Social Media im transnationalen Alltag: Zur medialen Ausgestaltung sozialer Beziehungen zwischen Deutschland und Senegal 9783839443217

What role do digital media play in transnational social life? A research contribution on the relationship between migrat

178 33 6MB

German Pages 340 Year 2019

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Table of contents :
Inhalt
Danksagung
Abbildungsverzeichnis
Karten
1 Medien und transnationale soziale Beziehungen oder die ‚Vermittlung der Welt
2 Entgrenztes Feld?
3 Der Kontext sozialer Beziehungen in Senegal
4 Inbetween Spaces?
5 Hochzeiten als medialer Raum
6 Von Schwestern und Weiblichkeit
7 Freundschaft, Nachbarschaft, Gemeinschaft
8 Liebe, Geld und Schwiegermütter
9 Ausblick
Literaturverzeichnis
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Social Media im transnationalen Alltag: Zur medialen Ausgestaltung sozialer Beziehungen zwischen Deutschland und Senegal
 9783839443217

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Simone Pfeifer Social Media im transnationalen Alltag

Locating Media/Situierte Medien  | Band 18

Editorial Orts- und situationsbezogene Medienprozesse erfordern von der Gegenwartsforschung eine innovative wissenschaftliche Herangehensweise, die auf medienethnographischen Methoden der teilnehmenden Beobachtung, Interviews und audiovisuellen Korpuserstellungen basiert. In fortlaufender Auseinandersetzung mit diesem Methodenspektrum perspektiviert die Reihe Locating Media/Situierte Medien die Entstehung, Nutzung und Verbreitung aktueller geomedialer und historischer Medienentwicklungen. Im Mittelpunkt steht die Situierung der Medien und durch Medien. Die Reihe wird herausgegeben von Sebastian Gießmann, Gabriele Schabacher, Jens Schröter, Erhard Schüttpelz und Tristan Thielmann.

Simone Pfeifer (Dr.) ist Ethnologin und Visuelle Anthropologin. Sie forscht am Institut für Ethnologie und Afrikastudien der Johannes Gutenberg-Universität Mainz zur Zirkulation und Aneignung jihadistischer Bilder und Videos in sozialen Medien. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Medienethnologie, Visuelle Anthropologie, Verwandtschaftsethnologie sowie Migration, Mobilität und Transnationalismus.

Simone Pfeifer

Social Media im transnationalen Alltag Zur medialen Ausgestaltung sozialer Beziehungen zwischen Deutschland und Senegal

Für Asta, Peer und Ulf

Diese Publikation ist eine Dissertation, die an der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln angenommen wurde. Der Druck wurde durch das DFG-Graduiertenkolleg »Locating Media« gefördert.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2020 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: Simone Pfeifer Satz: Klara Vanek (textuelles.de) Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4321-3 PDF-ISBN 978-3-8394-4321-7 https://doi.org/10.14361/9783839443217 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download

Inhalt

Danksagung  | 11

Abbildungsverzeichnis  | 15 Karten  | 17

1 Medien und transnationale soziale Beziehungen oder die ‚Vermittlung der Welt‘  | 21 1.1

Transnationale soziale Beziehungen  | 30

1.3

Medienpraktiken, digitale Medien und Visualität  | 36

1.2

1.4 1.5

Medien und vermittelte soziale Beziehungen  | 32

Anwesend, abwesend, kopräsent: Theoretische Annäherungen  | 40 Aufbau der Arbeit  | 41

2 Entgrenztes Feld? Methodische und methodologische Reflektionen zur medienethnografischen Feldforschung  | 47 2.1 2.2 2.3

Vorgehensweisen und alltägliche Routinen  | 51

Feld, Raum und Zeit in der (Medien-)Ethnografie  | 55 Das ‚Feld‘ der Onlineforschung, digitale und soziale Medien  | 57

2.4

Das Erlernen der Porträtfotografie als Zugang zur Medienethnografie  | 58 2.4.1 Von skilled visions zum Erlernen von Medienpraktiken  | 63 2.4.2 Die Vorbereitung des Körpers und die Pose vor der Kamera  | 65 2.4.3 Ausstellen und Zirkulieren im Kontext sozialer Beziehungen  | 69 2.5 2.6

Von der medienethnografischen Forschung zum medienethnografischen Text  | 75

Update in Progress: Ein Fazit zur (Re-)Aktualisierung von Methoden  | 78

3 Der Kontext sozialer Beziehungen in Senegal  | 81 3.1

Bisimilay! Agsil! Willkommen in Dakar, willkommen in Senegal  | 83 3.1.1 Eine kurze Geschichte Dakars und Senegals  | 85 3.1.2 Infrastruktur der Mediennutzung in Dakar  | 93 3.1.3 Urbanisierung und Stadtteilgeschichte am Beispiel des Viertels Cité Avion  | 99 3.2

Nur Verwandtschaft und Familie? Soziale Beziehung in Senegal  | 102 3.2.1 Die Produktion ethnografischen Wissens: Von der ‚Gleichheit‘ der Geschlechter zu patriarchalen familiären Strukturen  | 103 3.2.2 Zur aktuellen Ausgestaltung sozialer Beziehungen in Dakar  | 110 3.3

Ein Fazit zur Verbindung sozialer Kategorien  | 117

4 Inbetween Spaces? Migration, Mobilität, Translokalität und Transnationalität zwischen Deutschland und Senegal  | 119 4.1 4.2 4.3 4.4

Theoretische Perspektiven auf Mobilität, Migration, Translokalität und Transnationalismus  | 121 Soziale Beziehungen in der Migrationsforschung und den transnational studies  | 124 Transnationale soziale Beziehungen und Medien(-technologien)  | 126

Mobilität und Migration inner- und außerhalb Senegals  | 130 4.4.1 Kurze Geschichte der Mobilität und Migration in Senegal seit der Unabhängigkeit  | 131 4.4.2 Mobilität, transnationale Migration und soziale Beziehungen  | 135 4.4.3 Medien, Mobilität und Migration in Senegal  | 137 4.5 4.6

„Tanzen im Tiergarten“ – Senegal in Deutschland, Senegal in Berlin  | 141 Fazit: Zur Verbindung von Lebenskontexten in Deutschland und Senegal  | 149

5 Hochzeiten als medialer Raum Das Feld vermittelter sozialer Beziehungen  | 151 5.1

Bedeutung von Heirat und Hochzeit in Dakar  | 155

5.3

Mediale Teilnahme, Erinnerung und Hochzeitsvideos in transnationalen Beziehungen  | 190

5.2

Aufnehmen, Reproduzieren, Zirkulieren: Eine Hochzeit in Dakar in Raum und Zeit  | 161 5.2.1 Vermitteln und Verbinden: Personen und Familien kommen zusammen  | 162 5.2.2 Un-/Sichtbare Zirkulation: Hochzeitsbilder und Formen der Gemeinschaftlichkeit  | 165

5.4 5.5

Abwesende Anwesenheit und transnationale Hochzeitsalben  | 198

Vermittelte Anwesenheit – vermittelte Teilnahme: Ein Fazit  | 205

6 Von Schwestern und Weiblichkeit Praktiken der Porträtfotografie und Positionierungen im lokalen und translokalen Kontext  | 209 6.1 6.2

Geschichte und Bedeutung der Porträtfotografie in Senegal  | 212

Weibliche Positionierungen in Geschwisterbeziehungen  | 219 6.2.1 Hoffnungen auf ein anderes Leben? Kleiderpraktiken, Porträtfotografie und soziale Mobilität  | 220 6.2.2 „In Beziehung mit Yankoba“: Durch Brüder, Facebook und Fotografie zur jungen Frau  | 225 6.2.3 Von Geschwistern zur Kleinfamilie – Facebook und die Gestaltung der ‚respektablen‘ Frau  | 231 6.3 6.4

Translokale Veränderungen – ungleiche Beziehungen  | 236

Liebhaber, Freund*in, Bruder und Schwester? Ein Fazit zu porträtfotografischen Vermittlungen in Geschwisterbeziehungen  | 240

7 Freundschaft, Nachbarschaft, Gemeinschaft Freundschaftsbeziehungen ‚deutscher‘ Senegales*innen in Berlin  | 243 7.1 7.2

Ethnologie der Freundschaft und transnationale Mobilität und Migration  | 245

Die Verbindung von Personen, Orten und Generationen in Berlin  | 247 7.2.1 Geschlechts- und generationenspezifische Perspektiven und Orte  | 249 7.2.2 „Gemeinsam kann man mehr machen“ – Kulturelle, soziale und religiöse Gemeinschaft?  | 256 7.3 Transnationale Freundschaftsbeziehungen  | 261 7.3.1 Transnationale Telefongespräche und Freundschaften  | 262 7.3.2 Die Zirkulation von Geschenken und Geld  | 265 7.4

Fazit: Verwandt, befreundet, Freundschaft akzeptiert?  | 268

8 Liebe, Geld und Schwiegermütter Materielle Unterstützung und Medien in kleinfamiliären Beziehungen  | 271 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5

Romantische Liebe, Geld und Medien in transnationalen Beziehungen in Senegal  | 273

Geld und Schwiegermütter in transnationalen Ehen zwischen Berlin und Dakar  | 275

„Wenn Du ihn liebst, macht die Entfernung nichts aus“: Boubacar und Adama bauen ein transnationales Haus  | 279

Exkurs: Erwachsene Kinder und alternde Eltern  | 282

Ein Fazit zu moralischen, emotionalen und materiellen Verpflichtungen in engen transnationalen Verbindungen  | 284

9 Ausblick Medien der transnationalen Vernetzung  | 287 Literaturverzeichnis

  | 295

Danksagung

Ohne die Unterstützung zahlreicher Freund*innen, Familienmitgliedern und Kolleg*innen in Senegal und Deutschland wäre diese Arbeit nicht entstanden. Mein größter Dank gilt allen Senegales*innen, die diese Arbeit durch ihre Gastfreundschaft, ihre Geduld und ihre herzliche Offenheit ermöglicht haben. In Berlin bin ich Sister Fa und Gregoire DaCosta zu tiefstem Dank verpflichtet; sie haben geduldig auf meine Fragen geantwortet, mir immer wieder wichtige Hinweise gegeben und zahlreiche Kontakte vermittelt. Darüber hinaus danke ich besonders Awa, Binta, Fatimatou, Abdoulaye, Tony und Mahmadou für die zahlreichen Stunden, die ich mit ihnen verbringen durfte. In Dakar bin ich den Familien Diatta, Djiba und Pene für ihre Gastfreundschaft dankbar, und dafür, dass ich so großzügig an ihrem Alltag teilnehmen durfte. Fatou, Khady und Bara ermöglichten mir durch ihre Offenheit für mein Anliegen, dass ich sie während ganz unterschiedlicher Lebensabschnitte begleiten konnte. Hassan, Tumbuli, Baba, Sekou und Cheikh möchte ich für die zahlreichen Tees (Ataya) danken. Von der Universität Cheikh Anta Diop bin ich vor allem Prof. Dr. Souleymane Faye für seine Geduld während meiner Wolofstunden dankbar und Dr. Ibrahima Wane danke ich für seine stete Unterstützung während meiner Aufenthalte in Dakar und darüber hinaus. Mein ganz besonderer und herzlicher Dank gilt meiner Doktormutter Prof. Dorothea E. Schulz, PhD, für die langjährige Zusammenarbeit und die Betreuung meiner Dissertation, die Unterstützung bei der Antragstellung des DFG-Projektes und die Beratung in fachlichen Fragen der Feldforschung, der Analyse und des Schreibens sowie ihr Vertrauen in das Gelingen des Projektes. Ganz herzlich möchte ich mich auch bei meinem Zweitbetreuer

12 | Social Media im transnationalen Alltag

Prof. Dr. Erhard Schüttpelz bedanken, der meine Arbeit vor allem während meiner Zeit am Graduiertenkolleg Locating Media in Siegen durch seine fachliche Beratung unterstützt hat. Prof. Dr. Michaela Pelican und Prof. Dr. Martin Zillinger danke ich für die kurzfristige Zusage und Unterstützung als Drittgutachterin bzw. Vorsitzender der Prüfungskommission. Ein großes Dankeschön geht überdies an die Deutsche Forschungsgemeinschaft für die großzügige finanzielle Förderung des Sachmittelprojektes Mediale Ausgestaltung translokaler sozialer Räume durch westafrikanische Migrant*innen in Europa an der Universität zu Köln sowie des Graduiertenkollegs Locating Media an der Universität Siegen. Besonders danke ich den damaligen Sprechern Prof. Dr. Erhard Schüttpelz und Prof. Dr. Tristan Thielmann und den (ehemaligen) Koordinator*innen Prof. Dr. Gabriele Scha­bacher, Dr. Sebastian Gießmann und Dr. Pablo Abend für die Unterstützung im Promotionsalltag mit Familie sowie allen Kollegiat*innen für die hilfreichen Gespräche und Diskussionen. Den „scharfen Mädels“ Katja Glaser, Ilham Huynh, Raphaela Knipp, Nadine Taha und Lisa Villioth danke ich für die zahlreichen aufbauenden Gespräche. Darüber hinaus danke ich in Köln den Ethnodocs, den Teilnehmer*innen des Kolloquiums von Prof. Dorothea E. Schulz, PhD, und den zahlreichen Lektüregruppen für die konstruktiven Diskussionen. Insbesondere Anja Dreschke, Franziska Bedorf, Carolin Maevis, Manon Diederich und Souleymane Diallo danke ich für ihre inhaltliche Auseinandersetzung mit einzelnen Kapiteln der Arbeit und für ihre moralische Unterstützung. Meinem Promotionstandempartner Martin Gruber bin ich für die Lektüre des ersten Entwurfs der Arbeit, seine Begeisterung für mein Thema und seine aufbauenden Kommentare dankbar. Sophie Wade und Claudette Diatta gilt mein besonderer Dank für die sprachliche Unterstützung und die Wolofübersetzungen; darüber hinaus danke ich Klara Vanek für das konstruktive Lektorat, das Layout des Buches und die aufbauenden Worte. Pascal Martin Saint Leon und dem Verlag Revue Noire danke ich für die Erlaubnis, die historische Fotografie abzudrucken. Zum Schluss möchte ich mich ganz besonders bei meiner Familie und meinen Freund*innen bedanken, die mich durch die Höhen und Tiefen dieser Arbeit begleitet haben. Allen voran meinen Eltern Hilde und Hubert Pfeifer und meinem Bruder Jens dafür, dass sie immer an mich geglaubt haben und mich bei all meinen Unternehmungen emotional und finanziell unterstützt haben. Jutta und Heiner Neumann danke ich für ihr großes Interesse und die freudige Unterstützung in der Kinderbetreuung. Dorea Pfafferott und Michi Mezger danke ich für das aufmerksame Zuhören und



Danksagung | 13

dafür, dass sie mich immer wieder aus dem Arbeitsalltag herausgeholt haben. Danke auch an die Bürogemeinschaft in der Philippstraße für die moralische Unterstützung und diesen nachhaltigen und besonderen Ort, der mir das Schreiben erleichtert hat. Zu unendlichem Dank bin ich Ulf Neumann verpflichtet, der mich wie im Leben durch alle Höhen und Tiefen dieser Arbeit begleitet hat und ohne den diese Arbeit nicht möglich gewesen wäre. Peer Neumann danke ich für seine Neugier und Offenheit, mit der er mich auch in den Feldforschungsphasen begleitet hat. Asta Neumann danke ich dafür, dass sie mir gemeinsam mit Peer und Ulf so viel Freude und Glück beschert.

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Weltkarte Senegal – Deutschland  | 17 Abbildung 2: Karte von Senegal (CC0); Karte von Dakar und Umgebung (CC0)  | 18 Abbildung 3: Dakar (CC Mikima)  | 18 Abbildung 4: Karten von Deutschland (CC0) und Berlin (CC0)  | 19 Abbildung 5: Khady wartet  | 59 Abbildung 6: Porträtbilder im Hof von Fatou  | 60 Abbildung 7: Porträtbilder im Haus  | 60 Abbildung 8: Gruppenporträts der Autorin mit den beiden jungen Frauen  | 62 Abbildung 9: Autorin mit einem Gast auf einer christlichen Hochzeitsfeier  | 68 Abbildung 10: Fatous gerahmtes und digital verändertes Porträt  | 71 Abbildung 11: Fatous gerahmtes Porträt in ihrem neuen Wohnzimmer  | 72 Abbildung 12: Gruppenporträt der Braut mit den marraines  | 74 Abbildung 13: Gruppenporträt auf Facebook  | 75 Abbildung 14: Google-Werbetafel in Dakar  | 97 Abbildung 15: Die erste Seite aus Fatous Fotoalbum und eine unbearbeitete Fotografie  | 170 Abbildung 16: Standbilder aus Fatous Hochzeitsvideo  | 177 Abbildung 17: Facebookscreenshots von Bara und Khady  | 186 Abbildung 18: Bildschirmfoto: Maries Hochzeitsfoto auf Facebook  | 197 Abbildung 19: Fotostudio und Spielsalon von Pape Camara  | 199 Abbildung 20: Erste Seite von Khadys Hochzeitsalbum  | 201 Abbildung 21: Facebookscreenshot: Ein Jahr Facebookfreundschaft  | 209 Abbildung 22: Foto aus der Sammlung El Hadji Adama Sylla  | 213 Abbildung 23: Screenshot der Montage auf Baras Timeline  | 228

16 | Social Media im transnationalen Alltag

Abbildung 24: Porträt Khadys vor dem Besuch von Aïssatous Hochzeit  | 232 Abbildung 25: Screenshot: Kommentare auf Khadys Porträt  | 233

Karten

Abbildung 1: Weltkarte Senegal – Deutschland (©Stepmap, https://www.stepmap.de/download.html?map=e5RNgrFZti)

18 | Social Media im transnationalen Alltag

Abbildung 2: Karte von Senegal (CC0); Karte von Dakar und Umgebung (CC0) (https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/7/72/Senegal_ map_%28de%29.png; https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/d/d6/ Map-dakar.svg)

Abbildung 3: Dakar (CC Mikima) (https://en.wikipedia.org/wiki/Dakar#/media/File:Dakar_districts.svg)



Karten | 19

Abbildung 4: Karten von Deutschland (CC0) und Berlin (CC0) (https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/5/5d/Map_ Germany_L%C3%A4nder-de.svg; https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Berlin,_administrative_divisions_(%2Bdistricts_-boroughs_-pop)_-_de_-_colored.svg)

1

Medien und transnationale soziale Beziehungen oder die ‚Vermittlung der Welt‘

Feldforschungsszene vom 11.12.2014, Berlin-Schöneberg: Am Nachmittag sitzt die etwa 50-jährige Binta1 wie immer in ihrem kleinen Laden und Schönheitssalon auf der Bank am Schaufenster. Ihr altes Mobiltelefon ohne Smartphonefunktion ist an das Ladegerät angeschlossen. Daneben steht das schnurlose Festnetztelefon. Ein iPad liegt auf ihrem Schoß, sie spricht gerade per Facetime mit ihrer Schwester, die in London lebt. Zuvor hatte sie bereits mit einer anderen Verwandten in Dakar per Skype gesprochen. Auf dem Laptop läuft laute MbalaxMusik. Zwei junge Frauen machen im hinteren Teil des Raumes den beiden Stammkundinnen die Haare und arbeiten Echthaar aus Indien in die komplizierten Frisuren ein. Die etwa 40-jährige Kundin mit Berliner Akzent lässt sich ‚Rastas‘ mit Erweiterungen flechten, die ältere Kundin mit russischem Akzent auf dem Sitz daneben bekommt eine ‚brasilianische Haarerweiterung‘ für mehr Haarfülle. Die jungen Frauen, eine arbeitet regelmäßig im Salon, die andere ist die jüngste Tochter Bintas und wird gerade im Salon angelernt, unterhalten sich lautstark auf Wolof über das anstehende religiöse Fest der Muriden, das Magal de Touba, das heute Abend in Berlin erstmals in großem Rahmen gefeiert wird. Sie sprechen darüber, wer denn nun genau zum Fest geht und was die jungen Frauen am Abend anziehen werden. Binta beendet das Telefonat mit ihrer Schwester und meint in meine Richtung – ich sitze am anderen Ende der Bank und warte darauf, dass sie Zeit für ein längeres Gespräch mit mir hat: „Vor zwei Jahren war ich mit meinen beiden Schwestern in Touba [in Senegal] zum Magal und letztes Jahr habe ich bei meiner Schwester in London gefeiert, dort feiern 1

Die Namen der Gesprächspartner*innen wurden anonymisiert und persönliche Details verändert, sofern dies erwünscht wurde oder aus ethischen Gründen erforderlich war.

22 | Social Media im transnationalen Alltag sie das Magal jedes Jahr. Meine Schwester macht sich auch gerade dafür fertig. Aber dieses Jahr werde ich mir das alles in Touba wieder im Fernsehen ansehen. Ich bin zu müde, um heute Abend noch raus zu gehen.“ Nach unserem kurzen Gespräch über das Magal klingelt schon wieder eines ihrer Telefone, dieses Mal ist es das Mobiltelefon: Eine Kundin benötigt dringend einen Termin.2

Viele Senegales*innen leben wie Binta seit vielen Jahren, manchmal seit Jahrzehnten, in Berlin und haben sich an diesem Ort ein Auskommen und soziales Leben aufgebaut. Mit ihrem Schönheitssalon ist Binta ökonomisch erfolgreich, vor allem ist dieser Ort zentral für ihren Alltag und ihr soziales Leben. Der Schönheitssalon dient den Familienmitgliedern und den jungen senegalesischen und gambischen Angestellten, aber auch zahlreichen jüngeren und älteren Kundinnen aus Senegal, Gambia und anderen westafrikanischen Ländern, als Treffpunkt. Jüngere und ältere Frauen tauschen sich hier über Modetrends, Musik und Neuigkeiten über Verwandte und Freund*innen aus ihren Herkunftsländern aus. Viele junge Frauen suchen Rat bei der älteren Binta, beispielsweise über Geburt und Kindererziehung in Berlin. Die Frauen leben hier ihre vielfältigen sozialen, religiösen, regionalen und nationalen Zugehörigkeiten. Männern kommt an diesem weiblichen Ort nur eine Nebenrolle zu, sie haben eigene Treffpunkte in Berlin. Nicht nur zu muridischen Feierlichkeiten wie dem Magal de Touba,3 auch zu Tabaski4 oder an Silvester kommen in Berlin jüngere und ältere 2

3

4

Die meisten Gespräche in Deutschland fanden auf Französisch, einem Mix aus Französisch und Deutsch und zu einem geringen Anteil auf Wolof statt; in Senegal waren Französisch und Wolof, teilweise mit Unterstützung einer Übersetzerin, die Verkehrssprachen für die Forschung. Für Übersetzungen aus dem Wolof und die Orthografie folge ich dem Wörterbuch von Jean-Léopold Diouf (2003), außer in Fällen, in denen sich andere Schreibweisen durchgesetzt haben. Zur besseren Lesbarkeit habe ich mich dafür entschieden, längere Übersetzungen nicht in der Ursprungssprache in die Arbeit aufzunehmen.

Das Magal de Touba feiern die Anhänger der religiösen tarīqa der Muriden, die sogenannte Muridiyya, zur Erinnerung an das Fortgehen ihres Gründers Amadou Bamba ins Exil nach Gabun im Jahre 1895. Mittlerweile finden diese Feiern nicht nur in Touba statt, sondern auch an den Aufenthaltsorten der Migration. Tarīqa bedeutet auf Arabisch Weg, Pfad oder Methode und bezeichnet im Sufismus einen spirituellen Weg, zu Gott zu gelangen, aber auch eine Gemeinschaft von Menschen, die diesem Weg folgt. Der Islam in Senegal ist von den vier sufistischen turuq (Pl. von tarīqa), der Muridiyya, Tidjianiyya, Layene und Quadriyys dominiert.

Tabaski (Aid el-kebir) wird auf Deutsch häufig Opferfest genannt und gilt in Senegal und unter Sunniten als höchstes islamisches Fest.



1. Medien und transnationale soziale Beziehungen | 23

Senegales*innen zusammen, um ihre Zugehörigkeit nicht nur zu einer bestimmten religiösen Richtung, sondern auch zu den Senegales*innen in Berlin zu bekräftigen. Gleichzeitig sind diese religiösen Feste wie auch Hochzeiten, Taufen und Beerdigungen Anlässe, um die Verbindung mit dem Herkunftsland und zu abwesenden Familienmitgliedern und Freund*innen zu intensivieren. Interessant ist die Selbstverständlichkeit, mit der Binta Familienmitglieder, die an anderen Orten in Senegal, Gambia oder Europa leben, in ihren Alltag in Berlin integriert. Es sind nicht nur die technischen Möglichkeiten, die Videotelefonie oder die Live-Fernsehübertragung des religiösen Festes per Internet, die diese Verbindungen erleichtern und anstelle des physischen Kontakts treten (Baldassar 2008; Baldassar u.a. 2016). Darüber hinaus erwähnt Binta in dem oben zitierten Gespräch weitere wichtige Elemente, die diese transnationalen Verbindungen über die unterschiedlichen Technologien ermöglicht und gestaltet: Erstens wird in den Telefongesprächen gemeinsam verbrachte Zeit, etwa auf Reisen oder bei gegenseitigen Besuchen, thematisiert und somit aktualisiert. Zweitens trägt das gemeinsame Einstimmen auf die Feierlichkeiten an unterschiedlichen Orten über Videotelefonie dazu bei, neue gemeinsame Erfahrungen zu gestalten. Abwesende Verwandte und Freund*innen werden so über Gespräche, Kommentare und Bilder in den Alltag einbezogen und anwesend ‚gemacht‘. Die Feldforschungsszene verbindet die zentralen Themen der vorliegenden Dissertation: Es geht um transnationale soziale Beziehungen, Medienpraktiken und mediale Räume5 zwischen Berlin und Dakar. Medienpraktiken um Ereignisse wie Hochzeiten oder das Magal de Touba dienen erstens dazu, einen transnationalen Austauschraum zu gestalten und abwesende Personen präsent zu machen. Die Erfahrung der medial vermittelten Ereignisse und Personen unterscheidet sich nicht nur durch eine andere Qualität der Erfahrung, sondern auch durch eine andere Struktur, die durch spezifische Medienpraktiken bestimmt wird. Zweitens eignen sich die Akteure diese Austauschräume geschlechts- und generationenspezifisch aus der jeweiligen Perspektive der Migration oder des Herkunftskontextes an. Je nach Lebenssituation und Alter werden diese Beziehungen durch verschiedene Medien5

Den Begriff der medialen Räume verwende ich hier in Anlehnung an Martin Zillinger (2015:184): „Mediale Räume entstehen in der Übersetzung und Verknüpfung von Personen, Zeichen und Dingen [...] [, die] an einem Ort zusammengezogen oder an andere Orte verschickt werden.“ Was genau zusammengezogen wird und wie das ‚Verschickte‘ an einem anderen Ort ‚auseinandergezogen‘ wird, ist Gegenstand dieser Arbeit.

24 | Social Media im transnationalen Alltag

technologien wie Facebook oder Handy und Videotelefonie ausgestaltet. In der Aufrechterhaltung transnationaler sozialer Beziehungen zwischen Deutschland und Senegal kommt neben den häufig in der Forschung fokussierten engen familiären Beziehungen (z.B. Parreñas 2005; Bryceson und Vuorela 2002a; Mazzucato und Schans 2011; Katharine Charsley 2012b; Poeze und Mazzucato 2013) vor allem Geschwister- und Freundschaftsbeziehungen große Bedeutung zu. Wichtig sind die Veränderungen durch und während der Migration, denn nur unter Einbeziehungen biografischer Brüche sind Dynamiken von sozialer Nähe und Distanz im transnationalen Kontext zu verstehen. Drittens geht diese Arbeit davon aus, und auch das wird bereits in der Feldforschungsszene ersichtlich, dass sich Senegales*innen durch ihre Medienpraktiken zugleich an ihrem Wohnort Berlin und in ihrer Herkunftsgemeinschaft in Dakar sozial verorten. Gleichermaßen haben Freund*innen und Familienmitglieder in Dakar in ihrem Alltag die Abwesenden im Blick. Viertens deutet sich durch Facetime bereits hier die wichtige Rolle von (bewegten) Bildern und damit der Visualität in der Gestaltung dieser häufig emotional sehr aufgeladenen transnationalen Beziehungen an. Die Bedeutung von Visualität in transnationalen Beziehungen wurde bisher in der Forschung wenig thematisiert oder analysiert.6 Was als fünfter Punkt in der Notiz zudem zutage tritt, sind die Herausforderungen einer multi-sited ethnography.7Als Feldforscherin kann ich wie meine Gesprächspartner*innen nie zeitgleich an unterschiedlichen Orten in Berlin, Dakar oder online sein, sondern ich muss Verbindungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten nachverfolgen und rekonstruieren. Ausgangspunkt für die Forschung war zunächst die Frage, wie Se­ne­ gales*innen verschiedenen Alters und Geschlechts in Berlin und Dakar translokale soziale Räume durch Medien gestalten und auf welche moralischreligiösen Bezüge und Diskurse sie dabei zurückgreifen. Diese Fragestellung unterteilt sich zunächst in (a) Welche Bedeutung haben visuelle Formen der transnationalen Vernetzung für Senegales*innen in Berlin und Dakar? und (b) Wie werden die medialen Räume nach Alter und Geschlecht angeeignet, 6 7

Auch die auditive Dimension transnationaler Beziehungen und Medienpraktiken wurde bisher kaum thematisiert, würde jedoch den Rahmen dieser Arbeit sprengen.

Ethnografie wird im Ansatz der multi-sited ethnography vor allem als Prozess der Forschung betrachtet, während die writing culture-Debatte vor allem den Schreibprozess in den Fokus stellt (vgl. hierzu Kap. 2.5). Neuere Debatten betrachten Ethnografie auch als Theoriebildung (vgl. Col 2017).



1. Medien und transnationale soziale Beziehungen | 25

um die eigene Lebenssituation zu reflektieren und sich im Aufenthalts- oder Herkunftskontext zu verorten? Die Frage, welche Transformationsprozesse durch die migrantische Situation und die Medientechnologien in Bezug auf Geschlecht und Generation bestärkt werden, veränderte sich im Laufe meiner Forschung dahingehend, dass ich weniger nach Veränderungsprozessen, als vielmehr nach Ausgestaltungsmöglichkeiten fragte. Zudem machte die Feldforschung deutlich, dass sich transnationale und mediale Gestaltung von Raum und Ort nicht ohne eine Perspektive auf Zeit und Zeitlichkeit untersuchen lässt. Viele Arbeiten zu transnationaler Migration und Globalisierung der letzten Jahre haben auf die Wichtigkeit der räumlichen Trennung in transnationalen Familien hingewiesen (z.B. Bryceson und Vuorela 2002a; Poeze und Mazzucato 2013; Robertson, Wilding und Gifford 2016). Besonderes Augenmerk lag dabei häufig auf der Sorge und Pflege in engen kleinfamiliären Beziehungen (Baldassar und Merla 2013; Hromadžić und Palmberger 2018). Vor allem die Entwicklung von neuen Medientechnologien, Mobiltelefonund Internetapplikationen wird für einen dramatischen Wandel in der transnationalen Kommunikation verantwortlich gemacht (z.B. Vertovec 2004; Madianou und Miller 2012a). Dabei wird entweder das verbindende Potential insbesondere ‚neuer‘ Medien8 betont und pauschal argumentiert, dass Verbundenheit über Zeit und Raum hergestellt werden kann (z.B. Gresch­ke 2009), oder aber, dass die größere Nähe durch ‚neue‘ Medien zu Konflikten und Distanz in den Beziehungen führt (z.B. Tazanu 2012). Wenige Arbeiten stellen dabei die wichtige Frage, wann welche Arten von Beziehungen innerhalb teilweise langanhaltender Migration relevant werden und wie diese unterschiedlichen Beziehungen durch spezifische Medientechnologien ausgestaltet werden. Die vorliegende Arbeit differenziert soziale Beziehungen und biografische Situationen und setzt die Dynamiken der medialen Vermittlung sowohl im Herkunftskontext als auch im migrantischen Kontext zueinander in Verbindung.

8

Im Anschluss an Hirschkind, de Abreu und Caduff (2017:4f) werden ‚neue‘ Medien in dieser Arbeit nicht als stabile Größen definiert, sondern das ‚Neue‘ wird hier als eine Erwartung und ein Bezug auf die Zukunft verstanden, der selbst sehr stark vermittelt ist: „This means that the question of new media centers not on technological things that can be isolated as distinct entities but on relationships among media practices and processes of mediation.“

26 | Social Media im transnationalen Alltag

Obwohl gerade in jüngster Zeit einige ethnologischen Forschungen zu Medien und transnationaler Migration in unterschiedlichen Regionen der Welt entstanden sind (Madianou und Miller 2012a; vgl. auch Miller u.a. 2016), gibt es bisher kaum Arbeiten, die diese Themen in Westafrika oder gar auf Senegal bezogen untersuchen (Ausnahmen sind beispielsweise für Kamerun Tazanu 2012; Frei 2013). Diese Arbeit schließt erstens diese regionale Forschungslücke und trägt dazu bei, die Dynamiken von ‚neuen‘ Medien und transnationalen sozialen Beziehungen im europäisch-westafrikanischen Kontext besser zu verstehen, indem sie dem Stellenwert und der Visualität von Bildern gerecht wird. Die beiden parallelen Entwicklungen transnationaler Migration und ‚neuer‘ Medien werden in dieser Arbeit zweitens nicht als getrennte Felder, sondern als transnationale Medienpraktiken und mediale Räume im jeweiligen sozialen und kulturellen Kontext gefasst. Medienpraktiken und Medien werden so an den unterschiedlichen Orten untersucht, an denen sie für mobile wie immobile Personengruppen Bedeutung entfalten. Dabei werden sowohl der Kontext in Berlin als auch der Kontext in Dakar mit in die Untersuchung einbezogen und erörtert, wie Medien geschlechts- und altersspezifisch angeeignet werden. Die vorliegende Untersuchung geht damit von einer Theorie der medialen Vermittlung aus, in der Beziehungen und Medien in der Praxis nicht getrennt voneinander bestehen. Der Fokus auf soziale Medienpraktiken ermöglicht es, über den technischen Medienbegriff und einzelne Applikationen hinauszugehen und generelle Aussagen über die mediale Vermittlung innerhalb von sozialen Beziehungen zu treffen. Die Perspektive auf Medienpraktiken erlaubt es zudem, nicht nur Einzelmedien zu fokussieren, sondern angesichts der Verwobenheit insbesondere von ‚sozialen Medien‘9 und dem Zusammenspiel von Online- und Offlinepraktiken Dynamiken der Vermittlung in sozialen Beziehungen sowie die Visualität der Verbindungen herauszuarbeiten. Damit leistet diese Untersuchung einen wichtigen Beitrag zu aktuellen Debatten in der Medienethnologie, der Visuellen Anthropologie, der Transnationalismusforschung und der Sozialethnologie.

9

‚Soziale Medien‘ sind hier nicht nur soziale Onlinemedien, vielmehr fallen beispielsweise auch Geschenkaustausch oder die Zirkulation von Bildern darunter. Vgl. zu einer kritischen Auseinandersetzung und einem weitgefassten Begriff von ‚sozialen Medien‘ den Beitrag von Dorothea Schulz (2016) sowie die Arbeit zu Twitter von Johannes Paßmann (2018).



1. Medien und transnationale soziale Beziehungen | 27

Im Zentrum der Arbeit stehen die dichten Beschreibungen und Kontextualisierung der Medienpraktiken von Senegales*innen in Berlin und Dakar. Die ethnografischen Daten und Materialien erhob ich während meiner 14-monatigen Feldforschung und teilnehmenden Beobachtung in Berlin (8 Monate) und Dakar (6 Monate) sowie meinen Onlinebeobachtungen in den Jahren 2011 bis 2014. Die Heterogenität meiner Erfahrungen und Aufzeichnungen aus den unterschiedlichen Kontexten spiegeln den Facettenreichtum der Lebenswelten der Personen, die bereit waren, sich mir ein Stück weit zu öffnen. Soweit möglich wurden Fotografien und Bildschirmfotos als Teil der Argumentation mit dem Text dieser Arbeit verwoben. Da die Form der dominanten textbasierten Forschungsauswertung der Medialität der analysierten Medien und den Erfahrungen meiner Feldforschung nur in eingeschränktem Ausmaß gerecht werden kann, wurden weitere audiovisuelle Auseinandersetzungen mit den Themen der Arbeit in anderer Form veröffentlicht (vgl. Neumann und Pfeifer 2017). Der Fokus auf Senegales*innen in dieser Arbeit (vgl. Kap. 4.5) wurde aus drei Gründen gewählt. Erstens gibt es in Senegal aufgrund der kolonialen und postkolonialen Migrationsgeschichte eine besondere Tradition, Verbindungen inner- und außerhalb Senegals aufrechtzuerhalten. Die für westafrikanische Verhältnisse relativ stabile politische und ökonomische Situation beförderte diese kontinuierlichen Verbindungen zusätzlich. Zweitens hat die relativ hohe Zahl an Senegales*innen, die im Ausland leben, und die Geschichte von Mobilität und Migration, die im Senegal schon sehr früh auch nach Europa einsetzte, dazu geführt, dass durch die Praktiken der Verbindungen kontinuierlich die medialen Infrastrukturen aufgebaut und erweitert wurden. Dies befördert die aktuelle Ausgestaltung translokaler und transnationaler Vernetzung. Drittens ist Deutschland, obwohl es innerhalb der senegalesischen Migrationsdestinationen einen geringen Anteil ausmacht, als Ort der Imagination und des Wohlstandes bei vielen Senegales*innen bekannt. Gerade da es keine kolonialen Verbindungen zwischen den beiden Ländern gibt, konnten sich andere, teilweise positivere Vorstellungen herauskristallisieren. So kennen viele Senegales*innen in Dakar deutsche Fußballer, die Bundesliga und deutsche Automarken.10 Umgekehrt werden

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Dies kann jedoch auch als Teil von postkolonialen wirtschaftlichen Interessen betrachtet werden.

28 | Social Media im transnationalen Alltag

Senegales*innen als Beispiel für Migration, Integration oder stellvertretend für ‚afrikanische Kultur‘ in der deutschen Medienlandschaft präsentiert.11 Insbesondere innerhalb der spezifischen soziokulturellen Gemengelage Berlins finden sich diese Medienbilder wieder und prägen somit den Alltag von Senegales*innen. Dies zeigt sich unter anderem in der Vielzahl der Aktivitäten einzelner Senegales*innen in den politischen und kulturellen Organisationen der Stadt Berlin sowie in den vielfältigen spezifisch senegalesischen Assoziationen und Gemeinschaften, in denen sich Senegales*innen in Berlin organisieren (siehe hierzu vor allem Kapitel 4.5, 7 und 8).12 Die nationalstaatliche Kategorie ‚senegalesisch‘ ist in Westafrika (aber auch im Migrationskontext) aufgrund der kolonialen und postkolonialen Geschichte nur eine neben anderen. Bereits Senegals erster Präsident Leopold Sédar Senghor (1906–2001) versuchte durch seine gezielte Kultur- und Sprachpolitik, eine spezifisch senegalesische nationale Identität und Zugehörigkeit zu schaffen (vgl. Harney 2004). Trotz der Konflikte um die Unabhängigkeit der Casamance und der ethnischen, sprachlichen und religiösen Vielfalt in Senegal war dieses Projekt teilweise erfolgreich. Vor allem im

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Viele Zeitungen und Zeitschriften verwiesen bei der Wahl von Karamba Diaby zum Mitglied des Bundestages 2013 auf seine senegalesische oder afrikanische Herkunft (z.B. der Stern mit „Geboren im Senegal, jetzt im Bundestag“: Hentschel 2013). Im Gegensatz zu diesen positiven Bildern der Integration werden bei Flüchtlingsthemen immer wieder Bilder von Senegales*innen als stereotype Beispiele für rassistische und ausländerfeindliche Aussagen herangezogen. Dies verdeutlichte etwa die zurecht sehr aufgebrachte Mediendiskussion um CSUGeneralsekretär Andreas Scheuers Beitrag im September 2016. Seine rechtspopulistische Aussage: „[...] das Schlimmste ist ein fußballspielender, ministrierender Senegalese, der über drei Jahre da ist, weil den wirst Du nie wieder abschieben. Aber für den ist das Asylrecht nicht gemacht, sondern er ist Wirtschaftsflüchtling.“ knüpft an faschistischen Sprachgebrauch an, indem rassistische Bilder von sportlichen, Schwarzen Männern als Eindringlinge und Bedrohung der (christlichen) Gemeinschaft aufgerufen werden. Gleichzeitig wird in dem Zitat auf Debatten um Asylrecht, Abschiebung und Integration mit Bezug auf Senegales*innen referiert und verallgemeinernd vermischt. Die ‚faktische‘ Aussagekraft des Zitats ist sehr niedrig und spricht durch das ‚Framing‘ insbesondere rechtspopulistische Wähler an (vgl. Spiegel 19.09.2016, 20.09.2016, Tagesspiegel vom 21.09.2016 und Bildblog vom 21.09.2016). Durch die Großschreibung von ‚Weiß‘ und ‚Schwarz‘ in dieser Arbeit wird die soziale und historische Konstruktion und die politische Bedeutung des Begriffs betont.

Gleichwohl ist Berlin vielen Senegales*innen in Deutschland als Ort der Berliner Afrika-Konferenz von 1884/85 und in erneuter Auseinandersetzung um die koloniale Vergangenheit im Zusammenhang mit dem Neubau des HumboldtForums präsent.



1. Medien und transnationale soziale Beziehungen | 29

urbanen Kontext von Dakar grenzen sich die Bewohner häufig zu den westafrikanischen Nachbarn als spezifisch ‚senegalesisch‘ ab. Jedoch steht diese nationale Zuschreibung fast gleichberechtigt neben der ethnischen und religiösen Zugehörigkeit und tritt je nach Kontext sogar vor diesen zurück. Die nationalstaatliche Kategorie gewinnt im Migrationskontext dann an Bedeutung, wenn es um den Aufenthaltsstatus geht, teilweise aber auch, um sich als unterscheidbare Gruppe von anderen Westafrikaner*innen abzugrenzen (vgl. z.B. Humboldt 2006; McIntyre 2004). Im Berliner Kontext wird Gemeinschaft zuallererst über die Sprache hergestellt. So fühlen sich viele Wolofsprecher*innen aus Gambia oder Mali einer ‚senegalesischen‘ Gemeinschaft in der Diaspora verbunden und sind Teil der spezifischen kulturellen Vereinigungen. Nicht Wolof-sprechende Senegales*innen sind aber auch Teil der soziokulturellen und religiösen senegalesischen Vereinigungen. Neben der Sprache verbindet die religiöse Zugehörigkeit Menschen über nationalstaatliche Grenzen hinweg, beispielsweise schließt die muridische dahira13 in Berlin auch viele Mitglieder aus Gambia ein und Mitglieder anderer turuq, auch Christen nehmen an den Feierlichkeiten teil. Auch die Selbstzuschreibung als Senegales*in ist für diese Arbeit von großer Bedeutung. Durch frühere transregionale Migration sind Staatsangehörigkeit, Herkunft und Zugehörigkeit nicht immer kongruent. Einige Senegales*innen, mit denen ich sprach, hatten beispielsweise malische Vorfahren und fühlten sich trotz senegalesischem Pass und Aufwachsen in Senegal eher als Malier. Einige Gambier*innen leiteten ihr ‚SenegalesischSein‘ von der Herkunft der Eltern aus Senegal (und von der Sprache Wolof) ab, obwohl sie selbst nicht in Senegal aufgewachsen waren. Andere hatten einen senegalesischen Pass und waren in Dakar aufgewachsen, fühlten sich aber dem familiären Ursprung in Guinea-Bissau oder Guinea näher. Wenn ich hier von Senegales*innen spreche, dann möchte ich mit dieser Zuschreibung immer die Flexibilität der Kategorie und den konstruierten Charakter mitdenken.

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Dahiras sind eine Form der religiösen Organisation und in Senegal seit den 1950er Jahren dokumentiert. Sie sind meist geschlechtsgetrennt organisiert und vor allem in den urbanen Regionen steigt ihre Anzahl zunehmend (Buggen­ hagen 2001b, 2011, 2012b; Mbow 2001).

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1.1 Transnationale soziale Beziehungen Im Zentrum dieser Arbeit steht die Frage, wie Menschen über Raum und Zeit hinweg miteinander interagieren. Soziale Beziehungen als Verbindungen zwischen zwei oder mehreren Personen bilden in Rekurs auf Max Webers Definition14 die Grundvoraussetzung für gemeinschaftliches Zusammenleben. Soziale Beziehung wird als flexible Begrifflichkeit für diese Arbeit genutzt, um erstens unterschiedliche Arten von Beziehungen wie Freundschaften, verwandtschaftliche Beziehungen oder Paarbeziehungen zu fassen. Dabei sind diese Formen von Beziehungen nicht immer klar voneinander abgrenzbar. Mit dieser Flexibilität soll der Tendenz der klassischen Sozial­ ethnologie zu einer starken Betonung von Verwandtschaft als ordnendes Konzept entgegengewirkt werden. Dabei gehe ich keineswegs davon aus, dass verwandtschaftliche Beziehungen weniger Bedeutung erlangen, sondern lediglich, dass weitere Konzepte wie Freundschaft zu einem besseren Verständnis von Beziehungen beitragen können. Einen zweiten Vorteil für die Nutzung des Begriffs der sozialen Beziehung für diese Arbeit sehe ich darin, dass es um praktisch ‚gelebte‘ und nicht ausschließlich ideale Beziehungsvorstellungen geht, womit ich mich an Strömungen der new kinship studies und Begriffe wie relatedness anschließe (z.B. Carsten 2000). In der Forschung sind soziale Beziehungen wenig mit unterschiedlichen Bedeutungsebenen aufgeladen und es geht nicht um konstruierte Vorgaben.15 In sozialen Beziehungen muss es zwar ein Gegenüber geben, doch muss nicht von einer Gegenseitigkeit ausgegangen werden, obwohl sie nicht ausgeschlossen ist. Schon in Webers Ausführungen (1922: 29) müssen Hand14

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„Soziale ‚Beziehung‘ soll ein seinem Sinngehalt nach aufeinander gegenseitig eingestelltes und dadurch orientiertes Sichverhalten mehrerer heißen. Die soziale Beziehung besteht also durchaus und ganz ausschließlich: in der Chance, daß in einer (sinnhaft) angebbaren Art sozial gehandelt wird, einerlei zunächst: worauf diese Chance beruht“ (Weber 1922:29).

So habe ich mich beispielsweise gegen den Begriff der Sozialität (sociality) (z.B. Long und Moore 2013) entschieden, da hier die Auseinandersetzung mit nichtmenschlichen Akteuren im Fokus steht und diverse Autor*innen vor allem die agency einzelner Personen und Gruppen betrachten, ohne den Einfluss von Strukturen und Normen gleichzeitig in den Praktiken verortet zu sehen. Auch Begriffe wie Gemeinschaft, community oder Diaspora sind für die Analysen in dieser Arbeit wenig fruchtbar, da sie alle von relativ stabilen Verbindungen und gemeinsamen Zielen oder Identitäten ausgehen, ohne die Heterogenität und Veränderungen in sozialen Beziehungen über einen gewissen Zeitraum in Betracht zu ziehen.



1. Medien und transnationale soziale Beziehungen | 31

lungen einer Person auf den jeweils anderen abzielen, ohne dass dadurch die Qualität der Beziehung festgelegt wäre. Soziale Beziehungen werden in Praktiken hergestellt und ausgehandelt. Insbesondere Geld und Objekte dienen als Vermittler für die Verbindungen von sozialen Beziehungen, sie können im Fließen gehalten oder gestoppt werden (vgl. Strathern 1996) und stellen einen Gradmesser für Nähe und Distanz von sozialen Beziehungen dar (siehe auch Sommerfelt 2013). Bei der Betrachtung transnationaler sozialer Beziehungen spielen Objekte sowie die damit einhergehenden Medienpraktiken und deren relationale Eigenschaften eine noch stärkere Rolle. Die teilweise langjährigen Abwesenheiten erfordern spezifische Vermittlungsprozesse, die normalerweise eingebettet in soziale Aktionen in Senegal erfolgen. Heike Behrend fasst fotografische Praktiken in Ostafrika als „[...] a practice that establishes a new sphere of social relations that is substantiated through the production, circulation, and consumption of photographs“ (Behrend 2014:146). An anderer Stelle schreibt sie über die Arbeit von Ethnolog*innen: „Ethnographers and the subjects of their research share the same media and participate in a reality that is created by them. Both are confronted with situations, sites and social relations that are technically mediated; spacial and social distance and closeness, presence, absence, and immediacy are often organized by technical media, and anthropologists have to reflect on these mediations and how they influence and transform ethnographic knowledge.“ (Behrend 2014:47)

Für den Fokus der vorliegenden Arbeit, der nicht auf Medien als technische Objekte, sondern auf ihrem Gebrauch und den alltäglichen Medienpraktiken liegt, ist an Behrends Aussage zentral, dass soziale Beziehungen durch Medien vermittelt und dass räumliche und soziale Entfernung durch diese Medien organisiert werden. Die Vermittlung von sozialer und emotionaler Nähe und Distanz, Anwesenheit, Abwesenheit und Unmittelbarkeit stehen in dieser Arbeit immer im Zusammenhang mit räumlicher Entfernung und den unterschiedlichen Lebenskontexten in Berlin und Dakar. Dabei geht es um die spezifische Qualität und Erfahrung der unterschiedlichen Verbindungen und sozialen Beziehungen zwischen Senegales*innen in Berlin und Dakar. Soziale und emotionale Nähe oder Distanz korrelieren dabei nicht unbedingt mit räumlicher Entfernung, vielmehr werden in den Medienpraktiken die sozialen Beziehungen hergestellt, aufrechterhalten, ausgehandelt und manchmal auch abgebrochen. Diese Perspektive der vorliegenden Untersuchung wird

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Heike Behrends Ansatz sogar erweitern. Es wird sich zeigen, dass nicht nur die sozialen Beziehungen selbst, sondern auch die Wahrnehmung der sozialen Beziehungen und der Ereignisse, durch die sich diese transnationalen Beziehungen vermitteln, durch die Medien organisiert werden. Ein weiteres zentrales Element in Heike Behrends Zitat ist, dass Ethnolog*innen Medien und die Realitäten, die durch sie geformt werden, teilen bzw. teilen müssen, um den Gebrauch der Medien erforschen zu können (vgl. zu sozialen Onlinemedien Postill und Pink 2012). Dies gilt für die Medien ebenso wie für soziale Beziehungen. Beide Formen der Teilhabe müssen in der Analyse immer wieder mit einbezogen und reflektiert werden, um den Einfluss auf die ethnografische Wissensproduktion auszuloten.16 Das Verhältnis von Vermittlung, sozialen Beziehungen, Medienpraktiken und transnationalen Räumen ist Gegenstand des nächsten Unterkapitels.

1.2 Medien und vermittelte soziale Beziehungen Wie bereits erwähnt betrachten Forschungen zu sozialen Beziehungen und Medien diese Bereiche häufig als getrennte Felder mit einer jeweils eigenen Logik. Soziale Beziehungen werden dabei meist unter dem Gesichtspunkt der Familien- oder Verwandtschaftsverbindungen untersucht, Medien wiederum als Technologien wie Fotografie, Mobiltelefon oder Internet und wie sie benutzt werden. Bei dieser getrennten Sichtweise stellt sich häufig die Frage, wie diese beiden Felder miteinander in Zusammenhang stehen und welchen Einfluss sie aufeinander ausüben. So wurde beispielsweise angenommen, dass ‚neue‘ Medientechnologien soziale Beziehungen zwischen Migrant*innen17 in Europa und deren Familien und Freund*innen im Hei16 17

Das heißt für mich auch, die eigene Positionierung als deutsche Ethnologin und die damit einhergehenden Privilegien und Machtverhältnisse bei der Betrachtung der spezifischen Beziehungen zu reflektieren (vgl. Mayer 2005).

Der Begriff der Migrant*innen stellt eine soziale und politische Kategorisierung dar. In dieser Arbeit wird er genutzt, um auf die spezifischen Rahmenbedingungen zu verweisen, die durch staatliche und gesellschaftliche Institutionen auf den Lebensalltag dieser mobilen Personengruppen einwirken (siehe auch Kapitel 4.1). Als Nicht-Migrant*innen bzw. immobile Personen werden analog zu dieser Unterscheidung Familien und Freund*innen bezeichnet, die dominant im Herkunftskontext der mobilen Personengruppen leben. Bei dieser Bezeichnung muss allerdings mitbedacht werden, dass diese Personen geografisch und sozial sehr mobil sein können, auch wenn sie keine nationalen Grenzen überschreiten.



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matland verändern, Zeit und Raum komprimieren und physische Bewegung von Menschen (fast) überflüssig machen (Baldassar 2008). Dabei betonen ethnografische Studien entweder das Potential insbesondere ‚neuer‘ Medien, Verbundenheit über Zeit und Raum zu ermöglichen, oder argumentieren, dass die größere Nähe und Erreichbarkeit durch Kommunikationsmedien zu Konflikten und Distanz führen (Tazanu 2012). Auch dieser Arbeit legte ich zunächst diese Annahmen zugrunde und widmete mich der Forschungsfrage, inwiefern ‚neue‘ technische Medien wie Facebook und Mobiltelefone, daneben aber auch Fotografien und Hochzeitsvideos transnationale soziale Beziehungen transformieren. Erst im Laufe der ethnografischen Arbeit wurde deutlich, dass diese Frage im Forschungszeitraum und aufgrund der eng verwobenen Dynamiken um Medien und Migration nur schwer zu beantworten ist. Denn schnelle und unmittelbare Kommunikation über Distanz führt nicht unbedingt zu sozialer Nähe (Hannaford 2014:4). Hierbei ist es wichtig, zwischen Medien und dem Prozess der Vermittlung (mediation) zu unterscheiden. Medien sind in dieser Arbeit zunächst technische Medien. Sie werden jedoch nicht als ‚neutrale‘ und stabile Einheiten betrachtet, sondern eingebettet in ihrem sozialen Kontext. Der Fokus liegt auf dem alltäglichen Gebrauch, also was Menschen mit Medien und was Medien mit Menschen ‚tun‘ (vgl. Kap. 1.3 und Dang-Anh u.a. 2017). Dies schließt an jüngere Arbeiten in der Medienethnologie an, die den Prozess ‚was Medien tun‘ mit Vermittlung (mediation) beschreiben. Mit diesem Begriff werden Medien nicht lediglich als Container betrachtet, die Botschaften vermitteln, vielmehr steht das Medium hier in der Mitte, als Verbindung zwischen zwei Einheiten und ermöglicht diese Verbindung (Krings 2015:7). William Mazzarella (2004) verknüpft die Unterscheidung von Medien und mediation mit Grundlagen sozialer Praxis. In seinen theoretischen Ausführungen zu Medien und der Vermitteltheit von sozialen Welten betont er, dass Gesellschaften erst durch Medien für sich selbst vorstellbar werden. Da die Vermittlung (mediation) so eng mit den Vorstellungen von Gesellschaft, Identität, Nation oder gar Kultur verbunden ist, wird sie unsichtbar; oder in Mazzarellas Worten (2004:357): „Because they are so intimately tied to the very possibility of imagining and inhabiting our social worlds in particular ways, these mediations are also commonly naturalized.“ Aus dieser Perspektive heraus wird deutlich, dass soziale Beziehungen erst durch eine Vermittlung heraus entstehen, also auch Sprache, Körper, Kleidung und Geschenke als Vermittler agieren, durch die soziale Beziehungen ermöglicht

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und ausgehandelt werden. Für diese Arbeit ist insbesondere die Verbindung der unterschiedlichen Systeme der Vermittlung – Medientechnologien und soziale Technologien – interessant. Bolter und Grusins (2000) Begriff der remediation, mit einem engen Fokus auf technische Medien, kann hier auch auf andere Prozesse der Vermittlung angewandt werden. Medientechnologien wie Mobiltelefone oder Facebook setzen auf diese sozialen Vermittler auf und passen sich diesen an, sie bilden sozusagen ‚Medienketten‘,18 bei denen remediation in beide Richtungen wirkt und Unsichtbarkeit durch Vermittlung hergestellt wird.19 In Bezug auf soziale transnationale Beziehungen bedeutet dies, genau herauszuarbeiten, wie diese spezifische Inkorporation ‚neuer‘ Medien funktioniert, welche Aspekte der bereits vorhandenen technischen und sozialen Medien sie fortschreiben und wo sie spezifische neue Möglichkeiten eröffnen und dadurch an längerfristigen Veränderungsprozessen mitwirken. Die genaue Betrachtung der unterschiedlichen Systeme der Vermittlung erlaubt es herauszuarbeiten, was vermittelt wird und wie Prozesse technischer und sozialer Vermittlung zusammenspielen.20 Birgit Meyer (2011) verdeutlicht diese Verbindung von Systemen der Vermittlung anhand des Zusammenspiels von Religion und ‚neuen‘ Medien in ghanaischen Videos. Sie schließt mit ihrer Arbeit an frühere Betrachtung von Religion als Medien (Stolow 2005) und als Praktiken der Vermittlung (de Vries und Weber 2001) an. Nicht die dualistische Perspektive von Medien und Religion steht hier im Mittelpunkt, sondern Medien werden als Teil von Religion und Vermittlung gesehen. Meyers Ausführungen zeigen, wie pfingstkirchliche Videos auf ältere Formen der göttlichen Darstellung wie 18

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Heike Behrend nutzt den Begriff ‚media chains‘ im Kontext von rituellen Praktiken. Sie fokussiert dabei nicht nur auf die Verbindungen, die diese Medienketten herstellen, sondern vor allem darauf, was durch diese Medienketten im rituellen und magischen Bereich ‚getan‘ wird (Behrend 2003). Diese direkte Wirkung der Medienketten kann in sozialen Beziehungen nicht so unmittelbar nachvollzogen werden.

Bolter und Grusin betrachten vor allem ästhetisch-formale Aspekte von Medien in ihren theoretischen Ausführungen zu remediation, Nutzer*innen spielen dabei keine Rolle.

Bei seinen Ausführungen zur Akteur-Medien-Theorie verdeutlicht Erhard Schüttpelz den Fokus auf Vermittlung und Mittler mit der Umdeutung des eingängigen Schlachtrufes der Akteur-Netzwerk-Theorie „Follow the actors“ zu „Folge den Mittlern!“. Damit betont er die „Fähigkeit aller beteiligten Größen, andere Größen in Aktion treten zu lassen, Handlungen zu initiieren oder zu delegieren [...]“ (Schüttpelz 2013:19).



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Predigten oder die Bibel zurückgreifen, sie entwirft dabei eine Theorie der Vermittlung, bei der sie davon ausgeht, dass Unmittelbarkeit immer erst ein Produkt von Vermittlungsprozessen darstellt.21 In Bezug auf transnationale soziale Beziehungen und deren mediale Vermittlung ist es also nicht nur wichtig, was auf Facebook gepostet oder per SMS geschrieben wird. Vielmehr ist der Umstand, dass es durch diese Medien und Medienpraktiken vollzogen wird, Teil der Botschaft (McLuhan 2003). Es kann dabei entsprechend Meyers sowie Bolters und Grusins’ Ausführungen davon ausgegangen werden, dass während der Medienpraktiken zunächst keine Unterscheidung zwischen Inhalt und Form der Medien getroffen wird. Doch sobald die Angemessenheit eines Mediums für die Herstellung bestimmter sozialer Beziehungen angezweifelt wird, tritt das Medium selbst wieder in Erscheinung: Es kann beispielsweise zu einem ‚umstrittenen‘ Medium werden, wenn die Nutzung von Facebook für bestimmte Personengruppen wie Frauen als nicht angemessen und moralisch verwerflich diskutiert wird.22 Gleichzeitig werden neue Medien wie Facebook allerdings freudig in aktuelle Praktiken der Bildproduktion, Zirkulation23 und Aneignung aufgenommen. Ausgehend von den Unterscheidungen von technischen Medien und Vermittlung betrachte ich in dieser Arbeit, inwiefern unterschiedliche Prozesse der sozialen und technischen Vermittlung miteinander in Verbindung ste21

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Im Protestantismus wird beispielsweise die unmittelbare Beziehung zu Gott betont. Hier wird bei einem Problem der Präsenz davon ausgegangen, dass Unmittelbarkeit (immediacy) vor jeder Vermittlung stattfindet. Dabei fällt auf, dass wie auch in vielen aktuellen Medientheorien die vermittelte, medialisierte Erfahrung als Mangel wahrgenommen wird, da sie scheinbar nur eine zweitrangige Erfahrung ermöglicht. Insbesondere in sufistischen Bewegungen macht die Vermittlung durch Bilder, Berührungen, Personen oder Worte göttliche Präsenz erst erfahrbar. Die Vermittlung wird also nicht als Mangel von Unmittelbarkeit wahrgenommen. Während meiner Feldforschung rief beispielsweise der muridische religiöse Führer Cheikh Bethio Thioune seine Anhängerinnen dazu auf, Facebook nicht mehr zu nutzen, Männern wurde Facebook jedoch ausdrücklich weiterhin erlaubt (o.  V. 2011a). Nicht nur religiöse Führer, auch andere, etwa politische Führungspersönlichkeiten haben die Kraft, ein Medium anzuzweifeln.

Zirkulation und zirkulieren (lat. circulare) wird hier in der erweiterten Bedeutung von verbreiten oder kursieren verwendet. Damit ist also nicht ausschließlich eine kreisförmige Bewegung gemeint, bei der jemand oder etwas an einen Anfangspunkt (zurück) kommt. Gerade digitale Medienpraktiken zeichnen sich durch ungeordnete und unkontrollierte Bewegungen aus und finden nicht allein in Bahnen oder Kreisen statt.

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hen und dabei soziale Nähe und Distanz, Präsenz und Abwesenheit herstellen. Physische Nähe ist dabei nicht immer ausschlaggebend für emotionale oder soziale enge Beziehungen. Es sind häufig weitere Vermittlungen, die in transnationalen Kontexten enge soziale Beziehungen unterstützen. In der detaillierten Analyse von Medienpraktiken werden die unterschiedlichen Vermittlungsprozesse herausgearbeitet, die zu stabilen transnationalen sozialen Beziehungen beitragen, oder vermeintlich stabile Beziehungen in Frage stellen. Dabei wird deutlich, dass die Teilnehmer*innen meiner Forschung eigene sozial und kulturell geprägte Vorstellungen von Medien, Vermittlung und sozialen Beziehungen haben.24

1.3 Medienpraktiken, digitale Medien und Visualität Der alltägliche Gebrauch technischer Medien bildet als heuristische Perspektive den Ausgangspunkt für den Zugang zum Forschungsgegenstand transnationaler sozialer Beziehungen und medialer Räume. Medienpraktiken werden in diesem Sinn als das betrachtet, was Menschen mit Medien ‚tun‘ und was Medien mit Menschen ‚machen‘ (vgl. Kap. 1.2 und Dang-Anh u.a. 2017). Im Anschluss an praxistheoretische Arbeiten stellt sich damit auch die Frage, was genau als Medienpraktik gefasst werden kann. Bereits Anfang der 1980er Jahre führte die amerikanische Ethnologin Sherry Ortner (1984) in einem Übersichtsartikel zu theoretischen Strömungen in der Ethnologie die auf Pierre Bourdieu und Anthony Giddens basierende Praxistheorien als neue und wegweisende Entwicklung an, um die Dichotomie zwischen agency und Struktur durch einen Fokus auf Praktiken aufzulösen. Ortner sah eine Gemeinsamkeit vieler praxistheoretischer ethnologischer Arbeiten darin, die Beziehung zwischen handelndem Akteur und der Gesellschaft auf neue Weise zu befragen: 24

Ich gehe in dieser Arbeit also von einem anderen Konzept der Vermittlung in sozialen Beziehungen aus, als dies Madianou und Miller in ihrer wegweisenden Studie „Migration and New Media“ anhand des Begriffs polymedia entwickeln (Madianou und Miller 2012a, Kap. 9). Polymedia stellt für die Autor*innen einen „qualitative shift in the way technologies mediate relationships“ dar, sie betrachten vor allem die sozialen und emotionalen Konsequenzen der Wahl zwischen einer Vielzahl an (technischen und kommunikativen) Medien (Madianou und Miller 2012a:8).



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„A practice approach has no need to break the system into artificial chunks like base and superstructure (and to argue over which determines which), since the analytic effort is not to explain one chunk of the system by referring it to another chunk, but rather to explain the system as an integral whole (which is not to say a harmoniously integrated one) by referring to practice.“ (Ortner 1984:148)

Ortner stellte wie andere in ihrer Tradition der Praxistheorie also die grundlegende Fragen nach der Kontinuität und der Möglichkeit des Wandels in Gesellschaften mit einem Blick auf Praktiken (vgl. hierzu auch Shove, Pantzar und Watson 2012). Insbesondere die Frage nach der gegenseitigen Beeinflussung von Praktiken und „System“ lenkt den Blick darauf, wie diese reproduziert oder verändert werden. Dies führt zu einem anderen Verständnis von Ereignissen. Individuen werden als Einheiten betrachtet, deren Handlungen zeitlich organisiert in bestimmte Bewegungen und größere Projekte eingeordnet werden. Soziale Praktiken können nach diesem Verständnis nur als Teil von historischen Ereignissen verstanden werden. Sherry Ortner kann mit diesem Fokus auf Kultur und Geschichte schon der zweiten Generation von Praxistheoretiker*innen zugeordnet werden. Diese Generation greift den wichtigen Fokus auf Körperlichkeit und den Begriff des Habitus von Bourdieu (z.B. 1987) auf und verbindet dies mit Giddens’ Theorie der „Strukturation“ (1984). Kultur wird in dieser Perspektive nicht als holistische, abgeschlossene Einheit betrachtet, vielmehr werden unterschiedliche individuelle Perspektiven betont. Gleichzeitig versuchen diese Praxistheoretiker*innen, dem Vorwurf des ‚methodischen Individualismus‘ zu begegnen und den Einzelfall nicht zu stark zu betonen (siehe auch Couldry 2004:121). Gerade im Bereich der englischsprachigen Auseinandersetzung um Medien und Praktiken wurde mit Rückgriff auf die Tradition Ortners und in Auseinandersetzung mit dem Sozialphilosophen Theodor Schatzki sowie dem Soziologen Andreas Reckwitz ein Theoriebeitrag geleistet. Zunächst rief der britische Soziologe und Medienwissenschaftler Nick Couldry (2004) durch den programmatischen Artikel „Media as Practice“ den practice turn in der Medienwissenschaft25 aus. Couldry wendet sich mit seinen Ausführungen gegen eine Betrachtung von Medien als Text oder Struktur und sieht Medien als das an, was Menschen mit Medien tun (doing): „[...] as an open 25

Zur Medienpraktikenforschung vgl. die Einleitung im Heft „Medienpraktiken: Situieren, erforschen, reflektieren“ der Zeitschrift Navigationen (Dang-Anh u.a. 2017).

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set of practices relating to, or oriented around, media“ (2004:117). Couldry folgt den Ausführungen Ann Swidlers (2001), wenn er feststellt, dass Medienpraktiken aufgrund ihrer zentralen Rolle anderen Praktiken hierarchisch vorgelagert sind. Die Medienethnolog*innen Birgitt Bräuchler und John Postill bauen auf Couldry auf und verbinden in ihrem Band „Theorising Media and Practice“ (2010) die ethnologischen und medienwissenschaftlichen Auseinandersetzungen um Medien und Praktiken. Medienethnologische Untersuchungen setzen sich mit der soziokulturellen und historischen Verfasstheit von Medienpraktiken auseinander und entwickeln daran einen erweiterten Medienbegriff (vgl. die Beiträge in Bender und Zillinger 2015a; siehe auch Rao 2010). Mit diesem erweiterten Medienbegriff kann alles zum Medium werden, es ist nicht mehr klar abgrenzbar, wie unterschiedliche Formen der Vermittlung miteinander verwoben sind. Spannend für diese Arbeit ist zudem die von Bender und Zillinger dargestellte „symmetrische Perspektive“ der Medienethnologie (Bender und Zillinger 2015b),26 mit der sich die Ausführungen von Postill und Bräuchler (2010) ergänzen lassen. Denn Medien wirken auf die Praktiken zurück, womit Medien und Praktiken nur in der wechselseitigen Verfertigung als Medienpraktiken verstanden werden können (vgl. Schüttpelz und Gießmann 2015; Schüttpelz und Meyer 2017). Für meine Forschung bedeutet dies, dass ich die kleinteiligen, alltäglichen Medienpraktiken, z.B. auf Facebook oder in Fotoalben, immer in Bezug zu sozialen Beziehungen, aber auch zu anderen Praktiken, die außerhalb von Facebook stattfinden, setzen muss. Ich arbeite heraus, welche Praktiken freundschaftliche und verwandtschaftliche Beziehungen herstellen, welche sie aufrechterhalten, wie durch sie Konflikte ausgehandelt werden oder wie Kontakte auf Distanz gehalten werden. Der Fokus auf Medienpraktiken schließt, wie sich zeigen wird, auch rituelle und soziale Praktiken ein und betont die Verbundenheit dieser unterschiedlichen Prozesse der Vermittlung. Die ethnografische Forschung zu digitalen Medien (Horst und Miller 2012; Pink u.a. 2015) und sozialen Onlinenetzwerken (boyd und Ellison 2011; Miller 2012; siehe auch Miller u.a. 2016) nutzt praxistheoretische Ansätze für die Erforschung von Alltagswelten, die Online- und Offlinekon-

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Nicht-menschliche Akteure wie Medien und Objekte werden hierbei gleichberechtigt in die Untersuchung mit einbezogen.



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texte umspannen. Medienpraktiken werden hier als Einheiten konzeptualisiert und zu Ensembles von Medienpraktiken zusammengefasst, ohne dass sie dabei ‚natürlich‘ umgrenzt sind (Pink u.a. 2015:57). Im Gegensatz zu den oben skizzierten praxistheoretischen Ansätzen etwa von Nick Couldry werden Praktiken in diesen Arbeiten nicht allen anderen Phänomenen vorgelagert und die Praxistheorie als neues Paradigma ausgerufen. Die Perspektive auf Praktiken eröffnet hier neue Wege für zentrale Fragen nach Medien im Alltag oder dem Zusammenhang von Medien und Körper (Pink u.a. 2015:9; Postill 2010). Im Bereich der digitalen Fotografie wurde die praxistheoretische Wende mit Untersuchungen zur Materialität und Visualität von „digital visual practices“ vollzogen (vgl. Cruz und Lehmuskallio 2016). In Bezug auf Medienpraktiken in Senegal eröffnen visuelle Praktiken und Fotografien als relational objects (Edwards 2005) eine andere Perspektive auf die Erfahrung der Welt. Neben dem Fokus auf Identität, Selbstdarstellung und selfhood (z.B. Uimonen 2016; vgl. für den senegalesischen Kontext auch Mustafa 2002) wird der Fotografie dabei gerade im subsaharischen Kontext und insbesondere aufgrund der kulturellen Bedeutung der erweiterten Familie eine aktive Rolle bei der Ausgestaltung von Verbindungen in sozialen Beziehungen zugeschrieben: „[...] photographs are embedded in social relations, which determine the scope of how photographs are used to extend socialities beyond face-to-face encounters“ (Uimonen 2016:24). Der Fokus liegt hier nicht auf den Individuen, sondern auf den sozialen Beziehungen, gefasst als Sozialität, die in den indexikalischen Spuren der Fotografien enthalten sind. Die emotionale oder affektive Kraft einer Fotografie entsteht nicht nur durch das Bild selbst, sondern auch durch die Praktiken und das ‚Umgehen‘ mit den Bildern in sozialen Beziehungen, wie zum Beispiel des Betrachtens von Fotografien auf Facebook. Durch das Bild wird emotionale und soziale Präsenz und Nähe über Raum und Zeit hinweg ermöglicht (Edwards 2005:33f). Es gilt also für diese Arbeit, die Verbindung von Abwesenheit, Anwesenheit, Nähe und Distanz in sozialen Beziehungen nicht nur in Bezug auf Fotografien näher zu beleuchten.

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1.4 Anwesend, abwesend, kopräsent: Theoretische Annäherungen Transnationale und translokale soziale Beziehungen sind durch häufig lange physische Abwesenheiten von einander nahestehenden Personen gekennzeichnet. Diese räumliche Entfernung sagt aber noch nichts über soziale Nähe und Distanz in diesen Verbindungen aus. Physisch abwesende Personen werden durch unterschiedliche Medienpraktiken über geografische und zeitliche Distanzen in die unterschiedlichen Kontexte mit einbezogen und anwesend gemacht. Diese Form des medialen Präsent-Machens wird nicht durch eine „gemeinsame physisch räumliche Verortung, sondern über wechselseitige kommunikative Erreichbarkeit oder Ko-Lokalisierung im virtuellen Raum erzeugt“, so Erika Linz und Katharine S. Willis (2011:145). Unter medial vermittelter Kopräsenz wird hier in Anlehnung an Pink u.a. (2015:84) ein Konzept verstanden, das „[...] stands for a range of ways of being together that do not necessarily involve being in the same physicalmaterial locality, including during ethnography“. Der mediale Austauschraum ist Teil eines Interaktionsraumes, der die Teilnehmer*innen meiner Forschung immerzu umgibt. Geprägt ist dieser Austauschraum von einer ständigen Verfügbarkeit des Anderen, einer „ambient virtual co-presence“, wie Itō und Okabe dies in Bezug auf Mobiltelefonnutzung in Japan nennen (Itō und Okabe 2005:264). Beispielsweise durch Fotografien werden in diesem medialen Austauschraum jedoch Ereignisse wie Taufen und Personen präsent gemacht, die nicht direkt Teil der „ambient virtual co-presence“ im Sinne Itō und Okabes sind. Wie diese unterschiedlichen Formen des medial vermittelten Präsent-Machens (Linz und Willis 2011:149; vgl. auch Pink u.a. 2015:89) durch persönliche Mitteilungen, Bilder, Videos oder likes auf Facebook gestaltet werden, wird im Laufe dieser Arbeit herausgearbeitet. Gerade für den senegalesischen Kontext gilt es, immer wieder spezifisch zu verdeutlichen, was es heißt, physisch anwesend und abwesend zu sein, und wie durch unterschiedliche Formen der Kommunikation und des Präsent-Machens mit idealen Vorstellungen von sozialen Beziehungen umgegangen wird. Immer wieder wurde mir vermittelt, dass se déplacer, sich selbst körperlich zu bewegen, um beispielsweise einen Besuch abzustatten, sehr viel höher geschätzt wurde, als ‚nur‘ anzurufen. Die persönliche Anwesenheit von Angesicht zu Angesicht stellt also eine idealtypische Form der sozialen Beziehung dar. Doch sind es spezifische Vorstellungen von Anwesenheit und Abwesenheit vor allem in rituellen Kontexten, die auch



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für transnationale Beziehungen relevant werden. Einerseits sind es häufig stellvertretende Personen einer Familie wie das älteste männliche oder weibliche Mitglied oder der Haushaltsvorstand, die in rituellen Kontexten wie Heiratsanbahnungen für jüngere Familienmitglieder sprechen und verhandeln. Andererseits entfalten religiöse Vorstellungen der Vermittlung von Baraka27 durch Bilder und der göttlichen Präsenz in Bildern (vgl. Roberts und Nooter Roberts 2003) im transnationalen Kontext Bedeutung. Neue Medientechnologien betrachte ich keinesfalls nur als Ersatz für Face-to-FaceInteraktionen. Vielmehr argumentiere ich in meiner Arbeit, dass transnationale Medienpraktiken des Anwesend-Machens an rituelle Praktiken der Präsenz anschließen und im transnationalen Kontext fortgeführt werden. Obligationen und Erwartungen, die mit engen sozialen Beziehungen assoziiert werden, werden dadurch teilweise reproduziert und das Ideal der Faceto-Face-Interaktion nuancierter betrachtet. Obwohl physische Präsenz im Alltag höher geschätzt wird, wird im rituellen und transnationalen Kontext die physische Abwesenheit oft bevorzugt, da soziale und physische Nähe ohne finanzielle Beteiligung häufig nicht denkbar sind.

1.5 Aufbau der Arbeit Alle Kapitel dieser Arbeit beinhalten mit unterschiedlicher Gewichtung ethnografische Beschreibungen der Kontexte in Berlin und Dakar mit einem Fokus auf Medienpraktiken. Die ersten vier Kapitel dienen der methodischen und theoretischen Einführung, sowie der historischen und soziokulturellen Verortung der Arbeit. Hier werden einerseits die Felder sozialer Beziehungen in Senegal und der Senegales*innen in Deutschland vorgestellt. Zudem findet sich in diesem Teil eine kritische Auseinandersetzung mit der Produktion ethnografischen Wissens, aber auch den zentralen Begriffen von Mig27

Der Begriff ist in Wolof als barké vom arabischen Baraka entlehnt und stammt aus dem Koran. Die Komplexität des Begriffs zeigt sich in der vielfach diskutierten Bedeutung und Übersetzung, beispielsweise als ‚Charisma‘, Segen oder göttliche Gnade (vgl. Cruise O’Brien und Coulon 1988). In Westafrika wird dies immer mit einem Heiligen verbunden, der Baraka auch weitergeben und vererben kann. Roberts und Roberts verstehen darunter „divine efficacy“ und schlagen vor, denn Begriff eher als Aura zu begreifen (Roberts und Nooter Roberts 2003:26). Für die Betrachtungen hier ist erstens wichtig, dass durch das Bild göttliche Präsenz geschaffen wird; diese Präsenz kann zum ‚Fließen‘ gebracht werden und auf Personen übergehen, vgl. Kapitel 6.1.

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ration, Mobilität und Transnationalismus. Den Kern der Arbeit bilden die vier ethnografischen Kapitel (5–8), die jeweils auf unterschiedliche transnationale soziale Beziehungen und Medienpraktiken fokussieren. Zunächst liegt der Schwerpunkt dabei in Kapitel 5 und 6 auf der Perspektivierung transnationaler Beziehungen aus der Sicht der Senegales*innen in Dakar. In Kapitel 7 und 8 verlagert sich die Gewichtung auf die Perspektiven der Senegales*innen in Berlin. Die Kapitel zeichnen dabei die unterschiedlichen biografischen Stationen und Ereignisse von Hochzeiten und Taufen sowie zu einem geringeren Anteil Tod und Beerdigung nach. Auf religiöse muslimische Feierlichkeiten, deren Medialität und Bedeutung in transnationalen sozialen Beziehungen wird innerhalb der jeweiligen ethnografischen Kapitel und vor allem im Fazit verwiesen. Dieser einleitende Teil (Kap. 1) hat die Arbeit bereits thematisch in der Forschung zu transnationalen sozialen Beziehungen und Medien situiert und verortet sie medientheoretisch an der Schnittstelle von medienwissenschaftlichen und ethnologischen Theorien der Vermittlung und vermittelten sozialen Beziehungen. Insbesondere wurde auf die Perspektive der Medienpraktiken und Formen der Vermittlung eingegangen und in Diskussionen um Visualität eingeordnet. Das zweite Kapitel geht auf die methodischen und methodologischen Grundlagen der Forschung ein und setzt sich mit den Herausforderungen der medienethnografischen Forschung an unterschiedlichen Orten (2.1) und mit der digitalen Ethnografie (2.2) auseinander. Anschließend geht es um zwei Schwerpunkte: erstens um methodische Entwicklungen in der Erforschung von Mobilität und ‚neuen Medien‘ am Beispiel von Facebook (2.3) und zweitens um den für die Forschung zu Medienpraktiken angepassten Ansatz der skilled visions, den ich anhand porträtfotografischer Praktiken vorstelle (2.4). In diesem Unterkapitel reflektiere ich den Lern- und Erkenntnisprozess bei Praktiken des Fotografierens und verbinde diesen Ansatz mit der Betrachtung von Fotografien als (ästhetisches) Objekt. In einem letzten Unterkapitel (2.5) stelle ich die unterschiedlichen Phasen des Schreibprozesses dieser Arbeit dar und beschreibe den Stellenwert von Bildern für den Schreib- und Analyseprozess. Das dritte Kapitel führt in den soziokulturellen Kontext Dakars ein, da transnationale soziale Beziehungen untrennbar mit politischen, ökonomischen und medien-infrastrukturellen Entwicklungen Dakars und Senegals verbunden sind (3.1). Die Entstehungsgeschichte kolonialer Ethnografie und die Wirksamkeit ethnografischer Kategorien bis in rezente Literatur hi-



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nein (3.2) verdeutlicht die Verflechtung ethnografischer Wissensproduktion mit kolonialen und eurozentrischen Vorstellungen von ‚Rasse‘, Familie und Verwandtschaft (3.2.1). Vor diesem Hintergrund können eigene Vorstellungen und Projektionen – soweit es möglich ist – reflektiert werden und die aktuelle Ausgestaltung sozialer Beziehungen in Dakar mit einem Fokus auf Geschlecht und Generationen vorgestellt werden (3.2.1). Dieses Kapitel dient als Bezugsrahmen für die ethnografischen Teile, um die transnationalen sozialen Beziehungen von Senegales*innen in Berlin auch aus der spezifischen Perspektive von Familienmitgliedern und Freund*innen in Dakar zu verstehen. Die theoretische Positionierung dieser Arbeit an der Schnittstelle der Begriffe von Mobilität, Migration, Translokalität und Transnationalismus (4.1) eröffnet das vierte Kapitel. Anhand der aktuellen Literatur wird der Frage nach dem Einfluss von Migration und transnationalen Lebensstilen auf soziale Beziehungen herausgearbeitet (4.2) und die Bedeutung von Medientechnologien für transnationale soziale Beziehungen untersucht (4.3). Die europäisch-senegalesische Migration und historische Mobilität wird anhand relevanter Forschungsarbeiten vorgestellt (4.4). Vor diesem Hintergrund kann die spezifische Situation von Senegales*innen in Deutschland und speziell in Berlin verstanden werden (4.5). Charakteristisch für dieses Kapitel und diese Arbeit ist die Perspektivverschiebung von Migration auf Mobilität und der gleichberechtigte Blick auf den Herkunfts- und Aufenthaltskontext. Mit dem ersten ethnografischen Kapitel (5) führe ich anhand von Hochzeitsfeierlichkeiten und deren medialen Aufbereitung in Videos, Fotoalben und auf Facebook in wichtige lokale und transnationale, medial vermittelte soziale Beziehungen ein. Der Blick auf ethnografische Arbeiten zu Heirat und Hochzeit in Dakar verdeutlicht rezente Veränderungen in Geschlechterund Generationenbeziehungen (5.1). Die Analyse einer Hochzeitsfeierlichkeit in Dakar (5.2) zeigt zum einen die Bedeutung der Familien der Braut und des Bräutigams für die Heiratsanbahnung und die Durchführung von Hochzeitsfeierlichkeiten (5.2.1). Zum anderen fällt anhand der Aufbereitung der Hochzeit in Form von Fotoalbum, Hochzeitsvideo und auf Facebook auf, dass junge Frauen größere Sichtbarkeit erlangen und sie dadurch auch mehr Einflussmöglichkeiten innerhalb der Familien und der Ehe für sich einfordern (5.2.2). Bilder in Fotoalben, Videos und Facebook unterscheiden sich erstens in der Materialität und Stabilität des Mediums, zweitens in der Öffentlichkeit und Gemeinschaftlichkeit, die sie bestärken, und drittens in der Verbreitung und Reichweite. Die Betrachtung der Bilder eröffnet zudem den

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Blick auf kulturell spezifische Formen von medial vermittelter Anwesenheit und Abwesenheit oder Kopräsenz in rituellen Praktiken, Hochzeitsbildern und transnationalen sozialen Beziehungen. Vor dem Hintergrund der lokalen Hochzeitsfeierlichkeit kann die mediale Teilnahme an einer Hochzeit durch ein Hochzeitsvideo und Geldzuwendungen in transnationalen Geschwisterbeziehungen (5.3) und das Präsent-Machen in Hochzeitsalben von transnationalen Ehepartnern (5.4) verstanden werden. Ausgehend von den porträtfotografischen Praktiken von Geschwisterpaaren in Dakar und Berlin werden im zweiten ethnografischen Kapitel (6) die Flexibilität der Beziehung herausgearbeitet und die (spielerische) Positionierung, die dies erlaubt. Porträtfotografien sind das dominante Genre der Fotografie von Senegales*innen in Dakar und Berlin, das im ersten Unterkapitel historisch eingeordnet wird (6.1). Auf Facebook werden diese Porträtfotografien genutzt, um durch Kleiderpraktiken oder die Darstellung der Beziehung zu Brüdern geschlechtsspezifische Zugehörigkeit zu gestalten (6.2). Facebook eignet sich als Experimentierfeld besonders für die Darstellung und Sichtbarkeit von Geschwisterbeziehungen auch deshalb, weil eine ältere Generation hier nicht anwesend ist. Die Beispiele von drei jungen Frauen verdeutlichen, wie sich in den Bildern und auf Facebook die Hoffnung auf geografische und soziale Mobilität manifestiert. Gleichzeitig führen die Statusveränderungen durch Heirat, Migration oder Kinder immer auch zu Veränderungen in den Geschwisterbeziehungen. Der Blick auf transnationale Geschwisterbeziehungen zeigt, dass durch die häufigeren und leichteren Kontakte auf Facebook und daran anschließende Erwartungen auch Konflikte aufkommen, die bis zum Bruch in diesen Beziehungen führen können (6.3). Das dritte ethnografische Kapitel (7) geht auf unterschiedliche Bedeutungen von dyadischen und polyadischen Freundschaften im translokalen und transnationalen Kontext aus der Perspektive von Senegales*innen in Berlin ein. Ein kurzer Überblick des Forschungsstandes zu Freundschaftsbeziehungen und Mobilität (7.1) verdeutlicht die Bedeutung von Freundschaften im Migrationskontext. Deshalb wird zunächst der stark von freundschaftlichen Beziehungen geprägte Kontext von Senegales*innen in Berlin vorgestellt (7.2). Die geschlechts- und generationenspezifische Ausgestaltung dieser Beziehungsform wird an spezifischen Orten gelebt (7.2.1). Gruppenbezogene Freundschaftsbeziehungen und die Bedeutung von unterschiedlichen Vereinigungen werden in einem weiteren Unterkapitel beleuchtet (7.2.2). Vor diesem Hintergrund wird die zunehmende Bedeutung von transnatio-



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nalen Freundschaftsbeziehungen herausgearbeitet (7.3). Mit dem Blick auf Telefongespräche (7.3.1) und Geschenk- und Geldaustausch (7.3.2) zeige ich veränderte soziale, emotionale und finanzielle Erwartungen an transnationale Freundschaftsbeziehungen auf. Transnationale Freundschaftsbeziehungen ergänzen transnationale verwandtschaftliche Beziehungen; diese beiden Beziehungsformen können nicht immer klar voneinander abgegrenzt werden. Im letzten ethnografischen Kapitel (8) werden Medienpraktiken in engen transnationalen sozialen Beziehungen zwischen Ehepartnern sowie zwischen Eltern und Kindern in den Blick genommen. Die Bedeutung von Liebe, Geld und medialen Kontakten für transnationale Beziehungen steht im Zentrum des Kapitels. Ein kurzer Literaturüberblick (8.1) verweist auf die Verwobenheit von Vorstellungen romantischer Liebe mit finanziellen Zuwendungen in Senegal und die Bedeutung der Kommunikation über unterschiedliche Medientechnologien. Transnationale Ehen verändern sich im Verlauf der Partnerschaft durch andere Bedürfnisse und insbesondere die Mutter des Ehemannes wird in diesen Beziehungen für Schwierigkeiten verantwortlich gemacht (8.2). Durch materielle Zuwendungen in Form eines Hausbaus und das Funktionieren von Medienkommunikation können sich transnationale Ehepaare in einem Geflecht von Verwandten positionieren (8.3). Auch in Eltern-Kind-Beziehungen wirken ähnliche Dynamiken der materiellen Zuwendung und emotionalen Nähe, die Beziehungen der Sorge werden vor allem über enge und häufige Kontakte per Skype und Mobiltelefon aufrechterhalten (8.4). Das Fazit (9) schließt an die einleitende Feldforschungsnotiz an. Anhand der transnationalen religiösen Feierlichkeit des Magal de Touba in Berlin werden die Ergebnisse dieser Arbeit zu transnationaler Vernetzung und Medien zusammengefasst und zugespitzt. Gleichzeitig eröffnet dieses Beispiel neue Fragen und bietet einen Ausblick auf zukünftige Forschung an. Diese Arbeit ist an der Schnittstelle von Medienethnologie, Migrationsund Mobilitätsforschung und Sozialethnologie angesiedelt. Mit dieser Forschung soll ein Beitrag zu einem bislang unzureichend erforschten Zusammenspiel dieser drei Bereiche geleistet werden. Darüber hinaus trägt die Ethnografie in der Analyse und der Darstellung der häufig in transnationalen Beziehungen vernachlässigten Bedeutung von Visualität und Bildern in ‚alten‘ wie ‚neuen‘ sozialen Medien Rechnung. Der medienpraktische Ansatz ermöglicht es, Bilder nicht nur als Texte oder Symbole zu betrachten, sondern, eingebettet in ihre Praxiszusammenhänge, in medialen und sozialen

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Kontexten zu untersuchen und dadurch erste Ansätze einer Theorie der digitalen visuellen Vermittlung in transnationalen sozialen Beziehungen zu entwickeln.

2

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Methodische und methodologische Reflektionen zur medienethnografischen Feldforschung

Ethnographic truths are thus inherently partial – committed and incomplete. This point is now widely asserted – and resisted at strategic points by those who fear the collapse of clear standards of verification. But once accepted and built into ethnographic art, a rigorous sense of partiality can be a source of representational tact. (Clifford 1986:7)

Das vorgestellte Zitat des US-amerikanischen Historikers James Clifford1 bringt seine Arbeit und Kritik an der ethnografischen Wissensproduktion auf den Punkt. Clifford stellt herkömmliche ethnologische Prinzipien des Schreibens über andere Kulturen, Objektivität, Wahrheitsansprüche und ethnografische Autorität in Frage. Die Disziplin antwortete mit stärker (selbst-)reflexiven Vorgehensweisen sowie mit experimentellen Darstellungsformen in ethnografischen Texten sowie audiovisuellen Auseinandersetzungen (siehe 1

James Clifford und das vorangestellte Zitat stehen hier stellvertretend für viele andere Autor*innen, die Protagonist*innen in den Debatten um die ‚Krise der Repräsentation‘ und der Autorität ethnografischen Schreibens sind (vgl. z.B. auch die Bände von Berg und Fuchs 1993; Clifford und Marcus 1986; Clifford 1988; Behar und Gordon 1995). Auch die Kritik der postcolonial studies an der Ethnologie mit ihren kolonialen Verstrickungen und der Essentialisierung von Kultur darf hier als wichtiger Einfluss in Überschneidung und Fortsetzung dieser Debatten nicht unerwähnt bleiben (vgl. z.B. Said 2014; Spivak 1988).

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z.B. Crapanzano 1985; Brown 2001; für einen experimentellen, reflexiven Film Minh-Ha 1983). Über 30 Jahre nach der writing culture-Debatte und der ‚Krise der Repräsentation‘ in der Ethnologie sind einige der Kernthemen von Clifford immer noch aktuell. Angesichts der zunehmenden Mobilität von Personen, Zeichen und Dingen (vgl. Zillinger 2012) sowie der digitalen Durchdringung des Alltags der Menschen weltweit wird immer wieder nach neuen experimentellen, mobilen und digitalen Methoden in der Ethnologie gerufen (z.B. Elliot, Norum, und Salazar 2017; Cruz, Sumartojo und Pink 2017). In diesem Kapitel ist es mir ein Anliegen, an die Debatten der ‚Krise der Repräsentation‘ und der postkolonialen Kritik (z.B. Said 2014; Spivak 1988) anzuschließen und sie für die Entwicklung neuer Methoden fruchtbar zu machen. Durch intensive Selbstreflexion während meiner Feldforschungen und der Übersetzung meiner Erfahrungen in ethnografische Texte und Bilder versuche ich, mich den unterschiedlichen Kontexten und Perspektiven meiner Gesprächspartner*innen anzunähern und meine Wissensgenerierung darzustellen. Dabei folge ich den Konventionen ethnografischen Schreibens und komplementiere diese mit einem künstlerisch-experimentellen Ansatz (vgl. zu einer künstlerisch-visuellen Auseinandersetzung Neumann und Pfeifer 2017). Ausgehend von meinen eigenen Forschungspraktiken mit Facebook möchte ich zunächst an einer konkreten Feldforschungsszene die Praktiken der medienethnografischen Feldforschung mit den unterschiedlichen Teilnehmern*innen meiner Forschung reflektieren. Feldforschungsszene vom 30.11.2012, online: Fatou lässt mir über den Facebookaccount ihrer Freundin Khady die persönliche Nachricht zukommen, dass ihre Tochter geboren wurde. Per E-Mail-Benachrichtigung werde ich von Facebook darüber informiert, während ich im Büro am Computer arbeite.

