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German Pages 232 [234] Year 2022
Franz Kolland, Vera Gallistl Neue Kulturstile älterer Menschen
Alter - Kultur - Gesellschaft | Band 3
Franz Kolland ist Universitätsprofessor für Gerontologie an der Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften in Krems. Er ist Editor des International Journal of Education and Ageing und der Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie. Er ist Träger des Österreichischen Ehrenkreuzes für Wissenschaft und Kunst. Seine Forschungsarbeiten beefassen sich mit Bildung im Alter, digitalen Kompetenzen älterer Menschen und Generationenbeziehungen. Vera Gallistl ist als wissenschaftliche Mitarbeiterin post-doc am Kompetenzzentrum für Gerontologie und Gesundheitsforschung der Karl Landsteiner Privatuniversität Krems sowie am Arbeitsschwerpunkt Familie, Generationen, Lebenslauf am Institut für Soziologie der Universität Wien tätig. Für ihre Dissertation »Orchestrating Aging ‒ Doing Age in the Field of Cultural Production« wurde sie mit dem sowi:doc Award 2021 der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität Wien für herausragende Nachwuchswissenschafter*innen ausgezeichnet. In ihrer Arbeit beschäftigt sie sich u.a. mit einer praxeologischen Bestimmung des Alter(n)s, Perspektiven der Kulturgerontologie sowie einer kritischen Erforschung der Digitalisierung im Alter.
Franz Kolland, Vera Gallistl
Neue Kulturstile älterer Menschen Zum Älterwerden zwischen Ästhetik und Alltag
Die Forschungsprojekte, auf denen diese Publikation aufbaut, wurden durch die finanzielle Unterstützung durch den Hochschuljubiläumsfonds der Stadt Wien (Fördernummer: H-298090_2019) sowie den Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank (Fördernummer: 16828) ermöglicht.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2022 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-5099-0 PDF-ISBN 978-3-8394-5099-4 https://doi.org/10.14361/9783839450994 Buchreihen-ISSN: 2569-2615 Buchreihen-eISSN: 2703-0318 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download
Inhalt
Vorwort ............................................................................ 9 Teil 1: Einleitung ....................................................................13 1. Kulturbegriffe in der Alter(n)sforschung ........................................ 16 2. Forschungsprojekte im Themenschwerpunkt »Kultur und Alter« am Institut für Soziologie (2016-2021) ....................... 23 Teil 2: Kreativität und kreative Praktiken im Alter ................................. 29 1. Die Erforschung von Kreativität in der Gerontologie............................. 31 2. Kreative Praktiken: Skizzen einer antihumanistischen Kreativitätssoziologie....................... 39 3. Datenbasis und Methode ...................................................... 46 4. Kreative Ensembles im Alter .................................................. 49 5. Subjektkulturen kreativen Alter(n)s............................................ 53 6. Bewertungskonstellationen von Kreativität im Alter............................ 60 7. Fazit ......................................................................... 69 Teil 3: Kulturrepertoires älterer Menschen ......................................... 71 1. Zu den Begriffen »Kulturrepertoires« und »kulturelle Teilhabe im Alter« ....... 72 2. Kulturrepertoires älterer Menschen in Österreich .............................. 76 3. Datenbasis und Methode ....................................................... 81 4. Kulturelle Teilhabe älterer Menschen in Österreich............................. 85 5. Zugangsbarrieren zu Kultur im Alter........................................... 99 6. Fazit ........................................................................ 120 Teil 4: Kulturelle Exklusion im Alter .............................................. 123 1. Kulturelle Exklusion im Alter ................................................. 124 2. Datenbasis und Methode ..................................................... 132
3. 4. 5. 6.
Zum Umgang mit finanzieller Deprivation im Alter ............................ Umgangsformen mit Kunst und Kultur im Alter ............................... Typen des Umgangs mit Kunst und Kultur unter Bedingungen ökonomischer Deprivation im Alter........................................... Fazit ........................................................................
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Teil 5: Mainstreaming Ageing und kulturelle Bildung im Alter ..................... 155 1. Datenbasis und Methode ..................................................... 159 2. Das Praxisfeld der kulturellen Bildung für ältere Menschen.................... 160 3. Handlungsempfehlungen: »Mainstreaming Ageing« in der Kultur................................................................. 164 4. Fazit ......................................................................... 174 Teil 6: Ausblick − Chancen und Grenzen neuer Kulturstile im Alter ................ 177 1. Sozialer Wandel als Voraussetzung für Pluralisierung .......................... 179 2. Neue Altersbilder als Bedingung für eine neue Kultur des Alterns .................................................................. 182 3. Jüngere wissenschaftliche Diskurse als Brennstoff für neue Kulturstile im Alter .......................................................... 185 4. Ein kritischer Blick zum Schluss ............................................. 187 Anhang ........................................................................... 189 1. Erhebungsbogen der Befragung »Kulturstile älterer Menschen 2018« ......................................... 189 2. Regressionsmodelle zur Erklärung kultureller Teilhabe ........................ 208 Referenzen ........................................................................ 211
Unser Dank gilt drei Personen im Schatten, die unseren Ideen Licht gaben. Für Silvia, Fabian und Emil.
Vorwort
Vor einem Vierteljahrhundert, am 26. Jänner 1996, beschrieb Uwe Storjohann in der ZEIT die Gewissensbisse eines Ruheständlers: »Mein Gott, was habe ich heute wieder alles nicht gemacht. Ab morgen wird mit kreativer Greisenlust gelebt, dynamisch à la Reich-Ranicki, Schluss mit der kuscheligen Hingabe an den inneren Rentnerschweinehund. Schluss mit dem Gerede von der unvermeidlichen Gewöhnung an die Altersträgheitsdroge Fernsehen. […] Gewissen hin, Gewissen her, ich hasse Gewalt, ich hasse Zwang und Kontrolle. Ich stehe auf, wann es mir passt, frühstücke, wann und so lange es mir passt, gehe alibispazieren und helfe danach fleißig mit, den Seifenopernkonsumierrekord der Pensionisten in die Höhe zu treiben.« (Storjohann, 1996) Dieser Artikel ist in jenem Jahr geschrieben worden, in dem auch das Buch »Kulturstile älterer Menschen. Jenseits von Pflicht und Alltag« (Kolland, 1996) erschienen ist. Beide Publikationen markieren eine Art Zeitenwende in der Gestaltung der nachberuflichen Lebensphase, nämlich weg von einem für alle Rentner*innen geltenden und gelebten Modell des Ruhestands hin zu einer Vielgestaltigkeit der Lebensweise und des persönlichen Ausdrucks mit einem Fokus auf Aktivität und ungebremster Vitalität. Wie sehr es sich zunächst um eine durch die Freizeit- und Gesundheitsindustrie vorgebrachte und beworbene Soll-Erwartung gehandelt hat, die mit sehr gemischten Gefühlen aufgenommen wurde, machen sowohl der Artikel von Uwe Storjohann als auch die Forschungsergebnisse im Buch zu den Kulturstilen älterer Menschen deutlich. Zwar zeigte sich in einer empirischen Studie rund ein Viertel der über Sechzigjährigen trotz einer geringen Aktivitätsvielfalt subjektiv zufrieden, ein Sechstel befand sich allerdings in einem Aktivitätsdilemma. Letztere kamen zwar der (Selbst-)Aufforderung zu Aktivität nach, waren aber unzufrieden.
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Die Ableitung aus diesem überraschenden Ergebnis: Aktivität schützt nicht vor Leere. Beginnt also nach dem letzten Tag im Büro, in der Arztpraxis, an der Werkbank oder im Geschäft die »späte Freiheit«? Wird also nach der Pensionierung – befreit von Anforderungen und Zwängen – die Chance zu eigenbestimmten Aktivitäten vermehrt und mit neuen Akzenten wahrgenommen? Oder zeigen die Jahre nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben eine Palette von »Freizeit«-Aktivitäten mit kaum neuen Farben und Schattierungen? Ziehen sich ältere Menschen zunehmend aus dem öffentlichen kulturellen Leben zurück in eine wohleingerichtete, z.T. musealisierte Privatsphäre? Ist die Vorstellung von den »Potenzialen im Alter« bloß eine Schimäre oder ein Zukunftsszenario, das erst für kommende Ruhestandsgenerationen gelten wird? Welche Rolle spielen Lebensalter, Generationszugehörigkeit, Gender, soziales Milieu im Zugang und in der Rezeption von Kultur? Und welche Folgerungen können aus möglichen Unterschieden für die Praxis der Kulturinstitutionen abgeleitet werden? Auf all diese Fragen versucht dieses Buch Antworten zu geben. Die Zeitenwende vor einem Vierteljahrhundert kann also als Wandel vom Ausruhen zur Aktion, vom ruhigen, entspannten Leben hin zu einem Lebensstil verstanden werden, der Fitness und Gesundheit täglich im Blick hat. Im Zuge dieses Paradigmenwechsels hat sich aber auch die Sicht auf die Ausdrucksformen verändert. In den Vordergrund gerückt sind kulturelle Aktivitäten und kulturelles Handeln vom Konsum bis zur Eigenaktivität. Das hat auch damit zu tun, dass das biomedizinische Modell des Alterns als nicht ausreichend gesehen wird, um den Prozess des Älterwerdens zureichend beschreiben und erklären zu können. Wenn also hier die kulturellen Aktivitäten als Handlungsebene des älteren Menschen herausgegriffen werden, dann deshalb, weil sie neben anderen Lebensbereichen besonders geeignet erscheinen, in der nachberuflichen Lebensphase Sinnstiftung und Selbsterfüllung zu vermitteln. Sie wirken auf die Lebenszufriedenheit und die Lebensqualität im Alter. Aktivitäten im Kultur- und Freizeitbereich erlauben in günstigen Lebenslagen »Selbstvergewisserung«, bringen soziale Anerkennung, geben das Gefühl, etwas zu erleben, und führen dort, wo das kreative Element hinzutritt, auch zu individueller und gesellschaftlicher Veränderung. Dieses kulturelle Altern geschieht außerdem deutlich differenziert. Die statistische Tiefenanalyse der Befragung der über Sechzigjährigen erbrachte 1996 vier Kulturstile, nämlich kreativ-expressives Kulturverhalten, körperliche Ak-
Vorwort
tivität und Bewegung, Kultur- und Erlebniskonsum, Geselligkeitskultur und Indoor-Unterhaltung (Kolland, 1996, S. 214ff.). 25 Jahre später lässt sich zeigen, dass das Kulturelle im Blick auf das Alter weiter zugewonnen hat und nunmehr in der Alter(n)sforschung einen festen Platz einnimmt. Zwei Handbücher dazu belegen das in eindrücklicher Weise (Twigg & Martin 2015; Kolland, Gallistl & Parisot, 2021). Während allerdings vor 25 Jahren der Blick vornehmlich auf das Kulturverhalten gerichtet war, stehen heute kollaborative und partizipative Prozesse kultureller Teilhabe im Zentrum der Aufmerksamkeit. Partizipative künstlerische Projekte tragen, so Terkessidis (2015), dann zu einer nachhaltigen Teilhabe von Menschen heterogener sozialer Gruppen bei, wenn alle Akteur*innen lernen und verändert aus ihren Beteiligungen hervorgehen. Dieser Band widmet sich der Kulturalisierung des Alters, sucht nach den Potenzialen kulturellen Handelns im Alter und zeigt, welche Prekaritäten, Risiken und Unsicherheiten eine neue Kultur des Alterns hervorbringt. Eine neue Kultur des Alterns zeigt sich jedenfalls vor dem Hintergrund steigender Bildungsniveaus, erhöhter Mobilität, technologischer Innovationen und klimatischer sowie gesundheitlicher Herausforderungen. Sowohl Covid-19 als auch der Klimawandel werden die Zukunft der Kultur des Alterns beeinflussen. Dass wir uns mit all diesen Fragen befassen und die Ergebnisse unserer Forschung in Buchform vorlegen können, verdanken wir der finanziellen Unterstützung bzw. Förderung von vier Projekten, die hier zusammengefasst sind. Die Fördergeber waren die Abteilung V/6 – Seniorenpolitische Grundsatzfragen und Freiwilligenangelegenheiten des österreichischen Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, der Jubiläumsfonds der Oesterreichischen Nationalbank, die PONTE Privatstiftung und der Hochschuljubiläumsfonds der Stadt Wien. Institutionelle Hilfe bot uns das Kompetenzzentrum für Gerontologie an der Karl Landsteiner Universität für Gesundheitswissenschaften in Krems. Die hier vorgelegte Monografie richtet sich einerseits an die wissenschaftliche Fachöffentlichkeit, andererseits soll sie neue Perspektiven in die gesellschaftliche Diskussion um das Alter(n) einbringen und eine Wissensquelle für die Praxis in Kunst und Kultur darstellen. Es wird der Blick auf das Alter(n) als kulturelle Praxis gestärkt und es werden die Implikationen dieser Praxis aus soziologischer Perspektive aufgezeigt. Franz Kolland & Vera Gallistl, Krems und Wien, September 2021
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Teil 1: Einleitung
Im Wandel von modernen hin zu spätmodernen Gesellschaften haben sich auch die Erwartungen und die Ansprüche an das Alter(n) verändert. Prägten Vorstellungen über biologischen Abbau und sozialen Rückzug lange die Bilder über das Alter, wurden in den 1970er und 1980er Jahren im öffentlichen Diskurs von Wissenschaft und Forschung defizitorientierte Theorien vermehrt in Frage gestellt und von kompetenzorientierten wie erfolgreiches, aktives oder gesundes Alter(n) abgelöst (Höpflinger, 2016). Die Gerontologie sprach daraufhin von einer »zwiespältigen Wahrnehmung des Alter(n)s« (Hartung, 2015): Aktuelle Bilder des Alter(n)s zeichnen sich durch eine Gleichzeitigkeit von Erfolgs- und Entwicklungsgeschichten sowie Verfalls- und Rückzugsnarrativen aus. Unsere gesellschaftlichen Bilder vom Alter(n) sind damit vielfältiger und mitunter auch ambivalenter geworden. Es ist dabei nicht zufällig, dass sich diese Neudeutung des Alter(n)s in den 1970er und 1980er Jahren vollzog (Höpflinger, 2016), in einer Phase also, in der heutige Soziolog*innen einen Wandel von der modernen zur spätmodernen Gesellschaft historisch verorten. Diese Entwicklung veränderte nicht nur die sozialen Strukturen, Institutionen und kulturellen Deutungsmuster, sondern auch die Position des Alter(n)s. In Gesellschaften, in denen eine soziale Logik des Besonderen das Primat gegenüber einer Logik des Allgemeinen erhält (Reckwitz, 2017), kommt es zu einer Neudeutung dieser Lebensphase, indem die kulturelle, individuelle Ambivalenz und Gestaltungsoffenheit des Alter(n)s betont wird: Das Alter ist in spätmodernen Gesellschaften nicht eindeutig festgelegt, sondern wird in seiner Ambivalenz zu einem kulturellen Gestaltungsauftrag für ältere Menschen selbst. Es ist ein individuell gestaltbares Phänomen geworden, das in seiner kulturellen Bedeutung prinzipiell offen ist. Statt einer eindeutigen Bestimmung des Alter(n)s treten in spätmodernen Gesellschaften also die kulturelle Vielfalt, mitunter auch die Widersprüch-
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lichkeit in den Vordergrund. Neben der Diversität sind somit vom spätmodern inspirierten gerontologischen Wissenschaftsprogramm auch die Ambivalenz, die Unsicherheit und die Instabilitäten angesprochen (Kolland & Meyer Schweizer, 2012). Es ist ein hybrides Alter(n) entstanden, das durch die Gleichzeitigkeit von Aktivierungsansprüchen, aktivitäts- und ressourcenorientierten sowie defizit- und rückzugsorientierten Altersbildern geprägt ist. Diese ambivalenten Ansprüche und Bilder des Alter(n)s im Alltag für sich zu verhandeln, stellt eine zentrale Herausforderung für alternde Subjektive dar, die sich nun positionieren müssen: Was bedeutet es für mich individuell, älter zu werden? Wie gestalte ich die Lebensphase Alter? Anstelle von organisierten und klassenorientierten Lebensentwürfen, die lange auch das Alter(n) geprägt haben, zeigt sich in der Spätmoderne ein Wandel hin zu individuelleren und privaten Lebensstilen, die deutlich über kulturellen Konsum hergestellt werden (Kolland & Meyer Schweizer, 2012) – ein Trend, der sich mitunter auch empirisch nachweisen lässt (Higgs et al., 2009). In dieser Bestimmung des Alter(n)s nimmt die Kultur als Analysekategorie eine zentrale Rolle ein. Vor dem Hintergrund sich ausdifferenzierender Lebenslagen und Lebensentwürfe im Alter verändert sich in der spätmodernen Gesellschaft damit auch die Alter(n)sforschung selbst. Einen deutlichen Wandel in Richtung kulturelle Analyse des Alter(n)s hat die Gerontologie durch die Entwicklung und Verbreitung der Kulturgerontologie erfahren, die in ihren Grundzügen etwa im englischsprachigen Handbuch von Twigg und Martin (2015a) oder im deutschsprachigen Sammelband »Kulturgerontologie – Konstellationen, Relationen, Distinktionen« (Kolland, Gallistl & Parisot, 2021) dokumentiert sind. Studien der Kulturgerontologie verstehen das Alter weniger als eine biologisch definierte Lebensphase, sondern als vielfältigen, dynamischen und relationalen Teil sozialer Praxis und kultureller Ordnung (Endter & Kienitz, 2017). Als eine Gerontologie des Wissens, des Sinns und des Symbolischen verortet die kulturelle Gerontologie das Alter(n) nicht in biologischen Zusammenhängen oder in sozialen Beziehungen, sondern in symbolischen, kulturell codierten und subjektivierten Sinnund Bedeutungszusammenhängen. Es wird – inklusive asymmetrisch aufgebauter binärer Codierungen wie aktiv/inaktiv, erfolgreich/unerfolgreich – als Produkt spezifischer kultureller Unterscheidungssysteme reproduzierbar gemacht (Gallistl, Kolland & Parisot, 2021). Diese Fokussierung auf die kulturellen und symbolischen Bedeutungsund Wissenszusammenhänge bringt auch eine intensivere Auseinandersetzung mit den Produktions- und Konsumationsbedingungen von Kultur im
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Alter mit sich. Gesellschaftliche Prozesse wie die beschriebenen Transformationen des Alter(n)s objektivieren sich in der Kunst, werden durch sie stabilisiert, umgewandelt und wirkmächtig, werden durch kulturelle Distinktionen erkenn- und für andere interpretierbar (Müller-Jentsch, 2012). Die Kunst ist eine Art Sprachcode für gesellschaftliche Prozesse. Sie vermag es, die Ambivalenzen des kulturellen Wandels des Alter(n)s von modernen zu spätmodernen Formen umfassend zu analysieren. Das Ziel des Buches ist es, vor diesem Hintergrund eine empirische Einordnung der in der Spätmoderne entstehenden »neuen Kulturen des Alters« (Kolland, Gallistl & Wanka, 2018) durch die Analyse der vielfältigen Bedeutung von Kunst und Kultur im Alter vorzunehmen. Es werden kulturelle Praktiken älterer Menschen umfassend analysiert, wobei ein gründlicher Blick auf das kulturelle Feld geworfen wird sowie auf die vielfältigen Rollen, die ältere Menschen dort spielen. Dafür werden die zentralen Ergebnisse von Forschungsprojekten dargestellt, die von 2016 bis 2021 am Institut für Soziologie der Universität Wien unter Leitung von Franz Kolland und Vera Gallistl durchgeführt wurden. Diese Projekte beschäftigen sich mit älteren Künstler*innen, mit Zugangsbarrieren älterer Menschen zu unterschiedlichen Formen von Kultur und mit den Möglichkeiten der kulturellen Bildung im Alter. (Im Detail sind die Projekte in Kapitel 2 dieses Teils dargestellt.)1 Die Ergebnisse dieser unterschiedlichen Forschungsprojekte zur kulturellen Praxis im Alter machen deutlich, dass kreatives und künstlerisches Handeln im Alltag älterer Menschen eine immense Bedeutung hat. Unter den Vorzeichen existenzieller Knappheit und Aktivierungsansprüchen des Wohlfahrtsstaates sind kreative und künstlerische Praktiken ein Teil der Alltagsgestaltung im späteren Leben. Durch sie können Formen einer »späten Karriere«, eine Auseinandersetzung mit existenziellen Fragen oder die Entwicklung von Identität und gesellschaftlicher Geltungskraft außerhalb des Berufslebens gelingen. Gleichzeitig, so zeigen Fallstudien zur kulturellen Bildung im Alter, nehmen ältere Menschen im Kultursektor eine marginalisierte Position ein. Sie werden als passive Konsument*innen statt aktive Kunstschaffende adressiert. Die viel besprochene Kulturalisierung des Alters findet damit vor dem Hintergrund des Ausschlusses älterer Menschen von großen Teilen des
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Wir möchten uns an dieser Stelle bei allen Projektmitarbeiter*innen am Institut für Soziologie bedanken, besonders bei Anna Wanka, Christina Weißenböck, Clara Overweg, Eva Wimmer, Julia Birke, Julia Demmer, Julia Wohlfahrt, Karoline Bohrn, Teresa Schütz und Viktoria Parisot.
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Kultursektors statt. Die Ergebnisse verdeutlichen die Schwierigkeiten und Barrieren, die ältere Menschen im Zugang zu Kunst und Kultur und damit in ihrer kulturellen Teilhabe erleben. Auf Basis von empirischen Forschungsergebnissen skizziert dieses Buch damit die Rollen des Alter(n)s im kulturellen Feld, verdeutlicht die Potenziale kulturellen Handelns im Alter und zeigt gleichzeitig, welche Prekaritäten, Risiken, Unsicherheiten und Ausschlüsse eine neue Kultur des Alter(n)s befördert. Zum Schluss werden konkrete Handlungsleitlinien und Grundsätze zur Förderung der kulturellen Teilhabe älterer Menschen durch kulturelle Bildung herausgearbeitet. Damit will der Band nicht nur für die gerontologische und alterssoziologische Forschung, sondern auch für die Politik, Öffentlichkeit, Bildung im Alter und für die Kulturvermittlung eine Wissensquelle sein. Gleichzeitig hoffen wir, dass die dargestellten Forschungsergebnisse im Weiteren Nährboden sind für eine sich entwickelnde Kulturgerontologie im deutschsprachigen Raum.
1.
Kulturbegriffe in der Alter(n)sforschung
Kultur als eine Analysekategorie des Alter(n)s zu verstehen erlaubt es, einen umfassenden Blick auf die Widersprüchlichkeiten und Ambivalenzen des Alter(n)s in spätmodernen Gesellschaften zu werfen. Dabei stellt sich zunächst die Frage, was unter Kultur zu verstehen ist bzw. welche erkenntnistheoretischen Prämissen mit der Verwendung des Begriffs einhergehen. Was bedeutet Kultur aus einer gerontologischen Perspektive? Wie wurde der Begriff bislang für die Alter(n)sforschung fruchtbar gemacht? In den Sozialwissenschaften ist die Kultur seit jeher eine respektierte Kategorie zur Analyse sozialer Zusammenhänge und wurde seit den 1980er Jahren unter den Vorzeichen des Cultural turns in der Forschung wieder intensiver diskutiert (Gerhards, 2010). Dagegen hat eine strukturierte Beschäftigung mit der Kultur als Kategorie der Altersforschung später begonnen und sich in der Breite erst mit der Veröffentlichung des Handbuchs für kulturelle Gerontologie (Twigg & Martin, 2015a) durchgesetzt. Dabei wird häufig von einem gerontologischen Cultural turn gesprochen, der neuen Aufschwung bekommen hat (Twigg & Martin, 2015b). Laut diesem ist das Alter(n) als eine kulturelle Kategorie – statt einer biologischen oder sozialen – zu verstehen. Die relativ späte intensive Auseinandersetzung mit Kultur in der Gerontologie soll allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie in ihren vielfältigen Aus-
Teil 1: Einleitung
drucksweisen bereits früher Gegenstand der Altersforschung war. Kultur lässt sich in mehreren gerontologischen Feldern – auch außerhalb der sozialwissenschaftlichen Altersforschung – finden. Durch diese vielfältige Verwendung des Kulturbegriffs in der gerontologischen Forschung bleiben die erkenntnistheoretischen Prämissen und eine genaue Definition des Begriffs häufig unklar und mitunter konturlos. Ähnlich wie in der Soziologie ist die Kultur in der Gerontologie ein schillernder, bekanntlich undefinierbarer Begriff, vor dem man sich aber doch nicht retten kann (Göbel, 2010). Es ist also sinnvoll, zunächst unterschiedliche Verwendungsweisen des Begriffs zu klären und auf ihren theoretischen Gehalt zu prüfen. Eine erste Orientierung kann dabei die Frage sein, inwiefern Kultur als normativer Wertbegriff oder deskriptiv-analytische Kategorie des Sozialen verstanden wird – eine Diskussion, die auch die deutschsprachige Kultursoziologie seit den 1920er Jahren begleitet (Gebhardt, 2003). Kultur ist dabei einerseits als eine Theoriegestalt erklärt, die eine grundlegende Kategorie der sozialen Welt darstellt, andererseits als eine Interventionsform, die das menschliche Wesen kultiviert, also transformiert und verändert (Göbel, 2010). Gerade für die Gerontologie, die mitunter durch eine Nähe zur Anwendungs- und Interventionsforschung gekennzeichnet ist (Lehr, 1979), eröffnet die Beschäftigung mit Kultur eine wichtige Debatte: Inwiefern möchte Altersforschung in die Praxis des Alter(n)s intervenieren, sie nicht nur beschreiben, sondern gestalten? Inwiefern haben die Alter(n)swissenschaften einen beschreibenden, mitunter kritisierenden Charakter? Die Beschäftigung mit Kultur in der Gerontologie ist also in einen größeren Diskurs darüber eingebettet, inwiefern gerontologisches Wissen nicht nur zur Beschreibung, sondern auch zur Gestaltung des Alter(n)s verwendet werden soll. So haben kritische Gerontolog*innen wie Stephen Katz (1996) schon früh darauf hingewiesen, dass die Problematisierung des Alters und die damit verbundene Vorstellung von Alter(n) als ein Prozess, der Interventionen zulässt (und mitunter notwendig macht), eine zentrale Entstehungsbedingung des gerontologischen Forschungsfeldes darstellt. Auch die kritische Forschung zu Technik im Alter im Feld der Sozio-Gerontechnologie hat darauf hingewiesen, dass der Begriff der Technik in der Altersforschung mitunter instrumentell verkürzt wird, das heißt, Technik im Alter als etwas verstanden und erforscht wird, das zu einer Intervention und Veränderung im Alltag älterer Menschen beiträgt (Wanka & Gallistl, 2021; Gallistl & Wanka, 2021). Gerade die Beschäftigung mit Kultur, einem der vielfältigsten Begriffe der sozialwissenschaftlichen Forschung, kann hier deutlich machen, wo und
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durch welche Prozesse Begriffe und Konzepte in der Gerontologie auf eine Interventionsform verkürzt werden und welche Potenziale eine beschreibende, nicht auf Interventionen begrenzte Vorstellung von Kultur für die Altersforschung mit sich bringt. Möchte man sich nun empirisch diesen unterschiedlichen Aspekten von Kultur in Relation zum Alter(n) annähern, so erscheint es zunächst sinnvoll, unterschiedliche Traditionen innerhalb der Gerontologie gegenüberzustellen. Wir möchten deswegen im Folgenden versuchen, verschiedene Auslegungen und Verwendungsweisen des Begriffs in der gerontologischen Forschung zu klären. Diese Aufzählung kann kaum erschöpfend sein, weshalb die folgende Diskussion bisherige Perspektiven und Ergebnisse gerontologischer Forschung im Themenbereich Kunst und Kultur exemplarisch aufarbeiten soll. Dabei wird gefragt, welche blinden Flecken und Leerstellen sich in der Diskussion bislang zeigen und inwiefern Kultur in der Gerontologie als Interventionskategorie oder aber als Analysekategorie verstanden wird. In der folgenden Unterscheidung von drei Kulturbegriffen in der Altersforschung beziehen wir uns auf Überlegungen, die im Detail bei Gallistl, Kolland und Parisot (2021) dargestellt wurden.
1.1
Kultur als Intervention
Die erste Position, die sich in der bisherigen gerontologischen Forschung ausmachen lässt, versteht Kultur als eine Interventionsform im Alter, durch die eine (positive) Veränderung im Prozess des Alter(n)s angestoßen werden kann. Kultur stellt aus dieser Perspektive – häufig verbunden mit Diskussion rund um Kreativität im Alter – ein Instrument dar, das Veränderungen im Leben älterer Menschen bedingen kann. Deswegen handelt es sich hierbei um einen instrumentellen Kulturbegriff (Gallistl, Kolland & Parisot, 2021). Ein instrumentelles Kulturverständnis, das Kultur und Kunst als relevante Interventions- oder Handlungsform sieht, ist in der Gerontologie mitunter am weitesten verbreitet und lässt sich seit den 1980er Jahren in einer Vielzahl von Publikationen identifizieren – vor allem rund um das Themengebiet der (kunst-)therapeutischen Interventionen oder auch der Kreativität im Alter. Es finden sich dabei sowohl Reviews als auch klassische Interventionsstudien, die sich mit den Effekten von kreativer oder kultureller Tätigkeit auf den Alltag älterer Menschen befassen und deren Wirkungen messbar machen (Bernard & Rickett, 2016; Fraser et al., 2015; Amadori, 2019; Schall et al., 2017; Pürgstaller, 2020) oder die Prozesse beschreiben, durch die sich Le-
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benswelten und Identitätsvorstellungen älterer Menschen verändern, wenn sie an künstlerischen Interventionsprogrammen teilnehmen (Sabeti, 2014 Goulding, 2013). Zentral an dieser Perspektive ist das Verständnis von Kunst und Kultur als Interventions- und Handlungsform, als spezifische Form sozialer Praxis, die sich von anderen Aktivitäten – wie Körperpflege, Medienkonsum oder das Nachgehen einer Erwerbsarbeit – abgrenzen lässt. In diesem Kontext steht Kultur auch in Verbindung mit dem Begriff der Kultivierung (Adelung, 1793), da Kultur und Kunst als Handlungsform auf eine Verfeinerung, Veredelung, einen Prozess des Hervorhebens von bestimmten Praxisformen gegenüber anderen Praxisformen abzielt (Reckwitz, 2010). In Reviews zu gerontologischen Studien in diesem Bereich wurde nachgezeichnet, dass die auf dem instrumentellen Kulturbegriff basierende Gerontologie in den letzten 30 Jahren einen deutlichen Zuwachs an Publikationen erlebt hat (Bernard & Rickett, 2016). Gemeint ist damit, dass der therapeutische Charakter von Kunst und Kultur an Bedeutung gewonnen hat. Diese Entwicklung wirft auch Fragen auf. Fraser et al. (2015) fragen sich in einem Übersichtsartikel, was die Gerontologie gewinnen könnte, wenn Kunst und Kultur nicht als therapeutische Intervention eingesetzt werden, sondern künstlerische Erfahrungen älterer Menschen auch außerhalb therapeutischer Zusammenhänge in den Blick genommen werden. Es stellt sich in dem Kontext also mitunter als problematisch heraus, dass die umfassende Bedeutung der Kultur für das Alter(n) auf die Analyse einer bestimmten Handlungs- und Interventionsform verengt wird und damit unter Umständen auch wichtige weitere Aspekte der Produktion und des Konsums von Kunst und Kultur ausgeblendet werden: Wie können – unter einem instrumentell-interventionistischen Paradigma – etwa die Produktionsbedingungen von Kunst und Kultur berücksichtigt werden? Welche Rolle spielen die Bewertungsprozesse von Kunst und Kultur in kunst- und kulturtherapeutischen Kontexten? Inwiefern ist die Grenzziehung zwischen professioneller und laienhafter Kunst von Bedeutung? Eine rein instrumentelle Betrachtungsweise von Kultur im Kontext des Alter(n)s läuft damit Gefahr, diese zentralen Aspekte einer umfassenden Betrachtung von Kultur im Alter auszuklammern. Im Kontext dieses Buches ist ein instrumenteller Kulturbegriff vor allem in der Diskussion rund um Kreativität im Alter (Teil 2) relevant, auch deswegen, weil sich innerhalb dieses Konzepts eine deutliche Fokussierung auf kreative Aktivitäten im Alter als zentrale Interventionsform abzeichnet (Gallistl, 2020). In Teil 2 zeigen wir auf Basis von qualitativen Fallstudien mit älte-
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ren Künstler*innen, was die Kreativität im späteren Leben auszeichnet, wie sie sich mit dem Älterwerden verändert, welche Voraussetzungen und Barrieren sie mit sich bringt und welche Potenziale sie hat, sich auf neue Art und Weise mit dem Alter(n) selbst auseinanderzusetzen.
1.2
Kultur als System
Eine zweite Perspektive der gerontologischen Forschung sieht Kultur als ein spezialisiertes, institutionalisiertes Subsystem von Gesellschaften, in dem die Produktion und der Konsum von Kunst und Kultur im Vordergrund stehen. Während der instrumentelle Kulturbegriff in der Literatur häufig für eine konzeptionelle Verengung der Kultur auf eine spezifische Handlungs- und Interventionsform kritisiert wurde, findet sich bei dieser zweiten Sichtweise eine breitere Befassung mit Kunst und Kultur in Bezug auf ihre Institutionen, Entstehungsbedingungen, Strukturen, Barrieren, Entwicklungen und Wirkungen. Weil dabei ein umfassender Blick auf die Rahmenbedingungen der Produktion und des Konsums von Kunst und Kultur – überwiegend in Institutionen des Kunst- und Kultursektors – gerichtet wird, spricht man auch vom institutionellen Kulturbegriff (Gallistl, Kolland & Parisot, 2021). Empirische Studien, die eine solche Perspektive auf Kultur im Alter einnehmen, beschäftigen sich etwa mit den Zugangsbarrieren älterer Menschen zu Institutionen des Kunst- und Kultursektors (Goulding, 2018; Gallistl et al., 2019) oder fragen nach der Rolle älterer Menschen und des demografischen Wandels in der Entwicklung der Kunst- und Kulturpolitik (Göschel, 2007; Hausmann & Körner, 2009; Sievers, 2010). Dabei werden auch immer wieder Barrieren identifiziert und dokumentiert und die Frage gestellt, inwiefern Kulturvermittlungsangebote, etwa in Museen (Kolter, 2013), oder Angebote der kulturellen Bildung im Alter (de Groote, 2018; Göricke, 2019) den Zugang älterer Menschen zu Kunst und Kultur verbessern oder erleichtern, aber mitunter auch erschweren können, etwa wenn in Einrichtungen des Kunst- und Kultursektors nicht oder zu wenig auf Barrierefreiheit geachtet wird. Deutlich wird dabei, dass diese Perspektive auf Kultur in der Gerontologie anschlussfähig ist an Forschungen, die Fragen nach sozialen Ungleichheiten im Zugang zu Kunst und Kultur in den Vordergrund stellen. Da Kunst und Kultur als ein institutionalisiertes Subsystem von Gesellschaften verstanden wird, kann darauf aufbauend auch die Frage danach gestellt werden, wie sich soziale Ungleichheiten im Zugang zu Kunst und Kultur äußern und mitunter reproduzieren. Kunst und Kultur sind aus einer solchen Perspektive Elemen-
Teil 1: Einleitung
te sozialer und gesellschaftlicher Teilhabe im Alter (Kolland, 1996), was auch unter den Begriffen der kulturellen Partizipation oder Beteiligung (Morrone, 2006) diskutiert wird. Der Ausschluss von Einrichtungen des Kunst- und Kultursektors spielt dabei ebenfalls eine Rolle – etwa in der Nicht-Teilnehmer*innenforschung (Gallistl, 2021; Schönherr & Oberhuber, 2015). Hier sind Forschungsergebnisse relevant, die aufzeigen, dass innerhalb der höheren Altersgruppen vor allem hochaltrige Menschen (über 80 Jahre) weniger in Einrichtungen des Kunst- und Kultursektors als Konsument*innen aktiv sind und das ganz besonders jene älteren Menschen betrifft, die in Armut leben oder ein niedriges Schulbildungsniveau aufweisen (Jivraj, Nazroo & Barnes, 2012). Kunst und Kultur sind in diesem Sinne nicht nur ein gesellschaftliches System, sondern ein differenzielles bzw. ungleichheits(re)produzierendes, innerhalb dessen sich für Personen mit unterschiedlicher sozialer Stellung unterschiedliche Ausgangssituationen ergeben – eine Position die etwa in der Kunst- und Kultursoziologie Pierre Bourdieus (1996) detailliert ausgearbeitet wurde. Im Kontext dieses Buches ist ein solcher institutioneller Kulturbegriff an mehreren Stellen relevant. Einerseits wird er im Detail in Teil 3 diskutiert, in dem wir auf Basis einer quantitativen, repräsentativen Umfrage der Bevölkerung über sechzig Jahre in Österreich diverse Kulturstile älterer Menschen herausarbeiten und diese im sozialen Raum verorten. Bildung, Einkommen und Gesundheit sind dabei die zentralen sozialstrukturellen Determinanten der kulturellen Teilhabe im Alter, wobei sich deutliche Differenzen zwischen unterschiedlichen Formen bzw. Systemen von Kultur in den Daten zeigen. Relevant ist ein ungleichheitstheoretischer Blick auf Kultur auch in Teil 4 dieses Buches. Er setzt sich mit kultureller Exklusion im Alter auseinander, indem Perspektiven auf Institutionen des Kunst- und Kultursektors von Personen, die im Alter in Armut leben, anhand von qualitativem Datenmaterial dargestellt werden. Dabei zeigt sich eine überraschende Vielfalt im Umgang mit Kunst und Kultur in dieser Gruppe. Schließlich ist der hier skizzierte Kulturbegriff auch zum Ende dieses Buches relevant. Teil 5 beschäftigt sich mit den Möglichkeiten und Grenzen der kulturellen Bildung im Alter als Intervention, um die kulturelle Teilhabe zu erhöhen und so soziale Ungleichheiten im Zugang zu Kunst und Kultur im Alter durch Bildung und Lernen abzubauen.
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Neue Kulturstile älterer Menschen. Zum Älterwerden zwischen Ästhetik und Alltag
1.3
Kultur als Bedeutung
Als dritte Perspektive in der Gerontologie lässt sich ein wissens- und bedeutungsorientierter Kulturbegriff identifizieren. Er grenzt Kultur nicht als spezifische Handlungsform oder gesellschaftliches Teilsystem ab, sondern versteht sie aus einer »Totalperspektive Kultur« (Reckwitz, 2010, S. 106) heraus als eine grundlegende Kategorie des Sozialen, die sich in allen sozialen Zusammenhängen finden und analysieren lässt. Kultur bezeichnet damit keinen abgetrennten Bereich der Gesellschaft, sondern die Totalität der »symbolisch-praktischen Ordnung des Sozialen […], das Material, mit dem die Menschen ihren (materiellen und sozialen) Erfahrungen Ausdruck verleihen, Sinn und Bedeutung geben und das wiederum neue Erfahrungen möglich machen kann.« (Moebius, 2009, S. 189) Dieser umfassende Kulturbegriff, liegt auch der kulturellen Gerontologie im engeren Sinne zu Grunde (Twigg & Martin, 2015a, b): Kultur ist kein Teilbereich der Gesellschaft, an dem ältere Menschen teilhaben können oder nicht, sondern das Alter(n) selbst ist als Teil einer symbolischen Ordnung auch Teil der Kultur einer Gesellschaft. Soziale Phänomene wie das Alter sind aus einer solchen Perspektive nicht durch die Kultur beeinflusst oder bestimmt, sondern selbst kulturell hervorgebracht und nur in Verbindung mit kulturell spezifischen Denk-, Wahrnehmungs- und Interpretationsmustern verstehbar. Die Kultur stellt damit auch keinen von der gerontologischen Forschung abgetrennten Bereich dar, sondern jedes Thema der Gerontologie – vom Wohnen über Gesundheit und Pflege bis zu später Erwerbstätigkeit – lässt sich aus einer solchen kulturgerontologischen Perspektive erforschen. Ein solcher umfassender Kulturbegriff, der Kultur in der Erforschung der Bedeutung, des Sinns und des Symbolischen verortet, beschäftigt uns im vorliegenden Buch dort, wo aus den empirischen Forschungsergebnissen Schlüsse zur Weiterentwicklung der Kulturgerontologie im deutschsprachigen Raum gezogen werden (Teil 6). Damit verfolgt das Buch das Ziel, die Diskussion um unterschiedliche Kulturbegriffe in der Gerontologie nicht nur auf Basis des empirischen Datenmaterials zu illustrieren, sondern mit diesen Ergebnissen auch zur Weiterentwicklung einer dezidiert kulturgerontologischen Sicht auf das Alter beizutragen.
Teil 1: Einleitung
2.
Forschungsprojekte im Themenschwerpunkt »Kultur und Alter« am Institut für Soziologie (2016-2021)
Die zuvor skizzierten Fragen und Themen zur Rolle und zum Wesen der Kultur im Alter werden in den folgenden vier thematischen Teilen dieses Buches anhand von empirischem Material diskutiert und beantwortet. Die jeweiligen Teile beziehen sich dabei auf vier unterschiedliche Forschungsprojekte, die im Zeitraum 2016 bis 2021 am Institut für Soziologie der Universität Wien in der Forscher*innengruppe »Alter, Generationen, Lebenslauf« durchgeführt wurden. Die Details der einzelnen Erhebungen inklusive methodischer Zugänge, Stichproben und Auswertungsstrategien sind in den jeweiligen Teilen vermerkt und geben der Leserin/dem Leser einen Überblick über die methodischen Aspekte der Forschungsprojekte. Wie lassen sich die dargestellten Forschungsprojekte und die unterschiedlichen Themen des Buches in die skizzierten Kulturbegriffe einordnen? Dazu sind im Folgenden die einzelnen Projekte inklusive ihrer wissenschaftlichen Ausgangspunkte und Forschungsfragen dargestellt. Sie geben einen Einblick in die Arbeit des Teams am Forschungsschwerpunkt »Alter, Generationen, Lebenslauf« am Institut für Soziologie in den Jahren 2016 bis 2021 und machen deutlich, im Rahmen welcher Forschungsprojekte die folgenden Ergebnisse, Konzepte und Forschungszugänge entwickelt wurden.
2.1
Kulturstile älterer Menschen (2016-2018)
Kreativität und kultureller Ausdruck gewinnen in einer »neuen Kultur des Alterns« (Kolland, 2015) an Bedeutung: Positive Effekte von kreativem Schaffen älterer Menschen für ein erfolgreiches und aktives Altern wurden empirisch immer wieder nachgewiesen (für Reviews siehe Fraser et al., 2015; Bernard & Rickett, 2016). Zentrales Ergebnis dieser Forschungen ist der Befund, dass sich Kreativität auf unterschiedliche Elemente von positivem Alter auswirken kann (Bernard & Rickett, 2016; Flood & Phillips, 2007; Fraser et al., 2015). Zusätzlich bildet sich vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Ästhetisierung und Kulturalisierung »der Kreative« (Reckwitz, 2016) als erstrebenswertes Identitätskonzept heraus, das auch in der nachberuflichen Lebensphase an Bedeutung gewinnt (Gallistl, 2020). Wenig bis gar nicht untersucht wurden bis dato die spezifischen sozialen Positionen, aus denen heraus ältere Menschen kreativ tätig sind: Katz (2005) weist etwa darauf hin, dass zukünftige Forschung diese Positionen konse-
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Neue Kulturstile älterer Menschen. Zum Älterwerden zwischen Ästhetik und Alltag
quenter berücksichtigen müsste, um die Relevanz des Alters in der Kreativität umfassend betrachten zu können. Das Forschungsprojekt »Kulturstile älterer Menschen« hat es sich deswegen zum Ziel gesetzt, die Rahmenbedingungen kreativen Schaffens älterer Menschen in den Vordergrund zu stellen und anhand von qualitativen Fallstudien detailliert zu untersuchen. Ältere Menschen sind innerhalb künstlerischer Felder aus spezifischen Positionen heraus tätig und mit spezifischen Diskursen konfrontiert (Katz, 2005), die in kreativem Schaffen verhandelt werden und so zur (Re-)Produktion altersbezogener sozialer Ungleichheit beitragen. Ausgehend von einer antihumanistischen Kreativitätssoziologie (Fox, 2013) und der Feldtheorie Pierre Bourdieus (2015) hat das Forschungsprojekt die folgenden Fragen gestellt: Unter welchen Bedingungen, Positionen und Relationen (Assemblages) sind ältere Menschen kreativ tätig? Welche Rolle spielen dabei institutionelle Bewertungs-, Einschlussund Ausschlussmechanismen? Wie werden diese in der kreativen Tätigkeit älterer Menschen verhandelt? Dazu wurden in diesem qualitativen Forschungsprojekt dreizehn Fallstudien mit älteren Künstler*innen durchgeführt. Unterschiedliche Daten wurden mit zwei qualitativen Methoden erhoben und aufeinander bezogen analysiert: 1) teilnehmende Beobachtungen von kreativen Tätigkeiten im Alter und 2) leitfadengestützte Interviews mit älteren Künstler*innen. Diese beiden Methoden ergänzen einander und werden im Sinne von Einzelfallanalysen (Hering & Schmidt, 2014) miteinander verbunden: Für die Datenauswertung wurde die Situationsanalyse nach Clarke (2012) angewandt. Diese Tätigkeiten wurden als Forschungsphase des Projektes »Kulturstile älterer Menschen« vorgenommen, das im Zeitraum 2016 bis 2018 am Institut für Soziologie der Universität Wien unter der Leitung von Franz Kolland und der Mitarbeit von Vera Gallistl, Eva Wimmer und Clara Overweg durchgeführt wurde. Gefördert wurde die Arbeit durch die PONTE Privatstiftung.
2.2
Zugangsbarrieren für ältere Menschen in der kulturellen Bildung – »Mainstreaming Ageing« im Kultursektor (2016-2018)
Lern- und Bildungsangebote für ältere Menschen werden im Zuge des demografischen Wandels wichtiger und kulturelle Bildung im Alter gewinnt dabei auch international an Bedeutung. Leitbilder von Organisationen vieler gesellschaftlicher Sektoren enthalten deswegen zunehmend Diversitätskonzepte, das heißt Willenserklärungen zur Inklusion und Gleichstellung älterer Men-
Teil 1: Einleitung
schen und damit die Verpflichtung zum sogenannten »Mainstreaming Ageing«. Im Kunst- und Kulturbereich finden sich bislang allerdings noch wenige Beispiele, in denen Diversitätskonzepte, die das Alter als Differenzkategorie mitdenken, in Leitbildern niedergeschrieben wurden. Zwar hat sich in Deutschland in den letzten dreißig Jahren die Idee von »Kultur für alle« in Kulturpolitik, Kulturbetrieb und Kulturwissenschaft manifestiert, dennoch macht das Publikum öffentlich geförderter Kultureinrichtungen noch immer eine kleine Elite aus und Akteur*innen im Kultursektor (wie z.B. der Berliner Rat für die Künste) sind zwar häufig um die Berücksichtigung von Diversitätskonzepten bemüht, dies gelingt allerdings oft nur in Ansätzen (Renz, 2016). Vor dem Hintergrund des Mainstreaming Ageing und des Grundrechts auf Bildung und kulturelle Teilhabe hat das Forschungsprojekt »Zugangsbarrieren für ältere Menschen in der kulturellen Bildung – ›Mainstreaming Ageing‹ im Kultursektor« untersucht, wie der Zugang zu kultureller Bildung für ältere Menschen in Österreich geregelt ist und inwiefern sie hier benachteiligt werden. Welche Ansätze, Konzepte und organisationale Strukturen im Kunst- und Kulturbereich führen zu Ausschlussprozessen älterer Menschen aus der kulturellen Bildung? Welche Innovationen sind notwendig, um ältere Menschen in stärkerem Maße an kultureller Bildung beteiligen zu können? Aus einer Perspektive der Governance- und Gouvernementalitätsforschung zielte dieses Forschungsprojekt darauf ab, eine Bestandsaufnahme von Möglichkeiten kultureller Bildung für ältere Menschen in Österreich vorzunehmen sowie eine empirische Datenbasis über die Bedürfnisse älterer Menschen und Kulturorganisationen in diesem Bereich zu erstellen. Es wurde danach gefragt, welche Angebote an kultureller Bildung es für ältere Menschen in Österreich gibt, inwiefern sich Kulturorganisationen als Bildungsvermittler für ältere Menschen sehen und welchen Beitrag Diversity-Konzepte wie das Mainstreaming Ageing zur Förderung der kulturellen Teilhabe älterer Menschen leisten. Dafür wurde ein Mixed-Methods-Design entwickelt, indem Ergebnisse von quantitativen und qualitativen Forschungsphasen miteinander verbunden wurden. Zur Feldbestimmung der kulturellen Bildung für ältere Menschen in Österreich wurden eine quantitative Online-Umfrage durchgeführt und eine Datenbank von Angeboten erstellt. Darauf aufbauend wurden sechs qualitative Fallstudien in ausgewählten Angeboten der kulturellen Bildung für ältere Menschen durchgeführt, um die Governance-Strukturen, Zugangsbar-
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Neue Kulturstile älterer Menschen. Zum Älterwerden zwischen Ästhetik und Alltag
rieren, aber auch Potenziale der Angebote hinsichtlich der Entwicklung eines positiven Altersbildes zu untersuchen. Auf Basis der Ergebnisse wurden in Kombination mit einschlägiger Literatur Leitlinien erstellt, die die Implementierung von Mainstreaming Ageing in Kulturbetrieben sowie die Entwicklung von alterssensiblen Zugängen in der kulturellen Bildung unterstützen sollen. Das Projekt wurde vom Jubiläumsfonds der Oesterreichischen Nationalbank (Fördernummer: 16828) gefördert und unter der Leitung von Tasos Zembylas sowie der Mitarbeit von Gerhard Geiger am internationalen Forschungsinstitut für Medien, Kommunikation und Kulturelle Entwicklung (MEDIACULT) gemeinsam mit dem Forscher*innenteam am Institut für Soziologie der Universität Wien durchgeführt.
2.3
Bildung und soziokulturelle Teilhabe (2017-2019)
Bildung im Alter hat den Anspruch, ältere Menschen in der Gestaltung der Lebensphase Alter zu unterstützen. Die kulturelle Bildung als »education in the arts« und »education through the arts« (Bamford, 2009, S. 11) spielt dabei eine spezielle Rolle. Das Forschungsprojekt »Bildung als Voraussetzung für soziokulturelle Teilhabe« hatte zum Ziel, Barrieren der kulturellen Teilhabe älterer Menschen zu untersuchen und danach zu fragen, welche Rolle Bildungs- und Lernangebote in der Überwindung dieser Barrieren spielen können: Welche Barrieren erleben ältere Menschen im Zugang zu kulturellen Aktivitäten? Was verhindert kulturelle Teilhabe im höheren Alter? Welche Bildungs- und Lernaspekte sind kulturellen Aktivitäten älterer Menschen inhärent? Wie kann die kulturelle Teilhabe älterer Menschen unterstützt und gefördert werden? Im Forschungsprojekt wurde zu diesen Fragestellungen ein MixedMethods-Design entwickelt, in dem qualitative und quantitative Datenquellen erhoben und in der Auswertung miteinander kombiniert wurden. In der qualitativen Forschungsphase wurden dabei Menschen über sechzig Jahre bei einer spezifischen kulturellen Aktivität (dem Besuch eines Theaterstücks in einem der öffentlich geförderten Theater in Wien) begleitet. Im Sinne partizipativer Forschung wurden die älteren Studienteilnehmer*innen dabei gebeten, Theater als kulturellen Teilhaberaum für ältere Menschen zu erforschen und die Ergebnisse dieser Forschung visuell und narrativ zu dokumentieren. In einer zweiten, quantitativen Forschungsphase wurde eine standardisierte und repräsentative Befragung von einem Sample von 1518 Personen
Teil 1: Einleitung
über sechzig Jahre in Österreich durchgeführt. Die befragten Personen gaben Auskunft zu ihren kulturellen Aktivitäten und den Barrieren, die sie im Zugang zu Kunst und Kultur erleben. Ein besonderer Fokus wurde dabei auf die Frage gelegt, inwiefern Bildung und Lernen die kulturelle Teilhabe im Alter unterstützen können. Das Projekt wurde vom österreichischen Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz gefördert und im Sommer 2019 abgeschlossen.
2.4
Kulturelle Exklusion älterer Menschen in Wien (2019-2021)
Der demografische und damit verbundene kulturelle Wandel verändert nicht nur die Lebenssituation und Lebenserwartung älterer Menschen, sondern auch die Alterszusammensetzung von Städten deutlich. Dies trifft auch auf die Bevölkerung in Wien zu, denn knapp jede fünfte Wienerin und jeder fünfte Wiener wird sich bis 2040 im Pensionsalter befinden. Studien zur kulturellen Beteiligung in Wien zeigen bislang, dass etwa der Besuch von Theatern, Konzerten, Museen oder Kinos im Alter deutlich verringert ist und ein starker Zusammenhang zwischen kultureller Inaktivität und sozioökonomischem Status besteht (Schönherr & Oberhuber, 2015). Für die Kulturpolitik der Stadt Wien stellt sich damit die praktische Frage, wie ältere Menschen, speziell finanziell deprivierte, von Einrichtungen des Kunst- und Kultursektors erreicht werden können, um die kulturelle Teilhabe im Alter zu stärken. Vor allem in den innerstädtischen Bezirken Wiens ist das kulturelle Angebot vielfältig und es ist erklärtes Ziel der Stadtpolitik, mehr Wiener*innen mit kulturellen Angeboten zu erreichen. Hierzu gehören auch eine Verbesserung der räumlichen Zugänglichkeit und der Ausbau von Kulturvermittlungsangeboten. Gleichzeitig sind ältere Menschen bislang kaum von solchen Initiativen adressiert worden. Förderprogramme zur kulturellen Bildung und Kulturvermittlung in Österreich haben sich bislang wenig mit älteren Menschen als Zielgruppe beschäftigt und Studien zur kulturellen Bildung in Österreich zeigen, dass Kulturorganisationen in Österreich bislang kaum mit professionellem Wissen oder verpflichtenden Leitlinien zur Adressierung älterer Menschen mit ihrem Angebot arbeiten (Gallistl, Parisot & Birke, 2019). Das Projekt »Kulturelle Exklusion älterer Menschen in Wien«, das zwischen 2019 und 2021 am Institut für Soziologie der Universität Wien durchgeführt wurde, hat den Fokus auf die kulturellen Teilhabeformen jener älteren Wiener*innen gelegt, deren Alltag durch ökonomische und materiel-
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Neue Kulturstile älterer Menschen. Zum Älterwerden zwischen Ästhetik und Alltag
le Deprivation gekennzeichnet ist. Es hat danach gefragt, welche Impulse gesetzt werden können, um diese Menschen mit Kulturinitiativen und Kulturvermittlungsangeboten zu erreichen. Insbesondere ging es dabei um die Frage, inwieweit öffentlich finanzierte und unterstützte Einrichtungen des Kunst- und Kultursektors in Wien in der Lage sind, ältere, deprivierte Bevölkerungsgruppen zu erreichen, und inwiefern diese von aktuellen Angeboten und Initiativen des Kunst- und Kultursektors in Wien erreicht werden. Das Projekt widmet sich aus einer qualitativen und anwendungsorientierten Perspektive dem Phänomen der kulturellen Exklusion älterer Menschen in Wien und umfasste dabei drei Forschungsphasen: 1) narrative Interviews mit ökonomisch deprivierten älteren Bewohner*innen Wiens zu ihren kulturellen Teilhabe- und Ausschlusserfahrungen, 2) Recherche und Aufarbeitung von altersinklusiven Kulturangeboten in Wien und 3) Formulierung von Empfehlungen für eine alterssensible Kulturpolitik im Kontext der Stadt Wien. Das Projekt wurde vom Hochschuljubiläumsfonds der Stadt Wien gefördert (Fördernummer: H-298090_2019).
Teil 2: Kreativität und kreative Praktiken im Alter
In der Diskussion um eine Alterskultur bzw. Kulturen im Alter hat die Kreativität ihren festen Platz. Spätestens seit sich die Vorstellung einer (kulturellen) Differenzierung des Alters, etwa durch die Unterscheidung in ein drittes und ein viertes Lebensalter (siehe dazu etwa Peter Laslett’s »A Fresh Map of Life« [1991]) in der gerontologischen Forschung verbreitet hat, besteht auch ein intensiveres Interesse an einer kreativen Gestaltung der Lebensphase Alter und der Frage nach Kreativpotenzialen des Alter(n)s. Von gerontologischem Interesse war die Kreativität im Alter dabei vor allem dann, wenn sie mit Innovation und der Produktion von Neuartigem verbunden wurde und so die aktive Gestaltung sowie die Möglichkeiten zur (Neu-)Ausrichtung des Lebensstils in der Lebensphase Alter fokussiert hat. Sich mit Kreativität im Alter zu beschäftigen, so beschreibt es Desmond O’Neill (2011), ermöglicht es, die Potenziale des demografischen Wandels zu verstehen und die Neuartigkeit, die Innovation und die neu entstehenden Möglichkeiten dieser Lebensphase ins Zentrum der Diskussion zu stellen. Gleichzeitig gewinnt Kreativität als Kategorie der Gerontologie unter den Vorzeichen gesellschaftlicher Individualisierung in der Spätmoderne an Bedeutung. In Gesellschaften, in denen Innovation ein zentraler Wert zugeschrieben wird, entsteht auch ein gesteigertes Interesse an Kreativität als treibende Kraft hinter Innovation. Aus so einer Perspektive ist die Kreativität kein rein semantisches Phänomen, sondern zentraler Teil eines sozialen Wertekatalogs, der seit gut dreißig Jahren in zunehmendem Maße in den westlichen Gesellschaften zu einer prägenden Kraft geworden ist (Reckwitz, 2018). In spätmodernen Gesellschaften des ästhetischen Kapitalismus (Reckwitz, 2018), so die Annahme, wird die ständige Produktion von Neuartigem, die Originalität und Innovationskraft sichtbar macht, eine zentrale Erwartung an Subjekte – in den creative industries und im Berufsleben (Florida, 2004), aber auch darüber hinaus.
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Neue Kulturstile älterer Menschen. Zum Älterwerden zwischen Ästhetik und Alltag
Dieser Anspruch der Arbeitswelt an individuelle Kreativität macht auch vor dem Alter nicht halt: Waren es lange Ideen rund um körperliche Aktivierung und zivilgesellschaftliches Engagement, die ein erfolgreiches und aktives Altern im krisenhaften demografischen Wandel ermöglichen sollten (Council of the European Union, 2012), wurde in den letzten Jahren die »latelife creativity« (O’Neill, 2011) als ein Konzept entdeckt, dass die Innovationskraft, die Besonderheit und Neuartigkeit des Alter(n)s betont. Kreativität und kulturelle Ausdrucksfähigkeit im späteren Leben sollen ein innovatives und autonomes Altern ermöglichen und die gesellschaftlichen Potenziale des demografischen Wandels sicht- und nutzbar machen. Aus so einer Perspektive erscheint es lohnend, nach den gesellschaftlichen Bedingungen und Voraussetzungen von Kreativität im Alter zu fragen. Welche gesellschaftlichen Transformationsprozesse führen dazu, dass Kreativität im Alter zu einem Thema für Forschung und Praxis geworden ist? Welche Diskurse ermöglichen es, über Kreativität im Alter in der gerontologischen Forschung und Praxis zu sprechen und nachzudenken? Welche Ansprüche an die Aktivierung der älteren Bevölkerung sind damit verbunden? Welche Erwartungen an ältere Subjekte gehen damit einher? All das wird in diesem Teil des Buches thematisiert, der sich mit älteren Künstler*innen, kreativ-schöpferischen Praktiken im Alter und den gesellschaftlichen Bedingungen auseinandersetzt, unter denen Kreativität im Alter ermöglicht und begrenzt wird. Basierend auf einer antihumanistischen Kreativitätssoziologie (Fox, 2013) wird die Entstehung von Kreativität als Produkt des Zusammenspiels unterschiedlicher menschlicher oder nichtmenschlicher Akteur*innen (Dinge, Ideen, soziale Formationen, siehe Kapitel 2) untersucht. Kreative Tätigkeit wird damit nicht verstanden als an ein Individuum gebunden; materielle, psychologische, kulturelle, ökonomische, politische und soziale Beziehungszusammenhänge werden als im kreativen Schaffen älterer Menschen inhärent begriffen: Dabei sind die Produktionsbedingungen ihm nicht vor- oder nachgelagert – sie sind gleichermaßen Teil des Produktionsprozesses und werden dort reproduziert oder verändert. Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden eine ethnografisch-qualitative Studie vorgestellt, die sich im Detail mit älteren Künstler*innen, ihren Perspektiven auf das Älterwerden, den Produktionsbedingungen von Kreativität und Innovation im Alter und den Valorisierungspraktiken von künstlerischen Tätigkeiten aus einer alterssoziologischen Perspektive beschäftigt. Dafür werden zunächst die zentralen Begriffe geklärt und basierend auf einer praxistheoretischen und antihumanistischen Konzeption von Kreativität die
Teil 2: Kreativität und kreative Praktiken im Alter
gerontologischen Forschungsergebnisse zur Kreativität im Alter eingeordnet. Danach und darauf bezogen werden dann die Ergebnisse eines Forschungsprojektes vorgestellt, dass sich mit Lebenswelten älterer Künstler*innen beschäftigt hat.
1.
Die Erforschung von Kreativität in der Gerontologie
Generell hat die Erforschung von Kreativität in ihrem Wirken auf das Älterwerden in der gerontologischen und alterssoziologischen Literatur eine lange Tradition. Neben konzeptionellen Grundlagenwerken, die das Potenzial kreativen Schaffens für ein gelungenes Alter diskutieren (vgl. etwa Rosenmayr, 2007; Baars, 2012), wurde in den letzten zehn Jahren verstärkt an einer empirischen Erforschung von künstlerischen und kreativen Tätigkeiten älterer Menschen gearbeitet (Bernard & Rickett, 2016). Unterscheiden lassen sich grob drei Forschungsstränge: Erstens finden sich Wirkungsstudien, vor allem im Bereich der nicht professionellen künstlerischen Tätigkeiten (Littlec-Kreativität), in denen Effekte kreativer und künstlerischer Tätigkeiten für ältere Menschen untersucht werden. Kunst und Kreativität werden hier häufig als therapeutische Intervention verstanden, die zu einer erhöhten Lebensqualität, besserer Gesundheit oder einer neuen Auseinandersetzung mit dem eigenen Alter führen. Zweitens finden sich Studien, die sich mit Veränderungen im Schaffen älterer Künstler*innen (Big-C-Kreativität) auseinandersetzen. Hier wird Kreativität meist als professionelle und exklusive Eigenschaft verstanden, die professionellen Künstler*innen vorenthalten und selektiv ist (Swinnen, 2016). Und drittens setzen sich Studien mit Diskursen über das Alter auseinander, die durch künstlerische Produkte ausgedrückt werden. Kunst und kreativer Ausdruck werden hier als Träger von sozialer Bedeutung verstanden und als solche analysiert.
