fn. 10) § 15.5 (S. 214-215). 37 Hight v. Hight, 5 Ill. App. ed 991, 284 N.E. 2d 679 (Ill. App. 1972); Flatley v. Flatley, 43 Ill. App. 3d 494, 356 N.E. 2d 155 (Ill. App. 1976). 38 Der in Roe v. Doe (oben Fn. 35) ausgesprochene Grundsatz "the child's right to support and the parent's right to custody and services are reciprocal: the father in return for maintenance and support may establish and impose reasonable regulations for his child" gilt auch nach der Volljährigkeit, vgl. Krause, Nutshell (oben Fn. 10) § 15.5 (S. 215).

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zugemessen als der an eine starre Grenze geknüpften Volljährigkeit. "Emancipation" kann sowohl früher als eben auch später emtreten 39 . 2. Da die neue Schweizer Regelung vor mehr als 11 Jahren in Kraft trat, kann schon über Urteile des Bundesgerichts benchtet werden. Die Urteile lassen sich drei Fragenbereichen zuordnen. a) Zur Geltendmachung von Ansprüchen auf Ausbildungsunterhalt in einem Scheidungsprozeß wurde im Jahre 1983 entschieden, daß der Inhaber der elterlichen Gewalt solche Ansprüche für die Zeit nach der Volljährigkeit nicht geltend machen könne 40 • Daher wurde ein Urteil des Kantonsgerichts Graubünden insoweit aufgehoben, als es für die zwei Monate nach der Scheidung mündig werdende Tochter einen Unterhaltsbetrag von monatlich 800,- Frs. bis zum ordentlichen Abschluß des Studiums, längstens bis zum 25. Lebensjahr zugesprochen hatte. Die Tochter müsse den Anspruch selbst geltend machen. Eme Ausnahme von diesem Grundsatz wurde in emem U rtell von 1986 zugelassen 41 . In einem Scheidungsverfahren hatten sich die Eltern zweier Kinder insoweit geeinigt, daß beide bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres Ausbildungsunterhalt bekommen sollten, streitig war nur die Höhe. Das erstinstanzliche Urteil wurde 18 Monate vor der Volljährigkeit des Sohnes erlassen, der Zeitpunkt des UrteIls des Bundesgerichts lag vier Monate vor dem Volljährigkeitsdatum. Da die Parteien sich über die Gewährung des Unterhalts eimg waren und nur der Betrag streitig war - der Vater wollte monatlich je 600,- Frs. geben, die Mutter wollte für Ihre Kmder Je 1200,- Frs. -, hielt das Gencht eine Entscheidung nur über die Höhe des Betrages auch für die Zelt nach der VollJähngkett für möglich. Es liege im Interesse aller Beteiligten, auch für die Zukunft Gewißheit zu haben. Die Interessen des Volljähngen selen nicht betroffen, da er bei Bedarf jederzeit eine Erhöhung verlangen könne. Mit dieser Begründung wurde das erstinstanzliche Urteil bestätigt, das je 900,- Frs. monatlich zugesprochen hatte. - Schon einige Jahre zuvor hatte das Bundesgericht die Entscheidung der belden Vorinstanzen bestätIgt, daß Im Falle einer vom Gericht gebilligten Scheidungsvereinbarung für Unterhalt auch nach Volljährigkeit die Kinder nach diesem Zeitpunkt zwar die Gläubiger seien, daß sie ihrer Mutter aber die Geltendmachung der Ansprüche überlassen könnten, wofür em konkludentes Einverständnis genüge 42 • b) Zur Frage des Umfangs der zuJinanzierenden Ausbildung sind einige neuere Urteile ergangen, die sich mit Ausbildungsgängen befassen, die unter dem Niveau eines Universitätsstudiums liegen. Eine Entscheidung von 1981 hatte sich mit einem Sohn geschiedener Eltern zu befassen, der im Alter von 21 Jahren 39 Vgl. zur "emanclpatlOn" Krause, Nutshell § 14.3, Madden, S. 407 -416; Mockenhaupt S 59-62 (alle oben Fn. 10). 40 BGE 109 II 371, vgl. dazu Schnyder, ZbJV 121 (1985) 96-97 41 BGE 112 II 199, vgl. dazu Schnyder, ZbJV 124 (1988) 86-87 42 BGE 107 II 465, vgl. dazu Schnyder, ZbJV 119 (1983) 75-76.