Ich gehe sofort online, um Khady auf meinem Facebookaccount zu antworten. Dann sehe ich, dass ich noch Hassan auf seine Anfrage antworten muss. Hassan hatte auf meine (öffentliche) Timeline geschrieben, dass er Geld für seine Studiengebühren braucht und ich ihm helfen soll. Noch während ich überlege, wie ich diese Forderung freundlich aber bestimmt abweisen kann, entdecke ich beim Treibenlassen und Abschweifen in meinem Newsfeed, dass in Berlin ein Konzert einer meiner senegalesischen Kontakte stattfindet. Ich überlege, ob ich es schaffe hinzugehen. [...]



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Etwa zwei Wochen später sehe ich in meinem Newsfeed, dass Fatous Halbschwester 17 Fotos von der Tauffeier in Dakar in einem Album nguenT BI [ngente bi = die Taufe mit großer Feier] online gestellt hat. Ich sehe mir genau an, wer und was auf den teilweise unscharfen Bildern zu sehen ist. Ich erkenne viele Gesichter, schaue mir die herausgeputzten Kleider an – freue mich, auch ein Bild des Neugeborenen Babys Ndeye Oumi zu sehen, finde es gleichzeitig auch etwas befremdlich, dass die Fotos der Tauffeier von Ndeye Oumi und ihrer Mutter Fatou ohne deren Zutun auf Facebook zirkulieren. Nebenbei bemerke ich, dass einer meiner Kontakte, eine Freundin von Fatou aus Deutschland, sich die Bilder auch schon angesehen und geliked hat, jedes einzelne Bild – was ich, zumindest beim Album, auch schnell tue.2

Diese kondensierte Beschreibung einer ‚Facebooksituation‘ während meiner ethnologischen Feldforschung verdichtet drei Dimensionen der Forschung in, mit und durch Facebook. Die Plattform als Gegenstand der Forschung dient erstens als medialer und sozialer Austauschraum (vgl. Zillinger 2015), in dem die unterschiedlichen Kontexte und Ereignisse in Berlin und Dakar miteinander verbunden werden. Zweitens wird Facebook methodisch eingesetzt, um ein Gespräch zu führen. Während meiner teilnehmenden Beobachtung habe ich Zugang zu diesem Austauschraum, der es mir mit seinen unterschiedlichen Kommunikationswegen erlaubt, (Nach-)Fragen zu den Themen meiner Forschung zu stellen. Drittens sind die Beschreibungen der Medienpraktiken auf Facebook und die eingefügten Bildschirmfotos eine Annäherung an die spezifische Medialität der Plattform selbst. Es ist ein Versuch, die Medienpraktiken der Teilnehmer*innen meiner Forschung, aber auch meine eigenen Medienpraktiken beschreibbar zu machen. Eine Situation auf Facebook setzt sich aus vielen kleinen, teilweise auch nicht auf Facebook sichtbaren Medienpraktiken zusammen: On- und Offline­ interaktionen und unterschiedliche soziale Kontexte. Der Bildschirm wird zum sozialen Raum (Casetti 2013:17), durch das Zusammenspiel der genannten Elemente entsteht die soziale Situation auf Facebook (vgl. Paßmann 2018). Die kondensierte Feldforschungsbeschreibung und die Bildschirmfo2

Zu einer ausführlichen Auseinandersetzung mit der Feldforschungsnotiz im Zusammenhang mit Medienpraktiken der sozialen Nähe und Distanzierung in und durch Facebook vgl. Pfeifer 2017.

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tos sind ein Versuch, die Medienpraktiken, die eine Facebooksituation herstellen, sichtbar zu machen. Unter Medienpraktiken verstehe ich zunächst, was die Teilnehmer*innen meiner Forschung mit Medien tun (vgl. Couldry 2004; Postill 2010). Indem ich das kleinteilige Tun der Teilnehmer*innen meiner Feldforschung nachahme, erlerne ich, mich auf ähnliche Weise auf Facebook zu bewegen. Die Medienpraktiken meiner Forschung nähern sich den Medienpraktiken meiner Gesprächsparter*innen also durch enskilment an (Ingold 2000:416).3 Während der Feldforschungsaufenthalte bekomme ich einen Einblick in die Zugangsmöglichkeiten, die Gewohnheiten der Facebooknutzung und die Praktiken unterschiedlicher Personengruppen in Berlin und Dakar.4 Das Betrachten der Posts auf Facebook vermittelt mir durch meine Feldforschungen meist eine genaue Vorstellung davon, wo sich die Teilnehmer*innen meiner Forschung aufhalten und auf welche Weise sie Zugang zu Facebook erlangen; ob sie sich beispielsweise im Cyber-Café (Internetcafé), zu Hause oder unterwegs auf dem Smartphone bei Facebook einloggen und wessen Gerät sie dazu nutzen. Anhand der beschriebenen Feldforschungsnotiz setze ich mich im Folgenden mit alltäglichen Routinen (2.1), der Konstruktion des Feldes und den zeitlichen und orts- und raumbezogenen Spezifika der medienethnografischen Feldforschung (2.2) auseinander und beleuchte insbesondere die Forschung in, mit und durch Facebook (2.3). Insgesamt wird der besondere Stellenwert reflektiert, den Visualität in sozialen Beziehungen und der Feldforschung innehat. Im vierten Unterkapitel (2.4) entwickele ich den Zugang zur Erforschung von Medienpraktiken mit Bezug auf den theoretisch-methodologischen Ansatz skilled visions von Cristina Grasseni zum Erlernen von 3

4

Ingolds Unterscheidung zwischen enculturation als Lernprozess, in dem ‚kollektive Repräsentationen‘ internalisiert werden, und enskilment, in dem Lernen nicht vom praktischen Tun getrennt betrachtet werden kann, dient hier als Ausgangspunkt meiner Überlegungen und wird in Kapitel 2.4 aufgegriffen und weiter ausgeführt.

Im Zeitraum der Forschung nutzten in Dakar vor allem junge Menschen zwischen 18 und 34 Jahren Facebook (73 % waren es im ersten Quartal 2011 laut der Socialbakers Statistik [o.V. 2011b]; seit 2012 werden diese statistischen Daten von Facebook nicht mehr zur Verfügung gestellt). Die relativ teuren Internetverbindungen für Smartphones und private Haushalte begrenzten die mobile und stationäre Facebooknutzung auf privaten Geräten. Im Gegensatz dazu besaßen Senegales*innen in Berlin aller Altersstufen meist iPhones, ein oder mehrere Mobiltelefone, iPads, Laptops oder Desktopcomputer. Der Zugang zum Internet wurde hier über WLAN und günstige Angebote für mobile Endgeräte sichergestellt.



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Medienpraktiken weiter. Dabei gehe ich besonders auf Praktiken der Porträtfotografie in Senegal ein und reflektiere meinen auf körperlich-sinnlichen Erfahrungen beruhenden Lernprozess. In beiden Fällen, der Forschung zu Facebook und dem Erlernen von Medienpraktiken, gilt es, herkömmliche Ansätze und Methoden kritisch zu beleuchten und für die Anwendung innerhalb der Forschung zu transnationalen sozialen Beziehungen und Medien der translokalen Vernetzung zu aktualisieren sowie neue, sinnvolle Erweiterungen zu entwickeln. In einem letzten Unterkapitel (2.5) stelle ich den medienethnografischen Schreibprozess meiner Forschung dar. Damit schließe ich an die grundsätzliche Kritik der writing culture-Debatten an und aktualisiere diese angesichts der neuen Entwicklungen zu Mobilität und digitalen Medien.

2.1 Vorgehensweisen und alltägliche Routinen Die multi-sited ethnography fand in Berlin, Dakar und online auf Facebook statt; dort nahm ich an Alltagssituationen und Feierlichkeiten teil, führte informelle Gespräche sowie narrative und offene Leitfadeninterviews. Die Feldforschungsaufenthalte in Berlin von 2011 bis 2014 dauerten zwischen wenigen Tagen bis acht Wochen. Durch die geografische Nähe zum universitären und privaten Umfeld waren sie weniger abgegrenzt als die drei klar markierten Feldforschungen in Senegal, die im Zeitraum von 2011 bis 2013 stattfanden. Da ich meine Feldforschungen in Berlin begonnen hatte, konnte ich bei meinem ersten Aufenthalt in Senegal bereits auf Kontakte zurückgreifen, die mir Berliner Senegales*innen vermittelt hatten. Als alleinstehende Frau teilte ich in Dakar das Zimmer mit der Cousine einer Berliner Senegalesin und war stark in ihre Familie eingebunden. Neben der teilnehmenden Beobachtung in Internetcafés und Foto- und Videostudios gehörten Gespräche mit Familienangehörigen und Freund*innen der Berliner Senegales*innen zum Alltag der Feldforschung. Während der ersten beiden explorativen jeweils einmonatigen Feldforschungsaufenthalte in Berlin und Dakar verschaffte ich mir einen Überblick über die unterschiedlichen Medienpraktiken der transnationalen Verbindungen; außerdem kristallisierten sich wichtige transnationale soziale Beziehungen und Medienpraktiken heraus. Da mich bei meiner zweiten Reise nach Dakar mein Sohn und mein Partner begleiteten, veränderte sich nicht nur mein Status und die Beziehung

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zu meinen Feldforschungskontakten, sondern auch meine Wohnsituation. Als Familie mieteten wir eine möblierte (repräsentative) Wohnung eines in Frankreich lebenden Senegalesen. Mit einem eigenen Haushalt konnten wir nun auch Gäste einladen und erhielten häufig spontane Besuche. In dieser Phase erlebte ich zahlreiche wichtige Ereignisse wie Hochzeiten und Taufen sowie einige Besuche von Senegales*innen aus Deutschland. Zudem vertiefte ich Eindrücke des ersten Forschungsaufenthalts und führte biografische Gespräche mit für meine Forschung wichtigen Personen. Der dritte (sechswöchige) Aufenthalt in Dakar diente vor allem dazu, wichtige Nachfragen zu stellen. Dieses Mal wohnte ich in einem eigenen Zimmer, war jedoch angebunden an eine Gastfamilie und arbeitete mit einer Übersetzerin zusammen, was mir ermöglichte, biografisch-narrative Interviews mit ausgewählten Personen durchzuführen. Die Übersetzerin zog ich auch zu den Gesprächen hinzu, da ich zwar durch meine intensiven Wolofsprachkurse an der Université Cheikh Anta Diop de Dakar Grundlagen in der Sprache erworben hatte und einfache Gespräche führen konnte, jedoch für intensive biografische Gespräche auf Wolof diese Kenntnisse nicht ausreichend waren. Zwischen den Aufenthalten in Senegal fuhr ich bis Dezember 2014 immer wieder alleine oder mit meiner Familie nach Berlin. In den insgesamt zwei einmonatigen, zwei zweimonatigen, vier einwöchigen und acht dreitägigen Aufenthalten konnte ich aufgrund der Lebenssituation der Senegales*innen in Berlin im Gegensatz zu Dakar an einigen privaten und beruflichen Lebensbereichen nicht teilnehmen. Durch regelmäßige Besuche von Treffpunkten wie Bars, Schönheitssalons oder Afro-Shops und durch die Teilnahme an religiösen und kulturellen Festen gewährten mir die Senegales*innen einen Einblick in ihren Lebens-, eingeschränkt auch in ihren beruflichen Alltag. Einerseits waren viele darüber verwundert, teilweise auch geschmeichelt, dass ich ausgerechnet über Senegales*innen in Berlin forschen wollte, andererseits waren einige meiner Kontakte durch Vorerfahrungen mit Journalist*innen und Student*innen unterschiedlicher Fachrichtungen skeptisch gegenüber meinem Vorhaben und befürchteten, dass ihre Informationen gegen sie verwendet werden könnten. Erst nach mehreren Aufenthalten in Berlin und vielen Treffen gelang es mir, zu einigen Personen eine engere Beziehung aufbauen. Dazu gehörte auch, mich auf Facebook mit ihnen zu ‚befreunden‘ und in meinen teilweise langen Abwesenheiten durch persönliche Mitteilungen, Kommentare und likes im Kontakt zu bleiben. Die informellen Begegnungen und Gespräche während der Feldforschungsaufenthalte sind auf verschiedene Weisen in diese Arbeit eingeflos-



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sen. Nur ein kleiner Anteil der Gespräche wurde als formelle Interviews geführt und mit einem Audio-Aufnahmegerät festgehalten; die meisten Gespräche und Erlebnisse habe ich durch Fotos, Notizen und nachträgliche Gedächtnisprotokolle aufgezeichnet. Besonders markante Ereignisse finden sich in den Texten der ethnografischen Feldforschungsszenen wieder. Hier wurden teilweise unterschiedliche Aufzeichnungen zusammengeführt, verdichtet und allzu umgangssprachliche Formulierungen redigiert. Dies entspricht den Konventionen ethnografischen Schreibens (vgl. Wardle und Blasco 2006; Narayan 2012), unterscheidet sich jedoch durch die Absetzung vom Haupttext von den üblichen Darstellungen ethnografischer Feldforschungsbeschreibungen. Diese Form wurde gewählt, um die zeitnahen, spezifischen Beschreibungen, von späteren Ergänzungen und Interpretationen deutlich abzuheben. Diese Texte wurden zeitnah zum Ereignis niedergeschrieben und formen neben zahlreichen Fotografien, einigen Videoaufnahmen und weiteren Materialen wie Flyern und Zeitungsausschnitten, einen zentralen Teil meines Feldforschungsarchivs. Die Anzahl von Kontakten und Interviews wird zur besseren Vergleichbarkeit in diese Arbeit aufgenommen, obwohl dies keine Rückschlüsse auf ihre Qualität erlaubt. In Berlin waren es Kontakte zu 14 Frauen und 15 Männern im Alter von 21 bis 63 Jahren, deren Meinungen, Stimmen und Geschichten sich auf unterschiedliche Weise in dieser Arbeit wiederfinden (vgl. zur Zusammensetzung dieser Gruppe Kapitel 4.6). Für Dakar ist es schwerer, die genaue Zahl der Gesprächspartner*innen zu bestimmen, da potentiell alle alltäglichen Gespräche und Beziehungen in diese Arbeit einfließen. Intensive Beziehungen unterhielt ich dort vor allem zu 11 Frauen und 14 Männern zwischen 18 und 67 Jahren, mit denen ich per Telefon, mit den Jüngeren per E-Mail und Facebook über den gesamten Zeitraum der Forschung den Kontakt aufrecht hielt. Besonders die Arbeit über Facebook musste ich immer wieder reflektieren, methodisch anpassen und aktualisieren. Aus zeitlichen und pragmatischen Gründen nutzte ich von Beginn an meinen privaten Facebookaccount für meine Forschung und legte dafür eine eigene Untergruppe an. Spezifische Posts konnte ich so nur für meine Forschungskontakte in Berlin und Dakar sichtbar machen. Aus Gründen der Reziprozität wendete ich diese Privatsphäreneinstellungen nicht auf meine anderen ‚Freunde‘ auf Facebook an, so dass die senegalesischen Kontakte Einblick in alle meine privaten und beruflichen Aktivitäten auf Facebook hatten. Zu Beginn der Forschung versuchte ich Freundschaftsanfragen auf Facebook erst dann zu akzeptie-

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ren oder zu initiieren, wenn ich die jeweilige Person bereits in der Feldforschung kennengelernt hatte und auch mein Anliegen als Forscherin mit und über Facebook dargestellt hatte. Aufgrund der Vielzahl an Anfragen von ‚Freunden von Freunden‘, die ich aus Höflichkeit nicht ablehnen konnte oder wollte, lernte ich einige Personen, mit denen ich auf Facebook ‚befreundet‘ war, erst während einer späteren Feldforschung oder gar nicht außerhalb der Plattform kennen. Fast alle Kontakte auf Facebook stellten ihre Einträge und Bilder für alle ‚Freunde von Freunden‘ oder die gesamte Öffentlichkeit online. Mit engen Kontakten führte ich nicht nur Facebooksitzungen und Gespräche durch, sondern holte auch Einwilligungen zur Nutzung von Facebookscreenshots und Fotos ein (vgl. zu ethischen Herausforderungen Kapitel 2.5). Die Medienethnolog*innen John Postill und Sarah Pink (2012) unterscheiden in einem Artikel zur digitalen Ethnografie verschiedene Phasen der Forschung mit sozialen Medien: sich auf dem Laufenden halten, Teilen, Explorieren, Interagieren, Archivieren. Diese verschiedenen Forschungsaktivitäten finden teilweise gleichzeitig und in Überschneidung statt, wie in der Feldforschungsszene zu Anfang dieses Kapitels deutlich wurde. Zur Archivierung der Facebookprofile, Fotos und Kommentare erstellte ich meist Bildschirmfotos mit den wichtigsten Informationen und verfasste dazu Tagebucheinträge, wie die eingangs zitierte Notiz. Über Facebook konnte ich einerseits Neuigkeiten und Veränderungen enger Freunde und Kontakte im Senegal und in Berlin mitbekommen, an Ereignissen medial vermittelt teilnehmen, mich selbst in Erinnerung rufen und eine Verbindung trotz meiner Abwesenheit aufrechterhalten. Andererseits wurde ich häufig in meinem Büroalltag unterbrochen durch Informationen, Erwartungen und direkte Anfragen, denen ich begegnen musste. Durch die Feldforschungsszene wird deutlich, dass ich als Forscherin mein Feld durch meine spezifische Sicht auf Facebook und die Kontexte in Berlin und Dakar konstruiere und es sich längst nicht mehr um den eng umgrenzten geografischen Raum klassischer Feldforschungen handelt. Das Feld wird durch soziale Beziehungen der Teilnehmer*innen meiner Forschung gestaltet, hat unterschiedliche orts- und raumbezogenen Qualitäten und wird von unterschiedlichen zeitlichen Aspekten bestimmt. Im Folgenden reflektiere ich diese drei Bereiche und gehe damit der Frage nach dem ‚entgrenzten Feld‘ aus der Kapitelüberschrift nach.



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2.2 Feld, Raum und Zeit in der (Medien-)Ethnografie Das Erbe der ‚Krise der Repräsentation‘ und der writing culture-Debatte führte innerhalb der Ethnologie zu einer zunehmenden Auseinandersetzung mit den veränderten globalen Bedingungen und dem rapiden sozialen Wandel. Eine Reaktion auf diese Diskussionen war die Hinwendung zum Begriff des Feldes. Zunehmend geriet der enge Kulturbegriff und das geschlossene Feld der klassischen ethnologischen Forschung in die Kritik (Hastrup und Olwig 1997). Teilweise wurde neben dem Ende der Ethnologie auch die Auflösung des ethnografischen Feldes proklamiert (z.B. Wafer 1996). Frühe Antworten auf die methodischen Herausforderungen war etwa die multi-sited ethnography (Marcus 1995; vgl. auch Coleman und Hellermann 2011; Falzon 2009b). Marcus lässt mehrere Orte (sites) zu und nimmt auch die Verbindungen dazwischen explizit mit in den Blick. Damit begegnet er den veränderten globalen Bedingungen und löst die Opposition des Lokalen und des Globalen auf. Für die vorliegende Arbeit wird dieser Ansatz mit einer Betonung der Verbindungen und den zeitlichen Aspekten als methodischer Ausgangspunkt auch für Facebook fruchtbar gemacht. Mediale Räume wie die beschriebene Facebooksituation werden gleichermaßen zum Feld der ethnografischen Untersuchung wie die unterschiedlichen Orte in Berlin und Dakar. Vor allem der Blick auf transnationale Verbindungen, die gerade in Medienpraktiken zutage treten, sind für den Forschungsgegenstand der transnationalen sozialen Beziehungen relevant. Die Hinwendung zum Begriff des Feldes begann mit der Auseinandersetzung mit den räumlich-geographischen Aspekten des Konzeptes. So erörterten Gupta und Ferguson (1997a) in ihrem Sammelband „Anthropological Locations“ die Möglichkeiten und Grenzen des Begriffs. Sie begegneten damit unter anderem Appadurais Betrachtungen einer de-territorialisierten Welt (z.B. 1996b) und plädierten für eine (Re-)Lokalisierung und geografisch-räumlichen Verortung des Feldes in der Feldforschung: „[...] not the what in Anthropology but the where“ (Gupta und Ferguson 1997b:2). Alternative räumliche Ausdrücke und Metaphern sind bei Gupta und Ferguson Raum, Ort, site und scape.5 Mit diesen Begriffen ließen sich auch ‚virtuelle‘, 5

Auch die strukturell erschwerten Bedingungen der Finanzierung von längeren ethnologischen Forschungsaufenthalten wurden zunehmend diskutiert, da z.B. innerhalb des universitären Betriebs die Möglichkeit längerer Abwesenheitszeiten zunehmend eingeschränkt werden (Falzon 2009a:6).

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digitale Phänomene erfassen, ohne jedoch genauer auf die ‚Verortung‘ dieser spezifischen digitalen Kontexte eingehen zu müssen. In neueren Arbeiten wurden diese räumlichen Ausdrücke um ein Vokabular der Bewegung, Fluss, travelling und mapping bereichert (Coleman und Collins 2006:6f.). Dies betonte sowohl die geografisch-räumliche Verbindungen als auch die soziale Konstruktion des Raumes. Das Feld als soziales Terrain wurde so in vielfältige, kontinuierlich dekonstruierte Felder (re-)konstituiert. Mit dieser Sicht auf das Feld als Verbindung von sozialen Beziehungen und Aktivitäten (Amit 2000b:6) rückte die gelebte Erfahrung des Feldes in den Mittelpunkt. Coleman und Collins (2006:12) etwa wiesen darauf hin, dass das Feld eben nicht nur durch die (physische) Präsenz, sondern auch durch Abwesenheiten gekennzeichnet ist – das Feld also nicht nur während des ‚im Feld Seins‘, sondern danach erneut, z.B. im Schreibprozess konstruiert werde. Die Performanz konstruiere das Feld; deswegen erscheine das Feld als ein Ereignis, das sich ständig im Prozess des Werdens befindet (Coleman und Collins 2006:12). Schon hier wird eine zeitliche Perspektive in Ergänzung zum Raum deutlich, die die Forschung erst später aufgriff. In erster Linie wurde das Feld nun beweglich, an unterschiedlichen Orten, kontext- und situationsspezifisch, weniger konkret verortbar und auf eine Lokalität bezogen, episodisch, fluide, virtuell – blieb aber trotzdem immer gebunden an Lokalitäten und räumlich-geografisch konstruiert (Faubion und Marcus 2009).6 In aktuellen Publikationen findet zunehmend eine Auseinandersetzung mit der zeitlichen Dimension des Feldes statt, Zeit und unterschiedliche Zeitlichkeiten werden konstitutiv für die Konstruktion des Feldes (Dals­gaard und Nielsen 2013). Damit lassen sich nicht nur historische Veränderungsprozesse, sondern auch unterschiedliche Formen der Bewegung mit in die Betrachtung des Feldes einbeziehen. Zeitgenössische Feldforschungen finden häufig in seriellen oder sequentiellen Forschungsaufenthalten an unterschiedlichen Orten statt, was jedoch bis auf wenige Ausnahmen (Howell und Talle 2012; Welz 2013) nicht kritisch reflektiert wird. Das Feld bestimmt sich zudem häufig nicht mehr räumlich-geografisch, sondern durch die Praxis des Feldforschens in Netzwerken (Burrell 2009), Medienevents (Bird 2003; Hine 2001) oder Assemblagen (Hess und Schwertl 2013:31; Ong 6

Andere Autor*innen bezogen sich auf das Feld als Ereignis oder auch Netzwerk (Burrell 2009). Auch hier stehen die räumlichen und zeitlichen Aspekte in spezifischem Verhältnis zueinander.



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und Collier 2008). Die Betonung liegt dennoch meist auf der sinnlich-körperlichen und konkreten Erfahrung der Forscher*innen und deren Gegenüber (Murphy 2011:396); medial vermittelte Anwesenheit wird meist nur en passant erwähnt, jedoch nicht in der vollen Bedeutung erörtert oder als gleichwertiger Teil sozialer Beziehungen betrachtet.

2.3 Das ‚Feld‘ der Onlineforschung, digitale und soziale Medien Forschung zu Facebook etabliert sich erst langsam innerhalb der Ethnologie, meist im Zusammenhang mit ‚sozialen Medien‘ (Miller u.a. 2016). Dieser Forschungsbereich weist über die ethnografische Internetforschung, die häufig mit den Labeln Cyberethnografie oder Virtuelle Ethnografie (Hine 2001) bezeichnet wurde, hinaus. Die Virtuelle Ethnografie befasst sich mit Onlinegemeinschaften ohne Bezug zur Offlinewelt. Durch die strikte Trennung zwischen Online- und Offlinewelt betrachtet die Forschung den virtuellen Mikrokosmos zunächst als isoliertes Feld mit klaren Grenzen (Burrell 2009:185). Erst Miller und Slaters wegweisende ethnografische Arbeit zum Internet in Trinidad (Miller und Slater 2000) betrachtete Onlineapplikationen als Teil sozialer Lebenswelten. Im Gegensatz zur herkömmlichen ethnologischen Internetforschung untersuchen solche Ansätze ‚soziale Medien‘ ausdrücklich im Kontext der Offlinewelt, insbesondere ihre sozialen Bedingungen, die Mobilität der Nutzer*innen und ihre Erfahrungen. Diese Art der Forschung wird häufig mit internet-related ethnography betitelt, da die Forschung physische und digitale Kontexte umspannt und sich Gegenstand und Instrument der Forschung überlappen. Erst das Narrativ der Ethnograf*innen konstruiert diese Art des ‚Feldes‘: „[...] we can understand the internet as a messy fieldwork environment that crosses online and offline worlds, and is connected and constituted through the ethnographer’s narrative.“ (Postill und Pink 2012:126)

Bei allem ‚Durcheinander‘ halten die Meisten an analytischen Kategorien wie on- und offline fest, mögliche Unterschiede, die sich aus der Nutzung verschiedener Geräte ergeben können, kommen nicht in den Blick. Wenige Arbeiten rücken bisher Smartphones in den Mittelpunkt – einige beschäftigen sich mit den Auswirkungen der Nutzung von Smartphones in der Feld-

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forschung (Doorn 2013), ohne allerdings näher auf die Nutzungspraktiken der Forschungsteilnehmer*innen einzugehen. Einige Forschungen betrachten Internet und digitalen Medien als mediale Räume (Zillinger 2015) und als Orte der Imagination und Fantasie (Burrell 2009:193). Häufig nähern sich Arbeiten diesen „sozialen Imaginationen“ (Burrell 2009:194) jedoch allein durch Interviews an, ohne andere Zugänge wie etwa audiovisuelle oder auch kognitive Methoden zu nutzen. Einen Ausweg bietet das Konzept des ‚Digitalen‘. So nutzen einige Forscher*innen das Konzept der digital socialities (Postill und Pink 2012:125) oder der digital anthropology (Horst und Miller 2012), um eine Alternative zur Begrenztheit von online community zu bieten und die online-offline-Dichotomie zu umschiffen. Der Fokus liegt hier auf der Qualität der sozialen Beziehungen und nicht der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, allerdings ohne sich eingehender mit dem Konzept der Sozialität auseinanderzusetzten und ohne es als analytische Kategorie zu betrachten, die sowohl Nähe und Verbundenheit als auch Distanz beinhaltet (Long und Moore 2013). Zudem bleibt der Begriff des Digitalen meist vage und setzt sich nicht mit den medienwissenschaftlichen Diskussionen der Unterscheidungen oder Kontinuität von analog/digital auseinander (vgl. Schröter und Böhnke 2004). Ohne bereits einen alternativen begrifflichen Vorschlag zu den unterschiedlichen physischen, digitalen und analogen sowie von on- und offline-Aspekten der Medienethnografie vorschlagen zu können, nähere ich mich diesen analytischen Zugängen durch den Ansatz der Medienpraktiken.

2.4 Das Erlernen der Porträtfotografie als Zugang zur Medienethnografie Angelehnt an Cristina Grassenis (2007) Ansatz der skilled visions reflektiere ich in diesem Unterkapitel meinen eigenen Lern- und Erkenntnisprozess bei Praktiken des Fotografierens während meiner Feldforschung. Elemente dieses Prozesses waren das Vorbereiten für das Fotografieren beispielsweise durch Kleidung und Make-up, das Posieren vor der Kamera, das Fotografieren selbst sowie der Umstand, dadurch zum Gegenstand von Gesprächen und der Zirkulation von Bildern zu werden. Der gemeinsame Lernprozess und die geteilte Erfahrung mit meinen Gesprächspartnerinnen öffneten mir einen Zugang zu den Lebenswelten junger Frauen in Dakar und zu ihrer spezifischen Form der Sozialität sowie den ästhetischen, sinnlichen und auf



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Abbildung 5: Khady wartet

Erfahrung beruhenden Dimensionen von Weiblichkeit, Selbst und Gestaltung sozialer Beziehungen in Dakar (vgl. Kapitel 5 und 6). Anhand der kondensierten Beschreibung einer Situation des Fotografierens kurz vor dem Aufbruch zu einer Hochzeit zu Beginn meiner ersten Feldforschung in Dakar am 24. März 2011 werden die unterschiedlichen Dimensionen des Fotografierens deutlich:7 Um 18 Uhr an diesem Donnerstagabend kommt Khady zu Fatous Haus,8 um uns abzuholen, so dass wir zusammen ein Taxi zur Hochzeit nehmen können. Fatou lässt sich Zeit und ist noch nicht bereit zu gehen. Fatou bittet Khady, sich auf den Stuhl im Hof zu setzen und zu warten. Dann nickt Fatou in meine Richtung und sagt zu 7 8

Inhalte und den weiteren Kontext dieser Szene betrachte ich ausführlich in Kapitel 6. Die Gespräche fanden vor allem auf Französisch mit wenigen Wolofanteilen statt.

Die beiden jungen Frauen werden ausführlich in den Kapiteln 5 und 6 vorgestellt.

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Abbildung 6: Porträtbilder im Hof von Fatou

Abbildung 7: Porträtbilder im Haus



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mir: „geh und hol deine Kamera, wir machen Fotos, bevor wir gehen“. Ich folge ihren Anweisungen und mache einige Fotos von Khady, wie sie auf dem Stuhl sitzt [Abbildung 5] [...]. Endlich ist auch Fatou fertig und kommt mit langsamen Bewegungen aus ihrem Zimmer heraus in den Hof, wo Khady und ich warten. Sie sieht die Kamera in meiner Hand, positioniert sich sorgfältig und sagt zu mir: „photo-ma!“ – mach ein Foto von mir! Ich erstelle einige Bilder im Hof von Fatou [Abbildung 6] und auch von Khady. Nach einigen Bildern zeige ich den beiden die Fotos auf dem kleinen Display meiner Digitalkamera. Khady und Fatou kommentieren und bewerten die Fotos unmittelbar. Wenn ihnen ein Bild gefällt, nicken sie mit dem Kopf und machen einen zustimmenden kehligen Klicklaut. Wenn ihnen etwas an einem Bild nicht gefällt, sagen sie zu mir: „das ist nicht schön!“ und machen einen schmatzenden tsetseLaut. Ich betrachte die Bilder genau und versuche in dieser Situation herauszufinden, welche Fotos ihre Zustimmung und welche ihre Ablehnung hervorruft. Als ich die beiden danach frage, meint Fatou zu mir: „Du machst gute Bilder, aber wir sollten in das Wohnzimmer (salon) gehen, um die Fotos zu machen. Dort ist es besser.“ Also gehen wir ins Wohnzimmer – dem am besten ausgestatteten Zimmer des Hauses, mit einem Sofa, gerahmtem Porträtfotos von einigen Familienmitgliedern und religiösspirituellen Führern als Dekorationen an den Wänden. Fatou und Khady setzen sich zusammen auf einen Sessel und probieren unterschiedliche Posen und Hintergründe [Abbildung 7]. Und nun muss auch ich vor die Kamera treten [Abbildung 8]. Fatou bittet Hassan, einen jungen Mann, der auch im Haushalt lebt, Fotos von uns dreien zu machen. Sie sagt: „Hier ist ein guter Ort, um mit dir Fotos zu machen“. Sie legt ihren Arm um mich und weist mich an, direkt in die Kamera zu blicken [Abbildung 8]. Dann rät uns Khady, eine andere Pose zu versuchen und uns anzusehen [Abbildung 8]. Wieder betrachten wir nach einigen Aufnahmen die Bilder auf der Digitalkamera, doch die Ergebnisse enttäuschen mich. Das künstliche Licht in dem ansonsten dunklen Raum empfinde ich als nicht ideal und der Blitz der Kamera verbessert die Bilder nicht. Khady und Fatou kommt es weniger auf das Licht im Raum an, sie sind mehr damit befasst, wie viele Details ihrer Accessoires und Kleidung im Bild sind. Khady meint: „Ich mag das mit dem ganzen Körper, wo man sieht, dass meine Schuhe passend sind. Aber das andere, da sieht man keine Details von meinem Kleid und auch nicht meine Frisur und mein Make-up, das schaut leer (vide) aus“. Ein weiterer Kommentar der beiden ist, dass einige Bilder zu dunkel seien – ich verstehe nicht richtig, was sie meinen.

Diese erste von vielen Feldforschungsszenen, in der die Fotografie eine zentrale Rolle spielte, verdeutlicht unterschiedliche Elemente, die zu einer erfolgreichen Fotografie beitragen. Erstens sind Kleidung und Accessoires, Make-up und Frisur von großer Bedeutung. Zweitens haben die Pose des Modells und der Hintergrund, vor dem es posiert, großes Gewicht. Drittens

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Abbildung 8: Gruppenporträts der Autorin mit den beiden jungen Frauen (Fotograf: Hassan Diatta)

kommt es auf den Austausch zwischen dem Fotografen, den Abgebildeten und weiteren Personen, die Anweisungen zu Pose und Hintergrund geben, an. Nach der Erstellung eines Fotos sind viertens die Diskussionen und Bewertungen wichtig und die gegenseitigen bestärkenden Kommentare, was als ‚gutes‘ Bild gilt. Was in dieser Beschreibung nicht zum Ausdruck kommt, sind fünftens die Bewertungen und Kommentare während der Zirkulation der Bilder in Fotoalben, als ausgedruckte einzelne Fotos oder auf digita-



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len Plattformen wie Facebook. Auf diese fünf Aspekte des Erlernens der fotografischen Praktiken werde ich in zwei Unterkapiteln eingehen (2.4.2 und 2.4.3). Zunächst jedoch wende ich den Ansatz skilled visions auf Medienpraktiken des Fotografierens als sozial erlernte und geteilte Praktik an. Anweisungen Geben, Ausstellen, Verbreiten, aber auch die Farbkorrektur sind Techniken, die zwischen den Beteiligten Verbindungen herstellen. Nur durch das praktische Erlernen dieser Vermittlungstechniken wurde ich in diese spezifische Form der Gestaltung sozialer Beziehungen und ihrer Ästhetik eingeführt.

2.4.1 Von skilled visions zum Erlernen von Medienpraktiken Ausgangspunkt meiner methodischen Reflektionen ist der theoretische und methodologische Ansatz skilled visions der Ethnologin Cristina Grasseni und das zugrundeliegende Konzept des enskilment von Tim Ingold. Vision oder Sehen9 ist für Grasseni keine individuelle Tätigkeit oder soziale Repräsentation von Erfahrung, sondern eine soziale Aktivität, die durch eine erlernte Wahrnehmung, gelenkte Aufmerksamkeit und Expertise im Prozess hergestellt wird. Sie baut damit auf Ingolds Ausführungen zu enskilment auf: „‚Understanding in practice‘ [...] is a process of enskilment, in which learning is inseparable from doing, and in which both are embedded in the context of a practical engagement in the world – that is, in dwelling.“ (Ingold 2000:416)

Aus dieser Erkenntnis heraus fordert Grasseni eine neue Ausrichtung der Analysen innerhalb der Visuellen Anthropologie: „A viable direction for research that can be derived from these insights is to focus visual-anthropology analysis on the disciplined and disciplining aspects of memory and sensibility that are not spontaneous, personal, and subjective but rather embedded in mediating devices, contexts, and routines, taking into consideration the role played by peer-to-peer negotiation, hierarchical relations, and the management of contexts, narratives, and artefacts.“ (Grasseni 2012:41) 9

Vision ist in diesem Sinn nicht das, was das menschliche Auge sehen kann, vielmehr wird damit angesprochen, dass der Blick durch unterschiedliche historische, kulturelle und soziale Einflüsse geformt ist (Rose 2011:3) Zum komplexen Zusammenhang und der Unterscheidung von vision und visuality siehe klassisch Foster (1998), zur Neubewertung und Genealogie des Begriffs visuality vgl. Mirzoeff (2006).

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Grasseni geht es mit ihrem Ansatz darum, sich von der Idee der objektivierenden, losgelösten Beobachtung zu distanzieren, dem Vorwurf des Okularzentrismus zu begegnen und den Fokus auf die disziplinierenden und disziplinierten Aspekte von Erinnerung und Empfindungen zu legen. Sie stellt also nicht subjektive Erfahrungen in den Mittelpunkt ihrer Analysen, sondern plädiert für eine Ethnologie des ‚Sehens‘, die vor allem auf die multisensorischen (Seh-)Erfahrungen abhebt und diese eingebettet in ihre vermittelnden Anordnungen, Kontexte und Routinen betrachtet (Grasseni 2007:4). Mit diesem Ansatz begegnete Grasseni Anfang der 2000er Jahre vor allem zwei Auseinandersetzungen: In der Diskussion zur Ethnologie der Sinne (Howes 2005) rehabilitierte Grasseni das ‚Sehen‘ als erlernte und situierte Praktik innerhalb der Visuellen Anthropologie und der Ethnologie. Zudem bildete ihr Ansatz einen Gegenentwurf zur postkolonialen Kritik des Visualism, die die Dominanz des ‚Sehens‘ als ethnozentrisch und objektivierend innerhalb eines rationalistischen Paradigmas (Fabian 2002) betrachtete. Da das Konzept als Beitrag zu den Diskursen um ‚Sehen‘ konzipiert wurde, ist es nicht verwunderlich, dass anderen Sinnen zwar ein Platz in der Analyse eingeräumt wird, aber nicht für sich fokussiert werden. Erst jüngste Auseinandersetzungen mit dem Konzept der skilled visions gehen eigens auf andere Sinne ein und schlagen Begriffe wie etwa skilled listening vor (Grasseni 2014:19; Willkomm 2016). Unklar bleibt bei dieser Konzeption von skilled visions und enskilment, in welchem Bezug dazu Medientechnologien und andere Sinne stehen, und wie diese skilled visions und skilled listening als situierte Praktiken formen, unterstützen oder stören. Angewandt auf den Kontext des Erlernens der Porträtfotografie heißt dies, dass Bilder nicht nur in ihrer Ästhetik wirken, sondern auch in ihren körperlich-sinnlichen und relationalen Qualitäten. Sie vermitteln soziale Beziehungen und gestalten „substantial relations“ (Vokes 2012:224; vgl. Edwards 2005) zwischen dem Bildobjekt, den Produzenten, den abgebildeten Personen und den Betrachtern der Bilder. Nur durch die körperliche und sinnliche Auseinandersetzung um fotografische Praktiken und das praktische Verstehen (Ingold 2000:416) ist es möglich, das Konzept von Bildern als substantielle Verbindungen zu verstehen. Zudem fehlt es an Auseinandersetzungen damit, wie das Erlernen der Sinne mit der Erfahrung von Medien interagiert und dadurch verändert wird. Bereits Rebecca Savage (2012:52) führte diesen Punkt anhand der Kritik an Grassenis Arbeit aus. In ihrer Arbeit mit Rinderzüchtern in Norditalien nutzt sie Videoaufnahmen auf zwei Arten: erstens, um durch die eigene Ka-



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meraarbeit zu erlernen, „how others see the world“ (Grasseni 2004:17), und zweitens, nun durch die Analyse von Videos und Fotos, die von Amateuren und Profis erstellt wurden, um nach Hinweisen zu suchen nach „the way in which they look at cattle [...]“ (2004:23). Diese Perspektive auf Videos und Bilder berücksichtigt die Vermittlungsprozesse und die transformative Kraft der Bilder allerdings nicht ausreichend und setzt ‚Sehen‘ mit Videobildern gleich. Die gelebte Erfahrung und die Erfahrung von Bildern unterscheidet sich jedoch insbesondere in transnationalen und kulturell unterschiedlichen Kontexten (vgl. Savage 2012:48). Durch die Verbindung der Betrachtung von Fotografie als (ästhetische) Objekte und dem Erlernen der fotografischen Medienpraktiken in Dakar lassen sich in den folgenden Unterkapiteln (2.4.2 und 2.4.3) erstens die Visualität der Fotografie und zweitens die sozialen Prozesse und die Einbindung in spezifische Erfahrungen betrachten. Durch die Reflexion meines Lernprozesses bei Praktiken des Fotografierens gehe ich zudem über fotografische Methoden wie Fotoelizitierung, Fotoanalyse und partizipative fotografische Ansätze (vgl. Collier und Collier 1986; Banks 2001; Pink 2001) hinaus und passe sie der medienethnologischen Untersuchung an. In Bezug auf Fotografie können so Kontinuitäten und Diskontinuitäten unterschiedlicher fotografischer Medienpraktiken herausgearbeitet werden. Hierdurch wird auch deutlich, dass „photographs are not simply about what is represented in them, but they are emergent from what was above, below, in front, and behind“ (Hjorth und Pink 2014:46).

2.4.2 Die Vorbereitung des Körpers und die Pose vor der Kamera Aus der Feldforschungsnotiz und den Bildern der Fotosession wird die Bedeutung der Gestaltung des Körpers für Fotografien deutlich. Fatou lässt sich viel Zeit, um passende Kleidung und Accessoires auszuwählen, die Haare zu frisieren und die Haut durch Make-up zu bearbeiten. Wenn der Körper komplett gestaltet ist, wird er in die richtige Pose gebracht. Ausstattung und Pose des Körpers sind also Teil der Produktion des Fotos. Der Körper und das Bild sind gleichermaßen eine Bühne für die Erschaffung und Darstellung der sozialen Persönlichkeit (Mustafa 2002). Die Bewertungen der Bilder durch die beiden Frauen am Ende der Feldforschungsnotiz zeigt auch, dass die Fototechnik dazu genutzt wird, diese am Körper geleistete Arbeit zu unterstreichen. So nehmen beispielsweise die Aufhellung der Haut

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durch den Blitz oder die Nachbearbeitung der digitalen Fotografien einen hohen Stellenwert ein. In Gesprächen werden diese Bilder immer wieder nach Texturen und Oberflächen, Posen und Details der Kleidung bewertet. Insbesondere junge Frauen nutzen diese Fotografien dazu, sich sozial und ökonomisch innerhalb der Hierarchien von Geschlecht und Generation zu positionieren, was andere Frauen mit Leichtigkeit am Wert der Kleidung, der Pose und der Qualität der Fotografie abschätzen können (Buggenhagen 2014). Selbstpositionierungen spiegeln verspieltes Ausprobieren sowie Hoffnungen und Wünsche für die Zukunft. In den Fotografien überspielen junge Frauen wie Fatou ihren unsicheren finanziellen und sozialen Status. So berücksichtigen andere Frauen bei der Einschätzung und Bewertung auch, wie gut junge Frauen es schaffen, ihre sozialen Beziehungen für sich selbst zu nutzen und wie erfolgreich sie darin sind, diese Unsicherheiten aus den Bildern herauszuhalten und zu verstecken. In der Feldforschungsnotiz oben wurde ebenfalls deutlich, dass Fatou und Khady mich anwiesen, die Fotografien auf eine bestimmte Art zu erstellen und in den Bildern bestimmte Posen einzunehmen. In den Gesprächen darüber, was schöne Fotografie ist, wurde der Lernprozess gemeinsam reflektiert. Fatou hatte mich zuvor in die spezifische Form des Ausstattens und Ankleidens eingeführt, was mir auf vielen weiteren Zeremonien und Hochzeiten im Verlauf meiner Feldforschungen in Dakar nützlich war. Da ich bei ihr wohnte und sie mich zur Hochzeit eingeladen hatte, fühlte sich Fatou verantwortlich für mich und kümmerte sich darum, dass ich angemessen angezogen und ausgestattet war. Sie sorgte dafür, dass ich die richtigen Stoffe kaufte und beriet mich bei der Auswahl der angemessenen Muster. Sie achtete auch darauf, dass es für mich nicht zu teuer wurde und trotzdem noch angemessen für eine Hochzeit war. Gemeinsam wählten wir bei einem Schneider ihres Vertrauens aus den lokalen Hochglanz-Modemagazinen unterschiedliche Stile aus und kombinierten sie zu einer für mich passenden Kleidung. Fatou wies den Schneider genau an. Wiederholt betonte sie, dass ich eine Toubab10, eine Weiße Frau sei, die es einfach und nicht zu viel 10 Mit Toubab werden meist Weiße Europäer*innen oder Amerikaner*innen bezeichnet (ursprünglich Weiße Französ*innen). Senegales*innen werden im negativen Sinn auch mit diesem Begriff bezeichnet, wenn sie westliche Werte annehmen und für sie beispielsweise Geld an erster Stelle steht und sie nicht genug Religiosität, Toleranz und Gastfreundschaft zeigen (Riccio 2001:113). In Ausnahmefällen kann Toubab auch positiv im Sinne von zuverlässig und arbeitsam genutzt werden, vgl. Kapitel 7.4.



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Stickarbeit wolle. Fatou war sehr geschickt und bewandert in der Auswahl der passenden Stoffe, Muster und Designs wie auch in der Verhandlung der Preise. Und sie war stolz auf ihre Fähigkeiten. Am Tag von Aïssatous Hochzeit flocht mir Fatou die Haare und wellte einzelne Strähnen auf die gleiche Weise, wie sie auch ihre eigene Perücke gewellt hatte. Fatou war also maßgeblich an der Auswahl meiner Kleidung und Frisur beteiligt und stellte für mich einen senegalesischen Stil mit ihrer eigenen Version einer europäischen Frau, die sie beim Besuch einer Hochzeit begleitete, zusammen. Sie gestaltete meine Kleidung und Frisur so, dass es für sie passend erschien und natürlich auch so, dass ich bereit war, den Stil anzunehmen. Ich stellte ihre Version einer jungen Weißen Frau auf einer senegalesischen Hochzeit dar und sie schmückte sich mit mir. Auf meiner ersten senegalesischen Hochzeit fühlte ich mich in Fatous Ausstattung seltsam und deplatziert. Ich wusste nicht, wie ich mich verhalten und mit anderen in Beziehung treten sollte, fühlte mich nicht als ich selbst und kam mir entfremdet vor. Mein Unbehagen in der senegalesischen Kleidung und Frisur wurde durch meine anmaßende kulturelle Aneignung unterstützt und dem von mir als dreist empfundenen Anspruch des ‚ich war da‘, den ich damit ausdrückte. Mit diesem Anspruch verbindet sich die uneinlösbare Vorstellung vieler Ethnolog*innen des going native (vgl. Herzfeld 2009:142), von dem ich mich im Kontext Dakars mit seiner spezifischen kolonialen Vergangenheit distanzieren wollte. Neben meinem Unbehagen traten meines Erachtens auch weitere Nuancen in der Beziehung zu Fatou in den Fotografien zu Tage. Der Anspruch Fatous auf ‚ihre‘ Schöpfung wird in den Fotografien deutlich sichtbar: Nicht nur in der ähnlichen Wellung unserer Haare, sondern auch in der Art, wie Fatou ihren Arm um mich legt, zeigt sie unsere ungleiche Beziehung (Abbildung 8). Obwohl ich als europäische Frau deutlich privilegierter war, schaffte Fatou es, die Beziehung zu mir finanziell und sozial für sich zu nutzen. Später, nachdem ich auf verschiedenen Hochzeiten gewesen war, verschiedene Outfits getragen, viele Gespräche über Hochzeiten und Kleidung geführt sowie meine Imitationen reflektiert hatte, konnte ich selbst stärker Initiative ergreifen. Ich fühlte mich weniger verkleidet und stärker mit den jungen Frauen in Dakar verbunden. Ich erhielt zunehmend einen Einblick in die Bedeutung von Erscheinung und Haltung für die Herstellung und Aufrechterhaltung sozialer Position (vgl. Kapitel 6). Gleichzeitig entwickelte ich Fähigkeiten in der Beurteilung eines Ensembles und einer ‚schönen‘ Fotografie und konnte in den Gesprächen darüber mitreden. Den-

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noch muss ich einräumen, dass es immer wieder Situationen gab, in denen ich die Angemessenheit meiner Kleidung völlig falsch einschätzte. Dies war beispielsweise der Fall, als ich zu einer christlichen Hochzeit eingeladen wurde und dort mit meinem mittlerweile standardisierten senegalesischangepassten Erscheinungsbild völlig aus dem Rahmen und den Bildern fiel (Abbildung 9). Ich hatte nicht gewusst und hatte es bei meinen meist muslimischen Gesprächspartner*innen nicht herausfinden können, dass sich christliche Minderheiten in Dakar auf Festlichkeiten wie Hochzeiten vor allem in ihrer Kleidung von muslimischen Hochzeiten abgrenzten und auf Stile, die an ‚traditionell‘ senegalesische Outfits verwiesen, verzichteten.

Abbildung 9: Autorin mit einem Gast auf einer christlichen Hochzeitsfeier (Fotograf: Louis Gomis)

Obwohl Praktiken des sich Ankleidens im Stil der Gesprächspartner*innen für viele Ethnolog*innen gerade in Westafrika Teil alltäglicher Feldforschung darstellt, eine mimetische Praxis im „desire to experience other possible lives“ (Krings 2015:27), wird dies selten reflektiert oder methodisch ernst genommen. Bereits Fritz Kramer (2005:188) stellte heraus, dass diese körperlich-sinnlichen und performativen Erfahrungen häufig als Orientalisierungen und Exotisierungen abgetan oder als unwissenschaftliche Aneignung des Fremden belächelt werden, obwohl sie gleichzeitig als „Gütesiegel



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professioneller Qualifikation“ praktiziert werden. Gerade in dieser Ambivalenz sieht Anja Dreschke in ihrem Artikel zu „Reenactment in der frühen Ethnologie und im Hobbyismus“ die Ablehnung vieler Ethnolog*innen gegenüber diesen Praktiken der Aneignung begründet (Dreschke 2013:48). Im Vergleich zur Feldforschung und teilnehmenden Beobachtung werde diese Form der Methode in der Ethnologie als Verlust der kritischen Distanz und stärkere Zurichtung empfunden (Dreschke 2013:59). Diese körperlichen Praktiken des mimetischen Nachahmens fanden in der frühen Ethnologie wie bei Franz Boas aber auch Alfred Haddon vor der Standardisierung der Feldforschung und teilnehmenden Beobachtung als methodische Experimente zur Aneignung und Interpretation des kulturell Fremden statt: „After all, through the second skin of the Other, so to speak, this is one of the most physical-material and sensual ways of cultural appropriation and interpretation through artifacts.“ (Schneider 2012:113)

Nach den ersten Versuchen und Gefühlen des ‚Verkleidens‘ stellte das Arbeiten an und mit meinem Körper auch für mich einen Weg dar, Zugang zu erfahrungs- und praxisbasiertem Wissen über Fotografie zu erlangen. Auch wenn meine Erfahrungen und Gefühle nicht von primärem Interesse sind, sind sie doch im Sinne Grassenis konstitutiv dafür, den situierten und geteilten Lernprozess von Medienpraktiken und seinen Grenzen zu erfassen. Von Bedeutung ist dabei auch der partizipative und kollaborative Charakter dieser Form des Arbeitens.11 Erst indem ich mit Anderen gemeinsam an meinen Outfits und dem Erstellen von Fotografien gearbeitet habe und ich selbst zum ‚Thema‘ meiner Gesprächspartnerinnen wurde, konnte ich kulturell spezifische Formen und Beziehungen junger Frauen in Dakar verstehen und nachvollziehen (vgl. Kramer 2005:197; Herzfeld 2009:145).

2.4.3 Ausstellen und Zirkulieren im Kontext sozialer Beziehungen Nicht nur Kleidung und Pose, sondern auch die Fotografien als Objekte und die Praktiken des Ausstellens und Verbreitens sind ein wichtiger Teil der fotografischen Medienpraktiken. In den Aufnahmen sind Spuren der Gestaltung durch die sozialen Personen und ihre körperlichen Erfahrungen ein11

Ich danke Anja Dreschke für diesen Hinweis.

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geschrieben. Durch das Ausstellen und die Verbreitung der Bilder werden diese Spuren in einem neuen Kontext reaktualisiert und mit neuer Bedeutung aufgeladen. In diesem Teil gehe ich auf unterschiedliche Arten der Zirkulation ein und verweise damit auf Formen des Bildaustausches, die Verbindungen herstellen oder bewusst einschränken. Obwohl Khady und Fatou in ihrer unmittelbaren Bewertung der Fotografien aus der Serie zunächst die Fotos, die im salon entstanden waren, als schöner einschätzten, waren es die Fotografien aus dem Innenhof, die in der weiteren Ausstellung und Verbreitung besonders erfolgreich waren. Die Bilder aus dem Innenhof entsprachen stärker ihren kulturell geprägten Vorstellungen von Schönheit. Fatou wählte zwei Fotografien aus (Abbildung 6),12 um sie nachbearbeiten, vergrößern und rahmen zu lassen. Als ich im November 2011 nach Dakar zurückkehrte, hatte sie eines der gerahmten Bilder in ihrem Zimmer an die Wand gehängt. Wie sie mir berichtete, hatte sie den Fotografen der Familie Abdou Karim beauftragt, der die digitale Veränderung und Vergrößerung in einem lokalen Fotolabor erstellen ließ. Der Hintergrund des Bildes war mit einem repräsentativen Wohnzimmer ersetzt, das gesamte Bild aufgehellt und mit einem Weichzeichner bearbeitet worden. Neuer Hintergrund und die Aufhellung der Haut waren, wie Fatou auf meine Nachfrage berichtete, die wichtigsten Verschönerungen des Fotos. Diese Elemente stellten für Fatou und andere Frauen der unteren Mittelschicht Dakars Merkmale dar, die das Bild besonders schön machten, weil sie als sozial erfolgreich und einem bestimmten Schönheitsideal entsprechend als besonders attraktiv auf dem Heiratsmarkt erschienen ließ. Die Aufhellung der Haut durch die digitale Nachbearbeitung setzt die Arbeit der jungen Frauen an ihren Körpern fort, etwa die tägliche Benutzung von Aufhellungscremes für die Haut. Nicht nur durch das Bild selbst, sondern auch durch die Vergrößerung und die Aufhängung in ihrem Schlafzimmer positioniert sich Fatou als sozial erfolgreiche und (potentiell) wohlhabende junge Frau (Abbildung 10), obwohl ihre Stellung als uneheliche Tochter dem in keiner Weise entsprach (vgl. Kapitel 6.2.1). Durch den Umgang mit dem Bild bezieht sie sich auf koloniale und postkoloniale weibliche Porträtfotografie und Ausstellungsformen (vgl. Haney 2010, siehe auch Kapitel 6.1) und verschleiert ihre ökonomisch unsichere Lebenssituation. Die Hoffnungen und Wünsche, die 12

Auf die inhaltlichen Elemente dieser beiden Bilder werde ich in Kapitel 6.2 eingehen.



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Abbildung 10: Fatous gerahmtes und digital verändertes Porträt

in diesem Bild zum Ausdruck kommen, gehen in Erfüllung, als Fatou im Dezember 2011 einen wohlhabenden Mann heiratet (vgl. Kapitel 5.2). Wie bei vielen verheirateten Frauen zogen die Porträts und gerahmten Fotografien als persönlicher Besitz der Ehefrau mit in den Haushalt des Ehepaares. Fatou stellte das Bild in ihren unterschiedlichen Wohnorten aus, zuletzt im repräsentativen Wohnzimmer einer Zweizimmerwohnung, die sie mit ihrem Mann und ihrer Tochter im Februar 2013 bezog (Abbildung 11). Das Bild im

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Rahmen war mittlerweile verblasst und kaum noch zu erkennen und wirkte im Hintergrund wie ein Geist aus der Vergangenheit oder als Echo einer anderen Zeit in der Gegenwart. Fatou hatte weitere kleinere Fotografien in den Rahmen eingesteckt und das vergrößerte Bild mit zusätzlichen Porträtbildern gerahmt. Hier waren wichtige Personen ihres neuen Lebens abgebildet, ihre Tochter, ihr Ehemann und sie selbst mit ihrer Schwiegermutter während der Tauffeierlichkeiten. Schicht um Schicht hatte sie die Bilder über- und nebeneinandergelegt und so einen neuen Ausstellungskontext für das alte Bild geschaffen. Wie viele junge Frauen stellt sie durch diese Montagetechnik ihre soziale Veränderung und Verbundenheit zur neuen Familie dar; gut sichtbar für alle Gäste, Freunde und Familienmitglieder, die sie in der neuen Wohnung besuchen. Auch ein Bild von mir und meiner Familie in senegalesischer Kleidung war für kurze Zeit in dieser Montage und zeigt, dass ich vorübergehend Teil dieses Beziehungsgeflechts war. Allerdings fand keines meiner Fotos der ersten ausführlich beschriebenen Fotosession Eingang in diese Austauschbeziehungen. Erst als ich erfahrener und geschickter in den Praktiken des Fotografierens und auch des Zirkulierens von Bildern wurde, verbreiteten sich auch Bilder von mir auf

Abbildung 11: Fatous gerahmtes Porträt in ihrem neuen Wohnzimmer



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spezifische Weise. Am deutlichsten wird dies anhand von Bildern von Fatous Hochzeit, bei der ich als Brautpatin (marraine) fungierte (vgl. Kap. 5). Die Fotos wurden vor allem während der réception angefertigt, einem von der Braut vor allem für ihre weiblichen Gäste organisierten Empfang. Es war erneut der Fotograf Abdou Karim, der alle Fotos der Braut und der wichtigsten Gäste erstellte. Die Fotos meiner Teilnahme an der Hochzeit fanden sich im Hochzeitsalbum wieder. Außerdem hatten einige Gäste mit ihren Mobiltelefonen Aufnahmen gemacht und Bilder auch von mir auf Facebook hochgeladen und mit ihren Freunden geteilt. Sogar einige der professionellen Fotos fanden sich hier wieder. Insbesondere in den professionellen Bildern unterscheidet sich nicht nur meine Hautfarbe, sondern auch meine lächelnde Haltung von dem eher ernsten Gesichtsausdruck der anderen jungen Frauen (Abbildung 12). Üblicherweise wählen junge Frauen und Männer bei Feiern wie Hochzeiten einen zurückhaltenden Gesichtsausdruck. Außerdem drücken sie auf diese Weise ihren Kummer über den Abschied von der Braut aus, die bald ihr Elternhaus und die Nachbarschaft verlassen wird, um zur Familie des Mannes zu ziehen. Die Mobiltelefonkamerabilder stehen in starkem Kontrast zu diesen professionellen Bildern. Wie andere junge Frauen hatte Khady ihre körnigen, unscharfen und farbstichigen digitalen Fotografien der Hochzeit in einem Album mit dem Titel „marriage de Fatou“ auf Facebook eingestellt (vgl. 5.2.2.3). Bei dieser schlechten Qualität der Bilder unterscheidet sich meine Hautfarbe weniger von der der anderen Frauen. Dieses Album war jedoch, wie andere Bilder von dieser Hochzeit, nur für einige Monate auf Facebook zu sehen. Dies deutet darauf hin, dass Khady wie viele junge Frauen auf Facebook sorgfältig auswählt, welche Ereignisse und Personen zu welchem Zeitpunkt zu sehen sind (vgl. zu Praktiken des Löschens auf Facebook Kapitel 6). Im Gegensatz zu Khady löschte ich die Bilder der Hochzeit nicht aus meiner Facebookzeitleiste. Im Februar des darauffolgenden Jahres teilte Khady eines dieser Fotos (Abbildung 13) (erneut) auf ihrer Zeitleiste mit der Überschrift „souvenir-souvenir“ und ‚markierte‘ mich als beteiligte Person. Durch diese Praktik des Teilens reaktualisierte sie die Bedeutung des Fotos; außerdem erneuerte sie nicht nur die Beziehung zum Ereignis und den beteiligten Personen, sondern auch zu mir. Wie bereits in Fatous gerahmter Fotomontage deutlich wurde, ist Zeitlichkeit auch für die Facebookpraktiken zentral. Jedoch verlieren die Bilder in Facebook nicht ihre Farbe, sondern werden durch Kommentare und likes ergänzt oder verschwinden

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Abbildung 12: Gruppenporträt der Braut mit den marraines (Fotograf: Abdou Karim Sané)

vollständig aus dem Facebookprofil, indem sie hinter neuen Einträgen zurücktreten oder ganz gelöscht werden. Von mir erstellte Fotografien und Bilder mit mir und meiner Familie fanden sich in unterschiedlichen persönlichen Fotosammlungen wieder. Meine Beteiligung an den Praktiken der Zirkulation verdeutlichen, wie stark diese Bilder in die Gestaltung der sozialen Beziehungen eingebunden sind. Dies gab mir auch die Möglichkeit, meinen Gesprächspartner*innen im Sinne der Reziprozität etwas zurückzugeben, was sie sich in dieser Form nicht geleistet hätten. Gleichzeitig bestärkte die Teilnahme am Bilderaustausch die ungleichen Machtbeziehungen und zeigte die Grenzen der Teilhabe auf. Da ich meine Fotografien später nicht mehr aktualisieren und durch neue Bilder vor Ort ersetzen konnte, versuchte ich, mich den Austauschpraktiken



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transnationaler Beziehungen anzunähern, die ich bei Senegales*innen in Berlin beobachte (vgl. Kap. 5 und 7). Um mit der Distanz und der physischen Abwesenheit umzugehen, spielt das Anwesend-Machen durch fotografische Montagen eine große Rolle (vgl. Kap. 5). Abbildung 13: Gruppenporträt auf Facebook

2.5 Von der medienethnografischen Forschung zum medienethnografischen Text Wie bereits in den vorausgegangenen Unterkapiteln deutlich wurde, liegt die Schwierigkeit des ethnografischen Schreibens darin, Beobachtungen, soziale Interaktionen und körperlich-sinnliche Erfahrungen und Erlebnisse in Worte zu fassen, also etwas mittels Text zu beschreiben, was zuvor nicht in Sprache gefasst war. Eine besondere Herausforderung dieser Arbeit war es, Medienpraktiken und die Produkte von Medienpraktiken in Text zu übersetzen. In der Ethnologie gibt es zahlreiche durch die writing culture-Debatte (z.B. Clifford und Marcus 1986; Marcus und Fischer 1999) ausgelöste Diskussionen um ethnografisches Schreiben und ethnografische Autorität im Text. In den Standardtexten zum ethnografischen Schreiben geht es um unterschiedliche Formen der Narration und Schreibstile (z.B. Maanen 2011; Humphreys und Watson 2009). Seltener finden sich in diesen Arbeiten Auseinandersetzungen mit der Verschriftlichung des Erlebten in unterschiedlichen Formen von Feldforschungsnotizen und Analysememos sowie mit der Frage, wie diese in die finale Gestaltung des Textes einfließen (Ghodsee 2016; Narayan 2012).13 Welchen Stellenwert Bilder und andere Medienformate im Schreib13

Auch ethnografisch arbeitende Soziolog*innen setzen sich mit den unterschiedlichen Aspekten des Schreibens im ethnografischen Prozess auseinander (Hirschauer 2001; Kalthoff 2010; Scheffer 2002).

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prozess einnehmen, wurde weder in der writing culture-Debatte noch in den Büchern zum ethnografischen Schreiben ausreichend thematisiert.14 Für meine Arbeit stellten die unterschiedlichen Phasen des Schreibens über Medienpraktiken und die Trennung von ethnografischer Beschreibung, verschiedenen Stimmen und Perspektiven aus Gesprächen und meine Interpretation eine der größten Herausforderungen dar. Die Facebookfeldforschungsszene zu Anfang des Kapitels ist ein Versuch, mich der Medialität der Internetplattform und dem Stellenwert von Bildern darin anzunähern und meine eigene Perspektive deutlich zu machen. Diese Erfahrungsräume bringt die Beschreibung der Situation zusammen: ich sitze am Computer und binde Bildschirmfotos in unterschiedlichen Einstellungsgrößen ein. Ein weiterer Versuch in diese Richtung ist die Darstellung der fotografischen Situation in Dakar. Durch die Verbindung von Schrift und Bild nähere ich mich dem Schreiben mit Bildern über Bilder an. Die Bilder sind sowohl wichtiger Teil des analytischen Prozesses als auch Bezugs- und Ankerpunkt während des Schreibens.15 Dies spiegelt teilweise die Form der medialen Kommunikation und Wertschätzung von Bildern meiner Gesprächspartner*innen wider. Töne, Musik oder auch Gerüche konnte ich in der Forschung und dem Schreibprozess hingegen nicht in gleicher Weise berücksichtigen, da dies den Rahmen dieser Forschungsarbeit gesprengt hätte. Als Grundlage der Kapitelentwürfe dieser Arbeit besprach ich erste Ergebnisse vor allem mit den Teilnehmer*innen meiner Forschung in Berlin. Durch gezielte Nachfragen konnte ich weitere Erkenntnisse zur Nutzung von Bildern gewinnen, beispielsweise freuten sich einige meiner Kontakte, dass ich Screenshots ihrer Facebookbilder und Seiten ausgedruckt hatte, andere wiederum zeigten sich befremdet und meinten zögerlich, dass ich diese Bilder lieber nicht nutzen solle. Dies stellte mich vor Herausforderungen im Umgang mit Bildern, insbesondere mit Bildschirmfotos aus Facebook. Obwohl ich in den meisten Fällen die Einwilligung zur Nutzung von Foto14

15

Auch innerhalb der Visuellen Anthropologie gibt es kaum eine Auseinandersetzung mit den Herausforderungen des Schreibens mit und über Bilder und Medien, allerdings eine Reihe von spannenden Arbeiten, die sich mit der Integration von Text und Bild in ihren Arbeiten im Rahmen der Visuellen Ethnografie auseinandersetzen (vgl. die klassische Arbeit von Bateson und Mead 1962; aber auch Orobitg Canal 2004; Pink 2001; Mitchell 1995; Cox und Wright 2012; Rupert, Irving und Wright 2016). Ich danke Cathrine Bublatzky für diese wichtigen Hinweise in ihrem Workshop „Schreiben mit/über visuelles Material“ am 29.05.2015 in Siegen.



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grafien aus Facebook für meine Forschung pauschal eingeholt hatte, stellte sich mir angesichts der digitalen Verfügbarkeit und der Leichtigkeit, mit der Fotografien zirkulieren, immer wieder die Frage, wie häufig und für welche Kontexte ich erneut Einwilligungen einholen sollte. Zudem veränderte sich die Lebenssituation der abgebildeten Menschen, die dann deshalb nicht mehr wollten, dass ich die älteren Fotos verwende. Einige wichtige Ereignisse und Bilder konnten nicht in diese Arbeit mit aufgenommen werden, da es entweder nicht möglich war, die abgebildeten Personen für die Einwilligung für die Nutzung der Bilder zu erreichen oder diese die Einwilligung verweigerten (vgl. Kapitel 6). Auch die spezifischen Eigenschaften von Facebook führten mich zu einem vorsichtigeren Umgang mit Bildern und Informationen. Durch die Facebookeinstellungen der meisten meiner Kontakte erhielt ich Zugang zu Kommentaren und Profilen auch der Freunde von Freunden, ohne dass ich alle über meine Forschung informieren und deren Einwilligung einholen konnte. Bereits in der Facebookszene wurde am Beispiel von Fatou und dem Neugeborenen deutlich, dass Bilder von Personen in Facebook eingestellt werden, ohne dass die beiden Abgebildeten selbst auf dieser Plattform aktiv sind. Gleichzeitig zirkulieren Bilder meiner eigenen Person als Feldforscherin, ohne dass dabei meine Vorstellungen von Privatsphäre berücksichtigt wurden. Trotz der Bestrebungen auch innerhalb der deutschen Ethnologie, durch eine Ethikerklärung Prinzipien des verantwortungsvollen Forschens zu institutionalisieren (Hahn, Hornbacher und Schönhuth 2009), bleiben diese Diskussionen doch hinter aktuellen ethischen Anforderungen von Medien und Bildern im digitalen Zeitalter zurück.16 Auf meine Forschung bezogen konnte ich diese Fragen für die spezifischen Fälle durch Einwilligungserklärungen oder Rückfragen lösen, auch da ich relativ wenig mit sogenannten irregulären Migrant*innen gearbeitet habe. Angesichts der Migrationsregime, Grenzkontrollen und restriktiven Einwanderungspolitik der EU werden diese Diskussionen jedoch zunehmend dringlicher. Überlebenswichtige Informationen, die über Mobiltelefone und soziale Netzwerke für Reisen und Aufenthalte von Migrant*innen, Geflüchteten oder anderen mobilen Personengruppen zirkulieren, können als digitale Spuren von Einwanderungsbehörden genutzt und gegen die Betroffenen verwendet wer16

Vergleiche hierzu jedoch die Veranstaltung zu „Digital Media – Visual Ethics“ der Society for Visual Anthropology der American Anthropological Association (Society for Visual Anthropology 2014).

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den. Nicht immer ist den Forscher*innen ohne Weiteres möglich, für jeden einzelnen Fall die Tragweite der Veröffentlichung dieser Informationen abzuschätzen.

2.6 Update in Progress: Ein Fazit zur (Re-)Aktualisierung von Methoden To participate is not to walk into but to walk with – where ‚with‘ implies not a face-to-face confrontation but heading the same way, sharing the same vistas, and perhaps retreating from the same threats behind. (Lee und Ingold 2006:67)

In diesem Methodenkapitel habe ich die medienethnografischen Ansätze und Vorgehensweisen dieser Arbeit dargelegt und die eigene Positionierung als Medienethnologin während der Forschung und im Schreibprozess verdeutlicht. Das diesem Kapitelfazit vorangestellte Zitat von Jo Lee und Tim Ingold ist Ausdruck einer Forschungshaltung, in der miteinander gegangen, in die gleiche Richtung geblickt und ein Stück gemeinsamen Weges hinter sich gelassen wird. Diese Haltung wird in dieser Arbeit auf Medienpraktiken und den Umgang mit unterschiedlichen Medientechnologien wie Fotografie und Facebook ausgeweitet. Damit konnte ich die multi-sited ethnography an unterschiedlichen Orten auf die medialen Verbindungen ‚dazwischen‘ ausweiten. Dies erlaubte mir nicht nur Einblicke in soziale Beziehungen in Dakar und Berlin, sondern auch in Vorstellungen und Projektionen auf den jeweils anderen Ort, die andere Person oder das andere Ereignis; außerdem konnte ich dabei auch meine ganz eigene Einfärbung des Blickes mitberücksichtigen.17 Angesichts der methodischen Herausforderungen der zunehmenden Mobilität und der Durchdringung des Alltags mit (digitalen) Medien war es mir wichtig herauszuarbeiten, dass es nicht immer notwendig ist, gänzlich 17

Die unterschiedlichen dargestellten Beziehungen sprechen einerseits multiple soziale Beziehungen und durch mich erfahrene subjectivities an, andererseits stellen sie einen konstanten Wechsel der Positionierung zwischen Situationen, Identitäten und Perspektiven an (Amit 2000a:11).



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neue Methoden zu entwickeln. Gerade in medienethnologischen Forschungen können bereits erprobte Methoden auf die spezifischen Gegenstände angepasst, erweitert und reaktualisiert werden (vgl. die Beiträge in Bender und Zillinger 2015a). Über, mit und durch Facebook zu forschen heißt, dass sich Gegenstand und Methode der Forschung überschneiden, teilweise nicht auseinander zu halten sind und zudem weitere Themen durch Facebook erschlossen werden. Die Feldforschungsszene zu Facebook verdeutlicht, dass Facebook nicht nur Gegenstand der Forschung ist (über), methodisch eingesetzt wird (mit), sondern auch weitere Themen wie Zirkulation und Weiblichkeit erschlossen werden (in). Mein Blick auf Facebook ist dabei bestimmt durch die Feldforschungen ‚vor Ort‘. Der Fokus auf die Reflektion des Erlernens von Medienpraktiken am Beispiel von Porträtfotografie in Dakar erlaubte mir, körperlich-ästhetische und sinnlich-emotionale Erfahrungen in meine Feldforschungsarbeit einzubeziehen. Die weitgefassten sozialen Praktiken der Porträtfotografie eröffneten einen Zugang zu den Lebenswelten junger Frauen und den relationalen Qualitäten dieser Bilder und zeigten, dass diese Bilder eine eigene Sphäre sozialer Beziehungen bilden (Behrend 2014:146). Auf diese Weise konnte ich Porträtfotografie als methodischen Kristallisationspunkt nutzen und über konventionelle methodische Ansätze wie Fotoelizitierung oder auch herkömmliche partizipative Ansätze hinausgehen. Das Zusammenspiel der unterschiedlichen Methoden und Perspektiven zeigten den partizipativen Charakter und dessen Grenzen beim Erstellen von Fotografien auf. Durch die Erweiterung und Adaption des Ansatzes auf meinen spezifischen Kontext war es mir auch möglich, sowohl Kontinuitäten unterschiedlicher Medienformate und Praktiken als auch spezifische Unterschiede beispielsweise zwischen der Nutzung von Fotografien in Hochzeitsalben und in Facebook herauszuarbeiten. Analog konnte ich mich durch die Darstellung des Schreibprozesses mit Bildern und über Bilder an die writing culture-Debatte anschließen und die spezifische Medialität und die Verbindung von Bildern und Text in Facebook herausarbeiten. Nicht nur angesichts des zunehmenden Anteils von Bildern und der Digitalität in transnationaler Kommunikation gilt es, auch ethische Diskussionen um Persönlichkeitsrechte ernstzunehmen. Das Feld der Feldforschung ist im Grunde schon lange räumlich und zeitlich entgrenzt (vgl. Gupta und Ferguson 1997b; Collins und Coleman 2006). Neu daran ist, dass das Feld auf mediale Technologien ausgeweitet wird und dieser medial vermittelte Alltag als gleichberechtigte Erfahrungswelt

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betrachtet wird. Diese potentiell endlose Vernetzung – wie ein steter Strom an Facebookeinträgen und Nachrichten auf meiner Zeitleiste – muss ich, wie in jeder anderen Forschung, durch den Schreibprozess, das Ende der Finanzierung oder die Veröffentlichung der Ergebnisse künstlich beenden. Doch behalte ich wie in jeder ethnologischen Forschung einige lose Enden in den Händen, um bei Bedarf daran anzuknüpfen.

3

Der Kontext sozialer Beziehungen in Senegal

Für Senegales*innen in Deutschland ist der Lebenskontext in Dakar ein wichtiger Bezugspunkt im transnationalen Alltag. Einige meiner Berliner Gesprächspartner*innen sind dort aufgewachsen oder haben längere Zeit in Dakar gelebt und halten Kontakt zu Familienmitgliedern und Freund*innen vor Ort. Senegales*innen in Berlin verstehen die Lebensumstände in Dakar aus eigener Erfahrung, verbinden teilweise nostalgische emotionale Erinnerung mit den Orten und Menschen, werfen jedoch auch einen durch die Migration informierten, teilweise kritischen Blick auf die dortigen Verhältnisse. Durch die Besuche und medial vermittelten Kontakte sind sie ein transnationaler Teil dieser sozialen Beziehungen. Dieses Kapitel führt in den historischen, kulturellen und sozialen Kontext Senegals mit einem Schwerpunkt auf Dakar ein. Die historische und politisch-ökonomische Entwicklung Senegals und Dakars wird in einem ersten Unterkapitel dargestellt (3.1). Nach einem kurzen Abriss der Geschichte Senegals werden die politischen und ökonomischen Entwicklungen seit der Unabhängigkeit mit einem Fokus auf Dakar nachgezeichnet. Die mediale Infrastruktur1 der Hauptstadt – der Zugang zum, die Kosten und die Schnelligkeit des Internets – ist von besonderer Bedeutung für diese Arbeit. Maßgeblich trug die zunehmende Zahl von im Ausland lebenden Senegales*innen durch ihre Geldüberweisungen und die Sendungen von technischen Geräten zum Aufbau der Medieninfrastruktur Dakars bei. Internationale, vor allem 1

Der Begriff der Infrastruktur wird in dieser Arbeit in Anlehnung an Gabriele Schabacher aufgrund der spezifischen Eigenschaften der (In-)Visibilität/Transparenz, der Prozesshaftigkeit und der Standardisierung als „offener Prozess der (Weiter-)Entwicklung und Modifikation“ genutzt (Schabacher 2013:145).

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französische Konzerne, beeinflussten die Entwicklung durch ihre Beteiligung am strukturellen Ausbau maßgeblich. Am Beispiel der Entstehung der Cité ­Avion wird vor dem Hintergrund der historischen und politisch-ökonomischen Entwicklungen Dakars die rezente Urbanisierung und Stadtgeschichte und ein wichtiger Ort der Feldforschung vorgestellt. Die Bedeutung von Stadtvierteln entsteht für viele meiner Ge­sprächs­ part­ner*innen in Dakar erst durch die gelebten sozialen Beziehungen (vgl. Ingold 2009). Das zweite Unterkapitel (3.2) fokussiert deshalb auf ethnologische und ethnografische Arbeiten zu sozialen Beziehungen und verdeutlicht den Stellenwert von Verwandtschaft und Familie für meine Arbeit. Verwandtschaft und Familie sind zentrale Bezugspunkte des Zusammenlebens in Dakar. In Abgrenzung zum umfassenden Begriff der sozialen Beziehungen (vgl. Kapitel 1) verstehe ich unter Verwandtschaft in Anlehnung an die new kinship studies den Prozess des „Verwandt-Machens“ (kinning) (vgl. Carsten 2000; Franklin und McKinnon 2002; Carsten 2010).2 Familie grenze ich davon als grundlegende soziale und ökonomische Einheit ab, deren Mitglieder nicht zwangsweise in einem Haus leben müssen (vgl. Guyer 1981) und die aufgrund von historischen Prozessen stark variieren kann (vgl. Goody 2000). Die kritische Auseinandersetzung mit älteren Arbeiten zu Senegal verdeutlicht, wie durch die Produktion ethnografischen Wissens Kategorien von Familie, Verwandtschaft, Ethnie und Geschlecht maßgeblich beeinflusst wurden (3.2.1). Eurozentrische und andere normativ geprägte Vorstellungen von Verwandtschaft und Familie der Feldforscher*innen sind bedeutsam für die jeweilige Wissensproduktion. Vor diesem Hintergrund stelle ich im letzten Unterkapitel (3.2.2) die aktuelle Ausgestaltung sozialer Beziehungen vor allem in Dakar mit einem Fokus auf Familie, Haushalt und Geschlechter- sowie Generationenbeziehungen angesichts prekärer ökonomischer Lebensrealitäten vor. Insbesondere nicht-verwandtschaftliche Aspekte des Zusammenlebens in Dakar wie Nachbarschaft oder Religion sind hier relevant. Diese analytische Unterteilung in verwandtschaftliche und nichtverwandtschaftliche Beziehungen soll allerdings nicht über die vielfältigen Verflechtungen und Überschneidungen dieser Kategorien hinwegtäuschen, sondern vor allem deutlich machen, dass nicht-verwandtschaftliche Bezie2

Verwandtschaft kann dabei durch den Bezug zu einer genealogischen Abstammung bzw. Deszendenz oder Filiation und Heirat aber auch gegenseitige Sorge hergestellt werden (vgl. Alber u.a. 2010).



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hungen sowohl für das Leben in Dakar, als auch für den transnationalen Kontext eine große Bedeutung haben.

3.1 Bisimilay! Agsil! Willkommen in Dakar, willkommen in Senegal3 Viele Stadtviertel in Dakar sind relativ jung und entstanden erst in den letzten 20 bis 30 Jahren durch Urbanisierung und Landflucht. Eine Feldforschungsszene vom 14.02.2013 führt in eines der aufstrebenden Viertel ein, in dem ich während meiner Forschung gewohnt habe: An der Apotheke Cité Avion steige ich nach meinem Arbeitstag in einem anderen Teil Dakars an diesem kühlen Spätnachmittag aus dem Car Rapide aus und biege in das Viertel ‚Hinter der Mauer‘ (derrière le mur) ein. Ich verlasse die befestigten Straßen und gehe auf dem sandigen Weg in das Viertel, in dem ich wohne. Ich grüße die am Wegesrand Sitzenden: den Bettler aus Guinea-Bissau und den Obst-Verkäufer aus Guinea (Conakry). Mein Weg führt mich vorbei an den großen aufgemalten und überall präsenten Bildern des Gründers der muridischen tarīqa, Sheikh Ahmadou Bamba. Ich biege links und gleich wieder rechts ab, nicke Abdou aus dem Internetcafé zu, grüße Diouf, den Baye Fall.4 Wie jeden Tag ruft er „Bisimilay, Bisimilay“ und winkt mich zu sich, um mich zu begrüßen. Auf gebrochenem Wolof antworte ich auf die ausführlichen Grußformeln zu meiner Gesundheit, meiner Familie, meiner Arbeit und der Familie, bei der ich wohne. Diouf kennt die Familie gut, seit sie das dritte Haus in dieser „Wildnis“ (brousse), wie er sagt, als es noch kein Viertel war, gebaut haben. In seiner Nähe sitzen meist Bauarbeiter, die auf einer der vielen Baustellen im Viertel beschäftigt sind. Sie tun so, als ob sie uns nicht sehen, hören uns jedoch genau zu. Als der alte Diouf sie mit einem Kommentar zu meinen Sprachkenntnissen in unser Gespräch einbezieht, lachen alle um uns herum mit. Ich setzte meinen Weg fort und grüße immer mehr Leute, einen der chefs de quartier und seine Frau, die Frau von Pape Camara, dem ein Fotostudio im Viertel gehört, Adama, die Schneiderin, deren Mann in den USA lebt, Omar, den Boutiquebesitzer. Auf dem letzten kurzen 3

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Arabisch: Bisimillah = im Namen Gottes (Zillinger 2014:21). Im senegalesischen Kontext wird dieser Ausdruck häufig genutzt, um Gäste hereinzubitten und zu begrüßen. Im Gegensatz zu agsil (= tritt ein) ist der Ausdruck eher religiös konnotiert.

Die Baye Fall stellen eine Bewegung innerhalb der Muridiyya dar, die sich auf Ibrahima Fall, einen Anhänger Ahmadou Bambas berufen. Baye Fall Anhänger sind dafür bekannt, dass sie Beten und Fasten durch harte Arbeit für ein religiöse Führungspersönlichkeit ersetzen.

84 | Social Media im transnationalen Alltag Straßenstück sehen mich schon die Kinder, die in der Straße spielen und kommen zu mir gerannt, um mich zu begrüßen und gleichzeitig meine Ankunft zu verbreiten. Endlich bin ich an ‚meinem‘ Haus angekommen.

Die Besiedlung der letzten zwei Jahrzehnte führte dazu, dass Menschen sehr unterschiedlicher regionaler Herkunft sowie verschiedener ethnischer, religiöser und sozialer Zugehörigkeiten gemeinsam in diesen Vierteln leben. Diese jungen Stadtviertel werden meist von einem oder mehreren chefs de quartier verwaltet, haben selten befestigte Straßen und werden erst nach und nach an das Strom- und Wassernetz und die Kanalisation der Stadt angeschlossen. Meist sind sie nicht mit öffentlich-städtischen Verkehrsmitteln erreichbar, sondern nur durch kostengünstige privatwirtschaftliche cars rapides oder auch clandos, illegalen Kurzstreckentaxis, die die größeren Verkehrslinien verbinden, zugänglich. Besonders ökonomisch erfolgreiche Senegales*innen im Ausland unterstützten den noch anhaltenden Bauboom der letzten Jahre durch ihre finanziellen Rücküberweisungen. In einem Haus leben meist eine erweiterte Großfamilie mit Haushaltsvorstand, einer oder mehreren Ehefrauen und deren Kinder. Dazu kommen Nichten und Neffen und entfernte Verwandte aus ländlicheren Regionen oder anderen Teilen der Stadt, die wegen der Schule, Ausbildung oder Arbeitssuche im Haushalt leben.5 Meist sind einzelne Zimmer außerdem an locateurs, Mieter, häufig junge Kernfamilien vermietet; oft wohnen mit den Neffen oder anderen männlichen Verwandten auch noch deren neugegründete Familien samt Ehefrau und Kindern im Haus. Teilweise setzen sich die erweiterten Familien aus unterschiedlichen ethnischen Gruppen zusammen und es ist nicht unüblich, dass die Familienmitglieder unterschiedlichen muslimischen Sufi-tarīqa angehören oder gar Christen sind. Soziale Beziehungen helfen dabei, die prekäre sozioökonomische urbane Situation zu meistern, und eröffnen neue Möglichkeiten des Überlebens, zu der auch Migration in den diversen Ausformungen gehört. Wenige Männer und Frauen gehen einer regelmäßigen Arbeit mit Bezahlung nach. Besonders ältere Frauen, aber auch jüngere Mütter verdienen durch den Verkauf von selbst 5

Unter Haushalt wird hier eine flexible Form des gemeinsamen Wirtschaftens und Wohnens verstanden. Haushalte in Dakar basieren meist auf Konsanguinität, die meisten Mitglieder eines Haushaltes haben den gleichen Familiennamen. Eine Familie kann in mehreren Haushalten wohnen und auch Personen, die nicht im Haus leben, können dem Haushalt zugerechnet werden (Adams und So 1996; Buggenhagen 2001b; Netting, Wilk, und Arnould 1984; Perry 2005; vgl. auch Guyer 1981).



3. Der Kontext sozialer Beziehungen in Senegal | 85

zubereiteten Speisen den eigenen Lebensunterhalt. Viele jüngere Männer sind als Aushilfskräfte in der Baubranche tätig. Innerhalb des Viertels gibt es alles, was für den täglichen Bedarf benötigt wird. Frauen wie Männer, Junge und Alte lassen sich für besondere Ereignisse die Kleider in den zahlreichen Schneidereien anfertigen und ambulante Fotografen halten diesen Moment in einer Aufnahme fest. Neben Lebensmitteln und Haushaltsgütern spielt die mediale Infrastruktur eine wichtige Rolle für den Alltag der Menschen. Zunehmend werden Bilder mit Mobiltelefonen aufgenommen und verschickt. Vor allem angesichts zunehmender regionaler und internationaler Migration darf die Bedeutung dieser Verbindungen nicht unterschätzt werden. Das Viertel ist durch viele Migrant*innen aus ruralen Gegenden Senegals und anderen Regionen Westafrikas geprägt, zudem symbolisieren die vielen Baustellen die abwesenden Ehemänner, Söhne und vereinzelt Töchter, die im Ausland leben und Geld für den Hausbau überweisen (vgl. Melly 2010).

3.1.1 Eine kurze Geschichte Dakars und Senegals Dakar liegt am westlichsten Teil der Cap-Vert-Halbinsel am Atlantik. Sie ist die größte Stadt und eine der 14 regionalen Verwaltungseinheiten des Landes. Mit über drei Millionen Einwohnern ist sie die am dichtesten besiedelte Region des Landes, hier lebt fast ein Viertel der Bevölkerung der etwa 13 Millionen Einwohner Senegals.6 Die Metropole ist mit Flughafen und Überseehafen gut an das internationale Verkehrsnetz angebunden. Sie verfügt über nennenswerte Industrie vor allem in der Nahrungsverarbeitung und in der Bekleidungsbranche; außerdem ist in Dakar eine Ölraffinerie angesiedelt. Viele internationale Großkonzerne und Organisationen verlegten ihren Hauptsitz nach Dakar, was mit den Krisen der letzten Jahre in Nachbarstaaten wie der Elfenbeinküste oder Mali noch zunahm. Auch politisch ist Dakar als Hauptstadt des Landes das Zentrum des Senegals, weshalb die politische Macht in der Hauptstadt für jede Regierung von großer Bedeutung ist.

6

Laut des letzten Zensus im Jahr 2013 leben in der Region Dakar 3.137.196 Personen (Agence Nationale de la Statistique et de la Démographie [ANSD] 2014). Schätzungen zufolge sind diese Zahlen aufgrund der schlecht dokumentierten Zuströme ländlicher Bevölkerungsgruppen jedoch weitaus höher. Die Hälfte der urbanen Bevölkerung Senegals lebt in Dakar (ANSD 2012). Mehr als 40 % der Bevölkerung Senegals lebt in urbanen Zentren (Bass und Sow 2006:83).

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Der Name Senegals ist mit der Metapher des Fischerbootes verbunden – suñu gal auf Wolof kann mit „unsere Piroge“ übersetzt werden (Neveu Kringel­bach 2013:45). Wissenschaftlich ist diese Etymologie umstritten. Einige Historiker vermuten, dass der Name eher auf Berberbegriffe aus dem heutigen Mauretanien zurückgeht (Kandji 2006). Als Werbeslogan für Touristen wird suñu gal nicht nur innerhalb Senegals beispielsweise als Name für Hotels genutzt, sondern auch viele migrantische Assoziationen und kulturelle Vereinigungen (auch in Berlin) benennen sich nach diesem Wolofausdruck. Der Name ist ein positives Symbol für die senegalesische Kultur und Gesellschaft und der langen Geschichte der Mobilität und Verbindungen quer über den Atlantik. Mit den Bildern von westafrikanischen (meist männlichen) Migranten, die in den typischen senegalesischen Pirogen versuchten, nach Europa (z.B. auf die Kanaren) einzureisen, bekam die Metapher seit Anfang der 2000er Jahre eine negative Bedeutung (vgl. Willems 2008; Poeze 2013). Der Ausdruck suñu gal (unsere Piroge) repräsentiert also unterschiedliche Facetten der Bedeutung von Mobilität und Migration für die Geschichte Senegals. Die vier größten ethnischen Gruppen Senegals stellen die Wolof mit 43 %, Halpulaaren7 mit 24 %, Serer mit 15 % und die Diola mit 4 % der Bevölkerung dar (Bass und Sow 2006:100, Fn 2).8 Trotz ethnischer Unterschiede gibt es kulturelle und religiöse Gemeinsamkeiten, die nicht nur in der urbanen Entwicklung, sondern zum Teil auch in der ‚Wolofisierung‘9 der senegalesischen Gesellschaft begründet liegen (vgl. z.B. Cruise O’Brien 1998; Smith 2010). Zahlreiche Königreiche erstreckten sich auf das Gebiet des präkolonialen Senegals. Eines der ersten war das Ghanareich, das im 8. Jahrhundert seinen Einfluss auf Senegal ausweitete. Im Nordosten Senegals entstanden hieraus 7

8 9

Diese Zahlen stammen vom nationalen Statistikamt. Die Halpulaaren bestehen eigentlich aus zwei verschiedenen ethnischen Gruppen, den Peulh und den Toucouleur, die aber eine gemeinsame Sprache sprechen (Bass und Sow 2006:100, Fn 2).

Neue Schätzungen aus den Jahren 2010/2011 gehen von etwas anderen Zahlen aus: Wolof 38,7 %, Halpulaar 26,5 %, Serer 15 %, Mandinka 4,2 % und Diola 4 % (Central Intelligence Agency 2016). Aktuellere Zahlen liegen nicht vor.

Der komplexe Prozess der Wolofisierung lässt sich bereits kolonial und verstärkt in der postkolonialen und aktuellen Situation Senegals beobachten. Insbesondere die Politik Senghors, die Urbanisierung und Globalisierung sowie die Wolof-sprachige Medienlandschaft und transnationale Mobilität werden für die Dominanz des Wolof verantwortlich gemacht (Meyer 2011a:18 ff.).