1.1
»Little c«-Kreativität im Alter
In der Kreativitätstheorie macht Boden (1994) eine Unterscheidung zwischen »Big C«- und »Little c«-Kreativität. »Big C« beschreibt jene kreativen Ideen, die zu einem sozialen oder individuellen Durchbruch führen, Transformationsprozesse einleiten oder einen langfristen Effekt auf die Gesellschaft haben. »Little c« hingegen beschreibt Kreativität und kreative Lösungen für Probleme im Alltag. Der Psychiater Cohen und Kolleg*innen (2006) initiierten
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Neue Kulturstile älterer Menschen. Zum Älterwerden zwischen Ästhetik und Alltag
eine Auseinandersetzung mit »Little c«-Kreativität im Alter, die eine bis heute andauernde Welle an Studien zu dieser Art der Kreativität und zu Wohlbefinden im Alter ausgelöst hat. Die Erforschung der »Little c«-Kreativität stellt bis heute einen etablierten Forschungszweig in der Gerontologie dar, der sich häufig mit kreativen Amateurpraktiken, künstlerisch-kreativen Angeboten oder kunsttherapeutischen Interventionen auseinandersetzt. In besagter Studie belegten die Forscher*innen, dass die regelmäßige Teilnahme an einem kreativen Projekt sowohl die physische als auch die psychische Gesundheit der Teilnehmer*innen verbesserte. Die gerontologische Forschung hat sich seitdem intensiv mit Kunst, Kreativität und Wohlbefinden im Alter auseinandergesetzt, die in den Bereich der Wirkungsstudien zur »Little c«-Kreativität fallen. Der Forschungsstrang inkludiert sowohl qualitative als auch quantitative Studien zu verschiedensten Formen der künstlerischen Aktivität: Theater (für einen Überblick siehe Rickett & Bernard, 2016), Malerei (Cantu & Fleuriet, 2017), kreatives Schreiben (Cantu & Fleuriet, 2017; Gutheil & Heyman, 2016; Seymour & Murray, 2016), Tanz (Skingley, De’Ath & Napleton, 2016) und sonstige musikalische Aktivitäten (vorwiegend Chorgesang) (siehe Johnson et al., 2017; Solé et al., 2010). Diese empirischen Studien beschreiben meist die positiven Wirkungen von kreativem Schaffen für ältere Menschen. Zwei Review-Studien (Bernard & Rickett, 2016; Fraser et al., 2015) kommen zu ähnlichen Ergebnissen: Beide finden Evidenz für eine positive Wirkung von künstlerischem und kreativem Engagement auf die Lebensqualität und subjektive Gesundheit älterer Menschen. Auch ältere Evaluationsstudien haben positive Effekte von unterschiedlichen künstlerischen Aktivitäten auf physische und emotionale (Cutler, 2009) sowie mentale Gesundheit (Castora-Binkley et al., 2010), soziale Einbindung und die Entwicklung von positiven Altersbildern (Reynolds, 2015) bis hin zur kognitiven Wahrnehmung (Noice & Noice, 2013) nachgewiesen. Diese Studien untersuchen meist Programme und Angebote, die spezifisch auf ältere Menschen zugeschnitten sind und etwa von Sozialarbeiter*innen, professionellen Künstler*innen oder Amateur*innen geleitet werden. Die älteren Teilnehmer*innen der Studien sind dabei im Regelfall Amateur*innen, die unter Leitung von Professionellen kreative Praktiken ausführen. Noice, Noice und Kramer (2014) haben in einer Metastudie die Ergebnisse dieses Forschungsstrangs zusammengefasst. Verschiedene Studien belegen hier den positiven Effekt von künstlerischer Aktivität auf das Selbstbewusstsein (Cantu & Fleuriet, 2017), die soziale Teilhabe (Gutheil & Heyman, 2016), den allgemeinen Gemütszustand (siehe O’Shea & Ní Leíme, 2012) und die
Teil 2: Kreativität und kreative Praktiken im Alter
Reduktion des Schmerzempfindens (Phinney, Moody & Small, 2014). Noice, Noice und Kramer (2014) kritisieren allerdings das Fehlen von Kontrollgruppen und Randomisierung sowie die mangelnde ökonomische und kulturelle Diversität unter den Studienteilnehmer*innen. In diesem Forschungsstrang steht meist die künstlerische Tätigkeit im Mittelpunkt, wohingegen das Produkt in den Hintergrund tritt. So kritisieren Bernard und Rickett (2016) in ihrer Analyse der Studien zu älteren Menschen und Theater, dass der ästhetische und qualitative Wert der kreativen Produkte weitgehend untererforscht bleibt und der Gerontologie damit ein Blick für die (gesellschaftlichen) Rahmenbedingungen von Kreativität fehlt. Eine detaillierte Beschreibung zu den Prozessen, durch die »Little c«Kreativität im Alltag von älteren Menschen wirksam wird, finden sich in ethnografischen und qualitativen Arbeiten zu dem Thema, wie etwa in den Untersuchungen von Sabeti (2014) von Gruppen für kreatives Schreiben, an denen ältere Menschen teilnehmen. Sie untersucht die Bedeutung der Kreativität für den Altersprozess vor dem Hintergrund der Identitätsarbeit älterer Menschen und deren Umgang mit Zeitlichkeit. Auf Basis von Interview- und Beobachtungsmaterial argumentiert sie, dass Kreativität im Alter kein individueller, sondern ein relationaler Prozess ist, der nicht durch die Entdeckung einer neuen Altersidentität, sondern der Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie eine Wirkung für die Wahrnehmung des eigenen Alters entfaltet: Die Teilnehmer*innen gaben an, sich nach dem und durch das Schreiben jünger zu fühlen. Kreatives Schaffen und die Wahrnehmung des eigenen Alters scheinen in einer Beziehung zueinander zu stehen; durch das kreative Schreiben wird der subjektive Zugang zum Alter durch die Teilnehmer*innen neu verhandelt. Eine Studie zum New Vic Theatre in England von Bernard et al. (2014) demonstriert auch, dass kreative Praktiken dabei helfen können, negative Veränderungen und Herausforderungen des Alters wie den Tod eines Angehörigen oder die eingeschränkte Mobilität zu verarbeiten. Der Renteneintritt markiert hier einen besonders großen Einschnitt, der durch die Aufnahme einer künstlerischen Tätigkeit verarbeitet werden kann. Es spielen zum einen der kreative Ausdruck selbst und der Spaß am konkreten Ausüben der Tätigkeit eine Rolle. Eine Studie von Liddle, Parkinson und Sibbritt (2013) zu älteren, künstlerisch aktiven Frauen zeigt, dass ein solches Verarbeiten von teils altersbezogenen Herausforderungen dabei hilft, ein Selbstbild als befähigte Akteurin zu kreieren. Auf ähnliche Weise wird in Reynolds‹ (2010) Studie zu visueller Kunst und älteren Frauen deutlich, dass künstlerische Betätigung
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Neue Kulturstile älterer Menschen. Zum Älterwerden zwischen Ästhetik und Alltag
ein Gegenbild zu weit verbreiteten Annahmen zu Inaktivität und Unproduktivität im Alter(n) darstellen kann. Die künstlerische Aktivität dient hier also zur persönlichen Distanzierung von dominanten Altersdiskursen. Wie Reynolds (2015) in seiner Studie zu einem Männerchor betont, kann die Ausstellung oder Vorführung der eigenen Kunst des Weiteren zu einem Gefühl der Produktivität führen und zu der Überzeugung, einen sinnvollen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten. Auch Murray und Kolleg*innen (2014) deuten in ihrer Analyse von vier Studien darauf hin, dass allein der Akt des Produzierens das dominante Altersbild als unproduktiv infrage stellen kann. Ihre Analyse ist außerdem insofern ungewöhnlich, als sie das Produkt der künstlerischen Tätigkeit untersucht. Bernard et al. (2014) kommen zu ähnlichen Ergebnissen in ihrer Studie zum New Vic Theatre, in der freiwillige Mitarbeiter*innen und Besucher*innen, aber auch feste Mitarbeiter*innen interviewt wurden. Es wird deutlich, dass durch die Einbindung älterer Menschen in die Produktion der aufgeführten Stücke häufig differenzierte Altersbilder entstehen, die das Altern als Prozess sozial und historisch verorten. Somit wird verallgemeinernden Narrativen von Verfall ein alternatives Bild gegenübergestellt. In den beschriebenen Studien findet sich kreativer Ausdruck also als Gegenprogramm zum Altersempfinden: Kreativ Tätige fühlen sich durch ihre Tätigkeit jünger und kreatives Potenzial wird durch das biologische Alter beeinflusst. Gerontologische Studien zur »Little c«-Kreativität im Alter zeigen also eine enge Verbindung zwischen kreativen Praktiken und der (Neu-)Verhandlung von individuellen Altersbildern auf. Durch kreatives Schreiben, Schauspiel oder Musizieren können dominante, teils negative oder defizitorientierte Altersbilder in Frage gestellt und neuartige, kreative und mitunter innovative Zugänge zum eigenen Altern ausgearbeitet und entworfen werfen. Allerdings zeigt sich durch die Zusammenschau bisheriger Studien zur »Little c«Kreativität auch, dass hier ein deutlich instrumentelles Verständnis von Kreativität angewendet wird und damit die Analyse der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen von Kreativität in den Hintergrund tritt: In welchen sozialen Situationen, unter welchen sozialen Bedingungen sind ältere Menschen kreativ tätig? Welche Einschluss- und welche Ausschlussprozesse zeigen sich darin? Für welche Menschen im Alter sind die beschriebenen Interventionen zugänglich, für welche nicht? Damit verbunden zeigt die Zusammenschau der bisherigen Literatur die Herausforderung auf, die damit verbunden ist, dass Zusammenhänge von Kreativität, Alter und sozialem Status in der Gerontologie weitgehend un-
Teil 2: Kreativität und kreative Praktiken im Alter
erforscht sind. Newman, Goulding und Whiteheads (2012) Studie, zu der sie mehrere Artikel veröffentlichten, stellt hier eine Ausnahme dar. In dieser Studie besuchten mehrere Gruppen aus hauptsächlich sozioökonomisch benachteiligten älteren Menschen über einen längeren Zeitraum hinweg drei Ausstellungen kontemporärer visueller Kunst im Vereinigten Königreich. Erforscht wurde, wie die Teilnehmer*innen auf diese Kunstform reagieren. Es wurden unterschiedliche Strategien identifiziert: Die Besucher*innen mit wenig kulturellem Kapital können die Kunst ablehnen und damit ihr bisheriges Bild von Kunst (in das kontemporäre visuelle Kunst nicht fällt) bestätigen. Ihre Identität bleibt in diesem Falle unangefochten. Es gab aber auch Teilnehmer*innen, die ihr Bild von Kunst im Laufe der Studie verändert und somit die Auseinandersetzung mit kontemporärer Kunst in ihre Altersidentität aufgenommen haben. In dieser zweiten Strategie eignen sich die Teilnehmer*innen neues kulturelles Kapital an. Welche Strategie verfolgt wird, hängt von einer Zahl komplexer Faktoren ab. Die Studie verdeutlicht, dass bestehendes kulturelles Kapital einen großen Einfluss hat. Allerdings werden auch andere Faktoren identifiziert. Beispielsweise fällt es leichter, die zweite Strategie zu verfolgen, wenn Institutionen, die bereits mit der eigenen Identität verwoben sind, die Aktivität unterstützen. Darüber hinaus schlagen die Forscher*innen vor, über einen Bezug zum persönlichen Leben der älteren Menschen den Zugang zu zeitgenössischer Kunst zu erleichtern. Obwohl es hier um den Konsum und nicht die Produktion von Kunst geht, ist die Studie von Newman, Goulding und Whitehead (2012) dennoch relevant, da sie als einzige direkten Bezug auf die sozioökonomische Position älterer Menschen nimmt. Sie verdeutlicht, dass die sozialen und kulturellen Positionen von älteren Menschen im Kontext von Kreativität höchst divers sind, und legt hiermit die Notwendigkeit der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit ebendiesen Positionen offen.
1.2
»Big C«-Kreativität im Alter
Studien zum professionellen Schaffen älterer Künstler*innen fokussieren auf die »Big C«-Kreativität, die mit Talent, Genie oder innovativen Ideen verbunden wird (Swinnen, 2016). Dabei wird etwa die Kreativität professioneller, mitunter berühmter Künstler*innen über den Lebenslauf untersucht. Hier standen sich noch Ende der 1990er Jahre zwei Theorien gegenüber: zum einen die Ansicht, Expertise würde über den Lebenslauf hinweg akkumuliert und Kreativität könne erlernt werden (Ericsson, 1999), zum anderen die Überzeugung, Kreativität beinhalte immer ein großes Element des Zufalls
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Neue Kulturstile älterer Menschen. Zum Älterwerden zwischen Ästhetik und Alltag
und der natürlichen Begabung und sei somit nicht vorhersehbar (Simonton, 1997). Kozbelt (2012) zeigt in seiner Literaturübersicht auf, dass Elemente von beiden Theorien zwar belegt wurden, das gesamtheitliche Bild allerdings über beide Theorien hinausgeht. Demgegenüber finden sich Studien, die sich hauptsächlich auf die Malerei beziehen, dass häufig Verkaufspreise als einziges Maß künstlerischer Qualität gelten, was auch häufig kritisiert wurde (siehe z.B. Franses, 2013; Ekelund, Jackson & Tollison, 2015). Galensons (2004) Theorie zu »Big C«-Kreativität und Lebenslauf geht über die Studien der 1990er Jahre hinaus und typologisiert den Lebenslauf berühmter Künstler*innen in zwei Gruppen: die Experimentalen, die durch viele Versuche Fähigkeiten akkumulieren und eine große Kontinuität in ihrem Werk aufweisen, und die Erfinder*innen, die Originalität über Handwerk valorisieren und weniger Kontinuität aufweisen. Laut Galenson erleben die Künstler*innen der ersten Gruppe ihren (qualitativen) Höhepunkt am Lebensende und die der zweiten eher am Beginn ihrer Karriere. Allerdings wurde dieses Modell vielfach für seine Simplizität kritisiert (Kozbelt, 2012). Accominotti (2009) untersucht Galensons Datensatz berühmter Maler*innen erneut und kritisiert an seiner Analyse, dass nur ein einziger Höhepunkt der Kreativität gemessen wurde. Außerdem betont er die Wichtigkeit von sozialer Interaktion in der Kreativität. Dieser Punkt deutet auch auf die Notwendigkeit hin, Kreativität über den Lebenslauf im Kontext sozialer und gesellschaftlicher Strukturen zu sehen und nicht auf eine simple Funktion des individuellen Alters zu reduzieren. Sofern theoretische Ansätze aus der Alterssoziologie in der Erforschung von »Big C«-Kreativität über den Lebenslauf thematisiert werden, beschäftigen sich diese Arbeiten meist mit Lebenslaufansätzen, die späte Kreativität (late life creativity) vor dem Hintergrund bisheriger Entwicklungen über den Lebenslauf deuten. Katz (2005) beschreibt hier zwei Narrative, die von psychologischer Lebenslaufforschung zur Kreativität von Künstler*innen aufgebaut wurden: Im peek-and-decline-Narrativ werden Muster ansteigender und sinkender Kreativität beschrieben, mit einer kreativen Hochphase im höheren Erwachsenenalter und darauffolgendem Absinken im hohen Alter. Das latestyle-Narrativ hingegen betont das kreativitätsfördernde Potenzial des hohen Alters. Swinnen (2016) arbeitet hier auf Basis von Interviews mit Künstler*innen über 65 Jahre drei Themen heraus, die für die Künstler*innen mit steigendem Alter relevanter wurden: der Wunsch nach Kontinuität in der künstlerischen Tätigkeit, die künstlerische Tätigkeit als Anti-Ageing-Programm (auch hier beschrieben die Interviewpartner*innen, sich durch kreatives Schaffen
Teil 2: Kreativität und kreative Praktiken im Alter
jünger zu fühlen) und die sich durch das Älterwerden wandelnde Stellung im künstlerischen Feld. Durch diese Studien wird deutlich, dass ältere Menschen aus spezifischen Feldpositionen heraus künstlerisch tätig sind und diese Positionen in ihrem kreativen Schaffen mitverhandeln. Im Gegensatz zur großen Bandbreite an Studien zu Amateur*innen im Bereich der »Little c«-Kreativität wird das Feld der älteren professionellen Künstler*innen in der Gerontologie wenig erforscht. Als Teil der kulturellen Gerontologie setzen sich solche Studien und Diskursanalysen häufig mit der Frage auseinander, inwiefern ein künstlerisches Produkt als subversiv oder konstitutiv zu gegebenen gesellschaftlichen Alters- und Geschlechtsnormen verstanden werden kann. So erschien 2015 das Buch »Women, Celebrity and Cultures of Ageing: Freeze Frame« (Jermyn & Holmes, 2015), gefolgt von »›Rock On‹: Women, Ageing, and Popular Music« (Gardner & Jennings, 2016). Hier geht es um die Navigation der eigenen Sichtbarkeit als weibliche berühmte Künstlerin in einer Gesellschaft, die älteren Frauen häufig Sexualität und Attraktivität abspricht. So analysieren Watson und Railton (2012), dass Madonna in ihren aktuelleren Musikvideos die Illusion ewiger Jugend präsentiert und zugleich eine starke ältere Frauenfigur erschafft, die gängigen sozialen Erwartungen nicht entspricht. Dies sei eine Ausnahme, da die meisten älteren Performerinnen sich entweder zurückziehen oder sich neu und altersgemäßer erfinden. Insofern bezieht sich die Studie selbstinszenierender Künstlerinnen auch auf die veränderte Position im Feld. Allerdings ist eine solche Analyse häufig an das veränderte Aussehen der Künstlerin/des Künstlers gebunden und setzt sich zwar mit Alter und Geschlecht als Markierung von Ungleichheiten auseinander, eine Differenzierung innerhalb des kulturellen Feldes der alternden Künstler*innen findet aber nur selten statt. Einige Studien bilden hier eine Ausnahme. In ihrer qualitativen Studie zu älteren niederländischen Dichter*innen beobachtet Swinnen (2016), dass die Tätigkeit des Schreibens auch als Möglichkeit wahrgenommen wird, das dominante Altersbild in der Gesellschaft zu verändern. Darüber hinaus analysiert sie das Verhältnis der Studienteilnehmer*innen zum niederländischen literarischen Feld. Die Dichter*innen berichten von altersspezifischen Erwartungen an sie als Künstler*innen. Sie dementieren die Idee, dass es einen kreativen Höhepunkt gibt, wie auch die Annahme, dass ein dichterischer Stil in irgendeiner Weise kontinuierlich zu begreifen ist. Es wird deutlich, dass ältere Dichter*innen aufgrund solcher Erwartungen Schwierigkeiten haben, publiziert zu werden.
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Diese Auseinandersetzung mit der Position älterer Künstler*innen im Feld steht im Mittelpunkt von Eagletons (2011) Analyse des Erfolgs der Schriftstellerin Diana Athill. Sie betont, dass sowohl Athills kulturelles Kapital in Form einer Vergangenheit als wohlhabende Tochter aus gutem Hause als auch ihr soziales Kapital, also ihre guten Beziehungen zu Verleger*innen und Kritiker*innen, maßgeblich zu ihrem Erfolg beitragen. Eagletons und Swinnens Studien sind insofern ungewöhnlich, als sie in ihrer Analyse der Position älterer Künstler*innen über die Frage der Repräsentation und der Narrative hinaus auch Aspekte der geografischen Position und Klassenzugehörigkeit mit einbeziehen. Auch Banerjee, Wohlmann und Dahm (2017) viertiefen die Auseinandersetzung mit Alter und Kunst in ihrer Analyse von Biografie und Werk des Malers Monet. Sie stellen fest, dass altersbedingte körperliche Einschränkungen seinen Stil maßgeblich beeinträchtigt haben. Was Kritiker*innen also als Ausdruck überlegener künstlerischer Expertise und innovativen Stils interpretierten, war zumindest in Teilen das Resultat von Monets Einschränkungen des Sehens. Hier wird deutlich, dass gerade durch körperliche Einschränkungen im Alter und eine veränderte Sichtweise »Big C«-Kreativität generiert wurde. Anders als Studien zu »Amateur*innen« oder Menschen, die als solche identifiziert werden, wenden sich Studien der Musik- und Literaturwissenschaft im Bereich der »Big C«-Kreativität auch der Form und dem Inhalt des künstlerischen Produktes zu. Hier steht die umstrittene Idee des Spätstils (late style) im Mittelpunkt. Saids Buch »On Late Style« (2006) hat hier eine erneute Auseinandersetzung mit den Werken älterer Künstler*innen hervorgerufen. Seine Idee des Spätstils steht im starken Kontrast zur Idee der Vollkommenheit und Reflexion in späten Werken berühmter Künstler*innen. Spätstil könne laut Said auch einen Bruch mit der Vergangenheit, einen Widerstand gegen Erwartungen und ein Gefühl der Dissonanz bedeuten. Hobbs (2014) zum Beispiel sieht in Philip Roths späten Romanen ein Beispiel für einen solchen Spätstil. Roths offener Umgang mit Sexualität und mit der vermeintlichen Unvereinbarkeit von Maskulinität und Alter sei als Widerstand gegen Aussöhnung zu lesen. Hobbs schlussfolgert hier, dass Roth als Teil der Babyboomer-Generation zu einer heterogeneren Darstellung des Alterns beiträgt. Hutcheon und Hutcheon (2012) hingegen verstehen den Begriff des Spätstils als altersdiskriminierend. Sie erläutern in ihrer Analyse des Lebenswerkes mehrerer Komponisten, dass dieser Begriff zwei mögliche Assoziationen birgt: zum einen Saids auf Adorno aufbauende Theorie des Bruches
Teil 2: Kreativität und kreative Praktiken im Alter
und der Dissonanz, zum anderen die Idee der Reflexion und Vollendung, wie sie Goethe und Simmel favorisieren. Solch gegensätzliche Interpretationen könnten zudem immer negativ oder positiv interpretiert werden. In seiner Unschärfe verliert der Begriff, so Hutcheon und Hutcheon, seine Bedeutung und suggeriert stattdessen ein generalisierendes Bild älterer Künstler*innen, das den Blick auf kreative Arbeit im hohen Alter (oder am Lebensende) limitiert. Amigoni und McMullan (2015) bekräftigen diese Argumentation durch eine Analyse Shakespeares, Mozarts, Beethovens und Hardys Lebenswerken, in denen die historisch-soziale Konstruktion des Spätstils deutlich wird. Trotz dieser Einwände ist zu beobachten, dass eine Auseinandersetzung mit dem Spätstil als Konzept eine Auseinandersetzung mit den künstlerischen Praktiken und Subjektivitäten älterer Künstler*innen begünstigt, die selbst in der Gerontologie noch häufig vernachlässigt wird. Riach (2016) kritisiert hier das Gleichsetzen von Spätstil und Altersstil (im Englischen beides late style). Im Gegensatz zum Spätstil sei der Altersstil nicht an eine bestimmte Ausdrucksform gebunden, sondern beschreibe das Werk individueller älterer Künstler*innen. Spätstil hingegen müsse als historisches Phänomen verstanden werden, das nicht auf alle Künstler*innen anwendbar sei. Riach analysiert den Altersstil der Autorin Nadine Gordimer auf Parallelen zu Saids Spätstil, wobei deutlich wird, dass Gordimer sowohl auf früheren Werken aufbaut als auch stilistisch mit ihnen bricht. Insgesamt suggeriert die Forschung rund um den Spät- und Altersstil ein diverses Bild späterer Werke lebenslang aktiver Künstler*innen. Das Älterwerden wird als Befreiung von limitierenden Erwartungshaltungen beschrieben (Calico, 2015) wie auch als eine Verstärkung derselben aufgrund eines bisherigen Erfolges (Hutcheon & Hutcheon, 2012). Im Begriff des Alters- und Spätstils wird das Altern als erfolgreiche Künstlerin/erfolgreicher Künstler somit gleichzeitig als Potenzial und als Hindernis empfunden.
2.
Kreative Praktiken: Skizzen einer antihumanistischen Kreativitätssoziologie
Die Erforschung der Kreativität hat die Gerontologie sowohl in der alltagsweltlichen Anwendung (»Little c«-Kreativität) als auch in professionellen künstlerischen Prozessen (»Big C«-Kreativität) immer wieder beschäftigt. Schon hier wird die Vielfalt des Begriffs deutlich und die Zusammenschau der Forschungsliteratur (Kapitel 1) zeigt, dass unter Kreativität mitunter
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eine persönliche Charaktereigenschaft älterer Menschen, eine bestimmte Form der Aktivität im Alter oder der künstlerische Schaffensprozess generell verstanden wird. So unterschiedlich die Forschungsthemen der Gerontologie zur Kreativität sind, so divers ist auch das Verständnis davon, was unter Kreativität verstanden und wo sie verortet wird. Was bezeichnet also Kreativität aus einer gerontologischen Perspektive? Welche Konzepte werden herangezogen, um Kreativität zu verstehen? Zu dieser Frage arbeitet Flood & Phillips (2007) einige geteilte Charakteristika von Konzepten der Kreativität im Kontext der Altersforschung heraus. Meist handele es sich um ein Konzept, das 1) die Kompetenzen zur Problemlösung betone, 2) mit der Erstellung von neuen Produkten verbunden werde und 3) die individuelle Eigenschaft voraussetze, für neue Ideen und Lösungen offen zu bleiben. Burns, Machado und Corte (2015a) kommen in der Übersicht unterschiedlicher Kreativitätstheorien zu einem ähnlichen Schluss, wenn sie betonen, dass Kreativität meist im Kontext der »innovation, invention, discovery, design, creation, formation irignation« (S. 181) verstanden werde. Kreativität sei damit meist an die Entstehung von etwas Neuem gebunden und werde im Individuum verortet – kreativ zu sein bedeute, eine gewisse Charaktereigenschaft zu besitzen, die es ermögliche, Innovationen hervorzubringen: »Creativity entails a process of originating, transforming or adapting ideas, artifacts, systems, a sector or domain, states of the world or any other entity which is constructed as differing or deviating from what already exists in the context.« (Burns, Machado & Corte, S. 181) Deutlich werden hier zwei Elemente des kreativen Prozesses: Kreativität beschreibt die Entstehung von etwas und zugleich dessen Bewertung als neuartig im Kontext der Entstehung. Die Produktion von etwas Neuem ist damit ebenso als Teil von Kreativität anzuerkennen wie die Bewertung des Entstandenen als etwas Neues durch den Kontext, in dem das Produkt wirksam wird. Häufig wird Kreativität zusätzlich mit Nützlichkeit in Verbindung gebracht (Burns, Machado & Corte, 2015a). Sternberg und Lubart (1998) gehen davon aus, dass Kreativität die Fähigkeit bedeutet, etwas Neuartiges und zugleich Angemessenes zu schaffen, wobei Angemessenheit sich vor allem über Nützlichkeit ausdrückt. Cropley (2011) schließt sich hier an: »Creativity involves doing things in ways that are, on the one hand, novel and on the other, effective in achieving a desired result.« Der kreative Innovationsprozess findet damit in einem Feld statt, in dem diese Innovation auch als neu anerkannt wird. Gleichzeitig zeichnet sich Kreativität dadurch aus, dass bereits bestehende Dinge, Ideen, Materialitäten in der Produktion von Neuem her-
Teil 2: Kreativität und kreative Praktiken im Alter
angezogen werden: »Creative actions and interactions entail taking available elements (symbols, rules, materials, constructions, resources) for creating, transforming recombining and producing something new.« (Burns, Machado & Corte, 2015b, S. 265) Obwohl der kreative Prozess also nach gängigen Definitionen eingebettet in soziale Rahmenbedingungen (wie Materialitäten, Symbole, Regeln, Ressourcen) stattfindet, ist der Prozess der Herstellung von etwas Neuem an die Tätigkeit eines Subjektes gebunden. Kreativität ist damit bislang vor allem in Bezug auf das kreativ tätige Subjekt besprochen worden und damit im Kontext der Subjektphilosophie zu betrachten (Reckwitz, 2016). Kreativität wird also verstanden als etwas, das ältere Menschen sind oder das den Charakter bestimmter älterer Menschen beschreibt. Damit können Diskussionen um Kreativität in einen Strang der Subjektphilosophie eingeordnet werden, der das Subjekt als Schöpfer von Ästhetik versteht. Das Subjekt als Instanz des individuellen Ausdrucks ist der Ort des Ausdrucks des Innersten für das Äußere (Reckwitz, 2016). Kreativität ist in diesem Sinne an den Aufbau einer Identität durch Expressivität gebunden – es ist ein Mittel der Kommunikation, durch das eine Akteurin/ein Akteur ihre/seine Identität für andere zum Ausdruck bringen kann. Expressives Handeln ist damit kein Selbstzweck; es ist auf Dritte bezogen und bekommt erst durch die Interpretation der sozialen Umwelt Relevanz – mit Goffmann kann es deswegen auch als dramaturgisches Handeln verstanden werden (Köhler Stüdeli, 2015). Eine deutliche Erweiterung haben solche subjektzentrierten Ansätze in den letzten Jahren in der kulturellen und materiellen Gerontologie erfahren (Gallistl, 2018; 2020). Dort wird versucht, aus einer praxistheoretischen Perspektive die Kreativität vom älteren Subjekt zu lösen und danach zu fragen, in welchen sozialen Arrangements Kreativität im Alter stattfindet bzw. stattfinden kann. Statt zu fragen, ob bzw. wie ältere Menschen kreativ sind bzw. kreativ werden können, versuchen solche Studien, die kreative Praxis ins Zentrum der Analyse zu stellen und zu fragen: Wie und wo finden kreative Praktiken statt, in die ältere Menschen involviert sind? Was sind die Voraussetzungen, Entstehungsbedingungen und Netzwerke von kreativen Praktiken im Alter? Welche Akteur*innen sind in kreative Praktiken neben den (als kreativ adressierten) älteren Menschen involviert? Eine solche soziologische Perspektive versucht, die Frage nach der Kreativität im Alter nicht als Eigenschaft eines Individuums, sondern als Eigenschaft einer Praxis zu verstehen, und bedient sich deswegen auch Theorien und Konzepten einer antihumanistischen Kreativitätssoziologie (Fox, 2013; 2015), die neben kreativen Praktiken auch kreative Ensembles (»Assembla-
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Neue Kulturstile älterer Menschen. Zum Älterwerden zwischen Ästhetik und Alltag
ges« [Fox, 2013; 2015]) ins Zentrum des Forschungsinteresses rückt. Eine solche antihumanistische Idee von Kreativität im Alter umfasst zwei zentrale Aspekte, die in den folgenden Kapiteln ausgeführt werden: Erstens versteht sie Kreativität nicht als etwas, das im älteren Individuum angesiedelt ist, sondern als verteilt in Praxisnetzwerken, aus denen Kreativität entsteht. Neben den kreativen älteren Menschen fragt so eine Perspektive auch danach, welche weiteren Akteur*innen der Kreativität im Alter in kreativen Ensembles zusammenkommen (Abschnitt 2.1). Zweitens werfen solche Perspektiven einen grundlegend anderen Blick auf kreative ältere Menschen – statt diese per se als kreative Geschöpfe zu charakterisieren, fragen sie eher danach, welche Selbstbilder, Vorstellungen von der eigenen Persönlichkeit und Subjektpositionen aus der Einbindung in kreative Praktiken entstehen (Abschnitt 2.2). Kreative ältere Subjekte sind also aus so einer Perspektive nicht Voraussetzung, sondern Resultat der Einbindung in kreative Praktiken im Alter.
2.1
Kreative Ensembles
Ein erster zentraler Begriff einer praxistheoretischen Lesart von Kreativität im Alter ist also neben dem der kreativen Praxis das Konzept des kreativen Ensembles. Das sind Akteurs- und Praxiskonstellationen, aus denen heraus kreative Praktiken entstehen: So braucht ein Musiker für seinen kreativen Prozess etwa neben seinem Selbstbild als Kreativer vielleicht auch sein Musikinstrument, einen ruhigen Raum, einen Notizblock oder Noten. Genauso braucht eine Malerin für ihren kreativen Prozess neben sich selbst auch andere, mitunter symbolische oder materielle Akteur*innen, um kreativ sein zu können, wie eine Leinwand, Farbe, eine schöpferische Stimmung, Inspiration oder Ideen dazu, wie das Kunstwerk am Ende aussehen soll. Alle diese Aspekte in der Erklärung und Untersuchung von Kreativität zu berücksichtigen und ihnen eine Handlungsmächtigkeit im kreativen Prozess einzuräumen, steht im Zentrum des Konzeptes der kreativen Ensembles, wie es hier vorgeschlagen wird. Hier schließt Fox (2015) mit seiner antihumanistischen Kreativitätssoziologie an, wenn er diese kreativen Ensembles als »Assemblages« (S. 523) bezeichnet. Er setzt sich dabei speziell mit der künstlerischen Kreativität auseinander, also Kreativität, die die Produktion eines künstlerischen Objektes zum Ziel hat. Für ihn sind im Prozess der Kreativität nicht nur einzelne Subjekte oder Objekte handlungsfähig, sondern Kreativität entsteht aus einem Ensemble von Beziehungen zwischen Akteur*innen: »I shall develop an ar-
Teil 2: Kreativität und kreative Praktiken im Alter
gument that creativity should be considered not as a human capacity, but as emergent from assemblages of relations between the human and the non-human (things, ideas, social formations).« (Fox, 2015, S. 523) Kreativität, so argumentiert er, sei also keine menschliche Charaktereigenschaft, sondern entstehe aus dem Zusammenspiel von und in Relation mit menschlichen und nichtmenschlichen Akteur*innen – wie oben im Beispiel beschrieben aus dem Zusammenkommen und dem Arrangieren von kreativer Künstlerin/kreativem Künstler, Noten, Farben, Leinwand und Stimmungen. Konzeptionell werden damit nicht nur Subjekte im kreativen Ensemble handlungsfähig – Handlungsfähigkeit einzelner Objekte oder Subjekte löst sich in den Beziehungen, die diese miteinander eingehen (genauer: die Affekte, die sie beieinander hervorrufen [können]), ein Stück weit auf: »In an assemblage, there is no subject and no object and no single element possesses agency. The conventional conception of human agency is replaced by an deleuzian ontology by affect. […] The capacity to affect or be affected.« (Fox, 2015 S. 526). Die Frage nach Handlungsmächtigkeit wird in diesem Sinne durch die Frage ersetzt, welche Affekte ein Element bei einem anderen Element in einem Ensemble auslösen kann. Es stellt die Relationen in den Vordergrund, durch die unterschiedliche Akteur*innen gemeinsam in einem kreativen Ensemble zusammenwirken. Für die empirische Untersuchung ist in so einer Grundlegung wichtig, dass die Agent*innen des Ensembles in und durch das Ensemble heraus entstehen. Es wird keine Materialität vorausgesetzt, die in einer Art und Weise in der Situation handlungsmächtig wird – die Akteur*innen werden erst durch den Affekt, den sie auslösen, in der Situation als Akteur*innen anerkannt und zu solchen gemacht. Alle Teile des Ensembles werden damit in der Situation selbst reproduziert – der Künstler und die Künstlerin, das Kunstwerk und die Kreativität selbst: »Both the creative product and the creator are consequently outcomes of the creative assemblages. The artist is as much produced as the painting or the product« (Fox, 2015). Welche Akteur*innen können nun in kreativen Ensembles eine Rolle spielen? Neben kreativen Menschen und den Dingen, die sie für die Kreativität verwenden, spielen hier auch kollektive Akteur*innen wie Institutionen eine Rolle, die etwa als Ausbildungseinrichtungen bestimmte Formen von künstlerischer Aktivität vermitteln oder bestimmte Kunstformen auf eine große Bühne bringen. Mit der Kunst- und Kultursoziologie Pierre Bourdieus (2015) lässt sich hierbei argumentieren, dass das Feld der kulturellen Produktion die Rolle eines spezifischen Akteurs in kreativen Ensembles einnimmt. So ver-
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Neue Kulturstile älterer Menschen. Zum Älterwerden zwischen Ästhetik und Alltag
steht Bourdieu (2015) die Kunstproduktion als eingebettet in kulturelle Felder, die er als relativ autonome und von Normen durchzogene Handlungssphären vergesellschafteter Menschen mit feldspezifischen Qualifikationen, Praktiken und Strategien konzipiert (Müller-Jentsch, 2012). Die Kunstproduktion ist im kulturellen Feld verhaftet, das sich wiederum in unterschiedliche Felder der kulturellen Produktion – von bildender Kunst, Literatur, Musik, Film etc. – differenziert, die jeweils unterschiedliche Handlungsregeln enthalten. Durch das Zusammenspiel unterschiedlicher Akteur*innen kommt also in jedem Feld eine Feldlogik zu Stande, die kreative Praktiken innerhalb der Felder wiederum beeinflussen. Innerhalb der kulturellen Felder geht es in dieser Dynamik vor allem um die Herstellung von Macht: Klassen als Akteur*innen mit einer vergleichbaren Kapitalausstattung, die sich durch einen spezifischen Habitus- und Lebensstil auszeichnen, üben im Feld Konsekrationsmacht aus, das heißt entscheiden darüber, welche Kunst als solche anerkannt wird und welche Kreativität als Nicht-Kunst gilt (Zembylas, 1997). Durch die Akkumulation von kulturellem und symbolischem Kapital bestimmen Klassen über den legitimen Geschmack. Gleichzeitig dokumentieren diese Klassen so ihren Sinn für Distinktion, indem sie sich Wissen über legitime Kunst aneignen und Wissen über Nicht-Kunst als irrelevant kennzeichnen (Bourdieu, 2015). Was bedeutet das für die Erforschung für Kreativität im Alter? Zunächst bedeutet es, im kreativen Prozess nicht nur die subjektinternen Prozesse älterer Menschen selbst, das heißt ihre Erfahrungen und Motivationen sowie ihr Erleben von Kreativität zu berücksichtigen, sondern auch die Rahmenbedingungen, unter denen sie kreativ tätig sind: Welche Voraussetzungen braucht kreative Praxis im Alter? In welchen Situationen, unter welchen Voraussetzungen werden ältere Menschen kreativ tätig? Welche Rahmenbedingungen verhindern Kreativität im Alter? Zudem sensibilisiert ein solches Konzept von Kreativität im Alter für die institutionellen Rahmenbedingungen von künstlerischer Produktion. So findet Kunstproduktion durch Kreativität nie im luftleeren Raum statt, im Gegenteil: Vorstellungen davon, was Kunst und NichtKunst sind, welchen Wert Kunstwerke haben oder nicht haben, wie »richtige« und »falsche« Kunst aussieht, gehen in den kreativen Prozess auf vielfältige Art und Weise ein. So ein Konzept, wie es hier zur Kreativität im Alter vorgestellt wird, sensibilisiert deswegen für die Bewertungskonstellationen von Kreativität im Alter, die im empirischen Teil detaillierter betrachtet werden.
Teil 2: Kreativität und kreative Praktiken im Alter
2.2
Kreative Subjekte
Ganz ähnlich – nämlich weg von einem kreativ tätigen Subjekt und hin zu kreativen Praktiken – argumentiert Reckwitz (2016) in seiner praxistheoretisch orientierten Kreativitätssoziologie. Für ihn entsteht Kreativität in der Spätmoderne als wirkungsmächtige Sozialfigur, die die Herausbildung des Idealtyps des Kreativen aus kreativen Praktiken bedingt. Neue Formen der kapitalistischen Produktion – die postindustrielle Produktion – brauchen neue Sozialfiguren, um ihre symbolischen Ordnungen zu festigen: So bildet sich das Bild, der Sozialtyp der/des Kreativen vor allem aus zwei gesellschaftlichen Entwicklungen heraus: Erstens liegt der/dem Kreativen das historische Bild der Künstlerin/des Künstlers zu Grunde, die/der aus einer marginalisierten gesellschaftlichen Position heraus künstlerisch tätig sein (darf) und dadurch für Meinungen abseits des Mainstreams, für Subkulturen und Andersartigkeit stand – in dieser aber gesellschaftlich hoch anerkannt wurde. Dieses »klassische« Bild der Künstlerin/des Künstlers vermischt sich in der Spätmoderne mit Logiken der Ökonomisierung hin zum Sozialtyp der/des Kreativen. Neben künstlerisch-kreativen Tätigkeiten sind nun auch Innovationsleistung und Ökonomisierung dieser Tätigkeiten relevant: »Der Kreative spielt auf zwei Klaviaturen zugleich: der ästhetisch-expressiven der Kreation und der ökonomischen des Marktes. […] Der Kreative ist auf den ersten Blick ein klassisches Bild des Künstlers und gleichzeitig das ›enterprising self‹.« (Reckwitz, 2016) Die/Der Kreative ist deswegen in ihrer/seiner Sozialfigur stabil, weil sie/er sich doppelt legitimieren kann: (a) Aus der Tradition des Künstlersubjektes ist die/der Kreative Teil der kulturellen Muster von experimentellen und expressiven Tätigkeiten, dem eine Nähe zum (legitimen) Antikonformismus und zu ästhetischen Subkulturen inhärent ist, und (b) aus der Tradition von kapitalistischer Bürgerlichkeit entspricht die/der Kreative dem Muster des souveränen selbst regierenden Selbst und dem Ideal einer disziplinierenden und unternehmerischen Selbstständigkeit. Die Sozialfigur der/des Kreativen zeichnet sich damit durch ein Wechselspiel zwischen Ästhetisierung und Ökonomisierung aus. In seinem Ansatz legt Reckwitz (2016) damit den Fokus auf die Herausbildung des kreativen Subjektes – versteht dieses Subjekt aber als Produkt von sozialen Praktiken. Damit steht nicht das handelnde Subjekt im Vordergrund, sondern es stellt sich die Frage, welche Formen der Subjektivität aus spezifischen kreativen Ensembles heraus entstehen (können).
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Neue Kulturstile älterer Menschen. Zum Älterwerden zwischen Ästhetik und Alltag
Für die Erforschung von Kreativität im Alter eröffnet eine solche Perspektive eine Reihe von Fragen: Welche Vorstellungen über das eigene Selbst – über sich selbst als kreativ oder unkreativ, als Künstler*in oder Laiin/Laie – werden in der Kreativität im Alter verhandelt? Wie nehme ich mein eigenes, subjektives Alter durch die und mit der kreativen Praxis wahr? Fühle ich mich jünger, wenn ich regelmäßig in kreative Praktiken eingebunden bin? Eine solche Perspektive auf kreative Subjekte fragt also danach, welche Selbst- und Altersbilder in der Auseinandersetzung mit Kreativität entstehen und wie diese zu einem positiven Alterserleben beitragen können. Gemeinsam mit der antihumanistischen Kreativitätssoziologie von Fox (2013) stellt sich damit nicht nur die Frage, welches Werk der Kreativität aus kreativen Ensembles heraus entsteht, sondern auch, welche Formen der Subjektivierung in kreativen Ensembles entstehen: Aus welchen kreativen Ensembles bildet sich der Sozialtypus der/des Kreativen heraus? Auf die Kreativität im Alter übertragen heißt das: Welche Formen des älteren Subjektes entstehen durch die Verbindung mit kreativen Praktiken? Welche Subjektformen und Subjektkulturen entstehen durch die Kreativität im Alter?
3.
Datenbasis und Methode
Ausgehend von den dargestellten Überlegungen werden im Folgenden empirische Ergebnisse eines Forschungsprojektes vorgestellt, das sich mit kreativen Praktiken und kreativen Ensembles im Alter auseinandergesetzt hat. Dabei wurden insgesamt dreizehn Künstler*innen über sechzig Jahre qualitativ interviewt und zusätzlich in der Ausübung ihrer kreativen Praxis begleitet und teilnehmend beobachtet. Anhand der dokumentarischen Methode (Bohnsack, 2014) wurden anschließend Orientierungsrahmen kreativer Praktiken im Alter herausgearbeitet, die in den folgenden Kapiteln als Ergebnisse der qualitativen Analyse erörtert werden. Es handelte sich hierbei um eine Forschungsphase des Projektes »Kulturstile älterer Menschen«, das 2016 bis 2018 am Institut für Soziologie der Universität Wien unter der Leitung von Franz Kolland und der Mitarbeit von Vera Gallistl, Eva Wimmer und Clara Overweg durchgeführt wurde. Das Sample der Studie setzte sich aus dreizehn Künstler*innen zusammen, die in jeweils unterschiedlichen Feldern aktiv waren (siehe Tabelle 1). Bei der Rekrutierung der Studienteilnehmer*innen wurde darauf geachtet, sowohl unterschiedliche kulturelle Felder als auch unterschiedliche Alters-
Teil 2: Kreativität und kreative Praktiken im Alter
gruppen (unter 74 und über 75 Jahre) und Geschlechter zu berücksichtigen. Die Kontaktaufnahme erfolgte durch einen offenen Aufruf zur Studienteilnahme, der in Senior*inneneinrichtungen, Kulturzentren sowie Gemeinden veröffentlicht wurde. Zusätzlich wurde im Internet und per Schneeballverfahren gezielt nach älteren Künstler*innen gesucht, die direkt mit einer Anfrage zur Studienteilnahme kontaktiert wurden. Tabelle 1: Sample nach Alter, Geschlecht und kreativer Praxis Interviewnr.
Geschlecht (m/w)
Alter in Jahren
Kreative Praxis
1
m
64
Travestie
2
w
62
Kunsthandwerk
3
m
60
Bodybuilding
4
w
70
Fotografie
5
m
73
Orchestermusik
6
w
83
Textilarbeit
7
m
63
Faschingsgilde
8
m
65
bildende Kunst
9
m
82
Grafik
10
m
72
Grafik
11
w
72
Tanz
12
w
76
Gesang
13
w
65
Schauspiel
Mit der Orientierung an einem qualitativ-verstehenden Paradigma wurden die qualitativen Daten in zwei Schritten erhoben und in der Folge analysiert. Mit den Studienteilnehmer*innen wurde zunächst ein qualitatives Interview geführt, das anhand eines Leitfadens strukturiert wurde und darauf abzielte, eine Rekonstruktion der Handlungsrahmen von kreativer Praxis im Alter zu ermöglichen und die subjektiv sinngebenden Prozesse der Interviewpartner*innen im Prozess der kreativen Tätigkeit zu verstehen. Der Interviewleitfaden fokussierte deshalb auf (1) die Beschreibung der kreativen Tätigkeit im Alltag, (2) die Entwicklungsgeschichte kreativer Praxis der interviewten Person, (3) Aufführungen und öffentliche Präsentationen von kreativen Produkten und (4) Wahrnehmungen und Einstellungen zum Älterwerden.
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Zusätzlich und zeitlich nach diesen Interviews wurden teilnehmende Beobachtungen durchgeführt, die dazu dienten, einen tiefergehenden Einblick in die Rahmenbedingungen kreativer Praktiken der Studienteilnehmer*innen zu erhalten. Dafür wurden entweder öffentliche oder private Proben oder Aufführungen ausgewählt. Pro Studienteilnehmer*in wurden eine bis maximal drei teilnehmende Beobachtungen durchgeführt, die jeweils mithilfe eines detaillierten Beobachtungsprotokolls dokumentiert wurden. Für die Auswertung der erhobenen qualitativen Daten aus leitfadengestützten Interviews und teilnehmenden Beobachtungen wurde auf die dokumentarische Methode nach Ralf Bohnsack (z.B. 2013; 2014) zurückgegriffen. Entsprechend der Fragestellung forschungspraktischer Gegebenheiten wurde sie adaptiert und modifiziert, um zeitliche und strukturelle Rahmenbedingungen berücksichtigen zu können. In den Auswertungsschritten der formulierenden sowie der reflektierenden Interpretation erfolgt die Unterscheidung eines (manifesten, inhaltlichen) Themas von dem Rahmen, in dem es gesagt wird (Bohnsack, Nentwig-Gesemann & Nohl, 2013, S. 16). Dieser Rahmen ist Gegenstand der Analyse. Der jeweils zur Anwendung kommende, individuell spezifische Erfahrungsraum, in dem die Sprechhandlung stattfindet, muss für die Interpretation bekannt sein. Zur Datenauswertung wurden die Audioaufnahmen der Interviews sowie Beobachtungsprotokolle in tabellarischer Form erarbeitet und der thematische Verlauf des Interviews rekonstruiert. Die Tabelle beinhaltet die zeitlichen Verläufe der Themen, aber auch Überlegungen zum Kontext der Äußerung und zu Relevanzsetzungen durch die Analysierenden. Beispielsweise ist ein Thema, das der/die Interviewte von selbst anspricht, anders einzuordnen als eines, das durch den Leitfaden vorgegeben ist. Die thematische Aufarbeitung erfolgte daher anhand folgender drei Kriterien: (a) vorab festgelegte Themen, (b) besonders betonte Themen im Interview, (c) Themen, die sich gut für eine komparative Analyse eignen. Auf der Basis dieser ersten Analyse wurden interessierende Abschnitte für die weitere Analyse identifiziert. In einem zweiten Schritt, der Identifikation zentraler Abschnitte eines Interviews, standen das Verstehen und das Kontextualisieren der Themen im Vordergrund. Bohnsack spricht hier von soziogenetischer Interpretation (z.B. Bohnsack, 2014, S. 133), da rekonstruiert wird, wie soziale Rahmen entstanden sind. Dies ermöglicht eine Identifikation von Abschnitten, in denen bedeutsame und in Bezug auf die Forschungsfrage relevante Orientierungsrahmen zu finden sind, sowie die weitere Arbeit an diesen Abschnitten. In einem dritten und letzten Schritt der Analyse, der reflektierenden Interpretation, wurden die zentralen Themen
Teil 2: Kreativität und kreative Praktiken im Alter
aus den einzelnen Interviews hinsichtlich ihrer Orientierungsrahmen verglichen: »Die komparative Analyse gewinnt demnach bereits dort Bedeutung, wo wir uns auf der Ebene der Fallanalysen bewegen, wo wir versuchen, den einzelnen Fall in seiner Besonderheit, das heißt innerhalb des übergreifenden Rahmens darzustellen, der diesen Fall, diese Gruppe strukturiert.« (Bohnsack, 2014, S. 139) Vom Einzelfall, also von den einzelnen Interviews ausgehend standen somit die vergleichende Analyse der individuellen Handlungsrahmen sowie der Vergleich zwischen unterschiedlichen Interviews im Zentrum. Diese beiden Schritte fanden in der Analyse zum Teil gleichzeitig, zum Teil aufeinander bezogen statt. Für die Publikation der Forschungsergebnisse wurden die verwendeten Interviewzitate anonymisiert und für eine bessere Lesbarkeit zu ganzen Sätzen vervollständigt. Auch Austriazismen wurden zugunsten von Standarddeutsch beseitigt. Im Folgenden sind die zentralen Ergebnisse dieser Analyse in drei distinkten Orientierungsrahmen dargestellt, die sich aus dem Datenmaterial ergeben. Der erste ist der Alltag der interviewten Künstler*innen, wobei hier vor allem die Entstehung, das Arrangieren und das Orchestrieren von Kreativität im Vordergrund standen. Kreativität ist also für die interviewten Künstler*innen keine Charaktereigenschaft oder Tugend, sondern eine aktive Praxis, die regelmäßig in den Alltag integriert und in ihrer Vielseitigkeit an den Alltag angepasst werden muss. Den zweiten Orientierungsrahmen von Kreativität im Alter bildet das Alter selbst. Hier geht es um Altersbilder, an denen sich ältere Künstler*innen orientieren und die eng mit der Wahrnehmung des eigenen Alltags und der eigenen Kreativität in Zusammenhang standen. Valorisierungen bzw. der Wert von Kreativität stellen den dritten und letzten Orientierungsrahmen dar. Hier sprachen die interviewten Künstler*innen darüber, welchen Wert ihre kreativen Produkte haben, wie dieser Wert zu Stande kommt und wie sich die Modi der kreativen Wertschöpfung durch das Älterwerden verändert haben.
4.
Kreative Ensembles im Alter
Was zeichnet kreative Ensembles im Alltag älterer Menschen aus? In welchen kreativen Ensembles sind die interviewten Künstler*innen in ihrem Alltag kreativ tätig? Bevor einige gemeinsame Charakteristika von kreativen Praktiken und kreativen Ensembles im Alter herausgearbeitet werden, soll hier zunächst darauf hingewiesen werden, dass Kreativität im Alter in vielen un-
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terschiedlichen Settings und Rahmenbedingungen stattfindet. Eine für die Diskussion zentrale Differenzierung stellt hierbei zunächst der Umstand dar, dass die interviewten Künstler*innen aus unterschiedlichen Gründen und zu unterschiedlichen Zeitpunkten kreativ aktiv geworden sind. So beschreiben manche Interviewte, schon ihr Leben lang kreativ tätig gewesen zu sein und mit der kreativen Praxis auch ihren Lebensunterhalt zu verdienen (Malerei, Gesang); es finden sich allerdings auch solche, die der kreativen Aktivität zwar ein Leben lang, jedoch wechselnd haupt- und nebenberuflich nachgehen (Travestiekunst), solche, die eine Aktivität bereits ein Leben lang, allerdings als »Hobby« (Schauspiel) ausüben (Kunsthandwerk) oder solche, die in der nachberuflichen Phase eine neue kreative Praxis begonnen haben und für diese – wenn mitunter auch gering – bezahlt werden (Musik, Faschingsgilde). Ein erstes wichtiges Ergebnis der Analyse von kreativen Ensembles im Alter ist es deswegen, dass die vermeintlich klaren Grenzen zwischen professioneller und laienhafter Kunstproduktion bzw. kreativer Praxis in der nachberuflichen Phase verschwimmen und eine (a priori) klare Trennung in professionelle und nicht professionelle Künstler*innen im Alter deswegen nur beschränkt sinnvoll ist. Im Gegenteil: Als die interviewten Künstler*innen ihre kreative Praxis beschrieben, spielten die Übergänge zwischen professioneller kreativer Tätigkeit, Erwerbsarbeit und unbezahlter (kreativer) Tätigkeit eine große Rolle, sodass deutlich wurde, dass die Grenzen zwischen diesen nicht eindeutig, sondern Basis von vielfältiger Verhandlung in den Interviews waren – die mitunter auch die Frage nach Wert und Bewertung von Kreativität beeinflussten (siehe dazu Kapitel 6 in diesem Teil). Der Fall des interviewten Musikers ist dabei ein gutes Beispiel. Gefragt nach seiner kreativen Praxis beginnt er seine Erzählung mit seiner Jugendzeit, in der er als Talent am Cello identifiziert wird und daraufhin eine Musikschule besucht – der Weg in die (professionelle) Kunst ist dabei für ihn als Jugendlicher schon deutlich sichtbar. Nach Problemen, beruflich Fuß zu fassen, entscheidet er sich allerdings für einen anderen »Brotberuf« und wird Lehrer. In seiner Rente nimmt er seine Leidenschaft für die Musik wieder auf und nutzt die neu gewonnene (zeitliche) Freiheit der nachberuflichen Phase, um wieder ins Leben als Musiker einzusteigen: »Das [die Tätigkeit als Lehrer] war mein Brotberuf und jetzt wende ich mich wieder dem zu, was ich vielleicht eigentlich in meiner Jugend hätte werden wollen, nämlich der Musik.« Auch andere interviewte Künstler*innen nahmen ihre kreative Praxis nach der Verrentung neu auf, positionierten sich aber deutlich anders als der Musiker. Während dieser seine kreative Praxis als alternativen beruflichen
Teil 2: Kreativität und kreative Praktiken im Alter
Weg skizziert, der ihm in der Jugend verwehrt geblieben ist, beschreibt etwa unser Interviewpartner, der in der Faschingsgilde aktiv ist, dass für ihn die kreative Praxis eine deutliche Abkehr von beruflichen Zusammenhängen bedeutet. Während er die längste Zeit seines Lebens in einer Firma in der IT-Branche beschäftigt war, nutzt er nun die Zeit in der nachberuflichen Lebensphase, um etwas zu tun, das für ihn Freiheit von beruflichen Zusammenhängen bedeutet, und engagiert sich in der örtlich anerkannten Faschingsgilde, einem Karnevalsverein. Im Interview beschreibt er: »Ich habe vierzig Jahre dort gearbeitet in der Firma und bin jetzt eigentlich froh, dass ich frei sein kann.« Ähnlich beschreibt es die interviewte Schauspielerin, die sich kurz nach ihrem Austritt aus dem Erwerbsleben aktiv auf die Suche nach einer Tätigkeit macht, die für sie mehr als ein Hobby ist: »[Ich bin] seit 2009 in Rente und am Anfang war ich sehr auf der Suche, was ich so mit meiner freien Zeit anfangen soll. Nur Hobbys ausleben, das war irgendwie nicht meines.« Für den interviewten Maler hingegen, der über seinen gesamten Lebenslauf hinweg seinen Lebensunterhalt mit der Kunst verdient hat, stellt sich der Eintritt in die nachberufliche Phase anders dar. Seine kreative Praxis, so beschreibt er es im Interview, geht auch in der Rente unverändert weiter – der einzige Unterschied, den er in seiner Tätigkeit ausmacht, ist, dass er durch die Rentenversicherung nun ein stabiles Grundeinkommen hat: »Ich habe immer Bilder gemalt, die ich selbst ernst genommen habe, und habe versucht, Leute zu finden, die das auch ernst nehmen. Es hat, muss ich sagen, relativ lange gedauert, bis dieser Erwerbszweig so in Schwung gekommen ist, dass ich davon leben konnte. […] Ich bin seit drei Jahren in Rente. Das hat nur insofern Auswirkungen, als ich jetzt ein bisschen Geld bekomme, aber sonst hat sich nichts geändert. Ich male mit derselben Freude meine Dinge und das ist es eigentlich im Wesentlichen.« Ungeachtet der Frage, ob die kreative Praxis bei den interviewten Künstler*innen professionell oder laienhaft, gegen Bezahlung oder ohne Bezahlung ausgeübt wurde, zeigte sich bereits in der ersten Analyse der Interviews deutlich, dass die Kreativität im Alter danach verlangte, ihre Ausübung in der einen oder anderen Form zu orchestrieren, das heißt, das kreative Ensemble so zu formen, dass sie in den Alltag integriert werden konnte. So beschrieben die Künstler*innen in den Interviews den kreativen Prozess nicht als intern, in ihnen ablaufend, vielmehr verwiesen sie auf die vielfältigen Strategien, die sie einsetzten, um eine möglichst gute oder erfolgreiche Kreativität in ihrem Alltag zu ermöglichen.
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Dies umfasst zum Beispiel räumliche Arrangements, die in den Interviews eine große Rolle spielten. So beschreibt etwa der Maler, dass er sich ein Atelier – separat von seinem Wohnraum – eingerichtet habe und dass diese räumliche Trennung ihn in der Ausübung seiner kreativen Praxis unterstütze: »So ein [räumlicher] Abstand ist gut, weil man das besser durchschaut. Schnell ist man, wenn man etwas [Neues] gemacht hat, sehr begeistert. Oft fahre ich dann am Abend nach Hause und denke mir: ›Super, da ist was gelungen.‹ Und dann am nächsten Tag komme ich (ins Atelier) und schaue mir das an und denke mir: ›Na, so gut ist das ja doch wieder nicht.‹ Und dieser Abstand und dieses Unterbrechen der Arbeit ist wichtig.« Räumliche Aspekte spielen auch beim Grafikdesigner eine Rolle, der es als Defizit beschreibt, keinen eigenen Raum für seine kreative Praxis zur Verfügung zu haben: »Ich habe kein Atelier, ich kann nur auf dem Tisch arbeiten, muss es aufbauen nach dem Frühstück und wieder abbauen für das Mittagessen. Ich kann die große Staffelei mit Ölfarbe nicht stehen lassen.« Einen zweiten wichtigen Aspekt stellten die sozialen Voraussetzungen für Kreativität im Alter dar. Unabhängig davon, ob die Tätigkeit professionell oder als Laiin/Laie ausgeführt wurde, beschrieben alle Interviewpartner*innen, dass sie ihre kreative Praxis sowohl zeitlich als auch räumlich und sozial organisieren mussten, um sie in ihren Alltag integrieren zu können. Soziale Aspekte umfassten dabei etwa die Unterstützung durch Familienangehörige, die die Ausübung der kreativen Praxis erst ermöglichten. Der Musiker, der beschreibt, nach dem Eintritt in die nachberufliche Phase mehrere Stunden am Tag Cello geübt zu haben, um ausreichend Kompetenzen zum Eintritt in ein Orchester aufbauen zu können, erwähnt dabei seine Frau, ohne deren Unterstützung dies nicht möglich gewesen sei. Diese Interviewstelle verdeutlicht, dass seine Ehefrau ihn sozial unterstützt, also emotional (»vielleicht sogar manches Mal ganz stolz ist«), aber auch zeitlich, indem sie den Zeitaufwand für die kreative Praxis auch in ihrem Alltag mitträgt: »Ganz wichtig für meine musikalische Entwicklung meiner Möglichkeiten ist, dass ich eine Lebenspartnerin habe, meine Frau, mit der ich seit fünfzig Jahren verheiratet bin und die eigentlich mit kleinen Krisen, die es vielleicht gegeben hat, immer akzeptiert hat, dass Musik für mich was Wichtiges ist. Die vielleicht sogar manches Mal ganz stolz ist. […] Und diesen Riesenzeitaufwand, den ich in die Musik hineinstecke, mitträgt.« Die kreativen Ensembles im Alter, so zeigt die erste Analyse, waren von zwei Dingen gekennzeichnet: Erstens war die Differenzierung in professionelle und nicht professionelle, erwerbsmäßige und hobbymäßige Kreativität
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bei den interviewten älteren Künstler*innen nicht eindeutig. Die analysierten Fälle ließen sich deswegen nicht in »Künstler*innen« und »Laien« einteilen. Vor diesem Hintergrund musste auch die Bedeutung monetärer Entlohnung im Alter neu verhandelt werden, weil die Grenzen zwischen Hobby und Erwerbsarbeit verschwammen. Die Fälle der interviewten älteren Künstler*innen – die wir auch im Folgenden so bezeichnen, unabhängig davon, ob sie ihren Lebensunterhalt mit Kunst verdienen oder nicht – zeigen also zunächst auf, wie sich Grenzen zwischen Erwerbstätigkeit und anderer Beschäftigung im Alter auflösen und welche (mitunter innovativen und kreativen) neuen Grenzziehungen dadurch ermöglicht werden. Zweitens – und das steht im Zentrum der Analyse im nächsten Kapitel – verorten die interviewten Künstler*innen ihre Kreativität nicht in sich selbst, nicht als Eigenschaft, die ihnen angeboren wurde, sondern beschreiben sie als Teil ihrer Alltagspraktiken, der organisiert, orchestriert, für den Raum und Zeit geschaffen werden müssen. Diese Deutung von Kreativität als Element des Alltags hängt auch damit zusammen, dass die Interviewpartner*innen sie meist als »Arbeit« bezeichneten – ein Umstand, der im nächsten Kapitel der Analyse eine zentrale Rolle spielen wird.
5.