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ein französisches "baccalaureat" bestand und sich anschließend als Photograph ausbilden lassen wollte. Er trat in ein Photogeschäft in Lausanne ein, das ihn jedoch zwei Jahre lang nur als Verkäufer von Photomaterial beschäftigte. Darauf begann er eine Fachausbildung in einer privaten Anstalt in Paris, die zwei Jahre dauern sollte. Er forderte von seinem Vater für die Dauer dieser zwei Jahre einen Unterhaltsbeitrag von monatlich 1 000,- Frs. Das Bundesgericht bestätigte das Urteil der Vorinstanz, das 500,- Frs. zugesprochen hatte. Entgegen der Ansicht des Vaters könne die zweijährige Verkäufertätigkeit nach dem Abitur nicht als Ausbildung angesehen werden, von Anfang an sei der Beruf eines Photographen angestrebt worden 43 . Ein weiteres Urteil aus dem gleichen Jahr betraf die beiden Söhne eines ebenfalls geschiedenen Paares, das in einer Scheidungsvereinbarung vor der Änderung des Unterhaltsrechts auch Unterhaltsleistungen für eine Ausbildung nach dem 20. Lebensjahr vorgesehen hatte. Der 1958 geborene Sohn M schloß im Alter von 21 Jahren eine kaufmännische Lehre mit gutem Erfolg ab. Schon ein halbes Jahr zuvor hatte ihm sein Vater mitgeteilt, daß er ihn für eine anschließende dreijährige Ausbildung in der Hotelfachschule in Lausanne angemeldet habe. Nun verlangte der Vater von der Mutter, daß sie auf weitere Unterhalts ansprüche für M verzichte, sonst widerrufe er die Anmeldung zur Fachschule. Der 1961 geborene zweite Sohn E hatte auch eine dreijährige kaufmännische Lehre begonnen, war ihr aber nicht gewachsen und machte eine weniger anspruchsvolle Bürolehre von zwei Jahren. Nach einem ersten Scheitern im Frühjahr 1980 bestand er im zweiten Anlauf im Herbst 1980 die Abschlußprüfung. Auf Anraten seiner Mutter besuchte er dann noch einen dreimonatigen Sprachkurs in England. Das Bundesgericht bejahte einen Anspruch des E auf Ausbildungsunterhalt sowohl für die Zeit der Vorbereitung auf die zweite Prüfung wie auch für den Sprachkurs, da dies eine für ihn wichtige Ergänzung seiner Ausbildung sei. Auch der Anspruch für die Hotelfachausbildung des älteren Sohnes wurde zuerkannt, zumal der Vater den Sohn zunächst selbst angemeldet hatte 44 • Ein Urteil von 1985 betraf die vom Gericht auf monatlich 1600,- Frs. geschätzten Kosten der Dolmetscherausbildung der Tochter einer recht wohlhabenden Familie. Obwohl die junge Tochter in Nordrhein-Westfalen ein Waldgrundstück im Werte von rund 500000,- DM besaß und sich auf einem Sparkonto Einkünfte daraus in Höhe von 43000,- DM angesammelt hatten, entschied das Gericht, daß die Tochter davon monatlich 600,- Frs. beizusteuern habe und daß der Vater monatlich 1000,- Frs. zu leisten habe 45 • c) Den dritten Fragenkomplex, mit dem das Bundesgericht sich zu befassen hatte, bilden die auch uns bekannten Fälle eines Zerwürfnisses zwischen den 43 44

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BGE 107 II 406, vgl. dazu Schnyder, ZbJV 119 (1983) 74-75. S. oben Fn. 42. BGE 111 II 410, vgl. dazu Schnyder, ZbJV 123 (1987) 109.