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die Königreiche der Tukulor, die später eine wichtige Rolle im TranssaharaHandel mit Salz, Gold und Sklaven spielten. Mit der Konvertierung des Königs von Takrur im 11. Jahrhundert zum Islam begann die Islamisierung der Region (Dilley 2004:91). Der Großteil der Bevölkerung wurde jedoch erst im 19. und 20. Jahrhundert islamisiert. Während der Blütezeit des Malireiches im 13. und 14. Jahrhundert spielte das Gebiet Senegals nur eine marginale Rolle in der Region, erst mit dem Niedergang des Malireiches konnten sich die Reiche der Wolof aus seinem Einfluss befreien. Mit der Ankunft der ersten Europäer 1444 an der Westküste Senegals begannen die engen Handelsbeziehungen der Wolofreiche und deren Aristokratie zunächst mit den Portugiesen, dann mit den Holländern, Engländern und Franzosen. Der sich aus diesen Beziehungen entwickelnde atlantische Sklavenhandel führte zu einer tiefgreifenden Veränderung der politischökonomischen Situation in der Region (Barry 1998). Vor allem die CapVert-Halbinsel und die petite côte (vgl. Karte Dakars) waren seit dem 16. Jahrhundert Orte intensiver Beziehungen und Auseinandersetzungen der Wolofaristokratie mit den um Handelsrouten konkurrierenden Europäern. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts konnte sich Frankreich in diesem Wettstreit zunächst gegen die Niederlande, dann gegen England an der Westküste Senegals durchsetzen. Mit dem Niedergang des Sklavenhandels und dessen Verbot in Frankreich 1848 rückte der Erdnussanbau und -handel ins Zentrum der europäischen Kolonialwirtschaft. Nach der Eroberung der Wolof, Serer und Toucouleur durch Louis Faidherbe machte Frankreich das Gebiet des heutigen Senegal 1864 zu seiner ersten Kolonie (Searing 2003:191 f.). Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war von komplexen Auseinandersetzungen zwischen den europäischen Eroberern, den Wolofreichen und einzelnen senegalesischen Führungspersönlichkeiten geprägt. El Hadj Oumar Tall etwa rief für die Region Fuuta Toro zu antikolonialen Revolten auf. Doch mit der zunehmenden Etablierung der französischen Kolonialmacht wurden bisherige Führungsschichten geschwächt und nach und nach die alten Reiche der Jolof, Bawol, Kajor und Waalo zerstört (Barry 1998:97; Suret-Canale 1988:50). Muslimische Erneuerungsbewegungen erlebten auch durch ihre Gegnerschaft gegenüber etablierten Hierarchien Aufschwung. Der Erfolg dieser Bewegungen wie im Fall der muridischen tarīqa um den charismatischen Führer Cheikh Ahmadou Bamba Mbacké war eng mit ökonomischen Aspekten verknüpft. Ein großer Teil des Erdnussanbaus und -handels wurde (und wird bis heute) durch muridische Netzwerke kontrolliert und bot so

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zahlreichen Anhängern einen Lebensunterhalt und Möglichkeit des globalen Handels (Clover 2009:79 ff.). Die Beziehung zwischen muridischer Führung und Kolonialmacht war jedoch keineswegs einfach. Ahmadou Bamba wurde mehrmals von der französischen Kolonialmacht ins Exil geschickt und konnte so zu einem antikolonialen Symbol stilisiert werden (Cruise O’Brien 1971; vgl. Villalón 1995). Mit dem Ende des 19. Jahrhunderts konsolidierte die französische Kolonialmacht ihren Einfluss in Westafrika und baute mehrere Siedlungen an der Atlantikküste zu Handelszentren aus. An der Cap-Vert-Halbinsel verdrängte sie die dort ansässige Bevölkerungsgruppe der Lebou und baute in der Nähe des seit dem 18. Jahrhundert bestehenden Handelspostens auf der Insel Gorée10 einen Militärhafen. Aus diesem entwickelte sich später Dakar. Die vier Hauptsiedlungen an der Küste, Dakar, Gorée, Saint Loius und Rufisque, wurden 1890 zu den sogenannten communes, die direkt der französischen Regierung unterstanden. Einwohner der communes hatten seit 1848 den Status von Bürgern und waren somit auch in Frankreich wahlberechtigt. Beispielsweise wurde als erster Schwarzer Abgeordneter Senegals 1914 Blaise Diagne in die französische Nationalversammlung gewählt. Der Rest des Landes wurde zum Protektorat ernannt und die Einwohner blieben als sujets rechtlose koloniale Untertanen. Die Bildung einer frankophonen afrikanischen Elite11 war ein Schwerpunkt französischer Kolonialpolitik in Senegal. Diese besondere Rolle der frankophonen senegalesischen Elite und die enge Beziehung zwischen Senegal und Frankreich hielt auch nach der Unabhängigkeit an und wirkt auf die heutige Beziehung der beiden Länder fort. In Folge der Berliner Westafrika-Konferenz (15.11.1894 – 26.02.1895) wurde 1895 die koloniale Föderation Afrique Occidentale Française (AOF)12 10 11

12

Die Insel Gorée (als Weltkulturerbe) ist mit der maison des esclaves zum Symbol für den transatlantischen Sklavenhandel geworden, obwohl die zentrale Bedeutung der Insel für den Sklavenhandel mittlerweile stark angezweifelt wird.

Hier kann nicht auf die komplexe Beziehung des Begriffs Elite mit dem Klassenbegriff eingegangen werden (vgl. dazu ausführlich Lentz 2016). Vor allem ältere ethnologische Studien beziehen sich auf den Begriff der Elite, um damit eine kleine Gruppe gut ausgebildeter Beamte, Missionare und Politiker zu bezeichnen. Im Gegensatz dazu wird in der jüngsten ethnologischen Literatur der Begriff der Mittelklasse und Klassenzugehörigkeit diskutiert (z.B. Melber 2016).

Von 1895 bis 1958 war dies die Bezeichnung für die französischen Kolonien in Westafrika, die Teile des heutigen Senegal, Niger, Mauretanien, Mali, Benin sowie die Elfenbeinküste umfasste.



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mit Saint-Louis als Hauptstadt gegründet. Mit dem Ausbau der Bahnlinien und der Handelsschifffahrt entwickelte sich Dakar zum neuen politischen und ökonomischen Zentrum. Die vorherigen Zentren Saint-Louis und Rufisque verloren dadurch an Bedeutung (Tall 2009:64). Dakar wurde 1902 neue Hauptstadt der AOF, löste allerdings erst 1957 Saint-Louis als Hauptstadt der Kolonie Senegals ab. In mehreren Wellen wurde die in der Hafengegend Dakars ansässige Bevölkerung vertrieben. Die koloniale Administration nutzte den Ausbruch der Beulenpest im Jahr 1915, um den Stadtteil Medina zu erbauen und die vertriebenen Bevölkerungsgruppen dort anzusiedeln (Betts 1971). So entstanden senegalesische Viertel, die von den europäischen Stadtvierteln abgegrenzt waren, etwa von Plateau, dem finanziellen und administrativen Zentrum. Der stete Zuwachs an Bevölkerung durch Einwanderung machte neue Umsiedlung immer wieder notwendig. Zwischen 1950 und 1973 wurden in Dakar umfassende Bauprogramme durch die Agenturen SICAP (Société Immobilière du Cap-Vert) und OHLM (Office des Habitations à Loyer Modéré) umgesetzt. Die SICAP-Gebäude und -Viertel wurden zunächst spezifisch für die koloniale senegalesische Administration und die neue Elite angelegt, sie waren häufig an europäische Vorstellungen der Kleinfamilie angelehnt und boten wenig Raum für die Großfamilie. Später entstanden in Zusammenarbeit mit der Weltbank jedoch auch Projekte, die spezifisch für Geringverdiener entwickelt wurden und aus denen die Stadtteile Grand Yoff und später Parcelles Assainies hervorgingen (Tall 1994). Besonders Bevölkerungsgruppen mit festem Einkommen konnten durch spezielle Hypothekenpläne eigene Häuser erwerben, was laut Tall (2009) zur Etablierung einer urbanen wohlhabenden Schicht beitrug. Arme Bevölkerungsgruppen wurden dadurch aus den Zentren Dakars verdrängt und schon ab 1952 in die neu gegründeten Vororte Pikine und später auch Guédiawaye umgesiedelt.13 Allerdings nahm seit den 1970er Jahren die informelle Bebauung am Rande der staatlich gebauten Viertel zu. Vor allem die Lebou profitierten von diesen informellen Entwicklungen und begannen, ohne staatliche Regulierung die auf Gewohnheitsrecht beruhenden Landtitel zu veräußern. Als ursprüngliche Bewohner der Cap-Vert-Halbinsel konnten die Lebou bis heute einen Sonderstatus mit besonderen Landrechten vor allem in den Stadtvierteln Ngor, Yoff und Ouakam beibehalten.

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Zur Entwicklung der Vororte Pikine und Guédiawaye siehe Kapitel 4 bei Susann Baller (2010).

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Auch in den Diskursen vieler Senegales*innen in Deutschland spielen unsichere Landtitel und die stete Verteuerung von Land und Hausbau in Dakar eine große Rolle. Das Bild Dakars und seiner Vororte ist geprägt von zahlreichen neuen wie älteren Bauprojekten in unterschiedlichen Stadien der Fertigstellung, die von dem Bauboom der letzten Jahre zeugen. Verschiedene Autoren fokussieren die Bedeutung von im Ausland lebenden Senegales*innen für diese Bauprojekte (Melly 2010; Tall 1994, 2009). Diese Häuser sind ein wichtiges Zeichen für den Erfolg von Migrant*innen, außerdem stehen diese neueren Hausbauprojekte für aktive und dauerhafte Verbindungen der Senegales*innen im Ausland zu ihren Familien und Freunde in Dakar (Melly 2010:47). Auch Senegales*innen in Berlin nehmen auf vielfältige Weise in diesen Hausbauprojekten teil. Durch frühere Lebensphasen in Dakar haben sie einen Bezug zu einzelnen Vierteln (Liberté 6, Point E und Ouakam, Pikine und Guédiawaye), der durch den (geplanten) Erwerb von Baugrund und unterschiedliche Phasen des Hausbaus verstärkt und neu gestaltet wird. Ökonomische und politische Entwicklungen seit der Unabhängigkeit Der berühmte Dichter und Politiker Léopold Sédar Senghor führte Senegal 1960 als erster Präsident in die Unabhängigkeit. Als führende Figur der négritude14-Bewegung setzte er sich für eine Neudefinition des „AfrikanischSeins“ ein. Er etablierte ein lebendiges Kultursystem, ‚kultureller Nationalismus‘ war ein wichtiger Teil seiner Politik (Harney 2004). Auf der ökonomischen und politischen Ebene jedoch führte die négritude-Bewegung und Senghors Regierung unter der Partei Parti Socialiste (Sozialistische Partei) zu wenig Wandel und blieb mit der ehemaligen Kolonialmacht eng verbunden. Die Wirtschaft änderte sich kaum; trotz einiger Versuche, Phosphat- und Fischexporte zu unterstützen, blieb der Fokus auf Erdnussanbau und -export und der Import von Konsumgütern aus Frankreich bestehen. In der Politik herrschte Starre: Während der 20 Regierungsjahre Senghors blieb Senegal quasi ein Einparteienstaat. Mit seinem Rücktritt 1981 ernannte Senghor ­Abdou Diouf zu seinem Nachfolger. Trotzdem galt Senegal während dieser Zeit als stabile Demokratie. Diouf, der 1983 und 1988 mit überragender Mehr14

Der Begriff wurde im Zuge der Dekolonialisierung in den 1930er Jahren von Aimé Césaire, einem engen Freund Senghors, eingeführt und bezeichnet eine literarisch-philosophische Bewegung gegen französische Kolonialisierung und Rassismus.



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heit im Amt bestätigt wurde, führte das Mehrparteiensystem ein und bezog religiöse Führer als Vermittler zwischen Stadt und Land in die Politik ein, was einige Autoren für die Stabilität der Demokratie in Senegal anführten (Cruise O’Brien 1996; Villalón 1995). Mit dem sinkenden Preis für Erdnüsse auf dem Weltmarkt Ende der 1960er Jahre, der Erdölkrise und der globalen Rezession geriet die senegalesische Wirtschaft unter Druck. Die Landwirtschaft litt zudem während der 1970er Jahre an langanhaltenden Dürren und Bodenerosion. Dies löste eine bis heute anhaltende Migration der ruralen Bevölkerung vor allem nach Dakar aus. Die Regierung Abdou Dioufs geriet in eine Schuldenspirale und ließ sich auf Strukturanpassungsmaßnahmen im Austausch für Kredite und Förderung durch die Weltbank und IWF ein, um kurzfristig die Löhne für die aufgeblasene Administration und die Subventionierung von Lebensmittel zu bezahlen. Die seit 1981 in Gang gesetzten Strukturanpassungsmaßnahmen führten zu massiven Einsparungen und Kostendämmungen im Gesundheitswesen, in der Bildung und in der Administration (Diagne 2004). Dies waren die Sektoren mit stabilen Einkommensmöglichkeiten und führten gerade bei einer aufstrebenden städtischen Mittelschicht zu erheblichen Einschränkungen und Armut. Durch den Wegfall von Subventionen verteuerten sich Grundnahrungsmittel und Gas erheblich, was gerade die ärmere urbane Bevölkerung traf (Antoine u.a. 1995; Sommerville 1997:31). Die Regierung zog sich aus vielen Bereichen zurück, im Rahmen dieser zunehmenden Privatisierung wurden große Teile der nationalen Telekommunikations-, Wasser-, und Elektrizitätsbetriebe an internationale Korporationen vor allem aus Frankreich verkauft (Diagne 2004:76 ff). Mit der Entwertung des FCFA15 um 50 % bezweckten die Länder der Währungszone 1994 zwar, die Schuldenlast zu erleichtern, für die Bevölkerung allerdings bedeutete dies, dass ihre Kaufkraft noch weiter eingeschränkt wurde. Hinzu kamen der CasamanceKonflikt und Autonomiebestrebungen im Süden des Landes, die seit 1982 in militärische Auseinandersetzungen zwischen diversen Rebellengruppen und der Regierung Senegals mündeten und bis heute andauern. Aufgrund der wachsenden Unzufriedenheit vor allem der jungen Bevölkerung formierte sich seit Ende der 1980er Jahre die Jugendbewegung

15

Der Franc de la Communauté Financière d’Afrique (FCFA) ist die Währung der Westafrikanischen Währungsunion (UEMOA), der die Länder Benin, Burkina Faso, Elfenbeinküste, Guinea-Bissau, Mali, Niger, Senegal und Togo angehören.

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Bul Faale.16 Abdoulaye Wade, der langjährige Oppositionelle und Gründer des Parti Démocratique Sénégalais (Demokratische Partei Senegals), konnte mit der Unterstützung der sopi-Bewegung17 die Wahlen gewinnen und den Regierungswechsel im Jahr 2000 herbeiführen. Doch enttäuschte der neue Präsident die Bevölkerung aufgrund weiter steigender Preise für Grundnahrungsmittel. Sein autoritärer Regierungsstil, umstrittene und teure Bauten wie der des Denkmals Monument de la Renaissance Africaine, aber auch der Fokus seiner Politik auf die Entwicklung Dakars unter Vernachlässigung der ländlichen Regionen verstärkte diese Unzufriedenheit. Abdoulaye Wade gelang zwar seine Wiederwahl 2007, doch als er versuchte, seine Macht dauerhaft auf seinen Sohn zu übertragen und selbst ein drittes Mal zu kandidieren, formierte sich Widerstand in der Bevölkerung (Hartmann 2014). Dies führte zur Gründung der Oppositionsbewegung M23. Die Bemühungen des Oppositionsbündnisses Bennoo Siggil Senegal (vereint um den Senegal zu stärken), einen Einheitskandidaten aufzustellen, scheiterten. Erneut war es vor allem die junge Generation, die mit der Bewegung Y’en a Mar (wir haben es satt!) und weitreichenden Protesten im Vorfeld der Wahlen erheblich zur Abwahl Wades beitrugen. Im zweiten Wahlgang setzte sich der ehemalige Premierminister Macky Sall mit deutlicher Mehrheit durch und führt im Amt des Präsidenten seit 2012 und auch nach der Wiederwahl im Februar 2019 die Regierung Senegals. Macky Sall führte eine flächendeckende Gesundheitsversorgung ein, sorgte für Vergünstigung der Grundnahrungsmittel wie Reis und die Senkung von Mieten. Ein besonderes Anliegen war es ihm, die Korruptionsfälle und Veruntreuung der ehemaligen Regierung unter Präsident Abdoulaye Wade aufzudecken und strafrechtlich zu verfolgen. Besondere Aufmerksamkeit ziehen die Ermittlungen und der Prozess gegen Karim Wade, den Sohn des ehemaligen Präsidenten, auf sich. Viele sehen die mediale Aufbereitung der Korruptionsfälle jedoch als erfolgreiches Ablenkungsmanöver, um von den tatsächlichen Problemen, der schwachen Wirtschaft und den fehlenden 16

17

Bul Faale (Wolof, Jugendsprache) wird häufig mit ‚lass es sein‘ oder ‚keine Sorge‘ übersetzt (Havard 2005:27, Fn 3). Eine eingehende Analyse der Generation Bul Faale liefert Jean-François Havard in seiner Dissertation und weiteren Publikationen, in denen er unter anderem die zunehmende Individualisierung für die größere Autonomie und das politische Engagement innerhalb der jüngeren Generation verantwortlich macht (Havard 2001, 2005). Sopi wird meist mit Hoffnung, in diesem Kontext auch mit Veränderung übersetzt.



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Arbeitsplätzen, abzulenken. Die zunehmende Unzufriedenheit der städtischen Bevölkerung zeigte sich auch in den Kommunalwahlen am 28. Juni 2014, bei denen die Regierungskoalition vor allem in den urbanen Zentren starke Einbußen hinnehmen musste. Besonders schwer trifft die schwierige wirtschaftliche Lage vor allem die Haushalte, die nicht auf Geldüberweisungen der Senegales*innen im Ausland setzen können. In der Literatur wird hier oftmals von einer wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich und einer zunehmenden Verarmung der Mittelklasse18 gesprochen (Neveu Kringelbach 2013:65 ff). Für viele Familien, die auf die finanziellen Zuwendungen der Senegales*innen aus dem Ausland angewiesen sind, spitzt sich seit der Weltwirtschaftskrise 2007 und der Abnahme von Verdienstmöglichkeiten für Senegales*innen in Spanien, Frankreich und Italien die Lage zu. Das Versagen der senegalesischen Regierungen bei der Stabilisierung der Wirtschaft und der Schaffung von Arbeitsplätzen wird dabei deutlich. Die seit mindestens 20 Jahren anhaltende Krise führte dazu, dass junge wie ältere Menschen immer wieder eine große Bereitschaft zeigen, das Land zu verlassen und in Europa und den USA, zunehmend auch in den Arabischen Emiraten und Südafrika sowie in China und Lateinamerika, eine neue Lebensgrundlage zu suchen.

3.1.2 Infrastruktur der Mediennutzung in Dakar Am 27. Mai 2013 titelte der Online-Nachrichtendienst Leral: „[...] bienvenue au premier Tablette Café au monde“. Im Stadtteil Médina hatte ein Internetcafé seine alten Desktop-Computer mit der finanziellen Unterstützung Google Africas komplett durch Tablets ersetzt (o. V. 2013). Google begründete in einem Blogeintrag das Engagement in Dakar damit, dass Tablets leichter zu bedienen und zudem stromsparender seien. Damit wollte Google unter Berücksichtigung des Energieversorgungsproblems und der teilweise langanhaltenden Stromausfälle neue Nutzer*innen in Dakar erreichen (Grouet 2013). Diese Beiträge sprechen wichtige Aspekte der Informations- und Telekommunikationsindustrie in Senegal an. Zunächst wird die Vorreiterrolle Senegals im Bereich der Internetnutzung in Westafrika und die Netzabdeckung in Dakar deutlich. Im Zentrum der Stadt und den Vierteln in der Nähe 18

Zur Auseinandersetzung um den Begriff der Mittelklasse in Afrika vergleiche den Band von Melber (2016).

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des Plateaus ist die Dichte der Internetcafés sehr hoch, diese Läden sind technisch relativ gut ausgestattet. Gleichzeitig sind aber zwei Problemfelder angesprochen: Einerseits ist bei der Nutzung sozialer Medien die ärmere und rurale senegalesische Bevölkerung unterrepräsentiert, andererseits bestehen infrastrukturelle Mängel beispielsweise in der Energieversorgung Dakars. Vor allem die ärmere Bevölkerung in den Vororten Dakars kann sich häufig nicht einmal den Weg zu diesem Tablet-Café leisten und muss, wenn überhaupt, mit den herkömmlichen Internetcafés in den Vororten vorlieb nehmen. Die Diskrepanz zwischen der Verbreitung der Internetcafés und des mobilen Internets und den Zugangsbeschränkungen für ärmere Bevölkerungsschichten wird in diesem Unterkapitel mit Blick auf die historischen Entwicklungen skizziert. Senegal verfügt im regionalen Vergleich über eine herausragende Telekommunikationsinfrastruktur.19 Dies liegt im Boom der internetbezogenen Aktivitäten und Services sowie in der hohen Verbreitung von Mobiltelefonen in Dakar und den urbanen Zentren begründet. Schon im Jahr 2006 lebten etwa 85 % der Bevölkerung Senegals in Gebieten, die mit Mobilfunknetzen versorgt waren (Kane 2010:16). Auch die Zahlen der Mobiltelefoninhaber stiegen deutlich von 1,5 Millionen im Jahr 2005 auf 13,3 Millionen in 2012 an. Hingegen waren in 2012 nur 338.200 Festnetzanschlüsse im Land registriert (U.S. Central Intelligence Agency 2014). Der steigende Trend bei Mobiltelefonen ist weiterhin anhaltend, mittlerweile macht der Telekommunikationssektor etwa 11 % des Bruttoinlandproduktes aus. Die derzeit wichtigsten Mobiltelefonanbieter Orange, Tigo und Expresso20 teilen sich den lukrativen Markt auf. Mit einem Minimum von 1.000 FCFA (1,50 €) kann man von den zahlreichen Straßenverkäufern in Dakar Guthaben für die Prepaidkarten erwerben. Angesichts der anhaltenden Krise und kurzfristiger finanzieller Engpässe können viele Bewohner vor allem der Vororte Dakars und in ruralen Gegenden diesen Betrag nicht regelmäßig aufbringen. Deshalb gibt es die Mög19 20

Dies spiegelt sich im öffentlichen Diskurs in Senegal und wird zudem in vielen wissenschaftlichen Arbeiten beschrieben: Afemann 2004; Kane 2010; Palmieri 2011; Sagna 2000, 2012.

Orange gehört zur senegalesischen Sonatel-Gruppe. Sonatel wurde 1997 privatisiert und mit einem Anteil von 42,33 % an die France Télécom verkauft. Tigo ist eine Marke der 1990 gegründeten luxemburgischen Unternehmensgruppe Millicon. Expresso gehört zur sudanesischen Telekommunikationsfirma Sudatel, die zu 40 % an private Investoren verkauft wurde.



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lichkeit, kleinere Beträge in den Boutiquen, Télécentres und Internetcafés zu erwerben – seddo, wie dies auf Wolof genannt wird, bedeutet teilen. Hierdurch ist es möglich, Kleinstbeträge bis zu 100 FCFA zu erwerben (Sow und Alissoutin 2009:320). Zudem können auch Kleinstbeträge von einer Karte auf eine andere Karte übertragen werden. Insbesondere Kurzmitteilungen und kurze Gespräche sind sehr beliebt (Lexander 2011a, 2011b). In vielen Arbeiten werden gerade die kreativen Aneignungsstrategien des beeping/ missed call – im Sinne von ‚anklingeln‘ ohne zu telefonieren – hervorgehoben (Frei 2013:240; vgl. auch Donner 2007). In Dakar konnte ich vielfältige Praktiken des beepe-ma (wörtlich: klingel mich an) beobachten. Das ‚Anklingeln‘ kann eine Aufforderung zum Rückruf sein, wenn die finanziellen Möglichkeiten einer Person eingeschränkt sind, es kann allerdings auch für andere vorab definierte Kommunikationsinhalte stehen wie „ich denke an Dich“, „ich habe jetzt Zeit“ oder „bin verfügbar“. Der Telekommunikationsboom setzte in Senegal schon seit Mitte der 1990er Jahre ein, was in Westafrika relativ früh war. Im Zuge der Strukturanpassungsmaßnahmen wurde der Weg für die Privatisierung durch die Gründung der staatlich kontrollierten Telekommunikationsgesellschaft Sonatel im Jahr 1985 geebnet. Zunächst wurde diese zentralisierte Organisation mit einem Monopol als staatliches Instrument genutzt (Kane 2010:112). Erst mit der Teilprivatisierung 1997 unter Einbeziehung des strategischen Partners France Télécom mit 30 % wurde gleichzeitig der Markt der Telekommunikation liberalisiert.21 Endgültig umgesetzt wurde diese Liberalisierung 2009, als mit der Zulassung eines weiteren Anbieters (Sudatel) das Monopol von Sonatel gebrochen wurde (Kane 2010:113). Im Jahr 1996 wurde Senegal mit der Domain .sn durch das Abkommen zwischen dem Anbieter Sonatel und der amerikanischen Firma MCI (mittlerweile Cable & Wireless) offiziell an das Internet angeschlossen. Die Bandbreite konnte 1997 durch eine Vereinbarung mit Intelsat und der Verbindung nach Kanada verdreifacht werden. Als erster Internetanbieter trat danach Télécom-Plus als Tochtergesellschaft der Sonatel auf (Sagna 2000:15). Bereits 1992 eröffnete der erste Télécentre in Dakar mit einem Serviceangebot, das vor allem auf Telefonieren und Fotokopieren ausgerichtet war; 2006 gab es bereits über 25.000 solcher Läden, die mittlerweile auch Internet- und Computernutzung anboten. Das erste Internetcafé Métissacana 21

Bis heute hält der senegalesische Staat einen Anteil von 28 % an Sonatel, demgegenüber steht der Anteil von 42 % der France Télécom (Kane 2010:133).

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wurde 1996 in der Innenstadt Dakars eröffnet (Sagna 2000:43). Mit der Verbreitung der Mobiltelefone nahm die Anzahl von Internetcafés insgesamt jedoch ab (Sagna 2012:78). Einige Beobachter sehen die positiven Entwicklungen in der Telekommunikationsbranche kritisch und verweisen auf eine zunehmende Stagnation der Verbreitung und Schnelligkeit des Internets (Gross 2012). Hier wird einerseits auf die Kluft zwischen ruralen und urbanen Möglichkeiten aufgrund der fehlenden Infrastrukturen hingewiesen, andererseits auf die immer noch zu hohen Kosten für Internetanschlüsse und mobiles Internet für einen Großteil der Bevölkerung. Mit dem Seekabelprojekt Africa-to-Europa für schnelleren Datenaustausch zwischen Frankreich und Senegal und 23 weiteren Ländern an der westafrikanischen Küste, dessen erster Abschnitt im Dezember 2012 eröffnete, erhofft man sich durch die schnellere Verbindung auch einen Boom im Bereich des mobilen Internets, der bisher aber nicht in dem erwarteten Ausmaß eingetreten ist. Deutlich wird bei der Betrachtung der Verbreitung der Internetcafés und Télécentres, dass diese vor allem in Dakar und den urbanen Zentren verbreitet sind und weniger in den abgelegenen ländlichen Regionen (Sagna 2012:78). Dies hängt nicht nur mit den hohen Kosten für Computer und Internetanschlüsse zusammen, sondern auch mit der geringen Elektrifizierung in den ruralen und abgelegenen Gegenden, wo Stromnetze vor allem entlang der Hauptverkehrsrouten verlaufen. Selbst in Dakar gelingt es der 1999 teilprivatisierten Elektrizitätsgesellschaft SENELEC nicht, für konstante Stromversorgung zu sorgen – immer wieder kommt es zu tage- und teilweise auch wochenlangen Stromausfällen, in denen der Bevölkerung je nach Wohnviertel nur stundenweise am Tag Strom zur Verfügung steht. Angesichts des geringen Lebensstandards und der hohen Kosten für Computer und Internetverbindungen konnten es sich zum Zeitpunkt der Forschung nur wenige Haushalte und Personen leisten, einen eigenen Internetanschluss (über die Festnetztelefonverbindung) im Haus installieren zu lassen. Haushalte mit Computer und Internetverbindungen decken diese Kosten meist durch die finanziellen Rückführungen von im Ausland lebenden Familienmitgliedern. An festen Internetanschlüssen sind materiell besser gestellte Haushalte gut zu erkennen. Der Großteil der Bevölkerung ist auf die öffentlichen Möglichkeiten angewiesen. In den Internetcafés in den Vororten Dakars können Computer mit Internetanschluss üblicherweise für unter 300 FCFA pro Stunde (~50 Eurocent) gemietet werden. Und es ist vor allem die junge Bevölkerung der unter 30-Jährigen, die in diesen Internet-



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Abbildung 14: Google-Werbetafel in Dakar

cafés anzutreffen ist. Einige der Internetcafés auch in den Vororten bieten mittlerweile standardmäßig Kopfhörer und Kameras als Teil der Ausstattung an und richten sich damit vor allem an die migrantische Bevölkerung aus anderen afrikanischen Ländern. Soziale Onlinenetzwerke erfreuen sich in den letzten Jahren zunehmender Beliebtheit, allen voran Facebook. Dieser Internetdienst meldete im Februar 2014, dass er bereits über eine Million Nutzer in Senegal hatte (o. V. 2014b).22 Neben Facebook werden auch Dienste von 22

Facebook hat mittlerweile den Zugang zu Nutzerzahlen und statistischen Daten unterbunden. Zuletzt hat das Social Media Marketingunternehmen allfacebook (Facebook Nutzerzahlen 2013) am 15.06.2013 für Senegal 750.000 Facebook­ nutzer und damit den 95. Platz weltweit festgestellt. Diese Zahlen beachten allerdings nicht, dass Nutzer mehrere Konten haben können oder auch mehrere Personen sich ein Konto teilen.

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Yahoo vor allem zum Chatten und zur Information, YouTube und senegalesische Informationswebseiten wie Xalima.sn genutzt. Senegales*innen im Ausland besuchen am häufigsten Pressezusammenfassungen und Informationsdienste wie Seneweb.sn, rewmi.sn und leral.net (Tandian 2009:278). Wie in der eingangs beschriebenen Nachricht zum Tablet-Café deutlich wurde, versuchen sich internationale Konzerne wie Google stärker in Senegal und Westafrika zu engagieren. Dies wird nicht nur durch Investitionen in Tablets, Forschungsaufträge und Blogplattformen von Google deutlich, sondern auch in den weitverbreiteten Werbetafeln im Straßenbild der Stadt (Abbildung 14). Neuere Entwicklungen des mobilen Internets für Smartphones bleiben bisher hinter den Erwartungen zurück, wie eine von Google beauftragte Studie zur Verbreitung der Breitbandinternets herausstellte (Gross 2012). Die senegalesische Behörde für die Regulation der Post und Telekommunikation (Autorité de Régulation des Télécommunications et des Postes, ARTP) stellte in ihrem Vierteljahresbericht im Oktober 2014 fest, dass über 14.351.000 Mobiltelefonnummern in Senegal registriert waren. Von den 6,6 Millionen Internetanschlüssen wurden über 93 % über mobile Geräte (Internet-Sticks, 2,5G/3G) genutzt (ARTP 2014:3 f.). Diese Zahlen besagen aber nicht viel über die tatsächliche Nutzung dieser Internetverbindungen. Es sind vor allem jüngere Menschen, die mobile Internetangebote annehmen und zunächst die kostenfreien Dienste nutzen, die sich größter Beliebtheit erfreuen. Viele der Internetnutzer*innen haben mehrere SIM-Karten der unterschiedlichen Anbieter, um je nach Angebot und Dienst, der gerade benötigt wird, die kostengünstigste Möglichkeit nutzen zu können. Anbieter wie Orange boten 2012 und 2013 beispielsweise die textbasierte Facebooknutzung auf Smartphones kostenlos an, die einfach per SMS aktiviert werden konnte. Andere Anbieter wie Expresso spezialisierten sich auf kostenfreie Nachrichten über Sportergebnisse. Mittlerweile nimmt auch die Nutzung von Netbooks und Tablets bei der wohlhabenderen Bevölkerung Dakars zu. Es sind wiederum vor allem Personen und Haushalte, die enge Verbindungen zu Senegales*innen im Ausland pflegen, die teure Geräte wie iPads besitzen. Erst langsam setzen sich in Dakar kostengünstige Angebote für das mobile Internet durch und ersetzen teilweise die Angebote der Internetcafés.



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3.1.3 Urbanisierung und Stadtteilgeschichte am Beispiel des Viertels Cité Avion C’est la zone ou on trouve plus le Sénégal en miniature, le Sénégal dans sa diversité culturelle. (Sada Thiam über die Cité Avion, 09.03.2012)

Die Cité Avion in Ouakam verdankt ihren Namen der Nähe zu Dakars ehemaligem internationalen Flughafen Leopold Sedar Sénghor.23 Der Stadtteil grenzt unmittelbar an die Rollbahnen des alten Flughafens. Die meisten Bewohner des Viertels haben den Flughafen noch nie von innen gesehen und kaum Chancen auf ein Visum für die begehrten Ziele in Europa oder den USA. Viele meiner Gesprächspartner*innen bezeichneten das Viertel als Wildnis (brousse), wenn sie über die Anfänge der 1990er Jahre sprachen. Durch die Entstehung und Legalisierung des Viertels in der zentrale Lage zwischen Flughafen, Meer und dem reicheren Stadtteil Mermoz hat sich die Cité Avion in den letzten zwei Jahrzehnten dramatisch verändert. Mittlerweile ist das Viertel zu einer „Miniatur“, einem Mikrokosmos senegalesischen Lebens und seiner Vielfalt geworden, wie Sada Thiam, der erste Hausbesitzer und einer von drei chefs de quartier, mir gegenüber betonte. Nicht selten waren es senegalesische Migrant*innen vor allem aus Frankreich, Italien oder Deutschland, die in das zunächst wenig begehrte Bauland investierten. Die ersten Häuser wurden 1993 und 1995 von den aus Frankreich zurückgekehrten Migranten Sada Thiam und Alassan Diatta fertig gestellt. Wasser mussten die beiden zunächst von Pferdekarren anliefern oder, um Kosten zu sparen, von der Ehefrau Alassans vom Brunnen ins Haus tragen lassen. Strom gab es nur aus illegalen und teilweise gefährlichen Leitungen für einige Stunden am Tag. Um die Entwicklung im Viertel zu verbessern, begründete Sada Thiam 1993 die Association pour le développement de Tuba Oukam, Cité Avion. Es handelt sich um eine Vereinigung von Hausbesitzern des Viertels, unabhängig davon, ob sie selbst im Viertel wohnen oder nicht. Einige dieser Hausbesitzer leben auch in Deutschland. 23

Der neue internationale Flughafen Dakar-Blaise Diagne liegt 45 Kilometer südöstlich von Dakar und hat mit seiner Eröffnung im Dezember 2017 den Flughafen Leopold Sedar Sénghor abgelöst.

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Die Vereinigung setzte sich für die Durchsetzung des titre foncier ein,24 des offiziellen Landtitels, sowie für die Anerkennung der Pachtverträge, wie sie die meisten Hausbesitzer des Viertels innehatten. Zunächst musste sich das Viertel und die Vereinigung jedoch gegen die Luftsicherheitsbehörde ASEGNA (L’Agence pour la sécurité de la navigation aérienne en Afrique et à Madagascar) und deren Sicherheitsbedenken für den Schutz der Piloten und die Erweiterung der Rollbahnen durchsetzen. Aus Sicherheitsgründen drohte die ASEGNA immer wieder mit dem Abriss von Häusern und Bauten – erst nach langwierigen Auseinandersetzungen erlangten die Bewohner 1995 das offizielle Recht auf die Bebauung des Gebietes. Vor allem ältere Männer besetzen seit der Gründung des Viertels lokale administrative Führungspositionen. Sie sind in wichtige Entscheidungen und infrastrukturelle Entwicklungen des Viertels eingebunden. Jüngere und ältere Frauen, mit denen ich sprach, verwiesen mich immer wieder darauf, dass ich mit ihren Vätern und Ehemännern über das Viertel sprechen sollte. Die Frauen erinnerten sich vor allem an den beschwerlichen Alltag, den Haushalt und die Versorgung der Kinder und erwähnten immer die große Unterstützung durch enge und weitere Familienangehörige, Freund*innen und Nachbar*innen. Viele Frauen sahen sich stärker für die sozialen Kontakte und die „Arbeit der Frauen“ (vgl. Buggenhagen 2012b) verantwortlich. Vor allem die drei chefs de quartier gründen ihre Autorität auf ihre genauen Kenntnisse über das Viertel und auf den Besitz von Dokumenten. Damit legitimieren sie nicht nur ihren Einfluss gegenüber den Einwohnern, sondern auch gegenüber anderen Führungspersonen innerhalb Ouakams, insbesondere der Lebou-Bevölkerung. Jeder chef de quartier ist für eine oder zwei der fünf Zonen des Viertels verantwortlich.25 Die Einteilung der Zonen 24

25

In Senegal gibt es vier Arten von Landbesitzrechten. Der titre foncier stellt den Besitz sicher und zieht jährliche Steuern nach sich. Die wenigsten Hausbesitzer besitzen diese Form des Titels. Häufiger ist der Bail Domain National (BDN), ein Pachtvertrag über 99 Jahre, der es erlaubt, ein Haus zu bauen. Der Bail sur le Domain Public Maritime erstreckt sich auf die Gebiete, die 100 Meter vom Meer entfernt liegen und ebenfalls gepachtet werden können. Als vierte Option gibt es den Bail Sapco (BS), der für die Entwicklung der Petite-Côte entwickelt wurde und eine Pachtzeit von 32 Jahren vorsieht. Vgl. auch Kapitel 3.2.1 und 7.5.2.

Für die Zone A war der erste und älteste Vertreter, Madou Diatta, zuständig. Die Zonen B1 und B2 übernahm der ehemalige Militär Moussa Koné nach seiner Pensionierung und die Zone C wurde von einem weiteren Hausbesitzer der ersten Stunde, Alioune Diagne, verwaltet. Ihre Aufgaben sehen die Vertreter vor allem in einer Vermittlerrolle zwischen der Administration der Kommune



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basiert auf den Erschließungs- und Bebauungsplänen des Gebietes. Mahmadou Diatta, der erste und älteste chef de quartier, verwies bei meinen Besuchen immer wieder stolz auf die wichtigen handschriftlich ergänzten Pläne und machte mir die Bedeutung dieser Dokumente gegenüber anderen Autoritäten wie den djaraf26der Lebou-Bevölkerung und der Durchsetzung der titres fonciers deutlich. In vielen Gesprächen in Dakar und Berlin wurde immer wieder von der Sonderstellung der Lebou-Bevölkerung gesprochen. Obwohl die Lebou-Bevölkerung in den meisten Fällen kein Land mehr besitzt, nehmen sie als ursprüngliche Bevölkerung Dakars in der Vorstellung der meisten Bewohner der Stadt eine besondere Stellung ein. Bis heute besitzen sie trotz ihrer geringen Zahl einen besonderen politischen und symbolischen Einfluss in der Stadt, der durch eigene Vertreter und Führungspersönlichkeiten deutlich wird (vgl. Neveu Kringelbach 2013:65). Meine Gesprächspartner*innen betonten immer wieder, dass das besondere Ansehen der Lebou-Bevölkerung, durch Bräuche und Traditionen legitimiert, nicht auf die Bevölkerung der Cité Avion ausgeweitert werden könne. Viele Einwohner des Viertels sehen aktuell die fehlende Kanalisation und Abwasserklärung sowie den Mangel an Grundschulen und einer fehlenden Gesundheitsstation als größtes Problem des Viertels. Nur wenige merkten an – und hier waren es vor allem Frauen –, dass dem Viertel ein Markt fehle, da der einzige Markt auf der anderen Seite Ouakams liege. Der langsame und schleppende Aufbau der Infrastrukturen wie Wasser, Straßen, Elektrizität oder Abfallentsorgung ist durchaus mit anderen jungen Vierteln auch in den weitaus ärmeren Vororten wie Guédiawaye oder Pikine vergleichbar. Außergewöhnlich ist der besondere Status der Landtitel der Lebou, doch heißt das nicht, dass nicht auch in anderen Vierteln informelle Bebauung um Anerkennung als Viertel kämpft.

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Ouakam und dem Stadtviertel. Sie vermitteln auch bei Problemen im Viertel zwischen Ehepartnern und Kindern, aber auch Hausbesitzern und Mietern, um nicht (immer) Polizei oder Gericht involvieren zu müssen.

In Medienberichten findet sich häufig die Schreibweise jaraaf. Im Französischen wird der Begriff mit chef coutumier übersetzt. Diese Übersetzung trifft nicht die Komplexität der Aufgaben und Funktionen. Der djaraf ist üblicherweise für Agrikultur und Finanzen zuständig und arbeitet dem Ndeye ji Rew, einer Art Premierminister der Lebou-Bevölkerung, zu (Lilyan 1993:637).

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In den letzten zehn Jahren hat sich die Cité Avion durch die besondere zentrale Lage und die diversen Bauprojekte stark verändert und hebt sich von anderen Wohngebieten ab. Das Viertel ist für wohlhabendere Se­ne­ga­ les*innen aus dem Ausland sowie für Europäer*innen attraktiv geworden. In der Mitte (ci bir, im Bauch) wohnen noch viele alteingesessene Familien, doch an den Rändern gibt es Neubauten von Investoren und reichen Senegales*innen aus dem Ausland.

3.2 Nur Verwandtschaft und Familie? Soziale Beziehung in Senegal Verwandtschaft, Familie und non-kin groups in Senegal wurden in unterschiedlichen Disziplinen an der Schnittstelle der Ethnologie der Verwandtschaft, Demografieforschung und Soziologie untersucht. Dieses Unterkapitel fokussiert auf die für diese Arbeit relevanten Dimensionen und Verzahnungen von Geschlecht, Generationen, nicht-verwandtschaftlichen und verwandtschaftlichen Beziehungen in Senegal. Wie bereits in der Einleitung ausgeführt, nutze ich in dieser Arbeit soziale Beziehungen in Anlehnung an Max Weber als flexible Begrifflichkeit, um unterschiedliche Arten von Beziehungen wie Freundschaften, Paarbeziehungen oder verwandtschaftliche Beziehungen fassen zu können. Unter Verwandtschaft verstehe ich davon abgegrenzt den Prozess des „Verwandt-Machens“ (kinning) (vgl. Carsten 2000; Franklin und McKinnon 2002; Carsten 2010). Verwandtschaft wird damit nicht vordergründig als strukturierendes Ordnungsprinzip oder universelle Idee verstanden, sondern der Fokus wird auf alltägliche Praktiken gelegt. Mich interessiert, wie in alltäglichen transnationalen sozialen Praktiken Verbindungen mit Bezug zu einer genealogischen Abstammung bzw. Deszendenz oder Filiation und Heirat hergestellt wird (vgl. Alber u.a. 2010) und wie mit Verpflichtungen, Erwartungen und gegenseitiger Sorge umgegangen wird. Der Begriff Familie wird in der Soziologie und in der Transnationalismusforschung häufig nicht klar definiert und ergänzend zu Verwandtschaft genutzt. In dieser Arbeit nutze ich Familie einerseits, um über eine grundlegende soziale und ökonomische Einheit zu sprechen (vgl. Goody 2000), anderseits um Erwartungen und Verpflichtungen zu verdeutlichen, die an bestimmte Beziehungen gekoppelt sind.



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3.2.1 Die Produktion ethnografischen Wissens: Von der ‚Gleichheit‘ der Geschlechter zu patriarchalen familiären Strukturen Der französische Ethnologe und Soziologe Louis-Vincent Thomas (1922– 1994) definiert die senegalesische Familie als: „[...] l’ensemble des personnes issues d’un ancêtre commun connu, rassemblées en un même lieu – généralement la concession –, soumises au même, le plus âgé de la génération ainée (père ou oncle utérin), responsable de la vie économique (il est gestionnaire des biens collectifs), de l’équilibre politique (il détient l’autorité et règle les conflits) et, en milieu animiste, du culte voué aux puissances telluriques ou aux mânes ancestraux dont il est le prêtre.“ (Thomas 1968:1005)27

Familie wird hier als die Basis sozialer Ordnung für alle ethnische Gruppen Senegals verstanden, obwohl Thomas vor allem die Diola28 der Casamance in seiner Dissertation untersuchte (Thomas 1959). Die funktionalistische Beschreibung der sozialen Ordnung, die sich auf einen gemeinsamen Ahnen, einen gemeinsamen Ort und die ältere männliche Generation bezieht, lässt die Handlungsspielräume einzelner Akteure außer Acht. Begriffe aus einem anderen historischen und kulturellen Kontext werden genutzt, um die hierarchischen familiären und religiösen Beziehungen in senegalesischen Familien darzustellen; dabei verwirren sie mehr, als sie zur Klärung beitragen. In dieser Studie wie auch in anderen Arbeiten zu Senegal bis in die 1980er Jahre (z.B. auch Diop 1985) werden historische Entwicklungen zwischen den Polen der ‚Tradition‘ und dem ethnografischen Präsens konstruiert, ohne die komplexen kolonialen und post-kolonialen Verflechtungen aufzuzeigen. Nicht-verwandtschaftliche Gruppen stehen weniger im Fokus der Untersuchungen, da ihnen nur in spezifischen Kontexten, beispielsweise im Klientelismus, eine ausreichend strukturierende Ordnungskraft zuerkannt wird. 27 Mit mânes = die Manen wurden verstorbene Vorfahren oder gute Geister vor allem in der römischen Kaiserzeit bezeichnet. Der Begriff prêtre kann einerseits als Priester übersetzt werden, im römischen Sinne als Prätor bezeichnet dies auch einen Anführer oder Vorgesetzten. Während der Königszeit und der römischen Republik waren dies Beamte, die das höchste Amt nach dem König bzw. dem Konsul innehatten. In Thomas’ Zitat wird nicht klar, in welchem Sinn er diese Begriffe nutzt und warum er nicht wie beispielsweise Diop (1985) emische Kategorien und Zuschreibungen erläutert. 28

Je nach Transliteration kommen häufig auch folgende Schreibweisen vor: ­Djola, Jola, Jóola.

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Trotzdem sind diese Ethnografien Grundlagen und Bezugspunkte vieler aktueller ethnologischer Arbeiten und ausschlaggebend für das Verständnis der gegenwärtigen familiären und sozialen Systeme in Senegal. Gerade aufgrund der Bedeutung der älteren Arbeiten ist es wichtig herauszuarbeiten, inwiefern Verwandtschaft und Familie in der Forschung zu Senegal durch europäisch-koloniale Wertvorstellungen und kulturelle Projektionen beeinflusst wurden. Angesichts der postkolonialen Situation in Senegal mit ihren weitreichenden Auswirkungen auf alle Bereiche des täglichen Lebens, insbesondere auf soziale Beziehungen, reflektiere ich zunächst die Produktion ethnografischen Wissens in älteren Arbeiten, um dies für die neuere Forschung und meine Arbeit fruchtbar zu machen. Viele der Ethnografen, Missionare und Forscher waren eng mit dem kolonialen Unternehmen verflochten oder wurden von ihm instrumentalisiert (Brossier 2010:26). Unterschiedliche europäische, islamische, präkoloniale, koloniale und postkoloniale Einflussfaktoren wirkten auf soziale Beziehungen in Senegal ein und können nicht immer voneinander getrennt betrachtet werden. Die zeitliche Einteilung zwischen prä- und postkolonialer Darstellung und Ethnografie spiegelt Veränderung in der Produktion von Ethnografien wider und auch Veränderungen darin, wer dieses Wissen dominant beeinflusste. Diese Einteilung soll allerdings nicht über die Kontinuitäten und Fortführung der Kategorien wie Familie und Verwandtschaft oder beispielsweise der Konstruktion des Begriffs der ‚senegalesischen Frau‘ hinwegtäuschen. Die Entstehung der kolonialen Ethnografie Mit der Kolonialisierung Westafrikas und Senegals, insbesondere durch die Präsenz von Europäern in den urbanen Zentren, wurde die Bevölkerung nicht nur mit neuen politischen und wirtschaftlichen Systemen konfrontiert, sondern auch mit anderen Formen und Modellen von Kindheit, Jugend, Ehe, Verwandtschaft und Alter sowie Geschlechter- und Generationenbeziehungen (Alber und Bochow 2006:229). Missionare, Kolonialbeamte und Händler brachten ihren Lebensstil, ihre sozialen Normen und Umgangsformen mit und beeinflussten die afrikanische Bevölkerung durch europäische Vorstellungen von Familie und Beziehungen. Sie übertrugen eigene kulturelle Normative auf afrikanische Gesellschaften und objektifizierten die sozialen Beziehungen durch die ‚Entdeckung‘ der afrikanischen Familie. Der Historiker und Afrikanist David Robinson (Robinson 1992) verweist auf die Entstehung und enge Beziehung der ‚operationellen‘ Ethnografie mit



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dem ‚traditionellen Recht‘ in Senegal. Er geht davon aus, dass in der Aushandlung zwischen Franzosen und ihren kommerziellen und politischen afrikanischen Gegenübern eine Form der Ethnografie entstand, die Vorurteile und Vorstellungen über traditionelle afrikanische Kulturen und fundamentale Kategorien der Einteilungen bestimmter Gruppen prägten. Robinson (1992:227 f.) akzentuiert diese Erkenntnis und geht davon aus, dass erste hierarchische Kategorisierungen Senegals schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts durch französische Händler und koloniale Administratoren, die relativ permanent in den Küstenzentren wie Saint-Louis lebten, beeinflusst wurden. Hier waren vor allem die Konzeptualisierung Senegals und die Einteilung verschiedener ethnischer Gruppen entlang mehrerer Hierarchien konsistent. Ethnische Zugehörigkeiten wurden nach Hautfarbe und „Rasse“ (hell/Norden – dunkel/Süden), nach dem Grad der Islamisierung und nach Toleranz und „Zivilisation“ (Osten – sWesten) eingeteilt. Christliche Missionare unterschieden das Gebiet schließlich zudem nach „Offenheit für missionarische Ziele“ nahe der Küste und Islamisierung im Inneren und bewerteten ethnische Gruppen entsprechend positiv oder negativ. Die von Robinson beschriebene „Kontinuität der Vorurteile“ wird von anderen Autor*innen allerdings weniger eindeutig gesehen. Judith Irvine (2009:141) sieht frühe Arbeiten zur afrikanischen Sprachforschung der französischen Beamten Jean Dard (1989–1833)29 und Jacques-François Roger (1787–1849) als Belege für die „Gleichheit der Rassen“: „Both argued against color prejudice and saw their linguistic analyses as evidence of Africans’ fundamental rationality, potential for civilization, and membership in a common fraternity.“ Die beiden Beamten nutzten also romantisierende Metaphern der Familie, um auf Gleichheit und Brüderlichkeit im Allgemeinen zu verweisen. Erst die nächste Generation der französischen Beamten und Forscher veränderte diese ‚Ideologie‘ von einer Gleichberechtigung innerhalb der Familie zu einer Abhängigkeit und hierarchisch geordneten Beziehung zwischen dem höhergestellten Mann und der abhängigen Frau mit den Kindern (Irvine 2009). Dies wiederum schließt an Robinsons Argumentation und Beschreibungen der Entstehung der ersten vollwertigen Ethnografien in Senegal Mitte des 19. Jahrhunderts mit der französischen Handelsexpansion 29

Jean Dard gründete 1817 die erste Schule Senegals in Saint-Louis. Mit der Pädagogik des l’enseignement mutuel, des Lernens durch Lehren, konnte er viele Schüler ausbilden. Er setzte sich zudem für den Unterricht in afrikanischen Sprachen, vor allem des Wolof, ein.

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und der militärischen Installation an den Küsten Senegals an. Die Autoren dieser Ethnografien – es waren ausschließlich Männer30 – folgten in ihren Beschreibungen einer Reihe von Kategorien, die physische und intellektuelle Charakteristika, Bräuche, Religion sowie soziale Organisation beinhalteten. Sie bezogen sich in ihren Arbeiten auf die gängigen Einstellungen und Vorurteile zu Beginn des 19. Jahrhunderts und verstärkten diese noch. Damit folgten sie einer zuvor etablierten Konzeptualisierung Senegals entlang der Hierarchisierungen nach Hautfarbe, Rasse, Islamisierung, Grad der Toleranz und Offenheit gegenüber christlicher Missionierung, Tendenzen innerhalb der Forschung, die Gleichberechtigung z.B. auch zwischen den Geschlechtern betonten, ließen sie außer Acht. Eine neue Form ethnografisch orientierter Auseinandersetzungen mit sozialen Beziehungen und sozialer Ordnung in Senegal finden sich in den Veröffentlichungen der Kolonialverwalter Maurice Delafosse (1870–1926) oder Oberstleutnant Paul Marty (1882–1938).31 In seinen Publikationen und langjährigen Studien beschäftigte sich Marty vor allem mit dem Einfluss des Islams in Senegal und dessen Auswirkungen auf die soziale Ordnung (Marty 1917). Marty spricht in seinen Ausführungen vor allem Konflikte zwischen der Eltern- und Kindergeneration an; beispielsweise beschwerte sich die Elterngeneration darüber, dass die junge Generation durch die Anhängerschaft zu Ahmadou Bamba die Eltern vernachlässige und nicht mehr den moralischen Kategorien fürsorgender und unterwürfiger Kinder entspräche (Marty 1917:273). Schon in diesen Darstellungen finden sich immer wieder die Sorge um den Verfall der erweiterten Familie und die moralischen Ansprüche der älteren an die jüngere Generation.

30 31

Sie waren häufig gebildete Missionare, Offiziere und koloniale Administratoren; Beispiele sind hier Abbé David Boillat, Frédéric Carrère oder Léon ­Faidherbe, die über ihre Erfahrungen aus erster Hand berichteten.

Diese Autoren stehen für die Verbindung kolonialer und wissenschaftlicher Arbeit. Sie trugen mit ihren wissenschaftlichen Arbeiten zu afrikanischen Sprachen, Heirat und der Organisation von Familie zu einer „Orientalisierung“ (vgl. Said 2014) afrikanischer Familien bei. Gleichzeitig förderten sie damit, wie viele andere nach ihnen, die Idealisierung europäischer Vorstellungen von der Kernfamilie und den hierarchischen Beziehungen zwischen Mann und Frau, die es durch religiöse und staatliche Einflüsse auch im afrikanischen Kontext zu installieren galt, um afrikanische Gesellschaften zu modernisieren (Arnaut 2000; Brossier 2010:27 f.).



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In Martys Arbeiten wird der signifikante Wandel französischer Interessen durch die Eroberung und Etablierung Französisch-Westafrikas deutlich. Die Umbildung der Regierung führte zu einer Zunahme an Kontrolle und kolonialer Einflussnahme. Die Neuorganisation der Justiz in französische und traditionelle Gerichte führte dazu, dass Kolonialbeamte wie Marty damit beauftragt wurden, das vermeintlich traditionelle System mit einem Fokus auf Familie, Heirat, Abstammung, Vormundschaft, Eigentum und Erbschaft zu verschriftlichen. Die ethnografische Wissensproduktion zeigte durch diese Instanzen und Auslegung des Rechts ihre tatsächliche Wirkung. Das alte System der ethnisch-physischen Charakteristika wurde nun in der Ethnografie durch eine Generalisierung traditioneller Bräuche und Formen indigener Administration überschrieben (Robinson 1992:232).32 Der koloniale Staat beeinflusste die Vorstellungen von Familie und Verwandtschaft etwa bei Erbstreitigkeiten und Rechtsprechung, aber auch beispielsweise bei der Bevorzugung von Söhnen bei der Besetzung von Häuptlingsämtern. Léon Geismars Sammlung senegalesischen Gewohnheitsrechts (1933) stellte einen weiteren Versuch der einheitlichen Kodifizierung des droit coutûmier dar. Gerade die Verschriftlichung und Festlegung wurde dazu genutzt, um lokale Systeme sozialer Beziehungen zu transformieren; beispielsweise wurde die Großfamilie mit einem männlichen Vorstand nun als ‚natürliche Einheit‘ betrachtet. Zusammenfassend möchte ich in Anlehnung an Robinson feststellen, dass sich Bilder bestimmter Gruppen zwar veränderten, die fundamentalen Kategorien der Einteilung jedoch bestehen blieben und das ethnografische System als Ganzes dadurch stabil blieb. Durch den Perspektivwechsel auf 32

Ältere Forschungen betonen die Ausstrukturierung ethnischer Gruppen nach ‚Kasten‘: ‚Aristokratie‘, ‚handwerkliche Berufe‘, Griots und ‚Sklaven‘ (z.B. ­Irvine 1973). In präislamischer Zeit wurden bei den höheren Wolof-‚Kasten‘ Familienstatus, Land und Sklaven durch die weibliche Linie vererbt, während durch die männliche Seite der höheren ‚Kasten‘ Mut und andere soziale Werte wie Ehre, Macht und Autorität weitergegeben wurden (Diop 1985). Unter anderem wurde das Kastensystem als koloniale Produktion kritisiert (Prochaska 1991). Diese ‚Kasten‘ eigneten sich aber teilweise unterschiedliche Gruppen selbst wieder an, um sie für die eigene Verortung zu nutzen. Griots und Tanz (Neveu ­Kringelbach 2013) oder spezifische handwerkliche Berufe und Tourismus (Materna 2013) interpretieren heutige Ethnolog*innen als Diskurse über ‚Kasten‘ und deren Wiederaneignung und weisen einen deutlichen Einfluss der ‚Kasten‘ bei der Aushandlung und Ausübung dieser Tätigkeiten nach. Während meiner Forschungen konnte ich nicht feststellen, dass der Rückbezug auf ‚Kasten‘ für transnationale Beziehungen besonders relevant wäre.

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jüngere Arbeiten möchte ich genauer betrachten, inwiefern diese kolonialen Kategorien in heutigen ethnografischen Darstellungen Senegals eine Fortsetzung finden. Geschlechter- und Generationenbeziehungen Brigitte Reinwalds Forschung (1997) über die ländliche Gegend des Siins im Zeitraum von 1890 bis 1960 zeigt, dass institutionalisierte Rechte und Pflichten zwischen Männern und Frauen in vorkolonialen Gesellschaften Senegals eher parallel als hierarchisch verteilt waren. Vor den Veränderungen durch europäische Einflüsse hatten Ehefrauen durch die bilineare Organisation agrarischer Gesellschaft mehr Autonomie. Akkumulation von Reichtum wurde mit dem ‚maternellen Haus‘ identifiziert, zu dem der Mutter-Bruder, die Mutter und ihre Kinder zählten. Produktion und Konsumption wurden mit dem paternalen, virilokalen Haushalt identifiziert, zu dem Ehemann, Ehefrau und die Kinder zählten. Frauen besaßen in dieser bilinearen Organisation eine wichtige Vermittlerrolle; Ehefrauen lebten häufig in getrennten Hausabschnitten und die Ältesten eines Dorfes und nicht die Ehemänner waren ihnen hierarchisch vorgeordnet. Auch Arbeiten seit den 1940er Jahren betonen die Rolle der Frau für die Vererbung von Besitz aufgrund der dualen Abstammung und der Bedeutung der maternellen Verwandtschaftszugehörigkeit (Mercier und Balandier 2009; Grandmaison 1972). Gleichzeitig beobachteten diese Autor*innen eine Zunahme von patriarchalen Strukturen und sahen dies erstens in der kolonialen Gesetzgebung begründet, die Ehemänner als Entscheider für die erweiterte Familie stärkte (Mercier und Balandier 2009:142). Damit erhielten Ehemänner mehr Einflussmöglichkeiten gegenüber den Ehefrauen. Die ältere Generation, die auch Frauen einschloss, verlor damit Entscheidungsrechte beispielsweise in Bezug auf Ehefrauen. Einen zweiten wichtigen Faktor sahen diese Arbeiten in wirtschaftlichen und von Geldwirtschaft bestimmten Beziehungen, die teilweise auch Urbanisierung miteinschloss (vgl. auch Grandmaison 1969, 1972). Einer ‚traditionellen‘, statischen Lebensweise stellten diese Arbeiten aktuelle dynamische Veränderungen der Urbanisierung gegenüber. Modernisierung wurde beispielsweise mit einer Zunahme von nicht-verwandtschaftlichen Beziehungen gleichgesetzt (Grandmaison 1972:124), ohne historische Kontinuitäten zu beachten. Feministische Forscher*innen bestätigen in ihren Arbeiten seit Ende der 1970er Jahre im Paradigma ihrer Zeit die ‚Unterdrückung der Frau‘ aufgrund der marginalisierten Rolle von Frauen in der Öffentlichkeit, Politik



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und hierarchischen Machtstrukturen (Bass und Sow 2006; Sow 2005:2) oder sehen neben der anfänglichen Stabilisierung patriarchaler Machtstrukturen auch eine ‚Krise der Männlichkeit‘, einen (vermeintlichen) Niedergang männlicher Dominanz und Privilegien im Zuge der neoliberalen marktwirtschaftlichen Reformen (Perry 2005). Gleichermaßen betonen Autor*innen wie Fatou Sow die zentrale Bedeutung von Frauen im sozialen Gefüge und in normativen Wertvorstellungen in den präkolonialen, kolonialen und postkolonialen Phasen (Sow 1980). Fatou Sow stellt damit die spezifischen Erfordernisse eines afrikanischen Feminismus und die Bedürfnisse afrikanischer Frauen in den Vordergrund. Im angloeuropäischen Feminismus wurden häufig häusliche weibliche Rollen als Ehefrau und Mutter mit Unterordnung gleichgesetzt. Afrikanische Feministinnen wie Fatou Sow betonen hingegen, dass unter bestimmten Bedingungen gerade diese Rollen der Mobilisierung und Ermächtigung dienen (vgl. auch Gadio und Rakowski 1999:735). Obwohl wichtige Kategorien kolonialer ethnografischer Wissensproduktion der Ungleichheit der Geschlechter und Unterdrückung der Frau fortgeführt wurden, setzt Fatou Sow diesem europäischen Ideal eine spezifisch weibliche und senegalesische Sicht entgegen, die allerdings vor allem aus der privilegierten Sicht der postkolonialen Elite heraus zu sehen ist. Trotz der wichtigen Erkenntnisse von feministisch geprägten Arbeiten ist es wichtig, die Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern differenzierter zu betrachten und beispielsweise andere Kategorien der Differenz wie Alter und Generationen in die Analyse mit einzubeziehen (vgl. Perry 2009; Schulz 2007:180). Einige Autor*innen sehen die Verschiebung des Einflusses von Frauen und Männern im religiösen Bereich bestätigt. Frauen hatten demnach ehedem wichtige Positionen in der Ahnenreligion inne und waren in den muslimischen religiösen Bereichen weniger einflussreich als zuvor (Creevey 1996). Neuere Studien widersprechen diesen Beobachtungen und verweisen auf die bedeutende Rolle von Frauen im Islam in Senegal (z.B. Evers Rosander 2004; Gemmeke 2009) und im Bereich der muslimischen Erziehung (Coulon 1988; Schulz 2007:186). Damit kritisieren diese Studien erstens den Androzentrismus vieler früherer Arbeiten und zweitens die eurozentrische Vorstellung von der Unterdrückung der Frau in muslimischen Gesellschaften, die in diesen Arbeiten fortgeschrieben wird (Schulz 2007:180). Zusammenfassend wird deutlich, wie stark die Wahrnehmung von Ge­schlechter- und Generationenbeziehungen von den Positionen der Forscher*innen abhängig ist und wie europäische Vorstellungen und Kategorisierungen die Beschreibung von Geschlecht und Generation dominie-

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ren. Häufig wird dabei implizit das „dreifache Erbe“33 der senegalesischen Gesellschaft – innerafrikanische, religiös-islamische und koloniale Einflussfaktoren auf Verwandtschaft und Familie – chronologisch voneinander abgegrenzt, ohne die enge Verbindung muslimischer, kolonialer und postkolonialer Sphären zu betrachten. Die Erkenntnisse dieses Unterkapitels möchte ich für meine eigene Arbeit nutzen, um – soweit wie dies möglich ist – meine eigene Positionierung und normativen Vorstellungen von sozialen Beziehungen zu reflektieren.

3.2.2 Zur aktuellen Ausgestaltung sozialer Beziehungen in Dakar Das vorausgegangene Unterkapitel hat den Zusammenhang zwischen ethnografischer Wissensproduktion und der aktuellen Ausgestaltung sozialer Beziehungen in Senegal verdeutlicht. Die zahlreichen und sehr heterogenen Studien zu Senegal erschweren einheitliche Aussagen. Je nach disziplinärer Ausrichtung und regionalem Fokus werden ethnische Kategorisierungen oder geschlechtsspezifische Unterschiede betont und andere wichtige Faktoren für soziale Beziehungen vernachlässigt. Aufbauend auf diesen Erkenntnissen über die Produktion ethnografischen Wissens gehe ich anhand rezenter Literatur auf die aktuelle Lebenssituation von jüngeren und älteren Frauen und Männern in Dakar ein und fokussiere Hierarchien und institutionelle Strukturen von Familie, Geschlecht und Generationen. In diesem Unterkapitel nehme ich drei für diese Arbeit relevante Achsen sozialer Beziehungen in den Blick: Familie und Haushalt, Geschlechter- und Generationenbeziehungen mit einem Fokus auf ehepartnerschaftliche Beziehungen sowie non-kin-Beziehungen wie Freundschaften. Neuere ethnografische Arbeiten zu Senegal mit Bezug auf Dakar betonen die Flexibilität verwandtschaftlicher Beziehungen angesichts globaler neoliberaler Entwicklungen (Hannaford 2017:6) oder die strukturelle Beständigkeit reziproker, sozialer Obligation, in der Heirat und Geschenke nicht nur auf Geschlecht und Generationen beruhende soziale und hierarchische Strukturen der Haushaltsbeziehungen reflektieren, sondern diese Beziehungen gleichzeitig in diesem Prozess konstituiert werden (Buggenhagen 33

Die Dokumentarfilmserie und das begleitende Buch „The Africans: a Triple Heritage“ des Politikwissenschaftlers Ali Al’amin Mazrui (1986a, 1986b) löste Anfang der 1980er Jahre eine Debatte um diese These aus.



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2001a:22). In meiner Arbeit positioniere ich mich zwischen diesen beiden Standpunkten und verweise auf die gleichzeitigen Prozesse der flexiblen Anpassung und Beständigkeit. Erweiterte Familie und Haushalt Immer wieder wird in der Literatur darauf hingewiesen, dass sich senegalesische Familien im Wandel befinden (z.B. Bass und Sow 2006; Buggenhagen 2012b). Frauen und Männer leben in polygamer und monogamer Form zusammen, und in Dakar wie in anderen urbanen Zentren Westafrikas findet man zunehmend Zweigenerationenfamilien, mit einer kleineren Anzahl von Familienmitgliedern (Alber und Bochow 2006:228). Zugleich bildet sich ein neuer Typus von städtischer Großfamilie heraus, der eine Vielzahl von Verwandten aus ruralen Gegenden mit umfasst, um neue Ressourcen im familiären Netz einzubeziehen. Dieses Modell der neuen extended family bei gleichzeitiger Fokussierung auf die Kernfamilie gilt häufig auch für den transnationalen Kontext. In diesen Haushaltsformen bestehen unterschiedliche hierarchische Machtarrangements zwischen Männern und Frauen verschiedener Generationen. Meist wird die Abstammung (patri- oder matrilinear) auf einen gemeinsamen männlichen Vorfahren zurückgeführt; die Mitglieder einer Linie zeichnen sich durch die gleichen Nachnamen (sant) aus (Buggenhagen 2012b:48; Diop 1985:15). Wohnsitzregelungen sind meist virilokal (aus der Sicht der Frau) organisiert. Im Vergleich zu ländlichen Gegenden wird in Dakar eine größere Spanne an sozialen Normen in Bezug auf Familie akzeptiert (Bass und Sow 2006). Mehr Frauen fungieren als Haushaltsvorstände, bekommen größere Bildungschancen und haben besseren Zugang zum Arbeitsmarkt. Dem Wert der Familie und der familiären Solidarität sowie dem Ideal der Reziprozität, Redistribution und gegenseitiger Unterstützung wird großes Gewicht eingeräumt. Allerdings findet sich in Großfamilien, vor allem bei knappen Ressourcen und mit mehreren Frauen und deren Kindern ­(doomu baay), viel Konkurrenz und Potential für Konflikte, die teilweise offen ausgetragen werden. Wie in dieser Arbeit deutlich wird, führen gerade im transnationalen Kontext Forderungen nach Redistribution des Einkommens als Ausdruck familiärer Solidarität zu Spannungen, wenn es darum geht, wer genau welche Formen der Zuwendung erwartet. Der Haushalt in seiner flexiblen Form des gemeinsamen Wirtschaftens und Wohnens bildet als wichtiger Ort der Produktion eine der strukturierenden Einheiten der senegalesischen Familien. Wie bereits in der Definition

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zu Haushalten ausgeführt, können Individuen Teil mehrerer Haushalte sein, auch Personen wie Migrant*innen, die nicht im gleichen Haus leben, können einem Haushalt zugerechnet werden (vgl. Adams und So 1996; Buggenhagen 2001b; Diop 1985). In einem Haushalt werden zudem gemeinschaftlich Entscheidungen zur Migration als kollektiver Strategie getroffen, um das ökonomische Risiko zwischen Mitgliedern zu verteilen (Sinatti 2014:217). Senegales*innen in der Migration tragen häufig einen wichtigen Beitrag zu den alltäglichen Ausgaben und der Aufrechterhaltung eines Haushaltes bei,34 ihr Einfluss ist abhängig von der Höhe der Zuwendungen. Während meiner Forschung konnte ich beobachten, dass es häufig zu Spannungen kam, wenn finanziellen Erwartungen und Wünschen nicht begegnet werden konnte oder wenn finanzielle Zuwendungen nicht für den intendierten Zweck eingesetzt wurden. Geschlechter- und Generationenbeziehungen Die seit den 1980er Jahren im Zuge der Strukturanpassungsmaßnahmen eingeführte ökonomische Liberalisierung führte dazu, dass die gewerbliche Landwirtschaft als einzige Einkommensquelle nicht mehr als Lebensgrundlage für Haushalte ausreichte. Durch die anhaltende hohe Arbeitslosigkeit und fehlende stabile Einkommensmöglichkeiten insbesondere in Dakar konnten viele männliche Haushaltsvorstände35 ihren Verpflichtungen als Ernährer der Familie nicht mehr nachkommen. Üblicherweise werden die Haushaltsvorstände in allen die Familie betreffenden Angelegenheiten konsultiert, ihre Entscheidungen werden meist von allen Familienangehörigen respektiert. Durch fehlende regelmäßige Einkünfte sind Haushaltsvorstände in ihrer Position in der Hierarchie der Familie geschwächt und werden von hierarchisch niedrigeren Positionen wie jungen Männern, die beispielsweise in der Migration Geld verdienen, oder den Ehefrauen, die eigenes Einkommen generieren, in Frage gestellt (Buggenhagen 2012b; Gadio und Rakowski 1999; Perry 2005; Sarr 2000).36 34

35 36

Sinnati spricht von fest berechneten Beträgen (dépenses), die von Senegales*inen in Italien an die Haushalte in Senegal durch Geldüberweisungen geleistet werden. Diese können durch Geschenke und zusätzliche Summen variabel aufgestockt werden (Sinatti 2014:220 Fn 10). Haushaltsvorstände werden auf Wolof mit borom kër ga – Besitzer/Herr eines Hauses – bezeichnet.

Studien, die diese Verschiebung in ländlichen Regionen Senegals feststellten, konnten interessante gegensätzliche Einstellungen bei Männern und Frauen



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Frauen, die aus Familien mit mittlerem Einkommen stammen, ist es häufig möglich, durch kreative Einkommensgenerierung im Kleinhandel und Aktivitäten in Mikrokreditassoziationen das fehlende Einkommen der Männer zu ersetzen und maßgeblich zum Unterhalt der Familie beizutragen (Buggenhagen 2001b, 2012b; Neveu Kringelbach 2013). Wichtig für den Erfolg der Frauen sind vor allem horizontale weibliche Netzwerke der Solidarität und Unterstützung, da sie in vielen anderen Bereichen wie Ausbildung, Zugang zu Krediten und Macht benachteiligt sind (Sarr 2000). Dadurch stellen diese Frauen jedoch teilweise die Rolle der Ehemänner als Ernährer in Frage. Einige Autorinnen stellen fest, dass erfolgreiche Händlerinnen ihre Aktivitäten verheimlichten, um die Autorität der Ehemänner nicht zu gefährden und um dem Ideal der Ehefrau, die sich um Haushalt und Kinder kümmert, zu entsprechen (Sarr 2000; Evers Rosander 2005, 2010:103). Frauen aus niedrigeren Einkommensschichten ersetzen das fehlende Einkommen von (Ehe-)Männern meist durch Tätigkeiten ohne große Gewinnspanne wie den Verkauf selbst hergestellter Nahrungsmittel (Rosenlew 2012). Aufgrund dieser Abwesenheit von Müttern müssen oftmals junge Mädchen Aufgaben im Haus übernehmen. Außerdem beteiligen sich viele junge Mädchen am Erwerb von zusätzlichem Einkommen, indem sie als Haushaltshilfen arbeiten und deshalb auch seltener als Jungen die Schule besuchen (Rosenlew 2012:71). Insgesamt sind Frauen stärker von Armut und Vulnerabilität betroffen als Männer (Bop 1996; Kebe und Charbit 2007). Aufgrund der ökonomischen Situation und steigender Lebenshaltungskosten in Dakar ist es für junge Frauen und Männer schwierig, einen eigenen Haushalt zu gründen, was für viele eine Voraussetzung für Heirat und ausmachen. Frauen aus der ländlichen Region Thiès begründeten die Verschiebung der Einkommensgenerierung mit den globalen ökonomischen Veränderungen. Die (Ehe-)Männer bewerteten das ökonomische Engagement der Frauen meist positiv. Es waren hier vor allem die älteren Frauen, die sich darüber beklagten, dass die jüngeren Frauen durch die neue Arbeitslast ihre Rollen als Hausfrauen und Mütter nicht mehr erfüllen konnten (Gadio und Rakowski 1999). Bei bäuerlichen Wolof im zentralen Erdnuss-Anbaugebiet Senegals wurden Frauen aus ähnlichen Gründen verstärkt im Kleinhandel tätig. Hier jedoch unterminierten die Frauen durch ihre finanzielle Unabhängigkeit häufig die männliche Rolle des Ernährers, wodurch sich die männliche Kontrolle über die Frauen verringerte. Im Gegensatz zu den Männern aus Thiès klagten hier die Wolofmänner die Frauen des moralischen Verfalls, des Individualismus, der Selbstbezogenheit und der offenen Sexualität an. Die Frauen hingegen betonten Haushaltssolidarität und das Überleben des Haushaltes in ihren Narrativen als Antwort auf die ökonomischen Unsicherheiten (Perry 2005:209).

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Gründung einer eigenen Familie darstellt (Hann 2013). Die zunehmende translokale und internationale Migration von jüngeren und älteren Männern sowie zunehmend auch von Frauen ist eine Antwort auf die ökonomische Krise. Für die Männer steht dabei häufig im Vordergrund, die eigene Rolle als wirtschaftlicher Ernährer und hauptsächlicher Verdiener und dadurch die Rolle des Haushaltsvorstandes (wieder) zu gewinnen (Sinatti 2014:221; Mondain u.a. 2012).37 Intergenerationale Verpflichtungen der Söhne gegenüber den Müttern sowie Konflikte zwischen Söhnen und Vätern treten hier häufig zutage (Mondain, Diagne und Randall 2012; Gomez-Perez und LeBlanc 2012a). Für junge Frauen sehen Hannaford und Foley (2015) neben transnationalen Heiraten die Praktiken des mbaraan38 als Strategie, um finanziell zu profitieren. Junge Frauen nutzen unterschiedliche und teilweise gleichzeitige Beziehungen zu Männern, um sich durch Geschenke, Geld und andere Vorteile finanziell abzusichern. In diesen Beziehungen geht es auch um gegenseitige Sorge und teilweise um die Anbahnung von Hochzeiten (Eerdewijk 2007; Foley und Drame 2013; Hann 2013:130). Vor allem ältere Frauen und Männer versuchen, diese Praktiken moralisch negativ zu sanktionieren, etwa mit dem Gebot, dass junge Frauen keinen Sex vor der Ehe haben sollten. Diese Haltung wird mit der Hinwendung zu religiösen Führern und strengen moralischen Ansprüchen im Rahmen der muslimischen Erneuerungsbewegungen verstärkt (vgl. Diouf und Leichtman 2009). Religiös begründete moralische Ansprüche fordern eine Hinwendung zu einem gehorsamen, zurückgezogenen, gemäßigten und sparsamen Leben (vgl. Antoine u.a. 1995; Augis 2012; Buggenhagen 2012b). Häufig konnte ich während meiner Feldforschung beobachten, dass moralischer Anspruch und Praktiken der intimen Beziehungen sich einander nicht ausschlossen. Non-kin-Beziehungen: Die ‚neue‘ Bedeutung von Nachbarschaft und Assoziationen Nicht-verwandtschaftliche Beziehungen spielen in den heterogen zusammengesetzten Wohnvierteln in Dakar eine bedeutende Rolle im Alltag der Menschen. Die bereits angesprochenen horizontalen weiblichen Netzwer-

37 38

Zu transnationaler und translokaler Migration und Mobilität vgl. Kapitel 4. Mbaraan bedeutet auf Wolof ‚jemanden zu seinem Vorteil ausnutzen‘.



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ke der Solidarität und Unterstützung und Kreditassoziationen39 spielen in der Nachbarschaft eine prägende Rolle. Gerade im urbanen Raum hat die Zahl dieser Assoziationen und Vereinigungen deutlich zugenommen (Kane 2006:107 ff.). Während Männer sich insgesamt weitaus weniger und häufiger an ihrem Arbeitsplatz in tontines organisieren, sind Frauen fast ausschließlich in den nachbarschaftlich organisierten Vereinigungen anzutreffen (Wolf 2012:103). Die meisten Frauen in Dakar sind Mitglieder in mehreren unterschiedlich orientierten Assoziationen, nàtt und mbootaay, die auf Alterskohorten, Nachbarschaften, sozialer oder religiöser Zugehörigkeit beruhen. Innerhalb der hierarchischen Struktur der Organisation wird die Präsidentin meist Mutter (mère, ndeye) genannt: Hier werden bewusst Ähnlichkeiten zu verwandtschaftlichen Beziehungen hergestellt, um die gegenseitige Unterstützung und Hilfe zu verdeutlichen. Wie eine Mutter beschützt und sichert die Assoziation ihre Mitglieder, doch ist die Teilnahme meist zeitlich begrenzt und freiwillig, manche Assoziationen bestehen nur über einen gewissen Zeitraum (Wolf 2012:104). Hier werden nicht nur der finanzielle, sondern auch emotionale und soziale Aspekte der gegenseitigen Unterstützung wie Erholung und Zeitvertreib in Freundschaften und unverbindlicheren Beziehungen mit den anderen Mitgliedern deutlich (Rosenlew 2012:120). Daneben dient die Gründung einiger Assoziationen auch dazu, Zugang zu Unterstützung durch NGOs zu erhalten (Gadio und Rakowski 1999; Rosenlew 2012).

39

Kreditassoziationen werden auf Französisch tontines genannt, auf Wolof mbootay oder nàtt. Frühere rurale tontines wurden häufig innerhalb von Alterskohorten und gleicher sozialer Position organisiert und dienten der solidarischen Arbeitsteilung. Die dörflichen Verbindungen der gegenseitigen Unterstützung werden meist als die Vorgänger der heutigen sehr vielfältigen Assoziationen und Vereinigungen, die vor allem der finanziellen Absicherung dienen, betrachtet. Im Gegensatz zu den einfachen Geldzirkeln mit kleinen Beträgen der nàtt (contribution) wird die mbootaay meist als Assoziation angesehen, die auch größere Geldbeträge und Ausschüttungen beinhaltet. Teilweise werden diese Beträge in kulturelle Projekte investiert. Als tùr (von französisch tour) werden die Feste bezeichnet, bei denen sich die Frauen etwa einmal im Monat treffen (McNee 2000:33). Der Begriff mbootay ist eng mit dem Stoff verbunden, den Frauen nutzen, um ihre Babys zu tragen. Das Wolofverb mboot bedeutet ‚auf den Rücken legen‘ (Wolf 2012:103). Kane (2006:108) schreibt den mbootay (alternative Schreibweise zu mbootaay) vor allem eine wichtige Rolle bei Familienzeremonien und Geschenkaustauschen zu, bei denen vor allem Frauen beteiligt sind.

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Auch in neueren Studien zu transnationaler Migration wird die Bedeutung von Nachbarschaften erwähnt, hier bleibt der Fokus aber auf der Nähe zu verwandtschaftlichen Beziehungen und klassifikatorischen40 Verwandtschaftsbezeichnungen: „The line that separates kin from strangers, moreover, is largely a matter of selfperception: as an enactment of the Wolof saying dëkkaale bu yàgg, mbokk la (tr.: living together for a long time turns neighbours into relatives), the extended family may also include significant others who are not related through blood and kinship.“ (Sinatti 2014:219)

Die Überschneidung von Nachbarschaft und Verwandtschaft wird durch die vielschichtige Bedeutung von mbokk deutlich, das als Verb ‚etwas teilen‘ und als Substantiv ‚das Teilen‘ bedeutet und mit dem gleichermaßen enge und weitere verwandtschaftliche Beziehungen bezeichnet werden. Allerdings bleiben enge verwandtschaftliche Beziehungen wie die zu einer sozialen oder biologischen Mutter besonders und sind nicht mit Nachbarn, die zu Verwandten werden, gleichzusetzen (Hann 2013:221). Eine weitere bedeutende Gruppe von nachbarschaftlichen Assoziationen im urbanen Dakar stellen die Fußball- und Kulturvereine oder navétanes dar, die in den Vororten wie Pikine und Guédiawaye eine große Rolle spielen (vgl. Baller 2010). Vor allem jugendliche Männer und teilweise auch Frauen nutzen diese Vereine, um soziale Beziehungen herzustellen und trotz ihrer Marginalisierung an der Produktion und Transformation sozialer Räume in der Stadt teilzunehmen (Baller 2010, 2014). In diesen Vereinen sind vor allem Beziehungen zu Gleichaltrigen relevant.

40

Obwohl nach Morgan zwischen deskriptiven (denotativen) und klassifikatorischen Verwandtschaftsbezeichnungen unterschieden wird (White 1958; Tooker 1979), finden sich in der Literatur auch die stark bewertenden Oppositionen von klassifikatorisch im Gegensatz zu „true“ (Nicolaisen 2014:24) oder „real“ (Janson 2009:160, Fn 89), die von einem eurozentrischen Blick auf diese Beziehungsformen zeugen. Unter klassifikatorisch werden in dieser Arbeit Beziehungstermini gefasst, die nicht zwischen linealen und kollateralen oder erstem und zweiten Grad der verwandtschaftlichen Beziehung unterscheiden bzw. diese Termini auf Personen(-gruppen) ausweiten, die zuvor nicht als verwandt bezeichnet wurden.



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Auch die im urbanen Raum bedeutenden turuq und dahiras speisen sich häufig aus nachbarschaftlichen Verbindungen. Frauen haben in den unterschiedlichen Gemeinschaften einen relativ starken Einfluss, da sie in dahiras religiöse Führungspositionen ausüben (Buggenhagen 2001b, 2011, 2012b; Mbow 2001). Die Legitimation dafür leiten sie entweder durch Verwandtschaft mit einem der sufistischen Gründer oder durch ihr Wissen um esoterische und erotische Praktiken ab (Gemmeke 2005, 2009; Evers Rosander 2004). Auch reformistische Bewegungen haben einen zunehmenden Einfluss in Dakar, einige Autor*innen begründen den Zulauf zu diesen Bewegungen neben religiösen Erfahrungen mit gesellschaftlichen und sozialen Missständen (Augis 2012; Diouf und Leichtman 2009; vgl. auch Loimeier 2001). Vor allem Anhänger*innen der Muriyydiya zeichnen sich durch hohe internationale Migration und transnationale Verbindungen aus; in der Mi­gra­ tion entfalten insbesondere die religiösen Verbindungen Bedeutung (Gaita­ nidou-Berthuet 2012). Die Handelstätigkeiten der Mitglieder, die teilweise stark hierarchischen Lehrer-Schüler-Beziehungen und der zentrale Bezug zur heiligen Stadt Tuba verbindet die Anhänger*innen in der ganzen Welt und stärkt die Zugehörigkeit auch über verwandtschaftliche Beziehungen hinaus (Babou 2002; Buggenhagen 2010, 2012a; Diouf 2000; Evers Rosander 2004, 2005).

3.3 Ein Fazit zur Verbindung sozialer Kategorien Die Analyse in dieser Arbeit ergibt, dass transnationale soziale Beziehungen untrennbar mit den politischen, ökonomischen und medien-infrastrukturellen Entwicklungen Dakars und Senegals verbunden sind. Besonders eindrücklich ließ sich dies am Beispiel der Geschichte des Viertels Cité Avion verdeutlichen, womit gleichzeitig in einen für meine Feldforschungen wichtigen Ort eingeführt wurde. Die Entstehungsgeschichte kolonialer Ethnografie zeigt die Wirksamkeit ethnografischer Kategorien bis in rezente Literatur. Wichtige Erkenntnis für diese Arbeit ist die Verflechtung ethnografischer Wissensproduktion mit kolonialen und eurozentrischen Vorstellungen von ‚Rasse‘, Familie und Verwandtschaft. Die europäischen Forscher*innen projizierten ihre Idealvorstellungen der Kleinfamilie und ihre Idealisierung des Ehemannes als höchste Autorität innerhalb der Familie auf den senegalesischen Kontext; die Gesetzgebung der Kolonialadministration beeinflusste die familiären

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Dynamiken maßgeblich. Diese Erkenntnis hilft mir dabei, meine eigenen Vorstellungen und Projektionen – soweit dies möglich ist – zu reflektieren. Geschlechterbeziehungen wurden in der Forschung primär aus der Perspektive des Mannes wahrgenommen, erst seit den 1970er Jahren rückten allmählich Frauen in den Blick. Zudem wurden Geschlechterbeziehungen häufig beschränkt auf ehepartnerschaftliche Beziehungen untersucht. Dies schrieb implizit angloeuropäische Kategorisierungen und koloniale Vorstellungen von Kernfamilie fort. Andere lokal bedeutende Achsen der Geschlechterbeziehungen innerhalb von erweiterten Familien wie beispielsweise Geschwister wurden dabei vernachlässigt. Vor diesem Hintergrund konnte ich im letzten Unterkapitel auf die aktuelle Ausgestaltung sozialer Beziehungen in Dakar eingehen. Jüngere Arbeiten beziehen bei der Betrachtung von Geschlechterbeziehungen auch eine Generationenperspektive und andere quer stehende Kategorisierungen wie Einkommen und Bildung in ihre Untersuchungen mit ein (Gomez-Perez und LeBlanc 2012a). Diese Studien machen deutlich, dass nicht mehr nur aus einer spezifischen Kategorie wie ‚Jugend‘ oder ‚Ehefrauen‘ argumentiert werden kann, sondern diese immer auch in Relation zu anderen Generationenkategorien perspektiviert werden müssen (Gomez-Perez und LeBlanc 2012b). Die spezifischen Beziehungen zwischen Ehefrauen und Schwiegerfamilien, insbesondere der Mutter und Schwester des Ehemannes, müssen dabei ins Zentrum der Betrachtung rücken (Hann 2013). Gerade eine Generationenperspektive macht die Bedeutung von nicht-verwandtschaftlichen Beziehungen für viele Frauen und Männer deutlich. Insgesamt dienten die Darstellungen der sozialen Beziehungen und Entwicklungen in Dakar in diesem Kapitel als Bezugsrahmen, auf den in den folgenden Kapiteln mit Fokus auf transnationale Ereignisse wie Heirat und Hochzeit sowie transnationale ehepartnerschaftliche und freundschaftliche Beziehungen näher eingegangen wird. Denn aus der spezifischen Perspektive von Familienmitgliedern und Freund*innen in Dakar können die transnationalen sozialen Beziehungen von Senegales*innen in Berlin besser verstanden werden.

4

Inbetween Spaces?

Migration, Mobilität, Translokalität und Transnationalität zwischen Deutschland und Senegal

Feldforschungsszene vom 09.01.2012, Guédiawaye (Dakar) Am einzigen funktionierenden Computer in Lamins Büro ist die Familie bereits den ganzen Sonntag per Skype mit Malick in Paris verbunden. Von Lamin hatte ich gerade erfahren, dass Malick aus Berlin nach Paris gezogen war, weil seine französische Freundin dort ihren gemeinsamen Sohn auf die Welt gebracht hatte. Lamin drängt mich dazu, mich an den Desktopcomputer mit dem großen Röhrenmonitor zu setzen. Ich begebe mich in die Nähe und sehe ein unscharfes und ruckeliges Bild von Malick. Er sitzt in einem kleinen Zimmer, offensichtlich an einem Schreibtisch. Im Hintergrund erkenne ich ein Regal mit Büchern und Kleidung sowie Poster an der Wand. Als ich in das Blickfeld der aufgesteckten Webcam komme und Lamin mich lautstark über das Mikrophon ankündigt, blickt Malick auf. Ich setze die Kopfhörer mit Mikrophon auf und nach einer kurzen Begrüßung und Glückwünschen zur Geburt seines Sohnes schiebt Malick eine Wiege heran und präsentiert mir über das gestörte Bild stolz seinen Sohn. Er meint, dass er sehr glücklich sei, dass er nun endlich wieder die Möglichkeit habe, über Skype mit Lamin und seiner Familie zu sprechen. [...] Später erzählt mir Lamin, dass sie lange nicht mit Malick gesprochen hatten, da die Sonatel-Verbindung mehrere Wochen nicht funktioniert habe. Nun konnten sie nach langer Zeit das erste Mal telefonieren, im neuen Büro sogar mit Bild, weil Malick ihn finanziell bei der Gründung der Firma unterstützt hatte. Im weiteren Verlauf meiner Anwesenheit im Büro sprechen immer wieder abwechselnd Lamin, seine Frau und zwei seiner Kinder mit Malick. Die Geburt des Sohnes Abdoulaye ist das zentrale Thema, auch weil Malick dringend Dokumente für die Geburtsurkunde aus Dakar benötigt. Die meiste Zeit jedoch läuft die Verbindung einfach nebenher, Bild und Ton angeschaltet, ohne dass die beiden Seiten direkt miteinander sprechen.

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Dieser Ausschnitt aus meiner Feldforschung in Dakar zeigt die Bedeutung von medienvermittelten sozialen Verbindungen für Senegales*innen im Ausland und deren Familien in Senegal. In besonderen Situationen stellten Malick in Paris und Lamin in Dakar über den kostenlosen Internettelefonieanbieter Skype eine Videotelefonieverbindung her. Charakteristisch für Skypegespräche ist vor allem, dass nicht wie bei Mobiltelefonverbindungen die gesamte Zeit eines Gesprächs gesprochen wird, sondern dass ein Großteil der Zeit über die visuelle Übertragung des Bildes gestaltet wird, also eine audiovisuelle Kopräsenz und ein sozialer Raum geschaffen wird. Der Kopfhörer und die Webcam beschränken jedoch, wer gerade sprechen, gehört oder gesehen werden kann. Skypeverbindungen stellten für viele meiner Gesprächspartner*innen in Dakar eine Ausnahme dar. Neben den finanziellen Hürden beispielsweise für Internetverbindungen und dem eingeschränkten Zugang zu technischen Geräten gab es häufig Probleme mit den instabilen Internetverbindungen, wie in der Feldforschungsszene zur Sprache kam. Malicks und Lamins Bemühungen, gerade zu diesem Zeitpunkt eine Skype­verbindung herzustellen, hatte mit ihren jeweiligen biografischen Situationen zu tun. Wie mir Malick erklärte, war die Geburt seines Sohnes und der Umzug nach Paris ausschlaggebend dafür, dass er den Kontakt zu Lamin intensivieren wollte, auch da er für die Beschaffung von Papieren auf Lamins Unterstützung angewiesen war. Lamin erläuterte mir, dass Malick ihn bei der Gründung der Firma finanziell unterstützt hatte und dass er ihm deshalb das Büro zeigen wollte. Auch versprach er sich durch seinen Bruder eine Erweiterung seiner beruflichen Kontakte in Frankreich. Durch seinen Besuch in Paris im Januar 2015 konnte er dieses Ziel teilweise realisieren. Nachdem in der Feldforschungsnotiz eine konkrete Situation der internetgestützten Kommunikation zwischen zwei Brüdern und ihren Familien in Dakar und Paris dargestellt und so in das Themenfeld Migration, Medien und soziale Beziehungen eingeführt wurde, beginnt dieses Kapitel erstens mit der theoretischen Positionierung dieser Arbeit an der Schnittstelle der Begriffe von Mobilität, Migration, Translokalität und Transnationalismus (4.1). Zweitens wird anhand der rezenten Literatur der Frage nach dem Einfluss von Migration und transnationalen Lebensstilen auf soziale Beziehungen nachgegangen (4.2). In einem dritten Schritt geht es um die Rolle, die Medientechnologien in diesen transnationalen sozialen Beziehungen einnehmen (4.3). Das vierte Unterkapitel führt anhand relevanter Forschungsstudien in Migration und Mobilität in Senegal und ihre Geschichte ein (4.4).