Subjektkulturen kreativen Alter(n)s
Die erste Analyse der Interviews zeigt, wie Kreativität im Alter räumlich, zeitlich und sozial im Alltag organisiert werden muss. Einen Platz für sie zu finden, Rahmenbedingungen zu klären und Unterstützungsmöglichkeiten zu organisieren, war ein wichtiger Teil der kreativen Praxis für die interviewten Künstler*innen. Im Zentrum dieses Organisierens stand dabei meist eine zentrale Verbindung zwischen Kreativität und (kreativer) Produktivität. So war für die interviewten Künstler*innen zentral, ihre kreative Praxis als »Arbeit« zu kennzeichnen und damit die Ernsthaftigkeit ihrer Aktivität zu begründen. Kreativität ist also kein Hobby, sondern Arbeit, die in die Produktion eines kreativen Objekts mündet. Diese Verzahnung von Kreativität und Produktivität prägt die Altersbilder der interviewten älteren Künstler*innen und steht deswegen auch im Zentrum der Frage danach, welche Selbst- und Altersbilder durch Kreativität im Alter entstehen. In den Interviews spielte die Verbindung von Kreativität und Produktivität in den Subjektivierungspraktiken von Kreativität eine zentrale Rolle. Bei der Beschreibung der kreativen Tätigkeit zu Beginn verwiesen die interview-
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ten Künstler*innen immer wieder darauf, dass der kreative Prozess bzw. das kreative Schaffen für sie eine bestimmte Form von produktiver Arbeit darstelle, in der es im Grunde darum ginge, ein kreatives Produkt – sei es nun eine Zeichnung, ein Theaterstück oder eine Show – herzustellen und dann einem Publikum zugänglich zu machen. Anders als Kreativitätstheorien, die häufig den schaffenden und innovativen Prozess (»Flow«) in den Vordergrund stellen, wenn auf die Potenziale der Kreativität verwiesen wird, zeigt sich hier deutlich, dass Kreativität als ein produktiver Schaffensprozess interpretiert wurde, vor dem Hintergrund der Beschreibung von (Erwerbs-)Arbeit, Zielen und Arbeitspaketen sowie der Anwendung von Disziplin. Unabhängig davon, ob es sich bei den Interviewten um professionelle, aktive Künstler*innen, pensionierte Künstler*innen oder Laien handelte (siehe Kapitel 4), wurde in den Interviews der kreative Schaffensprozess immer wieder konkret als »Arbeit« (Travestie) bezeichnet und als solche beschrieben. Damit wurde auch ein gewisser Druck deutlich, der mit kreativer Tätigkeit im Alter einhergeht: Ähnlich wie eine Erwerbsarbeit sei Kreativität etwas, dem nachgegangen werden müsse, auch wenn die Umstände das vielleicht erschwerten. »[Kreativität] ist eine Arbeit, die man, so ich hoffe, gerne macht«, erklärt uns der Travestiekünstler, den wir kurz vor seiner Pensionierung zum Interview treffen. Er arbeitet als Kaufmann in einem großen internationalen Unternehmen und ist seit Beginn seiner Berufslaufbahn nebenbei kreativ tätig – zuerst als Tänzer, später als Travestiekünstler. Obwohl er seine kreative Praxis also deutlich in Abgrenzung zu seinem Berufsleben – in dem er technische Lösungen an Unternehmen verkauft – positioniert, verwendet er den Begriff der Arbeit, als er seine kreative Tätigkeit zu Beginn des Interviews beschreibt. Er führt weiter aus: »Und wenn man zu faul ist, nur einmal nachzudenken: Was könnte ich Kreatives machen? Dann bleibe ich sitzen bei dem Fernsehapparat und warte, bis er sich selber abdreht. Aus. Aus.« Dieses Beispiel zeigt zwei Erzählstrukturen auf, die in den Interviews immer wieder an unterschiedlichen Stellen anzutreffen sind: Erstens macht es deutlich, dass Kreativität weniger als Hobby dargestellt wird, sondern als Arbeit, die auf die Erstellung eines kreativen Produktes ausgerichtet ist. Zweitens zeigt sich auch, dass Kreativität eine spezifische Form von Arbeit ist – sie nicht zu tun, führte im Beispiel des Travestiekünstlers nicht dazu, dass andere sie für ihn taten, sondern dass er so ein Leben als monoton und nicht erstrebenswert empfand. Ohne Kreativität würde er die Handlungsmächtigkeit im Alltag ein Stück weit verlieren – zum Beispiel die Möglichkeit, seinen
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Fernseher selbst ein- oder auszuschalten. Nicht kreativ tätig zu sein, bedeutete für ihn also, dass sein Leben dann »Aus. Aus« sein könnte. Mit dieser Betonung von Produktivität in der kreativen Praxis ging in den Interviews mitunter auch einher, dass Kreativität als ein deutlich gerichteter Prozess beschrieben wurde, der mit der Erstellung eines kreativen Produkts endete. Entgegen der Vorstellung, dass kreative Praktiken eine freie Auseinandersetzung mit einem Thema oder Kunstwerk ermöglichen, war es unter den interviewten Künstler*innen unbestritten, dass der kreative Prozess auf die Herstellung eines Produktes gerichtet war – sei dies nun ein Kleidungsstück, ein Gemälde, ein Musikstück oder eine Choreografie. Obwohl für manche – vor allem laienhaft kreativ tätige ältere Menschen – der kreative Prozess auch als »Hobby« (Kunsthandwerk) oder etwas, das in der »Freizeit« (Schauspiel) stattfindet, bezeichnet wurde, zeigt sich in den Beschreibungen des kreativen Prozesses in allen Interviews doch deutlich, dass dieser auf die Erschaffung eines kreativen Produktes abzielte, das am Ende präsentiert, verschenkt, verkauft oder dokumentiert werden konnte. Damit fand der kreative Prozess nur in seltenen Fällen ohne Richtung und Ziel – quasi im kreativen Flow – statt. Bei den meisten Interviewten war das Gegenteil der Fall: Die Künstler*innen begannen den kreativen Prozess meist mit einem oder mehreren (mitunter ehrgeizigen) Zielen im Kopf, die sie durch die kreative Tätigkeit erreichen wollten. Die Produktivität gab der Kreativität damit eine Richtung und begrenzte sie in ihrer Entwicklungsmöglichkeit – statt eines offenen, dynamischen Prozesses war die Kreativität ein strukturierter Weg in Richtung der Herstellung eines Produktes. Der Orchestermusiker beschreibt dies in seinem Interview sehr deutlich. Kurz nach seiner Pensionierung als Lehrer hätte er sich ein Cello besorgt, um sich seinen Traum, als Musiker in einem Orchester zu spielen, zu erfüllen. Was zu Beginn wie die Beschreibung eines Hobbys in der »späten Freiheit« der nachberuflichen Lebensphase klang, entpuppte sich schnell als arbeits- und zeitintensiver Prozess, denn nur durch tägliches Training und wöchentliche Proben konnte er schnell genug die Kompetenzen aufbauen, die es brauchte, um bei einem Orchester aufgenommen zu werden. Dabei beschreibt er, dass er Übung gebraucht habe, um Stücke, Noten und Techniken wieder neu zu erlernen, aber auch seinen Körper, der sich für ihn merkbar in den letzten Jahren verändert hatte, an die Praxis des täglichen Musizierens gewöhnen musste: »Als ich in Rente gegangen bin, habe ich also zuerst mindestens drei, vier Jahre […] täglich vier, fünf und manches Mal sechs Stunden
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geübt. Abgesehen von den Proben, die ich damals auch schon gehabt habe. Das war körperlich nicht ganz einfach.« Auch der Maler organisiert und plant seine kreative Praxis als Arbeit – und es stellt dabei für ihn eine Herausforderung dar, seinen kreativen Schöpfungsprozess mit den veränderten Bedingungen seines alternden Körpers zu koordinieren. In seinem Interview beschreibt er seinen Arbeitsprozess des Malens, der sich in einem von seiner Wohnung abgetrennten Atelier zuträgt, in das er an Wochentagen täglich geht, um dort zu malen. Nach einem solchen Tag, den er als »Arbeitstag« beschreibt, fühlt er sich erschöpft – eine Tatsache, die ihn, wie er später im Interview sagt, an das Älterwerden erinnert. Er beschreibt seine kreative Praxis so: »Es ist so, dass ich schon merke, dass ich körperlich müde bin nach einem Arbeitstag, weil ich auch viel arbeite. Wenn das Bild flach auf dem Boden liegt und ich bringe flüssigen Farbauftrag an, dann muss ich das waagrecht auf den Boden legen, damit das nicht abläuft. Das heißt, man ist dann nach vorne gebeugt, man arbeitet in einer gehockten Position, und das den ganzen Tag. Das spürt man im Kreuz. Da bin ich dann ziemlich erledigt.« Die deutliche Ausrichtung der Kreativität auf einen produktiven Prozess, an dessen Ende die Erarbeitung eines Produktes steht, das einem Publikum präsentiert werden kann, führte für die interviewten älteren Künstler*innen auch dazu, dass sie aktiv Schritte setzen, um ihren Körper auf die (mitunter anstrengende) körperliche Arbeit der Kreativität vorzubereiten. So beschrieben einige, dass sie mit dem Rauchen aufgehört hätten, um fitter für die kreative Praxis zu sein, dass sie ihre Ernährung umstellten, um leistungsfähiger zu sein, oder zusätzlich zur kreativen Tätigkeit regelmäßig Sport trieben, um für die kreative Tätigkeit zu trainieren. Manchmal war dies darauf ausgerichtet, einen kräftigeren Körper zu haben – etwa um das schwere Cello besser und länger halten zu können (Orchestermusik) – oder darauf, den Körper schlank zu halten, um ihn an die kreative Praxis anzupassen. So beschreibt etwa der Travestiekünstler in seinem Interview, dass er einer spezifischen Diät folgen müsse, um auch in seinem Alter in der Lage zu sein, seiner kreativen Tätigkeit weiter nachzugehen: »Ich halte mich auch auf Trab, ich gehe dreimal die Woche trainieren, ich esse relativ gesund und ich passe auf mich auf und ich pflege mich. […] Also es [die kreative Tätigkeit] zwingt mich dazu. Schau, ich esse gerne, ich trinke gerne ein Gläschen, ich würde mich auch gerne gehen lassen. Aber wenn ich
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weiß, ich habe in zehn Tagen oder in acht Tagen wieder eine Vorstellung, dann kann ich das nicht. Ich komme sonst nicht mehr in meine Kostüme.« Im Interview beschreibt der Musiker diese Orientierung der Kreativität an einem Ziel als ein definitorisches Moment der kreativen Tätigkeit: »Unter Musikern gib es die Kernaussage: Wenn du nicht ein Ziel – meistens ist das Ziel das Konzert, das man in der Öffentlichkeit darbietet – wenn du nicht ein Ziel hast, dann wird nichts aus der Musik. Als das Ziel ist immer der entscheidende Faktor.« Entscheidend für seinen kreativen Prozess sei also, ein Ziel vor Augen zu haben, das durch die kreative Praxis erfüllt werden soll – ansonsten würde »nichts aus der Musik werden«. Es hat sich gezeigt, dass Kreativität weniger ein freies, dynamisches Hobby ist, sondern für die interviewten älteren Künstler*innen, die teils mit ihrer kreativen Tätigkeit Geld verdienen, die Möglichkeit, ein Produkt zu entwerfen und einer Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Der Musiker zum Beispiel will seine Musik einem ausreichend großen Publikum präsentieren, das sich auch dafür interessiert. Er beschreibt, dass es für ihn eine Anerkennung wäre, wenn seine Musikstücke, die er so intensiv übe, einem Publikum zugänglich gemacht würden, das sie wertschätz. So hätte er die Möglichkeit, seine Kunst öffentlich zu präsentieren, und zwar »immerhin vor einem Publikum mit hundert Leuten, die nicht nur pflichtschuldig applaudieren«. Dies zeigte sich in den Interviews auch dadurch, dass die öffentliche Darstellung eines kreativen Produktes und die damit verbundene Wertschätzung durch ein Publikum als »Lohn« (Schauspiel) für die kreative Arbeit gesehen wird. So beschreibt die Schauspielerin: »Das wäre mir zu langweilig, nur zu arbeiten und dann nichts davon zu haben. Nicht, dass das jetzt ein so tolles Gefühl ist, aber es ist einfach der Lohn dafür, dass man das ganze Jahr gearbeitet hat. Dass man dann eben auch den Auftritt hat.« Auch bei weniger professionalisierten Tätigkeiten ist die Aussicht auf einen Lohn zentral. So beschreibt eine Interviewpartnerin, die in ihrer Gemeinde mit anderen Frauen in einer Bastelrunde aktiv ist: »Wir basteln, was wir wollen, und teilweise verkaufen wir dann, was wir haben. Und das Geld wird dann verwendet für ein Projekt oder für das Haus oder wenn etwas gebraucht wird [in der Gemeinde]. Und das ist eigentlich unsere Belohnung dann.« (Kunsthandwerk) Die Analyse der Interviews zeigt weiter, dass diese Fokussierung auf Produktivität in der kreativen Tätigkeit einen erheblichen Einfluss darauf hat, wie die älteren Künstler*innen das Älterwerden wahrnehmen und welche Altersbilder dabei für sie relevant sind. So spielt der hohe Wert von Produkti-
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vität auch für die Selbstbilder der älteren Künstler*innen eine zentrale Rolle. In der Selbstbeschreibung wurde häufig auf Produktivität, Weiterentwicklung und Innovation als charakteristische Eigenschaft im Alter verwiesen. Ein Beispiel dafür findet sich wiederum beim interviewten Orchestermusiker, der nicht nur sein Musizieren, sondern auch seinen Charakter als auf ein Ziel hin orientiert beschreibt »Denn ich bin immer daran interessiert, mich weiterzuentwickeln. Auch wenn es nur ein kleines Stück ist. Ein kleines Stück besser als zuvor.« Sich selbst laufend weiterzuentwickeln, mehr Kompetenzen in der kreativen Tätigkeit aufzubauen und dadurch die Produktivität zu steigern, so zeigt die Analyse, ist für viele der älteren Künstler*innen ein zentraler Wert im eigenen Selbstbild. Dieses Selbstbild ist allerdings durch das Älterwerden deutlich herausgefordert. So wird es häufig als ein körperlicher Abbauprozess wahrgenommen, der ein intensiveres Training, etwa zum Muskelaufbau, oder auch den Umbau von räumlichen Arrangements notwendig macht, um die kreative Produktivität auch vor dem Hintergrund eines sich verändernden Körpers aufrechtzuerhalten. Gefragt nach den Veränderungen seiner Tätigkeit mit dem Älterwerden und der Wahrnehmung des eigenen Alters beschreibt etwa der Maler, dass er sich sein Atelier umbauen lassen möchte, um auch im Falle einer Gehbehinderung in der Lage zu sein, weiterhin der Malerei nachgehen zu können. Das Älterwerden bedeutet für ihn dabei primär, dass die körperliche Leistungsfähigkeit eingeschränkt wird oder zumindest bedroht ist: »Solange ich kann, solange ich körperlich in der Lage bin, werde ich das [malen] machen. Darum habe ich mir einen Lift gebaut. Das heißt, dass ich auch mit einem Rollstuhl oder was auch immer dann ins Atelier kann.« Solche Erzählungen, die das Älterwerden mit einem sich verändernden Körper in Verbindung bringen, finden sich immer wieder in den Interviews. Der alternde Körper war für die interviewten Künstler*innen deswegen so zentral, weil er als die größte Bedrohung der kreativen Produktivität gesehen wurde. Häufig wurde etwa davon berichtet, dass man geistig doch bis in die Hochaltrigkeit in der Lage sei, kreative Tätigkeiten auszuüben, die Realität des Körpers dies allerdings verhindern könne. Der interviewte Bodybuilder beschreibt dies deutlich, wenn er darüber spricht, dass er seine Lebenszeit im Alter (unter anderem durch seine sportliche Tätigkeit) verlängern möchte, wobei für ihn die Leistungsfähigkeit ein zentrales Kriterium darstellt: »Sicher müssen wir alle einmal sterben. Aber ich sage, ich möchte nicht die Lebenszeit an und für sich verlängern, sondern ich möchte die Lebenszeit, in der ich
Teil 2: Kreativität und kreative Praktiken im Alter
gesund und leistungsfähig bin, in der ich keine Krankheiten habe, die möchte ich verlängern.« Ein zentrales Narrativ zum Älterwerden war es in den Interviews also, durch die Aufrechterhaltung von körperlicher und damit verbunden kreativer Leistungsfähigkeit das Älterwerden ein Stück weit aufzuhalten. Kontrastiert wurde diese Vorstellung häufig mit Erzählungen von körperlichen Abbauprozessen und damit verbunden eingeschränkter Handlungsfähigkeit. So beschreibt etwa die Schauspielerin, dass das Alter – sofern die Leistungsfähigkeit aufrechterhalten werden könne – eben nicht nur ein »Vegetieren allein« sein müsse, sondern es auch möglich sei, »zu seinem Recht [zu] komm[en]«. Auch die ältere Handwerkerin wolle im Alter aktiv bleiben: »Ich glaube, man muss immer, ganz gleich wie, aktiv sein. Und ich glaube, im Alter noch viel mehr, weil man sonst, da bin ich schon überzeugt, viel abbaut.« An späterer Stelle im Interview verbindet sie dies mit erfolgreichem Altern. Diese Gleichzeitigkeit von Entwicklungs- und Verfallsnarrativen, die in den Interviews immer wieder deutlich werden, zeigt auch der Orchestermusiker. Er beschreibt, dass er sich in seiner Musik ständig weiterentwickeln möchte und dieser Drang ein zentraler Gegenpunkt zum altersbedingten Abbauprozess sei: »Weil ich ja immer bestrebt bin, mich noch weiter zu entwickeln, vielleicht noch um einen Millimeter besser zu werden als zuvor, habe ich nicht das Gefühl, dass ich wirklich abbaue.« In den Interviews zeigt sich deutlich, dass die Leitvorstellungen von Produktivität, die die Narrative rund um Kreativität prägen, von den älteren Künstler*innen auch auf das Alter übertragen werden. Gängig ist eine Beschreibung des Alters als leistungsfähige Lebensphase, in der durch die Aufrechterhaltung von Produktivität und Kreativität die negativen Aspekte wie Pflegebedürftigkeit, Krankheit und Einsamkeit ausgesetzt oder zumindest in den Lebenslauf nach hinten verschoben werden können. Die Betonung von Produktivität, die in den Narrativen rund um Kreativität in den Interviews deutlich wurde, führte dazu, dass auch das Älterwerden vornehmlich unter den Vorzeichen von Produktivität und Leistungsfähigkeit besprochen wurde. Die interviewten älteren Künstler*innen lehnten das Alter meist ab oder äußerten zumindest den Wunsch danach, diese Lebensphase aufschieben zu können. Dabei spielte die Vorstellung, dass schöpferische Kreativität dann nicht mehr möglich sei, eine zentrale Rolle. Subjektkulturen kreativen Alter(n)s, so zeigt sich in den Interviews, zeichnen sich vor allem durch eine große Betonung von kreativer Produktivität aus, der Bilder des Alters als Lebensphase eingeschränkter Produktivität und kör-
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perlicher Leistungsfähigkeit deutlich entgegenstehen. Kreatives Alter(n) ist also nicht erfolgreiches Altern, es ist ein abgespaltenes Altern, das auf weiter hinten im Lebenslauf verschoben und als nicht erstrebenswerte Lebensphase der einschränkten Handlungsfähigkeit konstruiert wird. Ein besonders eindrückliches Beispiel dafür findet sich im Interview mit dem Travestiekünstler. Er beschreibt, dass er das Älterwerden aufhalten möchte, indem er seine körperliche Leistungsfähigkeit trainiert. Er wäre gern wie der Mann, der niemals altert: »Ich habe gesagt, ich möchte so sein wie Dorian Grey. Und ich werde alles dazu tun, dass es so ähnlich wird. Und erst wenn ich mich selbst emotional aufgebe – dazu muss ich nicht krank sein, sondern nur wenn ich selbst bestimme, dann sage ich: ›Jetzt war es aber genug.‹«
6.
Bewertungskonstellationen von Kreativität im Alter
Die Ausführungen zu den Lebenswelten und Subjektkulturen älterer Künstler*innen haben deutlich gemacht, dass Kreativität im späteren Leben in den analysierten Interviews als produktive Praxis positioniert wird, die deutlich auf die Entwicklung eines kreativen Produktes ausgerichtet ist. Anders als Theorien der »Little c«-Kreativität, die kreatives Schaffen häufig als freien und dynamischen Prozess deuten, wurde Kreativität im späteren Leben – sei es durch professionelle Künstler*innen, durch Künstler*innen in Rente oder ältere Laien – in den Interviews als ein deutlich zielgerichteter Prozess beschrieben, in dem die Umsetzung einer Idee in ein kreatives Produkt im Vordergrund steht. Dementsprechend wird die kreative Praxis häufig vor dem Hintergrund von Kategorien wie »Arbeit« oder »Training« positioniert. Damit ging in den Interviews auch die Anerkennung des Wertes des kreativen Produktes am Ende des Schaffensprozesses als Teil der kreativen Praxis einher. Häufig sprachen die Interviewpartner*innen davon, dass sie den Applaus des Publikums als einen »Lohn« (Schauspiel) verstehen oder danach streben, durch ihre Tätigkeit eine »Belohnung« (Kunsthandwerk) zu erhalten. Diese Bewertungsprozesse von Kreativität im Alter stellen aus gerontologischer Perspektive ein neues und bislang kaum erforschtes Thema dar. Häufig wird in der Literatur zu Kreativität und Alter kritisiert, dass die Rahmenbedingungen kreativen Schaffens älterer Menschen nur unzureichend Berücksichtigung fänden (Katz, 2005; Fraser et al. 2015; Bernard & Rickett, 2016) und
Teil 2: Kreativität und kreative Praktiken im Alter
damit die Wertschätzung und Anerkennung von kreativen Produkten von älteren Menschen bislang zu wenig debattiert würden. Im folgenden Kapitel werden daher die Bewertungskonstellationen, die in der Kreativität im Alter relevant sind, auf Basis des Datenmaterials ausgearbeitet und vorgestellt. Orientiert an einer soziologischen Perspektive auf Bewertungsprozesse und -konstellationen (Krüger & Reinhart, 2016; Meier, Peetz & Waibel 2016), fragt die Analyse dabei nicht nach dem »Wert« der Kreativität per se, sondern legt den Fokus auf Wertzuschreibungen, Wertvorstellungen und Prozesse des Bewertens von Kreativität im Alter. Der Begriff der Bewertungskonstellation von Kreativität im Alter macht deutlich, dass es sich bei Praktiken des Bewertens eines kreativen Produktes nicht um das Zuschreiben eines Wertes, sondern um die Prozesse der Bewertung handelt. So werden zwar Kunstwerke in spezifischen Momenten bewertet – etwa, wenn sie für einen bestimmten Wert verkauft werden –, die Prozesse des Bewertens beginnen allerdings schon früher, etwa, wenn die Künstlerin/der Künstler eine bestimmte Farbe oder Technik auswählt, um die Chancen auf einen hohen Preis beim Verkauf des Werkes zu erhöhen. Der Begriff zeigt also auf, dass Bewertungen nicht in einer spezifischen Situation erfolgen, sondern unterschiedliche Positionen – Publikum, Künstler*in, Märkte – berücksichtigt werden müssen und die Relationen zwischen diesen Positionen das Bewertungsgeschehen beeinflussen. Dieser Fokus macht deutlich, dass Bewertungsprozesse in vielfältiger Art und Weise mit der Praxis und der Ausrichtung von Kreativität verknüpft sind. Dies zeigt sich auch in den analysierten Interviews, wenn davon berichtet wird, dass die Tätigkeit auf eine ganz bestimmte Belohnung am Ende der kreativen Praxis ausgerichtet (Schauspiel, Kunsthandwerk) oder das Konzert der wichtigste Teil des kreativen Prozesses des Musizierens sei (Orchestermusik). Bewertungsprozesse stehen deshalb nicht am Ende eines kreativen Prozesses, sondern dirigieren und steuern kreative Praktiken, indem sie als bestimmte Wertvorstellungen – als Ideen über »gute« und »schlechte«, über »erfolgreiche« und »nicht erfolgreiche« (mitunter auch »professionelle« und »nicht professionelle«) Kunst – Eingang in den Prozess des kreativen Schaffens finden (Gallistl, 2020). Die Analyse der Daten zeigt drei Bewertungskonstellationen, die jeweils auf unterschiedliche Vorstellungen von »wertvoller« Kreativität im Alter verweisen: Beim ökonomischen Wert wird Kreativität im Alter dann als wertvoll angesehen, wenn sich das kreative Produkt für (viel) Geld verkaufen lässt. Im Wert des kulturellen Feldes drückt sich aus, dass Kreativität als wertvoll angese-
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hen wird, wenn sie von anderen, wertgeschätzten Kolleg*innen als wertvoll anerkannt wird. Der Wert des Lebenslaufs lässt sich daran messen, ob Kreativität kontinuierlich über den gesamten Lebenslauf ausgeübt wird. Diese unterschiedlichen Bewertungskonstellationen von Kreativität im Alter zeigen auch die Herausforderungen, denen ältere Künstler*innen als Akteur*innen im Bewertungsgeschehen von Kreativität begegnen. So beschreiben viele, dass sich die Bewertungsprozesse ihrer kreativen Praxis im Alter deutlich gewandelt hätten und es durch diese Veränderungen dazu gekommen sei, dass die im Alter hergestellten kreativen Produkte als weniger wertvoll angesehen wurden als die aus anderen Lebensphasen. Diese Prozesse im Detail zu betrachten, steht im Zentrum der folgenden Analyse.
6.1
Ökonomischer Wert
Als erste Bewertungskonstellation von Kreativität im Alter stellte sich in den Interviews der ökonomische Wert heraus. Im Auswertungsprozess wurden ihm all jene Codes zugeordnet, in denen sich Interviewpassagen mit dem Verkauf oder dem Verschenken von kreativen Produkten auseinandersetzen, in denen debattiert wurde, welchen ökonomischen Wert ein bestimmtes kreatives Produkt besitzt, oder in denen Interventionen beschrieben wurden, um den ökonomischen Wert eines kreativen Produktes zu steigern. Auffällig war, dass Themen rund um die ökonomische Bewertung des kreativen Produktes in allen Interviews eine Rolle spielten – unabhängig davon, ob die kreative Praxis als Beruf, ehemaliger Beruf oder als Hobby ausgeübt wurde. Zwei zentrale Unterthemen waren »das kreative Produkt« und »der ökonomische Wert als Form der Anerkennung«. In den Interviews wurde deutlich – wie in Kapitel 5 dieses Teils im Detail dargestellt –, dass die Herstellung eines kreativen Produktes, das später der (ökonomischen) Evaluierung zugänglich gemacht werden konnte, ein integraler Bestandteil der kreativen Praxis der älteren Künstler*innen war. Manche beschrieben, wo und wie sie ihre Produkte verkauften – etwa auf Vernissagen (Malerei) oder auf kleineren Märkten in der Gemeinde oder der Kirche (Kunsthandwerk). Andere schilderten, dass sie ihre kreativen Produkte gerne verschenkten – etwa an Kinder oder Enkelkinder (Grafikdesign) – und dadurch der Wert sichtbar würde. Eine Rolle spielten dabei auch Auszeichnungen und Preise, die mitunter mit einem ökonomischen Wert verknüpft waren. So erzählt etwa die Sängerin, dass sie ein Buch über Wiener Gesangskultur geschrieben hätte, das später auch mit einem Preis ausgezeichnet worden sei.
Teil 2: Kreativität und kreative Praktiken im Alter
Das Preisgeld spiele dabei für sie eine wichtige Rolle, sie habe nicht nur die Anerkennung als »Sonderpreis«, sondern auch »300 Euro gekriegt«. In jedem Fall wurde deutlich, dass die kreative Praxis auf die Herstellung eines Produktes fokussiert werden musste, um erfolgreich eine Entität zu erzeugen, die der ökonomischen Evaluation zugänglich war. Dies zeigt sich in den Interviews beispielsweise auch dadurch, dass häufig die Quantifizierung kreativer Produkte im Vordergrund stand, also beschrieben wurde, wie viele Produkte in letzter Zeit oder pro Tag hergestellt wurden. So erzählt etwa der Grafikdesigner, als er gebeten wird, seinen kreativen Prozess zu beschreiben: »Ich habe etwa zwanzig Ordner und in jedem Ordner sind – ich weiß nicht – fünfzehn bis zwanzig Zeichnungen.« Warum war die Herstellung eines kreativen Produktes und dessen ökonomische Evaluierung so wichtig? Beim Code »ökonomischer Wert als Form der Anerkennung« wurde in der Analyse deutlich, dass die interviewten Künstler*innen durch diese ökonomischen Bewertungsprozesse eine gewisse öffentliche Anerkennung ihres Werkes wahrnahmen. So beschreibt etwa der Maler, der seine Bilder regelmäßig auf Vernissagen verkauft, es als Freude, wenn durch den Verkauf eines Bildes erkennbar werde, dass dieses für eine andere Person begehrenswert sei: »Einerseits gebe ich das Bild nicht gerne her. Andererseits freut es mich natürlich, wenn jemand sagt, es ist mir jetzt dieses Geld wert, und ich möchte das gerne haben.« Ein zweiter Aspekt war die Organisation und Aufarbeitung von kreativen Produkten als Nachlass. So wurden sie in allen Interviews produziert und besprochen (teilweise auch präsentiert) und der Verkauf sowie die Weitergabe wurde detailliert geschildert. In manchen Interviews spielte es darüber hinaus eine Rolle, die kreativen Produkte so zu arrangieren, dass sie für nachkommende Generationen als Nachlass zugänglich wären. So beschreibt etwa der Maler, dass er nun, im höheren Alter, bestimmte Bilder vom Verkauf zurückhalten möchte, um sie als Nachlass zu sammeln: »Ich habe jetzt schon manchmal die Überlegung, Dinge zusammenzufassen, die irgendwie übrig bleiben sollen. Das heißt, ich hebe mir Bilder auf. Und das muss man jetzt, glaube ich, einmal angehen, dass man sagt, aus der nächsten Phase gibt es fünf bis sechs Bilder, die werden eingepackt, beschrieben und sollen in einem Nachlass übrig und zusammen bleiben.« Die Konstellation des ökonomischen Wertes spielt also bei der Kreativität im Alter unabhängig vom Professionalisierungsgrad der kreativen Tätigkeit eine wichtige Rolle. Die Beschreibung ökonomischer Verwertungsprozesse stand in den Interviews im Zentrum, ebenso wie die Tatsache, dass am Ende
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ein Produkt stehen sollte, das quantifiziert und der ökonomischen Bewertung zugänglich gemacht werden könne. »Gute« bzw. »wertvolle« Kreativität war also jene, die viele kreative Produkte hervorbrachte – was durch die vielen Quantifizierungen deutlich wurde, die sich in den Interviews fanden. Spezifisch für die Kreativität im Alter scheint es zu sein, dass die ökonomische Verwertung von kreativen Produkten mitunter auch bewusst zurückgehalten wird, um einen wertvollen Nachlass für die nächsten Generationen zu schaffen. Dies war in den Interviews nicht etwa als vage Zukunftsvorstellung vorhanden, sondern äußerte sich als relevantes Element, das die kreative Praxis im Hier und Jetzt steuerte. So beschrieb der Maler, wie er beginne, Bilder zu zeichnen, die er dann zu einem Nachlass sammeln könne. Auch die Sängerin erzählte davon, wie sie ihre Noten und Aufzeichnungen ordnen würde, damit ihre Tochter daraus einen Nachlass gestalten könne. Dies zeigt, dass sich Bewertungsprozesse von Kreativität im Alter teils deutlich von solchen in anderen Lebensphasen unterscheiden können – ein Umstand, der auch in der Analyse weiterer Bewertungskonstellationen deutlich wird.
6.2
Wert des kulturellen Feldes
Im Verständnis einer Soziologie der Bewertung, die eine Pluralität von Wertformen zulässt, wurden in den Interviews weitere Bewertungskonstellationen von Kreativität im Alter identifiziert, die mitunter gegen oder quer zur ökonomischen Evaluation eines kreativen Produktes liegen. So waren Verkauf, Weitergabe und Verschenken nur einige Elemente in den Interviews, wenn der Wert der kreativen Praxis besprochen wurde. In der zweiten identifizierten Bewertungskonstellation »Wert des kulturellen Feldes« wurden alle Codes zusammengefasst, die sich mit der Wertschätzung einer kreativen Praxis durch Kolleg*innen und Institutionen im relevanten kulturellen Feld beschäftigten. Hier wurden also andere Künstler*innen, Institutionen, Bewerbe, Bewertungsjurys bei Auszeichnungen als entscheidend dafür genannt, welcher Wert einem kreativen Produkt zugeschrieben wurde. Dabei ging es etwa um anerkannte Bühnen, Kunst- und Kultureinrichtungen (Travestiekunst), professionelle Auszeichnungen und Wettbewerbe (Bodybuilding) oder die Bewertung und Wertschätzung durch andere Künstler*innen (Gesang, Fotografie). Mit Bourdieu (1974) verstehen wir dies als Prozesse der Bewertung durch Konsekration. Statt eines ökonomischen Wertes im engeren Sinne entstand in dieser Bewertungskonstellation ein symbolischer Wert von Kreativi-
Teil 2: Kreativität und kreative Praktiken im Alter
tät (Cattani, Ferriani & Allison, 2014), wenn die Qualität eines Werkes durch Expert*innen öffentlich anerkannt wurde. Eine wichtige Rolle in den Bewertungsprozessen durch das Feld spielen andere Künstler*innen. In den Interviews wurde das vor allem dort deutlich, wo Freund*innen oder Kolleg*innen die Qualität eines kreativen Prozesses oder Produktes bewerteten und daraus Wertschätzung und Anerkennung für die kreative Praxis abgleitet wurde. So beschreibt etwa die interviewte Fotografin, dass sie erst durch eine Freundin auf ihr spezielles Talent für die Fotografie aufmerksam gemacht worden sei: »Eine Freundin von mir ist eine talentierte Fotografin und als ich ihr ein Foto, das ich gemacht habe, einmal gezeigt habe – mehr unabsichtlich als absichtlich – hat sie gesagt: ›Wow, das ist schön.‹ […] und dann hat sie gesagt: ›Wow, du hast das Auge!‹« Dies spielte auch in der Entwicklung der kreativen Praxis in anderen Fällen eine Rolle – so waren Lehrer*innen oder andere Autoritätspersonen in Kindheit und Jugend, die das Talent für eine bestimmte kreative Praxis identifizierten, oft der Ausgangspunkt für die Interviewpartner*innen, sich überhaupt intensiver mit kreativer Tätigkeit auseinanderzusetzen (Gesang). Wichtig bei der Beschreibung dieses Bewertungsprozesses war es, nicht nur auf die (meist) positive Evaluation der Qualität der kreativen Praxis oder eines Talents hinzuweisen, sondern auch, die Position der Person herauszustreichen, von der die Einschätzung kam. So waren dies nicht selten Autoritätspersonen wie Lehrer*innen oder Leiter*innen von Einrichtungen des Kunst- und Kultursektors oder andere Künstler*innen, denen ein spezielles Talent zugeschrieben wurde. Im Fall der Fotografin war die Freundin, die das Talent erkannte, eben selbst nicht einfach eine Freundin oder Fotografin, sondern eine »talentierte« Fotografin, die durch ihr Talent die Kompetenz besaß, das kreative Potenzial unserer Interviewpartnerin zu evaluieren. Mit Bourdieu (2015; 2016) wird deutlich, dass diese Bewertungsprozesse nicht nur von Normvorstellungen eines bestimmten Feldes – also der Frage, was »gute« und was »schlechte« Kunst ist – abhängen, sondern auch durch die unterschiedlichen Positionen von Künstler*innen im Feld beeinflusst werden, die durch die Verteilung von symbolischem Kapital geregelt und quasi fixiert sind. Das zeigte sich in den Interviews etwa dadurch, dass Bewertungen durch anerkannte Institutionen oder Personen im Feld ganz besonders herausgestrichen wurden. So beschreibt etwa die Tänzerin, dass sie mit einem bestimmten anderen Tänzer zusammengearbeitet habe, der eben nicht nur ein Tänzer, sondern der Tänzer in einer bestimmten Einrichtung des Kunstund Kultursektors in Wien ist: »Ich habe getanzt bei [NAME], wenn Sie den
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kennen. [NAME] ist Franzose, also den müsste man schon kennen. Der ist nämlich der Tänzer im Museumsquartier. Also ein toller Choreograf auf der ganzen Welt.« Auch die Schauspielerin betont das Talent und die Bekanntheit der Kolleg*innen, mit denen sie in unterschiedlichen Projekten zusammengearbeitet hat: »Ich war Komparsin in Filmen mit wirklich tollen Regisseuren, mit [NAME], mit [NAME], also wirklich mit der Crème de la Crème.« Für die Ausübung von wertvoller Kreativität, so wird durch die Bewertungskonstellation des kulturellen Feldes deutlich, war es also notwendig, mit bekannten Künstler*innen oder besonders prestigeträchtigen Institutionen des Kunst- und Kultursektors zusammenzuarbeiten. In diesem institutionellen Wert von Kreativität (Pardo-Guerra, 2011) zeigte sich in den Interviews allerdings auch, dass es für ältere Künstler*innen schwieriger war, an anerkannten Einrichtungen des Kunst- und Kultursektors einen Platz zu finden, weil dort eine professionalisierte Art der Kreativität wertgeschätzt wird, die meist Jüngeren mit Ausbildungen und besonderem Talent vorenthalten ist. Älteren Künstler*innen, vor allem jenen, die ihre kreative Praxis nicht ein Leben lang ausgeübt, sondern erst spät damit begonnen haben, werden also wenig Chancen auf Teilhabe an einer »wertvollen« Art der kreativen Praxis eingeräumt. So beschreibt etwa die Schauspielerin: »Ich gehe auch oft im Theater zu Castings. Im Volkstheater war ich schon ein paarmal, auch wenn ich dort nicht genommen werde, wovon ich meistens schon ausgehe. Wenn ich dort hinkomme und die jungen Mädchen aus der Schauspielschule sehe, da weiß ich’s schon: Oje.« Auch der Musiker hat ähnliche Erfahrungen gemacht: »Die Stücke, die wir zum Abschluss spielen konnten oder mussten, die sind jetzt Teil der Aufnahmeprüfung. Also da kann man sich vorstellen, wie sehr sich das Niveau in dieser Hinsicht verändert hat.« Dieses Muster zeigt sich auch in der letzten Bewertungskonstellation.
6.3
Wert des Lebenslaufs
Das Beispiel der Schauspielerin hat schon deutlich gemacht, dass das Älterwerden die Bewertungskonstellationen von Kreativität beeinflusst. Dies war erkennbar beim Zurückhalten ökonomisch wertvoller Produkte für den Nachlass für die nächste Generation (siehe 6.1) oder wenn in Einrichtungen, die für die Verteilung von symbolischem Wert zuständig sind, jüngere Schauspieler*innen gegenüber älteren bevorzugt werden (siehe 6.2). In diesen Beispielen zeigt sich, wie das Alter eines Künstlers/einer Künstlerin die Bewertungskonstellationen von Kreativität beeinflusst. Bei der dritten und letzten
Teil 2: Kreativität und kreative Praktiken im Alter
Konstellation finden sich weitere Interviewstellen, in denen ein spezifischer Wert des Älterwerdens – das bereits gelebte Leben – als Element von Bewertungsprozessen der Kreativität im Alter diskutiert wurde. Diese spezifische Form der Bewertung von Kreativität, die Aspekte des Älterwerdens mitverhandelt, wurde in den Interviews in zwei zentralen Narrativen besprochen: zum einen, wenn das Verhältnis von älteren zu jüngeren Künstler*innen debattiert wurde, und zum anderen, wenn die Erfahrung über den Lebenslauf mit einer spezifischen kreativen Praxis thematisiert wurde. In der Zusammenarbeit zwischen älteren und jüngeren Künstler*innen spielt das Alter eine ambivalente Rolle in Bewertungskonstellationen von Kreativität. Einerseits wird in den Interviews deutlich, dass Erfahrung mit der kreativen Praxis zu einer hohen Anerkennung im Feld, besonders durch jüngere Künstler*innen führt. So beschreiben die interviewten Künstler*innen, dass sie als Expert*innen für die kreative Praxis adressiert werden. Der Bodybuilder sagt: »Also die jungen Leute fragen mich: Wie macht man das? Wie macht man das? Und ich dränge mich nicht auf, sondern, wenn wer fragt, dann gebe ich eine Antwort nach bestem Wissen und Gewissen. Und die sagen: Du hast schon so viel gemacht, du musst es ja wissen, wie es geht.« Dieser Transfer von Expertise zwischen jüngeren und älteren Künstler*innen wird allerdings nicht immer positiv erlebt. So werden auch Situationen beschrieben, in denen ältere Künstler*innen einen Expert*innenstatus für sich beanspruchten – etwa, wenn sie Proben nach einem bestimmten Plan organisieren und orchestrieren wollten – und den Eindruck bekamen, dass sich jüngere Künstler*innen nicht an die Vorgaben hielten. So beschreibt etwa der Travestiekünstler eindringlich eine Konfliktsituation zwischen ihm und einem jüngeren Kollegen im Rahmen einer Probe: »Junge Leute, die nachkommen, sie haben von zu Hause nichts gelernt. […] Heute kommt jemand um eine halbe Stunde zu spät zur Probe, wo die anderen sich bemühen, pünktlich zu sein, weil sie auch aus der Arbeit kommen. Und diese Person kommt an, sagt ›Grüß euch‹ geht zum Kaffeeautomaten und sagt: ›Ich nehme mir noch schnell einen Kaffee.‹ Und ich stehe blöd da, mir bleiben die Augen offen wie bei einer Salatschnecke und ich wundere mich nur mehr.« Deutlich wird hier nicht nur ein Konflikt zwischen unterschiedlichen Altersgruppen, sondern auch darüber, wer in einer bestimmten Situation definiert, wie Kreativität organisiert wird. Der Travestiekünstler sieht diese Expertise bei sich und begründet dies mit seiner jahrelangen Erfahrung.
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Die Fotografin beschreibt, dass sie sich durch die Erfahrungen mit Fotografie, die sie in ihrem Leben gesammelt habe, besser auf ihr Gefühl verlassen könne als früher – und das auch bei der Ausübung ihrer kreativen Tätigkeit hilfreich sei: »Das ist auch meine Lebenserfahrung und halt mehr das Gefühl, die Erfahrung. Ich kann mich da sehr auf mein Gefühl verlassen.« Auch der Grafikdesigner beschreibt Ähnliches: »Ich bin der Meinung, dass wir im Alter persönlich viel freier werden. Da kommt uns die Entwicklung mit all den Erfahrungen (zugute).« Dies war mitunter auch damit verbunden, dass ältere Künstler*innen durch ihre Erfahrung Inhalte an jüngere Generationen weitergeben konnten – im kulturellen Feld oder in der Familie. So beschreibt etwas der Grafikdesigner, wie stolz er sich fühle, wenn er seinen Enkelkindern Kompetenzen zum richtigen Zeichnen weitergeben könne: »Gestern hat der [NAME], der ist zwölf, gesagt: ›Granddad, du musst mir helfen, einen Ferrari aus der Perspektive zu zeichnen.‹ Und das macht mir Freude und natürlich mach ich das sofort. Und eine Woche später schickt er mir das Bild von einem Ferrari in Perspektive. Da bin ich stolz.« In vielen Interviews wurde beschrieben, wie sich ein bestimmter Wert in der kreativen Praxis daraus ergebe, dass etwas für eine lange Zeit ausgeübt wurde. Gute Kreativität, so wurde in dieser Bewertungskonstellation deutlich, wird über eine lange Zeit und kontinuierlich über den Lebenslauf ausgeübt. Dieser spezifische Wert von Kreativität wurde in den Interviews teils offen, teils latent immer wieder angezeigt, etwa dann, wenn Künstler*innen, die schon jahrelang ihrer kreativen Praxis nachgingen, eine spezifische Form der Legitimität und Wertschätzung daraus zogen, früh in ihrem Leben mit ihr begonnen zu haben. So beschreibt etwa der Maler, der bereits in der Kindheit mit dem Malen begonnen hat, ganz zu Beginn seines Interviews auf die Frage, was er kreativ mache: »Na ja, ich male Bilder, und das schon sehr lange. Ich habe das immer gemacht und für mich war der Weg in die Kunst mehr oder weniger determiniert.« Er zieht also eine bestimmte Legitimität seiner Position als Künstler aus der Tatsache, dass er das schon lange macht. Dieser Lebenslaufwert von Kreativität wurde in den Interviews immer wieder deutlich. So beschrieb etwa die Sängerin, dass sie eine gute Sängerin sei, weil ihr Lehrer früh ihr Talent entdeckte habe, oder der Orchestermusiker erzählte, dass er schon früh in eine Musikschule aufgenommen wurde. Einen spezifischen Wert erhielt die kreative Praxis in dieser Bewertungskonstellation also, wenn sie möglichst lange und linear über den Lebenslauf ausgeübt wurde. Das führte bei Künstler*innen, die erst spät oder nach dem Berufsleben begonnen hatten, dazu, dass sie ihre kreative Arbeit als weniger wert-
Teil 2: Kreativität und kreative Praktiken im Alter
voll wahrnahmen. So beschreibt etwa die Schauspielerin, dass sie nun, in der nachberuflichen Phase, keine Chance hätte, die Tätigkeit professionell auszuüben, obwohl sie auch Zeit und Geld in sie investiere: »Das ist die Schauspielerei, für die ich mir jetzt auch einige Dinge an Ausbildung geleistet habe. Ich weiß aber nicht, wohin das führen wird, weil es in meinem Alter schwierig ist, was anzugehen. Aber trotzdem werde ich es versuchen, weil es mir einfach Spaß macht. Und das muss jetzt auch nicht in Richtung eines permanenten Engagements gehen oder so etwas.«
7.
Fazit
Kreatives Handeln wird verstanden als Produktion von etwas Neuem, das mit Sinn und Bedeutung verknüpft ist. Dieses gestaltende Tun ist zweifellos von Bedeutung für den und im Prozess des Älterwerdens. Denn damit wird Altern nicht primär als Anpassung und Aufrechterhaltung von Kompetenz beschrieben und analysiert, sondern als bedeutsames und zielorientiertes Entwicklungsgeschehen – bedeutsam meint hier sinnorientiert und sinnschaffend. Als zielorientiert beschreiben die interviewten Künstler*innen ihr Handeln insofern, als sie etwas »erzeugen« bzw. »schaffen« wollen und dabei zumeist organisiert und stark fokussiert vorgehen. Also kann erstens festgehalten werden, dass die hier beschriebene Kreativität von Künstler*innen im Alter sich deutlich gegen jene Kultur des Alter(n)s stellt, die auf Ruhestand ausgerichtet ist. Wenn die Pensionierung bei den befragten Personen da und dort von erheblicher Bedeutung ist, dann weniger als Punkt im Lebenslauf, von dem aus ein ruhiges Leben seinen Ausgang nimmt, sondern ganz im Gegenteil als Übergang in eine neue Phase des Schaffens und Erzeugens. Die Kreativität von Künstler*innen im Alter wird in diesem Kapitel aber nicht nur in dieser subjektzentrierten Perspektive beschrieben, sondern sucht über den praxistheoretischen Blick nach Erklärungen für das Handeln, die sich vom Subjekt lösen und auf die sozialen und kulturellen Arrangements zielen. Es geht um die kreative Praxis bzw. die kreativen Ensembles. Künstlerisches Tun im Alter ist an bestimmte zeitlich-räumliche Konstellationen gebunden: Die Künstler*innen versuchen nicht nur, ihre künstlerische Tätigkeit räumlich vom Alltag zu trennen, sondern es zeigen sich deutlich Aushandlungsprozesse mit nahestehenden Personen über Ressourcen und Ziele. Diese Elemente deuten eher auf eine Konstellation hin, die nicht unbedingt mit der Lebensphase Alter verknüpft ist. Aber es zeigen sich in dieser »Assem-
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Neue Kulturstile älterer Menschen. Zum Älterwerden zwischen Ästhetik und Alltag
blage«, diesem Ensemble von Beziehungen zwischen Akteur*innen und dem Kreativen, auch Vorstellungen und Werte, die deutlich mit dieser Lebensphase verknüpft sind. Gemeint ist damit das Interesse, Werke zu schaffen, die für die (eigenen) Nachkommen wichtig bzw. wertvoll sind, worunter sowohl ökonomische Verwertbarkeit als auch ideelle Werte verstanden werden. Damit kann festgehalten werden, dass künstlerische Aktivität in ein Feld der kulturellen Produktion eingelagert ist und dabei einen eigenen Sozialtypus, nämlich den Typus der/des Kreativen, hervorbringt. Kreativität im Alter ist nicht nur eine persönliche Entscheidung und damit ausschließlich personenabhängig, sondern in diesem Feld der kulturellen Produktion wird auch gleichzeitig Macht hergestellt. Wie diese Machtverhältnisse wiederum das Subjekt in seinem Handeln bestimmen, konnte sehr gut auf Basis des Interviewmaterials herausgearbeitet werden: Die Künstler*innen sind ständig bemüht, sich von trivialer Kunst abzugrenzen, das eigene Schaffen als Arbeit zu sehen und nicht als ungerichtete Tätigkeit. Es wird versucht, mit dem Altern verknüpfte körperliche Veränderungen zu negieren und wegzuschieben, um nicht ausgestoßen bzw. an den Rand gedrängt zu werden.
Teil 3: Kulturrepertoires älterer Menschen
Kulturelle Aktivitäten in allen ihren Erscheinungsformen haben einen festen Platz in der Lebensführung im Alter und stellen in ihrer Gesamtheit das Kulturrepertoire älterer Menschen dar. Der Begriff des Kulturrepertoires verortet hoch- und alltagskulturelle Aktivitäten als Bestandteil eines Lebens- oder Kulturstils im Alter (Kolland, 1996). Er verweist darauf, dass über kulturelle Aktivitäten eine spezifische Form der Lebensführung im Alter möglich wird: als Ausdruck von Werteorientierungen, Sinnzuschreibungen und Identitätskonstruktionen. Ähnlich wie Lebensstile selbst sind Kulturstile im Alter durch die enge Verknüpfung von Handlungsmöglichkeiten und sozialstrukturellen Rahmenbedingungen eingebunden. So ist die Frage, wie sich Menschen im Alter kulturell beteiligen, welche Aktivitäten Teil ihres persönliches Kulturrepertoires werden, einerseits eine nach den individuellen Vorlieben und dem je subjektiven Geschmack, andererseits eine nach biografischen (Bildungs-)Ressourcen und sozialen Ungleichheitsfaktoren (siehe dazu im Detail Kapitel 1 in diesem Teil). Kulturrepertoires älterer Menschen formen sich ähnlich wie Lebensstile vor dem Hintergrund bestimmter Lebenslagen aus, das heißt durch Möglichkeits- und Handlungsspielräume, die durch die ungleiche Verteilung von ökonomischem, kulturellem und symbolischem Kapital gekennzeichnet sind. Kulturrepertoires im Alter zu analysieren bedeutet vor diesem Hintergrund, das Spannungsfeld zwischen biografischer Sinngebung, individuellen Geschmacks- und Werteorientierungen auf der einen und sozialstrukturellen Rahmenbedingungen auf der anderen Seite in seiner Wirkung auf die kulturellen Aktivitäten im Alter zu untersuchen. Generell konstatieren Studien zu kulturellen Aktivitäten im Alter immer wieder, dass die Teilnahme vor allem nach einem Alter von 65 Jahren abnimmt. Allerdings wird hierbei selten zwischen älteren Menschen mit unterschiedlichen Geschmacksmustern oder sozioökonomischen Ressourcen un-
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Neue Kulturstile älterer Menschen. Zum Älterwerden zwischen Ästhetik und Alltag
terschieden. Die letzte europäische und repräsentative Studie (Special Eurobarometer 399, 2013) zum Thema zeigt, dass die Wahrscheinlichkeit der Beteiligung älterer Menschen an bestimmten – besonders institutionalisierten – Formen von Kultur im höheren Alter abnimmt. So nimmt etwa die Wahrscheinlichkeit des Besuchs von Museen und historischen Stätten bis zu einem Alter von 65 Jahren zu, danach aber linear ab und dieser Effekt bleibt auch nach der Berücksichtigung der Schulbildung und des Einkommens bestehen (Falk & Katz-Gerro, 2015). Obwohl ältere Menschen eine überaus diverse Zielgruppe für Kulturvermittlungsangebote darstellen und Teile dieser Gruppe (wie etwa »junge Ältere« zwischen 55 und 64 Jahren) überdurchschnittlich kulturaktiv sind, korreliert das kalendarische Alter ab 65 negativ mit der kulturellen Teilhabe (Falk & Katz-Gerro, 2015). Vor diesem Hintergrund scheint es für das folgende Kapitel zentral zu fragen, (1) welche Kulturrepertoires sich unter älteren Menschen in Österreich generell finden, (2) wie sich diese zwischen individuellen Geschmacksorientierungen und sozialstrukturellen Determinanten einordnen lassen und (3) wie sie sich auf das Erleben kultureller Teilhabe im Alter auswirken. Dazu werden im folgenden Kapitel die Ergebnisse einer Mixed-MethodStudie vorgestellt, die zunächst repräsentative Daten zur kulturellen Teilhabe älterer Menschen in unterschiedlichen kulturellen Bereichen (Ausgehkultur, Heimkultur, Identitätskultur) im Zusammenhang mit sozialstrukturellen Determinanten untersucht. In einem zweiten Schritt werden Daten der qualitativen Forschungsphase dargestellt, in der ältere Menschen mit unterschiedlichem sozialem Status ihre Teilhabechancen an einem spezifischen kulturellen Bereich – der darstellenden Kunst – im Detail partizipativ untersuchen.
1.
Zu den Begriffen »Kulturrepertoires« und »kulturelle Teilhabe im Alter«
In einem ersten Schritt ist allerdings danach zu fragen, welche Aktivitäten sich als Teil von Kulturrepertoires im Alter identifizieren lassen. Welche Aktivitäten sind »kulturell« und damit von »nicht kulturellen« zu unterscheiden? Als Ausgangspunkt ist dabei festzuhalten, dass Kunst und Kultur ein breites Aktivitäts- und Forschungsfeld darstellt und es deswegen mitunter vermessen erscheinen mag, kulturelle Aktivitäten von anderen Formen der Aktivität im Lebensstil von (älteren) Menschen zu unterscheiden – wie ehrenamtliches Engagement, Medienkonsum oder sportliche Aktivitäten (Keuchel, 2015). Je
Teil 3: Kulturrepertoires älterer Menschen
nach Tradition variiert auch die Verwendung des Begriffs der kulturellen Aktivitäten bzw. der kulturellen Teilhabe innerhalb der (alters-)soziologischen Diskussion stark (Gallistl, 2021). Mitunter beschreibt er Teilhabe an kulturellen Aktivitäten, von Theaterbesuchen und Musikkonsum über Essens- und Kleidungskultur sowie subkulturelle Ausdrucksformen bis hin zur Thematisierung einer medialen oder Diskurskultur in einer bestimmten Gesellschaft. Diese Pluralisierung des Sprechens über Kultur ist einerseits als Indiz für eine generelle Kulturalisierung von modernen und postmodernen Gesellschaften zu sehen (siehe etwa Schroer, 2010). Sie verweist also – wie auch Kulturgerontolog*innen wie etwa Julia Twigg und Wendy Martin (2015) argumentieren – darauf, dass durch das Aufkommen der (Massen-)Kulturindustrie kulturelle Ausdrucksformen in der Herstellung und Aufrechterhaltung des sozialen Lebens im Alter eine wichtigere Rolle spielen denn je. Andererseits zeigt die Pluralisierung der Begriffe der kulturellen Aktivitäten und der kulturellen Teilhabe auch auf, dass sich deren Ausdrucksformen in modernen und postmodernen Gesellschaften vervielfältigt haben und sich nicht mehr nur über die Teilnahme an hochkulturellen Veranstaltungen – wie der Besuch von Theatern und Museen – ausdrückt, sondern etwa auch durch eine Einbindung in popkulturelle Aktivitäten – wie der Besuch von Konzerten, Clubs oder Kinos. Wenn wir also versuchen, den Begriff des Kulturrepertoires im Alter zu klären, lohnt es zunächst, neben dem (missverständlichen) Begriff der Hochkultur auch Formen von Populärkultur, Identitätskultur oder kreativer Kultur als wichtige Bestandteile eines weiten Kulturbegriffs und mögliche Elemente kultureller Teilhabe im Alter anzuerkennen (Popp & Reinhardt, 2015). Innerhalb eines solchen weiten Kulturbegriffs sind zunächst unterschiedliche Ebenen der Vielfalt kultureller Aktivitäten zu berücksichtigen. In der einfachsten Variante lassen sich zwei unterscheiden, nämlich a) der rezeptive Umgang mit künstlerisch-kreativen Ausdrucksformen Dritter und b) die eigene künstlerisch-kreative Tätigkeit (Keuchel, 2015). Als Einschränkung ist neben dieser Vielfalt anzuerkennen, dass mit kulturellen Aktivitäten und kultureller Teilhabe in diesem Kapitel ein Fokus auf die individuellen Beschäftigungen und Aktivitäten älterer Menschen mit Kunst und Kultur gelegt wird. Sie können von der Beschäftigung mit Rechtsnormen des Kunst- und Kulturbetriebs oder Valorisierungslogiken des Kunstmarktes vorläufig unterschieden werden (Zembylas, 1997). Kulturelle Repertoires, wie sie hier verstanden werden, schließen also alle Praktiken älterer Menschen mit Kunst und Kultur im Sinne eines weiten
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Kulturbegriffs ein – das heißt hochkulturelle, popkulturelle, subkulturelle und weitere Ausdrucksformen. Was diese Aktivitäten eint, ist eine Verbindung zu Institutionen des Kunst- und Kultursektors im weitesten Sinne, also die Tatsache, dass sie alle hinsichtlich ihrer Entstehungs-, Bewertungs- und Rezeptionsbedingungen im Feld der kulturellen Produktion reflektiert werden können. Kulturelle Repertoires sind dabei immer in bestimmte historisch gewachsene Kunstfelder eingebettet (siehe Überblick zur Kunstfeldtheorie, Müller-Jentsch, 2012), in denen spezielle Regeln und Strukturen wirken, die auch die individuelle Beschäftigung mit Kunst und Kultur in einem spezifischen Feld für Individuen mitbestimmen. So ist etwa das Hören von Musik von den Verteilungs- und Valorisierungsprozessen in der Musikindustrie beeinflusst oder das Malen eines Bildes davon, welche Vorstellungen von bildender Kunst und ihren Schulen vermittelt werden. Neben der Einbettung in Kunstfelder ist ein zweites Charakteristikum der im Folgenden beschriebenen Kulturrepertoires, das sie von anderen Aktivitätsfeldern des täglichen Lebens unterscheidet, die gesteigerte Expressivität von kulturellen Tätigkeiten, wodurch Akteur*innen ihren Charakter und ihre Individualität zum Ausdruck bringen können. Kulturelles Handeln ist in diesem Sinne expressives Handeln, das – mit Habermas (1988) – dem Ausdruck und der Darstellung der individuellen Wesenheit und der Möglichkeit dient, sich abzugrenzen. Aus so einer Perspektive ist kulturelles Handeln gekennzeichnet durch seine Expressivität, also die Möglichkeit, für andere Akteur*innen Geschmacksurteile, Werteorientierungen oder Lebensstile zum Ausdruck zu bringen und sichtbar zu machen. Nicht zuletzt bettet sich das Verständnis von kulturellem Handeln, wie es hier vorgeschlagen wird, in die Kultursoziologie Pierre Bourdieus (1993) ein. Er weist darauf hin, dass kulturelle Aktivitäten der Aufrechterhaltung und Konstituierung gesellschaftlicher Ungleichheiten durch Distinktion dienen. Durch kulturelle Aktivitäten wird also nicht nur die individuelle Darstellung der Identität erzeugt, sondern auch ihre Abgrenzung gegenüber anderen (Distinktion) sowie Auf- und Abwertungsprozesse (soziale Differenzen). Was ist vor diesem Hintergrund unter kultureller Teilhabe zu verstehen? Dieser Begriff kann sich zunächst an dem der sozialen Teilhabe orientieren, der für das Alter schon eingehend diskutiert wurde (siehe etwa Amann, 2019). Ziel sozialer Teilhabe ist es für Amann, »ein selbstbestimmtes und von Sinn erfülltes Leben [im Alter] zu führen« (S. 39). Soziale Teilhabe im Alter ist bestimmt über die äußeren Rahmenbedingungen wie die soziale Lage (etwa durch Einkommen und Bildungsstand) und die inneren Dispositionen und
Teil 3: Kulturrepertoires älterer Menschen
Fähigkeiten (interne Ressourcen). Selbstbestimmung im Alter wird verwirklicht vor dem Hintergrund von (persönlichen und sozialstrukturellen) Ressourcen und Partizipationsmöglichkeiten, biografischen Prägungen, Bedürfnissen und Bedingungen des individuell je unterschiedlichen Altersverlaufs (Kricheldorff et al., 2015). Kulturelle Teilhabe kann vor diesem Hintergrund verstanden werden als die Möglichkeit, persönliche Kulturrepertoires zu realisieren. Das bedeutet, selbstbestimmt und mit Sinn erfüllt an kulturellen Aktivitäten teilzuhaben, die Expressivität ermöglichen, welche sich vor dem Hintergrund von persönlichen und sozialstrukturellen Ressourcen, biografischen Prägungen, Geschmacksorientierungen und je unterschiedlichen Alter(ns)verläufen konstituiert. Prinzipiell stellt es eine Herausforderung dar, kulturelle Teilhabe zu definieren und einheitlich messbar zu machen. So kann sie sowohl konsumierende Aktivitäten (etwa im Theater oder Kino) als auch produzierende Tätigkeiten (wie kreative Praktiken) umfassen. Eine weitere Herausforderung liegt in der Tatsache begründet, dass die Definition von Kunst und Kultur immer schon als eingebunden in aktuelle Dominanzstrukturen des Feldes gedeutet werden muss (Bourdieu, 1979): Personen, die künstlerisch und kulturell tätig sind, definieren häufig auch, was dies bedeutet. Eine zu enge Definition von Kunst und Kultur läuft damit Gefahr, bestehende Ungleichheiten eher zu reproduzieren als zu hinterfragen. In einer der umfassendsten Definitionen kultureller Partizipation schlägt die UNESCO (2006) acht Dimensionen vor:
(1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8)
künstlerisches Erbe: historische Sehenswürdigkeiten, Museen etc. Archive Bibliotheken Bücher und Medien: Bücher, Zeitungen visuelle Kunst, inkl. Design, Fotografie Architektur darstellende Künste: Musik, Tanz, Theater, andere (Zirkus, Pantomime) audiovisuelle und visuelle Kunst: Film, Radio, Fernsehen, Video, Audio, Multimedia
Diese Definition zeigt die Vielschichtigkeit der kulturellen Güter auf, zu denen kulturelle Teilhabe ermöglicht werden kann und sollte. Ein zentraler Nachteil dieser Klassifikation ist, dass nicht zwischen ausführenden und konsumierenden Formen von Kunst unterschieden wird. Dies ist vor allem
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mit Hinblick auf die kulturelle Teilhabe älterer Menschen unbefriedigend. Denn Forschungsergebnisse verdeutlichen, dass sich konsumierende künstlerische Tätigkeiten wie der Besuch von Museen positiv auf das Alterserleben auswirken (Goulding, 2018, aber gleichzeitig auch das kreative Schaffen selbst einen positiven Effekt auf die Gestaltung des Alters hat (Sabeti, 2014). Um diese beiden Elemente besser berücksichtigen zu können, schlägt Morrone (2006) eine dreidimensionale Definition von kultureller Teilhabe vor: Die Heimkultur (culture d’appartement) bezeichnet für ihn kulturelle Tätigkeiten, die vornehmlich zu Hause stattfinden können. Darunter fallen Medienkonsum (Fernsehen, Radio, Musikhören, Lesen etc.), ebenso wie die Verwendung von Medien zur Recherche von kulturellen Informationen (z.B. das Internet zu verwenden, um Informationen zu kulturellen Veranstaltungen zu recherchieren). Zur Ausgehkultur (culture de sortie) zählt er alle kulturellen Tätigkeiten, die im öffentlichen Raum stattfinden, wie etwa ein Kino- oder Museumsbesuch oder der Besuch von kulturellen Stätten. Mit Kreativitätskultur (culture identitaire) schließlich meint Morrone die Teilhabe an kreativ-künstlerischen Tätigkeiten. In dieser Kategorie werden alle professionellen und nicht professionellen künstlerischen Tätigkeiten wie Singen, Schreiben oder Tanzen, aber auch das Engagement in kulturellen Organisationen zusammengefasst.
2.
Kulturrepertoires älterer Menschen in Österreich
Die positiven Effekte künstlerisch-kreativer Aktivitäten für ältere Menschen sind weitgehend belegt. Studien zeigen darüber hinaus meist einen Rückgang kultureller Aktivitäten im höheren Lebensalter. Barrieren und Bedingungen von kultureller Teilhabe älterer Menschen sowie die Differenzierung unterschiedlicher Statusgruppen innerhalb höherer Altersgruppen sind dagegen weniger gut erforscht. Was wissen wir über kulturelle Teilhabeformen im Alter und darüber, wie sich kulturelle Teilhabemuster im höheren Alter verändern? Welche sozialstrukturellen Variablen beeinflussen die kulturelle Teilhabe im Alter?1 Einen ersten Anknüpfungspunkt zur Erforschung der kulturellen Beteiligung älterer Menschen liefert die Zeitverwendungserhebung (ZVE). Die letz1
Die folgende Übersicht der Literatur bezieht sich primär auf die Aufarbeitung österreichischer Daten.