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Beteiligten. Hier spielt die neben der Leistungsfähigkeit in Art. 277 Abs. 2 ZGB ausdrücklich erwähnte Zumutbarkeit von Leistungen eine wichtige Rolle.

Ein Urteil aus dem Jahre 1984 betraf die 24jährige Tochter von polnischen Eltern, die erst seit 1965 in der Schweiz lebten. Sie widmete sich pflichtbewußt einem Studium der Kunstgeschichte und besuchte daneben Kurse für die Eintrittsprüfung zum Zeichenlehrerstudium. Zwischen den Eltern der Tochter war es im Laufe der Zeit zu immer größeren Spannungen gekommen. Am Tage ihrer Volljährigkeit verließ die Tochter ihr Elternhaus und zog zu der Familie ihres gleichaltrigen Freundes. Zwei Jahre später bezog sie mit dem Freund eine kleine Mietwohnung. Das Gericht führt aus, daß zwar in bestimmten Fällen, etwa bei einem ehebrecherischen Konkubinat, eine Unterhaltsleistung als nicht mehr zumutbar beurteilt werden könne, generell stelle aber ein Konkubinat heute keinen Unzumutbarkeitsgrund dar. Es sei zu beachten, daß die Tochter nur.wegen der unheilvollen Entfremdung zwischen ihr und den Eltern fortgelaufen sei, zu der die Eltern erheblich beigetragen hätten. Daher sei das Verhalten der Tochter nicht eine derart gravierende Pflichtverletzung, daß es den Eltern nicht zuzumuten sei, zum Unterhalt der Tochter beizutragen. Ob die von den Vorinstanzen ausgesprochene Kürzung des Unterhalts berechtigt sei, mußte das Bundesgericht offen lassen, da die Tochter kein Rechtsmittel eingelegt hatte. Es bemerkt aber, daß bei einem Angebot der Eltern zur Aufnahme in die Wohnung ein Kind sich dafür in der Regel einen Betrag anrechnen lassen müsse, wenn es lieber in seiner Wohnung bleibe. Hier könne das aber wegen der erheblichen Störung des Verhältnisses zu den Eltern nicht gefordert werden 46 . Angesichts der recht weitherzigen Entscheidung zum Konkubinat überrascht es zunächst etwas, daß das Bundesgericht im Falle einer starrsinnigen Trotzreaktion einer Tochter gegenüber dem geschiedenen Vater eine Unterhaltsleistung als für diesen unzumutbar ansah. Die Ehe war geschieden worden, als die Tochter 15 Jahre alt war. Sie teilte dem Vater mit, daß sie sich ganz auf die Seite der Mutter stelle, und brach jeden Kontakt zu ihm ab. Auch nach Eintritt der Volljährigkeit änderte sich ihr Verhalten nicht, alle Versuche des Vaters um Kontaktaufnahme blieben vergeblich, seine Briefe kamen ungeöffnet zurück. Das Gericht sah diese Reaktion der Tochter in den ersten Jahren nach der Scheidung als verständlich an. Dies sei aber nach Eintritt der Mündigkeit anders zu beurteilen. Die Ablehnung des Vaters durch die Tochter hätte mindestens mildere Formen annehmen müssen, er könne nicht zum reinen "Zahlvater" herabgewürdigt werden. Das Bundesgericht hebt abschließend hervor, daß entgegen der Ansicht der Vorinstanz die Vorwürfe gegen die Klägerin nicht geringer seien als im soeben berichteten Konkubinatsfall. Dort seien auch den Eltern Vorhaltungen zu machen gewesen, hier aber habe sich der Vater seit der Scheidung gegenüber der Tochter stets korrekt verhalten 47 . BGE 111 II 413, vgl. dazu Schnyder, ZbJV 123 (1987) 109-111. BGE 113 II 374, vgl. dazu Hegnauer, ZVW 43 (1988) 76f. und Schnyder, ZbJV 125 (1989) 82-85. 40

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Rechtsvergleichende Überlegungen zu Unterhaltsansprüchen