4. Inbetween Spaces? | 121

Vor dem Hintergrund der europäisch-senegalesischen Migration und Mobilität sowie der transnationalen Verbindungen wird im fünften Unterkapitel die aktuelle Situation von Senegales*innen in Deutschland und speziell in Berlin dargestellt (4.5). Entgegen der meisten Studien zu Migration, Mobilität und Transnationalismus in Senegal (z.B. Hannaford 2017; Kane 2002; Mondain und Tetreault 2013) beziehe ich sowohl Herkunfts- als auch Aufenthaltskontext in meine Arbeit ein. Zwar gehen einige Studien auch auf die jeweils andere Perspektive mit ein (z.B. Hannaford 2017; Riccio 2002), Ziel meiner Forschung ist hingegen eine gleichberechtigte Berücksichtigung und Untersuchung der beiden Kontexte.

4.1 Theoretische Perspektiven auf Mobilität, Migration, Translokalität und Transnationalismus Die Fokussierung dieser Arbeit auf die Begriffe Mobilität, Migration, Translokalität und Transnationalismus ermöglicht es, die spezifische Situation und Selbstwahrnehmung von Senegales*innen in Deutschland im Spannungsfeld zwischen Verortung und Bewegung herauszuarbeiten. Angelehnt an die neuen mobility studies (Glick Schiller und Salazar 2013) verstehe ich in dieser Arbeit unter Mobilität eine Vielfalt von geografischen und sozialen Bewegungen von Personen, Objekten, Inhalten und Ideen (vgl. Appadurai 1996a). Mobilität dient damit als Oberbegriff für unterschiedliche Formen von Bewegung, die je nach Lebenssituation auch gleichzeitig stattfinden können. Davon abgegrenzt nutze ich die Begriffe Migration oder Migrant*innen, um auf die spezifischen Rahmenbedingungen abzuheben, die Staat und Gesellschaft auf den Lebensalltag von Senegales*innen in Berlin ausüben (Labor Migration 2014). In Beziehung zueinander gesetzt eröffnen die Begriffe Migration und Mobilität eine Perspektive auf die gleichzeitigen Prozesse der Verortung in unterschiedlichen Kontexten und die Eingebundenheit in Macht- und Herrschaftsverhältnisse. Hierdurch werden die Verbindungen entlang Bewegung und Verortung besser greifbar; auch zeitliche Dynamiken dieser Phänomene lassen sich damit in Zusammenhang bringen. Innerhalb der interdisziplinären Migrationsforschung etablierte sich seit Ende der 1990er Jahre das Paradigma der transnational studies (Glick Schiller, Basch und Blanc-Szanton 1992; 1995). Viele Forschungen fokussierten

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nun grenzüberschreitende soziale, ökonomische und politische Beziehungen sowie globale Verbindungen (vgl. Levitt und Jaworsky 2007; Levitt und Khagram 2007). Gerade die Betonung nationaler Kategorien und die Vernachlässigung anderer Referenzrahmen (wie beispielsweise Region oder Stadt) führte jedoch auch zu Kritik an den transnational studies. Als Gegenentwurf schlugen beispielsweise Freitag und von Oppen (2010) den Begriff der Translokalität vor, der es ermöglicht, soziale Felder über unterschiedliche Grenzen hinweg besser zu verstehen.1 Damit können verschiedene Verortungspraktiken und Strategien der simultanen Einschreibung (Levitt und Glick Schiller 2004) auch innerhalb nationalstaatlicher Grenzen begriffen werden. Der Begriff Translokalität wird in dieser Arbeit in Abgrenzung zu Transnationalismus genutzt, um unterschiedliche lokale oder auch regionale Verortungen gleichwertig zur nationalstaatlichen Kategorie zu betrachten. Gleichzeitig betone ich damit die Bedeutung von Orten als Ergebnis von Praktiken des place-making (Desplat und Schulz 2012) in grenzüberschreitenden sozialen Feldern. Neuere ethnologische Ansätze zur Migrationsforschung schließen häufig an die erwähnte Kritik an der transnationalen Perspektive an, wobei sie am Begriff der Migration festhalten (z.B. Drotbohm und Nieswand 2014; Bojadžijev und Röhmhild 2014; Hahn und Klute 2007). Migration wird hier allerdings nicht als Krisenphänomen oder Teil von ökonomischen, ökologischen oder politischen Umbrüchen betrachtet (Werthmann, Grätz und Hahn 2004:326); vielmehr werden solche abstrakten Kategorisierungen und vereinfachenden Theoretisierung als Teil eines hegemonialen Diskurses kritisiert: „[A]nthropology can question the premises underlying the notion that migration is a valid field of study in which ‚the migrant‘ emerges as a special sort of person, with special needs and problems, who is doing something unusual in moving between places. [...] To essentialize them [migrants] as ahistorical ‚migrant stock‘, or to categorize them as abstract types (the ‚economic migrant‘ or the ‚forced migrant‘), to reduce their motivations to models of push and pull, all are forms of domination in which the poor are ‚migrants‘ and the rich are ‚mobile‘.“ (Gardner 2013:312)

1

Häufig wird auch der ‚methodologische Nationalismus‘ kritisiert (Levitt und Khagram 2007; Nieswand 2011; Glick Schiller und Faist 2010).



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Hierbei wird deutlich, wie stark der Begriff der Migration umgedeutet und jetzt als Teil des gesellschaftlichen Zentrums und nicht deren Randerscheinung betrachtet wird. Auf diese Weise gelingt es, die Produktion des mobilen, migrantischen ‚Anderen‘ als Gegensatz zur Weißen, sesshaften Mehrheitsgesellschaft zu dekonstruieren (Bojadžijev und Röhmhild 2014); außerdem können so neben den Erfahrungen der Personen, die häufig als Migrant*innen bezeichnet werden, auch Nicht-Migrant*innen und Institutionen, die mit diesen Begriffen und Personengruppen umgehen, in die Forschungen zu transnationalen Beziehungen einbezogen werden (Drotbohm und Nieswand 2014). Damit werden die gesellschaftlichen Zusammenhänge zum Forschungsgegenstand, die Migration erst als abgrenzbares Phänomen in Erscheinung treten lassen. Im Anschluss an diese Perspektive dienen die Begriffe der Migration und Migrant*innen in dieser Arbeit also dazu, um auf gesellschaftliche Rahmenbedingungen und Zuschreibungen zu verweisen und den offenen Begriff der Mobilität zuzuspitzen. Mit dem Begriff der Mobilität weist diese Arbeit über die herkömmlichen theoretischen Ansätze zu Migration hinaus, die sich an den Dichotomien von Herkunft- und Ankunftsland, Integration und Anpassung, Bewegung und Stillstand abarbeiten (Lehnert und Lemberger 2014). Mobilität, gefasst als geografische Bewegung von Personen, ist nicht Ausnahmefall und Krise, sondern Normalität. Es bleibt noch darauf hinzuweisen, dass einige Autor*innen in Bezug auf Subsahara-Afrika zeigen konnten, wie die Form der Mobilität nach Alter, Geschlecht oder sozialem Status variiert (Bruijn, Dijk und Foeken 2001:1). Geografische Mobilität ist folglich eng mit sozialer Mobilität verbunden und unterschiedliche Formen der Mobilität sind für Familien- und Lebensentwürfe gerade mit einem Blick auf die Geschichtlichkeit von ‚Mobilitäten‘ bedeutsam (z.B. De Bruijn 2007). Mobilität zwischen Europa und Afrika wird in dieser Arbeit somit als spezifische Ausformung interner, regionaler und Süd-Süd-Migration verstanden, die historisch geprägt ist und sozialen Wandel zur Folge hat (siehe dazu 4.4). Zudem beziehe ich in dieser Arbeit (vgl. Kapitel 5 und 6) auch die Mobilität von Dingen, technischen Geräten oder Ideen mit in die Untersuchung ein, denn erst dies ermöglicht die Betrachtung von Mobilität als sozio-kulturellem Konstrukt, das im Alltag erlebt und erfahren wird (vgl. Salazar und Smart 2011). Mobile Objekte und Ideen aus dem Herkunftskontext und mobile (digitale) Bilder prägen maßgeblich den Alltag der Senegales*innen in Berlin. Diese vielfältigen Objekte in Bewegung gestalten soziale Bezie-

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hungen und stellen emotionale wie soziale Zugehörigkeit her. Die vielfältigen Erfahrungen und Bewegungen von Personen, Dingen und Symbolen (Zillinger 2012; Latour 2007) und deren Verbindung mit unterschiedlichen Vernetzungspraktiken stehen damit im Fokus der Analysen dieser Arbeit (vgl. auch 4.3).

4.2 Soziale Beziehungen in der Migrationsforschung und den transnational studies Transnationalism is all about relationships, and following them (rather than ­assuming them) is one way of dealing with the perils of methodological nationalism. (Madianou und Miller 2012a:6)

Bis vor Kurzem wurde sowohl in der Migrations- als auch in der Transnationalismusforschung wenig Augenmerk auf soziale Beziehungen gerichtet. Mit der wegweisenden Aufsatzsammlung von Brycon und Vuorela (2002a) wurde erstmals im Zuge der neuen transnational studies auf die Bedeutung familiärer Verbindungen über nationale Grenzen hinweg eingegangen. Die transnationale Familie definieren die Autor*innen als: „[...] families that live some or most of the time separated from each other, yet hold together and create something that can be seen as a feeling of collective welfare and unity, namely ‚familyhood‘, even across national borders.“ (Bryceson und Vuorela 2002b:3).

Damit legt die ethnologische Transnationalismusforschung in jüngerer Zeit einen Fokus auf Verwandtschaftsdynamiken (z.B. König und de Regt 2010) und fragt danach, wie Familie über geografische Distanz und Grenzen hinweg aufrechterhalten und gestaltet wird. Zentrale Aspekte, die in den Arbeiten der Bände thematisiert werden, sind der ungleiche Zugang zu Mobilität und Ressourcen, unterschiedliche Lebensstile der einzelnen Familienmitglieder und ihre multiplen nationalen Bezüge, Zugehörigkeiten und Loyalitäten (Bryceson und Vuorela 2002b; König und de Regt 2010). Dabei werden vor allem die negativen Auswirkungen der transnationalen Lebenssituation auf



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die sogenannte engere Familie betrachtet und Schwierigkeiten, Spannungen und Trennungen analysiert (Parreñas 2005; Pribilsky 2007). Mit der engeren Familie rücken einerseits Beziehungen zwischen transnationalen Ehepartnern in den Blick, wie sich Geschlechterideologien und Vorstellungen von Mutterschaft durch die transnationale Situation verändern (Cole 2014; Dreby 2006; Drotbohm 2010b; Parreñas 2005) oder welche Rolle die Zurückgebliebenen und die Sorge-Tragenden einnehmen (Baldassar und Merla 2013; Drotbohm 2010b). Andererseits geht es um die emotionalen Schwierigkeiten von Eltern, die getrennt von ihren Kindern leben, oder um Verlassenheitsgefühle der Kinder (Dreby 2006; Kufakurinani, Pasura und McGregor 2014; Parreñas 2005; Poeze und Mazzucato 2013).2 Diese Studien untersuchten in geografischer Hinsicht bislang vor allem lateinamerikanische und asiatische transnationale Familien, westafrikanische transnationale soziale Verbindungen hingegen standen deutlich seltener im Fokus (Mazzucato u.a. 2015:144). Auffällig ist zudem, dass in diesen Studien häufig kleinfamiliäre Beziehungen betont werden (Hannaford 2017; Hannaford und Foley 2015), ohne die erweiterte Familie oder horizontale Verbindungen wie Geschwisterbeziehungen ausreichend in den Blick zu nehmen. Einige neuere Arbeiten zu transnationalen Familien in Afrika kritisieren daran die Tendenz, Familie aus westlichen Kategorien heraus als Kernfamilie zu untersuchen, und verweisen in diesem Zusammenhang auf Erkenntnisse insbesondere aus der afrikabezogenen Verwandtschaftsethnologie (vgl. Alber, Martin und Notermans 2013; Alber u.a. 2008; Alber und Bochow 2006). Dort wird deutlich, dass Kinder auch in transnationalen Familien nicht oder nicht ausschließlich in der Kernfamilie aufwachsen, Großeltern oder andere Personen die Eltern-Kind-Beziehungen erweitern und sich ein transnationales soziales Feld durch gegenseitige soziale Abhängigkeiten auszeichnet (Drotbohm 2010a, 2013; Whitehouse 2009; vgl. auch Leinaweaver 2010, 2008 für das andine Peru). Divergierende Haltungen im Herkunfts- und Aufenthaltskontext führen zu Veränderungen in moralischen Einstellungen etwa darin, zu wem enger Kontakt gehalten werden soll (Øien 2006). Nur wenige Arbeiten (z.B. Drotbohm 2010a; vgl. auch Strathern 1996) fokussierten auf die sozialen und emotional distanzieren2

Neuere Forschungen widmeten sich auch mobilen Kindern, die zur Erziehung und Ausbildung migrieren, und untersuchten, wie diese jungen Personen insbesondere zu den Müttern Verbindungen halten und welche Auswirkungen dies auf ihr Selbstverständnis und die Mutter-Kind Beziehungen hat (Ensor und ­Gozdziak 2010; Heidbrink 2014; Parreñas 2005).

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den Aspekte wie Brüche, Konflikte oder gar das vollständige Abbrechen von verwandtschaftlichen Beziehungen. Insgesamt verbindet die oben genannten Studien, dass sie zwar den Blick auf transnationale soziale Beziehungen richten, doch selten im Detail darauf eingehen, wie diese Beziehungen durch die vielfältigen medialen Verbindungen und materiellen wie immateriellen Objekte und Symbole hergestellt, ermöglicht und gestaltet werden. Die Arbeiten von Heike Drotbohm (2010b) zu Klatsch als verbindendem Mittel oder die Arbeit von Maria Abranches (2013) zu informellem Handel und der Zirkulation von Essen als Teil von sozialen Beziehungen und Räumen zwischen Guinea Bissau und Portugal stellen Ausnahmen dar. Meistens wird ignoriert, welche Auswirkungen die transnationale Mobilität auf unterschiedliche Familienmitglieder der erweiterten Familie hat und wie dies familiäre und nicht-familiäre Beziehungen beeinflusst.

4.3 Transnationale soziale Beziehungen und Medien(-technologien) Eine der ersten Untersuchung von sozialen Beziehungen und Medien war die fünfbändige Studie ‚The Polish Peasant in Europe and America‘ von William I. Thomas und Florian Znaniecki (1918, 1995). Die Beziehungen zwischen polnischen Einwanderern in Chicago und bäuerlichen Familien in Polen zu Anfang des 20. Jahrhunderts wurden vor allem durch Briefe aufrechterhalten. Die zahlreichen bei Thomas und Znaniecki (1918, 1995) abgedruckten Übersetzungen der Briefe, Dokumente und biografischen Erzählungen verdeutlichen, wie durch die gegenseitigen Erwartungen und Anforderungen Beziehungen hergestellt wurden und welche Spannungen auftraten. Durch den innovativen methodischen Umgang mit den Briefdokumenten in Verbindung mit weiteren empirischen Materialien rückte die Arbeit seit den 1980er Jahren als bahnbrechende empirisch-soziologische Studie in den Fokus sozialwissenschaftlicher Betrachtung, die zudem aufschlussreiche medienhistorische Erkenntnisse bereithielt (Bulmer 1986, insbesondere Kapitel 4). Diese Wiederentdeckung ging einher mit der Beobachtung, dass ‚neue‘ Medientechnologien wesentlich für die Aufrechterhaltung von transnationalen sozialen Beziehungen sind und Migrant*innen eine Vorreiterrolle in der Aneignung dieser Medien spielen. Eindrückliche frühe Beispiele sind Hochzeitsannoncen (Thomas und Znaniecki 1918, 1995), Audiokassetten



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(Sayad 1985), Super-8-Filme und Videoaufnahmen (Suri 2002, 2005; Schein 2002; Kolar-Panov 1996), die zwischen transnationalen Familienmitgliedern schon seit den 1960er Jahre zirkulierten. Bis auf wenige Ausnahmen wurden in diesen Arbeiten die audiovisuellen Produkte analog zu Texten als ‚Video-Briefe‘ analysiert und nicht ausreichend auf die medienspezifische Gestaltung und die daraus resultierenden spezifischen Erfahrungen und Aneignungspraktiken eingegangen. Ausnahmen sind die filmischen Auseinandersetzungen mit diesen transnational zirkulierenden Filmaufnahmen von Sandhya Suri (2002, 2005) und Rebecca Savage (2011, 2012). Seit den 1990er Jahren wurde die Bedeutung von Medientechnologien für die Ausgestaltung translokaler und transnationaler sozialer Räume für neue diasporische Identitäten betont (Appadurai 1996b; Georgiou 2006; Gow 2004; Karim 2003; Karim 1998; Werbner 2002). Allerdings konzentrierten sich die meisten ethnologischen Studien bis Anfang der 2000er Jahre entweder auf die Inhalte migrantischer Medien (z.B. Derderian 2004; Echchaibi 2007; Kosnick 2007; Reutershan 2008) oder auf die Darstellung von Migrant*innen in den Medien der Aufenthaltsgesellschaften (Wood und King 2001; siehe z.B. auch Beck und Wittmann 2004; Raissiguier 2003; Riccio 2001, 2005). Wenige Autor*innen haben diese beiden Perspektiven wie Wanning Sun (2002) zusammengeführt. Konkrete Untersuchungen zur medialen Gestaltung der Alltagsrealitäten von Migrant*innen und zu deren alters-, bildungs- und geschlechtsspezifischen Zugriff auf Medientechnologien fehlten zu diesem Zeitpunkt größtenteils (Mahler und Pessar 2006:43; siehe jedoch Schulz 1999, 2000; Spitulnik 1993, 1994). Erst seit Anfang der 2000er Jahre rückte mit dem verstärkten Fokus auf Onlinekommunikation zunehmend die Gestaltung transnationaler sozialer Beziehungen durch Medientechnologien ins Zentrum (z.B. Greschke 2009; Vertovec 2004; Miller und Slater 2000; McKay 2010; Johnson und McKay 2011; McKay 2012; Baldassar 2008; Baldassar u.a. 2016). Zunächst legten viele Arbeiten einen Fokus auf Online-Gemeinschaften und betonten die neuen Möglichkeiten der Verbindung und Nähe, wie beispielsweise Heike Mónika Greschke in ihrer Ethnografie über den Alltag im paraguayischen Webportal cybervalle.com (2009, 2012). In ihrer richtungsweisenden Arbeit zur Internetnutzung in Trinidad verbanden Daniel Miller und Don Slater (2000) Online- und Offline-Forschung und verwiesen auf die Bedeutung von Internetcafés für transnationale Beziehungen. Gleichermaßen wurden Telefonläden und günstigere Telefonverbindungen für die Aufrechterhaltung transnationaler Familienbeziehungen

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herausgestellt (Vertovec 2004). Jüngere Studien fokussierten auf die unterschiedlichen Dimensionen von Mobiltelefonverbindungen wie Telefonieren, SMS-Schreiben, Geldtransfers oder auch die Praktik des beepens, um zurückgerufen zu werden, als Teil der transnationalen sozialen Beziehungen (Donner 2007; Hahn und Kibora 2008; Johnson 2013; Paragas 2010; Wallis 2013; Horst 2006). Häufig werden in neueren Arbeiten Mobiltelefonpraktiken in Verbindung mit Internetanwendungen aus der Perspektive von Internet- und Kommunikationstechnologien (ICT) oder als Teil von neuen Medien untersucht (Burrell 2012; Madianou und Miller 2011; Cuban 2017; Sow und Alissoutin 2009). Diese Arbeiten gehen meist davon aus, dass die bessere Verbundenheit und die vielfältigen Möglichkeiten der Kontaktaufnahme auch zu einer größeren Nähe und Vertrautheit führt. Primus Tazanu (2012) und Bettina Frei (2013) zeigen in ihren komplementär angelegten Medienethnografien allerdings, dass die verfügbaren Mobil- und Internetverbindungen in transnationalen Beziehungen zwischen Kamerun und Deutschland bzw. der Schweiz eher zu Missverständnissen, Konflikten und Entfremdung aufgrund gegenseitiger falscher oder zu hoher Erwartungen führen. Die fehlende physische Anwesenheit kann auch ein Bedürfnis nach Kontrolle und Überwachung von Ehefrauen auslösen (Hannaford 2014). Eine Zuspitzung dieser Perspektive findet sich in der Arbeit von Jennifer Cole (2014), die anhand des téléphone malagache beschreibt, wie durch Klatsch und Heimlichkeit über das Telefon je nach biografischer Situation ihrer madagassischen Gesprächspartnerinnen in Frankreich translokale und transnationale Verbindungen gezielt abgebrochen werden. Auffallend ist bei den Arbeiten zu transnationalen sozialen Beziehungen und medialen Vermittlungen, dass bis vor Kurzem die kombinierte Verwendung verschiedener Medien durch die transnationalen Nutzer*innen und die daraus resultierende Dynamiken nicht ausreichend ethnografisch untersucht wurden. Im Gegensatz zu den zahlreichen Studien, die vor allem auf einzelne Medientechnologien (wie Mobiltelefon oder Internet) fokussierten, entwarfen Daniel Miller und Mirca Madianou (2012b, 2012a) in ihrer Ethnografie zu transnationalen Beziehungen zwischen philippinischen Müttern in Großbritannien und ihren auf den Philippinen zurückgebliebenen Kindern eine Theorie der medienvermittelten sozialen Beziehungen, die sie mit dem Begriff polymedia zusammenfassen. Mit polymedia bezeichnen Madianou und Miller die Möglichkeit, unterschiedliche Medientechnologien für spezifische Ziele und emotionale Bedürfnisse innerhalb der transnationalen Kommunikation einzusetzen. Einzelne Medientechnologien betrachten sie eingebettet



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in eine Vielzahl von möglichen Medientechnologien, die kontextspezifisch und situativ ausgewählt werden. Die Autor*innen verweisen damit auf einen „qualitative shift in the way technologies mediate relationships“ (Madianou und Miller 2012a:8) und auf eine neue Beziehung zwischen dem Sozialen und dem Technologischen – ohne jedoch genau zu erläutern, was diese neue Qualität der Beziehung ausmacht. Madianou und Miller gehen von einem Mangel an physischer Kopräsenz aus, der durch die Auswahl der unterschiedlichen Medientechnologien – einer Medienumwelt – teilweise kompensiert werden soll. Allerdings gehen sie dabei nicht ausreichend auf unterschiedliche kulturell und historisch geprägte Vorstellungen von Präsenz und Vermittlung in sozialen Beziehungen ein. Nicht nur in Miller und Madianous Arbeiten basieren die Beschreibungen von Medienpraktiken lediglich auf Gesprächen und Interviews, ohne ausreichend auf die spezifische Medialität und Materialität digitaler Geräte, Plattformen und Interaktionen einzugehen. Besonders deutlich wird dies an der fehlenden Auseinandersetzung mit Bildern und Visualität im Allgemeinen in transnationalen Beziehungen.3 Bilder und Videobotschaften formen in ihrer Einbettung in Nachrichten, Geschenke und Güter gemeinsame ‚Geschichten‘, die Migrant*innen wie Nicht-Migrant*innen in emotionale und verpflichtende Netzwerke einbinden (McKay 2012 v.a. Kapitel 6; vgl. auch Kea 2017). Videos von Ereignissen wie Hochzeiten oder Taufen können sogar als filmische Orte untersucht werden. Rebecca Savage zeigt in Bezug auf transnationale Beziehungen zwischen Mexico und den USA, dass durch die spezifische filmische Erfahrung Zugehörigkeit und transnationalen Imaginationen erst ermöglicht werden (Savage 2012). Zudem werden durch die technischen und audiovisuellen Erfahrungen von Skype und neuen Webcamtechnologien Nähe und Distanz kontinuierlich ausgehandelt und „synchrone soziale Räume“ hergestellt (Köhn 2016:28, 2014; Miller und Sinanan 2014). Genauso wie die asynchronen verdeutlichen auch die synchronen Verbindungen jedoch die gleichzeitige Einbindung (incorporation) an unterschiedliche Orte und Einbeziehung der sozialen Kontexte im Ursprungs- und Herkunftsland (vgl. Levitt und Glick Schiller 2004).

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Neben der Visualität spielt natürlich auch die Stimme als Medium der Kommunikation eine wichtige Rolle in transnationalen Beziehungen. Aufgrund der Fokussierung auf Visualität kann in dieser Arbeit nicht auf diese wichtigen auditiven Aspekte eingegangen werden.

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4.4 Mobilität und Migration inner- und ausserhalb Senegals Vielfältige medienvermittelte soziale Beziehungen sind Teil des Alltags vieler Haushalte in Senegal. Regelmäßige Skypeverbindungen stellten zum Zeitpunkt meiner Forschung jedoch eher eine Ausnahme dar, was auch in der einführenden Feldforschungsszene zu Beginn dieses Kapitels zur Sprache kam. In der kurzen Beschreibung des Skypegesprächs zwischen Malick und Lamin sowie ihren Familien traten unterschiedliche Formen der (Im-) Mobilitäten und Migrationen zu Tage, die nicht nur Personen, sondern auch Dokumente und technische Infrastruktur betrafen. Postkoloniale Mobilität führte in Senegal vor allem vom Land in die Stadt und so zu einem raschen urbanen Wachstum in den ersten drei Jahrzehnten der Unabhängigkeit vieler afrikanischer Staaten und insbesondere Senegals (Kane und Leedy 2013b:2; z.B. auch Lambert 2002). In fast jedem Haushalt in Senegal gibt es mindestens ein Mitglied, das innerhalb Senegals oder über nationale und kontinentale Grenzen hinaus migriert ist. Häufig waren oder sind mehrere Mitglieder eines Haushaltes, auch Kinder und Jugendliche, eine Zeitlang abwesend. Die Formen der Bewegungen sind dabei sehr unterschiedlich: Sie umfassen Arbeits- und zirkuläre Migration, Land-Stadt-Bewegungen, Süd-Süd- und internationale Mobilität, die teilweise irregulär über die gefährlichen Routen des Mittelmeeres führen, teilweise durch Besuche und touristische Reisen eingeleitet werden (Chort 2012; Willems 2008; Ba und Ndiaye 2008; Bouilly und Marx 2008; Diop 2008). Zunehmend wird die Rückkehr als freiwilliges Lebensprojekt oder unfreiwillige Deportation von irregulären Migrant*innen Thema (Diatta und Mbow 1999; Flahaux, Beauchemin und Schoumaker 2014; Gonnelli 2014). Neuere Publikationen zu Migration in Afrika und dem frankophonen Westafrika konzentrieren sich zumeist auf einzelne ethnische oder religiöse Gruppen (vgl. z.B. Buggenhagen 2012b; Kane und Leedy 2013a; Lambert 2007) und vernachlässigen die komplexen Verflechtungen in heterogenen urbanen Kontexten. Für die vorliegende Arbeit erwies sich dieser Fokus als unzureichend, da in den meisten Wohnvierteln in Dakar, wie dies für viele urbane Zentren in Afrika, aber auch für europäische Städte mit hohem Anteil an Migrant*innen wie etwa Berlin kennzeichnend ist, eine starke religiöse und ethnische Durchmischung und gegenseitige Beeinflussung stattfindet. In diesem Unterkapitel werden die wichtigsten Charakteristika der Mobilität und Migration in und außerhalb Senegals anhand einer kurzen Litera-



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turdarstellung aufgezeigt. Zunächst wird die spezifische Situation in Senegal vor dem Hintergrund der Mobilität und Migration in Westafrika herausgearbeitet (4.4.1). Nicht nur die Gründe der Migration oder die unterschiedlichen Formen von Mobilität werden hier angeführt, sondern vor allem die nachhaltigen und andauernden Auswirkungen von Migration und Mobilität auf die senegalesische Gesellschaft und soziale Beziehungen verdeutlicht (4.4.2). Die Beziehung von Medien und Mobilität in Senegal wird in einem weiteren Unterkapitel herausgearbeitet (4.4.3) und dabei zwischen der medialen Darstellung von Migration in den Herkunfts- und Aufenthaltsländern und der transnationalen Kommunikation unterschieden.

4.4.1 Kurze Geschichte der Mobilität und Migration in Senegal seit der Unabhängigkeit Senegal war vor und nach der Unabhängigkeit 1960 aufgrund einer relativ stabilen politischen und wirtschaftlichen Situation ein Zielland für Saisonarbeiter, politische Flüchtlinge und Verfolgte aus der Region. Aufgrund der guten Transportverbindungen und der Bahnlinie zwischen Dakar und Bamako wanderten beispielsweise viele malische Händler und deren Familien nach Senegal ein. Aus der Elfenbeinküste, dem Gabun und Kongo kommen bis heute zahlreiche junge Menschen zum Studium nach Dakar oder SaintLouis. Andere sind auf der Suche nach Arbeit oder auch aufgrund des kosmopolitischen Rufes der Stadt in Dakar. In den zentralen Stadtteilen Dakars haben sich schon vor der Unabhängigkeit libanesische Händler angesiedelt (Leichtman 2005), die später von chinesischen Händlern Konkurrenz bekamen (Marfaing und Thiel 2013). Doch ist Senegal und insbesondere Dakar aufgrund der relativ hohen Lebenshaltungskosten nicht die erste Wahl als Ziel, viele bevorzugen günstigere Nachbarregionen. Unterschiedliche Krisen in den umliegenden Ländern (wie Gabun, Guinea, Guinea-Bissau und Mali) führten auch dazu, dass vermehrt europäische und amerikanische NGOs und Firmen ihren Standort ins politisch relativ stabile Senegal verlegten und dort die Gruppe der seit der Kolonialzeit ansässigen, meist französischsprachigen Migrant*innen sichtbar zunahm. Gleichzeitig bietet die jüngste Geschichte eine Fülle an unterschiedlichen Ausformungen und Modellen senegalesischer Migration. Zunächst war vor allem die inner-rurale Migration der saisonalen navétanes von großer Bedeutung (David 1980). Die landwirtschaftliche saisonale Migration führte vor allem während des hivernage (Regenzeit) viele landwirtschaftliche Arbeiter

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in die Erdnussanbaugebiete des Senegals. Seit den großen Dürreperioden in den 1970er Jahren kam es zu einer massiven Abwanderung in die Städte. Auch der Konflikt in der Casamance seit Anfang der 1980er Jahre führte zu steigenden internen Bevölkerungsbewegungen. In Senegal traf die erste postkoloniale innerstaatliche Migration nicht allein Männer; auch Frauen entweder als saisonale Arbeiterinnen oder Ehefrauen, die ihren Männern nachfolgten, in die Städte (Lambert 2007). Gleichzeitig mit den Bewegungen nach und innerhalb Senegals lässt sich seit den 1960er Jahren eine zirkuläre senegalesische Arbeitsmigration innerhalb West- und Zentralafrikas beobachten. Aufgrund der hohen Nachfrage an Arbeitskräften waren zunächst die Elfenbeinküste und der Gabun, ab den 1970er Jahren im Rahmen des Edelsteinhandels insbesondere Kongo (Brazzaville) und Kamerun beliebte Zielländer. Doch die wirtschaftlichen Krisen dieser Länder seit Ende den 1980er Jahre, die Kriege im Kongo in den 1990er Jahren und in der Elfenbeinküste ab 2002 zwangen diese Migrant*innen zur Rückkehr oder zur Suche nach neuen Zielen innerhalb oder außerhalb Afrikas. Häufig waren die urbanen Zentren Transitorte für weitere Mobilität. Parallel zu dieser dominanten innerafrikanischen Migration entwickelte sich seit den 1950er Jahren eine internationale Mobilität nach Europa, vor allem nach Frankreich, der ehemaligen Kolonialmacht. Den Anfang bildete in den 1950er Jahren die kleine, aber signifikante Gruppe ehemaliger senegalesischer Soldaten, die im Ersten und Zweiten Weltkrieg auf der Seite Frankreichs gekämpft hatten (Carter 1997:16; vgl. Manchuelle 1997). Zahlreiche Arbeiten über die engen Verbindungen von senegalesischer innerstaatlicher Mobilität und internationaler Migration gehen zunächst vor allem auf Frankreich ein. Im Verlauf der 1960er Jahre nahm die Gemeinschaft der Senegales*innen in Frankreich aufgrund von lokal beschränkter Anwerbung und familiärer Beziehungen vor allem aus dem Tal des Senegalflusses rapide zu; die meisten, die sich als Senegales*innen bezeichneten, waren nicht Wolof (Manchuelle 1997:216 ff.).4 Besonders eindrücklich führte dies Adrian Adams am Beispiel der Soninké aus dem Norden Senegals aus dem Tal des Senegalflusses aus (Adams 1977; siehe auch Delaunay 1984). Die mittlerweile klassische ethnologische Studie zur Situation der Soninké in 4

Dies hängt nicht nur mit der Arbeitsmigration und spezifischen verwandtschaftlichen Verbindungen, sondern auch mit der spezifischen „Kultur der Migration“ bereits in präkolonialen und kolonialen Kontexten zusammen (Manchuelle 1997:275ff; Dedieu 2005:100).



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Frankreich und vor allem in Paris von Mahmadou Timera (1996) zeigte die soziale Marginalisierung dieser Gruppe in Frankreich und verwies gleichzeitig auf die zunehmende Bedeutung des Islams für die eigene Identität und Gruppenzugehörigkeit. Andere Autor*innen verwiesen auf die dörflichen Strukturen des Zusammenhalts, die in Frankreich von Migrant*innen aus derselben Region nachgebildet werden (Dia 2008), oder auf die Auswirkungen von finanziellen Rücküberweisungen auf die dörflichen und sozialen Strukturen in der Herkunftsregion (Dia 2007). Häufig wird die senegalesische Migration in unterschiedliche Phasen eingeteilt. Mahamet Timera (1997:42) beispielsweise beschreibt neben Bewegungen vor dem Ersten Weltkrieg zunächst die zunehmende Arbeitsemigration nach der Unabhängigkeit Senegals, die durch den steigenden Bedarf an Arbeitskräften in Frankreich und die doppelte Staatsangehörigkeit ermöglicht wurde. Das Jahr 1974 markierte eine Wende in der Einwanderungspolitik Frankreichs: Die Vergabe von Visa wurde restriktiver und dadurch vor allem die zirkuläre Arbeitsmigration alleinstehender Männer stark eingeschränkt. Familienzusammenführungen hingegen waren weiterhin erlaubt. Dies führte bis in die 1990er Jahre mit der proportionalen Zunahme an senegalesischen Frauen und Kindern in Frankreich zu einer demografischen Verlagerung (Trauner 2005). Dadurch wurden Senegales*innen in Frankreich insgesamt sichtbarer, da sie aus den relativ schlechten und abgelegenen Wohneinrichtungen, den auf alleinstehende Männer ausgelegten foyers, in familienfreundlichere Gegenden zogen. Mit den Restriktionen bei der Einreise nahm die Mobilität insgesamt und die zirkuläre Migration im Speziellen ab und änderte sich – auch mit dem Zuzug der Familien – zu einer stärker stationären und auf Dauer ausgerichteten Migration von Se­ne­ ga­les*innen in Frankreich. Parallel zur Arbeitsmigration und die Familienzusammenführungen kamen junge Menschen vor allem zu Ausbildungszwecken und zum Studium nach Frankreich. Bei dem Fokus auf (singuläre) ökonomische und politische Motive für die Mobilität wird häufig übersehen, dass vor allem junge, unverheiratete Männer aus Senegal die Reise nach Europa auch aus Neugier und Abenteuerlust antreten. Das faire l’aventure und die damit verknüpfte Hoffnung, als sozial veränderte und reiche Person zurückzukehren, rückt angesichts der restriktiven Politik Frankreichs und der Regulierung der Bewegungsfreiheit von Senegales*innen nach Europa insgesamt häufig in den Hintergrund (Mbodji 2008; Bertoncello und Bredeloup 2008). Viele Arbeiten fokussieren auf religiöse Gruppen und Verbindungen beispielsweise

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zwischen Marseilles und Tuba (Bava 2002, 2003) oder auf Ethnizität in Verbindung mit Religion als Verbindungs- oder Differenzmerkmal (z.B. Grodz und Smith 2014b). Mit den Pasqua-Gesetzen (lois Pasqua von 1993) und den darauffolgenden Debré-Gesetzen (1997) wurde die Einwanderungspolitik weiter verschärft. Diese Gesetze schränkten jetzt auch Familienzusammenführungen ein, die an höhere Einkommen und adäquate Unterkunft gekoppelt wurden, und drängten etablierte Einwanderer, die legal nach Frankreich gekommen waren, in einen ‚irregulären‘ Aufenthaltsstatus (Trauner 2005:231). Vor allem diese Gruppe von ‚Illegalisierten‘ aus Senegal, die trotz längerem Aufenthalt in Frankreich keine Aufenthaltsbescheinigung erhielten, protestierten zusammen mit Betroffenen aus Mali gegen die Restriktionen und besetzten 1996 die Kirche St. Bernard in Paris. Als Teil der sans-papier-Bewegung wehrte sich diese Gruppe mit zahlreichen Protestformen gegen die Stigmatisierung und Ausgrenzung (Raissiguier 2003, 2010). Die restriktive Gesetzgebung Frankreichs seit Ende der 1980er Jahre führte dazu, dass alternative Zielländer in den Fokus vieler Senegales*innen rückten. Für Händler*innen waren die USA ein beliebtes Ziel, größere senegalesische Gemeinschaften leben in New York, Chicago und Boston (z.B. Babou 2009; Buggenhagen 2009; Salzbrunn 2004; Kane 2011). Auch europäische Länder wie Italien und Spanien ohne besondere – etwa koloniale – Verbindungen zu Senegal wurden zu beliebten Zielen (z.B. Carter 1997; Riccio 2008; Willems 2008): Hier gab es einen relativ leichten Zugang über Nordafrika, die Arbeitsmöglichkeiten in Gemüseanbaugebieten beispielsweise Südspaniens und Tätigkeiten als fliegende Händler oder im Baugewerbe. Auch die regelmäßige Amnestie irregulärer Migration in Italien und Spanien trugen zu einer Festigung der senegalesischen Gemeinschaften in diesen Ländern bei (siehe auch Vickstrom 2013). Eine geringere Anzahl von Senegales*innen schafften es, sich in weiteren europäischen Zielländern niederzulassen, wie beispielsweise die Niederlande, die Schweiz oder eben auch Deutschland (z.B. Gemmeke 2011; Salzbrunn 2014; Marfaing 2003b; vgl. auch Lovio 2013 zu Senegales*innen in Finnland). Trotz der innereuropäischen nationalstaatlichen Unterschiede für Senegales*innen in der Migration ist Europa nicht nur aufgrund des europäischen Grenzregimes und (fehlender) europäischer Migrationspolitik Teil von internationalen imperialen Systemen (Carter 1997:35). Spezifische Auswirkungen von Mobilität und Migration auf soziale Beziehungen müssen beispielsweise auch im Licht der ‚neuen‘ Süd-Süd-Verbindungen nach



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Marokko (Lanza 2011), Argentinien (Zubrzycki 2012) oder China (Marfaing und Thiel 2014, 2015) betrachtet werden, die teilweise eng mit den europäischen Mobilitäten verbunden sind.

4.4.2 Mobilität, transnationale Migration und soziale Beziehungen Bereits in Kapitel 3.4.2 zu Geschlechter- und Generationenbeziehungen in Dakar wurde angesprochen, dass viele ethnologische Arbeiten vor allem die Auswirkung der Abwesenheit junger Männer auf die Lebensbedingungen von jüngeren und älteren Frauen in urbanen Haushalten betrachten (z.B. Bouilly 2008; Mondain u.a. 2012). Oftmals schwächt die Abwesenheit der Männer die Position jüngerer Frauen und Ehefrauen in transnationalen Ehen. Fehlende direkte finanzielle Rückführungen sowie moralische und soziale Obligationen verhindern, dass sich diese Frauen sozial verwirklichen können. Von den jungen Frauen wird erwartet, dass sie sich als Sorge-Tragende um die Mütter der abwesenden Ehemänner kümmern und zu den Schwiegereltern ziehen, ohne einen eigenen Haushalt gründen zu können (z.B. Hannaford 2017). Gleichzeitig werden diese jungen Frauen von den abwesenden Männern und deren Familien in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt – einerseits durch die Verwaltung der finanziellen Rückführungen durch die Mutter des Ehemannes, andererseits aber auch durch die direkte Kontrolle ihrer Mobilität (Mondain u.a. 2012; Hannaford 2014; Vives und Vázquez Silva 2017; Buggenhagen 2012b). Die Abwesenheit der (jungen) Männer stärkt also häufig ältere Frauen in ihrer familiären Position durch finanzielle und soziale Unterstützung (Mondain, Diagne und Randall 2012:283; vgl. Buggenhagen 2012b) oder auch der gesellschaftlich veränderten Stellung beispielsweise durch kollektive Organisation von zurückgebliebenen Müttern in Senegal (Bouilly 2008). Diese Perspektiven auf die Veränderung von sozialen Beziehungen vernachlässigen allerdings, dass die jeweilige Stärkung oder Schwächung der Position einer jüngeren oder älteren Frau sehr stark von der familiären Konstellation und der Beziehung zu den jeweils abwesenden Männern abhängt. Durch die fehlende Unterstützung des abwesenden Mannes können sowohl ältere Frauen als auch jüngere Frauen in ihren Positionen geschwächt werden. Im Umkehrschluss können durch die Unterstützung auch jüngere Frauen innerhalb der Familie gestärkt werden, wie die Beispiele in dieser Arbeit zeigen (vgl. insbesondere Kap. 5. 4 und 8.2).

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Mit dem Fokus auf den Erfahrungen von Männern auf geschlechterund generationenspezifischen transnationalen Beziehungen sehen einige Autor*innen Mobilität und Migration als Übergangszeit, die im Fall des Erfolg zum Status des ‚erwachsenen Mannes‘ führen kann (Sinatti 2014; siehe auch Heil 2012). Was hierbei unter Erfolg verstanden wird, kann sich im Migrationsverlauf verändern und beispielsweise Familiengründung oder Hausbau in Senegal beinhalten (Mondain, Diagne und Randall 2012:289). Durch die Migration können sich Senegalesen der eigenen Männlichkeit, der Position als Ernährer der Familie und Haushaltsvorstand versichern (Sinatti 2014, 2011; vgl. auch Newell 2005). Gleichzeitig erschwert die räumliche Distanz zum Haushalt, die eigene Autorität und Rolle als Haushaltsvorstand aufrechtzuerhalten. Schließlich stellt die Erfahrung des häufig großen Statusunterschieds im Herkunfts- und Aufenthaltsland und in den Tätigkeitsfeldern viele Senegales*innen vor große Herausforderungen (vgl. auch Nieswand 2011). Die zunehmende internationale Mobilität von Senegalesinnen rückt erst seit Ende der 1990er Jahre in den Blick der Studien (Ndione und Dial 2010; Sakho und Dial 2010; Ba 2008). Für viele Frauen stehen zunächst ökonomische Motive und die Sorge um die eigene Familie, insbesondere auch der Mütter im Vordergrund. Der Grad der finanziellen und sozialen Autonomie hängt in diesen Fällen meist vom Ehestatus der Frau ab und davon, ob der Ehemann in Senegal oder am Aufenthaltsort der Frau lebt (Evers Rosander 2010; vgl. auch Toma und Vause 2013). Autonomie wird in vielen Arbeit meist mit ökonomischer Unabhängigkeit gleichgesetzt und weniger das Zusammenspiel von gegenseitiger Unterstützung und Abhängigkeit in ehepartnerschaftlichen Beziehungen betrachtet. Obwohl viele Arbeiten die spezifische Verfasstheit transnationaler Geschlechterbeziehungen hervorheben, wird nicht immer deutlich, inwiefern sich Konflikte von beispielsweise erfolgreichen Händlerinnen in lokalen von transnationalen senegalesischen Kontexten unterscheiden (siehe z.B. Sarr 2000). Insgesamt wird in den meisten Arbeiten nicht ausreichend berücksichtigt, welche Auswirkungen der Aufenthaltskontext auf Vorstellungen von Partnerschaft, Ehe und Geschlecht hat und wie jüngere und ältere Männer wie Frauen gleichermaßen durch den Aufenthaltskontext und die Veränderungen im Herkunftskontext beeinflusst werden.



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4.4.3 Medien, Mobilität und Migration in Senegal Bei der Betrachtung von Mobilität, Migration und Medien im Senegal lassen sich drei unterschiedliche Untersuchungsbereiche ausmachen. Zahlreiche Studien widmen sich erstens der medialen Darstellung von Migration und Migrant*innen in Zeitungen, Fernsehsendungen, Filmen und den sogenannten ‚neuen‘ Medien in Senegal selbst (z.B. Riccio 2001; Assopgoum 2011; Rofheart 2013). Hier geht es vor allem um Vorstellungen von erfolgreicher Migration und in jüngerer Zeit um die Themen Gefahr und Tod. Dem steht zweitens gegenüber, wie Senegales*innen in den Medien der jeweiligen Aufenthaltsländer als kriminalisierte Migrant*innen oder soziales Problem dargestellt werden (Carter 1997, Kapitel 5; Riccio 2001). Weitaus weniger Studien beschäftigen sich drittens mit den Möglichkeiten der transnationalen Kommunikation zwischen Senegales*innen im Ausland und deren Familien und Freund*innen in Senegal (z.B. Sow und Alissoutin 2009; Tandian 2009). Meist werden in diesen Studien – wie auch schon in Kapitel 4.3 ausgeführt – einseitig auf die positiven oder negativen Möglichkeiten der Verbindungen eingegangen. Die mediale Darstellung von Migration von Senegales*innen beeinflusst sowohl die Motivation und Imagination von Migration, als auch die Erwartungen an im Ausland lebende Senegales*innen. Bereits senegalesische Filme und Literatur der 1960er und 1970er Jahre thematisierten die Reise nach Frankreich als kulturelles Kapital (Rofheart 2013). Gleichzeitig geht es um bittere Enttäuschungen und den harten Lebensalltag in Frankreich, wie in Sembène Ousmanes Spielfilmdebut La noire de... (1966). Den Bezug zu spezifisch senegalesischen soziokulturellen Zusammenhängen von Hoffnung, Migration und magischen Praktiken stellen Filme wie Djibril Diop Mambétys Film Touki Bouki – die Reise der Hyäne (1973) her. Bis in die 1990er Jahre dominierten positive Vorstellungen von Migration die Literatur; die Zeitungen feiern die Handelsmigrant*innen mit den Begriffen Modou Modou oder Fatou Fatou5 als Held*innen (Riccio 2001:112 f.). Erst seit

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Mit diesen relativ positiv konnotierten Bezeichnungen werden die idealtypischen, meist relativ erfolgreichen und sparsamen Handelsmigrant*innen aus ruralen Gegenden bezeichnet, die aufgrund der hohen finanziellen Rückführungen für die Versorgung der erweiterten Familie aufkommen und in Häuser sowie Feste wie Hochzeiten investieren (vgl. Riccio 2001:112).

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den 2000er Jahren veränderte sich dieses Bild allmählich, als Aufnahmen der irregulären lebensgefährlichen Migration über das Mittelmeer ins Zentrum der massenmedialen Darstellung in Senegal rückten. Das Jahr 2006 markierte mit dem Slogan Barça walla Barzakh6– häufig mit „Barcelona oder Sterben“ übersetzt – einen Höhepunkt der Wahrnehmung der Gefahren und der Opferrolle. Gleichzeitig kritisierten viele Ethnolog*innen die Situation von Geflüchteten in Europa und deren Kriminalisierung als humanitäre Krise (vgl. auch Ticktin 2017; Fassin 2005; Feldman 2011).7 Trotz anhaltend hoher Zahlen von Senegales*innen, die versuchen, unter anderem über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen, differenziert sich die Wahrnehmung der Realitäten der Migrationsrouten und der Situation der senegalesischen Migrant*innen in Europa zunehmend aus. In der senegalesischen Literatur und der Hip-Hop-Szene finden sich Schilderungen und Botschaften über die Gefahren der häufig tödlichen Reisen nach Europa. Es geht um die Auswirkungen auf die Gesellschaft durch die Abwanderung vor allem junger Menschen und die finanziellen Geldsendungen aus der Migration (Rofheart 2013). Dem Bild der arbeitsamen und aufopfernden Migrant*innen, die auch im Ausland ihre Identität als Senegales*innen bewahren, wird in senegalesischen Zeitungen zunehmend das Bild des zu Toubab (Europäer*innen) gewordenen Migrant*innen zur Seite gestellt, die ihre Familie vernachlässigen, ihr Geld verschwenden und ihren sozialen Verpflichtungen nicht nachkommen (vgl. Riccio 2001:112). Das Bild von Senegales*innen in den Medien der Aufenthaltsländer war zunächst geprägt von stereotypen Repräsentationen und populistischer Propaganda einerseits und den Berichten über gewalttätige Übergriffe auf Senegales*innen andererseits, die im Zusammenhang mit einem Anstieg

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Jean Schmitz verdeutlicht in seinem Artikel die unterschiedlichen Bedeutungsebenen der beiden Begriffe: „Barça peut désigner la ville de Barcelone où explose l’emploi dans les métiers peu qualifiés ou bien le club de football – ce dernier sport représentant la promotion rêvée pour beaucoup d’aventuriers – ; de même barzakh dans le Coran désigne une zone d’ombre, une frontière ou un purgatoire, mais également le lieu d’attente du paradis qui sera atteint le jour du jugement dernier pour celui qui, juste avant de mourir, réaffirme sa foi“ (Schmitz 2008:6).

Die Situation der lebensgefährlichen Migration über das Mittelmeer hat sich bis heute noch weiter zugespitzt und findet nur punktuell in der Medienberichterstattung in Deutschland und Senegal Raum.



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rechtsextremer Gewalttaten in Europa stehen (Carter 1997, Kapitel 5; Riccio 2001; Assopgoum 2011). Diese Darstellung veränderte sich jedoch hin zu einer zunehmenden Kriminalisierung und der Darstellung der Immigration als soziales Problem (Riccio 2001:115). Insbesondere Senegales*innen in Italien reagierten auf diese Zeitungsberichte und Bilder, indem sie ihr Erscheinungsbild an afroamerikanische Standards anpassten, sich durch den eigenen Wissens- und Erfahrungsschatz von den immobilen, ‚ignoranten‘ Italiener*innen abgrenzten oder senegalesische moralische Werte über die der Italiener stellten (Riccio 2001:120 f.). Wertvorstellungen zu Familie, Sorge um Kinder und Alte und Religion erlangen so im migrantischen Kontext größere Bedeutung. Insgesamt zielten die Arbeiten zu massenmedialen Repräsentationen von Migration auf verallgemeinerbare Aussagen darüber, was in den Bildern dargestellt wird, ohne konkrete Praktiken der Produktion oder der Aneignung methodisch nachvollziehbar zu machen. Ebensowenig wird in diesen Studien klar, wie diese Repräsentation im Alltag auf Imagination und „selffabrications“ (Appadurai 1996b) einwirken und in welchem Zusammenhang sie zu selbstproduzierten Inhalten wie Fotografien auf Facebook stehen. Gerade die Auseinandersetzung mit diesen alltäglichen Medienpraktiken, mit denen transnationale Verbindungen hergestellt werden, ist für diese Arbeit zentral. Für den senegalesischen Kontext verwies bereits Serigne Mansour Tall (2004) auf die Bedeutung von neuen Technologien wie Mobiltelefonen, Camcordern und Internet für die sozialen (Re-)Konfigurationen der Herkunftsgemeinschaften und für ein ‚neues‘ räumliches Verständnis von sozialen Beziehungen. Beispielhaft führt er den veränderten sozialen Status und die Mittlerfigur von Mobiltelefoninhaber*innen in ruralen Gegenden Senegals an. Mobiltelefonverbindungen werden in einigen Untersuchungen auch in Beziehung zu Informations- und Kommunikationstechnologien gesetzt, ohne jedoch auf konkrete Praktiken der Verbindungen einzugehen (z.B. Sow und Alissoutin 2009; Tandian 2009). Insgesamt werden die positiven Auswirkungen auf die soziale Nähe in transnationalen Beziehungen betont. Im Gegensatz dazu verweist Dinah Hannafords Ethnografie (2014, 2017) vor allem auf die ambivalenten und teilweise negativen Auswirkungen von Mobiltelefonverbindungen in transnationalen ehepartnerschaftlichen Beziehungen. Die medial vermittelte Präsenz der abwesenden Ehemänner wird von den Ehefrauen in Hannafords Studie als Einschränkung ihrer Unabhängigkeit empfunden, außerdem führen Misstrauen, Frustration und Betrug

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zu einer größeren emotionalen Distanz. Hannafords Arbeit verdeutlicht eindrücklich die Auswirkungen globaler Migration und Heirat und die Erfordernisse neoliberaler Mobilität und Anpassung auf verwandtschaftliche Beziehungen. Doch auch in ihrer Arbeit wird nicht differenziert auf die Medialität der unterschiedlichen Technologien eingegangen oder beispielsweise die Bedeutung von Bildern und Visualität und deren Einfluss auf soziale Beziehungen thematisiert. Insgesamt muss festgestellt werden, dass auch die Arbeiten zu Medien und Senegal meist auf einzelne Technologien eingehen, ohne die Intermedialität oder die Auswahl spezifischer Anwendungen (polymedia) in die Analyse mit einzubeziehen. Medien werden im Sinne von Technologie und nicht in ihrer Komplexität als Vermittler in sozialen Beziehungen betrachtet. Zudem haben auch diese Arbeiten die Tendenz, Mediennutzung nicht zu gleichen Maßen auf beiden (oder allen) Seiten der Verbindungen zu untersuchen und die Perspektiven aus Senegal und den Migrationskontexten nicht gleichberechtigt miteinander in Beziehung zu setzen.



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4.5 „Tanzen im Tiergarten“ – Senegal in Deutschland, Senegal in Berlin Anders als in Paris sieht man hier [in Berlin] selten Männer in Boubous. Ich trage sie hier nur zu offiziellen Anlässen, zum Beispiel zu Botschaftsempfängen. Kleidung als kulturelle Ausdrucksform kann ich anlegen, unterschiedlich tragen, verändern, ablegen, erneut anlegen – nicht jedoch meine nackte Haut: Sie bestimmt meine Identität als Mensch. Und ich fühle mich wohl in meiner Haut; sie hindert mich an nichts. Ich kleide mich hier im Alltag westlich, aber ich werde mich niemals ganz assimilieren und meine Wurzeln vergessen. Wie Senghor betonte: Weltoffenheit braucht Wurzeln. (Kanakassy und Klissenbauer 2013:201)

Der in Berlin lebende Künstler Mansour Ciss Kanakassy bringt in seiner Arbeit „Tanzen im Tiergarten“8 und dem Zitat, das diesem Unterkapitel vorangestellt ist, das spezifische Lebensgefühl vieler Senegales*innen in Berlin zum Ausdruck. Viele leben in einem Spannungsfeld zwischen ‚Integration‘ und Rassismus, sie passen sich etwa durch Kleidung und Sprache an die Begebenheiten in Berlin an und werden doch immer wieder durch den Verweis auf ihre Hautfarbe im Alltag als ‚fremd‘ bewertet. Anders als etwa in Paris, wo mit der (post-)kolonialen Migrationstradition große und sichtbare Gemeinschaften der Westafrikaner*innen leben, ist man in Berlin häufig ein Außenseiter. Gleichwohl fühlen sich viele Senegales*innen als Teil der Stadt, haben vielfältige Beziehungen zu anderen Berliner*innen und setzen sich wie der Künstler Kanakassy auf ihre jeweils spezifische Weise mit der

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Die Serie von Selbstporträts, in denen sich der Künstler tanzend im Boubou im Berliner Park Tiergarten fotografierte und die Bilder danach manuell bearbeitete, war Teil des Ausstellungsprojektes „The Space Between Us“, das Marie-Hélène Gutberlet 2013/2014 in den ifa-Gallerien und den jeweiligen öffentlichen Stadträumen in Berlin und Stuttgart kuratierte.

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Stadt Berlin und dem Land Deutschland und seiner kolonialen und postkolonialen Vergangenheit9 auseinander. Senegales*innen in Deutschland Die größte westafrikanische Bevölkerungsgruppe Europas lebt nach Frankreich und Großbritannien in Deutschland (Kohnert 2007:39). Von 98000 Westafrikanern*innen in Deutschland stammen etwa 15 % aus frankophonen Ländern (Statistisches Bundesamt 2015:147).10 Davon sind knapp 4000 senegalesischer Staatsangehörigkeit, etwa 3000 Männer und 1000 Frauen mit einem Durchschnittsalter von 34 Jahren (Statistisches Bundesamt 2015:148).11 Auch für Berlin gibt es eine ähnliche Verteilung. Knapp die Hälfte der afrikanischen Bevölkerung Berlins stammt aus Ländern Westafrikas, wovon etwas mehr als ein Drittel aus den frankophonen Ländern stammt. Innerhalb Deutschlands gilt Berlin als Ort mit der größten senegalesischen Bevölkerung und den wichtigsten senegalesischen Gemeinschaften (Faye 2007:4; Marfaing 2003b:96). Bereits im geteilten Berlin war die Anzahl der Senegales*innen in West-Berlin größer als in anderen Städten der Bundesrepublik. Laurence Marfaing führt dies vor allem darauf zurück, dass Berlin als einzige westdeutsche Stadt Straßenhandel (u.a. auch die bana-­ banas12) toleriert hatte. Dies änderte sich allerdings mit dem veränderten Status Berlins als Hauptstadt und dem Umzug des Regierungssitzes nach Berlin im Jahr 1999, als die Kontrollen an die Verbotspraktiken von Straßenhandel in anderen deutschen Städten angepasst wurden (Marfaing 2003b:96). In Berlin lebten am 30.06.2017 laut Amt für Statistik Berlin-Brandenburg (2017:19) 371 Ausländer senegalesischer Staatsangehörigkeit.13 Angesichts 9

10 11 12

13

Für Künstler*innen und Intellektuelle wie Kanakassy sind nicht nur die Berliner Afrika-Konferenz von 1884/85, sondern damit zusammenhängend auch aktuelle Debatten um das Berliner Humboldt Forum und die Dekolonialisierung der Beziehungen zwischen Afrika und Europa wichtige Bezugsthemen.

Zu Westafrika zählen in dieser Statistik Benin, Burkina Faso, Côte d’Ivoire, Gambia, Ghana, Guinea, Guinea-Bissau, Kap Verde, Liberia, Mali, Mauretanien, Niger, Nigeria und Senegal (Statistisches Bundesamt 2015:394). Die Zahlen beruhen auf Daten des Ausländerzentralregisters und beziehen sich auf den Stand 31.12.2014. Als bana-bana werden ambulante Straßenhändler bezeichnet.

Diese Zahlen beziehen sich wie auch die oben genannten nur auf gemeldete senegalesische Staatsbürger. Einbürgerungen, nicht gemeldete und sogenannte ‚irreguläre Migrant*innen‘ senegalesischer Herkunft wurden hier nicht mit einbezogen und erhöhen den senegalesischen Bevölkerungsanteil deutlich.



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dieser geringen Anzahl von Personen ist die Vielzahl an spezifisch senegalesischen Vereinigungen und die Präsenz innerhalb der Stadt erstaunlich. Die rezente Geschichte der senegalesischen Migration nach Deutschland begann zunächst durch Studenten in den 1960er Jahren. Die unterschiedlichen Phasen14 der senegalesischen Migration nach Deutschland erwähnt bereits die Historikerin und Afrikanistin Laurence Marfaing, die schon früh (2003b) eine der wenigen Studien zur Situation der Senegales*innen in Deutschland mit einem Fokus auf einer allgemeinen Beschreibung des Alltags in Deutschland und den finanziellen Investitionen und Rückkehrstrategien vorlegte. Ihre Studie beruht vor allem auf der Auswertung statistischer Daten in Verbindung mit 72 von ihr erhobenen Interviews mit Senegales*innen, die in Deutschland leben oder gelebt haben. Mit ihrem Fokus auf senegalesischen Händler*innen und Geschäftsleuten argumentiert sie, dass für die meisten Senegales*innen in Deutschland die Rückkehr nach Senegal trotz der (sozialen und finanziellen) Unsicherheiten in Senegal ein wichtiger Referenzpunkt und langfristige Perspektive im Alltag in Deutschland darstellt, obwohl die wenigsten tatsächlich remigrierten (vgl. auch Marfaing 2003a, 2004). Auch die im Auftrag der GTZ15 entstandene kürzere Studie des Ethnologen Malick Faye (2007) setzt am Punkt der Investitionen an und betrachtet das Potential der vielfältigen senegalesischen Organisationen und Vereinigungen in Deutschland für die Entwicklungszusammenarbeit. Die hauptsächlich auf Interviews mit Privatpersonen und Vertretern von Organisationen basierende Arbeit betont die wirtschaftlichen und sozialen Aktivitäten dieser Akteure im Senegal und zeigt auch die Schwierigkeiten dieser Verbindungen auf. Im Gegensatz zu den genannten Studien zur Situation der Senegales*innen in Deutschland liegt in der vorliegenden Arbeit der Fokus auf der ‚dichten‘ Beschreibung und Kontextualisierung des Lebensalltags in Berlin gleichberechtigt mit dem Kontext in Dakar. Soziale Beziehungen werden aus beiden Perspektiven betrachtet.

14 15

Marfaing unterscheidet hier drei Phasen senegalesischer Migration nach Deutschland, die m. E. bei der Betrachtung bis heute zu kurz gegriffen sind und auf die ich in Kapitel 7.1.1 eingehe.

Die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) fusionierte 2011 mit dem Deutschen Entwicklungsdienst (DED) und der Bildungsorganisation InWent zur GIZ (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit).

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Religion und Kunst Während einige Studien proklamieren (z.B. Schader 2014), dass es kaum muslimische Vereinigungen aus Subsahara-Afrika in Berlin gibt, was am Mangel an innerer Organisation liege und zu fehlender öffentlicher Präsenz führe, stellt gerade die Literatur zu Senegales*innen in Deutschland immer wieder die Bedeutung der muridischen Organisationen und Verbindungen heraus. Bereits 1987 wurde die erste muridische dahira in Berlin gegründet (Marfaing 2003b:133). Aufgrund der anfangs meist informellen Gruppenstruktur in Gestalt privater Zusammenschlüsse waren diese häufig nicht öffentlich sichtbar, doch gibt es mittlerweile einen Dachverband der muridischen dahiras in Deutschland.16 Dies deutet auf die zunehmende Organisation und innerdeutsche Vernetzung im Gegensatz zu den meisten anderen senegalesischen Organisationsformen hin (Faye 2007:5). In Berlin organisiert sich allerdings nur ein relativ kleiner Anteil der Senegales*innen im Kontext der muridischen dahiras (s.u.). Auch Monika Salzbrunn (2002) betont in ihrer Dissertation vor allem die enge persönliche Vernetzung sowie die Verbindungen der religiösen Vereinigungen zwischen Frankreich und Deutschland. Indem sie die spezifischen politischen und ökonomischen Lebensbedingungen der Senegales*innen in den jeweiligen Aufenthaltsländern aufzeigt, betont sie die unterschiedliche Bedeutung religiöser Zugehörigkeit und Sichtbarkeit im öffentlichen Raum in den beiden Ländern (Salzbrunn 2002, Kapitel 5). Als ein Ergebnis ihres Vergleichs zwischen Deutschland und Frankreich konstatiert Monika Salzbrunn (2002:535), dass die verstärkten staatlichen Rahmenbedingungen, Kontrollen und Botschaften der Exklusion zu einer Modifikation des Selbstbildes vieler Senegales*innen beitragen und zu einer neuen Unterscheidung zwischen Europäer*innen und nicht-Europäer*innen. Malick Fayes 2007 veröffentlichte Studie stellt im Anschluss an die ausführliche Untersuchung von Laurence Marfaing von 2004 fest, dass seit Anfang der 2000er Jahre ein stetiger Prozess des stärkeren Selbstbewusstseins und Selbstverortung als senegalesische Gemeinschaft oder gar Diaspora17 vor allem in Berlin stattgefunden hat. Seit Beginn der Feldforschungen für diese Arbeit im Jahr 2011 konnte ich dies teilweise 16 17

Der eingetragene Verein verbindet bereits im Namen kulturelle und religiöse Anliegen der dahiras (Verband der religiösen und kulturellen Dahira Vereine in Deutschland e.V. 2017). Vor allem Malick Faye nutzt den Begriff der Diaspora, allerdings ohne näher auf die wissenschaftlichen Diskurse oder die Nutzung des Begriffs der von ihm interviewten Senegales*innen einzugehen. In dieser Arbeit verwende ich den



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bestätigen und eine stetige Verstärkung des Gemeinschaftsgefühls und der Selbstidentifizierung als Senegalesin und Senegalese gerade in der kulturpolitischen Landschaft Berlins beobachten.18 Besonders deutlich wurde dies in einer Ausstellung, die in Kooperation mit dem Centre Français de Berlin im Wedding organisiert wurde. „[...] Mit der Ausstellung ‚Devoir de mémoire‘ von Mansour Ciss Kanakassy präsentieren Sunugaal e.V. und AfricAvenir International e.V. eine Hommage an drei große senegalesische Musiker in Berlin und bieten einen intensiven Einblick in das Leben der senegalesischen Diaspora hier. [...] Die Ausstellung lädt ein, in das senegalesische Leben und Kunstschaffen in Berlin einzutauchen. Die Trennlinie zwischen Alltag und Kunst verläuft hier manchmal fließend. Die Vernissage findet in Anwesenheit von Mansour Ciss Kanakassy statt und wird durch Filmvorführungen, Konzerte, eine Soirée Sénégalaise sowie eine Modenschau begleitet.“ (AfricAvenir International 2015)

Der Anspruch, ‚die‘ senegalesische Diaspora und ‚das‘ senegalesische Leben in Berlin zu repräsentieren, ist angesichts der ethnischen, religiösen und sozialen Heterogenität von Senegales*innen zu vereinheitlichend. Hier tritt eine künstlerische und intellektuelle Elite in den Vordergrund, die für sich eine besondere Rolle im kulturellen Leben der Stadt einfordert und sich durch die spezifischen Merkmale von Musik und zeitgenössischer Kunst von anderen afrikanischen Gemeinschaften in Berlin abzugrenzen versucht. Gleichzeitig hat diese Gruppe von Senegales*innen Zugang zu besonderen Verbindungen in den Senegal, zu universitären Einrichtungen, Veranstaltungen des künstlerischen Schaffens wie der berühmten zeitgenössischen Kunstbiennale Dak’Art, an der auch der Berliner Künstler Mansour Ciss Kanakassy schon mehrfach teilgenommen hat. Diese herausragende Stellung nutzen einige, um Assoziationen der Senegales*innen in Berlin wie Sunu­ gaal e.V. voranzubringen (vgl. Kapitel 8). Obwohl also unterschiedliche Gruppen der Senegales*innen in Berlin leben, gibt es viele personale Überschneidung in kulturellen und religiösen Vereinigungen. Gerade in der kurzen Ausstellungsbeschreibung wird deutlich, dass die alltäglichen sozialen Beziehungen – um

18

Begriff ‚Diaspora‘ ausschließlich als Referenz auf die Nutzung des Begriffs in der Literatur oder durch Interviewpartner*innen.

Parallele Entwicklungen gab es bei einer anderen Gruppe von Senegales*innen und Gambianer*innen, die versuchten sich verstärkt als muridische dahira in Berlin zu etablieren, dabei aber weniger öffentlich blieben und vor allem in der Gemeinschaft der Senegales*innen sichtbar waren.

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die es in dieser Arbeit hauptsächlich geht – häufig nicht getrennt von Kunst und Religion ablaufen. Erste Annäherungen an das Thema „Berlin des Sénégalaises“ Feldforschungsszene vom 11.08.2011, Berlin Neukölln: Sister Fa öffnet mir mit ihrem herzlichen Lachen die Tür und empfängt mich zu Beginn meiner ersten Feldforschung in Berlin für unser Gespräch in ihrer Neuköllner Wohnung. Auf den ersten Blick sieht es aus wie in den meisten Berliner Wohnungen. Das Zentrum des Wohnzimmers bildet eine große braune Couch mit einem Tisch davor und einem Sessel daneben. Erst auf den zweiten Blick fallen mir die Decken und Kissen mit den typischen bunten Stoffen und Mustern aus Senegal auf. In einer Ecke des Wohnzimmers ist ein Arbeitsbereich mit einem Laptop und daneben an der Wand hängt ein großes Porträt einer Frau – wie sich später herausstellen sollte, das Porträt der verstorbenen Mutter. [...] Unser Gespräch wird immer wieder unterbrochen – durch zwei junge Nachbarinnen aus Guinea, die zu Besuch kommen, oder die Tochter, die an diesem Tag nicht in der Kita ist. Sister Fa berichtet mir von ihrem Leben als junge Frau und erste Rapperin in Dakar und ihrem Weg nach Berlin. Sie erwähnt immer wieder, wie sie sich durch das Leben und den Alltag in Berlin verändert habe, aber auch was sie an Dakar und Senegal vermisst. Im Gegensatz zu ihrem sonst mit Energie aufgeladenen und sehr lebhaften Auftreten erscheint sie in diesem Gespräch manchmal fast schüchtern und in sich gekehrt. Einige meiner Fragen zu den senegalesischen Vereinigungen in Berlin lässt sie mit einem Hinweis auf das Aufnahmegerät unbeantwortet.

Die Musikerin und Aktivistin Sister Fa alias Fatou Mandiang Diatta war eine der ersten Senegales*innen, die ich in Berlin bereits während eines Filmprojektes 2007 kennengelernt hatte. Damals konnte ich noch nicht ahnen, dass sie mir für die Forschung für meine Dissertation Türen zu Senegales*innen sowohl in Berlin als auch in Dakar19 öffnen würde. Mit ihrer offenen und herzlichen Art war sie innerhalb weniger Jahre nicht nur innerhalb der senegalesischen Gemeinschaft sowie mit anderen Ost- und Westafrikaner*innen in ihrem Berliner Viertel vernetzt, sondern in der ganzen Stadt als senegalesische Rapperin, Musikerin und Aktivistin bekannt. In den Jahren meiner 19

Bei meinem ersten Aufenthalt in Senegal vermittelte mir Sister Fa eine Unterkunft und erste Kontaktpersonen in Dakar. Bei einem weiteren Aufenthalt mit meiner Familie konnte ich durch sie vermittelt eine möblierte Wohnung eines Senegalesen aus Paris mieten. Auch in Berlin war sie es, die mir immer wieder Türen öffnete. Für ihre Unterstützung kann ich ihr nicht genug danken.



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Feldforschung berichteten immer wieder die Stadtmagazine Zitty und Exberliner sowie die Berliner Zeitung und lokale Radiosender und Online-Medien über sie als Musikerin und Aktivistin.20 Damit etablierte sie sich in der Kulturszene Berlins als Hip-Hop-Künstlerin, Musikerin und Aktivistin für Menschenrechte und gegen weibliche Genitalverstümmelung, und zwar sowohl als Senegalesin als auch als Berlinerin. Diese Mischung aus Migration, Musik und politischer Agenda nutzte sie auch für ihre häufigen Reisen nach Senegal, wo sie in lokalen Call-In-Radioshows und auf Konzertreisen – gefördert durch so unterschiedliche Organisationen wie das Goethe-Institut Dakar oder die amerikanische Nichtregierungsorganisation für Menschenrechte Tostan – auf ihre politische Agenda aufmerksam machte. Sister Fa ist ein gutes Beispiel für eine transnationale Medienunternehmerin21, die als weibliche Musikerin und Aktivistin innerhalb meiner Forschung eine Sonderrolle einnimmt. Obwohl sie im Alltag durchaus enge Verbindungen zu einzelnen Senegales*innen hatte, distanzierte sie sich von senegalesischen Vereinigungen in Berlin, da ihr beruflicher Fokus sehr viel Zeit in Anspruch nahm. Ihre Geschichte und ihre Lebenssituation ist mit einigen für diese Arbeit zentralen Menschen eng verflochten. In vielen ihrer Ausführungen finden sich Parallelen zu den Erfahrungen anderer Senegales*innen in der spezifischen kulturellen Gemengelage Berlins, wenn sie beispielsweise berichtet, dass ihr typisch ‚deutsche‘ Eigenschaften wie Pünktlichkeit, Ruhe und Rückzug immer wichtiger werden oder wenn sie über die Nähe und Herzlichkeit in senegalesischen Familien spricht. Übersicht über die wichtigsten Teilnehmer*innen der Feldforschung in Berlin Von den 29 Berliner Senegales*innen,22 die als Gesprächspartner*innen Teil dieser Studie sind, waren 14 Frauen und 15 Männer im Alter zwischen 21 und 63 Jahren. Die Mehrheit bezeichnete sich als Muslime (93 %), der Rest 20 21 22

Siehe zum Beispiel die Beiträge im englischsprachigen Stadtmagazin Exberliner (Stanton 2012), der Berliner Morgenpost (o.V. 2014a) und online-Publikationen (z.B. Muysers 2011). Zu unterschiedlichen Perspektiven auf (Medien-)Unternehmer*innen siehe Röschenthaler und Schulz (2015), vgl. auch Grätz (2013).

Die Gesamtzahl der Senegales*innen, mit denen ich während meiner Feldforschung in Berlin in Kontakt trat und gesprochen habe, ist weitaus höher. Diese Gespräche und Erfahrungen sind indirekt ebenfalls Teil dieser Arbeit (vgl. Kapitel 2 zu Methoden).

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als Christen. Unter den Muslimen fanden sich vor allem Muriden und Tidjaniden, wobei die Muriden mit ihrer zentralen Organisation, einer dahira und eigenen Festen in Berlin deutlicher als Gemeinschaft hervortraten (vgl. Kapitel 7). Viele Senegales*innen sind im Großraum Dakar aufgewachsen (59 %), andere kamen aus der Casamance, aus Touba, Tivaoune, Kaolack, Matam oder Thiès erst später nach Dakar. Auffällig ist, dass viele zwar in diesen Regionen aufgewachsen sind oder ein Großteil ihrer erweiterten Familie dort lebt(e), bei den meisten aber auch ein enger Bezug zu einem der Viertel Dakars vorhanden ist. So unterschiedlich die Herkunftsregionen sind, so divers ist auch der ethnische Hintergrund der Senegales*innen in Berlin. Unter den Gesprächspartner*innen für diese Studie bezeichneten sich allerdings die meisten als Wolof oder Diola, einige als Peul oder Serer und nur wenige als Mandiang oder Mandinka. Hier wurden auch die Beziehungen zu den Nachbarländern deutlich, da sich etwa ein Drittel der Gesprächspartner*innen durch die Familie der Eltern eng mit Gambia, Mali oder seltener mit Guinea in Verbindung sahen. Einend war jedoch für alle die gemeinsame Verkehrssprache Wolof als Ausgangspunkt für die Zuschreibung zur Gruppe der Senegales*innen. Auch die soziale Herkunft und der Bildungsgrad waren entsprechend divers. Unter den Frauen befand sich nur eine einzige mit einem Hochschulabschluss, viele ältere Frauen hatten keine abgeschlossene Schul- oder Ausbildung, einige jüngere absolvierten zum Zeitpunkt meiner Feldforschung eine Ausbildung zur Handelskauffrau, Friseurin oder anderen Ausbildungsberufen in Deutschland. Bei den Männern hatten über zehn Prozent eine abgeschlossene Berufsausbildung oder einen Hochschulabschluss, bevor sie nach Berlin kamen. Meist waren sie dann in Berlin aber in anderen Bereichen als Selbstständige mit eigenem Laden, Imbiss oder einer Bar sowie als ungelernte Arbeiter beispielsweise bei einem Paketzusteller oder in einer Bäckerei tätig. Einige wenige Männer (4) konnten in Berlin in ihren Ausbildungsberufen oder an der Universität arbeiten. So divers und heterogen die Gruppe der Senegals*innen in Berlin sich darstellt, so unterschiedlich waren meist auch die sozialen Zusammenhänge, aus denen sie in Senegal stammten. In Berlin stellten sie häufig jedoch die Gemeinsamkeiten in den Vordergrund.



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4.6 Fazit: Zur Verbindung von Lebenskontexten in Deutschland und Senegal Bereits in der Feldforschungsnotiz der Skypeverbindung zwischen den Brüdern Lamin und Malick zu Beginn des Kapitels wurden einige Dimensionen von Mobilität, Migration und Translokalität deutlich. Vor dem Hintergrund der theoretischen Ausführungen und der historischen Kontextualisierung senegalesisch-europäischer Mobilität und Migration zeigt sich, dass die Momentaufnahme dieser Gesprächssituation neu bewertet werden muss. Die Feldforschungsnotiz zu Skype zeigte einerseits die unterschiedlichen Perspektiven aus dem Senegal und aus dem Kontext des migrantischen Aufenthaltsortes auf und wie durch die Videotelefonie ein Ort und eine Verbindung zwischen diesen Räumen geschaffen wurde. Durch den Fokus auf Mobilität konnte nicht nur an aktuelle kritische Positionen der Migrationsforschung angeschlossen werden, sondern darüber hinaus eine Perspektive entwickelt werden, die eine gleichzeitige Einschreibung und Verortung an unterschiedlichen Lokalitäten sichtbar macht. Bewegung und Mobilität wird so als vielschichtiges Phänomen begreifbar: Einerseits sind (trans-)nationale Kontexte relevant, wenn es beispielsweise um die Geburtsurkunde des neugeborenen Sohnes oder den Umzug von Deutschland nach Frankreich geht. Andererseits wirken translokale Referenzpunkte (Berlin, Paris, Guédiawaye) als Verstärker für spezifische Zugehörigkeiten oder Homogenisierungen. Die Beschreibung von Gesprächssituationen findet zwar aus der Perspektive eines spezifischen Ortes statt, jedoch beinhaltet diese Perspektive auch immer, dass ein anderer Ort mit einbezogen. Als Beispiel für transnationale Familienbeziehungen kann die Feldforschungsnotiz die transnational studies um die Betrachtung von Geschwisterbeziehungen als eine wichtige transnationale Verbindung ergänzen. Darüber hinaus deutet sich bereits hier an, wie diese Beziehungen durch materielle wie immaterielle Objekte und Symbole ermöglicht werden. Auch für den Forschungsüberblick zu sozialen Beziehungen und Medien (4.3) bleibt die Feldforschungsnotiz anschlussfähig, obwohl sie keinesfalls das gesamte Spektrum der medialen Verbindungen von sozialer Nähe und Distanz aufzeigt. Die Audiovisualität des Gesprächs und die Herstellung eines transnationalen Alltags sind in größere Bedeutungszusammenhänge und Bewegungen eingebettet, auch wenn diese in der Feldforschungsszene nicht explizit werden. Damit sind nicht nur die familiären Konstellationen gemeint, sondern auch, dass die Verbindungen Frankreichs und der Stadt

150 | Social Media im transnationalen Alltag

Paris zu Senegal eine Geschichte haben, die sich auf die Gegenwart der spezifischen sozialen Beziehungen auswirken. Zuletzt wird deutlich, dass die Situation von Senegales*innen in Berlin immer auch mit Blick auf andere europäische Orte zu betrachten ist. Gerade die Mobilität innerhalb Europas und die Verbindungen der Senegales*innen innerhalb der unterschiedlichen europäischen Gemeinschaften zeugt von der Vielfalt der Mobilitäten sowie von der Besonderheit des spezifischen migrantischen Kontextes, den es für diese Arbeit zu berücksichtigen gilt. Insbesondere transnationaler Alltag findet nicht an diesem oder jenem Ort statt, sondern aus den unterschiedlichen Perspektiven und Geschichten auf dem Weg von einem Ort zum anderen: „Every place is a gathering of things, is a knot of stories.“ (Ingold 2009:41)

5

Hochzeiten als medialer Raum

Das Feld vermittelter sozialer Beziehungen

[...] eine afrikanische Heirat ist nicht nur eine Heirat zwischen Dir und Deinem Ehemann. Du heiratest Deinen Mann, Du heiratest seine Mutter, seine Schwestern, seine Cousinen, seine Brüder [Lachen]. (Maman 12.03.2012)

Bei einem unserer ersten Gespräche berichtete mir der etwa 40-jährige, unverheiratete Tony an einem sonnigen Herbsttag in Berlin von der Heirat seiner Schwester Marie in Dakar. Tony saß in einem Imbiss, wo er meist die Nachmittage und Abende mit seinem Laptop verbrachte und das kostenlose W-Lan für Facebook und Skype nutzte. Zum Zeitpunkt unseres Gesprächs war er erst seit wenigen Monaten in Berlin – eine von mehreren seiner europäischen und nordafrikanischen Migrationsstationen. Dank eines entfernten Cousins, der schon längere Zeit in Berlin lebte, hatte er sich bereits gut eingelebt in Schöneberg und Kreuzberg. Als ich ihn fragte, ob er Geschwister habe, wurde er sehr lebhaft und beschrieb in ausladenden Gesten die Bedeutung von Hochzeiten in Afrika und Senegal und die außergewöhnlich schöne Hochzeitsfeier seiner Schwester. Er schilderte ihr Hochzeitskleid, die vielen Gäste und Geschenke, den Ablauf der Feier in der Kirche und das darauffolgende Fest in einem angemieteten Saal. Erst in einem späteren Gespräch wurde mir klar, dass er zum Zeitpunkt der Hochzeit gar nicht in Dakar gewesen war: „Wie meine Schwester – als sie geheiratet hat in der Kirche – da war ich nicht da. Das Einzige, was ich machen konnte, war Geld zu schicken und so an der Feier teilzunehmen. Ich wünschte, ich hätte auch da sein können, denn sie ist meine einzige

152 | Social Media im transnationalen Alltag Schwester. Aber ich konnte nicht da sein und wenigstens haben sie ein Video gemacht, eine DVD. Und als mein Vater mich in Norwegen besuchen kam, brachte er sie mit. Ich setzte mich danach mit meinem Vater hin und ich war sehr froh, sie in diesem weißen Kleid zu sehen. Und ich machte natürlich Witze darüber, mein Vater und ich. Ich wünschte, ich hätte da sein können und darüber lachen können und mit ihr darüber Witze machen können.“ (Tony 09.10.2011)

Tony hatte durch seine Geldbeteiligung, Telefongespräche und das Betrachten des Videos an der Hochzeit teilgenommen, ohne während der Feier in Dakar zu sein. Die DVD, die mit seinem Vater zu seinem damaligen Aufenthaltsort in Norwegen reiste, war gewissermaßen der Gegenwert für seine finanzielle Beteiligung. Nur weil er die DVD gesehen hatte, konnte mir Tony in einem ersten Gespräch detailliert vom weißen Kleid seiner Schwester, den Gästen und dem rauschenden Fest berichten. Seine Schilderung war so enthusiastisch, dass zunächst nicht klar war, dass er bei der Hochzeit physisch überhaupt nicht anwesend gewesen war. Dies deutet darauf hin, dass er – zumindest im Narrativ gegenüber noch unbekannten Gesprächspartner*innen wie mir – nicht immer zwischen physischer Anwesenheit und den über das Hochzeitsvideo vermittelten Erlebnissen unterscheidet. Gleichzeitig drückt sein Bedauern aus, dass physische Anwesenheit höher geschätzt wird als die vermittelten Formen der Verbindungen durch Geld und Medien. In diesem Kapitel führe ich anhand von unterschiedlichen Hochzeitsfeierlichkeiten und deren medialen Aufbereitung in Videos, Fotoalben und auf Facebook in lokale und transnationale medial vermittelte soziale Beziehungen ein. In Kapitel 5.1 fokussiere ich auf die Diskussion ethnografischer Arbeiten zur Bedeutung von Hochzeit und Heirat in Dakar und verdeutliche Veränderungen in Geschlechter- und Generationenbeziehungen angesichts rezenter Entwicklungen. Darauf aufbauend betrachte ich in Kapitel 5.2 eine Hochzeitsfeierlichkeit in Dakar und verdeutliche die Bedeutung von Vermittlungen durch ältere Personen, gleichaltrige Gäste sowie deren Verhältnis zu Braut und Bräutigam. Die Hochzeitsfeierlichkeit kommt als Sequenz von Ereignissen in den Blick, die medial fixiert werden. Auf diese Weise zeigt sich, wie durch die Medialisierung nicht nur das Ereignis, sondern auch die sozialen Beziehungen zugerichtet werden. Die professionellen Bilder von Hochzeiten in Dakar stellen in Form von DVDs und Fotoalben ein „Ritual zweiter Ordnung“ (Wendl 2015:28) oder ein „second real-time event“ (Schulz 2012:92) her. Die Ereignisse sind in unterschiedlichen Medien für spezifische Nutzergruppen idealisiert angeordnet und das Betrachten dieser Videos weitet die soziale Relevanz des Ereignisses auf unterschiedliche



5. Hochzeiten als medialer Raum | 153

Orte in die Gegenwart bzw. unterschiedliche Zeiten aus. Der Fotograf wird gleichermaßen ein „ritueller Spezialist“ (Wendl 2015:28), der durch die filmische Praxis gemeinsam mit den Auftraggeber*innen genau zwischen dem unterscheidet, was im Video oder Foto gezeigt werden soll und was nicht gezeigt werden darf. Er tritt als Vermittler zwischen den Auftraggeber*innen, den Gästen und den vorgestellten Betrachter*innen auf und verschwindet hinter dem Produkt.1 Die inhaltliche Analyse der Bilderserien wird dann in der vorliegenden Arbeit mit der Analyse der Feldforschungsaufzeichnungen und Interviewausschnitten ergänzt. Dies eröffnet weitere Perspektiven für die Untersuchung der Phänomene Heirat und Hochzeit (vgl. Kapitel 5.2.2).2 Die verschiedenen Medienformate und der Umgang mit ihnen sind Praktiken der Selbstpositionierung und stellen soziale Nähe oder Distanz her. Jeder Darstellungsmodus schafft auf eine spezifische Weise Formen des gemeinschaftlichen Aneignens. Das gemeinsame Betrachten einer DVD oder eines Fotoalbums ist so Teil des Ereignisses selbst und schafft gemeinsame Erinnerungen, die auch Veränderungen in den sozialen Positionierungen bestätigen kann. Unterschiedliche Medienformate generieren spezifische soziale Formationen oder Formen der Gemeinschaft als „intimate publics“ (Schulz 2012:92), die auch translokale und transnationale Beziehungen einbeziehen. Hochzeitsfeierlichkeiten in Dakar stellen ein generationenübergreifendes soziales Ereignis dar und sind gleichzeitig biografische Erfahrung. Sie manifestieren ein Bündnis zwischen zwei Familien und transformieren die sozialen Position der beiden Protagonisten. Trotz des engen Bands zwischen den Familien und der besonderen Bedeutung der Verbindung der Ehefrau zur Familie des Mannes, die auch das Eingangszitat illustrierte, nimmt insbesondere in Dakar in letzter Zeit die Bedeutung der Allianz zwischen In1

2

Einige Fotografen greifen bei der Produktion der Videos auf professionelle Editoren und für das Erstellen von Fotomontagen für die Hochzeitsalben auf Mitarbeiter*innen in Fotolaboren zurück. Meist wird das Fotoalbum oder Video den Kund*innen als ‚eigene‘ Arbeit präsentiert. In wenigen (meist älteren) Fällen waren es die Auftraggeber*innen selbst, die die Fotoalben erstellten (vgl. 5.3.2). Zur Autorschaft, Recht und Besitz von Bildern s.u.

Dadurch werden, wie Herbert Kalthoff in einem Artikel zur Neubestimmung der Triangulation in den qualitativen Sozialwissenschaften feststellt, unterschiedliche Relevanzen mobilisiert und: „[...] die Methoden und Forschungsergebnisse [stellen] füreinander Kontexte dar, die sich widersprechen und reiben können und die nicht zur Übereinstimmung gebracht werden müssen“ (Kalthoff 2010:363).

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dividuen, der Braut und des Bräutigams, im Vergleich zur Allianz zwischen zwei Familien zu (Dial 2008:12). Diese Stärkung der Position wird vor allem in den Feierlichkeiten mit dem Fokus auf der Braut deutlich. Diese Entwicklung spiegelt sich in Hochzeitsvideos und Hochzeitsalben, die vor allem die Braut ins Zentrum der Feierlichkeiten stellen, und verstärken sie zusätzlich. Die Aufzeichnung der Feierlichkeiten in Videos und Fotos bietet die Gelegenheit, sich als sozial erfolgreich und finanziell gut gestellt darzustellen, gleichzeitig sind die Aufnahmen eine Möglichkeit, Investitionen in andere Hochzeiten in Form von Hochzeitsgeschenken zurückzufordern. Fotos und Videos werden also erstens Teil der Langzeitstrategien des Geschenkaustauschs, um mit finanziellen Unsicherheiten umzugehen (Buggenhagen 2011, 216 ff.; Buggenhagen 2012). Zweitens können durch diese Form der Vermittlung translokale und transnationale soziale Beziehungen in soziale Netzwerke einbezogen werden. Besonders hohe Erwartungen werden an Familienmitglieder gestellt, die wie Tony in Berlin oder Europa leben und durch ihren Beitrag zum Gelingen der Feierlichkeiten und häufig auch der Verhandlungen im Vorfeld beitragen. Vor diesem Hintergrund lassen sich in Kapitel 5.3 und 5.4 transnationale Heiraten und Hochzeiten einordnen. Unter transnationalen Hochzeiten und Heiraten werden im engen Sinn zunächst institutionalisierte Beziehungen zwischen zwei Personen verstanden, die sich an unterschiedlichen Orten in verschiedenen Ländern aufhalten. Unter „transnational marriage“ können jedoch auch das transnationale Herstellen von Ehevereinbarungen (Heirat), Hochzeitsfeierlichkeiten an unterschiedlichen Orten oder transnationale ehepartnerschaftliche Beziehungen über einen längeren Zeitraum gefasst werden (vgl. Katherine Charsley 2012a:19 ff.). Auf diese unterschiedlichen Dimensionen der räumlich getrennten transnationalen sozialen Beziehungen und der lokal spezifischen Vermittlungsprozesse des Präsent-Machens gehe ich in Kapitel 5.3 ein. Hier wird erstens auf das zu Anfang des Kapitels erwähnte Beispiel von Tony und seiner medial vermittelten Teilnahme an der Hochzeit seiner Schwester und der Gestaltung von Erinnerungen eingegangen. Zudem werden zweitens anhand eines transnationalen Hochzeitsalbums Praktiken des fotografischen Präsent-Machens herausgearbeitet.