Teil 3: Kulturrepertoires älterer Menschen
te fand 2008/2009 statt und gibt Auskünfte darüber, wie der durchschnittliche Alltag von Menschen über sechzig Jahre strukturiert ist (Statistik Austria, 2009). Die Freizeit- und Kulturpräferenzen von Menschen über sechzig Jahre lassen sich über zwei Wege in der ZVE ablesen. Zum einen kann die durchschnittliche Zeit, die auf eine Aktivität verwendet wird, als Indiz gesehen werden und zum anderen der Anteil an Befragten, der die Aktivität am Tag der Erhebung ausgeübt hat, ausgedrückt in der Beteiligungsrate. Laut der Zeitverwendungsstudie gehören Tätigkeiten der Heimkultur zu den beliebtesten bei den Menschen über sechzig. Insgesamt steht hier der Medienkonsum an erster Stelle, wobei sich das Fernsehen besonders großer Beliebtheit erfreut. Mit einem durchschnittlichen täglichen Zeitaufwand von beinahe drei Stunden beteiligten sich hier am Tag der Erhebung über neunzig Prozent der über Sechzigjährigen. Mit einer Beteiligungsrate von knapp fünfzig Prozent steht das Lesen von Zeitschriften und Zeitungen nach großem Abstand an zweiter Stelle. Das Lesen von Büchern ist mit einer Beteiligungsrate von elf Prozent zwar weniger verbreitet, jedoch verwenden die Lesenden hierfür deutlich mehr Zeit als auf das Lesen von anderen Medien. Weitere beliebte Aktivitäten älterer Menschen sind das Spazierengehen, für das im Schnitt rund zwanzig Minuten täglich aufgewendet werden, und das Gesellschaftsspiel. Insgesamt lässt sich aus der ZVE schlussfolgern, dass ein Großteil der Freizeitaktivitäten älterer Menschen im Bereich der Heimkultur verrichtet werden, wovon mit Abstand die meiste Zeit auf Mediennutzung, insbesondere Fernsehen, verwendet wird (Statistik Austria, 2009). Kreative Tätigkeiten älterer Menschen wurden zwar von mehreren Untersuchungen erfasst, allerdings oftmals am Rande und daher nicht sehr detailliert. Einen ersten Einblick verschafft die Zeitverwendungserhebung, die eine Gesamtbeteiligungsrate am Stichtag bei Menschen über sechzig von 4,8 Prozent festhält – das sind 1,2 Prozent mehr als der österreichische Durchschnitt. Darüber hinaus liegt die Zeit, die von älteren Menschen täglich auf ihr kreatives Hobby verwendet wird, 24 Minuten über dem Durchschnitt (Statistik Austria, 2009). Ältere Menschen gehen damit häufiger und auch länger als der österreichische Durchschnitt einer kreativen Tätigkeit nach. Eine zweite Datenquelle ist der Special Eurobarometer (2011) für Österreich. Hier beträgt die Beteiligungsrate an kreativen Tätigkeiten 37 Prozent, was auf die unterschiedliche Fragestellung zurückgeführt werden kann, in der nicht nur ein Stichtag, sondern das gesamte letzte Jahr fokussiert wurde (Europäische Kommission, 2014). Allerdings lässt der KulturBarometer 50+ aus Deutschland einige weitere Vermutungen zu. Laut der Erhebung erfreut sich beson-
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ders das Basteln und Gestalten mit einer Beteiligungsrate von neun Prozent großer Beliebtheit, gefolgt vom Singen und Musizieren mit einer jeweiligen Beteiligungsrate von sechs Prozent (Keuchel & Wiesand, 2008). Auch in der Ausgehkultur stellt sich zunächst die Frage, wie viele ältere Menschen sich in welchem Ausmaß beteiligen. In der Zeitverwendungserhebung fallen Menschen über sechzig hier genau auf den österreichischen Durchschnitt, verwenden allerdings im Schnitt einige Minuten mehr auf die kulturellen Tätigkeiten. Ältere Menschen nehmen also genauso häufig an kulturellen Aktivitäten teil wie der Durchschnitt der Bevölkerung, aber wenn, dann länger als jüngere Altersgruppen (Statistik Austria, 2009). Aus dem Special Eurobarometer 399 geht hervor, dass rund 52 Prozent der Menschen über fünfzig im letzten Jahr mindestens eine kulturelle Veranstaltung besucht haben. Der Besuch historischer Sehenswürdigkeiten ist hier die häufigste Tätigkeit: Rund 59 Prozent der über Fünfzigjährigen hatten im letzten Jahr eine solche besichtigt. Auch das Konzert erfreut sich großer Beliebtheit: Der Eurobarometer erfasste hier eine Beteiligung von rund 48 Prozent im letzten Jahr. An dritter und vierter Stelle stehen mit dem Theater und dem Museum oder mit Ausstellungen jedoch Aktivitäten der klassischen Hochkultur (Europäische Kommission, 2014). Insgesamt sind die kulturellen Teilhabeformen älterer Menschen in Österreich, mit Ausnahme der Heimkultur, unzureichend erfasst, was nur eine geringe Differenzierung unterschiedlicher Altersgruppen wie auch unterschiedlicher Bildungs- und Einkommensgruppen innerhalb älterer Menschen zulässt. Obwohl der Special Eurobarometer 399 einige Einblicke liefert, ist die Datenlage dünn und wenig detailliert in Bezug auf die inhaltlichen Präferenzen älterer Menschen. Die Kulturpräferenzen älterer Menschen in Bezug auf verschiedene Hochund Volkskulturformen wurden bisher nur in Deutschland untersucht. Hier identifizierte der KulturBarometer 50+ im Bereich Musik Volksmusik, Chormusik und klassische Musik als die beliebtesten Sparten. Allerdings wurde bei den jüngeren Kohorten ein deutlich höheres Interesse an Rock- und Popmusik gemessen, was in Anbetracht der Tatsache, dass die Erhebung bereits ein Jahrzehnt zurückliegt, erhebliche Auswirkungen auf die heutigen Präferenzen älterer Menschen haben könnte. Alles in allem sind zumindest in Deutschland ältere Menschen im klassischen Bereich der Hochkultur jedoch deutlich aktiver als jüngere (Keuchel & Wiesand, 2008). Trotzdem zeigt sich, dass der Grundstein für kulturelle Teilhabe in der Jugendzeit gelegt wird und deswegen nicht alle älteren Menschen im gleichen
Teil 3: Kulturrepertoires älterer Menschen
Maße an Kultur teilhaben (können) (Keuchel & Wiesand, 2008). Wie in früheren Lebensphasen sind ebenfalls im Alter verschiedene Dimensionen sozialer Ungleichheit relevant (Kricheldorff & Tesch-Römer, 2013), was sich auch in der Teilhabe an den verschiedenen Kulturformen zeigt. Bisherige Studien lassen darauf schließen, dass der Grundstein für ein Interesse an Kunst und Kultur in der Jugend gelegt wird, wo sich dann auch das notwendige kulturelle Wissen angeeignet wird. Somit ist das Interesse für Kunst und Kultur eng mit der schulischen Bildung verknüpft (Keuchel, 2009). Hinsichtlich der Heimkultur gibt es zur Bildung vor allem in Bezug auf die Mediennutzung und in erster Linie aus Deutschland Untersuchungen. Beim Fernsehen, der beliebtesten Heimkulturaktivität älterer Menschen auch in Österreich, deuten Ergebnisse aus Deutschland darauf hin, dass ein steigendes Bildungsniveau auch im Alter eher zu einem geringeren Konsum führt (von Hippel, Schmidt-Hertha & Tippelt, 2012). Der KulturBarometer 50+ untersuchte Einflussfaktoren auf die Ausübung von kreativen Tätigkeiten. Bildung steht hier als Einflussfaktor an erster Stelle, gefolgt vom gesundheitlichen Zustand, der Anzahl der Personen im Haushalt, dem Einkommen und dem Alter der Befragten (Keuchel & Wiesand, 2008). Auch im Bereich der Ausgehkultur spielt erneut der Bildungshintergrund eine zentrale Rolle. Im Eurobarometer und in der EdAge-Studie wird Bildung als der Faktor mit der größten Erklärkraft hervorgehoben (Tippelt et al., 2009; Europäische Kommission, 2014). Im KulturBarometer 50+ steht die Schulbildung als Einflussfaktor an zweiter Stelle. Das Alter ist ebenfalls ein relevanter Einflussfaktor auf die Teilhabe an kreativen Tätigkeiten. Nach bisheriger Datenlage aus Deutschland und Österreich sind also vor allem gebildete, jüngere und gesunde Menschen künstlerisch tätig. Beim Geschlecht ist die Datenlage nicht eindeutig: Im KulturBarometer 50+ ist es in Bezug auf ein früheres künstlerisches Hobby relevant (Frauen waren häufiger aktiv als Männer), spielte aber im Alter keine Rolle mehr (Keuchel & Wiesand, 2008). Für Österreich hingegen deuten sowohl der Eurobarometer als auch die ZVE auf einen Geschlechterunterschied hin. Im Eurobarometer gaben mehr Frauen an, kreativ tätig zu sein (Europäische Kommission, 2014). Zwar ist die Beteiligungsrate für kreative Aktivitäten am Stichtag der ZVE niedriger für Frauen, was jedoch kein Widerspruch sein muss, sondern sich darüber erklären kann, dass Männer ihr kreatives Hobby oft länger ausüben als Frauen (Statistik Austria, 2009). Der KulturBarometer 50+ fragt neben dem Kulturinteresse auch Gründe gegen den Besuch von Veranstaltungen ab. In den Antworten der Nichtnut-
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zer*innen kultureller Angebote wird die Rolle von Bildung erneut deutlich. So ist der häufigste Grund »keine Kenntnis von Kultur«. Bildung wird also auch in den Augen der Nichtnutzer*innen als die zentrale Voraussetzung für den Besuch kultureller Veranstaltungen wahrgenommen. Der zweithäufigste Grund ist der hohe Eintrittspreis, doch auch hier zeigt sich ein Zusammenhang mit dem Bildungshintergrund. So korreliert diese Antwortkategorie stärker mit dem Bildungshintergrund als mit dem Einkommen der Befragten (Keuchel & Wiesand, 2008). Das deutet darauf hin, dass bei älteren wie auch schon bei jüngeren Menschen mit niedriger Bildung Eintrittspreise oft höher eingeschätzt werden, als sie tatsächlich sind (vgl. Keuchel & Wiesand, 2004). Betrachtet man die Beteiligungsraten der Befragten über fünfzig Jahre in Österreich, so waren zum Zeitpunkt der Erhebung 67 Prozent der Menschen mit niedrigem Bildungsabschluss gänzlich inaktiv im Bereich der Ausgehkultur, während unter den Befragten mit hohem Bildungsabschluss nur 45 Prozent im letzten Jahr inaktiv waren (Europäische Kommission, 2014). Einkommen wird ebenfalls in der EdAge-Studie und dem KulturBarometer 50+ als signifikanter Einflussfaktor auf die Teilhabe an der Ausgehkultur identifiziert, was aufgrund der engen Korrelation zwischen Einkommen und Bildungshintergrund wenig überrascht (Keuchel & Wiesand, 2008; Tippelt et al., 2009). Die Teilhabe an Ausgehkultur ist demnach im Alter wie auch in der Jugend stark milieuabhängig und bildungsbedingt (Keuchel, 2009). Über die klassischen Dimensionen von Ungleichheiten in kultureller Teilhabe hinaus zeigen die bereits genannten Studien jedoch auch einige altersspezifische Ungleichheitsfaktoren. So sind tendenziell eher junge Alte und körperlich Uneingeschränkte aktiv (vgl. Europäische Kommission, 2014; Keuchel & Wiesand, 2008). Anhand der vorliegenden Daten lässt sich also in Richtung einer Kumulation der Bedeutung von sozialen Ungleichheitsmerkmalen und einer altersbedingten sozialen Ungleichheit in der kulturellen Teilhabe im Alter ausgehen. Während über alle Altersgruppen hinweg höhergebildete und einkommensstarke Statusgruppen vor allem an Hochkultur überdurchschnittlich häufig teilnehmen, scheinen zusätzlich altersbedingte Variablen – wie Gesundheitszustand und Mobilität – eine Rolle dabei zu spielen, wie kulturelle Teilhabe erlebt und gestaltet werden kann. Unzureichend erhoben ist in den vorliegenden Studien bislang die Rolle von geschmacklichen Präferenzen und Werteorientierungen in der kulturellen Teilhabe im Alter.
Teil 3: Kulturrepertoires älterer Menschen
3.
Datenbasis und Methode
Der Überblick über die Forschungsliteratur hat gezeigt, dass aktuell wenig empirisches Wissen über die geschmacklichen Präferenzen älterer Menschen hinsichtlich ihrer kulturellen Aktivitäten sowie differenzierte Auswertungen zu sozialstrukturellen Determinanten kultureller Teilhabe im Alter bestehen. Gleichzeitig verdeutlichen die Daten allerdings auch die hohe Bedeutung von kulturellen Aktivitäten im Alter – so zeigt sich in der EU-SILC-Befragung (2015) etwa, dass die Häufigkeit der Teilnahme an künstlerischen Tätigkeiten bis in die höheren Altersgruppen bestehen bleibt bei gleichzeitiger Abnahme der Bildungsbeteiligung älterer Menschen nach dem Berufsleben. In dieser Lücke setzt ein Forschungsprojekt an, das am Institut für Soziologie der Universität Wien unter der Leitung von Prof. Franz Kolland und der Mitarbeit von Vera Gallistl, Viktoria Parisot, Clara Overweg sowie Julia Wohlfahrt durchgeführt wurde. Es zielt darauf ab, anhand einer Mixed-MethodStudie repräsentative und detaillierte Daten zu den kulturellen Aktivitäten und der kulturellen Teilhabe älterer Menschen in Österreich zu erheben und relevante sozialstrukturelle Differenzierungsmerkmale innerhalb der höheren Altersgruppen zu untersuchen. Dabei standen vor allem die folgenden Forschungsfragen im Vordergrund: •
•
•
Wie hoch ist die kulturelle Teilhabe älterer Menschen in Österreich in unterschiedlichen Dimensionen (Heimkultur, Ausgehkultur, Identitätskultur)? Was determiniert kulturelle Teilhabe im Alter und inwiefern ist Bildung als Voraussetzung für kulturelle Teilhabe zu verstehen? Inwiefern zeigen sich in der kulturellen Teilhabe im Alter soziale Ungleichheiten? Wie erleben ältere Menschen mit unterschiedlichem Bildungskapital kulturelle Teilhabeprozesse?
Um die Fragen zu beantworten, wurden in zwei Forschungsphasen qualitative und quantitative Daten erhoben und analysiert. Einerseits wurde eine repräsentative, standardisierte Befragung von 1500 Personen über sechzig Jahre in Österreich durchgeführt, wobei kulturelle Aktivitäten und Teilhabeformen im Vordergrund standen. Andererseits wurde in einer Studie die kulturelle Teilhabe älterer Menschen mit unterschiedlichen Kulturerfahrungen qualitativ untersucht – mit Fokus auf ein bestimmtes Feld kultureller Teilhabe, den Zu-
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gang zu Theatern. Die zentralen Ergebnisse dieser beiden Forschungsphasen sind in den folgenden Kapiteln dargestellt.
3.1
Datenerhebung
Die Daten für den quantitativen Studienteil wurden im Sommer 2018 erhoben. Grundlage für die Entwicklung des Fragebogens war die Habilitationsschrift von Prof. Franz Kolland mit dem Titel »Kulturelles Handeln in der zweiten Lebenshälfte. Soziologische Typen sinnstiftender Einstellungen und Verhaltensweisen« (Kolland, 1994). Der Fragebogen baute wesentlich auf der Frage nach kultureller Teilhabe auf, wobei dieser Begriff Morrone (2006) folgend in drei Gruppen operationalisiert wurde: Heimkultur, Ausgehkultur und Identitätskultur. Diese beschreiben kulturelle Beteiligung im privaten und im öffentlichen Bereich sowie die eigene kreative Aktivität. Der Fragebogen der Erhebung beinhaltet sieben Module und vierzig Fragen und insgesamt wurde ein repräsentatives Sample von 1518 Personen über sechzig Jahre in Österreich mit ihm erreicht. Die Datenerhebung für den qualitativen Studienteil fand im Sommer 2019 statt und orientierte sich an einem Fallstudiendesign, in dem Interviews mit älteren Menschen geführt wurden und das mit partizipativen Elementen angereichert (Unger, 2014) wurde. Alle Erhebungsschritte waren um einen gemeinsamen Theaterbesuch der Forscher*innen mit den älteren Studienteilnehmer*innen bzw. Ko-Forscher*innen organisiert. Im ersten Schritt wurde das partizipative Verfahren der »Photo Voice« (Simmonds, Roux & Avest, 2015) eingeleitet, bei dem die Studienteilnehmer*innen aufgefordert waren, ihre Lebenswelt unter einer spezifischen Fragestellung zu fotografieren. Hierfür wurde den zehn Studienteilnehmer*innen in einzelnen, persönlichen Einführungsgesprächen der Ablauf des Projekts erklärt sowie deren informierte Zustimmung eingeholt. Sie wurden ab diesem Zeitpunkt gebeten, ihr Erleben rund um den Theaterbesuch zu fotografieren und die folgenden Fragen »fotografisch zu beantworten«: Warum ist es schwierig, als ältere Person ins Theater zu gehen? Warum ist es gut, als ältere Person ins Theater zu gehen? Im zweiten Schritt besuchten die Forscher*innen mit den Studienteilnehmer*innen Theatervorstellungen, was in umfassenden Protokollen von den Forscher*innen beobachtet wurde. Im dritten Schritt wurde mit jeder Studienteilnehmerin und jedem Studienteilnehmer ein leitfadengestütztes Interview mit narrativen Elementen (Misoch, 2015) über den gemeinsamen Thea-
Teil 3: Kulturrepertoires älterer Menschen
terbesuch geführt. Themen waren das Älterwerden, Kulturteilhabe im Alter, das besuchte Theater sowie der Besuch selbst. Als letzter Schritt wurden zwei Gruppendiskussionen (Mäder, 2013) durchgeführt, bei denen jeweils drei bzw. insgesamt sechs Studienteilnehmer*innen ihre Erfahrungen untereinander austauschen konnten. Jede Studienteilnehmerin und jeder Studienteilnehmer hatte dabei die Möglichkeit, den anderen Teilnehmer*innen sowie den Forscher*innen eines der Fotos zu präsentieren und es anhand von Fragen mit der Gruppe auszuwerten. In der Gruppendiskussion gaben die Teilnehmenden Auskunft über ihre Erfahrungen und den subjektiven Sinngehalt der Bilder. Weitere Themen der Diskussion waren die Beschreibung und Bedeutung des Kulturkonsums, die Beziehung zur besuchten Kulturinstitution, Potenziale und Barrieren von kulturellen Aktivitäten sowie die Adressierung der älteren Kulturkonsument*innen durch die Kulturinstitution.
3.2
Sampling
Für die Erhebung des quantitativen Studienteils wurden mittels Telefoninterview 1518 Personen über sechzig Jahre anhand eines standardisierten Fragebogens befragt. Diese Studie mit repräsentativer Stichprobe wurde von iprUmfrageforschung Dr. Richard Költringer durchgeführt. Aus der Grundgesamtheit von Menschen über sechzig Jahre in Österreich wurde eine Zufallsstichprobe gezogen und telefonisch kontaktiert. Die vorliegenden Daten sind damit repräsentativ für zu Hause lebende Personen über sechzig Jahre in Österreich. Das Sampling der Studienteilnehmer*innen für den qualitativen Studienteil wurde über mehrere Bildungs- und Freizeitorganisationen eingeleitet. Es konnten dabei sowohl kulturgewohnte als auch kulturungewohnte bzw. -benachteiligte Personen mit verschiedenen demografischen und sozioökonomischen Merkmalen in die Forschung miteinbezogen werden. Besonders herausfordernd war die Rekrutierung von Personen mit geringer kultureller Teilhabe, die auf der vorhergehenden Forschungsphase aufbauend operationalisiert wurde. Dies erfolgte über die Häufigkeit, mit der die Teilnehmenden in den letzten zwölf Monaten Theater, Konzerte, die Oper und Ballettaufführungen besucht hatten. Die Teilnahme weniger als zweimal innerhalb der letzten zwölf Monate wurde als kulturbenachteiligt operationalisiert. Da Kulturteilhabe mit sozioökonomischem Status verknüpft ist, wurde beim Sampling angestrebt, dass die Zielgruppen der angefragten Organisa-
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tionen unter anderem aus Personen mit niedrigerem sozioökonomischen Status bestanden. Hierzu wurde in erster Linie darauf geachtet, dass die Zweigorganisationen, in denen das Recruiting begonnen wurde, in Wiener Bezirken beheimatet waren, in welchen die Bevölkerung durchschnittlich einen niedrigeren sozioökonomischen Status hat. Für Wien wurden hierfür jene Bezirke ausgewählt, deren Bevölkerung eine hohe Armutsgefährdung aufweist (Verwiebe, Riederer & Tröger, 2014). Das Sample der Studienteilnehmer*innen bestand letztlich aus zehn Personen – sieben Frauen und drei Männern zwischen 62 und 77 Jahren. Fünf von ihnen ließen sich zum Erhebungszeitpunkt nach der oben genannten Definition als kulturungewohnt einstufen. Für die gemeinsamen Theaterbesuche wurden Theaterhäuser ausgewählt, deren Angebotsbeschreibung keinen expliziten Fokus auf ältere Menschen als Zielgruppe enthielt. Weiteres Auswahlkriterium waren staatliche Förderungen (Bundeskanzleramt, 2017), die die Kulturinstitutionen erhalten. Mit dem Burgtheater und dem Theater an der Josefstadt wurden jene zwei Häuser ausgewählt, die 2017 die höchsten Förderungen im Bereich darstellender Kunst für Theater bekamen (Burgtheater: 49 Mio. Euro, Theater in der Josefstadt: 7 Mio. Euro). Ergänzt wurde die Liste der für Besuche infrage kommenden Häuser um das Schauspielhaus mit einer staatlichen Fördersumme von 400 000 Euro. Durch staatliche Förderung sind diese Häuser Teil des öffentlichen Kulturangebots, das mitunter dem Anspruch unterliegt, eine Demokratisierung von Kultur voranzubringen (Scheytt, 2005) und somit Menschen aller Altersgruppen gleichermaßen Teilhabe zu ermöglichen.
3.3
Datenauswertung
Für den quantitativen Studienteil wurden die Daten in zwei Schritten mit der Software SPSS 24.0. ausgewertet. Dazu wurden zunächst bivariate Zusammenhänge zwischen jeweils zwei Variablen analysiert (Chi-Square). Diese Zusammenhänge wurden in einem weiteren multivariaten Analyseverfahren auf den Einfluss von Drittvariablen überprüft. Bei diesen Verfahren handelt es sich überwiegend um lineare und logistische Regressionen. Zusätzlich wurde mittels Faktorenanalyse eine Dimensionsreduzierung durchgeführt, die es ermöglichte, innerhalb des Alters Handlungs-, Aktivitäts- und Einstellungsmuster zu unterscheiden und diese weiterführend in ihrer Sozialstruktur einzuordnen. Auswertung und Erhebung des qualitativen Studienteils erfolgten zyklisch (Glaser & Strauss, 2005), also parallel. So konnte der Schwerpunkt
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von interessierenden Aspekten in Erhebung und Analyse immer neu vertieft werden. Die Beobachtungsprotokolle wurden dabei in Anlehnung an die dichte Beschreibung (Geertz, 2011), die Interviews mit den Studienteilnehmer*innen auf Basis des Kodierschemas der Grounded Theory (Strauss & Corbin, 1996) ausgewertet. Die Gruppendiskussionen konnten aufgrund ihrer Länge aus forschungspragmatischen Gründen nur fragmentarisch ausgewertet werden. Um die Daten letztendlich zu triangulieren, wurde nach dem ersten Analyseschritt der dichten Beschreibung und dem Kodieren der Interviews eine Situationsanalyse nach Clarke (2012) vorgenommen, aus der im Anschluss Fallzusammenfassungen entstanden. Die Analyseeinheit waren hierbei die Daten zu je einer Studienteilnehmerin/einem Studienteilnehmer.
4.
Kulturelle Teilhabe älterer Menschen in Österreich
Wie steht es nun um die Kulturrepertoires und die kulturelle Teilhabe älterer Menschen in Österreich? Dazu werden im Folgenden auf Basis der Daten die Teilhabeformen älterer Menschen in drei Kulturbereichen (Ausgehkultur, Heimkultur, Identitätskultur; siehe Morrone, 2006) untersucht und die Ergebnisse dargestellt. Zu jeder dieser Kulturformen möchten wir anhand der Daten drei zentralen Fragen nachgehen: Wie hoch ist die Teilnahme an unterschiedlichen kulturellen Aktivitäten älterer Menschen in Österreich? Werden kulturelle Muster von Kulturaktivitäten erkennbar? Inwiefern ist die Einbindung in unterschiedliche kulturelle Aktivitätsmuster sozialstrukturell beeinflusst und differenziert sich nach sozialem Status im Alter? Der Erhebungsbogen für die vorliegenden Daten, in dem die spezifischen Items der einzelnen Kulturformen einsehbar sind, befindet sich im Anhang dieses Buches.
4.1
Ausgehkultur im Alter
Veranstaltungen der Ausgehkultur (Culture de Sortie, Morrone, 2006) finden typischerweise außerhalb des eigenen Wohnraums statt. Sie sind auch im Alter damit verbunden, den eigenen Wohn- und mitunter auch Sozialraum zu verlassen und in anderen, mitunter außergewöhnlichen oder auch fremden Umwelten an Kultur teilzuhaben. Klassischerweise finden solche Aktivitäten der Ausgehkultur in Organisationen des Kunst- und Kultursektors statt, allerdings können auch Elemente einer lokalen Kultur wie Bezirks- oder Gemein-
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defeste oder religiöse Veranstaltungen als Element der Ausgehkultur verstanden werden. Als ein besonderes Element der Ausgehkultur ist deswegen eine gelungene Person-Umwelt-Relation im Alter zu nennen, die die ökologische Gerontologie seit Langem untersucht. So beschäftigen sich etwa die geografische wie auch die ökologische Gerontologie (Andrews et al., 2007; Skinner, Andrews & Cutchin, 2017) traditionell damit, inwiefern Räume und Umwelten Aktivitäten und Teilhabe im Alter unterstützen oder behindern. Umweltvariablen wie die Gestaltung von Räumen oder die Orte, an denen Aktivitäten stattfinden, nehmen einen signifikanten Einfluss darauf, an welchen Aktivitäten im höheren Alter partizipiert wird bzw. partizipiert werden kann (Annear et al., 2014). An welchen Aktivitäten der Ausgehkultur nehmen nun ältere Menschen in Österreich regelmäßig teil und welche räumlichen Bedingungen von Kunst und Kultur bedingen oder verhindern die Teilhabe an Ausgehkultur im Alter? Dazu sind in Abbildung 1 die abgefragten Aktivitäten in ihren Häufigkeiten dargestellt. Deutlich wird dabei, dass bei den befragten älteren Menschen vor allem die wohnortnahe Ausgehkultur eine Rolle spielt, denn zunächst sind jene Aktivitäten besonders beliebt, die in der Nähe des eigenen Wohnraums, in der Gemeinde oder im Bezirk stattfinden. So sind vor allem Gemeinde- und Bezirksfeste bei Menschen über sechzig Jahren in Österreich besonders beliebt, 67 Prozent der Befragten geben an, zumindest einmal jährlich an einer solchen Veranstaltung teilzunehmen. Auch das gemeinsame Essen mit mindestens zehn Personen zu Hause stellt eine der beliebtesten Aktivitäten im Bereich der Ausgehkultur dar, hier beteiligen sich 65 Prozent der Befragten zumindest einmal im Jahr. Als weiteres Element einer solchen wohnortnahen Kulturinfrastruktur können zudem Gottesdienste genannt werden, an denen 35 Prozent der Befragten regelmäßig (öfter als fünfmal im Jahr) und 62 Prozent zumindest gelegentlich (mindestens einmal im Jahr) teilnehmen. Unter den kulturellen Aktivitäten, die weiter entfernt vom Wohnort stattfinden, zeigen sich zunächst Konzerte, Besuche von Museen, Galerien oder Ausstellungen und auch von Theater, Ballett und Oper als beliebt unter älteren Menschen in Österreich, wobei die Beteiligungsraten hier deutlich unter jenen für die wohnortnahe Ausgehkultur liegen. So gehen elf Prozent der Befragten regelmäßig in Konzerte, etwa gleich viele besuchen regelmäßig Museen, Galerien oder Ausstellungen (8 % öfter als fünfmal pro Jahr) oder gehen ins Theater, das Ballett oder die Opera (8 % öfter als fünfmal pro Jahr). Neben diesen äußerst aktiven Kulturstilen zeigt sich hier allerdings auch, dass
Teil 3: Kulturrepertoires älterer Menschen
Abbildung 1: Besuch von Veranstaltungen der Ausgehkultur von Menschen über sechzig Jahren in Österreich
Eigene Darstellung
sich ein größerer Teil der Menschen über sechzig Jahre in Österreich – nämlich knapp die Hälfte – nie an den genannten kulturellen Aktivitäten beteiligt: Während es bei den Konzerten noch 54 Prozent sind, die angeben, sich nie an dieser kulturellen Aktivität zu beteiligen, sind es bei Besuchen von Museen, Galerien oder Ausstellungen schon 59 Prozent und bei Theater, Ballett oder Oper 63 Prozent. Noch deutlich höher liegt der Anteil der Befragten, die nie zu Tanzaufführungen oder Musicals gehen (73 %). Obwohl ältere Menschen in Österreich im Bereich der (vor allem wohnortnahen) Ausgehkultur also ein hohes Aktivitätsniveau aufweisen, sind gleichzeitig große Teile der älteren Bevölkerung weniger kulturaktiv in diesem Bereich. Dabei zeigen sich auch deutliche Unterschiede innerhalb der älteren Bevölkerung: Werden die Einflussfaktoren auf die Teilhabe an der Ausgehkultur in einem linearen Regressionsmodell betrachtet, so zeigt sich zunächst, dass der Bildungshintergrund eine besonders große Erklärkraft dabei einnimmt, ob sich Menschen im Alter an Veranstaltungen der Ausgehkultur beteiligen oder nicht (siehe Tabelle 7 im Anhang). Dies erklärt – im Vergleich zu den Kulturdimensionen Heimkultur und Identitätskultur (siehe die Abschnitte 4.2 und 4.3) – den größten Anteil der Varianz von Kulturaktivität. Die Regressionsanalyse verdeutlicht, dass dieser Effekt auch
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nach der Kontrolle auf verdeckte Effekte erhalten bleibt. Im multivariaten Modell rückt der Bildungshintergrund sogar vor die Gesundheit an die erste Stelle. Dabei strukturiert er nicht nur die Intensität, sondern auch die Art und Weise der Teilhabe an Ausgehkultur. Bildung beeinflusst also gewissermaßen, wie häufig und in welcher Art sich ältere Menschen an Ausgehkultur beteiligen. Neben dem Bildungsstand spielt der körperliche Gesundheitszustand, der stark mit der individuellen Mobilität im Alter zusammenhängt, eine zentrale Rolle bei der Erklärung von Teilhabe an der Ausgehkultur. So zeigt das Regressionsmodell deutlich, dass körperliche Einschränkungen bzw. die körperliche Funktionsfähigkeit im Alltag (Activities of Daily Living) und der subjektive Gesundheitszustand einen beträchtlichen Anteil der Aktivität in diesem Kulturbereich erklären, nämlich 25 Prozent der Varianz. Es sind also vor allem körperlich nicht eingeschränkte und gebildete Menschen, die im Alter an Ausgehkultur teilhaben. Die hohe Bedeutung von räumlichen Variablen in der Teilhabe an Ausgehkultur im Alter wird außerdem darin deutlich, dass die Gemeindegröße, das heißt die vorhandene Infrastruktur in der Nähe des eigenen Wohnorts, eine zentrale Rolle bei der Erklärung der Teilhabe in diesem Bereich spielt. So gestaltet sich die Ausgehkultur im Alter in städtischen und ländlichen Gebieten deutlich unterschiedlich – wobei nicht das generelle Level der Aktivität, sondern eher Unterschiede in der Art und Weise der Teilhabe relevant werden. So zeigt das Regressionsmodell, welches das allgemeine Teilhabeniveau bzw. die Teilhabeintensität an Ausgehkultur beschreibt, zwar einen signifikanten Unterschied zwischen älteren Menschen in urbanen und in ländlichen Gemeinden, dieser hat allerdings nur einen sehr geringen Effekt. Es gibt also eine ähnlich intensiv ausgeprägte Teilhabe an Ausgehkultur im Alter in städtischen wie in ländlichen Gebieten, allerdings ist das Aktivitätsspektrum verschieden: Ältere Menschen auf dem Land haben anders – aber nicht weniger – an Ausgehkultur teil. Um diese Heterogenität beschreiben zu können, wurden mittels Faktorenanalyse drei unterschiedliche Muster der Teilhabe an Ausgehkultur im Alter identifiziert: ein bildungsorientiertes, ein wohnortnahes und ein unterhaltungsorientiertes (siehe Tabelle 2), wobei sich jedes dieser Teilhabemuster unterschiedlich im sozialstrukturellen Raum verortet.
Teil 3: Kulturrepertoires älterer Menschen
Tabelle 2: Kulturelle Teilhabemuster der Ausgehkultur im Alter Teilhabemuster
Aktivitäten (rotierte Faktorladungen)
bildungsorientierte Ausgehkultur
Konzerte (0,73), Theater, Ballett oder Oper (0,79), Tanzaufführungen oder Musicals (0,62), Kabarett (0,56), Museen, Galerien oder Ausstellungen (0,80), historische Sehenswürdigkeiten (0,70), öffentliche Bibliotheken bzw. Büchereien (0,55)
wohnortnahe Ausgehkultur
Gemeinde- oder Bezirksfeste (0,81), Gottesdienste (0,53), gemeinsam Essen mit mindestens zehn Personen (0,64)
unterhaltungsorientierte Ausgehkultur
Kino (0,71), Sportveranstaltungen (0,65)
Als Elemente einer bildungs- oder lernorientierten Ausgehkultur im Alter lassen sich Konzerte, Theater, Ballett, Oper, Tanz- und Musicalveranstaltungen sowie Museen, Sehenswürdigkeiten und öffentliche Bibliotheken bzw. Büchereien identifizieren. Diese Teilhabeform hängt – stärker als die anderen beiden – mit dem schulischen Bildungsstand der befragten Person zusammen (r = 0.469, p < 0,05), ist also vor allem unter älteren Menschen mit einem hohen formalen Bildungsabschluss beliebt. Anders strukturiert zeigt sich der Bereich der wohnortnahen Ausgehkultur: Hier spielen weniger Bildungs- und Lernfragen, sondern eher die räumliche Struktur eine Rolle dabei, ob sich ältere Menschen an Ausgehkultur beteiligen oder nicht. So ist hier der zentrale Unterschied jener zwischen Stadt und Land, wobei ältere Menschen in ländlichen Gemeinden besonders stark und Menschen in urbanen Räumen besonders schwach in Aktivitäten der wohnortnahen Ausgehkultur eingebunden sind (r = –0,2.98, p < 0,05). Bei der unterhaltungsorientierten Ausgehkultur spielen hingegen Alters- oder Generationendifferenzierungen eine zentrale Rolle: So geben besonders jüngere Ältere eine starke Einbindung in diesen Bereich der Ausgehkultur an (r = –0.361, p < 0,05). Die bisher dargestellten Ergebnisse machen zwei Aspekte der sozialen Stratifikation der Teilhabe an Ausgehkultur im Alter deutlich. Zunächst zeigt sich – vor allem anhand des Bildungsstandes – eine vertikale Stratifikation. So bestimmt der formale Bildungsabschluss der befragten Person nicht nur, an welchen Aktivitäten teilgenommen wird, sondern auch, wie intensiv daran teilgenommen wird bzw. werden kann. So zeigen sich ältere Menschen mit hohem Bildungsabschluss tendenziell eher aktiv in allen abgefragten Bereichen der Ausgehkultur – auch im Alter finden sich in den Daten also kulturelle
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Omnivoren (sog. »Allesfresser«, Peterson & Kern, 1996), deren Teilhabemuster an Ausgehkultur sich vor allem dadurch auszeichnet, möglichst viele unterschiedliche Formen von Kunst und Kultur zu konsumieren. Neben dieser vertikalen Bildungsstratifikation zeigt sich in der Analyse von Ausgehkulturmustern im Alter auch eine sozialräumliche Stratifikation, die eher horizontal ausgerichtet ist. So erklären Variablen, die die räumliche Wohnumgebung älterer Menschen beschreiben, nicht so sehr, wie intensiv, sondern eher, an welcher Form von Ausgehkultur im Alter teilgenommen wird bzw. teilgenommen werden kann. Diese sozialräumlich selektive Teilhabe an Ausgehkultur zeigt sich vor allem in ländlichen Gebieten in Österreich, in denen ältere Menschen nicht generell an weniger, aber dafür an anderen Formen von Ausgehkultur teilhaben und weniger in den Hochkultursektor, sondern mehr in wohnortnahe Formen von Kultur (wie Bezirks- oder Gemeindefeste sowie Gottesdienste) eingebunden sind. Diese doppelte Stratifikation der Teilhabe von Ausgehkultur im Alter wird auch in den Barrieren deutlich, die ältere Menschen im Zugang zu Aktivitäten der Ausgehkultur angeben (siehe Tabelle 3). So zeigen sich zunächst sozialräumliche Aspekte als zentral: 42 Prozent der Befragten geben an, dass Veranstaltungen zu weit von ihrem Wohnort entfernt sind. Neben sozialräumlichen Elementen spielen sozioökonomische Aspekte eine Rolle, wie Einkommen und damit verbunden der Bildungsstand. So geben 41 Prozent der Befragten an, dass ihnen Veranstaltungen der Ausgehkultur häufig zu teuer seien. Tabelle 3: Barrieren im Zugang zu Veranstaltungen der Ausgehkultur Wenn Sie an kulturelle Veranstaltungen denken, die Sie gerne besuchen möchten, gibt es da auch Zugangsbarrieren?
Zustimmung (trifft sehr/ eher zu)
Die Veranstaltungen sind zu weit von meinem Wohnort entfernt.
42 %
Die Veranstaltungen sind mir häufig zu teuer.
41 %
Ich habe niemanden, der mitkommt.
31 %
Ich kann aufgrund meiner Gesundheit nicht teilnehmen.
26 %
Auf diesen Veranstaltungen sind meistens Leute, die nicht zu mir passen.
23 %
Ich habe aufgrund familiärer Verpflichtungen häufig keine Zeit.
18 %
Teil 3: Kulturrepertoires älterer Menschen
Einen besonderen Aspekt der Ausgehkultur im Alter stellt abschließend die soziale Orientierung dieser Gruppe von Kulturaktivitäten dar. So geben 31 Prozent der befragten älteren Menschen an, dass sie Kulturveranstaltungen nicht besuchen, weil sie keine Begleitung finden, und 23 Prozent, dass bei solchen Veranstaltungen häufig Personen seien, die nicht zu ihnen passen würden. Diese beiden Ergebnisse machen – neben der Zentralität der sozialräumlichen und sozialstrukturellen Differenzierung von Aktivität im Ausgehkulturbereich – deutlich, dass sich die Teilhabe an Ausgehkultur auch um die Frage des sozialen Milieus bzw. der sozialen Beziehungen dreht, die durch diese Veranstaltungen ermöglicht oder verhindert werden können. Diese Aspekte des kulturellen Habitus, der kulturell passenden Verhaltensweisen während kultureller Aktivitäten, die mitunter eine Barriere der Kulturteilhabe im Alter darstellen, werden in Kapitel 5 eingehender behandelt. Die soziale Dimension von Ausgehkulturaktivitäten im Alter wird auch mit Blick auf die Motivation deutlich, aus der heraus sich Befragte an Aktivitäten der Ausgehkultur beteiligen. Zunächst zeigt sich dabei, dass diese für die Mehrheit in altershomogenen Gruppen ausgeführt werden – der soziale Kontakt im Rahmen der Ausgehkultur also hauptsächlich sozialer Kontakt mit Gleichaltrigen ist: Fünfzig Prozent geben an, dass die Personen, mit denen sie kulturelle Veranstaltungen eher besuchen, etwa gleich alt sind wie sie selbst, für ein weiteres Drittel sind die Begleitpersonen eher jünger. Dieser Kontakt mit Gleichaltrigen scheint auch die zentrale Motivation zur Teilnahme an Ausgehkultur im Alter zu sein, so geben 81 Prozent der Befragten an, dass sie bei Kulturveranstaltungen gerne in Gesellschaft sein möchten (siehe Tabelle 4). Etwa gleich viele Personen geben an, dass sie durch Kultur unterhalten werden möchten – Bildungs- und Lernaspekte (z.B. etwas über aktuelle gesellschaftliche Ergebnisse zu lernen) spielen im Vergleich zur sozialen Dimension eine untergeordnete Rolle.
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Tabelle 4: Gründe, um an kulturellen Veranstaltungen der Ausgehkultur teilzunehmen Treffen die folgenden Gründe, an kulturellen Veranstaltungen teilzunehmen, auf Sie persönlich sehr, ziemlich, wenig oder gar nicht zu?
Zustimmung (trifft sehr/eher zu)
Ich möchte in Gesellschaft sein.
81 %
Ich möchte unterhalten werden.
79 %
Ich habe das immer schon gemacht.
72 %
Ich möchte bei aktuellen Themen mitsprechen können.
62 %
Ich möchte mich geistig herausfordern.
58 %
Ich möchte Kunst und Kultur besser verstehen.
43 %
Schließlich zeigt sich auch in der Analyse der Gründe zur Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen der Ausgehkultur eine deutliche soziale Stratifikation. So sind lern- und bildungsorientierte Gründe in älteren akademischen Milieus deutlich weiter verbreitet: Personen mit höherer Bildung geben deutlich häufiger an, dass Kunst und Kultur einfach zu ihrem Leben dazugehören (92 %), dass sie an Kultur teilnehmen, weil sie das schon immer gemacht haben (89 %), oder dass sie durch die Teilnahme Kunst und Kultur besser verstehen möchten (77 %). Unter älteren Personen mit niedrigen Schulabschlüssen hingegen dominieren als Gründe für die Teilnahme zunächst die Gesellschaft (80 %) und die Unterhaltung (77 %), die durch Kunst und Kultur entstehen (können).
4.2
Heimkultur im Alter
Heimkulturaktivitäten bezeichnen laut UNESCO (2009) kulturelle Aktivitäten, die zu Hause stattfinden (home-based culture). Diese Dimension kulturellen Handels führt uns also in den Alltag älterer Menschen und fragt danach, wie kulturelle Aktivitäten und kulturelle Beteiligung in die Alltagsgestaltung im Alter eingebunden sind, durch welche alltäglichen Rhythmen sie bestimmt, unterstützt oder auch verunmöglicht werden. Ein solcher Begriff verortet Kultur im alltagsweltlichen Handeln und bezeichnet einen Erfahrungszusammenhang von Kultur, der in die Routinen, Gewohnheiten und Orientierungen des täglichen Lebens eingebunden ist (Metzler, 2003).
Teil 3: Kulturrepertoires älterer Menschen
Alltagskulturen – die häufig über die Erhebung von Freizeitaktivitäten – beschrieben werden, sind dabei eng an Praktiken und Lebensprinzipien unterschiedlicher sozialer Gruppen und Schichten gebunden. Sie beschreiben keine »strukturlose heterogene Vielfalt« (Vester, 2015, S. 143), sondern sind an soziale Rahmen der Vergesellschaftung – in Familien, Lebensgemeinschaften, Freundes- und Bekanntenkreisen – gebunden und differenzieren sich daher nicht nur nach Alter und Geschlecht, sondern auch nach Milieu, sozialstrukturellem Status oder Wohngegend. Es liegt in der Natur von Heimkulturaktivitäten, dass sie eine Vielzahl von unterschiedlichen Aktivitäten beschreiben und empirisch nur schwer fassbar sind. Wenn es im Folgenden vereinfachend um Heimkulturaktivitäten älterer Menschen geht, so ist damit kein Anspruch auf Vollständigkeit verbunden. So sollte in der Interpretation der Ergebnisse berücksichtigt werden, dass die vorliegenden Daten nur einen kleinen Ausschnitt von Heimkulturtätigkeiten abbilden können. In der empirischen Analyse der Heimkulturaktivitäten treten medienund erholungsorientierte Tätigkeiten als besonders verbreitet unter älteren Menschen in Österreich hervor. Als häufigste Heimkulturtätigkeit ist dabei das Lesen zu nennen – 89 Prozent der Befragten geben an, mindestens einmal pro Woche Zeitschriften oder Zeitungen zu lesen, 63 Prozent lassen sich sogar als intensive Zeitungsleser*innen bezeichnen: Sie lesen täglich Zeitungen und Zeitschriften (siehe Abbildung 2). Ähnlich hoch ist der Konsum von Radiosendungen und Musik zu Hause: 61 Prozent hören täglich Radiosendungen und 41 Prozent täglich bewusst Musik. Neben diesen medienorientierten Tätigkeiten der Heimkultur spielen Outdoor-Aktivitäten sowie Bewegung eine zentrale Rolle in der Alltagsgestaltung älterer Menschen in Österreich So wird nach den medienbezogenen Tätigkeiten Gärtnern und Spazierengehen als die häufigste Aktivität der Heimkultur angegeben – 33 Prozent gehen täglich spazieren, 23 Prozent sind jeden Tag im Garten beschäftigt. In der multivariaten Analyse zeigt sich, dass die Teilhabe an den skizzierten Heimkulturaktivitäten deutlich weniger sozialstrukturell geschichtet verläuft als bei der Ausgehkultur. So zeigt sich im Regressionsmodell (siehe Tabelle 8 im Anhang), dass die Teilhabe an Heimkultur weniger stark von soziodemografischen Merkmalen der vertikalen Stratifikation (wie Einkommen oder Bildung) abhängig ist als bei der Ausgehkultur. Heimkultur im Alter stellt sich damit in den Daten zunächst als zugänglichere Kulturform dar, auch ältere Menschen mit vergleichsweise geringerem Bildungsstand oder geringeren Einkommen sind in Heimkulturtätigkeiten eingebunden. In horizontalen Dimensionen von sozialer Ungleichheit – Geschlecht, Gemeinde- und Haus-
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Abbildung 2: Ausüben von Aktivitäten der Heimkultur von Menschen über sechzig Jahren in Österreich
Eigene Darstellung
haltsgröße – weist das Modell allerdings größere Korrelationen auf als die Ausgehkulturteilhabe. Die zusätzliche Erklärkraft durch soziodemografische Variablen in der Ausgehkulturteilhabe liegt vor allem am größeren Einfluss von vertikalen Dimensionen sozialer Ungleichheit. Als zentraler Einflussfaktor für die Teilhabe an Heimkultur zeigt sich im Regressionsmodell die körperliche Verfassung – wie auch bei der Ausgehkultur hat damit die Gesundheit im Alter eine zentrale Bedeutung dafür, ob und in welcher Intensität man sich an Aktivitäten der Heimkultur beteiligen kann. Nach Kontrolle der Mediatorvariablen ist die Effektstärke des Gesundheitszustandes sogar größer als im Regressionsmodell zur Ausgehkultur – körperliche Fitness scheint also nicht nur bei Kulturaktivitäten älterer Menschen außer Haus, sondern auch innerhalb des eigenen Hauses eine zentrale Rolle zu spielen. Während sich – anders als bei den Aktivitäten der Ausgehkultur – die Intensität der Einbindung in Heimkulturaktivitäten kaum nach sozialstrukturellen Merkmalen, vor allem Bildung und Einkommen im Alter, unterscheidet, zeigen sich aber doch deutliche Bildungsunterschiede in der Frage, an welchen Aktivitäten teilgenommen wird. So haben ältere Menschen mit höherer Bildung andere Aktivitätsmuster als ältere Menschen mit niedriger Bildung. Während also alle Bildungsgruppen im Alter gleichermaßen an Heimkultur
Teil 3: Kulturrepertoires älterer Menschen
generell teilnehmen, unterscheidet sich die Art und Weise der Teilhabe doch deutlich nach Bildungsgruppen. Um diese Heterogenität zu fassen, wurde mit allen zur Verfügung stehenden Variablen zur Beschreibung von Aktivitäten im Alltag der befragten Personen eine Faktoranalyse durchgeführt. Auf Basis derer lassen sich vier Nutzungsmuster von Heimkulturaktivitäten identifizieren: entwicklungsorientierte, sozial orientierte, introspektiv orientierte und erholungsorientierte (siehe Tabelle 5). Besonders für den entwicklungsorientierten Faktor ist ein hoher Bildungsabschluss von Relevanz. Niedriggebildete Menschen üben häufiger introspektive Heimkulturtätigkeiten aus. Das sozial orientierte und das erholungsorientierte Nutzungsmuster sind nicht an den Bildungsabschluss gebunden. Tabelle 5: Kulturelle Teilhabemuster der Heimkultur im Alter Teilhabemuster
Aktivitäten (rotierte Faktorladungen)
entwicklungsorientierte Heimkultur
Bücher lesen (0,72), Zeitungen und Zeitschriften lesen (0,67), Sport treiben (0,6)
sozial orientierte Heimkultur
Schach, Karten- oder Gesellschaftsspiele spielen (0,48), (Ur-)Enkel beaufsichtigen (0,65), Personen außerhalb des Haushalts helfen (0,73), (video-)telefonieren (0,53)
introspektiv orientierte Heimkultur
Kreuzworträtsel oder Sudoku lösen (0,51), Gärtnern (0,75), Beten/Meditieren (0,59)
erholungsorientierte Heimkultur
spazieren gehen (0,79), bewusst ausruhen (0,52)
4.3
Identitätskultur im Alter
Der dritte Bereich der kulturellen Teilhabe, der anhand der Daten analysiert werden kann, ist die Identitätskultur (Morrone, 2006). Er bezeichnet die Teilhabe an künstlerisch-kreativen Aktivitäten, beschäftigt sich also mit der Frage, inwiefern ältere Menschen in Österreich in kreative Praktiken eingebunden sind. Wie steht es nun allgemein um die Teilhabe an kreativen Aktivitäten unter älteren Menschen in Österreich? Die Daten zeigen hier zunächst eine breite Einbindung der älteren Bevölkerung, denn rund fünfzig Prozent der Personen über sechzig Jahre in Österreich gibt an, in zumindest einem der abgefragten Bereiche aktuell kreativ tätig zu sein (siehe Abbildung 3). Jede zweite Person
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über sechzig geht also einer kreativen Tätigkeit nach. Besonders beliebt sind Handarbeit und Heimwerken. Hier beteiligen sich rund 23 Prozent der Befragten. Das kreative Kochen steht mit rund neunzehn Prozent an zweiter Stelle. Die zwei mit Abstand beliebtesten kreativen Tätigkeiten sind demnach Aktivitäten, die primär im eigenen Haus ausgeübt werden und nur selten in institutionelle Kontexte eingebunden sind. Ähnlich wie bei der Ausgeh- und Heimkultur zeigt sich auch hier eine Tendenz zur wohnortnahen kulturellen Teilhabe im Alter. Abbildung 3: Ausüben von Aktivitäten der Identitätskultur von Menschen über sechzig Jahren in Österreich
Eigene Darstellung
Wie bei den beiden vorangegangenen Bereichen der Teilhabe an Kultur (Ausgehkultur, Heimkultur) stand auch hier in der Datenanalyse wieder die Frage im Zentrum, inwiefern die Ausübung kreativer Tätigkeiten im Alter von sozialstrukturellen Determinanten abhängig ist. Dabei zeigt sich zunächst, dass auch hier der Bildungsstand der stärkste Einflussfaktor ist. Ähnlich wie bei den anderen Bereichen beteiligen sich demnach ältere Personen mit einem hohen Schulabschluss intensiver an kreativen Tätigkeiten als Personen mit Pflichtschulabschluss. Während bei der Ausgeh- und Heimkultur Bildung als Einflussfaktor an zweiter Stelle stand, ist sie in der Identitätskultur, wie schon bei der Ausgehkultur, der aussagekräftigste der hier geprüften Faktoren (siehe Tabelle 9 im Anhang). Fragt man danach, welche unterschiedlichen Teilhabeformen sich für höher- und für niedriggebildete ältere Menschen ergeben, so zeigt sich, dass vor allem niedriggebildete in den heimorientierten kreativen Tätigkeiten –
Teil 3: Kulturrepertoires älterer Menschen
Handarbeit, Heimwerken, Kochen – aktiv sind. Damit ist auffällig, dass niedriggebildete ältere Menschen vor allem in jenen kreativen Bereichen tätig sind, die häufiger als andere – wie etwa Musizieren oder Schauspiel – im privaten Bereich ausgeführt und nur selten institutionell eingebunden sind. Als zweite Determinante der Ausübung von kreativen Tätigkeiten im Alter stellt sich auch hier der körperliche Gesundheitszustand heraus. Für Menschen, die im Alltag auf Unterstützung angewiesen sind, ist das Chancenverhältnis, kreativ aktiv zu sein, um den Faktor 0.74 geringer. Als zentrale Determinanten der Teilhabe an kreativen Tätigkeiten stellen sich im Regressionsmodell einerseits das Geschlecht heraus (wobei Frauen eine 1,29-mal erhöhte Chance haben, sich kreativ zu betätigen), andererseits der Bildungsstand: So haben etwa Akademiker*innen eine 2,37-mal erhöhte Chance, sich im Alter kreativ zu betätigen. Nach Berücksichtigung aller soziodemografischen Variablen können rund fünfzehn Prozent der Varianz in der Ausübung kreativer Tätigkeiten generell durch das Regressionsmodell erklärt werden. Damit zeigt sich, dass die Identitätskultur am wenigsten stark von soziodemografischen Einflussfaktoren abhängig ist – bei den Modellen der Ausgeh- und Heimkultur wurden rund 28 bzw. 22 Prozent der Varianz von den geprüften soziodemografischen Variablen erklärt. Identitätskultur zeigt sich damit zugänglicher für ältere Menschen von unterschiedlichem sozialem Status als etwa die Ausgehkultur, die stärker nach dem Bildungsstand stratifiziert verläuft. Neben den Beteiligungsraten in den einzelnen kreativen Aktivitäten wurde auch untersucht, wie intensiv sich die Befragten mit einer kreativen Tätigkeit auseinandersetzen. Dazu wurden unterschiedliche Vertiefungsstufen ausgemacht, das heißt, ob schon einmal ein eigenes Werk erstellt, präsentiert oder verkauft wurde (siehe Tabelle 6). Damit sollte festgestellt werden, wie intensiv eine Tätigkeit ausgeübt wird, aber auch, welchen Grad der sozialen Legitimation eine Tätigkeit erhält. Die Daten zeigen, dass rund 64 Prozent der älteren Menschen, die derzeit kreativ tätig sind, bereits ein Eigenwerk erstellt haben und rund 43 Prozent Freunden eines vorgeführt. Wie in der Grafik deutlich zu erkennen, sinkt der Anteil drastisch, sobald es um die Präsentation der kreativen Arbeit in der Öffentlichkeit geht: Hier beteiligen sich nur noch dreizehn Prozent der älteren Menschen, was wiederum deutlich macht, dass kreative Tätigkeiten im Alter zwar weit verbreitet sind, allerdings hauptsächlich zu Hause und nicht vor Publikum ausgeübt werden.
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Tabelle 6: Vertiefungsstufen kreativer Tätigkeiten bei Menschen über sechzig Jahren in Österreich Haben Sie in den letzten Jahren bei dieser Aktivität …
Zustimmung in Prozent
ein eigenes Werk erstellt?
64
Freund*innen ein eigenes Werk vorgeführt?
43
ein eigenes Werk öffentlich präsentiert?
13
ein eigenes Werk verkauft oder gegen Gage vorgeführt?
10
mit einem eigenen Werk an einem Wettbewerb teilgenommen?
7
Weshalb erreichen manche kreativ aktiven älteren Menschen eine höhere Vertiefungsstufe als andere? Auf Basis der Daten bieten sich drei mögliche Erklärungsansätze an, die sich potenziell überschneiden2 : Dennoch korreliert zumindest die körperliche Einschränkung mit einem Koeffizienten von – 0.097 negativ mit der Vertiefung der kreativen Tätigkeit. Da sich die Vertiefungsstufen immer auf die momentan ausgeübte Tätigkeit beziehen, bedeutet das, dass körperlich eingeschränkte Menschen in ihrer momentanen Tätigkeit weniger Vertiefungen erreicht haben als gesunde. So haben beispielsweise rund vierzehn Prozent der im Alltag selbstständig Agierenden ein Werk bereits öffentlich vorgeführt, verglichen mit nur rund neun Prozent der Menschen mit körperlichen Einschränkungen. Deutlich zeigt sich hier auch eine Differenz im Bildungsniveau: So erreichen Menschen mit höheren Bildungsabschlüssen tendenziell eine höhere Vertiefungsstufe. Auch das Geschlecht spielt eine Rolle: Männer erreichen tendenziell größere Vertiefungsstufen als Frauen. Der Unterschied zwischen den Geschlechtern wird vor allem da deutlich, wo eine Art der Öffentlichkeit mit eingebunden wird. So haben siebzehn Prozent der Männer ein Werk bereits öffentlich vorgeführt, verglichen mit rund elf Prozent der Frauen. Auch wenn kreative Tätigkeiten im Alter also weit verbreitet sind, zeigt sich doch eine deutliche Tendenz dahingehend, dass sie im Großteil im privaten Bereich, ohne öffentliche Präsentation oder Aufführungen, ausgeführt werden. Trotzdem besteht ein hohes Interesse an Weiterbildung und damit
2
Grundsä tzlich ist es bei der Frage nach Vertiefungsstufen aufgrund geringer Fallzahlen schwer, signifikante Ergebnisse zu erzielen, weswegen in diesem Absatz nicht signifikante Tendenzen interpretiert werden.
Teil 3: Kulturrepertoires älterer Menschen
auch möglicher Vertiefung im Bereich der kreativen Tätigkeiten unter älteren Menschen. So wurde in der Befragung auch das Weiterbildungsinteresse an einzelnen Bereichen kreativer Tätigkeit abgefragt: Jede dritte Österreicherin/jeder dritte Österreicher über sechzig Jahre (31 %) zeigen Interesse, sich in einem der genannten kreativen Bereiche weiterzubilden. Dies verdeutlicht das Potenzial und die Notwendigkeit der kulturellen Bildung im Alter (siehe dazu auch Teil 5 dieses Buches).
5.
Zugangsbarrieren zu Kultur im Alter
Kulturrepertoires älterer Menschen sind also einerseits gekennzeichnet durch Interessen und Geschmack, andererseits durch sozialen Status, wobei sich in der quantitativen Analyse vor allem der Bildungsstand und der Gesundheitszustand als zentrale erklärende Variablen in der Differenzierung von kulturellen Repertoires gezeigt haben. Obwohl ein Großteil der untersuchten kulturellen Aktivitäten durch diese Variablen strukturiert wird, das heißt, Personen mit höherer Bildung und besserer Gesundheit sich ganz generell intensiver an unterschiedlichen kulturellen Aktivitäten beteiligen, hat die Analyse allerdings auch deutlich gemacht, dass nicht alle kulturellen Aktivitäten gleichermaßen sozialstrukturell differenziert ausgeübt werden. Als besonders selektiv, das heißt besonders stark von sozialstrukturellen Variablen abhängig zeigt sich dabei der Bereich der sogenannten Ausgehkultur (Morrone, 2006), also der Besuch von Theatern, Museen, Galerien oder der Oper. Es scheint also zentral zu fragen, wie diese hohe soziale Selektivität dieses Kulturbereichs zu Stande kommt, welche Barrieren ältere Menschen im Zugang zu diesen spezifischen kulturellen Aktivitäten des Ausgehkultursektors erleben und welche Interventionen gesetzt werden können, um die Teilhabe älterer Menschen an dieser Kulturform zu unterstützen. In den Daten (siehe Kapitel 4.1) ist auffällig, dass sich die Zugangsbarrieren in der multivariaten Analyse als einfaktoriell erweisen. Eine Zugangsbarriere kommt in der Empfindung älterer Menschen demnach kaum allein: Wer zum Beispiel niemanden hat, der mitkommt, tendiert eher dazu, durch gesundheitliche Probleme nicht teilnehmen zu können oder die Preise als zu hoch zu empfinden. Alle Zugangsbarrieren korrelieren positiv miteinander. Diese und ähnliche Zugangsbarrieren zu bestimmten Kulturformen – ganz besonders zu den stärker institutionalisierten und ortsgebundenen des Ausgehkultursektors – wurden in der Publikumsforschung intensiv
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untersucht. Besuchsverhindernde Barrieren werden dort als eine »physische, psychische oder imaginierte Intervention« (Renz, 2016, S. 67) betrachtet, die einen bestehenden Motivationsprozess zur Teilnahme an einer bestimmten kulturellen Aktivität unterbricht. Sie werden unterschieden in Barrieren, die auf Seiten der Angebote der Kulturinstitutionen (z.B. mangelnde Infrastruktur, Ticketpreise, unpassende Kommunikation von kulturellen Angeboten) bestehen, und solchen, die in der Situation des Individuums (z.B. fehlende Zeit, fehlende Begleitung) begründet liegen. Deutlich wird jedoch auch, dass diese Barrieren nicht darüber abgrenzbar sind, auf welcher Seite sie nun erwachsen (Renz, 2016). Vor allem beim Zugang älterer Menschen zum Theater erscheint eine detaillierte Betrachtung jener Barrieren sinnvoll, die nicht nur individueller Natur sind, wie zu hohe Preise oder zu weite Anfahrtswege, sondern auch institutionelle Regeln und räumliche Aspekte. Theater ist als Kunstform zu verstehen, die an die Ausübung in ganz bestimmten Räumen gebunden ist – »Theatrical art is spatial art« (Herrmann, 1931) – und bei der die Spielstätten eine besondere Bedeutung haben (Hänzi, 2015). So ist bei Theaterbesuchen oft nicht nur wichtig, was aufgeführt wird, sondern mindestens ebenso wichtig, wo etwas aufgeführt wird. Das Theater ist also eine räumlich gebundene Kunstform, erstens, weil Bühne an sich ein Raum ist, der durch Kunst erst hergestellt wird, und zweitens, weil die Spielstätten große Bedeutung haben: Es ist also nicht nur wichtig, welche Kunst stattfindet, sondern auch, wo diese Kunst stattfindet. Die Bedeutung der Spielstätten kommt vor allem dadurch zu Stande, dass die Häuser als Konsekrationsinstanzen mit besonderem Charisma verstanden werden können. Orte, an denen Theater gespielt wird, haben häufig eine besondere Bedeutung, die auch eine Machtzuweisung ist (Hänzi, 2015). Das Wiener Burgtheater etwa hat in diesem Kontext viel Definitionsmacht darüber, was gute Kunst ist. Die Reproduktion solcher Machtverhältnisse findet ganz wesentlich über den Ort und das Gebäude statt, zu dem nicht alle Gruppen Zugang haben. Bedeutende Theater sind nicht in Wohngegenden, sie haben oft große Treppen vor dem Eingang, die zu überwinden sind. Dass sie selektiv sind und nicht für alle zugänglich, macht auch einen Teil der Ästhetik aus, mit der sich Theater schmücken (Ugarte Chacón, 2015). Um die Vielfalt von Barrieren im Zugang zu Veranstaltungen des Ausgehkultursektors in ihrem Wechselspiel zwischen individuellen Hindernissen und institutionellen Regelungen von Kultureinrichtungen zu verstehen, wurde im Projekt zusätzlich zur quantitativen Erhebung eine qualitative For-
Teil 3: Kulturrepertoires älterer Menschen
schungsphase durchgeführt, in der zehn Personen über sechzig Jahre gebeten wurden, relevante Barrieren, die sie im Zugang zu Theatern in Wien erlebten, visuell zu dokumentieren, sie bei einem gemeinsamen Theaterbesuch zu beschreiben und später in einem Interview und einer Gruppendiskussionssitzung zu reflektieren. Theoretisch war es dabei für die Forscher*innen sinnvoll, die vielfältigen Barrieren nicht nur als solche des Kulturkonsums selbst (etwa das Besuchen des Theaters) zu denken, sondern kulturelle Teilhabe als ein Bündel von Praktiken (practice bundles, siehe hierzu Schatzki, 2014) zu verstehen, aus deren Zusammenspiel unterschiedliche Barrieren entstehen können. Die Interviews über Kulturteilhabe und die Beobachtungen bei kulturellen Aktivitäten haben eine Vielzahl an Praktiken der Vor- und Nachbereitung sowie Umsetzung offengelegt, die sich für ältere Menschen als Barrieren darstellen können. Während zum Beispiel der Zugang und Besuch eines Kinos barrierefrei gestaltet sein kann, können Praktiken der Vorbereitung auf einen Theaterbesuch (wie der Kartenkauf oder die Anfahrt) zu Problemen auf Seiten der Konsument*innen führen. In den Interviews wurde immer wieder geschildert, wie sich Ältere umfassend auf den Theaterbesuch vorbereiteten (etwa, indem Inhalte des Stücks vorab recherchiert oder Anfahrts- und Abfahrtswege geplant wurden). Jede dieser Tätigkeiten platziert eigene Barrieren und führt so zu unterschiedlichen Problemen in der kulturellen Teilhabe älterer Menschen. Einen Überblick über die vielfältigen Praxisbündel kultureller Teilhabe im Alter gibt Abbildung 4. Es lassen sich grob vier Praxisbündel unterscheiden, die als die zentralen Barrieren im Zugang zu Theatern im Alter funktionieren und im Folgenden die Ergebnisdarstellung strukturieren:
(1) (2) (3) (4)
Vorbereitungspraktiken Mobilitätspraktiken Konsumpraktiken Bewertungspraktiken
Anhand dieser Unterteilung werden in den folgenden Abschnitten nun die möglichen Barrieren im jeweiligen practice bundle näher beleuchtet. Unsere Forschung zeigt, dass die unterschiedlichen Barrieren erst in Kombination ihre volle Wirkung entfalten, weshalb sie im Prozess des Theaterbesuchs dargestellt werden. Im Anschluss daran werden jene Barrieren beschrieben,
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Abbildung 4: Praxisbündel kultureller Teilhabe
Eigene Darstellung
die nicht sofort augenscheinlich sind, jedoch gleichsam hinderlich für einen Kulturbesuch. Hierbei handelt es sich um Barrieren des Geschmacks bzw. symbolische Barrieren, die unter dem Begriff »Bewertungspraktiken« zusammengefasst werden.