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Im Lichte dieser Ausführungen lassen sich beide Entscheidungen wohl doch miteinander vereinbaren. Für das erste Urteil war es ersichtlich entscheidend, daß die völlige Zerstörung des Familienverhältnisses eher von den an ihren polnischen Traditionen festhaltenden Eltern verursacht war und daß der Tochter kaum ein anderer Weg offenstand, um dem häuslichen Martyrium zu entrinnen. Daher dürfte es durchaus offen sein, wie künftige Fälle eines Konkubinats beurteilt werden. Dafür spricht auch ein Beitrag des Schweizer Kollegen Hegnauer 48 aus dem Jahre 1980, in dem er von einer 21jährigen Schülerin des Lehrerseminars berichtet, die gegen den Willen der Eltern mit einem 22 Jahre älteren, geschiedenen Manne zusammenlebte. In einer von ihr und dem Liebhaber unterschriebenen Erklärung hatte die Tochter endgültig auf Unterhaltsbeiträge verzichtet, dann aber Klage auf Unterhalt erhoben. Hegnauer bezeichnet den Unterhaltsverzicht als unwirksam, nicht anders als im deutschen Recht (§ 1614 Abs. 1 BGB). Angesichts des unverheirateten Zusammenlebens der Tochter mit einem Manne sei eine Unterhaltsleistung für die Eltern jedoch nicht zumutbar, auch wenn sie die volljährige Tochter nicht daran hindern könnten. Schließlich sei es nach Art. 277 Abs.2 ZGB auch ein erheblicher Umstand, welche anderen Möglichkeiten das mündige Kind zur Bestreitung des Unterhalts habe. Wenn die Tochter den Partner heiraten würde, erwürbe sie einen Unterhaltsanspruch gegen ihn, der dann im Verhältnis zum Anspruch gegen die Eltern vorrangig sei.

C. Zusammenfassung Bei einem Vergleich der amerikanischen und der schweizerischen Urteile mit der deutschen Rechtsprechung zeigt sich, daß in den Vereinigten Staaten am deutlichsten das Prinzip anerkannt ist, daß eine Leistungspflicht mit der Möglichkeit einer Einwirkung auf die Art der finanzierten Ausbildung verbunden sein sollte. Die Zahl der schweizerischen Urteile ist bisher zu gering, um deutliche Prognosen zu erlauben. Immerhin bietet das Kriterium der Zumutbarkeit einen Ansatz dafür, den noch nach Volljährigkeit in Anspruch genommenen Eltern Möglichkeiten der Einflußnahme zu gewähren. Daran fehlt es im deutschen Recht, wenn man von der Möglichkeit der Bestimmung der Art und Weise des gewährten Unterhalts gegenüber den noch unverheirateten volljährigen Kindern absieht. Größere Aufmerksamkeit verdient aber der von den beiden anderen Rechtsordnungen verschiedene Ausgangspunkt des deutschen Rechts. Die von Beitzke 49 als "wenig sachgerecht" bezeichnete Lösung, die Unterhaltsansprüche der Kinder nur als Unterfall einer allgemeinen Unterhaltspflicht zwischen Verwandten zu sehen, hatte zur Folge, daß die Volljährigkeit bei uns nicht als eine 48

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Hegnauer. ZVM 35 (1980) 96-98. Beitzke. § 24 I 1 (S. 226).

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natürliche Grenze der Unterhaltspflicht angesehen wird, nach deren Eintritt weitere Ansprüche einer besonderen Begründung und Rechtfertigung bedürfen. Das hat weiter dazu geführt, daß bei uns die Frage der wechselseitigen Beziehung zwischen fortdauernder Unterhaltspflicht und ihr entsprechender Einflußnahme auf das Verhalten des bei aller Volljährigkeit eben noch nicht emanzipierten Leistungsempfängers wenig Beachtung findet. Die nordamerikanische Ansicht, daß es weniger auf das Erreichen eines festgesetzten Volljährigkeitsalters als auf eine tatsächliche "emancipation" ankommt, könnte auch bei uns neue Anstöße zum Durchdenken der Probleme geben.