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5.1 Bedeutung von Heirat und Hochzeit in Dakar Bereits klassische ethnologische Untersuchungen in Senegal fokussierten auf die soziale Institutionen der Heirat (vgl. z.B. Ames 1953; Mercier und Balandier 2009). Heirat gilt als wichtige Institution zur Regulierung des sozialen Lebens und der Reproduktion der Gesellschaft (Mercier 1960). Heirat ist ein fundamentaler rite de passage für alle Frauen und Männer in Dakar. Es gibt sehr wenige Menschen in Dakar, die nicht heiraten können oder wollen, das Konzept des célibataire ist eher aus den zahlreichen internationalen Fernsehserien und durch Kontakt und Vorstellungen mit Touristen und in Dakar lebenden Europäern und Amerikanern geprägt. Dies steht im Kontrast zu Tendenzen, die beispielsweise Julia Pauli (2014) im Kontext Namibias feststellt, wo trotz der anhaltenden Bedeutung von Heiraten die Eheschließungsraten drastisch sinken. Für unverheiratete Männer – und noch stärker für unverheiratete Frauen – in Dakar richten sich Zukunftswünsche und Hoffnungen auf die Veränderung durch Heirat. Dies hat mit der religiösen Bedeutung von Heirat wie auch mit der Erwartung zu tun, innerhalb der Ehe Kinder zu bekommen. Zudem betonen die lineage-Strukturen und damit eng verknüpfte Vorstellungen von Verwandtschaft und Erbschaft die Bedeutung von Kindern als Status und Symbol der Vereinigung der Eltern und deren Familien (Hann 2013:119). Vor allem in frühen Studien in Dakar wurde immer wieder die Besonderheit der hohen Scheidungsraten analysiert (Thoré 1964) und diese mit der Stellung der Frau in der urbanen senegalesischen Gesellschaft in Verbindung gebracht (Grandmaison 1972, vor allem Kapitel III). Auch die Einführung und der Anstieg der Bargeldleistungen im Rahmen von Brautgeldgaben wurde bereits in diesen frühen Arbeiten betont (z.B. Grandmaison 1972:107). Häufig machte man Frauen für die Verzögerung der Heirat verantwortlich, da sie erneute finanzielle Zuwendungen erlangen wollten (Robin 1947:198). Koloniale Administratoren hatten wenig erfolgreich versucht, die Steigerung des Brautpreises einzudämmen (Kane 1972:717f.). Auch religiöse Gruppierungen bemühten sich, die hohen finanziellen Kosten bei Heiraten und anderen Lebenszykluszeremonien einzudämmen. Der postkoloniale Staat hatte außerdem mit dem 1972 eingeführten und umstrittenen code de famille3 auch 3

Vgl. Kapitel 3.4.1 zu den Debatten um die Gesetzgebung 1972; zu den erneuten Auseinandersetzungen im Zuge der Alternance unter Abdoulaye Wade siehe einen Artikel der französischen Politikwissenschaftlerin Marie Brossier (2004).

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gesetzliche Versuche unternommen, den Anstieg der Kosten für Heiraten zu unterbinden. Für die Entwicklung der ausufernden und kostspieligen Hochzeitsfeierlichkeiten der späten 1990er Jahre macht Buggenhagen (2012b:125) vor allem die Rolle von älteren Frauen verantwortlich, die als Empfängerinnen des Brautgeldes und dessen Redistribution die eigene Autorität und Position innerhalb der sozialen Beziehungen festigen. Ältere Männer hingegen unterstrichen ihre Stellung vor allem durch die Betonung der religiösen Komponenten der Hochzeit, dem takk. Agnes Hann (2013) stellt in ihrer Untersuchung hingegen vor allem junge Frauen als Triebfeder der ausufernden Feierlichkeiten dar. Zusätzlich stellt sie in ihrer Forschung entgegen der Forschungsliteratur fest, dass die meisten Hochzeitsfeierlichkeiten sehr viel bescheidener und dadurch weniger sichtbar – auch für die Forscher*innen – ablaufen. Diese gegensätzlichen Beobachtungen der beiden Studien liegen nicht nur in den unterschiedlichen Zeiträumen der Feldforschungen begründet, sondern auch darin, dass Beth Buggenhagen vor allem den Fokus auf relativ wohlhabende muridische Woloffamilien legte und die Teilnehmer*innen in Hanns Studie sehr viel heterogener und weniger wohlhabend waren. Offenbar ist die Kostensteigerung bei Hochzeiten ein soziales Phänomen, das stark von der materiellen Situation der Familie abhängig ist. Für junge Frauen in Dakar, so die weitgehende Meinung, ist Heirat die bevorzugte und für viele auch einzige Möglichkeit der Veränderung ihrer ökonomischen Situation und ihres sozialen Status. Romantische und sexuelle Beziehungen außerhalb der Ehe von jungen Frauen ist zwar eine alltägliche Praxis in Dakar, wird aber weitgehend sozial negativ sanktioniert und beispielsweise durch die Wohnsituation innerhalb der erweiterten Familie eingeschränkt. Nur wenige ledige Frauen leben alleine, häufig werden sie – etwa als Prostituierte – stigmatisiert (Dial 2008:36ff). Junge Männer hingegen unterliegen weniger sozialen Beschränkungen. Sie können eher ein Leben mit häufigem Partnerwechsel führen, ohne ihren guten Ruf zu riskieren, obwohl auch dies nicht sozial anerkannt wird. Dies ist teilweise legitimiert durch die legale Situation und anerkannte Praxis der Polygamie. Für junge Männer und Frauen in Dakar spielen Vorstellungen von romantischer Liebe eine große Rolle, dies gilt auch in Verbindung mit ehepartnerschaftlichen Beziehungen. Dabei sind globalisierte romantische Vorstellungen keineswegs nur eng an Modernität und urbane Lebensformen angebunden und mit arrangierter Heirat und Tradition in Opposition ge-



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setzt.4 Die eurozentrische Opposition von romantischer Liebe versus arrangierter Ehe findet sich in dieser Form nicht in senegalesischen Vorstellungen wieder. Idealisierte romantische Vorstellungen von Beziehungen werden ebenso in arrangierten Ehen einbezogen und bereits frühe ethnologische Studien gehen darauf ein (z.B. Grandmaison 1972). Einige Autor*innen stellen fest, dass in Dakar die erste Heirat tendenziell in höherem Alter stattfindet als bei älteren Generationen, Frauen heiraten durchschnittlich mit Anfang 20 das erste Mal und Männer mit Anfang 30 Jahren (Adjamagbo u.a. 2006:10). Vor allem für junge Männer ist es oft schwierig, die finanziellen Mittel für die Heirat und Hochzeit aufzubringen und die Erwartungen der jungen Frauen zu erfüllen. Für junge Frauen hingegen führen einige Autor*innen an, dass die zunehmenden Schul- und Ausbildungsmöglichkeiten viele dazu veranlassen, erst später zu heiraten (Adjamagbo u.a. 2006:10; Dial 2008:65). Allerdings führten viele junge Frauen und gleichermaßen junge Männer mir gegenüber aus, dass sie zwar bereit seien zu heiraten, dass sie aber noch nicht die passende Person gefunden hätten – und damit spielten sie sowohl auf die finanzielle Ausstattung als auch auf die romantische Vorstellung von Liebe an (vgl. Kapitel 6, 8). Insgesamt ist die Stellung der Ehe sehr hoch in der senegalesischen Gesellschaft, vor allem der ersten Heirat wird große Bedeutung beigemessen, da die Verheirateten damit den vollen Status als erwachsene Personen erlangen, ihre religiösen Verpflichtungen erfüllen und idealerweise zudem ökonomisch abgesichert sind (Dial 2008:41 f.). Die erste Verbindung gerade einer Frau wird häufig mit großen Hochzeitsfeierlichkeiten zelebriert. Virilokale Residenzform ist zwar die Norm, sie wird aber im urbanen Kontext in Dakar zunehmend unterwandert. Viele Ehepartner mit Kindern, die aus den Regionen und ruralen Gegenden Senegals ohne familiäre Anbindung nach Dakar kommen, wohnen als locateurs in angemieteten Zimmern. In finanziell besser ausgestatteten Partnerschaften leben Kleinfamilien in Wohnungen außerhalb der Familie des Mannes. Nur in Ausnahmefällen zieht der Mann in die Familie der Frau. Bereits in der frühen Literatur wurde angemerkt, dass die Scheidungsrate sehr hoch ist, vor allem für Frauen ist es üblich, erneut zu heiraten 4

François Werner (2006b, 2006a) weist den Einfluss indischer und brasilianischer Telenovelas auf Vorstellungen von Frauen in Dakar auf. Die Aneignungsprozesse von Themen und Diskursen aus den Serien wird von den Zuschauer*innen genutzt, um die eigenen Lebenssituation zu reflektieren und auch, um sich von den Serien abzugrenzen.

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(Grandmaison 1972). Frauen erlangen bei der Wiederheirat eine größere Flexibilität und Wahlmöglichkeit bei der Partnerwahl (Dial 2008). Polygynie wird in weiten Kreisen praktiziert und vor allem finanziell besser gestellte Männer können es sich leisten, mehrere Frauen zu heiraten. In den urbanen Regionen nahm die Zahl der polygynen Ehen in den letzten 20 Jahren ab (Antoine und Marcoux 2014:10; Randall und Mondain 2014), in einigen religiösen Gruppierungen kann wiederum eine Zunahme der polygynen Ehen ausgemacht werden (Brossier 2010). Mir berichteten wiederum in fünf Fällen die Ehemänner aus der unteren Mittelschicht, dass gerade die erste Heirat ihre eigene Wahl war und häufig die Zweitfrau von der Familie verlangt und arrangiert wurde.5 Die polygyne Heiratsnorm bei Männern, die serielle Monogamie bei Frauen und die weitverbreitete Existenz von partnerschaftlichen Beziehungen vor und außerhalb der Ehe führen dazu, dass viele Männer und Frauen Kinder von unterschiedlichen Partnern haben und uneheliche Kinder in Dakar auf die Welt kommen (Eerdewijk 2007:1). Uneheliche Kinder können ihre Erbansprüche nicht geltend machen, auch wenn sie im Haushalt des Vaters leben und von diesem anerkannt werden. Heirat und Hochzeit in Dakar bestehen aus mehreren ritualisierten Komponenten, die in unterschiedlichen Variationen und persönlichen Ausführungen bei der Familie des Mannes und der Frau meist getrennt durchgeführt werden. Ein wichtiges Element besteht im religiösen Ritual des takk (binden), das von einem Imam meist in der Moschee durchgeführt wird. Bei diesem Ritual sind nur Vertreter der beiden Familien anwesend, Braut und Bräutigam selbst nehmen nicht teil. Dieser religiösen Verbindung gehen längere Gespräche und Verhandlungen zwischen den Familien voraus. Hier werden der Brautpreis (la dot) und die Mitgift der Braut verhandelt. Es handelt sich dabei um Summen, die zu verschiedenen Zeitpunkten der Ehemann oder seine Familie über einen längeren Zeitraum an die Familie der Frau zahlt; von diesem Geld wird auch die Ausstattung für die Frau gekauft (Buggenhagen 2012b:121). Bei diesen Verhandlungen wird auch festlegt, ob, wie und wann weitere Feierlichkeiten stattfinden. Das Ergebnis von takk ist séy (heiraten, Heirat), was als Verb und Substantiv genutzt wird (Hann 2013:122). Weitere zeremonielle Teile von Hochzeiten, die nur teilweise oder zeitverzögert durchgeführt werden, reichen von einfachen 5

Agnes Hann beschreibt auch die Institution des takoo, bei der meist die Familien arrangieren, dass ein älterer Mann mit schon mehreren Frauen eine etwa gleichaltrige geschiedene oder verwitwete Frau heiratet, die keine Kinder mehr bekommen kann (Hann 2013:121).



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Feiern mit einem Essen tagsüber (xew yendoo) bis zur meist groß angelegten réception am Abend, bei der die Gäste und deren Geschenke auf einer Bühne empfangen werden. Im Anschluss daran oder parallel dazu finden Veranstaltungen mit eingeladenen Musikern und Tanz statt (vgl. Neveu Kringelbach 2013). Die Hochzeitsgesellschaft verabschiedet die Braut noch in der gleichen Nacht mit Ratschlägen und begleitet sie nach einem ceet (der feierlichen Übergabe der Ausstattung) in das Haus des Mannes oder seiner Familie. Dieses Element der Zeremonie kann wiederum aus verschiedenen Teilen bestehen, wie beispielsweise dem dénkaane, bei dem die Braut in einem weißen Schleier gehüllt vor allem von der väterlichen Familie Empfehlungen und Verhaltensregeln mit auf den Weg in das neue Leben bekommt. Oder dem eggale, den Feierlichkeiten zum Empfang der Braut im ehelichen Wohnort (vgl. zu den traditionellen Elementen von Hochzeitszeremonien auch Diop 1985 Kapitel 5). Wie bereits erwähnt, werden diese Elemente sehr unterschiedlich ausgeführt, abhängig von der Lebenssituation, den finanziellen Möglichkeiten und der religiösen Zugehörigkeit der Eheleute und deren Familien. Porträtfotografische Praktiken sind bereits seit den 1940er und 1950er Jahren Teil der Austauschpraktiken bei Hochzeitsfeierlichkeiten. Vor allem für die höheren Gesellschaftsschichten in Saint-Louis wurden diese Praktiken als Teil des xoymet6 beschrieben: Üblicherweise zog die Frau in der Hochzeitsnacht in das Haus des Mannes und dekorierte dort den Raum ihres Mannes mit ihren Porträtfotografien und denen ihrer Familie, um sich ihrem Mann und seiner Familie zu präsentieren (Mustafa 2002:176; Kemp 2008:70 f.). In einem Interview beschreibt Adama Sylla (Kemp 2008:70) ähnlich wie Aminata Sow Fall (Fall 1999:64), dass sich Familien in SaintLouis häufig für die Hochzeitsfeierlichkeiten Porträtfotografien von Nachbarn und Freunden ausliehen und an die Wand hingen, um sich als zur wohlhabenden Schicht zugehörig darzustellen. Mit dem Anstieg der Anzahl von Fotostudios in Dakar in den 1960er Jahren wurden sie auch verstärkt zu Familienfeierlichkeiten wie Hochzeiten in Anspruch genommen, vor allem finanziell besser gestellte Familien konnten sich mehrere Fotografien während einer Hochzeit leisten (Werner 1996). Seit Mitte der 1990er Jahre, und 6

Xoymet bedeutet in Wolof jemanden etwas sehen bzw. erkennen lassen, vor allem im Sinne der intimen Partien wie Unterkleidung, was als nicht würdevoll angesehen wird (Diouf 2003:393). Die Praktiken des xoymet hielten etwa 15 Jahre an und verdeutlichen, dass Porträtfotografien Status und Reichtum verkörperten (Evans 2015:33).

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später verstärkt mit den kostengünstigen digitalen Videokameras, etablierte sich auch die Produktion eines Hochzeitsvideos (vgl. für Hochzeitsvideos im urbanen malischen Kontext Schulz 2012:91 ff). Forschungsarbeiten über die Veränderungen von Hochzeiten und Heirat im Zusammenhang mit Migration und Mobilität beschreiben die Veränderungen bei den finanziellen Belastungen. So bemerkten einige Autor*innen, dass mit zunehmender Land-Stadt-Migration die finanziellen Belastungen von der Familie stärker auf den Mann übertragen wurden und junge Männer deshalb genötigt waren, temporär in urbane Zentren zu migrieren und zu arbeiten. Entsprechend wird festgestellt (Enel, Pison und Lefebvre 1994; Lambert 2002), dass die Mobilität der jungen Frauen aus den ruralen in die urbanen Gegenden und ihre größeren Arbeitsgelegenheiten zu mehr finanziellen Möglichkeiten aber auch Erwartungen bei jungen Frauen führte. Bereits seit den 1980er Jahren kam es deshalb zu verzögerten Heiraten. Die transnationalen Aspekte von Hochzeiten in Senegal wurden bisher zwar immer wieder erwähnt (z.B. Buggenhagen 2012b), jedoch nicht detailliert aufgezeigt. Einige wenige Arbeiten fokussierten auf ehepartnerschaftliche Beziehungen im transnationalen Kontext (Hannaford 2014; Evers Rosander 2010). Hierbei wurde allerdings, wie bereits deutlich wurde, nicht auf das Ereignis und dessen ‚Wirkung‘ auf die Beteiligten fokussiert, sondern meist auf die ehepartnerschaftlichen Beziehungen, ohne die erweiterten Beziehungen zwischen Familien und Alterskohorten in die Analyse mit einzubeziehen. Gerade bei der Betrachtung von transnationalen Beziehungen wird der Blick auf Technologien und mediale Vermittlungsprozesse beispielsweise durch Hochzeitsfotografien und Videos bedeutender. Um die transnationalen Dimensionen verstehen und bewerten zu können, kommt in der vorliegenden Arbeit zunächst die translokale Hochzeitsfeier von Fatou und Madou in Dakar in den Blick. Diese Heirat zeichnet sich dadurch aus, dass innerhalb nur weniger Tage der gesamte Prozess der Eheschließung und verschiedener Teile der Hochzeit abliefen. Bei der translokalen Hochzeitsfeier waren beide Partner in Dakar, jedoch nicht immer gleichzeitig bei Feierlichkeiten anwesend. Insbesondere durch die mediale Gestaltung erlangte das Ereignis auch transnationale Dimensionen.



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5.2 Aufnehmen, Reproduzieren, Zirkulieren: Eine Hochzeit in Dakar in Raum und Zeit Besonders gut nachvollziehbar werden die unterschiedlichen Aspekte von Hochzeitsfeierlichkeiten und deren Bedeutung für lokale, translokale und transnationale Beziehungen bei der bereits zuvor erwähnten Hochzeit Fatous und Madous (vgl. Kap. 2.4.2). Die älteste – uneheliche – Tochter einer Diola-Familie, die ursprünglich aus der Casamance nach Dakar gekommen war, heiratete einen Mann aus einer relativ wohlhabenden Wolof-Peul-Familie. Am Beispiel des besonderen Status Fatous als uneheliche älteste Tochter, der kurzen Verhandlungen und der Stellung der Familie ihres zukünftigen Mannes können neuere Entwicklungen von Heirat und Hochzeit in Dakar nachgezeichnet werden. Zudem lässt sich anhand dieses Falls zeigen, wie Dynamiken der sozialen Beziehungen und unterschiedliche medientechnologische Formate lokal und translokal zu verschiedenen Zeitpunkten ineinandergreifen. Hochzeitsfeierlichkeiten erlauben es, kleinteilige Medienpraktiken im Verhältnis zu größeren Zusammenhängen eines Ereignisses zu setzen und zu verstehen, welche Rolle sie in den verschiedenen sozialen Gefügen der beteiligten Familien spielen. Außergewöhnlich an dieser Hochzeit sind der kurze Zeitraum der Organisation und die Tatsache, dass die beiden Familien sich vor der Heiratsanbahnung nicht kannten. Dies unterstreicht neuere Entwicklungen, in denen die Position des Ehepaares und insbesondere der Ehefrau innerhalb der familiären Arrangements gestärkt wird. Die Erzählung dieser Hochzeit bildet einen Hauptstrang und den roten Faden dieses Unterkapitels. Als Brautpatin (marraine) konnte ich unterschiedliche Phasen vor und nach der Hochzeit besonders nah begleiten. Die enge Anbindung an die Braut erlaubte mir zum einen, jene Teile der Feierlichkeiten zu beobachten, bei denen die Braut anwesend war und im Mittelpunkt stand. Zum anderen hatte ich einen leichteren Zugang zu Feierlichkeiten, die im Haus der Familie der Braut stattfanden. Die Perspektive des Ehemanns und der Feierlichkeiten in der Familie des Ehemanns konnte ich dagegen nur teilweise mitverfolgen. Zur besseren Einordnung der Geschehnisse dienen mir weitere Hochzeitsfeiern, über die mir anhand von Bildern in Gesprächen berichtet wurde oder an denen ich selbst teilgenommen habe. Als Gast auf verschiedenen muslimischen und einer christlichen Hochzeit habe ich genug Erfahrungen gesammelt, um Besonderheiten und Gemeinsamkeiten mit anderen Hochzeitsfeierlichkeiten einzuschätzen. Gespräche und gemeinsame Videobetrachtungen mit den Produzenten von

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Hochzeitsvideos und Gästen der Feierlichkeiten ermöglichten mir weitere Einblicke in die audiovisuelle Dimension und mediale Vermittlungsprozesse der Feierlichkeiten.

5.2.1 Vermitteln und Verbinden: Personen und Familien kommen zusammen Feldforschungsszene vom 08.01.2012, Dakar: Erst drei Wochen ist die Hochzeit Fatous her. Nun hält sie endlich das ersehnte Fotoalbum ihrer Hochzeit in der Hand. Aus diesem Anlass hat sie ihre Familie väterlicherseits und die marraines in ihr neues Zuhause, das Haus ihrer Schwiegermutter, eingeladen. Ihr Vater, seine erste Frau und deren Kinder hatten bereits den Tag bei Fatou verbracht, als ich am späten Nachmittag mit Oumi, der zweiten Frau ihres Vaters, das Haus in einem der äußeren Wohnviertel Dakars betrete. Fatou führt Oumi und mich in den wohlhabend ausgestatteten Salon und reicht uns das neue Fotoalbum. Beim gemeinsamen Betrachten erläutert mir Fatou, wie ihre Hochzeit zustande gekommen war. Mir wird klar, dass ich bei vielen der wichtigen Aushandlungsmomente zwar anwesend gewesen war, jedoch die Geschehnisse nicht richtig eingeordnet und verstanden hatte. Die Geschichte, so berichtet Fatou, begann an Tamkharit [muslimisches Neujahrsfest, 05. Dezember]: Madou, ihr damaliger Freund, hatte sie am Vormittag zu Hause auf ihrem Mobiltelefon angerufen und gefragt, ob sie verheiratet sei. Sie hatte ‚nein‘ erwidert. Madou war schon früher einmal ihr Freund gewesen, nun waren sie seit Kurzem wieder zusammen. Er wollte sich daraufhin mit ihr treffen und sie hatten sich für den Mittwoch nach Tamkharit verabredet. Bei diesem Treffen hatte er dann gefragt, ob sie ihn heiraten wolle und sie habe zugestimmt. Als gute Gelegenheit, um Madou mit ihrem Vater bekannt zu machen, bestimmte Fatou ihren Geburtstag am 13. Dezember. Auch mich lud sie zu ihrem Geburtstag ein. Dies war der Tag, an dem Madou den Vater fragte, ob er mit seiner Familie zu Besuch kommen dürfe, um in die Heiratsverhandlungen zu treten. Fatou berichtet, dass Madou nur wenige Tage später mit seiner Schwester, seiner Mutter, zwei Onkeln väterlicherseits und 700 000 FCFA zum ersten Verhandlungstreffen mit Fatous Vater kam. Fatou erzählt weiter, dass ihr Vater nach sehr kurzen Verhandlungen und der Erhöhung des Preises auf 800 000 FCFA einwilligte. Da alle anwesend waren und sich geeinigt hatten, konnte die religiöse Zeremonie durch den Austausch der Kolanüsse7 abgeschlossen werden. Da ihr Vater nur eine einfache Hochzeit wollte, setzte er den Termin auf den folgenden Samstag. Auf das Album deutend meint Fatou stolz 7

Ohne den symbolischen Austausch von Kolanüssen kann eine Heirat in Senegal nicht vollzogen werden.



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zu mir: „Das merkt man der Feier nicht an, dass ich nur zwei Tage zur Vorbereitung hatte, ich habe es trotzdem geschafft, eine richtige Feier zu organisieren, das hätte mein Vater nicht gedacht!“

Fatou nimmt das Hochzeitsalbum zum Anlass, um eine Reihe von Ereignissen zu der Erfolgsgeschichte mit dem Höhepunkt der großen Hochzeitsfeierlichkeiten zusammenzufügen. Fatous Heirat kann wie ein Zeitraffer betrachtet werden, bei dem innerhalb kürzester Zeit die verschiedenen Begebenheiten, die zum Gelingen der Hochzeit beitragen und die sonst häufig mehrere Monate und teilweise Jahre dauern, in kurzer Abfolge und gleichzeitig geschahen. Fatous Bericht verweist zudem darauf, wie wichtig Vermittler im Prozess der Zusammenfindung zweier Familien sind. Die Eheschließung stellt Fatou zunächst als persönliche Beziehung zwischen sich und ihrem Ehemann dar. Erste Annäherungen in romantischen Beziehungen sind häufig Telefongespräche, da sie Privatsphäre ermöglichen, die es angesichts der engen Wohnverhältnisse sonst kaum gibt. Fatou hebt ihre eigenen Entscheidungen und ihre Handlungsmacht hervor, die sie mit dem Verhandlungsprozess zwischen ihrem Vater und der Familie ihres Ehemannes kontrastiert, auf den sie keinen Einfluss hatte. Die Anbahnung der Hochzeit fand jeweils während anderer religiöser wie nichtreligiöser Feierlichkeiten statt, die teilweise einen Vorwand boten, um diskrete Gespräche und Verhandlungen zu führen. Diese Diskretion, die teilweise bis zur Geheimhaltung reicht, ist ein wichtiges Charakteristikum dieser Verhandlungsführung, vor allem bei unsicherem Ausgang. Selbst der Antrittsbesuch der Familie des zukünftigen Ehemannes blieb nicht nur mir, sondern vielen anwesenden Bewohnern des Hauses verborgen. Der Austausch der Kolanüsse und die finanziellen Regelungen stellen den Beginn der gegenseitigen Verbindungen und Verpflichtungen der Familien dar (z.B. Diop 1985). Nicht das Verhalten von Ehefrau oder Ehemann allein ist für das Ansehen der jeweiligen Familien verantwortlich. Vielmehr ist das Verhalten ihrer Familie für das Ansehen der Frau bzw. das seiner Familie für das Ansehen des Mannes in der neuen Familie von großer Bedeutung – ein Umstand, der in der Literatur nicht ausreichend dargestellt wird. Die Austauschbeziehungen zwischen den Familien werden nach der Hochzeitsfeier fortgeführt, wie der Besuch von Fatous Familie an ihrem neuen Wohnort zeigt. Ihre Familie war nicht nur neugierig darauf, wie Fatou jetzt lebte und wie sie sich so kurz nach der Hochzeit eingelebt hatte. Es war auch ein Pflichtbesuch, dessen Einladung nicht abgeschlagen werden konn-

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te, ohne das Ansehen Fatous bei der Familie des Ehemanns zu beschädigen oder diese zu beleidigen – denn hier sollten auch die Bande zwischen den Familien bekräftigt werden. In der kurzen Zusammenfassung Fatous deuten sich auch Konflikte zwischen den Generationen an. Ein Konflikt zwischen Fatou und ihrem Vater betraf etwa das Ausmaß der Feierlichkeiten. Alassan wollte nur eine kleine Feier und hatte den Termin deshalb sehr kurzfristig angesetzt. Da Fatou mit Mitte zwanzig bereits das beste Heiratsalter überschritten habe, wie er und einige Nachbarinnen mir in Gesprächen mitteilten,8 sollte alles schnell gehen. Fatou hingegen setzte viel Kraft und Mittel ein, um eine große Feierlichkeit und einen Empfang für alle ihre Freundinnen abhalten zu können. Der Konflikt wurde nicht zwischen ihr und ihrem Vater ausgetragen, sondern zwischen Fatou und Astou, der ersten Frau ihres Vaters und ihrer sozialen Mutter. Fatou machte Astou für die Verteilung des Brautgeldes und die Meinungen ihres Vaters verantwortlich und klagte immer wieder darüber, dass Astou nicht genug Geld in ihre Hochzeit investieren würde. In der Literatur wird Neid und Konkurrenz meist bei Konflikten zwischen mehreren Ehefrauen in polygynen Haushalten thematisiert (vgl. Diop 1985; Fainzaing und Journet 2000), jedoch nicht zwischen den Generationen. In einer Gesellschaft, in der Frauen einen legitimen Anspruch auf das Geld ihrer Männer haben, führt häufig Eifersucht dazu, dass Frauen diesen Anspruch auf die finanziellen Mittel des Mannes nachdrücklich geltend machen. Eifersucht wird dabei als gerechtfertigt und stabilisierend für die Beziehung zwischen Mann und Frau betrachtet (Hann 2013:137). In Fatous Situation weitet sich diese Konkurrenz zwischen den Ehefrauen auf die Generation ihrer Kinder aus, insbesondere, da Fatou sich als uneheliche Tochter häufig zurückgesetzt fühlte. Im Gegensatz zur regulierenden Funktion von Neid, Eifersucht und Konkurrenz zwischen Ehefrauen wird diese Form von Emotionalität innerhalb Beziehungen von (Halb-)Schwestern und deren Müttern jedoch nicht wertgeschätzt oder als gerechtfertigt betrachtet. Fatous Beispiel passt gut zu rezenten urbanen Entwicklungen der Stärkung der Ehefrau und des Ehepaares innerhalb familiärer Konstellationen bei Eheschließungen. Auch wenn sich Veränderungen bei den Rollen beobachten lassen, sind es doch immer noch die Familien, die die Beziehung des Ehepaares entscheidend

8

In der Literatur gilt Mitte zwanzig für den urbanen Raum jedoch als Durchschnittsalter für die erste Heirat (Antoine und Marcoux 2014:10).



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bestimmen. Konflikte werden häufig in der audiovisuellen Darstellung der Feierlichkeiten nicht sichtbar, sondern treten lediglich durch die Abwesenheit bestimmter Personen oder Geschenke zu Tage, in diesem Fall durch die Abwesenheit der sozialen Mutter Astou.

5.2.2 Un-/Sichtbare Zirkulation: Hochzeitsbilder und Formen der Gemeinschaftlichkeit Dieses Unterkapitel rekapituliert die unterschiedlichen Ereignisse der Hochzeitsfeierlichkeiten anhand der audiovisuellen Erzeugnisse, also den Bildern im Hochzeitsalbum und auf Facebook sowie dem Hochzeitsvideo. Die Analyse des Bildmaterials zeigt, welche Elemente der Feierlichkeiten repräsentiert und welche ausgespart werden und somit offensichtlich weniger Teil der Erinnerungskultur sind. Die Untersuchung der Bilder und Bilderserien komplementiert die Analyse der Medienpraktiken der Produktion und Zirkulation dieser Fotografien. Die Kontrastierung von Bildern in Hochzeitsalben, Hochzeitsvideos und solchen, die auf Facebook geteilt werden, erlaubt es, die Spezifizität der jeweiligen Formate herauszuarbeiten. Gleichzeitigt zeigt der Blick auf diese Formate und der unterschiedliche Umgang mit ihnen in der Produktion und Aneignung, wie spezifische Formen des gemeinsamen Betrachtens und Öffentlich-Machens (Hirschkind, de Abreu und Caduff 2017:5 ff) bestimmte Formen der sozialen Beziehungen bestärken. Die mediale Vermittlung transformiert das Ereignis und die sozialen Beziehungen, die damit einhergehen; Bildinhalte werden an einen anderen Ort und in eine andere Zeit transportierbar. Die unterschiedlichen Kontexte, in denen Hochzeitsalben, Videos und Bilder auf Facebook zirkulieren, können von den abgebildeten und den betrachtenden Personen nicht gleichermaßen kontrolliert werden. Diese medialen Kontexte betrachte ich in dieser Arbeit jedoch als Teil des Ereignisses und in Verbindung zueinander, da daran die transnationalen Beziehungen deutlich werden. Der Höhepunkt der Hochzeitsfeier für Fatou und ihre weiblichen Gäste war die sorgfältig choreografierte Ankunft der Braut zu ihrer réception. Geführt von einem Freund ihres Mannes – eine Art Ersatzbräutigam – schritt Fatou in ihrem weißen Hochzeitskleid den roten Teppich entlang. Aus der Anlage dröhnte die international bekannte Box-Hymne „Champions“. Die vielen meist weiblichen Gäste standen von ihren weißen Plastikstühlen auf und empfingen Fatou mit lautem Jubel und Klatschen. Der Einzug wurde

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von einem dafür beauftragten animateur9 mit Mikrofon begleitet, der Fatous Schönheit preiste, und dem Foto- und Videografen, der das Fest audiovisuell dokumentierte. Fatou positionierte sich vor der Bühne zwischen den bereits Eingetroffenen: den marraines, der ndjeké,10 zwei Kindern, die wie ein Brautpaar gekleidet waren. Hier blieb sie den Großteil des Abends, um Geschenke entgegenzunehmen und sich mit den anwesenden Gästen, dem Ersatzehemann und später ihrem Ehemann fotografieren zu lassen. Insbesondere die Festlichkeiten der réception am Abend wurden für das Hochzeitsvideo und die Fotos inszeniert. Die Kameras waren fester Bestandteil dieser Feierlichkeit. Die gesamte Bühne wurde sorgfältig aufgebaut und mit Kuchen, Obst und Getränken geschmückt, weil sie zugleich als Hintergrund für die Bilder diente. Vor dieser Bühne überreichten die Gäste der Braut ihre Hochzeitsgeschenke und ließen im Anschluss daran von sich und der Braut ein Bild erstellen. Wie bereits durch andere Autor*innen beschrieben (etwa Buggenhagen 2012b:196 f.) wird in einem Heft detailliert festgehalten, wer wieviel oder was geschenkt hat, um bei der nächsten Zeremonie wenn möglich das Doppelte zurück zu schenken. Geschenke können daher wie eine Investition in die Zukunft betrachtet werden, durch diese Geschenkübergabe werden die sozialen Beziehungen gefestigt und gegenseitige Abhängigkeiten und Stratifizierung hergestellt (vgl. auch Weiner 1985). In den Bildern manifestieren sich Vermittlungsprozesse des Geschenkaustauschs, die sich aus der Vergangenheit in die Zukunft hinein erstrecken (Buggenhagen 2011:725). Die Bilder ergänzen den Geschenkaustausch und erweitern ihn auf spezifische Weise um unterschiedliche Formen der translokalen und transnationalen Gemeinschaftsbildung. Sie stellen eine Momentaufnahme dar, die als Serie und Sammlung von Bildern verschiedenster Ereignisse für langjährige und gegenseitige soziale Beziehungen stehen. Durch die Abwe-

9 10

Fatou hatte auf Anraten einer Freundin diesen professionellen Hochzeitsanimateur für die réception beauftragt, da er ein komplettes Programm mit Anlage, Zelt, Bühne und Getränken als Teil seiner Dienstleistung zur Verfügung stellte.

Üblicherweise nimmt diese rituelle Position eine Halbschwester des Ehemannes ein, im beschriebenen Fall haben die Geschwister jedoch die gleichen Eltern. Obwohl es häufig zu Spannungen zwischen der Ehefrau und der Schwiegerfamilie kommt, soll die ndjeké idealerweise eine enge Vertrauensperson für die Ehefrau darstellen, auch beispielsweise bei sexuellen Problemen in der Ehe. Die ndjeké unterstützt idealerweise die Ehefrau ihres Bruders bei den Feierlichkeiten zur Geburt des ersten Kindes, die Beziehung ist durch einen Geschenkaustausch (foot = Wäsche) geregelt (vgl. Hann 2013:151).



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senheit in den Bildern zeigt sich zudem, wie mir viele Frauen berichteten, dass sie nicht zur Hochzeit gehen konnten, wenn sie kein Geld für ein Geschenk hatten. Die besonderen Momente der unterschiedlichen Feierlichkeiten werden im Alltag durch das Ausstellen der Bilder in Wohn- und Schlafzimmern und auf Facebook präsent gehalten. Diese Bilder dokumentieren die wichtigen sozialen Beziehungen und sind ein Versprechen für die Beziehungen der Zukunft. Aufgrund ihrer sozialen Herkunft aus einer Diola-Familie, ohne die Traditionen der sozialen Stratifizierung durch beispielsweise ‚Kasten‘ (vgl. Fn. 76) und als uneheliche Tochter war es für Fatou besonders bedeutsam, sich durch ihre Hochzeit zu positionieren. Denn es sind vor allem diese Ereignisse, in denen sozialer Rang und Kaste durch den Austausch von Stoffen und Geschenken, aber eben auch durch visuelle Medien verdeutlicht und reaktiviert werden (Buggenhagen 2011:725). Hier war es für Fatou wichtig, den Erwartungen an die Beziehungen zur ihrer Schwiegerfamilie, insbesondere der älteren Schwester ihres Mannes, der ndjeké, zu entsprechen. Die Situation des Aufschreibens der Geschenke und des Zählens von Geld war zusätzlich angespannt, da es auch darum ging, ob Fatou genug Geschenke bekommen hatte, um noch in der gleichen Nacht die Geschenke ihrer ndjeké (Gold, Geld und Stoff) doppelt zu erwidern. Fatou hatte den Foto- und Videografen Abdou Karim damit beauftragt, ein Video und ein Fotoalbum der Hochzeit zu erstellen. Abdou Karim war der Fotograf, der bereits von ihrem Vater immer wieder beauftragt worden war, Familienfeste zu dokumentieren. Da Abdou Karim aus dem gleichen Dorf wie ihr Vater aus der Casamance nach Dakar gekommen war, war auch er auf spezifische Weise mit der Familie der Braut verbunden. Fatous Vater hatte Abdou Karim bereits bei seiner Ankunft in Dakar unterstützt und dadurch eine hierarchische freundschaftliche Beziehung etabliert. Abdou Karim war mit den sozialen Dynamiken innerhalb der Familie vertraut. Da Abdou Karim nur eine analoge Kamera hatte, wurde ich als Brautpatin in die Fotoproduktion miteinbezogen. Fatou fragte mich im Namen Abdou Karims, ob ich ihm meine Digitalkamera für die Feierlichkeiten zur Verfügung stellen konnte. Dies war nur eine der zahlreichen Erwartungen an mich als marraine und ‚reiche‘ Europäerin und verweist darauf, wie ich in die sozialen Beziehungen der Verpflichtung einbezogen wurde. Für Abdou Karim stellte die Nutzung der digitalen Kamera eine große finanzielle und Arbeitserleichterung dar, da er die Fotografien auf dem Display kon­ trollieren konnte und nicht für die Entwicklung der Filme, sondern nur für

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die Vergrößerung der Bilder bezahlen musste. Fatou konnte durch diese Erleichterung im Gegenzug den Preis für das Fotoalbum neu aushandeln. Bei wenigen Untersuchungen wird die Rolle des Videografen als wichtigem Gestalter betont (Mand 2012), häufig wird jedoch vernachlässigt, dass diesen Personen viel Vertrauen entgegengebracht wird und diese ihren jeweils eigenen Stil in den Videos zum Ausdruck bringen. Der Videograf11 ist für die Bilder verantwortlich, er instruiert Posen, kadriert Hintergründe und weist Personen an. Letztendlich wählt meist er aus, welche Teile und Bilder für das Fotoalbum oder das Video in Frage kommen und auf welche Weise sie angeordnet werden. Er bestimmt also, was im Video zu sehen ist und was nicht. Jeder Fotograf und jeder Videograf hat dabei seinen eigenen Stil entwickelt, der sich an den ästhetischen Vorstellungen der Kund*innen orientiert. Die Foto- und Videografen entwickeln zudem eine Vorstellung von den für ein Ereignis bedeutenden sozialen Beziehungen und wichtigen Teilnehmer*innen der Feierlichkeiten, nur so können sie die erwünschten Bilder produzieren und montieren. Neben den künstlerisch-ästhetischen und informell-ökonomischen Aspekten, die häufig in der Literatur zu Studio- und ambulanten Fotografen thematisiert werden (Werner 1997, 1996; Behrend und Wendl 1998; vgl. auch Behrend 2014), zeichnet hier also die Kenntnis der sozialen Beziehungen den Foto- und Videografen nicht nur als ‚rituellen‘, sondern auch als ‚sozialen‘ Spezialisten aus. 5.2.2.1 Kopieren, Ausschneiden, Einfügen: Ästhetik und (Re-)Produktion von Beziehungen im Hochzeitsalbum Wie bereits in der Feldforschungsszene vom 08.01.2012 deutlich wurde, konnte ich bei meinem ersten Besuch in Fatous neuem Zuhause das weinrote, mit Gold verzierte Hochzeitsalbum gemeinsam mit Fatou und Oumi betrachten und darüber sprechen.12 Das Fotoalbum zeichnet eine hohe materielle Qualität und Haltbarkeit aus. Die Größe und Schwere des Albums 11

12

Während meiner Feldforschung waren es ausschließlich männliche Foto- und Videografen, die die Hochzeiten begleiteten. Dieser männliche Blick ist Teil des Bilderstellungsprozesses. Durch die Kadrierung der Bilder und Anweisungen an die Männer und Frauen in den Bildern haben sie einen nicht unerheblichen Anteil an der geschlechterspezifischen Konstruktion und der geschlechtsspezifischen Gestaltung von sozialen Beziehungen in den Bildern. Bei einem späteren Besuch im März 2012 hatte ich die Gelegenheit, das Album erneut zu betrachten und bekam die Erlaubnis das Album zu fotografieren. Die einzelnen digitalen Bilder hatte ich bereits durch den Fotografen zur Verfügung gestellt bekommen.



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sowie das Umblättern der Seiten, aber auch die von Hand ausgeschnittenen und fest eingeklebten Fotografien ermöglichen nicht nur mir, sondern einer Vielzahl an Besucher*innen, eine ganz eigene Form der körperlich-taktilen Beziehung dazu aufzubauen. Zudem kann das Album immer wieder hervorgeholt und betrachtet werden. Wie in den meisten Hochzeitsalben, die mir gezeigt wurden, sind die Fotos auf spezifische Weise angeordnet. Der Fokus liegt auf Porträtfotografien der Braut, dann der Braut mit ihrem Ehemann und schließlich der Braut mit einer großen Anzahl an Gästen (vgl. Kap. 6.1. zur Geschichte und Bedeutung von Porträtfotografie in Senegal). Die Zusammenstellung und das Narrativ des Albums verdeutlichen zum einen die Veränderungen des Status der Frau, zum anderen die spezifische, von der Braut in Auftrag gegebene Sichtweise auf das Ereignis. Die Indexikalität der Bilder und die Ästhetik des Albums bilden den Fokus dieses Unterkapitels, da sie für das Verständnis von Visualität innerhalb sozialer Beziehungen ebenso wichtig sind wie die bisher fokussierte Performativität der Bilder und die einhergehenden sozialen Praktiken (Savage 2012:40; Pinney 2013). Zudem wird in diesem Unterkapitel über die Betrachtung der einzelnen Fotografie hinaus das gesamte Album in den Blick genommen. Der Fotograf Abdoul Karim arrangierte die Fotografien im Album sorgfältig zu einem Narrativ, das den gewünschten Standards seiner Klientin entsprach. Alle 33 Doppelseiten enthalten jeweils mindestens vier bis maximal sechs Fotografien, die mit der Schere manuell oder per Computermontage verändert und verziert worden waren. Die Verbindung von Fotografie und manueller Bearbeitung stellte bereits Liam Buckley für gambische Fotografie fest: „Cameras, in The Gambia, are scissors for seeing“. Im zeitgenössischen Dakar wird diese Form des Zurichtens von Fotografien fortgeführt und durch die digitale Manipulation erweitert. Die digitale Bearbeitung per Computer und die manuelle durch die Schere formen gemeinsam eine Ästhetik, in der die abgebildeten Accessoires nicht nur zur Person gehören, sondern die Person als solche hervortreten lassen (Buckley 2000:72). Den Hauptanteil des Albums bilden Porträts der Braut mit Freund*innen und Familienangehörigen. Die für die Hochzeit wichtigen marraines und der Ersatzbräutigam sind damit zwar prominent im Album vertreten, sie sind jedoch nicht unbedingt die engsten Vertrauten der Braut. Als marraines dienen üblicherweise jene Freundinnen, die sich die Kosten für diese besondere Rolle leisten können und Erfahrung mit der Organisation von Hochzeitsfeierlichkeiten haben. Weitere Gruppenporträts zeigen die Braut

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Abbildung 15: Die erste Seite aus Fatous Fotoalbum und eine unbearbeitete Fotografie (Fotograf: Abdou Karim Sané)

mit Familienmitgliedern mütterlicherseits: ihre Mutter, Halbschwester und Halbbruder. Erst danach folgen auf der neunten Doppelseite ein Bild der Schwester ihres Mannes, der ndjeké, in einem Gruppenporträt mit Fatou und dem Animateur. Die Kaskaden von Zweier- oder Dreierporträts mit Freundinnen und entfernteren weiblichen und männlichen Verwandten sind meist treppenförmig und überlappend auf einer Seite eingeklebt und verweisen in ihrer Ästhetik auf die Schichtung und Überlagerung der unterschiedlichen persönlichen Beziehungen. Abdou Karim hatte fast alle erstellten Fotografien des Abends für das Album ausgewählt.13 In vorheriger Absprache mit Fatou stammten die Bilder vor allem von zwei Ereignissen. Die erste Serie der Porträts der Braut hatte der Fotograf vor dem Schönheitssalon und dem extra dafür bereitgestellten Hintergrund erstellt, die zweite Serie stammte von der réception. Vom dénkaane,14 der Verabschiedungsfeier im Salon des Hauses nach der réception, finden sich nur zwei Aufnahmen im Album. Fatou ist auf diesen 13

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Einige Einzelporträts hatte Abdou Karim zum Verkauf für die jeweils abgebildeten Frauen und nicht für das Album erstellt. Zudem entstanden durch einen unbeabsichtigten Löschprozess und die digitale Rettung der Bilder einige entstellte und verpixelte Bilder, die sich auch nicht im Album wiederfanden.

Das Wolofwort dénk lässt sich mit „vertrauen“ oder „empfehlen“ übersetzen. Bei diesem wichtigen Teil der Zeremonie wird der Braut eine Art Verhaltenskodex übergeben: Empfehlungen der Familie, wie sie sich in ihrer neuen Umgebung als Ehefrau und Schwiegertochter zu verhalten hat (vgl. Diop 1985:128 ff.).



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Bildern nicht in ihrem weißen Hochzeitskleid, sondern neben ihrer jüngeren Halbschwester verschleiert im foulard zu sehen. Auch der kilifeu (Vater der Familie auf Wolof), der bereits bei den Vorbereitungen der Feierlichkeiten eine wichtige Rolle innehatte, ist auf diesem Bild abgebildet. Die Bilder vom dénkaane zeichnen mit der Darstellung verschiedener Generationen oder mit Elementen, die sich ansonsten nur im Hochzeitsvideo finden, ein anderes Bild von der Hochzeit als im Rest des Albums. Sie machen deutlich, dass die Inszenierung der Hochzeit im Album keineswegs ein getreues Bild der Feierlichkeit liefert. Vielmehr werden mittels Auswahl, Anordnung und Montage der Bilder bestimmte Aspekte hervorgehoben und andere – etwa die Feierlichkeiten im Haus der Bräutigams – weggelassen. Die erste Seite des Albums etabliert das Thema des romantischen Brautpaares, obwohl das Paar während der gesamten Feierlichkeiten selten gleichzeitig an einem Ort war. In der oberen Bildhälfte sind im Querformat Braut und Bräutigam gemeinsam in einem computerbearbeiteten Bild in zwei ovalen Rahmen mit Blumendekor eingefügt. Die Spiegelung des Bildes ist – in violetter Computer-Schreibschrift – mit dem Text „unis pour la vie“ (vereint für das Leben) versehen. Seitlich des Bildes hatte der Fotograf kleine Herzchen-Formen aus anderen Fotografien ausgeschnitten und als Dekoration eingeklebt. Auch am Ende des Albums werden dieses Thema und die Ästhetik aufgegriffen. Beispielsweise ist auf der Doppelseite 31 auf der rechten Seite ein Halbporträt in Schwarzweiß von Fatou und ihrem Mann dargestellt, das mit einem genau mit der Schere ausgeschnittenen Farbfoto von Fatou zu einer Collage verbunden ist. Sie lächelt jeweils zur Seite und sieht dabei ihren Mann an. Er blickt ernst in die Kamera. Die lächelnde Braut und der ernst blickende Bräutigam sind ein Motiv, das sich in vielen Hochzeitsalben seit Anfang der 2000er Jahre findet. Diese Bildsprache greift ein globales Repertoire romantischer Darstellung von Liebespaaren auf, die auch auf die in Dakar sehr beliebten brasilianischen und indischen Fernsehserien referenzieren. Mittels Dakar-spezifischen und westafrikanischen Formen der Bearbeitung und Ästhetik eignen sich die Produzenten diese globalen Darstellungen an, indem durch Nähe in den Bildern soziale Verbindungen hergestellt werden (Buckley 2000:81; vgl. auch Pinney 2013). Solche Aneignungen finden sich üblicherweise bei Porträts von politischen oder religiösen Führungspersönlichkeiten, die dadurch ihre Autorität legitimieren – beispielsweise um anzuzeigen, dass ein Kandidat für ein politisches Amt geeignet ist (Buckley 2000:81). Im Hochzeitsalbum wird diese Verbindung zwischen Braut und Bräutigam hergestellt, was diese Beziehung, insbesondere den Status der

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Ehefrau innerhalb der familiären Verbindungen, betont. Durch die Logik des double impact, der Mehrfachabbildung einer Person durch manuelle CutOuts und Montagen, wird zudem soziale Reparaturarbeit geleistet (Buckley 2000:81). Im Hochzeitsalbum werden hierdurch Statusunterschiede zwischen den Ehepartnern und deren Familien rearrangiert oder abwesende Personen präsent gemacht (vgl. 5.3.2). Ihre Hoffnung auf eine ehepartnerschaftliche Beziehung, die weniger stark in die Familie des Ehemannes eingebunden ist, drückte Fatou durch den Wunsch nach räumlich getrennten Lebenssphären aus. Beim ersten Betrachten des Albums meinte sie auf das Album deutend zu mir, dass ihr Mann sehr zufrieden mit ihr sei und ihr versprochen habe, dass sie mit ihm in die Wohnung ziehen würde, in der sie nach der Hochzeitsfeier für einige Tage zusammengelebt und eine Art Flitterwoche verbracht hatten. Die Darstellung der Braut nutzt ähnliche Techniken der Reparaturarbeit und Analogie, um ihre Schönheit und ihren sozialen (und materiellen) Reichtum darzustellen. Zwei Fotomontagen von Halbporträts der Braut im Hochformat auf der ersten Seite sind mit reichhaltigem Blumendekor und Perlenketten verziert. Auf dem linken Halbporträt blickt Fatou im Halbprofil nach rechts, auf dem rechten blickt sie nach links, so dass sich die Blickachsen überschneiden und der Eindruck entsteht, sie würde sich selbst ansehen und anlächeln. Buckley (2000:86) beschreibt Formen der Mehrfachbelichtung in Porträtfotografien als xol sa bopp (seinen eigenen Kopf betrachten) als Dissoziation des Körpers. Die unterschiedlichen, distanzierenden Fragmente des Selbst erscheinen so in einem Bild und erlauben eine Form des Imaginierens und Träumens. Buckley interpretiert diese Form der visuellen Ästhetik der Oberfläche und des Körpers als Ausdruck der Erfahrung der postkolonialen Situation in Gambia Ende der 1990er Jahre. In den Hochzeitsalben, die ich während meiner Forschung in Dakar gesehen habe, wird diese Form der Ästhetik aufgegriffen und weiterverarbeitet. Hier geht es nicht nur darum, die sozialen und finanziellen Unsicherheiten der postkolonialen Situation in der Ästhetik umzudeuten, sondern auch darum, Vorstellung von sich selbst und Möglichkeiten der Veränderung der eigenen Person zum Ausdruck zu bringen. Die Schönheit und der Reichtum der Braut, die durch das weiße Hochzeitskleid, Accessoires wie Schmuck und Make-up und die aufwendige Frisur zum Ausdruck kommen, fördert auch die Reputation des Ehemannes. Ähnlich wie der Sabar-Tanz in Hélène Neveu Kringelbachs Ethnografie (2013) macht hier das Album die Form der Gestaltung einer Person in Dakar deutlich. Durch die Kenntnisse und Fähigkeiten (skills) einer jungen Frau



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und das Zusammenspiel mit den Erfahrungen des Fotografen wird im Album ein ästhetischer Raum geschaffen, in dem geschlechtsspezifische Domänen abgesteckt und individuelle Handlungsmacht ebenso wie soziale Einbettung formalisiert dargestellt werden. Eine junge Frau kann sich durch die Kontrolle über das Album als soziale Person etablieren. Alle Elemente, die als nicht angemessen gelten könnten, wie sexuell suggestive und emotionale Formen des Tanzes, verschwinden aus dem Album, um Zurückhaltung, Bescheidenheit (sutura), Reserviertheit und Anstand (kersa) der Frau und ihrer Gäste zu unterstreichen (vgl. Neveu Kringelbach 2013:84). Damit etabliert sich die Braut bereits in ihrem Hochzeitsalbum als erfolgreiche Ehefrau, eine Voraussetzung dafür, dass ihr Mann ausreichend für sie und ihre zukünftigen Kinder aufkommen wird (Adjamagbo u.a. 2006:7). Im Album werden außerdem unterschiedliche Vorstellungen von Weiblichkeit und Ehepartnerschaft miteinander in Verbindung gebracht. Einerseits ist das Album ein Versuch, die Braut als schön und sozial erfolgreich zu etablieren und den Erwartungen als zukünftige Ehefrau zu entsprechen, die sich vor allem um den Haushalt und die Kindererziehung kümmert (vgl. Antoine u.a. 1995; Augis 2012; Buggenhagen 2012b). Andererseits zeigt sich im Album gleichzeitig die Bestrebung der Braut, ein modernes Leben mit ihrem Ehemann zu führen. Modernität bedeutet in diesem Sinne einerseits materiellen Wohlstand, um sich jenseits von ausreichendem Essen beispielsweise ein Auto und Konsumgüter leisten zu können. Andererseits verlagern moderne Frauen den Fokus von der erweiterten Familie auf die von globalen romantischen Vorstellungen geprägte ehepartnerschaftliche Beziehung und streben beispielsweise eine Wohnform in der Kleinfamilie an. Der Handlungsspielraum der Ehefrau erweitert sich dadurch, so kann sie sich teilweise der sozialen Kontrolle der erweiterten Familie entziehen. Durch die fotografische Wiederholung des Porträts und anderer kanonisierter Wahrnehmungsmuster wie Pose und Kleidung werden kollektive Vorstellungen von Schönheit und Reichtum, aber auch von Weiblichkeit dargestellt und reproduziert (vgl. Kap. 6). Insgesamt ist festzustellen, dass in den Porträtserien die Personen abgebildet sind, die zum Gelingen der Hochzeit beigetragen haben – andere Anwesende dagegen fehlen oder sind in der Darstellung unterrepräsentiert. Im Gegensatz zu anderen Alben, die mir gezeigt wurden, fehlt auf Seiten des Ehemannes ein Bild seiner Mutter (sein Vater war bereits vor einigen Jahren verstorben). Auch Fatous soziale Mutter Astou, die hauptsächlich für die Organisation der Feierlichkeiten und das Essen im Haus zuständig gewesen war, fehlt aufgrund des oben beschriebenen Konflikts im Album. Fatous

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biologische Mutter wurde nur zu einem späteren Zeitpunkt, nachträglich auf Wunsch Fatous, im Salon kurz vor der Verabschiedung fotografiert. Die Abwesenheit und starke Unterrepräsentation mancher zentraler Personen im Album spiegeln den Status Fatous als uneheliche Tochter innerhalb der Familie ihres Vaters wider, aber auch die fehlenden vorausgehenden Beziehungen zwischen Fatous Familie und der ihres Mannes. Die großen réceptions sind ein relativ junges und genuin urbanes Phänomen der Hochzeitsfeiern. Allerdings können sich nur wenige Frauen diese Veranstaltungen leisten. Die jungen Frauen aus Fatous Familie und der Nachbarschaft, die ich befragte, gestalteten ihre Hochzeiten ganz unterschiedlich: Fatous Cousine Aïssatou hatte beispielsweise auf diesen Teil der Feierlichkeiten verzichtet und eine günstigere Version gewählt: Sie hatte Sabar-Musiker eingeladen, die für ausgelassene Stimmung und Tanz sorgten. Die relativ junge Nachbarin Bintou wiederum verzichtete aus religiösen Gründen und ihrer Familie zu Liebe ganz auf die réception und auch auf Musik und Tanz. Auch andere junge Frauen hatten keine Feier ausgerichtet. Dies konnte an fehlenden finanziellen Mitteln des Ehemannes, an einer von den Familien nicht erwünschten Verbindung oder an einer Heirat mit einem abwesenden Ehemann in der Migration liegen. Meist wurden in diesen Fällen später zumindest die Geburt und Namensgebung des ersten Kindes in größerem Stil gefeiert. Die Diversität der Feierlichkeiten deutet darauf hin, dass junge Frauen das Ereignis auf unterschiedliche Weise für sich nutzen können. Weitaus häufiger, als dies die meisten ethnografischen Arbeiten vermuten lassen (z.B. Buggenhagen 2012b; Diop 1985), werden keine großen Feierlichkeiten abgehalten (siehe aber Hann 2013). Das Hochzeitsalbum zeichnet sich durch eine spezifische Form der Temporalität und Zuschauerschaft aus. Im Gegensatz zu anderen ephemeren Formen der Performanz von Geschlecht und sozialer Person wie den bereits erwähnten Tanzzirkeln des Sabar-Tanzes stellt das Hochzeitsalbum einen Versuch dar, eine bestimmte Perspektive der ephemeren Performanz des Ereignisses festzuhalten. Hier wird erstens die Gegenwart mit einem spezifischen Blick auf eine mögliche Zukunft festgehalten, die weit über den aktuellen Zeitpunkt des Geschehens hinausreicht. Dies können einzelne Bilder sein, wenn beispielsweise Porträts der Braut mit Zwillingen15 als Symbol der 15

Der besondere Status von Zwillingen begegnete mir immer wieder während meiner Forschung. Zwillinge besitzen besondere spirituelle Kräfte und sind ein Symbol für Fruchtbarkeit (Buckley 2000:84).



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Fruchtbarkeit und Nachkommenschaft auf die Funktion der Ehe verweisen. Aber auch das Album als Gesamtes tritt bereits in einen Dialog mit den zukünftigen Alben und Bildern von Tauffeierlichkeiten und anderen wichtigen Lebenszyklusevents. Durch das Taufalbum mit den Aufnahmen der Namensgebungszeremonie und des ngénte, einer Tauffeier am Nachmittag mit Geschenkaustausch, etablierte Fatou ihre Rolle als Mutter in der Familie ihres Mannes. Zweitens wird das Album als Dokumentation und Zeugnis der Feierlichkeit erstellt, um es nach der Feierlichkeit gemeinsam mit den Gästen und Teilnehmer*innen der Hochzeit zu betrachten. Das Ereignis wird bewertet, es wird über Erfolg oder Misserfolg bestimmter Elemente der Feierlichkeiten geurteilt und gemeinsame Erinnerung gestaltet. Für diese Betrachter*innen dokumentieren diese Alben die eigene Erfahrung und generieren Erinnerungen, die durch das erneute Betrachten und Kommentieren immer wieder aufgerufen und mit nostalgischen Gefühlen aufgeladen werden. Eine junge Frau in Dakar, deren Mann mittlerweile in Italien lebte und nur selten finanzielle Unterstützung schickte, beschrieb mir, wie ihr das Album vor allem in Zeiten der Not und der Mühe des Alltags dabei half, sich an die wertvolle Beziehung mit ihrem Ehemann und seine Großzügigkeit zu erinnern. Im Laufe der Zeit weitet sich der Kreis der Männer und Frauen, die das Album zu sehen bekommen, auf diejenigen aus, die nicht an der Hochzeit teilgenommen hatten. Für diesen Personenkreis ersetzt das Album die Erfahrung der Hochzeit und verschmilzt nicht mit eigenen Erfahrungen. In diesen Situationen konnte ich immer wieder beobachten, wie Fatou als Besitzerin des Albums die Erfahrung des Betrachtens durch Erläuterungen und Hinweise lenkte. Einem Onkel väterlicherseits erklärte sie beispielsweise anhand der Bilder, welche Form der Unterstützung ihrer Feierlichkeit sie durch welche Familienangehörige erhalten hatte. Das Betrachten eines Albums ist also mit der Person der Besitzerin selbst verknüpft. Das Format des Albums beschränkt die Zahl der Personen, die es sich gleichzeitig betrachten können, und stellt so eine spezifische Form der Zuschauerschaft her. Die sorgfältige Auswahl und die Arbeit an den Fotografien machen die sozialen Beziehungen und die (Selbst-)Inszenierung der Braut und ihrer weiblichen Gäste sichtbar. In diesem Fall ist der Fotograf nicht alleiniger Besitzer oder Autor der Fotografien und des Albums. Es sind vor allem die abgebildeten Personen, die durch ihren Auftrag, die Posen und ihre Einwilligung zur Fotografie Autorenschaft und Besitz für sich reklamieren. Durch das Album werden die Ereignisse und sozialen Beziehungen über Raum und

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Zeit ‚transportierbar‘. Doch handelt es sich dabei nicht um einen magischen Transport, der Zeit und Raum überwindet oder unwichtig macht, wie dies in vielen Arbeiten zu Videos im transnationalen Kontext beschrieben wird (z.B. Kolar-Panov 1996; Zillioğlu und Özdemir 2011). Diese Alben wie auch die Videos kreieren einen Beweis für die Hochzeit (vgl. Chalfen 2002) und schaffen eine Form der medial vermittelten Erfahrung für die Besitzerinnen und Betrachter*innen der Bilder. Heike Behrend (2014:60) fasst in Anlehnung an Ariella Azoulay (2008) Fotografie in Ostafrika als einen „social contract“ und bezieht auch die Betrachter*innen eines Bildes als Teil der sozialen Beziehungen der Fotografien mit ein. Da sie die sozialen Beziehungen in den Oberflächen der Bilder lesen und aneignen können, erlangen die Bilder ihre Bedeutung für den neuen Kontext. Bilder und Alben werden zum gemeinsamen Horizont oder medialen Ort (Savage 2012), der Personen, Zeiten und Kontexte miteinander verbindet und Raum für Imagination lässt. 5.2.2.2 Erinnerungen Aufnehmen: Bilder, Hochzeitsvideos und mediale Erfahrung Zur Fotografie gesellten sich seit den 1990er Jahren auf Hochzeiten in Dakar zunehmend Videoaufnahmen.16 Hochzeitsfotografen erweiterten ihr Repertoire durch die günstige VHS-Videotechnik und erstellten neben Fotografien häufig gleichzeitig Videos der Feierlichkeiten. Zunächst konnten sich nur reichere Haushalte insbesondere mit transnationalen Verbindungen die VHS-Technik leisten. Mit dem Aufkommen digitaler Formate wie VCDs und DVDs in den letzten Jahren und der Verfügbarkeit von Computern und Laptops weitete sich die Videotechnik auch auf einkommensschwächere Familien aus. Diese „home videos“ (Chalfen 1987, Kapitel 3) oder „vernacular media“ (Savage 2012:17) wurden in der Forschung zu Afrika häufig als Formate der Selbstdarstellung und des sozialen Prestiges für Individuen und Familien betrachtet (Schulz 2012:92; Behrend 2014:191). Dorothea Schulz (2012:93) betont in ihrer Ethnografie zu neuen Medien und religiösen Erneuerungsbewegungen in Mali, dass durch Hochzeitsvideos eine Vervielfältigung der Perspektiven und dadurch Handlungsmacht erreicht wird. Die Zuschauer*innen sehen und bewerten die eigene Performanz und die Dar16

Im ostafrikanischen Kontext sind Videotechnologien bereits seit den 1980er Jahren Teil der Hochzeitspraktiken (Behrend 2014:190), in Westafrika stellten Beobachterinnen dies erst seit Anfang der 1990er Jahre fest (Schulz 2012:91; Mustafa 2002:185).



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Abbildung 16: Standbilder aus Fatous Hochzeitsvideo (Videograf: Adbou Karim Sané)

stellung der anderen Gäste im Video und werden sich dadurch ihrer eigenen Rolle als ‚Schauspieler*innen‘ bewusst. Damit zeigt Schulz, dass Produktion und Konsum dieser Videos eng miteinander verwobene Prozesse sind. Der Fokus auf die Ästhetik und Inhalte der Videos in diesem Unterkapitel nutzt diese Erkenntnis, um sie in Relation zu fotografischen Hochzeitsalben zu setzen. Die spezifische Medialität und Ästhetik der Hochzeitsvideos ermöglicht es Konsument*innen, eine spezifische Erfahrung und Erinnerung des Ereignisses in der Gegenwart herzustellen, die sich durch die Spannung zwischen dokumentarischem Detailgrad und dem imaginativen Raum der audiovisuellen Collagen ergibt. Zudem unterscheiden sich Videos durch die Reichweite und Zirkulation von Hochzeitsalben und ermöglichen dadurch unterschiedliche Formen des gemeinschaftlichen Betrachtens, die nicht unbedingt an die Person der Braut als Besitzerin des Videos gebunden ist. Es entstehen also „intimate publics“, die Dorothea Schulz (2012:94) als semiöffentlichen Bereich durch Umfang, Ausrichtung und moralischen Anspruch von einem größeren Bereich der öffentlichen Debatte unterscheidet. In ihrer Struktur und Narration sind die häufig mehrere Stunden dauernden Hochzeitsvideos in Dakar ähnlich wie die Fotoalben aufgebaut. Anfang und Ende der Videos sind stark bearbeitete und montierte Szenen, die mit rascher Schnittfolge, digitalen Schablonen, Effekten und populärer Musik vor allem die Braut in Szene setzen. Neben den Videoaufnahmen sind meist zahlreiche Fotografien Teil dieser einführenden Szenen, die teilweise dem

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Stil von Hochzeitsalben nachempfunden sind, wenn Fotos und Filmaufnahmen beispielsweise in das Standbild eines Fotoalbums montiert sind (vgl. Behrend 2014:191 ff., zur Intermedialität von Fotografie und Video). Fatous Video beginnt im Rückgriff auf globale Bildrepertoires mit einer amerikanischen Hochhauskulisse mit einem vorbeifliegenden Flugzeug, darauf folgen Spiegelungen von Naheinstellungen der Braut in einer Christbaumkugel und der Titel „La Récéption du Mariage de Fatou Diatta et Seydy“ zieht als Roll-text unten durch das Bild. Ergänzt wird die Einführung der Braut durch ihr bewegtes Bild, das in eine Karte, ein Fotoalbum, ein Gemälde im Museum und einen übergroßen Monitor in einem schlicht und modern weiß eingerichteten Wohnzimmer montiert ist. Der Mix aus urbanem, mobilem Leben und den unterschiedlichen medialen Kontexten wie Museum, Fotoalbum oder Flachbildschirm verweisen auf den Lebensstil einer globalen Elite und setzen die Braut als Berühmtheit in Szene. Wie eine Schauspielerin (Schulz 2012:93) stellt die Braut sich selbst im Video an diesen globalen Orten dar. Die Montagen schaffen einen Raum der Imagination und Fantasie und rahmen den im Kontrast dazu stehenden dokumentarischen Hauptteil. Im Unterschied zum Fotoalbum gibt die populäre Mbalax-Musik, die dieser Szene als extradiegetischer Ton unterlegt ist, nicht nur Atmosphäre des Videos vor, sondern bindet durch die Wahl der Musik auch in den spezifischen kulturellen und sozialen Kontext ein. Ein weiterer Unterschied zum Hochzeitsalbum ist, dass im Video nicht nur die réception, sondern auch die Vorbereitungen und die Feierlichkeiten im Haus in fast voller Länge aufgenommen wurden. Der dokumentarische Hauptteil steht durch die wenigen Schnitte im Continuity-Style und der nahezu fehlenden digitalen Bearbeitungen im Kontrast zu den stark bearbeiteten Szenen am Anfang und Ende. Meist beginnt der Hauptteil dieser Videos mit den Vorbereitungen der Feierlichkeiten und kurzen Gesprächsszenen im Innenbereich. Außergewöhnlich in Fatous Video waren die gesetzten Interviewszenen am Vormittag der réception im Stil der ‚talking heads‘. Vor allem ältere Frauen aus der Nachbarschaft und der Familie sprechen der Braut hier ihre Glückwünsche aus und singen für die Braut, während sie das Essen vorbereiten. Teilweise geben sie der Braut bereits erste Tipps, wie sie sich als Ehefrau zu verhalten habe. Dieses Element der Ratschläge findet am späten Abend im dénkaane seinen Höhepunkt, wenn die Braut verabschiedet wird. Durch die Videoaufnahmen können die älteren Frauen, die häufig nicht an der réception teilnehmen oder im dénkaane zu Wort kommen, mit der Braut in Kontakt treten und ihre Unterstützung an den Hochzeitsvorbe-



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reitungen festhalten. Hierin zeigt sich ein weiteres reflexives Moment des Videos: Ältere Frauen nutzen Videoaufnahmen gezielt, um eigene Botschaften, die nicht Teil des offiziellen Ablaufs der Feierlichkeiten sind, an die Braut zu richten. Zudem dokumentiert das Video für die Braut spezifische Teile der Feier, die sie nicht miterleben kann. Im Unterschied zum Fotoalbum folgen Narration und Schnitt des Videos vorwiegend der chronologischen Abfolge der Feierlichkeiten. Dies wird an Darstellungen zeitgleicher Ereignisse deutlich, etwa wenn in der Mitte einer Interviewsequenz durch harte Schnitte zu einer Totalen im Außenraum gewechselt wird und die Braut auf ihrem Weg zum Schönheitssalon gefilmt wird. Unfrisiert und mit schlichtem Boubou verabschiedet sich Fatou mit zwei marraines von jungen Männern und Kindern, die auf der Straße stehen. Durch diese Bilder wird die äußerliche und innere Veränderung der Braut eingeleitet, auf den in der zweiten Hälfte des Hauptteils mit einem Szenenwechsel durch zwei einführende Einstellungen auf den Schönheitssalon referenziert wird. Ähnlich wie in den beliebten, lokal produzierten téléfilms wird der Ort des berühmten Schönheitssalons Sope Khadym durch eine Einstellung auf das Schild eingeführt und die Braut nun perfekt geschminkt, frisiert und in weißem Hochzeitskleid mit langsamen Schwenks abgefilmt, ein weiteres Element, das sie als Berühmtheit inszeniert. Dies bereitet den ersten Höhepunkt der meisten Videos vor: die réception und die Geschenkübergabe. In der zweiten Hälfte des Hauptteils fokussiert die Kamera in langsamer Bewegung die Gäste in ihren Sitzreihen auf ihren typischen weißen Plastikstühlen. Die langsamen Kameraschwenks verbinden die einzelnen Personen zu einer spezifischen Gemeinschaft. Fatous Video dokumentiert dann neben dem Einzug der Braut, der Ausgabe von Getränken und Kuchen und einer Tanzeinlage vor allem die Geschenkübergabe. In Gruppen von bis zu sechs Personen kommen die Frauen nach vorne zur Bühne, gratulieren, übergeben die Geschenke oder Briefumschläge mit Geld und posieren für das obligatorische Foto. Im Video lässt sich erkennen, dass Fatou ihr besonders nahestehende Personen für den Fotografen hervorhebt; durch kleine Handbewegungen und Kopfnicken zeigt sie dem Fotografen an, wer als Zweierporträt mit ihr abzulichten ist. Zudem drückt die Körpernähe, Umarmung und Hinwendung durch aneinander geneigte Köpfe besondere Vertrautheit aus. Die größeren Gruppen finden sich nur im Video und nicht in den Fotografien wieder: Von den zahlreichen Gästen taucht nur ein Bruchteil im Fotoalbum auf. Im Video jedoch sind alle Gäste und das anschließende ausgelassene Tanzen zu Ehren Fatous dokumentiert. Der

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gesamte Hauptteil ist durch die häufig übersteuerte Aufnahme der intra­ diegetischen Musik aus der Anlage unterlegt. Dem Ehemann kommt in diesen Videos noch klarer als in den Hochzeitsalben eine untergeordnete Rolle zu, worin sich die geschlechtsspezifische Aufteilung der unterschiedlichen Elemente der Feierlichkeiten deutlich zeigt. Es sind vorwiegend Frauen, die im Bild zu sehen sind und zu Wort kommen. Diese geschlechtsspezifische Unterteilung setzt sich häufig in den weiteren Teilen des Videos fort, in Fatous Video beginnt der zweite Teil der Hochzeitsfeierlichkeiten (die Verabschiedung der Braut – dénkaane) mit Nahaufnahmen von sitzenden und wartenden jungen Frauen. Im Hintergrund ist zu hören, wie die verheirateten Frauen mit Süßigkeiten und Reis die Braut verabschieden und sie rituell waschen. Danach erscheint Fatou nicht mehr in ihrem weißen Brautkleid, sondern in einem einfachen Boubou im Bild, Kopf und Gesicht werden durch einen weißen Schleier verhüllt. Interessant ist hier, dass die weibliche Diolazeremonie nicht vom männlichen Videografen gefilmt werden kann. Geschickt montiert er über die Nahaufnahmen der unverheirateten wartenden Frauen die Aufnahmen der Gespräche der verheirateten Frauen bei der Verabschiedungszeremonie und der rituellen Waschung.17 Als männlicher Videograf hatte er so die Geschlechter- und Generationentrennung in der visuellen Aufnahme beachtet, jedoch durch die auditive Ebene diesen Teil der Feierlichkeiten mit in das Video aufnehmen und so auch für die Zuschauer*innen des Videos zugänglich machen können. Im Anschluss daran führen die älteren Frauen die rituell gewaschene Fatou und ihre 13-jährige Halbschwester in den Salon des Hauses, wo sie sich in einem Kreis von älteren Männern und Frauen auf den Boden setzen. Das Video zeigt, wie zunächst Fatous Vater und dann weitere ältere bedeutende Männer der Familie und Nachbarschaft der Reihe nach in Richtung Fatou sprechen. Die Reden sind in unterschiedlichen Einstellungsgrößen aus einer Kameraperspektive in voller Länge aufgenommen und die Kamera schwenkt jeweils auf den nächsten Redner. Die Audiospur ist teilweise durch die Hintergrundgeräusche überlagert, so dass nicht wirklich zu verstehen ist, was die Männer während des dénkaane genau sagen. Das abschließende Gebet und 17

Auch Rebecca Savage (2012:86) und Heike Behrend (2014:189 ff.) berichten in ihren Arbeiten davon, dass männliche Videografen häufig keinen Zugang zu den weiblichen Teilen der Hochzeitszeremonien bekamen und dafür explizit Videografinnen gesucht wurden. In Dakar waren zwar junge Frauen in Hochzeitsstudios als Art Sekretärinnen angestellt, doch Kamerafrauen begegneten mir nur im Kontext professioneller Fernsehproduktionen.



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die Übergabe des rabal18 eröffnet der nächsten Gruppe von Redner*innen – jüngere Männer, vor allem Neffen der Braut, und einige ältere Frauen – die Gelegenheit, ihre Ratschläge an die Braut weiterzugeben. Im Gegensatz zur vorherigen Szene sind nun nicht mehr die Redner*innen im Bild, sondern die verschleierte Fatou und ihre jüngere Schwester. Dann wird die Braut aus dem Salon geführt; ihre Halbschwester bekommt die Anweisung, hinter Fatou zu gehen. Die letzten Bilder vor der abschließenden Montage zeigen, wie die noch anwesenden Gäste in die angemieteten car rapides steigen und singend und klatschend auf die Abfahrt warten, um Fatou zu ihrem neuen Wohnhaus zu bringen und zu verabschieden (wacc). Insbesondere in diesem Teil werden die geschlechts- und generationenspezifischen Hierarchien und Beziehungen durch filmische Konventionen deutlich: Während die älteren Männer während ihrer Reden auch im Bild erscheinen, sind die Redeanteile von jungen Männern und Frauen durch andere Bilder hinterlegt. Das dénkaane, das in Fatous Video genauso lang ist wie die réception, ist zudem weitaus weniger für die Kameras zugerichtet und strukturiert als die réception. Dies zeigt sich in der schlechten Tonqualität und in der festen Kamerapositionierung. Auf die Besonderheit in der Verbindung der beiden Familien verweist der Umstand, dass bestimmte Teile von Hochzeitsfeierlichkeiten, die üblicherweise im Hause der Familie des Mannes stattfinden, in Fatous Hochzeitsvideo fehlen. In vielen Hochzeitsvideos finden sich darüber hinaus Preisgesänge, Musik und Tanz der géwël,19 außerdem werden oftmals mehrere Tage der Feierlichkeiten aufgenommen. Wie das Fotoalbum befindet sich auch die VHS-Kassette20 oder DVD üblicherweise im Besitz der Ehefrau. Meist werden im Auftrag der Braut einige 18

Rabal (frz. pagne) ist ein Baumwollstoff, aus dem Röcke gebunden werden, und die zu rituellen Anlässen besondere Bedeutung erlangen (vgl. Mustafa 2002; Buggenhagen 2011).

19 Mit géwël wird auf Wolof die ‚Kaste‘ der Musiker*innen, Tänzer*innen und Lobsänger*innen bezeichnet, die meist zu Zeremonien wie Hochzeiten und Taufen eingeladen werden (vgl. vor allem zu Musik und Tanz: Tang 2007; Bizas 2014; Neveu Kringelbach 2013; und für den malischen Kontext zu Preisgesang und Massenmedien: Schulz 2001).

20

Einige der Videografen, mit denen ich sprach, betonten die Qualitäten der VHSTechnik, vor allem die längere Haltbarkeit im Vergleich zu DVDs. Häufig lag die Bevorzugung von VHS jedoch auch darin begründet, dass aufgrund von finanziellen Engpässen nicht immer auf die neueste Technik umgestiegen werden konnte. Seit etwa fünf Jahren setzen sich zunehmend DVDs durch, da deren Nachfrage auch bei den Kund*innen steigt, die eher Zugang zu einem funktionierenden Computer als einem VHS-Abspielgerät besitzen.

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Kopien erstellt und an enge Beteiligte oder abwesende Personen verschenkt. In vielen Fällen verleihen Frauen ihre DVDs bereitwillig an Verwandte und Freunde, die nicht an der Hochzeit teilnehmen konnten. Oft dauert es Monate oder Jahre, bis die Aufnahme als DVD oder als VHS-Kassette den Weg zurück in den Haushalt der Braut findet. In einigen Fällen blieben Videos im gesamten Zeitraum meiner Feldforschung in Dakar verschwunden. Auch Fatou hatte ihre eigene Kopie der Hochzeits-DVD bereits kurz nach der Hochzeit an einen Onkel in der Casamance verliehen. Sie berichtete mir, dass dieser die DVD an eine entfernte Tante weitergegeben hatte. Auch nach meiner Rückkehr ein Jahr später im Februar 2013 war das Video noch nicht zu Fatou zurückgekehrt.21 Im Alltag werden Hochzeitsvideos seltener als Fotoalben gemeinsam betrachtet. Häufig ist die Technik defekt oder nicht vorhanden. Kumba, eine junge Frau aus der Nachbarschaft, wollte mir gerne ihr Hochzeitsvideo auf VHS-Kassette zeigen, doch das verstaubte Videoabspielgerät war nicht angeschlossen und mehrere Versuche, das Gerät zum Laufen zu bringen, blieben erfolglos. Wenn es gelingt, das Hochzeitsvideo oder Taufvideo abzuspielen, ist dies ein besonderes Ereignis, zu dem sich Frauen und Kinder, die sich gerade im Haus aufhalten, hinzugesellen. Die älteren Frauen nehmen auf den verfügbaren Sitzgelegenheiten Platz, die jüngeren Frauen und Kinder sitzen auf Matten auf dem Boden. Männer schauen nur kurz vorbei. Große Aufmerksamkeit erregen vor allem die ersten, aufwendig gestalteten Eröffnungsszenen der Videos, ohne sich an den Alterserscheinungen der Kopien zu stören. Nach dem anfänglichen Interesse rückt das Video schnell in den Hintergrund und alltägliche Gespräche über aktuelle Themen dominieren. Nur bei besonders schönen Bildern oder wenn eine Person aus dem Raum selbst im Bild ist, kommt es zu Kommentaren wie „oh schön!“, „was hattest du denn da an?“ oder „wer ist das neben Dir?“. Manchmal wird auf diesen Zusammenkünften auch die aktuelle Lebenssituation einzelner Hochzeitsgäste und Familienmitglieder besprochen. Mir gegenüber wurden vor allem Personen im Bild herausgestellt, die nicht mehr vor Ort, sondern in Europa oder den USA lebten. Beim Betrachten von Fatous Videos gemeinsam mit zwei unverheirateten jungen Frauen, die Gäste der Hochzeit waren, kommentierten diese vor allem dann, wenn sie selbst im Bild zu sehen waren. Eine der jungen 21

Deshalb bat sie mich, ihr eine Kopie meiner DVD zur Verfügung zu stellen, da sie ansonsten keine Version für sich archiviert hatte.



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Frauen bewertete das Auftreten ihrer Cousine in einer Szene vor der Bühne mit: „schau Dir Bara an, sie hat den ganzen Abend geweint, anstatt sich zu freuen“ und drückte damit ihre Missbilligung über den emotionalen Ausbruch der anderen anwesenden jungen Frau an. Bara erwiderte darauf, dass Fatous Heirat eben besonders traurig für sie gewesen sei und sie dies nicht verheimlichen wollte (vgl. 5.2.2.3). Von einer Nachbarin und Freundin wird allerdings üblicherweise erwartet, dass sie ihre Trauer über die Trennung von der Braut und deren Wohnortswechsel nicht zeigt und sich für die Braut freut. Die weiteren Kommentare der beiden jungen Frauen zeigen, dass in dieser wertenden Betrachtung ein erneutes Durchleben des Ereignisses auf einer Metaebene stattfindet. Die Erinnerung an die Erfahrung während der Hochzeit vermischt sich mit den Bewertungen und Erfahrungen während der Betrachtung des Videos. Diese doppelt geteilten, medial vermittelten Erfahrungen werden für die Aushandlung geschlechtsspezifisch angemessenen, emotionalen Verhaltens genutzt. Für die Personen im Bild vermischen sich beim Betrachten des Videos die gelebten Erfahrungen mit der vermittelten Erfahrung des Ereignisses, das auch Teile enthält, an denen die Zuschauer*innen selbst nicht anwesend waren. Die Bedeutung der Videos ist also größer, als in gesellschaftlichen Diskursen in Senegal beschrieben wird,22 sie geht folglich über die Funktion der persönlichen Erinnerung an ein besonderes Ereignis hinaus. Vermittelt durch die Bilder werden nämlich kulturelle und situationsspezifisch gelebte und vermittelte Erfahrungen miteinander verbunden: „[...] the function of the film-souvenir for its viewer is incantatory and procurative, and its images are taken up as an intermediary, mnemonic, and channelling device through which the viewer evokes and identifies not with the mimetic image, but with an absent person or past event.“ (Sobchack 1999:247; Hervorhebung im Original)

Mit Bezug auf den Philosophen Jean-Paul Meunier beschreibt Vivian Sobchack „home movies“ als „film-souvenir“ und betont, wie die Erfahrung eines Bildes nicht nur das Abgebildete (in ihrem Fall ihren Sohn) in Erinne22

Das Genre der Hochzeitsvideos wurde durch das Festival der Hochzeitsfilme (Festival de Films de Mariage – Fefima), das seit 2012 im Centre Culturel Blaise Senghor stattfindet, in einen weiteren soziokulturellen Kontext eingebunden. Die Filme werden hier als semiprofessionelle Werke der persönlichen Erinnerungskultur betrachtet, allerdings wird dabei auch die gesellschaftliche Relevanz als Dokumentation von Hochzeitsritualen hervorgehoben.

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rung ruft, sondern auch die geteilten Orte und gelebte Erfahrung. Im Gegensatz zur euro-amerikanischen Rezeption von Erinnerungsvideos beschreibt Rebecca Savage über transnationale mexikanische Beziehungen, dass ihre Gesprächspartner*innen sich aus Mangel an gelebter Erfahrung von Personen und Orten weitaus stärker auf medial vermittelte Erinnerungen durch Videos von Lebenszyklusereignissen beziehen (Savage 2012:110). Fatous Hochzeitsvideo deutet darauf hin, dass diese Erkenntnisse bereits für die ersten Sichtungen durch die Braut und die Gäste zutreffen, denn durch das stark bearbeitete Video wird die Wahrnehmung bei den Betrachter*innen gelenkt. Die miterlebten Szenen werden durch die Zurichtung des Videos gestaltet und durch die Erfahrung des Videos diese Erinnerungen beeinflusst. Viele Teile des Videos sind aufgenommen worden, um auch jene Elemente der Feierlichkeiten, an denen die Hauptbeteiligten nicht hatten teilnehmen können, für diese zugänglich zu machen. Auch wenn das Video im Vergleich zum Fotoalbum als zu „realistisch“ beschrieben werden kann (Behrend 2014:191), gestalten Hochzeitsvideos in Dakar die Fiktion eines sicheren Ortes, der die teilweise harten Lebensbedingungen oder Schwierigkeiten bei den Verhandlungen und Vorbereitungen einer Hochzeit unsichtbar macht und mit einer sicheren und kohärenten Welt ersetzt. 5.2.2.3 Erweiterte Verflechtungen auf Facebook Zahlreiche Mobiltelefonkamerabilder sind bereits kurz nach den Hochzeitsfeierlichkeiten auf unterschiedlichen Profilen von Braut und Gästen in sozialen Medien wie Facebook veröffentlicht. Häufig stellt die Braut selbst Bilder von sich im Hochzeitskleid oder anderen Hochzeitsoutfits als Profilbild oder in Alben auf ihrem Account ein, um ihren veränderten Status zu markieren. Auch Bilder von Fatous réception fanden sich bereits am Abend der Feier auf Facebook wieder. Da Fatou aus unterschiedlichen Gründen selbst keinen Facebookaccount nutzt,23 zirkulierten hier vor allem Bilder der Hochzeit 23

Wie Fatou mir gegenüber ausdrückte, mochte sie Facebook vor allem deshalb nicht, weil sie damit Schwierigkeiten hatte: Es dauerte zu lange, Kommentare zu schreiben, und sie beherrschte zudem die Technik nicht. Zu diesem Zeitpunkt in ihrem Leben hatte Fatou vor allem die soziale Mobilität innerhalb ihrer Schwiegerfamilie als Ziel und nicht, wie zu anderen Zeitpunkten, geografische Mobilität und Verortung in einer translokalen und transnationalen Gemeinschaft. Während meiner Feldforschung traf ich immer wieder junge Frauen und Männer, die nur wenig lesen und schreiben konnten und daher auf Plattformen wie Facebook eingeschränkt oder nur mit Unterstützung von Freund*innen und Familienmitgliedern aktiv waren.



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von Gästen wie ihren Nachbarinnen Khady und Bara (vgl. Kap. 6). Im Gegensatz zu den professionellen Bildern der Hochzeit sind die Amateurbilder von geringerer Qualität und werden von Facebook als Album dargestellt. Im Mittelpunkt stehen Aufnahmen junger Frauen mit der Braut und anderen Gästen. Die Feierlichkeiten werden hier also aus einer anderen Perspektive dargestellt, nämlich von den Gästen für ihre eigene Präsentation auf Facebook genutzt. Im digitalen Netz entwickeln die Bilder zudem eine größere Reichweite. Khady, die auch als marraine fungierte, erstellte mit ihrem Mobiltelefon zahlreiche Fotos, von denen sie eine Auswahl von 14 Bildern einige Tage nach der Hochzeit in einem Album „mariage de Fatou“ auf ihrem Facebookprofil online stellte. Vor allem zwei Ereignisse hatte sie für Facebook ausgewählt: zum einen Fotos von der Ankunft im Hochzeitswagen, die aber nicht die Braut oder das Auto, sondern nur sie und ihre Schwester zeigten, zum anderen Fotos ihrer dreijährigen Tochter im weißen Kleid sowie Gruppenporträts mit ihr und ihrem Ehemann neben der Braut. An den Bildern fällt unmittelbar auf, dass sie der Ästhetik der professionellen Hochzeitsfotografen folgen und ähnliche Posen und Einstellungen wählen. Wegen der geringeren Qualität der Kameras der Smartphones werden die Fotos jedoch unscharf, verschwommen, körnig und farbstichig. Ähnlich wie Khady stellte auch ihre jüngere Schwester Bara, die als Freundin und Nachbarin Gast auf der Hochzeit war, Fotos der Hochzeit online. Im Gegensatz zu Khady stellte sie sehr viel mehr, insgesamt 27 Fotografien, in einem Album „mariage de fatouuuuu“ online. In ihrer Serie ist der Fokus noch stärker als bei Khady auf sich selbst gerichtet. Sie zeigt sich am Tag der Hochzeit, traurig und in sich gekehrt zunächst noch in Alltagskleidung am Schreibtisch. Erst am Ende der Serie taucht Bara in ihrem Hochzeitsoutfit während der réception neben Braut und Bräutigam auf. Obwohl eine Cousine wie oben erwähnt bei der gemeinsamen Betrachtung des Videos der Hochzeit Baras emotionalen Ausdruck der Trauer kritisierte, stellt Bara diese Bilder sogar noch stärker heraus. Nach einigen Monaten löschte Bara die Bilder des Albums fast vollständig aus ihrer Zeitleiste. Auf meine Nachfrage berichtete sie, dass sie die Bilder nicht schön fand, da sie darauf zu traurig sei. Obwohl sie die Bilder zunächst auf Facebook ausstellte, folgte sie in ihrer abschließenden Bewertung und dem Löschen letztendlich der Kritik ihrer Cousine an ihrem Verhalten. Insgesamt erreichten die Bilder dieser Hochzeit bei Khady und Bara eine große Reichweite, die Alben und einzelne Fotos wurden bis zu 18-mal geliked und mit bis zu 50 Kommentaren ergänzt. Das betraf nicht nur die

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Abbildung 17: Facebookscreenshots von Bara und Khady

Bilder, auf denen Bara und Khady selbst zu sehen waren, sondern auch die Braut wurde beglückwünscht und immer wieder für „wunderschön“ befunden. Es waren nicht nur Freund*innen und Verwandte aus Dakar und anderen Regionen Senegals, sondern auch einige Familienangehörige und Freund*innen, die in Berlin lebten, die hierdurch von der Hochzeit erfuhren und dann ihre Glückwünsche über diesen Weg aussprechen konnten. Eine besondere Form der Aufforderung, auf Bilder zu reagieren, stellt das Taggen dar. Hierzu werden ausgewählte Personen im Bild als ‚anwesend‘ markiert. Dadurch erscheinen diese Personen mit Namen und Link zum Profil, wenn man im Bild mit dem Mauszeiger über die Stelle der Markierung geht. Zusätzlich werden sie neben dem Bild mit Namen und Link aufgeführt. Durch diese Art des Markierens wird eine Gruppe von Personen als Gemeinschaft ausgewiesen, die mit dem Bild verbunden ist und stellt eine polyvalente Form des medial vermittelten Präsent-Machens dar (Linz und Willis 2011:149; Pink u.a. 2015:89). Die tags sind einerseits eine Aufforderung, das Bild zu liken und zu kommentieren. Andererseits entsteht eine erhöhte Sichtbarkeit, denn bei jedem Kommentar oder like des Bildes informiert Facebook in den Standardeinstellungen die jeweilige Person über die Veränderung. Diese tags und die Antworten darauf werden so zu einer sozialen Verbindung, die nicht nur soziale Nähe in den Beziehungen trotz räumlicher Distanz herstellt; vielmehr wird diese Verbindung auch für eine eingeladene Gruppe von Facebookfreund*innen sichtbar. Vor allem Freundinnen und Nachbarinnen Fatous wurden in den Bildern der Hochzeit



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markiert und damit aufgefordert, auf das Bild zu reagieren. Eine Freundin Fatous aus Berlin antwortete auf den tag meist sofort mit einem like jedes einzelnen Bildes des Albums. Das Fehlen von Kommentaren und likes wird von allen Seiten wahrgenommen und in persönlichen Gesprächen negativ kommentiert. Beispielsweise wurde in Dakar über einige meiner Kontakte in Berlin angemerkt: „Sie meldet sich nicht, sie hat uns vergessen, sie ist nicht gut.“ Oder aber: „Ja, er denkt immer an uns, auch wenn er im Moment kein Geld schicken kann, weiß ich, dass er immer an uns denkt und bei uns ist.“ Die timeline organisiert die vielen kleinteiligen Medienpraktiken auf Facebook wie Bilder, likes und Kommentare zeitlich. Diese Chronologie wird jedoch von vielen meiner Kontakte in Dakar umgangen. Die Hochzeitsalben auf Facebook werden beispielsweise nicht mit dem Datum der Hochzeit verbunden. Lediglich das Datum der Einstellung des Albums – einige Tage bzw. Wochen nach dem Ereignis – verrät, wann die Hochzeit in etwa stattfand. Einige Monate später löschten Khady und Bara die kompletten Alben wieder aus ihren Profilen. Damit verschwinden nicht nur das Ereignis der Hochzeit, sondern auch die Kommentare und likes zu diesen Alben aus ihren Zeitleisten. Im Februar 2013 reaktualisierte Khady ein ursprünglich von mir eingestelltes Gruppenporträt der Braut Fatou und ihren drei marraines, das sie auf ihrer eigenen Zeitleiste gelöscht hatte, indem sie mein Foto erneut teilte und mit dem Titel „souvenir – souvenir“ versah. Der Anlass war nicht nur die Erinnerung an die Hochzeit selbst, wie mir Khady berichtete, sondern auch die Geburt von Fatous erster Tochter im Dezember 2012. Khady und Bara hatten die Bilder für eine erweiterte ‚Öffentlichkeit‘24 in Facebook sichtbar gemacht und die Verbreitung nicht mit der Einstellung ‚Freunde von Freunden‘ oder anderen privaten Einstellungen beschränkt. Die Alben mit allen Kommentaren, tags und likes sind damit nicht nur in dyadischen, sondern auch in Gruppenbeziehungen sichtbar. Soziale Verbindungen sind so für eine kaum kontrollierbare Gruppe von Facebookfreund*innen und ‚Freunden von Freunden‘ nachvollziehbar.