5.1
Vorbereitungspraktiken »Dann bin ich zum Friseur vorgegangen. Ja, das auch, ja. Ich habe mich schön angezogen, ja. Mein Kleid, das ich nur trage bei Feierlichkeiten. Ja, ich habe Gott sei Dank eines, das ich selten trage.« (Frau H., 77 Jahre)
Gleich zu Beginn unseres Interviews beschreibt Frau H. hier, was ihr in Bezug auf den gemeinsamen Theaterbesuch wichtig erscheint: sich ein schönes Kleid anzuziehen, und zwar eines, das sie bei besonderen Anlässen und Feierlichkeiten trägt. Diese Art der Vorbereitung auf den Theaterbesuch, die mitunter schon einige Tage vor der Veranstaltung stattgefunden hat, war charakteristisch für die Erzählungen älterer Menschen zum gemeinsamen Theaterbesuch, die den Interviews vorausgingen. Diese Vorbereitungspraktiken waren dabei vor allem für Interviewpersonen, die selten ins Theater gingen, eine zentrale Herausforderung und unter Umständen mit viel Zeit, Organi-
Teil 3: Kulturrepertoires älterer Menschen
sation oder (finanziellen) Ressourcen verbunden. So waren das Organisieren der Karten, das Planen von Hin- und Heimweg, die Abstimmung mit anderen Terminen und Verpflichtungen wie zum Beispiel Sorgearbeit, das Auswählen der Kleidung, eventuell ein Besuch im Friseursalon häufig anzutreffen. Diese Schritte zur Vorbereitung können für kulturungewohnte Personen leicht zu Barrieren werden – etwa wenn kein richtiges Kleidungsstück für den besonderen Anlass im Haushalt existiert und dies erst neu angeschafft werden muss. Zentral in der Erzählung zu Barrieren des Theaterbesuchs, die ältere Menschen erleben, waren also zunächst solche, die zeitlich und räumlich vor dem eigentlichen Theaterbesuch lagen. Dieses Bündel von Praktiken, die als Barrieren auf die älteren Studienteilnehmer*innen wirkten, werden im Folgenden als Vorbereitungspraktiken zusammengefasst. Hier zeigten sich in den Daten vor allem fünf Bereiche potenzieller Barrieren vor dem Kulturkonsum:
(1) (2) (3) (4) (5)
Ticketkauf Kosten Auswahl der Veranstaltungszeiten Organisation von Begleitung Wege zum und in das Theater
Ein erstes Hindernis in der Vorbereitung des Theaterbesuchs stellt der Erwerb der Theaterkarten dar. In der Erhebung war den Studienteilnehmer*innen nicht vorgegeben, auf welchem Wege sie ihre Karten organisierten, und sie wurden dabei nur auf Nachfrage von den Forscher*innen unterstützt. Frau H., die dies mit Unterstützung der Forscherin bewältigt, wird an der Theaterkasse des Burgtheaters gefragt, für welches Haus sie Karten erwerben möchte, und kann die Frage nicht beantworten, obwohl vorab geklärt wurde, welches Stück gemeinsam besucht werden soll. Frau H. hatte bei der Recherche vergessen, den Namen des speziellen Hauses zu notieren, weil sie aufgrund ihrer geringen Erfahrung mit Theater nicht wusste, dass Stücke an mehreren Spielorten gezeigt werden. Diese Szene führt bei Frau H. zu Verunsicherung – weil sie die richtigen Informationen zum Ticketkauf nicht parat hat, wird sie unruhig. Eine andere Teilnehmerin, Frau W., fährt, weil ihr die Praxis des Onlineerwerbs nicht geläufig ist, von ihrem Zuhause in einem Außenbezirk zum Theater in der Josefstadt zum Ticketkauf. Als sie später informiert wird, dass das Stück aufgrund der Erkrankung einer Darstellerin nicht wie geplant
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stattfinden kann, begibt sie sich erneut für einen Kartentausch ins Theater. Nicht dokumentiert sind mehrere Telefonate, die zusätzlich zwischen Frau W. und dem Theaterbüro stattfinden, um den organisatorischen Ablauf zu klären. Selbst die routinierte Theatergängerin Frau K. beschreibt den Ticketkauf als Barriere für sich und lagert diese Aufgabe immer an ihren Mann aus, der die Karten mittels Onlinebuchung organisiert: »Wenn ich es mache, funktioniert es nie. Jetzt lass ich es immer ihn machen.« (Frau K., 75 Jahre) Dies verdeutlicht, dass der Kauf von Karten für ein Theaterstück im Alter dann zu einer Barriere werden kann, wenn sich problematische Praktiken häufen. Sie können sich zu einer Barriere manifestieren bzw. dann als solche erlebt werden. So war es für Frau K. kein Problem, dass die Karten online verkauft wurden, solange ihr Mann ihr bei der Beschaffung behilflich sein konnte, genauso wie es für Frau H. kein Problem war, die Tickets zu besorgen, solange sie über alle relevanten Informationen verfügte, um den Kauf auch durchzuführen. Die Verknüpfung von mehreren Praktiken (Recherche von Informationen – Anreise zum Theater – möglicher Kauf der Karten – Heimfahrt vom Theater – erneute Recherche – erneute Anreise – Kauf der Karten) führte in den analysierten Fällen aber häufig dazu, dass die interviewten älteren Menschen den Kartenkauf als manifeste Barriere wahrnahmen, die sie an der Teilhabe am Theater hinderte. Dies war vor allem dann der Fall, wenn digitale Kompetenzen oder der Besitz einer Kreditkarte für den Kauf eines Tickets vorausgesetzt wurden. Der Kartenkauf war in der Erhebung eine häufige Herausforderung, weil manche Theater abgesehen von der Zahlungsmöglichkeit an der Kasse im Theater nur die Zahlung per Onlineüberweisung oder Kreditkarte anbieten. Speziell mobilitätseingeschränkte Personen, für die der gesonderte Weg ins Theater zum Kartenkauf ein anstrengendes Hindernis darstellt und die unter Umständen wenig digitale Kompetenzen mitbringen, erfahren auf diesem Weg Ausschluss. Auch in einer der Gruppendiskussionen war die Bestellung von Eintrittskarten über das Internet ein zentrales Thema. Der Tenor der Diskutant*innen dazu war, dass viele ältere Personen nicht über genügend digitale Kompetenzen verfügten, um Karten online zu kaufen, was ein wesentliches Hindernis auf dem Weg ins Theater sei. Im Zuge dessen wurden während der gemeinsamen Fotoanalyse die Kassierer*innen in der Josefstadt als Personen beschrieben, die Nähe und Wärme vermittelten, da sie jenem Personenkreis ermöglichen, im direkten Austausch Karten zu erwerben und Fragen zu klä-
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ren, und sich ältere Personen damit eher identifizieren können; während der Onlinekauf als mühsam beschrieben wurde (siehe Abbildung 5).
Abbildung 5: Auszüge aus den Fototagebüchern der Studienteilnehmer*innen
Kolland & Gallistl
Damit verbunden stellten mitunter die Ticketkosten eine Barriere für die Studienteilnehmer*innen dar. Obwohl im Rahmen des Forschungsprojektes die Kosten für den Theaterbesuch übernommen wurden, waren Kosten für die Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen generell in den Interviews immer wieder Thema. Kultur wird teilweise als nicht leistbar angesehen bzw. werden andere Ausgaben priorisiert. Frau C. zum Beispiel unterstützt ihre Tochter finanziell und es wird deutlich, dass sie ihre geringe Pension eher für die Gesundheit ihrer Tochter verwendet als sie in Kultur zu investieren. Nachdem ihre »Rente wesentlich weniger als ihr Einkommen« (Frau F., 71 Jahre) sei, ist es für Frau F. heute schwieriger, sich Karten für Operetten und Musicals zu kaufen, die sie sich früher geleistet habe. Frau W., die insgesamt eher sparsam lebt, mobilisiert ihre finanziellen Ressourcen, um sich Kulturteilhabe zu ermöglichen, und Frau S. (75 Jahre) gibt an, ein eigenes Budget für Kultur zu haben, das ihr ermöglicht, auch teure Karten in der Oper zu kaufen. Während finanzielle Barrieren für die Studienteilnehmer*innen also im konkreten Fall nicht relevant waren, so wurde doch deutlich, dass die Orchestrierung eines Theaterbesuchs danach verlangte, die finanziellen Mittel im eigenen Einkom-
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men verfügbar zu machen. So wurde etwa ein kleiner Betrag dafür zur Seite gelegt, ein Abo abgeschlossen, um billigere Karten zu erhalten, oder eben auf einen Theaterbesuch generell verzichtet. Eine häufig diskutierte Thematik in der Vorbereitung des Theaterbesuchs war darüber hinaus die Uhrzeit, zu der Theatervorstellungen stattfinden. Auch hier waren einige Vorbereitungsleistungen wie Anfahrten und Heimfahrten im Dunkeln nötig, um einen Theaterbesuch am Abend möglich zu machen. Herr V. (73 Jahre) beschreibt etwa, dass die Abendvorstellungen sehr im Gegensatz zu seinem Lebensrhythmus in der Pension stehen würden: Er werde, seit er älter sei, früh müde und gehe entsprechend zeitig zu Bett. Die Schlussfolgerung, die er daraus ableitet: Er ist zu müde, um ins Theater zu gehen. Passend dazu nickt er während des Theaterbesuchs mit der Forscherin mehrmals kurz ein und rechtfertigt dies später damit, dass er »aus seinem Rhythmus« (Beobachtungsprotokoll, Theaterbesuch mit Herrn V., 73 Jahre) sei. Durch diese Rechtfertigung wird deutlich, dass der Vorfall für ihn mit Scham besetzt war. Auch Herr T. schildert im Interview, dass er manchmal am Abend Schwierigkeiten habe, sich aufzuraffen und aus dem Haus zu gehen. Frau P. muss ihre Theaterbesuche in einen aus vielen Tätigkeiten und Aktivitäten bestehenden Alltag integrieren. Zusammenfassend stellt sich also für ältere Besucher*innen die Frage, ob der jeweilige Tagesablauf in die Spielzeiten der Theater passt. Sofern dies nicht der Fall war, musste der ältere Körper und der alltägliche Tagesablauf auf den Theaterbesuch vorbereitet werden – indem etwa Tätigkeiten auf den Vormittag verlagert oder Ruhephasen eingeplant wurden, um am Abend mehr Energie zu haben. Ein weiterer wichtiger Aspekt in der Vorbereitung eines Theaterbesuchs, der häufig in den Interviews geschildert wurde, war die Organisation von Begleitung. Es wurde deutlich, dass ein Theaterbesuch ohne Begleitung als eine Art Barriere gesehen werden kann. Frau H. meint hierzu beispielsweise, dass sie wohl öfter gehen würde, wenn sie eine regelmäßige Begleitung hätte: »Also in Theater, Konzerte, muss ich sagen, tät ich auch nicht alleine gehen wollen.« (Frau H., 77 Jahre) In den Interviews kam dabei immer wieder die implizite Regel zum Vorschein, dass Theaterbesuche grundsätzlich mit mindestens einer zweiten Person gemacht werden sollten, obwohl offensichtlich auch Einzelpersonen ins Theater gehen. Gerade für kulturungewohnte Menschen, die mit wenig Erwartungssicherheit ins Theater gehen, weil ihnen diese Gewohnheit fehlt, scheint die zweite Person eine Art Sicherheit darzustellen. So erzählt Frau C., als sie den gemeinsamen Theaterbesuch im Rahmen des Forschungsprojektes reflektiert: »Na, für mich war angenehm, dass ich be-
Teil 3: Kulturrepertoires älterer Menschen
gleitet wurde, ja. Weil, ich weiß auch nicht warum, irgendwie fühlt man sich da sicherer, oder weil ich das von früher gewohnt war, dass ich ja nicht alleine gegangen bin, ja. Das Gefühl war schon eine Sicherheit für mich.« (Frau C., 75 Jahre) Auch Frau F. partizipiert an kulturellen Veranstaltungen nur in Begleitung, eine Kulturaktivität ist bei ihr immer auch eine soziale Aktivität, wenn sie sich einer Gruppe anschließt oder eine übrig gebliebene Karte übernimmt: »Wenn du dann ganz alleine bist, dann ist es schwerer, es ist oft dann das Echo, nach einem kulturellen Besuch oder egal was du machst […], es fehlt die Resonanz, es fehlt der Ausgleich, und das macht es dann mühsamer, beschwerlicher, auf die Dauer gesehen, uninteressanter.« (Frau F., 71 Jahre) Diese Teilnehmerin sieht vom Besuch von Kulturveranstaltungen ohne Begleitung ab, weil sie die Erfahrung dann nicht teilen kann – ihr fehlt der Austausch mit einer anderen Person, wie das Zitat verdeutlicht. Für Herrn N. und Herrn T. ist die Partnerin eine wesentliche Ressource beim Besuch von Kulturveranstaltungen. So beschreibt sich Herr T. beispielsweise selbst als wenig kulturaffin und seine kulturelle Teilhabe als über seine Frau moderiert: »Und dadurch gehe ich hauptsächlich dann ins Theater, wenn meine Frau einen Vorschlag macht.« (Auszug aus der Gruppendiskussion)
5.2
Mobilitätspraktiken
Die Analyse der Vorbereitungspraktiken zeigt, dass kulturelle Teilhabe nicht bei der faktischen Teilnahme an kulturellen Aktivitäten beginnt – etwa in dem Moment, in dem eine Person ein Theater betritt. Schon die Frage der individuellen Mobilität bei der Planung des Weges zum Theater und die Bewältigung desselben gehören grundsätzlich, aber besonders für ältere Menschen zu einer erfolgreichen Kulturaktivität hinzu und bilden einen wesentlichen Schritt des mehrstufigen Prozesses der erfolgreichen Kulturteilhabe. Diese Praktiken, die sich mitunter zu Barrieren verdichten können, bezeichnen wir im Folgenden als Mobilitätspraktiken. In unserer Erhebung wurde besonders deutlich, dass vor allem für kulturungewohnte Personen die mobilitätsbezogene Vorbereitung auf den Theaterbesuch herausfordernd war. In der Beschreibung dieser Mobilitätspraktiken, die in den Interviews zentral war, spielten öffentliche Verkehrsmittel eine wichtige Rolle. Ihre Nutzung scheint mit dem Alter für manche Personen schwieriger zu werden, wie Herr V. beschreibt: »Also, mir ist es mittlerweile vor allem am Wochenende, am Freitag, Samstag in der Nacht, was sich da in den öffentlichen Verkehrsmitteln tut, ist mir das äußerst unangenehm.« (Herr V., 73 Jahre) Die Relevanz
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von öffentlichen Verkehrsmitteln für den Zugang zu oder den Ausschluss von kulturellen Aktivitäten des Ausgehkultursektors wird auch darin erkennbar, dass einige Studienteilnehmer*innen Orte des öffentlichen Verkehrs in ihren Fotos protokollierten (siehe Abbildung 6).
Abbildung 6: Auszüge aus den Fototagebüchern der Studienteilnehmer*innen
Kolland & Gallistl
Dabei werden Unterschiede zwischen jenen Studienteilnehmer*innen mit und jenen ohne intensive Theatererfahrung deutlich: Für Personen, die wenig im Theater sind, scheint es sehr wichtig zu sein, vorab zu wissen, wie sie hinkommen, und diesen Weg auch ohne Ablenkungen verfolgen zu können. So wird beispielsweise eine Studienteilnehmerin sehr stark durch eine Demonstration irritiert, aufgrund derer sie von den öffentlichen Verkehrsmitteln spontan auf ein Taxi umsteigen muss. Dagegen verbindet Frau P. als routinierte Theatergängerin ihren Weg zum Theater noch mit einem Lebensmitteleinkauf und nimmt diesen sogar ins Theater mit (siehe Abbildung 7). Mobilitätspraktiken waren also in Zusammenhang mit einem erfolgreichen Theaterbesuch wesentlich. Wer fernab wohnt, hat einen längeren und aufwendigeren Hinweg zu absolvieren, was mit zunehmendem Alter graduell erschwerend wirken kann. Im Rahmen unserer Untersuchung haben sich
Teil 3: Kulturrepertoires älterer Menschen
Abbildung 7: Auszüge aus den Fototagebüchern der Studienteilnehmer*innen
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beispielsweise Problematiken im Zusammenhang mit zu kurz geschalteten Ampeln (bspw. vor dem Burgtheater) gezeigt wie auch mit Sperrungen aufgrund von Demonstrationen, die eine Umplanung der beabsichtigten Anreise erforderten. Ebenfalls war die Parkplatzknappheit ein Problem. Frau H., die zum Gehen auf einen Stock angewiesen ist, dokumentierte in ihrem Fotoprotokoll ihre Anreise zum Theater. Sie schildert, dass sie Roll-
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treppen versuche zu umgehen, da sie sich auf ihnen nicht sicher fühle. Wann immer möglich, verwendet sie alternativ einen Lift und nimmt dafür auch größere Umwege in Kauf. Um Treppen zu bewältigen, ist sie auf ein Geländer angewiesen oder auf die Unterstützung einer Begleitperson, bei der sie sich einhängen kann. Aus dem Beobachtungsprotokoll der Forscherin geht hervor, was daraus im Zusammenhang mit dem besuchten Theater (Burgtheater) für Probleme erwachsen: »Frau H. könnte nach meiner Ansicht weder die fünf Stufen zum Burgtheater gut allein hinaufgehen, weil sie sich, neben ihrer Gehhilfe – einem Stock – immer noch an einem zweiten Handlauf oder wie an diesem Abend an mir abstützen bzw. festhalten muss. Es gibt vor dem Burgtheater keinen Handlauf, um die Treppen hochzugehen […]. Noch könnte sie die schwere Tür des Burgtheaters öffnen, die nach außen aufgeht und einige Meter hoch ist und vor der ebenso zwei oder drei Stufen sind.« (Beobachtungsprotokoll, Theaterbesuch mit Frau H., 77 Jahre) Diese Barriere zeigt sich auch im Fotoprotokoll von Frau H., in dem sie die schweren Türen des Theaters fotografisch dokumentiert (siehe Abbildung 8).
Abbildung 8: Auszüge aus den Fototagebüchern der Studienteilnehmer*innen
Kolland & Gallistl
Teil 3: Kulturrepertoires älterer Menschen
Die Abbildung aus dem Fotoprotokoll von Frau H. verdeutlicht die für sie nicht gegebene Barrierefreiheit im Zugang zum Burgtheater. Wichtig ist hierbei zu erwähnen, dass dies nicht etwa damit zu tun hat, dass es keinen barrierefreien Zugang gäbe: »Frau H.: Es ist ja lustig, mit dem Aufzug im Burgtheater, man hat müssen ganz schön ein paar Stufen runtersteigen, damit man zum Aufzug kommt und dann rauffahren kann. Frau K.: Ja und wenn du von außen [barrierefreier Eingang des Burgtheaters] reingehst? Von der Seite? […] Frau F.: Ja, das muss man aber wissen, wo er ist.« (Auszug aus der Gruppendiskussion) Für kulturungewohnte Personen mit geringen digitalen Kompetenzen ist dieser Eingang jedoch kaum in Erfahrung zu bringen, weil es hier offensichtlich vor Ort mehr Informationsvermittlung bräuchte, beispielsweise durch Beschilderungen.
5.3
Konsumpraktiken
Der Rückgang der kulturellen Beteiligung im höheren Alter ist zum einen durch Barrieren zu erklären, die ältere Menschen im Zugang zu Kunst und Kultur in institutionellen kulturellen Räumen wie Museen, Theatern oder Konzerthäusern erleben. So zeigen Studien aus Österreich, dass sich die Teilnahme an kulturellen Aktivitäten im Alter nicht generell verringert, sondern aus den Kulturorganisationen in private Räume wie das eigene Zuhause verschiebt und dort etwa durch Lesen, Musikhören oder kreative Betätigung Ausdruck findet (Gallistl, 2021). Zum anderen adressieren Kulturorganisationen und Kulturpolitik ältere Menschen nicht ausreichend als Zielgruppe (de Groote, 2018). Negativ besetzte Schlagwörter wie das »Konzert im Silbersee« (Keuchel, 2009) zeigen auf, dass der Kunst- und Kultursektor die Potenziale des demografischen Wandels (noch) nicht für sich entdeckt hat. Eine solche fehlende Sensibilisierung auf die Bedürfnisse älterer Besucher*innen wurde im Datenmaterial bei der Beschreibung von Barrieren deutlich, die ältere Studienteilnehmer*innen während des Aufenthalts im Theater erlebten. Dies betraf etwa die Barrierefreiheit vor Ort, aber auch die Dauer der Pausen oder die Anordnung der Sitzgelegenheiten. Eine solche Diskrepanz zwischen Angeboten und Anforderungen lässt sich auch in den Daten der vorliegenden Studie nachvollziehen. So zeigen
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sich nicht nur Barrieren im Zugang und in der Anfahrt zu kulturellen Veranstaltungen, auch während der Teilnahme offenbaren sich Hindernisse für ältere Menschen. So war die Praxis des Theaterkonsums mitunter durch bestimmte Regeln organisiert, die die Teilhabe der älteren Studienteilnehmer*innen deutlich erschwerten. Im Folgenden möchten wir auf diese Regeln im Detail eingehen und fassen sie unter dem Begriff der Konsumpraktiken zusammen. Bei diesen Konsumpraktiken spielte erstens die Barrierefreiheit im Theater selbst eine zentrale Rolle. Barrierefreiheit soll allen Menschen unabhängig von Alter, Geschlecht, Behinderung etc. die uneingeschränkte Nutzung von Dienstleistungen, Einrichtungen und Gegenständen ohne fremde Hilfe im täglichen Leben ermöglichen: »Barrierefreiheit ist essentiell für 10 Prozent der Bevölkerung, notwendig für 40 Prozent der Bevölkerung und komfortabel für 100 Prozent der Bevölkerung.« (BMASK, o.J., S. 4) Vor dem Hintergrund dieser Definition kann besser deutlich gemacht werden, wie Institutionen– bewusst oder unbewusst – den Zugang älterer Menschen regulieren, was im Folgenden an Treppen, fehlenden Geländern, mangelnder Akustik und Sicht sowie Sitzkomfort belegt werden kann. So ist, wie zuvor dargelegt, nicht nur der Zugang zu Theatern nicht für alle Menschen gleich, auch innerhalb des Gebäudes ist die Barrierefreiheit nur teilweise, nämlich in Bezug auf Rollstuhlplätze, vollständig umgesetzt (siehe hierzu beispielsweise: https://www.burgtheater.at/de/service/barrierefrei/barrierefrei-im-burgt heater-zugaenge/), wie im Rahmen der Besuche dort aufgefallen ist: Um zum Lift zu kommen, mit dem man in andere Geschosse gelangt, müssen (einige wenige) Stufen überwunden werden; außerdem ist der Weg zum Lift nicht intuitiv erfassbar, wie folgender Auszug aus einem Beobachtungsprotokoll verdeutlicht: »Wir gehen zu der Billeteurin, die unsere Karten ansieht und sagt, dass wir zu dem Lift beim Vestibül gehen sollen ›Hinunter, nach rechts, nochmal nach rechts‹ (zu dem wir vorher nicht gehen konnten, nach meiner bisherigen Auskunft). Wir gehen dann die Stufen mit Handlauf wieder hinunter bis zum Ende des langen Vorraums des Theaters, wo wir über zwei Stufen (mit Handlauf) hinaufgehen und dann einen recht engen Gang Stufen hinunter, wo ein laminierter Zettel in einer Serifenschrift hängt mit der Aufschrift ›Lift‹ und einem Pfeil darunter, der das Treppenhaus hinunterweist. [Frau H.] hantelt sich am Handlauf entlang und wir kommen in einen kleinen Theatersaal und biegen nach links ab, wo uns einige Männer in meinem Alter fragen: ›Zum Lift? Nach rechts hinunter.‹« (Beobachtungsprotokoll, Theaterbesuch mit Frau H., 77 Jahre)
Teil 3: Kulturrepertoires älterer Menschen
Frau P. erlebt ebenfalls solche Barrieren in ihrer Praxis des Kulturkonsums. Um zu ihrem Platz zu gelangen, muss sich auch Frau F. an den Sitzreihen entlanghangeln, da es kein Geländer gibt – dabei behindern sie durch die schmale Sitzanordnung andere Personen in ihrem Fortkommen. Im Theater in der Josefstadt fallen die schweren Eingangstüren auf, die selbst für die Forscherinnen nicht ohne Krafteinsatz zu öffnen sind: »Ich trete durch eine Tür in das Foyer ein. Für das Öffnen der Tür muss man Kraft aufwenden. Außerdem muss man einen Knauf in eine bestimmte Richtung drehen, um sie aufzubekommen. Auch beim Hinausgehen fällt mir später wieder auf, wie schwergängig das geht. Um von draußen bis zum Platz zu kommen, muss man mehrere zum Teil schwergängige Türen passieren.« (Beobachtungsprotokoll, Theaterbesuch mit Frau P., 62 Jahre) Ähnlich ist es mit der Sicht und der Akustik im Theater, die in den Interviews häufig bemängelt wurden. Zentral am Theaterbesuch ist, die Vorstellung visuell und akustisch zu verfolgen, auch um anschließend darüber sprechen zu können, wenn man das möchte. Wenn der Inhalt des Stückes von den Studienteilnehmer*innen nicht gut gesehen und gehört werden konnte, weil beispielsweise der Text für jemanden mit schlechtem Hörvermögen zu schnell oder zu leise gesprochen wurde oder die Plätze von der Bühne zu weit entfernt waren, so wurde das thematisiert. Frau H. meint im folgenden Zitat, dass sie aufgrund der für sie relevanten akustischen Barriere lieber andere Kulturformen wahrnehmen würde. »Mir ist lieber Opern als Theater, ja, ist mir lieber, ja. Weil da muss ich nicht unbedingt den Text verstehen.« (Frau H., 77 Jahre) Als wichtiger Aspekt für den Theaterbesuch wird auch die gute Bühnenausstattung beschrieben: »Und gute Bühnenausstattung. Ja, wo man das auch alles gut sieht und hört, auch wenn man in der hintersten Reihe sitzt.« (Frau P., 62 Jahre) Schlechte Beleuchtung in Verbindung mit einem zu dunklen Boden beispielsweise erschweren die Orientierung im Raum. Grundsätzlich zeigten sich in den Daten mehrere Umstände, die zusammengenommen den Theaterbesuch für ältere Menschen umständlich und damit anstrengend machen. So gibt es in manchen Theatern keine festen Sitzplatzkarten, sondern die Besucher*innen sind aufgefordert, sich bei freier Platzwahl selbst zu organisieren. Herr T. (78 Jahre) meint dazu, dass er feste Sitzplätze bevorzuge, weil es ihm bei freier Platzwahl »am Anfang immer zu unruhig« (Beobachtungsprotokoll, Theaterbesuch mit Herrn T.) sei. Herr T. schildert hierzu außerdem, dass es umständlich sei, zu seinem Platz zu gelangen und dieser meist zu eng sei. Das behindere ihn auch, wenn er während
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der Vorstellung auf die Toilette müsse. Erschwerend bei freier Platzwahl komme die Unsicherheit hinzu, einen Platz am Rand zu bekommen, von dem aus die Vorstellung zwischendurch verlassen werden könne: »Es ist ungut dort im Theater, bis ich erstens meinen Platz gefunden habe, die sind ein bisschen umständlich schon, die Leute dort, ja. Und dann dort muss ich so eng sitzen, dann muss ich womöglich aufs Klo und kann nicht raus, während der Vorstellung, und so weiter. Also das sind dann die Befindlichkeiten, die mit dem zunehmenden Alter auftreten, nicht?« (Herr T., 78 Jahre) Während der Vorstellung eine Toilette aufsuchen zu müssen, wird von den Studienteilnehmer*innen öfter als unpassend beschrieben. Es werden deshalb Maßnahmen ergriffen, damit es nicht dazu kommt. Die erfordern Vorbereitung, wie bei Frau F. deutlich wird, die ihr Essverhalten im Vorhinein auf den Theaterbesuch abstimmen muss. In dem folgenden Zitat von ihr wird deutlich, wie die verschiedenen Schwierigkeiten in ihrem Zusammenspiel älteren Besucher*innen »die Lust« am Theaterbesuch nehmen: »Und weil es ja auch gesundheitlich die Einschränkungen bei mir gibt. Ich darf so eine gewisse Zeit vorher nicht mehr essen, sonst renne ich dauernd aufs Klo und so weiter. Also, das sind alles Einschränkungen, die dir dann die Lust irgendwo nehmen.« (Frau F., 71 Jahre) Außerdem wird eine Pause als angenehm beschrieben, weil Bedürfnisse wie das Aufsuchen von Sanitäranlagen oder »frische Luft schnappen« unkompliziert gefolgt werden kann: »Es war ohne Pause, eine kurze Pause hätte mir, wäre ganz angenehm gewesen, mit einem Schluck frische Luft, weil ja die Luft doch sehr abgestanden war drinnen, muss ich gestehen. Vor allem, wenn man ein bisschen Atemnot hat.« (Frau F., 71 Jahre) Diese Ergebnisse verdeutlichen, welche Relevanz Aspekte der Barrierefreiheit für ältere Besucher*innen bei den gemeinsamen Theaterbesuchen haben. Obwohl keine*r der Studienteilnehmer*innen eine körperliche Behinderung aufwies, machten die impliziten Regeln des Theaters es für viele von ihnen schwierig, sich dort wohlzufühlen – weil Sitzgelegenheiten zu ungemütlich, Gänge zu eng oder Stufen zu schwer zu erreichen waren. Diese Hürden, die zwar von unseren Studienteilnehmer*innen meist überwunden werden konnten, führten aber doch dazu, dass Theater als nicht richtiger Ort für ältere Körper wahrgenommen wurde. Die körperlichen Veränderungen, die sich mit dem Alter ergeben, wurden als unpassend im Theater interpretiert. Deutlich wurde auch, dass für ältere Theatergänger*innen ein beachtliches Ausmaß an Körperarbeit (Gimlin, 2007) nötig war, um den Theaterbesuch als erfolgreich erleben zu können. So berichteten viele Studienteilneh-
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mer*innen, vor dem Theaterbesuch zu rasten, um später nicht einzuschlafen, ihre Haare und Körper für die Gelegenheit zu waschen oder ihre Essund Trinkgewohnheiten so anzupassen, dass ein Besuch des Theaters über mehrere Stunden möglich war. Im Weiteren werden jene Barrieren beschrieben, die sich auf dem Weg vom Theater nach Hause ergeben. Sie sind speziell in Kombination mit der Uhrzeit relevant, zu der Theatervorstellungen normalerweise stattfinden. Die Großzahl findet abends statt, woraus für ältere Menschen ein Hindernis erwachsen kann. Nicht nur, weil Uhrzeit und Dauer unter Umständen mit dem Tagesrhythmus kollidieren, sondern auch, weil ein spätes Ende je nach Jahreszeit einen Heimweg im Dunkeln mit sich bringen kann. Der Hinweg zum und der Rückweg vom Theater wurden auch in den Fotoprotokollen der Studienteilnehmer*innen häufig dokumentiert (siehe Abbildung 9). Frau W. beispielsweise hat sich ihr Theaterstück primär nach der Dauer ausgesucht (Ende gegen 21 Uhr), da sie nicht zu spät nach Hause kommen wollte. Frau H., deren Zuhause abends schlecht ans öffentliche Netz angebunden ist, ist auf eine Taxifahrt angewiesen, um einigermaßen komfortabel heimzukehren und nicht im Dunkeln nach Hause gehen zu müssen. Nachts sei bei ihr niemand mehr auf der Straße unterwegs. Es wird aus ihren Schilderungen deutlich, dass sie Wege vermeidet, sobald es draußen dunkel ist. Frau K. (75 Jahre) sagt dazu: »Ich wohne am Ende der Welt.« Ihr Wohnhaus befindet sich am Stadtrand von Wien, entsprechend muss sie für Hin- und Heimweg eine gewisse Zeit einkalkulieren. Wenn sie weiß, dass sie erst spät nach Hause kommt, nutzt sie ihr Auto – aus ihren Schilderungen geht hervor, dass sie nachts im Dunkeln Angst hat, die zehn Minuten Fußweg von der Busstation ohne Begleitung nach Hause zu gehen, da sie in der Vergangenheit auf diesem Weg bereits belästigt wurde. Frau S. hat Strategien entwickelt, wie sie sich auf dem Heimweg sicherer fühlen kann: Sie geht »flotten Schrittes«, setzt sich im Bus in die Nähe des Fahrers, schaut sich in der U-Bahn genau ihr Umfeld an und greift im Zweifel auf ein Taxi zurück, wenn sie sich in Räumen bewegt, die zu wenig belebt sind. Wie auch die Organisation des Hinwegs ist das Zurückkehren nach Hause mit vielen Abwägungen verbunden. Unsere Daten konnten zeigen, dass Erwartungssicherheit ein wesentlicher Faktor für eine gelungene kulturelle Teilhabe ist. Dies zeigt sich nicht nur im Hinblick auf die Situation, wie sie im Theater vorgefunden wird, sondern sehr zentral auch für das eigene Sicherheitsempfinden beim Heimweg.
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Abbildung 9: Auszüge aus den Fototagebüchern der Studienteilnehmer*innen
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5.4
Bewertungspraktiken
Der Theatergeschmack kann als eine Art symbolische Barriere verstanden werden, die auf der Interpretation des dargestellten Kunstwerkes als gut oder schlecht oder auf bestimmten Geschmackspräferenzen beruht. Dies ist deswegen relevant, weil es für die Studienteilnehmer*innen in der Bewertung des Stückes eine zentrale Erzählfigur war, wie sich das Theater über ihren Le-
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benslauf verändert habe. Es tauchte in den Interviews häufig die Aussage auf, dass die Form des Theaters, wie sie derzeit auf den Bühnen gezeigt würde, nicht (mehr) dem Geschmack der älteren Bevölkerung entspreche. Für Pierre Bourdieu (2015) ist Geschmack mehr als die Bewertung eines Artefakts als schön oder weniger schön, kunstvoll oder stilvoll, sondern ein gesellschaftlich konstruiertes Auswahl- und Klassifikationssystem, mit dem sich soziale Gruppen voneinander unterscheiden. Geschmack ist für ihn ein »Auswahlprinzip für alles, was man hat, Personen wie Sachen, d.h. für alles, was man für die anderen ist, für alles, womit man sich selbst klassifiziert und klassifiziert wurde.« (Bourdieu, 2015, S. 275) Die Aufteilung der Gesellschaften in unterschiedliche Gruppen, die durch soziale Ungleichheiten produziert und reproduziert wird, findet damit für Bourdieu auch über geschmackliche Urteile statt. Gesellschaft stratifiziert sich über Geschmack und teilt damit die Bevölkerung in unterschiedliche geschmackliche Gruppen: »Der Gesellschaftsprozess ist ein System von geschmacklichen Differenzen, die sich aufgrund des Besitzes von ökonomischem Kapitel, Macht, Prestige, sozialer Stellung, je nach Fall, positiv oder negativ auswirken.« (S. 288) In diesem Sinne findet die Stratifikation in ältere und jüngere Altersgruppen nicht nur über biologische, kalendarische oder soziale Differenzen statt, sondern auch durch unterschiedliche Geschmacksmuster. Neben der Analyse der geschmacklichen Differenzen ist eine zweite wichtige Frage, welcher Geschmack als legitim und welcher als illegitim angesehen wird. Hier geht Bourdieu davon aus, dass sich geschmackliche Urteile nicht einfach nur unterscheiden, sondern in ein gesellschaftliches »Oben« und ein gesellschaftliches »Unten« eingeteilt werden können. Eine wichtige Aufgabe bestehe deswegen darin, zu bestimmen, wer legitimen Geschmack definiert. Die Bewertung und Legitimierung von Kunst als gut oder schlecht, als passend oder unpassend sei damit ein zentrales Kriterium der Macht. Herrschaft heißt in diesem Sinne vor allem Benennungsmacht, also einen autoritären Standpunkt in der Gestaltung von Kunst einnehmen zu können. Die Gesellschaft ist damit nicht (nur) strukturell, sondern auch symbolisch geordnet in jene Gruppen mit legitimem und jene mit illegitimem Geschmack (MüllerJentsch, 2012). Wie beurteilten nun unsere Studienteilnehmer*innen die Inszenierungen, die in den besuchten Veranstaltungen gezeigt wurden? Obwohl alle Teilnehmer*innen unterschiedliche Stücke in unterschiedlichen Häusern sehen konnten, fanden sich in den Daten auch Geschmacksurteile, die die älteren unabhängig vom dargebotenen Stück äußerten. Die Beschreibungen beschäf-
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tigten sich häufig damit, dass im heutigen Theater eine brachiale Sprache und verstärkt sexualisierte Szenen gezeigt würden. Dies führte nicht selten zu einer Irritation, die so weit gehen konnte, dass sie zu einer konkreten Barriere für einen Theaterbesuch wurde. Herr T. beschreibt hier etwa in der Gruppendiskussion, dass viele seiner Bekannten nicht mehr ins Theater gehen würden, weil sie die dort gezeigten Inszenierungen als unpassend empfanden: »Dann gibt’s noch einen Grund [warum man nicht ins Theater geht], den ich in den letzten Tagen aus meinem Bekanntenkreis erfahren hab. Nämlich, dass die Stücke ihnen zu modern sind. Die Ausdrucksweise der Stücke, […] es [müssen] heute vorkommen Schlagwörter, die die Jungen beeindrucken […]. Ich sage es ganz brutal und offen, es wird über Scheiße gesprochen und es wird offen über Sex [gesprochen] und so weiter, ja. Das ist etwas, was in meinem Bekanntenkreis viele stört, wirklich viele, ja.« (Auszug aus der Gruppendiskussion) Das Unbehagen, das Herr T. hier beschreibt, wurde häufiger in den Interviews geäußert. Früher sei das Theater »lieblicher« (Frau W.) gewesen und weniger modern. Gemeint war damit häufig eine gewisse Härte, die mit der heutigen Zeit verbunden wurde und sich vor allem dadurch ergab, dass nun jüngere Altersgruppen vom Theater angesprochen werden sollen. Diese Einschätzung zog sich durch unsere Interviews. In manchen Fällen war die Bewertung sogar so stark, dass Vorstellungen vorzeitig verlassen wurden (Herr V.), was als Verweigerung bestimmter Inszenierungsformen, aber auch als Protest gegen die Orientierung an einem jüngeren Publikum interpretiert werden kann. »Es hat sich auch da sehr viel verändert, weil früher hat man wirklich Theater gespielt. Nur Theater gespielt und da ist sehr viel Wert auf Kulissen gelegt worden. Heute – keine Kulissen, minimal. Zwei oder drei Leute meistens auf der Bühne, [und] die sprechen so leise, dass man da hinten fast nichts mehr hört.« (Frau P., 62 Jahre) Eine stärkere Betonung von Sexualität, Freizügigkeit und Minimalismus wurden immer wieder als wichtiges Charakteristikum von heutigen Inszenierungen dargestellt, die von älteren Menschen als geschmacklos empfunden wurden. Eine weitere Kategorie stellt die Verbindung dieser geschmacklichen Differenzen als kein »echtes« Theater dar. Früher, so beschreibt es Frau P., wäre »wirklich Theater gespielt« worden, während heute verstärkt auf ein reduziertes Bühnenbild und wenige Schauspieler*innen gesetzt würde. »Als auch das Ambiente [ist] minimal, dass das viele abstößt. Und [die] sagen nein, da
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finde ich keinen Bezug mehr. Da kann ich mir nichts vorstellen darunter.« (Herr T., 78 Jahre) Diese geschmacklichen Differenzen zwischen Jüngeren und Älteren, die von den Studienteilnehmer*innen wahrgenommen wurden, führten dazu, dass eine stärkere Distanz zu kulturellen Aktivitäten eingenommen wurde, die im Weiteren zu einer Barriere für Kulturkonsum werden konnte. Herr T. beschreibt im obigen Zitat, dass es aus diesem Grund für ihn häufig nicht möglich wäre, einen »Bezug« zum Theater herzustellen, das heißt das dort Gesehene mit der eigenen Lebenswelt zu verbinden, was ein wichtiger Teil des Kulturkonsums ist. Es wird deutlich, dass diese symbolischen Aspekte damit nicht nur auf einer ideellen Ebene relevant sind, sondern durchaus zu manifesten Zugangsbarrieren zu Kulturaktivität werden können. Wer hat nun die Autorität, über »gutes« und »schlechtes«, »geschmackvolles« und »geschmackloses«, »echtes« und »unechtes« Theater zu bestimmen? Die Geschmacksurteile in den Interviews mit älteren Studienteilnehmer*innen waren häufig sehr ausgeprägt, indem deutlich gemacht wurde, dass moderne Inszenierungen nicht den eigenen geschmacklichen Präferenzen entsprechen. Dennoch wurde in den Interviews auch deutlich, dass sich ältere Menschen in einer Randposition wahrnehmen. Wer im Theater bestimme, was gespielt werde, so wurde häufig geschildert, seien vor allem junge Konsument*innen und junge Theaterschaffende, die anderen geschmacklichen Urteilen folgen würden. In der Gruppendiskussion gaben die Studienteilnehmer*innen deutlich zu verstehen, dass sich die zuvor als negativ beschriebenen Veränderungen im Theater vor allem dadurch ergeben hätten, dass ein junges Publikum angesprochen werden sollte: »Interviewerin: Haben Sie eine Idee, warum sich das verändert hat? Also warum ist das Theater jetzt anders, als es früher war? Herr T.: Moderne Zeiten, sie wollen sich anpassen der Jugend. Frau S.: Neue, junge Intendanten.« (Auszug aus der Gruppendiskussion) Inwiefern diese Interpretationen von unterschiedlichen Präferenzen in Stil und Methode des Theaterspiels nach Altersgruppen der Realität entsprechen, sei für die Analyse des vorliegenden Materials dahingestellt. Sehr deutlich wird durch diese Narrative zu Geschmacksdifferenzen der Eindruck der Interviewten unterstützt, dass die Räume des Theaters nicht auf die Bedürfnisse älterer Zuschauer*innen zugeschnitten seien. Dies äußerte sich über die oben beschriebenen Barrieren in der Vorbereitung, Durchführung und
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Nachbereitung des gemeinsamen Theaterbesuchs und wurde von den Studienteilnehmer*innen um die symbolische Komponente erweitert. Dadurch verstärkte sich der Eindruck, dass ältere Besucher*innen keine Hauptzielgruppe von Theatern darstellen und ihre Bedürfnisse im Theater deswegen an den Rand gestellt werden. Diese Einschätzung zeigt sich auch in der Zielgruppenanalyse in Kunst- und Kulturbetrieben in Österreich, in denen die Bedürfnisse älterer Menschen kaum eine Rolle spielen (siehe Teil 5).
6.
Fazit
Zu diesem dritten Teil des Buches, den Kulturrepertoires älterer Menschen, soll hier zunächst Karl-Heinz Reuband (2017) zu Wort kommen, der die Kultur in einer paradoxen Situation sieht: »Die Kultur genießt in Deutschland eine derart hohe Wertschätzung und finanzielle Förderung wie kaum in einem anderen Land. Doch das Wissen um die Adressaten der Kulturangebote – das Kulturpublikum – ist rudimentär. Man weiß wenig über dessen soziale Zusammensetzung, kulturelle Interessen und Praktiken. Und man weiß nicht, wie sich diese im Lauf der Zeit verändert haben. Besuchsstatistiken, die am häufigsten als Indikator für die Kulturnutzung dienen, helfen hier nicht weiter: Sie geben lediglich Auskunft über die Zahl der Besuche, nicht der Besucher. Und sie erlauben keine Aussagen über das Sozialprofil des Kulturpublikums.« (S. 78) Dieser Teil hat sich mit dem Kulturpublikum befasst bzw. den kulturellen Repertoires älterer Menschen und dabei herausgearbeitet, dass diese Repertoires an bestimmte Kunstfelder gebunden sind. Das heißt, es gibt nicht das Kulturpublikum an sich, sondern das Musik-, das Theater-, das Konzertpublikum mit je spezifischen Regeln und Strukturen. Daneben wurde deutlich, dass die Akteur*innen über eine gesteigerte Expressivität ihren Charakter und ihre Individualität zum Ausdruck bringen wollen. Schließlich, um auf das Zitat von Karl-Heinz Reuband zurückzukommen, liegt ein wesentlicher Fokus auf der Herausarbeitung des Sozialprofils des Kulturpublikums in der nachberuflichen Lebensphase. Bevor noch die Ergebnisse beleuchtet werden, soll ein Blick auf die Publikation zu den »Kulturstilen älterer Menschen« (Kolland, 1996) geworfen werden. Am Schluss dieses Buches wurde resümierend festgestellt, dass das Alter in Bezug auf kulturelle Aktivitäten eine »leere Variable« ist, das heißt, ge-
Teil 3: Kulturrepertoires älterer Menschen
fundene alterskorrelierte Zusammenhänge beruhen meist auf Faktoren wie Gesundheit, Bildung und Einkommen. »Alter ist eine Indikatorvariable, d.h., sie indiziert die Summe der vorlaufenden Einflüsse und Erfahrungen auf den Menschen. Als physikalische Variable bewirkt sie allein nichts. Wenn es also altersparallele Verläufe gibt, dann ist nicht das Alter die Ursache, sondern die physiologischen und sozialen Einflüsse, die in bestimmten Zeiten auf Menschen bestimmten Alters wirken.« (S. 289) In einem zweiten Punkt wird aus den Forschungsergebnissen 1996 ein Strukturwandel für die Zukunft prognostiziert, und zwar dann, wenn Geburtenjahrgänge ins Alter kommen, die nicht mehr generell durch Anspruchslosigkeit, Bescheidenheit und Sparsamkeit gekennzeichnet sind, sondern durch günstige wirtschaftliche Bedingungen während ihrer Kindheit und Jugend. »Sie werden«, so die Einschätzung, »eine stärkere Konsumorientierung, ein weites Spektrum an Bedürfnissen und überhaupt ein hohes und ständig wachsendes Anspruchsniveau erworben haben.« (S. 291) Ein Vierteljahrhundert später lassen sich auf Basis der hier vorgestellten quantitativen und qualitativen Studien teilweise die Annahmen und Prognosen in Richtung eines Wandels der Sozialfigur bestätigen: Alte Menschen zeigen eine deutliche höhere kulturelle Teilhabe, die ihre Ursache im gestiegenen Bildungsniveau hat. Damit kann erneut der Einfluss des Alters als wesentliche Ursachenvariable für kulturelle Aktivitäten zurückgewiesen werden. Teilweise zeigt sich aber auch eine – fast möchte man sagen: hartnäckige – Persistenz jener Sozialfigur, die schon vor 25 Jahren beschrieben wurde. Es geht um die sozialen Ungleichheiten in jenen Bereichen kultureller Teilhabe, die stark vom Einkommen, der Wohnortanlage und dem kulturellen Habitus abhängig sind. So geben Personen mit einem kulturellen Habitus in Richtung der sogenannten hochkulturellen (Konsum-)Kultur deutlich häufiger an, dass Kunst und Kultur einfach zu ihrem Leben dazugehören, dass sie an Kultur teilnehmen, weil sie das schon immer gemacht haben. Jene Älteren, die einen kulturellen Habitus haben, der stärker mit Vergesellschaftung und Unterhaltung verknüpft ist, finden dagegen kaum Zugang zur Hochkultur. Für sie sind die zu diesem Bereich gehörenden Theater, Konzerte, Ausstellungen usw. mit hohen Zugangs- und Konsumbarrieren versehen, und das, obwohl diese Kulturangebote erhebliche öffentliche Mittel und finanzielle Unterstützung bekommen. Wenn von einem Einfluss des Alters auf die kulturelle Teilhabe gesprochen werden kann, dann bei der räumlichen Verortung: Die Studienergebnisse zei-
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gen, dass bei den Befragten vor allem die wohnortnahe Ausgehkultur eine wichtige Rolle spielt. Insgesamt bringt die Datenanalyse in Hinsicht auf die soziodemografischen Einflussfaktoren eine Art Hierarchiemodell zutage: In der Ausgehkultur können 28 Prozent der Varianz durch den sozialen Status erklärt werden, in der Heimkultur (Lesen, Mediennutzung etc.) sind es 22 Prozent und bezüglich kreativer Tätigkeiten (z.B. Heimwerken, Gärtnern etc.) ist der Einfluss des Sozialstatus mit fünfzehn Prozent Varianz am geringsten. Auffällig ist ein Ergebnis, das im Vergleich zu jenem von Kapitel 5 überrascht: Während (professionelle) Künstler*innen sehr stark die Öffentlichkeit suchen, um ihre Werke zu präsentieren und zu diskutieren, bewegen sich die Tätigkeiten der Laienkünstler*innen vorwiegend im privaten Raum. Entziehen sich damit kreative Gestaltungsprozesse in der privaten Lebenswelt Vermarktungs- und Bemächtigungstendenzen? Wird damit im Alter eine unbekümmerte späte Freiheit möglich? Der Vergleich der beiden Studien in den Kapiteln 1 und 2 lässt vermuten, dass für Personen in der nachberuflichen Lebensphase, die über ihr künstlerisches Tun mit Verwertbarkeit und Anerkennung durch Fachexpert*innenkreise rechnen, deutlich mehr Stolpersteine und Konflikte vorhanden sind.
Teil 4: Kulturelle Exklusion im Alter
Die Rezeption und Produktion von Kunst und Kultur haben einen vielfältigen und teils widersprüchlichen Platz in den Lebenswelten älterer Menschen. In Teil 3 dieses Buches wurde gezeigt, dass Kunst und Kultur als Teilhaberaum im Alter funktionieren können: Die älteren Konsument*innen, die in der Studie untersucht wurden, erlebten Kulturräume als Orte des Sinns, der Zugehörigkeit und der sozialen Anerkennung. Kunst und Kultur als gesellschaftlicher Ort der Expressivität erlaubt es den handelnden Akteur*innen, ihre »individuelle Wesenheit« (Köhler Stüdeli, 2015, S. 23) und ihre »Fähigkeit, sich abgrenzen zu können« (Köhler Stüdeli, 2015, S. 39), in einem kollektiven Raum zu erleben und darüber Abgrenzungs-, Distinktions- und letztlich Individualisierungserfahrungen zu machen. Durch kulturelle Teilhabe im Alter wird die Ausformung von kulturellen Identitäten im späteren Leben, »eine durch Zusammenleben und Kommunikation mit anderen Menschen erworbene, gelernte, übernommene, angeeignete und geteilte Erfahrung« (Assmann, 2004, S.5) möglich gemacht. Kunst und Kultur tragen durch Prozesse der Identifikation und Distinktion zur Gestaltung von Identität und Zugehörigkeit im Alter bei. Mit diesen Identitätsprozessen, die durch Kunst und Kultur geschaffen werden können, gehen aber auch Distinktions- und Abgrenzungsprozesse einher. Kunst und Kultur ist im Alter damit nicht nur ein Teilhaberaum, sondern potenziell auch ein Raum, in dem und durch den Exklusionsprozesse erlebt werden. Die Orte der kulturellen Selbstvergewisserung, die der Kunstund Kultursektor für ältere Menschen zur Verfügung stellt, sind damit auch Orte der Konstituierung von gesellschaftlicher Ungleichheit (sog. Distinktion, Bourdieu, 1979), der Aufrechterhaltung bzw. Legitimierung von symbolischer Macht und des sozialen Ausschlusses. Auf einer individuellen Ebene, so führt es Pierre Bourdieu in seiner »Soziologie der symbolischen Formen« (1974) aus, ist zu berücksichtigen, dass jedes Kunstwerk, jede Darstellung von Kunst und
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Kultur bestimmte Bedeutungen enthält, zu deren Entschlüsselung es ein Maß an Bildung und kultureller Kompetenz braucht. Im Mittelpunkt einer solchen ungleichheitstheoretisch informierten Perspektive auf Kunst und Kultur im Alter stehen also die symbolischen Herrschaftsformen, die durch Kunst und Kultur (re-)produziert werden. Kunst wird verstanden als ein subtiles Mittel zur (Re-)Produktion und Stabilisierung sozialer Ungleichheit, das neben Formen der Anerkennung (kulturelle Teilhabe) auch immer Formen der Abwertung und des Verkennens (kulturelle Exklusion) beinhaltet. Nachdem sich dieses Buch bislang mit der Teilnahme und Teilhabe an Kunst und Kultur durch ältere Künstler*innen (Teil 2) und ältere Konsument*innen (Teil 3) beschäftigt hat, stehen in diesem Teil nun Prozesse der kulturellen Abwertung und der kulturellen Exklusion im Alter im Zentrum. Dafür werden im Folgenden Forschungsergebnisse zusammengefasst, die sich mit der Nichtteilhabe bzw. dem Ausschluss von älteren Menschen aus den Teilhabebereichen Kunst und Kultur auseinandersetzen. Gleichzeitig wird gefragt, wie in Positionen gesellschaftlicher Exklusion im Alter, etwa bei Menschen, die in Altersarmut leben, eine Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur stattfindet und welche Subjektivierungsprozesse dadurch initiiert werden. Dafür nimmt dieser Teil drei zentrale Schritte: Zunächst werden Forschungsergebnisse zum kulturellen Ausschluss älterer Menschen dargestellt, das bestehende Wissen zu diesem Themengebiet aufgearbeitet und theoretisch in der kunst- und kultursoziologischen Ungleichheitsforschung verortet. In einem zweiten Schritt wird die Datenbasis des Projektes »Kulturelle Exklusion älterer Menschen in Wien« (2019-2021, finanziert durch den Hochschuljubiläumsfonds der Stadt Wien) dargestellt, in dem narrative Interviews mit älteren Menschen geführt wurden, die als ökonomisch exkludiert verstanden werden können. In einem dritten Schritt werden die Ergebnisse der Interviews dargestellt und es wird diskutiert, welche vielfältigen Zusammenhänge zwischen ökonomischer und kultureller Exklusion bei den interviewten älteren Menschen bestehen und welche Interventionen möglich sind, um diese doppelten Exklusionsprozesse im Alter zu unterbrechen.
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Kulturelle Exklusion im Alter
Wie steht es nun mit dem Wissen der Gerontologie und Alter(n)sforschung zu Prozessen und der Bedeutung der kulturellen Exklusion im Alter? Dazu muss zunächst Klarheit in den hier verwendeten Begriff der »kulturellen Exklusi-
Teil 4: Kulturelle Exklusion im Alter
on« gebracht und danach gefragt werden, wie er sich zum Alter(n) verhält. Neben einer Begriffsklärung werden im Folgenden darauf aufbauend Thesen zur kulturellen Exklusion im Alter auf Basis von aktueller Forschungsliteratur und empirischen Ergebnissen formuliert. Themen rund um die Teilhabe und Teilnahme an Kunst und Kultur im höheren Lebensalter wurden in der Gerontologie immer wieder untersucht, allerdings bislang vor allem aus therapeutischen bzw. interventionistischen oder kulturwissenschaftlichen Perspektiven, die nur selten eine Frage nach Exklusionsprozessen gestellt haben (siehe Teil 1 dieses Buches). Therapeutische bzw. interventionistische Forschung zur kulturellen Teilhabe legte den Fokus lange auf die positiven Effekte der Einbindung in Kunst und Kultur im Alter. So zeigt sie etwa auf, welche positiven Effekte sich durch die aktive Einbindung in Kunst und Kultur für die Lebensqualität, das Wohlbefinden, die subjektive Gesundheit oder das subjektive Altersbild im späteren Leben ergeben (für Reviews siehe Fraser et al., 2015; Bernard & Rickett, 2016). Obwohl also die positiven Effekte der Teilhabe sowohl an produktiver als auch an rezeptiver Kultur im Alter gut belegt sind, zeigen Studien mit repräsentativen Survey-Daten für den europäischen Kontext immer wieder, dass sich die kulturelle Teilhabe in den höheren Altersgruppen verändert bzw. bei bestimmten, vor allem hochkulturellen Kulturformen deutlich verringert und dadurch auch Exklusionsprozesse stattfinden (Gallistl, 2021). Europäische Studien weisen darauf hin, dass zwar die 45- bis 54-Jährigen in den meisten europäischen Ländern eine kulturell hochaktive und im Vergleich zur Gesamtbevölkerung sogar überdurchschnittlich kulturaktive Gruppe sind (Toepoel, 2011), sich die kulturelle Teilhabe nach einem Alter von 55 Jahren allerdings deutlich verringert (Falk & Katz-Gerro, 2015). Anzunehmen ist also ein U-förmiger Zusammenhang zwischen Alter und kultureller Teilhabe: Während im höheren Erwachsenenalter die Kulturaktivität mitunter intensiviert wird, nimmt sie im späteren Leben und der nachberuflichen Phase wieder ab. Ältere Menschen sind doppelt so häufig Nichtbesucher*innen (Renz, 2016) als Jüngere, die mit einer Wahrscheinlichkeit von zwei bis fünf Prozent zur Gruppe der »Kultur-Inaktiven« zählen (Schönherr & Oberhuber 2015, S. 40f.). Auch Langzeitstudien zeigen, dass insbesondere Menschen im höheren Alter (80+) kulturell wenig aktiv sind, und dies trifft vor allem auf jene zu, die im Alter in Armut oder Armutsgefährdung leben, geringere Bildungsabschlüsse haben, gesundheitlich eingeschränkt oder von eingeschränkter Mobilität betroffen sind (Jivraj, Nazroo & Barnes, 2012).
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Es sind einerseits sozialstrukturelle Barrieren und Ungleichheitsmuster, die den kulturellen Ausschluss älterer Menschen bedingen, andererseits fehlende Unterstützungs- oder Vermittlungsangebote. Zudem haben Infrastruktur, Angebotslage und Vermittlungspraktiken Einfluss auf die Teilhabeund Aneignungsmöglichkeiten älterer Menschen an Kunst und Kultur. Ist das Umfeld strukturell eher geschwächt (z.B. im ländlichen Raum oder in äußeren Stadtteilen), geraten die Möglichkeiten kultureller Teilhabe an ihre Grenzen (Jivraj, Nazroo & Barnes, 2012; Gallistl, 2021). Die Alterung der Gesellschaft macht auch die Stärkung des Nahraums in Bezug auf kulturelle Teilhabe notwendig, insbesondere dort, wo schlechtere sozialräumliche Rahmenbedingungen bestehen, zum Beispiel durch eine mangelhafte Infrastruktur (Lauterbach-Dannenberg, 2019). Studien der kulturwissenschaftlichen Alter(n)sforschung oder der Kulturgerontologie liegt mitunter ein bedeutungs- oder wissensorientierter Kulturbegriff zu Grunde (Twigg & Martin, 2015a; Twigg & Martin, 2015b; Gallistl & Wanka, 2021). Dabei deuten solche Studien eher einen differenz- bzw. institutionalistischen Kulturbegriff an (siehe Teil 1), der die Kultur als spezialisiertes, institutionalisiertes Subsystem von Gesellschaften sieht, in denen die Produktion und der Konsum von Kunst im Vordergrund stehen. Während der instrumentelle Kulturbegriff für die Verengung der Kultur auf eine ganz bestimmte, nämlich interventionistische Handlungsform kritisiert wurde, der die Rahmenbedingungen von Kunst und Kultur vernachlässigt, richtet sich der institutionelle Kulturbegriff genau auf diese Rahmenbedingungen. Kunst und Kultur können als gesellschaftlich institutionalisierte (Sub-)Systeme verstanden werden, die für die Produktion und den Konsum ästhetischer Werke wirkmächtig sind. Dabei werden die Institutionen des Kunst- und Kultursektors sowie die Kulturpolitik in den Blick genommen und es wird aus einer ungleichheitssensiblen Perspektive nach Ungleichheiten und Barrieren im Zugang zu ihnen gefragt. Empirische Studien in diesem Forschungsfeld widmen sich dem Zugang und den Zugangsbarrieren älterer Menschen zu Organisationen des Kunstund Kultursektors (Goulding, 2018; Gallistl, Parisot & Birke, 2019), den Konsequenzen des demografischen Wandels für die Kunst- und Kulturpolitik (Göschel, 2007; Hausmann & Körner, 2009; Sievers, 2010) oder der Rolle älterer Konsument*innen im Kulturtourismus (Murzik, 2011). Aus angewandter Perspektive beschäftigen sich Studien in diesem Feld mit der Gestaltung und Ausrichtung von Kulturvermittlungsangeboten in Kultureinrichtungen wie etwa Museen (Kolter, 2013), Angeboten der kulturellen Bildung im Alter (de
Teil 4: Kulturelle Exklusion im Alter
Groote, 2018 Göricke, 2019) und Kulturarbeit (Karl, 2020) für ältere Menschen, die danach fragen, wie bislang kulturelle inaktiv ältere Zielgruppen mit Kunst und Kultur erreicht werden können. Das mit dem institutionellen Kulturbegriff agierende Forschungsfeld befasst sich auch mit sozialen Ungleichheiten im Zugang zu und der Teilhabe an kulturellen Aktivitäten im Alter und versteht kulturelle Aktivitäten als Element sozialer und gesellschaftlicher Teilhabe (Morrone, 2006; Kolland, 1996). Vor allem Aktivitäten in Institutionen des Hochkultursektors werden damit als Mittel der Teilhabe, als Distinktion und als Performanz sozialer Statusunterschiede untersucht (Wagner & Geithner, 2019). Hier lassen sich etwa Studien zu Cultural Omnivores (Peterson & Kern, 1996) zuordnen, in denen unterschiedliche gesellschaftliche Statusgruppen in ihren Zugängen und Barrieren zu kultureller Teilhabe untersucht werden. Nach der in der Kultursoziologie einflussreichen Omnivor-These lässt sich vermuten, dass sich die Formen der kulturellen Praxis und des Geschmacks seit den Ausführungen von Pierre Bourdieu (1979) zum Geschmack herrschender Klassen in Frankreich deutlich gewandelt haben. So lösen sich die kulturellen Beteiligungsmuster von Personen mit hohem sozioökonomischem Status zunehmend aus ihren traditionell rein hochkulturell orientierten Konsummustern und sind als moderne kulturelle »Allesfresser*innen« Konsument*innen von hochkulturellen und popkulturellen Inhalten gleichermaßen. In Bezug auf das höhere Alter konnte hier gezeigt werden, dass höhergebildete ältere Menschen im Vergleich zu niedriggebildeten mit höherer Wahrscheinlichkeit einen OmnivorKonsumstil verfolgen (Gallistl, 2021). Zugleich verfolgen jüngere Kohorten, die zu einem größeren Teil von der Bildungsexpansion profitieren konnten, häufiger einen Omnivor-Konsumstil als ältere (Stadtmüller, Klocke & Lipsmeier, 2013). Wie verortet sich jedoch der Begriff der Exklusion in dieser ungleichheitstheoretischen Debatte rund um die Teilhabe älterer Menschen an Kunst und Kultur? Wie lässt sich kulturelle Exklusion als Konzept der Gerontologie verstehen? In der Gerontologie spielen Diskussionen und Konzepte rund um soziale und/oder ökonomische Exklusion im späteren Leben eine zentrale Rolle, auch wenn diese bislang noch kaum auf die Erforschung der Teilhabe an Kunst und Kultur übertragen worden sind. Ein einflussreiches Konzept dazu haben Walsh und Kolleg*innen vorgelegt (2016), in dem sie soziale Exklusion im Alter als den Ausschluss älterer Menschen von wichtigen und gesellschaftlich anerkannten sozialen Orten und Institutionen beschreiben:
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»Old-age exclusion involves interchanges between multi-level risk factors, processes and outcomes. Varying in form and degree across the older adults life course, its complexity, impact and prevalence are amplified by oldage vulnerabilities, accumulated disadvantage for some groups, and constrained opportunities to ameliorate exclusion. Old-age exclusion leads to inequalities in choice and control, resources and relationships, and power and rights in key domains of neighbourhood and community; services, amenities and mobility; material and financial resources; social relations; socio-cultural aspects of society; and civic participation. Old-age exclusion implicates states, societies, communities and individuals.« (Walsh, Scharf & Keating, 2016, S. 93) Kulturelle Exklusion bedeutet, dass kulturelle Teilhabechancen verwehrt sind und Barrieren für kulturelle Teilhabe nicht überwunden werden können. In der gerontologischen Forschung wurde kulturelle Exklusion vielfältig gemessen und untersucht. Die English Longitudinal Study of Ageing (ELSA) etwa untersucht als kulturelle Beteiligungsformen den Besuch einer Galerie, eines Museums, eines Theaters, eines Konzerts oder einer Oper. Als kulturell exkludiert gelten hier jene älteren Menschen, die im letzten Jahr maximal einmal eine dieser kulturellen Einrichtungen besucht haben (Jivraj, Nazroo & Barnes, 2012). Auch Schönherr und Oberhuber übernahmen diese Operationalisierung in ähnlicher Weise für ihre Studie (2015) und fassten darunter die »Kultur-Inaktiven« zusammen. Ein Verständnis von kultureller Exklusion, das auf solchen Zugängen und Konzepten der sozialen Exklusion aufbaut, hat zwei Dinge zu berücksichtigen. Erstens deutet es auf die Barrieren hin, die ältere Menschen im Zugang zu Kunst und Kultur – vor allem zu Institutionen des Hochkultursektors – erleben, die dazu führen, dass sich die kulturelle Partizipation im Alter verringert bzw. weniger gute Chancen und Infrastrukturen zur Verwirklichung der kulturellen Partizipation zur Verfügung stehen. Zweitens verweist ein Begriff der kulturellen Partizipation auf die Omnipräsenz und unterschiedliche Bewertung von unterschiedlichen kulturellen Praktiken durch soziale Prozesse. Ein solcher Zugang beschäftigt sich mit der Frage, durch welche sozialen und symbolischen Prozesse manche kulturellen Praktiken, etwas der Besuch eines Theaters, gesellschaftlich als Teil einer Hochkultur anerkannt werden und andere, etwa Malen und Musizieren durch Laien zu Hause, nicht. Vor diesem Hintergrund möchten wir in den folgenden Kapiteln ein Verständnis von kultureller Exklusion im Alter anlegen, das diese beiden Elemen-
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te berücksichtigt – Zugangsbarrieren, die zu Kunst und Kultur erlebt werden, und symbolische Distinktionsprozesse, durch die kulturelle Praktiken marginalisierter Gruppen abgewertet werden. Kulturelle Teilhabe im Alter lässt sich vor diesem Hintergrund verstehen als die Möglichkeit, selbstbestimmt und mit Sinn erfüllt an vielfältigen kulturellen Aktivitäten teilzunehmen. Diese Teilhabe konstituiert sich vor dem Hintergrund von persönlichen und sozialstrukturellen Ressourcen, biografischen Prägungen und je unterschiedlichen Alter(n)sverläufen (siehe Teil 2 dieses Buches). Als Gegenbegriff dazu beschreibt kulturelle Exklusion im Alter einen dynamischen Zustand, der durch das Erleben von Zugangsbarrieren zu Institutionen des Kunst- und Kultursektors sowie der symbolischen Abwertung eigener kultureller Praktiken im Alter gekennzeichnet ist. Kulturelle Exklusion im Alter führt zu Abwertungs- und Ausgrenzungserfahrungen, was die kulturelle Teilhabe langfristig erschweren oder verhindern kann. Ein Begriff der kulturellen Exklusion im Alter fragt danach, welche Altersgruppen aus welchen Gründen an unterschiedlichen kulturellen Veranstaltungen teilnehmen oder nicht und als Konsequenz ein unterschiedliches Maß an kultureller Teilhabe erleben. Darüber hinaus interessiert in diesem Zusammenhang, inwiefern das Verständnis von dem, was Kultur ist und was nicht, und von den Grenzen dazwischen von denselben Machtstrukturen geprägt ist, die auch den Zugang zu Kunst- und Kultur bestimmen. Aus so einer Perspektive fragt die Erforschung von kultureller Exklusion danach, warum Menschen mit zunehmendem Alter eine zunehmend geringere Chance zur kulturellen Teilhabe haben. Darüber hinaus geht es um die Frage, warum die meisten (quantitativen) Studien zu künstlerischer Beteiligung im Alter zu dem Schluss kommen, dass sich die Mehrheit der älteren Menschen überhaupt nicht beteiligt (Tymoszuk et al., 2019), und welche Messinstrumente und Definitionen kulturell-künstlerischer Aktivität hinter solchen Studien stehen. Kulturelle Exklusion im Alter fragt also nicht nur nach der Teilhabe älterer Menschen an Kunst und Kultur, sondern nimmt gleichzeitig eine reflexiv-selbstkritische Position ein. Aus dieser heraus wird untersucht, welche gesellschaftlichen Bereiche der Kultur zugeordnet werden und welche nicht und in welchem Verhältnis solche Zuschreibungsprozesse zu Strukturen sozialer Ungleichheit stehen. Vor allem für die Erforschung zu kultureller Teilhabe im Alter scheint so eine selbstkritische Haltung zentral, weil mitunter die Gefahr besteht, kulturelle Teilhabe mit Aktivität, Gesundheit oder Mobilität zu verbinden oder diese gar auf einer konzeptionellen Ebene gleichzusetzen (Katz, 2005). Ge-
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rade für das höhere Alter ist zu beachten, dass nicht jede kulturelle Aktivität tatsächlich ein aktives Verhalten sein muss (Morrone, 2006). Sie kann auch passivere Kunst- und Kulturformen wie Lesen, Musikhören oder Malen beinhalten. Aufgrund sich verändernder Voraussetzungen zur individuellen Mobilität im höheren Alter findet kulturelle Aktivität auch häufiger in wohnund lebensraumnahen Orten wie der Gemeinde, zu Hause oder in der Pfarre statt (Gallistl, 2021). Eine Perspektive der kulturellen Exklusion im Alter versucht, Kunst- und Kulturformen nicht einseitig als inaktiv bzw. passiv zu verstehen, sondern durch eine selbstreflexive Haltung nachvollziehbar zu machen, warum bestimmte Kulturformen – vor allem jene im Hochkultursektor – vom öffentlichen Diskurs und der Forschung eher als kulturelle Aktivitäten untersucht und besprochen werden als andere. Morrone (2006) schlägt einen differenzierteren Blick auf die kulturelle Teilhabe vor, der auch die Veränderungen der Lebensphase Alter mit einbezieht. Für ihn ist kulturelle Partizipation ein dreidimensionales Konstrukt aus erstens Aktivitäten, die außerhalb des eigenen Haushalts stattfinden (culture de sortie – Ausgehkultur). In dieser Dimension sind Aktivitäten versammelt, die im alltagssprachlichen Gebrauch zur Hochkultur zählen, wie der Besuch von Theatern, Museen oder Galerien. Kulturelle Aktivitäten zu Hause wie etwa Medienkonsum, Lesen oder Musikhören sind der zweite Teilaspekt kultureller Partizipation (culture d’appartement – Heimkultur). Drittens nennt Morrone kreative Aktivitäten als Teil der kulturellen Teilhabe und hebt hier vor allem die Bedeutung von solchen im Amateur*innenbereich hervor. Diesen Teilaspekt nennt er culture identitaire – Identitätskultur. Natürlich sind solche Einteilungen vorläufig und erfassen nicht die Gesamtheit des kulturellen Handelns. Auch die Grenzen zwischen unterschiedlichen Formen kultureller Teilhabe lassen sich mitunter nur unzulänglich bestimmen. Dennoch helfen solche Vorschläge doch dabei, die Vielfalt von kulturellen Aktivitäten anzuerkennen und danach zu fragen, welche von der Forschung zur kulturellen Teilhabe im Alter thematisiert werden und welche weniger stark im Zentrum stehen und damit mitunter unsichtbar gemacht werden. Die Differenzierung zwischen sogenannter Hochkultur und Populärkultur wurde in der Kunst- und Kulturforschung in den letzten dreißig Jahren zunehmend als zu vereinfachend und verfälscht dichotomisierend kritisiert (Savage & Hanquinet, 2015). Dennoch spielt dieses Begriffspaar in der alltagssprachlichen Beschreibung von kultureller Teilhabe immer noch eine große Rolle. Die Interviews mit älteren Menschen, die weiter unten beschrieben werden, zeigen seine Wichtigkeit bei der Beurteilung dessen, ob das kulturel-
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le Engagement als ausreichend oder unzureichend erlebt wird. Zentral ist in diesem Konzept die Verknüpfung der Definition von Kultur mit dem sozialen Status der Personen, durch die sie konsumiert wird. So sind mit Hochkultur keine spezifischen Ausdrucks- oder Kunstformen gemeint, sondern der Begriff leitet sich davon ab, dass bestimmte hochgebildete und sozioökonomisch privilegierte Gruppen seit Beginn des 19. Jahrhunderts in Europa bestimmte Kunstformen für sich kultivierten, während andere vernachlässigt wurden (Savage & Hanquinet, 2015). Zur Populärkultur zählen im Gegensatz dazu jene Kunstformen, die von weniger gebildeten Gruppen konsumiert wurden und sich historisch, gemeinsam mit dem sozialen Wandel europäischer Gesellschaften deutlich gewandelt haben. Wie in der oben beschriebenen Omnivor-These angedeutet, wurde diese Dichotomie zwischen Hoch- und Populärkultur konzeptionell seit den 1990er Jahren zunehmend kritisiert und mitunter auch empirisch widerlegt. Der moderne Omnivor, so Peterson und Kern, entstehe dadurch, dass sich die kulturellen Konsummuster herrschender Klassen infolge des kulturellen Wandels westlicher Gesellschaften deutlich verändert hätten und »zeitgenössische Eliten nicht mehr länger durch hochkulturellen Geschmack ihre kulturelle Distinktion demonstrieren, sondern sich eher als inklusive ›Allesfresser*innen‹ charakterisieren lassen, die sowohl Hoch- als auch Populärkultur konsumieren« (Peterson & Kern, 1996, S. 900, eigene Übersetzung). Darauf aufbauend wurde argumentiert, dass Gruppen mit einem hohen sozialen Status heute nicht mehr hochkulturelle Inhalte präferieren. Vielmehr zeigen sie ein breites und möglichst umfassendes Interesse an unterschiedlichen kulturellen Inhalten (Radošinská, 2018). Das kann sowohl Muster der kulturellen Unersättlichkeit (cultural voraviousness) beinhalten, also einen generell großen Appetit für unterschiedliche Formen von Kultur, als auch eines geschmacklichen Eklektizismus (taste eclecticism), also die intentionale und ausgewählte Kombination von unterschiedlichen Formen von Kultur als Element der Distinktion (Chan & Goldthorpe, 2007). Was bedeuten diese Überlegungen nun für die vorliegende Studie zur kulturellen Exklusion im Alter? Zunächst lässt sich ein enger Zusammenhang zwischen sozioökonomischem Status und kultureller Exklusion ableiten, der empirisch getestet werden kann, darüber hinaus aber auch definitorisch im Konzept der kulturellen Exklusion angelegt ist: Während sich Hochkultur eben mitunter nicht über Inhalte, sondern über die Gruppen definiert, die sie rezipieren, lässt sich kulturelle Exklusion als Art des kulturellen Konsums beschreiben, den auch sozial exkludierte, etwa armutsgefährdete Men-
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schen aufweisen. Gleichzeitig verweisen die Ausführungen noch einmal darauf, die hohe Variabilität in dem, was gesellschaftlich unter Kunst und Kultur verstanden wird, vor dem Hintergrund sozialer Ungleichheiten zu verstehen: So ist kulturelle Exklusion im Alter einerseits durch Nichtteilhabe an Kunst und Kultur gekennzeichnet, bedingt durch das Bestehen von (ökonomischen und bildungsbedingten) Zugangsbarrieren zu Institutionen des Kunst- und Kultursektors. Andererseits geht es bei der Analyse von kultureller Exklusion im Alter aber immer auch darum, zu fragen, welche Formen kultureller Aktivität abgewertet, (de-)legitimiert oder unsichtbar gemacht werden und welche Macht- und Ungleichheitsmechanismen hinter diesen Prozessen stehen.
2.
Datenbasis und Methode
Im Rahmen des Projekts »Kulturelle Exklusion älterer Menschen in Wien« wurden Verbindungen zwischen ökonomischer Exklusion, kultureller Exklusion und Alter(n) erforscht. Dafür wurden mit den zehn Studienteilnehmer*innen Leitfadeninterviews und Walk-alongs in ihren Wohnvierteln in Wien durchgeführt. Thematisiert wurden dabei die Wahrnehmung des Kunst- und Kultursektors in Wien, die Teilhabe an Kunst und Kultur sowie (Abwertungs-)Erfahrungen kultureller Praktiken über den Lebenslauf. Ziel der Datenerhebung war es, die Perspektiven ökonomisch deprivierter älterer Menschen in Wien auf den Kunst- und Kultursektor zu erheben sowie danach zu fragen, ob und in welcher Form ökonomische Deprivation im Alter auch zu kultureller Exklusion führt und welche biografischen Erfahrungen mit Kunst und Kultur in diesen Prozessen eine Rolle spielen. Das Projekt widmete sich den folgenden Forschungsfragen: Wie erfahren ältere Menschen kulturelle Teilhabe und Exklusion in Wien? Welche altersinklusiven kulturellen Angebote für ältere Menschen gibt es in den Bezirken? Was muss beachtet werden, wenn kulturelle Angebote (auch) ältere Menschen besser inkludieren möchten? Was muss beachtet werden, wenn kulturelle Angebote auch jene Älteren besser erreichen wollen, die mit kumulativen sozialen Benachteiligungen leben müssen? Das Forschungsprojekt wurde am Institut für Soziologie der Universität Wien durchgeführt, vom Hochschuljubiläumsfonds der Stadt Wien gefördert (2019-2021), von Vera Gallistl geleitet und von Julia Demmer und Theresa Schütz inhaltlich bearbeitet.
Teil 4: Kulturelle Exklusion im Alter
Das Sample der qualitativen Studie setzte sich aus zehn älteren Menschen zusammen: sieben Frauen und drei Männer, die in sechs äußeren Bezirken Wiens leben und zum Zeitpunkt der Interviews 60 bis 73 Jahre alt waren. Die Befragten wohnten zwischen anderthalb und fünfzig Jahren an dem zu dieser Zeit aktuellen Wohnsitz. Sieben lebten alleine in einem Haushalt, bei zweien handelte es sich um ein in einem gemeinsamen Haushalt lebendes Ehepaar und eine Person lebte in einer Sozialeinrichtung für wohnungslose Menschen. Die monatlich zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel lagen bei allen Teilnehmer*innen unter der offiziellen Armutsgefährdungsschwelle des Jahres 2019, die bei Einpersonenhaushalten 1286 Euro und in Zweipersonenhaushalten 1930 Euro beträgt (Statistik Austria, 2019). Die Interviews hatten eine Dauer von 01:07:39 bis 02:15:11. Für die Auswertung der erhobenen qualitativen Daten wurde sich an der dokumentarischen Methode nach Ralf Bohnsack (z.B. 2013; 2014) orientiert. Das Ziel dieser Methode besteht darin, ein den Erforschten bekanntes, von ihnen aber selbst nicht expliziertes, handlungsleitendes, atheoretisches (Regel)Wissen zur Explikation zu bringen (Bohnsack, Nentwig-Gesemann & Nohl, 2013, S. 12): Über welches Wissen muss man verfügen, um im Interview so sprechen zu können? Welchen Regeln folgt dieses Wissen? Die abduktive Explikation erfolgt durch Auseinandersetzung mit den Texten und der kontinuierlich gestellten Frage nach der Herstellung der gesellschaftlichen Realität in der Perspektive der Akteur*innen. In der vorliegenden Studie wurde dementsprechend folgender Frage nachgegangen: Wie konstruieren die Studienteilnehmer*innen ihre soziale Welt und welche Rolle spielen darin Alter(n) und Kunst und Kultur? Um diese Fragen zu beantworten, wurden die Interviews zunächst transkribiert und offen codiert. Danach wurden in mehreren, gemeinsamen Analysesitzungen Orientierungsrahmen kultureller Praxis unter ökonomisch deprivierten älteren Menschen herausgearbeitet (siehe zur Anwendung der dokumentarischen Methode auch Teil 2 dieses Buches). Anschließend wurde auf Basis des Datenmaterials eine Typenbildung durchgeführt, bei der mit den identifizierten Orientierungsrahmen vier Typen des Umgangs mit Kunst und Kultur gebildet wurden: Unruhestifter*innen, Aktivist*innen, Expert*innen und flexible Konsument*innen. In einem ersten Schritt, der formulierenden Interpretation, wurden die Interviewdaten anhand der Audiodateien in Excel-Tabellen protokolliert, wobei die zentralen Themen erarbeitet und der thematische Verlauf der Interviews rekonstruiert wurde. Inkludiert wurden die zeitlichen Verläufe der Themen sowie Überlegungen zu Kontexten der Äußerungen und
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Relevanzsetzungen durch die Analysierenden. Diese Dokumente dienten der Besprechung der Themen, die in den Interviews relevant waren. Zwei Forscherinnen besprachen in fünf Analysesitzungen jeweils zwei der Themenprotokolle. Grundsätzlich erfolgten die Diskussionen zu den einzelnen Fällen nacheinander, wobei jedoch immer Vergleiche zu bereits besprochenen Interviews gezogen wurden. Ein Augenmerk wurde dabei auf Erfahrungen mit finanzieller Deprivation und Alter(n) gelegt: Wie gestaltet sich der Alltag von finanziell deprivierten älteren Menschen in Wien? Wie sehen ihre Lebenswelten aus? Was verstehen sie unter Kunst und Kultur und inwiefern haben sich diese Aspekte mit dem Älterwerden über den Lebenslauf verändert? Auf Basis dieser Diskussionen wurden besonders aussagekräftige Abschnitte für die tiefergehenden Analysen, in der dokumentarischen Methode die reflektierende Interpretation, identifiziert. Diese beschäftigt sich damit, wie etwas in Interviews gesagt wird, wobei Praktiken des Sprechens, Darstellens und Argumentierens berücksichtigt werden. Aus mehreren Interviews wurden dabei von zwei Forscherinnen in zwei Analyseeinheiten die Einstiegssequenzen zum Thema »Sozialraum« sowie Sequenzen mit dem Fokus auf Kunst und Kultur interpretiert. Auf diese Weise wurde das Wissen expliziert, das für die Studienteilnehmer*innen diesbezüglich relevant war, wobei die Ergebnisse ständig miteinander in Beziehung gesetzt wurden. Anhand der Ergebnisse der formulierenden sowie der reflektierenden Interpretation wurden in zwei Diskussionseinheiten Typen abgeleitet und deren Charakteristika besprochen. Diese Typen zeigen unterschiedliche Umgangsweisen mit Kunst und Kultur von finanziell deprivierten, älteren, in Wien wohnhaften Menschen. Die Ergebnisse der Interviews mit älteren, in ökonomischer Deprivation lebenden Menschen in Wien sind in den folgenden drei Kapiteln auszugsweise dargestellt. Im ersten Kapitel werden die Ergebnisse zur lebensweltlichen Analyse dargestellt, das heißt, es wird danach gefragt, welche Alltagsbeschreibungen sich in den Interviews finden lassen und welche Rolle dabei kulturelle Praktiken spielen. Dafür sind die einzelnen Lebenswelten der interviewten Personen fallweise dargestellt. In einem zweiten Schritt geht die Analyse der Frage nach, welche Handlungs- und Umgangsformen mit Einrichtungen des Kunst- und Kultursektors in Wien sich in den Interviews finden lassen. Die Ergebnisse zeigen hier eine Vielfalt von Strategien auf, durch die ökonomische Deprivation in Relation zur kulturellen Teilhabe im Alter verhandelt wird. Auf Basis dieser Vielfalt werden im dritten und letzten Teil der Ergebnisdarstellung vier unterschiedliche Typen zum Umgang mit kultureller Ex-
Teil 4: Kulturelle Exklusion im Alter
klusion herausgearbeitet: Unruhestifter*innen, Aktivist*innen, Expert*innen und flexible Konsument*innen.
3.
Zum Umgang mit finanzieller Deprivation im Alter
In der lebensweltlichen Analyse der Daten zeigen sich zunächst vielfältige Strategien im Umgang mit ökonomischer Deprivation im Alter. Die Situation und das Erleben von ökonomischer Deprivation stellen für die interviewten Personen einen zentralen Handlungs- und Orientierungsrahmen dar, dem die Alltagsgestaltung in vielen Aspekten untergeordnet wird bzw. untergeordnet werden muss. So wird in den Interviews beschrieben, wie sich viele, in manchen Fällen fast alle Bereiche des Lebens durch die ökonomische Deprivation gewandelt haben, Anpassungen in Alltagspraktiken vorgenommen werden, neue Tätigkeiten aufgenommen oder bestehende Aktivitäten reduziert werden mussten. Sich etwas nicht leisten zu können oder an bestimmten Stellen einsparen zu müssen, stellte dabei in den Interviews meist einen zentralen Erzählrahmen dar, wie etwa hier: »Ich habe eine sehr kleine Pension und muss damit aushalten. Ja also irgendwelche besonderen Dinge kann ich mir nicht leisten und will ich mir vor allem nicht leisten. Weil, wenn ich hier ein Geld ausgebe für Sachen, muss ich es woanders einsparen.« (IP 5) Ein zentraler Aspekt, über den in den Interviews die Konsequenzen und Auswirkungen ökonomischer Deprivation besprochen wurden, ist das Wohnen und die Verbindung mit der Wohnumgebung. So beschreiben viele Interviewpartner*innen, wie sich ihre finanzielle Situation auf ihre aktuelle Wohnsituation auswirkt und dass sie sich einen Umzug im Alter wünschen würden, dieser aber aus finanziellen Gründen nicht möglich sei. Ein Interviewpartner beschreibt etwa, wie sehr er sich wünschen würde, aus der sozialen Einrichtung, in der er aktuell lebt, wieder ausziehen zu können, um selbstständig in einer eigenen Wohnung zu leben – was für ihn aus finanziellen Gründen aber nicht möglich ist. Die Zeit in seiner eigenen Wohnung, bevor er in die Sozialeinrichtung gezogen ist, beschreibt er als eine Zeit der Freiheit, die für ihn wichtig war: »Ja, und das hat mir ganz gut gefallen. Dort alleine meine eigene Wohnung (lacht). Und das zu machen, was man sich vorstellt.« (IP 16) Hier wie auch an vielen anderen Stellen im Interview zeigt sich ein Erleben von Exklusion in der unmittelbaren Wohnumgebung. So beschreiben einige Interviewpartner*innen, dass sie aus finanziellen Gründen in ihrer Nachbarschaft wohnen würden und mit ihr aber keine besondere Verbindung hätten. Sie
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würden gerne in einem anderen Bezirk, einer barrierefreien Wohnung oder näher bei ihren Verwandten leben wollen, was aber aus finanziellen Gründen nicht möglich sei. Ein gemeinsames Narrativ sind Veränderungen in der Wohnumgebung, die besonders von jenen Interviewpartner*innen beschrieben werden, die schon Jahrzehnte in derselben Wohnung leben (IPs 1, 4, 6, 13, 17, 18). Hier konstituiert sich die Verbindung von ökonomischer Deprivation und Wohnumgebung hauptsächlich über die Beschreibung und Bewertung von Veränderungen ebendieser Umgebung, wobei negative Aspekte betont werden: »Die letzten zehn Jahre [in der Nachbarschaft] sind eigentlich immer schlechter geworden. Früher war das viel netter, harmonischer. Da konnte man in den Park gehen. Das kann man heute alles nicht.« (IP 6) Ein Beispiel dafür ist IP18, die zum Zeitpunkt des Interview 66 Jahre alt ist und nach der Scheidung von ihrem Mann vor einigen Jahren in eine kleine Einzimmerwohnung in einen Randbezirk von Wien gezogen ist. Vor der Scheidung lebte sie mit ihrem Mann in einem größeren Haus in einer ländlichen Gegend in Wien. Schon vor der Scheidung hatte ihr Mann sie allerdings gebeten, in eine Wohnung in Wien zu ziehen, die er für sie ausgesucht hatte. Sie war dem Wunsch nachgekommen und lebt nun, nach der Scheidung, langfristig in der in ihrer Wahrnehmung zu kleinen Wohnung. Diese biografische Verknüpfung von Trennung (mit der sich für sie auch die finanzielle Situation ihres Haushalts deutlich änderte), Umzug in eine neue Wohnung und eine neue Wohnumgebung führen für IP18, die schon seit vielen Jahren in dem Bezirk lebt, dazu, dass sie sich dort nicht zugehörig fühlt. Gerne würde sie in einen Innenstadtbezirk ziehen, um dort ihren Alltagsaktivitäten besser nachgehen zu können – so ist sie etwa in einer Theatergruppe aktiv, zu der sie in der Woche mehrmals über eine Stunde mit öffentlichen Verkehrsmitteln an- und abreisen muss. Ökonomische Deprivation bedeutete in den Interviews also häufig, dass Wohnumgebungen und Wohnorte nicht selbst ausgewählt werden (konnten), was sich – so wird am Beispiel IP18 deutlich – auch auf die Chancen und Möglichkeiten kultureller Teilhabe in Wien auswirkte. IP18 beschreibt im Interview, dass sie sich nicht viel in ihrer Wohnumgebung aufhalte und häufig öffentliche Verkehrsmittel nutze, um in die Innenstadt zu fahren: »Ich halte mich nicht viel hier auf im Grunde. Also ich steig da in die Straßenbahn oder den Bus. Da fahr ich in die Innenstadt und geh dort vorzugsweise im Botanischen Garten oder im Belvedere-Garten spazieren.« (IP 18)
Teil 4: Kulturelle Exklusion im Alter
Bernadette ist zum Zeitpunkt des Interviews 67 Jahre alt und zu Beginn beschreibt sie sich als hart arbeitende Frau: Sie war ihr Leben lang als Kellnerin in unterschiedlichen Restaurants, Kaffees und Bars in Wien tätig und gibt an, viele Jahre ihres Lebens bis zu zwanzig Stunden am Tag gearbeitet zu haben. Zu dieser Zeit war sie alleinerziehend, weshalb ihre Tochter ein Internat besuchte. Im höheren Alter pflegte sie ihren damals erkrankten zweiten Ehemann. Nachdem er verstorben war, übernahm sie die Pflege seiner kranken Mutter, bis auch diese verstarb. Ihr heutiger Alltag ist geprägt durch eine geringe Pension und finanzielle Belastungen durch beispielsweise Medikamente oder die Wohnungsmiete. Während sie schon lange in derselben Wohnung und noch länger in derselben Gegend wohnt und jahrelang hart arbeitete, beschreibt sie nun, dass sie trotz Mängel in der Wohnung keine finanzielle Unterstützung zum Wohnen von der Stadt erhalte und deswegen eine Renovierung der Wohnung oder ein Umzug für sie unmöglich sei. Die Gegend, in der sie schon sehr lange lebt, verändere sich zum Negativen, da vertraute Geschäfte und Menschen weniger würden und sich der Bezirk aus ihrer Perspektive zunehmend verändere. Da für Bernadette aber kein Umzug möglich ist, beschreibt sie, dass sie ihren Aktionsradius in der Wohnumgebung in den letzten Jahren deutlich verändert habe – und gleichzeitig ihr Rückzugsort, ihre Mietwohnung, zunehmend mangelhafter und trotz ihrer Versuche nicht ausreichend renoviert sei: »Von der Stadt wirst im Stich gelassen, wenn du ein Problem hast. Ich habe einen Wassereinfall gehabt im Februar, ja, das haben sie mir jetzt irgendwann im Juli gemacht und jetzt habe ich einen neuen Einfall. Ich habe vor drei Wochen angerufen, ich habe bis heute keinen Rückruf. Das ist ihnen egal. Ja, das ist ihnen egal. Du, du bist denen so egal, das ist ein Wahnsinn.« (IP 4) Diese beiden Beispiele machen deutlich, dass ökonomische Deprivation in die Lebenswelten der interviewten älteren Menschen auf vielfältige Art und Weise eingreift und die aktuelle Lebenssituation, die Wahrnehmung des Wohnumfeldes, Zugehörigkeitsgefühle zur Wohnumgebung und schließlich auch die Möglichkeiten kultureller Teilhabe deutlich beeinflusst. Neben dem Wohnen waren es weitere Bereiche, in denen die Auswirkungen von ökonomischer Deprivation im Alter deutlich erlebt wurden, etwa die individuelle Mobilität, der Lebensmitteleinkauf oder Freizeitaktivitäten. In den Interviews wird deutlich, dass sich die finanzielle Situation auch auf die Teilhabe an Kunst und Kultur auswirkte.
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Einige Interviewpartner*innen mussten Freizeit- und Kulturaktivitäten deutlich reduzieren. Während die finanzielle Deprivation bei den meisten Interviewpartner*innen dazu führte, dass Kulturveranstaltungen, für die Tickets erworben werden mussten, gar nicht mehr besucht wurden, fanden andere neue Strategien, um trotzdem an Kunst und Kultur teilhaben zu können. Eine Interviewpartnerin beschreibt, wie sie und ihr Mann trotz kleiner Rente regelmäßig an Veranstaltungen im Kunst- und Kultursektor teilnehmen: »Wir sind jedenfalls genügsamer geworden und sind froh mit dem, was wir jetzt haben. Wir haben zwar nicht viel Geld, aber wir können trotzdem viel unternehmen. Wir haben beide, mein Mann und ich, wir haben beide den Kulturpass, wir gehen wirklich viel […] in Museen oder Theaterstücke […].« (IP 14) Ähnliches findet sich auch bei einer weiteren Interviewperson, die regelmäßig das Angebot für reduzierte Tickets zu Kunst- und Kulturveranstaltungen (den sog. Kulturpass) nutzt und auch bei vielen Gewinnspielen mitmacht, bei denen Tickets für Veranstaltungen verlost werden: »Ins Belvedere [ein Museum in Wien] gehe ich sowieso einfach immer rein, weil ich dort immer spazieren gehe und ich hab ja mit dem Kulturpass freien Eintritt. Außerdem habe ich eine Jahreskarte gewonnen vom Radio Wien.« (IP 18) Aus den Daten lässt sich hinsichtlich der Alltagsgestaltung, und hier speziell bezüglich der kulturellen Teilhabe, ein erhöhter Planungsaufwand für ökonomisch deprivierte Menschen herauslesen: Kulturpasstickets sind meist streng limitiert und müssen deshalb oftmals lange im Voraus reserviert werden. Auch Gewinnspiele verlangen rechtzeitige Auseinandersetzung und aktive Beteiligung. Die Daten veranschaulichen eine Vielzahl an unterschiedlichen Umgangsmöglichkeiten mit finanzieller Deprivation. Bei den zehn interviewten Personen handelt es sich keinesfalls um eine homogene Gruppe. Im Gegenteil – es zeigen sich zehn verschiedene Lebenswelten, in denen die Altersarmut auf vielfältige Weise Einzug in den Alltag findet und diesen in manchen Fällen auch maßgeblich bestimmt. Während ein Teil der Interviewten das Thema der ökonomischen Deprivation von sich aus einbringt und von seinen Auswirkungen auf ihr tägliches Leben spricht, merken andere nur vereinzelt diesbezügliche Aspekte an. Gemein war allerdings allen Interviews, dass die ökonomische Situation im Alter einen deutlichen Einfluss auf die Alltagsgestaltung nahm und dabei auch die Teilhabe an Kunst- und Kultur deutlich von der ökonomischen Situation beeinflusst war. Diese Zusammenhänge zwischen finanzieller Situation und kultureller Teilhabe werden im nächsten Kapitel detailliert beschrieben.
Teil 4: Kulturelle Exklusion im Alter
4.
Umgangsformen mit Kunst und Kultur im Alter
Im vorigen Kapitel wurde beschrieben, dass und wie die Lebenssituationen der Studienteilnehmer*innen unter ökonomischer Deprivation verändert, neu geplant oder umgestaltet werden mussten, was auch Veränderungen in der kulturellen Teilhabe mit sich brachte. Überraschend war dabei, dass sich im Datenmaterial eine Vielzahl von Umgangsformen mit Kunst und Kultur zeigten. Die quantitative Forschung weist häufig darauf hin, dass die finanzielle Lage im Alter die kulturelle Teilhabe negativ beeinflusst. Menschen mit wenig Einkommen beteiligen sich seltener an Freizeitaktivitäten inklusive solcher im Bereich Kunst und Kultur (siehe dazu etwa Teil 3 dieses Buchs). Der lebensweltlich-qualitative Zugang in der vorliegenden Studie zeigte dagegen die vielfältigen Strategien auf, die ältere Menschen, die in ökonomische Deprivation leben, einsetzen, um ihre kulturelle Teilhabe aufrechtzuerhalten. Im Rahmen dieser Studie wurde deutlich, dass – entgegen den Annahmen aus der quantitativen Forschung – eine Vielzahl an verschiedenen Umgangsformen mit Kultur bestehen, die sich zwischen Kulturkritik und Kulturglorifikation aufspannen. Neben rein rezeptiven Formen der Teilnahme an Kultur wurde auch die aktive, kulturerschaffende Beteiligung als wichtige Komponente der Alltagsgestaltung in manchen Interviews deutlich. Eine wichtige Komponente in den Interviews war die Klärung unterschiedliche Kulturbegriffe, wobei die Interviewpartner*innen häufig darauf verwiesen, unter Kunst und Kultur hauptsächlich »Hochkultur« (IP 24) zu verstehen und diese eng mit der Stadt Wien zu verbinden. Deswegen äußerten sie auch eine hohe Wertschätzung für diese Form von Kultur. So beschreibt etwa ein Interviewpartner, dass er seine Identität als Wiener eng mit Kunst und Kultur verknüpft: »Das heißt, ich bin eigentlich ein klassischer Wiener infiziert mit allen Dingen, die in Wien verfügbar waren an Kultur. Jedenfalls an Hochkultur.« (IP 24) Auch wurde in den Interviews häufig die Einschätzung geteilt, dass in Einrichtungen des Hochkultursektors bessere, schönere und anspruchsvollere Kunst gezeigt würde als in anderen, populäreren Formen wie etwa Musicals. So beschreibt ein Interviewpartner, der sich selbst als Liebhaber von Opern vorstellt und trotz finanzieller Einschränkungen regelmäßig in die Wiener Staatsoper geht, die Unterschiede, die er zwischen Hochkultur und Populärkultur wahrnimmt: »Ich habe zwar zweimal Karten für ›Cats‹ gehabt, aber jedes Mal war ich beruflich verhindert. Das war aber nicht wirklich ein Verlust, weil wenn man vergleicht eine Mozartoper mit einem Lloyd Webber, dann merkt man, dass man mit zwei
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Melodien ein Musical machen kann, aber für Oper doch mindestens sechs, sieben braucht.« (IP 24) Eine Form von »Hochkultur« (IP 24) wurde also in den Interviews deutlich als besonders anerkannte und besonders wichtige Form von Kunst und Kultur beschrieben. Dieses Wissen wurde von allen Interviewpartner*innen (auch implizit) geteilt, was mitunter dazu führte, dass Personen, die nicht an Veranstaltungen des Hochkultursektors teilnehmen konnten oder wollten, sich selbst nicht als Expert*innen für Kunst und Kultur verstanden und oft zu Beginn des Interviews auch gar nicht über dieses Thema sprechen wollten. Dies verdeutlicht sich unter anderem in den Initialreaktionen auf den Themenbereich Kultur in den Interviews, die teilweise durch Abwehr der Frage oder Unsicherheiten bei der Antwort geprägt sind. Interviewpartner*innen – vor allem solche, die nicht an Veranstaltungen des Hochkultursektors teilnehmen konnten oder wollten – nahmen also an, über kein relevantes Wissen über Kunst und Kultur zu verfügen, auch wenn andere Kulturformen in ihrer Lebenswelt aktuell oder in der Vergangenheit relevant waren, wie beispielsweise Besuche diverser Museen während der Zeit der Erwerbsarbeit oder häufige Kinobesuche in der Jugend. Deutlich wurde in den Interviews damit auch eine implizite Hierarchie von Kulturformen, durch die unterschiedliche kulturelle Praktiken grob in (wertgeschätzte) Praktiken des Hochkultursektors wie Opernbesuche, Museumsbesuche oder Theaterbesuche und in (weniger wertgeschätzte bzw. mitunter abgewertete) Praktiken des Populärsektors wie Kinobesuche, Musicalbesuche, Lesen oder Musikhören eingeteilt wurden. Obwohl dieses Verständnis und mitunter auch die Wertschätzung für Veranstaltungen der »Hochkultur« (IP 24) in vielen Interviews geteilt wurde, beschrieben einige Interviewpersonen, dass Kunst- und Kulturveranstaltungen nicht besucht werden könnten, weil der Zugang für Menschen, die in finanzieller Deprivation leben, mitunter schwierig sei. Ein Beispiel ist Johanna, die, nach ihren Erfahrungen mit Kunst und Kultur gefragt, ebenfalls vom Hochkultursektor spricht, und damit Veranstaltungen in den großen Wiener Kunst- und Kultureinrichtungen wie der Staatsoper, dem Burgtheater oder einem der Bundesmuseen in Wien meint. Obwohl Johanna also das Verständnis von Kunst und Kultur als »Hochkultur« teilt, beschreibt sie, dass sie eine Abneigung gegenüber diesem Sektor entwickelt habe. Weil sie sich diese Veranstaltung nicht leisten kann und auch über ihren Lebenslauf hinweg nicht leisten konnte, beschreibt sie, dass sie »dort«, nämlich in Einrichtungen des Kunst- und Kultursektors, sicher nicht hingehen wolle: »Das [Veranstaltungen der Hochkultur] konnte ich mir noch nie leisten. Ich bin mit diesen Dingen
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nicht aufgewachsen. Ich habe keine Beziehung zur Oper, zum Ballett. Im Gegenteil, es ist mehr so eine Abneigung eigentlich, weil es etwas ist, wozu mir kein Zugang möglich war. Ich konnte dort nicht hin. Und deswegen kann ich es eigentlich auch nicht leiden.« (IP 17) Dieser erschwerte Zugang für ökonomisch deprivierte Menschen resultiert bei anderen Befragten in der Entwicklung von Strategien, trotzdem an hochkulturellen Veranstaltungen teilnehmen zu können. Zu diesen Strategien gehören die Teilnahme an Gewinnspielen, in denen Karten für kulturelle Veranstaltungen vergeben werden (IP 18 z.B. gewann einer Jahreskarte für das Belvedere) oder das Schmieden von Plänen lange im Voraus, welche die Nutzung hochkultureller Angebote mit möglichst wenigen finanziellen Mitteln (z.B. mithilfe des Kulturpasses) ermöglichen. Zudem wird dem Konsum von Hochkultur im Vergleich zu anderen Lebensbereichen eine höhere Priorität zugewiesen, wie beispielsweise beim Kauf eines Abonnements der Wiener Staatsoper, wodurch für andere Aspekte weniger monetäre Mittel zur Verfügung sind: »Das Einzige, das wir selber zahlen, ist ein Opernabo, das sind unsere Kulturausgaben im Jahr. Aber das sind auch genug natürlich. Weil ein Opernabo zu zweit kostet auch so um die fünfhundert Euro oder bisschen mehr, aber das leisten wir uns.« (IP 24) Neben finanziellen Barrieren im Zugang zu den oben skizzierten Veranstaltungen eines in den Interviews als »Hochkultur« (IP24) wahrgenommenen Kunst- und Kultursektors spielten auch räumliche Barrieren eine zentrale Rolle. So war in den Interviews auffällig, dass Hochkultur als ein räumlich gebundenes Konstrukt interpretiert wurde, das an bestimmten Orten – etwa Konzert- oder Opernhäusern, Theatern oder Museen – stattfinden musste, um als wertgeschätzter Teil der Hochkultur wahrgenommen zu werden. Dies hatte zur Konsequenz, dass eine (mitunter lange) Anreise in die Innenstadt Wiens notwendig war, um an hochkulturellen Veranstaltungen teilnehmen zu können. So verdeutlicht eine Interviewperson durch einen kurzen Satz, dass sie nicht über Kunst und Kultur sprechen möchte: »Ich komm nirgends hin.« (IP 6) Die räumliche Gebundenheit zeigt sich auch in einigen anderen Eingangserzählungen zum Thema Kunst und Kultur, in denen hauptsächlich von Erfahrungen an bestimmten Orten berichtet wird, die eigens kulturellen Zwecken dienen. Dabei werden vor allem klassische Institutionen als valide Kulturstätten erachtet, in Wien beispielsweise die Staatsoper oder das Burgtheater, die größtenteils positiv bewertet werden und als Vergleichsfolie zur Bewertung anderer Angebote dienen. Die Maßgeblichkeit der inneren Bezirke für den Kulturkonsum zeigt sich auch bei einer kritischen Betrachtung
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hochkultureller Institutionen: Werden diese abgelehnt, so besteht dennoch die Annahme, dass interessante Angebote kultureller Beteiligung hauptsächlich in diesen Stadtbezirken vorhanden sind. Bewegt man sich von den inneren in die äußeren Bezirke Wiens, so scheint das Interesse an den Angeboten also abzunehmen und vor allem in der eigenen Wohngegend überzeugt das verfügbare Programm kaum. Eine Interviewperson lobt das Angebot in den inneren Bezirken und vergleicht es mit dem Angebot in ihrer Wohngegend: »Viele Museen bieten Workshops an, die entweder nichts kosten oder sehr billig sind. Oder es gibt Exkursionen, es gibt Stadtspaziergänge, es gibt Führungen, es gibt so viele, viele, viele Dinge, die man machen kann und die nichts kosten. Aber die sind alle hier [in der Innenstadt] konzentriert. Und hier spüre ich auch die Geschichte. In meinem Wohnbezirk gibt es keine Geschichte, die ich spüren kann. Da ist nichts. Da wird gelebt. Aber es ist, es ist keine Geschichte, es ist kein, kein, keine Ansammlung von Wissen oder so irgendwas, ja? Das ist dort, dort ist nichts.« (IP 17) Deutlich wird hier, dass Kunst und Kultur – wie sie in den Interviews verstanden wurde – an bestimmten Orten und in bestimmten Umgebungen stattfinden musste, um als Teil der »Hochkultur« wahrgenommen zu werden. Dies stand in den Interviews aber häufig in Widerspruch zu den Wohnproblemen der Befragten, die sie aufgrund ihrer ökonomischen Situation erlebten (siehe Kapitel 3 in diesem Teil): Viele wollten in Innenstadtbezirke umziehen, konnten sich dies aber aufgrund ihrer ökonomischen Situation nicht leisten. Dies führte mitunter auch zu einer großen räumlichen Distanz zu den Einrichtungen des Kunst- und Kultursektors, die als besonders wertvoll und wertgeschätzt wahrgenommen wurden. Daraus wiederum resultierte eine doppelte Distanz zur Kultur – eine räumliche und eine finanzielle, die gemeinsam dazu führten, dass die kulturelle Teilhabe bei vielen Interviewpersonen deutlich geringer war, als sie es sich wünschten. Diese Form von Kulturdistanz – so zeigte sich in den Interviews weiter – war aber kein Phänomen, das sich im Alter neu ergeben hatte. Im Gegenteil hatte sie sich in vielen Fällen über den Lebenslauf kumuliert und formte nun die kulturelle Teilhabe im Alter. Die Beziehung zu Kunst und Kultur im Alter ist von Erfahrungen im gesamten Lebenslauf abhängig. Eine hohe Beteiligung an hochkulturellen Veranstaltungen bereits im Jugendalter, wie bei IP 24 im Rahmen der Schule, begünstigt die Nutzung ebendieser Angebote über den gesamten Lebenslauf. In diesem Beispiel verdeutlicht sich, dass für bildungsnähere Schichten Kunst und Kultur leichter zugänglich ist als für bil-
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dungsfernere. Eine Interviewperson beschreibt, wie der Zugang zu Kultur seit ihrer Kindheit für sie verwehrt blieb, da ihre Familie kaum finanzielle Mittel zu Verfügung hatte. Diese Ausschlusserfahrungen haben noch zum Interviewzeitpunkt die Ablehnung von Hochkultur zur Folge sowie der Menschen, die diese konsumieren: »Das [Menschen, die in große Opernhäuser in Wien gehen] sind so die Aushängeschilder für die High Society. Nicht nur für die High Society, weil die verstehen eh nichts davon. Da geht es ja nur um Sehen und Gesehen-Werden, eben um dieses sogenannte Bildungsbürgertum. Für mich ist das nicht, für mich ist das nie gewesen.« (IP 17) Auch eine weitere Interviewpersonen betrachtet im Rahmen ihrer Beziehung zu Kunst und Kultur ihre sozioökonomische Herkunft als maßgeblich. Auf die Frage nach Erfahrungen damit über den gesamten Lebenslauf hinweg antwortet sie: »Also. Ich komm aus einem Arbeiterhaushalt und die Mutter Hausfrau. Und ich war die Erste in der Familie, die eine höhere Schule gemacht hat.« (IP 18) Damit veranschaulicht die Interviewperson, dass sie aufgrund ihres Elternhauses dem Bereich Kunst und Kultur eigentlich eher entfernter gegenüberstehen müsste. Aufgrund ihrer Ausbildung – sie maturierte und begann, an einer Hochschule zu studieren – wurde ihr der Zugang zu Kunst und Kultur aber eröffnet.
5.
Typen des Umgangs mit Kunst und Kultur unter Bedingungen ökonomischer Deprivation im Alter
Die bisherigen Ausführungen zeigen, dass es vielfältige Strategien in der Gestaltung kultureller Teilhabe unter älteren Menschen gibt, die in ökonomischer Deprivation leben. Während einige Interviewpartner*innen angaben, sich intensiv mit kostengünstigen Angeboten auseinanderzusetzen, um weiterhin an für sie wichtigen Aktivitäten der »Hochkultur« teilhaben zu können, beschränkten andere ihre kulturelle Aktivität auf (kostengünstigere) Alternativen zu Hause. Wieder andere führten aus, mit Kunst und Kultur nichts zu tun haben zu wollen. Sie begründeten diese Distanz damit, dass in Kultureinrichtungen Menschen zugegen seien, die nicht zu ihnen passten, sowie damit, dass sie in Jugend und Kindheit wenig Zugang zu solchen Veranstaltungen erlebt hatten. Um diese Vielfalt der Umgangsformen mit ökonomischer Deprivation im Kontext von Kunst und Kultur abbilden zu können, wurden in der Datenanalyse vier Typen erarbeitet, die idealtypische Positionierungen zu Kunst und Kultur im Alter beschreiben: Unruhestifter*innen, Aktivist*innen, Expert*innen und flexible Konsument*innen.
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Als theoretische Hintergrundfolie für diese Typenbildung kann das Habituskonzept von Pierre Bourdieu angeführt werden. Der Habitus als Ensemble von objektiven Dispositionen und subjektiven Einstellungen und Wertorientierungen (Bourdieu, 1982) hat sich auch für die Erwachsenen- und Weiterbildungsforschung als nützlich erwiesen, um soziale Selektivität der Bildungsteilnahme zu erklären (Bremer 2007; 2010). Auch in der Kunst- und Kultursoziologie wurde dieser Begriff häufig verwendet, um sozialstrukturell unterschiedliche Praxis- und Lebensformen mit Kunst und Kultur zu beschreiben (siehe etwa Huber, 2018 zu sozialen Ungleichheiten im Musikhören). Wenn im Folgenden also von Typen des Umgangs mit Kunst und Kultur unter den Bedingungen ökonomischer Deprivation im Alter die Rede ist, so orientieren sie sich an der Beschreibung eines Kulturhabitus von unterschiedlichen Gruppen älterer Menschen, die sich aus dem Zusammenspiel von objektiven Lebensbedingungen und subjektiven Werteeinstellungen ergeben. Diese Zuteilung ist – vor allem aufgrund der beschränkten Datenlage – nicht immer einfach und zwangsläufig schematisch. Es sei deswegen an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die im Folgenden vorgeschlagenen Typen keine Menschen, sondern Handlungsformen zu differenzieren versuchen. Ein empirischer Fall, der zur Bildung dieser Typen herangezogen wurde, kann also immer mehreren Habitusformen zugeordnet werden. In der empirischen Herangehensweise sprechen wir zunächst nicht von Habitusformen, sondern von Typen. Typologien werden in der sozialwissenschaftlichen Forschung sehr oft zur Reduktion von Komplexität verwendet. Zur Typenbildung sei hier erwähnt, dass sie sich an das Verständnis von Idealtypen anlehnt. Idealtypen bezeichnen in der Soziologie nach Max Weber (Schmid, 1994) die bewusste Überzeichnung von empirischen Materialien zur möglichst genauen und ausdrucksstarken Darstellung eines typischen sozialen Phänomens. Insofern finden sich die im Folgenden dargestellten Typen nicht in ihrer Reinform in der empirischen Wirklichkeit. Im Gegenteil: Jeder konkrete Fall kann mehrere Elemente von unterschiedlichen Typen enthalten. Die dargestellten Zielgruppen sollen in diesem Sinne bestimmte soziale Lagen darstellen, die es erlauben, praktische Fälle mit den Ergebnissen der qualitativen und quantitativen Forschung abzugleichen und einzuordnen.
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Expert*innen
Schon eingangs haben wir gezeigt, dass der Umgang mit Kultur durch ältere Menschen, die in ökonomischer Deprivation leben, durch eine hohe Viel-
Teil 4: Kulturelle Exklusion im Alter
falt gekennzeichnet ist. In den vorangegangenen Kapiteln standen Herausforderungen und Probleme im Vordergrund, die Studienteilnehmer*innen im Zugang zu Kunst und Kultur erlebten. Im Sample finden sich aber auch Personen, die trotz ihrer ökonomischen Situation eine hohe Kulturaktivität aufwiesen und ein hohes Interesse und Engagement an Kunst und Kultur angaben – auch jener, die sie als Teil einer »Hochkultur« wahrnahmen. Diese Handlungsorientierungen sind unter der Habitusform der »Expert*innen« zusammengefasst. Charakteristisch für die Expert*innen ist zunächst, dass ihre Beziehung zu Kunst und Kultur sehr eng ist. In den Interviews werden vielfältige Erfahrungen und Zugänge beschrieben, die ihren Ursprung zum Teil in der Kindheit und Jugend haben: »Was Kultur betrifft, begleitet mich eigentlich seit der Volkschule das ›Theater der Jugend‹. Und natürlich dann auch weiter, dann später auch in der weiterführenden Schule. Also dort bin ich in die Schule gegangen und das ging so weit, dass ich für die gesamte Schule für die Bundestheater Karten bekommen habe. Das heißt, die Selektion, was der Rest der Schule bekam, ging über unsere Klasse. Das heißt, wir sind auch mehrmals am Tag ins Theater gegangen. Am Nachmittag ins Burgtheater und am Abend in die Oper oder umgekehrt.« (IP 24) Der Besuch kultureller Veranstaltungen spielt auch im Alter in der Alltagsgestaltung eine zentrale Rolle: Es kann von einem intensiven, kontinuierlichen Kulturkonsum gesprochen werden, der immer an die spezifische räumliche Umgebung und die bestimmte institutionelle Rahmung geknüpft ist, die den Konsum zu etwas Besonderem machen. Hier wird die Funktion von Kultur für die Expert*innen deutlich: Durch die Nutzung kultureller Angebote und das damit einhergehende Aufsuchen außergewöhnlicher Orte soll dem üblichen Alltagsleben für kurze Zeit entflohen werden. Die Inhalte des Programms sind dabei zweitrangig. Im Vordergrund stehen die umliegenden Räume sowie die teilnehmenden Akteur*innen, alles zusammen trägt zum außergewöhnlichen Ambiente bei. Dies wird auch durch die durchgehend positive Bewertung einer großen Menge an Kulturangeboten in hochkulturellen Institutionen deutlich, ohne die Inhalte speziell zu bewerten: »Jeder Besuch in der Staatsoper ist ein Highlight. Also wir haben wunderschöne Plätze und man sieht dann so schön. Also ich muss sagen, das ist im-
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mer wieder wie ein Erlebnis. Es ist wunderschön in dem Sinne. Also eigentlich, wenn man überall hingeht. Wie gesagt, wir waren schon ein paarmal im kunsthistorischen Museum mit der Gruppe, oder auch allein, mit diesem Kulturpass und so was. Das ist immer wunderschön. Ich muss sagen, das sind so Sachen, die einem gefallen.« (IP 14) An diesen Beispielen wird deutlich, dass sich die Expert*innen klar an einem Kulturbegriff orientieren, der auf Hochkultur als wertgeschätzte Form von Kunst und Kultur fokussiert. Der von Expert*innen verwendete Kulturbegriff zeichnet sich durch Abgrenzung und Distinktion aus. Es besteht eine ganz klare hierarchische Rangordnung von Kulturformen, in der die Hochkultur in den inneren Bezirken Wiens als die anerkannteste beschrieben wird. Zu anderen Arten von Kultur besteht eine klare Grenze, die deutlich kommuniziert wird: »Was ich zum Beispiel nicht zu Kultur zähle, ist alles, was mit Sport zu tun hat. Weil es mich nicht interessiert.« (IP 24) Expert*innen setzen sich intensiv mit den Möglichkeiten zur Erleichterung ihres Zugangs zu Hochkultur auseinander. Sie entwickeln Strategien, um trotz der ökonomischen Deprivation eine Vielzahl an Veranstaltungen besuchen zu können. Dies beinhaltet beispielsweise den Kauf eines Abonnements der Wiener Staatsoper, für den bei Aspekten des täglichen Lebens gespart wird. Intensive Planung und tiefgehende Analysen der kulturellen Programme lange im Voraus ermöglichen die Besuche hochkultureller Angebote. Die intensive Auseinandersetzung zeigt sich auch in Verhaltensweisen des Umgangs mit Kulturbesuchen, nachdem sie stattgefunden haben: »Ich habe mir wirklich angewöhnt, ich führe auch so eine Art Kulturtagebuch über die Jahre, wo ich jetzt hier bin. Weil seitdem ich jetzt hier in Österreich bin, wir haben schon, auch wo wir im Weinviertel gewohnt haben, sehr viel Kultur gemacht und über diese ganzen Veranstaltungen, dann heb ich die Eintrittskarten auf, dann wird was darübergeschrieben oder so was. Das sind richtig große A4-Bücher und auch zwei Ordner, wo das Zeug drinnen ist, was ich aufgehoben habe, was ich jetzt, was wir jetzt eigentlich unternehmen. Das ist sehr, sehr viel.« (IP 14)
5.2
Flexible Konsument*innen
Während die Expert*innen also auch unter Bedingungen ökonomischer Deprivation im Alter eine starke Nähe zu Veranstaltungen des Kunst- und Kultursektors realisieren und damit eine hohe kulturelle Teilhabe aufweisen, traf
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das natürlich nicht auf alle interviewten Personen im Sample zu. Im Gegenteil: Für den Großteil hatte das Erleben von ökonomischer Deprivation zur Folge, dass der Konsum von Kunst und Kultur beschränkt werden musste (siehe Kapitel 4 in diesem Teil). Gleichzeitig zeigen sich aber auch Dynamiken in der kulturellen Teilhabe, die sich in unterschiedlichen Lebensphasen je unterschiedlich darstellen. Solche dynamischen kulturellen Teilhabemuster waren für die Gruppe der flexiblen Konsument*innen charakteristisch. Die Beziehung zu Kunst und Kultur verändert sich bei flexiblen Konsument*innen über den Lebenslauf. Abhängig von der Lebensphase bestand entweder ein näheres oder ein distanzierteres Verhältnis zu Kultur, wobei mit zunehmendem Alter ein abgeschwächtes kulturelles Interesse festgestellt werden konnte. So beschreiben flexible Konsument*innen etwa einen intensiven Kulturkonsum in der Kindheit und Jugend, wie zum Beispiel die Interviewperson IP 6, die in ihrer Kindheit leidenschaftlich mit ihrem Vater ins Kino gegangen ist, dieses Interesse nun jedoch nicht mehr realisiert – auch, weil die Ticketpreise zu hoch für sie sind: »Ich als Jugendliche. Da hat es früher die Kinos nach der Reihe gegeben. Und mein Vater hat nur gesagt: ›Du mit deinen Wald-und-Wiesen-Filmen.‹ Ich habe sie halt so gerne gesehen.« Bei einem dieser Kinobesuche in ihrer Kindheit habe sie stark weinen müssen, woraufhin ihr Vater ihr weitere Besuch verboten hätte – ein Verbot, das sie bis heute einhält: »Er hat gesagt: ›Damit du es weißt. Schreib es dir hinter die Ohren, Kind. Ich war das letzte Mal mit dir im KINO.‹ Da war ich um die vierzehn Jahre alt. Er hat Wort gehalten.« Neben Kindheit und Jugend, in der flexible Konsument*innen meist ihre ersten Kulturerfahrungen gesammelt haben, spielen für sie auch Kinder und Enkelkinder eine große Rolle, die im Alter ein Motor für die Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen sein können. Dies zeigt sich daran, dass sie mit ihnen, wenn sie im entsprechenden Alter sind, vermehrt Kinderkulturprogramme besuchen. In diesen Lebensphasen kann ein engeres Verhältnis zu Kunst und Kultur festgestellt werden. So beschreibt etwa IP 13, wie sie ihre kulturelle Aktivität in den letzten Jahren intensiviert habe, weil sie nun verstärkt Betreuungstätigkeiten für ihre Enkelkinder übernehme, und betont gleichzeitig, mit der Aktivität auch wieder aufzuhören, wenn die Enkeltochter »zu groß« dafür sei: »Also das ist so Figurentheater […], also aber sehr lieb, also mit Musik, sehr nett, also ist, die sind jetzt auch schon wieder zu groß dafür.« Flexible Konsument*innen sind also in ihrer kulturellen Teilhabe flexibel, weil Kulturkonsum keine Konstante über den Lebenslauf ist, sondern je nach
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Lebensphase unterschiedlich gestaltet wird. Dabei stellen sich Familienmitglieder wie beispielsweise Kinder, Enkelkinder oder aber auch Partner*innen als besonders wichtig heraus. Wird die gemeinsame Teilnahme an Veranstaltungen verunmöglicht – beispielsweise weil die Kinder nicht mehr im entsprechenden Alter sind oder weil die Partner*innen versterben –, kommt es zu einer Stagnation der Beteiligung an den Angeboten. Der Umgang mit Kunst und Kultur ist bei flexiblen Konsument*innen also lebensphasenabhängig. Lässt es die Lebenssituation zu, werden regelmäßig kulturelle Veranstaltungen mit Familienmitgliedern besucht. Kommt es aufgrund der Lebensumstände zu einem distanzierten Verhältnis zu Kultur, zeigen sich zwei Strategien im Umgang damit: Aneignung anderer Kulturformen oder Abschluss und Resignation. Zentral sind dabei für flexible Konsument*innen sogenannte turning points der kulturellen Teilhabe (Gallistl & Parisot, 2020): Kommt es zu lebensphasenspezifischen Veränderungen – etwa einer neuen Beziehung, dem Austritt aus dem Erwerbsleben oder dem Tod eines Partners –, so werden auch die kulturellen Teilhabemuster im Alter an diese neuen Lebensumstände angepasst.
5.3
Unruhestifter*innen
Die ersten beiden Typen – Expert*innen und flexible Konsument*innen – zeichnen sich also durch ein prinzipiell hohes Interesse an kulturellen Veranstaltungen (besonders solchen der Hochkultur) aus, das je nach Lebenssituation verwirklicht werden kann. Die Gruppe der Unruhestifter*innen hingegen hat einen grundlegend anderen Zugang: Für sie sind im Rahmen von Kunst und Kultur Gemeinschafts- und Zugehörigkeitsgefühle von hoher Bedeutung; grundsätzlich ist ihr Verhältnis zu Kunst und Kultur jedoch durch einen hohen Grad an Distanz geprägt. Das bedeutet, dass sie kulturelles Geschehen von einer Außenperspektive betrachten, dabei Konflikte wahrnehmen und diese aktiv thematisieren. Haben sie das Gefühl, aufgrund der Charakteristika des Großteils der kulturschaffenden und/oder kulturkonsumierenden Menschen eines spezifischen Angebots nicht zugehörig zu sein, hat die aktive Beschäftigung mit dieser spezifischen Kulturform und ihren Rahmenbedingungen Ausschlusserfahrungen zur Folge. So beschreibt eine Interviewpartnerin etwa, dass sie Opernbesucher*innen als Snobs wahrnimmt: »Das sind so die Aushängeschilder für die High Society. […] Da geht es ja nur um Sehen und Gesehen-Werden, eben um dieses sogenannte Bildungsbürgertum. Das ist nur für die. Für mich ist das nie gewesen.« (IP 17)
Teil 4: Kulturelle Exklusion im Alter
In diesem Beispiel werden Exklusionserfahrungen deutlich, durch welche die Wahrnehmung entsteht, Veranstaltungen und Aktivitäten in bestimmten Einrichtungen des Kunst- und Kultursektors seien für die eigene Person nicht geeignet – und würden stattdessen sozial höhergestellte Personen adressieren. Dieses Gefühl der Unterlegenheit hat die Abwertung und Ablehnung der von diesen Gruppen präferierten kulturellen Veranstaltungen zur Folge: »Ich bin mit diesen Dingen nicht aufgewachsen. Ich habe keine Beziehung zur Oper, zum Ballett. Im Gegenteil, es ist mehr so eine Abneigung eigentlich, weil es etwas ist, wozu mir kein Zugang möglich war. Ich konnte dort nicht hin. Und deswegen kann ich es eigentlich auch nicht leiden.« (IP 17) Geteilte Erlebnisse mit Menschen, die ähnliche Werte vertreten – das ist für die Unruhestifter*innen ein zentrales Motiv des Kulturkonsums. Dabei wird auch deutlich, dass Kunst und Kultur für sie soziale Bedeutung haben, was sich in dem Wunsch äußern kann, kulturelle Angebote gemeinsam mit Bezugspersonen zu besuchen, da auf diese Weise Gemeinschaftsgefühle verstärkt auftreten, wie diese Aussage bezüglich des Besuchs von Elvis-PresleyImitatoren zeigt: »Wenn wir da hingehen, nehme ich meistens eine Bekannte mit, die auch so für den Elvis ist. Früher ist mein Mann immer noch mitgegangen.« (IP 4) Unruhestifter*innen adressieren also aktiv Konflikte um die Frage, welche sozialen Gruppen welche kulturellen Veranstaltungsräume besuchen dürfen. Werden die Werte der bei einem speziellen kulturellen Angebot vorrangig vertretenen Gesellschaftsgruppe abgelehnt, kommt es zu einem Konflikt, innerhalb dessen sich kritisch mit der Frage nach Repräsentation auseinandergesetzt wird: Wer darf Räume zur Gestaltung von Kultur nutzen und wer darf diese Kultur konsumieren? Die Definition von Kunst und Kultur ist also durch die Beziehung zu den dort relevanten Akteur*innen geprägt – es erfolgt eine aktive Bewertung der Zugehörigkeit bzw. des Ausschlusses. Kulturelle Angebote mit Akteur*innen, denen sich Unruhestifter*innen nicht zugehörig fühlen, werden vermieden und aktiv kritisiert.
5.4
Kulturaktivist*innen
Eine weitere Umgangsform mit Kunst und Kultur unter den Bedingungen von ökonomischer Deprivation im Alter lässt sich unter dem Typus der Kulturaktivist*innen zusammenfassen. Dies ist eine Handlungsform, in der das aktive Erschaffen von Kunst und Kultur – etwas durch die Einbindung in Theater- oder Schreibgruppen – im Vordergrund steht. Gleichzeitig werden
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diese kreativen Ausdrucksformen mitunter dazu benutzt, Lebensbedingungen im Alter – speziell solche von Armut – zu reflektieren und in der Gruppe zu thematisieren. Es zeigt sich damit zuletzt auch ein aktivistisches Potenzial, das der Auseinandersetzung der Kulturaktivist*innen mit Kunst und Kultur innewohnt. Aktivist*innen nutzen Kunst und Kultur, um auf gesellschaftspolitische Themen aufmerksam zu machen und Missstände aufzuzeigen. Dabei verfolgen sie das Ziel gesellschaftlicher Veränderungen. Durch eine derartige Beziehung zu Kultur verändern sich die subjektiven Identitätsbilder. Die aktive Teilnahme an Projekten ruft das Gefühl von Empowerment hervor und beeinflusst die Selbstwahrnehmung. Dabei steht auch häufig eigenes, kreatives Engagement im Zentrum der Erzählung zu Kunst und Kultur, etwa, wenn in Gruppen geschauspielert, musiziert oder im privaten Rahmen geschrieben, gemalt oder gezeichnet wird. Ein zentrales Element dieses kreativen Engagements ist es, eigene Grenzen zu überwinden und auf gesellschaftliche Tabuisierungen oder Missstände hinzuweisen. So beschreibt etwa eine Aktivistin, was es für sie bedeutet hat, sich in einem Theaterstück, das sie mit ihrer Theatergruppe gemeinsam aufgeführt hat, nackt auf die Bühne zu stellen: »Zuerst habe ich mir gedacht: ›Ja, da mach ich mit.‹ Und dann habe ich schon ein bisschen Angst gehabt und habe gesagt: ›Nein ich zieh mich doch nicht aus, weil der Bauch und die Falten und was weiß ich.‹ Und die [Produzentin], die war aber so nett und hat mir immer geschrieben […] und ich soll doch einfach mal kommen und mitmachen, ganz angezogen, und da bin ich dann zur [Produktionsstätte] und hab mir das angeschaut, dann nach und nach, alle fangen mit Kleidung an, zieht man ein Stück aus und eins mehr, und das hat mir dann so gefallen, dass ich dann dabei war.« Die persönliche Entfaltung durch Kunst, Kultur und kreatives Schaffen steht damit für die Kulturaktivist*innen im Vordergrund. Dadurch wird Präsenz hergestellt, Identität verarbeitet und auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam gemacht. Dies führt mitunter auch dazu, dass Kulturaktivist*innen ihre kreativen Aktivitäten als Prozesse der Selbstentfaltung beschreiben – und sich dafür einsetzen, diese auch für andere Menschen zu ermöglichen: »Ich finde nur, man sollte kreativen Leuten die Möglichkeit geben, sich entfalten zu können. Ja, also, das ist das Entscheidende. Weil dann kommt irgendwann einmal etwas raus dabei.« (IP 5) Für Aktivist*innen steht im Vergleich zu den anderen Typen, für die hauptsächlich rezeptive Kultur wichtig ist, das Kulturschaffen und die krea-
Teil 4: Kulturelle Exklusion im Alter
tive Aktivität im Vordergrund, in der gesellschaftliche Umstände, Normen und Bedingungen thematisiert werden können: »Also ich bin schon aktiv, also selber, dass was ich tue. Anschauen tu ich mir nicht so viel.« (IP 18) Das vielfältige Engagement der Kulturaktivist*innen zeichnet sich einerseits durch innovative Ideen aus, die letztendlich im Idealfall gesellschaftsverändernd wirken sollen, und andererseits durch die Teilnahme an Projekten anderer Aktivist*innen, deren Ziele sie auch unterstützen. Ein Beispiel dafür kommt von einer Aktivistin, die gemeinsam mit anderen theatrale Interventionen bei einer Konferenz durchführte: »Und wir waren so sechs, acht Leute im Auditorium und sind dann auf ein Stichwort aufgestanden und haben eine Intervention gemacht. Also da waren grade am Podium eben zwei Personen, die haben geredet, und wenn die sagt ›Frau Maier bitte‹, bin ich aufgehüpft und habe ins Publikum geschrien: ›ICH FORDERE EINE PENSION, VON DER MAN LEBEN KANN‹ oder so.« (IP 18) Dabei spielen beispielsweise Aspekte wie die Bekämpfung von Altersarmut und das Infragestellen gesellschaftlicher Körpernormen eine Rolle. Dies sind Themen, die die Menschen persönlich, in ihrem eigenen Leben, beschäftigen und die sie als besonders wichtig erachten. Kunst und Kultur sollen helfen, dahingehend aufzuklären. Auf diese Weise wird Kultur zu einem ideologischen Instrument. Das kulturelle Engagement zeigt sich bei diesem Typus einerseits in der beschriebenen aktiven Rolle in der Produktion kultureller gesellschaftskritischer Inhalte. Andererseits wird das Ziel verfolgt, den Zugang zu kulturellen Angeboten – beispielsweise für finanziell deprivierte Menschen – zu erleichtern. Dabei wird sich beispielsweise für die Erweiterung des mit dem Kulturpass gratis zugänglichen Angebots eingesetzt – im folgenden Beispiel geht es um einen Literaturkurs: »Ich habe dieser zuständigen Frau der [Name] vom Kulturpass, die sitzt ja in der Armutskonferenz […], und der habe ich schon voriges Jahr gesagt, sie soll sich doch einsetzen, diese [Organisation], die hat so viel Geld, das kann denen ja echt egal sein, wenn es ein paar gratis Plätze gibt. Und jetzt ist es mir bestätigt worden, sie geben jetzt zwei Gratisplätze her mit dem Kulturpass und ich habe einen davon.« (IP 18)
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6.