24

Bei der Verwendung der Begriffe ‚öffentlich‘ und ‚Öffentlichkeit‘ im Kontext von Facebook ist zunächst die Privatsphäreneinstellung der Plattform gemeint. Ob und inwiefern sich durch Facebook und andere ‚soziale Medien‘ in Dakar, Senegal und transnational Öffentlichkeit im Sinne von Habermas’ (1990) Idealmodell und normativen Ansprüchen bzw. Eisenstadts (2006) multiplen Öffentlichkeiten in muslimischen Gesellschaften spezifisch ausgestaltet oder verändert, kann an dieser Stelle nicht diskutiert werden.

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Gerade diese Form der Öffentlichkeit und Sichtbarkeit sozialer Beziehungen drängt viele Nutzer*innen zu Medienpraktiken des Löschens von Bildern, die möglicherweise unangemessenes Verhalten dokumentieren könnten (man denke an die traurigen Bilder Baras), oder zum gezielten Verschleiern von Armut der Nutzer*innen in Dakar. Auf meine Frage, warum sie die Alben gelöscht hatten, antworteten Bara und Khady unabhängig voneinander, dass sie „etwas Neues“ einstellen wollten. ‚Neu‘ spielt nicht nur auf die Logik von Facebook an, immer wieder neue Bilder und Kommentare einzustellen (Leistert und Röhle 2011b:21; Wiedemann 2011), sondern auch auf die neuen Perspektiven im Leben der jungen Frauen (vgl. ausführlich Kapitel 6), etwa wenn sich bei ihnen selbst oder bei Anderen Veränderungen des sozialen Status durch eine Heirat oder die Geburt eines Kindes ereignen. Im Gegensatz zum Konzept von Facebook als „digitales Archiv des Selbst“ (Coté und Pybus 2011:68), in dem ständig aktualisierte und abrufbare Informationen ‚zirkulieren‘, zeigt sich hier anschaulich, wie im Bewusstsein um soziale Sichtbarkeit und ‚intime Öffentlichkeit‘ der ständige Informationsfluss unterbrochen, Bilder entzogen und nur einzelne Bilder als Teil der Erinnerung kontrolliert eingesetzt werden. Die drei wichtigsten Unterschiede zwischen Facebook auf der einen Seite und Hochzeitsvideos und Fotoalben auf der anderen Seite liegen erstens in der Stabilität der Medien (auf Facebook können die Nutzer*innen die Inhalte ihrer Profile ständig ändern), zweitens im Konzept von Öffentlichkeit (auf Facebook sind die sozialen Beziehungen in den Kommentaren und likes für andere sichtbar) und drittens in der Verbreitung von Inhalten (auf Facebook verbreiten sich Inhalte auf unkontrollierte Weise in einem weitaus größeren Maßstab). Fotoalben, Videos und Facebook werden im Zusammenspiel miteinander gestaltet und stellen unterschiedliche, teilweise komplementäre Formen der Vermittlung von unmittelbarer Erfahrung dar. Die Produktion der Bilder und deren Verbreitung in den unterschiedlichen Formaten ist Teil der Formierung sozialer Beziehungen, die andere Formen des Austauschs und der Reziprozität (z.B. Geschenke) ergänzen. Zudem richten sich die unterschiedlichen Formate an verschiedene, teilweise sich überlappende soziale Gruppen. Während das Hochzeitsalbum privater Besitz der jungen Frauen ist und sich an jüngere wie ältere Gäste, Freund*innen und Nachbar*innen richtet, werden die DVDs und VHS-Kassetten meist an ältere Personen der Familie verliehen. Dadurch ist nicht klar und weniger kontrolliert, wer die Videos zu welchem Zeitpunkt zu Gesicht bekommt. Das direkte Gespräch über die



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Videos findet seltener und wenn, dann meist per Telefon mit der Besitzerin statt. Zudem werden Videoaufnahmen weniger sorgfältig aufbewahrt und archiviert als Fotoalben. Zuweilen entsteht der Eindruck, als wäre die schiere Existenz von Hochzeitsalbum und -video wichtiger, als dass die Aufnahmen einem möglichst weiten Kreis von Personen gezeigt werden. Die Bilder auf Facebook hingegen richten sich vor allem an einen erweiterten Kreis von gleichaltrigen Verwandten und Nachbar*innen und translokale und ­-nationale Beziehungen. Auf dieser Plattform ist kaum nachzuvollziehen, wer die Bilder zu welchem Zeitpunkt betrachtet. Das Bewusstsein über diese ‚Öffentlichkeit‘ formt den Umgang mit Bildern in diesem Medium, wie auch die Praktiken des Löschens zeigen werden (Kap. 6). Insgesamt konkretisiert der Fokus auf Medienpraktiken, dass in den drei Formaten ähnliche Formen der sozialen Positionierungen und Vernetzungen wirken. Während die Bilder eine lokale Ästhetik der Selbstdarstellung und Selbstpositionierung fortsetzten,25 erschafft die zunehmende Verbreitung der Mobiltelefonbilder spezifische Genres und eine neue Ästhetik, auf die in Kapitel 6 näher eingegangen wird. Gleichzeitig unterscheiden sich die Formate jedoch in ihrer Veränderbarkeit, dem Adressatenkreis und der Sichtbarkeit von sozialen Beziehungen und der Verbreitung.

25

Beth Buggenhagen nimmt in ihrer Arbeit vor allem in den Blick, wie junge Frauen in Dakar durch Fotografien und deren Zirkulation einen Raum der Respektabilität schaffen (Buggenhagen 2014). Sie bezieht sich dabei auf frühere Arbeiten, in denen Porträtfotografie und deren Aneignung als zentrale Elemente des Selbst und der Persönlichkeit herausgearbeitet wurden (vgl. Mustafa 2002; Buckley 2000; Roberts und Nooter Roberts 2003).

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5.3 Mediale Teilnahme, Erinnerung und Hochzeitsvideos in transnationalen Beziehungen Wie bereits mehrfach erwähnt wurde, haben in Senegal der postkoloniale Staat und religiöse Gruppierungen immer wieder versucht, die hohen Kosten für Hochzeitsfeierlichkeiten und andere Zeremonien einzuschränken (vgl. 3.4.1 und 5.1). Senegales*innen in Berlin klagten mir gegenüber über die hohen finanziellen Ansprüche, die Frauen an Ehemänner stellten, und darüber, dass viele Männer diesen Forderungen nachgaben. Während eines Gesprächs in einer senegalesischen Bar in Berlin antwortete Abdou, der seit über 10 Jahren in Berlin lebt, sehr nachdrücklich auf meine Frage, ob Hochzeiten als Anlass für eine Reise nach Dakar ausschlaggebend seien: „Nein, nein, nie, nie, nie, nie, niemals, niemals würde ich das tun, ich würde nicht für eine Hochzeit nach Dakar gehen. Niemals. Selbst als ich noch in Dakar war, bin ich nicht zu den Hochzeiten gegangen. Ich bin gegen die Hochzeiten, gegen die Verschwendung, die um die Hochzeit herum ist. Ehrlich, ich bin dagegen. Die Leute können feiern, können wirklich feiern, aber es ist da keine finanzielle Sicherheit in den Hochzeitsfeiern oder den Taufen und allen Feiern wie diesen. Es ist ein Anlass, um Anderen seine Macht, sein Geld zu zeigen, sein dies oder jenes, tatsächlich seinen Status.“ (Abdou 14.09.2012)

Abdous Aussage steht für die geschlechtsspezifische männliche Meinung vieler Senegalesen, die schon längere Zeit in Berlin leben zu diesem Thema. Er betonte einerseits, dass eine Hochzeitsfeierlichkeit keinen Grund darstellen würde, nach Dakar zu reisen und physische Anwesenheit zu zeigen, und andererseits, dass er nicht bereit wäre, sich finanziell und sozial an der Darstellung von Status und Macht zu beteiligen. Im weiteren Verlauf des Gesprächs wies Abdou allerdings darauf hin, dass er in Dakar häufig nur mit einer ausreichenden Begründung von einer Hochzeit enger Freunde, Nachbarn oder Verwandten fernbleiben konnte, da es sonst als Zeichen der Abneigung und Ablehnung verstanden würde. Grégoire, der Besitzer der Bar, mit dem ich bereits bei früheren Gesprächen über Hochzeiten und Hochzeitsvideos gesprochen hatte, teilte Abdous ablehnende Haltung gegenüber Hochzeiten: „[Die Hochzeitsvideos,] das schaue ich mir überhaupt nicht an. Tschuldigung total doof und total bescheuert so was. [Codeswitch vom Deutschen ins Französische.] Ich



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finde, das ist der Wahnsinn. Man kann sich das nicht vorstellen, dass in einem Land, das so extrem unterentwickelt ist, dass die Leute dort einfach so, ich weiß nicht, für eine Taufe Millionen [FCFA] ausgeben. Am darauffolgenden Tag haben sie dann nichts zu essen, sie können keine Rechnung mehr bezahlen. Ich bin total gegen diese Verschwendung, total dagegen. Ich schaue mir das nicht an. [...] Für mich ist das pfft [abwertender Laut]. Sie leben tatsächlich in einer Illusion!“ (Grégoire 06.10.2011)

In seiner Ablehnung von Hochzeitsfeierlichkeiten hebt Grégoire insbesondere den Gegensatz zwischen alltäglicher Lebensrealität und Hochzeitsfeierlichkeiten hervor. Im weiteren Gespräch räumte Grégoire jedoch ein, dass er enge Freunde und Verwandte bei solchen Festlichkeiten finanziell unterstützte, da er verstehen könne, dass einmalige Feste wie Hochzeiten oder Taufen mit einer großen Feier begangen werden sollten. Andere Senegalesen in Berlin begründeten ihre Verweigerung finanzieller Unterstützung mit dem Ausmaß der für die Familien mitunter ruinösen Verschwendung. Mit dieser Argumentation werden allerdings die sozialen Funktionen von Hochzeiten übergangen, die in diesem Kapitel an der Hochzeit von Fatou und Madou herausgearbeitet wurden: Hochzeiten bergen – insbesondere für Frauen – Möglichkeitsräume für die soziale Positionierung, die mit Hoffnungen und Wünschen der Frauen für die Zukunft verbunden sind. Gerade angesichts der alltäglichen Armut und Mühsal gewinnt die ‚Illusion‘, die auf Hochzeiten erzeugt wird, für Frauen in Dakar und teilweise auch in Berlin an Bedeutung. Einige Frauen, die ich in Berlin kennenlernte, hatten selbst relativ große und kostspielige Feierlichkeiten in Dakar abgehalten und unterstrichen ihre Bedeutung für die eigene soziale Position. Allerdings veränderte sich die Perspektive auf die Feierlichkeiten teilweise mit der Zeit. So auch für die 30-jährige Awa, die seit 2008 mit ihrem Mann in Berlin lebte. Sie hatte selbst eine relativ große und kostspielige Hochzeitsfeier in Dakar ausgerichtet, doch nach mehreren Ehekrisen hatte sie in einem unserer Gespräche in ihrer Wohnung in Berlin eine sehr nüchterne Sicht auf Hochzeiten und Hochzeitsvideos: „Das ist nur fürs Archiv, um eine Erinnerung zu haben. Ich glaube, es ist nur das. Sie bewahren das [Video] nur als eine Erinnerung auf. Danach können sie es sich ansehen und den Leuten zeigen, wie sie geheiratet haben. Und selbst das ist in einigen Fällen vielleicht keine gute Idee. Denn wenn du dich scheiden lässt, wirst du es dann immer noch zeigen? Wenn du schlechte Erinnerungen an deine Heirat hast, wirst du es dann immer noch aufbewahren?“ (Awa 07.08.2011)

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Awa formuliert eine Dimension der zukünftigen Erinnerung als allgemeine Aussage, die sie aus der eigenen Erfahrung und der ihrer senegalischen Freundinnen in Berlin heraus entwickelt. Ihre ablehnende Haltung gegenüber Hochzeiten speist sich vordergründig nicht aus der Kritik an der Verschwendung, als vielmehr aus den zukünftigen Problemen, die zur Scheidung führen können. Aus ihrer Situation heraus stellt sie deshalb sehr reflektiert die Frage, was mit den Bildern passiert, wenn die ‚schöne‘ Erinnerung an die Hochzeit in den Bildern im Kontrast zur Realität der ehelichen Beziehungen steht. Häufig verschwinden die Bilder in diesen Fällen aus privaten und semiöffentlichen Räumen in den Tiefen der Koffer, Kisten und Schränke, man hört auf, sie anderen zu zeigen und sich gemeinsam daran zu erinnern. Senegales*innen in Berlin betrachten Hochzeitsfeierlichkeiten und das Erstellen von Bildern und Videos also als Verschwendung, Illusion, Erinnerung und Archiv. Diese Dimensionen des Erlebens von Hochzeitsvideos gewinnen gerade innerhalb enger transnationaler sozialer Beziehungen an Bedeutung und tragen dazu bei, soziale Nähe zwischen unterschiedlichen Orten und Zeiten zu gestalten. In der Eingangsbeschreibung des Kapitels und Tonys Zitat wurde deutlich, dass Geldüberweisungen von Senegales*innen in Berlin und Europa für Hochzeitsfeierlichkeiten in Senegal eine große Rolle spielen. Erst mit diesen Summen wird es für viele Paare und Familien in Senegal überhaupt möglich, die Hochzeitsfeierlichkeiten in den in Dakar so bekannten Größenordnungen zu organisieren.26 Zwar lehnten viele meiner Gesprächspartner*innen in Berlin diese speziellen Geldüberweisungen ab. Doch bei konkreten Ereignissen zeigte sich, dass viele auch vermeintlich unnötige Ausgaben für Hochzeiten unterstützten. Ähnlich war es auch in Tonys Fall, der zwar Hochzeiten im Allgemeinen keine große Bedeutung und Relevanz einräumte, bei der Hochzeit seiner einzigen Schwester jedoch selbstverständlich und offen über seine finanzielle Beteiligung sprach. Durch diese Beteiligung werden Telefonate während der Festlichkeiten geführt oder Videos und Fotografien geschickt, um sich zeitverzögert an einem anderen Ort in die Feierlichkeiten einzufühlen und seiner sozialen Verbindungen in Senegal zu versichern.

26

Auch die von Hann (2013a) beschriebenen bescheidenen Hochzeiten stellen für viele schon eine bedeutende finanzielle Aufwendung dar, sie müssen im Verhältnis von Einkommen und Ausgaben für eine Hochzeit gesehen werden. Häufig fehlen der Elterngeneration und den angehenden Ehepartnern die nötigen sozialen (translokalen) Netzwerke, um die nötigen Ausgaben aufzubringen.



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Durch die Geldbeteiligung war es Tony wie für andere Senegales*innen in Berlin möglich, trotz seiner Abwesenheit an der Hochzeit teilzunehmen. Seine ‚Teilnahme‘ ist also nicht durch seine physische Anwesenheit bedingt. Finanzielle Zuwendung drückt auch emotionale Nähe aus, die dann in den Hochzeitsbildern, die zu Tony wandern, neu erlebt wird. Die Verbindung von emotionaler Nähe und finanzieller Zuwendung in translokalen Beziehungen bestätigt Agnes Hanns Argument zu romantischen und ehepartnerschaftlichen Beziehungen in Dakar. Hann zeigt in ihrer Studie, dass gerade in Ehen materielle Unterstützung und emotionale Bindung eng zusammenspielen und im Kontext von übergeordneten Vorstellungen von Liebe, Sorge und Verantwortung betrachtet werden müssen (Hann 2013 v.a. Kapitel 4). Auch in der Geschwisterbeziehung von Tony und Marie wird diese Verflechtung deutlich. Doch zeigt sich hier sehr gut, welch zentrale Rolle in transnationalen Beziehungen Bilder zur Aufrechterhaltung emotionaler Nähe neben der materiellen Unterstützung spielen: Bilder als Erinnerungsträger überbrücken Raum und Zeit und ermöglichen so, Anwesenheit mit abwesenden Personen zu erzeugen. „Es ist nur für die Erinnerung. Ich meine, für die wertvollen Momente ist es gut, etwas zur Erinnerung zu haben. Es ist etwas, das sehr bedeutend für dich ist. Das erste Mal, dass du heiratest, das ist etwas, das für immer in deinem Kopf bleibt. Deshalb möchte man diesen Moment noch einmal in seinem Leben durchleben, diese Momente der Empfindung. Dann weißt du, wie die Leute dort waren, wie die Atmosphäre war, wie glücklich oder wie traurig du warst. Man möchte sich an die Zeiten mit seinem Bruder, seinen Freunden, seiner Mutter erinnern. Eines Tages wirst du diese Personen nicht mehr sehen. Aber die guten Zeiten, die du mit ihnen zusammen verbracht hast, bleiben auf diesem Bild für immer erhalten.“ (Tony 07.10.2011 über das Hochzeitsvideo seiner Schwester Marie)

Die soziale Bedeutung von Erinnerungen durch Videos und Fotografien deutet sich in diesem Gesprächsausschnitt an, in dem Tony die Erinnerung an soziale Beziehungen zu Familienmitgliedern, Freunden und verstorbenen Personen hervorhebt. Es ist nicht nur das Nacherleben der eigenen Erfahrungen und Empfindungen, die durch das Video ausgelöst werden, sondern auch die Rückversicherung der sozialen Verbindungen, die im gemeinsamen Betrachten und Aktualisieren der Erinnerung liegen, wie im Zitat vom Anfang des Kapitels zum Ausdruck kommt und im Fortgang des Gesprächs deutlich wird:

194 | Social Media im transnationalen Alltag „[...] Aber gleichzeitig war ich glücklich und stolz. Weil, das ist in ganz Afrika vor allem zu dieser Zeit, dieses Alter zu erreichen bei einer Frau, und Kinder zu haben ohne, also bevor man heiratet. Das gibt es immer mehr. In Europa ist es etwas Normales, aber in Afrika ist es eine große Enttäuschung für die Eltern und eine Schande für die Familie. Und für die Leute ist das sehr wichtig, man sollte nicht damit spielen. Du musst sicherstellen, dass, bevor du ein Kind kriegst, du mit deinem Ehemann bist, in allen Religionen, Christen und Muslime.“ (Tony 07.10.2011)

In diesem Abschnitt werden unterschiedliche Elemente der vermittelten Erinnerung und vermittelten sozialen Beziehungen angesprochen, mit denen in räumlich und teilweise zeitlich getrennten sozialen Beziehungen Nähe geschaffen werden. Erstens gilt das Video für Tony, der nicht an der Feierlichkeit teilgenommen hat, als Beleg dafür, dass das Ereignis tatsächlich stattgefunden hat und seine finanzielle Beteiligung auch für diesen Zweck eingesetzt wurde. Zweitens vermittelt das Video ihm als abwesender Personen eine ‚ursprüngliche‘ Erfahrung der Hochzeit, die dann zusammen mit anderen zu geteilten Erinnerungen werden und so die Verbindungen zu seinem Vater und anderen Personen im Video bestärken. Ursprungserlebnis, Erinnerung und erneutes Erleben beim Betrachten der Bilder vermischen sich in Tonys Aussage und werden an den jeweiligen Kontext des Betrachtens beziehungsweise Erzählens über diese Erfahrungen angepasst. Die Fiktionalisierung der Ereignisse im Video und die medial vermittelte Erfahrung erlauben es Tony, die schmerzhafte langjährige Abwesenheit und die Sehnsucht nach einzelnen, auch verstorbenen Personen zu erleben (vgl. Savage 2012 Kapitel 3). Tony konnte durch seine verschiedenen Umzüge innerhalb Europas und der daraus resultierenden finanziellen Unsicherheit nicht genug Geld für eine Reise nach Senegal aufbringen. Drittens zeigt sich an diesem Abschnitt, dass die physische Anwesenheit auf Feierlichkeiten zwar höher geschätzt wird als die vermittelte Kommunikation, doch physische Anwesenheit ohne finanzielles Geschenk auf beiden Seiten undenkbar ist. Denn ohne die finanzielle Unterstützung wäre die Hochzeit unmöglich. Tony argumentiert, dass er aufgrund seiner finanziellen Situation in Norwegen nicht an der Hochzeit seiner Schwester teilnehmen konnte. Doch führt er in diesem Ausschnitt einen weiteren Grund dafür an, warum er die Reise nicht auf sich nahm. Seine Schwester hatte unverheiratet bereits zwei Kinder von ihrem jetzigen Ehemann. Sie hatte, so Tonys Aussage, gegen die normative Vorgabe verstoßen, Kinder erst nach der Heirat zu bekommen,



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und damit Schande über ihre Familie gebracht. Wie tief die Enttäuschung bei den Eltern in solch einem Fall geht, führt Tony weiter aus: „Und wenn es passiert, bevor du dieses Level erreicht hast, werden dein Vater und deiner Mutter nicht glücklich sein. Irgendwie wird die Familie damit klarkommen, da sie keine Wahl hat. Aber wir sind beschämt, weißt du. Also wenn du jemanden siehst, der sich das getraut hat. Sie war vom ersten Tag mit dem gleichen Mann zusammen. Sie hat mit diesem Mann angefangen und das ist der Mann, mit dem sie bis jetzt zusammengeblieben ist. Und nun haben sie drei Kinder, jetzt sind sie verheiratet mit drei Kindern. Für mich ist das nur wunderschön.“ (Tony 07.10.2011)

Wie bereits ausgeführt, wird es in Dakar und Senegal als moralisch verwerflich angesehen, romantische und sexuelle Beziehungen vor der Ehe zu führen. Dies steht in starkem Kontrast zur alltäglichen Realität der vorehelichen Beziehungen, wie Studien von Anouka Huiberta Eerdewijk (2007) zeigen. Außergewöhnlich ist in diesem Fall, wie Tony betont, dass es Marie nach einer langjährigen Beziehung und zwei gemeinsamen Kindern nun doch ‚geschafft‘ hat, den Vater ihrer Kinder zu heiraten und ein großes Fest zu feiern. Obwohl Tony durch seine langjährige Abwesenheit und sein Leben in Europa die Bedeutung des moralischen ‚Vergehens‘ in eine europäischafrikanische Vergleichsperspektive rückt, betont er doch die Bedeutung der Heirat und des sozialen Erfolgs seiner Schwester. Durch die Heirat kann seine Schwester die moralische Position ihrer Familie rehabilitieren und so auch die Beziehung zu ihrem abwesenden Bruder wieder stärken. Das Video erlangt für Marie also nicht nur als Beleg für ihre soziale Veränderung durch die Hochzeit an Bedeutung, sondern auch als Zeugnis ihrer moralischen Rehabilitierung und der Aufhebung der ‚Schande‘ für die Familie. Bereits bei meinem ersten Besuch in Maries Zweizimmerwohnung in einem Vorort Dakars (Guédiawaye) spielte das Hochzeitsvideo neben Fernsehen und Musik eine besondere Rolle. Teile des Videos liefen fast den gesamten Tag im Hintergrund auf dem Laptop und ab und zu verwies Marie auf Personen im Video: „Das ist meine Tante, sie hat mir viel geholfen“, „das ist meine Großmutter, bei ihr bin ich aufgewachsen“, „Hier, das ist mein Vater.“ Durch ihre Kommentare und das Zeigen auf einzelne für sie wichtige Personen führte sie mich in ihr soziales Gefüge und ihre spezifische biografische Situation ein. Zu Beginn war ihr wichtig, mir anhand der Hochzeitsfeier ihren sozialen Erfolg und ihre Rechtschaffenheit zu demonstrieren. Erst beim nächsten Treffen und längeren Gespräch ohne ihren Mann berichtete

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mir Marie zögerlich, dass sie erst geheiratet hatte, nachdem sie bereits zwei uneheliche Kinder von ihrem Mann hatte und sie zwischenzeitlich getrennt waren. Das Hochzeitsvideo dient Marie nicht nur der eigenen Erinnerung, sondern auch als Beweis ihres Erfolgs, was sie anschaulich anhand der Bedeutung für unterschiedliche Zuschauer am Beispiel ihres Bruders in Europa beschreibt: „Mein großer Bruder Tony hat mir auch viel mit der Hochzeit geholfen. Er war abwesend, aber er hat mir viel geholfen. [...] Ja, ich habe ihm das Video der Hochzeit geschickt. Er war sehr zufrieden, und als er es angeschaut hatte, hat er uns angerufen und uns gratuliert und uns Mut zugesprochen. [...] Wenn wir so was [ein Video] machen, dann vor allem, um sich an die Hochzeit zu erinnern, um es zu betrachten und den Abwesenden zeigen zu können. Ich habe das nicht extra für Tony gemacht, nein, nein, das ist für alle, die abwesend sind.“ (Marie 20.01.2012)

Auch auf Facebook verwies Marie immer wieder durch digitalisierte Hochzeitsfotografien und Kommentare auf ihre Hochzeit und sprach dadurch nicht nur „alle die abwesend sind“ an, sondern erinnerte27 in unterschiedlichen beruflichen wie privaten Kontexten an das für sie so erfolgreiche Ereignis der Heirat. Abgesehen von Facebook sind Hochzeitsvideos und Fotografien auch in andere mediale Formen der Kommunikation wie Chats und mobilem Telefonieren eingebunden. Tony hatte Marie nicht nur am Tag der Hochzeitsfeier angerufen. Auch als er das Video der Hochzeit zum ersten Mal mit seinem Vater gesehen hatte, rief Tony bei Marie an, um ihr erneut zur gelungenen Feier zu gratulieren. Insbesondere die Mobiltelefonverbindung (Marie berichtet auch über Festnetzverbindungen) bildet für die Geschwister eine wichtige Möglichkeit des Kontaktes. Doch beklagte sich Marie in einem Gespräch mir gegenüber auch darüber, dass sie lange keine Bilder von ihrem Bruder mehr erhalten habe. Dies stellte für sie einen Mangel dar, der nicht durch Telefonate ersetzt werden konnte.

27

Die unterschiedlichen Bedeutungen von ‚Gedächtnis‘ und ‚Erinnerung‘ bzw. im Französischen von souvenir, mémoire und réminiscence werden mit dem Wolofbegriff fatili (Verb und Substantiv) übersetzt. Meist wird ‚sich erinnern‘ (fatili, auch faateleku) in der gesprochenen Sprache als Verb genutzt und damit gleichermaßen auf Ereignisse referenziert, die man selbst miterlebt oder durch Fotografien und Filme erlebt hat.



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Abbildung 18: Bildschirmfoto: Maries Hochzeitsfoto auf Facebook

Am Beispiel der Geschwister wird die Bedeutung unterschiedlicher Medien für die Aufrechterhaltung und Aktualisierung von sozialen Beziehungen zwischen Dakar und Berlin deutlich. Durch den Hochzeitsfilm können Ereignisse zu unterschiedlichen Zeiten und an verschiedenen Orten aktualisiert werden, das unmittelbare Erleben am Telefon wird durch die audiovisuelle Spur des Ereignisses in Video und Fotografie komplementiert. Das Ereignis wird in der Situation des Betrachtens reaktualisiert und erhält neue Bedeutungsebenen, die gemeinsam mit den anderen Betrachter*innen hergestellt werden. Zusätzlich wird gerade anhand dieses Geschwisterbeispiels die Verwobenheit von moralisierenden Diskursen, finanziellen Erwartungen und emotionaler Verbindung und deren Auswirkungen auf transnationale Beziehungen deutlich. Trotz seines Lebens in Berlin und seiner Vergleichsmöglichkeiten mit europäischen normativen Ordnungen bleibt für Tonys Bewertung der Lebensführung seiner Schwester der moralische Referenzrahmen Dakars relevant.

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5.4 Abwesende Anwesenheit und transnationale Hochzeitsalben Die Cousinen sind für die Cousins gemacht und die Cousins für die Cousinen. (Maman 01.03.2013)

Bei Gesprächen mit Foto- und Videografen in Dakar stieß ich immer wieder auf unterschiedliche Ebenen der An- und Abwesenheit von Beteiligten an Hochzeitsfeiern. Körperliche Anwesenheit bei Feierlichkeiten wird auf Wolof meist umfassend mit dem Verb teew ausgedrückt. Gleichzeitig wird teew jedoch auch genutzt, um auszudrücken, dass jemand in Gedanken oder durch Bilder oder Telefongespräche vermittelt präsent ist.28 Abwesenheit wird meist mit der Negativform von teew gebildet: teewul, teewu, im Sinne von nicht anwesend sein. In selteneren Fällen wird das Substantiv gannaaw bzw. ginaaw für Abwesenheit genutzt, um auszudrücken, dass etwas während der Abwesenheit von jemandem stattgefunden hat (vgl. Diouf 2003). Von einem besonders eindrücklichen Hochzeitsvideo berichtete mir der Fotostudiobesitzer Pape Camara. Ich hatte den Videografen über eine Nachbarin kennengelernt und ihn in seinem Fotostudio und Spielsalon (salle de jeu) besucht. Wie die meisten Studiobesitzer arbeitet Pape Camara auch als mobiler Fotograf, der oft mit Hochzeitsalben und -videos beauftragt wird. Als ich an einem Nachmittag wie häufig an seinem Mietshaus vorbeikam, rief er mich zu sich in sein Zimmer, in dem er mit seiner Frau und seinen drei Kindern lebte (Feldforschungsszene vom 12.03.2012): Stolz präsentiert mir Pape Camara bei meinem Besuch in seinem Zimmer eine Auftragsarbeit zweier Familien. In seinem Archiv, einem Stapel an DVDs, die sich neben dem staubigen Fernseher, DVD-Player und einem Kabelgewirr auftürmen, sucht er länger nach den beiden Teilen der Feierlichkeit. Es sind zwei DVDs, da die Familie der Frau und die Familie des Mannes ihn beauftragt hatten, die Feierlichkeiten in ihrem jeweiligen Haushalt aufzunehmen. Lachend und stolz schiebt er die erste DVD 28

Hier würde auf Wolof beispielsweise die Unterscheidung ‚Fatou teew na ci xew bi‘ (Fatou war beim Ereignis/Fest anwesend) und ‚Fatou de nekku fi waaye mu ngi melni teew na‘ (Fatou war nicht dort, aber es war, als ob sie anwesend war) getroffen. Insbesondere bei religiösen Feierlichkeiten wird häufig über die vermittelte Anwesenheit von religiösen Führern gesprochen im Sinne von ‚Serign bi de nekku fi waaye mu ngi melni jemb am teew na fi‘ (Der Herr/religiöse Führer war nicht da, aber es war, als ob er dort anwesend war).



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Abbildung 19: Fotostudio und Spielsalon von Pape Camara in das Abspielgerät und hält dann kurz inne, um mir die Bedeutung der nun folgenden Information klarzumachen: Die Braut und der Bräutigam waren in Frankreich, die Familien hatten die Feiern ausgerichtet und das Ehepaar hatte für alles bezahlt. Er meinte: „Normalement la femme doit venir, mais le mari peut rester en Europe!“ – normalerweise muss die Frau herkommen, der Mann aber kann in Europa bleiben. Selbst für senegalesische Verhältnisse sei es eine Ausnahme, wenn die Frau nicht bei den Feierlichkeiten dabei wäre. Nun beginnt das Video und Pape erläutert mir weitere Details [...].

Die beiden DVDs verweisen auf die Bedeutung von Hochzeitsfeierlichkeiten für die Verbindung zweier Familien. Trotz der Abwesenheit des Ehepaares war den Familien wichtig, die soziale Verbindung und die eigene Positionierung innerhalb der jeweiligen Familien und Nachbarschaften durch die Feierlichkeiten zu präsentieren. Im Umstand, dass die beiden Familien und nicht die Braut Auftraggeberinnen der Videos sind, tritt über das verbindende Potential von Hochzeiten das Konkurrenzverhältnis zu Tage, in das die Familien miteinander treten. Die Hochzeitsvideos sind Dokument der finanziellen und sozialen Investitionen der Familien.

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Pape Camara betont die geschlechtsspezifisch verschiedenen Erwartungen an die Anwesenheit von Braut und Bräutigam bei Hochzeitsfeierlichkeiten in Dakar. Während die körperliche Abwesenheit der Ehemänner bei den Festen wie der réception als Normalität akzeptiert wird, gelten für die Braut andere Maßstäbe. Die Anwesenheit der angehenden Ehefrauen ist nicht nur wichtig, damit die Familien deren Schönheit und Anmut zur Schau stellen können, sondern auch, um die Ehefrau angemessen mit Ratschlägen und Verhaltensanweisungen zu verabschieden und in den ihr zugewiesenen Platz der Familie des Mannes einzugliedern. Noch deutlicher tritt die geschlechtsspezifische Form von Anwesenheit und Abwesenheit und des ‚Präsent-Machens‘ abwesender Personen in der fotografischen Praxis der Hochzeitsalben hervor. Fotografien werden genutzt, um abwesende Ehemänner in die Feierlichkeiten zu montieren. Diese besondere fotografische Praxis zeigt sich eindrücklich im Hochzeitsalbum von Khady und Ahmdy. Wie üblich wurde einer meiner ersten Besuche bei Khady durch das gemeinsame Betrachten ihres Hochzeitalbums bestimmt. Wie viele Frauen, die ich besuchte, zeigte mir Khady das vom vielen Betrachten abgegriffene Hochzeitsalbum und im Anschluss daran das Album und das Video der Tauffeier ihrer Tochter Awa. Mit den Alben erinnerte sie sich in meiner Anwesenheit an die glücklichen Momente der Hochzeits- und Tauffeierlichkeiten, durch die sie sich als verheiratete Frau und Mutter präsentieren und sozial etablieren konnte. Ihre finanziell gute Situation zeigt sich daran, dass sie nicht nur ein Hochzeitsalbum, sondern auch ein Taufalbum sowie ein Taufvideo von einem relativ großen Tauffest für ihr zweites Kind hatte anfertigen lassen. Üblich ist es, höchstens eine dieser Feierlichkeiten mit Video und Album zu dokumentieren. Die zwei Alben waren jedoch auch der spezifischen Situation der transnationalen Hochzeit geschuldet, wie sich später herausstellte. Die Hochzeit hatte bereits im September 2004 stattgefunden, doch waren die Ähnlichkeiten in der Gestaltung zu aktuellen Hochzeitsalben wie dem von Fatou deutlich. Mode und Stil von Frisur und Kleidung hatten sich zwar verändert, auch fehlt die digitale Bearbeitung des Materials. Doch wie in Fatous Album auch finden sich auf der ersten Seite mehrere Porträts der Braut sowie Fotos von Braut und Bräutigam. Im Gegensatz zu Fatou hatte Khady ihr Album selbst gestaltet. Sie hatte die gewünschten Bildausschnitte beispielsweise entlang der Umrisse der Haare genau ausgeschnitten und die Dekorationen arrangiert. Sie hatte jedes Foto selbst eingeklebt und die Anordnung auf den Seiten gestaltet. Bei dieser ersten gemeinsamen Betrach-



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Abbildung 20: Erste Seite von Khadys Hochzeitsalbum

tung der Bilder schilderte Khady detailreich ihre Hochzeitsfeier und den ersten Tag der réception, berichtete mir, wie viele Kleider sie am zweiten Tag der Feier anhatte, wie viele ihrer Freundinnen wann als marraines auftauchten, wie viele Gäste anwesend waren, wie schön die Erinnerung und wie glücklich sie gewesen sei. Erst nach einigen weiteren Gesprächen wurde mir auf einer gemeinsamen Taxifahrt mit einer anderen transnational verheirateten jungen Frau, Adama, klar, dass Khadys Mann zum Zeitpunkt der Hochzeit noch in Italien und auf den Feierlichkeiten gar nicht anwesend gewesen war (Feldforschungsszene vom 17.12.2011): Khady, Adama und ich nehmen gemeinsam ein Taxi zum HLM-Markt, um die letzten Besorgungen für Fatous Hochzeit zu erledigen. Die Stimmung ist heiter und entspannt. Da ich sie noch nicht so gut kenne, fragte ich Adama, ob sie verheiratet sei. Sie berichtet mir, dass ihr Mann in den USA sei und sie nur in der Moschee geheiratet hätten. Adama erläutert mit Bedauern, dass sie keine réception und Hochzeit wie Fatou gehabt hätte, aber trotzdem mit ihrer Situation und ihrem Ehemann zufrieden sei. Deswegen besaß sie kein Hochzeitsalbum, aber sie hatte ein Bild vom letzten Besuch des Ehemannes vergrößern und rahmen lassen [...]. Während Adama erzählt,

202 | Social Media im transnationalen Alltag hört Khady interessiert zu. Als Adama eine Pause einlegt, erzählt Khady, dass sie trotz der Abwesenheit des Mannes eine große zweitägige Feier abgehalten habe. Ich bin sehr erstaunt, von der Abwesenheit von Khadys Mann während der Feierlichkeiten zu erfahren, da ich das Hochzeitsalbum angesehen hatte. Ich kann die seltsam ausgeschnittenen Fotografien ihres Mannes auf den ersten Seiten des Fotoalbums nun besser verstehen und zuordnen [...].

Viele Frauen in Dakar wie Khady und Adama müssen übergangsweise oder langfristig damit zurechtkommen, dass ihre Ehemänner in Europa oder den USA leben (vgl. Hannaford 2017). Der Umkehrfall, dass Senegalesinnen im Ausland sind und Ehemänner in Senegal heiraten, ist seltener. Meist finden bei abwesenden Ehepartner*innen keine größeren Feiern wie die réception statt. Da die religiöse Verbindung, ob in der Moschee oder zu Hause geknüpft, in vielen muslimischen westafrikanischen Ländern ohnehin oftmals in Abwesenheit von Braut und Bräutigam stattfindet, ist es insbesondere für transnationale Ehen nicht notwendig, dass Ehepartner*innen ins Land reisen. In einigen Fällen ist es für die Braut und deren Familien jedoch von großer Bedeutung, trotz der Abwesenheit des Mannes die üblichen anschließenden Hochzeitsfeierlichkeiten abzuhalten. Auf der réception, dem Höhepunkt der Feier, drücken sie damit nach außen die Veränderung im Status der Frau und der Familie aus. Auch in Khadys Fall war es nicht nur sie, sondern auch ihre Familie, die die Feierlichkeiten unterstützte und abhalten wollte. Bei einem meiner späteren Besuche konnte ich erneut mit Khady über das Hochzeitsalbum sprechen. Sie deutete auf die Bilder ihres Mannes und erläuterte, dass ihr Mann zur Zeit der Feierlichkeiten in Italien war. Die Kleidung und die Tasche auf dem Bild zeigen deutlich an, dass das Bild an einem anderen Ort erstellt worden war, was für ortsansässige und wohl meist mit den Lebensumständen des Ehepaares vertrauten Betrachter*innen gut zu erkennen ist. Für meine ungeübten Augen jedoch glichen sich die Art und Weise der Anordnung und Auswahl der Bilder von Khady und ihrem Ehemann an. Von beiden waren auf der ersten Seite zwei Bilder eingeklebt, bei denen die Konturen des Körpers und die Umrisse der Haare sorgfältig ausgeschnitten waren. Beide waren auf passbildgroßen Porträts abgebildet. Allerdings – und das hätte mir auffallen können – gab es kein Bild, auf dem das Paar gemeinsam abgebildet war, es waren immer Einzelporträts. Zudem war Amdy nicht im Anzug oder feierlichen Boubou, sondern in Alltagskleidung abgebildet. Bei der nochmaligen Betrachtung dieser Bilder wird mir bewusst, dass die Abwesenheit des Ehemannes deutlich sichtbar



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ist. Diese Abwesenheit wird durch die Verbindung der Bilder im Album jedoch zu einer anwesenden Abwesenheit gestaltet. Die vermittelte Präsenz des Mannes setzte Amdy und Khady miteinander in eine enge Verbindung und betonte ihre ehepartnerschaftliche Beziehung. Durch die Gestaltung des Hochzeitsalbums, in das die abwesende Person montiert wurde, erhält sie eine bildliche Präsenz im Erinnerungsobjekt und wird so zum Teil des Erinnerungsprozesses. Da Khadys Mann zum Zeitpunkt der Eheschließung mit unsicherem Aufenthaltsstatus als Händler in Italien arbeitete, konnte er nicht im September zur Hochzeit kommen. Erst im November 2004 gelang es ihm, dank eines zeitlich begrenzten Arbeitsvisums für einen dreimonatigen Aufenthalt nach Dakar zu reisen.29 Für viele Frauen, denen es wie Khady gelang, einen der begehrten erfolgreichen transnationalen Migranten zu heiraten, war die Abwesenheit des Ehemanns bei den Feierlichkeiten und im Alltag akzeptierte Normalität, die durch die raren und kurzen Besuche sowie durch für senegalesische Verhältnisse häufig reichliche finanzielle Zuwendungen kompensiert wurde (vgl. Kapitel 8). Ich fragte Khady, ob sie ihren Mann vor der Hochzeit gekannt habe. Daraufhin erläuterte sie in knappen Sätzen den gesamten Prozess der Anbahnung der Heirat: „Nein, ich kannte seinen kleinen Bruder. Er [Amdy] war die ganze Zeit in Italien. Wir haben uns nicht gekannt. Es war sein Bruder, der hier war, um die Familie zu grüßen.30 Er meinte, dass Amdy mich gesehen habe, er habe ihm ein Foto von mir gezeigt. Und dann hat er mich gefragt [Lachen]. Danach hat er mich angerufen. Danach hat er seinem Vater gesagt, dass er mich heiraten möchte. Sein Vater hat meinen Vater gefragt und mein Vater hat mich gefragt. Ich habe ja gesagt und danach haben wir die Hochzeit gefeiert. So ist das hier, genau so. [...] Ich dachte mir, da es mein Cousin ist, kann ich ihn nicht verabscheuen. Bei uns [Wolof] ist das so. Wenn du nein sagst, gibt es Probleme zwischen den Familien. Sie sagen dann, dass du sie nicht ausstehen kannst.“ (Khady 10.02.2012)

29

30

Auf die häufig schwierige Situation des unsicheren Aufenthaltsstatus vieler Senegales*innen in Italien (aber auch Deutschland) kann hier nur verwiesen werden. Auch auf Heirat und Familienzusammenführungen in Europa kann an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden (vgl. dazu Publikationen des Programme sur les migrations entre l’Afrique et l’Europe (MAFE), z.B. Mao-Mei 2015; Vickstrom 2013). „Saluer la famille“ bedeutet einen Antrittsbesuch bei der Familie der Frau zu machen, um um ihre Hand anzuhalten.

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Wie bereits in der ausführlich dargestellten Hochzeit von Fatou und Madou zum Ausdruck kam, war auch die Anbahnung der Hochzeit von Khady und Amdy keineswegs so einfach, wie Khady es hier beschrieb. Da Amdy ihr Kreuzcousin war, konnte sie den Heiratsantrag nicht ablehnen, ohne die gesamte Familie zu verärgern. Khady betonte, dass insbesondere bei den Wolof (‚chez nous‘) Kreuzcousinen und Kreuzcousins als ideale Heiratspartner gelten. In der ersten Zeit nach den Heiratsanbahnungen lernte sie ihren Ehemann allein durch Telefongespräche kennen: „Es war sehr schwierig, aber wir haben gesprochen und gesprochen, bevor wir uns gesehen haben. Das war, als ob wir uns seit langer Zeit kennen würden“ (Khady 10.02.2012). Auch die Fotos ihres zukünftigen Mannes spielten dabei eine Rolle. Denn aus den wenigen Fotos, die sie von ihrem Mann erhalten hatte, und die später Eingang in das Album fanden, las sie auch die Charaktereigenschaften ihres Mannes ab. Diese so wichtigen Bilder im Hochzeitsalbum verwischen die Erinnerung an die sehnsüchtige und schmerzhafte Abwesenheit des Mannes und kreieren eine gemeinsame Feierlichkeit und Erinnerung. Mit dem Hochzeitsalbum schuf sich Khady einen Raum für ihre Wünsche und Träume für die Zukunft, in der sie sich mit ihrem Ehemann vereint als intimes Paar vorstellte. Einem Ehemann, den sie bisher ausschließlich über Fotografien und Telefongespräche, durch Berichte seiner Familie und die familiäre Verbindung zu ihrer Familie kennengelernt hatte. In unseren Gesprächen unterstrich Khady die Gemeinsamkeiten mit ihrem Mann und die gegenseitige Wertschätzung innerhalb ihrer Ehe. Mehrmals grenzte sich Khady mir gegenüber von dem populären Fernsehfilm Ibra Italien (Saad-Bouhgueye 1999) der Daaray Kocc-Theatergruppe ab.31 In dem Wolof-sprachigen Film gibt sich ein armer Mann als reicher italienischer Händler aus, damit die Frau, in die er sich verliebte, sich für ihn interessiert. Khady betonte in Abgrenzung zum Film, dass sie ihren ModouModou-Ehemann32 nicht allein aufgrund des Geldes und Status geheiratet hatte. Sie sei nicht so naiv wie die junge Frau im Film und hätte sich von Anfang an nur eine ‚gute‘ Ehe mit einem ehrlichen Ehemann gewünscht. Die Fiktion des Films entwirft, wie auch die Fiktion des Albums, das Bild einer 31 32

Auch aufgrund der Krankheit der Hauptdarstellerin des Films, Ndèye Khady, sprachen viele während meiner Feldforschung über diesen zwar älteren aber sehr populären Fernsehfilm (téléfilm). Mit diesem Begriff werden vor allem relativ erfolgreiche Handelsmigranten aus ruralen Gegenden bezeichnet; vgl. Kap. 4.4.3.



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glücklichen, ehepartnerschaftlichen Beziehung. Seit der bisher endgültigen Rückkehr ihres Mannes nach Dakar im Jahr 2007 hat das Album eine weitere Bedeutungsebene hinzugewonnen: Die schmerzhafte Abwesenheit ist nun selbst Erinnerung, die im Hochzeitsalbum nurmehr in den Spuren der Bildmontagen und der Abnutzung zu sehen ist.

5.5 Vermittelte Anwesenheit – vermittelte Teilnahme: Ein Fazit Die Betrachtung von Hochzeitsfeierlichkeiten in Dakar verdeutlichte die Bedeutung der Familien der Braut und des Bräutigams für die Heiratsanbahnung und die Durchführung von Hochzeitsfeierlichkeiten. Vor allem ältere Männer einer Familie stellen symbolisch, moralisch und teilweise auch finanziell die Verbindungen zwischen den beiden Familien her. Junge Frauen erlangen durch Hochzeitsfeierlichkeiten wie der réception sowie in den Fotografien und Videos größere Sichtbarkeit und fordern damit Einflussmöglichkeiten innerhalb der Familien und der Ehe für sich ein. Sie positionieren sich in den Bildern als erfolgreiche Ehefrauen, in den Fotografien mit wichtigen Familienmitgliedern und Gleichaltrigen stellen sie sich innerhalb ihrer sozialen Beziehungen dar. In den Bildern spiegelt sich, dass nicht nur die Bedeutung der Verbindung zwischen Braut und Bräutigam im Vergleich zur Verbindung zwischen zwei Familien zunimmt (Dial 2008:12), sondern Frauen sich auch gegenüber den Ehemännern und Gleichaltrigen positionieren. Die jungen Frauen bleiben häufig an einem Ort, wohingegen die Männer geografisch mobil sind. Durch die Hochzeit und die Bilder erlangen Frauen allerdings soziale Mobilität, die unter anderem durch die geografische Mobilität ihrer Ehemänner ermöglicht wird. Die Bilder werden als Objekte Teil der Langzeitstrategien des Geschenkaustauschs, der dazu dient, mit finanziellen Unsicherheiten zurecht zu kommen (Buggenhagen 2011:216 ff., 2012b) und auch transnationale Familienmitglieder in die sozialen Unterstützernetzwerke einzubeziehen. Die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der geografischen und sozialen Mobilität verdeutlichen erstens, dass geografische und soziale Bewegungen eng miteinander zusammenhängen, und zweitens, dass die Hochzeitsfeierlichkeiten auch als Aushandlungsfeld zwischen den Geschlechtern zu betrachten sind. Die stark ästhetisierte und bearbeitete Bildproduktion in Hochzeitsalben, Videos und digitalen Bildern auf Facebook schließen an globale Darstellungs-

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formen an und leisten soziale Reparaturarbeit. Sie verändern das Ereignis durch die mediale Gestaltung und werden zum Beweis und Dokument. Als „Ritual zweiter Ordnung“ (Wendl 2015:28) oder „second real-time event“ (Schulz 2012:92) wird die Hochzeit und die daran geknüpften Beziehungen nicht unverändert durch Raum und Zeit ‚transportiert‘; vielmehr wird das Ereignis auf andere Orte und Zeiten ausgeweitet. Die Bilder eröffnen einen imaginären Raum, der Wünsche und Hoffnungen für die Zukunft beinhaltet. Die unterschiedlichen visuellen Formate der Fotoalben, Videos und Facebook stellen spezifische Formen von Besitz und Autorenschaft dar. Der soziale Kontrakt der Fotografie (Azoulay 2008; Behrend 2014) stärkt nicht den Fotografen oder den Produzenten, vielmehr geht das Bild und das Album in den Besitz der Abgebildeten über. Sie richten sich an unterschiedliche Zuschauer und die Formate schaffen spezifische Formen des gemeinschaftlichen Betrachtens. Während das Hochzeitsalbum als privater Besitz der Ehefrau als wertvolle Erinnerung und Eigentum aufbewahrt und nur gemeinsam mit der Braut vor allem von Gästen, Freund*innen und Nachbar*innen betrachtet wird, zirkulieren die Hochzeitsvideos vornehmlich bei Verwandten und sehr engen Freund*innen, wodurch sich die Rezeption aus der Kontrolle der Besitzerin des Videos löst. Facebook hingegen richtet sich auch an eine transnationale, häufig gleichaltrige Gemeinschaft von Freund*innen und Verwandten und die neuen Formen der Verbreitung, Bearbeitung der digitalen Bilder und der Interaktion auf Facebook führen zu einer größeren Sichtbarkeit sozialer Verbindungen. Diese soziale Sichtbarkeit führt wiederum dazu, dass Bilder und Kommentare auch gelöscht und den Erinnerungspraktiken entzogen werden. Bilder in Fotoalben, Videos und Facebook unterscheiden sich also erstens in der Materialität und Stabilität des Mediums, zweitens in der Öffentlichkeit und Gemeinschaftlichkeit, die diese bestärken, und drittens in der Verbreitung und Reichweite. Die Betrachtung der Bilder eröffnet zudem den Blick auf kulturell spezifische Formen von medial vermittelter Anwesenheit und Abwesenheit in rituellen Praktiken, Hochzeitsbildern und transnationalen sozialen Beziehungen. Die Abwesenheit des Bräutigams während großer Teile von Fatous réception und die Anwesenheit eines Ersatzehemanns spiegeln sich beispielsweise nicht im Video oder dem Fotoalbum wider, vielmehr wird hier durch Wiederholung und Montage ein ideales Brautpaar gestaltet. Im transnationalen Kontext wirken diese Vermittlungen auf ähnliche Weise und reproduzieren dadurch Verpflichtungen und Erwartungen, die an enge soziale Beziehungen zwischen Geschwistern oder in Ehen geknüpft sind. Wie in



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Khadys Hochzeitsalbum deutlich wurde, werden abwesende Personen durch Kollagen in einer „imaginary co-presence“ (Robertson, Wilding und Gifford 2016) sichtbar gemacht. Auch das Taggen auf Facebook ist nicht nur eine Aufforderung zum like, sondern dient dazu, abwesende Personen präsent zu machen und als Teil einer ständigen Verfügbarkeit „ambient co-presence“ (Madianou 2016) herzustellen. Zudem kann wie in Tonys Fall durch finanzielle Beteiligung und die Zirkulation des Hochzeitsvideos zeitverzögert am Ereignis teilgenommen werden. Obwohl physische Anwesenheit höher geschätzt wird, ist sie kein alleiniger Garant für soziale Nähe. Ohne die finanzielle Beteiligung und unterschiedlichen Grade der vermittelten Anwesenheit durch Telefonanrufe und Bilder wäre beispielsweise eine Beteiligung an einer Hochzeit nicht möglich. Ein großer Unterschied im transnationalen Kontext liegt darin, dass mit längeren Abwesenheiten und größeren Distanzen umgegangen werden muss. Dadurch sind die Beteiligten dazu gezwungen, oftmals auf medial vermittelte Erfahrungen durch Bilder und Videos zurückzugreifen, und können sie eben meist nicht mit neu erlebten Erfahrungen komplementieren. Dadurch werden erweiterte soziale Konfigurationen im neuen Kontext des Betrachtens der Bilder geschaffen, was häufig zu verklärten Vorstellungen über die Personen führt. Einerseits entstehen idealisierte Bilder einer Person, etwa in der Collage im transnationalen Hochzeitsalbum. Andererseits lassen sich bestimmte Personen und Praktiken abwerten, wie dies beispielsweise in Bezug auf die verschwenderischen Hochzeitsfeierlichkeiten durch viele in Berlin lebende Senegales*innen zum Ausdruck kam. Dabei beinhaltet Kopräsenz nicht nur die wechselseitige „kommunikative Erreichbarkeit“ (Linz und Willis 2011) zwischen Personen, sondern es werden auch Personen, die kein aktiver Teil des Kommunikationsraumes sind, beispielsweise über Erwähnungen oder Fotografien präsent gemacht. Die unterschiedlichen Formen der Kopräsenz stellen soziale Nähe zwischen anwesenden und abwesenden Personen her. Durch Videos oder Fotografien wird Präsenz und gleichzeitig emotionale und soziale Nähe gestaltet, die bei einer entsprechenden Reaktion wie einer finanziellen Zuwendung, einem Telefonanruf oder dem Senden eines Videos erwidert und dadurch bestätigt wird. Doch Kopräsenz muss nicht immer soziale Nähe herstellen. Durch die Verweigerung bestimmter Medienpraktiken und das ‚Nicht-Zeigen‘ oder Löschen von Bildern auf Facebook wird soziale Distanzierung hergestellt, die meist auch mit den unterschiedlichen Situationen in den jeweiligen soziokulturellen Biografien zusammenhängen.

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Von Schwestern und Weiblichkeit

Praktiken der Porträtfotografie und Positionierungen im lokalen und translokalen Kontext

Die etwa 40-jährige Marie in Dakar ‚feiert‘ wie von Facebook vorgeschlagen die einjährige Facebookfreundschaft zu ihrem Bruder in Berlin bzw. Paris am 19.09.2016 mit den öffentlichen Bildern und Worten (Abbildung 21): Er ist nicht nur ein Freund, sondern ein großer Bruder, und gleichzeitig auch ein Vater. Er hat mich sehr unterstützt und mir gute Ratschläge gegeben. Unsere Freundschaft besteht seit meiner Geburt. Ich wünsche dir, meinem großen Bruder, ein langes Leben.

Abbildung 21: Facebookscreenshot: Ein Jahr Facebookfreundschaft

Marie, die wir bereits im vorausgegangenen Kapitel durch ihr Hochzeitsvideo in Dakar und als Schwester von Tony kennengelernt haben, ist erst seit relativ kurzer Zeit auf Facebook aktiv. Hier stellt sie häufig die besondere Beziehung zu ihrem Bruder sichtbar für alle Freund*innen heraus. Ihr Bruder, der seit über 10 Jahren in Norwegen, Deutschland und mittlerweile

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Frank­reich lebt, hatte seine Schwester finanziell unterstützt und ihr Kontakte zu französischen Geldgebern vermittelt, und somit ermöglicht, eine Vorschule in Keur Massar im Vorort Pikine zu eröffnen. Wie sie mir in einem Telefongespräch mitteilt, war unter anderem diese Unterstützung ausschlaggebend für den oben abgebildeten und weitere thematische Posts zu ihrem Bruder. Interessant sind dabei die flexiblen Rollen, die sie ihrem Bruder zuschreibt: Er ist nicht nur der ältere Bruder, er ist außerdem Freund, Vater und Ratgeber. Außerdem betont sie die besondere, lebenslange Verbindung zu ihrem Bruder. Immer wieder konnte ich während meiner Forschung die Bedeutung von transnationalen Geschwisterbeziehungen für finanzielle und emotionale Unterstützung feststellen (vgl. auch Alber, Coe, und Thelen 2013; Coe 2013b; Evans 2017). Einige wurden bereits in den vorausgegangenen Kapiteln angesprochen. Binta in Berlin telefoniert mit ihren Schwestern insbesondere zum Anlass der Feierlichkeiten des Magal de Touba und erinnert sich an gemeinsame Reisen. Für Malick in Paris ist es die Geburt seines ersten Sohnes und die in den gleichen Zeitraum fallende Gründung der Firma seines Bruders Lamin in Dakar, die zu verstärkten Kontakten und intensiven Skypegesprächen führen. Madou wird durch seine Brüder in Spanien finanziell unterstützt, damit er Fatou heiraten und die Hochzeitsfeierlichkeiten bezahlen kann. Bei der Betrachtung der Hochzeitsfeierlichkeiten von Madou und Fatou werden immer wieder Geschwister in besonderen rituellen Vermittlerrollen wie der ndjeké oder auch als Mutter-Bruder erwähnt (Diop 1985; Hann 2013:151; vgl. auch Goody 1959). In den genannten Fällen handelt es sich um die deskriptive Verwandtschaftsbezeichnung Schwester oder Bruder (vgl. White 1958; Tooker 1979), die unterschiedliche soziale Verbindungen und Typen von Verhalten mit einbeziehen (Nicolaisen 2014:23). In allen Beispielen wird die lebenslange Beziehung und gegenseitige Unterstützung betont (vgl. auch Thelen, Coe und Alber 2013). Häufig spielen auch freundschaftliche Gefühle und besondere soziale Nähe eine Rolle. Bei Geschwistern mit größerem Altersunterschied können sie auch als Mutter oder Vater betrachtet werden. In den porträtfotografischen Praktiken1 auf Facebook finden diese Beziehungen besonderen Ausdruck. Die flexible Form der Geschwisterbeziehung in 1

Bouquet attestiert Familienfotografien besondere ‚Kraft‘ nicht nur in der Darstellung von Beziehungen, sondern besonders im „making, breaking, and ­reinventing“ von Familienbeziehungen (Bouquet 2002). Sie untersucht, wie Familie und Verwandtschaft durch und mit Fotografien hergestellt werden, al-



6. Von Schwestern und Weiblichkeit | 211

Verbindung mit der Plattform Facebook mit seiner spezifischen Form der ‚Öffentlichkeit‘ (vgl. Kap. 5) erlaubt jüngeren Nutzerinnen, so mein Argument, mit unterschiedlichen Vorstellungen von Weiblichkeit und Zugehörigkeit (belonging) zu experimentieren. Für ältere Frauen ist vor allem die lebenslange Dauer der Geschwisterbeziehung von großer Bedeutung (vgl. auch Pauli 2013), gerade bei langanhaltender Mobilität oder wenn die Eltern bereits verstorben sind. Ausgehend von dieser Beobachtung wird in diesem Kapitel die Verbindung von transnationalen Geschwistern anhand von ausgewählten Beispielen jüngerer wie älterer Geschwister und deren porträtfotografischen Praktiken untersucht. Geschwisterbeziehungen fristeten in der Ethnologie bis vor Kurzem eine eher marginale Rolle. Mit einem Fokus auf Abstammung und soziale Kohäsion wurde beispielsweise die Rolle des Mutter-Bruders untersucht (Rad­ cliffe-Brown 1965) oder mit Blick auf Heirat die Stärkung der Brüderbeziehung durch Frauentausch analysiert (Lévi-Strauss 1993). Erst in jüngerer Zeit richten Verwandtschaftsethnolog*innen im Zuge der new kinship studies Geschwisterbeziehungen ins Zentrum ihrer Untersuchungen, da diese erstens ebenso wichtig für die Herstellung von Haushalt und Familie sind wie Elternschaft und Heirat. Einige Arbeiten stellen zweitens fest, dass diese Beziehungen durch ihre lebenslange Dauer insbesondere bei transnationaler Migration an Bedeutung gewinnen (Thelen, Coe und Alber 2013:22; siehe auch Pauli 2013; Coe 2013b:123). Drittens verdeutlicht der Blick auf Geschwister, wie Verwandtschaftsbeziehungen innerhalb einer Lebensspanne durch gemeinsame Herkunft, geteilte Erfahrung oder auch Austausch und gegenseitige Sorge ‚gemacht‘ oder unterbrochen werden können (Thelen, Coe und Alber 2013:2). Angelehnt an diese Arbeiten verdeutliche ich in diesem Kapitel erstens die Flexibilität der Geschwisterbeziehungen, die unterschiedliche Geschlechter, Generationen und Formen der sozialen Beziehungen beinhaltet. Zweitens bestätige ich, dass diese Form der Beziehung durch ihre lebenslange Dauer insbesondere für transnationale Beziehungen an Bedeutung gewinnen kann. Die Beispiele dieses Kapitels zeigen jedoch auch, dass abhängig vom Spannungsverhältnis zwischen Solidarität, Sorge, Konkurrenz und Neid diese Beziehung auch abgebrochen werden und an Bedeutung verlieren kann. lerdings richtet sie ihren Blick insbesondere auf die Inhalte der Fotografien und enge verwandtschaftliche Beziehungen wie Eltern-Kind-Beziehungen und betrachtet Fotografie nicht als soziale Praktik.

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Drittens wird deutlich, dass gerade in den porträtfotografischen Praktiken auf Facebook die flexible Form der Beziehung leichter Ausdruck findet und damit im Vergleich zu anderen Beziehungen sichtbarer ist. Ausgehend von den porträtfotografischen Praktiken von zwei Schwesternpaaren in Dakar und Berlin werden in diesem Kapitel unterschiedliche Ausgestaltungen von den in der Sozialethnologie und der Transnationalismusforschung vernachlässigten Geschwisterbeziehungen betrachtet. Erstens wird die Inszenierung von Weiblichkeit in Kleiderpraktiken und Porträtfotografien herausgearbeitet und dargestellt, was es heißt, eine junge unverheiratete oder verheiratete Frau zu sein. Dadurch wird auch deutlich, welche normativen Vorstellungen auf lokaler Ebene wirken und in Geschwisterbeziehungen ausgetestet werden. Zweitens erlaubt der Fokus auf die Zirkulation dieser Bilder, die soziale Bedeutung der Fotografien und die besondere Beziehungskonstellation von Geschwistern besser fassen zu können. In diesem Kapitel zeige ich, wie porträtfotografische Medienpraktiken dazu dienen, transnationale Geschwisterbeziehungen herzustellen und sichtbar zu machen oder zu verbergen und abzubrechen.

6.1 Geschichte und Bedeutung der Porträtfotografie in Senegal Wie bereits in Kapitel 2.4 und vor allem in Kapitel 5 zum Ausdruck kam, sind Porträtfotografien einzelner Personen oder Gruppen als Ganz- oder Halbfigur das dominante Genre der Fotografie von Senegales*innen in Dakar und Berlin. In diesem Unterkapitel wird dieses Genre historisch und kulturell eingeordnet, um die Bedeutung von Porträtfotografien für transnationale Beziehungen zwischen Senegal und Deutschland, insbesondere für Geschwisterbeziehungen, herauszuarbeiten. Zeitgenössische senegalesische Praktiken der Porträtfotografie haben sich aus einer komplexen Geschichte und Ökonomie des kolonialen Blickes, afrikanischer Studio- und Amateurfotografie und islamischer Bilderwelt entwickelt. Das fotografische Medium wurde bereits seit den 1890er Jahren durch afrikanische Fotografen im Gebiet des heutigen Senegal genutzt und kulturell spezifisch an der Schnittstelle von lokalen, regionalen und globalen Praktiken angeeignet. Die Porträtfotografie setzte sich als wichtigstes und dominantes Genre durch. Bereits vor der Fotografie kam dem Porträt in der Malerei und Schnitzerei eine besondere Bedeutung zu, vor allem im religiösen Kontext als symbolischer Wert,



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Abbildung 22: Foto aus der Sammlung El Hadji Adama Sylla (Ca. 1915-1930, unbekannter Fotograf, mit freundlicher Genehmigung von Revue Noire)

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als Repräsentation des Geistes eines Subjektes, als Index, als pure Spur des Körpers (Enwezor und Zaya 1996:34). Personen mit hohem sozialem Status wurden meist idealisiert und mit abstrakten Eigenschaften dargestellt. Demgegenüber wurden Fremde oder Sklaven meist mit spezifischen und emotionalen Merkmalen wie Gesichtsausdruck und Körperhaltung ausgestattet (Behrend und Wendl 1998:9). Auch die Fotografie als neues Medium hat diese Darstellungsmerkmale übernommen und in neue Kontexte mit einbezogen. Im Gegensatz zu den ehemals englischen Kolonien ist wenig über die Fotografen der frühen Kolonialzeit im französischen Kolonialgebiet der AOF (Afrique Occidentale Française), zu der auch Senegal gehörte, bekannt. Der Reichtum in den wohlhabenden Hafenstädten wie Gorée und der damaligen Hauptstadt Saint-Louis zog seit den 1850er und 1860er Jahren auch Fotografen an (Haney 2010:31). Diese waren vor allem koloniale Postkartenfotografen wie der bekannte französische Fotograf François-Edmond Fortier (1862-1928). Neben Familienporträts, lokalen Festlichkeiten, politischen Ereignissen und wichtigen Gebäuden fotografierte Fortier mit Vorliebe nackte Menschen in erotischen Posen, die zugleich romantisierend, rassistisch und sexistisch waren. In den zahlreichen ethnografisch-kolonialen Fotografien der Zeit kommt die enorme Ungleichheit der kolonialen Situation zum Ausdruck (Prochaska 1991:40). Die zunächst französisch dominierten westafrikanischen Studios bedienten ein breites Publikum und erstellten auch Porträtfotografien der afrikanischen Elite vor allem in der reichen Hafenstadt Saint-Louis. Die Alben und Archive der afrikanischen Familien sahen aber anders aus als die französischen Sammlungen oder die objektifizierenden Postkartenfotografien. Die reichen Kunden beauftragten häufig afrikanische Angestellte in den Studios, um die Porträtfotografien in gleichberechtigter und kollaborativer Praxis zu erstellen.2 Einer der ersten senegalesischen Fotografen war Meissa Gaye, viele andere, wie auch der Fotograf einer Serie von Porträts reicher Frauen in ihren Wohnungen im Saint-Louis der 1930er Jahre, blieben aber

2

Bei diesen frühen Fotografien ist es meist nicht möglich, aufgrund von stilistischen Unterschieden herauszufinden, ob es sich um französische, senegalesische oder andere afrikanische Fotografen handelt (Evans 2015:31). Dies deutet nicht nur darauf hin, dass die Fotografen in engem Austausch standen, sondern auch darauf, dass sie den spezifischen Wünschen der Auftraggeber*innen entsprachen.



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unbekannt. Ein Bild der Serie (Abbildung 22)3 zeigt eine unbekannte Frau in einem vermutlich indigofarbenen Boubou, der traditionellen Kleidung der Zeit. Die Ausstattung und die Möbel zeugen von der reichen Zwischenkriegszeit. Die Bilder im Hintergrund sehen im Gegensatz zur Frau fast flach und wie gemalt aus. Diese Hintergrundfotos wurden wahrscheinlich um 1910 gemacht und intensivieren den Moment der Porträtaufnahme, da die abgebildeten Personen mit der Frau und ihrer Darstellung für das Publikum verbunden werden (Haney 2010). Die unbekannte Frau positioniert sich wahrscheinlich innerhalb ihrer familiären Beziehungen, doch die Details sind unbekannt. Das Foto entstammt der Sammlung von El Hadji Adama Sylla, der seit den 1950er Jahren in Saint-Louis fotografierte und als Kurator und Archivar der fotografischen Sammlung des Centre de Recherches et de Documentation du Sénégal (CRDS) vorstand. Wie kein anderer vermittelte er an verschiedene Generationen von Forscher*innen und Kurator*innen sein Wissen über die frühen fotografischen Praktiken in Senegal.4 Allerdings wird anhand dieser Fotografie deutlich – wie auch an den anderen Fotografien der Reihe – , dass weder genaue Informationen zum Fotografen, noch zur fotografischen Praxis oder zu den abgebildeten Personen und deren sozio-kulturellem Kontext bekannt sind. Wichtige Details zur Anzahl der Fotografien, der Stellung innerhalb der Sammlung Adama Syllas und was eventuell auf der Rückseite der fotografischen Abzüge oder den Negativen geschrieben stand, werden nicht erwähnt. Allerdings geht aus dieser Serie von Fotografien hervor, dass bereits zu Beginn der senegalesischen Fotografie sowohl in privaten Wohnräumen als auch mit gestalteten Hintergründen in den Studios fotografiert wurde.

3

4

Dieses Foto wurde in verschiedenen Sammlungen und Veröffentlichungen auf 1915 datiert, z.B. beim Kunstverlag Revue Noire, wo es für 600 Euro zum Kauf angeboten wird (Pivin und Leon 2003:40). Wahrscheinlicher erscheint jedoch aufgrund der Fotografien im Hintergrund eine Datierung auf die 1930er Jahre. Auch der Verweis der Kulturwissenschaftlerin Jennifer Bajorek (2010a:438), dass das Foto aus der Sammlung Sylla stammt, unterstützt die jüngere Datierung (vgl. auch Chapuis 1999:55).

Sylla hatte in einem Gespräch mit der Kunsthistorikerin Jennifer Bajorek erwähnt, dass er den Fotografen kennen würde, wollte aber den Namen nicht nennen (Bajorek 2010a:141).

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Als seit den 1880er Jahren die Hauptstadt Senegals und der AOF von Saint-Louis langsam nach Dakar verlegt wurde, wanderten auch die Fotografen und die aufstrebende afrikanische Elite mit. Fotografen wie die Gebrüder Mama und Sala Casset in Dakar und ihr Studio „Africa Photo“ in Medina war seit den 1940er Jahren bekannt und prägend (Bouttiaux u.a. 2003). Neben dem Ganzkörperporträt rückte vor allem das Brust- und Kopfporträt in den Fokus der Fotografen und der Auftraggeber, da hier die Gesichtszüge und der Kopf- und Haarschmuck genau zu erkennen war. Auf den wenigen erhaltenen Fotografien und Abzügen, die ein Feuer im Studio und Archiv von Mama Casset überlebt haben, sind die Porträts häufig in der Diagonalen angeordnet und scheinen aus dem Rahmen herauszulehnen (Mercer 1995; zitiert in Enwezor und Zaya 1996:30). Bei den meisten Fotografien dieser Zeit sind die abgebildeten Personen unbekannt und die Bilder wurden mit wechselnden Bildunterschriften beispielsweise durch die Veröffentlichungen der Revue-Noire-Serien bekannt.5 In den 1940er und 1950er Jahren konnte die Bedeutung und das Wandern dieser Porträtfotografien als Teil der Hochzeitsfeiern einer urbanen Mittelklasse festgestellt werden (vgl. Kapitel 5.1 zu xoymet). Es kam dabei auf die tatsächlich abgebildeten individuellen Personen an, vor allem aber darauf, sich durch die Porträts innerhalb und als Teil seiner Netzwerke zu präsentieren. Das Porträt wurde also nicht als einzelne Fotografie, sondern in einer Serie von Porträtbildern ausgestellt. Ähnlich Margaret Drewals (1990) Ausführungen zum Zusammenhang von Porträt und Wirklichkeitsvorstellungen kann festgestellt werden, dass Porträts nicht vordergründig das Individuum in seiner Einzigartigkeit, sondern die Person innerhalb der sozialen Beziehungen darstellt. Wie im ostafrikanischen Kontext stellten Studiofotografen in Senegal seit den 1950er Jahren Accessoires und aufgemalte Hintergründe zur Verfügung (vgl. Wendl und Behrend 1998). Für die Porträts von Frauen spielten die europäisch anmutenden Accessoires häufig eine geringere Rolle als für Männer (Mustafa 2002:176). Die Studiofotografien und deren Hintergründe erzeugten eine Aura des Spektakels und der Fantasie. Sie waren Zeichen des Erfolgs. Dabei spielte die Unterscheidung zwischen echt und unecht häufig 5

Das Porträt einer jungen Frau wurde beispielsweise mit der Bildunterschrift „la séduisante Dakaroise“ veröffentlicht (D’Hooghe 2003:70). Die gleiche Fotografie findet sich in einem deutlich besseren Abzug auch in weiteren Veröffentlichungen der Revue Noire, hier meist auf um 1950 datiert (Pivin 2011:17; Martin Saint-Léon und Pivin 2010).



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keine Rolle (vgl. Behrend und Wendl 1998). Einige Autor*innen betonen auch die Verbindung von Porträtfotografien mit politischen Vorstellungen vom neuen Nationalstaat (Bajorek 2010b, 2010a). Fotografen erstellten nicht nur Aufnahmen von Parteiereignissen, sondern reisten seit den 1960er Jahren auch in entlegenere rurale Gegenden, um die zunehmend wichtigen Ausweisfotografien zu erstellen (vgl. für die Elfenbeinküste Werner 1996). Die günstige Farbfotografie führte seit den 1980er Jahren zu einer Krise der Fotostudios, da sich mobile Amateure und ambulante Fotografen etablierten und ein Teil der Arbeit der Fotostudios nun in den Entwicklungslaboren durchgeführt wurde. In diesen Farblaboren wurden neben der einfachen Entwicklung auch Montagen und Retuschen vorgenommen, die seit den 1980er Jahren in vielen privaten Alben zu finden sind (vgl. Werner 1997, 1996; Buckley 2000). Mit der digitalen ‚Revolution‘ und der weiten Verbreitung von Mobiltelefonkameras verändert sich Fotografie und die Situation der Fotostudios in Dakar erneut. Mit den mobilen und digitalen Formaten setzt sich nicht nur eine neue Ästhetik von Porträtfotografien durch, sondern die Möglichkeit der schnellen digitalen Verbreitung verändert, wie in diesem Kapitel deutlich wird, auch die Reichweite und Öffentlichkeit dieser Bilder. Insgesamt liegt der Fokus bei der Herstellung und Gestaltung von Porträtbildern in Senegal und besonders in Dakar stärker auf den vielfältigen sozialen Beziehungen, die dafür aktiviert und nutzbar gemacht werden. Der Blick auf die Person verweist nicht auf den Gegensatz von Individuum und Gesellschaft, sondern auf das „Dividum“, ein „vielheitsfähiges Subjekt“, „das sich nicht so sehr von den Dingen abgrenzt, sondern sie zur eigenen Ergänzung, Erfüllung und Aufwertung einzuschließen sucht“ (Behrend und Wendl 1998:10). Die Person ist im Porträt also als Vielfalt und Möglichkeit gedacht. Die einzelne Porträtfotografie steht dabei ebenso für eine Facette dieser Person, wie sie diese mit neuer Bedeutung auflädt. Die Oberfläche des Bildes steht nicht im Gegensatz zu einem ‚verborgenen‘, vermeintlich authentischen Bild, sondern die Oberfläche ist die Person in ihren unterschiedlichen zusammengesetzten Identitäten (vgl. Buckley 2000). Darüber hinaus sind die sozialen Beziehungen in den indexikalischen Spuren der Porträts enthalten. Durch das ‚Umgehen‘ mit dem Bild entwickelt sich die emotionale und affektive Kraft eines Bildes insbesondere aus dem Horizont der Betrachter*innen heraus. Präsenz entwickelt sich also nicht nur durch das Abgebildete selbst, sondern auch durch die Form der Einbindung in weitere soziale Situationen. Fotografische Porträts sind nicht nur Aufnahmen und

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Festhalten eines bestimmten Moments, der geplant oder zufällig berührt,6 vielmehr werden durch sie soziale Beziehungen im urbanen Senegal gestaltet (Buggenhagen 2010). Die religiöse Bilderwelt steht in enger Verbindung zu den oben beschriebenen Bedeutungsebenen. Porträtbilder von religiösen Führungspersönlichkeiten sind im Stadtbild und im Alltag allgegenwärtig (Buggenhagen 2010:82). Die ikonischen Bilder Cheick Ahmadou Bambas und anderer religiöser Führungspersönlichkeiten sind für die jeweiligen Anhänger mit besonderer ‚Kraft‘ aufgeladen, die sich auf diejenigen überträgt, die mit den Bildern umgehen (Roberts und Nooter Roberts 2003, 2008; Roberts 2010). „[...] images of the Saint are produced rather than reproduced, and they present rather than represent [...] every portrait is the Saint. The physical relationship that Mourides share with images of Ahmadou Bamba and the people closest to him establishes an intimate, bodily association between Mourides and the holy ones whose baraka they seek.“ (Roberts und Nooter Roberts 2003:27, Hervorhebungen im Original)

Die religiöse Form der Präsenz in den Bildern kann auch auf alltägliche Porträtbilder übertragen werden, wie bereits das vorangegangene Kapitel 5 verdeutlicht hat. Gerade das Zusammenbringen von religiösen mit nichtreligiösen Praktiken der Porträtfotografie kann dazu genutzt werden, westliche Diskurse und Vorstellungen um das Medium Fotografie in Frage zu stellen und beispielsweise die soziale Verfasstheit der Fotografie in den Mittelpunkt zu rücken (Edwards 2012). Durch die ‚Entdeckung der afrikanischen Fotografie‘ im transnationalen Kunstkontext (Pivin 2011; Martin Saint-Léon und Pivin 2010; Martin Saint-Léon 1999; vgl. auch Wendl und Behrend 1998; Roberts und Nooter Roberts 2003) und insbesondere durch die ethnologische Auseinandersetzung mit Fotografie in Afrika (z.B. Vokes 2012; Behrend 2014; vgl. auch Morton und Edwards 2009) werden zudem westliche Vorstellungen von Autorenschaft hinterfragt und die Mediengeschichte der Fotografie um Textilien, Geistbesessenheit oder das, was nicht in Bildern gezeigt werden darf, ergänzt – Erkenntnisse, die auch bei der Betrachtung porträtfotografischer Praktiken von Geschwistern auf Facebook genutzt werden können. 6

Roland Barthes bezeichnet dies als Punktum und setzt diesem einzigartigen Moment des Berührtseins von einem zufälligen Moment das Studium entgegen. Seine subjektzentrierte Fotografietheorie betont, dass der Wert der Fotografie im Subjekt des Betrachters zu sehen ist.



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6.2 Weibliche Positionierungen in Geschwisterbeziehungen Die Porträts im Facebookpost von Marie und ihrem Bruder Tony (vgl. Abbildung 21) können auch in der Tradition der Porträtfotografie in Senegal gelesen werden, obwohl sie zwei sehr unterschiedliche Formen von Porträtbildern darstellen. Die Kleidung und Accessoires, die Marie für dieses Foto trägt, ihre aufrechte und kontrollierte Haltung, durch die bestimmte Details wie die Tasche, der Nagellack und der Schmuck betont werden, sowie ihr direkter Blick in die Kamera, sind Haltungen und Posen, die an historische Fotografien erinnern. Die Aufnahme wurde in einem Innenraum erstellt, doch am undeutlichen Hintergrund kann man schwer ablesen, wo genau sich Marie zu diesem Zeitpunkt befand und in welchem sozio-kulturellen Kontext sie sich bewegte. Maries Foto wurde von ihrem Mann mit seinem Mobiltelefon aufgenommen. Tonys Porträt wiederum orientiert sich nicht nur durch das Genre (Tonys Foto ist ein ‚Selfie‘7), sondern auch in Kleidung und Pose viel stärker am Migrationskontext. Seine globaler afroamerikanisch beeinflusster Kleidungsstil vor dem Hintergrund eines Supermarktregals mit Palme deuten seinen Lebens- und Arbeitskontext an. Obwohl die beiden Porträts durch die Schablone der Facebookerinnerung und Maries Kommentar zueinander in Beziehung gesetzt werden, gehen die abgebildeten Personen durch die unterschiedlichen Blickrichtungen sowie die unterschiedliche Qualität der Bilder keine Verbindung miteinander ein. Erst Maries Benennung der Verwandtschaftsbezeichnung „großer Bruder“ im Text verdeutlicht die Verbindung zu ihrem älteren Bruder. Porträtfotografien, der Text und die grafische und mediale Facebookinfrastruktur stellen eine eigene Ästhetik der Montage dar (vgl. Buckley 2000, 2013), doch erst die Verknüpfung und die Einbindung in soziale Praktiken verdeutlicht den Stellenwert und die Ausgestaltung von transnationalen Geschwisterbeziehungen. Translokale und transnationale Geschwisterbeziehungen stehen bisher kaum im Fokus ethnologischer Studien, jedoch wird häufig am Rande erwähnt, dass diese Form der Beziehung von Konkurrenz und Misstrauen genauso wie von gegenseitiger Sorge und Teilen geprägt sein kann (vgl. Scheld 2007:238; Yount-André 2016). Meist wird dabei von jüngeren 7

‚Selfies‘ wurden während meiner Feldforschung in Berlin relativ häufig, in Dakar jedoch relativ selten erstellt. Durch das Erstellen des Fotos durch eine andere Person wird die relationale Qualität der Fotografie unterstrichen (vgl. Uimonen 2016:26).

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gleich­ge­schlechtlichen Geschwistern ausgegangen (z.B. Whittemore und Beverly 1989) und selten Dynamiken in unterschiedlichen Lebensphasen mit einbezogen (siehe jedoch Evans 2017). In diesem Unterkapitel werden die Positionierungen von jüngeren Frauen innerhalb von gleich- und gegengeschlechtlichen transnationalen Geschwisterbeziehungen insbesondere auf Facebook untersucht. Deutlich wird dabei erstens, dass klassifikatorische Verwandtschaftsbezeichnungen (vgl. White 1958; Tooker 1979) auf unterschiedliche Weise genutzt werden. Die sozialen Praktiken der Porträtfotografie und Facebook verdeutlichen, welch hohe Erwartungen an transnationale Geschwisterbeziehungen geknüpft sind und wie die Flexibilität der Beziehung gleichzeitig für die eigene (spielerische) Positionierung als junge verheiratete oder unverheiratete Frau genutzt wird. Zweitens verdeutlichen die Beispiele, dass sich Facebook als Experimentierfeld besonders für die Darstellung und Sichtbarkeit von Geschwisterbeziehungen eignet. Dies liegt einerseits daran, dass ältere Menschen häufig nicht auf Facebook aktiv sind, und andererseits an der Facebook-spezifischen Möglichkeit, Bild und Text zu verbinden und soziale Beziehungen für andere sichtbar zu machen.

6.2.1 Hoffnungen auf ein anderes Leben? Kleiderpraktiken, Porträtfotografie und soziale Mobilität Als ich Fatou, die bereits in Kapitel 2.4 und 5.2 vorgestellt wurde, 2011 in Dakar kennenlernte, lebte sie als älteste uneheliche Tochter im Haushalt ihres Vaters, seinen zwei Frauen und deren Kindern. Aufgewachsen war sie in der Casamance bei ihrer alleinstehenden Mutter mit einer älteren Halbschwester und einem jüngeren Halbbruder. Mit 12, so berichtete sie mir, hatte ihr Vater sie im Jahr 2000 aus der Casamance zu sich in den Haushalt mit seinen zwei Frauen geholt. Im Gegensatz zu vielen Mitte zwanzigjährigen Frauen im Viertel war Fatou noch unverheiratet. Dabei hatte sie immer wieder einen Freund gehabt, von dem sie auch finanziell profitiert hatte (vgl. 3.4.2 zu mbaraan). Fatous größter Wunsch war es, wie sie mir bereits kurz nach meiner Ankunft in Dakar mitteilte, nach Europa und Deutschland zu reisen, die Welt dort kennenzulernen, ein wenig Handel zu betreiben, Geld zu verdienen und erfolgreich nach Dakar zurückzukehren.8 Ihre gro8

Viele junge Frauen und Männer in Dakar äußerten mir gegenüber ähnliche Wünsche und stellten damit auch Hoffnungen und Erwartungen an mich. In den Äußerungen drücken sich auch die Ungleichheit in Mobilität und (finanziellen) Möglichkeiten zwischen mir und meinen Gesprächspartner*innen aus.



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ße Hoffnung, diesen Wunsch zu realisieren, war Awa, eine enge Verwandte, die in Berlin lebte. Ihre Beziehung zu Awa beschrieb Fatou wie folgt: „Also, Du musst verstehen [kürzere Pause, Luftholen] Mein Vater und meine Mutter sind geschieden, sie sollten heiraten, aber dann kam die Cousine meiner Mutter [...]. Mein Vater und Awas Mutter haben die gleiche Mutter und den gleichen Vater. Sie sind Geschwister. Deshalb sind Awa und ich auch Geschwister. Wir sind zusammen aufgewachsen. Im Französischen nennt man das cousine. Awa ist meine Cousine, aber sie ist auch meine Schwester, meine große Schwester (sœur, sama mag).“ (12.03.2012)

Fatou hebt die Vielschichtigkeit und die unterschiedlichen kulturellen Bedeutungen des klassifikatorischen Begriffs Schwester im Französischen und auf Wolof hervor. Auf Wolof werden mit mag uterine und agnatische ältere Geschwister und Cousinen bezeichnet (Diop 1985:37).9 Das Prinzip der Seniorität ist hier bedeutender als die Unterscheidung von Cousine und Schwester. Ihre Kenntnis der Bedeutungsunterschiede macht Fatou durch die Erläuterungen der französischen Übersetzung mit cousine deutlich. Sie verweist jedoch nicht nur auf die biologische Verbindung und das Prinzip der Seniorität, für sie sind auch die geteilte Erfahrung der Kindheit und Jugend bedeutsam (vgl. Pauli 2013). Die Schwestern Awa und Fatou verbindet, dass sie ihre Kindheit gemeinsam in der Casamance verbracht hatten und während der Pubertät in ein Wohnviertel in Dakar gezogen waren. Sie hatten sich während schwieriger Phasen und finanzieller Nöte unterstützt. Auch die Veränderungen durch die Heirat Awas und ihrem anschließenden Umzug nach Berlin im Jahr 2006 verstärkte die enge Beziehung der Schwestern. Sie telefonierten häufig, Awa schickte Geld für die Ausbildung ihrer Schwester und Fatou kümmerte sich um Awas Angelegenheiten in Dakar. Fatou nutzt die klassifikatorische Verwandtschaftsbezeichnung ‚meine große Schwester‘ auf Wolof auch, um die Intensität und Nähe ihrer Beziehung zu Awa zu verdeutlichen und ihren Anspruch auf Unterstützung durch sie her­vor­zuheben.10 Dieser Anspruch beinhaltete – und darauf verwies Fa9 10

Auch im muslimisch-religiösen Kontext Senegals werden die Bezeichnungen Bruder und Schwester sehr flexibel genutzt (vgl. Brossier 2010; Hill 2014).

Senegales*innen in Berlin bezeichnen häufig enge Freund*innen als Bruder oder Schwester, um die gegenseitige Verpflichtung und Erwartung sowie die spezifische Beziehung in der Migration zu verdeutlichen (vgl. zu Freundschaftsbeziehungen Kap. 7).

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tou immer wieder in unseren Gesprächen –, dass Awa ihr eine Reise nach Deutsch­land oder Europa ermöglichen sollte. Parallel zu den Bestrebungen, eine Reise nach Europa ermöglicht zu bekommen, verstärkte Fatou während meiner Feldforschung auch ihre Anstrengungen, sich durch eine Heirat sozial zu verändern. Dies drückt sich auch in den porträtfotografischen Praktiken aus, die bereits in Kapitel 2.4 vorgestellt wurden. Ich gehe hier auf einen weiteren Aspekt der bereits beschriebenen fotografischen Feldforschungsszene vom 24. März 2011 kurz vor dem Aufbruch zu Aïssatous Hochzeit ein: Fatou ließ für die Hochzeit ein zweiteiliges Outfit11 aus teurem mbaseñ riche12 von einem bekannten Schneider im Viertel anfertigen. Sie hatte die Materialien sorgfältig ausgesucht und das Design aus unterschiedlichen Modemagazinen zusammengestellt. Ihre Stiefmutter hatte das teure Stück in einem Koffer für Fatou aufbewahrt. Die Perücke ist aus Echthaar, ihrem eigenen und dem Haar ihrer Cousine, wie Fatou mir gegenüber betont. Immer wieder hatte Fatou diese Perücke in der Woche zuvor in stundenlanger Arbeit gewaschen, gekämmt und gewellt. Den Schmuck hatte sich Fatou von einer Nachbarin und ihrer Stiefmutter, der ersten Frau ihres Vaters geliehen. […] Als Fatou und wir mit dem Fotografieren fertig sind, kommen auch die zwei Ehefrauen des Vaters hinzu. Sie gratulieren Fatou mit einem verschmitzten Lächeln zu ihrem Outfit, die erste Frau lobt sie immer wieder mit dafa sañse – das ist sañse13. Mit aufrechter Haltung und fließenden Bewegungen, kontrollierter Körperhaltung und beherrschtem Gesichtsausdruck verlässt Fatou mit ihrer Freundin Khady und mir das Haus, um ein Taxi für die kurze Strecke heranzuwinken. Sehr langsam und vorsichtig bewegen sich die beiden jungen Frauen auf ihren Schuhen mit den hohen Absätzen im Sand der Straße.

Fatous Auftreten und das Outfit zeigt, dass sie sich dazu entschlossen hatte, sich auf dem ‚Heiratsmarkt‘ umzublicken. Nicht nur war ihr klar gewor11

12 13

Dieses Outfit wird häufig taille basse genannt und besteht aus einem pagne oder langem Rock und einem eng anliegenden Oberteil, das je nach Stil und Mode ärmellos, mit kurzen oder langen Ärmeln sein kann. Die als traditionell senegalesisch bewertete Kleidung entstand in den 1930er Jahren beeinflusst von europäischer Mode (Rabine 2002).

Weitere Schreibweisen sind basang ris oder französisch basin riche, ein importierter und meist maschinell hergestellter Damast, der für viele Frauen in Dakar fast unerschwinglich ist (vgl. Heath 1992:21). Der Wolofbegriff sañse kommt einigen Autorinnen zufolge vom französischen Verb changer, das im senegalesischen Kontext auf das Wechseln der Kleidung bei Familienzeremonien hinweist (Scheld 2003:125).



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den, dass ihr Wunsch nach Mobilität nicht einfach realisierbar war, auch die Erwartungen der Familie an sie, sich als älteste, unverheiratete Tochter endlich zu binden (takk), stiegen. Trotz geringer finanzieller Ressourcen schaffte sie es, sich in einem perfekten Outfit und durch die Beherrschung ihres Körpers für die spezielle Gelegenheit festlich zu kleiden. Fatou hielt durch die Produktion der Porträtfotos den Moment der Inszenierung ihrer weiblichen Identität innerhalb ihrer sozialen Netzwerke fest. Durch die Kamera stellte sie sich als respektable und würdevolle, aber auch modern orientierte junge Frau dar. Hierzu gehört auch, mit Diskretion die soziale und finanzielle Verschuldung für dieses Outfit zu verheimlichen. Die Kleidung und die Haltung drücken ihren Status als unverheiratete junge Frau aus. Die Porträtaufnahme wurde innerhalb einer bestimmten visuellen Ästhetik produziert, die auch an Darstellungsformen der kolonialen und postkolonialen senegalesischen Studiofotografie anschließt (vgl. Pivin 2011; Martin SaintLéon und Pivin 2010; Martin Saint-Léon 1999). Jedoch weicht sie mit ihrem Lachen von den Porträts der ernst blickenden Frauen ab. Mit dem Lachen schließt sie auch an globale Bildkonventionen an. Das Bild Fatous drückt die ambivalente Stellung innerhalb ihrer Familie aus. Einerseits strebt sie nach einer unabhängigen Existenz, womit sie sich gegen die Erwartungen der älteren Generation richtet. Andererseits entspricht sie den Konventionen und dem urbanen Ideal von Schönheit und Weiblichkeit. Das Bild ist eine Gestaltung der Persönlichkeit und Weiblichkeit zum Zeitpunkt der Fotografie, verweist aber gleichzeitig auf die Hoffnungen und Wünsche für die Zukunft (vgl. Buckley 2000:77; McKay 2008). Mit dem Wolofbegriff und dem urbanen Konzept des sañse verdeutlichte die erste Frau ihres Vaters nicht nur, dass Fatou ihre weibliche Tugend und inneren Werte in ihrem Äußeren zeigte, sondern auch, dass sie es geschafft hatte, ihre rurale und illegitime Herkunft zu überformen und sich den Wolofstandards in Dakar anzupassen. Mit sañse wird üblicherweise ein passendes und besonders schönes Outfit bezeichnet, in der Literatur wird in diesem Zusammenhang besonders die Arbeit am Körper und der Kleidung betont (vgl. Mustafa 2002; Scheld 2007; Buggenhagen 2012b). Meines Erachtens nach muss das Konzept von sañse um die Fotografie erweitert werden; zur Arbeit am Körper und der schönen Kleidung kommt das mediale Festhalten des gelungenen Outfits mittels fotografischer Praktiken hinzu. Denn erst durch das fotografische Festhalten der Beherrschung des Körpers und der vollendeten Kleidung können diese Eigenschaften und Fähigkeiten an anderen Orten und zu anderen Zeitpunkten abgerufen werden.