Fazit
Die Teilnahme an kulturellen Aktivitäten ist eine wichtige Möglichkeit zur Bestimmung und Gestaltung der eigenen Identität. Kultur ist ein Mittel für die aktive Teilhabe an der demokratischen Gesellschaft. Das gilt nicht nur für jene sozialen Gruppen, die es sich materiell gut leisten können, sondern auch für jene, denen die entsprechenden Mittel fehlen. Die Förderung des Zugangs zu kulturellen Aktivitäten ist ein ebenso bedeutsamer und gewichtiger Faktor bei der Errichtung einer inklusiven Gesellschaft wie die Förderung der Teilnahme an den Bereichen Beschäftigung oder Soziales. Dabei verweisen die in diesem Kapitel vorgestellten Forschungsbefunde, die sich mit der kulturellen Betätigung von Armutsbetroffenen befassen, auf einen deutlich komplexeren Zusammenhang, als es der erste Blick annehmen lässt. Für einen ersten Blick kann die Sichtweise von Terry Eagleton (2018) herangezogen werden, die sich über Ergebnisse aus den qualitativen Interviews gut absichern lässt. Eagleton argumentiert, dass Kultur nicht der letzte Bezugspunkt menschlicher Existenz ist, sondern Gesellschaften bzw. Individuen vielmehr einen Überschuss erwirtschaften müssen, um Kunst zur Entfaltung zu bringen. »Kultur hat ihre materiellen Bedingungen.« (S. 59) Kultur kann sich nicht unter Bedingungen von Not und Mangel entfalten. In den Interviews werden geringes Einkommen und die eigene Wohnlage als Barrieren für kulturelle Teilhabe angeführt. Personen, die aufgrund ihres geringen Einkommens eine Wohnung an der kulturarmen Peripherie haben, sehen sich vom kulturreichen Innenstadtleben abgeschnitten und ausgeschlossen. Aber sind es tatsächlich nur die materiellen Bedingungen, die die Differenz zwischen Inklusion und Exklusion herstellen? Als zweite Analyseebene sollen die in diesem Abschnitt diskutierten institutionellen bzw. kultursystembedingten Ansprüche angesprochen werden. Dazu ein Gedanke von Rainer Treptow, der Inklusion/Exklusion als ein dem Kultursystem inhärentes Ziel sieht: »Kulturarbeit tendiert dazu, Inklusion auf Zeit zu erzeugen, aber auch Exklusion derjenigen, die mit ihrer Formensprache, ihren Absichten nichts anfangen können oder wollen. Diese Erzeugung von Differenz ist kein Skandal, sondern eine klassische Aufgabe, ja eine Herausforderung von Kulturarbeit« (Treptow, 2012, S. 199). Die verschiedenen Typen kultureller Beteiligung in der Gruppe der Armutsbetroffenen unterstützt diese These. So finden sich neben den Expert*innen, die hohe Anstrengungen in Gang setzen, um soziale Inklusion zu erreichen, die Unruhestifter*innen, die die an-
Teil 4: Kulturelle Exklusion im Alter
gesprochenen kulturellen Exklusionstendenzen scharf kritisieren und alternative Kulturformen einfordern. Eine dritte Perspektive lässt sich in diesem Kapitel ausmachen, sie befasst sich mit den kulturellen Praktiken von Armutsbetroffenen, ihren Erfahrungen, ihrem Habitus, ihren subjektiven Barrieren. Hier geht es etwa um die Angst, Kulturangebote nicht zu verstehen oder nicht mit der eigenen Lebenswirklichkeit verbinden zu können, oder auch sich zu langweilen. Das materielle Element spielt dabei nur eine geringe Rolle, die kultursystemischen Aspekte haben eine größere Bedeutung. Für diese Perspektive findet sich, wenn auch zum Teil stark problematisiert, eine lange kulturanthropologische Tradition, die sich im Konzept der »Kultur der Armut« zeigt. Der Wunsch nach sofortiger Bedürfnisbefriedigung, wie das Oscar Lewis (1963) sehr holzschnittartig formuliert hat, führe dazu, dass die Integration in die bestehenden soziokulturellen Institutionen ausbleibe. Wenn auch dieser Ansatz, mangelnde kulturelle Teilhabe nicht als sozial bedingt, sondern als kulturelle Praktik zu erklären, zu wenig die Heterogenität des Alters berücksichtigt, so finden sich in den Interviews dieses Kapitels zahlreiche Hinweise auf Selbstausschließung und subjektive Distanzierung gegenüber kulturellen Angeboten. Primär gilt das – nicht überraschend – für Angebote der sogenannten bürgerlichen Hochkultur. Als vierte Erkenntnis der Studie zu den kulturellen Praktiken von armutsbetroffenen älteren Menschen kann festgehalten werden, dass der wissenschaftliche Analyserahmen selbst in Frage zu stellen ist. Allein der konzeptionelle Ansatz Inklusion/Exklusion führt zumeist dahin, Armutsbetroffene als kulturell defizitär einzustufen. Hier kann gefolgert werden, dass die Annahme, Personen, die unter die Armutsgrenze rutschen, seien oder würden kulturinaktiv, nicht richtig ist. Die kulturelle Praxis im Alter ist abhängig von Erfahrungen im Lebenslauf, das heißt, jene, für die Kunst und Kultur einen Sitz in ihrem Leben haben, behalten dieses Interesse auch dann, wenn sich ihre sozialen Bedingungen verschlechtern bzw. ungünstig sind. Personen, die ihr ganzes Leben lang kulturelle Veranstaltungen besucht haben, informieren sich auch mit wenig Budget schneller und gezielter als Personen, die andere Interessen entwickelt haben. Hier kann das SOK-Modell der Alter(n)sforschung durchaus als Erklärungsansatz herangezogen werden (Baltes & Baltes, 1990), nach dem ältere Menschen die Tendenz haben, sich auf wenige wichtige Zielbereiche zu konzentrieren, die widerspruchsfrei mit den vorhandenen soziokulturellen Ressourcen vereinbar sind.
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Teil 5: Mainstreaming Ageing und kulturelle Bildung im Alter
In den vorangegangenen Kapiteln wurde ein differenzierender Blick auf die kulturelle Gestaltung des Alters und den vielfältigen Platz der Kultur in den Lebenswelten älterer Menschen geworfen. Neben der Kultur als einer übergreifenden »Vermittlungsinstanz des Sozialen« (Reckwitz, 2016), die die gesellschaftlichen Vorstellungen über das Alter prägt, wurden Kunst und Kultur als wichtige Teilhaberäume im Alter untersucht. Sie spielen in den Lebenswelten älterer Künstler*innen (Teil 2), in der Lebensgestaltung von alten Menschen (Teil 3) und sozial benachteiligten Gruppen (Teil 4) eine wichtige Rolle. In jeweiligen kulturellen Erfahrungsräumen – wie etwa Musik und darstellende Kunst – werden soziokulturelle Zugehörigkeiten und Distinktionen erfahren, erlebt, reproduziert und reflektiert. Für wen Kunst und Kultur geschaffen wird, wer daran teilhaben darf und soll und welche Barrieren dabei für welche Gruppen bestehen, spielt in den vielfältigen Räumen und Arenen von Kunst und Kultur im Alter eine wichtige Rolle. Kunst und Kultur im Alter sind eng mit Fragen um soziale Teilhabe und soziale Exklusion verknüpft. Sie können von daher nicht nur in ihrer positiven Funktion für die Vergesellschaftung der nachberuflichen Lebensphase und für ein positives Lebensgefühl im Alter gesehen werden, sondern auch als ein Konfliktfeld, das durch ein hartes Ringen um soziale Anerkennung, Macht und Status gekennzeichnet ist. Wie sehr es sich um ein Konfliktfeld handelt, das strukturelle Benachteiligung nach dem Alter erzeugt, belegt die Initiative »Mainstreaming Ageing«, die von einem Gremium der Vereinten Nationen 2007 ins Leben gerufen wurde. »Mainstreaming Ageing bedeutet in diesem Kontext insbesondere eine stärkere Berücksichtigung der Langlebigkeit in allen Politikbereichen, Abbau von Vorurteilen und Altersdiskriminierung in der Wirtschaft und in der breiten Öffentlichkeit sowie die Ausgestaltung positiver Rahmenbedingungen für
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eine aktive Mitwirkung älterer Menschen.« (Vereinte Nationen, Wirtschaftsund Sozialrat, 2007) Auf Basis dieser Überlegungen werden nun folgende Fragen gestellt: Welche institutionellen Bedingungen sind im Konfliktfeld Kunst und Kultur für die strukturelle Benachteiligung nach dem Merkmal Alter verantwortlich? Sind Kunst- und Kultureinrichtungen lediglich »altersblind« oder finden sich auch Formen systematischer sozialer Exklusion nach dem Alter? Daran schließt die Frage an, wie es gelingen kann, die Teilhabe älterer Menschen an Kunst und Kultur als Element sozialer Teilhabe zu unterstützen. Ziel sozialer Teilhabe im Alter ist es, ein »selbstbestimmtes und von Sinn erfülltes Leben zu führen« (Amann, 2019, S. 39). Dieses Ziel auf Kunst und Kultur umzulegen bedeutet, die selbstbestimmte und mit Sinn erfüllte Teilhabe in unterschiedlichen kulturellen Erfahrungsräumen zu ermöglichen und zu unterstützen. Dabei ginge es weniger um eine passive, konsumierende, sondern mehr um eine »aktiv gestaltende Rolle« (Aner & Köster, 2016, S. 46) im Alter. Dieser letztere Ansatz ist mit der Vorstellung verknüpft, über die Teilhabe an Kunst und Kultur emanzipatorisches Handeln und eine selbstbestimmte Lebensführung im Alter zu forcieren. Der Versuch der Demokratisierung von Kunst und Kultur (»Kultur für alle«) über niederschwellige Angebote hat nicht den gewünschten Effekt erzielt. So wurde zwar der Zugang zu Kulturgütern erleichtert (vgl. Sievers, 2010, S. 32), jedoch in den Kulturinstitutionen selbst und in den Zugangsvoraussetzungen zu Kunst und Kultur zeigen sich starke soziale Ungleichheiten und Konfliktlinien. Die Eigenmächtigkeit von Kulturinstitutionen und die soziokulturellen Kompetenzen des Kulturpublikums wirken dämpfend auf das Ziel einer »Kultur für alle«, wie es Hilmar Hoffmann 1979 in diesem Slogan sehr plakativ und ambitioniert formuliert hat. Die Eigenmächtigkeit von Kulturinstitutionen zeigt sich darin, dass diese »auf Dauer angelegte, durchsetzungsfähige Regelsysteme« (Donges, 2007) verkörpern. Sie schaffen normative Erwartungen und fördern die Einhaltung bzw. den Aufbau von Durchsetzungsregeln. Damit beeinflussen sie das Handeln der in diesen Institutionen tätigen Akteur*innen und diese sehen die eigenen Regelsysteme als kulturelle Selbstverständlichkeiten. Dass diese Selbstverständlichkeiten wiederum das Kulturpublikum beeinflussen, ist naheliegend. Im Hochkulturbereich kann da oder dort als Folge dieser Entwicklung eine Art Spaltung konstatiert werden. Um die Selbstverständlichkeiten der institutionellen Normen besser verstehen zu können und das Gefühl von Zugehörigkeit zu schaffen, werden über Eliten im Kulturpublikum
Teil 5: Mainstreaming Ageing und kulturelle Bildung im Alter
eigene »Bypass-Organisationen« geschaffen. Die heißen dann »Freunde der Oper« oder »Freunde des Konzerthauses« oder »Förderverein des Museums X«. Mit letzterem Organisationstypus ist gleichzeitig noch angedeutet, dass es nicht nur um ein gesteigertes Interesse an dem jeweiligen Kulturfeld geht, sondern auch um finanzielle Aspekte bzw. finanziellen Einfluss. Wenn also hier von »kultureller Spaltung« gesprochen wird, dann geht es um die Konfliktlinie zwischen jenem Kulturpublikum, das in die Kulturinstitutionen eingemeindet ist, und jenen Kulturinteressierten, die in doppelter Hinsicht Gäste sind und sich auch als solche fühlen. Sie sind weder Teil der Kulturinstitution selbst noch »Freunde«. Werden als eine Art Zwischenglied zwischen den Gästen und den Freunden noch die Abonnent*innen angeführt, dann lässt sich die Komplexität des Konfliktfelds erahnen. Beim Blick auf die soziokulturellen Kompetenzen des Kulturpublikums werden als wesentliche Faktoren für kulturelle Beteiligung die soziale Herkunft und die Schulbildung sichtbar. Bei beiden finden sich hartnäckige Beharrungstendenzen, die einem deutlichen Anstieg in der kulturellen Beteiligung entgegenstehen. Damit eine »Kultur für alle« auch im Alter realisiert werden kann, braucht es einerseits allgemeine gesellschaftliche Veränderungen in Richtung eines weiteren Abbaus sozialer Ungleichheit. Andererseits ist für den Zugang zum Feld von Kunst und Kultur eine spezifische Form der Bildung, nämlich kulturelle Bildung, nötig. In der Unterstützung von Teilhabeprozessen im Alter spielen Bildung und Lernen eine wichtige Rolle. (Kulturelle) Bildung im Alter versucht in ihrem ermöglichungsdidaktischen und selbstorganisierten Zugang (Bubolz-Lutz et al., 2010) die Teilhabemöglichkeiten älterer Menschen zu stärken und sie darin zu unterstützen, ihre eigenen Fragestellungen für Bildungsprozesse zu formulieren und in einem selbstorganisierten Prozess zu begleiten. Kulturelle Bildung als eine Form gesellschaftlicher Bildung ist dabei als ein Grundinstrument der sozialen Integration im Alter zu verstehen und zu unterstützen (UNESCO, 2006). So heißt es etwa in der 2010 verabschiedeten Seoul Agenda zu den Entwicklungszielen der kulturellen Bildung: »Kunst und Kultur sind unerlässliche Bestandteile einer umfassenden Bildung, die es jedem Einzelnen ermöglicht, sich voll zu entfalten. Kulturelle Bildung ist daher ein grundlegendes Menschenrecht, das für alle Lernenden gilt, einschließlich für die oft von Bildung Ausgeschlossenen.« (UNESCO, 2006, S. 7) Kulturelle Bildung soll also den Menschen dazu befähigen, (1) den eigenen kulturellen Interessen zu folgen, (2) künstlerischästhetische Wahrnehmung zu entwickeln und (3) am kulturellen Leben teilzuhaben. Sie soll zur Ausformung der eigenen Persönlichkeit und zur Inte-
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gration in der Gesellschaft beitragen (Weishaupt & Zimmer, 2013). Bamford (2009) sieht als Ziel der kulturellen Bildung, das kulturelle Erbe an eine jüngere Generation weiterzugeben, eine individuelle künstlerische Sprache zu finden und so zur umfassenden Entwicklung (emotional und kognitiv) beizutragen. Kulturelle Bildung findet statt, wenn kulturpädagogische Arbeitsformen eingesetzt werden, um Ziele allgemeiner Bildungsarbeit zu verfolgen, oder wenn künstlerische Kompetenzen vermittelt werden (de Groote & Nebauer, 2009). Kulturelle Bildung wird hier als zweidimensionaler Prozess verstanden, der sich grob in Kompetenzaufbau durch die Künste (education through the arts) und Kompetenzaufbau in den Künsten (education in the arts) einteilen lässt. Bildung durch Kunst verwendet die Kunst als Mittel, um Gegenstände zu erlernen und allgemeine Lernziele zu verfolgen. Dadurch werden eine Vielfalt von Lerngegenständen, insbesondere soziale und kulturelle Themen, Teil der künstlerischen Bildung. Es geht darum, durch die Beschäftigung mit Kunst und Kultur den Erwerb von Schlüsselkompetenzen wie Kreativität, Kommunikations- oder Reflexionsfähigkeit zu ermöglichen, die in vielfältigen Lebenszusammenhängen Wirkung entfalten können. Bildung in der Kunst hingegen lehrt praktische Herangehensweisen und theoretische Grundsätze der künstlerischen Disziplinen und soll dazu beitragen, kulturelle Identität zu entwickeln (Bamford, 2009). Es geht darum, Wissen und Fähigkeiten zum Verständnis künstlerisch-kreativer Arbeit in unterschiedlichen Kunstsparten aufzubauen und selbst kreativ zu werden. Ziel der kulturellen Bildung im Alter ist der Aufbau kultureller Teilhabe, welche »die Chance [eröffnet], sich auch im Alter weiter zu entwickeln und jenseits von Verwertbarkeitsfragen etwas zu tun, das ›Sinn‹ macht« (de Groote & Nebauer, 2009, S. 179). Durch ihre kompetenzfördernde Wirkung liegt in kultureller Bildung ein Schlüssel für Integration und Lebensqualität im Alter. Während die Forschung der vergangenen dreißig Jahre gezeigt hat, dass Bildung im Alter eine Reihe positiver Effekte auf Lebensqualität und erfolgreiches Altern mit sich bringt, ist die Wirkung von kultureller Bildung bislang noch wenig erforscht. Die in den folgenden Kapiteln dargestellten Forschungsergebnisse bringen erstens eine Beschreibung und Verortung der kulturellen Bildung im Alter und liefern zweitens einen Einblick in die Wirkungsweise von Kulturinstitutionen. Dabei geht es primär um die Stellung des Alters bzw. die Altersbilder in diesen Einrichtungen. Schließlich enthält dieser Teil Handlungsempfehlungen für ein Mainstreaming Ageing im Praxisfeld des kulturellen Handelns.
Teil 5: Mainstreaming Ageing und kulturelle Bildung im Alter
1.
Datenbasis und Methode
Die in diesem Teil dargestellten Ergebnisse entstanden im Rahmen des Forschungsprojektes »Mainstreaming Ageing im Kultursektor«, das zwischen 2016 und 2018 unter der Leitung von MEDIACULT in Kooperation mit dem Institut für Soziologie der Universität Wien durchgeführt wurde. Gefördert wurde es aus Mitteln des Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank. Das Projekt hatte ein Mixed-Methods-Design, in dem Ergebnisse von quantitativen und qualitativen Forschungsphasen miteinander verbunden wurden. Datenerhebung und Datenauswertung erfolgten in zwei Schritten. Zur Klärung und Bestimmung von kultureller Bildung wurden zunächst eine quantitative Online-Umfrage durchgeführt und eine Datenbank von aktuell laufenden Angeboten der kulturellen Bildung für ältere Menschen erstellt. Insgesamt haben 239 Personen (Institutionen) an der Online-Umfrage im Zeitraum vom 2. bis 30. November 2016 teilgenommen. Bei 173 Befragten gab es in ihrer Organisation zum Befragungszeitpunkt für Erwachsene ausgelegte Angebote der kulturellen Bildung, 34 Personen gaben an, dass in ihrer Organisation keine Angebote der kulturellen Bildung stattfanden. Diese 34 Personen wurden für die weitere Datenanalyse ausgeschlossen. 32 Personen beantworteten die Frage nach derzeitigen Angeboten kultureller Bildung in ihrer Organisation nicht. Sie wurden ebenfalls für die weitere Datenanalyse nicht berücksichtigt. Somit umfasste die durch die Online-Erhebung erstellte Datenbasis 173 Angebote. Diese Angebote kultureller Bildung kamen hauptsächlich aus den Bereichen bildender Kunst, Literatur, Musik, Medien, Tanz und Theater. In einem zweiten Schritt wurden sechs qualitative Fallstudien zu ausgewählten Angeboten der kulturellen Bildung für ältere Menschen durchgeführt, um die institutionellen Bedingungen, Zugangsbarrieren, aber auch Potenziale hinsichtlich der Entwicklung eines positiven Altersbildes zu untersuchen. Dafür wurden jeweils ein Leitfadeninterview mit einem Vertreter/einer Vertreter*in der entsprechenden Kulturorganisation geführt und zusätzlich einzelne Angebote vom Forschungsteam teilnehmend beobachtet und durch Protokolle dokumentiert. Leitfadengestützte Interviews mit Leiter*innen und Teilnehmer*innen rundeten die Datenerhebung hab. Alle Interviews wurden aufgezeichnet und transkribiert. Die Analyse der Beobachtungsprotokolle und Interviewtranskripte erfolgte nach einem Kodierschema mithilfe des Datenanalyseprogramms MAXQDA. Danach wurden die kodierten Daten mit der Situationsanalyse (Clarke, 2012) untersucht. Herangezogen wurden
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dafür Kulturangebote aus den Bereichen Tanz, Theater, Musik, Literatur, bildende Kunst und Technik vor dem Hintergrund maximaler Kontrastierung.
2.
Das Praxisfeld der kulturellen Bildung für ältere Menschen
In den letzten Jahren hat sich ein beachtliches lebendiges Praxisfeld der kulturellen Bildung für ältere Menschen entwickelt, das vor allem lokale Initiativen in Kulturorganisationen umfasst. Angebote finden sich sowohl in urbanen als auch in ländlichen Gebieten, wobei die Mehrheit in städtischen Räumen angesiedelt ist. Im ländlichen Raum werden hauptsächlich Senior*innentanz und Singen für ältere Menschen angeführt. Wenig überraschend kommt der Großteil der Angebote der kulturellen Bildung von Organisationen des Kunst- und Kultursektors (59 %). An zweiter Stelle stehen Angebote aus dem Bereich der Senior*innenbildung (30 %) und zu neun Prozent kommen sie aus der Erwachsenenbildung. Angebote für ältere Menschen im Kultursektor richten sich mehrheitlich nicht direkt an diese Zielgruppe, sondern an ein allgemeines Kulturpublikum, das auch ältere Menschen einschließt. 91 Prozent der kulturellen Bildungsangebote im Kunst- und Kultursektor sind altersheterogen ausgerichtet. In den Angeboten der kulturellen Bildung im Senior*innen- und Erwachsenenbildungsbereich findet sich ein starker Fokus auf ältere Menschen als Zielgruppe (63 %). Um einen tiefergehenden Einblick in das Praxisfeld der kulturellen Bildung für ältere Menschen in Österreich zu erhalten, wurden qualitative Fallstudien zu Angeboten kultureller Bildung durchgeführt. In diesen Interviews hat sich dabei als eine Herausforderung gezeigt, dass es keine formalisierten Netzwerke zum Austausch zwischen Einrichtungen des Kultursektors und der Senior*innenarbeit gibt. Keine der untersuchten Kulturorganisationen gab an, über formalisierte soziale Kontakte/Beziehungen im Bereich der Altenarbeit oder Senior*innenbildung zu verfügen. Selten oder gar nicht kommt es zu Kooperationen zwischen Einrichtungen der Senior*innenbildung und Kulturinstitutionen zur Entwicklung bzw. Weiterentwicklung von Angeboten für ältere Menschen. Diese fehlende Netzwerkbildung zwischen Einrichtungen der Senior*innenbildung und dem Kunst- und Kultursektor führt dazu, dass in den untersuchten Kulturorganisationen nur wenig Expert*innenwissen über die Bedürfnisse älterer Zielgruppen verfügbar ist, auf dessen Basis Kulturvermittlungsangebote entwickelt werden könnten. In den untersuchten Angeboten
Teil 5: Mainstreaming Ageing und kulturelle Bildung im Alter
zeigt sich beispielsweise, dass die Zielgruppe »Ältere Menschen« selten direkt und selten empirisch fundiert angesprochen wird. So adressierten die im Rahmen der Fallstudie untersuchten Angebote etwa »50+«-Menschen »unterschiedlicher Generationen« oder Menschen »mit Demenz«, wobei nur wenig Wissen über die Unterschiede dieser unterschiedlichen Zielgruppen vorhanden ist. Für die untersuchten Organisationen kann somit in institutionell-organisatorischer Hinsicht ein diffuses Bild älterer Zielgruppen festgestellt werden. Dies liegt vor allem daran, dass die Einbindung älterer Menschen in die Angebote der Kunst- und Kulturorganisationen dort kaum thematisiert wird. In Teambesprechungen und Strategiesitzungen wird die Zielgruppe ältere Menschen randständig behandelt. Das lässt sich dadurch erklären, dass politische Kulturstrategien (Kulturentwicklungsplanung) in Österreich bislang keinen Schwerpunkt auf diese Zielgruppe legen. Die untersuchten Kulturorganisationen verstehen sich deswegen nur teilweise als zuständig für die Ansprache älterer Zielgruppen. Eine weitere Herausforderung für Kulturorganisationen zeigt sich in der Qualifikation der Kulturvermittler*innen. Der Großteil der Vermittler*innen ist ohne einschlägige Kompetenzen in den Bereichen Gerontologie, Geragogik oder Altersforschung tätig. In den untersuchten Anbieterorganisationen war nur selten zielgruppenspezifisches Wissen vorhanden; die speziellen Bedürfnisse älterer Menschen spielen in der Ausbildung der Kulturvermittler*innen eher eine geringe Rolle. Ein weiterer Punkt, der über die Analyse der ausgewählten Fallbeispiele sichtbar wird, betrifft das Altersbild in den Angeboten kultureller Bildung. Dieses ist häufig defizitorientiert, was auch dem Umstand geschuldet ist, dass kaum reflektiert wird, welche Altersgruppe adressiert werden soll. Die Adressat*innen werden als weniger leistungsfähig und körperlich eingeschränkt beschrieben. Diese Vorstellung wird über altersbedingte körperliche Abbauprozesse begründet. Kulturelle Bildung zielt demgemäß primär auf Kompetenzerhalt und nicht auf Kompetenzauf- sowie -ausbau. Beispielhaft kann etwa ein untersuchtes Tanzangebot angeführt werden. Eine Gruppe von etwa vierzig älteren Menschen – überwiegend Frauen über sechzig Jahre – trifft sich wöchentlich in einer Sporthalle zum gemeinsamen Tanz. Die einzelnen Tänze werden von der Kulturvermittlerin vorgegeben, wie eine Forscherin in einem Beobachtungsprotokoll beschrieb: »Der Ablauf ist immer so, dass die Kulturvermittlerin die Schrittfolge zeigt, dann werden sie ohne Musik trockengeübt und anschließend wird ein ganzes Stück lang die Choreografie getanzt.« (Beobachtungsprotokoll 1, Tanzangebot) Ziel die-
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ses Angebots ist laut Kulturvermittlerin, dass die Teilnehmer*innen trotz des steigenden Alters bestimmte Tanzpraktiken erlernen können. Zwar seien ältere Menschen in Bezug auf ihre Bewegungsfähigkeiten eingeschränkt, doch könnte durch die spezielle Ausrichtung des Angebots erreicht werden, dass das Erlernen von Tänzen bis ins hohe Alter möglich ist. Die Zielsetzungen des Angebots beschrieb sie so: »Ich bin alt. Ich kann also verschiedene Dinge nicht mehr machen. Aber ich habe noch die Chance, anderes zu machen. Wirklich eben etwas, was meinem Alter entspricht.« In der Analyse wurde deutlich, dass auch die generelle Zielsetzung des Angebotes auf ein Altersbild ausgerichtet war, das Alter als Lebensphase des biologischen Abbaus und körperlicher Einschränkungen skizziert. Während bei Jugend- und Kindergruppen der Kompetenzaufbau im Vordergrund steht, geht es bei älteren Teilnehmer*innen um den Kompetenzerhalt. Die Zielsetzungen des Angebots waren damit allein von einem biologischen Altersbild geprägt, was sich auch darin ausdrückt, dass die körperliche Aktivierung in den Vordergrund gerückt wird: »Und gerade für ältere Menschen ist ja die Sturzgefahr sehr groß. Und das ist durch dieses Tanzen sehr oft, dass diese Sicherheit, diese Trittsicherheit oder die Standfestigkeit, dass das dann alles ein bisschen gestärkt wird oder geschult wird.« (Kulturvermittlerin Tanzangebot) Diese Annahmen über körperlich eingeschränkte ältere Menschen stehen oftmals in einem Gegensatz zur Gruppe der Teilnehmer*innen. Dies sind eher Personen zwischen sechzig und siebzig Jahren ohne nennenswerte gesundheitliche Probleme. In einem Jodelseminar, das besucht und beobachtet wurde, zeigt sich ein sehr differenziertes Altersbild. Es unterscheidet sich von dem anderer Angebote kultureller Bildung schon dadurch, dass es nicht von außen über die Lehrenden in den Kurs getragen, sondern vielmehr vor Ort »verhandelt« wird: Die älteren Teilnehmer*innen werden hier als Expert*innen in der Kulturtechnik des Jodelns verstanden und damit als Lehrende wahrgenommen, die Jodeltechniken an andere, teilweise jüngere Teilnehmer*innen weitergeben. Das Seminar ist ohne Fokus auf spezifische Altersgruppen konzipiert. Überwiegend wird es von älteren Frauen über sechzig besucht, einige wenige Teilnehmer*innen sind unter dreißig Jahre alt. Das Altersbild, dem dieses Angebot folgt, beschreibt ältere Menschen als erfahren, ruhig und gelassener, wie im folgenden Zitat angedeutet: »Altern heißt, dass man reich an Jahren wird, vielleicht an Erfahrung. Ja, an Erfahrungen, Begegnungen, dass man vielleicht im Alter – das ist jetzt ein Detail – ein bisschen gütiger wird, ein bisschen vielleicht mehr nachdenkt immer, nicht mehr mit dem Kopf durch die Wand.« (Kulturvermittler) In dieses Altersbild eingebettet ist die Vorstel-
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lung, dass die älteren Teilnehmer*innen semiprofessionelle Expert*innen in der Tradition des Jodelns sind. Weil Jodeln ein altes Kulturgut ist, das primär von der älteren Generation tradiert wird, hatten die älteren Teilnehmer*innen die Rolle von Lehrenden, die – den professionellen Kulturvermittler unterstützend – jüngeren Teilnehmer*innen Tradition und Wissen weitergeben sollten. Dies wird auch in den Selbstbeschreibungen deutlich, etwa wenn eine Teilnehmerin sagt, dass die Weitergabe ihres Wissens an die nächste Generation eine wichtige Motivation für ihre Teilnahme am Angebot darstellt: »Ich bin ja schon alt und ich will schauen, dass Leute nachkommen, dass wieder Jüngere dabei sind und dass sie das einmal erleben dürfen.« Das Jodelseminar ist aber auch noch in einer anderen Hinsicht beispielgebend, nämlich bei der räumlichen Verortung. Es findet nicht in einem Kursraum einer Volkshochschule oder einem Seminarraum in einem Hotel statt, sondern auf einer Almhütte. Die räumliche Ordnung des Angebots wird als wesentlicher Teil dieser Gesangskultur verstanden, die eine wichtige Gemeinsamkeit zwischen den Teilnehmer*innen erzeugt: »[…] und natürlich auf die Alm, auf die wir gehen und irgendwo gemeinsam singen, das ist ja das Schönste, nicht? Es passt alles zusammen, das gehört zu unserer Kultur.« (Teilnehmerin, 71 Jahre) Dazu kommt, dass die Teilnehmer*innen das Gefühl haben, durch diesen Ort eine besondere soziale Position in der Kultureinrichtung einzunehmen (Gallistl & Parisot, 2020). Obwohl sich also in diesem Angebot ein durchaus positives Altersbild zeigt, sind aber auch hier homogenisierende Vorstellungen von älteren Menschen anzutreffen. Sie werden verallgemeinernd als weise Expert*innen bezeichnet. Ziel eines an Diversität ausgerichteten Zugangs zur kulturellen Bildung wäre es, vielfältige Altersbilder und Rollen für ältere Menschen – jenseits von körperlicher Einschränkung oder weisem Expert*innenstatus – zuzulassen und auch aktiv im kulturellen Bildungsangebot zu verhandeln. Ein Angebot der kulturellen Bildung für ältere Menschen, das die Vielfalt berücksichtigt, müsste das Ziel haben, neben der Heterogenität von Altersbildern auch eine explizite Thematisierung des Alter(n)s als Punkt kultureller Bildung zuzulassen. Von daher sollten die entsprechenden Kompetenzen der Kulturvermittler*innen gefördert werden, damit kulturelle Bildung im Alter ältere Menschen nicht nur als Zielgruppe adressiert, sondern sich selbst als Impuls versteht, um »den Herausforderungen des Alterns in ihrer Vielfalt lernend und offen zu begegnen« (Schramek, 2018, S.57).
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3.
Handlungsempfehlungen: »Mainstreaming Ageing« in der Kultur
Kulturelle Bildung für Menschen im Alter stellt in Österreich ein wachsendes und lebendiges Praxisfeld dar. Einrichtungen sowohl des Kunst- und Kultursektors als auch der Erwachsenen- und Senior*innenbildung machen Angebote für kulturelle Bildung (auch) für ältere Menschen und leisten damit einen Beitrag zum Aufbau kultureller Kompetenzen und zur Unterstützung sozialer Teilhabe im Alter. Die in den letzten Kapiteln dargestellten Studienergebnisse haben allerdings auch gezeigt, dass deutlicher Bedarf bei der Weiterentwicklung dieses Praxisfeldes besteht. So zeigten die detaillierten Analysen von Fallstudien in ausgewählten Kultureinrichtungen, dass dort nur selten professionalisiertes Wissen zur Verfügung steht, um ältere Menschen als Zielgruppe der kulturellen Bildung zu adressieren, und es kaum verbindliche Leitlinien oder regelmäßiges Monitoring von Aktivitäten für ältere Zielgruppen in Kunst und Kultur gibt. Auf Basis der Studienergebnisse zu »Zugangsbarrieren für ältere Menschen in der kulturellen Bildung«, einer Forschungskooperation von MEDIACULT und dem Institut für Soziologie der Universität Wien, wurde eine Liste von Empfehlungen als Handreichung an die Praxis entwickelt. Diese Leitlinien sollen dazu beitragen, das Potenzial kultureller Bildung im Alter zu realisieren und ihre Weiterentwicklung in Österreich zu unterstützen. Die Empfehlungen wenden sich erstens an Kultur- und Bildungseinrichtungen in Österreich und fokussieren auf die Unterstützung der organisationalen Entwicklung oder strategischen Planung zur (Re-)Definition von Diversitätskonzepten, um auch ältere Menschen darin besser sichtbar zu machen. Zweitens sind Kulturvermittler*innen und Bildungsvermittler*innen angesprochen, deren Kompetenzen bei der Arbeit mit älteren Menschen gestärkt werden sollen. In diesem Sinne sind die Empfehlungen auch als Erweiterung zu bestehenden Qualitätskriterien der Senior*innenbildung (siehe etwa Kolland, Gallistl & Wanka, 2018) zu verstehen. Drittens richtet sich der Leitfaden an Kulturämter zur Revision bestehender Förderrichtlinien und -praxen. Insgesamt ist er als integrierter Ansatz zu verstehen, der zuständige Personen auf verschiedenen Entscheidungsebenen (in Gebietskörperschaften, der Leitung von Anbieterorganisationen, der Kultur- und Bildungsvermittlung) inspirieren soll, eigene Vorstellungen und Konzepte von Lern- und Bildungsangeboten für ältere Menschen zu reflektieren und weitere Impulse zu setzen.
Teil 5: Mainstreaming Ageing und kulturelle Bildung im Alter
Die Empfehlungen sind in acht Handlungsfelder unterteilt und lassen sich auch im Endbericht des Projektes einsehen (Zembylas et al., 2018).
3.1
Politik und Governance
Problemstellung Seitens der Gebietskörperschaften Bund, Bundesländer und Gemeinden und deren Administration gibt es bis dato wenig Aufmerksamkeit gegenüber dem Thema der kulturellen Bildung in Zusammenhang mit älteren Menschen. Wesentliche damit verbundene Aufgaben sind an nicht staatliche Stellen ausgelagert, die wiederum in die Sektoren Pflege/Gesundheit und Soziales, Bildung sowie Kultur untergliedert sind und vor allem spezifische Aufgaben in ihrem konkreten Tätigkeitsfeld wahrnehmen. Entsprechend verteilen sie ihre finanziellen und personellen Ressourcen vorwiegend auf Tätigkeiten, für die aufgrund öffentlicher Finanzierung konkrete Vertragsbindungen und Zielvereinbarungen bestehen. Darüber hinaus bestehende »weiche« normative Anforderungen beispielsweise hinsichtlich der Partizipation unterschiedlicher Zielgruppen bzw. interkultureller Öffnung sind dem gegenüber nachgelagert und entsprechend oft organisationsintern schwächer verankert. Kulturelle Bildung für Menschen im Alter hat keine eindeutig zuständige Körperschaft und dieses Praxisfeld spannt sich aktuell zwischen Kunst und Kultur auf der einen und Bildungs- und Sozialeinrichtungen auf der anderen Seite auf. Es bedarf als Querschnittsthematik allerdings einer kooperativen Governance zwischen staatlichen Stellen auf unterschiedlichen Ebenen (Bund – Länder – Gemeinden) sowie zwischen staatlichen und nicht staatlichen Stellen (vertikale Governance). Ebenso ist eine interdisziplinäre Governance-Kooperation zwischen den unterschiedlichen Sektoren Bildung, Kultur, Pflege/Gesundheit und Soziales gefordert (horizontale Governance). Um dieses Ziel zu erreichen, können auf Basis der Forschungsergebnisse folgenden Empfehlungen ausgesprochen werden: Entwicklung von Bottom-up-Kooperationen und Top-down-Förderansätzen zur kulturellen Bildung im Alter Es ist angesichts der hohen Komplexität erwartbar, dass es punktuell zu kooperativen Governance-Formen kommt. So kann zum Beispiel gelingen, dass in einzelnen Städten Kultur-, Sozial- und Pflegeeinrichtungen kooperieren und damit Aufmerksamkeit bei politischen und administrativen Stellen für die Potenziale gemeinsamer Angebote für die Zielgruppe älterer Menschen generiert wird (Bottom-up-Ansatz). Dies ist aktuell auch etablier-
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te Praxis der kulturellen Bildung für ältere Menschen in Österreich. Umgekehrt ist es möglich, dass sich eine spezifische Verwaltungszuständigkeit der Thematik annimmt. Hier wären beispielsweise Maßnahmen wie ein Förderpreis oder eine Förderkategorie für Angebote der kulturellen Bildung für ältere Menschen sinnvoll, die Aufmerksamkeit bei Organisationen schaffen, welche mit der Umsetzung dieser Angebote befasst sind bzw. dafür interessiert werden könnten (Top-down-Ansatz). Sichtbarmachung und Analyse der Governance-Strukturen und politischen Zuständigkeiten Ein erster Schritt, um die Komplexität der mit kultureller Bildung im Alter verbundenen Governance-Fragen zu durchdringen, ist eine Sichtbarmachung der zuständigen staatlichen und nicht staatlichen Stellen und eine Analyse ihrer Beziehungen zueinander. So kann deutlich werden, wo es mehrfache bzw. sich überschneidende Kompetenzen gibt. Davon ausgehend kann gezeigt werden, wo bereits Kooperation gelingt (Good Practices), wo sie prinzipiell möglich (Governance Opportunities) und wo eher unwahrscheinlich ist. Neben der Notwendigkeit der Netzwerkbildung manifestiert sich hier auch ein Forschungsbedarf, der im entsprechenden Handlungsfeld wieder aufgegriffen wird. Etablierung von Netzwerken kultureller Bildung im Alter Organisationen und Individuen, die sich mit den Potenzialen kultureller Bildung im Alter befassen und ihre Angebote hier weiter ausbauen möchten, können gezielt ihre Interessen bündeln und über gemeinsame Kommunikationsanstrengungen versuchen, bei politischen Entscheidungsträger*innen auf unterschiedlichen Ebenen – Stadt, Länder, Bund – Gehör für ihre Anliegen zu finden. Aktuell existiert ein vielfältiges und lebendiges Praxisfeld der kulturellen Bildung im Alter, gleichzeitig gibt es in Österreich aber kaum Vernetzung und (strukturierten) Austausch zu diesem Thema. Da sowohl der Kultur- als auch der Sozialbereich in Österreich über eine gewachsene Verbands- und Vereinsstruktur verfügt, die teilweise mit hohem Professionalisierungsgrad Kampagnen durchführen und Lobbying betreiben, gilt es, vorhandene Strukturen und Netzwerke zu nutzen und diese allenfalls zu weiterer Kooperation anzuregen – potenziell auch institutionalisiert im Sinne eines »Dachverbands kulturelle Bildung für ältere Menschen«.
Teil 5: Mainstreaming Ageing und kulturelle Bildung im Alter
3.2
Diversität
Die untersuchten Fallstudien zeigen, dass die Möglichkeiten für Personen, in der nachberuflichen Lebensphase an kulturellen Angeboten zu partizipieren, groß sind, solange die Faktoren »able, active, affluent, Austrian« (fähig, aktiv, wohlhabend, österreichisch) auf sie zutreffen. Insbesondere die ersten Faktoren (fähig und aktiv) können sich jedoch in dieser Lebensphase aufgrund eigener körperlicher und/oder sozialer Einschnitte (z.B. Verlust oder Pflege eines Angehörigen) ad hoc oder schleichend verändern. Die Beschäftigung mit kulturellen Bildungsangeboten für Ältere sensibilisiert daher nicht nur weiter für manifeste, problematisierte Ausschlussmechanismen marginalisierter Gruppen im Kulturbereich, sondern auch für lebensphasenspezifische Ver- und Behinderungsfaktoren, die jeden und jede betreffen können – unabhängig vom jeweiligen sozialen Status. Die Empfehlungen im Handlungsfeld Diversität möchten deswegen einen intersektionalen Blick auf ältere Menschen als Zielgruppe der kulturellen Bildung schärfen, der die Vielfalt und Heterogenität der Lebensphase Alter betont. Damit unterstützen sie die Bemühungen, diverse Zielgruppen älterer Menschen mit Angeboten der kulturellen Bildung zu erreichen und so die soziale und kulturelle Teilhabe älterer Menschen, und ganz besonders von marginalisierten Gruppen im Alter, zu stärken. Berücksichtigung lebensphasenspezifischer Veränderungen in der Erstellung von Diversitätskonzepten Diversitätskonzepte navigieren prinzipiell in einem spannungsreichen Feld zwischen Inklusion und Exklusion, unspezifischen und spezifischen Angeboten, zwischen einem Hervorheben und einem Nivellieren von Unterschieden. Die vorliegenden Studienergebnisse zur kulturellen Bildung im Alter regen dazu an, die Kategorie »Alter« in der Erstellung von Diversitätskonzepten differenzierter als bislang zu thematisieren und zu diskutieren. Wohl keine andere Kategorie ist im Hinblick auf Intersektionalitäten derart prozesshaft und dynamisch wie das Alter. Die Kategorie verlangt daher nach einer laufenden Reflexion und Neuausrichtung von Angeboten unter Berücksichtigung weiterer Diversitätskategorien wie »Fähigkeit« (ability) oder »Gender«. Dies auch, um weitere Faktoren zu identifizieren, die aufgrund von lebensphasenspezifischen Veränderungen verhindern, dass Personen Angebote kultureller Bildung kontinuierlich wahrnehmen können.
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Reflexion von Diversitätskonzepten im Hinblick auf die Zielgruppe ältere Menschen Es gilt, den Bedürfnissen spezifischer Zielgruppen gerecht zu werden und dabei immer wieder kritisch auszuloten, welche oft nicht intendierten Ausschlussmechanismen über spezifische Angebote potenziell erzeugt werden: etwa aufgrund sprachlicher Konventionen, eines vermittelten Wertebildes, körperlicher oder kognitiver Voraussetzungen, des Zeitpunkts oder Ortes einer Veranstaltung. Intergenerationelle oder interkulturelle Angebote eignen sich dazu, auszuprobieren, ob und wie es gelingt, Personen mit unterschiedlichen Voraussetzungen, Bedürfnissen und Haltungen in einen gemeinsamen Prozess einzubeziehen. Entsprechend stellen sie besondere Herausforderungen hinsichtlich der Konzeption sowie der Qualifikation und Erfahrung der Vermittler*innen. In der kulturellen Bildung für ältere Menschen kann sich eine solche Diversität in einer zielgruppenspezifischen Benennung des Angebots äußern, etwa indem die Adressierten nicht generell angesprochen werden (z.B. als Senior*innen, Pensionist*innen, Silver Ager). Stattdessen kann hier empfohlen werden, die älteren Menschen anhand von lebensphasenspezifischen Themen anzusprechen (z.B. Eintritt in die Nacherwerbsphase, körperliche Veränderung, Großelternschaft, Verwitwung).
3.3
Zielgruppenorientierung
Aufgrund der demografischen Entwicklung in Österreich stellen ältere Menschen (d.h. Personen in der nachberuflichen Phase) innerhalb der breiten, aber unspezifischen Zielgruppe der Erwachsenen ein wachsendes Segment dar. Während Kultureinrichtungen den Großteil ihres Publikums aus diesem Segment rekrutieren, richtet sich das Gros der Vermittlungs- bzw. kulturellen Bildungsangebote auf Kinder und Jugendliche. Umgekehrt nimmt bei Einrichtungen, die sich speziell der Senior*innenarbeit und Senior*innenbildung widmen, der Bereich der Kultur- und Kreativangebote keine zentrale Position ein. Partizipation von älteren Adressat*innen an der Angebotsentwicklung fördern Die Einbeziehung von Vertreter*innen der Zielgruppe der Älteren in die Angebotsgestaltung zum Beispiel über Gesprächsrunden sowie das Testen und Reflektieren von Formaten ist ein Weg für Einrichtungen, die Bedürfnisse Älterer im Bereich kultureller Bildung zu erheben (insbesondere, wenn dabei Nutzungssituationen im Hinblick auf Barrierefreiheit geprüft werden
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können). Es ist darauf zu achten, nicht nur Personen einzubeziehen, die aufgrund ihres Bildungs- und sozialen Status oder ihres rhetorischen Geschicks eine Wortführerschaft übernehmen, sondern auch solche, die bislang eher unterrepräsentiert sind bzw. deren Stimme wenig gehört wird. Strukturierte Nutzung der Potenziale von ehrenamtlichem Engagement im Kultursektor Viele Kultureinrichtungen sind wirtschaftlich auf ein älteres Stammpublikum angewiesen. Förder- und Freundeskreise als spezifische Unterstützungsgremien kultureller Einrichtungen rekrutieren sich oft aus Personen im fortgeschrittenen Alter. Menschen in der nachberuflichen Lebensphase leisten ehrenamtliche oder geringfügig entlohnte Arbeit im Kultursektor. Professionelle Künstler*innen (bildende Künstler*innen, Musiker*innen, Schauspieler*innen, Autor*innen etc.) sind oft noch bis ins hohe Alter aktiv. Nicht immer erfährt diese Arbeit Unterstützung und Wertschätzung. Im Gegenteil, es ist die Rede davon, dass eine »Verjüngung« des Publikums aussteht, ein »Aussterben« des Publikums droht, dass das Publikum aus einem »Silbersee« besteht, dass das »traditionelle Publikum« nur »seichte Unterhaltung« möchte. Erhalten ältere Musiker*innen, Schauspieler*innen, Tänzer*innen noch genügend Auftrittsmöglichkeiten? Diskriminierende Konzepte, die im kulturmanageriellen Diskurs verbreitet sind, müssen aufgedeckt, kritisiert bzw. im Hinblick auf ihre realen Konsequenzen reflektiert werden. Dabei kann es förderlich sein, durch strukturiertes ehrenamtliches Engagement die Partizipation älterer Menschen im Kunst- und Kulturbetrieb gezielt zu fördern. Freiwilliges Engagement wird in Österreich überwiegend von (älteren) Erwachsenen ausgeübt, gleichzeitig besteht großes Interesse gerade der »jüngeren« Alten an Kunst und Kultur. Hier Potenziale von ehrenamtlichem Engagement gezielt zu nutzen, kann dazu beitragen, die Bedürfnisse älterer Menschen im Kunstund Kulturbetrieb sichtbar zu machen und diskriminierende Praktiken aufzudecken.
3.4
Qualifizierung
In Österreich gibt es derzeit nur wenige Personen mit spezifischen kulturgeragogischen Kompetenzen, die in der kulturellen Bildung für ältere Menschen genutzt werden. Bestehende Lehrgänge für Kulturvermittler*innen und Kulturmanager*innen greifen die Zielgruppen der Älteren und ihre Bedürfnisse allenfalls kursorisch auf. Analog gibt es Entwicklungsbedarf für didaktische Konzepte kultureller Bildung für Ältere.
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Entwicklung didaktischer Ansätze unter kritischer Reflexion bestehender Kategorien Die vorliegende Studie zeigt, dass bestehende Kategorien wie »Bildung« versus »Unterhaltung« und »Alter« bzw. »Senior*innen« für die Entwicklung innovativer didaktischer Ansätze hinderlich sind. Dabei verlangt die Entwicklung von nonformalen Angeboten der kulturellen Bildung für ältere Zielgruppen einen sensiblen Balanceakt zwischen Selbstermächtigung und Aktivierung, Freude/Motivation und Anstrengung/Herausforderung, einer Nutzenerwartung und einem nicht ökonomisierten/zweckfreien Raum. Stärkung der Aus- und Weiterbildung in der kulturellen Bildung für ältere Menschen Bei der Aus- und Weiterbildung sollte über eine Integration entsprechender Module in Studien- und Lehrgänge für Kulturvermittler*innen und Kulturmanager*innen nachgedacht werden. Umgekehrt wird angeregt, gemeinsame Fortbildungen zu organisieren, um von den spezifischen Kompetenzen des jeweiligen Gegenübers zu profitieren. Ein weiterer Bereich im Rahmen des lebenslangen Lernens, in dem es Ausbaubedarf gibt, betrifft Angebote für Menschen, die in der nachberuflichen Lebensphase im Bereich kultureller Bildung ehrenamtlich oder geringfügig tätig sind bzw. sein wollen. Hier kann es sowohl um Peer-to-Peer-Learning-Angebote gehen als auch um Angebote zum Beispiel für Kinder und Jugendliche (wie die vielerorts bestehenden Lesepatenschaften), für die Qualifizierungsbedarf besteht.
3.5
Monitoring
In vielen Einrichtungen des Kunst- und Kultursektors besteht aktuell kein Wissen dazu, wie viele oder welche älteren Zielgruppen an Angeboten der Kulturvermittlung und kulturellen Bildung teilnehmen. Strukturierte Datenerhebung und Monitoring dazu, welche (älteren) Zielgruppen aktuell mit Angeboten der kulturellen Bildung erreicht werden, tragen zur Entwicklung und Weiterentwicklung von zielgruppenspezifischen Angeboten bei. Durch eine gestiegene Sensibilität für den Umgang mit Daten und angesichts einer komplexen Rechtslage (Europäische Datenschutzverordnung) hat der Rechtfertigungsbedarf für Datenerhebungen zugenommen. Anders verhält es sich mit Evaluationen und der Qualitätsentwicklung bestehender Angebote: Hier gibt es Bedarf, bislang eher implizit vorhandene Vorstellungen bezüglich der Qualität kultureller Bildung für Ältere zu systematisieren und zu überprüfen.
Teil 5: Mainstreaming Ageing und kulturelle Bildung im Alter
Stärken von Datenerhebung und Monitoring Einrichtungen, die sich mit der Durchführung und Entwicklung von Angeboten kultureller Bildung für Ältere beschäftigen, wird empfohlen, ihren Bedarf an Datenerhebung und Monitoring zu spezifizieren. Die Frage nach dem Alter kann für die Entwicklung von Angeboten und zur Feststellung bestimmter Bedürfnisse und Wünsche wichtig sein (siehe etwa die Fallstudie zur Volkshochschule Oberösterreich), ist aber sensibel und kann beim Gegenüber für Irritation sorgen. Zu empfehlen ist deswegen ein Abwägen von Nutzen und Risiken. Entwicklung von Qualitätsleitbildern und Revision bestehender Zertifizierungsverfahren im Hinblick auf kulturelle Bildung Die Fallstudien zeigen, dass Qualitätsvorstellungen über »gute« Angebote kultureller Bildung für Ältere oft implizit sind und es abseits von generellen Qualitätsstandards und Zertifizierungsverfahren im Bereich Erwachsenenbildung keine spezifischen Zielvorstellungen gibt, die Grundlage zur Evaluation von Angeboten sein könnten. Hier gibt es einen konkreten Entwicklungsbedarf. Dieses Forschungsprojekt hat erste Vorschläge in Form von Checklisten erstellt, die einen entsprechenden Weiterentwicklungsprozess anregen sollen. Über einen Erfahrungsaustausch von Organisationen, die sich mit kultureller Bildung für Ältere befassen, können Qualitätsleitbilder und Zertifizierungsverfahren weiter definiert werden.
3.6
Barrierefreiheit
Dieser Bereich erfährt in Bezug auf die Bedürfnisse älterer Menschen in öffentlichen (Kultur-)Einrichtungen in Österreich bislang die größte Aufmerksamkeit und wird/wurde auch schon vielerorts umgesetzt. Dennoch gibt es auch hier noch Entwicklungsbedarf, insbesondere hinsichtlich der Kommunikation nach außen. So ist es zentral, dass bei der Zielgruppe Wissen über die Barrierefreiheit kultureller Bildungsangebote besteht. Barrierefreiheit nach außen kommunizieren Für potenzielle ältere Teilnehmer*innen ist nicht immer ersichtlich, inwiefern Angebote kultureller Bildung barrierefrei sind bzw. welche Voraussetzungen zur Teilnahme bestehen. Hier gibt es klaren Bedarf, die Kommunikation entsprechend zu schärfen und etwa auf Websites und in Angebotsbroschüren die Barrierefreiheit zu erläutern – und dabei selbst barrierefrei zu kommunizieren.
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Technologische Innovationen im Bereich Barrierefreiheit aktiv wahrnehmen und Barrierefreiheit in digitale Angebote einbeziehen Neue Entwicklungen im Bereich der digitalen Kommunikations- und Medientechnologie (insbesondere multisensorische und assistive Technologien) schaffen potenziell neue Partizipationsmöglichkeiten. Einrichtungen, die kulturelle Bildung für Ältere anbieten, sind entsprechend gefordert, diese Innovationen anzunehmen und zu reflektieren, welche neuen Möglichkeiten sich durch sie ergeben und wie sie sie nutzen und umsetzen können, um ihre Barrierefreiheit zu erweitern. Umgekehrt geht es auch darum, Websites, Apps und in Kultureinrichtungen verwendete Medien und Geräte wie Touchscreens insbesondere für blinde/sehbehinderte und gehörlose/schwerhörige Menschen barrierefrei zu gestalten.
3.7
Öffentlichkeitsarbeit
Hinsichtlich der Wahrnehmung von Angeboten kultureller Bildung zeigte sich anhand der Fallstudien, dass die Kompetenzen älterer Menschen im Bereich digitaler Medien eher unterschätzt werden. So sind Websites und E-Mails, aber auch digitale Kommunikationskanäle wie WhatsApp und Facebook unter älteren Zielgruppen weitaus verbreiteter als mitunter angenommen – was bei der Kommunikation von Angeboten kultureller Bildung berücksichtigt werden sollte. Umgekehrt gibt es ältere Personen, die meist aufgrund sozialer oder körperlicher Faktoren nur schwer über digitale Medien erreichbar sind. Differenzierung im Bereich Marketing und Öffentlichkeitsarbeit für ältere Zielgruppen Entsprechend der heterogenen und veränderlichen Voraussetzungen und Bedürfnisse älterer Zielgruppen sind Marketing und Öffentlichkeitsarbeit differenzierter als bislang auszurichten. Zum einen können digitale Kommunikationskanäle noch aktiver für Ältere genutzt werden, die medienaffin und aktiv sind. Zum anderen gibt es einen spezifischen Bedarf, auch aufwändigere aufsuchende (outreach) Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben, um jene zu erreichen, die aufgrund sozialer oder körperlicher Faktoren marginalisiert sind. Dazu gilt es, Kooperationen mit Sozial- und Pflegeeinrichtungen einzugehen bzw. über Multiplikator*innen und Mittler*innen (wie z.B. Angehörige) zu kommunizieren. Bündelung und Sichtbarmachung von Angeboten Die Studie zeigt, dass es nicht einfach ist, spezifische Angebote für ältere Menschen im Bereich der kulturellen Bildung zu identifizieren. Das liegt daran, dass sie nicht immer ent-
Teil 5: Mainstreaming Ageing und kulturelle Bildung im Alter
sprechend ausgewiesen sind, was nämlich auch mit Herausforderungen verbunden wäre (etwa der Gefahr, dass Angebote aufgrund ihrer Ausrichtung diskriminierend wirken bzw. auf Ablehnung stoßen, da sich Personen nicht mit der Kategorie »Alt/Ältere« oder dem Label »Senior*in« identifizieren). Im Bewusstsein dieser Herausforderung kann es darum gehen, wie Angebote für ältere Menschen stärker als bisher sichtbar und auffindbar gemacht werden können. Eine Möglichkeit ist, sie institutionenübergreifend zu bündeln, etwa auf Internetplattformen. Dies ist eine Aufgabe insbesondere für Bundesländer bzw. Regionen und größere Städte. Da es hierfür entsprechender Ressourcen bedarf (Erstellung, Wartung), ist abzuwägen, wie solche Plattformen finanziert werden können und welche Einrichtung diese Aufgaben übernehmen können (analog zu KulturKontakt Austria, die Angebote für Schulen bündeln).
3.8
Forschung
Die vorliegende Studie sensibilisiert für weiteren Forschungsbedarf: Zusätzlich zu einer Analyse der Governance-Strukturen, wie sie bereits zu Beginn dieses Empfehlungskatalogs angeregt wurde, geht es unter anderem um Wissen über Kulturverhalten, Teilnahmemotivation, Wirkungen kultureller Bildung, Angebotslücken, Benachteiligungen und Exklusionsmechanismen. Forschung im Hinblick auf Angebote und spartenspezifische Unterschiede Forschungsbedarf manifestiert sich zum einen im Hinblick auf spartenspezifische Unterschiede zwischen Angeboten, die unter dem Dach der kulturellen Bildung subsumiert werden. Welche Voraussetzungen stellen, welche Umsetzungsmöglichkeiten und Wirkungen generieren Tanz, Theater, Musik, Literatur, bildende Kunst, neue Medien – rezeptionsseitig ebenso wie durch eigene produktive Tätigkeit? Welche Angebotslücken bestehen? Forschung im Hinblick auf Zielgruppen und Rollen Darüber hinaus gilt es, die Zielgruppen noch genauer zu beforschen, etwa im Hinblick auf Teilnehmer*innen und Nichtteilnehmer*innen, auf den Einfluss von Gender, körperliche und geistige Voraussetzungen und Intersektionalitäten oder im Hinblick auf milieuspezifische Unterschiede, Motivation und Kulturverhalten. Auch Langzeitstudien und biografische Ansätze können neue Perspektiven auf vielfältige und veränderliche Erfahrungen mit kultureller Bildung in unterschiedlichen Lebensphasen sichtbar machen.
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Eine weitere Frage ist es, in welchen Rollen ältere Menschen in der kulturellen Bildung agieren: als Nichtteilnehmende, als Teilnehmende (aktiv/passiv), als ehrenamtlich Tätige, als aktiv Berufstätige/professionelle Künstler*innen, als Kund*innen, als Expert*innen, Lernende etc. Forschung im Bereich der Kulturvermittlung Auch die Gruppe der Personen, die kulturelle Bildungsangebote für ältere Menschen umsetzen (Kultur- und Bildungsvermittler*innen, Trainer*innen), ist näher im Hinblick auf Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kompetenzen im Bereich diversitäts- bzw. alterssensibler kultureller Bildung zu beforschen, etwa um Qualifizierungsbedürfnisse genauer zu erheben. Forschung im Hinblick auf Wirkungen Schließlich ergeben sich eine ganze Reihe weiterer Fragen hinsichtlich der intendierten und nicht intendierten Wirkungen kultureller Aktivitäten auf die Gesundheit, das Wohlbefinden, die sozialen Aktivitäten, die geistigen und körperlichen Fähigkeiten usw. – Fragen, bei denen eine interdisziplinäre Forschung gefragt ist und unterstützt werden sollte.
4.
Fazit
Für ein Verständnis von Benachteiligungen älterer Menschen beim Zugang zu Kunst und Kultur besteht Klärungsbedarf sowohl hinsichtlich des Verhältnisses von Kontinuität und Wandel in den Formen von Ungleichheit als auch bezüglich der Rolle der relevanten strukturstiftenden Instanzen von Ungleichheit (Klinger & Knapp, 2005). Dazu gehören nicht nur Organisationen, die die für den Zugang zu Kunst und Kultur relevanten Kompetenzen vermitteln, sondern auch Kultureinrichtungen, die kulturelle Rezeption beeinflussen. Diese »Instanzen« entwickeln zwar eine hohe Eigendynamik, sind aber ihrerseits stark abhängig von anderen gesellschaftlichen Einrichtungen, etwa Behörden und Sponsoren, die Kunst und Kultur mitfinanzieren. Es ist diese Gemengelage, die es schwierig macht, spezifische und klar umgrenzte Ursachen für die Benachteiligungen älterer Menschen herauszuarbeiten. Die Ergebnisse der hier vorgetragenen Studien beziehen sich primär auf strukturelle Defizite bzw. Schwachstellen der Kulturorganisationen selbst sowie jener, die die Voraussetzungen für kulturelle Beteiligung schaffen.
Teil 5: Mainstreaming Ageing und kulturelle Bildung im Alter
Da ist zunächst der Aspekt der Altersbilder zu nennen. In dieser Hinsicht kann festgehalten werden, dass die Älteren zumeist auf Basis ihrer biologischen Veränderungen als homogene Zielgruppe gesehen werden. Dabei sind es weniger das Kalenderalter als vielmehr vorausgegangene Sozialisationsund Lernbedingungen, die eine spezifische Didaktik verlangen. Werden ältere Menschen als körperlich und geistig eingeschränkt bzw. defizitär gesehen, dann kommt es zu einer ungünstigen Verstärkung von negativen Altersbildern, die zu Selbststereotypisierungen führen und zum Rückzug von bzw. zur Entmutigung beim Zugang zu kulturellen Angeboten. Barrierefreiheit im Zugang zu kulturellen Einrichtungen ist eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für den Abbau von Benachteiligung. Es gilt, die Heterogenität und Alterität der Generationen, aber auch die unterschiedlichen Persönlichkeiten wahrzunehmen. Als ein zweiter Aspekt sollen die in den kulturellen Institutionen eingeschriebenen Codes und Regelungen angeführt werden, die gewisse Formen von Alterssegregation im Feld von Kunst und Kultur erzeugen. Eine Möglichkeit, diese Strukturen zu entschlüsseln, bietet die Governance-Forschung. Mit ihr kann der Wandel von Regelungs- und Steuerungsmechanismen auf der Ebene von Institutionen und Organisationen erfasst werden. Institutionen verkörpern Erfahrungs- und Deutungswissen der Gesellschaftsmitglieder und ermöglichen Orientierung auf das, was als zukünftig machbar und wünschenswert angesehen wird. Solche institutionell entstandenen Leitbilder sind das Ergebnis sozialer und politischer Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen Gruppen von Akteur*innen und werden immer auch von den jeweiligen Machtverhältnissen geprägt (Berthoin Antal & Quack, 2006, S. 346f.). In dieser Hinsicht kann von einer mangelnden Repräsentanz des Alters bzw. einer Altersblindheit kultureller Organisationen gesprochen werden. Belegbar ist diese »Blindheit« über fehlende Kompetenzen von Entscheidungsträger*innen zu den Bedürfnissen älterer Menschen und über fehlende Kontakte zu jenen gesellschaftlichen Organisationen, die sich mit dem Alter befassen. Ableiten lässt sich aus dieser Beschreibung und Analyse, dass die bestehenden kulturellen Institutionen einen Anpassungsbedarf haben in Richtung gegenwärtiger und zukünftiger Altersgenerationen. Dieser Abschnitt wurde mit der Feststellung eingeleitet, dass das in den 1970er Jahren lancierte Policy-Konzept einer »Kultur für alle« nur von geringer Bedeutung für die Integration von älteren Menschen in das Feld von Kunst und Kultur war. Deutlich stärker auf alte Menschen bezogen war dann das in der ersten
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Dekade des 21. Jahrhunderts eingeführte Konzept der »Age-Friendliness«, bezogen auf Kommunen, Gesundheit, Umwelt, Kultur. In der zweiten Dekade versucht sich auf dieser Basis ein modifiziertes Konzept Aufmerksamkeit zu verschaffen, nämlich das der »All-Age-Friendliness« (Twigg & Martin., 2014), womit einerseits der Gedanke der Intergenerationalität stärker in den Vordergrund gestellt wird und andererseits alterssegregative Tendenzen vermieden werden.
Teil 6: Ausblick − Chancen und Grenzen neuer Kulturstile im Alter
Die hier über verschiedene Projekte und Fragestellungen vorgenommene Beschreibung und Analyse kultureller Lebensformen und künstlerisch-symbolischer Äußerungen wirft nochmals die Frage auf: Was ist neu an den neuen Kulturstilen im Alter? Was heißt eigentlich neu, wenn sich dies nicht auf materielle Objekte oder Konsumartikel bezieht? Geht es um eine Neuheit, die über lange Zeitstrecken entsteht, oder um eine, die für die Dynamik in der Abfolge der Generationen typisch ist, oder geht es um Neuheit, die aus strukturellen Veränderungen hervorbricht? Wenn es um Veränderungen über lange Zeiträume geht, die neue Kulturstile entstehen lassen, dann kann dafür der demografische Wandel als Ursache angeführt werden. Merkmal für diese Veränderung, die vor rund einem Jahrhundert begonnen hat, ist die steigende Lebenserwartung. Je länger die Lebensphase Alter für die große Mehrheit der Bevölkerung dauert, desto größer wird die Bedeutung der Kultur. Es geht um neue kulturelle Lebensformen, die sich rund um das Wohnen, die sozialen Beziehungen und die Ästhetisierung des Alltags entwickeln. Es geht aber auch um einen Wertewandel, der die Versorgung im Alter betrifft. Vor mehr als einhundert Jahren ist die Rentenversicherung entstanden, Jahrzehnte später Systeme der Pflegeversicherung. Diese Systeme verändern sich in Wechselwirkung mit der Veränderung kultureller Lebensstile. Die Ausformung wird vielfältiger, der Versorgungsgedanke durch Erwartungen in Richtung Eigenverantwortung und Eigenvorsorge zurückgedrängt. Eine andere treibende Komponente für neue Kulturstile ist die Generationszugehörigkeit. Die heute Älteren sind generationell anders geprägt als die Älteren vor 25 oder 50 Jahren. Als besonders bedeutsam für die kulturelle Beteiligung und den künstlerischen Ausdruck kann die Bildung angeführt werden. Das Bildungsniveau ist im Generationenvergleich stark gestiegen.
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Von daher sind die neuen Kulturstile weniger das Ergebnis einer neuartigen Kulturtätigkeit im Alter, sondern von Sozialisationsprozessen. Dass sich die Älteren in neuerer Zeit verstärkt den kulturellen Angeboten zuwenden, ist in maßgeblicher Weise ihrer Generationszugehörigkeit geschuldet. Sie haben eine bessere Bildung als die vorherigen Generationen, sie verfügen über mehr finanzielle Ressourcen, sie sind insgesamt aktiver. Sie setzen ihre bisherige Praxis kultureller Teilhabe in gestiegenem Alter weiterhin fort. Und sie sind vermutlich aufgrund eines veränderten Rollenverständnisses dazu auch eher bereit. Das traditionell eher passive, zurückgezogene Muster der Lebensführung ist bei ihnen einer eher aktiven Form gewichen. Aus dieser Sicht ist die kulturelle Teilhabe nicht nur eine Funktion des kulturellen Angebots, sondern auch eine Folge der Veränderungen im Rahmen der Generationenabfolge (Reuband, 2017). Als dritter Aspekt sind Prozesse der Globalisierung und Digitalisierung zu nennen. Die neuen Kulturstile haben mit einem Strukturwandel von Wirtschaft und Gesellschaft hin zu einer Informationsgesellschaft zu tun. Zweifellos sind Menschen in der nachberuflichen Lebensphase beweglicher geworden und stehen in einem fast ständigen Austausch mit Menschen, die nicht in unmittelbarer Nähe leben. Das geschieht über (Senioren-)Reisen, digitale Vernetzung und über die Rezeption von Kulturangeboten, die den nationalen Container über weite Strecken verlassen haben. Dieser Austausch führt zu Vielfalt in der alltäglichen Lebensführung und im künstlerischen Handeln. Anzuführen sind neue Essstile, neue Wohnstile, neue Formen des künstlerischen Ausdrucks, die von Reisen mitgebracht wurden oder aus dem Internet stammen. Mit dem Titel »Neue Kulturstile im Alter« sollen also neue Wege des Alterns beschrieben werden, die sich sowohl in den kulturellen Lebensformen als auch in künstlerisch-symbolischen Äußerungen zeigen. Es sollen jene Bedingungen herausgearbeitet werden, die zu neuen Kulturstilen »drängen«. Damit ist erneut die wesentliche Herausforderung für das Neue benannt, nämlich gesellschaftliche Veränderungen. Unklar bleibt, ob Kunst Wandel auslöst oder – wie zuvor dargestellt – durch diesen ausgelöst wird. Für letztere Position finden sich in diesem Buch zahlreiche Hinweise, die wir nachfolgend noch genauer in den Blick nehmen wollen. Selbst da, wo Kunst auf begrifflich noch nicht Gewusstes verweist, löst sie selbst nur beschränkt Wandel aus, sondern symbolisiert diesen als bereits wirksame Tendenz (Göschel, 2012/2013). Von daher sind es eher grundlegende soziale
Teil 6: Ausblick − Chancen und Grenzen neuer Kulturstile im Alter
Wandlungsprozesse, die neue Kulturstile hervorbringen und sich in einer Wechselwirkung mit diesen Wandlungsprozessen weiterentwickeln. Die Voraussetzungen der kulturellen Beteiligung für ältere Menschen verändern sich, weil sich die sozialen Bedingungen ihrer Angehörigen verändern, wie Andreas Reckwitz zeigt, wenn er schreibt, dass das Subjekt als »Quelle von Unberechenbarkeit und Innovation erscheint, ohne dass dazu, klassisch subjekttheoretisch, Autonomie, Reflexivität oder Eigeninteressiertheit ›des Subjekts‹ jenseits und vor der Praxis präjudiziert würden« (Reckwitz, 2003, S. 296). Die Subjekte sind in all ihren Merkmalen Produkte historisch und kulturell spezifischer Praktiken. Die neuen Kulturstile sind in ihrer Pluralisierung mit diesen Praktiken verknüpft, die vom demografischen Wandel, dem Anstieg des Bildungsniveaus, den Veränderungen der Altersbilder, der Frauenemanzipation und durch die Digitalisierung eine besondere Dynamik bekommen.
1.
Sozialer Wandel als Voraussetzung für Pluralisierung
Im Vergleich zu traditionalen Gesellschaften ist die Freizeit und damit auch die Lebensphase Alter weniger leitmotivisch vorgeformt. Ihre geringere rituelle und religiöse Geprägtheit erhöht die individuellen Gestaltungsmöglichkeiten, ermöglicht die Ausbildung vielfältiger Kultur- und Lebensstile. Die allgemeine Verbesserung der Lebensbedingungen in den Dienstleistungsgesellschaften führt zu mehr Möglichkeiten und stärkeren Bedürfnissen individueller Differenzierung. Der Trend zum Erlebniskonsum ist eine Antwort auf Tendenzen zur Gleichförmigkeit im Lebensstil. Erlebnis, Atmosphäre, Eindruck werden über neue und zum Teil spektakuläre Formen der Präsentation von Kunst und Kultur in den sozialen Medien erzeugt. Als spektakulär können jene Videos bezeichnet werden, die von älteren Menschen zu Mode, Tanz, Körperausdruck in sozialen Medien wie TikTok oder Instagram verbreitet werden. Spektakulär ist dabei ihre Gestaltung und dass sie dadurch in Medien starken Anklang finden, die eher von jungen Menschen genutzt werden. Begründen lässt sich dieser »Erfolg«, den ältere Menschen mit künstlerischen Präsentationen in den sozialen Medien haben, mit teilweise radikalen Anpassungsprozessen. Die Älteren passen sich – so die These – mehr an die neue Kultur öffentlicher Selbstdarstellung an, als dass ihre künstlerischen Präsentationen Ausdruck einer neuen Kultur des Alters wären. Die neue Kultur der öffentlichen Selbstdarstellung steht unter dem Druck, kurz und unmittelbar
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Beifall heischend zu sein. Jedes Thema wird als Unterhaltung in sehr kurzen Videos präsentiert. Es geht um Darstellungen, die die Zuschauer*innen rasch beeindrucken und mit Gefühlen überschwemmen. Kulturelles Interesse tendiert weg vom Einheitstypus hin zur Vielfalt, zur Differenzierung und zur scheinbaren Einzigartigkeit. Während Musik, Mode, Wohn- und Esskultur immer internationaler und damit auch austauschbarer werden, wächst das Bedürfnis nach Abgrenzung, die Suche nach der persönlichen Nische. Dieses Bedürfnis führt aber wieder zu Anschlüssen an relevante soziokulturelle Lebensstilgruppen, die Trends abbilden, etwa über Cosplays. Cosplay als Zusammensetzung aus »Costume« und »Playing« ist ein Kostümspiel, mit dem ein bestimmter Lebens-/Kulturstil ausgedrückt wird. Entwickelt von Jugendlichen in den 1980er Jahren in Japan haben Cosplays über Medien wie TikTok in den letzten Jahren eine starke Verbreitung gefunden und sind in der Zwischenzeit als Ausdrucksformen in allen Altersgruppen anzutreffen. Es geht darum, sich möglichst detailgetreu an einer Lieblingsheldin/einem Lieblingshelden zu orientieren, die genauso aus Filmen und Comics wie aus Romanen stammen können, wobei der persönliche Ausdruck eine große Rolle spielt. Die so inszenierte Individualisierung ist nicht als psychologische, sondern als soziologische Gegebenheit zu sehen, als ein gegenseitiger Prozess der Abgrenzung und immer neuer und veränderter Symbolsetzung konsum- und kulturstarker Lebensstilgruppen. Kulturelle Arenen für Austausch und Abgrenzung sind Conventions, wie zum Beispiel die Manga Comic Convention in Deutschland oder die San Diego Comic-Con in den USA, die sich in ihrer Publikumsstruktur verbreitert haben, wie eine Studie der Ticketplattform Eventbrite zeigt (Salkowitz, 2015). Sichtbar wird in diesen Räumen eine Ästhetisierung des Alltäglichen, die von Mode und Bodystyling über die Esskultur bis hin zu den Fortbewegungsmitteln reicht. Die Ästhetisierung des alltäglichen Lebens und Lebensraumes ist an die Stelle ständischer Kulturformen getreten, in denen das Außergewöhnliche und das Nicht-Alltägliche eine besondere Rolle spielten. Welche Legitimität kann vor diesem Hintergrund heute eine Vorstellung von Kunstvermittlung beanspruchen, die auf das Außergewöhnliche außerhalb des Alltäglichen zielt? Kultur entsteht und entwickelt sich in einem Spannungsfeld von Ästhetisierung im Alltäglichen und öffentlicher Kunst, die einerseits eine Annäherung an diesen Trend sucht (Präsentation von Kunst im privaten Bereich einer Wohnung) und andererseits weiterhin das Außergewöhnliche anstrebt.
Teil 6: Ausblick − Chancen und Grenzen neuer Kulturstile im Alter
Für dieses Spannungsfeld finden sich Belege in dem im Teil 2 berichteten Projekt über ältere Künstler*innen, die in den Interviews den kreativen Prozess nicht als einen internen, im Menschen ablaufenden beschreiben, sondern vielmehr auf die vielfältigen Strategien verweisen, die sie einsetzen, um eine möglichst »gute« oder »erfolgreiche« Kreativität in ihrem Alltag zu ermöglichen. Andererseits geht es ihnen aber auch immer um Anerkennung und Wertschätzung durch die Fachöffentlichkeit. Das eigene künstlerische Schaffen soll nicht nur zu einer Ästhetisierung des Alltags beitragen, sondern auch fachliche und ökonomische Anerkennung in der Öffentlichkeit erfahren. Die Ästhetisierung der Lebenswelt findet aber nicht unangefochten statt. Sie ist neuen Zwängen ausgesetzt und produziert ebensolche. Diese werden dort sichtbar, wo wirtschaftliche Interessen in die Lebenswelt eindringen. Die Ästhetisierung der Lebenswelt ist gerade von der Ökonomie entscheidend forciert worden. Mit der ästhetischen Mobilisierung breiter Bevölkerungsschichten, die über mehr disponible Einkommen verfügen, lassen sich gute Geschäfte machen. Die Schnelligkeit des Wechsels ästhetischer Moden und der Umfang ihrer Verbreitung lösen das persönliche Verhältnis zwischen dem Subjekt und den Inhalten der jeweiligen Moden. Stilformen bei Wohnraumgestaltung, Kleidung, Musik entwickeln sich unabhängig von den einzelnen sozialen Gruppen. Sie formen ihre eigene Welt. Man möchte zwar aus der einförmigen, veranstalteten Welt ausbrechen, die Kunst im Leben auflösen – doch man erreicht meist nur neue Spielarten des veranstalteten Lebens. Andreas Reckwitz (2006) sieht unter den Bedingungen der neuen Dienstleistungsgesellschaft erzwungene Anpassungen, die Selbstverwirklichung zur marktkonformen Profilierung unter Konkurrenzdruck wandeln. Verlangt ist eine ästhetisierende Inszenierung der Persönlichkeit, die eine Entfaltung des Selbst verhindert. Was sich in den letzten Jahren zunehmend als Unterbrechung bzw. Bruch in dieser Entwicklung konstatieren lässt, ist Folge der Auseinandersetzung mit dem Klimawandel. Die Ästhetisierung der Lebenswelt wurde über Jahrzehnte ohne Rücksicht auf den ökologischen Fußabdruck vorgenommen, ob das nun Reisen zu Opern- und Festivalveranstaltungen am anderen Ende der Welt betraf, aufwändige künstlerische Events auf Kreuzfahrten oder der ständige Wechsel der eigenen Garderobe. Das sich verbreiternde Angebot, den eigenen Ausdruck über immer neue Moden zu verändern und die wirtschaftliche Stärke der jungen Alten bzw. jener Gruppen von Älteren, die ab den 1980er Jahren in die nachberufliche Lebensphase eingetreten sind, haben diesen Prozess in Gang gesetzt und beschleunigt. Sowohl die steigende Aufmerksam-
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keit und Betroffenheit vom Klimawandel als auch die Coronapandemie erzeugen und erzwingen Brüche in dieser Entwicklung. Noch ist unklar, in welche Richtung die Ästhetisierung des Privaten und der künstlerische Ausdruck im Öffentlichen sich bewegen werden. Ein mögliches Zukunftsszenario aus der Perspektive älterer Menschen könnte sein, zu einer generativen Ästhetisierung der Lebenswelt zu kommen, das heißt, bei der eigenen Ausdruckssuche stets Nachhaltigkeit und Sorge um die nachkommenden Generationen im Blick zu behalten. Damit könnte dann auch das negative Meme »OK Boomer« eine positive Wendung erhalten, das 2019 in sozialen Netzwerken auftauchte, um die Baby Boomer als engstirnig und veraltet gegenüber Veränderungen zu kennzeichnen. Die neuseeländische Parlamentsabgeordnete Chlöe Swarbrick hat diesen Ausdruck gegenüber einem älteren Abgeordneten verwendet, der sich abschätzig gegenüber ihrer Rede zum Klimawandel verhalten hat. Der Ausdruck verweist aber auch auf die Bedeutung von Altersbildern in der Gesellschaft.
2.
Neue Altersbilder als Bedingung für eine neue Kultur des Alterns
Im Gefolge des Sechsten Altenberichts der deutschen Bundesregierung, der unter dem Titel »Altersbilder in der Gesellschaft« 2010 veröffentlicht wurde, erschien eine zusammenfassende Darstellung mit der Überschrift »Eine neue Kultur des Alterns«. Kernbotschaft zu dieser Überschrift: »Das Alter verdient eine neue Betrachtung. Noch immer herrscht im Umgang mit dem Alter eine Fokussierung auf Fürsorge- und Hilfebedürftigkeit vor – auch wenn diese in vielen Fällen gut gemeint ist. Eine ausschließliche Deutung des Alters als einen Lebensabschnitt, der einer besonderen Sorge und eines besonderen Schutzes bedarf, entspricht nicht der Vielfalt des Alters.« (BMFSFJ 2010, S. 24) Der Text geht so weit, für eine neue Kultur des Alters eine, wenn nicht sogar die wesentliche Achse politischen Handelns im Alter in Frage zu stellen, nämlich die Senior*innenorganisationen. Wenig überraschend kann eine Dekade später festgehalten werden, dass in dieser Hinsicht kaum Bewegung zu sehen ist, bestehende (politische) Institutionen sich nur langsam ändern, und das trotz einer hohen Dynamik des soziokulturellen Wandels. Aussagen zum Alter wie die im Sechsten Altenbericht mögen kritisch oder bedauernd, befürwortend oder glorifizierend sein, sie wirken jedenfalls immer in die gesamte Gesellschaft hinein. Sie treffen also nicht nur die Gruppe
Teil 6: Ausblick − Chancen und Grenzen neuer Kulturstile im Alter
der Alten selbst. Altersbilder vermitteln Normen und Werte, die die sozialen Beziehungen regeln. Sie beeinflussen alle, die in Familie, Staat, Wirtschaft oder Politik mit den Alten zu tun haben. Altersbilder beziehen sich dabei sowohl auf kognitive Repräsentationen von Informationen über die Lebenslage und Lebensführung alter Menschen als auch auf gesellschaftliche Altersdiskurse und altersbezogene Körperbilder. Dabei entwickeln sie sich oft zu verfestigten Bewertungskategorien. In der Gesellschaft werden in Abhängigkeit von sozialstrukturellen Veränderungen jeweils verschiedene Bilder, Vorbilder, Regeln für das Älterwerden geprägt, das heißt, die Altersbilder verändern sich im Laufe der historischen Entwicklung. Ein gesellschaftlich vermittelter Altersbegriff befasst sich mit den angebotenen oder zugewiesenen sozialen Positionen und deren Bewertung, den damit verbundenen Verhaltenserwartungen und -vorschriften. Als Referenz dient meist das mittlere bzw. jüngere Alter. Das Alter wird damit dazu benutzt, um Personen in spezifische Kategorien einzuordnen. Darüber hinaus ist es in der Moderne auch ein Bezugspunkt im Lebenslauf. Es ermöglicht, das eigene Verhalten zu evaluieren, und zwar als »altersgemäß« oder »altersinadäquat«. Martin Kohli (1992) hat auf die soziale Konstitution des menschlichen Lebenslaufs hingewiesen, also einer »naturalistischen Täuschung« zu entgehen, wonach die Lebensaltersgliederung nichts anderes ist als eine Kodifizierung des natürlichen Rhythmus des Lebens. Allerdings darf dabei nicht übersehen werden, dass die Lebensalter nicht nur das Ergebnis von Konstruktionsprozessen sind, es sich ausschließlich um einen sozialen Prozess handelt, sondern um einen biopsychosozialen Zusammenhang. Mit der Vorstellung vom Alter als sozialer Konstruktion wird die »Verfallserzählung« kritisiert, also Alter vorwiegend mit Krankheit, geistigem Abbau und sozialem Rückzug zu assoziieren. Altern ist eine kulturelle Kategorie und Konstruktionen können auch dekonstruiert werden (Featherstone & Hepworth, 1991). Als ein Beispiel für diese Dekonstruktion kann der »Ruhestand« angesehen werden. Die kulturellen Erwartungen bezüglich der sozialen Rollen alter Menschen in der Gesellschaft haben eine vitale Bedeutung für die Ermutigung oder Hemmung von Persönlichkeitsveränderung im späten Leben. Alter wird in intergenerationellen Beziehungen konstituiert, das heißt zwischen Jung und Alt. Diese Konstruktionen werden den alten Menschen aber nicht übergestülpt, sondern von ihnen selbst vorgenommen, und zwar in ständiger Interaktion mit anderen (Jüngeren und jeweils noch Älteren). Alte
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Menschen sind nicht handlungseingeschränkte Vollziehende sozialer Rollen. Alter wird in alltäglichen Beziehungen konstituiert. Während der Coronapandemie konnte eine ganze Reihe von Regelungen bzw. sogenannten »Maßnahmen« beobachtet werden, die zum Schutz alter Menschen formuliert und in Erlässe gegossen wurden und dann auch von den alten Menschen selbst als sehr positiv aufgenommen wurden. Dabei haben die Maßnahmen praktisch keine Rücksicht auf die Vielfalt des Alters genommen, wie das im Sechsten Deutschen Altenbericht als Ziel für eine neue Kultur des Alterns formuliert worden ist, sondern lediglich ein bestimmtes kalendarisches Alter, nämlich 65 Jahre, adressiert. Das Alter als soziale Kategorie wird also in inter- und intragenerationellen Beziehungen hergestellt und in besonderer Weise über alltägliches soziales Verhalten festgelegt bzw. kategorisiert. Mit der Perspektive auf Altern als ein relationales Gefüge ist noch ein weiterer Aspekt verknüpft, nämlich dieses Gefüge als Konfliktfeld zu begreifen. Denn es ist nicht als solches gegeben, sondern ein umkämpftes Terrain. Solche Konfliktfelder sind etwa die ökonomische Absicherung im Alter, die Beteiligung an Kunst und Kultur oder die Pflege. Da die soziokulturelle Konstruktion des Alter(n)s beeinflusst ist von kulturellen Ideologien und sozioökonomischen Bedingungen, muss sie im soziokulturellen Kontext interpretiert werden. Allerdings hat diese Perspektive einen Mangel: Es gibt keinen einheitlichen sozialen Kontext, sondern hochfragmentierte Bedingungen des Älterwerdens. Die multiplen Realitäten, in denen Individuen leben, und die Verschiedenheit der verfügbaren soziokulturellen Lebensstile lassen es fragwürdig erscheinen, von einem einheitlichen Kontext des Alter(n)s auszugehen. Gerade eine Betrachtung des Alters, die vom gesamten Lebenslauf ausgeht und die Entwicklung als Chance der Ausweitung und Vertiefung von Interessen sowie einer erhöhten Selbstbestimmung auffasst, sollte in Prozessen der Kultivierung denken. Es geht nicht nur um Selbstständigkeit und Eigenkompetenz im Alter, es geht darüber hinaus um Selbstbestimmung und Ausschöpfung des Alterspotenzials. Alterskultur wird einerseits durch die Integration von Traditionen und andererseits von Neuerungen und Erfahrungen gelebten und bewusst gemachten Daseins ermöglicht.
Teil 6: Ausblick − Chancen und Grenzen neuer Kulturstile im Alter
3.
Jüngere wissenschaftliche Diskurse als Brennstoff für neue Kulturstile im Alter
Im öffentlichen Diskurs wird das Alter unterschiedlich thematisiert, von »Alter als Problem« über »Alter als Befreiung« bis zu »Alter als Ressource«. Eine ähnliche Vielfalt findet sich in wissenschaftlichen Diskursen. Hier reichen die Thematisierungen vom »aktiven Altern« über »Alterspotenziale« bis zum »erfolgreichen Altern«. In der jüngeren Diskussion finden sich zwei Ansätze, die für den Diskurs um eine neue Kultur des Alterns relevant und anregend sind: »gelingendes Altern« (Kumlehn & Kubik, 2012) und »anders altern« (Zimmermann, 2015). Es geht dabei nicht nur um differenzielles Altern, sondern um die Möglichkeit, anders zu altern, was nur dann gelingen kann, wenn alte Menschen in ihrem So-Sein anerkannt werden. Ein anderes Altern wird dann möglich sein, wenn Alter thematisiert wird, ohne über alte Menschen zu bestimmen. Um die Entstehung von Neuem zu fördern, wird Bewegung verlangt, nicht Beharrung. Es geht um die Lebenskunst der inneren Selbstfindung, nicht um eine von außen geleitete Lebensweise, in der sich das Individuum fortwährend auf Veränderungen einstellen muss und sich anpasst. Anders altern stellt sich gegen Flexibilitätsdruck und Jugendlichkeitsorientierung. Es finden sich hier einerseits subjektive Haltungen, Vorstellungen und Praktiken, mit denen die einzelnen Menschen ihren eigenen Alternsprozess gestalten können, andererseits objektive Muster und Formen, die unsere Kultur und Gesellschaft bereithält, um über das Alter nachzudenken und ihm Gestalt zu geben. Lebenskunst hat also eine subjektive und eine objektive Seite. Es geht um Selbstbehauptung gegenüber einer Gesellschaft, die zwar individualisiert ist, das Individuum jedoch über mächtige institutionelle Strukturen einschränkt. Thomas Rentsch schreibt in seiner Ethik der späten Lebenszeit: »Wir benötigen ein Bewusstsein vom Wert der Langsamkeit, des Innehaltens, des ruhigen Zurückblickens, der Mündlichkeit – des wirklichen Gesprächs zwischen konkreten Personen. Langsamkeit, Innehalten und konkrete Mündlichkeit sind die wesentlichen Möglichkeiten, den Verendlichungsprozess durch die Gewinnung von Tiefe zu besiegen.« (2013, S. 173) In eine ähnliche Richtung geht die US-amerikanische Schriftstellerin Jenny Odell. Sie beschreibt in ihrem Buch »Nichts tun« (2021) die Kunst, sich der Aufmerksamkeitsökonomie zu entziehen. In diesem Nichtstun geht es dar-
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Neue Kulturstile älterer Menschen. Zum Älterwerden zwischen Ästhetik und Alltag
um, »offen zu sein für unklarere oder verschwommene Ideen und sich auf diese einzulassen« (S. 16). Sie plädiert dafür, der digitalen Konnektivität, die von einer Aufmerksamkeitsökonomie bestimmt ist, eine erhöhte Sensitivität an die Seite zu stellen. Es geht nicht um Rückzug, sondern um eine andere Wahrnehmung und Lebensweise, es geht um Kontemplation und Partizipation. Die sozialen Medien generieren eine momenthafte Kommunikation, die Sichtbarkeit und Verstehen verhindert. Der Informationsüberfluss erhöht das Risiko, dass gar nichts mehr wirklich aufgenommen wird. Als ein zweites Negativum in dieser Entwicklung sieht Odell das Problem mangelnder Zeit. Die Kommunikation ist oberflächlich, flüchtig und kurz und lässt kaum Zeit, diese in ihrer politischen Aussage zu verstehen. Und schließlich sieht Odell die Netzwerke, die sich über die sozialen Medien ergeben, nicht als starke soziale Beziehungen, sondern als flüchtige emotionale Verbindungen, die zu keiner vertieften Diskussion oder zu politischem Handeln führen (S. 224ff.). Die Lebenskunst des gelingenden bzw. anderen Alterns erweckt deshalb gegenwärtig ein großes Interesse, weil über sie eine Antwort auf gesellschaftliche Individualisierung und Pluralisierung erwartet wird. Entlassen aus der bequemen Lage gewährleisteter Integration und Identität über den Status des Ruhestands müssen Individuen wählen, aushandeln und koordinieren. Das rasche Vordringen der sozialen Medien in die alltägliche Alltagsgestaltung erhöht den Druck, sich zu positionieren, über und mit Hashtags rasch und gezielt Stellung zu beziehen. Welche Bilder, Formen, Stile und Rollen des Alterns will das Individuum für sich akzeptieren, welche nicht? Es will jedenfalls nicht in Schubladen gesteckt oder kategorisiert werden. Best Ager, Third Ager und Senior*in sind stets die anderen, die in einer Kultur des Individualismus als inakzeptabel zurückgewiesen werden. Zur Lebenskunst im Alter gehört die Sorge um sich, bei der sich nicht immer die grenzenlose Selbstenthüllung als günstig erweist. Zur Selbstsorge gehört auch, sich gegen gut gemeinte Hilfen und Eingriffe von Bekannten, Angehörigen und Freunden zur Wehr zu setzen. Wohin soll diese Sorge führen? Ihre Wirkung besteht in Selbsterheiterung, Selbstakzeptanz und Selbstaufwertung. Auf gesellschaftlicher Ebene gilt es, die Selbstsorge hochbetagter Menschen stärker wahrzunehmen, sie anzuerkennen und ihr einen größeren Spielraum zu geben. Konkret würde das bedeuten, ältere Menschen nicht primär als hilfs- und pflegebedürftig zu sehen, sondern als Vertreter ihrer selbst (Grebe, 2013, S. 156). Alltagspraktisch gehören zur Selbstaktualisierung Humor, jemanden zum Sprechen zu haben und das Gefühl, gebraucht zu werden. Lustvolles Altern verlangt die Bereitschaft zur Veränderung wie
Teil 6: Ausblick − Chancen und Grenzen neuer Kulturstile im Alter
die Fähigkeit und Willigkeit, sich zu wandeln. Wandlung heißt, Fantasie zuzulassen, etwas Neues zu erleben und auch zu schaffen. Erhebliche Schwierigkeiten haben wir noch damit, für das vierte Lebensalter die Entwicklungsfähigkeit und kulturelle Potenziale zu bezeichnen. Der radikale Anstieg der mittleren Lebenserwartung und die hohe Rate des Überlebens jenseits des 80. Lebensjahres verlangen einen Blick, der über biomedizinische Beobachtung hinausgeht. Hier haben wir Defizite. Die Lebenserwartung läuft uns gewissermaßen davon. Die Kultur hat die Langlebigkeit in ihrer vollen Länge noch nicht erfasst.
4.
Ein kritischer Blick zum Schluss
Alter ist gesellschaftlich unspezifisch ausformuliert, sodass von einer normativen Lücke gesprochen werden kann. Daraus ergeben sich Dispositionsspielräume im kulturellen und sozialen Handeln. Dies geschieht in der Gegenwart, wenn es um Innovation und neue Wege geht, weniger über etablierte gesellschaftliche Institutionen, sondern über kleine lokale und regionale Initiativen oder über Einzelpersonen. Zeigen lässt sich das an einer Initiative des öffentlichen Radios in Österreich. Ein Aufruf des Österreichischen Rundfunks (2021) zur Bekanntgabe innovativer Projekte im Alter und zum Älterwerden hat zu 152 Einreichungen geführt. Die Projekte sind in den Lebensbereichen Gesundheit, Soziale Netzwerke, Wohnen, Digitalisierung, Bildung und Pflege angesiedelt. Auf den ersten Blick erstaunen die Vielfalt und der Ideenreichtum. Ein zweiter Blick lässt die Schwierigkeiten bei der längerfristigen Realisierung dieser Vorhaben erahnen und sichtbar werden. Und drittens zeichnen sich Konflikte ab, die mit Finanzierungsfragen und mit gesellschaftlicher sowie fachlicher Anerkennung zu tun haben. Es bleibt letztlich offen, ob die gesellschaftlich entstandenen kulturell-künstlerischen Dispositionsspielräume so genutzt werden, dass sie zu einer erhöhten sozialen und kulturellen Teilhabe im Alter führen, oder ob nicht doch strukturelle Bedingungen, die aus der Phase vor der Pensionierung kommen und sich auf die nachberufliche Lebensphase auswirken, die Räume einengen. Das Verhältnis zwischen Institutionen bzw. strukturellen Bedingungen und Akteur*innen ist seit dem Ende der Prosperitätsphase in den Industriestaaten durch krisenhafte Modernisierungsprozesse starken Belastungen unterworfen. Durch die teilweise Auflösung stark strukturierter Übergänge im Lebensverlauf werden gesellschaftliche Akteur*innen, Institutionen und In-
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dividuen gleichermaßen unter einen stärkeren Handlungs- und Legitimationsdruck gestellt, der sie zu reflexiver Regulierung und Steuerung einerseits und zu selbstorganisierten und selbstverantworteten Lebensläufen andererseits veranlasst. Diese sich herausbildende Konstellation strukturiert neue Muster sozialer Ungleichheit, beispielsweise dann, wenn Übergangsrisiken bei bestimmten Sozialgruppen kumulieren und es diesen nicht gelingt, sich mit Ressourcen und Berechtigungsnachweisen auszustatten, die den Anforderungen an die soziale Position in der neuen Lebensphase entsprechen. Im Teil 5 dieses Buches konnte eindrücklich gezeigt werden, mit welchen Schwierigkeiten sich Armutsbetroffene im Zugang zu Kunst und Kultur konfrontiert sehen. Die gesellschaftliche Modernisierung hat nicht nur die Optionalität für die Gestaltung von Biografien erweitert, sondern auch die individuelle Abstimmung zwischen Passagen im Lebenslauf sozial ausdifferenziert. Die Verlagerung des Blicks weg von Strukturen hin zu kultureller Vielfalt kann auch als eine Form der Depolitisierung gesehen werden. Dieser kulturelle Blick ist dort problematisch, wo er dazu führt, dass Gebrechlichkeit, Armut und soziale Exklusion völlig ausgeblendet werden zugunsten individueller Gestaltung. Die Emphase für eine neue Kultur des Alters bzw. neue Kulturstile älterer Menschen sollte keinesfalls dazu führen, die ökonomischen und sozialen Lebensverhältnisse älterer Menschen zu verdecken, die für die Erfahrungswelt im Alter grundlegend sind.
Anhang
1.
Erhebungsbogen der Befragung »Kulturstile älterer Menschen 2018«
[Zielpopulation: österreichische Wohnbevölkerung ab sechzig Jahre in Privathaushalten, n = 1500] Interviewnummer: Nummer laut Adressenliste:
Anmerkungen Anweisungen für Interviewer*innen stehen in Klammern und sind in fetten Großbuchstaben formatiert. Die Kategorie »keine Angabe« ist gleichbedeutend mit »Antwort verweigert« und hat immer den höchsten Skalenwert. Sind die Kategorien »weiß nicht« und »keine Angabe« getrennt, dann hat »weiß nicht« immer den zweithöchsten Skalenwert. Die Antwortvorgaben werden grundsätzlich nur bis zur unterstrichenen Kategorie vorgelesen. Texte in Klammern werden nicht vorgelesen. Sie können zur Klarstellung bei Nachfragen dienen. Guten Tag, mein Name ist … Ich rufe Sie im Auftrag der Universität Wien an. Wir führen eine Umfrage über kulturelle Aktivitäten älterer Menschen durch. Wir würden Sie gerne dazu befragen, wenn Sie über sechzig Jahre alt sind. Die Teilnahme ist freiwillig und alle Auskünfte, die Sie im Verlauf der Befragung geben, sind anonym.
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Neue Kulturstile älterer Menschen. Zum Älterwerden zwischen Ästhetik und Alltag
FRAGE 1 Darf ich Sie zu Beginn fragen, wie alt Sie sind? Alter in Jahren:
unter 60 Jahre −>ENDE DES INTERVIEWS
FRAGE 2 Ganz allgemein: Sind Ihnen Kunst und Kultur sehr wichtig, ziemlich wichtig, weniger wichtig oder gar nicht wichtig? (1) (2) (3) (4) (5)
sehr wichtig ziemlich wichtig weniger wichtig gar nicht wichtig weiß nicht/keine Angabe
Anhang
FRAGE 3 Zunächst möchten wir etwas über Ihre Freizeitgestaltung wissen. Üben Sie die folgenden Tätigkeiten täglich, mindestens einmal pro Woche, mindestens einmal pro Monat, seltener oder nie aus? täglich
mindestens einmal pro Woche
mindestens einmal pro Monat
seltener
nie
weiß nicht/ keine Angabe
bewusst Musik hören
1
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3
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5
6
Schach, Karten- oder Gesellschaftsspiele spielen
1
2
3
4
5
6
Kreuzworträtsel Sudoku lösen
1
2
3
4
5
6
gärtnern
1
2
3
4
5
6
Enkelkinder oder Urenkelkinder beaufsichtigen, sich mit ihnen beschäftigen
1
2
3
4
5
6
Personen außerhalb des Haushalts wie zum Beispiel Nachbarn oder Verwandten helfen
1
2
3
4
5
6
eine Radiosendung hören
1
2
3
4
5
6
ein Buch lesen
1
2
3
4
5
6
Zeitungen oder Zeitschriften lesen (Print oder online)
1
2
3
4
5
6
beten oder meditieren
1
2
3
4
5
6
telefonieren oder videotelefonieren
1
2
3
4
5
6
bewusst ausruhen
1
2
3
4
5
6
spazieren gehen
1
2
3
4
5
6
aktiv Sport treiben
1
2
3
4
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6
oder
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Neue Kulturstile älterer Menschen. Zum Älterwerden zwischen Ästhetik und Alltag
FRAGE 4 Wie viel Zeit verbringen Sie an einem normalen Tag mit den folgenden Tätigkeiten? (IN MINUTEN; 0 = keine Nutzung, 98 = habe ich nicht, 99 = weiß nicht/keine Angabe) a) Radio hören b) fernsehen c) das Smartphone nutzen d) den Computer nutzen
FRAGE 5 Sie kennen bestimmt die Redensart »Man ist so alt, wie man sich fühlt.« Wie alt fühlen Sie sich? (98 = weiß nicht, 99 = keine Angabe) gefühltes Alter in Jahren:
Anhang
FRAGE 6 Wie oft haben Sie in den letzten zwölf Monaten die folgenden kulturellen Orte oder Veranstaltungen besucht – nie, ein- bis zweimal, drei- bis fünfmal oder öfter? nie
einbis zweimal
dreibis fünfmal
öfter als fünfmal
weiß nicht/ keine Angabe
Konzerte
1
2
3
4
5
Theater, Ballett oder Oper
1
2
3
4
5
Kino
1
2
3
4
5
Sportveranstaltungen
1
2
3
4
5
Gemeinde- oder Bezirksfeste
1
2
3
4
5
Gottesdienste
1
2
3
4
5
Tanzaufführungen oder Musicals
1
2
3
4
5
Kabarett
1
2
3
4
5
Museum, Galerie oder Ausstellungen
1
2
3
4
5
historische Sehenswürdigkeiten wie Schlösser, Kirchen oder Parks
1
2
3
4
5
öffentliche Bibliotheken bzw. Büchereien
1
2
3
4
5
gemeinsame Essen mit mindestens zehn Personen zu Hause oder in einem anderen Haushalt
1
2
3
4
5
FRAGE 7 Wenn überhaupt, sind die Personen, mit denen Sie kulturelle Veranstaltungen normalerweise besuchen, eher jünger, in etwa gleich alt oder eher älter als Sie? (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7)
eher jünger in etwa gleich alt eher älter bin immer allein besuche keine kulturellen Veranstaltungen weiß nicht keine Angabe
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FRAGE 8 (WENN F75) Treffen die folgenden Gründe, an kulturellen Veranstaltungen teilzunehmen, auf Sie persönlich sehr, ziemlich, wenig oder gar nicht zu? (RANDOMISIEREN) trifft sehr zu
trifft ziemlich zu
trifft wenig zu
trifft gar nicht zu
weiß nicht
keine Angabe
Ich möchte mich geistig herausfordern.
1
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3
4
5
6
Ich möchte bei aktuellen Themen mitsprechen können.
1
2
3
4
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6
Ich möchte unterhalten werden.
1
2
3
4
5
6
Ich möchte Kunst und Kultur besser verstehen.
1
2
3
4
5
6
Ich habe das immer schon gemacht.
1
2
3
4
5
6
Ich möchte in Gesellschaft sein.
1
2
3
4
5
6
Kunst und Kultur gehören einfach zu meinem Leben dazu.
1
2
3
4
5
6
Anhang
FRAGE 9 Wenn Sie an kulturelle Veranstaltungen denken, die Sie gerne besuchen möchten, gibt es da auch Zugangsbarrieren? Treffen die folgenden Aussagen auf Sie persönlich sehr, ziemlich, wenig oder gar nicht zu? trifft sehr zu
trifft ziemlich zu
trifft wenig zu
trifft gar nicht zu
weiß nicht
keine Angabe
Die Veranstaltungen sind mir häufig zu teuer.
1
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Ich habe niemanden, der mitkommt.
1
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3
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Die Veranstaltungen sind zu weit von meinem Wohnort entfernt.
1
2
3
4
5
6
Ich kann aufgrund meiner Gesundheit nicht teilnehmen.
1
2
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6
Ich habe aufgrund familiärer Verpflichtungen häufig keine Zeit.
1
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6
Auf diesen Veranstaltungen sind meistens Leute, die nicht zu mir passen.
1
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5
6
FRAGE 10 Werden Sie auf kulturelle Veranstaltungen aufmerksam …? (VORLESEN) (MEHRFACHANTWORTEN) (1) durch Recherche im Internet (2) durch Gespräche mit Familienmitgliedern, Freunden oder Nachbarn (3) durch Informationen der Kulturorganisationen (z.B. Newsletter, Programmheft) (4) durch Zeitungen, Radio oder Fernsehen (5) durch Plakate oder Werbeflächen (6) durch Vereine (7) nichts davon (8) keine Angabe
195
196
Neue Kulturstile älterer Menschen. Zum Älterwerden zwischen Ästhetik und Alltag
FRAGE 11 Haben Sie in den letzten zwölf Monaten an einer solchen Bildungsveranstaltung teilgenommen? (VORLESEN) (MEHRFACHANTWORTEN)
(1) (2) (3) (4) (5) (6) (7)
Kurs oder Seminar Vortrag Lehrgang Fernunterricht privat organisierter Unterricht (z.B. für Fremdsprachen) nichts davon keine Angabe
FRAGE 12 Neben Kultur interessieren wir uns auch für Kreativität – und zwar sowohl professionelle als auch private kreative Tätigkeiten. Üben Sie diese kreative Tätigkeit alleine oder in der Gruppe aus? (VORLESEN) (MEHRFACHANTWORTEN)
(1) z.B. einen Text, eine Rede oder Tagebuch schreiben (2) selbst Musik machen, ein Instrument spielen (3) praktische Handarbeiten machen oder heimwerken, z.B. tischlern oder stricken (4) kreativ kochen, z.B. Gerichte oder Menüs erfinden oder Torten verzieren (5) kreativ Sport machen, z.B. sich eigene Übungen ausdenken (6) zeichnen, malen, Bildhauerei, z.B. ein Bild entwerfen oder Fotocollagen erstellen (7) schauspielern, z.B. im Theater oder Film eine Rolle spielen, einen Sketch aufführen (8) fotografieren oder filmen (9) tanzen, z.B. eine eigene Choreografie entwickeln (10) nichts davon (11) keine Angabe
FRAGE 13 (WENN MEHRERE KREATIVE TÄTIGKEITEN GENANNT WURDEN) Welche dieser Tätigkeiten entspricht Ihren kreativen Interessen am besten, mit welcher identifizieren Sie sich am meisten? (NICHT VORLESEN) (NUR EINE ANTWORT)
Anhang
(1) (WENN F12 = 1) schreiben (2) (WENN F12 = 2) Musik machen, ein Instrument spielen (3) (WENN F12 = 3) handarbeiten oder heimwerken (4) (WENN F12 = 4) kreativ kochen (5) (WENN F12 = 5) kreativ Sport machen (6) (WENN F12 = 6) zeichnen, malen, Bildhauerei (7) (WENN F12 = 7) schauspielern (8) (WENN F12 = 8) fotografieren oder filmen (9) (WENN F12 = 9) tanzen (10) keine Vorliebe, mag die genannten Tätigkeiten gleich gern (11) keine Angabe
FRAGE 14 (WENN F12 < 10) Üben Sie diese Tätigkeit (WENN F13 = 10: Tätigkeiten) eher allein oder eher in einer Gruppe aus? (1) (2) (3) (4)
eher allein eher in der Gruppe allein und Gruppe gleichermaßen keine Angabe
FRAGE 15 (WENN F14 = 2 ODER 3) Sind die Gruppenmitglieder eher jünger, eher älter als Sie oder in etwa gleich alt? (1) (2) (3) (4)
eher älter eher jünger in etwa gleich alt weiß nicht/keine Angabe
FRAGE 16 (WENN F12 < 10) Wenn man kreativ tätig ist, können dabei auch eigene Werke wie Bilder, Musikstücke, Choreografien, Rezepte oder Ähnliches entstehen, die man anderen zeigen oder vorführen kann. Haben Sie in den letzten Jahren …? (VORLESEN) (MEHRFACHANTWORTEN) (1) mit einem eigenen Werk an einem Wettbewerb teilgenommen (2) ein eigenes Werk öffentlich präsentiert, z.B. in den Medien
197
198
Neue Kulturstile älterer Menschen. Zum Älterwerden zwischen Ästhetik und Alltag
(3) (4) (5) (6) (7)
ein eigenes Werk verkauft oder gegen Gage vorgeführt Freunden ein eigenes Werk vorgeführt ein eigenes Werk erstellt nichts davon keine Angabe
FRAGE 17 Haben Sie Interesse, sich auf diesem Gebiet weiterzubilden? (VORLESEN) (MEHRFACHANTWORTEN) (1) Schreiben (2) Musik (3) Handarbeit oder Heimwerken (4) Kochen (5) Schauspielerei (6) Zeichnen, Malen, Bildhauerei (7) Sport (8) Fotografie oder Film (9) Tanz (10) nichts davon (11) keine Angabe
FRAGE 18 Nun möchten wir gerne mit Ihnen über das Älterwerden sprechen. Die einen suchen im Alter Ruhe und Bewährtes, die anderen suchen neue Herausforderungen. Wo würden Sie sich auf einer Skala von 1 bis 10 einordnen, wenn 1 »ich suche Ruhe und Bewährtes« und 10 »ich suche neue Herausforderungen« bedeutet? ich suche Ruhe und Bewährtes 1
2
3
4
5
6
7
8
9
ich suche neue Herausforderungen
weiß nicht
keine Angabe
10
11
12
Anhang
FRAGE 19 Wiederum auf der Skala von 1 bis 10, wobei 1 »gar nicht« und 10 »sehr stark« bedeutet, wie sehr beschäftigen Sie sich ganz allgemein mit dem Altern bzw. dem Älterwerden in Ihrem Alltag? gar nicht 1
2
3
4
5
6
7
8
9
sehr stark
weiß nicht
keine Angabe
10
11
12
FRAGE 20 Stimmen Sie den folgenden Aussagen sehr, ziemlich, wenig oder gar nicht zu? stimme sehr zu
stimme ziemlich zu
stimme wenig zu
stimme gar nicht zu
weiß nicht
keine Angabe
Die zunehmende Anzahl älterer Menschen bringt der Gesellschaft viele Belastungen.
1
2
3
4
5
6
Die Leistungen älterer Menschen werden in unserer Gesellschaft wertgeschätzt.
1
2
3
4
5
6
Aus vielen Bereichen des öffentlichen Lebens werden ältere Menschen ausgegrenzt.
1
2
3
4
5
6
199
200
Neue Kulturstile älterer Menschen. Zum Älterwerden zwischen Ästhetik und Alltag
FRAGE 21 Können Sie sich vorstellen, die folgenden Dinge in Zukunft einmal zu tun? ja
nein
weiß nicht
keine Angabe
an Gedächtnistrainings teilzunehmen
1
2
3
4
auf Ihre Ernährung zu achten
1
2
3
4
gezielte Fitness- und Bewegungsprogramme zu absolvieren
1
2
3
4
Anti-Ageing-Cremes zu verwenden
1
2
3
4
die Haare zu färben oder eine Perücke zu tragen
1
2
3
4
professionelle kosmetische Behandlungen machen zu lassen (z.B. Peelings)
1
2
3
4
sich einer Schönheitsoperation zu unterziehen (z.B. Hautstraffung, Botox)
1
2
3
4
FRAGE 22 Interessieren Sie die folgenden Fernsehsendungen sehr, mittel oder wenig? sehr
mittel
wenig
keine Angabe
Dokumentationen zur Zeitgeschichte
1
2
3
4
Fernsehshows oder Quizsendungen
1
2
3
4
Heimatfilme
1
2
3
4
Science-Fiction, Fantasy
1
2
3
4
Dokumentationen zu Naturthemen wie z.B. Universum
1
2
3
4
Anhang
FRAGE 23 Und die folgenden Musikrichtungen? sehr
mittel
wenig
keine Angabe
klassische Musik (z.B. Bach, Mozart usw.)
1
2
3
4
Volkslieder
1
2
3
4
Blasmusik
1
2
3
4
Popmusik
1
2
3
4
Rockmusik
1
2
3
4
sehr
mittel
wenig
keine Angabe
Politik
1
2
3
4
Kultur
1
2
3
4
Sonderangebote und Werbung
1
2
3
4
Veranstaltungs- und Programmhinweise
1
2
3
4
FRAGE 24 Und die folgenden Zeitungsrubriken?
201
202
Neue Kulturstile älterer Menschen. Zum Älterwerden zwischen Ästhetik und Alltag
FRAGE 25 Machen Sie die folgenden Dinge täglich, mindestens einmal pro Woche, mindestens einmal pro Monat, seltener oder nie? täglich
mindestens einmal pro Woche
mindestens einmal pro Monat
seltener
nie
keine Angabe
Zeit mit der Familie und Verwandten verbringen
1
2
3
4
5
6
Zeit mit Freunden und Bekannten verbringen
1
2
3
4
5
6
in ein Kaffeehaus, Restaurant oder eine Bar gehen
1
2
3
4
5
6
ehrenamtliche Tätigkeiten ausüben (z.B. bei der Freiwilligen Feuerwehr, in einem Sportverein oder einer Seniorenorganisation)
1
2
3
4
5
6
FRAGE 26 Auf der Skala von 1 bis 10, wobei 1 »gar nicht zufrieden« und 10 »völlig zufrieden« bedeutet, wie zufrieden sind Sie mit Ihren sozialen Kontakten? gar nicht zufrieden 1
2
3
4
5
6
7
8
9
völlig zufrieden
weiß nicht
keine Angabe
10
11
12
Anhang
FRAGE 27 Und wie zufrieden sind Sie mit Ihrem Leben insgesamt? 1 wäre »gar nicht zufrieden« und 10 »völlig zufrieden«. gar nicht zufrieden 1
2
3
4
5
6
7
8
9
völlig zufrieden
weiß nicht
keine Angabe
10
11
12
FRAGE 28 Treffen die folgenden Aussagen sehr, ziemlich, wenig oder gar nicht auf Sie zu? trifft sehr zu
trifft ziemlich zu
trifft wenig zu
trifft gar nicht zu
weiß nicht
keine Angabe
Je älter ich werde, desto weniger Lust habe ich, Neues zu lernen.
1
2
3
4
5
6
Mit zunehmendem Alter fühle ich mich weniger flexibel.
1
2
3
4
5
6
Je älter ich werde, desto gelassener werde ich.
1
2
3
4
5
6
FRAGE 29 Abschließend möchte ich Ihnen noch ein paar Fragen zu Ihrer Person stellen. Wie schätzen Sie Ihre Gesundheit ein? (VORLESEN) (1) (2) (3) (4) (5) (6)
sehr gut eher gut mittelmäßig eher schlecht sehr schlecht weiß nicht/keine Angabe
203
204
Neue Kulturstile älterer Menschen. Zum Älterwerden zwischen Ästhetik und Alltag
FRAGE 30 Können Sie die folgenden Tätigkeiten alleine ohne jede Hilfe ausführen, brauchen Sie dabei eine gewisse Unterstützung oder sind Sie da völlig von Hilfe abhängig? ohne Hilfe
brauche Unterstützung
völlig von Hilfe abhängig
keine Angabe
einkaufen gehen
1
2
3
4
zu Fuß längere Strecken zurücklegen
1
2
3
4
Treppen steigen
1
2
3
4
FRAGE 31 Welche höchste abgeschlossene Schulausbildung haben Sie? (VORLESEN BIS ZUSTIMMUNG) (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8)
kein Schulabschluss Pflichtschule Lehre mit Berufsschule BMS, Fachschule ohne Matura Höhere Schule mit Matura Kolleg, Akademie, Abiturientenlehrgang Universität, Fachhochschule keine Angabe
FRAGE 32 Wie viele Einwohner*innen hat Ihre Wohngemeinde? (VORLESEN BIS ZUSTIMMUNG) (1) (2) (3) (4)
unter 5000 5000 bis 100 000 über 100 000 weiß nicht/keine Angabe
Anhang
FRAGE 33 Wie ist Ihr gegenwärtiger Familienstand? (VORLESEN BIS ZUSTIMMUNG) (1) ledig, geschieden, verwitwet oder getrennt lebend (2) verheiratet, eingetragene Partnerschaft oder mit Partner zusammenlebend (3) keine Angabe
FRAGE 34 Wie viele Personen leben ständig in Ihrem Haushalt, Sie eingeschlossen? (99 = keine Angabe) Personen im Haushalt:
FRAGE 35 (WENN F34 > 1) Wie viele davon sind unter vierzehn Jahre alt? (99 = keine Angabe) Personen < 14 im Haushalt:
FRAGE 36 Sind Sie gegenwärtig …? (VORLESEN BIS ZUSTIMMUNG) (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7)
in Pension angestellt oder selbstständig (einschließlich Familienbetrieb) arbeitslos dauerhaft krank oder arbeitsunfähig zu Hause (ohne eigenes Einkommen) Sonstiges keine Angabe
FRAGE 37 (WENN F36 = 1) Vor wie vielen Jahren haben Sie aufgehört zu arbeiten? (99 = keine Angabe) Jahre:
205
206
Neue Kulturstile älterer Menschen. Zum Älterwerden zwischen Ästhetik und Alltag
FRAGE 38 (WENN F36 = 2) Welche Berufsbezeichnung entspricht Ihrer gegenwärtigen Hauptbeschäftigung am besten? (WENN F36 2) Welche Berufsbezeichnung entspricht Ihrer letzten Hauptbeschäftigung am besten? (NICHT VORLESEN) (ZUR GENAUEN EINSTUFUNG NACHFRAGEN) (1) Führungskräfte (2) akademische Berufe (3) Techniker/-in und gleichrangige nicht technische Berufe (4) Bürokräfte und verwandte Berufe (5) Dienstleistungsberufe und Verkäufer/-in (6) Fachkräfte in der Landwirtschaft und Fischerei (7) Handwerks- und verwandte Berufe (8) Anlagen- und Maschinenbediener/-in und Montageberufe (9) Hilfsarbeitskräfte (10) Angehörige der regulären Streitkräfte (11) war nie in Beschäftigung (12) keine Angabe
FRAGE 39 Sagen Sie mir bitte noch, in welche der folgenden Kategorien das monatliche Nettoeinkommen Ihres Haushalts fällt. Rechnen Sie dazu bitte alle Einkommen einschließlich Pensionen und Sozialleistungen wie die Familienbeihilfe zusammen. (VORLESEN BIS ZUSTIMMUNG) (1) unter 900 Euro (2) 900 bis unter 1200 Euro (3) 1200 bis unter 1500 Euro (4) 1500 bis unter 2000 Euro (5) 2000 bis unter 2500 Euro (6) 2500 bis unter 3000 Euro (7) 3000 bis unter 3500 Euro (8) 3500 bis unter 4000 Euro (9) 4000 bis unter 4500 Euro (10) 4500 bis unter 5000 Euro (11) 5000 bis unter 5500 Euro (12) 6500 bis unter 7000 Euro
Anhang
(13) 7000 Euro oder mehr (14) weiß nicht (15) keine Angabe
FRAGE 40 Geschlecht (EINSTUFEN) (1) männlich (2) weiblich
Herzlichen Dank für Ihre Teilnahme!
207
208
Neue Kulturstile älterer Menschen. Zum Älterwerden zwischen Ästhetik und Alltag
2.
Regressionsmodelle zur Erklärung kultureller Teilhabe
Tabelle 7: Sozialstrukturelle Determinanten der Teilhabe an Ausgehkultur. Lineares Regressionsmodell. Menschen 60+ in Österreich (n = 1518) Unstandardisierte Koeffizienten
Standardisierte Koeffizienten
B
Std. Error
Beta
(Constant)
27,670
1,482
subj. heit
–1,088
,111
–,270
max. abgeschlossene Schulbildung: Abitur oder höher (1)
4,757
,435
zusammenlebend (2)
1,067
Haushaltseinkommen
Sig.
Collinearity Statistics Tolerance
VIF
,000
,659
1,518
,311
,000
,617
1,621
,299
,087
,000
,845
1,183
,000
,000
,069
,003
,925
1,081
Alter in Jahren
–,063
,020
–,086
,002
,658
1,521
Gemeindegröße: 100 000 EW und mehr (3)
–1,256
,351
–,094
,000
,721
1,386
max. abgeschlossene Schulbildung: berufsbildende Schule (1)
,722
,333
,060
,031
,652
1,535
Gesund-
,000
Referenzkategorien: (1) Pflichtschulabschluss, (2) alleinlebend, (3) 5000 EW und weniger R Square: 0,288
Anhang
Tabelle 8: Sozialstrukturelle Determinanten der Teilhabe an Heimkultur. Lineares Regressionsmodell. Menschen 60+ in Österreich (n = 1518) Unstandardisierte Koeffizienten
Standardisierte Koeffizienten
B
Std. Error
Beta
(Constant)
36,010
1,871
subj. Gesundheit
1,981
,149
,380
Gemeindegröße: 100 000 EW und mehr (1)
2,313
,417
Männer (2)
2,268
zusammenlebend (3)
Collinearity Statistics
Sig.
Tolerance
VIF
,000
,665
1,504
,134
,000
,937
1,067
,373
,145
,000
,955
1,048
–2,150
,408
–,135
,000
,834
1,200
max. abgeschlossene Schulbildung: Abitur oder höher (4)
–2,120
,479
–,107
,000
,934
1,071
in Pension (5)
–1,411
,508
–,068
,006
,922
1,084
Alter in Jahren
–,059
,028
–,062
,036
,626
1,598
,000
Referenzkategorien: (1) 5000 EW und weniger, (2) Frauen, (3) alleinlebend;(4) Pflichtschule, (5) berufstätig. R Square: 0,222
209
210
Neue Kulturstile älterer Menschen. Zum Älterwerden zwischen Ästhetik und Alltag
Tabelle 9: Sozialstrukturelle Determinanten der Teilhabe an Identitätskultur. Logistisches Regressionsmodell. Menschen 60+ in Österreich (n = 1518) 95 % C.I. for Exp(B) Exp(B)
Sig.
Lower
Upper
Frauen (1)
1,29
,031
1,024
1,631
subj. Gesundheit (2)
0,74
,000
,669
,818
max. abgeschlossene Schulbildung: Abitur (3)
2,31
,000
1,506
3,538
max. abgeschlossene Schulbildung: Universität (3)
2,37
,000
1,490
3,771
(Constant)
Nagelkerke R Square: 0,147 Referenzkategorien: (1) Männer, (2) im Alltag nicht auf Unterstützung angewiesen, (3) Pflichtschule Anm.: nicht signifikante Einflussfaktoren: Alter, Berufsstatus, Region, Haushaltsgröße, max. abgeschlossene Schulbildung: berufsbildende Schule, Haushaltseinkommen
Referenzen
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213
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Abbildungen
Abbildung 1: Besuch von Veranstaltungen der Ausgehkultur von Menschen über sechzig Jahren in Österreich .................................................. 87 Abbildung 2: Ausüben von Aktivitäten der Heimkultur von Menschen über sechzig Jahren in Österreich ....................................................... 94 Abbildung 3: Ausüben von Aktivitäten der Identitätskultur von Menschen über sechzig Jahren in Österreich .................................................. 96 Abbildung 4: Praxisbündel kultureller Teilhabe ..................................... 102 Abbildung 5: Auszüge aus den Fototagebüchern der Studienteilnehmer*innen ...... 105 Abbildung 6: Auszüge aus den Fototagebüchern der Studienteilnehmer*innen ...... 108 Abbildung 7: Auszüge aus den Fototagebüchern der Studienteilnehmer*innen....... 109 Abbildung 8: Auszüge aus den Fototagebüchern der Studienteilnehmer*innen ....... 110 Abbildung 9: Auszüge aus den Fototagebüchern der Studienteilnehmer*innen ....... 116
Tabellen
Tabelle 1: Sample nach Alter, Geschlecht und kreativer Praxis ....................... 47 Tabelle 2: Kulturelle Teilhabemuster der Ausgehkultur im Alter ...................... 89 Tabelle 3: Barrieren im Zugang zu Veranstaltungen der Ausgehkultur ................ 90 Tabelle 4: Gründe, um an kulturellen Veranstaltungen der Ausgehkultur teilzunehmen 92 Tabelle 5: Kulturelle Teilhabemuster der Heimkultur im Alter ........................ 95 Tabelle 6: Vertiefungsstufen kreativer Tätigkeiten bei Menschen über sechzig Jahren in Österreich ... ............................................................ 98 Tabelle 7: Sozialstrukturelle Determinanten der Teilhabe an Ausgehkultur. Lineares Regressionsmodell. Menschen 60+ in Österreich (n = 1518) ................. 208 Tabelle 8: Sozialstrukturelle Determinanten der Teilhabe an Heimkultur. Lineares Regressionsmodell. Menschen 60+ in Österreich (n = 1518) ................ 209 Tabelle 9: Sozialstrukturelle Determinanten der Teilhabe an Identitätskultur. Logistisches Regressionsmodell. Menschen 60+ in Österreich (n = 1518)............. 210
Soziologie Michael Volkmer, Karin Werner (Hg.)
Die Corona-Gesellschaft Analysen zur Lage und Perspektiven für die Zukunft 2020, 432 S., kart., Dispersionsbindung, 2 SW-Abbildungen 24,50 € (DE), 978-3-8376-5432-5 E-Book: PDF: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5432-9 EPUB: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-5432-5
Kerstin Jürgens
Mit Soziologie in den Beruf Eine Handreichung September 2021, 160 S., kart., Dispersionsbindung 18,00 € (DE), 978-3-8376-5934-4 E-Book: PDF: 15,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5934-8
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Solidarische Care-Ökonomie Revolutionäre Realpolitik für Care und Klima März 2021, 216 S., kart. 15,00 € (DE), 978-3-8376-5463-9 E-Book: PDF: 12,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5463-3
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Soziologie Wolfgang Bonß, Oliver Dimbath, Andrea Maurer, Helga Pelizäus, Michael Schmid
Gesellschaftstheorie Eine Einführung Januar 2021, 344 S., kart. 25,00 € (DE), 978-3-8376-4028-1 E-Book: PDF: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4028-5
Bernd Kortmann, Günther G. Schulze (Hg.)
Jenseits von Corona Unsere Welt nach der Pandemie – Perspektiven aus der Wissenschaft 2020, 320 S., Klappbroschur, Dispersionsbindung, 1 SW-Abbildung 22,50 € (DE), 978-3-8376-5517-9 E-Book: PDF: 19,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5517-3 EPUB: 19,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-5517-9
Detlef Pollack
Das unzufriedene Volk Protest und Ressentiment in Ostdeutschland von der friedlichen Revolution bis heute 2020, 232 S., Klappbroschur, Dispersionsbindung, 6 SW-Abbildungen 20,00 € (DE), 978-3-8376-5238-3 E-Book: PDF: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5238-7 EPUB: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-5238-3
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