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Der Ausdruck dafa sañse der sozialen Mutter unterstützte die performative Ausgestaltung dieser Rolle durch Fatou. Mit ihren auffällig langsamen und beherrschten Bewegungen zog sie die Blicke auf der Straße auf sich und erinnerte trotz ihres Äußeren eher an eine verheiratete, erfolgreiche Frau, die als drianké bezeichnet wird. Das Konzept drianké ist das Ideal einer urbanen, älteren Frau, die die Fähigkeit besitzt, jemanden an sich zu binden (von diri = an sich ziehen; vgl. Buggenhagen 2012b:183). Dies impliziert auch erotische Fähigkeiten, weibliche Verführungskunst oder eine Angehörigkeit zur High Society (vgl. auch Nyamnjoh 2005:299 ff).14 Obwohl Fatou noch nicht verheiratet war, eignete sie sich Attribute einer unabhängigen, sozial etablierten Frau kontextspezifisch für diese Hochzeit an. Für die älteren Frauen ihres Haushaltes signalisierte sie damit, dass sie trotz ihres Status als unverheiratete Frau und uneheliche Tochter eine höhere soziale Positionierung und Unabhängigkeit für sich reklamierte; von ihren jüngeren Halbschwestern hob sie sich damit ab. In der Hoffnung auf geografische Mobilität, den Praktiken des mbaraan und der Absicht zu heiraten, die sich in den Porträtfotografien Fatous ausdrückt, spiegeln sich die unterschiedlichen Strategien vieler junger Frauen wider, mit ihren teilweise prekären Lebenssituationen umzugehen und sich sozial zu verändern. Insbesondere Neugier, Abenteuerlust und der Wunsch, sich durch geografische Mobilität sozial zu verändern, wird häufig nur jungen Männern zugesprochen (z.B. Mbodji 2008; Bertoncello und Bredeloup 2008) und nicht gesehen, dass zunehmend auch alleinstehende junge Frauen diese Form der Mobilität für sich einfordern (siehe aber Ba 2008). In Fatous Fall – und sie stellt damit keine Ausnahme dar – sind die Hoffnungen auf Mobilität eng an die Beziehungen zu ihren Schwestern geknüpft, die bereits im Ausland leben. Wenn diese Erwartungen nicht erfüllt werden, kann es zu Konflikten innerhalb der Geschwisterbeziehungen bis hin zum (vorübergehenden) Abbruch des Kontaktes führen (vgl. Kapitel 6.3).

14

Dem Ideal der „erotischen Meisterin“, einer älteren schönen Frau im grand boubou, wird in der Literatur meist mit einem Augenzwinkern die junge und an globalen Schönheitsidealen ausgerichtete disquette als Rivalin bzw. Gegensatz gegenübergestellt (Biaya 2000; Nyamnjoh 2005). Auch wenn diese Stereotype teilweise in Dakar zu finden sind, ist doch gerade die kontextspezifische und spielerische Aneignung und Gleichzeitigkeit dieser unterschiedlichen Attribute wie in Fatous Fall zentral.



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6.2.2 „In Beziehung mit Yankoba“: Durch Brüder, Facebook und Fotografie zur jungen Frau Feldforschungsszene vom 05.04.2011, Dakar: Als die junge Nachbarin Dioma den Abend bei meiner Gastfamilie verbringt, hat sie die ganze Zeit ihr Handy in der Hand. Es scheint, als sei sie sehr beschäftigt. Auf meine Frage, was sie da die ganze Zeit mache, meinte sie: „Ich spreche mit meinen Freunden, ich verbringe ein bisschen Zeit mit meinen Freundinnen.“ Auf meine Nachfrage meint sie nur: „Je connecte sur Facebook, elles sont toutes là!!“ – ich vernetze mich über Facebook, sie sind alle da! Daraufhin zeigt sie mir die Mitteilungen, die sie öffentlich sichtbar für alle ihre Facebookfreunde schreibt, und wie sie auf Posts mit likes und Kommentaren antwortet. Auf dem kleinen Display des Telefons ist das Logo und die grafische Oberfläche Facebooks deutlich zu sehen. Der Text jedoch ist schwer zu entziffern und Fotos sind nicht zu sehen. Auf meine erstaunte Frage, wie sie Bilder kommentiere, die sie auf dem Handy nicht sehen könne, meint sie nur, dass das nicht so wichtig sei und dass sie die Bilder später auf dem Computer ihres Bruders betrachten würde. Es sei viel wichtiger, dass ihre Freundinnen sähen, dass sie sofort reagiere. Eine der älteren Frauen des Hauses hatte unser Gespräch mitbekommen. Sie klinkt sich nun kopfschüttelnd in unser Gespräch ein und meint, dass diese jungen Leute zu viel Zeit hätten und nichts Wichtigeres zu tun, als mit dem Handy mit ihren chéris zu sprechen. Dioma geht nicht auf diesen Kommentar ein, sie schaut nur weiter auf ihr Handy.

In dieser Beobachtung geht es darum, wie und in welchem Ausmaß sich junge Menschen miteinander über Mobiltelefone verbinden. Die ältere verheiratete Frau kritisierte mit ihrer Bemerkung die junge unverheiratete Nachbarin für ihre zeitintensive Kommunikation und unterstellte ihr, dass sie mit ihren ‚Liebhabern‘ sprach. Die jüngere Dioma hingegen betonte die Bedeutung von Freundinnen und stellte Facebook als eine Möglichkeit dar, mit dieser Gruppe von Personen Zeit zu verbringen, ohne physisch am gleichen Ort zu sein. Ihr spezifisches Facebookverhalten zeigt den Druck innerhalb dieser Gemeinschaft, zeitnah auf Posts zu reagieren. Die Bilder schienen für Diomas Aktivitäten nicht besonders relevant zu sein. Als ich mich später mit Dioma auf Facebook ‚anfreundete‘, konnte ich rückblickend auf dem öffentlichen Teil ihrer Timeline sehen, dass sie an diesem Abend vor allem Fotografien und Posts ihrer Geschwister und einige wenige von benachbarten Freundinnen kommentiert und geliked hatte. Auf ihrer Timeline waren

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zudem zahlreiche Collagen mit Bildern von sich und ihren Geschwistern eingestellt. Viele junge Frauen und Männer in Dakar nutzen Facebook auf ihren Mobiltelefonen, um sich einen Freiraum für Kommunikation und Verbindung mit Gleichaltrigen zu erschließen (Miller u.a. 2016:68 ff.). Damit grenzen sie sich von einer älteren Generation ab, die nicht auf Facebook aktiv ist (vgl. Leistert und Röhle 2011a). Obwohl in der Literatur zu sozialen Medien immer wieder darauf verwiesen wird, dass die Plattform unterschiedliche, auch transnationale Beziehungsformen ermöglicht (z.B. Costa 2016; McKay 2010) und insbesondere Freundschaften eine stärkere Rolle spielen (Lambert 2013; Chambers 2013, vgl. auch Kapitel 7), wird dabei kaum auf die horizontale Beziehung der Geschwisterbeziehungen oder die spezifische Medialität von Porträtfotografien eingegangen (vgl. zur mobilen Handyfotografie jedoch Uimonen 2016). Die porträtfotografischen Praktiken zwischen Geschwistern auf Facebook möchte ich am Beispiel von Bara verdeutlichen. Bara habe ich in der Nachbarschaft der Cité Avion kennengelernt. Wie andere junge Frauen und Männer nutzt die 18-jährige Bara Facebook täglich und postet häufig besonders eindrückliche Kommentare und Bildmontagen zu ihren Geschwistern (vgl. Abbildung 23).15 Bara lebt mit fünf Geschwistern, ihrer Mutter, der kinderlosen Zweitfrau (co-épouse) und zwei Cousinen im Haus ihres Vaters. Die neu gestrichene Fassade des Hauses und ihr Smartphone zeigen, dass sie aus einem für das Viertel relativ wohlhabenden Haushalt stammt. Ihr Vater ist Imam in einer größeren Moschee und Anhänger der Tidjianyya. Bei einem unserer Gespräche im Haus ihres Vaters erläuterte mir Bara, warum sie Facebook nutzt: „Facebook ist cool! [betont, kurze Pause]. Nun, zunächst liebe ich Facebook, weil einige meiner Brüder und Schwestern im Ausland sind. Ich rede häufig mit ihnen über Facebook. Aber hier sind auch meine Freunde. Und manchmal nutze ich Facebook, um meinen Geschwistern Fotos zu zeigen.“ (13.02.2012)

In diesem kurzen Zitat nennt Bara drei Gründe für die Nutzung Facebooks: Es ist cool, sie kann mit Gleichaltrigen kommunizieren und vor allem mit 15

Obwohl Bara aus einem relativ wohlhabenden Wolofhaushalt stammt, sind ihre Faebookpraktiken mit anderen Jugendlichen des Viertels vergleichbar. Mit einem Prepaidtarif des Mobilfunkanbieters Orange nutzt sie das kostenlose und textbasierte mobile Facebookangebot auf ihrem Smartphone (vgl. Kapitel 3.2.2).



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ihren abwesenden Geschwistern in Kontakt bleiben. In Dakar hat ‚cool‘ in Anlehnung an eine globale Jugendkultur vielfältige positive Bedeutungen (vgl. Prothmann 2017).16 Als wichtigsten Grund für die Nutzung Facebooks nennt Bara den Kontakt zu ihren im Ausland lebenden Geschwistern. Wegen ihrer Schwester, die seit 2004 in Frankreich lebt, und ihres Bruders, der seit 2011 für sein Studium in Marokko ist, ließ sie sich ein Facebookkonto in einem Cyber-Café einrichten. Vor allem über Fotografien und private Chats kommuniziert sie mit ihren abwesenden Geschwistern, wobei Bara das schriftliche Gespräch als ‚Reden‘ bezeichnet und so einem mündlichen Gespräch gleichstellt. Während meiner Forschung telefonierte Bara selten mit ihren Geschwistern per Skype. Insbesondere die Beziehung zu ihrem Bruder in Marokko nutzte Bara, um sich auf Facebook als verheiratete Frau darzustellen. Sie stellte ihren Beziehungsstatus für alle sichtbar auf „in einer Beziehung mit Yankoba“ ein, postete auf ihrer Timeline „enfin je suis marriée“ (endlich bin ich verheiratet) und stellte als Profilbild und Hintergrund das Bild ihres Bruders ein. Sie erhielt auf diese Einstellungen nicht nur zahlreiche likes und Kommentare, mit jeder ihrer eigenen Aktionen erschien in ihrem Profilbild auch das Bild ihres Bruders. Als ich sie in einem unserer Gespräche auf meine Beobachtungen ansprach, lachte Bara und meinte: „Nein, auf Facebook habe ich keinen Freund [im Sinne einer Liebesbeziehung]. Das sind alles Freunde. Ich habe eingestellt, dass ich in einer Beziehung mit Yankoba bin, aber das ist Yankoba, das ist mein Bruder. Wir haben die gleiche Mutter und den gleichen Vater. Das habe ich nur gemacht, um einen Scherz zu machen, damit die Leute darüber sprechen. Das ist es [Lachen].“ (13.02.2012)

Bara eignete sich die dynamische Architektur Facebooks an, um sich selbst in Verbindung zu ihrem Bruder als seine Freundin und Ehefrau zu positionieren. Die Flexibilität und Nähe der Beziehung zu ihrem Bruder, aber auch seine Abwesenheit erlaubten es ihr, mit unterschiedlichen Beziehungsformaten zu spielen. Er diente als Projektionsfläche, um ihre romantischen 16

Beispielsweise wird die Charaktereigenschaft ‚kühl‘ positiv damit verbunden, keine Emotion zu zeigen, oder der Ausdruck „sama xol dafa sedd“, wörtlich ‚mein Herz ist kalt‘, wird mit ‚ich bin glücklich/erfreut‘ übersetzt. ‚Cool‘ kann jedoch auch auf die positiv konnotierte Bedeutung der „kalten Emotion“ oder „Ästhetik des Kalten“ im Kontext Senegals bezogen werden (Neveu Kringelbach 2007; Thompson 1973).

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Vorstellungen auszudrücken und zugleich dem Ideal der verheirateten, ‚erfolgreichen‘ Frau in der intimen Öffentlichkeit Facebooks zu entsprechen. In unseren Gesprächen klärte sie, dass sie keine romantischen Beziehungen auf Facebook hatte. Das spielerische Experimentieren mit der Beziehung zu ihrem abwesenden Bruder ersetzte Bara mit der Zeit durch direkte Liebesbekundungen an ihre Geschwister. Sie postete vor allem mit dem Mobiltelefon erstellte Collagen aus Porträtfotos von sich und ihren Brüdern. Ihre Schwestern kamen hingegen nur selten in den Bildern und Posts vor.

Abbildung 23: Screenshot der Montage auf Baras Timeline

In einer besonders ‚erfolgreichen‘ Collage (Abbildung 23) mit vielen likes und Kommentaren hatte Bara vier Einzelbilder zusammengestellt, zwei Porträts ihrer Brüder, eins von sich selbst mit Issa Rohu Laye17 im Hintergrund und ein Bild aus ihrem Mobiltelefon mit hintereinanderliegenden roten Herzen. Die leuchtend roten Herzen in der linken unteren Bildhälfte, die auf globale Klischees romantischer Liebe und nahe soziale Beziehungen verweisen, bestimmen den Eindruck des Bildes. Die Halbporträts ihrer Brüder in den rechten unteren und linken oberen Bildquadranten stellen sie in typischen Posen unverheirateter junger Männer dar. Das professionelle Bild des jüngeren Bruders in weißem Kaftan vor der idyllischen Kulisse des nahen Strandes, das der französische Fotograf Patrick Triplet bereits 2012 17

Seydina Issa Rohu Laye (1876–1946) war der älteste Sohn und Nachfolger des Begründers der Layene-tarīqa, Seydina Mouhammadou Limamou Laye (1844– 1909).



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bei einer Senegalreise aufgenommen hatte, dominiert allein schon durch die Größe die Collage. Das Porträt des anderen Bruders wurde während einer seiner Besuche aus Marokko mit dem Mobiltelefon aufgenommen. Baras quadratisch zugeschnittenes Porträt war ein älteres Selfie aus einer Serie von Porträts, die sie im Haus ihres Vaters aufgenommen hatte, kurz bevor sie zu einer Hochzeit ging. In der diagonalen Anordnung bezog sie im Hintergrund das Porträt Issa Rohu Layes, ihres „spirituellen Führers“, wie sie ihn nannte, in die Collage mit ein. Bara positioniert sich mit diesem Foto als einzige in ihrer Familie als Anhängerin der Layene18 und stellt einen Bezug zu den bereits erwähnten religiösen Bildpraktiken her, die insbesondere für muridische religiöse Bilder intensiv erforscht wurden (vgl. Roberts und Nooter Roberts 2003:73ff). Die von einigen Autor*innen postulierte zunehmende Sichtbarkeit von Religion in der Öffentlichkeit im urbanen Senegal (vgl. Augis 2012; Diouf 2013) gewinnt auch für Facebook an Relevanz. Hier sind es allerdings normalerweise nicht ledige jüngere, sondern vor allem verheiratete Frauen, die beispielsweise Porträts mit Foulard von sich einstellen oder religiöse Sprüche, Bilder und Koranzitate posten. Bara postete ihre Bildmontage mit einem langen persönlichen Kommentar, in dem sie ihre besondere Beziehung gegenseitiger Sorge beschreibt: „Ich werde immer für Euch da sein, und Euch nach einem Sturz wieder aufhelfen“ und „ich erwarte nichts von Euch dafür zurück“. Die Emotionalität der Sprache knüpft an den Pathos der Bilder der Montage an. Außerdem kommen hier Aspekte des Teilens und der geteilten Erfahrung in sozialen Beziehungen zur Sprache, die im vorausgehenden Kapitel behandelt wurden. Durch das Wolofsprichwort „mbok bo guiss amneu kharit“ (Der, mit dem Du etwas teilst, ist auch Dein Freund) verdeutlicht Bara, dass durch das gemeinsame Teilen auch Freundschaft ein wichtiges Element von Geschwisterbeziehungen sein kann (vgl. Kapitel 7). Durch tags und die Nennung der Namen ihrer anderen Geschwister im Kommentar lud Bara sie dazu ein, auf das Bild und ihren Kommentar zu 18

Als kleinste tarīqa des Senegals zeichnet sich die Sufi-tarīqa der Layene durch den Glauben an die Wiedergeburt des Propheten Mohammeds in Person des Gründers Seydina Mouhammadou Limamou Laye aus. Zudem wird sein Sohn Seydina Issa Rohou Laye als Reinkarnation Jesu betrachtet (vgl. Ross 2013). Anhänger sind vor allem die in Dakar und der Umgebung angestammten Lebu. Die messianische und millenarische Doktrin der Layene beinhaltet eine Betonung des dhikrs und die Ablehnung von Musik auf Feierlichkeiten wie Hochzeiten. Es ist nicht außergewöhnlich, dass innerhalb einer Familie unterschiedlichen turuq gefolgt und Glaube auf verschiedene Weise praktiziert wird.

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reagieren. Die Collage und ihr Kommentar erschienen dadurch im Newsfeed der Geschwister. Humorvoll kommentierten die Brüder die Collage ihrer Schwester und konkurrierten um ihre Nähe. Beispielsweise beschwerte sich der jüngere Bruder darüber, dass sein Bild weniger schön und nicht so nah an Bara wäre. Die beiden älteren Schwestern enthielten sich entgegen ihrer sonstigen Gewohnheiten eines Kommentars oder likes. Diese Leerstelle, also nicht auf die Einladung eines tags zu reagieren, lässt sich auf Facebook dazu nutzen, um Ablehnung und Distanzierung deutlich zu machen (vgl. zu un/ sichtbaren Medienpraktiken Pfeifer 2017). Zusammenfassend wird an Baras Beispiel deutlich, dass sie Facebook zunächst aufgrund ihrer Geschwister im Ausland nutzte und sich die flexible Geschwisterbeziehung spielerisch zu romantischen Beziehungen, als verheiratete, sozial erfolgreiche Frau zu eigen machte. Dabei diente ihr insbesondere der Beziehungsstatus zu ihren Brüdern, um sich abwechselnd als ‚moderne‘ unverheiratete oder respektable verheiratete junge Frau darzustellen. Die Beziehung zu ihren Schwestern stellte Bara weniger visuell in der öffentlichen Timeline aus als vielmehr in Kommentaren. Im Gegensatz zu Fatou, wo es sich um eine klassifikatorische Geschwisterbeziehung handelt, geht es bei Bara um deskriptive Geschwisterbezeichnungen. Die Flexibilität der Beziehung wird jedoch in beiden Beispielen in den porträtfotografischen Praktiken deutlich, wenn beispielsweise Alter, Geschlecht oder auch Anwesenheit eine Rolle für die Ausgestaltung der Beziehung spielt. Die Fotos in Baras Posts sind viel stärker von Amateurpraktiken mit der Kamera des Mobiltelefons geprägt als beispielsweise Fatous an Studiofotografien angelehnte Porträts. Durch die teilweise schlechte Bildqualität, die Bildausschnitte und die Collage verändern sich die kontrollierten Posen, Gesten und Gesichtszüge. Andere Ausschnitte des Alltags finden sich in den Bildern und auf der Plattform Facebook wieder. Ereignisse und Beziehungen, die vorher nicht so stark betont wurden, drängen sich nun in den Vordergrund. Dadurch lassen sich nicht nur eine größere Anzahl von Fotos von sich selbst erstellen, sondern auch Geschehnisse dokumentieren, bei denen kein Fotograf anwesend war (vgl. Larsen und Sandbye 2013). Diese Schnappschusspraktiken ersetzen aber keineswegs herkömmliche Studio- und Porträtfotografie; vielmehr ergänzen sich diese Genres und beeinflussen einander.



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6.2.3 Von Geschwistern zur Kleinfamilie – Facebook und die Gestaltung der ‚respektablen‘ Frau Baras ältere und verheiratete Schwester Khady wurde bereits in Kapitel 2.4 während einer Fotosession mit Fatou und insbesondere in Kapitel 5.3.2 im Zusammenhang ihrer transnationalen Heirat vorgestellt. Khady hatte einen eigenen Laptop zur Verfügung, den ihr ein Freund ihres Mannes in Italien geschenkt hatte. Im Haus gab es eine Internetverbindung, die ihre Geschwister im Ausland bezahlten. Khady war wie Bara sehr aktiv auf Facebook, sie lud zahlreiche Porträtfotografien hoch, die sie mit ihrem Mobiltelefon erstellte. Die Bilder und Ereignisse, die sie postete, unterschieden sich in vieler Hinsicht von denen Baras. Khady allerdings bevorzugt Bilder von sich bei Feierlichkeiten wie Hochzeiten, Tauffeiern oder religiösen Festen wie Tabaski19. Vor allem ihre ältere Schwester in Frankreich likete fast jedes einzelne Bild und alle Alben, die Khady bei Facebook hochlud, womit sie ihre Verbundenheit ausdrückte. An Khadys Kleidung kann man in den Porträtfotografien deutlich ihren sozialen Status als verheiratete Frau ablesen. Im Unterschied zu ihrer Schwester Bara trägt sie häufig einteilige Boubous. Vor allem bei Besuchen von Festen und Feierlichkeiten bittet sie andere, Porträts zu erstellen oder fotografiert selbst, um die Aufnahmen dann auch auf Facebook einzustellen. Hier möchte ich auf die Fotografien der bereits in Kapitel 2.4 beschriebenen Fotosession zurückkommen (Abbildung 5). Das Bild zeigt Khady, als sie auf Fatou wartet, um gemeinsam zu einer Hochzeit zu gehen. In einem späteren Gespräch kamen wir erneut auf diese Situation zu sprechen. Feldforschungsszene vom 02.04.2011, Dakar: Khady zeigt mir das Fotoalbum der Taufe ihrer Tochter Awa. Sie deutet auf eines der Bilder und meint: „Siehst Du, das ist das Kleid, das ich auch bei der Hochzeit [Aïssatous] anhatte.“ Sie führt aus, dass sie es für die Taufe hatte anfertigen lassen und seitdem nicht wieder getragen hatte. Als Fatou sie gefragt hatte, ob sie mit auf die Hochzeit von Aïssatou käme, hat sie daran gedacht und dieses ausgewählt [...]. Am Ende unseres Gesprächs gebe ich Khady meinen USB-Stick, damit sie sich die Fotos, die wir bei Aïssatous Hochzeit erstellt hatten, auf den Laptop laden kann. Sie legt den USB-Stick auf ein kleines Nachtischschränkchen neben ihrem Bett, auf dem viele Kosmetika in unterschiedlichen Größen und Formen stehen. Als Khady meinen 19

Zur Bedeutung der neuen Kleidung während der Feiern zu Tabaski (Aid el-kebir, Opferfest) vgl. Brisebarre und Kuczynski 2009:133 ff.

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Abbildung 24: Porträt Khadys vor dem Besuch von Aïssatous Hochzeit

Blick bemerkt, meint sie zu mir, dass sie sie eigentlich hatte verkaufen wollen. Doch da sie keine gute Händlerin sei, benutze sie die Cremes jetzt selbst. Auf den meisten Tuben und Dosen kann ich das Wort „éclaircissante“ lesen – zur Aufhellung der Haut.

Khady lud nur ein einziges der über 30 Fotos unserer Fotosession auf ihren Facebookaccount. In einer Mischung aus Wolof und Französisch sowie einzelnen englischen Wörtern aus der Jugendsprache mit einer sehr eigenen Schriftlichkeit kommentierten Freunde, Familienmitglieder und sonstige Facebookfreunde das Bild mit: „sehr schön“, „ich liebe Dich, weil Du Titi dem Star ähnlich siehst“ [Titi ist eine berühmte senegalesische Pop-Sängerin, S.P.], „Du bist eine wahre Pene.“20 Die Kommentare und likes wurden auf Facebook zu einem Teil des Bildes und machen die sozialen Beziehungen für andere sichtbar. Als Teil von Facebook schaffen diese Text-Bild-Kombinationen soziale Formationen mit 20

Pene ist Khadys Nachname.



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einer spezifischen ‚Freundschafts‘-Öffentlichkeit (Hirschkind, de Abreu und Caduff 2017). Die Erfahrung der relationalen digitalen Bilder ist eine verbesserte und verschönerte Version des Selbst innerhalb von sozialen Beziehungen, die allerdings auch ohne Kontrolle der Abgebildeten digital zirkulieren kann (vgl. Larsen und Sandbye 2013).

Abbildung 25: Screenshot: Kommentare auf Khadys Porträt

Als ich in einer anderen Situation persönlich mit einer Nachbarin Khadys über das gleiche Bild sprach, merkte diese an: „Khady ist sehr schön auf diesem Bild – sie ist aber auch verwöhnt (gâtée) und faul (paresseuse). Zu jedem Anlass hat sie ein neues wunderschönes Kleid (boubou). Ach nein, das Kleid ist nicht neu, das hat sie schon zuvor auf der Taufe ihrer Tochter Awa angehabt [...]. Vielleicht kann ihr Mann in letzter Zeit nicht mehr so gut für sie sorgen.“ (Binta 01.02.2012)

Der private Offlinekommentar der befreundeten Nachbarin war kritisch, sie bewertete das Bild, die Kleidung und das Outfit nach Schönheit und Neuheit. Die Nachbarin hatte aufmerksam beobachtet, ob und zu welcher Gelegenheit Khady das Kleid bereits getragen hatte und stellte dies in den Zusammenhang mit Khadys Tugenden sowie dazu, wie gut ihr Mann für sie materiell sorgte. Nach diesen Beobachtungen bewertete sie Khadys sozialen Erfolg und Status als verheiratete Frau. Bestimmte Attribute einer respektablen Frau der höheren Schicht wie faul (paresseuse) oder verwöhnt (gâtée) werden normalerweise eher positiv gesehen und in Verbindung damit gebracht, wie gut ein Mann für seine Frau sorgt und seine Obligationen erfüllt (vgl. Buggenhagen 2012b).

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Häufig wird in der Literatur auf eine Unterscheidung zwischen dem ‚guten Charakter‘ einer Person, der sich von der Familie ableitet (vgl. hier Irvine 1973), und den moralischen Qualitäten einer Person, die aus Selbstdisziplin und individuellen Fähigkeiten erwächst, verwiesen (Sylla 1994:101ff). Gerade in Bildern soll dies besonders deutlich hervortreten (Buckley 2000).21 Diese Unterscheidung konnte ich jedoch im Gespräch mit Binta, Khady und anderen jungen Frauen in Dakar und Berlin in Bezug auf Porträtfotos auf Facebook nicht beobachten. Vielmehr wurden die Eigenschaften von Personen durch die porträtfotografischen Praktiken hervorgehoben und in Verbindung zu den familiären Attributen gesetzt. Damit wurde gleichzeitig der relationale Charakter dieser Bilder und der Personen betont und diese eben nicht nur als Individuen dargestellt. Wie bereits in Kapitel 2.4 angesprochen und in der Feldforschungsnotiz angedeutet wird, stellt ein Element der Schönheit Khadys ihre helle Haut dar. Im Gegensatz zu ihrer Schwester Bara nutzt Khady diverse Cremes, um die Haut ihres Körpers aufzuhellen (xeesal). Um den gewünschten Effekt zu erzielen, muss die Creme diszipliniert jeden Tag aufgetragen und wahrscheinlich Schädigung der Haut in Kauf genommen werden. Je nach sozialem Status und finanziellen Möglichkeiten sind Praktiken der Hautaufhellung seit den 1960er Jahren in Dakar verbreitet (Neveu Kringelbach 2013:87). Hellere Haut gilt als Schönheitsideal. An der Haut zu arbeiten, um eine hellere und gleichmäßige Haut zu erzielen, deutet auch auf die übertragene Bedeutung von Haut im Sinne der Beherrschung der äußeren Erscheinung hin, die schwerer zu manipulieren ist als beispielsweise Kleidung (Meyer 2011b:111). Die ‚reine‘ Haut steht hier für die Vollendung der Person und wird nicht als etwas Oberflächliches angesehen, das durchdrungen werden muss, um zum ‚wahren‘ Kern der Person vorzudringen. Allerdings wird die Praktik der Aufhellung der Haut von einigen jungen Frauen aufgrund der gesundheitsschädlichen Nebenwirkungen aber auch als Kritik an den moralischen Ansprüchen an eine ‚respektable‘ Frau zunehmend kritisch gesehen.22 Die Nutzung des Blitzes in Porträtfotografien und 21

22

In Liam Buckleys (2000:71) Studie zur Studiofotografie in Gambia erwähnen seine Gesprächspartner*innen, dass der Charakter (jikko) einer Person zuletzt während der Zeit der Unabhängigkeit 1965 in einer Porträtfotografie festgehalten wurde.

Einige junge Frauen verwiesen mir gegenüber auf die gesundheitlichen Gefahren oder betonten religiös-moralische Motive, warum sie gegen die Aufhellungscremes waren. Auch in universitären Kreisen begegnete mir eine ablehnende



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die Nachbearbeitung im Fotolabor in Form von digitaler Aufhellung setzen diese Praktiken fort. Wie andere junge Frauen gestaltete Khady ihr Facebookprofil je nach aktueller Lebenssituation auf sehr unterschiedliche Weise. Während einer kurzen Anstellung in einem Internetcafé ersetzte sie die Porträts von Feierlichkeiten wie Taufen und Hochzeiten durch Porträts in westlicher Kleidung an ihrem Arbeitsplatz. Erst mit der Heirat ihres ältesten Bruders ein Jahr später wichen diese Bilder Familienporträts mit ihrem Mann und ihren Kindern. Die Änderungen verweisen einerseits auf Spannungen zwischen ihrem Ehemann und ihres nun verheirateten ältesten Bruders, andererseits auf ein Konkurrenzverhältnis mit ihrer Schwester Bara um die Gunst der Ehefrau des ältesten Bruders. Insbesondere die zahlreichen Fotografien mit ihrem Mann und ihren Kindern stellten ein Bild der Kleinfamilie dar, das nur in Teilen mit der Lebensrealität im Haushalt des Vaters übereinstimmte. Sie wünschte sich, wie sie mir immer wieder mitteilte, mit ihrem Mann und ihren Kindern in ein Appartement in einer wohlhabenderen und repräsentativeren Gegend zu ziehen, um ihren eigenen Haushalt zu gründen und unabhängiger von der erweiterten Familie zu sein. Auch wenn die Erfüllung dieses Wunsches zu diesem Zeitpunkt in weiter Ferne schien, wirkte er doch auf die Gegenwart und ihren derzeitigen Status, insofern er sie als modern orientierte Frau darstellte, die gleichzeitig auf ihr Ansehen und ihre Anbindung an ‚traditionelle‘ Werte achtete. Im Gegensatz zu ihrer unverheirateten Schwester Bara stellte Khady die Kleinfamilie und nicht die Beziehungen zu ihren Geschwistern in den Vordergrund der Facebookbilder, obwohl diese für sie im Alltag von großer Relevanz waren. Beide Schwestern posteten auf Facebook nur selten Bilder, auf denen sie gemeinsam zu sehen waren. Es zeigte sich, dass mit jeder Statusveränderung von Geschwistern die Beziehungen zu ihnen neu bewertet und gestaltet werden und dieser Prozess von Solidarität wie von Konkurrenz geprägt ist (vgl. Neveu Kringelbach 2013:87). Durch die Porträtfotografien und Facebook gestalteten die Schwestern sehr unterschiedliche soziale und mediale Räume, in denen sie sich als verheiratete und unverheiratete junge Frauen innerhalb ihrer sozialen Beziehungen positionierten. Die Gestaltung des Körpers, Kleidung und Pose formen sie als „gendered persons“ (Neveu Kringelbach 2013, insbesondere Kapitel 3); in Facebook läuft diese GestalHaltung gegenüber der Aufhellung der Haut, hier meist jedoch auch in Ablehnung der sozialen Herkunft der Frauen, die Praktiken des xeesal betrieben.

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tung – anders als beispielsweise im sozialen Raum des Hauses – weitgehend ohne die Präsenz älterer Familienmitglieder ab. Obwohl das Experimentierfeld zum spielerischen Ausprobieren einlädt, zeigen die Beispiele auch, wie das Sichdarstellen und Kommunizieren an die Konventionen anderer sozialer Räume anschließen.

6.3 Translokale Veränderungen – ungleiche Beziehungen Feldforschungsszene vom 02.01.2012, Dakar: Awa ist nun schon seit einer Woche aus Berlin in Dakar zu Besuch. Wir wohnen im gleichen Haus, aber ich bekomme sie selten zu sehen, da sie meist den ganzen Tag unterwegs ist, um ihren Familienmitgliedern Besuche abzustatten. Als sie heute Abend kurz an meine Tür klopft und sich etwas ausleihen will, merke ich beiläufig an, dass sie ja ganz schön eingebunden sei. Darauf erwidert sie: „Ich mache das immer so. Am Anfang besuche ich alle und kümmere mich um alles, verteile die Geschenke und gebe Geld. Gerade musste ich mit der Frau meines Cousins ins Krankenhaus, sie ist krank und die haben kein Geld dafür. Es ist schlimm, dass sie alle hier nichts haben und sich nicht kümmern. Danach kann ich dann meine eigenen Sachen machen.“ Als ich sie daraufhin frage, ob sie auch schon bei ihrer [klassifikatorischen] Schwester Fatou war, winkt sie nur ab und meint: „Ach Fatou, die ist verheiratet, die will mich nicht mehr sehen. Die hat jetzt andere Sachen zu tun.“ Über diesen Ausspruch bin ich sehr erstaunt, denn in Berlin hatte mir Awa die Beziehung zu Fatou ganz anders beschrieben. Damals meinte sie: „Sie ist meine Schwester, sie wird sich um Dich kümmern, Du kannst ihr vertrauen!“

Awa, die bereits als klassifikatorische Schwester Fatous am Anfang des Unterkapitels 6.2.1 kurz vorgestellt wurde, versucht mindestens einmal im Jahr nach Senegal zu reisen, um ihre Familie und Freunde zu besuchen und ein wenig Handel zu betreiben. Auf der Reise nach Dakar sind ihre Koffer voll mit Geschenken für die erweiterte Familie und zahlreiche Freund*innen. Auf dem Rückweg sind ihre Taschen mit handgeschneiderten vorbestellten Kleidern, lokalen Speisen und Haarteilen gefüllt, mit denen sie sich durch Friseurarbeiten in Berlin ein wenig Geld hinzuverdient. Awa konnte nach einer langwierigen Einreiseprozedur 2006 zu ihrem Mann nach Berlin ziehen und hat mittlerweile zwei Kinder. In der oben beschriebenen Feldforschungsszene kommen zum einen ihre Strategien zum Ausdruck, mit den



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hohen Erwartungen der Familienmitglieder und Freund*innen bei Besuchen umzugehen. Zum anderen wird deutlich, dass sich nach der Heirat Fatous im Dezember 2011 ihre Beziehung wesentlich veränderte. Wie in Kapitel 2.2.1 beschrieben, war die Beziehung der beiden klassifikatorischen Schwestern auch nach Awas Umzug nach Berlin zunächst sehr eng und von gegenseitiger Unterstützung und Sorge geprägt. Bereits vor der Heirat äußerte Fatou mir gegenüber ihre Enttäuschung darüber, dass Awa ihr noch immer keine Reise nach Berlin ermöglicht hatte. Bereits hier deutete sich ein Konflikt zwischen den beiden Schwestern an. Awa machte in den Gesprächen wiederum Fatous Heirat und ihre neue Rolle in der Familie des Mannes für die veränderte Beziehung zu ihrer Schwester verantwortlich. Auch in den porträtfotografischen Praktiken auf Facebook bildet sich dieser Konflikt ab, die Betrachtung von Awas Facebookpraktiken verdeutlicht die Dynamiken von Erwartungen, Enttäuschungen und Kontrolle in Geschwisterbeziehungen. Feldforschungsszene vom 11.09.2012, Berlin Neukölln: Zufällig treffe ich Awa in einem von vielen Senegales*innen besuchten afrikanischen Imbiss und Laden. Sie meint, sie kauft manchmal dort ein, da sie dann besser kochen könne. Da ich gesehen hatte, dass sie ein Bild von einem ceebu thën [Reis mit Fisch, senegalesisches Nationalgericht] auf Facebook gepostet hatte, spreche ich sie darauf an. Lachend erklärt sie mir, dass sie lieber solche Fotos zeige, als Fotos von sich. Auf meine Nachfrage meint sie, dass au pays23 immer alle so schnell über sie reden würden. Einmal habe sie ein Bild mit einer Cousine, die sie aus Italien in Berlin besuchte, eingestellt und daraufhin hätten sie viele aus Senegal angerufen und sie nach Sachen gefragt und auch Geld haben wollen. Deshalb würde sie nun genau aussuchen, welche Fotos sie zeigen würde. Was genau auf dem Bild mit ihrer Cousine zu sehen war, kann ich nicht mehr fragen, da sie eine andere Kundin begrüßt und sich sofort mit ihr in ein Gespräch vertieft.

Wie andere Senegalesinnen in Berlin kontrolliert Awa genau, was sie auf Facebook von sich und ihrem Leben in Berlin preisgibt. Sie entzieht sich damit einerseits den Erwartungen und finanziellen Forderungen ihrer Familienmitglieder und Freund*innen. Andererseits versucht sie dadurch zu vermeiden, dass in Senegal über sie gesprochen wird und Gerüchte verbreitet werden. Gleichzeitig drückt sie durch das Posten von typisch senegalesi23

Viele Senegales*innen in Berlin bezeichnen ihren spezifischen Herkunftsort oder Senegal im Allgemeinen als au pays [in der Heimat], ohne weiter zu differenzieren.

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schen Gerichten ihre Sehnsucht und Verbundenheit mit dem Land und ihrer Familie aus. Obwohl Awa häufig auf Facebook aktiv ist und beispielsweise auf tags oder ihrer Namensnennung wie auf eine Aufforderung meist mit zahlreichen likes reagiert (vgl. Kapitel 5 und 6.2.2), bleibt Awas Verhältnis zu Facebook ambivalent. Das wird auch in einem Gespräch im Jahr zuvor deutlich: „Ich bin vor allem bei Skype [...]. Aber bei Facebook habe ich alles komplett gesperrt. Ich sage Dir wirklich die Wahrheit, ich glaube, es gibt da einige sehr gute Aktivitäten und solche Aktivitäten, mit denen Du Deine Zeit verlierst. Ich kann mir nicht vorstellen dort zu bleiben, um mit jemandem über etwas zu sprechen, das überhaupt nicht wichtig ist. Ich habe so viel zu tun, und ich möchte nicht, dass jemand denkt, dass ich ihnen nicht antworten möchte. Ich denke, wenn ich überhaupt nicht da bin, dann verstehen sie wenigstens besser, warum ich nicht antworte. Denn ich habe immer sehr viel zu tun. Und wie Du weißt, improvisieren die Leute bei mir immer, sie verwickeln Dich in etwas, aber Du kannst sie nur verjagen, wenn es nötig ist.“ (Awa 07.08.2011)

Awa hatte ihren Facebookaccount über ein Jahr lang deaktiviert, da sie den häufigen Anfragen, finanziellen Forderungen und Erwartungen, die dort an sie gestellt wurden, nicht auf eine höfliche und die sozialen Beziehungen erhaltende Art begegnen konnte. Auch in Telefongesprächen entwickelte sie Strategien der Vermeidung, wie bei meinem Besuch in ihrer Wohnung deutlich wurde. Das Aufnahmegerät war bereits ausgeschaltet, als wir uns noch etwas unterhielten. Dabei klingelte Awas Mobiltelefon mehrmals. Sie nahm es in die Hand, schaute auf das Display und legte es wieder beiseite, ohne den Anruf anzunehmen. Nach dem zweiten Klingeln entschuldigte sie sich bei mir und meinte, dass sie genau wüsste, was die Anruferin wolle. Sie meinte, sie wolle sich nicht mehr ständig mit den vielen tragischen Geschichten von Armut, Leid und Tod oder den amourösen Verstrickungen ihrer Freund*innen und Verwandten auseinandersetzten. Wie andere Senegales*innen in Berlin entwickelte Awa auf Facebook und mit dem Mobiltelefon Kommunikationsstrategien des Ausweichens und Verweigerns, um sich den Anforderungen von Familie und Freund*innen zu entziehen. In Bezug auf ihre Schwester Fatou in Dakar steigerte sich diese Verweigerung zu einem kompletten Abbruch des Kontakts. Sie ging nicht mehr ans Telefon, wenn Fatou anrief, und besuchte sie bei ihrem Aufenthalt in Dakar nicht. Als ich sie auf den Konflikt mit ihrer Schwester ansprach, meinte sie, dass sie sich immer um Fatou gekümmert habe, ihre Ausbildung



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finanziert und für ihren Lebensunterhalt gesorgt habe. Da Awa es aber nicht geschafft habe, Fatou nach Deutschland einzuladen, habe Fatou Awas andere Unterstützungen vergessen. Die gegenseitige Verletztheit der beiden Schwestern Awa und Fatou zeigt sich in zahlreichen moralischen Vorwürfen, die sie mir gegenüber äußern. Auch in Bewertungen von Porträtfotografien treten die unterschwelligen Vorhaltungen zu Tage. Als ich mit Fatou etwa ein Jahr nach ihrer Hochzeit vor dem Computer sitze und auf Facebook Bilder mit ihr anschaue, meint sie zu mir in Bezug auf ein älteres Bild ihrer Schwester Awa: „Der Afro, das sind nicht ihre echten Haare. Awa hat gar nicht so viele Haare, sie hat ganz dünne und wenige Haare“ (05.02.2013). Auf dem Foto ist Awa mit Afro in westlicher Kleidung in einer Straße in Berlin-Kreuzberg zu sehen. Zunächst war diese Bemerkung für mich unverständlich, in weiteren Gesprächen wurde jedoch deutlich, dass mit der Kritik an Awas Äußerem, und insbesondere ihrer Haare, Fatou die Person selbst und ihre moralischen Eigenschaften in Frage stellte (vgl. Kapitel 6.2.2). Die beiden jungen Frauen tragen ihren Konflikt nicht offen aus; vielmehr sprechen sie mir gegenüber über das unmoralische Verhalten der anderen, wie uneheliche Kinder, Untreue, unzureichende Sorge um nahestehende Verwandte oder Egoismus. Obwohl Klatsch einerseits die Zugehörigkeit zu einer transnationalen Gemeinschaft aufrechterhält und andererseits als soziale Kontrolle fungiert (Drotbohm 2010b), geht der Konflikt zwischen den Schwestern Fatou und Awa über die Funktion von Klatsch hinaus. Der Fokus auf Facebookpraktiken verdeutlicht, dass die Erreichbarkeit und vor allem die Sichtbarkeit in Facebook die gegenseitigen Erwartungen verstärken. Ähnlich wie in anderen migrantischen Kontexten (z.B. Cole 2014; Newell 2005) sind auch die senegalesischen transnationalen Beziehungen von hohem sozialen Druck und viel Kontrolle bestimmt, was die Akteure zu Täuschungen in Bezug auf ihren Alltag in Berlin zwingt. Bei Beziehungen zwischen transnationalen Schwestern handelt es sich um lebenslange Beziehungen, in denen mit geografischen und sozialen Veränderungen umgegangen werden muss und Konflikte häufig nicht offen ausgetragen werden. Konflikte spiegeln sich nicht nur in den porträtfotografischen Praktiken auf Facebook, sondern werden auch durch sie ausgetragen.

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6.4 Liebhaber, Freund*in, Bruder und Schwester? Ein Fazit zu porträtfotografischen Vermittlungen in Geschwisterbeziehungen Dieses Kapitel verweist darauf, dass transnationale senegalesische Geschwister, die an unterschiedlichen Orten leben, ihre Beziehungen über Porträtfotografien und Facebook aufrechterhalten und sich so emotional miteinander verbinden. Insbesondere die Abwesenheit einer älteren Generation auf Facebook eröffnet einen Freiraum für diese Form der Beziehung, die allerdings immer in ein Geflecht von verwandtschaftlichen und freundschaftlichen Beziehungen eingebettet bleibt. Die Darstellung der Rollen von Geschwisterbeziehungen in porträtfotografischen Praktiken folgte der Perspektive von Schwestern im transnationalen Kontext. In den Kleiderpraktiken zeigt sich die soziale Positionierung als ledige bzw. verheiratete junge Frau. Zugleich manifestiert sich darin die Hoffnung auf geografische und soziale Mobilität durch eine Reise nach Europa oder Heirat (Fatou und Bara) und die Hinwendung zur Kleinfamilie (Khady). Bei den drei Frauen wurde deutlich, dass eine Statusveränderung, sei es durch Migration, Heirat oder Kinder, immer auch zu Veränderungen innerhalb der Geschwisterbeziehung führt. Die Beispiele von deskriptiven und klassifikatorischen Schwesternpaaren bestätigten, dass geteilte Erfahrung wie die gemeinsam verbrachte Kindheit und Jugend zur gegenseitigen emotionalen und finanziellen Unterstützung führt und ein wichtiges Kriterium für Geschwisterbeziehungen darstellt (vgl. Alber, Coe, und Thelen 2013; Pauli 2013; siehe auch Carsten 2000). Gleichzeitig erwachsen aus der sozialen Nähe Ansprüche und Forderungen nach Hilfe im transnationalen Kontext. Beispielsweise sind mit der Beziehung auch spezifische Erwartungen an die Häufigkeit und Intensität des (medial vermittelten) Kontakts oder an finanzielle Unterstützung verbunden. Neben Sorge charakterisieren diese Beziehungen auch Konkurrenz, Neid und Kontrolle, die sich insbesondere anhand porträtfotografischer Praktiken auf Facebook herauskristallisieren. Vor allem das Verheimlichen von Lebensumständen und der Abbruch von Beziehungen zeugen von enttäuschten Erwartungen. Insbesondere Senegales*innen in Berlin verschleiern häufig ihre Situation als (vermeintlich) reiche Migrant*innen und entwickeln Strategien, um mit finanziellen und anderen Forderungen umzugehen, die bis zum Kontaktabbruch führen.



6. Von Schwestern und Weiblichkeit | 241

Gegengeschlechtliche Geschwisterbeziehungen sind nicht weniger mit Erwartungen an gegenseitige Sorge und Unterstützung aufgeladen, wie das Beispiel von Marie und Tony zeigt. Allerdings ist diese Form der Beziehung weniger von Konkurrenz geprägt und wird insbesondere auf Facebook flexibel gestaltet, wie auch Baras Beispiel verdeutlicht. In den porträtfotografischen Praktiken auf Facebook wird der Bruder als Vater, Freund oder gar Liebhaber bezeichnet und diese Beziehungsformen sind nicht immer klar voneinander abgrenzbar (Guichard 2014:21). Insbesondere die Darstellung des Bruders als Liebhaber wurde bisher in der Literatur kaum thematisiert, sie erlaubt es jungen Frauen wie Bara, sich spielerisch als moderne junge Frau zu präsentieren und gleichzeitig moralischen Ansprüchen zu genügen. Facebook dient einer jüngeren Generation als experimenteller Raum für die spielerische Ausgestaltung von horizontalen Beziehungen zu Geschwistern. Gleichzeitig entwickeln sich auf Facebook spezifische Konventionen, wie Geschwister adressiert werden können, und dass beispielsweise vor allem Bilder, positive Kommentare und likes innerhalb dieser sozialen Beziehungen ausgedrückt werden dürfen. Im Kontrast dazu werden offline auch negative Kommentare und Klatsch geäußert, was zur sozialen Kontrolle in transnationalen Beziehungen eingesetzt wird und zugleich tiefergehende Konflikte aufzeigt.

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Freundschaft, Nachbarschaft, Gemeinschaft

Freundschaftsbeziehungen ‚deutscher‘ Senegales*innen in Berlin

Man kommt immer mit einer gewissen Vorstellung. Als wir klein waren und zu Hause waren und ich mit meinen Freunden geredet habe, als wir alle auf einem gleichen Level waren, da hatten wir eine Vorstellung von Europa, die war pompös und die war schön. Alle Leute, die aus Europa kamen, hatten was Schönes: Autos, Frauen, Häuser, Schuhe, Klamotten. Also, die hatten alles, wovon wir geträumt haben. Da saßen wir als 18-Jährige bis drei Uhr nachts und haben Tee getrunken und haben geredet, wie das wird. ‚Wenn du zuerst gehst, denk an mich!‘ Das waren natürlich keine unterschriebenen Pakte. Aber das war ein Pakt, den man mit seinen Freunden geschlossen hatte. In dem Moment, wo man hierherkommt, da möchte man die natürlich nicht enttäuschen. Nicht nur seine Familie, sondern auch nicht seine Freunde. (Ibou 07.10.2011)

Bei einem unserer ersten Treffen in einem Café in Schöneberg berichtete mir Ibou ausführlich über sein Leben in Senegal und seinen Weg nach Berlin. Selbst im herbstlichen Berlin konnte ich mir anhand seiner Beschreibungen gut vorstellen, wie er mit seinen Freunden Ataya, den in Senegal üblichen grünen Tee mit Minze und Zucker, zubereitete und die jungen Männer über die Hoffnungen auf ihre Zukunft in Europa sprachen (vgl. auch Prothmann 2017). Der dem Kapitel vorangestellte Gesprächsausschnitt verweist auf die materielle Anziehungskraft Europas und die Bedeutung von Freundschaft

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im Lauf der Migration und Mobilität junger Männer. Gegenseitige Unterstützung und Solidarität drücken sich einerseits im Appel aus „Wenn Du zuerst gehst, denk an mich!“ und andererseits darin, dass Senegales*innen, die es nach Europa geschafft haben, die Anforderungen und Erwartungen von Freund*innen nicht enttäuschen möchten. Ein zweiter wichtiger Aspekt des Zitats betont die (idealisierte) Gleichrangigkeit unter Freunden in Senegal und suggeriert, dass sich erst durch die Migration Hierarchien in den Freundschaftsbeziehungen verändern. Auch in der ethnologischen Literatur zu Freundschaftsbeziehungen werden Solidarität und Kooperation als wichtige Elemente von Freundschaft herausgestellt (Pitt-Rivers 2016:443), wohingegen hierarchische Unterschiede meist als Teil von Patronage und Klientelismus zur Sprache kommen (z.B. Dahou 2004). Einige Studien verweisen auf die Zunahme der Bedeutung von Freundschaftsbeziehungen im Migrationskontext (Conradson und Latham 2005; Meier 2004; Werbner 2015), ohne dies jedoch auf den transnationalen Kontext und auf transnationale Freundschaftsbeziehungen zu beziehen. Ausgehend von dieser kurzen Beobachtung gehe ich in diesem Kapitel auf unterschiedliche Bedeutungen von Freundschaften im translokalen und transnationalen Kontext aus der Perspektive von Senegales*innen in Berlin ein. Unter Freundschaft werden in dieser Arbeit flexible und mehrdeutige sozialen Praktiken, Semantiken und Vorstellungen verstanden, die Überschneidungen und Übergänge zu anderen analytischen Kategorien wie Verwandtschaft oder Nachbarschaft zulassen, aber immer an spezifische kulturelle und soziale Kontexte gebunden sind (Rohrer 2013:66; vgl. Grätz, Meier und Pelican 2004). Mit dem Wolofbegriff xarit werden sowohl enge als auch unverbindlichere Freundschaftsbeziehungen benannt. Wolëre bezeichnet in Abgrenzung dazu einen besonders engen Freund oder eine langjährige Freundin und wird nur selten genutzt. Beide Formen der Freundschaft schließen gegenseitige Unterstützung, Solidarität und Sorge auch in Form von Gastfreundschaft (teranga) ein (Buckley 2000:73). Um die gegenseitige Verpflichtung und soziale Nähe innerhalb der freundschaftlichen Beziehungen zu betonen, werden häufig klassifikatorische verwandtschaftliche Begriffe genutzt. Außerdem sind Freundschaften nicht immer klar von anderen Beziehungsformen wie Verwandtschaft, Nachbarschaft und Arbeitsbeziehungen abgrenzbar (vgl. Kap. 3.2.2, 6 und 7.1). Nach einem kurzen Überblick des Forschungsstands zu Freundschaftsbeziehungen und Mobilität (7.1) stelle ich die Bedeutung von Freundschaftsbeziehungen innerhalb des Migrationskontextes in Berlin in den Mittelpunkt



7. Freundschaft, Nachbarschaft, Gemeinschaft | 245

(7.2). Der Lebensalltag ist stark von freundschaftlichen Beziehungen geprägt, und das nicht nur aufgrund der geringen Anzahl an Senegales*innen in Berlin und wenigen familiären Verbindungen vor Ort (vgl. Grätz 2004; Meier 2004). Im ersten Unterkapitel (7.2.1) stelle ich die geschlechts- und generationenspezifische Ausgestaltung von Freundschaftsbeziehungen dar sowie die spezifischen Orte in Berlin, an denen sie Relevanz entfalten. Vor allem wann und unter welcher Zielsetzung eine Person nach Deutschland kam, unterscheidet die einzelnen Generationen von Senegales*innen in Berlin voneinander. Im zweiten Unterkapitel (7.2.2) gehe ich auf gruppenbezogene Formen von Freundschaftsbeziehungen und deren Bedeutung in den zahlreichen Assoziationen, Vereinen und informellen Verbindungen ein. Innerhalb der Vereinigungen geht es erstens darum, sich gegenseitig im Migrationskontext zu unterstützen, zweitens, sich in einer spezifischen kulturellen Landschaft in Berlin als distinkte Gruppe einzuführen und Raum für sich zu reklamieren sowie drittens, transnationale Verbindungen in den Senegal zu stärken. Insgesamt zeigt das Unterkapitel damit die Bedeutung unterschiedlicher Freundschaftsbeziehungen auf und setzt diese in Bezug zu anderen familiären Beziehungen (vgl. Kapitel 4.4 und 6). Vor diesem Hintergrund wird im letzten Teil des Kapitels (7.3) die Bedeutung transnationaler Freundschaftsbeziehungen betrachtet. Mit dem Blick auf Telefongespräche (7.3.1) zeige ich veränderte soziale, emotionale und finanzielle Erwartungen an Freundschaftsbeziehungen innerhalb des Lebenslaufes und der Migration auf und beschreibe, wie Senegales*innen in Berlin Strategien der Vermeidung gezielt einsetzen. Transnationale freundschaftliche Beziehungen sind in den transnationalen Geschenk- und Geldaustausch eingebunden (7.3.2), durch Objekte werden soziale Distanz und Statusunterschiede innerhalb der transnationalen Beziehungen ausgedrückt und für andere sichtbar. Insbesondere bei Lebensprojekten wie einem Hausbau wird häufig auf enge transnationale Freundschaftsbeziehungen zurückgegriffen.

7.1 Ethnologie der Freundschaft und transnationale Mobilität und Migration Erst seit den 1980er Jahren fokussieren ethnologische Studien die Bedeutung von Freundschaftsbeziehungen als grundlegende menschliche Erfahrung, ohne sie verwandtschaftlichen Beziehungen unterzuordnen oder sie als nebensächlichen Aspekt von wirtschaftlichen oder politischen Dynami-

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ken zu betrachten (z.B. Pitt-Rivers 2016; Desai und Killick 2010; Preis 2010; Rohrer 2013). Damit rücken einerseits angloeuropäische Gesellschaften in den Fokus (z.B. Bell und Coleman 1999a), andererseits werden Freundschaften nicht mehr ausschließlich in Opposition zu Verwandtschaft, im Zusammenhang mit Klientelismus (z.B. Dahou 2004) oder im Rahmen von Netzwerken und Assoziationen (z.B. Boissevain 1978; Riccio 2008) betrachtet. Insbesondere in urbanen Kontexten wird Freundschaft als Element von Nachbarschaft und Assoziationen gefasst (für ein frühes Beispiel siehe Grandmaison 1972; aktuell z.B. Baller 2010). Nachbarschaft und Freundschaft können hier nicht immer klar voneinander abgegrenzt werden und beziehen sich gleichermaßen auf Zusammengehörigkeitsgefühle, die auf der geteilten Erfahrung von gemeinsam bewohntem physischen und sozialen Raum beruhen (Werthmann 1997). Neuere Studien setzen sich mit Vertrauen, Intimität, Liebe und Brüchen in Freundschaftsbeziehungen innerhalb spezifischer Gemeinschaften auseinander (z.B. Rohrer 2013; Lambert 2013), assoziieren Freundschaft mit Zuneigung, Vertrauen und Loyalität (Guichard 2014:21) und kritisieren damit auch die Unterscheidung zwischen ‚emotionalen‘ und ‚instrumentellen‘ freundschaftlichen Beziehungen. In einer frühen Auseinandersetzung weitet Meyer Fortes (1983) den Begriff der kinship amity auf die soziale Organisation von Migrant*innen in urbanen Zentren Afrikas aus. Mit diesem Konzept, das Fortes als Grundelement verwandtschaftlicher Beziehungen ansieht und mit dem eine ‚Ethik der Großzügigkeit‘ unter Verwandten gemeint ist, untersucht er Freundschaft vor allem als ‚pseudo-‘ oder ‚fiktive‘ Verwandtschaft. Neuere ethnologische Studien zu Freundschaftsbeziehungen sehen den Mangel an verwandtschaftlichen Beziehungen im Migrationskontext nicht als Grund für die Bedeutung von Freundschaftsbeziehungen, sondern betonen sowohl die integrative Stärke als auch die Ambivalenz von Freundschaftsbeziehungen in der Migration (Grätz 2004; Meier 2004). Die Untersuchung der Vielfalt und Dynamik von Freundschaftsbeziehungen insbesondere in Afrika (Grätz 2011; Grätz, Meier und Pelican 2004; Guichard, Grätz und Diallo 2014) ermöglicht ein flexibleres Verständnis von Freundschaft auch im Migrationskontext (Conradson und Latham 2005; Meier 2004). Damit kommen Wahl und Freiwilligkeit innerhalb dieser Beziehungen in den Blick; außerdem wird deutlich, dass neben Verwandtschaftsbeziehungen diese Form der Beziehung ein wichtiges Element für die Unterstützung und Zugehörigkeit im Migrationskontext darstellt (Werbner 2015). Das idealisierte romantische ‚westliche‘ Freundschaftsideal wird in diesen



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Arbeiten kritisiert und spezifische kulturelle und historische Vorstellungen von Freundschaften betont (Guichard 2014; Pelican 2012). Bis auf wenige Ausnahmen (Rodgers 2010) wird angenommen, dass diese Beziehungsform in transnationalen Beziehungen bei längeren Migrationsaufenthalten an Bedeutung verliert oder neue Freundschaften problematisch sind (Phillips und Potter 2009) und in transnationalen Beziehungen enger Kontakt meist nur zu Familienmitgliedern gehalten wird. Insgesamt fehlt den meisten Arbeiten zu Freundschaftsbeziehungen und Mobilität erstens eine Auseinandersetzung mit der Unterscheidung von dyadischen und Gruppenfreundschaften sowie mit unterschiedlichen Formen von Sichtbarkeit und Öffentlichkeit (vgl. Lambert 2013; Rohrer 2013). Zweitens stellt sich mit dem Fokus auf die Spezifika transnationaler Dynamiken von Freundschaften die damit verbundene Frage, welchen Einfluss soziale Onlinenetzwerke und Mobiltelefonverbindungen auf transnationale Freundschaftsbeziehungen haben.

7.2 Die Verbindung von Personen, Orten und Generationen in Berlin In entspannter Runde berichtet Abdoulaye mir und seinen Freunden Lamin und Grégoire von einem seiner Besuche in Dakar: „Einmal war ich in Dakar mit Freunden unterwegs und da haben wir diese Nüsse gegessen, die gerte1, wie man das bei uns so macht. Jeder hatte sein Tütchen. Ich habe gar nicht darüber nachgedacht, hab die Nüsse gegessen und die Schale in der Tüte gesammelt. Die Tüte habe ich dann, als ich fertig war, in meine Tasche gesteckt. Da hat mich einer gefragt: ‚Was machst Du mit den Schalen?‘ Und ich so: ‚Hä, Schalen?‘ ‚Ja, was kann man damit machen, warum hast Du die eingesteckt?‘ [lautes Lachen] Ich habe das gar nicht gemerkt, das habe ich einfach automatisch gemacht, wie man das eben hier [in Berlin] so macht, dass man nicht alles einfach auf den Boden wirft. Ich habe ihm geantwortet, dass ich das einfach so gemacht habe, damit ich das später wegschmeißen kann. Da haben mich alle komisch angeschaut und dachten, ich bin seltsam, und haben mir sicher nicht wirklich geglaubt.“ (Abdoulaye 25.09.2012) 1

An jeder Straßenecke in Dakar rösten und verkaufen Frauen sehr günstig gerte (=Erdnuss); bei Veranstaltungen gehen fliegende Händler (meist junge Männer) durch die Reihen und verkaufen die Erdnüsse in Zeitungspapiertüten eingerollt.

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Abdoulaye verweist mit dieser alltäglichen Erzählung darauf, wie ihn das Leben in Berlin und Deutschland verändert hat und er sich dadurch von seinen Freunden in Senegal unterscheidet. Abdoulaye wird von seinen Freunden in Senegal genau beobachtet und als andersartig bewertet. Diese Andersartigkeit schafft Misstrauen und Distanz in der transnationalen Freundschaftsbeziehung. Gleichzeitig stellt Abdoulaye mit der Geschichte eine Verbindung zu seinen senegalesischen Freunden in Berlin her, die seine Erfahrung durch eigene Erlebnisse und Berichte bestätigen. Grégoire erwähnt, wenn er in Senegal Kritik äußert, etwa dass sich niemand um das Viertel kümmere, dann höre er: „Europa hat Dich verändert! Du hast Dich verändert! Du bist jetzt ein Toubab!“ Dieser Vorwurf verweist erstens allgemein auf den Einfluss, den der Migrationskontext auf Senegales*innen in Berlin hat. Zweitens kritisieren Freunde in Senegal häufig, dass Werte und Normen sozialer Beziehungen, etwa die spezifische soziale Konvention, Kritik nicht direkt zu äußern, von Senegales*innen in Berlin nicht eingehalten werden. Diese Veränderung durch das Leben in Deutschland wird für Grégoire und Abdoulaye zu einer geteilten Erfahrung der Andersartigkeit und einer identitätsstiftenden Form der Zugehörigkeit in Berlin. Viele Senegales*innen sprechen wie Abdoulaye Themen der Sauberkeit, Verantwortung der Umwelt gegenüber sowie Pünktlichkeit und Egoismus als Veränderung und Einflüsse des Lebens in Deutschland an.2 Der eigenen Veränderung in der Migration wird häufig die Unveränderlichkeit der Freunde und Familienmitglieder in Dakar gegenübergestellt. Insbesondere durch die Abgrenzung zu anderen Senegales*innen in Frankreich oder Italien, die häufig als arrogant und aufschneiderisch dargestellt werden, wird ein Gemeinschaftsgefühl als ‚deutsche Senegales*innen‘ gefördert. Mindestens seit den 1990er Jahren treffen sich Senegales*innen in Berlin nicht nur in privaten Räumen, sondern auch in Restaurants, Imbissen, Bars, afrikanischen Läden und Schönheitssalons, die von Senegales*innen oder Gambianer*innen betrieben werden. Aus historischen Gründen (vgl. 4.5) befinden sich diese Treffpunkte vor allem in den westlichen Stadtteilen Schöneberg, Kreuzberg und Neukölln. Im aufstrebenden ‚afrikanischen Viertel‘ im Berliner Stadtteil Wedding3 sind vor allem größere afrikanische Ge2 3

Sauberkeit ist auch in der Jugendbewegung Y’en a mar und dem Nouveau Type de Sénégalais (NTS) ein wichtiges Thema, um die Vermeidung von Müll in den Straßen anzustoßen. Das ‚afrikanische Viertel‘ erhielt diese Bezeichnung Ende des 19. Jahrhunderts aufgrund der heute umstrittenen kolonialen Namensgebung der Straßen. Insbe-



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meinschaften der Kameruner*innen, Ghanaer*innen und Nigerianern*innen präsent. Senegalesische Zugehörigkeit wird, wie auch in Abdoulayes kurzer Erzählung anklingt, über persönliche Beziehungen mit Wolofsprecher*innen, informelle Treffpunkte und kulturelle, soziale und religiöse Vereinigungen gestaltet. Freundschaftliche Beziehungen spielen in all diesen Bereichen auf unterschiedliche Weise eine Rolle. Ich stelle zunächst zwei Orte der Vernetzung für Freundschaften vor, die zu einem geringeren Anteil, aber eng damit verwoben, auch für verwandtschaftliche Beziehungen wichtig sind (7.2.1). Der Schönheitssalon und die Bar verdeutlichen die geschlechts- und generationenspezifische Ausgestaltung der Freundschaftsbeziehungen und verweisen gleichzeitig auf die Kontinuität und soziale Eingebundenheit dieser Orte in den Stadtteil Schöneberg. Anschließend (7.2.2) werden kulturelle, soziale und religiöse Vereinigungen in Berlin betrachtet und die Bedeutung von gruppenbezogenen Freundschaftsbeziehungen untersucht.

7.2.1 Geschlechts- und generationenspezifische Perspektiven und Orte KauKau: „Ich bin ein Dorfmann“ Feldforschungsszene 26.07.2014, Berlin Schöneberg: Bereits von Weitem erkenne ich den Außenbereich des KauKau4 mit den großen weißen Korbsesseln, der ausladenden Markise und den großen roten Lichterketten. Es ist noch hell und im Außenbereich sitzen einige Stammgäste aus dem Viertel. Ich war fast ein Jahr nicht in Berlin gewesen und unsicher, wen ich antreffen werde. Auf meinem Weg vom hellen Außenbereich in die dunkle Bar erkenne ich einige Senegalesen von früheren Besuchen. Obwohl es ein warmer Sommerabend ist, sitzen sie im engen und dunklen Eingangsbereich der Bar hinter der Eingangstür um einen Tisch und unterhalten sich angeregt auf Wolof. Ich begrüße zunächst Abdoulaye, den ich von seinem kleinen senegalesischen Imbissstand auf dem Markt in Schöne-

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sondere die Straßenbezeichnung nach den rassistischen und brutalen Kolonialbegründern Carl Peters, Gustav Nachtigall und Adolph Eduard Lüderitz stehen stark in der Kritik. Gleichzeitig zogen seit den 1990er Jahren immer mehr Menschen afrikanischer Herkunft vor allem aus Kamerun, Togo und Ghana in das Viertel.

Der umgangssprachliche Wolofbegriff Kau-Kau wird häufig negativ für Hinterwäldler und Menschen aus ländlichen Regionen genutzt (vgl. Hannaford 2017:73).

250 | Social Media im transnationalen Alltag berg kenne. Dann haben sich meine Augen an das Dunkel gewöhnt und ich erkenne Grégoire, den Besitzer der Bar, der mich stets in meiner Forschung unterstützt hatte, Ibou, der zum Studium nach Deutschland gekommen war und promoviert hatte, und ­Abderahmane, der seinem Bruder nach Deutschland nachgereist war und jetzt in einer Bäckerei arbeitet [...]. Sie diskutieren darüber, wie sie den alten Kulturverein Sunugaal e.V. neu beleben können. Außerdem geht es darum, wie nach dem Tod zweier senegalesischer Musiker in Berlin der Rücktransport der Leichname organisiert und bezahlt werden soll.

Die Feldforschungsszene führt die Bar KauKau im Berliner Stadtteil Schöneberg ein – ein männlich dominierter Ort – und eine Vereinigung von Senegalesen. Die Geschichte des Ortes ist eng mit dem Besitzer Grégoire und dem Vorbesitzer Mahmadou verbunden. Mahmadou stammt aus einer senegalesisch-malischen Familie und wuchs ab seinem fünften Lebensjahr bei einem kinderlosen Onkel und dessen Frau in Senegal auf. Er machte eine Ausbildung im Tourismusbereich in Dakar und war aufgrund seiner Reisetätigkeit häufig in Europa. Kurz vor dem Mauerfall entschloss er sich in Berlin zu bleiben. Nachdem Mahmadou zunächst in Diskotheken und Reisebüros gearbeitet hatte, eröffnete er Anfang der 2000er Jahre einen kleinen Laden in den Lokalitäten des heutigen KauKau. Der Laden beinhaltete ein Reisebüro, dort verkaufte er Lebensmittel und bot einen Mittagstisch an, den eine befreundete Senegalesin und eine Gambierin kochten. Die Sehnsucht nach Gemeinschaft mit anderen Senegales*innen und danach, einen Ort für Treffpunkte zu haben, waren für ihn neben den Einkommensmöglichkeiten ein wichtiger Grund gewesen, den Laden zu eröffnen. Jeden Monat lud Mahmadou per E-Mail die gesamte ‚Community‘, wie er es nannte, zum Essen ein und begründete damit eine Art Kulturzentrum. Diese Treffen waren für viele ältere Senegalesen, mit denen ich sprach, konstituierend für ein Zugehörigkeitsgefühl zu einer Gruppe von senegalesischen Freunden. Anders als in den Diskotheken, in denen sich junge Männer ansonsten meist trafen, war Mahmadous Laden tagsüber ein Treffpunkt für die ganze Familie. Mahmadous Gastfreundschaft, teranga5, das Teilen von Essen, ohne etwas dafür einzufordern, führte zu einer starken sozialen Verbundenheit und gegenseitigen Unterstützung von Senegales*innen in Berlin. Gleichzei5

Teranga wird häufig mit Gastfreundschaft übersetzt, doch geht das Konzept weit darüber hinaus. Als Ideal beinhaltet teranga, jeden Gast ohne Gegenleistung zu erwarten, bei sich aufzunehmen und vor allem Essen anzubieten (vgl. Gasparetti 2011).



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tig führte seine Großzügigkeit und die fehlende finanzielle Solidarität seiner Gäste aber dazu, dass er den Laden nach einigen Jahren aus finanziellen Gründen aufgeben musste, wie er mir erklärte. Auf meine Frage, warum gerade Grégoire den Laden übernommen hatte, führt Mahmadou aus, wie eng sich die beiden gestanden hatten und dass sie auch ihre Familien in Senegal und Mali kannten – ein wichtiges Kriterium für die Nähe in der Beziehung. Gleichzeitig hebt er seinen Anteil am Erfolg des Ladens hervor, indem er betont, dass er länger als Grégoire in Berlin lebte und der Name KauKau – ‚ich bin ein Dorfmann‘ auf Wolof – von ihm stammte. Im Jahr 2007 übernahm Grégoire den Laden von Mahmadou und gestaltete ihn unter Beibehaltung des Namens KauKau zu einer Bar mit Cocktails, DJs und Livemusik um. Geschickt gewann er Kund*innen aus der Nachbarschaft und dem weiteren Umfeld hinzu, ohne die senegalesische Stammkundschaft zu vertreiben. Grégoire wuchs als ältester Sohn in einem christlichen Haushalt mit seiner Mutter und seinen Geschwistern in einem relativ wohlhabenden Stadtviertel in Dakar auf. Sein Vater verstarb, als Grégoire noch klein war, danach ernährte seine Mutter die Familie durch ihre Arbeit als Krankenschwester. Dadurch konnte er die Fußballschule in Dakar besuchen und war als Profifußballer einige Jahre in verschiedenen europäischen Vereinen und in der senegalesischen Nationalmannschaft erfolgreich. Anfang der 1990er Jahre kam er auf Einladung einer senegalesischen Freundin für zwei Wochen nach Berlin zu Besuch und war fasziniert von der Stadt. Nach dem Ende seiner Karriere als Fußballer war er zunächst fünf Jahre im internationalen Kunst- und Kulturhandel mit Standort in Berlin tätig, bevor er das KauKau von Mahmadou übernahm. „Das hier ist wie eine Botschaft, egal woher alle kommen – aus Frankreich, Italien, Spanien –, alle Senegalesen, die nach Berlin kommen, kommen hierher. Das ist wie ein Wohnzimmer. [...] Das war es hier, Lebensmittel, Bier, Couch, Fernsehen, es war immer voll mit Senegalesen, es war wie ein Verein. Aber immer nur Landsleute, das reicht nicht zum Leben, das wollte ich ändern. Deshalb habe ich erst mal renoviert und dann eine deutsche Kellnerin angestellt und auch Livemusik angeboten. Am Anfang war das schwer. [...] Die Senegalesen aus anderen Ländern [in Europa] glauben, es ist einfach hier, wegen der Wirtschaftskrise. Die ist ja hier nicht so schlimm. Aber sie haben kein Geld, sprechen kein Deutsch [...]. Am Anfang habe ich vielen geholfen, aber ich habe kein Hotel, manche waren extrem sauer, damals habe ich Flugtickets besorgt und hab nicht mal ein Dankeschön dafür bekommen. Jetzt schick ich sie zur Botschaft. Wo man hingeht, muss man das vorbereiten, man sollte nirgends hin gehen, wo man niemanden kennt oder ohne Geld dafür zu haben.“ (17.09.2011)

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Mit der Neugestaltung des Ortes positionierte sich Grégoire und die Bar also gleichermaßen innerhalb einer senegalesisch-afrikanischen (männlich dominierten) Gemeinschaft und innerhalb des Viertels. Auf Facebook wird diese besondere Mischung besonders deutlich. Grégoire stellt regelmäßig Fotos von Konzerten, von sich vor dem Schriftzug KauKau und von spezifisch senegalesischen Feierlichkeiten wie dem Tabaski auf Facebook ein. Nach einem Brand in der Bar im Dezember 2016 musste Grégoire das KauKau schließen. Vielen Senegalesen fehlt dadurch eine Anlaufstelle, die auch durch Treffen in privaten Räumen nicht ersetzt werden kann. Bintas Haarsalon und Flechtkunst Im Gegensatz zum männlich dominierten KauKau, das von Senegalesinnen nur vereinzelt oder zu besonderen Ereignissen besucht wird, verbringen viele Senegalesinnen in Berlin ihre freie Zeit mit privaten Besuchen und in Schönheits- und Friseursalons. Bintas Haarsalon ist einer dieser Orte, den Binta vor etwa zehn Jahren gemeinsam mit dem Afroshop ihres Mannes in Schöneberg eröffnete. Bintas Eltern stammen aus Senegal, doch sie ist in Serekunda in Gambia aufgewachsen. Zunächst reiste Binta für eine Ausbildung nach London, dann zog sie Ende der 1990er Jahre zu ihrem Mann nach Berlin. Von den vier gemeinsamen Kindern leben die Tochter und zwei ältere Söhne im gleichen Haus. Bintas ständige Präsenz dominiert den Haarsalon, in dem sich zu den geschäftigsten Zeiten vier Frauen gleichzeitig um die Haare der Kundinnen kümmern. Binta verbringt fast den gesamten Tag im Salon, vereinbart Termine, berät Kundinnen und instruiert ihre Angestellten: „Ich kann nicht an einer Kundin arbeiten, ich muss immer für alle da sein, denn ich weiß genau, was zu tun ist.“ Ihre Expertise erlangte sie durch eine Ausbildung in Gambia und die praktische Arbeit in einem deutschen Friseursalon, wie sie mir bereits bei einem meiner ersten Besuche in ihrem Laden durch die Kopie einer Urkunde und Presseberichte präsentiert. Ähnlich wie bei Grégoire besteht auch Bintas Erfolgsrezept darin, nicht nur Senegales*innen und Westafrikaner*innen anzusprechen, sondern auch die deutsche und internationale Kundschaft im Viertel. Mit Hilfe ihrer deutschen Schwiegertochter präsentiert Binta ihren Laden auf Facebook und stellt dort in unregelmäßigen Abständen vor allem Bilder von sich und ihrem Ehemann oder von besonders gelungenen Frisuren ein. Für Binta, ihre Angestellten und ihre Kundinnen ist der Laden wie ein halböffentliches Wohnzimmer. Hier werden intime Gespräche geführt, Ratschläge eingeholt, Kleider ausgetauscht,



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wird gemeinsam gegessen. Auch religiöse Anliegen sind mit dem Bild Ahmadou Bambas und den regelmäßigen Gebeten, die Binta im Hinterzimmer verrichtet, ständig präsent. „Hier sind alle wie Brüder und Schwestern. Das ist echt, immer zusammen wie eine Familie. Manchmal redet man mit der Familie nicht mehr und es sind die guten Freunde, die zu Deiner Familie werden. Wichtig sind die, mit denen man gut klarkommt, kinga deggul, die, mit denen man sich gut versteht. Ich habe eine enge Freundin hier, sie ist meine beste Freundin. Das kann enger als Deine eigene Schwester sein. Sie ist die engste für mich, abgesehen von meinen Kindern. Ich kenne sie schon aus Gambia, aber sie kam nicht im gleichen Jahr hierher.“ (Binta 06.12.2014)

Binta nutzt klassifikatorische Verwandtschaftsbegriffe als Metapher (vgl. Hill 2014) und um die soziale Nähe in den Beziehungen zu ihren Freundinnen, Mitarbeiterinnen und Kundinnen auszudrücken. Wichtige Kriterien für Nähe in diesen Beziehungen ist, Zeit miteinander zu verbringen, miteinander zu sprechen und sich gut zu verstehen. Mit der Nähe wachsen die Erwartungen, die an die jeweilige Beziehung gestellt werden. Dies kann zu Konflikten führen, was Binta mit dem Vergleich zu transnationalen familiären Beziehungen andeutet. Gerade in der Migrationssituation haben Freundschaften eine große Bedeutung (vgl. Meier 2004:43), wobei klar zwischen unterschiedlichen Formen unterschieden wird. Binta und Mahmadou sprechen beide über die lebenslange Freundschaft (wolëre) zu einer besonderen Person, deren Status einer Schwester oder einem Bruder gleicht. Davon unterscheiden sie Freundschaftsbeziehungen, die eher nachbarschaftlichen Charakter haben oder freundschaftlichen Arbeitsbeziehungen ähneln. Obwohl Freundschaft und Verwandtschaft in dieser Arbeit analytisch unterschieden werden, wird doch die Überschneidung und Flexibilität der beiden Kategorien bereits an diesem Beispiel der klassifikatorischen Nutzung deutlich (Bell und Coleman 1999b:7). Wie bereits Kapitel 6 zu Geschwisterbeziehungen gezeigt hat, spielt Freundschaft auch in verwandtschaftlichen Beziehungen eine große Rolle, wenn dort freundschaftliche Beziehungen durch die Nennung der klassifikatorischen verwandtschaftlichen Bezeichnungen häufig verschleiert werden (vgl. Guichard 2014:30 ff). Mahmadou, Binta und Grégoire sind Teil einer älteren und relativ erfolgreichen Generation von Senegales*innen in Berlin, die durch ihre sozialen und beruflichen Aktivitäten im Kontext der Stadt wichtige Orte der

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Begegnung etabliert haben.6 Der Erfolg dieser Gruppe von Senegales*innen beruht auch auf der flexiblen Ausgestaltung und Unterstützung innerhalb eines Freundschaftsnetzwerkes, das auch als klassifikatorisches Verwandtschaftsnetzwerk bezeichnet werden kann. Sie sprechen damit eine senegalesisch-westafrikanische Gemeinschaft an und richten sich auch an ein internationales Multikulti-Publikum, wie Binta dies in einem unserer Gespräche ausdrückte. Senegalesische Generationen in Berlin Einige meiner älteren Gesprächspartner*innen kamen als Student*innen oder für eine Ausbildung nach Deutschland, die meisten leben jedoch wie Binta, Grégoire und Mahmadou auch zeitweise in anderen europäischen Ländern. Senegales*innen, die bereits seit 20 oder mehr Jahren in Deutschland lebten, grenzen sich von jüngeren Senegales*innen durch die Motivation und die eigene Leistung von einer jüngeren Generation ab, die mit der Unterstützung anderer Familienmitglieder nach Deutschland kamen: „Ich bin Senghor-Migrant. Für mich ist Bildung, Kunst, Literatur und Film sehr wichtig. Ich bin nach Deutschland gekommen, um mich hier weiterzubilden! Ich habe es alleine geschafft, hierherzukommen. Ich habe alles selbst geplant, jahrelang habe ich Geld gespart. Am Goethe-Institut habe ich Deutsch gelernt. Dann bin ich als Tourist hierhergekommen und bin geblieben. Ich habe alles gemacht, um hier bleiben zu können. Damals war das noch möglich, da konnte man überall einreisen. Aber die junge Generation hier in Berlin, mit denen kann man nichts mehr anfangen. Die wollen immer nur Knete, Knete, Knete. Das finde ich nicht gut, mit denen will ich nichts zu tun haben.“ (Djibi 13.09.2011)

Mit „Senghor“-Migrant verweist der etwa 60-jährige Djibi auf den ersten Präsidenten Senegals, dessen Rücktritt den Anlass (und Zeitpunkt) von Djibis Einreise nach Deutschland bildete. Damit drückt er seine Verbundenheit mit einem intellektuellen und künstlerisch ausgerichteten Nationalstaat seiner Kindheit und Jugend aus und deutet auf frühe Verbindungen des

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Bei der Nutzung des Begriffs der „Generation“ schließe ich mich einer Unterscheidung einiger Senegales*innen in Berlin an, die Generationen beispielsweise nach Zeit der Abreise in Senegal und Ankunft in Berlin oder nach den Gründen für die Migration unterscheiden, siehe die folgenden Ausführungen.



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Präsidenten mit Deutschland.7 Diese ältere Generation verweist in ihren Erzählungen immer wieder darauf, dass der Umzug nach Deutschland eine bewusste Entscheidung war und sie sich zuvor mit der deutschen Sprache oder deutscher Kultur auseinandergesetzt hatte: „Ich war mehr als 20 bis 30-mal in Deutschland, das hat mir gefallen und ich bin immer zurück. Aber 89 bin ich hiergeblieben, kurz vor dem Mauerfall. In der Naunystraße sind meine Kinder geboren [Lachen]. Ich hatte die Mauer vor meinem Fenster. [...] Berlin, die Atmosphäre damals hat mir gefallen. Ich dachte, wenn ich mich entscheide, irgendwo in Europa zu bleiben, dann in Berlin, einfach so.“ (Mahmadou 26.09.2012)

Senegalesische Migrant*innen in Berlin können in drei sich überschneidende Generationen eingeteilt werden, die sich auf gemeinsame Werte und Ziele sowie soziale und politische Zusammenhänge in Senegal zum Zeitpunkt der ersten Reise nach Deutschland beziehen, außerdem auf die Dauer des Aufenthalts und auf die Teilhabe an soziopolitischen Entwicklungen in Deutschland. Diese Generationen entsprechen nur teilweise der Einteilung von Laurence Marfaing, die anhand der Situation in Senegal sowie der restriktiven Gesetzgebung zur Einwanderung in Frankreich die Jahre 1979–1989, 1986–1987 und 1992–1993 als drei herausragende Zeiträume senegalesischer Migration unterscheidet (Marfaing 2003b:88 f.). Neben den beiden Generationen, die Djibi im kurzen Gesprächsausschnitt anspricht, führen neuere Entwicklungen der weltweiten Wirtschaftskrise und der von ihr verursachten jüngsten Fluchtbewegungen nach Europa eine neue Generation von Senegales*innen nach Berlin. Diese Generation ist sehr viel heterogener als die beiden ersten Generationen, die in den 1980er und 1990er Jahren nach Berlin kamen. Einige der jüngeren Generation sind durch Migrations- und Fluchterfahrungen in anderen Ländern geprägt und teilweise dem politischen Aktivismus von Geflüchteten in Berlin verbunden. Für andere spielen ökonomische Motive eine stärkere Rolle; Erwerbstätigkeit ist für einige aufgrund der Aufenthaltserlaubnis nicht möglich. Gemeinsam ist den Senegales*innen aus den verschiedenen Generationen, dass spezifische Orte, Stadtteile und Nachbarschaften in Berlin als wichtige Bezugspunkte eines Zugehörigkeitsgefühls in den Erzählungen und biografischen Narrativen 7

Senghor geriet im Zweiten Weltkrieg in deutsche Kriegsgefangenschaft und setzte sich intensiv mit deutscher Literatur und Dichtung auseinander. 1968 erhielt er den Friedenspreis des deutschen Buchhandels.

256 | Social Media im transnationalen Alltag

auftauchen (vgl. Färber 2010) und das Leben in Deutschland aufgrund der Einkommensmöglichkeiten oder der sozialen und Gesundheitsversorgung positiv bewertet wird.

7.2.2 „Gemeinsam kann man mehr machen“ – Kulturelle, soziale und religiöse Gemeinschaft? Dyadische Freundschaftsbeziehungen werden in Berlin häufig an spezifischen Orten geschlossen und über zentrale Personen vermittelt. Für gruppenbezogene freundschaftliche Beziehungen spielen in Berlin eine Vielzahl an polyvalenten senegalesischen Vereinigungen eine große Rolle. „Als ich nach Berlin kam, hatte ich gar kein Geld. Ich bin nach Berlin gekommen, ich hatte nur fünf Euro in der Tasche. Und eh, Leute, die ich niemals davor gesehen habe, haben für mich eingekauft, haben dafür gesorgt, dass ich ein Zimmer hatte. So bin ich dann in Kontakt mit den Senegalesen gekommen. Und so habe ich dann auch bei Bokk Xalat mitgemacht.“ (Ibou 07.10.2011)

Viele freundschaftliche Beziehungen sind auf Erfahrungen der gegenseitigen Unterstützung begründet sowie auf gemeinsamer Sprache und Herkunft; sie formalisieren sich in stärker organisierten Freundschaftsnetzwerken wie der Amicale Bokk Xalat. Diese informelle Gruppe trägt die Freundschaft bereits im Namen (amicale). Bokk Xalat heißt auf Wolof ‚geteilte Meinung‘ oder ‚eine Meinung teilen‘.8 Die Freundschaftsgruppe wurde Anfang der 2000er Jahre von einer Gruppe von Senegalesen gegründet, um regelmäßig Veranstaltungen wie Silvesterfeiern oder korité9 zu organisieren. Gleichzeitig unterstützte Bokk Xalat Mitglieder, die in finanziellen Schwierigkeiten waren. Parallel zur Bokk Xalat bestand der bereits in den 1980er Jahren von Studenten gegründete Verein Sunugaal e.V. Auch hier waren freundschaftliche Verbindungen nicht nur ausschlaggebend für die Gründung des Vereins, sondern auch für den Erhalt und Fortbestand. Einige Mitglieder des Vereins waren zugleich Mitglieder in Bokk Xalat, teilweise gab es auch Spannungen und Konkurrenz zwischen den unterschiedlichen Freunden und Freundschaftsgruppen. 8 9

Das Verb und Substantiv bokk wird genutzt, um freundschaftliche und verwandtschaftliche Beziehungen auszudrücken (vgl. Kapitel 3.2.2).

korité bezeichnet auf Wolof Eid al-Fitr, das Fest zum Fastenbrechen am Ende des Ramadans.



7. Freundschaft, Nachbarschaft, Gemeinschaft | 257

Sunugaal e.V. war zunächst erfolgreich auf die gegenseitige Unterstützung und Veranstaltungen von Student*innen ausgerichtet. Nachdem einige Mitglieder weggezogen waren oder das Studium abgebrochen hatten, schliefen die Aktivitäten des Vereins ein; erst im Frühjahr 2011 wurde er auf Initiative von Abdoulaye und durch den neuen Präsidenten Ibou wiederbelebt. Die Aktivitäten des Vereins sind polyvalent. Neben kulturellen und politischen Veranstaltungen wie Filmabenden, Ausstellungen und Vorträgen, die sich auch an ein allgemeineres, kulturell interessiertes Berliner Publikum richten, organisiert der Verein auch Feierlichkeiten, die vor allem den Zusammenhalt der senegalesischen Gemeinschaft stärken. Ein weiterer wichtiger Bereich des Vereins sind die Verbindungen nach Senegal und die Unterstützung von Familien bei Todesfällen. Beispielsweise organisiert und finanziert der Verein den Rücktransport von verstorbenen Senegales*innen und unterstützt deren Familien in Senegal.10 Wenn enge Freunde und die formalisierten Freundschaftsgruppen die ‚Schuld‘ des Verstorbenen begleichen, übernehmen sie damit durchaus heikle familiäre Verpflichtungen und gewinnen dadurch an Bedeutung in transnationalen Beziehungen (vgl. auch Buggenhagen 2012b:36). Für viele aktive Mitglieder der Vereinigungen war es wie für Abdoulaye eine Selbstverständlichkeit, sich in dieser Art von Verbindungen zu organisieren, um Zeit mit Freunden zu verbringen und sich gegenseitig zu unterstützen. Abdoulaye war als junger Mann in der Bul Faale-Bewegung11 der 1990er Jahre politisch aktiv. Seine Mutter drängte ihn deshalb dazu, seinem Bruder 1999 nach Berlin zu folgen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten gelang es Abdoulaye, in Berlin Fuß zu fassen. Er arbeitete zunächst als Koch und machte sich dann mit einem kleinen Imbisswagen selbstständig. Abdoulaye betont vor allem die Gemeinsamkeit von Vereinigungen in Senegal wie Fußball- und Theatervereinen mit den Formen der gemeinsamen Organisationen in Berlin, ohne auf Unterschiede einzugehen. Obwohl es sich sowohl in Senegal als auch in Berlin um Sport- und Kulturvereinigungen im weitesten Sinn handelt (vgl. Baller 2010), sind die Vereinigungen in Berlin im Unter10

11

Während meiner Feldforschung haben Mitglieder des Vereins verschiedene Trauerfeiern und Begräbniszeremonien in Berlin und Dakar organisiert. Zudem haben sie den Rücktransport der Verstorbenen geregelt, teilweise ist der Verein für die Kosten der Rückführung von ca. 3200 Euro aufgekommen. Bei Todesfällen von besonders bekannten Menschen, wie dem Musikers Abdourahmane Diop, wurde eine Facebookseite zur Trauer und Erinnerung erstellt. Vgl. zur Bul Faale-Bewegung Kapitel 3.2.1.

258 | Social Media im transnationalen Alltag

schied zu denen in Senegal nicht auf eine spezifische Generation wie etwa Jugendliche ausgerichtet, außerdem nicht an eine nationalstaatliche Politik gebunden und zudem viel stärker an den alltäglichen heterogenen Bedürfnissen von Senegals*innen in Berlin orientiert. In Vereinigungen wie Bokk Xalat oder dem Verein Sunugaal e.V. nehmen Frauen nicht teil. Allerdings unterstützen sie die Organisation von Feierlichkeiten beispielsweise durch die Zubereitung des Essens und nehmen als Gäste an den Veranstaltungen teil. Senegalesinnen organisieren sich in kleineren Kreditassoziationen und einem senegalesischen Frauenclub (AFSA), der von Ehefrauen von Botschaftsangehörigen gegründet wurde. „In der Assoziation, das sind keine engen Freunde, wir machen immer Assoziationen, wo immer wir sind. Wie helfen einander, treffen uns jeden Monat, so leben wir hier. Und jeden Monat zahlen wir ein bisschen was ein. Wenn jemand in Not ist, dann helfen wir uns. In der Assoziation sind alle, die unsere Sprache sprechen, es ist eine senegambische Assoziation.“ (Binta, 28.08.2014)

Binta unterscheidet in diesem kurzen Gesprächsausschnitt enge Freundschaftsbeziehungen von den freundschaftlichen gegenseitigen Unterstützungen innerhalb der (Kredit-)Assoziationen im Alltag in Berlin. Dies verdeutlicht, dass die Vereinigungen von Frauen weniger von engen (Gruppen-) Freundschaften geprägt sind wie die der Männer, was Untersuchungen zu dieser Form der Assoziationen in Senegal bestätigt (Wolf 2012:104; Rosenlew 2012). Die unterschiedlichen Ziele der Gruppierungen, die teilweise fehlende finanzielle Unterstützung der Mitglieder und die durch Neid, Eifersucht und Konkurrenz verursachten Streitigkeiten führten immer wieder zu Spannungen und Konflikten zwischen den Assoziationen und zur zeitweiligen Inaktivität von Kreditassoziationen und des Vereins Sunugaal e.V. sowie zur endgültigen Auflösung von Bokk Xalat. Die religiöse Vereinigung der muridischen dahira in Berlin, die 1987 gegründet wurde, ist eine weitere Organisationsform, die sich von den bisher vorgestellten deutlich unterscheidet. Erstens ist der Mitgliederkreis auf Anhänger der Muridiyya beschränkt, die ein gemeinsames religiöses Anliegen und die religiöse Praxis verbindet. Zweitens ist diese Verbindung eng mit anderen muridischen Gruppierungen innerhalb Deutschlands und Europas vernetzt und auf die Stadt Touba ausgerichtet. Vor allem drei ältere Senegalesen der ersten Generation organisieren die regelmäßigen Treffen und



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das jährliche Magal de Touba in Berlin. Andere religiöse Feierlichkeiten wie das Tabaski (s.o.) werden meist mit Anhängern anderer turuq gefeiert. Obwohl Frauen als Anhängerinnen der Muridiyya auch in Berlin eine wichtige Rolle spielen (vgl. Hill 2014; Evers Rosander 2004), gründeten sie erst am Ende meiner Feldforschung während der Feierlichkeiten des Magal de Touba in Berlin im Jahr 2014 die Frauen-dahira Mame Diara Bousso.12 Die etwa 50-jährige Oumi wählte einen der Höhepunkte der Feierlichkeiten, um per Mikrofon die Gründung dieser Organisation zu Ehren Ahmadou Bambas zu verkünden und sich damit als Initiatorin zu präsentieren und zu positionieren. Obwohl sich nach der Gründung nur ein kleiner Kreis von Frauen in unregelmäßigen Abständen traf, forderten die Senegalesinnen damit mehr Raum und Sichtbarkeit für sich ein. Zudem zeichnete sich hier auch eine Hierarchisierung innerhalb der Gruppe von Frauen ab (vgl. Wolf 2012:104). Feldforschungsszene vom 11.12.2014, Berlin Neukölln: Zum Höhepunkt des Magal de Touba in Berlin 2014 stimmen alle in die muridischen Gesänge, die khassidies, ein. Alle Männer sind nun aufgestanden und singen und tanzen in der Mitte des Raumes. Die Lautstärke und der Rhythmus des dhikr13 zur Vergegenwärtigung Gottes, dringt in die Körper und erfüllt den ganzen Raum. Auch die Frauen, die am Rande gesessen hatten, stehen nun und singen und bewegen sich im Takt der Gesänge. Fast alle haben ihre Smartphones, iPads und Tablets in der Hand und filmen und fotografieren gleichzeitig das Geschehen. [...] Eine der jungen Frauen, mit der ich zum Fest gekommen war, meint lachend zu einem der jungen Männer, auf den sie die Kamera hält: „Ich stelle die Bilder auf Facebook ein.“ Auch zu einer der Freundinnen, mit der wir gemeinsam zum Fest gekommen waren, wiederholt sie diesen Ausspruch mit einem Augenzwinkern [...]. Als ich mich nach den Festlichkeiten auf meinem Facebookaccount einlogge, tauchen zahlreiche Bilder und Videos des Magal de Touba in Berlin in meiner Zeitleiste auf. Die beiden Freundinnen, die ich an diesem Abend begleitet hatte, hatten mich getagged und in meinem Newsfeed sehe ich viele Bilder, Kommentare und likes zahlreicher anderer Anwesenden. Ich bin erstaunt über den öffentlichen Austausch, denn 12

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Mame Diara Bousso ist die Mutter des Begründers der muridischen tarīqa Amadou Bamba und wird als einzige Frau in Senegal in einer jährlich statt findenden Pilgerfeier in ihrem Mausoleum in Porokhane geehrt (vgl. auch Evers Rosander 2004). Dhikr (teilweise auch zikr oder zikkar) ist die meditative, häufig rhythmische Rezitation spezifischer Gebete oder der Wiederholung des Gottesnamens Allāh, das vor allem im Sufismus einen wichtigen Stellenwert einnimmt (Cochrane 2017:61).

260 | Social Media im transnationalen Alltag ich hatte weder davor noch danach so viele Posts zu einem senegalesischen Ereignis in Berlin auf Facebook gesehen. Besonders sind auch die zahlreichen Videos, die direkt auf Facebook oder mit YouTube verlinkt sind und die Veranstaltung aus unterschiedlichen Kameraperspektiven mit Mobiltelefonen ohne Schnitt und mit schlechter Tonqualität aufgenommen hatten.

Die Feldforschungsszene verweist auf drei Dimensionen freundschaftlicher Beziehungen. Zum ersten bietet die gemeinsame religiöse Praxis gleichgeschlechtlichen Freundschaftsbeziehungen jenseits formalisierter Assoziationen Möglichkeiten des intensiven Austauschs und gemeinsamen Erlebens. Zum zweiten eröffnet dies auch Raum für freundschaftliche Verbindungen zwischen Frauen und Männern. Zum dritten werden diese freundschaftlichen Verbindungen innerhalb der religiösen Praxis legitimiert, wodurch es möglich wird, diese für eine größere Öffentlichkeit auf Facebook sichtbar zu machen. Insbesondere die Repräsentativität und Größe des Festes unterstützt die zahlreichen Veröffentlichungen entgegen der sonstigen Zurückhaltung auf Facebook. In den Videos wird die religiöse Feierlichkeit innerhalb der Gemeinschaft in Berlin und die Zugehörigkeit zu einer globalen Anhängerschaft der Muridiyya betont. Darüber hinaus verdeutlichen die Bilder, Kommentare, tags und likes die freundschaftlichen Verbindungen zu spezifischen Personen(-gruppen) auch außerhalb der Muridiyya. Damit werden diese Beziehungen für die Teilnehmer*innen des Magal de Touba und Anhänger*innen der Muridiyya auf Facebook sichtbar. Die freundschaftlichen sozialen Beziehungen verbinden sich mit der religiösen Praxis zu transnational erweiterten „intimate publics“ (Schulz 2012:92; Lambert 2013:1) und transnationale Familienmitglieder und Freund*innen nehmen auf das Ereignis in Berlin Bezug. Wie bereits in Kapitel 5 zu Hochzeiten ausgeführt wurde, ermöglicht und erleichtert Facebook eine Form der (An-)Teilnahme und Verbindung zwischen Senegales*innen in Berlin und Dakar und verstärkt und führt bestehende freundschaftliche Beziehungen fort. Gerade auf Facebook überlappen und vermischen sich unterschiedliche horizontale Beziehungsformen wie Freundschaften, klassifikatorische oder deskriptive Verwandtschaftsbeziehungen. Insgesamt wird aus diesen Beschreibungen deutlich, dass unterschiedliche Vereinigungen häufig durch eine starke personelle Kontinuität verbunden sind. Wichtige Persönlichkeiten wie Abdoulaye und Grégoire oder Binta und Oumi haben sich in den unterschiedlichen Vereinigungen, die hier exemplarisch betrachtet wurden, engagiert und diese aufgebaut bzw. neu



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belebt. Enge freundschaftliche Beziehungen in der stärker formalisierten Gruppe haben durch die gegenseitige, teilweise langjährige Unterstützung in der Migration einen wichtigen Stellenwert im Alltag in Berlin und spielen für Männer eine größere Rolle als für Frauen. Religiöse Vereinigungen unterscheiden sich nicht nur durch ein gemeinsames religiöses Anliegen und ihre Praxis, sondern auch dadurch, dass hier unterschiedlich formalisierte gruppenbezogene Freundschaften auch zwischen Frauen und Männern möglich sind und öffentlich gemacht werden können. Religiöse, ökonomische und soziale Anliegen der Vereinigungen sind nicht immer klar voneinander getrennt. Die Organisationsformen sind meist geschlechts- und altersspezifisch organisiert. Der Fokus auf kulturellen senegalesischen Gemeinsamkeiten innerhalb der Assoziationen (Sprache, Essen, Feste) unterstreicht den Versuch der Homogenisierung durch die migrantischen Assoziationen innerhalb der sehr heterogenen migrantischen Gruppe der Senegales*innen in Berlin mit Bezügen zu ethnischen, religiösen, politischen und sozialen Zusammenhängen im Herkunftsland.

7.3 Transnationale Freundschaftsbeziehungen Das vorangegangene Unterkapitel zeigte die Bedeutungen von engen wie weiteren Freundschaften sowie von dyadischen und gruppenbezogenen freundschaftlichen Beziehungen für Senegales*innen in Berlin auf, wobei die Grenzen in allen Fällen fließend sind. Vor allem geteilte Erfahrungen, gemeinsame Veränderungen und langjährige gegenseitige Unterstützung und Solidarität sind Merkmale dieser Beziehungen (vgl. Buckley 2000:73), die sich teilweise mit familiären Beziehungen wie Geschwisterbeziehungen überschneiden. Unterschiede und Konflikte mit Freund*innen in Senegal deuteten sich beispielsweise bei Ibou und Abdoulaye an, die sich durch die Einflüsse und Veränderungen in Berlin von Freunden in Senegal distanzierten. Gleichzeitig konnte ich eine Zunahme der Bedeutung von transnationalen Freundschaften insbesondere bei langjährigen Freundschaften und Lebensprojekten in Senegal feststellen. Auf diese scheinbar gegenläufigen Beobachtungen gehe ich im folgenden Unterkapitel ein und verweise auf die Veränderungen von Freundschaftsbeziehungen im Lebensverlauf. Mit dem Fokus auf der Kommunikation mit Mobiltelefon innerhalb transnationaler Freundschaftsbeziehungen stelle ich die Statusveränderungen und den Um-

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gang mit Erwartungen aus der Perspektive von Senegales*innen in Berlin dar (7.3.1). Im Anschluss daran wird anhand beispielhafter Konflikte verdeutlicht, in welchen Kontexten transnationale Freundschaftsbeziehungen an Bedeutung gewinnen und in welcher Relation dies zu verwandtschaftlichen Beziehungen steht (7.3.2). Gerade für Lebensprojekte wie dem Hausbau in Senegal gewinnen transnationale Freundschaftsbeziehungen an Bedeutung und werden dadurch auch intensiviert.

7.3.1 Transnationale Telefongespräche und Freundschaften Viele Studien zu transnationalen Gemeinschaften betonen die emotionale Verbundenheit, die durch den Kontakt über Telefonate, insbesondere mit Mobiltelefonen, entstehen (z.B. Tall 2004; Vertovec 2004; Horst und Miller 2006; Kunreuther 2006). Diesen Befund möchte ich in diesem Unterkapitel ausdifferenzieren und dabei verdeutlichen, dass einerseits der Zeitpunkt der Abwesenheit und die biografische Situation ausschlaggebend für Nähe in den transnationalen Verbindungen sein kann und dies andererseits von der Art der Beziehung und den daran geknüpften Erwartungen abhängt. Viele Senegales*innen in Berlin betonen die Bedeutung von Telefongesprächen insbesondere in den ersten Monaten und Jahren der Abwesenheit, vor allem um mit Freund*innen in Kontakt zu bleiben. „Jaja, am Anfang habe ich sehr oft telefoniert. Das war eine façon de vivre. Da musste ich jeden Tag in Senegal anrufen. Das war ganz lustig, da hatte ich alles bei mir zu Hause, ich hatte alles da, da habe ich fast jeden Tag bis 5000 französische Francs für Telefon bezahlt. Ich habe gleich eine Telefonleitung bei mir [in Dakar] installieren lassen, da konnte ich immer mit meiner Familie und mit Freunden Kontakt halten.“ (Grégoire 06.10.2011)

Nur wenige der Senegales*innen der ersten Generationen konnten es sich wie Grégoire schon relativ kurz nach Ankunft in Berlin leisten, eine Festnetzverbindung im Haus der Eltern oder nahen Verwandten installieren zu lassen und für die regelmäßigen Kosten aufzukommen. Die meisten älteren Senegales*innen berichteten darüber, dass es vor allem Call-Shops und internationale Telekommunikationsläden waren, aus denen sie in unregelmäßigen Abständen mit der Familie telefonierten (vgl. z.B. Burrell 2012). Meist wurde dann eine bestimmte Summe abtelefoniert und die Gespräche endeten abrupt. Durch die Zunahme und die Erschwinglichkeit von Mobil-



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telefonen in Senegal seit Anfang der 2000er Jahre konnten Senegales*innen in Berlin ihre Verwandte und Freund*innen zwar teuer aber doch jederzeit erreichen. Durch die Telefonate entstand ein alltäglicher sozialer Raum zwischen dem Einzelnen in Berlin und dem Freundes- und Familiennetzwerk in Dakar, in dem emotionale Verbundenheit ausgedrückt werden konnte. Der Kontakt war meist relativ einseitig, aufgrund der hohen Kosten für internationale Anrufe in Senegal riefen Freund*innen und Angehörige nur in Notfällen aus Senegal in Berlin an und entwickelten kulturell spezifische Formen des bereits erwähnten ‚Anklingelns‘ (beep-ma) (vgl. Donner 2007 siehe auch Kapitel 3.2.1). Kennzeichnend war für viele nicht nur in der Anfangsphase der Migration, dass Gespräche vor allem von ihnen selbst initiiert wurden und dadurch auch stärker auswählt wurde, wer angerufen wurde.14 Mit der Verfügbarkeit günstigerer Mobiltelefonverbindungen veränderten sich häufig die Erwartungen von Freund*innen und Familienmitgliedern an Senegales*innen in Berlin: „Ich muss immer telefonieren. Weil manche in den USA sind und manche in Kanada. Ich habe eine Patchworkfamilie. Die rufen mich ständig an. Das hat nichts mit Geld zu tun oder so, sondern das hat zu tun mit Verbundenheit. [...] Ich bin immer für sie da. Aber die Gefahr ist, dass du dich selber vergisst. Das habe ich auch hier gelernt. Und das seh’ ich auch bei Freunden. Habe ich ihnen gesagt: ‚Du gibst nur, du gibst nur, aber du denkst nie an dich selbst.‘ Und das merke ich auch bei mir, manchmal tut mir das auch selber nicht gut, immer zu geben. Das ist die Realität von hier. Aber wenn ich zu Hause bin, dann bin ich in meinem Teller [schaue ich nicht über meinen Tellerrand]. Ob das in Senegal ist oder in Mali. Ich habe mehr enge Freundschaften in Senegal als in Mali!“ (Mahmadou 26.09.2012)

Interessant ist hier, dass Mahmadou ausdrücklich darauf verweist, dass die emotionale Nähe nicht mit finanzieller Unterstützung verbunden ist, obwohl in seinen Erzählungen viele Konflikte aus Diskussionen um finanzielle Zuwendungen entspringen. Mit der konstanten Verfügbarkeit, der Dauer des Aufenthalts in Berlin und den gesteigerten Erwartungen von Freund*innen und Familienangehörigen in Senegal verändert sich für viele Senegales*innen in Berlin die Einstellungen zum Telefonieren, wie auch einige jüngere Arbeiten zu transnationaler Mobilität und Mobiltelefonen her14

Viele Senegales*innen in Berlin beachteten bei der Auswahl, wer angerufen wird, dass Gespräche in Dakar häufig an andere anwesende Personen weitergereicht und Mobiltelefone auch verliehen werden (vgl. Tall 2004).

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vorheben (z.B. Frei 2013; Johnson 2013). Finanzielle Forderungen, die an moralische und soziale Erwartungen geknüpft sind, werden bevorzugt über direkte Telefongespräche geäußert und seltener über den schriftlichen Austausch per E-Mail oder private Nachrichten in sozialen Netzwerken im Internet. Dies hängt erstens damit zusammen, dass einige ältere Senegales*innen in Dakar schlecht schreiben können. Bedeutsamer ist jedoch zweitens, dass es sehr viel schwieriger ist, am Telefon den direkten Forderungen auf höfliche Art und Weise zu entgegnen und auszuweichen. Viele Senegales*innen in Berlin entwickeln deshalb, wie bereits erwähnt, Strategien des Vermeidens. Zunächst antworten viele auf Forderungen ausweichend oder geben Gründe an, warum die Zustellung von Zuwendungen verschoben werden muss. Teilweise werden Telefonate nicht mehr entgegengenommen, wie die Vielzahl an ‚verpassten‘ Anrufen deutlich macht. Einige berichteten auch davon, dass sie neue Telefonnummern nicht mehr an bestimmte Personengruppen weitergaben. Die Strategien der Vermeidung des Kontakts und die Reduzierung der Telefonate auf ein Minimum betraf gleichermaßen verwandtschaftliche wie freundschaftliche Beziehungen, wenn diese relativ eng waren und hohe Erwartungen an die Beziehungen gestellt wurden. Innerhalb von Freundschaftsbeziehungen mit Gleichaltrigen wurden nicht nur finanzielle Zuwendungen erwartet, sondern auch Unterstützung bei der Organisation der Reise nach Europa. „Das war so, dass ich diesen Pakt [mit den Freunden in Senegal] halten wollte, dann habe ich irgendwann gesagt, es geht nicht, ich kann das nicht. Da habe ich zu meinen Freunden gesagt, Leute, geht nicht dahin [Europa], bleibt hier in Senegal, habe ich zu meinen Freunden gesagt. Die haben gesagt: ‚Du bist verrückt, du bist böse, sag so was nicht.‘ Einige haben es geschafft, sind trotzdem nach Europa gekommen. Einer zuletzt vor drei Jahren nach Frankreich, der hat mich angerufen und gesagt, hätte ich bloß auf Dich gehört! Da habe ich gesagt ‚Moussa, das hat jetzt keine Bedeutung, du hast nicht zugehört, als ich das gesagt habe.‘ Ça n’a pas de sens ! [Das macht keinen Sinn! Nachdrückliches Klopfen auf den Tisch mit der Hand]. Somit telefoniere ich nicht mehr.“ (Ibou 07.10.2011)

Obwohl viele wie Ibou zunächst verbindliche Versprechen abgaben, mussten die meisten doch einsehen, dass aufgrund von strengeren Einreisebedingungen und finanziellen Hürden die Reise nicht möglich war. Daraus resultierende Enttäuschungen und Unverständnis für die unterschiedlichen



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Lebensrealitäten führten oftmals zu einem vorläufigen Abbruch des Kontakts innerhalb von transnationalen Freundschaftsbeziehungen. Zusammenfassend veränderte sich die Anzahl und Intensität der Telefonate für die meisten Senegales*innen mit der Dauer des Aufenthalts in Berlin. Nach den anfänglichen häufigen und sehr emotionalen Telefonaten aus Berlin nach Dakar drehte sich dieses Verhältnis meist durch günstige Mobiltelefonverbindungen und steigende Erwartungen sowohl bei Frauen als auch Männern um. Nun kamen die Anrufe häufiger aus Dakar und Senegales*innen in Berlin entwickelten unterschiedliche Strategien des Vermeidens oder brachen den Kontakt innerhalb von transnationalen Freundschaftsbeziehungen ganz ab (vgl. Cole 2014). Nicht nur die Anzahl und Intensität der Telefongespräche ist für die soziale Nähe in transnationalen Freundschaften ausschlaggebend, sondern auch, ob finanziellen, moralischen und emotionalen Erwartungen entsprochen und Versprechen der Unterstützung und Solidarität eingelöst werden. Charakteristisch für Telefongespräche und Nachrichten über Mobiltelefone ist, dass diese Verbindungen nur eingeschränkt für eine größere soziale Gruppe sichtbar sind. Die häufig in Telefonaten eingeforderte Unterstützung in Form von Geld oder Geschenken drückt als materielles Objekt die soziale Verbindung aus und macht diese für andere sichtbar.

7.3.2 Die Zirkulation von Geschenken und Geld Viele Ethnolog*innen fokussieren nicht nur in Senegal auf rituellen oder religiösen Geschenkaustausch als reziproke Form zur Aufrechterhaltung sozialer Beziehungen (Buggenhagen 2011, 2012b; Weiner 1985; Mauss 1990). Gegenseitiger Respekt, Vertrauen und Wertschätzung, aber auch asymmetrische Beziehungen können durch Objekte ausgedrückt werden und stellen Geber und Empfänger in ein wechselseitiges Verhältnis. Insbesondere für transnationale Kontexte wurden in diesem Zusammenhang finanzielle Rückführungen15 untersucht (Hannaford 2016; Lovio 2013), außerdem die Veränderungen innerhalb des Geschenkaustauschs und die Bedeutung für transnationale und migrantische Gemeinschaftsbildung in den Blick genommen (z.B. Werbner 2015). Meist rücken verwandtschaftliche transnationale 15

Finanzielle Rückführungen können teilweise im Sinne Mauss’ als Gabe und Teil einer ‚Geschenkökonomie‘ betrachtet werden, da sie in ein Netzwerk des symbolischen Austauschs eingebunden sind und auf Obligationen, Vertrauen und Solidarität beruhen (vgl. Werbner 1995:217 ff.).

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Beziehungen und ritueller Geschenkaustausch ins Zentrum dieser Arbeiten (Abranches 2013; Taylor, Wangaruro und Papadopoulos 2012), nur in wenigen Fällen werden Freundschaftsbeziehungen und Geschenkaustausch im migrantischen Kontext untersucht (Werbner 1995). Geschenkaustausch in transnationalen Freundschaftsbeziehungen wird dabei meist nicht beachtet. Für Senegales*innen in Berlin ist neben den familiären Verpflichtungen gerade der Geschenkaustausch mit Freund*innen in Dakar ein wichtiges Anliegen. Insbesondere für Reisen nach Senegal, die häufig in den kalten Berliner Wintern zwischen Januar und März stattfinden, müssen auch für Freund*innen vielfältige Geschenke besorgt werden. Schuhe, Kleidung, Schmuck und Kosmetika bekannter Marken sowie Mobiltelefone, Laptops und andere elektronische Geräte waren beliebte Gaben während meiner Feldforschung. Auf dem Rückweg brachten Viele spezifische Lebensmittel wie Palmöl, Cashew-, Erd- und Kola-Nüsse, Stoffe, selbstgeschneiderte Boubous sowie Haarerweiterungen und senegalesischen Weihrauch (thiouraye) mit nach Berlin. Die Erwartungen und Verpflichtungen des Gebens sind insbesondere bei Senegales*innen, die aus Europa nach Dakar reisen, besonders hoch, wie die Anfang zwanzigjährige Fatimatou kurz nach einem ihrer Besuche in Dakar berichtete: „Die nehmen Dir alles weg. Ich bringe immer so viel mit, doch schon bevor ich überhaupt richtig angekommen bin, erwarten sie, dass ich die Geschenke auspacke. Jeder möchte etwas haben und alle kommen sie und fragen mich, wo denn ihr Geschenk sei und ob ich sie vergessen habe. Schon nach einem Tag habe ich alles weggegeben und nichts mehr zum Verschenken. Dann vertröste ich sie, und sage, dass ich meine Koffer noch nicht ausgepackt habe, dass ein Koffer noch nicht angekommen sei. Ich denke mir was aus, um sie mir vom Hals zu halten.“ (Fatimatou, 11.12.2014)

Fatimatou machte im weiteren Gespräch einen Unterschied zwischen engeren Freund*innen, für die sie gezielt Geschenke auch zum Weiterverkaufen mitbrachte, und entfernteren Bekannten, für die sie spontan einen der mitgebrachten Gegenstände auswählte. Die Häufigkeit und der Wert des Geschenks ist nicht nur personalisierte Gabe, sondern markiert auch soziale Distanz, Vertrauen und Abhängigkeit, teilweise auch altersspezifische Verbindungen (Werbner 1995:219) und insbesondere Statusunterschiede innerhalb der transnationalen Beziehungen. Viele Senegales*innen in Berlin betrachten den Geschenkaustausch ambivalent. Einerseits können sie die hohen Forderungen und Erwartungen nicht immer erfüllen, andererseits



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fördern sie diese Erwartungen durch die zahlreichen Geschenke, mit denen sie sich als (sozial) erfolgreiche Person innerhalb ihres transnationalen Netzwerks positionieren. Zudem sehen viele Senegales*innen in Berlin das System des Geschenkaustauschs negativ als „gaspillage“ – Verschwendung. Damit drücken sie ihre Abneigung gegen ein System aus, das von ihnen verlangt, Ressourcen zu verteilen, ohne direkt etwas zurück zu bekommen (Buggenhagen 2012b:168). Teilweise differenzieren sich diese Einstellungen aus, wenn es um Lebensprojekte von Senegales*innen in Berlin wie den Kauf von Land oder einen Hausbau in Dakar geht. Neben dem Geschenkaustausch bei Reisen und Ereignissen wie Heiraten und Taufen (vgl. Kapitel 5) sind die Zirkulation von Arbeitskraft und Geld für Hausbauprojekte Teil eines erweiterten transnationalen Austauschsystems zwischen Verwandten und Freunden (Tall 2009). Die häufig unfertigen Bauprojekte zeugen von den abwesenden Migrant*innen im Stadtbild Dakars und formen Zugehörigkeit und Beziehungen (Melly 2010). Der Wunsch nach Land und Hausbau in Dakar steht für viele Senegales*innen in Berlin für die Hoffnung auf die erfolgreiche Rückkehr nach Senegal. Senegales*innen in Berlin sind für den Kauf von Grundstücken oder Baumaterialien auf die Unterstützung enger Familienmitglieder angewiesen. Dies führt häufig zu Konflikten, wenn Gelder nicht für Baumaterialien, sondern beispielsweise für Hochzeitsfeierlichkeiten verwendet werden, es Probleme mit Landtiteln gibt oder Familienmitglieder in Häusern leben, die eigentlich zur Vermietung bestimmt sind (siehe auch Kapitel 8.3). In mehreren Fällen wurde deshalb die Verantwortung für bürokratische und finanzielle Transaktionen von engen Familienmitgliedern auf Freunde übertragen. Damit wurden einerseits Konflikte über den Umgang und Verwendung von Geldern entschärft und andererseits Vertrauen, Unterstützung und zentrale Aufgaben auf freundschaftliche Beziehungen übertragen. Diese Verantwortung konnte nur auf ganz spezifische Freunde, die Teil der erweiterten und engen transnationalen Verbindungen waren, übertragen werden, da sie eine große Verantwortung und zentrale Rolle übernahmen.

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7.4 Fazit: Verwandt, befreundet, Freundschaft akzeptiert? Dieses Kapitel hat die Bedeutungen von engen und weiteren Freundschaften sowie dyadischen und gruppenbezogenen freundschaftlichen Beziehungen für Senegales*innen in Berlin aufgezeigt. Geteilte Erfahrung, langjährige gegenseitige Unterstützung, Solidarität und Gastfreundschaft (teranga) sowie die gemeinsame Erfahrung der Migration sind wie in anderen urbanen Migrationskontexten (Meier 2004; Werbner 2015) charakteristisch für Freundschaftsbeziehungen von Senegales*innen in Berlin. Für Frauen und Männer gleichermaßen waren enge und langjährige Freund*innen ausschlaggebend für die Auswahl Berlins als Wohnort oder das Wohlfühlen an diesem Ort. Geschlechtsspezifische Treffpunkte waren für Frauen und Männer bedeutsam, um gemeinsam Zeit zu verbringen und Zugehörigkeiten zur Gruppe von Senegales*innen in Berlin zu gestalten. Für alle drei beschriebenen Generationen von Senegales*innen, die aufgrund des Zeitpunkts und der Motivation für die Mobilität nach Deutschland unterschieden werden, waren Orte dieser Art wichtige Bezugspunkte im Alltag. Neben den dyadischen sind gruppenbezogene Freundschaften in den unterschiedlichen Vereinigungen für Senegales*innen in Berlin wichtig, wobei für Männer gruppenbezogene Freundschaften in (repräsentativen) Assoziationen eine größere Rolle spielen als für Frauen. Soziale, politische und religiöse Anliegen überschneiden sich in den polyvalenten Vereinigungen. Obwohl auch religiöse Gruppierungen wie die muridischen dahiras vielfältige Ziele verfolgen, müssen sie doch aufgrund der auf Touba ausgerichteten religiösen Anliegen von den anderen Vereinigungen unterschieden werden. Wie am Beispiel des Magal de Touba in Berlin deutlich wurde, vermischen sich sehr enge wie auch relativ unverbindliche und translokale und transnationale Freundschaftsbeziehungen auf Facebook. Vorstellungen, die Freundschaften vor allem als persönlich und privat konzeptualisieren, werden hierdurch in Frage gestellt (vgl. Coleman 2010:201). Transnationale Freundschaftsbeziehungen unterscheiden sich von Freundschaftsbeziehungen zwischen Senegales*innen in Berlin dadurch, dass erstens häufig zunächst gleichberechtigte Beziehungen durch die Mobilität zu einer ungleichen Beziehung werden. An Senegales*innen in Berlin werden hohe Erwartungen gestellt. Sie sollen Reisen ermöglichen, und insbesondere bei Besuchen in Senegal finanzielle Unterstützung leisten und Geschenke machen. Häufig werden diese Erwartungen in Telefongesprächen formuliert;



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dass solche Forderungen ausgerechnet über das Telefon und damit über den direkten Kontakt geäußert werden, verdeutlicht den emotionalen und moralischen Nachdruck.16 Die hohen Anforderungen können zu Konflikten bis zum (zeitweiligen) Bruch innerhalb der transnationalen Freundschaftsbeziehungen führen. Es sind insbesondere gruppenbezogene Interaktionen in unterschiedlichen privaten und (semi-)öffentlichen Settings, die soziale Medien charakterisieren. In Bezug auf soziale Onlinemedien haben Miller und andere (2016) dafür den Begriff der „scalable sociality“ geprägt. Auch der Geschenkaustausch innerhalb der transnationalen Freundschaftsbeziehungen kann als Teil dieser unterschiedlichen Formen von Öffentlichkeit betrachtet werden. Durch die Zirkulation von Objekten oder Geld werden soziale Beziehungen für andere sichtbar und innerhalb eines Freundschaftsnetzwerks gestaltet. Freundschaftspraktiken und Diskurse enthüllen auch Botschaften über Machtbeziehungen und normative Geschlechterrollen (Guichard 2014:5). Auch in transnationalen Freundschaftsbeziehungen kann die Nähe zu verwandtschaftlichen Beziehungen ausgemacht werden, wenn enge Freunde beispielsweise für den Bau eines Hauses zentrale Positionen einnehmen. Bell und Colemann (1999b) warnen davor, Freundschaften wie Verwandtschaft zu analysieren, doch es ist nicht immer leicht, Freundschaften von anderen Beziehungen wie Bekanntschaften, Nachbarn oder Verwandten abzugrenzen. Unter Senegales*innen in Berlin erfahren enge Freund*innen häufig ähnliche Wertschätzung wie Familienmitglieder (vgl. Werbner 2015:176). Die Nutzung klassifikatorischer Verwandtschaftsbegriffe für Freundschaften verweist auf die enge Beziehung von Freundschaft und Verwandtschaft. In beiden Beziehungsformen wird durch alltägliche Praxis Verbundenheit hergestellt (Carsten 2000:17) und sie können als „intersecting social forms“ (Rodgers 2010:70) betrachtet werden.

16

Die Wahl des Gesprächs kann im Sinne der Polymediatheorie von Madanou und Miller (2012b) als Teil einer kommunikativen Umwelt begriffen werden, um Emotionen und Beziehungen zu bewältigen und zu regeln.

8

Liebe, Geld und Schwiegermütter

Materielle Unterstützung und Medien in kleinfamiliären Beziehungen

Wenn Du Deinen Mann liebst, dann macht die Entfernung nichts aus. Wenn ich ihn höre, ist alles ok. Ich verstehe ihn, wir sprechen über Skype, wir sehen uns die ganze Zeit. [...] Wir sehen uns jeden Tag. Wir sprechen; er liebt mich; ich liebe ihn; das ist alles. (Adama 25.02.2013)

Die etwa 30-jährige Adama lebt in Dakar und beschreibt die Beziehung zu ihrem abwesenden Ehemann. Für Adama sind alltägliche Medienpraktiken, das miteinander Sprechen, das sich Hören und das einander Sehen, ein wichtiger Teil der transnationalen ehepartnerschaftlichen Beziehung. Diese affektiven Praktiken sind für sie essentiell für eine funktionierende Fernbeziehung, hierüber drücken die Ehepartner Liebe, gegenseitige Sorge, Intimität und Sexualität aus. In den Vorstellungen über funktionierende Fernbeziehungen ist die Liebe besonders eng mit der alltäglichen Sorge verknüpft.1

1

Transnationale Sorge wird hier im Anschluss an neue Arbeiten der „Anthropology of Care“ als vielschichtiges Phänomen verstanden, das emotionale, soziale, finanzielle und medizinische Aspekte relationaler Praktiken umfasst, die Geber und Nehmer an unterschiedlichen Orten einbeziehen (vgl. Alber und Drotbohm 2015; Palmberger und Hromadžić 2018).

272 | Social Media im transnationalen Alltag

Unter Liebe werden in dieser Arbeit im Anschluss an die Ethnologinnen Lynn M. Thomas und Jennifer Cole (2009:2) zunächst „sentiments of attachment and affiliation that bind people to one another“ verstanden. Im ethnologischen Kontext postulieren viele Arbeiten, dass „Liebesheiraten“ und globale Vorstellungen von romantischer Liebe zunehmen (vgl. Hirsch und Wardlow 2006; Cole und Thomas 2009). Freilich verweisen Autor*innen für Senegal darauf, dass erstens Intimität und Liebe innerhalb von Ehen kein neues Phänomen sind und zweitens Ehen auf einem komplexen Mix von ökonomischer und emotionaler Unterstützung und Sorge gründen (Hannaford und Foley 2015; Hannaford 2017:5 ff). Insbesondere in transnationalen Ehen sieht die Ethnologin Dinah Hannaford (2016:107) dieses Gleichgewicht durch die fehlende physische Kopräsenz gestört: „Spousal harmony in a Senegalese marriage requires that each party deliver financial, emotional, and sexual attention to the other. In transnational marriages, much of these elements of daily marital practice – time spent in the bedroom, sharing meals, and other quotidian affective practices – are unavailable to a couple. Absent these important elements of spousal relations, the material transaction of sending remittances takes on more of the onus of ensuring spousal harmony, and remittances take on intensified properties of meaning.“ (Hannaford 2016:97)

Ohne die Bedeutung von finanziellen Rückführungen in transnationalen Ehebeziehungen in Frage zu stellen, fehlt dieser Sicht doch eine Auseinandersetzung mit medial vermittelter Kopräsenz und transnationaler Sorge, wie dies in Adamas kurzem Gesprächsausschnitt im Eingangszitat deutlich wurde. Unterschiedliche alltägliche Medienpraktiken und Vorstellungen von Liebe dienen Adama und ihrem Mann dazu, mit Abwesenheit und Entfernung innerhalb dieser engen Beziehung umzugehen. In diesem Kapitel betrachte ich Medienpraktiken in engen transnationalen sozialen, vor allem ehepartnerschaftlichen Beziehungen und untersuche, wie Vorstellungen von (romantischer) Liebe und emotionaler Bindung, finanzielle Unterstützung und unterschiedliche mediale Verbindungen miteinander verflochten sind, um mit Abwesenheit und Entfernung innerhalb dieser engen Beziehung umzugehen. Ein kurzer Literaturüberblick (8.1) verweist auf die Verwobenheit von Vorstellungen von romantischer Liebe mit finanziellen Zuwendungen in Senegal und die Bedeutung der Kommunikation über unterschiedliche Medientechnologien. Die transnationalen Ehebeziehungen zwischen Dakar und Berlin verändern sich im Verlauf der



8. Liebe, Geld und Schwiegermütter | 273

Partnerschaft durch andere Bedürfnisse und Erwartungen führen zu Konflikten (8.2), außerdem werden immer wieder andere Beziehungen, vor allem zur Schwiegermutter und der Familie des Mannes, für Schwierigkeiten verantwortlich gemacht. Der anschließende Abschnitt (8.3) verdeutlicht, wie sich transnationale Ehepaare innerhalb eines Geflechts von Verwandten durch materielle Zuwendungen in Form eines Hausbaus und das Funktionieren von Medienkommunikation positionieren. Im letzten Unterkapitel (8.4) werden die Erkenntnisse über den Zusammenhang von Geld, Liebe und Sorge auf transnationale Eltern-Kind-Beziehungen übertragen. Hier wirken ähnliche Dynamiken der materiellen Zuwendung und emotionalen Nähe: Die Beziehungen der Sorge werden vor allem über enge und häufige Kontakte per Skype und Mobiltelefon aufrechterhalten.

8.1 Romantische Liebe, Geld und Medien in transnationalen Beziehungen in Senegal Feldforschungsszene in Dakar, 05.03.2013: Amy und Bineta telefonieren nachmittags und spät abends manchmal mehrere Stunden. Sie reden und lachen dabei sehr leise, damit sie niemand aus dem Haus dabei belauschen kann. Auf meine Frage, mit wem sie so lange telefonieren, lachen die beiden zunächst nur. Die ältere Astou, die meine Frage hört, meint: „Was denkst Du, die reden mit ihren chéries, die beiden sind sehr verliebt und müssen immer mit ihren Lieblingen sprechen.“ Im weiteren Gespräch stellt sich heraus, dass Amys Freund ihr das Mobiltelefon geschenkt hat und auch für die Telefonkosten aufkommt, damit sie in Kontakt bleiben können. Amy meint, dass sie ihren Freund sehr liebe und wenn er für sie aufkommen und sorgen könne, ihn gerne heiraten und mit nach Europa gehen würde. Bineta hingegen fügt über ihren Freund an, dass das kein Mann zum Heiraten sei, dass er schon eine Frau in Italien habe, er ihr aber viele Geschenke mache.

Amy und Bineta sprechen unterschiedliche Vorstellungen von Liebe und Partnerschaft an, die eng an materielle Zuwendungen, die Hoffnung auf eine (transnationale) Heirat und intime Gespräche mit dem Mobiltelefon gebunden sind. Angesichts materieller und sozialer Unsicherheiten gehen Hannaford und Foley (2015) davon aus, dass vorehelicher Partner ­(mbaraan) und transnationale Heirat zwei Strategien sind, um unmittelbar finanziell zu profitieren. Diese neuere Entwicklung stellt Heirat als Langzeitprojekt mit gemeinschaftsbildenden Zielen zwischen Verwandtschaftsgruppen (vgl.

274 | Social Media im transnationalen Alltag

Ames 1953, 1956; Enel, Pison und Lefebvre 1994) in Frage, ohne sie jedoch abzulösen, wie bereits im Beispiel der transnationalen Heirat von Khady deutlich wurde, die ihren Kreuzcousin geheiratet hat und mit ihm im Haus ihres Vaters lebt, jedoch gleichzeitig von einem Leben als Kleinfamilie träumt (vgl. Kapitel 5.4). Auch in transnationalen Ehebeziehungen gelten Vorstellungen über geschlechtsspezifische Arbeitsteilung: Die Frau kümmert sich um Haushalt und Kinder (liggéeyu ndey) und der Mann kommt finanziell für die ganze Familie auf (Adjamagbo u.a. 2006:7). Viele Studien fokussieren deshalb vor allem auf finanzielle Rückführungen und damit zusammenhängende Sorge und Verantwortung (z.B. Blanchard 2013; Cross 2009; Lovio 2013). Durch die finanzielle Rückführungen wird kompensiert, dass in der transnationalen Beziehung emotionale Intimität, Sexualität und andere affektive Praktiken – wie das für den Ehemann Kochen und Sorgen (topatoo) sowie das Aufrechterhalten einer friedlichen häuslichen Atmosphäre – nicht möglich sind (Hannaford 2016:107). Die meisten Arbeiten unterstützen damit das stereotype Bild der ‚materialistischen transnationalen Ehefrau‘, die in Dakar lebt und sich um Haushalt und Kinder kümmert. Jüngere Arbeiten dekonstruieren dieses Bild jedoch, indem sie erstens auf senegalesische Migrantinnen und deren Heiratsarrangements fokussieren (Evers Rosander 2010, 2005), und zweitens zeigen, dass finanzielle Unterstützung und emotionale Bindung untrennbar miteinander verbunden sind (Hann 2013:141 f.; Hannaford 2017). Transnationale Ehepartner drücken ihre ehepartnerschaftliche Sorge nicht nur durch finanzielle Rückführungen, den Hausbau in Senegal (vlg. auch Melly 2011) und die sporadischen Besuche aus, sondern auch in der Anzahl, Dauer und der Intensität der Telefonanrufe, Skypegespräche und Nachrichten. Dinah Hannaford gibt allerdings zu bedenken, dass die schnelle und unmittelbare Kommunikation über Distanz nicht unbedingt zu emotionaler Nähe führt: „[...] we should be wary of equating intense and rapid communication between migrants and those left behind with a kind of sharing of experience, mutual understanding or intimacy. Contact and connection are not the same thing.“ (Hannaford 2014:4)

Hannaford betont in ihrer Arbeit, wie abwesende Ehemänner durch häufige Telefonanrufe ihre Ehefrauen auch überwachen und dadurch deren Handlungsmöglichkeiten einschränken (2014, 2017 v.a. Kapitel 4). Sie verweist



8. Liebe, Geld und Schwiegermütter | 275

auf die Bedeutung der transnationalen ‚Technologien‘ im Sinne Michel Foucaults zur Kontrolle und Überwachung. Die Medialität und Materialität sowie die Verbindung der spezifischen Erfahrungen der Medien(-objekte) bindet sie hingegen nicht in ihre Untersuchung ein. Wie bereits in Adamas kurzem Zitat zu Anfang des Kapitels deutlich wurde, ist es gerade die Kombination und Nutzung von unterschiedlichen Medien(-technologien), die Stimme, Schrift und bewegtes Bild beinhalten, womit ein transnationaler Alltag möglich wird und gegenseitige Sorge und Liebe zum Ausdruck kommt. Der Fokus auf dyadischer Kommunikation lässt „intimate publics“ (Schulz 2012:92) oder „scalable sociality“ (Miller u.a. 2016), die bereits in den vorausgegangenen Kapiteln insbesondere anhand von sozialen Onlinemedien angesprochen wurden (Kap. 5.2.2.2; 7.2.2), außer Acht. Zwar verweist Hannaford auf den bedeutenden Einfluss der Schwiegerfamilie, insbesondere der Mutter und den Schwestern des Ehemanns, doch es bleibt teilweise unklar, welchen Stellenwert deren Medienpraktiken für die transnationalen Ehen innehaben. Insgesamt fehlt hier ein Blick auf mediale Vermittlungen und die Verwobenheit unterschiedlicher Medien(-technologien) mit den Dynamiken von engen transnationalen Beziehungen.

8.2 Geld und Schwiegermütter in transnationalen Ehen zwischen Berlin und Dakar Die Bewertung von transnationaler Partnerschaft veränderte sich für meine Gesprächspartner*innen in Berlin und Dakar im Verlauf der Ehe und unterschieden sich nach dem Alter der Ehepartner*innen und der Dauer der Ehe. In der Anfangsphase kurz nach der Heirat hofften viele Frauen und Männer, bald gemeinsam an einem Ort leben zu können. In dieser Phase posteten viele, wie die junge Fatimatou in Berlin, Collagen und Bilder von sich und ihrem Ehemann auf Facebook, mit roten Herzen, Titeln wie „Love is in the air“ und vorgefertigten Filtern von Mobiltelefonapps wie InstaMag. Die Paare stellten sich öffentlich in einer romantischen und idealisierten Zweierverbindung dar und richteten sich an transnationale Freund*innen und Verwandte. Konflikte, Schwierigkeiten und Herausforderungen der transnationalen Ehebeziehungen und der Lebensrealität in der Migration und Dakar wurden ausgeblendet.

276 | Social Media im transnationalen Alltag

Familienzusammenführungen sind in vielen Fällen erst möglich, wenn der Mann oder die Frau bereits länger und mit einem sicheren Aufenthaltsstatus in Berlin oder Europa lebte. Mansour musste beispielsweise nicht nur ein ausreichend hohes Einkommen und eine spezifische Wohnungsgröße nachweisen, sondern seine Frau Kiné musste für die nötigen Ausweispapiere in Dakar unter anderem eine für sie relativ teure Deutschprüfung beim Goethe-Institut bestehen.2 Über ein Jahr nach der Heirat konnte Kiné nach Deutschland einreisen – was im Vergleich zu anderen ein relativ kurzer Zeitraum war. Beide Ehepartner berichteten mir unabhängig voneinander, dass sich die Belastung und Unsicherheit während dieser Zeit in Spannungen in den Telefongesprächen und Textnachrichten ausdrückte. Mit langer Dauer der Ehe nehmen häufig nicht nur die Besuche und Kontakte, sondern auch die finanziellen Rückführungen in den Senegal ab. In einigen Fällen stellte sich heraus, dass aufgrund von bürokratischen Hürden und fehlender Papiere eine Familienzusammenführung nicht möglich war. Manche Ehemänner entschieden, dass es für die Erziehung der Kinder oder die Sorge um die Schwiegerfamilie besser wäre, dass die Ehefrau und die Kinder in Senegal blieben. Andere hatten wie der Mitte 40-jährige Alioune eine Freundin oder Ehefrau in Berlin, die er als „sehr anspruchsvoll“ bezeichnete und aufgrund der er die letzten drei Jahre nicht nach Senegal zu seiner Frau und den drei Kindern reisen konnte. Die meisten Ehefrauen in Dakar befürchteten oder wussten von anderen Ehefrauen oder sonstigen Beziehungen der Männer und fühlten sich dadurch häufig finanziell und emotional alleine gelassen. Die 50-jährigen Sona, deren Mann nach zehn Jahren Ehe mit einem Freund in die USA einreiste, berichtete mir, dass ihr Mann, um seinen Status zu legalisieren, eine amerikanische Frau geheiratet hatte. Für Sona und ihre vier Kinder bedeutete dies, dass die finanziellen Zuwendungen weniger wurden und ihr Mann sehr viel seltener, meist nur einmal im Monat, anrief.

2

Das Zertifikat der bestandenen Deutschprüfung A1 ist seit 2007 Voraussetzung für den Visumantrag auf Familienzusammenführung. Die Kosten für den Sprachkurs (230 Euro) und die Prüfung (46 Euro) müssen von der/dem Antragssteller*in getragen werden und sind bei Wiederholungen nicht unerhebliche Kosten für viele Ehepaare. In vielen Fällen ist es vor allem die fehlende Scholarisierung, die die erfolgreiche Prüfung verhindert.



8. Liebe, Geld und Schwiegermütter | 277

„Er hat sich sehr verändert. Unter dem Einfluss seiner Mutter und seiner Schwester wurde er sehr distanziert. Seine Mutter und seine Schwester haben alles getan, um uns auseinanderzubringen. Sie sind sogar so weit gegangen, maraboutage3 anzuwenden, damit wir uns nicht mehr verstehen. Und bis heute fahren sie fort, sich in unsere Beziehung einzumischen.“ (Sona 7.2.2013)

Sona und ihr Mann hatten ohne die Zustimmung der Mutter des Ehemannes „aus Liebe“, wie sie zu mir meinte, geheiratet. Erst die große Tauffeier ihrer ersten Tochter stellte in ihren Augen ihren ‚Respekt‘ in der Familie wieder her. Die Probleme mit ihrem Mann entstanden allein durch die Einmischung anderer Personen, wie sie immer wieder betonte. Einige ethnologische Arbeiten thematisieren magische Einmischung und Neid zwischen Ehefrauen eines Mannes insbesondere in polygamen Haushalten (vgl. Gemmeke 2005; Evers Rosander 2010; Hannaford 2017:69 f), die Bedeutung der Mutter des Mannes für die ehepartnerschaftliche Beziehung wird dabei aber oftmals nicht ausreichend in den Blick genommen. Viele transnationale Ehefrauen wie Sona werfen der Mutter oder Schwester des Ehemannes Einmischung und Einflussnahme durch magische Praktiken vor. Damit wird erstens das Verhalten des Ehemannes entschuldigt, zweitens der Konflikt auf die Schwiegerfamilie verlagert und drittens die Hoffnung auf positive Veränderung des Ehemannes aufrechterhalten. Die Mitte zwanzigjährige Mariama berichtete von Problemen mit ihrer Schwiegermutter, als ihr erster Sohn geboren wurde. Mariama lebte damals seit etwa vier Jahren in Berlin, ihr Mann hatte sie in dieser Zeit nur einmal für einen dreimonatigen Aufenthalt besuchen können, da sie für eine Familienzusammenführung nicht genug Geld verdiente. In Abwesenheit Mariamas und ihres Sohnes hielt die Schwiegerfamilie eine Tauffeierlichkeit in Dakar ab. Die Feier diente vor allem der Namensgebung und dem Schutz des Kindes, einen offiziellen Fotografen gab es nicht.4 Als ich nach der Geburt ihres Kindes in Deutschland mit Mariama über die Geburt und Taufe ihres ersten Sohnes sprach, meinte sie dazu: 3 4

Mit dem ursprünglich französischen Begriff maraboutage werden magische Praktiken auf Wolof bezeichnet, um das Leben einer anderen Person aus der Distanz zu beeinflussen (Gemmeke 2008:12).

Im Gegensatz zu den häufig beschriebenen großen Tauffeierlichkeiten (ngente) (vgl. Buggenhagen 2012b) fand hier kein großes Ereignis (xew), sondern lediglich eine kleine Namensgebungszeremonie (tuddu) statt (siehe Hann 2013:103 f. für eine differenzierte Beschreibung der unterschiedlichen Feierlichkeiten).

278 | Social Media im transnationalen Alltag „Ich habe ihnen [ihrem Mann und den Schwiegereltern] meinen Sohn per Skype gezeigt und auch Fotos [per E-Mail] geschickt. Meine Schwiegermutter, sie meinte immer wieder, dass ich dem bébé die Haare rasieren muss, sie hat auch immer wieder gesagt, dass ich ihn schützen muss, und hat mir über eine Freundin gris gris5 zukommen lassen. Aber ich will das nicht, hier ist Deutschland. Hier will ich das nicht. Ich habe ihr gesagt, dass es hier sehr kalt ist und ich ihm deshalb die Haare nicht abrasieren kann. Andere machen das, aber ich will das nicht. Auch die Amulette, ich habe danke gesagt und sie genommen. Aber hier gibt es diese Magie nicht, hier braucht man das nicht, das ist nur für dort.“ (Mariama 29.09.2013)

Die junge Mutter kommuniziert mit ihren Schwiegereltern vor allem über Skype und Mobiltelefon. Das Ereignis der Geburt und die Taufe ihres Sohnes hat sie auf Facebook nicht dokumentiert. Erst einige Zeit nach der Geburt und unabhängig von der Taufe hat sie Bilder ihres Sohnes auf Facebook eingestellt. Ein Grund dafür war, dass sie die Haare nicht abrasiert hatte. Die spezifische Situation in Berlin erlaubte es Mariama auch als junge Frau, gegenüber ihrer Schwiegermutter in Dakar eine starke Position einzunehmen. Sie lehnte die von ihr eingeforderten sozialen, rituellen und medialen Praktiken durch den Bezug auf den Migrationskontext ab. Wie in diesem kurzen Gesprächsausschnitt deutlich wird, ordnet Mariama ihre Verweigerung des Abrasierens als besonders ein, da sie betont, dass andere senegalesische Mütter in Berlin diese Praktiken nicht verweigern. Der Einfluss der Schwiegermutter auf die Beziehung zu ihrem Ehemann wurde auch in einem Gespräch deutlich, in dem Mariama über die Kinder­ erziehung und Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen sprach. Sie meinte zu mir, dass sie versucht habe, ihrer Schwiegermutter klarzumachen, dass Männer in Europa lernen müssten, alles zu machen, was die Frauen auch machen: „Même changer les couches!“ [Sogar die Windeln wechseln!]. Die Gespräche mit ihrer Schwiegermutter waren für Mariama bedeutsam, um sich über geschlechtsspezifische Aufgabenverteilung innerhalb ihrer Ehebeziehung klar zu werden, auch weil während des Besuches ihres Mannes in Berlin Konflikte über die alltägliche Aufgabenverteilung aufgekommen waren. „Ich arbeite den ganzen Tag und wenn ich nach Hause komme, möchte er, dass ich ihm das Glas Wasser, das neben ihm steht, reiche. Aber das mache ich nicht, wir sind hier in Europa, habe ich ihm gesagt!“ 5

Mit gris gris (xondiom in Wolof) werden in Senegal unterschiedliche Schutzamulette bezeichnet, die mit magischen Worten, Koranversen, Gegenständen und Flüssigkeiten magisch aufgeladen werden.



8. Liebe, Geld und Schwiegermütter | 279

Zusammenfassend verweisen diese Beispiele auf die Veränderungen innerhalb transnationaler Ehebeziehungen bei längerer Abwesenheit, durch bürokratische Hürden der Migrationsregime und die Rolle von Schwiegermüttern. Neben der häufig fokussierten Perspektive auf die in Dakar zurückgebliebenen Ehefrauen in Dakar wurde deutlich, dass ähnliche Dynamiken auch für transnationale Ehefrauen in Berlin gelten. Die spezifische Situation in der Migration und ihre größere finanzielle Unabhängigkeit eröffnete diesen Frauen auch Freiräume, auf Forderungen von Schwiegermüttern und anderen Mitgliedern der Schwiegerfamilie nicht oder nur teilweise einzugehen.

8.3 „Wenn Du ihn liebst, macht die Entfernung nichts aus“: Boubacar und Adama bauen ein transnationales Haus Bereits in den vorausgegangenen Kapiteln wurde immer wieder die Bedeutung des Hausbaus für transnationale und insbesondere Ehebeziehungen angesprochen. Viele Frauen wie Sona beklagten, dass sie gemeinsam mit den Schwiegereltern in einem Haus leben mussten und keinen eigenen Haushalt führten. Einige Frauen in transnationalen Beziehungen, mit denen ich in Dakar sprach, betonten allerdings wie Adama, dass die transnationale Ehe trotz der Entbehrungen aufgrund der gegenseitigen Liebe bestehen könne. Adama saß mit einem neuen iPad auf ihrem Bett und empfing mich mit strahlendem Lächeln: „Schau mal, was mir mein Mann geschenkt hat! Er ist vor drei Tagen angekommen.“ (23.02.2013) Adamas Mann Boubacar lebt seit über 15 Jahren in den USA. Die beiden waren als Jugendliche ein Paar gewesen. Bei einem seiner Besuche in Dakar hatten sich Adama und Boubacar wiedergetroffen und im Anschluss daran im Jahr 2010 geheiratet. Daraufhin kümmerte sich Adama um das im Bau befindliche Haus und richtete dort nach der Fertigstellung der Wohnräume eine Schneiderwerkstatt ein, die Boubacar finanzierte. Im Verlauf seines Besuches erläuterte mir Boubacar, dass er seiner Frau ein besonderes Geschenk mitgebracht habe, um ihr zu zeigen, wie sehr er sie schätzt. Er betonte, dass er das tun müsse, damit sie seine Zuneigung erkenne, sonst würde sie noch denken, dass er sie nicht liebe. Die Geschenke und materiellen Zuwendung drücken die Wertschätzung, den Respekt und die Liebe für seine Ehefrau aus. Die Marke des Geräts steht für sein Leben

280 | Social Media im transnationalen Alltag

in den USA.6 Im Gegensatz zu Adama, die die tägliche Kommunikation über Distanz durchweg positiv bewertet, betont Boubacar den körperlichen Mangel in der Beziehung: „Es [die Beziehung auf Distanz] ist wirklich hart. Besonders auf Skype, wenn sie sich für mich auszieht, kann ich sie sehen, aber ich kann sie nicht berühren. Das ist sehr schwierig. Was es etwas erleichtert, ist, wenn man ein Ziel hat, dann ist es gut. Ich weiß, dass ich meine Papiere habe, meine Staatsbürgerschaft. Ich kann ein Visum für sie bekommen und kann ihr auch Papiere besorgen. Ich kann sie nach drüben bringen. Dann ist es vorbei. Es wird sich am Ende auszahlen, das weiß ich.“ (Boubacar, 26.02.2013)

Das technische Gerät verbesserte die tägliche intime Kommunikation, die nicht nur für gegenseitige Liebesbezeugungen, sondern auch für familiäre und organisatorische Dinge bedeutsam ist. Hinter diesen ersten Eindrücken der Beziehung zwischen Adama und Boubacar steckt ein Geflecht an Beziehungen zur Familie des Mannes und der Frau. Die Heirat zwischen Adama und Boubacar fand zu einem Zeitpunkt statt, als Boubacar mit dem Bau eines Hauses in Dakar beschäftigt war. Er suchte zu diesem Zeitpunkt eine Frau, auch weil er für die Bauarbeiten eine Vertrauensperson vor Ort benötigte, um Streitigkeiten mit seinen zwei älteren Brüdern auszugleichen. Obwohl Boubacar bereits zwei Töchter mit seiner geschiedenen amerikanischen Ehefrau hatte, befürchteten seine Brüder in Dakar, dass durch die Heirat mit einer Senegalesin das Haus für die gemeinsamen Kinder und nicht für sie selbst als älteste männliche Familienmitglieder bestimmt sei. Mit der Geburt von Zwillingen im Juli 2012 verschärfte sich der Konflikt zwischen Adama und den beiden Brüdern und ihren Ehefrauen, die gemeinsam im von Boubacar finanzierten Haus lebten. Per Telefon musste sich Boubacar immer wieder als Schlichter aus den USA einschalten. Die Ehefrauen der Brüder wollten Adamas neue Position als Ehefrau des Hausbesitzers, der der jüngste Bruder der Familie ist, nicht anerkennen. Boubacar sprach vor allem mit seinen älteren Brüdern und zögerte zunächst, aus der Ferne in die Konflikte zu intervenieren. Doch die Geburt und Tauffeierlichkeiten der

6

Geschenke von Berliner Senegales*innen schlossen zwar Mobiltelefone und kleinere Laptops mit ein, ich konnte jedoch nicht beobachten, dass neuwertige Apple-Geräte verschenkt wurden.



8. Liebe, Geld und Schwiegermütter | 281

Zwillinge, der Tod des jüngeren Zwillings im Alter von fünf Monaten und eine Fehlgeburt Adamas im darauffolgenden Jahr führten zu einer Zuspitzung des Konfliktes. Boubacars Brüder und ihre Familien hatten weder den trauernden Eltern kondoliert, noch den Trauer- oder Tauffeierlichkeiten beigewohnt, obwohl sie im gleichen Haus lebten. Adama warf den Ehefrauen der Brüder maraboutage vor und machte sie für den Tod ihres Sohnes und die Fehlgeburt verantwortlich. Im Anschluss an diese Vorfälle mussten die Brüder mit ihren Familien aus Boubacars Haus ausziehen und der Kontakt brach von beiden Seiten aus ab. Adama war vollständig für das Haus und die Untervermietung verantwortlich, bis sie im April 2015 mit ihrem Sohn zu ihrem Mann ziehen konnte. Die Verwaltung des Hauses in Dakar wurde nun auf einen Bruder Adamas und eine ältere Nichte Boubacars übertragen. Die Geburt eines weiteren Sohnes im Mai 2016 in den USA teilte mir Adama über Facebook mit. In einem Gespräch berichtete sie mir wie bereits Mariama in Berlin, dass die Magie nicht bis in die USA reichen würde und sie nun überglücklich sei. Zusammenfassend bestätigt dieses Beispiel ethnologische Arbeiten, die argumentieren, dass Vorstellungen von Liebe in transnationalen Ehebeziehung in Senegal durch finanzielle und materielle Zuwendungen Ausdruck finden (Hann 2013; Hannaford 2017). Die Häufigkeit und Intensität der Kommunikation stellt jedoch ein weiteres wichtiges Element von Liebe dar, das in den oben genannten Arbeiten meist nicht ausreichend beachtet wird. Adama und Boubacars Beispiel verdeutlicht, dass alltägliche gegenseitige Sorge und Sehnsucht nach dem Anderen beispielsweise per Skype ausgedrückt wird. Auch wenn die fehlende körperlich-emotionale Dimension als Einschränkung wahrgenommen wird, kann insbesondere die Hoffnung auf ein gemeinsames Leben und das absehbare Ende der Beziehung auf Distanz das transnationale Leben erleichtern. Die Bedeutung der Schwiegerfamilie für die ehepartnerschaftliche Beziehung – im Falle von Boubacar und Adama zu den älteren Brüdern und ihren Frauen – darf nicht unterschätzt werden. Im Unterschied zu Hannafords Gesprächspartner*innen (z.B. Hannaford 2014), die sich von ihren Ehemännern und deren Überwachung stark eingeschränkt fühlten, verdeutlichten Adama (und Mariama im vorausgehenden Kapitel), dass sie innerhalb der familiären Netzwerke und in der Migration durch die enge Beziehung zum Ehemann oder durch die eigene Migration wichtige Positionen und Handlungsräume für sich erschließen konnten.

282 | Social Media im transnationalen Alltag

8.4 Exkurs: Erwachsene Kinder und alternde Eltern In transnationalen Eltern-Kind-Beziehungen wirken ähnliche Dynamiken von Geld, Liebe und Sorge wie in ehepartnerschaftlichen Beziehungen (z.B. Coe 2013a; Madianou und Miller 2011; Poeze und Mazzucato 2013). „Parenting at a distance“ begegnete mir während meiner Feldforschung in Berlin vor allem bei Vätern, die getrennt von ihren Kindern in Dakar oder Senegal lebten. Bei Müttern in der Migration lebten in den meisten mir bekannten Fällen die minderjährigen Kinder in Berlin. Die meisten erwachsenen Senegales*innen, mit denen ich sprach, hatten in ihrer Kindheit zumindest für eine Zeit die Erfahrung gemacht, nicht mit ihren (leiblichen oder sozialen) Eltern an einem Ort zu leben. Für viele meiner Gesprächspartner*innen war die Beziehung zu den alternden Eltern ein wichtiges Thema. Die Bedeutung und Einzigartigkeit der Eltern-Kind-Beziehung in Senegal erläuterte die Ende zwanzigjährige unverheiratete Maman mit den Worten: „Ein Vater hat viele Kinder, aber als Kind hat man nur einen Vater und eine Mutter.“ (12.03.2012) In einem späteren Gespräch unterstützte die ältere Sona diese Aussage und erklärte mir, dass ein Kind die vollständige Aufopferung der Mutter nie wird bezahlen (fey) können. Sona nutzte des Verb fey, um die Obligation der Kinder im Sinne von dem Begleichen von Schulden auszudrücken, damit verdeutlicht sie auch die Verschränkung von materieller und symbolischer Obligation. Diese Verpflichtung überträgt sich im Fall des Todes der biologischen Eltern auch auf soziale Eltern bzw. Mütter: „Der pagne, das ist ein Geschenk, das für sie [die Mutter] reserviert ist. Denn das ist für die Person, die Dich zur Welt gebracht hat. Deine echte Mutter. Wenn Deine Mutter nicht mehr lebt in diesem Moment, dann gibt man das an eine der Tanten, die Dich wie ihre eigene Tochter großgezogen hat. Wenn Du mit der Tradition lebst, dann ist es so. Selbst wenn Deine Eltern nicht mehr leben, gib es jemand anderem, der Deine Augen hat, der sich als Dein Vater fühlt und verhält oder sich als Deine Mutter fühlt. Diesen Personen muss man die Geschenke zurückgeben.“ (Hassan 13.03.2012)

In diesem Gesprächsausschnitt wird die Verflechtung von moralischer, emotionaler und materieller Verpflichtung deutlich, die Kinder ihren leiblichen Eltern gegenüber haben. Diese Verpflichtungen erstrecken sich nicht nur auf den rituellen Geschenkaustausch, sondern sie setzen sich im Alltag fort, insbesondere wenn die erwachsenen Söhne und Töchter in Europa leben.



8. Liebe, Geld und Schwiegermütter | 283

Grégoire, der seit über 20 Jahren nicht mehr in Senegal lebt, wird häufig mehrmals am Tag von seiner 80-jährigen Mutter Marie angerufen. In diesen Anrufen bittet sie um Geld oder andere materielle Zuwendungen, berichtet von den Geschehnissen in Dakar und den familiären Angelegenheiten. Die Besonderheit wie die Erwartungen an die Beziehung drückt sich in diesen Anrufen aus, die Grégoire häufig nicht annimmt oder erwidert. Die 80-jährige Marie lebt mit einer Nichte und einem Enkel ihres Bruders in einem belebten Wohnviertel in Dakar. Für sie sind die häufigen Telefongespräche mit ihrem Sohn in Berlin und ihrer Tochter in Italien ein Weg, um sich nicht alleine zu fühlen: „Mit dem Telefon sieht man die Person nicht, Du hörst nur die Stimme. Mit dem Computer siehst Du die Person (figure). Das macht Freude. Das ist ein Genuss, aber das schmerzt auch im Herzen. Denn man möchte dort sein, um sie so zu greifen.“ (Marie 12.02.2013)

Wie bereits mehrmals deutlich wurde, eröffnet die Visualität in Skype nicht nur einen alltäglichen Raum des Zusammenlebens und der sozialen Nähe zwischen geografisch entfernten Personen (vgl. z.B. Kapitel 4), sondern verstärkt gleichzeitig dadurch den Schmerz und die Sehnsucht nach körperlicher Nähe. Als Ausdruck der besonderen Mutter-Sohn-Beziehung hatte Grégoire seiner Mutter eine Reise nach Berlin ermöglicht, von der mir die 80-jährige Marie sehr lebhaft bei einem Besuch in ihrem Haus in Dakar berichtete. Auch finanzielle Zuwendungen spielen in dieser Beziehungsarbeit eine besondere Rolle. Neben den unregelmäßigen Zuwendungen, die je nach verfügbarem Einkommen variierten, hatten Grégoire und Marie ein persönliches Banksystem aufgebaut, das einzige in Berlin, von dem mir während meiner Feldforschung berichtet wurde. Grégoire erläuterte, dass dieses System auf gegenseitigem Vertrauen basierte und durch Händler entwickelt worden sei, die keine großen Geldsummen nach Senegal ein- und ausführen konnten. Grégoire nahm Zahlungen in Berlin entgegen und nach einem Telefonanruf bei seiner Mutter konnte die entsprechende Summe von ausgewiesenen Personen gegen eine geringe Gebühr bei Marie in Dakar in FCFA abgeholt werden. Voraussetzung für dieses System des transnationalen Geldtransfers war Vertrauen in der Mutter-Sohn-Beziehung zwischen Marie und Grégoire. Mit der globalen Finanzkrise wurde das System allerdings aufgegeben.

284 | Social Media im transnationalen Alltag

Wie bereits die ethnologische Literatur zu transnationaler Sorge gezeigt hat (vgl. Baldassar 2007; Alber und Drotbohm 2015; Skornia 2015; Hromadžić und Palmberger 2018), kümmern sich Senegales*innen in Berlin auf sehr unterschiedliche Weise aus der Distanz um alternde Eltern in Dakar. Durch den häufigen Kontakt über Mobiltelefon und Skype gehen Kinder, Eltern und andere Verwandte mittels unterschiedlicher Technologien in einem „care collective“ (Ahlin 2018) Beziehungen miteinander ein, um die Sorge zu übernehmen. Vorstellungen von Liebe, Verpflichtung und Sorge hängen über den medial vermittelten Kontakt eng mit finanziellen Zuwendungen zusammen und, wie das Beispiel von Marie und Grégoire gezeigt hat, die Praktiken der Sorge variieren im Lebensverlauf nicht nur nach der finanziellen Situation in der Migration und den technischen Möglichkeiten, sondern auch nach den Bedürfnissen der beteiligten Personen.

8.5 Ein Fazit zu moralischen, emotionalen und materiellen Verpflichtungen in engen transnationalen Verbindungen Moralische, emotionale und materielle Verpflichtungen hängen in intimen Beziehungen in Senegal eng miteinander zusammen. Vorstellungen von Liebe und emotionaler Nähe finden sowohl in transnationalen ehepartnerschaftlichen als auch in transnationalen Eltern-Kind-Beziehungen durch finanzielle und materielle Zuwendungen Ausdruck (Hann 2013; Hannaford 2017) und sind wie bereits in den vorausgegangenen Kapitel ausgeführt in hierarchische Beziehungen des Geschenkaustausches eingebunden (Buggen­hagen 2011, 2012b; Weiner 1985; Mauss 1990). Die gegenseitige Liebe und Sorge drückt sich allerdings auch in häufigem Kontakt und medial vermittelter Kopräsenz über Mobiltelefon und Skype aus (soziale Onlinemedien und Messengerdienste wurden zum Zeitpunkt der Forschung in sehr viel geringerem Ausmaß als Telefon und Skype für diese Form der Beziehungsarbeit genutzt). Über diese Formen der Kommunikation werden die unterschiedlichen Beziehungen aufrechterhalten und bestärkt. In ehepartnerschaftlichen Beziehungen sind es häufig Vorstellungen von romantischer Liebe und geschlechtsspezifischer Rollenverteilung der Sorge, in Eltern-Kind-Beziehungen dagegen normative Vorstellungen von gegenseitiger Obligation und ‚Schuld‘, die das Zusammenspiel dieser Bereiche organisieren.



8. Liebe, Geld und Schwiegermütter | 285

Im Vergleich zur bisherigen ethnografischen Literatur zu transnationalen Ehen (Hannaford und Foley 2015; Hannaford 2017, 2014; Charsley 2012b) verweisen die Beispiele aus diesem Kapitel auf die Bedeutung der Schwiegerfamilie und insbesondere der Schwiegermutter für die transnationale ehepartnerschaftliche Beziehung. Einerseits wurden Konflikte und negative Entwicklungen auf den Einfluss der Schwiegerfamilie zurückgeführt (z.B. durch maraboutage), andererseits wurde über die Schwiegermutter versucht, Veränderungen in der Partnerschaft zu bewirken (Mariama). Im Gegensatz zu Hannafords Gesprächspartner*innen (z.B. Hannaford 2014) verdeutlichten die Frauen in Dakar und Berlin, dass sie sich gerade durch enge transnationale Kommunikation und Intimität mit dem Ehemann innerhalb ihrer familiärer Netzwerke positionieren konnten. Die bisher selten in der Literatur beachteten transnationalen Ehefrauen im migrantischen Kontext (siehe aber Evers Rosander 2010) verweisen zusätzlich auf die Handlungsspielräume, die sie durch die Distanz und durch transnationale Medienpraktiken der Verweigerung erschließen konnten. Das „mächtige Zaubermittel Geld“, wie Kanakassy (2013:202) es in seiner politischen und postkolonialen künstlerischen Auseinandersetzung ausdrückt, kompensiert in transnationalen Beziehungen die Abwesenheit von Personen in Form von direkten finanziellen Zuwendungen und dem Bau von Häusern. Gleichermaßen verstärkt Geld gegenseitiges Vertrauen und dadurch auch die intensive transnationale enge Beziehung etwa mittels privatem Banksystem oder Hausbau. Geld alleine reicht jedoch nicht aus, um in engen transnationalen Beziehungen Nähe herzustellen, sondern ist eingebettet in die Kommunikation über unterschiedlichen Medientechnologien. Die Häufigkeit und Intensität von Gesprächen über Mobiltelefonverbindungen und Skype sind ein wichtiger Ausdruck von Liebe und Sorge sowohl in ehepartnerschaftlichen als auch in Eltern-Kind-Beziehungen, die Kopräsenz herstellen und mit spezifischen Erwartungen verknüpft sind. Viele Senegales*innen schätzten die Visualität Skypes für intime und emotionalen Verbindungen, nahmen dadurch aber den Mangel an Körperlichkeit in der Beziehung stärker wahr. Das intime Gespräch zwischen zwei Personen (in seltenen Fällen auch mehreren Zuhörer*innen) wurde erst am Ende meiner Forschung mit der Zunahme von WhatsApp, Viber und anderen Messengerdiensten durch Gespräche in kleineren Gruppen ergänzt. Diese „scalable sociality“ (Miller u.a. 2016) und unterschiedliche Formen der „intimate publics“ (Schulz 2012:92) in kleinfamiliären Beziehungen bedürfen weiterer Untersuchungen. Gerade die Nutzung unterschiedlicher Medien(-tech-

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nologien), die Stimme, Schrift und bewegtes Bild beinhalten, ermöglichten in Kombination mit Geld den Ausdruck von Wertschätzung und Liebe und stellten eine Form der Kopräsenz dar, die bisher selten als Element von transnationalen Beziehungen untersucht wurde.

9 Ausblick

Medien der transnationalen Vernetzung

Feldforschungsnotiz vom 11.12.2014, Magal de Tuba im Kulturzentrum Neukölln: Das Taxi hält direkt vor der Tür des Neuköllner Kultur- und Gemeindezentrums. Aida und Fatimatou bleiben vor dem Eingang des Betonbaus aus den 1980er Jahren kurz stehen, ziehen ihre Foulards über den Kopf, schauen mit einem prüfenden Blick an sich herunter und zupfen ihre Boubous zurecht. Fatimatou fragt in meine Richtung: „Bist Du bereit?“. Ich nicke, dann setzt sich unsere kleine Gruppe in Bewegung. Aida und Fatimatou schreiten mit abgewandtem Blick durch den Saal zielstrebig auf die Treppe zur Empore mit den Frauen zu. In der Mitte des Saals sitzen etwa zehn Männer mit verschränkten Beinen auf dem Boden vor den aufgebauten Mikrofonständern und widmen sich dem dhikr. Auf einer Seite des Kreises sitzen in den Stuhlreihen viele jüngere und ältere Männer, die aufmerksam zuhören oder sich unterhalten. Die Reihe mit Tischen an der anderen Seite ist fast leer. Auf der dritten Seite werden mit einem Projektor per Livestream die Bilder der Feierlichkeiten aus Tuba übertragen. Der Ton ist leise gestellt, so dass die an- und abschwellenden Gesänge des dhikr den Raum dominieren. Die Wände des Gemeindesaals haben die Organisatoren mit dem Bild Sheikh Ahmadou Bambas auf Stoff mit Goldgewebe und auf Postern sowie weiteren religiösen Paraphernalien aus Plastik geschmückt. Die Frauen und Kinder halten sich zunächst auf der Empore auf und setzen sich erst später für das Essen an die leeren Tische unten im Raum.

Die Feier zum Magal de Touba in Berlin am 11.12.2014 in einem Kultur- und Gemeindesaal in Neukölln war einer der Höhepunkte und gleichzeitig der Abschluss meiner Feldforschung in Berlin. Mit der Feierlichkeit nehme ich den Faden auf, der in der Einleitung mit einer kurzen Notiz über Bintas La-

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den und ihre Vorbereitungen zum Magal de Touba in Berlin begann und in Kapitel 7 mit der Beschreibung des Höhepunkts der Feier und seiner Darstellung auf Facebook erneut aufgriffen wurde. Das Magal de Touba wurde 2014 nicht nur das erste Mal in dieser Größe in Berlin gefeiert, vielmehr fand aus Anlass des Ereignisses auch die Gründung der dahira der Frauen Mame Diara Bousso statt. Bemerkenswert war bei den Feierlichkeiten zudem, dass zahlreiche Fotografien und Videos des dhikr und der khassidis, die an diesem Abend von Teilnehmer*innen in Berlin erstellt wurden, später auf Facebook, YouTube und Instagram zirkulierten und als Teil der audiovisuellen transnationalen Verbindungen wirksam wurden. Am Beispiel des Magal de Touba in Berlin lassen sich die unterschiedlichen Beschreibungen alltäglicher (visueller) Medienpraktiken, medial vermittelter Ereignisse und transnationaler sozialer Beziehungen mit den Argumentationslinien dieser Arbeit zusammenführen und auf den Punkt bringen: Die Entwicklungen transnationaler Migration und ‚neuer‘ Medien wurden als Medienpraktiken und mediale Räume mit einem Fokus auf die häufig vernachlässigte Bedeutung von Visualität und Bildern in sozialen Medien gefasst. Der medienpraktische Ansatz ermöglichte es, Bilder und Visualität eingebettet in Praxiszusammenhänge, in ihren medialen und sozialen Kontexten zu untersuchen. Bilder und Visualität rückten damit als transnationale Vermittler, die Verbindungen zwischen unterschiedlichen Personen(gruppen) ermöglichen, in den Mittelpunkt der Untersuchung. Die spezifischen Medienpraktiken der Telefonate, der Bild- und Videoaufnahmen oder der Einbindung auf Facebook verdeutlichten, wie durch sie medial vermittelte Erfahrung bestimmt wird. Zudem veranschaulicht die Arbeit, wie diese medialen Austauschräume geschlechts- und generationenspezifisch aus der jeweiligen Perspektive der Migration oder des Herkunftskontextes angeeignet werden. Je nach Lebenssituation und Alter werden diese Beziehungen vornehmlich durch Medientechnologien wie Facebook oder Handy und Videotelefonie ausgestaltet. Neben familiären Beziehungen gewinnen freundschaftliche Beziehungen sowohl im migrantischen wie auch im transnationalen Kontext an Bedeutung. Die Dynamiken von sozialer Nähe und Distanz können nur unter Einbeziehung der jeweiligen biografischen Situationen im Herkunfts- bzw. Migrations­kontext verstanden werden. Die Fernsehübertragung aus Tuba während der Feier, die Mikrofon-Verstärkung der khassidis und die zahlreichen Mobiltelefonbilder und Videos, die auf sozialen Medien online gestellt wurden, sind Teil des Magal de Touba



9. Ausblick | 289

in Berlin und formen es zugleich. Hier wird deutlich, wie die unterschiedlichen medialen Vermittlungen des Ereignisses einen medialen Raum eröffnen, in dem soziale und religiöse Anliegen verbunden werden. Üblicherweise wird ein Ereignis als ein durch leibliche Kopräsenz markiertes, ephemeres und an einen zeitlichen Moment sowie einen bestimmten Raum gebundenes Phänomen charakterisiert (vgl. Meinert und Kapferer 2015; Handelman 1998). Intensiver Medieneinsatz kann das Ereignis aber entscheidend räumlich und zeitlich erweitern, wie dies auch in Kapitel 5 zu transnationalen Hochzeitsfeierlichkeiten zum Ausdruck kam. Damit verweist diese Arbeit über den Begriff des Medienereignisses hinaus (Dayan und Katz 1994), der auf Fernsehen und live-Performances fokussiert, auf die Veränderungen durch digitale Medien (vgl. Pink u.a. 2015:147 ff). Das Ereignis wird durch die Audiovisualität der digitalen Medien synchron auf weitere Orte verlagert, dabei spielt die gleichzeitige körperliche und medial vermittelte Erfahrung (Kopräsenz) an unterschiedlichen Lokalitäten eine ebenso wichtige Bedeutung für transnationale Beziehungen wie die zeitverzögerte vermittelte Kommunikation und Teilnahme beispielsweise über Facebook. Digitale Medien werden in diesem Fall genutzt, um transnationale religiöse und soziale Gemeinschaft durch synchrone und asynchrone Verbindungen herzustellen. Diese unterschiedlich skalierten persönlichen und Gruppeninteraktionen (vgl. zu „scalable sociality“ Miller u.a. 2016) beziehungsweise die Medien­ praktiken der transnationalen Vernetzung sind insbesondere durch das Zusammenspiel der Erfahrung von Telefon- und Videogesprächen, Bildern und Videoaufnahmen geprägt, die gleichermaßen alltägliche wie besondere Ereignisse umfassen. Das Magal de Touba in Berlin verdeutlicht, dass sich Senegales*innen durch die Organisation von gemeinschaftlichen Feierlichkeiten bzw. Veranstaltungen als spezifisch senegalesische Gemeinschaft in der kulturellen Gemengelage Berlins verorten (Kapitel 7). Senegales*innen organisieren sich in Deutschland ähnlich wie in Senegal geschlechtsspezifisch und teilweise auch nach Alter getrennt in unterschiedlichen polyvalenten Vereinigungen. Der migrantische Kontext in Berlin verändert jedoch teilweise Aufgabenverteilung und Einflussbereiche zwischen Geschlechtern und Generationen. Dies veranschaulicht der erweiterte Spielraum von Frauen gegenüber ihren Ehemännern, Schwiegermüttern und ihrer Schwiegerfamilie durch eigenes Einkommen oder der Verweigerung von rituellen oder kommunikativen Praktiken (Kapitel 8). Auch Männer erschließen für sich neue Aufgabenbereiche wie die Essenszubereitung zur Einkommensgenerierung. Grundsätz-

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liche Vorstellungen von der hierarchischen Organisation von Geschlechterbeziehungen werden in Berlin jedoch nicht in Frage gestellt. Diese Beispiele zeigen auf, wie flexibel auf die jeweilige Situation reagiert wird. Feierlichkeiten wie das Magal de Touba oder Hochzeiten stärken zunächst die religiöse Zugehörigkeit zu einer globalen Gemeinschaft von Gläubigen mit starker Anbindung an Orte wie Touba in Senegal. Gleichzeitig werden durch die Feiern auch die transnationalen dyadischen sozialen Verbindungen zu Familienangehörigen und Freund*innen in Senegal, Europa und Berlin gefestigt. Diese Ergebnisse unterstützen rezente Forschung, die von einer gleichzeitigen Verbindung (incorporation) an unterschiedlichen Orten und translokalen und transnationalen Netzwerken ausgeht (Glick Schiller und Çaglar 2009; Salzbrunn 2013). Der Fokus auf geschlechter- und generationenspezifische Ausgestaltung von Zugehörigkeit zeigt, dass die gleichzeitigen Zuschreibungen zu unterschiedlichen sozialen und religiösen Gemeinschaften und Städten sich stark nach biografischer Situation, Alter und Geschlecht unterscheiden. Durch den Blick auf den Migrations- und den Herkunftskontext können diese unterschiedlichen Verortungen sowohl in Berlin wie auch in Dakar nachgezeichnet werden. Diese Arbeit verdeutlicht also insgesamt, dass sich Senegales*innen in Berlin und Dakar durch den Gebrauch von Medientechnologien wie Mobiltelefone und Facebook sowie von Medienprodukten wie Hochzeitsvideos und -bilder sowohl in der Herkunftsgesellschaft wie auch transnational und in der Migration verorten und dabei globale Vorstellungen beispielsweise von romantischer Liebe ebenso Teil der Verbindungen sind wie lokale Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit (vor allem Kapitel 5 und 6). Neben den häufig in der Forschung betrachteten kleinfamiliären Beziehungen wurde dargelegt, dass horizontale Beziehungen wie Geschwisterbeziehungen und Freundschaften im transnationalen Kontext an Bedeutung gewinnen (Kapitel 6 und 7). Dies ist abhängig von der Dauer der Migration und den familiären Zusammenhängen, aber auch von spezifischen medialen Voraussetzungen und Vorgaben beispielsweise der Plattform Facebook, die insbesondere Formen von Gruppenbeziehungen und das öffentliche Ausstellen sozialer Beziehungen bestärkt. Weiterhin verweist die Arbeit auf die besondere Stellung der Schwiegerfamilie und insbesondere der Schwiegermutter für transnationale Familien (Kapitel 8). Der Fokus auf transnationale Beziehungen in Dakar verdeutlicht zudem, wie der Gebrauch unterschiedlicher Medientechnologien in Verkettung mit anderen Medien (z.B. Körpertechniken) in verschiedenen medialen Forma-



9. Ausblick | 291

ten dazu dient, geschlechts- und generationenspezifische sowie andere soziale Zugehörigkeiten zu gestalten. Junge Frauen und Männer positionieren sich durch die Gestaltung des Körpers, durch Fotografien, Fotoalben und Facebook in einem Feld sozialer Beziehungen als schön, erfolgreich und gut vernetzt (Kapitel 2 und 5). Die Medienpraktiken, die körperliche und technische Medien einschließen, dienen sowohl der geografischen als auch der sozialen Mobilität beispielsweise durch Heirat oder Migration, eröffnen jedoch auch einen spielerischen Raum der Gestaltung als sozialer Person, wie Kapitel 6 zu Geschwisterbeziehungen am deutlichsten zeigt. Schließlich veranschaulicht der Blick auf Medienpraktiken medienübergreifende Dynamiken sozialer Beziehungen. Emotionale und soziale Nähe und Distanz werden in transnationalen sozialen Beziehungen durch medial vermittelte Kopräsenz hergestellt und erweitern die bereits bestehenden Formen von medial vermittelter Kopräsenz (Itō und Okabe 2005; Pink u.a. 2015) um den Aspekt der Visualität. Insbesondere in porträtfotografischen Praktiken werden abwesende Personen anwesend gemacht und Präsenz in transnationalen sozialen Beziehungen medial vermittelt hergestellt (v.a. Kapitel 5, 6 und 8), aber auch mit Abwesenheit durch nicht-Zeigen von Bildern und Kontexten umgegangen. Fotografien und audiovisuelle Montagen in Formaten wie Hochzeitsalben, -videos oder Facebook stellen grundlegende emotionale und soziale Verbindungen her und ermöglichen spezifische Formen der Gemeinschaftlichkeit und Zugehörigkeit. Die Ästhetik und Form dieser medialen Vermittlung verändert die Erfahrung von transnationalen sozialen Beziehungen und unterscheidet sich damit von der Erfahrung ­kolokaler sozialer Beziehungen. Visualität ist auch deshalb in transnationalen sozialen Beziehungen zwischen Senegal und Deutschland so bedeutsam, weil sie die unterschiedlichen Orte, Personen und Zeiten auf spezifische Weise miteinander verbindet. Der detaillierte Blick auf visuelle Medienpraktiken verdeutlicht, wie das Zusammenspiel unterschiedlicher sozialer Beziehungen es teilweise erst ermöglichen ein Bild zu gestalten und zu produzieren (Kapitel 2). Diese sozialen Beziehungen wirken im Bild weiter, wenn sie an einem anderen Ort oder einer anderen Zeit im neuen Zusammenhang erneut ihre Wirkung entfalten. Im Kontext dieser Arbeit ist es also der soziale Raum, der durch das Bild eröffnet wird, der Produzent*innen, Abgebildete und Betrachter*innen des Bildes miteinander in Verbindung setzt. Dieser „civil contract of photography“, wie Ariela Azoulay (2008:14) dies so treffend bezeichnet hat, fokussiert auch auf die Restrukturierung der Verbindung der Dimensionen von Zeit und Bewegung:

292 | Social Media im transnationalen Alltag „Photography is much more than what is printed on the photographic paper. The photograph bears the seal of the photographic event, and reconstructing this event requires more than just identifying what is shown in the photograph. One needs to stop looking at the photograph and instead start watching it. The verb ‚to watch‘ is usually used for regarding phenomena or moving pictures. It entails dimensions of time and movement that need to be reinscribed in the interpretation of the still photographic image. When and where a subject of the photograph is a person who has suffered some form of injury, a viewing of the photograph that reconstructs the photographic situation and allows a reading of the injury inflicted on others becomes a civic skill, not an exercise in aesthetic appreciation.“

Der politische Raum und die ästhetische Dimension sind bei Azoulay untrennbar miteinander verwoben, beim Lesen der Spuren in den Fotografien werden immer auch die Brüche, Verletzungen und Verstöße dieses Vertrages deutlich. Die in dieser Arbeit beschriebenen (digitalen und analogen) fotografischen Medienpraktiken gehen von einer neuen Form der Begegnung in, durch und mit den Bildern der soziokulturellen visuellen Vermittlung in transnationalen sozialen Beziehungen aus. Gerade die Verbindung von fotografischer Situation, den Subjekten der Fotografien und den Betrachter*innen ist im transnationalen Kontext zwischen Senegales*innen in Berlin und Dakar von immenser Bedeutung und beinhaltet neben sinnlich-emotionalen Aspekten geschlechtsspezifische sowie gesellschaftliche Dimensionen von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit. Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit sind eng verknüpft mit Diskussionen um unterschiedliche Formen von Öffentlichkeit, die seit 20 Jahren und verstärkt mit dem Auftreten von ‚neuen‘ Medien auch in der Ethnologie diskutiert werden (Hirschkind, de Abreu und Caduff 2017). Einige Positionen stellen in Bezug auf soziale Onlinemedien die Dominanz des Visuellen und einen Zwang zur Sichtbarkeit fest, und sprechen der Visualität als Repräsentativität den relationalen oder gar vermittelnden Charakter ab (Morris 2013). Die Ergebnisse dieser Arbeit zeigen jedoch, wie durch die medialen Formate spezifische Formen der (transnationalen) Gemeinschaft und Sichtbarkeit von sozialen Beziehungen hergestellt werden. Posieren, Ausstellen, Kuratieren sowie digitale Nachbearbeitung und Einbindung in unterschiedliche Onlinenetzwerke sind Techniken der Vermittlung in translokalen und transnationalen sozialen Beziehungen, durch die soziale Nähe und Distanz ausgehandelt wird. Die Ergebnisse dieser Arbeit an der Schnittstelle von Medienethnologie, Sozialethnologie sowie Mobilitäts- und Transnationalismusforschung tra-



9. Ausblick | 293

gen dazu bei, Migration in europäischen Gesellschaften besser zu verstehen und einseitigen Medienbildern (etwa von Geflüchteten) entgegen zu wirken. Die Bilder, die Senegales*innen selbst von sich erstellen, zu denen sie eigene Geschichten und Kontexte ergänzen können und mit denen sich Senegales*innen in Berlin und Dakar auf vielfältige Weise mit Freund*innen und Familienangehörigen verbinden, zeugen von einem transnationalen Alltag, in dem sie sich nicht für den einen oder den anderen Ort entscheiden müssen (jedoch können). Diese Bilder können als positive Ressource genutzt werden, um Migrant*innen nicht nur als Brückenbauer*innen zum Beispiel für Entwicklungszusammenarbeit, sondern auch für Veränderungen innerhalb der Gesellschaften in Berlin, Deutschland und anderen europäischen Ländern zu betrachten. Für die Transnationalismusforschung und die Erforschung sozialer Beziehungen in Westafrika zeigt sich, dass erstens der Blick auf kleinfamiliäre Beziehungen um Geschwister- und Freundschaftsbeziehungen erweitert werden muss, um wichtige Dynamiken transnationaler Migration besser zu verstehen. Zweitens gilt es, die europäische Dimension und Vernetzungen der transnationalen Migration stärker ins Zentrum der Forschung zu rücken und genauer die innereuropäischen Verbindungen nicht nur senegalesischer Migrant*innen zu betrachten. Damit können zudem Gemeinsamkeiten und Unterschiede der europäischen Aufenthaltskontexte herausgearbeitet werden. Gerade das Zusammenspiel religiöser und nicht-religiöser Assoziationen in transnationalen Gemeinschaften verdeutlicht, dass Forschungen fehlen, die abseits wirtschaftlicher Betrachtung den Dynamiken von Medienpraktiken, medial vermittelter Präsenz und religiösen Verbindungen für Westafrikaner*innen in der Migration in Europa ausreichend Rechnung tragen. Drittens verweist der Fokus auf meine Lernprozesse porträtfotografischer Praktiken, dass auch körperlich-sinnliches Wissen in die Forschung miteinbezogen werden muss, um sich medialen Dynamiken anzunähern. Gleichzeitig gilt es, spezifische audiovisuelle Formen der Darstellung und Vermittlung zu finden, um dieses Wissen darzustellen und zu reflektieren. Für die zukünftige Forschung eröffnet sich damit ein Feld, das Aufschlüsse über die Veränderungen emotionaler Verfasstheit und affektiver Bindungen in der migrantischen und transnationalen Situation verspricht. Auf Erfahrung und Emotionen basierende medial vermittelte Beziehungsebenen müssen auch in ihrer Veränderlichkeit verstanden und beispielsweise Auralität im Sinn einer auditiven Praxis (Erlmann 2018) in Verbindung mit Visualität untersucht werden. Denn wie das Magal de Touba in Berlin deutlich

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macht, schaffen die Gesänge, Mikrofonverstärker und Audioaufnahmen eine „sonic athmosphere“ (vgl. Eisenlohr 2018), die religiöse Praktiken und Gefühle ermöglicht und gestaltet. Gerade das Zusammenspiel der visuellen und auditiven Dimensionen, die als transnationale Audiovisualität verstanden werden können, gilt es in zukünftigen Forschungen im Zusammenhang mit Digitalität zu betrachten.

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Ethnologie und Kulturanthropologie Stefan Wellgraf

Schule der Gefühle Zur emotionalen Erfahrung von Minderwertigkeit in neoliberalen Zeiten 2018, 446 S., kart. 34,99 € (DE), 978-3-8376-4039-7 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4039-1 EPUB: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-4039-7

Nikola Langreiter, Klara Löffler (Hg.)

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Ethnologie und Kulturanthropologie Martin Heidelberger

Korrespondenten des Wandels Lokale Akteure der globalen Nachrichtenindustrie 2018, 328 S., kart. 39,99 € (DE), 978-3-8376-4173-8 E-Book: 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4173-2

Daniel Kofahl, Sebastian Schellhaas (Hg.)

Kulinarische Ethnologie Beiträge zur Wissenschaft von eigenen, fremden und globalisierten Ernährungskulturen 2018, 320 S., kart., zahlr. z.T. farb. Abb. 34,99 € (DE), 978-3-8376-3539-3 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3539-7

Maria Grewe

Teilen, Reparieren, Mülltauchen Kulturelle Strategien im Umgang mit Knappheit und Überfluss 2017, 324 S., kart. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3858-5 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3858-9

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